Allgemeines Landrecht für die Preußischen Staaten: Band 1 [8. Aufl. Reprint 2020] 9783112377789, 9783112377772

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Allgemeines Landrecht für die Preußischen Staaten: Band 1 [8. Aufl. Reprint 2020]
 9783112377789, 9783112377772

Table of contents :
Vorwort zur achten Auslage des ersten Bandes
Inhaltsverzeichniß des ersten Bandes
Patent wegen Publikation des neuen allgemeinen Landrechts für die Preußischen Staaten
Patent zur Publikation der neuen Auflage des allgemeinen Landrechts für die Preußischen Staaten
Spätere Einführungen
Einleitung
Erster Theil
Erster Titel. Von den Personen und deren Rechten überhaupt
Zweiter Titel. Von Sachen und deren Rechten überhaupt
Dritter Titel. Von Handlungen und den daraus entstehenden Rechten
Vierter Titel. Von Willenserklärungen
Fünfter Titel. Bon Verträgen
Sechster Titel. Von den Pflichten und Rechten, die aus unerlaubten Handlungen entstehen
Siebenter Titel. Von Gewahrsam und Besitz
Achter Titel. Vom Eigenthume
Neunter Titel. Von der Erwerbung des Eigenthums überhaupt, und den unmittelbaren Arten derselben insonderheit
Zehnter Titel. Von der mittelbaren Erwerbung des Eigenthums
Eilfter Titel. Von den Titeln zur Erwerbung des Eigenthums, welche sich in Verträgen unter Lebendigen gründen
Erster Abschnitt. Von Kaufs- und Verkaufsgeschäften
Zweiter Abschnitt. Vom Tauschvertrage
Dritter Abschnitt. Bon Abtretung der Rechte
Vierter Abschnitt. Vom Erbschaftskaufe
Fünfter Abschnitt. Bom Trödelvertrage
Sechster Abschnitt. Bon gewagten Geschäften und ungewissen Erwartungen
Siebenter Abschnitt. Vom Darlehnsvertrage
Achter Abschnitt. Bon Verträgen, wodurch Sachen gegen Handlungen, oder Handlungen gegen Handlungen versprochen werden
Neunter Abschnitt. Von Schenkungen
Nachträge und Berichtigungen

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Allgemeines Lnndrecht für die

Ä'renftischen Staaten. In zwei Theilen oder vier Bänden.

Erster Band.

Allgemeines Landrecht für die

Preußischen Staate». Unter Andenlnng der obsoleten oder anfgehobenen Vorschriften nnd Einschaltnng der jüngeren noch geltenden Bestimmungen, hcrausgcgcben

mit Äonnnentar in Anmerkungen von

Dr. C. F. Koch. Achte Auflage. Mit besonderer Berücksichtigung der Reichsgesetzgebung bearbeitet von

X Achilles,

Dr. U. Ljinschitt5-

$L Äohow,

Cbcv=Vani)Cvßciid)t‘5ratl).

Gel). Instizrath inib ori). Professor der Rechte.

Geh. Ober-Justizrath.

er Erblasser zufällig stirbt? II. Was das Dasein der Rechte betrifft, so hat der Grundsatz von der Nichtrückwir­ kung neuer Gesetze keine Gültigkeit. Wenn ein neues Gesetz ein Rechtsinstitut nicht mehr aner­ kennt oder umbildet, so tritt es grundsätzlich sogleich in Wirkung. Dahin gehören die Bestim­ mungen: 1. über Einschränkungen der Freiheit der Person und des Eigenthums; 2. über die persönlichen Verhältnisse der Eheleute und über die Trennung der Ehe (vergl. die Einf.-Pat. v. 1814 §. 9 u. v. 1816 §. 11); 3. über die väterliche Gewalt und über die hausherrliche Ge­ walt über das Gesinde; 4. über die Zulässigkeit oder Unzulässigkeit von Schenkungen unter Eheleuten; 5. über die Fortdauer gewisser Modifikationen des Grundeigenthums, namentlich von Fideikommissen und Lehen, sowie über andere dingliche Rechte und deren Formen, z. B. des Zehntrechts, und über die Umwandlung der röm. Pfandrechte in pr. Hypothekenrechte, wobei es Sache der Gesetzgebungspolitik ist, Rechtsverletzungen zu verhüten, v. Savigny S. 531. Hiermit stimmt die Praxis des O.Tr. nach dem Erk. I v. 11. Dez. 1854, Entsch. 29 S. 358, überein, wo der Satz begründet und angewendet worden ist: „Eine unter der Herrschaft des L.R. begangene Felonie wird nicht nach dem gemeinen, sondern nach dem Lehnrechte des L.R. beurtheilt, sollte gleich das Lehn vor dem Eintritte des letzteren begründet worden sein." H. 6. Hierher gehört auch die Aufhebung des als verwerflich erkannten Wiederkaufsrechtes des vormaligen Eigenthümers eines enteigneten Theilstücks durch §. 57 des Enteignungsges. v. 11. Juni 1874; diese Bestimmung findet daher auch auf Enteignungen Anwendung, die vor dem Erlaß des Gesetzes stattgefunden haben. O.Tr. III v. 22. Jan. 1877, Entsch. 79 S. 45. — Vgl. auch das Erk. II v. 16. Mai 1872, Str. Arch. 85 S. 155, welches eine Polizeiver­ ordnung, wonach gegen die Regel des L.R. I. 8 §. 139 Neubauten an der Frontlinie der städti­ schen Straßen hart an der Nachbargrenze aufgesührt werden sollen, auf einen schon vor dem Erlaß derselben errichteten Neubau anwendet. Dies die Uebersicht der allgemeinen Grundsätze über die Anwendung der Regel von der Nichtrückwirkung neuer Gesetze. Die folgenden §§. IX—XVIII des Publ.Pat. treffen besondere Vorsorge über solche Anwendung bei der Einführung des neuen G B. Die Bestimmungen sind daher wesentlich transitorische, doch ist damit durchaus nicht gesagt, daß dürin nicht Sätze von bleibender Natur enthalten sein könnten, vielmehr wird eine gründliche Einsicht ergeben, daß darin manche Anwendung allgemein gültiger Regeln vorgeschrieben ist. 26) Die Voraussetzungen der Anwendung dieser Bestimmung sind: ein aus einer vor Publikation des L.R. stattgehabten Handlung oder Begebenheit entstandener Prozeß, und Dunkel­ heit der vor Publikation des L.R. vorhandenen, durch das L.R. außer Kraft gesetzten subsi­ diarischen Rechte und Gesetze. Keineswegs ist bei Interpretation eines jeden, außer dem L.R. gegenwärtig noch zur Anwendung kommenden älteren dunklen und zweifelhaften Gesetzes der den Vorschriften des L.R. zunächst kommenden Meinung der Vorzug zu geben. O.Tr. v. 3. Juni 1848, Entsch. 16 S. 310. Vergl. Bd. 17 S. 433. — Wohl aber ist die im §. IX enthaltene und auch in die späteren Publikationspatente aufgenommene Vorschrift anwendbar auf folgende gemeinrechtliche Kontroversen: a. über die Zeit und die Bedingungen, unter denen eine Servitut usukapirt werden kann (Erk. d. O.Tr. II v. 19. März 1861, Entsch. 45 S. 174); b. darüber, ob dem Pächter der Einwand der Verletzung über die Hälfte zustehe (O.Tr. III v. 4. Sept. 1868, Str. Arch. 72 S. 129); c. über den Vorzug deis Erbtochter vor der Regredienterbin (O.Tr. I v. 30. Rov. 1866, Entsch. 57 S. 87). H. Vgl. ferner O.Tr. II v. 9. Rov. 1865, Entsch. 56 S. 44, Str. Arch. 60 S. 256. H. Das Pl. des Strass, des O.Tr. hat unterm 28. Jan. 1867 eintragen lassen folgendes Präj. 310: „Die vor Einführung des A.L.R. in den damaligen Preuß. Staaten vorhandenen, seinen Voraussetzungen entsprechenden, obwohl durch Privilegien nicht geschützten Verlagsrechte

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Publikations-Patent von 1794.

§§. X—XL

X. Da auch die Fälle sich häufig ereignen dürften, wo die Handlung oder We­ der PubUka- gebenheit, aus welcher streitige Rechte unter den Parteien entspringen, zwar scholl schwebenden vor der Publikation des Landrechts sich ereignet haben; die rechtlichen Folgen und" RM ^rselben aber erst nachher eintreten: so finden Wir nöthig, wegen solcher Fälle angelegen-^ nachstehende nähere Bestimmungen festzusetzen: rlanen sei; Es soll nämlich in dergleichen Fällen jederzeit darauf Rücksicht genommen insonderheit werden: ob es noch in der Gewalt desjenigen, von dessen Rechten oder Pflichten die Rede ist, gestanden, und bloß von seinem freien Entschlüsse abgehangen habe, die rechtlichen Folgen der frühern Handlung oder Begebenheit, durch Willenser­ klärungen oder sonst, zu bestimmen, und auf andere Art, als in dem neuen Land­ rechte geschehen ist, festzusetzen; oder ob eine solche abändernde Bestimmung in der Gewalt und einseitigen Entschließung desjenigen, den die Handlung oder Begebenheit angeht, nicht mehr gestanden habe? Im letztern Falle sollen die auch später eintretenden rechtlichen Folgen dennoch nur nach den ältern Gesetzen, welche zur Zeit der vorgefallenen Handlung oder Begebenheit gültig gewesen sind, beurtheilt toerben27). Im ersten: Falle hingegen soll, wenn auch die Handlung oder Begebenheit älter, aber keine solche abändernde Bestimmung vorhanden wäre2S), bei Beurthei­ lung der erst nach dem Ist en Junius 1794 eintretenden rechtlichen Folgen, dennoch nur die Vorschrift des gegenwärtigen neuen Landrechts Anwendung finden.

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Es sind daher insonderheit alle Verträge, welche vor dem Isten Junius 1794 errichtet worden, sowohl ihrer Form und Inhalt nach, als in Ansehung der daraus entstehenden rechtlichen Folgen, nur nach den zur Zeit des geschlossenen Contraets bestandenen Gesetzen zu beurtheilen; wenn gleich erst später auf Erfüllung, Auf­ hebung, oder Leistung des Interesse aus einem solchen Contracte geklagt würde.2$)) sind unter der Herrschaft des gedachten Gesetzbuchs des Schutzes desselben gegen Dritte in An­ sehung des Nachdrucks theilhaft geworden." Präj.S. 3 S. 1, Entsch. 57 S. 26*. 27) Die Vorschrift entspricht der Regel nach allgemeinen Grundsätzen (Note 25) vollkommen. 28) Alsdann will man sich, so wird angenommen, den Bestimmungen des ^.N. unterwerfen. Doch wird dieser Satz durch den folgenden §. XI wieder beschränkt. Denn dieser bezieht sich nach dem Wortlaute auf alle Verträge, nicht bloß auf die einseitig unwiderruflichen, wogegen der §. X, ohne diese Beschränkung oder beziehungsweise Ausdehnung, auch die nach altem Rechte einseitig widerruflichen Verträge, wie z. B. Schenkungen unter Eheleuten, umfaßt. Die Be­ stimmung trifft eine etwas dunkle Ausnahme von der Regel (Note 25). Das österreichische Einf.Pat. v. 11. Juni 1811 Abs. 5 bleibt bei dem allgemeinen Grundsätze. 29) Alle Verträge ohne Ausnahme. S. die vorige Note. Dazu paßt freilich das Bindewort „daher" nicht; man scheint an widerrufliche Verträge nicht gedacht zu haben. — Vergl. oben Anm. 25 Nr. 1 A. 4 und Bornemann, Erörterungen Heft 1 S. 24 ff. — Die Vorschrift enthält nichts weiter, als eine richtige Anwendung des allgemeinen Grundsatzes. Alle rechtlichen Folgen eines Vertrages, mögen sie schon eingetreten sein, oder noch künftig eintreten, gehören zu den bereits erworbenen Rechten und sind keine bloßen Erwartungen. Das Gleiche enthalten alle späteren transitorischen Gesetze. — Der §. XI enthält einen allgemeinen Rechtsgrundsatz, welcher auch auf alle neueren Gesetze, insofern nicht in diesen besondere Ausnahmen gemacht sind, volle An­ wendung findet, so daß z. B. ein unter der Herrschaft des L.R. mündlich geschlossener Vertrag, welcher zu seiner Gültigkeit der Schriftform bedurfte, durch Einführung des H.G.B., nach welchem dieser Vertrag der Schriftform nicht bedarf, nicht ohne Weiteres verbindlich wird. O.Tr. IV v. 9. Febrl864, Str. Arch. 53 S. 124. In dem Erk. IV v. 29. Nov. 1864, Str. Arch. 55 S. 324, wird dies abermals auf das Dienstverhältniß zwischen Prinzipal und Handlungsdiener und die ^Auf­ lösung desselben angewendet. — Dagegen erkennt dasselbe durch Erk. IV v. 30. Juni 1868, Entsch. 60 S. 342, Str. Arch. 70 S. 352, das Gegentheil, daß der Art. 61 des H.G.B. auch da Anwendung findet, wo der Vertrag nicht unter der Herrschaft des H.G.B. errichtet, vielmehr nur nach Einführung desselben fortgesetzt worden ist. Bezüglich auf diesen Widerspruch heißt es: „Daß diese (jetzige) Ausführung mit den Gründen der von: Imploranten zur Rechtfertigung

Publikations-Patent von 1794.

§§. XII—XIV.

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XII. In Ansehung der Testamente und andrer letztwilligen Verordnungen setzen Wir besonders fest, daß alle diejenigen, welche vor dem Isten Junius 1794 er­ richtet worden, nach den Vorschriften der ältern Gesetze durchgehends3ti) beurtheilt werden sollen, wenn gleich das Ableben des Testators erst später erfolgte; und soll bei dieser Art von Verfügungen auf den Unterschied: ob eine solche Disposition in der Zwischenzeit und bis zum Isten Junius 1794 noch hätte geändert werden können, oder nicht, zur Vermeidung der sonst für Unsere getreuen Unterthanen zu besorgenden großen Weitläufigkeiten und Kosten, keine Rücksicht genommen werden.

XIII. Die gesetzliche Erbfolge81) zwischen Aeltern und Kindern, auch andern Familiengliedern, so weit dieselbe nicht auf Verträgen, Fideikommiß-Stiftungen, Lehns- Erbfolge. Constitutionen u. s. w. unabänderlich beruhet, sondern durch rechtsgültige Willens­

erklärungen des Erblassers abgeänoert werden konnte, ist, wenn der Erbfall sich vor dem Isten Junius 179432) ereignet, nach den bisherigen Gesetzen, späterhin aber, wenn der Erblasser keine solche rechtsgültige Abänderung gemacht hat, nach den Vorschriften des neuen Landrechts, jedoch unter dem §.VII. bemerkten Vorbehalte*), zu beurtheilen.

XIV. Das Verhältniß der Eheleute, die sich vor dem Isten Junius 17948:i) verheirathet Succession haben, soll, so weit es auf Rechte und Pflichten unter Lebendigen ankommt, so wie der Eh-i-mc in Fällen, wo die Ehe durch richterliches Erkenntniß getrennt wird, nach den zur seiner Nichtigkeitsbeschwerde angeführten, durch Striethorst's Archiv veröffentlichten ObertribunalsEntscheidungen v. 9. Febr. und 29. Nov. 1864 nicht im Einklänge steht, ist anzuerkennen; die diesen Entscheidungen zum Grunde liegende Ansicht hat jedoch, mit Rücksicht auf die obigen Er­ wägungen, aufgegeben werden müssen." H. Vgl. Hinschiusin Behrend'sZeitschr. Bd. 3 S. 575. — Die Anwendbarkeit des H.G.B. auf die Rechtsverhältnisse der vor Einführung desselben begründeten und nach derselben in Liquidation gekommenen Handelsgesellschaften wird behauptet von Keyßner, die Liquid, der offenen Handelsgesellschaft, Erlangen 1866 S. 1 Anm. 1, u. in Goldschmidt's Zeitschr. 10 S. 327. 30) Durchgehends, also auch in Ansehung des Inhalts. (H. Abweichender Ansicht Heyd emann, Einl. in das System des Preuß. Civilr. Bd. 1 S. 91.) Dies ist eine Ausnahme von den allgemeinen Grundsätzen (Note 25), welche bei den späteren Einführungen (Publ.Pat. von 1814 §. 6 und von 1816 §. 8) nicht gemacht worden ist. Diese unterscheiden zwischen Form und Inhalt und schließen sich den allgemeinen Grundsätzen in beiden Beziehungen an. Die persönliche Fähigkeit ist in allen Einführungspatenten übergangen, es bleibt deshalb bei den allgemeinen Grundsätzen. 31) Die Jntestaterbfolge richtet sich nach allgemeinen Grundsätzen, immer nach den zur Zeit des Todes des Erblassers geltenden Gesetzen. Denn vorher hat der bezeichnete Erbe nichts weiter als eine ungewisse Erwartung, welche ebenso durch Errichtung eines Testaments, wie durch ein neues Gesetz rechtlich, und auch thatsächlich durch Verfügungen unter Lebendigen vereitelt werden kann, gleichwie die Erwartung eines eingesetzten Testamentserben durch Zurücknahme des Testaments zerstörbar, also ungewiß ist. Der §. XIII und alle späteren Einführungspatente übereinstimmend schreiben also nur die Einwendung eines allgemeinen Grundsatzes vor. 32) In den beiden Ausgaben von 1794 und 1796 heißt es „1796"; erst in der Ausgabe von 1804 ist diese Jahreszahl, auf Kircheisen's Vorschlag, der darin einen Druckfehler sah, welcher nicht vorhanden war (R. v. 25. Sept. 1795 ad 3, in Stengel Bd. 1 S. 436), in 1794 abgeändert worden. S. Simon's Zeitschr. 2 S. 176 u. Jur. Wochenschr. 1838 S. 337. Es ist bei der §. VII verordneten Suspension gleichgültig: ob es 1794 oder 1796 heißt. Denn liest man 1794, so tritt die Suspension in Wirksamkeit; heißt es 1796, so ist die zweijährige Suspension eingerechnet. 33) Auch hier heißt es, in den ältesten beiden Ausgaben (Note 32), 1796. Es kommt zur Zeit nichts mehr darauf an; auch die Frage: ob Ehescheidungsursachen und Ehescheidungsstrafe nach dem alten oder dem neu en Rechte zu bestimmen sind, hat ihr praktisches Interesse verloren. *) Die splendid gedruckten Worte stehen nicht in der von dem Könige unterschriebenen Reinschrift des Patents. Simon a. a. O. S. 177.

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Publikations-Patent von 1794.

§§. XIV—XV.

Zeit der geschlossenen Ehe bestandenen Gesetzen beurtheilt werden^). Bei der Erbfolge hingegen, in so fern dieselbe nicht durch Verträge, letztwillige Verordnungen, Provinzialgesetze, oder Statuten bestimmt wird, sondern nach gemeinen Rechten anzuordnen ist, soll der überlebende Ehegatte, bei einem nach dem Isten Junius 1794 sich ereignenden Successionsfalle, die Wahl haben: ob er nach den zur Zeit der geschlossenen Ehe vorhanden gewesenen gemeinen Rechten, oder nach den Vorschriften des gegenwärtigen Landrechts erben toolle35).

XV. KUcn, Da in dem gegenwärtigen Landrechte bestimmt ist, daß die gesetzlichen und ' stillschweigenden Hypotheken zwar ihre bisherigen Vorrechte gegen den eigentlichen Schuldner und dessen Erben, so wie bei einem über das Vermögen oder den Nachlaß des Schuldners entstehenden Concurse behalten, auf den dritten Besitzer der damit behafteten unbeweglichen Sache aber, welcher nicht Erbe seines Vorfahren im Be­ sitze geworden ist, nur in so fern übergehen sollen, als dieselben diesem dritten Besitzer bei der Erwerbung des Grundstücks bekannt gewesen, oder in das gerichtliche Hypo­ thekenbuch eingetragen sind; so soll zur Eintragung solcher Hypotheken ein drei­ jähriger Zeitraum offen bleiben; dergestalt, daß der Berechtigte, welcher sich vor dem Isten Junius 1797 zu der Eintragung eines solchen Rechts in das Hypothekenbuch gehörig meldet, dazu noch gelassen werden muß, wenn gleich das Grundstück in der Zwischenzeit an einen andern Besitzer, als denjenigen, gegen welchen er das Recht erworben hat, oder dessen Erben gediehen wäre. 34) Diese Vorschrift bezieht sich nicht etwa auf die persönlichen Verhältnisse der Eheleute zu einander und auf die Ehescheidungsgründe, sondern auf die Güterrechte der Eheleute und auf die Grundsätze wegen Auseinandersetzung in Folge einer Ehetrennung. M. s. die späteren Einf.Pat. von 1814 §. 9 und von 1816 §.11. Sie entspricht mithin dem allgemeinen Grund­ sätze (Anm. 25). Die Ehescheidungsgründe sind übergangen. In den späteren Patenten a. a. O. findet sich gleichfalls der allgemeine Grundsatz angewendet, mit Ausnahme einiger Thatsachen, die nach dem alten Gesetze nicht die Scheidung begründen. 35) Der zweite Theil dieses §. enthält eine positive Bestimmung. Das Wahlrecht ist nur für den Fall gegeben, wenn die Ehe nicht unter der Herrschaft eines besonderen Rechts, sondern unter dem G. R. geschlossen worden ist. Das gewählte Recht muß in allen seinen Be­ ziehungen ausschließlich zur Anwendung kommen, und es kann nicht die eine Frage nach diesem, die andere nach jenem entschieden werden. Darüber hat man bei ver Gütergemeinschaft ge­ stritten, und es hat erst eines Pl.Beschl. (Pr. 867) v. 2. Juni 1840, Entsch. 5 S. 299 bedurft, um außer Streit zu setzen, daß, wenn die Wahl auf das L.R. fällt, auch die Frage: was zu dem, der ehelichen Gütergemeinschaft unterworfenen Vermögen gehöre, nicht nach den zur Zeit der Eheschließung hinsichts der Gemeinschaft geltend gewesenen Grundsätzen, sondern nach den Vorschriften des L.R. zu entscheiden. — (H. Das Wahlrecht steht übrigens nur dem Ehegatten zu und geht nicht auf dessen Erben über. Jung meist er in Jur. Wochenschr. 1839 S. 37. Förster-Eccius a. a. O. §. 10 bei Annr. 31. Contra: Bielitz, Komment, zum A. L.R. 1 S. 41.) — Eine Nachbildung des Satzes des §. XIV findet sich wieder in dem Einf.Pat. zum Westpreufi. Provinzialrechte, vom 19. April 1844 §. 7, G.S. S. 103, und in dem Schles. Ges. v. 11. Juli 1845, betr. die Aufhebung der in Schlesien 2c. geltenden besonderen Rechte über die ehelichen Güterverhältnisse und die gesetzliche Erbfolge, §. 8 Nr. 2, G.S. S. 471. In Schlesien hat er die Kontroverse veranlaßt: ob unter den gemeinten Vorschriften des L.R. stets dessen gemeinrechtliche Erbfolge II. 1. §§. 500 ff. u. §§. 621 ff., oder diese, resp, dessen Bestimmungen bei bestandener Gütergemeinschaft §§. 634 ff. a. a. O., je nachdem die Eheleute nach den früheren Rechten in getrennten Gütern oder in Gütergemeinschaft gelebt haben, zu verstehen. Das Plenum des O.Tr. hat durch Beschl. v. 5. Nov. 1855 das Erstere für das Richtige erklärt. (J.M.Bl. S. 416 und Entsch. 31 S. 198.) In Westpreußen hat sich der Streit wiederholt; hier aber ist die Entscheidung in letzter Instanz im entgegengesetzten Sinne ausge­ fallen, aus dem zutreffenden Grunde, weil das neue Provinzialrecht die provinzialrechtliche Gütergemeinschaft aufrecht erhält und nur die landrechtlichen Vorschriften über die Gütergemein­ schaft an die Stelle des alten Provinzialrechts darüber setzt. Vergl. ferner Ges. v. 16. Febr. 1857 Art. V, G.S. S. 87, Ges. v. 5. Juni 1863 Art. IV, G.S. S. 374 ; Ges. v. 4. Aug. 1865 Art. V, G.S. S. 873, Ges. v. 5. Febr. 1869 Art. III, G.S. S. 329.

Publikations-Patent von 1794.

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§§. XVI-XVII.

XVI. wegen der Real-Servituten,

Fällt weg:!,i).

XVII.

Was insonderheit die Verjährung betrifft: so sollen diejenigen Fälle, in welchen Verjährung, dieselbe schon vor dem Isten Junius 1794 vollendet worden, lediglich nach bis­ herigen Rechten beurtheilt werden; wenn gleich die daraus entstandenen Befugnisse oder Einwendungen erst späterhin geltend gemacht würden. In Ansehung derjenigen Verjährungen hingegen, deren bisherige gesetzmäßige Frist mit dem Isten Junius 1794 noch nicht abgelaufen ist, sollen die Vorschriften des neuen Landrechts in allen Stücken befolgt werden'^). 36) Da der §. 18 u. f. Tit. 22 Th. I des L.R. verordnete, daß Grundgerechtigkeiten, welche durch keine in die Augen fallenden Kennzeichen oder Anstalten angedeutet werden, und gleichwohl den Nutzungsertrag des belasteten Grundstücks schmälern, gegen einen dritten Besitzer des belasteten Grundstücks nur in sofern sollten ausgeübt werden können, als sie zur Zeit der Besitzveränderung in das Hypothekenbuch schon eingetragen wären, oder deren Eintragung noch binnen zwei Jahren nach der Besitzveränderung von dem Besitzer des berechtigten Grundstücks gehörig nachgesucht würde; so bestimmte der §. XVI die Berechnungsart dieser 2 Jahre und gab den Gerichten Anweisung in Betreff ihres Verhaltens bei Besitzveränderungen. Dieselbe fällt weg, weil jene Vorschrift des A. L.R. bald nach der Publ. wieder aufgehoben ist. Anh. §. 58 (zu I. 22 §. 18). R. v. 12. Dez. 1840, J.M.Bl. S. 399. Eig. Erw. Ges. v. 5. Mai 1872 8. 12 Abs. 2. H. Der §. XVI lautete: „Da ferner verordnet ist, daß dingliche Dienstbarkeitsrechte oder Servituten, welche durch keine in die Augen fallende Kennzeichen oder Anstalten angedeutet werden, und gleichwohl den Nutzungsertrag des belasteten Grundstücks schmälern, gegen einen dritten Besitzer des belasteten Grundstücks, der weder erweislich davon unterrichtet gewesen, noch seines Vorfahren Erbe geworden ist, nur in so fern sollen ausgeübt werden können, als sie zur Zeit der Besitzveränderung in das Hypothekenbuch schon eingetragen sind, oder deren Eintragung noch binnen zwei Jahren nach der Besitzveränderung von dem Besitzer des berechtigten Grund­ stücks gehörig nachgesucht wird; so verordnen Wir hierdurch: daß, wenn auch in der Zwischenzeit vom Dato des gegenwärtigen Patents an, bis zum Isten Junius 1797, Besitzveränderungen mit solchen belasteten Grundstücken sich ereigneten, dennoch die zweijährige Frist, binnen welcher die Eintragung zu suchen ist, nur vom Isten Junius 1797 an gerechnet werden solle. Auch befehlen Wir hierdurch sämmtlichen Gerichten und andern Hypothekenbuch führenden Behörden, bei allen Besitzveränderungen, welche nach der Publikation des gegenwärtigen Patents zuerst vorfallen werden, sowohl den bisherigen Besitzer, in sofern derselbe noch vorhanden ist, als den neuen Erwerber darüber zu vernehmen: ob das Grundstück etwa mit einer solchen noch nicht eingetragenen Servitut behaftet sei, oder demselben dergleichen Dienstbarkeitsrecht auf ein anderes Grundstück zukomme; und wenn sich dieses findet, den Interessenten die dahin ein­ schlagenden gesetzlichen Vorschriften noch besonders und ausdrücklich bekannt zu machen." 37) Die Vorschrift, welche sich in den späteren Einführungspatenten von 1814 §. 12 und von 1816 §. 16, nur mit Weglassung der Worte „in allen Stücken", wiederfindet, spricht den allgemeinen Grundsatz (Anm. 25) aus und ist nicht positiv oder eine Ausnahme. Das O.Tr. hat in zwei Beziehungen eine andere Meinung ausgesprochen und angewendet. Erstlich be­ hauptet es: die Frage, ob die Verjährung gültig begonnen habe, müsse nach den zur Zeit solches Anfangs geltend gewesenen Grundsätzen beurtheilt werden. Vergl. die oben zu §. VIII in Note 25 unter B. 1. a cit. Entscheidungen. Hierüber ist dort das Nöthige bemerkt. Zweitens hat es ausgesprochen: daß eine durch das neue Gesetz eingeführte längere Verjährung nicht An­ wendung finde, wenn die kürzere Verjährung nach dem alten Gesetze schon angefangen habe, insbesondere hat es die neue (längere) Wechselverjährung auf die schon nach L.R. angefangene Verjährung eines Wechsels für unanwendbar erklärt. Erk. IV (Pr. 2210) v. 15. Febr. 1850, Entsch. 19 S. 260. Die Gründe treffen alle nicht zu. Der §. XVII soll darum gewichtslos sein, weil er nur eine spezielle transitorische Bestimmung enthalte. Damit ist ja aber ganz und gar nicht bewiesen, daß sie kein allgemein gültiger Grundsatz sei. Natürlich fehlt der Beweis dafür, so wie die Nachweisung eines anderen Grundsatzes ganz und gar. Es wird nur be­ hauptet, daß der §. 14 der Einl., wonach neue Gesetze nicht Rückwirkung haben sollen, anzu­ wenden sei. Die Anwendbarkeit desselben ist aber eben näher zu bestimmen, da es außer Streit ist, daß er keine Allgemeingültigkeit hat; das O.Tr. räumt auch in einem jüngeren Erk. I v. 8. Febr. 1861, Str. Arch. 39 S. 357, selbst ein, daß Verjährungsgesetze unter einer näheren Maßgabe rückwirkende Kraft haben. H. Vergl. Förster-Eeeius §. 10, Bornemann, Koch, Allgemeines Landrecht. I.

8. Aufl.

2

18

Publikations-Patent von 1794.

§§. XVII- XVIII.

Sollte jedoch zur Vollendung einer schon vor dem Isten Junius 1794 ange­ fangenen Verjährung in dem neuen Landrechte eine kürzere Frist, als nach bis­ herigen Gesetzen, vorgeschrieben sein: so kann derjenige, welcher sich in einer solchen kürzern Verjährung gründen will, die Frist derselben nur vom Isten Junius 1794 zu rechnen anfangen38 * ).* * XVIII. wegen der Fällt weg39). Strafgesetze. Unter vorstehenden Maaßgaben und Bestimmungen nun wollen Wir dieses all­ gemeine Landrecht, vermöge der Uns znstehenden Landesherrlichen und gesetzgebenden Macht, als ein wahres und allgemeines Landesgesetz hierdurch, und in Kraft dieses, vorschreiben und pnblieiren; also, daß in Unseren Königlichen und Chur- auch sämmtlichen übrigen40) unter Unserer Hoheit und Oberbothmäßigkeit stehenden Landen, Provinzen und Distrikten, nach den in diesem neuen Gesetze enthaltenen Vorschriften verfahren und erkannt, und dasselbe in allen und jeden sowohl gerichtlichen, als außergerichtlichen Angelegenheiten, von Jedermann, der zu Unsern Unterthanen gehört, oder in Unsern Landen Geschäfte zu betreiben hat, genau beobachtet, insonderheit aber bei allen Ober- und Untergerichten, ohne Unterschied oder Aus­ nahme, in Beurtheilung der bei ihnen vorfallenden, oder zu ihrer Entscheidung ge­ langenden Angelegenheiten und Geschäfte, zum Grunde gelegt werden soll. Alle ältere Gesetze, Edikte und Verordnungen, an deren Stelle das gegenwärtige neue Landrecht nach den §§. I. und II. enthaltenen nähern Bestimmungen treten soll, Erört. Hft. 1 S. 39; ferner Publ.Pat. v. 19. April 1844, G.S. S. 103, Ges. v. 16. Febr. 1857 Art. VI, G.S. S. 87, Ges. v. 5. Juni 1863 Art. V, G.S. S. 374, und Ges. v. 4. Aug. 1865 Art. VI, G.S. S. 873. 38) Eine solche kürzere Frist ist auch die neu eingeführte 50jähr. Verjährung (I. 9 §. 660), welche an Stelle des abgeschafften Jmmemorialbesitzes gesetzt worden ist. Wenn also eine 50jähr. Präskription erforderlich ist und zugleich ein Jmmemorialbesitz behauptet wird, so kann der 50jähr. Präskription die vorlandrechtliche Zeit nicht hinzugerechnet werden. O.Tr. Pr. 2118 v. 27. April 1849, Entsch. 18 S. 192. Vgl. Pl.-Beschl. v. 24. Okt. 1845, Entsch. 12 S. 124, wonach umgekehrt in Fällen, wo praescriptio immemorialis und definitiva Zusammentreffen, und die Bedingungen der ersteren sich erst nach Publikation des L.R. herausstellen, auch die Zeit nach Einführung des L.R. in Anschlag kommen kann. — Dieser Grundsatz findet eine analoge Anwendung auch auf den Fall, wo die Veränderung dadurch herbei geführt ist, daß Jemand seinen Wohnsitz nach dem Jnlande verlegt, und dadurch das hier geltende Gesetz über die Verjährungsfristen auch in Beziehung auf schon bestehende Verbindlichkeiten Wirksamkeit er­ langt hat. Demnach kann der Lauf der kürzeren Verjährung der preußischen Gesetze nicht von einer früheren Zeit ab als von seiner Niederlassung in hiesigen Landen an gerechnet werden. O.Tr. I v. 8. Febr. 1861, Str. Arch. 39 S. 358. Vergl. Anm. Nr. I, 3, lit. b, y, zu Einl. §. 33. — JEL. Die Bestimmung rechtfertigt sich durch die Erwägung, daß das neue Gesetz nur in dem Sinne etwas Neues enthält, als es eine kürzere Frist für genügend erklärt; es negirt also nur das Erforderniß einer längeren Zeit, nicht aber das Genügen einer längeren Zeit. Unger, System des österr. Privatr., 4. Ausl. I S. 147. (Gemeinrechtliche Literatur das. Note 81.) 39) Dieser Absatz war außer Kraft gesetzt durch das Gesetz über die Einführung des Straf­ gesetzbuches für die Preußischen Staaten v. 14. April 1851, G.S. S. 93. Der Absatz lautete: „Was die Anwendung der in diesem Landrechte enthaltenen Strafgesetze auf die schon vor Publi­ kation sich ereigneten Fälle betrifft; so hat es deßfalls nicht nur bei den Vorschriften §. 18 und 20. der Einleitung sein Bewenden, sondern es ist auch Unser Wille, daß bei allen nach der Publikation, und selbst noch vor dem Isten Junius 1794, als dem Zeitpunkte der anfangenden Gesetzeskraft, zur richterlichen Entscheidung gelangenden Fällen die in dem neuen Landrechte verordneten Strafen, in sofern dieselben gelinder sind, als diejenigen, welche nach bisherigen Gesetzen auf das vorliegende Verbrechen statt gefunden hätten, angewendet werden sollen." Jetzt bestimmt hierüber das R.Str.G. §. 2. 40) Diese Unterscheidung der Lande gründet sich auf die damalige deutsche Reichsverfaffung und fällt jetzt weg. Unter den königlichen Landen verstand man das Königreich (die heutige Provinz) Preußen, unter den Churlanden die Churmark Brandenburg nebst Zubehörungen, und unter den übrigen Landen die sonst noch unter der Landeshoheit des Königs unter verschiedenen Titeln stehenden deutschen Reichsländer.

Publikations-Patent von 1803.

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werden hierdurch gänzlich aufgehoben und abgeschafft, und es soll von dem bestimmten Zeitpunkte an, kein Collegium, Gericht oder Justizbedienter sich unterfangen, diese älteren Gesetze und Verordnungen auf die vorkommenden Rechtsangelegenheiten, außer den im gegenwärtigen Patente bestimmten Fällen, anzuwenden; oder auch nur das neue Landrecht nach besagten aufgehobenen Rechten und Vorschriften zu erklären oder auszudeuten; am allerwenigsten aber von klaren und deutlichen Vor­ schriften der Gesetze, auf den Grund eines vermeinten philosophischen Raisonnements, oder unter dem Vorwande einer aus dem Zwecke und der Absicht des Gesetzes ab­ zuleitenden Auslegung, die geringste eigenmächtige Abweichung, bei Vermeidung Unserer höchsten Ungnade und schwerer Ahndung, sich zu erlauben41); vielmehr soll, wenn in ein oder anderem Falle über den Sinn und die richtige Auslegung einer der neuen Vorschriften Zweifel entstehen, oder irgend ein Richter keine hinlängliche Bestimmung eines zu seiner Entscheidung gelangenden Falles in dem Landrechte anzutrefsen vermeinen möchte, alsdann lediglich nach den Vorschriften §§. 48. 50. der Einleitung zu dem gegenwärtigen Landrechte verfahren werden. Nach dieser Unserer solchergestalt erklärten Allerhöchsten Willesmeinung hat sich also ein Jeder, oen es angeht, insonderheit aber sämmtliche Landescollegia und übrige Gerichte, genau und pflichtmäßig zu achten. Urkundlich unter Unserer Höchsteigenhändigen Unterschrift und beigedrucktem größern Königlichen Jnsiegel. So geschehen Berlin, den 5ten Februar 1794.

Friedrich Wilhelm. Lärmer.

L 8.

Patent zur Publikation der neuen Auflage des allgemeinen Landrechts für die Preußischen Staaten.

Mir Friedrich Wilhelm, von Gottes Gnaden König von Preußen rc. rc. thun kund und fügen hierdurch Jedermann zu wissen: daß der Mangel einer ge­ hörigen Anzahl von Exemplarien des allgemeinen Landrechts für die Preußischen Staaten eine neue Auflage desselben nöthig gemacht, welcher Wir, bei der wört­ lichen Uebereinstimmung mit der ersten, nicht nur die allerhöchste Sanction hierdurch ertheilen, sondern auch die Veranstaltung getrosten haben, daß die Erläuterungen und Abänderungen desselben, welche zeither gesetzlich ergangen, und das allgemeine Recht betreffen, verkürzt gesammlet, der neuen Edition gehörigen Orts eingeschaltet, und 41) Das sind ähnliche Gedanken, wie sie einst Justinian aussprach, als er bei Strafe und Vernichtung der Bücher alles weitere Bücherschreiben bei der Herausgabe seines Werkes verbot. Unser Verbot hier enthält zweierlei. Zuerst soll das neue Recht nicht nach dem vorangegangenen Rechte erklärt und ausgedeutet werden, d. h. der Zusammenhang mit der bisherigen Literatur soll ganz vernichtet sein. Das hat sich denn auch von Stund an erfüllt. Erst nach einem Menschenalter hat man spärlich versucht, sich eine gründliche Einsicht in das neue L.R. dadurch zu ermöglichen, daß man den in dasselbe übergegangenen Begriffen und Rechtsregeln bis dahin, wo sie wurzeln, wieder nachgegangen ist. — Das Andere ist, daß das L.R. die ursprüngliche Grundlage eines neuen positiven Rechts und einer neuen Rechtswissenschaft sein soll, doch mit dem Justinianischen Ansprüche auf ein Gedankenmonopol. Darum soll keiner bei schwerer Ahn­ dung sich erlauben, die klaren und deutlichen Vorschriften der Gesetze in seinem Sinne aufzu­ fassen : das G.B. lehrt und definirt ausschließend; die Autorität löste die Zweifel und erleuchtete (belehrte, eröffnete) den Unterthanenverstand. Darum wollte keine neue Rechtswissenschaft ent­ stehen, bis zu Ende des dritten Jahrzehnts der Glaube an die Autorität anfing zu wanken, und die literarische Thätigkeit sich regte. Vergl. Anm. 10 zu Einl. §. 6 u. Anm. zum Marginal bei Einl. §. 46.

Die späteren Publikations-Patente.

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unter dem Titel des ersten Anhanges u. s. w. zum Besten der Besitzer der älteren Edition gedruckt sind. Nur die Erläuterungen und Abänderungen des Zwanzigsten Titels des Zweiten Theils sind ausgelassen, weil derselbe durch das nächstens4") erfolgende neue Crimi nalrecht für die Preußischen Staaten ergänzt werden wird. Mit Bezug auf das Publikationspatent vom 5ten Februar 1794 haben sämmtliche Ober- und Unter­ gerichtsstellen diese neue Auflage des Landrechts und diesen ersten Anhang gesetzlich anzuwenden, und erhalten dieselben zugleich die Anweisung, in ihren Urtelssprüchen auf keine Privat-Gefetzes-Sammlung Bezug zu nehmen, sondern sich lediglich an diejenigen Gesetze zu halten, welche ihnen zugefertiget, gehörig publicirt, auch ") durch das neue Archiv der Preußischen Gesetzgebung und Rechtsgelehrsamkeit zu ihrer Kenntniß gebracht, uni) in die akademische Edikten - Sammlung hiernächst ausgenommen werden. Urkundlich unter Unserer Höchsteigenhändigen Unterschrift und beigedrucktem Königlichen Jnsiegel. Gegeben Berlin, den Ilten44 42) 43 April 1803.

L. 8.

Friedrich Wilhelm.

Goldbeck.

Die Gesetze über Einführung des Landrechts in einzelne, insbesondere in neuund wiedererworbene Landestheile sind, da sie meistens nur ein provinzialrecht­ liches Interesse haben, hier weggelassen. Sie sind folgende: 1) Edikt vom 28. März 1794 wegen der Gesetze und Rechte, nach welchen in Südpreußen in Rechtsangelegenheiten verfahren nnd geurtheilt werden soll. N. 0. C. 9 S. 2097, Rabe 2 S. 608. Hierzu Deklaration vom 30. April 1797. N. 0. C. 10 Nr. 36, Rabe 5 S. 104. 2) Patent vom 30. April 1797 für das ehemalige, jetzt zu Rußland gehörige Neu-Ostpreußen. N. C. C. 10 Nr 35. 3) Patent vom 8. März 1803 für das Fürstenthum Hildesheim und die Graf­ schaft Goslar. N. C. C. 11 S. 1313, Rabe 7 S. 306, Stengel 17 S. 194. 4) Patent vom 24. März 1803 für das Fürstenthum Eichsfeld, die Städte

Mühlhausen, Nordhausen, Erfurt und das Erfurter Gebiet. N. C. C. US. 1457, Rabe 7 S. 333, Stengel 17 S. 253. 5) Patent vom 5. April 1803 für das Fürstenthum Paderborn und Münster, und die Abteien Essen, Werden und Elten. Rabe 7 S. 422, Stengel 17 S. 342. 6) Patent wegen Wiedereinführung des Allemeinen Landrechts und der All­ gemeinen Gerichtsordnung in die von den Preußischen Staaten getrennt gewesenen, mit denselben wieder vereinigten Provinzen. Vom 9. September 1814 (G.S. S. 89). 7) Patent wegen Wiedereinführung des Allgemeinen Landrechts nnd der All­ gemeinen Gerichtsordnung in die mit der Provinz Westprenßen vereinigten Distrikte, den Kulm- und Michelauschen Kreis und die Stadt Thorn mit ihrem Gebiet. Vom 9. November 1816 (G.S. S. 217). Dazu: 42) Gerade nach 48 Jahren, den 14. April 1851. 43) Hierdurch sollte kein neuer Publikations-Modus eingeführt, sondern nur angedeutet werden: welche Abdrücke als authentisch gelten sollten. O.Tr. II v. 21. Dez. 1854, Str. Arch. 16 S. 101. Man hat darüber gezweifelt. Mathis, Vorrede zu Bd. I S. VI Zisf. 2; Jurist. Zeit. 1833 Sp. 252 und 1835 Sp. 901. Ueber die heutzutage geltende Publikationsart s. Zus. zu Einl. §. 11. 44) Dieses Datum hat das Pat. in der Ausg. von 1803. In späteren Ausgaben datirt es vom ersten April.

Die späteren Publikations-Patente.

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Deklaration des §. 12 des Patents vom 9. November 1816 wegen Wieder­ einführung des Allgemeinen Landrechts und der Allgemeinen Gerichtsordnung in die mit der Provinz Westpreußen vereinigten Distrikte, den Kulm- und Michelauschen Kreis und die Stadt Thorn mit ihrem Gebiete. Vom 28. März 1820 (G.S. S. 62). 8) Patent wegen Wiedereinführung der Preußischen Gesetze in das Großherzogthum Pofen. Vom 9. November 1816 (G.S. S. 225). Dazu: Allerhöchste Kabinetsorder vom 20. Juni 1816, die Uebersetzung der Preußischen Gesetze in die polnische Sprache, Behufs der Einführung derselben in das Großherzogthum Pofen, betreffend (G.S. S. 204). 9) Patent wegen Einführung des Allgemeinen Landrechts in die mit den Preu­ ßischen Staaten vereinigten ehemals Sächsischen Provinzen und Distrikte. Vom 15. November 1816 (G.S. S. 233). 10) Verordnung wegen Einführung des Allgemeinen Landrechts und der Allgeineinen Gerichtsordnung in den mit den Preußischen Staaten vereinigten, zwischen den älteren Provinzen belegenen Distrikten und Ortschaften, und wegen Einrichtung des Hypothekenwesens. Vom 25. Mai 1818 (G.S. S. 45). 11) Verordnung wegen der Anwendung der Preußischen Gesetze in den ehe­ maligen Schwarzburg - Rudolstädtischen Aemtern Heringen und Kelbra. Vom 20. Oktober 1819 (G.S. S. 246). 12) Patent wegen Einführung des Allgemeinen Landrechts und der Allgemeinen Gerichtsordnung in das Herzogthum Westphalen, das Fürstenthum Siegen mit den Aemtern Bürbach und Neuen-Kirchen (Freie- und Hücken-Grund) und die Graf­ schaften Wittgenstein-Wittgenstein, und Wittgenstein-Berleburg. Vom 21. Juni 1825 (G.S. S. 153). 13) Kabinetsorder, betreffend die Anwendung der Preußischen Gesetze in den­ jenigen Orten, welche bei Grenzregulirungen als Gebietstheile der Monarchie an­ erkannt oder in Folge eines Austausches an dieselbe abgetreten worden sind. Vom 29. März 1837 (G.S. S. 71). 14) Verordnung, betreffend die Einführung der Preußischen Gesetze und die Justizverwaltung in der vormals Bäurischen Enklave Kaulsdorf. Vom 22. Mai 1867 (G.S. S. 729). 15) Gesetz, betreffend die Ausdehnung mehrerer in den älteren Landestheilen geltenden Vorschriften des bürgerlichen Rechts auf die Bezirke der Provinz Hannover, in denen das Allgemeine Landrecht gilt. Vom 1. März 1869 (G.S. S. 377). 16) Gesetz, betreffend den Rechtszuftand des Jadegebiets. Vom 23. März 1873 (G.S. S. 107). Der §. 2 läßt „die in dem Fürstenthum Ostfriesland und dem Harlingerland geltenden Gesetze..., insoweit dieselben nicht blos für einzelne Orte oder Landestheile ergangen sind", somit insbesondere das dort geltende Allgemeine Landrecht, mit dem 1. April 1873 in dem Jadegebiete in Kraft treten. Gesetz über die Konsulargerichtsbarkeit vom 10. Juli 1879, R.G.Bl. S. 197. §. 3.: „In Betreff des bürgerlichen Rechts ist anzunehmen, daß in den Konsulargerichtsbezirken die Reichsgesetze, das preußische Allgemeine Landrecht und die das bürgerliche Recht betreffenden allgemeinen Gesetze derjenigen preußischen Landestheile, in welchen das Allgemeine Landrecht Gesetzeskraft hat, gelten." „In Handelssachen kommt zunächst das in dem Konsulargerichtsbezirke geltende Handelsgewohnheitsrecht zur Anwendung."

Einleitung*). L VM den §. 1. Das Allgemeine Landrecht enthält die Vorschriften, nach welchen die Rechte übechaupt. und Verbindlichkeiten der Einwohner des Staats3), so weit dieselben2) nicht durch besondere Gesetze bestimmt worden, zu beurtheilen sind. §. 2. Besondere Provinzialverordnungen4) und Statuten6) einzelner Gemein­ heiten und Gesellschaften erhalten nur durch die landesherrliche Bestätigung die Kraft der Gesetze. *) Gans, über die Einleitung zum Preußischen Landrecht; in den Beiträgen zur Revision der Preußischen Gesetzgebung, S. 97 ff. Koch's Darstellung in den Ergänzungen und Er­ läuterungen der Preußischen Rechtsbücher zu A. L.R. Einleitung §§. 1—13. Koch, Abh. Von den Gesetzen und deren Abfassung, Jur. Zeit. 1833 Sp. 250. Förster-Eccius, Theorie u. Pr. §§. 9-17. Dernburg, pr. Pr.R. B. 1 §§. 15 ff. 1) Der Wortlaut drückt nicht die Meinung aus: nicht lediglich die Einwohner des Staats, denn einerseits auch Fremde, welche hier oder in Beziehung auf hier befindliche Gegenstände kontrahiren oder Recht suchen, haben sich nach dem hiesigen Rechte zu achten, und andererseits Einwohner des Staates können sich nicht auf das allgemeine Landrecht da berufen, wo man dasselbe nicht anerkennt, da das System des persönlichen Rechts nirgend mehr gilt. Die Meinung ist, daß dasjenige Recht, welches innerhalb der Grenzen, in welchen der Gesetzgeber Gewalt hat, herrschen soll, durch dieses Gesetzbuch urkundlich gemacht sein solle. 2) Nämlich die Rechte und Verbindlichkeiten. Auch das ist ungenau, denn das Gesetzbuch enthält nicht bloß Privatrecht, sondern auch Kirchenrecht, Staatsrecht, Gemeinderecht und Kriminal­ recht, Rechtsgebiete, welche man unter den „Rechten und Verbindlichkeiten" der Einwohner nicht zu begreifen pflegt. 3) Wird durch §. I des Publ.Pat. näher bestimmt. 4) Wer außer dem Landesherrn in einer Provinz allgemeine Verordnungen sollte erlassen können, weiß man nicht. Das Erforderniß der landesherrlichen Bestätigung erscheint daher als eine müßige Bestimmung. Vielleicht hat man dabei an die damals üblichen Provinzialverwal­ tungen durch besondere Provinzialminister gedacht; doch auch diese konnten schon nach allgemeinen Grundsätzen keine das Recht ändernden Bestimmungen erlassen. 5) Durch diese Vorschrift ist den Statuten ihr wesentlicher Charakter der Autonomie ge­ nommen; die Statuten erhalten darnach nicht mehr vermöge der den Gemeinden und Gesell­ schaften zugestandenen Autonomie ihre Kraft, sondern nur durch den Willen des Landesherrn: sie treten damit in die Reihe der gewöhnlichen landesherrlichen Verordnungen, die nur von der Gesellschaft oder Gemeinheit entworfen und vollzogen zu werden pflegen, aber nur in soweit zur Geltung kommen, als sie unverändert bestätigt werden. Was daran gestrichen wird, fällt weg, und was zusätzlich oktroyirt wird, muß angenommen und angewendet werden. Das O.Tr. hat auch den landesherrlich bestätigten Vertrag (s. g. Statut) eines Knapp­ schafts-Vereins als ein Gesetz angesehen. Erk. III v. 14. Mai 1866, Str. Arch. 64 S. 123. Das ist jedoch ein durch die Namensgleichheit veranlaßter Irrthum. Die im §. 2 gemeinten Statuten sind schriftlich ausgezeichnete allgemeine Rechtsnormen, welche durch Hinzutritt der landesherrlichen Genehmigung nur den Charakter der öffentlichen Glaubwürdigkeit annehmen und damit in die Reihe der geschriebenen Gesetze treten; der also genehmigte Vertrag einer Gesellschaft aber bleibt nach wie vor ein privatrechtlicher Vertrag und die landesherrliche Prüfung und Genehmigung bezweckt nur die Wahrung des landespolizeilichen Interesses. Vgl. Seuffert, Archiv 24 Nr. 1. — Dies ist von dem O.Tr. später, bezüglich auf eine Aktiengesellschaft, aus­ drücklich dahin anerkannt, daß die landesherrliche Bestätigung nur Bedingung für die Existenz

Einleitung.

§§. 3—5.

I. Von den Gesetzen überhaupt.

23

§. 3. Gewohnheitsrechte und Observanzenst), welche in den Provinzen und einzelnen Gemeinheiten gesetzliche Kraft haben sollen, müssen den Provmzial-Landrechten einverleibt sein 7). §. 4. In so fern aber durch Observanzen etwas bestimmt wird, was die Ge­ setze unentschieden gelassen haben, hat es, bis zum Erfolge einer gesetzlichen Be­ stimmung, dabei sein Bewenden 8). §. 5. Die von dem Landesherrn in einzelnen Fällen, oder in Ansehung ein­ zelner Gegenstände, getroffenen Verordnungen können in andern Fällen, oder bei andern Gegenständen, als Gesetze nicht angesehen werden9). und das Jnslebentreten der Gesellschaft sei, aber nicht den privatrechtlichen Charakter der Gesellschaft ändere und nicht den die Vertragsbestimmungen enthaltenden Statuten die Eigen­ schaft eines Gesetzes gebe. Erk. IV v. 31. März 1868, Str. Arch. 70 S. 277. In dem späteren Erk. IV v. 14. Mai 1868, Str. Arch. 71 S. 176, erklärt das O.Tr., es lasse sich als allgemeine Regel nicht anerkennen, daß Statuten eines Vereins oder einer Gesellschaft durch die landesherrliche Bestätigung in allen Theilen gleiche Wirksamkeit mit Gesetzen er­ halten. Damit ist nichts anzufangen. In einem oder dem anderen Theile sollen sie also doch Gesetze sein. Welche Theile sind dies? H. Das R.O.H.G. betont die Vertragsnatur eines solchen Statuts, „soweit es sich auf die Regelung der Beziehungen des Vereins zu seinen Mit­ gliedern beschränkt", Erk. I v. 21. Nov. 1871, Entsch. des R.O.H.G. 4 S. 56. In dem Erk. des O.Tr. III v. 12. April 1875, Entsch. 75 S. 1, ist angenommen, daß landesherrlich bestätigte Deichstatute zu den Gesetzen gehören und die Nichtigkeitsbeschwerde auf Verletzung der Be­ stimmungen eines solchen Deichstatuts gegründet werden könne. In den Gründen ist ausgeführt: Aus §. 2 der Einl. sei freilich nicht herzuleiten, daß das Statut einer jeden Privatgesellschaft, in welchem nur die für die Teilnehmer verbindlichen Bestimmungen festgesetzt werden, durch die im landespolizeilichen Interesse hinzutretende landesherrliche Bestätigung die Kraft eines Gesetzes erlange. Als Gesetze seien vielmehr nur allgemein festgestellte Grundsätze anzusehen, deren Be­ folgung von Allen erzwungen werden könne, die dem Kreise angehören, für welchen jene Grundsätze Geltung haben sollen. Der Grund der Wirksamkeit der Gesetze sei nicht die dem Privatrecht angehörige Willenseinigung der denselben unterworfenen Personen, sondern der nach den Vor­ schriften des öffentlichen Rechts alle Betheiligte verbindende Wille des Gesetzgebers. Ob der Kreis, für welchen die Vorschriften gegeben, weiter oder enger sei, ob sie für alle Einwohner des Landes oder nur für die eines örtlich begrenzten Theils desselben, oder nur für gewisse Klassen von Personen maßgebend sein sollen, mache dabei keinen Unterschied; gerade für Gesetze von solcher enger begrenzten Wirksamkeit sei die Bezeichnung „Statute" gebräuchlich. 6) Ueber das Verhältniß beider Spezien des ungeschriebenen Rechts s. ob. Note 14 zum Publ.Pat.; über den Beweis und die Erfordernisse s. Note 16 und 17 ebd. 7) Damit hören sie auf, Gewohnheitsrechte und Observanzen zu sein; sie sind dann geschriebenes Recht. Vergl. §. 60. In wiefern sich dergleichen ungeschriebene Rechtsnormen noch nach Einführung des L.R. bilden können, darüber s. m. oben Note 15 zum Publ.Pat. Uebrigens ist von der Regel der §§. 3 und 4 eine Ausnahme für Kirchenbesserungen vorgeschrieben im II. 11 §. 710. Vergl. O.Tr. I v. 16. Juli 1860, Entsch. 43 S. 14. 8) S. Note 7. Nur Observanzen (Note 21 zum Publ.Pat. §. VII), keine anderen Spezien des ungeschriebenen Rechts, sollen in dem in §. 4 vorausgesetzten Falle berücksichtigt werden. Kann nach Beschaffenheit des Falles eine Observanz überhaupt nicht entscheiden, oder fehlt es für den an sich geeigneten Fall an einer Observanz, so kommt die Regel des §. 49 Einl. zur Anwendung. Uebrigens kann zwischen zwei bestimmten Parteien ein Rechtsverhältniß durch Observanz zwar niemals begründet, wohl aber ein gehörig begründetes erklärt, d. h. durch Usual-Jnterpretation oder ausführende Handlungen der Parteien ausgelegt werden. Hiernach ist das, was in den Gründen der Revisionsentscheidung, welche in Simon's Rechtspr. Bd. I Nr. 94 mitgetheilt ist, unter -Ziffer 4 S. 375 gesagt wird, aufzunehmen. H. Wegen der Handels­ observanzen vgl. H.G.B. Art. 1 und in Ansehung der Observanzen des öffentlichen Rechts O.V.G. I v. 29. Jan. 1879 u. v. 19. Jan. 1881, Entsch. 5 S. 158, 7 S. 154. 9) Welche bestimmte Beziehung diese Verordnung hat, ist unklar. (H. Das O.Tr. bezieht sie in dem Erk. I v. 13. Juni 1870, Str. Arch. 77 S. 356, auf Privilegien, woran die Verfasser des L.R. schwerlich gedacht haben.) Gemeinrechtlich unterschied man, nach dem can. R., Gnadenund I u st i z reskripte des Landesherrn, je nachdem dadurch Etwas in Hoheitssachen bewilligt, oder in einer streitigen Rechtssache bestimmt wurde. Justinian hat allen kais. Erlassen eine allgemeine Gesetzeskraft beigelegt, wenn sie auch in einer Spezialsache ergangen waren. L. 12 C. de leg. (I, 14). Der Entwurf des G.B. deutete auf beide Arten hin; denn der §. 5 der Einleitun g erwähnte, wie der jetzige §. 5, der Verordnungen in einzelnen Fällen, und der folgende §. 6 gedachte der Machtsprüche, die zu den Justizreskripten zählen. Der §. 6 wurde bekanntlich

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Einleitung.

§§. 6—9 (Zusätze).

§. 6. Auf Meinungen der Rechtslehrer, oder ältere Aussprüche der Richter, soll, bei künftigen Entscheidungen, keine Rücksicht genommen werben10). LW. 88- 7 bis 9 fallen weg"). .1. Verfassung des deutschen Reichs. Art. 2. (Satz 1.) Innerhalb dieses Bundesgebietes übt das Reich das Recht der Gesetz­ gebung nach Maßgabe des Inhalts dieser Verfassung und mit der Wirkung aus, daß die Reichs­ gesetze den Landesgesetzen vorgehen. bei der Schlußrevision des G.B. gestrichen. Der §. 5 wurde schon bei der Revision für überS gehalten, weil man meinte, daß die darin erwähnten Verordnungen alle Mal zu den Macht­ en gehörten, welche der folgende §. 6 nicht zulassen wolle. Das erklärte Suarez für ein Mißverständniß, denn es lasse sich denken, daß der Landesherr in einzelnen Fällen etwas ver­ ordnen könne, ohne noch gleich einen Machtspruch zu thun, z. B. er erkläre in casu individuo, es solle erlaubt sein, daß Jemand seine Stieftochter heirathe re.; es solle von einem gewissen Mineral, so unstreitig ad regalia gehört, kein Zehent gegeben werden. Die Meinung des §. sei also eigentlich die: wenngleich der Landesherr bei Entscheidung eines einzelnen Falles einen all­ gemeinen Grund gebraucht habe, so solle dennoch die Entscheidung auf andere Fälle nicht amplifizirt werden, wenngleich dabei derselbe Grund auch Anwendung finde. (Mat. Bd. 30 Abschr. Bd. I Fol. 9, nach den Mot. der Ges.Revis. zu §. 3 des Entw. S. 97.) Die Beispiele sind Fälle der Gnade und Verwaltung (H. vgl. z. B. O.V.G.-Entsch. 6 S. 366). Darnach wäre der §. 5 nicht auf Justizreskripte zu beziehen. Um so mehr scheint er überflüssig zu sein. Auf erschlichene R. bezieht sich die V. gar nicht; dergleichen auf einseitige Vorstellung ergangene Erlasse gelten auch in der speziellen Sache nicht. A.G.O. I. 24 §§. 43, 44. Vergl. Cod. Fr. March. Th. III Tit. 1 §. 15 und die alte V. v. 16. Jan. 1706 (C. C. M. II, 4 S. 115). 10) Der Ausspruch von Gans (Beiträge S. 15), daß Haß gegen die Wissenschaft die Quelle dieser Vorschrift sei, ist nicht zutreffend, wenngleich es an sich nicht bestreitbar ist, daß das Landrecht alle Wissenschaftlichkeit verachtet, was zuletzt noch in dem Epilog des Publikations-Patents Ausdruck erhalten hat, wo bei höchster Ungnade und schwerer Ahndung verboten ist, das neue Landrecht nach den früheren Rechten zu erklären oder auszudeuten, oder gar auf den Grund eines ver­ meintlichen philosophischen Raisonnements oder unter dem Vorwande einer aus dem Zwecke und der Absicht des Gesetzes abzuleitenden Auslegung von den Vorschriften der Gesetze abzuweichen, indem vielmehr die richtige Auslegung zweifelhafter Stellen der höchsten Autorität vorbehalten wird. Mit größerer Nichtachtung läßt sich die Bestrebung der Wissenschaft doch wohl schwerlich zurückweisen. Allein die Vorschrift dieses §. 6 fließt nicht daher, sondern hat ihre bestimmte Beziehung. Unter den „Meinungen der Rechtslehrer" wird auf die s. g. communis doctorum opinio und die Responsa der Rechtsgelehrten gezielt, welche man dem geschriebenen Rechte an die Seite stellte. Gail, Pract. obs. L. I obs. 153 Nr. 5; Menoch, de praesumt. L. II c. 71 Nr. 2. Das wollte man in Pr. nicht zulassen. Schon die Verordnung v. 21. Juni 1713 c. 50 verbot die Einholung und Berücksichtigung von Nesponsen, und der §. 6 wiederholt das Verbot in allgemeineren Ausdrücken: man soll sich auf Meinungen der Rechtslehrer nicht wie auf Gesetze berufen. Damit ist nicht der Einfluß der Wissenschaft auf die Ueberzeugung des Richters untersagt und kann auch nicht gehindert werden. — Mit den „älteren Aussprüchen der Richter" werden nicht Judikate, sondern Präjudize gemeint. In dem gedr. Entw. §. 4 heißt es: „Entscheidungen der Richter vertreten nur unter den Parteien, zwischen welchen sie ergangen sind, die Stelle eines Gesetzes." Infolge der gegen die Fassung eingegangenen Erinnerungen faßte man in dem umgearbeeteten Entw. die Stelle so: „Entscheidungen der Richter und Meinungen der Rechtslehrer sollen niemals als Gesetz gelten." Woher dann die Bestimmung in ihrer jetzigen Fassung des §. 6 gekommen, ist aus den Mat. nicht zu ersehen. (Gesetzrev. Motive zu §. 4 S. 99.) Darnach ist verboten, daß man die in älteren Entscheidungen ausgesprochenen Rechtssätze als bindende Rechtsnormen ansehe. Dadurch ist die Meinung beseitigt, daß die Richter an ältere Aussprüche, weil dadurch eine Art Gewohnheitsrecht (der Gerichtsgebrauch) entstehe, gebunden seien (T hib aut, Pand. §. 16). Die L. 13. Q. de sent. et interloc. (VII, 45) enthält schon ein ähnliches Verbot. In neuerer Zeit ist eine Modifikation des Verbots eingetreten, durch die auf die Präjudize des O.Tr. sich beziehenden Gesetze, welche in der Note zum Marginal bei §. 46 zusammengestellt sind. — Auf die Fälle, wo es sich um den Beweis eines Gewohnheitsrechts handelt und dem Zeugnisse älterer Richtersprüche Gewicht beigelegt wird, bezieht sich der §. 6 gar nicht. Vergl. Pr. des O.Tr. v. 18. Febr. 1837, Simon's Entsch. 2 S. 240; v. 16. März 1838 und 4. Dez. 1840, Schles. Arch. 2 S. 480, 485; Bd. 4 S. 295. — Der §. 6 bezieht sich auch nicht auf ausländische Rechte und Gesetze. O.Tr. Strass. I v. 25. Juni 1858, Str. Arch. 30 S. 140. 11) H. Sie lauteten: „§. 7. Ein jeder Entwurf zu einer neuen Verordnung, durch welche die besondern Rechte und Pflichten der Bürger bestimmt, oder die gemeinen Rechte abgeändert, ergänzt oder erklärt werden sollen, muß vor der Vollziehung der Gesetzcommission zur Prüfung vorgelegt werden. §. 8. Die Gesetzcommission muß, außer der Rücksicht auf die bereits vor

I. Von den Gesetzen überhaupt.

25

Art. 5. Die Reichsgesetzgebung wird ausgeübt durch den Bundesrath und den Reichstag. Die Uebereinstimmung der Mehrheitsbeschlüsse beider Versammlungen ist zu einem Reichsgesetze

erforderlich und ausreichend. Bei Gesetzesvorschlägen über das Militairwesen, die Kriegsmarine und die im Artikel 35. be­ zeichneten Abgaben^) giebt, wenn im Bundesrathe eine Meinungsverschiedenheit stattfindet, die Stimme des Präsidiums den Ausschlag, wenn sie sich für die Aufrechthaltung der bestehenden Einrichtungen ausspricht. Art. 17. Dem Kaiser steht die Ausfertigung und Verkündigung der Reichsgesetze und die Ueberwachung der Ausführung derselben zu. Die Anordnungen und Verfügungen des Kaisers werden im Namen des Reichs erlassen und bedürfen zu ihrer Gültigkeit der Gegenzeichnung des

Reichskanzlers, welcher dadurch die Verantwortlichkeit übernimmt. 2. Verf.-Urkunde vom 31. Januar 1850. Art. 62. Die gesetzgebende Gewalt wird gemeinschaftlich durch den König und durch zwei Kammern ausgeübt. Die Uebereinstimmung des Königs und beider Kammern ist zu jedem Gesetze erforderlich. Finanzgesetz-Entwürfe und Staatshaushalts-Etats werden zuerst der zweiten Kammer vor­ gelegt; letztere werden von der ersten Kammer im Ganzen angenommen oder abgelehnt. Art. 63. Nur in dem Falle, wenn die Aufrechthaltung der öffentlichen Sicherheit, oder die Beseitigung eines ungewöhnlichen Nothstandes es dringend erfordert, können, insofern die Kammern nicht versammelt sind, unter Verantwortlichkeit des gesammten Staatsministeriums, Verordnungen, die der Verfassung nicht zuwiderlaufen, mit Gesetzeskraft erlassen werden. Dieselben sind aber den Kammern bei ihrem nächsten Zusammentritt zur Genehmigung sofort vorzulegen. Art. 64. Dem Könige, so wie jeder Kammer, steht das Recht zu, Gesetze vorzuschlagen.

Gesetzesvorschläge, welche durch eine der Kammern oder den König verworfen worden sind, können in derselben Sitzungsperiode nicht wieder vorgebracht werden.

§. 10. Das Gesetz erhält seine rechtliche Verbindlichkeit erst von der Zeit an, Publikation, da es gehörig13 * *) *bekannt * * * 12gemacht worden. 8. 11. Fällt weg 14). 3. Verfassung des deutschen Reichs. Art. 2. (Satz 2 u. 3.) Die Reichsgesetze erhalten ihre verbindliche Kraft durch ihre Ver­ kündigung von Reichswegen, welche vermittelst eines Reichsgesetzblattes geschieht. Sofern nicht in dem publizirten Gesetze ein anderer Anfangstermin seiner verbindlichen Kraft bestimmt ist, beginnt die letztere mit dem vierzehnten Tage nach dem Ablauf desjenigen Tages, an welchem das betreffende Stück des Reichsgesetzblattes in Berlin ausgegeben worden ist. handenen Gesetze und Rechte, ihr Gutachten zugleich auf die Billigkeit und Nutzbarkeit der vor­ geschlagenen neuen Verordnung richten, und eine deutliche bestimmte Fassung des zu gebenden Gesetzes in Vorschlag bringen. §. 9. Die Vorgesetzten eines jeden Departements im Staats­ rathe müssen dafür haften, daß dieser Anordnung in keinem Falle entgegen gehandelt werde." — Ueber die äußere Form der älteren Verordnungen s. Koch, Privatr. §.' 21 u. O.Tr. II v. 21. Dez. 1854, Str. Arch. 16 S. 101. 12) H. Art. 35 betrifft die Gesetzgebung über das Zollwesen, über die Besteuerung des im Bundesgebiete gewonnenen Salzes und Tabaks, bereiteten Branntweins und Bieres und aus Rüben oder anderen inländischen Erzeugnissen dargestellten Zuckers und Syrups, über den gegenseitigen Schutz der in den einzelnen Bundesstaaten erhobenen Verbrauchsabgaben gegen Hinterziehungen, sowie über die Strafregeln, welche in den Zollausschlüssen zur Sicherung der gemeinsamen Zollgrenze erforderlich sind. Vergl. hierzu wegen Württembergs und Badens das Prot. v. 15. Nov. 1870, B.G.Bl. S. 650 unter 2 zu Art. 35 und wegen Baierns das Schlußprot. zu dem Vertrage v. 23. Nov. 1870, B.G.Bl. 1871 S. 23, unter X. 13) H. Ein zwar durch den Druck veröffentlichter, aber nicht in einer den allgemeinen Vor­ schriften über Publikation der Gesetze entsprechenden Weise bekannt gemachter Landtagsabschied hat nicht die Kraft eines Gesetzes. O.Tr. I v. 4. Jan. 1878, Entsch. 81 S. 1. Vgl. das. 14 S. 378. 14) H. Lautete: „Es müssen daher alle gesetzliche Verordnungen, ihrem völligen Inhalte nach, an den gewöhnlichen Orten öffentlich angeschlagen, und im Auszuge in den Intelligenz­ blättern der Provinz, für welche sie gegeben sind, bekannt gemacht werden."

26

Einleitung.

4. Verordnung,

betreffend

die

§. 11. (Zusätze).

Einführung des Bundesgesetzblattes

für den Norddeutschen Bund. Vom 26. Juli 1867. (B.G.Bl. S. 24.) Wir rc. verordnen zur Ausführung der Artikel 2. und 17. der Verfassungsurkunde des Nord­ deutschen Bundes im Namen des Bundes, was folgt: §. 1. Für das ganze Gebiet des Norddeutschen Bundes wird in Berlin ein „Bundes­ gesetzblatt des Norddeutschen Bundes"15) erscheinen, durch welches sämmtliche Bundesgesetze

(Artikel 2. der Verfassungsurkunde des Norddeutschen Bundes) und Anordnungen und Verfügungen des Bundespräsidiums (Artikel 17.) verkündet werden sollen. §. 2. Der Tag der Ausgabe des Bundesgesetzblattes in Berlin (Artikel 2. der Verfassungs­ urkunde des Norddeutschen Bundes) ist auf dem Blatte anzugeben. §. 3. Die Herausgabe des Bundesgesetzblattes erfolgt im Büreau des Bundeskanzlers.

*

5.

Gesetz über die Konsulargerichtsbarkeit. Vom 10. Juli 1879.

(R.G.Bl.

S. 197.) §. 47. Neue Gesetze erlangen, soweit nicht reichsgesetzlich etwas Anderes bestimmt wird, in den Konsulargerichtsbezirken nach Ablauf von vier Monaten, von dem Tage gerechnet, an welchem das betreffende Stück des Reichs-Gesetzblatts oder der preußischen Gesetzsammlung in

Berlin ausgegeben worden ist, verbindliche Kraft16). 6. Verf.-Urkunde vom 31. Januar 1850. Art. 45. Dem Könige allein steht die vollziehende Gewalt zu. — Er befiehlt die Ver­ kündigung der Gesetze und erläßt die zu deren Ausführung nöthigen Verordnungen. Art. 86. Die richterliche Gewalt wird im Namen des Königs durch unabhängige, keiner anderen Autorität als der des Gesetzes unterworfene Gerichte ausgeübt Art. 106. Gesetze und Verordnungen sind verbindlich, wenn sie in der vom Gesetze vor­ geschriebenen Form bekannt gemacht worden sind. Die Prüfung der Rechtsgültigkeit gehörig verkündeter Königlicher Verordnungen steht nicht den Behörden, sondern nur den Kammern zu. 7. Gesetz über die Polizei-Verwaltung. Vom 11. März 185017). (G.S. S. 265.) §. 5. Die mit der örtlichen Polizei-Verwaltung beauftragten Behörden sind befugt, nach Berathung18)19mit dem Gemeindevorstande, ortspolizeiliche, für den Umfang der Gemeinde gültige Vorschriften zu erlassen und gegen die Nichtbefolgung derselben Geldstrafen bis zum Betrage von 3 Rthlr. anzudrohen. Die Strafandrohung kann bis zum Betrage von 10 Rthlr. gehen, wenn die Bezirksregierung ihre Genehmigung dazu ertheilt hat. Die Bezirksregierungen haben über die Art der Verkündigung der ortspolizeilichen Vor­ schriften, so wie über die Formen, von deren Beobachtung die Gültigkeit derselben abhängt, die erforderlichen Bestimmungen zu erlassen'").

15) H. Das Blatt nahm mit der Nummer 4 des Jahrgangs 1871 den Namen „Bundes­ gesetzblatt des Deutschen Bundes" und mit der Nummer 19 deff. Jahrg. den Namen „Reichs­ gesetzblatt" an. — Dasselbe wird allen Empfängern der Gesetz-Samml. unentgeltlich geliefert. Vgl. J.M.Bl. 1866 S. 382. 16) H. Diese Bestimmung ist an die Stelle des §. 24 Abs. 2 des Bundeskonsulats-Gesetzcs v. 8. Nov. 1867, B.G.Bl. S. 137, getreten. 17) H. Vgl. hierzu und zu den folgenden Gesetzen: H. Rosin, das Polizeiverordnungs­ recht in Preußen. Verwaltungsrechtlich entwickelt und dargestellt. Breslau 1882. 18) Die Berathung, d. i. die Einholung der Meinung, genügt. „Die Rechtsgültigkeit der von den Polizeibehörden erlassenen ortspolizeilichen Vorschriften ist von der Zustimmung des Gemeindevorstandes nicht abhängig." O.Tr. Strass, v. 3. Mai 1854, J.M.Bl. S. 268. Dem Erfordernisse der Berathung ist genügt, wenn die projektirte Verordnung dem Gemeinde­ vorstande zu seiner Erklärung vorgelegt worden ist, dieser aber ein Bedenken dagegen nicht geäußert hat. Erk. deff. v. 7. Okt. 1858 Nr. 2, J.M.Bl. S. 366. Zu vergl. Anm. zu §. 17. 19) Hierdurch und durch den folgenden §. 11 Abs. 2 ist die K.O. v. 8. Febr. 1840 über die Art der Publikation kreis- und lokalpolizeilicher Verordnungen (G.S. S. 32) aufgehoben. Auch ist durch dieses Gesetz die Befugniß der Oberpräsidenten, im Auftrage oder mit Genehmigung des betreffenden Ministeriums für den ganzen Umfang der Provinz solche allgemeine Verbote

I. Von den Gesetzen überhaupt.

§. 6.

27

Zu den Gegenständen der ortspolizeilichen Vorschriften gehören:

a) der Schutz der Personen und des Eigenthums; b) Ordnung, Sicherheit und Leichtigkeit des Verkehrs auf öffentlichen Straßen, Wegen und Plätzen, Brücken, Ufern und Gewässern^); c) der Marktverkehr und das öffentliche Feilhalten von Nahrungsmitteln; d) Ordnung und Gesetzlichkeit bei dem öffentlichen Zusammensein einer größeren Anzahl von Personen; e) das öffentliche Interesse in Bezug auf die Aufnahme und Beherbergung von Fremden; die Wein-, Bier- und Kaffee-Wirthschaften und sonstige Einrichtungen zur Verabreichung von Speisen und Getränken; f) Sorge für Leben und Gesundheit; g) Fürsorge gegen Feuersgefahr bei Bau-Ausführungen, sowie gegen gemeinschädliche und gemeingefährliche Handlungen, Unternehmungen und Ereignisse überhaupt; h) Schutz der Felder, Wiesen, Weiden, Wälder, Baumpflanzungen, Weinberge u. s. w.; i) alles andere, was im besonderen Interesse der Gemeinden und ihrer Angehörigen poli­ zeilich angeordnet werden muß. §. 7. Zu Verordnungen über Gegenstände der landwirthschaftlichen Polizei ist die Zu­

stimmung der Gemeindevertretung erforderlich. Die Berathung erfolgt unter dem Vorsitze des mit der örtlichen Polizei-Verwaltung beauftragten Beamten. §. 8. Von jeder ortspolizeilichen Verordnung ist sofort eine Abschrift an die zunächst vor­ gesetzte Staatsbehörde einzureichen. *2I*) * * 20 §. 9. Der Regierungspräsident ist befugt, jede ortspolizeiliche Vorschrift durch einen förm­ lichen Beschluß unter Angabe der Gründe außer Kraft zu setzen. Dem Beschlusse muß, mit Ausnahme dringender Fälle, eine Berathung mit dem Bezirks­ rathe vorhergehen. Die Erklärung des Letzteren ist entscheidend: 1) wenn eine ortspolizeiliche Vorschrift außer Kraft gesetzt werden soll, weil sie das Gemeinde­ wohl verletzt; 2) wenn es sich darum handelt, eine Verordnung über Gegenstände der landwirthschaftlichen Polizei wegen ihrer Unzweckmäßigkeit aufzuheben. §. 10. Die Bestimmungen der §§. 8. und 9. finden auch auf die Abänderung oder Auf­

hebung ortspolizeilicher Vorschriften Anwendung. Zus. §§. 5—10: a) Kreisordnung für die Provinzen Preußen, Bran­ denburg, Pommern, Posen, Schlesien und Sachsen. Vom 13. Dezem­ ber 1872. (G.S. S. 661.) §. 62. Das durch die §§. 5. ff. des Gesetzes vom 11. März 1850. (Gesetz-Samml. S. 265.) der Ortspolizeibehörde für den Umfang einer Gemeinde ertheilte Recht zum Erlaß von Polizei-Strafverordnungen wird auf den Amtsvorsteher mit der Maßgabe und Strafbestimmungen zu erlassen, wie es sonst nach §. 11 der Regierungsinstruktion v. 23. Okt. 1817 den Regierungen zustand (Jnstr. für die Oberpräsidenten v. 31. Dez. 1825 §. 1 Nr. III; §§. 11. 12, G.S. v. 1826 S. 1), aufgehoben. Vgl. O.Tr. Strass. II v. 16. Juli 1857, J.M.Bl. S. 378. 20) Die Verwaltungsbehörden haben vermöge des ihnen zustehenden Rechts der Oberaufsicht über die Benutzung der öffentlichen Ströme und Flüsse, insbesondere über die Schifffahrt und Flößerei auf denselben, die Befugniß, zu bestimmen: ob, wo und wie lange Flößholz in einem öffentlichen Gewässer lagern darf. Dergleichen Anordnungen sind als polizeiliche zu betrachten, es ist daher der Rechtsweg gegen dieselben unzulässig. Erk? des Komp.-Gerichtsh. v. 9. Juni 1866, J.M.Bl. S. 220. Vgl. II. 15 §§. 38, 47. > 21) Der Vorschrift des §. 8 ist genügt, wenn eine ortspolizeiliche Verordnung der zunächst vorgesetzten Behörde eingereicht ist; dann ist es gleichgültig, zu welchem Zwecke diese Einreichung erfolgte. Die Gerichte haben nicht zu prüfen, ob die Einreichung einer ortspolizeilichen Ver­ ordnung an die zunächst vorgesetzte Behörde erfolgt ist, nach §. 17. Erk. des O.Tr. v. 19. Sept. 1866, J.M.Bl. S. 303. Dagegen läßt sich die Befugniß der Gerichte, die Gültigkeit einer Ver­ ordnung der örtlichen Polizeiverwaltung oder der Bezirksregierung auch nach der Richtung hin zu prüfen: ob der Gegenstand derselben den §§. 6 u. 12 entsprechend sei, mit Grund nicht bezweifeln. S. die Motive des Erk. Pl. d. Strass, v. 8. Mai 1865, Entsch. 55 S. 5*.

Einleitung.

§ 11 (Zusätze)'

übertragen, daß er nicht nur für den Umfang einer einzelnen Gemeinde oder eines einzelnen Gutsbezirkes, sondern auch für den Umfang mehrerer Gemeinden oder Guts­ bezirke und für den Umfang des ganzen Amtsbezirkes unter Zustimmung des Amtsaus­ schusses, auch im Falle des §. 7. des Gesetzes, derartige Verordnungen zu erlassen befugt ist. Versagt der Amtsausschuß die Zustimmung, so kann dieselbe auf Antrag des Amtsvorstehers durch den Kreisausschuß ergänzt werden.22)

b) Gesetz über die Organisation der allgemeinen Landesver­ waltung. Vom 26. Juli 1880 (G.S. S. 291). §. 78. Der Landrath ist befugt, unter Zustimmung des Kreisausschusses nach Maßgabe der Vorschriften des Gesetzes über die Polizeiverwaltung vom 11. März 1850 beziehungsweise der Verordnung vom 20. September 1867 und des Lauenburgischen Gesetzes vom 7. Januar 1870 für mehrere Ortspolizeibezirke oder für den ganzen Umfang des Kreises gültige Polizeivorschriften zu erlassen und gegen die Nichtbefolgung der­ selben Geldstrafen bis zum Betrage von Dreißig Mark anzudrohen. §. 79. Ortspolizeiliche Vorschriften (§§. 5 ff. des Gesetzes vom 11. März 1850 beziehungsweise der Verordnung vom 20. September 1867 und des Lauenburgischen Gesetzes vom 7. Januar 1870), soweit sie nicht zum Gebiete der Sicherheitspolizei ge­

hören, bedürfen in Städten der Zustimmung des Gemeindevorstandes. Versagt der Gemeindevorstand die Zustimmung, so kann dieselbe auf Antrag der Behörde durch Beschluß des Bezirksrathes ergänzt werden. In Fällen, welche keinen Aufschub zulassen, ist die Ortspolizeibehörde befugt, die Polizeivorschrift vor Einholung der Zustimmung des Gemeindevorstandes zu erlassen. Wird diese Zustimmung nicht innerhalb vier Wochen nach dem Tage der Publikation

der Polizeivorschrift ertheilt, so hat die Behörde die Vorschrift außer Kraft zu setzen. §. 11.23)24 Die 25 Bezirksregierungen sind befugt, für mehrere") Gemeinden ihres Ver­ waltungs-Bezirks oder für den ganzen Umfang desselben gültige Polizei-Vorschriften zu erlassen und gegen die Nichtbefolgung derselben Geldstrafen bis zum Betrage von 10 Rthlr. anzudrohen. Der Minister des Innern hat über die Art der Verkündigung solcher Vorschriften, sowie über die Formen, von deren Beobachtung die Gültigkeit derselben abhängt, die erforderlichen Bestimmungen zu erfassen.26) §. 12. Die Vorschriften der Bezirksregierungen (§. 11.) können sich auf die im §. 6. dieses Gesetzes angeführten und alle anderen Gegenstände beziehen, deren polizeiliche Regelung durch

die Verhältnisse der Gemeinden oder des Bezirks erfordert wird.2^) 22) H. Diese Bestimmungen sind für den Geltungsbereich der Provinzialordnung v. 29. Juni 1875, G.S. S. 335, durch deren §§. 76—86 abg eändert worden. An Stelle dieser Vor­ schriften sind §§. 72. ff. des Organ'isationsgesetzes v. 26. Juli 1880 (G.S. S. 291) getreten. Dasselbe gilt aber noch nicht (§. 89) in Posen, Westfalen und der Rheinprovinz (Hannover, Schleswig-Holstein und Hessen-Nassau). Vgl. zu Th. II Tit. 17. 23) H. Den Landräthen stand die Befugniß, Polizei-Strafverordnungen zu erlassen, bis zum Erlasse der Kreis-Ordnung (s. den §. 78 derselben, jetzt beseitigt durch §. 78 des eit. Ges. v. 1880) nicht zu; ebensowenig war die Regierung ermächtigt, die ihr in dieser Beziehung zu­ stehende Befugniß (§. 11 des Ges. v. 11. März 1850) auf den Landrath zu übertragen. O.Tr. Strass. I v. 7. Okt. 1858 Nr. 4, J.M.Bl. S. 366. 24) Diese Vorschrift ist so zu deuten, daß die Regierungen überall da einzutreten haben, wo die den Orts-Polizeibehörden eingeräumte Befugniß nicht ausreicht, und daß es bezüglich der Regierungsverordnungen nur darauf ankommt, die geographische Begrenzung ihrer Gültigkeit zu fixiren, so daß z. B. eine Verordnung der Regierung, die Ausübung der Fischerei in den Ge­ wässern gewisser bestimmter Kreise betr., völlig in den Grenzen der Kompetenz der Regierung liegt. O.Tr. Strass. I v. 26. Sept. 1860, J.M.Bl. S. 410. 25) Dies ist geschehen durch das Reskr. v. 6. Juni 1850, M.Bl. d. i. V. S. 176. — Nach Nr. 1 dieses Reskr. muß der Erlaß der Regierung auf den obenstehenden §. 11 Bezug nehmen und ausdrücklich als polizeiliche Vorschrift, Polizei-Verordnung oder Polizei-Reglement bezeichnet sein; mangelt es hieran, so ist der Erlaß ungültig. O.Tr. Strass. II v. 16. Mai u. 14. Nov. 1872, Entsch. 67 S. 202* u. 68 S. 52*. 26) Zu Ende des Jahres 1862 hielten sich Bezirksregierungen für ermächtigt, allgemeine Verordnungen zu erlassen, wodurch sie unter Androhung einer Strafe bis zu 10 Thlrn. verboten,

I. Von den Gesetzen überhaupt.

29

§. 13. Zum Erlasse solcher Vorschriften der Bezirksregierungen, welche die landwirthschaftliche Polizei betreffen, ist die Zustimmung des Bezirksrathes erforderlich. §. 14. Die Befugniß der Bezirksregierungen, sonstige allgemeine Verbote und Straf­ bestimmungen in Ermangelung eines bereits bestehenden gesetzlichen Verbotes mit höherer Ge­ nehmigung zu erlassen, ist aufgehoben.2?) §. 15. Es dürfen in die polizeilichen Vorschriften (§§. 5. und 11.) keine Bestimmungen aus­ genommen werden, welche mit den Gesetzen oder den Verordnungen einer höheren Instanz im Widersprüche stehen.28 * *)29 * * 30 * * 31 * * * * * 27 §. 16. Der Minister des Innern ist befugt, soweit Gesetze nicht entgegenstehen, jede poli­ zeiliche Vorschrift durch einen förmlichen Beschluß außer Kraft zu setzen. Die Genehmigung des Königs ist hierzu erforderlich, wenn die polizeiliche Vorschrift von dem Könige oder mit dessen Genehmigung erlassen roctt.20) §. 17. Die Polizeirichter ^) haben über alle Zuwiderhandlungen gegen polizeiliche Vor­

schriften (§§. 5. und 11.) zu erkennen, und dabei nicht die Nothwendigkeit oder Zweckmäßigkeit, sondern nur die gesetzliche Gültigkeit jener Vorschriften nach den Bestimmungen der §§. 5., 11. und 15. dieses Gesetzes in Erwägung zu ziehen.^') §. 18. Für den Fall des Unvermögens des Angeschuldigten ist auf verhältnißmäßige Ge­ fängnißstrafe zu erkennen. Das höchste Maaß derselben ist 4 Tage statt 3 Rthlr. und 14 Tage statt 10 Rthlr.

öffentlich bekannt zu machen, daß Jemand Beiträge zum „Nationalfonds" annehmen werde, oder daß Jemand einen Beitrag dazu gegeben habe. Die Gültigkeit einer solchen Verordnung ist nach §§. 14 u. 15 dieses Gesetzes bezweifelt worden, weil sie mit der Vers.-Urkunde Art. 27 in Widerspruch steht. In diesem Sinne haben auch mehrere Polizeigerichte und Appellationsgerichte erkannt. Das O.Tr. Pl. Strass, hat jedoch im Erk. v. 8. Mai 1865, Entsch. 54 S. 459 u. 55 S. 1*, angenommen, daß die von einer Regierung für ihren Bezirk erlassene Verordnung, durch welche (außer der öffentlichen Aufforderung zu Kollekten) alle öffentlichen Aufforderungen zu Sammlungen überhaupt bei einer Polizeistrafe verboten worden, als eine gültige Polizei-Straf­ verordnung nicht anzusehen ist. Der auf Grund einer Polizei-Verordnung mit der Sache be­ faßte Strafrichter ist zur Prüfung berufen: ob diese Verordnung dem Gegenstände nach gültig sei. (S. 5* a. a. O.) 27) Ueber die hier aufgehobene Befugniß verhielten sich die V. v. 26. Dez. 1808 §. 45 a. E. (Rabe 9 S. 486); die Instruktion zur Geschäftsführung der Regierungen v. 23. Okt. 1817 §. 11, G.S. S. 154. 28) Wie z. B. das Verbot, mit Bracken zu jagen. O.Tr. Straff. II v. 6. Sept. 1855, Entsch. 31 S. 314. H. Oder, wenn die Vorschrift gegen die Gewerbeordnung verstößt, wie dies bei den in Johow u. Küntzel Jahrb. 1 S. 189 u. 2 S. 272 mitgetheilten Fällen an­ genommen ist. Dagegen ist angenommen, es stehe mit der Gewerbeordnung nicht im Wider­ spruch, wenn durch Polizeiverordn. Gastwirthen geboten wird, der Polizei Fremdenzettel einzu­ reichen (O.Tr. Strass. II v. 24. Nov. 1870, J.M.Bl. für 1871 S. 30), oder ihnen verboten wird, ohne besondere poliz. Erlaubniß Tanzmusik zu halten (O.Tr. Strass. I v. 18. Jan. 1871, J.M.Bl. S. 114, Entsch. 64 S. 50*), oder Schülern den Aufenthalt zu gestatten und Speisen oder Ge­ tränke zu verabreichen (O.Tr. Straff. I v. 4. Nov. 1870, J.M.Bl. S. 350). — Einer Polizei­ verordnung darf die Gültigkeit nicht deshalb abgesprochen werden, weil sie einen Eingriff in Privatrechte enthalte; für diesen Fall kann nur auf Grund des §. 4 des Gesetzes v. 11. Mai 1842 Hülfe gesucht werden. Den von der Verwaltungsbehörde erlassenen polizeilichen Vorschriften kann nur insofern rechtliche Wirksamkeit versagt werden, als sie mit den Gesetzen oder den Ver­ ordnungen einer höheren Instanz in Widerspruch stehen. O.Tr. Straff. II v. 5. Febr. 1863, J.M.Bl. S. 102. 29) Hierdurch ist die K.O. v. 4. Juli 1832, G.S. S. 181, wodurch die Ministerien zum Er­ lasse solcher Verfügungen, welche das Gesetz nicht ändern, oder nicht eine gesetzliche Deklaration enthalten, ohne besondere Autorisation befugt erklärt werden, modifizirt. 30) H. Jetzt die Schöffengerichte, deutsch. Gerichtsverfassungsgesetz §. 27. 31) Dieser deutlichen Bestimmung ungeachtet ist doch, unter Berufung auf Art. 106 der Verf.-Urk., behauptet worden, daß die Frage über die Rechtsverbindlichkeit der hier in Rede stehenden Polizeiverordnungen, nachdem dieselben in vorschriftsmäßiger Form bekannt gemacht worden, einer weiteren Prüfung von Seiten der Gerichte nicht unterliegen könne. Das O.Tr. hat diese Behauptung, auf Grund des §. 17 und weil der Art. 106 der Verf.-Urk. sich nur auf königliche Verordnungen beziehe und daher die Prüfung der Gültigkeit einer, in Gefolge des G. v. 11. März 1850 erlassenen ortspolizeilichen Vorschrift nicht hindere, abgewiesen. Erk. v. 3. Mai 1854, J.M.Bl. S. 268. Vergl. vorstehend Anm. 21 u. 28 zu §§. 8 u. 15 dieses Ges.

Einleitung.

30 §. 19.

§.11 (Zusätze).

Die bisher erlassenen polizeilichen Vorschriften bleiben so lange in Kraft, bis sie

in Gemäßheit dieses Gesetzes aufgehoben werden. §. 20. Die den Polizeibehörden nach den bisherigen Gesetzen zustehende Exekutionsgewalt wird durch die vorstehenden Bestimmungen nicht berührt. Jede Polizeibehörde ist berechtigt, ihre polizeilichen Verfügungen durch Anwendung der gesetzlichen Zwangsmittel durchzusetzen.32) Wer es unterläßt, dasjenige zu thun, was ihn: von der Polizeibehörde in Ausübung dieser Befugniß geboten worden ist, hat zu gewärtigen, daß es auf seine Kosten zur Ausführung gebracht werde — vorbehaltlich der etwa verwirkten Strafe und der Verpflichtung zum Schadenersätze. 8. Königliche Verordnung über die Erscheinung und den Verkauf der neuen Gesetz-Sammlung. Vom 27. Oktober 1810. (G.S. S. 1.) §. 1. Es soll für die gesammte Monarchie eine Gesetz-Sammlung erscheinen, und es werden in dieselbe alle die vom heutigen Tage an erlassenen Gesetze und Verordnungen ausgenommen,

welche mehr als §. 2. Es alle Vorschriften §. 3. Die

ein einzelnes Regierungsdepartement betreffen. soll für jedes Regierungsdepartement ein Departementsblatt erscheinen, in welches und Publicationen aufzunehmen sind, welche das Departement allein betreffen. allgemeine Gesetz-Sammlung erscheint in Quarto: die Redaction erfolgt im Büreau

Unseres Staatskanzlers, der gesammte Debit aber durch das General-Postamt.33) 9. Verordnung über die Einrichtung der Amts-Blätter in den Regie­ rungs-Departements und über die Publikation der Gesetze und Verfügungen durch dieselben und durch die allgemeine Gesetzsammlung, vom 28ften März

1811. (G.S. S. 165.) §. 1. Es soll in jedem Regierungsdepartement sogleich ein. öffentliches Blatt unter dem Titel: „Amts-Blatt der (Churmärkschen) Regierung", nach jährlich fortlaufenden Nummern in dem Format der Gesetzsammlung, jedoch mit weniger kostspieligem Druck und Papier erscheinen und der Inhalt nach den Hauptzweigen der innern Verwaltung geordnet seyn. §. 2. Das Amts-Blatt erscheint an bestimmten Tagen und enthält: a) Titel, Datum und Nummer der in der allgemeinen Gesetzsammlung enthaltenen Gesetze. b) Alle zur allgemeinen Bekanntmachung geeignete Verfügungen der verschiedenen Landes­ behörden, also sowohl der Regierungen und der Ober-Landgerichte, als sonstigen öffent­ lichen Provinzialbehörden, welche ein gemeinsames Interesse für das ganze Departement, einzelne Kreise und Oerter desselben, oder auch nur für einzelne Klassen der Einwohner des Departements haben. Es fallen mithin alle schriftlichen Circularien an die Unter­ behörden, und soweit es irgend möglich ist, auch die Circularien der Letztern an einzelne Gemeinden hinweg. c) Belehrungen über öffentliche Angelegenheiten. 32) Zu den gesetzlichen Zwangsmitteln gehört auch die Androhung und Festsetzung von Geldstrafen. Gegen dergleichen Straffestsetzungen findet keine Berufung auf rechtliches Gehör statt, da es sich hier nicht um Bestrafung wegen Uebertretungen auf Grund einer erhobenen Anklage, oder um ein administratives Strafverfahren, sondern lediglich um die Vollziehung eines von der Polizeibehörde innerhalb ihres Berufs und ihrer Kompetenz erlassenen Gebots handelt. Der Rechtsweg ist auch dann ausgeschlossen, wenn die Anordnung nicht durch eine schriftliche Verfügung der Behörde, sondern nur mündlich durch den dazu befugten Beamten getroffen worden ist. Vergl. die im J.M.Bl. abgedruckten Erk. des Gerichtshofes zur Entsch. der Komp.Konfl. v. 14. Jan. 1854 (S. 283), v. 16. Dez. 1854 (für 1855 S. 74), v. 10. März 1855 (S. 162), v. 3. Mai 1856 (S. 206), v. 7. Nov. 1857 (für 1858 S. 30), v. 12. März 1859 (S. 113), v. 9. Nov. 1861 (für 1862 S. 192), v. 14. Okt. 1865 (für 1866 S. 29), v. 13. März 1869 (S. 104), v. 13. Jan. u. 9. März 1872 (S. 99 u. 127). — Die Polizeibehörden sind berechtigt, für die Be­ folgung der von ihnen erlassenen Anordnungen zu sorgen und die Ausführung derselben nöthigenfalls auf Kosten des Säumigen durch einen Dritten bewirken zu lassen. Die dafür bezahlten Geldbeträge können demnächst im Wege der Exekution eingezogen werden, ohne daß der Rechts­ weg dagegen zulässig ist. Vergl. die im J.M.Bl. abgedruckten Erk. des Komp.-Gerichtsh. v. 13. Febr. 1864 (S. 129), v. 11. April 1868 (S. 255), v. 12. Juni 1869 (S. 178), v. 11. Sept. 1869 (S. 213) und v. 9. Okt. 1869 (für 1870 S. 17). 33) H. Der weitere Inhalt der V. ist antiquirt.

I.

Von den Gesetzen überhaupt.

31

§. 3. Auch öffentliche Verfügungen in speciellen Fällen, die eine allgemeine Bekanntmachung erfordern, z. B. Vorladungen, können in eine unter besondern Nummern unter dem Namen des öffentlichen Anzeigers fortlaufende Beilage des Amts-Blatts, gegen Entrichtung der Ein­ rückungsgebühren, ausgenommen werden; doch bleibt die rechtliche Wirkung an die Insertion in die Jntelligenzblätter der Provinz gebunden, und werden in dieser Hinsicht hierdurch die frühern Gesetze nicht abgeändert.M) §. 4. Mit dem Anfänge des 8ten Tages, nachdem die Verordnungen und Verfügungen zum erstenmale im Amts-Blatte abgedruckt worden, sind sie für gehörig bekannt gemacht anzunehmen. Die Tage werden hiebei vom Datum der Nummer des Amts-Blatts an, und dieses Datum mit eingezählt............. 35 34) §. 5. Ist der Inhalt einer Verfügung von der Art, daß sogleich etwas zur Ausführung gebracht werden soll, so versteht sich von selbst, daß jede Behörde und jeder Einzelne sogleich nach dem Empfange der Amts-Blätter das Nöthige einleiten muß, ohne den Ablauf jener Frist abzuwarten, die nur in Beziehung auf rechtskräftige Wirkungen festgestellt ist. §. 6. Nur die in dieser Verordnung vorgeschriebenen oder bestätigten Arten der Publi­ kationen von Gesetzen und Verordnungen, haben öffentliche Gültigkeit.33) 10. Deklaration wegen des Anfangs der rechtlichen Wirkung der durch die Gesetzsammlung und durch die Amtsblätter bekannt gemachten Gesetze und Verfügungen. Vom 14ten Januar 1813. (G.S. S. 2.) Wir rc. rc. Thun kund und fügen hiermit zu wissen, daß, nachdem Uns vorgetragen worden, welchergestalt über den Anfang der rechtlichen Wirkung der durch die Gesetzsammlung und durch die Amtsblätter bekannt gemachten Gesetze und Verfügungen Zweifel entstanden seyen. Wir zu deren Hebung die hierauf Bezug habenden Vorschriften des Allgemeinen Landrechts, Einleitung §§. 10. bis 13., der Verordnung vom 27sten Oktober 1810. über die Erscheinung und den Verkauf der neuen Gesetzsammlung, und der Verordnung vom 28sten März 1811. über die

Einrichtung der Amtsblätter, zu deklariren geruhet haben, wie folgt: 1. Jedermann im Staate ist schuldig, die in die Gesetzsammlung und in die Amts­ blätter eingerückten Gesetze und Verfügungen zu befolgen und sich darnach zu achten, sobald er davon Kenntniß erhalten hat.3?) 2. Es wird angenommen, daß das Amtsblatt acht Tage nach seiner Erscheinung an allen Orten des Departements bekannt sey. Nach Ablauf dieses Zeitraums kann sich daher niemand damit entschuldigen, daß ihm eine in die Gesetzsammlung oder in das Amtsblatt eingerückte Verordnung unbekannt geblieben sey. 3. Hierbei verstehet sich von selbst, daß da, wo auf dem gewöhnlichen oder auf einem un­ gewöhnlichen Wege, die Gesetzsammlung oder das Amtsblatt früher bekannt wird, die verbindende Kraft der darin aufgenommenen Vorschrift sofort eintritt, und daß insbesondere alle öffentliche Behörden sich darnach unverzüglich zu achten verbunden sind, in sofern das Gesetz selbst nicht einen andern Zeitpunkt der Anwendung festsetzt. 11. Gesetz, betreffend die Publikation der Gesetze. Vom 3. April 18 46. (G.S. S. 151.)38) 34) Abgeändert durch das Gesetz, betr. die Aufhebung des Jntelligenz-Jnsertionszwanges und der amtlichen Jntelligenzblätter v. 21. Dez. 1849, G.S. S. 441. 35) H. Der zweite Absatz ist antiquirt durch das nachfolgende Ges. v. 3. April 1846.

36) H. Der übrige Inhalt der V. ist antiquirt. 37) Abgeändert durch das G. v. 3. April 1846 §. 3. Die Deklar. kommt nur noch wegen der Veröffentlichungen durch das Amtsblatt in Betracht. H. Vgl. in letzterer Beziehung Iohow u. Küntzel, Jahrb. 2 S. 265 Nr. 136. 38) H. Nach dem Vorbilde dieses Gesetzes sind aus Anlaß der Erwerbung neuer Landes­ theile wegen der Publikation der Gesetze ergangen: a) für das Jadegebiet das Ges. v. 14. Mai 1855, G.S. S. 306; b) für die im Jahre 1866 der Monarchie einverleibten Landestheile die Ges. v. 1. Dez. 1866, G.S. S. 743 u. v. 29. Jan. 1867, G.S. S. 139. — Zu bemerken ist ferner die Kab.O. v. 29. März 1837, G.S. S. 71, betreffend die Anwendung der Preuß. Gesetze in denjenigen Orten, welche bei Grenzregulirungen als Gebietstheile der Monarchie anerkannt oder in Folge eines Austausches an dieselbe abgetreten sind.

Einleitung.

32

§. 11 (Zusätze).

§. 1. Landesherrliche Erlasse, welche Gesetzeskraft erhalten sollen, erlangen dieselbe nur durch die Aufnahme in die Gesetzsammlung39), ohne Unterschied40), ob sie für die ganze Monarchie,

oder für einen Theil derselben bestimmt sind. §. 2. (ist aufgehoben durch das Gesetz v. 16. Febr. 1874, Zusatz 12.)

12. Gesetz, betreffend den Beginn der verbindlichen Kraft der durch die Gesetz-Sammlung verkündeten Erlasse. Vom 16. Februar 1874. (G.S. S. 23.) Wir rc. rc. verordnen, unter Zustimmung beider Häuser des Landtages Unserer Monarchie, was folgt: §. 1. Ist in einem durch die Gesetz-Sammlung verkündeten Erlasse der Zeitpunkt, mit welchem derselbe in Kraft treten soll, nicht bestimmt, so beginnt41) dessen verbindliche Kraft in dem ganzen Umfange Unserer Monarchie mit dem vierzehnten Tage nach dem Ablauf desjenigen Tages, an welchem das betreffende Stück der Gesetz-Sammlung in Berlin ausgegeben worden ist.42) Die entgegenstehenden Bestimmungen des Gesetzes vom 3. April 1846. (Gesetz-Samml. S. 151.), der Verordnung vom 1. Dezember 1866. (Gesetz-Samml. S. 743.) und der Verordnung

vom 29. Januar 1867. (Gesetz-Samml. S. 139.) werden aufgehoben. §. 2. Das gegenwärtige Gesetz tritt mit dem 1. März 1874. in Kraft.

13.

Gesetz über die Konsulargerichtsbarkeit. Vom 10. Juli 1879. (R.G.Bl.

S. 197.) §. 47. Neue Gesetze erlangen, soweit nicht reichsgesetzlich etwas Anderes bestimmt wird, in den Konsulargerichtsbezirken nach Ablauf von vier Monaten, von dem Tage an gerechnet, an welchem das betreffende Stück des Reichs-Gesetzblatts oder der preußischen Gesetzsammlung in Berlin ausgegeben worden ist, verbindliche Kraft.43)

14.

Gesetz,

betreffend

durch die Amtsblätter.

die Bekanntmachung

Vom 10. April 1872.

landesherrlicher

Erlasse

(G.S. S. 357.)

39) Organische Erlasse in Staatswirthschaftsangelegenheiten und über Gegenstände der Finanz­ verwaltung haben die Behörden zu befolgen, wenn sie auch nicht auf diesem Wege publizirt worden sind. Darauf gründet sich wohl das O.Tr.-Pr. 1682 v. 30. Jan. 1846, Entsch. 12 S. 145: Den fiskalischen Behörden ist nicht gestattet, einen nach älteren Gesetzen gerechtfertigten Anspruch gegen einen Unterthan durchzuführen, wenn der Landesherr in einem neuern Erlasse — falls derselbe auch nicht durch die G.S. publizirt wäre, sondern nur sonst kein Bedenken gegen die Wirklichkeit des Erlasses besteht, — seinen Willen, daß ein solcher Anspruch forthin nicht erhoben werden solle, kundgegeben hat. 40) Wenn nicht in dem betreffenden Gesetze selbst eine andere Verkündigungsart vorgeschrieben ist, wie z. B. in der K.O. v. 2. Juli 1836, betr. das Verbot der Strohdachbedecküngen in der Rheinprovinz, welche a. E. die Vorschrift enthält: „diese Bestimmungen durch die Amtsblätter zur allgemeinen Kenntniß zu bringen". Der Polizeirichter hatte gleichwohl von der Anklage der Uebertretung dieses Verbots freigesprochen, weil eine die ganze Rheinprovinz betreffende Vorschrift durch die Gesetzsammlung hätte publizirt werden müssen, um verbindliche Kraft zu erlangen. Allein das O.Tr. hat durch eine Entsch. v. 6. Nov. 1856 wegen der Schlußbestimmung der ge­ dachten K.O., worin ein spezieller Ausspruch des Gesetzgebers über die Art der Verkündigung des vorliegenden Gesetzes gesehen werden müsse, die so erfolgte Verkündigung als rite geschehen anerkannt. Goltdammer, Archiv 5 H. 1 Nr. 6. — (H. Vergl. die K.O. v. 24. Juli 1826, betr. oie öffentliche Gültigkeit der nur durch die Amtsblätter bekannt gemachten Gesetze, G.S. S. 73. — Alles dies ist nur noch anwendbar auf Gesetze, die älter sind als das Ges. v. 3. April 1846. — Wegen Bekanntmachung landesherrlicher Erlasse durch die Amtsblätter ist das im Text als Zus. 14 abgedruckte Ges. v. 10. April 1872 ergangen). 41) Die Schule nennt die Zeit bis dahin „vacatio“. Ein Beispiel davon gibt im R. R. die Lex Julia et Papia Poppaea. 42) Nach dieser Bestimmung ist es so anzusehen, als wenn vor Eintritt des Zeitpunkts das Gesetz als solches noch nicht existirte, so daß weder ein Recht, noch eine Pflicht, sich darnach zu achten, vorher zur Entstehung kommt. Dies ist in den späteren Publikations-Gesetzen (Anm. 38) ausdrücklich gesagt, vergl. in jedem dieser Ges. den §. 3. — Nach dem Eintritt der Gesetzeskraft kommen die §§. 12 u. 13 der Einl. zur Anwendung. 43) Durch diese Bestimmung sind antiquirt die Bestimmungen in dem preuß. Gesetz, betr. die Gerichtsbarkeit der Konsuln v. 29. Juni 1865, G.S. S. 681, §. 18 und in dem Bundesgesetz, betr. die Organisation der Bundeskonsulate rc., v. 8. Nov. 1867, B.G.Bl. S. 137, §. 24 Abs. 2.

I. Von den Gesetzen überhaupt.

33

Wir 2cv verordnen für den gesammten Umfang der Monarchie, einschließlich des Jade­ gebietes, mit Zustimmung beider Häuser des Landtages, was folgt: §. 1. Landesherrliche Erlasse und die durch dieselben bestätigten oder genehmigten Ur­ kunden werden fortan durch die Amtsblätter, im Jadegebiet durch das Gesetzesblatt, mit rechts­ verbindlicher Kraft bekannt gemacht, wenn sie betreffen: 1) die Verleihung des Expropriationsrechts; 2) die Verleihung des Rechts zur Entnahme von Chaussee- Wegebau- und Unterhaltungs­ Materialien ; 3) die Verleihung des Rechts zur Erhebung von Chaussee- und Wegegeld; 4) die Statuten der Deichverbände und der Genossenschaften zu Meliorationen durch Ent­ wässerung und Bewässerung; 5) die Ertheilung von Konzessionen zum Bau und Betriebe von Eisenbahnen, sowie die Sta­ tuten der Unternehmer; 6) die Reglements für die öffentlichen und Privat-Feuersozietäten; 7) die Reglements für die landschaftlichen Kreditvereine und ähnliche Kreditinstitute; 8) die Einrichtung des Landarmen- und Korrigendenwesens; 9) die Privilegien zur Ausgabe von Papieren auf den Inhaber. Auf dieselbe Weise erfolgt die Bekanntmachung von Ergänzungen und Abänderungen der bezeichneten Erlasse und Urkunden, auch wenn diese selbst durch die Gesetz-Sammlung bekannt gemacht worden sind. §. 2. Die Bekanntmachung erfolgt durch die Blätter derjenigen Bezirke, in welchen in den Fällen des §. 1. Rr. 1. bis 5. das betreffende Unternehmen ausgeführt werden soll oder aüsgeführt

worden ist, der Eisenbahn-Unternehmer (§. 1. Nr. 5.) und der Ausgeber der Papiere (§. 1. Nr. 9.) ihren Sitz oder Wohnsitz haben, oder für welche die Feuersozietät (§. 1. Nr. 6.), der Kreditverein oder das Kreditinstitut (§. 1. Nr. 7.) bestimmt und das Landarmen- oder Korrigendenwesen (§. 1. Nr. 8.) eingerichtet worden ist. §. 3. Die Kosten der Bekanntmachung trägt der Unternehmer, die Sozietät, der Verband, das Kreditinstitut oder der Ausgeber der Papiere. §. 4. Ist in einem in Gemäßheit dieses Gesetzes verkündeten Erlasse der Zeitpunkt bestimmt, mit welchem derselbe in Kraft treten soll, so ist der Anfang seiner Wirksamkeit nach dieser Be­ stimmung zu beurtheilen; enthält aber der verkündete Erlaß eine solche Zeitbestimmung nicht, so beginnt dessen Wirksamkeit mit dem achten Tage nach dem Ablaufe desjenigen Tages, an welchem das betreffende Stück des Blattes, welches den Erlaß verkündet, ausgegeben worden ist. §. 5. Eine Anzeige von jedem in Folge dieses Gesetzes verkündeten Erlasse ist in die GesetzSammlung aufzunehmen. 15. Gesetz, betreffend die Verpflichtung zum Halten der Gesetz-Samm­ lung und der Amtsblätter. Vom 10. März 1873. (G.S. S. 41.) Wir rc. verordnen mit Zustimmung beider Häuser des Landtages, für den ganzen Umfang der Monarchie, was folgt: §. 1. Vom 1. Januar 1873. ab sind nur die Gemeinden und selbstständigen Gutsbezirke

zum Halten der Gesetz-Sammlung und des Amtsblattes desjenigen Bezirks, in welchem sie be­ legen sind, verpflichtet. §. 2 Von der im §. 1. vorgeschriebenen Verpflichtung dürfen die Bezirksverwaltungs­ behörden (Regierungen, Landdrosteien) Gutsbezirke und kleinere Gemeinden auf Zeit entbinden. §. 3. Alle bisherigen, über die Vorschrift des §. 1. hinausgehende Verpflichtungen zum Halten der darin bezeichneten amtlichen Blätter sind aufgehoben"). 44) Nach Beschluß des Staatsministeriums v. 28. Nov. 1861, J.M.Bl. S. 7, erhallen die königl. Staatsbehörden und diejenigen einzeln stehenden, eine Behörde präsentirenden Beamten, welche bis dahin die Bezahlung der Ges.-Samml. aus Staatsfonds zu leisten hatten, die Inventar­ exemplare der Ges.-Samml. unentgeltlich geliefert. Zu jenen Beamten gehören auch die Staats­ anwälte: R. v. 15. April 1862, J.M.Bl. S. 138. H. Die kirchliche Gesetzgebung ist für die evangelische Landeskirche der acht älteren Provinzen geordnet in a) dem Gesetz, betreffend die evangelische KirchenKoch, Allgemeines Landrecht. I.

8. Auft.

3

34

Einleitung.

§§. 12—14.

§. 12. Es ist aber auch ein jeder Einwohner des Staats4^) sich um die Gesetze, welche ihn oder sein Gewerbe und seine Handlungen betreffen, genau zu erkundigen gehalten; und es kann sich Niemand mit der Unwissenheit eines gehörig publicirten Gesetzes entschuldigen4Ö). §. 13. Nur in dem Falle, wo vorhin erlaubte, oder als gleichgültig angesehene Handlungen durch Strafgesetze eingeschränkt, oder verboten worden, soll der Uebertreter mit dem Einwande: daß er, ohne Vernachlässigung seiner Pflichten, vor der vollbrachten That, von dem Verbote nicht unterrichtet gewesen, annoch gehört werden4?). Verfassung in den acht älteren Provinzen der Monarchie, v. 3. Juni 1876 (G.S. S. 125) Art. 15ff., b) der General-Synodalordnung für die evangelische Landeskirche der acht älteren Provinzen der Monarchie, v. 20. Jan. 1876 (G.S. S. 133) §§. 6 ff., abgedruckt in den Zusätzen zu II. 11 §. 156. 45) Fremde also, welche sich vorübergehend im Lande aufhalten, sind hier nicht mit gemeint. Diese Fassung ist nicht ungenau oder zufällig, wie unten der §. 34 zeigt, sie hat eine geschicht­ liche Veranlassung. In Beziehung auf Zuwiderhandeln gegen verbietende Gesetze nahm man fast allgemein an, daß Fremde die besonderen Gesetze des Landes oder des Ortes, wo sie sich seit kurzem aufhalten, nicht gekannt hätten, und ließ die Entschuldigung der Unwissenheit gelten. Böhmer ad Carpzov., Qu. 149 obs. 4 n. 67; Struben, rechtl. Bed. Th. 11 Bd. 113 u. Th. IV Bd. 28; Quistorp, peinl. R. Th. I §. 48. Hierauf bezieht sich die Bestimmung des folg. §. 13. 46) Allgemeine Regel ist hiernach, daß ein Rechtsirrthum nicht angenommen werden darf, wegen desselben Grundes, aus welchem auch das R. R. in der Regel keine Rücksicht auf den error Juris nimmt, nämlich weil die Rechtsnorm gewiß sei und daher von Jedem, wenn er selbst sie nicht wisse, durch Erkundigung leicht in Erfahrung gebracht werden könne, folglich Jeder seine Unkenntniß nur seiner eigenen groben Nachlässigkeit beizumessen habe, wovon er selbst die Folgen tragen müsse. L. 2, L. 9 §. 3 D. de Juris et facti ignorantia (XXII, 6). Um dem Irrenden eine solche Nachlässigkeit vorwerfen und deshalb auf den Irrthum nicht Rücksicht nehmen 511 wollen, muß der Gegenstand des Irrthums eine als gewiß anzusehende Vorschrift sein, d. h. der Irrthum muß sich auf das Dasein und den Inhalt des Gesetzes beziehen: „es kann sich Niemand mit der Unwissenheit eines gehörig publizirten Gesetzes entschuldigen." (H. Der §. 12 findet daher nicht auf örtliche Gewohnheitsrechte Anwendung. O.Tr. I v. 19. Febr. 1864, Entsch. 51 S. 35, Str. Arch. 53 S. 153.) Die Unwissenheit über juristische Thatsachen (error facti) wird nicht unberücksichtigt gelassen. Ein von beiden zu unterscheidender Irrthum bezieht sich auf die Auffassung des Inhalts der Rechtsnorm und auf die Unterordnung der Thatsachen unter die Rechtsregel, oder auf die streitigen Rechtssätze. Was zehn Rechtsverständige so auslegen, das verstehen zehn Andere anders, und Andere wieder anders, und doch kann nur die eine Meinung die wahre Rechtsnorm sein, alle andern müssen Irrthümer sein. Soll man hier dem Irrenden eine grobe Nachlässigkeit vorwerfen dürfen? Im Gegentheil: er strengt alle seine Geisteskräfte an, das Wahre zu erkennen. Man rechnet daher diesen Irrthum nicht zu den Fällen des Rechts­ irrthums, sondern zu den des faktischen, weil der Irrthum im Grunde in der fehlerhaften Er­ kenntniß der Thatsachen und in der unrichtigen Subsumtion derselben unter die Rechtsregel beruht, v. Savigny 3 S. 327 ff. u. 470. Vergl. L. 38 D. de cond. ind. (XII, 6). Das L.R. erwähnt gleichfalls nicht dieses dritten Falles von Irrthum, daher man ihn nothwendig zu den Fällen des juristischen oder des faktischen rechnen muß. Nach der Fassung des §. 12 muß man sich für den faktischen Irrthum entscheiden. Ueber den Irrthum bei der condictio indebiti unten I. 16 §. 167 „Jeder Irrthum" und die Vlnm. dazu. — Die zu vermuthende Kenntniß eines Gesetzes umfaßt auch die Kenntniß seines Gebiets. Von dem Grundsätze des §. 12 sind Polizeiverordnungen nicht ausgeschlossen. O.Tr. III v. 6. April 1868, Str. Arch. 71 S. 107. (H. Vgl. auch I. 6 §. 26 u. Str. Arch. 63 S. 273. Auch Provinzialverordnungen sind nicht ausgeschlossen. O.Tr. III v. 6. April 1868, Str. Arch. 71 S. 106. — Eine nicht gehörig publizirte Verordnung verpflichtet andererseits auch denjenigen nicht, welchem sie auf andere Weise bekannt geworden ist. O.Tr. Sen. f. Strass. I v. 2. Nov. 1860, Goltd ammer, Arch. 9 S. 58.) — Vgl. zu §. 12 die Abhandlungen von Klein, Annalen 6 S. 93, Schröter, Jur. Zeit. 1832 S. 572, 590, und Fürstenthal, Jur. Abth. 1848 S. 404. — Bei Anwendung der Strafgesetze unterliegt der Grundsatz „error Juris nocet“ einer Beschränkung, insofern der Irrthum den zum Thatbestände erforderlichen Dolus ausschließt. O.Tr. Sen. f. Strass. I v. 14. Dez. 1864, II v. 14. Febr. 1867 u. I v. 18. März 1869, Goltdammer, Arch. 13 S. 120, 15 S. 275, 17 S. 374

47) In Anwendung auf Delikte finden sich im R. R. eine Reihe von Aussprüchen, welche von einer Unterscheidung zwischen Delikten, die schon abgesehen von positiven Strafgesetzen für

I.

Von den Gesetzen überhaupt.

35

§. 14. Neue Gesetze können auf schon vorhin vorgefallene Handlungen und Begebenheiten nicht angewendet toerben48). strafbar gelten, und solchen Handlungen, deren Strafbarkeit ein bestimmtes Verbot erfordert, ausgehen. Bei den Delikten der zweiten Klasse wird zwar auch nicht die Unkenntniß des Straf­ gesetzes nachgesehen, indem man von Jedem fordert, das Dasein des Gesetzes zu wissen. Aber man nimmt in vielen Fällen Rücksicht darauf, wenn der Handelnde zwar das Gesetz kennt, doch über die strafbare Beschaffenheit seiner Handlung irrt. In diesem Falle wird bei Strafgesetzen von ganz positiver Natur gewissen Klassen von Personen (Frauen, Landleuten, Soldaten, Minder­ jährigen) Nachsicht gewährt. Eine ähnliche Ausnahme von der Regel des §. 12 macht hier der tz. 13 bei unerlaubten Handlungen, und zwar ohne Beschränkung auf gewisse Klassen von Per­ sonen. — Manche gemeinrechtliche Juristen dachten bei Anwendung dieser Ausnahme an das Erforderniß der Neuheit des Gesetzes und suchten nach einer Begrenzung in der Zeit. (Quistorp, peinl. R. Th. 1 §. 48; Glück, Kommentar 1 S. 294 u. A.) Von dieser Auffassung waren auch die Verf. des G.B. anfangs ausgegangen; der umgearbeitete Entwurf bestimmte 4 Wochen nach der Publikation. Im G.B. aber erschien der §. 13 in seiner jetzigen Fassung, und es ist nicht ersichtlich, wie er in dieser Fassung in das zum Drucke bestimmte Manuskript gekommen ist. (Gesetzrevis. Mot. zum §. 7 des Entw. S. 103.) Augenscheinlich entspricht die Vorschrift, wie sie jetzt ist, dem Sinne ihres Vorbildes besser. — Das O.Tr. hat angenommen, daß der §. 13 nach der neueren Gesetzgebung über die Publikation der Gesetze und Verordnungen für aufgehoben erachtet werden müsse. Niemand könne sich mit der Unbekanntschaft der gehörig verkündeten Gesetze und Verordnungen entschuldigen. Erk. d. Sen. f. Strass. I v. 4. Sept. 1863, J.M.Bl. S. 254. Vgl. Goltdammer, Arch. 7 S. 522, 11 S. 785. 48) Diese Vorschrift ist nur auf Gesetze des materiellen Rechts, die nach §. 1 der Einleitung Gegenstand des Landrechts sind, zu beziehen. K.O. v. 11. Okt. 1839, G.S. S. 329. (H. Die Regel findet selbstredend keine Anwendung, wenn in dem neuen Gesetze etwas anderes bestimmt ist; vgl. beispielsweise Gesetz über die Rechtsverhältnisse aus unehelichem Beischlaf v. 24. April 1854 (G.S. S. 193) & 23, Reichs - Anfechtungsgesetz v. 21. Juli 1879 (R.G.Bl. S. 277) §. 14. — Vergl. d. T. §. 51 u. o. Publ.Pat. §. VIII. Ueber die Anwendung dieser Regel des 8- 14 auf die einzelnen Rechte und Rechtsverhältnisse s. o. die Anm. 25 zu §. VIII u. Änm. zu I. 4. §. 66. — Hinsichtlich der Pflicht zur Urkundenedition kommen, — wenn dieselbe nicht aus einem in früherer Zeit vertragsmäßig oder vermöge besonderer Rechtstitel bereits erworbenen Rechte, sondern lediglich aus den früheren thatsächlichen Verhältnissen hergeleitet wird, — nicht die früher geltend gewesenen, sondern die zur Zeit der verlangten Edition geltenden Gesetze zur Anwendung. O.Tr. v. 1. Febr. 1856, Str. Arch. 20 S. 105. — H. Wer nach dem preuß. Strafgesetzb. mit zeitiger Untersagung der bürgerlichen Ehrenrechte bestraft worden, hat vor Ablauf der Untersagungsfrist durch die Einführung des deutschen Strafgesetzb. die Fähigkeit als Zeuge oder Sachverständiger eidlich vernommen zu werden nicht wiedererlangt. Plenarbeschl. v. 16. Sept. 1872, Entsch. 68 S. 1.) — Eine interessante und richtige Anwendung des §. 14 auf den Fall des §. 155 Allg. Bergges. v. 24. Juni 1865 macht das Erk. d. O.Tr. 111 v. 6. Dez. 1869, Str. Arch. 77 S. 94. — (H. Vgl. auch O.V.G., Entsch. 4 S. 382, 6 S. 270. — Wegen der Literatur vgl. die Anm. 25 zu Publ.-Pat. §. VIII. 11.) H. Die rechtliche Wirkung der Eintragung des Besitztitels muß, solange sie besteht, nach demjenigen Gesetze beurtheilt werden, unter dessen Herrschaft sie dem Erwerber gewährt worden ist. Die Vorschrift im §. 7 des Ges. über den Eigenthumserwerb re. an Grund­ stücken v. 5. Mai 1872, wonach der eingetragene Eigenthümer kraft seiner Eintragung befugt ist, alle Klagerechte des Eigenthümers auszuüben, findet auf Solche, welche vor dem Inkraft­ treten dieses Gesetzes die Eintragung ihres Besitztitels erlangt haben, keine Anwendung. O.Tr. III v. 15. Dez. 1873, Entsch. 71 S. 243, insbes. 249 ff. u. v. 29. Sept. 1876, Str. Arch. 99 S. 62, sowie R.G. II H. v. 1. März 1880, Entsch. 1 S. 375. Wer aber von einem vor dem Inkrafttreten des Eig.Erw.Ges. eingetragenen Eigenthümer nach dem Inkrafttreten die Auf­ lassung erlangt hat und auf Grund derselben eingetragen ist, erwirbt Eigenthum, aber nicht etwa infolge rückwirkender Kraft des Gesetzes, sondern kraft des unter der Herrschaft dieses Gesetzes in Gemäßheit desselben vollzogenen Rechtsgeschäfts. R.G. II H. v. 12. Juli 1880, Entsch. 2 S. 323. — Wer ein Grundstück vor dem 1. Okt. 1872 ersessen hat, kann sein Eigen­ thum auch gegen denjenigen noch geltend machen, welcher von einem vor jenem Zeitpunkte ein­ getragenen Eigenthümer die Auflassung erlangt hat und demzufolge als Eigenthümer im Grund­ buche eingetragen ist. O.Tr. III v. 12. März 1875, Entsch. 75 S. 15. H. Die Verpflichtung des Verkäufers eines Grundstücks, dem Käufer Eigenthum zu ver­ schaffen, ist durch das Ges. v. 5. Mai 1872 zu einer Auflassungsverpslichtung geworden, und zwar auch dann, wenn der Kaufkontrakt vor dem 1. Okt. 1872 abgeschlossen ist. O.Tr. III v. 19. Mai 1876, Str. Arch. 99 S. 16. H. Eine nach L.R. II. 18 § 698 über den Zeitpunkt der Großjährigkeit des Mündels durch Bestimmung des Vaters verlängerte Vormundschaft kann nach dem Inkrafttreten 3*

36

Einleitung.

§§. 15—21.

§. 15. Die von Seiten des Gesetzgebers nöthig befundene und gehörig publicirte Erklärung eines älteren Gesetzes aber giebt, in allen noch zu entscheidenden Rechtsfällen, den Ausschlag 48a). §. 16. Soll nur die äußere Form einer Handlung geändert, und diese Vor­ schrift bei allen noch abzuändern möglichen Handlungen beobachtet werden, so muß das Gesetz hiezu eine hinlängliche Frist bestimmt habens. §. 17. Frühere Handlungen, welche, wegen eines Mangels der Förmlichkeit, nach den alten Gesetzen ungültig sein würden, sind gültig, in so fern nur die nach den neuern Gesetzen erforderlichen Förmlichkeiten, zur Zeit des darüber entstandenen Streits, dabei angetroffen werden^'). der Vorm.O. v. 5. Juli 1875 nicht mehr mit rechtlicher Wirksamkeit fortgesetzt werden, da der cit. §. durch die Vorm.O. aufgehoben ist und auch nicht im Hinblick auf LR. Einl. §§. 14, 51 in Ansehung der schon vorher verlängerten Vormundschaften mehr zur Anwendung gelangen kann. Erk. des R.O.H.G. v. 16. Juni 1876 (J.M.Bl. S. 233); in den Gründen desselben ist ausgeführt: „So abweichend auch die Grundanschauungen in der Lehre von den zeitlichen Grenzen der Herrschaft der Gesetze sind, darüber herrscht Einverständniß, daß neue Gesetze, welche die Rechts- und Handlungsfähigkeit der Staatsangehörigen anderweit normiren, insbesondere frühere Beschränkungen beseitigen. Alle, die sie angehen, sofort in den Zustand der vollen oder erweiterten Fähigkeit einsetzen. Denn ihr früherer beschränkter Zustand ist kein „wohlerworbenes Recht", bestand nicht vermöge ihrer Willensakte, sondern nur durch das Dasein des älteren sie einengenden Gesetzes; er hört also mit dem Erlöschen dieses Daseins wenigstens dann sofort auf, wenn das neue Gesetz seine eigene Wirksamkeit nicht suspendirt. Allerdings war der Beklagte nicht bloß durch das Gesetz, sondern durch die Disposition seines Vaters in der Geschäftsfähigkeit beschränkt; allein diese Handlung eines Dritten ist kein eigener, nicht mehr rückgängig zu machender Willensakt des Beklagten, und die Wirksamkeit der väterlichen Anordnung zerfällt vor dem absoluten Charakter des neuen Gesetzes." 48a) Der Satz ist unbestritten und uralt. Vergl. Nov. 19 praef. i. f. u. c. 1. Die daneben stehende hiervon verschiedene Regel des §. IX im Publ.-Pat. ist bloß transitorisch. Ob eine Verordnung des Gesetzgebers eine authentische Auslegung eines älteren Gesetzes sei, ist eine Thatsache, worüber der Richter zu befinden hat. Vergl. Pfeiffer, prakt. Ausführungen (Hannover 1828) Bd. 2 S. 385, Savigny, Syst. S. 511, Heydemann, Einl. 1 S. 86. Fehlt die Erklärung des Gesetzgebers darüber, so kann die Frage zweifelhaft sein; eine Rechts­ regel kann selbstverstanden über eine Thatsache nicht entscheiden. Der Ausspruch des O.Tr. in der in Simon's Rechtsspr. Bd. 3 S. 308 mitgetheilten Entscheidung v. 6. Juni 1833: „Soweit das neue Gesetz den Grund der älteren Verordnung bestimmt angiebt, erklärt und erläutert es zugleich dasselbe," bezieht sich auf die V. v. 11. März 1818 und das darauf bezügliche spätere Gesetz v. 9. Juni 1827, mit dessen Auslegung es sich beschäftigt; und darf für einen allgemeinen Grundsatz nicht genommen werden. In anderen Fällen kann ein neues Gesetz den Grund des alten sehr wohl angeben und doch Neues verordnen. 49) Diese Vorschrift giebt der Gesetzgeber sich selbst und dieselbe ist hier ohne alle prak­ tische Bedeutung. 50) Vergl. I. 3 §§ 42 u. 43 und Publ.Pat. §. XI, auch Note 24 zu §. VII. — Das Verhältniß des §. 17 der Einl. zu §. 43 I. 3 hat Zweifel und Meinungsverschiedenheit veranlaßt. Nach allgemeinen Rechtsgrundsätzen gilt die Regel: die als Bedingung der Gültigkeit positiv vorgeschriebene Form der Rechtsgeschäfte wird nach dem Gesetze beurtheilt, welches zur Zeit der unternommenen Rechtshandlung gilt (tempus regit actum). Anm. 25 zu §. VIII des Publ.-Pat. Diese Regel findet sich als bleibend ausgesprochen im I. 3 §. 42; sie findet sich gleichmäßig ausgesprochen in den transitorischen Bestimmungen des Publ.Pat. §§. XI und XII; sie wird auch anerkannt von gemeinrechtlichen Schriftstellern. Weber, über Rückanwendung der Gesetze, S. 90 u. ff. Nur in der Beziehung, wenn das neue Gesetz die Form eines Rechts­ geschäfts erleichtert, ist von der Allgemeingültigkeit der Regel die Ausnahme von Einigen behauptet worden, daß, wenn die neue Form beobachtet worden sei, diese zur Aufrechthaltung des Geschäfts genüge. Glück, Komment., §. 21 a. E. (Bd. IS. 148). Der dort als Gewährsmann genannte Voet, Comm. I, 3 §. 17, ist hierüber unbestimmt. Diese Meinung war bei der Abfassung des Entwurfs ohne Einfluß geblieben. Einl. §. 19. Suarez aber fand bei der revisio monitorum, daß es doch zwei Fälle gebe, wo ein neues Gesetz allerdings ad casus praeteritos gezogen werden könne, nämlich a) bei Strafgesetzen, b) wenn es die Form, woran vorhin die Gültigkeit einer Handlung gebunden war, simplificirt und abkürzt, z. B. bei den Solennitäten der Testamente. Diese Ansicht fand Beifall und so entstand der §. 17. (Bornemann, System 1 S. 193.) Hierbei aber hatte man nicht daran gedacht, daß der §. 43 I. 3 dieser Ausnahme vorbeugte, indem er verordnete: „Eine Handlung/die wegen Verabsäümung der gesetz-

I. Von den Gesetzen überhaupt.

37

§. 18. Aufgehoben ^). §. 19. In so fern aber aus einer verbotenen Handlung Privatrechte entspringen, muß auf die Gesetze, welche zur Zeit der Handlung gültig waren, Rücksicht ge­

nommen werden. §. 20. Ist es zweifelhaft: ob das Verbrechen vor oder nach der Publikation des neuen Gesetzes vorgefallen sei, so muß, bei Bestimmung der Strafe, das mildere Gesetz zum Gruude der Entscheidung genommen werden. 16. Strafgesetzbuch für das deutsche Reich. §. 2 Abs. 2. Bei Verschiedenheit der Gesetze von der Zeit der begangenen Handlung bis zu deren Aburtheilung ist das mildeste Gesetz anzuwenden.

§. 21. Uebrigens stehen , bei Beurtheilung einzelner Streitfragen, die all­ gemeinen Gesetze den Provinzialgesetzen, diese den besonderen Statuten und diese endlich den auf andere Art wohlerworbenen Rechten nach62). mäßigen Form vom Anfänge an nichtig war, kann in der Folge niemals gültig werden." Beide Satzungen können nicht nebeneinander bestehen. Man hat sie vereinigen wollen dadurch, daß jeder Bestimmung eine andere Beziehung zugeschrieben woroen ist. Das ist jedoch unrichtig: beide betreffen einen und denselben Gegenstand, nämlich die positive Form der Rechtsgeschäfte in Beziehung auf die Zeit. Der Ausdruck „Handlungen" bezeichnet den Gattungsbegriff für alle Rechtsgeschäfte oder juristische Thatsachen, und umfaßt sowohl Verträge als einseitige Rechts­ handlungen. Das O.Tr. I. Sen. hat in dem Pr. 2097 v. 8. Febr. 1849, Entsch. 17 S. 509, ausgesprochen: Die Vorschrift des §. 17 der Einleitung findet auf die Form vonVerträgen keine Anwendung. (H. So auch O.Tr. III v. 10. März 1873, Str. Arch. 88 S. 269.) Der gleiche Ausspruch ist schon vorher von dem IV. Senat am 19. Mai 1848, Str. Arch. 4 S. 106, gethan. Dort wird als Grund behauptet, daß solches aus dem Wesen eines Vertrages folge und auch nach 8- X des Publ.Pat. angenommen werden müsse. Die Bestimmung dieses X ist aber gar nicht auf den Fall, wo ein neues Gesetz eine mildere Form einführt, zu beziehen und hat auch an sich, als eine transitorische, gar nicht die Kraft, einen als bleibend vorgeschriebenen Grundsatz des Gesetzbuchs selbst wieder aufzuheben. Was aber das geltend genmchte Wesen eines Vertrages betrifft, so ist daraus ganz gewiß nicht eine als Bedingung der Gültigkeit vorgeschriebene positive Form (nur von einer solchen handelt es sich) abzu­ nehmen; sonst könnten die positiven Formen von den verschiedenen Gesetzgebern nicht so sehr verschieden und willkürlich vorgeschrieben sein. Auf gültigen Rechtsgründen beruht darnach die Beschränkung der allgemeinen Bestimmung des §. 17 nicht; der Ausspruch ist weiter nichts als der gewiß nicht zu tadelnde Behelf der Praxis, den Widerspruch zu beseitigen. Damit wäre man seiner jedoch erst bei Verträgen ledig, bei einseitigen Handlungen bleibt er stehen. Aber auch in dieser Beziehung trägt die völlig unpraktische Bestimmung die Unwirksamkeit in sich, indem sie „die nach den neueren Gesetzen erforderlichen Förmlichkeiten" fordert. Hieran an­ knüpfend sagt das Erk. des O.Tr. III v. 20. Febr. 1849, Entsch. 18 S. 242: „Ist eine nach älteren Gesetzen zur Gültigkeit eines Rechtsgeschäfts vorgeschriebene Förmlichkeit nicht beobachtet, so wird, wenn ein neueres Gesetz von dieser Förmlichkeit absieht, das früher abgeschlossene Geschäft nicht darum allein, sondern nur dann gültig, wenn alle von dem neueren Gesetze als wesentlich vorgeschriebene Förmlichkeiten beobachtet sind." Nun müßte es doch wohl ein höchst seltener Zufall sein, wenn Jemand eine Rechtshandlung nach anderen als den gerade vorgeschriebenen Förmlichkeiten vollzogen hätte, und die beobachteten Phantasieförmlichkeiten mit denjenigen Formen übereinstimmen sollten, welche ein noch nicht einmal in Aussicht stehendes künftiges Gesetz vorschreiben wird. Auf diese Weise hat die Praxis den Mißgriff der Gesetz­ gebung genügend ausgeglichen. H. Vgl. auch Erk. d. N.O.H.G. II v. 9. März 1872, Entsch. 5 S. 253. Von den Rechtslehrern hält Borne mann den Widerspruch für unlösbar (Syst. 2. Ausg., 1 S. 48, Erört. Heft 1 S. 17; Heydemann beschränkt §. 17 auf einseitige Hand­ lungen (Einl. in das Pr. Civilr. 1 S. 87); Lassalle bezieht §. 17 auf eine Aenderung in der Gesetzgebung u. I. 3 §. 43 auf eine Aenderung in der faktischen Handlung (System der er­ worbenen R. 1 S. 140 ff., 337 ff.). Vgl. Först er-Ec eins tz. 10 unter 2.

51) Durch Art. VII des Einführungsgesetzes zum Strafgesetzbuche v. 14. April 1851. Der §. 18 lautete: „Die Minderung der in einer ältern Verordnung festgesetzten Strafe kommt auch demjenigen Uebertreter zu Statten, an welchem diese Strafe, zur Zeit der Publication des neuern Gesetzes, noch nicht vollzogen war." 52) Kommen verschiedene Territorialrechte innerhalb desselben Gebiets, die nicht neben einander, sondern in dem Verhältnisse der Unterordnung zu einander stehen, in Frage, so gilt die Regel: specialis lex derogat generali, oder Willkür bricht Stadtrecht, Stadtrecht brrcht Landrecht, Landrecht bricht Gemeinrecht. Diese Regel bestätigt der §. 21. Doch leidet die Regel

38 Wen die Gesetze ver­ binden"). Ueberhaupt").

Einleitung.

§§. 22—23.

§. 22. Die Gesetze des Staats54) verbinden alle Mitglieder desselben, ohne Unterschied des StanoeS5B), Ranges und Geschlechts. §. 23. Die persönlichen Eigenschaften und Befugnisse57) eines Menschen werden eine Ausnahme in den besonderen Fällen, wo das allgemeinere Recht absolut gebietende Vor­ schriften giebt, wie z. B. die Bestimmung über den Großjährigkeitstermin. Vergl. Note 3 und 6 zum Publ.-Pat. §§ I u. II. 53) Koch, Abh., Von der Anwendung mehrerer Rechtsquellen (Kollision der Gesetze hinsichts des Ortes), Jur. Zeit. 1833 Kol. 254 ff. 276 ff. 300 ff. 322 ff. 346 ff. 54) Das Gesetzbuch enthält also nur Territorialrecht, und nach diesem Territorialrechte sollen sich Alle ohne Unterschied richten. Der Grund der Rechtsgemeinschaft ist mithin das Staats­ gebiet, nicht die Volksabstammung: nationale Rechte gelten nicht, und der bis in die neuere Zeit geduldete Ueberrest davon, das persönliche Recht der Juden, ist nun auch unter­ gegangen. Verf.Urk. Art. 4 u. 12. Bundes-Ges., betr. die Gleichberechtigung der Konfessionen v. 3. Juli 1869, B G.Bl. 292. — H. Preußische Unterthanen, welche sich im Auslande nieder­ lassen, ohne aus dem Preuß. Staatsverbande auszuscheiden, bleiben den diesseitigen Gesetzen insofern unterworfen, als sie bei dem Gerichte ihres letzten inländischen Wohnorts belangt werden können. O.Tr. IV v. 17. Okt. 1871, Entsch. 66 S. 270.

55) Die besonderen Standesrechte, welche sonst den Personen, die von Geburt oder Ab­ stammung einem gewissen Stande (Klasse von Einwohnern) angehörten, gemeinsam waren, z. B. das Privat-Fürstenrecht, find damit folgerecht völlig beseitigt. S. o. Note 3 zum Publ.Pat. §. I. 56) Ueberh aupt. Unter dieser Ueberschrift gehen die Verfasser über zur Bestimmung der örtlichen Grenzen der verschiedenen, einander widerstreitenden Territorial­ rechte und zur Entscheidung der von diesen Grenzen abhängigen Kollisionen. Sie schließen sich dabei an die damals herrschende Lehre der Statuta personalia, realia und mixta an. Personalstatuten nennt man diejenigen Gesetze, welche hauptsächlich über die persönlichen Zustände Bestimmung treffen; Realstatuten heißen die Gesetze, welche hauptsächlich von un­ beweglichen Sachen handeln; gemischte Statuten sollen Gesetze sein, welche nach Einigen bloß über Handlungen Vorschriften geben, nach Anderen solche, welche sich über Person und Sache zugleich verhalten, oder auch wohl nur solche, welche die Form der Handlungen zum Gegenstände haben (J. Voet. de statutis §. 4); bei der Begrenzung der Begriffe und in der Anwendung aber findet man eine große Menge ganz verschiedener Meinungen, und man hat die Ueberzeugung gewonnen, daß die Lehre wegen ihrer Unvollständigkeit und Unbestimmtheit völlig ungenügend ist, als Grundlage für die Entscheidung der Kollisionsfragen zu dienen, v. Savigny, System 8 S. 123. Das L.R. trifft unter dem Einflüsse dieser Lehre in den §§. 23—35 Bestimmungen über die Kollision der Rechte verschiedener Bezirke; doch find sie, wie zu erwarten, unvollständig und vieldeutig wie ihr Vorbild, daher es zu verwundern wäre, wenn es an der-Verschiedenheit der Meinungen fehlte, auf welche man in der Rechtsanwendung wie in der theoretischen Aus­ legung stößt. (H. Vergl. die Aufsätze von Rintelen in Jahrb. 30 S. 91, Jur. W. 1842 S. 349 ; von S. u. K. in der Jur. Zeit. 1832 S. 711, 734, 755, 766, 829; 1833 S. 250, 276, 300, 322, 346, 443, 775, 798; von Schepers, Hinschius u. Temme in der Jur. W. 1836 S. 437; 1842 S. 249; 1845 S. 49; von Reinhardt in Ulr. Arch. 8 S. 385; ferner Bornemann, Erört. Heft 1 S. 65; v. Bar, das internationale Privat- und Strafrecht, Hannover 1862; v. Kujawa, zur Lehre von der örtlichen Begrenzung u. f. w., in Gruchot 22 S. 516, 831.) — Vorausgesetzt find bei der Fassung dieser Bestimmungen vielleicht nur die Rechte verschiedener Bezirke innerhalb des pr. Landes, indeß sind die Grundsätze auch für die Kollision der einheimischen Rechte mit den Rechten fremder Staaten anwendbar; die Praxis findet solches nicht zweifelhaft. H. Welches Gesetz bei örtlicher Kollision der Rechte anzuwenden, hat der Richter zunächst nach dem an seinem Sitze geltenden Rechte zu entscheiden. R.O.H.G. I v. 13. Febr. 1874 u. III v. 24. Mai 1875, Entsch. 12 S. 414 u. 17 S. 294. 57) Nicht allein die persönlichen Eigenschaften (die Rechtsfähigkeit), sondern auch die Befugnisse zu handeln (die Handlungsfähigkeit oder die Wirkung der Rechtsfähigkeit), sollen nach diesem Rechte beurtheilt werden. Damit ist die Unterscheidung der Rechtsfähigkeit an sich und der Wirkungen derselben, worüber man gemeinrechtlich streitet, verworfen. Vergl. §. 35. (H. Bei Mndern unter­ väterlicher Gewalt ist die Geschäfts- und Handlungsfähigkeit nach'dem Wohnsitz des Vaters zu beurtheilen. R.O.H.G. II v. 20. Jan. 1877, Entsch. 21 S. 330.) Auch die besondere Fähigkeit zu gewissen Rechtshandlungen, namentlich die Fähigkeit der Frauenspersonen zur Uebernahme von Bürgschaften, ist nach dem Personalstatute zu bestimmen, denn die Unterscheidung mancher Schrift­ steller zwischen allgemeiner und b eso nd er er Fähigkeit ist nirgend anerkannt. Vgl. O.Tr. I v. 11. April 1856, Entsch. 32 S. 401. Außer den persönlichen Eigenschaften und Befugnissen, sowie deren Wirkungen, müssen aber, nach allgemeinen Grundsätzen, gleichfalls nach dem Personal­ statute beurtheilt werden:

I.

Von den Gesetzen überhaupt.

39

I. Das Erbrecht, namentlich : 1. die Testamentsfähigkeit, (daher auch die Fähigkeit, ein Fideikommiß zu 'gründen, uttb die gesetzlichen Erfordernisse einer Fideikommißstiftung, wie auch das O.Tr. in dem Erk. I v. 8. Mai 1865, Str. Arch. 60 S. 39, anerkannt hat), und zwar bei Veränderung des Wohnsitzes nach der Testamentserrichtung sowohl nach dem Ortsrechte zur Zeit der Errichtung, als nach den Rechten des letzten Wohnsitzes zur Zeit des Todes; 2. der Inhalt nach dem Personalstatute des letzten Wohnsitzes; 3. die Fähigkeit des Erben und Legatars nach deren eigenem persönlichen Rechte; die Erwerbung der Erbschaft aber richtet sich nach dem Rechte des Erbschaftsforums, O.Tr. I v. 17. Dez. 1855, Str. Arch. 19 S. 186; 4. die Form des Testaments; doch wird hierüber gestritten, indem nach einer anderen Meinung die Regel: locus regit actum, Anwendung finden soll. v. Savigny, System 8 S. 365. Das L.R. bestimmt darüber nichts; die Praxis hat sich in letzter Instanz für diese andere Meinung ent­ schieden. S. unten Anm. 71 Nr. IV. 5. Die Jntestaterbfolge, nach I. 12 §. 537; II. 1 §. 495; Anh. §. 78. Wegen des §. 32 der Einl. wird der Grundsatz bestritten von Bornemann, Pr. R! (2. A.) 2 S. 54. Allein diese Stelle bezieht sich auf Handlungen unter Lebendigen, und das Pr. R. kennt nicht mehrere Erbschaften, sondern nur Eine Erbschaft eines Verstorbenen (A. G.O. I. Tit. 2 §. 121), was nicht passen würde, wenn der §. 32 eine Vorschrift für die Erb­ folge enthalten sollte. Auch v. Savigny a. a. O. S. 316 führt den Beweis für die Wahr­ heit unserer Lehre. Vergl. unten Anm. 69 zu §. 32. 6. Erbverträge wie Testament. II. Das Familienrecht, namentlich: 1. Die Ehe mit ihren Folgen und Wirkungen, nach dem Personalstatute des Mannes (II. 1 §. 369), mit Ausschluß der Form der Eingehung, wobei zwar die Gesetze des Ortes, wo man sich verbindet, in Betracht kommen, doch aber auch die Ehe in der Form, welche an dem Orte, wo die Eheleute ihren Wohnsitz nehmen wollen, vorgeschrieben ist, gültig vollzogen werden kann. Seuffert, Archiv 2 Nr. 5. (H. Das eheliche Güterrecht wird im Allgemeinen durch den ersten Wohnsitz der Eheleute dauernd bestimmt. O.Tr. I v. 5. Febr. 1872, Str. Arch. 86 S. 46; IV v. 11. März 1873, Entsch. 69 S. 103. Die besonderen Wirkungen der Ehescheidung aber bestimmen sich nach dem Rechte desjenigen Wohn­ sitzes, welchen die Eheleute zur Zeit der Rechtskraft des Scheidungsurtheils hatten. R.G. IV v. 27. Mai 1881, Entsch. 5 S. 193.) 2. Das Verhältniß zwischen Eltern und Kindern, bei ehelichen Kindern nach dem Personalstatute des Vaters; bei unehelichen nach dem des Kindes. In Beziehung auf uneheliche Kinder sind die Meinungen der Schriftsteller wie der Gerichte, sowohl nach Gemeinen als nach Preuß. Rechte verschieden. Eine Meinung führt die Ansprüche aus der unehelichen Zeugung auf ein Delikt (Reichs Pol.-O. 1530 Tit. 33, 1548 Tit. 25, 1577 Tit. 26) zurück und will deshalb auf das am Orte der Klage geltende Gesetz sehen, weil das Gesetz ein zwingendes, streng positives sei. v. Savigny 8 S. 278. Diesen Charakter hat das französische; die franz. Gerichte nehmen daher eine solche Klage nicht an: das franz. Recht erkennt einen solchen Anspruch gar nicht an und verbietet die Erörterung desselben. Wo aber, wie in Deutsch­ land, der Anspruch an sich rechtliches Dasein hat und die Gesetze verschiedener Länder nur über den Umfang oder über die Bedingungen von einander abweichen, da ist der Charakter derselben als ein positiv gebietender nicht zur Anerkennung gekommen. Daher urtheilen die Gerichte über die Frage: welches Recht zur Anwendung zu bringen, verschieden; die Einen sehen auf den Ort der Klage, wie bei Delikten (Seuffert, Arch. Bd. 2 Nr. 4), die Anderen auf den Ort des Beischlafs (ebd. Bd. 1 Nr. 153, Bd. 2 Nr. 118). Dabei wird zwischen den Ansprüchen der Geschwächten und den Rechten des Kindes nicht unterschieden. Anders nach Pr. Rechte. Anfangs vermischte man auch hiernach, auf Grund des §. 37 Tit. 3 Th. I L.R., beiderlei Ansprüche. In neuerer Zeit aber ist die Unter­ scheidung, sowohl bei Schriftstellern als in den Gerichten, klar und bestimmt hervorgetreten und die Praxis hat sich nunmehr für die Lehre entschieden, wonach die Rechte des Kindes gegen seinen Er­ zeuger als Folgen und Wirkungen der persönlichen Eigenschaften (des Statuts) eines Menschen an­ zusehen und nach dem Personalstatute des Kindes zu beurtheilen sind. Hierauf gründet sich der Pl.-Beschl. des O.Tr. v. 31. Nov. 1849 (Pr. 2158), Entsch. 18 S. 29: „Aus einer Schwänge­ rung, welche an einem Orte, wo französisches Recht gilt, stattgefunden hat, steht dem daraus unter der Herrschaft des französischen Rechts geborenen und domizilirenden Kinde gegen den Schwängerer ein rechtlicher Anspruch auch dann nicht zu, wenn dieser nach dem Beischlafe seinen Wohnsitz aus dem Orte des französischen Rechts nach einem Orte verlegt, wo das L.R. gesetzliche Kraft hat." Hiermit stimmt der Satz, welcher einem späteren Erk. I v. 1. Nov. 1850, Entsch. 20 S. 300, vorangestellt ist, und so lautet: „Die Alimentationspflicht des Vaters in Beziehung auf die von seinem Sohne erzeugten außerehelichen Kinder ist nach den Gesetzen des Orts zu beur­ theilen, in welchem die Schwängerung erfolgt ist," nicht überein. Das beruhet aber auf einer unrichtigen Auffassung und Fassung; der Satz ist ein Privaterzeugniß, kein von dem O.Tr. ausgehendes Präjudiz; die Gründe der Entscheidung aber sind eben die des Pl.-Beschl. v. 21. Nov. 1849 und enthalten nichts von der Anwendung des örtlichen Rechts der Schwängerung, sondern sprechen von dem Wohnsitze der Mutter und des Kindes. Noch in dem Erk. des O.Tr. v. 3. Dez. 1851, Str. Arch. 4 S. 143, ist der Plenarbeschluß dahin angewendet worden, daß die Rechte des unehelichen Kindes gegen seinen Vater als durch die Gesetze des Geburtsortes (richtiger: nach den Gesetzen des sich nach dem Domizil der Mutter zur Zeit der Niederkunft

40

Einleitung.

§§. 23 - 25.

nach den Gesetzen der Gerichtsbarkeit berurtheilt, unter welcher derselbe seinen eigentlichen Wohnsitz 68) hat. bestimmenden Domizils^ des Kindes bestimmt erachtet worden sind, wenngleich der Vater diesen Gesetzen nicht unterworfen, was allerdings bei unehelichen Kindern ein gleichgültiger Umstand ist. Allein jener Plenarbeschluß v. 21. Nov. 1849 (Pr. 2158) ist später durch einen Pl.-Beschl. v. 1. Febr. 1858 wieder umgestoßen. Dieser Pl.Beschl. hat nach einer langen Diskussion gegen das Votum beider Referenten den Satz als Rechtssatz zu Tage gefördert: „Das Recht eines unehelichen Kindes gegen seinen Vater auf Alimente wird in dem Falle, wo die Mutter des Kindes bei dessen Geburt den Wohnsitz, welchen sie zur Zeit ihrer präsumtiven Schwängerung inne gehabt, aufgegeben hatte, nach dem Gesetze ihres Domizils zur Zeit der Schwängerung beurtheilt." (J.M.Bl. S. 115, Entsch. 37 S. 1 u. Präj. S. 3 S. 1.) Wieder angewandt in dem Erk. I v. 1. Nov. 1861, Entsch. 47 S. 55. Da die Zeit der präsumtiven Schwängerung so geräumig ist, daß die Mutter in Grenzorten ein Dutzend Mal ihren Wohnsitz ändern kann, so ist der Satz sehr bedenklich. In diesem Falle hilft sich das O.Tr. mit dem Satze: non deficit jus, sed probato, und sagt: „Liegt der Klägerin aber zur Begründung ihrer Klage der Beweis ob, daß die von ihr erhobenen Ansprüche durch das am Orte der Schwängerung geltende Recht geschützt seien, so muß ihre Klage an dem Umstande scheitern, daß es eben ungewiß ist, ob die Schwängerung auf der linken Rheinseite, deren Gesetzgebung seinen An­ sprüchen entgegensteht, oder auf dem Gebiete des Ostrheines, wo solche durch das örtliche Recht geschützt sein würden, stattgefunden hat, und es somit an dem Beweise des entfernten Klage­ grundes (fundamentum remotum) fehlt. Erk. V v. 19. Juni 1866, Str. Arch. 63 S. 252. Es ist weiter in dieser Beziehung, als Ausnahme von der Regel des §. 23, auch angenommen, daß es nicht sowohl auf den Wohnsitz der Geschwängerten im streng rechtlichen Sinne ankomme, als vielmehr darauf, daß sie während der Empfängnißzeit einen dauernden Aufent­ halt an dem Orte, wo die Schwängerung vorgefallen, namentlich als Dienstbote, gehabt. Erk. I v. 15. April 1859, Str. Arch. 33 S. 141. (Vgl. die Bemerkung von Hinschius in der Pr.Anw. Z. 1863 S. 159.) Dieser Grundsatz findet jedoch nur dann Einwendung, wenn da, wo die Schwängerung stattfand und die Geschwängerte diente, die K.O. v. 4. Juli 1832 und v. 5. Dez. 1835 Gesetzeskraft haben. Erk. dess. v. 12. Sept. 1859, Str. Arch. 35 S. 43, v. 29. Juni 1863, Entsch. 50 S. 311, v. 19. Juni 1866, Str. Arch. 63 S. 250, u. v. 24. Sept. 1869, Entsch. 62 S. 1. (H. In dem Erk. des O.Tr. I v. 25. Febr. 1876, Entsch. 77 S. 69, ist angenommen, daß die Ansprüche eines unehelichen Kindes an den natürlichen Vater in dem Falle, wenn zwar die Schwängerung der Mutter und die Geburt des Kindes in Elsaß-Lothringen während eines Dienstverhältnisses der Mutter daselbst stattgefunden, dieselbe aber damals ihren ordentlichen persönlichen Gerichtsstand innerhalb des Rechtsgebietes des L.R. gehabt hat, nach dem preu­ ßischen Rechte zu beurtheilen sind.) — Als Ausfluß der Statusrechte müssen folgerecht mit der zeitlichen und örtlichen Veränderung des Personalstatuts sich auch die „Befugnisse" des Kindes ändern. Hinsichtlich der zeitlichen Veränderung ist solches von der Gesetzgebung in der That ausgesprochen, denn das Patent v. 9. Sept. 1814 §. 11 u. v. 9. Nov. 1816 §. 14 erkennen den unehelichen Kindern, welche bis dahin unter der Herrschaft des franz. Rechts gelebt haben, die Rechte, welche ihnen das L.R. giebt, mit dem Tage der Einführung des L.R. zu; das Gleiche muß, wegen Gleichheit des Grundes, auch bei örtlichen Veränderungen gelten, so daß, wenn z. B. ein uneheliches Kind seinen Wohnsitz aus dem Bezirke des franz. R. in den des L.R. verlegt, von diesem Zeitpunkte an ihm die Rechte der unehelichen Kinder gegen seinen Vater zustehen. Ob es solche geltend machen kann, oder nicht, hängt von den Gesetzen des Wohnsitzes des Vaters ab. Wohnt er unter dem franz. Rechte, so ist es unmöglich bei einem franz. Gerichte, wegen des positiven Verbotsgesetzes; wohnt er unter einem Rechte, welches die Ansprüche des Kindes aus dem Status anerkennt, so können dieselben geltend gemacht werden. Der V. (rheinische) Senat des O.Tr. hat in Bezug hierauf ausgesprochen, daß die Geltendmachung und Durchführung der einem unehelichen Kinde an dem Orte seiner Geburt auf Grund der dort geltenden Gesetze gegen seinen Erzeuger zustehenden Ansprüche an einem anderen Orte nur unter der Voraussetzung stattfinde, daß auch an diesem Orte jene Ansprüche gesetzlich anerkannt sind. Erk. v. 23. Sept. 1856, Str. Arch. 22 S. 205. III. Der st aats rechtliche Status (status publicus), d. h. der Inbegriff der Eigen­ schaften und Fähigkeiten, welche eine Person haben muß, um nach den Grundsätzen des öffent­ lichen Rechts an der Gesetzgebung oder der Regierung und Verwaltung des Staats theilnehmen zu können, gehört nicht in die Sphäre des Privatrechts, daher kann dabei die Frage von der Kollision der Statuten nicht in Betracht kommen; das öffentliche Recht eines jeden Staats ist absolut und ausschließlich maßgebend. 58) Wohnsitz heißt der bleibende Mittelpunkt der Lebensverhältnisse und Geschäfte einer physischen Person. (H. Daß man an einem Orte eine Wohnung hat, ist noch nicht entscheidend. O.Tr. I v. 5. Febr. 1872, Str. Arch. 86 S. 46.) Juristische Personen können keinen natürlichen Wohnsitz haben: man schreibt ihnen jedoch wegen des Bedürfnisses, einen gewissen Gerichtsstand

I.

Von den Gesetzen überhaupt.

41

17. Verordnung über die Aufhebung der Privatgerichtsbarkeit und des eximirten Gerichtsstandes rc. Vom 2. Januar 1849 (G.S. S. 1). §. 15. So lange in einzelnen Provinzen noch besondere Provinzial- oder statutarische Rechte bestehen, welche auf die nach den zeitherigen Bestimmungen vom ordentlichen Gerichts­ stände eximirten Personen und Sachen nicht Anwendung gefunden haben, bleibt diese Anwendung für solche Personen und Sachen auch ferner ausgeschlossen.

§. 24. Eine bloße Entfernung aus seiner Gerichtsbarkeit, bei welcher die Ab­ sicht, einen andern Wohnsitz zu wählen, noch nicht mit Zuverlässigkeit erhellet, ver­ ändert die persönlichen Rechte und Pflichten dieses Menschen nicht, §. 25. So lange Jemand noch keinen bestimmten Wohnsitz Ijcit59a), werden derselben zu begründen, einen künstlichen Wohnsitz zu. Ist ein solcher nicht bei der Gründung der juristischen Person festgestellt, so ist der Sitz des Geschäftsbetriebes derselben dafür anzu­ nehmen. Ueber die Art, wie der Wohnsitz erworben und wieder aufgehoben wird, s. Koch, Priv. Recht §. 219. — Wirkungen des Wohnsitzes sind,, sowohl nach Röm. als nach heutigem Rechte, außer den Ortslasten, Gerichtsstand (forum domicilii) und Rechtsgenossenschaft. Allein beide Wirkungen haben in den heutigen, oder richtiger in den im LR. vorausgesetzten, staat­ lichen Zuständen andere Beziehungen: weder der Wohnsitz macht nothwendig, wie nach R. R., immer zum Mitgliede der Ortsgemeinde, noch bezieht sich der Gerichtsstand auf die Obrigkeit des Stadt- oder Ortsgebiets, sondern auf die eines Gerichtsbezirks. Die s. g. Eximirten waren nicht der Gerichtsbarkeit der Ortsobrigkeit unterworfen. II. 8 §§. 6 u. 62. Der Wohnsitz macht also zwar das ihm eigenthümliche Recht (lex domicilii) zur Eigenschaft der Person, dieses Recht ist aber nicht das des Ortes, sondern das der Gerichtsbarkeit, welcher die Person vermöge ihres Wohnsitzes und ihrer übrigen persönlichen Eigenschaften unterworfen ist. Dieses ist es, was der 23 sagt. Innerhalb eines Gebietes konnten sonst viele Gerichtsbarkeiten vorkommen, deren Entstehungsgründe und Grenzen sehr verschiedenartig waren. Das Jahr 1848 hat hierin eine große Veränderung zur Folge gehabt: die standesherrliche, städtische und Patrimonialgerichtsbarkeit jeder Art in Eivil- und Strafsachen, sowie die geistliche Gerichtsbarkeit in allen weltlichen An­ gelegenheiten ist aufgehoben; die Gerichtsbarkeit wird überall nur durch vom Staate bestellte Gerichtsbehörden ausgeübt. B. v. 2. Jan. 1849 §. 1, G.S. S. 1. Seitdem giebt es in den geographisch abgegrenzten Kreisen und Bezirken nur Eine Gerichtsbarkeit. Allein die besonderen Rechte, welche in den aufgehobenen Gerichtsbarkeiten mit verschiedenartigen Grenzen in dem­ selben geographischen Bezirke galten, und nach welchen die persönlichen Eigenschaften und Befugnisse der, mit fremden Gerichtsangehörigen in demselben Stadt- oder Landbezirke vermischt wohnenden Gerichtseingesessenen bestimmt wurden, sind beibehalten. (Zus. 15 zu §. 23.) Der §. 23 ist nun nicht mehr nach seinem Wortlaute anwendbar, sondern es muß festgestellt werden, welcher Ge­ richtsbarkeit eine Person angehören würde, wenn jene Sondergerichtsbarkeiten nicht aufgehoben worden wären, um hiernach das auf sie anwendbare Lokalstatut zu ermitteln. — Der Grundsatz, daß die persönlichen Rechte durch den Wohnsitz bestimmt werden, gilt ohne Unterschied des Staatsverbandes oder Unterthanenverhältnisses, der Inländer und Ausländer. (H. Vgl. Johow Jahrb. 7 S. 134.) — Das Gesetz v. 31. Dez. 1842 (GS. 1843 S. 15) betrifft nicht das Privat­ recht, sondern staatsrechtliche Verhältnisse. 59) Wird aber ein anderer Wohnsitz erworben, so verändern sich damit auch die persönlichen Rechte. Das ist der Gegensatz der Bestimmung. Das Aufgeben des Wohnsitzes allein, ohne die Erwerbung eines neuen, hat diese Wirkung nicht, vielmehr bleiben die persönlichen Rechte nach dem Statut des aufgegebenen Wohnsitzes bis zur wirklichen Begründung eines neuen Wohn­ sitzes unverändert, weil eben bis dahin noch keine Veränderung eingetreten ist. Der folgende §. 25 der Einleitung bezieht sich auf den Fall, wo die Person noch überhaupt keinen, von ihrer Herkunft verschiedenen Wohnsitz begründet hat. Ist dieses geschehen, so ist damit das Recht der Herkunft verändert und kann nicht^von selbst wieder entstehen. Der Satz aber, daß die persön­ lichen Rechte sich mit dem Wohnsitze ändern, hat keine Anwendung auf schon erworbene Be­ fugnisse, namentlich nicht auf die schon erworbene Selbstständigkeit und Handlungsfähigkeit (Volljährigkeit). Diese geht nicht wieder verloren, wenn ein für großjährig Erklärter, oder nach dem Rechte seines Wohnsitzes mit Zurücklegung des 20sten Jahres großjährig Gewordener einen neuen Wohnsitz an einem Orte nimmt, wo die Minderjährigkeit länger dauert. Hierüber sind Schriftsteller und Praxis einig. Einige gemeinrechtliche Schriftsteller, z. B. Lauterbach, de domicilio §. 69; Hert, de collisione legum §. 5 i. f., waren anderer Meinung. 59a) Damit ist ein Wohnsitz gemeint, welchen eine Person sich selbstständig errichtet hat. Wenn Jemand zu der Zeit, wo es darauf ankommt, keinen solchen Wohnsitz hat, so ist die Ur­ sache davon entweder, daß er den erworben gehabten Wohnsitz wieder aufgegeben und noch keinen neuen gegründet hat. Für diesen Fall ist der §. 24 der Einl. bestimmend. S. die vorige Rote. Oder er hat überhaupt noch keinen eigenen Wohnsitz gehabt. Auf diesen Fall bezieht sich dieser §. 25.

42

Einleitung.

§§. 25—28.

seine persönlichen Rechte und Verbindlichkeiten nach dem Orte seiner Herkunft *0) beurtheilt. 18. Deklaration vom 31. März 1839. (G.S. S. 155.). Wir 2c. erklären. . . das; bei minderjährigen oder unter väterlicher Gewalt stehenden Militairpersonen, imgleichen bei denjenigen, welche lediglich zur Erfüllung der allgemeinen Militairpflicht in den Dienst getreten sind, so weit es auf ihre persönlichen Eigenschaften und Befugnisse (jura status), so wie auf die Erbfolge in ihren Nachlaß ankommt, nicht der Ort ihrer Garnison, sondern ihr eigentlicher Wohnsitz (§§. 9. und 14. Titel 2. Theil I. der Allgemeinen Gerichtsordnung)

oder in Ermangelung eines solchen der Ort ihrer Herkunft beachtet werden soff.61)

§. 26. Ist der Ort seiner Herkunft unbekannt, oder außerhalb der Königlichen Lande 62), jo gelten die Vorschriften des allgemeinen Landrechts, oder die besonderen Gesetze seines jedesmaligen Aufenthaltes, so wie nach den einen, oder den andern, eine von ihm unternommene Handlung am füglichsten bestehen kann. §. 27. Hat Jemand einen doppelten Wohnsitz63), so wird seine Fähigkeit zu handeln, nach den Gesetzen derjenigen von beiden Gerichtsbarkeiten beurtheilt, welche Bei bcweqli- ™ Gültigkeit des Geschäfts am meisten begünstigen. theil Sachen. §. 28. Das bewegliche Vermögen eines Menschen wird, ohne Rücksicht seines gegenwärtigen Aufenthaltes, nach den Gesetzen der ordentlichen Gerichtsbarkeit desselben beurtheilt^). (§. 23. sqq.) 60) Darunter ist nicht der Geburtsort zu verstehen, sondern die origo oder der Ort, an welchem zur Zeit der Geburt des Menschen, oder im Falle der Veränderung zur Zeit der Be­ endung der väterlichen Gewalt über ihn, der eheliche Vater desselben seinen Wohnsitz hatte. A.G.O. I. 2 17—20; L.R. II. 2 §. 60. Der Grund ist, weil das Kind den Wohnsitz des Vaters theilt. Das Gleiche gilt von Ehefrauen, welche den Wohnsitz des Ehemannes haben (A.G.O. I. 2 §. 87; L.R. II. 1 175, 679. Domicilium matrimonii. L. 5 D. de ritu nupt. XXIII, 2: L. 65 D. de jud. V, 1; L. 9 C. de incolis; L. 38 §. 3 D. ad munic. L. 1) und nach Auflösung der Ehe, bis zur willkürlichen Veränderung, auch behalten. (A.G.O. I. 2 §. 90; L R. II. 1 §. 738; L. 22 §. 1 D. ad mun.) Uneheliche Kinder haben, so lange sie nicht legitimirt sind, den Wohnsitz der Mutter. (A.G.O. I. 2 21 u. 99; L.R. II. 2 §. 640.) Desgleichen haben selbstständige Dienstboten und Hausofficianten den Wohnsitz ihrer Herrschaft. (A.G.O. I. 2 §. 13; L.R. I. 1 §. 4. Pr. des O.Tr. 489 v.25. Juni 1838. Das scheinbar entgegenstehende Gesetz v. 31. Dez. 1842 §. 2, G.S. 1843 S. 8, betrifft bloß politische Verhältnisse.) — H. Vgl. Civ.Pr.O. §§. 13. 18.' 61) H. Ueber den Gerichtsstand der Militärpersonen vgl. Reichs-Militärgesetz v. 2. Mai 1874 (R.G.Bl. S. 45) u. Civ.Pr.O. §§. 14. 15. 21, sowie Entsch. d. R.O.H.G. 21 S. 330. 62) Diese Ausnahme von ber Regel ist erst in Folge von Erinnerungen gegen den Ent­ wurf ausgenommen, um eine praktische Schwierigkeit zu beseitigen, welche aus der Unbekannt­ schaft mit dem im Auslande geltenden Rechte bei uns entstehen möchte. (Bornemann, System 1 S. 202, Anm.) Warum jedoch nur für den Fall, daß der Ort der Herkunft des Fremden außerhalb Landes ist, die Ausnahme gelten soll, ist nicht ersichtlich, da der Grund ebenso dann zutrifft, wenn der Wohnsitz außerhalb Landes ist. Der §. 35 der Einl. giebt die gleiche Vorschrift auch für diesen Fall, doch mit der Einschränkung auf Verträge über Gegenstände, welche sich hier im Jnlande befinden. Im Uebrigen bleibt es sonach bei der Regel, daß die Handlungsfähigkeit der Fremden nach dem Rechte ihres Wohnsitzes, wenn sie einen Wohnsitz haben, zu beurtheilen ist. 63) Für diesen Fall muß ein anderer Grundsatz gelten, als für den Gerichtsstand an­ genommen ist. A.G.O. I. 2 §. 5. Nach allgemeinen Rechtsgrundsätzen müßte das Recht des ersten Wohnsitzes für die Rechts- und Handlungsfähigkeit der Person bestimmend sein, weil dieses erste persönliche Recht durch die Erwerbung eines zweiten gleichzeitigen Wohnsitzes nicht verändert wird. Das behauptet auch Savigny, System 8 S. 101. ' Der §. 27 trifft aber eine andere Bestimmung, um unternommene Rechtsgeschäfte möglichst aufrecht zu erhalten. Vergl. §. 35. Für die Jntestaterbfolge aber ist dieselbe unmöglich, hier kann nur das eine Recht ausschließend entscheiden, und dieses ist das älteste. Die Analogie aus II. 18 §. 58 ist wegen Ungleichheit des Gegenstandes unzulässig. H. Nach O.Tr. I v. 16. Sept. 1878, Entsch. 82 S. 162 bestimmt sich der Pflichttheil bei doppeltem Wohnsitz des Testators nach dem Rechte des Domi­ zils, an welchem der letztere sich bei seinem Tode aufgehalten hat. 64) In der Zeit der Entstehung des L.R., wo die Unterscheidung zwischen Personal- und Realstatuten herrschte, machte man allgemein einen Unterschied zwischen beweglichen und un-

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Von den Gesetzen überhaupt.

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beweglichen Sachen. Auf bewegliche Sachen sollte nicht die lex rei sitae, sondern die lex domicilii Anwendung finden, indem man fingirte, daß bewegliche Sachen immer so an­ gesehen werden müßten, als befänden sie sich am Wohnsitze der Person. Dies findet sich oft durch die Formel ausgedrückt: mobilia ossibus inhaerent. Neuere Schriftsteller verwerfen diese Unterscheidung wegen ihrer inneren Haltlosigkeit und Inkonsequenz. Das L.R. hat diese Lehre angenommen; die Bestimmungen sind jedoch ungenügend zur Erledigung der praktischen Fragen, welche aus den mannigfachen Beziehungen im Rechtsverkehre entstehen. Die Unter­ scheidung hat ursprünglich ihren Sitz im Erbrechte. Dieses bestimmt sich nach dem Rechte des Wohnsitzes des Erblassers. Die Vertheidiger der Unterscheidung wollen dies nur in Beziehung auf den Mobiliarnachlaß gelten lassen, auf unbewegliche Sachen aber die lex rei sitae an­ gewendet wissen. Daraus erklären sich die Ausdrücke „das bewegliche Vermögen", „Mobiliar­ vermögen", in den §§. 28, 30, 31. Von dem Erbrechte hat man dann die Unterscheidung auf die Rechte an einzelnen Sachen übertragen. Dieser Übertragung sind die Verfasser des L.R. nicht gefolgt; nur der §. 29 spricht von einer einzelnen Sache. Die Fassung der §§. 28—32 ist nun so ausgefallen, daß es zweifelhaft ist: ob von dem Inbegriffe oder von einzelnen Rechten gehandelt wird. Man ist indeß jetzt ziemlich allgemein einig darüber: daß diese Bestimmungen sich nicht auf das Erbrecht, sondern auf Rechte an einzelnen Sachen beziehen. S. o. Rote 30 zu §. 23. Die Fassung ist jedoch so allgemein und unbestimmt, daß darnach eine sichere Behanolung der verschiedenen Rechte an Sachen nicht möglich ist. Man muß unterscheiden. Zu­ vörderst sind die- obligatorischen Rechte abzusondern. Diese gehören nicht zu dem „beweg­ lichen Vermögen eines Menschen" im Sinne des §. 28. Das ergiebt die Theorie, welche das L.R. zu der seinigen macht, unzweifelhaft, und ist auch von der Praxis angenommen. Pr. des O.Tr. 903 v. 25. Juli 1840. Die Bestimmungen beziehen sich also nur auf dingliche Rechte. Diese sollen nach der lex domicilii „des Menschen" beurtheilt werden, namentlich also auch deren Erwerbung und Verlust. Unter diesem Menschen ist sicher der Eigenthümer der Sache verstanden, und bei Uebertragungen wohl der bisherige Eigenthümer. Wenn aber das Eigen­ thum streitig ist? Dann wird der Besitzer dafür genommen werden müssen. Und wenn die Sache keinen Eigenthümer und keinen Besitzer hat? Dann muß die lex rei sitae bestimmend sein. Ob z. B. Eigenthum durch Okkupation zu erwerben möglich ist, kann nicht nach der lex domicilii entschieden werden. 1. Eigenthumsübertragung soll sich nach der lex domicilii richten. Das L.R. erfordert Uebergabe, das franz. Recht nicht. Verkauft ein Pommer eine ihm gehörige Sache, welche sich in Köln befindet, so hat der Käufer eher nicht das Eigenthum erworben, als bis ihm die Sache übergeben worden ist; verkauft ein Kölner eine dort befindliche Sache einem Pommern, so erwirbt dieser sofort Eigenthum durch Abschluß des Kontrakts. — Bei der er­ werbenden Verjährung durch Besitz fällt die lex domicilii mit der lex rei sitae zusammen, wenigstens in der Regel. 2. Auf die Gebrauchs- und Nutzungsrechte an beweglichen Sachen wird die lex domicilii des Bestellers angewendet. 3. Das Pfandrecht soll nach der Vorschrift des §. 28 nach demselben Rechte behandelt werden. Das führt jedoch zu Widersinnigkeiten. Denn ein Bewohner von Neuvorpommern kann nach seiner lex domicilii an einer beweglichen Sache Pfandrecht durch bloßen Vertrag bestellen; das L.R. kennt kein Vertragspfandrecht ohne Uebergabe (I. 20 §§. 111, 105). Jener müßte daher an seiner in Breslau befindlichen Sache durch bloße acceptirte Willenserklärung, nicht allein am Orte Breslau selbst, sondern sogar an seinem Wohnorte ein Pfandrecht bestellen können, dergestalt, daß dasselbe gegen jeden Dritten mit der dinglichen Pfandklage verfolgbar wäre. Das wird verneint werden müssen. Wenn der Fall aber der ist, daß eine in Vorpommern durch Vertrag gültig verpfändete Sache in den landrechtlichen Bereich kommt, kann da das einmal gültig entstandene dingliche Recht gegen jeden Dritten verfolgt werden? Diese Frage haben sich'auch die Verfasser des L.R. vorgelegt. Ein Monent hatte die Unterscheidung der beweglichen und unbeweglichen Sachen getadelt. Dazu bemerkte von Grolmann: „Halte ich für erheblich. Z. E. es ist an vielen Orten Rechtens, daß eine Generalhypothek auch Mobilien afficirt. Wenn nun ein Fremder seine mit einer solchen Hypothek beschwerte Uhr in Berlin verkauft, würde man dem fremden Pfandgläubiger verstatten, actionem hyp. anzustellen?" Suarez erwiderte: „Ich halte das Monitum gegen die Meinung des Herrn v. G. für unerheblich. Nur allein bei Verträgen, die von einem Ausländer über Mobilien, die sich innerhalb Landes befinden, im Lande geschlossen werden, würde ich annehmen, daß die Wirkungen desselben nach den LL. fori contractus zu beurtheilen sind. Z. E. es stirbt ein Hamburger, welcher bewegliches Vermögen in Berlin hat, so muß doch wohl die Succession in dies Vermögen nach den Hamburger Gesetzen beurtheilt werden. Aber der Hamburger ver­ kauft in Berlin seine bei sich habende Uhr, so sind die Wirkungen des Kaufs nach den Berliner Gesetzen zu beurtheilen." (Mat. Bd. 80, Abschr. Bd. 1 Bl. 31 und Ges.Nev.Mot. z. Einl. S. 112.) Eine Entscheidung findet sich nicht. Die Aeußerungen zeigen, daß man über die Be­ ziehung der lex rei sitae unklar war, das Beispiel des Verkaufs ist nicht aus dem Sachenrechte, sondern aus dem Obligationenrechte; doch erhellet so viel, daß man auf unsern Fragefall die lex domicilii für unanwendbar hielt. Das ist das Richtige, deshalb, weil das Preuß. R. das Institut des Vertragspfandrechts nicht kennt und folglich in seinem Gebiete nicht schützt; denn

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Bei unbcwestlichen Sachen.

Einleitung.

§§. 29—33.

§. 29. Bei einer doppelten Gerichtsbarkeit haben die Rechte des Orts, wo sich die Sache befindet, den Vorzug65). §. 30. Ist aber in einem solchen Falle (Z. 29.) das Mobiliarvermögen , zur Zeit der sich darauf beziehenden Handlung, an einem dritten Orte60), so finden die Gesetze desjenigen Ortes Anwendung, welche dem gemeinen Rechte der Preußischen Staaten am nächsten kommen. §. 31. Das bewegliche Vermögen eines Menschen, der keinen bestimmten Wohnsitz hat, wird nach den Gesetzen seines jedesmaligen Aufenthaltes6?), jedoch mit Rücksicht auf seinen persönlichen Standß8) beurtheilt. §. 32. In Ansehung des unbeweglichen Vermögens gelten, ohne Rücksicht auf die Person des Eigenthümers, die Gesetze der Gerichtsbarkeit, unter welcher sich dasselbe befindet69). dieses (ein Hppothekenrecht) ist wesentlich ein anderes als das Faustpfand (pignus). Vergl. v. Savigny 8 S. 197. Der Fall zeigt, daß von der abstrakten und unbestimmten Satzung des §. 28' abgesehen, und in jedem einzelnen Falle der anwendbare Rechtssatz nach allgemeinen Grundsätzen gefunden werden muß. Namentlich wird auch der Besitz, dessen Erwerb und Verlust, nicht nach der lex domicilii „des Menschen" — man weiß hier in der That nicht: ob des bis­ herigen Besitzers, oder des neuen Erwerbers, — sondern nach der lex rei sitae zu beurtheilen sein. H. Aus der Praris vergl. die Erk. des O.Tr. III v. 16. Mai 1856, Entsch. 32 S. 353, und v. 13. Nov. 1868, Str. Arch. 73 S. 72. 65) Die Bestimmung zeigt, daß man nicht an die Verlassenschaft und das Erbrecht, sondern an Rechte an einzelnen Sachen gedacht hat, denn unmöglich ist anzunehmen, daß man hierdurch eine mehrfache Universalsuccession in das Mobiliarvermögen hat verschreiben wollen. 66) Z. B. Kaufmannswaaren, welche der Eigenthümer außerhalb seines Wohnortes nieder­ gelegt hat. Ein Gutsbesitzer, welcher einen Wohnsitz unter dem L.R. und einen unter dem franz. N. hat, hat in Stralsund Getreide ausgespeichert und will es verpfänden. In tztralsund gilt das gemeinrechtliche Vertragspfand, nach franz, und preuß. Rechte nur das Faustpfand; aber die Erwerbungsart ist nach dem Code civil Art. 2076 ganz anders als nach Pr. R.: ohne Ab­ fassung einer Urkunde und ohne deren Einr eg istrirung kann kein Pfandrecht bestellt werden. Welches ist nun das dem pr. R. am nächsten kommende? Sind die Rechtsinstitute als das Wesentliche bestimmend, so muß das fr. R. zur Anwendung kommen. Dann aber ist die Ver­ pfändung in Stralsund wegen der Erwerbungsart unausführbar. Die Bestimmung ist also un­ praktisch. Noch weit schwieriger wird die Anwendung derselben, wenn die Sache zur Zeit der sich darauf beziehenden Handlung auf dem Transport, vielleicht auf der Eisenbahn ist, auf welcher die Sache während der Handlung mehrere Landgebiete mit verschiedenen Rechten durch­ laufen kann. Zur Entscheidung dieses Falles, hat das L.R. keinen Grundsatz. Soll die Regel des §. 28 (die lex domicilii) angewendet werden, so hat man die Wahl zwischen dem Rechte des ältesten der beiden Wohnsitze und der Analogie nach §. 27. Das Erstere ist nach allge­ meinen Rechtsgrundsätzen das Richtige; das Andere entspricht mehr den wohlwollenden Zwecken des L.R-, die unternommenen Rechtsgeschäfte gegen Ungültigkeit zu sichern. 67) Nach dem Grundsätze des §. 28 sollte das Recht des Ortes der Herkunft oder des letzten eigenen Wohnsitzes zur Anwendung kommen. §§. 24 u. 25. Die abweichende, als Aus­ nahme anzusehende Vorschrift dieses §. 31 bezweckt praktische Erleichterung; sonst giebt es dafür keinen zwingenden inneren Grund. 68) Nämlich ob er zu einer Klasse von Personen gehört, die sonst eximirte waren. S. o. Note 57 zu §. 23. 69) Das Pr. 663 des O.Tr. I v. 17. Mai 1839 sagt: „Unter den Gesetzen des fori rei sitae sind eigentliche Realstatuten zu verstehen, d. h. solche, welche speziell auf Immobilien sich beziehende Vorschriften enthalten." Gegen die Rechtswahrheit dieses Satzes ist Einspruch zu thun, insofern, wie der Wortlaut sagt, darunter ein s. g. Statut zu verstehen sei, welches sich ganz besonders mit Immobilien beschäftigt.' Die lex rei sitae ist das Recht, welches dort gilt, wo die Sache liegt. In den Ländern des fr. Rechts ist z. B. der Code das Realstatut über die dort befindlichen Sachen, es kann also der Käufer eines Grundstücks, welches einem Pommern gehört, das Eigenthum durch bloßen Vertrag, ohne Uebergabe, erwerben. — (H. Der Besitzer eines Grundstücks, welches an einem die Landesgrenze gegen das Ausland bildenden Flusse, aber im Auslande belegen ist, kann sich den Besitzern inländischer Grundstücke gegenüber nicht auf das Ges. über die Benutzung der Privatflüsse v. 28. Febr. 1843 berufen. O.Tr. II v. 9. Nov. 1876, Entsch. 78 S. 307.) — Die Frage: ob die Satzung sich auf das Erbrecht oder nur auf Rechte an einzelnen Sachen beziehe, ist schon oben, zu §. 23, erledigt. Hier ist dazu noch nachzutragen: Man hat auch das

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Von den Gesetzen überhaupt.

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§. 33. Provinzialgesetze und Statuten, welche die äußerliche Feierlichkeit einer Handlung bestimmen, gelten70) nur bei Handlungen, die unter der Gerichtsbarkeit,

für welche das Gesetz gegeben ist, von den ihr unterworfenen Personen vorgenommen werden 71). O.Tr. zu den Vertretern der Meinung gezählt, nach welcher der §. 32 auf die Universalsuccession (Erbfolge) bezogen werden soll, und sich dafür auf die Entsch. I v. 6. April 1839 (Ulrich, Arch. 6 S. 504) berufen. (Erg. z. A. L.R. [2. 91.] Bd. 1 S. 117.) Diese Entsch. ist identisch mit dem Pr. 655 v. 6. April 1839: „Diese Vorschrift kommt auch bei den zu einer Erbschaft gehörigen Immobilien zur Anwendung." Der Fall betrifft jedoch nicht unsere Frage. Die Parteien stritten über die Anwendung der Westphälischen Erblandesvereinigung von 1590, welche die Töchter von der Erbfolge in adelige Güter im Herzogthume Westphalen ausschließt. Daß ein Realstatut, welches zu politischen Zwecken über die Vererbung einer bestimmten Klasse von Immobilien unter seiner Herrschaft besondere Vorschriften giebt, auf solche Güter anzuwenden sei, ist nicht streitig; ein solches Gesetz hat eine positiv gebietende Natur. Das Pr. 655 bezieht sich nur auf diesen Fall. Unsere Frage aber ist: ob der §. 32 vorschreibe, daß die Erbfolge in unbewegliche Sachen nicht nach dem Rechte des Wohnsitzes des Erblassers, sondern nach den allgemeinen Erbschaftsgesetzen, welche an den verschiedenen Orten, wo die einzelnen Grundstücke liegen, gelten, bestimmt werde. Und diese Frage ist zu verneinen. Der §. 32 bezieht sich auf die an unbeweglichen Sachen möglichen dinglichen Rechte, namentlich auf Eigenthum und Besitz, auf persönliche und Prädial-Servituten, auf das Pfand- und Hypothekenrecht, auf die Super­ ficies und Emphyteusis, auf Rechte an Kolonaten, Fideikommissen und Lehen (die ja nicht zur Erbschaft gehören), und insbesondere auf die besondere Erwerbs- und Besitzfähigkert, auf den Erwerb und Verlust, somit auch auf die Ersitzung (Usukapion) und dergl. So und anders nicht hat auch das O.Tr. I die Vorschrift aufgefaßt, nach dem Pr. 967 v. 4. Jan. 1841, Präj. S. 1 S. 3: „Die Bestimmung des §. 32 bezieht sich auf die Rechte, die der Eigenthümer an un­ beweglichen Sachen hat; z. B. die Zeit, binnen welcher er sie durch Verjährung erwirbt; dagegen ist die Dispositionsfähigkeit nach §. 23 zu beurtheilen." Damit stimmt auch die Vorschrift I. 5 §. 115 überein. Ganz deutlich erklärt das O.Tr. sich gegen jene ihm untergelegte Meinung in dem Erk. I v. 8. Mai 1865, Str. Arch. 60 S. 67, wo es sagt: „unter den Gesetzen, die „in Ansehung des unbeweglichen Vermögens" gelten sollen, sind hier (im §. 32) nur die wahren Realstatuten zu verstehen, nicht aber Gesetze, welche die Erbfolge überhaupt, ohne Rücksicht auf die im Vermögen etwa befindlichen Immobilien, betreffen, so daß, wenn es sich um eine Universalsuccession handelt, nicht die Realstatuten, sondern die Gesetze des Wohnsitzes des Erb­ lassers, des fori hereditatis, auch über die Nachfolge in die zum Nachlasse gehörigen Immobilien zur Anwendung kommen." — Nach Vorschrift des §. 32 richtet sich auch die Nachfolge in Lehen und Fideikommisse nach der lex rei sitae, weil diese Güter, wie gesagt, nicht zur Erbschaft des verstorbenen Besitzers gehören, sondern durch Singularsuccession übergehen. Das die Lehen betreffende Gesetz hat jedoch eine weitere Ausdehnung als die gewöhnlichen Realstatuten. Das Pr. des O.Tr. 1236 v. 20. Dez. 1842 und 16. Juli 1832 spricht aus: „Bei feudis extra curtem wird das Successionsrecht der Lehnberechtigten nach dem jure curiae, nicht nach dem jure feudi siti bestimmt." (Präj.-Samml. 1 S. 102.) Das ist richtig. Denn die feuda extra curtem werden beherrscht von dem Lehnsgesetzgeber, bei dem sie zu Lehn gehen, nicht von Dem, in dessen Gebiete sie liegen. Doch kann es davon wohl Ausnahmen geben, z. B. wenn das Lehn erst nach seiner Errichtung an einen auswärtigen Lehnsherrn gelangt und dadurch, bezüglich auf diesen, ein feudum extra curtem geworden ist. Vergl. die Erk. v. 8. Nov. 1844, Entsch. 10 S. 143, und I v. 8. Juni 1866, Str. Arch. 66 S. 50. Man sehe auch Koch, Erbrecht §. 3 S. 29 ff. 70) „Gelten als verpflichtend" ist zu lesen; denn Andere werden sich an dem Orte auch darnach richten dürfen. 71) Diese dürftige und unklare Bestimmung soll die umfangreiche und zweifelhafte Lehre über die vermischten Statuten (statuta mixta) vertreten. Sie spricht nur von der äußer­ lichen Feierlichkeit einer Handlung, welche Provinzialgesetze und Statuten bestimmen, und von den Personen, welche diesen unterworfen sind, als wenn Fremde, welche sich an dem Orte auf­ halten, sich nicht darnach richten dürften, was doch gewiß nicht gemeint ist. Sie erinnert an die wenig verbreitet gewesene Meinung, daß die vermischten Statuten nur die Form der Hand­ lungen zum Gegenstände hätten, Note 56 zu Marg. bei §. 23, und betrifft nicht die allgemeinen Gesetze des Ortes der Handlung, die doch auch zu den Statuten in dem hier gemeinten Sinne gehören. In Betreff der Form der Verträge geben noch die §§. 111 bis 115 I. 5 Vorschriften. (Vgl. auch A.G.O. I. 10 §. 115.) Was aber die Form anderer Handlungen, sowie was die wesent­ lichen Erfordernisse, die Folgen und Wirkungen und die Erfüllung der Verträge, die Entstehung und Erlöschung der Obligationen betrifft, so ist keine Bestimmung darüber getroffen. Alles ist der wissenschaftlichen Feststellung überlassen.

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Einleitung.

§. 33.

I. Verträge. Gemeinrechtlich ist freiwillige Unterwerfung der Bestimmungsgrund sowohl des Gerichtsstandes als des örtlichen Rechts der Obligationen aus erlaubten Handlungen. Die Absicht der Parteien ist, wie eine Thatsache, aus den Umständen zu schließen, wenn es an einer ausdrücklichen Erklärung fehlt. L. 19 §. 2 I). de jud. (V, 1); v. Savigny, System 8 S. 203. Der Grundsatz hat im Allgemeinen auch nach pr. R. Geltung. A.G.O. I. 2 §. 7 Nr. 2, §§. 148 bis 165. Er findet Anwendung in allen Fällen, wo nicht ausdrückliche, positive. Gesetze von zwingender Natur entgegenstehen. Das erkennt auch die Praxis des O.Tr. (Erk. IV v. 26. Sept. 1849, Entsch. 18 S. 150) an. Der besondere Gerichtsstand der Obligation und der damit zu­ sammenhängende Sitz des Rechtsverhältnisses wurde zur Zeit der Abfassung des L.R. fast allgemein an den Entstehungsort gesetzt, wegen L. .19 §. 2 I). de jud. (V, 1); L. 3 D. de reb. anet. jud. (XL1I, 5); L. 21 D. de obl. et act. (XLIV. 7), woher der Ausdruck forum contractus kommt, da die meisten Obligationen aus Verträgen entstehen. Neuere Forschungen haben die Verwerfung dieser Lehre zur Folge gehabt und auf den Ort der Erfüllung geführt, v. Savigny, System 8 S. 209. Merkwürdig ist, daß damit schon die pr. Gesetzgebung aus jener Zeit im Ganzen übereinstimmt; denn es wird dem Orte, wo die Verbind lichkeit erfüllt werden soll, vor dem Orte, wo der Vertrag seine verbindliche Kraft erhalten hat, ausdrücklich der Vorzug gegeben. A.G.O. I. 2 §§ 148, 149. Der Umstand, ob die Bedingung vorhanden sei, unter welcher der Schuldner an diesem Orte auch verklagt werden kann (A.G.O. I. 2,§ 150. Vgl. L. 19 pr. I). de jud. V. 1; L. 1 D. de eo quod certo loco XIII, 4; Cocceji, jus contr. V, 1 qu 15), oder ob die Klage in foro domicilii angebracht werden muß, ist in der Beziehung, in welcher hier von dem Gerichtsstände der Obligation die Rede ist, gleichgültig. Denn durch denselben wird zugleich das örtliche Recht der Obligation bestimmt, und dieses bleibt dann unverändert, wenn auch der Schuldner in einem anderen Gerichtsstände belangt wird. Das L.R. hat zwei Anwendungen dieses Grundsatzes: I. 5 §§. 113, 114 und §§. 256, 257. Das örtliche Recht der Obligation im Allgemeinen ist aber nicht auf alle einzelnen Rechtsfragen, welche dabei vorkommen können, anwendbar. 1. Die persönliche Fähigkeit für das fragliche Rechtsverhältniß bestimmt sich immer nach der lex domicilii. 2. Bei Auslegung eines durch Briefwechsel geschlossenen Vertrages ist vorzugs­ weise auf den Sprachgebrauch des Ortes zu sehen, an welchem der Verfasser desjenigen Briefes wohnt, der die Propositionen, über deren Sinn und Bedeutung Streit ist, vorschlägt. Diese Auslegung ist überhaupt nicht juris, sondern facti. Vergl. den Fall bei Wächter im Archiv für civil. Praxis 19 S. 117; und unten I. 4 §§ 67—69. 3. Die wesentlichen Bedingungen der Gültigkeit sind nach dem, auf die gedachte Weise festzustellenden, örtlichen Rechte der Obligation zu beurtheilen, wenn nicht an dem Orte des Prozesses ein positiv gebietendes Recht entgegensteht. Dies ist insbesondere der Fall auch mit den zulässigen materiellen Klagrechten und mit den peremtorischen Exceptionen, die nicht als bloße prozessualische Institute behandelt werden dürfen, vielmehr materielle Rechtssätze sind. Anders mit den dilatorischen, nur auf Prozeßvorschriften beruhenden Einreden und mit den aus der persönlichen Fähigkeit entspringenden Rechtseinwendungen, z. B. bei Bürgschaften der Frauens­ personen. (8. C. Vellej.) Zu jenen, nach dem örtlichen Rechte der Obligation zu beurtheilenden peremtorischen Einreden gehört namentlich die Klagverjährung; Koch, Pr. R. §. 40 Note 23. Darüber ist Streit und' Rechtsungewißheit.' Viele halten die Gesetze über die Verjährung für Prozeßvorschriften und wollen deshalb nur die Gesetze des Klagorts, d. h. Wohnorts des Be­ klagten, anwenden; Andere wollen das zwar auch, sind sich aber eines juristischen Grundes nicht bewußt. Die Praxis ist sehr schwankend, a) Das O.Tr. hat in dem Erk. v. 22. Juni 1844, Entsch. 10 S. 102, den Satz ausgesprochen: „Bei der Beurtheilung der Frage, ob der vor einem inländischen Gerichte geltend gemachte Anspruch aus einem im Auslande abgeschlossenen Vertrage durch Verjährung erloschen sei, kommen die inländischen Gesetze zur Anwendung. Das Eintreten dieser Verjährung ist als eine rechtliche Folge und Wirkung des Vertrages nicht an­ zusehen." Der zweite Satz ist unklar und erhält auch aus den Entscheidungsgründen kein juristisches Verständniß. Man hat damit den Rechtsgrund der erstgedachten Meinung wider­ legen wollen, daß nämlich die Verjährung mit der Obligation im Zusammenhänge stehe, indem die Bestimmungen über die Verjährung dem materiellen Rechte angehören. Der erste Theil des Ausspruchs berührt eben die Streitfrage, ist aber ohne juristische Begründung, denn die Gründe enthalten keinen zutreffenden juristischen Begriff. Koch, Beurtheilung der Entsch. S. 682 ff. Das O.L.G. zu Hamm hatte in beiden Instanzen den entgegengesetzten Grundsatz vertreten, b) Ein anderes Erk. III (Pr. 1524) v. 15. Jan. 1845, Entsch. 11 S. 232, behauptet folgende Sätze: «) Der von dem Verklagten erhobene Einwand der Verjährung einer gegen ihn einge­ klagten persönlichen Schuld ist im Allgemeinen nach den im ordentlichen persönlichen Gerichts­ stände des Verklagten gültigen Gesetzen zu beurtheilen. /?) Dies findet auch in dem Falle An­ wendung, wenn der Verklagte als Ausländer, im Auslande, unter der Herrschaft d'er dortigen Gesetze — oder ein Inländer in einer anderen Gerichtsbarkeit, unter der Herrschaft der in dieser bestehenden besonderen Gesetze — eine Schuld kontrahirt, später seinen Wohnsitz in das Inland —

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Von den Gesetzen überhaupt.

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oder in eine andere Gerichtsbarkeit im Jnlande — verlegt hat, und der Ablauf der Verjährung der Schuld erst unter der Herrschaft der Gesetze des neuen Domizils eintritt. /) Bestimmen die Gesetze des neuen Domizils eine kürzere Verjährung, so kann der Verklagte auf diese kürzere Verjährung nur in sofern sich stützen, als der volle kürzere Zeitraum derselben von der Begrün­ dung des neuen Domizils bis zur Anstellung der Klage abgelaufen ist (wiederholt in einem Erk. IV v. 12. April 1855, Str. Arch. 20 S. 9, und I v. 8. Febr. 1861, Str. Arch. 39 S. 357). ) Auch kann der Verklagte auf diese kürzere Verjährung nur dann sich gründen, wenn er nach­ zuweisen vermag, daß der Kläger von der Veränderung des Wohnsitzes des Verklagten so zeitig Kenntniß erhalten, daß er noch vor Ablauf der kürzeren Verjährungsfrist die Klage gegen den Schuldner in dem neuen Gerichtsstände des neuen Domizils hätte anstellen können. — Die beiden ersten Sätze (« und ß) werden nicht etwa durch preuß. Gesetzesvorschriften geboten, denn solche fehlen; sie gehören der hier als irrig bezeichneten Lehre an, wonach die Gesetze über die Verjährung Prozeßvorschriften sein sollen. (Darüber besonders: Weber, natürliche Verbindlich­ keiten, §. 95 S. 413, 419.) Die andern beiden Sätze (/ und Ö) sind willkürliche Ausnahmen nach Weber a. a. O., wodurch die Absurdität abgewendet werden soll, zu welcher jener Grundsatz konsequent führt, c) Deutlicher ausgesprochen findet sich die Irrlehre in einem Urtheile des O.Tr. I v. 13. April 1848, Rechtsf. 4 S. 27, wonach die Klage aus der Schwängerung in der an dem Klagorte vorgeschriebenen Zeit verjähren soll; denn es liege in der Natur des Ein­ wandes der Unzulässigkeit einer Klage wegen ihrer Verjährung, daß dieser Einwand nur von demjenigen Richter, der überall über die Zulassung der Klage zu befinden hat, und zwar nach denjenigen Gesetzen zu beurtheilen sei, die dort gelten, wo der Prozeß angestellt wird. Hier wird nun gar das Streitige und zu Beweisende selbst als Beweisgrund gegeben. Der Satz a, daß nämlich die Frage: ob eine persönliche Verbindlichkeit zum Vortheile des Verpflichteten und somit auch das desfallsige Klagerecht des Berechtigten durch Verjährung erloschen sei, oder nicht s nach den Gesetzen beurtheilt werden müsse, welche an dem Orte gelten, wo der Verpflichtete zur Zeit der Anstellung der gegen ihn auf Erfüllung gerichteten Klage seinen ordentlichen Gerichts­ stand hat, führt zu der Ungereimtheit, daß, wenn der Verpflichtete zu einer Zeit, wo die Klage gegen ihn nach dem dortigen Rechte bereits verjährt ist, an einen anderen Ort, wo die Ver­ jährung längere Zeit dauert, seinen Wohnsitz verlegt, hierdurch der Anspruch wieder auflebt. Das ist denn in einem Falle, wo ein Schwängerer von einem Orte, wo die landrechtliche 2jührige Verjährung galt, nach Verlauf dieser Verjährung nach Berlin, wo damals die Verjährung 30 Jahre dauerte, gezogen war, von dem Gerichte I. Instanz auch wirklich behauptet und angewendet worden. Das O.Tr. kam aus Anlaß dieses Falles in die Verlegenheit, entweder diese Ungereimtheit für Recht zu erklären, oder von jenem Grundsätze abzugehen. Aus dieser Verlegenheit hat es sich mit der Einführung folgender Ausnahme in das System gezogen: „Der bei stattfindender Kollision verschiedener Landes- und Provinzialgesetze in Betreff der Verjährung angenommene Grundsatz, nach welchem der von dem Verkl. erhobene Einwand der Verjährung einer gegen ihn eingeklagten Schuld im Allgemeinen nach den im ordentlichen persönlichen Gerichtsstände des Verkl. geltenden Gesetzen auch dann zu beurtheilen ist, wenn derselbe nach Kontrahirung der Schuld seinen persönlichen Gerichtsstand verändert hat, findet dann keine Anwendung, wenn der Kläger nach den an seinem Wohnsitze geltenden Gesetzen sein Klagrecht durch Verjährung bereits verloren hatte, ehe die Wohnsitzveründerung des Verkl. erfolgt war." Erk. I v. 19. Juli 1854, Entsch. 28, S. 70, Str. Arch. 14 S. 191. Die Ausnahme ist ebenso willkürlich wie die Regel, und noch unlogischer, indem auch das Recht an dem Wohnorte des Klägers als Faktor ein­ gemengt wird, d) Eine richtige Auffassung und Ansicht bekundet das O.Tr. in dem Erk. IV v. 26. Sept. 1849, Entsch. 18 S. 147. Zwei Preußen schlossen auf einen: Markte in Sachsen einen Kauf über ein Pferd und erfüllten auf der Stelle von beiden Seiten. Später entstand daraus ein Prozeß wegen physischer Mängel. Das O.Tr. nahm an, daß dieser Fall der ädilitischen Klage, nach dem Rechte des Ortes, wo der Handel geschlossen und vollzogen worden, beurtheilt werden müsse. Denn „wo nicht ein positives Gesetz von zwingender Natur eingreist, kommt es vermöge des gegenseitigen Anerkenntnisses des Rechtszustandes anderer Staaten immer auf den eigenlichen Sitz eines Rechtsverhältnisses an." Diese seine Ansicht hat das O.Tr. jedoch wieder verworfen. Denn in den Erk. IV v. 15. Dez. 1859, Str. Arch. 36 S. 90, u. v. 15. Sept. 1864, Entsch. 52 S. 388, hat es, unter Verweisung auf seine Ausführungen in den Entsch. 10 S. 103, 11 S. 232, 28 S. 73, insbesondere in dem Erk. IV v. 14. Febr. 1854, Str. Arch. 12 S. 135, ausgesprochen: Es sei nach preuß. Rechte nicht anzuerkennen, daß die Frage nach der Dauer der Klagbarkeit vertragsmäßiger Forderungen unabhängig von dem Wohnungswechsel der Parteien auf Grund derjenigen Gesetzgebung zu entscheiden sei, nach welcher der Vertrag selbst zu be­ urtheilen ist; es sei auf die Gesetze des jetzigen Wohnsitzes des Beklagten zu sehen. In jenem in Bezug genommenen Urtel v. 14. Febr. 1854 ist ausgesprochen: „Ein Inländer, welcher nach Kontrahirung einer Schuldverbindlichkeit seinen Wohnsitz in das Ausland verlegt, sodann wieder in dem Jnlande genommen hat, und nunmehr hier wegen jener Verbindlichkeit gerichtlich in Anspruch genommen wird, könne sich auf die kürzere inländische Verjährung dann nicht berufen, wenn die kurze Verjährungsfrist bloß während seines Domizilirens in dem Auslande, welches

48

Einleitung.

§. 33.

eine längere Verjährungsfrist erfordert, abgelaufen ist." Hierin ist Logik weder nach dem einen, noch nach dem anderen Prmzip zu finden. Zu dem gezogenen Schlüsse läßt sich nur mittelst einer anzunehmenden Unterbrechung der Verjährung gelangen, davon kommt jedoch in der Aus­ führung nichts vor. — Die jener Ansicht in Betreff der rechtlichen Natur der Verjährungsgesetze gegenüber stehende, hier als die richtige vertretene Meinung ist die, daß die Bestimmungen über die Verjährung dem materiellen Rechte angehören, folglich die Klagverjährung mit den Obligationen im Zusammenhänge stehe, und daher nach demjenigen Rechte zu beurtheilen sei, nach welchem die Obligation überhaupt beurtheilt werden muß. Diese Ansicht ist in der neueren Zeit fast allgemein für die richtige erkannt worden. M. s. darüber die Entsch. der Fakultäten zu Jena und Göttingen und des Lübecker Oberappellationsgerichts v. 19. Okt. 1855 und v. 31. Jan. 1856, Siebenhaar, Arch. für deutsches Wechselrecht 6 S. 279 u. 293. Dieses Recht ist das desjenigen Ortes, welcher der Sitz des Rechtsverhältnisses ist. Das ist auch vom V. ^rheinischen^ Senate des O.Tr. in dem Erk. v. 30. Okt. 1855, Str. Arch. 19 S. 60, u. v. 12. Okt. 1858, Str. Arch. 30 S. 300, dahin anerkannt worden, daß die Frage nach der Tauer der Klagbarkeit der aus dem Vertrage entstehenden Forderungen, unabhängig von dem Wechsel des Wohnsitzes der Parteien, der Gesetzgebung unterworfen sei, welche hinsichtlich des Vertrages überhaupt zur Anwendung kommt. „Welcher Ort als der Sitz eines Rechtsverhältnisses anzusehen sei, darüber muß bei Verträgen hauptsächlich die freiwillige Unterwerfung der Kontrahenten entscheiden. Diese wird in Ansehung der Wirkung des Vertrages in der Regel da, wo der Vertrag seine Wirkung äußern soll, angenommen werden können. Hier ist die beabsichtigte Wirkung sofort eingetreten, und wenn nun nachher aus dem Vertrage ein Prozeß vor dem inländischen Richter entsteht, so kann dieser Umstand das im Auslande einmal eingetretene materielle Recht nicht mehr ändern." Das find die Gründe der richtigen Lehre, fast wörtlich aus v. Savigny Bd. 8. (H. Dieselbe Auffassung vertritt das R.G. 1 v. 10. Dez. 1879, Entsch. 1 S. 125.) Es kommt also nur noch auf die richtige Anwendung bei der Verjährung an. Ueber die richtige Lehre s. m. Wächter, über die Kollision der Privatrechtsgesetze, irrt Archiv für die civil. Praxis 25 S. 408 ff.; Schäffner, Entwickelung des internationalen Privatrechts (Frankfurt 1841) §. 87; v. Savigny, System 8 S. 274, Förster-Eccius, Theorie u. Pr. §. 11 Nr. 8 (das. Note 49 enthält die Kontro­ versenliteratur), Dernburg, Lehrb. 1 §. 28 bei Note 3. — Eine Ausnahme von der Regel, daß die Geltung eines Anspruchs nach dem Rechte am Sitze des Rechtsverhältnisses zu beurtheilen, wird hinsichtlich der positiven zwingenden Gesetze behauptet, welche an dem Orte der Klage nicht gelten: diese hindern dann den Richter nicht, nach Rechtsgrundsätzen, abgesehen von jenen positiven, gebietenden Vorschriften, zu urtheilen, v. Savigny 9 S. 276 ff. 4. Die Wirkung einer Verbindlichkeit und der Umfang der Wirkung sind gleichfalls nach dem Rechte des Orts, welcher als Sitz, des Rechtsverhältnisses anzunehmen ist, zu beurtheilen. Auch hierin ist die Praxis unklar, schwankend, sich selbst widersprechend. Das Pr. des O.Tr. III Nr. 903 v. 25. Juli 1840, Präj.S. S. 9 sagt: „Die durch einen Kontrakt begründeten Rechte und Pflichten müssen jedenfalls nach den Gesetzen des Orts, wo der Kon­ trakt geschlossen ist, beurtheilt werden, ohne Rücksicht darauf, ob die Kontrahenten an eben dem Orte, oder anderswo, ihren persönlichen Gerichtsstand haben." Darnach will man also jedenfalls auf den Ort der Kontraktsschließung sehen, abgesehen davon, daß mit den „Rechten und Pflichten" viele Fragen gar nicht getroffen werden. Das Erk. I (Pr. 1895) v. 16. Aug. 1847, Entsch. 14 S. 470, Rechtsf. 2 S. 105, lenkt davon ab; es sagt: „Wenn von zwei In­ ländern ein Kontrakt, der im Jnlande in Wirkung treten soll, im Auslande geschlossen ist, so tritt für die Frage: was Rechtens sei, wenn der Kontrakt unerfüllt geblieben, wofern in dem Kontrakte selbst darüber nichts bestimmt ist, die inländische Gesetzgebung in Wirkung." Hierin wird nun zunächst die Willkür der Parteien (freiwillige Unterwerfung) anerkannt. Dann will man auf den Ort sehen, wo der Kontrakt in Wirkung treten (erfüllt werden?) soll. Damit hat man sich der richtigen Lehre genähert. Entschieden und theils mit den eigenen Worten des Hauptvertreters dieser Lehre ausgesprochen findet sie sich in den Entscheidungsgründen des Erk. IV v. 26. Sept. 1849, Entsch. 18 S. 146; vgl. auch Erk. I v. 23. April 1860, Entsch. 43 S. 49. (H. Vgl. ferner Erk. IV v. 16. Mai 1876, Str. Arch. 96 S. 93. — Das R.G. IV v. 13. April 1882, Gruchot 26 S. 889 läßt in erster Linie den Willen der Kontrahenten entscheiden, und verwirft den Grundsatz, daß immer das Recht des Erfüllungsortes maßgebend sei, ohne sich freilich im übrigen klar über das eventuell zur Anwendung kommende Prinzip auszusprechen.) Eine Ausnahme leidet die Regel, wenn dem, wozu der eine Kontrahent sich verpflichtet hat, ein posi­ tives, die Privatwillkür ausschließendes Gesetz des Staats, dem er angehört, entgegensteht. Erk. des O.Tr. IV v. 12. Okt. 1852, Entsch. 24 S. 21. Kaum zweifelhaft ist der Fall, wenn der Vertrag zwar an einem anderen Orte, als wo er geschlossen worden, eine vollständige Erfüllung finden soll, an beiden Orten aber das nämliche Recht gilt, z. B., wenn eine preußische von einer ausländischen Eisenbahn-Gesellschaft Güter zum Weitertransport und zur Ablieferung wieder an eine ausländische übernimmt. Dieser Fall hat das Erk. IV (Pr. 2403) v. 12. Okt. 1852, Entsch. 24 S. 31, veranlaßt: „Das kontraktliche Verhältniß einer ausschließlich preußischen Eisen­ bahngesellschaft, welche Güter zur Weiterbeförderung übernommen hat, die einer auswärtigen

I.

Von den Gesetzen überhaupt.

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Eisenbahn aufgegeben waren, und durch eine auswärtige Eisenbahn weiter transportirt werden sollen, dem Absender gegenüber, richtet sich nach den preußischen Gesetzen." In Frage ist auch gekommen, welche Gesetze (Rechte), wenn die an dem Erfüllungsorte eines Zeitkaufgeschäfts, welches erst nach stattgehabter Eröffnung des Concurses über das Vermögen des Verkäufers zu erfüllen war, geltenden Gesetze mit den am Orte des Concurses geltenden in Kollision kommen, für die Frage maßgebend seien: ob und in welchem Umfange im Concurse des Verkäufers wegen unterbliebener Erfüllung Entschädigung liquidirt werden könne. Das O.Tr. hat zutreffend für das Recht des Wohnortes des Verkäufers (Schuldners) entschieden, ungeachtet die Erfüllung (Lieferung) an einem anderen Orte, wo abweichendes Recht gilt, geschehen sollte. Erk. IV v. 16. Febr. 1858, Entsch. 38 S. 1. Denn dasjenige Rechtsverhältniß, aus welchem diese Frage zu entscheiden, ist nicht jener Kauf- (Lieferungs-) Contract, der allerdings den Verkäufer zur Schadloshaltung des Anderen wegen Nichterfüllung verpflichtet; sondern es ist die zufällige Gemeinschaft, welche durch die Concurseröffnung unter den Concursgläubigern entsteht: diese sind nicht schuldig, den Gemeinschuldner in der Verantwortlichkeit wegen Unmöglichkeit der Erfüllung einer Lieferung aus der Zeit nach Eröffnung des Concurses zu repräsentiren und brauchen daher auch nicht den Entschädigungsanspruch, der erst in dieser Zeit (nach Eröffnung des Concurses.) zur Entstehung gekommen ist, bei der Masse liguidiren zu lassen. 5. Die positiven Formen der obligatorischen Verträge richten sich überhaupt nach dem Rechte des Ortes, wo die Handlung vollzogen wird, zufolge der Regel: locus regit actum (I. 5 111 u. 148). Anerkannt durch O.Tr. III (Pr. 352») v. 23. Sept. 1837, Entsch. 3 S. 225: „Bei Verträgen, die zwischen Unterthanen des pr. Staats in der Rheinprovinz errichtet worden sind, kommen in Bezug auf die zur Rechtsgültigkeit des Geschäfts erforderliche Form des Ver­ trags die Vorschriften des Code civil in Anwendung." Eine Ausnahme ist in Beziehung auf Grundstücke positiv vorgeschrieben. (§. 115.) Alle Verträge über Grundstücke, welche im Be­ reiche des L.R. liegen, müssen schriftlich abgefaßt werden, mögen sie abgeschlossen sein, wo und Don wem sie wollen. Damit harmonirt das Pr. 299 v. 28. Juli 1837: „Bei einem Tausch­ geschäfte über Grundstücke, von welchen eins im Auslande, das andere im Jnlande belegen ist, müssen in Beziehung auf die Form des Vertrages die inländischen Gesetze des Orts,, wo das letztere liegt, beobachtet werden, und es ist namentlich ein mündlich geschlossener Vertrag ohne rechtliche Folgen." 6. H. Die Anfechtbarkeit eines Vertrages ist nach denselben Gesetzen zu be­ urtheilen wie die Gültigkeit, der Inhalt und die Wirkung desselben. O.Tr. IV v. 28. Juni 1870, Str. Arch. 79 S. 122, 126. II. Einseitige erlaubte Handlungen, aus welchen Obligationen entspringen, sind, nach G. R., wie Verträge zu betrachten (L. 20 D. de iud. V, 1). Dieser Behandlung steht nach pr. R. nichts entgegen, sie ist auch ohne Entbehrung eines sicheren Leitfadens nicht von der Hand zu weisen. 1. Die Erbschaftsantretung verändert an den dadurch übernommenen Obligationen nichts, aber in Beziehung auf die durch diese Handlung neu begründeten Ver­ bindlichkeiten, z. B. die der Verwaltung und Geschäftsführung der Benefizialerben, kommen die Regeln über Verträge (I) zur Anwendung. 2. Die besonderen Verpflichtungen, welche durch prozessualische Handlungen begründet werden, sind nach dem Rechte am Orte des Gerichtes erster Instanz zu beurtheilen, wenn später darüber anderswo wieder Streit ent­ steht. Hinsichtlich des wichtigsten Falles, des rechtskräftigen Urtheils und dessen Wir­ kungen, ist man inkonsequent. Gesetzlich anerkannt ist der Grundsatz in der A.G.O. I. 24 §. 30 und in mehreren Staatsverträgen, wo es überall gleichlautend heißt: Art. 2. „Die in Civilsachen in dem einen Staate ergangenen und nach dessen Gesetzen vollstreckbaren richterlichen Erkennt­ nisse rc. — sollen — auch in dem anderen Staate — vollstreckt werden" (actio judicati). Art. 3. „Ein rechtskräftiges Civilerkenntniß begründet vor den Gerichten des anderen der kontrahirenden Staaten die Einrede der rechtskräftig entschiedenen Sache mit denselben Wir­ kungen, als wenn das Erkenntniß von einem Gerichte desjenigen Staates, in welchem die Einrede geltend gemacht wird, gesprochen wäre" (exceptio rei judicatae). Darnach soll a) die Vollstreckbarkeit (actio judicati) nach dem Landesrechte, unter welchem das Urtheil gesprochen worden, beurtheilt, d. h. der Regel nachgegangen werden. Die Praxis der verschiedenen Gerichte ist nicht übereinstimmend, und das O.Tr. spricht in dem Erk. v. 2. Dez. 1837, Entsch. 3 S. 280, ausdrücklich das Gegentheil aus: „Aus Erkenntnissen ausländischer Gerichte findet die Judikat­ klage nicht statt. Eben so wenig ist eine, lediglich auf ein solches Erkenntniß, nicht auf das ursprüngliche Sachverhältniß, gegründete Klage in einem anderen summarischen Verfahren, oder im gewöhnlichen Prozesse zuzulassen." Die Gründe berühren die hierher gehörigen Rechts­ zustände und Rechtsverhältnisse nicht und sind unzutreffend. Vgl. Koch, Beurtheilung der Entsch. S. 189. (H. Vgl. C.P.O. §§. 660. 661.) b) Die exc. rei judicatae hingegen soll, nach der Fassung der Verträge, den pr. Rechtsgrundsätzen über dieselbe gemäß angewendet werden. Ob man wohl diese Gegensätze bedacht und besprochen hat? III. Unerlaubte Handlungen begründen für die daraus entspringende Obligation, zum Vortheile des Klägers, einen besonderen Gerichtsstand am Orte der That (Nov. 69 c. 1; Koch, Allgemeines Landrecht. I.

8. Anfl.

4

50

Einleitung.

§§. 33—35.

c. 20 X. de foro comp., II. 2) vermöge einer aus der Rechtsverletzung folgenden, nothwendigen Unterwerfung des Urhebers unter das Rechtsgesetz des Ortes. Der Ort der Rechtsverletzung ist sonach als der Sitz der Obligation anzusehen, wenn auch nach der A.G.O. I. 2 §. 178 die Klage in der Regel nur im persönlichen Gerichtsstände stattfinden sollte. (H. Jetzt normirt hierfür C.P.O. §. 32.) Rach jenem örtlichen Rechte ist also zwar wohl grundsätzlich die Geltung, der Inhalt und die Wirkung der Obligation zu beurtheilen, doch nur insofern nicht in dem persön­ lichen Gerichtsstände (dem Orte der Klage) ein positives, absolut gebietendes Gesetz entgegen­ steht, oder auch umgekehrt an dem Orte der That ein positives Gesetz den Anspruch aus der Rechtsverletzung verhindert, welches an dem Klagorte, weil es da nicht gilt, kein Hinderniß ist. Damit steht in Einklang das Erk. des O.Tr. III v. 5. Aug. 1843, Entsch. 9 S. 381, daß die Frage, nach welchen Gesetzen eine Schadensvergütung zu leisten, sich nach dem Orte der Be­ schädigung regulire. Doch muß vorausgesetzt werden, daß in diesem Rechtsfalle keine der ge­ dachten Beschränkungen vorhanden gewesen. H. Bei verschuldeter Beschädigung eines Schiffes durch ein anderes Schiff auf offener See kann beim Mangel eines Rechtes des Thatortes nur das Gesetz des Ortes, wo der Anspruch geltend gemacht wird, zur Anwendung kommen. Erk. IV v. 25. Okt. 1859, Entsch. 42 S. 14. IV. Aus dem Erbrechte ist besonders die äußere Form der Testamente (und Erbverträge) zweifelhaft. Der praktische Fall ist, wenn ein Preuße im Auslande ein dort geltendes Privattestament macht, welches hier Wirkung haben soll. Nach Einigen, vielleicht nach der Mehrzahl, soll die Regel: locus regit actum, auch auf Testamente Anwendung finden, und unter den neuesten Vertretern dieser Meinung sind auch v. Savigny 8 S. 364, FörsterEc c i u s, Theorie u. Praxis §. 11 Nr. 7, Dernburg, Lehrb. 1 §. 27 Nr. 3. Nach Anderen wird keine letzte Willenserklärung als kräftig und wirksam anerkannt, welche nicht in der dafür vorgeschriebenen Form (I. 12 §. 139) verfaßt ist. Diese Vorschriften sind nach dieser Meinung absolute,, von zwingender Natur. Dieser Meinung ist auch Koch. Das O.Tr. ist für die An­ wendung der Regel: locus regit actum, auch auf Testamente, nach dem Erk. IV v. 6. März 1855, Str. Arch. 16 S. 270, I v. 3. April 1857, Entsch. 35 S. 368, und v. 23. Mürz 1868, Entsch. 59 S. 476, Str. Arch. 71 S. 90. Die Gründe für die erste Meinung sind: 1. zur Zeit der Abfassung des L.R. sei die Anwendung der Regel auf Testamente unstreitig und gewiß ge­ wesen. Es sei aber sehr unwahrscheinlich, daß man eine Regel von solchem Charakter durch bloßes Stillschweigen zu beseitigen die Absicht gehabt haben sollte. Das Letzte kann man ohne die Folgerung zugeben, denn die ganze Lehre, in der doch sehr viel ungewiß, ist übergangen worden. Aber auch die thatsächliche Voraussetzung findet Koch nicht so ganz gewiß, man war über die Anwendung der Regel auf Testamente nicht einig. Man s. das gleichzeitige Zeugniß von Glück Bd. 1 S. 261. Noch neuere Schriftsteller, namentlich nicht allein Eichhorn, deutsches R. §. 37, sondern auch Mühlenbruch, in Forts, von Glück, Bd. 35 S. 38, lassen die Regel in dem Falle nicht gelten, wenn die Art der Testamente dem einheimischen Rechte unbekannt ist, und der Testator zurückkehrt. Die Verordn, v. 3. April 1823, G.S. S. 40, über die Testamente der pr. Gesandten im Auslande, führt für das Gesandtschaftspersonal eine neue Testamentsform ein, bestimmt aber vorher, im §. 1: „Die letztwilligen Verordnungen unserer Gesandten . . . sollen auch ferner, wie bisher, in ihrer äußeren Form alsdann gültig sein, wenn sie die Gesetze des Orts, wo sie errichtet werden, erfüllen." Daß „auch ferner, wie bisher" soll sich eben auf das gemeinrechtliche allgemeine Rechtsprinzip beziehen, da das L.R. über die Form der Testamente im Auslande nichts enthält. Und allerdings ist es ein authentisches Zeugniß, daß bis dahin die Testamente der Gesandten in der ausländischen Form hier für gültig erachtet worden. Allein so außer allem Zweifel ist dies vorher keineswegs gewesen, sonst hätte es ja dieses Gesetzes §. 1 gar nicht bedurft, wenigstens nicht in dieser dispositiven Form; und in der That sagt auch das Gesetz im Eingänge, daß es „zur Beseitigung der entstandenen Zweifel über die Vorschriften, welche unsere Gesandten bei Testamenten, welche sie während ihres Aufenthalts im Auslande errichten, zu beobachten haben," erlassen werde. Zweifel über die Gültigkeit der Testamente in einer ausländischen Form waren also vorhanden, und diese sind nur in Beziehung auf die Gesandten durch diese V. beseitigt. 2. In den vorhin gedachten Staatsverträgen (II) ist im §. 34 verabredet: „Alle Rechtsgeschäfte unter Lebenden, und auf den Todesfall, werden, was die Gültigkeit derselben rücksichtlich ihrer betrifft, nach den Ge­ setzen des Orts beurtheilt, wo sie eingegangen sind." Diese Bestimmung sei offenbar keine Gefälligkeit, keine Konzession für die Nachbarstaaten, auch nicht als neue Erfindung, sondern als Anschluß an ein allgemeines Rechtsprinzip, an die alte Regel: locus etc. gedacht. Das Letzte ist anzuerkennen. Aber gewiß ist damit nicht bewiesen, daß die Vorschriften des L.R. über die Form der Testamente keine positiven Gesetze von zwingender Natur sein können. Und wenn sie dieses sind: warum soll dann die verabredete Beiseitestellung derselben und die Zu­ lassung jener alten Regel im Verkehre zwischen diesen Staaten nicht eine nachbarliche Gefällig­ keit sein sönnen? 3. Es wird hervorgehoben, daß unsere Meinung ebenso viel heiße, als daß ein Preuße in manchen fremden Ländern. gar kein Testament machen könne. Das ist freilich der Fall, doch kein Beweisgrund. Es könnte ja das Testament ganz abgeschafft sein, weshalb

I.

Von den Gesetzen überhaupt.

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§. 34. Auch Unterthanen fremder Staaten, welche in hiesigen Landen leben, U-Fremden, oder Geschäfte treiben, müssen nach obigen Bestimmungen beurtheilt werden 72). §. 35. Doch wird ein Fremder, der in hiesigen Landen Verträge über daselbst befindliche Sachen schließt, in Ansehung seiner Fähigkeit zu handeln, nach denjenigen Gesetzen beurtheilt, nach welchen die Handlung am besten bestehen kann 7:1). sollte der Gesetzgebung nicht freistehen, daß sie dasselbe nur in der positiv vorgeschriebenen Form anerkenne und gelten lasse? Jedermann weiß das; wer also in ein solches fremdes Land reisen will, kann vorher sein Haus bestellen. — Die Gründe für die entgegengesetzte Meinung sind, daß das L.R. I. 12 §. 139 keine anderen Testamente als die vor einem gehörig besetzten Gerichte errichteten anerkennt. Dieses beruht auf der Ueberzeugung, daß ohne diese gegen „Erdichtungen, Unterschiebungen, Verfälschungen und andere Kunstgriffe listiger Betrüger und Erbschleicher" sichernde Form „die Wahrheit und Richtigkeit der Testamente nach dem Tode des Erblassers, wo Niemand mehr vorhanden, der über die Sache Auskunft geben und die Mittel, vorgefallene Betrügereien und Unrichtigkeiten ans Licht zu bringen, suppeditiren kann", nicht mit Zuverlässigkeit festzustellen sind. Die testamenta privilegiata seien beibehalten, z. B testamenta peregrinantium §§. 205—207. Außer diesen Fällen verdiene die facultas testandi eben keine Begünstigung; Stryck behaupte gar, man sollte alle Testamente abschaffen. Suarez, Jahrb. 41 S. 77. Die Vorschriften sind darnach absolut gebietende, von zwingender Natur; der Fall der Reisenden ist bedacht, man hat aber nur Seereisende begünstigt. Andere Fälle hat man nicht gestatten wollen, dies ist klar im Bewußtsein gewesen ; die Absicht ist ausgesprochen und in Uebereinstimmung damit hat man nicht, wie es doch vorsorglich für Verträge geschehen (I. 5 §§. 111, 148), die in einer ausländischen Form errichteten Testamente anerkannt. Man hat das in der Ueberzeugung gethan, daß ohnehin schon genug geschehen sei. Diesem völlig entsprechend, also als eine Bestätigung der hier vertretenen Meinung anzusehen, ist das Gebot bei der Einführung des L.R. in die Landestheile des französischen Rechts: daß die nach der französischen Form'gemachten Testamente, bei Strafe der Nichtigkeit, binnen Jahresfrist neu nach der landrechtlichen Form gemacht werden sollten. Einführungspatent für die Provinzen jenseits der Elbe von 1814 §. 7; für Westpreußen von 1816 §. 9; für Posen von 1816 §. 9. — Anders ist der Fall, wenn Jemand zur Zeit der Testamentserrichtung im Auslande seinen Wohnsitz hatte und dort nach den Formen des Landesrechts sein Testament macht, hinterdrein aber seinen Wohnsitz in den Bereich des preußischen L.R. verlegt und hier stirbt. Einen solchen Rechts­ fall beurtheilt das Erk. d. O.Tr. I v. 3. April 1857, Entsch. 35 S. 368, Str. Arch. 23 S. 352. Der Erblasser hatte im I. 1833 auf seinem Gute im Gerichtsbezirke des Appellationsgerichts zu Köln, also unter der Herrschaft des fr. Code civil, seinen Wohnsitz gehabt und dort, nach Art. 970 des Code civil, ein holographisches Privattestament gemacht. Später verlegte er seinen Wohnsitz nach Westphalen, wo er 1854 starb. Jenes Testament befand sich in seinem Nachlasse und es entstand zwischen den Erben Streit über die Gültigkeit. Die Jnstanzgerichte erkannten widersprechend. Das O.Tr. entschied für die Gültigkeit unter Anrufung der Regel: locus regit actum. Die Gründe befriedigen nicht. Die Entscheidung ist jedoch aus dem Grunde zutreffend, weil das angefochtene Testament nach den Gesetzen des Wohnortes des Testators rechtsgültig errichtet worden war, und durch den späteren Wechsel des Wohnsitzes nicht ipso jure ungültig werden konnte, aus Mangel eines dieses aussprechenden Rechtsgrundsatzes. — H. Bei Erbschaftsentsagungen bezieht das O.Tr. den Grundsatz: locus regit actum auf die Form des Entsagungsaktes, aber nicht auf die Wirksamkeit, wenn die Entsagung an einem andern Orte, als wo sie erklärt ist, wirksam werden soll. Erk. I v. 6. März 1868, Str. Arch. 70 S. 139, 148. 72) Die Vorschrift des §. 34 normirt nach ihrem Wortlaute, ihrem inneren Zusammenhänge mit den ihr vorangehenden Bestimmungen und ihrer Stellung im Systeme schließlich nur die An­ wendbarkeit des materiellen preußischen Rechts auf die darin vorausgesetzten Rechtsgeschäfte der Ausländer; dagegen liegt eine Bestimmung über die Verfolgung im Prozesse, insbesondere über den Gerichtsstand der Ausländer, ganz außer dem Zwecke jener Vorschrift, und kann also nicht darin gefunden werden. O.Tr. IV v. 7. Febr. 1867, Str. Arch. 64 S. 349. — H. Die preußischen Wassergesetze können in Ansehung eines Grenzflusses von Besitzern ausländischer Ufergrundstücke, die nicht unter demselben Rechte stehen, nicht angerufen werden. O.Tr. II v. 9. Nov. 1876, das. 96 S. 362. 73) Der vorhergehende §. 34 erkennt den Rechtszustand anderer Staaten ausdrücklich an, indem er den Grundsatz des §. 23 ff. auf Fremde anwendet und vollständige Rechtsgleichheit zwischen Einheimischen und Fremden will. Der §. 35 macht eine Ausnahme in wohlmeinender Absicht. Vergl. übrigens hierzu den §. 26 und die Anmerkung zu demselben. Die beiden Satzungen §§. 26 u. 35 harmoniren schlecht; der §. 35 hätte ganz wegbleiben können, der §. 26 reicht völlig aus. Der §. 35 ist in der That auch, ohne vorherige Erwägung und Berücksichtigung

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Einleitung. §§. 36—38.

§. 36. Den Gesandten und Residenten auswärtiger Mächte, so wie den in ihren Diensten stehenden Personen, bleiben ihre Befreiungen, nach dem Völkerrechte und den mit den verschiedenen Höfen obwaltenden Verträgen Vorbehalten 74 * *). §. 37. Eingeborne Vasallen und Unterthanen, welche mit75) Erlaubniß des Landesherrn von einem fremden Hofe beglaubigt worden, bleiben in ihren Privat­ handlungen den Landesgesetzen unterworfen. An h. §. 1.

In wie fern eingeborne Vasallen und Unterthanen, welche mit Erlaubniß des

Landesherrn von einem fremden Hofe beglaubigt werden, in ihren Privathandlungen den Landes-

des Verhältnisses zu §. 26, erst in das Manuskript des fertigen Gesetzbuches, man weiß nicht wie oder warum, gleichsam hineingefallen. (Gesetzrev. Einl. Motive zu §. 20 des Entwurfs S. 117.) 74) a. Gesandtschaftliche Personen niederen Ranges haben diese Befreiungen nicht. Nach dem Reglement des Wiener Kongresses v. 19. März 1815 (Klüber, Akten des W Kongr. Bd. 6 S. 204), angenommen von der deutschen Bundesversammlung l. Prot. v. 12. Juli 1817 (de Martens, recueil etc., Suppl. VIII p. 648), giebt es drei Klassen von Gesandten. Auf dem Aachener Kongresse wurde am 21. Nov. 1818 eine vierte dazwischen geschoben. Darnach bestehen für Deutschland folgende Klassen: Die erste Klasse repräsentirt wesentlich die Staats­ würde ihres Souveräns, und unterscheidet sich dadurch von den übrigen Klassen. Hierher gehören die Botschafter, Großbotschafter (ambassadeurs, magni iegati, orateres) und die päpstlichen Iegati a latere oder de latere und nuntii, mögen sie ordentliche oder außer­ ordentliche Gesandte sein. In der zweiten Klasse stehen die envoyes, ministres (ablegati, prolegati, inviati), die eigentlichen bevollmächtigten Gesandten, gewöhnlich unter dem Titel außerordentliche Gesandte und Minister (ministres plenipotentiaires). Die dritte Klasse besteht, nach dem Aachener Beschlusse, nur aus den Ministerresidenten (ministres residens). Mehrere Publizisten rechnen aber auch noch die einfachen und die geschäftsbeauftragten Minister (ministres, charges d’affaires) in diese Klasse, weil sie, wie die der beiden ersten Klassen, ge­ wöhnlich bei der Person des Staatsoberhauptes selbst (nicht bloß bei dem Minister) akkreditirt sind. (Rotteck und Welcker, Staatslexikon Bd. 6 S. 594.) Dazu rechnet man die Residenten (agentes in rebus, residens), Geschäftsträger oder Geschäftsbetraute (charges d’affaires). Andere setzen sie in die vierte Klasse, zu welcher die diplomatischen Agenten (agens diplomatiques) und die Konsuln gehören. Diese Agenten, welche nur Privatgeschäfte ihres Fürsten zu besorgen pflegen, und die Konsuln, welche die Bestimmung haben, die Rechte und Vortheile der einzelnen Unterthanen des beauftragenden Staats zu sichern und zu befördern, besonders in Absicht des Handels und der Schifffahrt, haben nach dem Völkerrechte keine gesandtschaftlichen Rechte. H. Vgl. unten Zusatz 19. b. H. Auch diejenigen Personen, welchen die Rechte der Exterritorialität zukommen, sind keinesweges im Allgemeinen so zu behandeln, als ob sie sich in ihrem Heimathsstaate befänden; nur die nach Völkerrecht für sie bestehenden Befreiungen (vom Gerichtozwange, den Steuern, der Polizeigewalt) sind ihnen vorbehalten. Först er-Eceius, Theorie u. Pr. §. 9 Bd. 1 S. 38; Heffter, das Europ. Völkerr. 5. Ausg. S. 373 ff. Wegen der Befreiung dieser Personen von der inländischen Gerichtsbarkeit s. unten Zus. 19. Die dort wiedergegebenen reichs­ gesetzlichen Regeln werden ebenso wie das bisherige Preuß. Recht mit folgender Begrenzung zu verstehen sein. 1) Wenn eine gesandtschaftliche Person in ein bürgerliches Geschäfts- oder Gewerbsverhältniß tritt, so muß sie, gleichwie sie in Angelegenheiten desselben den hiesigen Rechtsschutz zu ihrem Vortheile anruft, ebenso auch nach Landesrechte Recht leiden. Das bezieht sich jedoch nicht auf außerdem hier kontrahirte einzelne Schuldverbindlichkeiten. Wegen solcher, und namentlich auch wegen Wechselschulden, können gesandtschaftliche Personen bei hiesigen Gerichten nicht belangt werden. Pr. des O.Tr. in S i e b e n h a a r, Archiv des deutschen Wechselrechts 1 S. 329. 2) Wenn eine solche Person klagt, so muß sie dem Gerichtsstände des Beklagten auch rücksichtlich der Wieder­ klage sich unterwerfen. 3) Gesandtschaftliche Personen, welche nach Beendigung ihrer Sendung im Lande bleiben, stehen anderen sich hier aufhaltenden Fremden (§§. 34, 41) gleich. Das Gleiche gilt von durchreisenden fremden Gesandten. Vgl. Anh. §§. 202—210 zur Ä.G.O. I. 29 §. 90. Gründen solche Personen nach ihrer Entlassung hier ihren ordentlichen Wohnsitz, so findet der Grundsatz des §. 23 auch auf sie Anwendung, wenngleich sie noch nicht die politischen Staatsbürgerrechte erworben haben. 75) Ohne diese landesherrliche Erlaubniß kann also kein Inländer die Vertretung einer anderen Nation hier übernehmen. Dieselbe enthält dann auch die Bedingungen, unter welchen sie gegeben ist. Nur insofern darin über die gesandtschaftlichen Rechte und Befreiungen nichts enthalten ist, kommt die Bestimmung dieses §. zur Anwendung, nach §. 1 des Anh. Vgl. Zusatz 19 §. 18. Die Bestallung namentlich der Konsuln (lettre de provision) erhält erst durch landes­ herrliche Bestätigung (exequatur) Wirksamkeit.

I.

Von den Gesetzen überhaupt.

53

gesetzen unterworfen bleiben, hängt hauptsächlich von den Bedingungen ab, unter welchen sie diesseits die Erlaubniß erhalten haben.70) 19. Gerichtsverfassungsgesetz. Vom 27. Januar 1877. (R.G.Bl. S. 41.) §. 18. Die inländische Gerichtsbarkeit erstreckt sich nicht auf die Chefs und Mitglieder der bei dein Deutschen Reiche beglaubigten Missionen. Sind diese Personen Staatsangehörige eines der Bundesstaaten, so sind sie nur insofern von der inländischen Gerichtsbarkeit befreit, als der Staat, dem sie angehören, sich der Gerichtsbarkeit über sie begeben hat. Die Chefs und Mitglieder der bei einem Bundesstaate beglaubigten Missionen sind der Gerichtsbarkeit dieses Staates nicht unterworfen. Dasselbe gilt von den Mitgliedern des Bundes­ raths, welche nicht von demjenigen Staate abgeordnet sind, in dessen Gebiete der Bundesrath seinen Sitz hat. §. 19. Auf die Familienglieder, das Geschäftspersonal der im §. 18 erwähnten Personen und auf solche Bedienstete derselben, welche nicht Deutsche sind, finden die vorstehenden Bestinunungen Anwendung. §. 20. Durch die Bestimmungen der §§. 18, 19 werden die Vorschriften über den aus­ schließlich dinglichen Gerichtsstand in bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten nicht berührt.

§. 21. Die im Deutschen Reiche angestellten Konsuln sind der inländischen Gerichtsbarkeit unterworfen, sofern nicht in Verträgen des Deutschen Reichs mit andern Mächten Vereinbarungen über die Befreiung der Konsuln von der inländischen Gerichtsbarkeit getroffen sind.77)

§. 38. Die vom Staate an fremden Höfen beglaubigten Gesandten werden nach den Gesetzen der einländischen Gerichtsbarkeit, unter welcher sie zuletzt, vor dem Antritte der Gesandtschaft, ihren Wohnsitz gehabt haben 7S), beurtheilt. 20. Gesetz, betreffend die Rechtsverhältnisse der Reichsbeamten. 31. März 1873 (R.G.Bl. S. 61).

Vom

§. 19. Auf die Rechtsverhältnisse der aktiven und der aus dem Dienste geschiedenen Reichs­ beamten, über welche nicht durch Reichsgesetz Bestimmung getroffen ist, finden diejenigen gesetz­ lichen Vorschriften Anwendung, welche an ihren Wohnorten für die aktiven, beziehungsweise für die aus dem Dienste geschiedenen Staatsbeamten gelten. Für diejenigen Reichsbeamten, deren Wohnort außerhalb der Bundesstaaten sich befindet, kommen hinsichtlich dieser Rechtsverhältnisse vor deutschen Behörden die gesetzlichen Bestimmungen ihres Heimathsstaates (§. 21) und, in Ermangelung eines solchen, die Vorschriften des preußischen Rechts zur Anwendung. Diejenigen Begünstigungen, welche nach der Gesetzgebung der einzelnen Bundesstaaten den Hinterbliebenen der Staatsbeamten hinsichtlich der Besteuerung der aus Staatsfonds oder aus öffentlichen Versorgungskassen denselben gewährten Pensionen, Unterstützungen oder sonstigen Zuwendungen zustehen, finden auch zu Gunsten der Hinterbliebenen von Reichsbeamten hin­ sichtlich der denselben aus Reichs- oder Staatsfonds oder aus öffentlichen Versorgungskassen zufließenden gleichartigen Bezüge Anwendung.

76) Die Deklar. v. 24. Sept. 1798, Rabe 5 S. 209, woraus dieser §. entnommen ist, giebt den Rath, daß man sich zuvörderst über diese Bedingungen gehörigen Orts, d. i. beim Minister des Auswärtigen, näher belehren lassen möge, ehe man sich mit solchen Personen in Geschäfte einlasse. 77) H. Die noch gegenwärtig in Betracht kommenden Handels- und Konsularverträge sind von dem Auswärt. Amte publizirt (Berlin, 1878). Seitdem sind hinzugetreten Verträge des Deutschen Reichs mit den Hawaiischen Inseln (R.G.Bl. 1880 S. 121), mit Samoa (R.G.Bl. 1881 S. 29), mit China: Zusatz-Konvention zum Vertrage vom 2. September 1861 (R.G.Bl. 1881 S. 261), mit Marokko (R.G.Bl. 1881 S. 103), mit Oesterreich-Ungarn (R.G.Bl. 1881 S. 123), mit Griechenland (R.G.Bl. 1882 S. 101), mit Brasilien (R.G.Bl. 1882 S. 69). 78) Anwendung des Grundsatzes der §§. 23 u. 24. Hieran wird durch den Umstand, daß die ins Ausland abgeschickten Gesandten, Residenten und Geschäftsträger ihren persönlichen Gerichtsstand nicht an ihren: bisherigen Wohnsitze, sondern bei dem Stadtgerichte zu Berlin haben sollen (G. v. 26. April 1851 Art. III Nr. 2, G.S. S. 181), nichts geändert. H. An Stelle dieser Bestimmung sind die §§. 21 u. 22 des Neichsbeamten-Ges. v. 31. März 1873, R.G.Bl. S. 61, getreten.

54

Einleitung.

§§. 39—46.

§. 39. Sind aber dieselben Ausländer, so gelten in Ansehung ihrer, wenn sie in hiesigen Landen belangt werden79), die Vorschriften des hiesigen gemeinen Rechts. §. 40. Wem die Gesetze auf der einen Seite Verbindlichkeiten auflegen, dem kommen sie auf der andern Seite durch ihren Schutz auch wieder zu Statten. §. 41. Fremde Unterthanen haben also, bei dem Betriebe erlaubter Geschäfte in hiesigen Landen, sich aller Rechte der Einwohner zu erfreuen80), so lange81)82sie83 sich des Schutzes der Gesetze nicht unwürdig machen. §. 42. Die Verschiedenheit der Rechte auswärtiger Staaten macht von dieser Regel noch keine Ausnahme8^). Vom Retor­ §. 43. Wenn aber der fremde Staat, zum Nachtheil der Fremden über­ sionsrechte. haupt88), oder der hiesigen Unterthanen insbesondere, beschwerende Verordnungen

macht, oder dergleichen Mißbräuche wissentlich gegen diesseitige Unterthanen duldet, so findet das Wiedervergeltungsrecht Statt. §. 44. Unterrichter sollen, ohne Genehmigung ihrer Vorgesetzten, gegen Fremde niemals auf Retorsion erkennen84).* 79) Vergl. A.G.O. 1. 2 §. 114 und Anh. dazu §. 34. 80) Unter diesen erlaubten Geschäften Fremder sind nur solche zu verstehen, welche nach preußischen Gesetzen nicht verboten sind. O.Tr. IV v. 16. Oktober 1855, Str. Archiv 19 S. 51. — Der Grundsatz der Rechtsgleichheit ist schon in den §§. 34, 35 ausgesprochen. Eine Anwendung rücksichtlich der Handlungsbücher ausländischer Kaufleute und deren Beweiskraft vor inländischen Gerichten O.Tr. III (Pr. 1568) v. 3. Mai 1845, Entsch. 11 S. 375. Auch die Dauer der Beweiskraft der Handelsbücher wird nach den Gesetzen des Ortes beurtheilt, an welchem die Handlungsbücher geführt werden. O.Tr. IV v. 18. Juni 1863, Entsch. 50 S. 365. Die excep­ tionelle Eigenschaft der Handlungsbücher ist ein Privilegium der Kaufleute und gehört zu den besonderen Rechten des Status derselben. O.Tr. IV. (Pr. 2028) v. 7. Juni 1848, Entsch. 17 S. 325. H. Nachdem die in dem H.G.B. Art. 34—36, 77, 78, 488, 494, 889 enthaltenen Vorschriften über die Beweiskraft der Handelsbücher u. s. w. durch das Einf.Ges. zur C.P.O. §. 13 Nr. 2 aufgehoben worden, weil sie mit dem in der C.P O. 8- 259 aufgestellten Grund­ sätze der freien Beweiswürdigung nicht vereinbar, können auch im Auslande geführte Handels­ bücher u. s. w. vor deutschen Gerichten ohne Zweifel nicht mehr die ihnen nach den Gesetzen des Ortes, wo sie geführt worden, zukommende Beweiskraft beanspruchen. Hieraus ergiebt sich zugleich, daß die obenerwähnten, von dem O.Tr. aufgestellten Sätze auf einer Verkennung der rein prozessualischen Natur solcher Beweiskraft-Vorschriften beruheten. 81) Die beigefügte Beschränkung ist, als Anweisung für den Richter, ohne allen praktischen Werth; denn nirgend ist bestimmt worden: wodurch ein Ausländer sich des Schutzes der Ge­ setze, in Beziehung auf Privatrechte, unwürdig mache. Das richterliche Ermessen kann die Un­ würdigkeit nicht aussprechen, da gar kein Prinzip gegeben ist. 82) Hierdurch wird eine gemeinrechtliche Kontroverse entschieden. S. darüber Glück, Kommentar, 3 S. 265. Vergl. Anm. 84. 83) Das Prinzip der Rechtsungleichheit muß entweder ausgesprochen sein, oder als Miß­ brauch wissentlich geduldet werden. Beispiele sind: 1. Das Gesetz des Kantons St. Gallen über das Paternitätswesen und den Stand der unehelichen Kinder, v. 13. Juni 1832, wodurch (Art. 8) den Nichtkantonsbürgerinnen das Klagrecht aus der unehelichen Schwängerung versagt ist. Deshalb soll, wenn Einwohnerinnen aus diesem Kantone derartige Klagen hier anbringen, der Fall dem Justizminister angezeigt und vor Einleitung der Sache die Vorbescheidung abge­ wartet werden. Neskr. v. 4. Okt. 1836, Jahrb. Bd. 48 S. 429. 2. Der Grundsatz des franz. Rechts, daß ein, gegen einen Franzosen im Auslande ergangenes Urtheil keine exekutorische Wirkung in Frankreich hat. Deshalb ist von dem O.Tr. ausgesprochen: a) daß, vermöge des Retorsionsrechts, aus einem, von einem französischen Gerichtshöfe gegen einen Preußen erlassenen Urtheile, wider den Letzteren in Preußen nicht als aus einem Judikate geklagt werden kann (H. vgl. O.Tr. IV v. 11. Juli 1876, Entsch. 78 S. 1); b) daß ein nach französischer Verfassung ergangenes Kriminalurtheil, welches in der Entscheidung des Civilpunkts die Nichtigkeit einer Urkunde ausspricht, den: Cessionar der in dieser Urkunde verbrieften Forderung nicht entgegen­ steht, wenn die Cession vor Einleitung des Kriminalprozesses erfolgt, der Cessionar aber bei diesem Prozesse nicht zugezogen worden ist. O.Tr. III (Pr. 1578) v. 17. Mai 1845, Entsch. 11 S. 151. — H. Zwischen den Staaten des Deutschen Reiches kann nach Art. 3 der Reichs­ verfassung das Retorsionsrecht nicht mehr zur Anwendung kommen. 84) Viele gemeinrechtliche Rechtsgelehrten leiteten das Retorsionsrecht aus dem röm. Edikte quod quisque Juris etc. her und kamen dadurch zu der im §. 42 verworfenen Meinung, daß

I.

Von den Gesetzen überhaupt.

55

§. 45. Dagegen können aber auch Fremde durch Abtretung ihrer Rechte an hiesige ober andere mehr begünstigte Unterthanen, sich dem Retorsionsrechte nicht entziehn. §. 46. Bei Entscheidungen streitiger Rechtsfälle darf der Richter bett Gesetzen stu?$>“"ß —-------- — Gesetze N). schon die Verschiedenheit der Rechte die Retorsion rechtfertige, sowie zu der Behauptung, daß jeder Richter selbstständig darauf erkennen könne, wie z. B. Stryk, usus mod. II, 2 §. V. Die Retorsion der Rechte aber ist die civilistische Spezies der Repressalien im weiteren Sinne und gehört mithin dem Völkerrechte an, welches sie als Mittel zur Erhaltung der Rechtsgleich­ heit zwischen verschiedenen Nationen ausübt. Die Anwendung dieses Mittels kann daher nicht von untergeordneten Behörden, sondern nur von der Staatsregierung ausgehen, oder muß doch von der höchsten Gewalt genehmigt werden. Diesen Grundsatz spricht der §. 44 aus, doch nur beschränkt, indem es darnach scheint, als sollten nur die Gerichte erster Instanz der Genehmigung bedürfen, was nicht gemeint ist, da vielmehr von den Gerichten immer anzufragen ist. Vgl. A.G.O. I. 50 §. 162; ferner L.N. II. 8 §. 935 u. Krim.O. §. 96. Die prozessualische Form der Anwendung ist die Exception (vergl. ein R. v. 23. Febr. 1796 ad 9, in Rabe 3 S. 280), über welche erst nach eingeholter Genehmigung zu verfahren ist; wird die Einwilligung versagt, so wird die Exception als unzulässig verworfen. Ueber das Thatsächliche derselben wird, im Falle des Streits, wie gewöhnlich. Beweis erhoben, doch kann schwerlich ein anderes Beweis­ mittel als das Zeugniß oder Gutachten, des Ministeriums des Auswärtigen genügende Ueber­ zeugung verschaffen (B. v. 24. Nov. 1843, GS. S. 369), wenn nicht von notorischen Gesetzen oder Maximen des fremden Staates die Rede ist, die aber kürzlich sich auch wieder geändert haben können. Vergl. II. 8 §. 935. 85) Damit wird nur die sog. doktrinelle oder Privatauslegung gemeint; auf die sog. legale Interpretation beziehen sich die Bestimmungen gar nicht. Justinian hat die Privat­ auslegung und folgerichtig auch das Schreiben juristischer Bücher verboten; dafür aber die Anstalt getroffen, daß alle Auslegung durch ihn selbst geschah. L. 12 §. 1 C. de leg. (I, 14); L. 2 §. 21 C. de vetere jure enucl. (I, 17). Der Richter sollte nur mechanisch verfahren, sich jeder freien Geistesthätigkeit enthalten und im Zweifel anfragen. Ein gleiches Verbot, daß sich Niemand unterstehen sollte, einen Kommentar oder eine Dissertation über das Gesetzbuch zu schreiben, giebt das erste Gesetzbuch (Project des corp. jur. Frid.) Th. I Tit. 2 §. 10, und ein ähnliches Verbot enthält die landrechtliche Gesetzgebung in dem Epilog des Publ. Pat. v. 5. Febr. 1794, und in richtiger Folge davon ist der Privatauslegung, möge sie von Lehrern oder Richtern ausgegangen sein, jede bindende Kraft abgesprochen (Einl. §. 6); dagegen aber in einer Gesetzkommission eine Staatsanstalt errichtet worden, welche die Gewißheit und Einheit des Rechts durch bindende Auslegung der Gesetze, in ähnlicher Weise wie Justinian durch Reskripte, schützen sollte. Der Richter sollte, während des Prozesses, wenn er den eigentlichen Sinn der Gesetze zweifelhaft fände, bei dieser Gesetzkommission anfragen und nach deren Beschlusse den Prozeß entscheiden, doch sollten den Parteien die gewöhnlichen Rechtsmittel dagegen unbenommen bleiben. Einl. §§. 47 u. 48 Die Rechtsmittel konnten in Beziehung auf die Rechtsfrage selbstverständlich nie Erfolg haben, da ja den Auslegungen der Gesetzkommission bindende Kraft beigelegt war, also auch die Appel­ lationsgerichte sich darnach richten mußten. K.O. v. 14. April 1780 a. E. (Rabe 1 S. 439) ii. Pat. v. 28. Mai 1781 (N. C. C. VII S. 337). In dieser Form brachte die Stantsanstalt „den Uebelstand, daß dunkle und zweifelhafte Gesetze im Laufe eines Prozesses erklärt, und die Erklärungen auf vergangene Fälle angewendet wurden, wodurch die Parteien, indenr manche Prozesse im Grunde nach einem neuen Gesetze, das die Parteien vorhin nicht kennen konnten, entschieden wurden, in Schaden und Nachtheil kamen, ohne dabei einmal an kürzerer Dauer oder minderen Kosten zu gewinnen, da oft erst in der letzten Instanz angefragt, oder wenn solches auch in den ersten Instanzen geschah, dennoch von den Erkenntnissen, die sich auf solche Ent­ scheidungen der Gesetzkommission gründeten, das nachgelassene Rechtsmittel ergriffen wurde." Aus diesen Gründen wurden die Anfragen bei der Gesetzkommission im Laufe der Prozesse gänzlich abgeschafft. K.O. v. 8. März 1798 (Nabe 5 S. 86) u. Anh. §. 2. Durch diese Bestimmungen ward die Auslegung der Gesetze der freien Geistesthätigkeit der Richter überlassen. Der Mangel eines Instituts zur Erhaltung der Gewißheit und Einheit des Rechts paßte nicht zur landrechtlichen Gesetzgebung; das Bedürfniß führte zu einer anderen Einrichtung. Diese besteht theils in der Einführung eines Kassationsverfahrens unter dem Namen der Nichtigkeitsbeschwerde, auf welche, wenn das angegriffene Urtheil vernichtet wird, der Kassationsrichter ein eigenes Urtheil fällt (B. v. 14. Dez.' 1833 §. 17, G.S. S. 306); theils in der Anordnung eines Präjudizienbuches dieses Gerichtshofes (Ober-Tribunals) mit der Bestimmung, daß ein ausgesprochener Rechts­ grundsatz die übrigen Abtheilungen für künftige Fälle dergestalt bindet, daß davon nicht eigen­ mächtig abgegangen werden darf, vielmehr der neue Zweifel vor das Plenum gebracht werden muß und der darauf gefaßte Plenarbeschluß für künftige Fälle alle Senate bindet, bis durch die Gesetzgebung eine Abänderung erfolgt. K.O. v. 1. Aug. 1836 (G.S. S. 218); V. v. 21. Juli 1846, §. 25; G. v. 7. Mai 1856 (G.S. S. 293). H. Für das Reichsgericht ist in dem Gerichtsverf.Ges.

56

Einleitung.

§§. 46—48.

keinen andern Sinn beilegen, als welcher aus den Worten86), und dem Zusammen­ hänge derselben8?), in Beziehung auf den streitigen Gegenstand88), oder88) aus dem nächsten unzweifelhaften Grunde88) des Gesetzes deutlich ertheilet. §. 137 bestimmt, daß, wenn ein Civilsenat in einer Rechtsfrage von einer früheren Entscheidung eines anderen Civilsenats oder der vereinigten Civilsenate abweichen will, derselbe die Verhandlung und Entscheidung der Sache vor die vereinigten Civilsenate zu verweisen hat. Die Verweisung erfolgt an die vereinigten Strafsenate, wenn ein Strafsenat in einer Rechtsfrage von einer früheren Entscheidung eines anderen Strafsenats oder der vereinigten Strafsenate abweichen will. — Der §. 46 der Einl. kann, nach der Absicht der landrechtlichen Gesetzgebung, keineswegs als eine erschöpfende Vorschrift über die Regeln der Auslegungskunst angesehen werden, vielmehr setzt er Gesetze voraus, deren eigentlicher Sinn unzweifelhaft ist; und er weiset den Richter nur an, wie und aus welchen Erkennungszeichen er den Sinn in sich aufnehmen soll. Findet er den Sinn zweifelhaft, so soll seine geistige Thätigkeit beendet sein und er soll nach §§. 47 u. 48 anfragen. Nachdem er aber durch §. 2 des Anh. auf die eigene Auslegung verwiesen worden, muß er zwar weiter operiren, allein hierzu findet er in dem §. 46 keine Anleitung; vielmehr verweiset ihn der §. 2 des Anh. auf die allgemeinen Regeln wegen Auslegung der Gesetze, welche in dem L.R. nicht zu finden sind, eben weil der Richter sich mit der Auslegung nicht befassen sollte. Als Hülfsmittel bei der nun dem Richter zugefallenen Auslegung empfiehlt sich vor Allen: v. Savigny, System 1 §§. 32 bis 51. Vergl. auch Koch, Privatrecht 1 §§. 23 ff. (H. sowie G. F. H. Meyer, über Interpretation der Gesetze, mit besonderer Rücksicht auf die Benutzung ihrer Materialien, in Gruchot's Beitr. 23 S. 1, u. Deutschmann, über Auslegung der Gesetze, ebenda 24 S. 805.) — Uebrigens hat der deutsche Text vor den auch amtlichen Uebersetzungen der Gesetze den Vorzug. K.O. v. 20. Juni 1816, G.S. S. 204. 86) Der Richter soll den Gedanken, welchen der Gesetzgeber in dem Gesetze ausgesprochen hat, auffassen. Das Wort, das grammatische Element, vermittelt den Uebergang aus dem Denken des Einen in das des Anderen. Deshalb muß der Ausdruck in dem Sinne genommen werden, in welchem der Sprechende denselben zu gebrauchen pflegt. I. 4 §§. 67—69. Diese Regel findet auch auf Gesetze Anwendung. Vergl. O.Tr. I v. 19. Febr. 1851, Entsch. 20 S. 310. Stellt der Ausdruck nach der Sprachweise des Gesetzgebers oder, wenn dabei nichts Eigenthümliches ist, nach der gewöhnlichen Bedeutung zu der Zeit der Erscheinung (I. 4 §. 66) einen in sich vollendeten Gedanken dar, und findet er auch in der gleichzeitigen Beachtung der beiden übrigen Elemente, nämlich in dem logischen Elemente, dem Zusammenhänge, oder in dem historischen und dogmatischen kein Bedenken, diesen Gedanken für den wahren Willen des Gesetzgebers zu halten, so schließt seine Thätigkeit mit der Anwendung des ihm klaren Inhalts des Gesetzes. Giebt aber der Wortlaut weder nach der Sprachweise des Gesetzgebers, noch nach der gewöhnlichen Bedeutung einen in sich vollendeten Gedanken, oder wird es aus einem aus dem Zusammenhänge oder dem Grunde entnommenen Umstande zweifelhaft: ob dieser Gedanke der wahre Inhalt des Gesetzes sei, so muß er seine geistige Thätigkeit nach Vorschrift des §. 2 des Anh. fortsetzen. 87) Der Zusammenhang der Worte ist der Gegenstand des logischen Elements, der Auslegung; die Thätigkeit beschäftigt sich dabei mit dem logischen Verhältnisse der einzelnen Theile des Gedankens zu einander. — H. Ueber die Benutzung der Marginalien und des Registers zum L.R. als Hülfsmittel der Auslegung vergl. O.Tr. II v. 16. Jan. 1862, Entsch. 47 S. 193, Str. Arch. 43 S. 333, u. v. 12. Okt. 1847, Rechtsf. 3 S. 6. 88) Die Worte: „in Beziehung auf den streitigen Gegenstand" deuten das histo risch systematische Element der Auslegung an. Das fragliche Rechtsverhältniß, auf welches sich das auszulegende Gesetz bezieht, ist eine geschichtliche Erscheinung, meistens älter als dieses Gesetz. Die Worte des Gesetzes haben daher eine bestimmte Beziehung auf den damaligen Zustand des Rechtsverhältnisses. Diesen Zustand muß man kennen, um die Beziehung, d. h. die Weise zu verstehen, in welcher das neue Gesetz in denselben eingreifen sollte. Dazu verhilft die Geschichte; doch nicht für sich allein. Um „die Beziehung auf den streitigen Gegenstand", d. i. die Ge­ staltung des Rechtsverhältnisses durch das neue Gesetz zu erkennen, muß auch der innere Zu­ sammenhang, in welchem das fragliche Rechtsverhältniß oder Institut mit anderen Rechtsgrundsätzen und dem ganzen Rechtssysteme steht, zur Anschauung gebracht werden. Das ist die Aufgabe des systematischen Elements der Auslegung. Sonst machte man hieraus ebenso viel verschiedene Arten der Auslegung, über deren Verhältniß zu einander man zweifelhaft war; der heutige Stand der Rechtswissenschaft zeigt uns jedoch in diesen verschiedenen Thätigkeiten die Grund­ bestandtheile der Auslegung, welche vereinigt wirken müssen, v. Savigny, System I. 215. Der §. 46, welcher mit wenigen Worten ebendasselbe vorschreibt, ist ein Zeugniß des Gedanken­ reichthums und der sicheren Rechtskenntniß seiner Verfasser; er kennt und bezeichnet, die Elemente der Auslegung schon ein halbes Jahrhundert vor ihrer allgemeinen Anerkennung. 89) Der durch das „oder" mit den vorher aufgezählten Dingen (Wort, Zusammenhang, Beziehung) in Verbindung gebrachte „Grund" ist nicht Theil des Ganzen, sondern ein anderer Fall, welcher eintritt, wenn der erste mögliche Fall, daß die vereinte Thätigkeit der Theile der

I.

§. 47. und 48.

Von den Gesetzen überhaupt.

57

Fallen toeg91 * ).* * 90

Anh. §. 2. Findet der Richter den Sinn des Gesetzes zweifelhaft, so liegt es ihm zwar ob, den vorliegenden Fall nach den allgemeinen Regeln 92) wegen Auslegung der Gesetze zu entscheiden, und findet die Anfrage an die Gesetzcommission während des Laufes des Prozesses nicht mehr Statt; er muß aber die vermeinte Dunkelheit des Gesetzes dem Chef der Justiz zum

Behuf der künftigen Legislation anzeigen.

Auslegung nicht die Einsicht in den Inhalt des Gesetzes vollendet, nicht vorhanden ist. Denn dann ist das Gesetz mangelhaft und der „Grund" ist ein Mittel, mangelhafte Gesetze zu erklären. S. die folgende Anm. Vergl. auch I. 4 Z. 146. 90) Was hier unter „Grund des Gesetzes" (ratio legis) verstanden wird, ist ungewiß. Die Gelehrten waren damals und sind noch jetzt über den Begriff nicht einig. Einige verlegen ihn in die Vergangenheit und verstehen darunter den höheren Grundsatz, der das Gesetz beherrscht; Andere setzen ihn in die Zukunft und meinen damit die beabsichtigte Wirkung des Gesetzes (Absicht, Zweck). Jede von den beiden Beziehungen kann als Grund gewirkt haben. (H. Nach beiden Richtungen sind die Materialien eines Gesetzes bei vorsichtiger Benutzung von unver­ kennbarem Werthe. O.Tr. III v. 27. Sept. 1867, Str. Arch. 68 S. 202.) Ganz verschieden davon ist aber die sog. Veranlassung (occasio) des Gesetzes. 91) H. Lauteten: 47. Findet der Richter den eigentlichen Sinn des Gesetzes zweifel­ haft, so muß er, ohne die prozeßführenden Parteien zu benennen, seine Zweifel der Gesetz­ commission anzeigen, und auf deren Beurtheilung antragen. §. 48. Der anfragende Richter ist zwar schuldig, den Beschluß der Gesetzcommission bei seinem folgenden Erkenntnisse in dieser Sache zum Grunde zu legen; den Parteien bleiben aber die gewöhnlichen Rechtsmittel dagegen unbenommen." 92) Diese hat der Gesetzgeber nicht vollständig vorgeschrieben, sie müssen daher, soweit der §. 46 unzureichend ist, aus der Wissenschaft entnommen werden Vorausgesetzt ist ein wirklich oder vermeintlich mangelhaftes Gesetz, aus dessen Fassung mit den im §. 46 bezeichneten Ele­ menten kein unzweifelhafter Inhalt gewonnen wird. v. Savigny (System 1 S. §§. 35 ff.) giebt folgende Regeln: Die denkbaren Fälle mangelhafter Gesetze sind: 1. unbestimmter Ausdruck, der keinen in sich vollendeten Gedanken giebt; 2. unrichtiger Ausdruck, welcher einen von dem wahren Gedanken des Gesetzgebers verschiedenen Gedanken bezeichnet. Die erste Thätigkeit ist die Fest­ stellung des Falles. — Hülfsmittel sind: 1. Der innere Zusammenhang der Gesetz­ gebung, in sofern der mangelhafte Theil des Gesetzes aus einem anderen Theile desselben Gesetzes oder aus einem andern Gesetze, am sichersten aus einem Gesetze desselben Gesetzgebers, erklärt wird; doch dienen auch ältere Gesetze zur Erklärung, weil der Gesetzgeber solche gekannt hat. (L. 26, 27 D. de leg. I, 3.) In den pr. Gesetzen wird dieses Hülfsmittels nicht gedacht, es ist aber das allernächste und in täglicher Anwendung. 2. Der Grund des Gesetzes. Auf dieses Hülfsmittel verweist der §. 46 ausdrücklich, doch unter der sich von selbst verstehenden Bedingung, daß er unzweifelhaft (gewiß), wie z. B., wenn er in dem Gesetze selbst ange­ geben ist, und unter der Beschränkung, daß er der nächste sei. Damit verhält es sich so: Die Gesetze sind entweder regelrechte, d. h. solche, welche die Erkennbarkeit und Unbestreitbarkeit der Rechtsgrundsätze sichern sollen und sich auf höhere allgemeine Rechtsregeln beziehen (jus commune), oder absolute, anomale Gesetze (jus singulare), d. h. solche, durch welche aus be­ sonderen Gründen (politischen, staatswirthschaftlichen oder sittlichen) etwas in der Zukunft erreicht werden soll. Steht das Gesetz zu dem bekannten Grunde in einem unmittelbaren logischen Ver­ hältnisse wie der Grund zur unmittelbaren Folge, so ist dies der nächste Grund. Stehenbeide entfernt, so wird der Grund, wenn er an sich auch bekannt ist, um so unsicherer, als die Zahl der Mittelglieder zunimmt. Deshalb erkennt der §. 46 den entfernteren Grund nicht als Hülfs­ mittel an; die Auslegung muß, ohne Gewicht darauf zu legen, vollbracht werden, wie es geschehen müßte, wenn gar kein Grund gewiß oder überhaupt kein Grund vorhanden wäre. Bei den absoluten und anomalen Gesetzen, d. h. solchen, welche mit Absicht von den allgemeinen Regeln und der Folgerichtigkeit abweichen, weil dadurch eine bestimmte Wirkung in der Zukunft erreicht werden soll (Zweck, Absicht), ist diese Absicht der nächste Grund. Zur Auslegung dieser Gesetze ist der Grund weniger tauglich, aber zur Erkennung der Natur des Gesetzes, als eines unregel­ mäßigen oder anomalen, ist es ein ziemlich sicheres Mittel. Die Auslegung, welche aus dem Zwecke und der Absicht abgeleitet wird, verwirft der Gesetzgeber im Epilog des Publ.Pat. v. 5. Febr. 1794. Ueberhaupt ist es bei der Anwendung des Grundes des Gesetzes, besonders des ent­ fernteren oder allgemeineren, sowie bei dem Gebrauche des inneren Zusammenhanges verschiedener Gesetze (1), im pr. Rechte als Regel zu beachten: „daß alle älteren Gesetze, Edikte und Verord­ nungen, an deren Stelle das L.R. getreten ist, gänzlich aufgehoben und abgeschafft sind, und kein Kollegium, Gericht oder Justizbedienter sich unterfangen soll, das L.R. nach besagten aufgehobenen

58

Einleitung.

§§. 49—53.

§ 49. Findet der Richter kein Gesetz, welches zur Entscheidung des streitigen Falles dienen könnte, so muß er zwar nach den in dem Landrechte angenommenen allgemeinen Grundsätzen, und nach den wegen ähnlicher Fälle vorhandenen Ver­ ordnungen, seiner besten Einsicht gemäß, erkennen °3).

Rechten und Vorschriften zu erklären und auszudeuten." Ebd. Das L.R. muß aus sich selbst erklärt werden. 3. Der innere Werth des Ergebnisses. Dieses Hülfsmittel wird von den Rechtslehrern selbst für gefährlich gehalten, v. Savignp a. a. O. S. 225. Wegen seiner subjektiven Natur empfiehlt es sich wenig, und in der preuß. Gesetzgebung ist nur bei Rechts­ geschäften darauf ausdrücklich hingewiesen. I. 4 §. 74. Anwendung. I. Bei Unbestimmtheit des Ausdrucks. Die Unbestimmtheit kann eine Unvollständigkeit sein, wie z. B. in der A.G.O. II. 2 Z. 23, wo vorgeschrieben ist, daß dem instrumentirenden Beamten, zur Feststellung der Identität der handelnden Person, bekannte und unverdächtige Leute gestellt werden sollen, ohne Bestimmung der Zahl und des Geschlechts. Sie kann auch eine Mehrdeutigkeit des Ausdrucks oder der Wortfügung sein. Ueber die Art der Unbestimmtheit muß man sich vor allen Dingen in Klarheit setzen. Sodann hat man solche, zuerst durch den Zusammenhang der Gesetzgebung, darauf, wenn dieser Versuch erfolglos ist, aus dem nächsten Grunde, falls ein solcher bekannt und gewiß ist, womöglich zu beseitigen. Bei anomalen Gesetzen tritt der ausgesprochene Zweck oder die Absicht des Gesetzgebers an die Stelle des Grundes. Einl. $. 55 u. I. 4 § 70. Es ist aber im Zweifel so wenig wie möglich von den regelrechten allgemeinen Grundsätzen abzugehen. Einl. §. 57. — Die Würdigung des innern Werthes des Resultates muß zuletzt doch dann den Ausschlag geben, wenn mehrere Aus­ legungen an sich möglich sind, wovon die eine dein Gesetze alle Wirkung nimmt, die andere nicht (I. 4 §. 74; L. 19 D. de leg. I. 3); oder wenn das Gesetz nach der einen wohlthätiger ist als nach der andern, in sofern überhaupt das Gesetz einen wohlwollenden Inhalt hat. Vgl. Einl. §. 55; L. 192 §. 1 D. de leg. jur. (L. 17); L. 18, 56, 168 pr. I). de leg. (I, 3). II. Unrichtigkeit des Ausdruckes. Diese setzt die Thatsache voraus, daß der Gesetz­ geber einen anderen Gedanken ausdrücken wolle, als der gebrauchte Ausdruck erkennbar macht. Die Auslegung will daher den Ausdruck so berichtigen, daß er mit dem wahren Gedanken harmonirt, entweder durch eine ausdehnende Auslegung, wenn der Ausdruck weniger, oder durch eine einschränkend e,-wenn er mehr enthält. Beispiel einer ausdehnenden Auslegung ist die des §. 656 Th. II Tit. 2, welcher den unehelichen Kindern auf den Nachlaß der Mutter ein gleiches Erbrecht mit den ehelichen Kindern zuschreibt und die Auslegung gefunden hat, daß nicht nur dem unehelichen Kinde, sondern auch dessen ehelichen Abkömmlingen ein gleiches Erbrecht beigelegt sein soll. O.Tr. I v. 19. Febr. 1851, Entsch. 20 S. 307. — Bei' dieser Mangelhaftigkeit hilft das logische Element nicht, denn der Ausdruck giebt sowohl für sich als nach dem Zusammenhänge der Worte einen vollendeten Gedanken. Es bedarf einer geschicht­ lichen Beweisführung zur Bestätigung der Voraussetzung, daß der wahre Gedanke des Gesetz­ gebers ein anderer sei. Der Zusammenhang der Gesetzgebung wird für das unbedenklichste Mittel gehalten. „Wichtiger, aber auch bedenklicher" (sagt v. Savigny a. a. O. S. 233) „ist die Anwendung des zweiten Hülfsmittels", nämlich des Grundes des Gesetzes. Der entfernte oder allgemeine Grund wird als Mittel für diese Auslegung ganz verworfen, und damit stimmt der 46 der Einleitung überein. Der nächste oder spezielle Grund hingegen kann unbedenklich angewendet werden, wenn der Wortverstand (das grammatische Element) dem ausgesprochenen Grunde (oder Zwecke) widersprechen würde, z. B. wenn die Anwendung eines, die Begünstigung gewisser Personen bezweckenden, Rechtssatzes in einem Falle zu ihrem Schaden ausschlagen würde. L. 25 D. de leg. (I, 3), L. 6 C. eod. (I, 14). Vergl. A.G.O. I. 14 §. 11 a. E. und §. 14*. — Wenn es nicht gerade auf Beseitigung eines Widerspruchs zwischen dem ungenauen Ausdrucke und dem wahren Inhalte des Gesetzes, sondern auf die Findung der rechten Grenze der An­ wendung ankommt; so ist die wahrscheinliche Erklärung der Veranlassung des ungenauen Aus­ druckes, etwa, daß ein konkreter Ausdruck gebraucht worden, weil ein abstrakter fehlte oder wegen größerer Anschaulichkeit, das geeignete Mittel zum Beweise einer zulässigen ausdehnenden Aus­ legung. Auch der indirekte Ausdruck, welcher in dem sogenannten argumentum a contrario und in dem Ausspruche einer Ausnahme liegt, gehört zu dieser Art ausdehnender Auslegung, v. Savignp a. a. O. S. 235. Das dritte Hülfsmittel, nämlich der innere Werth des Ergeb­ nisses, ist zur Verbesserung eines vermeintlich unrichtigen Ausdrucks völlig unbrauchbar, weil der Ausleger seinen eigenen Gedanken willkürlich an die Stelle des Gesetzinhalts setzen und dann durch den Ausdruck verbessern müßte. — H. Die Materialien zu Anh. §. 2 s. in Löw enberg, Mot. 2 S. 22 u. 114. 93) Der Mangel einer auf den dem Richter vorgetragenen Rechtsfall passenden Rechtsregel berechtigt den Richter nicht, die Entscheidung zu verweigern, vielmehr soll er die Lücke in der Gesetzgebung durch Findung der passenden Regel ausfüllen. Nach einer Meinung vieler Schrift­ steller sollte der Stoff dazu aus einen: allgemeinen, über dem gegebenen Rechte stehenden Normal-

I.

Von den Gesetzen überhaupt.

59

§. 50. Er muß aber zugleich diesen vermeintlichen Mangel der Gesetze dem Chef der Justiz sofort anzeigen. §. 51. Sollte durch dergleichen Anzeige in der Folge ein neues Gesetz ver­ anlaßt werden, so kann dasselbe doch auf die vorher schon gültig vollzogenen Hand­ lungen keinen Einfluß haben94). §. 52. Betrifft die Frage ein Provinzialgesetz, Statut, oder Privilegium, so muß, ehe die Sache der Gesetzcommission vorgelegt wird, das Gutachten der Provinzial-Landescollegien von dem Justizdepartement darüber erfordert werden. §. 53. Wo kein Provinzial-Landesgesetz, oder andere dergleichen besondere Bestimmung vorhanden ist, hat es allemal bei den Vorschriften des allgemeinen Landrechts sein Bewenden9^). rechte, dem sogenannten Naturrechte genommen werden. Diese Meinung verwirft der §. 49, indem er vorschreibt, daß die Ergänzung aus dem positiven Rechte selbst geschehen soll. (H. Ein Beispiel: O.Tr. II v. 10. Sept. 1872, Entsch. 68 S. 46, insbes. S. 49.) Man gebraucht in dieser Beziehung das Wort Analogie. Was eigentlich damit bezeichnet werden soll, ist nicht ausgemacht. Einige verstehen darunter die geistige Thätigkeit (das Suchen und Finden des Rechtssatzes), Andere den Grund des gefundenen Rechtssatzes (die Ähnlichkeit), Andere den gefundenen Rechts­ satz selbst (Hufeland in Praecognit. jur. §. 53: Analogia Juris est regula Juris, non ex verbis, sed ex ratione legis deducta); v. Savigny, S. 391, nennt so das Verhältniß des gefundenen Rechtssatzes zu dem gegebenen positiven Rechte. Andere (Glück 1 S. 263) beziehen den Ausdruck nicht auf die Rechtsregel, sondern auf die Entscheidung eines unentschiedenen Rechts­ salles. Koch erscheint die Analogie als das Mittel zur Findung des ergänzenden Rechtssatzes nach einem gegebenen Muster. Die Rechtsfindung soll „nach den in dem Landrechte angenommenen allgemeinen Grund­ sätzen, und nach den wegen ähnlicher Fälle vorhandenen Verordnungen" geschehen. (H. Der Richter darf daher nicht ohne Weiteres auf das gemeine Recht zurückgreifen, sondern hat zu prüfen, ob sich die Entscheidung nicht durch analoge Anwendung von Vorschriften des A. L.R. finden lasse. R.G. II H. v. 4. März 1880, Entsch. 2 S. 316.) Jene, die allgemeinen Grund­ sätze, kommen in Betracht, wenn in einem bekannten Rechtsinstitute einzelne Rechtsfragen unent­ schieden gelassen worden sind: diese sind nach den Grundsätzen dieses Rechtsinstituts und deren innerem Zusammenhänge zu beantworten. Die „Verordnungen wegen ähnlicher Fälle" werden zu Vorbildern genommen, wenn ganz neue Rechtsverhältnisse entstehen und Rechtsstreitigkeiten veranlassen: hier wird ein innerlich verwandtes Rechtsinstitut (ähnlicher Fall), unter den bereits bekannten, aufgesucht und zum Muster der Nachbildung genommen. Bei der Analogie wird allemal von einem Gegebenen ausgegangen. Ist dies ein einzelnes Gesetz, so heißt es: man argumentire ex ratione legis (Entscheidung ex argumento legis); sind es abstrahirte Rechts­ grundsätze, so spricht man von argumenta a consequentia. In allen Fällen untauglich zur Analogie aber sind absolute Vorschriften, Ausnahmgesetze oder Gesetze, welche von dem regel­ mäßigen Rechte aus besonderen Gründen abgehen; denn es sollen nur die „angenommenen allgemeinen Grundsätze" leiten. Vergl. L. 14 D. de leg. (I, 3); L.R. II. 2 §§. 410, 415. H. Vergl. O.Tr. III v. 24. April 1871, Gruchot Beitr. 16 S. 137. Das O.Tr. hat die Vorschrift des §. 49 auch auf den Fall angewendet, wenn nicht die Vorschriften des L.R., sondern fremde Landesgesetze zur Anwendung kommen. Erk. IV v. 11. Okt. 1860, Str. Arch. 38 S. 308. Der §. 49 d. T. paßt aber nicht auf diesen Fall. Wenn aus einem nach fremden Rechten zu beurtheilenden Rechtsverhältnisse zu klagen ist, so darf der Kläger seine Klage nicht nach den Vorschriften des L.R. begründen, da der Beklagte denselben nicht unterworfen; es ist nicht Sache des Beklagten, einwandsweise das fremdländische Recht darzulegen und zu dociren; vielmehr genügt zur Abwehr einer solchen Klage der Einwand, daß das L.R. nicht Anwendung finde und daß die Begründung nach den Vorschriften des anzu­ wendenden Rechts nicht dargelegt sei. Vergl. übrigens das Erk. des O.Tr. IV v. 17. Jan. 1856, Str. Arch. 19 S. 284, H. u. das in der Zeitschr. f. Gesetzg. 3 S. 556 mitgetheilte Erk. d. O.Tr. v. 1869 u. die dortigen Ausführungen von Zahn. 94) Die Voraussetzung ist eine Lücke in der Gesetzgebung, welche durch ein neues Gesetz ausgefüllt wird. Dieser §. und der §. 15 haben also verschiedene Beziehungen. 95) Die Vorschrift bezieht sich auf die Auslegung und auf die Lückenhaftigkeit des Pro­ vinzialrechts. Sie ist nicht so aufzufassen, daß ein dunkles Provinzialgesetz nach den allgemeinen Grundsätzen des L.R. ausgelegt oder ganz bei Seite gestellt und durch die Vorschriften des L.R. ersetzt werden soll, vielmehr muß jedes Provinzialgesetz aus sich selbst ausgelegt werden. Findet sich kein Gesetz, d. h. tritt der Fall des §. 49 ein, so ist zu unterscheiden. Kommt die Frage in einem provinzialrechtlichen Institute vor, so muß die Lücke aus der Provinzialgesetzgebung

60

Einleitung.

§§. 54—66.

§. 54. Privilegien96 * *) und * verliehene Freiheiten müssen, in zweifelhaften Fällen, so erklärt werden, wie sie am wenigsten zum Nachtheile des Dritten gereichen9?). §. 55. Im übrigen sind die verliehenen Privilegien und Freiheiten so zu deuten, daß die wohlthätige Absicht des Gebers dabei nicht verfehlt oder vereitelt werde. §. 56. Privilegien und Freiheiten, welche durch einen lästigen Vertrag er­ worben worden, sind nach den Regeln der Verträge zu erklären und zu beurtheilen98). §. 57. Außerdem sind alle dergleichen besondre Gesetze und Verordnungen so zu erklären, wie sie mit den Vorschriften des gemeinen Rechts, mit beut Haupt­ endzwecke des Staats am nächsten übereinstimmen99).100 §. 58. Uebrigens ist auf den eigentlichen Inhalt des Privilegii, im zweifel­ haften Falle mehr, als auf die darin angeführten Bewegungsgründe^o) der ersten Verleihung, Rücksicht zu nehmen. über dasselbe analogisch ergänzt werden. Vergl. Erk. d. O.Tr. v. 3. Juni 1848, Entsch. 16 S. 311. Entwickelt sich aber in einer Provinz ein neues Institut, so fällt dasselbe dem gemeinen Rechte anheim, d. h. die Vorschrift dieses §. 53 kommt zur Anwendung. 96) Der Begriff eines Privilegii paßt nicht auf die Uebertragung einer zum Staatseinkommen gehörigen Einnahme an eine Stadtgemeinde. Pl.Beschl. des O.Tr. v. 8. Januar 1855, Entsch. 29 S. 334, Str. Arch. 15 S. 320. — Streitigkeiten darüber: ob ein behauptetes Privilegium wirklich bestehe, oder nicht, und welche Folgen event, daraus herzuleiten seien, müssen im Rechts­ wege entschieden werden. Erk. des Komp.-Gerichtsh. v. 11. Juni 1864, J.M.Bl. S. 380. — H. Privilegien haben für die dadurch begründeten Rechtsverhältnisse die Natur von Gesetzen; unrichtige Auslegung derselben begründet daher die Nichtigkeitsbeschwerde wegen Verletzung materieller Rechte. O.Tr. I v. 13. Juni 1870, Str. Arch. 77 S. 356. 97) Jedes Privilegium wird stillschweigend auf Recht oder Unrecht, unbeschadet der Rechte eines besser Berechtigten, ertheilt; und dem berechtigten Dritten bleibt die rechtliche Aus­ führung seines besseren Rechtes unbenommen. In diesem Falle muß der neu Privilegirte soweit zurückstehen, daß der besser Berechtigte in seinem Rechte bleibt. Vergl. Einl. §§. 68 und 95; O.Tr. III v. 23. Aug. 1849, Entsch. 18 S. 334. Hat das Recht des älter Berechtigten nicht die Eigenschaft der Ausschließung, so soll doch das neue Privilegium im Zweifel so erklärt werden, wie der Dritte am wenigsten Nachtheil leidet. Auf diesen Fall also bezieht sich die Auslegungsregel; außerdem darf der Dritte gar keinen Nachtheil haben. Denn ein Privilegium, welches dem Rechte eines Dritten schadet, gilt für erschlichen oder für sub- et obreptitie emanirt, wie Müller, Promptuar. VI p. 3 n. 3 sich ausdrückt, welcher bei den hier gegebenen Regeln über Auslegung der Privilegien benutzt worden ist. (Gesetzrev. Einl. S. 121, 122.) In gleicher Weise schreibt das O.Tr. a. a. O. dem Dritten die exceptio ob- oder subreptionis zu. — M. vergl. aus der vorlandrechtlichen Zeit: Jo. Gothofred. Schaumburg, Prof, juris Jenensis, de natura Privilegiorum, tarn gratiosorum, quam conventionalium, ex genuinis principiis exhibita. Jenae 1736. 98) Dieser Grundsatz (Note 97) bedarf noch einer näheren Bestimmung. Die drei §§. 54 bis 56 sind zusammenzufassen; sie haben die damalige Theorie über Verleihung von Privilegien vor Augen. Viele Schriftsteller behaupteten ganz allgemein, es könne ein ähnliches Privilegium noch Anderen ertheilt werden, wenn auch dadurch der früher Privilegirte einigen Nachtheil erleide. Vorausgesetzt ist natürlich die Möglichkeit gleichzeitiger Ausübung mehrerer Privilegien, nach dem Gegenstände. Andere bestritten die allgemeine Gültigkeit des Satzes. Es sei zu unter­ scheiden, ob die ältere Konzession per modum contractus (wohin man auch Verleihungen zur Belohnung rechnete), oder mera ex gratia erlangt worden sei. In dem ersten Falle dürfe dem Privilegirten die spätere Verleihung nicht zum Nachtheile gereichen, vielmehr sei das neue Privilegium für eine Sub- oder Obreption zu halten. Hierauf bezieht sich der §. 56. Im zweiten Falle aber würden neue Verleihungen dadurch, daß der früher Privilegirte einigen Nachtheil erleide, nicht gehindert. Dies ist die Voraussetzung des §. 54, nur soll das neue Privilegium so genommen werden, wie es dem früher Begünstigten den wenigsten Nachtheil bringt. Doch, fügt §. 55 bei, darf das neue Privilegium in keinem Falle ohne alle Wirkung bleiben. Vergl. Müller I c. p. 7—9. 99) Dieser allgemeinen Auslegungsregel ist schon oben in der Anm. 92 gedacht worden. 100) Der Grund ist von dem das Recht bestimmenden Inhalte des Gesetzes immer getrennt zu denken, er darf nicht als ein Bestandtheil desselben angesehen werden. Es verhält sich damit wie bei den richterlichen Entscheidungen. Ist der Inhalt unzweifelhaft, so kommt auf den Grund nichts an; bei dunklem Inhalte nach Einl. §. 46 zu verfahren (Anm. 92). — Bei der Frage über den Anfang der Wirksamkeit kommt es auf die Beschaffenheit des Falles an. Die Lehre, daß erst die Publikation wirksam mache (Hommel, Rhaps., obs. 583; Schilt er, exercit. I cor. 15), ist nicht überall anwendbar.

I.

Von den Gesetzen überhaupt.

61

§. 59. Gesetze behalten so lange ihre Kraft, bis sie von dem Gesetzgeber ausdrücklich wieder aufgehoben werden ’). §. 60. So wenig durch Gewohnheiten"), Meinungen der Rechtslehrer, Er­ kenntnisse der Richter, oder durch die in einzelnen Fallen ergangenen Verordnungen:i) neue Gesetze eingesührt werden können; eben so wenig können schon vorhandene Gesetze auf dergleichen Art wieder aufgehoben werden. §. 61. Statuten und Provinzialgesetzc werden durch neuere allgemeine Gesetze nicht aufgehoben, wenn nicht in letzteren die Aufhebung der ersteren deutlich ver­ ordnet ist 4). §. 62. Bei Aufhebung besonderer Statuten, Provinzialgesetze und Privilegien, müssen diejenigen, die es zunächst angeht, mit ihrer Nothdurft gehört werden ’’)■ §. 63. Privilegien, welche einer bestimmten Person") verliehen worden, er­ löschen mit dem Abgänge des Privilegirten. §. 64. Dagegen gehen Rechte und Privilegien, welche der Sache ankleben, auf einen jeden Besitzer über, in so fern die Gesetze, oder die Verleihungsurkunden, nicht ausdrücklich ein anderes besagen. §. 65. Ist ein oder der andere Besitzer zur Ausübung des der Sache an­ klebenden Rechts unfähig, so ruht dieses Recht so lange, bis die rechtlichen Hinder­ nisse wieder gehoben sind. §. 66. Ist das Privilegium oder Recht auf die Person, in Verbindung mit der Sache') gerichtet, so erlöscht dasselbe durch die Trennung des Besitzers und der Saches). 1) Nichtanwendung (desuetudo), auch wenn sie noch so alt ist, gilt nicht als Aufhebungs­ art. — Zur ausdrücklichen Aufhebung gehört auch die Aufhebung eines ganzen Instituts oder eine wesentliche Umbildung desselben, womit die einzelnen Gesetze, welche das Institut betreffen oder die sonstige Wesenheit desselben voraussetzen, fallen. Nicht weniger enthalten abändernde Gesetze überhaupt eine ausdrückliche Aufhebung, wenn auch die übliche Klausel: „alle entgegen­ stehenden Vorschriften sind aufgehoben", fehlt. (H. Vergl. O.Tr. IV v. 11. März 1873, Entsch. 69 S. 165, Str. Arch. 90 S. 101.) Unter solchen Gesetzen sind besonders diejenigen, durch welche ein vorhandenes Gesetz theilweise aufgehoben wird, mit Aufmerksamkeit zu behandeln. Ein Beispiel ist die theilweise Aufhebung des §. 174 Tit. 14 Th. I L.R. durch die Dekl. v. 6. April 1839 §. 13. Vergl. unten die Anm. zu §. 174 d. T. Ein solches Beispiel giebt auch die L. 32 §. 6 C. de appell. (VII, 62). 2) Für kaufmännische Observanzen (Handelsusancen) bestimmt das H.G.B. Art. 1 das Gegentheil. — Dieser §. 60 wäre bei der erschöpfenden Bestimmung des §. 59 füglich zu ent­ behren. 3) Darunter sind diejenigen verstanden, von welchen der §. 5 der Einl. spricht. 4) Zufolge der Regel: lex posterior generalis non derogat priori speciali. Zweifel­ hafte Beispiele kommen vor in dem Erk. des O.Tr. v. 22. Mai 1848, Entsch. 16 S. 328, 329, und dem Plenarbeschl. v. 7. Jan. 1850, Entsch. 19 S. 57. Es gilt in dieser Hinsicht auch die Regel, daß, wenn ein Inbegriff von Rechtsbestimmungen, z. B. das Lübische Recht, einmal recipirt oder verliehen worden ist, die Reception der einzelnen Vorschriften nicht besonders nach­ gewiesen zu werden braucht, vielmehr umgekehrt derjenige, welcher die Unanwendbarkeit einzelner Bestimmungen behauptet, die gesetzmäßige Abschaffung beweisen muß. O.Tr. v. 27. Sept. 1844, Entsch. 10 S. 234. 5) Diese Anweisung geht den Richter nicht an; ist ein Privilegium durch den Gesetzgeber aufgehoben worden, so findet der Rechtsweg darüber nicht statt: ob der Betroffene gehört worden und folglich die Aufhebung gültig sei, oder nicht. 6) Hinsichts der Erben s. folg. Anm. Alinea 3. 7) Die §§. 63—66 setzen die bekannte Eintheilung der Privilegien, nach dem Träger der­ selben, in pr. personalia (§. 63), pr. realia (§. 64) und pr. mixta (§. 66), voraus. Wichtiger als die Klassifizirung ist die oft zweifelhafte Thatsachenfrage: ob ein gewisses Privilegium von der einen oder der andern Art sei. Die Schriftsteller aus der Zeit des L.R. sind verschiedener Meinung darüber: was im Zweifel anzunehmen. Einige (Cocceji, jur. controv. I, 4; Stryk, de privileg. Interpret. I n. 36) wollen die Realität, Andere (Walch, introd. in controv. jur., Proleg. c. II §. 8; Einert, exercit. jur. qua privilegium in dubio magis pro personal! quam reali reputandum etc. Lips. 1778) die Personalität vermuthet wissen. Andere (Berger, Oec. jur. I, 1 th. XXV) sehen auf den Titel: ob er ein lästiger, oder ein

62

Einleitung.

§§. 67—75.

§. 67. Privilegien, welche nur auf eine bestimmte Zeit verliehen worden, er­ löschen mit derselben Ablauf. §. 68. Ist das Privilegium ausdrücklich nur unter einer festgesetzten Bedingung verliehen, so kann dasselbe ohne Erfüllung dieser Bedingung nicht ausgeübt werden. §. 69. Auch Privilegien, welche zu einem bestimmten Endzweck gegeben sind, hören auf, wenn der Zweck gar nicht, oder doch ferner nicht mehr, erreicht werden kann. §. 70. Privilegien, auch solche, die durch einen lästigen Vertrag erworben worden, kann der Staat, jedoch nur aus überwiegenden Gründen des gemeinen Wohls, und nur gegen hinlängliche Entschädigung des Privilegirten, wieder aufheben"). freigebiger; und entscheiden bei dem ersteren für die Realität, bei dem anderen für die Perso­ nalität; Andere (V o e t, Comment. I, 4 §. 14) unterscheiden nach dem Inhalte: ob er dem Inhaber nützlich und keinem Dritten schädlich, oder ob das priv. umgekehrt ein pr. odiosum. Im ersten Falle wird für ein Real-, im andern für ein Personalprivilegium vermuthet. Eine singuläre Meinung (Hartleben, med. D. sp. XIV m. 5) ist noch die, daß zu unterscheiden sei zwischen Privilegien, welche preeario, und solchen, welche conventionis titulo ertheilt worden. Die letzteren, möge die Konvention titulo oneroso oder gratuito eingegangen sein, sollen im Zweifel für mixta, die anderen für personalia gehalten werden. Das Proj. des corp. jur. Frid. hatte I. 2 §. 20 die Meinung ausgenommen, daß ein Privilegium in dubio pro personal! gehalten werden solle. Im L.R. findet keine von allen diesen verschiedenen Meinungen An­ erkennung; es giebt keine Präsumtion weder für die eine, noch für die andere Art, vielmehr muß Jeder seine Behauptung beweisen. Das O.Tr. hat angenommen: die in einem Privilegium enthaltene erbliche Verleihung deute zwar auf ein persönliches Privilegium hin; solle aber nach dem ferneren Inhalte des Privilegii dasselbe zugleich mit dem Besitze eines anzulegenden Werkes verbunden sein, so würde das verliehene Recht allen Erben und Rechtsnachfolgern der ursprünglich beliehenen Person zu Theil. O.Tr. III v. 28. Nov. 1856, Str. Arch. 23 S. 86. Persönliche Privilegien (§. 63) gehen nicht auf die Erben über, mögen sie auf lästige oder wohlthätige Art erworben sein, worüber man sonst stritt. Vergl. §. 102. Lautet die Verleihung aber auf eine bestimmte Person und deren Erben, so ist gewiß, daß es nicht mit dem Tode der Person erlischt. Ob es aber auf alle Erben ohne Unterschied, oder nur auf gewisse und auf was für Erben übergeht, ist streitig. Das L.R. äußert sich darüber nicht. Die Analogie aus den Bestimmungen in Beziehung auf Lehen (I. 21 §. 359) oder Erbzinsgüter (§. 694 ebend.) oder Erbpacht (1. 21 §. 181) ist wegen Ungleichheit der Verhältnisse unzutreffend. Man hat die (von anderer Seite, namentlich von Pufendorf, obs. jur. univ., IV, 25, Wernher, obs., P. VIII n. 424; Berger, resp. I resp. 218 bestrittene) Jnterpretationsregel gegeben, daß unter Erben und Nachkommen nur die Abkömmlinge des Privilegirten zu verstehen. Es läßt sich darüber keine allgemeine Regel geben; es kommt auf die Feststellung des wahren Inhalts, nach Anleitung des §. 46 der Einl., §. 2 des Anh. und §. 58 der Einl., an, wobei jede aus­ dehnende Auslegung abzuweisen. Wenn z. B. das Privilegium auf die Person des Beliehenen und dessen Kinder lautete, so wäre das ein in sich völlig vollendeter und klarer Gedanke. Es müßten daher sehr überzeugende und zwingende Beweisgründe beigebracht werden, um an­ zunehmen, der Verleiher habe einen falschen Ausdruck, einen konkreten für den abstrakten ge­ braucht, und das Wort „Kinder" müsse in Abkömmlinge verbessert werden. Das würde den Regeln der Auslegungskunst überhaupt und der besonderen Vorschrift des §. 58 der Ein­ leitung widersprechen. 8) Durch die Trennung erlischt das Privilegium. Was einmal ganz erloschen ist, kann von selbst nicht wieder aufleben. Daraus folgt, daß, wenn der Privilegirte hinterdrein mit der Sache wieder in Verbindung tritt, das erloschene Privilegium von selbst nicht wieder hergestellt ist. Vergl. Walch, introduct. in controv. Prolog, c. II §. 6. A. M. Leyser, Sp. XI. m. 1, weil eigentlich erst mit dem Tode des Privilegirten das Privilegium exspirire. Diesen Meinungsstreit schlichtet der §. 66. In wiefern es zulässig, die Ausübung des Privilegiums auf einen Anderen zu übertragen, hängt von der Beschaffenheit und dem Inhalte des Privilegiums ab. Im Allgemeinen kommen hier die Grundsätze über persönliche Berechtigungen zum eigenen Gebrauche einer fremden Sache (I. 19 §§. 20—27; II. 15 §§. 101, 105) in Anwendung. Vergl. Müller 1. c. p. 13. 9) Die Fassung ist beliebt worden, um den „gar zu schwankenden Ausdruck: zum Besten des allgemeinen Wesens, welchen der Entwurf hatte, wenigstens in etwas näher zu be­ stimmen." Jahrb. 52 S. 64. — Ueber die Befugniß zur Aufhebung der Privilegien wider­ sprechen sich die vorlandrechtlichen Schriftsteller. Die §§. 70 u. 71 entscheidenden Streit nach der Meinung, welche Klüber, kleine jur. Bibl. 7 S. 75 ff. rechtfertigt, Übereinstimmend mit dem

II.

Allgemeine Grundsätze des Rechts.

63

§. 71. Die Entschädigung selbst kann nicht anders, als durch Vertrag, oder rechtliches Erkenntniß festgesetzt werden. §. 72. Wer eines groben Mißbrauchs seines Privilegii, zum Schadendes Staats, oder seiner Mitbürger, durch richterliches Erkenntniß schuldig befunden wird, der hat sein Recht verwirkt, und kann keine Entschädigung dafür fordern. §. 73. Ein jedes Mitglied des Staats ist, das Wohl und die Sicherheit des^eUE-undgemeinen Wesens, nach dem Verhältnisse seines Standes und Vermögens, zu unter- Ue des stützen verpflichtet1 ]). §. 74. Einzelne Rechte und Vortheile der Mitglieder des Staats müssen den Rechten und Pflichten zur Beförderung des gemeinschaftlichen Wohls, wenn zwischen genen seine beiden ein wirklicher Widerspruch (Collision) eintritt, nachstehn. igcu §. 75. Dagegen ist der Staat denjenigen, welcher seine besondern Rechte und Vortheile dem Wohle des gemeinen Wesens aufzuopfern genöthigt wird, zu entschädigen gehalten^). Grundsätze §. 75 Einl. Darnach soll nicht schon jeder Vortheil des Staats, nicht jedes Interesse, sondern es sollen nur überwiegende Gründe des Gemeinwohls zum Widerrufe berechtigen. Das geht jedoch den Richter nicht an, denn über die Aushebung ist der Rechtsweg nicht zulässig. Es soll aber für das aufgehobene Privilegium nicht allein dann, wenn es durch lästigen Vertrag erworben, sondern auch wenn es ursprünglich umsonst gegeben worden ist, hinlängliche Ent­ schädigung, deren Betrag in Ermangelung einer Vereinigung der Richter nach seinem Ermessen bestimmt, gegeben werden. Doch nach einer einschränkenden Auslegung in dem Falle nicht, wenn das Privilegium oder Privateigenthum (§. 75) einzelner Mitglieder des Staats durch einen Akt der Gesetzgebung benachtheiligt wird, oder verloren geht, und in dem betreffenden Gesetze eine desfallsige Entschädigung von Seiten des Staats nicht zugesagt ist. O.Tr. II (Pr. 863) v. 8. Mai 1840, Pr.S. S. 4; Erk. des Gerichtsh. zur Entsch. der Kompetenz-Konfl, v. 9. Febr. 1856, J.M.Bl. S. 87, u. v. 13. Febr. 1858, J.M.Bl. S. 254. Dies findet namentlich An­ wendung auf die Rechte der Privatsalinen bei Einführung der Salzregie. O.Tr. II v. 3. April 1856, Entsch. 32 S. 160. Als ein solches Gesetz ohne Vorbehalt stellt sich auch das Zollgesetz v. 26. Mai 1818 und speziell dessen tz. 27 dar. O.Tr. I v. 14. Juli 1865, Str. Arch. 60 S. 112. Die §§. 70 u. 75 finden nur auf den Fall Anwendung, wenn das Privateigenthum Einzelner durch eine B erw altungsmaßregel beeinträchtigt wird oder verloren «zeht. (Ebend. S. 119.) — In Betreff der Entschädigung für eine Prahm- und Fährgerechtigkeit s. w. unten (Th. II Tit. 15) die Anm. zu §§. 5, 6, 8 der V. v. 16. Juni 1838. — Konzessionen von bloß prekärer Natur können willkürlich, ohne Entschädigung, zurückgenommen werden. Pr. v. 23. April 1801, Mathis S. 192. 10) Dieser unbestimmte Ausdruck bezieht sich weder auf die Gesinnung (dolus) des Han­ delnden, noch auf den für Andere schädlichen Erfolg, sondern auf das Verhältniß der unrecht­ mäßigen Anwendung zur Berechtigung. Ohne Vorsatz (dolus) giebt es keinen Mißbrauch, denn Mißbrauch in dem hier gemeinten strafrechtlichen Sinne ist Gebrauch, nicht in der Meinung eines zustehendes Rechts und des eigenen Vortheils wegen (animo suam utilitatem promovendi), sondern in gehässiger Gesinnung zum Verdrusse oder Schaden eines Andern (ad aemulationem aut injuriam alicujus). I. 8 SS. 27, 28; I. 6 §. 37. Die prozessualische Form ist der Strafprozeß. — Bei vertragsmäßigen Rechten ist Mißbrauch schon ein kontraktwidriger Ge­ brauch. O.Tr. I (Pr. 1039) v. 30. Aug. 1841, Entsch. 7 S. 147. Quelle des §. 72: c. 7 D. LXXIV; c. 11, 24 X. de privilegiis (V, 33): — „privilegium meretur amittere, qui permissa sibi abutitur potestate.“ Vergl. c. 43 X. de rescr. (I, 3); L. 3 C. de aquaeductu (XI, 42). 11) Wenn die Durchstechung eines Dammes von der Landespolizei-Behörde im Interesse des allgemeinen Wohls angeordnet und ein Dritter dadurch in seinem Eigenthume beeinträchtigt wird, so ist über die dafür zu gewährende Entschädigung der Rechtsweg zulässig. Entsch. des Komp.Gerichtsh. v. 3. Mai 1856, J.M.Bl. S. 171. 12) Zu den Worten „dem Wohle des gemeinen Wesens" vgl. §. 70 u. Anm. 9. H. Die in den §§. 73—75 u. in Art. 9 der Verfassungsurkunde aufgestellten Grundsätze haben in dem Gesetze über die Enteignung von Grundeigenthum v. 11. Juni 1874 (abgedruckt in den Zusätzen zu I. 11 §. 3) eine umfassende Ausbildung erfahren. Vgl. An­ merkungen zu diesem Gesetze. Gleichwohl bleibt hier noch Folgendes anzumerken: I. Die §§. 73—75 enthalten den Grundsatz: „daß, wenn das Interesse der Gesammtheit der Einwohner des Staats eine Einrichtung in der Verwaltung erfordert, die das Privateigen­ thum gefährdet, die Entschädigung des Einzelnen aus dem Gesammtvermögen zu leisten sei."

64

Einleitung.

§. 75.

Gutachten des Staatsministeriums u. 16. Nov. 1831 und K.O. v. 4. Dez. 1831. (G.S. S. 255.) Folglich kann der Eigenthümer eines Grundstücks die Kosten der polizeilich nothwendig be­ fundenen Beseitigung einer gesundheitsgefährlichen Beschaffenheit seines Grundstücks, z. B.-die Zuschüttung eines ohne sein Zuthun versumpften Teiches, lediglich aus dem Grunde des Eigen­ thums zu tragen nicht verbunden sein; er muß vielmehr entschädigt werden. O.Tr. II v. 21. Juni 1860, Entsch. 43 S. 19. (H. Eine Stadt, welcher während der Abwesenheit des Militärs die Bewachung einer Staatsanstalt anbefohlen wird, kann nach §. 75 Entschädigung für die ent­ standenen Kosten verlangen. O.Tr. II v. 3. Juni 1869, Entsch. 62 S. 298.) Der Fall der Ent­ schädigung ist aber nicht vorhanden: 1) wenn das Privateigentum Einzelner durch einen Akt der Gesetzgebung benachtheiligt wird, oder verloren geht, und in dem betreffenden Gesetze eine Entschädigung nicht zu­ gesagt ist. Anm. 9 u. 16. 2) wenn die Befugniß zur Anlage schon aus den Bestimnmngen der §§. 36—38 Tit. 6 u. §8- 26 bis 28 Tit. 8 Th. I hergeleitet werden kann, d. h. wenn der Staat auf fiska­ lischem oder gemeinem Staatseigenthume gemeinnützige Anlagen macht, wozu jeder Privateigenthümer vermöge seines Eigenthums auch berechtigt sein würde, wenngleich daraus einem Anderen Nachtheile entstehen. O.Tr. Pl. (Pr. 2220) v. 1. Juli 1850, Entsch. 20 S. 3. Anwendung: Erk. II v. 20. Dez. 1853, III v. 2. Juli 1852 u. II v. 10. März 1853, Str. Arch. 11 S. 164; 6 S. 222; 8 S. 338. Dadurch wird nicht ausgeschlossen, daß aus besonderen Gesetzen oder aus besonderen Verhältnissen auch in diesem Falle der Anspruch auf Entschädigung hergeleitet werden kann. (Entsch. 20 S. 4 u. 10.) — H. Vgl. die ausführliche Erörterung der hier berührten Fragen in dem Erk. des O.Tr. II v. 22. Dez. 1873, Entsch. 72 S. 1, Str. Arch. 90 S. 345. 3) wenn die auf Grund eines Spezialgesetzes getroffene Maßregel nicht das Eigenthum ent­ zieht, sondern nur eine Eigenthumsbeschränkung zur Folge hat, und das Gesetz eine Ent­ schädigung nicht anordnet, welches z. B. in dem Falle, wenn durch Erweiterung oder Verlegung der Festungsrayons die Grundstücksbenutzung vermindert wird, nicht geschehen ist. Regulativ v. 10. Sept. 1828 (G.S. S. 119). O.Tr. I v. 15. Nov. 1850, Entsch. 20 S. 101. Dies ist aber nicht auf den Fall auszudehnen, wenn das Eigenthum an einem Grundstücke durch eine polizeiliche, aus Gründen des öffentlichen Wohls erlassene Ver­ fügung beschränkt wird. O.Tr. II v. 19. Dez. 1872, Entsch. 68 S. 265, u. III v. 11. Nov. 1852, Str. Arch. 86 S. 353 (abweichend vom Erk. III v. 24. Febr. 68, Str. Arch. 71 S. 74, u. den das. S. 81 eit. Erk.). Siehe auch unten bei n. 4) wenn von einer gesetzlichen Beschränkung des Eigenthums Rede ist, z. B. von der Verpflichtung der Eigenthümer der Ufer öffentlicher Flüsse, den zur Einrichtung des Lein­ pfades erforderlichen Theil des Ufers herzugeben. II. 15 §. 57; I. 22 §. 1 u. I. 8 §. 33. O.Tr. v. 9. März 1849, Entsch. 17 S. 374. 5) H. wenn durch Veränderungen an öffentlichen Straßen Anwohner Nachtheile erleiden, ohne daß ein wohlerworbenes Recht derselben zur ungeschmälerten Benutzung der Straße ver­ letzt wird. Ein solches Recht ist den Anwohnern von Stadt- und Dorfstraßen beizumessen, da diesen Straßen die Natur eines für den Verkehr unbedingt erforderlichen Verbindungs­ mittels beiwohnt, aber sticht den Anwohnern von Landstraßen und Chausseen, die den Zweck haben, Ortschaften zu verbinden (II. 15 §. 1). N.G. V v. 23. Okt. 1880, Gruch. Beitr. 25 S. 1049; vgl. die Gründe des Erk. des O.Tr. III v. 22. Dez. 1873, Entsch. 72 S. 1. Dagegen ist es nicht nothwendig, daß das Interesse der Gesammtheit der Staatsbürger oder aller Landestheile unmittelbar betheiligt sei, sondern es ist genug, wenn das Wohl eines ganzen Landstrichs unmittelbar befördert wird, wie z. B., wenn bei Ueberschwemmungen eines Strom- oder Deichgebiets die Ableitung über die nicht inundirten Grundstücke einzelner Gemeinden oder Personen mittelst Durchstichs bewerkstelligt wird. O.Tr. III v. 10. Nov. 1848, ]ü-/2i7 III. 48. Denn mittelbar interessirt bei der Erhaltung eines solchen Landestheiles immer die Gesammtheit. Dieser Grundsatz, daß die besprochene Vorschrift sich keineswegs bloß auf Verfügungen, die lediglich das allgemeine Landesinteresse betreffen, beschränke, sondern alle Fälle umfasse, wo der Einzelne von Seiten der Staatsbehörden genöthigt wird, sein be­ sonderes Recht zum Besten anderer Staatsangehöriger aufzugeben oder zu beschränken, wird von dem O.Tr. auch in dem Erk. I v. 8. Febr. 1856, betreffend das Rechtsverhältniß der Berliner Marktbuden oder Scharren, anerkannt. (Entsch. 32 S. 23.) Vergl. G. v. 11. Mai 1842 §. 4, G.S. S. 192. Dies ist jedoch als Rechtsgrundsatz nicht festgehalten; in späteren ähnlichen Fällen ist die Stadtgemeinde und nicht der Fiskus für ersatzpflichtig erklärt worden. (Unten Anm. zu §. 31 Tit. 8.) Dann ist wieder in dem Erk. II v. 23. April 1863, Entsch. 49 S. 80, der Fiskus verurtheilt worden. In diesem Falle wurde das Vorhandensein eines allgemeinen Landes­ interesses gefunden, weil es sich um die Verschönerung der Landeshauptstadt handelte und un­ mittelbare Genehmigung des Landesherrn vorlag. Diese Gründe hat jedoch derselbe II. S. des O.Tr. bei der Entsch. eines späteren gleichen Falles wieder verworfen und ausgeführt, der Be-

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Allgemeine Grundsätze des Rechts.

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21. Verfassungsurkunde vom 31. Januar 1850. Art. 9. Das Eigenthum ist unverletzlich. Es kann nur aus Gründen des öffentlichen Wohles gegen vorgängige, in dringenden Fällen wenigstens vorläufig festzustellende Entschädigung nach Maaßgabe des Gesetzes entzogen oder beschränkt werden. bauungsplan für Berlin sei nur zum Besten der Stadt Berlin bestimmt. Erk. II v. 5. Okt. 1865, Entsch. 56 S. 23 Note *). Als Rechtsgrundsatz ist schließlich angenommen, daß die Ver­ pflichtung des Fiskus zum Schadensersätze wegen Eingriffe in das Privateigentum nur auf die Fälle, welche das allgemeine Landesinteresse betreffen, beschränkt ist, und keineswegs überall eintritt, wo der Einzelne Seitens des Staats oder seiner Behörden genöthigt wird, sein be­ sonderes Recht zum Besten anderer Staatsangehörigen aufzugeben oder zu beschränken. O.Tr. III v. 27. Febr. 1865, Entsch. 53 S. 31, und wieder in dem Erk. II v. 31. Mai 1866, Entsch. 56 S. 19. Vergl. unten Anm. zu §. 31 Tit. 8 u. Anm. zu §. 66 Tit. 8. Die Frage, wer im einzelnen Falle dieser Art die Entschädigung zu leisten hat, ist thatsächlicher Natur und hängt davon ab, in wessen Interesse die Expropriation erfolgt, ob deren Nutzen dem Staate in seiner Gesammtheit, oder innerhalb desselben bestimmten Kreisen oder Personen zu Gute kommt. O.Tr. II v. 14. Juli 1859, Str. Arch. 34 S. 183. Wenn z. B. der Eigenthümer eines Hauses dasselbe zum Wiederaufbaus abbricht und ihm das Recht zum Wiederaufbaue des Gebäudes in seiner bisherigen Lage und in seinen früheren Grenzen zum Besten des Gemeinwohls, behufs Verbreiterung der Straße, von der Polizei entzogen wird, so muß ihm die Stadtgemeinde für die Entschädigung aufkommen. O.Tr. II v. 24. April 1860, Entsch. 43 S. 23. Vergl. die Erk. dess. III v. 21. März 1851 u. II v. 20. Dez. 1853, Str. Arch. 1 S. 320 u. 11 S. 164. — Ebenso ist, wenn die Deichbehörde in Folge ihrer gesetzlichen Befugniß zur Abwendung größeren Schadens einen Deichdurchstich hat bewirken lassen, der Deichverband verpflichtet, die durch den Durchstich beschädigten Grundbesitzer zu entschädigen. O.Tr. III v. 2. Juli 1852, Str. Arch. 6 S. 220. — H. Die Entscheidung eines Kreisausschusses, durch welche ein Weg für den öffent­ lichen Verkehr in Anspruch genommen wird, begründet keinen Anspruch gegen die Staatsbehörde. O.Tr. II v. 28. Nov. 1876, Entsch. 79 S. 88. H. Voraussetzung eines Anspruches aus §. 75 ist stets, daß man zu einer Aufopferung genöthigt worden, daß man also einen Schaden erlitten habe. Derjenige aber, welcher ein Grundstück erworben hat, nachdem dasselbe bereits durch einen obrigkeitlich festgestellten Be­ bauungsplan von der Bebauung ausgeschlossen war, erleidet durch Versagung der polizeilichen Bauerlaubniß keinen Schaden. O.Tr. II v. 29. Nov. 1877, Str. Arch. 99 S. 255. II. Anwendungen des Grundsatzes sind: a) Einl. §§. 70 u. 71 (Anm. 9); b) I. 8 §§. 29—32 u. 105, wegen Einschränkung des Eigenthums Einzelner; c) I. 9 §8. 258—262, wegen Wegschaffung von Alluvionen der Ufergrundstücke; d) I. 11 §§. 4—11, über den erzwungenen Verkauf; e) I. 22 3—10, wegen Einräumung einer nothwendigen Grundgerechtigkeit; f) H. Ges. über die Benutzung der Privatflüffe v. 28. Febr. 1843, G.S. S. 41, §§. 8—12, betr. die Verpflichtung, die Benutzung des Flusses zum Holzflößen zu gestatten; vgl. hierzu O.Tr. II v. 9. Juli 1868, Str. Arch. 72 S. 52; g) H. Gesetz, betr. die für die Aufhebung der Grundsteuer-Befreiungen und Bevorzugungen zu gewährende Entschädigung, v. 21. Mai 1861, G.S. S. 327; über die Person des Em­ pfangberechtigten vgl. O.Tr. III v. 4. März 1870, Entsch. 63 S. 385, Str. Arch. 77 S. 257, ferner O.Tr. I v. 19. Febr. u. 28. Juni 1872, Entsch. 67 S. 322 u. 277; h) Allg. Berggesetz v. 24. Juni 1865 §§. 135 ff. u. 148 ff., betr. die Ueberlassung von Grund und Boden an Bergbauende; i) H. Reichs-Gewerbe-Ordn. v. 21. Juni 1869 8. 51, betr. die Untersagung der ferneren Benutzung einer gewerblichen Anlage aus Gründen des Gemeinwohls; ferner die ebenfalls auf Gründen des Gemeinwohls beruhenden, gegen die Verbreitung ansteckender Krankheiten gerichteten Gesetze, soweit sie in das Eigenthum eingreifen, insbesondere das Reichsgesetz, betr. Maßregeln gegen die Rinderpest, v. 7. April 1869, B.G.Bl. S. 105, u. das Reichs­ gesetz, Maßregeln gegen die Reblauskrankheit betr., v. 6. März 1875, R.G.Bl. S. 175; k) H. Die Bestimmungen des Reichsgesetzes über die Kriegsleistungen v. 13. Juni 1873, R.G.Bl. S. 129, u. des Reichsgesetzes über die Naturalleistungen für die bewaffnete Macht im Frieden v. 13. Febr. 1875, R.G.Bl. S. 52; l) H. §§. 34 ff. des Reichsgesetzes, betr. die Beschränkungen des Grundeigenthums in der Umgebung von Festungen, v. 21. Dez. 1871, R.G.Bl. S. 459 (Zus. zu I. 8 §. 31); m) H. $§. 11 ff. des Gesetzes, betr. die Anlegung und Veränderung von Straßen und Plätzen in Städten und ländlichen Ortschaften, v. 2. Juli 1875, G.S. S. 561; vgl. hierzu Str. Arch. 99 S. 218; ü) §. 4 des G. v. 11. Mai 1842, G.S. S. 193, betr. Eingriffe der Polizei in Privatrechte, welcher lautet: „Steht einer polizeilichen Verfügung ein besonderes Recht auf Befreiung (§. 2.) Koch. Allgemeines Landrecht. I. 6. Aufl. 5

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Einleitung.

§§. 76—80.

§. 76. Jeder Einwohner des Staats ist den Schutz desselben für seine Person und sein Vermögen zu fordern berechtigt. §. 77. Dagegen ist Niemand sich durch eigene Gewalt Recht zu schaffen^'') befugt. §. 78. Die Selbsthülfe kann nur in dem Falle entschuldigt werden, wenn die Hülfe des Staats zur Abwendung eines unwiederbringlichen^) Schadens zu spät kommen würde. nicht entgegen, es wird aber behauptet, daß durch dieselbe ein solcher Eingriff in Privat­ rechte geschehen sey, für welchen nach den gesetzlichen Vorschriften über Aufopferungen der Rechte und Vortheile des Einzelnen im Interesse des Allgemeinen, Entschädigung gewährt werden muß, so findet der Rechtsweg darüber Statt: ob ein Eingriff dieser Art vorhanden sey, und zu welchem Betrage dafür Entschädigung geleistet werden müsse. — Eine Wieder­ herstellung des früheren Zustandes kann in diesem Falle niemals verlangt werden, wenn solche nach dem Ermessen der Polizei-Behörde unzulässig ist." In Beziehung auf diesen Fall ist behauptet worden, die Entschädigungsklage finde erst dann statt, nachdem der Beschwerdeweg gegen die polizeiliche Verfügung betreten und durch alle Instanzen erfolglos verfolgt worden sei. Dies erklärt das O.Tr., mit Recht, für unrichtig. Zwar sei der Beschwerdeweg gegen polizeiliche Verfügungen der vorliegenden Art ebenso, wie gegen polizeiliche Verfügungen überhaupt, zulässig, daß aber die nach §. 4 zu gewährende Entschädigung davon abhängig wäre, daß gegen die polizeiliche Verfügung zunächst der Beschwerdeweg eingeschlagen worden, sei im Gesetze nicht ausgesprochen, der rechtliche Grund der Entschädigung liege auch in dergleichen Fällen gar nicht darin, daß die polizeiliche Ver­ fügung gesetzwidrig oder unzulässig wäre, sondern darin, daß durch dieselbe ein Eingriff in Privatrechte geschehen, für welche nach den gesetzlichen Vor­ schriften über Aufopferung der Rechte und Vortheile des Einzelnen im Interesse des Allgemeinen Entschädigung gewährt werden müsse. Erk. II v. 5. Juli 1866, Str. Arch. 64 S. 185. — H. Aber nicht ein jeder durch den Akt eines Exekutiv­ beamten bewirkte beschädigende Eingriff in die durch das Gesetz anerkannte Rechtssphäre eines Einzelnen legt dem Staate die Pflicht der Entschädigung auf. Der hierüber in den §§. 74, 75, wie er in der Kab.O. v. 4. Dez. 1831 näher erläutert ist, läßt eine Entschädigung des Einzelnen durch den Staat nur alsdann eintreten, wenn das Gesammtinteresse der Staatseinwohner eine das Privateigenthum gefährdende Einrichtung im Wege der Verwaltung erfordert; es wird daher vorausgesetzt, daß das Staatswohl und die Beschädigung des Einzelnen in einem Kausal­ zusammenhänge stehen, und daß ersteres die letztere nöthig gemacht hat. O.Tr. I v. 6. Mai 1872, Str. Arch. 86 S. 97. III. Ueber die Frage der Zweckmäßigkeit und Nothwendigkeit des Eingriffs in die Privat­ rechte ist, mit Ausnahme des anomal behandelten Falles wegen Einräumung einer nothwendigen Wegegerechtigkeit (II lit. e), der Rechtsweg unstatthaft; wohl aber ist er im petitorischen Prozesse (vgl. Anm. zu I. 7 §. 146 u. Anm. zu I. 8 §. 30) nicht allein über den Betrag der Vergütigung, sondern auch darüber offen: ob ein zur Entschädigung geeigneter Eingriff vorhanden sei, d. h. ob die bloße Ausübung eines Privatrechts vorliege, oder eine vom Staate ausgehende Expropriation vermöge des ihm zustehenden Hoheitsrechts stattfinde. Gesetz über die Zulässigkeit des Rechtsweges in Beziehung auf polizeiliche Verfügungen v. 11. Mai 1842 §. 4 (G.S. S. 193); L.R. Einl. §. 71 und I. 11 §§. 10, 11; Reg.Jnstr. v. 26. Dez. 1808 §. 37 (G.S. 1817 S. 283), und Bericht des Staatsministeriums v. 16. Rov. 1831 (G.S. S. 256) ; Entsch. des O.Tr. 20 S. 8,9. Die Frage z. B.: ob der von der Verwaltungsbehörde für einen öffentlichen Weg erklärte Weg bisher als Privatweg im ausschließlichen Eigenthume des Grundbesitzers gewesen, und welche Entschädigung deshalb demselben für die Enteignung dieses Weges zu leisten sei? ist dem Rechtswege nicht entzogen. G. v. 11. Mai 1842 §. 11; O.Tr. II v. 9. Dez. 1856, Str. Arch. 33 S. 137. 13) Auf die Privatgewalt beziehen sich noch I. 3 §§. 26—29. Die Selbsthülse hat, nach pr. R., keine nachtheiligen Civilfolgen. Ueber R. R. s. Koch, Priv. R. §. 206 und Recht der Forderungen §. 401, außerdem: Linde, Abh. über die Selbsthülfe; in der Zeitschrift für Civilrecht und Prozeß, 1 S. 392 flg. und Sartorius, ebd. 20 S. 1; Dr. Benfey, Beiträge zur Lehre von der Selbsthülfe nach Römisch-Justinianeischem Rechte, im Rheinischen Museum 7 S. 1; H. v. Schwarze im Rechtslexikon 10 S. 125. 14) Die Vorschrift des §. 78 bezieht sich auf die strafrechtliche Seite der unerlaubten Selbsthülfe, welche im Strafrechte des L.R. als ein Vergehen figurirte. Das Strafgesetzbuch von 1851 (H. ebenso das von 1871) kennt ein solches Vergehen nicht, die Selbsthülfe kann nur als widerrechtliches Eindringen in ein fremdes Besitzthum, oder als Beschädigung, oder als Ent­ wendung verfolgt werden. Dabei kommt denn der Entschuldigungsgrund, welchen der §. 78 anerkennt, auch noch im heutigen Rechte zur Anwendung. Der Meinungsstreit: ob unter der Unwiederbringlichkeit des Schadens eine absolute, oder eine relative, oder auch eine nur ver-

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Allgemeine Grundsätze des Rechts.

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§. 79. Die Entscheidung der vorfallenden Streitigkeiten, so wie die Bestimmung der zu verhängenden Strafen, muß den, einem jeden Einwohner des Staats durch die Gesetze angewiesenen Gerichten überlassen werden^). 22. Verf.-Urkunde vom 31. Januar 1850. Art. 7. Niemand darf seinem gesetzlichen Richter entzogen werden. Ausnahmegerichte und außerordentliche Kommissionen sind unstatthaft. Art. 8. Strafen können nur in Gemäßheit des Gesetzes angedroht oder verhängt werden. 23. Gerichtsverfassungsgesetz vom 27. Januar 1877. R.G.Bl. S. 41. §. 16. Ausnahmegerichte sind unstatthaft. Niemand darf seinem gesetzlichen Richter ent­ zogen werden. Die gesetzlichen Bestimmungen über Kriegsgerichte und Standrechte werden hiervon nicht berührt.

§. 80. Auch Rechtsstreitigkeiten zwischen dem Oberhaupte des Staats, und seinen Unterthanen, sollen bei den ordentlichen Gerichten, nach den Vorschriften der Gesetze, erörtert und entschieden werden^). meintliche, oder doch vernünftigerweise befürchtete zu verstehen, ist bei der veränderten Beweis theorie unerheblich; es kommt lediglich auf die Ueberzeugung des Richters an: ob der Selbsthelfer ein Recht, und nach den Umständen sowie der Persönlichkeit des Verletzten eine Gefährdung an seinem Rechte zu befürchten vernünftigen Grund hatte, wenn er nicht eigenmächtig eingeschritten wäre. Ein Richter, welcher diese Ueberzeugung hat, wird den Angeklagten wohl für entschuldigt halten, und ihn also nicht schuldig sprechen. 15) Zur Begründung der schiedsrichterlichen Kompetenz bedarf es eines darauf gerichteten, von den Parteien vor Einleitung des Prozesses rechtsgültig geschlossenen und, unabhängig von den Prozeßverhandlungen, selbstständig beurkundeten Vertrages (Kompromisses), widrigenfalls der schiedsrichterliche Spruch nichtig ist. Die Erklärungen in den Prozeßschriften, dem Schiedsgerichte gegenüber abgegeben, ersetzen diesen Vertrag nicht, und die Mandatarien der Parteien müssen zur Abschliehung des Kompromisses mit Spezialvollmacht versehen sein. A.G.O. Th. I Tit. 2 §§. 167, 176. O.Tr. IV v. 2. Mai 1861, Str. Arch. 40 S. 363. H. Vgl. C.P.O. §§. 851 ff. Die Bestimmung im Statut einer Versicherungsgesellschaft, daß den Mitgliedern gegen Beschlüsse des Direktoriums keine gerichtliche Klage, sondern nur Berufung an die Generalversammlung zustehe, widerspricht der Vorschrift im §. 79 und ist deshalb unverbindlich. O.Tr. IV v. 8. März 1870, Str. Arch. 78 S. 63. Vgl. auch O.Tr. I v. 24. April 1876, Entsch. 77 S. 93. H. Wohl aber ist mit §. 79 verträglich die Bestimmung in den Statuten :ines Knappschaftsvereins, daß lediglich der Vereinsvorstand zu entscheiden habe, ob die thatsächlichen Voraussetzungen vorliegen, unter denen einem Vereinsmitgliede statutenmäßige Unterstützung zusteht. O.Tr. III v. 9. April 1877, Entsch. 79 S. 309, u. R.G. V v. 25. Sept. 1880, Entsch. 2 S. 311. 16) Nach der auf Grund des Staatsministerial-Berichtes v. 16. Nov. 1831 erlassenen K.O. v. 4. Dez. 1831, G.S. S. 255, „wendet der §. 80 den Grundsatz des §. 79 nur auf die privat­ rechtlichen Verhältnisse des Landesherrn an, um auszudrücken, daß auch für diese kein spezieller und außerordentlicher Gerichtsstand stattfinden dürfe, daß also Prozesse des Landesherrn aus fiskalischen Rechten und Nutzungen (II. 14 §§. 11 ff. u. A.G.O. I. 35 §. 1) und aus Privat­ handlungen (II. 13 §. 18) den ordentlichen Gerichten zu überweisen sind. Die Gerichte müssen innerhalb der durch die Gesetze und die Gerichtsordnung ihnen vorgezeichneten Grenzen das prozessualische Verfahren und die richterliche Entscheidung wider fiskalische Behörden in Vertretung der Staatsverwaltung auf Gegenstände des Privatrechts beschränken und sich enthalten, Gegenstände des Majestätsrechts auf das Gebiet privatrechtlicher Verfügungen zu ziehen." — Diese K.O. und die ihr zum Grunde liegende Belehrung der Gerichte seitens des Ministeriums ist darauf berechnet, den Unterschied des Fiskus (des Staats als Erwerbsgesellschaft, oder als Subjekts von Privat­ rechten) und der Majestäts- und Hoheitsrechte (des Staats als Gesellschaft zur Verwirklichung des Staatszwecks) in Erinnerung zu bringen. In der zweiten Eigenschaft giebt es für den Staat und dessen Oberhaupt keinen Richter; was er in dieser Eigenschaft thut, dafür ist der Fiskus oder die Staatskasse nicht verantwortlich, Niemand kann für Nachtheile, welche ihm durch Regierungs­ handlungen entstehen, Ersatz fordern, wenn nicht ein besonderes Gesetz eine Ausnahme vorschreibt. Daher ist z. B. unzulässig eine Klage gegen den Fiskus auf Ersatz erlittener Kriegsbeschädigungen (G.S. 1831 S. 255), oder auf Anerkennung der Ablösbarkeit einer Gewerbberechtigung (Pl.-Beschl. des O.Tr. v. 30. Mai 1842, Entsch. 8 S. 118), oder auf Entschädigung, wenn das Privateigentum Einzelner durch einen Akt der Gesetzgebung benachtheiligt wird (s. o. Anm. 12 Nr. I, 1), oder über Verwaltungsansprüche an den Staat aus der Zeit der ehemaligen Fremdherrschaft in den neu und wiedereroberten Provinzen, sowie über solche Forderungen, welche aus einem Akte des Hoheitsrechtes jener Zeit hergeleitet werden (Entsch. des Komp.-Gerichtsh. v. 12. April 1862,

68

Einleitung.

§§. 81—87.

§. 81. Den Schutz gegen auswärtige Feinde erwartet der Staat lediglich von der Anordnung seines Oberhauptes. Quelle des §. 82. Die Rechte des Menschen entstehen durch seine Geburt, durch seinen Rechts. Stand, und durch Handlungen oder Begebenheiten, mit welchen die Gesetze eine be­ stimmte Wirkung verbunden haben17 * *).* * * * * * * * * * * * * * §. 83. Die allgemeinen Rechte18) des Menschen gründen sich auf die natür­ liche Freiheit, sein eigenes Wohl, ohne Kränkung der Rechte eines Andern, suchen und befördern zu können. §. 84. Die besondern19) Rechte und Pflichten der Mitglieder des Staats beJ.M.Bl. S. 235), oder auf Entschädigung für die Rechte der Privatsalinen bei Einführung der Salzregie in Landestheilen, wo bis dahin der Salzhandel nicht Staatsmonopol war (O.Tr. II v. 3. April 1856, Entsch. 32 S. 160), oder auf Anfechtung der im Wege der Säkularisation erfolgten Einziehung von Stiftungskapitalien (Erk. des Komp.-Gerichtsh. v. 3. Jan. 1857, J.M.Bl. S. 231), oder auf Entschädigungsansprüche für Verluste, welche durch die in dem Reichs-DeputationsHauptschlusse v. 25. Febr. 1803 angeordnete Aufhebung des Rheinzolles den Betheiligten entstanden sind (Entsch. des Komp.-Gerichtsh. v. 15. Okt. 1859, J.M.Bl. 1860 S. 326). Man hat dagegen eingewendet, der Satz sei staatsgefährlich, weil unwahr, wenn er bedeuten sollte, das unabhängige Staatsoberhaupt sei befugt, seine Staatsgewalt nach Willkür zu gebrauchen, hierdurch wohlerworbene Rechte Einzelner, wäre es auch für dringende Staatszwecke, ohne Schadloshaltung, wesentlich zu verändern, zu schmälern, vorzuenthalten, zu unterdrücken, und dieselben sich, den Domänen oder dem Fiskus zuzueignen. (Klüber, die Selbstständigkeit des Richteramtes, Franks. 1832, S. 129, und Müller, Arch. für die neue Gesetzgebung aller deutschen Staaten, H. 2 S. 201.) Allein dieser Zweifelsgrund gehört in das ganz andere Kapitel der Expropriation und muß abgeklärt werden. Die Expropriation hat zwei Bestandtheile. Der eine ist der Allsspruch der Regierungs­ gewalt, daß ein bestimmtes Subjekt die Befugniß haben solle, zu einem bestimmten Zwecke die Erwerbung einer Sache gegen deren Eigenthümer zu erzwingen (Ertheilung des Expropriations­ rechts) ; dieser Akt ist wesentlich eine Regierungshandlung und niemals Gegenstand einer richter­ lichen Beurtheilung. Der andere Theil, die Erwerbung selbst, gehört in das privatrechtliche Gebiet. Verordnet z. B. die Regierungsgewalt die Erbauung einer Festung an einem bestimmten Orte, so ist der Fiskus dieses Subjekt und muß die zu erwerbenden Grundstücke, ebenso wie eine mit dem Expropriationsrechte beliehene Privatperson, bezahlen. Jener Zweifelsgrund ist also nicht zutreffend. Die Säkularisation von Klostergütern kann, als ein Akt des landesherrlichen Hoheitsrechts, nicht im Rechtswege angefochten werden. Dagegen ist der Rechtsweg zulässig, wenn es sich um die Erfüllung privatrechtlicher Verpflichtungen handelt, welche auf den säkularisirten Gütern haften. — Ist die Säkularisation früher von einem anderen Landesherrn erfolgt, und das Gut demnächst auf Preußen übergegangen, so können die auf demselben haftenden Privatverpflichtungen nicht als Verwaltungsschulden aus der Zeit der Fremdherrschaft angesehen werden, d. h. der Rechtsweg ist hier durch die K.O. v. 4. Febr. 1823, G.S. S. 21, betr. die Unzulässigkeit des Rechtsweges wegen Verwaltungs schuld en, nicht ausgeschlossen. Erk. des Komp.-Gerichtsh. v. 22. Sept. 1860, J.M.Bl. 1861 S. 221. 17) Die §§. 82—86 beschäftigen sich abstrakt mit dem, was das ältere Landrecht (Corp. jur. Fried.) I. 1 Tit. 3 die drei Objekte der Gerechtigkeit nennt. Alle Rechte, heißt es dort §. 2, fließen aus drei Hauptquellen: ex statu hominum, ex jure rerum, ex obligatione personae. Dieser Eintheilung soll der §. 82 entsprechen. Man findet hier jedoch nur eine Zweitheiligkeit, welche mit Vorbedacht an dre Stelle jener Dreitheiligkeit gesetzt worden ist, indem man dafür hielt, daß alle Obligationen am Ende die Erwerbung irgend einer Sache oder eines Rechts be­ zweckten, und deshalb als Erwerbstitel zum Sachenrechte gehörten. Schr. des Großkanzlers v. Carmer in Mathis 11 S. 205. Dieser Grundeintheilung der Gegenstände des Rechts entsprechen die beiden Theile des L.R. — Die Ausdrücke in diesem §. 82: „durch seine Geburt, durch seinen Stand", beziehen sich auf den status hominum (Tit. 1); die Worte: „durch Hand­ lungen und Begebenheiten", deuten die beiden anderen, mit einander verschmolzenen Haupt­ gegenstände des Rechts an. (Tit. 2 und 3.) 18) „Die allgemeinen Rechte" sind diejenigen, welche, konkret ausgedrückt, aus dem status hominum naturalis fließen, welcher „eine Kondition und Qualität ist, welche immediate die Person affizirt, und allen Menschen von Natur ankleben". Corp. jur. Fried; I. 1 Tit. 4 §. 8. „Dieser status hominum ist dreifach: libertatis, civitatis, familiae.“ §. 9 1. c. Das ist es, auf was der abstrakte Ausdruck dieses §. zielt. Der beigefügte philosophische Grund dieser „allgemeinen Rechte" gehört nicht in das Gesetzbuch. 19) Die Verfasser folgen in ihrer Abstraktheit dennoch dem konkreten Gedankengange der Rechtsgelehrten und der vorhergehenden Gesetzgeber. „Die besonderen Rechte" rc. sind diejenigen,

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Allgemeine Grundsätze des Rechts.

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ruhen auf dem persönlichen Verhältnisse, in welchem ein Jeder gegen den Andern, und gegen den Staat selbst, sich befindet. §. 85. Rechte und Pflichten, welche aus Handlungen oder Begebenheiten entspringen, werden allein durch die Gesetze bestimmt2^. §. 86. Rechte, welche durch die Gesetze nicht unterstützt werden, heißen un­ vollkommen, und begründen keine gerichtliche Klage oder Einrede21 * *).* * * * * * 20 §. 87. Handlungen, welche weder durch natürliche, noch durch positive Gesetze verboten worden, werden erlaubt genannt22). welche nicht aus dem statu naturali, sondern aus besonderen bürgerlichen Einrichtungen und Zuständen entspringen. „Alle anderen Status, außer diesen dreien, fließen nicht aus dem statu hominum naturali, sondern aus den Civilrechten, welche einigen Menschen wegen ihres besonderen Zustandes auch einige besondere Rechte beigelegt haben." §. 16 1. c. Dahin gehören z. B. die Verschiedenheit der Menschen nach dem Alter, dem Geschlechte, dem Gewerbsstande u. s. ro. Das ist der Gegenstand dieses §. 84. Unter „dem persönlichen Verhältnisse" wird nicht jedes persön­ liche, z. B. kontraktliche Verhältniß, sondern das bestimmte standesrechtliche Verhältniß (Statusrecht) verstanden. 20) Ueber die Verbindung der beiden Begriffe (Rechte und Pflichten) hier und in dem vorhergehenden §. s. unten Anm. 25 zu §. 91; und über den Begriff von Obligation nach Römischem und nach Allgemeinem Landrechte: Koch, Recht der Forderungen, 2te Ausg. Bd. 1 §. 2 S. 9. — Der abstrakte Lehrsatz dieses §. bezieht sich auf diejenigen Civilrechte, welche nicht aus den persönlichen Zuständen entstehen, sondern eine besondere Begründung erfordern, namentlich auf die dinglichen und persönlichen Vermögensrechte. Diese Rechte werden insofern immer durch die Gesetze bestimmt, als alle Rechtsinstitute und Rechtsverhältnisse ihr Bestehen der Anerkennung der Gesetzgebung entlehnen. Die Vorschrift ist mithin nicht etwa, wie es wohl schon vorgekommen, so aufzufassen, als wären alle Rechte, die nicht in die Kategorie der §§. 83 u. 84 passen, jura ex lege ohne weitere Jndividualisirung, vielmehr soll sie andeuten, daß sie nicht den zustands­ rechtlichen Verhältnissen (Statusrechten) angehörigen Rechte nur unter der Voraussetzung, und nur insofern zur Geltung kommen können, als die Gesetze solche anerkennen und zulassen. Daher kann durch Willenserklärung (Vertrag) kein Recht oder Rechtsverhältniß begründet werden, welches, wie z. B. die Erbpacht, abgeschafft ist oder sonst der Anerkennung entbehrt; und ebenso können durch andere Handlungen, die nicht Willenserklärungen sind, nur insofern Civilrechte entstehen, als die Gesetze solche daran knüpfen. Vergl. I. 3 g. 32. Mit diesem §. 85 sind die folgenden beiden §§. 86 und 87 zu verbinden; sie beziehen sich nicht auf die vorhergehenden §§. 83 und 84. — In einer Entscheidung des Königsberger Tribunals v. 1826 (Simon's Rechts'spr. 2 S. 377) wird der Satz behauptet, daß „die Gesetze", wodurch nach diesem §. 85 die aus Handlungen u. s. w. entspringenden Rechte bestimmt werden, die Gesetze der Gerichtsbarkeit des Handelnden seien. Dieser Satz ist in seiner Allgemeinheit falsch. S. d. Anm. 71 zu §. 33. 21) Die hier gemeinten Rechte sind solche, welche durch Handlungen nach der Absicht der Parteien begründet werden sollten, oder durch Begebenheiten nach dem Moralgesetze entstehen sollten, die aber von dem bürgerlichen Rechte nicht anerkannt werden; sie sind ein der röm. Naturalobligation Aehnliches. Eine Klage ist aus einem solchem „unvollkommenen Rechte" nie zu begründen. Dagegen erleidet die Regel, daß dadurch auch keine Einrede begründet werden kann, manche Ausnahme, z. B. I. 16 §§. 178, 179; IL 2 §. 138. Näheres hierüber in Koch, Priv.R. §. 453. Die Eintheilung in „vollkommene" und „unvollkommene" Rechte ge­ hört dem Zeitalter des L.R. an; die Begriffe standen aber nicht fest. Unter den voll­ kommenen verstand man erzwingbare und nannte sie deshalb auch Zwangspflichten; die unvollkommenen sollten unerzwingbar sein und deshalb Liebespflichten heißen. Das Gebiet der letzteren war das Vernunftrecht oder das Naturrecht. Weber, natürl. Ver­ bindlichkeiten H. 40; Glück, Erläut. Th. 1 S. 32 und die das. Note 64 genannten Schriftsteller. Augenscheinlich haben die Verf. des L.R. diese Theorie vor Augen gehabt. H. Aus einer Spielschuld ist nur die Klage, nicht auch die Einrede versagt (I. 11 §. 577), der Einrede steht daher der §. 86 nicht entgegen. O.Tr. IV v. 25. Sept. 1873, Entsch. 71 S. 25, 28, Str. Arch. 92 S. 47. 22) Unter den „natürlichen" Gesetzen werden, nach der ebengedachten Theorie, Sittengesetze verstanden. Der Gegensatz des §. 87 sind Handlungen, welche durch positive oder durch Sitten­ gesetze verboten sind, die unerlaubten. Die unerlaubten Handlungen sind entweder straf­ bare, oder nur widerrechtliche. Diese Unterscheidung ist praktisch wichtig. Was zu der einen oder der anderen Spezies gehört, bestimmt sich nicht nach den im §. 87 bezeichneten beiden Quellen der natürlichen und der positiven Gesetze. Irrig ist die Lehre des O.Tr. in dem Erk. v. 2. April 1846, Entsch. 13 S. 508, wo vorgetragen wird: die unerlaubten Handlungen, die das positive Gesetz ausdrücklich verbietet, seien unerlaubte Handlungen im engeren Sinne, und

70 berTeffi

Einleitung.

§§. 88—92.

§• 88. So weit Jemand ein Recht hat, ist er dasselbe in den gesetzmäßigen Schranken auszuüben befugt. §. 89. Wem die Gesetze ein Recht geben, dem bewilligen sie auch die Mittel, ohne welche dasselbe nicht ausgeübt werden kann23). §. 90. Wer ein Recht hat, ist zu allen Vortheilen, die er sich durch dessen gesetzmäßigen Gebrauch verschaffen kann, wohl befugt24). §. 91. Das Recht zum Größern oder Mehrern schließt das Recht zum Ge­ ringern oder Wenigern gleicher Art in sich2^. zögen außer der Pflicht zur Entschädigung Strafe nach sich; die durch das natürliche Gesetz ver­ botenen Handlungen hätten nur civilrechtliche Folgen. Das Letzte ist richtig, das Erste nicht. Es giebt viele durch das positive Gesetz verbotene Handlungen, welche nicht Strafe nach sich ziehen, sondern nur civilrechtliche Folgen haben, z. B. die Verabredung einer immerwährenden persönlichen Dienstbarkeit, die Verpflichtung zur Sklaverei, die Konstituirung von verbotenen Beschränkungen des Eigenthums, ehedem die Ausbedingung eines höheren als des erlaubten Zinssatzes und dergl. — Auch die Begriffsbestimmung, welche das O.Tr. in dem Erk. IV. v. 7. Juni 1853, Str. Arch. 9 S. 251 dahin giebt: eine Handlung sei nur dann unerlaubt, wenn das Gesetz sie besonders verbiete, nicht aber, wenn sie bloß gegen eine kontraktliche Verpflichtung verstoße, ist in ihrem ersten Satze, nach dem Wortlaute des §. 87, viel zu enge; der Gegensatz ist auch nur mit Vorbehalt anzuerkennen. Der Ausdruck „unerlaubte Handlungen" wird in den Gesetzen bald zur Bezeichnung des Gattungsbegriffes, bald für strafbare, bald für bloß widerrechtliche Handlungen gebraucht. Der Tit. 6: „von Pflichten und Rechten aus unerlaubten Handlungen" bezieht sich auf den Gattungsbegriff, mithin sowohl auf strafbare Handlungen, als auch auf bloße Rechtswidrigkeiten, wie z. B. Zögerung (I. 16 §. 17); ebenso der Ausdruck in I. 3 8- 35; I. 5 §. 68; I. 6 §. 51, 52, 58, 61; I. 9 §. 362; I. 13 §. 20; I. 16 §. 205. In I. 3 §. 34 verb. mit I. 13 §§. 249, 279; I. 13 §§. 172 bis 175; I. 7 §§. 196, 145, 242, werden civilrechtliche unerlaubte Handlungen gemeint; und in II. 6 §. 7; II. 20 §. 514; §. 169 des Anh. zu A.G.O. (I. 24 §. 108) wird der Ausdruck für strafbare Handlungen gebraucht S. auch O.Tr. v. 2. April 1846, Entsch. 13 S. 511, u. IV v. 23. Jan. 1862, Entsch. 47 S. 58, Str. Arch. 44 S. 165. Kommt der Ausdruck „unerlaubte Handlungen" in einem Gesetze vor, so ist jedesmal aus seiner Beziehung der Sinn zu entnehmen, in welchem er gebraucht wird. Der außereheliche Beischlaf (nicht etwa auch die daraus folgende Geburt) wird in I. 3 §. 37 nur in sittlichem Sinne als erlaubte Handlung bezeichnet. Vergl. Entsch. a. a. O. S. 507 u. Bd. 18 S. 43. — Verabredungen, nach welchen bei kinderlosen, unglücklichen' Ehen dem einen Ehegatten für seine Einwilligung in die Ehescheidung von dem anderen Ehegatten gewisse Ver­ mögensvortheile eingeräumt werden, sind als eine nach natürlichen oder positiven Gesetzen ver­ botene Handlung nicht zu betrachten. O.Tr. I v. 19. Juni 1850, Str. Arch. 2 S. 1. — Eine nach gesetzlicher Vermuthung als alienatio in fraudem creditorum geltende Veräußerung lst an sich keine unerlaubte Handlung, für deren Folgen die Teilnehmer dem Berechtigten soli­ darisch haften. O.Tr. IV v. 9. Dez. 1852, Str. Arch. 8 S. 104. — H. Die im Geltungs­ bereiche der Städteordnung v. 30. Mai 1853 von einer Stadt einer Eisenbahngesellschaft ver­ tragsmäßig bewilligte Freiheit von Kommunalsteuern verstößt gegen den für ein zwingendes, die Vertragsfreiheit ausschließendes Gebotsgesetz zu erachtenden §. 4 der cit. Städteordn. O.Tr. II v. 12. März 1878, Entsch. 81 S. 267. 23) Es kann daher, wenn gesetzlich die Ausübung eines Rechts bei Verlust desselben ckn einen festbestimmten Zeitraum geknüpft ist, diese Ausübung nicht von einer Voraussetzung ab­ hängig gemacht werden, welche in vielen Fällen die Geltendmachung des Rechts ebensogut wie unmöglich machen würde. O.Tr. III v. 13. Mai 1853, Entsch. 26 S. 51, u. IV v. 20. Jan. 1857, Str. Arch. 23 S. 247. — Vergl. Anm. zu I. 8 §. 28. — Der §. 89 enthält einen doktri­ nellen Satz und ist zur unmittelbaren Anwendung auf einen konkreten Fall nicht geeignet. Er macht nicht ohne Weiteres Jeden verbindlich, einem Anderen die Mittel zu gewähren, Rechte gegen seinen Gegner geltend zu machen, er lehrt nur, welche Aufgabe die Gesetze haben: sie müssen dem, welchem ein Recht zusteht, auch die Mittel einräumen, dasselbe auszuüben, d. h. sie müssen bei jedem Rechtsverhältnisse, welches sie regeln, auch die geeigneten Schutz- Imb Gebrauchs­ mittel für die daraus entstehenden besonderen Rechte bezeichnen. Der Gesetzgeber deutet somit in §. 89 eine Regel an, welche bei Abfassung der Gesetze beobachtet wird. Ein Berechtigter er­ hält mithin durch den §. 89 nicht die Befugniß, die Mittel zur Ausübung seines Rechts nach Gutdünken willkürlich zu wählen. 24) Auch zum Nachtheile eines Anderen. §. 94 und I. 6 §. 86; I. 9 §. 26. 25) Der §. ist eine Nachbildung der L. 110 pr. D. de reg. Juris: „In eo quod plus sit, semper inest et minus,“ welchen Satz die L. 21 eodem so ausdrückt: „Non debet, cui plus licet, quod minus est non Heere.“ Man nennt dies das argumentum a majori ad minus,

II.

Allgemeine Grundsätze des Rechts.

71

§. 92. Aus dem Rechte des Einen folgt die Pflicht des Andern, zur Leistung oder Duldung dessen, was die Ausübung des Rechtes erfordert^). und drückt es, nach Unrständen, affirmative und auch negative aus. Beispiele des argumentum negative conceptum sind: Qui indignus est inferiore online, indignior est superiore (L. 4 ]). de senat. I, 9); naturalem habet intellectum, ne scilicet qui careret minoribus, fruatur majoribus (L. 5 I). de serv. export. XVIII, 7); -- ridiculum, eum qui minoribus prohibitus sit, ad majores adspirare: majoribus tarnen prohibitus minores petere non prohibetur (L. 7 §. 22 D. de interd. et rel. XLVIII, 22). — Die Anwendung fordert Vorsicht und Scharfsinn. Der, Mißgriffen vorzubeugen, bestimmte Zusatz „gleicher Art" erfüllt nicht seinen Zweck und ist auch unrichtig. Schenkung und Verkauf sind doch gewiß nicht gleichartig im eigentlichen Sinne; dennoch ist aus Vernunftgründen kein Zweifel, daß derjenige, welcher Macht hat zu verschenken, auch gegen Vergeltung veräußern kann. L. 163, 165 D. de reg. Juris. Vergl. L. 11 i. f. D. de liberis et posth. (XXVIII, 2). O.Tr. v. 8. April 1846, Eutsch. 13 S. 465. Umgekehrt sind Verkauf und Verpfändung insofern gleichartig, als sie beide im Allgemeinen zu den entgeltlichen Veräußerungsarten gehören; und man könnte meinen, die Verpfändung sei das Geringere, so daß die Befuaniß zum Verkaufe auch die zur Verpfändung enthielte. Man nimmt das nicht an. L. 7 §. 3 D. de rebus eorum (XXVII, 9). Unter der „gleichen Art" darf man daher nicht an juristisch verwandte und wegen der Gemeinsamkeit mancher wesentlicher Eigenschaften für gleichartig gehaltene Rechte oder Rechtsinstitute denken, vielmehr ist der Bestimmungsgrund bei dieser Regel das argumentum a toto Juris, jus in der Bedeutung von Befugn iß, Vermögen (facultas) genommen. Wer z. B. befugt ist, von Todes wegen über einen Gegenstand zu verfügen, der kann es auch unter Lebendigen; aber nicht umgekehrt. I. 12 §. 468, vergl. L. 7 §§. 5, 6 I). de donat. (XXXIX, 5); wer zum Verkaufe befugt ist, kann auch in den Verkauf (durch einen Dritten) willigen, L. 165 D. de reg. jur.; wer als Vermiet!) er nach dein Vertrage berechtigt ist, im Falle nicht pünktlicher Miethzinszahlung den Vertrag sofort aufzulösen, darf denselben auch zum nächsten Quartal kündigen. O.Tr. III v. 7. Jan. 1852, Str. Arch. 4 S. 233. — Unanwendbar ist die Regel bei der Beurtheilung der Geltung oder Wirksamkeit der Rechtsgeschäfte, insofern nicht der Umfang der Verfügungs­ berechtigung des Erklärenden in Beziehung auf den Gegenstand in Frage ist. Eine Bürgschaft „in duriorem causam“ (nicht zu verwechseln mit einer größeren Summe bei einer gleichen causa) gilt z. B. nach R. R. gar nicht (L. 8 §. 7 D. de tidej. XLVI, 1); nach L R. kann der Fall nicht vorkommen, weil es keine verschieden wirkenden Formen der Verbindlichmachung hat. Ein Anspruch auf Aufrechthaltung eines für den beabsichtigten Zweck unpassenden Rechtsgeschäfts, z. B. einer Eession, wo nur Kauf anwendbar war, aus dem Grunde, weil die Cession ein Ge­ ringeres als der Kauf sein soll, ist vollends unjuristisch. O.Tr. v. 7. April 1848, Entsch. 17 S. 158. Das O.Tr. hat eine Verletzung des im §. 91 festgestellten Rechtssatzes darin erkannt und demzufolge den Urtheilsspruch vernichtet, wenn eine Klage, welche in Ansehung des Gegenstandes auf einen Theil desselben erwiesen worden ist, hinsichtlich des Uebrigen aber unbewiesen geblieben, gänzlich abgewiesen wurde. In Anwendung dessen auf eine Negatorienklage hat das O.Tr. an­ genommen: Wenn der Eigenthümer eines Grundstücks gegen den Eigenthümer des benachbarten Grundstücks, welcher sich eine Wegegerechtigkeit über das Grundstück des Ersteren anmaßt, eine Negatorienklage anstellt, mit dem Anträge: zu erkennen, daß Beklagter nicht befugt sei, eine Wegegerechtigkeit auf dem Grundstücke des Klägers auszuüben, — und es sich demnächst ergiebt, daß dem Bekl. ein Wegerecht nur über einen Theil des Grundstücks zusteht; so darf der Kläger­ nicht mit seinem ganzen Klageantrage abgewiesen werden, so wie der Beklagte, wenn er könfessorisch auf das ganze Grundstück des Klägers eine Grundgerechtigkeit geltend gemacht und der Richter befunden hätte, daß die Gerechtigkeit dem Prätendenten nur auf einen Theil des Grund­ stücks gebühre, in Anwendung des obigen Grundsatzes mit einem Theile seines Klageantrages obsiegen, mit dem anderen Theile aber abzuweisen sein würde. O.Tr. II. v. 25. Febr. 1865, Entsch. 53 S. 1. Die Rechtsanwendung paßt nicht auf den Fall. Es handelte sich nicht um einen Theil des Wegerechts, der sich nicht denken läßt, sondern um das Wegerecht über das ganze Grundstück, nur auf verschiedenen Linien, von welchen die eine länger als die andere war, und die eine dem Beklagten eingeräumt wurde. 26) „Juri respondet obligatio“, wie es in den philosophischen und juristischen Kompendien des vorigen Jahrhunderts zu heißen pflegt. Dies hat zweierlei Bedeutungen: eine weitere und eine engere. In der weiteren Bedeutung soll es heißen, daß jedem Rechte, welches einer Person zusteht, die gesetzliche Pflicht aller Menschen gegenüberstehe, die Ausübung geschehen zu lassen und nicht durch Hinderung der Ausübung das Recht zu kränken. Hierauf bezieht sich der fol­ gende §. 93. Die engere Bedeutung bezieht sich auf den Begriff des Förderungsrechts (obligatio). Die damalige Schule zerlegte die Obligation in zwei Theile: in das Gläubigerrecht oder die s. g. aktive Obligation, und in die Verbindlichkeit des Schuldners oder Passivobligation. Jene, definirte man als connexionem motivi cum actione; diese als qualitatem moralem passivam,

72

Collision.

Einleitung.

§§. 93—99.

§. 93. Wer den Andern in der Ausübung seines Rechtes hindert, beleidigt den­ selben, und wird ihm, für allen daraus erwachsenen Schaden und Nachtheil, ver­ antwortlich. §. 94. Wer aber sein Recht nach den Gesetzen27 * *) * ausübt * * * * , ist zum Ersätze eines bei dieser Gelegenheit entstandenen Schadens nicht verbunden (Th. 1. Tit. 6. §. 36. 37. 38.) §. 95. Wenn das Recht des Einen der Ausübung des Rechtes eines Andern entgegenstehet28), so muß das mindere Recht dem stärkern weichen. §. 96. In Ermangelung besonderer gesetzlicher Vorschriften muß der, welcher durch Ausübung seines Rechtes einen Vortheil sucht, dem nachstehen, der nur einen Schaden abzuwenden bedacht ist29). qua quis praestare aut pati quid tenetur. Diese theoretischen Sätze finden sich hier im §. 92 wieder; sie haben keine wirkliche Bedeutung in der prakischen Rechtspflege. Von dieser Theorie kommt es her, daß das L.R. das Forderungsrecht (obligatio) durch Verbindung der beiden Be­ griffe Recht und Pflicht zu bezeichnen pflegt. Vergl. oben §. 85 und I. 2 §. 122; I. 1 §§. 7, 9 ; I. 9 §. 250. Man kann jedoch den Grundsatz auch in Verhältnissen benutzen und zur Geltung bringen, an welche bei der Aufnahme desselben gar nicht gedacht worden ist. Unten Anm. zu I. 8 §. 28. 27) Den Gesetzen gemäß übt Jemand sein Recht nur dann aus, wenn er gleichzeitig das leistet, was ihm seinerseits dabei etwa obliegt. Der Bergbauende z. B. übt sein Recht auf gesetz­ mäßige Weise nur dann aus, wenn er gleichzeitig seine Verbindlichkeit, die Grundinteressenten für Alles, was ihnen durch die Unternehmung entgeht, vollständig zu befriedigen, erfüllt. O.Tr. v. 16. März 1839, Entsch. 4 S. 365 und Pl.-Beschl. (Pr. 1284) v. 18. April 1843, Entsch. 9 S. 101. Vergl. Anm. zu I. 8 §. 28. — H. Wer gerichtliche Arreste oder Inhibitorien erwirkt, haftet, wenn die Maßregel demnächst für nicht gerechtfertigt erachtet wird, für den Schaden nicht unbedingt, sondern nur nach Maßgabe besonderer Verschuldung; vgl. Anm. 7 zu I. 6 §. 137. Anwendung des §. 94 auf die Fälle mittelbarer Beschädigung eines Grundstücks a) durch An­ legung eines Schifffahrtskanals: O.Tr. III v. 23. Okt. 1874, Entsch. 73 S. 31; b) durch An­ legung eines Eisenbahntunnels: O.Tr. III v. 26. Jan. 1874, Str. Arch. 91 S. 61, u. v. 26. Febr. 1877, Entsch. 79 S. 132. Der §. 94 findet keine Anwendung, wenn es sich nicht um einen aus dem Grunde einer unerlaubten Handlung, sondern aus anderweitem Rechtsgrunde geforderten Ent­ schädigungsanspruch handelt, insbesondere um einen aus Einl. §. 75 hergeleiteten Anspruch dessen, der genöthigt ist, seine besonderen Rechte und Vortheile dem Wohle des gemeinen Wesens auf­ zuopfern. O.Tr. III v. 22. Dez. 1873, Entsch. 72 S. 1. 5. 28) Dergestalt nämlich, daß die vollständige Ausübung des Einen ohne Nachtheil des Anderen nicht möglich ist, so ist Kollision der Rechte vorhanden. Können die vorhandenen mehreren Rechte auf denselben Gegenstand, z. B. mehrere Wegegerechtigkeiten, nebeneinander ausgeübt werden, so heißt das Zusammentreffen Konkurrenz, und hat keine Schwierigkeiten. Die wirkliche Kollision aber erfordert gewisse Regeln, deren hier drei gegeben sind, in §§. 95 bis 97. Als erste Regel, über welche man auch nach G.N. einig ist, giebt der §.‘95: Das mindere Recht muß dem stärkeren weichen. Welches von mehren kollidirenden Rechten das stärkere sei, muß nach den besonderen gesetzlichen Bestimmungen in jedem einzelnen Falle entschieden werden. Sind die kollidirenden Rechte ungleichartig, so bestiunnt sich solches nach den besonderen Eigenschaften und Vorzügen eines jeden Rechts. Beispiele: I. 7 §§. 163, 169, 175, 176; L. 12 D. de minor. (IV, 4). (H. Bei einer Kollision zwischen dem das Recht des gemeinen Wesens sichernden öffentlichen Rechte und dem Privatrechte des Einzelnen, z. B. bei einem öffentlichen Wege, tritt das Privatrecht als das schwächere hervor und hat dem öffentlichen Rechte zu weichen. O.Tr. III v. 12. Juni 1875, Str. Arch. 95 S. 63, 70. Vgl. Einl. §. 74.) Sind sie gleich artig, so gehen die privilegirten Rechte den einfachen vor. Beispiele: die ganze Rangordnung der Gläubiger im Konkurse; L. 5, 6, 7 pr. D, qui potior in pignore (XX, 4), L. 34 D. de reb. auct. jud. poss. (XLII, 5); sind alle gleich, so entscheidet die Regel: prior tempore potior jure. Beispiele: zwischen zwei zufälligen (bergmännischen) Findern entscheidet das Alter, I. 16 §§. 169, 352, 362, 363; O.Tr. III (Pr. 2141) v. 23. Aug. 1849, Entsch. 18 S. 326; desgl. zwischen mehreren Eigenthumsprätendenten, welche ihren Titel von demselben Autor haben, I. 10 §. 20; ferner L. 26 I). loc. cond. (XIX, 2); Nov. 91 c. 1. — Vergl. Hufeland, über Veränderung der Rechte durch das Zusammenkommen mehrerer Rechte und Verbindlichkeiten; in dessen Abhandlungen, Th. 2 S. 3, und Heimbach sen. in Weiske's Rechts­ lexikon, 9 S. 148. Ueber Preußisches Recht: Rintelen, über den §. 95 in Jahrb. 30 S. 100; Schrötter, von der Kollision der Rechte, in der Jur. Zeit, von 1832 S. 1111; Koch, Privat­ recht, 3. Ausg. 1 §. 100; Förster-Eccius, Theorie u. Praxis, §. 18 Absatz 8. 29) Die Frage nach der Herkunft dieser, in ihrer Allgemeinheit bedenklichen Regel führt zu dem Ergebnisse, daß diese Regel nur eine beschränkte Anwendung finden kann, wenn sie

II.

Allgemeine Grundsätze des Rechts.

73

§. 97. Sind die in Kollision kommenden Rechte von gleicher Beschaffenheit, so muß jeder der Berechtigten von dem seinen so viel nachgeben, als erforderlich ist, damit die Ausübung beider zugleich bestehen könne30). §. 98. Bis zur erfolgenden richterlichen Bestimmung des entstandenen Collisionsfalles muß die Sache zwischen den Berechtigten in dem Stande bleiben, in welchem sie bis dahin gewesen ist. §. 99. Rechte, welche an eine bestimmte Person, oder an gewisse Eigenschaften traqun^der derselben, nicht gebunden sind31), können von dem Einen auf den Andern über- Rechte, tragen werden. praktische Bedeutung haben soll. Das G. R. weiß nichts davon. In einem sehr beschränkten Kreise, nämlich bei der Kollision von Privilegien, kommt der Satz vor, und Leyser, Med. sp. 61 in. 7, bringt den Ausspruch einer Juristenfakultät von 1715: Es ist bekannten Rechtens, daß die Restitution auch contra aeque privilegiatum stattfinde, wenn ein Theil Schaden zu ver­ hüten, der andere aber Vortheil suchet. Gestützt wird der Satz auf L. 11 §. 6 u. L. 34 D. de minor (IV, 4). Hier wird folgender Rechtsfall entschieden. Ein Minderjähriger hat einem anderen Minderjährigen Geld geliehen, welches verschwendet worden, d. h. nicht in den Nutzen des Empfängers gekommen ist. Der beklagte Empfänger nimmt die Restitution gegen die Klage in Anspruch, um sich gegen die Verurtheilung zu schützen. Der Kläger beruft sich replikando auf dieselbe Rechtswohlthat. Diesen Kollisionsfall entscheiden Ulpian und Paulus zu Gunsten des Bekl. und weisen den Kl. ab, weil der Empfänger nicht reicher geworden, und folglich durch Herausgabe der geforderten Summe Schaden leiden würde. Nach dieser Quelle hat die Regel nur ein sehr beschränktes Gebiet; sie bezieht sich auf bestimmte besondere Rechtswohlthaten. Dieser Kollisionsfall kann nach dem L.R. nicht eintreten; aber in ähnlicher Weise kann er z. B. bei der Kompetenz vorkommen, wenn zwei, aus persönlichen Gründen wechselseitig zur Kompetenz verpflichtete Personen als Gläubiger und Schuldner zusammenstoßen. — Soll auf beiden Seiten nur Verlust abgewendet werden, so kann die Kollision nur durch Nichtgebrauch dieser besonderen Rechte beseitigt werden, diese kompensiren sich dann. 30) Ist die erste Regel des §. 95 nicht anwendbar und steht der Fall auch nicht unter der zweiten (§. 96), so müssen die gleichbeschaffenen Rechte einander etwas nachgeben. Auch diese Regel hat ihr eigenes bestimmtes Gebiet; sie bezieht sich auf die indirekte Kollision in einem dritten Objekte. Kann das Recht von Allen auf einen Theil ausgeübt werden, so tritt verhältnißmäßige Theilung ein. Beispiele: der Konkurs der Gläubiger und Vermächtnisse an Mehrere. I. 12 §§. 542, 543; L. 33 D. de legatis I. (XXX.) Kann aber nur Einer das Recht ausüben, so entscheidet das Loos. Beispiele: I. 9 §. 317; I. 12 §. 394; I. 17 §. 28. Oder die Ausübung des Rechts geschieht nach einem Turnus. Reicht z. B. das Wasser eines Teiches bei kleinem Wasser zu dem gleichzeitigen Betriebe der an demselben telegenen Hammer­ werke nicht aus, so ist die Verpflichtung der einzelnen Besitzer derselben, sich dem Beschlusse der Mehrheit auf Einführung eines Turnus in dem Betriebe dieser Werke zu unterwerfen, nach den Vorschriften dieser §§. 95—98 zu beurtheilen. O.Tr. III v. 1. Mai 1857, Str. Arch. 26 S. 29. — Das Verhältniß dieser drei Regeln zu einander ist nicht das der Rangordnung, vielmehr ist die erste Regel (§. 95) eine allgemeine, und die beiden anderen (§§. 96 u. 97) haben jede ihr eigenes und ausschließliches Gebiet. Ueberhaupt aber können nach heutigem Rechte Kollisionen nur in Beziehung auf Vermögensgegenstände eintreten, weshalb die Lehre von der Kollision der Rechte nicht zu den ganz Allgemeinen gehört. — Der bei der Kollision mehrerer Grundeigenthümer zu­ treffende Satz: daß die Ausschließlichkeit und Willkürlichkeit des Gebrauchsrechtes des einen Eigenthümers ihre nothwendige Begrenzung finde in der dem anderen Eigenthümer ebenfalls zustehenden Willkürlichkeit und Ausschließlichkeit, und daß demgemäß die Benutzung des einen Eigen­ thümers nicht in den Rechtskreis der Benutzung des anderen hinübergreifen dürfe, ist nicht ohne Weiteres auf Kollisionen zwischen Gründeigenthum und Bergwerkseigenthum an­ zuwenden, vielmehr ist darauf zu sehen, wie sich diese widerstreitenden Verhältnisse durch Her­ kommen und besondere Gesetze gestaltet haben. Vergl. Berggesetz v. 24. Juni 1865 §§. 153—155. O.Tr. III v. 24. Febr. 1868, Str. Arch. 71 S. 75. 31) Eine Wiederholung des Satzes ist unten I. 11 §. 282. Es verhält sich mit der Uebertragung der Rechte, was die Stellung dieser Lehre betrifft, ebenso wie mit der Kollision. Nur Vermögensrechte sind übertragbar oder gestatten in der Regel eine (Succession in sich, wogegen alle Statusrechte (Civilstandsrechte) von der Person untrennbar sind, oder, wenn sie davon getrennt werden, wie z. B. Ehrenrechte, untergehen. Dies ist der Sinn dieses §. 99. Auch nicht alle zur Klasse der Vermögensrechte gehörigen Rechte und Befugnisse sind ihrer Substanz" nach übertragbar, wohl aber ist allgemein anzunehmen, daß sie insgesammt der Ausübung nach übertragen werden können. (H. Vgl. O.Tr. III v. 20. März 1865, Entsch. 53 S. 79. Auch das

74

Verlust der Rechte.

Einleitung.

§§. 100—106.

§. 100. Wer einem Andern sein Recht überträgt, von dem wird vermuthet, daß er demselben zugleich alle damit verbundene Vortheile32) habe übertragen wollen. §. 101. Niemand aber kann dem Andern mehrere Rechte übertragen, als er selbst besitzt33). §. 102. Rechte, welche nur der Person ankleben, verschwinden durch derselben Tod 34). §. 103. Rechte aber, welche zum freien Eigenthum gerechnet werden, gehen mit dem Tode des Besitzers auf Andere, nach näherer Bestimmung der Gesetze, über35). Erk. III v. 18. Juli 1870, Entsch. 63 S. 94, bestätigt diesen Grundsatz, wenngleich die Ueberschrift und einige Stellen der Gründe nicht eben glücklich gefaßt sind und zu Mißverständ­ nissen Anlaß geben können. In dem Fall des Erk. III v. 12. Juni 1871, Str. Arch. 83 S. 48, ist das Entscheidende, daß der Cedent durch Abtretung seines Rechtes sich nicht von seiner persönlichen Verbindlichkeit befreien konnte, ein Gesichtspunkt, für den auf §. 99 nicht Bezug genommen werden kann.) Man spricht in dieser Hinsicht von jura personalissima, womit man unübertragbare Rechte bezeichnet. Der Ausdruck gehört nicht in das Vermögensrecht. — Eine allgemeine Ausnahme von der als Regel geltenden Abtretungsfähigkeit der Vermögensrechte giebt es nicht. Die speziellen Ausnahmen s. m. unten zu I. 11 §. 382. H. Die Unübertragbarkeit eines Rechts macht noch nicht die Abtretung der Ausübuilg desselben rechtlich unmöglich. O.Tr. IV v. 14. Okt. 1873, Str. Arch. 89 S. 341. — In Ansehung staatsbürgerlicher Rechte ist eine Uebertragung auf Andere, sei es auch nur in Beziehung auf die Ausübung, unstatthaft. O.V.G. v. 16. Febr. 1881, Entsch. 3 S. 66. 32) Eine Anwendung dieses Satzes ist, daß, wenn ein Ehemann die Eession der Jltatenforderung seiner Frau ausdrücklich genehmigt, er den Nießbrauch mit überträgt (oder verliert) und den Vortheil aufgiebt, die Schuld erst nach Auflösung der Ehe zu berichtigen: er muß dann alsbald bezahlen, wenn er nicht das Gegentheil ausbedungen hat. O.Tr. v. 3. Dez. 1842, Entsch. S. 299. 33) Wiederholung eines alten, im N. N., bezüglich auf die Sueeession, mehrfach aus­ gesprochenen Rechtssatzes, z. B. L, 54 D. de reg. jur.: „nemo plus Juris ad alium transferre potest, quam ipse haberet;“ L 120 ib.: „nemo plus commodi heredi suo relinquit, quam ipse habuit;“ L. 20 pr. D. de acquir. rer. dom. (XXI, 1): „traditio nihil amplius trans­ ferre debet vel potest ad eum, qui accipit, quam est apud eum, qui tradit.“ Eine An­ wendung davon ist gemacht in dem Erk. d. O.Tr. v. 9. Mai 1845, Entsch. 11 S. 210, auf den Fall, wo Jemand sein Landgut, nachdem er mehrere stehende Bäume verkauft und durch Anschalmung und Anschlag symbolisch übergeben hatte, verkaufte, und der neue Eigenthümer mit dem Käufer der Bäume wegen des Eigenthums derselben in Streit kam. Dieser Grundsatz wird modifizirt durch den Glauben des Hypothekenbuchs: der eingetragene Besitzer kann Rechte an der Sache auf Andere übertragen, die er selbst nicht hat. I. 10 §§. 8, 9; I. 20 §. 410. 34) H. Die allgemeinen Grundsätze von der aktiven und passiven Vererblichkeit der Klagen sind hinsichtlich der mit der Ehescheidungsklage verbundenen Ansprüche auf Abfindung durch die Spezialbestimmungen in II. 1 §§. 830—833 ausgeschlossen. O.Tr. I v. 28. Nov. 1873, Entsch. 71 S. 66, 75. — Wegen der Vererblichkeit eines Vorkaufsrechtes vgl. I. 20 §§. 594—596 u. die Anm. zu §. 594. 3a) Die §§. 102 u. 103 bezeichnen das Schicksal des gesammten Rechtszustandes einer Person nach deren Tode, zufolge der Eigenthümlichkeiten der beiden großen Bestandtheile dieses Rechtsstandes. Die eine Hälfte des Rechtsgebietes bestimmt und charakterisirt die Persönlich­ keit, das Sein der Person; sie entspringt aus dem statu hominum (§§. 82, 83 und Anm. 89, 90). Diese erlischt mit dem Ende des Daseins der Person. I. 2 §. 40; I. 9 §. 360. Die andere Hälfte bezieht sich auf die äußere Erweiterung der Person, auf das Haben, und besteht aus lauter Vermögensrechten. Diese gehen, nach F- 103, auf den Erben über. Der Umstand, daß ein Forderungsrecht bedingt ist durch die Willensbestimmung des Gläubigers, wie z. B., so sagt das O.Tr. im Erk. v. 15. März 1845, Entsch. 11 S. 259, die Befugniß eines Schenkers zum Widerrufe einer wegen Formmangels ungültigen Schenkung, macht das Recht nicht zu einem höchst persönlichen (jus personalissimum); es bleibe ein Forderungsrecht, dessen Uebergang auf den Erben durch die von der Willensbestimmung des Gläubigers abhängige Ausübung desselben nicht gehindert werde. Jedes Forderungsrecht sei in seiner Ausübung abhängig von dem Willen des Gläubigers, und müßte nicht vererben, wenn es wahr wäre, was in diesem Rechtsfalle be­ hauptet worden, daß nämlich die Einforderung als ein Recht der freien Willkür des Berechtigten, nicht aber als ein Vermögensrecht zu betrachten und ebenso wenig, wie der individuelle Wille eines Menschen, vererbt werden könne. Hiergegen s. m. jedoch Koch, Erbrecht §. 7 Nr. 2 und unten die Anm. zu Tit. 11 §. 1090. Es ist ein wesentlicher Unterschied zwischen jenem Widerruf einer formlosen, keineswegs ungültigen Schenkung und jedem anderen Forderungsrechte, dessen

II.

Allgemeine Grundsätze des Rechts.

75

§. 104. Die bloß an den Stand gebundenen Rechte können von dem Be­ sitzer aus eigener Macht3G) auf Andere nicht übertragen werden, und gehen mit dem Stande verloren. §. 105. Daß Jemand sich seines Rechtes habe begeben wollen, wird nicht vermuthet37. §. 106. Die Willensäußerung zur Eutsagung oder Uebertragung eines Rechtes muß also deutlich und zuverlässig sein38). Ausübung von dem Willen des Gläubigers abhängt. (H. Auch Förster, Theorie und Praxis, 2. Ausg. Bd. 2 H. 122 Note 103 bekämpfte die Meinung des O.Tr., dieselbe ist jedoch in den Erk. III v. 6. Okt. 1871, Entsch. 66 S. 46, Str. Arch. 84 S. 30, u. IV v. 28. Jan. 1875, Str. A. 93 S. 197 aufrecht erhalten. Die Gründe werden von Förster-Eccius das. 4. Ausg. Bd. 2 §. 122 Note 104 zutreffend als unzureichend bezeichnet. — Billigung verdienen dagegen die Vererbungsbeispiele in dem Erk. III v. 10. Juli 1868, Entsch. 60 S. 158, u. IV v. 13. Juli 1867, Entsch. 58 S. 331.) — Unbestritten erlöschen Vorrechte und Vortheile, welche mit einem gewissen Stande verbunden sind, mit dem Tode der Person oder dem Verluste des Standes. Daher kam z. B. das im Anh. §. 83 bestimmte, durch das Ges. v. 24. April 1854 inzwischen aufgehobene Vorrecht der Unteroffiziere und Soldaten, für ihre unehelichen Kinder nur die bestimmten geringeren Alimentenbeträge zu zahlen, ihren Erben nicht zu Statten. O.Tr. v. 30. März 1840, Entsch. 5 S. 380. H. Auch das Recht der Anfechtung eines Vertrages wegen Irrthums geht auf die Erben über. R.G. II H. v. 3. Okt. 1881, Gruch. Beitr. 26 S. 912. 36) Bezieht sich auf Uebertragung von Titeln und Würden unter Lebendigen. Dazu ist die Mitwirkung der Staatsregierung erforderlich. 37) Der Satz kommt von den Praktikern. Es heißt z. B. bei Wernher, obs., P. IX obs. 18: „— aus denen Rechten bekannt, quod renunciationes jurium non praesumendae sint, quia in facto consistunt, et non credibile est, quemquam suum jactare veile“ — dafür ist L. 25 D. de probat, und c. 5 X. de renunt. (I, 9) angegeben — „atque ideo evidenter probandae.“ Um es rechtlich außer allem Zweifel zu stellen, daß die Renunciation eine Willens­ erklärung ist, und daß derjenige, welcher sich darauf beruft, das Dasein der Erklärung sowohl als deren Inhalt nachweisen muß, dazu war der Rechtssatz nicht erforderlich. Er muß mithin noch eine besondere Beziehung haben sollen, wenn er nicht ganz bedeutungslos bleiben soll, und diese hat er in der That, wie der folgende §. und die Anm. dazu ergeben. — Beispiel: Der­ bem Krugverlagsrechte unterworfene Krüger, welcher seinen Bedarf an Getränken anderswo, als von der berechtigten Fabrikationsstätte, ankauft, kann den Anspruch des Berechtigten auf Er­ legung der Konventionalstrafe nicht durch den Einwand beseitigen, daß derselbe ihn zur Ent­ nahme jenes Bedarfs nicht aufgefordert und gegen den anderweitigen Ankauf keinen Widerspruch erhoben habe. O.Tr. II v. 27. Jan. 1852, Str. Arch. 4 S. 308. 38) Vgl. I. 16 §. 381. Dieser Satz soll die Folgerung aus dem vorhergehenden Grundsätze sein. Die richtige Schlußfolge aus §. 105 ist: eine Entsagung, Verzichtleistung oder Uebertragung muß von dem, welcher sich darauf beruft, nachgewiesen werden. Der §. 106 folgert aber aus dem Mangel einer Vermuthung für das Dasein der Entsagung gewisse Eigenschaften der, die Entsagung, Verzichtleistung oder Uebertragung ausdrückenden Willenserklärungen, nämlich die Deutlichkeit und Zuverlässigkeit. Mittelst des argumentum a contrario und des Prinzips im §. 105 ließe sich demnach behaupten: daß eine undeutliche Willenserklärung dieser Art gar nicht wirke, während doch nach I. 16 §. 403 die allgemeinen Auslegungsregeln auch hier Anwendung finden; und daß die Zuverlässigkeit, außer dem thatsächlichen Dasein der Erklärung, noch besonders dargethan werden solle. Wirklich ist in beiden Beziehungen noch etwas Besonderes gemeint. Hinsichtlich der Deutlichkeit und der Auslegung der Entsagung hat immer der unstreitige Grundsatz gegolten: daß jede Entsagung streng auszulegen, daß sie mithin nicht über das deutlich Aus­ gedrückte hinaus auszudehnen. Dies hat denn allerdings die praktische Folge, daß das Un­ deutliche oder Mehrdeutige nichts wirkt. Mevius, Dec. P. VI dec. 378 n. 3, 5; P. VII dec. 364 n. 3, 6. Auch die Praxis des O.Tr., und zwar sowohl in der neueren als in der älteren Zeit, stimmt darin überein. Hy mm en, Beiträge, Samml. 8 S. 55; Simon's Rechts­ sprüche 1 S. 145. — Das Erforderniß der Zuverlässigkeit bezieht sich auf die causa renunciationis und die damit zusammenhängende Absicht des Erklärenden. Quelle hiervon ist das c. 5 X. de renunciatione (I, 9). Ein Kleriker forderte sein Benefizium, auf welches er resignirt hatte, zurück, behauptend, er habe nicht freiwillig resignirt. Es wird angefragt: ob der Beweis und Gegenbeweis darüber erheblich und zulässig. Clemens III. antwortet: weil es nicht wahr­ scheinlich ist, daß Jemand auf sein, vielleicht mit vielen Kosten und Mühen erworbenes Benefizium leicht ohne wichtige Ursachen freiwillig resigniren werde, so ist es nicht überflüssig, den Ursachen der Resignation gründlich nachzuforschen. Ueber die Beweislast wird beigefügt: „porro licet negantis factum per rerum natur am nulla sit probatio: ejus tarnen qui spontaneam renun-

76

Einleitung.

§§. 107—108.

§. 107. Doch kann, nach näherer Bestimmung der Gesetze, ein Recht auch durch den unterlassenen Gebrauch, oder durch den Mißbrauch desselben, verloren gehen. §. 108. Das Recht, welches von dem Dasein oder der Dauer eines andern Rechtes8S>), oder einer Sache") abhängt, geht mit dem Rechte oder der Sache, worauf es beruht, zugleich oerloren41 * *).* * * * * * * 39 40

ciationem negat, cum implicite et quodammodo replicando inficietur super assertione sua, habito ad dignitatem et opinionem respectu, probationes credimus admittendas.“ Die Geschichte ergiebt also, daß der §. 106 nicht ohne Bedeutung besonders vorschreibt, daß die Willensäußerung zur Entsagung zuverlässig sei. Die Form und der Ausdruck allein genügen darnach nicht zur Rechtskräftigkeit der Entsagung, vielmehr muß, wenn die Willensäußerung an­ gegriffen wird, erörtert werden: ob die „causam resignationis probabilem, id est, non vi, nee metu, nec oppressione, nec interventu pecuniae, nec promissione extortam.“ Bei dieser Beweisführung nun hat, nach der Beschaffenheit des Falles, die Präsumtion aus §. 105 ihr eigenthümliches Gewicht. 39) Wie z. B. die Zinsen von dem Kapitale; das Pfandrecht von der Forderung. Anwendung hiervon im Erk. des O.Tr. v. 13. April 1844, Entsch. US. 303. Ist das Kapital durch Ver­ jährung erloschen, so sind auch die letzten Zinstermine verloren. Vgl. I. 11 §. 843 u. I. 5 §. 110 u. die Anm. dazu. 40) Z. B. die Grundgerechtigkeit von dem Grundstücke. O.Tr. v. 17. Nov. 1843, Entsch. 9 S. 246; (H. II. v. 14. März 1871, Entsch. 65 S. 141; ein Beispiel unrichtiger Anwendung dieses Satzes: O.Tr. II v. 1. Mai u. 5. Juni 1873, Entsch. 70 S. 49.) Vgl. I. 16 §. 2 u. §. 12 Tit. 22. — Ganz unpassend hat man auf den §. 108 die Parteibehauptung gestützt, daß bäuerliche Abgaben an die Gutsherrschaft durch die Abtrennung von dem berechtigten Gute erlöschen. O.Tr. II v. 7. u. 28. März 1857, Entsch. 36 S. 190. 41) Der Grundsatz kommt her aus L. 129 §. 1 u. L. 178 I). de reg. Juris: „cum principalis causa non consistat, plerumque ne ea quidem, quae sequuntur, locum habent.“ — Der Erbverpächter eines Jagdrechts auf fremdem Grunde und Boden kann seit Aufhebung dieses Rechts durch das Gesetz v. 31. Okt. 1848 auf den Erbpachtskanon nicht ferner Anspruch machen, wenngleich der Erbpächter als Eigenthümer des Grundes und Bodens durch jenes Gesetz das Jagdrecht erlangt hat. O.Tr. II v. 13. Febr. 1851, Str. Arch. 1 S. 229.

Erster Theil. Erster Titel.

Von den Personen und deren Rechten überhaupt 4). §. 1. Der Mensch wird, in so fern er gewisse Rechte in der bürgerlichen Ge­ sellschaft genießt, eine Person genannt2). §. 2. Die bürgerliche Gesellschaft besteht ans mehrern kleinern, durch Natur oder Gesetz, oder durch beide zugleich, verbundenen Gesellschaften und Ständen2). §. 3. Die Verbindung zwischen Ehegatten, ingleichen zwischen Aeltern und Kindern, macht eigentlich die häusliche Gesellschaft nu84). 1) Dieser Titel entspricht dem Jnstitutionentitel de jure personaruni (I, 3) und dem Pandektentitel de statu hominum (I, 5). Die §§. 2, 6—9 beziehen sich auf den status civitatis, die §§. 3—5 auf den status familiae, die §§. 10 ff. auf den status hominum naturalis. 2) Die Voraussetzung dieses Lehrsatzes, daß es nämlich auch Menschen geben könne, welche nicht für Personen gelten, fehlt, denn heutzutage sind alle Menschen auch Personen. In sofern hat mithin der Satz gar keine praktische Bedeutung. In anderer Hinsicht aber hat er die Be­ deutung, daß der Träger gewisser Rechte eine Person vorstellt. Ein Mensch kann mithin, in sofern er gewisse Rechte aus mehreren verschiedenen Eigenschaften in sich vereinigt, mehrere Personen vorstellen. Daher auch jetzt Mensch und Person noch nicht identisch sind. Beispiele sind: Beamte, Vormünder, Erben. Von diesen gilt die Regel, daß die Handlungen, welche sie in der einen Eigenschaft (als die eine Person) vollzogen haben, sie in der anderen gar nicht berühren. Der Ausdruck Person als technische Bezeichnung eines Rechtssubjekts gehört den neueren Juristen an, die Römer gebrauchten ihn gewöhnlich in der allgemeinen Bedeutung von Individuum, z. B. in der L. 9 §. 1 D. quod metus causa (IV, 2): „sive Singularis sit persona, — vel Populus;“ es werden daher auch Sklaven personae genannt; z. B. Gajus I §§. 120, 121, 139; L. 215 D. de verb. sign. (L, 16); L. 22, pr. D. de reg. jur. (L, 17). Vergl. Savigny, System 7 S. 263; Schwarze in Weiske's Rechtslexikon v. Person (Bd. 7 S. 887); Koch, Privatrecht 3. Ausg. 1 §§. 41 ff.; Gruchot, Beitr. 1 S. 122; Förster-Eccius, Theorie u. Pr. §. 19; Dernburg, Preuß. Privatrecht 1 §§. 40 ff. Die Begriffsbestimmung des §. 1 ist übrigens ganz richtig, keineswegs zu eng; sie umfaßt auch die juristischen Personen. Denn nach der Theorie des L.R. sind die juristischen Personen immer Personenmehrheiten (gleichzeitige oder aufeinander­ folgende) (vgl. §§. 8, 9), folglich ist es richtig, daß nur der Mensch eine Person ist. 3) Und Ständen. Hierunter sind nicht allein die Geburtsstände, sandern auch die Gewerbsund Berufsstände verstanden. Vgl. §. 6. Das L.R. hat also die Gliederung der Staatsgesellschaft nach Ständen zur Grundlage. 4) Der §. 3 zählt die Bestandtheile der Familie im engeren Sinne, d. i. der unter der Herrschaft des Hausvaters stehenden Gesellschaft in ihrem natürlichen d. h. in einem sittlichen Naturzusammenhange begründeten Umfange auf. Als solche Bestandtheile werden die Ehe und die elterliche Gewalt angedeutet. Im weiteren Sinne umfaßt die Familie noch einen dritten Bestandtheil: die Verwandtschaft. §. 5. Die Gesammtheit der zur Familie gehörenden Rechts­ verhältnisse nennen wir das Familienrecht. Der Inhalt derselben ist die von Einzelnwillkür unabhängige Stellung, welche Jeder in diesen Verhältnissen einnimmt, also in einer fest be-

Person.

Personen­ rechte.

78

Erster Theil.

Erster Titel.

§§. 4—12.

§. 4. Doch wird auch das Gesinde mit zur häuslichen Gesellschaft gerechnet^). §. 5. Durch die Abkunft von gemeinschaftlichen Stammeltern werden Familien­ verhältnisse begründet. §. 6. Personen, welchen vermöge ihrer Geburt6), Bestimmung oder Haupt­ beschäftigung 7), gleiche Rechte in der bürgerlichen Gesellschaft beigelegt sind, machen zusammen Einen Stand des Staates aus. §. 7. Die Mitglieder eines jeden Standes haben, als solche, einzeln ^) be­ trachtet, gewisse Rechte und Pflichten. 1. Verf.-Urkunde vom 31. Januar 1850. Art. 3. Die Verfassung und das Gesetz bestimmen, unter welchen Bedingungen die Eigenschaft eines Preußen und die staatsbürgerlichen Rechte erworben, ausgeübt und verloren werden. Art. 4. Alle Preußen sind vor dem Gesetze gleich. Standesvorrechte finden nicht statt. Die öffentlichen Aemter sind, unter Einhaltung der von den Gesetzen festgestellten Bedingungen, für alle dazu Befähigten gleich zugänglich.9)

stimmten, bürgerlichen Lebensform. Daher gehören die Familienverhältnisse hauptsächlich dem absoluten oder öffentlichen Rechte an und darum heißt jedes Familienverhältniß eines Menschen ein Standesrecht (status). v. Savigny, System 1 S. 349. 5) Der natürliche Umfang der Familie kann künstlich erweitert werden. Das Röm. wie das Deutsche Recht kennt verschiedene Institute des erweiterten Familienrechts (Sklaverei, Leib­ eigenschaft u. s. w.), von welchen nur noch die Vormundschaft übrig ist. Reu entwickelt aber aus Bedürfniß hat sich das Gesindeverhältniß, welches sich von dem Rechtsverhältnisse des freien Arbeitsvertrags (operae locatae) durch die hausherrliche Gewalt, welcher der Dienstbote unter­ worfen ist, unterscheidet. (H. Vergl. O.Tr. I v. 28. Febr. 1873, Str. Arch. 88 S. 217.) Die Ideen der neueren Zeit von Freiheit und Gleichheit haben das Gesindeverhältniß hier und da gelockert oder auch wohl, wie in Frankreich, als Institut ganz unterdrückt. Das L.R. hat dasselbe aufrecht erhalten. Dies ist es, was der §. 4 ausspricht. In Uebereinstimmung hiermit ist das Gesinderecht nicht unter die Verträge, sondern in das Personenrecht ausgenommen worden. Th. II Tit. 5. 6) Als Geburtsstände unterscheidet das L.R. in Uebereinstimmung mit dem damaligen gemeinen deutschen Rechte (Pütter, von dem Unterschiede der Stände in Deutschland, Gött. 1795; Hüllman, Geschichte des Ursprungs der Stände in Deutschland, Franks. 1806, 1830, 3 Th.; Mereau, Miscellen zum deutschen Staats- und Privatrechte, 1. Th. Nr. 15), den Adel- (Th. II Tit. 9), den Bürger- (Th. II Tit. 8), den Bauernstand (Th. II Tit. 7). Der Unterschied dieser drei Stände zeigte sich früher vorzüglich im öffentlichen Rechte wirksam, weniger im Privatrechte. Der Adelstand und der Bauernstand hatten mehrere Institute und Rechtsnormen eigenthümlich, welche mit ihren Grundbesitzverhältnissen Zusammenhängen; dem Bürgerstande waren wieder mehrere Einrichtungen und Normen, welche mit den Gewerbsverhältnissen und städtischen An­ stalten in Verbindung standen, eigen, woraus für jeden dieser Stände ein besonderes Privatrecht entstand. 7) Der Ausdruck, daß Lebensbestimmung oder Hauptbeschäftigung einen besonderen Stand gebe, bezieht sich auf Berufsstände. Von dergleichen Ständen unterscheidet man, nach der Art der Bedürfnisse, welche ihre Thätigkeit zu befriedigen sorgt, zwei Klaffen: den Arbeit er­ stand, welcher für die physischen Mittel des menschlichen Lebens sorgt, namentlich die Ackerbauer, Handwerker, Künstler, Handelsleute; und den Stand derjenigen, welche für die geistigen Be­ dürfnisse dienstbar sind, namentlich der Beamten-, Lehr- und Wehrstand. Auf jeden dieser Stände beziehen sich eigenthümliche Rechtsinstitute und Rechtsnormen, welche theils nur dem Privatrechte, theils dem öffentlichen Rechte angehören. (Th. II Tit. 10 bis 12, 8.) — Stand im juristischen Sinne bezeichnet den Inbegriff von Personen, welche durch gleiche, ihnen durch die Gesetzgebung beigelegte Rechte von Anderen sich unterscheiden. 8) Der einzelne Mensch kann nur diejenigen bürgerlichen Rechte genießen, welche Jedem nach dem Stande, dem er angehört, zustehen, es kann z. B. ein Bürgerlicher in der Regel nicht adelige Rechte erwerben. Unter welchen Bedingungen solches ausnahmsweise möglich ist, deutet der §. 8 an. Dies ist der Sinn dieser Vorschriften, welche aber mit der Zeit sich verändert haben. S. den Zusatz 1 zu diesem §. 7. — H. Jedem Menschen erwächst durch die Geburt das Recht auf Führung des ihm zukommenden Familiennamens. Vgl. II 2 §§. 58, 592 (Anh. §. 94), 596 ff. Wegen Veränderung des Familiennamens vgl. die Kab.O. v. 15. April 1822 (G.S. S. 108) u. v. 12. Juli 1867 (G.S. S. 1310), sowie Johow, Jahrb. 7 S. 119. 9) Die Idee der Gleichheit der Staatsbürger ist durch diesen Verfassungssatz auch für Preußen realisirt. Sie darf aber, wenn man Mißverständnisse vermeiden will, nur auf die

Von Personen und deren Rechten überhaupt.

2.

79

Gesetz, betreffend die Gleichberechtigung der Konfessionen in bürger­

licher und staatsbürgerlicher Beziehung.

Bom 3. Juli 1869.

(B.G.Bl. S. 292.)

Einziger Artikel. Alle noch bestehenden, aus der Verschiedenheit des religiösen Bekennt­ nisses hergeleiteten Beschränkungen der bürgerlichen und staatsbürgerlichen Rechte werden hierdurch aufgehoben. Insbesondere soll die Befähigung zur Theilnahme an der Gemeinde- und Landes­ vertretung und zur Bekleidung öffentlicher Aemter vom religiösen.Bekenntniß unabhängig sein.

§. 8. Andere'") kommen ihnen nur in so fern zu, als mehrere derselben zu­ sammen eine besondere Gesellschaft1') ausmachen. §. 9. Die Rechte und Pflichten der verschiedenen Gesellschaften im Staate werden durch ihr Verhältniß unter sich, und gegen das Oberhaupt des Staates näher bestimmt. §. 10. Die allgemeinen Rechte der Menschheit") gebühren auch den noch ungebornen Kindern, schon von der Zeit ihrer Empfängniß. §. 11. Wer für schon geborne Kinder zu sorgen schuldig ist, der hat gleiche Pflichten in Ansehung oer noch im Mutterleibe befindlichen1:!). §. 12. Bürgerliche Rechte, welche einem noch ungebornen Kinde zukommen

staatsbürgerlichen (politischen) Rechte bezogen werden; denn sie will nur Bevorzugung oder Zurücksetzung im Rechte wegen der Geburt, namentlich die schon seit 1807 unpraktisch gewordenen Borrechte und Ausschließungen im Staats- und Privatrechte, abgeschafft wissen. Auf die be­ sonderen Privatrechte der früheren Geburtsstünde, sowie die den Berufs st and en eigenthüm­ lichen Institute und Rechtsnormen hat der Grundsatz der Gleichheit vor dem Rechte, wie auch der Wortlaut ergiebt, gar keine Beziehung. 10) Andere Rechte, als welche Jeden: nach seinen: Stande zustehen, können nur in Gesell­ schaften, welche für Eine Person (juristische Person) gelten, erlangt werden. Die Bürger einer Stadt z. B. können, nach dem Sinne dieser Bestimmung, nicht adelige Rechte erwerben oder aus­ üben, aber als Gesammtheit, als Korporation, können sie wohl Rittergüter und dergleichen er­ werben und besitzen. Rach heutigen: Rechte hat die Bestimmung ihre Bedeutung verloren. Ueber die Bedinggnisse einer juristischen Person s. n:. Th. II Tit. 6.

11) Das sog. Publikum ist unter keinen Umständen und in keiner Beziehung eine solche besondere Gesellschaft im rechtlichen Sinne; niemals kann das Publikum unmittelbar oder durch Vertreter etwas erwerben, besitzen oder klagend verfolgen; denn es ist unorganisch, bloße Bezeichnung für eine an einem öffentlichen Orte versammelte Menschenmenge, wie z. B. das Publikum eines Seiltänzers, oder, in weiterer Bedeutung, für einen unbestimmten Theil des Volkes in gewisser Beziehung, z. B. Lesepublikum, Handelspublikum, juristisches Publikum u. s. w., oder, in noch weiterer Bedeutung, für alle, in einen: Orte oder Lande gleichzeitig lebenden Menschen, z. B. „Publikum überhaupt" in II. 20 §§. 1495, 1395. Daß die Erinnerung hieran nicht überflüssig, beweist der in Simon's Rechtssprüchen 4 S. 288 mitgetheilte Rechtsfall, wo das Publikum einen Durchgang durch ein Privatgrundstück mittelst Verjährung erworben haben sollte und von der Polizei als Vormund klagend vertreten wurde. M. s. auch O.Tr. III v. 15. Febr. 1848, Rechtsf. 3 S. 352, u. v. 12. Jan. 1852, Str. Arch. 4 S. 244. 12) Was unter den allgemeinen Rechten der Menschheit gemeint ist, erfährt man aus der damals herrschenden Ansicht über die eigene Person, als Gegenstand eines besonderen Rechtsverhältnisses. Darnach hat der Mensch ein besonderes Recht auf seine Person, welches mit seiner Geburt nothwendig entsteht und bis zu seinem Tode fortdauert. Dieses Recht heißt daher Urrecht, allgemeines Menschenrecht, im Gegensatze zu den, nach bürgerlichem Rechte erworbenen Rechten, und soll ebenso ungestört bleiben, wie diese erworbenen Rechte. Donellus, Com­ ment. II. 8 §§. 2, 3 nennt vier Gegenstände dieses Rechtes eines Jeden auf sich selbst: vita, incolumitas corporis, libertas, existimatio. Unser §. 10 bezieht sich auf diese Urrechte, und der folgende §. 12 auf die erworbenen (bürgerlichen) Rechte. Die dem Embryo zugeschriebenen Menschheitsrechte auf sich selbst müssen ungekränkt bleiben, und verbleiben auch dem ohne mensch­ liche Gestalt geborenen, nicht rechtsfähig gewordenen Wesen (Mißgeburt). §. 18.

13) Die Bestimmung des §. 11 bezieht sich lediglich auf den Hauptverpflichteten; sie hat lediglich solche Pflichten, welche während des Befindens des Kindes im Mutterleibe zu erfüllen sind, nicht aber die erst nach der Geburt eines lebensfähigen Kindes zur Sprache kommenden Pflichten (z. B. die Alimentationspflicht) zum Gegenstände. O.Tr. I v. 18. Juni 1852, Str. Arch. 6 S. 182.

80

Erster Theil.

Erster Titel.

§§. 13-14.

würden, wenn es zur Zeit der Empfängniß schon wirklich geboren wäre, bleiben demselben auf den Fall, daß es lebendig zur Welt kommt, Vorbehalten"). §. 13. Daß ein Kind lebendig zur Welt gekommen sei, ist in dieser Bestimmung 14) Dieser §. hat drei wichtige Bestimmungen: Erstens bestimmt er im Gegensatze zu §. 10, daß ein Ungeborener keine bürgerlichen Rechte habe, d. h. nicht rechtsfähig sei; zweitens ist die Bedingung der anfangenden Rechtsfähigkeit festgesetzt; drittens ist von gewissen Rechten die Rede, welche ihm bis zum Eintritte dieser Bedingung vorbehalten bleiben sollen. Der erste Grundsatz ist ohne Schwierigkeit; er bezieht sich nicht bloß auf diejenigen Rechte, welche erst im Leben erworben werden können, sondern umfaßt auch solche, welche ipso jure mit der Geburt anfangen, wie die Familien- und Standesrechte. Vgl. Eint. §. 82. Die zweite Bestimmung ent­ scheidet eine Kontroverse nach der richtigen Meinung. Vielen Rechtslehrern genügte zur natürlichen Rechtsfähigkeit nicht die Geburt eines lebenden Kindes, sondern sie forderten auch die Lebens­ fähigkeit (Vitalität) des Kindes, d. h. sie sprachen einem lebendig geborenen Kinde die Rechts­ fähigkeit ab, wenn es bald nach der Geburt sterbe, und die Todesursache in der Unreifheit des­ selben, wodurch ihm die Fortsetzung des Lebens außer dem Mutterleibe unmöglich werde, liege. Das Erforderniß der Vitalität ist dem L.R. unbekannt, vielmehr wird jedem lebendig geborenen Kinde vollständige Rechtsfähigkeit zugeschrieben. Geburt ist die vollständige Trennung eines lebenden Menschen von der Mutter. Dazu gehört: 1) Trennung, gleichviel ob natürliche oder künstliche (L. 12 pr. D. de liberis, XX VIII ; 2) vö llständige Trennung (L‘. 3 C. de posthum. VI, 29); 3) Leben nach der vollständigen Trennung, weshalb ein Kind, welches in der Geburt gelebt hat, aber noch vor der vollständigen Absonderung von dem Mutterleibe gestorben, nicht rechtsfähig geworden ist (L. 3 C. de posthum. L. 29 D. de verb. sign. L, 16); wogegen die durch den Anfang des selbstständigen Lebens einmal erworbene Rechtsfähigkeit nicht wieder ver­ loren geht, wenn auch schon im nächsten Augenblicke (illico — vel in manibus obstetricis) der Tod erfolgt ist. L. 2 u. L. 3 i. f. 0. de posthumis (VI, 29); 4) menschliche Natur (§. 17). — Die dritte Bestimmung ist dunkel. Eigentlich drückt das L.R. den Grundsatz oder die Regel über den Anfang der Rechtsfähigkeit überhaupt nicht aus, sie ist stillschweigend vorausgesetzt. Das R. N. ist darin bestimmter, wenn nur Regel und Ausnahme unterschieden werden. Die L. 9 §. 1 D. ad L. Falc. (XXXV, 2) und die L. 1 §. 1 D. de inspic. ventre (XV, 4) sagen be­ stimmt, ein Ungeborener sei nur ein Theil des mütterlichen Leibes. Dies ist die Regel. Daher kann eine Leibesfrucht nicht Rechtssubjekt sein, folglich auch, da sie keine Person ist, die einer Vertretung fähig und bedürftig wäre (non est pupillus qui in utero est, L. 161 I). de verb. sign.; ventri tutor — dari non potest, L. 20 pr. D. de tutor.), nichts erwerben, noch besitzen, noch schuldig sein. Darum kennen wir auch keine Regeln, wonach das Schicksal der Ver­ mögensgegenstände, welche man dem Embryo zuschreiben wollte, in dem Falle bestimmt werden könnte, wo er gar nicht zur Welt käme. Gleichwohl wird in anderen Stellen der Fötus pro superstite genommen, „cum de ipsius jure quaeritur; aliis autem non prodest nisi natus.“ L. 231 D. de verb. sign. (L, 16), und „proinde ac si in rebus humanis esset, custoditur, quoties de commodis ipsius partus agitur.“ L. 7 D. de statu hom. (I, 5) und L. 26 eodem. Das ist das „nasciturus habetur pro nato“ der Neueren. Hierin wird jene Regel, daß der Ungeborene rechtsunfähig, nicht aufgehoben, es wird nicht gesagt, daß er als Person vertreten werden und erwerben könne, vielmehr wird ihm nur eine gewisse Vorsorge zu seiner Erhaltung und zur Vorbereitung eines Rechtsgenusses bei seinem Eintritte in die Welt durch Aufbewahrung gewisser Rechte zugewendet. In erster Hinsicht äußert sich die Vorsorge durch Strafandrohung gegen Handlungen, welche die Leibesfrucht tödten, und durch Aufschiebung von an sich recht­ mäßigen Handlungen, wie z. B. Hinrichtung und Folterung der Mutter, bis nach der Geburt. L. 18 de statu hom.; L. 3 D. de poenis (XLVIII, 19). Ganz dieselbe Bedeutung hat der §. 10 d. T. In der anderen Rücksicht bestand die Vorsorge darin, „ut in tempus nascendi omnia ei jura Integra reservarent.“ L. 3 D. si pars (V, 4). Erst dann sollte er erwerben können. Diese jura reservata, in welche der Neugeborene sofort eintreten sollte, betrafen Standesverhältnisse und Erbfolge. Eine während der Schwangerschaft eröffnete Erbschaft, welche dem Kinde, wenn es schon geboren wäre, anfallen würde, blieb ihm bis zur Geburt vorbehalten, L. 26 de statu hom. (I, 5); L. 3 si pars (V, 4); L. 7 de reb. dub. (XXXIV, 5); L. 36 de solut. (XLVI, 3); und zur Bewahrung dieser reservirten Rechte wurde ihm ein Kurator bestellt. L. 20 de tutor. (XXVI, 5); T?it. Dig. de ventre in poss. (XXXVII, 9). Es waren also ganz einzelne und beschränkte Rechtsbeziehungen, in welchen ein Ungeborener, gegen die Regel, als ein schon vorhandenes Subjekt fingirt wurde. Ganz denselben Sinn hat die Bestimmung dieses §. 12, daß solche bürgerliche Rechte, welche einem Ungeborenen zugefallen sein würden, wenn seine Empfängniß seine Geburt gewesen wäre, ihm bis zur Geburt vor­ behalten bleiben. Dieser Vorbehalt bezieht sich nur auf Standesverhältnisse (II. 2 §§. 22—24) und auf Erbfolge (I. 9 §§. 371 ff.; I. 12 §. 527; II. 2 §. 444; II. 4 §. 95; I. 11 $§. 1113ff.) und kann weder analog auf andere Verhältnisse ausgedehnt, noch auch in etwas Anderes, etwa in eine wahre Erwerbung, umgewandelt werden. Der zu bestellende Kurator, der nicht eigentlich

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Von Personen und deren Rechten überhaupt.

schon für ausgemittelt anzunehmen, wenn unverdächtige, bei der Geburt gegen­ wärtig gewesene Zeugen 1G), die Stimme desselben deutlich vernommen haben. eine Person vertritt, sondern nur einem Verwahrer ähnlich ist, ist also durchaus nicht in der rechtlichen Lage, Namens einer nicht existirenden Person Verträge oder sonst Rechtsgeschäfte zu schließen, er ist nur im Stande, im eigenen Namen diejenigen Rechtsgeschäfte einzugehen, welche zur Wahrung des ihm anvertrauten Rechts nothwendig sind, und welche, wenn der künftige Mensch zur Welt kommt und er von dem ihm reservirten Rechte Gebrauch machen will, mit übernommen werden müssen. Aus diesen Gründen hat Dr. Jacobi in seiner Refutation des damaligen kurmärkischen Pupillenkollegiums (Jur. Wochenschrift 1842 S. 591 ff.) vollkommen Recht, und es ergiebt sich aus der Vergleichung der §§. 10, 12 und 17 die Regel, daß die bürger­ liche Rechtsfähigkeit eines ungeborenen Kindes vernemt wird, und daß ausnahmsweise nur in einzelnen Beziehungen bestimmte Rechte, welche dem Erzeugten, wäre er schon geboren, anfallen würden, bis zur Geburt in statu quo erhalten werden, damit der neue Mensch solche, wenn er will, erwerben möge. H. Förster-Eccius, Theorie u. Pr., §. 19 Note 5, ist derselben An­ sicht. Dernburg, Lehrb. 1 §. 41 Anm. 8, meint dagegen, daß dem Embryo durch Verträge seiner Kuratoren, ja selbst durch unbevollmächtigte Vertreter vorbehaltlich späterer Ratifikation erworben werden könne, weil das moderne Recht Stellvertretung im weitesten Sinne zulasse. Es ist ja aber noch keine zu vertretende Person vorhanden! Roch weniger zu billigen ist die Annahme des O.Tr. in dem Erk. I v. 5. Juli 1869, Str. Arch. 75 S. 243, daß der Großvater eines unehelichen nasciturus kraft der ihm nach §. 11 d. T. zustehenden Fürsorge für denselben einen das Kind nach seiner Geburt bindenden Vergleich über die Alimente mit dem Erzeuger schließen könne. Der Vergleich stand in jenem Falle dem mit der Mutter klagenden Vormunde nur in soweit entgegen, als das Kind von der Mutter verpflegt wurde, die Mutter aber durch den Vergleich gebunden war und deshalb Erstattung der Alimente nicht fordern konnte. Die noch weiter gehende Annahme in dem Erk. d. O.Tr. III v. 26. Mai 1862, Entsch. 17 S. 113, daß eine, erst künftig zu koncipirenden Kindern gemachte Schenkung von den Eltern dieser vor­ läufig nur gedachten Sprößlinge gültig angenommen werden könne, wird auch von Dernburg, a. a.O., für unhaltbar erachtet; ebenso von R. Koch, Ger.Z. 1863 S. 70, u. v. P. Hinschius, Pr. Anw.Z. 1863 S. 172. 15) Der Beweis des Lebens eines Kindes ist nicht auf bestimmte Lebenszeichen beschränkt. Manche der älteren röm. Juristen (die Sabinianer) behaupten zwar, das Kind müsse nothwendig geschrieen haben; allein Justinian hat diese Meinung beseitigt, L. 3 C. de posthum. (VI, 29), und gemeinrechtlich ist hierüber kein Streit; denn das R. R. hat den Rest der einst allgemein verbreiteten deutschen Ansicht vom Beschreien der vier Wände (Leg. Alem. Tit. 92; Sachsensp. I, 33; Magdeburger Weichbild Art. 86) verdrängt. Auch die allgemeine preuß. vorlandrechtliche Gesetzgebung ist darin ganz bestimmt. Das Corp. jur. Frid. I, 4 §. 4 sagt: „Zu dessen Beweis aber ist nicht nöthig, daß sie eben einen Laut von sich geben, sondern es ist genug, wenn die Geburt sonst ein Zeichen des Lebens von sich giebt." Ueber den Sinn dieses §. 13 hat das „schon" eine Meinungsverschiedenheit veranlaßt. Man hat es von einer Seite wohl so aufgefaßt, daß der Schrei des Kindes das geringste Zeichen sei, wodurch das Leben bewiesen werden könne, unter welchem kein Lebenszeichen als Beweis mehr statuirt sein solle, über welchem aber allerdings noch andere bestehen können. Notoski, der Beweis des Lebens eines Kindes (Wittenberg 1851) S. 30. Das heißt doch wohl: das Schreien des Kindes ist das geringste Lebenszeichen, ohne welches kein anderes Lebenszeichen genügt und als Beweis angenommen wird; neben welchem aber noch andere Lebenszeichen zur Verstärkung des Beweises dienen. Damit wird aber behauptet, daß nach dem Wortlaute des §. 13 das Schreien das einzige Kenn­ zeichen des Lebens ser. Das aber widerspricht der Wortfügung, und das „schon" wäre bedeutungs­ los; denn wenn das Genügende (das Schreien) zugleich das Ausschließende sein sollte, so könnte es auf andere Lebenszeichen, auf stärkere oder unterstützende, dem Gesetzgeber durchaus nicht mehr angekommen sein. Das „schon" hat aber, wenn auch andere Lebenszeichen für sich allein, ohne die Stimme, ganz vollgültigen Beweis des Lebens sollen geben können, dennoch seine volle Bedeutung. Man darf nicht übersehen, daß die Bestimmung sich auf den Fall bezieht, wo das Kind gleich nach der Geburt stirbt; denn für länger lebende Kinder ist sie ganz überflüssig. Der kritische Zeitpunkt ist also ein solcher, wo die Mutter selbst noch Gegenstand der Behandlung ist und man dem Kinde noch nicht alle Aufmerksamkeit zuwendet. Schwerlich werden die Anwesenden in dem Augenblicke, wo das Kind von der Mutter getrennt wird, ihre Augen auf den Akt ge­ richtet haben, um beobachten zu können, ob das Kind seine Augen, Glieder bewege, oder es gar befühlen können, um sich von dem Herz- und Pulsschlage zu überzeugen. Fast niemals wird in diesem kritischen Zeitraume der Gegenstand dem Auge überhaupt bloß gelegt sein. In diesem Zeitabschnitte nun ist das Verlauten der Stimme ein höchst wichtiges Zeichen; allein es ist keineswegs ein sicherer, zuverlässiger Beweis, daß das Kind wirklich vollständig lebend ge­ boren worden. Denn es kommt, wie die Erfahrung lehrt (Mend e, Handbuch der gerichtl. Medicin, Koch, Allgemeines Landrecht. I.

8. Aufl.

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Erster Theil.

Erster Titel.

§§. 14—26 (Zusätze). §. 27.

der Zwillinge,

§. 14. Wenn aus Einer Geburt zwei oder mehrere lebendige Kinder zur Welt kommen, so haben dieselben, in der Regel, völlig gleiche Rechte. §. 15. Kommt es aber dabei auf besondere Vorrechte der Erstgeburt an, so muß der Zeitpunkt, wann die Mutter von dem einen oder dem andern Kinde ent­ bunden worden, genau ausgemittelt werden. §. 16. Kann diese Ausmittelung mit der erforderlichen Gewißheit nicht ge­ schehen, so entscheidet das Loos über die Rechte der Erstgeburt^). der Mißge­ §. 17. Geburten ohne menschliche Form und Bildung^) haben auf Familienburten^ und bürgerliche^) Rechte keinen Anspruch. §. 18. In so fern aber dergleichen Mißgeburten leben, müssen sie, nach §.11., ernährt, und so viel als möglich erhalten werden. der Zwitter. §. 19. Wenn Zwitter geboren werden, so bestimmen die Aeltern, zu welchem Geschlechte sie erzogen werden sollen. §. 20. Jedoch steht einem solchen Menschen , nach zurückgelegtem achtzehnten Jahre, die Wahl frei, zu welchem Geschlechte er sich halten wolle. §. 21. Nach dieser Wahl werden seine Rechte künftig beurtheilt 20).

Th. 3 S. 103 ff.), vor, daß ein Kind schon während der Geburt seine Stimme vernehmen läßt. In solchem Falle würde dann, wenn das Kind vor der Geburt umküme, kein lebendiges Kind geboren sein. Hier ist nun das „schon" von der höchsten Wichtigkeit: es schneidet jeden weiteren Streit in dieser Beziehung ab, wenn das Verlauten der Stimme glaubwürdig bezeugt worden ist. Dies ist zum Beweise einer lebenden Geburt weniger, als wenn die Zeugen noch andere Lebens­ zeichen nach dem Geburtsakte wahrgenommen haben. H. Vgl. den Aufsatz v. R. K o ch in G r u ch o t Beitr. 13 S. 321. 16) Ein anderer Beweis als der Zeugenbeweis über dieses Lebenszeichen ist nicht zulässig; er muß vollständig geführt werden, denn es werden unverdächtige, anwesend gewesene Zeugen in der Mehrzahl, also wenigstens Zwei, gefordert. 17) Wer hat das Loos zu ziehen? Sollen es die Geschwister selbst thun, so muß wohl die Zeit ihrer Handlungsfähigkeit abgewartet werden; drängt aber das Verhältniß zu einer früheren Entscheidung, so muß Jedem ein besonderer Kurator in diesem wichtigen Akte bestellt werden, wiewohl dieses Auskunftsmittel zur Austragung des reinen Glücksspiels schlecht geeignet ist. Das Passendste wäre eine Gemeinschaft, bis eine vertragsmäßige Auseinandersetzung beliebt würde. 18) Das vierte Erforderniß einer wahren menschlichen Geburt ist die menschliche Natur des Geborenen. (Anm. 14.) Man schließt dieselbe aus der menschlichen Gestalt. Das wesentliche Kennzeichen derselben, die Grenze der Menschengestalt ist hier nicht angegeben. Auch die Röm. Juristen schweigen darüber. Bei einer anderen Gelegenheit, L. 44 pr. de relig. (XI, 7), wird gesagt: illum religiosum esse, ubi, quod est principale, conditum est, id est caput, cujus imago fit, unde cognoscimur. Daher kommt die unter den Juristen allgemein verbreitete Ansicht, daß der menschliche Kopf dieses Merkzeichen, mithin jede Geburt mit einer anderen Kopfbildung eine Mißgeburt in dem in §. 17 gemeinten Sinne sei, weil ein solches Ge­ schöpf der menschlichen Vernunft unfähig. Glück, Kommentar 2 S. 73. Man will also a priori wissen, was kein Mensch einem Neugeborenen anzumerken vermag. Angenommen, es könnte von einem menschlichen Weibe ein Wesen mit einem Schafskopfe geboren werden (die ganze Geschichte solcher Thiergestalten gehört in das Reich der Märchen) und würde geboren: so müßte dieses Wesen wegen des vorhergesehenen Mangels am menschlichem Geiste rechtsunfühig sein. Nun könnte es aber doch nicht unmöglich sein, daß dieses Wesen sich mit der Zeit zu einem tief­ sinnigen Philosophen entwickelte. Sollte denn dieser rechtlos bleiben? Wo nicht, von wo sollte die Rechtsfähigkeit anfangen? Die ganze Lehre hat keinen Boden. Die Aerzte wollen davon auch nichts wissen; sie haben andere Merkmale von Mißgeburt. (Mende, Handbuch der gerichtl. Medicin, Th. 3 S. 237 u. 322 ff.) Da nun das Gesetz weislich nichts über die Kennzeichen einer Mißgeburt bestimmt, so muß in jedem Falle das Urtheil der Physiologen (Aerzte) darüber ent­ scheiden: niemals aber kann eventuell auf das R. R. zurückgegangen werden, schon darum, weil es die wahre Grenze der Menschengestalt nicht bestimmt, aus dem vernünftigen Grunde, weil dies nichts Juristisches ist. 19) Also nur bürgerlich rechtsunfähig bleiben sie; „die allgemeinen Rechte der Menschheit" des §. 10 verbleiben ihnen, wie der folgende §. 18 noch besonders ausspricht. 20) Deshalb ist die Wahl ein wichtiger Akt, wofür es billig eine Form geben sollte, durch welche dieselbe außer Zweifel gestellt würde. Die L. 10 D. de statu hom. (1, 5) will in allen Fällen nur auf den Befund gesehen wissen. Die eigene Wahl, unbeschadet der Rechte Dritter,

Von Personen und deren Rechten überhaupt.

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§. 22. Sind aber Rechte eines Dritten von dem Geschlechte eines vermeint­ lichen Zwitters abhängig, so kann ersterer auf Untersuchung durch Sachverständige antragen. §. 23. Der Befund der Sachverständigen entscheidet, auch gegen die Wahl21) des Zwitters und seiner Aeltern. §. 24. Die Rechte beider Geschlechter sind einander gleich, so weit nicht durch unterschied besondere Gesetze22), oder rechtsgültige Willenserklärungen, Ausnahmen bestimmt Geschlechter, worden. §. 25. Wenn von den Rechten der Menschen, in Beziehung auf ihr Alter, ^Auers. die Rede ist, so heißen die Kinder diejenigen, welche das siebente, und Unmündige, welche das vierzehnte Jahr noch nicht zurückgelegt haben23). §. 26. Fällt weg24). 3.

Gesetz, betreffend das Alter der Großjährigkeit.

Vom 17. Februar

1875. (R.G.Bl. S. 71.) §. 1. Das Alter der Großjährigkeit beginnt im ganzen Umfange des Deutschen Reichs mit dem vollendeten einundzwanzigsten Lebensjahre.26) §. 2. Die hausverfassungsmäßigen oder landesgesetzlichen Bestimmungen über den Beginn der Großjährigkeit der Landesherren und der Mitglieder der landesherrlichen Familien, sowie der Fürstlichen Familie Hohenzollern werden durch die Vorschrift des §. 1 nicht berührt. §. 3. Dieses Gesetz tritt mit dem 1. Januar 1876 in Kraft.

§. 27. Rasende und Wahnsinnige heißen diejenigen, welche des Gebrauchs unterschied ihrer Vernunft gänzlich beraubt sind. Seelenkräfte. ist dem L.R. eigenthümlich. Die Aerzte behaupten, daß es eine wahre Zwitterbildung nach Theorie und Erfahrung nicht gebe. Mende, Handbuch der gerichtlichen Medicin, Th. 3 S. 330 ff. 21) Die einmal getroffene Wahl bleibt unabänderlich; denn der §. 21 verordnet, daß danach die eigenen Rechte, soweit nicht Dritte dabei interessiren und widersprechen, für alle Zukunft be-' urtheilt werden. Diese Absicht hatten auch die Redaktoren bei der Abfassung dieser Bestimmungen. Mat. Bd. 72 Fol. 1 V und Bd. 80, Abschr. Bd. 1 Fol. 88 V. 22) Rur besondere Gesetze können eine Verschiedenheit der Rechte nach dem Geschlechte be­ gründen, der bloße Gebrauch des Maskulinum in einem Gesetze schließt dessen Anwendbarkeit auf das andere Geschlecht nicht aus. „Verbum hoc: si quis, tarn masculos quam feminas complectitur,“ und „pronunciatio sermonis in sexu masculino ad utrumque sexum plerumque porrigitur.“ L. 1, 195 pr. D. de verb. sig. (L, 16). Die vielfachen Verschiedenheiten der männlichen und weiblichen Rechte, welche als Ausnahmen vorkommen, lassen sich nicht auf ein einziges allgemeines Prinzip zurückführen, sie beruhen auf verschiedenen Gründen, niemals aber auf Mißachtung oder Zurücksetzung des weiblichen Geschlechts. 23) H. Die Unterscheidung zwischen Kindern und Unmündigen hat für die allgemeine Geschäftsfähigkeit Minderjähriger keine Bedeutung mehr; vgl. Zusatz 8 zu I. 4 §. 20 ff. Auch für die Fähigkeit, eine Ehe oder ein Verlöbniß einzugehen, einen Zeugen- oder Parteieneid zu leisten, ist durch neue Gesetze eine anderweitige Altersgrenze bestimmt; vgl. das R.G. v. 6. Febr. 1875 §. 28, Strafproz.O. §. 56, C.P.O. §§. 358, 435. Wegen der Testamentsfähigkeit vgl. I. 12 §. 16. 24) H. Dieser durch das Gesetz v. 9. Dez. 1869 aufgehobene §. lautete: Die Minderjährigkeit aber dauert, ohne Unterschied des Ortes der Herkunft und des Stan­ des, bis das vier und zwanzigste Jahr zurückgelegt ist. Dies war die richtige Lesart (R. v. 29. Dez. 1837, Jahrb. 50 S. 469), nicht: „ohne Unterschied des Ortes, der Herkunft und des Standes". Auch auf die Prinzen des königlichen Hauses findet die Vorschrift der Landesgesetze über den Anfang der Großjährigkeit Anwendung. O.Tr. v. 4. Dez. 1806, Mathis 8 S. 109. Der König macht eine Ausnahme, er wird mit 18 Jahren großjährig. Aurea bulla cap. VII §. 4; Verf.Urk. v. 31. Jan. 1850 Art. 54. — Für die Juden bestimmte der Anh. §. 3 den Anfang der Großjährigkeit mit dem vollendeten 20. Lebens­ jahre, dieses Sonderrecht wurde indessen durch die Dekl. v. 24. Jan. 1844, G.S. S. 51, wieder aufgehoben. Bestätigt durch §. 1 des Ges. v. 23. Juli 1847, G.S. S. 263. 25) H. Das Gesetz v. 9. Dez. 1869 (G.S. S. 1177), welches mit dem 1. Juli 1870 in Kraft getreten, ließ bereits für den ganzen Umfang der Monarchie die Großjährigkeit mit dem vollendeten einundzwanzigsten Lebensjahre beginnen.

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Erster Theil.

Erster Titel.

§§. 28—32.

§. 28. Menschen, welchen das Vermögen, die Folgen ihrer Handlungen zu überlegen, ermangelt, werden blödsinnig genannt^). §. 29. Rasende und Wahnsinnige werden, in Ansehung der von dem Unter­ schiede des Alters abhangenden Rechte, den Kindern, Blödsinnige aber den Un­ mündigen gleich geachtet27). 26) Man hat die krankhaften Seelenäußerungen nach verschiedenen Prinzipien eingetheilt, zuerst nach der Seelenthätigkeit, deren Aeußerung vorzugsweise fehlerhaft erscheint, dann, u. a., nach der Erscheinungsweise der krankhaften Seelenäußerungen an sich und nach ihrem Einflüsse auf das Selbstbewußtsein und den vernünftigen Willen. Dieses Prinzip liegt der hier gemachten Unterscheidung zum Grunde. Darnach macht man drei Klassen. Die erste umfaßt die Krank­ heiten, bei denen alle Richtungen der Seelenthätigkeit niedergedrückt sind (Blödsinn); die zweite diejenigen, in welchen nur eine oder einzelne sich krankhaft äußern, dadurch aber auch die übrigen unfähig machen, das Bewußtsein und den vernünftigen Willen aufrecht zu erhalten (Wahnsinn); die dritte solche, bei welchen sich die Seelenthätigkeit in allen Richtungen überspannt und ver­ worren äußert (Tollheit). Men de Th. 6 S. 138. Der Blödsinn tritt als Mangel oder Nieder­ gedrücktsein der Seelenthätigkeit in allen Richtungen in die Erscheinung. Der daran Leidende ist unfähig, Begriffe zu bilden und folgerecht zu denken. Deshalb vermag er weder die Art, noch das Maß, noch die Wirkungen und Folgen seiner Handlungen zu beurtheilen. Ebd. S. 144. Darnach ist der Begriff des Blödsinnigen, welchen der §. 28 giebt, genau richtig. Anders ist es mit dem Wahnsinnigen. Der Wahnsinn erscheint als Abweichung des Borstellungsvermögens, oder der Urteilskraft, oder beider zugleich. Die Seelenthätigkeit ist bei dem Wahnsinnigen gar nicht niedergedrückt, vielleicht sehr lebhaft, aber er denkt und urtheilt über Alles verkehrt. Die Ursachen davon sind Sinnestäuschungen (hallucinationes) und Überspannungen (ecstasiae). Diese Erscheinungen hindern den Kranken vernunftmüßig, d. h. normalmäßig im Sinne der großen Mehrheit, zu denken und zu urtheilen; dieses Vermögen geht ihm ganz ab. Die Be­ griffsbestimmung in §. 27 ist zutreffend. Mir sind Gutachten vorgekommen, worin die Aerzte mit den beiden Begriffen im §. 27 und 28 nicht haben fertig werden können: sie haben den Kranken wegen seiner verrückten Vorstellungen und Schlüsse ganz richtig für wahnsinnig gehalten, aber hinzugefügt, daß er eben deshalb auch die Folgen seiner Handlungen nicht überlegen könne (§. 28), so daß also ein Wahnsinniger, nach der Definition des L.R., auch immer blödsinnig sein müßte. Das beruht auf Mißverständniß. Der Wahnsinnige überlegt wohl seine Handlungen, aber nach seiner verrückten Vorstellung oder Beurtheilung; bei dem Blödsinnigen hingegen ruht die Seelenthätigkeit, nach dem Grade der Krankheit, mehr oder weniger. Ein Urtheil, welches eine Person für wahnsinnig und zugleich für blödsinnig erklärte, wäre widersinnig, der Be­ troffene könnte nur für wahnsinnig gelten. — Der Wahnsinn ist nach seinem Verlaufe entweder anhaltend oder periodisch, und nach seiner Erscheinung entweder allgemein oder beschränkt (theilweise, fix); jede dieser verschiedenen Arten nimmt dem Kranken in der Zeit oder in dem Bereiche seiner Wirksamkeit den Gebrauch der Vernunft ganz. Dies ist der Sinn des §. 27. Demgemäß muß auch ein nur partiell Wahnsinniger für wahnsinnig erklärt und bevormundet werden. O.Tr. I v. 27. Febr. 1860, Str. Arch. 36 S. 286. Außerdem will die ärztliche Wissenschaft einen wesent­ lichen Unterschied zwischen dem allgenreinen und theilweiserr Wahnsinne (nicht zu verwechseln mit dem anhaltenden und periodischen) nicht gelten lassen. Mende S. 152. Die Tollheit zeigt sich als Regellosigkeit und Verwirrung in allen Aeußerungen der Seelenthätigkeit, entweder in der Form der Willenlosigkeit, bei völliger Unklarheit der Vorstellungen und Unbestimmtheit aller Empfindungen (stille Tollheit), oder als Uebermaß des Willens ohne alle vernünftige Be­ stimmung und Richtung desselben, bald in Unstätigkeit, sinnloser Geschwätzigkeit, Lachen und Weinen ohne Ursache (Faselei), bald in wildem Toben re. (Raserei). Mende S. 140, 164 ff. Nur der letzten Krankheitsform geschieht im §. 27 Erwähnung, die übrigen Arten der Tollheit zählen zum Wahnsinne. Das ist auch gleichgültig, denn alle diese krankhaften Aeußerungen der Seelenthätigkeit haben das Gemeinsame, daß dabei der Lebende ganz vernunftlos ist. — Von der Vernunftlosigkeit unterscheidet man zwar die bloße Dummheit und die bloße Geistesschwäche, doch gehen diese Zustände in ihrem höchsten Grade unmerklich in Stumpfsinn (ein niederer Grad des Blödsinnes) über. H. Der Richter hat sich bei der Beurtheilung, ob ein Geisteskranker wahn- oder blödsinnig sei, an die Begriffsbestimmung der §§. 27 u. 28 zu halten, wenn dieselben auch vom medizinisch­ wissenschaftlichen Standpunkte aus für unzutreffend erachtet werden. O.Tr. I v. 18. Nov. 1872, Str. Arch. 87 S. 67. 27) Nach R. R. unterliegen alle diese krankhaften Seelenzustände einer gleichen juristischen Beurtheilung (L. 25 0. de nupt. V, 4). Die Rechtfertigung dafür ist die allen Seelenkrank­ heiten gemeinsame Wirkung, daß dem Leidenden beziehungsweise oder gänzlich das Vermögen fehlt, stch nach Vernunftgründen zu bestimmen und vernünftig zu denken, zu wollen und zu handeln. Dergleichen Geisteskranke sind völlig rechtsfähig, aber handlungsunfähig. §. 8 J. de

Von Personen und deren Rechten überhaupt.

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§. 30. Verschwender sind, welche durch unbesonnene und unnütze Ausgaben oder durch muthwillige Vernachlässigung ihr Vermögen beträchtlich vermindern, oder sich in Schulden stecken 28). §. 31. Diejenigen, welche als Verschwender gerichtlich erklärt sind, werden den Minderjährigen 2§) gleich geachtet. §. 32. Diejenigen, welche wegen noch nicht erlangter Volljährigkeit, oder Amunder wegen eines Mangels an Seelenkräften, ihre Angelegenheiten nicht selbst gehörig befohlne. wahrnehmen können (§. 25—31.), stehen unter der besondren Aufsicht und Vor­ sorge des Staates 30). inutil. stipul. (III, 19); L. 40. L. 5 D. de reg. jur. (L, 17.) Hierin findet sich völlige Ueber­ einstimmung des L.R. mit dem R. R. Nur die im §. 29 angedeutete Abstufung der Handlungsunfähigkeit ist beliebt worden. Sie hat keinen inneren Grund und eine nur geringe praktische Bedeutung. Alle Geisteskranke sind unfähig, in Rechtsverhältnisse zu treten, wozu ihre eigene Willenserklärung erforderlich ist, wie z. B. Ehe, Adoption, denn sie haben gar keinen Willen. Die schon bestehenden Verhältnisse dieser Art bleiben selbstverständlich unberührt durch den Eintritt solcher Krankheit. Vergl. L. 8 pr. D. de his qui sui vel alieni Juris (I, 6) und L.R. L 4 §§. 21 ff. 28) Eine Verminderung des angefallenen Vermögens ist es auch, wenn der ohne Zuthun des Provokaten entstandene Mehrwerth durch Aufnahme von Schulden wieder absorbirt worden. O.Tr. I v. 11. Jan. 1858, Str. Arch. 29 S. 24. — Der gemeine Sprachgebrauch bezeichnet den Fehler, welcher der Kargheit entgegensteht, das Uebermaß im Geben, als Verschwendung. Dieser Begriff ist unbrauchbar für den juristischen Gebrauch. Ein sehr reicher Mann kann alle seine ungeheueren Einkünfte durch Luxus, Schwelgerei, Spiel, Freigebigkeit verschwenden, er wird "dadurch Keinen: das Recht geben, ihn in seiner Verfügung über das Seine einzu­ schränken; denn er hat ja keine Verbindlichkeit, Reichthümer für Andere zu häufen. Wer aber durch dergleichen Verbrauch die Besorgniß begründet, daß er das Seine erschöpfen und zuletzt Anderen zur Last fallen könnte, der berechtigt die Gesellschaft, ihm Grenzen zu setzen. Damit sind die Merkmale des Begriffs der Verschwendung im juristischen Sinne gegeben, welche der 8- 30 'andeutet. Das Vermögen muß 1. vermindert, und 2 beträchtlich vermindert werden. Um dies darzulegen, muß inan den Vermögenszustand von zwei verschiedenen Zeit­ punkten vergleichen. Dazu sind zwei Vermögensübersichten aus verschiedenen Zeiten erforderlich. Die daraus ersichtliche Verminderung muß im Verhältnisse zu dem früheren Bestände bedeutend sein. Darüber entscheidet das richterliche Ermessen. Die Verminderung darf nicht durch miß­ lungene Wirthschaftsanlagen, verunglückte Unternehmungen, Verluste im Verkehre entstanden sein, vielmehr muß die Ursache davon sein: 1. unbesonnene und zugleich unnütze Ausgaben, wozu auch Spiel, Wetten und unentgeltliche Veräußerungen und Verschleuderungen weit unter dem Werthe gehören; 2. muthwillige Vernachlässigung der Wirthschaft und Verwaltung, etwa aus Faulheit, Liederlichkeit, Trunksucht; 3. Verschuldung zu unnützen Zwecken oder durch fort­ gesetzte Beschädigung Anderer, durch Prozeßsucht u. s. w. Diese Ursachen können einzeln und zusammen wirken. — Das R. R. ist zum Schutze der persönlichen Freiheit noch strenger: es fordert zur Jnterdiktion unsinnige oder leichtfertige Vergeudung der ererbten Güter. Die Formel lautet: „Quando tua bona paterna avitaque nequitia tua disperdis, liberosque tuos ad egestatem perducis, ob eam rem tibi ea re commercioque interdico.“ Paulus III, 4 §. 7. 29) Nach G. R. wird meistens angenommen, der Verschwender stehe dem Vernunftlosen gleich, wegen der Allgemeinheit der L. 40 D. de reg. Juris: „furiosi, vel ejus cui bonis interdictum est, nulla voluntas est.“ Doch hat diese Stelle ihre besondere Beziehung (Gothofred., Com. in L. 40 eit., und v. Savigny 3 S. 88 Note p), und nach anderen Stellen ist er dem impubes pubertati proximus gleichzustellen, was wegen der Verpflichungen aus Delikten wichtig ist. Hierin trifft der §. 31 das Rechte. — Sowohl nach Gemeinem Rechte als nach dem L.R. tritt für diejenigen, welche als Verschwender sich darstellen, die Verminderung ihrer Handlungsfähigkeit dann ein, wenn durch ein obrigkeitliches Dekret, resp, durch ein Erkenntniß oder ein Resolut ihnen bonis interdizirt ist, sie für Verschwender erklärt worden sind. Diese Wirkung ist somit einem obrigkeitlichen Ausspruch zuzuschreiben, und dieser Ausspruch gehört dem öffentlichen Rechte an, daher ein Verzicht auf die Handlungsfähigkeit eines Menschen wie über ein Vermögensrecht zwischen Privatpersonen nicht stattfindet. O.Tr. IV v. 31. März 1864, Str. Arch. 53 S. 223. — H. Der §.31 handelt nur allgemein von der Handlungs­ unfähigkeit solcher Personen und rechtfertigt es nicht, das für spezielle Rechtsverhältnisse der Minderjährigen gegebene Recht, insbesondere die in II. 1 §. 49 u. II. 18 §§. 780 ff. in Bezug auf die Verehelichung einer minderjährigen Waise gegebenen Vorschriften, auf volljährige Ver­ schwenderinnen anzuwenden. O.Tr. III v. 28. Mai 1873, Entsch. 70 S. 95, 102. 30) Die Vormundschaft ist nach diesem Prinzipe kein Familienrecht, sondern ein Institut

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Leben und Tod.

Erster Theil

Erster Titel.

§§. 33—38 (Zusätze).

§. 33. Der, welchem der Staat die Sorge für die Angelegenheiten solcher Personen aufgetragen hat, wird Vormund31 * *) genannt. §. 34. Wer einmal gelebt hat, dessen Tod muß bewiesen werden, wenn über schon erworbene Sachen und Rechte desselben, als eines Verstorbenen, verfügt werden soll32). 4. Verf.-Urk. v. 31. Januar 1850. Art. 10. Der bürgerliche Tod und die Strafe der Vermögenseinziehung finden nicht statt33).

§. 35. Zum Beweise des Todes ist hinreichend, wenn Jemand im Kriege eine schwere Wunde erhalten hat3^), und innerhalb eines Jahres , nach geschlossenem Frieden, von seinem Leben und Aufenthalte keine Nachricht eingegangen ist35). Anh. §. 4. Wenn ein Soldat im Kriege eine schwere Wunde erhalten hat, und innerhalb eines Jahres nach geschlossenem Frieden von seinem Leben und Aufenthalte keine Nachricht ein­

gegangen ist, so sollen die Kriegsgerichte einen solchen Menschen für keinen Deserteur annehmen,

des Staatsrechts, wonach sie auch in der äußeren Anordnung des L.R. ihre Stelle in II. 18 erhalten hat. 31) Dies ist folgerecht; der wesentliche Unterschied zwischen Tutel und Kuratel war schon im Justinianischen Rechte nicht mehr vorhanden, viel weniger ist er es im heutigen Rechte. 32) Also wenn es sich um die Succession in das Vermögen dieses Menschen handelt. — Der natürliche Tod ist die Grenze der natürlichen Rechtsfähigkeit. Er muß, wie jede Thatsache, aus welcher Jemand für sich Vortheile oder Rechte herleitet, bewiesen werden. Wiederholt in I. 12 §. 212. H. Hauptsächlich dienen zum vollständigen Beweise diejenigen Register, welche geführt werden auf Grund des Reichsgesetzes über die Beurkundung des Personenstandes rc. v. 6. Febr. 1875, R.G.Bl. S. 23, und des Reichsges. über die Eheschließung und die Beurkundung des Personenstandes von Reichsangehörigen im Auslande v. 4. Mai 1870, B.G.Bl. S. 599, und in Betreff älterer Fälle die auf Grund des preuß. Ges. über die Beurkundung des Personen­ standes rc. v. 9. März 1874, G.S. S. 95, geführten Register, sowie in Betreff der bis zum Inkrafttreten dieses Gesetzes (1. Okt. 1874) vorgekommenen Fälle,die Kirchenbücher und die von den Gerichten über die aus der Staatskirche ausgeschiedenen Glaubensgenossen und über die Juden geführten Civilstandsregister, und die daraus von den kompetenten Beamten ertheilten Extrakte (A.G.O. I. 10 §. 128; V. v. 30. März 1847, G.S. S. 125; G. v. 23. Juli 1847, G.S. S. 263 ; Min.-Jnstr. v. 29. .Juli 1847, J.M.Bl. S. 233). Diesen Attesten oder Ex­ trakten gleichgestellt waren die von Lazarethbeamten auf Grund vorschriftsmäßig geführter Re­ gister ausgestellten Todtenscheine (K.O. v. 11. Juli 1833, G.S. S. 289), und hinsichtlich der­ jenigen, welche an dem Kriege in Rußland von 1812 Theil genommen haben, die sog. M ey er'schen Listen (G. v. 22. Mai 1822 §. 1, G.S. S. 148). Auch stehen ihnen gleich die Atteste der Gerichte über Hingerichtete und Verunglückte, deren Person durch Untersuchung der Todesart festgestellt worden ist. Ist dergleichen Attest nicht zu erreichen, so genügt der Zeugenbeweis durch zwei klassische Augenzeugen und in deren Ermangelung die Aufzeichnung verstorbener Eltern (A.G.O. I. 10 §. 162). Große Schwierigkeit hat der Beweis in Folge von Kriegen und bei Verschollenen, d. h. solchen Abwesenden, von deren Leben in ihrem letzten bekannten Wohn­ orte keine Nachricht eingegangen ist. Das N. R. giebt darüber keine Bestimmungen und der gemeine Gerichtsgebrauch hat nur über die Verschollenen den Spruch aus Ps. 90, 10: unser Leben währet 70 Jahre, allgemein eingeführt. Das L.R. hat für diese verschiedenen Fälle in den folgenden §§. besondere Regeln vorgeschrieben, welche durch neuere Gesetzgebung noch weiter ausgeführt worden sind. — Der Richter, welcher, ohne die Parteien hierüber zu hören, annimmt, daß Jemand noch lebe, und deshalb den Kläger abweist, verletzt eine wesentliche Prozeßvorschrift. O.Tr. I v. 28. April 1856, Str. Arch. 21 S. 145. 33) Hierdurch ist die im Kirchenrechte für Mönche und Nonnen geltende Ausnahme (II. 11 §§. 1199 ff.) nicht aufgehoben. Die Rechtsfähigkeit dieser Personen ruht bis zum Austritte aus dem Orden. §. 11*79 a. a. O. Zu vergl. Anm. zu II. 1 §. 12.

34) Das muß vollständig, durch klassische Augenzeugen, bewiesen werden. Die erforderliche Beschaffenheit der Wunde wird in vielen Fällen nur durch Gutachten eines Kunstverständigen überzeugend festzustellen sein, nachdem die Zeugen ihre sinnliche Wahrnehmung bekundet haben. Bleibt der Beweis mangelhaft, so muß das Todeserklärungsverfahren eintreten. 35) Dieser Mangel an Nachricht ist durch den Eid des nächsten oder der mehreren gleich nahen Interessenten, in der im Ges. v. 22. Mai 1822 §. 3 vorgeschriebenen Norm, in welcher der Friedenstermin nach der Wirklichkeit des Falles abzuändern ist, festzustellen. Das Gericht ertheilt dann auf Grund des gelungenen Beweises einen Todtenschein. §. 3 a. E. ebenda.

Von Personen und deren Rechten überhaupt.

87

vielmehr denselben von der Anklage der Desertion freisprechen, und ohne Ertheilung eines be­ sonderen Todtenscheins die weitere Verfügung in Ansehung seines Vermögens den Civilgerichten überlassen36).37 5. Gesetz, betreffend die Todeserklärung von Personen, welche an den in den Jahren 1864. und 1866. geführten Kriegen Theil genommen haben3?). Vom 24. Februar 1868. (G.S. S. 193.) Wir re. verordnen, mit Zustimmung beider Häuser des Landtages für den ganzen Umfang Unserer Monarchie, mit Einschluß der Jadegebiete, was folgt: §. 1. Diejenigen, welche an einem der von Preußen in den Jahren 1864. und 1866. ge­ führten Kriege Theil genommen haben, können, ohne daß es eines weiteren Zeitablaufes bedarf, für todt erklärt werden, wenn sie in dem betreffenden Kriege vermißt worden sind und seit dem Friedensschluß von ihrem Leben eine Nachricht nicht eingegangen ist. Es macht keinen Unterschied, ob der Vermißte auf Seiten der Preußischen Truppen oder auf Seiten der Truppen eines anderen Staats an dem Kriege Theil genommen hat. §. 2. Für die Todeserklärung ist das Gericht zuständig, bei welchem der Vermißte wäh­ rend des Krieges zuletzt seinen allgemeinen Gerichtsstand gehabt hat oder gehabt haben würde, wenn die gegenwärtige Gerichtsverfassung bereits bestanden hätte. §. 3. Der Nachweis, daß der Vermißte an dem Kriege Theil genommen hat, daß demselben vermißt worden und seit dem Friedensschluß von seinem Leben eine Nachricht eingegangen ist, kann auf jede, nach den allgemeinen Gesetzen zulässige Art, insbesondere durch schriftliche, auf Grund amtlicher Nachrichten ausgestellte Zeugnisse einer Militair-

er in nicht auch oder

Eivilbehörde geführt werden. §. 4. Hinsichtlich des Beweises, daß seit dem Friedensschluß von dem Leben des Ver­ mißten eine Nachricht nicht eingegangen ist, hat der Extrahent der Todeserklärung außerdem eidlich zu bekräftigen, daß er von dem Leben des Vermißten keine Nachrichten, beziehungsweise keine anderen als

die angezeigten Nachrichten erhalten habe. §. 5. Auf Grund der geführten Beweise (§§. 3. und 4.) hat das Gericht die Todes­ erklärung des Vermißten durch Erkenntniß auszusprechen, ohne daß es einer öffentlichen Vor­ ladung desselben und sonstiger Förmlichkeiten des Verfahrens bedarf.

36) H. Wegen der Todeserklärung der aus den Kriegen von 1806 bis 1815 nicht zurückgekehrten Militärpersonen sind die Gesetze v. 22. Mai 1822, G.S. S. 148, und v. 2. Aug. 1828, G.S. S. 93, ergangen. Da dieselben nur noch in ganz vereinzelten Fällen zur Anwendung kommen können, so erscheint die Aufnahme ihres Inhaltes in den Text entbehrlich. 37) Die Motive zu diesem Gesetze erwägen, daß die größtmöglichste Erleichterung für die Todeserklärung gewährt werden müsse, da namentlich mit Rücksicht auf die Art, wie die Kriege geführt und die Kriegsgefangenen behandelt worden sind, sowie mit Rücksicht auf die Landes­ theile, die der Kriegsschauplatz gewesen sind, mit Sicherheit anzunehmen ist, daß die bis jetzt nicht zurückgekehrten Personen entschieden wirklich verstorben seien. Da aber diese Verhältnisse in jedem Kriege verschieden sein können, hat die Regierung es für angezeigt gehalten, nicht ein allgemein geltendes, sondern nur ein Spezial-Gesetz für diese beiden Kriege zu erlassen. Die Noth­ wendigkeit eines solchen Gesetzes ist nach jedem Kriege anerkannt worden und folgt auch im vor­ liegenden Falle daraus, daß trotz der Sorgfalt, die in den beiden letzten Kriegen auf die Fest­ stellung der Todesfälle verwendet worden ist, doch nach den amtlichen Ermittelungen noch 1028 Fälle vorliegen, in denen der Nachweis des Todes nicht erbracht werden kann. Das Gesetz vermeidet es im Uebrigen, mit den Folgen der Todeserklärungen, z. B. durch Bestimmungen über die Rechte des Vermißten, wenn derselbe nach der Todeserklärung zurückkehrt, über die Zulässigkeit des Beweises, daß der Tod früher oder später eingetreten sei u. s. w., sich weiter zu befassen. In dieser Beziehung soll es bei den allgemeinen gesetzlichen Bestimmungen be­ wenden. Ein Gleiches gilt von der Frage, welche Personen die Todeserklärungen auszubringen befugt seien, ferner ob und mit welchen Rechtsmitteln das auf Todeserklärung lautende Urtheil anzufechten sei. Das Gesetz soll sich auf die neu inkorporirten Landestheile erstrecken, ganz gleich, ob die betreffenden Kontingente in der preußischen oder einer anderen Armee mit­ gefochten haben. H. Vgl. zu Zus. 5, 6 und 7 die Abhandlung von Jastrow, über die Zulässigkeit von Todeserklärungen ohne Aufgebot unter der Herrschaft der C.P.O., bei Gruchot 25 S. 301 ff.

Erster Theil.

88 §. 6.

Erster Titel.

§§. 35—36 (Zusätze). §§. 37—38.

Für das Verfahren einschließlich des Erkenntnisses kommen Gerichtsgebühren und

Stempel nicht zum Ansatz. §. 7. Ist der Vermißte durch Erkenntniß für todt erklärt, so gilt als sein Todestag: 1) wenn er in dem Kriege von 1864. vermißt worden ist, der letzte Dezember des Jahres 1864.; 2) wenn er in dem Kriege von 1866. vermißt worden ist, der letzte Dezember des Jahres 1866. In dem Erkenntniß, durch welches die Todeserklärung ausgesprochen wird, ist der als der Todestag anzusehende Tag ausdrücklich anzugeben. §. 8. Im Bezirk des Appellationsgerichtshofes zu Cöln wird das

die Todeserklärung

aussprechende Erkenntniß in öffentlicher Sitzung verkündet. Der Tag der Verkündung wird als der Tag der definitiven Einweisung der Erben in den Besitz des Nachlasses des Vermißten

angesehen. Die Erbfolge regelt sich jedoch nach dem in dem Erkenntnisse (§. 7.) angegebenen Tage. Der Ehegatte des Vermißten ist befugt, auf Grund des Erkenntnisses die Trennung der Ehe durch den Beamten des Civilstandes aussprechen zu lassen. §. 9. Den Bestimmungen dieses Gesetzes unterliegen nicht allein die zum fechtenden Stande gehörenden Militairpersonen, sondern auch alle diejenigen, welche in einem Amts- oder Dienst­ verhältniß sich bei den Truppen sich befunden haben. 6. Gesetz, betreffend die Todeserklärung von Personen, welche an dem in den Jahren 1870. und 1871. geführten Kriege Theil genommen haben. Vom 2. April 1872. (G.S. S. 341.) Wir rc. (wie bei Zusatz 5.) §. 1. Diejenigen, welche an dem in den Jahren 1870. und 1871. gegen Frankreich geführten Kriege auf Seiten der Deutschen Truppen Theil genommen haben, können, ohne daß es eines weiteren Zeitablaufes bedarf, für todt erklärt werden, wenn sie in dem Kriege vermißt worden sind und seit dem Friedensschluß von ihrem Leben eine Nachricht nicht eingegangen ist. §. 2. (wie bei Zusatz 5 bis: gehabt hat.) §. 3. (wie bei Zusatz 5.) §. 4. (wie bei Zusatz 5, nur ist statt „der Extrahent der Todeserklärung" gesagt: derjenige, welcher die Todeserklärung beantragt.) §. 5. (wie bei Zusatz 5 mit Weglassung der Allegirung der §§. 3 und 4, auch ist statt „desselben" gesagt: des Vermißten.) §. 6. (wie bei Zusatz 5.) §. 7. Ist der Vermißte durch Erkenntniß für todt erklärt, so gilt der letzte Juni des Jahres 1871. als der Todestag. In dem Erkenntniß, durch welches die Todeserklärung ausgesprochen wird, ist anzugeben, daß dieser Tag als der Todestag anzusehen ist. §. 8. (wie bei Zusatz 5.) §. 9. (wie bei Zusatz 5, jedoch ist hinter „Dienstverhältniß" eingeschoben: oder zu Zwecken freiwilliger Hülfsleistung.)

§. 10.

§. 36.

Dieses Gesetz tritt mit dem 1. Juli 1872. in Kraft.

Fällt weg 38).

38) S. das folgende Gesetz unter Nr. 7. Der §. lautete: „Ein Gleiches findet Statt, wenn das Schiff, auf welchem ein Mensch sich befand, untergegangen ist, und drei Jahre nachher ver­ flossen sind, ohne daß etwas von seinem Leben und Aufenthalte bekannt geworden wäre." Da ebenso wie §. 36 der §. 1 des folgenden Gesetzes den Tod selbst durch den Untergang für erwiesen erklärt, so muß, wenn glaubwürdige Augenzeugen den Untergang, und daß der Mensch auf dem untergegangenen Schiffe sich befunden, bekunden, noch jetzt wie früher (vgl. R. v. 17. Sept. 1832, Jahrb. 40 S. 155) der Todtenschein ertheilt werden, nachdem der Eid ge­ leistet worden: daß der Schwörende von dem Leben und Aufenthalte des Verschollenen keine anderen als die angezeigten Nachrichten erhalten habe. §. 4 d. G. Mangelt aber der direkte vollständige Beweis, und wird ein indirekter Beweis ausgenommen, so soll eine Todeserklärung nach den weiteren Vorschriften §§. 2—6 dies. G. erfolgen. Der Unterschied ist wichtig. In dem ersten Falle ist der Tag des Unterganges der Todestag, und im anderen Falle ist es der Tag der Rechtskraft des Erkenntnisses. Die Fassung des Gesetzes ist jedoch so, daß sich darüber

Von Personen und deren Rechten überhaupt.

89

7. Gesetz, betreffend die Todes erklärung inSee gegangener verscholle­ ner Personen. Vom 24. Februar 1851. (G.S. S. 23.) Wir 2c. verordnen mit Zustimmung beider Kammern für die Landestheile, in welchen das Allgemeine Landrecht oder das gemeine deutsche Recht Gesetzeskraft hat, was folgt:

§. 1. Der Tod eines Menschen wird als erwiesen angenommen, wenn das Fahrzeug, auf welchem derselbe sich befand, untergegangen und Ein Jahr nachher verflossen ist, ohne daß von seinem Leben und Aufenthalt Nachrichten eingegangen sind. §. 2. Der Untergang eines Fahrzeuges wird als erwiesen angenommen, wenn dasselbe am Orte seiner Bestimmung nicht eingetroffen oder nicht zurückgekehrt ist und seit dem Zeitpunkte, an welchem dasselbe zuletzt in See gegangen oder in der See gesehen worden, bei Fahrten in der Ostsee Ein Jahr, bei Fahrten auf anderen europäischen Meeren zwei Jahre und bei Fahrten auf außereuropäischen Meeren drei Jahre verflossen sind, ohne daß von demselben weitere Nach­ richt eingegangen ist. §. 3. Der Nachweis darüber, daß eine in See gegangene Person sich auf einem bestimmten Fahrzeuge befunden hat; daß ein in See gegangenes Fahrzeug an seinem Bestimmungsorte nicht eingetroffen oder nicht zurückgekehrt ist; daß von demselben innerhalb der im §. 2. bestimmten Fristen keine Nachricht eingegangen ist, kann auf jede gesetzlich zulässige Art geführt werden, namentlich aber durch ein Attest der Schif­ fahrtsbehörden oder Preußischen Konsulate, so wie durch das Zeugniß des Rheders und der bei der Befrachtung des Schiffes betheiligten Kaufleute.

§. 4. Der Extrahent der Todeserklärung hat eidlich zu bekräftigen, daß er von dem Leben und Aufenthalte des Verschollenen keine anderen als die angezeigten Nachrichten erhalten habe. §. 5. Auf Grund der gelieferten Beweise spricht das Gericht die Todeserklärung des Verschollenen durch ein Erkenntniß aus, ohne daß es einer öffentlichen Vorladung desselben und sonstiger Förmlichkeit des Verfahrens gegen Verschollene bedarf. §. 6. Der Tag der Rechtskraft des Erkenntnisses wird als der Todestag des Verschollenen

angesehen39 * *).*

§. 37. Außer diesen Fällen kann ein Mensch, der einmal gelebt hat, und dessen Tod nicht erwiesen werden kann, nur nach Ablauf der im Gesetze näher be­ stimmten Fristen, durch richterlichen Ausspruch für todt erklärt werden. (Th. 2. Tit. 18. Abschn. 8.)40)41 * * §. 38. Kommt es aber darauf an, ob Jemand einen gewissen Erb- oder an­ dern Anfall noch erlebt habe, so wird vermuthet, daß ein Mensch, von dessen Leben oder Tode keine Nachricht zu erhalten ist, nur siebenzig Jahre alt geworden sei44).

streiten läßt: ob es diese zwei Fälle unterscheidet, und ob es nicht vielmehr in jedem Falle ein Todeserklärungsurtel fordert. Zu dieser Auslegung paßt aber der Wortlaut des §. 1 nicht; denn wenn der Tod selbst erwiesen ist, bedarf es keiner Todeserklärung. 39) Das Recht der Erbinteressenten, nachzuweisen, daß der Verschollene vor diesem Zeit­ punkte verstorben sei und den fraglichen Erbanfall nicht erlebt habe, wird durch §. 6 nicht aus­ geschlossen. O.Tr. I v. 13. März 1865, Entsch. 55 S. 196 40) Die Todeserklärung wird in dem eit. Abschnitt §§. 821—855 behandelt. H. Zu den­ selben vgl. Preuß. Ausf.Ges. zur D. C.P.O. v. 24. März 1869 §§. 22, 24—26. 41) Der Tod eines Menschen, der einmal gelebt hat, muß entweder bewiesen werden, oder es müssen Umstände vorhanden sein, auf welche die Gesetze die Vermuthung des Todes gründen. Ist weder das eine noch das andere der Fall, so versteht sich rechtlich von selbst, daß der Mensch für lebend gilt. Das drückt das O.Tr., welches schon früher in den Entsch. 12 S. 180 den Satz angewendet hat, in dem Erk. I v. 6. April 1848, Entsch. 17 S. 91 so aus: „Es wird ver­ muthet, nicht nur, daß ein Verschollener nach vollendetem siebenzigsten Jahre nicht mehr gelebt, sondern auch, daß er bis zu diesem Zeitpunkte gelebt habe, namentlich auch dann, wenn es sich um den Anfall der Erbschaft an den Verstorbenen handelt." (H. Vgl. die Erk. v. 2. Okt. 1845, Entsch. 12 S. 176, I v. 13. März 1865, Entsch. 55 S. 196, u. II v. 18. März

90

Erster Theil.

Erster Titel.

§§. 39—45.

§. 39. Wenn zwei oder mehrere Menschen ihr Leben in einem gemeinsamen Unglücke, oder sonst dergestalt zu gleicher Zeit verloren haben, daß nicht ausge-

1867, Str. Arch. 69 S. 163.) Anders freilich nach gemeinem Rechte. Denn unter den gemein­ rechtlichen Juristen ist über den Werth der Vermuthung: daß der Mensch 70 I. alt werde. Streit, wenn davon die Rede ist, daß für ihn eine Erwerbung in Anspruch genommen wird, namentlich eine Erbschaft, welche positiv voraussetzt, daß der Anfall erlebt worden sei. Und der hiergegen von Vielen neuerdings wiederholte Widerspruch (Cropp, jurist. Abhandlungen, 2 Nr. V; Pfeiffer, praktische Ausführungen, 4 S. 360; Runde, oldenburger Archiv, 2 S. 106, u. v. A.) hat nach G. R. guten Grund, er ist keineswegs, wie das O.Tr. a. a. O. S. 92 be­ merkt, erst in neuerer Zeit erhoben, sondern er ist so alt wie die Präsumtion selbst. Denn all­ gemein anerkannt ist dieselbe nur bei der Frage: wann die zurückgebliebenen Vermögensstücke eines Verschollenen, wegen vermuthlichen Ablebens desselben, seinem Erben zu überlassen seien. Dagegen war man in dem Falle, wo nicht der Erbe sich auf den Tod des Erblassers stützte, um die Erbschaft in Besitz zu nehmen, sondern wo Jemand sich auf die Fortdauer des Lebens eines Abwesenden berief, um einen Anspruch an die Verlassenschaft eines Anderen für ihn zu machen, nicht einig. Viele behaupteten den Satz: qui in absentis vita se fundat, eam pro­ bare necesse habet, u. A. Wesenb ec ad tit. D. de probat, n. 6; Richter, Decis. 66 n. 26. Andere meinten das Gegentheil. Leyser, 8p. 95 m. 24. Ebenso widersprechend sind hierin die neuen Gesetzgebungen. Der Code civil Art. 136 läßt Abwesende, deren Leben be­ stritten und nicht bewiesen ist, nicht zur Erbschaft. Das L.R. hat die Frage im entgegengesetzten Sinne entschieden, und es bedarf nunmehr, nachdem die Beweislast gesetzlich regulirt worden ist, der Präsumtion „in jener zweischneidigen Weise" nicht. Der unbestrittene Rechtsgrundsatz: der Tod eines Menschen, der einmal gelebt hat, muß bewiesen werden, mit seinen fest be­ stimmten Ausnahmen, ganz allein ist entscheidend und genügend. Die eine Ausnahme ist eben das 70jährige Alter eines Abwesenden. — Der Stand des pr. Rechts hinsichtlich dieser Ver­ muthung ist ein ganz anderer als der des R. N. Von derselben wird da, wo sie im G. R. hauptsächlich wirksam ist, nämlich bei der Succession in die Berlassenschaft des Verschollenen, im pr. R. gerade gar keine Anwendung gemacht; denn in diesem Falle muß jedesmal der Tod be­ wiesen, oder der Abwesende für todt erklärt werden, wenn er auch schon 70 Jahre alt geworden. §§. 34—37 d. T. und II. 18 §. 830. In dem Falle aber, wo die Anwendung im G. N. streitig ist, da findet sie statt, und zwar ausschließlich in der Weise, daß die Todeserklärung nicht nur nicht nöthig ist, sondern, wenn sie etwa stattgefunden hätte, keine Wirkung hat und dem dritten Interessenten unnachtheilig bleibt. Wird also eine Erbschaft eröffnet, welche einem Abwesenden anfallen würde, wenn er noch lebte, so wird bloß gefragt: ob er schon 70 Jahre alt sein müßte, oder nicht. Würde er noch nicht 70 Jahre alt sein, so ist er Erbe geworden, wenn er auch schon vorher für todt erklärt worden wäre, denn die Todeserklärung bezweckt nur die Beendigung der Abwesenheitskuratel und der Vermögensverwaltung. Jene präsumtive Lebensdauer kann weder durch eine spätere Todeserklärung verlängert, II. 2 §§. 452, 553 (H. die entgegenstehende An­ nahme von Gerhard in der Zeitschr. f. Gesetzg. 2 S. 680 ist unrichtig), noch durch eine frühere abgekürzt werden. Anh. z. A.G.O. §. 270. Der Beweis der Wirklichkeit aber beseitigt alle Präsumtionen auch hier. Anh. §. 270 a. a. O. Vergl. L.R. II. 18 §§. 842 ff. Es kann also auch bewiesen werden, daß der Verschollene nicht 70 Jahre alt geworden, sondern schon früher verstorben ist. O.Tr. I v. 13. März 1865, Entsch. 55 S. 208. - Auf Altentheils-Hebungen wird von der Bernmthung nicht Anwendung gemacht. M. s. unten Anm. zu I. 11 §. 602. Unter den älteren gemeinrechtlichen Schriftstellern wollten Viele (u. A. Voet, Comment., XXXVIII, 17 tz. 16 i. f.; Faber, Cod. dehn., V, 40 des. 4; Fink eit haus, Observat, 100), nach Analogie L. 56 D. de usufr. und L. 23 C. de SS. eccles., 100 Jahre abgewartet wissen: die Gerichtspraxis hat sich aber mit der Zeit allgemein für den Ps. 90, 10 entschieden. Diese findet sich denn hier bestätigt. Die Gesetzgebung hat dabei jedoch eine Lücke gelassen. Was soll angenommen werden, wenn der Abwesende schon 70 Jahre alt war, als er vermißt wurde? Gemeinrechtlich pflegt man dann die Todesvermuthung 5 Jahre nach der Entfernung eintreten zu lassen, und wenn der Abwesende schon 80 Jahre alt war, will man noch 2^ Jahre abgewartet wissen. Glück, Th. 7 S. 495. Doch ist darüber keine Einigkeit; Manche, wie Rommel in der bei Glück angeführten Riss., wollen dann 100 Jahre warten. Nach Koch's Meinung ist nach pr. Rechte eine solche, gesetzlich nicht anerkannte Vermuthung nicht zulässig, vielmehr in einem solchen Falle, gemäß §. 38, anzunehmen, daß der Vermißte den, wenn auch bald nachher eingetretenen, Anfall nicht mehr erlebt habe, d. h. es wird auf einen Verschollenen, welcher 70 Jahre und darüber alt geworden, nicht mehr Rücksicht genommen. — Uebrigens bedarf es in dem Falle des §. 38 keines richterlichen Ausspruchs über den Tod, vielmehr wird der muthmaßlich Verstorbene ohne Weiteres bei der Abhandlung der Erbangelegenheit über­ gangen. Die Todeszeit ist der Anfang des 71sten Jahres und bei Personen, die erst nach dieser Zeit verschollen sind, der Tag des Verschwindens.

Von Personen und deren Rechten überhaupt.

91

mittels werden kann, welcher zuerst verstorben sei, so soll angenommen werden, daß keiner den Andern überlebt habe4^). Z. 40. Wenn von Familienverhältnissen die Rede ist42 43), so werden unterac^JJev“nb Aeltern und Kindern die Verwandten in auf- oder absteigender Linie, ohne Unter­ schied des Grades, verstanden. §. 41. So lange Aeltern und Kinder des ersten Grades leben, werden in der Regel, unter dergleichen Benennung die Großältern und Enkel nicht mit begriffen. Z. 42. Personen, welche gemeinschaftliche Stammältern44) haben, heißen ^ndachaft. Blutsverwandte45). §. 43. Die Verbindung, welche durch Heirath zwischen dem einen Ehegatten, und den Blutsverwandten des andern entsteht, heißt Schwägerschaft 46).47 48 §. 44. Stiefverbindungen bestehen, im Sinne des Gesetzes4^), nur zwischen Süefverbmeinem Ehegatten, und den aus einer sonstigen Ehe43) erzeugten Kindern des andern. §. 45. Die Grade der Verwandtschaft werden durch die Zahl der Geburten49) 42) Dies ist die allgemeine Regel des R. R. L. 9 pr. §. 3, L. 16—18 D. de rebus dub. (XXXIV, 5); L. 32 §. 14 D. de don. int. vir. (XXIV, 1); L. 34 D. ad 8. C. Trebell. (XXXVI, 1); L. 26 D. de mort. c. don. (XXXIX, 6). Die zwiefache Ausnahme für den gewaltsamen Tod der Eltern und Kinder bei gemeinsamem Unglücke — ob die Ausnahme auch im Verhältnisse zu anderen Personen als zu den Eltern gelte, ist streitig zwischen Müh len bruch, Archiv 4 Nr. 27, u. A. — diese Ausnahme ist mit Vorbedacht nicht in das L.R. ausge­ nommen. Jahrb. 41 S. 2. 43) Nämlich in den Gesetzen; denn was in den Willenserklärungen die Parteien unter ihren Ausdrücken verstehen sollen, kann das L.R. nicht vorschreiben. Und dann auch nur, wenn über Familienverhältnisse verordnet wird. Daher kann z. B. aus dieser Vorschrift über die Wortbedeutung nicht entnommen werden, daß Großeltern zur Pupillarsubstitution für ihre Ab­ kömmlinge des zweiten und weiteren Grades befugt seien. II. 2 §§. 521 ff. O.Tr. I (Pr. 490) v. 25. Juni 1838, Entsch. 4 S. 14. Vgl. auch O.Tr. I v. 23. April 1869, Entsch. 61 S. 80. Uebrigens macht das L.R. von dieser seiner Terminologie nirgend Gebrauch. H. Hierbei hat Koch wohl I. 11 §. 1145 u. I. 12 §. 526 Tit. 12 übersehen. 44) Oder welche auch nur einen Parens (Vater oder Mutter) gemeinsam haben. 45) Die Blutsverwandtschaft ist ein Bestandtheil der Familie, also ein Familienverhältniß, welches nach und nach unmerklich verschwindet; es ist hier e h e l i ch e Abstammung vorausgesetzt. Sie hat Einfluß im Familienrechte und im Vermögensrechte. In dem ersteren bei der Ehe, insofern dieselbe durch gewisse Arten der Verwandtschaft unmöglich ist; bei dem anderen auf das Erbrecht und bei der Obligation auf Alimente, hier jedoch nur bei wenigen Arten der Verwandtschaft. 46) Stiefeltern und Stiefkinder (§. 44). sind also verschwägert. R. v. 16. Mai 1816. Jahrb. 7 S. 204. Die beiderseitigen Verwandten der Eheleute sind mit einander nicht ver­ schwägert. Zu vgl. unten Anm. zu II. 1 § 7. H. Inwiefern die Trennung der Ehe das Schwäger­ schaftsverhältniß im Sinne des Anfechtungsgesetzes v. 21. Juli 1879 §. 3 Nr. 2 beendigt, darüber vgl. zu diesem Gesetz unten Zusatz zu Tit. 11 Th. I. 47) Im Sinne des allgemeinen Sprachgebrauchs pflegt man darunter halbbürtige Ver­ wandtschaft zu verstehen, wogegen man die Kinder, welche der §. 44 als Stiefkinder bezeichnet, zusanrmengebrachte Kinder nennt (II. 2 §. 752). Bei der Auslegung von Willenserklä­ rungen darf dieser Sprachgebrauch nicht unberücksichtigt bleiben. 48) Der Nachdruck ist auf „Ehegatten", nicht auf das Wort „Ehe" in der zweiten Zeile dieses Paragraphen zu legen; denn auch zwischen den unehelichen Kindern des einen Ehegatten und dem anderen Ehegatten besteht die Stiefverbindung und kommt bei Fleischesverbrechen in Betracht. H. O.Tr. Strass. Pl. v. 27. Febr. 1854 u. II v. 2. März 1854, Entsch. 27 S. 392, 399, aber nicht als „Verhältniß von Eltern zu Kindern" im Sinne des §. 181 Nr. 2 des R.Str.G.B. O.Tr. Strass. I v. 12. Juni 1872, Entsch. 67 S. 26*. 49) Soviel Geburten zwischen zwei bestimmten Personen fallen, im sovielten Grade sind sie mit einander verwandt. Quot sunt generationes, tot sunt gradus. Eltern und Kinder also im ersten, Geschwister im zweiten, Großeltern und Enkel auch im zweiten, aber in einer anderen Linie. Bekanntlich unterscheidet man die gerade Linie, d. i. die Reihe von Personen, welche in der Folge von Vater auf Sohn von einander abstammen; und die Seitenlinie oder die Reihe der verwandten Personen, die nicht von einander, sondern von einem gemeinschaftlichen Dritten abstammen. Die Gradzählung ist die civilrechtliche (römische). L. 1 §§. 3—7, L. 3 D. de grad. (XXXVIII, 10). Die kanonische Komputation ist in der Seitenlinie anders, c. 2 C. 35 qu. 5.

92

Erster Theil.

Erster Titel.

§. 45.

Zweiter Titel.

§§. 1—6.

bestimmt, mittelst welcher zwei verwandte Personen auf einen gemeinschaftlichen Ursprung50) sich beziehen.

Zweiter Titel.

Von Sachen und deren Rechten überhaupt. §. 1. Sache überhaupt heißt im Sinne des Gesetzes alles, was der Gegen­ stand eines Rechts oder einer Verbindlichkeit sein kannJ). §. 2. Auch die Handlungen der Menschen, ingleichen ihre Rechte, in so fern dieselben den Gegenstand eines andern Rechtes ausmachen2*), 3 1 4sind * unter der allge­ meinen Benennung von Sachen begriffen. §. 3. Im engern Sinne wird Sache nur dasjenige genannt, was entweder von Natur''), oder durch die Uebereinkunft der Menschen^), eine Selbstständigkeit hat, vermöge deren es der Gegenstand eines dauernden6) Rechtes sein kann. 50) Eine fehlerhafte Bestimmung. Das Gesagte gilt nur von der Seitenlinie. Die Ver­ wandten der geraden Linie können unmöglich mit Beziehung auf einen gemeinschaftlichen Stamm­ vater die Grade ihrer Verwandtschaft berechnen. 1) Wird das Wesen des Rechtsverhältnisses als ein Gebiet unabhängiger Herrschaft des individuellen Willens aufgefaßt (v. Savigny, System 1 S. 331), und werden als Gegenstände dieser Willensherrschaft nur die im Rechtsgebiete erworbenen Rechte (im Gegensatze zu den s. g. Urrechten auf die eigene Person, Einl. §. 101 Anm. 37 und Tit. 1 §. 10) betrachtet, so verbleiben als Gegenstände nur die unfreie Natur nicht im Ganzen, sondern nur in bestimmter räumlicher Begrenzung, und fremde Personen, ebenfalls nicht im Ganzen (wie bei Sklaven), sondern nur in Beziehung auf einzelne Handlungen. (Ders. S. 338.) Alles, was zu diesen Gegenständen der Willensherrschast auf dem Rechtsgebiete gehört, ist Sache im weiteren recht­ lichen Sinne des Wortes. (H. Hierher gehört insbesondere auch eine Erbschaft. §§. 32 ff. d. T. O.Tr. I v. 31. Okt. 1856, Entsch. 34 S. 146, u. III v. 4. Juni 1869, Str. Arch. 75 S. 120.) Dies ist der Inhalt des §. 1. Der §. 2 fügt ausdrücklich bei, daß in diesem Sinne auch die Handlungen anderer Personen zu den Sachen, weil Gegenstände des Rechts oder der rechtlichen Willensherrschaft einer Person, gehören. Die Bedeutung in diesem weiteren Sinne verbinden erst die Neueren mit dem Ausdrucke Sache, römisch ist sie nicht. Nur die Gegen­ stände, welche der §. 3 im engeren Sinne Sacken nennt, sind den Römern res. Für die Handlungen, als Gegenstände der Willensherrschast aufgefaßt, hat das R. R. keinen technischen Ausdruck, aber das Verhältniß der Herrschaft über eine Handlung heißt Obligation, sowie das Verhältniß der Herrschaft über eine Sache Recht an einer Sache (jus in re) heißt, was verschiedenartig sein kann. Das L.N. aber bringt jene verschiedenen Gegenstände der recht­ lichen Willensherrschaft unter einen Gattungsbegriff, welcher mit „Sache" im weiteren Sinne bezeichnet wird, und unterscheidet dann zwei Arten: Handlungen (§. 2), und Sache im engeren Sinne (§. 3). — Gemeines Recht aus der Zeit der Entstehung des Allg. Landrechts: Ernst Christian Westphal, System des Römischen Rechts über die Arten der Sachen, Leipzig 1788, 1—18. — Hellfeld, Jurisprudentia forensis secundum Pandectarum ordincm, cd. VI, Jenae 1783, §§. 163—182. Oft benutzt bei der Redaktion. Förster-Eccius, Theorie u. Praxis, §§. 20—23. Dernburg, pr. Privatr. 1 §. 60. 2) Dies ist auf zweierlei Weise denkbar. Entweder so, daß eine Person im Ganzen, also zusammt allen Gegenständen ihrer eigenen Willensherrschaft, Gegenstand der Herrschaft einer anderen Person ist. Gewissermaßen findet sich dieses Verhältniß nach der äußeren Erscheinung im älteren N. R. bei dem Kinde in väterlicher Gewalt; doch war der innere Zusammenhang ein anderer und der juristische Sinn weit von dieser Vorstellung. Im heutigen R. kommt etwas Aehnliches gar nicht vor. — Oder so, daß wieder nur einzelne Gegenstände des Willens jener Person gleichzeitig auch (wie bei Nutzungs- und Gebrauchsrechten, Hypotheken- und Pfandrechte), oder nachher der Herrschaft eines Anderen unterworfen werden. 3) Ein räumlich begrenztes Stück der unfreien Natur, res quae tangi possunt. 4) D. h. nicht durch Willenserklärung bestimmter Personen, sondern nach Rechtssitte und Herkommen, wodurch das Reich der Natur künstlich erweitert wird; kurz Sachen, welche in der Rechtsidee bestehen, singirte Sachen, wie z. B. eine Erbschaft, der Nießbrauch, eine selbstständige

Von Sachen und deren Rechten überhaupt.

93

§. 4. Alle Theile und Eigenschaften einer Sache, ohne welche dieselbe nicht Su^anz der das sein kann"), was sie vorstellen soll, oder wozu sie bestimmt ist, gehören zur Substanz. §. 5. So lange also durch die Aenderung oder Verwechselung einzelner Theile die Sache weder vernichtet, noch die Hauptbestimmung derselben geändert worden ist, so lange ist noch keine Veränderung in der Substanz vorgefallen 7). §. 6. Je nachdem eine Sache, ihrer Substanz unbeschadet, von einer Stelle zur andern gebrachts) werden kann, oder nicht, wird sie für beweglich oder unbeweglich angesehen. Gerechtigkeit. Das R. R. nennt solche Sachen res incorporales, zählt dazu aber auch die Obli­ gation. §. 2 J. de rerum divis. (II, 1). Die werden hier, im §. 3, von dem Begriffe einer Sache im engeren Sinne ausgeschlossen. S. die folg. Anm. und §. 2. 5) Wie Eigenthum, dingliche Gebrauchs- und Nutzungsrechte. Deshalb gehören Handlungen (§. 2) d. i. Obligationen, nicht zu den Sachen im engeren Sinne. Ueber öffentliche Kredit­ papiere, wie Banknoten, Pfandbriefe, Aktien u. s. w., s. unten Anm. 14. 6) Diese Begriffsbestimmung ist nicht treffend; man darf dieselbe argumento a contrario nicht so verstehen, daß Theile einer Sache, ohne welche dieselbe noch immer das sein kann, was sie vorstellen soll, nicht zur Substanz gehören. Eine Windmühle z. B., von welcher ein oder ein paar Flügel abgebrochen, ist noch immer eine Windmühle und arbeitet auch mit den noch übrigen, dennoch wird jeder Flügel zur Substanz gehören. Die Satzung ist überhaupt ohne praktische Bedeutung. Wo der Unterschied zwischen Substanztheilen und Pertinenzstücken wichtig wird, nämlich bei ländlichen Grundstücken in Beziehung auf das Hypothekenrecht (s. u. zu §. 43), da ist die hier gegebene Begriffsbestimmung von Substanztheilen ganz unbrauchbar. 7) Dieser theoretische Satz ist gerade bei Ackergrundstücken, von welchen Theile abgetrennt worden, für die darauf haftenden Hypotheken gefährlich; praktische Anwendung wird davon im L.N. nicht gemacht. — H. Vgl. Anm. zu I. 21 §. 30. 8) Von Natur unbeweglich ist an sich nur der Erdboden, ursprünglich sind daher nur die begrenzten Theile desselben (liegende Gründe, Grundstücke) unbewegliche Sachen. Mit denselben sind aber theils andere körperliche Dinge künstlich verbunden, theils gewisse Eigenschaften und Befugnisse juristisch in Verbindung gebracht. Auf die ersteren bezieht sich dieser §. 6, auf die anderen die §§. 7 u. 8. Die Verbindung einer beweglichen Sache mit einem Grundstücke macht allein jene noch nicht unbeweglich, sondern dafür gilt sie nur dann, wenn sie im Ganzen nach menschlicher Willkür nicht fortbewegt werden kann. Dahin gehören vor Mein Bauwerke von solcher Beschaffenheit, daß sie, selbst mit künstlicher Anwendung von Naturkräften, im Ganzen nicht von der Stelle geschafft werden können. Keineswegs besteht das Merkmal der Unbeweg­ lichkeit derselben darin, daß sie, wie man es ausgedrückt hat, mit dem Grunde und Boden fest verbunden sind, was man hat annehmen wollen, wenn sie ein massives (gemauertes) Fundament haben. Denn auch diese Unterlage ruhet wesentlich auf der Oberfläche des Bodens und kann mit demselben nicht untrennbar verbunden werden. Erlaubte es der Umfang des Bauwerks, daß man es von seiner Unterlage erheben und fortschaffen könnte, so würde es an sich trotz seines massiven Fundaments beweglich sein. Nur wenn es als ein Pertinenz des Bodens in Betracht kommt, gilt auch ein solches an sich fortzubewegendes Werk für unbeweglich. Hiernach entscheidet sich z. B. die Frage: ob eine Handelsbude eine unbewegliche Sache sei. Ein R. des I M« v. 19. April 1822, Jahrb. 16 S. 299, will sie dafür gehalten wissen, wenn sie ein gemauertes Fundament hat. Das ist nicht anzuerkennen, wenn es möglich ist, sie im Ganzen aufzuheben und an eine andere Stelle zu setzen, und nicht etwa der Grund und Boden demselben Eigenthümer gehört, d. h. wenn sie nicht Pertinenz desselben, sondern nur eine Superficies ist. — Nach demselben Grundsätze erklärt auch das O.Tr. Windmühlen für unbewegliche Sachen. Pr. v. 19. März 1834, Simon, Rechtsspr. 4 S. 3; II v. 14. Nov. 1857, Entsch. 37 S. 148, und III v. 13. Juli 1864, Entsch. 52 S. 154. — Ein Bergwerk wird gesetzlich lediglich aus dem angegebenen Grunde als eine unbewegliche Sache, nicht als eine Gerechtigkeit betrachtet, obgleich der Gegenstand des Bergwerkseigenthums keine bestimmte unbewegliche Sache ist, viel­ mehr erst die gewonnenen beweglich gewordenen Mineralien Sacheigenthum des Bergbauenden durch die Besitzergreifung werden. II. 16 §. 253 und Allgemeines Berggesetz v. 24. Juni 1865 §. 50. — Schiffmühlen an sich sind immer bewegliche Sachen; als unbewegliche gelten sie nur, wenn sie zu einer Mühlengerechtigkeit gehören, und unter die Bestimmung des §?9 fallen. S. jedoch das Reskr. v. 3. Sept. 1842, J.M.Bl. S. 303, O.Tr. III v. 10. Sept. 1856, Entsch. 34 S. 443, u. G., betr. die Ablösung der Reallasten von Mühlengrundstücken, v. 11. März 1850 §. 7, G.S. S. 147. Vergl. hierüber auch Cocceji, jus civ. controv. I, 8 qu. 5 i. f. — (H. Die in den Gebäuden eines zum Fabrikbetriebe bestimmten Grundstücks mechanisch befestigten, für den Betrieb der Fabrik nothwendigen Maschinen sind Substanztheile des Fabrikgebäudes.

94

Mobilunvermögen.

BliareS Vermögen.

Erster Theil.

Zweiter Titel.

§§. 7—16.

§. 7. Rechte werden als bewegliche Sachen betrachtet9). 8- 8. Wenn aber die Befugniß zur Ausübung eines Rechts mit dem Besitze einer unbeweglichen Sache verbunden ist10), so ist das Recht selbst als eine unbeweg­ liche Sache anzusehen. §. 9. Außerdem hat ein Recht die Eigenschaft einer unbeweglichen Sache nur alsdann, wenn ihm dieselbe durch besondere Gesetze ausdrücklich beigelegt worden"). §. 10. Unter dem Ausdrucke: Mobiliar- oder bewegliches Vermögen, sind alle bewegliche Sachen zu verstehen, insofern sie nicht als Pertinenzstücke zu einer unbeweglichen Sache gehören (§. 42)12). §. 11. Unter baarem Vermögen wird nur geprägtes Geld, außer seltenen Münzen und Medaillen, ingleichen gemünztes Papier verstanden. §. 12. Die auf jeden Inhaber lautenden Papiere, z. B. Banknoten13), Pfand-

R.G. IV v. 24. Juni 1880, Entsch. 2 S. 251.) — Bäume an sich sind bewegliche Sachen: sie theilen nur als unabgesonderte Früchte das Schicksal des Bodens, wenn sie als solche in Betracht kommen; sonst aber können sie, wie Früchte auf dem Halme, als besondere bewegliche Sachen, erworben und besessen werden. O.Tr. v. 9. Mai 1845, Entsch. 11 S. 201. — H. Wegen der Natur reifer, auf dem Halm veräußerter Frucht als bewegliche Sache vergl. O.Tr. I v. 25. März 1872, Str. Arch. 83 S. 347. Auch die Ausbeutung von Kies-, Stein-, Lehm- oder Torflagern enthält trotz der eintretenden Substanzverringerung nicht die Veräußerung eines Immobile. O.Tr. III v. 2. Sept. 1870, Str. Arch. 78 S. 344. — Kohlenabbaurechte, welche vor dem Ges. v. 22. Febr. 1869, G.S. S. 401, auf Grund des Kursächs. Mandats v. 19. Aug. 1743 von dem Eigenthümer eines Grundstücks einem Andern eingeräumt worden, sind zunächst nur persönliche; zu dinglichen Rechten werden sie nur durch Einräumung des Besitzes oder durch Eintrvgung auf dem Hypothekenfolium des verpflichteten Grundstücks. O.Tr. III v. 3. Dez. 1875, Entsch. 76 S. 180, 186. 9) H. Hierher gehören auch Erbschaftsrechte, und zwar selbst dann, wenn zum Nachlasse Grundstücke gehören. O.Tr. I v. 7. Jan. 1876, Entsch. 76 S. 153. 10) Dahin gehören z. B. die Grundgerechtigkeiten, die Dienste, Zinsen, Renten und Zehnten, welche zu einem Grundstücke gehören: also nicht die persönlichen Nutzungs- und Gebrauchsrechte, Hypotheken, sowie Renten und Zehnten, die bestimmten Personen, ohne Rücksicht auf den Besitz oder Nießbrauch eines Grundstücks, aus einem Grundstücke zustehen. Die gutsherrlichen Rechte wegen der Kolonatsgefälle gehörten bis zur Verwandlung des erblichen Nutzungsrechts der bäuerlichen Besitzer in Eigenthum zu dem unbeweglichen Vermögen des Gutsherrn. O.Tr. II v. 22. Juni 1852, Str. Arch. 6 S. 195. H. Im Sinne dieses §. ist die Erbpachtsgerechtigkeit eine unbewegliche Sache. O.Tr. II v. 26. Nov. 1866 u. 30. Jan. 1873, Entsch. 58 S. 210 u. 69 S. 44. Hypothekenforderungen gehören aber nicht hierher. O.Tr. III v. 14. Nov. 1864, 16. Jan. 1865 u. 14. Febr. 1870, Str. Arch. 57 S. 82, 77 S. 242, Entsch. 53 S. 312. Johow Jahrb. 7 S. 238. Auch nicht das durch Besitznahme der gemietheten Sache dinglich gewordene Miethrecht. O.Tr. III v. 20. Nov. 1874 Entsch. 73 S. 200. 11) Wie man den ursprünglichen Begriff der Person von dem Menschen auf etwas Anderes als einen einzelnen Menschen übertragen und dadurch fingirte (juristische) Personen geschaffen hat, so geschieht das Gleiche hier mit dem Begriffe von Sachen. Gerechtigkeiten im Sinne dieses §. 9 sind fingirte Sachen. Sie setzen, wie juristische Personen, eine besondere gesetzliche Anerkennung voraus. In neuerer Zeit sind dieselben großentheils untergegangen; das jüngste Beispiel ist die Jagdgerechtigkeit, welche nur noch in der Form einer bloßen Grundgerechtigkeit nröglich. (H. Auch diese Form ist nicht mehr möglich, da nach §. 2 des Ges. v. 31. Okt. 1848 eine Trennung des Jagdrechts vom Grund und Boden als dingliches Recht künftig nicht statt­ finden kann.) Beispiele von noch bestehenden selbstständigen Gerechtigkeiten sind die Fährgerechtigkeit, die Zollgerechtigkeit. Ueber Schiffmühlen s. oben Note 8. — H. Können immobile Ge­ rechtigkeiten noch entstehen? Für die Verneinung in Johow Jahrb. 7 S. 301 mitgetheilte Entscheidung, Förster, Grundbuchrecht S.34, Förster-Eccius, Th. u. Pr., §. 21 Note 25. A. M. Dernburg, pr. Priv. R. 1 §. 193 Note 14, Dernburg u. Hinrichs, pr. Hyp.R. 1 S. 152. 12) Der hier beginnende, bis zum §. 30 reichende Text de verborum significatione ist völlig entbehrlich, ja nicht einmal erschöpfend, da einestheils derartige sprachliche Bestimmungen noch sehr zu vermehren wären, anderenteils die verschiedenen Bedeutungen, welche die Gesetze selbst mit einem Ausdrucke verbinden, nicht angegeben sind. Beispiel §§. 13 und 30, 52.

13) Nur die Banknoten der späteren preuß. Bank nicht; dieselben sind wirkliche Geldzeichen, wie das gemünzte Papier, und werden auch als solche im Verkehre und juristisch behandelt.

Von Sachen und deren Rechten überhaupt.

95

Briefe, Aktien u. s. w., sie mögen Zinsen tragen oder nicht, werden, gleich andern Schuldinstrumenten zum Kapitalsvermögen") gerechnet. §. 13. Der Ausdruck: Effekten"), begreift alle bewegliche Sachen, außer Effekten, dem baaren Gelde und dem Kapitalsvermögen, unter sich. §. 14. Bewegliche Sachen, welche zum bequemen Gebrauch oder zur Ver- Möbeln, zierung einer Wohnung, oder eines andern Aufenthaltes bestimmt sind, werden Möbeln genannt. §. 15. Hausrath heißen alle bewegliche Sachen, welche in dergleichen Orten zum gemeinen Dienste der Einwohner bestimmt sind. §. 16. Bewegliche Sachen, welche zum Betriebe") eines gerviffen Bankordnung v. 5. Okt. 1846 §§. 29, 32-34, G.S. S. 442. — H. Vgl. in Ansehung der Bank­ noten der Reichsbank das Reichs-Bankgesetz v. 14. März 1875, R.G.Bl. S. 117, §§. 16—17, u. in Ansehung der Banknoten überhaupt das. §§. 1—6, 43 ff. 14) Eine praktisch wichtige Frage ist: ob dergleichen öffentliche, auf den Inhaber lautende Kreditpapiere als Sachen im engeren Sinne (körperliche), oder als Beweisurkunden über Geld­ forderungen rechtlich zu betrachten sind. Ist das Erstere der Fall, so können sie in Folge eines Kaufs oder anderen Titels nur durch Tradition auf Andere übertragen werden und die An­ wendung der Cession als Uebertragungsmodus ist unwirksam; ist das Zweite anzunehmen, so ist gerade die Cession die ausschließlich anwendbare Uebertragungsart. Das L.R. hat keine aus­ drückliche Bestimmung darüber. Manche Sätze deuten auf die zweite Qualität, namentlich dieser §. 12, wonach dergleichen Schuldpapiere „gleich anderen Schuldinstrumenten" dem Kapitals­ vermögen beigezählt werden, sowie der Grundsatz, daß die Forderung nicht durch den Untergang des Papiers erlischt. V. 16. Juni 1819, G.S. S. 157; K.O. v. 3. Mai 1828, G.S S. 61. Hier­ gegen ist der Umstand, daß diese Papiere als für die Reivindikation an sich geeignete Gegen­ stände betrachtet werden (I. 15 §§. 45—47 und schon nach der Dekl. v. 23. Mai 1785, Rabe 12 S. 231), für sich allein gewichtlos, da ja auch Urkunden vindizirt werden können. Es tritt aber hier noch hinzu, daß dergleichen Papiere, bei der Tilgung von Verbindlichkeiten, nicht zur Air­ gabe an Zahlungsstatt, sondern als Zahlmittel für baares Geld sollen gebraucht werden können (I. 16 §. 28; I. 11 §. 653); ferner der Verkehr, in welchem diese Papiere, wie eine Waare, verkauft, gekauft und übergeben werden, und der Kauf für einen Sachkauf gilt. Darnach ist im pr. R. diejenige Ansicht für gebilligt zu erachten, welche dergleichen Papiere für Sachen tut engeren Sinne hält. Dafür hat sich auch die Gerichtspraxis entschieden. O.Tr. IV v. 7. April 1848, Entsch. 17 S. 156, und v. 8. Sept. 1870, Str. Arch. 79 S. 179, I v. 26. Sept. 1873, Entsch. 70 S. 373. Das Gleiche gilt von trassirten Wechseln. A. W.O. Art. 74. — Daß die Inhaber­ papiere nicht zum baaren Vermögen gerechnet werden, wie gemünztes Papier, ist der rechtlichen. Natur dieser verschiedenen Kreditpapiere und den Verkehrsverhältnissen ganz entsprechend. Das gemünzte Papier wird von dem Schuldner des kreditirten Werthes (den: Staate) wie baare Metallmünze im Verkehr für voll angenommen, die Staatsschuldverschreibungen 2c. aber nicht; die können also nicht als kursirende Zahlungsmittel angewendet werden. Wer sie vor der Fällig­ keit verwerthen will, muß sie verkaufen, sonst muß er die bedungene Zahlungszeit abwarten. Nur auf die heutigen Banknoten paßt die Bestimmung nicht; solche unterscheiden sich von den: gemünzten Papiere wesentlich gar nicht. Uebrigens sind Aktien niemals unbewegliche Sachen, wenn sie sich auch auf Grundstücke, z. B. Eisenbahnen, Chausseen, Bergwerke, gründen. Eine eigenthümliche, singuläre Idee hat in diesem Falle die Aktien mit dem Grundstücke indentificiren wollen. H. Eine nicht unbedenkliche Anwendung des §. 12 zur Auslegung des §. 379 Tit. 1 Th. II enthält das Erk. des O.Tr. III v. 26. Juni 1868, Entsch. 60 S. 110. 15) Dieser Ausdruck bezeichnet zweierlei Gattungen von Dingen. Einmal versteht man darunter bewegliche körperliche Sachen. In dieser Bedeutung wird es hier und in der A.G.O. I. 24 §§. 68 und 70; I. 29 §. 1; I. 50 §§. 447-449, 483, 484, sowie §. 477, und im L.R. II. 1 §. 317; II. 2 §§. 279, 282; II. 11 §. 1193, doch nicht immer in demselben Sinne, ge­ braucht. Früchte auf dem Halme, wenn sie als selbstständige Sachen behandelt werden, gehören auch zu den Effekten im Sinne des §. 13. O.Tr. IV v. 21. Dez. 1854, Str. Arch. 15 S. 303. Dann nennt man in der Handelssprache die kursirenden Kreditpapiere Effekten, daher den Handel damit Effektenhandel. In dieser Bedeutung kommt der Ausdruck in der A.G.O. 1.50 §. 300, in der Bankordnung v. 5. Okt. 1846 §§. 4 u. 31 u. im Reichs-Bankges. v. 14. März 1875 Lj. 13 Nr. 6 vor. Der Streit gegen diese Behauptung in einem Urtel des Kammerg. v. 15. Juli 1798, Mathis 1 S. 241, ist ohne allen sachlichen Grund. 16) Der Begriff von Geräthschaften ist nicht nothwendig mit einem Geschäfts- oder Ge­ werbebetriebe verbunden; man versteht darunter Werkzeuge und Geräthe zur Bereitung anderer Dinge, wenn solche auch nicht als Geschäft oder Gewerbe betrieben wird. Auch „Utensilien"

96

Erster Theil.

Zweiter Titel.

§§. 17—34.

oder Gewerbes, in oder außer der Wohnung, bestimmt sind, werden unter dem Namen der Geräthschaften begriffen. Moventien. §. 17. Unter Moventien werden nutzbare^) lebendige Geschöpfe verstanden. Mobilien. §. 18. Der allgemeine Ausdruck: Mobilien, begreift Möbeln, Hausrath und Geräthschaften unter sich^). Edle Metalle. §. 19. Durch den Ausdruck: edle Metalle, wird nur unverarbeitetes Gold und Silber angedeutet. Gold und §. 20. Die Worte: Gold und Silber begreifen verarbeitetes und unver­ Silber. arbeitetes, nicht aber geprägtes 19 * *J * *Gold 17 18 und Silber unter sich. Juwelen. Z. 21. Unter Juwelen sind auch Perlen und andere kostbare Steine, welche zur Pracht getragen werden, mit begriffen. Schmuck und §. 22. Unter Schmuck und Geschmeide werden ächte und unächte Juwelen, Geschmeide. auch die aus Gold und Silber verfertigten, oder damit überzogenen Zierrathen verstanden20).21 Puh§. 23. Putz ist, was außer Schmuck und Geschmeide, zur Verzierung der Person getragen wird, und nicht selbst einen Theil eines Kleidungsstückes ausmacht. Garderobe. §. 24. Zur Kleidung oder Garderobe gehören alle Arten von Kleidungsstücken, mit Inbegriff der zum persönlichen Gebrauche bestimmten Leibwäsche, bereits zuge­ schnittenen Zeuge und Leinwand. Weißzeua■ §. 25. Weißzeug oder Wäsche begreift alles leinene2 x) Geräthe, insonderheit und Wcijchc ' aber Leib-, Bett- und Tisch-Wäsche unter sich. §. 26. Spitzen und Kanten gehören nicht zur Wäsche oder zum Weißzeuge, wohl aber zum Putze. Equipage. §. 27. Equipage bedeutet Wagen und Pferde, sammt dazu gehörigem Ge­ schirre, die zur Bequemlichkeit des Eigenthümers bestimmt sind. §. 28. Reitpferde und Reitzeug werden gewöhnlich unter dem Ausdrucke: Equipage, nicht mitverstanden. §. 29. Wird aber dieser Ausdruck von Militärpersonen gebraucht, so gehört zur Equipage alles, was zur Ausrüstung einer solchen Person, sowohl im Stand­ quartier als im Felde, nach der Verfassung in der Armee, erfordert wird. gehören dazu, z. B. die Kupferplatten zu einer Kartenfabrik, wie die Druckerpressen in einer Buchdruckerei. O.Tr. v. 7. August 1815, Simon, Rechtsspr. 1 S. 109. — In einer ganz anderen Bedeutung, als der Ausdruck nach diesem §. haben soll, wird er unten im §. 30 ge­ braucht (Anm. 23). 17) Der Ausdruck „Moventien" ist aus der L. 93 D. de verb. signif. (L. 16) entnommen. Dort bezeichnet er animalia. Warum hier nur Nutzthiere darunter verstanden werden sollen, ist unfindbar. 18) In dieser Bedeutung wird der Ausdruck nicht immer gebraucht. Z. B. in II. 1 §. 559 hat er die Bedeutung von Effekten (§. 13). Ebenso in I. 17 §. 202. 19) Seltene Münzen und Medaillen also nicht. Zum baaren Vermögen gehören sie auch nicht (§. 11). Sie werden also eine Klasse beweglicher Sachen für sich ausmachen. 20) Nicht erforderlich ist hierzu, daß diese Sachen zur Verzierung der Personen dienen müssen. Die kostbaren Zierrathen, welche sonst den Reitpferden fürstlicher Personen bei feier­ lichen Gelegenheiten angelegt wurden, und dazu auch bestimmt waren, änderten hierdurch den Begriff nicht.

21) Die Verf. haben hier vorausgesetzt, daß Weißzeug oder Wäsche nur aus Leinwand be­ reitet würde, was zu ihrer Zeit zutraf. Jetzt trifft man selten auf Gewebe aus reinen Flachs­ fasern; das meiste Weißzeug ist aus einem Gemisch von Flachs und Baumwolle, oder auch von reiner Baumwolle bereitet, und die gemischten Fabrikate sind als solche oft erst mit Hülfe chemischer Mittel zu erkennen. Die Definition paßt nicht mehr; sie hindert aber auch nicht, Weißzeug oder Wäsche aus anderen Stoffen als Leinwand für Weißzeug oder Wäsche gelten zu lassen. Die ganze Terminologie der §§. 10—30 gehört nicht der Jurisprudenz, sondern dem gemeinen Sprachgebrauche an; und es ist, da die Verf. sich nicht immer nach diesem ihrem Wörterbuche gerichtet haben, in jedem einzelnen Falle der Sinn des gebrauchten Ausdrucks aus dem Zusammenhänge zu entnehmen.

Von Sachen und deren Rechten überhaupt.

97

§. 30. In Ansehung der Personen, welche zwar nicht zum Militair gehören, aber doch ihres Amtes oder ihrer Verrichtung wegen , sich der Reitpferde bedienen müssen, werden anet) 22) diese, nebst den dazu gehörigen Geräthschaften23), unter Equipage begriffen. Z. 31. In so fern24) eine Sache für sich selbst den Gegenstand eines Rechts AMn^ ausmacht, wird sie als eine besondere oder für sich bestehende Sache beurtheilt. §. 32. Mehrere besondere Sachen, die mit einem gemeinschaftlichen Namen U^chen^uw bezeichnet zu werden pflegen, machen einen Inbegriff von Sachen aus, und werden, Rechten, zusammen genommen, als ein einzelnes Ganze betrachtet2f>). §. 33. Auch der Inbegriff aller einzelnen Sachen und Rechte26), die einem Menschen zugehören, kann als ein einzelnes Ganze angesehen werden. §. 34. Der Inbegriff der Sachen und Rechte eines Verstorbenen heißt dessen Verlassenschaft. 22) Im §. 30 des Entwurfs hieß es „nur", also waren Wagen und Pferde (§. 27) aus­ geschlossen. Ber der Revision wollte man sie einschließen, und machte aus dem „nur" ein auch, so daß es bei der Regel §. 27 blieb und noch die Reitpferde (gegen den §. 28) dazu kamen. Suarez, im Jahrb. 52 S. 65. 23) Hier wird der Ausdruck in einer ganz anderen Bedeutung gebraucht, als welche ihm im §. 16 beigelegt worden ist. 24) Also wenn der Fall vorkommt. Die Beurtheilung richtet sich nach dem Gegebenen; nicht umgekehrt darf aus dieser Bestimmung entnommen werden, wie eine Sache zunächst und vorzugsweise beurtheilt werden muß. In dieser Weise finden wir die Stelle von dem O.Tr. in dem Erk. v. 9. Mai 1845, Entsch. 11 S. 207, aufgefaßt, wo es heißt: „Allein es soll zu­ nächst jede Sache, welche für sich selbst den Gegenstand eines Rechts ausmacht, als besondere oder für sich bestehende Sache beurtheilt werden, und es kann schon deshalb angenommen werden, daß der Gesetzgeber die Bäume wie andere natürliche Zuwüchse des Bodens angesehen hat, und, wie die Aussaat, zu den Pertinenzstücken rechnet." Diese Idee ist der Jurisprudenz und dem Gesetzgeber völlig fremd; man kann aus den für gewisse faktische Voraussetzungen ge­ gebenen Regeln nicht präsumiren wollen: daß ein bestimmter Fall thatsächlich vorhanden, und vorzugsweise anzunehmen sei; vielmehr muß umgekehrt zuerst gewiß sein: wie eine Sache, ob nämlich für sich, als besondere Sache, oder als Theil eines Ganzen behandelt worden ist, und erst dann läßt sich von der rechtlichen Beurtheilung sprechen. 25) Es ist gleichgültig: ob die mehreren besonderen Sachen körperlich (Schiff) oder in­ tellektuell (Heerde) zu einem Ganzen (universitas) vereinigt sind. Man kann jeden Theil als besondere Sache behandeln, aber alle zusammen auch als ein Ganzes, das hängt ganz von der Willkür ab. Aber wie es behandelt worden ist, so wird es dann beurtheilt, denn es gelten von den Begriffsganzen einige besondere Regeln. Die Fassung des §. 32 ist ohne juristischen Grund getadelt worden. — H. Eine „Reihe Scheitholz" ist kein Inbegriff. R.O.H.G. I v. 4. März 1873, Entsch. 9 S. 109. 26) Diese zusammengenommen machen das Vermögen einer Person aus, ein Rechts­ begriff, welcher alle Sachen und Rechte (auch Schulden) als eine Einheit zusammenfaßt und nur in Beziehung auf eine bestimmte Person als deren Träger Realität hat. Die Neueren haben dafür den Ausdruck: universitas Juris. Gegenstand besonderer Betrachtung davon ist der In­ halt und die Uebertragung. Der Inhalt ist nur unter Voraussetzung eines gegebenen Zeit­ punktes bestimmbar, und stellt sich, alle einzelnen Rechte nach ihrem Geldwerthe in eine Geld­ summe verwandelt, bald als ein Plus, bald als ein Minus, bald als eine Null dar. Der Aus­ druck „Vermögen" wird zur Bezeichnung des einen, wie des anderen dieser Verhältnisse gebraucht. In I. 11 §. 646 u. A.G.O. I. 46 §. 29, Anh. §. 271 u. I. 50 §. 1 bedeutet er das Aktiv­ vermögen; im Anhänge zum L.R. §. 19 dos Plus, nach Abzug der Schulden; in II. 20 §§. 467, 469 das Aktiv- und Passivvermögen zusammen. — Der Uebergang der Universitas als Ganzes auf eine andere Person unter Lebenden kann, nachdem die Vermögenskonfiskation aufgehoben ist, nur noch durch Vertrag vermittelt werden. Durch Vorbehalt einzelner Stücke hört der Gegen­ stand nicht auf, eine universitas Juris zu sein, in welche hier titulo singulari succedirt wird. Der Erwerber haftet für die Schulden nur als Besitzer des Ganzen (der Masse), von welchem sie ein Bestandtheil sind. Anh. z. L.R. (I. 11 §. 646) §. 19. Der Veräußerer fängt von da an, eine neue Universitas zu besitzen. Trennt der Tod die Person von ihrem Vermögen, so heißt dieses deren Verlassenschaft bzw. Erbschaft. §§. 34, 35 u. I. 9 §. 350. — H. Die bloß prekäre Benutzung einer Sache ist kein Recht, bildet also keinen Theil des Vermögens, und kann insbesondere im Falle thatsächlicher Verhinderung fernerer Benutzung durch eine öffentliche Anlage einen Entschädigungsanspruch nicht begründen. O.Tr. v. 14. Jan. 1874, Str. Arch. 95 S. 137. 7 Koch, Allgemeines Landrecht. I. 8. Aufl.

Erster Theil.

98 §. .35.

Zweiter Titel.

§§. 35—42.

In Beziehung auf denjenigen, welcher dergleichen Inbegriff überkommt,

wird solcher Erbschaft genannt. §. 36. An den Befugnissen und Lasten eines Inbegriffs nehmen alle einzelne darunter begriffene, und demselben in der Folge zuwachsende oder einverleibte Stücke Theil27).28 §. 37. Wenn aber ein einzelnes Stück im ordentlichen Laufe der Natur, oder der Geschäfte, von dem Ganzen abgesondert2^) worden, so hört die Theilnehmung desselben an den Rechten und Lasten des Inbegriffs auf. §. 38. Durch den Zutritt oder Abgang einzelner Stücke werden die Rechte und Verbindlichkeiten in Ansehung des Ganzen nicht geändert. §. 39. Auch gehen die besondern Rechte und Lasten einer einzelnen Sache

27) Wodurch wachsen einzelne Stücke dem Ganzen zu? Die Vermehrung des Ganzen durch Erzeugung versteht sich von selbst, die Frage bezieht sich auf Veräußerung einzelner Stücke und Anschaffung anderer, und bezweckt eine Bestimmung: ob das angeschaffte Stück von selbst ein Theil des Ganzen werde. Das ist im Allgemeinen zu verneinen; das neue Stück muß besonders einverleibt werden. Eine Ausnahme findet sich bei der Erbschaft, und zwar nach R. R. in An­ wendung auf den Fall des Erbschaftsbesitzers, dein rechten Erben gegenüber. Hatte der Besitzer eine Sache verkauft, so nahm man an, daß an die Stelle derselben der Preis getreten und gewissermaßen dieser selbst zu einem Erbschaftsstücke geworden sei. L. 22 D. de bered, pet. (V, 3). Daraus haben Neuere die bekannte Regel gemacht: pretium succedit in locum rei. Umgekehrt aber nahm man nicht an, daß, wenn der Besitzer einer universitas Juris mit daraus ent­ nommenem Gelde eine Sache kaufe, die Sache von selbst an Stelle des Geldes ein Theil des Inbegriffs werde, L. 12 C de jure dot. (V, 12), es sei denn, daß die Anschaffung gerade um der Universitas willen geschehen, wo dann aber nicht einmal erforderlich war, daß das Geld dazu aus der Masse entnommen worden. L. 20 pr. § 1 D. de bered, pet. (V, 3). Hieraus hat inan auch die umgekehrte Regel gebildet: res succedit in locum pretii (Hellfeld 8- 538), welche falsch ist. — Im L.R. haben bei der Erbschaft beide Regeln Anwendung ge-, funden: die erste in demselben Verhältnisse des Besitzers zum Erben (I. 9 §. 498 u. II. 18 8. 847), die andere bei der Ausübung des Separationsrechts der Erbschaftsgläubiger im Yen­ kurse des Erben. (A.G.O. I. 50 §. 276.) Die Vorschrift des §. 276 ist zwar in die Konk.Ordn. v. 8. Mai 1855 (§§. 37—39) nicht übergegangen (H. auch nicht in die Reichs-Konk.Ordn., vgl. §; 43), doch ist mit der Aufhebung des Tit. 50 der A.G.O. im Ganzen das Prinzip nicht weggefallen, es wird durch die Bestimmungen des L.R. a. a. O. gehalten. Der Fall, wenn der Besitzer um der Masse willen und mit Rücksicht auf deren Besitz Sachen dazu angeschafft hat, ist nach dem L.R. ebenso zu entscheiden wie nach der L. 20 pr. 8- 1 D. de bered, pet. u. L.R. II. 1 8- 060. — Bei den bloß körperliche Sachen enthaltenden Begriffsganzen findet keine dieser Regeln, weder nach R. R., noch nach dem L.R., allgemeine Anwendung. II. 1 88- 240, 516; I. 17 8- 55. — Bei einzelnen Sachen findet sie allgemein nicht (vergl. 1. 11 27; I. 18 88- 340, 499, 503; I. 17 8- 55; I. 12 88- 342, 322; 11. 1 88- 313, 600) und ausnahmsweise nur in Fällen statt, wo eine Veräußerung oder Umtauschung aus gesetzlicher Nothwendigkeit oder im öffentlichen Interesse unter obrigkeitlicher oder richterlicher Autorität unter dem ausdrücklichen oder stillschweigenden Vorbehalte der Rechte des Eigenthümers oder sonst dinglich Berechtigter eintritt. O.Tr. III. v. 6. Mai 1861, Entsch. 45 S. 173. Beispiele sind: I. 9 8- 339 ; I. 20 88- 458, 459; A.G.O. I. 24 8- 77, 50 88- 220, 309», 354; Gem.Theil.O. v. 7. Juni 1821 88- 147 ff.; Gesetz betr. die Ablösung der Reallasten, v. 2. März 1850 88- 110, 111; Ges. über die Errichtung von Rentenbanken, v. 2. März 1850 88- 4, 49; Gest betr. den erleichterten Ab­ verkauf kleiner Grundstücke, v. 3. März 1850 8- 3, G.S. S. 145; Verordnungen, betr. die Chaussee-, Fluß-, Kanal- und Festungsbauten, v. 8. Aug. 1832, G.S. S. 202; v. 26. Dez. 1833, G.S. 1834 S. 8; v. 25. April 1836, G.S. S. 179; Ges. über die Eisenbahnunternehmungen v. 3. Nov. 1838 88- 12 u. 15, G.S. S. 505; ferner der Fall, wenn eine Baustelle in Folge obrigkeitlich angeordneter Verlegung mit einem anderen Platze vertauscht werden muß (O Tr. v. 9. Sept. 1842, Ulrich, Arch. 11 S. 274); oder wenn bei der Expropriation eines bebauten Grundstücks dem Besitzer ein anderes Grundstück zur Entschädigung überwiesen und von ihm bebaut worden ist (O.Tr. III v. 14. Febr. 1853, Entsch. 24 S. 405): hier findet die Regel: surrogatum sapit naturam surrogati, Anwendung. — H. Vgl. über Begriff und Wirkung der Einverleibung O.Tr. III v. 28. Febr. 1870, Str. Arch. 79 S. 64, R.G. II Str. v. 22. Sept. 1882, J.M.Bl. 1883 S. 23. 28) Vergl. I. 20 8- 445. Die Absonderung muß, um diese Wirkung zu haben, eine bleibende sein; bloß vorübergehende Trennung ist einflußlos.

Von Sachen und deren Rechten überhaupt.

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bloß durch die einseitige Handlung, vermöge welcher die Sache einem Inbegriffe einverleibt worden ist, noch nicht verloren2i>). §. 40. Rechte, die bloß an den Stand gebunden sind, werden einem Inbegriffe von Sachen und Rechten, im gesetzlichen Sinne nicht beigezähltso), §.41. Eine Sache heißt untheilbar, wenn entweder Natur oder Gesetz Absonderung ihrer Theile von einander entgegenstehen31). Sachen. §. 42. Eine Sache, welche zwar für sich selbst bestehen kann, die aber mit Pertincnzeiner andern Sache in eine fortwährende Verbindung gesetzt worden, wird ein Zufhlcfc' behör oder Pertinenzstück derselben genannt^). 29) Ist wichtig bei der Vereinigung eines Grundstücks mit einem Gute. — H. Vgl. R.G. I H. v. 3. Febr. 1882, Gruch. Beitr. 26 S. 891. 30) Vergl. Einl. §. 104 und I. 9 §. 360. 31) Körperliche Sachen find physisch immer theilbar, nicht aber juristisch. Dieser §. bezieht sich auf die juristische Theilbarkeit. Juristisch untheilbar ist eine Sache, deren Stücke dem Ganzen nicht gleichartig sind, z. B. ein lebendes Thier, ein Schiff, eine Maschine; oder deren Theilung gesetzlich verboten ist. Im ersteren Falle steht die Natur, im anderen das Gesetz entgegen, wie der in seiner Fassung ohne Grund getadelte §. zutreffend ausspricht. — Rechte sind immer nur ideell theilbar und auch nicht anders, als wenn die Ausübung getheilt werden kann, wie beim Nießbrauche. Grundgerechtigkeiten aber sind untheilbar, da sie von Mehreren nicht theilweise ausgeübt werden können. L. 17 D. de servit. (VIII, 1). Entsch. des O.Tr. 16 S. 218. — Das O.Tr. hat in dein Erk. II v. 17. April 1855, Str. Arch. 16 S. 339, den an ein Rittergut zu entrichtenden Grundzins für eine untheilbare Sache erklärt. Das ist nach der Hyp.-Ordn. II §. 91 u. dem G. v. 3. Jan. 1845, betreffend die Zerstückelung von Grundstücken, §. 7 Nr. 2 keine allgemeine Rechtswahrheit. — An einzelnen Theilen und Räumlichkeiten eines Gebäudes, z. B. an den verschiedenen Tassen (Bansen) einer Scheune und an den verschiedenen Stockwerken eines Hauses oder an den verschiedenen Räumlichkeiten eines Stockwerkes kann bis zu einer bestimmten Grenze ein ausschließlicher Besitz stattfinden; nur gewisse Theile, z. B. Treppen, Hausthüren, Dach re. werden gemeinschaftlich sein müssen, es sei denn, daß Einer Alleineigenthümer dieser Theile wäre und die Anderen eine Servitut darauf hätten, was auch denkbar; ist. Indeß ist auch in diesem Falle nur eine Einräumung der ausschließlichen Nutzungsrechte an den zugewiesenen Räumlichkeiten anzunehmen, während das Eigenthum gemeinschaftlich, nämlich Miteigenthum bleibt. (H. Soweit das O.Tr. in den Erk. III v. 17. Febr. 1860 und 11. April 1864, Str. Arch. 36 S. 232 u. 54 S. 60, in derartigen Fällen Realtheilung des Gebäudes an­ genommen, sind die Entscheidungsgründe nicht zu billigen.) Ein Haus ist in der Regel eine iheilbare Sache nicht. Daher ist bei dem Verkaufe eines Hauses zur Hälfte, unter Bezeichnung gewisser Räumlichkeiten, worin die veräußerte Hälfte bestehen soll, nicht anzunehmen, daß eine Realtheilung stattgefunden habe, vielmehr ist anzunehmen, daß der Käufer das Miteigenthum an dem ganzen Hause erworben und also auch ein Anrecht an den, dem Hause auf den Grundstücken eines Dritten zustehenden Berechtigungen habe. H. Dies annehmend hat derselbe Sen. in dem Erk. v. 14. Febr. 1865, Entsch. 53 S. 4, seine Anschauung berichtigt. In Uebereinstimmung hiermit ist in dem Erk. des O.Tr. II v. 1. Juni 1875, Entsch. 75 S. 85, Str. Arch. 94 S. 38, angenommen, daß an dem Theile eines . Gebäudes (in casu an einem Handelsgewölbe) ein Erbpachtsrecht rechtsgültig nicht habe bestellt werden können. Vgl. auch Entsch. 79 S. 128. Ob das Erk. des O.Tr. I1I v. 20. April 1874, Str. Arch. 92 S. 144 der hier vertretenen Ansicht durchweg entspricht, ist bei der nur unvollständigen Mittheilung der Sachlage und der Gründe nicht recht ersichtlich/ 32) Mit dem Ausdruck „fortwährende Verbindung" ist nicht gemeint, daß der Gegenstand eine immerdauernde Natur haben solle, vielmehr nur, daß der Zweck der Verbindung eine der Natur des Gegenstandes und dessen Bestimmung entsprechende Dauer haben müsse. So ist z. B. der Antheil eines mit Pfandbriefen belegten Guts an dem Tilgungsfonds als ein Zubehör des Guts anzusehen, welches mit dem verkauften Gute auf den neuen Erwerber übergeht. O.Tr. III v. 14. Mai 1852, Entsch. 23 S. 358. H. Vgl. auch III v. 4. Juni 1860, Entsch. 43 S. 167. Dagegen ist der Grundsteuer-Entschädigungsforderung wegen des Mangels dauernder Verbindung die Pertinenzeigenschaft abgesprochen. O.Tr. III v. 4. März 1870, Entsch. 63 S. 385. S. auch Zeitschr. f. Gesetzg. 5 S. 264. Darin besteht das unterscheidende Merkmal eines Pertinenzstücks im Gegensatze eines Sub­ stanztheiles: die Verbindung muß durch menschliche Willkür juristisch hergestellt sein (§. 44); angewachsene Theile, so wie mechanisch zusammengefügte Sachen, sind Bestandtheile (§. 43). Aber bei Begriffsganzen, die überhaupt nur durch menschliche Willkür bestehen, sind in Folge dieser juristischen Verbindung auch die einzelnen Sachen Theile des Ganzen, nicht Pertinenzstücke, wenigstens gilt dies von den gleichartigen Sachen, z. B. von allen Köpfen einer Heerde, von 7*

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Erster Theil.

Zweiter Titel.

§§. 43—44.

§. 43. Unbewegliche Sachen, die mit einer andern unbeweglichen Sache durch die Natur33) verbunden worden, machen mit ihr nur Eine Substanz aus. §. 44. Dagegen haben sowohl bewegliche als unbewegliche Sachen, die einem den zu einem Ganzen verbundenen einzelnen Grundstücken (nicht entgegen §. 44); wogegen un­ gleichartige Sachen, welche mit einem solchen Begriffsganzen in Verbindung gesetzt werden, z. B. bei einer Schafheerde die Schäferhütte und Hürden, bei einem Landgute die Jnventarienstücke, als Pertinenzstücke angesehen werden. Wichtig ist der Unterschied zwischen Substanztheilen und Pertinenzstücken im Hypothekenrechte: das Grundbuchwesen und der Realkredit ruhen darauf, weil bloße Pertinenzstücke von dem mit Hypotheken belasteten Gute abverkauft werden können, ohne daß davon im Hypothekenbuche Notiz gemacht zu werden braucht, wogegen Bestandtheile, welche abgetrennt, aber nicht abgeschrieben worden sind, immerfort nach dem Inhalte des Hypothekenrechts gültig verpfändet werden können, wenn sie auch ein Eigenthum eines Dritten sind, die Redlichkeit des Gläubigers vorausgesetzt. I. 20 §. 410. Das Ausführliche in Koch, Abh. über Gutsbestandtheile und Pertinenzstücke: im Schles. Arch. 5 S. 300. (H. Für das gegenwärtige Recht kommt in Betracht, daß Bestandtheile des Gutes ohne Abschreibung von dem Folium desselben im Grundbuche nicht mehr in das Eigenthum eines Dritten übergehen können. Ges. v. 5. Mai 1872 §§. 1 ff.) Vgl. §. 44 d. T. Anm. 35. — Betreffs der Versicherungsgelder für die gegen Unglücksfälle versicherte Sache s. m. die Anm. 34 Abs. 2 zu §. 44 d. T. Der Umstand, daß das mit einem anderen Grundstücke in eine fortwährende Verbindung gesetzte Grundstück nur mittelst mündlichen Vertrages erworben worden, schließt die Entstehung der Pertinenzeigenschaft nicht aus. O.Tr. III v. 23. Jan. 1863, Str. Arch. 47 S. 314. Das ist ganz richtig. Auch bloße Besitzrechte, dingliche nämlich, können mit einer eigenthümlichen Hauptsache als Pertinenzien in dauernde Verbindung gesetzt werden, es ist nicht wesentliches Erforderniß zur Herstellung des Pertinenzverhältnisses, daß das Recht des Besitzers an beiden Gegenständen absolut gleichartig sei; das Recht an der Hauptsache kann freies Eigenthum, das an der Nebensache kann ein anderes selbstständiges dingliches Recht sein. Dann ist als Pertinenz eben nur dieses bestimmte dingliche Recht anzusehen. H. Das O.Tr. III v. 22. Jan. 1875 u. v. 10. Nov. 1876, Str. Arch. 92 S. 141 u. das. 99 S. 90, sieht das Hypothekendokument als Zubehör der Hypothekenforderung an (S. 145) und leitet daraus einen dinglichen Anspruch des Cessionars der Hypothekenforderung auf Heraus­ gabe des Dokumentes her. Ist aber wirklich die Hypothekenforderung im Sinne des §. 42 eine Sache, mit der eine andere Sache in fortdauernde Verbindung gesetzt werden kann? Die Frage dürfte doch, trotz der schwankenden Terminologie des L.R.- (§§. 1—3 d. T.), richtiger zu verneinen sein. Vgl. Entsch. 79 S. 286.

33) Folglich nur Grundstücke (Theile der Erdoberfläche), welche an einander hängen, und was in dem Erdboden (unter der Oberfläche) von Natur oder aus demselben herauswüchst. In diesem Sinne gilt im L.N. der Satz: solo cedit, quod solo cohaeret. Die noch nicht ab­ getrennten Gewächse sind hiernach und nach I. 20 §§. 475, 476 pars fundi, wie nach L. 15 pr. D. de pignor. (XX, 1); L. 83 D. pro socio (X VlI, 2); L. 44 I). de rei vind. (VT, 1). Das hindert weder den Fruchterwerb des Nutzungsberechtigten (L 9 §. 221), noch die Behand­ lung eines solchen Anwuchses als einer besonderen und beweglichen Sache, wenn diese beliebt wird. S. o. A. 8 a. E. Die hier gegebenen Grundsätze dienen nur zur Auslegung der Rechts­ geschäfte und Willenserklärungen, wenn diese nicht ausdrücklich sich aussprechen und jene nach ihrer eigenthümlichen Natur nicht andere Verhältnisse und Beziehungen begründeu. O.Tr.Pl. v. 22. Nov. 1847, Entsch. 15 S. 23, s. insbesondere S. 27. — Uebrigens kann eine unbewegliche Sache mit einer anderen unbeweglichen Sache niemals anders als durch Natur verbunden werden; der Gedanke, daß eine solche Verbindung auch durch Kunst hergestellt werden könnte und nur nicht die Substanzeinheit wirken sollte, wäre widersinnig. Durch Bauen werden lauter bewegliche Sachen mit einander und mit dem Grunde und Boden verbunden. Den Rechtsgrundsatz des §. 43 hat Sie Praxis auch über die Besitzfrage in possessorio zum Anhalte genommen und z. B. in dem Falle, wo von einem unstreitigen Forstreviere ein mitteninnebelegenes Terrain besitzstreitig geworden, dafür gehalten, daß der unstreitige Besitz des Forstreviers auch hinlänglichen Beweis für den Besitz des, einen integrirenden und gleichartigen Bestandtheil jenes Forstes bildenden streitigen Terrains gebe und deshalb die Possessorienklage des Forstbesitzers nicht um deswillen, weil darin ein besonderer Beweis bezüglich des streitigen Terrains nicht angetreten ist, abgewiesen werden könne. O.Tr. III v. 6. M ai 1859, Entsch. 41 S. 69. Zur Entscheidung darüber: wo die Grenze eines Grundstücks liegt, kann aber der In­ halt des §. 43 nicht gebraucht werden, wie es von einem Appell.-Gerrcht doch geschehen ist. O.Tr. II v. 15. u. 24. Nov. 1864, Str. Arch. 57 S. 130. — H. Aus §. 43 kann nicht gefolgert werden, daß eine Insel mit dem sie umgebenden Wasserbett eine Substanz bilde. O.Tr. III v. 12. Juli 1869, Str. Arch. 75 S. 296.

Von Sachen und deren Rechten überhaupt.

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andern Ganzen durch die Handlung oder Bestimmung eines Menschen3^) zuge­ schlagen werden, die Eigenschaft eines Pertinenzstückes35). 34) D. h. durch menschliche Willkür, im Gegensatze zur Natur, von deren Wirksamkeit der vorhergehende §. spricht. Es muß nicht heißen: „des Eigentümers". Vergl. I. 20 §. 470; L. 17 §. 7 D. de act. emti (XIX, 1), L. 242 §. ult. D. de verhör, signif. (L. 16). — Zur Begründung der Pertinenz-Eigenschaft einer Gutsparzelle ist der Nachweis erforderlich, daß diese Parzelle früherhin selbstständig besessen und durch menschliche Bestimmung als Nebensache mit dem Gute verbunden worden ist. O.Tr. III v. 20. Jan. 1854, Str. Arch. 11 S. 353. Mit dem Begriff des Pertinenzstückes haben es folgende Fälle zu thun: 1. Das Verhältniß der Zinsrekognition eines außer Kurs gesetzten Pfandbriefes zu dem Pfandbriefe. Die Rekognition ist kein Pertinenzstück des Pfandbriefes, sondern das Zinsenrecht ist ein Nutzungsrecht, die Zinsen sind Früchte; die auf keinen bestimmten Inhaber lautende Zinsrekognition ist eine über das abgetrennte Nutzungsrecht lautende lettre au porteur, welche durch die Sperrung des Pfandbriefes dem freien Verkehre nicht entzogen wird, und Beides — der Pfandbrief und die Rekognition — sind nicht in jeder Beziehung als ein untrennbares Ganze anzusehen. O.Tr. v. 29. April 1839, Schles. Arch. 1 S. 221; Entsch. 1 S. 235; wozu Koch's Beurtheilung S. 48. Beide verhalten sich zu einander wie Proprietät und Nutzungsrecht. 2. Das Verhältniß der Versicherungsgelder zu der versicherten, nachher verunglückten Sache. Man hat darauf die apokryphische Regel: pretium succedit in locum rei (wenn es noch der Satz: surrogatum sapit naturam surrogati, wäre), anwenden wollen und auch an die Pertinenzeigenschaft der Ver­ sicherungsgelder gedacht. Zwischen Sache und Versicherung ist jedoch, nach Natur- und Rechts­ gesetzen, gar kein Rechtsverhältniß. O.Tr. v. 19. Sept. 1846, Entsch. 13 S. 253. Auch zu vergl. I. 20. §§. 309, 310. In einem Nichtigkeitsurtel IV v. 25. Novbr. 1852, Entsch. 25 S. 409, auch in einem Erk. IV v. 27. März 1851, Str. Arch. 1 S. 330, machte das O.Tr. eine ent­ gegengesetzte Meinung geltend. „Diese Summe", heißt es, „welche, an die Stelle des zerstörten Gebäudes tretend, jedem Eigenthümer des Bodens, auf welchem dies Gebäude stand, gebührt, hat ganz und gar die Natur einer Pertinenz im Sinne des §. 42 Tit. 2." Die Summe (die Geldsumme ist gemeint) kommt aber erst zur Entstehung, nachdem die Sache vernichtet worden ist, kann also nicht schon Pertinenz der noch vorhandenen Sache sein. Soll hier, in Beziehung auf die Assekuranz, etwas als Pertinenz der versicherten Sache betrachtet werden, so kann es nur das obligatorische Rechtsverhältniß sein (pactum in rem), welches durch den Assekuranz­ kontrakt gegründet worden ist. Das aber führt unabweisbar dahin, daß der Besitzer eines ver­ sicherten und zugleich verpfändeten Gebäudes diese Pertinenz ohne Einwilligung der Gläubiger nicht wirksam abhanden bringen kann; daß folglich der Assekuranzkontrakt zum Vortheile der Gläubiger, wenn diese der Auflösung widersprechen, fortdauern muß, was nach der rechtlichen Natur des Rechtsverhältnisses eingeräumt sein würde. Damit wird nicht geleugnet, daß durch positive Satzungen anomale Vorschriften gegeben werden können und auch gegeben worden sind. Und der Rechtsfall, auf welchen sich die fragliche Entscheidung bezieht, fällt auch unter das ostpreuß. Feuer- und Sozietätsreglement v. 30. Dez. 1837. Daß nach dessen Vorschriften die getroffene Entscheidung nicht begründet sei, wird nicht behauptet, wie auch das ältere Pr. 305, daß die Feuerversicherungsgelder eines abgebrannten Gebäudes, nach dem Kur- und Neumärkischen Reglement v. 30. Mai 1800, gewissermaßen in die Stelle des Gebäudes treten (Anm. zu §. 3 Tit. 16), an seinem Werthe unangefochten bleibt. Eine ähnliche Vorschrift hat auch das Regle­ ment für die Provinzialstädte-Feuersozietät der Provinz Schlesien v. 6. Mai 1842 §. 13 u. v. 1. Sept. 1852. Veral. dazu O.Tr. III v. 11. Juli 1856, Str. Arch. 22 S. 113. Aber daß „diese Ansicht auch dem Geiste der preußischen Versicherungsgesetze entspreche", womit das L.R. nach den Allegaten II. 8 §§. 1934, 1984, 2333. u. I. 2 §. 42 gemeint wird, ist unerweislich. — Nachgehends ist der Pl.Beschl. des O.Tr. v. 5. Dez. 1853, lautend: „Hypothekengläubiger sind nach allgemeinen Rechtsgrundsätzen nicht berechtigt, vermöge ilwes dinglichen Hypothekenrechts und lediglich als Folge dieses Rechts die Feuerversicherungsgelder behufs ihrer Befriedigung in Anspruch zu nehmen. Diejenigen Rechte, welche die Hypotheken­ gläubiger aus speziellen Rechtstiteln ableiten, und diejenigen Rechte, welche sie aus den beson­ deren Feuer-Sozietäts-Reglements ableiten können, bleiben bei diesem Grundsätze unberührt" (J.M.Bl. 1854 S. 63 u. Entsch. 27 S. 1), gefaßt worden, wodurch die Praxis wieder in das rechte Geleis gewiesen ist. Diese Meinung hatte schon in dem Erk. IV v. 30. März 1852, Str. Arch. 6 S. 91, Geltung gefunden, ward dann aber wieder angefochten, wodurch der Pl.Beschl. v. 5. Dez. 1853 veranlaßt worden. H. Für diese Frage ist jetzt maßgebend die Bestimmung in dem Eiq.Erw.Ges. v. 5. Mai 1872 §. 30 a. E. 35) Dieser §. scheint zwar dasselbe zu sagen, was schon der §. 42 enthält. Denn im §. 42 wird angedeutet, daß die mit einer anderen Sache in dauernde Verbindung gesetzte, d. h. durch menschliche Willkür damit verbundene, Sache ein Zubehör derselben sei; und der §. 44 sagt gleichfalls, daß die von dem menschlichen Willen ausgegangene Zuschlagung einer Sache zu einer anderen die Pertinenzqualität gebe. Doch sind Verschiedenheiten zwischen beiden Satzungen, die

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Erster Theil.

Zweiter Titel.

§§. 45—48.

§. 45. Auch bewegliche natürliche Zuwüchse einer Sache sind nur so lange, als sie davon noch nicht, vermöge des gewöhnlichen Nutzungsrechts, abgesondert worden, für ein Zubehör derselben anzusehen3Ö).

nämlich, daß der §. 42 sich auf eine einzelne Sache bezieht und eine solche Verbindung beider Körper meint, daß beide ohne mechanischen Zusammenhang neben einander bestehen, sonst würden sie Eine Substanz bilden, wogegen der §. 44 von einem Ganzen (Inbegriff von Sachen) spricht, mit welchem eine körperliche Vereinigung einer anderen körperlichen Sache nicht denkbar ist, daher hier von der juristischen Vereinigung (Zuschlagung) gehandelt wird. Jede dieser beiden Stellen hat mithin verschiedene, einander ausschließende Begriffe zum Gegenstände ihrer Be­ stimmung; sie verordnen aber von beiden das Gleiche, nämlich: die körperliche oder juristische Verbindung einer körperlichen Sache mit einer anderen körperlichen Sache macht solche zum Pertinenz derselben (§. 42), und: die juristische Vereinigung einer körperlichen Sache mit einem Begriffsganzen macht solche gleichfalls zum Pertinenz desselben. Dadurch ist nicht ausgeschlossen, daß, wenn einem Inbegriffe von Sachen eine Sache gleicher Art einverleibt wird, diese nicht Pertinenz, sondern Bestandtheil desselben wird. Neu angeschaffte Schafe, welche der Eigenthümer in seine Schafherde nimmt, sind nicht Pertinenz, sondern Theile derselben. Vergl. Anm. 32. So bei Bibliotheken, Gemäldegallerien u. s. w. Das Gleiche gilt aus gleichen Gründen bei einem Land gute (auch ein Begriffsganzes) durch Einverleibung eines neuerworbenen Ackerstückes. Dieses ist dann ebenso gut ein Gutstheil wie die älteren Ackerstücke, oder man käme zu der Absurdität, daß ein aus unzusammenhängenden Ackerstücken bestehendes Landgut nur Pertinenz­ stücke, aber gar keine Substanz hätte, denn die Gebäude sind eigentliche instrumenta fundi. Auch die Praxis erkennt den Unterschied zwischen Substanztheilen und Pertinenzstücken an. Wenn in den Gründen des Plenarbeschl. v. 22. Dtou. 1847, Entsch. 15 S. 23, gesagt ist (S. 27): „Wird z. B. das Gut unter dem primitiven Namen besessen, und sind demselben von Seiten des Besitzers andere Grundstücke zugeschlagen, so bilden diese nach $. 42 Th. I Tit. 2 ein Per­ tinenz oder Theil des Guts;" so ist damit gemeint: entweder das eine oder das andere. Ganz ausdrücklich ist der Unterschied zur Anerkennung und Geltung gekommen in der Begründung des Pl.Beschl. (Pr. 2616) v. 19. März 1855, Entsch. 30 S. 1 ff., wo es S. 20 heißt: „Schließ­ lich bleibt zu bemerken, daß der vorliegende Fall keine Veranlassung gegeben hat, die erhobene Streitfrage in Bezug auf Pertinenzstücke eines Gutes einer neuen Prüfung zu unterwerfen, daß es aber in jeder einzelnen Sache darauf ankommen wird, festzustellen, ob das geltend gemachte hypothekarische Recht wirklich einen abgetrennten, aber nicht abgeschriebenen Theil der Substanz, oder ein Pertinenzstück betreffe? indem auch Grundstücke Zubehörungen anderer unbeweg­ licher Güter fein können, und namentlich bei Gemeinheitstheilungen und Ablösungen Grund und Boden als Surrogat aufgehobener realer Berechtigungen erworben werden, bei denen dann die bisher fest gehaltene Unterscheidung zwischen Substanztheilen und Per­ ti nenzien von Erheblichkeit sein kann." — Uebrigens bedarf es bei Surrogaten, welche gesetzlich in die Stelle von Pertinenzien treten, nicht der Handlung der Zuschlagung. „Das bei einer Gemeinheitstheilung, einer Regelung behufs der Eigenthumsverleihung oder Ablösung von Reallasten zur Abfindung gegebene Land wird durch das Gesetz Zubehör des Gutes, zu welchem die Sache oder das Recht gehört tycit,. wofür die Abfindung gegeben worden ist. Das Recht darauf geht auf jeden neuen Besitzer dieses Guts über." O.Tr. II (Pr. 2508) v. 31. Jan. 1854, Entsch. 27 S. 194. Vergl. Gem.Theil.O. v. 7. Juni 1821 §. 147. — Durch die Ver­ wertung der Zuschlagung im Hypothekenbuche wird die Pertinenzqualität nicht erst bewirkt, sondern nur kundgethan. O.Tr. III v. 9. Nov. 1860, Str. Arch. 39 S. 197. Vgl. da­ selbst 3 S. 229. Es ist behauptet worden, daß die Zuschlagung unbeweglicher Sachen ausdrückliche Erklärung in schriftlicher Form erfordere, daher die bloß faktische Vereinigung einer unbeweglichen Sache mit einer andern unbeweglichen die eine noch nicht zum Pertinenz der andern mache, z. B. wenn der Besitzer sie zusammen bewirthschaftet. Vgl. S trüben, rechtl. Bed. 1 Nr. 75; 2 Nr. 130. Das O.Tr. ist anderer Meinung (Erk. III v. 26. Jan. 1866, Str. Arch. 61 S. 337), denn „eine besondere Form für die Handlung oder Bestimmung ist nicht vorgeschrieben. Die Hand­ lung oder Bestimmung des Eigenthümers muß nur erkennen lassen, daß die zugeschlagene Sache mit der Hauptsache nicht bloß zu vorübergehenden Zwecken, sondern dauernd verbunden sein soll." Richtig, darauf allein kommt es an. Es handelt sich nicht um die verbindende Form eines Negotiums, sondern nur um die für Jedermann zugängliche Erkennbarkeit eines gewissen Nechtsstandes, wobei das Publikum in Betreff des Eigenthums- und Hypotheken-Verkehrs interessirt. Aber einer stillschweigend und einsam unternommenen Handlung vermag Niemand hinterher anzusehen, in welcher Absicht sie geschehen. H. Gruchot zeigt in den Beitr. 1 S. 129 zu­ treffend, daß es sich um ein Erzeugniß der freiesten Privatwillkür des Eigenthüiners handelt und es an einer Person fehlt, der gegenüber eine schriftliche Erklärung abgegeben werden kann. S. auch Fö rster-Eccius, Theor. u. Pr., §. 21 Note 35, und Dernburg, Lehrb. 1 §. 62.

Von Sachen und deren Rechten überhaupt.

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§. 46. Die Nebensache, ohne welche die Hauptsache zu ihrer Bestimmung nicht gebraucht werden kann, wird, auch ohne die ausdrückliche Erklärung, als Zubehör angesehen 36 37). §. 47. Was zum Pertinenzstücke gehört, das gehört auch zur Hauptsache38).39 §. 48. Als Pertinenzstücke eines Landgutes werden, in der Regel, alle dar- M"c?ncs auf befindliche Sachen angesehen, welche zum Betriebe des Ackerbaues und der Land»ursViehzucht gebraucht werden3Ö). 36) Das bezieht sich vermuthlich auf Junge, die sich noch bei dem Mutterthiere befinden. Aber wie lange bleiben sie denn Zubehör, wenn vermöge des Nutzungsrechts keine Trennung vorgenommen wird? Pfauen z. B. begleiten die Mutter und folgen ihr Jahr und Tag in gleicher Weise, wie am Tage ihrer Geburt, und verlieren sich dann erst allmählich. Die Bestimmung kann im Verkehre nachtheilig werden und Prozesse verursachen, wenn nicht angenommen wird, daß sie sich nur auf das Verhältniß des Eigenthümers zum Nutzungsberechtigten bezieht, auf welches sie zu beschränken ist. Bei Pachtungen wird der Satz am Anfänge und Ende praktisch wichtig. — Von den „gewöhnlichen" die Substanz verringernden Nutzungen gilt der Satz nicht unbedingt. 37) H. Als Zubehör einer Wassermühle ist nach §. 46 zwar das Recht auf die Benutzung des die Mühle treibenden Wassers in dem Mühlgraben anzusehen, hieraus folgt aber noch nicht die Zubehörigkeit des Mühlgrabens selbst. O.Tr. II v. 29. April 1873, Str. Arch. 89

38) L. 12 §. 6 D. de instructo (XXXIII, 7). Hommel, Rhapsod., obs. 204 n. 25. — Die Bauholzgerechtigkeit einer Wassermühle erstreckt sich auch auf die Abschlagsschleuse des zur Mühle gehörigen Mühlteiches. O.Tr. II v. 4. Mai 1852, Str. Arch. 6 S. 137. Vergl. unten §. 105 d. T. und I. 22 §. 208. 39) Unter Landgut wird hier ein Inbegriff von, zum Zwecke des Ackerbaues und der Viehzucht vereinigten, unbeweglichen und beweglichen Sachen verstanden, gleichviel, ob die (Grund­ stücke auf städtischem Territorium liegen, oder ob sie zum platten Lande gehören. O.Tr. III v. 28. Febr. 1863, Str. Arch. 51 S. 9. Vergl. I. 21 §§. 151, 169. Der §. 188 I 14 meint damit jedes Acker-, Wiesen- und Gartengrundstück. Die eigentliche Bedeutung des Ausdruckes muß jedes Mal aus dem Gegensatze oder Zusammenhänge entnommen werden. Der Begriff „Sachen" ist zu eng, auch Dienste und Leistungen der Bauern, namentlich auch der früheren Laßbauern, werden als Pertinenzstücke des berechtigten Hauptgutes angesehen. Man hat darüber gestritten: ob sie für Theile der Substanz oder für Pertinenzien zu erachten. Die Entscheidung ist endgültig für die Pertinenzqualität ausgefallen. O.Tr. Pl. v. 29. April 1839, Entsch. 5 S. 1. An sich müßten die bäuerlichen Höfe freilich als Gutstheile und die dafür zu leistenden Dienste und Abgaben (oder die dafür zu entrichtende Ablösungssumme als Kaufpretium) für Bestandtheile angesehen werden. Allein aus publizistischen Gründen sind die statt Lohnes zur Nutznießung an Hofleute überlassenen Grundstücke durch positive Gesetze für selbstständige Besitzthümer erklärt worden, wodurch eine juristische Trennung derselben von bein Gute eingetreten war. Dadurch war ein Theil der Gutsfeldmark gleichsam in bewegliche Jnventarienstücke des Gutes verwandelt worden, indem die Inhaber jener Grundstücke dem Gute die Arbeiter sammt dem Zugviehe und Geräthe vorhalten mußten. In Stelle der abgetrennten Gutstheile waren die instrumenta fundi des Hauptgutes getreten. Die Ablösung solcher Leistungen und Dienste steht der Abtretung eines Pertinenzstückes gleich, auch hier tritt das Ablösungskapital (Pretium) nicht in die Stelle der Sache (Anm. 26), wenn nicht etwa die Dienste im Hypothekenbuche des berechtigten Gutes als Pertinenzstücke ausdrücklich vermerkt stehen, d. h. derjenige, welcher erst nach der Trennung das Gut oder eine Hypothek daran erwirbt, hat ohne solchen ausdrücklichen Vermerk kein Recht auf das abgetrennte Stück oder dessen Pretium. I. 20 §§. 443, 444. Deshalb gehen dergleichen Ablösungskapitalien bei einer nothwendigen Subhastation, wenngleich eine Abschreibung der Prästationen im Hypo­ thekenbuch des berechtigten Gutes nicht erfolgt ist, nicht auf den Adjudikatar über, sofern durch den Kontrakt (Adjudikatoria) nicht ein anderes festgesetzt ist. O.Tr. II (Pr. 1315) v. 23. Juni 1843. Müßten die Dienste u. s. w. für Substanztheile angesehen werden (Anm. 35), so würde das Verhältniß sich anders stellen. Der Begriff des Betriebes der Viehzucht ist nicht dahin beschränkt aufzufassen, daß darunter nur ein Züchten von Vieh zum Verkaufe, d. h. zum gewerbsmäßigen Handel, zu ver­ stehen, vielmehr genügt es dem Begriffe der Viehzucht, wenn sie auch lediglich im Interesse der Landwirthschaft gepflegt wird. O.Tr. III v. 27. Febr. 1863, Str. Arch. 51 S. 10. Daß eine Sache noch nicht gebraucht worden, ist für die Pertinenzqualität ohne Er­ heblichkeit, es ist hinreichend, wenn sie vorhanden und zum Gebrauche an Ort und Stelle bereit ist. (H. Vgl. jedoch O.Tr. III v. 12. Juni 1863, Entsch. 50 S. 240.) Nur ein Vorrath zum

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Erster Theil.

Zweiter Titel.

§§. 49—60.

§. 49. Auch Vorräthe von Gutserzeugnissen, welche erforderlich sind, um die Wirthschaft so lange fortzusetzen, bis dergleichen Erzeugnisse aus dem Gute selbst, nach dem gewöhnlichen Laufe der Natur, wieder genommen werden können, werden zum Zubehör desselben gerechnet4^. §. 50. Auch das Feldinventarium41 * *),42 * *an * * Düngung, * 40 Pflugarten und Aussaat, gehört zu den Pertinenzstücken eines Landgutes. §. 51. Desgleichen aller Vorrath an natürlicher und künstlicher Düngung4^). Ersätze erst künftig abgehender Stücke kann nicht als Zubehör angesehen werden. — Auch die Küchengeräthe, welche für die Wirthschaftsküche bestimmt sind, gehören zum Zubehör eines Land­ gutes. L. 18 §.3 D. de instructo (XXXIII, 7). — Uebrigens ist hier nur von den Zu­ behörungen eines Landgutes als solchen Rede. Ist ein Wohnhaus auf demselben, so gelten von diesem die §§. 75 ff. noch außerdem. H. Ueber die verschiedenen Formeln, welche bei Gutsverkäufen für die Eigenthumsüber­ lassung, namentlich in Betreff des Inventars üblich sind, vgl. Zettwach, Anw.Zeit. 1865 S. 369. 40) Diese sollen nicht als selbstständige Sachen der Exekution unterworfen sein. A.G.O. I. 24 §§. 71, 97. (H. Vgl. C.P.O. §. 715 Nr. 5.) Diese Vorschrift ist positiver, zwingender Natur; folgerecht würde der Gläubiger dieses Pertinenz nicht weniger als die Hauptsache selbst anzugreisen berechtigt sein. — Man hat einen Widerspruch zwischen dem §. 49 u. I. 20 §§. 475 u. 476 gefunden. Allein der §. 49 u. 475 begegnen sich nicht; der §. 49 bezieht sich auf ab­ gesonderte und der §. 475 auf unabgesonderte Früchte, welche nicht Pertinenz, sondern Theil der Hauptsache sind. Der §. 475 war aber eine nothwendige Bestimmung, um den Hypotheken­ gläubiger gegen den Nutzungsberechtigten (I. 9 §. 221) zu schützen. Der §. 476 I. 20 begegnet dem §. 49 auch nicht, denn er sagt nicht, daß abgetrennte Früchte in der hier im §. 49 voraus­ gesetzten Beziehung und Ausdehnung Pertinenzstücke nicht sein könnten, sondern nur, daß ein Hypothekargläubiger die bereits vor der Beschlagnahme geschehene Veräußerung nicht rückgängig machen könne. Die Exekutionsvollstreckung selbst aber ist sonst in abgesonderte Früchte gegen den persönlichen Schuldner ohne Beschränkung, und gegen den bloßen Hypothekenschuldner in soweit, als die Früchte Pertinenzstücke sind, zulässig. Will der Gläubiger die Veräußerung ab­ gesonderter Früchte in einer weiteren Ausdehnung hindern, so muß er die Beschlagnahme vor der Absonderung ausbringen. Dies ist der eigentliche Inhalt des §. 476. Vergl. übrigens I. 21 §. 603. — H. Ueber das Verhältniß des §. 49 zu §§. 475 u. 476 I. 20 vergl. die Abhandl. von Johow in Behrends Zeitschr. 5 S. 313 u. O.Tr. III v. 14. Jan. 1878, Str. Arch. 98 S. 225 (231). — Befindet sich auf einem in Beschlag genommenen Gute eine Ziegelei, so -ist das vorräthige, zum Betriebe der letzteren bestimmte und bis zur nächsten Holzfällung er­ forderliche Holz als Zubehör anzusehen. O.Tr. Strass. I v. 8. März 1871, Oppenh. Rechtspr. 12 S. 147. 41) Unter Feldinventarium wird der Zustand des Feldes nach den hier angegebenen Rubriken verstanden, nämlich: wann, wie stark und womit die einzelnen Felder oder Gewende gedüngt worden, ob srisch, ob vor einem Jahre oder vor zwei oder mehreren Jahren, was man auch die Trachten (erste, zweite u. s. w. Tracht) nennt; ferner: wie vielsährig die einzelnen Ab­ theilungen des Feldes bestellt worden sind, ob ein-, zwei-, dreifährig u. s. w.; ferner: womit und mit wie viel Scheffel auf den Morgen die Felder besäet worden sind. Auf diese Zustände paßt der Begriff von Pertinenzen gar nicht; das Verzeichniß stellt die Beschaffenheit des Feldes zu einem bestimmten Zeitpunkte dar und dient nur dazu, die Beschaffenheiten desselben zu ver­ schiedenen Zeiten zu vergleichen und darnach, die Verbesserung oder die Verschlimmerung desselben festzustellen. Vgl. I. 21 §§. 610—614. 42) Alle diese Ausdrücke sind nicht recht passend. Unter „Düngung", was doch eigentlich das Verfahren, Aecker künstlich fruchtbar zu machen, bedeutet, sollen hier die Düngmittel, der Dünger verstanden sein. Diese Mittel sind eigentlich alle natürlich, denn sie werden alle aus Naturstoffen oder Naturprodukten bereitet. Das gewöhnliche Düngmittel ist ein Gemisch von verschiedenen Erzeugnissen der organischen Schöpfung, der sog. animalisch-vegetabilische Dünger. Ob sich auf diesen allein die Bezeichnung „natürlicher" beziehen soll, steht dahin. Denn sehr vielfach werden auch Substanzen der unorganischen Schöpfung angewendet, wie Kalk, Mergel und andere Salze, welche nicht weniger natürlicher Dünger sind. Das ist auch der Fall mit den verschiedenen chemischen Mischungen verschiedener Salze und Erden. Muthmaßlich aber sind mit dem „künstlichen" Dünger diese chemischen Zubereitungen gemeint. Da jedoch alle und jede Düngmittel verstanden sein sollen, so kommt auf die Unterscheidung nichts an. Praktisch wich­ tiger ist die Frage: ob die vorräthigen Substanzen zur Düngerbereitung, als: Stroh, Wald­ streu, Moos, Düngererde, Mergel u. dergl., zum Gute gehören. Es ist zu bejahen, in soweit die Vorräthe aus dem Gute selbst genommen sind. Denn sie sind rohe Wirthschaftsvorräthe, welche nicht zur Verwerthung, sondern nur zur Fortstellung der Wirthschaft bestimmt sind. Vergl.

Von Sachen und deren Rechten überhaupt.

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§. 52. Alles auf dem Gute befindliche, zu dessen Bewirthschaftung bestimmte Zug- und Lastvieh, ingleichen alles vorhandene nutzbare Vieh, nebst den zu beiden gehörigen Geräthschaften 43)f sind Pertinenzstücke dieses Landgutes. §. 53. An jungem Vieh wird so viel zum Zubehör des Gutes gerechnet, als zur Unterhaltung des Bestandes erforderlich ist. §. 54. Vieh, welches bloß zum Verkauf oder Hausgebrauch auf die Mast gestellt worden, ist kein Pertinenzstück eines Landgutes. §. 55. Die in den Teichen zur Besaamung oder zum Wachsthume ausge­ setzten 44) Fische werden als Zubehör des Teiches angesehen. §. 56. Dagegen werden Fische in den Behältern dazu nicht gerechnet. §. 57. Ueberhaupt sind Thiere, welche bloß zum Haus- oder persönlichen Gebrauche, oder zum Vergnügen des Besitzers, gehalten werden, unter den Pertinenz­ stücken eines Landgutes nicht mit begriffen. §. 58. Gemeine Hühner, Gänse, Enten, Tauben und Truthühner, werden zu den Pertinenzstücken eines Landgutes gerechnet. §. 59. Seltene Arten von Federvieh gehören nur in so weit zu heu Pertinenz­ stücken, als nicht gemeine Arten derselben Gattung in einer verhältnißmäßigen Anzahl vorhanden sind. §. 60. In so fern alle vorstehend benannte Stücke bei einem Gute zwar be­ findlich, aber nicht dem Eigenthümer desselben, sondern einem Dritten, zuständig sind 45), haben sie nicht die Eigenschaft der Pertinenzstücke46). 43) Vergl. oben §. 16 u. Arrrn. 16 dazu. 44) Man hat gegen diesen §. erinnert, daß nicht der Zweck oder die Thatsache des Aus­ setzens, sondern nur oas Vorhandensein der Fische im Teiche die Pertinenzqualität entscheide (Revisoren, S. 13 des Entw.), sowie, daß ein Teich noch andere Pertinenzien habe. Beides mit Unrecht. Daß Fische, welche sich im Teiche befinden, ohne darin ausgesetzt worden zu sein, dazu gehören, gleichwie die Schütze, das versteht sich von selbst; gestritten werden kann aber darüber: ob die bei einer regelmäßigen Teichwirthschaft von Zeit zu Zeit ausgesetzten sog. Streichfische („zur Besaamung") und die wieder in andere (Streck-) Teiche ausgesetzten sog. Abwachskarpfen („zum Wachsthume"), ingleichen die nach Verlauf der Besatzzeit wieder herausgenommenen und in anderes Wasser („Behälter") gesetzten Fische Zubehör seien oder nicht. Hierüber entscheiden die §§. 55 u. 56. Ueber den in den Streichteichen von den Besaamungsfischen erzeugten Saamen enthalten sie gleichfalls keine Bestimmung. Dennoch bezweifelt Niemand, daß die nicht ein­ gesetzten, sondern im Teiche ursprünglich entstandenen Fische zum Teiche gehören. Steht die Fischgerechtigkeit einem Anderen außer dem Eigenthümer zu, so gehören dergleichen Besatzfische, wenn sie der Fischberechtigte eingebracht hat, zu dessen Gerechtigkeit. Vgl. §. 60. 45) Dies hat derjenige, welcher es behauptet, zu beweisen; der Eigenthümer der Haupt­ sache ist den Beweis, daß die fraglichen Sachen, welche nach dem Gesetze für Zubehör zu er­ achten, nicht Eigenthum eines Dritten sind, zu führen nicht gehalten, weil die §§. 60 u. 108 nicht ein Erforderniß der Pertinenzqualität einer Sache, sondern vielmehr eine Ausnahme der all­ gemeinen Regel des §. 42 feststellen. O.Tr. III v. 12. Juni 1863 u. 5. Mai 1865, Str. Arch. 50 S. 243 u. 59 S. 122. 46) Vergl. §. 108. Wörtlich paßt d^r Grundsatz z. B. auf den Fall, wenn ein leeres Gut

verpachtet ist und der Pächter alle Geräthschaften u. s. w. angeschafft hat. Die Hypothekar­ gläubiger haben an diesen Sachen, unter dem Prätexte der Pertinenzqualität, keinen Anspruch, sie müssen selbst das neu geschaffene Feldinventarium (§. 50) vergüten. Der Grundsatz findet aber auch bei dem getheilten Eigenthume auf das Verhältniß zwischen dem Ober- und nutzenden Eigenthümer Anwendung. Hat ein Erbzinsmann auf einem ihm zu Erbzinsrechten verliehenen Acker ein Gebäude, welches nach der ursprünglichen Bestimmung dieses Grundstücks nicht er­ forderlich war, errichtet, so wird dasselbe kein Theil oder Pertinenzstück des Erbzinsgutes, sondern bleibt eine Superficies des Erbzinsmannes, und wird deshalb dem Erbzinsherrn nicht laudemialpflichtig. Das Gleiche gilt von dem Inventarium unter der gleichen Voraussetzung: die an­ geschafften Stücke sind in Beziehung auf den Obereigenthümer gleichfalls keine Pertinenzstücke geworden. I. 18 §. 721. O.Tr. Entsch. 15 S. 27. — (H. Auch Jnventarienstücke, welche der vollständige Besitzer eines Landgutes anschafft, werden dem Eigenthümer des Letzteren gegenüber nicht Pertinenz. O.Tr. I v. 16. Febr. 1872, Entsch. 66 S. 1.) Die §§. 60 u. 108 bestimmen jedoch nur, daß die bezeichneten Sachen nicht als Pertinenzien anzusehen sind, wenn sie von Anfang ihres Dortseins einem Anderen als dem Eigenthümer des Gutes gehören; sie bestimmen

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Erster Theil.

Zweiter Titel.

§§. 61—76.

§. 61. Was von Pertinenzstücken eines Landgutes verordnet ist, gilt auch von dem Zubehöre der bei einem städtischen Grundstücke befindlichen Vieh- und Ackerwirthschaft. §. 62. Risse, Karten, Urkunden und andere Schriften, welche zur näheren Kenntniß eines Grundstückes, oder zur Begründung der Gerechtsame desselben dienen, sind als Pertinenzstücke davon anzusehen47). §. 63. Betreffen dergleichen Urkunden zugleich andere Gegenstände, so muß der Uebernehmer der Hauptsache mit beglaubten Auszügen oder Abschriften davon sich begnügen4^. eines §. 64. Forstgeräthschaften £ ------ ’ ** ' ~ " sind Pertinenzstücke eines Waldes49). Waldes, §. 65. Geschlagenes Holz wird zu den Pertinenzstücken eines für sich allein betrachteten Waldes nicht mit gerechnet ^0). §. 66. Ist aber von einem Gute die Rede, bei welchem sich ein Wald be­ findet, so wird von dem vorhandenen geschlagenen Holze so viel, als zur Fortsetzung der Wirthschaft bis zum nächsten gewöhnlichen Holzschlage erforderlich ist, zum Zubehöre dieses Gutes gerechnet (§. 49). einer Jagd­ §. 67. Zur Jagdgerechtigkeit gehören alle vorräthige Netze, Lappen, und gerechtigkeit, andere dergleichen Jagdgeräthschaften; nicht aber das Schießgewehr, die Jagdhunde und Pferde, oder andere zum persönlichen Gebrauche des Jagenden bestimmte Stücke. einer Brau; §. 68. Zur Brau- oder Branntweinbrennerei-Gerechtigkeit52) gehören die im w-inl>r-nne-Brau- ober Branntwein-Hause und Keller befindlichen Pfannen, Töpfe Kesfel, Fässer und andere Geräthschaften "). aber nicht, wie eine dem Eigenthümer des Gutes von Anfang gehörige Sache aufhört, ein Pertinenzstück zu sein, und daß sie durch Veränderung ihres Eigenthümers aus dem dinglichen Rechte des Hypothekengläubigers ausscheide. O.Tr. III v. 12. Mai 1854, Str. Arch. 13 S. 96. — H. Wenn mit einem Gute Jnventarienstücke, die einem Dritten gehören, zur Subhastation ge­ langt sind, und der Dritte in Gemäßheit der Subh.O. §. 13 Nr. 7 u. §. 43 mit seinen An­ sprüchen präkludirt ist, so schließt diese Präklusion trotz der §§. 60 u. 108 die Vindikation der Jnventarienstücke gegen den Ersteher aus. O.Tr. III v. 15. Sept. 1873, Entsch. 70 S. 247; R. G. II H. v. 22. Nov. 1880, Gruchot 25 S. 933. 47) Wenn sie auch auf Verfügung des Gerichts zum Zwecke der nothwendigen Subhastation geschaffen worden sind, denn diese Anschaffung geschieht auf Kosten des Eigenthümers, mithin tritt nicht der Fall des §. 60 ein. Zu den Karten gehören die Vermessungsregister. Reskr. d. J.M. v. 25. Juli 1837, Jahrb. 50 S. 11. H. Die über Nachlaßkapitalien lautenden Dokumente gehören zum Nachlasse, und der Nieß­ braucher des Nachlasses hat daran ein Besitzrecht während der Dauer des Nachlasses. O.Tr. I v. 12. Jan. 1874, Str. Arch. 91 S. 13. 48) Der Vorwand aber, daß der Verkäufer zur Eviktionsleistung verpflichtet sei und dazu der Urkunden bedürfe, ist nicht hinreichend zur Zurückhaltung der Originalien. Vergl. I. 11 §. 126. 49) Auch diese Bestimmung soll die Aufzählung der Pertinenzstücke nicht erschöpfen. Daß Försterwohnungen und sonstige im Forste befindliche Gebäulichkeiten zum Walde gehören, versteht sich. 50) Wohl aber Windbrüche und aus Alter umgefallene Bäume, so lange sie sich in ihrer natürlichen Lage befinden. Vergl. I. 21 §. 33. — Aber auch geschlagenes Holz ist, so lange es aus demselben nicht fortgeschafft und dadurch räumlich getrennt ist, durch Verkauf, Uebergabe und Fällung aus dem dinglichen Rechte des Hypothekengläubigers nicht für geschieden zu achten, wenn und soweit der Holzschlag die Grenzen einer forstwirthschaftlichen Benutzung überschritten hat. Pr. 2239 v. 23. Sept. 1850. Das gilt jedoch nur in Beziehung auf den schon vorhandenen älteren Realberechtigten. Vergl. auch O.Tr. v. 15. April 1848, Entsch. 16 S. 349. Ist die Frage von einer späteren Erwerbung des Ganzen, so kann der Erwerber die als einzelne Sachen schon früher vom Ganzen veräußerten und wirklich übergebenen Theile und Pertinenzstücke nicht ansprechen, wenn sie auch noch nicht abgeholt worden sind. O.Tr. v. 9. Mai 1845, Entsch. 11 S. 207. 51) Solche giebt es seit dem Ges. v. 31. Okt. 1848 nicht mehr. Aber alle Jagdgeräth­ schaften werden nun als Zubehör des Landgutes, auf dessen Gemarkung die Jagd betrieben wird, anzusehen sein, weil die Jagd eine Wirthschaftsrubrik ist. Nach Analogie des §. 69. 52) Oder eine Propinationsanstalt überhaupt, auch ohne Gerechtigkeit im rechtlichen Sinne. 53) Auch Waagen und Gewichte. Keineswegs vorräthige Materialien an Hopfen, Malz, Holz u.,bergt. Vergl. §. 93.

Von Sachen und deren Rechten überhaupt.

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§. 69. Wird aber eine solche Gerechtigkeit selbst als Zubehör eines Hauses oder Landgutes angesehen, so haben alle zum Gebrauche dabei bestimmte Geräthschaften, welche sich an dem Orte befinden, die Eigenschaft der Pertinenzstücke54). §. 70. Alle zum Behufe eines Weinberges angelegte Geländer und Pressen, einbcc5rfl®cin= ingleichen die dazu gehörigen Geräthschaften5S), wie auch die zur Bearbeitung des Weinberges, Einsammlung der Trauben und Verwahrung des Mostes, nicht aber zur fernern Aufbewahrung des Weins, vorhandenen Geräthschaften und Gefäße, sind für Pertinenzstücke dieses Weinberges zu achten. §. 71. Alle in der Schcnkstube und in dem Keller vorräthige Schankgeräthschäften gehören zu der Schankgerechtigkeit, wenn diese mit dem Grundstücke, worauf ‘Wt. sie haftet, zugleich übergeben werden soll. §. 72. Fässer und Gefäße, welche in einem Keller zum beständigen Gebrauche bestimmt sind50), werden, in allen Fällen, als Pertinenzstücke des Kellers betrachtet. §. 73. Zu einem Garten57) gehören alle zu dessen Anbaue, Gebräuche und Gariens. Auszierung dienende Geräthschaften"), Gefäße, Rüstungen und Gebäude. §. 74. Besonders werden dazu Orangerie und Blumen, nebst den Bildsäulen und Gemälden, die in freier Luft aufgerichtet sind, gerechnet"). §. 75. Die Pertinenzstücke der Gebäude müssen nach den verschiedenen Be- ©cSk stimmungen derselben beurtheilt werdenö0). §. 76. Zu einem Wohnhause gehört alles, ohne welches dasselbe weder be­ zogen, noch vollständig bewohnt werden kann. 54) Befindet sich eine Brennerei auf einem Landgute, so gehören auch die zu der Brennerei gehörenden beweglichen Pertinenzstücke zu dem Inventar des Landguts (§. 103). Dies gilt auch von denjenigen an sich beweglichen Pertinenzien, welche mit dem Brennereigebäude in feste Verbindung gesetzt sind (§§. 79, 80). O.Tr. III v. 14. Rov. 1864, Str. Arch. 55 S. 287. — H. Die 68 u. 69 handeln nur von dem Zubehör einer Brau- und Brennerei-Gerechtigkeit. O.Tr. v. 14. Febr. 1851, Gruchot 1 S. 131. 55) Namentlich die im Gebrauche befindlichen, und bereits zur Verwendung bestimmten Pfähle, nicht aber der zum künftigen Gebrauche vorhandene Vorrath an Pfählen. Vergl. L. 17 §. 10 D. de act. emti (XIX, 1). 56) Die Bestimmung wird ohne äußeres Merkmal oft schwer zu erkennen sein. Die Be­ festigung ist wohl entscheidend, doch nicht der einzige Beweis. „Dolia — si ita illigata sint aedibus, ut ibi perpetuo posita sint.“ L. 26 pr. D. de instructo (XXXIII, 7). — Wegen der Gefäße von flüssigen Sachen, welche den Gegenstand eines Vermächtnisses bilden, vgl. I. 12 §. 407. 57) Zu einem Hopfengarten gehören auch die im Gebrauche befindlichen Stangen. Vgl. Anm. 52. 58) Dazu würden auch Leitern, Gießinstrumente, Gartenscheeren, Messer, Raupeisen u. dergl. Gärtnerwerkzeuge gehören, was nicht gemeint sein kann. Damit verhält es sich wie mit den zürn persönlichen Gebrauche bestimmten Jagdgeräthen, §. 67. 59) Eine Nachbildung der L. 12 §. 23 D. de instructo (XXXIII, 7). 60) Die Pertinenzstücke sind eine künstliche Erweiterung der Hauptsache und können nur durch die wirklich auch ausgeführte Bestimmung des Eigenthümers, wenn er zugleich Eigenthümer der Hauptsache ist, in dieses Verhältniß gesetzt werden. Die Bestimmung kann formlos, auch durch bloße Handlung oder Verwendurrg geschehen. §. 44. Daraus entsteht jedoch die Schwierig­ keit, die Pertinenzeigenschaft, bei entstehendem Streite darüber, zu erkennen. Dabei soll der Richter im Allgemeinen auf die Bestimmung des Gebäudes sehen und nach dem Gebrauche, oder der Verwendung, welche man von den darin befindlichen beweglichen Sachen macht, je nachdem solcher der Bestimmung des Gebäudes dient, oder nicht, ermessen: ob die Sache für ein Pertinenzstück zu halten. Dieses Prinzip spricht der §. 75 aus. Es ist der röm. Grundsatz: aedibus distractis vel legatis, ea esse aedium solemus dicere, quae quasi pars aedium, vel propter acdcs habentur, ut puta puteal. L. 13 §. 31 D. de act. emti (XIX, 1). Der Gebrauch, wozu die Sache bestimmt ist, muß ein bleibender sein; ein bloß gegenwärtig gemachter Gebrauch macht eine Sache nicht zum Pertinenzstücke. L. 17 §. 7 D. eodem. — Die folgenden §§. 76 ff. enthalten Anwendungen dieses Grundsatzes und Entscheidungen zweifelhafter Fälle. H. Die­ selben wollen aber nicht erschöpfende Bestimmungen treffen, sondern nur das ausgestellte Prinzip erläutern; es kann daher auch in anderen Fällen die Pertinenzeigenschaft begründet sein. O.Tr. III v. 20. Jan. 1873, Str. Arch. 87 S. 337.

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Erster Theil.

Zweiter Titel.

§§. 77-93.

§. 77. Möbeln, Hausrath und Geräthschaften gehören nicht nothwendig zum Hause. §. 78. Sie werden aber dazu gerechnet, wenn sie, ohne Beschädigung des Baues, nicht weggenommen werden sönnen61).62 63 §. 79. Dagegen sind Geräthschaften, welche, nach der Bestimmung eines Ge­ bäudes 6-), zum Betriebe eines gewissen Gewerbes gewidmet sind, für ein Zubehör des Gebäudes anzusehen. §. 80. Es wird vermuthet, daß eine bewegliche Sache zum Pertinenzstücke eines Gebäudes bestimmt sei, wenn dieselbe eingegraben, eingegossen, eingemauert, oder durch Zimmerarbeit damit verbunden ist03). §. 81. Diese Vermuthung fällt aber weg, wenn aus der eigenthümlichen Be­ schaffenheit eines solchen Stückes erhellet, daß dasselbe nicht zum Gebrauche des Hauses, sondern der Person des bisherigen Besitzers, oder einer beweglichen Sache,

die selbst kein Pertinenzstück ist, bestimmt gewesen. §. 82. Befestigte Schlösser64),65und die dazu gehörenden Schlüssel, nicht aber die Vorlegeschlösser ®®), sind Pertinenzstücke eines Gebäudes. §. 83. Angeschlagene Wandtapeten, ingleichen die in der Wand befestigten Jalousien und Fensterladen, desgleichen Hausglocken und Bratenwender 66),67so wie alle Kaminbretter, sind für Pertinenzstücke zu achten. §. 84. Eben diese Eigenschaften haben selbst bewegliche Oefen und Ofenthüren, ingleichen Haus- und Boden-Leitern und Feuer-Lösch-Jnstrumente. §. 85. Dagegen werden Kleider- und Bücher-Schränke, wenn sie auch in oder an der Wand befestigt worden, dafür, im zweifelhaften Falle, nicht geachtet®^). §. 86. Schränke und Bettstellen aber, die in der Mauer selbst befestigt sind, werden für Pertinenzstücke angesehen. §. 87. Buden und Kramladen, welche an ein Haus angebaut sind, und mit diesem bisher einerlei Eigenthümer gehabt haben, werden als ein Theil des Hauses betrachtet68). 61) Oder wenn das Haus in Pausch und Bogen verkauft ist. I. 11 §. 88. 62) Das Gebäude muß hauptsächlich zu dem Gewerbebetriebe bestimmt sein, wie z. B. eine Lohgerberei, eine Glasschleiferei, eine Brennerei (Anm. 52) und dergleichen Fabrikgebäude. Wenn aber in einem bestimmten Raume eines Wohnhauses eine sog. Werkstelle nebenbei ein­ gerichtet wird, so werden die darin befindlichen Werkzeuge nicht als Zubehör des Hauses an­ gesehen werden dürfen. Unter Umständen kann es zweifelhaft sein, namentlich bei Schmiede­ werkstätten, welche in einem Wohnhause eingerichtet sind. Hierbei entscheidet die Bezeichnung des Gegenstandes des Kaufes oder Legates. Wird das Wohnhaus verkauft, so gehört das Schmiedewerkzeug nicht dazu; ist das Haus nebst Schmiede als Gegenstand genannt, so sind die Schmiedegeräthschaften Zubehör. — Vorhandene Schulbänke eines Schullokales stellen sich in baulicher Beziehung als ein Bestandtheil des Schulgebäudes selbst dar. Was vom Ge­ bäude im Ganzen, hinsichtlich der Bau- und Reparaturpflicht, gilt, muß auch in Betreff seiner einzelnen Bestandtheile gelten. O.Tr. I v. 9. Nov. 1863, Str. Arch. 52 S. 89. 63) Die Römer nennen solche Sachen fixa vincta (L. 38 §. 2 D. de act. emti, XIX, 1), im Gegensatze von ruta caesa (L. 17 §. 6 I). eodem). Es ist dasselbe, was die Praktiker erd-, wand-, band-, mauer-, niet- und nagelfest nennen. Eine solche mechanische Verbindung ist, wenn nicht andere Umstände dagegen sprechen (§§. 81 und 85), ein so starkes Zeichen für die Bestimmung des Gegenstandes zum Pertinenzstücke, daß sie schon für sich allein ein hinreichender Beweis dafür ist, der durch Gegenbeweis widerlegt werden muß. Die hier angegebenen Befestigungsarten sind auch nur Beispiele. Vergl. oben Anm. 52. — H. Sofern aber die fest verbundene Sache Substanztheil geworden, ist sie nicht Zubehör. Vgl. Anm. 8 zu §. 6. 64) Diese sind eigentlich pars aedium, wie die Thüren selbst. 65) Von diesen muß ihre Bestimmung zum beständigen Gebrauche besonders nachgewiesen werden. 66) Wenn sie befestigt sind, sonst stehen sie anderen Küchengeräthen gleich. 67) Anwendung des Grundsatzes §. 81. 68) Vergl. oben die Anm. 8 zu §’. 6 d. T.

Von Sachen und deren Rechten überhaupt.

109

§. 88. Materialien, welche zur Ausbesserung, Verschönerung, oder Vergröße­ rung eines Gebäudes bestimmt, und schon auf dem Bauplatze befindlich sind, ge­ hören zu den Pertinenzstücken desselben^). §. 89. Desgleichen diejenigen Materialien, welche von einem eingefallenen oder eingerissenen Gebäude noch vorhanden sind 70). §. 90. Zu einem Gasthofe gehören Betten und alle Geräthschaften, die eigent- ^ner lich zur Aufnahme und Bewirthung der Reisenden und ihres Gespannes bestimmt sind 71). §. 91. Als Zubehör eines Schiffes sind alle dabei befindliche, und zu dessen eines Gebrauche bestimmte Anker, Masten, Taue und andere Schiffsgeräthschaften, ingleichen Kanonen, nicht aber anderes Gewehr, und noch weniger Munition oder Kriegsbedürfnisse, anzusehen 72). 1. Allg. Deutsches Handelsgesetzbuch. Art. 443. Unter dem Zubehör eines Schiffs sind alle Sachen begriffen, welche zu dem bleibenden Gebrauch des Schiffs bei der Seefahrt bestimmt sind. — Dahin gehören insbesondere auch die Schiffsboote. — Im Zweifel werden Gegenstände, welche in das Schiffsinventar eingetragen sind, als Zubehör des Schiffs angesehen.

§. 92. Zu einer Mühle gehört, außer den Geräthschaften, welche zum Betriebe einer Mühle, des Werks dienen, auch das vorräthige, zur Ausbesserung bestimmte Schirrholz und Eisengeräthe7:$). §. 93. Zu den Pertinenzstücken einer Fabrik werden nur die zu deren Betrieb ^mer bestimmten Geräthschaften, nicht aber die vorräthigen Materialien, oder in der Arbeit befindlichen, und noch weniger die bereits verarbeiteten Sachen gerechnet74). 69) Im R.R. wird das Gegentheil angenommen. L. 17 §. 10 D. eod. 70) So wie diejenigen Stücke, welche von einem noch stehenden Gebäude herausgenommen sind und später wieder eingefügt werden sollen. Vergl. L. 17 §. 10 cit. 71) Und dieser Bestimmung gemäß auch in Gebrauch genommen sind. Damit stimmen auch die gemeinrechtlichen Praktiker jener Zeit überein. Unter v. A. s. m. Schiller, Exercit. 4 §.23 p. 85; Carpzov, 3 const. 24 des. 10; Berger, Electa 35 obs. 2 p. 1470 et Oec. jur. II. 1 §. 7. Das praktisch Wichtige ist auch hierbei die Beweisführung. Ein erheblicher Umstand ist der Ort, wo die streitigen Möbel und Betten sich befinden, namentlich ob sie in den zur Aufnahme von Fremden bestimmten Zimmern angetroffen werden, oder ob sie gar mit der Zimmernummer bezeichnet sind. 72) Diese Bestimmung gilt nur noch für solche Schiffe, auf welche der Art. 443 des H.G.B. keine Anwendung findet. — Die röm. Juristen waren über die Pertinenzeigenschaft des Bootes uneinig, welche schließlich verneint wurde. L. 29 D. de instructo (XXXIII, 7); L. 44 D. de evict. (XXI, 2). 73) Diese Bestimmung bezieht sich aus die Maschine und deren Zubehör. Was zu einer vollständig eingerichteten Mühlenwirthschaft und zu dem Betriebe des Müllergewerbes noch sonst gehört, ist eine hier nicht berührte Frage. Diese ist nach der getroffenen Einrichtung und Be­ stimmung des Müllers, der in seinem Eigenthume das Gewerbe treibt, zu entscheiden. Hat er dazu Zug- und Lastthiere und Wagen bestimmt, um Getreide herbeizuholen und Mehl abzu­ führen, so gehören diese Gegenstände als Pertinenzstücke zu der Mühlenwirthschaft. Ob Mühl­ esel und 'Pferde als zur Mühle gehörig zu erachten, oder nicht, darüber existirt eine Kontroverse des R. R. nicht, wie man in den Ergänz, zu §. 92 voraussetzt. Die L. 12 §. 10 und die L. 18 §. 2 D. de instructo beziehen sich gar nicht auf diese Frage, sondern auf bewegliche Mühlen bei Landgütern, und widersprechen sich auch nicht, denn die Meinung des Labeo im §. 2 wird reprobirt. — „Ein Mühlenteich," sagt das O.Tr. in dem Erk. III v. 10. Nov. 1862, Str. Arch. 47 S. 155, „ist gemeinrechtlich niemals als Pertinenz der Mühle erachtet worden, sondern nur der Mühlkanal oder Mühlgraben. Strub en, rechtliche Bedenken 1 Nr. 75; Leyser, Medit. spec. 100 med. 3—7." Die in diesem Erk. angezogenen, vorher genannten Schriftsteller be­ rühren aber die Frage nicht: Leyser namentlich führt a. a. O. nur aus, daß per solam coemtionem et compossessionem kein Pertinenzstück gemacht werde, sondern hierzu gehöre, daß der Eigenthümer diesfalls seinen Willen klar an den Tag gelegt habe. Das sagt auch der §. 44 d. T. Vergl. oben Anm. 35 Abs. 2. 74) Die vorräthigen und die in der Arbeit befindlichen Materialien, nicht aber die fertigen Sachen müssen bei einem Verkaufe in Pausch und Bogen bei der Fabrik gelassen werden. I. 11

110

Erster Theil.

Zweiter Titel.

§§. 94—107.

§• 94. Dagegen gehören zu einer Apotheke, außer den vorhandenen Geräthschaften und Gefäßen, auch die darin befindlichen Apothekerwaaren. ciues §. 95. Bei einem Kramladen werden zwar Tische und Waarenbehältnisse, ' aber nicht die vorräthigen Waaren selbst, als Pertinenzstücke angesehen. töef^u^eines §• 96. Zu einer Bibliothek werden auch die Repositorien und Schränke geNaturalien-^ rechnet, in welchen sich die Bücher befinden. kablnets, § 97. Auch zu Naturalien - und Kunstsammlungen gehören die zu deren Aufstellung gewidmeten Behältnisse. §. 98. Bildsäulen und andere Sachen, die außer den Behältnissen, bloß zur Auszierung des Zimmers, bestimmt waren, sind keine Pertinenzstücke der Bibliothek oder des Naturalien-Kabinets 7ö). §. 99. Dagegen werden Erd- und Himmels-Kugeln, Landkarten, Zeichnungen und Kupferstiche, sie mögen gebunden oder ungebunden sein, zur Bibliothek gerechuet. §. 100. Kupferstiche hingegen, die in Rahmen gefaßt finb 7G), gehören nicht zur Bibliothek. TijieineCr §♦ 101. Zu einzelnen Thieren gehören bloß die zu ihrer Bewahrung77) nöthigen Geräthschaften, nicht aber, was sonst zum Gebrauch oder zur Auszierung derselben bestimmt ist. SnnbUCt §♦ 102. Zum Schmuck und Geschmeide gehören auch die bloß zu ihrer BerGcschmelde. Wahrung bestimmten Futterale. Jiwenta§ 103. Der Inbegriff der zu einer Sache gehörenden beweglichen Pertinenzrmm. hgs Inventarium derselben genannt78). §. 104. Inventarium überhaupt ist das Verzeichniß aller zu einem Inbegriff gehörigen Stücke ™). vonn^crh' § 105. Pertinenzstücke nehmen, so lange sie bei der Hauptsache sind, an ftüctcn80). allen Rechten derselben Theil81). 9iÄrte

§. 89. In dem Verhältnisse unter mehreren Miterben, welche eine Erbschaft, in der eine Fabrik befindlich, unter sich theilen, gilt der Grundsatz, daß die zur immerwährenden Fortsetzung der Anstalt gegebenen Fonds niemals zur Erbtheilung kommen, sondern demjenigen Erben zufallen, welcher die Fortsetzung der Fabrik übernimmt. K.O. v. 3. Nov. 1804, N. Arch. 3 S. 429, und Anh. §. 305 zur A.G.O. I. 46 §. 12. Muthmaßlich sind unter den „gegebenen" Fonds die vom Staate gegebenen verstanden. Der Grundsatz ist von dem damaligen General-FabrikenDepartement angenommen und durch K.O. auch den Gerichten vorgeschrieben worden. H. Ein in einem Raume eines Fabrikgrundstückes befindlicher Kronleuchter ist keine Pertinenz des letzteren. R.G. II. H. v. 15. Dez. 1881, Gruchot 26 S. 892. 75) Außer bei einem Kaufe in Pausch und Bogen. I. 11 §. 91. 76) Dadurch haben sie eine andere Bestimmung erhalten als Theile einer Kunstsammlung zu sein; denn nur in dieser Bedeutung gehören solche und ähnliche Kunstprodukte (Steindrücke, Holzschnitte, Federzeichnungen) zur Bibliothek. Daß Kupferstiche nicht zu einer Gemäldesammlung gehören, kann nach dem Wortlaute nicht in Frage kommen. Hat Jemand eine Gemäldesammlung und auch eine Kupferstich- u. s. w. Sammlung, aber keine Bibliothek, so ist keine dieser ungleich­ artigen Sammlungen ein Pertinenzstück der anderen. 77) Bei Pferden die Halfter, bei Rindvieh der Strick. In Beziehung auf Vögel und deren Gebauer hat die Bestimmung nur bei Legaten praktische Bedeutung. Im täglichen Handel und Wandel denkt Niemand daran, einem verkauften Vogel (der Verkäufer hat vielleicht ein paar Dutzend Vögel in einem Bauer) das Bauer mitzugeben. Dazu ist auch kein Bedürfniß. 78) Vergl. oben Anm. 54. 79) Inventarium bedeutet im weiteren Sinne das Verzeichniß über das Inventarium int engeren Sinne, d. i. über die zu einem Inbegriffe gehörigen einzelnen Sachen. Eine Form ist im Allgemeinen nicht vorgeschrieben. Nur über die wesentlichen Erfordernisse verhalten sich die 8§. 434—438 Tit. 9; das Formular, wovon im §. 439 a. a. O. Rede ist, wird nicht für wesentlich gehalten. Vergl. die Anm. dazu. Anwendungen der verschiedenen Bedeutungen des Ausdrucks unten I. 18 §§. 515 ff. 80) Unter dieser Ueberschrift wird dreierlei bestimmt: 1. wodurch eine Sache aufhört, ein Pertinenzstück zu sein, §§. 105 und 106; 2. inwiefern das Recht auf Pertinenzstücke auf einen neuen Besitzer übergehe, §. 107; 3. wie die Kollision der Grundsätze über die Pertinenzeigen-

Von den Sachen und deren Rechten überhaupt.

111

§. 106. Sie verlieren diese Eigenschaft nicht, wenn sie gleich einer vorüber­ gehenden Ursache wegen auf eine Zeit lang von der Hauptsache getrennt worden82). 107. Mit der Hauptsache gehet das Recht auf die Pertinenzstücke, auch auf solche, die nur für einige Zeit von der Sache getrennt worden, auf den neuen Besitzer über88). schäft des natürlichen Anwuchses mit dem Grundsätze über den Erwerb der Accessionen zu ver­ einigen, §. 108. Ueber die Zerlegung einer besonderen Sache und eines Begriffsganzen enthält erst die neuere Gesetzgebung Bestimmungen (Zus. zu §. 108). 81) Oben Anm. 38 zu §. 47 d. T. — H. Die zu einer bestimmten Kirche gehörige, mit derselben in Verbindung gesetzte Begräbnißstätte ist demgemäß gleich Kirchengebäuden dem gemeinen Verkehr entzogen. O.Tr. II v. 24. Okt. 1872, Entsch. 66 S. 200. — Bewegliche Pertinenzstücke einer unbeweglichen Sache unterliegen nicht der besonderen Abpfändung. O.Tr. III v. 7. März 1873, Str. Arch. 88 S. 253. — Mit der Erwerbung des Eigenthums an einem Grundstücke durch die auf Grund der Auflassung erfolgte Eintragung des Eigenthums­ überganges geht auch das Eigenthum an dem beweglichen Zubehör auf den Grundstückserwerber über, ohne daß es noch der Uebergabe des Zubehörs bedürfte. O.Tr. III v. 3. Okt. 1877, Str. Arch. 98 *7). §. 43. Eine Handlung, die wegen Verabsäumung der gesetzmäßigen Form von Anfänge an nichtig war, kann in der Folge niemals gültig werden'^). S. 45: „Die landrechtlichen Vorschriften über die rechtlichen Folgen des unehelichen Beischlafs sind auch nicht aus dem Gesichtspunkte der Vergütung eines zugefügten Schadens abgefaßt" rc. Das G.B. allegirt freilich auch den Abschn. XI. Die Variante kommt zuerst vor in der Ausg. von 1806. 34) Die Vorschrift betrifft lediglich die äußere Form der Rechtshandlungen im Allgemeinen. Man hat deshalb unzutreffend die Streitfrage: ob Verträge, welche ein Vormund für seinen Mündel ohne Zustimmung des Gerichts abgeschlossen hat, in den Fällen für gültig angesehen werden können, wo die Einholung jener Genehmigung zwar vorgeschrieben ist, die Folgen der Unterlassung aber nicht bestimmt sind, — zum Theil aus diesem §. 40 entscheiden wollen. Denn um die äußere Form handelt es sich hierbei nicht, sondern vielmehr um die Befugniß und Fähigkeit eines Vormundes, den Mündel durch Verträge verbindlich zu machen. O.Tr. Pl. v. 22. Juni 1846, Entsch. 13 S. 3, 5. 35) Ausdrücklich. Zweifelhaft gewesene Anwendungen sind: 1. Zur Gültigkeit des durch einen Mäkler abgeschlossenen Geschäfts ist nicht die gleichzeitige Gegenwart beider schließender Theile bei der Aufzeichnung des geschlossenen Geschäfts in das Taschen- oder Handbuch des Mäklers, wohl aber die successive Gegenwart derselben erforderlich. War streitig. O.Tr. Pl. v. 5. Febr. 1844, Entsch. 9 S. 83. 2. Ein Inventarium wird durch Verabsäumung des für Nachlaßinventarien vorgeschriebenen Formulars nicht ungültig. War streitig. O.Tr. Pl. v. 28. Febr. 1845, Entsch. 10 S. 276. 3. Wenn bei zweiseitigen Verträgen beide Kontrahenten schreibunfähig sind, so hat der Umstand allein, daß Beiden ein und derselbe Unterschriftszeuge, zugeordnet worden ist, die Nichtigkeit des Vertrages nicht zur Folge. O.Tr. v. 8. Jan. 1848, Entsch. 16 S. 101 ii. 107. 4. Desgleichen aus dem Grunde nicht, weil das Prot. keine Angabe darüber enthält, „daß und wie der zugezogene Unterschriftsbeistand der Unterkreuzung und Ge­ nehmigung desselben beigewohnt hat". War streitig. O.Tr. Pl. (Pr. 2065) v. 6. Nov. 1848, Entsch. 17 S. 66. — H. 5. Das von einem Schreibensunkundigen gerichtlich errichtete Testa­ ment wird durch den Mangel der Handzeichen des Testators unter dem Testament nicht ungültig. O.Tr. I v. 24. April 1868, Entsch. 59 S. 486. 36) Gilt auch bei Willenserklärungen, I. 4 §. 95, ja nach A.G.O. II. 1 §. 11 selbst bei Verträgen. In Beziehung auf diese aber giebt I. 5 §. 109 die entgegengesetzte Regel, und die Praxis richtet sich nach dieser, d. h. was die Anwendung der Form im Ganzen betrifft, ob nämlich ein Vertrag schriftlich, notariell oder gerichtlich abgesaßt werden soll. Wenn aber über die Bedeutung einzelner, das Verfahren bei Anwendung der gesetzlichen Form betreffender Um­ ständlichkeiten und Förmlichkeiten, z. B. Vorlesung durch eine bestimmte Person, Bemerkung des Datums, Fornr oder Vollziehung der Unterzeichnung, Zuordnung von Unterschriftsbeiständen u. dgl. gestritten wird, so kommen die Grundsätze dieser §§. 40 u. 41 auch bei Verträgen zur Anwendung. Vgl. Entsch. des O.Tr. 1 S. 22; 4 S. 122; 16 S. 107; 17 S. 68ff.; 19 S. 63 ff. — Bei der Abfassung des L.R. sind die verschiedenen Bedeutungen der Formen, nämlich: Mittel zur Gründung oder Eingehung eines Rechtsverhältnisses (Bedingung der Gültigkeit), oder Sicherungsmittel gegen Unredlichkeit und Betrug (Beweismittel), oder Beides zugleich, nicht klar im Bewußtsein gewesen, daher man überall auf eine Vermischung der verschiedenen Wirkungen der Form und der Folgen des Mangels derselben nach beiden Bedeutungen trifft. Die Praxis hat das meistens überwunden. 37) Wegen der Form nach Verschiedenheit der örtlichen Gesetze s. o. Einleit. §. 33 und die dortige Anm. 71.

Von Handlungen und den daraus entstehenden Rechten.

131

§. 44. Wird die Handlung in der gesetzmäßigen Form wiederholt, so gilt sie nur von dem Zeitpunkte dieser Wiederholung an. §. 45. Bei gesetzlichen Zeitbestimmungen wird der Tag von Mitternacht bis zu Mitternacht gerechnet:iH). Handlungen. 38) Vergl. Eint. §. 17 und Publ.Pat. VII Anin. 24. Der §. 43 wiederholt die Regel 29 1). de regul. jur. (L. 17). Dergleichen nichtige Handlungen brauchen nicht durch ein richter­ liches Urtel für nichtig erklärt zu werden; sie werden ohne Weiteres als nicht vorhanden be­ handelt. Das Gleiche gilt selbst von solchen Rechtsgeschäften, welche in der gesetzlichen Form errichtet, aber wegen Mangels wesentlicher Erfordernisse nichtig sind. Dieser Fall ist wider­ sprechend beurtheilt worden. Das O.Tr. hat im Erk. v. 15. Mai 1840, Schl. Arch. 4 S. 508, den Grundsatz ausgesprochen: „Rechtsgeschäfte, welche kraft des Gesetzes nichtig sind, bedürfen, um dieselben unwirksam zu machen, ohne Rücksicht auf ihre Form, keiner Nichtigkeitserklärung, sondern der Richter ist, wenn er das Rechtsgeschäft für nichtig erkennt, eben so berechtigt als verpflichtet, dasselbe auch bei dem von ihm zu entscheidenden Rechtsstreite als nichtig zu be­ trachten und als solches bei seiner Entscheidung zu berücksichtigen." Somit kennt das L.R. aller­ dings eine Nichtigkeit von Amtswegen (ipso jure). 39) „More Romano dies a media nocte incipit, et sequentis noctis media parte finitur.“ L. 8 D. de feriis (II, 12). Wir haben diese römische Sitte beibehalten. Die Römer nennen diesen Zeitraum dies civilis, die erhellte Hälfte lux, dies naturalis und die verfinsterte nox. Die L. 8 de feriis fügt als Nutzanwendung des dies civilis bei: „itaque quicquid in bis 24 horis (i. e. duabus dimidiatis noctibus, et luce media) actum est, perinde est, quasi quavis hora lucis actum esset.“ Das heißt, der Tag ist ein untheilbarer Zeitabschnitt; nach dem Augenblicke, in welchen: während des Laufes des Tages etwas geschehen ist, wird nicht gefragt. Der Grund liegt in der Unmöglichkeit, den Anfangs- und den Endpunkt mit Gewiß­ heit auszumitteln, nicht allein wegen Mangelhaftigkeit und Ungleichheit der Werkzeuge, sondern auch wegen der ungleichen Länge der Tage und Stunden, welche die vollkommenste Uhr nicht richtig angeben kann. Dies ist die civile Zeitrechnung der Neueren. Die Zeitrechnung, wobei auf den mathematischen (wirklichen) Endpunkt gesehen wird, nennt das R. R. a momento ad momentum. L. 6, 7 D. de usurpat. (XLI, 3); L. 3 §. 3 D. de minor. (IV, 4); L. 134 D. de verb. sign. (L, 16). Sie wird nur einmal, bei der Restitution ex capite minor., angewendet. L. 3 §. 3 de minor. Das L.R. hat den Grundsatz des R. R.; die civile Zeitrechnung kommt in der Regel bei Zeiträumen aller Art zur Anwendung. (H. Dies gilt auch im deutschen Wechselrecht. O.Tr. IV v. 30. Mai 1861, Str. Arch. 42 S. 87.) Die Regel findet auch noch bei Zeiträumen Anwendung, welche nach dem Maße von 24 Stunden bestimmt sind, doch hier mit Ausnahmen. Das Erk. des O.Tr. v. 21. Aug. 1841, Entsch. 7 S. 53, spricht in Uebereineinstimmung damit aus: „Die in den Gesetzen zur Abgabe einer Erklärung oder zur Leistung einer Handlung bestimmte Frist: „„binnen 24 Stunden"", ist für innegehalten anzusehen, wenn die Erklärung oder Handlung im Laufe des nächsten Tages erfolgt." Eine Ausnahme gilt bei der Zeitrechnung nach Stunden, wenn der Ablauf eines Zeitraumes nicht als Bedingung einer Rechtsänderung in Betracht kommt, sondern wenn an die Erscheinung einer Begebenheit inner­ halb einer gewissen Frist nach einer Handlung eine Vermuthung über das Alter der Entstehung geknüpft ist, wie z. B. bei dem Ausbruche von Viehkrankheiten. Hier wird von Moment zu Moment gerechnet. Anerkannt durch das Erk. des O.Tr. IV (Pr. 2100) v. 18. Dez. 1848, Entsch. 17 S. 152: „Die Frist von 24 Stunden nach der Uebergabe, binnen welcher die Ver­ muthung gilt, daß ein erkranktes Stück Vieh schon vor der Uebergabe krank gewesen sei, endet mit dem Momente, in welchem sie am vorhergehenden Tage zu laufen angefangen hat." Die Rechtfertigung ist leicht; ein ausdrücklicher Gesetzesausspruch fehlt; der Beweis muß anders als negativ dadurch geführt werden, daß ein Fall, wie die §§. 46 u. 47 d. T. voraussetzen, nicht vorliege. Denn diese handeln gar nicht von der Statthaftigkeit der civilen oder natürlichen (mathematischen) Zeitrechnung, sondern von den verschiedenen Anwendungen der civilen Zeit­ rechnung; wovon bei der natürlichen Zeitrechnung selbstverständlich nicht die Rede sein kann. — Unter 24 Stunden kann immer nur ad momenta gerechnet werden, denn für Stunden giebt es keine civile Rechnung, weil kein Bedürfniß derselben. Das R. R. kennt die Stunde als Zeit­ abschnitt in Rechtsregeln nicht. Alle übrigen in Rechtsregeln vorkommenden Zeitabschnitte führen immer nur auf den Tag, diesen zu 24 Stunden gerechnet (R.Str.G.B. §. 19), zurück. Dieselben sind: die Woche, der Monat, das Jahr. Die Woche ist ein wiederkehrender Cyklus von aufeinander folgenden Tagen, welcher ganz selbstständig, ohne ein Theil des Monates oder Jahres zu sein, die Reihe dieser Zeitabschnitte durchzieht. Sie gründet sich auf die Mondbeobachtung und soll dem Mondviertel entsprechen. Da dieses aber in die Mitte zwischen 7 und 8 Tagen fällt, so kann man die Woche zu 8 oder zu 7 Tagen annehmen. Die Römer hatten 8tägige Wochen, mit dem Grenztage der Nundinä; 9*

132

Erster Theil.

Dritter Titel.

§§. 46—49

Vierter Titel.

§

1.

§. 46. Ist die Erwerbung eines Rechtes an einen gewissen Tag gebunden, so wird dasselbe, sobald der Tag angefangen ist, für erworben geachtet. §. 47. Soll aber eine Pflicht an einem bestimmten Tage geleistet werden, so kömmt dem Verpflichteten der ganze Tag zu statten40). die Juden hatten 7tägige, und von diesen ist die 7tägige Woche auf die christlichen Völker gekommen. In röm. Rechtsregeln kommt die Woche nicht vor. Im deutschen Rechte wie im Pr. R. erscheint sie aber häufig, sowohl im Civilrechte, als im Prozesse und im Strafrechte. Man ver­ steht darunter einen Zeitraum von 7 Tagen. (R.Str.G.B. §. 19.) Die einzelnen Wochentage werden bekanntlich nicht wie die Monatstage durch Zahlen und Heiligennamen, sondern durch Eigennamen bezeichnet. Der Monat hat, wegen der drei verschiedenen Längen der Kalendermoyate jedes Jahres, eine zweifelhafte Bedeutung Die Zeitmessung nach einer Zahl von Monaten kann auf zweierlei Weise geschehen: entweder durch eine Normalzahl von Monatstagen - das ist die Weise des R. N., welches unter Monat 30 Tage versteht; oder so, daß das Ende des Zeitraumes an dem Monatstage angenommen wird, welcher dem Monatstage des Anfangs entspricht, so daß eine am 31. Dez. angefangene zweimonatliche Frist am 28. (29.) Febr. abläuft. Diese Rechnungs­ weise hat in der deutschen Gerichtspraxis, namentlich bei' den Prozeßfristen, stattgefunden, aber man hat auch beide Weisen angewendet. (Strube, Bed., 1 S. 47.) Das geschieht auch im Pr. R. Bei Verjährungen (I. 9 §. 550) und bei Strafen (R.Str.G.B. §. 19) wird der Monat zu 30 Tagen gerechnet, bei Verträgen aber, namentlich bei auf Monate lautenden Wechseln, wird die Zeit nach den wirklichen Monatstagen bestimmt, so daß sie an dem, dem Anfangslage (z. B. v. 2. Jan. nach 2 Monaten) durch seine Zahl entsprechenden Monatstage (2. März), wenn aber diese Zahl im letzten Monate fehlt, am letzten Tage desselben abläuft. 11. 8 855, 856; A. D. W.O. Art. 32. (H. Dernburg 1 §. 70, welchem sich das R.G. I. H. v. 8. März 1881, Entsch. 4 S. 305, angeschlossen hat, nimmt im Widerspruch mit Först er-Ece ius 1 §. 45 Note 1 an, daß I. 9 §. 550 allgemein auf alle gesetzlichen Fristen, sofern über ihre Berechnung nichts Besonderes bestimmt ist, Anwendung findet.) Das vorhin gedachte Verfahren ist unan­ wendbar, wenn die Frist durch „halben Monat" bestimmt ist. Dann kehrt man wieder zur röm. Rechnungsweise zurück und rechnet für einen „halben Monat" 15 Tage. A. D. W.O. Art. 32 a. E. Eine allgemeine Regel ist nicht vorgeschrieben; es ist jedoch, nach diesen An­ wendungen, die röm. Rechnungsweise als Regel anzunehmen, weil sie in allen Fällen anwendbar ist, die andere, auf Bruchtheile unanwendbare, Weise aber nur als Ausnahme in Fällen, wo sie vorgeschrieben ist, zu betrachten. Das Jahr bedarf zu seiner Anwendung keiner weiteren Bestimmung; auf den Schalttag wird nicht Rücksicht genommen. I. 9 §§. 547—549. H. Darüber, welcher Tag als der letzte zu betrachten, vgl. O.Tr. I v. 6. Mai 1870, Str. Arch. 78 S. 212, u. v. 21. April 1871, Entsch. 65 S. 18, Str. Arch. 82 S. 26. 40) Wenngleich dem Berechtigten daraus, daß die Leistung zu einer späteren Tageszeit er­ folgt, Nachtheil entsteht. Vergl. den Rechtsfall über Leistung von Bierfuhren im Schl. Arch. 6 S. 372. Die beiden §§. 46, 47 gehören zusammen. Die civile Zeitrechnung hat, wenn der Anfangs­ punkt der Handlung nicht mit Punkt Mitternacht zusammenfällt, immer die Folge, daß der nach ihr abgemessene Zeitraum einen größeren oder kleineren Bruchtheil eines Tages mehr oder­ weniger enthält, als der mathematisch berechnete, je nachdem man den Tag des Anfangs mit­ zählt, oder nicht. Da der Tag als ein untheilbarer Zeittheil bei der civilen Rechnung behandelt wird (Anm. 39 am Ans.), so ist um Mitternacht, welche nach der Stunde der Handlung (des Anfangs) folgt, schon der erste Tag ganz vollendet. Hätte also die Besitzergreifung um 10 Uhr Abends statt­ gefunden, so ist 2 Stunden später ein ganzer Tag verflossen. Eine zweitägige Frist wäre mithin um die zweite Mitternacht nach dem Anfänge abgelaufen. Dabei kann der eine Theil fast um einen ganzen Tag zu kurz kommen, während der andere so viel gewinnt. Das umgekehrte Verhältniß tritt ein, wenn man den Endpunkt in die nächst folgende Mitternacht nach dem mathematischen Endpunkte verlegt, d. h. wenn man den Anfangstag nicht mitzählt. Man mag also zählen, wie man will, immer verliert Einer zum Vortheile des Anderen. Eine oder die andere Zühlart muß aber, zur Lösung der Aufgabe, den Zeitraum zu bestimmen, gewählt werden. Das R. R. wendet beide Zählarten, nach Verschiedenheit der Fälle an, nicht willkürlich, sondern nach einem bestimmten Prinzipe, welches zwei Regeln giebt: Soll durch den Ablauf des Zeitraumes ein Recht erworben werden, wie bei der Ersitzung, so wird der Anfangstag mitgezählt; soll dadurch .ein Recht verloren gehen, wie bei der Klagverjährung und Einlegung eines Rechtsmittels, oder der Rechtszustand verschlimmert werden, wie bei der Nichterfüllung einer Verbindlichkeit durch Mora, so wird dieser Tag nicht mitgezählt, v. Savigny, System 4 S. 350. Diese Grund­ sätze hat das L.R. angenommen und in den §§. 46 u. 47 ausgesprochen. Die Handlungsfähig­ keit des Minderjährigen, bei welcher das R. R. die mathematische Rechnung anwendet (L. 3 §. 3 D. de minor.), wird als Erwerbung eines Rechtes behandelt. (I. 5 §. 18.)

Von Handlungen rc.

Von Willenserklärungen.

133

§. 48. Trifft die Erfüllung einer Pflicht aus einen Tag, an welchem nach all­ gemeinen Polizeiverordnungen41), oder nach den Religionsgrundsätzen des Verpflich­ teten dergleichen Handlungen nicht vorgenommen werden dürfen42)43 , so ist der Ver­ pflichtete in der Regel an dem nächstfolgenden Tage zur Leistung verbunden. (Th. 2. Tit. 8. Abschn. 8).1:i) §. 49. Ist die Zeit durch den Ausdruck: Jahr und Tag bezeichnet, so werden darunter Ein Jahr und Dreißig Tage verstanden.

Vierter Mel. Von Willenserklärungen*). §. 1. Die Willenserklärung ist eine Aeußerung4) dessen, was nach der Absicht des Erklärenden geschehen, oder nicht geschehen soll/ »cr Macns41) Dazu gehören namentlich die von den Regierungen erlassenen polizeilichen Bestim­ mungen zur Bewahrung der äußeren Heilighaltung der Sonn- und Festtage. K.O. v. 7. Febr. 1837, G.S. S. 19.

42) Dergleichen Tage sind die Sonntage mit) die allgemeinen, d. h. die durch Gesetzgebung angeordneten Feiertage. II. 11 §§. 34, 35. Vergl. A.G.O. I. 7 §. 23; I 8 §. 5; II. 2 §. 11; Anh. §. 420. (H. ' C.P.O. §. 200, Str.P.O. §. 43; H.G.B. Art. 329; W.O. Art. 92.) Diese Tage sind der öffentlichen Ruhe (Feier) von allen bürgerlichen Geschäften und den gottes­ dienstlichen Verrichtungen gewidmet; Niemand kann an denselben von dem Anderen eine Leistung oder die Annahme einer angebotenen Leistung mit rechtlicher Wirkung fordern. Dieser Grund­ satz gilt selbst im strengen Wechselverkehr; denn auch dieser soll an diesen Tagen ruhen. II. 8 §. 870 u. W.O. Art. 92. Die allgemeinen Feiertag ein preuß. Landen sind zur Zeit: Weih­ nachten, Ostern, Pfingsten, jedesmal 2 Tage; Neusahr; ein Bußtag (Mittwoch nach Jubilate); Charfreitag und .Himmelfahrt. Ed. v. 12. Marz 1754; V. v. 28. Jan. 1773; V. v. 4. März 1789; K.O. v. 22. Juli 1839, G.S. S. 249. 43) Die bloß kirchlichen Festtage werden in rechtlichen Beziehungen nicht berücksichtigt, wenn auch unter Umständen den Verhältnissen thatsächlich Rechnung getragen wird. Der §. 48 bezieht sich darauf in den Worten: „oder nach den Neligionsgrundsätzen nicht vorgenommen werden dürfen". Dieser theoretische Satz aber findet keine unmittelbare Anwendung, da der Richter über religiöse Fragen zu entscheiden nicht kompetent ist; vielmehr erfordert er seine Anwendung durch den Gesetzgeber, wie sich solche denn in der That auch findet. A.G.O. I. 10 §§. 317 ff. u. L.R. II. 8 88- 985-988. (H. C.P.O. §§. 171, 193, 681; Str.P.O. §. 43.) Das Allegat am E. dieses § 48 bezieht sich eben auf eine solche Ausnahme zum Vortheile der Juden, nun ausgehoben durch die W.O. Art. 92. Ohne besondere Anordnung der Gesetzgebung kann der Richter ), zum ehelosen Stande verpflichtet werden soll, sind ungültig ^). §.11. Auch ist Niemand an eine Willenserklärung gebunden, wodurch er seinen Wittwenstand nicht zu ändern angelobt hat^). §. 12. Ist aber die Ehelosigkeit das nothwendige Erforderniß eines gewissen Standes, so dauert die Verpflichtung dazu so lange, als Jemand in diesem Stande sich befindet^). §. 13. Zur Sklaverei oder Privatgefangenschaft19) kann Niemand durch Willenserklärungen verpflichtet werden20). 5. Ed. i). 9. Oktober 1807. (G.S. S. 170.) §. 10. Nach dem Datum dieser Verordnung entsteht fernerhin kein UnterthänigkeitsVerhältniß, weder durch Geburt, noch durch Heirath, noch durch Uebernehmung einer unterthänigen Stelle, noch durch Vertrag. §. 12. Mit dem Martini-Tage Eintausend Achthundert und Zehn (1810.) hört alle GutsUnterthänigkeit in Unsern sämmtlichen Staaten auf. Nach dem Martini-Tage 1810. giebt es nur freie ßeute21) .... 6. Ed. zur Beförderung der Land-Cultur, vom 14ten September 1811. (G.S. S. 300.) §. 7. Jedem Grundbesitzer steht zwar frei, so viel Arbeitsfamilien, wie er zu bedürfen

glaubt, auf seinem Eigenthum anzusetzen und solche ganz oder theilweise durch Landnutzung rechtliche pr. Gerichtspraxis s. Hy mm en, Beitr. 5 S. 144 und Mathis 4 S. 237 ; 5 S. 137. Das O.Tr. hat angenommen, daß die in einem Lehnbriefe enthaltene Bestimmung, daß die Lehnssuccessionsfähigkeit an das Bekenntniß zu einer bestimmten Konfession gebunden sein solle, nach dem Gemeinen Rechte zulässig und rechtsgültig sei. Erk. I v. 5. Dez. 1856, Str. Arch. 23 S. 111. H. Vgl. Dernburg, preuß. Privatr. 1 §. 78 Note 3; Förster-Eccius, Theor. u. Pr., §. 28 Note 11. 15) Dieses Gesetz ist eine verbesserte Auflage der Bestimmung der Lex Julia et Papia Popp., daß die Bedingung: nicht zu heirathen, für nicht geschrieben zu erachten. Heineccius, Comm. ad Leg. J. et P. P. p. 289. Dieselbe ist nach zwei Richtungen verändert durch die Ausdehnung auf Verträge und durch Beschränkung auf eine bestümnte Zahl von Jahren. Durch die zweite Veränderung ist Ungewißheit veranlaßt: ob eine Erklärung oder Bedingung, welche diese Zahl von Jahren auch nur um ein Minimum überschreitet, ganz und von Anfang an nichtig sein, oder die Nichtigkeit erst mit dem Ablaufe der erlaubten Zeit eintreten soll. Die Meinungen darüber widersprechen sich. Für den zweiten Fall müßte die Bedingung als eine aufschiebende angesehen werden, welche so lange wirksam ist, bis die Zeit eintritt, wo sie un­ erlaubt wird und deshalb wegfällt. §. 109 d. T. Das ist aber nur bei letztwilligen Erklärungen möglich; bei Verträgen wirkt die Bedingung Nichtigkeit des Vertrages, und ein Vertrag kann nicht von Anfang rechtsgültig sein und nach einer Reihe von Jahren ipso jure nichtig werden. Hier müßte also die Bedingung resolutiv wirken. Wegen dieser Verwickelung ist es praktischer und auch ohnedies logischer, die gegen den Inhalt des §. 10 gefaßte Bedingung und Erklärung als eine unerlaubte von Anfang wirken zu lassen. Dannt stimmt auch der Wortsinn des Gesetzes. Vergl. übrigens unten §. 120 und die Anm. dazu. 16) Die Ausdrücke „ungültig" und „nichtig" (§. 8) werden hier gleichbedeutend gebraucht. Ueberhaupt ist die Terminologie des. L.R. in der Bezeichnung der nichtigen und der bloß an­ fechtbaren Rechtshandlungen, außer bei der Ehe, unbestimmt. Vgl. d. Erk. v. 30. Nov. 1860 in Anm. 10. 17) Vgl. d. Erk. v. 30. Nov. 1860 in Anm. 10. 18) Betrifft die Cölibatpflicht der katholischen Geistlichkeit, H. welche aber nach den: Reichs­ personenstandsgesetz §. 39 (s. II. 2 zu §. 145) nicht mehr als Ehehinderniß anerkannt ist, vgl. auch II. 2 8. 12 Anm. 19) H. Die Begrenzung der kirchlichen Disziplinar-Gewalt ist hiermit in Uebereinstimmung gebracht durch die Bestimmung im §. 5 des Ges. v. 12. Mai 1873, wonach die Vollstreckung einer disziplinarischen Freiheitsentziehung wider den Willen des Betroffenen weder begonnen noch fortgesetzt werden kann. 20) Oder zu Handlungen und Duldungen, welche die Ehre verletzen. I. 5 §§. 297, 298. 21) Die persönliche Freiheit ist auch in der Verfassungs-Urkunde, Art. 5, gewährleistet.

140

Erster Theil.

Vierter Titel.

(Zusätze) §§. 14—19.

abzulohnen. Damit sich aber hierdurch nicht neue Cultutschädliche Verhältnisse bilden, so sollen die Miethsverträge einen Zeitraum von längstens Zwölf Jahren umfassen, erbliche Ueberlassungen solcher Stellen aber niemals unter Verpflichtung zu fortwährenden Diensten geschehen, sondern nur im Wege des Verkaufs oder22) mit Auflegung einer bestimmten Abgabe an Geld und Kör­ nern, zulässig seyn2'0-

§. 14. So weit eine Sache dem Privatverkehr entzogen ist, so weit24)25kann 26 sie kein Gegenstand einer Willenserklärung sein2"). 15. Nicht nur durch Natur2") oder Gesetz27), sonder» auch durch recht­ liche Privatverfügungen28) können Sachen dem Verkehre entzogen werden. 22) Diese Eventualität ist modifizirt durch §. 91 d. G. v. 2. März 1850 (Zus. 4). 23) Ist dieser Vorschrift zuwider ein Vertrag, die Gründung einer Dienstfamilie betreffend, geschlossen, so ist nicht der dienstberechtigte Gutsbesitzer von dem Vertrage zurückzutreten und dem Dienstverpflichteten ohne weitere Entschädigung das Grundstück abzunehmen berechtigt; vielmehr kann nur der Dienstverpflichtete für befugt erachtet werden, auf Hinwegräumung des der Kultur schädlichen Hindernisses durch Aufhebung der Dienstpflicht zu dringen. O.Tr. III v. 14. Dez. 1866, Str. Arch. 65 S. 225. 24) Vergl. I. 5 §. 58 Mit der sog res extra commercium hat es nach dem LR. eine ganz andere Bewandtniß als nach dem R. R. Das L.R. gestattet die Erwerbung von Eigen­ thum an solchen Sachen unter gewissen Voraussetzungen und vermehrt auch diese Art von Sachen dadurch, daß es der Privatwillkür gestattet ist, Sachen dem gemeinen Verkehre zu ent­ ziehen. S. die Anm. 26—28. Deshalb ist der röm. Rechtsgrundsatz, daß eine res extra com­ mercium selbst unter der Voraussetzung, daß sie aufhören würde dies zu sein, nicht Gegenstand eines gültigen Rechtsgeschäfts sein kann (L. 83 §. 5; L. 137 § 6 D. de verb. obl. XLV, 1; §. 2 J. de inutil. stip. III, 20), ganz passend nicht beibehalten, vielmehr ausdrücklich gestattet, darüber gültig zu kontrahiren, insoweit die Eigenschaft der Sache sich verändern läßt und wirklich ändert. 25) Ein Vertrag, dessen Objekt eine Kaution dafür ist, daß sich eine bestimmte ausländische Person hier den diesseitigen Gesetzen gemäß führe, ist nicht ungültig; ein solches Vertragsobjekt gehört nicht dem jus publicum an, mithin findet auch der an sich richtige Satz: jus publicum privatorum pactis rnutari non potest, darauf keine Anwendung. O.Tr. IV v. 3. Okt. 1865, Str. Arch. 60 S. 186. — H. Die Entsagung der aus der erlangtem Konzession, in einem be­ stimmten Grundstück das Apothekergewerbe zu betreiben, erworbenen Rechte Seitens des Ver­ käufers zu Gunsten des Käufers ist zulässig. O.Tr. I. v. 25. Febr. 1867> Entsch. 58 S. 396, 405. — Vgl. auch Anm. 81 zu I. 2 H. 105. — In der kommunalen Zugehörigkeit von Grund­ stücken ändert sich dadurch nichts, daß dieselben öffentliche Straßen, Flüsse u. s. w. werden oder zu sein aufhören. O.V.G. I v. 17. Dez. 1879, Entsch. 6 S. 95. 26) Wie Luft, Licht, Meer, Wasser in öffentlichen Seen und Flüssen, die sog. res communes omnium der Römer. L. 2 6. 1 I). de rerum div. (1, 8); §. 1 J. eod. (II, 1). L.R. II. 15 §. 44; I. 8 §. 3. 27) Die Sachen, welche durch Gesetz dem Verkehre entzogen sind, befinden sich alle im Eigenthume einer juristischen Person. Die vorzüglichsten Arten solcher Sachen sind die sogen, öffentlichen, welche dem Staate oder einer Kommunität zustehen, als: Land- und Heerstraßen, woran gar keine Privatrechte erworben werden können (II. 15 §§. 7, 8, 2 und 3); öffentliche Plätze und Straßen in Städten; sowie Häfen und Meeresufer, die öffentlichen Flüsse. Ferner diejenigen Sachen, welche im besonderen Eigenthume der Religionsgesellschaften sich befinden und zu religiösen Zwecken bestimmt sind, namentlich: Kirchen, Gebethäuser, Synagogen, Kirchengeräthe, Begräbnißplätze. So lange diese Sachen ihrer Bestimmung dienen, sind sie dem Ver­ kehre entzogen. Vergl. K.O. v. 14. April 1840, J.M.Bl. S. 143; v. 26. Okt. 1840, I.M Bl. S. 340; II. 11 §§. 173, 179. Die Bestimmung derselben kann jedoch verändert werden, wo­ durch sie dann in den Verkehr kommen. §§. 173, 180 ff. a. a. O. — Litigiöse Sachen sind den durch Gesetz dem Privatverkehre entzogenen, nach L.R., nicht gleichzustellen. Vergl. Entsch. 13 S. 157. 28) Dabei ist muthmaßlich an Fnmilien-Fideikommiffe gedacht. II. 4 §. 23 u. ff. Das R. R. kennt diese Art von res extra commercium nicht. Um durch Privatbestimmung eine Sache dem Verkehre zu entziehen, muß nicht nur die Form, welche das Rechtsgeschäft nach seiner Natur­ erfordert, beobachtet, sondern es muß auch dafür gesorgt werden, daß diese einer solchen Sache beigelegte Eigenschaft keinem Dritten, bei Anwendung der schuldigen Vorsicht, unbekannt bleiben kann. §§. 17—19. — „Durch eine Privatverfügung, die den Eigenthümer resp. Besitzer einer Sache in seiner Befugniß, über die Sache zu disponiren, beschränkt oder ihm diese Dispositionsbefugniß ganz untersagt, wird die Sache, welche Gegenstand der Verfügung ist, noch nicht dem Privatverkehre entzogen," O.Tr. III (Pr. 694) v. 3. Juni 1839, Pr.S. S. 6. Der Ver-

Bon Willenserklärungen.

141

§. 16. Dergleichen Privatverfügung bindet einen Jeden, welchen der Ver­ fügende zu verpflichten berechtigt war. §. 17. Doch darf auch ein Dritter, welchem dergleichen Privatverfügung be­ kannt geworden ist29), derselben nicht entgegen handeln. 18. Die bloße öffentliche Bekanntmachung ist zum Beweise, daß der Dritte die Verfügung gewußt habe, noch nicht hinreichend. §. 19. Dagegen kann sich Niemand mit der Unwissenheit einer in das Hypotheken­ buch eingetragenen Verfügung entschuldigen:I°). äußerer kann durch Ueberschreitung des Verbots seine Verbindlichkeit verletzen, das macht jedoch das Veräußerungsgeschäft nicht unwirksam. Die Sache, welche willkürlich dem Privatverkehre entzogen werden soll, muß einem bestimmt ausgesprochenen Zwecke gewidmet werden. — H. Nicht unbedenklich ist die Annahme des O.Tr., daß die Bestimmung eines Testators, der Erbtheil eines Erben solle besonders verwaltet werden und den Angriffen der Gläubiger des Erben entzogen sein, unter §. 15 falle. Vgl. Str. Arch. 35 S. 28 u. 85 S. 249. Keinenfalls kann hiervon die Rede sein, wenn ein Testator den Erbtheil eines Erben den Angriffen der Gläubiger entzieht, ohne gleichzeitig den Erben in dem Verfügungsrechte über den Erbtheil einzuschränken. Entsch. d. Reichsger. 1 S. 175; Gruchot 24 S. 947, 29) Wenngleich nur durch formlose besondere Anzeige eines Betheiligten. — H. Die durch Privatverfügung dem Grundbesitzer auferlegte Beschränkung, ohne Einwilligung eines Andern das Grundstück nicht veräußern oder verpfänden zu dürfen, verpflichtet auch dritte Personen, soweit die Beschränkung im Hypothekenbuch eingetragen war (§. 19 d. T.), oder sie von derselben Kenntniß hatten. Das Grundstück kann in diesem Falle ohne die Genehmigung des Andern auch nicht Gegenstand der Subhastation werden. O.Tr. IV v. 5. Mürz 1874, Str. Arch. 91 S. 159. Auch findet in diesem Fall die Eintragung einer Forderung aus einem gegen den Eigenthümer allein ergangenen Urtheile nicht statt. Johow u. Küntzel Jahrb. 1 S. 126. 30) Bon dem, was im Grundbuche gehörigen Orts eingetragen steht, wird fingirt, daß es Jedermann wisse; ob diese Fiktion mit der Wirklichkeit zusammentreffe, wird gar mcht gefragt, der Einwand, daß man den Inhalt des Hypothekenbuches nicht gekannt habe, ist unzulässig. Dieser Grundsatz gilt nicht bloß hier, sondern er gilt ganz allgemein in allen Beziehungen. Vergl. Entsch. des O.Tr. 8 S. 68; 10 S. 16 u. 199; 14 S. 236; 17 S. 498; 21 S. 52. Vergl. Publ.Pat. v. 5. Febr. 1794 §. XV. Später ist dieser Grundsatz, unter Aufhebung des Pr. 1846 v. 16. Febr. 1847 (Entsch. 14 S. 232, 236), auf das Sachenrecht beschränkt und vom Vertrags­ rechte ausgeschlossen durch die Pl.Beschl. v. 22. April 1844 u. v. 18. Mai 1857, Entsch. 10 S. 12; 36 S. 1. Vgl. hierüber auch Str. Arch. 96 S. 112, Gruchot's Beitr. 24 S. 950 u. R.G.Entsch. 6 S. 301, sowie Tit. 11 §. 183. (H. Der Zeitpunkt der Eintragung wird nicht durch den Jngrossationsbefehl, sondern durch den Vermerk im Grundbuche: wann die Eintragung ge­ schehen, festgestellt. Dabei gilt der Tag jetzt für einen untheilbaren Zeittheil. Vergl. Grundb.Ordn. §. 44 u. Ges. über den Eigenthumserwerb v. 5. Mai 1872 §. 36.) Die Anwendung der im 8- 19 hier gegründeten Rechtsfiktion in der Allgemeinheit, daß, weil die spätere Post dem Raume und der Zeit nach später eingetragen sei als die voranstehende, wenngleich dies auf Grund der­ selben Verfügung und an einem Tage geschehen ist, und das Hypothekenrecht zu einer Zeit ge­ gründet war, wo die vorstehende Post noch nicht eingetragen stand, angenommen werden müsse, der später Eingetragene habe sich bei Erwerb seines Rechts in bösem Glauben befunden, ist ungerechtfertigt. O.Tr. III v. 11. Juli 1859, Str. Arch. 37 S. 26. — H. Die Erwähnung eines nicht eingetragenen Altentheils in dem Vermerk der Besitztitel-Berichtigung, Rubr. I, benimmt dem Gläubiger einer demnächst eingetragenen Hypothek noch nicht den guten Glauben. O.Tr. III v. 26. Okt. 1868, Entsch. 60 S. 1. — Der tz. 19 setzt nicht ein nach der Hyp.O. v. 1783 regulirtes Hypothekenbuch voraus, vielmehr genügt es, daß aus dem Hypotheken­ buche, wie solches vorhanden war, die Beschränkung des Besitzers, darüber zu verfügen, ersichtlich war. O.Tr. II v. 24. Okt. 1871, Str. Arch. 84 S. 102. — H. In dem Urtheil des R.G. II H. v. 8. Juli 1880, Entsch. 2 S. 310, ist angenommen, daß der Besitzer eines Grundstücks, der dasselbe gekauft und übergeben erhalten, aber die Auflassung noch nicht erlangt hatte, nicht red­ licher Besitzer sein könne, weil er sich nach §. 19 d. Tit. mit der Unkenntiriß des Umstandes, daß ein Anderer als Eigenthümer eingetragen steht, nicht entschuldigen könne. Dieser Grund ist nicht unanfechtbar. Wissen und Wissensollen ist zweierlei; vgl. I. 7 §. 11 und die Anm. zu demselben. — Der öffentliche Glaube des Grundbuches wohnt nur dein Grundbuche selbst bei, nicht den aus demselben gefertigten Hypothekenscheinen und Auszügen. Irrthümer der letzteren tonnen gegen den Inhalt des Grundbuches nicht geltend gemacht werden. O.Tr. III v. 27. März 1876, Str. Arch. 95 S. 360. In Ansehung der Grundschulden ist jedoch der §. 19 modifizirt durch d. Eig.Erw.Ges. v. 5. Mai 1872 §§. 38 u. 49, wonach für die Zulässigkeit von Einreden

Erster Theil.

142

Vierter Titel.

§§. 20—22 (Zusätze).

§§. 20—22 31 * *).32 * * *Aufgehoben **** durch das nachstehende, für den ganzen Umfang der Monarchie erlasfene Gesetz. 7. Gesetz, betreffend die Geschäftsfähigkeit Minderjähriger und die Aufhebung der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Minderjährig­ keit. Vom 12. Juli 1875 (G.S. S. 518.)-^). §. 1.

Minderjährige, welche das siebente Lebensjahr noch nicht vollendet haben, sind zur

Vornahme von Rechtsgeschäften nicht fähig33).34 35 §. 2. Minderjährige, welche das siebente Lebensjahr vollendet haben, sind ohne Geneh­

migung des Vaters, Vormundes oder Pflegers ") nicht fähig, durch Rechtsgeschäfte Verbindlich­ keiten zu übernehmen oder Rechte aufzugeben, jedoch fähig, durch Rechtsgeschäfte, bei welchen von ihnen keine Gegenleistung übernommen wird, Rechte zu erwerben oder von Verbindlichkeiten sich zu befreien3r>). §. 3. Die wegen fehlender Genehmigung unwirksamen Geschäfte werden wirksam, wenn der Minderjährige nach erlangter Selbstständigkeit sie anerkennt3C). Durch Zeitablauf werden

sie nicht wirksam.

gegen die Klage aus einer Grundschuld und für die Wirksamkeit von Beschränkungen des ein­ getragenen Gläubigers in der Verfügung über die Grundschuld Dritten gegenüber nicht der Inhalt des Grundbuches, sondern der Inhalt des Grundschuldbriefes maßgebend ist. Vgl. die Kommentare von Achilles zu §. 38 Abs. 1 Anm. 2 u. zu §. 49 Anm. lb, sowie von Bahl mann zu §. 38 Anm. 4b u. zu §. 49 Anm. 3. Im Uebrigen ändern die neuen Grundbuch­ gesetze an dem Grundsätze des §. 19 nichts. Insbesondere ist auch nach der Einführung der Gesetze v. 5. Mai 1872 die im Grundbuche eingetragene Beschlagnahme einer Hypothek gegen Dritte wirksam, auch wenn sie auf der Hypothekenurkunde nicht vernrerkt worden ist. O.Tr. III v. 18. Juni 1875, Entsch. 75 S. 139. 31) Diese §§. lauteten: §. 20. Alle Willensäußerungen der Kinder, welche das siebente Jahr noch nicht zurück­ gelegt haben, sind nichtig. §. 21. Willenserklärungen der Unmündigen, welche das vierzehnte Jahr noch nicht zurück­ gelegt haben, sind nur in so fern gültig, als sie sich dadurch einen Vortheil erwerben. §. 22. Sind mit dem Vortheile, den ein solcher Unmündiger durch seine Willensäußerung erwerben soll, zugleich Pflichten und Lasten verbunden, so erlangt die Willenserklärung ohne Einwilligung seines Vorgesetzten keine rechtliche Wirkung. (Tit. 5.' §§. 11. 12. 13.) 32) H. Geschichte und Materialien dieses wichtigen Gesetzes s. in Wachter, Vormund­ schaftsordnung 2c., 2. Aufl. S. 279 ff., wo zugleich die einzelnen §§. eingehend erläutert sind. Vgl. auch die Kommentare in den Bearbeitungen der Vorm.O. von Hesse S. 311 und von Anton, 2. Aufl. S. 201, ferner die Ausführungen in den Lehrbüchern von Förster-Eccius 26 und von Dernburg 1 §§. 72 ff., sowie Dernbürg, Vormundschaftsrecht §§. 40 ff., Abhandlungen von Stegemann in der Zeitschr. für hannov. Recht 1876 S. 208. 33) H. Zu §§. 1 u. 2 vgl. L.R. I. 4 §§. 20—22, I. 5 §§. 11—13, II. 2 §. 125. — Die für das gem. R. streitige Frage, ob Besitzerwerbung ein Rechtsgeschäft, ist für das preuß. R. in I 7 §§. 43, 44 bejahend entschieden. 34) H. Vgl. jedoch I. 5 §. 14 u. Anm. 17 daselbst. — Die Form der Genehmigung richtet sich nach allgemeinen Rechtsgrundsätzen, kann dem zu genehmigenden Rechtsgeschäfte vorausgehen oder folgen, muß regelmäßig eine ausdrückliche und bei dem Vertrage die vertragsmäßige sein. (Str. Arch. 26 S. 297, Entsch. 72 S. 251.) Anderer Meinung Dern­ burg, Vormundschaftsrecht §. 42 unter 2. Vgl. auch die Anmerkungen zu II. 2 §. 125. — Aeltere noch beachtenswerte Entscheidungen: a) Die über sieben Jahre alten Minderjährigen sind, unter hinzutretender Genehmigung des Vaters, Vormundes oder Pflegers, selbst die Kontrahenten, sie werden nicht durch denselben vertreten, der Vater re. heißt nur gut, was der Minderjährige ge­ than und vereinbart hat. Deshalb kann der Vater, dessen minderjährige, über sieben Jahre alte Kinder ein Rechtsgeschäft unter sich abgeschlossen haben, durch seine Genehmigung allein dasselbe nach beiden Seiten rechtsverbindlich machen. O.Tr. III (Pr. 1662) v. 6. Dez. 1845, Entsch. 12 S. 332. — b) Die Unfähigkeit des Minderjährigen, ohne Genehmigung des Vaters rc. keine Verbindlichkeit übernehmen zu können, gilt auch im Wechselrecht, und zwar ohne Rücksicht auf den guten Glauben des Wechselberechtigten. O.Tr. IV v. 4. Febr. 1869, Entsch. 61 S. 172, Str. Arch. 73 S. 317. 35) H. Vgl. z. B. I. 4 §. 22, I. 16 §§. 40 ff.

Von Willenserklärungen.

143

§. 4. Derjenige, mit welchem der Minderjährige ein wegen fehlender Genehmigung un­ wirksames Rechtsgeschäft abgeschlossen hat, ist an dasselbe gebunden; er wird jedoch von seiner Verbindlichkeit frei, wenn der Vater, Vormund oder Pfleger die Genehmigung zu dem abge­

schlossenen Rechtsgeschäft verweigert'^). Der Verweigerung steht es gleich, wenn auf ergangene Aufforderung der Vater, Vormund oder Pfleger oder der Minderjährige nach erlangter Selbstständigkeit die Genehmigung innerhalb einer Frist von zwei Wochen nicht ertheilt. §. 53H). Hat der Vater oder unter Genehmigung des Vormundschaftsgerichts der Vormund den selbstständigen Betrieb eines Erwerbsgeschüftes dem Minderjährigen gestattet, so ist Letzterer zur selbstständigen Vornahme derjenigen Rechtsgeschäfte fähig, welche der Betrieb des Erwerbs­ geschäfts mit sich bringt. Zu einzelnen innerhalb dieses Betriebs vorkommenden Rechtsgeschäften bedarf der Minder­ jährige der Genehmigung des Vormundschaftsgerichts in gleicher Weise, wie nach den bestehenden Vorschriften der Vater oder Vormund dieser Genehmigung bedürfen würde. §. 6. Hat der Vater oder Vormund seine Genehmigung ertheilt, daß der Minderjährige in Dienst oder Arbeit trete, so ist Letzterer selbstständig zur Eingehung und Auflösung von Dienst- oder Arbeitsverhältnissen der genehmigten Art befugt. Dem Vater oder Vormund steht es frei, eine solche Genehmigung zurückzuziehen oder ein­ zuschränken, soweit dadurch Rechte Dritter nicht beeinträchtigt werden. §. 7. Hat sich ein Minderjähriger fälschlich für geschäftsfähig ausgegeben und einen An­ dern ohne dessen Verschulden zur Vornahme eines Rechtsgeschäfts verleitet, so kann letzterer den Ersatz des hierdurch ihm zugefügten Schadens aus dem Vermögen des Minderjährigen ver­ langen^). §. 8. Die Fähigkeit der Minderjährigen zur Eingehung einer Ehe oder eines Verlöbnisses, sowie zu letztwilligen Anordnungen wird von diesem Gesetze nicht berührt.

36) H. Vgl. I. 5 §. 37. — Wegen der Bedeutung des Wortes „Selbstständigkeit" vgl. R. G.Entsch. 3 S. 332. — In Ansehung der Form der Anerkennung gilt dasselbe wie in An­ sehung der Form der Genehmigung in den Fällen des §. 2. — Die Anerkennung schafft Wirk­ samkeit ex tune. Dernburg a. a. O. — Die besonderen Formvorschriften in II. 2 §§. 136 f. sind nach den Motiven absichtlich nicht beibehalten. — Ausdrücklichkeit des Anerkenntnisses ist nicht erfordert, abweichend von II. 2 §. 137. 37) H. Unter der Herrschaft des §. 22 d. Tit. hatte sich in der Wissenschaft und der Praxis die Ansicht Geltung verschafft, daß das mit dem in der Geschäftsfähigkeit Beschränkten vorge­ nommene Rechtsgeschäft vor dem Anträge desselben an den gesetzlichen Vertreter des Beschränkten unter alleiniger Zustimmung des Beschränkten wieder aufgehoben werden könne. Koch in den früheren Auflagen dieses Kommentars, Förster Priv.R. 3. Aufl. §. 26 Rote 8, O.Tr. III (Pr. 1862) v. 13. April 1847 u. v. 15. Dez. 1862, Entsch. 14 S. 177, 49 S. 36, Str. Arch. 48 S. 131. Für das heutige Recht kann ein solcher Rechtssatz keinenfalls behauptet werden, da dem in der Geschäftsfähigkeit Beschränkten die Befähigung fehlt, die erworbene Gebundenheit des anderen Kontrahenten selbstständig wieder aufzugeben. Dernburg, Vormundschaftsrecht §. 42, Pr. R. 1 §. 75 Note 16, Förster-Eccius §. 26 Note 8, Paris in Gruchot 23 S. 336. Letzterer untersucht zugleich sehr eingehend die Frage von dem Standpunkte des früheren Rechts und kommt zu dem Schluß, daß die frühere Ansicht auch von diesem Standpunkte unrichtig ge­ wesen sei. — Wird die Genehmigung verweigert, so muß der andere Kontrahent Alles, was er auf Grund des Vertrages von dem Minderjährigen erhalten hat, herausgeben, während er das, was er dem Minderj. gegeben, nur mittels des Nachweises zurückfordern kann, daß dieser sich noch im Besitze der Vortheile des Empfangenen befindet. R.O.H.G. v. 18. Dez. 1876, Entsch. 21 S. 215. Vgl. I. 16 §. 170. 38) H. Zu den §§. 5 u. 6 vgl. I. 5 §§ 20, 21; II. 2 §§. 127, 218; ferner Neichs-Seemannsordnung v. 27. Dez. 1872 §. 6, preuß. Gesindeordn. v. 8. Nov. 1810 §. 8. — Minderjährige, welche mit Genehmigung des Vormundes ein die Entnahme von Waaren auf Kredit bedingendes kaufmännisches Geschäft betreiben, sind insoweit wechselfähig. O.Tr. v. 21. Juni 1860, Str. Arch. 38 S. 58; R.O.H.G. v. 13. Dez. 1871, Entsch. 4 S. 265. 39) H. Der §. 7 ersetzt die Bestimmungen in I. 5 §§. 33, 34; vgl. die Anmerkungen zu diesen §§.

Erster Theil.

144

Vierter Titel.

(Zusätze) §§. 23—27.

§. 9. Die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Minderjährigkeit findet gegen die nach Erlaß dieses Gesetzes vorgenommenen Rechtsgeschäfte 40) nicht statt. Dies gilt auch von den Rechtsgeschäften der den Minderjährigen gleichgestellten Personen"). §. 10.

Dieses Gesetz tritt am 1. Januar 1876. in Kraft.

§. 23. Rasende und Wahnsinnige sind Kindern unter sieben Jahren gleich zu achten. (§. 20.) §. 24. So lange den Personen, welche mit Anfällen einer solchen Krankheit behaftet sind42), noch kein Vormund bestellt ist, gilt die Vermuthung42a), daß sie ihren Willen bei völliger Verstandeskraft, und nicht während eines Anfalls ihrer Krankheit geäußert haben. 40) H. Nur die in integrum restitutio gegen Rechtsgeschäfte ist ausgeschlossen, nicht auch gegen sonstige nachtheilige Veränderungen, welche durch Versäumnisse oder Zeitablauf an den Rechten der Minderjährigen vorgegangen sind. N.G. III H. v. 8. April 1881, Entsch. 4 S. 156. Ngl. I. 9 §§. 531 ff.; E.P'.O. 210; Haftpflichtges. v. 7. Juni 1871 §. 8. 41) H. Die Rechte der Minderjährigen haben Kämmereien (II. 8 §. 157), Kirchengeseli­ sch asten (II. 11 §. 228), Schulen (II. 12 §. 19), Armenanstalten (II. 19 §. 43). 42) Dergleichen Personen alle, ohne Ausnahme, können für geisteskrank erklärt werden. „Auch gegen Ehefrauen, die sich in martialischer, und Kinder, die sich in väterlicher Gewalt be­ finden, ist das Verfahren zulässig." Pr. des O.Tr. 1870 v. 14. Aug. 1846. 42a) So lange eine Person unbevormundet ist, kann die Geisteskrankheit nur ein faktisches Hinderniß, den Willen wirksam zu äußern, sein, und dieses muß, wie jede Thatsache, bewiesen werden. Bei der Beweisführung veranlaßt die Natur der Sache mancherlei Zweifel. Dieser kann z. B. bei einer Person, welche bei der Untersuchung für ununterbrochen und völlig wahn­ sinnig erkannt wird, sich darauf beziehen: ob dieser Zustand schon in einem bestinunten früheren Zeitpunkte vorhanden war. Der Wahnsinn kann aber unstreitig auch schon zu jener früheren Zeit vor­ handen gewesen sein, doch mit lichten Zwischenräumen, sog. dilucidis intervallis, und der Zweifel kann sich darauf beziehen: ob die Person zu einem bestimmten Zeitpunkte, dem der Willens­ äußerung, einen lichten Zwischenraum gehabt habe. Wem in diesen Fällen die Beweislast ob­ liege, war vor dem L.R. streitig. Dieser Streit wird durch den §. 24 beseitigt: Daß die Person, deren Willensäußerung wegen Geisteskrankheit angegriffen wird, zu derselben Zeit wahnsinnig gewesen, muß der Angreifer beweisen, und es hilft ihm dabei nichts, daß jene Person später geisteskrank befunden wird. — Der Beweis gegen diese Vermuthung hat in den meisten Fällen eine an die Unmöglichkeit grenzende Schwierigkeit darin, daß er nur indirekt durch ein Urtheil Kunstverständiger geführt werden kann und die gewöhnlichen Beweismittel nur zur Feststellung von Thatsachen, die dabei zur Grundlage dienen sollen, brauchbar sind. Die gerichtliche oder notarielle Form der angefochtenen Willenserklärung schließt an sich den Beweis nicht aus, denn es handelt sich dabei nicht um die Glaubwürdigkeit der Urkunde, sondern um die objektive Wahrheit der darin bezeugten Meinung des instrumentirenden Beamten über eine Sache, die er, nach der Gesetzgebung, eigentlich nicht gründlich versteht. Nach der Meinung des O.Tr. (Erk. IV v. 20. Sept. 1864, Str. Arch. 56 S. 176) sollen die Materialien zu I. 12 20, 21 ergeben, daß man die Regel im §. 24 d. T. in Betreff der Vermuthung, daß Rasende' und Wahnsinnige, so lange ihnen noch kein Vormund bestellt ist, ihren Willen bei völliger Verstandeskraft geäußert haben, auch bezüglich der Blödsinnigen gelten lassen wollte. Dies muß ebenso bestritten werden wie die fernere Ausführung, daß diese Auffassung auch der Wissenschaft, wie den gewöhnlichen Lebenserfahrungen entspreche, da Geisteskrankheiten, gleich den Körperkrankheiten, aus denen sie sich in der Mehrheit der Fälle entwickeln, ihre Stufen haben, wo erst ihre Unheilbarkeit oder ihre Beständigkeit eintrete. Die Aerzte sind anderer Meinung. „Der Entstehung dieses Krank­ heitszustandes (des Blödsinns)", sagt Men de, ausführliches Handbuch der gerichtlichen Medizin 6 S. 147 §. 171, „liegt häufig eine angeborene Anlage zum Grunde, seltener findet man ihn aber als überhaupt angeboren, wie beim Eretin, häufiger als angeerbt; in welchem Falle er gemeiniglich erst kurz vor dem Eintritte der Pubertät zum Ausbruche kommt." Und §. 173 S. 149: „Hinsichtlich der Heilbarkeit — ist der Blödsinn allerdings die Seelenkrankheit, in der die Vorhersage am ungünstigsten ist, doch darf man ihn nicht in allen Gestalten und unter allen Umständen für ganz unheilbar erklären. Er ist dies nur, wenn er angeboren ist, und die Gegenwart des Uebels in dem ganzen Aeußeren, besonders aber in der Kleinheit und Flach­ heit des Schädels, und in dem verhältnißmäßig großen Gesichte ausgeprägt ist. Auch beim nachentstandenen Blödsinn kommt nach und nach eine ganz ähnliche Verbildung des Körpers zu Stande, und sie liefert dann jedesmal den Beweis der Unheilbarkeit." Hiernach ist es unge­ rechtfertigt, die Vermuthung des §. 24, gegen den Wortlaut des Gesetzes, auch auf

Bon Willenserklärungen.

145

§. 25. Sind aber dieselben unter Vormundschaft gesetzt, so kann, so lange diese bauert43 * *),* * auf * * * *das * * * Vorgeben, daß die Erklärung in einem lichten Zwischen­ räume erfolgt sei, keine Rücksicht genommen werden. §. 26. Von Willenserklärungen der Blödsinnigen, die unter Vormundschaft genommen worden, gilt das, was von Unmündigen verordnet ist. (§§. 21. 22.) §. 27. Wenn auch der Blödsinnige noch nicht unter Vormundschaft gesetzt ist, so gilt doch die Vermuthung 44), daß derjenige betrügerisch gehandelt habe, welcher durch die Willenserklärung, mit dem Schaden desselben, sich zu bereichern sucht. Blödsinnige, die der Gesetzgeber aus guten Gründen weggelassen hat, zu beziehen. Zu diesem Resultate sind auch die Gesetzrevisoren gekommen, welche zu dem §. 24 sagen: „Anders, als bei Wahnsinnigen, gestaltet sich das Rechtsverhältniß in Betreff der Blödsinnigen. Das Gesetz be­ zeichnet mit diesem Ausdrucke diejenigen, welche aus Geistesschwäche die Folgen ihrer Hand­ lungen zu überlegen nicht im Stande sind (§. 28 Tit. 1); von lichten Zwischenräumen kann daher nicht dieRede sein, derZustand d er Geistesschwäch e muß als fort­ dauernd gedacht werden. Deswegen läßt sich hier eine solche Vermuthung, wie sie bei den Wahnsinnigen die Abstufung bildet, nicht aufstellen." Motive zu Tit. 4 Pensum XIV S. 29. H. Zwei andere Senate des O.Tr. sind inzwischen der richtigen Auffassung des §. 24 bei­ getreten. Erk. I v. 8. März 1867, Entsch. 58 S. 158, 169, u. III v. 31. Mai 1869, Str. Arch. 75 S. 96, 98.

43) Mit der Bevormundung tritt eine juristische Handlungsunfähigkeit der betroffenen Person ein. Deshalb kommt bei der Beurtheilung der Gültigkeit einer Willensäußerung des Bevormundeten nichts darauf an: ob gleichzeitig auch physische Willensunfähigkeit vorhanden war. Ein wegen Geisteskrankheit Jnterdizirter bleibt auch nach eingetretener Genesung bis zur Aufhebung des Interdikts handlungsunfähig. In der Jnterdiktion also, welche nach L.R. in Form der Bevormundung geschieht', liegt die juristische Handlungsunfähigkeit. Daraus folgt, daß dieselbe nicht schon mit der Bestellung des Kurators ad lites über die Gemüthskrankheit, welche Kuratel auch nicht von der Vormundschaftsbehörde ausgeht, anfangen kann. Hiergegen ist gesagt worden, die Präsumtion des §. 24 könne nach Einführung dieser Kuratel nicht mehr gelten, denn sie werde durch die Verität verdrängt, weil die Wahnsinnigkeitserklärung durch Urtel nur dann geschehe, wenn der Wahnsinn festgestellt worden sei. Das aber betrifft die faktische Handlungsunfähigkeit und deren Beweis. Wahrscheinlich wird der Richter den Beweis des Daseins der Krankheit zu einer gewissen Zeit nach Einleitung des Prozesses leichter für geführt annehmen, wenn derselbe mit der Wahnsinnigkeitserklärung endet. Aber juristisch un­ fähig wird der Provokat sicherlich nicht durch die Einbringung der Provokation und Einleitung der Untersuchung. Vergl. I. 12 §§. 21, 22. H. Gegenwärtig kommen für diese Fragen in Betracht C.P.O. 8- 600 u. Borm.O. §. 90. 44) Der Sinn ist dunkel. Nach einer Auslegung sollen hiermit nur solche Personen gemeint sein, welche bereits richterlich für blödsinnig erklärt, aber noch nicht bevormundet sind. Darnach würden solche Gemüthskranke, vor der Blödsinnigkeitserklärung, für handlungsfähig gelten, wenn­ gleich der thatsächliche Blödsinn zur Zeit der Willensäußerung vollständig erwiesen würde. Das stände mit dem Prinzipe des §. 3 d. T. in geradem Widerspruche und kann unmöglich gemeint sein. Man muß hier, wie vorhin (Anm. 42» u. 43), zwischen dem Zustande der faktischen Willensunfähigkeit, welche aus dem Blödsinne als Thatsache wie aus Trunk u. s. w. entsteht, und dem Zustande der durch die Bevormundung (Jnterdiktion) entstehenden juristischen Hand­ lungsunfähigkeit unterscheiden. Der §. 27 handelt von dem faktischen Zustande. Wird erwiesen, daß derjenige, dessen Willenserklärung angefochten wird, zur Zeit der Willensäußerung in der That an Blödsinn litt, so ist die scheinbar vorhandene Willenserklärung, zufolge des §. 3 d. T., wegen Mangels der Vernunft und Ueberlegung, nichtig, ohne daß es noch erst auf einen Betrug ankommt. Kann aber die Gemüthsbeschaffenheit zu jener, vielleicht schon zu lange vergangenen, Zeit nicht mehr festgestellt werden und ist die betroffene Person in der Folge für blödsinnig erklärt worden, so soll, in dem Falle der Bereicherung des Anderen durch die angefochtene Willenserklärung, eine betrügerische Veranlassung derselben vermuthet werden. So hat auch das O.Tr. III am 23. März 1849 in der Sache Pape w7 Troschke, 560/2280, III, 48, dieses Gesetz ausgelegt. Außer dem Falle der Bereicherung muß stets bewiesen werden, daß der Erklärende zur Zeit der Willensäußerung blödsinnig war. In dem Erk. IV v. 10. Mai 1859, Arch. Str. 35 S. 17, ist gesagt: die Anwendbarkeit des §. 27 sei dadurch bedingt, daß die Person, welche sich über dasjenige geäußert hat, was nach der ausgedrückten Absicht geschehen, oder nicht ge­ schehen soll (§. 1), zu eben dieser Zeit erwiesenermaßen thatsächlich blödsinnig gewesen ist. Das ist ungenau. Der §. 27 setzt einen thatsächlich Blödsinnigen voraus, der noch nicht unter Vor­ mundschaft gestellt, d. h. dem noch nicht die Handlungsfähigkeit (durch Jnterdiktion) genommen Koch, Allgemeines Vniibmiit. L 8. Anfl. 10

146

Erster Theil.

Vierter Titel.

§§. 28 - 35.

§. 28. Personen, welche durch den Trunk45) des Gebrauchs ihrer Vernunft beraubt worden, sind, so lange diese Trunkenheit dauert, den Wahnsinnigen gleich zu achten. (§. 23.) §. 29. Ein Gleiches gilt von denjenigen, welche durch Schrecken, Furcht, Zorn, oder andere heftige Leidenschaft, in einen Zustand versetzt worden, worin sie ihrer Vernunft nicht mächtig todten46). §. 30. Daß Trunkenheit oder Leidenschaft bis zu einem solchen Grade ge­ Freiheit des Willens. stiegen sind, wird nicht vermuthet (.§. 91.)47). worden ist. Wenn ein solcher eine Rechtshandlung vollzogen hat, so ist die Frage: ob er that­ sächlich dazu fähig war zu der Zeit der Vollziehung. Nun sagt der §. 27: Es wird vermuthet, der Andere habe betrügerisch gehandelt und dadurch sich mit dem Schaden des Erklärenden zu bereichern gesucht. Der Andere muß deshalb beweisen, daß er nicht betrogen und auch sich nicht zu bereichern gesucht habe. Dann ist dieser Anfechtungsgrund beseitigt. Dann bleibt aber der selbstständige Ungültigkeitsgrund der thatsächlichen Willensunfähigkeit in jenem Zeitpunkte noch stehen, und dieser muß von dem Anfechter bewiesen werden, insofern nicht aus der Natur der Geisteskrankheit und deren Entstehung in dem konkreten Falle das Vorhandensein der Krank­ heit von Kindheit an erhellet. Vergl. Anm. 45a zu §. 24. Diese drei scharf zu scheidenden Un­ gültigkeitsgründe laufen in jenem Erk. und in dem jüngeren Erk. III v. 9. Dez. 1859, Str. Arch. 36 S. 105, durcheinander. In einem älteren Nechtsfalle sagt auch das O.Tr. ganz richtig: gegen einen gerichtlichen Vertrag sei der Einwand der Ungültigkeit desselben wegen stattgehabten Blödsinnes eines nicht bevormundet gewesenen und von dem Gerichtsdeputirten für dispositions­ fähig erachteten Kontrahenten zulässig. Erk. IV v. 7. Mai 1857, Str. Arch. 24 S. 280. Zu dieser Ansicht bekennt sich auch neuerdings wieder das Erk. IV v. 20. Sept. 1864, Str. Arch. 56 S. 173. H. Der §. 27 bezieht sich nach der richtigen Auffassung auf Rechtsgeschäfte, welche eine wegen Blödsinns entmündigte Person vor der Entmündigung einem Anderen gegenüber, vor­ genommen hat, der seinerseits darauf ausging, sich mit dem Schaden des Erklärenden zu be­ reichern. Wird letzteres sestgestellt, so bedarf es des Beweises nicht, daß der Erklärende schon damals blödsinnig war. R.G. IV v. 13. Juni .1881, Gruchot 26 S. 406. 45) Oder durch Genuß von Opium und anderen berauschenden Mitteln. — Welche Ge­ danken des Gesetzgebers den §§. 28 u. 91 zum Grunde liegen, erhellet aus folgender Bemerkung Suarez'. Er sagt: „Trunkenheit und heftige Leidenschaften schließen entweder den Gebrauch der Vernunft ganz aus, oder sie hindern nur die richtige Anwendung derselben, und verleiten den trunkenen oder von heftigen Leidenschaften eingenommenen Menschen zu Irrthümern des Verstandes. Insoweit ein solcher Irrthum das Subjekt, Objekt oder essentialia negotii betrifft, vereitelt er den Effekt der Willenserklärung schon an und für sich, ohne Rücksicht auf die Quellen, woraus er entsprang. Betrifft aber der Irrthum bloß Nebenumstände, so kann man in foro externe eine Unwirksamkeit der Willenserklärungen im Allgemeinen daraus nicht herleiten, ohne zu einer allzugroßen Ungewißheit in den Geschäften und Verhandlungen des bürgerlichen Lebens Anlaß zu geben. Hat hingegen Jemand den Anderen in Umstände versetzt, die ihn zu einem solchen Irrthume verleiten, so ist es den Grundsätzen sowohl des Rechts, als der Billigkeit gemäß, daß er daraus nicht Vortheil ziehen kann." Bornemann, System 1 S. 332; Entsch. des O.Tr. 38 S. 12. Hiernach ist zu unterscheiden, a) Betrifft der Irrthum des Verstandes essentialia negotii, so ist nach allgemeinen Grundsätzen (§§. 75 ff.) die Willenserklärung un­ gültig. b) Bezieht sich der Irrthum auf Nebenumstände, so wird, abweichend von der sonstigen Regel (§. 83), die Willenserklärung doch vereitelt, wenn derjenige, welcher daraus ein Recht er­ langen will, die Trunkenheit herbeigeführt hat (§. 91). O.Tr. III v. 29. März 1858, Entsch. 38 S. 13. — In dem ersten Wechselfalle, wenn „Trunkenheit rc. den Gebrauch der Vernunft ganz ausschließen" (der Fall des §. 28), bedarf es zur Erhaltung des Klagrechts beziehungsweise Einwandes nicht der im §. 92 d. T. vorgeschriebenen vorgängigen Anzeige, es muß aber der Mangel der zur Eingehung des Vertrages erforderlichen Willensfähigkeit zur Zeit der Vertrags­ schließung bewiesen werden. O.Tr.. III v. 14. Juli 1854, Str. Arch. 14 S. 150. 46) Schwerlich wird der Fall vorkommen, daß Jemand in dem hier vorausgesetzten Grade des Zornes, in welchem er kein Bewußtsein hat, eine Rechtshandlung vollzieht. Veranlassung zu dieser Gleichstellung des Zornigen mit dem Wahnsinnigen hat die L. 48 1). de reg. jur. (L, 17) und L. 3 de divort. (XXIV, 2) gegeben, wo von der feierlichen Formel der Ehe­ scheidung die Rede ist, die schwerlich ein aus Zorn Bewußtloser wird aussprechen können. — Jeder mit dem Wahnsinne gleichartige Zustand, d. i. ein solcher, worin zwar eine äußerliche menschliche Thätigkeit vorhanden ist, aber dem Menschen der Vernunftgebrauch fehlt, ist der für den Fall des Wahnsinns gegebenen Regel unterworfen, ohne Unterschied der Entstehungsursache. Der­ gleichen Zustände sind noch das Fieberdelirium, das Nachtwandeln, der Somnambulismus.

Von Willenserklärungen.

147

§. 31. Aeußerungen des Willens, wozu Jemand durch physische Gewalt ge­ nöthigt worden, haben keine verbindliche Kraft47 48). §. 32. Ein Gleiches gilt von solchen Willenserklärungen, wozu Jemand durch Entziehung der Nahrungs- und Heilmittel, oder durch Zufügung körperlicher Schmerzen vermocht worden. §. 33. Auch gefährliche Bedrohungen des Lebens, der Gesundheit, der Freiheit und Ehre, machen jede darauf erfolgende Willensäußerung unkräftig49).50 §. 34. Drohungen sind gefährlich, wenn die Ausführung derselben entweder an sich, oder auch nur nach der Meinung des Bedroheten in der Gewalt des Drohenden steht. §. 35. Die Drohung, Jemanden eines Verbrechens wegen, mit oder ohne Grund, gerichtlich angeben zu wollen, vereitelt51) in der Regel62) jede darauf er­ folgte Willenserklärung des Bedroheten. 47) Die Verweisung auf §. 91 ergiebt den Gegensatz: wenn auch Trunkenheit rc. erwiesen wird, so ist damit doch ein bewußtloser Zustand noch nicht dargethan, folglich wird angenommen, daß die im trunkenen oder leidenschaftlichen Zustande gegebenen Willenserklärungen mit Bewußt­ sein, also an sich gültig geschehen sind. Der §. 30 bezieht sich auf den Zustand der Bewußt­ losigkeit, verbunden mit dem äußeren Scheine einer menschlichen Thätigkeit. S. die vor. Anm. Was in diesem Zustande etwa ausgesprochen oder geschrieben wird, gilt für nichts. Die Mei­ nungen sind darüber getheilt: ob zur Erhaltung des Anfechtungsrechtes hier gleichfalls die im §. 92 vorgeschriebene 8tägige Frist zur vorläufigen Anmeldung beobachtet werden müsse. Nein, weil Fristbestimmungen keine analoge Anwendung finden, und weil dort, im §. 92, von rechts­ gültigen Willenserklärungen die Rede ist, die aus einem besonderen Grunde, nämlich wegen miß­ bräuchlicher Benutzung einer aufgeregten Stimmung des Erklärenden zur Begründung eines Rechts für den Anderen, unwirksam gemacht werden sollen; wogegen hier gar keine Willens­ erklärung, sondern nur der äußere, der betroffenen Person unbewußte Schein einer solchen vor­ handen ist. Der Fall hat übrigens ein sehr untergeordnetes Interesse. Denn bei der Ver­ muthung des §. 30 verb. mit §. 91 wird es kaum vorkommen, daß ein bewußtloser Zustand eines Menschen aus Trunkenheit erweislich zu machen wäre, in welchem derselbe eine rechtliche Willenserklärung ohne Mitwirkung eines Anderen ausgesprochen oder unterschrieben hätte. Vergl. Anm. 45. 48) Die §§. 31—42 enthalten die Bestimmungen über die actio quod meins causa; die §§. 43, 44 gehören mit den §§. 28, 29 zusammen. Es macht keinen Unterschied, ob der Zwang von einer Privatperson oder von einem innerhalb seines Amtes sich bewegenden Beamten, z. B. Polizeibeamten, ausgegangen ist. O.Tr. IV v. 11. Sept. 1856, Str. Arch. 22 S. 169. 49) Ob meins infamiae zur Restitution genüge, war streitig. Das L.R. entscheidet hier­ durch den Streit. Vergl. L. 7 1). quod meins causa (IV, 2). — In dem §. 31 vorausgesetzten Falle ist gar kein Wille vorhanden, die genöthigte Person wird als Sache oder Mittel zur Her­ stellung des äußeren Scheins einer Willenserklärung gemißbraucht; die §§. 33 u. 34 umfassen die Fälle, wo der Erklärende wirklich will, d. h. wo er sich selbst entschließt zu thun und dem­ zufolge willkürlich thut, was geschehen ist, aber nur um ein Uebel von sich abzuwenden. Beide Arten von Fällen stellt das L.R. ganz gleich, in Uebereinstimmung mit der damals vorherrschenden Meinung der Rechtslehrer, aber im Widerspruche mit dem R. R. 50) — ex affectu metuentis intelligitur. L. 3 D. ex quibus c. major. (IV, 6). Vergl Leyser, med. sp. 58 m. 3. — Aber wie soll der Richter diese wissen können? Die eigene Angabe des Bedrohten kann nichts beweisen, denn: hujus rei disquisitio judicis est. L. 3 cit. Woher der Richter seine Ueberzeugung gewinnen soll, das sagen ihm die §§. 36 u. 37. Ganz mit Unrecht hat man in den §§. 34 u. 36 eine Disharmonie, einen logischen Fehlgriff sehen wollen: auch in den §§. 36 u. 37 ist die subjektive Meinung des Bedrohten über die Gefährlich­ keit der Drohung das zu Beweisende, wie im §. 34. Vergl. L. 6 D. quod meins (IV, 2) u. L. 8 §. 2 D. eod. 51) Der Einwand, durch eine solche Drohung zu einer Willenserklärung bestimmt worden zu sein, gilt als Einrede des Zwanges und muß daher bei Verlust des Rechts der Eides­ zuschiebung und der Verstattung zum Erfüllungseide innerhalb acht Tagen gerichtlich angemeldet werden. §§. 45, 49, 50. O.Tr. IV v. 16. Rov. 1852, Str. Arch. 7 S. 141. — Nach dem Wortsinne genügt die bloße Drohung mit einer Denunziation, um die darauf erfolgte Willens­ erklärung als eine dadurch veranlaßte und erzwungene zu erachten. Vergl. Entsch. 17 S. 100. Doch ist der Beweis, daß die wahre Veranlassung eine andere gewesen, nicht ausgeschlossen,

148

Er ster Theil.

Vierter Titel.

§§. 36—45.

§. 36. Bei Drohungen, welche nicht unmittelbar Leben, Gesundheit, Freiheit oder Ehre betreffen, muß nach der Befchaffenheit des angedroheten Uebels an fich, und nach beni Verhältnisse desselben zu dem Gegenstände der Erklärung, von dem Richter vernünftig beurtheilt werden: ob dadurch die Willensäußerrung wirklich erzwungen worden sei. §. 37. Auch ist, bei Bestimmung des Einflusses der Drohung in den Willen des Bedroheten, zugleich auf desfelbcn Leibes- und Gemüthsbeschaffenheit Rücksicht zu nehmen 5S). §. 38. Die Drohung, sich seines Rechtes") gesetzmäßig zu bedienen, kann niemals als Zwang angesehen werden. §. 39. Eine Willenserklärung also, wozu Jemand durch die Aeußerung des Andern, sein Recht gerichtlich verfolgen zu wollen, bewogen worden, ist keineswegs für erzwungen zu achtenSf>). §. 40. Die gedrohete Entziehung eines Vortheils, welchen der Drohende dem Andern zwar zugedacht, aber noch nicht eingeräumt hatte, macht die Willens­ erklärung des Bedroheten niemals unkräftig. §. 41. Der Vorwand, daß Scheu oder Ehrfurcht die Willenserklärung ver­ anlaßt habe, verdient keine Rücksicht6#). §. 42. Erzwungene Willenserklärungen sind auch alsdann ungültig, wenn die Gewalt oder der Zwang nicht von dem, zu dessen Vortheil die Erklärung gereichen soll, sondern von einem Dritten87) verübt worden. auch muß, um jene Vermuthung eintreten zu lassen, der gedroheten Denunziation die darauf ge­ folgte Willenserklärung entsprechen. Vergl. die §§. 38 u. 39 und die Anm. dazu. 52) Die Ausnahme machen solche Verbrechen, welche für die Civilsache präjudiziell sind, oder bei welchen nur in Verbindung mit der Strafsache der Civilpunkt verfolgt werden kann. 53) Vergl. oben die Anm. 50, und von den Schriftstellern Voet, Comment. IV, 2 §. 11. 54) Welches Rechts? Ein Grundbesitzer hat auf dem Grundstücke des Nachbarn eine be­ deutende ,Hypothek zur letzten Stelle stehen. Er wünscht von dem Nachbarn ein an seinen Garten stoßendes Ackerstück billig zu erwerben, um seinen Garten auszudehnen. Der Nachbar ist zur Abtrennung dieses seines besten Ackerstücks nicht geneigt. Da sagt ihm Jener, wenn ihm das Ackerstück nicht für den und den Preis abgelassen würde, so werde er von seinem Rechte Gebrauch machen und die Hypothek einziehen. Der Schuldner kann die Anschaffungskosten des Geldes nicht erschwingen und hat auch wenig Realkredit mehr; er sieht sich also bei der Aus­ führung der Drohung aus seinem Besitzthume vertrieben. Er wählt das geringere Uebel und überläßt das Ackerstück für den gebotenen Spottpreis. Ist dieser Fall mit gemeint? Nach dem Zusammenhänge, nein. Denn die Bestimmung betrifft das bestimmte Recht, auf welches sich die fragliche Willenserklärung bezieht. Dennoch aber wird auch in dem gesetzten Falle der- Kauf wohl für einen erzwungenen gellen können. 55) Die Auslegung der 38 u. 39 und die Vereinigung derselben mit dem §. 35 ist streitig. Die §§. 38 u. 39 sollen, nach einer Meinung, sich zum §. 35 wie Ausnahme zur Regel verhalten und dm Fall betreffen, wo durch ein Verbrechen wirklich eine Beschädigung zugefügt worden ist. Dann soll die Abforderung der Entschädigung unter der Drohung, daß sonst das Verbrechen angezeigt werden würde, nur als Aeußerung, sein Recht gerichtlich verfolgen zu wollen, nicht als Zwang angesehen werden können; sonst würden die §§. 38 u. 39 dem H. 35 widersprechen. Diese Auslegung widerspricht schon dem klaren Wortsinne. Die §§. 38 u. 39 sprechen von der angekündigten gesetzmäßigen Verfolgung des Rechts, also von der Eivilklage; der §. 35 aber von der Denunziation des Angesprochenen zur Bestrafung. Diese Anzeige führt nicht zur Verwirklichung des Rechts; deshalb ist sie keine solche Drohung, die nur eine Aeußerung, sich seines Rechtes gesetzmäßig zu bedienen und sein Recht gerichtlich verfolgen zu wollen, ent­ hält. O.Tr. IV (Pr. 2086) v. 30. Okt. 1848, Entsch. 17 S. 97. H. Vgl. Gruchot 27 S. 736. 56) Ne tu 8 reverentialis, nicht durch Drohungen veranlaßt, kommt nicht in Betracht, auch nach L. 6 C. de bis, quae vi. Von einigen wurde es gleichwohl behauptet, auf Grund des c. 14 X. de sponsal. Aber die vorlandrechtliche Gerichtspraxis verwarf den Einwand dieser Art Furcht. Hy mm en, Beiträge 7 S. 84 Nr. 21. 57) Die Eigenschaft der röm. actio quod metus causa als actio in rem scripta (L. 9 §. 8; L. 14 §. 5 D. quod metus causa IV, 2; L. 4 §. 33 D. de doli mali exc. XLIV, 4)

Von Willenserklärungen.

149

§. 43. Dadurch aber, daß eine drohende Gefahr zu der Willenserklärung bloß Anlaß gegeben l)at58), wird diese noch nicht entkräftet. §. 44. Hat jedoch Furcht vor der Gefahr das Vermögen des Erklärenden, mit Freiheit und Ueberlegung zu handeln, gänzlich ausgeschlossen, so findet die Vor­ schrift des §. 28. sqq. Anwendung. §. 45.59) Wer eine sonst rechtsbeständige Willenserklärung wegen erlittenen ist hier ausdrücklich beibehalten. Ueber die Wirkung des Zwanges und der Furcht bei Willens­ erklärungen ist die Praxis nicht im Klaren, und die Erscheinung, daß auch gegen einen Dritten geklagt werden kann, ist aus einer Nichtigkeit ipso jure erklärt worden. Zwar ist der hiergegen behauptete Einwand: das L.N. kenne den Unterschied zwischen der Nichtigkeit ipso jure und der ope exceptionis nicht, nicht gegründet. (S. Tit. 3 ,§. 43 u. Anm. 38 dazu.) Dennoch ist jener Erklärungsgrund hier nicht zutreffend; denn die erzwungenen Willenserklärungen sind an sich rechtsbestündig, aber von Seiten des Gezwungenen anfechtbar (§. 45). Der juristische Grund, warum die mit Erfolg unternommene Anfechtung auch gegen den Dritten, sei es in mala oder in bona fide — unbeschadet der besonderen Rechte des Redlichen — wirkt, ist der, daß die hier anwendbaren Rechtsmittel in rem restitutoria sind. Die Wirkung ist daher Wiederherstellung des früheren Zustandes. Dieses Ziel kann erreicht werden, nach Wahl, entweder durch die aus demjenigen Rechtsverhältnisse, welches durch die erzwungene Erklärung aufgehoben oder ver­ ändert werden soll, entspringende eigenthümliche Klage, indem die erzwungene Erklärung ignorirt, und wenn sie eingewendet wird, mit der Replik quod metus causa unwirksam gemacht wird, oder auch, indem hauptsächlich die Erklärung angegriffen und folgeweise, nach durchgesetzter Rescission, das alte Recht, kumulativ oder besonders, geltend gemacht wird. Deshalb ist in diesem Falle die Klage bald in rem bald in personam, je nachdem die zuständige alte Klage, die jetzt utiliter gebraucht wird, die eine oder die andere war. L. 9 §§. 4, 6; L. 21 § 6 D. quod metus causa (IV, 2); L. 3 C. eodem. Oder durch die prätorifche actio quod metus causa, welche besonders in dem Falle praktische Dienste leistet, wo durch die erzwungene Er­ klärung ein persönliches Rechtsverhältniß ursprünglich begründet werden soll oder eine nicht schuldige Leistung abgenöthigt worden ist. L. 9 §. 3 D. eodem. Es versteht sich, daß diese Formeln nicht unmittelbar jetzt anzuwenden sind, und daß auch die Operationen der Restitution und der erst demnächst eintretenden Anwendung der alten Klage nicht äußerlich unterschieden werden, namentlich bei stattfindender Kumulation. Aber der organische Zusammenhang, die Innerlichkeit der Institute ist noch heute dieselbe. Vergl. §. 47. H. Anfechtbarkeit der er­ zwungenen Willenserklärung nimmt auch Förster-Eccius 1 §. 29 an, Dernburg 1 §. 112 dagegen relative Nichtigkeit 58) Z. B. Mehrere befinden sich bei einer Ueberschwemmung in einem von den Wasserfluthen umgebenen Gebäude, und die drohende Gefahr des Bruchs veranlaßt Willenserklärungen. Diese sind unanfechtbar, wenn der Erklärende nicht etwa seiner Vernunft durch die Todesgefahr beraubt worden ist, auf welchen Fall der folg. §. 44 geht. Die §§. 43, 44 gehören nicht der Materie von der actio quod metus causa an, die Fälle dieser Bestimmungen sind nicht unter die Grundsätze dieses Klagerechts zu stellen; sie sind der L. 9 §. 1 D. quod metus causa (IV, 2) und L. 34 §. I JD. de donationibus (XXXIX, 5) nachgebildet und stehen mit den §§. 28, 29 in Verbindung. Die §§. 43 u. 44 setzen nämlich voraus, daß die drohenden Gefahren keiner fremden Einwirkung oder bösen Absicht beizumessen sind. Der durch eine ohne fremdes Zuthun drohende Gefahr erregte Zustand der Furcht ist schon im §. 28 berücksichtigt. Es hätte zwar ein nochmaliges Zurückgehen darauf nicht bedurft, doch ist hier die Erinnerung daran, daß die Fälle der §§. 43, 44 nicht den Grundsätzen der actio quod metus causa (§§. 31 bis 42), welche die schuldbare Einwirkung eines Menschen voraussetzen, sondern dem Prinzipe des §. 29 unter­ zuordnen, nützlich. Die 43 u. 44 entscheiden dadurch zugleich den Meinungsstreit über die Frage: ob und inwieweit durch, ohne fremde Schuld, erregte Affekte die rechtliche Fähigkeit zur Willensbestimmung aufgehoben werden könne. O.Tr. II v. 29. Mai 1856, Entsch. 33 S. 8. Ueberhaupt findet die Bestimmung des §. 43 nur da Anwendung, wo eine Kausalverbindung zwischen der Willenserklärung und den Handlungen des Promissars oder eines Dritten zu dessen Gunsten nicht ersichtlich ist. Haben dagegen Drohungen des Promissars oder eines Dritten die Willenserklärung des Promiltenten veranlaßt, so kommen nur die §§. 33—45 zur Anwendung. O.Tr. II v. 3. Dez. 1857, Str. Arch. 28 S. 127. 59) H. Die in den §§. 45, 46 vorgeschriebene Anzeige bei Gericht hat nach §§. 49, 50 nur den Zweck der Abwendung prozeßrechtlicher Nachtheile, welche mit der Unterlassung der An­ zeige verknüpft sind. Da durch das Einf.Ges. zur C.P.O. §. 14 Nr. 2, 3 die prozeßrechtlichen Vorschriften der Landesgesetze für alle bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten, deren Entscheidung in Gemäßheit des §. 3 dies. Ges. nach den Vorschriften der C.P.O. zu erfolgen hat, außer Kraft

150

Erster Theil.

Vierter Titel-

§§. 46—52.

Zwanges anfechten will, muß dieses, so bald als er einen Richter hat antreten können, spätestens aber binnen acht Tagen nach diesem Zeitpunkte"") gerichtlich anzeigen. §. 46. Dergleichen vorläufige Anzeige kann bei einem jeden6I * *) * Gerichte * * * 60 gültig geschehen; sie muß aber die zur Sache gehörigen Umstände unter Anführnng der Beweismittel enthalten. §. 47. Uebrigens hängt es von dem Anzeigenden ab, die Ungültigkeit der Willenserklärung gegen den, welcher sich des Zwanges oder Gewalt schuldig gemacht hat, gerichtlich auszuführen ®2); oder den Anspruch aus der Willens­ erklärung abzuwarten63); oder sich der in der Gerichtsordnung vorgeschriebenen Wege zur Erhaltung seiner Beweismittel zu bedienen64).65 §. 48. Ist jedoch die angezeigte Gewalt so beschaffen, daß dadurch eine pein­ liche Untersuchung begründet werden kann, so muß der Richter, bei welchem die Anzeige geschehen ist, demjenigen inländischen Richter""), vor welchen die Unter­ suchung gehört, davon sofort zur weitern Verfügung Nachricht geben. §. 49.66) Ist die vorläufige Anzeige nach §. 45. nicht geschehen67), so ver­ liert der angeblich Gezwungene dadurch das Recht, sich des Eidesantrages zum Betveise zu bedienen, und muß den Einwand auf andere Art vollständig darthun. gesetzt sind, insbesondere die Vorschriften, welche in Ansehung gewisser Rechtsverhältnisse einzelne Arten von Beweismitteln ausschließen oder nur unter Beschränkungen zulassen, sowie die Vor­ schriften, nach welchen unter bestimmten Voraussetzungen eine Thatsache als mehr oder minder wahrscheinlich anzunehmen ist, so können die §§. 45, 46, 49—51 nur noch bei solchen Rechts­ streitigkeiten in Betracht kommen, deren Entscheidung nicht nach den Vorschriften der E.P.O. zu erfolgen hat. 60) Jedes, unmittelbar nach Wegfall des Zwanges eintretende Hinderniß, z. B. Krankheit, Abwesenheit zur See oder im Auslande, hindert den Anfang der achttägigen Frist, muß jedoch besonders bewiesen werden. Ein im Laufe der Frist eintretendes Hinderniß unterbricht jedoch den Lauf nicht; die Frist ist ein Fatale. S. die Anm. 67 zu §. 49. 61) Inländischen. Denn im Auslande richtet man sich nicht nach dem L.R., wenn dieses dort nicht zufällig gilt. 62) D. h. abgesehen hiervon (§§. 45, 46) kann er die Ungültigkeit der fraglichen Willens­ erklärung sowohl klagend oder wiederklagend, als auch einwandsweise ausführen. In dem Erk. des O.Tr. III v. 28. Febr. 1853, Str. Arch. 8 S. 328, wird die Erstattung der Anzeige als eine Bedingung des fakultativen Gebrauchs der Rechtsmittel hingestellt. Dies ist inkorrekt. — Die Klage entspricht der actio rescissoria utilis in rem vel in personam, d. i. das alte Klage­ recht, u. actio quod metus causa. S. o. Anm. 57. 63) Und die exceptio quod metus causa entgegen zu setzen; auch diese ist in rem scripta. L. 4 §. 33 D. de doli mali et met. exc. (XLIV, 4). 64) Durch Aufnahme des Beweises zum ewigen Gedächtnisse. Die provocatio ad agendum erfordert eine besondere Begründung durch Berühmung seitens des Anderen oder durch An­ erkennung der Forderung des Anderen unter Behauptung von Einwendungen dagegen seitens des Provokanten, und ist daher kein hier brauchbares Mittel. 65) Jetzt dem Staatsanwalte, schon nach d. V. v. 3. Jan. 1849 §. 5. 66) In Ansehung der §§. 49-51 val. Anm. 59. 67) Oder ist sie nicht nach Vorschrift des §. 46 substantiirt. Beide Bestimmungen sind nicht zu trennen, sonst, wenn die unsubstantiirte Anzeige nach §. 45 allein genügen könnte, würde die Vorschrift des §. 46 ganz und gar überflüssig sein. So ist es aber auch in der That. Die Verf. (Suarez und Klein) haben nur die Zeitbestimmung im Sinne gehabt. Jahrb. 52 S. 3 und 66; 51 S. 3. — Ein Appellationsgericht hatte die durch Gewaltthat erzwungene Flucht eines Grundbesitzers aus seinem Besitzthume für eine „sonst rechtsbeständige Willenserklärung" (8- 45) genommen, welche der Vertriebene zwar wegen Zwanges angreifen könnte, wobei ihm aber die Beweisführung durch Eidesdelation wegen unterlassener Anzeige nicht gestattet sei. Das O.Tr. hat denn die Nichtigkeitsbeschwerde wegen Verletzung der §§. 45 u. 49 für begründet erkannt. Erk. III v. 20. Sept. 1861, Entsch. 46 S. 25, Str. Arch. 42 S. 334. — H. Ist trotz unterbliebener Anzeige über den behaupteten Zwang der Eid dem Gegner angetragen, von dem­ selben ohne Erinnerung zurückgeschoben und demnächst abgeleistet, so ist ihm beweisende Kraft nicht abzusprechen. O.Tr. III v. 25. Okt. 1872, Str. Arch. 86 S. 304.

Von Willenserklärungen.

151

§. 50. Auch wird durch die Unterlassung der Anzeige die dem Einwande entgegenstehende rechtliche Bermuthung dergestalt verstärkt, daß zur Ergänzung eines gegen diese Vermuthung nicht vollständig geführten Beweises kein Erfüllungseid stattfinden kann. °8) §. 51. Ist der Erklärende gestorben, ehe er nach §. 45. die vorläufige An­ zeige hat machen können, so steht seinem Erben frei, noch innerhalb dreier Monate, nach erhaltener Kenntniß von dem Dasein der Willenserklärung *”*), den Zwang mit der vorgedachten Wirkung auzuzeigen. §. 52. Eine Willenserklärung, »voraus Rechte und Verbindlichkeiten entstehen sollen, muß ernstlich sein 70 68).69 68) Die Unzulässigkeit eines nothwendigen Eides ist eben die nothwendige, sich von selbst verstehende Folge der Schlußbestimmung des vorhergehenden §. 49. Wer den Beweis voll­ ständig führen muß, kann den unvollständig ausgefallenen Beweis nicht durch sein eigenes Zeugniß ergänzen. Die Verstärkung der widrigen Vermuthung, erst eingeschaltet auf ein Mon. von Klein (Jahrb. 52 S. 61), ist überflüssig. 69) Oder von dem Erbanfalle, wenn er den Zwang schon vorher erfahren hatte. 70) Deshalb ist bei einer schriftlichen Erklärung, abgesehen von der vorgeschriebenen Form, die Unterschrift des Erklärenden nothwendig, sonst fehlt es an der Gewißheit, daß der Verfasser die Erklärung ernstlich gemeint habe. Aus diesem Grunde ist eine nicht unterschriebene schrift­ liche Erklärung auch dann nicht gültig, wenn die mündliche Form genügen würde. Entsch. des O.Tr. 1 S. 88. Doch mit Unterscheidung. Der Wille ist nämlich ein inneres, an sich unwahrnebmbares Ereignis; und muß deshalb offenbart werden. Dazu dienen hauptsächlich die Sprache und die gewöhnlichen Zeichen. Dem wirklichen Entschlüsse geht aber meistens ein Zustand der Unentschiedenheit, der Erwägung voraus, und die Worte oder Zeichen, an sich geeignet, das vollendete Wollen erkennbar zu machen, können als Ausdruck des unentschiedenen Zustandes gebraucht sein. Wer seinen Willen durch Schrift auszudrücken beabsichtigt, kann den Inhalt zu Papiere bringen, bevor er noch mit sich selbst einig ist, er kann den beabsichtigten, doch noch nicht zur Vollendung gekommenen Entschluß entwerfen. Auf dieser Stufe kann der Gemüths­ zustand stehen bleiben; er geht nicht in einen entschiedenen Willen über. Die Schrift, ohne Namensunterschrift, kann in diesem Falle, für sich allein, den wahren Willen als vollendete That­ sache unmöglich beweisen. Nehme man aber hinzu, daß der Erklärende diese Schrift dem An­ deren mit der Aeußerung, daß sie seinen Willen enthalte, aushändigte, so würde an der Gewiß­ heit des Willens als Thatsache, auch ohne Unterschrift, kein Zweifel sein; denn kein Umstand macht erkennbar, daß der wahre Wille init dem Ausdrucke nicht übereinstimme. Es gilt aber der Grundsatz, daß auf den in Gedanken behaltenen, inneren Widerspruch (Mentalreservation) zwischen dem Willen und der Erklärung im Verkehre nicht geachtet wird. Umgekehrt kann eine selbst unterschriebene Schrift die Gewißheit des Willens nicht beweisen, so lange sie der Schreiber nicht der Gegenpart aushändigt. O.Tr. IV. v. 28. Juni 1850, Entsch. '19 S. 71. Die, aus anderen Umständen äußerlich erkennbar zu machende, Nichtübereinstimmung der Erklärung mit dem Willen kann im Bewußtsein des Erklärenden sein, und auch nicht. In dem letzteren Falle steht die Erklärung unter dem Einflüsse eines Irrthums. Jene wissentliche Abweichung kommt in zwei Hauptanwendungen vor: 1. wenn man gar keine Rechtshandlung will (Scherz, Uebung); 2. wenn man ein anderes Rechtsgeschäft will, als der Ausdruck bekundet, oder wenn andere Personen als die genannten die Subjekte sein sollen (Simulation). In allen diesen Fällen gilt die Regel: der wahre Wille, die thatsächliche Meinung gilt, nicht das, was die Erklärung enthält. I. 11 §§. 70 bis 74. ,.Plus valere quod agitur quam quod simulate concipitur.“ Tit. C. IV, 22. H. Vgl. O.Tr. IV v. 21. März 1872, Str. Arch. 85 S. 69 u. III v. 24. Jan. 1873, Entsch. 69 S. 25 u. Str. Arch. 88 S. 18. Wenn vor Unterschreibung eines Notariatsprotokolls der Berechtigte erklärt, es sei gleichgültig, ob die Exnexuationsverpflichtung des andern Theils in demselben stehen bleibe, da er unter keinen Umständen davon Gebrauch machen werde, und wenn der sich Verpflichtende diese Erklärung annimmt, dieselbe aber in das Protokoll nicht ausgenommen wird, so fehlt es dem Niedergeschriebenen an dem übereinstimmenden ernsten Willen der Parteien, durch welchen allein dasselbe die Bedeutung eines verbindenden Vertrages erlangen kann. O.Tr. III v. 23. Nov. 1874, Str. Arch. 93 S. 5. — Auch gegen die exceptio rei judicatae ist der Einwand (die Replik) zulässig, daß die Erklärung, auf welcher das Judikat beruht, mit Genehmigung des Gegners nur zum Schein abgegeben sei. Vergl. Ges. v. 9. Mai 1855 §. 7 Nr. 2 u. §. 8. O.Tr. III v. 11. Juli 1864, Entsch. 52 S. 1, 7. H. Die Behauptung, daß ein zwischen dem Pro-eßgegner und einem Dritten geschlossener Vertrag nur zum Schein geschlossen sei, enthält, sofern der Behauptende ein eigenes Interesse gellend macht, kein exceptio de jure tertii. R.G. V. v. 13. Dez. 1879, Gruchot 24 S. 545.

Ernster Witte.

152

Gewisser WiNc.

Stillschwei­ gende Wil' lenserklärungen.

Erster Theil.

Vierter Titel.

§§. 53—62.

§. 53. Wer über Angelegenheiten seines Berufs oder Gewerbes sich geäußert hat, dem steht die rechtliche Vermuthung, daß die Aeußerung nicht bloß zum Schein, oder nur aus Scherz, geschehen sei, entgegen. §. 54. Eben das gilt, wenn die Erklärung in einer besondern durch die Gesetze bestimmten Form 71 * *) * abgegeben worden. §. 55. Ueberhaupt muß die Richtigkeit des Vorgebens, daß eine Erklärung nur zum Schein, oder nur scherzweise72) geschehen sei, aus den Umständen klar erhellen 73). §. 56. Hat Jemand einen Andern durch ungebührlichen Scherz zu Anstalten und Handlungen, die diesem lästig sind, wissentlich verleitet74), so muß er ihn deß­ halb schadlos halten. §. 57. Willenserklärungen werden für zuverlässig oder gewiß angesehen, wenn die Absicht des Erklärenden, ein Recht erwerben, übertragen oder aufheben zu wollen, durch Worte oder andere deutliche Zeichen ausgedrückt75)76wird. §. 58. Handlungen, aus denen die Absicht des Handelnden mit Zuver­ lässigkeit geschlossen werden kann 7Ö), werden für stillschweigende Willensäußerungen angesehen. H. Auch eine Auflassung kann als nicht ernstlich gemeint angefochten werden. O.Tr. III v. 31. Mai 1875, Entsch. 75 S. 22, und v. 12. Juni 1876, Entsch. 78 S. 86; R.G. V v. 13. Dez. 1879, Gruchot, Beitr. 24 S. 543. 71) Die Anwendung der positiv vorgeschriebenen Ausdrucksweise (Form) für gewisse Er­ klärungen ist das zuverlässigste Zeichen des zur Reife gekommenen Entschlusses und wahren Willens. Doch schließt die Form den Gegenbeweis nicht aus, dieser wird nur sehr überzeugend geführt werden müssen. 72) Oder zur Uebung im Sprechen, Schreiben, Deklamiren. Vergl. L. 3 §.2 D. de verb. obl. (XLV, 1). 73) Das ist die Thatsache, auf die es ankommt: es muß erhellen, d. h. es muß für den Anderen äußerlich erkennbar sein; auf die innere Thatsache, daß der Handelnde oder Erklärende sich heimlich etwas Anderes gedacht, also wirklich nicht den Willen, welchen die Erklärung aus­ drückt, gehabt habe (Mentalreservation), kommt nichts an. Deshalb ist weder nothwendiger Eid, noch Eidesdelation über diese innere Thatsache zulässig; wohl aber über die Umstände, wenn darüber vor dem Richter gestritten wird. O.Tr. IV v. 7. Rov. 1851, Str. Arch. 5 S. 19, wo die Ergänzung des Beweises der Simulation durch einen nothwendigen, und insbesondere durch einen Erfüllungseid für zulässig erklärt wird. 74) Die Anwendung dieses Gesetzes müßte einen eigenthümlichen Fall haben, so, daß er weder unter das des §. 55 (s. die vor. Anm.) fiele, noch auch dem Anderen ein Versehen vor­ geworfen werden könnte. Wenn klar erhellet (§. 55), daß Jemand zum Scherze oder zur Uebung Worte spricht, die fähig sind, einen Willen kund zu geben, und nur der, welcher die Worte auf sich bezieht, blind ist; so kann er schwerlich Schadloshaltung fordern. 75) Der Titel (in margine) „gewisser Wille" ist nicht passend: er sagt eigentlich nichts Anderes als „ernster Wille" (§. 52), d. h. wahrer Wille. Hier ist aber die Ausdrucksweise, die äußere Erscheinung des Willens gemeint. Dieser §. 57 spricht von ausdrücklichen Willens­ erklärungen, im Gegensatze von stillschweigenden $.58. Eine ausdrückliche Willenserklärung ist nicht bloß dann vorhanden, wenn die Absicht des Erklärenden in allen ihren Wirkungen und Folgen mit bestimmten Worten ausgedrückt wird, sondern überhaupt dann, wenn aus dem In­ halte der Erklärung, aus den Worten in ihrem Zusammenhänge oder aus anderen deutlichen Zeichen der ernste und gewisse Wille unzweideutig erhellet. O.Tr. II v. 7. Juli 1857 u. v. 27. Febr. 1868, III v. 19. Febr. 1877, Str. Arch. 26 S. 100, 70 S. 106, 96 S. 161. 76) Es muß ein sicherer Schluß von der Handlung auf den Willen möglich sein. Z. B. die Annahme des Schuldscheines über ein Darlehn, ohne den darin ausgesprochenen Modalitäten zu widersprechen. Entsch. des O.Tr. 23 S. 19. Alsdann ist sie ein Mittel zur Erkennung des Willens, wenn sie auch zunächst einen selbstständigen Zweck hat. „Die Annahme einer still­ schweigenden Erklärung beruht also stets auf einer wirklichen Beurtheilung der einzelnen Hand­ lung, mit Rücksicht auf alle Umstände, von welchen sie begleitet ist, und diese Beurtheilung nimmt hier dieselbe Stelle ein, wie bei der ausdrücklichen dre gebrauchten Worte. Nicht selten wird die Handlung für sich allein gar nicht als Willenserklärung gelten können, sondern es wird dazu der positiven Mitwirkung äußerer Umstände bedürfen; aber auch, wo aus ihr allein ein Schluß auf den Willen in der Regel wohl begründet sein mag, kann derselbe dennoch durch

Von Willenserklärungen.

153

§. 59. Stillschweigende Willensäußerungen haben mit den ausdrücklichen gleiche Kraft ’7). §. 60. Wo die Gesetze eine ausdrückliche Erklärung zu der rechtsgültigen Form des Geschäftes erfordern, ist eine stillschweigende Willenserklärung unkräftig78 * *).79 **************7 §. 61. Bloßes Stillschweigen wird nur alsdann für Einwilligung geachtet, wenn der Schweigende sich erklären konnte, und vermöge der Gesetze7#) dazu ver­ bunden war. §. 62. Wer also durch einen auf die Gesetze gegründeten80) richterlichen Be­ fehl zu einer Erklärung aufgefordcrt wird, und sie beharrlich verweigert, dessen Er­ klärung wird von dem Richter, der dem Befehl beigefügten Warnung gemäß, ergänzt.

entgegenwirkende Umstände entkräftet werden." v. Savigny, System 3 S. 245. (H. Vgl. O.Tr. I v. 7. Sept. 1868, Str. Arch. 72 S. 132.) Völlig beseitigt wird die Wirksamkeit einer Handlung als stillschweigender Erklärung durch Protestation und Reservation. Beispiele sind: wenn die Regulirung der Beitragspflicht einer Gemeinde zur Anlegung einer Kunststraße oder anderer öffentlicher und gemeinnütziger Anlagen unter Leitung und ausdrücklicher Geneh­ migung der Regierung als Landespolizeibehörde erfolgt, so ist hierin auch deren Genehmigung in ihrer Eigenschaft als Gemeinde-Aufsichtsbehörde enthalten. O.Tr. III v. 12. Juni 1854, Str. Arch. 14 S. 52. Oder: wenn eine Ehefrau den Wiederverkauf des von ihrem Ehemanne ohne ihre Vollmacht für sie nngekauften Grundstücks ausdrücklich genehmigt, so enthält diese Genehmigung zugleich eine rechtsgültige stillschweigende Genehmigung des früheren Kaufkontrakts. O.Tr. III v. 27. Febr. 1854, Str. Arch. 13 S. 28. Dagegen begründet der Umstand allein, daß der Käufer die ihm mit einer Faktura übersendete Waare ohne Vorbehalt angenommen hat, obwohl in der Faktura nicht derjenige, mit welchem er kontrahirte, sondern ein Dritter als Ver­ käufer bezeichnet ist, nicht die Verpflichtung des Verkäufers, diesen Dritten als seinen Verkäufer anzusehen. O.Tr. IV v. 17. Sept. 1863, Str. Arch. 51 S. 96. — H. Vgl. auch I. 12 §. 612 u. I. 22 §. 43 u. die Anm. daselbst. 77) In den Fällen nämlich, wo eine formlose Willenserklärung genügt. (H. Vgl. O.Tr. III v. 14. März 1873, Str. Arch. 88 S. 288, u. v. 26. Juni 1874', Entsch. 72 S. 243.) Die Eintheilung der Willenserklärungen in ausdrückliche und stillschweigende bezieht sich eben nur auf formlose im Gegensatze zu förmlichen. H. Dies hindert aber nicht, die in einen: schriftlichen Vertrage, zu dessen Gültigkeit die Schriftform erforderlich, nicht deutlich aus­ gesprochene Willenserklärung auslegungsweise festzustellen. O.Tr. II v. 30. Jan. 1877, Entsch. 79 S. 279 ff. 78) H. Der Begriff einer ausdrücklichen Willenserklärung bezeichnet jede durch Worte, Schrift oder Druck geschehene Aeußerung des Willens, welche unmittelbar dazu bestimmt und geeignet ist, als Ausdruck des Gewollten zu dienen, also nicht, wie die stillschweigenden Willens­ erklärungen, zur Klarstellung des Gewollten noch einer Schlußfolgerung bedarf. Diese Definition läßt Raum für die Interpretation einer undeutlichen, aber auf ein bestimmtes Geschäft gerich­ teten Erklärung und schließt auch nicht aus, daß eine ausdrückliche Willenserklärung nicht durch Worte, soüdern durch untrügliche Zeichen, z. B. durch Kopfnicken auf eine gestellte Offerte ge­ schehe. Vgl. Ausführung im Pl.Beschl. des O.Tr. v. 6. Nov. 1854, Entsch. 29 S. 51, O.Tr. III v. 19. März 1869 in Gruchot, Beitr. 14 S. 288 u. IV v. 22. Jan. 1874, Entsch. 71 S. 218; ferner Entsch. 72 S. 140f.; Dernburg, Pr. Privatr. 1 §.94; Förster, Theorie u. Praxis §. 34. 79) Eine Ausnahme von der Regel, daß das Stillschweigen zu Handlungen oder auf Fragen eines Anderen nicht als Zustimmung angesehen werden darf (L. 142 D. de reg. jur. L, 17; C. 44 de reg. jur. in 6. — das C. 43 ib. bezieht sich auf die Ausnahmen), kann nur durch die Pflicht, sich zu erklären, begründet werden. Solche Pflicht kann nicht etwa ein Anderer durch die Ankündigung: wie er das Stillschweigen auslegen werde, auflegen; denn er hat kein Recht, den Schweigenden zu einer Handlung zu nöthigen; nur eine Rechtsregel kann sie in gewissen Fällen auflegen, deren Ausdehnung auf andere ähnliche Fälle unzulässig ist, eben weil es sich um Ausnahmen handelt. Dergleichen Fälle der Ausnahmen sind §. 62 d. T.; I. 6 §. 59; 1. 22 §. 43; I. 13 §§. 126, 127; I. 11 §. 336; II. 2 §. 216; H.G.B. §. 323. Der §. 349 I. 21 wird nicht für anwendbar auf den Fall gehalten, daß ohne rechtmäßigen Grund gekündigt wird. O.Tr. Pl. (Pr. 1988) v. 6. Mai 1848, Entsch. 16 S. 43. 80) Befehle und Warnungen, welche für den vorliegenden Fall nicht vorgeschrieben find, bleiben wirkungslos. V. v. 14. Dez. 1833 §. 5 Nr. 2.

154

Erster Theil.

Vierter Titel.

§§. 63—74.

Vermuthete Willenscrklärunqeu.

§. 63. Soll die Absicht des Handelnden aus den Umständen bloß vermuthet werden, so ist keine rechtsgültige Willenserklärung vorhanden. §. 64. Haben jedoch die Gesetze selbst bestimmt, was aus solchen Handlungen geschlossen werden soll, so ist die Absicht des Handelnden nach dieser gesetzlichen Vermuthung so lange zu beurtheilen, bis eine andere Willensmeinung desselben klar ausgemittelt worden81). Auslegung der Willens­ §. 65. Der Sinn jeder ausdrücklichen Willenserklärung muß nach der gewöhn­ erklärungen. lichen Bedeutung der Worte und Zeichen verstanden werden82). §. 66. Die gewöhnliche Bedeutung ist nach der Zeit, wann 83) die Erklärung abgegeben ivorden, zu beurtheilen. 81) Der Gegensatz, auf welchen die beiden §§. 63 u. 64 sich beziehen, ist nicht richtig ausgedrückt. Die vorhergehenden §§. 57 bis 62 gehen auf Fälle, in welchen der Wille als that­ sächlich wirklich vorhanden angenommen wird. Außerdem giebt es jedoch Fälle, wo kraft einer positiven Vorschrift eine Willenserklärung angenommen wird, ohne daß der Wille als Thatsache vorhanden ist, ja ohne daß eine Handlung, aus welcher auf den Willen geschlossen werden könnte, behauptet werden kann. Diese Willenserklärungen sind eigentlich fingirte, gewöhnlich prä­ sumtive genannt. Auf diese, im Gegensatze zu den wirklichen, beziehen sich diese §§. 63 u. 64. Dergleichen vermuthete Willenserklärungen beruhen nicht auf einer einzelnen Handlung, son­ dern auf einem dauernden persönlichen Verhältnisse. Der Hauptfall ist das sog. mandatum praesumtum. Dieses wird, unter Voraussetzung des bestimmten Verhältnisses, angenommen, wenn es auch ganz gewiß ist, daß der vermuthliche Machtgeber von der Sache gar nichts wissen kann, mithin weder eine Absicht, noch eine Handlung von ihm zu behaupten ist. I. 13 119 ff. Insofern daher die §§. 63 u. 64 die vermutheten Willenserklärungen an Handlungen knüpfen, ist die Bestimmung nicht zutreffend. — Der Grundsatz, daß nur die entgegengesetzte Erklärung die Fiktion endet, hängt mit derselben organisch zusammen. S. L. 40 §. 4 D. de proc. (lil, 3); L. 4 §. 1 D. quibus mod. pign. (XX, 6).- Vergl. I. 13 §§. 126, 127. Diese Protestation muß folglich am gehörigen Orte angebracht oder ausgesprochen (klar ausge­ mittelt, wie der §. 64 sagt) sein. 82) Wenn ein als Bürge Auftretender die Bürgschaftsurkunde mit dem Zusatze „als Zeuge" unterschreibt, so ist keine Bürgschaft vorhanden; denn er hat durch die der Unterschrift beigefügte, mit dem Inhalte der Urkunde im Widersprüche stehende Einschränkung noch im letzten entschei­ denden Augenblicke erklärt, daß er nicht Bürge sein wolle, sondern nur als Zeuge unterschreibe. O.Tr. IV v. 8. Juni 1852, Str. Arch. 4 S. 301. H. In Betreff der dem Prozeßrechte angehörenden, hier beiläufig zu erwähnenden Frage, ob die richterliche Auslegung einer Willenserklärung wegen Verletzung gesetzlicher Auslegungs­ regeln mit der Nichtigkeitsbeschwerde erfolgreich angefochten werden könne, schwankte die Praxis des O.Tr. Wegen Verletzung solcher Auslegungsregeln sind Appellationserkenntnisse vernichtet durch die Erk. 111 v. 19. Juni 1857 u. 6. Juli 1860, Str. Arch. 38 S. 115, 123; und II v. 15. Juli 1862, das. 46 S. 199. Dagegen verwirft das Erk. IV v. 5. Mai 1868, das. 71 S. 158, eine wegen Verletzung der §§. 65—74, 147 u. 151 dieses Titels erhobene Nichtigkeitsbeschwerde, weil diese Gesetzesstellen keine Nechtsgrundsätze enthalten, vielmehr lediglich aus dem Gesichts­ punkte bloßer Anweisungen und Instruktionen für den Richter anzusehen seien. Die letzte An­ sicht ist nicht zu billigen. Die positiven Auslegungsregeln sind Grundsätze des materiellen Rechts, deren klare Nichtachtung sonach die Nichtigkeitsbeschwerde begründet. Unrichtig aber ist es andrer­ seits, wenn der Nichtigkeitsrichter, wie in den zuerst cit. Erkenntnissen geschehen, lediglich aus seiner eigenen Interpretation der Willenserklärung darthun zu können meint, das angefochtene Erkenntniß habe zu seiner Auslegung nur durch Nichtachtung einer gesetzlichen Auslegungsregel gelangen können; das angefochtene Erkenntniß muß vielmehr, wenn es vernichtet werden soll, seinerseits eine Auslegungsregel aufgestellt haben, welche der gesetzlichen Vorschrift widerspricht. Bei solcher Sachlage hat das R.O.H.G. am 27. Juni 1871 wegen ausdrücklicher Zurückweisung eines gesetzlich zulässigen Jnterpretationsmittels auf Vernichtung erkannt (Entsch 3. S. 1); daß die Verletzung der Rechtssätze über Interpretation die Nichtigkeitsbeschwerde begründe, erkennt der­ selbe Gerichtshof auch im Erk. I v. 2t. Nov. 1871, Entsch. 4 S. 56 (58), im Prinzip an. 83) Das O.Tr. sagt in dem Erk. I v. 20. April 1855, Str. Arch. 17 S. 124: Hinsichtlich der Auslegung von Urkunden dienen diejenigen allgemeinen Vorschriften zur Richtschnur, welche zur Zeit des zu fällenden Urtheils maßgebend sind. Das giebt der irrigen Annahme Raum, als sei die späte Zukunft berechtigt zu bestimmen, was für ein Sinn heute mit einer gewissen Redeform habe verbunden werden müssen. Dies maßt sich die Gesetzgebung, wie der §. 66 zeigt, nicht an. Die Frage fällt überhaupt nicht unter die Lehre von der Anwendung der Gesetze, sondern ist thatsächlicher Natur. — Maßgebend ist neben der Zeit besonders auch der Ort, wo

Von Willenserklärungen.

155

§. 67. Ist der Sprachgebrauch nach Beschaffenheit der Person verschieden, so muß auf die Person des Erklärenden gesehen werden. §. 68. Hat Jemand seinen Willen durch einen Andern erklärt, so kommt es auf den Sprachgebrauch des Letzten: au84 * *),* * in * * *so* fern derselbe nicht solcher Aus­ drücke, die von dem Machtgeber bestimmt vorgeschrieben worden, sich bedient hat. §. 69. Sind, nach Beschaffenheit des Gegenstandes, besondere Ausdrücke oder Redensarten im Gebrauch 85),86so87 muß der Sinn der Willensäußerung, diesem Ge­ brauche gemäß, erklärt werden. §. 70. Ist in der Erklärung die Absicht80) deutlich ausgedrückt, so sind zwei­ felhafte Stellen dieser Absicht gemäß auszulegen. Z. 71. Hat der Erklärende seinen Willen bei anderer Gelegenheit deutlich ge­ äußert, so muß das Dunkle einer streitigen Erklärung dieser deutlichen Aeußerung gemäß verstanden werden. §. 72. Ausgenommen ist der Fall, wo die Absicht, eine frühere Willens­ erklärung durch eine spätere zu ändern, deutlich erhellet. §. 73. Unbestimmte Willensäußerungen sind nach den in den Gesetzen ent­ haltenen Bestimmungen zu erklären. §. 74. Doch ist jede Willensäußerung im zweifelhaften Falle so zu deuten, daß sie nicht ohne alle Wirkung bleibe8?). die Erklärung abgegeben worden, oder vielmehr, wo der Erklärende einheimisch ist. Besonders gilt dies von brieflichen Erklärungen, bei welchen in der Regel auf den Sprachgebrauch des Ortes, an welchem der Schreiber zu Hause ist, zu sehen sein wird. Auch in dem Falle, wo Jemand eine Erklärung an einem ihm fremden Orte giebt, wird erwogen werden müssen: ob der Erklärende den Sprachgebrauch desselben kannte und wahrscheinlich sich dessen bediente, oder nicht. Was hierdurch von "dem Orte angemerkt, erkennt der folgende §. 67 durch Bezugnahme auf die Verschiedenheit des Sprachgebrauchs nach der Person an, und zwar hinsichtlich ihrer gesellschaftlichen Stellung oder Herkunft. 84) Diese Auslegungsregel findet auch auf den instrumentirenden Beamten, welcher die Erklärung abfaßt, Anwendung. Dies ist bestritten, weil der Richter oder Notar sich einer allge­ mein verständlichen Sprache bedienen solle. Allein hier handelt es sich nicht um Anwendung oder Befolgung einer gesetzlichen Vorschrift, sondern um die Ausmittelung einer Thatsache, nämlich um die thatsächliche Frage: welchen wahren Gedanken der Erklärende hat ausdrücken wollen. Diese Thatsache kann durch den Inhalt der Dienstinstruktion des Beamten nicht fest­ gestellt werden, zumal deren gewissenhafteste Befolgung doch erst von der Auffassungsgabe des Beamten abhängt. 85) Jeder, welcher an dem Orte des Sprachgebrauchs Geschäfte treibt, er sei ein Ein­ heimischer, oder ein Fremder, hat sich mit demselben bekannt zu machen oder die Folgen seiner Unkunde sich selbst zuzuschreiben; dem Anderen liegt eine Verpflichtung, ihm von dem Sprach­ gebrauche noch ausdrücklich Kenntniß zu geben, nicht ob, und der Einwand, daß ihm der Sprach­ gebrauch nicht bekannt gewesen, ist unerheblich. O.Tr. IV v. 20. April 1858, Str. Arch. 29 S. 267. 86) Darunter ist die Wirkung zu denken, welche die Erklärung in der Zukunft hervor­ bringen soll; der Zweck, die Absicht unterscheidet sich von dem Grunde dadurch, daß dieser in der Vergangenheit liegt. Er kann, wenn er bekannt ist, zur Erkenntniß des Willens gleichfalls beitragen. Verfügt z. B. ein Vater letztwillig, daß seine beiden Söhne und Erben sich gütlich einigen mögen, wer von ihnen das zu seinem Nachlasse gehörige Gut für den bestimmten Preis übernehmen solle, und daß für den Fall, daß sie sich darüber nicht einigen wollen oder können, das Loos unter ihnen entscheiden solle, so ist darin die Absicht zu erkennen, daß er seinen Söhnen einen moralischen Anlaß zu einer brüderlichen Einigung bieten wollte. Eine Vormund­ schaft kann diesen väterlichen Zweck einer brüderlichen Einigung nicht erfüllen, woraus denn folgt, daß. um diesen Zweck des Testators zu erreichen, seiner Absicht gemäß der Akt der Einigung während der Bevormundung des Einen wegen Minderjährigkeit ruhen muß, wenn auch der Majorenne, um die Entscheidung durch das Loos herbeizuführen, erklärt, daß er sich nicht einigen wolle, weil die künftige Willensäußerung des noch nicht handlungsfähigen Bruders sich mcht voraussehen läßt. O.Tr. I v. 10. Juli 1863, Entsch. 50 S. 20. 87) Wenn also von mehreren an sich zulässigen Auslegungen die eine ein Resultat giebt, die andere nicht, so ist jene vorzuziehen.

156 Irrthum.

Erster Theil.

Vierter Titel.

§§. 75—78.

§. 75. Irrthum") in dem Wesentlichen des Geschäftes89), oder Hauptgegenstande90) der Willenserklärung macht dieselbe ungültigei).

in dem

88) Irrthum überhaupt ist der Mangel des Bewußtseins von der wahren Beschaffenheit eines Gegenstandes. Er kann in gänzlicher Bewußtlosigkeit über denselben (Unwissenheit, ignorantia), oder in einem unrichtigen Bewußtsein (Irrthum, error) bestehen. Beide Zustände haben vor dem Rechte Gleichheit. Von den mancherlei Beziehungen, in welchem der Irrthum in Be­ tracht kommt, ist derselbe hier insofern, als er den Konsens bei wechselseitigen Willenserklärungen ausschließt, und als wesentlich bezeichnet wird, Gegenstand der Gesetzgebung. In so fern er sich auf den Beweggrund einer Willenserklärung bezieht, ist davon später die Rede (§§. 149, 150). Unter wesentlichem Irrthume wird nicht der Irrthum gemeint, welcher sich auf den ganzen Willen bezieht, z. B. wenn aus Gedankenlosigkeit etwas ganz Anderes ausgesprochen oder unterschrieben als gemeint wird, denn dabei fehlt der Wille gänzlich; sondern es wird darunter derjenige Irrthum verstanden, welcher in einem einzelnen Theile des Willens vorfällt. Für wesentlich gilt der Irrthum, welcher sich auf die Natur des Rechtsgeschäfts, oder auf den Gegenstand desselben (§§. 75, 77), oder auf die Person des anderen Theiles (§. 76) bezieht. Der Irrthum des Erklärenden vernichtet eine gerichtlich aufgenommene Willenserklärung auch dann, wenn die sie aufnehmenden Gerichtspersonen die Worte des Erklärenden richtig gefaßt und protokollirt haben. Der Nachweis, auf welche Weise der Irrthum entstanden sei, ist hierbei nicht unbedingt erforderlich. O.Tr. I v. 10. März 1856, Str. Arch. 20 S. 261. (H. Vgl. auch O.Tr. I v. 22. Sept. 1873, Str. Arch. 92 S. 36.) Hier, im §. 75, ist nur ein thatsächlicher Irrthum, nicht auch ein Rechtsirrthum gemeint. O.Tr. I v. 5. Jan. 1853, Str. Arch. 8 S. 153. In gleicher Art ist schon in einem früheren Erk. v. 10. Juni 1847, Rechtsf. 1 S. 247, ausgeführt, daß nach §. 75 d. T. nur Irrthum in erheblichen Thatsachen unter Umständen eine Willens­ erklärung ungültig mache, nicht Irrthum, der aus Mangel der Kenntniß gesetzlicher Vorschrift entstehe. Allein der Grundsatz: error Juris nocet, stützt sich immer nur auf die allgemeine Vorschrift im §. 12 der Einleitung, und nur um solche Gesetze handelte es sich in jenen Urteln und Rechtsfällen. Dieser Grundsatz findet daher auf den Irrthum über ein Erb­ recht nach einem Gewohnheitsrechte und über eine darüber abgegebene irrthümliche Willens­ erklärung keine Anwendung, ein solcher Irrthum ist ein faktischer. O.Tr. I v. 19. Febr. 1864, Entsch. 51 S. 41, Str. Arch. 53 S. 153. 89) Der Gedanke, welcher mit dem „Wesentlichen des Geschäfts" ausgedrückt werden soll, ist nicht klar. Man versteht unter dem wesentlichen Irrthume im Geschäfte den Irrthum, welcher sich aus die Natur des Rechtsgeschäfts bezieht. Dieser Irrthum kann auf zweierlei Weise vorfallen. Einmal so, daß der Eine ein in Wahrheit gemeintes Geschäft anbietet, und der Andere, in Folge eines zweideutigen oder mißverstandenen Ausdruckes, ein anderes anzunehmen glaubt, z. B. wenn Einer eine Sache zum Kauf anbietet, der Andere aber Miethe versteht und annimmt. Hier irrt Keiner im Wesentlichen des Geschäfts, aber Jeder irrt in Beziehung auf die Erklärung des Anderen, und deshalb fehlt der Konsens, folglich entsteht keine Verbindlichkeit. Dann kann der Irrthum auch so erscheinen, daß der Eine einen Kauf nntragen will, aber dieses, aus Unbeholfenheil, in solchen Ausdrücken erklärt, unter welchen man eine Miethe abschließt. Dieser Fall steht jenem gleich. Ohne Zweifel werden diese Fälle unter dem „Wesentlichen des Geschäftes" verstanden. 90) Der einfachste Fall ist der, wo Jeder eine andere Sache meint. Der Eine verkauft in seinem Sinne seine schwarze Stute, und der Andere meint dessen schwarzen Hengst. Ebenso der Irrthum der Parteien bei Abschluß eines Kaufvertrages, daß das dem Lehnsverhältnisse unterworfene Grundstück im freien Eigenthume des Verkäufers stehe: in beiden Fällen betrifft der Irrthum nicht einen bloßen Fehler in den Eigenschaften der Sache, sondern den Haupt­ gegenstand der Willenserklärung. O.Tr. III v. 9. Mai 1853, Str. Arch. 9 S. 154. (Error in corpore.) Daraus entsteht kein Rechtsverhältniß, das gilt auch von einem Theile eines Begriffs­ ganzen. Bei Sachen, die nach Gattung und Quantität bestimmt werden, gestalten sich die Fälle verwickelter und deshalb oft zweifelhaft. Wird über die Gattung geirrt, so ist der Fall dem vorigen ganz gleich; stimmt man jedoch in der Summe aus Mißverständniß nicht überein (was beim Briefwechsel in undeutlicher Schrift öfter vorkommt>, so ist, je nach der Natur des Ge­ schäftes, die Erklärung bald gültig, bald ungültig. Sie ist gültig auf den Betrag der Summe, über welche beide Erklärungen zusammentreffen (auf die geringste von beiden verschiedenen Summen), wenn die Quantität für sich allein, ohne Beziehung auf eine Gegenleistung, Gegen­ stand der Erklärung ist, da, wer 20 zum Geschenke anbietet, wovon der Andere aus Mißver­ ständniß nur 10 angenommen, auch diese Zehn angeboten hat. L. 1 §.4 D. de verb. obl. (XLV, l). In dem zweiten Falle gilt die Erklärung dann, wenn der, von welchem die Summe gefordert wird, mehr zusagt, auf den Betrag der geringeren Summe, denn diese wollen Beide (consensus); sie gilt gar nicht, wenn er weniger verspricht. L. 52 D. loc. (XIX, 1).

Von Willenserklärungen.

157

§. 76. Ein Gleiches gilt von einem Irrthume in der Person desjenigen, für welchen aus der Willenserklärung ein Recht entstehen soll, so bald aus den Um­ ständen erhellet, daß ohne diesen Irrthum die Erklärung solchergestalt nicht erfolgt sein toürbe92 * *).93 * * * * * * 91 §. 77. Auch Irrthum in ausdrücklich vorausgesetzten Eigenschaften der Person oder Sache vereitelt die Willenserklärung9:i). §. 78. In allen diesen Fällen (§§. 75. 76. 77.) bleibt die Willenserklärung ungültig, auch wenn der Erklärende den Irrthum hätte vermeiden können*"). H. Anwendbarkeit des §. 75 auf einen Vertrag über ein bereits gezogenes Lotterieloos, von welchem die Kontrahenten irrig annahmen, es sei noch nicht gezogen: R.G. I H. v. 5. Jan. 1882, Entsch. 6 S. 290. Vgl. Tit. 11 §§. 39, 532 ff. Die Behauptung, daß eine schriftliche Erklärung mit dem wahren Willen des Erklärenden im Widerspruche stehe, d. h. anders niedergeschrieben worden sei (was bei der Abfassung durch Andere, namentlich bei Aufnahme von Protokollen über die Erklärungen einfältiger Landleute gar oft vorkommt), enthält die Behauptung eines Irrthums, keinesweges die einer mündlichen Nebenabrede. Pr. des O.Tr. ohne Datum im Schles. Arch. 3 S. 283. Ist für sich klar. 91) Dieser Grundsatz gilt von Willenserklärungen jeder Art, also auch von Vergleichen. Daher kann ein Erb- oder Schichtungsrezeß, wenn er als Privattheilung nach den Regeln von Vergleichen zu beurtheilen ist, gemäß §. 417 Tit. 16 wegen eines Irrthums in dem Wesentlichen des Geschäftes oder in dem Hauptgegenstande desselben, nicht aber nach §. 418 ebend. wegen eines vorgefallenen Irrthums über die Beschaffenheit des streitigen Rechts selbst, d. h. über die Beschaffenheit der der Schichtung unterworfenen gemeinschaftlichen Masse, z. B. ob gewisse streitige Grundstücke ihrer Substanz nach mit zur Schichtung zu ziehen waren, oder nicht, — angefochten werden. O.Tr. I v. 11. Febr. 1861, Str. Arch. 40 S. 263. (H. Ebenso O.Tr. I v. 7. April 1876, Str. Arch. 96 S. 26.) Vergl. unten Anm. zu 8- 418 Tit. 16 u. O.Tr. III v. 10. Okt. 1870, Str. Arch. 79 S. 267; ferner Tit. 5 §§. 339—341/ EL „Ungültig," d. h. hier soviel als anfechtbar, nicht absolut wirkungslos, nichtig. Denn nach I. 5 88- 186—188 können diejenigen Einwendungen, welche sich auf den Mangel einer freien und ernstlichen Einwilligung beziehen, durch späteres uneingeschränktes Anerkenntniß mit rückwirkender Kraft gehoben werden, der Irrthum begründet also nur Einwendungen gegen die Gültigkeit der Willenserklärung. Hieraus folgt zugleich, daß nur der Irrende selbst zur Anfechtung einer Willenserklärung wegen Irrthums befugt ist. O.Tr. III v. 10. Jan. 1876, Str. Arch. 94 S. 347, 355. 92) Also wenn nicht die Person des Anderen gleichgültig ist, wie z. B. bei Käufen auf Märkten. Soll aber gerade mit einer bestimmten Person, die man vielleicht nicht kennt, kontrahirt werden, und es tritt eine andere auf, so kommt keine gültige Willenserklärung zu Stande. So, wenn Jemand einen bestimmten geschickten Werkführer in seinen Dienst nehmen will und den Kontrakt mit einer anderen gleichnamigen Person abschließt. Freilich muß diese abweichende Richtung des Willens „aus den Umstünden erhellen". Bergl. die Anm. 70 zu 8- 52 d. T. u. unten Anm. zu I. 16 §. 417. 93) Der hier in Betreff der Person vorausgesetzte Fall ist von dem vorhergehenden (Anm. 92) darin verschieden, daß die richtige Person vor uns steht, daß sie aber, nach der Verabredung, gewisse Eigenschaften haben soll, die ihr in der That fehlen. — Für den die Eigenschaften der Sache betreffenden Irrthum ist der Ausdruck: error in substantia (L. U §.2 D. de contr. ernt. XVIII, 1) oder in materia (L. 9 §. 2; L. 11 pr.; L. 14 D. eod.) nicht erschöpfend, denn der Stoff ist nicht der alleinige Gegenstand, auf welchen sich der Irrthum be­ ziehen muß, um die Wirkung eines error in corpore zu haben. Der 8- 77 verweiset durchaus sachgemäß auf die „ausdrücklich vorausgesetzten Eigenschaften" der Sache und läßt nur den Irrthum, aber diesen auch ohne weitere Unterscheidung, für wesentlich gelten, welcher sich auf eine solche bezieht. Dadurch werden eine große Anzahl von Zweifeln und Meinungsverschiedenheiten beseitigt, welche das G. R. über diesen Irrthum aufzuweisen hat. Es ist an sich willkürlich, welche Folgen man dem Irrthume in Eigenschaften beilegen will, aus juristischen Gründen folgt die Nichtigkeit an sich nicht. Deshalb ist dem L.R. Beifall zu geben. Es kommt nicht auf die Verschiedenheit des Stoffes an sich, auch nicht darauf: ob die Sache, nach den im gemeinen Verkehre herrschenden Begriffen, zu einer anderen Art gerechnet wird; sondern lediglich darauf an: ob eine Sache von einem bestimmten Stoffe oder von einer ge­ wissen Eigenschaft gefordert worden ist. Z. B. man will ausdrücklich männliche Perlhühner kaufen und der Händler überliefert, selbst im Irrthume über das (für Nichtkenner unkennbare) Ge­ schlecht, lauter weibliche. Dieses Geschäft ist, wie bei dem Irrthume in corpore, nichtig. H. Auch die Größe der Sache kann eine ausdrücklich vorausgesetzte Eigenschaft sein. O.Tr. III v. 22. Mai 1871.

158

Erster Theil.

Vierter Titel.

§§. 79—84.

§. 79. Ist jedoch derselbe durch eigenes grobes oder mäßiges Versehen in den Irrthum gerathen, und der Andere hat nicht gewußt, daß der Erklärende sich irre, so ist der Erklärende zum Ersatz des durch seine Schuld entstandenen Schadens94 95)96 verpflichtet. §. 80. Ist von beiden Seiten ein vermeidlicher Irrthum vorgefallen, so findet von keiner Seite eine Entschädigung statt. §. 81. Irrthum in solchen Eigenschaften der Person oder Sache, welche dabei gewöhnlich vorausgesetzt werden, entkräftet ebenfalls die Willenserklärung9Ö).

94) Die Willenserklärung bleibt ungültig, mithin muß sie von Anfang ungültig sein. Daraus könnte man entnehmen wollen, daß eine absolute Nichtigkeit gemeint werde. Dieser Punkt ist unklar, ebenso wie die Auffassung und Darstellung mancher Rechtslehrer vor dem L.R., welche die verschiedenen Gestalten und Beziehungen des Irrthums nicht scharf oder nicht richtig unterschieden. Der error in corpore hat entschieden Nullität zur Folge; der Irrthum in der Person auch. Hinsichtlich des letzteren trifft man schon auf widersprechende Meinungen, dadurch verursacht, daß dem Irrenden in vielen Fällen die Person gleichgültig ist, mithin gar nichts daran liegt, die Ungültigkeit zu rügen und in ihren Folgen durchzuführen. Der Irrthum in Eigenschaften (in substantia) hat nur aus einer positiven Gleichstellung mit dem error in cor­ pore nach R. R. Nichtigkeit zur Folge; diese Folge verschwindet aber oft, weil hier, wie bei der Person des Anderen, der Irrende in manchen Fällen kein Interesse dabei hat. Deshalb gehen auch in Beziehung auf diesen Irrthum die Meinungen durcheinander. Die Fassung des L.R. hat darin nichts gebessert. Nach der Natur der Sache muß in den Fällen der §§. 75 u. 76 Nichtigkeit eintreten, wegen Mangels des Konsenses. Dessen waren sich die Vers, wohlbewußt: Suarez äußerte mit Bezug auf diesen §. 78, daß doch immer ein defectus in consensu da sei, der error möge vincibilis oder invincibilis sein, und daß deshalb der Kontrakt, wozu Jemand durch einen solchen Irrthum verleitet worden, nicht gültig sei. Bei der Verleitung durch Irrthum denkt er zwar an den Beweggrund, während bei dem error in corpore und in persona das Sachverhältniß ganz ein anderes ist; indeß sagt er doch den in diesen Fällen wirkenden richtigen Grund, der es unmöglich macht, einen Kontrakt als existent anzunehmen. Die Folge des unbestimmten Ausdruckes im Gesetze ist eine schwankende Praxis. Das O.Tr. meint, nach einer Entscheidung gegen die Natur der Sache, daß ein Irrthum über die Natur des Geschäftes oder in dem Hauptgegenstande die Willenserklärung nur ungültig (angreifbar von Seiten des Irrenden durch eine Rescissionsklage), aber keineswegs absolut nichtig oder ipso jure nicht existent mache; der §. 75 solle nur die persönlichen Rechte des Irrenden wahren; ob aber der Irrende davon Gebrauch machen wolle, stehe nur bei ihm. (Central-Bl. 1843 Col. 359.) Das läßt sich sehr wohl von dem error in substantia (§. 77) sagen, denn hierbei ist die wirklich gemeinte Spezies der Gegenstand einer bewußten Willenserklärung, mithin ist der Konsens in der That vorhanden; in jenen Fällen (§§. 75 u. 76) aber fehlt der Konsens thatsächlich ganz und gar. Die Vers, des L.R. glaubten mit dieser Bestimmung etwas ganz Neues einzuführen. Suarez äußert über die §§. 78—80: „Diese Sätze sind neu; ich halte sie aber für nothwendig. Die DD. sagen: error, qui evitari potuit et debuit, erranti nocet. Dieser Satz ist richtig; es folgt aber nicht daraus, daß der Kontrakt selbst, wozu Jemand durch einen solchen Irrthum verleitet worden, gültig sei. Dies kann niemals angenommen werden, weil immer ein defectus in consensu da ist, der error mag vincibilis oder invincibilis sein. Aber das folgt daraus, daß ein solcher Irrender den anderen Theil indemnisiren muß, der den Irrthum nicht gewußt, auf seine Willenserklärung sich verlassen und seine Maßregeln darnach genommen hat." Bornemann 1 S. 347 Anm.*. Jenes sagen nicht allein die DD., sondern eine große Anzahl von Stellen des R. R., z. B. L. 9 §. 2 D. de Juris et facti ignorantia (XXII, 6): „sed facti ignorantia ita demum cuique non nocet, si non ei summa negligentia objiciatur.“ Allein dieser Grundsatz bezieht sich gar nicht auf den sog. wesentlichen Irrthum: die Willens­ erklärungen, bei welchen ein solcher vorfällt, sind nicht aus dem Grunde des Irrthums, sondern weil der Wille fehlt, nichtig, mag der Irrthum vermeidlich gewesen sein, oder nicht. L. 9 §.2; L. 11 pr. D. de contrah. ernt. (XVIII, 1); v. Savigny, System 3 §§. 135, 138. Nur auf den unwesentlichen Irrthum bezieht er sich. Zufällig stimmt daher das L.R. mit dem R. R. in den Hauptpunkten überein. 95) Dieser kann stets nur ein mittelbarer sein. Die Satzung ist neu. S. die vor. Anm. 96) H. Ueber das Verhältniß dieser Bestimmung zu I. 5 §. 325 f. vergl. O.Tr. III v. 24. Febr. 1872, Entsch. 69 S. 135. Die Zahlungsunfähigkeit des Bestellers ist keine Eigenschaft der Person im Sinne des §. 81. O.Tr. IV v. 2. März 1871, Str. Arch. 80 S. 304. '

Von Willenserklärungen.

159

§. 82. Doch besteht dieselbe, wenn der Irrende durch eigenes grobes oder mäßiges Nersehen seinen Irrthum veranlaßt I)cit97). §. 83. Durch Irrthum in anderen Eigenschaften oder Umständen wird die Willenserklärung niemals vereitelt"). §. 84. In keinem Falle aber kann derjenige, welcher einen Irrthum wissentlich und vorsätzlich veranlaßt99) hat, daraus ein Recht erwerben. 97) Sei er der Empfänger, oder der Geber. Vergl. das in der Anm. 90 angef. Erk. v. 9. Mai 1853. — Anwendungen: §. 19 d. T; I. 5 §. 330; I. 16 §. 39; I. 21 §. 6. 98) Dadurch ist der wichtige röm. Rechtssatz, daß kein Irrthum, außer dem wesentlichen (und den beigefügten Erweiterungen), die Gültigkeit der Erklärungen aufhebt, anerkannt. Eine Ausnahme macht der Irrthum aus Trunkenheit, wenn der Andere diesen Zustand veranlaßt hat. §.91. Dieser Fall gehört jedoch in das Kapitel vom Betrüge. Anm. 4 zu §. 91. 99) S. oben Anm. 15 zu I. 3 §. 15. Betrug ist, nach dieser Definition, wissentliche, d. h. dem Urheber bewußte, und vorsätzliche, d. h. beabsichtigte — zum Nachtheile des Anderen beab­ sichtigte — Veranlassung eines Irrthums. In dieser Gestalt ist der Betrug eine unsittliche Verletzung des, dem menschlichen Verkehre zu Grunde liegenden, allgemeinen Vertrauens. (Dolus malus, frans.) Der Begriff setzt positive Thätigkeit des Betrügers voraus. Daraus folgt die Regel, daß nur ein auf solche Weise hervorgebrachter Irrthum berücksichtigt wird, aber auch dann berücksichtigt wird, wenn er an und für sich ganz unerheblich ist. Hat z. B. der Verkäufer den Gründern einer Aktiengesellschaft die Sache zu einem niedrigeren, als dem in dem Prospekte bezeichneten und von den Aktionären zu zahlenden Preise verkauft und mit den Gründern ver­ abredet, daß, unter Geheimhaltung des vereinbarten niedrigeren Kaufpreises, die Preisdifferenz unter denselben vertheilt werden solle; so ist dieser Kaufvertrag, der Aktiengesellschaft gegenüber, als durch Betrug veranlaßt, unverbindlich. O.Tr. III v. 18. Febr. 1861, Str. Arch. 42 S. 6. Oder haben die Käufer verschiedener Zechen und Muthungen einem Dritten, unter Eingabe eines weit höheren, als des wirklichen Erwerbspreises derselben, das Anerbieten gemacht, bei dem Ankäufe sich mit einer bestimmten Summe zu betheiligen und mit ihnen und anderen Interessenten über diese Grundstücke in der Art zu disponiren, daß solche einer zu gründenden Aktiengesell­ schaft für einen höheren Preis für gemeinschaftliche Rechnung übertragen werden sollten; so kann der Dritte, wenn er dies Anerbieten angenommen und demgemäß mit einem bestimmten Kapitale bei dieser Erwerbsgesellschaft sich betheiligt hat, diesen Vertrag wegen betrüglicher Berleitung zu einem wesentlichen Irrthume widerrufen. O.Tr. IV v. 24. April 1862, Str. Ärch. 46 S. 65. — Eine Ausnahme ist es, wenn das bloß leidende Verhalten, nämlich das wissentliche, stillschweigende Dulden und Benutzen eines nicht von dem Betrüger hervorgebrachten Irrthums Einfluß auf die irrthümmliche Willenserklärung hat. Diese Ausnahme gilt aber in solchen Rechtsverhältnissen, wo Einer von dem Andern besondere Treue, Redlichkeit und Aufrichtigkeit zu erwarten berechtigt ist. So bei gewagten Geschäften. I. 11 §§. 540, 541; II. 8 §§. 2024—2029. Vergl. L. 43 §. 2; L. 35 §. 8 I). de contr. ernt. (XVIII), 1); L. 11 §. 5 D. de act. emti (XIX, 1). Das O.Tr. III hat in einer Entscheidung v. 17. Febr. 1860, Str. Arch. 36 S. 226, gesagt: „Der civilrechtliche Dolus kann auch durch wissentliche Verheimlichung von Thatsachen begangen werden, sofern sich ersichtlich der andere Kontrahent darüber im Irrthume befand, der erste Kontrahent aber wußte oder nach den Umständen annehmen mußte, daß sie auf dessen Willensbestimmung von unzweifelhaftem Einflüsse sein könnten." Das ist insofern richtig, als der Dolus im All­ gemeinen in einer positiven, oder in einer omissiven Handlung bestehen kann. Vergl. Anm. 15 zu I. 3 §. 15. Aber die rechtlichen Folgen sind nicht in allen Fällen die gleichen. Wenn z. B. Jemand ein rotzkrankes Pferd auf den Markt bringt, was sich ein Jeder besehen kann, die Krankheit aber nicht anzeigt, so ist er sicher in Dolo. Aber dieser Dolus reicht hin, den Handel wegen Betruges anzufechten. Deshalb ist eben der Grundsatz des ädilitischen Edikts eingeführt und dem unvorsichtigen Käufer (denn der Rotz ist bei genauer Untersuchung erkennbar, wenn aber auch nicht) ist das ädilitische Rechtsmittel gegeben. Dies gilt,'wenn das kranke Individuum als einzelnes Stück oder mit anderen einzelnen Stücken zusammen verkauft wird; es gilt aber nicht, wenn ein Inbegriff von Sachen verschiedener Art z. B. ein Landgut mit seinem Inventar, wie es steht und liegt, in Bausch und Bogen feil geboten und verkauft wird. Das O.Tr. macht aber von seinem Lehrsätze Anwendung auf einen solchen Landgutsverkauf in Bausch und Bogen. Es waren unter dem Zugvieh vier rotzkranke Pferde gewesen. Die Anwendung ist irrig. Die ädilitische Klage fand nicht statt, wie das O.Tr. selbst ausführt. Eine selbstständige Betrugsklage (Anm. 15 Nr. 3 zu I. 3 §. 15) war auch nicht zu begründen, weil der Verkäufer den Betrug nicht veranlaßt hatte und ein Ausnahmefall (s. diese Anm. oben) nicht vorhanden war. Die aus­ gesprochene Vernichtung des Appellationserkenntnisses auf Grund jenes Satzes in diesem Falle war daher ungerechtfertigt. — Zum Beweise genügt die auf Verstellung oder Verfälschung der

Betruq.

160

Erster Theil.

Vierter Titel.

§§. 85—97.

§. 85. Vielmehr ist jede durch Betrug veranlaßte Willenserklärung 10°) für den Betrogenen unverbindlich. §. 86. Nicht nur den Betrogenen, sondern auch Andere, die bei einem solchen Irrthum Schaden leiden, muß der Betrüger entschädigen. §. 87. Ist die Willenserklärung zwar nicht durch Betrug veranlaßt, aber doch der Erklärende zu einem Irrthum bei derselben ') vorsätzlich verleitet worden, so hängt es von der Beschaffenheit dieses Irrthums, an und für sich betrachtet, ab, ob und wie weit die dadurch veranlaßte Erklärung nach obigen Grundsätzen bestehen könne, oder nicht. (§§. 75—83.) §. 88. Wenn aber auch hiernach die Willenserklärung in Ansehung des Hauptgeschäftes besteht, so muß dennoch der Erklärende, wegen des aus dem Jrrthume entstandenen Nachtheils, von dem Betrüger entschädigt werden. §. 89. Hat ein Dritter den Erklärenden ohne Zuthun des Andern, zu dessen Gunsten die Erklärung geschieht, hintergangen, so entscheidet ebenfalls die Beschaffen­ heit des Irrthums, zu welchem der Erklärende verleitet worden, ob derselbe an seine Willenserklärung in Ansehung des Hauptgeschäftes gebunden sei, oder nicht (§§. 75-83.) 2). §.90. Wegen der von dem Betrüger beiden Theilen zu leistenden Ent­ schädigung hat es bei der Vorschrift des §. 86. 88. sein Bewenden 3* ).1 2 §. 91. Wer, auch ohne die Absicht, den Andern zu hintergehen, ihn durch Trunk, oder Erregung heftiger Leidenschaften, in einen solchen Zustand versetzt, wo er seine Handlungen und deren Folgen nicht mehr richtig zu beurtheilen vermag^), Wahrheit gerichtete Handlung. Entsteht daraus, nach den: gewöhnlichen Laufe der Dinge, Nutzen für den Handelnden und Nachtheil für den Anderen, so ist, nach einem logischen Gesetze, anzunehmen, daß dieses beabsichtigt worden sei. — H. Der veranlaßte Irrthum muß sich auf gegenwärtige Zustände beziehen. Die getäuschte Erwartung, daß der Andere .ein für die Zukunft gegebenes Versprechen halten werde, enthält einen solchen Irrthum nicht. O.Tr. III v. 16. Mai 1870, Str. Arch. 78 S. 240. Der §. ist angewendet auf den Fall einer von dem Vermiether selbst veranlaßten Unpünktlichkeit in der Zahlung des Miethszinses von. dem O.Tr. III in dem Erk. v. 28. Sept. 1874, Entsch. 73 S. 57. 100) Jede ohne Unterschied, ob der Jrrthurn wesentlich, oder unwesentlich, vermeidlich, oder unvermeidlich war. — Die Veranlassung der Willenserklärung ist, in dem hier vorausgesetzten Falle, nicht eigentlich der Betrug, sondern Irrthum des Erklärenden. §. 89. Der Irrthum muß — und das ist es, was das Gesetz hier fordert — durch die unsittliche Einwirkung des Anderen entstanden sein. Diese thatsächliche, in die äußeren Sinne fallende Einwirkung ist der Gegenstand des Beweises für den, welcher seine Erklärung auf Grund des Betruges anfechten will. Die Verjährung hängt mit dem zuständigen Klagerechte zusammen. Gegen den anderen Theil kann die aus dem Rechtsgeschäfte, das an sich gültig ist, entspringende Klage gebraucht werden; gegen den Dritten (§. 86) nur die actio doli, welche nach I. 6 §. 54 in 3 Jahren erlischt. 1) Bei derselben. Die Willenserklärung selbst, im Ganzen, beruht nicht auf Irrthum, aber nebenher, in Beziehung auf gewisse Einzelheiten oder Theile des Willens, ist ein Irrthum vor­ gefallen, der seine Entstehung in der böswilligen Einwirkung des Anderen hat. Dann kommt es darauf an, welchen Einfluß dieser Irrthum an und für sich hat; der Betrug ist ohne Einfluß auf die Gültigkeit der Willenserklärung. S. §. 88. 2) Im Falle der Irrthum ein wesentlicher ist, treten die Folgen und Wirkungen desselben, ohne Rücksicht auf den Betrug, ein, auch in Ansehung Dritter: es ist alsdann eine Willens­ erklärung in Wahrheit nicht vorhanden. S. oben die Anmerkungen 88—94. Der gute oder böse Glaube des Dritten hat auf die Zulässigkeit der Vindikationsklage niemals Einfluß; nur in Beziehung auf die Gegenforderungen des Vindikationsbeklagten ist er maßgebend. 3) Ist der durch einen Dritten ohne Wissen des anderen Kontrahenten hervorgebrachte Irrthum unwesentlich, so ist das Rechtsgeschäft unanfechtbar und der Betrogene kann sich, wegen des erlittenen Nachtheiles, nur mit der actio doli an den: Betrüger erholen. Von dem Anderen hat er gar nichts zu fordern. Auch das läßt sich im Allgemeinen nicht bestimmen: ob ihm gegen den Anderen die Bereicherungsklage (actio in factum) zustehe. Der Umstand, daß der Betrüger zur Entschädigung unfähig ist, genügt für sich nicht zur Begründung derselben.

161

Von Willenserklärungen.

der kann aus den in solchem Zustande abgegebenen Erklärungen desselben kein Recht erlangen. §. 92. Doch muß der, welcher aus diesem Grunde (§.91.) seine sonst rechts­ beständiges Willenserklärung anfechten will, solches binnen acht Tagen nach Abgebung derselbenG), der Vorschrift §. 46. gemäß, gerichtlich anzeigen. §. 93. Ist die Anzeige unterblieben, so kann in der Folge auf den Einwand keine Rücksicht mehr genommen werden 7). §. 94. In so fern die Gesetze einer Art von Willenserklärung keine bestimmte Form der Form vorgeschrieben haben, ist jebes) Aeußerung derselben, bei welcher die Er- erklümnqen. sordernisse §. 2. 3. 4. anzutreffen sind, gültig. §. 95. Ist aber dergleichen Form in den Gesetzen ausdrücklich bestimmt, so gilt davon alles das, was wegen der Form der rechtlichen Handlungen überhaupt festgesetzt ist. (Tit. 3. §. 40. ff.)

§. 96. Bloße auch an sich gültige Willenserklärungen sind für sich allein, die Wirkung Erwerbung, Uebertragung, oder Aufhebung eines Rechts zu bewirken, in der Regel9) berlctbclL noch nicht hinreichend. §. 97. Was hinzukommen müsse, um einer Willenserklärung die volle recht­ liche Wirkung zu verschaffen, ist nach den verschiedenen Arten derselben in den Ge­ setzen besonders bestimmt.

4) Ueber die Dogmengeschichte der in den §§. 91—93 enthaltenen Bestimmung s. m. Koch, Anleitung zur preuß. Prozeßpraxis Th. I §. 34 Nr. 3, und die dort angeführten Schriftsteller. Vgl. ferner Anm. 47 zu §. 30 u. Anm. 45 zu §. 28. — Auch wenn der Erklärende in den Zustand der Trunkenheit in dem hier vorausgesetzten Grade doloser Weise versetzt worden ist, muß die vorgeschriebene Anzeige rechtzeitig gemacht werden, wenn die Erklärung aus dem Grunde der Trunkenheit angefochten werden soll. Ist der Erklärende zugleich auch durch Betrug im Sinne des §. 85 veranlaßt worden, so steht ihm die Anfechtung aus diesem selbstständigen Grunde frei, er kann dabei aber auf den anderen Einwand, daß er in dem, im §. 91 erwähnten Grade betrunken gewesen fei, überhaupt nicht weiter zurückkommen. O.Tr. I v.' 27. Mai 1881, Entsch. 45 S. 52. 5) Die Willenserklärung, welche mit Bewußtsein gegeben worden, ist rechsbeständig, wenn auch der Erklärende die Folgen nicht übersieht, mag dieses in einer Gedankenlosigkeit, oder in einem Rausche seinen Grund haben. Aber wenn der Andere der (physische oder intellektuelle) Urheber, mit oder ohne betrügerische Absicht, ist; so soll dem Erklärenden Schutz gegen die Wirkungen seiner Willenserklärung, auf Verlangen, gewährt werden, doch nur unter der bei­ gefügten Bedingung. Hat er ohne fremde Mitwirkung sich in den fraglichen Zustand versetzt, so kann er seine Erklärung gar nicht angreifen, gleichwie Niemand mit dem Vorwande gehört werden darf, daß er sich die Sache nicht überlegt habe. Anders bei bewußtlosem Zustande. S. o. §§. 29 und 30. 6) „Darunter ist nur eine einwöchentliche, aus sieben Tagen bestehende, nicht eine Frist von vollen acht Tagen zu verstehen." O.Tr. Pl. (Pr. 2632) v. 2. Juli 1855, J.M.Bl. S. 327; Entsch. 31 S. 189. Vergl. II. 8 §. 1635 und das Pr. 2560. — Die hier vorgeschriebene Anzeige darf auch dann nicht unterbleiben, wenn die Trunkenheit von dem Gegner in betrüglicher Absicht hervorgebracht worden ist. O.Tr. I v. 27. Mai 1861, Entsch. 45 S. 52, u. III v. 11. Mai 1866, Str. Arch. 63 S. 183. — Die Vorschrift des §. 92 gilt auch nicht im Falle der gänzlichen, den Gebrauch der Vernunft aufhebenden Trunkenheit. Denn dann ist die Willenserklärung von Anfang nichtig und wird nicht durch die Unterlassung jener Anzeige geheilt. O.Tr. III v. 14. Juli 1854, Str. Arch. 14 S. 150. — Vorausgesetzt ist, daß nicht natürliche Hindernisse da­ zwischen treten, wodurch der Anfang des Fristenlaufs ausgeschlossen wird. Hat der Lauf einmal begonnen, so tritt keine Unterbrechung ein, gleichwie bei einem Fatale. Tritt Tod vor dem Ab­ laufe dazwischen, so kommt den Erben die Ueberlegungsfrist zu gut. 7) Der Einwand oder vielmehr das Schutzmittel geht verloren, nicht etwa nur die Beweislast wird verändert, wie im Falle des Zwanges §§. 49, 50. Vgl. Leyser, Med. sp. 59 m. 3 und sp. 348 m. 1. 8) Also auch die stillschweigende. Vergl. §§. 59 und 60. H. S. auch O.Tr. III v. 27. Jan. 1871, Str. Arch. 80 S. 276. 9) Ausnahmen macht z. B. die Einräumung eines Untersagungsrechts. I. 7 §. 87. Koch, Allgemeines Landrecht. L

8. Aufl.

11

162

Erster Theil.

Vierter Titel.

§§. 98—102.

§. 98. Willenserklärungen, zu welchen Jemand in den Gesetzen selbst, oder von dem Richter, vermöge gesetzlicher Vorschriften, aufgefordert worden, bedürfen zu ihrer Wirksamkeit keines werteren Zusatzes"). Bedlngun«. § 99. So weit Jemand über eine Sache verfügen kann, so weit kann er auch seiner Willenserklärung darüber Bedingungen beifügen. §. 100. Eine Willenserklärung ist bedingt, wenn das daraus entstehende Recht von einem Ereigniß"), welches eintreffen oder nicht eintreffen soll, abhängig gemacht worden. a> S?'c= §• 101. Ist die Bedingung in der Art beigefügt, daß durch den Eintritt derselben die Erwerbung des Rechtes '") erst vollendet werden soll, so heißt sie eine aufschiebende") Bedingung. 10) Die Erklärung wird in diesen Füllen fingirt. 11) Das Ereigniß muß das wesentliche Erforderniß der Ungewißheit haben, wenn es eine Bedingung sein soll. Deshalb kann nur ein künftiges Ereigniß eine wahre Bedingung sein, wie es auch durch das „eintreffen soll" angedeutet wird. Vergangene Ereignisse machen die Erklärung nicht zur bedingten, aber die Wirksamkeit derselben ist wegen der im Bewußtsein der Parteien liegenden Ungewißheit gehindert, weshalb die Erklärungen mit einem dergleichen Zusatze Aehnlichkeit mit den bedingten haben. S. u. §§. 140 ff. Der Zusatz: „wenn der Be­ rechtigte es verlangt", ist gar keine Bedingung (O.Tr. II v. 6. Nov. 1849, Entsch. 18 S. 151), weil kein Ereigniß. So wenig durch den Zusatz: „wenn der Verpflichtete will", ein bedingtes Rechtsverhältniß begründet werden kann, da vielmehr gar keins zu Stande kommt (§. 108 d. T. u. Anm. dazu), ebenso wenig wird das verabredete Rechtsverhältniß durch den Zusatz: „wenn der Berechtigte die Leistung verlangt", ein bedingtes, da es vielmehr die Auflage enthält, daß der Verpflichtete sich jeden Augenblick nach dein Winke des Berechtigten zur Leistung bereit halten muß: die Verabredung vertritt den Zahlungstermin und die Kündigung. — Zweifelhaft ist die Bestimmung in einem Assekuranzvertrage: daß jeder nicht innerhalb sechs Monate nach dem Unfälle festgestellte oder nicht vor den Richter gebrachte Entschädigungsanspruch erloschen sei. Man hat darüber gestritten: ob darin eine Bedingung, oder die Verabredung einer kürzeren Verjährung enthalten sei. Das O.Tr. hat, im Einverständnisse mit den vorinstanzlichen Richtern, eine Bedingung gefunden. Erk. v. 25. Jan. 1849, Entsch. 17 S. 361. Auch Erk. IV v. 13. Mai 1851, Str. Arch. 2 S. 130. Doch wird es unklar gelassen: ob eine aufschiebende, oder eine auflösende. „Der Entschädigungsanspruch" — heißt es — „beruht nicht darauf, daß ein Brand eingetreten ist, sondern darauf, daß dieser Brand die versicherten Gegenstände betroffen hat. Dieses Ereigniß mit der hinzutretenden Maßgabe, daß die Existenz und der Betrag des Schadens binnen 6 M. festgestellt oder binnen dieser Frist die richterliche Feststellung nachgesucht worden, ist es, welches den Anspruch begründen soll." „Das konkurrirende Ereigniß, von dessen Eintritte das Recht abhängig gemacht worden, ist die erfolgte Feststellung, oder in deren Ermangelung die Anstellung der Klage binnen der verabredeten Frist." Damit ist offenbar eine aufschiebende Bedingung gemeint. Als entsprechende Stellen aber, welche hiernach von dem Appellrichter nicht verletzt sein sollen, werden die §§. 114, 115 bezeichnet, welche von der auflö send en Bedingung handeln. Die Begründung ist aber auch dem Wortlaute der Verabredung widersprechend, indem hiernach die Entschädigungsforderung mit Ablauf der Frist erloschen sein soll, so daß die Absicht der Betheiligten nicht auf eine suspensive, vielmehr auf eine resolutive, wenn überhaupt auf eine Bedingung gerichtet gewesen ist. Ein Recht, welches noch gar nicht existent geworden, kann nicht erlöschen. Die Feststellung des Schadens ist keine wahre Bedingung, sondern gehört zur Bestimmung des Quantums der Forderung, die durch den Feuer­ schaden aus dem Versicherungskontrakte entstanden ist; die Fristbestimmung ist gleichfalls keine Bedingung, folglich enthält die Verabredung gar keine Bedingung. — Vergl. unten die dritte Anm. zu I. 9 §. 565. 12) D. i. die Entstehung des Rechtsverhältnisses. 13) Nach der Art der Einwirkung der Bedingungen auf das Rechtsverhältniß theilt man dieselben in aufschiebende (suspensive), wenn dadurch der Anfang, und in auflösende (resolutive), wenn das Ende des Rechtsverhältnisses dadurch bestimmt werden soll (§. 114). Diese Einteilung ist die wichtigste. Das L.R. hat auch die Kunstausdrücke der heutigen Juristen bei­ behalten; das R. R. hat dafür keine. Eine praktische Frage begegnet hier. Gewöhnlich wird sie ganz allgemein so gefaßt: ob, bei zweifelhaftem Ausdrucke, nur eine aufschiebende, oder eine auf lösende Bedingung anzunehmen sei, oder mit anderen Worten: woran der Richter die Absicht der Parteien erkennen solle. Diese thatsächliche Frage hat jedoch ein beschränktes Gebiet. Man kann nämlich den End-

Von Willenserklärungen:

163

§. 102. Der unter einer aufschiebenden Bedingung Berechtigte muß, ehe er das Recht ausiiben kann, die Wirklichkeit des Ereignisses abwarten14).

Zweck der Resolutivbedingung, d. i. Beendigung des Rechtsverhältnisses, auch dadurch erreichen, daß das Ereigniß umgekehrt und als Suspensivbedingung ausgedrückt wird. Dann ist die Frage: welche Art von Bedingung gemeint worden ist, eine thatsächliche, die durch Auslegung gelöst werden muß. Eine verwandte Rechtssorm, welche den Zweck der Resolutivbedingung hat, ist ein angehüngter Nebenvertraq unter Suspensivbedingung, wodurch die Herstellung des früheren Zustandes verabredet wird. Man nennt dergleichen Nebenabreden „Geschäftsklauseln" und eine Klausel, welche den Zweck der Resolutivbedingung hat, Kassationsklausel, clausula cassatoria. (Vergl. unten Anm. 25 zu §. 114 d. T., u. die Anm. zu I. 11. §. 761.) Ein solcher Nebenvertrag unter­ scheidet sich von der Bedingung wesentlich dadurch, daß er nur eine Obligation begründet, wäh­ rend vermöge der Bedingung der frühere Zustand von selbst eintritt. Ob die Parteien eine Resolutivbedingung oder einen derartigen Nebenvertrag gewollt haben, ist gleichfalls eine faktische Frage. Das R. R. kennt in dieser Beziehung keine allgemeine Präsumtion; nur bei der addictio in diem und der lex commissoria vermuthet es für eine Bedingung und bei der retrovenditio für einen Nebenvertrag. Neuere Juristen wollen eine allgemeine Präsumtion für den Neben­ vertrag aufstellen (Sell, von bedingten Traditionen, Zürich 1839, S. 220 ff.); Andere geben die Auslegungsregel, daß verba directa auf eine Bedingung, und verba obliqua auf ein pactum objectum deuten. Das L.R. folgt keiner dieser Meinungen. Der wahre Wille der Parteien muß durch Auslegung gefunden werden. H. Beispiel bei einer Hypothek, die bei nicht pünkt­ licher Zinszahlung vorzeitig kündbar wird: O.Tr. III v. 7. März 1873, Str. Arch. 88 S. 258. 14) Während des Zustandes der Unentschiedenheit (ubi conditio pendet) ist noch gar kein Recht vorhanden; es ist nur eine solche Vorbereitung getroffen, daß die künftige Entstehung desselben lediglich von der Willkür der Betheiligten nicht mehr abhängig ist. Dieser unbestimmte Satz des R. R. (§. 4 J. de verb. obl. III, 16) ist unverändert hier ausgenommen. Vergl. I. 11 §. 258 u. I. 12 §. 491. Darin unterscheidet sich wesentlich die Suspensivbedingung von der Zeitbestimmung. §. 165 d. T. — Ter bedingt Berechtigte ist aber, während dieses Zustandes, schon berechtigt, in Fällen, wo Umstände eintreten, welche Gefährdung des künftigen Rechts be­ sorgen lassen, Sicherstellung zu fordern. I. 14 §. 5. Er hat schon vor Eintritt der Bedingung einen Titel zu dem ihm zugedachten Rechte, mithin sofern, eine Sache Gegenstand dieses Rechtes ist, ein Recht zur Sache. O.Tr. IV v. 15. Jan. 1867, Str. Arch. 67 S. 35. Der ungewisse Zustand kann sich in Gewißheit verwandeln, entweder so, daß das Ereigniß eintritt (conditio existit, conditio impleta oder expleta, erfüllte Bedingung), oder so, daß das Nichteintreten des Ereignisses gewiß wird (deficit conditio, vereitelte Bedingung). Diese Gewißheit tritt z. B. ein mit Ablauf der bestimmten Zeit, oder durch eintretende Unmöglichkeit des Ereignisses, etwa Tod dessen, welcher handeln soll. Kommt das Recht durch Eintritt der Bedingung zum Dasein, so entsteht die Frage: ob die Wirkung auf den Tag des eingegangenen Rechtsgeschäfts zurückzubeziehen ist. Das L.R. ent­ scheidet die Frage nicht, und nach dem N. R. ist man darüber nicht einig. Das Richtige ist, daß man als Regel die Rückwirkung annimmt und nur Ausnahmen macht. 1. Ist eine Sache auf einen bedingten Vertrag voraus tradirt, so ist der Empfänger unterdeß Verwalter (I. 11 §. 259), doch wird, wenn das Ereigniß eintritt, dieses Verhältniß ganz wegfallen und sein Eigen­ thum zurückbezogen werden müssen, wie nach L. 8 pr. D. de peric. (XVIII, 6), L. 9 §. 1; L. 11 §. 1 I). qui pot. (XX, 4). Sell, von bedingten Traditionen, S. 157. Wenn aber die Sache zufällig untergeht und darauf das Ereigniß eintritt, so ist nach den Grundsätzen des L.R. das ganze Geschäft vernichtet, wegen Unmöglichkeit der Erfüllung. 2. Nach denselben Grund­ sätzen entscheidet sich die Frage über Herausgabe der Früchte. Nach G. R. ist sie streitig. 3. Bei der bedingten Erbeseinsetzung, sowie bei dem bedingten Legate findet keine Rückwirkung statt; für die Zwischenzeit (pendente conditione) tritt der Jntestaterbe und beziehlich der Erbe als Eigenthümer und Nutznießer ein. I. 12 §§. 480—483. Nach R. R. ist es anders. Bei der Erbeseinsetzung tritt Rückwirkung ein, bei Legaten gleichfalls hinsichtlich des Eigenthums, L. 11 §. 1 D. quemadmodum servit. (VIII, 4), L. 150 D. de cond. (XXXV, 1), L. 3 §. 3 0. comm. de leg. (VI, 43), nicht aber hinsichtlich der Nutznießung, in Beziehung auf welche die Bedingung zugleich als Fristbestimmung angesehen wird. L. 22 pr. D. quando dies (XXXVI, 2). Ist von den Betheiligten keine Zeit festgesetzt, innerhalb welcher die Entscheidung eintreffen soll, so kann keineswegs eine richterliche Ergänzung, durch analoge Anwendung der für die Zeit der Erfüllung einer Verbindlichkeit gegebenen Vorschrift der §§. 61 u. 230 I. 5 stattfinden, da die wesentliche Voraussetzung der Analogie, die Ähnlichkeit zwischen beiden Verhältnissen gänzlich fehlt., Dort ist von Erfüllung einer Verbindlichkeit die Rede, hier handelt es sich um die der freien Bestimmung der Betheiligten anheimgegebene Entstehung eines Rechts. Auch der Fall

164

Erster Theil.

Vierter Titel.

§§. 103—111.

§. 103. Inzwischen darf der bedingungsweise Verpflichtete zum Nachtheil des dem Andern zugedachten Rechtes nichts vornehmen. §. 104. Hängt die Bedingung von einem bloßen Zufalle ab, so dürfen weder der Berechtigte, noch der Verpflichtete, ein jeder bei Verlust seines Rechtes, etwas vornehmen, wodurch das Eintreten des Zufalls hervorgebracht oder verhindert wird 15 * *).16 ** §. 105. Hängt die Bedingung von einer freien Handlung des Berechtigten oder eines Dritten ab, und hindert der Verpflichtete vorsätzlich, daß die Bedin­ gung nicht zur Wirklichkeit gelangt, so ist dieselbe in Ansehung seiner für erfüllt zu achten^). §. 106. Ein Gleiches findet statt, wenn der Verpflichtete durch Betrug oder andere unerlaubte Mittel den Entschluß bewirkt, nach welchem die Bedingung fehl­ schlägt. §. 107. Wenn aber der Verpflichtete sich erlaubter Mittel zur Bewirkung dieses Entschlusses bedient hat, so ist er dem Berechtigten dafür nicht verant­ wortlich 17). des bedingten Legats, dessen Bedingung auf die Willkür des Beschwerten gestellt ist, ist un­ ähnlich. I. 12 §. 495. H. Die Festsetzung einer Frist braucht aber nicht ausdrücklich zu ge­ schehen, es genügt, wenn sie sich aus der Lage der Sache ersehen läßt. O.Tr. IV v. 20. Okt. 1870, Str. Arch. 78 S. 368. 15) D. h. die Bedingung gilt für erfüllt oder für vereitelt, je nachdem es dem dolose Einwirkenden nachtheilig "ist. S. auch §. 119 d. T. Es ist der röm. Rechtssatz: jure civili receptum est, quotiens per eum, cujus interest conditionem non impleri, fiat, quo minus impleatur, perinde haberi, ac si impleta conditio fuisset. L. 161 D. de reg. jur. (L. 17); L. 24 D. de cond. (XXXV, 1) und viele andere Stellen. — Ein Beispiel unpassender Anwendung dieses §. s. in Anm. zu I. 11 §. 869. 16) Ist z. B. die Rechtsverbindlichkeit einer Verabredung von dem Ausfälle des gutacht­ lichen Ermessens eines Dritten abhängig gemacht, so ist darin eine Bedingung, kein Kompromiß enthalten. O.Tr. IV v. 24. Sept. 1857, Str. Arch. 37 S. 61. Vergl. I. 5 §. 72 u. I. 11 §§. 13 ff., 48. — Der Dolus ist der Grund der Fiktion; die Absicht muß auf Herbeiführung der Entscheidung aus Eigennutz, nämlich um den Vortheil zu behalten, gerichtet sein. L. 38 D. de statulib. (XL, 7). Das hat auch das O.Tr. angenommen und deshalb eine solche Absicht darin allein nicht gefunden, daß die Kontrahenten denjenigen Vertrag aufheben, von welchem das bedingte Recht eines Dritten abhängig ist. Erk. IV v. 28. Jan. 1858, Str. Arch. 27 S. 256. H. Ebenso IV v. 28. Juni 1877, Str. Arch. 97 S. 267. Mit dieser Auffassung ist auch Erk. I v. 11. Sept. 1863, Entsch. 50 S. 24 u. Str. Arch. 51 S. 78 nicht unvereinbar. In demselben ist die Rede von einer an sich unbefugten Handlung, von der rechtswidrigen Dienstentlassung, vermöge deren die zur vertragsmäßigen Bedingung einer Gehaltserhöhung gemachte zehnjährige Dauer des Dienstes unmöglich gemacht war. 17) Diese Beschränkung der Rechtsregel ist neu. Sie entspricht auch dem Rechtsgrunde derselben, daß der Betheiligte, welcher die Zufälligkeiten der Bedingung willkürlich aufhebt, da­ durch keinen Vortheil haben soll, nicht. Ohne die Erläuterung, welche Suarez in der Revision der Mon. re. giebt, ist es auch dunkel, was eigentlich gemeint sei. Er sagt: „z. E. dem Kandidat Titio sind 100 Thlr. vermacht, wenn er die Pfarre zu A. erhalten sollte. Cajus, der Erbe, gleichfalls ein Kandidat, bewirbt sich um eben diese Pfarre, und erhält dieselbe durch erlaubte Mittel. Soll er dann doch noch Titio das Legat bezahlen? Ich würde sagen: Verhindert er durch Mittel oder Anstalten, welche die Gesetze mißbilligen, daß die Bedingung re." Das Mo­ nitum war gegen die Folgen der vorsätzlichen Verhinderung (§. 105) gerichtet. Das Bei­ spiel zeigt, daß der Fall, für welchen die Bestimmung gegeben ist, nicht unter die dolose Ver­ hinderung gehört. S. die vor. Anm. 16. Klein trat dem Monitum im Wesentlichen bei und meinte: Das zur Bedingung gemachte Ereigniß solle entweder in einem bloßen Zufalle, oder in einer willkürlichen Handlung bestehen. Im ersteren Falle dürfen weder der Verpflichtete noch der Berechtigte einwirken. Sei die Willkür des Verpflichteten zur Bedingung gemacht, so trete §. 108 ein. Beruhe die Bedingung auf der Handlung des Berechtigten selbst oder eines Dritten, so sei die eigentliche Verhinderung jederzeit unerlaubt; mixta qualitas conditionum mache hier keinen Unterschied. Es blieben also nur die Fälle zu entscheiden übrig, wo der Andere nicht gehindert worden sei zu handeln, sondern nur Bewegungsgründe erhalten habe, sich so und nicht anders zu entschließen. Alsdann komme die von S. angegebene Regel zur Sprache; denn in

Von Willenserklärungen.

165

§. 108. Ist die aufschiebende Bedingung so beschaffen, daß sie von einer ganz unbestimmten ^) Willkür des Erklärenden oder dessen, welcher durch die Er­ klärung verpflichtet werden soll, abhängt, so hat die Erklärung selbst gar keine rechtliche Wirkung. §. 109. Ist zwar ein bestimmtes Ereigniß, aber nur ein solches, dessen Ein­ treffen oder Nichteintreffen an sich von bein freien Willen des Erklärenden oder Verpflichteten abhängt, zur Bedingung gesetzt, so kann der Begünstigte den Ver­ pflichteten nicht hindern 10), über den Gegenstand der Erklärung, so lange dies Er­ eigniß noch nicht eingetroffen ist, nach Gutbefinden zu verfügen. §. 110. Setzt durch dergleichen Verfügung der bedingungsweise Verpflichtete sich selbst außer Stand, bei künftig eintretendem Ereigniß der Erklärung zu ge­ nügen, so kann der Berechtigte, welcher in Rücksicht dessen bereits etwas gegeben oder geleistet hat20 * *),* *vollständige * * * * * * 18 19 Schadloshaltung dafür fordern. §. 111. Kann zur Zeit des wirklich eintretenden Ereignisses der Erklärung noch genügt werden, so hat der Berechtigte ein unbedingtes Recht darauf er­ worben 21). dem angeführten Falle werde der Koltator nicht verhindert, dem Berechtigten die Stelle- zu geben, sondern nur durch Gründe bestimmt, es nicht zu thun. Es ständen also folgende Sätze fest: Wenn der Verpflichtete die Erfüllung oder den Eintritt der Bedingung vorsätzlich hindert, so ist dieselbe in Ansehung seiner für erfüllt zu achten. Ein Gleiches findet statt, wenn er durch Betrug oder andere unerlaubte Mittel den Ent­ schluß bewirkt, auf welchem die Bedingung beruht. Wenn der Verpflichtete durch erlaubte Mittel den Entschluß befördert, welcher das Aus­ bleiben der Bedingung zur Folge hat, so wird er dadurch dem Berechtigten nicht verantwortlich. Jahrb. 52 S. 66. Diese drei Sätze finden sich im Wesentlichen in den §§. 105—107 wieder. 18) Durch diesen Ausdruck soll ohne Zweifel der klare röm. Nechtssatz bestätigt werden, wonach die Bedingung „si-velit“ das Dasein eines Rechtsverhältnisses ganz verhinderte, nicht allein bei einseitiger: Verpflichtungen (L. 17, 45 §. 3; L. 108 H. 1 D. de verb. obl. XLV, 1; L. 7 pr. D. de contr. ernt. XVIII. 1). sondern auch bei wechselseitigen Verträgen (L. 7 pr. cit.; L. 13 C. de contr. ernt. IV. 38), mit alleiniger Ausnahme des Staufs ad gustum (L. 34 §. 5 D. eod.; §. 4 J. de ernt. III, 23). Dagegen rvar die Bedingung, welche auf eine be­ stimmte freie äußere Handlung des Verpflichteten gestellt war, allerdings rechterzeugend. Darauf gründet sich die Gültigkeit der Konventionalstrafen und des legati poenae nomine relicti. L. un. C. de bis quae poenae (VI, 41); §§. 35, 36 J. de legatis (II, 20). Nichts deutet darauf hin, daß die Verf. des L.R. etwas Abweichendes hiervon haben einführen wollen; im Gegen­ theile: die Wirksamkeit der Konventionalstrafen ist allgemein anerkannt und namentlich ist die Bedingung derselben, wenn der Verpflichtete eine gewisse bestimmte Handlung nicht unter­ lassen würde, für gültig erklärt. I. 5 303. Hiernach ist anzunehmen, daß unter der „ganz unbestimmten Willkür" die allgemeine Bedingung: „wenn er will", verstanden wird, daß hin­ gegen eine in die Willkür des Verpflichteten gestellte ganz bestimmte Handlung oder Unterlassung eine wirksame Bedingung ist. Dies erhellet aus dem Gegensatze des folgenden §. 109. Diese Art von Bedingungen heißen in unseren Rechtsquellen c. potestativae (Potestativ­ bedingungen) L. un. §. 7 C. de cad. toll. (VI, 51), und man theilt hiernach alle Bedingungen in casuales, potestativae und mixtae. Das L.R. hat diese Terminologie nicht. 19) Ist bloße Anwendung des Grundsatzes §. 102. Dieser erleidet dadurch, daß die Be­ dingung auf eine willkürliche Handlung des Verpflichteten gestellt ist, keine Aenderung. 20) S. d. folg. Anm. a. E. 21) Die beiden §§. 110 u. 111 regeln das Klagrecht, welches dem Berechtigten zusteht, wenn das Recht durch das Eintreffen der Potestativbedingung zum Dasein kommt. Drei ver­ schiedene Fälle können eintreten. Der Verpflichtete hat den Gegenstand noch in seiner Ge­ wahrsam: dann ist das Verhältniß ganz einfach; es wird die aus dem Rechtsgeschäfte ent­ springende Klage auf Einräumung des Gegenstandes angewendet. Oder der Verpflichtete hat den Gegenstand nicht mehr; dieser ist im Besitze eines Dritten. Oder der Gegenstand ist ver­ nichtet, oder unerreichbar. In dem zweiten Hauptfalle hat der Dritte das Rechtsverhältniß ge­ kannt, oder nicht gekannt. Hat er es gekannt, so muß er die analoge Klage aus dem Rechts­ verhältnisse gegen sich gelten lassen und die Sache unentgeltlich herausgeben. I. 10 §. 25, verb.

166

b) «llfli>= scndc.

Erster Theil.

Vierter Titel.

§§. 112—118.

§. 112. Ist eilt Vortheil, der einem Dritten verschafft werden soll, zur Be­ dingung gemacht worden, so muß auch diese schlechterdings erfüllt werden §. 113. Es kommt also dem bedingungsweise Berechtigten nicht zu statten, wenngleich der Dritte den Vortheil ausschlägt, oder sich selbst an dessen Erlangung hindert28). §. 114. Ist eine Bedingung in der Art beigefügt, daß durch den Eintritt derselben die Wirkung der Willenserklärung wieder aufhören soll, so heißt solches eine auflösende Bedingung24 * *).* * * * * * 22 23 mit §. 103 d. T. Hat er es nicht gewußt, so tritt der dritte Hauptfall ein. In diesem fordert der Berechtigte, mit der dem Rechtsverhältnisse eigenthümlichen Klage, Entschädigung, und zwar, zufolge §. 110, vollständig e. Doch ist diese Forderung des Interesses ausdrücklich an den Fall gebunden, wo der Berechtigte auf das bedingte Geschäft bereits etwas gegeben oder geleistet hat. Wo nicht, fällt das Klagrecht ganz weg, das folgt aus dem argumento a contrario. Darin liegt denn eine Beschränkung der aufgenommenen röm. Rechtsregel (Anm. 18 zu §. 108 d. T.): das Rechtsverhältniß wird in diesem Falle durch die Willkür des Verpflichteten ganz vereitelt, es kommt gar nicht zur Entstehung. 22) Das zu diesem §. eingetragene Pr. 1571 des O.Tr. gehört nicht hierher, sonden zu I. 5 §. 74. S. die Anm. dazu. 23) Rach R. R. gilt die Bedingung für erfüllt (die Erfüllung wird fingirt), wenn der Dritte, zu dessen Vortheile die Bedingung gemacht ist, den Vortheil ausschlägt oder sonst die Erfüllung hindert. Ulpian II §. 6; L. 5 §. 5 D. quando dies (XXXVI, 2); L. 78 pr.. 14, 31 D. de cond. (XXXV, 1); L. 3, 11, 23 D. de cond. instit. (XXVIII, 7). Die beiden SS- 112 u. 113 bestimmen das gerade Gegentheil von dieser Regel. Dadurch ist eine gleiche Wirkung dieser Bedingung für alle Fälle eingeführt, während nach R. R. in dem Falle, wo die Zuwendung des Vortheils zufällig unmöglich geworden, etwa weil der Dritte verstorben war, die Bedingung für vereitelt galt (L. 31, 94 pr.; 72 §. 7 D. de cond.; L. 23 §. 2 D. ad L. Aquil. IX, 2; L. 4 C. de cond. VI, 46); wogegen in jenem Falle, wo der Wille des Dritten hinderte, die Erfüllung fingirt wurde. 24) S. o. die Anm. 13 zu §. 101 und Annr. 11 zu §. 100. Mit einer solchen Bedingung kann auch zugleich eine Konventionalstrafe verbunden werden, doch sind dann die Folgen von beiden wohl zu unterscheiden. M. s. den praktischen Fall in Entsch. des O.Tr. 15 S. 264. Die Definition, welche der §. 114 von der „auflösenden Bedingung" giebt, ist korrekt, schützt jedoch nicht vor Verwechselung mit verwandten Willenserklärungen. In einem Kolonatkontrakte war bestimmt: der Kolon dürfe bei Vermeidung der Entsetzung aus dem Kolonate kein Eichen­ holz aus dem dazu gehörigen Busche fällen. Er that dies aber doch. Der Gutsherr machte nun sein Recht, den Kolonen abzumeiern, geltend. Der Kolon widersprach, weil jene Verabredung als Bestimmung einer Konventionalstrafe anzusehen sei, die jedoch ungültig, da solche den doppelten Betrag des Interesses des Verpächters übersteige. Das O.Tr. erklärt in dem Erk. II v. 28. März 1865, Str. Arch. 57 S. 278, die Bestimmung für eine auflösende Bedingung und sagt: „Eine Bedingung, durch deren Eintritt die Wirkung der Willenserklärung wieder aufhört, die also das Rechtsverhältniß ganz auflöst, ist, wenn sie sich auch als Strafe herausstellt wie hier, doch wesentlich verschieden von einer Konventionalstrafe, welche im'Voraus das Interesse bestimmt, das ein Kontrahent dem andern bei nicht gehörig geleisteter Erfüllung des Vertrages zu vergüten hat. Die Konventionalstrafe ist eine Nebenabrede, bei welcher das Hauptgeschäft in Kraft bleibt, während die Nesolutiv-Bedingung das Hauptgeschäft in der Wurzel trifft." Der angegebene Unterschied zwischen Nesolutiv-Bedingung und Konventionalstrafe mag richtig sein, berührt aber die vorliegende Verabredung nicht, denn diese enthält weder die Beifügung einer Resolutivbedingung, „durch deren Eintritt (also ipso jure) die Wirkung der Willenserklärung wieder aufhören soll", noch eine Konventionalstrafbestimmung, sondern eine jener Nebenabreden, welche man „Geschäftsklauseln" nennt, und zwar hier diejenige, welche dem Gutsherrn, unter der bestimmten Voraussetzung das Recht giebt, von dem Vertrage vor der Zeit wieder abzugehen (clausula cassatoria): die bezeichnete That oder Unterlassung soll für ihn ein vertragsmäßiger Aufhebungsgrund sein, durch den Eintritt des Falles hört die Wirksamkeit des Ver­ trages noch nicht auf, dies geschieht erst mit dem Augenblicke, wo der Berechtigte dem Anderen gegenüber erklärt, daß er von seinem Rechte Gebrauch machen wolle und daher die Räumung verlange; es steht lediglich bei ihm, die Kontravention zu übersehen, in welchem Falle das Ver­ hältniß unverändert fortdauert. Anders bei der Resolutivbedingung. Deren Eintritt wirkt so, wie ein vertragsmäßig festgesetzter bestimmter Endtermin. Mit dessen Eintritt erlischt das Rechtsverhältniß ipso jure, in Beziehung auf beide Theile, es bedarf dazu von keiner Seite einer Willenserklärung, die faktische Fortsetzung des Verhältnisses wird nicht mehr durch die

Von Willenserklärungen.

167

8- 115. Der unter einer auflösenden Bedingung Berechtigte verliert sein Recht mit dem Augenblick25 * *),26 * wo die Bedingung zur Wirklichkeit gelangt. 116. Erhellet aber aus den Umständen, daß das Recht, beim Eintritt der Bedingung, als ungültig, von der Zeit der Einräumung an, habe angesehen werden sollen -o), so müssen auch die bisher gezogenen Nutzungen wieder herausgegeben werden27). §. 117. Soll die auflösende Bedingung von einem bloßen Zufalle abhängen, so findet die Vorschrift §. 104. Anwendung. §. 118. Ist die Bedingung von dem freien Willen desjenigen, dem bei ihrem Eintritt der Vortheil zufallen soll28), abhängig gemacht, so verliert der Andere das unter einer auflösenden Bedingung erhaltene Recht von der Zeit an, da sich Jener seiner29) Befugniß bedient30).

Bestimmungen des erloschenen Vertrages beherrscht; um dieses zu bewirken, bedarf es einer neuen Vereinbarung, sei sie eine ausdrückliche,, oder, wo sie rechtlich stattfindet, eine stillschweigende (Prolongation). — Vergl. Anm. 13 Abs. 3 zu §. 101 d. T. und die Anm. zu I. 11 §. 761. 25) Von Anfang steht das an eine Resolutivbedingung geknüpfte Rechtsgeschäft einem un­ bedingten gleich. Das Eintreffen der Bedingung aber wirkt von selbst eine völlige Vernichtung desselben; das Recht oder Eigenthum fällt an den Berechtigten (in Beziehung auf welchen die Bedingung als eine suspensive aufgefaßt werden kann, für die Erwerbung des Gegenstandes) ohne neue Rechtshandlung zurück, und alle inzwischen von dem bisher berechtigt Gewesenen voll­ zogenen, an sich gültigen Veräußerungen und Belastungen erlöschen gleichfalls von selbst. I. 19 H. 33; L. 41 pr. 1). de rei vind. (Vl, 6); L. 4 §. 3 D. de in diern addict. (XVIII, 2); L. 3 D. quib. mod. pignus (XX, 6). Die Vindikationsklage gegen den Dritten ist keineswegs be­ dingt durch dessen guten Glauben, sondern nur die Frage: welche Gegenforderungen der Besitzer hat, ist davon abhängig. Aber Jura in re erlöschen nicht, wenn sie redlich erworben sind. Unten Anm. zu I. 19 §. 33. 26) Aus den Umständen des Rechtsgeschäfts muß dies erhellen, d. h. die Absicht der Be­ theiligten muß durch Auslegung ermittelt werden; eine Beweisführung über die angebliche, außerhalb der Willenserklärung zu suchende, Absicht ist unzulässig. — Von der Zeit der Ein­ räumung, oder von einem späteren Zeitpunkte an. O.Tr. IV v. 9. März 1858, Entsch. 38 S. 17. 27) Der gedruckte Entwurf II. 1 §. 95 wollte in allen Fällen der Auflösung durch Ein­ tritt der Resolutivbedingung die Herausgabe der Nutzungen. Das wurde im Widersprüche ge­ funden mit dem Grundsätze: daß das Recht in dem Augenblicke des Eintritts verloren geht. §. 115. Höchstens — meinte man — könnte man jenes nur dann gelten lassen, wenn die auf­ lösende Bedingung dergestalt conditio sine qua non war, daß man sieht, derjenige, welcher das jus conditionatum ein geräumt hat, würde solches gar nicht gethan haben, wenn er an den Fall gedacht hätte, daß die conditio resolutiva jemals zur Wirklichkeit gelangen möchte. Darauf ist konkludirt: approbatum. Suarez, Revis, der Monita re. im Jahrb. 52 S. 5. 28) Ist dieser der ursprüngliche Andere, so treten alle Wirkungen einer eingetroffenen Re­ solutivbedingung ein, sobald der Andere seinen Willen, dem Verpflichteten gegenüber, erklärt, oder die Handlung vollzieht, z. B. heirathet. Ist derselbe aber ein Dritter, welcher dem ur­ sprünglichen Rechtsgeschäfte nicht mit Zustimmung beider Theile beigetreten ist; so kann, wenn­ gleich ihm ein Recht, etwa durch Cession des Berechtigten, übertragen worden ist, der Eintritt der Bedingung doch nicht dergestalt wirken, daß z. B. das Eigenthum ipso jure auf ihn über­ ginge. Denn unmittelbar aus dem Rechtsgeschäfte hat er gar kein Recht, und der Berechtigte kann kein anderes Recht cediren, als er selbst hat, dieses aber besteht nicht darin, daß der Gegen­ stand an ihn zurückkehren soll, sondern nur darin, zu fordern, daß der Dritte solchen erhalte. Mittelst der Cession gelangt daher der Dritte nur zu dieser Forderung. Es muß daher zwischen ihm und dem Verpflichteten eine, zur Uebertragung des Gegenstandes geeignete, neue Rechts­ handlung (Tradition oder Cession) vollzogen werden. Von da an erlöschen die in der Zwischen­ zeit vorgenommenen Veräußerungen und Belastungen von selbst. 29) „Seiner". In der Ausgabe von 1817 heißt es „einer", was augenscheinlich ein Druckfehler ist. 30) Oder durch unerlaubte Mittel seitens des Anderen verhindert wird, sich seiner Besugniß zu bedienen. S. o. Anm. 15 zu §. 104. — Suarez erläutert die Bestimmung so: „Z. E. der Testator hat gesagt: Titio vermache ich mein Haus; wenn aber mein Erbe Eajus heirathen sollte, so soll ihm Titius das Haus zurückgeben." Jahrb. 52 S. 68.

168

Erster Theil.

Vierter Titel.

§§. 119—129.

§. 119. Beruht die Bedingung auf einer freien Handlung dessen, der bei ihrem Eintritt das Recht verlieren soll, oder eines Dritten; und hat der, welchem alsdann das Recht zufallen soll, durch Betrug oder andere unerlaubte Mittel den Entschluß, durch welchen die auflösende Bedingung wirklich wird, veranlaßt; so wird in Ansehung seiner angenommen, daß die Bedingung nicht eingetreten sei31).32 §. 120. Ist Jemandem ein Recht oder Vortheil unter der Bedingung, daß er seinen verwittweten Stand nicht ändere, eingeräumt worden, so kann derselbe, wenn er sich wieder verheirathet, die gezogenen Nutzungen herauszugeben, niemals angehalten werden S2). §. 121. Es hängt von dem Erklärenden ab, für das unter einer auflösenden Bedingung einzuräumende Recht, gleich bei der Einräumung33)34desselben, Cautionsleistung zu fordern. §. 122. Ist dieses nicht geschehen, so kann der Berechtigte nur in dem Falle zur Sicherheitsbestellung angehalten werden, wenn eine erhebliche'^) Besorgniß entsteht, daß er sich selbst außer Stand setzen werde, bei eintretender auflösenden Bedingung seiner Verbindlichkeit, wegen der Zurückgabe der Sache oder des Rechtes, eine Genüge zu leisten35). 31) S. o. Anm. 15 zu §. 104. 32) Dieses Gesetz Hal eine eigene Geschichte. Die Ehelosigkeit ist so wenig unsittlich, daß sie sogar dem Stande, der die Pflege der Sittlichkeit ganz besonders zu seinem Lebensberufe hat, besondere Pflicht ist; deshalb kann auch die Bedingung der Ehelosigkeit unmöglich Unsittlich sein. Sie ist von der Römischen Gesetzgebung aus publizistischen Gründen durch die lex Julia ausdrücklich verboten worden. L. 22, L. 63 §. 1, L. 72 §. 5, L. 77 §. 2, L. 100 D. de cond. (XXXV, 1); L. 65 §. 1 1). ad S. C. Treb. (XXXVI, 1). Unter welcher Veränderung das Verbot in das L.R. übergegangen, ergiebt der §. 10 d. T. — Anders ist es mit dem Wittwenstande gewesen: die Bedingung der Ehelosigkeit nach einer früheren, durch den Tod getrennten Ehe, ist im jüngsten R. R. zugelassen. Die Vers, des L.R. haben dies aufgenonunen, doch wieder mit einer willkürlichen Beschränkung in Ansehung der Nutzungen. Im Uebrigen ist in der Wirk­ samkeit der Bedingungen nichts geändert. — Die Verabredung in einem Erbvertrage, daß der Ueberlebende für den Fall, daß er heirathe, einen ihm im Erbvertrage eingeräumten Vortheil wieder herauszugeben verpflichtet sei, ist keine unerlaubte. O.Tr. I v. 2. Juni 1856, Str. Arch. 26 S. 13. H. Anderer Meinung: Scharn weder (Der letzte Wille und der Erbvertrag, Potsdam 1861, Abschn. 2; Gruch. Beitr. 7 S. 489) und G. Hartmann (Ger.Z. 1861 S. 329). 33) Das braucht freilich nicht erst durch ein Gesetz festgestellt zu werden, da die Betheiligten unter sich ausmachen können, was sie wollen. Deshalb kann die Sicherstellung auch bei einer aufschiebenden Bedingung ausbedungen werden. Allein der praktische Vortheil dieses Gesetzes liegt anderswo; er tritt hervor bei den unfreiwilligen Überlassungen (Expropriationen) auf Zeit, d. h. unter dem Bedinge der künftigen Rückgabe, wenn der Erwerber von der Sache nicht mehr sollte Gebrauch machen können. In solchem Falle muß er den Eigenthümer für den unver­ schlechterten Zustand der Sache bei der künftigen Rückgabe und für die ihm entgehenden Ab­ nutzungen während der Zwischenzeit bei der Uebernahme der Sache sicher stellen. Vergl. I. 14 §. 182. Das O.Tr. ist dieser Ansicht nicht beigetreten. Durch das Rev.Erk. III v. 18. Mai 1863, Sir. Arch. 49 S. 211, hat dasselbe die Kautionsforderung wegen des einer Gewerkschaft überlassenen Grundes und Bodens abgewiesen. (H. Die gegen diese Entscheidung von Koch gerichtete Polemik kann auf sich beruhen, da sie durch das Berggesetz v. 24. Juni 1865 §§. 148—154 das praktische Interesse verloren hat.) — Die Muciana cautio ist eine Anwendung des Prinzips auf die aufschiebende negative Potestativbedingung für Erben und Legatare (L. 7, 73 D. de cond. |XXXV, 1]). Der unter einer anderen Bedingung eingesetzte Erbe erhielt die bonor. poss. gegen Kautionsleistung. L. 5 pr., L. 10 D. de bon. poss. sec. tab. (XXXVII, 11). 34) D. i. eine begründete, durch die Umstände gerechtfertigte Besorgniß. 35) Tritt der Fall der Unsicherheit, oder doch der gegründeten Besorgniß einer Gefähr­ dung ein, so ist die Klage auf Sicherheitsleistung zulässig, wie in den Fällen I. 11 §§. 759, 760; 1.20 §.442. Die Sicherheitsleistung geschieht nach den Grundsätzen I. 14 §§. 186 ff. Das Recht, Sicherstellung zu fordern, wird durch die Art der Resolutivbedingung, namentlich dadurch bestimmt, daß die Bedingung auf eine freie Handlung desjenigen, dem das Recht zufallen soll, gestellt ist. Denn die sofortige Aufhebung des Rechtsverhältnisses durch willkürliche Vollziehung der Handlung ist ein Recht, aber keine Pflicht; durch Verschiebung der Ausübung dieses Rechts geht das andere Recht auf Sicherstellung nicht verloren; beide Rechte sind von einander unab­ hängig. Vergl. I. 11 §. 759; I. 20 §. 442.

Von Willenserklärungen.

169

§. 123. Die Caution dauert alsdann so lange, als die auflösende Bedingung noch eintreffen kann. §. 124. Sind unschätzbare Rechte oder Vortheile unter einer auflösenden Bedingung eingeräumt worden, so tritt in Fällen, wo sonst Caution geleistet werden muß, die Verbindlichkeit zur Uebernehmung einer Conventionalstrafe an deren Stelle. §. 125. Diese muß von dem Richter nach den Umständen bestimmt, und von dem Berechtigten auf so lange, als die auflösende Bedingung noch eintreten kann, sicher gestellt werden. §. 126. Durch Beziehung auf Ereignisse, welche nach dem natürlichen Laufe der Dinge nothwendig eintreffen müssen, wird eine Willenserklärung nicht bedingt.unönct)™^ §. 127. Wird das eingeräumte Recht daran gebunden, daß ein dergleichen Ereigniß eintreten soll, so ist dieses für eine Zeitbestimmung zu achten. §. 128. Wird aber das Recht von dem Nichteintreffen eines solchen noth­ wendigen Ereignisses abhängig gemacht, so ist die Willenserklärung nichtig 36).37 38 §. 129. Kann ein Ereigniß entweder nach dem natürlichen Laufe der Dinge überhaupt3^), oder nach den besondern Beschaffenheiten und Verhältnissen des­ jenigen 88), dem die Bedingung gemacht worden, nicht eintreffen, so wird die Be­ dingung selbst unmöglich39) genannt. 36) Die drei §§. 126—128 gehören nicht unter den Marginaltitel von möglichen und unmöglichen Bedingungen; denn sie handeln von den nothwendigen Bedingungen, d. h. solchen Ereignissen, welche ganz gewiß stattfinden. Diese sind, wegen des fehlenden Merkmals der Ungewißheit, keine wahren Bedingungen. Das Marginale sollte daher heißen: noth­ wendige und unmögliche Bedingungen. Die Erklärungen, welchen eine nothwendige Be­ dingung beigefügt ist, gelten als unbedingte, wie der §. 126 ausspricht, gleich wie die L. 9 §. 1 D. de novat. (XLVI, 2); L. 7, 8 D. de verb. obl. (XLV, 1); L. 17. 18 D. de cond. ind. (XII, 7); L. 50 §. 1 I). de bered, instit. (XXVIII, 5). Dergleichen Zusätze können, wie wahre Bedingungen, positiv und auch negativ ausgedrückt sein. Hierauf beziehen sich die beiden §§. 127 und 128. Erkläre ich: wenn jemals das Pferd, was ich Dir verkaufe, sterben sollte, so'zahle ich Dir 100, dann ist der Fall des §. 127 da; erkläre ich: 100 zahle ich, wenn das Pferd, nach Abschneidung des Kopfes nicht todt ist, so ist gar keine verbindlichmachende Er­ klärung vorhanden. §. 128.' Derartige Bedingungen können auch juristisch nothwendig sein. So das Darlehn unter dem Bedinge der Wiederbezahlung: wenn Darlehen wiedergegeben werden müssen (§. 127); oder negativ: wenn die Rückzahlung nicht mehr zu geschehen braucht, so werde ich Dir leihen (§. 128). Die negativ gestellte nothwendige Bedingung ist eine un­ mögliche. 37) Nämlich absolut oder nach seiner dauernden Natur, nicht bloß nach vorübergehenden Zuständen oder dem Wechsel der Zeit. Ein Ereigniß also, welches zur Zeit der Erklärung un­ möglich war, später aber vermöge seiner veränderlichen Natur möglich werden kann, z. B. wenn einem ledigen Wahnsinnigen für den Fall seiner Verheirathung eine Summe versprochen wird, so ist das eine an sich mögliche Bedingung, obgleich sie, so lange der Wahnsinn dauert, ganz unmöglich ist. Denn der Wahnsinnige kann wieder gesund werden und heirathen. Umgekehrt bleibt die Bedingung, welche zur Zeit der Erklärung möglich war, eine mögliche, wenn sie auch später unmöglich wird (I. 3 §. 42); sie ist dann vereitelt, und hat die Wirkung des Nicht­ eintreffens zur Folge. Vergl. L. 94 pr. D. de cond. (XXXV, 1); L. 23 §. 2 D. ad L. Aquil. (IX, 2); L. 19, 20 §. 3 D. de statulib. (XL, 7). 38) Damit werden die relativ unmöglichen Ereignisse gemeint, die nur zufällig nicht in Erfüllung gehen können, während sie unter anderen Umständen sehr wohl eintreffen könnten. So z. B. Verheirathung mit einer bestimmten Person, welche nicht mehr lebt. L. 72 §. 7, L. 6 1 D. de cond.; L. 45 D. de bered, instit. (XXVIII, 5); L. 26 §. 1 D. de statulib. (XL, 7). Der Ausdruck unseres Gesetzes geht aber weiter. Das R. R. rechnet zwar wohl auch solche Ereignisse zu den unmöglichen, welche nach der herrschenden Meinung sich nicht verwirklichen lassen; allein der Grund davon muß in allgemeinen Zuständen liegen, z. B. die Bedingung der Freilassung eines Sklaven: wenn der Erbe 5 Millionen gezahlt erhalte. L. 4 §. 1 D. de statulib. Dagegen wird auf die besonderen Verhältnisse desjenigen, welcher mit der Bedingung beschwert ist (subjektive Unmöglichkeit), nicht geachtet, z. B. wenn er eine mäßige Summe zahlen soll, welche aufzubringen er unvermögend ist. L. 137 §. 4 I). de verb. obl. (XLV, 1). Damit,

170

Erster Theil.

Vierter Titel.

§§. 130—142.

§. 130. Ist eine unmögliche Bedingung in der Art, daß solche nicht eintreffen solle, beigefügt, so wird die Erklärung für unbedingt geachtet4^. §. 131. Wird aber das Recht von dem Eintreffen der unmöglichen Bedingung abhängig gemacht, so wird dadurch die ganze Willenserklärung entkräftet41 * *).* * 39 40 §. 132. Ein Gleiches geschieht, wenn Bedingungen beigefügt worden, deren Sinn, und wie sie erfüllt werden sollen, ganz unverständlich ist42). d) Unnütze. §. 133. Bedingungen, von deren Erfüllung kein Nutzen abzusehen ist, müssen, so lange der Erklärende lebt, und darauf besteht, dennoch erfüllt werden. §. 134. Ist aber der Erklärende, ohne sich über den bei der Bedingung ge­ habten Zweck näher zu äußern, verstorben, so kann der bedingt Berechtigte auf deren Erlassung bei dem Richter antragen43). §. 135. Der Richter muß diejenigen, welche ein Interesse bei der Sache haben, rechtlich darüber hören, und darf nur nach befundener ganz offenbaren Unnützlichkeit der Bedingung die Erfüllung derselben erlassen44). ist es nach dem Wortlaute des §. 129 anders. Doch ist die bloße Schwierigkeit auch nach dieser Bestimmung nicht zu beachten; und es wird in jedem einzelnen Falle vom Richter zu befinden sein: ob die Bedingung, mit Rücksicht auf die besonderen Verhältnisse oder Beschaffenheiten der Person, unmöglich, oder bloß schwierig sei. 39) Eine theilweise mögliche, theilweise unmögliche Bedingung ist für eine unmögliche zu erachten; denn jede Bedingung ist untheilbar und must ganz erfüllt werden, wenn sie für ein­ getreten erachtet werden soll. I. 12 §§. 491, 492. 40) Eine unmögliche Bedingung ist eben so wenig wie die nothwendige eine wahre Bedingung; beide Arten von falschen Bedingungen stehen in einem umgekehrten Verhältnisse: die negativ ausgedrückte unmögliche Bedingung wirkt wie die positiv beigesügte nothwendige, und umgekehrt. §. 131. Das Gesetz unterscheidet übrigens nicht: ob der Erklärende über die Art der Bedingung als einer unmöglichen im Irrthume war, was bei der relativ unmöglichen leicht der Fall sein kann; oder ob er die Unmöglichkeit wußte. Deshalb gilt für beide Fälle das Gleiche. Nach G. R. ist es streitig. 41) S. die vor. Anm. Das gilt nicht bloß von Verträgen, sondern auch von letztwilligen Verordnungen I. 12 §§. 504—507. Das Justinianische R. unterscheidet bekanntlich beide Arten von Willenserklärungen und läßt Verträge, welchen eine unmögliche Bedingung- beigefügt ist, nichtig sein, während es die gleiche Bedingung, einem Testamente zugesetzt, für nicht geschrieben erachtet. Vorher stritten die Juristen über die Frage. Die Prokulejaner waren für die Gleich­ stellung aller Willenserklärungen, nämlich für die Nichtigkeit derselben (Gajus III §.98). Die Sabinianer für die Unterscheidung. Deren Meinung hat Justinian den Vorzug gegeben. Ueber die Gründe dieser ungleichen Behandlung ist man nicht einverstanden. Gewöhnlich erklärt man solche durch eine Begünstigung der Testamente, doch unbefriedigend. M. s. die geistreiche Er­ klärung v. Savigny's im Systeme 3 S. 196 ff. 42) Conditiones perplexae, d. h. solche, welche sich selbst widersprechen und deshalb nach dem logischen Gesetze unmöglich sind. Beispiele: L. 16 D. de condit. instit. (XXVIII, 7); L. 39 D. de manum. test. (XL, 4); L. 88 pr. D. ad L. Falc. (XXXV, 2). 43) Das geschieht in der Form einer Klage gegen die Betheiligten, welche die Bedingung zu erlassen befugt sein würden und sich dazu nicht verstehen wollen (§. 135). Die Form der Exception ist dazu nicht geschickt, nicht bloß aus dem formellen Grunde, weil darauf der Richter nicht die Erlassung in der Urtelsformel positiv aussprechen kann, was nur auf eine Wiederklage thunlich ist; sondern auch aus dem sachlichen Grunde, weil die Erlassung nicht excipirt werden kann, so lange sie nicht vorhanden ist. Die bedingte Erklärung soll noch erst in eine unbedingte verwandelt werden. 44) Remittit praetor conditionem. Das geschah nach R. R. nut der conditio jurisjurandi bei Testamenten (nicht bei Verträgen), wenn es der damit Belastete verlangte. L. 14 §. 1 D. de leg. III (XXXII); L. 8 pr. §§. 1-5 D. de cond. instit. (XXVIII,' 7); L. 29 §. 2 D. de test. mil. (XXIX, 1); L. 20 D. de cond. (XXXV, 1). Die Bedingung wurde dagegen in eine Auflage (Modus) verwandelt. L. 26 pr. D. eodem; L. 8 §§ 7, 8 D. de cond. instit. (XXVI1I, 1). Mit dieser vereinzelten Einrichtung hat die hier getroffene Be­ stimmung keine Aehnlichkeit; sie ist ohne Vorbild neu erdacht. Im gedruckten Entwürfe wird zu II. 1 §. 121, d. i. der §. 135 d. T., angemerkt: „Von einer offenbar unnützen Bedingung ist zu vermuthen, daß solche nur zum Scherze beigefügt worden. So lange aber der Er­ klärende lebt, und auf die Erfüllung der Bedingung besteht, kann diese Vermuthung nicht Platz greifen."

Von Willenserklärungen.

171

§. 136. Was selbst kein Gegenstand einer Willenserklärung sein kann (§. 6 ^nuer—14.) 45)f das kann auch Niemandem als eine Bedingung aufgelegt werden. §. 137. Ob dergleichen Bedingungen die Erklärung entkräften, oder für nicht beigefügt zu achten sind, ist nach den verschiedenen Arten der Willenserklärungen in den Gesetzen besonders bestimmt. (Tit. 5. §. 227. sqq., Tit. 12. §. 63.)46). §. 138. Was in Fällen, wo die Beibehaltung des verwittweten Standes zur Bedingung gemacht worden, Rechtens sei, ist oben verordnet (§. 120.) §. 139. Sind mehrere erlaubte4?) Bedingungen, von welchen eine oder die^n bSandere erfüllt werden soll, festgesetzt, so hat in der Regel derjenige, welcher damit fügten Bebelastet worden, die Wahl, welche derselben er erfüllen wolle. dmgungen. §. 140. Auch vergangene Begebenheiten können zur Bedingung gemacht werden 48). die auf'ver§. 141. In diesem Falle kann der Besitz des unter einer solchen Bedingung ^Wei§n eingeräumten Rechtes nicht eher gefordert werden, als bis die zur Bedingung gemachte vergangene Begebenheit klar4^) erwiesen ist. §. 142. Doch erstreckt sich, wenn die Willenserklärung nicht ein Anderes besagt, die rechtliche Wirkung derselben auf diejenige Zeit zurück, in welcher sie sich geäußert haben würde, wenn die Willenserklärung unbedingt50) gewesen wäre.

45) Musi heißen: §§. 6—14. R. v. 29. Dez. 1837, Jahrb. 50 S. 469. Bergt. I. 12 63. — Es wird lediglich auf die Zeit der Erklärung gesehen; die Wirkung der Unerlaubtheit füllt durch die spätere Aufhebung des Verbots nicht weg. I. 3 §§. 42, 43. 46) Das R. R. stellt die unerlaubten Bedingungen, das sind solche, deren Inhalt eine verbotene oder unsittliche Handlung oder Unterlassung ist, den unmöglichen in der Wirkung gleich, insofern durch die Bedingung, wenn sie gestattet wäre, das Schlechte befördert werden würde, v. Savigny 3 S. 172. Das L.R. hat die Gleichstellung aufgegeben und erachtet die unsittliche Bedingung bei letztwilligen Erklärungen für nicht geschrieben. Dadurch bleibt es, hin­ sichtlich der Wirkung dieser Bedingungen, mit dem N. R. im Ganzen in Uebereinstimmung, während es davon bei den unmöglichen abgeht. Anm. 41 zu §. 131 d. T. 47) Ist eine von zwei alternativ gefaßten Bedingungen unmöglich oder unzulässig, so gelten, kraft des logischen Grundsatzes, daß die alternative Fassung die Möglichkeit einer Wahl voraussetzt, beide nicht, d. h. die Willenserklärung ist ungültig; bei letztwilligen Verordnungen aber fallen sie, wenn die eine unerlaubt (nicht unmöglich) ist, beide weg und die Disposition ist unbedingt. Vergl. auch L. 8 §. 5 D. de cond. inst. (XXVIII, 7). Sind mehrere Be­ dingungen aber kopulativ (konjunktiv) auferlegt, und ist eine davon unerlaubt, so gilt das Gegentheil bei Testamenten: dieses ist bedingt, die erlaubte Bedingung muß erfüllt werden und nur die unerlaubte gilt für nicht geschrieben. So auch nach L. 45 D. de bered, inst. (XXVIII, 5) und L. 6 §. 1 D. de cond. (XXXV, 1), bei welchen zu erinnern, daß unmög­ liche und unsittliche Bedingungen nach R. R. gleichbehandelt werden. Ist eine der mehreren Bedingungen unmöglich, so ist es so gut als wären alle unmöglich: die Erklärung ist un­ gültig, sei sie ein Testament, oder eine andere Willenserklärung. Vergl. I. 12 §. 492/

48) Nur ist solche Bedingung keine wahre und das Rechtsgeschäft entweder ein schon un­ bedingt gewordenes, oder bereits erloschenes, je nachdem das Ereigniß sich zugetragen hat, oder nicht. S. o. Anm. 11 zu §. 100. Vergl. L. 10 §. 1, L. 11 pr. D. de cond. (XXXV, 1). S. u. Anm. 50. 49) Was heißt hier „klar" erwiesen? Bewiesen werden muß jede Thatsache, für welche keine Vermuthung streitet; es muß also mehr verlangt werden als ein Beweis im Allgemeinen. Erwägt man, daß es sich hier um einen Bestandtheil eines Rechtsgeschäftes und folgeweise um die Existenz oder Nichtexistenz des Geschäfts handelt, so rechtfertigt sich das Verlangen. Koch versteht darunter die Forderung eines vollständigen Beweises, also die Ausschließung eines nothwendigen Eides. H. Die Bestimmung hat durch das in die C.P.O. aufgenommene Prinzip der freien Beweiswürtügung alle Bedeutung verloren. 50) Denn das Geschäft wird als ein solches behandelt, dessen wahre Bedingung zur Zeit der Eingehung schon erfüllt war. Dies nämlich ist die röm. Rechtsauffassung unter der Voraus­ setzung, daß der Erklärende von der Erfüllung nichts wußte. Wußte er es und kann das Er­ eigniß sich nicht wiederholen — in welchem Falle auf den Wiedereintritt gewartet werden muß —, so gilt die Erklärung von Anfang als eine unbedingte. L. 10 §. 1, L. 11 pr. D. de cond.

begehen,

172

Erster Theil.

Vierter Titel.

§§. 143 -151.

§. 143. Ist eine vergangene Begebenheit zu einer auflösenden Bedingung gemacht worden, so wird, bei erwiesener Wirklichkeit derselben, das dagegen einge­ räumte Recht als von Anfang an ungültig51) angesehen. §. 144. Doch kann derjenige, welcher den Erklärenden zu einem Irrthume über die Wirklichkeit oder Beschaffenheit des Ereignisses verleitetft2) hat, aus der Erklärung keinen Vortheil ziehen53). §. 145. Wird bei einer Erklärung eine gewisse Begebenheit oder Thatsache, als eine solche, die entweder schon geschehen ist, oder noch geschehen soll, bloß vor­ ausgesetzt, so ist sie nur als ein BewegungsgrundM) anzusehen. §. 146. Der angeführte Bewegungsgrund dient hauptsächlich nur zur Er­ klärung einer zweifelhaften Absicht. §. 147. Ist also die Absicht klar, so wird durch die Unrichtigkeit des ange­ führten Bewegungsgrundes die Willenserklärung selbst noch nicht entkräftet. §. 148. Hat der Erklärende den falschen Bewegungsgrund aus Irrthum für richtig angenommen, so kann der, welcher diesen Irrthum vorsätzlich veranlaßt hat, daraus keinen Vortheil ziehen 55). Der praktische Unterschied hiervon bestand darin, daß in jenem Falle die Erklärung an sich eine bedingte und folglich ungültige war, wenn sie ein Geschäft betraf, welches durchaus unbedingt sein mußte, z. B. die Acceptilation oder die Einsetzung des suus. Außerdem ist eine erhebliche Verschiedenheit zwischen dieser Art Bedingung und der nothwendigen. S. o. Anm. 36 zu §. 128. Diese Feinheiten fallen nach unserer Anschauung heutzutage weg, weshalb ein innerer Grund fehlt, die vergangenen Bedingungen nicht ganz ebenso wie die nothwendigen zu behandeln. §§. 126—128. 51) Ebenso wie bei einer negativ ausgedrückten nothwendigen Bedingung. §. 128. 52) Verleitung setzt Geflissenheit, also Vorsatz voraus, folglich ist hier Betrug gemeint. 53) Zweifellos ist, daß der Betrogene die gewöhnlichen Schutzmittel gegen den Betrug (actio und exe. doli) hat. §. 85. Aber was heißt das: der Betrüger kann aus der Erklärung keinen Vortheil ziehen? Die Wirkung des Betruges ist doch nur die: daß der Betrogene das Geschäft umstoßen kann, wenn er will. Will er nicht, so muß er auch seinerseits leisten. In diesem Falle gelangt der Betrüger, wenn er der andere Theil ist, allerdings zu seinem Vortheile aus der Erklärung des Betrogenen. Nach den hier, im §. 144, gebrauchten Ausdrücken könnte man denken, der Betrogene könne zwar von dem Betrüger dessen Leistung einfordern, aber sich selbst könne er durch die exc. doli von der Gegenleistung frei machen, denn der Betrüger kann „aus der Erklärung keinen Vortheil ziehen". Gewiß ist das nicht gemeint, die Fassung ist aus der Neigung zur Abwechselung in den Ausdrücken hervorgegangen, und es hat hier nichts anderes als die gewöhnliche Wirkung des Betruges gesichert werden sollen. 54) Der Bewegungsgrund (causa) ist zwar verschieden von der bloßen Voraussetzung, doch wird Beides hier gleich behandelt. Die Thatsache oder Begebenheit, welche vorausgesetzt wird oder den Erklärenden bewogen hat, sich so zu erklären, kann, wie die Bedingung, bereits ein­ getreten oder auch als zukünftig gedacht werden. Nicht diese Aehnlichkeit allein hat der Beweg­ grund mit der Bedingung, sondern er kann auch zugleich als Bedingung beigefügt werden, d. h. er kann Bedingung oder auch Beides zugleich sein, und als Beide oder als Bedingung allein wirken. Das hängt lediglich von der Willkür des Erklärenden ab. Aber im einzelnen Falle kann es zweifelhaft sein, welche Bedeutung die Erklärung haben soll, welches festzustellen Sache der Auslegung ist. §. 31 J. de leg. (H, 20). So, wenn der Hypothekengläubiger in die Löschung der Post, „wegen welcher er vollständig befriedigt zu sein" erklärt, willigt, wird die Erklärung der Befriedigung in Beziehung auf die Entsagung des Pfandrechts nur als Bewegungs­ grund anzusehen sein. O.Tr. v. 30. Aug. 1849, Entsch. 18 S. 264. Die Erklärung in solcher Fassung ist wohl kaum zweifelhaft. Es kommt aber auch vor, daß die Partikel „wenn" ge­ braucht wird. Beispielsweise: „wenn ich nun wegen meiner Forderung befriedigt worden, so" u. s. w., wie in den alten Bestätigungsformeln: „wenn wir nun hierbei nichts zu erinnern ge­ funden haben, so konfirmiren" u. s. w., wo sie statt „weil" gelten soll. Dann kommt es auf die Auslegung an. 55) Der Bewegungsgrund muß als solcher angeführt sein. Denn die Ersichtlichkeit des Beweggrundes einer Willenserklärung ist bei Abgebung derselben nothwendig, wenn diese wegen eines Irrthums in dem Beweggründe soll angefochten werden können. §§. 146, 147, 150. In welcher Form der Beweggrund bei Abgebung der Erklärung erkennbar gemacht

Von Willenserklärungen.

173

§. 149. Außer diesem Falle gibt bei Willenserklärungen, woraus gegenseitige Rechte und Verbindlichkeiten entstehen, ein Irrthum im Bewegungsgrunde dem Irrenden niemals das Recht, von seiner Erklärung wieder abzugehen 56 * *).* * * * * * * * * * * * * * * * * * §. 150. Hingegen sind Willenserklärungen, woraus nur der, zu dessen Gunsten sie geschehen, allein den Vortheil ziehen würde, unkräftig, sobald erhellet57), daß der ausdrücklich angeführte irrige Bewegungsgrund die einzige Ursache der Willensäußerung selbst gewesen fei58). §. 151. Was von falschen Bewegungsgründen verordnet ist, das gilt auch Beschreivon falschen Beschreibungen59). werden müsse, kann zweifelhaft gefunden werden. Nahe liegt es, anzunehmen, daß das Gesetz unter dem „angeführten Beweggründe" der Erklärung einen integrirenden Theil der Erklärung verstehe, also daß bei schriftlichen Erklärungen der Beweggrund in denselben selbst „angeführt" werden muß und nicht mit Erfolg nebenher bloß mündlich ausgesprochen werden kann. Indeß ist die Kundgebung des Beweggrundes keine verpflichtende oder befreiende Willenserklärung, zu deren Rechtsgültigkeit eine gewisse Form erforderlich sein würde, sondern sie ist die Mittheilung einer Thatsache; und da die Schriftlichkeit der „Anführung" des Beweggrundes nirgend vor­ geschrieben ist, so läßt sich nicht behaupten, daß eine in deutlichen Worten bei Abgebung der Erklärung ausgesprochene Kundgebung wegen Formmangels nicht vernommen worden sei. Das O.Tr. ist sogar der Meinung, daß in einzelnen gegebenen Fällen jene Ersichtlichkeit möglicher­ weise selbst dadurch hergestellt werden könne, daß nach der ganzen Sachlage das von dem Er­ klärenden später geltend gemachte irrige Motiv mit Evidenz als der allein denkbare Beweggrund seiner Erklärung hervortritt. Erk. IV v. 10. Juli 1856, Entsch. 33 S. 29. Dies ist weniger bedenklich als die wörtliche „Anführung" des Beweggrundes, da die Anführung vielleicht nicht den wahren Gedanken des Sprechenden ausdrückt. Allein entscheidend ist der Grundsatz, daß einseitige Willens- oder Meinungsäußerungen, welche nicht eine Verpflichtung oder Verzicht­ leistung des Erklärenden begründen sollen, nur in den Fällen der schriftlichen Form bedürfen, wo die Gesetze solche ausdrücklich vorschreiben. O.Tr. Pl. v. 1. März 1847, Entsch. 14 S. 33. — S. o. die Anm. 53 zu 8- 144. Was mit dem „daraus keinen Vortheil ziehen" gemeint ist, ergiebt sich hier noch bestimmter aus dem Schlüsse des folg. §. 149. 56) Auch wenn der Beweggrund ausgesprochen und unrichtig ist (falsa causa), macht er das Rechtsgeschäft in der Regel nicht ungültig, denn der Erklärende kann noch andere Beweg­ gründe gehabt haben, die er nicht ausgesprochen hat. Aber der Dolus des Anderen macht davon eine Ausnahme. Dies stimmt mit dem R. R. überein, und darin, daß der Betrug eines Dritten keinen Einfluß auf die Gültigkeit der Erklärung hat (§. 148), wogegen der Betrüger mit der actio doli auf Entschädigung belangt werden kann. L. 18 §. 3 D. de dolo (IV, 3). 57) Es muß aus den Umständen sicher zu entnehmen sein; anderer Beweis ist unzulässig. Vergl. §. 55 und L. 1 C. de falsa causa (VI, 44). 58) Eine zweite allgemeine Ausnahme von der Regel (Anm. 56 zu §. 149 d. T.). Das R. R. hat den gleichen Grundsatz bei Legaten, wenn aus den Umständen erhellet, daß ohne ben Irrthum im Beweggründe das Vermächtniß unterblieben sein würde. L. 72 §. 6 D. de cond. (XXXV, 1); L. 1 i. f. C. de falsa causa (VI, 44). Eine einzelne Anwendung davon ist das Vermächtniß einer irrig für eine eigene gehaltenen fremden Sache. §. 4 J. de leg. (II, 20); L. 67 §. 8 de leg. II; L.R. I. 12 §. 384. Dieser Grundsatz ist absichtlich hier auf alle lukra­ tiven Geschäfte ausgedehnt. Zwei besondere Ausnahmen machen noch die condictio indebiti (I. 16 §§. 166, 178, 181) und die Fälle der ädilitischen Klagen (I. 5 §§. 329—331), ebenfalls in Uebereinstimmung mit dem R. R. — Bei bereits durch Uebergabe vollzogenen Willens­ erklärungen dieser Art kommt diese Vorschrift nicht zur Anwendung. O.Tr. IV v. 24. April 1856, Str. Arch. 21 S. 128. 59) Falsche Beschreibung (demonstratio) ist Angabe bezeichnender Eigenschaften oder Ver­ hältnisse der Person oder Sache, welche nicht vorhanden sind. Diese Unrichtigkeit, wenn sie auch auf einem Irrthume beruht, schadet nicht, vorausgesetzt, daß der Erklärende das falsch beschriebene Individuum wirklich gemeint hat. Vergl. I. 12 H. 518. — Das Gleiche gilt von unrichtiger Benennung (nomen), wenn sonst das richtige Individuum gewiß ist, z. B. ein Testator beruft sein einziges Bruderkind, Namens Johann, zum Erben, welches nicht Johann, sondern Maria heißt. §. 19 J. de leg. (II, 20); L. 16 §. 1 D. de leg. I; L. 4 C. de test. (IV, 23). So bei legirten Sachen, bei Verträgen, bei Traditionen, bei Beschlagnahmen re. Daher hat z. B. die unrichtige Bezeichnung der für den Exekutionssucher mit Arrest belegten und hiernächst dem­ selben überwiesenen Hypothekenforderuna seines Schuldners die Unwirksamkeit des Arrestes und der Ueberweisung nicht zur Folge, in sofern nur gegen die Identität der nach der Absicht des

174 Zweck.

Erster Theil.

Vierter Titel.

§§. 152—155.

§. 152. Wenn aus dem Inhalte der Willenserklärung, oder aus den Um­ ständen erhellet, daß der Erklärende bei demjenigen, was er dem Andern zu thun oder zu unterlassen auferlegt, den eigenen Vortheil desselben zur Absicht gehabt habe, so ist eine solche Bestimmung eher für einen Endzweck als für eine Bedingung zu erachten^). Exekutionssuchers mit Arrest zu belegenden und zu überweisenden, sowie der mit Arrest belegten und überwiesenen mit der eingetragenen Post kein Zweifel obwaltet. O.Tr. IV v. 11. Dez. 1855, Str. Arch. 20 S. 51. — Eben so gleichgültig ist die etwa aus Rechtsunkunde geschehene, unrichtige Benennung des Rechtsgeschäftes. — Anders verhält es sich, nach R. R., mit der un­ richtigen appellativen Benennung einer Gattung. Wenn z. B. der Testator seine Betten, Wäsche und Mobilien vermachen will und in dem Glauben steht, daß unter dem vermachten „Hausrathe" diese Sachen begriffen seien, so wird nach dem Pandektenrechte (vorher war darüber Meinungs­ verschiedenheit) angenommen, das Vermächtniß gelte nicht, denn das Ausgesprochene sei nicht gemeint, und das Gemeinte nicht ausgedrückt. L. 4 pr. D. de leg. I; L. 7 §. 2 D. de suppell. (XXXIII, 10). Rach den Grundsätzen des L.R. ist das nicht anzunehmen. Wenn darüber kein Zweifel ist, was der Erklärende gemeint hat, so ist die irrige Benennung unerheblich. Damit verwandt ist der Fall, wo eine Gattung, der Meinung entsprechend, richtig benannt, aber mit solcher Eigenschaft irrig versehen, also auf diese besondere Art beschränkt wird, welche gar nicht vorkommt. Z. B. der Fall der L. 7 §. 1 D. de trit. (XXXIII, 6): es werden 100 Scheffel Weizen von der Art vermacht, von welcher jeder Scheffel 200 Pfund schwer ist. Die Röm. Juristen sagen: es sei nichts legirt. Auch das entspricht unseren heutigen Ansichten nicht; die Erklärung muß so ausgelegt werden, daß sie nicht ohne alle Wirkung ist (§. 74 d. T.), und des­ halb ist anzunehmen, der Testator habe die beste Sorte zuwenden wollen. Vergl. I. 12 §. 518. Ein nach §. 151 zu beurtheilender Fall ist auch der, wenn zwei Grundstücke zusammen für einen Preis gekauft sind und in der Kaufsurkunde nur das eine Grundstück genannt wird in der Meinung, daß damit auch das andere bezeichnet sei. Hier fehlt es nicht an dem schriftlichen Vertrage über das andere mitgemeinte aber nicht spezifisch bezeichnete Grundstück. O.Tr. III v. 18. Febr. 1859, Str. Arch. 32 S. 273. Ebenso wenn bei dem Abschlüsse eines Kaufkontrakts über ein Gut „mit allen Pertinenzien" die Absicht der Kontrahenten auch auf den Mitverkauf eines bis dahin selbstständigen, mit einem besonderen Hypothekenfolium versehenen Grundstücks gerichtet gewesen ist. O.Tr. I v. 17. Dez. 1856, Str. Arch. 33 S. 159. — Vergl. zu §. 151 die Anm. 82 Abs. 2 zu §. 65 d. T. — H. In Ansehung der Eintragungen im Grundbuche darf von unschädlicher falscher Beschreibung nicht geredet werden, wenn etwas Anderes eingetragen ist als das, was geltend gemacht wird, z. B. ein Arrest statt der Vormerkung einer Hypothek. O.Tr. III v. 15. April 1878, Str. Arch. 99 S. 308. 60) Der Empfänger muß also von dein Geber verpflichtet worden sein, den bestimmten Zweck zu erfüllen. O.Tr. IV v. 8. März 1860, Str. Arch. 37 S. 86. Die Frage ist, was für ein Rechtsgeschäft gemacht worden sei, wenn Jemand eitlem Anderen Geld giebt, um damit eine gewisse Zahlung zu bestreiten. Jemand hatte seine Ackerwirthschaft verkauft und der Käufer hatte die Kosten übernommen. Wenige Stunden nachher fand sich der Käufer bei dem Verkäufer ein und empfing von ihm zur Berichtigung der Kosten 80 Thlr. Der Verkäufer klagte demnächst auf Rückzahlung der 80 Thlr. mit der Darlehnsklage, erreichte jedoch seinen Zweck nicht, weil der Beklagte den ihm zugeschobenen Eid dahin ableistete, daß er das Geld nicht unter dem Bedinge der Rückgabe empfangen habe. Run klagte der Geber aus der nützlichen Verwendung unter der Behauptung, daß das Geld zur Zahlung'der Kontraktskosten gegeben und angenommen sei. Der erste Richter verurtheilte den Beklagten auf Grund dieser Behauptung, wenn dieselbe durch einen Eid festgestellt worden sein würde. Der Beklagte hatte ausdrücklich eingerüumt, daß er das Geld nicht geschenkt erhalten habe. Der Appellationsrichter wies den Kläger ab, weil er ein Geben unter einem Zwecke erkannte. Dies ist in dem Erk. des O.Tr. reprobirt, weil eine freigebige Absicht des Gebers und eine bestimmte Verpflichtung des Nehmers von Seiten des Gebers (§. 152) nicht festgestellt war. Deshalb vernichtete das O.Tr. das zweite Erk. und bestätigte das erste. Die Vernichtung ist völlig gerechtfertigt, aber über die Bestätigung des ersten Erk. fehlen die Gründe, die gerade interessiren. Eine Klage de in rem verso ist nicht zu begründen, weil die Hingabe des Geldes eine versio in rem im rechtlichen Sinne nicht dar­ stellt. Eine Schenkung hat auch nicht stattgefunden, wie der Beklagte eingeräumt hatte; das Geschäft war demnach ein lästiges. Aber wie ist dasselbe zu qualifiziren, um über das geeignete Klagerecht ins Klare zu kommen? Es ist ein unbenannter Realkontrakt, ein Geben in der Absicht, daß das Gegebene zurückgegeben werden solle, die Klage mithin eine der Darlehnsklage nach­ gebildete actio in factum. Unter „Zweck" und „Endzweck" wird das Rechtsinstitut gemeint, welches im R. R. technisch Modus heißt. Er ist eine besondere Form der Belastung einer Erwerbung. Im R. R. kommt

Von Willenserklärungen.

175

§. 153. Ist etwas ausdrücklich zu einem gewissen Endzweck bewilligt worden, so tritt, wenn die Erklärung nicht das Gegentheil klar besagt, der Berechtigte so­ fort in die Ausübung und den Genuß des ihm bewilligten Rechtes61). §. 154. Er verliert aber dieses Recht wieder, wenn der Zweck nicht erfüllt wird o-). §. 155. Es findet also bei dem Zwecke allesti3) das statt, was in Ansehung der auflösenden Bedingungen §. 114. sqq. verordnet ist.

er nur bei Schenkungen und bei testamentarischen Zuwendungen vor, weil er bei anderen Rechts­ geschäften unnöthig war. Das L.R. spricht hier in ganz allgemeiner Beziehung auf alle mög­ lichen Rechtsgeschäfte davon, obgleich bei lästigen und zweiseitigen Verträgen doch auch nach L.R. keine praktische Anwendunb vom Modus vorkommt, weil eben die Rechtsmittel aus solchen Rechts­ geschäften kräftiger und sicherer als der Modus den Erfolg sichern. Denn das Rechtsinstitut dient als zwingendes Mittel in Fällen, wo weder die Form der Bedingung zweckmäßig, noch der direkte Zwang durch Klage zulässig oder möglich ist. — Der Modus grenzt auf der einen Seite an den bloßen Rath, auf der anderen an die Bedingung. Die Unterscheidung dieser verschiedenen Formen ist praktisch wichtig; welche davon gemeint sei, muß aus den Umständen entnommen werden. Ist die Absicht zweifelhaft, so wird die mindere Beschränkung angenommen. Dieser Satz ist unstreitig und hier ausdrücklich angewendet. Man entscheidet darnach, wenn es zweifel­ haft ist: ob die Nebenbestimmung eine Bedingung oder einen Modus enthalte, für den Modus, besonders wenn das, was geschehen oder unterbleiben soll, den Vortheil des Begünstigten bezweckt; liegt der Zweifel auf der anderen Seite, so wird ein bloßer Rath angenommen. — Der Inhalt der Auflage kann bestehen entweder in der Verwendung zum eigenen Vortheile des Empfängers (z. B. zum Ankäufe einer Alterspension), oder in einer Leistung an den Geber, oder in einer Leistung an einen Dritten, oder in einer Handlung, welche keiner Person nützlich ist, z. B. die Pflege eines Grabes. Gemeinrechtliche Juristen lehren: die erste dieser Auflagen verpflichte nicht, sondern gelte nur als bloßer Rath. Dieses gilt nach dem L.R. nicht, vielmehr wird eine solche Auflage, wenn ausdrücklich ein gewisser Zweck der Verwendung vorgeschrieben ist, als wirklicher Modus angesehen (§. 153), nur entscheidet man sich im Zweifel: ob Modus oder Bedingung beabsichtigt worden sei, nach unserem §. 152 eher für den Modus. Und darin stimmt das L.R. mit dem R. R., dem Grundsätze nach, völlig überein. Denn auch das R. R. behandelt diesen Fall als wahren Modus, wenn die Verbindlichmachung in der Absicht des Gebers gelegen hat, und dies ist eine thatsächliche Frage, L. 71 pr. I). de cond. (XXXV, 1); L. 2 §. 7 D. de don. (XXXIX, 5), deren Entscheidung durch den §. 153 erleichtert ist. Denn es wird darnach angenommen, daß der Geber bei einer solchen ausdrücklichen Bestimmung zu einem gewissen Zwecke einen wirklichen Modus und nicht einen bloßen Rath beabsichtigt habe. Ist in der That die Nebenbestimmung nur als Rath anzusehen, so versteht sich auch nach L.R., daß keine Verpflichtung vorhanden ist. H. Unter Endzweck (Modus) ist die einer Willenserklärung beigefügte Bestimmung über die Verwendung des Empfangenen vermittelst einer Verpflichtung des Empfängers zu verstehen. R.G. I H. v. 5. Mai 1882, Gruchot 26 S. 894.

61) Darin liegt die Hauptverschiedenheit des Modus von der Bedingung. Die Bedingung suspendirt den Erwerb, verpflichtet aber nicht; der Modus verpflichtet, suspendirt aber nicht den Erwerb, das dies cedit und damit die Erwerbung tritt, ohne Unterschied der Fälle, sogleich ein. Besagt die Erklärung das Gegentheil, so ist kein Modus vorhanden, sondern das Geschäft ein anderes. 62) Wenn z. B. ein Müller nach seinem Erbpachtskontrakte Bauholz zu einem geringeren als dem zeitüblichen Preise aus den Forsten des Erbverpächters zu fordern hat, und zu einem veranschlagten bestimmten Baue das Holz wirklich erhält, hinterdrein aber dasselbe dazu, gleichviel weshalb, nicht verwendet, sondern verkauft, so muß er dem Erbpächter den vollen zeitüblichen Preis für das Holz bezahlen. O.Tr. II v. 17. Nov. 1857, Entsch. 37 S. 24. 63) Alles. Dazu würde auch gehören: 1. daß das Recht mit dem Augenblicke der Nicht­ erfüllung ipso jure aufhört und auf den Geber zurückgeht (§§. 115 u. 116). Das geht aber nicht an, weil es lediglich in der Willkür des Erklärenden steht, ob die Erfüllung geschehen soll, ob nicht. Jedenfalls muß er darüber seinen Willen äußern, es ist mithin seine Mitwirkung er­ forderlich, um den Verlust des Rechts eintreten zu lassen. So ist es auch nach R. R.: der Geber hat ganz allgemein die condicto ob causam. L. 3, 8 C. de cond. ob causam (IV, 6). Nur die Zurückforderung des Gegebenen steht nach §. 158 gleichfalls zu, denn die Erklärung ist un­ verbindlich, wenn nicht erfüllt wird. Dabei ist freilich eine einseitige Erklärung (Schenkung sub modo) vorausgesetzt. Wäre eine wechselseitige Erklärung vorhanden und die Gegenleistung des

176

Erster Theil.

Vierter Titel.

§§. 156—164.

§. 156. Ist zur Erfüllung des Zweckes keine gewisse Zeit bestimmt, so kann das dazu bewilligte Recht, so lange die Erfüllung noch möglich bleibt64), nicht zurück­ genommen werden. §. 157. Bei Willenserklärungen unter Lebendigen muß der bestimmte Zweck schlechterdings nach der Erklärung erfüllt werden. §. 158. Kann ob) oder will der Begünstigte diese Erfüllung nicht leisten, so ist die Erklärung unverbindlich. §. 159. Ist jedoch der Zweck durst) etwas Aehnliches nach der Erklärung er­ füllt worden, und der Erklärende hat sich dabei wissentlich ein Jahr hindurch be­ ruhigt, so können dessen Erben die Art der Erfüllung nicht anfechten. §. 160. In wie fern bei Erklärungen von Todes wegen der bestimmte Zweck schlechterdings oder durch etwas Aehnliches, und vor oder nach dem Ableben des Er­ klärenden zu erfüllen sei, ist durch besondere Gesetze bestimmt. (Tit. 12. §. 508Oli) sqq.) §. 161. In allen Fällenwo das Recht selbst, welches den Gegenstand Empfängers in die Form des Modus gebracht, so würde der Geber allerdings die Erfüllungsklage (ex stipulatu) haben. 2. Daß die Aufhebung nicht zurück (ex tune) wirkt, und also die gezogenen Früchte dem Berechtigtgewesenen verbleiben. Hätte z. B. Jemand den Nießbrauch eines Landguts geschenkt erhalten, damit er seinen Sohn die Rechte studiren lasse, und ließe darauf, nachdem er mehrere Jahre das Gut genutzt, den Sohn zwar die Universität beziehen, aber Theologie studiren, so fiele natürlich das Nießbrauchsrecht weg. Aber soll er die bisher gezogenen Nutzungen behalten können? Sicher hat das nicht in der Absicht des Gebers gelegen. 3. Daß auch die 'eingetretene Unmöglichkeit das Recht aufhebt. Das ist allerdings beabsichtigt und ausdrücklich festgesetzt (§. 158). Nach R. N. gilt das gerade Gegentheil. L. 8 C. de cond. ob causam (IV, 6); L. 8 §. 7 JD. de cond. inst. (XXVIII, 7); L. 1 C. de bis quae sub modo (VI, 45). 4. Daß bei theilweiser Erfüllung der Modus für gar nicht erfüllt gilt; denn eine auflösende Bedingung muß allemal vollständig erfüllt sein, wenn sie für eingetreten gelten soll. (Anm. 37 u. 39 zu §. 129.) Die Folge davon ist, daß, wenn der Modus von Anfang theilweise unmöglich war, der ganze Modus für unmöglich gilt, mithin die Erklärung (das Geben) von Anfang ungültig ist (§. 131), so daß der Empfänger Alles zurückgeben muß, wenn er auch den möglichen Theil geleistet hat; daß hingegen, wenn der Modus erst in der Folge theilweise unmöglich wird, der ganze Modus für vereitelt (die Bedingung für wegfallend) erachtet wird (Anm. 28), so daß der Empfänger Alles behält, wenn er auch das Mögliche nicht leistet. Beides ist unrichtig: der Empfänger kann im ersten Falle das Verwendete abziehen (I. 11 §§. 1055, 1057) und muß im zweiten Falle Alles zurückgeben (§. 158). 5. Daß ein unerlaubter Zweck die Erklärung entkräftet und den Geber zur Zurücknahme des Gegebenen berechtigt. (§. 137 d. T. u. I. 5 §. 227.) Auch das ist nicht wahr: die Grundsätze der condictio ob turpem causam treten in Wirkung. (I. 16 §§. 205, 206.) Hiernach enthält der §. 155 keine Rechts­ wahrheit. Der Grund dieser Verworrenheit und Abweichung von dem Quellenrechte ist die ganz eigenthümliche Auffassung der Natur und des Zwecks dieses Rechtsinstituts. Die röm. Erfinder erkennen es nur als Nebenbestimmung bei lukrativen Zuwendungen, so daß bei Vereitelung der Nebenabsicht doch immer die Hauptabsicht der Freigebigkeit stehen bleibt. Daher auch haben die Verfasser der L.N. sich genöthigt gesehen, bei Erklärungen von Todes wegen besondere, von den hier gemachten Satzungen wesentlich abweichende, Bestimmung zu treffen. §. 160. 64) Ist keine Zeit zur Erfüllung des Modus bestimmt, so kann nachträglich auch keine richterliche Zeitbestimmung hinzutreten: es muß die Erfüllung oder der Eintritt der Unmöglich­ keit abgewartet werden. Ist aber die Zeit bestimmt, so findet die Zurückforderung statt, sobald Verzögerung eintritt. L. 18 pr., §. 1 D. de don. (XXXIX, 5). 65) Das Gegentheil vom R. R. S. die vor. Anm. 66) In den authentischen Ausgaben steht aus einem Druckfehler „§. 505". N. v. 29. Dez. 1837, Jahrb. 50 S. 469. 67) In allen Fällen, also auch bei Erklärungen von Todeswegen. Tit. 12 §. 485. Nicht so nach R. R. hinsichtlich der Bedingung. Darnach ist es in der Regel unmöglich, daß die bloße, wenngleich juristisch begründete und gesicherte Hoffnung, Jemandem nach dessen Tode titulo singulari oder universal! zu succediren, auf den Erben transmittirt werde. §. 2 J. quib. mod. testam. infirm.; L. 4 pr., 5 §. 2 D. quando dies leg. (XXXVI, 2). Anders ist es bei be­ dingten Verträgen. Aus diesen geht in der Regel das bedingte Recht, ebenso gut wie jedes andere an sich transmissible Recht, auf den Erben über. §. 4 J. de verb. obl.; §. 45 J. de inutil. stipul.; L. 42 pr. D. de obl. et act. (XLIV, 7). Die Verf. des L.R. haben hierin

Von Willenserklärungen.

177

der Willenserklärung ausmacht, auf die Erben übergehen kann, treten diese auch in Ansehung der Befugniß, die Bedingung oder den Zweck zu erfüllen, in die Rechte des Erblassers. §. 162. Ist aber die Bedingung oder der Zweck an die Person des Be­ rechtigten gebunden, und stirbt dieser vor der Erfüllung, so verliert die Erklärung selbst ihre WirksamkeitG8). §. 163. Eine der Willenserklärung beigefügte ungewisse^) Zeit, wo das Recht aus derselben entweder entstehen, oder aufhören soll, wird einer aufschiebenden, oder auflösenden Bedingung gleich geachtet. §. 164. Ist eine gewisse Zeit dergestalt beigefügt, daß mit dem Ablauf der­ selben die Ausübung des Rechtes ihren Anfang nehmen soll70 * *),* * so * * * muß * * 68 69 zwar der Berechtigte den Eintritt dieses Zeitpunkts abwarten. alles gleich gemacht. Vergl. I. 12 §. 485. Der erhobene Zweifel: ob der Uebergang nur bei einer cond. casualis oder auch bei einer c. potestativa gelte, hat gar keinen auch nur schein­ baren Grund; weder die Röm. Juristen denken (bei den bedingten Verträgen) an einen solchen Unterschied, noch haben die Verfasser des L-R. ihn machen wollen, wozu auch gar keine innere Nothwendigkeit vorhanden ist; im Gegentheile, Suarez hat ausdrücklich angemerkt, daß der Satz von allen Bedingungen, von potestativen wie von rein zufälligen, gelte (Ges. Rev. Mot. ad h. tit. zu §§. 131—154 des Entw., S. 45). Dies ist auch von dem O.Tr., in dem Erk. I v. 27. Febr. 1854, Pr. 2509, als Rechtsgrundsatz angenommen. Entsch. 27 S. 346. Die nicht fungiblen Handlungen machen eine nothwendige Ausnahme. §. 162. 68) Dies ist z. B. der Fall, wenn der bäuerliche Gutsabtretende in dem Uebertrags- und Altentheilsvertrage seinen übrigen Kindern gegen den Gutsübernehmer eine Abfindung an Geld und Naturalien bei deren Verheirathung oder erreichtem 30sten Lebensjahre ausbedingt, und bis zum Tode des berechtigten Kindes keiner dieser beiden Fälle eingetreten ist: dann geht die Ab­ findung auf dessen Erben nicht über. O.Tr. I v. 30. Juni 1856, Str. Arch. 22 S. 66. Con­ ditio, quae inest. 69) Dies incertus conditionem — facit. L. 75 D. de cond. (XXXVI, 1), L. 30 §. 4 D. de leg. I. Also die ungewisse Zeit hat die Bedeutung einer Bedingung: diese Regel wird durch §. 163 aus dem R. R. unverändert hierher übertragen. Eine Zeitbestimmung kann aber in aller Hinsicht fest und gewiß sein, oder nur in gewisser Hinsicht ungewiß, und es kommt darauf an: welche Ungewißheit hier gemeint wird. Z. B. es wird erklärt: Jemand solle an seinem Hochzeitstage, oder an dem Tage, wo ein Dritter Premierminister werden würde, 1000 erhalten. Hier ist Alles ungewiß, sowohl die quaestio an als die quaestio quando. Dieser Fall ist unzweifelhaft. L. 21 pr. D. quando dies (XXXVI, 2); L. 56 D. cond. ind. (XII, 6); L. 8 C. de test, man um. (VII, 2). Die Ungewißheit kann aber auch die quaestio quando allein treffen, z. B. wenn eine Leistung auf den Todestag des Bedachten versprochen wird, denn der Tod ist Jedem gewiß, nur die Zeit ist ungewiß. Auch ist sonst keine Ungewißheit bei der qu. an, denn Jeder erlebt auch seinen Todestag. Dieser Fall ist wiederum zweifellos, er ent­ hält keine ungewisse Zeit in dem hier gemeinten Sinne, das darauf versicherte Recht ist unbe­ dingt und bloß betagt. Zweifelhaft aber ist ein dritter Fall, wenn das Recht auf die eigene Volljährigkeit oder auf den Tag der Volljährigkeit oder des Todes eines Dritten gestellt ist: hier ist es ungewiß, ob der Bedachte den Tag der eigenen Volljährigkeit oder den Tag des Todes des Dritten erleben werde; und bei der Volljährigkeit des Dritten ist noch die weitere Ungewiß­ heit: ob er selbst den Tag erleben werde. Diesen Zweifel läßt das L.R. unerledigt. Das R. R. sieht dergleichen Zeitbestimmung bei Verträgen stets als eine gewisse Zeit an (L. 10, 16 H. 1; L. 17 D. de cond. ind. (XII, 6), bei Testamenten aber in der Regel als einen dies incertus, doch mit der Ausnahme, wenn nicht der Testator das Gegentheil wolle. (L. 21 pr., L. 22 pr. D. quando dies (XXXVI, 2); L. 36 §. 1 D. de condit. (XXXV, 1); L. 49 2, 3 D. de leg. I, vergl. mit L. 26 §. 1 D. quando dies; L. 46 D. ad 8. C. Trebell. (XXXVI, 1) und L. 3, 5 C. quando dies (VI, 53). Hiernach ist es quaestio facti: ob der Anfall des Rechts, oder nur die Erfüllung suspendirt sein soll. Das muß auch nach L.R. behauptet werden, und zwar ohne Unterscheidung der beiden Arten von Willenserklärungen, weil in dieser Beziehung hier kein Unterschied gemacht wird. Es handelt sich somit bloß um Auslegung der Willens­ erklärung in solchem zweifelhaften Falle. — Das Versprechen des Schuldners, Zahlung zu leisten, sobald er zu besseren Vermögensumständen gelangt sein würde, enthält eine ungewisse Zeit­ bestimmung im Sinne des §. 163. O.Tr. IV v. 19. Juli 1853, Str. Arch. 9 S. 355. — H. Der §. 163 findet keine Anwendung, wenn nicht das Recht selbst erst entstehen soll, sondern nur die Erfüllung betagt ist. O.Tr. IV v. 25. April 1872, Str. Arch. 85 S. 112. Koch, Allgemeines Landrecht. I. 8. Anst. 12

Zeit.

178

Erster Theil.

Vierter Titel.

§§. 165—169,

Fünfter Titel.

§§. 1—2.

§. 165. 'Doch ist das Recht selbst für vollständig erworben zu achten, und geht daher, wenn es nicht an die Person des Berechtigten gebunden ist, auf die Erben desselben über70 71).72 73 §. 166. Der Verpflichtete darf in der Zwischenzeit nichts vornehmen7?), wo­ durch das Recht des Andern geschmälert, oder gar vereitelt werden könnte. §. 167. Ist eine gewisse Zeit dergestalt beigefügt, daß7") dadurch die Dauer des durch die Willenserklärung übertragenen Rechtes bestimmt werden soll74), so hört mit denk Ablauf dieser Zeit das Recht von selbst wieder auf75).76 §. 168. Derjenige, dem solchergestalt ein Recht nur auf eine gewisse Zeit ein­ geräumt worden, darf, während derselben, zum Nachtheil desjenigen, an welchen das Recht, nach Ablauf dieser Zeit gelangen soll, nichts vornehmen. §. 169. In beiden Fällen (§. 164. 167.) behält derjenige, welcher mit dem Ablauf der bestimmten Zeit die Sache heransgeben muß, die inzwischen gezogenen Nutzungen 7Ö).

Fünfter Titel.

Bon Verträgen'). Begriffe.

§. 1. Wechselseitige -) Einwilligung zur Erwerbung oder Veräußerung eines Rechtes8), wird Vertrag4) genannt. 70) Darauf kommt nichts an, ob die Zeit absolut gewiß (durch Bestimmung eines Kalender­ tages) oder nur relativ gewiß ist (durch Verknüpfung mit einen: gewiß eintreffenden Ereignisse). Wesentlich ist nur die Gewißheit des künftigen Ereignisses, wie der Tod jedes Menschen. S. übrigens die vor. Anm. wegen der zweifelhaften Zeitbestimmung und d. §. 127 d. T. — Man nennt eine solche Zeit Anfangstermin, terminus a quo; in den Quellen heißt es 6x die und in diem. 71) Darin besteht eben die wesentliche Verschiedenheit der Zeitbestimmung von der Be­ dingung. Allein diese Verschiedenheit hat ja durch die Uebertragbarkeit und Vererblichkeit eines bedingten Rechts, welche durch die Bestimmung des §. 161 als Regel eingeführt ist, ihre Wichtig­ keit verloren, sie hat nur noch für die seltenen Ausnahmefälle des §. 162 praktische Bedeutung. 72) Geschieht das dennoch, so kann Sicherheitsbestellung gefordert werden, wenn der Ver­ pflichtete sonst an sich auch nicht für unsicher gelten möchte; denn der Berechtigte hat gerade dieses bestimmte Recht zu fordern und braucht sich nicht auf das Aequivalent der Entschädigung verweisen zu lassen. In welcher Gesinnung das „vornehmen" geschehen sein muß, darüber s. d. Anm. 16 zu §. 105. 73) Es muß „daß" heißen. R. v. 29. Dez. 1837, Jahrb. 50 S. 469. 74) Diese Zeit nennt man Endtermin, terminus ad quem; in den Quellen heißt das Verhältniß ad diem. Der Endtermin ist der Resolutivbedingung ganz ähnlich. Welche Wir­ kung ein unmöglicher Endtermin habe, ist ungewiß. Z. B. ein Haus wird an Jemand auf 100 Jahre vermiethet. Der natürlichste Gedanke ist der, daß in solchem Falle das Rechts­ verhältniß gar nicht ad diem geschlossen sei, denn die Zeitbestimmung ist wesentlich eine zeit­ liche Beschränkung des Rechts und das Miethsrecht ist seiner Natur nach vergleichungsweise bald vergänglich, so daß der Endtermin, wenn er seine natürliche Bedeutung haben soll, das längste Ziel, welches die Miethe möglicherweise haben kann, nicht überschreiten darf. Sonst würde ein ganz neues Institut, eine Erbmiethe entstehen. 75) Vergl. I. 11 §. 314 und die Anm. dazu. 76) Daß bei einer Zeitbestimmung überall nicht von einer ipso jure rückwirkenden Kraft die Rede sein könne, ist eine sich von selbst verstehende Sache. Man hat solches ausdrücklich zu sagen nur zur Vermeidung aller Zweifel für gut gefunden. Suar.ez, im Jahrb. 52 S. 69. Dadurch wird nicht verhindert, daß auf Grund einer besonderen Willenserklärung die Aus­ lieferung einer Sache mit den Nutzungen nach Verlauf einer bestimmten Zeit gefordert werden darf. 1) Das L.R. ist in der Aufzeichnung der Rechtswahrheiten bisher vom Allgemeinen zum Besonderen fortgeschritten: von Thatsachen (Personen und deren Rechtsfähigkeit, Sachen und deren Beschaffenheit) zur freien Handlung, von dieser zur Willenserklärung als einer Art der Hand-

Von Verträgen.

179

§. 2. Die Erklärung, einem Andern ein Recht übertragen, oder eine Ver­ bindlichkeit gegen denselben übernehmen zu wollen, heißt Versprechen. lung, Don der Willenserklärung zu Verträgen, welche wieder eine besondere Art der Willens­ erklärung von sehr ausgedehnter Anwendbarkeit ist. Denn man sieht, daß Rechtsverhältnisse aller Art Gegenstände von Vertrügen sind: die Verträge finden Anwendung im Völkerrechte (Friedens-, Handels-, Grenz- und dergl. Verträge), im Staatsrechte (Wahlartikel mit dem Re­ genten, Verträge zwischen Ständen und Landesherren) und am häufigsten im Privatrechte nicht allein bei den Obligationen, sondern auch im Sachenrechte (Tradition, Verträge über Begrün­ dung von Grundgerechtigkeiten, Einräumung einer Hypothek oder eines Pfandrechts in den Fällen, wo keine Eintragung und keine Uebergabe möglich ist) und im Familienrechte (Ehe, Adoption). Mit den Verträgen schließt der allgemeine Theil des L.R., die Darstellung geht nachher über zu den besonderen Rechtsinstituten. H. Diese Behauptung kann angezweifelt werden: Suarez selbst bezeichnet die 7 ersten Titel als allgemeine Wahrheiten (Siewert B. 1 S. 3—22) und diese Charakterisirung trifft auch den 6. und 7. Titel, in denen npch nicht besondere Rechtsinstitute, sondern allgemeine Rechtsverhältnisse geregelt werden. Der besondere Theil des Systems beginnt erst mit dem Eigenthum. 2) H. Auch bei der Acceptation einer Offerte ist es, wie bei der Offerte selbst, zur Per­ fektion des Vertrages erforderlich, daß sie zur Kenntniß des Offerenten gelangt ist. Diese Acceptation ist nicht in der Aufnahme der Genehmigung durch den Gerichtsdeputirten zu finden. O.Tr. I o. 10. Okt. 1873, Str. Arch. 90 S. 252. Es wird dies in §. 1 d. T. durch das Wort „wechselseitig" zum Ausdruck gebracht. 3) Vertrag überhaupt ist die wechselseitig ausgesprochene Willensvereinigung mehrerer sich einander gegenüberstehender Personen zur Bestimmung eines Rechtsverhältnisses unter ihnen. (H. Unter „Bestimmung" eines Rechtsverhältnisses ist zu verstehen: Begründung, Erhaltung, Aenderung oder Auflösung eines Rechtsverhältnisses.- Die Definition des §. 1 ist ihrem Wort­ laut nach zu eng, da sie nur Erwerbung und Veräußerung eines Rechts erwähnt.) — Ebenso sagt das O.Tr.: „Auch nach der landrechtlichen Definition ist der Vertrag immer als die über­ einstimmende Willenserklärung mehrerer Personen, unter sich ein Rechtsverhältniß zu bestimmen, aufzufassen, weshalb sein Zweck nicht ausschließlich auf die Erwerbung eines neuen Rechts, und nicht bloß auf die Begründung eines neuen, sondern auch auf die Sicherung und Erhaltung eines bereits unter den Kontrahenten bestehenden Rechtsverhältnisses gerichtet sein kann. Be­ rührt ein Rechtsverhältniß das gegenseitige Interesse der Kontrahenten, und wird dessen Be­ stehen in einem Vertrage unter Anführung der damit verbundenen Leistungen anerkannt, so machen dergleichen Erklärungen einen integrirenden Theil des Vertrages aus und können nicht als bloße historische Erwähnungen aufgefaßt werden, welche außerhalb des Bereichs der vertrags­ mäßigen Festsetzung ständen. Dies gilt um so mehr, wenn in einem Auseinandersetzungsrezesse ausführlich darüber gehandelt wird, wie es rücksichtlich der verschiedenen Lasten und Abgaben nach erfolgter Ausführung der Auseinandersetzung gehalten werden soll." Erk. I v. 3. Rov. 1865, Str. Arch. 62 S. 16. Der §. 1 hat nur den^ obligatorischen Vertrag zum Gegen­ stände, zufolge der Darstellung der damaligen juristischen und philosophischen Schriftsteller. (Kant's Begriffsbestimmung ist noch enger; er beschränkt den Vertrag auf die Veräußerung von Eigenthum. Metaphysische Anfangsgründe der Rechtslehre, Königsberg 1797, S. 98.) Diese Begriffsbestimmung im §. 1 hindert die Anwendung des allgemeinen Begriffs von Vertrag nicht, denn der 8. 1 handelt eben nur von der Anwendung der Vertragsformen bei Obligationen und schließt anoere Anwendungen keineswegs aus. Die wesentlichen Erfordernisse eines jeden Ver­ trages sind: 1. Mehrere Personen, wenigstens zwei, die einander gegenüber stehen und wenn auch nur unter ihrem Geschäftsnamen (Firma) genannt sein müssen. Unter der Benennung einer Sache oder eines Lokals, z B. „Expedition eines Blattes", kann ein Vertrag nicht geschlossen werden, es fehlt an dem wesentlichen Erfordernisse eines Vertrages in Ansehung der Personen, nicht etwa in Ansehung der Form, wie irrig angenommen worden ist. Vergl. Entsch. des O.Tr. 4 S. 193 und Koch, Beurtheilung S. 246. Ebenso unmöglich ist es, daß eine Person, welche mehrere Personeneigenschaften in sich vereinigt, z. B. Vormund ist, in diesen verschiedenen Eigen­ schaften mit sich selbst einen Vertrag schließen kann. Gegen dieses Axiom verstößt das zu I. 20 §§. 104 u. 105 eingezeichnete Pr. 1487 v. 18. Sept. 1844. Der Fall ist die Verpfändung einer Sache für eine fremde Schuld. Der Eigenthümer und Verpfänder des Pfandstücks war Vor­ mund des Gläubigers. Der Gläubiger mußte nach den eit. §§. 104 und 105 in Besitz gesetzt werden von Seiten des Eigenthümers. Der Eigenthümer konnte unmöglich an sich selbst die Sache aus seinem Eigenthumsbesitze in seinen vormundschaftlichen Besitz übertragen, er konnte sich nicht in zwei Personen spalten. Nun hatte man es so gemacht: er gab dem Schuldner die Sache, um sie zu verpfänden, und der Schuldner gab ihm die Sache als Pfand für den Mündel zurück. Das erklärt jenes Pr. für eine wirksame Pfandbestellung. Aber wo bleibt da die Tren­ nung des Besitzes des Mündels von dem Besitze des Eigenthümers? Ein Pfandstück, das nicht

180

Erster Theil.

Fünfter Titel.

§§. 3—10.

§. 3. Dagegen ist die bloße Aeußerung, etwas thun zu wollen, noch für kein Versprechen anzusehen 5*).* * 4 §. 4. Zur Wirklichkeit eines Vertrages wird wesentlich erfordert, daß das Versprechen gültig6)7 angenommen worden. (§. 78. sqq.) §. 5. Bloße Gelübde haben, als bloß einseitige Versprechen, nach bürgerlichen Gesetzen keine Verbindlichkeit?). §. 6. Hat der Erblasser ein Gelübde zu erfüllen angefangen, so wird ver­ muthet, daß er den Erben zu dessen Vollendung habe verpflichten wollen8). der Gläubiger, sondern der Schuldner oder Eigenthümer in seiner physischen Gewalt hat, ist kein Faustpfand. (H. Der hier ausgesprochene Tadel gegen das Präjudiz 1487 trifft wohl nicht zu, dec Schuldner verpfändet in diesem Fall eine fremde Sache mit Einwilligung des Eigenthümers, die Pfandbestellung wird durch Uebergabe an diesen Eigenthümer in dessen Eigenschaft als gesetzlicher Vertreter des Gläubigers ausgeführt. 105 I 20 schließt nur den stellvertre­ tenden Besitz des Schuldners aus. Daß eine Person in eigenem Namen handelnd mit sich als ebenfalls in eigenem Namen Handelnden einen Vertrag abschließe, ist unzulässig, ja undenkbar. Dieses Rechtsverhältniß liegt aber nicht vor: bei dem Selbsthülfeverkauf in den Fällen des H.G.B. Art. 343, 354, R.G. I v. 24. Sept. 1881, Entsch. 5 S. 58, und wenn Jemand als Stellvertreter eines Anderen mit sich als Stellvertreter eines Dritten kontrahirt, R.G. I v. 23. Nov. 1881, Entsch. 6 S. 11.) — 2. Bon beiden Seiten muß man etwas wollen (Gegenstand) und zwar 3. genau das Näm­ liche; jede auch noch so geringe Differenz hindert die Vereinigung, daher entsteht durch eine bedingte oder beschränkte oder ausgedehnte Acceptation eines Anerbietens (Versprechens) kein Vertrag, §. 84. 4. Die Willensübereinstimmung muß ausgedrückt und erkennbar gemacht werden. Wenn mehrere Personen in ihren Gedanken über einen gewissen Gegenstand übereinstimmen, und Jeder oder auch nur Einer seine Gedanken verheimlicht, so entsteht kein Vertrag. Vergl. Entsch. 19 S. 363. 5. Der Gegenstand muß die Bestimmung eines Rechtsverhältnisses betreffen: die Willensüber­ einstimmung über einen gleichen und gleichzeitigen Spaziergang mit einander ist kein Vertrag. 6. Das Rechtsverhältniß muß diese Personen selbst angehen, kein ihnen durchaus fremdes sein. Deshalb ist z. B. der Beschluß eines Richterkollegiums über das ihm vorgetragene Rechtsver­ hältniß kein Vertrag, wenn auch Stimmeneinhelligkeit stattfindet. — Die Ungültigkeit in einem Theile des Vertrages hat in der Regel totale Nichtigkeit de? Vertrages zur Folge. Wenn z. B. die in einem Erbrezesse geschehene Veräußerung eines Nachlaßgrundstücks wegen eines wesent­ lichen Mangels nichtig ist, so sind alle übrigen damit im Zusammenhänge stehenden Verabredungen, resp, der ganze Erbrezeß nichtig. O.Tr. 1 v. 28. Juni 1852, Str. Arch. 5 S. 328. Der Rechts­ satz kann für richtig gelten, weil eine Theilung des Geschäfts ohne wechselseitige Einwilligung dem Wesen eines Vertrages widerspricht. 4) Die Bezeichnungen: Uebereinkunft, Abkommen, Verabredung, Vereinbarung, Paktum, Kontrakt, Konvention, werden synonym gebraucht; selbst die Bezeichnung Vergleich kommt in dieser allgemeinen Bedeutung vor. 5) Dieser Gegensatz soll das Versprechen (das Anerbieten) (§. 2) begrenzen. Der Gegensatz eines Versprechens nach dieser Seite ist die Aeußerung eines in die Zukunft gestellten Wollens, z. B. ich beabsichtige oder ich bin nicht abgeneigt, dir mein Haus für 1000 zu verkaufen. 6) Die Annahme ist eben das Erforderniß der gegenseitigen Kundgebung der Willens­ übereinstimmung. Die Gültigkeit ist nicht bloß bei der Annahme ein Erforderniß, sondern auch und noch mehr bei dem Versprechen: es soll aber durch die ausdrückliche Erwähnung dieses Er­ fordernisses nur erinnert werden, daß auch die Annahme in gültiger Weise ausgedrückt sein müsse. 7) Diese Vorschrift ist auf Klostergelübde nicht zu beziehen. O.Tr. III v. 4. Febr. 1861, Str. Arch. 40 S. 249. Vergl. die folg. Anm. 8.

8) Unter Gelübde wird das Schenkungsversprechen an eine Stadtgemeinde (pollicitatio) oder zum Gottesdienste (votum) verstanden. Es soll nach Civilrecht nicht gültig, d. h. nicht erzwingbar sein. Der §. 6 bestimmt eine Ausnahme davon, aber eine sehr gefährliche Ausnahme, indem darnach das Schenkungsversprechen maßlos sein kann und kurz vor dem Tode nur an­ fangsweise erfüllt zu werden braucht, um den Erben um die ganze Erbschaft zu bringen. Auch das R. R. kennt den Anfang der Erfüllung, z. B. des verheißenen Baues, als Verpflichtungsgrund für den Erben, aber mit der verständigen Beschränkung, daß eine Reduktion auf den fünften Theil der Erbschaft eintreten kann, wenn die Vollendung mehr kosten, vielleicht das Ganze erschöpft würde. L. 6 pr., 9, 14 D. de pollicitat. (L 12). Die Unbeschränktheit des §. 6 harmonirt nicht mit den Grundsätzen des L.R. über Schenkungen. Jedenfalls muß auch nach L.R. der Pflichttheil ungeschmälert bleiben. Uebrigens kommt auf die Form des Gelübdes nichts an, denn ein in der strengsten (gerichtlichen) Form gemachtes Gelübde ist ebenso unverbindlich wie

Von Verträgen.

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§. 7. Wenn beide Theile gegenseitige Verbindlichkeiten übernehmen, so wird solches ein lästiger Vertrag genannt9*).* * * * * §. 8. Wohlthätig heißt ein'Vertrag, durch welchen nur Sin10)11Theil etwas zu Gunsten des Andern zu geben, zu leisten, zu dulden, oder zu unterlassen ver­ pflichtet wird. §. 9. So weit Jemand zu rechtsgültigen Willenserklärungen fähig ist, so^M^liche weit kann er auch durch Verträge sich verpflichten. Vertrage zu §. 10. Verträge, wodurch unfähige Personen verpflichtet werden sollen, müssen WlcBciL durch die im Gesetz oder vom Richter ihnen bestellten Vormünder^) geschlossen werden. (Tit. 4. §. 20—26.) das ganz formlose. Für den Erben ist lediglich der Anfang, aber der freiwillige, auf Handlungs­ und Willensfähigkeit beruhende Anfang des Erblassers mit der Erfüllung der Verpflichtungsgrund. Ist der Erblasser willens- oder handlungsunfähig, so gilt auch die angefangene Erfüllung nicht als rechtsgültiger Anfang. Dies ist jedoch praktisch nicht richtig, weil Jemand, der die Erfüllung eines Gelübdes angefangen hat, doch auch über die Mittel dazu muß haben verfügen können, woraus fich denn auch die Gültigkeit des Anfanges insoweit von selbst ergiebt.

9) Es ist richtig, daß ein zweiseitiger Vertrag allemal ein lästiger ist, aber der lästige Vertrag ist nicht immer ein zweiseitiger. Die hier gemeinten Gegensätze sind zweiseitige und einseitige Verträge. Der einseitige Vertrag ist der Urbegriff des Vertrages; er erzeugt nur eine einfache Verbindlichkeit oder Berechtigung mit einer einseitigen Klage (actio directa), so daß nur der Eine Gläubiger und der Andere Schuldner ist. Darum muß nicht die übernommene Schuld unvergolten sein; die Vergeltung kann in der Vergangenheit liegen oder in der Zukunft erwartet werden. Wird sie gleichzeitig in der Form der Gegenleistung bestimmt, so entsteht ein zweiseitiger Vertrag, d. i. ein untrennbarer Doppelvertrag, zusammengesetzt aus zwei einfachen, die sich gegenseitig bedingen. 10) Nicht jeder einseitige Vertrag ist ein wohlthätiger (s. die vor. Anm.); wohlthätig ist vielmehr nur ein solcher, bei welchem die Bereicherung des Anderen, ohne alle Vergeltung für den Versprechenden oder Geber, beabsichtigt wird. Die aceeptirte Erklärung, wodurch der Eine dem Anderen für eine empfangene bestimmte Dienstleistung als Vergeltung 100 zu geben ver­ spricht, ist gewiß ein einseitiger, denn der Andere hat daraus für seinen Theil nichts zu leisten, zu dulden oder zu unterlassen; aber er ist kein wohlthätiger, denn der Empfänger hat gleichfalls geleistet und erhält nur Vergeltung. Die Definition ist nicht treffend, aber auch in dem Ge­ setzbuchs entbehrlich. 11) Die bestellten Vormünder selbst sind die Vertreter der Persönlichkeit des Unfähigen, nicht das Vormundschaftsgericht; aucht reicht zur Ungültigkeitserklärung eines vom Vormunde für den Mündel abgeschlossenen Vertrages der Umstand allein, daß die Genehnngung des Vor­ mundschaftsgerichts vorgeschrieben aber nicht eingeholt ist, nicht hin. O.Tr. Pl. (Pr. 1758) v. 22. Juni 1846, Entsch. 13 S. 3. H. Die ältere preußische Praxis schwankte in der Auffassung der rechtlichen Bedeutung der Genehmigung der Handlungen eines Vormundes durch das Vor­ mundschaftsgericht, wesentlich verleitet durch Aussprüche wie II. 18 § 235, bes. 237. Es ist ein Verdienst des O.Tr.,. die richtige Auffassung, daß der Vormund, nicht das vormundschaftliche Gericht, der Rechtsvertreter des Mündels sei, festgehalten zu haben. Die neue Vormundschafts­ ordnung v. 5. Juli 1875 (G.S. S. 431) läßt darüber keinen Zweifel. Nach §. 27 liegt den: Vormund die Sorge für die Person und die Vermögensangelegenheiten des Mündels, sowie die erforderliche Vertretung desselben ob. Nach §. 29 wird der Mündel durch solche Rechtsgeschäfte berechtigt und verpflichtet, welche der Vormund ausdrücklich im Namen des Mündels oder unter Umständen abgeschlossen hat, welche ergeben, daß das Geschäft nach dem Willen der Betheiligten (d. h. des Vormundes und des anderen Kontrahenten) für den Mündel geschlossen werden sollte. Nach §. 51 hat das Vormundschaftsgericht über die gesummte Thätigkeit des Vormundes die Aufsicht zu führen, es ist also nicht berechtigt, Handlungen selbst vor­ zunehmen, durch welche der Mündel rechtlich vertreten, d. h. berechtigt oder verpflichtet wird. Zu gewissen Rechtsgeschäften bedarf der Vormund der Genehmigung des Gegenvormundes (§. 41) oder der Genehmigung des Vormundschaftsgerichts (§. 42), aber durch die Genehnngung des Gegenvormundes wird nicht der Vormund, und durch die Genehmigung des Gerichts weder der Vormund noch der Gegenvormund von ihrer Haftpflicht dem Mündel gegenüber befreit (§. 49). Hat der Vormund für den Mündel ein Rechtsgeschäft ohne die erforderliche Genehnngung ab­ geschlossen, so hat dasselbe nur die Wirkung wie ein von einem Mündel, welcher sich mit Ge­ nehmigung des Vormundes verpflichten kann, ohne Genehmigung des Vormundes abgeschlossenes Rechtsgeschäft (§. 46). Hierüber giebt nähere Auskunft das Ges. v. 12. Juli 1875 betr. die

182

Erster Theil.

Fünfter Titel.

§§. 11—17.

§.11. Soll eine Person, welche durch Willenserklärungen nur Bortheile zu erwerben fähig ist12), durch einen von ihr geschlossenen Vertrag zugleich haften übernehmen, so hängt die Gültigkeit des ganzen 1:>>) Vertrags von der vormund­ schaftlichen Genehmigung ab 14). §. 12. Aufgehoben'5). §. 13. Aufgehoben16). Geschäftsfähigkeit Minderjähriger 2c. (G.S. S. 518) (Oben Zus. 7 zu I. 4 §§. 22 ff.) Dasselbe gilt für den ganzen Umfang der Monarchie, beseitigt alle Verschiedenheiten des gemeinen, altpreußischen und rheinischen Rechts und hat die folgenden §§. des Textes vielfach modifizirt. Es bezieht sich allgemein auf Rechtsgeschäfte (ausgenommen Ehe, Verlöbniß, letztwillige Anordnungen, §. 8), mithin auch auf Verträge, und nicht bloß auf bevormundete minderjährige Personen, sondern auch auf Minderjährige unter väterlicher Gewalt. 12) Diese Grundsätze sind auch auf Ehefrauen, welche ohne Zuziehung ihrer Männer lästige Verträge geschlossen haben, anwendbar. O.Tr. IV v. 28. Juni 1860, Entsch. 43 S. 33 u. Str. Arch. 38 S. 85. H. Das Ges. v. 12. Juli 1875 (s. vor. Anm.) schreibt in §. 2 vor: „Minder­ jährige, welche das siebente Lebensjahr vollendet haben, sind ohne Genehmigung des Vaters, Vormundes oder Pflegers nicht fähig, durch Rechtsgeschäfte Verbindlichkeiten zu übernehmen oder Rechte aufzugeben, jedoch fähig, durch Rechtsgeschäfte, bei welchen von ihnen keine Gegenleistung übernommen wird, Rechte zu erwerben und von Verbindlichkeiten sich zu befreien." Die Worte des §. 11 „welche durch Willenserklärungen nur Vortheile zu erwerben fähig ist" werden jetzt ersetzt durch die bestimmteren Ausdrücke: „fähig. Rechte zu erwerben und von Verbindlichkeiten sich zu befreien". Die Vorschrift bezieht sich auf alle Minderjährige über 7 Jahr. Die Worte des §. 11 „durch einen von ihr geschlossenen Vertrag zugleich Lasten übernehmen" sind ersetzt durch die Worte: „durch Rechtsgeschäfte Verbindlichkeiten zu übernehmen oder Rechte aufzugeben." Zu solchen Rechtsgeschäften gehört die Genehmigung des Vaters, Vormundes oder Pflegers, ohne dieselbe sind sie unwirksam. Ob auch noch die Genehmigung des Vormundschaftsgerichts noth­ wendig ist, hängt von der Natur des Rechtsgeschäfts ab und wird in der Vorm.O. bestimmt. (S. vor. Anm.)' Die Unwirksamkeit des nicht genehmigten Geschäfts wird nicht durch Zeitablauf beseitigt, wohl aber durch Anerkennung desselben Seitens des Minderjährigen nach erlangter Selbstständigkeit. Ges. v. 12. Juli 1875 §.3. 13) H. Der Ausdruck: „des ganzen Vertrages" hat im Sinn des L.R. die Bedeutung, daß der Vertrag auch nicht einseitig als pactum claudicans bestehen bleibt. Nach §. 4 des Ges. v. 12. Juli 1875 gilt dies nicht mehr. Der Vertrag ist trotz fehlender Genehmigung für den hand­ lungsfähigen Kontrahenten verbindlich bis zur erklärten Verweigerung. Bergt, unten Anm. 14. Hat ein Vater mit dem unter seiner Gewalt stehenden minderjährigen Sohn einen Vertrag ab­ geschlossen, so gilt dasselbe. sJ(uf Seiten des Sohnes wird der Vertrag erst dann verbindlich, wenn die Genehmigung des Pflegers, der für diesen Fall zu bestellen ist (Vorm.O. v. 5. Juli 1875 §. 86), erklärt ist. — Ist auf Grund des Vertrages tradirt, so werden bei späterer Versagung der Genehmigung des Geschäfts die Wirkungen 'der Tradition (Erlangung des vollständigen Besitzes u. s. w.) nicht ohne Weiteres beseitigt. N.G. II H. v. 21. Febr. 1881, Entsch. 4 S. 261. 14) Diese Genehmigung kann bei gewagten Geschäften auch nach der Zeit, in welcher die Entscheidung des Wagnisses eingetreten ist mit Erfolg ertheilt werden. O.Tr. IV v. 28. Juni 1860, Entsch. 43 S. 34. Vorausgesetzt ist dabei, daß keine Erklärungsfrist bestimmt, oder daß die be­ stimmte noch nicht abgelaufen war. Hat z. B. ein Handlungsunfähiger eigenmächtig ein Lotterieloos mit einen: Anderen zusammen genommen und seinen Antheil am Einsätze dem Änderen, der das Ganze vorgeschossen hat, nicht' erstattet, so kann die Genehmigung noch erfolgen, nachdem das große Loos darauf gewonnen worden. 15) H. Der §. 12 lautete: „So lange der Vormund sich noch nicht erklärt hat, kann der andere Theil von dem Vertrage nicht zurücktreten." Das Ges. v. 12. Juli 1875 g. 4 Abs. 1 bestimmt: „Derjenige, mit welchem der Minderjährige ein wegen fehlender Genehmigung un­ wirksames Rechtsgeschäft abgeschlossen hat, ist an dasselbe gebunden; er wird jedoch von seiner Verbindlichkeit frei, wenn der Vater, Vormund oder Pfleger die Genehmigung zu dem abgeschlossenen Rechtsgeschäft verweigert." Dem Sinne nach ist dies mehr, als was §. 12 d. T. gesagt hat. Der andere Kontrahent ist gebunden bis zur erklärten Verweigerung der Genehmigung; es ist ihm nicht bloß der einseitige Rücktritt versagt, sondern er ist aus dem Vertrage sofort verpflichtet. "Natürlich behält er gegen die Klage des Minderjährigen oder dessen Vertreters die Einrede des nicht erfüllten Vertrages, wenn dieselbe an sich nach der Natur des Vertrages zulässig ist. Das ist der Standpunkt des römischen Rechts, pr. J. I, 21. §. 9 J. III, 19. 1. 13 §. 29 I). XIX, 1. 1. 9 pr. D. XXVI, 8. 16) H. Der §. 13 lautete: „Doch steht demselben zu allen Zeiten frei, dem Vormund eine Frist zu bestimmen, binnen welcher er sich über die Ertheilung oder Versagung seiner Genehmigung

Von Verträgen.

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§.14. Minderjährige und Verschwender") werden in Ansehung der Fähigkeit, Verträge zu schließen, den Unmündigen gleich geachtet. §. 15. Die Unfähigkeit eines Verschwenders, sich durch Verträge zu ver­ pflichten, nimmt mit der Mittagsstunde desjenigen Tages ihren Anfang, an welchem das Blatt der öffentlichen Anzeigen, dem die gerichtliche Bekanntmachung zuerst ein­ verleibt ist, ausgegeben ivorben1* 9*).20 * * * * * * 17 18 §. 16. Doch kann derjenige, welcher weiß, daß ein Mensch wegen Verschwen­ dung bereits gerichtlich angcklagt sei, aus einem mit demselben auch noch vor der öffentlichen Bekanntmachung -°) geschlossenen Vertrage kein Recht erlangen. §. 17. Die Unfähigkeit des Verschwenders, sich durch Verträge zu verpflichten, dauert bis zur Mittagsstunde desjenigen Tages, an welchem die Wiederaufhebung der Vormundschaft verfügt wird21). erklären müsse." Das Ges. v. 12. Juli 1875 §. 4 Abs. 2 schreibt vor: „der Verweigerung steht es gleich, wenn auf ergangene Aufforderung der Vater, Vormund oder Pfleger oder der Minder­ jährige nach erlangter Selbstständigkeit die Genehmigung innerhalb einer Frist von zwei Wochen nicht ertheilt." Der handlungsfähige Kontrahent kann also willkürlich zu jeder Zeit eine Er­ klärungsfrist setzen, er kann auch ohne Fristbestimmung sofort zur Genehmigung auffordern und dann gilt letztere als verweigert, wenn zwei Wochen ohne Erklärung verstrichen sind. Die Er­ klärung der Verweigerung ist an keine Form gebunden; das gilt auch schon nach älterem Recht. Entsch. des O.Tr. 12 S. 163. 17) H. Das Ges v. 12. Juli 1875 macht keinen Unterschied zwischen Minderjährigen und Unmündigen, es begreift unter der ersteren Bezeichnung auch die letzteren. — Nach d. Ges. über die Rechtsverhältnisse der Studirenden v. 29. Mai 1879 §. 1 (Zus. zu II. 12 §§. 69—72) begründet die Eigenschaft eines Studirenden keine Ausnahme von den Bestimmungen des allgemeinen Rechts. Jedoch darf daraus, daß ein Studirender zur Zeit der Annahme einer Vorlesung minderjährig war, oder unter väterlicher Gewalt stand, ein Einwand gegen die Verpflichtung zur Zahlung des Honorars nicht entnommen werden. — Der minderjährige Soldat ist nach den Kab.O. v. 10. Febr. 1825 (G.S. S. 15) u. 1. April 1867 (G.S. S. 519, 532) wie ein Groß­ jähriger fähig, sich zum Weiterdienen im stehenden Heere zu verpflichten. 18) H. Auf Verschwender bezieht sich das Ges. v. 12. Juli 1875 nicht. Dagegen hat die E.P.O. §§. 621 ff. das Verfahren, durch welches ein Verschwender entmündigt wird, gegenüber dem bisherigen preußischen Recht wesentlich geändert. Nicht mehr durch Erkenntniß, sondern durch einen Beschluß des Amtsgerichts, gegen welchen die sofortige Beschwerde und eine An­ fechtungsklage zusteht, wird die Entmündigung herbeigeführt. 19) Vergl. I. 12 §. 33 und A.G.O. I. 38 §. 22. H. Die E.P.O. (§. 623 Absatz 2) sagt: „Der die Entmündigung aussprechende Beschluß tritt mit der Zustellung an den Entmündigten in Wirksamkeit...." Der §. 627 schreibt zwar vor, daß die Entmündigung einer Person wegen Verschwendung, sowie die Wiederaufhebung einer solchen Entmündigung von dem Amtsgericht öffentlich bekannt zu machen ist. Welche civilrechtliche Wirkung eine solche Bekanntmachung aber hat, oder ob sie überhaupt eine solche haben soll, darüber sagt die E.P.O. nichts. Der §. 15 d. T. ist aber jedenfalls durch die E.P.O. geändert. Gegenüber dem Verschwender tritt die Wirkung ein im Moment der Zustellung, also nicht erst in der Mittagsstunde des Tages der Bekanntmachung. Wie steht es Dritten gegenüber? Man wird annehmen müssen, daß, da über die civilrechtliche Wirkung der Bekanntmachung die E.P.O. nichts sagt, diese Wirkung nach dem Landesrecht, als dem materiellen Recht angehörig, zu beur­ theilen ist (so auch Förster-Eccius I. §. 26 Anm. 6). Hat daher der Dritte keine Kenntniß von dem Zustellungsakt, so entscheidet ihm gegenüber die Mittagsstunde des Tages, an welchem das Bekanntmachungsblatt ausgegeben ist. Hiernach ergiebt sich die Modifikation des §. 15 d. T. Die Vorm.O. v. 5. Juli 1875 schreibt die öffentliche Bekanntmachung in §. 85 vor, hat aber an der materiellen Wirkung der Bekanntmachung, wie sie das L.R. vorschreibt, nichts geändert. (Ueber die Bedeutung der öffentlichen Bekanntmachung vergl. auch R.O.H.G. v. 17. Okt. 1873, Entsch. 11 S. 207.) Auch Prettner bei Gruchot 25 S. 302 nimmt an, daß §. 15 durch den cit. §. 622 geändert ist, er kommt aber zu dem Resultat, daß auch gegenüber dem Dritten einzig und allein der §. 623 maßgebend sei, sowie daß der §. 627 E.P.O. ferner den §. 85 der Vorm.O. aufgehoben habe. 20) H. Nach E.P.O. §. 623 tritt die Zustellung des Beschlusses an den Verschwender an die Stelle der Bekanntmachung. 21) H. Der §. 17 ist in ähnlicher Weise wie §. 15 (s. Anm. 18) durch die E.P.O. modifizirt. Die Unfähigkeit hört auf mit der Zustellung des Beschlusses, die Mittagsstunde des Tages, an

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Erster Theil.

Fünfter Titel.

§§. 18—31.

§. 18. Bei Minderjährigen endigt sich die Unfähigkeit, lästige Verträge zu schließen, mit dem Anfänge desjenigen Tages, an welchem sie die Volljährigkeit erreichen22 * *).* * §. 19. Die Fähigkeit solcher Personen, die zwar das in den Gesetzen für sie bestimmte volljährige Alter noch nicht erreicht, aber doch das Zwanzigste Jahr bereits zurückgelegt haben, ingleichen derer, welche für volljährig erklärt sind , ist gehörigen Orts näher bestimmt23). §. 20. Aufgehoben24). §. 21. Aufgehoben2^). §. 22. Von den Verträgen der Kinder, die noch in väterlicher Gewalt sind, ingleichen der verheiratheten Frauenspersonen, sind nähere Bestimmungen gehörigen Orts festgesetzt' (Th. 2. Tit. 1., Tit. 2.)26). §. 23. Unverheirathete Frauenspersonen werden, dafern die Provinzialgesetze keine Ausnahme machen 27), bei Schließung der Verträge den Mannspersonen gleich geachtet. §. 24. Blinde, Taube und Stumme können in so weit Verträge schließen, als sie ihren Willen deutlich und mit Zuverlässigkeit zu äußern vermögen28). welchem die Wiederaufhebung der Entmündigung verfügt worden ist, entscheidet nicht. Uebrigens hat das O.Tr. auch schon nach §. 17 angenommen, daß nicht das Datum der Verfügung, sondern die Insinuation an den Entmündigten das entscheidende Moment sei. Pr. 1274 v. 25. Febr. 1843, Entsch. 8 S. 384. 22) Nämlich mit dem Anbruche des 22sten Geburtstages. (H. Ges. v. 9. Dez. 1869, G.S. S. 1177.) Diese Veränderung wird als Erwerb eines Rechts behandelt. I. 3 §. 46. 23) H. Das dem §. 19 beigefügte Citat Th. II Tit. 18 Abschn. 8 fällt jetzt weg, nachdem durch die neue Vormundschaftsordnung v. 5. Juli 1875 der Tit. 18 des L.R. grvßtentheils beseitigt ist. Letztere enthält über die Fähigkeit solcher Personen, die zwar noch nicht volljährig, aber doch über 20 Jahre alt sind, keine besondere Vorschrift; sie' war auch nicht nöthig, theils weil jetzt die Voll­ jährigkeit mit dem vollendeten 21. Jahr bereits eintritt, theils weil es ganz im Ermessen des Vormundes liegt, dem herangewachsenen Mündel, wenn er ihm dazu reif erscheint, eine größere Freiheit zu gewähren. Der 18jährige Mündel soll gehört werden, ehe über die Veräußerung einer unbeweglichen Sache desselben entschieden wird (V.O. §. 55). Nach zurückgelegtem 18. Lebens­ jahr kann der Mündel für großjährig erklärt werden (V.O. §. 61). 24) H. Der 8- 20 lautete: „Pflegebefohlene, welche unter vormundschaftlicher Genehmigung eine eigene Wirthschaft angestellt haben, werden, auch ohne Beitritt des Vormundes, durch solche Verträge verpflichtet, welche zur Führung dieser eigenen Wirthschaft unmittelbar gehören." An Stelle dieses §. tritt jetzt §. 5 des Ges. v. 12. Juli 1875: „Hat der Vater oder unter Ge­ nehmigung des Vormundschaftsgerichts der Vormund den selbstständigen Betrieb eines Erwerbs­ geschäfts dem Minderjährigen gestattet, so ist Letzterer zur selbstständigen Vornahme derjenigen Rechtsgeschäfte fähig, welche der Betrieb des Erwerbsgeschäfts mit sich bringt. — Zu einzelnen innerhalb dieses Betriebes vorkommenden Rechtsgeschäften bedarf der Minderjährige der Ge­ nehmigung des Vormundschastsgerichts in gleicher Weise, wie nach den bestehenden Vorschriften der Vater oder Vormund dieser Genehmigung bedürfen würde." 25) H. Der 8- 21 lautete: „Pflegebefohlene, welche unter vormundschaftlicher Genehmigung sich zu einem gewissen Zwecke oder Geschäfte bestimmt haben, sind fähig, alle Vertrüge zu schließen, ohne welche sie diese Bestimmung nicht erfüllen könnten." An die Stelle dieses 8- tritt jetzt 8 6 des Ges. v 12. Juli 1875 (G.S. S. 519): „Hat der Vater oder Vormund seine Genehmigung ertheilt, daß der Minderjährige in Dienst oder Arbeit trete, so ist Letzterer selbstständig zur Eingehung und Auflösung von Dienst- oder Arbeitsverhältnissen der genehmigten Art befugt. — Dem Vater oder Vormund steht es frei, eine solche Genehmigung zurückzuziehen oder einzuschränken, soweit dadurch Rechte Dritter nicht beeinträchtigt werden." 26) H. Der gehörige Ort, wo jetzt die Vorschriften über die Fähigkeit der unter väterlicher Gewalt stehenden minderjährigen Kinder zu finden sind, ist das Gesetz v. 12. Juli 1875. Für die großjährigen Hauskinder finden sich die Vorschriften noch in L.R. II. 2. 27) H. Solche Provinzialgesetze existiren nicht mehr. 28) Die physische Möglichkeit ist die Grenze. Taube, welche zugleich blind sind, befinden sich in dem Zustande der Unmöglichkeit. Denn wenn sie auch durch Worte ihren eigenen Willen ausdrücken können, so vermögen sie doch die Gegenerklärung weder durch Worte, Zeichen noch

Von Verträgen.

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§. 25. Sind ihnen aber Vormünder bestellt -’"), so haben sie ivegen der Fähig­ keit, Verträge zu schließen, die Rechte der Blödsinnigen3"). §. 26. In wie fern, und unter was für Erfordernissen Corporationen und Gemeinen durch Verträge verpflichtet werden können, ist nach ihren vom Staate genehmigten Grundverträgen zu beurtheilen"). §. 27. Wo diese nichts bestimmen, ist auf die wegen der verschiedenen Arten der Corporationen ergangenen Gesetze Rücksicht zu nehmen. §. 28. Wo auch diese nichts Besonderes verordnen, da bleibt es bei den von Verpflichtung der Corporationen überhaupt vorgeschriebenen allgemeinen Grund­ sätzen, (Th. 2. Tit. 6.) §. 29. Oeffentliche Cassen32) können nur unter Genehmigung des vorgesetzten Departements durch Verträge verpflichtet werden. §. 30. Ist nach der Verfassung der Casse die unmittelbare Genehmigung"3) des Landesherrn nothwendig, so muß das vorgesetzte Departement denjenigen, der mit der Casse sich einlassen will, vor oder doch gleich bei Abschließung des Vertrages, bei eigener Vertretung, davon benachrichtigen84). §. 31. Jeder Contrahent ist schuldig, nach den Eigenschaften des Andern, welche auf dessen Fähigkeit, Verträge zu schließen, Einfluß haben können, sich ge­ hörig zu erkundigen 36). Schrift zu vernehmen, da sie die Laute nicht hören und die Zeichen nicht sehen können, durch das Gefühl aber nur auf eine unzuverlässige Weise, etwa vermittelst erhöhter Buchstaben, der Wille des Anderen vernommen werden kann. Wäre dies aber auch möglich, so würde doch in dem Falle, wo die schriftliche Form erforderlich ist, die Vollziehung unmöglich bleiben, indem der Taubblinde, wenn er auch seinen Namen schreiben würde, doch den Inhalt der Schrift nicht erfahren, mithin nicht zur Ueberzeugung wird kommen können: ob der Inhalt mit seinem Willen übereinstimmte. Solche Personen können mithin nur durch Vormünder handeln. R. v. 11. April 1841, J.M.Bl. S. 151. H. Nach der Vorm.O. §. 81 Nr. 3 erhalten Großjährige einen Vor­ mund, wenn sie taub, stumm oder blind und hierdurch an Besorgung ihrer Rechtsangelegenheiten gehindert sind. 29) Dann sind sie juristisch handlungsunfähig, und es kommt nichts darauf an, wie im Falle des vor. g. 24: ob und in wie weit sie sich zuverlässig zu äußern vermögen. 30) Mithin die der Unmündigen. I. 4 §. 26. 31) Jede juristische Person hat eine beschränkte Rechtsfähigkeit, denn sie kann nur Ver­ mögensrechte und gewisse politische Rechte haben; sie ist aber, aus natürlichen Gründen, völlig willens- und handlungsunfähig, gleich einer vernunftlosen physischen Person. Sie wird nur durch den Willen bestimmter einzelner Menschen vertreten; wer diese sind, muß für jede zunächst durch das Gesetz, dem sie ihr Dasein verdankt, bestimmt sein. Dies ist ihre Verfassung. H. Die neuere Gesetzgebung hat sich hauptsächlich in dieser Beziehung mit den kirchlichen Kor­ porationen beschäftigt, für deren Vermögensverwaltung die Organe bestimmt, und das Erforderniß der Genehmigung gewisser Rechtsgeschäfte durch die Staatsbehörde genau fixirt. Vergl. Ges. v. 20. Juni 1875 über die Vermögensverwaltung in den katholischen Kirchengemeinden (G.S. S. 241), Ges. v. 3. Juni 1876 betr. die evangelische Kirchenverfassung in den acht älteren Provinzen der Monarchie (G.S. S. 125) und dazu die Kirchengemeinde- und Synodalordnung v. 10. Sept. 1873 nebst Ges. v. 25. Mai 1874 (G.S. S. 147) und die Generalsynodalordnung v. 20. Jan. 1876 (G.S. S. 7), für das Vermögen der katholischen Diözesen das Gesetz v. 7. Juni 1876 (G.S. S. 149). 32) Nämlich fiskalische. Die einzelnen Kassen sind immer dasselbe Rechtssubjekt, d. i. der Fiskus. Die Vertreter des Fiskus aber sind nach den verschiedenen Geschäftszweigen und Be­ zirken andere Personen. Damit verhält es sich wie mit einem Bevormundeten, welcher mehrere Vormünder hat, die sich in die Verwaltung getheilt haben. 33) Soll heißen „Genehmigung". R. v. 29. Dez. 1837, Jahrb. 50 S. 469. Bei An­ käufen von Grundstücken seitens des Fiskus genügt der Konsens des betreffenden Verwaltungs­ chefs zur Berichtigung des Besitztitels (H. nach neuem Recht: zur Eintragung des Eigenthums­ überganges auf Grund der Auflassung; Gesetz v. 5. Mai 1872 über den Eigenthumserwerb re.), ohne Vorlegung einer besonderen k. Ordre. K.O. v. 21. Febr. 1845, J.M.Bl. S. 70. 34) Wenn die Verfassung nicht durch gehörig publizirte Verordnungen bekannt ist. Außerdem muß ein Jeder die Gesetze kennen.

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Erster Theil.

Fünfter Titel.

32-38.

§. 32. Der bloße Mangel der Wissenschaft von der Unfähigkeit des einen Theils soll also dem Andern niemals zu statten kommen. §. 33. Wer aber, nach gehörig angestellter Erkundigung, dennoch von einem Unfähigen33) zur Schließung eines Vertrages verleitet worden37), kann aus dem Vermögen desselben Schadloshaltung33) fordern. §. 34. Wer mit einer Person unter achtzehn 39) Jahren Verträge schließt, kann sich mit der Unwissenheit ihres minderjährigen Alters niemals entschuldigen^). 35) Das bloße Befragen eines Darlehn und Kredit suchenden minderjährigen Menschen, ob er selbstständig sei, kann als eine „gehörig angestellte Erkundigung" nach seiner Berfügungsfähigkeit nicht gelten. Bergt. §§. 32, 35 d. T.'und I. 3 §§. 20, 21; ferner §. 3 des Ges. v. 2. März 1857, G.S. S. 111. O.Tr. IV v. 1. Mai 1862, Str. Arch. 45 S. 210. 36) Auch auf Schreibunfähige, welche einen Anderen verleiten, sie für Schreibkundige zu halten und mit ihnen zu kontrahiren, finden diese Grundsätze Anwendung. Entsch. des O.Tr. 12 S. 167. 37) Die Anwendung dieses §. bedingt, daß, neben der Thatsache der Kontraktsschließung, dem unfähigen Schuldner solche, wenn auch nicht eben betrügliche Handlungen nachgewiesen werden können, welche den Entschluß des Anderen, sich mit ihm in ein Geschäft einzulassen, be­ stimmt haben. Pr. 683 v. 10. Juni 1839. (H. Vgl. auch Entsch. des R.O.H.G. 4 S. 189.) Wirklich betrügliche Handlungen haben nur auf die Bestrafung Einfluß. §. 36. — Bei dem Dolus des Unfähigen ist es auch unerheblich: ob der Irrthum "vermeidlich war, ob nicht; denn der Dolus des Einen absorbirt das Versehen des Anderen. I. 4 tz. 84 und I. 6 §. 10. Nicht entgegen ist II. 2 §. 35, denn dort wird gerade auf die 33—36 und I. 6 §. 10 Bezug ge­ nommen, wonach nicht Dolus und keine Ausnahme von der Regel vorhanden fein muß. Zwei Ausnahmen machen aber gerade die beiden 34 u. 35. — H. Das Ges. v. 12. Juli 1875 8- 7 schreibt vor: „Hat sich ein Minderjähriger fälschlich für geschäftsfähig ausgegeben und einen Andern ohne dessen Verschulden zur Vornahme eines Rechtsgeschäfts verleitet, so kann Letzterer den Ersatz des hierdurch ihm zugefügten Schadens aus dem Vermögen des Minderjährigen ver­ langen." — Der Anspruch ist ein außerkontraktlicher, der in 3 Jahren verjährt. I. 6 §. 54 38) Nur die actio doli ist gegeben, das Geschäft wird nie gültig durch den Dolus des Unfähigen. Der Rechtsstand ist nach L.R. ein anderer als nach R. N. Nach N. R. war das von einem Minderjährigen eingegangene Geschäft gültig, und man kam ihm nur zur Hülfe mit der restitutio in integrum. Die Restitution wurde ihm aber versagt, wenn er dolose gehandelt hatte, mithin blieb es bei dem Rechtsgeschäfte. L. 2 und 3 C. si minor se majorem dixerit (II. 43). Das L.R. erklärt das Geschäft geradezu für ungültig wegen Mangels der Handlungs­ fähigkeit, der Dolus des Unfähigen kann ihm die fehlende Eigenschaft nicht verschaffen, folglich kann das Geschäft durch den Dolus nicht gültig werden. — H. Der §. 7 des Ges. v. 12. Juli 1875 (s. vor. Anm.) giebt auch nur die actio doli auf Schadenersatz, entscheidet aber nicht die Frage, ob das Rechtsgeschäft gültig oder ungültig sei. Das thut auch nicht §. 33. Wenn Koch vorstehend ausgeführt hat, das L.R. erkläre das Geschäft geradezu für ungültig, es könne, durch den Dolus des Unfähigen nicht gültig werden, so ist nicht recht zu verstehen, wie er von einer actio doli sprechen kann, statt von einer exceptio doli gegen die Klage aus dem ungültigen Rechtsgeschäft. Der §. 33 steht vielmehr insoweit mit dem R. R. in Uebereinstimmung, daß er wie dieses das Geschäft als gültig zur Voraussetzung hat, aber er unterscheidet sich von dem R. R. insoweit, als er dem verleiteten Kontrahenten nicht durch restitutio in integrum, sondern durch eine actio doli auf Schadensersatz zu Hülfe kommt, was freilich praktisch auf dasselbe aus­ läuft. Diesen Standpunkt hat auch §. 7 des Ges. v. 12. Juli 1875. 39) Wenn der Dolus des Unfähigen die Verbindlichkeit zur Schadloshaltung begründen soll, so muß der andere Kontrahent selbst nicht in dolo sein: er muß sich in der That irren und dieser Irrthum muß verzeihlich sein, d. h. ex adspectu corporis nicht berichtigt werden können. L. 32 D. de minor. (IV, 4); L. 3 C. si minor se majorem dixerit (II, 43). Wer eine un­ reif aussehende Person für großjährig hält, versieht sich gröblich, und ein grobes Versehen steht dem Dolus gleich. Dann tritt Kompensation des Dolus ein, mithin hat der angeblich Hinter­ gangene von dem dolose handelnden Unfähigen nichts zu fordern. Das L.R. setzt hier ein ge­ wisses Alter fest, unter welches immer fingirt wird, der Andere sei selbst in dolo oder culpa lata gewesen. H. Diese Fiktion ist in das Ges. v. 12. Juli 1875 §. 7 nicht mit ausgenommen. Die Mot. zu demselben bemerken hierüber: „Da die Möglichkeit einer Täuschung über das Alter des Pflegebefohlenen von der individuellen körperlichen Entwickelung abhängt, so erschien es unzulässig, ein bestimmtes Lebensjahr des Pflegebefohlenen als dasjenige zu bezeichnen, welches einen derartigen Irrthum seitens eines Dritten als einen entschuldbaren erscheinen läßt." Danach ist §. 34 nicht mehr anwendbar. Anderer Meinung Förster-Eccius §. 73 a. C.

Von Verträgen.

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§. 35. Ein Gleiches gilt gegen den, welcher einen Unfähigen bloß auf dessen Versicherung, auch wenn dieselbe eidlich bestärkt würde41), für fähig angenommen hat. §. 36. Wer, seiner Unfähigkeit sich bewußt, einen Andern zur Schließung eines Vertrages verleitet hat, soll als ein Betrüger bestraft werden. (Deutsches Str.G.B. §. 263.) 4la) §. 37. Ein Vertrag, welcher wegen der Unfähigkeit des einen Theils4-) un­ verbindlich ist, erlangt durch ein nach gehobener Unfähigkeit erfolgendes Anerkenntniß4'') nur in so fern verbindliche Kraft, als dies Anerkenntniß selbst für einen neuen rechtsgültigen 44) Vertrag angesehen werden kann. §. 38. Ein solcher neuer Vertrag erstreckt sich nur alsdann auf den Anfang des Geschäftes zurück, wenn dieses zugleich ausdrücklich verabredet worden4'^). 40) Entschuldigen. Der Ausdruck ist unpassend. Die Lage ist die, daß die ac(,io doli durch den Dolus des Unfähigen begründet ist. Dieser Klage steht die exceptio doli entgegen, und gegen diese soll nicht die Entschuldigung des Irrthums gelten, wenn der Unfähige noch nicht 18 Jahre alt ist. 41) In diesem Falle versagte die L. 3 C. ai minor se major em (II, 43) unbedingt die Restitution. Rach unserem §. kommt auf einen solchen Eid gar nichts an; der Fähige muß, wenn er den Borwurf des Dolus oder der groben Fahrlässigkeit (Anm. 35) von sich abwenden will, anderen Nachweis fordern und sich nicht mit der bloßen Versicherung des Unfähigen und dem adspectus corporis begnügen. 41») H. Das ursprüngliche Citat war: Th. 2. Tit. 20. Abschn. 15. 42) Es gilt kein Unterschied zwischen einer gänzlichen Willensunfähigkeit, wie sie den Kindern und Wahnsinnigen eigen ist, und der relativen Handlungsunfähigkeit der Unmündigen, Minderjährigen, Blödsinnigen und Verschwender; denn auch deren lästige Verträge sind ganz ungültig, wenn sie nicht von dem Vorgesetzten genehmigt werden. H. O.Tr. III v. 30. Nov. 1874, Str. Arch. 93 S. 44. Das Gesetz v. 12. Juli 1875 kennt auch keinen Unterschied zwischen Unmündigen und Minderjährigen. Entsch. 74 S. 164. 43) Wenn ein Großjähriger einen Wechsel, welcher über eine in seiner Minderjährigkeit von ihm kontrahirte Schuld auf ihn gezogen worden ist, acceptirt, so enthält dies zugleich ein rechtsgültiges Anerkenntniß dieser Schuld. O.Tr. IV v. 10. März 1859, Str. Arch. 33 S. 57. H. Ein solches Anerkenntniß liegt auch darin, wenn eine minderjährige Ehefrau mit Genehmigung ihres Vormundes das Handelsgeschäft ihres Ehemannes selbstständig übernommen und dasselbe nach erlangter Großjährigkeit fortgesetzt hat. Sie ist dann auch für die älteren Handelsschulden verhaftet. O.Tr. IV v. 12. Mai 1870, Entsch. 64 S. 238. 44) Daraus folgt Zweierlei: 1. Ein stillschweigendes Anerkenntniß ist ganz unwirksam, es ist eine ausdrückliche Erklärung schlechterdings erforderlich. Diesen: entspricht das Pr. 1660 v. 6. Dez. 1845, Entsch. 12 S. 332: „Bei Verträgen, die wegen persönlicher Unfähigkeit des einen Kontrahenten-ungültig sind, genügt eine nach erlangter Fähigkeit von demselben erfolgende still­ schweigende Genehmigung, z. B. die einfache Annahme einer Zahlung aus dem Vertrage, zur Heilung jenes Mangels nicht." Das Anerkenntniß muß entweder selbst die wesentlichen Punkte des Geschäfts einzeln in sich aufnehmen und wiedergeben, oder eine ausdrückliche Bezugnahme auf den Vertrag als Anlage enthalten, mit der bestimmten Erklärung: daß es eben jetzt noch Absicht sei, das Geschäft in allen Stücken, wie solche in dem Relatum niedergeschrieben worden, für gültig anzuerkennen. (Ebd. S. 336.) Es genügt auch nicht, daß der fähig gewordene ehe­ malige Unfähige den Abschluß des Vertrages als bloße Thatsache einräume, das Anerkenntniß muß auch in der Absicht erfolgen, die verbindende Kraft des Vertrages einzuräumen. Pr. 1510 v. 22. Nov. 1844, Entsch. 10 S. 361. (H. Vgl. Entsch. des R.G. 3 S. 254.) 2. Das An­ erkenntniß muß dieselbe Form haben, welche der Vertrag, der durch dasselbe wirksam werden soll, als Konsensualvertrag zu seiner Vollgültigkeit erfordert haben würde; denn ein ungültiger Realkontrakt kann nicht wiederholt werden. Vergl. unten Anm. zu I. 11 §. 713. Dem ent­ sprechend ist das Pr. des O.Tr. v. 10. Febr. 1838, Entsch. 3 S. 147: „Das vom Schuldner nach gehobener Unfähigkeit erklärte Anerkenntniß eines während derselben empfangenen Darlehns von mehr als 50 Thlrn. erfordert zu seiner Rechtsverbindlichkeit die schriftliche Form." Eine einschränkende Ausnahme von dieser Regel macht der Fall II. 2 §. 137, wo die gerichtliche oder notarielle Form positiv gefordert wird. — H. Durch §. 37 d. T. erhält §. 3 des Ges. v. 12. Juli 1875 seine nähere Bestimmung. 45) Von selbst kann das neue Geschäft nicht zurückwirken, weil das alte nicht einmal zum constitutum taugte, denn hierzu muß wenigstens eine natürliche Verbindlichkeit vorhanden sein. Aber verabreden können die Parteien in dieser Hinsicht, was sie wollen. Durch diese Wirkung

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Erster Theil.

Fünfter Titel.

§§. 39—46.

§♦ 39. Ueber alles, was der Gegenstand einer rechtsgültigen Willenserklärung sein kann, können auch Verträge geschlossen werden46). (Tit. 4. §. 5—19.) a)i^ccrr^e §♦ 40. Verträge, durch welche Jemand die Handlung4?) eines Dritten verHandlungen spricht, verpflichten denselben in der Regel nur, seine Bemühungen zur Bewirkung 0 cr der versprochenen Handlung anzuwenden48). §. 41. Kann er dadurch die Handlung nicht bewirken, so ist auch für den andern Theil keine Verbindlichkeit, den Vertrag von seiner Seite zu erfüllen, vorhanden. §. 42. Vielmehr muß ihm dasjenige, was er auf Rechnung eines solchen Vertrags bereits gegeben oder geleistet hat, zurückgegeben, oder, wenn dies nicht geschehen kann, vergütet werden4"). §. 43. Hat der Versprechende keine Mühe angewendet, die versprochene Hand­ lung zu bewirken, so muß er dem Andern den aus deren Unterbleibung entstehenden Schaden ersetzen^). UfSeni=

ex nunc unterscheidet sich dieses Anerkenntniß (eigentlich neue Geschäft) von der bloßen Ge­ nehmigung, welche retrotrahirt wird. 46) Verträge, welche gegen das öffentliche Interesse verstoßen, sind unkräftig. Daher­ können gesetzliche Verordnungen zum gemeinen Besten durch Privatverträge weder aufgehoben noch abgeändert werden. O.Tr. III v. 27. Okt. 1852, Str. Arch. 7 S. 292. — H. Ein Ver­ trag, in welchem eine Stadt einer Eisenbahngesellschaft dauernde Freiheit von Kommunalabgaben einräumt, ist im Geltungsgebiete der Städteordn. v. 30. Mai 1853 im Widerspruch mit §. 4 derselben und deshalb unverbindlich. O.Tr. II v. 12. März 1878, Entsch. 81 S. 267. 47) Hier werden unter Handlungen Leistungen verstanden, das sind Handlungen nicht im Sinne des I. 3 §. 1, sondern im Sinne des I. 2 §. 2, in so fern sie den Gegenstand des Rechtes eines Anderen ausmachen und zu den Sachen im Allgemeinen gehören. 48) Die herrschende Meinung der gemeinrechtlichen Schriftsteller. Das R. R. hatte, wegen der Strenge und Förmlichkeit der Stipulation, die Regel, daß die Stipulation über fremde Handlungen nichtig sei. Dieser Grund fällt heut zu Tage weg, man legt daher ziemlich all­ gemein das Versprechen einer fremden Handlung so aus, daß der Versprecher sich alle Mühe geben wolle, den Dritten zu der Leistung zu vermögen, wenn nicht etwas Anderes beabsichtigt worden sei. Diese Ansicht ist in diesem und im §. 45 bestätigt. (H. O.Tr. III v. 27. Rov. 1874, Str. Arch. 93 S. 36. Der Versprechende kann auf Aufwendung seiner Bemühungen ver­ klagt werden.) Dabei aber ist im Falle unseres §. 40 die Frage: was geschehen solle, wenn die Leistung des Dritten ausbleibt. Dann kann Viererlei möglich sein: 1. Der Promittent hat seine Mühe redlich aufgewendet, doch fruchtlos; 2. er hat sich in seinen Bemühungen nachlässig ge­ zeigt: 3. er hat sie ganz unterlassen, also sein Versprechen gar nicht erfüllt; 4. er hat nicht nur sein Versprechen nicht erfüllt, sondern noch entgegengewirkt. Hierauf beziehen sich die nächst­ folgenden 41—44. Den Gegensatz davon enthält der §. 45. Das Versprechen eines Beistandes eines schreibunkundigen Kontrahenten bei Abschließung eines Vertrages: daß er die Unterschrift jenes Kontrahenten bei der Aufnahme des gerichtlichen Vertrages bei 1000 Thlr. Konventionalstrafe verschaffen wolle, enthält keine Bürgschaft, da eine Hauptverbindlichkeit fehlt, sondern kann keinen anderen Sinn haben als den, daß er sich be­ mühen wolle, um die Partei zu jener Handlung der Unterschrift, welche von ihrem freien Willen abhängig, zu bestimmen. Hat er das vergeblich versucht, so ist er dem anderen Kontrahenten nichts weiter schuldig. O.Tr. IV v. 12. Rov. 1861, Str. Arch. 44 S. 65. 49) Beide §§. 41 und 42 entscheiden über den ersten Fall. Der Vertrag fällt zusammen und das Gegebene oder Geleistete kann kondizirt werden. — Wenn ein Käufer zur Berichtigung der Kaufgelder seinem Verkäufer eine Forderung an Zahlungsstatt überwiesen hat, und der Kaufkontrakt demnächst für ungültig erklärt wird, so kann der Käufer nur die Rückgewähr der Forderung, nicht aber die Baarzahlung ihres Betrages verlangen. O.Tr. III. v. 7. Jan. 1852, Str. Arch. 5 S. 25. 50) Hierdurch ist eine direkte Entscheidung für den dritten Fall (Anm. 48) gegeben. Sie ist weise. Nach der Regel muß derjenige, welcher sein Versprechen wissentlich nicht erfüllt, dem Anderen das Interesse leisten. Aber worin besteht hier das schätzbare Interesse des Anderen? Es ist ja völlig ungewiß, ob die allergrößte Bemühung den allermindesten Erfolg gehabt hätte. Gewiß ist nur der wirkliche Schade, welchen die Unterlassung der Bemühung verursacht hat, wenn sie einen verursacht hat. Im Uebrigen fehlt der ursachliche Zusammenhang zwischen der

Von Verträgen.

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§. 44. Ein Gleiches findet Statt, wenn der Versprechende durch sein eigenes grobes oder mäßiges Versehen Schuld daran ist, daß die versprochene Handlung nicht erfolgt^'). §. 45. Erhellet aus dem Vertrage52), daß der Versprechende nicht bloß seine Bemühungen anzuwenden, sondern wirklich für den Erfolg zu stehen übernommen habe, sv muß er bei nicht bewirkter Handlung dem Andern vollständige Genug­ thuung^'^) leisten. §. 46. Haben beide Theile ausdrücklich 54) über fremde Sachen oder Rechte Sach^eines einen Vertrag geschlossen, so ist anzunehmen, daß der eine sich nur verpflichten wollen, Dritteln Unterlassung und dem gehofften Gewinne; folglich kann der Inhalt der Klage, welche hier die Kontraktsklage ist, nicht größer sein. Für den zweiten Fall (Anm. 48) ist keine Entscheidung getroffen. Das Richtige nach der Absicht des Gesetzgebers wird sein, daß dieser Fall dem ersten gleich behandelt wird. Denn Bemühungen sind angewendet und die. Qualität oder Quantität ist unbestimmbar, auch ist völlig unfaßbar ein Schaden, der aus einer etwas verspäteten oder weniger zudringlichen Bemühung erstanden sein könnte, ja es ist selbst eine Nachlässigkeit (ein Versehen) in der Bemühung nicht begreiflich zu machen, so lange nicht eine normale Beschaffenheit der zu leisten gewesenen Be­ mühung und eine Differenz zwischen dieser und der geleisteten festzustellen ist. Deshalb fonimt die Frage: ob ein Unterschied zwischen einem unvergoltenen Versprechen und einem vergoltenen zu machen sei, in diesem Falle nicht zur Sprache. Hat der Versprechende erklärt, daß er den Dritten zu der fraglichen Handlung nicht ver­ anlassen wolle, so ist durch diese Erklärung in Verbindung mit der Thatsache, daß der Ver­ sprechende bis dahin keine Bemühungen zur Bewirkung der Handlung angewendet hatte, dem Andern das Recht erwachsen, gemäß §. 43 den ihm aus dem Unterbleiben der Handlung er­ wachsenen Schaden ersetzt zu verlangen, und der Andere ist dieses Rechts nicht wieder verlustig geworden, wenn auch der Versprechende später den vergeblichen Versuch gemacht haben sollte, der ihm schon lange obliegenden Verpflichtung zur Bewirkung der Handlung zu genügen. O. Tr. IV v. 13. Juli 1867, Str. Arch. 66 S. 363. Diese Anwendung des 43 auf den unterliegenden Rechtsfall (der Bekl. war verurtheilt, die (Session einer ihm nicht gehörigen be­ stimmten Hypothek an den Kläger zu bewirken, oder den Kläger zu entschädigen) ist bedenklich, denn der §. 43 erklärt den Versprechenden nur für schuldig, dem Anderen den aus der Unter­ bleibung der Mühwaltung entstehenden Schaden zu ersetzen, er fingirt aber nicht, daß die Anwendung der Mühe Erfolg gehabt haben würde und deshalb für die unterbliebene Hand­ lung des Dritten Ersatz zu leisten sei. 51) Dies ist die Entscheidung für den vierten Fall (Anm. 48). Es wird kein Unterschied zwischen einem lästigen und wohlthätigen Versprechen gemacht, mit Recht, weil hier nicht in der Erfüllung gefehlt worden, die ja in der That, durch Anwendung der Bemühungen, geschehen sein kann; "sondern weil positiv entgegengewirkt worden und eigentlich eine Beschädigung außer­ dem Kontrakte durch Versehen zugefügt worden ist. Dabei hat der Umstand, daß das (vielleicht ganz gut erfüllte) Versprechen umsonst gegeben worden, keinen Einfluß, es muß auch in diesem Falle für den durch ein mäßiges Versehen entstandenen Schaden eingestanden werden. Es ist gesagt worden: die Worte „grobes oder mäßiges Versehen" enthielten eben die fragliche Unterscheidung; denn das „grobes" sei auf wohlthätige und das „mäßiges" auf lästige Vertrüge zu beziehen. Bornemann, 2 S. 415 Note *). Doch wäre das eine willkürliche Beziehung und Unterscheidung, denn diese Verbindung der mehreren Grade durch „oder", welche der Schuldner alle leisten soll, ist die gewöhnliche Sprachweise des L.R. Vergl. z. B. I. 11 §. 338. 52) S. Anm. 48. Aus dem Vertrage muß die Absicht des Versprechens sicher hervorgehen. Dieses festzustellen ist Sache der Auslegung; Beweisführung über sonstige Aeußerungen ist nicht zulässig, es kommt lediglich auf den durch die Erklärung ausgesprochenen Willen an. 53) Nämlich das ganze Interesse aus dem unerfüllten Vertrage. 54) H. Vergl. Str. Arch. 75 S. 358 (III). — Dann gilt wesentlich derselbe Grundsatz wie bei Verträgen über fremde Handlungen, §. 40. Was Rechtens sei, wenn über eine Sache nicht ausdrücklich als eine fremde kontrahirt worden, bestimmt sich nach der Beschaffenheit des besonderen Falles und Geschäftes. Die Veräußerung einer fremden Sache, z. B., welche beiden Theilen als solche bekannt war, wird wirksam, wenn der Veräußerer nachher die Dispositionsbefugniß erwirbt. Entsch. des O.Tr. 16 S. 452. S. auch u. §. 57. H. Bei Grundstücken, die nach dem Gesetz v. 5. Mai 1872 über den Eigenthumserwerb jetzt nur durch Auflassung und Eintragung veräußert werden können, wird nur der Veräußerungsvertrag hinterher gültig und erzeugt die Klage auf Ertheilung der Auflassung.

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Erster Theil.

Fünfter Titel.

§§. 47-64.

den Dritten zum Besten des Andern zu einer dem Vertrage gemäßen Handlung zu vermögen5B). §. 47. Kann diese Absicht der Contrahenten nach dem Inhalte des Vertrages oder nach den Umständen nicht angenommen werden, so hat dergleichen Vertrag keine rechtliche Wirkung5e). §. 48. Doch muß jeder dem Andern dasjenige, was in Rücksicht auf einen solchen Vertrag wirklich gegeben, oder geleistet worden, vergüten. §. 49. Hat derjenige, welcher die fremde Sache verspricht, für den Erfolg zu stehen, sich ausdrücklich67) verpflichtet, so findet die Vorschrift des §. 45. Anwendung. §. 50. Lag bei dem Vertrage um die Sache oder das Recht eines Dritten eine unerlaubte Handlung von Seiten beider Theile zum Grunde, so fällt der von einem oder dem Andern daraus schon gezogene Gewinn dem Fiskus anheim. c)möb#ud)e"s §• 51. Verträge, wodurch Jemand zu absolut unmöglichen Handlungen oder Handlungen; Leistungen verpflichtet werden soll, sind nichtig 58J. §. 52. Gleiche Bewandniß hat es mit der bedingten (hypothetischen)r>H) Unmöglichkeit, wenn sie zur Zeit des geschlossenen Vertrages beiden Theilen bekannt, oder beiden unbekannt war. §. 53. War die bedingte Unmöglichkeit nur demjenigen bekannt, der zu der unmöglichen Handlung oder Leistung sich verpflichtete, so muß er den andern Theil vollständig entschädigen60). 55) Die Ouelle ist die gemeinrechtliche Praxis. Diese hatte angenommen, daß eine promissio facti alieni als ein Versprechen anzusehen, sich Mühe zu geben, den Dritten zu der Leistung des Versprochenen zu vermögen. Glück, Kommentar 4 §. 304 S. 208. 56) Ist die Sache nur zum Theil eine fremde und darüber ausdrücklich als über eine theilweise fremde kontrahirt worden, so ist das Geschäft untheilbar und, wenn der Fall des § 47 eintritt, ganz unwirksam; sonst würde man einen fremden Willen an Stelle des Willens der Parteien setzen. Anders, wenn nicht ausdrücklich als über eine theilweise fremde Sache kontrahirt worden. S. die folg. Anm. 57) Damit soll nicht etwas Anderes als der §. 45 für den Fall, wo über fremde Hand­ lungen kontrahirt worden, bestimmt, vorgeschrieben sein, denn in solchem Falle muß gleichfalls der Wille ausgedrückt werden. Auf den Ausdruck selbst kommt nichts an, wenn nur daraus der wahre Wille erhellet. Wenn z. B. Jemand eine theilweise fremde Sache verkauft, übergiebt, und die Gewährleistung übernimmt, so ist kein Zweifel, daß er für den Erfolg einstehen will und muß, wenn er auch diese Worte nicht gebraucht hat. Vergl. das Pr. 437 v. 1837 und dessen Motive, Entsch. 3 S. 242. 58) Tritt die Unmöglichkeit erst später ein, so kommen die Grundsätze §§. 364 ff. zur An­ wendung. — Im Allgemeinen gilt von unmöglichen Gegenständen das Gleiche, was von unmög­ lichen Bedingungen. L. 137 §. 6 D. de verb. obl. (XLV, 1); L. 185 D. reg. Juris (L, 17). Auch ein Erkenntniß auf Unmögliches ist unwirksam. L. 3 pr. D. quae sententiae sine appellatione (XLIX, 8); O.Tr. IV v. 3. Febr. 1852, Str. Arch. 6 S. 16. 59) Das ist eine solche, welche durch die Natur der besonderen Verhältnisse des Ver­ sprechenden oder des Gegenstandes des Versprechens, nicht etwa bloß durch die persönliche Leistungsunfähigkeit, unmöglich ist. Z. B. es macht sich Jemand verbindlich, seine Schwester (Adoptivschwester), oder eine bereits verehelichte Person zu heirathen. Das R. R. stellt solche Bedingungen den unmöglichen völlig gleich. L. 137 §§. 4 u. 6 D. de verb. obl. Das L.R. giebt dafür hier folgende besondere Regeln: Die unmögliche Bedingung ist der einzige Gegen­ stand, oder sie ist mit einem möglichen alternativ verbunden. Im zweiten Falle gilt der Ver­ trag unbedingt auf den möglichen Gegenstand (§. 56). In dem ersten Falle hört die bedingte Unmöglichkeit bis zur Erfüllungszeit auf, oder nicht. In jenem Falle besteht der Vertrag (§. 57). Hört sie nicht auf, so ist die Unmöglichkeit entweder Beiden oder nur Einem bekannt oder unbekannt. In jenem Falle ist der Vertrag nichtig (§. 52). War sie nur dem Einen be­ kannt, so ist dieses entweder der Promittent oder der Promissar. Ist es der Promittent, so ist er gehalten, d. h. der Vertrag besteht, er muß das Versprochene oder das Interesse aus dem Geschäfte leisten (§. 53). Ist der Promissar der Wissende, so ist der Vertrag nichtig und das darauf freiwillig Geleistete gilt für geschenkt (§§. 54, 55). 60) Wenn er nämlich die hypothetisch unmögliche Leistung nicht ermöglichen kann. Der Vertrag ist völlig verbindlich, und es kann mit der Kontraktsklage auf das ganze Interesse ge-

Von Verträgen.

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§. 54. Wußte nur derjenige, welcher eine Handlung oder Leistung sich ver­ sprechen ließ, daß dieselbe dem Versprechenden unmöglich sei, jo hat zwar der Ver­ trag selbst keine verbindliche Kraft; §. 55. Hat jedoch der, welcher sich das Unmögliche versprechen ließ, dem Versprechenden in Rücksicht auf den Vertrag, bereits etwas gegeben oder geleistet, so ist das Geschäft als eine Schenkung angesehen"'). §. 56. In allen Fällen *-) besteht der Vertrag, wenn darin einem oder dem andern Theile die Wähl gelassen worden, statt des Unmöglichen etwas anderes zn fordern oder zu leisten. §. 57. Gleiche Bewandniß hat es alsdann, wenn die bei «Schließung des Vertrages obwaltende bedingte Unmöglichkeit bis zu der zur Erfüllung bestimmten Zeit aufhört«'). §. 58. Verträge über Sachen, welche dem Verkehr entzogen worden, stnd in $cn, wew so fern gültig, als das Hinderniß gehoben werden kann'"). bem'sscttur §. 59. Doch kann die Erfüllung erst nach wirklich erfolgter Hebung des enftui>fl;cn

Hindernisses gefordert werden. §. 60. Ist dazu eine gewisse Zeit bestimmt, so verliert, nach fruchtlosem Ab­ lauf derselben, der Vertrag von selbst seine Kraft. §. 61. Ist keine Zeit bestimmt, so muß dieselbe auf Verlangen des einen oder des andern Theils, von dem Richter, nach Bewandniß der Umstände, fest­ gesetzt werden. §. 62. Hängt die Hebung des Hindernisses von der Handlung eines Dritten ab, zu deren Bewirkung sich einer der Kontrahenten verpflichtet hat, so finden die Vorschriften §. 40—45. Anwendung. §. 63. Hat keiner von beiden Theilen sich zur Hebung des Hindernisses be­ sonders verpflichtet, so liegt die Verbindlichkeit dazu demjenigen ob, dem allein das Dasein desselben bekannt war. §. 64. War das Dasein des Hindernisses beiden Theilen bekannt, so muß derjenige, welcher wegen eines Mangels in seiner Person, über eine solche Sache den Vertrag nicht'schließen kann, für die Hebung des Hindernisses sorgen. klagt werden. Dieses erhellet aus dem Gegensatze §. 54, auch ist dasselbe Prinzip anwendungs­ weise ausgesprochen in I. 11 §. 40, und eine gleiche Anwendung desselben findet sich im §. 49. Denn dieser Fall, wo Jemand unbedingt eine fremde Sache verspricht, ist eine hypothetische Unmöglichkeit im Sinne des L.R., gleichwie der Fall, wo Jemand sein dein Anderen bekanntes Pferd verkauft, was er unmittelbar vorher schon einem Dritten tradirt hat. Diese Fälle be­ handelt das R. R. gar nicht als mögliche, sondern nur als schwierige für den Versprecher; denn die Schwierigkeit hat ihre Ursache nur in der bedingten persönlichen Leistungsunfähigkeit, wenn der Dritte die Sache nicht ablassen will. L. 137 §§ 4, 5. D. de verb. obl. (XLV, 1). In beiden hier gedachten Fällen ist es nicht unmöglich, daß der Promittent die Sache von dem Dritten erwerbe und das Pferd wieder zurückkaufe. Deshalb ist der Vertrag bindend. 61) Darauf findet denn auch der Widerruf, ganz wie bei der Schenkung, Anwendung. 62) Nämlich in allen Fällen der hypothetischen Unmöglichkeit. Auf den §. 51 bezieht sich diese Bestimmung nicht, aus den in der Anm. 47 zu §. 139 Tit. 4 angegebenen Gründen. Bei den hypothetischen Unmöglichkeiten kann das Hinderniß vielleicht durch ungeheuere Geldopser und Anstrengungen beseitigt werden (Anm. 60). Vergl. §. 67. Deshalb ist die Möglichkeit der Wahl nicht ausgeschlossen, wie bei der absoluten Unmöglichkeit. 63) Der Satz paßt logisch weder zur Theorie von den Wirkungen der Unmöglichkeit, noch zu der von der bloßen Schwierigkeit. Bei der ersten entscheidet die Zeit der Kontraktsschließung, bei der anderen ist die Zeit der Ermöglichung ohne Einfluß. Die Bestimmung ist als eine ganz positive zu betrachten, nicht als ein Prinzip. 64) S. o. Anm. 24 zu §. 14 Tit. 4. Die Verträge gelten immer für bedingte, ohne Unterschied: ob man ausdrücklich oder stillschweigend als über eine solche Sache kontrahirt hat. Kannten aber nicht beide Theile das Dasein des Hindernisses und kann der, welcher es wußte, dasselbe nicht bis zur Zeit der Erfüllung heben (§§. 63, 64), so kommen die Grundsätze über eine bedingt unmögliche Handlung oder Leistung unbedingt zur Anwendung.

192

Erster Theil.

Fünfter Titel.

§§. 65—72.

§. 65. Kann auch hiernach die Frage nicht entschieden werden, so ist bei bloß wohlthätigen Verträgen derjenige, welcher den Vortheil genießen will, für die He­ bung des Hindernisses zu sorgen verpflichtet. §. 66. Bei lästigen Verträgen aber haben beide Theile dazu gleiche Ver­ bindlichkeit. §. 67. Kann, der gehörig angewandten Mühe ungeachtet, das Hinderniß nicht gehoben werden, so findet alles dasjenige statt, was für den Fall, wenn über eine bedingt unmögliche Handlung oder Leistung ein Vertrag geschlossen worden, §. 52. bis 57. verordnet ist05). °aubl"s"nd§• 681 Verträge über unerlaubte Handlungen gelten eben so wenig00), als lungen. über unmögliche 0 7). §. 69. Kann jedoch von dem entgegenstehenden Verbotsgesetze Dispensation stattfinden, so gilt von solchen Verträgen eben das, was von Verträgen über Sachen, die dem Verkehr entzogen sind, §. 58—67. vorgeschrieben ist °8). sJ Vo|cn?lV= 8- 70. Verträge, deren Erfüllung Niemandem einen Vortheil oder Nutzen gewähren kann, müssen auf den Antrag desjenigen, welcher dadurch belastet ist, von dem Richter aufgehoben werden69). g)ftimmtenes §• 71 • Verträge, deren Gegenstand sich gar nicht70) bestimmen läßt, oder deren Berträgen.----------------------

65) S. die vor. Anm. Voraussetzung ist, daß der Irrthum, in welchem sich der eine Theil über das Dasein des Hindernisses befunden hat, nicht durch Betrug verursacht worden ist, sonst kommen die über denselben geltenden Grundsätze zur Anwendung. 66) Sie sind also im Falle des absoluten Verbotes nichtig und in jeder Hinsicht unwirksatn (§. 51), bedürfen daher keiner besonderen Anfechtung und Nichtigkeitserklärung durch den Richter. Für einen solchen Vertrag wird der Vertrag unter Eheleuten, getrennt von einander zu leben, nicht angesehen, obgleich die eigenmächtige Trennung verboten ist, nach II. 1 §. 176. O.Tr. I v. 31. Jan. 1851, Entsch. 20. S. 143. H. Das Gegentheil ist angenommen in O.Tr. I v. 25. Sept. 1876, Str. Arch. 96 S. 286. 67) Auch die Unterscheidung des absolut und des hypothetisch Unerlaubten kommt hier zur Anwendung. S. den folg. § 69. Ist das Verbot absolut, und folglich der Vertrag nichtig (Anm. 64), dennoch aber darauf etwas gegeben oder geleistet worden, so kann wegen der ent­ gegenstehenden turpis causa nicht kondizirt werden. Dabei verbleibt es auch, wenn hinterdrein die Handlung allgemein und unbedingt erlaubt wird, nach dem Grundsätze I. 3 §§. 42 u. 43, an­ wendungsweise ausgesprochen auch in II. 1 §. 77. H. Ueber den Begriff „unerlaubte Handlung" in §§. 68, 69 d. T. s. R.O.H.G. v. 22. Dez. 1874, Entsch. 15 S. 416, (vgl. auch R G. 1. H v. 22. November 1881, Vertrag auf Beförderung eines Gewerbepolizeivergehens und einer Steuerdefraudation. Gruchot 26. S. 896), die Handlung muß gegen ein bestimmtes Verbotsgesetz gerichtet sein. Es sind darunter also nicht solche Handlungen zu verstehen, durch welche nur kontraktliche Pflichten verletzt werden. H. Ueber die Ungültigkeit von Verträgen, welche gegen die den Wucher mit Strafe bedrohenden Vorschriften der §§. 302a u. 302b des Str.G.B. verstoßen, u. über die Verpflichtung der Schuldigen zur Rückgewähr des Empfangenen vgl. Gesetz, betreffend den Wucher, v. 24. Mai 1880. Art. 3, R.G.Bl S. 109. 68) Verträge über absolut verbotene Handlungen sind von Anfang nichtig; Verträge über unerlaubte, aber von dem Verbote dispensable Handlungen sind gültig, begründen jedoch nur ein bestimmtes Verhältniß. Anm. 64. Eine Ausnahme von dem zweiten Theile dieser Regel macht das Ehegelöbniß zwischen Personen, welchen ein, obwohl dispensables, Ehehinderniß ent­ gegen steht (II. 1 §. 77). Dieses fällt unter den ersten Theil der Regel. 69) Nach der Lehre mancher Neueren, z. B. Leyser, Sp. XL, m. 5, welcher erzählt, sie hätten das Versprechen, welches eine Frau ihrem sterbenden Manne gegeben, daß sie ledig bleiben wolle, aufgehoben; und Glück, Kommentar 4 S. 310, wegen der L. 15 D. de servil. (VIII, 1). Die Lehre hat keinen Grund. Nach §. 70 kann förmlich geklagt werden; wird der Belastete ver­ klagt, so hat er die exceptio tua non interest. Aber das Interesse muß nicht nothwendig ein Geldinteresse sein. 70) Z. B. bei dem Versprechen, ein Thier zu geben, oder Getreide, ohne Angabe der Gattung und Menge. L. 94, 115 pr. I). de verb. obl. (XLV, 1); L. 69 §. 4 D. de jure dot. (XXIII, 3). — Vergl. Anm. zu I. 11 §. 1047. — H. Ein Vitalitienvertrag, in welchem nicht bloß das gegenwärtige, sondern auch das ganze zukünftige Vermögen übertragen

Von Verträgen.

193

Bestimmung oder Erfüllung der Willkühr des Verpflichteten 71) lediglich 72) über­ lassen ist, sind unverbindlich. (§. 235 bis 240.) 73). §. 72. Ist die nähere Bestimmung einer unbestimmt übernommenen Verbind­ lichkeit dem Ausspruch eines Dritten 74) überlassen worden, so ist der Vertrag gültig, wenn der Dritte den Ausspruch thut7s)). wird, kann als Vertrag unter Lebenden wegen mangelnder Bestimmtheit des Gegenstandes nicht bestehen. O.Tr. Entsch. 79 S. 155. H. §. 71 bezieht sich nur auf den H auptgegenstand des Vertrages. Str. Arch. 82 S. 184 (IV). — Verträge, durch welche dem billigen Ermessen des Verpflichteten der Umfang der Ver­ pflichtung überlassen wird, gehören nicht zu denjenigen, deren Gegenstand sich gar nicht be­ stimmen läßt. R.O.H.G. v. 2. März 1875, Entsch. 16 S. 431. Desgleichen fällt unter §. 71 nicht ein Vertrag, durch welchen sich der Empfänger eines Grundschuldbriefes verpflichtet, die in bestimmter Summe verabredete Valuta theils durch Baarzahlung theils durch Waarengebung zu berichtigen, O.Tr. III v. 18. Okt. 1878, Str. Arch. 100 S. 240. 71) Die Bestimmung kann auch nicht der Willkür des Berechtigten lediglich überlassen bleiben, z. B. das Versprechen, zu geben was und wie viel man verlangen werde. Damit würde die Person des Schuldners im Ganzen der willkürlichen Herrschaft unterworfen, also unfrei sein, während nur eine einzelne bestimmte Handlung fremder Willkür unterworfen werden kann. Anm. zu L 2 §. 2. Deshalb kaun die Entscheidung eines Streits über die Verpflichtung mit rechtlicher Wirkung nicht in die Willkür des Berechtigten, z. B. bei Verträgen mit dem Fiskus nicht in die Willkür der fiskalischen Behörde gestellt werden; auf richterlichen Schutz kann man im Voraus nicht verzichten. — H. Vergl. Anm. 15 zu Einl. §. 79. 72) Lediglich. Z. B. wenn ich werde wollen, gebe ich 10. L. 7 pr. D. de contr. ernt. (XVIII, 1). Vergl. I. 4 §. 108 und Note 18 dazu; ferner I. 11 30. Eine ganz besondere Ausnahme macht der sog. Kauf ad gustum und das pactum displicentiae. Dagegen ist die Bestimmung durch Bezugnahme auf ein Ereigniß (s. einen Fall in Entsch. 11 S. 173), oder auf das Gutfinden eines Dritten, oder auf den Befund einer bestünmten Gattung und Menge ge­ nügend zur Ausschließung der Willkür des Verpflichteten. §. 72. Z. B. ein Vertrag, welcher das Pachtgeld auf eine bestimmte Summe für jeden Brand von Ziegelsteinen festsetzt (O.Tr. III v. 3. Okt. 1855, Str. Arch. 22 S. 229); oder die in einem Kauf- und Ausgedingevertrage enthaltene Einigung, daß der Käufer die nicht näher bestimmten, dem Verkäufer/dessen Ehefrau und Kindern zu gewährenden Ausgedingeleistungen nach billigem Ermessen des Verkäufers zu entrichten habe (O.Tr. III v. 15. Febr. 1856, Str. Arch. 20 S. 173). Auch auf den Vertrag eines Grundeigenthümers mit einem Kommissionär, worin Jener Diesem für den Nachweis eines Käufers für sein Grundstück eine Belohnung zusagt, deren Höhe zu bestimmen er seinem Er­ messen vorbehält, findet die Vorschrift des §. 71 keine Anwendung. O.Tr. IV v. 13. Juni 1865, Str. Arch. 58 S. 344. Dasselbe hat dabei die Beweiserhebung darüber für erheblich erklärt, daß der Beklagte Dritten gegenüber anerkannt habe, dem Kläger 1/.2 Prozent des Kauf­ preises zugesichert zu haben. 73) Diese Vorschrift (§. 71) findet nur in dem Falle statt, wo der Hauptgegenstand eines Vertrages ganz unbestimmt, oder dessen Erfüllung der Willkür des einen Theiles überlassen ist, nicht aber dann, wo nur bei einer Nebenabrede eine solche Mangelhaftigkeit sich zeigt. In den: letzteren Falle bleibt der Vertrag selbst bei Kräften, und es wird nur über den Gegenstand der Nebenabrede nach den sonst vorhandenen gesetzlichen Vorschriften vom Richter befunden. Pr. 961 v. 21. Dez. 1840. Die Fassung ist in den Worten: „oder dessen Erfüllung der Willkür eines Theiles", fehlerhaft. Die' Erfüllung darf nur nicht von der Willkür des Verpflichteten abhängen, der Willkür des Berechtigten kann sie völlig gültig überlassen werden. Ein Fall eines aus diesem Grunde ungültigen Vertrages ist z. B. das Versprechen, einem Dritten für den Fall, daß er die Pflegetochter des Versprechenden heirathe, die Hälfte seines Nachlasses zuzu­ wenden. Denn dieses Versprechen stellt zwar nicht eine Schenkung von Todeswegen, sondern einen lästigen Vertrag, welcher eine Handlung zum Hauptgegenstande hat (Anm. zu §. 165 d. T.), dar; derselbe ist aber wegen Unbestimmtheit der versprochenen Zuwendung und der Ab­ hängung von der Willkür des Versprechenden unverbindlich. Ob.Tr. I v. 5. Okt. 1855, Str. Arch. 18 S. 178. Ein fernerer Fall ist auch ein Kaufkontrakt über das ganze Vermögen, wie es nach dem Tode des Verkäufers sein wird, oder ein Schenkungsvertrag über das künftig bei dem Tode des Schenkers vorhandene Vermögen, indem es lediglich in der Willkür des Verkäufers, beziehungsweise Schenkers, steht: ob alsdann etwas oder gar nichts vorhanden sein wird. Ueber die Gültigkeit einer solchen Schenkung besteht jedoch Meinungsverschiedenheit. S. Anm. zu §. 1087 Tit. 11 und Anm. zu §. 656 dess. Tit. H. R.O.H.G. v. 9. Jan. 1874, Entsch. 11 S. 381, v. 10. März 1874, Entsch. 13 S. 312. Vergl. ferner O.Tr. III v. 8. Jan. 1875, Entsch. 74 S. 1. 13 K vch, Wllflcmciticv Vniibrcdjt. I. 8. Anfl.

194

Erster Theil.

Fünfter Titel.

§§. 73—75.

§. 73. Er kann aber, denselben zu thun, wider seinen Willen nicht angehalten werden 76). h übcVben* 8- 74. Auch die Vortheile eines Dritten können der Gegenstand eines VerBortheil traaes sein 77). einesDritten.

7

74) Dieser muß individuell bezeichnet sein, oder die Parteien müssen sich nachträglich über ihn einigen, sonst gilt der Vertrag nicht. L. 25 I). locati (XIX, 2). Eine Ausnahme macht das Versprechen einer Summe zu einen: bestimmten Zwecke nach Ermessen von Sachverständigen oder des Richters, z. B. Alimente oder Ausstattung. 75) Dieser zur Bestimmung des Preises einer Sache, oder der Vergütung einer Arbeit bestellte Dritte ist darum noch nicht als Schiedsrichter, und die Vereinbarung nicht als ein Kompromiß anzusehen. O.Tr. v. 14. Dez. 1844, Entsch. 11 S. 180. Die Verabredung enthält eine Bedingung. Der Ausspruch eines solchen Dritten macht nur den Vertrag fertig (perfekt), ist aber kein Laudum, welches den ordentlichen Richter ausschließt oder vollstreckbar ist. A.G.O. I. 2 §§. 167 ff. Eine Anwendung davon ist Tit. 11 §. 48. Vergl. auch das O.Tr. II v. 7. Febr. 1854, Entsch. 27 S. 450, und oben Anm. 16 zu I. 4 §. 105. 76) Vielmehr bleibt der Vertrag unvollkommen, wenn der Ausspruch nicht erfolgt. I. 11 H. 51. Das gilt auch von einem Kompromisse, wenn der Schiesrichter nicht vermocht werden kann, seinen Spruch zu fällen. O.Tr. IV v. 7. Dez. 1849, Entsch. 19 S. 96. Der ordentliche Richter macht eine Ausnahme, wenn auf dessen Ermessen Bezug genommen ist in Fällen, wo es thunlich ist (Anm. 74); dieser ist verpflichtet, seinen Ausspruch zu thun, allenfalls nach Anhörung von Sachverständigen. 77) Die Kontrahenten dürfen gegen einander auf die Erfüllung dieses Vertrages dringen, ohne daß es des Nachweises bedarf, daß sie bei letzterer ein besonderes Interesse haben. O.Tr. Pr. 1571 v. 10. Mai 1845, Entsch. 12 S. 150. Den Beweis dafür entnimmt man (Entsch. 14 S. 69) aus I. 4 §. 112, wonach eine Bedingung, daß einem Dritten ein Vortheil verschafft werden soll, erfüllt werden muß. Das ist etwas ganz anderes. Diese Bestimmung entscheidet die Frage: ob die Erfüllung der Bedingung angenommen (fingirt) werden, oder ob sie vielmehr für vereitelt gelten soll, wenn der Dritte den Vortheil ausschlägt. Daraus ist nicht das Aller­ mindeste für die Frage zu entnehmen, ob der Promisfar, dem die Leistung an einen Dritten zu dessen Vortheile versprochen worden ist, auf die Erfüllung klagen kann, auch ohne ein besonderes Interesse zu haben. Dies wird im R. R. (L. 38 §. 7 D. de verb. obl. [XLV, 1]; L. 11 I). de obl. et act. [XLIV, 7]; L. 9 §. 4 I). de reb. cred. [XII, 1]; §.4 J. de iniitil. stip. | III, 19]) ganz entschieden verneint und auch von neueren Schriftstellern nicht behauptet. Glück 4 S. 564 und bes. der dort all. J. H. Böhmer. Einige waren a. M., z. B. genügt dem Leyser, Med. 519 m. 4, 5, quaelecunque Interesse, er verlangt nicht, ut specialius ipsius intersit, doch ohne einen Rechtsgrund anzugeben; er beruft sich auf die lex naturalis. Das O.Tr. behauptet a. a. O. S. 153, das L.R. habe die Regel des R. R. beseitigt, doch ohne Beweis zu führen. Das L.R. enthält darüber gar nichts; die herangezogenen §. 112 I. 4 und §. 270 d. T. gehören nicht hierher, jeder andere §. würde ebenso passen. Allein deshalb ist der Satz keine juristische Unwahrheit, er ist durch innere Nothwendigkeit geboten und zur Ergänzung des systematischen Zusammenhanges wie zur Befriedigung des praktischen Bedürfnisses ganz unent­ behrlich. S. die folg. Anm. In Beziehung auf die Frage: welche Verträge als zum Vortheile eines Dritten abgeschlossen zu erachten, hat das O.Tr. den an sich unzweifelhaften Satz als Pr. angenommen: „Wenn in einem Kaufkontrakte der Käufer sich verpflichtet, einen Theil des Kaufgeldes an einen Dritten auszuzahlen, so begründet dies nicht den Begriff eines Vertrages zum Vortheile eines Dritten im Sinne und mit den Wirkungen der §§. 74—77." Pr. 2464 Nr. 1 v. 21. Juni 1853. Dies ist ein Fall des adjectus solutionis causa. Durch Versendung des Prospekts und Statuts über die Gründung einer Aktiengesellschaft fordern die Unterzeichner des Prospekts Jedweden, welcher den beigefügten Betheiligungsschein ausfüllen und vollziehen will, auf, dadurch und nach Maßgabe jener Urkunden der Gesellschaft beizutreten. Wer also einen, von einer Mittelsperson, sei diese ausdrücklich beauftragt oder nur als negotiorum gestor anzusehen, ihm zugekommenen Betheiligungsschein ausfüllt, vollzieht und jener zustellt, hat dadurch eine ihm gewordene Offerte acceptirt, und ist folglich gebunden, wenn auch der Vermittler den Schein den Proponenten noch nicht ausgehändigt hat. O.Tr. IV v. 24. Mai 1862, Str. Arch. 46 S. 106. H. Der §. 74 drückt den ihm unterliegenden Gedanken übrigens nicht korrekt aus; es müßte heißen: Auch Leistungen zu Gunsten (oder zum Vortheil) eines Dritten können u. s. w., denn der Vortheil des Dritten ist nur die Wirkung, nicht der Gegenstand des Vertrages. — Aus 8- 74 ist nur der Nechtssatz zu entnehmen, daß der Regel nach aus Verträgen nur unter den Kontrahenten Rechte und Pflichten entstehen. N.O.H.G. v. 21. Okt. 1871, Elltjch. 3 S. 362. —

Von Verträgen.

195

§. 75. Der Dritte aber erlangt aus elnem solchen Vertrage, an dessen Schließung er weder mittelbar noch unmittelbar Theil genommen hat, erst alsdann ein Recht, wenn er demselben mit Bewilligung der Hauptparteien78) bei­ getreten ist Tt)). Der Dritte ist nicht ein solcher, welcher von einem der Kontrahenten durch Auftrag oder Gesetz vertreten wird. R.O.H.G. v. 6. Aug. 1873, Entsch. 10 S. 390. — Wenn zwei Personen über die Sache eines Dritten einen Kaufvertrag abschließen, so wird die daraus hervorgehende Kauf­ gelderforderung nicht dem Dritten, dem Eigenthümer der Sache erworben; der Vertrag ist nicht zu seinen Gunsten abgeschlossen worden, mithin können auch seine Gläubiger diese Forderung nicht im Wege der Exekution in Anspruch nehmen. Str. Arch. 87 S. 93 (III). 78) Durch einen von allen Interessenten unterschriebenen Auszug aus dem den Vortheil eines Dritten betreffenden Vertrage wird bewiesen, daß der Dritte diesem Vertrage mit Be­ willigung der Hauptkontrahenten beigetreten ist. O.Tr. IV v. 2. Nov. 1852, Str. Arch. 7 S. 132. 79) Grundsatz des R. R. ist es, daß ein Vertrag, wodurch einem Dritten ein Vortheil zu­ gewendet werden soll, dergestalt ungültig ist, daß weder der Handelnde, noch der Dritte daraus eine Klage hat. (M. s. die vor. Anm. 77.) In einer Anzahl von Fällen wird jedoch hiervon eine Ausnahme gemacht, wo dem Dritten ohne Weiteres ein Klagerecht auf unmittelbare Leistung an ihn zugeschrieben wird. Meistens sind die Ausnahmen nur scheinbare, indem das Klagerecht des Dritten sich auf ein anderes Rechtsverhältniß zwischen ihm und dem Kontrahenten zurück­ führen läßt; tn einigen Fällen ist aber der Zusammenhang nicht so klar und es fehlt auch nicht an einer wirklichen Neuerung darunter. (Hierüber s. m. Koch, Recht der Forderungen 2 145.) Daraus haben die Neueren eine allgemeine Regel gemacht, wonach der Dritte, ohne Anerbieten seitens der Kontrahenten und ohne Beitritt von seiner Seite, aus dem Vertrage zu klagen be­ rechtigt sein soll. Diese Regel ist in die gemeinrechtliche Praxis übergegangen. Damit war die Strenge des alten Rechts ausgeglichen und für das praktische Bedürfniß gesorgt. Diesen Zu­ sammenhang hebt der §. 75 mit der Absicht der Verfasser und gegen die Erinnerung mehrerer Monenten wieder auf, und darum ist der in der Anm. 77 besprochene Satz ganz nothwendig. Der §. 75 giebt die Regel: der Dritte muß Mitkontrahent werden, wenn er ein Klagerecht er­ werben will. (H. Findet diese Regel auch Anwendung auf Versicherungsverträge, nach welchen die Zahlung der Versicherungssumme an einen Dritten geschehen soll, insbesondere auf Lebens­ versicherungen? Bejaht vom O.Tr. IV v. 27. Nov. 1873, Entsch. 71 S. 1 u. von dem Ver­ fasser des Aufsatzes in Gruchot 25 S. 1 ff. Dagegen verneint vom O.Tr. IV v. 4. Mai 1864 u. 26. März 1874, Entsch. 51 S. 47 u. 72 S. 90, sowie vom R.G. V v. 25. Febr. 1880, Entsch. 1 S. 188, u. IV v. 19. Sept. 1881, Gruchot 26 S. 899; vgl. auch R.G. V v. 3. März 1880, Entsch. 1 S. 378.) — Dies, nämlich daß der Dritte Mitkontrahent werde, ist zu bewirken weder durch bloße Anstellung der Klage, indem es hier an dem Anerbieten von der anderen Seite fehlt und das Recht schon vor der Klage existent und erworben sein muß (O.Tr. v. 15. Aug. 1833, Simon, Rechtsspr. 3 S. 172), noch durch Annahme einer Zahlung von einem der Haupt­ kontrahenten aus dem Vertrage (Pr. v. 17. Mai 1847, Rechtsf. 1 S. 167), noch durch Kon­ firmation des Vertrages von Seiten der Gerichtsobrigkeit, wie solche ehemals besonders in Schlesien bei den bäuerlichen Stellenverkäufen üblich war (Schles. Arch. 2 S. 497); auch ist in dem §. 370 I. 16 kein Grund zu einer Ausnahme von der Regel zu finden. Vielmehr gehört dazu ein mit Bewilligung der Hauptparteien erfolgter Beitritt zum Vertrage (Pr. 1406^ v. 27. Jan. 1844), welchem eine Aufforderung dazu von Seiten der Kontrahenten vorangegangen sein muß, dergestalt, daß der erfolgte Beitritt des Dritten, ohne solche vorangegangene Auf­ forderung, den Kontrahenten das Recht nicht entzieht, den Vertrag mit ihrem beiderseitigen Ein­ verständnisse zu ändern oder wieder aufzuheben; nur daß, wenn nur der eine Kontrahent sich etwas zum Vortheile eines Dritten hat versprechen lassen, es auch nur auf die Einwilligung dieses Kontrahenten, nicht auf ein Einverständniß Beider ankommt. O.Tr. v. 4. Jan. 1845, Entsch. 10 S. 349. Das Gesetz fordert mithin einen neuen Vertrag zwischen den Hauptparteien oder demjenigen, welcher sich den Vortheil für den Dritten ausbedungen hat, einerseits, und demjenigen, für welchen der Vortheil entstehen soll, und zwar in der Form, welche erforderlich gewesen sein würde, wenn sogleich ursprünglich mit demselben kontrahirt worden wäre. (Die ältere Meinung des O.Tr., welche in dem Urtel v. 5. Febr. 1816, Simon, Rechtsspr. S. 118, dahin ausgesprochen ist, daß schon Zahlungsannahme und Beitritt durch Klage das Rechtsverhältniß begründe, ist später ausdrücklich verlassen.) Eine Ausnahme von dieser Regel ist es auch nicht, daß stipulirte Reallasten von späteren Singularsuccessoren der ursprünglichen Kontrahenten, ohne solchen besonderen Beitritt zu dem Vertrage, gefordert werden können imb geleistet werden müssen; denn die pacta in rem fallen, bezüglich auf die Nachfolger im Besitze der berechtigten und belasteten Sache, überhaupt gar nicht unter die Grundsätze über Verträge zum Vortheile eines Dritten. (Entsch. des O.Tr. 16 S. 202.) Bei dieser Regel verbleibt es auch, wenn

196

Erster Theil.

Fünfter Titel.

§. 76.

§. 76. Bis dieser Beitritt erfolgt, kann der zu seinem Vortheile geschlossene zwischen dem Staate und einer Privatperson über einen das öffentliche Interesse betreffenden Gegenstand, insbesondere über die Verpflichtung zur Unterhaltung einer Landstraße, ein Vertrag geschlossen worden ist. O.Tr. II v. 24. März 1863, Str.' Arch. 49 S. 127. — Der Verpächter ist in Bezug auf die von seinem Pächter hinsichtlich der verpachteten Sache ausgeübten Besitz­ handlungen nicht als Dritter anzusehen, und vielmehr dabei ipso jure durch den Pächter repräsentirt. (Entsch. des O.Tr. 27 S. 317.) Dagegen ist eine wirkliche Ausnahme von der Regel bei den Gutsüberlassungen der Eltern an Kinder hinsichtlich der in dem Vertrage ausgesetzten Abfindungen für andere nicht zugezogene Kinder, nach langem Schwanken, von der Praxis angenommen. Das O.Tr. hat durch Plenarbeschluß (Pr. 1770) v. 25. Aug. 1846, Entsch. 14 S. 68, den Satz angenommen: „Wenn ein Vater in dem mit einem seiner Kinder abgeschlossenen Gutsüberlassungsvertrage seinen anderen Kindern Abfindungen ausgesetzt, hat, so kann der Gutsannehmer dem die Abfindung einklagenden Kinde nicht entgegensetzen, daß er dem Vertrage nicht beigetreten sei. (H. Das Prä­ judiz Nr. 1770 setzt voraus, daß der Vater bei dem Gutsüberlassungsvertrage seinem nicht dabei zuge­ zogenen Kinde eine „Abfindung" ausgesetzt, d. h. demselben Vortheile, die ihm der Gutsübernehmer ge­ währen solle, ausgesetzt habe. O.Tr. IV v. 6. März 1873, Str. Arch. 90 S. 92. Ist die Abfindung nur mündlich ausgesetzt, so gehört sie gleichwohl mit zu dem Ueberlassungspreise und kann von dem bedachten Kinde direkt gefordert werden, wenn der Uebernehmer das ihm überlassene Gut behalten will (§. 155 d. Tit.). O.Tr. I v. 14. März 1879, Entsch. 83 S. 205. — Das Reichs­ gericht ist dem O.Tr. darin beigetreten, daß bei Begründung des Klagerechts der Abfindlinge von der eigenthümlichen Natur der deutschrechtlichen Gutsabtretung auszugehen und nicht an­ zunehmen sei, das L.R. habe die auf festgewurzelter Nechtsüberzeugung beruhende Eigenthüm­ lichkeit dieses Rechtsgeschäfts auslöschen wollen. R.G. I H. v. 18. Juni 1880, Entsch. 2 S. 272 u. v. 26. Okt. 1880, Gruchot 26 S. 1035. Der Grundsatz des Pr. 1770 wird auch auf andere Ascendenten ausgedehnt; namentlich ist an­ genommen, daß auch von der Großmutter zu Gunsten ihrer Enkelin, die nach den Regeln der Jntestaterbfolge ihre dereinstige Erbin ist, eine solche Abfindung ohne Zuziehung derselben oder ihres Vaters mit rechtlicher Wirksamkeit ausbedungen werden könne. O.Tr. III v. 28. Juni 1858, Str. Arch. 30 S. 151. — Der Pl.Beschl. findet auch in dem Falle Anwendung, wenn der Vater diese Abfindungen nicht bloß in Gelde oder anderen Leistungen ausgesetzt, sondern den Guts­ übernehmer verpflichtet hat, seinen Geschwistern einen Theil des überlassenen Grundstücks zu übereignen. O.Tr. III v. 28. Febr. 1853, Str. Arch. 10 S. 9. — Man hat auch angenommen, daß der Vater, welcher nach dem Tode seiner Ehefrau durch Vertrag das gesammte gütergemein­ schaftliche Vermögen an eines seiner Kinder übertragen und in diesem Vertrage zugleich die Abfindungssummen der übrigen Kinder festgesetzt hat, nicht berechtigt sei, hiernächst diese Ab­ findungssummen auf einen geringeren Betrag herabzusetzen (O.Tr. I v. 13. Dez. 1852, Str. Arch. 8 S. 112), H. und daß zur Löschung einer auf Grund eines Gutsüberlassungsvertrages für den minderjährigen Sohn eingetragenen Abfindung die bei der späteren Aufhebung des Ver­ trages von dem Vater als Vertreter des abgefundenen Sohnes erklärte Löschungsbewilligung nicht genüge, Johow Jahrb. 7 S. 276 Nr. 202. Für die Fälle, wo der Wille des anwesenden Parens durch dessen Tod unwandelbar ge­ worden, hat der Satz eine innere Begründung. Darauf soll er sich aber nicht beschränken, der Abfindling soll sogleich, noch bei Lebzeiten des Parens, ohne weiteren Beitritt befugt sein; das Gleiche soll nicht bloß vom Vater, sondern auch von der Mutter, nicht allein bei Gutsabtretungen, sondern bei Vermögensabtretungen überhaupt, nicht allein für die Abfindlinge in der elterlichen Gewalt, sondern für jedes auch schon selbstständige Kind, nach den Gründen gelten. Die Gründe sind: „Bei diesen Verträgen vertreten die Eltern zugleich ihre sämmtlichen Kinder — nicht bloß der Vater seine Kinder in potestate, sondern alle Kinder — und dasselbe thut die Mutter, der Großvater. Durch sie nehmen also die Kinder, ganz wie der §. 75 es zur Klagbarkeit für dieselben verlangt, mittelbar Theil an der Schließung des Vertrages — und auf diesem Wege, der im §. 87 in sehr erweiterter Weise ausdrücklich anerkannt ist, wird der Rechtsstand dem, was die gemeinrechtlichen Praktiker überhaupt in Betreff des Klagerechts dritter Personen aus Stipulationen zu ihren Gunsten in fremden Verträgen erstrebt haben, ziemlich nahe gebracht." Diese Begründung ist rechtlich unmöglich, sie verstößt gegen das Axiom, daß eine Person nicht gleichzeitig zwei, einander gegenüberstehende Personen vorstellen, daß eine Person in verschiedenen Eigenschaften nicht mit sich selbst einen Vertrag schließen kann, an einem Theile sie für sich und am anderen Theile wieder sie als Bevollmächtige des Anderen. Anm. 3 zu §. 1 d. T. Die Vorstellung ist freilich so, daß der Gutsabtreter stipulirt: versprichst du mir 100 zu geben und meinem Sohne Joseph 100? und der Gutsannehmer entsprechend zusagt. Dadurch soll es ver­ mieden werden, daß der Abtretende und der Abfindling als Gegentheile erscheinen. Aber so aufgefaßt gehört das Geschäft ja ganz und gar nicht hierher, sondern es ist ein Vertrag, den

Von Verträgen.

197

die Betheiligten selbst in ihrem eigenen Interesse schließen, der eine von den zwei Nebenparteien (Genossen) persönlich, der Ändere durch einen Bevollmächtigten. §. 87 vergl. mit §. 89. Allein der vorausgesetzte Fall, wo eine fingirte Stellvertretung angenommen werden darf (Dringlichkeit), fehlt auch ganz und gar (I. 13 §.119), außerdem ist sie unzulässig, wie das O.Tr. selbst aus­ drücklich ausspricht im Pr. v. 30. März 1849, Entsch. 18 S. 207, und in der Ausführung selbst wird kurz vorher auch ausdrücklich behauptet, daß das Geschäft allerdings zu den Verträgen gehöre, worin für einen Dritten ein Vortheil ausgemacht worden. Und so ist es in der That. Der Gutsabtreter beabsichtigt ganz und gar nicht, einen Vertrag für seinen Sohn als dessen Vertreter zu schließen, sondern er will seinen eigenen Vertrag für sich selbst, über sein eigenes Vermögen schließen, und thut dies auch. Dann aber sind Vater und Abfindling nicht Genossen, sondern gegenüberstehende Parteien, welche sich vereinbaren müssen. (H. Vergl. hiergegen O.Tr. IV v. 26. März 1874, Entsch. 72 S. 92.) Gehört also der Fall, wie das O.Tr. selbst behauptet, unter die Verträge zum Vortheile eines Dritten, so ist man mit der Annahme jenes Satzes über das Ziel weit hinaus gerannt. Man nehme an: Jemand überläßt sein Gut einem Kinde und bedingt aus, daß die Zahlung sogleich und noch vor der Uebergabe geschehen, die Uebergabe aber erst nach geraumer Zeit erfolgen solle; er weist von dem Preise einem andern, völlig selbst­ ständigen Kinde eine Abfindung an. Durch diesen Vertrag ist die Kaufgelderforderung eine unbetagte und unbedingte, nicht von der Uebergabe abhängige, geworden. Der Abfindling fordert die ihm bestimmte Summe — vor der Uebergabe — klagend ein, und der Annehmer kann ihm nicht den Einwand, daß er nicht Mitkontrahent sei, entgegensetzen, nach jenem Satze. Nachher aber finden die Kontrahenten die Aufhebung des Geschäfts — noch vor der Uebergabe — in ihrem Interesse und heben den Vertrag wirklich auf. Da müßte denn also — nach jenem Satze — der nicht zugezogene Abfindling ein Veto haben oder doch seine schon geltend gemachte For­ derung ohne Rücksicht darauf, was die Kontrahenten unter sich weiter ausgemacht haben, be­ halten und durchsetzen können. Oder soll der Parens hier auch wieder der fingirte Bevollmächtigte oder der negotiorum gestor des Abfindlings und als solcher berechtigt sein, das ihm rechts­ kräftig Eingeräumte wieder wegzunehmen? Diese Konsequenzen möchten kaum einen Vertheidiger finden. Der Hülfsgrund: „sie können noch mehr, sie können die Abfindung zur Bedingung machen", ist gewichtlos. Es ist nicht findbar, wie das mehr sein soll. Auf die Erfüllung der Bedingung kann ja weder der Kontrahent noch der Dritte, dem ein Vortheil zugewendet werden soll, klagen. Es ist unverständlich, was damit bewiesen werden soll. Dem sei wie ihm wolle, so viel ist gewiß, daß diese Ausnahme keine Anwendung findet außer nur bei Gutsüberlassungen der Eltern an eines ihrer Kinder hinsichtlich der Aussetzung von Abfindungen für andere Kinder. Das O.Tr. hat auch später den durch jenen Pl. Beschl. festgestellten Satz einerseits als eine nur für alle Fälle des Gutsüberlassungsvertrages zwischen Eltern und Kindern geltende Aus­ nahme bezeichnet (in einem Erk. III v. 25. Mai 1857, Str. Arch. 24 S. 339, wird jedoch der Pl.Beschl. auch dann für anwendbar erklärt, wenn nicht einem der Kinder, sondern der Ehefrau das Gut überlassen wird), andererseits zur Abweisung der Konsequenz, daß der Abfindling ohne Rücksicht darauf, was die Kontrahenten noch weiter unter sich abmachen möchten, die angewiesene Abfindrmg von dem Gutsübernehmer sogleich einzuklagen befugt sei, den beschränkenden Satz hingestellt, daß auch auf diese Verträge der §. 76 Anwendung finde. Erk. I v. 13. Okt. 1856, Entsch. 34 S. 39. Allein da es dabei stehen geblieben ist, daß auch schon bei Lebzeiten des an­ weisenden Parens, ohne dessen Zustimmung, der Abfindling direkt gegen den Gutsübernehmer aus dem Vertrage, dem er nicht beigetreten ist, auf Zahlung der Abfindung an ihn klagen könne, so ist mit dieser Beschränkung und näheren Bestimmung nichts gewönne::; denn die Konsequenz, daß die Kontrahenten in ihrer Willensänderung durch jenen Dritten beschränkt werden könne::, oder daß eine beliebte Aenderung vereitelt werden kann, wenn der Abfindling ohne Weiteres sofort zu klagen befugt ist und von der Klage unverzüglich Gebrauch macht, — diese abnorme Konsequenz bleibt bestehen. Es fehlt jede Sicherheit der Kontrahenten für die Freiheit in ihrer weiteren Willensbestimmung; es entscheidet lediglich die Prävention: der Abfindling kann mög­ licherweise die Abfindung ausklagen und beitreiben, ehe der anweisende Parens, weil er vielleicht abwesend ist, davon etwas erfährt. Daß der Vater vor der Dazwischenkuft des Abgefundenen zur Abänderung des Vertrages im Sinne des §. 76 befugt sei, hat das O.Tr. wiederholt aus­ gesprochen in dem Erk. I v. 22. Mai 1857, Str. Arch. 25 S. 131. In einen: jüngeren Erk. (III v. 20. Nov. 1863, Str. Arch. 51 S. 245) ist das O.Tr. endlich auf den rechten Weg soweit zurück gekommen, daß es zur Klagelegitimation eines solchen Abfindlings, der den: Vertrage des Vaters nicht schriftlich beigetreten ist, eine schriftliche Ueberweisung der Kaufgelder nach §. 253 I. 16, oder eine gültige, d. i. schriftliche Cession der Rechte des Vaters aus den bei der Ab­ schließung des Kaufvertrages mit dem Uebernehmer getroffenen Verabredungen fordert. — Doch hat das Obertribunal jenen Satz von der Stellvertretung auch angewendet auf den Fall, wo ein Verkäufer seiner künftigen, nicht namentlich genannten Ehefrau seitens des Käufers ein Ausgedinge hatte versprechen lassen. „Sie (die'Ehefrau)" — heißt es — „wird durch den Ehe-

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Erster Theil.

Fünfter Titel.

§§. 77—85.

Vertrag nach dem Einverständniß80) des Kontrahenten geändert, oder gar auf« gehoben werden81). §. 77. Ist aber dem Dritten der Antrag zum Beitritt einmal geschehen8^), so müssen die Kontrahenten seine Erklärung über die Annahme abwarten. "«cptat'iom §• 78. Alles, was zur Rechtsgültigkeit einer Willenserklärung überhaupt ge­ hört, wird auch zur Gültigkeit der Annahme eines Versprechens erfordert. §. 79. Durch die Annahme eines gültigen Versprechens wird der Vertrag geschlossen88).

mann vertreten und der andere Kontrahent, welcher die Gewährung des Ausgedinges ver­ sprochen hat, darf sich daher auf den §. 75 nicht berufen. In concreto war zwar der Bauer H. bei Abschluß des Vertrages noch nicht verheirathet. Kein Gesetz entzog ihm aber das Recht, schon im Voraus für seine künftige Ehefrau zu sorgen." Erk. II v. 25. Febr. 1858, Entsch. 38 S. 25. Ein Gutsliedlöhner, z. B. ein Schäfer, ist nicht berechtigt, die von ihm bestellte Kaution von einem späteren Erwerber des Gutes ohne Weiteres zurückzufordern, wenn dieser ihn im Dienste beibehalten und in dem Kontrakte mit seinem Vorbesitzer die Kaution übernommen hat, ohne daß der Liedlöhner diesem Kontrakte beigetreten ist, wenn auch der Erwerber, dem Liedlöhner gegenüber, die Uebernahme schriftlich anerkannt hat. O.Tr. I v. 6. Nov. 1863, Entsch. 50 S. 335. Das in §. 75 ausgesprochene Prinzip, wonach ein Dritter aus Verträgen anderer Personen ein direktes Klagerecht gegen letztere nicht erwerben kann, ist durch §. 41 des Ges. v. 5. Mai 1872 über den Eigenthumserwerb durchbrochen. Durch denselben ist §. 54 I. 20 und die Dekla­ ration v. 21. März 1835 aufgehoben. Der Erwerber eines Grundstücks, welcher eine auf dem­ selben eingetragene Hypothek in Anrechnung auf das Kaufgeld übernimmt, hastet nicht allein mit dem Grundstück aus dem dinglichen Recht, sondern wird auch persönlicher Schuldner des Hypothekengläubigers, auch wenn dieser dem Uebernahmevertrage nicht beigetreten ist; der erste persönliche Schuldner wird von seiner persönlichen Verbindlichkeit frei, wenn der Gläubiger nicht innerhalb eines Jahres, nachdem ihm der Veräußerer die Uebernahme bekannt gemacht hat, die Hypothek dem Eigenthümer gekündigt und binnen sechs Monaten nach der Fülligkeit eingeklagt hat. Allerdings kann eine solche Schuldübernahme insofern nicht als ein Vertrag „zum Vortheil eines Dritten" aufgefaßt werden, als der Gläubiger dadurch keinen Vortheil gewinnt, denn die Forderung stand ihm schon zu, sondern nur einen neuen Schuldner erhält und gegen diesen direkt die persönliche Klage anstellen kann. Aber sowohl §. 75 als §. 54 I. 20 beruhen auf demselben Prinzip: durch Verträge können nicht Rechte für Personen begründet werden, die an dem Ver­ tragsabschluß nicht Theil genommen haben oder dem Vertrage nicht beigetreten sind. Vgl. die Anm. zu §. 41 des Eig.Erw.Ges. in I. 20 Zus. hinter §. 410. — Ein großjähriger, nicht mehr unter väterlicher Gewalt stehender Sohn erwirbt aus einem zwischen seinen Eltern zu seinen Gunsten abgeschlossenen Vertrage ohne Beitritt kein Recht. O.Tr. IV v. 12. März 1874, Entsch. 72 S. 12. S. übrigens unten bei I. 20 §. 54. 80) Einseitig kann keiner der Kontrahenten einen solchen Vertrag widerrufen, dergestalt, daß der Andere durch den einseitigen Widerruf des Einen gezwungen werden könnte, das, was er dem Dritten vertragsmäßig zu leisten hatte, dem Widerrufenden oder dessen Erben zu leisten. §. 270. O.Tr. I. v. 25. Juni 1858, Entsch. 39 S. 31. 81) Vgl. O.Tr. I v. 22. Mai 1857, Str. Arch. 25 S. 133, H. u. R.G. II H. v. 22. Rov. 1880, Entsch. 3 S. 257. 82) Auch wenn sonst Schriftform erforderlich, ist es doch nicht nothwendig, daß das Einverständniß der Kontrahenten mit dem Beitritte des Dritten oder der Antrag zum Beitritte an den Letzteren schriftlich erklärt werde. Pr. des O.Tr. 2464 Nr. 2 v. 21. Junt 1853. 83) (H. Der Vertrag setzt zunächst ein gültiges Versprechen voraus. Zur Gültigkeit desselben gehört vor Allem, daß es dem anderen Theile erklärt worden. Hat derjenige, von welchem eine Vertragsofferte ausgegangen, vor der Uebermittelung derselben durch einen Be­ auftragten, die Handlungsfähigkeit verloren, so liegt eine gültige Vertragsofferte nicht vor, durch Annahme derselben kann also ein gültiger Vertrag nicht zu Stande kommen. O.Tr. III v. I. Juni 1877, Str. Arch. 97 S. 225.) — Erst durch die Einnahme wird ein Vertrag perfekt. Auch aecessorische Verträge, namentlich Bürgschaften und Hypothekbestellungen, machen davon keine Ausnahme, nur kann sie hier ganz formlos geschehen, und deshalb hat eine stillschweigende An­ nahme bei solchen Verträgen mit der ausdrücklichen gleiche Kraft. §. 81 d. Tit. und I. 4 §. 59; Entjch. des O.Tr. 12 S. 335.

Von Verträgen.

499

§. 80. Der Augenblick, in welchem die Annahme gehörig erklärt worden 84), bestimmt also auch den Zeitpunkt des geschlossenen Vertrages. §. 81. Handlungen, welche die Annahme des Versprechens voraussetzen, werden einer ausdrücklichen Annahme gleich geachtet85). §. 82. Wenn das, was der eine Theil fordert, oder verlangt, von dem andern bewilligt worden, so bedarf es von Seiten des Erstem keiner besondern An­ nahme S(i). §. 83. Durch die Annahme kann Niemand mehr Recht erwerben, als von dem Andern angetragen worden8?). §. 84. Die Annahme muß unbedingt und uneingeschränkt sein, wenn dadurch der Abschluß des Vertrages erfolgen soll. §. 85. Geschieht die Annahme nur unter Bedingungen oder Einschränkuygen, so kann der Versprechende seinen Antrag zurücknehmen88). 84) Vorausgesetzt, daß die Erklärung dem Antragenden wirklich zugegangen ist. Vergl. §. 102 d. T. u. O.Tr. Iv v. 28. Juni 1850, Entsch. 19 S. 69. — Das gilt auch von gerichtlichen Ent­ scheidungen und Verfügungen. Nur erst durch den Akt der Publikation oder der Insinuation an die betreffenden Interessenten gelangen solche auf eine äußerlich erkennbare Weise zur Existenz und dadurch zugleich zu ihrer rechtlichen Bedeutung und Wirkung, bis zu jenem Akte ist es dem Richter jederzeit unbenommen, sie noch umzuändern und selbst ganz zurückzunehmen. O.Tr. IV v. 7. Okt. 1862, Str. Arch. 46 S. 256. 85) S. 0. Anm. zu I. 4 §. 59. Damit die formlose Annahme genüge, muß die Erklärung wesentlich auch nichts weiter sein als eine bloße Annahme. Die Anwendungen in der Praxis sind bisweilen falsch, man spricht von Annahme, wo die Erklärung ein Versprechen enthält. So hat man die Annahme eines Schuldscheins über ein erwartetes Darlehn für genügend halten wollen, den Annehmer zur Zahlung des Darlehns verbindlich zu machen, während die Erklärung: ein Darlehn geben zu wollen, doch selbstverständlich das Versprechen und nicht die Annahme eines Versprechens ist, mithin die vorgeschriebene Form erfordert. Simon, Rechtsspr. 1 S. 119. — Ebenso hat man behaupten wollen öder doch für zweifelhaft gehalten: ob nicht der, welcher ein Lotterieloos unbestellt zugesandt erhält und nicht zurückschickt, den Einsatz zu zahlen verpflichtet sei, weil darin eine stillschweigende Annahme liege. Ist gleich sehr verkehrt. S. die Anm. zu I. 4 § 61. — Gleichfalls ist vorgekommen, daß behauptet worden. Jemand, dem ohne alle Verabredung die Cession einer Forderung zugeschickt worden, die er bei sich liegen lassen, sei dadurch zur Zahlung der Valuta verbindlich gemacht, denn zur Eession genüge eine stillschweigende Annahme. Das freilich, denn die Eession ist bei Forderungen das, was die Tradition bei körper­ lichen Sachen; aber die Annahme der Tradition ist ja kein'Versprechen, etwas zu geben oder zu leisten. S. Pr. des O.Tr. 1345 v. 30. Sept. 1843, Entsch. 9 S. 213. Umgekehrt ist, wenn der Andere, dem Jemand eine Offerte unter Vorbedingung einer bestimmten Leistung oder Gegen­ leistung macht, statt einer förmlich erklärten Annahme sofort die Bedingung der Offerte erfüllt, eben dadurch, mittelst stillschweigender Annahme, der Vertrag zu Stande gekommen. O.Tr. III v. 20. Rov. 1857, Str. Arch. 22 S. 146. Es ist sogar noch mehr geschehen: der zweiseitige Ver­ trag ist von dem anderen Theile bereits erfüllt und dadurch zum Realkontrakte gemacht worden. 86) Hierdurch wird die Meinung eines Theiles der gemeinrechtlichen Schriftsteller beseitigt, daß die geschehene Annahme noch von dem Antragenden gutgeheißen, also die Annahme acceptirt werden müsse. 87) Bei der Veräußerung eines Grundstücks ist daher der Vorbehalt oder die vertrags­ mäßige Ausbedingung zulässig, daß der Käufer dasselbe nicht ohne Zustimmung seiner Ehefrau mit Schulden oder sonst belasten, noch es ganz oder theilweise ohne deren Genehmigung ver­ äußern solle. Eine solche Vereinbarung erscheint nicht wirkungslos und steht auch den Gläubigern des Käufers entgegen, weil sie nicht mehr Rechte haben, als ihr Schuldner erworben hat. Ist die berechtigte Ehefrau des Käufers ein minorennes Kind des Verkäufers, so hat sie durch Ver­ tretung ihres Vaters unmittelbar die im Vertrage ausbedungenen Rechte erworben und kann die im Wege der Exekution auf das Grundstück genommenen Eintragungen von Forderungen der Gläubiger ihres Mannes für unwirksam und löschungsfähig erklären lassen. O.Tr. III v. 1. Mai 1865, Entsch. 54 S. 11. 88) In Verbindung mit §§. 90 f. d. T. folgt aus §§. 84, 85, daß ein Antrag, welcher nicht unbedingt oder uneingeschränkt, oder nicht rechtzeitig acceptirt ist, seine rechtliche Bedeutung ver­ liert und bei etwaigen weiteren Unterhandlungen nur noch als thatsächliches InterpretationsMoment in Betracht kommen kann. R.O.H.G. v. 19. Juni 1872, Entsch. 6 S. 243.

200

Erster Theil.

Fünfter Titel.

§§. 86—99.

§. 86. Verträge können nicht nur persönlich oder durch Bevollmächtigte, souderu auch durch Briefwechsel errichtet werden. §. 87. So toeit80) Personen auf den Grund einer wirklich aufgetrageneu, oder einer zu vermuthenden Vollmacht die Geschäfte eines Andern zu besorgen be­ rechtigt sind, so weit können sie auch Anträge, die ihm geschehen, in seinem Namen annehmen90). (Tit. 13. §. 120.91) sqq.) §. 88. Außer diesem Fall erlangt durch die Annahme eines Dritten der­ jenige, welchem das Versprechen geschehen ist, in der Regel noch kein Recht. (Tit. 11. §. 1060.) §. 89. Ist aber durch die erklärte Annahme ein wirklicher Vertrag zwischen dem Versprechenden und dem Annehmenden °2) zu Gunsten des Dritten geschlossen Veslimmun worden, so finden die Vorschriften §. 74 -77. Anwendung. der Zeit de? §. 90. Die Annahme eines Versprechens muß, wenn sie gegen den BerAnnahmc. sprechenden verbindliche Kraft haben soll, zur gehörigen Zeit geschehen 0'^). §.91. Hat der Antragende einen gewissen Zeitraum zur Erklärung über den Antrag bestimmt, so ist der Andere bis zum völligen Ablauf eines94) Zeitraums zur Annahme berechtigt. §» 92. Hat der Antragende die Zeit zur Erklärung über den Antrag dem

89) Denn nicht alle Verträge können durch Stellvertreter geschlossen werden, z. B. Ehe-, Erbeinsetzungsverträge. 90) Nur müssen sie selbst nicht auch das Anerbieten machen, da Niemand mit sich selbst einen Vertrag schließen kann, weil die Parteien sich gegenüberstehen. Anm. 3 zu §. 1 d. T. 91) Muß „119" heißen. R. v. 29. Dez. 1887, Jahrb. 50 S. 469. 92) Nämlich im eigenen Namen. Dieser §. enthält den Grundsatz zu der Klasse von Füllen, auf welche sich die §§. 87 u. 88 beziehen. In diesen Fällen geschieht die Annahme durch Stell­ vertretung; der Annehmende oder Kontrahent ist nicht derjenige, welcher die Annahme erklärt, sondern der, für welchen er sie erklärt: dieser ist der Geschäftsherr. Der §. 89 aber setzt eine Vertraasschließung zwischen den Erklärenden selbst voraus, und wenn der Vertrag den Vortheil eines Dritten zum Gegenstände hat, so finden die Grundsätze §§. 74—77 auf ihn Anwendung, wogegen in den Fällen der §§.. 87 u. 88 die Grundsätze I. 13 §§. 119 u. f. zur Anwendung kommen. 93) Aus diesem Grundsätze folgt Zweierlei: 1. Der Antragende ist bis zum Ablaufe der Erklärungszeit einseitig gebunden und muß den Vertrag, bei erfolgender Annahme, gelten lassen, wenn er auch in der Zwischenzeit seinen Willen geändert hätte und diese Aenderung dem Anderen, vor der Erklärung, nicht bekannt gemacht worden. 2. Mit Ablauf der gehörigen Zeit verliert das Anerbieten von selbst seine Kraft, wenn die Annahme bis dahin nicht eingegangen ist; selbst wenn die annehmende Erklärung ohne Verschulden des Annehmenden dem Antragenden zu spät zugekommen wäre, O.Tr. IV v. 21. Juni 1860, Entsch. 48 S. 45; es bedarf dann keiner Er­ klärung des Rücktritts von Seiten des Antragenden. §§. 103 u. 104 verglichen mit 105. Ist zwar angezweifelt, aber von der Praxis in letzter Instanz angenommen, nach dem Pr. des O.Tr. III v. 31. Aug. 1849: Ein Machtgeber, welchem sein Bevollmächtigter die geschehene Ueberschreitung des erhaltenen Auftrages anzeigt, ist, wenn er diese Ueberschreitung nicht innerhalb der bestimmten Fristen genehmigt hat, durch eine spätere Erklärung das inzwischen von beut Kontrahenten und dem Bevollmächtigten wieder aufgelöste Geschäft sich zuzueignen oder Ent­ schädigung zu fordern, nicht berechtigt. Entsch. 18 S. 220. Ist von dem O.Tr. auch in un­ mittelbarer Anwendung auf den im §. 90 vorausgesetzten Fall für richtig anerkannt worden. Erk. III v. 21. Okt. 1859, Str. Arch. 34 S. 331. Erfolgt die Annahme später, so ist sie als ein neuer Antrag anzusehen, welchen nun'der Andere erst noch entsprechend annehmen muß, wenn der Vertrag zu Stande kommen soll. Es ist, in Beziehung auf das Zustandekommen des Vertrages, völlig gleichgültig, welche Ursache das Ausbleiben oder die Verspätung der Annahme hat: das Anerbieten erlischt in jedem Falle durch den Ablauf der Zeit. Welche Folaen die zufällige Verspätung, zum Vortheile des umsonst Acccptirenden, haben kann, bestimmt §. 105. Bei der Annahme einer Erfüllung findet eine Zeit zur Erklärung eines Vorbehaltes nie statt. Pr. 1263 v. 28. Jan. 1843 und §. 307 d. T. 94) Muß heißen „dieses". R. v. 29. Dez. 1837, Jahrb. 50 S. 469.

Von Verträgen.

201

Gutbefinden des Andern überlassen, so kann er dennoch, wenn der Andere zögert, demselben eine Frist zur Annahme bestimmen. §. 93. Ist jedoch die Bedenkzeit ausdrücklich zu einem gewissen Zwecke ver­ stattet worden, so muß die zu bestimmcude Frist so beschaffen sein, daß innerhalb derselben der Zweck erreicht werden könne95). §. 94. Ist bei dem Anträge wegen der Zeit zur Aynahme gar nichts be­ stimmt worden90), so muß die Erklärung über einen mündlichen Antrag sogleich, als derselbe geschehen ist, abgegeben werben97). §. 95. Ist unter Personen, die an Einem Orte sich aufhalten, der Antrag schriftlich geschehen, so muß die Erklärung darüber binnen vier und zwanzig Stun­ den99) erfolgen. 5?. 96. Ist der Antrag unter Abwesenden schriftlich geschehen, so kommt es auf den Zeitpunkt an, da oer Brief an dem Orte, wo der Andere sich aufhält, nach dem -ewöhnstchA ÄWfe der Posten hat eingehen können. §. 97. Mi^ W^uäDen fahrenden oder reitenden Post, welche nach diesem Zeitpunkte abgeht, muß der Antrag beantwortet werden. §. 98. Doch ist, wenn mit der ersten Post keine Antwort erfolgt, der An­ tragende schuldig, noch den nächstfolgenden Posttag, wegen möglicher Zwischenfälle, abzuwarten. §. 99. Ist der schriftliche") Antrag durch einen eigenen Boten geschehen, 95) In dem Falle des vorhergehenden §. 93 nämlich, wo anfangs die Zeit dein Gut­ befinden überlassen worden ist. Ist schon dem Anträge eine Fristbestimmung beigefügt, so kann solche ohne Zustimmung des Antragenden nicht verändert werden, weil es eben von ihm abhängt, wie er das Anerbieten stellen will. 96) Die für solchen Fall hier subsidiarisch getroffenen Zeitbestimmungen gelten nicht für die Erklärung eines Vormundes oder Vormundschaftsgerichts über einen Vertrag, welcher mit dem Mündel selbst bereits abgeschlossen ist, sondern dergleichen Vorgesetzte sind darin unbeschränkt und der Fähige bleibt an den einmal vorgelegten Vertrag seinerseits gebunden, bis er nachträglich eine Frist bestimmt hat und diese, ohne daß die Genehmigung erfolgt, abgelaufen ist. §. 13 d. T., und Entsch. des O.Tr. 14 S. 185. Vergl. auch den Rechtfall in Simon Rechtsspr. 1 S. 302. 97) „Widrigenfalls der Antragende an seinen Antrag nicht länger gebunden ist", fügt das HG.B. Art. 318 hinzu. Der §. 94 d. T. setzt das als ganz selbstverständlich voraus. 98) Darunter wird, nach dem gewöhnlichen Sprachgebrauchs, ein Tag verstanden, mit der Bedeutung, daß nicht a momento ad momentum gerechnet wird, sondern dem, welcher sich er­ klären soll, außer dem Tage, an welchem er den Antrag erhalten hat, noch der ganze folgende Tag zu Statten kommt. I. 3 §. 47. Entsch. des O.Tr. 12 S. 395. 99) Oder mündliche; denn auch durch die mündliche Willenserklärung mittelst eines Boten kann ein Vertrag zu Stande kommen. Dieser Bote ist nicht etwa als der Stellvertreter beider Theile zu betrachten (Anm. 3 zu §. 1 d. T.), er tritt vielmehr auf als der Beauftragte des Ab­ senders und schließt als solcher den Vertrag mit dem Anderen. Auf diesen Fall sind jedoch die Bestimmungen der 99 und 100 über die Folgen der verspäteten Rückkehr unanwendbar, viel­ mehr kommen die Grundsätze über die Vertragsschließung durch einen Beauftragten zur An­ wendung. — H. Die hier von Koch vertretene Ansicht ist bedenklich. Der Bote ist nicht Stell­ vertreter und schließt nicht als solcher den Vertrag ab. Er ist wie der Brief nur ein Mittel, Surrogat der mündlichen Erklärung unter Gegenwärtigen. Es können also auch nicht die Grund­ sätze von der Vertragsschließung durch einen Beauftragten hier zur Anwendung kommen. Die neuere Zeit hat noch ein anderes Mittel der Vertragsschließung unter Abwesenden geschaffen: den Telegraphen. Dieser Fall ist auf gleiche Linie zu stellen mit dem schriftlichen Anträge unter Anwesenden (§. 95); denn ein Fall der mündlichen Anfrage ist es nicht und die Bestimmungen über den Postenlauf passen darauf gar nicht. Aber wegen des Mangels der Unterschriften ist hinsichtlich der Bündigkeit der Anfrage und Antwort der Fall doch nur einer mündlichen Verhandlung gleich zu achten, wenn nicht die Depesche von dem Absender eigenhändig unterschrieben worden ist. Man muß deshalb unterscheiden. Der §. 21 des Telegraphen-Regl. verlangt nämlich, daß jede zu befördernde Depesche im Texte ohne Wortabkürzungen und deutlich geschrieben sei, auch den Namen des Absenders enthalte. Die Form ist dahin vorgeschrieben, daß der Absender die Adresse obenan zu setzen, hierauf den Text und am Schluffe die Unter­ schrift folgen zu lassen hat. Dieses Original bleibt nach §§. 35 u. 36 in Verwahrung der Tele-

202

Erster Theil.

Fünfter Titel.

§§. 100—111.

so muß der Antragende den längsten Zeitraum, binnen welchem ein solcher Bote ohne ungewöhnliche Zwischenfälle zurückkommen kann, abwarten. §. 100. Kommt der Bote in diesem Zeitraume nicht zurück, so muß der An­ tragende den Andern davon benachrichtigen, und ihm zugleich eröffnen, ob er noch ferner an den Antrag gebunden sein wolle 10°). §. 101. Geschieht der Antrag einer Corporation oder Gemeine, so muß der Antragende auf die Erklärung derselben fo lange Zeit warten, als erforderlich ist, daß über den Antrag ein verfassungsmäßiger Entschluß genommen und ihm bekannt gemacht werden könne1). §.102. In allen Fällen, wo nicht ein Anderes ausdrücklich bestimmt ist, wird dafür gehalten2), daß die Annahme in dem Zeitpunkte geschehen sei3), wo der Annehmende alles gethan hatte, was von seiner Seite zur Bekanntmachung seiner Erklärung an den Antragenden erforderlich war4). §. 103. Sobald aber die vorstehend §. 90. sqq. bestimmten Fristen zur Er­ klärung über den Antrag fruchtlos verlaufen sind5), kann der Antragende zurück­ treten «). graphenbeamten. Diese Vorschriften sind bloße Instruktion für die Beamten und es ist nicht vorgeschrieben, daß der Absender die Depesche eigenhändig unterschrieben haben müsse, und wenn es vorgeschrieben wäre, würde die Vorschrift undurchführbar und zweckwidrig sein; es ist nicht mehr erforderlich, als eine schriftliche Vorschrift, deren Inhalt telegraphirt wird und welche dem­ nächst zum Ausweise aufbewahrt wird. Ist nun diese Vorschrift von dem Aufgeber eigenhändig unterschrieben, so hat sie unbedenklich den rechtlichen Werth eines von dem Absender unter­ schriebenen Briefes, dessen Inhalt der Briefsteller dem Adressaten durch eine Mittelsperson vor­ lesen oder sonst wie eröffnen läßt. Ist hingegen die vorgeschriebene Depesche von dem Absender nicht eigenhändig unterschrieben, so ist der Antrag nur ein mündlicher. — Hiermit stimmt die Praxis des O.Tr. überein, indem dasselbe den Rechtssatz ausgesprochen und angewendet hat: Ein mittelst telegraphischer Korrespondenz geschlossener Vertrag ist als schriftlicher anzusehen, wenn die Aufgabe-Depeschen von den Kontrahenten selbst unterschrieben sind. Erk. IV v. 2. Mai 1861, Entsch. 45 S. 59. 100) Unterläßt er dies, so kommt der §. 105 zur Anwendung. — Bei Handelsgeschäften finden die Vorschriften der §§. 94—100 keine Anwendung; die Art. 319—323 des H.G.B. geben dafür besondere Vorschriften. 1) Dieser §. bezieht sich nur auf die Zeit der Annahme eines Antrages, nicht auf den Fall, wenn ein nicht gehörig legitimirter Bevollmächtigter einer Korporation Namens derselben einen Vertrag wirklich abgeschlossen und darin ausbedungen hat, daß der Vertrag für nicht ge­ schlossen angesehen werden solle, wenn die Genehmigung versagt werden sollte. Alsdann ist der Grundsatz der §§. 230 u. 231 bestimmend. O.Tr. III v. 6. Febr. 1848 in Sachen Castringius wider Ruhr-Kanal-Aktien-Verein, 219 832 III, 48.

2) Es wird fingirt, vorausgesetzt, daß die Annahme dem Antragenden noch vor Ablauf der gehörigen Frist bekannt geworden ist; außerdem ist der Vertrag nicht zu Stande gekommen. §. 103. 3) „Der Offerent, der die Annahme der ihm von dem anderen Theile zugesandten, dessen Acceptation enthaltenden schriftlichen Erklärung verweigert hat, kann hierauf allein mit Erfolg nicht den Einwand gründen, daß ein schriftlicher Vertrag nicht zu Stande gekommen sei." O.Tr. IV (Pr. 2571) v. 14. Nov. 1854, Entsch. 29 S. 154. Unter der „Annahme der — schriftlichen Erklärung" ist hier die Empfangnahme des Schriftstückes (Briefes rc.) gemeint, nicht eine An­ nahme in der Bedeutung der Acceptation; denn eine Acceptation der Acceptation ist zur Per­ fektion eines Vertrages unter Abwesenden nicht erforderlich. §. 82. 4) H. „Der §. 102 hat die Frage, ob ein Vertrag zwischen dem Antragenden und dem Promissar durch die Seitens des Letzteren erfolgte Annahme des Antrags des Ersteren zu Stande gekommen sei, überhaupt nicht zum Gegenstände; er bezweckt vielmehr, über den Zeit­ punkt zu entscheiden, von welchem ab, unter der Voraussetzung des rechtsbeständigen Ab­ schlusses des Vertrages, dieser seine Wirksamkeit äußern soll." O.Tr. IV v. 21. Juni 1860, Entsch. 43 S. 47. 5) Oder sobald der Antrag abgelehnt ist. Die Ablehnung erfordert in keinem Falle eine schriftliche Form, welche das Ratiborer Appellationsgericht für nothwendig erklärt hat, indem ihm die Zurückweisung der Offerte als die Entsagung eines Rechts, nämlich des Rechts zur

Von Verträgen.

203

§. 104. Er muß jedoch demjenigen, welchem der Antrag geschehen ist, unter Gegenwärtigen sofort, unter Abwesenden aber mit der nächsten Post Nachricht geben, daß er den Antrag zurücknehme. §. 105. Hat er dieses unterlassen, und es findet sich in der Folge, daß der Andere seine Annahme wirklich zu rechter Zeit erklärt habe ’), so muß er demselben für den Schaden, welcher aus den zur Erfüllung des Bertrags gemachten Anstalten in der Zwischenzeit erwachsen ist, gerecht werdens). §. 106. Wenn nach geschehenem Anträge, und vor dem Ablaufe der vor­ stehend bestimmten Fristen, der eine oder der andere Theil verstirbt, so wird durch diesen Tod in den Rechten und Pflichten wegen der Annahme nichts") geändert. §. 107. Zielte jedoch der Antrag ausdrücklich nur auf persönliche Be­ günstigung desjenigen ab, welchem derselbe gemacht wurde, so sind seine Erben zu der von dem Erblasser noch nicht geschehenen Annahme nicht berechtigt10).

von

§. 108. In Fällen, wo wegen des Absterbens eines oder des andern Theils einem schon wirklich geschlossenen Vertrage vor der Erfüllung wieder ab­

gegangen werden kann, geht durch den Tod auch das Recht zur Annahme verloren. (§. 415. sqq.) §. 109. Zur Gültigkeit eines Vertrages gehört, außer der wechselseitigen n': Einwilligung, auch die Beobachtung der in den Gesetzen vorgeschriebenen Form n). !bcihaflc' §. 110. Ist aber die Beobachtung einer Formalität im Gesetz nur unter

Androhung einer Strafe verordnet, so bleibt der Vertrag gültig, wenngleich die Formalität verabsäumt worden. 8. 111. Die Form") eines Vertrages ist nach den Gesetzen des Ortes, woy w»*'»cb er geschlossen worden, zu beurtheilen. ?ie Formell ____________ beurtheilen fei. Acceptation, vorgekommen ist, wozu nach §. 134 d. T. die schriftliche Form erforderlich sei. Das O.Tr. hat die durch solche „unpassende Anwendung des §. 134" motivirte Entscheidung durch Erk. III v. 14. April 1856, Entsch. 33 S. 30, vernichtet. 6) S. Anm. 93. Dieser Grundsatz gilt auch bei nothwendigen Subhastationen in dem Falle, wenn die Subhastationsinteressenten über eine Frist einverstanden sind, binnen welcher sie sich über den Zuschlag (Annahme des Meistgebots) erklären wollen. Geht die Erklärung vor Ablauf der Frist nicht ein, so ist der Meistbietende an sein Gebot nicht mehr gebunden. O.Tr. v. 22. Okt. 1836, Entsch. 1 S. 275. 7) In diesem Falle ist nämlich die Meinung des Annehmenden, daß der Vertrag wirklich zu Stande gekommen sei, gerechtfertigt, denn er kann nicht wissen, daß Zwischenfälle das Ein­ treffen seiner Erklärung in der gehörigen Zeit vereitelt haben. Hat der Antragende dann seinen Willen geändert, so soll er den Irrthum des Anderen berichtigen, um Schaden abzuwenden. Ist aber die Erklärung schon nicht mehr zu rechter Zeit abgegeben, so hat der Erklärende keinen Grund zu seiner Meinung und keine Veranlassung, Anstalten zur Erfüllung eines Vertrages zu treffen, von welchem er weiß oder wissen muß, daß er nicht zu Stande gekommen; in diesem Falle hat der Andere nicht nöthig, von seiner Willensänderung Nachricht zu geben. 8) H. Aber an den Vertrag gebunden ist er nicht. Str. Arch. 84 S. 262 (IV). 9) Also auch nichts in Ansehung der Zeit, mithin ist der Antragende nicht verpflichtet, noch die Ueberlegungsfrist hindurch in Ungewißheit zu bleiben. Wird zur gehörigen Zeit acceptirt, so sind die Erben selbst, für ihre Person, als Kontrahenten zu betrachten, denn für den Verstorbenen kann nicht mehr erworben werden und von ihm haben sie weiter nichts geerbt als die Möglichkeit, eine Erwerbung zu machen, wenn sie wollen. Mehrere Miterben müssen jedoch gemeinschaftlich davon Gebrauch machen; acceptirt auch nur Einer nicht in der gehörigen Zeit, so ist der Vertrag nicht zu Stande gekonunen. 10) H. Vergl. R.O.H.G. v. 3.'März 1874, Entsch. 13 S. 298.

11) S. o. die Anm. 36 zu I. 3 §. 41. Aus einen: nicht bestätigten Ablösungsvertrage z. B. kann weder auf Erfüllung, noch auf Nachholung der mangelnden Form geklagt werdest. O.Tr. II v. 12. April 1856, Str. Arch. 17 S. 110. 12) Locus regit actum. Vergl. §. 148. Ausnahme: §. 115 d. T. S. Einl. §. 33 und die Anm. dazu. Daher kommen bei Verträgen, die zwischen Preußen in der Rheinprovinz er­ richtet worden sind, in Bezug auf die zur Rechtsgültigkeit des Geschäfts erforderliche Form des

204

Erster Theil.

1.

K.O. v. 19. Juli 1834.

Fünfter Titel.

§§. 111 (Zusatz)—114.

(G.S. S. 132.)

4) Es wird nachgegeben, daß die im ersten Paragraphen genannten Personen [bieö sind: die zu den Garnisonen der Bundesfestungen Mainz und Luxemburg13) gehörigen dies­ seitigen Militairpersonen und Beamten, die sich daselbst mit Meiner Erlaubniß aufhaltenden, auf Jnaktivitätsgehalt oder Pension stehenden Offiziere, Letztere, so lange sie in Kriminal- oder Jnjuriensachen den Militairgerichtsstand behalten, deren Ehefrauen, Kinder, Angehörigen, welche als zu ihrem Hausstande gehörig zu betrachten, und Dienstboten mit ihren Ehefrauen und Kindern, in so fern diese Angehörigen und Dienstboten Preußische Unterthanen sind, endlich die Wittwen

und geschiedenen Ehefrauen, so lange sich dieselben nach dem Tode ihrer Ehegatten, oder nach rechtskräftig erfolgter Scheidung zum Zwecke der Regulirung ihrer Angelegenheiten und bis diese erfolgt ist, in den Bundesfestungen aufhaltenZ mit den Einwohnern gedachter Städte und frembenH) Unterthanen,

soweit es gültigerweise geschehen fantx15),

mündlich unter Privat-

Vertrages die Vorschriften des Code civil zur Anwendung. Pr. des O.Tr. 352a v. 23. Sept. 1837, Entsch. 3 S. 325. — Auch auf die von Preußen im Auslande, namentlich in Schottland (Gretna-Green), geschlossenen Ehen findet der Grundsatz Anwendung. O.Tr. I (Pr. 2595 Nr. 1) v. 15. Jan. 1855, Entsch. 29 S. 380: „Die Regel locus regit actum (§. 111 Th. 1 Tit. 5 A. L R.) gilt auch für die Beurtheilung der Form einer Eheschließung." — Hinsichtlich der Gül­ tigkeit der Form der von einem Preußen im Auslande erfolgten Eheschließung entscheiden zwar die Gesetze des Ortes derselben; die Zulässigkeit einer gültigen Ehe, die Ehehindernisse und die Folgen davon sind aber nach den inländischen Gesetzen, welchen der Mann durch seinen Wohnsitz unterworfen war, zu beurtheilen. O.Tr. I v. 17. März 1862, Str. Arch. 49 S. 248. Eine andere richtige Anwendung von dein Grundsätze macht das O.Tr. in dem Erk. IV v. 3. April 1856, Entsch. 32 S. 333, "einem Rechtsfalle, wo zwei Inländer im Auslande (Dresden) sich mit einander verglichen hatten und der Eine, wegen seiner Schreibunfähigkeit, daran nicht gebunden sein wollte. Diese Regel bezieht sich aber nur auf die allgemeine äußere Form. Die besondere Form, welche gewisse Personen, wegen ihres Zustandes,' zu beobachten haben, richtet sich nach den Personal-Statuten. S. o. Anm. zu §. 33 der Einl. Auch in Beziehung auf die Wirkung und den Umfang der Wirkung einer Obligation entscheidet ein anderer Grundsatz. S. ebend. Nr. 4. Die Regel des §. 111 bezieht sich auf die wesentliche Form. Es kommt jedoch vor, daß an dem Orte der Kontraktsschließung die Wirksamkeit eines an sich in der civilrechtlichen Form geschlossenen Kontrakts vor den dortigen Landesgerichten wegen anderer Ursachen nicht anerkannt wird. In England z. B. kann von einer Kontraktsurkunde, welche nicht gestempelt ist und wegen Versäumung der dazu nachgelassenen Frist von vier Wochen auch nicht mehr gestempelt werden darf, vor Gerichten, zur Strafe der Stempelkontravention, kein Gebrauch, gemacht werden. Dieser Mangel steht vor preußischen Gerichten der Nechtsgültigkeit des Kontrakts nicht entgegen, weil die Nichtanwendung des Stempels weder nach englischem Rechte noch nach preust. Rechte ein wesentlicher Formmangel ist. O.Tr. IV v. 19. Mai 1857, Str. Arch. 25 S. 45. (Vergl. unten die Anm. 59 zu §. 149 d. T.) Der locus contractus entscheidet nicht unbedingt über die materiellen Wirkungen, sondern das Recht desjenigen Orts, wo das gegründete Nechtsverhältniß einheimisch ist oder, wie v. Savigny sagt, seinen Sitz hat. Dies' ist etwas Thatsächliches, welches aus der Absicht der Kontrahenten festgestellt werden muß. In Anerkennung jenes Prinzips oder — um mit dein O.Tr. zu reden — jener „jetzt durchgehends adoptirten Theorie" hat das O.Tr. erkannt, daß ein in Preußen wohnender dcbitor cessus keinen Anspruch auf einen Vortheil aus der lex Anastasiana habe, die für ihn nicht gelte, wenngleich die Cession im Auslande oder an einem Orte geschehen ist, wo diese lex gilt und dort der Wohnsitz des Cedenten ist. Erk. IV v. 16. Nov. 1858, Str. Arch. 30 S. 360 und Entsch. 40 S. 51. Auch die Form eines von einem Inländer im Auslande geschlossenen Ehegelöbnisses ist nach den Gesetzen dieses Auslandes zu beurtheilen, nicht aber die Wirkungen ; vielmehr sind für die Eingehung der durch das Verlöbniß versprochenen Ehe, und folgeweise für deren Verweige­ rung die Gesetze des Inlandes, wenn hier der Sitz der Ehe (der erste Wohnsitz der Eheleute) sein sollte, maßgebend. O.Tr. I v. 23. April 1860, Entsch. 43 S. 52. 13) H. Nach §. 13 des Geß v. 8. Juni 1860 (G. S. S. 240) kann die oben excerpirte K.O. durch königl. Verordn, auch auf andere dauernd im Auslande sich aufhaltende Truppentheile für anwendbar erklärt werden. Dies ist geschehen für die preuß. Garnison in Rastatt durch Verordn, v. 1. Okt. 1860 (G. S. S. 457). Dagegen ist Luxemburg ausgeschieden, weil es 1867 aufgehört hat, Bundesfestung zu sein und eine preußische Garnison zu haben. 14) Nach dem argumentum a contrario werden also die Verträge, welche die bezeichneten Personen unter sich schließen, in der im L.R. vorgeschriebenen Form einzugehen sein. Dadurch

Von Verträgen.

205

Unterschrift, oder vor einem dortigen Notar, Verträge abschließen können, und wird in diesen Fällen die Gültigkeit derselben, hinsichtlich ihrer Form, in Gemäßheit des §. 111. Tit. V. Th. I. des Allgemeinen Landrechts auch von den diesseitigen Gerichten nach den dortigen Landesgesetzen beurtheilt. 6) ... Mit der zu 4. gedachten Ausnahme hinsichtlich der Form der Verträge mit Fremden, erkennen sie sd. h. die Gerichtsbehörden, denen die im ersten Paragraphen gedachten Personen

unterworfen finb,] hinsichtlich ihrer Auslegung und rechtlichen Folgen nach den Grundsätzen des Preußischen Rechts16), wenn diese Verträge auch mit Fremden, nach den Formen ausländischer Ge­ setze geschlossen worden, und die aus den, nach den Preußischen oder fremden Formen während ihres Aufenthalts in den Bundesfestungen von den im ersten Paragraphen bezeichneten Personen ge­ schlossenen Verträgen, erworbenen Rechte und übernommenen Verpflichtungen, erleiden durch die später erfolgte Versetzung derselben, oder durch ihren freiwilligen Umzug in das Preußischen Staatsgebiet keine Veränderungen, sollten auch die Allgemeinen Preußischen Gesetze an dem Orte, wo sie ihr neues Domizil nehmen, noch nicht eingeführt sein.

§. 112. Ist unter Abwesenden ein förmlicher Vertrag errichtet worden, so wird die Form desselben nach den Gesetzen desjenigen Ortes beurtheilt, von welchem das Instrument datirt ist17). §. 113. Ist aber der Vertrag unter Abwesenden bloß durch Briefwechsel, ohne Errichtung eines förmlichen Instruments, geschlossen worden, und waltet in den Wohnörtern der Contrahenten eine Verschiedenheit der gesetzlichen Formen ob, so ist die Gültigkeit der Form nach den Gesetzen desjenigen Ortes zu beurtheilen, nach welchen das Geschäft am besten bestehen tont1S). §. 114. Eben dieses findet statt, wenn der Vertrag von mehreren Orten, welche in Ansehung der Form verschiedene Rechte haben, datirt ist. sind sie schlechter gestellt als andere Preußen, welche sich nur vorübergehend dort aufhalten. S. d. Pr. 352a in der Anm. 12. Es wird also angenommen, daß die dort wohnhaften Preußen unter der Herrschaft des L.R. leben. 15) Darüber sollen nämlich die dortigen Rechte entscheiden; die mündliche oder privat­ schriftliche oder notarielle Form soll nicht unbedingt, sondern in so fern solche nach dortigem Rechte genügt, nachgegeben sein. 16) Diese positive Vorschrift kann die Folge haben, daß ein Rechtsverhältniß von ver­ schiedenen Gerichten nach widersprechenden Rechtsgrundsätzen beurtheilt wird, je nachdem die Sache vor ein dortländisches oder vor ein hierländisches Gericht gebracht wird. Ueber die allge­ meinen Grundsätze des preuß. R. hinsichtlich der Frage: nach welchem Rechte ein Rechtsverhältnis; und dessen Folgen zu beurtheilen, s. Einleitung die Anm. 71 zu 38. Diese allgemeinen Grundsätze sind durch die hier gegebene anomale Vorschrift für die Vertrüge der bezeichneten Personen ausgeschlossen; es wird nicht weiter nach der Absicht der Parteien, nnb nach dem be­ sonderen Sitze des Rechtsverhältnisses gefragt. 17) Wenn es ohne Datum ist, so kommt es auf das Recht.desjenigen Ortes an, wo das Instrument unterschrieben worden ist. 18) Zu Stande gekommen ist ein solcher Vertrag an demjenigen Orte, wo der antragende Brief empfangen und zustimmend beantwortet worden ist, gerade so, als wenn der Anfragende dorthin gereist wäre und mündlich angefragt hätte. Die Gesetze dieses Ortes sollen hier aber nicht entscheiden, vielmehr die des Wohnsitzes der Parteien. In der Sache liegt kein Grund, warum es in diesem Falle anders sein soll als in dem des vorhergehenden §. 112. Indeß ist es einmal bestimmt, es ist mithin das Recht des Wohnsitzes der Parteien das anwendbare. Für den Fall eines verschiedenen Rechts am Wohnsitze beider Parteien ist hier eine aushelfende Regel gegeben in der wohlwollenden Absicht, das Rechtsgeschäft aufrecht zu erhalten. Diese kann jedoch nur auf die Form angewendet werden, wie denn hier auch ausdrücklich nur von der äußeren Form die Rede ist. Allein der §. 113 spricht doch aus, daß hauptsächlich das Recht des Wohnsitzes der Parteien für die aus einem Rechtsgeschäfte entstehenden Rechtsfragen bestimmend sei; und es liegt gewiß im Sinne dieser Vorschrift, daß dieser Grundsatz auch in anderen Be­ ziehungen, wo es auf die Art der Wirkung des Vertrages ankommt, anzuwenden sei. Daraus folgt, daß bei zweiseitigen Verträgen die Verbindlichkeiten eines jeden Theiles nach dem an dessen Wohnsitze geltenden Rechte zu beurtheilen, wenn nicht ein anderes örtliches Recht der Obligation in der Absicht der Parteien gelegen hat. S. Einleitung Anm. 71 zu §. 33.

206

Erster Theil.

Fünfter Titel.

§§. 115—117.

§. 115. In allen Fällen, wo unbewegliche Sachen, deren Eigenthum, Besitz oder Nutzung der Gegenstand eines Vertrages sind, müssen wegen der Form die Gesetze des Ortes, wo die Sache liegt, beobachtet werden-"). schNftlichen 8- H6. Verträge, welche vermöge des Gesetzes, oder einer Abrede der Par^citrstslcn. teien schriftlich geschlossen werden sollen, erhalten ihre Gültigkeit erst durch die Unterschrift20). 19) Ausnahme von der Regel §. 111. Ueber unbewegliche Sachen entscheiden also immer die statuta realia auch in Ansehung der Form, mag der Vertrag geschlossen worden sein wo er will. Enthält die besondere örtliche lex rei sitae darüber keine Bestimmung, so ist die schrift­ liche Abfassung erforderlich, denn das L.R. fordert für alle Verträge über Grundstücke und Grund­ gerechtigkeiten — folgeweise also auch über Gerechtigkeiten, welche zu den unbeweglichen Sachen gerechnet werden — unbedingt die schriftliche Form. §. 135 d. T.; I, 10 §§. 15—17; I, 21 §. 233. O.Tr. v. 12. Aug. 1836, Entsch. 1 S. 263. Vergl. Bd. 17 S. 132. 'Damit ist jedoch nicht gesagt, daß dergleichen Verträge von Ausländern über ein im Julande belegenes Grundstück nur vor einem diesseitigen Gerichte gültig abgeschlossen werden könnten. Man hat mit der vor­ geschriebenen Form die Erfüllung derselben verwechselt und ist dadurch zu der Behauptung ge­ kommen, daß ein gerichtlicher Vertrag, welcher in einem Lande des Gemeinen Rechts nach der daselbst geltenden Geschäftsordnung, also ohne Milunterschrift der Parteien, vorschriftsmäßig aus­ genommen und vollzogen worden ist, in Preußen im Bereiche des L.R. nicht gelte. Gegen diesen falschen Rechtssatz ist das Erk. des O.Tr. v. 22. Juni 1857, Str. Arch. 25 S. 234, gerichtet. Schon vorher hat das O.Tr. den Rechtssatz festgestellt, daß die Frage, wie die Form zu erfüllen, weiter nach den Gesetzen des Ortes, wo gehandelt wird, zu entscheiden ist. In den Fällen, wo das L.R. einen gerichtlichen Vertrag vorschreibt, bedarf es bei einem von Ausländern im Auslande, nach den dort für die Aufnahme gerichtlicher Verträge geltenden Vorschriften gerichtlich geschlossenen Vertrage, zur Gültigkeit der darin enthaltenen Eigenthumsübertragung eines im preußischen Gebiete belegenen Grundstückes, der Mitunterschrift der Kontrahenten nicht. Pr. v. 4. Juli 1856, Entsch. 33 S. 1. H. In wiefern der Rechtssatz, daß Verträge über Grundstücke schriftlich errichtet werden müssen, durch §. 10 des Ges. v. 5. Mai 1872 über den Eigenthums­ erwerb modifizirt worden ist, s. Anm. 47 zu §. 135 d. T. 20) Unterschrift. 1. Die Unterschrift muß eigenhändig von der Partei oder ihrem legitimirten Vertreter geschehen. Daß die Namensunterschrift von einem Anderen, mit Wissen und Willen einer Parte:, geschrieben worden, und der darauf bezügliche Inhalt des Diffessionseides, ist darüber, ob ein formell gültiger schriftlicher Vertrag vorhanden, noch nicht entscheidend. Pr. 2077 v. 14. Dez. 1848, Entsch. 17 S. 457. Denn die in der Norm des Diffessionseides enthaltene Bestimmung, wonach der Produkt zugleich schwören soll: „daß die Namensunterschrift unter dem ihm vorgelegten Instrumente auch nicht an seiner Statt von einem Anderen mit seinem Wissen und Willen geschrieben worden sei", schließt die Einwendungen gegen die Nechtsgültigkeit Dieser von einem Anderen erfolgten Unterschrift nicht aus. War daher nach den Vorschriften des materiellen Rechts eine schriftliche Vollmacht erforderlich, so muß eine solche auch zur Leistung der Unterschrift ertheilt worden sein. Pr. 1602 v. 23. Aug. 1845, Entsch. 12 S. 477. (H. R.G. 1 v. 2. April 1881, Entsch. 4 S. 307.) Das spätere Pr. v. 30. März 1849 sagt noch ausdrücklicher, Nr. III: Wenn Jemand eine Urkunde für einen Anderen mit dessen Willen und in dessen münd­ lichem Auftrage durch dessen Namensunterschrift vollzieht, so ist dieser Andere, dem Dritten gegenüber, dadurch in solchen Fällen noch nicht gebunden, wo die Gesetze einen schriftlichen Auftrag erfordern und eine vermuthete Vollmacht nicht stattfinden lassen. (Entsch. 18 S. 207.) Deshalb erscheint dieser Eid gar nicht unerheblich in den nicht seltenen Fällen, wo die zu diffitirende Urkunde nur die Thatsache irgend einer Erklärung des angeblichen Ausstellers feststellen soll. Nur wo mehr als dies, wo das Dasein eines schriftlichen Vertrages nöthig ist, da ist dieser Theil des Eides unerheblich. (Ebend. S. 480.) (H. In die C.P.O. ist der Disfessionseid als besonderes Beweismittel nicht ausgenommen; vgl. das. §. 405 u. Motive S. 272.) — Dies Alles bezieht sich auf den Fall, wenn ein Anderer den Namen der Partei unterschreibt. Anders, wenn ein Anderer im Namen der Partei den Vertrag schließt und seinen eigenen Namen unterschreibt, in Fällen, wo es eines schriftlichen Auftrages bedurfte, und ohne schriftlichen Auftrag, jedoch in der vorgeschriebenen Form gehandelt hat. Dann kann nicht nur durch eine schriftliche, sondern auch durch eine mündlich oder stillschweigend erklärte Genehmigung des Machtgebers eine ver­ tragsmäßige Verbindlichkeit aus solchem Geschäfte, dem Dritten gegenüber, entstehen. Pr. 2196 (Pl.Beschl.) v. 22. April 1850, Entsch. 19 S. 29. Dieser Pl.Beschl. hat Veranlassung gegeben, jenen ziemlich einleuchtenden Rechtssatz streitig zu machen. Jemand hatte einen mündlich verab­ redeten Verkauf durch seinen Sohn aufschreiben lassen, und, statt den Aufsatz zu unterschreiben (§. 118), seinem Sohne geheißen, seinen, des Vaters, Namen darunter zu setzen. Auf diesen Fall wollte der betreffende Senat des O.Tr. den Rechtssatz des Pl.Beschl. v. 22. April 1850

Von Verträgen.

207

§. 117. In allen Fällen, wv die Parteien den Vertrag schriftlich zu schließen verabredet haben, wird vermuthet, daß nicht bloß der Beweis, sondern selbst die anwenden imb den streitigen mündlichen Kaufkontrakt, gegen die einstimmige Meinung der beiden Jnstanzgerichte, für rechtsverbindlich erklären. Das Plenum des O.Tr. hat jedoch, mit richtigem Takte, diese neue Meinung verworfen und als Nechtsgrundsatz ausgesprochen: „Aus einem Kontrakte wird derjenige, dessen Namensunterschrift von einen: Anderen, in Folge eines demselben nmndlich oder stillschweigend ertheilten Auftrages, geleistet worden, nicht wie aus einem schrift­ lichen Vertrage verpflichtet, selbst wenn eine nachträgliche, mündliche oder stillschweigende Ge­ nehmigung hmzukommt." Pl.Beschl. v. 4. Dez. 1854, J.M.Bl. 1855 S. 30 und Entsch. 29 S. 293. In der That sind beide Fälle wesentlich verschieden. Tritt Jemand für einen Anderen als dessen Bevollmächtigter zur Eingehung eines Negotiums auf und schließt er als Stellvertreter unter eigener Namensunterschrift in "der gesetzlichen Form ab: so ist das Rechtsgeschäft formgemäß vollzogen. Die Legitimation des Stellvertreters berührt bloß die Frage: ob zwischen den: anderen Kontrahenten und dem Vertretenen ein unmittelbares Verhältniß hergestellt ist. Fehlt es den: Auftrage an der vorschriftlichen Form, so ist damit das Rechtsgeschäft selbst nicht nullifiziert, der Stellvertreter haftet den: anderen Kontrahenten, und der Stellvertreter hält sich ganz einfach an seinen Auftraggeber: dieser muß ihm für den vollzogenen Auftrag, wenngleich derselbe nur nmndlich ertheilt war, aufkommen, er muß ihn befreien, und statt dieses Umweges kann der Stellvertreter seine Rechte aus dem Auftrage auch dem anderen Kontrahenten abtreten, wodurch ein unmittelbares Verhältniß zwischen ihm und dem Vertretenen hergestellt ist. Vergl. I. 13 9 und die Anmerkungen dazu. So hat Alles seinen juristischen Zusammenhang, während jener Fall, wo Jemand den Namen eines Anderen unterschreibt, völlig unähnlich ist. Der Auftrag zur Unterschreibung eines fremden Namens erfordert dieselbe Form, welche für das Rechts­ geschäft, worüber der Aufsatz lautete, selbst vorgeschrieben ist, wie das Plenum des O.Tr. in den Motiven des Beschl. v. 4. Dez. 1855 gleichfalls logisch zutreffend ausgesprochen hat. 2. Die Unterschrift muß mit dem Namen des für sich selbst Unterschreibenden geschehen. Zur schriftlichen Form als solcher ist es zwar nicht erforderlich, aber der Beweis der Ernstlichkeit des Willens fehlt in Betracht desjenigen, welcher unter eine schriftliche Erklärung einen fremden Namen setzt. I. 4 §. 54 und Ann:, zu I. 4 §. 52. Ein richtiger Vorname oder eine fehlerhafte Schreibart des Namens — die bei gemeinen Leuten sehr oft und in ungleichförmiger Weise vorkommt — ist unerheblich. So ist auch erkannt von dem O.Tr. v. 16. Juni 1865, Str. Arch. 58 S. 356. 3. Die Unterschrift muß mit den Zeichen einer bekannten Buchstabenschrift vollzogen werden; wendet man andere Zeichen an, so sind die §§. 175 ff. vorgeschriebenen Förmlichkeiten zu beobachten, sonst ist die Erklärung unverbindlich. Anh. §. 5. Vergl. R. v. 27. März und 9. Mai 1818, Jahrb. 11 S. 221, 223. Unleserlichkeit einer wirklichen Schrift ist unerheblich, auch ohnehin nur relativ vorhanden. 4. Die Unterschrift muß unter einen bereits niedergeschriebenen Aufsatz gesetzt werden. Eine Unterschrift in Blanko kann daher einen Beweis des Inhalts einer schriftlichen Willens­ erklärung nicht liefern; der Beweis und die verbindende Kraft einer solchen schriftlichen Er­ klärung auch nicht auf andere Weise hergestellt werden. O.Tr. III v. 18. Dez 1863, Str. Arch. 51 S. 318 und Entsch. 50 S. 29. H. O.Tr. IV v. 7. Nov. 1872, Entsch. 68 S. 129. Unter dem Kontext der Urkunde, nicht an einer beliebigen anderen Stelle derselben. O.Tr. III v. 1. Febr. 1875, Entsch. 74 S. 168. 5. Die Urkunde über einen wechselseitigen Vertrag muß von beiden Parteien unterschrieben werden. Folgende Fälle können bei einseitiger Unterschrift vorkon:men. a) Es werden zwei gleichlautende Urkunden gemacht, jede von einem anderen Kontrahenten einseitig unterschrieben und die Exemplare gegeneinander ausgewechselt, wie es bei Völkerverträgen gewöhnlich ist. Hierüber bestimmt der Pl.Beschl. (Pr. 717) v. 2. Sept. 1839, Entsch. 5 S. 30: „Es reicht zur Gültigkeit eines zweiseitigen schriftlichen, in zwei Exemplaren ausgefertigten Vertrages hin, wenn jeder Kontrahent nur dasjenige Exemplar unterschreibt, welches der andere Theil übergeben erhält. Doppelt ausgestellte sog. Schlußscheine, von denen das eine, seitens des Käufers unterschriebene Exemplar dem Verkäufer, das andere, seitens des Letzteren unterschriebene Exemplar dem Käufer eingehändigt worden, unterliegen — der Stempelsteuer." (Anwendung: Erk. v. 4. Juli 1850, Str. Arch. 3 S. 193.) b) D:e Auswechselung erfolgt nicht, oder die von dem Einer: unterschriebene Urkunde wird dem Anderen nicht ausgehändigt. Dann ist der Vertrag nicht zu Stande gekommen. §. 119 d. T. und Entsch. des O.Tr. 19 S. 69 u. 71. (Wieder angenommen in dem Erk. dess. v. 16. Okt. 1860, Str. Arch. 38 S. 315. Es n:acht keinen Unterschied, daß die Auswechselung bloß aus Irrthum unterblieben.) c) Der, welcher die Urkunde unterschrieben hat, hat solche dem anderen Theile behändigt. Dann darf derselbe den Mangel der Unterschrift des Letzteren nicht vorschützen. Pr. 292 v. 9. Juni 1837. — Der Andere wird durch die Annahme der Urkunde seinerseits nicht verbindlich. Wenn er aber auf Grund derselben Klage erhoben

208

Erster Theil.

Fünfter Titel.

§§. 118—122.

verbindliche Kraft21) des Vertrages von der schriftlichen Abfassung desselben ab­ hängen solle. §. 118. Auch eigenhändig geschriebene Aufsätze sind, vor hinzugekommener Unterschrift, nicht für vollendete Verträge zu achten22). §. 119. Die Besiegelung eines unterschriebenen und ausgehändigten22) In­ struments aber ist nicht nothwenig24), wenngleich darin der Siegel gedacht wird2r>). hat, so kann er den Mangel der schriftlichen Form nicht entgegensetzen, wenn der Bekl. gegen ihn, auf Grund desselben Vertrages, Gegenansprüche erhebt und diese aus dem Inhalte des, wenn auch nur einseitig vollzogenen Instruments abgeleitet werden. Pr. 1046 v. 2. Okt. 1841. Verhält sich der, welcher die von dem Anderen einseitig unterzeichnete Urkunde empfangen hat, ruhig, so befindet sich die Sache in der Lage eines schriftlich gemachten Antrages, zu dessen Annahme eine beliebige Zeit gelassen ist. Dieser Fall steht mit dem, wo der eine Theil unter­ schrieben, der andere aber, ein Analphabet, unterkreuzt hat, auf gleicher Linie. Der, welcher unterschrieben hat, bleibt einseitig gebunden, bis der Andere den Handel, gleichviel in welcher Form und in welchen Ausdrücken, ausschlägt. O.Tr. v. 1. Nov. 184.5, Entsch. 12 S. 163. Dieser Ungewißheit kann er dadurch ein Ende machen, daß er dem Anderen nachträglich eine Frist bestimmt, um sich auf eine gültige Weise über die Annahme zu erklären. £. 92 d. T. und Entsch. 12 S. 165. Der fruchtlose Ablauf der Frist macht ihn wieder frei. H. Die Unterschrift bezieht sich nicht auf später in den Text hineingeschriebene Aenderungen oder Zusätze. O.Tr. IV v. 27. März 1873, Entsch. 69 S. 200. H. Die §§. 116, 117 haben keine Anwendung auf Briefwechsel. Str. Arch. 82 S. 282 (IV). 21) Der §. 117 soll einen sehr lange und lebhaft geführten Meinungsstreit der gemein­ rechtlichen Juristen entscheiden. Die Geschichte dieses Streites s. Koch, Recht d. Ford. 2 §. 70 S. 57, 2te Ausg. S. 67 ff. Nach pr. J. de ernt. (III, 24) und L. 17 C. de fide instrum. (IV, 21) ist in dem vorausgesetzten Falle die Gültigkeit des Vertrages von der Schrift abhängig. Man war einverstanden darüber, daß die Parteien auch verabreden könnten, daß nicht die Gültigkeit, sondern nur der Beweis von der Schrift abhüngen solle. Der Streit wurde darüber geführt, was anzunehmen sei, wenn die Parteien sich darüber nicht ausgesprochen hätten. Der §. 117 entscheidet: es solle eine Vermuthung für die Absicht, daß die Gültigkeit von der schriftlichen Form abhängen solle, eintreten. Die Bestimmung ist nicht ganz angemessen. Ist eine Absicht nicht ausgesprochen, so kommt auf dieselbe nichts an; ist aber eine Absicht irgendwie erklärt worden, so ist es Sache der Auslegung, den wahren Willen zu erklären. Der Beweis und Gegenbeweis kann nur auf äußere, in die Sinne fallende Laute, Zeichen und Handlungen, woraus man einen Schluß auf den Willen machen kann, niemals direkt auf geheim gebliebene Gedanken gerichtet werden. Diese Richtung hat aber die im §. 117 gegründete Vermuthung, folglich müßte auch der Gegenbeweis — denn eine Vermuthung regelt nur die Beweislast — direkt geführt werden können und dürfen. Da diese Anwendung nicht stattfindet, so kann der wahre Sinn 117 kein anderer sein, als: bei der vorausgesetzten Verabredung wird angenommen, es des solle die Gültigkeit des Vertrages von der schriftlichen Form abhängen, wenn nicht aus der Erklärung ein anderes erhellet. Uebrigens ist der Wirkungskreis der Bestimmung im pr. R. außerordentlich klein, da er nur die Verträge trifft, die an sich mündlich geschlossen werden können. H. Er bezieht sich auch nicht auf die in einem schriftlichen Vertrage getroffene Abrede, daß er demnächst notariell ausgenommen werden soll. O.Tr. III v. 12. Febr. 1872, Entsch. 67 ©.64; Str. Arch. 83 S. 306. Der §. 117 findet auf Handelsgeschäfte keine Anwendung. R.O.H.G. v. 14. Sept. 1872, Entsch. 7 S. 92; v. 5. April 1875, Entsch. 16 S. 190. 22) Vergl. die Anmerk. 70 zu I. 4 §. 52. 23) Ohne Aushändigung wird selbst der Kontrahent, welcher den von dem anderen Theile vollzogenen schriftlichen Kontrakt zugestellt erhalten und dann gleichfalls unterschrieben, doch aber zurückbehalten hat, nicht gebunden. Pr. des O.Tr. IV v. 28. Juni 1850, Entsch. 19 S. 69. Das gilt freilich nicht in dem Falle, wenn nach der Uebereinkunft beider Theile die von ihnen unterschriebene Urkunde in den Händen Dieses oder Jenes von ihnen bleiben soll; denn Einer kann sie nur haben. 24) H. d. h. sofern nicht die Besiegelung gesetzlich nothwendig ist, z. B. §. 10 der Landgemeinde-Ordn. v. 14. April 1856. O.Tr. II v. 22. Okt. 1872, Entsch. 68 S. 117. — Der Stoff, worauf und womit geschrieben wird, ist gleichgültig. Es ist wohl behauptet, daß auf Schiefer, Holz und dergl. mit Kreide, Röthel, Schieserstift, ingleichen auf Papier zwar, aber mit Blei-, Roth- und dergl. Stift aufgetragene Schriften keinen Anspruch haben auf den Charakter einer Urkunde. Merkel, willkürliche Gerichtsbarkeit, in W e i s k e' s Rechtslexikon 14 S. 696 (besonders abgedruckt unter dem Titel: das Notariat und die willkürliche Gerichtsbarkeit, Leipzig 1860). Vergl. Gatterer, Abriß der Diplomatie, 9 S. 7. Doch giebt es dafür keinen haltbaren

209

Von Verträgen.

§. 120. Eine von beiden Theilen unterschriebene Punctation, aus welcher die P^auv gegenseitige Einwilligung derselben in alle wesentliche2G) Bedingungen des Geschäftes * nen.

erhellet, ist mit einem förmlichen Contracte von gleicher Gültigkeit2^). §. 121. Es kann also auf Erfüllung derselben geklagt werden2^). §. 122. Ist zur gerichtlichen Verlautbarung, Bestätigung oder Eintragung eine förmliche Ausfertigung des Vertrages nothwendig, so kann diese nach dem In­ halte der Punctation von dem Richter verfügt werden 29). Grund. Nach mosaischem Rechte ist die Frage vielfach behandelt. Nach den Rabbinen der Mischnah, VI, Kap. 2 M. 3 darf man Scheidebriefe schreiben mit Tinte, Kreide, Röthel, Gummi, Vitriol, kurz mit Allein, wovon eine leserliche Schrift sichtbar bleibt, und man kann sie auch schreiben auf Alles, was die Schrift annimmt, z. B. auf ein Baumblatt, auf das Horn einer Kuh, die man der Frau giebt, auf die Hand eines Sklaven, den man gleichfalls der Frau giebt; weil nach 5. Mos. 24, 1 das Schreiben und das Geben der Schrift das Wesentliche ist, ganz so wie heutzutage. Nun versteht sich freilich ungesagt, daß das mosaische und talmudische Recht keine unmittelbare Anwendung findet, aber es beweiset, daß schon vor alten Zeiten gelehrte und denkende Männer den Stoff als Nebensache behandelt haben. Der entscheidende Grund für das heutige Recht ist, daß kein Gesetz das Gegentheil vorschreibt, und die Natur der Sache nicht hindert, jeden Stoff, der eine Schrift aufnimmt und dem, welchem solcher gegeben wird, lesbar überliefert, dazu zu verwenden. 25) Dies ist der Hauptgegenstand der Bestimmung des §. 119. Denn die ältere Sitte, den Urkunden, namentlich den Privaturkunden, durch Untersiegelung Kraft und Gültigkeit zu geben/ war schon vor der landrechtlichen Gesetzgebung insofern wieder verschwunden, als man die Untersiegelung nicht mehr zur Gültigkeit der Urkunde verlangte. Vergl. Instruktion für die Notarien, v. 11. Juli 1771, §. 9 (N. C. C. Tom. V. Abth. 1 p. 271) und A.G.O. I. 3 §. 30 Nr. 6 a. E. In Frage konnte nur noch kommen, ob und welche Bedeutung und Wirkung der Erwähnung der Besiegelung in dem Schriftstücke beizulegen sei, wenn gleichwohl die Beidrückung des Siegels unterblieben war. Dieses entscheidet der §. 119. 26) Ob über alle Essentialien Bestimmung getroffen ist, muß in jedem einzelnen Falle nach der Natur des Rechtsgeschäfts befunden werden. Z. B. ein Kauf in Bausch und Bogen nach einem Anschläge, der nicht vorhanden, ermangelt der Bestimmung des Gegenstandes (Simon, Rechtsspr. 2 S. 102), denn Bausch und Bogen, und Anschlag oder Inventarium schließen sich aus. Sind aber die Essentialien bestimmt, so darf doch kein Vorbehalt über Nebenabreden gemacht sein, denn dadurch wird der endgültige Konsens eben suspendirt. §. 125. H. R.O.H.G. v. 9. Jan. 1874, Entsch. 11 S. 379. 27) Diese Bestimmung ist nur für die Fälle gegeben, wenn die schriftliche Form zur Rechtsbeständigkeit des Vertrages genügt, gilt aber keineswegs, wenn die gerichtliche oder notarielle Abfassung des Vertrages vorgeschrieben ist. Pr. d. O.Tr. v. 1. Okt. 1838, Entsch. 4 S. 123. Aber sie gilt für die Fälle des §. 126. 28) Diese Klage kann vor der aus dem folg. §. 122 verb. mit I. 10 §. 17 zustehenden Klage angebracht, sie kann auch mit derselben kumulirt werden, nach Gutfinden, weil sie beide neben einander zustehen und keineswegs sich ausschließen, auch eine die andere nicht konsumirt. Auch der IM. spricht in einem R. v. 11. Mai 1836 (Erg. ad h. §.) die vorgängige Zulässigkeit dieser Klage vor der des §. 122 aus, doch ohne einen juristischen Grund zu geben. Die Ab­ weisung der Erfüllungsklage ist der anderen auch nur dann präjudizirlich, wenn das Geschäft materiell für ungültig erklärt und deshalb der Kläger lediglich abgewiesen wird. 29) Auf die Errichtung eines förmlichen Instruments, als einen Theil der Erfüllung des Kontrakts, muh ordentlich geklagt werden, wenn der Richter helfen soll. I. 10 §. 17. H. Die Klage kann auch noch angestellt werden, wenn die Auflassung und Eintragung im Grundbuch bereits erfolgt ist, denn wenn auch nach §. 10 des Ges. v. 5. Mai 1872 über den Eigenthumserwerb rc. die Auflassung die mangelnde Form des Geschäfts heilt, mithin auch aus einem mündlichen Beräußerungsvertrage oder einer Punktation geklagt werden kann, so wird doch dadurch das aus der vertragsmäßigen Abrede entspringende Recht der Kontrahenten auf förmliche Errichtung des Vertrags nicht alterirt. — Dieser Klage kann nicht der Einwand entgegengesetzt werden, daß der Andere mit der Erfüllung des Vertrages ganz oder theilweise im Rückstände sei. Pr. des O.Tr. 2069 v. 3. Okt. 1848, und Erk. v. 9. Sept. 1850, Str. Arch. 1 S. 75. Dagegen sind alle gegen die Gültigkeit des Rechtsgeschäfts zulässigen peremtorischen Einreden auch gegen diese Klage zulässig (Pr. des O.Tr. v. 1. Juli 1836, Jur. Wochenschrift 1837 S. 217, O.Tr. III v. 6. Okt. 1873, Str. Arch. 89 S. 313), weil sich solche eben nur auf dieses Rechtsgeschäft gründet, folglich mit demselben zugleich hinfüllt; namentlich berechtigt die für den einen Theil vorhandene Koch, Allgemeines Landrecht. I.

u. Anst.

14

210

Erster Theil.

Fünfter Titel.

§§. 123—128.

§. 123. Weigert ein Theil seine Unterschrift beharrlich, so kann der Richter dieselbe ergänzen. §. 124. Ist der Gegenstand ein auswärtiges Grundstück, und nach den Ge­ setzen des Ortes ein von beiden Theilen unterschriebener förmlicher Contraet noth­ wendig, so kann der die Unterschrift beharrlich verweigernde Theil durch Execution dazu angehalten werden. §. 125. Fehlen aber in der Punctativn wesentliche Bestimmungen, oder haben die Parteien die Verabredung gewisser Nebenbedingungen sich darin30) ausdrücklich Vorbehalten 31), so sind dergleichen Punctationen nur als Tractaten anzusehen. §. 126. Das von Gerichten oder von einem Justizcommissario aufgenommene Protokoll3^) über einen zu errichtenden Vertrag hat mit einer Punctation gleiche Wirkung. mündlichen §• 127. Ist ein Vertrag schriftlich geschlossen worden, so muß alles, was auf Nebenab- die Verabredung der Parteien ankommt, bloß nach dem schriftlichen Contracte bercbeiL urtheilt werden 33). Unmöglichkeit der Erfüllung des durch die Punktation abgeschlossenen Geschäfts den anderen Theil, den Abschluß eines förmlichen Vertrages auf dem Grunde der Privatpunktation zu verweigern. O.Tr. III v. 12. Juli 1852, Str. Arch. 6 S. 259. Das kann juristisch gar nicht in Frage gestellt werden. Aber den Einwand der Verjährung hat das O.Tr. für unzulässig erklärt. Pr. 1437, in der Anm. zu 1. 9 §. 506. Die Ausführung des für den Kläger obsieglichen Urtels geschieht entweder in der Weise, daß der Punktation eine Ausfertigung des Urtels mit dem Atteste der Rechtskraft angehängt wird, wodurch dieselbe authentisch wird; oder so, daß der Prozeßrichter einen Dritten, in Voll­ ziehung des Urtels durch ein Dekret, ermächtigt, den förmlichen Vertrag im Rainen des Exequenden mit dem anderen Theile, nach Inhalt der Punktation, gerichtlich oder notariell zu verlautbaren. In diesem Falle darf jedoch die neue Urkunde nichts anderes als die Punktation enthalten, und deshalb muß zur Legitimation des Dritten der Inhalt der Punktation in die Ermächtigung aus­ genommen werden. H. Für die hier erörterte Frage sind jetzt maßgebend die Vorschriften in der E.P.O. §§. 779 u. 773; vgl. Struckmann u. Koch, Komm, zur C.P.O. Anm. 1 zu §. 779 ii. Anm. 1 zu g. 773. Die Vorschrift des §. 122 hat für die Geschäfte bei dem Grundbuch eine beschränkte Bedeutung. Die Parteien sind nicht verpflichtet, die Veräußerungsverträge dem Grundbuchrichter vorzulegen, es bedarf daher auch nicht deren förmlicher Ausfertigung für die Auflassung. Für die Eintragung einer Hypothek ist dagegen die Beilegung der Schuldurkunde in gerichtlicher oder notarieller Form nöthig, weil sie dem Hypothekenbrief angeheftet werden muß. Grundbuchordnung v. 5. Mai 1812, gg. 46, 48, 33, 122. 30) „Darin", also in der über die Punktation aufgesetzten Schrift. Ist in der, alle wesent­ liche Bestandtheile eines Kaufs enthaltenden Punktation selbst ein derartiger Vorbehalt nicht gemacht, stellt sich vielmehr in der Urkunde das Geschäft als ein definitiv abgeschlossenes dar, so sinkt die Punktation nicht dadurch zu Traktaten herab, wenn ein solcher Vorbehalt, z. B. daß der Kontrakt erst dann in Gültigkeit treten solle, wenn der Verkäufer die in der Vertragsschrift auf das Kaufgeld vorbehaltlos an Zahlungsstatt angenommene Hypothek für sicher und annehnrbar befinden würde, — nur mündlich gemacht ist. O.Tr. I v. 16. Rov. 1866, Str. Arch. 65 S. 143. — Vergl. Str. Arch. 85 S. 43. (III.) 31) S. o. Anm. 26 zu §. 120. Jeder Vorbehalt einer Vereinbarung über irgend einen Punkt suspendirt den endgültigen Konsens. 32) Vorausgesetzt ist die Beobachtung der wesentlichen Förmlichkeiten eines Protokolls, namentlich derjenigen, welche hinsichtlich der Analphabeten vorgeschrieben sind. „Den über Ver­ träge mit Analphabeten aufgenommenen Notariatsprotokollen, wobei die hinsichts der Unter­ schrift der Analphabeten gesetzlich angeordnete Form beobachtet worden, kann die rechtliche Wir­ kung schriftlicher Punktationen nicht um deshalb abgesprochen werden, weil die Ausfertigung der Notariatsurkunde nicht erfolgt ist." Pr. 986 v. 31. Juli 1840, Entsch. 6 S. 300. Es kann auch nicht eingewendet werden, daß ein vorschriftsmäßiges Notariatsprotokoll erst alsdann ver­ bindliche Kraft erlange, wenn in Folge desselben das Dokument förmlich errichtet und vollzogen worden sei. Pr. 1180a v. 5. Aug. 1842. Der §. 40 der Not.Ordn. v. 11. Juli 1845 hat für die Zukunft alle derartigen Zweifel beseitigt, auch bedarf es darnach zur Ausfertigung der förmlichen Notariatsurkunde keiner Mitwirkung der Parteien mehr. — Das Pr. des O.Tr. v. 1. Okt. 1838 (Anm. 27) bezieht sich nur auf Privatschriften und gilt hier nicht: die fr. Proto­ kolle haben auch in den Fällen, wo gerichtliche oder notarielle Abfassung vorgeschrieben ist, volle Gültigkeit.

Von Verträgen.

211

§. 128. Auf vorgeschützte mündliche Nebenabreden'") wird, ohne Unterschied des Gegenstandes 35), keine Rücksicht genommen3ti). 33) Ein Auktionsprotokoll stellt keinen schriftlichen Vertrag dar. O.Tr. III v. 7. Dez. 1860, Str. Arch. 39 S. 281. Der Einwand des anders verabredeten als niedergeschriebenen Vertrages wird dadurch nicht dnrgestellt, daß eine nähere Maßgabe der übernommenen Verbindlichkeit, z. B. die Sicher­ stellung derselben, vorher nicht ausdrücklich verabredet worden sei. Zu dessen Begründung ge­ hört vielmehr der Nachweis, daß wirklich etwas wesentlich Anderes verabredet als geschrieben sei. (H. Vgl. auch R.G. I H. v. 21. Okt. 1881, G ruchot 26 S. 901.) Wie die übernommene Verpflichtung in dem auf Grund der mündlichen Abrede niedergeschriebenen Vertrage festgestellt worden, davon sich zu überzeugen, ehe man diesen unterschreibt, ist Sache des Unterschreibenden; und daß er mit seiner Unterschrift alle in der Schrift ausgedrückten näheren Bestimmungen des Verabredeten, soweit sie nicht wesentlich Anderes enthalten, als verabredet worden ist, ge­ nehmigt, das liegt im Wesen des schriftlich zu Stande gekommenen Vertrages. O.Tr. III v. 9. Jan. 1863, Entsch. 49 S. 34. In einem jüngeren Erk. IV v. 9. Febr. 1864 sagt dass, wieder: Um den schriftlichen Revers unwirksam zu machen, genügt der Nachweis, daß derselbe im Widerspruch steht mit dem, was die Kontrahenten in Wirklichkeit verabredet haben, ohne daß auch der Nachweis geführt werden müßte, warum der Vertrag anders niedergeschrieben als ver­ abredet worden. Str. Arch. f. Rechtsf. 53 S. 130. In dieser Allgemeinheit ist der Satz keine Wahrheit, er stößt auch solche Verträge um, welche in Nebenbestimmungen und Modalitäten Abweichungen von der ursprünglichen Verabredung enthalten, was unnachweisbar ist. Es giebt absolut keinen vernunftmäßigen Grund, warum im letzten Augenblick nicht eine Abweichung von der ursprünglichen Verabredung sollte genehmigt und diese Genehmigung durch die Unter­ schrift verlautbart oder ausgedrückt werden können. Der später abfallende Kontrahent kann daher auf die frühere mündliche Verabredung anders nicht zurückgehen, als daß er die spätere schrift­ liche Vereinbarung beseitigt, d. h. seine ihm entgegenstehende Genehmigung und Vollziehung des schriftlich verlautbarten Vertrages entkräftet. Dies ist nur möglich, wenn er thatsächliche Mo­ mente nachweiset, aus welchen zu schließen, daß es dieser formalen Genehmigung der Schrift an seinem Konsense fehle; sonst ist es eben durch die. schriftliche Urkunde nachgewiesen, „was die Kontrahenten in Wirklichkeit verabredet haben". Vergl. auch die folg. Anm. 36 Abs. a. H. Wegen der Rückwirkung des Ges. über den Eigenthumserwerb rc. v. 5. Mai 1872 §. 10, wonach die Auflassung die Formmängel des dieselbe veranlassenden Nechtsgeschüftes Heiltz auf § 127 ff., vgl. Anm. 47 Abs. 2 zu §. 135 d. T. 34) H. Vergl. Str. Arch. 75 S. 87 (IV), 93 S. 5, 96 S. 300. 35) Bezieht sich nicht auf die rechtliche Natur des Gegenstandes, sondern auf dessen Werth, um das Bedenken zu beseitigen: ob nicht mündliche Abreden, neben einem schriftlichen Vertrage, wirksam sein möchten, wenn der Gegenstand nicht über 50 Thlr. werth ist. §. 131. 36) Der §. 128 ist nicht auf solche mündliche Abreden zu beziehen, welche eine Anfechtung des schriftlichen Vertrages als rechtsungültig begründen. Pl.Beschl. (Pr. 1523) des O.Tr. v. 31. Jan. 1846, Entsch. 10 S. 259. (H. Str. Arch. 87 S. 147.) — Dadurch soll die unjuristische Meinung, daß die „Nebenabrede" sich auf das äußere Verhältniß der Mündlichkeit neben der Schrift beziehe, abgethan und die entgegengefefcte Meinung, wonach der Gegenstand und dessen rechtliches Verhältniß zu den Essentiallen des Geschäfts in Betracht kommen, unterstiitzt werden. Die negative Fassung erledigt aber nicht die Zweifel: in wiefern mündliche Verabredungen, welche in der That nur Naturalien und Accidentalien betreffen, neben der Schrift in Betracht kommen, nämlich wenn die Schrift die wahre Verabredung der Parteien gegen deren Willen nicht ausgenommen hat, oder wann mündliche Abrede eine Nebenabrede im Sinne des §. 128 sei. In einem Erk. III v. 17. Juni 1852, Str. Arch. 9 S. 284 drückt das O.Tr. sich positiv dahin aus: die §§. 127—129 beziehen sich lediglich auf Bestimmungen über nicht wesentliche Bestandtheile des Vertrages, hinsichtlich deren in Ermangelung einer ausdrücklichen Einigung der Kontrahenten der schriftliche Vertrag aus den Vorschriften der Gesetze zu ergänzen ist? — Das würden die Naturalien des Geschäfts sein. Aber auch dadurch wird jener Zweifel nicht erledigt. Als Grundsatz ist anzunehmen, daß auch die mündlichen Verabredungen über Abänderung der Naturalien erheblich sind, wenn sie einen Bestandtheil des vereinbarten Vertrages ausmachen und demnächst in der darüber errichteten Urkunde ohne Willen auch mir einer Partei übergangen worden sind. Folgende Anwendungen sind bekannt geworden: a) Wenn neben einem schriftlichen Vertrage ein Gegenstand, der zu den wesentlichen Er­ fordernissen des Geschäfts gehört, mündlich abweichend von dem schriftlichen Vertrage vereinbart wird, so begründet eine solche Vereinbarung die Anfechtung eines schriftlichen Vertrages. Auf dieselbe kann also der 128 nicht bezogen werden. Pr. des O.Tr. 1533 v. 15. Febr. 1845. Der juristische Grund ist, daß der Vertrag anders niedergeschrieben als verabredet worden. 14*

Erster Theil.

212

§. 129.

Fünfter Titel.

§. 129.

Vielmehr müssen Nebenbestimmungen, welche die Art, den Ort, oder

Zum Erweise des Anfechtungsgrundes genügt aber nicht die Behauptung, daß die Vereinbarung über gewisse Punkte später in die Urkunde nicht ausgenommen worden sei, denn man kann noch bei der Niederschreibung anderen Sinnes geworden sein; vielmehr muß behauptet werden, daß die Weglassung wider den Willen der Parteien und warum? geschehen sei, z. B. weil die Par­ teien den Punkt aus Irrthum dem Verfasser nicht kundgegeben, während sie doch übereinstimmend beabsichtigt hätten, die Verabredung zum Bestandtheile des schriftlichen Vertrages zu machen; oder weil der Verfasser den ihm wirklich verlautbarten Punkt aus Versehen weggelassen und die Parteien den Fehler bei der Vorlesung nicht bemerkt hätten. Pr. des O.Tr. v. 6. März 1849 in Sachen Nossow wider Müller, 805 3184 III, 48. Das O.Tr. schwankt auch in dieser Be­ ziehung in seinen Ansichten und Auslassungen. S. Anm. 33 Abs. 2. Es will sich auch nicht schlechthin zu dem Inhalte des angeführten Erk. v. 6. Mürz 1849 bekennen. In dem in der Anm. 33 Abs. 2 angeführten Erk. v. 9. Febr. 1864 sagt dasselbe: „Um den schriftlichen Revers unwirksam zu machen, genügt der Nachweis, daß derselbe im Widerspruch steht mit dem, was die Kontrahenten in Wirklichkeit verabredet haben. Nur dahin gehen auch die Ent­ scheidungen des Obertribunals. Nirgends aber hat dasselbe ausgesprochen, daß auch der Nachweis geführt werden müsse, warum der Vertrag anders niedergeschrieben als verabredet worden, namentlich nicht indem citirten Urtheil vom 6. März 1849, es ist vielmehr auch in diesem Urtheil für allein entscheidend erachtet worden die Behauptung, der Bert rag sei anders nieder­ geschrieben, als verabredet worden." Das ist eine Ausweichung. Denn davon ist keine Rede, daß die Behauptung, der Vertrag sei anders niedergeschrieben als verabredet worden, für allein entscheidend nicht zu erachten sei; dieses Beweisthema ist ja völlig außer Streit. Es handelt sich lediglich darum: wie dieser Beweissatz bewiesen werden könne. Und in dieser Beziehung muß es aus logischen Gründen dem O.Tr. bestritten werden, daß solches durch den Zeugenbeweis: wie die ursprüngliche mündliche Beredung der Kontrahenten gelautet habe, möglich sei. Die jüngste Willenserklärung der oder des Kontrahenten liegt schriftlich vor. Beide, die frühere mündliche und die letzte schriftliche, können thatsächlich existiren und von ein­ ander abweichen, und es fragt sich nun: welche von beiden ist die bindende. Natürlich die schriftliche als die letzte, aus bekannten Gründen. Will der Produzent das nicht gelten lassen, weil die Urkunde nicht die eigentliche und wahre Willensmeinung ausdrücke, so muß er doch sagen, warum? da jede Erklärung durch eine spätere abänderlich ist und er ja den ihm entgegen­ stehenden vollständigen Beweis seiner jüngsten Willenserklärung vernichten will. b) Wenn in einem Adjudikationsbescheide dem Adjudikator auferlegt ist, ein Auszugshaus zu gewähren, und behauptet wird, daß nach der Verabredung ein Auszug in einer weiteren Ausdehnung habe geleistet werden sollen, so wird nicht eine mündliche Nebenabrede, sondern die unrichtige Fassung der von den Parteien verlautbarten Erklärung behauptet, wodurch der schrift­ liche Vertrag unwirksam wird. Pr. des O.Tr. v. 1834, Sch les. Arch. 3 S. 290. c) Wenn in einem Kaufkontrakte die Zeit der Uebergabe und damit der Uebergang der Gefahr festgesetzt worden ist, und nachher die Parteien die Uebergabe formlos früher vollziehen, so ist das keine mündliche Nebenabrede oder Abänderung eines schriftlichen Vertrages, sondern eine gültige Erfüllung des Vertrages, die später mir geschehen konnte aber nicht mußte. O.Tr. u, 27. Sept. 1844, Entsch. 11 S. 244. d) Wenn unter den Parteien ein ganz anderes Rechtsgeschäft, als der Wortlaut des schriftlichen Vertrages ergiebt, verabredet worden ist, so ist dies keine.mündliche Nebenabrede. O.Tr. III v. 18. Jan. 1858, Str. Arch. 29 S. 29. e) Eine unter den Kontrahenten getroffene, ihre wahre Willensmeinung enthaltende Ver­ einbarung, welche dem Inhalte der schriftlichen Urkunde entgegenläuft, und denselben als einen solchen darstellt, den der Aussteller in seinem ganzen Bestände nicht ernstlich gewollt hat, gehört nicht unter die Nebenbestimmungen des Vertrages, von welchen in den §§. 128, 129 die Rede ist, vielmehr betrifft sie die Essentialien des' Vertrages. O.Tr. IV v. 6. Mai 1858 (ebd. S. 285). f) Ist ein in dem schriftlichen Vertrage übergangenes Essentiale mündlich festgesetzt, so ist dies zwar nicht unter den Gesichtspunkt einer mündlichen Nebenabrede zu bringen, aber das Geschäft selbst ist wegen mangelnder Form hinfällig. O.Tr. III v. 21. Juni 1858, Entsch. 39 S. 46. g) Wenn neben dem schriftlichen Vertrage eine mündliche Abrede getroffen ist, welche zur Auslegung einer in dem Vertrage enthaltenen unklaren und undeutlichen Willenserklärung dient, z. B. das mündliche Versprechen des Verkäufers, die in dem schriftlichen Vertrage angegebene Größe der verkauften Grundstücke vertreten zu wollen, so ist dies keine mündliche Nebenabrede im Sinne des §. 128. Vergl. I. 4 §. 71 und I. 11 §§. 212, 214. O.Tr. III v. 3. Dez. 1858, Str. Arch. 31 S. 302. h) Die mündliche Zusicherung des Verkäufers eines noch erst zu verleihenden Bergwerks-

Von Verträgen.

213

die Zeit der Erfüllung, oder andere dabei vorkommende Maaßgaben betreffen'^), so weit sie im Contracte nicht festgesetzt worden, von dem Richter lediglich nach den Vorschriften der Gesetze ergänzt werden^). antheils, daß die Beleihung mit der bezeichneten Grube z. B. in der Größe von einer Fundgrube und 1200 Maßen erfolgen und daß der fragliche Kux als Antheil an einer Grube von jener Größe verkauft werde, betrifft nicht, wie das Appellationsgericht angenommen hatte, eine Neben­ abrede, sondern ein wesentliches Erfordernis; des Vertrages, nämlich den Vertragsgegenstand, und entkräftet den Vertrag wegen Irrthums im Wesentlichen des Geschäfts auf der Seite des Käufers. I. 4 §. 75. O.Tr. III v. 3. Dez. 1858, Str. Arch. 31 S. 307. i) Wenn in einem Kaufkontrakte über ein Pferd das Abkommen getroffen ist, daß die Ge­ währleistung erlassen sei, so stellt dies keine mündliche Nebenabrede dar, sagt das O.Tr. IV v. 8. Okt. 1857, Str. Arch. 26 S. 266. Wenn die Verabredung bei dem Handel selbst — der wahrscheinlich mündlich geschlossen worden war — getroffen worden, so ist der Ausspruch richtig, anderenfalls ist er unrichtig. Die Geschichtserzählung ist nicht vollständig. Vergl. §. 147. k) Sind durch einen schriftlichen Vertrag ein Grundstück und einzelne speziell genannte Jnventarienstücke verkauft unter der mündlichen Verabredung, daß für den bedungenen Preis außer jenen Jnventarienstücken noch ein anderes Stück mitverkauft sein solle, so ist diese Ver­ abredung nicht als eine unzubeachtende Nebenabrede zu betrachten, vielmehr betrifft sie den Gegenstand des Kaufgeschäfts und die §§. 127—129 sind auf diesen Fall nicht anwendbar. O.Tr. III v. 29. Nov. 1858, Entsch. 40 S. 20. l) Die Abrede neben einem schriftlichen Kaufkontrakte, daß der Verkäufer die Hälfte des bei einem Wiederverkäufe erzielten Surplus erhalten solle, ist keine unverbindliche Nebenabrede, sie enthält vielmehr die Bestimmung des Kaufpreises. O.Tr. III v. 15. Mai 1857, Str. Arch. 24 S. 304. m) Auf mündliche Verabredungen, welche eine bedingte Erhöhung des Kaufpreises zum Gegen­ stände haben, ist der §. 128 nicht zu beziehen. O.Tr. III v. 13. Okt. 1856, Str. Arch. 23 S. 3. n) Abgeschlossene mündliche Verabredungen, die in das Wesen des schriftlich errichteten Vertrages eingreifen (was ist das?) und zur Begründung des Einwandes der Simulation oder des Einwandes, daß etwas Anderes niedergeschrieben als verabredet worden, angeführt werden, sind nicht als bloße Verhandlungen oder mündliche Nebenabreden anzusehen; sie vernichten ganz oder theilweise den Inhalt der schriftlichen Urkunde und ihre Beweiskraft. — Ist daher nach dem schriftlichen Kaufverträge der Kaufpreis baar zu zahlen, in Wirklichkeit aber dessen Be­ richtigung auf andere Art vereinbart, so ist der Vertrag ungültig. O.Tr. III v. 17. Juni u. IV v. 14. Sept. 1852, Str. Arch. 9 S. 284; 6 S. 311. — Diese Anwendung würde dem von Koch oben, im ersten Satze präcisirten Grundsätze entsprechen. — Vgl. Urtheil des R.G. I H. v. 11. Nov. 1879, Gruchot 24 S. 411. 37) Verabredungen also, welche nicht Art, Ort oder Zeit der Erfüllung oder andere Maß­ gaben betreffen, sind nicht Nebenabreden im Sinne der §§. 127—129, mithin ist auch die Verab­ redung über die Beschaffenheit der Sache, z. B. daß ein erkauftes Pferd nicht fehlerhaft sein dürfe, sonst der Handel nicht gelte, keine solche Nebenabrede, sondern eine wesentliche, in die Beschaffenheit der Sache gesetzte (den Gegenstand bestimmende) Bedingung des Rechtsgeschäfts. O.Tr. v. 17. und 22. Febr. 1859, Str. Arch. 32 S. 267. In einem Erk. v. 24. März 1838 hatte das O.Tr. das Gegentheil ausgesprochen. Diese Auffassung hat Koch schon im Schles. Archive 3 S. 640 Note 4 bekämpft. Das O.Tr. IV ist also davon, nach der Entsch. v. 17. u. 22. Febr. 1859 und nach einem Erk. v. 8. Okt. 1857, Str. Arch. 26 S. 266, wieder abgegangen. H. In Str. Arch. 87 S. 247 (III) ist behauptet, daß die mündlich versprochene Beschaffenheit des Vertragsgegenstandes unter die „dabei vorkommenden Maßgaben" falle. 38) Die Bestimmung bezieht sich auf Verabredungen, welche in der über den Vertrag ab­ gefaßten Urkunde nicht enthalten sind und nicht Effentialien des Rechtsgeschäfts betreffen, denn diese können nie von dem Richter ergänzt werden, vielmehr ist der Vertrag immer impersekt, wenn daran etwas fehlt: auf solche beziehen sich die §§. 127—130 gar nicht. Die Auslassung der Nebenabreden kann eine von drei Ursachen haben: a) Man hat sich über gewisse Nebenpunkte vereinbart und gewollt, daß das Ganze in die Urkunde ausgenommen werde;: solle: man hat alles dem Verfasser kundgegeben, dieser aber hat aus Versehen das Eine oder das Andere aus­ gelassen, und die Parteien haben die Lücke bei der Vorlesung nicht gemerkt. Dann ist die mündliche Verabredung erheblich, und die Schrift entscheidet nicht: denn diese ist irrthümlich unvollkommen und nicht nach dem Willen der Parteien niedergeschrieben, b) Die Verabredung über Nebenpunkte ist absichtlich in der Urkunde weggelassen worden, weil die Parteien ihren Worten vertrauten oder die Niederschreibung nicht für erforderlich hielten. Dann kommt die Bestimmung dieses §. zur Anwendung, d. h. die Naturalien des Geschäftes treten ein und auf die Accidentalien (Veränderung der Naturalien durch Verabredung) wird nicht geachtet. Dieses ist es, was mit dem „von dem Richter lediglich nach den Vorschriften der Gesetze ergänzt werden"

214

Erster Theil.

Fünfter Titel.

§§. 130—134.

§. 130. Was im Contracte unleserlich geschrieben, oder undeutlich ausge­ drückt 89) worden, und nicht aus dem Zusammenhänge klar erhellet, muß auf andere zuverlässige Art ausgemittelt werden. ®otoncnbm=c §• 131. Ein jeder Vertrag, dessen Gegenstand sich über fünfzig Thaler'"') in -eit ichriftli-Silber-Courant beläuft, muß schriftlich errichtet werden^'). Artige6.1’ §• 132. Ist der Vertrag auf Gold geschlossen, so werden drei Thaler SilberCourant einem Dukaten, und fünf und ein Viertel-Thaler^9) einer Goldmünze von fünf Thalern gleich gerechnet. dÄchriittiche §• 133. Auch andere bloß einseitige Willenserklärungen müssen bei GcgenSnmmiP stäuben über fünfzig Thaler, sobald ihre Folgen sich auf die Zukunft hinauserstrecken lcnserilii-' sollen "), schriftlich abgefaßt werden "). ruitgen noth­ wendig sei. gemeint wird, c) Die Parteien haben nichts weiter als die Essentialien verabredet, und nach der Abfassung der Schrift werden sie über Naturalien oder Nebenpunkte uneinig. Dann gilt das Gleiche. Vgl. Pr. des O.Tr. (Pl.Beschl.) 1631 v. 7. Nov. 1845 in den Motiven, Entsch. 7 S. 49. 39) Dabei soll nicht bloße Auslegung für sich allein den wahren Willen der Parteien feststellen, sondern es soll anderweiter Beweis über die ausgesprochene Absicht zulässig sein. Dies ist bei der Abfassung beabsichtigt worden; denn forma in lege praescripta sei beobachtet und es komme nur auf die Ausmittelung der eigentlichen Intention der Kontrahenten an, welche durch andere Beweismittel erfolgen könne. Bornemann 2 S. 472. 40) Enthält der Vertrag keine Vereinbarung über den Geldwerth, z. B. bei Tauschen, so muß der streitige Werth durch Sachverständige ermittelt werden. Gegen den verabredeten Werth findet in dieser Beziehung kein Einwand statt, weil der Vertrag eben nur diesen Werth zum Gegenstände hat und dieser ganz allein über die Form entscheidet. H. Das Deutsche Münzgesetz v. 9. Juli 1873 (R.G.Bl. S. 233) hat an die Stelle der in Deutschland geltenden Landeswährungen die Reichsgoldwährung eingeführt. Der Thaler wird zu 3 Mark berechnet. 41) H. In den Fällen des §. 131 kann eine stillschweigende Willensäußerung keine rechtliche Wirkung haben. R.G. I H. v. 9. Jan. 1880, Gruchot 24 S. 952. Bei der Anwendung der Regel auf das constitutum possessorium darf nicht übersehen werden, daß von derselben Ausnahmen in umfassendem Maße bestehen, dieselbe insbesondere nicht auf die Realverträge Anwendung findet, sowie daß für die Frage nach der Vertragsform die Natur desjenigen Nebengeschäftes maßgebend ist, welches das constitutum possessorium dar­ stellt. Dies ist in der Praxis vielfach verkannt. Vgl. Anm. zu Tit. 7 §. 73. Die umfassendste Ausnahme von der Regel des §. 131 bilden die Handelsgeschäfte. H.G.B. Art. 317. Vgl. über die sich hieraus ergebenden Fragen Makower, Komm, zum H.G.B. Art. 317. Auch die Vereinbarung des Gerichtsstandes bedarf nach §. 38 der C.P.O. in keinem Falle mehr der Schriftform. 42) Hier dauert dieses Mißverhältniß noch fort; nur in so fern der Werth streitiger Gegen­ stände auf den Prozeß Einfluß hat, ist es aufgehoben. V. v. 21. Juli 1843, Einl. (G.S. S. 297). H. Unter Gold ist in §. 132 die Reichsgoldmünze nicht zu verstehen. Diese hat einen festen Werth. (Reichsgesetz v. 4. Dez. 1871, R.G.Bl. S. 404, und Münzgesetz v. 9. Juli 1873, R.G.Bl. S. 233.) 43) Wenn nicht die Willenserklärung von der thatsächlichen Erfüllung begleitet wird und dadurch erlischt, vielmehr eine Verbindlichkeit oder ein Rechtsverhältniß begründet, bestärkt. Anwendungen: a) H. Die Einwilligung des Vaters zu dem über den Ankauf eines Grund­ stücks von einem Haussohne geschlossenen Vertrage muß in der für di,esen Vertrag, vorgeschrie­ benen Form erklärt werden. O.Tr. III v. 26. Juni 1874, Entsch. 72 S. 243. b) Das kon­ stitutive Anerkenntniß eines Abrechnungsresultates fällt unter §. 133. R.G. I H. v. 3. Dez. 1880, Entsch. 3 S. 264. Ebenso der Kompensationsvertrag. R. G. I H. vom 11. Okt. 1881, Entsch. 6 S. 253; Dernburg, pr. Pr.R. 2 §. 106 a. E. (Abweichend hat entschieden O.Tr. III v. 19. Jan. 1872, Str. Arch. 84 S. 180.) c) Zu der ausdrücklichen Genehmigung, wodurch Geschäftsführung in ein Mandat verwandelt werden soll, gehört in allen Fällen, wo überhaupt Schriftlichkeit des Rechtsgeschäfts erfordert wird und insbesondere in so fern, als sich die Folgen der Genehmigung auf die Zukunft erstrecken sollen, auch die schriftliche Form. .Pr. des O.Tr. III. v. 30. März 1849 Nr. IV, Entsch. 18 S. 207. d) Die Einwilligung des Vermiethers, daß der Miether den ihm eingeräumten Gebrauch der Sache einem Anderen überlasse, bedarf nicht der schriftlichen Form'. Pr. 2029 v. 9. Juni 1848 und Erk. III v. 12. Juni 1854, Entsch. 28 S. 102. Dieser Fall ist lediglich auf den Dolus, nicht auf eine Verbindlichmachung des Ver­ miethers zurückzuführen, deshalb ist die Form entbehrlich. Allein das stimmt nicht zu dem

Von Verträgen.

215

§. 134. Zu Entsagungen und Berzichtleistungen "), nicht aber zum Beweise Ausdrucke: „sobald ihre Folgen sich auf die Zukunft hinauserstrecken." Das O.Tr. III hat auch später dieses Pr. 2029 auf den Fall beschränkt, daß nach abgeschlossenem Vertrage die Ein­ willigung des Vermiethers in die Ueberlassung der gemietheten Sache an einen Anderen in Be­ ziehung auf eine bestimmte Person gefordert und ertheilt worden. Der aufgestellte Grund­ satz soll aber nicht anzuwenden sein, wenn nach abgeschlossenenr schriftlichen Vertrage mündlich die Abrede getroffen ist, daß dem Miether die Befugnis; zustehen soll, die gemiethete Wohnung beliebig einem Anderen zu überlassen. Eine solche Abrede soll vielmehr zu ihrer Rechtsgültig­ keit der schriftlichen Form bedürfen. Pr. 2447 v. 29. April 1853, Entsch. 25 S. 388. Dieser Unterscheidung fehlt die Sachlichkeit. „Hat der Vermiether" — sagt das O.Tr. — „seine Ein­ willigung in die Abtretung des Miethsrechts an eine bestimmte Person, wenn auch nur mündlich, ertheilt, so kann nicht behauptet werden, daß der Miether eigenmächtig gehandelt habe; seine Handlungsweise steht vielmehr mit dem Witten des Vermiethers im Einklänge. Dieser Grund trifft aber nicht zu, wenn es sich nicht um die Einwilligung in die Uebertragung des Miethrechts an eine bestimmte Person handelt." Das bleibt zu erweisen. Wenn der Miether den Vermiether bittet, zu erlauben, daß er eine Stube z. B. an irgend einen Referendar oder Offizier vermiethen dürfe, und der Vermiether solches erlaubt, wer kann da behaupten, „daß der Miether eigenmächtig gehandelt habe", wenn er dies nachher gethan hat? Das O.Tr. hat die Gegensätze nicht im Bewußtsein gehabt und darum auch nicht richtig ausgedrückt. Zwei Fälle können eintreten. Entweder soll der Vermiether oder Verpächter nur die Aufnahme eines Untermiethers re. erlauben: dann ist keine Form des Willensausdrucks erforderlich, weil es lediglich auf die Thatsache, daß der Miether rc. nicht „eigenmächtiger Weise" einen Untermiether annehme, ankommt; alsdann kommt es auch nicht darauf ein, daß die Person des Untermiethers bestimmt sei. Oder es ist eine Abtretung des Miethsrechts rc. oder doch ein solches Verhältniß, daß der Vermiether in kontraktliche (obligatorische) Beziehung zu dem Unterpächter oder Untervermiether trete: alsdann muß die Form der Willenserklärung des Vermiethers oder Verpächters angewendet werden, welche für den vorliegenden Kontrakt, vermöge des Gegenstandes, vor­ geschrieben ist, und außerdem muß, sachlich, der Vermiether oder Verpächter seine Willenserklä­ rung unmittelbar dem Untermiether oder Unterpächter gegenüber geben, dergestalt, daß sie beide als vertragschließende Theile erscheinen. Hierdurch unterscheidet sich im Wesentlichen die Er­ klärung des Vermiethers rc. in dem ersten Falle, wo dieselbe nichts weiter als eine Erlaubniß oder Ermächtigung, welche der Vermiether rc. seinem Miether rc. giebt, ist; dieselbe ist für den Machtgeber ohne Rücksicht auf die Form deshalb bindend, weil ihn sein Dolus hindern würde, gegen die Ausführung seiner Ermächtigung anzustreben. — Uebrigens paßt die vage Bestimmung des §. 133 überhaupt nicht zu den übrigen einschlagenden Gesetzen, weil sie später eingeschoben und die Aenderung der übrigen Bestimmungen versäumt worden ist. In Erwägung der besouderen Bestimmungen über die Form der einseitigen Willenserklärungen, I. 4 94, 95, hat die Praxis den §. 133 auf die einseitigen Verträge, contractus unilaterales, (H. und zwar auf solche, durch welche Rechte konstituirt werden), beschränkt. Pl.Beschl. v. 1. Mürz 1847, Entsch. 14 S. 39; (H. Str. Arch. 80 S. 276, 84 S. 181; ferner R.G. II H. v. 8. Dez. 1879, Gruchot 24 S. 543; R.G. I H. v. 6. Juli 1880, das. 25 S. 733). Die Entstehungsgeschichte dieses §. 133 s. in der folg. Anm. 45. 44) Der Gläubiger, welcher seinem Schuldner gegen eine angenommene Gegenleistung Zahlungsfristen bewilligt hat, kann, ungeachtet des Mangels der gesetzlich nothwendigen Form, nur gegen Rückgabe des Empfangenen von dem Abkommen zurücktreten. §. 156. 'O.Tr. IV v. 6. Nov. 1851, Str. Arch. 4 S. 77. 45) Mit dieser Bestimmung verhält es sich wie mit der vorigen, sie ist mit ihr gleichzeitig in den fertigen Entwurf eingeschaltet und paßt eben so wenig in den Zusammenhang: daher hier dieselbe Ungewißheit und Meinungsverschiedenheiten darüber: ob alle Verzichtleistungen und Entsagungen, und zwar — wie der Wortlaut ist — ohne Rücksicht auf den Werth des Gegen­ standes, die schriftliche Form nöthig haben — was dem §. 387 I. 16 widerspricht, — oder ob auch hier die Unterscheidung des §.* 131 hinsichtlich des Gegenstandes, und zwar bei allen Arten oder nur bei einigen Entsagungen und bei welchen? vorausgesetzt ist. Die beiden Einschiebsel §§. 133, 134 sind entstanden auf ein Monitum zu §. 131, daß auch der bloß einseitigen Erklä­ rungen und Versprechungen erwähnt werden könnte, z. B. Quittungen, Konsense u. s. w. Suarez bemerkt darauf: Das Edikt v. 1770 rede von Kontrakten, Verträgen und Versprechungen. Hiernach könnte es scheinen a) als ob bloße Entsagungen eines Rechts der schriftlichen Abfassung nicht bedürfen. Es sei aber das Gegentheil angenommen (I. 16 §§. 380, 381), wohingegen b) bei Quittungen scriptura nicht nothwendig erfordert werde. Er glaube, daß man den Satz so formiren könne: „Auch zur Aufhebung der Verbindlichkeiten, insofern solche durch die bloße Willenserklä-

216

Erster Theil.

Fünfter Titel.

§§. 135—138.

der erfolgten Zahlung, oder sonstigen Erfüllung einer Verbindlichkeit"), sind schrift­ liche Urkunden erforderlich. iSimtncn: §• 135. Verträge und Erklärungen über Grundgerechtigkeiten1ingleichen a) bei Gerechtifltcitcn,

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„rung des Berechtigten erfolgen soll, ist die schriftliche Abfassung nothwendig. Zum Be„weise der Erfüllung einer Verbindlichkeit ist keine schriftliche Urkunde nothwendig. Wenn „aber eine Verbindlichkeit durch andere gesetzmäßige Handlungen gehoben worden, so be­ darf es zum Beweise darüber keiner schriftlichen Urkunden." Man findet hier die beiden ganz verschiedenen Zwecke der Form: Entstehung (Begründung) einer gültigen Erklärung, und Beweis, wieder mit einander vermengt. S. fährt fort: c) Es giebt noch viele andere einseitige Erklärungen, wodurch weder etwas versprochen, noch eine Ver­ bindlichkeit erlassen wird, z. B. die Konsense der Agnaten in Zehnfachen, die Konsense der Eltern in die Verheiratung der Kinder, die Entlassung eines Kindes aus der väterlichen Gewalt. Hier fragt sich: inwiefern zu diesen scriptura erforderlich sei. Da dergleichen Erklärungen ge­ wöhnlich weiter hinausgehende Folgen haben, so dürfte es wohl rathsam sein, die Regel zu etabliren, daß auch einseitige Erklärungen, insofern die Folgen sich auf die Zukunft hinaus er­ strecken, nur durch die schriftliche Abfassung verbindliche Kraft erhalten. Die etwaigen Aus­ nahmen würden bei den einzelnen negotiis zu bestimmen sein. — Ad in arg. ist bemerkt: 1. Entsagung schriftlich, 2. andere einseitige Erklärungen schriftlich, 3. Beweis der Erfüllung nicht schriftlich. Hieraus sind die beiden §§. 133, 134 hervorgegangen und die Aenderung der übrigen verschiedenen Bestimmungen darnach ist unterblieben. Der §. 134 wirft die verschiedenartigen Entsagungen und Verzichtleistungen ohne Unter­ scheidung zusammen. Die Herstellung einer Uebereinstimmung mit anderen einschlagenden Sätzen geschieht, auf gleiche Weise wie bei dem §. 133, durch Beziehung des §. 134 auf solche Ent­ sagungen, welche ein Vertrag sind, z., B. Erlaß (pactum remissorium), Akkord, da hier eben nur von Verträgen gehandelt wird und hierzu die Vorschrift I. 16 §. 387 genau paßt; xinb wenn man dagegen alle anderen Entsagungen und Verzichtleistungen, z. B. Erbschaftsentsagung, Adelsentsagung, Verzicht auf Rechtswohlthaten und Einwendungen, nach der für einseitige Willenserklärungen I. 4 §§. 94 u. 95 schon gegebenen allgemeinen Regel behandelt. S. die vor. Anm. 43. — Wenn in einem Gutsüberlassungsvertrage der Uebertragende sich die Regierung vorbehalten hat, so ist die spätere mündliche und thatsächliche Abtretung derselben nicht als Theil der Erfüllung des Ueberlassungsvertrages zu beurtheilen, sondern als eine Verzichtleistung auf ein kontraktliches Recht anzusehen, welche in mündlicher Form nicht rechtsbeständig ist. O.Tr. III v. 13. Dez. 1858, Str. Arch. 31. S. 329. Veral. auch die Anm. 5 zu §. 103 d. T. H. Ablehnung eines Vertragsanerbietens ist nicht Entsagung. O.Tr. III v. 14?April 1856, Entsch. 33 S. 30. — Der Verzicht auf Vergütung, der nach Vornahme der Leistung, für welche Vergütung versprochen ist, erklärt wird, bedarf (bei Objekten über 150 M.) der Schriftform. R.G. I H. v. 7. Mai 1880, Gruchot 25 S. 421. 46) Weil Zahlung und Erfüllung Realrechtsgeschäfte sind, zu deren rechtsverbindlichmachender Vollziehung eben die Leistung, ohne andere Förmlichkeit, genügt. Die Schrift ist dabei ein bloßes Beweismittel. — H. Auch Kompensation? Bejaht in Str. Arch. 84 S. 182 (III). Vgl. dagegen oben Anm. 43 bei b. 47) Ausdrücklich ist in Beziehung auf Eigenthum an Grundstücken die schriftliche Form nicht vorgeschrieben und die Schriftsteller streiten darüber, ob unbedingt auch bei einem Werthe nicht über 50 Thlr. die schriftliche Form erforderlich sei. Die Praxis hat sich dafür entschieden, auf Grund der §§. 16, 17 I. 10 vergl. mit §§. 146, 156 d. T. Das O.Tr. hat bisher gleich­ förmig angenommen: „Zum gültigen Verkaufe eines Grundstückes ist ein schriftlicher Vertrag unbedingt nothwendig." Pr. v. 12. Aug. 1836, Entsch. 1 S. 363. Ferner: 4 S. 221; Pl.Beschl. v. 22. März 1847, Entsch. 14 S. 51; 17 S. 132 und O.Tr. II v. 20. Okt. 1853, Entsch. 27 S. 36. Auch aus wissenschaftlichen Gründen ist es zu behaupten. Richt allein, wenn Grundgerechtigkeiten der Gegenstand sind, ist unbedingt ohne Rücksicht auf den Werth die schriftliche Form erforderlich, nach diesem §. 135, sondern auch bei dem nutzbaren Eigenthume (I. 18 §. 691); bei dem Pfandbesitze (I. 20 §. 100); bei Gebrauchs- und Nutzungsrechten (1.21 §. 233); bei dein Kolonate (I. 21 §. 626). Gilt diese Form bei den dinglichen Rechten an Grundstücken für nothwendig, so ist kein logischer Grund nachweisbar, aus welchem bei dem ersten und stärksten dinglichen Rechte, dem Eigenthume, davon abzugehen sei, und die den gleichen Grundsatz bei diesem Rechte aussprechenden §§. 16, 17 I. 10 so zu deuten, daß sie nur zur Beglaubigung bei dem Grundbuche die schriftliche Form forderten, und mit dem allgemeinen Prinzipe in Widerspruch träten. H. Das Gesetz v. 5. Mai 1872 über den Eigenthumserwerb bestimmt in §. 10: „Die An­ fechtung (der Eintragung des Eigenthumsüberganges) ist auch auf Grund des Rechtsgeschäfts, in dessen Veranlassung die Auflassung erfolgt ist, statthaft, jedoch wird die mangelnde

Von Verträgen.

217

über beständige persönliche Lasten und Pflichten, erfordern allemal eine schriftliche Abfassung. §. 136. Bei terminlichen Leistungen, wo entweder die Zahl der Termine unbestimmt ist, oder sämmtliche Termine zusammen die Summe von fünfzig Thalern über- Leistungen, steigen, sind schriftliche Contracte nothwendig. §. 137. Doch bedarf es bei den Miethen des gemeinen Gesindes keines schriftlichen Vertrages. (Th. 2. Tit. 5. Abschn. 1)"). §. 138. Bei gewagten Verträgen wird nicht auf die Größe des ungewissen °^nÄrt>Ä-° gen, Form dieses Geschäfts durch die Auflassung geheilt." Nach dem neuen Recht wird also auch ein mündlich über ein Grundstück, Bergwerkseigenthum oder eine selbstständige Ge­ rechtigkeit abgeschlossener Veräußerungsvertrag klagbar, sobald die Auflassung ertheilt und die Eintragung des neuen Eigenthümers erfolgt ist. Dagegen kann eine Klage auf Ertheilung der Auflassung nur auf einen Vertrag gegründet werden, der schriftlich abfgefaßt worden ist. Auch wird durch jenen §. 10 in Betreff der obligatorischen Beziehungen der Kontrahenten nichts an dem Rechtssatz geändert, daß neben dem schriftlichen Vertrage mündliche Nebenabreden keine Be­ deutung haben. (§. 128 d. T.) Aber durch die erfolgte Auflassung erlangen auch die neben dem schriftlichen Vertrage getroffenen mündlichen Nebenabreden verbindende Kraft. O.Tr. III v. 19. Dez. 1877, Entsch. 81 S. 9 und Str. Arch. 98 S. 182. Die Heilung des Formmangels tritt auch für die obligatorische Seite des Vertrages ein. O.Tr. III v. 29. April 1878, Str. Arch. 99 S. 317. Dem O.Tr. ist das R.G. in dem Urth. I H. v. 29. Juni 1880, Entsch. 2 S. 293, bei­ getreten. Anderer Meinung ist Mugdan in Johow u. Küntzel Jahrb. 1 S. 285. — Ist in einem mündlichen Kaufverträge für die Gesammtfläche eines Grundstücks ein ungetrennter Kaufpreis festgesetzt, und erfolgt die Auflassung nur in Ansehung eines Theiles des Grundstückes, so deckt diese partielle Auflassung nicht den ganzen untrennbaren Vertrag und heilt daher den Formmangel nicht. Entsch. des O.Tr. 82 S. 181. Vertrüge, durch welche Grundstücke Zertheilt, von einem Grundstück Theile abgezweigt oder Grundstücke, welche Zubehör eines anderen Grund­ stücks sind, abgetrennt werden, bedurften nach H. 2, 3, 4 des Ges. v. 24. Mai 1853 (G.S. S. 241) der gerichtlichlichen Form; sie mußten bei Strafe der Nichtigkeit von dem Hypotheken­ richter ausgenommen werden. Durch das Ges. v. 5. Mai 1872 über die Fonn der Verträge:c. (G.S. S. 508) ist diese Form-Singularität beseitigt: solche Verträge bedürfen zu ihrer Gültig­ keit keiner anderen Form, als die Verträge, durch welche Grundstücke im Ganzen veräußert werden. Zur Erwerbung einer Grundgerechtigkeit genügt es, wie ein Appellationsgericht angenommen hat, nicht, daß der Erwerber mit der mündlichen Einwilligung des Anderen Einrichtungen traf, in Folge deren nur ihm die Ausübung der Grundgerechtigkeit möglich war. O.Tr. II v. 10. Juni 1858, Str. Arch. 30 S. 86. — Wenn aber eine solche Anlage ans Grund eines lästigen bloß mündlichen Vertrages gemacht worden ist und das dadurch belastete Grundstück nach beider­ seitiger Erfüllung jenes Vertrages an einen Dritten veräußert wird, ohne daß der Veräußerer von seinem persönlichen Klagerechte auf Wegschaffung der Anlage Gebrauch gemacht hat oder ohne dasselbe dem Dritten mit zu cediren, so hat dieser kein Recht, auf Befreiung des mit der Last erworbenen Grundstücks zu klagen; der actio negatoria steht der Einwand der älteren Erwerbung, deren Titel nur von dem Autor hätte mit der condictio ob causam oder einer actio rescissoria angegriffen werden können, nun aber unangreifbar ist, entgegen. O.Tr. II v. 2. Dez. 1858, Str. Arch. 31 S. 298 und Entsch. 40 S. 25. (H. Vgl. auch O.Tr. II v. 20 Nov. 1877, Str. Arch 98 S. 125.) — Es ist auch zur Aufrechthaltung einer, durch münd­ lichen, beiderseits erfüllten Vertrag, errichteten Grundgerechtigkeit nicht erforderlich, daß derjenige, welcher das Bestehen der Grundgerechtigkeit behauptet, Rechtsnachfolger des Vorbesitzers, welcher den mündlichen Vertrag geschlossen hat, geworden ist. O.Tr. II v. 15. März 1864, Entsch. 51 S. 55 u. O.Tr. II v. 3. Mai 1870, Str. Arch. 78 S. 209. Ist nicht zweifelhaft. Der Vertrag, einmal erfüllt, begründet kein obligatorisches Rechtsverhältniß, sondern hat ein dingliches Recht geschaffen. H. Sind Grundgerechtigkeiten auf Grund eines mündlichen Vertrages errichtet, so sind sie zwar widerruflich, aber es mutz der frühere Zustand wieder hergestellt werden. O.Tr. II v. 26. Okt. u. 4. Dez. 1873, Str. Arch. 90 S. 312. 48) Das „Abschnitt 1" wird als Druckfehler angezeigt und soll gestrichen werden nach N. v. 29. Dez. 1837, Jahrb. 50 S. 469. Es ist aber kein Fehler, denn es soll nicht auf Tit. 5 überhaupt, sondern auf den ersten Theil desselben (§§. 1 —176), welcher ad marginem die Ueberschrift hat: „I. Von gemeinem Gesinde", verwiesen werden. — H. Der schriftliche Vertrag wird nach II. 5 §. 23 ersetzt durch das Geben und Annehmen des Miethsgeldes. Ist bei einem Gegenstände über 50 Thlr. Werth weder Miethsgeld gegeben, noch schriftlich kontrahirt, so ist bet Vertrag unverbindlich. O.Tr. I v. 10. Sept. 1877, Entsch. 80 S. 259.

Erster Theil.

218

Fünfter Titel.

§§. 139—147.

Gewinnes, sondern nur auf das gesehen, was dagegen gesetzt oder versprochen worden. §. 139. Ist aber von beiden Seiten ein gewagtes Geschäft vorhanden, so muß der Vertrag allemal schriftlich abgefaßt werden"). d) bei Coil§. 140. Conventionalstrafen werden nicht zu der Summe oder dem Werthe beittionalstrafen, der Sache gerechnet, worüber die Hauptverbindlichkeit eingegangen worden. §. 141. Uebersteigt ci6er50) die Conventionalstrafe selbst die Summe von fünfzig Thalrn., so ist ein schriftlicher Vertrag nothwendig. Schließung ~ §. 142. Zwischen Abwesenden61) vertritt die geführte Correspondenz die schriftlicher Verträge Stelle des schriftlichen Vertrages52), in so fern die Bedingungen und die wechsel­ durch Brief­ seitige Einwilligung der Contrahenten daraus zu entnehmen finb53). wechsel. §. 143. Ist zu den Geschäften, worüber der Vertrag geschlossen worden, die Ausfertigung eines förmlichen Instruments erforderlich, so vertritt der Briefwechsel die Stelle einer Punctation M). (§. 120. sqq.) nencs teines §• 144. Es bedarf keines schriftlichen Vertrages, wenn Jemandem Sachen in ^nsU'chcN-Verwahrung gegeben werden. (Tit. 14. Abschnitt 1.) darf.

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49) Der Satz ist angewendet worden auf den Fall, wo zwei Eigenthümer von Lotterie­ loosen die Hälfte ihres Looses mit einander vertauscht haben (Ullrich, Arch. 13 S. 359). Die Anwendung ist bedenklich. Hätte der Eine dem Anderen das halbe Loos verkauft, so wäre der Handel (unter 50 Thlrn.) gültig gewesen, wie man dort selbst behauptet. Hätten beide Loose körperlich getheilt und beiderseitige Hälften mit einander vertauscht werden können, so würde das wohl auch gültig gewesen sein/ Warum soll es anders sein, wenn Jeder das gemein­ schaftlich gewordene Loos für den Anderen mitbesitzt? Der Gegenstand und dessen Werth ist immer derselbe. 50) Man hat gefragt: Wenn über eine Konventionalstrafe von mehr als 50 Thlrn. ein schriftlicher Vertrag, der Hauptvertrag, dessen Gegenstand sich nicht über 50 Thlr. beläuft, aber nur mündlich errichtet worden, ist das gültig? und hat die Frage einerseits bejahet, andererseits verneint, beides aus einem und demselben Grunde, nämlich wegen des „aber." Man kann die Frage durch eine andere beantworten: Ist die Ausbedingung einer Konventionalstrafe unter einer Bedingung zulässig, z. B. wenn Jemand einem Anderen eine Konventionalstrafe von 60 Thlrn. unter der Bedingung schriftlich verspricht: wenn er ihm nicht eine gewisse Probe bis zum nächsten Ersten zuschicken würde, ist das gültig? Schwerlich kann eine separate Schrift über eine Konventionalstrafe allein, ohne gleichzeitige Hauptverbindlichkeit, anders als so gefaßt sein, daß die Strafe in obligatione, die Leistung in conditione ist; sonst müßte ja die Schrift die Hauptverbindlichkeit gleichfalls enthalten. Wärmn aber soll ein solcher Vertrag nicht gültig sein? 51) Damit werden hier alle Kontrahenten gemeint, welche nicht persönlich zusammen kommen, sondern, wenngleich an Einem Orte anwesend, sich doch ihre Erklärungen brieflich zuschicken. 52) Die Parteien haben es ganz in ihrer Willkür, die Perfektion ihrer Willensüberein­ stimmung abhängig zu machen, wovon sie wollen. Wenn daher die brieflich Kontrahirenden darüber einig geworden sind, daß vorerst noch eine Punktation aufgesetzt und vollzogen werden solle, so ist nach §§. 116 u. 117 d. T. anzunehmen, daß die verbindliche Kraft des Vertrages von der schriftlichen Abfassung und Unterschrift der Punktation hat abhängen, und erst mit dieser anfangen sollen — hier um so eher, als bei dergleichen mündlicher Abrede, weil es dabei zum Zwecke des schriftlichen Beweises einer Punktation nicht mehr bedarf. Die Korrespondenz ver­ tritt in diesem Falle unter keiner Bedingung die Stelle des schriftlichen Vertrages. Pr. d. O.Tr. v. 1. März 1813. (Simon, Rechtsspr. 1 S. 29.) — In Betreff der Vertragsschließung mittelst telegraphischer Korrespondenz s. Anm. 99 Abs. 2 zu §. 99. d. T.

53) Die Bedingungen des Vertrages müssen in den Briefen vollständig enthalten, und es darf hinsichtlich dieser Bedingungen nicht lediglich auf die mündlichen Unterhandlungen Bezug genommen sein. O.Tr. IV v. 21. April 1853, Str. Arch. 9 S. 119. 54) Wird in diesem Falle auf Errichtung eines förmlichen Instruments geklagt, so müssen die einzelnen Punkte, welche ausgenommen werden sollen, alle in der Klage aufgeführt werden. Zweckmäßig ist es, statt dessen der Klage einen Entwurf beizufügen, um erkennen zu lassen, daß darnach der förmliche Vertrag zu verlautbaren.

Von Verträgen.

219

§. 145. Jngkeichen wenn Gastwirthen, Fuhrleuten oder Schiffern Habselig­ keiten von Reisenden anvertraut werden. §. 146. Wenn ein Vertrag'") über bewegliche"") Sachen"') von beiden Theilen sogleichr>s) erfüllt"*) wird, so kann, zur Anfechtung des solchergestalt ab­ gemachten Geschäftes, der Mangel eines schriftlichen Vertrages nicht vorgeschützt

werden. §. 147. Auch kaun keiner von beiden Theilen wegen eines solchen ab­ gemachten Geschäftes, ans den Grund vorgeblicher mündlicher"") Nebenabreden,

den Andern in Anspruch nehmenli1). 55) Auch auf Vergleiche findet diese Vorschrift Anwendung. Pr. 1853» v. 19. Febr. 1847, Entsch. 15 S. 83. — Auch die mündliche Vereinbarung über die Aufhebung eines bereits an­ getretenen Dienstvertrages ist ein unter dem §. 146 stehender Fall, wenn das Abkommen durch beiderseitige Leistung erfüllt, namentlich das, was der Dienstherr geben soll, gegeben und da­ gegen der Dienst von der anderen Seite verlassen worden ist. O.Tr. IV v. 14. Mai 1857, Str. Arch. 14 S. 42. M. s. auch Erk. IV dess. v. 26. Mai 1853, Str. Arch. 9 S. 203, und desselben Senats v. 10. März 1863, betr. einen mündlichen Vergleich über eine streitige Forderung, nach welchem der Schuldner einen Wechsel über einen geringeren Betrag dem Gläubiger an Zahlungsstatt übergiebt und dieser dagegen seiner Mehrforderung entsagt, Str. Arch. 49 S. 114. 56) Betreffs unbeweglicher Sachen s. Anm. zu §. 156 d. T. 57) Und diesen gleichstehende Rechte. I. 2 §. 7. Pr. 1853» s. die vor. Anm. 55. Auch die aufgetragene Handlung aus einem ausgeführten mündlichen Auftrage ist als bewegliche Sache anzusehen, wenngleich sie sich auf ein Grundstück bezieht. Doch kommt darauf nichts an, denn eine „Handlung" an und für sich, als Gegenstand eines Vertrags, ist weder eine körperliche Sache noch ein Recht, daher gelten für Verträge über „Handlungen" oder „Unterlassungen" eigenthümliche Grundsätze und Regeln. §§. 137, 165—167 d. T. verb. mit I. 11 §§. 869 ff. und Anm. zu I. 13 §. 7. Vergl. Anm. 61 zu 8- 147 d. T. H. Anwendung auf die Aufhebung eines Mietvertrages durch mündliche Einigung mit hinzu­ getretener Räumung der gemietheten Sache: O.Tr. III v. 20. Nov. 1874, Entsch. 73 S. 200. 58) Das „sogleich" hat hier seine eigentliche Bedeutung nicht, es ist überflüssig. Sonst müßte ein mündlicher Vertrag, welcher von dem Einen erst nach einiger Zeit, von dem Anderen aber noch viel später erfüllt worden, wieder aufgerufen werden können. So ist es nicht. Von beiden Seiten abgemachte Geschäfte sollen nicht wieder zerrissen werden. S. die Quelle dieser Bestimmung im Ed. v. 8. Febr. 1770 §. 6 a. E. Ist auch angenommen von dem O.Tr. IV am 25. Okt. 1859, Str. Arch. 35 S. 195. 59) Vollständig nämlich. Pr. des O.Tr. 436 v. 3. Febr. 1838 (Entsch. 3 S. 341). Für vollständige Erfüllung gilt es aber, wenn Leistung und Gegenleistung ohne Rückstand aus­ gewechselt worden sind. Die erst hieraus, aus dem Geben, entstehende Verbindlichkeit zur Gewährleistung ist nur rechtliche Folge der Erfüllung. Vergl. Pr. des O.Tr. v. 24. März 1838, Schl. Arch. 3 S. 638. Eine unvollständige Erfüllung ist es z. B., wenn auf Grund eines münd­ lichen Kaufs einer Forderung einerseits die Valuta bezahlt und andererseits das Schuldinstru­ ment, ohne schriftliche Session, übergeben wird. Pr. 1663 v. 12. Dez. 1845, Entsch. 14 S. 237 ; H. O.Tr. 1 v. 15. Jan. 1875, Str. Arch. 93 S. 118. — H. Ist in einem mündlichen, sofort er­ füllten Vertrage der Ausschluß der Gewährleistung verabredet, so ist die Abrede gültig, mit) kann nicht als mündliche Nebenabrede aus §. 128 d. T. beseitigt werden. O.Tr. IV v. 11. Nov. 1875, Entsch. 76 S. 55. Ein mündlicher Vergleich, sagt das O.Tr. I V in einem Erk. v. 8. März 1851, Str. Arch. 2 S. 45, nach welchem die Parteien ihren gegenseitigen Forderungen, wenngleich zum Betrage von mehr als 50 Thlrn., entsagen, ist, als ein über bewegliche Sachen sich verhaltender und gleich erfüllter Vertrag, auch ohne hinzukommende schriftliche Abfassung, gültig. Das ist nicht richtig. Der §. 146 fordert den Hinzutritt einer Realleistung zum formlosen Verbalvertrage, so daß der formlose und deshalb unverbindliche Konsensualkontrakt die Natur eines erledigten Nealkontrakts angenommen hat. Ein Vergleich aber besteht aus der bloßen Entsagung zweier, einander gegen­ überstehender Personen (§. 134) und bleibt in den Grenzen eines bloßen Verbalvertrages/der nur durch die vorgeschriebene Form Rechtsbeständigkeit erhalten kann. Die nach vorgängiger Verabredung erfolgte Hingabe und Annahme eines Wechsels an Zahlungsstatt ist rechtsgültig, wenngleich jene Verabredung nur mündlich getroffen ist. O.Tr. IV v. 18. Sept. 1851, Str. Arch. 3 S. 86. 60) D. h. anderer Nebenbestimmungen, als welche die Gesetze subsidiarisch getroffen haben; denn nur diese gelten.

220

Erster Theil.

Fünfter Titel.

§§. 148—151 (Zusatz)—156.

§. 148. Wenn über bewegliche körperliche "2) Sachen außerhalb Landes an einem Orte, tvo mündliche Verträge ohne Unterschied gültig sind, dergleichen Ver­ träge geschlossen worden, so kann der Mangel der schriftlichen Abfassung auch in den hiesigen Gerichten nicht vorgeschützt werden. §§. 149—151. Aufgehoben durch die nachfolgende Bestimmung63): 2. Allgem. deutsches Handelsgesetzbuch. Art. 317. Bei Handelsgeschäften ist die Gültigkeit der Verträge durch schriftliche Abfassung oder andere Förmlichkeiten nicht bedingt. Ausnahmen von dieser Regel finden nur insoweit statt, als sie in diesem Gesetzbuchs enthalten sind.")

§. 152. Die von dem Schuldner geschehene Unterschrift"^) einer Rechnung über gelieferte Waaren oder Arbeitene5) vertritt in allen Fällen die Stelle eines schriftlichen Vertrages6e). §. 153. Wenn ein Dritter einem zwischen andern Contrahenten geschlossenen Vertrage, welcher nach den Gesetzen schriftlich verfaßt werden mußte, beitreten will*’), so muß dieser Beitritt ebenfalls schriftlich erklärt werden. lö'nncrmiMu §• 154. Mündliche Verlängerungen eines nach den Gesetzen in Schriften ab­ gefaßten Vertrages gelten nur so weit, als die Gesetze die Zulässigkeit einer still­ schweigenden Verlängerung, und deren Fristen ausdrücklich bestimmen °8). (Tit. 21. Abschn. 2) °8). SolgcnÄnu §• 155. Ist in Fällen, ivo die Gesetze einen schriftlichen Vertrag erfordern, die schriftliche Abfasfunj unters 61) Die §§. 146, 147 sind auf Verträge über Handlungen nicht anwendbar. blieben ist. v ii. Okt. 1864, Str. Arch. 56 S. 227. Vergl. oben Anm. 57 zu §. 146 d. T.

O.Tr. IV

62) Eine Beschränkung der Regel §. 111. Warum? ist nicht zu ergründen. Im Entwürfe fehlt das Wort; es findet sich erst in der von einer Kanzleihand geschriebenen Reinschrift des Manu­ skripts des Gesetzbuchs von Suarez' Hand eingeschaltet. Borne mann, System 2 S. 461. 63) Die §§. 149—151 lauteten: 149. Kaufhandlungen über Meß- und Markt-Waaren, die von Kaufleuten mit andern Personen während der Messe oder des Marktes geschlossen, und sogleich erfüllt, oder in kaufmännisch geführte Bücher eingetragen worden, erfordern keinen schrift­ lichen Eontraet. §. 150. Außerdem müssen auch solche Kaufhandlungen schriftlich abgefaßt, oder von beiden Theilen dem, nach Vorschrift der Gerichtsordnung, anzuordnenden Meß- oder MarktGerichte mündlich angezeigt werden. §. 151. Was wegen der schriftlichen Verträge bei kauf­ männischen Geschäften, unter Kaufleuten, in und außer den Messen und Märkten Rechtens sei, ist gehörigen Orts bestimmt. (Th. 2. Tit. 8. Abschn. 7.)" 64) Ausnahmen enthalten die Art. 174, 208, 310, 311 H.G.B. Dieselben betreffen die Errichtung einer Kommanditgesellschaft auf Aktien und einer Aktiengesellschaft, sowie gewisse kauf­ männische Pfandgeschäfte. 64*) Oder die briefliche Anerkennung. O.Tr. IV v. 13. Dez. 1847, Rechtsf. 3 S. 225. 65) Die Rechnung darf sich aber in einzelnen Posten nicht aus andere Urkunden oder Vor­ gänge beziehen. Der Posten z. B. „Saldo 10 Thlr." wird mit der Unterschrift nicht verbindlich anerkannt. §. 190 d. T. 66) Vergl. übrigens Art. 294 des H.G.B. 67) Vergl. o. §. 75 d. T. Darnach auch die Bewilligung der .Hauptparteien. Vgl. auch Pr. 269 zu §. 185. 68) Die Grundsätze über die Folgen der unterbliebenen schriftlichen Abfassung gelten in der Regel auch für Verlängerungen der gehörig schriftlich abgeschlossenen Verträge. Vergl. Pr. des rhein. Rev.-Hofes (ohne Datum) von 1851 in J.M.Bl. 1851 S. 349. H. §. 154 ist nicht analog anwendbar auf bereits gekündigte Pachtverträge, Str. Arch. 78 S. 184 (III).

69) Es muß „Abschn. 3" heißen. R. v. 29. Dez. 1837 (Jahrb. 50 S. 469). Richt dort allein finden sich Ausnahmen, sondern auch ein schriftlicher, mit einem Hausoffizianten ge­ schlossener Dienstvertrag kann stillschweigend verlängert werden. Pr. 1921 (Pl.Beschl.) v. 18. Okt. 1847, Entsch. 15 S. 61.

Von Verträgen.

221

derselbe bloß 70) mündlich geschlossen, und noch von keinem Theile erfüllt ivorden T1), so findet daraus keine Klage statt72). §. 156. Hat aber ein 7S) Contrahent von dem Andern die Erfüllung bereits ganz oder znm Theil angenommen 74), so ist er verpflichtet75), entweder den Ver70) S. über den Fall, wenn aus einem nur von den: Kläger mündlich geschlossenen, von dem Anderen einseitig unterschriebenen Vertrag Wiederklage erhoben wird, das Pr. 1046 in der Anm. 20 Nr. 4 zu §'. 116 d. T. ' 71) Wenn in Folge einer über ein Grundstück geschlossenen Kaufpunktation der Käufer den Verkäufer auch nur mündlich beauftragt, das Grundstück an einen Dritten zu übergeben, oder mit demselben einen förmlichen Kaufkontrakt darüber zu errichten, so ist die demgemäß auch wirklich an den Dritten geleistete Uebergabe, oder die Errichtung des förmlichen Kontrakts mit demselben, eine gültige Erfüllung der Punktation von Seiten des Verkäufers. O.Tr. III (Pr. 1752) v. 30. Mai 1846, Entsch. 13 S. 169. 72) Die §§. 155, 156 finden auch auf schriftliche Verträge, welche hätten gerichtlich abgeschlossen werden sollen, analoge Anwendung. O.Tr. III v. 15. Mai 1857, Str. Arch. 24 S. 305. — H. Nichtanwendung des §. 155 d. T. auf einen mündlichen Grenzregulirungsvertrag trotz §. 388 I. 17: O.Tr. II v. 13. Sept. 1875, Entsch. 75 S. 308. 73) Die §§. 155—157 finden auch auf mündliche Verträge über Grundstücke und Ge­ rechtigkeiten Anwendung: auch aus schriftliche Verträge, in denen der Kaufpreis simulirte und der wahre Kaufpreis nur mündlich (wenn auch geringer als der simulirte) verabredet worden ist. O.Tr.IV. v. 11. Okt. 1870, Entsch. 64 S. 62. — H. Der zurücktretende Theil muß klagen, Str. Arch. 77 S. 35 (II); 80 S. 216 (III). Dagegen ist in dem Erk. des O.Tr. IV v. 13. Sept. 1877, Str. Arch. 97 S. 349, ohne Motivirung der Satz aufgestellt, daß diese §§. nur auf Verträge über bewegliche Sachen anwendbar seien. Vgl. Abs. 3 dieser Anm. Haben beide Kontrahenten und zwar vollständig erfüllt und ist der Gegenstand eine un­ bewegliche Sache, mithin der §. 146 unanwendbar, so treten die hier gegebenen Vorschriften wegen Rücktritts und Rückgabe gleichfalls ein. Denn von einem, nach den Gesetzen schriftlich zu errichtenden, aber nur mündlich geschlossenen Kontrakte kann — außer dem Falle des §. 146 — auch derjenige Kontrahent, welcher denselben seinerseits selbst vollständig erfüllt hat, zurück­ treten und das Gegebene zurückfordern. Pr. 436 v. 3. Febr. 1838, Entsch. 3 S. 341. Dies ist von mehreren Seiten bestritten, die Praxis in letzter Instanz ist jedoch gleichförmig. M. s. noch die Pr. des O.Tr. in der Jur. Wochenschrift 1846 S. 321, und v. 28. Juni und 23. Aug. 1847, Rechtsf. 2 S. 26 und 184. Dieser Gerichtshof hat auch den Satz ausdrücklich für an­ wendbar erklärt auf den Fall, wenn der mündlich geschlossene Vertrag eine unbewegliche Sache betrifft und von beiden Seiten vollständig erfüllt ist; und angenommen, daß die Grundsätze der 156 ff. deshalb, weil sie allgemeine Grundsätze über die rechtlichen Folgen, wenn die schrift­ liche Abfassung eines Vertrages, welcher schriftlich hätte geschlossen werden sollen, unterblieben ist, sind, in allen Fällen Anwendung finden, wofür keine besonderen Vorschriften gegeben sind. Für unbewegliche Sachen giebt es dergleichen nicht; der hierher gezogene §. 233 I. 21 bezieht sich auf unentgeltliche Gebrauchsüberlassunaen. Pr. v. 13. Febr. 1849 in Sachen Bußemann w. Wilke, 6ü0/2429 III. 48. Vergl. O.Tr. III v. 26. April 1858, Entsch. 38 S. 32. — H. Das Recht, den nur mündlich geschlossenen Vertrag aufzurufen, steht nur den Kontrahenten selbst und deren Erben zu. R.G. II H. v. 24. Nov. 1879, Gruchot 24 S. 414. Auch bei dieser Ent­ scheidung handelte es sich um Verträge über Grundstücke. H. Dieser Rechtszustand ist durch §. 10 des Ges. v. 5. Mai 1872 über den Eigenthums­ erwerb rc. wesentlich geändert. S. oben Anm. 47 zu §. 135. Ein mündlich abgeschlossener Kaufvertrag über ein Grundstück kann, wenn die Auflassung ertheilt ist, nicht mehr rückgängig gemacht werden. Ist -eine unbewegliche Sache Gegenstand des Vertrages, darüber auch ein schriftlicher Ver­ trag aufgesetzt, darin aber die Gegenleistung (das Kaufgeld) anders niedergeschrieben, als wirk­ lich ausgemacht worden ist; so ist der Fall dem bloß mündlichen Vertrage gleich. Hier ist die Praxis ergänzend eingeschritten. Wenn nämlich dieser simulirte schriftliche Vertrag von beiden Seiten der wahren Verabredung gemäß vollständig erfüllt, namentlich auch von den: Kaufgelde nichts mehr rückständig ist: so soll es in diesen Falle so gehalten werden wie in dem gleichen Falle bei unbeweglichen Sachen nach §. 146 d. T. S. Anm. 59 dazu, und unten Pr. 1371 v. 11. Nov. 1843, in der Note zu I. 11 §. 74. O.Tr. III v. 2. Okt. 1857, Str. Arch. 28 S. 7. 74) S. Pr. 1064 und in der Anm. zu I. 11 §. 128. H. O.Tr. III v. 23. Febr. 1872, Entsch. 67 S. 100. 75) Aber nicht berechtigt, d. h. er ist nicht befugt zu erfüllen, wenn der Geber zurück­ fordert. Der Rechtsstand ist dieser: Will der Geber bei dem Vertrage stehen bleiben, und macht

222

Erster Theil.

Fünfter Titel.

§§. 157—161.

trag auch von seiner Seite zu erfüllen 7ti), oder das Erhaltene zurückzugeben oder zu vergüten 77). §♦ 157. Wählt er letzteres 78)f so muß er die auf Rechnung des Vertrages erhaltene Sache in dem Stande, wie er sie empfangen hat79), zurückgebeii80). der Empfänger seinerseits zur Erfüllung keine Anstalten, so kann der Geber nicht unbedingt auf Erfüllung klagen, sondern muß dem Empfänger die Wahl lassen zwischen Rückgabe und Er­ füllung. Die Praxis hat angenommen, daß der Geber in diesen: Falle das Klagepetitum nicht nothwendig alternativ formuliren müsse, vielmehr dasselbe zwar auf Verurtheilung zur Erfüllung richten könne, doch sich den Einwand gefallen lassen müsse, daß die Sache zurückgegeben werde. Das dem Empfänger überlassene Wahlrecht trete also erst dann in Wirksamkeit, wenn der Ver­ käufer durch Forderung des Kaufpreises Erfüllung fordere; alsdann könne der Anspruch auf Zahlung des Kaufpreises durch wirkliche Rückgabe der Sache beseitigt werden. O.Tr. v. 29. Sept. 1843, Jur. Wochenschr. 1844 S. 524, und III v. 26. Febr. 1856, Str. Arch. 20 S. 205. (In dem Erk. IV v. 27. Sept. 1864 kehrt das O.Tr. jenes Verhältniß wieder um, indem es sagt: „Bei mündlichen Verträgen hat derjenige, welcher zur Erfüllung des Vertrages etwas gegeben, streng genommen nur ein Recht auf Rückgewähr des Gegebenen; der Empfänger kann nach §. 156 die Rückgewühr abwenden, wenn er das seinerseits Versprochene leistet, weiter aber geht sein Recht nicht," Str. Arch. 56 S. 201. Mit dein „weiter aber geht sein Recht nicht" wird der mit Recht für unrichtig erklärten Ansicht des Appell.-Gerichts Hamm entgegen getreten, daß der Geber zur Begründung seiner Klage auf Rückgabe oder Vergütung des theilweise Ge­ leisteten — wie nach §. 271 bei einem formell gültigen Konsensualverträge — sich auch zur Leistung des Rückstandes erbieten müsse, was unjuristisch ist.) Tritt hingegen der Geber selbst zurück, so kann er das Gegebene condictione ob causam unbedingt zurückfordern (§. 161), und der Empfänger kann die Klage nicht durch Anbietung der Gegenleistung beseitigen. Pr. des O.Tr. v. 3. u. 17. Febr. 1838, Entsch. 3 S. 351, u. v. 30. Jan. 1846, Schles. Archiv 6 S. 268. In den Gründen des letzteren wird (S. 271) auszuführen gesucht, daß eine völlige Uebereinstimmung des L.R. mit dem Röm. Innominatkontrakte (L. 3 §. 2 D. de cond. causa data XII, 4) be­ stehe. Für den Fall, daß nicht der Geber, sondern der Empfänger zurücktritt, ist das unrichtig: der Empfänger hat nach R. R. und nach den Grundsätzen der condictio ob causam keine Be^ fugniß abzugehen, er muß unbedingt erfüllen, wenn der Geber Erfüllung verlangt. Das L.R. hingegen hat den entgegengesetzten Grundsatz, daß die Annahme der Leistung nicht zur Gegen­ leistung verpflichte, §. 156. Das ist eine große Abweichung von dem Röm. Jnnomiatkontrakte. 76) Wählt der Beklagte die Erfüllung, so kann er trotz seines Wahlrechts begehren, daß auch die mündliche Verabredung bezüglich der zu gewährenden Eigenschaften der Sache für beide Kontrahenten ihre Wirksamkeit behalte. O.Tr. v. 22. Dez. 1863, Str. Arch. 51 S. 324. H. Der Beklagte kann aber seine eventuelle Verpflichtung zur Rückgabe rc. nur abwenden durch that­ sächliche Erfüllung, nicht durch eine bloße Erklärung, zur Erfüllung bereit zu sein. O.Tr. III v. 15. Sept. 1876, Str. Arch. 96 S. 238. 77) Der §. 156 setzt zu seiner Anwendung voraus, daß der nur mündlich geschlossene Ver­ trag an sich zum definitiven Abschlüsse, d. h. zur Perfektion gelangt ist, O.Tr. IV v. 22. Dez. 1863, Str. Arch. 51 S. 327. H. Die in den folg. §§. vorgeschriebenen Nachtheile des zurücktretenden Kontrahenten kommen nur dann zur Anwendung, wenn der Rücktritt lediglich wegen der gesetzlichen Un­ verbindlichkeit des Vertrages erfolgt, Str. Arch. 81 S. 13 (III). Ein (d. h. nach älterem Recht) durch mündlichen Vertrag und Uebergabe erworbenes Grundstück geht — unbeschadet des Rechts des Veräußerers, den Vertrag zu widerrufen — in das Eigenthum des Erwerbers über, letzterer bedarf nicht mehr der Ersitzung. O.Tr. III v. 8. März 1875, Entsch. 74 S. 265. H. Die Erklärung, zurücktreten zu wollen, wird erst bindend durch Annahme seitens des andern Theils, R.G. II H. v. 15. April 1880, Gruchot 24 S. 880. 78) Bis zur reellen Ausübung dieses Wahlrechts ist der Empfänger Eigenthümer der empfangenen Sache, das Eigenthum geht erst durch die Zurückgabe aus den Geber zurück. Geht die Sache vorher zu Grunde, krepirt z. B. das betreffende Thier, so trägt er den Schaden und muß nunmehr die andere Alternative unbedingt erfüllen. — Die Rückgabe muß an dem Wohn­ orte des Gebers zur Zeit des Vertragsschlusses geleistet werden. §. 248 d. T. Der §. 27 I. 16 kommt bei Verträgen ausnahmsweise nicht zur Anwendung. O.Tr. v. 19. Nov. 1863, Str. Arch. 52 S. 103.

79) Mehrere fungible Sachen oder Stücke einer Gattung alle. Sind einige davon nicht mehr vorhanden, so muß der Empfänger auch die übrigen behalten, wenn alle zusammen als ein Ganzes zu betrachten sind, so daß die einzelnen Einheiten eine in die andere gerechnet worden, mithin der Empfänger nicht die besseren Stücke verbrauchen und bezahlen, den schlechten

Von Verträgen.

223

§. 158. Wegen der Nutzungen, ingleichen wegen der in der Zwischenzeit vor­ gefallenen Verbesserungen, ist er einem unrechtfertigen Besitzer gleich zu ciäten81 * *).* * * * * 80

(Tit. 7. §. 223. sqq.)82) §.159. Kanu er die empfangene Sache in dem Stande, in welchem sie sich zur Zeit der Uebergabe befunden hat83), nicht zurückgeben, und will dennoch den mündlichen Vertrag Glicht erfüllen, so muß er den mündlich verabredeten Werth84)85 86 ersetzen. ~ §. 160. Ist kein Werth verabredet worden, so muß derjenige, welcher die Sache zur Zeit der Uebergabe gehabt hat, ausgemitteltS5) und ersetzt werden. §. 161. Hat der, welcher den mündlichen Vertrag nicht erfüllen will, dem andern Contrahenten auf Rechnung desselben etwas gegeben, so kann er83) dasselbe zwar ebenfalls zurückfordern;

Rest aber zurückgeben darf. Vergl. die §§. 339—342 d. T. und die Anm. dazu. Diese Vor­ schrift und die sich anschließenden §§. 158—160, 162, 163 und 165 begründen nur einen Ein­ wand; denn sie betreffen im Wesentlichen nur die Gerechtsame, welche dem Bekl., gegenüber dem vom Vertrage abgehenden Kl., zustehen sollen. Der Bekl/, nicht der Kl. ist es also, der ein Interesse dabei hat, diejenigen Umstände vorzubringen und zu beweisen, welche die An­ wendung jener Bestimmungen voraussetzt. Pl.Beschl. des O.Tr. v. 19. Mai 1851, Entsch. 21 S. 335. — Vergl. unten §. 327 und die Anm. zu §. 162 d. T. 80) Aus dieser Verpflichtung, die Sache in dem Stande, wie sie empfangen, zurückzugeben, folgt nicht ohne Weiteres, daß der Empfänger keinen Anspruch auf Erstattung der Kosten habe, die er auf die Erhaltung der Sache bis zu deren Rückgabe verwendet hat. 163, 164; I. 7 §§. 216, 236. O.Tr. IV (Pr. 1189) v. 8. März 1850, Entsch. 19 S. 76. 81) Dieser §. kann sich auf die folg. §§. 159 und 160 gar nicht beziehen — wie man als eine Zweifelsfrage aufgeworfen hat — denn in diesen Fällen behält ja der Empfänger Alles. 82) Wegen dieser Bestimmung soll der zurücktretende Besitzer nach der Meinung des O.Tr., gleich einem unredlichen Besitzer, auch Rechnung über die, während der ganzen Dauer seines Besitzes, also auch in der Zeit, wo er noch nicht dachte, unrechtfertiger Besitzer zu werden, ge­ zogenen Früchte zu legen gehalten sein, und zwar „a l s S t r a s e f ü feinen Wankel m u t h". O.Tr. III v. 11. Juli 1864, Entsch. 52 S. 9. S. auch Anm. zu I. 7 §. 235. Eine ganz neue Idee, nur ohne juristisches Prinzip. 83) Dabei ist vorausgesetzt, nicht: daß die Sache sich zur Zeit in einem gegen die Ueber­ gabe völlig veränderten Zustande befinde, in welchem sie ihrer Bestimmung gemäß gar nicht gebraucht werden kann, — sondern vielmehr: daß überhaupt nur die vorgenommenen oder eingetretenen Veränderungen die Sache in ihrer Bestimmung und Brauchbarkeit gegen den Zustand zur Zeit der Uebergabe alteriren, worüber nötigenfalls Sachverständige mit ihren: Gutachten zu hören sind. O.Tr. III (Pr. 2152) v. 30. Okt. 1849, Entsch. 19 S. 87. Dadurch ist die Frage wegen Deteriorationen abgeschnitten. Ganz richtig sagt daher das O.Tr., der Geber mußte das Pferd, wenn es sich nicht mehr in. dem Zustande zur Zeit der Hingabe befand, ablehnen und dafür den ganzen (mündlich verabredeten) Werth fordern; nahm er aber das Pferd trotz seiner Verschlechterung zurück, so fiel für ihn auch der Anspruch auf Vergütung, insbesondere für etwaige Verschlimmerungen, fort. O.Tr. IV v. 8. März 1866, Str. Ärch. 62 S. 208. 84) Ganz, nicht etwa nur die Differenz zwischen dem verschlechterten und dem verabredeten Werthe mit der Befugniß, auch die verschlechterte Sache zurückzugeben. Der Empfänger hat hier gar kein Recht, sondern nur Pflichten. §. 156 u. Anm. 75. 85) Ist die Sache unschätzbar, so ist die Gegenleistung der Maßstab; denn beide Theile haben sie auf so hoch durch den Umtausch gewürdigt. Nur wenn diese auch unschätzbar ist, kann der Schätzungseid des Berechtigten entscheiden. 86) Er, der Geber. Ist also auf der einen Seite von Mehreren gemeinschaftlich der Vertrag geschlossen, und hat nur Einer allein von ihnen darauf Etwas gegeben, so kann auch er allein das Gegebene zurückfordern; es steht ihm nicht der Einwand der Gemeinschaft mit den Uebrigen entgegen, weil nicht der gemeinschaftlich geschlossene mündliche Vertrag, sondern das Geben ohne gültige causa der Grund der Rückforderung ist. O.Tr. 111 v. 18. Sept. 1857, Str. Arch. 26 S. 193. Denn die Zurückforderungsklage wird ganz allein durch das bloße, in Folge des formlosen Vertrages geschehene Geben begründet, und es kommt gar nicht darauf an, daß' der Geber Eigenthümer des Gegebenen sei. O.Tr. III v. 6. Jan. 1860, Str. Arch. 36

224

Erster Theil.

Fünfter Titel.

§§. 162—165.

§. 162. Er muß aber die gegebene Sache in dem Stande wieder annehmen, in welchem sie sich zu der Zeit, da seine Weigerung zur Wissenschaft des Andern gelangt ist, befunden hat8?). §. 163. Ueberhaupt hat derjenige Contrahent, welcher den mündlichen Ber­ trag zu erfüllen bereit war, in Ansehung der an den Andern, welcher zurücktritt, zu leistenden Rückgabe durchgehends die Rechte eines redlichen Besitzers88 * *).87 (Tit. 7. §. 188. sqq.) §. 164. Ist einem oder dem andern Theile, auf Abschlag des mündlichen Vertrages, etwas bezahlt worden, so muß der, welcher zurücktritt, vom Tage der empfangenen Zahlung, der andere aber, welcher den Contract zu erfüllen bereit war, vom Tage des ihm angekündigten gegenseitigen Rücktritts, landübliche Zinsen entrichten 89). S. 133. H. Auch machen die §§. 161, 162 keinen Unterschied zwischen sog. wohlthätigen und lästigen Verträgen. O.Tr. I v. 16. Febr. 1872, Entsch. 66 S. 2. 87) Er muß also auch die Meliorationen mitnehmen und vergüten. §. 163. (H. Vergl. auch O.Tr. III v. 11. Mai 1874, Str. Arch. 91 S. 267.) — Wenn aber der Empfänger die Sache nicht mehr hat, so kann der Geber nur aus der Bereicherung desselben mehr fordern als bedungen worden. Vergl. Suarez in Jahrb. 52 S. 7. — Zur Begründung der Rückforde­ rungsklage ist nicht erforderlich, daß der Kläger in der Klageschrift zur Vergütung alles dessen sich bereit erkläre, gegen dessen Erstattung der Beklagte zur Herausgabe verpflichtet ist. Pl.Beschl. des O.Tr. v. 19. Mai 1851, Entsch. 21 S. 335 und Str. Arch. 2 S. 302. — Der Kläger braucht daher zur Begründung seines Anspruches in der Klage auch nicht zu behaupten, daß' er bereit und im Stande sei, das Grundstück in dem empfangenen Zustande herauszugeben und dabei seinen Verpflichtungen als unrechtfertigen Besitzers zu genügen. O.Tr. III v. 11. Juli 1864, Entsch. 52 S. 4. Der Empfänger, der auf dem Grunde eines wegen mangelnder Form für ihn unverbind­ lichen Vertrages ihm übergebenen Sache, welcher nur einen Theil der vereinbarten Natural­ gegenleistungen gewährt, hiernächst aber statt des rückständigen Theils derselben eine bestimmte Geldsumme zu zahlen übernommen hat, ist, wenn er den Vertrag nicht erfüllen will, nur ver­ pflichtet, entweder die Sache in dem früheren Zustande zurückzugeben, oder den ausgemittelten Werth zur Zeit deren Uebergabe, nach Abzug des Werths der bereits gewährten Gegenleistung, zu vergüten. O.Tr. IV v. 5. Jan. 1854, Str. Arch. 11 S. 179. 88) Der §. 163 bezieht sich nur auf mündliche Verträge, welche schriftlich hätten errichtet werden müssen, aber nicht auf solche, welche wegen mangelnder Dispositionsfähigkeit ungültig sind. O.Tr. III v. 22. Sept. 1862, Str. Arch. 47 S. 58. Auch nicht auf solche, welche wegen Mangels der bei Strafe der Nichtigkeit vorqeschriebenen Form nichtig sind, wie z. B. außer­ gerichtliche Parzellirungsverträge. O.Tr. lll v. 10. April 1863, Str. Arch. 51 S. 26, und v. 27. April 1866, ebend. 62 S. 322. H. Diese Entscheidungen entsprechen seit dem Ges. v. 5. Mai 1872 über die Form der Verträge, durch welche Grundstücke zertheilt werden, nicht mehr dem jetzt gellenden Recht. 89) 1. Die §§. 163, 164 sind auch anwendbar, wenn von einem mündlichen Kaufverträge der eine Kontrahent zurücktritt; und der Verkäufer eines Grundstücks, welcher den mündlichen Vertrag aufrecht erhalten will, braucht daher, wenn auch der zurücktretende Käufer ihm das Grundstück nebst allen Nutzungen gewähren muß, das empfangene Kaufgeld erst von dem Tage des ihm angekündigten Rücktritts zu verzinsen. Pr. des O.Tr. 973 v. 22. Jan. 1841. H. Das gilt jetzt nur noch, wenn der Käufer vor erhaltener Auflassung zurücktritt. §. 10 des Ges. v. 5. Mai 1872 über den Eigenthumserwerb re. Wenn umgekehrt von einem über ein Grundstück nur mündlich abgeschlossenen Kaufverträge der Verkäufer zurücktritt, so treffen den Käufer, welcher denselben zü erfüllen bereit ist, die Pflichten eines unredlichen Besitzers nicht schon vom Tage des ihm von dem Verkäufer erklärten Rücktritts. Behält hiernach der Käufer die Früchte und Nutzungen, so muß er den rückständig gebliebenen Theil des Kaufgeldes vom Tage der Uebergabe des Grundstücks an landüblich ver­ zinsen. O.Tr. III v. 9. Juli 1852, Str. Arch. 6 S. 249. H. Auch der Verkäufer kann wegen mangelnder Schriftform jetzt nur vor der Auflassung zurücktreten. S. vorigen Satz. Der Verkäufer, welcher von einem über ein'Grundstück bloß mündlich abgeschlossenen, beiderseits durch Uebergabe und Zahlung des Kaufpreises erfüllten Kaufkontrakte (H. vor der Auflassung) zurücktritt, muß das Kaufgeld vom Tage des Empfanges an landüblich verzinsen, obwohl der Käufer die Früchte und Nutzungen des Grundstücks behält. O.Tr. ITT v. 13. März 1854, Str. Arch. 12 S. 240.

Von Verträgen.

225

§. 165. Hat der mündliche Vertrag Handlungen99) zum Hauptgegenstande gelebt91), und sind diese sämmtlich geleistet worden, so muß die Vergütung nach der mündlichen Abrede92) erfolgen93). 2. Eine Klage, welche auf Herausgabe des Gegebenen gegen Erstattung des Empfangenen, auf Grund des §. 156 ff. d. T., gerichtet worden ist, kann, wenn sich im Prozesse ergeben hat, daß der Bekl. als ein redlicher Besitzer zu behandeln sei, nicht aus dem Grunde an und für sich allein ganz oder angebrachtermaßen abgewiesen werden, weil nicht schon in der Klage die Wieder­ annahme in dem gegenwärtigen Zustande und die Gestattung aller Vortheile des redlichen Be­ sitzers angeboten worden sind; sondern der Richter ist befugt, die Rechte des Bekl. und die dadurch bewirkte Einschränkung der Ansprüche des Klägers festzusetzen. Pl.Beschl. (Pr. 2289) v. 19. Mai 1851, Entsch. 21 S. 329. 90) Oder Unterlassungen. Vergl. I. 11 §§. 869 ff. Pr. 1700 v. 6. Febr. 1846, Entsch. 13 S. 119, ii. O.Tr. IV v. 10. Febr. 1859, Str. Arch. 32 S. 235; (H. R.G. IV v. 3. Mai 1880, Gruchot 25 S. 415). Es kommt jedoch in jedem konkreten Falle darauf an, nicht nur, ob ein Uebereinkommen eine Unterlassung zum Hauptgegenstande hat, sondern auch, ob dasselbe nur Rechtsverhältnisse betrifft, welche unmittelbar und allein unter den Kontrahenten zur defini­ tiven Austragung kommen können, oder ob dasselbe auch ein Obligationsverhältniß zu dritten Personen angeht, welche an dem Uebereinkommen nicht Theil genommen haben, aus welches aber der mündlich Verpflichtete nach der Bedeutung des Uebereinkommens soll zurückzugreifen im Stande sein. So sagt das O.Tr. in einem Erk. IV v. 11. Okt. 1864, Str. Arch. 63 S. 10. Der Thatbestand, auf welchen diese Theorie angewendet worden, war dieser: Der Kläger, welcher die Exekution und Subhastation gegen seinen Schuldner verfolgte, hatte sich gegen den Bekl. (einen Dritten) mündlich verpflichtet, die Fortsetzung dieses Verfahrens zu unterlassen und der Dritte (der Bekl.) dagegen versprochen, ihm die Schuld des Exequendus zu bezahlen. Der Exe­ kutionsbetreibende erfüllt sein Versprechen, der Andere aber bezahlt hinterdrein nicht und das O.Tr. weiset Jenen, unter Vernichtung des Appellationserkenntnisses, auf Grund seiner gemachten Unterscheidung, mit der Forderung ab, weil in dem Versprechen des Bekl. eine Jntercessiou liege, welche ohne Schriftform ungültig sei. Durch diese Entscheidung wird dem Kläger Unrecht gethan. Jene untergelegte Unterscheidung ist ohne Rechtsboden. Das Versprechen des Bekl. ist dem Kläger gegenüber keine Jntercession, vielmehr ist das Uebereinkommen zwischen Beiden ein zweiseitiger Vertrag (facio ut des), der Kläger hat seinerseits erfüllt, d. h. sein Recht fahren lassen, der status quo ante kann nicht wieder hergestellt werden, folglich ist der Kläger „von Rechts wegen" — wie soll man sagen — gefangen worden, der Schuldner ist vorläufig mit Hülfe des für Recht erkannten Wortbruchs seines Freundes durchgeschlüpft. Die durch Vergleich übernommene schriftliche Quittirung über die erfolgte Aufhebung einer Schuld ist nicht als eine selbstständige, für sich den Gegenstand eines Rechtsgeschäfts bildende Leistung, und mithin nicht als eine Handlung in dem Sinne anzusehen, wie sich das Gesetz dieses Ausdrucks bei der Klassifikation der Verträge bedient. O.Tr. IV v. 8. März 1851, Str. Arch. 2 S. 45. Welchen Sinn das L.R. mit dem Ausdrucke „Handlungen" als Gegenstände von Verträgen verbindet, s. Anm. zu I. 11 §. 393. H. Handlungen im Sinne der §§. 869 flg. I. 11, d. h. solche, die ein Kontrahent dem andern oder in seinem Interesse zu leisten verspricht, Str. Arch. 70 S. 214 (III); Gruchot 24 S. 880 Nr. 95. — Das pactum de cedendo ist kein Vertrag über Handlungen, sondern über eine Sache (im weiteren Sinne), R.G. I H. v: 6. Juli 1880, Gruchot 25 S. 422. 91) Anwendungen: 1. Vollziehung eines mündlichen Auftrages. Deshalb kann der Beauf­ tragte auch dann, wenn er zum Ankäufe von Sachen zum Werthe von mehr als 50 Thlrn. bloß einen mündlichen Auftrag hatte, von dem Kommittenten Erstattung der Auslagen, und als Kaufmann Provision fordern. Pr. des O.Tr. v. 3. Mai 1845, Entsch. 11 S. 345. — Dahin gehört auch die mündlich, unter Zusicherung einer bestimmten Geldsumme aufgetragene Anferti­ gung eines Werks, z. B. eines Monuments, welches, wenn es auftragsmäßig ausgeführt ist, abgenommen und bezahlt werden muß. „Die Abnahme und Bezahlung eines verdungenen Werkes darf, wenn auch der Werth desselben oder der dafür vereinbarte Preis die Summe von 50 Thlrn. übersteigt, doch deshalb allein, weil der Vertrag nur mündlich geschlossen worden, nicht verweigert werden." Die Anwendung ist auch nicht dadurch ausgeschlossen, daß nicht die Handlungen als solche, sondern nur ihr Erfolg als der Gegenstand oder Zweck des geschlossenen Vertrages hervortreten oder bezeichnet sind. O.Tr. IV (Pr. 2653) v. 29. Nov. 1855, Entsch. 31 S. 374. 2. Eingehung einer Ehe. Deshalb kann derjenige, der dem Anderen eine unbewegliche Sache unter der Vereinbarung, daß derselbe eine bestimmte Person heirathe, abgetreten hat, diesen Vertrag wegen Mangels der schriftlichen Form nicht mehr anfechten, nachdem der Andere die bezeichnete Person wirklich geheirathet hat. Pl.Beschl. (Pr. 1631) v. 7. Nov. 1845, Entsch. Koch, Allgemeines Landrecht. I. 8. Aufl. 15

226

Erster Theil.

Fünfter Titel.

§§. 166—168.

§. 166. Sind die Handlungen nur zum Theil geleistet worden, und der Ver­ pflichtete will durch Leistung der übrigen den Vertrag nicht vollständig erfüllen, so 12 S. 31. Vergl. Sinnt. 73 zu §. 71 d. T. H. Auch ein mündliches Mitgiftversprechen ist nach Eingehung der Ehe zu erfüllen. R.G. I H. v. 25. März 1881, Gruchot 25 S. 936. 92) Ist nicht konsequent; denn der Vertrag gilt nicht, weshalb lediglich das Geleistete zu kondiziren wäre, d. h. der Werth der Handlungen, oder der übliche Lohn, möchte er mehr oder weniger betragen, müßte gefordert werden sönnen, da die Handlungen oder Unterlassungen begreiflich nicht wie eine körperliche Sache zurückgegeben werden können. Darauf kommt man auch zurück, wenn kein Preis in Gelde verabredet worden ist. Dieser Grundsatz findet sich angewendet in einem anderen Falle der Ungültigkeit des Vertrages, nämlich wegen kasueller Unmöglichkeit der Erfüllung. I. 11 §. 882. Die Bestimmung des §. 165 gründet sich auf Nütz­ lichkeit, um Ausmittelung des Werths abzuschneiden. Deshalb kann sie nur angewendet werden, wenn die Gegenleistung in Gelde verabredet ist; sonst würde die Werthsermittelung auf eine andere Sache oder Handlung, als diejenige ist, welche vergütet werden soll, gerichtet werden, und es würde weder Vertragserfüllung, noch Kondiktion, sondern ein unnennbares juristisches Drittes zur Anwendung kommen. Dies gilt begreiflich nur von Handlungen, welche dem Ver­ mögensrechte angehören. Bei anderen Handlungen, z. B. bei der Heirath, muß es bei der Gegenleistung lediglich verbleiben, da nichts kondizirt werden kann. Pr. 1631 in Anm. 93 Nr. 2. — Uebrigens ist unter der Vergütung nach der mündlichen Abrede die bei Eingehung des mündlichen Vertrages verabredete Vergütung zu verstehen, nicht etwa eine Vergütung, welche hinterdrein, nachdem die zu vergütende Handlung bereits vollständig geleistet war, mündlich verabredet worden ist. Der Satz ist als ein zweifelhafter von dem O.Tr. IV durch das Pr. 2674 v. 2. Dez. 1856 festgestellt, Entsch. 34 S. 48. Worin das Zweifelhafte liegen soll, wird nicht angedeutet und ist sonst nicht findbar. Denn der §. 165 handelt eben von der Wirksamkeit eines zweiseitigen mündlichen Vertrages, wenn der eine Kontrahent vorgeleistet hat. Dann soll, obgleich nach dem Grundsätze des L.R. der Vertrag als Konsensualkontrakt nicht bindend ist, es doch bei dem römischen Grundsätze verbleiben und der andere Theil das gegenzuleisten ver­ bunden sein, was er bei Eingehung des Kontrakts versprochen hat. Würde erst hinterher, nach der Vorleistung, die Gegenleistung auf eine bestimmte Summe vereinbart, so wäre das ein neuer Vertrag und zwar ein Vergleich, welcher als Konsensualvertrag nur durch die gesetzliche Form rechtsverbindlich werden kann und nicht Gegenstand der Bestimmung des §. 165 ist, weil dieser nur von dem Realkontrakte facio ut des handelt. Wenn die versprochene Gegenleistung in einem Prozentsätze (Tantieme) von einem gewissen Einkommen des Geschäftsherrn besteht, z. B. wenn einem Förster von der Holzeinnahme eine Tantieme zugesichert worden ist, so gebührt dieselbe nur von der wirklichen Einnahme, nicht auch von denjenigen Geldern, welche zwar aus den während der Dienstführung geschlossenen Verträgen herrühren, jedoch erst nach der Dienstentlassung fällig geworden, resp, 'eingegangen sind. O.Tr. IV v. 24. Jan. 1856, Str. Arch. 19 S. 306.* Die mündliche Abrede kann auch durch Bezugnahme auf eine vorhandene Vertragsurkunde getroffen werden. Wenn z. B. ein Gutsbesitzer erklärt, einen von dem Norbesitzer angestellten Wirthschaftsbeamten auf den Grund dessen früheren schriftlichen Dienstvertrages beibehalten zu wollen, so ist er verpflichtet, die von dem Wirthschaftsbeamten hiernächst geleisteten Dienste nach Maßgabe jenes schriftlichen Vertrages zu vergüten. O.Tr. v. 8. Jan. 1852, Str. Arch. 4 S. 241. H. O.Tr. IV v. 25. Juni 1874, Str. Arch. 92 S. 184, II v. 6. April 1875, das. 93 S. 321. 93) In einem Erk. d. O.Tr. (IV) v. 20. Okt. 1857, Str. Arch. 26 S. 297, ist ausge­ sprochen, daß der g. 165 Kontrahenten voraussetze, welche für sich selbst rechtsfähig sind. Dies ist in mehrfacher Hinsicht unrichtig. Zuerst ist der Ausdruck unzutreffend; denn es ist von einem Haussohne die Rede, welcher einer Person 200 Thlr. als Abfindung versprochen hatte, ohne schriftliche Einwilligung des Vaters. Ein Haussohn ist als solcher durchaus rechtsfähig, aber er ist nicht handlungsfähig. Sodann würde der §. 165 nicht anwendbar gewesen sein, wenn auch der Versprecher „für sich selbst rechtsfähig" (soll heißen handlungsfähig) ge­ wesen wäre; denn er bezieht sich auf den Fall, wo über Handlungen mündlich kontrahirt worden ist, ehe dieselben geleistet worden sind, was bei dem einer Geschwängerten hinterdrein gemachten Versprechen einer Abfindung nicht paßt. Drittens ist es nicht anzuerkennen, daß der §. 165, den richtigen Fall vorausgesetzt, nicht Anwendung finden soll auf einen kontrahirenden Haus­ sohn, wenn der Vater bloß mündlich genehmigt hat; es ist ja dann ein vollständiger mündlicher Vertrag vorhanden. Der Spediteur, welcher einen nur mündlich geschlossenen Speditionsvertrag erfüllt hat, kann seine Ansprüche an den Befrachter mit der Klage aus dem Mandate, oder mit der Klage aus einem Vertrage über Handlungen verfolgen. O.Tr. IV v. 4. Sept. 1851, Str. Arch. 3 S. 248. Das Gleiche gilt auch für den mündlichen und ausgeführten Vollmachtsvertrag. O.Tr. IV v. 20. Sept. 1864, Str. Arch. 56 S. 179. Vgl. I. 13 §. 7 u. Anm. dazu.

Von Verträgen.

227

kann der Berechtigte von der mündlich verabredeten 94 * *) *Vergütung * * * * * * * so viel abziehen, als erforderlich ist, sich die noch rückständigen Leistungen zu verschaffen95).96 97 §. 167. Will hingegen der Berechtigte die Leistung der noch rückständigen Handlungen nicht annehmen, so muß der Werth der schon wirklich geleisteten nach den Gesetzen ausgemittelt und vergütet werden. §. 168. Uebrigens finden aus einem bloß mündlichen9") Vertrage, wegen der von dem einen oder dem andern Theile verweigerten9?) Erfüllung98), keine Forde­ rungen von Entschädigungen oder Interesse statt99). Hat bei einem Neubau an der Grenze der Nachbar ein Untersagungsrecht geltend gemacht und dabei mündlich erklärt, daß er mit dem Baue zufrieden sein wolle, wenn die Mauer bis an das Dach abgebrochen werde, und hat der Bauende diese Forderung sogleich erfüllt; so kann der Nachbar von diesem mündlichen Abkommen nicht mehr zurücktreten, vielmehr sind dadurch alle entgegenstehenden früheren Verhandlungen der Parteien über den Bau erledigt. O.Tr. LI v. 25. Febr. 1864, Str. Arch. 53 S. 164. H. Die Anwendung des §. 165 I. 5 ist ausgeschlossen, wenn für die Handlung nicht von Hause aus ein fester Miethspreis oder eine sonstige feste Vergütung ausbedungen worden, die Parteien vielmehr erst nach erfolgter Leistung der Handlung sich geeinigt haben. O.Tr. IV v. 9. Sept. 1873, Str. Arch. 89 S. 214. — Keine Forderung auf Verzugszinsen, das. 83 S. 308. 94) Besteht diese in Sachen oder geldwerthen Handlungen, so werden diese geschätzt, und von deren Werthe werden die Kosten der noch rückständigen Leistungen abgezogen. Der Rest ist dasjenige, was dem Anderen für die geleisteten Handlungen gebührt. Ist das Resultat ein Deficit, so erhält derselbe nichts, ist aber auch nichts weiter schuldig, nach §. 168 d. T. 95) Zur Ausführung eines Abzuges auf eine zu leistende Vergütung wird erfordert, daß sowohl die Vergütung als der darauf zu machende Abzug in bestimmten, ihrer Quantität nach feststehenden sungibelen Sachen besteht. Sind die Handlungen und Leistungen spezifischer Art, welche von Zeit, Person und anderen Umständen abhängen und in ihren einzelnen Leistungen und ihrem Umfange im Voraus nicht bestimmt werden können, so sind sie nicht geeignet, unter den Begriff der im §. 166 gemeinten Vergütung, welche die Möglichkeit eines Abzugs gestatten muß, subsumirt zu werden, weil sie nicht die Rechnungsfaktoren darbieten, welche erforderlich sind, um an einer Geldsumme oder einem anderen Werthgegenstande einen Abzug vornehmen zu können. Außerdem enthält der 166 eine Vorschrift nur zur Bestimmung, in welchem Um­ fange derjenige, dem der Rücktritt vom Vertrage zur Last fällt, für seine bereits geleisteten Handlungen die verabredete Vergütung fordern kann; nicht aber verhält er sich über den An­ spruch, den der andere Kontrahent für seine Leistungen als Vergütung oder sonst als Entschä­ digung erheben darf, wofür die §§. 156—160, 163, 167, 168 maßgebend sind. O.Tr. IV v. 26. März 1868, Str. Arch. 70 S. 262. H. Die verabredete Vergütung muß aber von der Art sein, daß sich etwas abziehen läßt, Str. Arch. 70 S. 260 (IV). 96) Aber schriftlich abzufassen gewesenen. R. v. 26. Sept. 1838, Jahrb. 52 S. 147. S. Anm. 99. 97) Lediglich auf den Fall der ganz oder theilweise verweigerten Erfüllung bezieht sich diese Vorschrift. Ist der Vertrag von beiden Seiten vollständig erfüllt, und hat er keine un­ bewegliche Sache zum Gegenstände, so hat er Geltung und Beständigkeit erhalten, mithin auch rechtliche Folgen. §. 146 und die Anm. dazu. Das ist auch von dem O.Tr. angenommen. Den ersten Satz enthält das Pr. 693 v. 29. Mai 1839: „Dies Gesetz bezieht sich nicht auf eine geforderte Vergütung behaupteter Ge­ währsmängel bei einem, seinem Hauptgegenstande nach bereits erfüllten Vertrage, sondern ledig­ lich auf eine Entschädigung für solche Nachtheile, die einem Kontrahenten daraus, daß der verabredete Kontrakt wegen erfolgter Sinnesänderung des einen Kontrahenten gar nicht zur Erfüllung gekommen, oder rückgängig geworden, entstanden sein sollen." Das Andere sagt das Pr. 1645 v. 21. Nov. 1845: „Ist in Fällen, wo die Gesetze einen schriftlichen Vertrag erfordern, derselbe bloß mündlich geschlossen, aber von beiden Seiten erfüllt worden, so wird der, wegen nicht gehöriger Erfüllung des einen Kontrahenten von dem anderen erhobene Anspruch auf Entschädigung durch die Vorschrift des §. 168 nicht ausgeschlossen." 98) H. Auf bloß kulpose Nichterfüllung bezieht sich §. 168 nicht, Str. Arch. 83 S. 254 (III). 99) Der Grund ist der Mangel eines gültigen Vertrages, daher eben die entsprechende Klage aus dem Rechtsgeschäfte nicht gegeben ist. Nur wenn durch Leistung ein Realkontrakt daraus geworden ist, findet zwar auch nicht die actio praescriptis verbis (die Kontraktsklage) statt, worin eben eine wichtige Verschiedenheit des L.R. vom R. R. liegt; wohl aber die con­ dictio ob causam, bei welcher selbstverständlich weder von Entschädigung, noch von Interesse

228 Was Ncchlcns sei, wenn der schriftliche Vertrag nicht incl)r vor­ handen ist.

6) Von qcrichtlichcn Verträgen.

Erster Theil.

Fünfter Titel.

§§. 169—170 (Zusatz)—175.

8. 169. Ist ein schriftlich abgefaßter Vertrag verloren gegangen, so sind zur Ausmittelung seines Inhalts alle in den Gesetzen10ü) gebilligte Beweismittel zulässig. §. 170. Aufgehoben durch die nachfolgende Bestimmung: Deutsche Civil-Prozeßordnung. (R.G.B. 1877 §. 409. Ist eine Urkunde von einer Partei in zu entziehen, beseitigt oder zur Benutzung untauglich Gegners über die Beschaffenheit und den Inhalt der

S. 157.) der Absicht, deren Benutzung dem Gegner gemacht, so können die Behauptungen des Urkunde als bewiesen angesehen werden.

§. 171. Blinde und Taubstumme -) müssen ihre schriftlichen Verträge gericht­ lich aufnehmen lassen 3*).1 2 §. 172. Personen, die des Schreibens und Lesens4) unkundig oder durch einen Zufall am Schreiben verhindert sind 5), müssen in Fällen, wo es eines schriftlichen Contracts bedarf, solchen gerichtlich oder vor einem Justizcommissario6) errichten?). die Rede sein kann. (Deshalb ist der Anspruch auf Vergütung oder Nachleistung wegen nicht gehöriger Erfüllung durch die Vorschrift des §. 168 nicht ausgeschlossen. Vergl. O.Tr. IV v. 16. Juni 1853, Str. Arch. 10 S. 75.) Das setzt natürlich einen solchen mündlichen Vertrag voraus, welcher schriftlich hätte abgefaßt werden müssen und deshalb ungültig ist; aus einem an sich gültigen mündlichen Vertrage finden diese Ansprüche allerdings statt. Anm. 96. Aber aus dem Grunde, auf welchem die Unzulässigkeit dieser Ansprüche ruhet, folgt, daß die Bestim­ mung des §. 168 auch auf solche schriftliche Verträge Anwendung findet, welche gerichtlich oder notariell hätten abgeschlossen werden müssen. Pr. des O.Tr. v. 1. Okt. 1838, Entsch. 4 S. 126, und §. 174 d. T. Zu den Entschädigungen und dem Interesse, welche nach §. 168 nicht gefordert werden können, gehören auch Verzögerungszinsen. O.Tr. I v. 6. Juni 1859, Entsch. 41 S. 25 u. Str. Arch. 34 S. 69; (H. O.Tr. 1 v. 19. Febr. 1872, Str. Arch. 83 S. 308, R.O.H.G. III v. 3. Sept. 1874, Entsch. 14 S. 49, 52, R.G. I H. v. 24. Febr. 1882, Entsch. 6 S. 316. 100) H. Vgl. jetzt E.P.O. §§. 338 ff. 1) Der §. 170 lautete: Hat einer der Contrahenten den Verlust oder die Vernichtung des Instruments vorsätzlich veranlaßt, so wird die Angabe des Andern von dem Inhalte so lange für richtig angenommen, bis das Gegentheil klar erwiesen ist. Diese Bestimmung stand im Widerspruch mit A.G.O. I. 10 §. 120. 2) Auch bloß Taube oder bloß Stumme, welche nicht schreiben und Geschriebenes lesen können. Vergl. A.G.O. III 3 §§. 4, 5 u. Not.-Gesetz v. 11. Juli 1845 §. 11, wo die in den §§. 4 u, 5 vorgeschriebene Prozedur, welche jene Kunde voraussetzt, den Notaren zur Pflicht gemacht ist. Ohne diese Kunde können also Notare mit Tauben oder Stummen nicht prozediren. 3) EL Dies gilt auch für die von Blinden ausgestellten Wechsel. R O.H.G. v. 22. Mai 1875, Entsch. 17 S. 283. 4) Wer zwar seinen Namen schreiben aber sonst Geschriebenes nicht lesen kann, ist einem Analphabeten gleich. Anh. zur A.G O. §. 72; O.Tr. IV v. 25. März 1858, Str. Arch. f. Rechtsf. 28 S. 210, u. O.Tr. III v. 17. Okt. 1855, Str. Arch. 17 S. 365. Dagegen ist „der­ jenige, welcher einen Vertrag unterschrieben hat, und Geschriebenes lesen kann, als schriftlich verpflichtet anzusehen, und es findet, wenn er auch ein Mehreres nicht, als seinen Namen, schreiben kann, die Einrede, daß die schriftliche Form nicht beobachtet sei, nicht statt." O.Tr. v. 24. Jan. 1848, Entsch. 16 S. 108. Wieder angewendet in dem Erk. III v. 21. Febr. 1868, Str. Arch. 71 S. 73; H. desgl. Str. Arch. 71 S.' 72 (III). Den Analphabeten gleich stehen in dieser Beziehung auch diejenigen Personen, welche die Schrift, in welcher das Instrument abgefaßt ist, weder lesen noch schreiben können, wenn sie auch andere Schrift lesen und schreiben. Denn der Kontrahent muß im Stande sein, sich von der Uebereinstimmung des Niedergeschriebenen mit der Verabredung zu überzeugen (Pr. des O.Tr. v. 11. Febr. 1837, Entsch. I S. 164), weil die Schrift nicht bloß wesentliche Form, son­ dern auch Beweismittel ist. Dies gilt namentlich von Juden, welche in jüdischen Schriftzügen zu schreiben und zu lesen verstehen, deutsch aber außer ihrem Namen nicht schreiben, noch Ge­ schriebenes lesen können: solche sind in Beziehung auf einen in deutscher Sprache abgefaßten, von ihnen unterschriebenen Vertrag als Analphabeten zu erachten. Angenommen von dem Plenum des O.Tr. am 2. Juli 1855, Pr. 2635. (J.M.Bl. 302 und Entsch. 31 S. 1.) H. R.O.H.G. v. 3. Okt. 1871, Entsch. 3 S. 305. Vgl. Str. Arch. 86 S. 183 (III). 5) Ueber die Beweislast läßt sich nur in jedem einzelnen Falle nach Beschaffenheit der behaupteten Thatsache urtheilen. Muß z. B. Jemand seine Unterschrift unter einer Urkunde anerkennen, oder wird sonst bewiesen, daß er eigenhändig unterschrieben habe, und er behauptet,

Bon Verträgen.

229

§. 173. Bei gemeinen Landleuten dieser 2lrt8* )*9 *ist* * die 6 7 Ausnehmung vor den Dorfgerichten'') mit Zuziehung eines vereideten Gerichtsschreibers hinreichend10).11 174. Außergerichtliche auch schriftliche Verträge solcher Personen, bei welchen die §. 171. 172. 173. vorgeschriebene Form nicht beobachtet worden, werden den bloß mündlich geschlossenen gleich geachtet"). §. 175. Kann ein solcher Kontrahent dem Protokoll oder Contract auch seine

daß er Geschriebenes nicht lesen und mehr als seinen Namen nicht schreiben könne, so wird er dies zu beweisen haben; denn er hat geschrieben, und wenn Jemand schreibt, so hat er eine Anzeige gegen sich, daß er auch lesen kann. Gelingt der Beweis, so ist der mit der Unterschrift versehene Revers oder Vertrag für den Unterschreibenden unverbindlich. O.Tr. IV v. 10. Dez. 1850, Str. Arch. 12 S. 5. — Auf Personen, die zwar von fremder Hand Geschriebenes vor­ geblich nicht lesen, jedoch Etwas mehr als ihren Namen schreiben können, findet die Vorschrift des §. 172 keine Anwendung. O.Tr. IV v. 14. Juni 1853, Str. Arch. 9 S. 261. 6) Die Protokolle der Berwattungsbeamten haben für Analphabeten keine verbindende Kraft. Eine Ausnahme machen die Lieitationsprotokolle, welche zufolge des §. 9 der V. v. 27. Juni 1811 (G.S. S. 208) über- Veräußerungen von Domänen und deren Pertinenzien von den Re­ gierungen ausgenommen sind, welchen ebendieselben rechtlichen Wirkungen, als dergleichen ge­ richtlichen Verhandlungen, auch rücksichtlich der meistbietend gebliebenen Analphabeten bei­ gelegt werden. Pr. 3 von 1832. 7) Haben schreibensunkundige Personen einen Vertrag, der schriftlich zu errichten gewesen, von einem Anderen aufsetzen lassen, und genehmigen sie demnächst vor dem Richter nach vor­ heriger Vorlesung diesen Aufsatz seinem Inhalte nach, findet ihn auch der Richter deutlich und dem Willen der Parteien entsprechend abgefaßt, so bedarf es keiner nochmaligen vollständigen Niederschreibung desselben zum Protokolle; der Aufsatz kann vielmehr mit dem Protokolle über die erfolgte Vernehmung der Parteien ausgefertigt werden, um als ein gerichtlicher Vertrag zu gelten. A.G.O. I. 10 §. 125. Pr. des O.Tr. 1558 v. 5. April 1845, Entsch. 11 S. 185; H. O.Tr. III v. 21. Juni 1875, Entsch. 75 S. 257. Gegen Wechselerklärungen ist der Einwand, daß der Aussteller zwar seinen Namen schreiben, sonst aber nicht schreiben und auch Geschriebenes nicht lesen könne, im Wechselprozesse überhaupt unzulässig. O.Tr. IV (Pr. 2269) v. 6. Febr. 1851, Entsch. 20 S. 355 u. Str. Arch. 1 S. 217. 8) Gemeine Landleute dieser Art sind eben solche, welche nicht schreiben können (§. 172), sonst aber keinen bei Verhandlungen mit Anderen beschwerlich werdenden Mangel haben. In diesem Falle aber, namentlich also auch bei gemeinen Landleuten, die der Sprache, worin das Instrument abgefaßt werden soll, unkundig sind, ist die Aufnahme desselben vor den Dorf­ gerichten mit Zuziehung eines vereideten Gerichtsschreibers nicht hinreichend. O.Tr. III v. 24. Mai 1854, Entsch. 28 S. 53. 9) II. 7 §. 79. Zu einem gehörig besetzten Dorfgerichte sind außer dem Schulzen und Gerichtsschreiber, nicht sämmtliche in einer Gemeine bestellte Schöppen erforderlich, sondern nur zwei. Pr. des O.Tr. 1615 v. 27. Sept. 1845. 10) Die nachträgliche Wiederholung vor Gericht ist zur formellen Gültigkeit nicht erforder­ lich, wo es nicht besonders vorgeschrieben. 11) Wenn ein Vertrag, welcher zu seiner Rechtsgültigkeit der schriftlichen Abfassung bedarf, mir von dem einen Kontrahenten gehörig unterschrieben, von dem anderen des Schreibens und Lesens unkundigen Kontrahenten dagegen bloß mit Kreuzen unterzeichnet ist, und deshalb für den Letzteren keine verbindliche Kraft hat, so kann der Erstere sich auf diese mangelhafte Voll­ ziehung des Vertrages nicht berufen, und von demselben ohne weiteres nicht zurücktreten. Er hat nur das Recht, von dem anderen Kontrahenten zu verlangen, daß dieser entweder ebenfalls den Vertrag in rechtsgültiger Form vollziehe, oder sich die gänzliche Aufhebung gefallen lasse. Pr. des O.Tr. 495 v. 29. Juni 1838, Entsch. 4 S. 214. — Dazu kann er ihm aber eine Frist bestimmen, mit deren Ablauf er auch seinerseits von selbst entbunden ist, wenn vor Ablauf derselben keine verbindliche Vollziehung erfolgt. Anm. 20 Nr. 4 a. E. zu 116 d. T. — Hat der Analphabet die Erfüllung angenommen und will nicht zurücktreten, so kann er nicht ein­ wenden, daß mündlich andere Bedingungen, als die niedergeschriebenen, verabredet worden. Pr. v. 11. Febr. 1837, Entsch. 2 S. 162.' So lange der Analphabet die privatschriftliche Punktation über ein Grundstück oder über einen anderen Gegenstand, worüber schriftlich kontrahirt werden nmß, noch nicht in rechtsgültiger Form als verbindlich anerkannt hat, kann er auch in jeder Form, wofern es nur ausdrücklich geschieht, von dem Geschäfte wieder zurücktreten. Ist dies aber geschehen, so ist auch der andere Kontrahent nicht weiter gebunden. Pr. des O.Tr. 1636 v. 1. Nov. 1845, Entsch. 12 S. 163.

230

Erster Theil.

Fünfter Titel.

§§. 176—178 (Zusätze)—183.

Namensunterschrist nicht eigenhändig^) beifügen, so muß er das Instrument an der zur Unterschrift bestimmten Stelle mit Kreuzen oder einem andern gewöhnlichen Handzeichen bemerken^). §. 176. Unter diesen Zeichen muß der Richter oder Justizcommissarius gehörig attestiren, daß und warum sie von dem Contrahenten statt der Unterschrift gebraucht worden. §. 177. Kann der Kontrahent auch keine solche Zeichen beifügen, so muß ein von ihm gewählter ") Beistand die Unterschrift in seinem Namen leisten; und daß dieses geschehen sei, von dem Richter oder Justizcommissario attestirt werden. §. 178. Die unterlassene Beobachtung dieser Vorschriften (§. 175. 176. 177.) benimmt zwar für sich allein dem Vertrage noch nichts an seiner verbindlichen Kraft; der Richter oder Justizcommissarius aber wird wegen der daraus entstehenden Weitläuftigkeiten und Kosten verantwortlich. Anh. §. 5. Personen, die nicht schreiben und Geschriebenes lesen können, müssen Jemand mit zur Stelle bringen16), der, es sei ein Justizcommissarius oder sonst ein glaubhafter Mann, in ihrem Namen die Unterschrift verrichtet^).

12) Anm. 20 zu §. 116 d. T. 13) Vergl. Not.-Ordn. v. 11. Juli 1845, §. 13. Die Handzeichen sollten eigenhändig ge­ zeichnet werden. Es ist aber sehr üblich, daß der Schreiber der Urkunde die Zeichen macht und daß der Betheiligte dabei nur die Feder oben am Ende anfaßt, woraus bisweilen ein Anfech­ tungsgrund gemacht wird. Das O.Tr. hat in einem solchen Falle den Satz angenommen: „Einer notariellen Verhandlung kann deshalb, weil der Betheiligte das die Unterschrift vertretende Handzeichen nicht selbstständig, sondern mit Hülfe eines Anderen gefertigt hat, die beweisende Kraft nicht versagt werden. Es genügt vielmehr, wenn der Betheiligte bei Fertigung des Hand­ zeichens in einer Weise mitgewirkt hat, daß daraus sein Wille erkennbar ist, das Hanozeichen als Zeichen seiner Genehmigung der aufgenommenen Verhandlung beizufügen." O.Tr. III v. 22. Nov. 1854, Entsch. 29 S. 245 ; Str. Arch. 14 S. 333. 14) Oder von dem Richter zugeordneter, wenn die Partei keinen mitbringt oder wählt. Anh. z. A.G.O. §. 70. — Nicht bloß bei prozessualischen, sondern auch bei Handlungen der freiwilligen Gerichtsbarkeit muß der Richter, wenn die schreibensunkundige Partes unterläßt, zum Zwecke der zu verrichtenden Unterschrift einen glaubhaften Mann mitzubringen, derselben den Schreibzeugen von Amtswegen zuordnen. Pr. des O.Tr. 1822 (Pl.Beschl.) v. 15. Jan. 1847, Entsch. 14 S. 3. 15) S. d. vor. Anm. — 1. Wenn ein Protokollführer zugezogen, ist der Beistand nicht erforderlich. (Zus. 2 zu Anh. §. 5 u. Entsch. des O.Tr. 17 S. 460.) Allein der Umstand, daß der zugezogene Unterschriftszeuge eine Gerichtsperson ist, reicht nicht aus, um eine, mit Analpha­ beten abgehaltene Verhandlung als eine von zwei Gerichtspersonen aufgenommene zu er­ achten. Pr. I v. 8. Jan. 1848, Entsch. 16 S. 101. 2. Wenn bei zweiseitigen Verträgen beide Kontrahenten des Schreibens unkundig sind, so ist der Umstand für sich allein, daß der instrumentirende Richter Beiden ein und denselben Unterschriftszeugen zugeordnet hat, noch nicht ausreichend, um den Vertrag auf einseitiges An­ rufen des einen Theils für nichtig zu erklären. Dass. Pr. Nr. II. 16) Der bei einer gerichtlichen, ohne Protokollführer aufgenommenen Verhandlung zugezogene Unterschriftsbeistand muß den Namen der schreibensunfähigen Partei selbst schreiben (vgl. A.G.O. II. 2 §. 46), und es genügt nicht, wenn der Richter neben den von der Partei gemachten Kreuzen die Namen geschrieben, und der Beistand bemerkt hat, daß die Kreuze in seiner Gegenwart ge­ macht worden. Pr. 749 v. 31. Okt. 1839. Von dieser Meinung ist das O.Tr. durch Pl.Beschl. v. 7. Mai 1855, J.M.Bl. S. 176 u. Entsch. 30 S. 393, Str. Arch. 17 S. 168, wieder abge­ gangen, welcher lautet: „Bei einer von einem Richter ohne Zuziehung eines Protokollführers mit einem Schreibensunerfahrenen aufgenommenen Verhandlung ist es nicht erforderlich, daß der zugezogene Unterschriftsbeistand den Namen des Schreibensunerfahrenen oder irgend einen Theil desjenigen Vermerks selbst schreibt, der die Handzeichen des Schreibensunerfahrenen betrifft. Es genügt vielmehr die bloße Namensunterschrift des Beistandes." Beides ist, juristisch betrachtet, gleichgültig, Jedes hat gleich gute Gründe für sich, wie denn auch die Gründe dieses Pl.-Beschl. nicht gewichtiger sind als die des Pr. 749; aber Eins ist von Nöthen: wir müssen Rechtsgewißheit haben und uns darauf verlassen können, daß die Meinungen in solchen Dingen nicht gewechselt haben. Der vorliegende Wechsel hat keinen zwin­ genden Grund und fördert nichts.

Von Verträgen.

231

Diese Vorschrift muß der Richter solchen Contrahenten, deren Stand oder Ansehn es zweifelhaft machen, ob sie lesen oder schreiben können, gleich vor dem Anfang der Verhandlung bekannt machen, und auf deren Befolgung dringen. Ist diese Vorschrift nicht befolgt, so ist die Verhandlung für die Partei, welche nicht schreiben und Geschriebenes lesen kann, unverbindlich. 17 * *)18 *******

3. K.O. v. 20sten Juni 1816. (G.S. S. 203.) Ich. . . entscheide. . . dahin: daß es der Zuziehung eines glaubhaften Mannes zu gericht­ lichen Verhandlungen, mit solchen Personen welche des Schreibens und Lesens unerfahren sind, nicht bedarf, sobald die Verhandlung von dem Richter unter Zuziehung ^) eines Aktuars, ver­ eideten Protokollführers, oder zweier Gerichts-Schöppen ausgenommen wird.

4. K.O. v. 8. Oktober 1837. (G.S. S. 154.) Das Bedenken..., ob der zu einer gerichtlichen Verhandlung zugezogene Dolmetscher gleichzeitig die Stelle des Zeugen für solche Personen, welche nicht schreiben und Geschriebenes nicht lesen können, vertreten dürfe, erledigt sich durch Meinen ... Erlaß vom 20. Juni 1816., nach welchem es eines solchen besonderen Zeugen nicht bedarf, wenn die gerichtliche Verhandlung unter Zuziehung eines vereideten Protokollführers ausgenommen worden ist, indem der Dolmetscher nach den Bestimmungen der Allgemeinen Gerichtsordnung §§. 214. 215. Titel X Th. I. und §. 37. Titel II Th. II. zu den vereideten Protokollführern gehört...

§. 179. Wer der Sprache, worin das Instrument abgefaßt werden soll, un­ kundig ist19), wird Einem, der nicht schreiben kann, gleich geachtet. (§. 172.) 20). §§. 180 —183. Aufgehoben21).

Desgleichen bleibt eine ohne Protokollführer aufgenommene Verhandlung für den Analpha­ beten unverbindlich, wenn die Kreuze nur von dem Richter attestirt sind, wenngleich ein mit dem Analphabeten erschienener Assistent für sich selbst, ohne als Schreibzeuge adhibirt worden zu sein, die Verhandlung unterschrieben hat. Pr. 246 v. 5. Mai 1837. Die von einer einzelnen Gerichtsperson mit einer schreibensunkundigen Partei aufgenommene Verhandlung ist aus dem Grunde, weil das Protokoll keine Angabe darüber enthält: „daß und wie der zugezogene Unterschriftsbeistand der Unterkreuzung und Genehmigung desselben bei­ gewohnt hat", für die schreibensunkundige Partei nicht unverbindlich. Pr. 2065 (Pl.Beschl.) v. 6. Nov. 1848, Entsch. 17 S. 66. 17) S. o. d. Anm. 11 zu §. 174. 18) S. Pr. I v. 8. Jan. 1848 o. in der Anm. 15 Nr. 1 zu Anh. §. 5. 19) Gänzlich unkundig. Auf den Fall einer unvollständigen Kenntniß der fremden Sprache findet die Bestimmung keine Anwendung. O.Tr. IV v. 4. Febr. 1858, Str. Arch. 27 S. 266; H. Str. Arch. 80 S. 343 (III). 20) Deshalb ist es unerheblich, wenn ein Solcher seine Unterschrift rekognoszirt, oder den Difsessionseid (A.G.O. I. 10 H. 134) nicht leistet. Dem Leugnenden muß der Beweis seiner Sprach­ kunde geführt werden. — Schriftliche Verträge eines der Sprache, worin die Schrift abgefaßt worden. Unkundigen können auch nicht als mündliche bestehen bleiben, es sei denn, daß das Zu­ standekommen eines dem Schriftstücke entsprechenden mündlichen Vertrages bewiesen wird. O.Tr. III v. 2. März 1868, Str. Arch. 69 S. 354. 21) H. Durch das unter 4. in seinen hierher gehörigen §§. mitgetheilte Gesetz. Der Vor­ behalt, den §. 3 dieses Gesetzes dahin macht, daß durch Königl. Verordnung für die Dauer von höchstens 20 Jahren für einzelne Kreise oder Kreistheile der Gebrauch einer fremden Sprache neben der deutschen für die mündlichen Verhandlungen und die protokollarischen Aufzeichnungen der Schulvorstände, sowie der Gemeinde- und Kreisvertretungen, der Gemeindeversammlungen und Vertretungen der sonstigen Kommunalverbände gestattet werden kann, ist durch die Königl. Verordnung v. 28. Aug. 1876 (G.S. S. 393) zunächst auf die Dauer von fünf Jahren zur Ausführung gekommen. Dieselbe bezeichnet die einzelnen Ortschaften und Kreise der Provinzen Posen und Preußen, in denen die polnische Sprache, der Provinz Preußen, in denen die litthauische Sprache, der Provinz Schleswig-Holstein, in denen die dänische Sprache, der Rhein­ provinz, in denen die französische Sprache als Geschäftssprache gebraucht werden darf. Die aufgehobenen §§. des L.R. lauteten: „§. 180. Ist der Richter oder Justizcommissarius der Sprache eines solchen Contrahenten nicht kundig, so muß ein vereideter Dollmetscher zu­ gezogen werden. — §. 181. Vereinigen sich die Parteien über einen unvereideten Dollmetscher, so muß dieses im Protokolle ausdrücklich bemerkt werden. — §. 182. Mit dem Hauptinstrumente

232

Erster Theil.

Fünfter Titel.

(Zusatz) §§. 184, 185.

5. Gesetz, betreffend die Geschäftssprache der Behörden, Beamten und politischen Körperschaften des Staats. Vom 28. August 1876. (G.S. S. 389.) §. 4. Ist vor Gericht unter Betheiligung von Personen zu verhandeln, welche der Deutschen Sprache nicht mächtig sind, so muß ein beeidigter Dolmetscher zugezogen werden. Personen, welche der Deutschen Sprache nicht mächtig sind, leisten Eide in der ihnen ge­ läufigen Sprache. Das Protokoll ist in dieser: Fällen in Deutscher Sprache aufzunehmen und falls es einer Genehmigung Seitens einer der Deutschen Sprache nicht mächtigen Person bedarf, derselben durch den Dolmetscher in der fremden Sprache vorzutragen. Die Führung eines Nebenprotokolls in der fremden Sprache findet nicht statt, jedoch können Aussagen und Erklärungen in fremder Sprache, wenn und soweit der Richter dies mit Rücksicht auf die Wichtigkeit der Sache für erforderlich erachtet, auch in der fremden Sprache in das Protokoll oder eine Anlage niedergeschrieben werden. In dazu geeigneten Fällen kann dem Protokolle eine durch den Dolmetscher zu beglaubigende Nebersetzung beigefügt werden. §. 5. Die Beeidigung des Dolmetschers erfolgt ein für allemal oder vor Ausübung seiner Verrichtung im einzelnen Falle dahin: daß er treu und gewissenhaft übertragen werde. Wird ein Beamter als Dolmetscher angestellt, so ersetzt der Diensteid den Dolmetschereid. §. 6. Bei Handlungen der freiwilligen Gerichtsbarkeit können die Betheiligten dem Dol­ metscher die Ableistung des Eides erlassen. Dieser Verzicht muß in der Sprache der Betheiligten im Protokolle vermerkt werden. Bei denjenigen Handlungen der freiwilligen Gerichtsbarkeit, bei denen die Zuziehung eines Protokollführers gesetzlich nicht erfordert wird, bedarf es auch der Zuziehung eines Dolmetschers nicht, wenn der Richter der fremden Sprache mächtig ist. §. 7. Die Zuziehung eines Dolmetschers kann unterbleiben, wenn die betheiligten Personen sämmtlich der fremden Sprache mächtig sind. In diesem Falle kann das Protokoll, sofern es Handlungen der freiwilligen Gerichtsbarkeit betrifft, in der fremden Sprache ausgenommen, es muß jedoch die Nebersetzung in das Deutsche alsbald bewirkt werden. Falls das in Deutscher Sprache aufgenommene Protokoll der Genehmigung Seitens einer der Deutschen Sprache nicht mächtigen Person bedarf, ist es derselben durch eine der amtlich mitwirkenden Personen in der fremden Sprache vorzutragen. §. 8. Der Dienst des Dolmetschers kann von dem Gerichtsschreiber oder Protokollführer wahrgenommen werden, sofern der Gerichtsschreiber oder Protokollführer gleichzeitig als Dol­ metscher angestellt ist. §. 9. Die in den §§. 4. bis 8. für die Verhandlungen vor den Gerichten gegebenen Vor­ schriften finden auf die Verhandlungen vor den Verwaltungsbehörden in denjenigen Angelegen­ heiten, für welche ein kontradiktorisches Verfahren vorgeschrieben ist, sowie auf die Verhand­ lungen vor den Auseinandersetzungsbehörden und den Kommissarien derselben und auf die mündlichen Verhandlungen vor den Standesbeamten entsprechende Anwendung.

V. Bo» Der§. 184. Die Unterlassung dieser Vorschriften (§. 180. 181. 182.) macht zwar f Vertäue den Vertrag, wenn dessen Richtigkeit sonst nachgewiesen werden kann 22), nicht uuertcnnt!118 9*^9, wohl aber den Richter wegen Weitläuftigkeiten und Kosten verantwortlich, niß«), §. 185. Derjenige, welcher sich schriftlich oder zum Protokoll zu einem mündlich zugleich muß der Richter oder Justizcommissarius dem der Sprache unkundigen Contrahenten eine Nebersetzung desselben zur Unterschrift vorlegen (§. 178.) — §. 183. Stimmt die Über­ setzung mit dem Original nicht überein, so gilt erstere zum Vortheil des Unkundigen." — Statt „Justizcommissarius" ist jetzt Notar zu lesen. Das Verfahren der Notare regelt sich für die in Rede stehenden Fälle nach dem Not.-Gesetz v. 11. Juli 1845 (G.S. S. 487) §§. 24—42. 22) Hier hat man wieder nur das Zeichen der Perfektion eines Vertrages als Zweck der Form im Sinne gehabt, nicht den des Beweises, welcher aliunde geführt werden kann. 23) Das Anerkenntniß ist, nach dem L.R., nur Bestärkungsmittel für Verträge, keines­ wegs, wie behauptet worden, ein selbstständiger Verpflichtungsgrund, da es vielmehr seine Ver-

Von Verträgen.

geschlossenen

233

Bertrage bekannt Ijcit25), kann, so weitals die Berabredungen 27)

Kindlichkeit aus der ursprünglichen causa debendi herleitet und diese in sich aufnehmen muß. O.Tr. i). 4. Juni 1866, Entsch. 57 S. 316. Als ein neues Erzeugnis; der Rechtsbildung durch Theorie und Praxis ist der s. g. „An­ erkennungsvertrag" aufzufassen, welcher in der bloßen Anerkennung, kraft des geeinigten und getätigten Willens, ohne Angabe einer anderen causa, gleich den kaufmännischen Verpflichtungsscheinen nach Art. 301 des H.G.B., einen selbstständigen klagbaren Verpflichtungs­ grund darstellen soll und bereits in dem sächsischen Gesetzbuch §§. 1397 ff. seine Vertreter ge­ funden hat. Die Theorie dieses Vertrages ist gemeinrechtlich entwickelt von dem Ober-Appellationsgerichtsrathe Dr. Bähr in dem Werke „Die Anerkennung als Verpflichtungsgrund (2. Auflage 1867)". Die Lehre hat auch auf Grund des L.R. ihren Anhänger gefunden in dem Öbertribunalsrath Meyer, welcher in der Abhandlung „zur Lehre vom Anerkennungs­ vertrag und der cautio indiscreta nach Preußischem Rechte" (in Hinschius, Zeitschrift für Gesetzgebung und Rechtspflege in Preußen, 2 sBerlin 1868], S. 754 ff.) ausführt, daß sich aus der Behandlung, welche das Anerkenntniß in den §§. 185 ff. d. T. erfahre, nicht h'erleiten lasse, daß das L.R., wenn es auch das Wesen des Anerkennungsvertrages, so wenig wie andere frühere Gesetzgebungen erkannt hat und desselben nicht ausdrücklich erwähnt, denselben nicht zu lasse. Er kommt zu dem Resultat: daß der AnerkeNntNißvertrag durch die Bestimmungen des L.R. nicht ausgeschlossen wird, daß also nichts im Wege steht, ihm in dem Bereiche desselben Anerkennung zu verschaffen, daß sonach eine Klage auf Grund eines Anerkenntnisses in gesetzlicher Form, wo diese ge­ boten ist, an stch einen gültigen Klagegrund erhält und daß es dem Verpflichteten obliegt, im Wege des Emwandes denselben, sei es wegen der dem Vertrage entgegenstehenden Mängel, sei es unter den Bedingungen der condictio indebiti wegen Ungültigkeit der Voraussetzung, der causa, anzufechten. Wichtiger und einschneidender als dieser allgemeine Grundsatz erscheint ihm für die Praxis die Frage, ob eine cautio indiscreta ungültig und nicht geeignet sei, eine rechtliche Verpflichtung herbeizuführen. Indeß widerlegt er, mit guten Gründen, auch, dieses Bedenken und resumirt schließlich: es werde anzuerkennen sein, daß das L.R. der Entwickelung und Durchführung der Lehre vom Anerkenntnißvertrage nicht entgegensteht, daß ein Verpflichtungsschein, eine cautio, nicht bloß ein Beweismittel ist, sondern als formaler, von der causa abgelöseter selbstständiger Rechtsakt aufzufassen ist, auch wenn die causa debendi nicht angegeben worden, daß der Satz cautio indiscreta non valet zu verwerfen ist. — Durch das besprochene Institut würden wir einen neuen allgemeinen Formal-Vertrag, einen neuen Literal-Vertrag, oder — wenn mündliche Form beliebt würde — eine neue Stipulation haben, und die übrigen genannten Verträge würden wieder Ausnahmen sein. In der That ist nicht findbar, warum das nicht gehen sollte. Allein die Schwierigkeit bei einer geschlossenen Gesetzgebung, wie wir sie haben, liegt darin, daß es nicht genügt, daß die Gesetzgebung nicht ausdrücklich entgegen ist, sondern daß eine so wichtige Institution ausdrücklich anerkannt sein muß, um vor Gericht Geltung zu finden. H. Vgl. in Ansehung des Saldo-Anerkenntnisses die in Gruchot 25 S. 709 aus dem Urth. des R.G. I H. v. 5. Okt. 1880 mitgetheilten Rechtssätze und die dabei eit. Erkenntnisse des O.Tr. 24) Dies ist so aufgefaßt worden, daß einer schriftlichen Vertragsurkunde, wenn sie recht­ lich wirksam sein soll, immer eine mündliche Stipulation (Promission) des Ausstellers voraus­ gehen müßte. So ist es nicht. Auch solche Urkunden, welchen eine ausdrückliche mündliche Willens­ erklärung des Ausstellers nicht vorangegangen ist, deren Inhalt aber dem vorher kund­ gegebenen Willen des anderen Kontrahenten entspricht, wie das bei Verträgen, die unter Ab­ wesenden brieflich geschlossen werden, der gewöhnliche Fall ist (§. 142), wie auch bei Ver­ trägen stummer Personen (§. 24), sind von verbindlicher Kraft. O.Tr. IV v. 22. Mai 1860, Entsch. 43 S. 40. 25) Das schriftliche Anerkenntniß eines mündlich geschlossenen Vertrages kann auch in dem mit einem Dritten abgeschlossenen Vertrage abgegeben sein, dem der andere Kontrahent des ersteren nicht förmlich beigetreten ist, wenn jenes Anerkenntniß nur in der nicht zu verkennenden Absicht abgegeben worden, die durch den mündlichen Vertrag begründete Verbindlichkeit auch zum Besten des anderen mündlichen Kontrahenten auszusprechen. Pr. 269 v. 12. Mai 1837. Damit derjenige, welcher sich schriftlich oder zum Protokolle zu einem mündlich geschlossenen Vertrage bekennt, des Einwandes der mangelnden schriftlichen Abfassung verlustig erachtet werden könne, genügt es nicht, daß er den mündlichen Abschluß des Vertrages als bloße Thatsache ein­ räume. Das Anerkenntniß muß auch in der Absicht erfolgen, die verbindende Kraft des Ver­ trages einzuräumen. O.Tr. III (Pr. 1510) v. 22. Nov. 1844, Entsch. 10 S. 361. — Das An­ erkenntniß eines mündlichen Vertrages setzt den Willensausdruck der Verpflichtung voraus. O.Tr. III v. 20. Febr. 1849, Entsch. 18 S. 242. — Es setzt voraus, erstlich: auf Seiten des Erklärenden den animum esse obligandi als noch gegenwärtig vorhanden, und

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Erster Theil.

Fünfter Titel.

§§. 185—191.

aus diesem Anerkenntnisse erhellen, den Mangel der schriftlichen Abfassung nicht vorschützen-b). gerade jetzt zu beurkunden, — und zweitens: daß ein mündlicher Vertrag über einen bloß der schriftlichen Abfassung bedürfenden Gegenstand vorliege. Entsch. 13 S. 188. — Daher be­ zieht sich der §. 185 nicht auf Zugeständnisse im Prozesse, für welche der §. 82 I. 10 A.G.O. (H. jetzt C.P.O. §§. 129, 261—263, 278) maßgebend ist. O.Tr. II v. 13. Juni 1854, Str. Arch. 12 S. 172. Ein von dem hier vorausgesetzten Falle ganz verschiedener ist der, wenn der eine Kon­ trahent seinen Antrag vollständig in Schriften gemacht und der andere seinerseits nur mündlich angenommen hat. Dies ist der in Anm. 11 zu 8 174 d. T. erwähnte Fall. 26) Nämlich außer den wesentlichen Bestandtheilen in Nebenbestimmungen. Denn erhellen nicht alle Essentialien, so hat das Schriftstück keinen rechtlichen Werth. — In Uebereinstimmung hiermit sagt das O.Tr., daß die in dem Schriftstücke gänzlich mangelnde causa debendi nicht durch den Beweis der mündlichen Vereinbarung einer solchen ersetzt werden kann; ein derartiger Beweis ergebe eben nur eine mündliche Vereinbarung, der an und für sich schriftlich auf­ zunehmende Vertrag sei somit in einem wesentlichen Punkte nicht schriftlich und daher nicht klagbar. O.Tr. IV v. 27. Okt. 1857, Str. Arch. 26 S. 317. Vergl. auch das Erk. v. 13. Jan. 1853, Str. Arch. 8 S. 196. — In dem Erk. v. 25. Sept. 1862, Str. Arch. 47 S. 193, sagt das O.Tr. IV bestätigend: Die Worte des §. 185 besagen nur, daß ein allgemein gehaltenes schrift­ liches Anerkenntniß — ohne Aufnahme der wesentlichen Bestimmungen des mündlichen Vertrages — ungenügend ist, um den Einwand des mangelnden schriftlichen Vertrages zu be­ seitigen; sie besagen aber nicht, daß ein solches Anerkenntniß präziser und spezieller gefaßt sein müsse, als ein von vornherein schriftlich errichteter Kontrakt; sie schließen mithin die Anwend­ barkeit des §. 130 (auf ein solches Anerkenntniß) nicht aus. Diese Ausschließung hatte der Appellationsrichter angenommen. 27) Also Verabredungen, Vertrüge, müssen der Gegenstand des Anerkenntnisses, von welchem hier im §. 185 die Rede ist, sein. Daher erlange eine bloß mündliche Erbschafts­ entsagung durch nachheriges schriftliches Anerkenntniß keine Gültigkeit. O.Tr. I v. 31. Jan. 1853, Str. Arch. 8 S. 274. 28) Die Wirkung des einseitigen förmlichen Anerkenntnisses eines formlosen Vertrages ist nicht völlige Gleichstellung desselben mit dem Vertrage selbst, sondern nur die Ausschließung des Einwandes der mangelnden Form. Man hat gewollt, „daß ein solches Anerkenntniß nicht eigentlich defectum scripturae hebe, sondern daß es nur dem agnoscenti obstire, wenn dieser sich auf den Mangel der Schriftlichkeit berufen wollte". Deshalb bedarf es z. B. zur Aufhebung des Vertrages außer der wechselseitigen Einwilligung nicht noch der Kassation des Anerkenntnisses nach I. 5 §. 387. O.Tr. IV v. 24. Juni 1850, Entsch. 30 S. 93, 95. — .Hieraus erhellet zu­ gleich, daß die Vorschrift aus den Fall, wenn die Kontrahenten ausgemacht haben, daß ihre Ver­ einbarung — die sonst die schriftliche Form entbehren könnte — schriftlich abgefaßt werden soll (§. 117), unanwendbar ist. — Ferner ergiebt sich, daß das Anerkenntniß auf die Zeit der mündlichen Vereinbarung zurückwirkt, da aus derselben geklagt werden kann und der Einwand der mangelnden Form ausgeschlossen ist. Vergl. O.Tr. v. 3. April 1840 (Schles. Arch. 4 S. 524), und §. 188 d. T. Eine Ausnahme machen die wegen Unfähigkeit der Kontrahenten ungültigen Verträge. §§. 37 u. 38 und 192 d. T. — In dem Ganzen ist zwar keine Logik, denn der Mangel der Schrift verhält sich zum mündlichen Vertrage ja gar nicht wie die exceptio zur actio, da der mündliche Vertrag keine Klage begründet; aber man verbraucht das Material so gut es geht, man strebt doch nach der Jurisprudenz. Dem durch sein Anerkenntniß einseitig Gebundenen giebt man nach Analogie der §§. 11—13 d. T. das Recht, dem Anderen eine Frist zur Abhülfe des.Formmangels zu setzen und, wenn dieselbe fruchtlos verlaufen ist, auch seiner­ seits zurückzutreten. — Auch derjenige, welcher die über einen mündlich abgeschlossenen, schrift­ lich zu errichtenden Vertrag abgefaßte schriftliche Urkunde durch seine Unterschrift vollzogen und dem anderen Kontrahenten übergeben hat, kann den Mangel der Unterschrift des Letzteren nicht vorschützen. O.Tr. IV v. 6. April 1854, Str. Arch. 14 S. 6. Das gilt auch von den Schluß­ scheinen über Handelsgeschäfte. O.Tr. IV v. 18. Nov. 1856, Str. Arch. 23 S. 63. Welche Wirkung ein Anerkenntniß gegen einen Dritten habe, ist in Frage gekommen. In einem Erk. des O.Tr. III v. 8. Okt. 1852, Str. Arch. 7 S. 268 wird der Satz hingestellt: Der Sueeessor muß das gegen sich gelten lassen, was der Autor in Betreff der veräußerten Sache nach geschehener Veräußerung anerkannt hat. Dem ist nicht beizutreten. Weiter wird gefolgert: Daher ist die Erklärung des Autors, der die nämliche Sache an verschiedene Personen veräußert hat, und demnächst den dem Datum nach älteren, in gültiger Form ab­ geschlossenen Kaufvertrag eines dieser Käufer rekognoszirt, auch anerkennt, diesem das Eigen­ thum der Sache vor jenem anderen Verkaufe übertragen zu haben, nicht ohne rechtliche Wirkung

Von Verträgen.

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§. 186. Durch das Anerkenntniß eines seiner Form nach rechtsbeständigen Vertrages werden diejenigen Einwendungen gehoben, welche sich auf den Mangel einer freien oder ernstlichen Einwilligung 29 * *) * beziehen. ***** §. 187. Doch muß das Anerkenntniß zu einer Zeit erfolgt sein, wo das bei der ersten Schließung des Vertrages entgegengestandene Hinderniß gehoben war30).31 §. 188. Alsdann erstreckt sich aber auch die Wirkung eines ohne Einschränkung erfolgten Anerkenntnisses bis auf die Zeit des geschlossenen Vertrages zurück. 8-189. Solche Handlungen, woraus eine vollständige Kenntniß des Ver­ trages'^) und zugleich die wiederholte Genehmigung des ganzen Inhaltes deutlich erhellet, begründen ein stillschweigendes Anerkenntniß. §- 190. Fehlt es an einer hinreichenden Kenntniß des Vertrages, so ist gar kein verbindliches Anerkenntniß vorhanden. §. 191. Liegt in der Handlung nicht die Genehmigung des Vertrages nach seinem ganzen32) Inhalte, sondern nur eines Theils desselben, so kann die Wirkung des Anerkenntnisses auf die dadurch nicht genehmigten Theile keineswegs ausgedehnt werden. für den zweiten Käufer. — Dies ist keine Folge aus jenem falschen Folgesätze; der zweite Käufer wird durch das Anerkenntniß des Verkäufers als eines Dritten gar nicht verbindlich; die Frage gehört vielmehr der Lehre vom Beweise an. Der §. 185 verlangt nicht, daß der Vertrag ein von beiden Seiten unbedingter sein müsse. Es wird nur vorausgesetzt, daß die schriftliche Erklärung mit dem Willen gegeben sei, sich da­ durch nach der mündlichen Verabredung dem anderen Theile, mag auch dieser sich noch eine Bedenkzeit vorbehalten haben, wenn er nur innerhalb derselben acceptirt, zu verpflichten. O.Tr. I v. 17. Juni 1863, Str. Arch. 50 S. 114. 29) Also z. B. auf den Einwand des Zwanges, oder Betruges und Irrthums. Solche der Form nach gültige, aber wegen mangelhafter Willensbestimmung anfechtbare Verträge konvalesziren durch bloße spätere Handlungen des zur Anfechtung Berechtigten. §. 189. Diesen Grundsatz wendet die Praxis auch auf den Fall an, wenn ein nur mündlich Bevollmächtigter in Fällen, wo es einer schriftlichen Vollmacht bedurfte, in der gesetzlichen Form gehandelt hat. Dieser Vertrag soll auch durch eine mündliche, selbst stillschweigende Genehmhaltung des Macht­ gebers, dem Dritten gegenüber, rechtsverbindlich werden. Pl.Beschl. (Pr. 2196) v. 22. April 1850, Entsch. 19 S. 29. — H. Bezieht sich auch auf die Einrede der Simulation, Str. Arch. 81 S. 338 (III). 30) Diese Bedingung der Nechtsgültigkeit des Anerkenntnisses muß von der Partei, welche sich auf das Anerkenntniß beruft, bewiesen werden, wenn der Anerkennende das Vorhandensein zur Zeit des Anerkenntnisses leugnet. Vergl. O.Tr. II v. 29. Mai 1856, Entsch. 33 S. 21. 31) Diese Bestimmungen beziehen sich immer nur auf Anerkennung eines Vertrages. Was von Anerkenntnissen über eine Schuld oder über ein sonstiges Rechtsverhältniß gilt, ist im All­ gemeinen nicht zu sagen; es kommt auf den einzelnen Fall an. Das Anerkenntniß einer Schuld z. B. ist ein constitutum debiti proprii, welches nothwendig den Entstehungsgrund der Schuld (causa debendi) angeben und anerkennen muß; denn von diesem gilt der Grundsatz: daß das Anerkenntniß als solches kein Entstehungsgrund eines Rechtes oder einer Verpflichtung (Rechts­ verhältnisses) ist. Vergl. Entsch. US. 352, wo aber ganz allgemein dies behauptet wird. Da­ gegen enthält das Anerkenntniß im Personenrechte bisweilen in sich selbst seinen Rechtsgrund, z. B. das Anerkenntniß der Vaterschaft. In Prozessen ist auch nicht der Ausdruck der causa debendi nothwendig. Das O.Tr. hat folgende Sätze ausgesprochen: 1. Das Anerkenntniß einer Verpflichtung, ohne Angabe des Entstehungsgrundes der Verpflichtung, begründet diese selbst noch nicht. Dies gilt insbesondere: 2. von Anerkenntnissen in vorbereitenden Urbarialverhandlungen, welche die Errichtung eines förmlichen Urbarium nicht zur Folge gehabt haben. Da­ gegen ist: 3. die Gültigkeit eines Zugeständnisses im Prozesse, wodurch der Beklagte die Forderung des Klägers einräumt, nicht davon abhängig, daß aus der Erklärung des Zugestehenden der Entstehungsgrund der Forderung hervorgeht. Pr. v. 3. März 1845, Entsch. 11 S. 345. Der zweite Satz ist bestritten und die Gesetzgebung hat (bezüglich auf Laudemialqualität) das Gegentheil vorgeschrieben, im Ges. v. 2. März 1850 §. 40: „Es genügt, wenn ein Besitzer des Grundstücks die Verpflichtung, auch ohne Angabe des Rechtsgrundes derselben, in einer öffent­ lichen Urkunde anerkannt hat." (G.S. S. 90.) 32) Eine Theilzahlung z. B. ist eine das Ganze genehmigende Handlung nicht, wohl aber eine Klage gegen den Anderen auf Erfüllung.

236

Erster Theil.

Fünfter Titel.

§§. 192—215.

§. 192. In wie fern ein wegen persönlicher Unfähigkeit eines Contrahenten ungültiger Vertrag durch desselben nachheriges Anerkenntniß zur Gültigkeit gelange, ist §. 37. 38. festgesetzt33). 2) durch Ent§. 193. Eine im Contracte nur in allgemeinen Ausdrücken geschehene Ent­ faflimo der Einwen­ sagung der Einwendungen hat keine rechtliche Wirkung. dungen, §. 194. Auch solchen Einwendungen, welche den Vertrag von Anfang an un­ gültig machen34), kann darin nicht entsagt werden. §. 195. Ein Gleiches findet von Einwendungen statt, die sich auf ein Ver­ botsgesetz gründen. §. 196. Solchen Einwendungen, die einem Dritten zu statten kommen, kann ein Contrahent zu dessen Nachtheil nicht entsagen. §. 197. Andere Einwendungen, welchen im Contracte ausdrücklich3'^) entsagt worden, können in der Folge nicht mehr vorgeschützt werden. §. 198. Doch muß der Sinn und Inhalt der Einwendungen in dem Vertrage dergestalt ausgedrückt sein, daß der Entsagende deutlich hat einsehen können, worauf er eigentlich Verzicht leiste. §. 199. Durch eidliche Bestärkung enthält kein Vertrag mehrere Kraft, als ihm die Gesetze schon an sich beilegen36). lieche Be§♦ 200. Gerichtliche Bestätigung ist bei Verträgen nach gemeinen Rechten stätigunq, nicht nothwendig3^). §. 201. Wo sie hinzukömmt, begründet sie die Vermuthung, daß der Vertrag gesetzmäßig abgeschlossen worden. §. 202. Gerichtliche Bestätigung setzt allemal ein gerichtliches Anerkenntniß der Contrahenten voraus. §. 203. Die Erfüllung eines gerichtlich bestätigten Vertrages kann durch Ein­ wendungen gegen die Gültigkeit und den Inhalt desselben, welche nicht sogleich klar gemacht worden, nicht aufgehalten werden 38). 33) S. o. Sinnt. 43 zu §. 37 b. T. 34) Dabei ist an den Mangel in den zur Eingehung eines Rechtsgeschäfts nothwendigen Erfordernissen gedacht. I. 16 §. 401. 35) Der Ausdruck ist nach seinem gewöhnlichen Wortsinne zu nehmen, nach welchem der Gegensatz das Stillschweigende ist. Keineswegs können, diesem Wortlaute des Gesetzes zuwider, Einwendungen, welchen vermeintlich stillschweigend im Vertrage entsagt worden, zurück­ gewiesen werden, wie von Einigen behauptet worden ist. Der §. 382 I. 16 bezieht sich gar nicht' auf die Abschließung eines Vertrages. Die Entsagung aller ordentlichen und außerordentlichen Rechtsmittel mit der Wirkung, daß die Entscheidung des kompetenten Gerichts erster Instanz zu Gunsten des andern Theils gegen den Entsagenden ohne Weiteres als ein rechtskräftiges Urtheil vollstreckbar wird, ist als eine vertragsmäßige Festsetzung für gültig zu achten. O.Tr. v. 1. Febr. 1845, Entsch. 12 S. 473. H. Vgl. C.Pr.O. §§. 475, 311, 529. 36) Die hier befindliche Bezugnahme des Textes auf Theil II Tit. 20 fällt weg. Das neue Strafgesetzbuch enthält keine.entsprechende Bestimmung. Damit fällt die Strafbarkeit der außergerichtlichen Eide (II. 20 §§. 1425—1430) weg, wenn die Handlung nicht sonst als straf­ bar qualifizirt werden kann. Der §. 199 entscheidet einen sehr alten Meinungsstreit über die Wirksamkeit eidlicher Be­ kräftigungen von Verträgen, gegen die Auth. Sacramentum und das päpstliche Recht. Das Nähere: Koch, Recht der Forderungen 2 S. 323 ff. 37) Eine Ausnahme machen die Rechtsgeschäfte, welche zu ihrer Gültigkeit eine causae cognitio und die richterliche Bestätigung erfordern, z. B. die Adoption II. 2 H. 667. Außer solchen Ausnahmefällen ist die Bestätigung auch insofern aufgehoben, als sie auf Provinzial­ rechten beruhte. Ges. v. 23. April 1821 §. 2. (G.S. S. 43.) 38) Wenn nämlich das Instrument den abgekürzten Prozeß begründet. Dann müssen und können die illiquiden Einwendungen in separato ausgeführt werden. Das widerspricht nicht dem §. 126 I. 10 A.G.O. Dort ist lediglich davon die Rede, inwiefern der Gegenbeweis gegen die Urkunde über die Thatsache, daß die Erklärung der Parteien in derselben richtig, der Ver-

Von Verträgen.

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§. 204. Die gerichtliche Bestätigung versteht sich jederzeit ohne Nachtheil der Rechte eines Dritten. §. 205. Draufgabe (Arrha) ist das, was als Zeichen des geschlossenen Ber- 4^mch träges entrichtet wird40 * *).41 39 42 »«#«”)’. 206. Was auf Abrechnung der übernommenen Verbindlichkeiten voraus' gegeben worden, wird Angeld genannt4'). 8. 207. Wo die Gesetze oder der Vertrag selbst nicht ausdrücklich ein Anderes bestimmen, ist die Draufgabe zugleich als Angeld anzusehen. §. 208. Ist aber die Draufgabe von anderer Art als dasjenige, was der Gebende vermöge des Contracts zu leisten hat, sv hat dieselbe nicht die Eigenschaft eines Angeldes. §. 209. Was wegen der Brautgeschenke, und bei dem Miethgelde des Ge­ sindes Rechtens sei, ist gehörigen Orts bestimmt. (Th. 2. Tit. 1. Abschn. 2., Tit. 5. Abschn. 1)"). §. 210. Der Empfänger der Draufgabe kann sich, durch Zurückgabe der­ selben, von der übernommenen Verbindlichkeit nicht befreien. §. 211. Auch der Geber kann sich durch Aufopferung der Draufgabe von der Erfüllung des Vertrages nicht losmachen43). §. 212. Ist das Gegentheil, und daß gegen Verlust oder Ersatz der DraufWas gäbe der Rücktritt von dem Vertrage statt finden solle, ausdrücklich44) verabredet, a) wenn 'die so vertritt die Draufgabe die Stelle einer Wandelpön. (§. 312. sqq.) AeUÄne §. 213. Tritt in einem solchen Falle der Geber zurück, so behält der Em-Wandelpön, pfänger die Draufgabe, kann aber keine weitere Entschädigung fordern. 0 CL §. 214. Tritt der Empfänger zurück, so muß der Geber mit Erstattung der Draufgabe statt der Entschädigung sich begnügen 45). §. 215. Hat aber einer von beiden Theilen mit Erfüllung des Bertrages bereits den Anfang gemacht, so kann, wenn auch die Draufgabe wirklich als Wandelpön gegeben worden, dennoch weder der, welcher schon zum Theil erfüllt, noch der, welcher diese Erfüllung angenommen hat, wider den Willen des Andern zurücktreten.

lautbarung entsprechend, niedergeschrieben worden, zulässig sei; über die Einwendungen gegen das Rechtsgeschäft wird dort nichts bestimmt. H. Vgl. C.P.O. §§. 555 ff., 702., 703. 39) Koch, Recht der Forderungen, 2. Ausg. §. 113. 40) Die Draufgabe hat als Zeichen der perfekten Kontraktsschließung, d. h. als Form, nur in der Gesindemiethe noch ihre wahre Bedeutung. G.O. §§. 22 u. 23. 41) Wenn bei einem zweiseitigen Vertrage, dessen Erfüllung zukünftig ist, ein Angeld ge­ geben, und über dieses Angeld ein 'Wechsel ausgestellt worden ist, so enthält dessen Einziehung nicht die Rücknahme des Angeldes als solchen, beziehungsweise nicht die Wiederaufhebung der angefangenen Erfüllung des Vertrages. O.Tr. IV. v. 29. Juni 1854, Str. Arch. 13 S. 243. 42) Hier wiederholt sich die Anm. 48 zu §. 137 d. T. 43) Vorausgesetzt, daß der Hauptvertrag bereits in verbindender Form abgeschlossen worden ist. Ist das nicht geschehen (tz. 221), so entstehen aus dem Geben und Nehmen der arrha (pactum arrhale) besondere Verbindlichkeiten, worüber sich die folgenden Vorschriften verhalten. 44) Die gemeinrechtlichen Schriftsteller wollen für die arrha confirmatoria eine Ver­ muthung gelten lassen. Dieser Lehre ist der Satz dieses §. nachgebildet. 45) Hiernach sind die Rechte beider Theile ungleich; der Empfänger müßte in diesem Falle die arrha doppelt zurückgeben. So ist es auch wirklich nach L. 17 C. de fide instrum. und pr. J. de eint, et vend. (III, 24). Wird die Erfüllung durch Zufall verhindert, so ist die arrha, wie sie ist, zurückzugeben, deshalb wie sie ist, weil keine Strafe und keine Verbindlichkeit zur Entschädigung eintritt. Der Geber hat nur die condictio ob causam. Nergl. §. 220.

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Erster Theil.

Fünfter Titel.

§§. 216—230.

§. 216. In allen Fällen 40) geht das Eigenthum der Draufgabe, mit allen seinen Wirkungen, sogleich auf den Empfänger über. keine^Wan§♦ Ist von einer eigentlichen Draufgabe, die nicht als Wandelpön gedelpvn ist. geben worden, die Rede, und der Vertrag geht durch die Schuld des Empfängers zurück, so hat der Geber die Wahl: ob er, außer der übrigen ihm zukommenden Entschädigung, die Draufgabe in Natur, so wie sie ist, zurücknehmen, oder den Werth, welchen sie zur Zeit der Uebergabe hatte, fordern wolle. §. 218. Geht der Vertrag durch die Schuld des Gebers zurück, so verliert derselbe die Draufgabe4'). §. 219. Doch muß ihm deren Werth48) auf die dem Empfänger noch etwa außerdem zu leistende Entschädigung zu gute gerechnet werden. §. 220. Wird der Vertrag ohne besonderes40) Verschulden eines oder des andern Theils rückgängig, so muß die Draufgabe, so wie sie alsdann ist, zurück­ gegeben und genommen werden. §. 221. Ein Gleiches findet statt, wenn der Vertrag durch wechselseitige Ein­ willigung beider Theile wieder aufgehoben wird, oder wegen Mangels der recht­ lichen Erfordernisse nicht bestehen sann50). §. 222. Ist in diesen Fällen (§. 220. 221.) die Draufgabe nicht mehr vor­ handen, so muß der Werth derselben, wie er zur Zeit des Empfanges gewesen ist54), erstattet werden. 46) Nach G.R. ist darüber Meinungsverschiedenheit. Tie wahre arrha ist ein bloßes Beweisstück, der Zweck fällt deshalb weg, wenn der Vertrag erfüllt oder rückgängig wird. Da­ raus folgt, daß jede Sache als arrha gegeben werden kann (bie Römer pflegten einen Ring zu geben, L. 11 6 D. de act. emti XIX, 1), daß der Empfänger nicht Eigenthümer wird und daß sie, in den gedachten beiden Fällen, zurückgegeben werden muß. Anders ist es mit den: deutschen Handgelde, dessen Eigenthum auf den Empfänger durch die Uebergabe übergeht, mag es abgerechnet werden, oder als Zugabe verbleiben sollen. Diese Verschiedenheit macht unser §. 216 gleich durch das „in allen Füllen". Die Folge davon ist, daß der Empfänger im Falle der gehörigen Erfüllung die Draufgabe behält, wenn sie auch nicht angerechnet worden ist. §. 208. 47) Diese Vorschrift findet auch auf das Angeld (§. 206) Anwendung. O.Tr. IV v. 31. Okt. 1861, Arch. 43 S. 173. — Dagegen führt das O.Tr. später aus: „Daraus, daß die mit der Hauptleistung gleich geeigenschaftete Daraufgabe als Angeld anzusehen ist, folgt in keiner Weise, daß auch das Angeld (die Abschlags- und Vorleistung) der Daraufgabe gleich­ ste he und auch auf dieses der 8-218 Anwendung leide. — Das im Arch. 43 S. 172 abgedruckte Erkenntniß stellt den Unterschied mit Beziehung auf Bornemann und Koch an sich richtig auf, der Schluß aber, daß §. 218 auch auf Angeld Anwendung finde, welcher gar nicht weiter motivirt ist, ist ungerechtfertigt; — Bornemann und Koch ziehen jene Folgerung nir­ gends." Erk. III v.-17. Mai 1867, Str. Arch 67 S. 218 u. Entsch. 58 S. 28.

48) Der gemeine Werth zur Zeit des Eigenthumserwerbes, d. i. der Uebergabe, weil der Empfänger um so viel reicher geworden. 49) Auf dieses „besondere" ist kein Gewicht zu legen; es bedeutet ein Uebergewicht der Schuld auf der einen Seite. Nach der Regel muß jeder Theil ein mäßiges Versehen verant­ worten. Es können drei Fälle eintreten, a) Keiner hat ein Versehen begangen. Dieser Fall ist von selbst begreiflich, b) Beiden fällt ein gleicher Grad von Schuld zur 2ast. Dann kompensirt sich dieselbe und es ist wieder kein „besonderes" Versehen des Einen die Ursache der Rückgängigkeit, c) Nur der Eine begeht ein verpflichtendes Versehen, oder der Eine ein mäßiges, der Andere aber ein grobes. Dann ist der Fall des „besonderen" Versehens des Einen vorhanden. 50) In beiden Fällen (§§. 220, 221) ist die condictio sine causa auf Rückgabe des Ge­ gebenen und noch Vorhandenen gegeben. L. 11 §.6 I). de act. ernt. (XIX, 1); L. 2 C. quando liceat ab ernt. (IV, 45). Anerkannt von dem O.Tr. in dem Pr. v. 13. Dez. 1847, Entsch. 16 S. 172. 51) Der Satz widerspricht dem ganz richtigen Prinzipe §. 220; nur die actio in factum wegen Bereicherung ist gerechtfertigt; die unbedingte Forderung des ursprünglichen Werthes der vielleicht zufällig untergegangenen Sache ist nicht gerecht.

Von Verträgen.

239

§. 223. Liegt der Mangel bloß in der Unterlassung der schriftlichen Abfassung, so hat es bei den Vorschriften §. 156. sqq. sein Bewenden. 8- 224. Hat Jemand von einer Person, welcher die Gesetze die Fähigkeit, einen solchen Vertrag zu schließen, versagen, eine Draufgabe angenommenr>2), so findet, zum Vortheil des Gebers, die Vorschrift des §. 217. Anwendung. §. 225. In allen Fällen, wo von Erstattung einer Draufgabe, die in Gelde oder andern verbrauchbaren Sachen besteht, die Rede ist, muß statt der Rück­ gabe in Natur, eben so viel von derselben Art zurückgegeben werden. §. 226. Die Contrahenten können die Rechte, welche sie einander einräumen, vi weben, durch. Beifügung von Bedingungen, Zwecken, Bewegungsgründen, oder sonst, sowohl gen bei'Verin dem Haupt- als in Nebenverträgen, nach Gutbefinden bestimmen, erweitern, i/Tüioder einschränken. (Tit. 4. §. 99. sqq.) «un«, Zweck, §. 227. Unerlaubte Bedingungen, welche nach den Gesetzen bei Willenserklärungen überhaupt nicht statt finden, entkräften einen jeden Vertrag, welchem sie beigefügt worden (Tit. 4. §. 137.) §. 228. Ist nicht der Hauptvertrag selbst, sondern nur eine gewisse Neben­ bestimmung oder Abrede an eine solche unerlaubte Bedingung gebunden, so wird auch nur btefeM) dadurch entkräftet. §. 229. Daß ein Vertrag unter besondern Bedingungen geschlossen worden, wird, auch bei mündlichen gültigen Verträgen, nicht vermuthet55 52).56 53 54 §. 230. Ist die Zeit der Erfüllung in dem Vertrage nicht bestimmt, so tritt, a) 8citbei entstehendem Zweifel, die richterliche Bestimmung ein50). 52) Ist der Empfänger ein Unfähiger, so findet in allen Fällen nur die Bereicherungs­ klage statt. Von dem als Universalmittel geläufigen Institute der „nützlichen Verwendung" in juristischer Bedeutung kann hier gar nicht die Rede sein. 53) Die Satzung ist nicht gerecht. Die Differenz kann das Fünffache sein. Man denke an die Getreidepreise von 1847, wo der Scheffel Roggen 5 Thlr. galt, und von 1849, wo er einige und 20 Sgr. galt. Wie soll der Schuldlose dazu kommen, einen solchen Verlust zu tragen? 54) Nebenverträge sind nicht Bestandtheile des Hauptvertrnges. Deshalb bleibt dieser unbetroffen, wenn auch die Nebenabrede hinfällig wird. Das ist die Regel. Die Verabredung kann aber von der Art jein, das; sie eine Bestimmung des Gegenstandes des Hauptvertrages ausmacht und nicht wegfallen kann, ohne den Gegenstand zu verändern. In diesem Falle ist die schein­ bare Nebenabrede ein Bestandtheil des Hauptvertrages und macht diesen selbst hinfällig, wenn sie unzulässig ist. Bergl. das Pr. des Ö.Tr. v. 11. März 1847, Rechtsfälle 1 S. 20, wo das Gleiche angenommen ist für den Fall, wenn der Vertrag (mit seinen Nebenabreden) ein zu­ sammenhängendes Ganzes bildet, was wohl auf die Bestandtheile des Hauptvertrages zu beziehen ist; denn äußerlich ist ein solcher Vertrag immer ein zusammenhängendes Ganzes. Die Frage ist sonach eine thatsächliche. 55) Die praktische Bedeutung des Satzes tritt nicht hervor. Von selbst versteht es sich, daß die Bedingung, welche eine Partei behauptet, bewiesen werden muß. Auch auf die still­ schweigenden oder sich von selbst verstehenden Bedingungen kann der Satz sich schwerlich beziehen sollen, da diese weder vermuthet, noch bewiesen zu werden brauchen, z. B. bei dem Versprechen eines Heirathsgutes die Bedingung: wenn eine Heirath erfolgt. Vielleicht hat man an den Fall gedacht, welchen Paulus L. 54 §. 1 D. locati entscheidet. H. Der Satz, daß die Bedingung, welche eine Partei behauptet, bewiesen werden muß, versteht sich nicht ganz von selbst. Es ist eine alte und lebhafte Kontroverse, ob diejenige Partei, welche die Bedingung als Einrede gegen die unbedingte Klage behauptet, die Verabredung der Bedingung beweisen muß, oder ob der Klüger die Bedingungslosigkeit des Vertrages zu beweisen hat. §. 229 entlastet den Klüger von dem Beweise, die Bedingung ist also Gegenstand des Einredebeweises. Der §. 229 ist lediglich eine Konsequenz des in A.G.O. I. 13 §. 28 ausgesprochenen Grundsatzes. R.O.H.G. v. 25. Okt. 1870, Entsch. 1 S. 74; R.O.H.G. v. 15. Nov. 1875, Entsch. 11 S. 362. 56) Wenn der Tag, aber nicht die Stunde bestimmt ist, so kommt, bei fortdauernden, wiederkehrenden Leistungen, nicht diese Vorschrift, sondern der Grundsatz des §. 47 I. 3 zur An­ wendung. Pr. des O.Tr. v. 6. Aug. 1841, Schles. Arch. 6 S. 376. Die Entscheidung des Richters wird dadurch veranlaßt, daß die Partei, welche die Zeit

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Erster Theil.

Fünfter Titel.

§§. 231—246.

§. 231. Dabei muß der Richter auf die wahrscheinliche Absicht der Parteien bei dem Geschäfte; auf den Zweck, wozu der, dem etwas geleistet werden soll, sich solches vorbedungen hat; und auf die übrigen bei Schließung des Vertrages vor­ gewalteten Umstände Rücksicht nehmen. §. 232. Niemand kavn die Erfüllung eines ohne nähere Zeitbestimmung ge­ schlossenen lästigen Vertrages eher fordern, als bis er selbst, den Vertrag von seiner Seite zu erfüllen, bereit und im Stande ist'^). §. 233. Bei einem bloßen58) wohlthätigen Vertrage hängt die unbestimmt gebliebene Zeit der Erfüllung von dem Verpflichteten ab, so weit nur durch den Verzug das dem Andern eiugeräumte Recht nicht wieder vereitelt wird. §. 234. Bei einem Vertrage, zu dessen Erfüllung besondere Kunst- oder SachKenntniß gehört, muß die ermangelnde Zeitbestimmung von dem Richter nach dem Gutachten der Sachverständigen ergänzt werden. §. 235. Ist durch unbestimmte Ausdrücke eine nahe Zeit der Erfüllung an­ gedeutet worden, so kann letztere zu jeder Zeit gefordert werden. §.( 236. Ist die Erfüllung in unbestimmten Äusdrücken, nach Möglichkeit oder nach Gelegenheit 5£>), versprochen worden, und die Verbindlichkeit entsteht an sich für gekommen hält, schlechtweg klagt, und der Beklagte die Einrede der Vorzeitigkeit macht. Dann verurtheilt der Richter zur Leistung auf diejenige Zeit, welche er für geeignet hält. Eine Abweisung zur Zeit ist in diesem Falle nicht sachgemäß, vielmehr kann die pluspetitio tempore nur auf den Kostenpunkt Einfluß haben. H. R.G. I v. 11. Nov. 1879, Gruchot 24 S. 470. 57) Auch die für den Fall des Rücktritts vom Vertrage vereinbarte Wandelpön kann der bei dem Vertrage stehen bleibende Kontrahent nur dann einklagen, wenn er seinerseits zur Er­ füllung des Vertrages zur gehörigen Zeit bereit und im Stande gewesen ist. O.Tr. III v. 11. u. 21. Juni 1852, Str. Arch. 6 S. 175. Vergl. §§. 310, 312 d. T. H. Der Verkäufer, welcher den Preis einklagt, hat, wenn der Beklagte die Probewidrigkeit der Waare einwendet, den Beweis zu führen, daß er probemäßig, d. h. den Vertrag vollständig erfüllt habe. R.O.H.G. v. 19. Nov. 1873, Entsch. 11 S. 367. Vergl. daselbst Urtheil v. 22. Nov. 1873 S. 369 über den Fall, daß ein Vertrag trennbare Leistungen enthält, und nur die eine oder andere erfüllt worden ist, und die Gegenleistung für die erfüllte einzelne Leistung ver­ langt wird. 58) Ob der §. 233 auch auf belohnende Schenkungen Anwendung finde, ist zweifelhaft, weil die Theorie des L.N. über diese Materie ganz unklar und zufällig ist. M. s. Anm. zu I 11 tz. 1169. Nach dem Wortlaute muß der §. 233 ausgeschlossen sein, denn die belohnende Schen­ kung wird von dem L.R. nicht als ein bloß wohlthätiger Vertrag angesehen. 59) Oder nach Gelegenheit, sowie es die Umstände des Verpflichteten zu lassen, oder nach Möglichkeit und sobald er ohne seinen Ruin Zahlung leisten könne, oder sobald er zu besseren Vermögensumständen gelangt sein würde (Note zu I. 4 §. 163) und dergl. Die §§. 236—240 beziehen sich auf den Fall, wenn in dem Vertrage eine unbestimmte Zeit beigefügt ist, und die Zeit der Erfüllung der Willkür des Verpflich­ teten überlassen worden ist. Ist dies geradezu geschehen, so tritt der Satz §. 238 in Anwendung. Vergl L. 4 I). locati und Wern her, Sei. obs. Tom. I P. III obs. 113. Hat hingegen der Verpflichtete seine Willkür durch Bezugnahme auf seine individuellen Vermögensumstände in solchen unbestimmten Ausdrücken beschränkt, so kommt es auf die Auslegung derselben an. Gemeinrechtlich behauptet man ohne Unterscheidung des Verpflichtungsgrundes, daß das Er­ messen des Richters eintrete. Gmelin, von Aufsätzen über Verträge, §. 31 S. 55. Das L.N. macht hier die Unterscheidung zwischen den Fällen des §. 236 und d^nen des §. 237. Nur bei der Klasse von Fällen des §. 136 soll richterliche Bestimmung entscheiden, wobei denn die gebrauchte Redeformel in Betracht zu ziehen ist. Das O.Tr. hat die Redensart: nach Möglichkeit und sobald er ohne Ruin leisten könne, so ausgelegt, daß die Er­ haltung des Schuldners als der Zweck der Nachsicht anzunehmen, daß aber eine erhöhte Ein­ nahme noch nicht die Ueberzeugung gewähre, daß der Schuldner ohne seinen Ruin zahlen könne; denn es seien daneben auch die nothwendigen (vermehrten) Ausgaben anzuschlagen. Pr. (IV) v. 1. Sept. 1848, Rechtsfälle 4 S. 304. Dabei ist nur der Ausgangspunkt der Betrachtung als uneigentlich zu bezeichnen. Nicht von der Nachsicht des Gläubigers, sondern von der Willkür des Schuldners ist auszugehen. Denn von einer Nachsicht kann in allen den Fällen nicht die Rede sein, wo die kontraktliche Zeitbestimmung in Betracht kommen soll: der Schuldner ist nicht schuldig, früher zu zahlen, als er versprochen hat. Aber es ist deutlich, daß der Promittent

Von Verträgen.

241

nicht aus dem Vertrage allein, sondern es war schon vor dem Vertrage ein recht­ licher Grund dazu vorhanden, so tritt, der zweifelhaften Ausdrücke ungeachtet, den­ noch die richterliche Bestimmung nach obigen Vorschriften (§. 230—234.) ein. §. 237. Ist aber die Verbindlichkeit an sich bloß durch den Vertrag erst be­ gründet worden, und in diesem die Erfüllung in dergleichen unbestimmten Ausdrücken versprochen, so hängt die Zeit derselben von der Bestimmung des Verpflichteten lediglich ab 60 * *).* * §. 238. In diesem letzteren Falle, ingleichen, wenn die Zeit der Erfüllung der Willkühr des Verpflichteten ausdrücklich überlassen ist61), findet die Anstellung einer Klage darauf erst nach dem Tode des Verpflichteten statt62).63 §. 239. Inzwischen darf der Verpflichtete. nichts vornehmen 68), was dahin abzielt, die Erfüllung des Vertrages unmöglich zu machen. §. 240. Kann der Vertrag, vermöge der Natur des Gegenstandes, nach dem Tode des Verpflichteten nicht mehr erfüllt werden, so verliert derselbe durch das vor der Erfüllung erfolgende Absterben des Verpflichteten seine Kraft. §. 241. Vor Ablauf des im Vertrage bestimmten Zeitraumes kann, wider den Willen eines oder desandern Theils, die Erfüllung weder gefordert noch geleistet werden. §. 242. Wer den Vertrag ohne des Andern Genehmigung, vor der be­ stimmten Zeit erfüllt, haftet, bis zum Ablauf des Termins, für alle die Sache treffenden Zufälle. §. 243. Eine zu früh geleistete Handlung wird für nicht geleistet angesehen, und muß zur bestimmten Zeit wiederholt, oder wenn dieses nicht geschehen kann, der Berechtigte schadlos gehalten werden. §. 244. In so fern jedoch der Berechtigte aus der zu früh geleisteten Hand­ lung Vortheile gezogen hat, muß er sich dieselben auf die Erfüllung oder auf die ihm zukommende Entschädigung anrechnen lassen. §. 245. Ueberhaupt kann der Berechtigte, welcher die Erfüllung ohne Vor­ behalt angenommen Ijat64),* * sich * des Einwandes, daß sie zu früh geleistet worden, in der Folge nicht mehr bedienen. §. 246. Der Verpflichtete, welcher die Erfüllung vor Ablauf des bestimmten Termins freiwilligß5) geleistet hat, kann dieselbe unter dem Vorwande, daß sie zu früh geleistet worden, nicht zurücknehmen. seine Willkür in der Zeit der Erfüllung durch den Eintritt solcher Vermögensumstände beschränkt hat, welche ihm die Erfüllung neben der Aufrechthaltung seines Nahrungsstandes gestatten; und diese Veränderung in seinen Umständen ist es denn auch allein, welche seiner Willkür ein Ende macht. — H. Vgl. Gruchot 26 S. 688 Nr. 34. 60) Ist z. B. in einem Kaufverträge die Zahlung des Kaufgeldes in dergleichen unbe­ stimmten Ausdrücken versprochen, so ist es entschieden unrichtig, daß der Richter dafür hält, die richterliche Bestinnnung wegen der Zahlungszeit müsse eintreten, weil die Verpflichtung des Käufers zur Bezahlung des Kaufpreises, abgesehen von dem Vertrage, auch durch den Empfang der gekauften Sache und deren Verbrauch begründet sei. O.Tr. IV v. 21. April 1863, Str. Arch. 48 S. 316. 61) Z. B. in der Erklärung einer Person, daß sie ihr Grundstück für einen bestimmten Preis verschreiben lassen wolle, jedoch mit dem Vorbehalte, die Zeit der Uebergabe zu bestimmen. O.Tr. I v. 29. Nov. 1847, Rechtsfälle 3 S. 117. 62) Der Verpflichtete ist in dem hier vorausgesetzten Falle nicht befugt, durch letztwillige Verfügung die Zeit der Erfüllung über seinen Tod hinaus zu verschieben. O.Tr. I v. 1. Dez. 1856, Entsch. 56 S. 25; Str. Arch. 62 S. 67. 63) Wenn es doch geschieht, so kann Sicherstellung gefordert werden. 64) Mit dem Augenblicke, wo die Annahme vollzogen ist, ist der Vorbehalt abgeschnitten, sonst würde die bereits erklärte Willensübereinstimmung einseitig abgeändert werden. Der Vor­ behalt ist also wirksam nur vor der Annahme oder doch gleichzeitig mit der Annahme auszu­ sprechen. Koch, Allgemeines Landrecht. I. 8. Aufl. 16

242 3) Ort.

Erster Theil.

Fünfter Titel.

§§. 247—260.

§. 247. Die im Vertrage mangelnde Bestimmung des Ortes der Erfüllung muß bei entstehendem Streite von dem Richter nach der Natur des Geschäftes, und der deutlich erhellenden Absicht der Contrahenten G0), ergänzt werden. §. 248. Kann der Streit nach dieser Regel nicht entschieden G7), und soll nach dem Vertrage etwas gegeben °8) werden, so muß die Ablieferung an dem Orte, wo der Berechtigte zur Zeit des geschlossenen Vertrages gewohnt hat^o), erfolgen. §. 249. Bei bloß wohlthätigen Verträgen aber kann der Berechtigte die ErfüHung nur da, wo der Verpflichtete sich aufhält, fordern. §. 250. Ist bloß von einer zu leistenden Handlung die Rede, so wird im Mangel anderer Bestimmungen der Ort, wo der Verpflichtete zur Zeit des ge­ schlossenen Vertrages gewohnt hat, für den Ort der Erfüllung angesehen. 65) Wenn auch aus einem Irrthume über die Fälligkeit, selbst dann, wenn der Termin nicht ein bestimmter, sondern ein ungewisser, der Zert nach,* war, vorausgesetzt, daß die Zeit­ bestimmung nicht eine solche, welche eine Bedingung enthält. I. 4 §. 163. Dann ist die con­ dictio indebiti zulässig; denn es ist vor Eintritt der Bedingung noch gar keine Schuld vor­ handen. I. 16 §§. 168, 169. Vergl. L. 10, 17, 18 D. de cond. ind. (XII, 6). 66) Also nach der stillschweigenden Willenserklärung der Kontrahenten. Die Jnterpretationsregel des §. 247 harmonirt mit dem Röm. Rechte. Die Operation des Richters ist nicht eine Ergänzung der Willenserklärung, sondern eine Auslegung. Wenn alle Auslegungsregeln verlassen, so nimmt der Richter zum §. 248 seine Zuflucht; es wird dann angenommen, daß es die Kontrahenten so gewollt haben. Der Miether z. B. ist nicht verpflichtet, dem Vermiether, wenn er mit ihm an'demselben Orte, aber nicht in demselben Hause wohnt, die fälligen Miethsgelder in seine jedesmalige Wohnung zu überbringen, nach Analogie des §. 93 I. 11. O.Tr. III v. 17. Juni 1859, Entsch. 41 S. 32. 67) Die subsidiarisch vorgeschriebene allgemeine Regel enthält der §. 27 I. 16. Darnach ist der Erfüllungsort da, wo der Verpflichtete sich aufhält. Darunter muß der Aufent­ haltsort zur Zeit der Fälligkeit verstanden werden, nicht jeder beliebige spätere. Von dieser Regel gelten aber folgende Ausnahmen: 1. Handlungen sollen dort geleistet werden, wo der Schuldner zur Zeit des geschlossenen Vertrages gewohnt hat. §. 250 d. T. 2. Zahlungen, die sich nicht auf Verträge gründen, sind da zu leisten, wo der Schuldner wohnt (I. 16 §. 52), worunter ebenfalls der Wohnsitz, d. h. nicht die Ortschaft, in welcher der Schuldner seinen Wohnsitz hat, sondern die Wohnung des Schuldners im eigentlichen Sinne (Ber. des J.M. v. 26. Mai 1846 und K.O. v. 30. Juni d. I., J.M.Bl. S. 254 ff.) zur Zeit der Entstehung der Verbindlichkeit verstanden werden muß. Darnach müßte der Bestohlene seine Entschädigung von dem entfernt wohnenden Diebe abholen, wenn die Bestimmung so allgemein zu verstehen wäre, wie sie lautet. Dann hätte der Beschädigte nicht seine volle Entschädigung und müßte überdies die Gefahr tragen. So ist es jedoch nicht gemeint. I. 7 §§. 243, 244; I. 14 §. 462. 3. Zah­ lungen aus einer öffentlichen Kasse, außer dem Falle eines Darlehns, müssen im Kassenlokale empfangen werden. I. 16 §. 53. 4. Zahlungen aus einem Darlehn dort, wo der Gläubiger zur Zeit des geschlossenen Vertrages gewohnt hat (I. 11 §. 769), und, wenn er seinen Wohnsitz verändert hat und das Darlehn eingetragen ist, nach der Wahl des Schuldners da, wo das Hy­ pothekenbuch geführt ist. I. 11 §. 774. 5. Soll nach einem Vertrage (für andere Obli­ gationen fehlt die Bestimmung, z. B. über die Rückgabe gestohlener Sachen; Anwendungen des vorausgesetzten Grundsatzes aber sind: I. 7 §§. 243, 244; I. 14 §. 462) etwas gegeben werden (ein Genus oder eine Spezies, außer Geldzahlung), so muß es da geschehen, wo der Berech­ tigte zur Zeit des geschlossenen Vertrages gewohnt hat. §. 248 d. T. 6. Wechselzahlungen in dem Geschäftslokale des Schuldners. W.O. Art. 4 Nr. 8 und Art. 97. — Ein leitender Grund­ gedanke fehlt. 68) Der Ausdruck bezieht sich auch auf Zahlung. O.Tr. III v. 13. Okt. 1854, Str. Arch. 15 S. 108. 69) Das ist bei unbeweglichen Sachen unmöglich, wenn der Gläubiger nicht zufällig an dem Orte, wo die Sache liegt, gewohnt hat, und bei beweglichen Sachen wird gerade in dem am häufigsten vorkommenden Falle, beim Kaufe nämlich, ein anderer Grundsatz vorgeschrieben. I. 11 §§. 128 bis 133. Vergl. Anm. dazu. Der Ausdruck „gewohnt hat" bezieht sich sowohl auf den Wohnort als auf die Wohnung. Daher sind die auf ein Geben (dare) im Gegensatze von facere gerichteten lästigen Verträge in dem Wohnorte und zwar in der Wohnung des Gläubigers zur Zeit des geschlossenen Ver­ trages zu erfütten. O.Tr. III v. 27. Okt. 1854, Str. Arch. 15 S. 200. — Vergl. unten §. 360 d. T. und die Anm. dazu; ferner I. 11 §. 769 und I. 16 §. 52 und die Anm. dazu.

Von Verträgen.

243

§. 251. Wenn mehrere Oerter zur Erfüllung bestimmt sind, so hat im zweifelhaften Falle der Verpflichtete die Wahl, an welchem derselben er erfüllen wolle70). §. 252. Die bei Willenserklärungen überhaupt vorgeschriebenen Auslegungs- vn. Ausleregeln gelten auch bei Verträgen. (Tit. 4. §. 65 bis 74.)71). 9unö§rcgcllL

§. 253. Im zweifelhaften Falle ist mehr auf das zu sehen, was der Ver­ pflichtete versprochen, als was der Berechtigte angenommen hat72). §. 254. Wenrk nach gepflogenen Tractaten und verschiedenen wechselseitig ab­ gegebenen Erklärungen ein Vertrag unter Abwesenden wirklich zu Stande gekommen, gleichwohl aber es zweifelhaft ist, nach welcher der verschiedenen Erklärungen der Vertrag eigentlich geschlossen sei, so muß auf diejenige, durch die derselbe seine Vollendung zuerst erhalten hat, Rücksicht genommen werden. (§. 79). §. 255. Ist nicht auszumitteln, welches die frühere Erklärung sei, so ist der Vertrag nach dem mindern Gebote desjenigen, bei dessen Verbindlichkeit der Zweifel obwaltet, für abgeschlossen zu achten. §. 256. Ist ein Contract nach Maaß und Gewicht73)74geschlossen, 75 so wird ver­ muthet, daß dasjenige gemeint sei, welches an dem Orte, wo die Uebergabe ge­ schehen soll, eingeführt ist. §. 257. Ist bei einer Geldsumme die Münzsorte nicht ausgedrückt, so wird im zweifelhaften Falle die an dem Orte, wo die Zahlung geschehen soll7*), gang­ bare Münzsorte verstanden. §. 258. Ueberhaupt aber ist anzunehmen, daß dergleichen Vertrag auf Silber­ courant geschlossen worden7^). §. 259. Nur in Fällen, wo es keines schriftlichen Contracts bedarf, ist der Beweis, daß eine andere Münzsorte verabredet worden, zulässig. §. 260. Wenn die Absicht, freigebig zu sein, nicht klar ist, so wird voraus­ gesetzt, daß keiner mehr habe geben, oder leisten wollen, als ihm von dem andern Theile vergütet worden. 70) Ohne Unterschied, ob sie kopulativ oder alternativ genannt sind. 71) Die Auslegungsregeln sind Nechtsgrundsätze und deren Verletzung ist ein Vernichtungs­ grund im Sinne des §. 4 Nr. 1 der V. v. 14. Dez. 1833. O.Tr. III v. 19. Juni 1857 und v. 6. Juli 1860, Str. Arch. 38 S. 116. — Dem widerspricht das O.Tr. IV in dem Erk. v. 5. Mai 1868, Str. Arch. 71 S. 160, geradezu, ohne sich dabei jenes Ausspruches zu erinnern. Hat der Appellationsrichter zwar im Wesentlichen der Thatsachen gedacht, welche der Im­ plorant behufs Auslegung des Vertrages geltend gemacht hat, aber dieselben unter dem Gesichts­ punkte der Interpretation überhaupt nicht beleuchtet, so ist aus diesem Grunde sein Erkenntniß zu vernichten. O.Tr. II v. 15. Juli 1862, Str. Arch. 46 S. 202. 72) Das ist nicht so zu verstehen, als wenn das Versprechen und die Annahme nicht über­ einzustimmen brauchten; denn in dem Falle der Nichtübereinstimmung würde der Vertrag nicht zu Stande gekommen sein, mithin der Auslegung nicht bedürfen. Vielmehr ist vorausgesetzt, daß unstreitig Willensvereinbarung stattgefunden hat und hinterher nur darüber Streit entsteht: über was oder wie viel man einig geworden. H. R O.H.G. v. 2. Jan. 1875, Cntsch. 16 S. 416. 73) H. Vergl. die Maß- und Gewichtsordnung für den Norddeutschen Bund v. 17. Aug. 1868 (B.G.Bl. S. 473), welche jetzt deutsches Reichsgesetz ist. 74) Der hier und in dem vorhergehenden §. 256 anerkannte Grundsatz kann auch ange­ wendet werden auf das örtliche Recht über die Folgen und Wirkungen der Verträge, worüber sonst das L.R. keinen Grundsatz enthält. Danach ist im Zweifel anzunehmen, daß die Parteien, hinsichtlich des unter sich begründeten Rechtsverhältnisses, sich dem Rechte desjenigen Ortes haben unterwerfen wollen, wo dasselbe zu Erfüllung kommen soll, insofern nicht positive Gesetze ent­ gegenstehen. S. Anm. zu Einl. §. 33. 75) Es ist unverboten, in einer fremden Münzsorte zu kontrahiren. Anm. zu I. 11 §. 778. H. An die Stelle des preußischen Silbercourant tritt jetzt die deutsche Reichsmünze. Münz­ gesetz v. 9. Juli 1873 (R.G.Bl. S. 233) Art. 14, 15. — Das Wort „überhaupt" bedeutet, daß die Bestimmung gelten soll ohne Rücksicht auf den Ort der Zahlung. R.O.H.G. v. 30. April 1872, Entsch. 6 S. 88.

244

Erster Theil.

Fünfter Titel.

§§. 261-271.

§. 261. Wenn ein Contrahent alle76) Gefahr und Schaden übernommen hat, jo sind auch die ungewöhnlichen Zufälle darunter zu verstehen. §. 262. Wenn ein jüngerer Vertrag sich auf einen älteren bezieht, so ist an­ zunehmen, daß Letzterer nur in den durch den jüngeren Vertrag klar bestimmten Stücken hat abgeändert werden sollen 77).78 §. 263. Undeutliche Stellen eines ausgefertigten Contracts müssen nach dem deutlichen Inhalte der vorhergegangenen Punctation erklärt werden 7R). §. 264. Ist aber eine in der Punctation enthaltene Verabredung in dem hier­ nächst ausgefertigten förmlichen Contracte deutlich geändert, so gilt nur das, was in dem Contracte enthalten ist. §. 265. Sind Verabredungen, die in der Punctation enthalten waren, in dem förmlichen Contracte ganz übergangen worden, so werden sie für aufgehoben ge­ achtet 79). 76) Alle. Die Uebernahme des Zufalls überhaupt soll also hiernach nicht genügen. Diese Auslegungsregel hat eine geschichtliche Veranlassung. Viele gemeinrechtliche Juristen unter­ schieden gewöhnliche Zufälle (casus soliti), ungewöhnliche (casus insoliti) und ganz ungewöhnliche oder ungewöhnlichste Zufälle (casus insolitissimi), und gaben die Aus­ legungsregel, daß mit der Uebernahme des Zufalls oder der Gefahr schlechthin nur der gewöhn­ liche Zufall, d. h. ein solcher, welcher mit Wahrscheinlichkeit vorausgesehen werden kann, über­ nommen worden sei. Wer aber die Unglücksfälle oder alle Gefahr übernehme, müsse für die gewöhnlichen und ungewöhnlichen haften, doch seien im Zweifel die all er ungewöhnlichsten und ganz außerordentliche Zufälle, d. h. solche, wovon man auch nicht die entfernteste Ahnung gehabt habe, nicht für mit übernommen zu erachten. Glück 4 S. 366 und 392 und die Seite 392 Note 78 angeführten Schriften. Bei der Beurtheilung der Gewöhnlichkeit oder Ungewöhnlichkeit soll jedoch auf die Gegend, Oertlichkeit, Zeitumstände und sonstige Verhältnisse gesehen werden, um zu ermessen, ob gewisse Zufälle, welche an sich unge­ wöhnliche sind, daselbst doch nicht für gewöhnliche, d. h. solche zu halten sind, welche leicht vorausgesehen werden können. Glück S. 366. Diese Lehre findet sich im L.R. wieder. Unser §. 261 legt die Uebernahme „aller Gefahr" oder „der Unglücksfälle" (I. 21 §§. 510, 511) so aus, daß nicht bloß die gewöhnlichen, sondern auch die ungewöhnlichen Zufälle zu über­ nehmen in der Absicht gelegen habe. Auf die ganz ungewöhnlichen wird dieser Ausdruck nicht bezogen; diese müssen ganz ausdrücklich übernommen sein. Eine Anwendung davon ent­ hält I. 21 §. 594; und eine Anwendung von der Regel, daß an sich ungewöhnliche Unglücks­ fälle mit Rücksicht auf die Oertlichkeit und die Verhältnisse für gewöhnliche gelten können, ist §. 479 ebendaselbst. Eine Anwendung des §. 261 auf den Versicherungsvertr ag gegen Feuersgefahr wird in dem, in Mathis 10 S. 500 mitgetheilten Rechtsfalle in der Art gemacht, daß, da unter Ueber­ nahme aller Gefahr und Schaden auch die der ungewöhnlichsten (was unrichtig ist) Zufälle zu verstehen (S. 506), auch die Kriegsbrandschäden von dem Versicherer zu ersetzen seien, wenn er solche auch' nicht ausdrücklich übernommen habe. Auf Assekuranzkontrakte bezieht sich wohl der §. 261 zunächst nicht, vielmehr nur auf den Fall, wenn ein Kontrahent nebenbei mehr, als ihm nach der Natur des Rechtsgeschäfts in Ansehung der Folgen des Versehens zu leisten obliegt, übernommen hat. 77) Insoweit der Inhalt des jüngeren Vertrages dem älteren widerstreitet, ist der letztere aufgehoben. O.Tr. II v. 16. Jan. 1855, Str. Arch. 16 S. 174. Vergl. O.Tr. IV v. 13. Juli 1854, Str. Arch. 6 S. 231, über die Anwendung dieses Grundsatzes auf zwei verschiedene Schuld­ urkunden über dasselbe Darlehn. 78) Hierzu ist die Anm. zu I. 4 §. 65 zu vergleichen. 79) Ist eine praesumtio Juris et de jure; auf die Punktation kommt weiter gar nichts an, an deren Stelle tritt eben der förmliche Kontrakt. — H. Die £§. 264, 265 enthalten nicht bloße Auslegungsregeln, sondern Rechtsgrundsätze, Str. Arch. 85 S. 267 (III), 96 S. 68 (III). Wenn, argumentirt das Obertribunal, selbst in dem Falle, daß an die Stelle einer schrift­ lichen Punktation ein förmlicher Kontrakt getreten ist, die in letzterem übergangenen Verabre­ dungen für aufgehoben gelten, so muß dies um so mehr dann angenommen werden, wenn die dem förmlichen Vertragsabschlüsse vorangegangenen Verabredungen nur mündlich getroffen worden sind, wenn auch in dem schriftlichen Vertrage des früheren mündlichen Abkommens keine Er­ wähnung geschieht und — so muß nach dem Thatbestände ergänzt werden — das mündliche Abkommen Handlungen zum Gegenstände hatte, welche geleistet worden waren. Erk. IV v. 11.

Bon Verträgen.

245

§. 266. Kann ein Vertrag nach vorstehenden Regeln nicht erklärt werden, so ist derselbe gegen den auszulegen, der in seiner Willensäußerung zweideutiger, eines verschiedenen Sinnes fähiger Ausdrücke sich bedient hat. §. 267. Besonders ist die Auslegung gegen den zu machen, welcher ungewöhn­ liche Vortheile begehrt, die in Verträgen dieser Art nicht eingeräumt zu werden pflegen80). §. 268. Wenn alle übrigen Auslegungsregeln nicht zutreffen, so muß die zweifelhafte Stelle so erklärt werden, wie es dem Verpflichteten am wenigsten lästig ist. §. 269. Bloß wohlthätige Verträge sind, im zweifelhaften Falle, allemal zur Erleichterung des Verpflichteten auszudeuten. §. 270. In der Regel müssen die Verträge nach ihrem ganzen Inhalte erfüllt vm. Ermtoerben81). rluitfl ’'n" xderVel "rm~ träge. §. 271. Wer die^Erfüllung eines Vertrages fordert, muß nachweisen, daß er demselben von seiyer ^Seite ein Genüge geleistet habe, oder warum er dazu erst in der Folge verbunden fei82). Sept. 1860, Str. Arch. 39 S. 43. Der Satz ist richtig, die Folgerung nicht. Der Satz ist nichts anderes als der römische Rechtsgrundsatz (das L.R. spricht ihn nicht aus), daß im Falle des Zusammentreffens eines förmlichen Kontrakts mit einem Realkontrakte der letztere von dem ersteren absorbirt wird, weil dieser nur als begonnene Erfüllung angesehen wird. Koch, Recht der Ford. §. 69, 2 (2. A.) S. 60. Hierzu vergl. man die Anm. zu I. 4 §. 65. 80) Zu vgl. die Anm. zu I. 4 §. 65. H. R.O.H.G. v. 29. Okt. 1874, Entsch. 14 S. 267. 81) Pacta sunt servanda, d. h. gerade das Versprochene kann erzwungen werden, der Berechtigte braucht .sich nicht auf sein Interesse verweisen zu lassen. Anwendung: §§. 273 u. 276. Er ist aber auch nicht befugt, vorhinein sein Interesse zu fordern, ohne auf die Erfüllung vergeblich gedrungen zu haben. Ausnahme: §§. 408—410. Das Eheverlöbniß macht keine Ausnahme. §. 112 im Worte „beharrlich", welches eine fruchtlose Klage auf Erfüllung vor­ aussetzt. O.Tr. I v. 30. Juni 1852, Entsch. 23 S. 173. — Eine andere Bedeutung hat der Satz nicht. Nicht glücklich getroffen ist er als Beweis für die Behauptung, daß ein Promissar aus dem Versprechen lediglich zum Vortheile eines Dritten auf Erfüllung klagen könne, wenn er auch kein besonderes Interesse dabei habe. Entsch. des O.Tr. 12 S. 153. Vergl. die Anm. zu §. 74 d. T. Jede Obligation, wenn sie in bedungener Weise nicht zur Erfüllung gelangen kann, löst sich durch Aestimation der Leistung in eine Geldobligation auf. Aus dem Umstande, daß bei nicht zu erzwingender vertragsmäßiger Leistung der Geldwerth an deren Stelle tritt, folgt, daß derjenige Werth in Betracht gezogen werden muß, den die Leistung zu der Zeit hatte, zu welcher sie nach dem Vertrage hätte geleistet werden sollen. Die unterbliebene Leistung auch in dieser Gestalt kann zwar die durch Verzug entstehenden Verpflichtungen dem Schuldner auflegen, auch, wenn durch besondere, ihm zur Last zu legende Umstände dem Gläubiger noch ein besonderer Schade durch die Nichterfüllung entstanden ist, den Schuldner zum Ersätze desselben verbindlich machen,'aber die Abschätzung der vertragsmäßigen Leistung selbst kann dadurch nicht verändert werden, muß vielmehr nach dem Zeitpunkte, wo selbige nach dem Vertrage hätte geschehen müssen, vorgenommen werden. S. Anm. zu §. 286 d. T. u. O.Tr. IV v. 17. Sept. 1867, Str. Arch. 68 S. 159. — H. Wegen Erfüllung der Lieferungs- u. sog. Differenzgeschäfte: Anm. zu tz. 286 d. T. H. Die D. Konk.O. bestimmt H. 15: „Wenn ein zweiseitiger Vertrag zur Zeit der Eröffnung des Konkursverfahrens von dem Gemeinschuldner und von dem anderen Theile nicht oder nicht vollständig erfüllt ist, so kann der Konkursverwalter an Stelle des Gemeinschuldners den Vertrag erfüllen und die Erfüllung von dem anderen Theile verlangen. — Der Verwalter muß auf Erfor­ dern des anderen Theils, auch wenn die Erfüllungszeit noch nicht eingetreten ist, demselben ohne Verzug erklären, ob er die Erfüllung verlangen will. Unterläßt er dies, so kann er auf der Erfüllung nicht bestehen." — Die Klage auf Erfüllung durch Uebergabe schließt die Vindikation des Adjudikatars nicht aus, Str. Arch. 79 S. 71 (III). — Der Miether kann gegen den Vermiether auf Erfüllung des Mietsvertrages klagen, wenn der Vermiether das Grundstück an einen Dritten aufgelassen hat und dieser nicht in den Miethvertrag eintreten will. (Die Uebergabe des Miethlokals war noch nicht erfolgt.) O.Tr. III v. 13. Juli 1874, Str. Arch. 92 S. 206. — Der Nachweis, den Vertrag zum größten Theil erfüllt zu haben, genügt nicht zur Forderung der Gegenleistung. R.O.H.G. v. 1. Nov. 1873, Entsch. 11 S. 286.

246

Erster Theil.

Fünfter Titel.

§§. 272, 273.

§. 272. In wie fern der, welcher auf Erfüllung anträgt, inzwischen für das, was er leisten soll, Sicherheit bestellen, oder das, was er zu geben hat, gerichtlich niederlegen müsse, ist nach dem Inhalte des Vertrages, und nach den übrigen Um­ ständen der Sache und Person zu beurtheilen. 82) Vergl. §. 232. (H. Der in I. 11 §.221 aufgestellte Satz stimmt hiermit überein, er ist eine Anwendung des obigen §. 271, Str. Arch. 70 S. 74 (IV).) — Die Meinungen sind sowohl über die Bedeutung des hierdurch gegebenen Rechtsmittels (exceptio nondum impleti contractus), als auch über die Anwendung desselben und über die Wirkung uneins. I. In ersterer Hinsicht streitet man darüber: ob es ad fundandam intentionem gehöre, die Erfüllung von Seiten des Klägers zu behaupten oder anzubieten, oder ob dieser Umstand ganz mit Stillschweigen übergangen werden könne, die Klage schlechtweg und an sich durch den Vertrag begründet werde und der Mangel der Erfüllung nur eine Exception begründe. Die Frage ist auch unter den gemeinrechtlichen Schriftstellern streitig, und es scheint, als habe man den Streit durch diese Bestimmung erledigen wollen. Rach R. R. ist die Sache einfach die, daß der Vertrag auf jeder Seite eine unbedingte Forderung begründet, welche mit der actio directa geltend gemacht werden kann, jedoch eine Forderung, zu welcher sich der Schuldner nur mit Rücksicht auf die Gegenforderung verbindlich gemacht hat. Dieser Umstand giebt dem Schuldner die exceptio doli gegen die Klage desjenigen, welcher die Kontraktsklage zur Eintreibung seiner Forderung mißbrauchen will, ohne selbst seine Schuldigkeit zu thun. Diese exceptio doli wird bei Käufen, aus welchen auf Bezahlung des Preises ohne Ueberaabe der Sache geklagt wird, exc. mercis non traditae genannt, L. 25 D. de act. emti (XIX. 1); L. 4 §. 5 D. de doli mali exc. (XLIV, 4); die Neueren nennen sie allgemein exc. non adimpleti contractus, fassen aber großenteils das Rechtsverhältniß anders auf, wozu sie dadurch verleitet worden sind, daß bei dieser Exception der Beklagte im praktischen Endresultate nicht die Beweislast, sondern nur bestimmt zu leugnen hat, daß der Kläger seinerseits erfüllt habe, obwohl das juristische Begrün­ dungselement der Exception keineswegs diese Negative, sondern die selbstständige Behauptung ist, daß der Kläger selbst Schuldner aus dem Vertrage geworden ist, mithin dolose handele, indem er ihn zur Erfüllung seiner Verbindlichkeit anhalten wolle. Nach ihrer Auffassung be­ haupteten diese Juristen denn, daß der Kläger zur Begründung seiner Klage die Erfüllung seinerseits behaupten, oder wenigstens seine Bereitwilligkeit zur Erfüllung in der Klage aus­ drücklich zu erkennnen geben müsse. Glück 4 S. 290 u. v. A. Qui ex contractu bilaterali ad implementum agit, eum primum ostendere oportet, se ex sua parte legem contractus servasse, si quidem talis lex contractus, quae vel primum, vel eodem tempore actorem ad praestandum quid adigat, heißt es bei Müller, Promptuar., voce implem. No. 2. Vergleicht man damit den §. 271, so ist kein Zweifel, daß die Verfasser sich dieser Lehre angeschlossen haben. Nach derselben muß in der Klage ausdrücklich die Erfüllung als geschehen oder vergeblich angeboten behauptet und in diesem Falle noch angeboten werden. Damit stimmt auch die Praxis überein. (Das O.Tr. IV hat z. B. in einem Erk. v. 26. April 1853, Str. Arch. 9 S. 147, angenommen, daß zur Begründung der Klage des Käufers einer beweglichen, zu einer bestimmten Zeit und gegen baare Zahlung abzunehmenden Sache auf Erfüllung des Vertrages die mit Beweismitteln unterstützte Behauptung, daß er zur bestimmten Zeit unter Anbietung des Kaufgeldes zur Abnahme der Sache sich gemeldet habe, erforderlich sei. Vergl. I. 11 §§. 229 u. 230 und die Anm. dazu.) Der Beklagte darf aber, wenn er von der sog. exceptio nondum impleti contractus Gebrauch machen will, sich keineswegs auf ein unbe­ stimmtes allgemeines Leugnen beschränken, wenn der Kläger schon etwas vorgeleistet hat, sondern er muß bestimmt den Punkt angeben, welcher noch unerfüllt sei, weil sonst der Kläger nicht entsprechenden Beweis führen kann. Unterläßt der Beklagte dies, so beantwortet er die Klage nicht vollständig. In keinem Falle bedarf es zur Begründung der Klage nach §. 271 der Be­ hauptung und des Beweisantrittes darüber, daß der Kläger seinerseits gehörig zu erfüllen im Stande sei; vielmehr steht dem Beklagten nur diese Einrede zu, die er zu beweisen hat. O.Tr. v. 9. Juni 1863, Str. Arch. 50 S. 95. H. Der Verkäufer, soweit ihm der Beweis der Erfüllung obliegt, muß auch den Beweis führen, daß die dem Käufer angebotene Waare der Probe entspricht. R.O.H.G. v. 4. April 1871, Entsch. 2 S. 179 — §. 271 paßt nicht auf die Beziehung eines Wechselanspruchs zu dem ihm unterliegenden Rechtsgeschäfte. R.O.H.G. v. 25. April 1871, Entsch. 2 S. 228. — Vergl. R.O.H.G. v. 2. Mai 1871, Entsch. 2 S. 247. II. Was die Anwendung des §. 271 betrifft, so findet solche überhaupt nicht auf die Klage aus §. 122 und I. 10 §. 17 wegen Errichtung eines förmlichen Instrumentes statt. Dann hat aber auch der Satz des §. 271 keine allgemeine Gültigkeit, vielmehr gilt er nur von einer einzigen Klasse zweiseitiger Verträge, nämlich derjenigen, welche auf beiden Seiten durch eine einmalige Leistung erfüllt werden können. Nur aus diesen Verträgen bedingen sich die beider-

Von Verträgen.

247

§. 273. Ist eine durchaus bestimmte Sache (Individuum) versprochen worden, so kann, statt derselben, dem, welcher sie zu fordern hat, keine andere aufgedrungen werden. fettigen Forderungen, wenn die Naturalien nicht abgeändert worden sind, gegenseitig. Bei allen denjenigen zweiseitigen Verträgen hingegen, welche durch fortgesetzte Leistung während eines ge­ wissen Zeitraums erfüllt werden, muß der Eine vorleisten, und dieser kann unmöglich die be­ sprochene Einrede haben. Nur dem anderen Theile steht sie zu. — H. Das O.Tr. hat angenommen, daß der Anspruch des Vermiethers auf den Miethzins durch die Vorleistung desselben, die Räumlichkeiten zum vertragsmäßigen Gebrauch hinzugeben, bedingt ist, und daß durch die Ver­ abredung, die Miethe pränumerando zu zahlen, jener Grundsatz mcht alterirt werde. Wenn der Miether vor Ablauf der Kontraktszeit das Miethgelaß verläßt, so kann der Vermiether nur dann auf den Miethzins klagen, wenn er dem Miether für die Restzeit die Möglichkeit gewährt hat, in jedem Augenblicke das Miethgelaß wieder in Besitz zu nehmen. O.Tr. III v. 7. Nov. 1873, Str. Arch. 89 S. 354. III. Die Wirkung der Einrede ist in der Regel eine Abweisung der Klage zur Zeit. Meinungsverschiedenheit hat sich auch darüber hervorgethan: ob diese Wirkung immer auf gleiche Weise eintrete, sei es, daß der Kläger noch gar nicht, oder nur unvollständig oder mangelhaft erfüllt, oder auch nur noch wegen Gewährsmängel zu genügen habe. Der letzte Umstand gehört an sich schon gar nicht hierher, denn dieserhalb steht eine ganz andere Einrede, nämlich die exe. imminentis evictionis, — auch eine exc. doli, die aber andere Wirkungen hat, — zu. (Der Grundsatz ist angewendet in dem Erk. des O.Tr. v. 2. Nov. 1849 und v. 22. Mai 1851, Str. Arch. 1 S. 6 und 3 S. 30.) Nur wegen gänzlicher oder theilweiser Nichtleistung ist die Einrede aus unserem §. 271 gegeben, z. B. wenn mehrere Gegenstände für einen ungetheilten Preis verkauft sind, und der Hauptgegenstand nicht gewährt wird: dann findet gegen den Käufer auch wegen der übrigen verkauften Gegenstände die Klage auf Erfüllung nicht statt. O.Tr. II v. 9. Sept. 1851, Str. Arch. 3 S. 65. Ist die Erfüllung ganz unterblieben, so leuchtet die gänz­ liche Unzulässigkeit der Klage zur Zeit ein. Der Zweifel bezieht sich auf den Fall, wenn zum Theil oder in dem Hauptgegenstande erfüllt worden ist und der Beklagte seine Einrede auf Mängel gründet. Nach einer Meinung soll auch dann die Klage zurückgewiesen werden. Das entspricht nicht der Gleichheit der Rechte beider Theile: wer die Uebergabe einmal in der ge­ leisteten Art angenommen hat, kann den Geber nicht für alle Zeit mit jener Einrede ganz zurück­ weisen, sondern muß auch seinerseits in tantum leisten, weil er rechtsgrundsätzlich eben nicht mehr als Ersatz für den Abgang zu fordern hat (§. 395 d. T.), was er mit dieser Einrede er­ reichen kann, wenn der Geber mehr fordert, als ihm nach Maßgabe seiner Leistung zukommt. Diesen Grundsätzen entspricht die Praxis im Wesentlichen, nach folgenden Rechtsanwendungen: 1) Auf den Fall, wenn in der Hauptsache erfüllt worden ist. a. Die Vorschrift §. 271 findet in ihrem ganzen Umfange nur auf Verträge Anwendung, deren Erfüllung noch geschehen soll. Ist aber der Vertrag seinem Hauptinhalte nach erfüllt, und es werden nur wechselseitige und fällige von einander unabhängige Nebenleistungen oder fortlaufende Verbindlichkeiten gefordert, so berechtigt diese Vorschrift bei gleichartigen Leistungen nur zur Kompensation, bei ungleichartigen zu dem Anträge auf Erfüllung derselben Zug um Zug, folglich nicht zu einer gänzlichen Verweigerung, sondern nur zur Zurückhaltung eines verhültnißmäßigen Theiles der eingeklagten Leistung. Pr. 857 v. 18. März 1840, Entsch. 6 S 56. — (Ter Fall betraf Forderungen aus einem längst vollzogenen Erbpachtskontrakte.) Ein Zurück­ behaltungsrecht im Sinne des §. 536 I. 20 meint das Pr. nicht, es nimmt das Wort „Zurück­ haltung" in seiner weitesten Bedeutung. O.Tr. III v. 18. April 1864, Str. Arch. 54. S. 91. — Der Grundsatz gilt auch bei Verträgen über ein bestelltes Werk. O.Tr. IV v. 6. Mai 1852, Str. Arch. 6 S. 140. — Und bei Milchpachtverträgen. O.Tr. III v. 13. Febr. 1854, Str. Arch. 12 S. 125. b) Wenn der Vertrag von Seiten desjenigen, der eine Gegenleistung einklagt, in der Hauptsache erfüllt, und die Erfüllung von dem anderen Kontrahenten angenommen worden, dieser aber behauptet, daß der Kläger allen seinen kontraktlichen Verpflichtungen noch nicht nach­ gekommen sei, und über den Sinn und den Umfang der gedachten Verbindlichkeit unter den Parteien Streit entsteht, kann die Vorschrift des §. 271 nicht Veranlassung geben, den Kläger zur Zeit abzuweisen; vielmehr muß der obwaltende Streit im Urtel entschieden und be­ stimmt werden, was der Kläger noch zu erfüllen, und der Beklagte noch zu leisten hat. O.Tr. (Pr. 1174) v. 5. Aug. 1842, Entsch. 8 S. 229. c) Wenn der Vertrag von Seiten desjenigen, welcher die Gegenleistung fordert, in der Hauptsache erfüllt, und diese Erfüllung von der anderen Seite angenommen worden, so kann von dieser Seite der Anspruch durch die Behauptung, daß der übergebenen Sache die vor­ bedungenen Eigenschaften gefehlt haben, und durch Berufung auf den §. 271 nicht abgelehnt, es

248

Erster Theil.

Fünfter Titel.

§§. 274-281.

§. 274. Ist nur eine aus mehreren bestimmten Sachen versprochen worden, so hat in der Regel der Verpflichtete die Wahl, welche er geben wolle88).

muß vielmehr der aus dem Mangel vorbedungener Eigenschaft abgeleitete Entschädigungsanspruch besonders begründet und nachgewiesen werden. Pr. 978 v. 6. Febr. 1841. Auch Pr. v. 5. Mai 1847, Rechtsfälle 1 S. 154, und v. 22. Mai 1856, Str. Arch. 21 S. 200 (III). d) Das Gleiche gilt bei einen: übergebenen (H. aufgelassenen) Grundstücke, welches von Hypotheken durch den Verkäufer befreit werden soll. Pr. 1051 v. 23. Okt. 1841, verbünden mit Pr. 1592 v. 5. Aug. 1845. e) Die Vorschriften des §. 319, die von der Verpflichtung zur Gewährleistung wegen fehlender Eigenschaften einer Sache handeln, setzen in der Anwendung den Fall der schon statt­ gefundenen Uebergabe der Sache von Seiten des Gebers an den Empfänger voraus. Hat noch keine Uebergabe stattgefunden, und wird von demjenigen, der die Sache übernehmen, dagegen aber seinerseits den Kontrakt durch Zahlung oder andere Leistung erfüllen soll, der Einwand gemacht, daß er die Sache nicht anzunehmen resp, den Vertrag nicht zu erfüllen schuldig sei, weil es der Sache an den vertragsmäßigen, vorbedungenen oder gesetzlichen Eigenschaften fehle, so ist der Streit nach den allgemeinen Vorschriften über die Erfüllung der Verträge, §. 271 ff., zu beurtheilen und zu entscheiden. O.Tr. II (Pr. 1442) v. 11. Mai 1844, Entsch. 11 S. 190. f) (H. Klagt der Pächter nach Ablauf der Pachtzeit und Rückgewähr des Pachtobjekts auf Rückzahlung der Pachtkaution, so liegt ihm nicht der Beweis ob, daß keine Ansprüche bestehen, für welche die Kaution haftet. Es ist Sache des Verpächters, solche Ansprüche geltend zu machen und zu beweisen. O.Tr. IV v. 10. Jan. 1878, Str. Arch. 98 S. 212.) g) Der Vertrag gilt aber nicht als in der Hauptsache erfüllt, wenn der Uebernehmer aus einem Mangel in dem Rechte des Leistenden rechtlich gehindert ist, sich der Sache der Verab­ redung gemäß zu bedienen. Anwendungen: aa) Beim Verkaufe eines Lehnguts stehen die Rechte vorhandener Lehnsinteressenten der Umschreibung des Besitztitels (H. des Eigenthumsüberganges) für den Käufer entgegen. Die Hinwegräumung derselben gehört nicht zur Eviktionsleistung des Verkäufers, sondern zur Voll­ ständigkeit der diesem obliegenden Uebergabe (H. Auflassung), und kann daher derselbe auch nach geleisteter Naturaltradition (H. Auflassung), vor Beseitigung der Rechte jener Interessenten, weder die Zahlung noch die Deposition des rückständigen Pretii fordern. Pr. 659 v. 3. Mai 1839. bb) Bei Kaufkontrakten über Grundstücke gehört es zu den wesentlichen Theilen der Er­ füllung, daß der Verkäufer alles thue, was von seiner Seite erforderlich ist, um den Käufer in den Stand zu setzen, die gerichtliche Zuschreibung auf seinen Namen zu bewirken. Hat daher der Verkäufer unterlassen, die Berichtigung seines eigenen Besitztitels zu bewirken, so ist der Käufer befugt — insofern der Kontrakt nicht etwas Anderes bestimmt, — die Bezahlung der Kaufgelder zu verweigern. Pr. 2002 v. 18. April 1848. H. Ueber die Frage, was ist Haupt- oder Nebenverpflichtung im Sinne des § 271 d. T.? vergl. R.O.H.G. v. 22. Nov. 1873, Entsch. 11 S. 388. Es läßt sich nicht abstrakt, sondern nur nach dem Gesammtinhalt des Vertrages beurtheilen. 2. Auf den Fall der vergeblich angebotenen oder von dem Anderen vereitelten Erfüllung. a) Es ist zur Erfüllung eines Lieferungsgeschäfts, bei welchem der Verkäufer oder Lieferant die Waare anbieten oder zuwiegen soll, die Anmeldung von Seiten desselben, daß er zur Liefe­ rung bereit sei, und die Aufforderung an den anderen Theil, die Waare in Empfang zu nehmen, genügend. O.Tr. v. 17. April 1848, Entsch. 17 S. 184. b) Wenn der Käufer durch seine mora solvendi die Uebergabe der verkauften Sache un­ möglich gemacht hat (durch dazwischen gekommene Subhastation), so darf der Verkäufer das Kaufgeld fordern. O.Tr. v. 18. Aug. 1848, Entsch. 17 S. 144. 3. Auf den Fall, daß die Leistung des Einen auf einen früheren Termin als die des Anderen verabredet ist und beide Termine abgelaufen sind. Fällt der in dem Kaufkontrakte zur Bezahlung der Kaufgelder ohne Vorbehalt festgesetzte Termin auf einen früheren Tag, als der ebenfalls ausdrücklich vereinbarte Termin, bis zu welchem der Verkäufer die Befreiung des Grundstücks von bestimmten Lasten und Hypotheken bewirken soll, so kann der Käufer, auch wenn er erst nach Ablauf dieses letzteren Termins auf Bezahlung belangt wird, aus der noch nicht erfolgten Löschung jener Lasten und Hypotheken keinen Einwand entnehmen. Pr. 1771 v. 15. Aug. 1846. Wiederholt angewendet in der Entsch. v. 26. Mai 1848, Rechtsfälle 4 S. 113. Die Absicht kann gewesen sein, dem Verkäufer durch das vorher zu zahlende Kaufgeld erst die Mittel zu der übernommenen Befreiung zu verschaffen. 83) Anwendung I. 16 §. 192. — Bei Käufen gilt die umgekehrte Regel, 1. 11 §. 38 (H. O.Tr. II v. 20. April 1876, Str. Arch. 96 S. 33); auch bei Altentheilsverträgen, denn der Auszügler ist Käufer des Auszuges. Pr. des O.Tr. v. 24. Juni 1848, Rechtsfälle 4 S. 197. — Vergl. Anm. zu I. 11 §. 33.

Von Verträgen.

249

§. 275. Ist eine bloß nach ihrer allgemeinen Gattung bezeichnete Sache (Genus) versprochen worden, so muß eine Sache von mittlerer Art und Güte ge­ geben werden8^). §. 276. Wer eine Handlung zu leisten schuldig ist, kann dazu durch gericht­ liche Zwangsmittel, nach Vorschrift der Prozeßordnung 85) angehalten werden. §. 277. Wer bei Erfüllung89) eines Vertrages ein grobes Versehen8?) sich Berschen. zu Schulden kommen läßt, ist in allen Fällen zum Schadensersatz verbunden88). §. 278. Haben beide Theile unmittelbar aus dem Vertrage selbst Vortheile zu erwarten, so sind beide auch aus einem mäßigen Versehen wechselseitig ver­ pflichtet. §. 279. Hat nur Ein Theil aus dem Vertrage selbst Vortheil zu erwarten, so ist er auch für ein geringes Versehen zu haften schuldig. §. 280. Wer aus dem Vertrage gar keinen unmittelbaren Nutzen zu hoffen hat, bleibt nur für sein grobes Versehen verantwortlich 89). §. 281. Wer eine Handlung übernommen hat, welche besondere Sach- oder Kunst-Kenntnisse voraussetzt, muß bei Erfüllung der übernommenen Verbindlichkeit auch das geringste Versehen vertreten99). 84) Vergl. H.G.B. Art. 335. Auf Reallasten, hinsichtlich deren ein Versprechen oder deren rechtlicher Entstehungsgrund nicht konstirt, z. B. auf eine Pfarrabgabe von zwei Schweinen jährlich, findet die Regel des 8. 275 keine Anwendung; entsteht in diesem Falle Streit über Alter oder Gewicht der Schweine, so entscheidet die Art der wirklich erfolgten Leistung (Usual-Jnterpretation). O.Tr. I v. 24. April 1863, Str. Arch. 49 S. 177. 85) H. Vergl. jetzt C.P.O. §§. 773 ff. 86) Unterbleibt die Erfüllung ganz, so muß das Interesse geleistet werden, wenn der Zwang auf Erfüllung erfolglos ist; denn Verträge müssen erfüllt werden (§. 270), es kommt daher die Frage nach einem Versehen bei der Erfüllung, welche gar nicht vorgefallen ist, nicht vor. Nur bei eingetretener Unmöglichkeit der Erfüllung äußert der Zufall seinen Einfluß; ist nicht reiner Zufall dazwischen getreten, so kommt auch auf die Unmöglichkeit nichts an, nach §§. 360, 369 d. T. verbunden mit I. 16 §. 12. Diese Vorschriften treten den hier, §. 277 ff., gegebenen Bestimmungen in keiner Beziehung entgegen. H. Die 88- 277—291 d. T. finden nicht bloß in den Fällen Anwendung, wo noch auf Er­ füllung bestanden wird, oder diese im Sinne des §. 360 d. T. unmöglich geworden, sondern auch in den Fällen, wo der Gläubiger die Erfüllung wegen Verspätung nicht mehr anzunehmen braucht. R.O.H.G. v. 6. Okt. 1874, Entsch. 14 S. 390. 87) Sei es durch Handlungen oder Unterlassungen. Die Vorschriften des Tit. 6 können bei positiven Handlungen nur dann in Betracht kommen, wenn solche Handlungen schon für sich, ohne Rücksicht auf den Vertrag, eine Rechtsverletzung verursachen und der Verletzte nicht ledig­ lich die Kontraktsklage gebrauchen will; sonst kommen nur die hier gegebenen Bestimmungen zur Anwendung. 88) Die Jdentifizirung des Fiskus mit der Staatsgewalt hat veranlaßt, daß man den Fiskus dafür hat verantwortlich machen wollen, daß er durch einen Akt der Gesetzgebung ver­ hindert worden ist, einen Vertrag zu erfüllen. Hiergegen ist das Pr. 628 v. 16. März 1839 gerichtet: „Fiskus als Kontrahent kann nicht wegen Vertretung der aus einem Akte der Gesetz­ gebung hervorgehenden, von ihm angeblich verschuldeten Unmöglichkeit der Erfüllung des Kontrakts in Anspruch genommen werden. Von einem Versehen — einer Handlung wider die Gesetze aus Mangel der Aufmerksamkeit in den Geschäften des bürgerlichen Lebens (I. 3 §§. 16, 17) — kann bei Ausübung des Majestätsrechts der Gesetzgebung nicht die Rede sein', und die Ver­ tretung einer Verschuldung im Sinne des bürgerlichen Rechts (vergl. 284, 322, 362 d. T.) ist bei Ausübung der gesetzgebenden Gewalt, die kein Geschäft des bürgerlichen Lebens ist, gänzlich ausgeschlossen." Diese Ausführung trifft nicht den Kern. Der juristische Grund ist, weil der Fiskus eine andere Persönlichkeit im juristischen Sinne ist als die Staatsgewalt, folglich nicht für die Handlungen der Gesetzgebung — der Fiskus ist nicht Gesetzgeber — verantwortlich sein kann. S. die Anm. 16 zur Einl. §. 80. H. Zur Interpretation des §. 277 kann auch §. 79 I. 6 herangezogen werden. S. Anm. zu dem eit. §. 79. 89) Die §§. 278—280 bestätigen die Regeln des R. R. 90) Vergl. 1. 3 §§. 22, 23.

250

Interesse.

Erster Theil.

Fünfter Titel.

§§. 282—288.

§. 282. In wie fern diese Regeln bei einzelnen Verträgen Ausnahmen leiden, ist gehörigen Orts festgesetzt. §. 283. Auch steht den Contrahenten frei, die Grade des Versehens, zu welchen sie sich gegenseitig verpflichten wollen, in dem Vertrage anders zu be­ stimmen 91).92 93 94 §. 284. Was wegen des bei Erfüllung des Vertrages zu vertretenden Grades der Schuld Rechtens ist, gilt auch auf den Fall, wenn einer der Contrahenten bei Abschließung des Vertrages die ihm obliegenden Pflichten vernachlässigt hat9?). §. 285. Wer bei Abschließung oder Erfüllung des Vertrages seine Pflichten vorsätzlich, oder aus grobem Versehen verletzt hat, muß dem Andern sein ganzes Interesse vergüten9^). §. 286. Aller Nachtheil, welcher für Jemand daraus entstanden ist, daß der Andere seinen Pflichten gegen ihn nicht nachgekommen, wird unter dem Interesse begriffen 95). 91) Die Dienstherrschaft ist nicht legitimirt, für das zu ihrem Dienste bestimmte Personal eine kontraktliche Bestimmung zu treffen, welche die Haftung desselben für grobes Versehen aus­ schließt. O.Tr. IV. v. 24. Nov. 1864, Str. Arch. 57 S. 126. 92) H. Dieser §. normirt die Vertretung der culpa in contrahendo. 93) H. In Ansehung des Beweises, wie hoch das Interesse sich belaufe, vgl. E.PO. 260 (Zusatz zu I. 6 §§. 92-97). 94) Vergl. I. 3 §. 39, und §. 393 d. T. und die Anm. dazu. Vorausgesetzt ist hier immer ein gültiger Vertrag. Ist der Vertrag ungültig, so findet daraus gar keine Klage, also auch kein Anspruch auf Entschädigung statt. Es kann dann nur das, was auf Rechnung des Ver­ trages gegeben worden, zurückgefordert werden. Einen solchen Fall s. Entsch. des O.Tr. 3 S. 325. (H. Auch für den mittelbaren Schaden. O.Tr. III v. 2. Dez. 1870, Entsch. 64 S. 140.) — Auch ein Bevormundeter muß das ganze Interesse ersetzen, wenn seinem Vormund Vorsatz oder grobes Versehen zur Last fällt, Str. Arch. 75 S. 8 (III). Ein Fall des §. 285 ist z. B. auch der, wenn nach Abschluß eines Kaufs in Bausch und Bogen der Verkäufer vor der Uebergabe Jnventarienstücke weggeschafft und dadurch dem Käufer entzogen hat. Dafür hat der Verkäufer den ganzen Werth als Entschädigung zu leisten und nicht etwa nur nach der Regel I. 11 170, 171 verhältnißmäßig aufzukommen. O.Tr. III v. 17. Febr. 1860, Str. Arch. 36 S. 230. S. auch Anm. zu I. 11 §. 427. Die Verpflichtung zum Schadensersätze kann hier nicht aus den §§. 10, 11 I. 6 hergeleitet werden, vielmehr müssen wegen der bei Verträgen zugefügten Schäden nach §. 17 ebend. die hier im Tit. 5 und bei den einzelnen Arten von Verträgen gegebenen Vorschriften zur Anwendung kommen. O.Tr. I v. 22. Juni 1860, Str. Arch. 37 S. 312. Die ex mora rückständigen Prästationen eines Altentheils brauchen nicht in Natur, sie können auch in ihrem Geldwerthe nachgefordert werden. Vergl. I. 11 §. 859. O.Tr. II v. 20. Nov. 1851, Str. Arch. 3 S. 325. Erfüllt Jemand die vertragsmäßig übernommene Ver­ pflichtung, einem Anderen freie Kost, Wohnung und Kleidung zu gewähren, aus Vorsatz oder grobem Versehen nicht, so ist der Berechtigte nicht bloß auf die Erstattungsforderung der aus seinem Vermögen gemachten baaren Aufwendungen beschränkt, vielmehr wohl befugt, den ganzen Werth der ihm nicht gewährten Kost, Wohnung und Kleidung zu fordern, wenn er sich solche auch ohne dergleichen Aufwendung verschafft hat. Der Schuldner kann sich durch Vertragsbruch von seiner Verbindlichkeit nicht befreien und den dem Berechtigten von Dritten geschenkten Unter­ halt nicht aneignen und sich zu Gute rechnen. O.Tr. III v. 9. Sept. 1864, Str. Arch. 56 S. 111. Vergl. Anm. 96 Abs. 2 zu §. 287 d. T. Zur Anwendung des §. 285 genügt die bloße Nichterfüllung nicht, vielmehr muß, um mehr als die rückständige Leistung (das Interesse) fordern zu können, nachgewiesen werden, daß dem Gläubiger durch Verschuldung des Schuldners die ihm gebührende Leistung nicht gewährt worden ist. O.Tr. II v. 16. u. 21. Jan. 1862, Str. Arch. 44 S. 158. Vergl unten Anm. zu I. 19 § 19. H. Die §§. 285 ff. sind durch I. 21 §. 273 von der Anwendung auf Mietsverträge nicht ausgeschlossen. O.Tr. III v. 28. Mai 1875, Entsch. 75 S. 74. 95) H. Interesse bei Erfüllung eines Judikats, Str. Arch. 84 S. 132 (III). Wenn ein, auf Lieferung fungibler Sachen, welche einen marktgängigen Preis haben, für einen bestimmten Preis gerichteter Kaufvertrag von dem Verkäufer nicht durch Lieferung zur verabredeten Zeit erfüllt, und der Verkäufer demnächst zur Lieferung verurtheilt nürd, ohne daß

Von Verträgen.

251

§. 287. Es wird also bei Bestimmung des Interesse nicht bloß auf den wirk­ lichen Schaden, sondern auch auf den durch Nichterfüllung des Contracts ent­ gangenen Vortheil o«) Rücksicht genommen. (Tit. 6. §. 5. 6.) §. 288. Im Fall eines mäßigen oder geringen97) Versehens darf in der Regel nur der wirkliche Schaden ersetzt werden. die deshalb wider ihn vollstreckte Exekution Erfolg hat, so kann der Käufer als sein Interesse nur den Preis der zu liefern gewesenen Sachen, welcher zu der im Vertrage bestimmten Liefe­ rungszeit (nicht ohne Weiteres zur Zeit des Exekutionsmandats) marktgängig war, fordern; insofern er nicht besondere Umstände nachzuweisen vermag, aus denen sich entnehmen läßt, daß er, wenn ihm die Sachen an dem bedungenen Lieferungstage verabreicht worden wären, einen höheren Gewinn davon hätte ziehen können, oder daß er sie zu einem höheren Preise anderweit habe anschaffen müssen, oder daß ihm sonst durch die verzögerte Lieferung ein den Betrag des obigen Preises übersteigender Schaden entstanden sei; und er wird durch das, wider den Ver­ käufer erstrittene, diesen Letzteren zur Lieferung verurtheilende Judikat allein noch nicht berechtigt, einen, nach ergangenem Judikate marktgängig gewesenen, Preis als Entschädigung dafür, daß ihm die Sachen nicht gewährt worden, zu verlanqen. Pr. 2082 v. 13. Dez. 1848, Entsch. 17 S. 176. Bergl. jedoch hiermit A.G.O. I. 22 $. 20 und L.R. I. 11 §. 859. — So ist es auch nach Gemeinem Rechte. Vergl. L. 4 D. de condictione triticiaria (XIII, 3); O.Tr. IV v. 7. April 1857, Str. Arch. 25 S. 56. Bergl. Anm. 81 Abs. 2 zu §. 270 d. T. Die Annahme der nachträglichen Erfüllung eines Lieferungsvertrages über verbrauchbare marktgängige Waaren schließt den Anspruch des zur Erfüllung am festgesetzten Lieferungstage bereit Gewesenen gegen den Säumigen auf Zahlung der Drfserenzsumme zwischen dem verein­ barten und dem marktgängigen Preise am festgesetzten Lieferungstage nicht aus; auf diese Differenzsumme ist jedoch die fernere Differenzsumme zwischen dem vereinbarten und dem markt­ gängigen Preise am Tage der wirklichen Lieferung in Abrechnung zu bringen. O.Tr. v. 20. März 1855, Str. Arch. 17 S. 79. Bergl. H.G.B. Art. 357 Abs. 3. Ein Eessionarius, dem die nöthigen Instrumente nicht verschafft werden, kann zum juramentum in litem auf den ganzen Nominalwerth der Forderung zur Feststellung seines Inter­ esses gelassen werden, wenn er auch weniger gegeben hat. O.Tr. v. 6. Aug. 1845, Schles. Arch. 6 S. 469. 96) Die Feststellung des Einen und des Anderen ist begreiflich facti. Aber über keine thatsächliche Frage gehen die Urtheile der Richter soweit auseinander wie über diese. Ein Bei­ spiel giebt der Rechtsfall in den Entsch. 17 S. 144. Jemand verkauft sein sub basta stehendes Grundstück für 4500 Thlr. Das Kausgeld soll 4 Wochen vor der Uebergabe mit 2900 Thlrn. gezahlt werden (um davon den Extrahenten der Subhastation zu befriedigen) und der Rest am Tage der Uebergabe. Der Käufer zahlt nicht, das Grundstück wird versteigert und für 2000 Thlr. zugeschlagen. Der Verkäufer klagt auf Zahlung des Kaufgelderrestes nach Abzug des Meist­ gebotes von 2000 Thlrn., zur Schadloshaltung wegen Nichterfüllung des Kontrakts. Der erste Richter weist ihn ab, weil ein grobes Versehen des Beklagten nicht vorliege, der Kläger aber keinen wirklichen Schaden gehabt habe, sondern nur entgangenen Gewinn fordere. Das O.Tr. hingegen verurtheilt den Beklagten, weil das, was der Kläger fordere, lauter wirklicher Schade sei. S. 149. Zu dem Interesse eines von seinem Prinzipal unberechtigterweise entlassenen Verwalters gehört auch der Ersatz für die in Folge der Entlassung entgangene freie Station, die einen Theil des Gehalts (der Gegenleistung) bildet; dieser Gehaltstheil muß geleistet werden selbst dann, wenn ein Dritter dem Entlassenen den Unterhalt aus Freigebigkeit gewährt hätte. Das wäre eine ihm gemachte Schenkung, die der Schuldner nicht für sich benutzen kann. O.Tr. III v. 9. Juli 1860; Str. Arch. 38 S. 135. Vergl. Anm. 94 Abs. 5 zu §. 285 d. T. Die versäumten Früchte (Perzipienden) — I. 7 §. 229 — sind nicht ein bloßer Mehr­ betrag der Perzepten. Zur Darlegung und Begründung des Perzipiendenanspruchs ist daher die Angabe und der Nachweis des Ertrages der Perzepten nicht erforderlich, vielmehr genügt dazu eine von Sachverständigen ermittelte Ertragstaxe. O.Tr. III v. 10. Mai 1852, Str. Arch. 5 S. 251. 97) Nämlich wenn der Vertrag von der Art ist, daß auch für geringes Versehen ein­ gestanden werden muß. Keineswegs ist die Vorschrift so zu verstehen, daß wegen Nichterfüllung aus geringem Versehen in allen Fällen der wirkliche Schade ersetzt werden müßte. Eine solche Anwendung von der Stelle macht auffallenderweise das O.Tr. in dem, in der vor. Anm. 96, erwähnten Rechtsfalle, wo S. 148 gesagt wird: „Es muß dem Kläger darin beigetreten werden, daß der Beklagte für einen solchen zu achten, welcher seinen vertragsmäßigen Pflichten mindestens aus mäßigem oder geringem Versehen nicht genügt hat. — Auch derjenige, welcher bei Erfüllung eines Vertrages seinen Pflichten, auch nur aus mäßigem oder geringem Versehen, nicht nach-

252

Erster Theil.

Fünfter Titel.

§§. 289—292 (Zusatz)—294.

§. 289. Doch müssen Kunst- und Sachverständige auch alsdann das volle Interesse vergüten98 * *).* * * * * * * * * * * * * * §. 290. Wer gewarnt worden, daß von seiner übernommenen Handlung be­ sondere und ungewöhnliche Vortheile für den Andern abhängen99),100wird in An­ sehung der zu leistenden Vertretung einem Kunst- und Sachverständigen gleich geachtet. §. 291. Wenn Jemand eine Handlung, zu deren Unterlassung er ausdrücklich verpflichtet worden, dennoch begeht, so muß er dem Andern für das ganze Interesse haften 10°). kommt, muß aber beut Anderen den ihm entstandenen Schaden ersetzen. §§. 288, 360 d. T. Bei Käufen aber hat jeder Theil nur ein mäßiges Versehen zu verantworten. §. 278 und I. 11 §. 103." Hätte also der Käufer nur aus einem geringen Versehen die Nichtzahlung verschuldet, so würde er dem Verkäufer gar nichts schuldig gewesen sein, also kann man das mäßige und das geringe Versehen hier nicht gleichstellen. Soll sich das geringe Versehen auf 360 beziehen, so ist die Anwendung dieses Gesetzes gleichfalls nicht zutreffend. Dort ist die Rede von der Aufhebung eines Vertrages wegen (objektiver) Unmöglichkeit; und es ist der Grundsatz ausgesprochen: wegen Unmöglichkeit, die nicht durch reinen Zufall eingetreten ist, wird kein Vertrag aufgehoben, d. h. der Schuldner wird nicht liberirt, er muß erfüllen oder das Interesse leisten, wenn die Unmöglichkeit irgendwie von ihm verursacht worden ist. Also dieses geringe, ja geringste Versehen, oder auch die nur in seiner Person liegende zufällige Ur­ sache (§. 369), bezieht sich lediglich auf die Frage: ob der Vertrag gilt, oder ob er aufgehoben ist. Gilt er, so kommen wegen der Entschädigungsfrage die hier §. 277 ff. vorgeschriebenen Grundsätze ausschließlich zur Anwendung. Uebrigens entsteht aus dem Mangel an Gelde über­ haupt gar keine in Betracht kommende (objektive) Unmöglichkeit der Erfüllung (I. 4 §. 129), sonst würden die meisten Schuldner von selbst liberirt sein. 98) Immer vorausgesetzt, daß ihnen ein Versehen zur Last fällt. Jemand hatte von einem Kaufmanne Saamen von weißen Zuckerrüben verlangt und auf diese Bestellung Saamen von rothen Rüben geliefert erhalten. Er behauptete, in Folge der Nichterfüllung des Vertrags Schaden durch den geringen Ertrag der Futterrüben, in Vergleich mit dem Ertrage der weißen Zuckerrüben, welchen er bei richtiger Erfüllung des Vertrages erzielt haben würde, erlitten zu haben und forderte dafür Ersatz. Das O.Tr. wies, das Appellationsurtel bestätigend, den Kläger ab, weil dem Beklagten, der ein Kaufmann war, und also den Saamen nicht selbst produzirt hatte, kein Versehen beizumessen sei, indem von ihm nicht verlangt werden könne, daß er aus eigener Wissenschaft eine Kenntniß über die Qualität (sollte heißen: Art) des von ihm ge­ lieferten Saamens besitze, welche ein Sachverständiger (der war ein Bäcker und deshalb ein zweifelhafter Sachverständiger) und der Kläger selbst, insofern dieselbe auf Anschauung zu be­ gründen, für unmöglich erklärt hätten. QTr. v. 8. Jan. 1861, Str. Arch. 40 S. 124. Der Rechtspunkt ist richtig aufgefaßt, aber die Sache ist schlecht geführt und deshalb mit Recht ver­ spielt. Es ist nicht richtig, daß ein Saamenkenner den Saamen von weißen Zuckerrüben nicht von Saamen der rothen Rübe unterscheiden könnte; der Unterschied fällt, wie Koch aus landwirthschaftlicher Erfahrung weiß, leicht in die Augen, zumal wenn man beide Arten nebenein­ ander hält. Der Saame der weißen Rübe ist in der Farbe bedeutend Heller, als der der rothen. Ein Bäcker ist hierin kein Sachverständiger, und der Kläger kann ein solcher nach seinem Zu­ geständnisse auch nicht gewesen' sein. Aber ein Kaufmann muß Waarenkunde haben, ein Saamenhändler also auch die verschiedenartigen Sämereien unterscheiden können, wenn er sich nicht ver­ antwortlich machen will. 99) Jemand soll eine ungewöhnlich theuer verkaufte Sache, gehörig verpackt, an einem bestimmten Orte zu einer kurz bestimmten Zeit zur Eisenbahn abliefern, widrigenfalls der Käufer zurücktreten kann. Er überträgt einer Person die Herbeiholung einer ganz genau bezeichneten Kiste aus einem Magazine in einem anderen Orte, und macht sie aufmerksam darauf, daß, wenn sie sich bei der Auswahl der Kiste versehe, so daß sie nicht gebraucht werden könne, oder sie zu spät zurückkomme, die Ablieferung nicht zur rechten Zeit geschehen könne und dann der vortheilhafte Handel zurückgehe. Die Kiste wird zeitig genug herbeigeschafft, sie paßt auch, aber der Deckel ist zu kurz, der Abholende hat denselben in der Kiste als dazu gehörig gefunden, doch nicht mit der Kiste verglichen. Nun wird die Ablieferung unmöglich und der vortheilhaste Handel wird vereitelt. 100) Diese Vorschrift setzt Vorsatz oder grobes Versehen voraus. Suarez war der Mei­ nung, es lasse sich nicht denken, daß Jemand eine Handlung, deren Unterlassung er versprochen habe, begehe, ohne vorsätzlich gegen seine Verbindlichkeit zu handeln. Das gehört zur Beweis-

Von Verträgen.

253

§. 292. Das Interesse, welches ein Kontrahent dem Andern, bei nicht ge- Conventiohörig geleisteter Erfüllung des Vertrages zu vergüten hat, kann durch Verabredung nn tro eH* einer Strafe*l) im voraus bestimmt werden2). Anh. §. 6. Die bei Kaufcontracten über adliche Güter mit Personen, die zu deren Besitz ohne Consens nicht qualificirt sind, sür den einen oder andern Theil beigefügte Neben­ verabredung einer Conventionalstrafe, auf den Fall, daß der Consens nicht ertheilt werden sollte, ist nichtig und unverbindlich 3).

§. 293. Wo dergleichen Strafe festgesetzt worden, da findet die Forderung eines höhern Interesse nicht statt4). §. 294. Ist aber die Strafe nur auf eine gewisse Art des Schadens, welcher führung, und bestätigt eben die Voraussetzung. Im Rechtsprinzip ist nichts geändert, dies ist in der speziellen Lehre von Verträgen über Handlungen ausdrücklich aufrecht erhalten. I. 11 §. 890. Zwischen beiden Stellen ist kein Widerspruch; denn unser §. 291 verordnet für den Fall des bloßen Versehens nicht das Gegentheil. H. Dem Kläger liegt nicht der Beweis des groben Versehens oder des Dolus ob, wenn er auch Ersatz des entgangenen Gewinnes fordert. O.Tr. I V v. 21. Jan. 1875, Entsch. 74 S. 153. 1) Die Natur der Konventionalstrafe haben alle Nachtheile, welche der Verpflichtete leiden, und alle Vortheile, welche er dem Berechtigten für den Fall der Auflösung oder Nichterfüllung des Vertrages gewähren soll, und welche — abgesehen von dieser Stipulation — aus der bloßen Auflösung des Vertrages, oder einer nicht vertragsmäßig geleisteten Erfüllung des Vertrages, rechtlich nicht folgen. Es ist gleichgültig, ob das Wort „Strafe" gebraucht, und ob aus­ drücklich im Vertrage gesagt ist, daß damit das Interesse vergütet werden solle, wenn es nur aus dem Vertrage von selbst folgt. Daher enthält z. B. die Verabredung in einem Erbpacht­ verträge, daß, wenn der Kanon über gewisse Termine hinaus rückständig bleibe, nicht bloß der Vertrag aufgehoben sein und das Grundstück zurückgewährt werden solle, sondern auch die vom Erbpächter darauf errichteten Gebäude unentgeltlich zurückgegeben werden sollen, in ihrer letzten Bestimmung eine Konventionalstrafe. Pr. v. 4. Aug. 1847, Entsch. 15 S. 264. Vergl. das Pr. v. 11. Jan. 1847, Ulrich, Arch. 13 S. 178. H. R.G. V v. 6. Juli 1881, Gruchot 26 S. 903: Auch die für den Fall des Verzuges der Vertragserfüllung stipulirte Minderung der Gegenleistung hat die Natur der Konventionalstrafe. 2) Ist dieses Interesse in solcher Weise im Voraus bestimmt, so kann, wenn die Kon­ ventionalstrafe nicht gefordert werden kann (§. 307), überhaupt das Interesse wegen nicht recht­ zeitiger Erfüllung nicht mehr beansprucht werden. O.Tr. IV v. 8. Febr. 1866, Str. Arch. 63 S. 77. Die Konventionalstrafe ist keine Aecession, keine Erweiterung der Obligation aus innen heraus; der Anspruch auf dieselbe beruht auf einem mit dem Hauptvertrage in Verbindung ge­ setzten Vertrage, einem pactum adjectum, und auf dieser Grundlage entwickelt sich, namentlich wenn die den Anspruch bedingenden Thatsachen eingetreten sind, eine fällige und vom Fällig­ keitstage an selbstständige und klagbare Forderung. O.Tr. IV v. 21. Mai 1867, Str. Arch. 67 S. 221. 3) Die unmittelbare Anwendung dieser Bestimmung auf den bezeichneten Fall kaun zwar seit dem Edikte v. 9. Okt. 1807 §. 1 nicht mehr vorkommen, aber der Rechtsgrundsatz selbst ist darum nicht obsolet geworden, und es kommen noch ganz gleiche Fälle für seine Anwendung vor, z. B. die Veräußerung von Grundbesitz an Soldaten (H. diese Einschränkung ist auf­ gehoben durch das Reichs-Militärgesetz v. 2. Mai 1874 §. 42); die Veräußerung von Rittergütern an Dorfgemeinden und Ausländer. • 4) Deswegen kann Strafe und Interesse niemals zusammen gefordert werden, außer dem Falle des §. 294. Vergl. I. 11 §. 826. Namentlich können Zögerungszinsen neben einer Kon­ ventionalstrafe nicht gefordert werden. O.Tr. IV v. 27. Jan. 1852, Str. Arch. 4 S. 303. H. Dieser Satz ist nicht durch das Bundesgesetz v. 14. Nov. 1867 beseitigt. O.Tr. III v. 13. Sept. 1872, Entsch. 67 S. 323; Str. Arch. 86 S. 180. — Vergl. H.G.B. Art. 284 Abs. 3. Diese Bestimmung hebt den §. 298 I. 21, wonach der Rückstand zweier Pachttermine den Verpächter zur Aufkündigung vor Ablauf der bedungenen Zeit berechtigt, nicht auf, der Ver­ pächter kann daher, wenn im Pachtverträge eine Konventionalstrafe auf die Säumniß des Pächters mit der Pachtzahlung festgesetzt ist, sowohl dieses ihm aus der Säumniß entspringende Interesse fordern, als auch von der ihm in jenem §. 298 gesicherten Resolutivbedingung Gebrauch machen. O.Tr. III v. 24. Okt. 1864, Str. Arch. 57 S. 25. B. Möglichst enge Auslegung. R.O.H.G. v. 13. Juni 1874, Entsch. 13 S. 388.

254

Erster Theil.

Fünfter Titel.

§§. 295—305.

aus der Nichterfüllung des Vertrages entsteht, gerichtet, so bleibt es in Ansehung anderer Arten und Fälle bei den Vorschriften der Gesetze. §. 295. War die Strafe nur auf die Zögerung in der Erfüllung gesetzt, so ist der andere Theil bei seinem Ansprüche auf dasjenige Interesse, welches aus der gänzlichen Nichterfüllung entsteht, an diese Bestimmung'''') nicht gebunden. §. 296. War hingegen die Strafe auf die gänzliche Nichterfüllung gesetzt, so darf in Fällen, wo nur ein Theil des Vertrages unerfüllt geblieben, oder nur in der Art, der Zeit, oder dem Orte, der Erfüllung gefehlt ist, nicht die Strafe, son­ dern nur das erweisliche Interesse geleistet werden. §. 297. Zu körperlichen, die Freiheit oder die Ehre verletzenden Strafen, kann Niemand durch Verträge sich verpflichten. §. 298. Ist eine Handlung zur Strafe gesetzt, welche selbst kein Gegenstand eifres Vertrages sein kann, so ist die Verabredung in so fern sie die Strafe betrifft **), nichtig. §. 299. Wie viel bei Anlehnen Conventionalstrafe vorbedungen werden dürfe, ist gehörigen Orts bestimmt. (Tit. 11. §. 825. 826.) §. 300. Bei andern Verträgen hängt zwar die Bestimmung der Strafe von der Verabredung der Parteien ab; §. 301. Wird jedoch dadurch der doppelte Betrag des wirklich auszumittelnden Interesses überstiegen, so muß der Richter die Strafe bis auf diesen doppelten Be­ trag ermäßigen ’). §. 302. Ist das Interesse gar keiners) Schätzung fähig, so hat es bei dem verabredeten Betrage der Strafe lediglich sein Bewenden.

5) Daß nämlich ein höheres Interesse als die Strafe nicht gefordert werden kann. Allein das Interesse wegen gänzlicher Nichterfüllung absorbirt das Interesse wegen der Zögerung. Wird also das höhere Interesse wegen Nichterfüllung gefordert, so kann nicht außerdem auch noch die auf die Zögerung gesetzte Strafe gefordert werden. Jedoch besteht das Recht auf die Strafe, welches durch Zögerung erworben ist, neben den Ansprüchen, welche daraus entstehen, daß die verspätete Leistung außerdem vertragswidrig ist und vertragsmäßig nicht hergestellt werden kann. O.Tr. IV v. 27. Nov. 1862, Str. Arch. 46 S. 334. Ist für den Fall der nicht pünktlichen Zahlung z. B. eines Kaufpreises eine Konventional­ strafe verabredet worden, so können bei eingetretenem Verzüge Verzugszinsen seit der Insinuation der Klage sowohl von der Hauptforderung, als auch von der Konventionalstrafe gefordert werden; die Verbotsgesetze über unerlaubten Zinswucher finden darauf keine Anwendung. O.Tr. III v. 11. Sept. 1857, Str. Arch. 27 S. 29. 6) Kann die Handlung, auf deren Unterlassung die Strafe gesetzt ist, nicht Gegenstand eines Vertrages sein, so ist der ganze Vertrag nichtig. I. 4 §§. 6 ff. Namentlich auch dann, wenn die Strafe auf die Unterlassung einer von Anfang an rechtlich, sittlich oder natürlich un­ möglichen Leistung versprochen worden ist. L. 69 D. de verb. obl. (XLV, 1).

7) Die Klage auf die ganze Strafe ist durch das Versprechen, ohne weitere Darlegung begründet. Wenn der auf Zahlung einer Konventionalstrafe in Anspruch Genommene die Be­ hauptung aufstellt, daß dieselbe den doppelten Betrag des Interesses des Berechtigten übersteige, so ist dies eine Einrede, welche der Erstere beweisen muß. Pl.Beschl. (Pr. 1676) v. 23. Jan. 1856, Entsch. 12 S. 3. Die Einrede des Uebermaßes muß der Bekl. also immer besonders er­ heben und begründen. O.Tr. III v. 15. Mai 1857, Str. Arch. 27 S. 32. Nach den Bestim­ mungen der 299, 300 ist die Höhe der Konventionalstrafen bei anderen als Darlehnsverträgen lediglich der Verabredung der Parteien überlassen und nur durch die Bestimmung des §. 301 beschränkt; die Beschränkung ist nur für Darlehn (H. und andere kreditirte Forderungen) aufgehoben. (H. Bundesgesetz v. 14 Nov. 1867, B.G.Bl. S. 159. Vergl. O.Tr. III v. 20. Mai 1870, Entsch. 63 S. 60; IV v. 30. März 1871, Entsch. 65 S. 40.) Unten Zusatz zu I. 11 §. 804. — Die Beschränkung auf das Duplum kommt aus der Justinianischen Verordnung in der L. un. C. de sent. quae pro eo (VII, 46). 8) Das läßt sich bei verzögerter Zahlung einer Summe, z. B. von Kaufgeldern, nicht sagen. Entweder ist ein bestimmtes besonderes Interesse zu erweisen, oder nicht. In dem zweiten Falle ist der landübliche Zinsfuß maßgebend, dessen doppelten Betrag die Strafe nicht übersteigen darf.

Von Verträgen.

255

§♦ 303. Ein Gleiches findet statt, wenn die Strafe zur Verhütung eines Verbrechens, woraus dem andern Theile ein besonderer Nachtheil entstehen könnte, verabredet worden. §. 304. Auf den Fall der nicht gehörig entrichteten Strafe darf weder eine fernere Conventionalstrafe9*)10 * *festgesetzt, *11* * * * noch Verzinsung vorbedungen lü) werden. §. 305. Wenn nicht ein Anderes verabredet worden, ist die Strafe verfallen, sobald der Verpflichtete sich einer Zögerung schuldig machtn). Auf diesen Betrag kann aber die Strafe hier auch gültig ausbedungen werden. Der §. 825 I. 11 steht nicht entgegen, er beschränkt sich auf Darlehn. §§. 299, 300. Entsch. 12 S. 10. Ein Appellationsrichter war von der Ansicht ausgegangen, daß die Konventionalstrafe nur den Zweck habe, demjenigen, zu dessen Gunsten sie verabredet worden, zur Vergütung für den Nachtheil, den er aus der nicht gehörigen Erfüllung des Vertrages erleide, zu dienen. Diese Auffassung mißbilligt das O.Tr. „Es ist nicht richtig" — sagt es — „daß die Konventional­ strafe nur dazu bestimmt sei, für den entstehenden Nachtheil Ersatz zu leisten; dies ergiebt die Bestimmung des §. 308, nach welcher verabredet werden darf, daß die Strafe einem Dritten zufallen soll. Ihre Funktion ist, namentlich in den Fällen, wo sie neben der Leistung selbst und auf die Verzögerung der Leistung gesetzt ist, durchgängig auf die Bestärkung und eine Sicherung der vertraglichen Obliegenheit gerichtet. Kann aber auch dieses der Zweck sein, der durch die Verabredung einer Konventionalstrafe erreicht werden soll, so ergiebt sich daraus, daß der dieselbe betreffende Vertrag an seiner Gültigkeit nichts verliert, wenn auch ein Vermögens­ interesse nicht sogleich augenscheinlich hervortritt. Denn es giebt auch Interessen mancherlei Art, die sich auf einen Geldwerth nach Zahlen nicht zurückführen lassen. Daraus folgt, daß der Kon­ trahent, dem die Strafe zufallen soll, bei eingetretener Bedingung, sie als ein ihm vertrags­ mäßig zustehendes Recht einklagen darf. Er hat dann weiter nichts zu beweisen, als daß die Bedingung, von welcher sein Recht abhängig, eingetreten ist. Der Beklagte hingegen kann, wenn das Interesse nach Geldwerth sich beweisen läßt, die Beschränkung, Ermäßigung auf den doppelten Betrag des festgestellten Interesses, fordern. Kann er aber einen solchen Beweis nicht führen, kann er das Interesse selbst nicht darlegen, und mithin auch nicht den Betrag desselben, so bleibt es bei dem Vertrage. Denn der Berechtigte, der sich auf sein vertragsmäßiges Recht beruft, hat einen weiteren Beweis und namentlich den, daß ihm irgend eine Vermögensnachtheil dadurch, daß der die Strafe Versprechende nicht erfüllt habe, entstanden sei, nicht zu liefern." O.Tr. IV v. 25. Okt. 1866, Str. Arch. 66 S. 96. 9) Im authentischen Texte steht „Kontraventionalstrafe". Der Druckfehler ist von selbst ersichtlich. Die in einein Vertrage stipulirte Wandelpön hat den Charakter einer Konventionalstrafe dergestalt, daß auf den Fall der nicht gehörig erfolgenden Entrichtung derselben keine fernere Konventionalstrafe oder Wandelpön vorbedungen werden darf. O.Tr. IV (Pr. 2146) v. 7. Sept. 1849, Entsch. 19 S. 93. Vergl. 88- 292 u. 312 d. T. Die Bestimmung eines Vertrages, daß ein Kontrahent, bei verzögerter Zahlung festgesetzter Beiträge, diese doppelt zu zahlen gehalten, im Falle der verweigerten Doppelzahlung aber aller Vertragsrechte verlustig sein solle (lex commissoria), enthält nicht die Festsetzung einer doppelten, sondern einer alternativen Konventionalstrafe und ist daher erlaubt. Pr. des O.Tr. v. 11. Jan. 1847, Ulrich, Arch. 13 S. 183. H. Hinschius in seiner Zeitschrift für Rechtspflege und Gesetzgebung B. 2 S. 35 be­ hauptet, daß seit dem Bundesgesetz v. 14. Növ. 1867 auch für die Nichtentrichtung einer Kon­ ventionalstrafe eine fernere Konventionalstrafe verabredet werden könne, §. 304 daher für auf­ gehoben zu erachten sei. Dieser Ansicht steht entgegen, daß das Bundesgesetz die freie Verein­ barung über die Höhe der Strafe nur bei Darlehnen und kreditirten Forderungen zugesteht, die verabredete Konventionalstrafe aber nicht als eine kreditirte Forderung aufgefaßt werden kann. 10) Nur Konvcntionnlzinsen sind unerlaubt. Zögerungszinsen sind unverboten und ver­ stehen sich von selbst. Denn die Strafe ist eine Vergeltung des Interesses nur bis zum Fällig­ keitstage. Von da an erwächst ein neues Interesse, welches eben durch die gesetzliche Taxe der landüblichen Zinsen ausgeglichen wird. Daraus ergiebt sich zugleich der terminus a quo. Das Interesse ist durch Verabredung auf eine bestimmte Geldsumme festgestellt und bedarf daher nicht mehr der Feststellung durch Urtel. Deshalb findet der Grundsatz, daß in diesem Falle die Verzinsung vom Tage des Urtels anfange, hier nicht Anwendung. Vielmehr ist es damit wie mit jeder anderen Geldobligation. Ist der Verfalltag unbestimmt, so ist der Tag der Mahnung, und wenn ein solcher nicht nachgewiesen wird, der Tag der insinuirten Klage der terminus a quo für die Zögerungszinsen. I. 7 §. 222; I. 16 §. 71; A.G.O. I. 7 §. 48. 11) Unbedingt, ohne daß dem Schuldner dabei eine Verschuldung zur Last füllt. Vergl. L. 12 0. de contrahenda et committ. stipul. (VIII, 38). Denn die Strafe ist eine Forderung

256

Erster Theil.

Fünfter Titel.

§§. 306—310.

§. 306. Ist die Strafe einmal verwirkt"), so kann sie durch spätere Er­ füllung des Vertrages nicht mehr abgewendet werden. §. 307. Hat jedoch der Andere") die nachherige") Erfüllung ganz oder zum Theil ohne Vorbehalt") angenommen, so kann er auf die Conventionalstrafe") nicht ferner antragen"). unter einer Bedingung, und bei der Bedingung wird auf Imputation nicht gesehen. I. 4 §. 100; L. 115 §. 1 I). de verb. obl. (XLV, 1). Es bedarf daher auch keiner vorgängigen Mahnung. — L. 23 pr. D. de obl. et act. (XLIV, 7). Die exceptio doli schützt jedoch immer gegen die Verwirkung der Strafe, wie bei einer Bedingung. 12) Vor der Verwirkung ist sie kein selbstständiger Gegenstand des Vermögensrechts und kann mithin nicht cedirt oder bei der Session des Hauptrechts vorbehalten werden. S. Anm. zu I. 11 §. 382.

13) Persönlich. Hat ihn ein Dritter beim Empfange, ohne besondere Spezialvollmacht, vertreten, so geht das bereits erworbene Recht auf die Konventionalstrafe durch das bloße Still­ schweigen des Empfängers nicht verloren; weil der Dritte nicht ermächtigt war, bereits erworbene Rechte aufzugeben. Vergl. Pr. des O.Tr. v. 11. Jan. 1847, Ulrich, Arch. 13 S. 180. 14) D. h. die später nachgeholte, rückständig verbliebene Leistung eines Termines, nicht die nachherige Leistung einer später wiederholt fällig werdenden Post. S. die folg. Anm. Abs. 2. 15) Der Vorbehalt muß sofort bei der Annahme ausgesprochen werden und mit dieser zusammenfallen; eine Frist zur Erklärung des Vorbehalts findet weder überhaupt, noch ins­ besondere, wie bei der Erklärung über die Annahme eines Versprechens bei der Eingehung eines Vertrags, statt. Pr. 1263b v. 28. Jan. 1843. Vergl. Pr. v. 10. Dez. 1847, Rechtsf. 3 S. 203. Dies gilt auch von dem Falle, wenn nach der Verabredung die dem Berechtigten bestellte Kaution bei verzögerter Erfüllung als Konventionalstrafe verfallen soll. O.Tr. III v. 24. Sept. 1858, Str. Arch. 30 S. 265. — Den Beweis des bei der Annahme gemachten Vorbehaltes hat der Gläubiger, welcher trotz der späten Annahme die Konventionalstrafe fordert, zu führen. O.Tr. IV v. 8. Febr. 1866, Str. Arch. 63 S. 75. Nimmt nicht der Gläubiger selbst, sondern ein Be­ vollmächtigter die Erfüllung stillschweigend an, so darf der §. 307 nicht zur Anwendung kommen, sofern nicht angenommen werden kann, daß der Bevollmächtigte ermächtigt gewesen, ein er­ worbenes Recht aufzugeben. (H. Vgl. hierzu R.G. Entsch. 2 S. 27 f.) Die Bestimmung des §. 307 findet nicht Anwendung, wo die Strafe verwirkt wird nicht durch ein Unterlassen (Zögern), sondern durch ein Thun, welches der Vereinbarung nach unterbleiben soll und daher verboten ist. O.Tr. IV v. 21. Mai 1867, Str. Arch. 67 S. 222. — Ist aber, nachdem der Fall der Kontravention eingetreten, die Absicht oder der Vorbehalt, daß man die Strafe fordern wolle, z. B. bei der Mahnung an die Haupterfüllung einmal ausdrücklich erklärt worden, so bedarf es zur Erhaltung des Anspruchs auf die Strafe nicht nothwendig der Wiederholung des Vorbehalts gegen den Kontravenienten bei der späteren Annahme der Erfüllung. O.Tr. IV v. 24. Okt. 1850, Entsch. 20 S. 89. Vor Verfall der Strafe kann ein Vorbehalt mit rechtlicher Wirkung nicht gemacht werden. O.Tr. III v. 10. Dez. 1847, Rechtsf. 3 S. 203. H. O.Tr. I v. 23. Jan. 1874, Str. Arch. 91 S. 40. Zur Begründung der Klage auf die Konventionalstrafe gehört nicht die Behauptung, daß die verspätete Erfüllung ohne Vorbehalt angenommen, sondern es ist Sache des Beklagten, durch Einrede geltend zu machen, daß Kläger das Recht auf die Konventional­ strafe eingebüßt, weil er die Erfüllung ohne Vorbehalt angenommen. R.O.H.G. v. 3. März 1874, Entsch. 13 S. 14. R.G. I H. v. 12. Dez. 1879, Gruchot 24 S. 416. Entspringen aus einem lästigen Vertrage für einen Kontrahenten mehrere einzelne, jede für sich bestehende Leistungen, und ist nur die Nichterfüllung der einen oder der anderen der­ selben mit einer Konventionalstrafe bedroht worden, so geht durch die Annahme einer der ein­ zelnen, nicht der Strafe unterworfenen Leistungen ohne Vorbehalt, das Recht auf Einforderung der in Betreff einer anderen Leistung bestimmten, schon verfallenen Konventionalstrafe nicht ver­ loren. Pr. 1263^ v. 28. Jan. 1843. — Ebenso bei Verträgen über terminliche Leistungen be­ gründet die, ohne Vorbehalt geschehene Annahme späterer Terminalzahlungen keinen Erlaß der durch Nichtleistung früherer Termine einmal verwirkten Konventionalstrafe. Denn jede fällig gewordene Stückleistung oder wiederkehrende Leistung ist, in Beziehung auf Verzug, als eine selbstständige Forderung zu betrachten. O.Tr. II v. 4. Aug. 1847, Entsch. 15 S. 265. Der Vorbehalt kann formlos, auch mündlich erklärt werden; denn der Mangel des Kon­ senses bei der Leistung hindert die Erlöschung der Obligation. S. Anm. 17. 16) Oder auf Schadensersatz. Denn die Konventionalstrafe schließt jeden anderweitigen Entschädigungsanspruch aus. §. 293. O.Tr. IV v. 5. Febr. 1856, Str. Arch. 20 S. 131. 17) Aus dem Grunde, weil die Obligation durch Erfüllung getilgt, der Schuldner liberirt und das Klagerecht erloschen, wegen der Accessionen aber in der Regel keine besondere Klage

Von Verträgen.

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§. 308. Soll die verabredete Conventionalstrafe einem Dritten zufallen, so hat dieser nicht eher ein Recht, sie zu fordern, als bis der Kontrahent, zu dessen Sicherheit sie bedungen worden, auf deren Entrichtung anträgt. §. 309. Der Dritte selbst kann also auf Erlegung der Conventionalstrafe, auch wenn er sie acceptirt hätte,-niemals klagen"). §. 310. In allen Fällen, wo auf Erfüllung des Vertrages nicht geklagt werden kann, findet auch die Forderung einer Conventionalstrafe nicht stattld). stattfindet. Deshalb können z. B. auch Verzugszinsen (ebenfalls Recessionen, wie Interesse, Schäden und Kosten) nach geschehener Tilgung der Hauptobligation (d. h. Annahme der Er­ füllung ohne Vorbehalt) nicht nachgefordert werden — s. PlBeschl. (Pr. 1645) v. 12. Sept. 1845, Entsch. 11 S. 3, 14 — vermöge des Grundsatzes §. 108 Einl. Vergl. Anm. dazu. — Das O.Tr. ist sogar der Meinung, daß ein Vorbehalt wirkungslos sei. Es hat den Satz aus­ gesprochen, daß Verzugszinsen, wenn sie bei Einklagung des Kapitals nicht mitgefordert werden, auch auf Grund eines Vorbehalts in der Klage, selbst wenn in dem Urtel bestimmt sei, daß es bei diesem Vorbehalte zu belassen, durch eine neue Klage nicht nachgefordert werden könnten. Erk. IV v. 17. Okt. 1854, Str. Arch. 15 S. 119; Entsch. 26 S. 270. Der Satz ist sehr zweifel­ haft, er hat die Fassung des §. 307 „ohne Vorbehalt" und den Schluß vom Gegentheile wider sich, und entspricht auch nicht den Rechtsanschauungen der Neuzeit, nach welchen ein solcher Vor­ behalt die Konsummation der Klage hindert. Vgl. Seuffert im Archiv f. d. civil. Praxis, 1 S. 232 ff.; Linde, Civilprozeß, §. 153 Note 7. — H. Die Verabredung, daß bei nicht pünkt­ licher Zinszahlung das Kapital sofort fällig sein soll, ist nicht die Verabredung einer Konventional­ strafe und unterliegt daher nicht dem §. 307. O.Tr. III v. 31. Mai 1872, Entsch. 67 S. 207. — Eine dem §. 307 d. T. entgegenstehende Abrede ist statthaft. N.O.H.G. v. 29. Nov. 1873, Entsch. 11 S. 440. 18) Der vorausgesetzte Fall findet sich in Hy mm en 3 S. 38 ff. Zwei verschiedene Ehe­ leute machen mit einander aus, daß sie fortan einander nicht beleidigen wollen, bei 500 Thlr. Konventionalstrafe, welche an die Armenhäuser verfallen sollten. Die Frau, behauptend, sie sei brieflich beleidigt worden, klagt gegen den geschiedenen Mann auf Entrichtung der Strafe an die Armendirektion. Es erfolgt Verurtheilung in erster Instanz. Der Bekl. appellirt, und in dieser Instanz versöhnen sich die Parteien; die Kl. nimmt die Klage zurück. Nun klagt die Armendirektion auf jene Strafe als ihr schon zuerkannt. Der Bekl. wurde in beiden Instanzen verurtheilt, weil es — nach G. R. — der Acceptation gar nicht bedurft habe. Das O.Tr. änderte ab und wies die Klage zurück, weil — selbst wenn rwch erfolgter Acceptation des Armendirektorii die Promissoria nicht hätte zurücktreten können — man doch bei erwähntem Ver­ sprechen tacitam conditionem voraussetzen müsse, daß der eine Theil auf des Anderen Be­ strafung auch wirklich dringe und solche erstreite. Hieran mangele es in diesem Falle. — Daraus wird der Sinn der §§. 308 und 309 klar. 19) Weil überhaupt die Hauptobligation und die actio fehlen. S. die Anm. 17 und Anm. zu I. 11 §. 871. (H. Deshalb z. B. auf Verträge über Handlungen nicht an­ wendbar, Str. Arch'. 81 S. 311.) Deshalb ist ferner z. B. die Konventionalstrafe, welche sich der Käufer einer Handlung, in einem nach Publikation des Gewerbesteuer-Edikts v. 2. Nov. 1810 geschlossenen Vertrage, für den Fall von dem Verkäufer hat versprechen lassen, daß derselbe sein Angelöbniß, an demselben Orte ein gewisses Gewerbe nicht betreiben zu wollen, brechen sollte, unklagbar. Pr. v. 17. Febr. 1844, Entsch. 11 S. 197. Auch Erk. dess. IV v. 17. Jan. 1854, Str. Arch. 11 S. 238. Der Vermiether ist nicht verpflichtet, eine für den Fall des Verkaufs und der Aufhebung des Miethsvertrags versprochene Entschädigung zu bezahlen, wenn der Miether selbst durch Nichterfüllung seiner kontraktlichen Verpflichtungen zur Kündigung Veranlassung ge­ geben hat. Erk. des O.Tr. III v. 29. Nov. 1852, Str. Arch. 7 S. 171. — M. s. auch Anm. 57 zu §. 232 d. T. — Wenn aber der eine Kontrahent allein über den Gegenstand des Vertrages zu verfügen nicht ermächtigt ist und unter Uebernahme einer Konventionalstrafe sich verpflichtet, z. B. seiner mit ihm in Gütergemeinschaft lebenden Ehefrau, bei dem Verkaufe eines gemeinschaftlichen Grundstücks, einzustehen; so fällt dieser Vertrag nicht unter den Rechtsgrundsatz des §. 310, weil die Verbindlichkeit, für die Genehmhaltung des für einen Dritten vereinbarten Rechtsgeschäfts seitens des Geschäftsherrn, dem anderen Kontrahenten wegen dessen Interesses zu haften, rechtsgültig eingegangen werden kann, und daher für sich bestehen bleibt, wenn auch jenes Rechtsgeschäft wegen versagter Genehmigung nicht perfekt wird. Aus diesen Gründen ist der Satz, welchen das O.Tr. III in dem Erk. v. 5. Dez. 1856 dahin: daß die Forderung einer Konventionalstrafe stattfindet, welche in einem Vertrage, dessen Rechtsgültigkeit durch die Zustimmung einer dritten Person bedingt ist, für den Fall bestimmt worden, daß einer der Kontrahenten die übernommene Verpflichtung, die Zustimmung des Dritten zu bewirken, nicht Koch, Allgemeines Landrecht. I. 8. Aufl.

17

258

Erster Theil.

Fünfter Titel.

§§. 311—318.

§. 311. Dagegen befreit die Erlegung der Strafe keineswegs von der Er­ füllung des Vertrages-0). §. 312. Ist aber ausdrücklich verabredet, daß der Verpflichtete durch Erlegung der Strafe von seiner Verbindlichkeit frei werden solle, so ist die Strafe für eine Wandelpön zu achten23). §. 313. Auch eine solche Strafe, wodurch das Interesse des andern Theils, auf den Fall, wenn der Vertrag ganz rückgängig werden sollte, bestimmt wird, ist, wenn nicht ein Anderes aus der Verabredung selbst hervorgeht, für eine Wandelpön anzusehen. §. 314. Ist eine Wandelpön verabredet, so hat der Verpflichtete die Wahl: ob er den Vertrag erfüllen, oder die Strafe entrichten wolle 22 * *).23 * * 24 * * * * * * * * * * * * * 20 21 §. 315. Wer mit der Erfüllung schon den Anfang gemacht hat, kann wider den Willen des Andern auch gegen Erlegung der Strafe nicht mehr zurücktreten 2:3). §. 316. Wer sich einmal schriftlich2^) erklärt hat, statt der Erfüllung des

erfüllt, feststellt, Entsch. 34 S. 61, anzuerkennen, wenngleich die Begründung nicht befriedigt. Der Fall steht gleich der Kontraktsschließung eines nicht gehörig legitimsten Stellvertreters, der dem anderen Kontrahenten, wegen dessen Interesses in dem Falle der Nichtgenehmigung, cautio ratam rem haberi bestellt. Die Sache ist juristisch einfach. Der Umstand, daß das Hauptgeschäft und das sekundäre Versicherungsgeschäft in derselben Urkunde verschrieben worden, ist einflußlos. Aehnlich ist es mit einem außergerichtlichen pactum de contrahendo über eine Wiesen­ oder Ackerparzelle, worin für den Fall, daß die gerichtliche Abschließung des Kontrakts von einem Theile verweigert werden sollte, ausgemacht worden, daß dieser dem Anderen eine be­ stimmte Summe „für seine bei Besichtigung der Parzelle und sonstige gehabte Bemühungen, deren näherer Nachweis nicht verlangt werden solle", zu zahlen habe. ' Dieser Nebenvertrag ist eigentlich ein selbstständiges Paktum über Zusicherung einer Vergeltung für Mühwaltung, Zeitversäumniß und Auslagen, welche der andere Theil veranlaßt und demnächst durch seine Sinnes­ änderung vereitelt hat. Daß derselbe in demselben Schriftstück, welches das nichtige pactum de vendendo enthält, niedergeschrieben worden, beeinträchtigt seine selbstständige Gültigkeit nicht; der Zurücktretende muß die Leistung des Anderen nach der Uebereinkunft bezahlen. Vergl.O.Tr.I V v. 10. Jan. 1865, Str. Arch. 58 S. 65. H. O.Tr. III v. 21. Juni 1875, Entsch. 75 S. 269. 20) Ist allgemeine Regel. Vergl. L. 16 D. de transactionibus (II, 15). 21) Anm. 57 zu §. 232 d. Tit. Vergl. §. 310. 22) Wenn ein so Verpflichteter sich, weil er Analphabet sei, weigert, auf Grund der außer­ gerichtlichen Punktation den förmlichen Kontrakt zu errichten, und hierauf die Gültigkeit des Vertrages aufrecht erhalten wird, so geht er durch jene Weigerung des Wahlrechts nicht ver­ lustig. Pr. des O.Tr. III v. 16. Juni 1848, Rechtsf. 4 S. 161. Denn ein Streit über die Rechtsgültigkeit des Vertrages kann nicht als die Wahl des Rücktritts angesehen werden. 23) 11. Aber derjenige Kontrahent, welcher bereits mit der Erfüllung angefangen hat, kann die Wandelpön fordern, wenn der andere Theil sich für den Rücktritt entscheidet. Str. Arch. 84 S. 357 (III). Wenn die Erfüllung des Vertrages verweigert wird, so kann der andere Kontrahent ohne Weiteres lediglich auf Zahlung des Reugeldes klagen; er braucht nach solcher Weigerung seine Klage nicht alternativ auf Erfüllung des Vertrages oder auf Zahlung der Strafe zu richten, er kann es abwarten: ob der Beklagte sich zur Erfüllung erbieten werde. O.Tr. III v. 12. Dez. 1856, Entsch. 34 S. 66. Erbietet der Verpflichtete sich excipiendo zur Erfüllung, so muß der Richterspruch zwar auf Erfüllung ausfallen, der Beklagte muß aber doch in die Kosten verurtheilt werden, wenn der Kläger nicht unberechtigten Widerspruch gegen das Erbieten erhebt. Der Berechtigte muß also alternativ klagen, wenn der Andere nicht in rechtsverbindlicher Form gewühlt hat. Hat aber der Berechtigte vor solcher Wahl sich selbst außer Stand gesetzt, seinerseits zu erfüllen, und kann er deshalb dem Anderen keine Wahl mehr stellen (§. 310) und sich zur Erfüllung nicht bereit erklären, ,z. B. wenn er das verkaufte Grundstück, nachdem der Andere nur mündlich die Wandelpön gewählt hatte, anderweit verkauft; so kann er auch die Wandelpön nicht fordern. O.Tr. III v. 1. Nov. 1861, Str. Arch. 42 S. 365. 24) Bei einen: Vertrage, welcher selbst schriftlich verfaßt ist. Genügt die nüindliche Form für die Eingehung des Vertrages, so genügt sie auch für die Aufhebung, nach den Gesetzen der Logik und des Rechts.

Von Verträgen.

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Vertrages, die Wandelpön zu erlegen, kann sich wider den Willen des Andern zur Erfüllung nicht mehr erbieten25). §. 317. Auch die Leistung der Gewähr gehört zur Erfüllung eines Ver- Gewährsiritrages2«). ,tun": §. 318. Bei allen lästigen Verträgen, wo nicht besondere Gesetze oder aus­ drückliche Verabredungen ein Anderes mit sich bringen, muß ein Theil dem andern dafür haften, daß sich derselbe der gegebenen Sache, nach der Natur und dem Inhalte des Vertrages, bedienen sönne27).

25) In einen: Falle, wo der eine Kontrahent mehr gefordert hatte als ausgemacht worden war und, weil der Andere dies nicht bewilligen wollte, erklärt hatte, daß er nun den Vertrag nicht erfüllen werde, ist angenommen, daß aus der, die Wahl des einen Kontrahenten be­ schränkenden Bestimmung des §. 316 keineswegs folge, daß der Vertrag von ihm nicht auch auf andere Weise rückgängig gemacht werden könnte, er sich also, in Ermangelung einer solchen schriftlichen Erklärung, fortwährend zur Erfüllung erbieten könnte, und der ändere Kontrahent jederzeit diese Erfüllung noch annehmen müßte, auch wenn der Vertrag von dem einen Kontra­ henten schuldbarer Weise rückgängig gemacht war. In diesem Falle werde die Wandelpön nicht gefordert, weil sich dieser Kontrahent erklärt habe, die Wandelpön statt der Erfüllung des Ver­ trages zu erlegen, von welchem Falle der §. 316 spreche, sondern sie werde gefordert, weil der­ selbe aus kontraktswidrigen Gründen von dem Vertrage zurückgetreten sei. Es liege in der Natur der Sache, daß, nachdem der Vertrag auf solche Weise durch die Schuld und die Weige­ rung dieses Kontrahenten, den Vertrag zu erfüllen, einmal rückgängig geworden, der Andere nicht weiter gebunden und nicht verpflichtet sei, ein weiteres Erbieten desselben zur Erfüllung des Vertrages abzuwarten. Die Strafe sei vielmehr verfallen, weil der Kontrahent die Aus­ führung des Vertrages durch seine Renitenz vereitelt habe, und von diesem Falle sei in dem 8. 316 nicht die Rede. O.Tr. I v. 23. Nov. 1860, Entsch. 44 S. 4. 26) Unter der „Gewährleistung" fassen die Verfasser des L.R. zwei verschiedene römische Institute zusammen. Das eine ist die Eviktionsleistung, d. h. die Verpflichtung des Verkäufers, dem Käufer Ersatz zu leisten, wenn demselben wegen eines mangelhaften Rechts des Verkäufers die Sache durch einen Dritten abgestritten (evinzirt) wurde. Dieses Institut war ein civil­ rechtliches und ein Naturale des Kaufs. Das andere sind die ädilitischen Klagen wegen natür­ licher Fehler der Sache. Kaufte Jemand eine fehlerhafte Sache, und zwar aus Irrthum, so war das ein nach Eivilrecht ganz gültiger Handel, weil ein Irrthum in Nebendingen (unwesent­ licher Irrthum) die Willenserklärung, den Kontrakt nicht unkräftig machte. Nach Civilrecht hatte ein solcher Käufer also nichts zu fordern. Ausnahmsweise kam ihm das Edikt der Aedilen zu Hülfe und gab ihm zwei Klagen, unter welchen er wählen durfte: die actio redhibitoria und die actio quanti minoris. Beide Institute hatten eine ungleiche Natur, verschiedene Zwecke, verschiedene Eigenheiten und Erfolge. Alles das findet sich im L.R. ohne alle Unterscheidung zusammengeworfen. Daher die Unbestimmtheiten, die Unsicherheit der Praxis und die Meinungs­ verschiedenheiten. H. Es kann nur für solche Fehler, welche wenigstens ihrem Grunde nach schon vor der Uebergabe der Sache vorhanden waren, Gewährleistung verlangt werden. O.Tr. III v. 30. Jan. 1874, Str. Arch. 91 S. 65.

27) Diese allgemeine Fassung ist auf die Species der Eviktionsleistung mit berechnet. Denn wenn, sagt Suarez, ein Dritter einen Anspruch auf die Sache hat, so wolle er entweder die Sache selbst ganz, oder zum Theil an sich nehmen, oder er behaupte, daß ihm ein jus in re zukomme. In dem ersten Falle bewirke der Anspruch, daß der Empfänger sich der Sache nach der Natur und dem Inhalte des Vertrages nicht bedienen könne (§§. 320, 323), und in dem anderen klebe der Sache eine Last an, und davon disponire der §. 331. (Ges.Revis.Pens. XIV, Mot. zu §§. 300 ff., S. 123.) Eine andere erhebliche Aenderung in dieser Lehre haben die Verf. des L.R. bewerkstelligt. Das R. R. kennt nämlich die Anwendung dieser Institute auf die Klasse der Verträge nicht, welche ein dauerndes Verhältniß begründen und durch eine lange Zeit durch Fortsetzung und Wiederholung der Leistung von beiden Seiten erfüllt werden, z. B. Pacht- und Miethskontrakte. Der Grund ist, weil dabei kein Bedürfniß zu solcher Anwendung, nicht einmal eine paßliche Gelegenheit ist. Denn was dabei bei den: Kaufe erlangt werden soll, das wird bei diesen langdauernden. Rechtsverhältnissen viel sicherer durch die rechtliche Natur des Vertrages selbst erreicht, indem der Eine vorzuleisten hat. Kann also der Vermiether die Sache dem Miether nicht gewähren, so hört damit von Stund an in so weit die Gegenleistung auf. Suarez ist a. a. O. der Meinung gewesen, daß die Eviktionsleistung auch auf Miethe und Pacht Anwendung 17*

260

Erster Theil.

Fünfter Titel.

§§. 319—325.

§. 319. Er muß die bei der Sache gewöhnlich vorausgesetzten 28), und die im Cvntracte ausdrücklich vorbedungenen Eigenschaften vertreten 29). überhaupt, 320. Liegt an dem Geber die Schuld 30), daß sich der Empfänger der gegebenen Sache, nach der Natur und dem Inhalte des Vertrages, nicht bedienen kann, so muß er den Empfänger schadlos halten. (§. 285—291.)33) §. 321. Ist die Unmöglichkeit, sich der Sache solchergestalt zu bedienen, durch

») »egen

Eigenschaften

finde. Darin folgt ihm die Praxis nach. (H. Vgl. auch R.G. I H. v. 6. Dez. 1881, Gruchot 26 S. 905.) Das Pr. des O.Tr. 26 v. 15. Juli 1833 sagt: a) Die Vorschrift §§. 318 u. 345, wegen der bei lästigen Vertrügen von dem einen Theile dem anderen zu leistenden Gewähr, beschränkt sich bei Erbpachts- und anderen ähnlichen Ver­ trägen, wo Rechte und Pflichten des einen und anderen Theils fortdauernd sind, keineswegs auf die Zeit und den Zustand der Uebergabe, sondern dauert so lange an, als der Vertrag selbst; ausdrücklich vorbehaltene Eigenschaften müssen also während der ganzen Dauer der Erb­ pacht gewährt werden, daher auch b) eine von dem Mangel erlangte Kenntniß, des §. 345 ungeachtet, selbst nach Ablauf der Jahresfrist, den Erbpächter nicht hindert, gegen den Erbverpächter den ihm durch die Abwesen­ heit der vorbedungenen Eigenschaft entstehenden Schaden für die Zukunft einzuklagen,. weil sein Recht auf Gewährleistung, alljährlich sich erneuernd, nicht schon vor der Entstehung durch Verjährung verloren gegangen sein konnte, Entsch. Bd. 4 S. 29. Auch ist angenommen, daß ebenso beim Miethsvertrage die Dauer der Erfüllung desselben und insbesondere der in I. 21 §. 291 festgesetzten Jnstandhaltungspflicht des Vermiethers eine stete Erneuerung des dem Miether zustehenden Rechts auf Gewährleistung zur Folge haben müsse. Erk. des O.Tr. v. 5. Nov. 1846, Entsch. 14 S. 265. Nicht das Recht auf Gewährleistung, sondern das Recht auf Erfüllung und immer fort­ gesetzte Vorleistung ist der Rechtsgrund, der die Verjährung der Eviktionsklage ausschließt. Auf die Gewährleistungsklage passen die Gesetze nicht. Unlogisch wird bei Landgüterpachten die Fortdauer der Wechselseitigkeit geleugnet. H. Auf Werkverdmgungsverträge finden die Vorschriften der §§. 318 ff. ebenfalls Anwendung, so fern das verdungene Werk übernommen worden ist. Der §. 951 I. 11 beschränkt jedoch die Redhibition. R.O.H.G. v. 9. Sept. 1875, Entsch. 18 S. 85, wo auch die Nachweise für die über­ einstimmende Praxis des O.Tr.

28) H. Gewöhnlich vorausgesetzte Eigenschaften sind nur solche, die bei jeder Sache derselben Art anzutreffen sind, Str. Arch. 73 S. 251. Eine gewöhnlich vorausgesetzte Eigenschaft ist bei Jnhaberpapieren ihre Kursfähigkeit und Verkäuflichkeit. R.O.H.G. v. 28. Jan. 1875, Entsch. 16 S. 24. 29) Wenn nämlich die Uebergabe schon geschehen ist, sonst kann die Uebernahme verweigert werden. Pr. 1442 in der Anm. 82 III. 1 lit. e zu §. 271 d. T., H. vgl. auch O.Tr. III v. 1. Nov. 1878, Str. Arch. 100 S. 289. 30) Um den Geber zur Gewährleistung für verbunden zu achten, ist es genug, daß der Fehler schon vor der Uebergabe, ohne Schuld des Empfängers (§. 321), vorhanden gewesen. Daß der Geber an der Entstehung desselben schuld sei, wird nicht gefordert. Denn es ist hier­ in Frage: ob er die Sache in gehörigem Staude übergeben, d. h. die Erfüllung gehörig geleistet habe. Das hat er nicht, wenn er z. B. ein krankes Pferd übergiebt, wenn er auch die Krank­ heit nicht verursacht hat. Von einer Schuld des Gebers ist hier nur in so fern die Rede, als es ihm beizumessen, daß er seiner Verbindlichkeit nicht gehörig Genüge leistet. Ueberhaupt, wenn Verschuldung bei Erfüllung eines Vertrages eintritt, ist immer die Kon­ traktsklage gegeben und diese verjährt nur in der ordentlichen Zeit. Wo also die Kontrakts­ klage stattfindet, kann von der für die ädilitischen Klagen vorgeschriebenen kürzeren Verjährung (§§. 343 -345) keine Rede sein. Diese sind zur Erweiterung nur für die Fälle gegeben, wo dein Kontrahenten in Beziehung auf gewisse Mängel gar keine Verschuldung nachzuweisen ist, mithin die bett*. Kontraktsklage' nicht begründet werden kann. Man hat jedoch, in Folge der Verwischung oder vielmehr Verdunkelung der Specifizirung der Klagen durch Unterdrückung der äußeren Klagenbezeichnung in der Gesetzgebung, die kurzen Verjährungen der ädilitischen Klagen auf die kontraktlichen Ansprüche aus den §§. 285—291 an gewendet wissen wollen. Dem ist das O.Tr. sehr rechtsverständig entgegen getreten. Vgl. Erk. I V v. 17. Febr. 1859, Str. Arch. 37 S. 268. H. O.Tr. III v. 2. März 1874, Entsch.'72 S. 30. 31) H. Mit der redhibitorischen Klage kann der Käufer — abgesehen von Dolus oder Kulpa — einen Schadenersatz über den Kaufpreis hinaus nicht beanspruchen. R.O.H.G. v. 4. Nov. 1871, Entsch. 3 S. 385.

Von Verträgen.

261

eigenes auch nur geringes Versehen des Empfängers32) entstanden, so kann derselbe von dem Geber keine Vertretung fordern. §. 322. Ein Gleiches findet in der Regel auch alsdann statt, wenn die Un­ möglichkeit nach erfolgter Uebergabe durch einen bloßen Zufall, oder durch unabwepdbare Gewalt und Uebermacht entstanden ist. (Tit. 21.)8:i) §. 323. Auch wegen der Ansprüche eines Dritten auf die vermöge des Ver-1>> wegen der träges gegebene Sache muß der Geber nach §. 320. Vertretung leisten, in so fern der Empfänger dadurch sich der Sache, nach der Natur und dem Inhalte des Vertrages, $ritlcu’ zu bedienen gehindert wird. §. 324. Nähere Bestimmungen darüber sind bei den verschiedenen Arten der Verträge festgesetzt. §. 325. Fehlen der Sache ausdrücklich vorbedniigene3I) Eigenschaften, so ist °> wegen sehder Empfänger auf die Gewährung derselben anzutragen berechtigt88). bedungener ------------- -----32) Vorausgesetzt ist hierbei noch immer, daß der Fehler vor der Uebergabe entstanden sei. §. 322. Man hat erörtert: wie es sich stelle, wenn zugleich die Schuld des Gebers konkurrire. Darüber läßt sich in der abstrakten Weise, in welcher die Vorschriften gehalten sind, gar nichts bestimmen; es kommt auf die Beschaffenheit des besonderen Falles an. Hätten z. B. der Verkäufer und der Käufer eines Pferdes gemeinschaftlich schuld an der Krankheit desselben und der Käufer übernimmt es doch, so kann er schwerlich Ersatz fordern. H. Das R.G. faßt in dem Urth. I v. 24. Nov. 1880, Entsch. 5 S. 204, das Verhältniß der §§. 320 u. 321 zu einander dahin auf, daß §. 320 von der Schuld des Gebers und § 321 von der Schuld des Empfängers rede, der §. 321 aber keineswegs auch den Fall des Zusammentreffens von Ver­ schuldung Beider im Auge habe, auf diesen Fall vielmehr die Grundsätze der §§. 18—21 I. 6 entsprechend anzuwenden seien. 33) §§. 211, 299 ff., 307, 383, 478; I. 18 §§. 762 ff. 34) Dann hat der Käufer die Kontraktsklage und nicht nöthig, auf die ädilitischen Hülfsklagen zurückzugehen; er kann mit der Kontraktsklage schlechthin das Versprochene erzwingen. Pl.Beschl. (Pr. 2342) v. 2. Febr. 1852: Ist der Verkäufer eines Grundstücks zu der von ihm im Kontrakte übernommenen Liberation des verkauften Grundstücks von den darauf eingetragenen Hypotheken verurtheilt, so kann der Käufer nicht genöthigt werden, statt der Bewirkung der Liberation oder der Liquidirung des Interesses, sich mit der Aufhebung des Vertrages oder dem Ersätze des Minderwerthes, eventuell des vollen Werthes des verkauften Gegenstandes zu begnügen. Es wird anerkannt, daß die lex contractus erfüllt werden müsse. Selbst nach §§. 323—328 werde dem Geber nicht etwa die Befugnis; ertheilt, sich von der kontraktlichen Verbindlichkeit durch Rücknahme der Sache oder durch Preisminderung loszusagen, vielmehr seien es die Be­ fugnisse des Nehmers, welche die §§. aussprechen, wenn der Geber nicht gewähren könne. Die Möglichkeit aber sei in dem Falle, wo eine Hypothek weggeschafft werden solle, durch den er­ forderlichen Geldaufwand gegeben, da Zahlung auch von einem Dritten angenommen werden müsse. J.M.Bl. 1852 S. 52 ; Entsch. 22 S. 145. H. Durch diesen Plenarbeschluß ist die ältere Entscheidung v. 10. Juni 1843, Entsch. 9 S. 173, wieder beseitigt. Vgl. Koch, Beurtheilung der Entscheidungen, S. 619 ff. 35) „Berechtigt", d. h., wie in der vorhergehenden Anm. 34 angedeutet worden, der Empfänger ist nicht bloß auf die ädilitischen Kla-gen angewiesen, sondern er kann auch mit der Kontraktsklage die gehörige Erfüllung erzwingen. Diese Klage setzt also voraus, daß der Ver­ trag in einer bestimmten'Beziehung durch die Gewährung der Sache noch nicht erfüllt worden ist, daß an der Erfüllung noch Etwas fehlt, und daß das Fehlende noch nachgeleistet werden kann. Bei einem verdungenen Werke z. B. ist dies der Fall, wenn der Mangel an dessen Vol­ lendung liegt, wenn also etwas an der Vollendung des Werkes, als eines Ganzen, fehlt. Anders steht es, wenn das Werk als ein fertiges und vollendetes Ganzes übergeben und angenommen ist, und nun sich hinterher nicht Mängel in der Vollendung, sondern Mängel an dem vollendeten Ganzen (Totalität), an der Konstruktion, dem Verhältnisse der einzelnen Theile zum Ganzen u. s. w. zeigen. In einem solchen Falle handelt es sich nicht mehr um die Erfüllung, sondern um die Fehlerhaftigkeit des Erfüllungsobjekts. Hier führt die Kontraktsklage auf Erfüllung nicht zum Ziele, der Empfänger ist mithin auch nicht etwa verpflichtet, dieselbe gleichsam wie eine Präju­ dizialklage zu gebrauchen, um dadurch festzustellen, daß der Geber die fehlende Eigenschaft nicht gewähren könne (§. 326), um so berechtigt zu werden, von den ädilitischen Klagen Gebrauch zu machen; denn er ist nicht verpflichtet, das unbrauchbare Erfüllungsobjekt zur Umarbeitung

Eigenschafteil,

262

Erster Theil.

Fünfter Titel.

§§. 326—329.

§. 326. Kann der Geber die fehlende Eigenschaft nicht gewähren, so kann der Uebernehmer von dem Contracte wieder abgehen3Ö). §. 327. Er muß alsdann die Sache in dem Stande, in welchem er sie empfangen hat3?), zurückgeben. zurückzugeben, und demnächst ein anderes dafür anzunehmen, lange nachdem die Erfüllungszeit vergangen ist; vielmehr muß er, weil der Geber bereits erfüllt hat, und sich nicht in der Lage befindet, den Vertrag noch erfüllen zu können, berechtigt sein, eine der ädilitischen Klagen ohne Weiteres anzuwenden. Sehr gut ausgeführt in dem Erk. des O.Tr. IV v. 24. April 1860, Str. Arch. 37 S. 188. H. Es kommt nicht darauf an, ob der Geber die Eigenschaft noch nachgewähren kann, wenn Voraussetzung des Vertrages gewesen, daß sie bereits vorhanden sei. R.O.H.G. v. 29. April 1874, Entsch. 13 S. 210, u. v. 9. Mai 1874 S. 235. 36) Der §. 330 findet keine Anwendung, wenn eine vorbedungene Eigenschaft fehlt, es kommt dann nicht darauf an, ob der Fehler erkennbar war oder nicht. O.Tr. IV v. 25. Febr. 1864, Str. Arch. 55 S. 46. Der Rücktritt ist jedoch nicht gestattet, wenn der Lauf der Natur den gerügten Mangel ergänzt hat. O.Tr. IV v. 16. Juni 1853, Str. Arch. 10 S. 78. H. Der redhibitorische Kläger kann einen aus den Mängeln der Sache abgeleiteten Schadensanspruch ohne den Nachweis der Verschuldung des Beklagten nicht geltend machen. Dieser Satz ist erst in neuerer Zeit durch die Praxis festgestellt. In dem Erk. v. 10. Jan. 1867 (Str. Arch. 67 S. 24) ist das Gegentheil behauptet; das R.O.H.G. aber (IX. v. 4. Nov. 1871, Entsch. 3 S. 385; Stegemann 4 S. 205) hat die weiteren Entschädigungsansprüche nur, wenn dem Veräußerer ein vertretbares Versehen zur Last fällt, zugelassen, gestützt auf §. 320 d. T. Neuerdings ist auch das O.Tr. (IV Erk. v. 27. Juni 1871, Entsch. 65 bindlichkeiten zu ändern oder zu tilgen, werden auch diejenigen aufgehoben, welche aus Verträgen entsprungen sind. (Tit. 16.) §. 415. Die Rechte und Pflichten aus Verträgen werden durch den Tod des?, einen oder des andern Contrahenten in der Regel nicht geändert, sondern gehen auf die Erben über"). §. 416. War jedoch der Gegenstand des Vertrages eine Handlung, bei wel­ cher es auf besondere Fähigkeiten und Verhältnisse des Verpflichteten ankam

speciell gedachten Fälle, aushalten und hat kein Recht, seinen Austritt auf den §. 408 d. T. zu gründen, welcher als allgemeines Gesetz auf die Fälle nicht angewendet werden kann, die durch specielle und spätere Gesetze geregelt sind. O.Tr. IV v. 3. Dez. 1861, Str. Arch. 44 S. 112. 15) Er muß mithin das ganze, dem Anderen aus der Nichterfüllung des Vertrages erwachsende Interesse leisten. S. auch Entsch. des O.Tr. 11 S. 30. H. Auch bei Verträgen über Handlungen ist bei Feststellung des Schadens und Be­ rechnung des Interesse für den Fall des Vertragsbruches in erster Reihe als Faktor die Höhe der stipulirten und nicht gewährten Gegenleistung anzunehmen. O.Tr. IV v. 3. April 1873, Str. Arch. 89 S. 22. (Der App.Richter hatte angenommen, das Interesse bestehe im Honorar nach Abzug der etwaigen Aufwendungen und Ausgaben.) 16) Die Vorschriften §§. 408 ff. setzen ausdrücklich den Fall voraus, daß die Handlungen angeblich nicht geleistet werden, und es wird — je nachdem dies sich als begründet oder un­ begründet erweist — die Entschädigung wegen der Aufhebung des Vertrages bestimmt. Sind die Handlungen in der That geleistet worden und hinterdrein wieder vereitelt, so ist der Fall ein anderer, für welchen diese Bestimmung nicht gegeben ist. — Die §§. 409, 410 erfordern zu ihrer Anwendung, daß der eine Kontrahent von dem unstreitig als rechtsverbindlich bestehenden Vertrage zurücktreten zu wollen erklärt, weil der Gegentheil nicht erfüllen könne oder wolle. O.Tr. IV v. 5. Sept. 1865, Str. Arch. 61 S. 7. — H. Die Klage auf Vergütung ist die con­ dictio ob causam datorum. O.Tr. IV v. 17. Juni 1873, Str. Arch. 89 S. 94. — Ueber die Beschränkung auf den wirklichen Schaden s. R.O.H.G. v. 8. April 1874, Entsch. 14 S. 22. 17) Dieses zu thun, hat man dort vergessen; es findet sich im Tit. 8 Th. II kein Wort von solchen Modifikationen, und eine feste Praxis hat sich noch nicht gebildet. Vergl. Koch's Anleit, zur preuß. Prozeßpraxis 1 §. 111. — Diese Lücke- ist nun durch das Allgemeine deutsche Handelsgesetzbuch ausgefüllt. 18) Vergl. Einl. §. 103 und I. 9 §. 362. — Das bei Erbsonderungen gegen den Uebernehmer eines 'Nachlaßgrundstückes den Miterben vorbehaltene Recht auf den den Annahmepreis übersteigenden Mehrbetrag eines künftigen Verkaufspreises greift auch dann Platz, wenn erst behufs Auseinandersetzung der Erben des Gutsannehmers der Verkauf bewirkt und ein höheres Kaufgeld gelöst ist. O.Tr. I v. 26. Nov. 1852, Str. Arch. 7 S. 163. 19) sogenannte nicht fungible Handlungen. Verträge über sog. fungible Handlungen, d. h. solche, welche von Jedem gleich gut geleistet werden, der sich damit befaßt-, z. B. Holz­ hauen, Wasserschöpfen, Lastentragen, können auch die Erben erfüllen. Die 88- 416—422 gehören in das besondere Kapitel von Verträgen über Handlungen.

burd) Eri,Vergleich l. s. w.,

durch den Tod.

282

Erster Theil.

Fünfter Titel.

§§. 417—424.

und dieser ist vor der Erfüllung gestorben, so ist der Vertrag selbst für aufgehoben zu achten. §. 417. Hat der Verpflichtete auf Rechnung der übernomnienen Handlung bereits etwas erhalten, so müssen seine Erben solches zurückgeben20). §. 418. Hat der Verpflichtete die Erfüllung durch seine Schuld verzögert, so kann der Berechtigte wegen des durch Aufhebung des Vertrages ihm entstehenden Schadens 21), an seinen Nachlaß sich halten. §. 419. Bestand die Verbindlichkeit des Verpflichteten aus mehreren zusammen­ gesetzten Handlungen, und hat er vor seinem Absterben einen Theil der Erfüllung wirklich geleistet, so fällt zwar demungeachtct die fernere Erfüllung des Vertrages durch seinen Tod hinweg; §. 420. Die Erben können aber, für den bereits geleisteten Theil der Er­ füllung, eine billige Vergütung fordern. §. 421. Diese Vergütung muß in der Regel nach Verhältniß dessen, was für die ganze Leistung versprochen war, bestimmt werden. §. 422. Findet sich hingegen, daß bei dieser Bestimmungsart der Berechtigte einen wirklichen Schaden erleiden würde, so müssen die Erben des Verpflichteten mit einer Vergütung, nach Verhältniß des dem Berechtigten aus der Handlung des Erblassers entstandenen Vortheils, sich begnügen. §. 423. Sind bei den Bedingungen ^ines lästigen Vertrages22) dem Erb­ lasser, in Rücksicht seiner persönlichen Eigenschaften, und eines darauf gegründeten besonderen Vertrauens, gewisse23) in Geschäften dieser Art sonst nicht gewöhnliche Vortheile zugcstanden worden, und fällt durch seinen Tod der Grund dieses per­ sönlichen Vertrauens weg; so müssen die Erben entweder dieser Vortheile sich be­ geben, oder dafür, daß sie dem Vertrage eben so, wie es von dem Erblasser zu erwarten war, ein Genüge leisten werden, annehmliche Sicherheit bestellen"). Xreai”"rträ== §• 424. Haben mehrere Personen zugleich sich einem Dritten in einem und l) sgei'ntcf) c^cn demselben Vertrage25) verpflichtet, so ist, wenn nicht das Gegentheil ausrercn Ver- ---------------------pflichteten, 20) Deswegen hat der Berechtigte die condictio causa data.

Die Vertragsklage ist mit

dem Vertrage selbst erloschen, wenn nicht Schuld oder Mora eine Aenderung bewirkt hat. S. die folg. Anm. 21) Die durch den Vertrag begründete Obligation erlischt nur für die Zukunft; in so weit schon Forderungen daraus entstanden waren, geht sie auf die Erben über. Der Berechtigte kann daher seine Jnteressenforderung, welche durch die Versäumung des Verpflichteten in der Erfüllung seiner Verbindlichkeit begründet worden, mit der Kontraktsklage von den Erben ein­ fordern. Der Inhalt und Umfang derselben ist in dem einzelnen Falle nach dessen Beschaffen­ heit und nach dem Grade der Verschuldung festzustellen. 22) Eines lästigen Vertrages überhaupt, aus welchem die Obligation sich auch passiv ver­ erbt. Es bezieht sich auf den §. 145, nicht auf die §§. 416 ff. Ein Rücktritt von dem Vertrage findet hier gar nicht statt, nur die besonderen Vortheile fallen weg, wenn die Erben nicht ebenso Genüge leisten, als es von dem Erblasser selbst geschehen sein würde. 23) Diese „gewisse" Vortheile müssen aus dem Vertrage erhellen; es muß ersichtlich sein, was dem verstorbenen Theile von dem Anderen über das Gewöhnliche zugestanden worden ist. 24) Die Sicherheitsbestellung ist eigentlich nicht die Bedingung, von welcher die nicht ge­ wöhnlichen Vortheile abhangen, sondern die erwartete Leistung. Der Sinn der Bestimmung ist dieser: der Vertrag ist auf Seiten des überlebenden Kontrahenten entweder durch Einräumung der zugestandenen Vortheile schon erfüllt, oder er soll nach der Leistung von der anderen Seite erst noch erfüllt werden. In dem ersteren Falle müssen die Erben Sicherheit bestellen oder die ungewöhnlichen Vortheile vorläufig fahren lassen; nach der Leistung entscheidet sich die Frage endgültig. In dem zweiten Falle findet es sich nach der Leistung, was sie zu erhalten haben. 25) Es ist hier von der sog. passiven Korrealobligation die Rede. Eine solche wird an­ genommen, wenn Mehrere zugleich sich in dem nämlichen Vertrage verbindlich gemacht haben. Der Vertrag muß nicht, um diese Wirkung zu haben, nothwendig ein bestimmter Konsensual­ kontrakt sein, worin die Summe, welche die Korrealverpflichteten zu zahlen haben, durch Ver-

Von Verträgen.

283

einbarung der Parteien unmittelbar bestimmt worden ist, sondern ein jeder Innominatkontrakt, wodurch der Eine von dem Anderen eine Sache oder Leistung gegen eine noch unbestimmte Vergeltung übernimmt, hat diese Wirkung in Ansehung der in Folge desselben von dem Richter festgesetzten Summe. Die aus einer rechtlichen Nothwendigkeit erfolgende Ueberlassung z. B. an Personen, welchen das Expropriationsrecht verliehen ist, hat dieselbe rechtliche Natur, wenn auch keine Vereinigung über die Summe stattgefunden hat. Bei der Vorschrift des §. 424 ist nicht nothwendig ein schriftlicher Vertrag vorausgesetzt, vielmehr findet dieselbe auf jeden Ver­ trag Anwendung, wodurch eine gemeinschaftliche Verbindlichkeit mehrerer Personen entstehen könnte. Diesen Satz behauptet das Obertribunal und wendet ihn auf mehrere Darlehnsnehmer, welche das gegebene Darlehn gemeinschaftlich in ungetrennter Summe empfangen haben, an in dem Erk. IV v. 10. Jan. 1856, Entsch. 32 S. 349. Dieser Rechtsanwendung ist nicht bei­ zustimmen: der Satz ist vielmehr auf Konsensualverträge zu beschränken. Bei einem Darlehnskontrakte kann man für das, was Andere von mehreren Darlehnsnehmern empfangen, un­ möglich re verbindlich gemacht werden, eben weil man die res nicht erhält; Solidarität kann hier nur consensu begründet werden, wie das Obertribunal auch selbst a. a. O. S. 352 und in anderen Rechtsanwendungen ausgeführt hat (vergl. Anm. zu I. 11 §. 727). Auch das R. R. fordert eine besonders, gleichviel in welcher Form, ausgedrückte Willenserklärung, wenn mehrere Darlehnsnehmer in solidum verpflichtet werden sollen. L. 5 0. si cert. pet. (IV, 2). Doch ergiebt sich hieraus kein Beweisgrund für die Meinung des Obertribunals, weil das R. R. eine andere Regel für die formelle Eingehung der Konsensualverträge hat; es ist aber auch jener Grund, daß man durch einen Realkontrakt nicht anders als durch den wirklichen Empfang der Sache und außerdem auch durch eine formell gültige Willenserklärung verbindlich gemacht werden kann, zur Widerlegung der Meinung des Obertribunals ausreichend. — Wie mit dem Real­ kontrakte, so verhält es sich auch mit dem Empfange der Zahlung einer Nichtschuld, und noch aus einem Grunde mehr, nämlich weil dabei auch die Voraussetzung des §. 424, daß ein Ver­ trag vorhanden sei, fehlt. Man wird daher durch die nicht weiter begründete Ansicht des Ober­ tribunals: „wenn die Bekl. — die fr. Zinsen — gemeinschaftlich erhoben haben sollten, so würde sich auch die Erhebung dieser Zinsen als ihr gemeinsames Rechtsgeschäft darstellen, aus welchem sie, wenn sie eine Nicht schuld erhoben haben, dem Kläger solidarisch ver­ haftet sind, ohne Rücksicht darauf, wie sie das gemeinschaftlich erhobene Geld unter sich vertheilt haben", — überrascht, welche in einem Erk. IV v. 5. Mai 1857, Str. Arch. 25 S. 99, zu lesen ist. H. Die vorstehend von Koch vertretene Ansicht, daß zur Begründung einer Korrealschuld nur Konsensualverträge (wenn auch nicht gerade ein bestimmter Konsensualvertrag, sondern auch sog. Innominatkontrakte) geeignet, sog. Nealverträge aber ungeeignet seien, mithin z. B. aus dem gemeinschaftlichen Empfang eines Darlehns eine Korrealschuld nicht entstehe, dürfte für richtig nicht zu erachten sein. Man vergl. I. 14 §. 59, wo die Korrealschuld bei dem Berwahrungsvertrage, der doch gewiß ein sog. Realvertrag ist, geradezu anerkannt wird. Gegen Koch haben sich erklärt Wien st ein bei Gruchot 6 S. 483, Samhaber, z. L. v. d. Korrealobligation 1861 S. 205, Förster-Eceius 1 §. 63 Note 56 und Dernburg 2 §. 48. Ein von Mehreren gemeinschaftlich ausgestellter Schuldschein begründet die Vermuthung, daß eine Korrealverbindlichkeit eingegangen worden ist. (Str. Arch. 19 S. 246.) Dagegen wird Koch darin beizutreten sein, daß der gemeinschaftliche Empfang einer Nichtschuld keine Korrealpflicht auf Rückzahlung erzeugt. Das O.Tr. stützt sich für die entgegengesetzte Ansicht auf I. 16 §. 193, allein hier ist nur gesagt, daß die einzelnen Empfänger „wie aus einem Darlehn" haften sollen. Daraus kann aber nicht gefolgert werden, daß jeder Empfänger auf das Ganze hafte, sondern nur, daß jeder die Summe, die er erhalten, als Darlehn schulde. Es fehlt auch bei dem Em­ pfang einer Zahlung an dem Vertrage, den §. 424 ausdrücklich erfordert; die Zahlung ist zwar ein Rechtsgeschäft, nicht aber ein Vertrag. Derselben Ansicht Förster-Eecius a. a. O. Note 63, Dernburg a. a. O. H. Der §. 424 setzt die gleichzeitige Verpflichtung Mehrerer in demselben Ver­ trage voraus, ist also nicht auf den Fall auszudehnen, wenn hinterher ein Dritter dem Ver­ trage auf Seite der Verpflichtung beitritt. Soll ein solcher auf das Ganze haften, so muß cs besonders verabredet werden. — Die Identität des Rechtsgrunds ist nicht nothwendig, um eine Solidarverbindlichkeit zu erzeugen; ist ersterer aber vorhanden, so ist auch immer letztere vor­ handen. Str. Arch. 78 S. 15 (IV). Befindet sich auf der Seite der Korrealverpflichteten ein Unfähiger, so ist das auf. die Verbindlichkeit der Uebrigen ohne allen Einfluß (§§. 430, 437 und 446), auch dann, wenn seine Forderung durch Gegenleistung bedingt ist: der Andere leistet dann an die Fähigen das Ganze, weil der Unfähige auch in der Aktivobligation ausscheidet, sobald er selbst solches erklärt, oder sein Vorgesetzter die Genehmigung nicht ertheilt. S. Anm. zu I. 4 §. 22 und zu §§. 12, 13 d. T. Das gilt auch von dem Falle, wenn einer der mehreren Kontrahenten schreibensunerfahren und deshalb durch die Unterkreuzung des schriftlichen Vertrages für seine Person nicht civil-

284

Erster Theil.

Fünfter Titel.

§§. 425—435.

drücklich verabredet worden, anzunehmen, daß einer für alle, und alle für einen, dem Berechtigten für die Erfüllung haften26). §. 425. Wollen die mehreren Verpflichteten aus dem gemeinschaftlich ge­ schlossenen Vertrage solchergestalt nicht verhaftet sein, fo müssen sie sich darüber in dem Vertrage selbst deutlich erklären2?). rechtlich verbindlich geworden ist. O.Tr. III v. 18. Juni 1860, Str. Arch. 38 S. 51. Vergl. auch O.Tr. III v. 7. März 1859, Entsch. 41 S. 47, H. u. R.G. I H. v. 16. Sept. 1881, Gruchot 26 S. 914. Ein ähnlicher Fall ist der, wenn in der Vertragsurkunde über einen wechselseitigen Ver­ trag auf der einen Seite Zwei als correi auftreten, aber der Eine jener Beiden weder selbst unterschrieben, noch demjenigen, der für ihn unterschrieben, eine schriftliche, sondern nur eine mündliche Vollmacht dazu gegeben hat. In einem solchen Falle hatte das Appellationsgericht (Kammergericht) den daraus von dem in Anspruch genommenen Zweiten, der persönlich kontrahirt und unterschrieben hatte, entnommenen Einwand der Ungültigkeit des Rechtsgeschäftes auch in Beziehung auf ihn als unzuständig verworfen, in der Erwägung, daß mit der ersten, nicht vertretenen Person kein Vertrag rechtsverbindlich geschlossen worden sei, und hieraus — so muß ergänzt werden — für den zweiten Nebenkontrahenten und Korreus kein Einwand er­ wachse. — Dieser Grund fließt logisch richtig aus dem Begriffe und aus der rechtlichen Natur der KorrealobligaUon. Das O.Tr. jedoch hat dies für einen Grundirrthum in der Rechtslehre erkannt und die darauf gegründete Entscheidung vernichtet, behauptend, der rechtsgültige Ab­ schluß des Vertrages überhaupt sei durch das Fehlen des Einen der Nebenkontrahenten ver­ eitelt, „weil ja die Absicht der beiden Personen, welche ihren Willen kund gethan haben, dahin gegangen und dahin ausgesprochen ist, daß nicht sie allein, sondern auch der vermeintliche dritte Kontrahent in das Vertragsverhältniß eintreten solle, und weil daher, wenn diese Absicht sich nicht verwirklicht, überhaupt kein allseitiges Einverständniß darüber zu Stande kommt, welche Personen Rechte und Pflichten überkommen sollen. Auch der Verklagte (der, 'welcher unter­ schrieben hatte), welcher nicht allein, sondern in Gemeinschaft mit dem Zweiten, sowie der Kläger (der andere Theil), welcher nicht gegen den Verklagten allein, sondern auch gegen jenen Zweiten hat Rechte erwerben und Pflichten übernehmen sollen und wollen, haben sonach, weil Jener dem Vertrage (nicht dem Vertrage, sondern nur der Urkundserrichtung darüber, was jedoch unerheblich ist) fremd geblieben ist, in Wirklichkeit keinen Vertrag geschlossen." Erk. IV v. 19. März 1861, Str. Arch. 40 S. 355. Damit tritt das Obertribunal mit seinen Rechts­ ausführungen bei der Entscheidung früherer ähnlicher Fälle außer Uebereinstimmung, denn das Gesagte paßt auch auf jene. Das ist jedoch unerheblich; das Erhebliche ist, daß das Gesagte mit Begriff, Wesen und Wirkung einer Korrealobligation im Widersprüche steht. Eine Korrealobligation, besteht dem anderen Theile gegenüber, aus so vielen einzelnen selbstständigen Obli­ gationen, in Betreff des nämlichen Gegenstandes, wie Korrei nebeneinander stehen; die Korrei unter sich kontrahiren miteinander nicht. Daher nimmt jeder Korreus eine von den etwa noch neben ihm wirklich oder vermeintlich stehenden Nebenverpflichteten' völlig unabhängige Alleinschuld auf sich, folglich kann er für seine Person aus der Nichtschuld eines solchen Nebenverpflichteten niemals einen Befreiungsgrund hernehmen: er muß auf Verlangen des Gläubigers bezahlen, wenn auch alle übrigen förmlich verbunden sind; er hat mithin, dem Gläubiger gegenüber, tut der Befreiung eines vermeintlichen Nebenverbundenen kein rechtliches Interesse, eine daher geholte Einrede ist eine exceptio de jure tertii. Daraus, daß an der Gegenleistung die Aus­ scheidenden vielleicht Theil zu nehmen hätten, wenn sie in der Obligation ständen oder stehen geblieben wären, folgt für die passive Verbindlichkeit der rechtsgültig Verpflichteten nichts, da sie ja ausscheiden; und jedenfalls nur dem anderen Theile der Einwand der mangelnden Aktiv­ legitimation erwachsen könnte. 26) Diesen Rechtsgrundsatz hat das Obertribunal auch auf den Fall angewendet, wo mehrere gemeinschaftliche Verkäufer das Kaufgeld gemeinschaftlich in Empfang genommen hatten und in der Folge, da der Kauf wegen Formmangels als ungültig behandelt wurde, wieder zurückzahlen mußten. O.Tr. III v. 19. April 1858, Str. Arch. 29 S. 264. H. Mehrere auf derselben Wechselurkunde verbriefte Wechselverpflichtungen stehen selbst­ ständig nebeneinander, die Regeln von der Korrealverpflichtung finden auf sie nicht Anwendung. R.O.H.G. v. 16. Sept. 1874, Entsch. 14 S. 180; v. 26. Nov. 1874, Entsch. 15 S. 180. — Die Miteigentümer eines Grundstücks sind für die Leistung der auf diesem ruhenden Reallast soli­ darisch verpflichtet. O.Tr. II v. 31. März 1874, Entsch. 72 S. 125. — Durch den Vertrags­ abschluß des Direktoriums einer Gesellschaft entstehen nicht Korrealverpflichtungen für die einzelnen Mitglieder der Gesellschaft. O.Tr. IV v. 8. Juni 1875, Entsch. 75 S. 252. 27) H. Eine darauf gerichtete mündliche Nebenabrede neben einem schriftlichen Vertrage genügt, wenigstens nach der Auffassung des Begriffs der mündlichen Nebenabrede in der Praxis

Von Verträgen.

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§. 426. Ist in dem Vertrage selbst bestimmt: was und wie viel nur ein jeder der Verpflichteten zu der übernommenen Verbindlichkeit beitragen solle, so hat es dabei lediglich sein Bewenden. §. 427. Fehlt diese Bestimmung, und ist es gleichwohl aus dem Vertrage klar, daß die mehreren Verpflichteten nicht gemeinschaftlich-^) haften sollen; so ist die Art und das Maaß des von Jedem zu leistenden Beitrages, nach dem Zwecke seiner Theilnehmnng an der übernommenen Verbindlichkeit, so wie derselbe aus der Natur des Geschäfts, und seinem persönlichen Stande oder Gewerbe sich ergiebt, zu beurtheilen. §. 428. Kann auch hiernach der entstandene Streit nicht entschieden werden, so ist anzunehmen, daß die sämmtlichen Verpflichteten dem Berechtigten zu gleichen Theilen verhaftet sind. §. 429. In allen Fällen, wo mehrere Verpflichtete dem Berechtigten jeder nur für seinen Antheil haften (§. 425—428.), ist Letzterer wegen des Antheils des Einen sich an den Andern zu halten nicht befugt. §. 430. Wenn aber die mehreren Verpflichteten dem Berechtigten einer für alle, und alle für einen haften, so kann der Berechtigte, wegen seiner ganzen Forderung, an welchen unter ihnen er will, sich halten. §. 431. Der in Anspruch genommene kann zwar seine Mitverpflichteten zur gemeinschaftlichen Vertheidigung, oder Leistung der übernommenen Verbindlichkeit auffordern. §. 432. Durch diese Aufforderung2()) aber darf der Berechtigte in Verfolgung seines Anspruchs nicht aufgehalten werden. §. 433. Wenn auch der Berechtigte einen oder alle Mitverpflichtete nur für ihren Antheil in Anspruch genommen hat, so kann er doch davon wieder abgehen, und Einen unter ihnen auf das Ganze belangen. §. 434. Auch kaun er wegen der von einem Verpflichteten ganz oder zum Theil nicht zu erhaltenden Zahlung, jeden der Andern, welchen er will, so lange, bis er vollständig befriedigt worden, in Anspruch nehmen. §. 435. Was in Ansehung der schuldigen Sache oder Handlung von dem einen Verpflichteten gethan worden, gereicht allen übrigen zum Vortheil'"). (s. Anm. 36 zu §. 128 I. 5), so G r uchot 3 S. 300; Först er-Ec eins 1 §.63 Note 47 ; Dern bürg 2 §. 49.' A. M Wienstein bei Grnchot 6 S. 489, welcher aber auch den Begriff der Nebenabrede anders faßt. 28) „Gemeinschaftlich" heißt hier so viel, wie Einer für Alle und Alle für Einen (§. 424), denn es soll eben der Gegensatz davon hier behandelt werden. Auch im §. 446 d. T.', I. 13 §§. 201, 202 und I. 17 §§; 127, 131 hat es diese Bedeutung. 29) Die „Aufforderung", d. h. die Litisdenunziation muß so zeitig angebracht werden, daß die Verhandlung der Hauptsache darnach nicht aufgehalten wird. Das Verbot des Aufenthalts bezieht sich nicht auf die von den Litisdenunziaten zur Vertheidigung vorgebrachten Einreden, die ebenso erörtert werden müssen, als wenn sie der Beklagte selbst gemacht hätte. Es ist hier überhaupt gar nichts Neues in dieser Beziehung vorgeschrieben, vielmehr lediglich nach der A.G.O. I. 17 §§. 14—18 und deren Abänderungen zu verfahren. H. Jetzt (5.P.O. §§. 69 ff., 462, und dazu Förster- Eccius 1 §§. 63 Note 69. 30) Die §§. 430—434 haben von der Befugniß des Gläubigers gesprochen, unter seinen alternativen Schuldnern nach Gutfinden den auszuwählen, welchen er auf Leistung angreifen will. Die §§. 435—437 behandeln die Wirkung einer von Einenl erfolgten Leistung oder be­ freienden Handlung in Beziehung auf die Uebrigen. Das Wesen der Korrealobligation besteht darin, daß die Schuld eine subjektiv-alternative ist, und entweder von dem Einen oder von dem Anderen zu tilgen ist, aber einmal getilgt, ganz und für Alle getilgt ist. Dieser Grundsatz ist es, welchen der §. 435 ausspricht. Der Ausdruck: „was in Ansehung der schuldigen Sache oder Handlung — gethan worden", umfaßt alle die verschiedenen Leistungsarten, welche der §. 123 I. 2 aufzühlt; er ist jedoch mißverstanden worden (s. Anm. 8 zu §. 10 Tit. 8 der Koch'schen Proz.Ordn., 6, Ausg.) und würde den Gedanken vielleicht mit den Worten: „was zur Tilgung der Ver-

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Erster Theil.

Fünfter Titel.

§§. 436—442.

§. 436. Ist dadurch der Anspruch des Berechtigten gegen alle Mitverpflichtete vermindert, so kommt dieses demjenigen, der die Verminderung bewirkt hat, auch gegen die andern Mitverpflichteten 81) zu statten. §. 437. Hat einer der Mitverpflichteten durch Vergleich, Urtel, oder auf andere Art, Befreiung von der Schuld nur für feine Perfon erhalten, so können die übrigen davon gegen den Berechtigten keinen Gebrauch machen32). §. 438. Die Handlung Eines Verpflichteten kann die Rechte der übrigen nicht schmälern:1S). §. 439. Ein Verpflichteter kann also auch durch seine Einwilligung die an eine gewisse Zeit gebundenen Befugnisse des Berechtigten zwar gegen sich, nicht aber gegen die andern Verpflichteten, zu deren Nachtheil, über die bestimmte Zeit, in der Regel, verlängern. (Th. 2. Tit. 8. Abschn. 8.)S4). bindlichkeit — gethan worden", korrekter ausgedrückt und so eine solche mißverständliche Auffassung verhindert haben. Die auf verschiedenem Rechtsgrunde beruhenden Verpflichtungen des Acceptanten und des Trassanten eines Wechsels sind nicht als gemeinsame anzusehen, wenn auch mögliche Weise der Umfang der Verpflichtungen gleich groß ist. O.Tr. IV v. 14. Jan. 1868, Str. Arch. 71 S. 25. 31) Bei der Aufbringung des Restes, unter sich. Der verminderte Theil kommt dabei ganz auf die Rechnung des Minderers. 32) Dies ist der Gegensatz des §. 436. Beide Sätze folgen aus dem Grundsätze des §. 435. 33) Dies ist ein zweites Prinzip über die Wirkung von solchen Handlungen des Einen in Beziehung auf die Uebrigen, wodurch die Schuld vergrößert oder erschwert, oder die Befugniß des Gläubigers erweitert wird. H. Ob der §. 438 auf die Haftung der Korrealschuldner für Versehen eines ihrer Genossen zu beziehen ist, ist streitig. Verneint wird es von Dern bürg 2 §. 49 Note 6 u. 7, bejaht von Wienstein bei Gruchot 6 S. 512 ff., Förster - Eccius 1 S. 407, Ryck, die Lehre von den Schuldverhültnissen, Berlin 1883, 1 S. 90. Dagegen ist man darüber einig, daß der §. 438 auf den Fall des Verzuges des einen der Korrealschuldner Anwendung findet, also ein solcher den übrigen nicht schadet. Diejenigen Schriftsteller, welche mithin Versehen und Verzug unter­ scheiden, beziehen also den §. 438 nur auf Handlungen, welche der Schuldner mit dem Gläubiger vornimmt, oder auf solche, welche den Anspruch wohl vergrößern, nicht aber gleichzeitig (in eine schon durch die Obligation selbst eventuell begründete Interesse-Forderung) verwandeln. 34) Der §. 439 ist die Anwendung jenes Prinzips; das Allegat bezieht sich vermuthlich auf §. 1236, wo eine Ausnahme von der Regel gemacht wird, indem die Prolongation eines Wechsels, wenn sie auch nur von dem Einen unterzeichnet ist, gegen Alle die Wechselkraft erhält. Dies ist durch die D.W.O. aufgehoben^ In anderen Rechtsverhältnissen würde also das Anerkenntniß der Schuld, seitens des Einen, kurz vor Ablauf der Verjährung, diese zum Nachtheile der Uebrigen nicht unterbrechen. Das O.Tr. hat jedoch angenommen, daß, wenn Einer von mehreren Korrealschuldnern die Zinsen zahlt, dadurch die Verjährung der ganzen Forderung auch hinsichtlich der Uebrigen gehindert werde. Pr. des O.Tr. v. 31. Aug. 1844, Schles. Arch. 5 S. 468; Pl.Beschl. v. 2. Mai 1842, Entsch. 8 S. 13. Als Handlung des einen Schuldners angesehen, würde diese Rechtsanwendung mit dem Prinzip §. 438 in Konflikt kommen. Allein das O.Tr. faßt die Zahlung des Mitschuldners als eine unterbrechende Handlung des Gläubigers, als Einziehung eines Theils der Forderung, auf, und dann fällt die Handlung unter das Prinzip §. 440 d. T. verbunden mit I. 9 §. 570. Es kommt allerdings auf die Auf­ fassung an. Doch auch über den Grundsatz selbst widerspricht sich das O.Tr. Nach dem Pl.Beschl. v. 2. Mai 1842 hat es nämlich den Satz angenommen: „Nach den Grundsätzen des Gem. und Sächs. R. wird durch die von dem Besitzer der Hypothek geleistete Zahlung der Zinsen die Klage­ verjährung gegen den Gläubiger, auch in Beziehung auf den persönlichen Schuldner gehemmt und resp.' unterbrochen". Zwar nach Gem. und Sächs. R., weil eben darnach der Fall zu ent­ scheiden war, aber aus Gründen, welche als auch für das pr. R. gültig von demselben behauptet worden sind. Denn es wird gesagt: Der Gläubiger, welcher die Zahlung der ihm von seiner Forderung versprochenen Zinsen fordert und annimmt, übt einen Theil seines Rechts aus und erhält sich dadurch das ganze Recht. (Als doktrinelle Autorität ist dabei auf I. 9 §. 570 in einer 91 nut. hingewiesen, und für das pr. R. unmittelbar ist es eben in dem vorhin bezeichneten Pr. v. 31. Aug. 1844 behauptet.) Jedenfalls, heißt es weiter, muß jene theilweise Ausübung des Rechts durch Annahme der von dem Besitzer der Hypothek gezahlten Zinsen auch in Be­ ziehung auf den persönlichen Schuldner ihre Wirkung äußern oder die Verjährung hindern und

Von Verträgen.

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§♦ 440. Sobald jedoch der Berechtigte gegen einen Verpflichteten geklagt hat, wird sein Recht zur Klage auch gegen die Andern erhalten35). §. 441. Wird die Zeit zur Erfüllung des Vertrages auf das Ansuchen eines Verpflichteten verlängert, so kommt diese Frist allen zu Statten. 442. Bloße Nachsicht aber gegen Einen Verpflichteten berechtigt die Andern nicht, eine gleiche Nachsicht zu fordern.

resp, unterbrechen; denn die Befugniß des Gläubigers, sich auch an die Hypothek zu halten, ist nur ein Ausfluß seines auf Befriedigung gehenden Rechts, mithin ein Theil desselben, mag er nun deshalb seinen persönlichen Schuldner, oder den dritten Besitzer der Hypothek in Anspruch nehmen. Immer ist es nur ein und dasselbe Recht, was er verlangt; er kann nur einmal Be­ friedigung wegen Kapitals und Zinsen verlangen, und so lange ihm diese von dem Besitzer der Hypothek'gezahlt werden, kann er sie nicht auch von dem persönlichen Schuldner fordernder hat gegen diesen noch kein Klagerecht. (Entsch. 8 S. 16.) Die Gründe sind überzeugend. Vergl. Entsch. 3 S. 101 (Pr. 200b v. 1. April 1837), wo der gleiche Satz gerechtfertigt wird für den Fall, wenn der persönliche Schuldner zuerst verfolgt worden ist und hinterdrein der Besitzer der Hypothek belangt wird. Anm. zu I. 11 §. 850. — Ganz anders dagegen spricht das O.Tr. in den Gründen des Pr. v. 22. April 1843, Entsch. 9 S. 271. Dort wird gelehrt: „Das per­ sönliche und das Hyp.R. sind zu trennen, jedes ist ein für sich bestehendes selbstständiges R., jedes ist durch eine besondere Klage verfolgbar. Diese beiden Verpflichteten sind nicht gemein­ schaftlich Verpflichtete, nicht Solidar- oder Mitschuldner aus einer und derselben Verbindlichkeit, ein jeder derselben haftet vielmehr aus einen: besonderen Rechtsgrunde, nämlich der persönliche Schuldner aus der ursprünglichen Verbindlichkeit, der Besitzer der Sache aus dem Besitze. Der Gläubiger hat gegen Beide ein alternatives, in der Ausübung seiner Wahl überlassenes Recht. Eben deshalb ist für ihn auch die Möglichkeit vorhanden, das R. auf das Pfand gegen den Besitzer der Sache, und das R. aus der Schuldverbindlichkeit allein gegen den persönlich Ver­ pflichteten selbstständig durch eine Klage (etwa gleichzeitig?) zu verfolgen. Die persönliche und die Pfandklage laufen neben und unabhängig von einander. Der Grund der Verjährung besteht in der Nichtausübung des Rechts. Wird dieses gegen den persönlich Verpflichteten nicht aus­ geübt, dasselbe dagegen als dinglich, gegen den Besitzer der Sache verfolgt, so liegen auch in Beziehung auf das persönliche Recht die Erfordernisse der Verjährung vor, in Hinsicht auf das dingliche Recht dagegen nicht." Unter den mannigfachen, theils an sich richtigen, theils erst zu erweisenden Behauptungen, welche hier an einander gereiht sind, ist es der — vorausgesetzte — Begriff der Korrealobligation, welcher als unrichtig und als derjenige bezeichnet werden darf, unter dessen hauptsächlichem Einflüsse die Schlußfolgerung steht. „Die' beiden Verpflichteten sind nicht gemeinschaftlich Verpflichtete, nicht Solidar- oder Mitschuldner aus einer und derselben Verbindlichkeit; ein jeder haftet vielmehr aus einem besonderen Rechtsgrunde," wird gesagt. Dabei ist vermuthlich an den §. 424 d. T. gedacht, und damit soll das Wesen oder der Begriff der Korrealschuld angegeben werden. Gemeinschaftliche Schuld, Schuld Mehrerer aus einer­ und derselben Verbindlichkeit sind also den: Vers. Eins. Allein der §. 424 giebt gar nicht die Erfordernisse oder das Wesen der Korrealschuld an, sondern er schreibt nur vor, daß in den: Falle einer gemeinschaftlich übernommenen Verbindlichkeit eine Korrealschuld vermuthet, an­ genommen werden solle, wenn nicht das Gegentheil ausgesprochen worden sei. §. 425. Daß auf andere Weise eine Korrealschuld nicht entstehen könne, ist nirgend gesagt und auch ganz gegen deren Natur: mehrere Korrealschuldner können jeder aus einem besonderen Grunde für dieselbe Obligation verpflichtet sein. Warum denn nicht? Was ist denn das Wesen der Korrealschuld? Der Verfasser spricht es gleich selbst ohne Bewußtsein aus: ein alternatives Recht, dessen Ausübung der Gl. in seiner Wahl hat. Daraus wird aber von ihm das Gegentheil von dem bewiesen, was daraus logisch folgt. — Die Korrealschuld ist eine subjektiv-alternative Schuld für ein und dasselbe Recht. Daraus folgt, daß von Jedem unter ihnen das Ganze ver­ langt werden kann. Wenn der persönliche Schuldner und.der Hypothekarschuldner verschiedene Personen sind, so stehen Beide, dem Gläubiger gegenüber, in dem Verhältnisse von Korreal­ schuldnern, und der Gläubiger hat darin freie Wahl, an welchen von Beiden er sich zunächst halten will. Die Anstellung der Klage gegen den Einen wird ausdriicklich als Unterbrechung der Verjährung gegen den Andern, im §. 440 d. T., anerkannt. H. Gegen die vorstehend ver­ tretene Auffassung, daß der persönliche und der Hypothekarschuldner in einen: Korrealverhältniß stehen, erklären sich Först er-Eccius 1 S. 401 Note 53 und Derr: bürg 1 S. 398. 35) Von hier bis §. 442 ist von der Wirkung solcher Handlungen des Gläubigers, die gegen Einen der Schuldner gerichtet sind, in Beziehung auf die Uebrigen die Rede. Die Unter­ brechung der Klage geger: Einen erhält das Klagerecht auch gegen die Uebrigen. Zu vgl. die vor. Anm. Ausnahme: D.W.O. Art. 80. H. Vgl. auch I. 9 §§. 576, 577.

288

Erster Theil.

Fünfter Titel.

§§. 443 —450.

wegen des §. 443. Wie weit ein Verpflichteter, der die Verbindlichkeit gegen den Berech­ Regresses derselben tigten erfüllt hat, sich an die übrigen halten könne, ist nach dem Inhalte des unterein­ unter ihnen bestehenden Vertrages zu beurtheilen3ß). ander.

§. 444. Ist kein solcher Vertrag vorhanden, so muß die unter ihnen be­ stehende Verbindlichkeit nach ihren, in Ansehung des übernommenen Geschäftes oder des daraus gezogenen Vortheils, obwaltenden besondern Verhältnissen beurtheilt werden. §. 445. Kann auch hiernach die Entscheidung nicht erfolgen, so haften die Verpflichteten unter sich zu gleichen Theilen'^).

36) H. Bei Korrealverträgen ist das Regreßrecht der Schuldner unter einander unabhängig von dem Recht des Gläubigers gegenüber den einzelnen Schuldnern; ob der Gläubiger von jedem Schuldner das Ganze oder nur einen Theil zu fordern hat, ist für die Frage, wie es unter den Schuldnern in Bezug auf die Beitragspflicht zu halten, nicht maßgebend. O.Tr. III v. 27. März 1874, Str. Arch. 91 S. 193. — Ein Dritter, welcher auf Grund kontraktlicher Verbindlichkeit gegen einen von mehreren Mitverpflichteten deren gemeinsame Schuld bezahlt hat, kann deshalb noch nicht aus der Person seines Kontrahenten den Regreßanspruch gegen die übrigen Mitverpflichteten nehmen. O.Tr. IV v. 6. Sept. 1877, Str. Arch. 97 S. 328. 37) Der Grundsatz ist aus der damaligen Auffassung des gemeinen Rechts geschöpft; das R. R. kennt ihn nicht. In dem Korrealverhältnisse an sich liegt dazu kein Grund, die Gemein­ schaftlichkeit und die daraus folgende Theilung der Schuld unter den Mitschuldnern muß aus einem Nebenverhältnisse entstehen. Oft wird die Korrealschuld von einem solchen begleitet, z. B. von der Sozietät; wo es aber fehlt, da findet keine Theilung und keine Rückforderung statt. Dieser schon von Vinnius, Sei. qu. Lib. I c. 6, auf Grund der L. 39 D. de fidejuss. behauptete Satz wird durch Gajus III §. 122 vollständig bestätigt, indem er mittheilt, daß nur auf Grund einer Sozietät ein Anspruch auf Ausgleichung unter correis debendi statthaft war. Die gemeinrechtliche Praxis nahm jedoch an, daß in Fällen, wo die Korrealobligation zugleich gemeinschaftlich kontrahirt worden war, immer eine Gesellschaft unter den Schuldnern stattfinde. Außerdem wollte man auch, wenn der Zahlende sich die Klage gegen die übrigen Mitschuldner nicht hatte cediren lassen, die actio negotiorum gestorum utilis gestatten, und die Schriften der Praktiker bezeugen zahlreiche Fälle, in welchen hiernach erkannt worden ist. Darnach kommt man auch dahin, daß mehrere von einander ganz unabhängige Schuldner einer und derselben Schuld, wenn sie auch gar nicht in Beziehung zu einander stehen, z. B. zwei einzeln stehende Promissoren, Ausgleichung fordern können, wenn der Eine die ganze Schuld oder mehr als seinen Kopftheil bezahlt. Das L.R. scheint so weit nicht zu gehen, vielmehr den Grundsatz vorauszusetzen — allgemein ausgesprochen ist er nicht, nur bei der Verbürgung ist er in I. 14 §. 379 ausgesprochen —, daß nur eine gemeinschaftlich kontrahirte Korrealschuld zugleich unter den Mitschuldnern eine Gemeinschaft begründe; außer dem Falle einer gemeinsamen Eingehung der Verbindlichkeit aber keine wechselseitige Vertretung stattfinde. §. 443 d. T. vergl. mit I. 14 §. 379. Allein die Praxis geht davon aus, daß die Schuld, welche Mehrere zu bezahlen haben, immer als ein gemeinschaftlicher Gegenstand anzusehen, und deshalb unter ihnen in allen Fällen eine Ge­ meinschaft anzunehmen, auch wenn der Verpflichtungsgrund nicht gemeinschaftlich eingegangen ist. Vergl. Entsch. des O.Tr. 11 S. 306 und 12 S. 171. Vermöge dieser Gemeinschaft kann jeder Korreus, welcher den Gläubiger ganz, oder zu einem größeren als ihm obliegenden Theile be­ friedigt, die Uebrigen auf die, seinen Theil übersteigende Summe pro rata, nicht solidarisch, belangen, eben weil jeder von ihnen eine Theilung unter sich, und das, was er für die Ge­ meinschaft ausgelegt hat, dabei in Rechnung bringen und erstattet verlangen kann. Dieses Ver­ hältniß wird dadurch, daß ein Korreus die Forderung des Gläubigers cedirt erhält oder erbt, nicht geändert (I. 16 §§. 492—494), weil er sich von seiner durch die Gemeinschaft bereits be­ gründeten Verbindlichkeit nicht einseitig frei machen kann. Dieser Grundsatz findet auch Anwendung auf mehrere verpfändete Grundstücke. „Wenn bei der Existenz mehrerer, für eine und dieselbe Forderung solidarisch verpfändeter Grundstücke der Besitzer des einen derselben den gemeinschaftlichen Gläubiger befriedigt und nun den Besitzer des anderen belangt, so kommt die Regel zur Anwendung, wonach mehrere Korrealverpflichtete unter sich auch ohne besonderen Vertrag zur Befriedigung des Gläubigers einen verhältnißmäßigen Beitrag zu leisten haben. Diese Regel erleidet dadurch keine Aenderung, daß einer der Korrealverpflichteten den Gläubiger gegen Jura cessa befriedigt hat; auch der Cession ungeachtet muß er sich, wenn er den Anderen in Anspruch nimmt, seinen eigenen Antheil in Abzug bringen lassen." Pr. 1649 v. 18. Okt. und 12. Dez. 1845, Entsch. 12 S. 168. Die Bestimmung dieses Präjudizes betrifft lediglich die Solidarität der Grundstücke und nur die Verhältnisse der tem­ porären Besitzer als solcher unter einander; dagegen befinden sich die Besitzer von Grundstücken,

Von Verträgen.

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§. 446. Wenn einer oder mehrere der gemeinschaftlich Verpflichteten Ver­ träge zu schließen unfähig sind, so müssen die übrigen deren Antheil unter einander übertragen. §. 447. Ist einer, oder sind mehrere der Mitverpflichteten demjenigen, welcher den Berechtigten für das Ganze befriedigt hat, ihre Antheile zu entrichten unver­ mögend, so muß ein solcher ausfallender Antheil gleichergestalt von sämmtlichen Mitverpflichteten, mit Inbegriff desjenigen, welcher die Zahlung an den Berech­ tigten geleistet hat, übertragen werden. §. 448. Außerdem aber kann ein Verpflichteter wegen desjenigen, was er von einem seiner Mitverpflichteten zu fordern hat, sich an die übrigen, im Mangel einer besonderen Verabredung, nicht halten. §. 449. Geräth ein Mitverpflichteter in Umstände, welche sein künftiges Un­ vermögen, den Vertrag zu erfüllen, wahrscheinlich «lachen, so können die Andern wider ihn auf Sicherstellung seines Antheils dringen. §. 450. Hat sich Jemand in einem Vertrage nlehreren Personen zu einer und 2) Bon meheben derselben Sache oder Leistung verpflichtet, so können die Mitberechtigten das rechtem gemeinschaftliche Recht in der Regel nur gemeinschaftlich ausüben38 * *).* * * * * * * * auf welchen Hypotheken konjunktim haften, in keinem anderen nexus, als in demjenigen, welchen der Besitz ihrer Grundstücke gewährt. O.Tr. III v. 11. März 1867, Str. Arch. 66 S. 268. — Anwendung: Erk. des O.Tr. III v. 27. Sept. 1850, Str. Arch. 6 S. 342. H. Die in diesem Absatz angeführten Entscheidungen sind auf dem Boden des früheren preußischen Rechts, unter der Geltung der A.G.O. I. 50 HH. 521 u. 522, sowie der preuß. Konk.Ordn. v. 8. Mai 1855 §. 56 er­ gangen. Das jetzt geltende Recht beruht auf §. 42 des Gesetzes über den Eigenthumserwerb v. 5. Mai 1872 (Zus. zu I. 20) und den dadurch aufrechterhaltenen Bestimmungen der Art. V, VI, VII des Gesetzes v. 12. März 1869, betr. die Abänderung einiger Bestimmungen der Konk.Ordn. v. 8. Mai 1855 (s. zu dem eit. §. 42 a. a. O.). Vgl. auch Förster-Eccius 3 S. 503 und Dernburg 1 S. 816. 38) Parallelstellen: I. 17 §§. 10 u. 151; I. 13 §. 210. Diese Bestimmung hindert den Einzelnen von mehreren Mitberechtigten an der Ausübung oder Geltendmachung des gemein­ schaftlichen Rechts für sich allein. I. 17 §. 10. Pr. 1870 v. 18. Mai 1847, und Erk. III v. 16. Juni 1852, Str. Arch. 6 S. 181. Doch aber ist der Antheil eines Jeden ein besonderes Eigenthum, ein Individualrecht desselben (I. 17 §. 4), welches gefährdet werden kann, wenn ihm die Alleinhandlung in Beziehung auf das Ganze nicht gestattet ist, und er auch die Mit­ berechtigten zur Mithandlung oder Zustimmung nicht zu bewegen vermag. Diese Betrachtung hat eine Rechtsungewißheit und ein Schwanken der Praxis in der Zulassung von Klagen Einzelner wegen des gemeinschaftlichen Rechts veranlaßt; die Meinungen der Rechtsgelehrten und die Ent­ scheidungen der Gerichte widersprechen sich. (H. Tas O.Tr. hat zwar an der Regel festgehalten, daß die gemeinschaftlichen Rechte nicht von den einzelnen Berechtigten — auch nicht für die Gesammtheit — geltend gemacht werden können, z. B. Str. Arch. 87 S. 301, vgl. auch R.G. I H. v. 4. Nov. 1881, Gruchot 26 S. 916, sich aber doch zu Ausnahmen von diesem Satze genöthigt gesehen.) So in dem Pl.Beschl. (Pr. 2325) v. 1. Dez. 1851, lautend: „In dem Falle in welchem Mehreren: das ihnen gemeinschaftliche Recht zusteht, von einem Dritten Rechnungs­ legung zu fordern, gehört es auch zu den Individualrechten des einzelnen Mitberechtigten, von dem Verpflichteten die Rechnungslegung an die Gesammtheit der Berechtigten zu verlangen" (J.M.Bl. 1852 S. 3 und Entsch. 22 S. 136). Es handelt sich um die Findung des Prinzips zur Bestimmung der Grenzen des Individualrechts, allein und ohne Zustimmung der Uebrigen einzuschreiten. Als leitender Grundsatz ist anzuerkennen, daß die Sicherung und Feststellung des gemeinschaftlichen Rechts und auf Vorbereitung der künftigen Theilung abzweckende Maß­ regeln als Ausfluß des besonderen Eigenthums anzüsehen sind und deshalb als ein Individual­ recht jedem einzelnen Mitberechtigten zustehen. Anwendungen davon sind gemacht in I. 14 §. 66 und A.G.O. I. 46 §. 7. Doch wird der Fall der Anwendung bedenklich, wenn der Angesprochene dadurch in die Lage versetzt wird, daß er, wenn er obsiegt, oder Gegenansprüche hat, denselben Prozeß wiederholt mit jedem Einzelnen durchmachen müßte; gegen dieses Uebel muß er sich durch die exceptio plurium litisconsortium schützen können. Die Anwendung ist deshalb immer schwierig und kann mehr oder weniger rechtsverletzend für den Beklagten werden. Diese Schwierigkeit liegt in der abnormen Besonderheit der landrechtlichen Bestimmungen über das aktive Korrealverhältniß. Koch, Privatrecht 2 S. 151 und Recht der Forderungen 2 §. 64. Eine richtige Anwendung macht das Erk. des O.Tr. I v. 11. Okt. 1858, Entsch. 39 S. 103. Koch, Allgemeines Landrecht. I.

8. Aust.

19

290

Erster Theil.

Fünfter Titel.

§§. 451—453. Sechster Titel.

§§. 1- 8.

Z. 451. Doch kann keiner der Mitberechtigten durch seine Handlungen oder Entsagungen das Recht der übrigen schmälern. §. 452. Hat, bei einer Heilbaren Sache oder Summe, der Verpflichtete einem der Berechtigten seinen Antheil entrichtet, so tritt er, in Beziehung auf die übrigen Berechtigten, an dessen Stelle. §. 453. Die Befugnisse der mehrern Berechtigten unter sich sind nach den Grundsätzen vom gemeinschaftlichen Eigenthum zu beurtheilen. (Tit. 17.)38).

sechster Titel. Von den Pflichten und Rechten, die aus unerlaubten Handlungen entstehen’)• Begriffe.

§. 1. Schade heißt jede Verschlimmerung des Zustandes eines Menschen, in Ansehung seines Körpers, seiner Freiheit, oder Ehre, oder seines Vermögens2). §. 2. Wird ein solcher Nachtheil durch eine Handlung oder Unterlassung un­ mittelbar und zunächst bewirkt, so wird der Schade selbst unmittelbar genannt. Auch in dem Erk. II v. 22. Nov. 1853, Str. Arch. US. 58, wonach jeder einzelne Miteigenthümer eines Gebäudes für sich allein zur Klage gegen denjenigen berechtigt ist, welcher gegen die Vorschriften der §§. 124 u. 125 1. 8 dem Gebäude mit Anlagen zu nahe gekommen ist. S. Anm. zu I. 17 §. 10. — Die §§. 450 ff. setzen übrigens einen in rechtsgültiger Form er­ richteten Vertrag voraus. O.Tr. III v. 18. Sept. 1857, Str. Arch. 26 S. 194. Vergl. Entsch. des O.Tr. 8 S. 137. Mehrere Bevollmächtigte stehen hinsichtlich der actio mandati contraria nicht in Gemein­ schaft, Jeder von ihnen kann wegen seines Aufwandes gegen die Machtgeber für sich allein klagen. O.Tr. IV v. 22. Jan. 1852, Str. Arch. 5 S. 29. H. Der dem L.R. eigenthümliche Begriff der gemeinschaftlichen Ausübung eines Rechts findet ferner Anwendung in 1. 11 §. 320, I. 13 §. 210, I. 14 §§. 63, 64, I. 17 H. 151, I. 20 8- 181. Vergl. A.G.O. I. 5 §. 4 Nr. 6, 7. — In der Verfügung sämmtlicher Mitberechtigten über ihre Antheile kann unter Umständen eine gemeinschaftliche Verfügung über das Ganze zu finden sein. Johow, Jahrb. 8 S. 248. — Nur dann kann ausnahmsweise dem einzelnen Mit­ berechtigten die Verfolgung des gemeinsamen Rechts gestattet werden, wenn dies weder den übrigen Berechtigten noch dem Schuldner zum Nachtheil gereicht. O.Tr. III v. 10. Jan. 1873, Entsch. 68 S. 279; Str. Arch. 87 S. 301. H. Daraus folgt nicht, das;, wenn der eine der gemeinschaftlichen Gläubiger seinen An­ theil an einen Dritten eedirt hat, die übrigen Theilhaber hieran ein Vorkaufsrecht wie Miteigenthümer geltend machen können. O.Tr. III v. 7. März 1873, Entsch. 69 S. 150; Str. Arch. 88 S. 249. 1) Ueber .den Begriff der unerlaubten Handlungen s. die Anm. zu I. 3 §. 35. Die unter diesem T^tel gegebenen Vorschriften beschränken sich nicht auf diejenigen Handlungen, welche im R. R. als Delikte und Quasidelikte bezeichnet sind, sondern sie umfassen auch, mehr oder weniger, die Obligationen quasi ex contractu, ja zum Theil selbst die vertragsmäßigen Verbindlichkeiten, in so fern, als der hier bestimmte Umfang der Ersatzverbindlichkeit auf die Fälle des vertragswidrigen Verhaltens anzuwenden ist. Die in diesem Titel gegebenen Grundsätze über Schaden und Interesse und über Schadensersatz sind ganz allgemeine, die nicht lediglich in das Kapitel von unerlaubten Handlungen gehören. Diese allgemeinen Grundsätze, ja der ganze Titel ist ohne geschichtliche Grundlage. Das bis dahin praktische gültige Recht ist bei Seite gelegt, und es sind ganz neue Begriffe ersonnen worden, weshalb sie für die Wirklichkeit wenig brauchbar sind. Insbesondere gilt dies von der Abstufung der Ersatzverbindlichkeit. „Wir dürfen kühn behaupten," sagen die Ges.Rev., „daß die Abstufung der Ersatzverbindlichkeit für die Anwendung durchaus werthlos ist. Sie hat, weil sie nicht aus dem Leben gegriffen ist, auch nicht ins Leben übergehen können." 2) Dies ist die Begriffsbestimmung des sog positiven Schadens (damnuin emergens). Der zweite Theil des ganzen Interesse, der sog. entgangene Gewinn (lucrum cessans), ist im 8- 5 definirt.

Von Pflichten und Rechten aus unerlaubten Handlungen.

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§. 3. Entsteht der Nachtheil zwar aus der Handlung oder Unterlassung, jedoch nur in Verbindung derselben mit einem andern von ihr verschiedenen Ereig­ nisse, oder mit einer nicht gewöhnlichen Beschaffenheit der Person oder Sache8), so ist ein mittelbarer Schade vorhanden. §. 4. Ein Schade, dessen Entstehen aus der Handlung oder.Unterlassung gar nicht vorausgesehen werden konnte4), wird im rechtlichen Sinne zufällig genannt. §. 5. Vortheile, die Jemand erlangt haben würde, wenn eine gewisse Hand­ lung oder Unterlassung nicht vorgefallen wäre, werden zum entgangenen Ge­ winn gerechnet'^). §. 6. Doch wird bei Bestimmung des entzogenen Gewinnes nur auf solche Vortheile, die entweder nach dem gewöhnlichen Laufe der Dinge und der Geschäfte des bürgerlichen Lebens, oder vermöge gewisser schon getroffener Anstalten und Vorkehrungen, vernünftiger Weise erwartet werden konnten, Rücksicht genommen"). §. 7. Zu einer vollständigen Genugthuung gehört der Ersatz des gesummten Schadens und des entgangenen Gewinnes 7). §. 8. Wer Jemandem ohne Recht Schaden znfügt, der kränkt oder beleidigt denselben 7). 3) Wie man sich die Unmittelbarkeit und Mittelbarkeit der Folgen einer Handlung ge­ dacht hat, s. in. in der 91 nm. zu I. 3 §. 5. 4) Nicht darauf allein kommt es an: ob eine ursachliche Verbindung zwischen Handlung als Ursache und Schaden als Wirkung vorhanden, oder nicht, sondern auch darauf soll gesehen werden: ob der Handelnde die Wirkung voraussehen konnte. Konnte er das — nach dem Dafür­ halten des Richters — nicht, so ist das auch durch willkürliche Handlung eines Menschen ver­ ursachte Ereigniß ein rein zufälliges. Vergl. I. 3 §. 6 und die Anm. zu §. 7, sowie die Anm. zu §. 8 ebend. 5) Die Fassung ist so, als wenn nicht Alles, was den entgangenen Gewinn ausmacht, be­ zeichnet werden sollte, als wenn der entgangene Gewinn noch andere Bestandtheile hätte. So ist es aber nicht gedacht, man hat eine erschöpfende Definition vom hierum cessans beabsichtigt. S. die Anm. 2. Den entgangenen Gewinn bildet bei einer marktgängigen Sache diejenige Differenz, welche zwischen dem Preise, der bei der kontraktlichen Erfüllung des Frachtvertrages an dem Ab­ lieferungsorte zu erzielen gewesen sein würde, und demjenigen Preise besteht, welcher in Folge der Nichterfüllung später erlangt worden ist. O.Tr. IV v. 17. Sept. 1850, Str. Arch 3 S. 13. Der Entschädigungsanspruch des Holzberechtigten gegen den Waldeigenthümer, der die Ausübung des Holzungsrechts gehindert hat, ist nicht durch den Nachweis des wirklichen Ver­ brauches bedingt, es genügt vielmehr der Nachweis des Bedarfs und der Möglichkeit der Be­ friedigung desselben aus dem belasteten Walde. O.Tr. II v. 6. Juli 1852, Str. Arch. 7 S. 224. 6) Die Frage ist rein faktisch. Rechtens ist nur, daß ein ursachlicher Zusammenhang zwischen der Handlung und dem entgangenen Vortheile vorhanden sein muß. Vergl. I. 5 §. 286 und die Anm. 95 dazu. Andere Fälle der Anwendung sind: Simon, Rechtsspr. 1 S. 259 u. 4 S. 223. — H. Ein positiver und direkter Beweis des liquidirten entzogenen Gewinnes ist nicht nothwendig, sondern es wird die Entscheidung im einzelnen Falle wesentlich vom richter­ lichen Ermessen abhängen müssen. O.Tr. I V v. 1. März 1870, Entsch. 63 S. 310. Jetzt ist hierfür C.P.O. §. 260 maßgebend. H. Der §. 6 ist eine Erweiterung des §. 13 d. T. Str. Arch. 84 S. 152 (I). Wenn die Entziehung des zu erstattenden Vortheils bis zur Befriedigung des Beschädigten in Ansehung der Hauptsache fortwirkt, so kann der Richter, wenngleich in der Klage keine Summe voraus angegeben werden kann, doch im Prinzip über omnis causa erkennen, in der Weise, wie z. B. auch über künftige Verzugszinsen bis zur Zahlung erkannt wird. 7) H. Das O.Tr. I v. 24. April 1854, Entsch. 28 S. 270, hat angenommen, daß unter allem Schaden in §. 25 des Eisenbahngesetzes v. 3. Nov. 1838 der entgangene Gewinn nicht zu verstehen sei, weil nach der Begriffsbestimmung von Schaden in §§. 1, 7 d. T. der ent­ gangene Gewinn nicht zum Schaden gehöre. Die entgegengesetzte Ansicht hat das R.O.H.G. v. 7. Mai 1872, Entsch. 6 S. 9f., angenommen. — Ueber Anwendbarkeit des §. 6 d. T. neben Art. 283 H.G.B. vergl. R.O.H.G. v. 27. Sept. 1873, Entsch. 11 S. 9, bes. S. 17, u. R.G. V v. 26. April 1882, Gruchot 26 S. 923. 7a) H. R.O.H.G. v. 9. Juni 1874, Entsch. 13 S. 427. — Schadenszufügung bei Abwehr 19*

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Erster Theil.

Sechster Titel.

§§. 9—22.

§. 9. Unterlassung einer Zwangspflicht wird einer Kränkung oder Beleidigung gleich geachtet. Grundsätze §. 10. Wer einen Andern aus Vorsatz oder grobem Versehen beleidigt, muß densersatz. demselben vollständige Genugthuung 8) leisten9). (§. 7.) Neberhmlpt. 11. -Eben dazu ist auch der verhaftet, welcher eine dem Andern schuldige Pflicht aus Vorsätz oder grobem Versehen unterläßt, und dadurch demselben Schaden verursacht'9). §. 12. Wer nur aus mäßigem Versehen den Andern durch eine Handlung oder Unterlassung beleidigt, der haftet nur für den daraus") entstandenen wirk­ lichen'^) Schaden. §. 13. Doch muß der Beschädiger auch einen solchen entgangenen Gewinn ersetzen, den der Beschädigte durch den gewöhnlichen Gebrauch desjenigen, woran er gekränkt worden, erlangt haben würde, wenn die Kränkung nicht vorgefallen wäre"). eines rechtswidrigen Angriffs ist, wenn die Grenzen der Vertheidigung nicht überschritten sind, nicht rechtswidrig. Str. Arch. 96 S. 128. Vergl. §. 36 d. T. 8) Diese regulirt sich nach dem Orte, wo die beschädigende Handlung vorgefallen ist. S. Einl. §. 33 Anm. 71 Nr. III. H. Der Anspruch steht nur dem Beschädigten zu. Unter welchen Voraussetzungen hat derjenige, in dessen Gewahrsam die vernichtete Sache sich befand, als der Beschädigte zu gelten? Vgl. N.G. I H. v. 6. Dez. 1881, Gruchot 26 S. 924. 9) Wird die Entschüdigungsklage auf einen angeblichen Meineid gegründet, so kann die Klage nicht unmittelbar bei dem Eivilgerichte durch die Behauptung, daß der Bekl. einen falschen Eid geschworen und dadurch den Kläger beschädigt habe, begründet, vielmehr muß präjudiziell über das Verbrechen von dem zuständigen Strafgerichte erkannt werden. A.G.O. I. 16 §. 24; V. v. 3. Jan. 1849 §§. 151 ff.; O.Tr. I v. 8. April 1859, Entsch. 41 S. 52. H. Hierüber normirt jetzt C.P.O. §. 544. H. Aus §. 10 d. T. kann nicht gefolgert werden, daß in allen Fällen, in welchen das Gesetz für eine vorsätzliche Beschädigung verantwortlich macht, auch eine Verantwortlichkeit eintrete, wenn die Beschädigung nur die Folge eines groben Versehens ist. - O.Tr. I v. 14. Nov. 1873, Str. Arch. 90 S. 292. 10) Daß die §§. 10 u. 11 nicht auf Vertragsfälle angewendet werden können, wie es ge­ schehen ist, bestimmt unten der §. 17 d. T. ausdrücklich. Vergl. die Anm. 94 Abs. 4 zu I. 5 §. 285. Die Vorschriften §§. 1—11 kommen erst in Betracht, wenn dargethan ist, daß der An­ gesprochene eine ihm obliegende Schuldigkeit versäumt hat. 11) Daraus entstandenen, wenn auch nicht lediglich, aber doch hauptsächlich. Denn wenn noch andere Umstände mitgewirkt haben, so ist es an dem Beklagten, darauf einen Ein­ wand zu gründen; zur Begründung dieses Einwandes aber muß der Beklagte behaupten und folglich nachweisen, daß und in welchem Umfange die mitgewirkt habenden anderen Umstünde, z. B. ungewöhnlich starke Regengüsse bei der ihm obgelegenen aber wissentlich unterlassenen Räumung und Instandsetzung des Ableitungsgrabens, unabhängig von dieser Vernachlässigung für sich allein einen selbstständigen Schaden verursacht haben würden. O-Tr. III v. 3. Juli 1857, Str. Arch. 26 S. 79. 12) Der wirkliche Schade ist jeder Schade im Gegensatze zum entgangenen Gewinne, ohne Unterschied, ob er ein mittelbarer oder unmittelbarer Schade sei. Daher ist z. B. der Richter, welcher bei Leitung einer nothwendigen Subhastation ein mäßiges Versehen begangen hat, auch in dem Falle, wenn dieses vor dem Zuschläge bemerkt und gehoben worden ist, außer zum Ersätze der deshalb entstandenen Kosten, dem Interessenten auch zum Ersätze des wirk­ lichen Schadens verpflichtet. Es ist jedoch, was zweifelhaft ist (die Gründe sind ganz unzutreffend), auch angenommen, daß ein Hypothekengläubiger, der die Subhastation weder ausgebracht hat, noch auch ihr beigetreten ist, den durch das gedachte Versehen des Richters ihm entstandenen Schaden von demselben nicht erstattet verlangen könne. Der Rechtsfall war der, daß der Termin, wegen einer unterbliebenen Vorladung, nicht den Zuschlag zur Folge hatte, und daß in dem angesetzten neuen Termin 500 Thaler weniger geboten wurden, was einen Ausfall zur Folge hatte. O.Tr. I v. 11. Juli 1862, Str. Arch. 47 S. 3; Entsch. 47 S. 93. 13) Hierdurch entsteht eine neue Abstufung des entgangenen Gewinnes (§§. 5 u. 6), von welcher die Anwendung schwierig ist, da nicht erkennbar ist, wodurch sich die hier gemeinte Species des hierum cessans von der Gattung (§. 6) charakteristisch unterscheidet; denn die hier im §. 13 gemachte Bedingung findet sich wesentlich auch im tz. 6. Dies wurde schon gegen den

Von Pflichten und Rechten aus unerlaubten Handlungen.

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8- 14. Jit einem solchen Falle muß der entgangene Gelvinn vergütet werden, auch wenn der wirkliche Schade keiner Schätzung fähig wäre. 8- 15. In Fällen, wo auch ein geringes Versehen vertreten werden muß (Tit. 3. 8- 22. 23.), haftet der Beschädiget' nur für den durch ein solches Ver­ sehen entstandenen unmittelbaren Schaden14). §. 16. Der aus einer Handlung entstandene zufällige Schade darf nur alsdann vergütet werden, wenn die Handlung selbst wider ein Verbotsgesetz") ist; oder wenn der Handelnde durch ein solches gesetzwidriges Verhalten in die Umstände, wodurch er zu der Handlung veranlaßt lvorden, sich selbst gesetzt hat. §. 17. Was wegen der bei Verträgen zugefügten Schäden statt stnde, wird int vorhergehenden Titel bestimmt. (Tit. 5. §. 277. sqq.) 8- 18. Von der Vergütung eines aus Vorsatz oder grobem Versehen zugefügten I» wie lera unmittelbaren Schadens wird der Beleidiger durch die mit eintretende Verschuldung des des Beschädigten nicht befreiet. Wdin-r §. 19. Hingegen darf der mittelbare Schade und der entgangene Gewinn vom Eri»» nicht ersetzt werden, wenn der Beschädigte bei der Abwendung desselben sich selbst bcfmc" ein grobes Versehen hat zu Schulden kommen lassen"). §. 20. Ein dergleichen eigenes grobes Versehen des Beschädigten macht den­ selben aller Schadloshaltung verlustig, wenn der Schade nur aus einem mäßigen oder geringen Versehen des Beschädigers entstanden ist"). §. 21. Der Ersatz des aus mäßigem oder geringem Versehen entstandenen mittelbaren Schadens und entzogenen Gewinnes ") fällt schon alsdann weg, wenn der Beschädigte den Nachtheil durch Anwendung der gewöhnlichen Aufmerksamkeit vermeiden konnte"). §. 22. Haben zwei oder mehrere einander wechselseitig beschädigt'-’"), so haf•------------- --schädiqilngen. Entwurf monirt. Suarez erwiderte darauf: Der hier gemeinte Gewinn sei erstens ein solcher, den der Beleidigte durch das, woran ihm die Kränkung widerfahren, Hütte erlangen können. Z. B. der Tagelöhner durch seine Arbeit (das ist auch bei dem §. 6 der Fall), der Pächter durch die Bewirthschaftmrg des gepachteten Guts (gleichfalls auch im Falle des 6), der Kaufmann durch die Nutzung der ihm vorenthaltenen und entzogenen Gelder (das überschreitet fast schon die Bedingung des §. 6). Zweitens könne nur auf einen solchen Gewinn, der durch den ge­ wöhnlichen Gebrauch hätte erlangt werden können, gesehen werden. Z. B. der Tagelöhner könne nur das gewöhnliche Tagelohn, der Verleiher mir das gewöhnliche Miethsgeld fordern (Bor ne mann, System 2 S. 320). Was der Kaufmann fordern könne, sagt er nicht; aber er will ihm gewiß nur Verzugszinsen zubilligen, denn er fügt bei: auf dasjenige also, was der Beleidigte durch seine besondere Industrie und vermöge besonderer Anstalten und Vorkehrungen hätte erwerben können, sei hier nicht zu sehen. Dann paßt aber das Beispiel vom Kaufmanne nicht; denn jeder Andere muß auch Verzugszinsen erhalten. 14) Die Satzung paßt nicht, denn sie bezieht sich ausdrücklich nur auf die an sich er­ laubten Handlungen solcher Personen, welche als Kunst- und Sachverständige rc. besondere Kenntniß haben und besondere Sorgfalt anwenden müssen, während doch die Folgen einer jeden unerlaubten Handlung einem Jeden, welchem irgend ein auch nur geringes Versehen vor­ zuwerfen ist, angerechnet werden. §§. 88, 93, 98, 110, 111, 118 d. T. 15) Vergl. I. 3 §. 13. Der §. 249 1. 13 gehört nicht zu den hier gemeinten Verbots­ gesetzen des Staats, aber doch unter die Regeln über unerlaubte Handlungen außer dem Falle eines Vertrages. Vergl. Anm. zu I. 3 §. 13. 16) Anm. 24 zu 26 u. Anm. 78 zu §. 98 d. T.

17) Anm. 24 u. 25 Abs. 2 zu §. 26 d. T. 18) Der entzogene Gewinn wird ja bei einem nur geringen Versehen schon an sich nicht erstattet, nach §. 15. 19) Die Vorschriften der §§. 18—21 finden auch auf Verträge Anwendung. Gruchot 3 S. 477, O.Tr. IV v. 4. Febr. 1858, Entsch 38 S. 40, H. R.G. I v. 24. Nov. 1880, Entsch. 5 S. 204. 20) Ohne Recht nämlich. §§. 8 und 36 d. T. Wer in gerechter Nothwehr den Angreifer beschädigt, ist keinen Ersatz schuldig.

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Erster Theil.

Sechster Titel.

§§. 23—30.

tet jeder dem Andern für den verursachten Schaden nach Maaßgabe der ihm zur Last fallenden Verschuldung 21). §. 2& Haben Theilnehmer an einer unerlaubten Handlung einander dabei Schaden zugefügt, so muß jeder seinen eigenen Schaden tragen22). VUMUNMI§• 24. Daß Jemand durch die Schuld eines Andern beschädigt worden, wird fien bei bet' nicht vermuthet. §• 25. Wer aber in der Ausübung einer unerlaubten Handlung sich befunden hat, der hat die Vermuthung wider sich, daß ein bei solcher Gelegenheit2'^) ent­ standener Schade durch seine Schuld sei verursacht worden. §. 26. Insonderheit muß der, welcher ein auf Schadensverhütungen abzielen­ des Polizeigesetz vernachlässigt24), für allen Schaden, welcher durch die Beobach­ tung des Gesetzes hätte vermieden werden können, eben so haften, als wenn derselbe aus seiner Handlung unmittelbar entstanden wäre25). 21) Man hat hierbei an wechselseitige Schlägereien nach den Materialien gedacht. Nach R. R. hat der Angreifer keinen Ersatz zu fordern, nach dem Grundsätze über Beschädigung durch eigene Schuld. L. 1 §. 11 D. si quadrupes (IX, 1). Nur darf der Angegriffene nicht nach Beseitigung des Angriffs aus Rache beschädigen. L. 7 §. 4; L. 45 §. 4 D. ad leg. Aquil. (IX, 2). 22) Der hier vorausgesetzte Fall steht dem im vor. §. 22 gedachten Falle zur Seite und hat auch mit dem Falle des §. 34 durchaus nichts gemein. Der §. 22 bezieht sich auf den einer wechselseitigen Beschädigung von Personen, die einander feindlich gegenüber stehen. Der §. 23 gedenkt des Falles emes gemeinschaftlichen Unternehmens. Zwei Diebe unternehmen einen Einbruch. Der Eine hält die Leiter, der Andere steigt hinauf. Jirdem dieser oben ist, läßt der Erste die Leiter los. Jener stürzt herab und bricht Arme und Beine. Dafür hat er gar keinen Ersatz zu fordern. Der juristische Grund ist, daß der Beschädigte seiner verbreche­ rischen Unternehmung die Beschädigung zu danken hat; das Recht schweigt für solche Fälle. 23) Eben bei Gelegenheit der Ausübung dieser bestimmten Handlung, z. B. bei einen: Einbrüche, bei welchem, vielleicht aus anderen Ursachen, Schäden entstehen. Dafür hat der später hinzukommende Helfer bei Fortschaffung der Sachen, der Hehler, der Theilnehmer an den Vortheilen des Diebstahls nicht zu haften. Vergl. den Rechtsfall in den Rechtsf. des O.Tr. 4 S. 320. — Das O.Tr. hat in dem Falle, wo ein Postbeamter bei Gelegenheit der Beförderung eines Geldpakets seinen Vorschriften zuwider den Schlüssel zur Briefbeutelläde einem Dritten anvertraut hatte und die richtige Ankunft des Geldpakets auf der nächsten Poststation nicht nachweisen konnte, die Vermuthung als begründet angenommen, daß der eingetretene Verlust des Geldpakets durch die Schuld dieses Postbeamten veranlaßt worden sei. Erk. I v. 21. Nov. 1853, Str. Arch. 13 S. 8. H. Gegenbeweis gegen die Vermuthung ist nicht ausgeschlossen, Str. Arch. 80 S. 84 u. R.G. I H. v. 21. April 1882, Gruchot 26 S. 927. 24) Die Uebertretung eines Polizeigesetzes ist stets nur als ein grobes Versehen zu be­ trachten, und daher kann dabei die nur auf geringe Versehen sich beziehende Bestimmung des §. 20 gar nicht in Betracht kommen. O.Tr. I v. 9. Juli 1866, Str. Arch. 63 S. 275. — H. Zum Begriffe des Polizeigesetzes vgl. R.G. V. v. 21. Dec. 1881, Entsch. 6 S. 62. 25) Wenn z. B. feuerfangende Sachen polizeiwidrig aufbewahrt, wenn geladene Gewehre an unsicheren Orten vorschriftswidrig hingestellt, wenn Brücken und Gebäude vernachlässigt, wenn Wasserbehälter nicht mit Umfriedungen versehen werden. „In den Fällen des §. 26 kommt es auf den Unterschied zwischen unmittelbarem und mittelbarem Schaden nicht weiter an, vielmehr wird alsdann jeder Schade, welcher durch Beobachtung des Gesetzes hätte vermieden werden können, als unmittelbarer Schade angesehen, so daß in einem solchen Falle stets die Vorschrift des §. 18 d. T. eintritt, der §. 19 aber von der Anwendung ausgeschlossen bleibt." O.Tr. I (Pr. 2589) v. 20. Dez. 1854, Entsch. 29 S. 339. H. Auch der mittelbare Schade wird in diesem Falle als unmittelbarer angesehen. Str. Arch. 82 S. 112. — Der §. 26 d. T. enthält eine praesumtio Juris et de jure hinsichtlich der Frage, ob der Schade unmittelbar oder mittelbar durch die Handlung desjenigen, der ein Polizei­ gesetz Übertritt, entstanden ist, und schließt den Beweis über das Vorhandensein oder Nichtvor­ handensein eines solchen Kausalnexus aus. O.Tr. I v. 16. März 1874, Str. Arch. 91 S. 178; R.G. IV v. 28. Juni 1880, Gruchot 25 S. 427, II H. v. 2. Juni 1881, a. a. O. 26 S. 689. Der Schade muß aber in den Kreis derjenigen Schäden fallen, deren Verhütung das Polizeigesetz bezweckt; in so weit ist Kausalzusammenhang erforderlich. O.Tr. I. v. 28. Okt. 1870, Str. Arch. 81 S. 34; R.G. V v. 9. März 1881, Gruchot 25 S. 952. Der §. 26 läßt, zumal er eine Ausnahmebestimmung enthält, eine analoge und über seinen

Von Pflichten und Rechten aus unerlaubten Handlungen.

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§. 27. Der Ersatz des Schadens und entgangenen Gewinnes muß aus dem Woher der Vermögen desjenigen 26) erfolgen, welcher den Schaden verursacht hat. (§. 42. 56.) leisten" §. 28. Die Verbindlichkeit zum Schadenensersatz aeht auf die Erben des Be- Verbmdlich-

Versehen mitgewirkt28 * *),* * so * * *haften * * * * *sie * * *einer * * * * für * * * alle, * * * 26 und 27 alle für einen. 1 §. 30. Der Beschädigte hat alsdann gegen die Beleidiger eben die Rechte, welche bei Verträgen dem Berechtigten gegen mehrere gemeinschaftlich Verpflichtete zukommen. ($it 5. §. 430. sqq.) deutlichen Wortlaut hinausgehende Anwendung nicht zu; es lassen sich unter Polizei gesehen, abgesehen von, aus königl. Verordnungen beruhenden oder von der gesetzgebenden Gewalt in Gesetzesform erlassenen, allgemeinen Vorschriften nur die auf Grund des Gesetzes v. 11. März 1850 von den Ortspolizeibehörden oder Bezirksregierungen für einen bestimmten Ort oder Distrikt erlassenen generellen Verordnungen verstehen, nicht aber bloße für einen speciellen Fall resp, an eine bestimmte Person erlassene Verfügungen einer Polizeibehörde. O.Tr. 1 v. 9. Juni 1865, Str. Arch. 60 S. 78. Die Stadlgemeinden als Eigenthümer der den Kämmereien zugehörigen öffentlichen Bau­ anlagen (Gebäuden, Straßen, Brücken rc.) sind wegen des durch Vernachlässigung derselben ent­ stehenden Schadens dem Beschädigten unmittelbar verantwortlich und darf derselbe an den Be­ amten, dem in solcher Beziehung ein Versehen zur Last fällt, sich nicht verweisen lassen. Pr. des O.Tr. v. 10. Febr. 1838, Pl.Beschl. (Pr. 1881) „v. 21. Juni 1847, Entsch. 14 S. 92, (H. R.G. IV v. 2. Juni 1881, Gruchot 26 S. 415). Koch bemerkt hierüber: „Von physischen Personen ist der Satz unzweifelhaft richtig, von juristischen ist er es nicht; diese stehen den völlig willen­ losen Personen juristisch ganz gleich, sie sind jedes Versehens unfähig. Der Fehlgriff liegt in der Verwechselung der Beamten mit den physischen Personen, deren Wille den Willen der juristischen Person repräsentirt. Die Beamten freilich sind dem Beschädigten keine Bürgschaft, aber jene Repräsentanten sind diejenigen, welche für ihre Fehler dem Beschädigten zu haften haben. Nie­ mals die unmündige juristische Person. In Ansehung des Fiskus ist der Grundsatz ausdrücklich anerkannt §. 12 in II. 15. Zu vergl. Anm. dazu. Es ist aber eine jede juristische Person von Natur unmündig. Ein Unmündiger haftet dafür nicht, wenn sein Vormund eine Brücke nicht repariren läßt. Der §. 139 II. 15 steht nicht entgegen, denn er will über diese Frage, keine Bestimmung treffen." (H. Das O.Tr. hat aber auch in mehreren späteren Entscheidungen den Standpunkt des oben cit. Pl.Beschl. festgehalten. In dem Erk. II v. 6. April 1869, Entsch. 61 S. 1, betreffend eine gegen den Fiskus als Grundbesitzer angestellte Entschädigungs­ klage wegen rechtswidriger Wasserstauung, gelangt das O.Tr. unter Nachweisung seiner bis­ herigen Praxis zu dem Satze, der Fiskus hafte, wo es sich um Erfüllung von Privatverbind­ lichkeiten handle, welche ihre Quelle nicht in dem öffentlichen, sondern in dem Privatrecht haben, gleich Privatpersonen und könne die in ihren Rechten gekränkten Privatpersonen nicht an die Beamten verweisen. Sodann ist in dem Erk. II v. 1. Dez. 1874, Entsch. 73 S. 263, die Verpflichtung einer Eisenbahngesellschaft, den durch Versehen bei der Anlegung der Eisen­ bahn einem Anlieger entstandenen Schaden zu vertreten, angenommen; ebenso in dem Erk. I v. 23. Febr. 1877, Str. Arch. 97 S. 169.) — Aus dem durch den Pl.Beschl. v. 21. Juni 1847 festgestellten Satze folgt, daß die Beamten, wenn sie dennoch von dem Beschädigten zuerst in Anspruch genommen werden, befugt sein müssen, denselben an die betreffende Kommune zu ver­ weisen. O.Tr. I v. 9. Mai 1862, Str. Arch. 46 S. 96. 26) Das soll heißen: von demjenigen, welcher u. s. w. Denn die Verbindlichkeit ist eine persönliche, nicht bloß eine auf dem Vermögen ruhende. Man hat dabei daran gedacht, daß auch Unzurechnungsfähige subsidiarisch herangezogen werden. (§§. 41 ff.) — Anm. zu II. 1 §. 320 u. zu §. 389 ebd, 27) Hierüber war man keineswegs einverstanden, es gab viele Stimmen gegen den Uebergang der Ersatzverbindlichkeit auf den Erben, so daß diese Meinung von dem Konzilium zu Basel (1431) förmlich für irrig erklärt werden mußte. Der Beschluß lautet: „Duodecimus, quod heres non tenetur respondere de furto vel spolio perpetrato per illum, cui succedit in hereditatem, quod erroneum est, saltem in foro conscientiae.“ M. s. Brunnern ann ad leg. 11 D. ad 1. Aquil. (IX, 2) u. ad leg. 23 eod. n. 11, 12; desgl. ad 1. 3 D. si mensor fals. mod., n. 3. Vergl. Schilter, Praxis, exerc. XIX §§. 73—76. 28) In diesem Falle befinden sich Dieb und Hehler; Beide haften daher für die aus dem Werthe der nicht mehr vorhandenen Sache und des sonstigen Schadens bestehende Entschädigung des Bestohlenen solidarisch. Auch der Verwahrer, aus dessen Gewahrsam der Gegenstand ge­ stohlen worden, ist wegen seines eigenen Interesses zur Entschädigungsklage selbstständig legitimirt. O.Tr. v. 2. Nov. 1860, Str. Arch. 38 S. 348; Entsch. 44 S. 6.

Erster Theil.

296

Sechster Titel.

§§. 31—35 (Zusätze).

§. 31. Haben Mehrere bei einer Schadenszufügung nur aus mäßigem oder geringem Versehen mitgewirkt, so haftet Jeder nur für sein eigenes Versehen. §. 32. Doch haften sie einer für alle, und alle für einen, wenn nicht aus­ gemittelt werden kann, welchen Theil des Schadens ein jeder durch sein besonderes Versehen angerichtet habe^). §. 33. In allen Fällen, wo einer von mehreren Mitschuldigen den ganzen aus Versehen entstandenen Schaden, oder doch mehr, als ihm nach Verhältniß sei­ nes Antheils an der Schadenszufügung oblag, ersetzt hat, kann er an die übrigen, wegen des von einem Jeden zu leistenden Beitrags, sich halten. §. 34. War aber der Schade von Mehreren vorsätzlich veranlaßt worden, so findet unter ihnen kein Regreß statt. §. 35. Dagegen muß Jeder von ihnen seinen Antheil, welchen er dem Be­ schädigten hätte vergüten müssen, wenn dieser sämmtliche Beschädiger auf ihren An­ theil belangt hätte-^0), der Armencasse des Orts zur Strafe entrichten'"). 1.

Verordnung zur Aufrechthaltung der öffentlichen Ordnung und der

dem Gesetze schuldigen Achtung. §. 11.

Vom 17. August 1835.

(G.S. S. 170.)

Für Beschädigungen an Sachen, welche bei solchen Gel egenheiten vorfallen, haften

nicht nur die Urheber derselben, sondern auch alle diejenigen solidarisch: a) welche sich bei einem Auflaufe irgend eine gesetzwidrige Handlung haben zu Schulden kommen lassen, und 29) Die Anlage und der Betrieb eines Koaksofens, wenn auch an sich erlaubt, schließt doch ein Versehen in sich, sobald dadurch dem Nachbar nach dem gewöhnlichen Laufe der Dinge ein Schaden zugefügt werden kann, und es kommen deshalb die §§. 29—32 d. T. zur Anwendung. O.Tr. II v. 26. Sept. 1867, Str. Arch. 68 S. 193. 30) Von selbst versteht sich, daß, so lange der Beschädigte von Keinem befriedigt worden ist, von keinem Regresse des Zahlenden, oder dessen, der in seine Stelle tritt, die Rede sein kann. 31) Das civilrechtliche Prinzip ist also auch im Falle des Dolus Theilung und Aus­ gleichung unter den Mitschuldnern, nur wird ihnen die Klage, wegen ihres Dolus, genommen, und der Armenanstalt, von Rechtswegen, gegeben. Suarez begründet dies so: Es sei schon gemeinen Rechtens, daß correi delinquendi in soliduni obligirt seien. Solchergestalt aber würden, wenn der eine correus den ganzen Schaden erstattet habe, die übrigen Teilnehmer an der vorsätzlichen Schadenszufügung'in vielen Fällen, wo just nicht Krimiualbestrafung statt­ finde, völlig ohne Ahndung davon kommen. Deswegen sei dieser Satz (§. 35) angenommen worden, der übrigens auch die Analogie für sich habe, da z. E. bei der condictio ex turpi causa, wenn turpitudo von beiden Seiten vorhanden, zwar kein Theil gegen den anderen eine Kon­ diktion habe, der Fiskus aber das turpiter et injuste acquisitum eripire. Jahrb. 61 S. 7. Für die Regreßklage bei kulposen Beschädigungen (die auch wahre Verbrechen sein können, z. B. fahrlässige Brandstiftung, fahrlässiger Todtschlag) wird kein Grund angegeben. Der Grund für den Regreß bei vorsätzlichen Beschädigungen aber ist eine Vermengung der Begriffe von Strafe und Obligation; der Analogie von der condictio ob turpem causam fehlt es an Ana­ logie, d. i. Ähnlichkeit. Die Rechtfertigung gewährt keinen Blick in die Tiefe des L.R. Bei dem Ansprüche mehrerer Schuldner derselben Schuld unter einander auf Ausgleichung kommt alles auf den wahren Rechtsgrund an. Der nächste Grund zwar ist die Gemeinschaft, aber die Frage ist nach dem eigentlichen Gegenstände der Gemeinschaft, ob es nämlich der Verpflichtungs­ grund, oder die Schuld sei. Begründet nämlich die gemeinschaftliche Verpflichtung zur Schuld die Gemeinschaft unter den Schuldern, dann folgt, daß correi delinquendi, nach der Regel (I. 3 S. 36), gar keinen Regreß unter sich haben und daß die Bestimmungen hier in den §§. 33—35 exceptionelle sind; es folgt ferner, daß mehrere Schuldner einer und derselben Schuld keinen Regreß haben, wenn sie nicht durch eine gemeinschaftliche Handlung die Verbindlichkeit eingegangen sind. Ist aber die Schuld der Gegenstand der Gemeinschaft, so entsteht der Regreßanspruch nicht aus einer turpis causa, sondern aus dem ehrbaren Rechts­ geschäfte der Zahlung, die Bestimmungen der §§. 33—35 sind dann regelrecht und es haben auch solche Mitschuldner, die sich einzeln verpflichtet haben, Anspruch auf Ausgleichung wegen der gemeinschaftlichen Schuld. Welches von Beiden nach dem L.R. anzunehmen sei, ist' nicht zu sagen; dem Verfasser selbst ist es nicht klar gewesen, und die Praxis hat sich auch noch nicht mit Bewußtsein ausgesprochen. Wie es damit steht, darüber s. m. die Anm. 37 zu I. 5 §. 445 verbunden mit der Anm. zu I. 3 §. 36.

Von Pflichten und Rechten aus unerlaubten Handlungen.

297

b) alle Zuschauer 32), welche sich an dem Orte des Auflaufs befunden und nach dem Ein­ schreiten der Orts- oder Polizeibehörde .nicht sogleich entfernt haben. Keine Entschuldigung eines Zuschauers wird beachtet, wenn seine Anwesenheit noch bei33)34dem Einschreiten der bewaffneten Macht stattgefunden hat. Denen, die sich nur in dem letzteren Falle befunden haben, bleibt der Regreß an die­ jenigen vorbehalten, die sich mit ihnen in demselben Falle befinden, zu gleichen Theilen, an die w Urheber und die Theilnehmer des Verbrechens aber für den ganzen von ihnen gezahlten Betrag.

2. Gesetz, betreffend die Verpflichtung der Gemeinden zum Ersatz des bei öffentlichen Aufläufen verursachten Schadens. Vom 11. März 1850. (G.S. S. 199.) Wir re. verordnen, unter Zustimmung beider Kammern, was folgt: S« 1 Finden bei einer Zusammenrottung oder einem Zusammenlaufe von Menschen durch offene Gewalt, oder durch Anwendung der dagegen getroffenen gesetzlichen Maaßregeln, Be­ schädigungen des Eigenthums, oder Verletzungen von Personen statt, so haftet die Gemeinde, in deren Bezirk diese Handlungen geschehen sind, für den dadurch verursachten Schaden^). 2. Die int §. 1. festgestellte Verantwortlichkeit tritt nicht ein, wenn die Beschädigung durch eine von außen her in den Gemeindebezirk eingedrungene Menschenmenge verursacht worden und in diesem Falle die Einwohner des letzteren zur Abwehr des Schadens erweislich außer Stande gewesen sind. 3. Im Falle des §. 2. liegt die Entschädigungspflicht der Gemeinde oder den Gemeinden ob, auf deren Gebiet die Ansammlung, oder von deren Bezirk aus der Ueberfall statt­ gehabt hat, es sei denn, daß auch diese Gemeinden erweislich nicht im Stande gewesen wären, den verursachten Schaden zu hindern. Mehrere nach den vorstehenden Bestimmungen verpflichtete Genreinden (§§. 1. und 3.) haften,

dem Beschädigten gegenüber, solidarisch. §. 4. Hat in einer Gemeinde eine Beschädigung der im §. 1. gedachten Art statt gefunden, so ist der Vorstand der Gemeinde berechtigt und auf Ansuchen des Beschädigten verpflichtet, den

altgerichteten Schaden vorläufig zu ermitteln und festzustellen. Bei dieser Ermittelung sind die Interessenten, so weit als möglich, zttzuziehen. £. 5. Wer von der Gemeinde Schadenersatz fordern will, muß seine Forderung binnen 14 Tagen präklusivischer Frist, nachdem das Dasein des Schadens zu seiner Wissenschaft gelangt ist, bei dem Gemeinde-Vorstande anmelden und binnelt 4 Wochen präklusivischer Frist nach dem Tage, an welchem ihin der Bescheid des Gemeinde-Vorstandes zugegangen ist, erforderlichen Falls gerichtlich geltend machell.

32) Zuschauer, nicht etwa alle Anwesende. Wer zufällig dort passirt und durch den Volkshaufen am Fortkommen augenblicklich verhindert wird, ist noch kein Zuschauer. Zuschauer ist derjenige, welcher freiwillig an dem Orte verweilt, um zuzusehen. 33) D. h. in dem Augenblicke, wo die bewaffnete Macht auf dem Schauplatze anlangt Doch kann das unmöglich entscheiden. Wer in demselben Augenblicke sich entfernt, kann nicht haften für den Schaden, der erweislich erst hinterher verursacht worden ist. Die Bestimmung setzt voraus, daß die Entstehung des Schadens älter oder der Zeit nach nicht festzustellen sei. Wer sich vor dem Einschreiten der bewaffneten Macht, aber nicht sogleich nach dem Einschreiten der Orts- oder Polizeibehörde entfernt hat, hastet zwar gleichfalls, aber doch muß er mit Ent­ schuldigungen wegen nicht sofortiger Entfernung gehört werden, deren Erheblichkeit der Richter zu 'ermessen hat. — Uebrigens tritt die fragliche Ersatzverbindlichkeit ein, mag an die Zuschauer eine besondere Aufforderung der Civilbehörde. sich zu entfernen, ergangen sein, oder nicht. O.Tr. v. 12. Dez. 1851, Entsch. 22 S. 126. 34) Die Genteinde hat die Verpflichtung, den Auflauf zu Hintertreiben'und die Beschädigung abzuwehren. Sie ist in der Lage, die Beschädiget: durch ihre Vorsteher zu ermitteln und sich an diesen zu erholen. Durch ihre prinzipale Haftung wird sie angetrieben, die Beschädigung abzuwehren, resp, die Thäter auszufinden. H. Ueber das Verhältniß des §. 1 zu H. 24 d. T. vergl. O.Tr. I v. 15. Febr. 1875, Entsch. 74 S. 124.

298

Erster Theil.

Sechster Titel.

(Zusätze) §§. 36—47.

8- 6. Bezüglich der Entschädigungspflicht derjenigen Personen, welchen eine solche nach Maaßgabe der besonderen Gesetze obliegt, wird durch vorstehende Bestimmungen nichts geändert. Der Gemeinde, welche ihrer Entschädigungspflicht Genüge geleistet hat, steht der Regreß an die für den Schaden nach allgemeinen Grundsätzen Verhafteten zu. §. 7. Bis zum Erlaß eines allgemeinen Gesetzes über eine Gemeinde-, Bürger- oder Schutz­ wehr sind die Bezirksregierungen ermächtigt, auf den Antrag der Gemeinden die Errichtung eines bewaffneten Sicherheits-Vereins anzuordnen. Urkundlich rc.

§. 36. Wer sich seines Rechts innerhalb der gehörigen Schranken'^) bedient, iM Mcht^er-darf den Schaden, welcher einem Andern daraus entstanden ist, nicht ersetzen, ^werden §. 37. Er muß aber denselben vergüten, wenn aus den Umständen klar er1) Wenn'der hellet, daß er unter mehreren möglichen Arten der Ausübung seines Rechtes dieÄu?ie?nes ienige, welche dem Andern nachtheilig wird, in der Absicht80), denselben zu beInwiefern

dLn?h°? schädigen, gewählt habe. §. 38. Wer gefährliche Handlungen an einem dazu unter öffentlicher Geneh­ migung bestimmten Orte und'zur erlaubten Zeit vornimmt, haftet nur für die 2) wenn die schädlichen Folgen, die aus Vorsatz oder grobem Versehen entstanden sind. schädliche^ §. 39. Ein durch unwillkürliche Handlungen verursachter Schade kann dem unwwwrÄch

war,

Handelnden nicht zugerechnet werden. §, 40. Wer sich selbst in einen vorübergehenden Zustand, in welchem er seiner Vernunft nicht mächtig ist, versetzt hat, muß auch den in diesem Zustande unwill­ kürlich verursachten Schaden ersetzen. 35) Anm. zu I. 8 §. 28. H. Beispiele in Betreff der Ersatzpflicht des Staates: O.Tr. III v. 22. Dez. 1873, Str. Arch. 90 S. 346, Entsch. 72 S. 1, und in Betreff der beanspruchten Ersatzpflicht einer Eisenbahngesellschaft wegen solcher Nachtheile, die dem Anlieger aus dem Eisen­ bahnbetriebe erwachsen, R.G. III H. v. 26. Mai 1880, Entsch. 2 S. 234. Ein Beispiel der Überschreitung der gehörigen Schranken durch Erhöhung des Grund und Bodens zum Schaden des Nachbars: O.Tr. II v. 1. Dez. 1874, Entsch. 73 S. 263. Wenn ein vorläufig vollstreckbares Erkenntniß, vor seiner Rechtskraft, auf den Antrag des Siegers vollstreckt wird, so geschieht dies immer auf Gefahr des Antragstellers, dieser muß daher dem Gegner das Interesse vergüten, wenn demnächst das Erkenntniß zu dessen Gunsten in letzter Instanz abgeändert wird. Daher haftet auch der Kläger, welcher das im Bagatellprozesse erwirkte obsiegliche Urtel hat vollstrecken lassen, dem Beklagten für das Interesse, wenn das Urtel hinterher auf das eingelegte Rekursgesuch zu Gunsten des Beklagten abgeändert worden ist. O.Tr. III v. 12. Sept. 1855, Str. Arch. 19 S. 37 ; Entsch. 31 S. 11. Daß die im Prozesse unterliegende Partei sich ihrer Befugniß zur prozessualischen Geltend­ machung ihrer Rechte innerhalb der gehörigen Schranken bedient habe, ist immer anzunehmen, sie ist daher der Gegenpartei für einen dadurch entstandenen Schaden nur nach Maßgabe des ihr zur Last fallenden und besonders zu erweisenden bösen Vorsatzes oder schuldbaren (vertret­ baren) Versehens verhaftet. O.Tr. IV v. 5. Juni 1855, Str. Arch. 17 S. 247. Das Versehen ist hier jedoch kein Grund zu irgend einer Verbindlichkeit. Vergl. §. 37 und die Anm. dazu. Der Jnterventionskläger ist bei einem ungünstigen Ausfälle des Jnterventionsprozesses zum Ersätze des dem Gegner durch die entbehrte vollständige Disposition über die streitige Sache während der Dauer des Rechtsstreites entstandenen Schadens nicht unbedingt, sondern nur nach Maßgabe eines bösen Vorsatzes oder zu vertretenden Versehens haftbar. O.Tr. IV v. 72. Jan. 1853, Str. Arch. 8 S. 251. H. Wenn Jemand Ersatz desjenigen Schadens beansprucht, der ihm durch die Art, wie ein Anderer sein Eigenthum benutzt, erwachsen ist, so hat er den Nachweis zu führen, daß der Andere bei Ausübung seines Rechtes die gesetzlichen Schranken überschritten habe, oder ihm mindestens ein vertretbares Versehen zur Last falle. O.Tr. II v. 16. Sept. 1873, Str. Arch. 89 S. 246. 36) Es muß ein wirklicher Mißbrauch des Rechts stattgefunden haben, d. h. eine vorsätzliche Auswahl einer Ausübungsart in der Absicht, um dadurch zu schaden. Vergl. die Anm. zu §. 27 der Einl. und I. 8 §§. 27, 28 Das grobe Versehen kann hier, wo es gerade auf Bös­ willigkeit und Vorbedacht ankommt, dem Dolus nicht zur Seite gestellt werden, wie es sonst civilrechtliche Regel ist (I. 3 H. 19), die jedoch auch noch manche andere Ausnahme hat. In so fern hat sich Koch's in seinem R. der Ford. 1 S. 266 der 1. Ausg. ausgesprochene Meinung geändert. H. Vgl. Rewoldt, das Verbot der Chikane, bei Gruchot 24 S. 677.

Von Pflichten "und Rechten ans unerlaubten Handlungen.

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§. 41. Wenn Wahn- und Blödsinnige, oder Kinder unter sieben Jahren Je-wenn der munden beschädigen, so kann nur der Ersatz des unmittelbaren Schadens aus ihrem wahn- Xr Vermögen gefordert werden3?). obc^eiSinb §. 42. Doch haftet das Vermögen solcher Personen nur alsdann, wenn der ist, Beschädigte den Ersatz aus dem Vernlögen der Aufseher oder der Aeltern38) nicht erhalten kann. (§. 57.) §. 43. Auch haftet dasselbe nur so weit, als dadurch dem Beschädiger der nöthige Unterhalt, und wenn er ein Kind ist, die Mittel zu einer standesmäßigen Erziehung nicht entzogen werden. §. 44. Hat der Beschädigte dergleichen Personen durch sein eigenes auch nur geringes Versehen zu der schädlichen Handlung veranlaßt, so kann er sich an das Vermögen derselben nicht halten. §. 45. Wer den Befehl dessen, dem er zu gehorchen schuldig ist, vollzieht, ^Befehl kann in der Regel zu keinem Schadensersatz angehalten werden 39). cmes Vorge§. 46. Er muß aber dafür haften, wenn die befohlene Handlung in den Ge- ^deu^ setzen ausdrücklich verboten ist. (§. 48.) 40). §. 47. Wer vermöge seines Standes oder Amtes die Befehle seiner Vor­ gesetzten ohne Einschränkung zu befolgen verpflichtet ist, von dem kann nicht gefor-

37) Diese regelwidrige Bestimmung' wird durch Berufung auf die natürliche Billigkeit ge­ rechtfertigt, in der Anm. zu II. 3 §. 34 des Entw. — H. Auf Unmündige zwischen 7 und 14 Jahren bezieht sich §. 41 nicht. O.Tr. I v. 14. März 1873, Entsch. 69 S. 263.

38) Wenn nämlich der Beschädiger sich in deren Aufsicht befindet.

39) Wenn z. B. ein Verwaltungsbeamter auf Requisition des Gerichts gegen einen Jagd­ kontravenienten die Konfiskation der von demselben gebrauchten Jagdgeräthe vollstrecken läßt, und demnächst von einem Dritten behauptet wird, daß ihm das Eigenthum derselben zustehe, so bleibt diesem zwar unbenommen, sein Eigenthumsrecht im Wege des Jnterventionsprozesses geltend zu machen, die Klage kann jedoch nicht gegen den Verwaltungsbeamten, von welchem die Konfiskation der Jagdgeräthe bewirkt worden ist, gerichtet werden. Auch ist der Rechtsweg, wenn der Beamte belangt wird, zufolge des G. v. 13. Febr. 1854 §. 3 (G.S. S. 86 u. Zus. zu Art. 97 der Verf.Urkunde, Th. II Tit. 13), ausgeschlossen. Entsch. des Komp.Gerichtsh. v. 30. Mai 1857, J.M Bl. 1858 S. 15. Der Gegner ist in einem solchen Falle, da der Erlös aus den konfiszirten Jagdgeräthen nicht zur Gerichtskasse, sondern zur Regierungskasse fließt (vergl. D. Str.G.B. §. 295), der Fiskus, vertreten durch die Bezirksregierung, und der Jagd­ kontravenient als Exequendus. 40) Die allgemeine Fassung wird auch hier der Anwendung hinderlich. Nicht alle aus­ drücklich verbotenen Handlungen machen den Beauftragten dem Beschädigten verantwortlich. Die Praxis sucht daher zu individualisiren. Die Besitzstörungen z. B. sind ausdrücklich verboten und begründen die Klage sowohl gegen den Urheber, als gegen die Theilnehmer, mithin auch den beauftragten physischen Urheber.' I. 7 §§. 148, 158. A.G.O I. 17 §. 40. Dennoch muß wohl, ohne Anwendung des §. 48 d. T., derjenige außer Verantwortung bleiben, welcher von der Ungebührlichkeit der aus Auftrag unternommenen Handlung kein Bewußtsein hatte. Wenn also z. B. ein Gutsherr seinem Knechte heißt, mit dem Wagen über ein Feldstück, welches, dem Knechte vielleicht unbewußt, einem Anderen gehört, zu fahren, so ist der Knecht ein willenloses Werkzeug, welchem die Handlung, wenn sie eine Besitzstörung enthält, nicht zugerechnet werden kann. §. 39 d. T. Entsch. des O.Tr. 18 S. 16. Denn es ist ein anzuerkennender Satz, daß die Besitzstörungsklage unbegründet ist, wenn der Handelnde nicht in der Absicht handelte, den Besitz des Anderen zu stören, selbst wenn sich die in Rede stehende Handlung äußerlich als Turbation darstellen möchte. O.Tr. III v. 12. Okt. 1860, Str. Arch. 40 S. 31. Anm. 21 zu I. 7 §. 150. Die Praxis geht aber noch weiter. Das Schwanken der Meinungen ist durch den Pl.Beschl. des O.Tr. v. 2. April 1849 beseitigt worden, welcher als Rechtssatz annimmt: der­ jenige, welcher aus Auftrag eines Dritten und für denselben eine besitzstörende Handlung unter­ nommen hat, kann sich von der gegen seine Person angestellten Besitzklage durch den mit Beweis gehörig zu unterstützenden Einwand befreien, daß ein solcher Auftrag zu Grunde gelegen habe. Entsch. des O.Tr. 18 S. 11. Der Satz geht viel zu weit, er tritt in geraden Widerspruch mit dem allgemeinen Grundsätze, daß bei unerlaubten Handlungen der physische wie der intellektuelle Urheber haften.

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Erster Theil.

Sechster Titel.

§§. 48—54.

dert werden, daß er einen in Dieustgeschäften ihm geschehenen Auftrag seiner Obern prüfe41). §. 48. Dem, der ans Unwissenheit einen gesetzwidrigen Befehl ausgerichtet hat, bleibt der Regreß gegen den Befehlenden Vorbehalten^). §. 49. Wer die Gränzen des erhaltenen Befehls überschreitet, macht sich alle­ mal zunl Ersatz des dadurch entstandenen Schadens verantwortlich. ^Schade bci^ §• 50. Wer einem Andern einen in den Gesetzen nicht gemißbilligten Auftrag Gelegenheit macht, haftet nicht für den voll selbigenl bei Ausrichtung dieses Auftrages verurtragesverur-sachten Schaden43). sacht worden. § 51. War aber der Auftrag unerlaubt, so haften wegen des Schadensersatzes der Machtgeber und der Bevollmächtigte, beide für einen und einer für beide (§. 30.), selbst, wenn der Bevollmächtigte die Gränzen des Auftrages überschritten hat. §. 52. War der Auftrag nur in Ansehung des Machtgebers allein, oder nur in Ansehung des Bevollmächtigten allein, unerlaubt, so hastet jeder von ihnen nur für seine eigene Schuld. §. 53. Hat der Machtgeber, bei der Auswahl eines untüchtigen Bevollmäch­ tigten, sich ein grobes oder mäßiges Versehen44) zu Schulden kommen lassen, so 41) Dabei ist hauptsächlich an Soldaten gedacht worden, und an solche Eivilbedienungen, in welchen eine strenge Subordination nothwendig ist. Dergleichen Eivilbedienungen sind'die Polizeistellen und die Steuerposten. 42) Dem Beschädigten bleibt er also verantwortlich, ohne sich mit Unwissenheit entschuldigen zu können. Die Bestimmung macht mithin keine Ausnahme von der im §. 12 der Einl. fest­ gesetzten Regel, aber in der Praxis findet sie keine volle Anwendung. Bergl. Anm. 40 und die Anm. zu I. 7 §. 148. 43) Bei der Frage: in wie fern der Staat durch die unerlaubten Handlungen seiner Beamten verbindlich wird, ist die zwiefache Persönlichkeit des Staats (Anm. 16 zu Einl. §. 80) zu unterscheiden. Der Staat im eminenten Sinne (die Staatshoheit) kann durch die unerlaubten Handlungen seiner, mit Ausübung der Negierungsgewalt beauftragten, Beamten niemals verbindlich gemacht werden, weil er Subjekt von Privatrechten oder Verbindlichkeiten gar nicht sein kann, Als Erwerbs­ gesellschaft (Fiskus) aber steht er auf gleicher Linie mit jeder anderen juristischen Person, d. h. eines fingirten Subjekts von Vermögensrechten. Dergleichen fingirte Personen sind aus natürlichen Gründen ganz willensunfähig; diejenigen physischen Personen, welche zu deren Vertretung ver­ fassungsmäßig berufen sind, legen ihren eigenen Willen jener fingirten Person unter und machen durch unerlaubte Handlungen nicht diese, sondern sich selbst verbindlich. Anm. zu §. 26 d. T. Bei Vertragsverhältnissen und der Nichterfüllung vertragsmäßiger Verbindlichkeiten handelt es sich nicht, wie hier, erst um die Begründung einer Verbindlichkeit, daher die hier geltenden Grundsätze dort nicht entscheiden. H. Der Rechtssatz, daß der Staat für die Verschuldungen seiner Beamten nicht hafte, hat durch §. 29 der Grundbuchordnung eine Aenderung erlitten. Der Staat haftet subsidiär für die Versehen der Grundbuchbeamten. 44) Zwei Stellen scheinen hiermit nicht zu harmoniren, nämlich §. 64 d. T. und I. 13 §. 36 ; in beiden Stellen ist von der wissentlichen Bestellung eines Untüchtigen die Rede, während hier nach g. 53 schon ein mäßiges Versehen hinreichen soll. Doch ist ein wirklicher Widerspruch nicht vorhanden, wenn man nur die richtigen Beziehungen wahrnimmt. Zu unterscheiden ist die Kenntniß des Auftraggebers über die Eigenschaften und Fähigkeiten des Beauftragten von der Handlung der Bestellung Weiß der Auftraggeber gar nichts von der Unzuverlässigkeit, so kann überhaupt nicht von der Zurechnung die Rede sein, wenn die Unfähigkeit nicht in die Augen fällt. Ein böser Vorsatz oder ein Versehen kann erst dann eintreten, wenn der Auftraggeber seinen Mann genau kennt. Nun ist aber eine solche Kenntniß der Persönlichkeit und der Dolus bei der Bestellung durchaus gar nicht zu identifiziren. Dolus ist dabei erst dann vorhanden, wenn der Besteller, in dem Bewußtsein der Untüchtigkeit, gerade wegen der Untüchtigkeit diesen Menschen anstellt Ein solcher böser Vorbedacht braucht aber gar nicht vorhanden zu sein; der Besteller kann aus Unbedachtsamkeit daran nicht denken, oder aus Fahrlässigkeit die Sache auf gut Glück gehen lassen: hier ist der Fall eines Versehens, obgleich der Auftraggeber die Untüchtigkeit des Beauftragten kennt. Der § 53 macht in dieser Hinsicht schon für ein mäßiges Versehen ver­ antwortlich; §. 64 d T. und 1. 13 §. 36 bestimmen keinen Grad der Schuld. Daraus folgt, daß derjenige Grad der Sorgfalt angewendet werden muß, welchen das Rechtsgeschäft nach

Von Pflichten und Rechten aus unerlaubten Handlungen.

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haftet er für den von selbigem auch bei der Ausrichtung eines erlaubten Auftrages durch seine Untüchtigkeit verursachten Schaden so weit, als der Beschädiger selbst zum Ersatz unvermögend ist. §. 54. Wer einen außerhalb dein Falle eines Contracts45) erlittenen Schaden ------------------seiner Beschaffenheit und nach den allgemeinen Regeln erfordert. — So versteht auch das O.Tr. diese Stellen Erk. I v. 22. Febr. 1861, Str. Arch 39 S. 367. Der §. 53 ist nicht auf das eigentliche Mandatsverhältniß oder den Vollmachtsauftrag (I. 13 §§. 5 ff.) zu beschränken, sondern auch auf den Befehl oder Auftrag von technischen Ver­ richtungen und mechanischen Arbeiten anwendbar. I 11 §. 897; Erk. des O.Tr. I v. 22. Febr 1861 a. a. O. u. v. 6. Juli 1856, Str. Arch. 25 S. 325. — Privilegirte Korporationen haften für die, durch ihre Beauftragten in 'Ausführung ihres Auftrages einem Dritten zugefügten Be­ schädigungen nur in so fern, als ihnen bei Auswahl ihrer Beamten ein grobes oder mäßiges Ver­ sehen zur Last fällt, oder der Auftrag selbst ein unerlaubter war. O.Tr. III v. 9. Okt. 1863, Str. Arch. 52 S. 19; H. vgl. auch das. 55 S. 18 u. Gruchot 24 S. 881 Nr. 97. 45) Die Ansprüche außer dem Falle eines vertragsmäßigen oder vertragsähnlichen Ver­ hältnisses sind gemeint, der §. 54 findet also auf ein vertragsmäßiges Recht keine Anwendung, wenngleich schon nach gesetzlicher Bestimmung Schadensersatz hätte gefordert werden können. O.Tr. IV v. 27. Nov. 1851, Str. Arch 3 S. 328. Denn man hat nicht beabsichtigt, für alle Klagen aus vertragsähnlichen Verhältnissen, ohne Rücksicht auf die Besonderheiten eines jeden derselben, eine kurze Verjährung ganz allgemein vorzuschreiben, sondern man hat an die actiones ex facto illicito gedacht. S uarez im Jahrb. 41 S. 7. Die Praxis des obersten Gerichtshofes war auch mit den Rechtslehrern darüber, daß die Bestimmung nur auf unerlaubte Hand­ lungen zu beziehen, lange einverstanden, bis ein Justiz-Ministerial-Reskr. v. 19. Jan. 1821 (Jahrb. 17 S. 5) eine ausgedehntere Anwendung in Anspruch nahm, und dann besonders in Beziehung auf öffentliche Verhältnisse, namentlich auf den Bergbau, die Verbindlichkeiten der Staatsdiener, die Expropriation u. dergl. die Anwendung streitig wurde. Zur Lösung dieser Zweifel erging die Deklaration v. 31. März 1838 (Zus. 3), wonach der §. 54 auf alle außer dem Falle eines Vertrages entstandenen Beschädigungen, sie mögen durch eine erlaubte oder unerlaubte Handlung verursacht sein, insbesondere auf Ansprüche wegen Beschädigungen, die bei Gelegenheit öffentlicher Anlagen, sowie bei dem Bergbaue zugefügt sind, ferner auf Ent­ schädigungsansprüche, welche gegen öffentliche Beamte aus ihrer 'Amtsführung von dritten Per­ sonen, nicht aber auf solche, welche vom Staate oder demjenigen, in dessen Diensten der Beamte angestellt ist, erhobest werden, — sich bezieht. Da jedoch wieder kein Rechtsprinzip gegeben ward, so entstanden neue Zweifel, wodurch der Pl.Beschl. (Pr. 2395) v. 6. Sept. 1851, Entsch. 23 S. 241, veranlaßt, den folgenden Grundsatz ausspricht: „Die Verjährung des §. 54 findet bei Verletzung bestehender, wenngleich nicht auf einen Kontrakt sich gründender Rechts­ verhältnisse, in so weit keine Anwendung, als die Klage nur die Natur eines Anspruchs auf Erfüllung oder Ersatz des Werths wegen verweigerter Erfüllung hat." (H. Vergl. hierzu noch O Tr. II v. 4. Juli 1876, Entsch. 78 S. 147 bes. 150.) Hiernach findet z. B. a) die dreijährige Verjährung nicht bei solchen Entschädigungsforderungen statt, welche aus Handlungen abgeleitet werden, die durch Exekution abgenöthigt sind; b) auf Kondiktionen ebenfalls nicht Anwendung. Pr. des O.Tr. 1833 v. 7. Mai 1847, Entsch. 15 S. 97. Ebensowenig c) auf einen Anspruch auf Grund des §. 53 des Regl. v. 29. April 1838 für die Feuersozietät der sämmtlichen Städte des Regierungsbezirks Gumbinnen wider den Versicherten wegen Erstattung der ihm gezahlten Brandentschädigungsgelder, weil es ein Anspruch aus der Assekuranz ist. Dagegen ist, wenn auf Grund des tz. 54 des gedachten Regl. der Ersatz der einem Dritten gezahlten Brandvergütigungs-Summe gefordert wird, diese Forderung nicht unter den Gesichts­ punkt eines Assekuranzanspruchs zu bringen und ist der kürzeren Verjährung des §. 54 d T. allerdings unterworfen. O.Tr. IV 2356 v 27. Nov. 1851, Entsch. 22 S. 283 „Das Pr. 2356 findet auf den Fall nicht Anwendung, wenn durch eine condictio indebiti auf Rückzahlung des geleisteten Feuerversicherungs-Quanti gegen den Versicherten geklagt wird, der nachher der vor­ sätzlichen Brandstiftung überführt wird." Pr. des O.Tr. 2483 v. 9. Nov. 1853 — In Wider­ spruch mit jenen festgestellten Rechtsgrundsätzen tritt das ältere Pr. 356 v. 31. Okt. 1837: daß die Vorschrift des §. 54 d. T. auch auf die Regreßansprüche ehemaliger Pflegebefohlenen an ihre gewesenen Vormünder Anwendung finde. Denn dergleichen Ansprüche haben ihren Rechtsgrund in dem Rechtsverhältnisse der Stellvertretung und ihre besonderen, eigenthümlichen Rechtsmittel (Klagerechte) auf Ersatz des Werths wegen unrichtiger oder mangelhafter Erfüllung. Eine andere Sache ist es, wenn nicht das Prinzip geleugnet, sondern nur für unanwendbar er­ klärt wird. Dies ist nicht Juris, sondern facti. Von dieser Art ist das Pr. 254 v. 20. Mai 1847: „Der Schade, welcher dem Gewerbetreibenden dadurch entsteht, daß er (in Folge der Steuergesetzgebung) die Geldstrafen wegen Defraudation seiner Gewerbsgehülfen im Falle ihres

amge densersatz ge-

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Erster Theil.

Sechster Titel.

§. 54 (Zusätze).

innerhalb dreier Jahre, nachdem das Dasein und der Urheber desselben zu seiner Wissenschaft gelangt sind 40), gerichtlich einzuklagen vernachlässigt4 ?), der hat sein Recht48) verloren. Unvermögens bezahlen muß, ist nicht als ein aus dem Dienstverträge entspringender anzusehen, und die Klage auf Erstattung desselben unterliegt der dreijährigen Verjährung." Denn der Schade entsteht doch ebenfalls durch Pflichtwidrigkeit in der Diensterfüllung. H. Daß die Parteien in einem Vertragsverhältnisse standen, schließt die Anwendung des §. 54 nicht aus, wenn ein außerkontraktlicher Schaden geltend gemacht wird. R.G. IV v. 30. Mai 1881, Gruchot 26 S. 413. 46) In Beziehung auf den Hauptverpflichteten beginnt die Verjährung mit dem Zeitpunkte, wo die beschädigende Handlung zur Wissenschaft des Beschädigten (und zwar zu einer solchen Kenntniß der Umstände, welche zur Substanziirung einer Klage genügt; O.Tr. I v. 22. Juni 1857, Str. Arch. 25 S. 255; das. 76 S. 46) gelangt; nicht etwa erst, wie man behauptet hat, von da an, wo die Handlung durch Anerkenntniß oder Urtel für eine unerlaubte erklärt worden ist. Pr. des O.Tr. v. 6. April 1833, Simon, Rechtsspr. 4 S. 15. Dies ist zweifelhaft ge­ worden, wodurch der Pl.Beschl. des O.Tr. (Pr. 2197) v. 22. April 1850, Entsch. 19 S. 3, ver­ anlaßt worden ist, welcher den Satz für richtig erklärt: „Das Eintreten der Verjährung bei einem außerhalb dem Falle eines Kontrakts erlittenen Schaden, innerhalb dreier Jahre, nach­ dem das Dasein und der Urheber desselben zur Wissenschaft des Beschädigten gelangt sind, wird dadurch allein nicht ausgeschlossen, daß über die Rechtmäßigkeit der beschädigenden Handlung unter den Parteien in einem Prozesse gestritten wird." Um diesen Satz, wonach sogar ein Prozeß zwischen den Parteien über die beschädigende Handlung die Verjährung nicht unter­ brechen soll, verständlich zu finden, muß man den veranlassenden Rechtsfall berücksichtigen. Der Fiskus hatte 1839 den einzigen, in einem Dorfe befindlichen, an der Gartenmauer seiner Domäne belegenen Röhrbrunnen abbrechen und in den Domänenhof verlegen lassen. Die Ge­ meinde erstritt, daß der Fiskus den Brunnen wieder an die frühere Stelle zurückzuverlegen habe. Nun klagte 1844 der Gastwirth des Dorfs auf Entschädigung wegen des durch die größere Entfernung des Wassers in der Zeit, wo der Brunnen innerhalb des Hofes gestanden hatte, ihm verursachten Nachtheil. Hier sind die Parteien, welche vorher über die Rechtmäßigkeit der Handlung gestritten haben, ganz und gar nicht dieselben. Der Gastwirth und die Ge­ meinde sind ganz verschiedene Personen. — H. Wird eine beschädigende Handlung wiederholt vorgenommen, so beginnt die Verjährung des Schadensanspruchs aus jeder dieser Handlungen mit der Erlangung der Kenntniß derselben, ihres Urhebers und des bewirkten Schadens. R.G. II H. v. 19. April 1880, Gruchot 25 S. 416. 11. Ein Maschinenputzer war in der Eisenbahnwerksttztte 1854 beschädigt, blieb aber in Dienst; als er 1869 wegen Dienstwidrigkeit entlassen wurde, klagte er aus der Beschädigung. Das R.O.H.G. v. 4. März 1873, Entsch. 9 S. 114 f., hat den Einwand der Verjährung für durchgreifend erachtet, weil Kläger schon gleich bei der Beschädigung Kenntniß von derselben erhalten habe. Betreffs der Hülfsverpslichteten beginnt die Verjährung erst von da an, wo die Zahlungs­ unfähigkeit des Hauptverpflichteten dem Gläubiger bekannt geworden ist. Pr. des O.Tr. v. 27. Juni 1836, Entsch. 3 S. 43; oder wo die Prinzipalverpflichtung sich als ungültig erweist, wie in dem Falle, wo ein Beamter wegen seines Versehens, z. B. ein instrumentirender Richter oder Notar wegen Nichtigkeit der Urkunde, aufkommen soll. Pr. des O.Tr. v. 18. Jan. 1847, Ulrich, Arch. 13 S. 320. In allen diesen Fällen der Subsidiarverpflichtung deshalb, weil früher keine Klage gegen die Hülfsverpflichteten stattfindet, folglich die Verjährung der noch nicht gegebenen Klage nicht beginnen kann. 'Dieser Rechtsgrundsatz ist durch ein Erk. des O.Tr. I v. 26. Nov. 1855, Str. Arch. 19 S. 124, verletzt. In diesem Falle wird behauptet, daß, wenn ein Rechtsmittel wegen verspäteter Präsentation der Anmeldung desselben für desert erklärt, dagegen aber behauptet wird, daß das Präsentatum falsch und die Anmeldung des Rechtsmittels innerhalb der gesetzmäßigen Frist beim Gerichte eingerettht worden sei, — die Verjährung der Regreßklage gegen den präsentirenden Beamten dadurch nicht gehemmt werde, daß in einem Nullitätsprozesse die Unrichtigkeit des Prüsentatums und die rechtzeitige Ein­ reichung der Anmeldung des Rechtsmittels gesucht wird. — Der Verletzte hat ja aber gegen den ihn verletzenden Beamten eher keine Regreßklage, bevor er nicht alle Rechtsmittel, die ihn: gegen den Hauptverpflichteten zu Gebote stehen, fruchtlos angewendet und verfolgt hat. Daß übrigens ein solcher Fall vorkommen kann, ist ein Mangel unseres Prozeßverfahrens, worüber sich Koch in der Anl. zum preußischen Prozeßverfahren 2 §. 36 Nr. 6 ausgelassen hat. 47) Durch die rechtskräftige Verurteilung eines Beschädigers zum Ersätze des verursachten Schadens ist dieser Anspruch der 3 jährigen Verjährung entzogen; diese Verjährung steht der erst später erhobenen Klage auf Feststellung des Betrages der Entschädigung nicht entgegen. I. 9 8- 558; Erk. des O.Tr. III v. 22. Juni 1863, Str' Arch. 49 S. 298.

Von Pflichten und Rechten aus unerlaubten Handlungen.

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3. Deklaration vom 31. März 1838. (G.S. S. 252.) Wir rc. erklären zur Beseitigung der Zweifel über die Auslegung des §. 54. Tit. 6. Th. I. des Allgemeinen Landrechts auf den Antrag Unsers Staatsministeriums und nach erfordertem Gutachten Unsers Staatsraths, daß die Vorschrift dieses Paragraphell auf alle, außer dem Falle eines Kontrakts entstandene Beschädigungen, sie mögen durch eine erlaubte oder unerlaubte Hand­ lung verursacht seyn, zu beziehen ist. 1) Sie findet hiernach Anwendung auf Ansprüche wegen Beschädigungen, die bei Gelegenheit öffentlicher Anlagen4Ö), so wie bei dem Bergbau zugefügt find. Die Vergütung für das zu solchen Anlagen abzutretende Eigenthums- oder Nutzungsrecht50) ist hierunter nicht be­ griffen, sondern der ordentlichen Verjährung unterworfen. 2) Sie findet ferner Anwendung auf Entschädigungs-Ansprüche, welche gegen öffentliche Beamte aus ihrer Amtsführung von dritten Personen 61), nicht aber auf solche, welche von dem Staate oder demjenigen, in dessen Diensten der Beamte angestellt ist, erhoben werden. Wenn der Beschädiger sich zugleich mit dem Schaden des Andern einen Vortheil verschafft hat, so tritt die ordentliche Verjährung ein, so weit der Anspruch des Beschädigten die Höhe jenes Vortheils nicht übersteigt^").

48) Das ganze Recht, auch in den Fällen, wo der aus einer Handlung entstehende, dem Beschädigten bekannt gewordene Schade so beschaffen ist, daß er, obwohl im wechselnden Um­ fange, sich auch in der Zukunft erneuert. O.Tr. Pl. v. 20. März 1846, Entsch. 13 S. 19. (H. D. h. wenn die Erneuerung vorausgesehen werden kann und muß, Str. Arch. 76 S. 46 [III]; wenn das Eintreten der nachtheiligen Folgen und ihre Fortdauer in die Zukunft sich sogleich bei dem Bekanntwerden der schädlichen Handlung erkennen lassen. O.Tr. III v. 18. Sept. 1874, Str. Arch. 92 S. 258, u. v. 13. Okt. 1876, das. 96 S. 308. Das R.O.HG. ist dem Pl.Beschl. v. 20. März 1846 beigetreten, Erk. v. 15. Mürz 1875, Entsch. 16 S. 178.) — Dadurch ist dem früheren Meinungsstreite in der Praxis ein Ende gemacht. Ein so Beschädigter, welcher die: künftige Erneuerung der Schäden in Folge der ursprünglichen schädlichen Ursache nicht voraus zu berechnen vermag, ist nun in der Lage, daß er über das Prinzip der Schadloshaltung für alle Zukunft, mit Vorbehalt der künftigen Ermittelung der Quanta, prozessiren muß. Das O.Tr. hat diesen Pl.Beschl. dahin deklarirt: „Daß der Beschädigte auch in solchem Falle, wenn er innerhalb dreier Jahre seit der Beschädigung den Schaden, der ihm an Kurkosten resp, entgangenem Arbeitsverdienst bis zu einem bestimmten Tage erwachsen war, eingeklagt hat, sich den Anspruch auf Ersatz von späteren Nachtheilen aus der beschädigenden Handlung, die außer ihren anfänglichen Folgen noch späterhin eintreten möchten, sich aber noch nicht bestimmt vor­ hersehen ließen, nur dann erhalte, wenn er innerhalb der 3 Jahre nicht bloß den bis dahin erwachsenen Schaden, sondern allgemein die Entschädigungspflicht, vorbehaltlich künftiger Er­ mittelung des Quanti, zur rechtlichen Erörterung bringt, ist in dem Pl.Beschl. nicht aus­ gesprochen. Derselbe betrifft vielmehr den von dem vorliegenden verschiedenen Fall, wenn sich das Eintreten nachtheiliger Folgen aus einer beschädigenden Handlung und ihre Fortdauer für die Zukunft erkennen ließen, und der Beschädigte die dreijährige Frist seit seiner Kenntniß von der in solcher Art schädlichen Handlung versäumt hat." Erk. I v. 5. Jan. 1866, Str. Arch. 61 S. 317. 49) Anlaß zu dieser Bestimmung sind die Fülle gewesen, wo dafür Ersatz gefordert worden, daß bei Gelegenheit oder in Folge öffentlicher Anlagen Schäden entstanden waren. Das Pr. 33 des O.Tr. v. I. 1833 hatte den Grundsatz ausgesprochen: der Einwand der dreijährigen Ver­ jährung des Entschädigungsanspruchs wegen der, in Folge einer fiskalischen Kanalanlage seit 1787 erfolgten Versandung eines Grundstücks ist zu verwerfen, und es steht nur die dreißig­ jährige Verjährung dem Ansprüche entgegen. Die Jurisprudenz wird durch die Deklaration reprobirt. H. Die Deklaration findet auch auf den Fall Anwendung, wenn die Anlage nur mittel­ bar in ihren Folgen einen Schaden für den angrenzenden Grundeigenthümer herbeigeführt und sie selbst in den Eigenthumskreis desselben nicht eingegriffen hat. O Tr. II v. 4. Juli 1876, Entsch. 78 S. 147. Vgl. dagegen das Urth. des R.G. III H. v. 26. Mai 1880, Entsch. 2 S. 234 (243). 50) Sowie die Vergütung für die Schmälerung oder Einschränkung des Eigen­ thums- oder Nutzungsrechts im öffentlichen Interesse; weil darin eine theilweise Abtretung zu solchen Anlagen liegt. Vergl. Pr. des O.Tr. v. 25. Sept. 1848, Rechtsfälle 4 S. 401, u. II v. 23. April 1868, Str. Arch. 71 S. 122. 51) Juristisch richtig ist der Satz nicht, aber er hat nun gesetzliche Kraft. 52) Wegen Ersatzes der gestohlenen Sache kann also gegen den Dieb, welcher sich die Sache zu Nutze gemacht hat, und gegen den Theilnehmer an den Vortheilen des Diebstahls.

304

Erster Theil.

Sechster Titel.

(Zusätze) §§. 55—69.

4. Gesetz.... vom 1. März 1869. (G.S. S. 377.) In den Bezirken der Provinz Hannover, in welchen das Allgemeine Landrecht gilt, treten in Kraft: 3) die Deklaration des §. 54. Titel 6. Theil I. des Allgemeinen Landrechts, betreffend die Ver­ jährungsfrist bei einer Schadensersatzforderung, vom 31. März 1838. (Gesetz-Samml. S. 252.);

§. 55. Sind seit dem Zeitpunkte der Schadenszufügung dreißig Jahre ver­ flossen, so kommt es auf den Zeitpunkt der erlangten Wissenschaft nicht weiter an. Von Scha§. 50. Wer eines Andern unwillkürliche Handlung, wodurch derselbe sich selbst, durch'andere oder einem Dritten schädlich geworden ist, aus Vorsatz, grobem oder mäßigem 5S) ^o!lder?^ Versehen veranlaßt hat, haftet für den dadurch verursachten Schaden. 57. Gleiche Verbindlichkeit hat der, welcher die über Wahn- und Blödsin­ nige oder über Kinder unter sieben Jahren ihn: obliegende Aufsicht gröblich oder auch nur aus einem mäßigen Versehen vernachlässigt (§. 41—44.)54). §. 58. Wer eine unerlaubte Handlung befiehlt, haftet hauptsächliche) für den daraus entstandenen Schaden. §. 59. Wer wissentlich etwas geschehen läßt, was er zu verhindern schuldig und vermögend gewesen, hat eben die Verantwortung, als ob er solches befohlen hätte. (Tit. 3. §. 26. sqq.)56). durch Dienst§. 60. Für den von Dienstboten zugefügten Schaden ist die Herrschaft in der oten' Regel nicht verantwortlich ^).

§ 61. Wer aber wissentlich geschehen läßt, daß sein Gesinde einem Andern einen Schaden zufügt, der wird als Teilnehmer an der unerlaubten Handlung des Gesindes angesehen. (§. 59.) §. 62. Wer Gesinde, das durch einen überwiegenden Hang zu groben Lastern, durch einen hohen Grad von Blödsinn oder Schwermuth, oder durch ansteckende Krankheiten, Andern gefährlich werden kann, wissentlich in Dienste nimmt, oder darin behält '^), der haftet für alle Gefahr. innerhalb der ordentlichen Verjährung geklagt werden. Die Vindikation der Sache selbst ist auch hieran nicht gebunden. 1. 9 §§. 579, 584, 648. Das ist von dem O.Tr. III in den Sitzungen v. 4. u. 30. Nov. und 9. Dez. 1859, Entsch. 42 S. 35, Str. Arch. 35 S. 328, als Rechtswahrheit angenommen und überzeugend be­ wiesen worden, und zwar dergestalt, daß der Dieb, selbst der minorenne, noch nach Ablauf der dreijährigen Verjährung, nicht nur zur Zurückgabe der gestohlenen Sache, sondern auch zur Erstattung ihres vollen Werthes verpflichtet ist, ohne daß es darauf ankommt, was er für die­ selbe erhalten hat und ob er davon zur Zeit der Klage noch reicher ist. — Das ist den Grund­ sätzen der condictio sine causa, von welcher die condictio furtiva nur eine Anwendung ist, vollkommen entsprechend. 53) Nach einem Vermerke von Suarez zu einem Monitum gegen den Entwurf, daß auch ein geringes Versehen vertreten werden müsse, ist man absichtlich über das mäßige Versehen nicht hinausgegangen. 54) Vergl. II. 2 §§. 139—146, 167 u. 203. — Aus der Vergleichung dieser Stellen mit §§. 57 u. 41, 42 d. T. ergeben sich die Regeln: Kinder unter sieben Jahren haften subsidiarisch. Kinder über sieben Jahren haften, sammt den Eltern, dem Beschädigten solidarisch. 55) Das bezieht sich freilich auf die Art der Haftbarkeit, im Gegensatze zur subsidiarischen Haftbarkeit. Dadurch soll aber kein Gegensatz zur Haftbarkeit des Befehligterr allgemein vor­ geschrieben, vielmehr nur das außer Zweifel gesetzt werden, daß der Befehlende jedenfalls Hauptschuldner sei. Ob der Befehligte hafte, ist nach §§. 45 u. 47 d. T. zu bestimmen. Haftet er, so ist er schlechtweg correus und hat nur im Falle des §. 48 den Regreß. 56) H. Z. B. wer eine schädliche Maschine in seiner Wirthschaft gebrauchen läßt. Str. Arch. 83 S. 138 (I). — O.Tr. III v. 6. Okt. 1873, Str. Arch. 89 S. 317. — Dem Gedanken des §. 59 ist in einzelnen Spezialgesetzen eine etwas weitergehende, z. B. die Beweislast zum Nach­ theil der verantwortlichen Person verschiebende Folge gegeben. Vgl. Gesetz, betr. den Forst­ diebstahl, v. 15. April 1878 §§. 11, 12. 57) Eine Ausnahme macht die Beschädigung durch Thiere. S. §. 73 und die Anm. 66 dazu. 58) Nämlich länger behält, als er es nach der Gesindeordnung schuldig ist; denn nach deren Vorschriften darf die Herrschaft das Gesinde nicht immer sogleich entlassen.

Von Pflichten und Rechten aus unerlaubten Handlungen.

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§. 63. Für den durch Dienstboten angerichteten Feuerschaden haftet die Herr­ schaft auch alsdann, wenn ihr die Unvorsichtigkeit des Gesindes bei dem Gebrauche von Feuer und Licht bekannt gewesen ist, und sie dasselbe dennoch beibehalten hat59). §. 64. Wenn Jemand zu einem Geschäfte ein dazu untüchtiges Gesinde wissentlich bestellt, so haftet er für den Schaden, welcher einem Dritten bei der Ausrichtung des Geschäftes, durch die Untüchtigkeit des Gesindes zugefügt worden 60).61 §. 65. In Ansehung der Handwerksgesellen und Lehrjungen haben die Meister durch Handdie den Dienstherrschaften aufgelegten Pflichten. ^undÄhr-" §. 66. Wer wissentlich Miethsleute duldet3^), die mit Feuer und Licht, bei AMhslemc dem Auswerfen, oder Ausgießen, oder in Verschließung des Hauses, unvorsichtig oder und nachlässig zu verfahren gewohnt sind, der haftet für allen durch selbige auf dergleichen Art verursachten Schaden. §. 67. In allen vorstehend bestimmten Fällen (§. 62—66.) 62) haften jedoch die Herrschaft, der Meister oder Hauswirth nur in so weit, als der Schadensersatz aus dem Vermögen des Beschädigers nicht erfolgen kann. §. 68. Sobald erhellet, daß ein Schade durch Jemandes Gesinde, Handwerks­ gesellen, oder Lehrjungen, oder durch die Bewohner seines Hauses63) verursacht wor­ den ; und die Herrschaft, der Meister oder Hauswirth kann die Person des Beschä­ digers nicht nachweisen, so ist derselbe dem Beschädigten zur Schadloshaltung haupt­ sächlich verhaftet. §. 69. Ob in den Fällen des §. 56—68., wo Jemand für den von Andern ver­ ursachten Schaden haften muß, derselbe nur den unmittelbaren, oder auch den mittel­ baren Schaden, und den entgangenen Gewinn vertreten müsse, ist nach dem Grade seiner Verschuldung und den Vorschriften §. 10—21. zu beurtheilen.

59) Das Gleiche gilt auch hier: die Herrschaft muß ein solches Gesinde zuvor warnen und kann es erst entlassen, wenn es sich nicht bessert. Ges.O. §. 126. Daß es sich nicht gebessert hat, kann die Herrschaft nicht eher wissen, als bis das Gesinde rückfällig wird, bei dein Rück­ falle aber kann gerade der Feuerschaden verursacht werden. Für diesen braucht die Herrschaft nicht aufzukommen, wenn sie von ihrem Rechte gegen das Gesinde Gebrauch gemacht und mit der Warnung vorgegangen ist. Anm. zu §. 126 der Ges.O. (II. 5.) 60) Von Hausoffizianten gelten die Grundsätze wie vom gemeinen Gesinde, so weit nicht besondere Ausnahmen ausdrücklich gemacht sind, II. 5 §. 186. Erzieher und Privatsekretäre, sowie Handlungsdiener, sind keine Hausoffizianten. 61) Länger duldet, als er nach dem Miethskontrakte schuldig ist. 62) Es ist dabei immer vorausgesetzt, daß der Meister oder Herr in keinem besonderen Kontraktsverhältnisse zu dem Beschädigien stehe, sondern aus der allgemeinen Beaufsichtigungs­ pflicht haften solle. Im Falle er in einem Vertragsverhältnisse steht, haftet er lediglich nach diesem. Ein Miether z. B. kann sich dadurch nicht von seiner Vertragsverbindlichkeit, die Sache im gehörigen Stande wieder zurückzugeben, und sie während des Gebrauchs in demselben zu erhalten, freimachen, daß er seinen Gesellen oder Lehrjungen als Beschädiger angiebt. Aber wenn ihm ein nach diesem Rechtsverhältnisse vertretbares Versehen nicht zur Last fällt, und also der Beschädiger Hauptschuldner ist, wird jener aus diesem allgemeinen Grunde subsi­ diarisch haften. 63) Damit sind auch die Gäste des Wohnungswirthes inbegriffen. Ich sage: des Wohnungs­ wirthes. Das Gesetz nennt den Herrn des Hauses, womit kein Anderer als der Herr der Woh­ nung gemeint sein kann; denn auf abwesende Hauseigenthümer, die ihr Haus im Ganzen vermiethet haben und vielleicht weit davon an einem anderen Orte wohnen, kann die Vorschrift unmöglich angewendet werden. Durch die Vorschrift ist die actio de eftiisis et dejectis allgemein auf sehr verschieden­ artige Fälle, die darunter nicht passen, ausgedehnt. Jedenfalls kann die Bestimmung nicht auf Beschädigungen angewendet werden, welche außer dem Bereiche des Herrn oder des Meisters von den genannten Angehörigen desselben verursacht worden. Was diese außer seiner Wohnung unternehmen, ohne daß er gegenwärtig ist, kann er nicht verantworten. H. Dem Hauswirth steht der Miether eines bestimmten Lokals gleich. O.Tr. III v. 24. Nov. 1873, Str. Arch. 92 S. 75. 20 Kach, 9(((ßcmcincv Landrecht. I. 8. Anfl.

306

blicrutw’c worden,

Erster Theil.

Sechster Titel.

§§. 70—85.

§■ 70. Wer ohne obrigkeitliche Erlaubniß wilde oder andere Thiere hält, die vermöge ihrer Natur den Menschen oder den in der Wirthschaft nützlichen Thieren schädlich sind, und in den Häusern oder auf dem Lande gewöhnlich nicht gehalten werden, der haftet für allen durch selbige verursachten Schaden. §. 71. Eine gleiche Vertretung trifft denjenigen, welcher, auch nach erhaltener Erlaubniß, die gehörigen Maaßregeln zur Abwendung des von solchen Thieren zu befürchtenden Schadens verabsäumt. §. 72. Wer Thiere hält, die zwar ihrer Natur nach nicht schädlich sind, aber auch in der ländlichen oder städtischen Haushaltung nicht gebraucht werden; der haftet für allen durch selbige, auch ohne seine besondere Schuld64), verursachten unmittelbaren Schaden. §. 73. Bei andern von Natur unschädlichen Thieren haftet der Eigenthümer"») nur für den Schaden, welcher aus der verabsäumten"") Aufsicht über sie entspringt. §. 74. Wer aber weiß, daß ein Thier, wider die Natur seiner Art, schädlich sei, und dennoch die gehörigen Maaßregeln zur Verhütung nachtheiliger Folgen ver­ absäumt; der ist dem Beschädigten zur vollen Genugthuung verpflichtet *7). §. 75. Wer ein von Natur unschädliches, oder ein mit obrigkeitlicher Erlaub64) Nach den Grundsätzen der röm. actio de pauperie", nur ohne die damit zusammen­ hängende noxae datio. Man hat diese singuläre Vorschrift gegeben, weil es in der natürlichen Billigkeit gegründet sei, daß Niemand seinen: Vergnügen mit Gefahr und Nachtheil für seine Mitbürger nachhängen könne, und daß, wenn ein solches Thier Schaden gethan hat, der Eigen­ thümer wenigstens diesen Schaden ersetzen müsse. Bei den Römern, fügt Suarez bei, war dies der eigentliche Fall, wo das Thier noxae gegeben werden mußte. Ges.Nev.Pens. XIV, Mot. zum Entw. Tit. 6 S. 178. Warum die noxae datio nicht gestattet sein solle, wird nicht gesagt. 65) Oder Besitzer. Pr. 2317 in der Anm. 67. 66) Nämlich von dem Eigenthümer (oder Besitzer) selbst versäumten Aufsicht; für seine an sich tüchtigen Dienstleute haftet der Eigenthümer nicht. O.Tr. I Pr. 2685 v. 20. März 1857, Entsch. 35 S. 378. (H. Vgl. auch R.G. V v. 22. Okt. 1881, Gruchot 26 S. 929.) Anderer­ seits hat das O.Tr. in dem Pr. 1300 v. 20. Mai 1843 den Satz aufgestellt: Wo nicht nach Provinzialverordnungen oder auch nach L.R. I, 22 §. 185 bei Schonungen eine Aenderung ein­ tritt, da hastet für den durch Thiere auf fremden Grundstücken angerichteten Schaden der Eigen­ thümer der Thiere unmittelbar, und braucht sich der Beschädigte au den Hirten nicht verweisen zu lassen. In der Absicht des Berf. scheint dies nicht gelegen zu haben, denn Suarez sagt a. a. O.: „Werden die Thiere zum Gebrauche gehalten, so haftet der Eigenthümer nur alsdann, wenn er die nöthige Aufsicht über dieselben überhaupt vernachlässigt." Dabei ist auf den §. 73 verwiesen. Darnach ist der in dem Pr. 1300 festgestellte Satz auf Beschädigungen der Wald­ schonungen durch weidendes Vieh zu beschränken. Vergl. O.Tr. I v. 6. Juli 1857, Str. Arch. 25 S. 325. Die Provinzialverordnungen über das Austreiben des Viehes enthalten gewöhnlich andere Vorschriften. H. Die Bestimmung des §. 73 wird modifizirt durch das Feld- u. Forstpolizeigesetz v. 1. April 1880, G.S. S. 330 §§. 69 ff., insbesondere durch die Bestimmung in §. 76, daß die gepfändeten Thiere für den entstandenen Schaden und für alle durch die Pfändung und die Schadensfeststellung verursachten Kosten haften; ferner durch das in §. 69 dem Beschädigten eingeräumte Recht, nach seiner Wahl die Erstattung des nachweisbaren Schadens oder die Zahlung eines Ersatzgeldes zu verlangen; mit der Geltendmachung des Anspruches auf Ersatzgeld erlischt das Recht auf Schadenserstattung. Der Anspruch auf Ersatzgeld ist unabhängig von dem Nach­ weis eines Schadens (§. 69 Abs. 2), verjährt in vier Wochen (§. 70) und kann in allen Fällen gegen den Besitzer der Thiere unmittelbar geltend gemacht werden (§§. 74, 78). Ueber die Höhe des Ersatzgeldes verhalten sich die §§. 71—73. 67) Das Gleiche wird gelten bei Thieren, welche an sich nicht schädlich sind und in der Landwirthschaft gehalten zu werden pflegen, z. B. Ziegen. — Die Vorschrift findet jedoch nur gegen denjenigen Anwendung, in dessen Eigenthume oder Besitze das beschädigende Thier zur Zeit der Anrichtung des Schadens befindlich war. Pr. 2317 O.Tr. I v. 1. Okt. 1851, Entsch. 21 S. 188. Wer also ein schädliches Thier erwirbt und von demselben beschädigt wird, kann den vorigen Eigenthümer, wegen unterlassener Benachrichtigung von der ihm bekannten Schädlichkeit, nicht auf Grund dieser Vorschrift auf Schadloshaltung belangen.

Von Pflichten und Rechten aus unerlaubten Handlungen.

307

mß gehaltenes schädliches Thier reizt, ober sonst durch eigene Unvorsichtigkeit zu Schadenszufügungen durch dasselbe Anlaß giebt, kann für sich selbst keine Schad­ loshaltung fordernos). §. 76. Wird dadurch ein Anderer beschädigt, so ist derjenige, welcher das Thier gereizt oder die Unvorsichtigkeit begangen hat, zum Ersatz dafür verpflichtet09). §. 77. Der fchuldigc Eigenthümer und der, welcher das Thier gereizt hat, haften dafür als Mitschuldige. (§. 30. sqq.) §. 78. Wenn die Thiere zweier Eigenthümer ohne weitere Anreizung einander beschädigen, so haftet nur der, welcher bei der Aufsicht über das schädlich gewordene Thier feine Pflicht vernachlässigt hat7o 68).69 §. 79. Wenn ein Schade geschehen ist, so muß alles, so viel als möglich wieder in den Zustand gesetzt werden, welcher vor der Anrichtung des Schadens vor- mju leisten. Handen nm71).72 §. 80. Kann durch diese Wiedererstattung der Beleidigte nicht hinreichend ent­ schädigt werden, so muß der Beschädiger ihm das daran noch Fehlende anderweitig vergüten,2). §. 81. Ein Gleiches muß geschehen, wenn die Erstattung unmöglich ist73). §. 82. Ist die Sache ganz verloren gegangen, vernichtet oder unbrauchbar geworden, so muß ' bet Beschädiger deren ganzen durch Gesetze bestimmten Werth vergüten. §. 83. Ist der Werth durch Gesetze nicht bestimmt, so muß bei Sachen, die einen gewöhnlichen Gegenstand des Verkehrs auf Messen oder Märkten ausmachen, "Sachen!"

oder worüber Preis-Couranten gehalten werden, derjenige Werth, welchen Sachen derselben Art zur Zeit des Verlustes gehabt haben, ersetzt werden. §. 84. Bei andern Sachen werden die Beschaffenheit und die Eigenschaften der­ selben zur Zeit des Verlustes durch Beweis ausgemittelt, uud sodann wird der Werth nach dem Gutachten der Sachverständigen bestimmt. §. 85. Ist der Schade aus Vorsatz oder grobem Versehen zugefügt worden, so muß der höchste Werth, welchen die Sache, nach obigen Bestimmungen (§. 82. 83. 68) Bergl. §§. 20 und 21 d. T. — L. 1 §.11; L. 2 §. 1 D. si quadrupes (IX, 1); L. 11 pr. D. ad leg. Aquil. (IX, 2). 69) L. 9 §. 3; L. 11 §. 5 D. ad leg. Aquil. (IX, 2); L. 1 §§. 4—6 D. si quadrupes (IX, 1). 70) Abweichend von L. 1 §§. 8 u. 11 D. si quadrupes, wegen der Verschiedenheit im Prinzip bezüglich auf den Verpflichtungsgrund. Der Aufseher hat den Grad von Sorgfalt anzuwenden, welchen sein Rechtsverhältniß nach der allgemeinen Regel mit sich bringt, demjenigen gegenüber, zu welchem er in Verhältniß steht. Dem Dritten gegenüber muß er für omnis culpa haften. 71) H. Der in §. 79 ausgedrückte Grundsatz kann zur Interpretation der §§. 277 f. I. 5 herangezogen werden. R.O.H.G. v. 2. Dez. 1875, Entsch. 18 S. 389. Vgl. auch Str. Arch. 98 S. 319, 100. S. 313 (315). 72) Zur Begründung des Anspruchs eines Grundeigenthümers gegen den Bergbauenden auf Wiederverschaffung des früheren Wasserstandes und auf Schadensersatz wegen Entziehung und resp, bewirkter Verminderung des Wassers in Quellen und Wasserbehältern ist der Nachweis, daß das noch vorhandene Wasser zu dem davon zu machenden bestimmten Gebrauche nicht aus­ reiche, sowie die Bezeichnung der Art des entstandenen Schadens erforderlich. Der Bergbauende kann von dem Beeinträchtigten nicht unbedingt auf Wiederverschaffung des entzogenen Wassers, sondern nur alternativ — entweder auf Wiederverschafsung des Wassers, oder auf Entschädigung — in Anspruch genommen werden. O.Tr. III v. 7. Okt. 1853, Str. Arch. 10 S. 191. Das judikatmäßige Recht des Besitzers eines Grundstückes, zu verlangen, daß der Nachbar die vorgenommenen Beschädigungen dieses Grundstückes beseitige und dafür Entschädigung leiste, geht ohne ausdrückliche Eession als ein subjektiv dingliches auf den späteren Erwerber des be­ schädigten Grundstückes über. Erk. dess. III v. 18. Juni 1852, Str. Arch. 5 S. 320. 73) Bei fortwirkenden Beschädigungen hat der Beschädigte die Wahl: ob er eine Kapital­ abfindung oder eine Rente fordern will. Pr. des O.Tr. von 1827, Simon' s Rechtspr. 1 S. 77.

308

Erster Theil.

Sechster Titel.

§§. 86-97 (Zusatz),

§. 98.

64.), in dem Zeitraume zwischen der Schadenszufügung und der dem Beschädiger zu­ gestellten Klage^) gehabt hat, vergütet werden. §. 86. Auch haftet in einem solchen Falle der Beschädiger für den außer­ ordentlichen Werth. §. 87. Für den Werth der besonderen Vorliebe haftet er nur alsdann, wenn die Beschädigung vorsätzlich zugefügt worden ist. 88. Ist der Schade durch ein mäßiges oder geringes Versehen entstanden, so darf nur der, zur Zeit der Schadenszufügung vorhanden gewesene, gemeine Werth ersetzt werden. §. 89. Ist durch den Schaden der Werth der Sache nur vermindert worden, so muß derjenige Werth, welchen die Sache vor der Beschädigung gehabt hat, nach obigen Grundsätzen ausgemittelt, und mit dem gegenwärtigen Werthe derselben verglichen werden. §. 90. Ditz daraus sich ergebende Verminderung des Werths muß der Be­ schädiger vergüten 7d). §.91. Ist jedoch der Schade an einer beweglichen Sache zugefügt worden, so hat der Beschädigte die Wahl: ob er mit dieser Vergütung sich begnügen, oder von dem Beschädiger den ganzen nach §.89. ausgemittelten vormaligen Werth, gegen Ueberlassung der Sache, fordern wolle76 74).75 74) In den in Bezug genommenen §§. 82—84 ist nur von dem Werthe zur Zeit des Verlustes die Rede; hier im §. 85 soll der höchste Werth ersetzt werden, welchen die Sache in dem bezeichneten Zeitraume gehabt hat. Was den Endtermin betrifft, so paßt er zum Prozeß­ verfahren nicht recht, weil er eine Erhöhung der Forderung nach Anbringung der Klage zuläßt, wenn zwischen diesem Zeitpunkte und der Insinuation, wovon der Kläger, nach dem ordentlichen Laufe unseres Verfahrens, nichts erfährt, eine Preiserhöhung eingetreten ist. Die Bestimmung ist noch aus einem anderen Grunde völlig unpraktisch, da einestheils eine beschädigte Sache schwerlich im Verkehre gesucht sein wird, so daß man ein Steigen und Fallen des Preises daran beobachten könnte, und anderentheils der Preis der beschädigten Sache nicht maßgebend für den Werth der Sache im unbeschädigten Zustande sein kann. Wahrscheinlich soll nicht das beschädigte Individuum, sondern ein anderes von gleicher Art und Güte (Genus) maßgebend sein, was wieder andere Schwierigkeiten bei nicht fungiblen Sachen hat. Der §. 92, welcher davon spricht, erstreckt sich auch nicht auf diesen §. 85, wohl deshalb, weil die Veränderung desselben erst nach Vollendung des gedr. Entwurfes erfolgte. Man wollte dadurch die Theorie der praktischen Römer, welche den höchsten Werth, den die Sache in einem gewissen Zeitraume vor der Be­ schädigung, also in ihrem gesunden Zustande, gehabt hatte, annahmen, wieder herstellen. Vor dieser Verbesserung hatte die ursprüngliche Bestimmung des Entwurfes, wonach im Falle des §. 85 gleich­ falls nur auf den Werth zur Zeit des Verlustes gesehen werden sollte, den Vorzug. Man hatte da­ gegen erinnert, es müsse der höchste Werth, den die Sache bis zur insinuirten Klage gehabt, ver­ gütet werden, und Suarez trat ihnen bei, meinend, daß dieses der Theorie des R. R. entspreche. 75) H. Die Verminderung des Werths muß eine dauernde sein. Str. Arch. 83 S. 206 (II). 76) In diesem Falle hat daS Verhältniß die rechtliche Natur eines Kaufes: der Beschädiger ist nur schuldig, gegen Uebergabe der Sache deren Werth zu bezahlen, und der Beschädigte muß Gewähr leisten. Verkannt ist das Nechtsverhältniß in dem Rechtsfalle, auf welchen sich das J.M.Neskr. v. 5. Mai 1807 (Nabe 9 S. 37 ff.) bezieht. Die Richter hatten den Beschädiger unbedingt verurtheilt und ihm zugemuthet, wegen Herausgabe der beschädigten Sache, die der Beschädigte nicht mehr hatte, besonders zu klagen. Das J.M. schrieb dem Rekursrichter vor, den Rekürsbescheid' dahin zu deklariren, daß der Bekl. nur gegen Uebergabe der beschädigten Sache zu klagen verbunden. Das war zwar in der Sache selbst richtig, aber die Umstoßung der Richtersprüche durch Ministerialreskript gehört nicht in eine geordnete Rechtspflege. Eine andere Entscheidung, welche gleichfalls keine richtige Anwendung des Gesetzes enthält, bezieht sich auf Sachen, welche aus mehreren einzelnen, für sich bestehenden Sachen zu einem Ganzen zusammengesetzt sind. Der Beschädiger soll nicht schuldig sein, die ganze Sache zu nehmen, sondern nur den einzelnen beschädigten Theil. Simon, Rechtsspr. 1 S. 434. Bezüglich auf Begriffsganze ist das richtig, bei mechanisch zusammengesetzten Sachen aber nicht. Das Gesetz unterscheidet nicht in Zuerkennung der Befugniß zur Ueberlassung der beschädigten Sache an den Beschädiger. Vorbedingung ist aber, daß die Sache nicht völlig in den vorigen Stand gesetzt werden kann. In diesem Falle bleibt es bei dem Grundsätze §. 79. H. Der §. 91 ist auf Beschädigungen in Vertragsverhttltnissen nicht anwendbar, R.O.H.G. v. 29. April 1875, Entsch. 16 S. 387.

Von Pflichten und Rechten aus unerlaubten Handlungen.

309

§§. 92—97 fallen fort77). Eivilprozeßordnung. Vom 30. Januar 1877. (R.G.Bl. S. 83.) 260. Ist unter den Parteien streitig, ob ein Schaden entstanden sei, und wie hoch sich der Schaden oder ein zu ersetzendes Interesse belaufe, so entscheidet hierüber das Gericht unter Würdigung aller Umstände nach freier Ueberzeugung. Ob und inwieweit eine beantragte Beweisaufnahme oder von Amtswegen die Begutachtung durch Sachverständige anzuordnen sei, bleibt dem Ermessen des Gerichts überlassen. Tas Gericht kann anordnen, daß der Beweis­ führer den Schaden oder das Interesse eidlich schütze. In diesem Falle hat das Gericht zugleich den Betrag zu bestimmen, welchen die eidliche Schätzung nicht- übersteigen darf. Die Vorschriften über den Schätzungseid werden aufgehoben.

4.

§. 9878).

Wer widerrechtlich einen Menschen ums Leben bringt, muß in allen79)9(11 der Pcr-



77) H. Sie sind durch den oben im Text unter 4 mitgetheilten §. 260 d. CP.O. beseitigt. Die §§. lauteten: §. 92. In allen Fällen, wo der vormalige Werth der Sache nach Vorschrift §. 83. 84. nicht mit hinlänglicher Zuverlässigkeit ausgemittelt werden kann, muß derjenige Werth, welchen eine Sache von derselben Art, und von mittler Güte, in dem nach obigen Grundsätzen zu bestimmenden Zeitpunkte gehabt hat, durch Sachverständige festgesetzt werden. §. 93. Ist der Schade nur aus mäßigem oder geringem Versehen zugefügt worden, so muß der Beschädigte mit der Vergütung nach diesem mittleren Werthe sich begnügen. §. 94. Ist aber der Schade aus Vorsatz oder grobem Versehen verursacht worden, so muß der Beschädigte auch zur eidlichen Bestärkung eines höheren Werths, nach richterlichem Ermessen, zugelassen werden. 95. Doch darf auch dieser höhere Werth den doppelten Betrag des von den Sachverständigen angegebenen mittleren Werths niemals übersteigen. §. 96. Ist aber von dem Werthe der besondern Vorliebe die Rede, so findet dergleichen Rücksicht auf das Verhältniß zwischen dem von den Sachverständigen bestimmten, und dem von dem Beschädigten angegebenen Werthe keine statt. §. 97. Vielmehr muß alsdann das richterliche Ermessen den von dem Beschädigten eidlich zu erhärtenden Werth nur nach der besondern Beschaffenheit der Umstände und Verhältnisse, worauf der Beschädigte diese Vorliebe gründet, festsetzen und ermäßigen. 78) H. Die Verbindlichkeit zum Schadenersatz für Tödtungen und Körperverletzungen, welche bei dem Betriebe einer Eisenbahn, eines Bergwerks, Steinbruchs, einer Gräberei oder einer Fabrik herbeigeführt sind, ist besonders geregelt durch das Reichsgesetz v. 7. Juni 1871 (R.G.Bl. S. 207). Vergl. dasselbe hinter §. 138 d/T. 79) D. h. der Richter bestimmt mit Rücksicht auf diese Umstünde unb Verhältnisse das Maximum, über welches hinaus das juramentum in litem nicht bewilligt wird. H. E.P.O. §. 260. Ein allgemeiner Uebelstand ist mit dem prozessualischen Verfahren über die Werthsermittelung verbunden, wodurch der Beschädigte immer um einen Theil seiner Entschädigung gebracht wird. Dies ist die Maxime, daß die Richter von dem Kläger nicht den Klageantrag: den Bekl. zum Ersätze des Schadens, welcher ausgemittelt werden wird, zu verurtheilen, annehmen, sondern die Angabe einer bestimmten Summe, die der Kläger doch unmöglich mit Sicherheit angeben kann, fordern. Die Folge davon ist, daß, wenn der Werth sich auch höher ermittelt, nicht mehr, als gefordert worden ist, zugesprochen wird, weil nicht ultra petita erkannt werden soll; roeiiti er aber zufällig eine höhere Summe genannt hat, als die Sachverständigen finden, ihn: ein Theil der oft nicht unbedeutenden Kosten aufgebürdet wird, obgleich er doch nicht mehr, als ihm zukommt, zu fordern beabsichtigt; und wenn er sich dagegen dadurch zu schützen gedenkt, daß er vorher die Sachverständigen zu Rathe zieht, um darnach sein Petitum einzurichten, wieder gegen die Glaubwürdigkeit der Sachverständigen der Einwand gemacht wird, daß sie dem Kläger Rath gegeben haben. Der Beschädigte mag es also anstellen, wie er will, er kommt allemal in Verlust. Diesen Mißstand hatten schon die Verfasser des L.R. gefühlt; sie wollten ihm durch eine besondere Bestimmung abhelfen und man schlug die Vorschrift vor: „Bei der Nachweisung des Schadens kann keine Evidenz verlangt werden — und der Beschädigte ist für Weitläufigkeiten und Kosten zu sichern." Man ließ sie jedoch, als zu unbestimmt, fallen. Eine verständige Praxis bedarf einer solchen Bestimmung auch nicht, denn die Gerechtigkeit bringt es mit sich, daß die Kosten der Ausmittelung dem Veschädiger zur Last fallen, und wenn der Kläger erklärt, daß er sich mit dem Ausspruche der Sachverständigen zufrieden stelle, und dar­ nach seinen Antrag, wenn er mehr gefordert haben sollte, ermäßigt/ so giebt es gar keinen recht­ lichen Grund, ihm Kosten aufzubürden. H. Diesen Erwägungen ist in der E.P.O. durch 88 Abs. 2 Rechnung getragen. In allen Fällen, wo ihm irgend ein Versehen zur Last fällt. (H. Der §. 19 d. T. kommt in dem Falle des §. 98 nicht in Betracht, R.G. V v. 26. März 1881, Gruchot 25 S. 950,

1) durch Tödtunq.

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Erster Theil.

Sechster Titel.

88- 99—112.

Fällen der hinterlassenen Frau und den Kindern8") des Entleibten die Kosten der etwanigen Cur, ingleichen die Begräbniß- und Trauer-Kosten ersetzen81). a)fc^eUdu5iC5 §• 99. Außerdem ist, wenn die Entleibung aus Vorsatz oder grobem Versehen Vvrsn/vder erfolgt, der Beschädiger verbunden, der Wittwe und den Kindern des Entleibten flrotRitycr= standesmäßigen Unterhalt82), auch den Letzteren dergleichen Erziehung und Aus­ stattung, als sie von dem Vater nach dessen Stand und Vermögen erwarten konnten, zu gewähren8'^). §. 100. Dabei wird auf das von dem Entleibten hinterlassene Vermögen 84), ingleichen auf die Unterstützungen, welche der Wittwe und den Kindern von dem Staat oder anders woher angedeihen, keine Rücksicht genommen. §. 101. Diese Verbindlichkeit des Beschädigers dauert'so lange, als die Fa­ milie des Entleibten eine solche Verpflegung und Unterstützung von demselben, wenn er noch am Leben wäre, fordern könnte85). §. 102. Treten aber Umstände ein, unter welchen die Pflicht des Entleibten, seine Familie aus eigenen Mitteln zu ernähren, aufgehört haben würde, so wird auch der Beschädiger von seiner Verbindlichkeit frei86). awömäbiqcm §• 103. Ist die Entleibung nur durch ein mäßiges Versehen verursacht worden, Versehen, so muß der Beschädiger für eine nach Verhältniß des Standes nothdürftige Ver­ pflegung der Wittwe und Kinder des Entleibten, und für eine dergleichen Erziehung der Letzteren in so weit sorgen, als die Kosten dazu aus den Einkünften des hinter­ lassenen Vermögens und den Beiträgen des Staats oder eines Dritten nicht auf­ gebracht werden können. II H. v. 6. Febr. 1882, das. 26 S. 949.) Dieser §. 98 bestimmt den Umfang der Entschädigungs­ verbindlichkeit für den Fall eines nur geringen Versehens. §. 110. 80) H. Andere Angehörige haben die hier und in den folgenden Paragraphen der Wittwe und den Kindern gegebenen Ansprüche nicht. So — gegen Gruchot 4 S. 169 — R.G. V v. 5. Jan. 1881, Entsch. 3 S. 319. Vgl. §. 109 d. T. 81) Die in den 88- 98—110 festgesetzte Verpflichtung zur Entschädigung wegen Tödtung eines freien Menschen ist aus der gemeinrechtlichen Praxis herüber genommen. Suarez beruft sich zur Begründung derselben darauf, daß der Satz, daß, wer einen Menschen tödteb, seine Frau und Familie entschädigen müsse, ex moribus längst feststehe. Als Autoritäten werden bezeichnet: Stryk, Usus mod. L. IX tit. 2 §. 9; Vinnius, Comment, ad instit. L. IV tit. 3 pr.; Hugo Grotius, L. III tit. 33. (Jahrb. Bd. 41 S. 7.) Zu den Abstufungen im Quanto der Entschädigung nach dem Grade der Zurechnung ist man erst bei der Berathung der Monita gegen den gedrückten Entwurf gekommen. 82) Gegen diesen Anspruch findet die vierjährige Klageverjährung rückständiger Alimenten­ forderungen, d. h. von Rückständen solcher Alimente, welche bereits quantitativ rechtskräftig fest­ gestellt sind, auf Grund des §. 2 Nr. 5 des G. v. 31. März 1838, statt. O.Tr. I v. 30. Jan. 1881, Entsch. 44 S. 21. 83) Das Ob.Tr. hat angenommen, daß die Ansprüche auf Unterhalt und Ausstattung, zu denen die Wittwe und Kinder eines Verstorbenen gegen denjenigen berechtigt sind, der dessen Tod durch eine ihm zugefügte Körperverletzung verursacht hat, durch einen Vergleich ausgeschlossen werden, den der Verletzte nach erlittener Verletzung mit dem Beschädiger über die dafür zu leistende Entschädigung geschlossen hat. Erk. I v. 11. Dez. 1865, Entsch. 56 S. 28. 84) Uebrigens hat die Bestimmung auf solche getödtete Personen, welche lediglich von ihren Gütern leben, und reiche Besitztümer hinterlassen, keinen juridischen Sinn. Wie soll nur denkbarer Weise die Forderung auf Wittwenversorgung und Kindererziehung an einen Bedienten gemacht werden, der aus grobem Versehen seinen Herren, einen reichbegüterten Fürsten, tödtet? Hier ist gar keine vermögensrechtliche Verschlimmerung eingetreten. 85) Verkrüppelte oder geisteskranke Familienglieder also Zeit ihres Lebens. §. 106. Nach dem Prinzip der Gerechtigkeit, wonach nur das ersetzt werden muß, was entzogen worden ist, sollte nur bis zum natürlichen Tode des Entleibten die Verbindlichkeit des Todtschlägers dauern, da die Verbindlichkeit des Entleibten selbst mit seinem Tode aufhört. Allein diese natürliche Begrenzung kann hier nicht eintreten, weil Niemand wissen kann, wie lange der Entleibte gelebt haben würde, wenn er nicht getödtet worden wäre. 86) Vergl. §. 107 und die Anm. dazu.

Von Pflichten und Rechten uns unerlaubten Handlungen.

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§. 104. Auch muß er den noch unversorgten Kindern, bei Ermangelung eines eigenen dazu hinreichenden Vermögens, eine solche Ausstattung gewähren, als die­ selben von dem Entleibten nach den Gesetzen zu fordern berechtigt wären. §. 105. Die Verbindlichkeit zur Erziehung und Verpflegung der Kinder dauert in der Regel so lange, bis entweder dieselben die Volljährigkeit erreicht haben, oder der Fall des §. 102. noch vorher eintritt. §. 106. Solche Kinder hingegen, welche wegen körperlichen oder Geistes­ schwächen, auch nach erlangter Volljährigkeit, sich selbst ihren Unterhalt zu erwerben nicht im Staude sind, muß der Beschädiger bis zu ihrem Tode, oder ihrer Wieder­ herstellung, verpflegen. §. 107. In Ansehung der Wittwe des Entleibten dauert die Verpflegungs­ verbindlichkeit des Beschädigers so lange, bis dieselbe wieder heirathet 87), oder in Umstände kommt, da sie einer solchen Unterstützung füglich entbehren kann. §. 108. Ueberhaupt hören die Pflichten auch eines solchen Beschädigers, unter eben den Umständen auf, unter welchen der Entleibte selbst, wenn er noch lebte, da­ von frei werden würde. §. 109. Was vorstehend zum Besten der Wittwe und Kinder des Entleibten verordnet ist (§. 99—108.), gilt auch zum Besten anderer Personen, welche nach den Vorschriften der Gesetze Unterhalt von dem Entleibten zu fordern berechtigt sein würden. §. 110. Ist die Entleibung nur aus geringem Versehen erfolgt, so muß die °) wenn nFamilie des Entleibten mit der §. 98. bestimmten Entschädigung sich begnügen. rittflcm Bcr§. 111. Bei andern körperlichen Verletzungen, wodurch der Beschädigte iiirfit id,cn. entleibt worden, ist derselbe, in allen Fällen, auf den Ersatz der Cur- und Hei- r) Durch -mluugs-Kosten88) anzutragen berechtigt. ii$e §. 112. Wegen erlittener Schmerzen können Personen vom Bauer- oder ge- S-Im-ri -----------------liltencr 87) Das O.Tr. hat, im Widersprüche mit dem Appellationsgerichte in Posen, angenommen. Schmerzen, das; der §. 107 keinen Gegensatz zum §. 102 bilde, und das; keineswegs nur bei einer durch mäßiges 'Versehen verursachten Tödtung der Beschädiger durch die Wiederverheirathung der Wittwe des Entleibten von der Verbindlichkeit, ihr den Unterhalt zu gewähren, frei werde, dieses vielmehr auch bei der vorsätzlichen und grobfahrlässigen Tödtung eintrete. Erk. I v. 30. Jan. 1861, Entsch. 44 S. 19. Die Beweisführung ist untriftig. Nicht blos; die Fassung und Abtheilung der für die verschiedenen Fälle gegebenen Bestimmungen und daß im §. 102 von der Wittwe speciell gar nicht Rede ist, wie im §. 107, ist dieser Auslegung entgegen, sondern der gar nicht erwähnte innere Grund, das; die Wittwe, im Falle der vorsätzlichen Tödtung ihres Mannes, eine vollständige Entschädigung zu fordern hat, so daß sie dadurch vielleicht leichter eine Gelegenheit findet, sich wieder zu verheirathen, und das ist der Fall, wenn sie ihrem zweiten Mann den Unterhalt für ihre Person in die Ehe bringen kann. Darum hat die Nicht­ berücksichtigung des Falles der Wiederverheirathung in den §§. 101 u. 102 einen sehr ver­ ständigen Grund, der durch die Erwägungen des Obertribunals durchaus gar nicht berührt wird und eben so, wie die formellen Gründe, in seinem vollen Gewichte stehen bleibt. 88) Selbstverstanden sind nur die nothwendigen und nützlichen Kosten zu erstatten. Als solche gelten ohne Weiteres diejenigen, welche durch das Heilverfahren eines approbirten Heil­ künstlers entstehen. Aber auch solche verfahren bisweilen so ungeschickt und gegen die Regeln der Kunst, daß sie das Uebel vergrößern und dadurch die Kosten ins Große vermehren. Diese unnützen Kosten können, da sie keine Folge der ursprünglichen Beschädigung sind, nicht auf Rechnung des ersten Beschädigers kommen, sondern diese hat der selbstständig beschädigende Arzt zu erstatten. — Die hier gemachte Unterscheidung zwischen nothwendigen wie nützlichen und un­ nützen Kosten ist von der Gerichtspraxis in Beziehung auf den Entschädigungsanspruch angenommen und zur Anwendung gebracht worden. Die Entscheidung hierüber beruht selbstverständlich auf thatsächlichen Momenten. M. s. das Erk. des O.Tr. 1v. 1. Dez. 1862, Str. Arch 47 S. 197. H. Nach §. 231 Str.G.B. kann in allen Fällen der Körperverletzung auf Verlangen des Verletzten neben der Strafe auf eine an denselben zu erlegende Buße bis zum Betrage von sechstausend Mark erkannt werden. Eine erkannte Buße schließt die Geltendmachung eines weiteren Entschädigungsanspruches aus. Für diese Buße haften die zu derselben Verurtheilten als Gesammtschuldner.

312

Erster Theil.

Sechster Titel.

§§. 113—122.

meinen Bürger-Stande, denen dergleichen Verletzung 89) aus Vorsatz oder grobem Versehen zugesügt worden, ein billiges Schmerzengeld90) fordern. §♦ 113. Der Betrag dieses Schmerzengeldes ist nach dem Grade der aus­ gestandenen Schmerzen, jedoch nicht unter der Hälfte, und nicht über den doppelten Betrag der erforderlichen91) Curkosten 92), richterlich zu bestimmen. §. 114. Bei Personen hohern Standes wird auf die dem Beleidigten durch die Mißhandlung verursachten Schmerzen nur bei Bestimmung der gesetzmäßigen Strafe Rücksicht genommen. msachter^un§• 115. Ist durch die zugefügte Verletzung der Beschädigte, sein Amt oder soweit zur Gewerbe auf die bisherige Art zu betreiben, gänzlich außer Stand gesetzt worden, ^cs Amts so haftet der Beschädiger für diejenigen Vortheile, deren fortgesetzter Genuß deni odcrGewer- Beschädigten dadurch entzogen' wird. §. 116. Ist die Beschädigung aus Vorsatz oder grobem Versehen zugefügt worden, so müssen dem Beschädigten auch künftige Vortheile vergütet werden, deren Erlangung derselbe, nach dem natürlichen und gewöhnlichen Lauf der Dinge, ver­ nünftiger Weise erwarten konnte93). 89) Dies Gesetz kommt auch dann zuv Anwendung, wenn die vorsätzlich oder aus grobem Versehen unternommene beschädigende Handlung keine äußere Verletzung, sondern eine Krankheit zur Folge gehabt hat, selbst wenn diese nach der Bestimmung des §. 3 d. T. als ein mittelbarer Schade anzusehen wäre, und diese Art der Beschädigung nicht in der Absicht des Beschädigers. gelegen hätte. Pr. 1189 v. 13. und 27. Aug. 1842. 90) Zur Rechtfertigung dieser Bestimmung sagt Suarez: „Das Schmerzengeld ist beinahe in ganz Deutschland üblich. Stryk, Us. mod. IX, Tit. 2 §. 9. Die Wiederherstellung desselben, wenigstens in Ansehung der niederen Stände, scheint daher ebenso unbedenklich, als selbst der Billigkeit gemäß zu sein/' Jahrb. 40 S. 8. Nach G. R. wird über die Zulässigkeit des Schmerzen­ geldes gestritten. Aus dem Gesichtspunkte der Entschädigung für verlorene Arbeitszeit oder für größeren nicht genau nachweisbaren Aufwand ist es nicht zu bestreiten; in dieser Bedeutung aber spricht es das L.R. nicht zu, denn die Entschädigung für Versäumniß u. dgl. hat der Be­ schädigte noch überdies zu fordern. Das Schmerzengeld im Sinne des L.R. ist eine Taxe der Schmerzen als solcher; das L.R. taxirt damit die Gliedmaßen des gemeinen Mannes wie das R. R. die des Sklaven. Der vornehme Mann hingegen ist darin unschätzbar, daher er nichts fordern kann. Diejenigen, welche in solcher Weise die menschlichen Gliedmaßen zu geldwerthen Vermögensstücken machen, fußen auf C. C. C. Art. 20, wonach „oberkeit und richter — den so wider recht — gemartert (gefoltert) war, seiner schwach, schmerzen, kosten und schaden, der gebüre Vergeltung zu thun schuldig sein sollen." Daraus ist das Schmerzengeld in der landrechtlichen Bedeutung nicht zu entnehmen, und wenn die Stelle dafür als Quelle gelten soll, so ist doch keine Spur von einer Eintheilung der Menschen in zwei Klassen, in schätzbare und in unschätz­ bare, darin zu finden. Zu den heutigen Ansichten paßt die Bestimmung nicht. Das Schmerzen­ geld scheint ein Ueberrest der Kompositionen zu sein. — Die Bestimmung des §. 112 ist übrigens durch den Art. 4 der Verf.Urk. nicht aufgehoben. O.Tr. I v. 31. Jan. 1859, Str. Arch. 32 S. 191. Daß dieses Forderungsrecht auch auf die Erben übergeht, folgt schon aus seiner rechtlichen Natur als eines solchen von selbst; es trägt nicht ein einziges Merkmal der Privatstrafe. Der widersprechende Aufsatz bei Gruchot 4 S. 175 führt für sein Thema keinen juristischen Beweis. 91) Ist kein Arzt gebraucht worden, und dennoch die Wiederherstellung erfolgt, so sind Kurkosten nicht erforderlich gewesen, folglich findet wegen Geringfügigkeit der Beschädigung kein Schmerzengeld statt, wofür dann auch der Maßstab ganz fehlt. 92) Unter den Kurkosten versteht die Praxis nur die Kurkosten im engeren Sinne, d. h. den Arztlohn und die Medizinkosten. Nicht gerechnet werden Reisekosten des Arztes oder Fuhrkosten des Kranken für dessen Transport zum Arzte, Wärterkosten u. dgl. So hat das frühere Oberlandesgericht zu Breslau als Appellationsgericht am 5. Juli 1836 erkannt in einer Sache Schmidt w. Gebel. Vergl. auch den Rechtsfall in Ulrich, Arch. Bd. 13 S. 565, wo derselbe Grundsatz angewendet worden ist. — Auch das O.Tr. IV hat diesen Grundsatz für richtig anerkannt und angewendet. Erk. v. 17. Juni 1863, Entsch. 50 S. 39; Str. Arch. 49 S. 287. 93) Die Anwendung dieses Grundsatzes hat Schwierigkeiten. Anfangs hatte man im Ent­ würfe die Bestimmung vorgeschlagen, daß der Beschädiger für diejenigen Vortheile haften solle, deren fortgesetzter Genuß dem Beschädigten durch die Beschädigung entzogen worden, sowie für

Von Pflichten und Rechten aus unerlaubten Handlungen.

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§. 117. Ist ein mäßiges Versehen begangen worden, so darf der Beschädiger die Vergütung nur nach derjenigen Lage leisten, in welcher der Beschädigte zur Zeit der Verletzung sich wirklich befunden hat. §. 118. Ist nur ein geringes Versehen vorhanden, so findet bloß dieß. 111. bestimmte Schadloshaltung statt. §. 119. Sobald der Beschädigte, der Verletzung ungeachtet, durch Anwendung seiner körperlichen oder Geistes-Kräfte zu einem wirklichen Erwerbe 94) gelangt, so muß derselbe auf die nach §. 115. 116. 117. zu leistende Entschädigung abgerechnet werden. §. 120. Ist der Beschädigte durch die zugefügte Verletzung nur aus eine Zeit­ lang zum Betriebe seines Gewerbes außer Stand gesetzt worden, so kann er nur Versäumnißkosten fordern95). §. 121. Diese Kosten müssen nach den §♦ 115. sqq. bestimmten Grundsätzen, jedoch nur im Verhältniß der Zeit, während welcher die erlittene Verletzung den Beschädigten an dem Betriebe seiner Geschäfte verhindert, festgesetzt werden. §. 122. Nach eben diesen Grundsätzen und mit billiger Rücksicht auf den nach­ theiligen Einfluß, welchen eine erlittene Verletzung auf die Glücksumstände9G) des künftige Verbesserungen, in so fern solche bestimmt und gewiß waren. Dagegen wurde erinnert, daß es undeutlich sei, was unter künftigen bestimmten und gewissen Verbesserungen gemeint sei. Man dachte sich darunter die Fälle, wo ein Offiziant zu einer höheren und einträglicheren Bedienungschon ernannt sei, obgleich er solche noch nicht angetreten habe; desgl. wenn Jemand zu einer besseren Versorgung wirklich schon die Anwartschaft hatte, und der Fall, wo er wirklich habe eintreten können und sollen, in der Folge zur Wirklichkeit gelangte. Dazu ist am Rande bemerkt, wer dolo vel culpa lata beschädigt, muß auch die künftigen Vortheile präsiiren, auf welche der Damnifikat nach dem natürlichen und gewöhnlichen Laufe der Dinge Hoffnung hatte; — wer culpa levi, nur die gegenwärtigen. (Ges.Rev. Mot. zu diesem Tit. S. 198.) Durch diese Aenderung ist der Ausdruck noch allgemeiner und unbestimmter geworden. Das O.Tr. hat an­ genommen, daß in den §§. 115—122 eine Ausnahme von der allgemeinen Regel der §§. 18, 19 d. T. nicht festgesetzt sei, und demnach ein durch Schläge Arbeitsunsähiggewordener, welcher sich selbst ein grobes Versehen hat zu Schulden kommen lassen, gegen den Beschädiger keinen Anspruch habe. Erk. I v. 13. Mai 1867, Str. Arch. 66 S. 309. Ein Schieferdecker behauptete, in Folge ihm zugefügter Schläge auf den Kopf einen be­ ständigen Schwindel erhalten zu haben, wodurch er zum Schieferdecken auf hohen Gebäuden unfähig geworden. Die Unfähigkeit eines mit Schwindel behafteten Menschen zu solchem Dienste wurde durch Gutachten Sachverständiger nachgewiesen; der Schwindel aber war nicht nachweis­ bar, der Arzt bekundete die Möglichkeit und Wahrscheinlichkeit. Der Beweis wurde für geführt angenommen, und das Gericht sprach dem Schieferdecker so viel zu, wie er mit seinem Gewerbe würde haben verdienen können, monatlich (oder wöchentlich) postnumerando auf so lange, bis er vom Schwindel wieder würde geheilt sein. Dabei ist der Beschädiger sicher sehr zu kurz gekommen. Eine andere Anwendung findet sich in dem Rechtsfalle, welcher in der Themis von 1827 S. 951 ff. u. S. 971 ff. mitgetheilt ist. Jemand, der sich der Feldmeßkunst gewidmet hatte, war durch Beschädigung an der Fortsetzung dieses Studiums verhindert worden, und befleißigte sich darauf der Rechtswissenschaft. Die Gerichte (und auch das O.Tr.) sprachen ihm den Ersatz dessen zu, was er in Folge dieses Wechsels bis zum juristischen zweiten Examen mehr ausgeben mußte, als ihm die Beendigung seines ersten Studiums bis zum Kondukteurexamen gekostet haben würde, indem man annahm, daß er als Feldmesser, hinsichtlich seines Einkommens, einem Unterrichter gleichgestanden haben würde. Billig möchte in solchem Falle dem Beschädiger in d.er Folge auch das größere Einkommen eines begünstigten Rechtsverständigen, in Vergleich mit dem Einkommen eines Feldmessers, zu Gute kommen. 94) Giebt er in Folge von Glücksanfällen sein Gewerbe ganz auf, so hat der Beschädiger nichts mehr zu leisten. 95) Bei lange dauernden Verhinderungen bestehen die Versäumnißkosten eben in dem Ein­ kommen, welches der Beschädigte würde haben erwerben können. Vgl. Anm. 93 Alinea 2 u. §• 12L 96) Darunter werden schlechtweg die Vermögensumstände und das gewerbliche Einkommen gemeint.

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Erster Theil.

Sechster Titel.

§§. 123—137.

Beschädigten hat, muß der Richter die Vergütung bestimmen, wenn der Beschädigte zum Betriebe seines Amtes oder Gewerbes zwar nicht gänzlich unfähig, wohl aber ihm dieser Betrieb dadurch schwerer oder kostbarer gemacht worden. UucrVcrim§• 123. Wird eine unverheirathete Frauensperson"') durch körperliche Verftalunig. letzung verunstaltet,und ihr dadurch "”) die Gelegenheit sich zu verheirathen er­ schweret : so kann sie von dem Beschädiger Ausstattung fordern. §. 124. Diese Ausstattung muß, wenn die Verunstaltung aus Vorsatz oder grobem Versehen erfolgt ist, nach richterlichem Erinessen fo bestimmt werden, daß die Beschädigte Hoffnung erhalte, eine ihrem Stande gemäße Heirath zu finden, und unterdessen aus den Einkünften derselben ihren Unterhaltiy") nehmen könne. §. 125. Ist die Beschädigung nur aus mäßigem Versehen zugefügt worden, so muß die Verunstaltete mit einer solchen H Ausstattung, als sie von ihrem Vater nach dessen Stande, vermöge der Gesetze, zu fordern haben würde, sich begnügen. §. 126. Besitzt der Beschädiger kein Capitalsvermögen, aus welchem die nach §. 124. 125. zu bestimmende Ausstattung genommen werden kann, so muß er der Verletzten die Zinsen davon zu Fünf vom Hundert jährlich entrichten. §. 127. Dieser Beitrag dauert fort, so lange die Verunstaltete lebt, auch wenn sie sich wirklich verheirathet"). §. 128. Ist außerdem Jemandem8) sein Fortkommen in der Welt durch eine aus Vorsatz oder grobem Versehen zugefügte Verunstaltung erschwert worden, so muß ihm auch dafür eine billige, nach den Umständen zu bestimmende, Entschädigung geleistet werden. 8. 129. Wer zur Entschädigung des Beleidigten oder seiner Familie schuldig erkannt wird, kann sich dagegen mit dem Einwande, daß er dadurch die Seinigen pflichtmäßig zu ernähren unvermögend werde, nicht schützen H. an dcr Ehre, §. 130. Fällt weg 5).

97) Ohne Unterschied des Alters. Der Vorschlag, die Anwendung auf Frauenspersonen unter 40 Jahren zu beschränken, fand zwar Suarez'' Beifall, ist aber dann nicht weiter be­ achtet worden. 98) H. Dies kann auch angenommen werden bei den: Verlust von mehreren Fingern. R.G. IV v. 27. Sept. 1880, Gruchot 25 S. 716. 99) Die Person muß mithin nicht schon vorher, durch zu hohes Alter, Gebrechlichkeit oder Häßlichkeit in einer hoffnungslosen Lage gewesen sein. Ist die verunstaltete Person reich, so kann ihre Lage durch eine hinzutretende Ausstattung nicht verbessert worden. Ist sie noch nicht mannbar, so braucht die Ausstattung erst mit dem Eintritte des heirathsfähigen Alters erlegt zu werden; die Schuld ist bis dahin eine bedingte. 100) Dabei ist ihr eigenes Vermögen und ihre Erwerbsfähigkeit zu berücksichtigen, weil Beides in Anschlag kommt, wenn die Person auch nicht verunstaltet worden wäre. 1) D. h. mit einer Ausstattung von einem solchen Betrage. Die zum Vortheile der Aeltern geltende Regel: wer nicht will, stattet nicht aus, findet hier nicht Anwendung. Vergl. II. 2 §. 233. 2) Nach dem Zwecke, welchen die Entschädigung eines verunstalteten Frauenzimmers hat, sollte der Beschädiger Alles dadurch gut machen'können, daß er selbst die Frauensperson zu heirathen sich erbietet. Doch muß es wohl aus die Umstände ankommen, unter welchen die Ver­ unstaltung zugefügt worden ist. Hat der Beschädiger in feindseliger Absicht gegen die Frauens­ person gehandelt, so kann dieser nicht zugemuthet werden, sich ihrem Feinde in die Arme zu werfen. 3) Z. B. einen: Militär, Seemanne, Bergmanne, Schauspieler u. dergl. 4) Er hat nicht das beneficium compßtentiae, wozu hier auch ein Rechtsgrund fehlen würde.

5) Der §. 130 lautete: „Die bei verübten Ehrenkränkungen zu leistende Privatgenugthuung ist im Eriminalrechte bestimmt." Die Privatgenugthuung ist bekanntlich schon lange vor dem R.Str.G.B. aufgehoben.

Von Pflichten nnd Rechten aus unerlaubten Handlungen.

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§. 131. Der Ersatz eines nach Gelde in Anschlag zu bringenden Schadens kann nur in so fern gefordert werden, als der Schade aus der.Ehrenkränkung unmittel­ bar") entstanden ist6 7).8 9 §. 132. Wer auf irgend eine Art einen Andern seiner persönlichen Freiheit an b(^vcis widerrechtlich beraubt, der haftet demselben für das ganze Interesse. §. 133. Der, aus dessen Gefahr oder falsche Vorspiegelung ein widerrecht­ licher Personalarrest verhängt worden, und der Richters, welcher dabei den gesetz­ lichen Vorschriften zuwider gehandelt hat, sind dem Beleidigten als Mitschuldige verhaftet. §. 134. Wer in Privatarrest gehalten worden, kann zur eidlichen Bestärkung des erlittenen Schadens und entgangenen Gewinns, nach vorgängiger richterlicher Ermäßigung, gelassen werden"). §. 135. Alle Kosten, welche erforderlich sind, um den Gefangenen wieder in Freiheit zu setzen, muß der Beleidiger tragen. §. 136. Kann dem Beleidigten die geraubte persönliche Freiheit nicht wieder verschafft werden, so haben die Frau und Kinder desselben gegen den Beleidiger, wegen der ihnen zu gewährenden Verpflegungs- und Erziehungs-Kosten, eben die Rechte, die ihnen bei einer erfolgten Entleibung (§. 98. sqq.) beigelegt sind. §. 137. Wer Sachen unrechtmäßiger Weise10) mit Arrest belegt, haftet füT bcir^ttftl’5

6) Die unmittelbare Beschädigung am Vermögen durch Worte (beleidigende Aeußerungen) ist nicht denkbar. Die Satzung ist unpraktisch und nicht der Gerechtigkeit entsprechend, welche auch den unmittelbaren Schaden zu ersetzen gebietet. Dafür hatte das G. R., und noch jetzt das franz., die actio aestimatoria, wodurch nicht die Ehre zum Vermögensstücke gemacht, son­ dern Entschädigung für Verschlimmerung des Vermögenszustandes gefordert wurde. 7) H. Nach §. 188 R.Str.G.B. kann in den Fällen der §§. 186 und 187 von dem Strafgericht neben der Strafe auf eine an den Beleidigten zu entrichtende Buße bis zum Betrage von sechs­ tausend Mark erkannt werden. Die erkannte Buße schließt die Geltendmachung eines weiteren Entschädigungsanspruches aus. 8) Das Gleiche 'muß jetzt auch von den Staatsanwälten gelten, welche Leute in Verwahr­ sam nehmen. 9) H. Jetzt maßgebend: (5.P.O. §. 260. 10) Bloß die Abweisung des Arrestanten mit der Arrestklage für sich allein reicht nicht hin, um den dem Arrestaten nachgelassenen Regreß zu begründen. Die Worte: „unrechtmäßiger Weise" erhalten vielmehr ihre richtige Deutung nur aus dem §. 8 d. T., wonach der, welcher Jemandem ohne Recht Schaden zufügt, denselben kränkt oder beleidigt; es gehört folglich zur Begründung einer desfallsigen Entschädigungsklage nach den allgemeinen Grundsätzen vom Schadensersätze aus unerlaubten Handlungen, daß dem Arrestanten bei Anstellung seiner Arrest­ klage böser Vorsatz oder doch ein Versehen vorgeworfen werden kann, und daß nach Verschieden­ heit des Grundes des letzteren auch die Entschädigung verschieden ausfallen muß. Pr. 36 v. 4. Dez. 1833. Dieselben Grundsätze sind bei der in den Entsch. 15 S. 103 abgedruckten Ent­ scheidung v. 20. Mai 1847 vertheidigt. Inzwischen hat sich auch der entgegengesetzte Grundsatz bei einer Entsch. des O.Tr. v. 2. Febr. 1837 und einer späteren v. 30. Jan. 1846 geltend ge­ macht, ohne daß man den Konflikt wahrgenommen hat. Dieser ist erst am 7. Jan. 1850 zur Entscheidung gekommen, wo das O.Tr. durch Pl.Beschl. (Pr. 2168), Entsch. 19 S. 11, jene ältere Meinung aufrecht erhalten und folgenden Satz angenommen har: „Der Arrestleger haftet dem Arrestaten für den demselben aus der Arrestlegung entstandenen Schaden, wenn auch der Arrest durch den Richter für nicht gerechtfertigt erachtet worden, nicht unbedingt, sondern nur nach Maßgabe des ihm zur Last fallenden bösen Vorsatzes oder schuldbaren Versehens." A.G.O. I 29 H. 80. Der Satz ist nach den allgemeinen Grundsätzen vom Schadensersätze aus unerlaubter Handlung vollkommen gerechtfertigt, aber gewiß ist auch, daß darnach schwerlich ein Regreß wegen ungerechtfertigten Arrestes zu begründen sein wird. H. Der Pl.Beschl. ist gebilligt vom R.G. IV v. 11. Rov. 1880, Gruchot 25 S. 953. H. Angewendet auf Veranlassung eines gerichtlichen Inhibitoriums gegen einen Bau, Str. Arch. 73 S. 86 (I). Der Arrestleger, welcher auf eine im Besitze seines Schuldners befindliche fremde Sache einen Arrest ausgebracht hat, ist dem Eigenthümer der letzteren zum Ersätze des aus der Arrestirung erwachsenen Schadens verpflichtet, auch wenn er die Sache für seinem Schuldner gehörig

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Erster Theil.

Sechster Titel.

§. 138 (Zusätze).

den Schaden, den dieselben dadurch leiden, eben so, als wenn er diesen Schaden durch seine unmittelbareir) Handlung veranlaßt hätte. (§. 82. sqq.) §. 138. Kann außer diesem Schaden ein durch den Arrest entzogener sicherer Gewinn nachgewiesen werden, so ist der Arrestleger auch diesen zu vergüten schuldig. (§. 13. 14.) 5. Gesetz über die Eisenbahn-Unternehmungen. (G.S. S. 505.) '

Vom 3. November 1838.

§. 25. Die Gesellschaft ist zum Ersatz verpflichtet für allen Schaden, welcher bei der Be­ förderung auf der Bahn'-), an den auf derselben beförderten Personen und Gütern, oder auch an anderen Personen und deren Sachen, entsteht und sie kann sich von dieser Verpflichtung nur durch den Beweis befreien, daß der Schade entweder durch die eigene Schuld des Beschädigten, oder durch einen unabwendbaren äußern Zufall bewirkt worden ist. Die gefährliche Natur der Unternehmung selbst ist als ein solcher, von dem Schadensersatz befreiender, Zufall nicht zu be­ trachten. 6. Gesetz vom 3. Mai 1869. (G.S. S. 665.) Einziger Artikel. Die Eisenbahnen sind nicht befugt, die Anwendung der im §. 25. des Gesetzes .. . vom 3. November 1838. enthaltenen Bestimmungen über ihre Verpflichtung zum Ersätze des Schadens, welcher bei der Beförderung auf der Bahn an den auf derselben beför­ derten Personen oder auch an anderen Personen entsteht, zu ihrem Vortheile durch Verträge (mittelst Reglements oder durch besondere Uebereinkunft) im Voraus auszuschließen oder zu be­ schränken. Vertragsbestimmungen, welche dieser Vorschrift entgegenstehen, haben keine rechtliche Wirkung. 7. Gesetz, betreffend die Verbindlichkeit 5u 11t Schadenersatz für die bei dem Betriebe von Eisenbahnen, Bergwerken rc. herbeigeführten Tödtungen und Körperverletzungen. Vom 7. Juni 1871. (R.G.Bl. S. 207)").

zu halten hinreichende Veranlassung hatte, und der Arrest diesem gegenüber für justifizirt erklärt ist. O.Tr. IV v. 8. Juli 1852, Str. Arch. 5 S. 366. Vorauszusetzen ist selbstverständlich ein dem Arrestanten beizumessendes Versehen. Denn die Sache steht nicht anders als ein ausge­ brachter Arrest, der demnächst für nicht justifizirt erachtet wird (Satz 1), oder eine Intervention, womit der Intervenient durchdringt. Anm. 35 Alinea 4 zu §. 36 d. T. H. Rechtmäßig ist ein Arrest angelegt, der nicht durch falsche Vorspiegelungen des Ar­ restanten herbeigeführt, namentlich für eine in sich begründete Forderung auf eine dem Schuldner gehörige und dem Arrestschlage gesetzlich nicht entzogene Sache nachgesucht und angelegt und in dem anqeordneten prozeßrichterlichen- Verfahren für gerechtfertigt erachtet worden ist. O.Tr. III v. 12. April 1872, Entsch. 67 S. 345. 11) Diese Vorschrift enthält keine Ausnahme von den allgemeinen Grundsätzen §§. 10 ff. über den Schadensersatz, sondern erstreckt sich nur auf die Mitwirkung des Richters bei der Arrest­ legung, und enthält nur den Grundsatz: daß der, nicht selbst und unmittelbar, sondern durch den Richter handelnde Arrestleger eben so angesehen werden soll, als wenn er selbst und allein: ge­ handelt hätte. Pr. 391 v. 2. Dez. 1837. 12) H. Ein dadurch herbeigeführter Unfall, daß Pferde auf der Ueberfahrt über die Bahn durch heranfahrende Lokomotiven scheu geworden, ist auch ein bei der Beförderung auf der Bahn entstandener Schaden im Sinne des Gesetzes. RG. V 0. 1. Okt. 1881, Gruch 0 t 26 S. 1068 (1071).

13) Vergl. über dieses Gesetz Endemann in Behrend, Zeitschr. f. Gesetzgebung und Rechtspflege Bd. 5 S. 489 ff., welcher Aufsatz auch in scparato erschienen ist, H. sowie die Kommentarausgaben des Gesetzes von Eger, 2. Aufl. Breslau 1879 und von Genzmer, Berlin 1882; auf S. 11 f. des letzteren Buches ist die Literatur über das Gesetz und über die als Zusatz 5 und 6 abgedruckten Gesetze zusammengestellt. Von den in Blum's Annalen mitgetheilten zahl­ reichen Entscheidungen in Haftpflichtsachen sind in den nachfolgenden Anm. nur die wichtigeren citirt. — H. „Das Gesetz verfolgt nicht den Zweck, das ihm zu Grunde liegende Prinzip der Haft­ pflicht in erschöpfender Weise zu regeln, es begnügt sich vielmehr, einstweilen, dem dringlichsten Bedürfniß Rechnung tragend, nur bezüglich einzelner, durchschnittlich mit ungewöhnlicher Gefahr für Menschen verbundener Unternehmungen geeignete Vorsorge zu treffen." Vergl. R.O.H.G. Erk. v. 10. März 1876, Entsch. 20 S. 4.

Von Pflichten und Rechten aus unerlaubten Handlungen.

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Wir Wilhelm, von Gottes Gnaden Deutscher Kaiser, König von Preußen 2c. verordnen im Namen des Deutschen Reichs, nach erfolgter Zustimmung des Bundesrathes und des Reichstages, was folgt: §. 1. Wenn bei dem Betriebe ") einer Eisenbahn 15) ein Mensch getödtet^) oder körperlich verletztu) wird, so haftet^) der Betriebs-Unternehmer19) für den dadurch entstandenen Schaden, 14) H. Die Worte „bei dem Betriebe" sind weiter als die im preuß. Eisenbahngesetz von 1838 „bei der Beförderung auf der Bahn". Sie umfassen auch die mit der Handhabung und Ausführung des Eisenbahnunternehmens nach allen Richtungen hin verbundene eigenthüm­ liche Gefährlichkeit. R.O.H.G. v. 21. Jan. 1874, Entsch. 12 S. 235, und v. 29. Okt. 1877, Entsch. 23 S. 1. Das Gesetz will nur gegen die besonderen Gefahren schützen, die der Eisenbahnbetrieb herbeiführt; eine Beschädigung, die auch bei jeder anderen Gelegenheit entstehen kann, genügt nicht zur Anwendung des Gesetzes. R.O.H.G. v. 19. Dez. 1873, Entsch. 12 S. 162, v. 28. Okt. 1874, Entsch. 14 S. 425, v. 17. April 1875, Entsch. 16 S. 373. Aber eine Beschädigung, die auch bei anderer Gelegenheit entstehen kann, fällt unter §. 1 des Haftpflichtgesetzes, wenn die eigenthümliche Gefährlichkeit des Eisenbahnbetriebes irgendwie konkurrirt, z. B. infolge der durch den Betrieb gebotenen Eile, R.G. v. 10. Juli 1880, Entsch. 2 S. 85, v. 28. Dez. 1880, Entsch. 3 S. 20, v. 20. Jan. 1882, Entsch. 6 S. 37. Die Frage, ob die Verletzung bei dem Betriebe der Eisenbahn stattgefunden, ist a) bejaht worden für die Verletzung bei dem Rangiren der Wagen, um einen Eisen­ bahnzug herzustellen, R.O.H.G. v. 29. Okt. 1875, Entsch. 19 S. 101; bei dem Wenden der Loko­ motive zum Zweck des Rangirens, R.O.H.G. v. 15. Dez. 1876, Entsch. 21 S. 354; bei dem Aussetzen eines Wagens,' dessen Achsen erhitzt waren, aus dem Zuge, R.G. ü. 21. Dez. 1880, Entsch. 3 S. 19; bei dem Fortschieben eines Pferdeeisenbahnwagens auf den Schienen aus einer Wagenremise nach dem Hauptgeleise, R.G. v. 22. Juni 1880, Entsch. 2 S. 8; bei der Fahrt mit einer von Menschenhand getriebenen Lowry, R.G. v. 15. Jan. 1881, Gruchot 25 S. 1097; ferner für die Verletzung, welche durch das Hinauswerfen von Werkzellgen seitens eines Eisen­ bahnarbeiters aus einem fahrenden Zuge verursacht ist, R.G. v. 13. April 1880, Entsch. 1 S. 253; b) verneint worden für die Verletzung bei Reparaturarbeiten an dem Bahnkörper und die Aufgleisung der aus den Schienen gerathenen Wagen und Lokomotiven, R.O.H.G. v. 11. Jan. 1877, Entsch. 21 S. 284; bei der Bedienung einer Signalvorrichtung, R.G. v. 10. Febr. und v. 30. Juni 1880, Entsch. 1 S. 52 und Gruchot 25 S. 1100; bei dem Umlegen der Weichen, R. O.H.G. v. 17. April 1875, Entsch. 16 S. 373; vgl. jedoch Abs. 2 Satz 2 dieser Anm. 15) H. Als Eisenbahn im Sinne dieses Gesetzes ist auch zu betrachten: das Schienen­ geleise, das aus einer Wagenremise 311111 Hauptgeleise führt, R.G. v. 22. Juni 1880, Entsch. 2 S. 8; Eisenbahnen, die zur Erleichterung des Betriebes einer Fabrik dieselbe mit einer dem öffentlichen Verkehr dienenden Eisenbahn verbinden, R.G. v. 21. Jan. 1880, Gruchot 24 S. 1110, und v. 16. Mai 1882, Entsch. 7 S. 40; vgl. Entsch. des R.O.H.G. 21 S. 154. Ist weder der Bahndamm vollendet, noch das definitive Schienengeleise gelegt, noch die beabsichtigte Benutzung der Dampfkraft eingeleitet, so ist der „Betrieb einer Eisenbahn" begriffs­ mäßig ausgeschlossen, R.O.H.G. v. 3. Dez. 1875, Entsch. 19 S. 118. Dies ist aber nicht der Fall bei dem Betriebe interimistischer Arbeitsbahnen, R.O.H.G. v. 23. Mai 1876, Entsch. 20 S. 151, v. 12. Juni 1879, Entsch. 25 S. 203; R.G. v. 17. März 1880, Entsch. 1 S. 247, v. 11. Juni 1880, Entsch. 2 S. 38. Bei faktischem Betriebe einer Eisenbahn ist es unerheblich, ob deren polizeiliche Abnahme schon stattgefunden hat, R.O.H.G. v. 21. Nov. 1876, Entsch. 21 S. 243. Verletzungen in den Fabrikanlagen eines Eisenbahnunternehmens fallen nicht unter dieses Gesetz, R.O.H.G. v. 17. und v. 27. März 1874, Entsch. 13 S. 81 u. 83. 16) H. Der Ausdruck „getödtet" bezeichnet nur den ursächlichen Zusammenhang zwischen dem Unfall und dem Tode, nicht aber die Voraussetzung, daß der Ursache die Wirkung sofort nachgefolgt sein müsse, R.G. v. 27. Jan. 1880, Entsch. 1 S. 51, 52. 17) H. Der Ausdruck „körperlich verletzt" schließt bei lediglich psychischen Störungen die Anwendung des Gesetzes nicht aus, R.O.H.G. v. 2. Febr. 1877, Entsch. 21 S. 412. 18) H. Die Haftung besteht gegenüber dem Verletzten und den Erben des Getödteten. Die Lebensversicherungsgesellschaften haben keinen selbstständigen Anspruch gegen den Unternehmer aus der Tödtung des Versicherten, R.O.H.G. v. 9. Juni 1874, Entsch. 13 S. 426. Die Haftung tritt auch ohne Verschulden des Unternehmers oder seiner Organe ein und wird nur durch höhere Gewalt und durch eigenes Verschulden des Verlebten ausgeschlossen, R.O.H.G. v. 5. März 1874, Entsch. 13 S. 68, v. 23. Jan. 1877, Entsch. 21 S. 363; R.G. v. 27. Jan. 1880, Entsch. 1 S. 49.

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Erster Theil.

Sechster Titel.

§. 138 (Zusätze).

sofern er nicht beweist20), daß der Unfall durch höhere ©eroatt21) oder durch eigenes Verschulden22) des Getödteten oder Verletzten verursacht ist23). §. 2. Wer ein Bergwerk2*), einen Steinbruchs), eine Gräberei26) (Grube) oder eine Fabrik2?) betreibt2^), haftet20), wenn ein Bevollmächtigter30) oder ein Repräsentant3 ^) oder eine 19) H. Betriebsunternehmer ist nicht der Eigenthümer als solcher, sondern diejenige Person, für deren Rechnung die Bahn betrieben wird. Bei Benutzung desselben Schienengeleises durch mehrere Unternehmer haftet derjenige, bei dessen Betriebe der Unfall sich ereignet hat, R O.H.G. v. 15. Dez. 1876, Entsch. 21 S. 266; R.G. v. 19. Mai 1880, Blum's Annal. 2 S. 188. Ist der Unfall durch die beiderseitige, auf Betrieb der Bahn gerichtete Thätigkeit zweier Unternehmer herbeigeführt, so haften beide Bahnen solidarisch, die Einrede der Theilung oder der Voraus­ klage findet nicht statt, R.O.H.G. v. 23. Jan. 1877, Entsch. 21 S. 361, v. 29. Okt. 1877, Entsch. 23 S. 1. Auch der Eisenbahnbau-Unternehmer ist Betriebsunternehmer, wenn er Eisenbahngeleise für Arbeitszüge auf seine Rechnung benutzt — R.G. v. 16. April 1880, Entsch. 1 S. 279 —, sonst nicht, R.O.H.G. v. 28. Okt. 1874, Entsch. 14 S. 425. 20) H. Der §. 1 enthält nicht eine auf frühere Fälle anwendbare Beweisregel, R.O.H.G. v. 13. Rov. 1873, Entsch. 11 S. 339. — Der Verletzte hat nicht nachzuweisen, auf welche be­ stimmte, mit dem Betriebe verbundene Gefahr der einzelne Unfall in höherem oder geringerem Maße zurückzuführen sei, R.O.H.G. v. 17. Mai 1876, Entsch. 21 S. 9. 21) H. Ueber den Begriff der „höheren Gewalt" vgl. die Urtheile des R.O.H.G. v. 4. Mai 1871 u. v. 12. Rov. 1872, Entsch. 2 S. 247 u. 8 S. 26, u. des R.G. v. 13. April u. v. 9. Juli 1880, Entsch. 1 S. 253 u. Blum's Ann. 2 S. 357, sowie v. 8. Jan. 1881, Gruchot25 S. 1050. 22) H. Beispiele in den Entsch. des R.O.H.G. 8 S. 202, 10 @.411, 15 S. 165, 19 S. 26 u. 294, 21 S. 237, 22 S. 313; in den Entsch. des R.G. 1 S. 48 u. 50. Eigenes Verschulden eines verletzten Arbeiters ist nicht schon dann anzunehmen, wenn der­ selbe gegen eine von dem Betriebsunternehmer gegebene allgemeine Bestimmung verstößt; bleibt diese Bestimmung in weitem Umfange von den Organen des Unternehmers unbeachtet, oder bedingt die nothwendige Beschleunigung einer Maßregel ein Abweichen von der Regel, so kann im einzelnen Falle der Arbeiter ohne Verschulden sein. R.G. v. 4. März 1881, Entsch. 4 S. 25. Bei konkurrirendem Verschulden des Verletzten und des Unternehmers kommen die allge­ meinen Bestimmungen des Landesrechts über Konkurrenz der Verschulden nicht in Betracht; es ist ein Abwägen des beiderseitigen Verschuldens nach Art und Grad sonne nach dem Einfluß derselben auf den einzelnen Unfall erforderlich, R.O.H.G. v. 9. Mai 1876, Entsch. 20 S. 135. Vergl. Anm. 33. 23) L. Durch eigenes Verschulden muß der Unfall verursacht sein; es ist eine unmittelbare Kausalbeziehung erforderlich. R.O.H.G. v. 10. Sept. 1873, Entsch. 10 S. 411. 24) H. Was unter „Bergwerk" zu verstehen, ist aus diesem Gesetze, nicht aus dem Landes­ recht zu entnehmen. Das Gesetz meint damit Anlagen, vermittelst deren nach Aufdeckung der Fundstätte Mineralien bergmännisch gewonnen werden. Darunter fallen nicht die Herstellung eines Tunnels (R.O.H.G. v. 10. März 1876, Entsch. 20 S. 3), das Aufsuchen der Lagerstätte der Mineralien — Bohren, Schürfen — (R.O.H.G. v 22. April 1879, Entsch. 25 S. 145). 25) H. Unter dem Betreiben eines „Steinbruches" ist ein Unternehmen zu verstehen, dessen Zweck sich unmittelbar auf das Gewinnen von Steinen zur Verwerthung oder Benutzung bezieht, so daß die Steine das zu erzielende Produkt bilden. Brechen von Gestein zur Herstellung eines Tunnels oder einer Strahenanlage ist kein Steinbruchbetrieb, R.O.H.G. v. 10. März 1876, Entsch. 20 S. 3. 26) H. Der Ausdruck „Gräberei" ist im bergtechnischen Sinne gemeint und bezeichnet eine Anlage behufs Gewinnung der in den sog. oberflächlichen Lagerstätten vorkommenden Fossilien. Von der Grube unterscheidet sich die Gräberei dadurch, daß sie unmittelbar am Tage geführt wird und eigentlicher bergmännischer Vorkehrungen nicht bedarf. Daher gehört die Hebung und Fortschaffung von Erdmassen zu baulichen Zwecken nicht hierher. R.O.H.G. v. 10. März 1876, Entsch. 20 S. 3, u. v. 24. Mai 1878, Entsch. 23 S. 403. 27) H. Fabrik ist eine umfangreiche technische Anlage zur Bearbeitung beweglicher Sachen (Genzmer a. a. O. S. 62 unter 4). Beispiele: die Maschinenwerkstatt einer Eisenbahn, R.O.H.G. v. 17. März 1874, Entsch. 13 S. 81; Hüttenwerke, R.O.H.G. v. 22. Sept. 1874, Entsch. 14 S. 196; eine im Großen, wenn auch als landwirthschaftliches Nebengewerbe betriebene Ziegelei, R.O.H.G. v. 22. Sept. 1877, Entsch. 22 S. 415. — Daß die Fabrikate lediglich für den Gebrauch oder Verbrauch des Unternehmers der Anstalt fertig gestellt werden, schließt den Begriff der Fabrik nicht aus, R.O.H.G. v. 21. Okt. 1878, Entsch. 24 S. 103. 28) H. Die Haftpflicht aus dem Betriebe ist nicht dem Eigenthümer des Bergwerks, der Fabrik re. als solchem, sondern dem Betreibenden aufgelegt. Vgl. Anm. 15, sowie R.O.H.G.

Von Pflichten und Rechten aus unerlaubten Handlungen.

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zur Leitung oder Beaufsichtigung des Betriebes oder der Arbeiter angenommene Person3-) durch ein Verschulden ") in Ausführung der Dienstverrichtungen den Tod oder die Körperverletzung eines Menschen herbeigeführt hat, für den dadurch entstandenen Schaden").

v. 24. Jan. 1874, Entsch. 16 S. 4. Der dingliche Gerichtsstand ist daher nicht begründet, ebenda S. 5. — Zum Begriff des Betreibens gehört, daß der Unternehmer auf eigene Rechnung den Betrieb bewirkt, z. B. als Pächter; wer aber behufs Ausnutzung durch den Eigenthümer Arbeiten in der Anlage übernimmt, ist nicht Betriebsunternehmer, R.O.H.G. v. 17. Okt. 1876, Entsch. 21 S. 175. Die Anwendung des §. 2 setzt einen ursächlichen Zusammenhang des Unfalls mit dem Betriebe des Unternehmens (Bergwerk, Fabrik rc.) voraus, d. h. die Verrichtung, bei welcher der Unfall sich ereignet hat, muß mit dem technischen und mechanischen Betriebe des Unter­ nehmens in Verbindung stehen. Nicht vorausgesetzt ist ursächlicher Zusammenhang des Unfalls mit eigenthümlicher Gefährlichkeit des Betriebes, R.O.H.G. v. 4. Jan. 1877, Entsch. 21 S. 276; R. G. v. 13. Mai 1881, Entsch. 4 S. 98. Daß die betreffende Verrichtung außerhalb der Ge­ schäftsräume der Fabrik ausgeführt worden, schließt die Anwendung des §. 2 nicht aus, wenn sie nur als ein Theil des Fabriksbetriebes anzusehen ist, R.O.H.G. v. 31. Mai 1879, Entsch. 25 S. 201. Letzteres trifft aber in der Regel nicht zu, wenn das vollständig fertige Fabrikat sich außerhalb der zur Fabrikation bestimmten Räume bereits auf dem Transporte nach dem Orte der anderweitigen Bestimmung befindet, R.O.H.G. v. 13. Juni 1877, Entsch. 22 S. 311; R.G. v. 16. Dez. 1879, Entsch. 1 S. 47. Nicht auszudehnen ist die Haftpflicht des §. 2 auf Verrichtungen, die, bevor der wirkliche Gewerbebetrieb begonnen, denselben nur vorbereiten, oder bei eingestelltem Betriebe Reparaturen oder Bauten zur Einrichtung der Fabrik bezwecken, R.O.H.G. v. 20. April 1876 u. v. 21. Juni 1879, Entsch. 20 S. 13, 25 S. 219; R.G. V v. 19. Okt. 1881, Gruchot 26 S. 1110. 29) H. Die Haftung entspringt zwar aus einem außerkontraktlichen Verschulden, der be­ zügliche Anspruch richtet sich aber nicht gegen den, welcher dies Verschulden begangen hat, sondern gegen dessen Machtgeber oder Dienstherrn, erscheint also als obligatio quasi ex delicto nach dem Muster des code civil art. 1384, R.O.H.G. v. 24. Jan. 1874 u. 4. Jan. 1877, Entsch. 16 S. 4, 21 S. 276. 30) H. Als „Bevollmächtigter" kann nur betrachtet werden, wer in einem gewissen Vertragsverhültniß, wenn auch nur bei den technischen Geschäften des Gewerbebetriebes zu dem Unternehmer steht. Dies ist nicht der Fall bei einem Markscheider, welcher selbstständig und unter eigener Verantwortlichkeit die ihn: übertragene Arbeit, wie die Anfertigung eines dem Bergbaubetriebe zu Grunde zu legenden Specialrisses in Ansehung des Flözes, auszuführen hat. RG. v. 9. Okt. 1880, Blum's Ann. 2 S. 495. Vgl. übrigens Entsch. des R.O.H.G. 21 S. 175. Ein Gesellschafter einer offenen Handelsgesellschaft, der nicht von der Geschäftsführung ausgeschlossen ist, muß im Hinblick auf )eine Rechte und Pflichten (H.G.B. Art. 102) als Bevoll­ mächtigter der Gesellschaft im Sinne des §. 2 angesehen werden, R.G. v. 20. Okt. 1880, Blum's Ann. 2 S. 496. 31) H. Die Firma einer Fabrik haftet, wenn dem Theilhaber der Firma bei der Leitung des technischen Betriebes ein Verschulden zur Last fällt, weil der Theilhaber in diesen: Fall als Repräsentant zu betrachten ist, R.O.H.G. v. 9. Juni 1875, Entsch. 18 S. 216. 32) H. Zu diesen Personen gehört ein bloß ausführender Arbeiter nicht, R.O.H.G. v. 22. Sept. 1874, Entsch. 14 S. 196. Gemeint ist jede Person, die nicht bloß ausführender Arbeiter ist, sondern irgendwie anzuordnen, zu befehlen, zu beaufsichtigen oder zu leiten hat, es kommt dabei nicht auf den Umfang der Leitung, sondern nur darauf an, ob das Verschulden innerhalb der Grenze derselben, innerhalb des Wirkungskreises, stattgefunden hat, R.O.H.G. v. 11. Okt. 1877, Entsch. 23 S. 46; R.G. v. 19. Dez. 1879, Blum's Annal. 1 S. 322, v. 3. Dez. 1880, Entsch. 3 S. 4. 33) H. Die Proxis der beiden Reichsgerichte geht auch hier — vgl. Anm. 18 — von der Anschauung aus, daß sich das Haftpflichtgesetz nach seinen: Zwecke und seinen: gesammten übrigen Inhalte als ein besonderes und aus sich selbst auszulegendes Gesetz darstelle. Der Begriff des Ver­ schuldens im Sinne des §. 2 ist dahin ausgelegt, daß nicht zwischen leichtem und schwerem Versehen zu unterscheiden und daß Verschulden nicht bloß in positiven: Handeln, sondern auch in Unterlassen liegen könne — R.O.H.G. v. 27. Jan. 1874, Entsch. 12 S. 303 —, daß der wörtliche Inhalt des Gesetzes nicht durch Anwendung a llgemeiner Prinzipien über außerkontrakt­ liches Verschulden eingeschränkt werden dürfe — R.G. v. 23. Jan. 1880 u. v. 10. Febr. 1882, Entsch. 1 S. 48, 7 S. 8 — ,^daß insbesondere bei konkurrirendem Verschulden des Verletzten die Landesrechte, z. B. L.R. I. 6 §§. 18—21, nicht entscheiden — R.O.H.G. v. 9. Febr. 1875, Entsch. 16 S. 111; R.G. v. 7. Febr. 1880, Gruchot 24 S. 1112.

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Erster Theil.

Sechster Titel.

§. 138 (Zusätze).

§. 3. Der Schadenersatz (§§. 1. und 2.) ist zu leisten33 * *): 34 * * 35 * * 36 ********** 1) im Falle der Tödtung durch Ersatz der Kosten einer versuchten Heilung und der Be­ erdigung, sowie des Vermögensnachtheils, welchen der Getödtete während der Krankheit durch Erwerbsunfähigkeit oder Verminderung der Erwerbsfähigkeit erlitten hat. War der Getödtete zur Zeit seines Todes vermöge Gesetzes verpflichtet, einem Andern Unterhalt zu gewähren33), so kann dieser insoweit Ersatz fordern37), als ihm in Folge des Todes­

falles der Unterhalt entzogen worden ist;

Hat ein Arbeiter einem ihm ertheilten Befehle gemäß gehandelt, so wird das Verschulden dessen, der den Befehl ertheilt hat, dadurch nicht beseitigt, daß der Arbeiter die Gefährlichkeit der befohlenen Verrichtung kannte, R.O.H.G. v. 9. Nov. 1875 u. v. 24. März 1876, Entsch. 19 S. 26 u. S. 412; R.G. v. 28. Sept. 1880, Entsch. 3 S. 1. Unterlassene Belehrung des Arbeiters ist dem Leitenden nicht unter allen Umständen, wohl aber dann als Verschulden anzurechnen, wenn der Leitende bei Anwendung der ihm obliegenden Sorgfalt sich hätte sagen müssen, daß zur Verhütung einer naheliegenden Gefahr Belehrung am Platze sei. Beispiele: R.O.H.G. v. 27. Jan. u. v. 21. Nov. 1874, Entsch. 12 S. 303, 15 S. 92; R.G. v. 10. Dez. 1879, Blum's Ann. 1 S. 209, v. 8. April 1881, Entsch. 4 S. 23. Beispiele des Verschuldens des Leitenden: durch Unterlassen schützender Einrichtungen, R.O.H.G. v. 18. März 1876, Entsch. 20 S. 240; R.G. v. 23. Dez. 1879, Entsch. 1 S. 273; durch zwar übliche Vorrichtungen, deren Ueblichkeit aber eine allgemeine unverzeihliche Nachlässig­ keit in sich schließt, R.O.H.G. v. 11. Okt. 1877, Entsch. 23 S. 47; durch Vernachlässigung der gesetzlich vorgeschriebenen Sicherheitsoorrichtungen, R.O.H.G. v. 9. Juni 1876, Entsch. 20 S. 165; vgl. R.G. v. 1. Juni 1880, Entsch. 1 S. 275. Weit überwiegendes Verschulden des Verletzten schließt die Haftpflicht aus §. 2 aus, R.O.H.G. v. 9. Febr. 1875, Entsch. 16 S. 111; R.G. v. 10. Juli 1880, B lum's Annal. 2 S. 480. 34) H. Der Umfang des zu ersetzenden Schadens wird durch die §§. 3 u. 9 bestimmt. 35) H. Die Pflicht, den Schaden zu ersetzen, kann nicht durch die Behauptung beseitigt werden, daß der Verletzte eigenes Vermögen besitzt oder Subsidiar-Alimentationspflichtige habe. R.O.H.G. v. 5. März 1874, Entsch. 13 S. 24, 14 S. 408. Die Bestimmungen des §. 3 derogiren den abweichenden Vorschriften der Landesgesetze, welche die Bemessung des Schadensersatzes betreffen. Ersatz anderer Schäden als der im §. 3 bezeichneten kann nicht gefordert werden. R.O.H.G. v. 27. Jan. 1874 u. 14. März 1876, Entsch. 12 S. 303, 19 S. 396; R.G. v. 5. Jan. 1881, Entsch. 3 S. 319. 36) H. Ob eine gesetzliche Verpflichtung zur Unterhaltsgewährung bestand, ist nach den Landesgesetzen zu beurtheilen. War der durch einen Betriebsunfall Getödtete Erzeuger eines bei seinem Tode noch nicht geborenen Kindes, so kann im Gebiete des L.R. auch für dieses Kind Schadensersatz beansprucht werden; eben so kann die Mutter eines unehelichen Kindes Ersatz für die Entbindungskosten verlangen. R.O.H.G. v. 12. Febr. 1878, Entsch. 23 S. 197. Ist die Verpflichtung des Getödteten zur Unterhaltsgewährung an seine Kinder nach dem Landesrecht von der Unterhaltungsbedürftigkeit derselben abhängig, so ist letztere auch Vor­ aussetzung des Ersatzanspruchs der Kinder aus §. 3, R.O.H.G. v. 5. März 1874, Entsch. 13 S. 24. Eben so in Ansehung des Ersatzanspruchs der Aeltern des Getödteten, R.G. v. 11. März 1881, Entsch. 4 S. 104. Es kommt aber nicht daraus an, ob die Unterhaltungsbedürftigkeit schon zur Zeit des Todes des Pflichtigen bestand, oder erst später eintrat; ebenda. Es kommt nur darauf an, daß die Unterhaltungspflicht des Getödteten zur Zeit seines Todes bestand; daß sie erst nach dem Unfall entstanden ist, z. B. durch Eheschließung des Ver­ letzten, ist unerheblich. R O.H.G. v. 3. Sept. 1878, Entsch. 24 S. 115; R.G. v. 27. Jan. 1880, Entsch. 1 S. 49. Der §. 3 setzt in Nr. 1 außer dem Bestehen der gesetzlichen Unterhaltungspflicht nicht auch voraus, daß dieselbe von dem Verunglückten thatsächlich erfüllt wurde, R.O.H.G. v. 21. Mai 1875, Entsch. 18 S. 3. 37) H. Die Forderung ist auch dann begründet, wenn eine subsidiäre gesetzliche Alimen­ tationspflicht anderer Verwandten besteht, R.O.H.G. v. 5. März 1874, Entsch. 13 S. 24, v. 19. Okt. 1874, Entsch. 14 S. 408, v. 23. Febr. 1878, Entsch. 23 S. 299. Ob eigene Erwerbsfähigkeit den Ersatzanspruch ausschließt oder mindert, ist nach dem Stande, den Vermögensverhältnissen und dem seither bethätigten Gebrauch der Familienglieder zu be­ urtheilen, R.O.H.G. v. 19. Okt. 1874, Entsch. 14 S. 408; R.G. v. 22. Nov. 1881; Entsch. 5, S. 108. Die Höhe des durch den Tod des Unterhaltungspflichtigen entzogenen und deshalb dem Be­ rechtigten zu ersetzenden Unterhalts bestimmt sich nach dem Maße dessen, was der Verunglückte geleistet haben würde, wenn der Unfall nicht eingetreten wäre. Dies hat der Richter unter Berücksichtigung der Lebensverhältnisse der Familie und der Handlungsweise des Verunglückten zu ermessen, wobei auch Verbesserungen, welche in der Lage desselben nach dem natürlichen

Von Pflichten und Rechten aus unerlaubten Handlungen.

321

2) im Fall einer Körperverletzung durch Ersatz der Heilungskosten und des Vermögensnach­ theils, welchen der Verletzte durch eine in Folge der Verletzung eingetretene zeitweise oder dauernde Erwerbsunfähigkeit oder Verminderung der Erwerbsfähigkeit erleidet^). §. 4. War der Getödtete oder Verletzte unter Mitleistung von Prämien oder anderen Beiträgen durch den Betriebs-Unternehurer bei einer Versicherungsanstalt, Knappschafts-, Unter­ stützungs-, Kranken- oder ähnlichen Kasse gegen den Unfall versichert^), so ist die Leistung der Letzteren an den Ersatzberechtigten auf die Entschädigung einzurechnen40), wenn die Mitleistung des Betriebs-Unternehmers nicht unter einem Drittel der Gesammtleistung beträgt44). §. 5. Die in den §§. 1. und 2. bezeichneten Unternehmer sind nicht befugt, die Anwendung der in den §§. 1. bis 3. enthaltenen Bestimmungen zu ihrem Vortheil durch Verträge (mittelst Reglements oder durch besondere Uebereinkunft) im Voraus auszuschließen oder zu beschränken.

Verlaufe der Dinge eingetreten sein würden, in Betracht kommen können. R.O.H.G. v. 22. Okt. 1874, Entsch. 14 S. 341, v. 11. Mai 1878, Entsch. 23 S. 330; R.G. v. 8. Dez. 1880, Gruchot25 S. 1104 u. Blum's Annal. 3 S. 77. — In Betreff der Zeitdauer, für welche der Schadensersatz für entgangene Unterhaltung zuzusprechen, ist die muthmaßliche Lebensdauer des Getödteten maßgebend; hierbei kann auf das Landesrecht zurückgegangen werden. R.O.H.G. v. 19. Okt. 1874, Entsch. 14 S. 408; R.G. v. 22. Nov. 1881, Entsch. 5 S. 108. Die Ersatzforderung besteht vom Tode des Unterhaltungsverpflichteten an, auch wenn sie später geltend gemacht wird, R.O.H.G. v. 10. April 1874, Entsch. 13 S. 87. Die Haftung aus §. 3 Nr. 1 ist nicht als Uebergang der Alimentationspflicht des Ge­ tödteten auf den Haftenden aufzufassen; der bezügl. Entschädigungsanspruch hat daher auch nicht die gesetzlichen Vorzüge der Alimentenansprüche. R.O.H.G. v. 5. u. v. 27. Sept. 1877, Entsch. 22 S. 324 u. S. 347; R.G. v. 23. Jan. 1880, Entsch. 1 S. 231, v. 26. Mai 1882, Entsch. 7 S. 50. 38) H. Die dauernde Unmöglichkeit für den Verletzten, seinen bisherigen Beruf fortzu­ setzen, kann Erwerbsunfähigkeit begründen. Als Beruf kann aber der keine technische oder wissenschaftliche Vorbildung erfordernde Dienst gewöhnlicher Handarbeiter — z. B. Bremser — nicht angesehen werden. Bei diesen ist Erwerbsunfähigkeit nicht schon vorhanden, wenn sie zu einer bestimmten Dienstleistung nicht mehr fähig sind, sondern erst, wenn sie auch andere Handarbeiten nicht mehr leisten können. R.O.H.G. v. 30. Juni 1874, Entsch. 14 S. 44. Bei geminderter Arbeitsfähigkeit hat der Verletzte seine Arbeitskraft gegen Fortempfang seiner ganzen bisherigen Diensteinkünfte dem Entschädigungsverpflichteten zu widmen, aber nur so weit, als die von ihm geforderte Thätigkeit seinen Kenntnissen, seinem Bildungsgrade und seiner früheren Stellung entspricht. R.O.H.G. v. 5. Nov. 1875, Entsch. 19 S. 12. Durch Uebernahme einer anderen angemessenen, aber geringer bezahlten Beschäftigung verzichtet der Verletzte nicht auf den Ersatz des Mindereinkommens. R.O.H.G. v. 15. März 1875, Entsch. 16 S. 177. Für die Berechnung des wegen Minderung der Erwerbsfähigkeit zu gewährenden Schadens­ ersatzes ist zunächst diejenige Lage maßgebend, in welcher sich der Verletzte zur Zeit der Ver­ letzung befunden hat. Der Haftende hat die Umstände darzulegen, wodurch die Ersatzpslicht ein­ geschränkt wird, insbesondere daß der Verletzte Gelegenheit hat, durch anderweite Thätigkeit Erwerb zu erzielen. R.O.H.G. v. 14. Jan. 1873, Entsch. 8 S. 370. Der zur Zeit des Unfalls von dem Verletzten bezogene Gehalt repräsentirt den ökonomischen Werth der Erwerbsfähigkeit des Verletzten zur Zeit des Unfalls. R.O.H.G. v. 4. Mai 1877, Entsch. 22 S. 158. Der Schadensersatzpflichtige, welcher eine Rente wegen eingetretener Erwerbsunfähigkeit zu zahlen hat, wird nicht bei jeder zeitweiligen Einwirkung anderer Ursachen, welche den Ver­ letzten, wenn er noch erwerbsfähig wäre, ebenfalls für die betreffende Zeit erwerbsunfähig ge­ macht haben würde, für diese Zeit von der Rentenzahlungspflicht frei. R.O.H.G. v. 11. Okt. 1877, Entsch. 23 S. 47. Diese Befreiung tritt aber für die Dauer der Verbüßung einer Zucht­ hausstrafe, zu der der Berechtigte verurtheilt ist, ein, R.G. v. 23. Dez. 1879, Entsch. 1 S. 66. 39) H. Die Worte „gegen den Unfall versichert" sind nicht streng technisch zu nehmen. Pensionskassen, zu welchen regelmäßige und dauernde Leistungen beigetragen werden, und welche für bleibend leistungsfähig zu erachten, gehören auch hierher. R.O.H.G. v. 5. März 1874, Entsch. 13 S. 24. 40) H. Auf die Entschädigung muß der volle Betrag der Pension und Erziehungsgelder, welche von einer dem §. 4 entsprechenden Kassen gezahlt und noch zu zahlen sind, angerechnet werden. R.O.H.G. v. 27. April 1877, Entsch. 22 S. 259. 41) H. Es genügen nicht schon gelegentliche freiwillige Zuschüsse, es bedarf vielmehr einer der That und dem Willen nach regelmäßigen und dauernden Mitleistung, aus welcher auf eine bleibende, die Leistungsfähigkeit der Kasse bezweckende Einrichtung sich schließen läßt. R.O.H.G. v. 5. Mürz 1874, Entsch. 13 S. 24, v. 27. April 1877, Entsch. 22 S. 259. 21 Koch, Allgemeine? Londrccht. I. 8. Anfl.

Erster Theil.

322

Vertragsbestimmungen, Wirkung. §. 6

welche

Sechster Titel.

§. 138 (Zusatz).

dieser Vorschrift

entgegenstehen,

haben keine rechtliche

saufgehoben durch §. 13 des Einführungsgesetzes zur Civilprozeßordnung vom 30.

Januar 1877]42). §. 7. Das Gericht hat unter Würdigung aller Umstände über die Höhe des Schadens, sowie darüber, ob, in welcher Art und in welcher Höhe Sicherheit zu bestellen ist, nach freiem Ermessen zu erkennen43). Als Ersatz für den zukünftigen Unterhalt oder Erwerb ist, wenn nicht beide Theile über die Abfindung in Kapital einverstanden sind, in der Regel eine Rente zuzu­

billigen 44).45 Der Verpflichtete kann jederzeit die Aufhebung oder Minderung der Rente fordern, wenn diejenigen Verhältnisse, welche die Zuerkennung oder Höhe der Rente bedingt hatten, inzwischen wesentlich verändert sind"). Ebenso kann der Verletzte, dafern er den Anspruch auf Schaden-

42) H. Der §. 6 enthielt prozessualische Beweisvorschriften, an deren Stelle jetzt die Be­ stimmungen der C.P.O. über das Beweisverfahren, insbesondere die §§. 259, 260, zur Anwen­ dung kommen. 43) H. Strafrechtliche Entscheidungen, die auf den Unfall Bezug haben, sind ohne Ein­ fluß auf die Entscheidung des Civilrichters über den Schadensanspruch, insbesondere über die Frage nach dem Verschulden. Vgl. Entsch. des R.O.H.G. 14 S. 409, Eins.Ges. zur C.P.O. §. 14, C.P.O. §. 259. Jedoch bleibt zu beachten, daß nach der Bestimmung des Strafgesetzbuches 8- 231 eine erkannte Buße die Geltendmachung eines weiteren Entschädigungsanspruches ausschließt. Ueber den Umfang der Verpflichtung einer Versicherungsanstalt, bei welcher ein Betriebs­ unternehmer in Ansehung der Ersatzverpflichtungen, die ihn nach dem Haftpflichtgesetze treffen sollten, Versicherung genommen hat, vgl. R.G. v. 22. Jan. 1880, Entsch. 3 S. 21.

44) H. Heilungskosten können in Form einer Erhöhung der Rente zugesprochen werden, wenn die durch die Verletzung verursachte dauernde Kränklichkeit unausgesetzte Pflege und er­ höhte Lebensbedürfnisse erheischt, R.G. v. 19. Okt. 1880, Entsch. 3 S. 3. Gebräuchliche und deshalb bei der Uebernahme gewisser Stellen, z. B. eines Pferdebahn­ schaffners, wesentlich in Betracht gezogene Trinkgelder können bei Bemessung der Höhe der Rente berücksichtigt werden, R.G. v. 23. Sept. 1882, Entsch. 7 S. 112. In welchen Terminen die Rente zu zahlen sei, und ob am Anfang oder am Ende der einzelnen Zeitabschnitte, fällt in das Gebiet des richterlichen Ermessens, wobei die frühere Erwerbsart des Verletzten und das Lebensbedürfniß hauptsächlich in Betracht kommen. Vgl. die Entscheidungen des R.O.H.G. v. 8. März 1878, Entsch. 23 S. 219, und des R.G. v. 10. Mai, 10. Juli und 12. Nov. 1880 in Blum's Annal. 2 S. 190 und 479, 3 S. 82. In Ansehung der Natur der in Rede stehenden Rente vgl. den letzten Absatz der Anm. 37. 45) H. Der Verpflichtete kann eine Minderung der durch rechtskräftiges Erkenntniß fest­ gesetzten Rente nur verlangen, wenn eine wesentliche Veränderung der Verhältnisse „inzwischen", d. h. seit der Zuerkennung der Rente, eingetreten ist, R.G. v. 1. Okt. 1881, Entsch. 5 S. 98. Das Urtheil des R.O.H.G. v. 21. Juni 1879, Entsch. 25 S. 219, vertritt die Anschauung, es komme nur darauf an, daß diejenigen Verhältnisse, welche für die frühere Entscheidung maß­ gebend waren, in Wirklichkeit nicht mehr existiren, mögen sie in der Vergangenheit wirklich be­ standen haben oder auch schon damals nur irriger Weise als bestehend angenommen sein; aus der Nichtgeltendmachung jener Verhältnisse in dem früheren Prozesse könne jedoch unter Um­ ständen auf einen Verzicht der Berücksichtigung derselben geschlossen werden. Beispiele in Ansehung der Art der veränderten Verhältnisse: Entsch. des R.O.H.G. 22 S. 154 u. 347, 23 S. 46, 24 S. 367. Im Hinblick auf den gesetzlichen Minderungsanspruch hat das Urtheil in Betreff der Höhe der Rente die Natur eines Interimistikums. Daß in dem Urtheile das Minderungsrecht aus­ drücklich vorbehalten werde, kann als überflüssig nicht beansprucht werden, R.O.H.G. v. 14. Jan. 1873, Entsch. 8 S. 373. Fortfall oder Minderung der Rente findet nicht für die Vergangen­ heit, sondern nur von dem Tage der Erhebung der die Aenderung fordernden Klage statt, R.O.H.G. v. 21. Jan. 1879, Entsch. 24 S. 399; R.G. v. 28. Jan. 1880, Gruchot 24 S. 1114, Neichsanz. v. 14. Juli 1880. Vgl. den letzten Absatz der Anm. 38. War dem Verletzten die Rente nur auf Zeit zugesprochen, so kann auf Grund der inzwischen eingetretenen Veränderung der Verhältnisse die Fortdauer der Rente beansprucht werden, R.G. v. 9. Juni 1880, Entsch. 2 S. 3. Der zur Zahlung einer Rente Verpflichtete hat bis zur rechtskräftigen Entscheidung über den Minderungsanspruch die fällig werdenden Renten dem Berechtigten zu bezahlen; er ist weder

Von Pflichten und Rechten aus unerlaubten Handlungen.

323

ersatz innerhalb der Verjährungsfrist (§. 8.) geltend gemacht hat, jederzeit die Erhöhung oder Wiedergewährung der Rente fordern, wenn die Verhältnisse, welche für die Feststellung, Minde­ rung oder Aufhebung der Rente maßgebend waren, wesentlich verändert sind. Der Berechtigte kann auch nachträglich die Bestellung einer Sicherheit oder Erhöhung derselben fordern, wenn die Vermögensverhältnisse des Verpflichteten inzwischen sich verschlechtert haben. §. 8. Die Forderungen auf Schadenersatz (§§. 1. bis 3.) verjähren in zwei Jahren vom Tage des Unfalls an. Gegen denjenigen, welchem der Getödtete Unterhalt zu gewähren hatte (§. 3. Nr. 1.), beginnt die Verjährung mit dem Todestage4^). Die Verjährung läuft auch gegen Minderjährige und diesen gleichgestellte Personen von denselben Zeitpunkten an, mit Ausschluß der Wiedereinsetzung. §. 9. Die Bestimmungen der Landesgesetze, nach welchen außer den in diesem Gesetz vor­ gesehenen Fällen der Unternehmer einer in den §§. 1. und 2. bezeichneten Anlage oder eine andere Person, insbesondere wegen eines eigenen Verschuldens für den bei dem Betriebe der Anlage durch Töd'tung oder Körperverletzung eines Menschen entstandenen Schaden haftet, bleiben unberührt47). Die Vorschriften der §§. 3. 4. 6. bis 8. finden auch in diesen Fällen Anwendung, jedoch unbeschadet derjenigen Bestimmungen der Landesgesetze, welche dem Beschädigten einen höheren Ersatzanspruch gewähren 48). §. 10 sfällt fori]49). befugt zu deponiren, noch kann er Sicherheitsbestellung verlangen. R.O.H.G. v. 21. Juni 1879, Entsch. 25 S. 219. . 46) H. Die hier u. in §. 9 Abs. 2 angeordnete Verjährung bezieht sich nicht auf Sach­ beschädigungen, sondern nur auf Beschädigungen der Person. Die Unterbrechung der Verjährung durch Anerkenntniß (L.R. 1. 9 §. 562) ist durch §. 8 nicht ausgeschlossen. R.O.H.G. v. 28. Juni 1875, Entsch. 18 S. 60. Die Frage, ob die in §. 8 angeordnete kurze Verjährung auch auf Unfälle Anwendung findet^ welche sich vor dem Erlasse des Gesetzes ereignet haben, entscheidet sich nach den all­ gemeinen Grundsätzen über die Rückwirkung von Verjährungsvorschriften. Die angefangene Ver­ jährung begründet kein wohlerworbenes Recht, die neue kürzere Verjährung muß aber noch voll gewährt werden. R.O.H.G. v. 25. Febr. 1876, Entsch. 20 S. 1. Da der Anspruch in der Verjährungszeit gellend gemacht werden muß, so können durch §. 8 Ansprüche ausgeschlossen werden, die vor Ablauf der Verjährungsfrist noch gar nicht zu Tage getreten waren; vgl. das in Abs. 1 eit. Erkenntniß. Durch Anstellung der Anerkennungs ­ klage kann aber die Verjährung des ganzen Klagerechts unterbrochen werden. R.G. v. 2. Dez. 1879, Reichsanz. 1880 Beil. 3. Der Lauf der Verjährung des selbstständigen Anspruches eines Unterhaltungsberechtigten auf Schadensersatz wegen entzogenen Unterhalts (§. 3 Nr. 1 Satz 2) beginnt erst mit dem Todestage des Verletzten, gleichviel, ob ein Anspruch innerhalb zweier Jahre nach dem Unfall oder später entstanden ist. R.G. v. 27. Jan. 1880, Entsch. 1 S. 49. Nachsuchung des Armenrechts unterbricht die Verjährung nicht. R.G. V v. 5. Okt. 1881, Gruchot 26 S. 1111. Mit der Unterbrechung der Verjährung beginnt eine neue Verjährung von gleicher Dauer. R. G. V v. 13. Juli 1881, Gruchot 26 S. 1113. 47) H. Also auch die über die Bestimmungen des Haftpflichtgesetzes hinausgehenden Vor­ schriften des preuß. Eisenbahngesetzes von 1838 §. 25 (Zus. 5 zu §. 138 d. T.). R.G. v. 5. Jan. 1881, Entsch. 3 S. 319. Wegen der auf Specialvorschriften der Reichs-Gewerbeordnung (insbesondere auf §. 120, früher §. 107) zu gründenden Ansprüche vgl. Entsch. des R.O.H.G. 20 S. 165 u. des R.G. 1 S. 273, 275. Vgl. ferner Entsch. des R.O.H.G. 19 S. 396, 24 S. 311; Gruchot 25 S. 950 Nr. 67. 48) H. Der §. 8 des Haftpflichtgesetzes findet bei Ansprüchen, die auf Grund landes­ gesetzlicher Bestimmungen erhoben werden (§. 9 Abs. 1), auch dann Anwendung, wenn der betr. Unfall vor dem Tage der Gesetzeskraft des Haftpflichtgesetzes eingetreten, die landesgesetzliche Berjährungsfrist aber an diesem Tage noch nicht abgelaufen war. R.O.H.G. v. 25. Febr. 1876, Entsch. 20 S. 1. 49) H. Der §. 10 betraf die Zuständigkeit des R.O.H.G. und ist beseitigt durch die Be­ stimmungen in der E.P.O. §§. 507 ff., 511, 530 ff. und in dem Gerichtsverfassungsgesetz §. 135.

324

Erster Theil.

Siebenter Titel. §§. 1—8.

«Siebenter Titel. Von Gewahrsam und Besitz*). Begriff.

§. 1. Wer das physische Vermögen hat, über eine Sache mit Ausschließung Anderer zu verfügen*1), der hat sie in seiner Gewahrsam, und wird Inhaber der­ selben genannt. §. 2. Auch der ist ein bloßer Inhaber, der eine Sache nur in der Absicht, darüber für einen Andern oder in dessen Namen zu verfügen2), in seiner Gewahr­ sam hat. §. 3. Wer aber eine Sache in der Absicht, darüber für sich selbst zu verfügen, unmittelbar oder durch Andere, in seine Gewahrsam nimmt, der wird Besitzer der Sache3). *) Nach der Absicht der Vers, des L.R. sollte in der Lehre von: Besitze wesentlich der v o r gefundene Rechtsstand festgestellt werden. Als Erkenntnißquelle wird das R. R. bezeichnet: die einheimische Gesetzgebung hatte sich mit dem Besitze auch nicht befaßt. Das R. R. wurde nach der Darstellungsweise der Schriftsteller aufgefaßt, die gerade in dieser Lehre mehr als in jeder anderen in ihren Vorstellungen von einander abwichen. Die Verf. selbst stimmten in ihren Ausdrücken und Begriffen nicht überein. Wahre Quelle des L.R. sind somit die Meinungen und Ansichten der einzelnen Verfasser dieses Titels und die Schriften der von ihnen benutzten Schriftsteller, als welche Berger, Leyser, Westphal, Spangenberg, Voet, Strube und Wern her genannt werden. Darüber s. m. die merkwürdigen Materialien des L.R. zu den Lehren vom Gewahrsam und Besitz von Simon und v. Strampff, auch als III. Band der Zeitschrift für wissenschaftliche Bearbeitung des Preuß. Rechts. Berlin 1836. — II. Vgl. Koch, Lehre vom Besitz nach Preuß. Rechte; Korte, über den Besitz und Schutz des Besitzes von Rechten, Gruchot o S. 101; Fö rster-Eecius, Theorie u. Praxis, 3 HH. 157 ff.; Dernburg, Preuß. Privatr. 1 §§. 148 ff. 1) Das heißt, wer thatsächlich in der Lage ist, mit einer Sache willkürlich und ausschließlich zu verfahren, damit zu machen was ihm gutdünkt. Eine Berechtigung dazu wird hierbei nicht vorausgesetzt, auch wird eine Willenserklärung (Rechtshandlung) unter der Verfügung nicht gemeint, obgleich nicht ausgeschlossen. In der Erscheinung äußert dieser thatsächliche Zustand sich als die Ausübung des Eigenthums. H. Nicht zu billigen ist die Annahme in dem Erk. d. O.Tr. Strass. I v. 12. März 1869, Entsch. 62 S. 5*, daß derjenige, welcher eine Sache zu einer in seiner Gegenwart vorzunehmenden Manipulation einem Andern giebt, dadurch die Gewahrsam der Sache auf den Andern übertrage. Die zurückgewiesene N. B. machte mit Recht geltend, daß der Erstere hierdurch die Möglichkeit, über die Sache mit Ausschließung des Andern zu verfügen, nicht verloren habe. Die Entscheidung verstößt mit der Annahme, daß ein Prekarium vorliege, zugleich gegen §. 106, wonach zum Begriffe desselben gehört, daß der Prekarist die Sache für sich benutzt, und der Andere dies nur aus Freundschaft und Gefälligkeit gestattet, zwei Begriffsmomente, von denen bei dem unterstellten Sachverhalt nicht die Rede sein konnte. — Anm. 98 zu §. 122 d. T. 2) Damit ist nicht etwa eine besondere Art von Inhabern bezeichnet. Nach der Absicht, welche eine Person, die sich in dem im §. 1 bezeichneten thatsächlichen Verhältnisse zu einer Sache befindet, damit verbindet, ist sie ein bloßer Inhaber oder ein Besitzer. Die Absicht des In­ habers muß negativ dahin ausgedrückt werden, daß er nicht für sich die Sache haben will. Das ist auch der Fall mit dem Inhaber, von welchem der §. 2 spricht. Den Gegensatz drückt der §. 3 aus. Das R. R. unterscheidet die verschiedenen Inhaber in dieser Weise nicht. Die Verfasser mußten dies thun, weil sie in einem Falle, wo der Inhaber allerdings die Absicht für sich zu haben hat, doch nicht Besitz annehmen, nämlich wenn die Besitzergreifung fehlerhaft ist. §§. 98, 108 d. T. — H. Ueber die juristische Qualifikation des Besitzes des Testaments­ exekutors an dem Nachlaß vgl. Hin sch ins in der Zeitschr. f. Gesetzgeb. 1 S. 518 u. 656. 3) Die Absicht, für sich selbst zu verfügen, macht den Inhaber zum Besitzer, mit Aus­ nahme des in der vor. Anm. 2 gedachten Falles. Der animus possidendi muß jedoch nicht nothwendig auf das Eigenthum gehen (animus domini), er muß aber jedenfalls ein animus sibi habendi sein, d. h. darauf gerichtet sein, die Sache zu irgend einem eigennützigen Zwecke zu haben. H. Beispiele: O.Tr. III v. 8. Febr. 1864, Entsch. 55 S. 108, und II v. 27. Febr. 1873, Str. Arch. 38 S. 190 (198). Vergl. §§. 6 u. 7.

Von Gewahrsam und Besitz.

325

§. 4. Wer ein Recht ausübt, ist Inhaber des Rechts^). §. 5. Wer aber ein Recht für sich selbst ausübt, wird Besitzer des Rechts genannt5*).6 **4 §. 6. Wer eine Sache oder ein Recht, zwar als fremdes Eigenthum, aber Vollständiqer doch in der Absicht, darüber für sich selbst zu verfügen, in seine Gewahrsam über- ständiqer°Beübernommen hat, der heißt ein unvollständiger Besitzerö). sitz. §. 7. Vollständiger Besitzer heißt der, welcher eine Sache oder ein Recht als sein eigen besitzt. §. 8. Beruhet dieser Besitz auf einem Rechtsgrunde, durch welchen das Eigen­ thum 7) erlangt werden kann, so ist ein vollständiger titulirter Besitz vorhanden. Dieser Begriff des Besitzes stimmt mit dem Begriffe der röm. possessio überein. Ueber die rechtliche Natur des Besitzes sind die Verfasser nicht im Klaren gewesen. Die Auffassung jener Zeit nahm den Besitz für Thatsache und Recht zugleich, aber in einem anderen Sinne als das R. R.; denn manche zählten den Besitz zu den dinglichen Rechten. So weit sind die Verfasser des L. R. nicht gegangen; denn die Klagen zum Schutze des Besitzes werden als persönliche Klagen aus einer unerlaubten Handlung bezeichnet (§. 148 d. T.), weshalb sie auch dem bloßen Inhaber, nur nicht dem Besitzer gegenüber, zugeschrieben werden (§§. 141, 144, 146). Doch giebt es auch eine Meinung unter den preußischen Praktikern, welche diese Natur der Besitz­ klagen leugnet. Entsch. des O.Tr. 18 S. 16. — Der Nachbar, welcher die Luftsäule über der zwischen seinem und dem gegenüber liegenden Gebäude befindlichen Gasse aus eigenem Rechte benutzt, ist Mitbesitzer der Gasse. O.Tr. III v. 22. Dez. 1851, Str. Arch. 5 S. 225. 4) Gewahrsam aber wird ihm nicht zugeschrieben, diese ist auf körperliche Sachen einge­ schränkt. Siryon, Material. S. 604. 5) Die beiden §§. 4 u. 5 definiren die Juris quasi possessio, und zwar in derselben All­ gemeinheit wie das Eigenthum an Rechten. Der Rechtssatz geht parallel mit dem Eigenthume an Rechten, denn er besteht nach dieser Definition in der Ausübung eines Rechts. In dieser Allgemeinheit hat aber der Rechtsbesitz keine Realität; die possessorischen Rechtsmittel lassen sich nicht auf den Besitz eines jeden Rechts anwenden. Gegenstand des Rechtsbesitzes können eigent­ lich nur solche Rechte sein, bei welchen eine gewaltsame, heimliche, oder bittweise Störung denkbar­ ist. Ob sie dingliche oder nur persönliche sind, ist dabei nicht entscheidend. Gegen Störungen im Besitze negativer Rechte, wenn diese auch persönliche, nicht dingliche sind, sich aber auf den Besitz von Sachen beziehen, findet das possessorische Rechtsmittel statt. O.Tr. I (Pr. 1358) v. 6. Nov. 1843, Präj.S. S. 252. S. jedoch die Anm. 64 zu 8 81. Dagegen kann der Schutz im Besitze eines affirmativen Rechts, — gleichviel, ob solches dinglich oder persönlich, fortdauernd oder nur unter gewissen Verhältnissen wiederkehrend ausgeübt sein möge, — im possessorischen Rechtswege nicht in Anspruch genommen werden. Pr. 1428 v. 22. März 1844, Entsch. 10 S. 97. Ein Dienstbote kann z. B. wegen Nichterfüllung des Dienstkontrakts gegen den Dienstherrn nicht possessorisch klagen, selbst wenn der Kontrakt im Hypothekenbuche einge­ tragen wäre. (Schles. Arch. 5 S. 109.) Eben so steht einem Privatbeamten, insbesondere erneut Förster, wenn ihm als pars salarii die Benutzung eines Grundstücks eingeräumt ist, gegen den Dienstherrn, welcher ihm den Genuß entzieht, doch keine Besitzklage zu, weil, wenn das ganze Verhältniß ein persönliches ist, nicht ein Theil desselben als ein dingliches betrachtet werden kann. Pr. 2098 v. 9. Jan. 1849. In dem Erk. III v. 26. März 1860, Str. Arch. 37 S. 135, ist jedoch ausgesprochen, daß für einen Privatforstbeamten, welchem als Dienstemolument eine Aufhütung eingeräumt ist, der also einen gegen die an sich zulässige Einschränkung seitens des Eigenthümers gerichteten Besitz erworben habe, der Possessorienprozeß zulässig sei. (Sitte auf­ fallende Entscheidung. Die Erwerbung des Besitzes vor der Störung ist ja das Erforderniß zur Begründung einer jeden Besitzklage. Vergl. die Anm. 62 zu §. 80 und Anm. zu 8- 144. — Der Besitz des Rechts der Freiheit von Entrichtung eines Brückengeldes ist der Störung empfänglich und kann in possessorio geschützt werden. O.Tr. II v. 10. Okt. 1862, Entsch. 48 S. 1. H. Vgl. über den Besitz von Rechten Baron bei Gruchot 5 S. 79; Korte a. a. O. S. 101 u. Förster-Eccius 3 S. 29 ff. 6) Unter dem unvollständigen Besitze dachten sich die Vers, den Röm. Naturalbesitz, aber es sind darunter begriffen: 1. die Fälle des sog. abgeleiteten Besitzes des N. R.; 2. die persönlichen Servituten des R. N. und einige andere Jura in re, an welchen eine Juris quasi possessio stattfand; 3. die Fälle, in welchen die Ausübung des Rechts mit der Gewahrsam der Sache, auf welche sich das Recht bezieht, verbunden ist, z. B. Nießbrauch, Pacht, Miethe, Leihe, und in welchen das R. R. gar keinen Besitz annahm. Der Prekarist und Sequester, welche nach R. R. wirklichen Besitz hatten, sind nach L.R. bloße Stellvertreter.

326

Erster Theil.

Siebenter Titel.

§§. 9—19.

§. 9. Der unvollständige Besitzer der Sache ist vollständiger Besitzer des Rechts, dessen er darüber sich anmaßt8). Redlicher, §. 10. Die Rechtmäßigkeit oder Unrechtmäßigkeit des Besitzes hängt von der und"unrccht- Beschaffenheit und Gültigkeit des Titels ab, auf welchen das Recht zu besitzen sich fertiger*)®e= gTünjjef

§. 11. Wer es weiß "), daß er aus keinem gültigen Titel besitze, der heißt ein unredlicher Besitzer. §. 12. Die Unwissenheit der Gesetze entschuldigt den nicht, der seinen Besitz­ titel irriger Weise für gültig geachtet hat. §. 13. Ein bloßer Irrthum in Thatsachen schadet der Redlichkeit des Besitzers nicht, sobald nur der Irrende nicht durch eigenes grobes oder mäßiges Versehen in einen solchen Irrthum gerathen ist11). §. 14. Wer aber aus Unwissenheit der Gesetze in der Gültigkeit seines Besitz­ titels irrt, heißt ein unrechtfertiger Besitzer, und wird, wo nicht besondere Aus­ nahmen gemacht sind, einem unredlichen Besitzer gleich geachtet1-). (§. 232. 239. 240. 241.) 7) Damit ist nicht bloß der Sachbesitz (corporis possessio), sondern auch jeder Rechtsbesitz in der landrechtlichen Ausdehnung gemeint, denn es wird ein Eigenthum an Rechten anerkannt. L 8 §. 1. 8) H. Durch Einräumung und Ergreifung des Besitzes eines Grundstückes zum Zwecke der Ausbeutung des darin befindlichen Torfes wird der vollständige Besitz des Austorfungsrechtes erworben. O.Tr. III v. 17. Juni 1872, Str. Arch. 85 S. 257. *) In den jüngeren Ausgaben steht unrechtmäßiger, was ein Druckfehler ist. Simon, Material. S. 685. Vergl. die Ausg. des Gesetzb. von 1791. 9) Der §. 10 giebt nur die Bedingungen der Rechtmäßigkeit des Besitzes an, kommt aber bei Begründung einer Possessorienklage wegen Besitzstörung nicht in Betracht; die Besitzklage erfordert nur das Vorhandensein des lebten ruhigen Besitzes, nicht aber den Nachweis des Besitz­ titels. (§§. 146, 150, 154 d. T.) O.Tr. III v. 25. Sept. 1863, Str. Arch. 51 S. 218. Vergl. die Anm. 12 a. E. 10) Nicht allein der sich seines unrechtmäßigen Verhältnisses zur Sache klar Bewußte ist ein unredlicher Besitzer nach der Theorie des L.R., sondern noch verschiedene andere Personen. Suarez unterschied dreierlei mögliche Zustände im Bewußtsein des Besitzers: 1. Das Wissen der Unrechtmäßigkeit des Besitzes, d. i. der Fall des wahren unredlichen Besitzers (malae fidei possessor) des R. R. Diesen meint unser §. 11. (H. Den: Wissen im Sinne des §. 11 steht nicht gleich das Wissenmüssen; dies ist im 'Urtheil des R.G. II H. v. 8. Juli 1880, Entsch. 2 S. 310, nicht beachtet.) 2. Den Fall des betrügerischen Besitzers und besonders desjenigen, der durch eine strafbare Handlung den Besitz erlangt hat. (§§.'229 und 242 d. T. Simon, Material. S. 330 Nr. 12.) 3. Den Fall des einfachen unredlichen Besitzers, dessen Unredlichkeit eigentlich eine bloße Fiktion ist. Dahin gehört der Beklagte, nachdem ihm die Klage insinuirr worden (§. 222 d. T.); ferner der, welcher aus einem verschuldeten faktischen Irrthume seinen Besitz für rechtmäßig hält (§. 13); sowie der, welcher als vorsichtiger Mann schon bei der Er­ werbung des Besitzes die Rechtmäßigkeit desselben hätte bezweifeln sollen (§. 15). Hierin schließt sich das L.R. an die Auffassung der Romanisten seiner Zeit an; denn auch diese gründen die Fiktion einer mala fides auf den Beginn des Rechtsstreits, zu dem Zwecke, um als Grund für die Verpflichtung des Bekl. zu dienen, die während des Prozesses gezogenen Früchte und Nutzungen herauszugeben. Denn, meinte Tevenar, jeder nicht rechtmäßige Besitzer könne und solle aus der insinuirten Klage sein Unrecht abnehmen, und wenn er es nicht einsehen wolle, so verdiene diese Verstockung keine Schonung. Und damit erklärte Suarez sich einverstanden. Simon S. 171. — H. Wer auf Grund beabsichtigten, aber nicht zu Stande gekommenen Verkaufes den Naturalbesitz der Sache erlangt und sie genutzt hat, hat dies als unredlicher Besitzer gethan. O.Tr. III v. 12. Sept. 1870, Str. Arch. 78 S. 356. Die Ungültigkeit eines Kaufvertrages aber begründet für sich alleirr noch nicht die Unredlichkeit des Besitzes der tradirten Sache. O.Tr. IV v. 9. Dez. 1852, das. 8 S. 104. 11) Diesen Grundsatz hat schon das R. R. L. 44 §. 4 I). de usurpat. (XLI, 3); L. 7 §. 2 I). pro emtore (XLI, 4). H. Wer auf die Thatsache einer Vertragsbestimmung das Recht unrichtig anwendet, irrt nicht in Thatsachen, sondern rechtlich. O.Tr. III v. 17. Sept. 1869, Str. Arch. 75" S. 368. 12) Diese Fiktion, welche auf den error Juris gegründet wird — denn nach der Aeußerung

Von Gewahrsam und Besitz.

327

§. 15. Wer schon zur Zeit der Erwerbung des Besitzes, bei der Anwendung eines gewöhnlichen Grades von Aufmerksamkeit, Ursache hatte, an der Gültigkeit seines Besitztitels zu zweifeln, und sich dennoch ohne weitere Untersuchung den Besitz zueignet, der wird bei einer in der Folge sich offenbarenden Unrechtmäßigkeit des­ selben, einem unredlichen Besitzer gleich geachtet"). §. 16. Dagegen verliert der, bei welchem, erst nach schon erworbenem Besitze, bloße Zweifel über die Rechtmäßigkeit desselben entstehen, dadurch noch nicht die Eigenschaft und die Rechte eines redlichen Besitzers. §. 17. Von dem Zeitpunkte aber, da Jemand von der Unrechtmäßigkeit") seines Besitzes überführt worden, ist er für einen unredlichen Besitzer zu achten. §. 18. Die allgemeine Vermuthung streitet für die Redlichkeit des Besitzes, wo nicht die Gesetze in gewissen Fällen und Umständen die besondere Vermuthung des Gegentheils ausdrücklich festsetzen. §. 19. Wer des Besitzes einer Sache, die mit fremden Namen, einzelnen Buchstaben, Wappen, Petschaften, oder andern zur Bezeichnung des Eigenthums gewöhnlichen Merkmalen versehen ist, sich eigenmächtig anmaßt, hat die Vermuthung des unredlichen Besitzes gegen sichir>). von Suarez wirkt der error Juris keinen redlichen Besitz in sensu Juris (Simon S. 605); es ist dabei der Besitz als ein Recht gedacht, so daß auf den thatsächlich vorhandenen guten Glauben des Besitzers gar nichts ankommt — ist doch nur auf die Herausgabe der omnis causa und die Gegenforderungen beschränkt, wie die Allegate ergeben. Auf die Verjährung findet sie keine Anwendung. O.Tr. I (Pr. 2073) v. 20. Nov. 1848, Entsch. 16 S. 524, III v. 24. April 1849 in Sachen Schneider w. Obt, III, 49, und II v. 22. Dez. 1853, Entsch. 27 S. 210. Vgl. I. 9 §. 628 u. Anm. dazu. Auch stehen dem unrechtfertigen Besitzer die possessorischen Klagen zu. O.Tr. v. 9. Jan. 1857, Entsch. 34 S. 78. 13) Vergl. §. 13 und die Anm. 11. — H. Anwendung bei dem Kauf eines Pferdes, der unter Nichtbeachtung der zur Vorbeugung gegen den Pferdediebstahl verordneten Vorsichts­ maßregeln geschehen ist: O-Tr. III v. 19. Febr. 1872, Entsch. 67 S. 84. — Die Kenntniß von einer bevorstehenden Dispositionsbeschränkung hindert rechtlich den Erwerb nicht, begründet ins­ besondere nicht die mala fides des Erwerbers. O.Tr. IV v. 5. Dez. 1872, Str. Arch. 87 S. 149. — Anwenduna des §. 15 auf den Erwerb von Hypothekenforderungen durch (Session: O-Tr. III v. 14. Juni 1861, Entsch. 46 S. 126, v. 10. Febr. 1862, Str. Arch. 45 S. 70, und v. 12. April 1872, Entsch. 67 S. 175. — Anwendung auf den Erwerb des Pfandbesitzes an Aktien (Art. 306 Abs. 2 H.G.B. läßt die §§. 15, 16 d. T. unberührt): R.O.H.G. II v. 4. Nov. 1871, Entsch. dess. 3 S. 381. — Vgl. auch den Aufs, von Wind horst in Ulr. Arch. 13 S. 214 u. H. Entsch. des O.Tr. 77 S. 8. 14) Es kommt also auch bei der mala fides superveniens nicht auf den thatsächlichen Glauben des Besitzers an, vielmehr wird die mala fides fingirt, sobald der Besitzer von der Un­ rechtmäßigkeit seines Besitzes „überführt" wird. Vergl. I. 9 §. 611. Der Zeitpunkt wird, bei einem direkten Rechtsangriffe auf den Besitz, auf den Zeitpunkt der Klagebehändigung zurück­ gelegt. Bei außergerichtlichen Handlungen hingegen, welche an sich ungeeignet zur Ueberführung des Besitzers sind, z. B. Pfändungen (I. 9 §. 612), muß der Ausspruch des Richters über die Rechtmäßigkeit der Handlung (Pfändung) hinzukommen: eine von dem Richter rechtmäßig be­ fundene Pfändung macht den Besitz unredlich. O.Tr. II (Pr. 1798) v. 16. Nov. 1846, Präj.S. S. 41. In diesem Falle ist der Zeitpunkt der Unredlichkeit auf den Tag der Insinuation des Urtels, wenn der Unterliegende nicht appellirt, sonst aber erst auf den Tag der letztinstanzlichen. Entscheidung zu verlegen, weil, so lange der Rechtsstreit dauert, noch keine Ueberführung des Besitzers durch einen unabänderlichen Rechtsspruch erfolgt ist. In Uebereinstimmung mit diesem Grundsätze spricht das O.Tr. III (Pr. 2274) v. 14. Febr. 1851, Entsch. 20 S. 106, auch aus, daß der Adjudikatar, dessen Zuschlag mit der Nichtigkeitsbeschwerde angefochten wird, nicht schon mit der Insinuation der Nichtigkeitsbeschwerde unredlicher Besitzer wird, vielmehr bis zu dem die Vernichtung aussprechenden Urtel für einen redlichen Besitzer zu achten. Der Anfangstermin ist, wenn der Jmplorat in der Audienz anwesend ist, der Tag der Verkündigung; wenn er nicht gegenwärtig, der Tag der Insinuation des Urtels; denn es kommt hierbei lediglich auf die That­ sache der Kenntnißnahme an. 15) Diese Vorschrift bezieht sich nur auf derelinquirte Sachen. (Vergl. Entsch. des O.Tr. 11 S. 211.) Im Entwürfe hingen die beiden §§. 19 und 20 in der That auch mit dem §. 120,

328

Erster Theil.

Siebenter Titel.

§§. 20—33.

§. 20. Bloß willkürliche und ungewöhnliche Zeichen können diese Vermuthung nicht begründen. §. 21. Die Redlichkeit des Dritten, durch welchen Jemand einen Besitz für sich erwirbt, kommt dem unredlichen Erwerber nicht zu statten. §. 22. Dagegen schadet aber auch die Unredlichkeit eines solchen Dritten dem­ jenigen nicht, für welchen der Besitz erworben worden16). §. 23. Von der Wissenschaft desjenigen, welcher bei der Sache mitzuwirken kein Recht hat, hängt die Redlichkeit oder Unredlichkeit des Besitzers niemals ab. iuioiibcisjcit §. 24. Wenn Mehrere eine Sache gemeinschaftlich besitzen, so muß jeder die Mitbesitzern, Redlichkeit oder Unredlichkeit des Besitzes für seinen Antheil vertreten. §. 25. Doch kann auch der redliche Mitbesitzer aus der Unredlichkeit des Andern, zum Schaden eines Dritten, keinen Vortheil ziehen 17). (§. 37.) wohin sie gehören, zusammen; durch ihre Versetzung an diesen Ort sind sie unverständlich ge­ worden. Simon S. 606. 16) Die Vorschriften der §§. 21 und 22 finden auf Willensunfühige, deren juristische Per­ sönlichkeit ganz und gar durch ihren gesetzlichen Vertreter repräsentirt wird, keine Anwendung, weil bei dergleichen Personen nach dem animus in rechtlichen Dingen nicht gefragt wird. O.Tr. III v. 8. Jan. 1863, Str. Arch. 49 S. 21. — H. Der Grundsatz des §. 22 ist auch anwend dar­ auf den Erwerb des Besitzes durch den Handlungsdiener für den Prinzipal. O.Tr. III v. 9. Jan. 1854, Str. Arch. 11 S. 206. Förster-Eccius, Theorie u. Praxis 3 §. 160 unter V. Dernbürg will die §§. 21 und 22 nur im Fall der Specialvollmacht anwenden (Lehrb. 1 §. 154 unter 2), diese Beschränkung ist aber nicht zu billigen. Der §. 22 findet keine Anwendung, wenn das Eigenthum eines Grundstücks mittelst eines Bevollmächtigten erworben wird uud es sich in Ansehung gewisser auf das Grundstück eingeräumter, nicht intabulirter Rechte um die Gut­ gläubigkeit des Erwerbers handelt; in solchen Fällen muß der Machtgeber insonderheit die Mit­ theilungen gegen sich gelten lassen, welche dem Bevollmächtigten beim Ankäufe des Grundstücks über die Beschaffenheit und Belastung desselben von Seiten des Verkäufers gemacht worden sind. O.Tr. III v. 3. Dez. 1875, Entsch. 76 S. 180, 202. 17) Was man sich bei der Abfassung dieser beiden §§. 24 und 25 gedacht habe, giebt Suarez, der erst tiei ber revisio monitorum dieselben vorgeschlagen hat, zu erkennen. „Z. B.", sagt er „wenn von mehreren Soziis einer mala fide ein Haus für die Sozietas akquirirt, und solches der Sozietas zum gemeinschaftlichen Gebrauche für die Kompagniehandlung überläßt, so muß die ganze Sozietas dem Eigenthümer für den daraus gezogenen Vortheil gerecht werden, und auch die redlichen Mitglieder können das Eigenthum des Hauses per praescriptionem nicht erwerben. Darin unterscheidet sich eben eine bloße Privatsozietät von einer Korporation, die nur eine personam moralem ausmacht." (Bornemann 1 S. 487.) Auf diese Idee hat ein Monitum zum §. 16 des gedr. Entw. gebracht. Dieser 16 schlug vor: „Wenn Mehrere eine Sache nutzen, so muß Jeder die Redlichkeit oder Unredlichkeit des Besitzes für seinen Antheil vertreten." Dagegen wurde monirt: „Wenn Sozii eine Sache nutzen, so sollte die Unredlichkeit des Einen von Allen vertreten werden. Jede Sozietas ist als eine moralische Einheit anzu­ sehen, und nach diesem Grundsätze sind ihre Rechte und Verbindlichkeiten zu beurtheilen." Dazu ist von G. bemerkt: „Scheint nicht ohne Grund, und wird anheim gestellt." In Folge dessen sind in dem umgearbeiteten Entwürfe die beiden §§. 24 und 25 zum Vorschein gekommen. Simon S. 221 und 353. Bei diesen Bestimmungen ist man über zwei Punkte uneins, nämlich darüber: wie der Vers, selbst den §. 24 verstanden habe; und darüber: welche praktische An­ wendung dieselbe Bestimmung finden könne. Nach der Aeußerung von Suarez ist mit der Vorschrift §. 24 in der That gemeint, daß die ganze Gesellschaft, wegen der Unredlichkeit des erwerbenden Mitgliedes, als unredlicher Be­ sitzer der Sache gelten solle, dergestalt, daß auch die redlichen Mitbesitzer ihre ideellen Antheile nicht durch Verjährung erwerben können. Diese dem Begriffe und der Natur der sog. compossessio Mehrerer widersprechende Vorschrift ist veranlaßt worden durch die Idee einer moralischen Ein­ heit der Sozietät, woraus auch die Unklarheit über die Stellung und das Rechtsverhältniß des erwerbenden unredlichen Gesellschafters erklärlich ist, der doch in dem gesetzten Falle nichts weiter als ein stellvertretender Dritter für die übrigen Mitglieder der Gesellschaft, in Beziehung auf deren Antheil, ist, auf welchen der Grundsatz §. 22 Anwendung findet. Daraus erklärt sich weiter auch die Bezugnahme auf den §. 37, der sich bloß auf juristische Personen bezieht, und mit der compossessio mehrerer Einzelner nichts zu thun hat. Was die Anwendbarkeit des §. 25 betrifft, so kann der Fall dieser Vorschrift in der Wirk­ lichkeit gar nicht vorkommen. Der §. 24 setzt das Verhältniß mehrerer einzelner Mitbesitzer ganz

Von Gewahrsam und Besitz.

329

§. 26. Wenn eine Corporation oder Gemeine einen Besitz erwirbt, so hängt "'"lstcheub-i die Redlichkeit oder Unredlichkeit derselben davon ab, je nachdem die Mehrheit der » Von der andern Gewässern"") versehen ist, so weit hat er ein ausschließendes Recht®7), sich GcAniwnd alle °8) in diesen Gewässern lebende Thiere zuzueignen. Th. 2. (Tit. 15. Abschn. 2.) derselben.--------------------------

64) Ges. v. 31. Okt. 1864 (Zus. 5) §. 1. Der §. 158 bestimmte: Die Jagdgerechtigkeit auf fremdem Grunde und Boden, oder auf dem Jagdreviere eines Andern, ist nach den Gesetzen von Dienstbarkeiten zu beurtheilen (Tit. 22.); die §§. 159 bis 164 handelten von der als Grund­ gerechtigkeit nicht mehr vorhandenen Mitjagd, und die §§. 165 bis 169 von Koppeljagden und lauteten: §. 159. Wer in demselben Reviere mit Andern zu jagen berechtigt ist, darf sein Recht nur in eigener Person oder durch seine Jäger ausüben. — §. 160. Doch kann dem Pächter eines ganzen Gutes auch die Ausübung der dem Gute zukommenden Mitjagd zugleich überlassen werden. — §. 161. Em nur zur Mitjagd Berechtigter darf zur Ausübung derselben nicht mehr Jäger annehmen, als bisher gewöhnlich gehalten worden. — §. 162. Wenngleich bei Güter­ theilungen den Besitzern der getheilten Güter die Mitjagd vorbehalten wird, so dürfen doch die­ selben zusammen nur so viel Jäger halten, als vor der Theilung gewesen sind. — §. 163. Ist vor der Theilung nur ein Jäger gehalten worden, so können die zur Mitjagd Berechtigten dieselbe zwar jeder für seine Person, übrigens aber nur durch Einen Gesammtschützen ausüben. — 164. Wer die Erlaubniß zur Jagd von einem Jagdberechtigten nur für sich selbst erhalten hat, darf dieselbe keinem Andern übertragen. — §. 165. Bei der Koppel- und Gesammtjagd ist zwar das Recht zu jagen, nicht aber das gefällte Wild, gemeinschaftlich. — §. 166. In der Regel kann der, welcher die Koppel-, Gesammt-, Mit- oder Beijagd hat, dieselbe auch ohne Vor­ wissen seiner Mitinteressenten ausüben. — H. 167. Hingegen muß, in dergleichem Falle, das Vorhaben, ein Klopf- oder Treibjagen zu halten, dem Mitberechtigten drei Tage vorher bekannt gemacht werden. — §. 168. Diesem steht alsdann frei, mit dem Andern gemeine Sache zu machen. — 169. Wer nur mit der niedern oder mittlern Jagd beliehen ist, darf, ohne Erlaubniß dessen, welchem auf demselben Reviere die hohe Jagd zusteht, kein Klopf- oder Treibjagen vornehmen. 65) Vergl. II. 15 §§. 73—78. 66) In öffentlichen nämlich. Die Fischerei ist ein Ausfluß des Eigenthumsrechts. Nach II. 15 §. 73 wird aber dieselbe in den öffentlichen Gewässern zu den Regalien gerechnet, wozu sie nach G. R. nicht gehört, Moser, von der Landeshoheit Kap. 22 S. 240. Die Ausschließlich­ keit, welche dieser §. 170 zusichert, bezieht sich nur auf diese sog. Fischereigerechtigkeit. Vergl. die folg. Anm. An der Fischerei im Meere wird durch die Ausübung derselben allein keine ausschließliche Fischereigerechtigkeit oder der Besitz einer solchen erworben. Unten zu II. 16 §. 7. 67) Den Uferbesitzern eines Privatflusses steht als Ausfluß des Eigenthums an dem Flusse auch das Recht zu, denselben zu befischen. Dieses Recht wird dadurch allein nicht aus­ geschlossen, daß einem Dritten in demselben Flusse eine Fischereigerechtigkeit zukommt. Der §. 170 d. T. begründet dem Uferbesitzer gegenüber kein ausschließliches Recht der Fischerei­ berechtigten. O.Tr. II (Pr. 1628) v. 23. Sept. 1845, Präj.S. S. 30. — „Der §. 170 (nämlich das Exklusivrecht) bezieht sich nur auf die, dem Fischereirechte unterworfenen Thiergattungen." O.Tr. II (Pr. 2577) v. 7. Dez. 1854, Entsch. 30 S. 184. — „Das einer Privatperson zu­ stehende Recht zum Fischfänge in einem öffentlichen Strome ist nur in so weit ein aus­ schließliches, als es dem Fischereiberechtigten erweislich vom Staate als Privilegium ver­ liehen worden ist." O.Tr. II (Pr. 2576) v. 7. Dez. 1854, Entsch. 30 S. 185. H. O.Tr. II v. 2. Dez. 1873, Entsch. 71 S. 152: Dem Fischereiberechtigten, welcher weder Eigenthümer des seinem Rechte unterworfenen Gewässers noch ausschließlich in demselben zur Fischerei befugt ist, steht eine dingliche Klage gegen jeden Dritten zu, welcher absichtlich in sein Recht eingegriffen hat. Hier ist allerdings " die Bezeichnung „dinglich" zu beanstanden, da die Fischereiberechtiaung wohl ein absolutes, aber kein dingliches Recht ist. H. In Betreff des Eigenthumserwerbes an den einzelnen Fischen kommen analog die für die jagdbaren Thiere geltenden Grundsätze (s. Anm. 58 zu §. 128) zur Anwendung. 68) Unter der Fischerei ist auch der Krebsfang begriffen, — H. so auch R.G. II. H. v.

Von Erwerbung des Eigenthums.

507

§. 171. Der Fang solcher Thiere, die zugleich im Wasser und auf dem Lande leben (der Amphibien), gehört zur Jagd, wenn er mit Schießgewehr, Fallen oder Schlageisen geschieht*69*). §. 172. Der Fang der Fischottern und Biber gehört allemal zur Jagd 7°). §. 173. Wasservögel sind nur ein Gegenstand des Jagdrechts. §. 174. In so fern jedoch jagdbare Zugvögel, außer der Hegezeit, mit Fischer­ netzen unter dem Wasser gefangen werden können, ist solches dem Fischereiberech­ tigten erlaubt. §. 175. Alle andere Wasserthiere und Amphibien, welche mit Fischernetzen, Angeln, oder mit der Hand im Wasser gefangen werden 71), gehören dem Fischerei­ berechtigten. §. 176. Teiche, Halter, Seen und andere geschlossene Gewässer, welche sich m geMssenicht72) über die Gränze des Grundstücks erstrecken, in welchem sie liegen, sind in "^offenen der Regel als das Eigenthum des Grundherrn anzusehen 73). Gewässern. §. 177. Die Fische in solchen Privatgewässern gehören also auch dem Eigen­ thümer des Grundstücks. §. 178. Wenn Fische, die in solchen Gewässern gehegt werden, bei großem Wasser oder bei einem Durchbruche des Dammes austreten, so können sie von dem Eigenthümer, auch auf fremdem Grunde wieder eingefangen werden. §. 179. Bis in Flüsse und Ströme hingegen, oder in andere Gewässer, worin ein Dritter das Recht zu fischen hat, findet die Verfolgung nur in so weit statt, als der Eigenthümer sichere Merkmale anzugeben vermag, wodurch seine aus­ getretenen Fische von denjenigen, die in dem andern Gewässer befindlich sind, sich hinlänglich unterscheiden 74). §. 180. Wenn Flüsse, Bäche oder andere uneingeschlossene Gewässer aus­ treten, so kann der, welcher darin zu fischen berechtigt ist, die ausgetretenen Fische in der Regel nicht verfolgen 75). 26. Febr. 1880, Entsch. 1 S. 372. — Hinsichtlich der Amphibien macht der §. 171 eine Aus­ nahme. H. Vgl. auch §. 2 des Fischereigesetzes (Zus. 8 zu g. 192 d. T.). 69) Also nicht, wenn mit Netzen, Angeln, Speeren, Harpunen und dergl. Werkzeugen oder auch ohne Werkzeuge. Vergl. §. 175. Die Frage war streitig. 70) War ebenfalls streitig. Runde, 2 S. 451 ff. rechnet die Fischottern aus gewichtigen Gründen zur Fischerei. Die Fischottern sind für die Fischerei das, was Wölfe und Füchse für die Jagd. Deshalb müßte, nach dem Prinzip des §. 189 d. T., dem Fischereiberechtigten unbedingte Befugniß gegen sie zustehen. 71) Das soll heißen: gefangen werden können. Diese Möglichkeit ist die Grenze zwischen dem Rechte des Fischereiberechtigten und dem des Eigenthümers hinsichtlich der Jagd. 72) Hiervon darf nicht argumento a contrario angenommen werden, daß, wenn sie sich über die Grenze hinaus erstrecken, sie nicht als Privateigenthum der Anlieger angesehen werden könnten. S. die Anm. 75 zu §. 180 d. Tit. H. Vgl. auch §. 4 des Fischereigesetzes. (Zus. 8 zu §. 192). 73) H. Landseen gehören bis zur Mitte des Gewässers dem Uferbesitzer, falls nicht bei der Eigenthumsverleihung das Gegentheil ausbedungen ist. O.Tr. II. v. 3. Nov. 1864, Entsch. 52 S. 38, u. III v. 2. Dez. 1870, Entsch. 64 S. 39; Str. Arch. 71 S. 335. H. Die' rechtliche Eigenschaft des Gewässers als eines öffentlichen oder Privatgewässers richtet sich nach der Art der Benutzung, nicht nach der Person des Eigenthümers. Str. Arch. 81 S. 73 (II). 74) Die §§. 176 —179 enthalten den Gegensatz von §§. 180 —183, indem sie die sog. zahme Fischereibetreffen, wogegen die §§. 180 ff. die wilde Fischerei zum Gegenstände haben. Die Fische, welche in geschlossenen Privatgewässern gehegt und gezüchtet werden, stehen mit den zahmen Thieren auf gleicher Linie, sie sind im Eigenthume und Besitze des Herrn, wenngleich sie noch im Wasser sind; denn der Herr hat nur nöthig, das Wasser abzulassen, um alle Fische zu nehmen. Darum kann der Eigenthümer die durch'Naturereignisse weggeführten Fische von jedem Dritten abholen (vindiziren). Im Falle des §. 179 muß er natürlich seine mit fremden Fischen vermengten Fische unterscheiden können. 75) Gegenstand dieses Gesetzes in Verbindung mit dem folg. §. 181 ist nicht die Be­ stimmung des Eigenthums an den Privatflüssen und Bächen, sowie auch der §. 176 nicht eigentlich

508

Erster Theil.

Neunter Titel.

§§. 181—190.

§. 181. Vielmehr gehören diese demjenigen, auf dessen Grunde das aus­ getretene Wasser stehen bleibt ’6). §. 182. Bleiben die Fische nach abgelaufenem Wasser, in Lachen ”) zurück, von dem Eigenthume des Grundes und Bodens handeln will, sondern in Verbindung mit §. 177 über das Eigenthum der darauf gezüchteten und eingeschossenen Fische Bestimmung treffen soll. Wem das Eigenthum an Flüssen, Bächen und anderen Gewässern, welche sich durch mehrere Grundstücke verschiedener Eigenthümer erstrecken, zustehe, ist nirgends ausdrücklich gesagt, und wegen der hier nicht passenden Fassung des §. 176 könnte man argumento a contrario be­ haupten, daß es nicht den Anliegern gebühre. Allein daraus, daß der Staat sich nur in öffentlichen Strömen den Fischfang vorbehalten hat, folgt, daß die Fischerei in Privat­ gewässern Gegenstand des Privateigentums ist, und daß wahrscheinlich kein anderer Privatmann, als der Anlieger dazu kommen kann; und die Bestimmung, daß nach §§. 222—273 d. T. Alluvionen, Inseln und verlassene Flußbetten den Anliegern gehören, setzt voraus, daß auch die über den Boden hinfließenden und darauf stehenden Gewässer denselben Eigenthümern angehören. S. auch O.Tr. v. 31. Aug. 1846, Entsch. 15 S. 365. (H. II v. 3. Nov. 1864 u. III v. 2. Dez. 1870, a. a. O. 52 S. 40 u. 64 S. 39, sowie R.G. II H. v. 13. April 1882, Gruchot 26 S. 943.) Daß sich in dem L.R. keine allgemeine Bestimmung über das Eigenthum und die Nutzungen der nicht schiffbaren oder Privatflüsse findet, kommt von einer Unachtsamkeit. In dem ersten Entw. z. A.G.B. waren Th. I Tit. 2 Abth. 3 (von den nutzbaren Rechten und Regalien des Staats im Allgemeinen) 8- 37 die Nutzungen jener Flüsse ausdrücklich den Uferbesitzern zu­ gesprochen. Mat. 19 Bl. 74. Von den Mitgliedern der Ges.Komm. war hiergegen nichts er­ innert worden; aber v. C arm er ließ, bei einer von ihm selbst vorgenommenen Umarbeitung des Titels, den §. 37 weg. Suarez machte hierauf in einer Zusammenstellung der Mon. auf­ merksam; man beschloß aber die Weglassung des §. 37, doch nur deshalb, weil er zu einem der speziellen Titel gehörte. Bl. 168 a. a. O. Dort hat man ihn jedoch überall außer Acht gelassen. Darum ist das Prinzip, welches die Ausführungssätze voraussetzen, nirgends ausgedrückt. Ges.Rev. Pens. XII S. 203. Die Praxis ist jedoch über dasselbe nicht zweifelhaft. O.Tr. III v. 8. Juni 1857, Str. Arch. 25 S. 145. Das Recht zu fischen ist hiernach ein Ausfluß des Eigenthums und steht daher in Privat­ flüssen und Gräben in der Regel dem Uferbesitzer zu, und zwar, wenn auf jeder Seite ein An­ derer ist, bis zum Thalwege. S. auch O.Tr. v. 18. Okt. 1836, Schles. Archiv 3 S. 86. — Über­ einstimmend hiermit hat das Erk. d. O.Tr. v. 31. Aug. 1846, Entsch. 15 S. 351, den Satz aus­ gesprochen: „Das Recht, einen Privatfluß zu befischen, steht den Userbesitzern als Ausfluß des Eigenthums zu, so weit sich ihr Ufer erstreckt." Auch harmonirt damit das zu II. 15 §. 74 ein­ getragene Pr. 517 v. 17. Aug. 1838, Präj.S. S. 212: „Wenn die Fischereigerechtigkeit in einem Privatflusse aus einer Verleihung des Staats ohne Bestimmung gewisser Grenzen hergeleitet wird, so findet die Festsetzung des §. 74 — daß sie sich nicht über den Uferbesitz hinaus erstrecke — Anwendung. Aus den Vorschriften der §§. 176 und 179 I. 9 geht nicht hervor, daß für den Eigenthümer des Grundes und Bodens nur allein unter Voraussetzung der völligen Geschlossenheit des Gewässers ein Anspruch auf die Fische entspringe; vielmehr enthalten dieselben nur eine Anwendung des allgemeinen Rechtsprinzips: daß in der Regel das innerhalb der Grenzen eines Grundstücks Belegens zu demselben gehört, und dazu benutzt werden kann. Die Anwendung dieses Prinzips auf die Fischerei in Privatflüssen steht aber mit der Vorschrift des §. 74 in vollkommenem Einklänge. Das O.Tr. hat denn auch, ganz folgerichtig, ausdrücklich erkannt, daß das Eigenthum der Landseen, eben so wie der Privatflüsse, den Anliegern nach der Aus­ dehnung des Uferbesitzes und bis zur Mitte des Gewässers, als Pertinenz (eigentlich als Bestand­ theil) des am Ufer liegenden Grundstücks, zusteht, und zwar am See selbst und dessen Nutzungen, so lange der See als solcher besteht, und daß das Eigenthum des Seebettes von den Adjazenten nicht erst in Folge der Trockenlegung des Sees erworben wird. H. Vgl. Anm. 73 zu §. 264. Die in solchen Gewässern lebenden Fische und anderen Wasserthiere stehen den jagdbaren wilden Thieren hinsichtlich der Eigenthumserwerbung gleich: sie müssen okkupirt werden; und die Verfolgung auf fremdes Terrain ist nicht zulässig, vielmehr kann sie derjenige in Besitz nehmen, auf dessen Grunde sie stehen bleiben oder gefangen werden. §. 181. — Das Provin­ zialrecht der Kurmark Brandenburg enthält keine hiervon abweichenden Bestimmungen. O.Tr. II v. 3. Febr. 1852, Str. Arch. 6 S. 12. 76) Vergl. die vorhergehende Anm. zu §. 180, mit welchem dieser §. zusammenhängt. 77) Das O.Tr. spricht von Lachen „im gesetzlichen Sinne", und versteht darunter „aus­ getretenes Wasser, welches, wenn das Wasser wieder abgelaufen ist, stehen geblieben und nach allen Seiten von Land umgeben ist." O.Tr. II v. 21. Dez. 1865, Entsch. 57 S. 22, Str. Arch. 62 S. 120. Das Gesetz definirt den Begriff nicht; der Ausdruck ist kein juristischer, überhaupt kein technischer, sondern ein, nicht überall in Deutschland bekannter Ausdruck des gemeinen Sprach­ gebrauchs. Dieser Sprachgebrauch versteht darunter eine stehende Flüssigkeit von geringem

Von Erwerbung des Eigenthums.

509

die Jemand zu befischen das Recht hat, so kann dieser auch solche Fische sich zu­ eignen 78 * *).79 *** §. 183. Es darf aber Niemand die Fische durch Netze, Zäune, Dämme oder andere Wehrungen an der Rückkehr in den Strom verhindern78 a). §. 184. Jeder Eigenthümer mag auf seinem Grunde und Boden, unter Beobachtung der Landes-Polizeigesetze, Fischteiche anlegen. iifang der §. 185. Die Fischerei in Teichen und eingeschlossenen Privatgewässern ist 5lid,crct" jeder Eigenthümer nach eigenem Gutfinden 78) auszuüben berechtigt. §. 186. In öffentlichen aber, sowie in nicht eingeschlossenen Privatgewässern, müssen, bei Ausübung derselben, die Vorschriften der Polizeigesetze wegen der Laich­ zeit, des verbotenen Fischerzeuges und was sonst darin zur Verhütung des Ruins der Fischerei verordnet ist, genau befolgt werden. §. 187. Auch in Privatflüssen, worin Mehrere die Fischereigerechtigkeit haben, darf Niemand, der nicht ein besonderes Recht dazu erworben hat, durch Versetzung des Flusses ober- oder unterhalb, den freien Gang der Fische hindern80). §. 188. Auf öffentlichen Gewässern soll Niemand zum Nachtheile des Fischerei­ berechtigten Enten halten. §. 189. Enten, welche die Besitzer der an Privatflüsse und Teiche stoßenden Grundstücke ohne ausdrückliche Erlaubniß des Fischereiberechtigten halten, ist dieser, wenn sie auf dem Wasser betroffen werden, zu pfänden oder zu tobten wohl be­ fugt 81). §. 190. Wer ohne Recht oder Erlaubniß fischt oder krebst, verliert, außer Umfange ohne regelmäßigen Zu- oder Abfluß, welche bald rein, bald unrein sein, Fische ent­ halten oder nicht enthalten kann. Daher Wasserlache, Mistlache, Kothlache, Blutlache u. s. w., im Nieders. Lake, im Latein, lacuna, im Wend. Iu?a, wovon das schlesische Luge (spr. Luscheh). In Niederdeutschland ist dafür der Ausdruck Pfuhl gebräuchlich. Vergl. Eber­ hard, synonymisches Handwörterbuch Nr. 797; Adelung s. v. Lache. 78) Die Bestimmung bezieht sich lediglich auf Fische, welche zur sog. wilden Fischerei gehören, hat also einen anderen Gegenstand als der §. 179, und regelt sowohl das Verhältniß zwischen demjenigen, aus dessen Grenzen die Fische weggeschwemmt worden sind, und dem Grundeigen­ thümer, auf dessen Boden sie stehen bleiben, als auch das zwischen diesem und dem etwa vor­ handenen Fischereiberechtigten. Dieser schließt den Grundeigenthümer von der Besitznahme solcher angeschwemmten Fische aus, wenn er nicht befugt ist, seine Lachen mit zu befischen. 78a) Die Satzung ist rein positiv; sie folgt aus keinem Prinzip. Man hat sie aus der Märkischen Fischordnung v. 3. März 1790 Kap. 4 Nr. 7 entnommen. Aus den §§. 180—184 entnimmt das O.Tr. als landrechtliche Theorie, daß der Fischerei­ berechtigte die mit dem Wasser ausgetretenen Fische der Regel nach auf fremden Grund und Bodest nicht verfolgen, daß ferner, so lange das ausgetretene Wasser nicht in die Ufer zurück­ getreten oder nicht abgelaufen ist, ebenso wenig ein Grundbesitzer als solcher, wie auch sonst Jemand, der in Lachen zu fischen berechtigt ist, in dem ausgetretenen Wasser überhaupt fischen darf, daß endlich erst dann, wenn das Wasser abgelaufen ist, von Lachen in dem oben (Anm. 77) an­ gegebenen Sinne die Rede sein kann. O.Tr. II v. 21. Dez. 1865, Str. Arch. 62 S. 120. 79) D. h. ohne daß er darin durch Polizeigesetze beschränkt ist, wie es im folg. §. 186 hinsichtlich der Fischerei in öffentlichen und in uneingeschlossenen Privatgewüssern geschieht. 80) Dadurch würden die übrigen Berechtigten beschränkt werden. Die Vorschrift gilt auch für öffentliche Flüsse, und ihrem Verbote unterliegen auch unvollständige Flußversetzungen, wenn auch die Passage für die Fische an den freien Stellen möglich ist: es bedarf zur Begründung der Klage des Fischereiberechtigten auf Wegräumung der Versetzungen eines besonderen Nach­ weises des dadurch verursachten Nachtheils nicht. O.Tr. II v. 9. Juni 1857, Str. Arch. 25 S. 158. — Das Verbot der Versetzung beschränkt sich nicht auf eine Versetzung durch dauernde Anlagen, sondern bezieht sich auch auf Versetzungen durch Netze. O.Tr. II v. 7. Jan. 1858, Str. Arch. 29 S. 2. H. Zur Begründung der Klage gehört nicht der Nachweis, daß die Versetzung schädlich sei. O.Tr. II v. 24. März 1874, Entsch. 72 S. 104. 81) Auch das Flachs- und Hanfröten braucht der Fischereiberechtigte nicht zu leiden. Edikt v. 14. Sept. 1811 §. 37, G.S. S. 309. Und die der Fischerei schädlichen Thiere kann er weg­ fangen oder verscheuchen. Vergl. die Anm. 70 zu §. 172.

510

Erster Theil.

Neunter Titel.

§. 192—192 (Zusatz).

dem, was er gefangen hat, auch die bei ihm befindlichen Netze und Fischergeräthe. (R. Str.G.B. §. 296. 370. Nr. 4. und §. 40.) dtt Fischerei§• 191. Wer bloß die Fischereigerechtigkeit hat, darf sich deswegen in dem Gerechtigkeit. Strome oder Gewässer anderer Rechte des Grundeigenthümers nicht anmaßen82).83 §. 192. Werden also bei Gelegenheit des Fischfanges andere Sachen gefunden und entdeckt, so gelten in Ansehung derselben die Vorschriften des zweiten und dritten Abschnittes. Die §§. 170—192 Tit. 9 gelten seit dem Inkrafttreten des nachstehenden Gesetzes nur noch, so weit sie den Bestimmungen desselben nicht entgegenstehen. 8. Fischereigesetz für den Preußischen Staat. Vom 30. Mai 18 74. (G.S. S. 197), nebst Gesetz, betreffend die Abänderung des Fischereigesetzes....

^bereich.^

vom 30. Mai 1874 (Gesetz-Samml. S. 197). Vom 30. März 1880. (G.S. S. 228.) §• 1- Das nachfolgende Fischereigesetz findet Anwendung auf die Küsten- und Binnen­

fischerei in allen unter Unserer Hoheit befindlichen Gewässern. §. 2. Zu dem Fischfänge im Sinne dieses Gesetzes gehört auch der Fang von Krebsen, Austern, Muscheln und anderen nutzbaren Wasserthieren, soweit sie nicht Gegenstand des Jagd­ rechts sind. Wo in diesem Gesetz der Ausdruck „Fische" gebraucht ist, find darin die vorbezeichneten Thiere begriffen. §. 3. Unter Küstenfischerei im Sinne dieses Gesetzes ist diejenige Fischerei verstanden, welche in den Unserer Hoheit unterworfenen Theilen der Nord- und Ostsee, in den offenen Meeresbuchten, den Haffen und in den größeren Strömen vor ihrer Einmündung in das Meer betrieben wird. Binnenfischerei im Sinn dieses Gesetzes ist diejenige Fischerei, welche in den übrigen Gewässern, in den Flüssen bis abwärts zu dem Punkte, wo bte Küstenfischerei beginnt, be­ trieben wird. Die Grenzen der Küsten- und Binnenfischerei werden für jede der betheiligten Provinzen nach Anhörung der Provinzialvertretung im Wege landesherrlicher Verordnung festgestellt. §. 4. Geschlossene Gewässer im Sinne dieses Gesetzes sind: 1) alle künstlich angelegten Fischteiche, mögen dieselben mit einem natürlichen Gewässer in Verbindung stehen oder nicht; 2) alle solche Gewässer, denen es an einer für den Wechsel der Fische geeigneten Verbin­ dung^-) fehlt; wenn in denselben (Nr. 1. und 2.) der Fischfang Einem Berechtigten zusteht. Streitigkeiten über die Frage, ob ein Gewässer im Sinne dieser Vorschrift als ein geschlossenes anzusehen ist, werden mit Ausschluß des Rechtsweges im Verwaltungswege^) entschieden. 82) Der §. 191 enthält eben sowenig ein Verbot der Verjährung, als eine besondere Theorie für die Besitznahme negativer Rechte oder deren Erwerb durch Verjährung. O.Tr. II v. 5. Juli 1866, Str. Arch. 64 S. 192. Diese besonderen Vorschriften der §§. 191, 193 sind somit müßig, weil — wie auch das O.Tr. a. a. O. sagt — auch ohne sie der bloß zur Fischerei Be­ rechtigte nicht als befugt anzusehen sein würde, sich andere Rechte des Grundeigenthümers anzumaßen, indem dies aus den allgemeinen, die Freiheit des Eigenthums verbürgenden Grund­ sätzen folgt. 82a) H. d. h. eine Verbindung, welche den Fischen ein Uebertreten nach anderen Gewässern ermöglicht. Daß auch der Rückwechsel, d. h. die Rückkehr der Fische aus den letzteren möglich ist, verlangt das Gesetz nicht, O.V.G. II v. 31. Okt. 1881, Entsch. dess. 8 S. 238. 83) H. Im Geltungsbereiche der Kreisordnung das Bezirksverwaltungsgericht, Zuständigkeitsges. v. 26. Juli 1876 §. 120 Nr. 1 wird nach dem Zuständigkeitsgesetz v. 1. Aug. 1883 §. 162 Abs. 1 der Bezirksausschuß. Das Verwaltungsgericht ist bei der Entscheidung auch zu der Feststellung befugt, ob in den Gewässern nur einem Berechtigten der Fischfang zusteht, selbst wenn diese letztere Frage streitig ist und obwohl die Entscheidung darüber den Civilrichter in dem Streite, welcher über die Berechtigung unter den mehreren Prätendenten geführt wird, nicht bindet, O.V.G. II v. 14. Dez. 1878, Entsch. dess. 4 S. 282.

Von Erwerbung des Eigenthums.

§. 5.

511

Die bestehenden Fischereiberechtigungen unterliegen den einschränkenden Vorschriften

gi'

dieses Gesetzes. schereiberechGegen vollständige Entschädigung der Berechtigten kann in nicht geschlossenen Gewässern eine weitere Beschränkung oder gänzliche Aufhebung solcher Berechtigungen erfolgen, welche auf die Benutzung einzelner bestimmter Fangmittel oder ständiger Fischereivorrichtungen (Wehre, Zäune, Selbstfänge für Lachs und Aal, feststehender Netzvorrichtungen, Sperrnetze u. s. w.) gerichtet sind. Eine solche weitere Beschränkung oder Aufhebung kann beansprucht werden: 1) vom Staate im öffentlichen Interesse; 2) von Fischereiberechtigten und Fischereigenossenschaften in dem oberen oder unteren Theil der Gewässer, wenn von denselben nachgewiesen wird, daß die Berechtigung der Erhaltung und Verbesserung des Fischbestandes dauernd nachtheilig ist und einem wirthschaftlichen Betriebe der Fischerei in den betreffenden Gewässern entgegensteht. Ueber den Antrag (Ziffer 2.) entscheidet die Bezirksregierung (Landdrostei) nach Anhörung der Betheiligten und vorgängiger Untersuchung durch Sachverständige^). Gegen die Entscheidung derselben kann binnen drei Wochen, vom Tage der Behändigung an gerechnet, der Rekurs an den Minister für die landwirthschaftlichen Angelegenheiten ver­ folgt werden. Die zu gewährende Entschädigung, welche in Ermangelung gütlicher Einigung im Rechts­ wege festzustellen ist, muß im ersten Falle (oben Nr. 1.) vom Staate, im zweiten (oben Nr. 2.) von demjenigen geleistet werden, welcher die Aufhebung der Berechtigung beansprucht. Die bestehenden Vorschriften über die Ablösung von Dienstbarkeiten zur Fischerei werden durch die vorstehenden Bestimmungen nicht berührt. §. 6. Fischereiberechtigungen, welche, ohne mit einem bestimmten Grundbesitze verbunden zu sein, bisher von allen Einwohnern oder Mitgliedern einer Gemeinde ausgeübt werden konnten, sollen künftig in dem bisherigen Umfange der politischen Gemeinde zustehen 84 85).86 §. 7. Das Recht zur Ausübung der Binnenfischerei in solchen Gewässern, welche bisher dem freien Fischfänge unterlagen, soll den politischen Gemeinden in den innerhalb ihrer Ge­ markung belegenen Gewässern zustehen. Wenn derartige Gewässer die Grenze zweier oder mehrerer Gemeinden bilden, ohne der einen oder der anderen Gemarkung ganz oder zu bestimmten Theilen anzugehören, sollen die Gemeinden in der Erstreckung, auf welcher ihr Bezirk das Gewässer begrenzt, gleichberechtigt sein. Art. I des Gesetzes vom 30. März 1880. Der §. 7 des Fischereigesetzes vom 30. Mai 1874 erhält folgenden Zusatz: Die im Gebiete des Französischen Rechts Jedermann zustehende Befugniß, auf den Strömen und schiffbaren Flüssen die Angelfischerei zu betreiben, wird hierdurch aufgehoben. §. 8. Gemeinden können die ihnen zustehende Binnenfischerei nur durch besonders ange­ stellte Fischer oder durch Verpachtung nutzen. Das Freigeben des Fischfanges ist verboten. Die Dauer der Pachtverträge darf in der Regel nicht unter sechs Jahren bestimmt werden; Ausnahmen von dieser Bestimmung können unter besonderen Umständen von der Aufsichts­ behörde zugelassen werden. Die Trennung der einer Gemeinde zustehenden zusammenhängenden Fischwasser in einzelne Pachtbezirke bedarf der Genehmigung der Aufsichtsbehörde80), welche darauf zu sehen hat, daß einer unwirthschaftlichen Zerstückelung der Fischerei vorgebeugt wird.

84) H. Im Bereiche der Kreisordnung das Bezirksverwaltungsgericht, bez. der Bezirks­ ausschuß cit. Zuständigkeitsgesetze §. 120 Nr. 2 u. §. 102 Nr. 2. Dadurch ist auch zugleich der folgende Absatz für dieses Rechtsgebiet beseitigt. 85) H. O.Tr. II v. 6. Nov. 1877: §§. 6 u. 8 finden auf Fischereiberechtigungen zum häuslichen Gebrauch keine Anwendung, Entsch. 81 S. 95; III v. 21. Okt. 1878, Str. Arch. 100 S. 264, eben sowenig auf solche, welche trotz der Nichtregalität eines öffentlichen Stromes schon vor dem Gesetze begründet gewesen sind. 86) H. Vgl. 8- 46.

512

Genossen­ schaften.

Erster Theil.

Neunter Titel.

§. 192 (Zusatz).

Die Aufsichtsbehörde ist befugt, zu bestimmen, welche Zahl der zulässigen Fanggeräthe in jedem Pachtbezirke nicht überschritten werden darf. Sind zwei oder mehrere Gemeinden in den ihre Gemarkung begrenzenden Gewässern ge­ meinsam berechtigt, so können sie die Fischerei nur auf gemeinschaftliche Rechnung nutzen. Ist eine Einigung der Gemeinden über die Art der Nutzung nicht zu erreichen, so steht die Entscheidung darüber der Aufsichtsbehörde zu. §. 9. Behufs geregelter Aufsichtsführung und gemeinschaftlicher Maßregeln zum Schutze des Fischbestandes und, sofern die im §. 10. bezeichneten Voraussetzungen zutreffen, auch Behufs

gemeinschaftlicher Bewirthschaftung und Benutzung der Fischwaffer können die Berechtigten eines größeren zusamnienhängenden Fischereigebiets auf Grund eines landesherrlich zu genehmigenden Statuts zu einer Genossenschaft vereinigt werden, welche durch einen von sämmtlichen Berechtigten nach näherer Vorschrift des Statuts zu wählenden Vorstand vertreten wird. Ueber die Genoffenschaftsbildung und das Genoffenschaftsstatut sind die Berechtigten und im Falle des Widerspruchs auch nur Eines derselben die Kreisstände des oder der Kreise, in welchen das Genossenschaftsgebiet belegen ist, vor der Genehmigung des Statuts zu hören. Die Bekanntmachung des landesherrlichen Erlasses erfolgt nach Vorschrift des Gesetzes vom 10. April 1872. (Gesetz-Samml. S. 357.) Im Falle freiwilliger Uebereinkunft aller Berechtigten genügt die Genehmigung des verein­ barten Statuts durch den Oberpräsidenten der betreffenden Provinz oder, insofern der Bezirk

in mehreren Provinzen belegen ist, des Ministers für die landwirthschaftlichen Angelegenheiten.

§. 10. Eine Ausdehnung des Genoffenschaftszwecks auf die gemeinschaftliche Bewirthschaftung und Benutzung der Fischwaffer kann nur auf Antrag eines oder mehrerer Betheiligten erfolgen. Dieselbe ist zulässig:

1) wenn die sämmtlichen betheiligten Berechtigten zustimmen; 2) bei der Binnenfischerei und zwar in der Beschränkung auf die der Genossenschaft angehörigen nicht geschlossenen Gewässer, wenn die Fischerei in denselben ausschließlich den Besitzern der anliegenden Grundstücke zusteht und der selbstständige Fischereibetrieb der einzelnen Anlieger mit einer wirthschaftlichen Fischereinutzung der Gewässer im Ganzen unvereinbar ist. In diesem Falle ist bei dem Widersprüche auch nur Eines Berechtigten die Zustimmung der Kreisstände erforderlich. Wird über den Maßstab für die Vertheilung der Auskünfte aus der gemeinschaftlichen

Fischereinutzung eine Vereinbarung unter den Betheiligten nicht erzielt, so ist derselbe durch Schätzung der einzelnen Antheile am Fischwaffer zu ermitteln. Das Nähere hierüber bestimmt

das Genossenschaftsstatut. Unter denselben Voraussetzungen (Ziffer 1. und 2.) kann innerhalb der größeren Genossen­ schaft (§. 9.) für einen Theil der Berechtigten eine engere Genossenschaft zur gemeinschaftlichen Bewirthschaftung und Benutzung der Fischwaffer gebildet werden87).

Erlaubniß­ scheine.

§. 11. Wer die Fischerei in den Revieren anderer Berechtigter oder über die Grenzen der eigenen Berechtigung, beziehungsweise des freien Fischfangs hinaus betreiben will, muß mit einem nach Vorschrift der folgenden Paragraphen ausgestellten und beglaubigten Erlaubnißscheine versehen sein, welchen er bei Ausübung der Fischerei zu seiner Legitimation stets mit sich zu führen und auf Verlangen des Aufsichtspersonals und der Lokalpolizeibeamten vorzuzeigen hat.

§. 12. Zur Ausstellung eines Erlaubnißscheins sind nur der Fischereiberechtigte und der Fischereipächter innerhalb der Grenzen ihrer Berechtigung befugt.

87) H. Ueber die nach §§. 9 u. 10 gebildeten Genossenschaften führt im Bereiche der Kreisordnung der Kreis- (Stadt-) Ausschuß die Aufsicht. Wenn die Verpflichtung zur Theilnahme an den Lasten oder das Recht zur Theilnahme-an den Auskünften aus der gemeinschaftlichen Fischereinutzung bestritten wird, so entscheidet zunächst der Genoffenschaftsvorstand, und gegen dessen Bescheid kann binnen 21 Tagen Klage bei dem Kreis- (Stadt-) Ausschuß erhoben werden, §§. 118, 119 des eit. Zuständigkeitsges. Das Zuständigkeitsgesetz v. L Aug. 1883. §. 101 hat die Frist auf 2 Wochen verkürzt.

513

Von Erwerbung des Eigenthums.

Soweit in genossenschaftlichen Revieren eine gemeinschaftliche Bewirthschaftung und Nutzung die Fischwasser stattfindet, tritt der Vorstand der Genossenschaft an die Stelle der einzelnen Berechtigten. Der Erlaubnißschein muß auf die Person, auf ein oder mehrere bestimmt bezeichnete Ge­ wässer und auf bestimmte Zeit, welche den Zeitraum dreier Jahre nicht überschreiten darf, lauten. Er kann Beschränkungen in Beziehung auf die Art und die Zahl der Fanggeräthe und die Zahl der beim Fischfänge zu verwendenden Fahrzeuge enthalten. Art. II des Gesetzes vom 30. März 1880. Die §§. 12 und 18 des Fischereigesetzes vom 30. Mai 1874 erhalten folgenden Zusatz: Die Zahl der auszustellenden Erlaubnißscheine (Legitimationsscheine) kann für nicht ge­ schlossene Gewässer von der Aufsichtsbehörde bestimmt werden. §. 13. Fischerei-Erlaubnißscheine bedürfen der Beglaubigung und zwar: 1) für den Fischereibetrieb in den zu genossenschaftlichen Revieren gehörigen Gewässern durch den zur Handhabung der Fischereiaufsicht berufenen Genossenschaftsvorstand (§. 9.); 2) für den Fischereibetrieb in den übrigen Gewässern durch diejenige Ortspolizeibehörde, in deren Bezirke d*er Aussteller wohnt. Ausgenommen von dieser Vorschrift sind, soweit nicht für genossenschaftliche Reviere durch das Statut etwas Anderes bestimmt wird, diejenigen Fischerei-Erlaubnißscheine, welche von einer öffentlichen Behörde, von einem öffentlichen Beamten innerhalb seiner Amtsbefugnisse, einem Gemeindevorstande oder dem zur Beglaubigung der Erlaubnißscheine berufenen Vorstande einer Fischereigenossenschaft ausgestellt sind. §. 14. Die Beglaubigung des Erlaubnißscheins bezieht sich nur auf die Unterschrift des Ausstellers und enthält kein Anerkenntniß für die Berechtigung desselben. §. 15. Die Beglaubigung der Erlaubnißscheine durch die Ortspolizeibehörde erfolgt stempelund kostenfrei. In genossenschaftlichen Revieren kann jedoch für die Beglaubigung der Erlaubnißscheine eine Gebühr bis zu Einer Mark zu Gunsten der Genossenschaft erhoben werden. Das Nähere hierüber bestimmt das Genossenschaftsstatut. §. 16. Wer die Fischerei aus eigenem Rechte oder als Pächter in nicht geschlossenen Ge­ wässern (§. 4.) betreiben will, hat davon der Aufsichtsbehörde87tt), in genossenschaftlichen Revieren (§. 9.) dem Vorstande derselben vorher Anzeige zu machen, erhält hierüber kosten- und stempel­ frei eine Bescheinigung87'') und hat dieselbe beim Fischen stets bei sich zu führen. §. 17. Das bei dem Fischen in Gegenwart des Fischereiberechtigten, des Fischereipächters oder des Inhabers eines Erlaubnißscheins beschäftigte Hülfspersonal bedarf keiner Legitimation. §. 18. An Stelle der vorstehenden §§. 11. bis 17. bleibt der §. 41. der Fischereiordnung für die in der Provinz Pommern belegenen Theile der Oder, das Haff und dessen Ausflüsse vom 2. Juli 1859. (Gesetz-Samml. S. 453.) und der §. 49. der Fischereiordnung für den Regierungs­ bezirk Stralsund vom 30. August 1865. (Gesetz-Samml. S. 941.) für den Geltungsbereich dieser Gesetze in Kraft; es können jedoch die darin bestimmten Obliegenheiten des Königlichen Fisch­ meisters (Oberfischmeisters) in genossenschaftlichen Revieren auf den zur Handhabung der Fischerei­ aussicht berufenen Genosienschaftsvorstand (§. 9.) durch das Statut übertragen werden; in diesem Falle findet auf die Ausstellung und Bescheinigung der Legitimationsscheine (Willzettel, Fischzettel) der zweite Absatz des §. 15. dieses Gesetz Anwendung. Art. II des Gesetz es vom 30. März 1880 (s. §. 12). §. 19. Die ohne Beisein des Fischers zum Fischfänge ausliegenden Fischerzeuge müssen Bezeichnung mit einem Kennzeichen versehen sein, durch welches die Person des Fischers ermittelt werden Mchfaicge kann. Ueber die Art der Kennzeichnung sind die näheren Vorschriften für genossenschaftliche Reviere durch das Genossenschaftsstatut, für andere Reviere im Wege der Polizeiverordnung zu erlassen.

.

87a) h Diese ist hier Amtsvorsteher (Bürgermeister), nicht der Landrath, O.V.G. II v. 18. Nov. 1880, Entsch. dess. 7 S. 285. 87b) H. Also keine Erlaubniß. Auch darf die Bescheinigung nicht verweigert werden, weil der Nachsuchende angeblich kein Recht zum Fischen hat, s. die in vor. Anm. eit. Entsch. Koch, Allgemeines Landrecht. I.

8. Aufl.

33

514 berCßinber-

Erster Theil. 201

Neunter Titel.

§. 192 (Zusatz).

Die Breite der Gewässer darf zum Zwecke des Fischfanges durch ständige Fischerei­

nisse für den Vorrichtungen niemals auf mehr, als auf die Hälfte der Wasserfläche, bei gewöhnlichem niedrigen

^Fische?'" Wasserstande vom Ufer aus gemessen, für den Wechsel der Fische versperrt werden.

Solche

Vorrichtungen dürfen nicht so nahe aneinander angebracht sein, daß der Zug der Fische dadurch behindert wird. Diese Vorschriften finden in Grenzgewässern nur soweit Anwendung, als in dem Nachbar­ lande ein gleiches Vorgehen beobachtet wird; auch ist der Minister für die landwirthschaftlichen Angelegenheiten ermächtigt, dieselben zeitweilig für solche Gewässer außer Kraft zu setzen, welche streckenweise Unserer Hoheit nicht unterworfen sind. Die bereits bestehenden ständigen Fischereivorrichtungen unterliegen diesen Vorschriften

nicht, wenn mit denselben eine auf dieses besondere Fangmittel gerichtete Fischereiberechtigung verbunden ist; im anderen Falle müssen dieselben, soweit sie den Vorschriften dieses Para­ graphen nicht entsprechen, längstens innerhalb zweier Jahre nach Erlaß dieses Gesetzes von den Besitzern, welche dazu erforderlichenfalls im Verwaltungswege anzuhalten sind, abgeändert werden, sicherFai!g^ §• Beim Fischfänge ist die Anwendung schädlicher oder explodirender Stoffe (giftiger mittel.0 Köder oder Mittel zur Betäubung oder Vernichtung der Fische, Sprengpatronen oder anderer

Sprengmittel u. s. w.) verboten.

ffiesorSchriften.

§• 22.

Im Wege landesherrlicher Verordnung

wird nach Anhörung der betreffenden

Provinzialverwaltung vorgeschrieben: 1) welche Fische mit Rücksicht auf ihr Maaß oder Gewicht nicht gefangen werden dürfen; 2) zu welchen Tages- und Jahreszeiten die Fischerei überhaupt oder in gewissen Erstreckungen der Gewässer oder bezüglich gewisser Fangarten oder Fischgattungen verboten sein soll; 3) welche Fangarten und welche Arten von Fanggeräthen beim Fischfänge nicht angewendet werden dürfen; Berechtigungen auf die Benutzung ständiger Fischereivorrichtungen (§§. 5. und 20.) können durch diese Vorschriften nicht getroffen werden; ebensowenig unterliegen denselben Be­ rechtigungen auf den Gebrauch anderer bestimmter Fangmittel, wenn der Berechtigte nur mit diesem Fangmittel die Fischerei ausüben darf; 4) von welcher Beschaffenheit die erlaubten Fanggeräthe sein müssen, und mit welchen Be­ schränkungen die letzteren zum Fischfänge gebraucht werden können;

5) welche Ordnung von den Fischern zur Vermeidung gegenseitiger Störungen, ferner im In­ teresse des öffentlichen Verkehrs und der Schiffahrt und endlich gegenüber den Aufsichts­ beamten und zur Erleichterung der Aufsichtsführung zu beobachten ist; 6) in welchen Jahreszeiten und an welchen Orten die Werbung der Seegewächse verboten sein soll. Für Uebertretungen kann eine Geldstrafe bis zu 150 Mark Reichsmünze oder Haft und die Einziehung der bei der Ausübung der Fischerei verwandten unerlaubten Fanggeräthe ange­ droht werden. Bis zum Erlasse der in diesem Paragraphen vorgesehenen landesherrlichen Verordnungen bleiben die bezüglichen, zur Zeit bestehenden, auf Gesetz oder Verordnung beruhenden Vorschriften in Krass. über er oit 23. In den nach §. 22. Nr. anzuordnenden Schonzeiten soll die Fischerei nicht über zetten und' das Maaß hinaus beschränkt werden, welches zur Erhaltung des Fischbestandes unter BerücksichbeTjuS tigung der durch dieses Gesetz gegebenen anderweiten Schonungsmittel unbedingt geboten ist. Fische.

Insbesondere soll dieselbe in denjenigen Strecken der Gewässer, wo die Rücksicht auf Er­ haltung des Fischbestandes es gestattet, außer an den Sonn- und Festtagen, höchstens an drei Tagen in der Woche untersagt werden dürfen. Der Fang einzelner Fischgattungen und der Gebrauch bestimmter Fangmittel kann auch in diesem Falle für die ganze Dauer der Schonzeit verboten werden.

§. 24. Gelangen Fische, deren Fang zur Zeit oder mit Rücksicht auf ihr Maaß oder Ge­ wicht überhaupt verboten ist, lebend in die Gewalt des Fischers, so sind dieselben sofort wieder in das Wasser zu setzen.

Von Erwerbung des Eigenthums. §. 25.

515

Die Vorschriften der §§. 19. bis 24. finden auf geschlossene Gewässer (§. 4.) keine

Anwendung. §. 26. Ist der Fang von Fischen unter einem bestimmten Maaße oder Gewichte verboten, so dürfen solche Fische im Geltungsbereiche des Verbots unter diesem Maaße oder Gewichte weder feil geboten, noch verkauft, noch versandt werden. §. 27. Auf die in den Fischzucht-Anstalten vorhandene junge Fischbrut finden die Vor­ schriften der §§. 24. und 26. keine Anwendung. Auch kann die Aufsichtsbehörde im Interesse wissenschaftlicher Untersuchungen oder gemein­ nütziger Versuche und für Zwecke der künstlichen Fischzucht, soweit erforderlich, unter geeigneten Kontrolmaßregeln Ausnahmen von den Vorschriften der §§. 24. und 26. gestatten. Den Besitzern geschlossener Gewässer (§. 4.) ist der Verkauf und Versandt von jungen Satzlingen zu Zuchtzwecken gestattet. §. 28. Während der Dauer der Schonzeit müssen die durch dieses Gesetz nicht beseitigten ständigen Fischereivorrichtungen (§§. 5. und 20.) in nicht geschlossenen Gewässern hinweggeräumt oder abgestellt sein. Die Besitzer derselben sind dazu erforderlichen Falls im Verwaltungswege anzuhalten. Art. III des Gesetzes vom 30. März 1880. Der §. 28 des Fischereigesetzes vom 30. Mai 1874 erhält am Schlüsse folgenden Zusatz: Soweit die Rücksicht auf Erhaltung des Fischbestandes es gestattet, kann der Regierungs­ präsident (Landdrost) Ausnahmen von der im ersten Absatz getroffenen Bestimmung zulassen. §. 29. Nach Anhörung der betheiligten Fischereibetheiligten und in genossenschaftlichen Schonrevüre. Revieren nach Anhörung des Genossenschaftsvorstandes können zu Schonrevieren erklärt werden: 1) solche Strecken der Gewässer, welche nach sachverständigem Ermessen vorzugsweise geeignete Plätze zum Laichen der Fische und zur Entwickelung der jungen Brut bieten (Laichschonreviere); 2) solche Strecken der Gewässer, welche den Eingang der Fische aus dem Meere in die Binnengewässer beherrschen (Fischschonreviere). Die Feststellung der Schonreviere erfolgt durch Verfügung des Ministers für die landwirthschaftlichen Angelegenheiten und zwar, wenn solche Strecken der Gewässer zu Schonrevieren erklärt werden sollen, in welchen dem Staate die Fischereigerechtigkeit zusteht, im Einverständ­ nisse mit dem Finanzminister. Die betreffende Verfügung ist durch öffentliche Bekanntmachung zur Kenntniß der Be­ theiligten zu bringen; auch find die Schonreviere, soweit es die Oertlichkeit gestattet, durch Auf­ stellung besonderer Zeichen erkennbar zu machen. §. 30. In Schonrevieren ist jede Art des Fischfangs untersagt, welche nicht für Zwecke der Schonung oder andere gemeinnützige oder wirthschaftliche Zwecke von der Aufsichtsbehörde angeordnet oder gestattet wird. §. 31. In Laichschonrevieren (§. 29. Nr. 1.) muß die Räumung, das Mähen von Schilf und Gras, die Ausführung von Sand, Steinen, Schlamm u. s. w. und jede anderweite, die Fortpflanzung der Fische gefährdende Störung während der Laichzeit der vorherrschenden Fisch­ gattungen unterbleiben, soweit es die Interessen der Vorfluth und der Landeskultur gestatten. Das Nähere hierüber, über die Beaufsichtigung und den Schutz der Schonreviere ist erforderlichen Falls durch ein von der Bezirksregierung88) zu erlassendes Regulativ festzustellen. §. 32. Zu Schonreviren sollen vorzugsweise solche Strecken der Gewässer erklärt werden, welche an sich dem freien Fischfänge unterliegen würden, oder in welchen dem Staate die ausschließliche Fischereigerechtigkeit zusteht, oder endlich in welchen den politischen Gemeinden durch den §. 7. dieses Gesetzes die Fischereigerechtigkeit übertragen ist.

88) EL Nach dem Zuständigkeitsges. §. 116 Nr. 1 beschließt der Provinzialrath über den Erlaß von Regulativen betreffend die Beaufsichtigung und den Schutz der Laichschonreviere. An seine Stelle tritt nach dem Zuständigkeitsges. v. 1. Äug. 1883. §. 98 Nr. 1 der Bezirksausschuß. 33*

516

Erster Theil.

Neunter Titel.

§. 192 (Zusatz).

In diesen Fällen wird eine Entschädigung für die entzogene Ausübung der Fischerei in den Schonrevieren nicht gewährt.

Ist es jedoch zur Erhaltung oder Verbesserung des Fischbestandes nothwendig, auch andere Gewässer in die Schonreviere aufzunehmen, so fallen die darauf ruhenden Fischereiberechti­

gungen hinweg und muß den Berechtigten für die entzogene Nutzung volle Entschädigung aus Staatsmitteln gewährt werden, deren Betrag bei Mangel gütlicher Einigung im Rechtswege festzustellen ist.

Fischpässe.

Geschlossene Gewässer können wider den Willen des Eigenthümers weder zu Schonrevieren erklärt, noch in dieselben ausgenommen werden. §. 33. Die durch frühere Gesetze und Verordnungen jedem Fischfänge Behufs der Schonung entzogenen Strecken der Gewässer bleiben als Schonreviere im Sinne dieses Gesetzes bestehen und unterliegen den Vorschriften der §§. 29. bis 31. §. 34. Ist die Beibehaltung eines Schonreviers nicht mehr erforderlich, so kann dasselbe durch Verfügung des Ministers für die landwirthschaftlichen Angelegenheiten wieder aufgehoben werden. In diesem Falle treten rücksichtlich des Fischfangs die früheren Rechtsverhältnisse wieder ein, insoweit jedoch für Aufhebung der Berechtigungen eine Entschädigung aus Staatsmitteln geleistet ist, verbleibt die Fischereiberechtigung dem Staate. §. 35. Wer nach Erlaß dieses Gesetzes in einem der Herrschaft desselben unterworfenen natürlichen Gewässer Wehre, Schleusen, Dämme oder andere Wasserwerke an Stellen, wo bisher der Zug der Wanderfische unbehindert war, anlegt, ist verpflichtet, auf seine Kosten Fischpässe auszuführen und zu unterhalten. Ausnahmen von dieser Vorschrift können, jedoch immer nur widerruflich, zugestanden werden, wenn 1) der Zug der Wanderfische in dem betreffeuden Gewässer durch bereits bestehende Anlagen oder aus anderen Gründen zur Zeit ausgeschlossen ist, oder 2) die neue Anlage nur einen vorübergehenden Zweck hat und die demnächstige Wieder­ wegräumung gesichert ist. Ueber die Art der erforderlichen Einrichtungen und ihre Benutzung, sowie über die Zu­ lässigkeit von Ausnahmen bestimmt nach vorgängiger sachverständiger Untersuchung diejenige Behörde, deren Genehmigung die auszuführenden Wasserwerke bedürfen, oder, sofern eine Ge­ nehmigung nicht erforderlich ist, die Aufsichtsbehörde. §. 36. Besitzer von Wehren, Schleusen, Dämmen oder anderen Wasserwerken in natür­ lichen Gewässern, durch welche der Zug der Wanderfische ganz versperrt oder erheblich beein­

trächtigt wird, sind verpflichtet, die Herstellung von Fischpässen zu dulden, wenn 1) die Anlage vom Staate im öffentlichen Interesse beabsichtigt wird, oder 2) Personen oder Genossenschaften, welche in dem oberen oder unteren Theile des Gewässers

fischereiberechtigt sind, die Anlage auszuführen beabsichtigen und der von ihnen vorgelegte Bauplan von der Bezirksregierung (Landdrostei) nach zu-voriger Anhörung der Stau­ berechtigten genehmigt ist (§. 39.)"). §. 37. Die Vorschriften der §§. 35. und 36. finden keine Anwendung: 1) auf geschlossene Gewässer (§. 4.); 2) auf künstlich angelegte Wafferzüge. Diese Ausnahme erstreckt sich auch auf natürliche Gewässer, wenn und soweit sie unmittelbare Zubehörungen oder Theile eines künstlichen

Wasserzuges bilden; 3) auf diejenigen Wasserwerke (Abwässerungsschleusen, Siele u. s. w.), welche zum Schutze von Niederungen gegen die von außen andringenden Fluthen angelegt sind oder angelegt werden. §. 38. Werden durch die im §. 36. bezeichneten Anlagen nutzbare Stauberechtigungen beeinträchtigt, so ist dafür von dem Unternehmer der Anlage volle Entschädigung zu gewähren; 89) H. Nach dem Zuständigkeitsges. §. 116 Nr. 2 beschließt der Provinzialrath über die Genehmigung zur Ausführung von Fischpässen, s. auch das neue Anm. 88 cit. Gesetz §. 98. No. 2 (Bezirksausschuß).

Von Erwerbung des Eigenthums.

517

dagegen wird für den etwaigen durch Anlegung eines Fischpasses veranlaßten Minderwerth der Fischerei keine Entschädigung geleistet. §. 39. Die Ausführung eines Fischpasses durch Fischereiberechtigte oder Genossenschaften bedarf in allen Fällen der Genehmigung der Bezirksregierung (Landdrostei)90), welche bei Prü­ fung des Bauplans nicht allein die ufer-, fluß- und schiffahrtspolizeilichen Rücksichten zu beachten, sondern auch darauf zu sehen hat, daß bei der Anlage des Fischpasses wider den Willen des Stauberechtigten das Maaß des Nothwendigen nicht überschritten wird. §. 40. Zu den von Staatswegen oder nach Maaßgabe eines von der Bezirksregierung (Landdrostei) genehmigten Bauplans von Fischereiberechtigten auszuführenden Fischpässen muß der erforderliche Grund und Boden von den Eigenthümern desselben gegen volle, von dem Unternehmer der Anlage zu gewährende Entschädigung abgetreten werden. Auf das Enteignungsverfahren und die Ermittelung der Entschädigung finden diejenigen Vorschriften Anwendung, welche in Enteignungsfällen für Zwecke der Vorfluth in den einzelnen Landestheilen Platz greifen. Nach denselben Vorschriften erfolgt auch die Ermittelung der in den Fällen der §. 38. zu gewährenden Entschädigung. Z. 41. Die Bezirksregierung (Landdrostei) hat unter Abwägung aller Interessen zu be­

stimmen, in welchen Theilen des Jahres der Fischpaß geschlossen gehalten werden mujj91).92 * * * §. 42. In den für den Durchzug der Fische angelegten Fischpässen ist jede Art des Fisch­ fangs, insbesondere auch das Einhängen oder Einsetzen von Fischkörben, Netzen, Reusen und anderen Fangvorrichtungen verboten. Oberhalb und unterhalb des Fischpasses muß in einer nach den örtlichen Verhältnissen von der Regierung zu bestimmenden angemessenen Ausdehmmg für die Zeit, während welcher der Fischpaß geöffnet ist, jede Art des Fischfanges verboten werden. Werden durch dieses Verbot Rechte des Fischereiberechtigten beeinträchtigt, so muß dafür volle Entschädigung geleistet werden99). §. 43. Es ist verboten, in die Gewässer aus landwirthschaftlichen oder gewerblichen Be- Berunreinitrieben Stoffe von solcher Beschaffenheit und in solchen Mengen einzuwerfen, einzuleiten oder FiAasicr.

einfließen zu lassen, daß dadurch fremde Fischereirechte geschädigt werden können. Bei überwiegendem Interesse der Landwirthschaft oder der Industrie kann das Einwerfen oder Einleiten solcher Stoffe in die Gewässer gestattet werden. Soweit es die örtlichen Ver­ hältnisse zulassen, soll dabei dem Inhaber der Anlage die Ausführung solcher Einrichtungen aufgegeben werden, welche geeignet sind, den Schaden für die Fischerei möglichst zu beschränken. Ergiebt sich, daß durch Ableitungen aus landwirthschaftlichen oder gewerblichen Anlagen, welche bei Erlaß dieses Gesetzes bereits vorhanden waren, oder in Gemäßheit des vorstehenden Absatzes gestattet worden sind, der Fischbestand der Gewässer vernichtet oder erheblich beschädigt wird, so kann dem Inhaber der Anlage auf den Antrag der durch die Ableitung benachtheiligten Fischereiberechtigten im Verwaltungswege die Auflage gemacht werden, solche ohne unverhältnißmäßige Belästigung seines Betriebes ausführbaren Vorkehrungen zu treffen, welche geeignet sind,

den Schaden zu heben oder doch thunlichst zu verringern. Die Kosten der Herstellung solcher Vorkehrungen sind dem Inhaber der Anlage von den Antragstellern zu erstatten. Die letzteren sind verpflichtet, auf Verlangen vor der Ausführung Vorschuß oder Sicherheit zu leisten. Die Enscheidung über die Gestattung von Ableitungen nach Absatz 2., sowie über die in Gemäßheit des Absatz 3. anzuordnenden Vorkehrungen erfolgt, sofern die betreffende Ableitung 90) H. Vgl. die vor. Anm. 91) H. Vgl. die folg. Anm. 92) H. Darüber, zu welchen Zeiten des Jahres der Fischpaß geschlossen gehalten werden muß und in welcher Ausdehnung oberhalb und unterhalb des Fischpasses für die Zeit, während welcher der Fischpaß geöffnet ist, jede Art des Fischfanges verboten ist, beschließt der Provinzial­ rath, eit Ges. §. 116 Nr. 3 (bez. Bezirksausschuß) eit. Ges. v. 1883 §. 98 Nr. 3.

518

Erster Theil.

Neunter Titel.

§. 192 (Zusatz).

Zubehör einer der im §. 16. der Gewerbeordnung für den Norddeutschen Bund vom 21. Juni 1869. (Bundes-Gesetzbl. S. 245.) als genehmigungspflichtig bezeichneten Anlagen ist, in dem für die Zulassung dieser Anlagen angeordneten gesetzlichen Verfahren', in anderen Fällen nach demjenigen Verfahren, welches über die Genehmigung von Stauanlagen für Wassertriebwerke festgesetzt ist03). §. 44. Das Röten von Flachs und Hanf in nicht geschlossenen Gewässern ist verboten. Ausnahmen von diesem Verbote kann die Bezirksregierung (Landdrostei) jedoch immer nur widerruflich für solche Gemeindebezirke oder größere Gebietstheile zulassen, wo die Oertlichkeit für die Anlage zweckdienlicher Rötegruben nicht geeignet ist und die Benutzung nicht ge­ schlossener Gewässer zur Flachs- und Hanfbereitung zur Zeit nicht entbehrt werden sann01). *umsöbtcn 45- Art. IV des Gesetzes vom 30. März 1880. An die Stelle des ersten Abuud^Fcinqcu satzes in §. 45 des Fischereigesetzes vom 30. Mai 1874. tritt folgende Vorschrift:

tCTifiere.CV

Dem Fischereiberechtigten ist gestattet, Fischottern, Taucher, Eisvögel, Reiher, Kormorane und

Fischaare ohne Anwendung von Schußwaffen zu tobten oder zu fangen und für sich zu behalten. Wenn in einzelnen Landestheilen durch die bestehende Gesetzgebung den Fischereiberechtigten der Fang jagdbarer, der Fischerei schädlicher Thiere in weiterem Umfange gestattet ist, behält es dabei sein Bewenden. Bcaufsichtl46. Wo in diesem Gesetze die Aufsichtsbehörde erwähnt wird, ist darunter die ordent^""scherei. liche Obrigkeit des Bezirks innerhalb ihrer Zuständigkeit verstanden0^).

Die Beaufsichtigung der Binnenfischerei, der Schonreviere und der Fischpässe kann durch besondere vom Staate bestellte Beamte ausgeübt werden. Die von Fischereiberechtigten, Fischerei­ genossenschaften oder Gemeinden bestellten Aufseher sind verpflichtet, den Anordnungen dieser Beamten innerhalb der Vorschriften dieses Gesetzes nachzukommen. In genossenschaftlichen Revieren liegt die unmittelbare Beaufsichtigung der Fischerei dem Vorstande der Genossenschaft, in allen nicht genossenschaftlichen Binnenfischerei-Revieren, der Ge­ meinde innerhalb ihrer Gemarkung neben den staatlichen Sicherheits- und Lokalpolizeibeamten ob. Fischereiaufseher, welche von Fischereiberechtigten, Fischereigenossenschaften oder von Ge­ meinden bestellt werden, sind auf deren Antrag amtlich zu verpflichten, falls gegen ihre Zu­ verlässigkeit kein Anstand obwaltet. Die unmittelbare Beaufsichtigung der Küstenfischerei außerhalb genossenschaftlicher Reviere wird von den Organen der Staatsverwaltung geführt. §. 47. Die amtlich verpflichteten Aufsichtsbeamten haben bei der Ermittelung und Ver­ folgung von Uebetretungen gegen die Bestimmungen dieses Gesetzes und die sonst bestehenden fischereipolizeilichen Vorschriften innerhalb ihres Aufsichtsbezirks die Befugnisse und Verpflich­ tungen der Lokalpolizeibeamten; insbesondere sind dieselben zu jeder Zeit befugt, die beim Fisch­ fänge im Gebrauch befindlichen Fanggeräthe, sowie die in Fischerfahrzeugen vorhandenen Fanggeräthe und Fische einer Untersuchung zu unterziehen. Auch können von denselben Fischbehälter, welche in nicht geschlossenen Gewässern ausge­ legt sind, jeder Zeit durchsucht werden. §. 48. Wird Jemand bei einer Uebertretung oder gleich nach derselben betroffen oder verfolgt, so sind die der Einziehung unterliegenden Gegenstände, welche er bei sich führt, in Beschlag zu nehmen. In den nämlichen Fällen können die bei der Uebertretung gebrauchten Fischergeräthe und Fahrzeuge gepfändet werden. 93) H. Theilweise modifizirt durch §. 117 des cit. Gesetzes: „Der Bezirksrath beschließt 1) über die Gestattung von Ableitungen nach §. 43 Abs. 2 des Fischereiges und über die Anordnungen von Vorkehrungen nach §. 43 Abs. 3 a. a. O., sofern die betreffende Ableitung nicht Zubehör einer der im §. 16 d. R.Gew.Ordn als genehmigungspflichtig bezeichneten Anlage ist. — Die Schlußbestimmung des §. 43 des Fischereiges. wird in Betreff der im §. 16 der R.Gew.Ordn. nicht erwähnten Anlagen aufgehoben." Das Ges. v. 1. Aug. 1883. §. 99 setzt an Stelle des Bezirksraths den Bezirksausschuß. 94) H. Nach §. 117 Nr. 2 a. a. O. beschließt über die Gestattung solcher Ausnahmen der Bezirksrath, nach dem cit. §. 99 Nr. 2 der Bezirksausschuß. 95) H. Vgl. dazu §. 59 der Kreis-Ordn., s. auch Anm. 87a.

Von Erwerbung des Eigenthums.

519

Diese der Einziehung nicht unterliegenden Gegenstände sind dem nächsten Ortsvorstande auf Gefahr und Kosten des Eigentümers zur Aufbewahrung zu überliefern, jedoch gegen Nieder­ legung einer der Höhe nach vom Ortsvorstande zu bestimmenden baaren Summe, welche dem Geldbeträge der etwa erfolgenden Verurtheilung nebst den Kosten der Aufbewahrung oder dem Werthe des Pfandstücks gleichkommt, zurückzugeben. Die Niederlegung kann bei dem Ortsvor­ stande oder gerichtlich erfolgen. Geschieht die Niederlegung nicht innerhalb acht Tagen, so kann der gepfändete Gegenstand auf Verfügung des zuständigen Richters öffentlich versteigert werden. §. 49. Mit Geldstrafe bis zu 30 Mark Reichsmiinze oder mit Haft bis zu Einer Woche Strafbesiimwird bestraft: mungen.

1) wer in den Fällen des §. 11. bei Ausübung der Fischerei ohne einen nach Vorschrift der §§. 12. und 13. ausgestellten und beglaubigten Erlaubnißschein, oder ohne die im §. 16. vorge­ schriebene Bescheinigung oder im Geltungsbereiche der Fischereiordnungen für die in der Provinz Pommern belegenen Theile der Oder, das Haff und dessen Ausflüsse vom 2. Juli 1859. und für den Regierungsbezirk Stralsund vom 30. August 1865. ohne einen vor­ schriftsmäßig ausgestellten und bescheinigten Legitimationsschein (Willzettel, Fischzettel) be­ troffen wird (§. 18.); 2) wer den Vorschriften im §. 19. zuwider Fischerzeuge ohne die vorgeschriebene Kennzeichnung auslegt. §. 50. Mit Geldstrafe bis zu 150 Mark Reichsmünze oder mit Haft wird bestraft: 1) wer als Pächter einer Gemeindefischerei die von der Aufsichtsbehörde festgestellte Zahl der zulässigen Fanggeräthe überschreitet (§. 8.); 2) wer einen Erlaubniß- oder Legitimationsschein unberechtigt ausstellt und aus Händen giebt (88- 12. und 18.); 3) wer bei Ausübung der Fischerei in nicht geschlossenen Gewässern die im §. 21. verbotenen Mittel anwendet; 4) wer den Vorschriften im §. 28. zuwider ständige Fischereivorrichtungen nicht rechtzeitig wegräumt oder abstellt oder denselben vorschriftswidrig eine größere als die nach §. 20. zulässige Ausdehnung giebt; 5) wer in Schonrevieren verbotswidrig die Fischerei ausübt (§. 30.) oder den zum Schutze derselben erlassenen reglementarischen Vorschriften zuwider handelt (§. 31.); 6) wer in den für den freien Durchzug der Fische angelegten Fischpässen, sowie in den ober­ halb und unterhalb derselben gelegenen, dem Fischfänge entzogenen Theilen der Gewässer irgend eine Art des Fischfangs ausübt (§. 42.); 7) wer den Vorschriften des §. 43. oder den zur Ausführung desselben getroffenen Anord­ nungen zuwider den Gewässern schädliche, die Fischerei gefährdende Stoffe zuführt oder verbotswidrig Hanf und Flachs in nicht geschlossenen Gewässern rötet (§. 44.). §. 51. Mit Geldstrafe bis zu 90 Mark Reichsmiinze oder mit Haft bis zu 4 Wochen werden bestraft: alle Zuwiderhandlungen gegen die Vorschriften der §§. 24. und 26. dieses Gesetzes. Neben der Strafe ist auf Einziehung aller verbotswidrig feil gebotenen, verkauften oder versandten Fische zu erkennen, ohne Unterschied, ob sie dem Verurtheilten gehören oder nicht. §. 52. Wer zur Begehung einer durch dieses Gesetz mit Strafe bedrohten Uebertretung sich seiner Angehörigen, Dienstboten, Lehrlinge oder Arbeiter als Theilnehmer bedient, haftet, wenn diese nicht zahlungsfähig sind, neben der von ihm selbst verwirkten Strafe für die von den­ selben zu erlegenden Geldstrafen. §. 53. Alle früher erlassenen, den Bestimmungen dieses Gesetzes entgegenstehenden Vor- .Schlußbe­ schriften werden aufgehoben. strmmungen.

8- 54. Der Minister für die landwirthschaftlichen Angelegenheiten ist mit der Ausführung dieses Gesetzes beauftragt06). 96) H. Vgl. Verordnung betr. die Ausführung des Fischereigesetzes in der Prov. Preußen v. 11. Mai 1877, G.S. S. 141; i. d. Prov. Pommern v. 15. Mai 1877, S. 149; i. d. Prov.

520

Erster Theil.

Neunter Titel.

§§. 193—201.

Art. V des Gesetzes vom 30. August 1880. Die Minister für Handel und für Landwirthschaft sind befugt, zum Schutze der Fische gegen Beschädigung durch Turbinen bei jeder nach dem Inkrafttreten des Gesetzes erfolgenden Turbinenanlage dem Eigenthümer der letzteren jederzeit die Herstellung und Unterhaltung der Vorrichtungen (Gittern u. s. w.), welche das Eindringen der Fische in die Turbinen verhindern, auf seine Kosten aufzuerlegen.

Fünfter Abschnitt.

Bon der Beute. Von der Beute überhaupt.

§. 193. Das Recht im Kriege Beute zu machen, kann nur mit Genehmigung des Staats erlangt werden. §. 194. Wem der Staat dieses Recht ertheilt hat, der erwirbt durch die bloße Besitzergreifung^) das Eigenthum der erbeuteten Sache. §. 195. Wer Kriegs- oder Mundvorräthe erbeutet, der muß dieselben zum Gebrauche des Staats abliesern. §. 196. Alle andere Sachen, welche bei dem feindlichen Kriegsheere, oder bei den unter den Waffen befindlichen Feinden, ingleichen bei feindlichen Marketendern und Lieferanten angetroffen werden, sind als Beute zu betrachten. §. 197. Das Eigenthum feindlicher Unterthanen, die weder zur Armee ge­ hören, noch derselben folgen, kann nur zur Beute gemacht werden3*),1 2wenn der Be­ fehlshaber der Truppen die ausdrückliche Erlaubniß dazu gegeben t)at4). §. 198. Unbewegliches Eigenthum ist niemals ein Gegenstand der Beute5). Posen v. 20. Mai 1877, S. 161; i. d. Prov. Brandenburg v. 2. Nov. 1877, S. 235; i. d. Prov. Schlesien v. 2. Nov. 1877, S. 240; i. d. Prov. Sachsen v. 2. Nov. 1877, S. 246; i. d. Prov. Schleswig-Holstein v. 2. Nov. 1877, S. 251; i. d. Prov. Westfalen v. 2. Nov. 1877, S. 264; i. d. Rheinprovinz v. 2. Nov. 1877 S. 269; i. Regierungsbezirk Kassel und Wiesbaden v. 2. Nov. 1877, S. 274, 280; i. d. Hohenzollernschen Landen v. 2. Nov. 1877, S. 285; i. d. Prov. Han­ nover v. 2. Nov. 1877, S. 257 u. v. 12. Jan. 1880 S. 7. 1) Nach dem Sinne des L.R. kann nur der Soldat oder doch nur eine solche Person, welche zum Heere gehört, oder demselben folgt, Beute machen, und der Staat, der dazu die Erlaubniß geben soll, wird durch die Kriegsbefehlshaber repräsentirt. Das L.R. weicht hierin also sehr bedeutend von dem R. R. ab, nach welchem jeder römische Bürger, gleichviel ob Soldat oder nicht, bewegliche Sachen eines Volkes, mit welchem das Röm. Volk kein Bündniß hatte, okkupiren konnte, ohne daß dazu Krieg erforderlich war. L. 5 §.7; L. 7 pr., L. 51 §. 1 D. de acquir. rer. dorn. (XLI, 1). 2) Die Sachen werden für herrenlos angesehen,, weil das feindliche Volk, während des Kriegszustandes, für rechtlos gilt. Deshalb wird durch Okkupation Eigenthum an Sachen der feindlichen Nation erworben. 3) In der Kriegssprache geschieht dies durch „Plünderung". H. Die §§. 196, 197 beziehen sich aber nicht auf Sachen, welche den eigenen Unterthanen gehören, O.Tr. IV v. 23. Mai 1871, Str. Arch. 82 S. 166. 4) Um außerhalb des Falles des §. 197 an Sachen des Feindes Beute zu machen, bedarf weder der Soldat, noch der Befehlshaber der Truppen für seine Person einer vorangehenden besonderen, ausdrücklichen Erlaubniß des Staates. — Der Befehlshaber bedarf einer solchen Erlaubniß selbst in dem Falle des §. 197 nicht. O.Tr. I v. 24. Juni 1864, Str. Arch. 53 S. 316 und Entsch. 53 S. 49. H. Diese Auffassung des O.Tr. erscheint nicht haltbar. Der erste Satz widerspricht den §§. 193, 194, welche eine ausdrückliche Erlaubniß des Staates, d. h. des Truppenbefehlshabers zum Beutemachen im Sinne des §. 196 verlangen, wogegen der §. 197 eine speziell auf die hier genannten Sachen gerichtete Erlaubniß für nothwendig erklärt, s. P. Hinschius i. d. preuß. Anw.Ztg. v. 1866 S. 13. Für diese Ansicht spricht auch §. 128 des Militär-Str.G.B., welcher das eigenmächtige Erbeuten von Sachen, welche an sich dem Beuterechte unterworfen sind, mit Strafe bedroht; s. übrigens auch §. 129 daselbst. 5) Nach R. R. wurde der Grund und Boden für den Staat in Besitz genommen. L. 20 §. 1 D. de captivis (XLIX, 15).

Von Erwerbung des Eigenthums.

521

§. 199. Bewegliche Sachen, die der Feind weggenommen und veräußert hat, kann der vorige Eigenthümer gegen Erstattung desjenigen, was dafür gezahlt wor­ den, zurückfordern6). §. 200. Hat der Feind die erbeutete Sache verschenkt, so muß der Besitzer dieselbe dem vorigen Eigenthümer unentgeldlich zurückgeben. §. 201. Die Beute ist erst alsdann für erobert zu achten, wenn sie von den Truppen, welche sie gemacht haben, bis in ihr Lager, Nachtquartier, oder sonst in völlige Sicherheit gebracht worden7). 6) In den 193—198 wird von der Erwerbung des Eigenthums durch Erbeutung ge­ handelt, die §§. 199—204 sprechen von dem Verluste des Eigenthums durch feindliche Wegnahme. Es ist nicht klar, in wie fern dadurch das Eigenthum erlischt und dem Feinde ein gleiches Recht, auf solche Art Eigenthum zu erwerben, zugestanden wird. Der §. 201 bezeichnet die Handlung, durch deren Vollziehung die Erbeutung für vollendet zu erachten. Diese Bestimmung kommt aus der L. 5 §§. 1 u. 2 D. de captivis. Dort hat sie aber eine Bedeutung, die für uns nicht vor­ handen ist.' Der Feind bekümmert sich darum nicht, mit welchem Augenblicke wir ihm die voll­ endete Erwerbung zugestehen wollen. Die Regel gilt mithin nur für uns selbst. Einl. §. 1. Dann aber bestimmt sie das Verhältniß zwischen dem Geplünderten und dem dritten Besitzer der weggenommenen Sache und enthält den Grundsatz, daß derjenige, welcher von dem Feinde erbeutete Sachen erwirbt, bevor der Feind damit an den im §. 201 bezeichneten Ort der Sicher­ heit gekommen, nicht Eigenthümer geworden ist; wogegen das Eigenthum an dergleichen Sachen, die dem Feinde int Lager u. s. w. abgekauft werden, durch die Üebergabe erworben wird. Die Folge hiervon ist, daß der vorige Eigenthümer kein Vindikationsrecht hat. Auf diese Sachen könnte mithin unser §. 199, wenn er durch den §. 201 seine nähere Bestimmung erhielte, nicht bezogen werden. Es ist aber nicht wahrscheinlich, das die Verf. des L.R. dieses Verhältniß der beiden §§. zu einander im Sinne gehabt und die Beschränkung des Vindikationsrechts auf diese seltenen Fälle beabsichtigt haben; denn es gehört gewiß zu den seltenen Ausnahmen, daß die feindlichen Truppen mit der gemachten Beute auf dem Rückzüge nach ihrem Lager sich Zeit nehmen oder auch nur Gelegenheit finden, weggenommene Sachen zu verhandeln. Vielmehr scheint der an die Spitze gestellte Grundsatz unseres 199 allgemein auf alle von feindlich en Truppen erworbenen Sachen Anwendung zu finden. In diesem Falle hat der §. 201 eine andere Be­ ziehung (worüber die folg. Anm. 8), und der §. 199 spricht dem Feinde das Recht, Eigen­ thum durch Erbeutung und Plünderung von uns zu erwerben, ganz ab. Das wäre auf unserem Standpunkte, dem Feinde gegenüber, allerdings der richtige Rechtszustand. Danach kann denn der Feind auf keine Weise das Eigenthum an bei uns weggenommenen Sachen weiter über­ tragen, und kein Dritter kann dergleichen Sachen von ihm durch Tradition eigenthümlich er­ werben; vielmehr hat der geplünderte Eigenthümer das Abforderungsrecht gegen jeden Dritten, bis zur Verjährung des Klagrechts. Eine weitere Folge hiervon ist, daß der Dritte, welcher wissentlich eine uns abgenommene Sache von den Feinden erwirbt, in der Absicht, sie für sich zu behalten, ein unredlicher Besitzer ist. Die Bemerkung von Suarez in der revisio monitorum, daß sich nicht bestimmen lasse: ob der Erwerber einer vom Feinde erbeuteten Sache pro bonae vel malae fidei possessore zu achten, es vielmehr auf die Umstände des Falles ankomme — diese Bemerkung trifft völlig zu. Denn der feindliche Offizier kann die goldene Uhr, welche er verkauft, sowohl auf jede andere Weise rechtmäßig erworben, als auch von einem anderen seiner Feinde als von uns erbeutet haben, und dann kann von der Unredlichkeit des Abkäufers nicht Rede sein. Weiß dieser aber, daß sein Nachbar kurz vorher eben von diesem Verkäufer der Uhr beraubt worden ist, so ist er ein unredlicher Besitzer, wenn er die Uhr animo sibi habendi kaust. Diese innere Handlung muß aber aus den Umständen erhellen, sonst ist anzunehmen, daß er die Sache in guter Absicht, um sie dem Geplünderten zu erhalten, an sich gebracht habe. Dieser Fall ist der bei der Fassung des §. 199 vorausgesetzte, wonach der Besitzer die Auslagen soll fordern dürfen, was sich bei jedem Besitzer versteht, wenn ihm keine Unredlichkeit nachzu­ weisen ist. — Das Schr. des Ostpreuß. Provinzialdepartements v. 6. Mai 1808, betr. die Vin­ dikation der vom Feinde weggenommenen und veräußerten Sachen, Rabe 9 S. 195, ist völlig abwegig und nicht zu besprechen. 7) Vergl. die vor. Anm. — Die Bestimmung der §§. 201—204 bezieht sich auf das Ver­ hältniß der diesseitigen Truppen zu den von Feinden Geplünderten in Betreff der den Feinden abgenommenen Beute. Die von den Feinden eroberten Sachen sind, vermöge des Beuterechts, Eigenthum des Erobernden, wenngleich dieselben kurz zuvor bei diesseitigen Personen weggenommen worden waren. Von dieser Regel machen die §§. 201—204 eine Ausnahme in Ansehung der­ jenigen in Gewahrsam der Feinde gefundenen Sachen, mit welchen der Feind noch auf dem Wege nach seinem Lager re. betroffen, und welche ihm dabei wieder abgenommen worden. Diese müssen, nach §§. 202 und 203, den Eigenthümern gegen eine Belohnung zurückgegeben werden.

522

Erster Theil.

Neunter Titel.

§§. 202—211.

§. 202. So lange der Feind noch verfolgt wird, bleibt dem vorigen Eigen­ thümer der ihm wieder abgenommenen Sachen sein Recht darauf Vorbehalten. §. 203. Den Truppen, welche dem Feinde die Beute wieder abnehmen, soll von dem Kriegsgericht eine nach den Umständen billig gefundene Belohnung, welche die Eigenthümer bei der Zurücknahme entrichten müssen, ausgesetzt werden. §. 204. In so fern zu dergleichen wiedereroberten Beute kein Eigenthümer sich meldet, verbleibt dieselbe den Truppen, die sie dem Feinde wieder abgenommen haben. Mpu-ci'w.8- 205. Privatpersonen, welche Kaperschiffe auszurüsten Vorhabens sind, sondevyeit. müssen zu diesem Behufe sich Kaperbriefe ertheilen lassen b). §. 206. Wer ohne diese auf Kaperei ausgeht, wird als ein Seeräuber an­ gesehen. §. 207. In Ansehung der Kapereien findet der Regel nach alles statt, was vorstehend vom Beutemachen verordnet ist. §. 208. Güter und Schiffe, welche von Kapern weggenommen werden, sind erst für verloren anzusehen8 9), wenn dieselben in einem feindlichen oder neutralen Hafen aufgebracht worden. §. 209. Sind sie noch vorher durch Kaper, die unter dem Schutze derjenigen Macht, welcher der Eigenthümer unterworfen ist, oder einer mit derselben im Bunde stehenden Macht, Kaperei treiben, dem Feinde wieder abgenommen worden, so müssen sie dem Eigenthümer für den dritten Theil des Werths verabfolgt werden. §. 210. Ist dergleichen Beute dem Feinde von Kriegsschiffen des Staats, oder dessen Bundesgenossen wieder abgenommen worden, so findet, zum Besten der Eroberer, dasjenige statt, was oben §. 205.10)11in Ansehung der Landtruppen ver­ ordnet ist. A n h. §. 7. Die Rechte und Befugnisse, der Preußischen Kaper-Schiffe sollen, nach den jedes­ mal concurrirenden Verhältnissen, zu seiner Zeit bestimmt werden"). 8) Kaperbriefe ertheilen kann nur der Kriegsherr oder die dazu von ihm Ermächtigten; denn durch diese Briefe sollen Privatpersonen ermächtigt werden, auf eigene Hand Krieg zu führen mit dem Ansprüche, vom Feinde nach Völkerrecht behandelt zu werden. 9) Sie können mithin, wenn sie dem Feinde vorher wieder abgenommen werden, nicht als gute Prise angesehen werden. §§. 209 und 210. Dies ist derselbe Grundsatz, welcher in den §§. 201—204 hinsichtlich der Landtruppen ausgesprochen ist. 10) Die Zahl 205 ist ein Druckfebler, es muß „203" heißen. Dekl. v. 24. Sept. 1798, Rabe 5 S. 209. 11) Durch diese Bestimmung ist die Dekl. v. 24. Sept. 1798 ad pari. I Tit. 9 §§. 208—210 (s. die vor. Anm.) wieder abgeändert. Bei der Vorlegung des Anhangs zur königlichen Ge­ nehmigung eröffnete der König der Gesetzkommission, mittelst Ordre v. 28. April 1803, daß er gar nicht willens sei, je in einem Kriege das von den Seemächten in neueren Zeiten über alle Schranken ausgedehnte Kapersystem nachzuahmen, weshalb der Zusatz aus jener Deklaration ganz überflüssig, jedenfalls es aber nicht gerathen scheine, ihn dem L.R. einzuverleiben, sondern nöthig, diese Bestimmung für den Fall vorzubehalten, wo die eiserne Nothwendigkeit den Staat zu solchen Maßregeln, die die Gerechtigkeit sonst nicht billigen könne, zwingen möchte. In Folge dessen wurde der Inhalt der Dekl. weggelassen und dafür dieser §. 7 dem Anhang eingeschaltet, dessen Bedeutung eben darin besteht, daß die Deklaration dadurch beseitigt ist; denn daß künf­ tige Verordnungen unbenommen sind, versteht sich von selbst. Der Pariser Friedensvertrag v. 30. März 1856 enthält am Schlüsse folgende Erklärung: Erklärung in Betreff einiger Punkte des Seerechtes. Die Bevollmächtigten, welche den Pariser Vertrag vom dreißigsten März Eintausend achthundert und sechs und fünfzig unterzeichnet haben, sind nach stattgehabter Berathung, in Betracht: daß das Seerecht in Kriegszeiten während langer Zeit der Gegenstand bedauerlicher Streitig­ keiten gewesen ist; daß die Ungewißheit der in dieser Beziehung obwaltenden Rechte und Pflichten zu Meinungs­ verschiedenheiten zwischen den Neutralen und den Kriegführenden Anlaß giebt, aus denen ernste Schwierigkeiten und selbst Konflikte entspringen können; daß es folglich zum Nutzen gereicht, gleichmäßige Grundsätze über einen so wichtigen Punkt festzustellen;

Von Erwerbung des Eigenthums.

523

§. 211. Was für Sachen und Waaren durch Kaperei erworben werden können, ist nach dem Inhalte der Kaperbriefe und nach den zwischen den kriegführenden und neutralen Mächten bestehenden Tractaten zu beurtheilen. daß die auf dem Kongreß zu Paris versammelten Bevollmächtigten den Absichten, von welchen ihre Regierungen beseelt sind, nicht besser zu entsprechen vermögen, als indem sie feststehende Grundsätze hierüber in die völkerrechtlichen Beziehungen einzuführen suchen; mit gehöriger Ermächtigung versehen, übereingekommen, sich über die Mittel zur Erreichung dieses Zweckes zu verständigen, und haben, nach erzieltem Einverständnis;, die nachstehende feier­ liche Erklärung beschlossen: 1) Die Kaperei ist und bleibt abgeschafft; 2) die neutrale Flagge deckt das feindliche Gut, mit Ausnahme von Kriegs-Kontrebande; 3) neutrales Gut unter feindlicher Flagge, mit Ausnahme der Kriegs-Kontrebande, darf nicht mit Beschlag belegt werden; 4) die Blokaden müssen, um rechtsverbindlich zu sein, wirksam sein, das heißt, durch eine Streitmacht aufrecht erhalten werden, welche hinreicht, um den Zugang zur Küste des Feindes zu verhindern. Die Regierungen der unterzeichneten Bevollmächtigten verpflichten sich, diese Erklärung zur Kenntniß derjenigen Staaten zu bringen, welche nicht zur Theilnahme an dem Pariser Kon­ gresse berufen waren, und sie zum Beitritte einzuladen. In der Ueberzeugung, daß die hiermit von ihnen verkündigten Grundsätze von der ganzen Welt nur nut Dank ausgenommen werden können, bezweifeln die unterzeichneten Bevollmächtigten nicht, daß die Bemühungen ihrer Regierungen, denselben die allgemeine Anerkennung zu ver­ schaffen, von vollständigem Erfolge gekrönt sein werden. Gegenwärtige Erklärung ist und wird nur zwischen denjenigen Mächten verbindlich sein, welche derselben beigetreten sind, oder beitreten werden. Geschehen zu Paris, den sechszehnten April Eintausend achthundert und sechs und fünfzig. (Folgen die Unterschriften.) In der Bundestagssitzung v. 13. Juni 1856 ist diese von der Konferenz zu Paris in ihrer 22. Sitzung v. 8. April 1856 vereinbarte Deklaration durch die Gesandten von Oestreich und Preußen der Bundesversammlung überreicht worden. Durch königl. V. v. 12. Juni 1856 (G.S. S. 585) ist diese Erklärung genehmigt und als Gesetz verkündet worden. Die amerikanische Regierung hat sich gleichfalls mit den drei letzteren Sätzen einverstanden erklärt; von Abschaffung der Kaperbriefe jedoch will sie nichts wissen. „Keine Nation," sagt sie, „welche nicht der gehörigen Selbstachtung bar ist, wird einer anderen, mag sie nun krieg­ führende oder neutrale sein, gestatten, die Beschaffenheit der Streitkräfte zu bestimmen, welche sie zur Verfolgung von Feindseligkeiten für geeignet halten mag. Auch handelt sie nicht weise, wenn sie freiwillig auf das Recht verzichtet, irgend ein durch das Völkerrecht sanktionirtes Mittel, von dem sich mit Vortheil zur Vertheidigung oder zum Angriffe Gebrauch machen läßt, anzu­ wenden. Die Vereinigten Staaten betrachten große Flotten und große stehende Heere als schädlich für den Nationalwohlstand und als gefährlich für die bürgerliche Freiheit. Die Politik der Vereinigten Staaten ist einer solchen Wehrkraft stets feindlich gewesen und zwar nie in höherem Grade als eben jetzt. Deshalb werden sie sich auch nie zu einer Neuerung im Völker­ rechte verstehen, welche sie nöthigen würde, in Friedenszeiten eine mächtige Flotte oder ein großes regelmäßiges Heer zu unterhalten. Es ist allerdings nicht im Geringsten zu verwundern, wenn große Seemächte dem ihnen ziemlich nutzlosen Brauche, Kaperbriefe auszustellen, unter der Bedingung entsagen, daß schwächere Mächte sich dazu verstehen, auf das wirksamste Mittel zur Vertheidigung ihrer Rechte zur See verzichten. Nach Ansicht der amerikanischen Regierung steht ernsthaft zu befürchten, daß, wenn man das Kapersystem aufgiebt, die Herrschaft "zur See den Mächten anheimfallen wird, deren Politik und Mittel die Unterhaltung großer Flotten gestatten. Die Macht, welche eine entschiedene Ueberlegenheit zur See hat, würde der Sache nach die Gebieterin des Ozeans sein, und durch Abschaffung des Kaperwesens würde diese Herrschaft noch fester begründet werden. Wäre eine solche Macht im Kriege mit einer Nation begriffen, die eine schwächere Kriegsflotte besitzt, so würde sie weiter nichts für die Sicherheit und "den Schutz ihres Handels zu thun brauchen, als auf die Schiffe der regelmäßigen feindlichen Flotte Acht zu haben. Diese würde sie durch die Hälfte oder einen noch geringeren Theil ihrer eigenen Flotte im Zaum halten, während sie mit den übrigen Schiffen den Handel des Feindes vom Ozean wegfegen könnte. Auch würden die nachtheiligen Wirkungen, welche die gewaltige Ueberlegen­ heit einer großen Flotte für schwächere Staaten hat, nicht bedeutend vermindert werden, wenn diese Ueberlegenheit sich unter drei oder vier Großmächte vertheilte. Es liegt unzweifelhaft im Interesse solcher schwächeren Staaten, einer Maßregel entgegen zu arbeiten, welche die Bildung regelmäßiger Kriegsflotten begünstigt." Beigetreten sind nachbenannte Staaten: Anhalt-Bernburg, Anhalt-Dessau-Köthen, Baden, Bayern, Belgien, Brasilien, Braunschweig, Bremen, Dänemark, Deutscher Bund, Frankfurt, Griechenland, Hanrburg, Hannover, Kurhessen, Großherzogthum Hessen, Kirchenstaat, Lippe, Lübeck,

524

Erster Theil.

Neunter Titel.

§§. 212—223.

§. 212. Wo diese nichts bestimmen, sind alle Waaren und Güter feindlicher Unterthanen, welche auf feindlichen Schiffen gefunden werden, für gute Beute an­ zusehen. §. 213. Dagegen soll den Unterthanen freundschaftlicher oder neutraler Mächte ihr auf feindlichen Schiffen gefundenes Eigenthum nicht vorenthalten werden. §. 214. Auch das Eigenthum feindlicher Unterthanen, welches sich auf neu­ tralen Schiffen befindet, ist frei. §. 215. Ein Gleiches gilt von dem Eigenthume feindlicher Unterthanen, welches dieselben den Postschiffen und Packetbooten des gegen ihren Landesherrn kriegführenden Staats anvertrauet haben. §. 216. Alles Vorstehende (§. 213. 214. 215.) findet jedoch nur in so fern statt, als dergleichen Güter und Sachen nicht unter die verbotenen Waaren ge­ hören. Anh. §. 8. Bei Bestimmung der Frage, was Contrebande sei, muß auf das Rücksicht genommen werden, was in den §. 2034. und 2035. Th. 2. Tit. 8., als solche bestimmt worden

ist, jedoch soll die dem gedachten §. angehängte Clausel: „und was sonst durch besondere Verträge zwischen den verschiedenen Nationen einzunehmen

„verboten ist." hier nicht Anwendung finden, indem solche bloß auf Versicherungsgeschäfte Beziehung tyat12 * *).13 *****

§. 217. Was verbotene Waaren sind, ist in der Lehre von Versicherungen bestimmt. (Th. 2. Tit. 8. Abschn. 14.)"). §. 218. Alles, was nach einem kündbar belagerten oder eingeschlossenen Hafen geführt wird, ist als verbotene Waare zu betrachten. §. 219. Für eingeschlossen ist ein Hasen zu achten, wenn derselbe durch eine feindliche Landbatterie, oder durch Kriegsschiffe, die vor dem Hafen stationirt sind, gesperrt ist.

Sechster Abschnitt. Bon der Erwerbung der An- und Zuwüchse. 1) Von Früchten.

§. 220. Nutzungenx) einer Sache, die nach dem Laufe der Natur, mit oder ohne hinzukommende Bearbeitung, aus ihr selbst entstehen, werden Früchte?) genannt. Mecklenburg-Schwerin, Mecklenburg-Strelitz, Modena, Nassau, die Niederlande, Oldenburg, Parma, Portugal, Reuß ältere und jüngere Linie, Sachsen, Sachsen-Weimar-Eisenach, Sachsen-Ältenburg, Sachsen-Koburg-Gotha, Sachsen-Meiningen, Schaumburg-Lippe, Schwarzburg-Rudolstadt, Schwarz­ burg-Sondershausen, Schweden und Norwegen, Schweizerische Eidgenossenschaft, beide Sizilien, Toskana, Waldeck, Württemberg. Bekanntm. v. 3. Nov. 1858 (G.S. S. 568). H. Vgl. noch den Allerh. Erlaß betr. die Genehmigung des Prisen-Reglements v. 20. Juni 1864, G.S. S. 369. 12) Ist aus der Dekl. v. 24. Sept. 1798, Rabe 5 S. 109 hierüber genommen. 13) Statt „14" ist zu lesen „13". R. v. 29. Dez. 1837, Jahrg. 50 S. 469. 1) Den Begriff der Nutzungen bestimmt der §. 110 Tit. 2. Früchte sind eine Art von Nutzungen. Vergl. die Anm dazu. 2) Zu den Früchten im weiteren Sinne gehören auch nach pr. R. die Zinsen eines jeden zinsbaren Kapitals, insbesondere auch die Zinsen der Pfandbriefe. Sie sind die sog. fructus civiles und nehmen, als ein Accessorium, an allen Rechten der Hauptsache auch ohne ausdrückliche Bestimmung Theil, vorausgesetzt, daß von der Sache das Nutzungsrecht nicht getrennt ist. Tit. 2 §. 110 und Anm. zu I. 2 §. 108. O.Tr. v. 29. April 1836, Entsch. 1 S. 240. — In einem Erk. v. 17. Febr. 1860, Str. Arch. 36 S. 236, sagt das O.Tr. III wieder das gerade Gegentheil von dem, was es a. a. O., Entsch. I S. 240, ausgeführt hat. In dem Erk. v. 17. Febr. 1860 wird, im Widerspruch mit sich selbst, gesagt: Unrichtig ist die Behauptung, daß

Von Erwerbung des Eigenthums.

525

§. 221. Die Früchte einer Sache sind, gleich bei ihrem Entstehen, das Eigen­ thum desjenigen, welcher das Nutzungsrecht der Sache hat^). §. 222. Vermehrungen und Verbesserungen einer Sache, die, es sei durch Natur oder Kunst, von außen her bewirkt worden, heißen An- oder Zuwüchse. §. 223. Wird durch die Gewalt des Stroms ein Stück Landes weggerückt und an ein fremdes Ufer angelegt, oder auf dasselbe geworfen, so ist der vorige Besitzer ein solches Stück noch innerhalb Jahresfrist wegzunehmen berechtigt^). — auch die Zinsen eines Kapitals zu dessen Früchten, als sog. fructus civiles gehören. Dieser Annahme steht der §. 220 I. 9 geradezu entgegen. Hiernach können Zinsen, welche nicht nach dem Laufe der Natur aus dem Kapitale entstehen — zu den Früchten im Sinne des L.R nicht gerechnet werden. Ueber diesen Sinn steht das O.Tr. dies Mal im Irrthume. Daß das L.R., in Uebereinstimmung mit dem Gemeinen Rechte, unter Nutzungen einer Sache sowohl fructus naturales als civiles des gemeinen Rechts versteht, kann man aus den I. 11 §§. 105—107 sehen und aus dem, was der Verfasser, der den Sinn seiner Worte doch am besten kennen mußte, dazu sagt, inne werden. Er sagt in der revisio rnonitorurn zu diesen FH.: „Viele Monenten sind der Meinung, daß zwischen den, §§. 147 und 148 (dies sind die §§. 106 und 107 des heutigen Textes) bestimmten Nutzungen kein Unterschied zu machen, vielmehr alle fructus tarn naturales quam civiles zwischen dem Käufer und Verkäufer pro rata ihrer Be­ sitzzeit zu theilen." Ges.Rev. Pens. XIV S. 37. Der §. 220 d. T. steht mit seinem Wort­ laute gar nicht entgegen, er bestimmt nur den Begriff der natürlichen Früchte, befaßt sich aber nicht mit dem Begriffe von Früchten überhaupt und im weitesten Sinne. Dieser kommt schon im I. 2 §. 110 vor; aus diesem kann man, wenn damit die I. 11 §§. 105—107 ver­ glichen werden, lernen, daß unter Nutzungen überhaupt alle die Vortheile begriffen werden, welche in den §§. 105—107 gemeint sind, nämlich sowohl die natürlichen Früchte, wie die sog. bürgerlichen (Zinsen, Miethen, Pächte rc.), oder, wie sich Suarez ausdrückt, fructus tarn naturales quam civiles. 3) Vergl. I. 7 §§. 189 ff. und die Anm. dazu, sowie zu I. 2 §. 108. Die ganze Lehre vom Fruchterwerbe bezieht sich nur auf den Fall, wenn die Nutzung und das Eigenthum einer Sache in verschiedenen Händen sind. Denn für den Eigenthümer bedarf es keiner besonderen Erwerbung der Früchte seiner Sache, für ihn sind die Früchte, so lange sie nicht getrennt sind, Bestandtheile der Sache, womit sie zusammengewachsen sind, und ge­ langen als besondere Sachen erst durch die Abtrennung zum Dasein. Für den Eigenthümer ist die Absonderung eine bloße Thatsache, durch welche in seinem Rechte so wenig eine Ver­ änderung vorgeht, wie durch die Zerlegung einer andern ihm gehörigen Sache. Hat aber ein Anderer die Nutzung, so bedarf es eines Rechtsprinzips zur Regelung des Verhältnisses zwischen dem Nutznießer und dem Eigenthümer. Das Röm. Prinzip ist auf die Tradition zurückzuführen; die Besitzerledigung auf Seiten des Eigentümers liegt in der Übertragung des Nutzungsrechts, und die Besitzergreifung auf Seiten des Fruchtnießers in der Perzeption. L. 12 tz. 5 D. de usufructu (VII, 1); L. 25 §. 1 I). de usuris (XXII, 1). Daher erwirbt der redliche Besitzer, dem Eigenthümer gegenüber, gar kein Eigenthum an den Früchten; er muß vielmehr die fr. extantes mit der Hauptsache herausgeben; und daß er nicht auch die consumti erstatten muß, liegt nicht darin, daß er Eigenthümer davon geworden, sondern darin, daß nicht existente Sachen nicht vindizirt werden können und ein obligatorisches Verhältniß zwischen dem Eigenthümer und Besitzer nicht besteht. §. 35 J. de div. rer. (II, 1); §.2 J. de off. jud. (IV, 17); L. 22 0. de rei vind. (III, 32). Diesen natürlichen Zusammenhang der Rechtsverhältnisse hat das L.R. verlassen und durch einen künstlichen ersetzt. Es erkennt ein von der Sache verschiedenes Eigen­ thum an den noch unabgesonderten Früchten, und dem entsprechend auch einen besonderen Besitz, an, und läßt beides durch die Entstehung dem Nutzungsberechtigten und dem ihm gleichgestellten redlichen Besitzer erworben sein. Diesen Grundsatz stellt unser §. 221 fest. Derselbe hat jedoch nur in Beziehung auf Dritte unbedingt Geltung, so daß z. B. der Grundsatz I. 20 §. 21 gegen den älteren Nutzungsberechtigten keine Anwendung findet. Vergl. Anm. zu I. 2 §. 108. Was das Verhältniß des Nutzungsberechtigten und des redlichen Besitzers zu dem Eigenthümer betrifft, so entscheiden darüber die besonderen Bestimmungen, sowohl während der Dauer als bei der Auseinandersetzung. — Daß der Grundsatz des §. 221 nicht auf das kontraktliche Verhältniß zwischen Pächter und Verpächter anwendbar ist, versteht sich ungesagt von selbst, ist aber doch verkannt worden, was von dem O.Tr. natürlich als rechtsgrundsätzliche Nichtigkeit verurtheilt worden ist. O.Tr. III v. 24. Juni 1858, Entsch. 39 S. 153. H. Das: „gleich bei ihrem Entstehen" heißt so viel als: „ohne Okkupation." 4) Dem R. R. analog. Nach L. 7 §. 2 D. de acquir. rerum dom. (XLI, 1); §. 21 J. de divis. rer. (II, 1); L. 5 §. 3 D. de rei vind. (VI, 1) war die Vindikation so lange zulässig,

i Von abge­ rissenem Lande.

526

3) Von der Alluvion.

Erster Theil.

Neunter Titel.

§§. 224—232.

§. 224. Hat der vorige Besitzer ein Jahr, ohne sein Recht geltend zu machen, verstreichen lassen, so ist der Eigenthümer des dadurch verbreiteten Ufers das an­ gelegte Stück durch die Besitzergreifung sich zuzueignen wohl befugt^). §. 225. Verbreitungen des Ufers durch das allmählige Anspülen fremder Erdtheile kommen demjenigen zu gute, welchem das Ufer gehört6). (Th. 2. Tit. 15. Abschn. 2.) als das angeschwemmte Stück nicht mit dem Boden verwachsen war. Die faktische Schwierigkeit der Ausmittelung dieses Umstandes ist durch den §. 223 sehr zweckmäßig durch eine kurze Prä­ klusivfrist beseitigt. Dadurch ist der innere Zusammenhang des Rechts dahin geändert, daß dergleichen Avulstonen nicht mehr durch Anwuchs, sondern durch Besitznehmung erworben werden, indem nach Ablauf der einjährigen Frist angenommen wird, daß der vorige Eigenthümer das Stück Erde derelinquirt habe. S. den folg. §. 224. Holt er sich seine Erde zurück, so muß er den bei der Aufwerfung oder Abbringung verursachten Schaden ersetzen. L. 9 §. 1 D. de danmo ins. (XXXIX, 2). 5) Ohne Entschädigung (worüber die Meinungen nach G. R. uneins sind; Vinnius, ad §. 21 J. de rer. div. will aus Billigkeit Entschädigung zuerkennen), und ohne fernere Befugniß des vorigen Besitzers zur Benutzung. Vergl. §. 274 d. T. H. Vgl. über weitere Kasuistik Gruchot 7 S. 96. 6) Dabei ist Dreierlei vorausgesetzt: a) Das Gewässer muß ein Fluß sein (§. 223). Bei stehenden Seen hat keine Alluvion statt (L. 12 pr. D. de acquir. rer. dom. XLI, 1); denn deren Grenzen werden durch den normalen Wasserspiegel bestimmt, das zuweilen eintretende Wachsen oder Sinken der Wasserfläche hat auf die wahre Grenze keinen Einfluß. (Anderer Meinung ist das O.Tr., welches als Rechtssatz angenommen hat, daß die Erwerbung durch Alluvion nicht auf Flüsse und Ströme beschränkt, vielmehr überall an ihrer Stelle sei, wo ein allmähliches Anspülen fremder Erdtheile thatsächlich denkbar und möglich. O.Tr. III v. 20. Sept. 1854, Entsch. 28 S. 312, Str. Arch. 13 S. 289. Sollte sich also ein See einmal durch allmähliche Versandung und Erhebung des Bodens ganz verlieren, so hat der bisherige Eigen­ thümer des Sees nichts. Die Meinung des O.Tr. hat auch die Rechtsquellen und die überein­ stimmenden Lehren der Rechtsgelehrten gegen sich; das R. R. erkennt die Alluvion als Erwer­ bungsart nur bei fließendem Wasser an, nicht in Seen oder stehendem Gewässer — §. 20 Inst, de rer. di vis. II, 1; L. 7 §. 1 I). de acquir. rer. dom. XLI, 1; L. 1 C. de alluvion. VII, 41 — und das Landrecht gleichfalls setzt in seinen Bestimmungen ausdrücklich überall fließendes Wasser voraus. Das O.Tr. macht in diesem Erk. von seinem vermeintlichen Rechtssatze An­ wendung auf Bodenerhebungen des frischen Haffes und auf Anlandungen am Ufer desselben, um dadurch zu dem Resultate zu gelangen, daß die Anlieger dergleichen Ausdehnungen ihres Ufers durch Alluvion erwerben können. Dazu hätte es jedoch dieses unrichtigen Satzes nicht bedurft, denn das frische Haff ist kein stehendes Binnengewässer, sondern die gemeinschaftliche Mündung der Flüsse Pregel, Passarge, Nogat und des östlichen Weichselarmes, welche sich dann durch einen einzigen starken ausgehenden Strom bei Pillau in das Meer (die Ostsee) ergießen wie jede Karte von Ostpreußen sichtbar macht. Das frische Haff ist mithin ein fließendes Gewässer. — In demselben Erk., Entsch. 28 S. 315, stellt das O.Tr. III den Lehrsatz, den es in dem Erk. v. 10. Okt. 1864, Str. Arch. 55 S. 247, wiederholt, auf: „Der rechtliche Grund, auf welchem die Alluvion als modus acquirendi beruht, liegt darin, daß die Ausmittelung des bisherigen Eigenthümers der einzelnen Erdtheile unmöglich, und eben deshalb diese Erdtheile durch das Gesetz demjenigen überwiesen werden, an dessen Ländereien sich die­ selben ansetzen." In der Anwendung, welche davon auf Anschwemmungen am Meeresufer ge­ macht werden möchten, hätte der Satz keinen Sinn, denn da haben eben „diese.Erdtheile" keinen „bisherigen Eigenthümer", und der Meeresstrand auch nicht. Der Satz ist aber auch in Be­ ziehung auf die Alluvion bei fließenden Binnengewässern keine Wahrheit; vielmehr ist die causa efficiens für die Eigenthumserwerbung das natürliche Anwachsen oder Anhängen der fremden (beweglichen) Erdtheile an dem Grund und Boden des Erwerbers, und bei dieser Erwerbung würde es nach vollzogener organischer Verbindung auch dann verbleiben müssen, wenn die Aus­ mittelung „des bisherigen Eigenthümers der einzelnen Erdtheile" möglich märe. Aber die Un­ möglichkeit einer solchen Ausmittelung — das incrementum late ns [§.20 Inst. 1. c.; L. 9 §. 4 I). de usufructu VII, 1] — hat eine andere natürliche Folge, nämlich die, daß von einer Ersatzpflicht des Erwerbenden für das solchergestalt Erworbene keine Rede sein kann.) b) Die Ländereien, bei welchen Alluvion soll stattfinden können, müssen keine bestimmt gemessenen oder natürlichen Grenzen haben; das Land muß unmittelbar bis an den Fluß gehen. L. 7 §. 1; Jj. 16 D. eodem. c) Die Alluvion muß an dem Ufer vor sich gehen; auf die Alluvion an schon in Besitz genommenen und erworbenen Strominseln finden die Vorschriften §§. 225—228

Von Erwerbung des Eigenthums.

527

§. 226. Auch neu anwachsende Erdzungen und Halbinseln, welche nach und nach entstanden sind, gehören demjenigen, an dessen Ufer sich dieselben angesetzt haben. §. 227. In beiden Fällen §. 225. 226. bedarf es zur Erwerbung des Eigen­ thums weiter keiner Besitzergreifung 7*).* * * * * §. 228. Auch wenn dergleichen Anspülungen oder Erdzungen sich, der Breite nach, in das Flußbette hinein, und selbst bis über die Mitte desselben erstrecken, kann dennoch der Besitzer des gegenüberliegenden Ufers darauf keinen Anspruch machen. §. 229. Wohl aber ist er berechtigt, an seinem Ufer solche Veranstaltungen zu treffen, wodurch die fernere Verbreitung des gegenüber liegenden Ufers ver­ hindert toirb8). §. 230. Buhnen hingegen, und andere Anlagen, wodurch der einmal vor­ handene Anwuchs der Gefahr, wieder weggespült zu werden, ausgesetzt wird, darf, ohne Erlaubniß des Staats, Niemand anlegen. §. 231. Diese Erlaubniß soll nur alsdann ertheilt werden, wenn durch die entstandene Anspülung oder Erdzunge eine dem Nachbar nachtheilige Veränderung in dem Laufe des Flusses entsteht, welche derselbe durch die gewöhnlichen Ufer­ befestigungen nicht abwenden -kann. §. 232. Das Eigenthumsrecht des Uferbesitzers über die an sein Ufer stoßen­ den Anspülungen und Erdzungen erstreckt sich nur so weit, als seine Gränze, der Länge nach, reicht9). keine Anwendung. O.Tr. II (Pr. 809) v. 18. Jan. 1840, Präj.S. S. 30. Von diesem Satze (c) ist das O.Tr. wieder abgegangen; es hat nun angenommen, daß die allgemeinen Vorschriften über die unmittelbare Erwerbung durch Alluvion (§§. 225—228) auch auf schon in Besitz ge­ nommene und erworbene Strominseln Anwendung finde. O.Tr. III (Pr. 2696) v. 3. Febr. 1858, Entsch. 38 S. 52. H. Auch gehört es zum Wesen der Alluvion, d. h. der §. 225 findet nur Anwendung, wenn die Anspülung durch Naturkräfte, nicht bloß unter schließlicher Mitwir­ kung der Naturkräfte (bei Errichtung gewisser Anlagen, Erdeinschmtungen) erfolgt, N.G. II H. v. 16. Jan. 1882, Gruchot 26 S. 943. Erst wenn die Alluvion eine solche Höhe erreicht hat, daß sie ein Theil des anstoßenden Ackers oder Landes des Uferbesitzers wird, begründet sie für den Letzteren den Eigenthumserwerb; ob hiernach eine Alluvion für vollendet zu erachten ist, ist eine in jedem einzelnen Falle zu entscheidende Thatfrage. Es ist hiernach die Annahme rechtlich unrichtig, die Alluvion sei schon dann vollendet, wenn der erhöhete Theil des Flußbettes noch andauernd und nach dem natür­ lichen Wasserlauf mit Wasser bedeckt ist, gesetzt auch, die Wasserhöhe sei gering, lasse das Be­ fischen mit Kähnen nicht zu, und. der Untergrund bedecke sich mit Pflanzen, welche nutzbar ge­ macht würden, sei es seitens des Fluß- oder seitens des Ufereigenthümers. O.Tr. II v. 16. Juni 1868, Str. Arch. 71 S. 240. H. O.Tr. II v. 19. April 1877, Str. Arch. 99 S. 162: Den §§. 225, 176-183 d. T. liegt der Grundsatz des R. R. zu Grunde, daß das Bett eines Privatflusses als Fortsetzung des Ufers anzusehen ist. Vgl. auch R.G. V v. 19. April 1882, Gruchot 27 S. 149. 7) Das Besitzthum erweitert sich selbst, der Besitzer hat folglich mit der Sache auch den natürlichen An- und Zuwachs schon im Besitze. Anerkannt von dem O.Tr. III in dem Erk. v. 21. Dez. 1863, Str. Arch. 52 S. 189, wo es ausspricht, daß es einer besonderen Besitzergreifung der allmählich angespülten fremden Erdtheile nicht bedarf, was auch an sich widersinnig sein würde. Vergl. Anm. 11. 8) Wenn er aber dergleichen Anstalten nicht trifft, und es sich zuträgt, daß die Erdzunge an sein Ufer anwächst, während der Fluß sich in der Mitte durch die Erdzunge neue Bahnen bricht, wie soll es da gehalten werden? Das dadurch abgeschnittene, vielleicht schon bebaute, Stück der Erdzunge muß als Avulsion nach dem Grundsätze §§. 223 und 224 (§. 236), das neu an­ gewachsene Stück hingegen als Alluvion für den gegenüberliegenden Uferbesitzer behandelt werden. H. Hiergegen bemerkt Dernburg, preuß. Pr.R. 3. Aufl. 1 S. 575 Note 6 mit Recht, daß wenn die Alluvion durch eine Stromveränderung wieder getrennt wird, die so entstandene Insel oder Halbinsel demjenigen verbleibt, welcher das Land einmal erworben, da die Anlan­ dung nicht unter der Bedingung, daß sie in ständiger Verbindung mit dem Ufergrundstücke bleibt, erworben wird. Vergl. §. 237 und die Anm. 13. 9) Nicht so nach R. R.; die Bestimmung dieses §. ist neu.

528

4) Von Inseln.

Erster Theil.

Neunter Titel.

§§. 233—253.

§. 233. Wird also dergleichen Anwuchs mit der Zeit über seine Gränze hinaus verlängert, so ist das über seine Gränze hinausgehende Stück des Anwuchses, oder der Erdzunge, das Eigenthum des benachbarten Uferbesitzers. §. 234. Diese Vorschrift findet auch alsdann statt, wenn das über die Gränze des Nachbars hinausgehende Stück der Erdzunge Halbinsel oder mit dem Ufer des Nachbars noch nicht zusammenhängt. §. 235. Hat jedoch, in beiden Fällen, der benachbarte Uferbesitzer geschehen lassen, daß der, an dessen Ufer der Anwuchs oder die Erdzunge sich zuerst ange­ setzt hatte, dieselbe auch über seine Gränze hinaus, durch drei10)11auf einander fol­ gende Jahre ruhig nutzen dürfen; so hat Letzterer das Eigenthum eines solchen Stückes erworben n). §. 236. Das einem Uferbesitzer einmal zugefallene Eigenthum eines An­ wuchses, oder einer Halbinsel, geht nicht verloren, wenn auch dieselben in der Folge durch das Wasser von seinem Ufer abgetrennt werden12).13 14 §. 237. Niemand darf durch Pflanzungen, oder andere Wasserbaue, das An­ spülen an die Ufer eines öffentlichen1S) Flusses vorsätzlich befördern. §. 238. Auch der daselbst wirklich angespülte Grund und Boden darf durch Bepflanzungen nur in so fern befestigt werden, als der gewöhnliche Lauf des Was­ sers dadurch nicht gehemmt wird. §. 239. Dagegen ist jeder Uferbesitzcr, das Ausreißen des Stroms, durch dazu dienliche Uferbefestigungen zu verhindern, wohl befugt. §. 240. Wenn das dem Ausreißen des Stroms ausgesetzte Ufer nicht anders, als durch solche Anlagen, welche zugleich das Anspülen befördern, hinlänglich be­ festigt werden kann, so ist der Uferbesitzer auch zu diesen berechtigt. §. 24L Es dürfen aber dergleichen Anlagen in öffentlichen Flüssen, bei ent­ stehendem Widersprüche, nicht anders, als unter der ausdrücklichen Genehmigung des Staats"), nach vorhergegangener Untersuchung ihrer Nothwendigkeit, veran­ staltet werden. §. 242. So lange eine Erderhöhung in dem Flußbette eines Stroms, bei ge­ wöhnlichem Wasserstande, mit einem gemeinen Fischernachen umfahren werden kann, ist sie als eine Insel anzusehen. §. 243. Erdflecke, die erweislich sonst ein Theil des festen Landes gewesen, und davon nur durch Einbiegungen und Umströmungen des Flusses abgesondert worden sind, werden für Inseln, im rechtlichen Sinne, nicht geachtet16).

10) Auch gegen den Fiskus kommt diese dreijährige Verjährung einer in einem Flusse ent­ standenen Insel dem entfernter liegenden Ufernachbar zu Statten. O.Tr. (Pr. 930) v. 10. Okt. 1840, Entsch. 6 S. 245. 11) Bei dem Erwerb der Alluvion durch dreijährige Nutzung ist weder erforderlich, daß der Erwerber die Alluvion für sein Eigenthum erachtet, noch ist der Erwerb von einer mit der Entstehung der Alluvion allmählich fortschreitenden Besitznahme abhängig; es wird vielmehr eine Benutzung der Alluvion erfordert. O.Tr. III v. 4. Jan. 1864, Str. Arch. 51 S. 334 und Entsch. 51 S. 77. Vergl. Anm. 7. 12) Vergl. die Anm. zu §. 229. 13) Das Untersagungsrecht hat mithin nur der Staat im öffentlichen Interesse, und wird durch die Polizeibehörde ausgeübt. Auf Privatflüsse findet der Grundsatz nicht Anwendung. Vgl. Anm. 8 zu §. 229. S. auch das Ges. v. 28. Febr. 1843 über die Benutzung der Privatflüsse (Zus. zu II. 15 §. 38).

14) D. i. der Landespolizeibehörde, nicht etwa der fiskalischen Verwaltung. kein Rechtsweg zulässig.

Daher ist

15) §. 22 i. f. J. de rerum divis. (II, 1); L. 7 §. 4 D. de acquir. rerum dominio (XLI, 1).

Von Erwerbung des Eigenthums.

529

§• 244. Wo, nach den Provinzialgesetzen, die Inseln in öffentlichen Flüssen kein Vorbehalt des Staats sind, da haben die Besitzer desjenigen Ufers, welchem sie am nächsten liegen, das Recht, sich dieselben zuzueignen. §• 245. Ein Gleiches gilt durchgehends von den in Privatflüssen entstehenden Inseln. §. 246. Das Eigenthum der Inseln aber wird erst durch die wirkliche Besitz­ nehmung 16)17erworben. §. 247. Welchem von beiden gegen einander über liegenden Ufern eine Insel am nächsten sei, muß nach einer durch das Flußbette, der Länge nach, zu ziehenden Linie beurtheilt werden. §. 248. Die Breite des Flusses wird dabei nach Linien bestimmt, die von denjenigen Punkten beiderseitiger, bei gewöhnlichem") Wasserstande sichtbarer Ufer, welche den beiden Enden der Insel gegenüber liegen, quer über den Fluß gezogen werden. §. 249. Diejenige der Länge nach gezogene Linie, welche jede dieser beiden Querlinien in ihrer Mitte durchschneidet, bestimmt: welchem Ufer die Insel am nächsten liege. §. 250. Schneidet diese Mittellinie durch die Insel selbst, so kommt das Recht, sich die dadurch bestimmten, jedem Ufer am nächsten liegenden Antheile zu­ zueignen, den beiderseitigen Uferbesitzern zu. §. 251. Liegt die Insel, ihrer Länge nach, den Ufern mehrerer an einander gränzender Besitzer gegenüber, so hat ein Jeder von diesen Besitzern das Recht, sich den seinem Ufer gegenüber liegenden Theil derselben zuzueignen. §. 252. Der Antheil eines jeden dieser Uferbesitzer wird durch Linien bestimmt, welche von den Punkten, wo eines jeden Gränze an den Fluß stößt, quer über den Fluß, gerade nach der in der Mitte desselben angenommenen Linie gezogen werden. §. 253. Bei Bestimmung der Rechte der Userbesitzer auf eine ihren Ufern 16) Nach R. R. geschieht die Erwerbung ipso jure mit der Entstehung. Der wahre Er­ werbungsgrund der in öffentlichen Strömen (wovon nur das fließende Wasser zu Jedermanns freiem Gebrauche in dieser Hinsicht im Eigenthume des Staats ist) entstehenden Inseln beruhet auf dem Zusammenhänge der Uferländereien mit der Insel vermittelst des Flußbettes. Trocknet der Fluß aus, so erscheint die Insel als ein Theil oder eine Fortsetzung des Uferlandes. Deshalb kommt es darauf an: ob das Eigenthum des Ufers dem Staate oder Privatpersonen zusteht; das Eigenthum des Stroms oder vorüberfließenden Wassers ist einflußlos. L. 7 §. 3; L. 56 pr. D. de acquir. rer. dom. (XLI, 1); §. 22 J. de rer. divis. (II, 1). Von diesen Grundsätzen sind die Verf. des L.R. nach der Theorie einiger Neuerem abgewichen. Diese vindizirten die in öffentlichen Flüssen entstehenden Inseln dem Fürsten, doch meinten sie, daß solche von Privaten okkupirt werden könnten, wenn der Fürst sie zwei Jahre unbebauet habe liegen lassen, weil er sie alsdann gleichsam derelinquirt habe. Leyser, Sp. 25 m. 4; Spec. 502 cor. 3. So soll es auch an der Weser, am Rhein, an der Mosel,' Moldau und Elbe sein. Müller, Promptuar. v. insula n. 3 u. 7. Doch wollten Andere dies nur da gelten lassen, wo die Ufer nicht Privateigenthum, sondern mit öffentlichen Deichen eingefaßt sind. Müller 1. c. n. 3; Wernher, Obs. 1, 5 obs. 138. Wegen der daraus hervorgegangenen Verschiedenheit der Territorialrechte hinsichtlich der Regalität der Inseln in öffentlichen'Strömen verweiset der §. 244 zunächst auf die Provinzialgesetze (vergl. II. 15 §. 67), wogegen der 245 in Betreff der Inseln in Privatflüssen unbedingt zur Aneignung ermächtigt. Aber die Erwerbung geschieht, in Uebereinstimmung mit der gedachten Theorie, in jedem Falle nur durch Okkupation, wie unser §. 206 ausdrücklich vorschreibt. 17) Darunter wird der mittlere Wasserstand zu verstehen sein. Denn der „gewöhnliche" ist gar zu unbestimmt und wohl nicht leicht festzustellen, da als gewöhnlich doch nur das gelten kann, was den größten Theil des Jahres hindurch stattfindet, der Wasserstand aber nach jedem Regengüsse sich ändert, und bei flachen Ufern eine vergleichungsweise geringere Veränderung des Wafferstandes eine unverhältnißmäßige Ausdehnung des Wasserspiegels stellenweise zur Folge hat. BL. So auch R.G. II H. v. 4. März 1880, Entsch. 2 S. 320 u. Gruchot 24 S. 966. Koch, Allgemeines Landrecht. I.

8. Aufl.

34

530

Erster Theil.

Neunter Titel.

§§. 254—265.

gegenüber liegende Insel wird darauf: ob das User mit Dämmen oder Deichen, mit oder ohne Vorland, eingeschlossen sei, oder nicht, keine Rücksicht genommen18).19 20 §. 254. Wenn Jemand eine ganze Insel, die mehreren Ufern gegenüber liegt, oder deren über seine Gränze hinaus gehenden Theil in Besitz nehmen will, so muß er diesen Vorsatz seinen Nachbarn bekannt machen, und dieselben zur Er­ klärung: ob sie sich ihres Rechtes ebenfalls bedienen wollen, auffordern ^0). §. 255. Weigern sie sich dieser Erklärung, oder zögern sie damit, oder auch mit der Ausübung ihres Rechts selbst: so kann der, welcher die Insel in Besitz nehmen will, auf die Vermittelung des Staats antragen. §. 256. Findet der Staat, daß die Benutzung der Insel dem gemeinen Wesen zuträglich sei, und wollen, nach wiederholter21) Aufforderung, die übrigen Inter­ essenten, innerhalb einer ihnen zu bestimmenden Frist, von ihrem Rechte keinen Ge­ brauch machen, so kann der Staat dem, welcher sich zuerst gemeldet hat, auch die über seine Gränze hinauslaufenden Theile der Insel zueignen 22). §. 257. So weit Jemand23), auch ohne dergleichen ausdrückliche Bestimmung des Staats, eine Insel drei24) Jahre hinter einander ruhig besessen und benutzt, 18) Wohl aber, wenn das Ufer von dem Lande durch öffentliche Plätze oder Wege, die dem Besitzer des Grundstücks nicht gehören, getrennt ist. S. Anm. 6 zu §. 225. 19) M. s. Anm. 23 zu §. 257. 20) Das in den §§. 254—256 vorgeschriebene Verfahren bezweckt die Vereinbarung der Nachbarn und soll entweder zur Theilung oder zur gütlichen Ueberlassung der ganzen Insel an Einen führen. Das kann ohne alle Mitwirkung eines Staatsdieners geschehen. Nur wenn der Nachbar oder die Nachbarn sich auf solchen Privatweg nicht einlassen wollen, soll die Vermitte­ lung der Staatsbehörde in Anspruch genommen werden können, indem man unter dem Einflüsse der Lehre jener Schriftsteller (Anm. 16) davon ausging, daß eigentlich der Fiskus die ent­ stehenden Inseln im Eigenthum habe und daher auch Anderen zueignen könne. Denn Su arez sagt bei der revisio monitorum: „Diese Sätze (§§. 254—256) könnten neu scheinen; sie sind aber wenigstens in der Analogie gegründet. Wenn viele Rechtsgelehrte sogar die ganzen Inseln in flumine publico ohne Unterschied dem Staate zusprechen, so tritt man wohl den Privat­ befugnissen nicht zu nahe, wenn man dem Staate das Recht beilegt, die Anwohner der Ufer anzuhalten, daß sie die Insel in Besitz und Kultur nehmen, und wenn sie das nicht wollen, die­ selbe Einem unter ihnen, der die Kosten der Kultur übernehmen will, ganz zuzuschlagen. Der Satz beruht auf eben dem Prinzip, nach welchem der Staat für berechtigt gehalten wird, einen Besitzer tragbarer Ländereien, welcher sie ganz unbearbeitet liegen läßt, zur Kultur anzu­ halten, oder sie einem Andern zur Bebauung zuzuschlagen." Dazu bemerkt Goßler: „Es wäre gut, wenn ein Jeder, der eine Insel in Besitz nehmen will, diejenigen, welche, der Lage nach, ebenfalls daran Theil nehmen können, zur Ausübung ihres Rechts aufforderte, und daß sodann die Anweisung der Theile durch die Behörde geschähe. Es würden hierdurch viele Prozesse ver­ hindert werden. In so fern halte ich die Vorschriften für sehr gut." Jahrb. 41 S. 12. Die Vorschriften sind hiernach aus einer Mischung des Bevormundungsprinzips und der Regalität der Inseln hervorgegangen. Die Angelegenheit ist keine Justizsache, vielmehr hat die Regierungs­ behörde, nach §. 256, bloß nach Verwaltungsgrundsätzen Bestimmung zu treffen. Man wendet sich in solchem Falle an die Bezirksregierung unmittelbar oder durch den Landrath, ohne dessen Mitwirkung die Sache doch nicht erledigt wird. 21) Die Wiederholung der Aufforderung geschieht von der Staatsbehörde auf den bei ihr, gemäß §. 255, eingebrachten Antrag. Da die Angelegenheit eine Regierungssache ist, so bedarf es keiner förmlichen Beweisführung, daß der Antragsteller den' Betroffenen wirklich bereits auf­ gefordert habe. Die von der Regierungsbehörde ergehende Aufforderung und die zu bestimmende Frist sichern die Gelegenheit zur Erklärung und Ausübung der Rechte. 22) S. die Anm. 20 zu §. 254. 23) Jemand, nämlich von den Ufernachbarn, nicht etwa jeder Dritte. O.Tr. III v. 8. Dez. 1858, Str. Arch. 31 S. 326. 24) Diese kurze Verjährung gilt auch gegen den Fiskus, die Kirchen und gleichberechtigte Korporationen, weil es Grundsatz ist, daß die ungewöhnliche Verjährung von 44 Jahren, welche gegen diese juristischen Personen stattfindet, in den Fällen nicht erforderlich ist, für welche kürzere als die gewöhnlichen Verjährungsfristen vorgeschrieben sind. O.Tr. (Pr. 930) v. 10. Okt. 1840, Entsch. 6 S. 245.

Von Erwerbung des Eigenthums.

531

hat er das Eigenthum der ganzen Insel, selbst gegen solche Nachbarn, deren Ufer einem Theile derselben näher liegen25),26durch 27 Verjährung erworben. §. 258. Findet der Staat nöthig, daß An- und Zuwüchse der Ufer, oder auch der Inseln, durchstochen oder weggeräumt werden, so müssen die Privatbesitzer der­ selben sich dergleichen Verfügung zu allen Zeiten gefallen lassen. §. 259. Geschieht das Wegräumen oder Durchstechen in einem öffentlichen Flusse, zur Beförderung der Schifffahrt, oder zur Wiederherstellung des ordent­ lichen Laufes des Flusses, so können die Privatbesitzer in der Regel keine Ent­ schädigung fordern. §. 260. In so fern jedoch eine solche Alluvion oder Insel schon seit länger als Fünfzig Jahren besessen und genutzt worden, muß der Staat den Eigenthümern für den durch die Wegräumung erlittenen2C) Verlust billige Vergütung leisten. §. 261. Geschieht die Wegräumung in einem Privatflusse, um denselben schiff­ bar zu machen, so müssen die darunter leidenden Besitzer der Alluvionen und In­ seln von dem Staate allemal vollständig entschädigt werden. §. 262. Eine gleiche Entschädigung muß denselben von den Flußnachbarn in allen Fällen zu Theil werden, wenn der Staat dergleichen Durchstiche oder Weg­ räumungen zu ihrem Besten und Vortheile auf ihren Antrag veranlaßt2?). §. 263. Soll ein Flußbette, oder anderer Graben und Canal, durch Ver-5) Von zugekrippungen oder andere dergleichen Anstalten verengt oder zugelandet werden, jo haben die angränzenden Uferbesitzer28) das nächste Recht, sich den solchergestalt ge- Flußbetten, wonnenen Grund und Boden durch Besitznehmung zuzueignen29). §. 264. Wollen sie aber von diesem Rechte Gebrauch machen, so müssen sie, nach Verhältniß ihrer Antheile an dem gewonnenen Lande, zu den Arbeiten und Kosten der Ausführung beitragen30). §. 265. Das Recht eines jeden Uferbesitzers erstreckt sich in solchem Falle der Länge nach so weit, als seine Gränze am Ufer geht, und der Breite nach bis zu der sJJHtte31) des vormaligen Flußbettes. 25) Diese Nachbarn brauchen bei der Besitznehmung, welche der §. 257 voraussetzt, nicht zugezogen oder zur Erklärung aufgefordert zu werden, wie es der §. 254 vorschreibt. Das L.R. ordnet zwei alternative Erwerbungsarten an, nämlich: Vereinbarung mit den Nachbarn, oder an deren Stelle tretende Vermittelung und Zueignung durch die Staatsbehörde, wodurch das Eigenthum sofort erworben wird (§§. 254—256); und Ersitzung, zu deren Anfänge die Benach­ richtigung oder der Konsens der Nachbarn weder vorgeschrieben, noch nach Rechtsgrundsätzen erforderlich ist (§. 257). Unredlichkeit oder fehlerhafte (heimliche) Besitzergreifung kann des­ halb allein dem Okkupirenden nicht vorgeworfen werden, weil nach den Grundsätzen des L.R. neu entstehende Inseln als Sachen betrachtet werden, welche in keines Menschen Eigenthume sind und okkupirt werden müssen, wenn man sie erwerben will. Siehe Anm. 16 zu §. 246. Die Anlieger haben dazu nur ein Näherrecht. 26) Diese richtige Lesart haben spätere Ausgaben. Die Urausgabe von 1791 hat die fehlerhafte Form „erleidenden". 27) Vergleich $. 75 der Einleitung und die Anm. dazu. Diese Entschädigungsvorschriften beruhen auf dem Prinzip, daß Niemand sich gefallen zu lassen braucht, daß er einen Vermögens­ schaden zur Bereicherung eines Anderen erleide. L. 6 §. 2 i. f. D. de jure dotium (XXIII, 3). 28) Vergl. unten II. 15 §§. 70, 71 u. die Anm. dazu. 29) Der §. 263 ist nicht auf öffentliche Flüsse beschränkt, sondern auch auf Privatflüsse auszudehnen. O.Tr. III. v. 1. Okt. 1866, Str. Arch. 65 S. 26. H. Er bezieht sich aber nicht auf Gräben, welche im Eigenthum einer oder mehrerer Personen stehen und welche diese durch Ausfüllung verengern, O.Tr. II v. 5. Mai 1868, Entsch. 60 S. 44. 30) Das Eigenthum an dem Grunde und Boden, welcher dadurch gewonnen ist, daß ein Flußbett durch Verkrippungen oder andere dergleichen Anstalten verengt oder zugelandet ist, erwerben die angrenzenden Uferbesitzer allein durch die Besitznehmung, und nicht erst dann, wenn zu dieser Besitznehmung die wirkliche Berichtigung ihres Beitrages zu den Arbeiten und Kosten der Ausführung, nach Verhältniß ihrer Antheile an dem gewonnenen Lande, hinzu­ gekommen ist. O.Tr. III v. 9. Nov. 1857, Entsch. 37 S. 71.

532

Erster Theil.

Neunter Titel.

§§. 266—282.

§. 266. Diese Mitte wird auf die §. 248. sqq. vorgeschriebene Art bestimmt. §. 267. Das Bette abgelassener Landseen verbleibt den Eigenthümern des Sees, nach Verhältniß des Jedem von ihnen an dem See selbst zugestandenen Eigenthumsrechts31 32). §. 268. Sind die Eigenthumsantheile der mehreren Interessenten in dem See selbst nicht bestimmt gewesen, so wird der abgelassene Grund unter die Uferbesitzer nach den §. 265. vorgeschriebenen Grundsätzen vertheiltS3). §. 269. Doch muß von diesen derjenige, welcher, ohne selbst Uferbesitzer zu sein, nutzbare Rechte3^) in dem See auszuüben hatte, verhältnißmäßig entschädigt werden. §. 270. So weit die in einem Flusse entstehenden Inseln den benachbarten Uferbesitzern gehören, so weit gehört ihnen auch das von dem Wasser verlassene Flußbette36). §. 271. Doch müssen diejenigen Unterthanen des Staats, welche durch den neuen Canal des Flusses an ihrem Eigenthume gelitten haben, vorzüglich aus dem verlassenen33)34Flußbette 35 oder dessen Werthe entschädigt werden. §. 272. Ueberströmungen, welche durch die Gewalt des Wassers veranlaßt worden, und nur eine Zeit lang dauern, wirken keine Veränderung in dem Eigen­ thume der überströmten Grundstücke3?). §. 273. Ist aber der ehemalige Eigenthümer des neuen Canals bereits auf andere Art schadlos gehalten worden, so fällt das wieder verlassene neue Flußbette, so weit es nicht nach §. 271. zur ferneren Entschädigung gebraucht wird, demjenigen zu, welcher dem Erstern die Schadloshaltung geleistet hat. §. 274. Wegen einer bloßen Schmälerung oder Erweiterung des Flußbettes, welche durch die Natur selbst veranlaßt worden, kann keine Vergütung gefordert werden. unSanfen §• 275. Das Eigenthum des Samens oder der Pflanzen, womit fremder Grund und Boden bestellt worden, fällt, sobald ersterer ausgesäet ist und letztere Wurzeln getrieben haben38), demjenigen anheim, welchem das Nutzungsrecht3e) des Bodens zukommt"). 31) Vergl. die Anm. zu II. 15 §. 234. 32) H. Der Grund des Eigenthumsrechts an einem geschlossenen Landsee ist lediglich die Adjacenz. O.Tr. III v. 2. Dez. 1872, Str. Arch 87 S. 134. 33) Das Eigenthum des Seebettes wird von den Adjacenten nicht erst in Folge der Trockenlegung des Sees erworben, sondern es verbleibt ihnen nach der Entwässerung (§. 267), weil sie Eigenthümer des Sees waren, so lange der See als solcher bestand. S. Anm. 75 zu §. 180 d. T. 34) Z. B. Rohrnutzungen, Fischerei, Wasserleitung zum Betriebe eine Mühlwerks re. 35) Vergl. die Anm. zu II. 15 §. 68. — Das O.Tr. II v. 21. Dez. 1865, Entsch. 56 S. 35, Str. Arch. 62 S. 109, hat angenommen, daß zur Erwerbung des Eigenthums an einem verlassenen Flußbette seitens der angrenzenden Uferbesitzer, so weit diesen überhaupt gesetzlich ein Anspruch darauf zusteht, Besitzergreifung nicht erforderlich sei. Nach Röm. Rechts­ grundsätzen ist das richtig. Vergl. Anm. 16 zu §. 246 u. Anm. 75 Abs. 2 zu §. 180. Aber nach dem LR. ist es grundsatzwidrig. §. 246 u. Anm. 16 dazu. Durch eine solche prinziplose Kasuistik wird die konsequente Rechtsentwickelung nicht gefördert. H. So auch Gruchot 7 S. 113 u. Dernburg, preuß. Pr.R. 3. Aufl. 1 S. 577 Note 17. Für das O.Tr. nur Heydemann, Einl. S. 57. H. Das Flußbett muß zu existiren aufgehört und die Eigenschaft des festen (? trockenen) Landes angenommen haben. O.Tr. III v. 5. Mai 1871, Str. Arch. 82 S. 76. 36) Der Fall, wo der Staat einen Durchstich angeordnet hat und in Folge dessen das Flußbette trocken gelegt worden ist, ist II. 15 §§. 70 ff. vorgesehen. 37) Diese Bestimmung bezieht sich nicht auf den, bei Hochwasser regelmäßig oder gewöhnlich stattfindenden Austritt des Wassers auf benachbarte Grundstücke, sondern auf solche Ueberströ­ mungen, welche durch besondere Ereignisse, durch ungewöhnliche Gewalt des Wassers herbeigeführt werden. O.Tr. II v. 22. Okt. 1863, Str. Arch. 51 S. 160. 38) Bis dahin können sie vindizirt werden. Daher kann auch der Eigenthümer gestohlener

Von Erwerbung des Eigenthums.

533

§. 276. Will") der Nutzungsberechtigte des Bodens die Früchte genießen, so muß er dem Andern den Werth des Samens oder der Pflanzen, nebst den Bestellungskosten, vergüten. §. 277. Ist die Bestellung redlicher Weise geschehen, so müssen dem Be­ stellenden alle erweislich verwendete Kosten erstattet werden. §. 278. Hat aber derselbe sich der Bestellung eines fremden Ackers unred­ licher Weise angemaßt, so kann er den Ersatz der Kosten nur so weit fordern, als dieselben, nach der in jeder Provinz oder Gegend gewöhnlichen Art des Betriebes, wirthschaftlich verwendet worden. §. 279. Will der Nutzungsberechtigte von der Bestellung keine Früchte ziehen, sondern den Boden anders nutzen, so kann ihm dergleichen Verfügung nicht gewehrt werden. §. 280. Alsdann kann der Säende oder Pflanzende bloß den Samen oder die Pflanzen, so weit es ohne Beschädigung des Grundstückes möglich ist, zurück­ nehmen^^). §. 281. Will der Nutzungsberechtigte des Bodens die Früchte des Gesäeten oder Gepflanzten dem Säenden oder Pflanzenden überlassen, so muß Letzterer da­ gegen dem Ersteren für die entzogene Nutzung des Bodens, nach Verhältniß des Grades seiner Verschuldung, gerecht werden. §. 282. Wenn das Grundstück selbst von dem Säenden oder Pflanzenden redlicher Weise besessen worden, so hat es, auch in Absicht der erfolgten Bestellung desselben, bei den wegen der Rechte und Pflichten eines redlichen Besitzers über­ haupt vorhandenen gesetzlichen Bestimmungen sein Bewenden. (Tit. 7. §. 189. sqq.) Bäume sie nur so lange von dem redlichen Bodenbesitzer abfordern, als sie noch nicht einge­ wurzelt sind. Dies ist durch Sachverständige festzustellen, und dann als zweifellos anzunehmen, wenn sie Laub getrieben haben. Das Eigenthum wird übrigens doch nicht unbedingt erworben. S. Anm. 41. 39) Harmonirt mit dem §. 221 d. T. Der Röm. Grundsatz ist: solo cedit quod solo implantatur. L. 7 §. 13; L. 26 §. 2 D. de acquir. rer. dom. (XLI, 1). Dieser ist mit Absicht verlassen. Hinsichtlich der Baumpflanzungen führt der Grundsatz des L.R. dahin, daß der Nutzungsberechtigte Eigenthümer der Baumplantage auf fremdem Grunde und Boden wird, und bei Beendiaung des Nutzungsrechts sämmtliche von ihm gepflanzte Bäume mitnehmen kann. Vgl. I. 22 243—245. 40) Die hier in den §§. 275 ff. getroffenen Bestimmungen gehören der Lehre von der unmittelbaren Erwerbung des Eigenthums an, wie das Rubrum des Titels 9 und bte §§ 5, 7 ff. ausdrücklich sagen. Diese Erwerbungsart unterscheidet sich von der mittelbaren darin, daß der Erwerber das Eigenthum ursprünglich erwerben will, d. h. daß er keinen Auktor oder Ge­ währsmann hat. Leitet er seine Erwerbung von einem Normanne ab, so ist die Erwerbung, mag der Titel gültig sein oder nicht, eine unmittelbare; ist der Titel ungültig, so ist auch die Erwerbung ungültig, wird dadurch aber keine unmittelbare. O.Tr. Strassen, v. 4. Febr. 1864, Str. Arch. 55 S. 31. H. Die §§. 275 ff. finden ferner keine Anwendung, wenn das Säen und Pflanzen sich als eine vom Besitzer des Grundstücks bewirkte Anwendung darstellt, vielmehr treten für diesen Fall die Vorschriften des Tit. 7 ein, vgl. die eit. Entsch. und unter §. 282; endlich auch nicht in dem A.L.R. II. 15 §§. 9, 10 erwähnten Fall, O.Tr. I v. 2. Mai 1876, Entsch. 77 S. 275. 41) Die Eigenthumserwerbung geht also doch nicht unbedingt durch das Säen und Pflanzen von Statten, vielmehr erst durch den Willen des Nutzungsberechtigten. Dieser hat zwischen drei Zulässigkeiten die Wahl. Er kann die Pflanzung sich zueignen (§. 276); er kann die Weg­ schaffung fordern (§§. 279, 280); er kann sie dem Säenden oder Pflanzenden überlassen (§§. 281, 282). H. Richtiger ist dies dahin zu fassen, daß der Nutzungsberechtigte das Eigenthum erwirbt, sich aber dessen unter den an zweiter und dritter Stelle erwähnten Modalitäten wieder entschlagen kann. So auch Koffka bei Gruchot 27 S. 399. 42) Dies muß sofort nach der Erklärung des Nutzungsberechtigten geschehen, damit die Umackerung kein Hinderniß finde; widrigenfalls der Nutzungsberechtigte mit der Bodenbearbeitung ohne Rücksicht auf die darauf stehenden fremden Pflanzen vorgehen kann. Vergl. §. 295 d. T. Nur dürfen dem Säenden oder Pflanzenden keine Hindernisse in der Ausübung seines jus tollendi vorsätzlich bereitet werden.

534

7) Vom Pflanzen d Bäume.

Erster Theil.

Neunter Titel.

§§. 283—302.

§. 283. Wer selbst oder durch Andere auf seinem Grunde fremden Samen säet, oder fremde Pflanzen einsetzt, muß dem Eigenthümer derselben allemal den höchsten Preis, so wie er zur Zeit der Bemächtigung des Samens oder der Pflanzen gestanden hat, vergüten. §. 284. Hat der Eigenthümer 43J des Bodens bezüglich gehandelt, so ist er dem Eigenthümer des Samens oder der Pflanzen auch allen Vortheil, welcher demselben bei dieser Gelegenheit entgangen ist, zu erstatten verbunden. §. 285. Das Eigenthum eines auf der Gränze stehenden Baumes gebühret dem, auf dessen Grunde und Boden der Stamm aus der Erde kommt. §. 286. Steht der Stamm selbst auf der Gränze44),45 so 46 47 haben beide Nach­ barn das Miteigenthum des Banmes. §. 287. Niemand ist die unter seinem Grunde und Boden fortlaufenden Wurzeln, oder die über seine Gränze hcrüberhangenden Zweige eines fremden Baumes zu dulden verpflichtet. §. 288. Will er aber selbige weghauen, so muß er das Holz dem Eigen­ thümer des Baumes ausliefern4"). §. 289. Duldet er hingegen dieselben, so ist er berechtiget, diejenigen Früchte sich zuzueignen, welche der Eigenthümer nicht einsammeln kann, ohne den Grund des Nachbars zu berühren. §. 290. Dergleichen Früchte darf der Eigenthümer auch nicht mit Instru­ menten herüberlangen, oder durch das Herüberbeugen der Aeste an sich ziehen. §. 291. Dagegen ist der Eigenthümer des Baumes die auf den Grund des Nachbars hinüberhangenden Zweige auf seinem eigenen Grunde und Boden wegzu­ hauen wohl befugt. §. 292. Früchte eines an der Gränze stehenden Baumes, welche durch die Gewalt des Windes über die Gränze getrieben werden, ist der Nachbar sich zuzu­ eignen berechtiget4"). §. 293. Der Baum selbst aber, welcher durch Sturmwind ganz oder zum Theil auf den Grund des Andern geworfen worden, verbleibt dem vorigen Eigen­ thümer. §. 294. Auch die Früchte, welche nach erfolgter Wegschaffung an dem Baume noch befestiget sind, gehören dem Eigenthümer4 ?). 43) Damit ist nur der Nutzungsberechtigte gemeint. §§. 276, 277, 279, 281. 44) Nämlich auf dem Grenzraine, wenn auch nicht gerade auf der Linie. Wenn der Stamm auch nur theilweise auf dem Grenzrain steht, muß er doch für gemeinschaftlich gelten, H. und zwar zu gleichen Theilen, vgl. §. 91 d. T. und Kayser bei Gruchot 21 S. 77, 78. 45) Damit soll ihm keine Handlung aufgelegt werden, vielmehr nur eine Duldung. Er muß die Abholung gestatten, ist aber nicht schuldig, sich dabei zu bemühen (vergl. §. 295); er ist vielmehr berechtigt, das Holz, wenn der Nachbar dasselbe auf die an ihn erlassene Aufforde­ rung nicht wegholt, von seinem Grunde abräumen und bei Seite legen, und die ihm dadurch entstandenen Arbeitskosten erstatten zu lassen, auch bis dahin das Retentionsrecht auszuüben. H. Dagegen Kayser a. a. S. 82, welcher unter Heranziehung der Analogie der §§. 293 ff. ausführt, daß die abgehauenen Zweige, wenn sie nicht vom Baumeigenthümer abgeholt werden, kraft Gesetz in das Eigenthum des belästigten Nachbars fallen. Aber „der Eigenthümer eines Grundstücks, in dessen Luftraume die Zweige der seinem Nachbar gehörigen Bäume überhangen, ist nicht berechtigt, von dem Letzteren zu verlangen, daß er die überhangenden Zweige wegschasfe, sondern Dieser ist nur verpflichtet, zu dulden, daß Jener dieselben aus dem Bereiche seines Eigenthums entferne, alsdann aber auch befugt, die Auslieferung des abgehauenen Holzes zu fordern." O.Tr. II (Pr. 2615) v. 6. Febr. 1855, Entsch. 30 S. 431. H. Vgl. auch Kayser a. a. O. S. 79 ff. 46) Was in des Nachbars Garten fällt, das ist sein. Dies ist der sog. Ueberfall, den das R. R. nicht kennt. 47) Auch diejenigen, welche durch den Ueberfall dem Nachbar zugefallen sein würden.

Don Erwerbung des Eigenthums.

535

§. 295. Der Eigenthümer ist, bei Verlust seines Rechts, schuldig, einen solchen Baum, auf Verlangen des Nachbars, ohne Zeitverlust 48) von dem Grunde desselben wegzuschaffen. §. 296. Den Schaden, welcher bei dem Wegschaffen auf dem Grunde des Nachbars angerichtet wird, muß der Eigenthümer des Baumes allemal vergüten. §. 297. Denjenigen Schaden aber, welchen der Baum selbst durch seinen Um­ sturz verursacht hat, muß er nur in so fern vergüten, als ihm dabei eine nach den Gesetzen verantwortliche Verschuldung zur Last fällt. §. 298. Hat Jemand fremde Sachen, ohne Wissen und Willen des Eigen- Arbttldunq. thümers, mit der {einigen verbunden, vermengt, oder vermischtso müssen auf Vcrm-ngung seine Kosten, beiderlei Sachen wiederum abgesondert, und in den vorigen Stand schunq; in­ gesetzt werden ^0). gleichen §. 299. Kann die Absonderung nicht mehr erfolgen, oder sind fremde Mate-^E^eirialien ohne Wissen und Willen ihres Eigenthümers verarbeitet51) worden, so muß Materialien, der, welcher einer solchen Verfügung über fremde Sachen betrüglicher52) Weise, und in der Absicht, seinen Vortheil Mit dem Schaden eines Andern zu befördern, sich angemaßt hat, das Eigenthum des Ganzen dem Andern überlassen 53). §. 300. Dieser ist alsdann das Arbeitslohn, oder den Werth der dem Ver­ fügenden zugestandenen, verbundenen, vermengten, oder vermischten Sache, nur nach dem niedrigsten durch Sachverständige bestimmten Satze zu vergüten schuldig. §. 301. Auch diese Vergütung wird dem Betrüger, zur Strafe, durch den Fiskus entrissen M). §. 302. Will derjenige, über dessen Sache von einem Andern solchergestalt betrüglicher5Ö) Weise verfügt worden, das daraus entstandene Ganze nicht behalten, so muß ihm der Andere den höchsten Werth seiner Sache, so wie derselbe zwischen dem Zeitpunkte der widerrechtlichen Anmaßung und der zugestellten Klage gewesen ist56), erstatten. 48) Da der Verlust des Rechts an den Zeitverlauf geknüpft ist, so muß nothwendig eine bestimmte präklusivische Frist angenommen werden. Nach Analogie des Grundsatzes über sofortige Vollziehung einer Handlung oder Erklärung sind 24 Stunden anzunehmen. I. 3 §. 47. Vgl. I 5 §. 95. H. S. übrigens ferner Anm. 45 zu §. 288 d. T. 49) Das R. R. (oder vielmehr der Kunstausdruck der Neuern, denn in den Quellen wird der Ausdruck in dieser Bedeutung nicht gebraucht. Paulus, Sent. rec. III. 6 §. 49; L. 60 pr. D. de verb. signif. [L, 16]) unterscheidet bekanntlich Adjunktion (Verbindung der Form nach) und Kommixtion oder Konfusion (Vereinigung oder Verbindung dem Stoffe nach). Das L.R. unterscheidet nicht, vielmehr gelten die folgenden Grundsätze von beiden Hauptarten der Vereinigung verschiedener Sachen. 50) H. Ist die Absonderung unmöglich, so geht das Eigenthum unter, O.Tr. III v. 28. Febr. 1870, Str. Arch. 79 S. 64. 51) Spezifikation. Das L.R. weicht ganz ab von den Grundsätzen des R. R. Bei der Spezifikation wird nach dem L.R. nicht gefragt: ob der verarbeitete Stoff in seine frühere Form wieder herzustellen, oder nicht. Der frühere Eigenthümer braucht sich darauf in keinem Falle einzulassen. 52) D. h. unredlicher Weise. Die Anmaßung des Stoffes braucht nicht gerade durch Betrug geschehen zu sein. 53) Der Eigenthümer des Stoffes wird mithin von selbst Eigenthümer der Spezies. 54) H. Dies gilt nur dann, wenn die Vergütung dem Betrüger freiwillig gezahlt ist. Für den umgekehrten Fall spricht der §. aus, daß nicht der Betrüger, sondern nur der Fiskus die Vergütung vom Eigenthümer des Stoffes zu fordern berechtigt ist, vgl. O.Tr. III v. 23. Febr. 1871, Str. Arch. 80 S. 299, denn der Entschädigungsanspruch ist unmittelbar dem Fiskus gegeben, Gruchot 7 S. 275. 55) S. die Anm. 52 und die Anm. 57. 56) Eine Anwendung des Grundsatzes I. 6 §. 85.

536

Erster Theil.

Neunter Titel.

§§. 303—327.

§. 303. Kann derjenige, über dessen Sache solchergestalt verfügt worden, noch außerdem einen ihm dadurch entstandenen Schaden, oder entgangenen Gewinn nach­ weisen; so muß ihm auch dieser nach den Grundsätzen des sechsten Titels ver­ gütet werden. §. 304. Hat Jemand ohne Betrug57)58 fremde Materialien dergestalt verarbeitet, daß dieselben dadurch ihre bisherige Form verloren, oder eine neue Gestalt angenommen haben, so verbleibt5S) die daraus entstandene neue Sache dem Verarbeitenden. §. 305. Dieser aber muß dem Eigenthümer der Materie, nach dessen eigenex Wahl, entweder eben so viel Materialien von gleicher Art und Güte zurückgeben, oder den Werth der Materialien, nach dem höchsten Preise zur Zeit der Verarbeitung ersetzen. §. 306. Ueberdieß muß er, nach Maaßgabe des Grades seiner Verschuldung, dem Eigenthümer der Materie für den durch die eigenmächtige Verarbeitung er­ littenen Schaden und entgangenen Gewinn, gerecht werden. §. 307. Hat Jemand, ohne kunst- oder handwerksmäßige Verarbeitung, fremde Materialien mit den seinigen, jedoch nicht betrüglicher Weise, verbunden, vermengt, oder vermischt, so muß untersucht werden, welchem von beiden an dem Werthe des nunmehrigen Ganzen, nach Verhältniß seiner beigetragenen Materialien, der beträchtlichste Antheil zukomme. §. 308. Hat der, über dessen Sache solchergestalt ohne sein Zuthun verfügt worden, den beträchtlichsten Antheil, so steht ihm die Wahl frei: ob er das nun­ mehrige Ganze behalten59),60oder dasselbe dem Andern überlassen wolle. §. 309. Wählt er letzteres, so muß ihm der Verfügende seine Materialien nach der Bestimmung des §. 305. vergüten, und ihm noch außerdem, für den erlit­ tenen Schaden und entgangenen Gewinn, nach Vorschrift §. 306. gerecht werden. §. 310. Will er aber das Ganze behalten, so muß er dem Verfügenden seinen Beitrag an Materialien, nach dem zur Zeit der Verfügung gestandenen ge­ meinen Werthe, vergüten. §. 311. Uebersteigt dieser Werth den Werth der Verbesserung, welche bei der Sache durch die Verfügung entstanden ist, so muß der Verfügende mit Vergütung der letztem sich begnügen. §. 312. Hat in dem §. 307. gesetzten Falle der Verfügende den beträchtlichsten Antheil an dem nunmehrigen Ganzen, so verbleibt ihm zwar das Ganze; §. 313. Er muß aber dem Andern, über dessen Materialien er solchergestalt eigenmächtig verfügt hat, nach Vorschrift des §. 305. 306. Ersatz und Vergütung leisten. §. 314. Bleibt es in dem §. 307. gesetzten.Falle zweifelhaft, welchem von beiden Interessenten der größereö0) Antheil an dem nunmehrigen Ganzen zukomme, so gebühret demjenigen, über dessen Sache solchergestalt ohne sein Zuthun verfügt worden, die Wahl nach den §. 308—311. festgesetzten Bestimmungen. §. 315. Hat Jemand Materialien verschiedener Eigenthümer, ohne deren Zu57) D. h. in gutem Glauben. Denn hätte Jemand z. B. Wolle gestohlen und sich daraus ein Kleid gemacht, so würde nicht der Grundsatz dieses §. 304, sondern der des §. 299 An­ wendung finden. Vergl. die Anm. 52. 58) Im Falle der Redlichkeit wird mithin durch oie Spezifikation Eigenthum erworben; der unredliche Verarbeiter erwirbt das Eigenthum der neuen Spezies dem Eigenthümer des Stoffes. §. 299. 59) Er wird also sofort bei Entstehung b^c neuen Spezies Eigenthümer der Sache, mit der Befugniß, dasselbe an den Anderen, selbst wider dessen Willen, zu übertragen. Vergl. die §§. 310 u. 312. Richtiger aber ist es, das Verhältniß in allen Fällen bis zur erfolgten Aus­ einandersetzung als Gemeinschaft aufzufassen, und die nachfolgenden Bestimmungen als Aus­ einandersetzungsvorschriften anzusehen. B. Für diese letztere Auffassung giebt das L.R. aber keinen Anhalt, vgl. auch Dernburg, 3. Ausl. 1 S. 370 Note 10. 60) Ist es unzweifelhaft, daß Keiner einen größeren Antheil hat, daß vielmehr, die An­ theile gleich sind, so sind Beide Miteigenthümer. §. 320.

Von Erwerbung des Eigenthums.

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thun, verarbeitet, verbunden, vermengt, oder vermischt, so ist die Frage: wem das nunmehrige Ganze verbleibe, zwischen ihm auf der einen, und den mehreren Eigen­ thümern zusammen genommen auf der andern Seite, nach obigen Grundsätzen §§. 298—314. zu bestimmen. §. 316. Kommt es dabei auf eine Wahl von Seiten dieser Eigenthümer an, so entscheidet unter ihnen der Entschluß derjenigen, welchen, zusammen genommen, an dem Werthe der Materialien der beträchtlichste Antheil zukommt. §. 317. Bleibt dieses zweifelhaft, so entscheidet, unter mehreren Eigenthümern, über die von ihnen zu treffende Wahl, das Loos. §. 318. Behalten nach diesen Grundsätzen die mehreren Eigenthümer der Materialien das Eigenthum des nunmehrigen Ganzen, und sind ihre Materialien gleichartig gewesen, so werden sie Miteigenthümer des Ganzen. §. 319. Waren die Materialien ungleichartig, so hat derjenige das Vorrecht, dessen Antheil von größerem Werthe gewesen ist. §. 320. War der Antheil der mehreren Interessenten von gleichem Werthe, so muß das Loos entscheiden"): wer das Ganze, gegen Abfindung der übrigen Interessenten, behalten ") soll. §. 321. Die Abfindung wird, nach Verhältniß des Werthes der jedem Inter­ essenten gehörig gewesenen Materialien zu dem Werthe des daraus entstandenen Ganzen, so wie letzterer zur Zeit der Auseinandersetzung beschaffen ist, festgesetzt. §. 322. Können die Interessenten über den Werth des nunmehrigen Ganzen sich nicht vereinigen, so muß derselbe durch eine unter ihnen anzustellende Licitation bestimmt werden. §. 323. Der Meistbietende behält alsdann das Ganze, und muß die übrigen nach der Bestimmung des §. 321. abfinden **). §. 324. Ist Jemandes Thier von dem Thiere eines Andern befruchtet worden, 9L®?['U®C= so verbleibt die daraus entstandene Frucht dem Eigenthümer der Mutter. fremdes §. 325. Ist die Befruchtung mit Vorwiffen und Genehmigung dieses letzteren 2'1,iercgeschehen, so muß er dem Eigenthümer des befruchteten") Thieres eine in den Polizeigesetzen und Ordnungen jedes Orts, oder Distrikts, näher bestimmte Ver­ gütung**) leisten. §. 326. In wie fern hingegen, falls die Befruchtung ohne Vorwissen und Genehmigung eines oder des andern Theils erfolgt ist, einer dem andern zur Schadloshaltung verpflichtet sei, ist nach den Grundsätzen des sechsten Titels zu bestimmen66). §. 327. Hat Jemand ein für sich selbst bestehendes Gebäude *’) auf fremdem6S) ---------------------------

61) Bis dahin sind sämmtliche Theilhaber Miteigenthümer. Durch das Ausscheiden der Uebrigen wird der Gewinner Alleineigenthümer. Er hat von Jedem für dessen Antheil Ge­ währleistung zu fordern, nach den Grundsätzen über die Theilung einer gemeinschaftlichen Sache. 62) Es geht mithin keine Besitzveränderung und keine neue Erwerbung vor sich. S. die vor. Anmerk. 63) Die ganze in den §§. 315—323 .abgehandelte Theorie ist ohne Geschichte. 64) Soll heißen: „befruchtenden". R. v. 29. Dez. 1837, Jahrb. 50 S. 469. 65) Unter der Benennung: „Sprunggeld" bekannt. Dergl. Vergütung ist übrigens bei sog. kleinem Vieh nicht üblich. 66) In der That kann der Eigenthümer des Mutterthieres durch die ohne sein Wissen und Willen von einem Anderen vorsätzlich veranlaßte Befruchtung erheblich geschädigt werden. Man denke an die Bedeckung eines Vollblut-Renners von hohem Werthe durch einen Esel. 67) Darunter ist jedes selbstständige Bauwerk zu verstehen, auch eine Mauer. Vgl. den Rechtsfall in Ulrich's Archiv 10 S. 60. Dagegen O.Tr. II v. 12. März 1876, Str. Arch. 97 S. 91, wonach unter Gebäuden nur mit Umfassungswänden versehene Räume, nicht aber eine aus Zäunen, Mauern oder Pforten bestehende Scheidewand, ferner auch nicht III v. 26. Juni

Boden, oder

538

Erster Theil.

Neunter Titel.

§§. 328—332.

Grund und Boden69 * *) * ohne * 68 Vorwissen des Grundeigentümers errichtet, so hängt es von dem Grundeigenthümer ab, das Gebäude zu erhalten, oder auf dessen Weg­ schaffung und Abbrechung zu dringen 70). §. 328. Wählt der Grundeigenthümer das letztere, so muß das Abbrechen und Wegräumen auf Kosten des Bauenden erfolgen; und dieser hastet noch außer­ dem, nach dem Grade seiner Verschuldung, dem Eigenthümer für den erlittenen Schaden und entgangenen Gewinn. §. 329. Verlangt der Grundeigenthümer die Erhaltung des Gebäudes, so kann er sich dasselbe entweder selbst zueignen, oder es mit dem dazu gehörenden Grunde und Boden dem Bauenden überlassen. §. 330. Will der Grundeigenthümer das Gebäude behalten, so muß er dem Bauenden die verwendeten Baukosten, so weit sie den Werth des Gebäudes, nach der Schätzung der Sachverständigen, nicht übersteigen 71),72 erstatten. §. 331. Will der Grundeigenthümer das Gebäude dem Bauenden überlassen, so muß dieser ihm den Werth des Grundes und Bodens vergüten, und noch außer­ dem denjenigen Schaden erstatten, welchen der Eigenthümer, durch Verengung des nöthigen Platzes oder sonst, nach seiner Lage und seinem Gewerbe erweislich leidet. §. 332. Hat der Eigenthümer7^) des Grundes und Bodens um den Bau 1876, Str. Arch. 96 S. 172 eine Eisenbahn-Anlage zu verstehen ist. Vgl. auch Anm. 76 zu §. 332 a. E. Nur muß die Bauanlage ganz auf fremdem Boden gebaut werden, sonst kommen die Vor­ schriften §§. 340 ff. zur Anwendung. Vgl. O.Tr. II v. 29. April 1858, Entsch. 38 S. 76. 68) Oder gemeinschaftlichem. O.Tr. III v. 9. Jan. 1854, Str. Arch. 11 S. 216. 69) Oder auf eine fremde Mauer, H. auch eine gemeinschaftliche. O.Tr. II v. 10. Jan. 1865, Str. Arch. 58 S. 61. 70) Wer aber inzwischen Eigenthümer des Gebäudes ist, weiß man hieraus nicht. Nach R. R. ist darüber kein Zweifel. S. Anm. 40 zu §. 275. Nach dem L.R. kann der Bauende für den Eigenthümer der Superfizies angesehen werden, mit den Verpflichtungen, welche ihm die Vorschriften §§. 328 ff. auflegen; es kann aber auch der Grundeigenthümer für den Eigenthümer der Anlage mit der Verpflichtung aus dem §. 330 gehalten werden, und dieses entspricht dem Rechtssysteme mehr, hat auch den Sinn des 330, welcher in dem Worte „behalten" liegt, für sich. H. Dernburg, pr. Pr.R. 3. Ausl. 1 S. 572; O.Tr. III v. 15. Dez. 1876, Str. Arch. 99 S. 113 ii. R.G.H. III v. 7. Febr. 1880, Entsch. 1 S. 178 legen dem Bauenden das Eigen­ thum am Gebäude für die Zwischenzeit bei und gewähren dem Grundeigenthümer nur das Recht, durch ausdrückliche oder stillschweigende Erklärung das Eigenthum an sich Zugringen. Derselben Ansicht wie Koch Gruchot 7 S. 285. Vgl. über die Frage Koffka bei Gruchot 27 S. 87 ff., 382 ff., welcher die letztere Meinung ausführlich begründet. H. Die dem Grundeigenthümer in den §§. 327—332 und 340—342 gegebenen Rechte stehen ihm nur persönlich gegen den Bauenden, nicht gegen jeden Besitzer des Baues zu. O.Tr. III v. 10. Febr. 1871 u. II v. 7. Mai 1872, Str. Arch. 81 S. 148, 84 S. 342. Das bezieht sich aber nicht auf die dem Grundeigenthümer kraft seines Eigenthums zustehende Negatorienklage. 71) Er haftet unbedingt nur in quantum locupletior factus est. Der Satz ist entnommen aus Leyser, Med. sp. 447 m. 1 u. 2; und Müller, Promptuar. v. impensae n. 7. Vergl. §. 30 Inst, de rer. divisione (II, 1); L. 23 §§. 4, 5 D. de rei vind. (VI, 1). 72) Oder Miteigentümer. Anm. 68. — Der Eigenthümer muß völlig handlungsfähig sein; denn eine stillschweigende Willenserklärung hat nicht größere Kraft und Wirksamkeit als eine ausdrückliche. Ist daher das Gebäude auf dem "Grundstücke einer Stadtgemeinde unter der Herrschaft der Städteordnung v. 30. Mai 1853 errichtet worden, so ist zur Anwendung des Grundsatzes von der Jnädifikation im §. 332 die stillschweigende Einwilligung der Stadtgemeinde, vertreten durch den Magistrat und die Stadtverordneten, nicht genügend, sondern es ist auch noch die des Staates, vertreten durch die betreffende Bezirksregierung, erforderlich. Städte­ ordnung v. 30. Mai 1853 §§. 36, 39, 50, 56 Nr. 5; O.Tr. II v. 18. Dez. 1862, Str. Arch. 47 S. 255. H. Gehört das bebaute Grundstück einem Minderjährigen, so kommt es auf die Kenntniß des Vormundes an; die Kenntniß des Vormundschaftsgerichts ist nicht erforderlich. O.Tr. III v. 9. Okt. 1870, Str. Arch. 81 S. 19. H. Die Wissenschaft kann dem Eigenthümer nicht schaden, wenn er annehmen konnte.

Von Erwerbung des Eigenthums.

539

gewußt73), und nicht sogleich 74), als er davon Nachricht erhalten, der Fortsetzung desselben auf eine solche Art, daß es zur Wissenschaft des Bauenden gelangt ist, widersprochen; so muß er mit der bloßen Entschädigung7^) für Grund und Boden sich begnügen 76). daß der Bauende als sein Geschäftsführer handeln wollte, und muß ihm der Nachweis offen bleiben, daß der Widerspruch in Folge Betrugs, Zwanges und Irrthums unterblieben ist, De-rnburg a. a. O. S. 573 Anm. 8; Koffka bei Gruchot 27 S. 397. 73) Der Begriff des Bauens auf fremdem Grunde und Boden nach §. 332 setzt die Neuerrichtung eines selbstständigen Gebäudes (§. 327) auf fremdem Grunde und Boden mit Vor­ wissen des Eigenthümers; der Begriff des Bauens an der Grenze nach den §§. 340 ff. dagegen setzt nur das Ueberschreiten der Grenze durch das Vorrücken des auf eigenem Boden er­ richteten Gebäudes in das Grundstück des Nachbars voraus. O.Tr. III v. 6. Nov. 1863, Str. Arch. 52 S. 84. 74) Darunter hat man hier 24 Stunden (I. 3 §. 47) verstanden, so daß der Grund­ besitzer noch den folgenden ganzen Tag, nachdem er den Bau erfahren, zur Einlegung des Wider­ spruches Zeit hat, nur soll der Widerspruch nicht bloß im Laufe dieser Frist, sondern auch schon bei dem allerersten Zusammentreffen beider Theile erhoben werden. M. s. die Gründe zum Pl.Beschl. des O.Tr. v. 18. April 1843, Entsch. 9 S. 3. Aus den §§. 327, 332 kann nur das Recht zum Besitze, nur eine petitorische Einrede bei Bauprozessen abstrahirt werden; in Possessorienprozessen kommen sie nicht in Betracht. O.Tr. III v. 9. Dez. 1861, Str. Arch. 44 S. 121. 75) Dieser Entschädigungsanspruch ist nur ein persönlicher. O.Tr. III v. 6. Juli 1866, Entsch. 56 S. 39. H. Der Eigenthümer des bebauten Bodens wird in Folge der Unterlassung des Widerspruchs zur käuflichen Ueberlasiung des Bodens an den Bauenden verpflichtet und der letztere, wenn er will, zur Erwerbung berechtigt, III v. 15. Dez. 1876, Str. Arch. 49 S. 111, ähnlich schon II v. 2. Sept. 1851, Entsch. 21 S. 90, 91, wogegen aber an beiden Orten auch wieder gesagt wird, daß der Bauende durch den Bau ohne Widerspruch das Eigenthum des fremden Grundes und Bodens erwirbt oder befugt ist, den Boden durch Besitznahme zu er­ werben. Der Widerspruch löst sich, wenn man annimmt, daß das O.Tr. der Ansicht ist, daß der Bauende durch seine eigene Handlung wider Willen des Eigenthümers erwirbt, aber zugleich eine persönliche Entschädigungspflicht überkommt, welche freilich irriger Weise mit einer Kaufobli­ gation verglichen wird. Vgl. hierzu auch Koffka bei Gruchot 27 S. 390 ff. 76) Die Vorschrift hat folgende Voraussetzungen: 1. Der Bauende muß nicht Besitzer der Baustelle aus einem früheren rechtlichen Grunde sein; sonst kommen, wenn er das Grundstück ohne Titel ursprünglich in Besitz genommen hat, die Grundsätze des Tit. 7 von Meliorationen des Besitzes zur Anwendung, und wenn er einen Titel hat, die Regel von der mittelbaren Er­ werbung des Eigenthums (des Grundstückes). Die Grundsätze von der Jnädifikation sind mithin unanwendbar, wenn auf einen durch Einräumung des Besitzes auf Grund eines mündlichen Vertrages erworbenen Acker gebaut wird; ein solchergestalt verkauftes und über­ gebenes Grundstück ist für den bauenden Käufer, dem Verkäufer gegenüber, kein fremdes Grundstück, der Verkäufer kann nicht vindiziren, er kann nur auf Grund des Rücktrittes von dem unverbindlichen Rechtsgeschäfte die Auflösung desselben unter gewissen Be­ dingungen fordern. Die bloße Einwilligung des Grundeigenthümers in den Bau aber, ohne Abschließung eines Ueberlassungsvertrages über die Baustelle, ändert die Erwerbungsart als eine unmittelbare nicht. O.Tr. III v. 15. Dez. 1848 in der Sache Fink w. Fink. (Eine An­ wendung von diesem Grundsätze macht das Ratiborer Appellationsgericht in einer Entscheidung v. 17. Ökt. 1854 auf den Fall, wo Jemand auf dem Lande eine Ackerfläche von 104 ^R. für 52 Thlr. mittelst mündlichen Kontrakts erkauft und übergeben erhalten, und mit einem Hause nebst Stallung bebaut, sowie einen Garten darauf angelegt hatte. Das Appellationsgericht sagt, der §. 332 gehöre in die Lehre von der inaedificatio, einer unmittelbaren Erwerbungsart, könne also da nicht zur Anwendung kommen, wo der Bauende aus irgend einem früheren Rechts­ grunde die Baustelle bereits im Besitze gehabt habe, sei es in Folge einer ursprünglichen Besitz­ nahme ohne Titel, welchenfalls die Grundsätze des 7. Titels über Meliorationen des Besitzes, sei es auf Grund eines Titels, wo dann die Vorschriften über die mittelbare Erwerbung des Eigen­ thums Platz greifen müßten. Das ist juristisch vollkommen richtig. Das O.Tr. III aber, meinend, es sei unrichtig, hat diese Entsch. durch ein Urtel v. 30. März 1855 kassirt, wir werden gleich sehen, aus welchem Grunde. Vorab muß auf die Ungenauigkeit der Überschrift, welche dieses Urtel in den Entsch. 30 S. 31 von den Herausgebern erhalten hat — ein Pr. ist es nicht — aufmerksam gemacht werden. Es heißt: „Die gesetzlichen Vorschriften vom Baue auf fremdem Boden sind dadurch, daß über die Abtretung der Baustelle ein unförmlicher Vertrag geschlossen

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Erster Theil.

Neunter Titel.

§§. 332.

worden, nicht ausgeschlossen." (H. In dem Erkenntniß v. 9. Nov. 1874 hat das O.Tr. III angenommen, daß die Anwendung des §. 332 d. T. nicht ausgeschlossen sei, wenn der Bauende die bebaute Grundfläche auf Grund eines formell ungültigen Vertrages erworben hat. Str. Arch. 93 S. 4.) So allgemein wird der Satz von dem O.Tr. nicht ausgesprochen, vielmehr be­ hauptet dasselbe nur, daß in dem Falle, wenn die Baustelle gerade zu dem ausgesprochenen Zwecke, solche zu bebauen, erworben und überlassen worden sei, alsdann der 332 noch zur Anwendung komme. Die Herausgeber machen zu ihrem ungenau gefaßten Rechtssatze- die An­ merkung, Koch hätte hier in dieser Note gesagt, das O.Tr. habe in dem von ihm allegirten Präjudikate angenommen, der §. 332 sei auf den Fall eines mündlich geschlossenen Ueberlaffungsvertrages nicht anwendbar. Das gedachte Präjudikat beschränke sich "jedoch lediglich darauf, die Anwendbarkeit jenes §. 323 da auszuschließen, wo es nicht der Eigenthümer war, der um den Bau gewußt hat, sondern der Erbpächter. Diese Bemerkung berührt den besprochenen Rechts­ punkt gar nicht. Die Frage ist: Finden die Grundsätze über die ursprüngliche Erwerbungsart, Jnädifikation genannt, oder vielmehr die Grundsätze über mittelbare Erwerbung Anwendung, wenn der Boden, auf welchem später gebaut worden, dem Besitzer desselben vorher abgekauft und auf Grund dieses nur mündlich abgeschlossenen Kaufes der Besitz wirklich übertragen worden ist. Ob der Besitzer und Verkäufer wahrer Eigenthümer war oder ein anderes erbliches Besitz­ recht hatte, ist eine Frage, die hierbei gar nicht in Betracht kommt, vielmehr in ein ganz an­ deres Kapitel gehört, aus welchem in jenem Rechtsfalle ein Rechtsstreit nicht entstanden und daher auch nicht zu entscheiden war. Bekanntlich kann man auch von einem Nichteigenthümer gültig kaufen, unbeschadet der Rechte des wahren Eigenthümers. — Kommen wir nun auf die Theorie des O.Tr. Dieses sagt: Wenn gerade zu dem Behufe des Aufbaues eines Hauses der demnächst bebaute Platz mündlich verkauft worden ist, so haben wir es nicht mit einer mangel­ haften mittelbaren Erwerbung zu thun, sondern mit der ursprünglichen Erwerbungsart der Jnädifikation. Denn da nichts weiter als der demnächst bebaute Platz und gerade behufs Auf­ baues eines Hauses durch einen unförmlichen Vertrag überlassen worden, so erhellet daraus ohne weiteres, daß der Fall des §. 333 hier nicht in Frage steht. Das ist der eine Rechtsgrund, welcher dem rechtsverständigen Leser zur eigenen Würdigung anheimgegeben wird, mit dem Be­ merken, daß der Gegenstand der Bestimmung des §. 333 nicht „ein ganzes Gut", worunter das O.Tr. selbst ein jedes einzelnes selbstständiges Grundstück versteht [) werden würde, daß das Restgrundstück nach seiner bisherigen Bestimmung nicht mehr zweckmäßig benutzt werden sann32 * *).33 * * 34 29 35 30 31 Trifft die geminderte Benutzbarkeit nur bestimmte Theile des Restgrundstücks, so beschränkt

sich die Pflicht zur Mitübernahme auf diese Theile. Bei Gebäuden, welche theilweise in Anspruch genommen werden, umfaßt diese Pflicht jeden­ falls33) das gesammte Gebäude3^). Bei den Vorschriften dieses Paragraphen ist unter der Bezeichnung Grundstück jeder in

Zusammenhang stehende Grundbesitz des nämlichen Eigenthümers begriffen. §. 10. Die bisherige Benutzungsart kann bei der Abschätzung nur bis zu demjenigen

Geldbeträge Berücksichtigung finden, welcher erforderlich ist, damit der Eigenthümer ein anderes Grundstück in derselben Weise und mit gleichem Ertrage benutzen samt35). nöthig werdende Umwege, Zerstückelung eines zusammenhängenden Grundstückskomplexes, erschwerte Beaufsichtigung, Anlagen von neuen Wegen, Einfriedigungenu. s. w. Ist dem Gesichtspunkte des Abs.2 schon bei Schätzung des Werthes des enteigneten Grundstücks Rechnung getragen, so gewährt die Vor­ schrift keinen besonderen Entschädigungsanspruch. O.Tr. v. 28. Juni 1850, Gruchot 9 S. 92. 29) H. Aber nicht die Nachtheile, welche nicht durch die Abtretung, sondern durch die auf dem enteigneten Grundstücke hergestellte Anlage (Eisenbahn :c.) entstehen, und welche den verbleibenden Grundbesitz auch getroffen haben würden, wenn die Anlage auf einem fremden, nicht enteigneten Grundstück an der Grenze hergestellt worden wäre. In dieser Hinsicht ver­ bleibt es bei den allgemeinen Grundsätzen über das Nachbarverhältniß. Einen wichtigen An­ wendungsfall dieses Prinzips bilden Baubeschränkungen in Folge einer Eisenbahnanlage. R.G. III H. v. 26. Mai 1880, Entsch. 2 S. 234; II H. v. 23. Mai 1881, Entsch. 5 S. 248; I v. 18. Aug. 1882, Entsch. 8 S. 237, insbes. S. 240. Gegen diese Rechtsanschauung ist lebhafter Widerspruch erhoben (Seydel S. 27 ff.; die beiden ersten Hefte von Bohlmann's „Praxis in Expropriationssachen" beschäftigen sich nahezu ausschließlich mit der vorliegenden Frage). Das R.G. welches — II H. v. 5. November 1881, Gruchot 26. S. 1140 — den Minderwerth in Folge des Eisenbahnbetriebes als durch die Enteignung veranlaßt vergüten lassen will, hat in einem anderen Urtheile (II H. v. 21. Sept. 1882, Entsch. 7 S. 258) eine mittlere Meinung vertreten: „Soll die Entschädigung eine volle sein, so muß sie auch das Interesse des Eigenthümers dabei, daß er gezwungen wird, einen Theil seines Grundstücks gerade für dieses Unternehmen abzutreten, umfassen" (S. 262). „Nachtheile, die den Eigenthümer getroffen hätten, wenn ihm nichts enteignet worden wäre, wenn die Bahn statt über das enteignete Theilstück an der Grenze des ungetheilten Grundstücks entlang geführt wäre, können im Enteignungsverfahren nicht geltend gemacht werden. Soweit derartige Nachtheile ohne die dazwischen liegende Ent­ eignung das klägerische Grundstück zwar auch, aber nur in geringerem Maße getroffen haben würden, kann der Eigenthümer nur in so fern Entschädigung beanspruchen, als die ihn jetzt treffen­ den Nachtheile größer sind als diejenigen, die auch ohne die Enteignung eingetreten wären." (S. 265.) Hierfür wird insbesondere auf die in §. 31 des Ges. vorgesehene Möglichkeit des späteren Er­ kennbarwerdens nachtheiliger Folgen der Enteignung Bezug genommen. Jene Ausführungen sind in so fern für zutreffend zu erachten, als erfahrungsgemäß bei freihändigem Verkauf eines Grundstückstheils die Möglichkeit bez. Gewißheit einer dem Nestgrundstücke nachtheiligen Anlage auf dem Theile als preisbestimmendes Moment in Betracht gezogen zu werden pflegt. Dies Moment muß gleicherweise auch bei Enteignungen zur Geltung kommen und bewegt sich inner­ halb des Rahmens der Entschädigung für die Abtretung. Dagegen ist für die Nachtheile aus der Anlage als solche niemals Entschädigung zu gewähren. Ueber §. 31 s. Anm. 77 zu demselben. Vgl. Dernburg, 1 S. 69 Anm. 20. 30) H. Die Erklärung des Grundeigentümers, von diesem Rechte Gebrauch machen zu wollen, muß spätestens in dem §. 25 bezeichneten Termine abgegeben werden. 31) H. Oder verkleinert. Bähr u. Langerhans S. 41. 32) H. Will der Expropriat aber das Restgrundstück nicht abtreten, so kann er von dem Unter­ nehmer nicht die Herstellung kostspieliger Anlagen zur Ermöglichung der Bewirthschaftung ver­ langen. O.Tr. III v. 17. Sept. 1866, Str. Arch. 63 S. 347. 33) H. D. h. vielleicht auch noch anderes, zu demselben Grundstücke gehöriges Areal. Seydel S. 33f.; Bähr u. Langerhans S. 41. 34) H. D. h. einschließlich des Grundes und Bodens. Seydel S. 34. 35) H. Diese Bestimmung hat im Wesentlichen den Zweck, einen Anhalt für die Ermitte­ lung des vollen Werthes zu geben, sie ist eine Anwendung, keine Modifikation des Grundsatzes des §. 8. S. auch Anm. 25 No. IId. zu diesem. Vgl. darüber Dalcke S. 64 ff., Seydel S. 34.

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Von Kaufs- und Verkaufsgeschäften.

Eine Wertherhöhung, welche das abzutretende Grundstück erst in Folge der neuen Anlage erhält, kommt bei der Bemessung der Entschädigung nicht in Anschlags"). §. 11. Der Betrag des Schadens, welchen Nutzungs-, Gebrauchs- und Servitutberechtigte36 37),38 39 Pächter und Miether33) durch die Enteignung erleiden, ist, soweit derselbe nicht in der nach §. 8. für das enteignete Grundeigenthum bestimmten Entschädigung oder in der an derselben zu gewährenden Nutzung begriffen ist, besonders zu ersetzen. §. 12. Für Beschränkungen (§§. 2., 4.) ist die Entschädigung nach denselben Grundsätzen zu bestimmen, wie für die Entziehung des Grundeigenthums. Tritt durch eine Beschränkung eine Benachtheiligung des Eigenthümers ein, welche bei An­ ordnung der Beschränkung sich nicht im Voraus abschätzen läßt, so kann der Eigenthümer die Bestellung einer angemessenen Kaution, sowie die Festsetzung der Entschädigung nach Ablauf jeden halben Jahres der Beschränkung verlangen. §. 13. Für Neubauten, Anpflanzungen, sonstige neue Anlagen und Verbesserungen wird beim Widerspruch des Unternehmers eine Vergütung nicht gewährt, vielmehr nur dem Eigen­ thümer die Wiederwegnahme auf seine Kosten bis zur Enteignung des Grundstückes vorbehalten, wenn aus der Art der Anlage, dem Zeitpunkte ihrer Errichtung oder den sonst obwaltenden Umständen erhellt, daß dieselben nur in der Absicht vorgenommen sind, eine höhere Ent­ schädigung zu erzielen^). §. 1440).41 42 Der * Unternehmer ist zugleich zur Einrichtung derjenigen Anlagen an Wegen, Ueberfahrten, Triften, Einfriedigungen, Bewässerungs- und Vorfluthsanstalten u. s. w. ver­ pflichtet, welche für die benachbarten Grundstücke oder im öffentlichen Interesse zur Sicherung gegen Gefahren und Nachtheile44) nothwendig werden4^). Auch die Unterhaltung dieser An36) H. Ebenso wenig ist umgekehrt der Mehrwerth in Abzug zu bringen, welchen das Rest­ grundstück etwa durch die neue Anlage erhält, denn sonst müßte ja der Expropriat diejenigen Vortheile bezahlen, welche die übrigen benachbarten Grundbesitzer ganz umsonst genießen. Dalcke S. 66; Seydel S. 36f.; Bähr u. Langerhans S. 48. 37) H. Z. B. weil der Werth einer Grundgerechtigkeit für das herrschende Grundstück höher ist, als der entsprechende Minderwerth des dienenden. Seydel S. 36 f. Für entzogene auf einem privativen Rechte beruhende Benutzung eines Weges gewährt Entschädigung. — R.G. II H. v. 10. November 1881, Gruchot 26 S. 1142. Hypothekengläubiger gehören nicht hierher, denn diesen wird kein Objekt entzogen, sondern sie wechseln nur das Objekt ihrer Sicherheit. Vergl. §. 29. 38) H. Das Rechtsverhältniß der Pächter und Miether macht gewöhnlich die meisten Schwierigkeiten. Sie brauchen sich mit der Benutzung des Entschädigungskapitales, welches an die Stelle der ihnen entzogenen Sache tritt, nicht zu begnügen, sondern können den ihnen in ihrer Eigenschaft als Pächter und Miether erwachsenden Spezialschaden noch besonders ersetzt ver­ langen. Dies war auch schon früher anerkannt. Vergl. O.Tr. III v. 20. Febr. 1865, Str. Arch. 58 S. 163, und v. 3. Mai 1872, Str.Arch. 84 S. 325, und Johow in Gruchot 16 S. 776. Von dem rein objektiven Standpunkte aus, wie ihn Bähr u. Langerhans einnehmen, erscheint eine Ver­ gütung dieses Interesses prinzipwidrig; dieselben wollen daher dem Pächter und Miether höchstens An­ spruch auf den landüblichen Zinssatz des Enteignungskapitals abzüglich der Miethe einräumen (S. 53 f.). . Ueber die Momente, welche eine solche besondere Entschädigung begründen können, vergl. Dalcke a. a. O. S. 70, Seydel S. 37 f. 39) H. Darüber, ob eine lediglich in fraudem legis gemachte neue Anlage vorliegt, ent­ scheidet die Enteignungsbehörde, mit Vorbehalt des Rechtswegs. 40) H. Der §. 14 ist dem §. 14 des Eisenbahngesetzes v. 3. Nov. 1838 nachgebildet. Die zu diesem ergangenen Entscheidungen sind daher auch bei Auslegung des §. 14 des Ges. zu ver­ werthen; im übrigen vgl. über das Verhältniß beider Gesetzesbestimmungen Seydel S. 41. 41) H. Hierunter fällt nicht die Anlage von Zufuhrwegen zur Eisenbahnstation. Dalcke S. 75, R.G. V v. 18. Mai 1881, Annal. 4 S. 92 f., Gruchot 26 S. 1064. Dagegen sind auch Vor­ kehrungen gegen Gefahren und Nachtheile, welche nicht aus der Anlage selbst, sondern aus dem Betriebe derselben entstehen, nach Maßgabe dieser Vorschrift zu treffen. Bohlmann, Praxis in Expr.S. Heft 3 S. 18 ff. Ob die Gefahren und Nachtheile dem expropriirten Grundeigenthümer oder einem Dritten drohen, ist gleichgültig. Seydel S. 44, Bohlmann Heft 1 S. 50. 42) H. Durch diese öffentlichrechtliche Verpflichtung des Unternehmers werden dessen privatrechtliche Verpflichtungen gegenüber benachbarten Grundeigenthümern auf Grund der Vor­ schriften des Nachbarrechts nicht berührt. O.Tr. Pl. v. 20. Okt. 1851, Entsch. 21 S. 177; Str. Arch. 3 S. 300 (Pr.Nr. 2313); O.Tr. III v. 10. März 1853, Str. Arch. 8 S. 337. In wie weit aber der Unternehmer zu einer Entschädigung der Adjazenten verpflichtet ist, richtet sich Koch, Allgemeines Landrecht. I. 8. Aufl.

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706

Erster Theil.

Eilfter Titel.

§. 4 (Zusatz).

lagen liegt ihm ob, insoweit dieselbe über den Umfang der bestehenden Verpflichtungen zur Unterhaltung vorhandener, demselben Zwecke dienender Anlagen hinausgeht. Ueber diese Obliegenheiten des Unternehmers entscheidet die Bezirksregierung (§. 21.)").

nach der allgemeinen Vorschrift, aus §. 14 ist hierfür nichts zu entnehmen. Dalcke S. 77, Seydel S. 49 f. Anders: O.Tr. II v. 21. Nov. 1876, Str. Arch. 99 S. 105; R.G. V v. 20. Sept. 1882, Entsch. 7 S. 265, insbes. S. 268 (auch abgedruckt J.M.Bl. 1883 S. 324) und V v. 7. Februar 1883, J.M.Bl. 1884 S. 21, welche aus der Unzulässigkeit einer Klage auf Unter­ lassung der Beschädigung und auf Herstellung von Sicherheitsmaßregeln folgern, daß der Eigen­ thümer für die durch die nachtheilige Anlage verursachte Entwerthung des Grundstücks Entschädigung fordern könne. Das Enteignungsrecht erstreckt sich auch auf den für die Anlagen erforderlichen Grund und Boden. Die herzustellenden Anlagen können auch auf die Bemessung der Ent­ schädigung für den Grund und Boden von Einfluß sein. Bähr u. Lang er Hans S. 57. Auch nach Vollziehung der Enteignung kann der Anspruch gegen den Unternehmer jederzeit erhoben werden; insbesondere auch bei einer späteren Veränderung der Hauptanlage; R.G. II v. 23. Dez. 1881, J.M.Bl. 1882 S. 353; Bähr u. Lang er Hans S. 56; Bohlmann 1 S. 50. Ueber eine Reihe verwaltungsrechtlicher Erlasse des Ressortministers zur Ausführung der Bestimmung vgl. Seydel S. 43 ff. Der „Unternehmer" im Sinne des Gesetzes haftet auch, wenn er die Ent­ eignung im Interesse eines Dritten betrieben hat, R.G. H. v. 12. Juni 1883, Entsch. 9. S. 276. 43) H. Jetzt itn Geltungsbereiche des Ges. über die allgemeine Landesverwaltung v. 30. Juli 1883 (G.S. S. 195) der Bezirksausschuß im Beschlußverfahren, im Stadtkreise Berlin die erste Ab­ theilung des Polizeipräsidiums. Gegen den Beschluß findet binnen zwei Wochen die Beschwerde an den Minister der öffentlichen Arbeiten statt. §. 150 des Ges. v. 1. Aug. 1883 (G.S. S. 237). Der Rechtsweg ist ausgeschlossen. In dieser Hinsicht sind zu vergleichen folgende Entscheidungen: I. des Obertribunals (außer den in Anm. 42 angeführten, auf die Schadensersatzpflicht bezüglichen): Wegen des entzogenen Gebrauchs eines Kommunikations- oder Gemeindeweges ist eine Entschädigungsforderung einzelner Gemeindemitglieder nicht begründet, auch der Rechtsweg gegen die Anordnungen der Regierung bezüglich der Anlagen von Wegen nicht gestaltet. III v. 7. März 1851, Str. Arch. 1 S. 295. Der Entschädigungsanspruch des Grundeigenthümers ist von einer vorgängigen Verpflichtung desselben, einen Beschluß der Verwaltungsbehörde über die Noth­ wendigkeit der Anlage herbeizuführen, nicht abhängig und ist auch nicht auf den Kostenbetrag der frag­ lichen Anlage beschränkt. III v. 22. Okt. 1855, Str. Arch. 18 S. 223. Die Eisenbahnunternehmer sind den anliegenden Grundbesitzern gegenüber schuldig, solche Einrichtungen zu treffen, daß dieselben in der bisherigen Benutzung ihrer Grundstücke nicht benachtheiligt werden, gleichviel, ob die Regierung dergleichen Einrichtungen speziell angeordnet hat, oder nicht. II v. 1. Dez. 1874, Str. Arch. 92 S. 344. II. des Komp.Ger.Hofes: Wegen der Ansprüche der Adjazenten an Eisenbahnen auf Herstellung oder Verbreiterung von Wegen, Gräben und Triften ist der Rechtsweg unzulässig. Erk. des Gerichtsh. z. Entsch. der Komp.Konfl. v. 14. Jan. 1854 (J.M.Bl. S. 39) und v. 18. April 1857 (J.M.Bl. S. 445). Eben so über die Verpflichtung einer Eisenbahngesellschaft zur Anlage von Einfriedigungen an Wegen und sonstigen Schutzmaßregeln. Erk. dess. Gerichtsh. v. 25. Juni 1853 (J.M.Bl. S. 335) und v. 11. Juni 1864 (J.M.Bl. S. 314). Bei dem Baue von Eisenbahnen ist darüber: welche Wege neben den Eisenbahnen anzulegen, und welche sonstigen Anlagen zum Schutze der an­ grenzenden Ackerflächen zu treffen seien, von den Verwaltungsbehörden zu befinden. So fern es sich dagegen um Entschädigung für die zu den Wegen zu verwendenden Ackerpläne handelt, haben die Gerichte darüber zu entscheiden. Entsch. des Komp.Gerichtsh. v. 12. Okt. 1861 (J.M.Bl. 1862 S. 133). Ueberhaupt über die Verpflichtung der Eisenbahngesellschaften, die benachbarten Grundbesitzer gegen Gefahren und Nachtheile in der Benutzung ihrer Grundstücke zu sichern, Erk. dess. Gerichtsh. v. 7. Okt. 1854 (J.M.Bl. S. 452). Es macht dabei keinen Unterschied, ob die Schutzanlage auf dem der Expropriation unterworfenen Grundstücke oder auf dem Grund­ besitzer verbleibenden Ländereien einzurichten ist. Erk. dess. Gerichtsh. v. 9. Juni 1855 (J.M.Bl. S. 303 und M.Bl. d. i. V. S. 189). Gegen feuerpolizeiliche Anordnungen, welche bei der An­ lage einer Eisenbahn zur Sicherung der in der Nähe befindlichen Gebäude getroffen werden, ist der Rechtsweg nicht gestattet. Entsch. des Komp.Gerichtsh. v. 14. April 1860 (J.M.Bl. 1861 S. 136). — Wenn aber nur Entschädigung für die Nachtheile gefordert wird, die aus dem Mangel der von der Regierung versagten Schutzanlage entstehen, so kann der Rechtsweg über eine solche Forderung nicht für unzulässig erachtet werden. Erk. dess. Gerichtsh. v. 16. Dez. 1854 (J.M.Bl. 1855 S. 88) und v. 18. April 1857 (J.M.Bl. S. 445). — Die Frage: ob und welche Anlagen an Wegeüberfahrten re. bei dem Baue von Eisenbahnen zur Sicherheit der benachbarten Grundbesitzer gegen Nachtheile in der Benutzung ihrer Grundstücke nothwendig sind, unterliegt der Beurtheilung und Entscheidung der Verwaltungsbehörden; der Rechtsweg ist des­ halb nicht zulässig. Erk. dess. Gerichtsh. v. 11. Okt. 1862 (J.M.Bl. 1863 S. 47). — Auch ist die Frage: wer die Kosten der von der Regierung für nöthig befundenen Sicherungsanlagen zu tragen habe, ob die Eisenbahngesellschaft, oder die Grundbesitzer, im ordentlichen Rechtswege von

Von Kaufs- und Berkaufsgeschäften.

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Titel III. Enteignungsverfahren ^). 1. Feststellung des Planes. §. 15. Vor Ausführung des Unternehmens ist für dasselbe, unter Berücksichtigung der nach §. 14. den Unternehmer treffenden Obliegenheiten, ein Plan, welchem geeignetenfalls die erforderlichen Querprofile beizufügen sind, in einem zweckentsprechenden Maßstabe aufzustellen und von derjenigen Behörde zu prüfen und vorläufig festzustellen, welche dazu nach den für die verschiedenen Arten der Unternehmungen bestehenden Gesetzen berufen ist. Ist eine besondere Behörde durch das Gesetz nicht berufen, so liegt diese Prüfung und Feststellung der Bezirksregierung4B) ob. §. 16. Eine Einigung zwischen den Betheiligten über den Gegenstand der Abtretung, soweit er nach dem Befinden der zuständigen Behörde zu dem Unternehmen erforderlich ist, kann zum Zwecke sowohl der Ueberlassung des Besitzes, als der sofortigen Abtretung des Eigenthums stattfinden. Es kann dabei die Entschädigung nachträglicher Feststellung vorbehalten werden, welche alsdann nach den Vorschriften dieses Gesetzes oder auch, je nach Verabredung der Betheiligten, sofort im Rechtswege erfolgt. Es kann ferner dabei Behufs Regelung der Rechte Dritter die Durchführung des förmlichen Enteignungsverfahrens, nach Befinden ohne Berührung der Ent­ schädigungsfrage, vorbehalten werden4Ö). §. 17. Für die freiwillige Abtretung in Gemäßheit des §. 16. sind die nach den bestehenden Gesetzen für die Veräußerung von Grundeigenthum vorgeschriebenen Formen zu wahren47). Handelt es sich um Grundstücke oder Gerechtigkeiten bevormundeter, in Konkurs gerathener, unter Kuratel stehender oder anderer handlungsunfähiger Personen, so genügt der Abschluß des Vertrages durch deren Vertreter unter Genehmigung des vormundschaftlichen Gerichts oder des­ jenigen Gerichts, welches die Veräußerung der Grundstücke und Gerechtigkeiten solcher Personen aus freier Hand zu genehmigen befugt ist48).

den Gerichten zu entscheiden. Erk. dess. Gerichtsh. v. 20. Okt. 1855 (J.M.Bl. S. 399). Bei dem Bau neuer Eisenbahnen haben die Regierungen darüber zu entscheiden, welche Anlagen an Wegen, Ueberfahrten u. s. w. die Eisenbahngesellschaft im Interesse der benachbarten Grund­ besitzer einzurichten und zu unterhalten verpflichtet ist. Streitigkeiten hierüber sind vom Rechts­ wege ausgeschlossen, so fern die Verpflichtung der Gesellschaft nicht auf einen besonderen Rechts­ titel gegründet wird. Erk. v. 11. Juni 1864 (J.M.Bl. S. 314). Gegen die einer Eisenbahn­ gesellschaft von der Landespolizeibehörde zur Pflicht gemachte und von ihr ausgeführte Unter­ drückung eines öffentlichen Weges ist der Rechtsweg auf Wiederherstellung unzulässig. Erk. v. 19. Okt. 1872 (J.M.Bl. 1873 S. 65). III. des Reichsgerichts: Auch rücksichtlich der durch Anlage eines neuen Eisenbahnschienenstranges verursachten Beschädigung der benachbarten Grundstücke ist der Rechtsweg unzulässig. II v. 23. Dez. 1881 (J.M.Bl. 1882 S. 353). Es ist lediglich in das Ermessen der Regierungen gestellt, die Her­ stellung welcher Sicherungsmaßregeln sie anordnen wollen. V v. 20. Sept. 1882, Entsch. 7 S. 265. 44) H. Der verwaltungsrechtliche Inhalt der nachstehenden Vorschriften ist, dem Zwecke dieses Werkes entsprechend, nicht in gleichem Umfange wie der civilrechtliche Stoff mit Er­ läuterung versehen. Besonders vollständige Nachweisungen in jener Hinsicht bietet der Kom­ mentar von Seydel. 45) H. Jetzt im Geltungsbereich des Gesetzes über die allgemeine Landesverwaltung v. 30. Juli 1883 (G.S. S. 195) dem Regierungspräsidenten, in dem Stadtkreise Berlin der ersten Abtheilung des Polizeipräsidiums. Vgl. §. 150 des Ges. v. 1. Aug. 1883. (G.S. S. 237.) 46) H. Im Falle des §. 16 ist das zwischen dem Unternehmer und dem Eigenthümer zu Stande kommende Geschäft als Kaufvertrag unter Verstellung der Preisbestimmung in das Er­ messen eines Dritten (§. 48 d. T.) zu betrachten. R.G. V v. 3. Nov. 1880, J.M.Bl. 1881 S. 179 und Gruchot 25 S. 969. 47) H. Für den Geltungsbereich des Ges. v. 5. Mai 1872 ist also nach §. 2 desselben Auflassung erforderlich. Abgesehen von §. 31 des Ges. kann der Verkäufer neben dem verein­ barten Preise eine nicht vorbehaltene Entschädigung für Nachtheile aus der Anlage und deren Betrieb nicht fordern, R.G. V v. 12. Dez. 1883 i. S. Raatz wider Militärfiskus (V 269. 83). 48) H. Hinsichtlich der unter die Vorm.Ordn. v. 5. Juli 1875 fallenden handlungs­ unfähigen Personen (Minderjährige, die nicht in väterlicher Gewalt stehen. Geisteskranke, Ver-

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Erster Theil.

Eilfter Titel.

§. 4 (Zusatz).

Lehns- und Fideikommißbesitzer sind befugt, solche Verträge unter Zustimmung der beiden nächsten Agnaten abzuschließen, sofern die Stiftungsurkunden oder besondere gesetzliche Be­ stimmungen^) jene Veräußerungen nicht unter erleichterter Form gestatten. Im Bezirk des Appellationsgerichtshofes zu Cöln sind die Vertreter der Minderjährigen, Abwesenden, Jnterdizirten und anderer handlungsunfähiger Personen, sowie der Fallitmassen befugt, gültig in die Veräußerung zu willigen, wenn sie dazu von dem Gericht auf Antrag in der Rathskammer nach Anhörung des öffentlichen Ministeriums ermächtigt sind. Diese Vorschrift findet auch auf Dotal- und Fideikommißgrundstücke Anwendung^). Veräußerungsbeschränkungen, welche zur Verhütung der Trennung von Gutsverbänden oder der Zerstückelung von Ländereien bestehen, finden keine Anwendung. §. 18. Auf Antrag des Unternehmers erfolgt das Verfahren Behufs Feststellung des Planes. Zu diesem Behufe hat derselbe der Bezirksregierung l5) für jeden Gemeinde- oder Gutsbezirk einen Auszug aus dem vorläufig festgestellten Plane nebst Beilagen vorzulegen,'welche die zu enteignenden Grundstücke nach ihrer grundbuchmäßigen, katastermäßigen oder sonst üblichen Be­ zeichnung und Größe, deren Eigenthümer nach Namen und Wohnort, ferner die nach §. 14. her­ zustellenden Anlagen, sowie, wo nur eine Belastung von Grundeigenthum in Frage steht, die Art und den Umfang dieser Belastung enthalten müssen. §. 19. Plan nebst Beilagen sind in dem betreffenden Gemeinde- oder Gutsbezirke während vierzehn Tagen zu Jedermanns Einsicht offen zu legen. Die Zeit der Offenlegung ist ortsüblich bekannt zu machen. Während dieser Zeit kgnn jeder Betheiligte51) im Umfange seines Interesses Einwendungen gegen den Plan erheben. Auch der Vorstand des Gemeinde- oder Gutsbezirks hat das Recht, Einwendungen zu erheben, welche sich auf die Richtung des Unternehmens oder auf Anlagen der in §. 14 gedachten Art beziehen. Die Regierung46) hat diejenige Stelle zu bezeichnen, bei welcher solche Einwendungen schrift­ lich einzureichen oder mündlich zu Protokoll zu geben sind. §. 20. Nach Ablauf der Frist (§. 19.) werden die Einwendungen gegen den Plan in einem nöthigenfalls an Ort und Stelle abzuhaltenden Termin vor einem von der Bezirksregierung45) zu

ernennenden Kommissar erörtert. Zu dem Termine werden die Unternehmer, die Reklamanten und die durch die Rekla­ mationen betroffenen Grundbesitzer, sowie der Vorstand des Gemeinde- oder Gutsbezirks vor­ geladen und mit ihrer Erklärung gehört. Dem Kommissar bleibt es überlassen, Sachverständige, deren Gutachten erforderlich ist, zuzuziehen. Die Verhandlungen haben sich nicht auf die Entschädigungsfrage zu erstrecken. §. 21. Der Kommissar hat nach Beendigung der Verhandlungen letztere der Bezirks­ regierung^^) vorzulegen, welche prüft, ob die vorgeschriebenen Förmlichkeiten beobachtet sind, mittelst motivirten Beschlusses über die erhobenen Einwendungen entscheidet und danach 1) den Gegenstand der Enteignung, die Größe und die Grenzen des abzutretenden Grund­ besitzes, die Art und den Umfang der aufzulegenden Beschränkungen, sowie auch die Zeit, schwender, bevormundete Taube, Stumme, Blinde, Abwesende, unter Pflegschaft stehende Personen) bedarf es zu der Veräußerung der Genehmigung des Vormundschaftsgerichts, bez. des dessen Stelle vertretenden Familienraths (§. 42 Nr. 5, §. 75 der Vorm.Ordn.). Dagegen genügt für den Konkursverwalter im Falle dieses Paragraphen Genehmigung des Gläubigerausschuffes oder, wenn ein solcher nicht bestellt ist, der Gläubigerversammlung. §. 122 R.Konk.Ordn. 49) H. Val. Ges. v. 3. März 1850 (G.S. S. 145) u. Ges. v. 27. Juni 1860 (G.S. S. 384). 50) H. Dre Abänderungen, welche die Vorschriften dieses Absatzes durch die neue Gesetz­ gebung erlitten haben, liegen außerhalb des Rahmens dieses Werkes. 51) H. D. h. nicht nur die Eigenthümer der in Anspruch genommenen Grundstücke, oder von der Enteignung betroffene Realberechtigte rc., sondern auch Personen, welche durch die nach §. 14 einzurichtenden Anlagen berührt werden, oder welche die Anordnung solcher Anlagen be­ antragen wollen. Dalcke S. 88; Sey del S. 64; Bähr u. Lang er Hans S. 64. 52) H. Jetzt im Geltungsbereiche des Ges. v. 30. Juli 1883 (G.S. S. 195) dem Bezirks-

Bon Kaufs- und Verkaufsgeschäften..

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innerhalb deren längstens vom Enteignungsrechte Gebrauch zu machen ist — soweit die Königliche Verordnung (§. 2.) über diese Punkte keine Bestimmungen enthält —,

2) die Anlagen, zu deren Errichtung wie Unterhaltung der Unternehmer verpflichtet ist (§• 14.), feststellt. Die Entscheidung wird dem Unternehmer, den Reklamanten und sonstigen Personen, welche an der Streiterörterung Theil genommen, sowie dem Vorstande des Gemeinde- oder Gutsbezirks zugestellt. §. 22. Gegen die Entscheidung der Bezirksregierung53 * *)54steht 55 56den Betheiligten der Rekurs an die vorgesetzte Ministerialinstanz offen. Der Rekurs muß bei Verlust desselben innerhalb zehn Tagen nach Zustellung des Beschlusses bei der Bezirksregierung eingelegt und gerechtfertigt werden. Die Regierung hat die Rekurs­ schrift dem Gegner zur Beantwortung innerhalb einer Frist von sieben bis vierzehn Tagen mitzutheilen und nach Eingang der Schrift oder nach Ablauf der Frist die Akten an den zuständigen Minister zur Entscheidung einzusenden B4). §. 23. Das Enteignungsrecht bei der Anlage von Eisenbahnen^) erstreckt sich unter Be­ rücksichtigung der Vorschriften dieses Gesetzes insbesondere: 1) auf den Grund und Boden, welcher zur Bahn, zu den Bahnhöfen und zu den an der Bahn und an den Bahnhöfen Behufs des Eisenbahnbetriebes zu errichtenden Gebäuden erforderlich ist; 2) aus den zur Unterbringung der Erde und des Schuttes u. s. w. bei Abtragungen, Ein­ schnitten und Tunnels erforderlichen Grund und Boden; 3) überhaupt auf den Grund und Boden für alle sonstigen Anlagen^), welche zu dem Be­ hufe, damit die Bahn als eine öffentliche Straße zur allgemeinen Benutzung dienen könne, nöthig oder in Folge der Bahnanlage im öffentlichen Interesse erforderlich sind; 4) auf das für die Herstellung von Aufträgen erforderliche Schüttungsmaterial57).58 Dagegen ist das Enteignungsrecht auf den Grund und Boden für solche Anlagen nicht auszudehnen, welche, wie Waarenmagazine und dergleichen, nicht den unter Nr. 3. gedachten allgemeinen Zweck, sondern nur das Privatinteresse des Eisenbahnunternehmers angehen59). ausschusse (welcher im Beschlußverfahren entscheidet), im Stadtkreise Berlin der ersten Abtheilung des Polizeipräsidiums, §. 150 Ges. v. 1. Aug. 1883 (G.S. S. 237). 53) H. Vgl. Anm. 52. Diese Entscheidung ist im Rechtswege nicht anfechtbar; die Gerichte sind zur Nachprüfung der Rechtmäßigkeit der Enteignung und der Legalität des Eirteignungsverfahrens nicht befugt. O.Tr. II v. 20. Nov. 1877, Str. Arch. 98 S. 129. 54) H. Gegen die Entscheidung der in Anm. 52 bezeichneten Behörden findet statt dieses Rekurses binnen zwei Wochen Beschwerde an den Minister der öffentlichen Arbeiten statt, §. 150 Abs. 3 Ges. v. 1. Aug. 1883 (G.S. S. 237); das Verfahren über dieselbe richtet sich nicht nach 8- 22 des Ges. v. 11. Juni 1874, sondern nach §. 122 Ges. v. 30. Juli 1883 (G.S. S. 195). — Die auf Grund des §. 22 erlassene Entscheidung kann auch von der Instanz, welche sie erlassen hat, auf erhobene Vorstellung wieder abgeändert werden, sofern nicht dadurch in einen in Folge der Entscheidung bereits geschaffenen Rechtszustand eingegriffen wird. N.G. II H. v. 24. Jan. 1881, J.M.Bl. S. 14t. 55) H. Auf andere öffentliche Anlagen, namentlich auf Wasserstraßen (Kanäle), sind die Be­ stimmungen dieses §. nicht auszudehnen. Dalcke a. a. O. S. 95. 56) H. Was hierunter zu verstehen, ist zweifelhaft; offenbar wohl solche Anlagen, die nicht unmittelbar für den Betrieb der Eisenbahn erforderlich.sind und nicht unmittelbar an der Bahn oder den Bahnhöfen liegen, denn von diesen letzteren spricht der Absatz 1. Vgl. Dalcke a. a. O. S. 96, Seydel S. 80f. 57) H. Es handelt sich hier nicht bloß um eine vorübergehende Benutzung des Schüttungs­ materials, sondern um eine definitive Wegnahme und Aneignung desselben, vergl. auch das auf Grund des §. 9 des Eisenbahnges. ergangene Erk. des O.Tr. III v. 3. Febr. 1873, Str. Arch. 88 S. 92. Zu dem Schüttungsmaterial gehört unzweifelhaft auch der Kies. Dalcke a. a. O. S. 97. 58) H. Das durch den §. 23 gewährte Recht bezieht sich nur auf die Errichtung neuer Anlagen, nicht aber auf die laufende Unterhaltung derselben, oenn die im Eingänge des §. ent­ haltenen Worte „und zur Unterhaltung" wurden im H.H. gestrichen. Vergl, hierüber Dalcke a. a. O. S. 98. Ob der Fall einer neuen Anlage vorliegt, kann im konkreten Falle sehr Zweifel-

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Erster Theil.

Eilfter Titel.

§. 4 (Zusatz).

Die vorübergehende Benutzung fremder Grundstücke soll bei der Anlage von Eisenbahnen, insbesondere zur Einrichtung von Jnterimswegen, Werkplätzen und Arbeiterhütten zulässig sein. 2. Feststellung der Entschädigung^). §. 24. Der Antrag auf Feststellung der Entschädigung ist von dem Unternehmer schriftlich bei der Bezirksregierung60 * *) * einzubringen. * * 59 Der Antrag muß das zu enteignende Grundstück, dessen Eigenthümer, sowie, wo nur eine Belastung in Frage steht, die Art und den Umfang derselben genau bezeichnen (§. 18.). Dem Anträge ist zum Nachweis der Rechte am Grundstück ein beglaubigter Auszug aus dem Grundbuch (Hypothekenbuch, Währschaftsbuch, Stockbuch), wo aber ein solches nicht vor­ handen ist oder nicht ausreicht, eine Bescheinigung des Ortsvorstandes oder der sonst zur Aus­ stellung solcher Bescheinigungen berufenen Behörde über den Eigenthumsbesitz und die bekannten Realrechte beizufügen. Diese Urkunden haben die betreffenden Behörden dem Unternehmer auf Grund der Feststellung (§. 21.) oder einer sonstigen Bescheinigung61)62der 63 *Regierung 00) gegen Erstattung der Kopialien zu ertheilen, auch demselben Einsicht des Grundbuchs u. s. w. zu gestatten. Gleichzeitig mit Ertheilung des Auszugs hat die Grundbuchbehörde, soweit die betreffenden Grundbücher dazu geeignet sind, und zwar ohne weiteren Antrag, eine Vormerkung 02) über das eingeleitete Enteignungsverfahren im Grundbuche einzutragen, deren Löschung mit vollzogener Enteignung (§. 33.) oder auf besonderes Ersuchen der Regierung erfolgt. Auch hat dieselbe während der Dauer des Enteignungsverfahrens von jeder an dem Grundstücke eintretenden Rechtsveränderung, welche für die Vertretung des Grundstücks oder die Auszahlung der Ent­ schädigung von Bedeutung ist, von Amtswegen der Enteignungsbehörde Nachricht zu geben. §. 25. Der Entscheidung der Bezirksregierung0O) muß eine kommissarische Verhandlung mit den Betheiligten unter Vorlegung des definitiv festgestellten Planes vorangehen. Der Kommissar hat auf Grund der nach §. 24. beizubringenden Urkunden darauf zu achten, daß das Verfahren gegen den wirklichen Eigenthümer gerichtet wird.

Er hat den Unternehmer, den Eigenthümer, sowie auch Nebenberechtigte, welche sich zur Theilnahme an dem Verfahren gemeldet haben, zu einem nöthigenfalls an Ort und Stelle ab­ zuhaltenden Termine vorzuladen. Alle übrigen Betheiligten werden durch eine in dem Regierungs-Amtsblatt und in dem betreffenden Kreisblatt, sowie geeignetenfalls in sonstigen Blättern bekannt zu machende Vor­ ladung aufgefordert, ihre Rechte im Termine wahrzunehmen. Die Ladungen erfolgen unter der Verwarnung, daß beim Ausbleiben der Geladenen ohne deren Zuthun die Entschädigung festgestellt6S) und wegen Auszahlung oder Hinterlegung der

letzteren werde verfügt werden. In dem Termine ist jeder an dem zu enteignenden Grundstücke Berechtigte befugt, zu er­ scheinen und sein Interesse an der Feststellung der Entschädigung, sowie bezüglich der Aus­ zahlung und Hinterlegung derselben wahrzunehmen. In dem Termine hat der Grundeigenthümer seine Anträge auf vollständige Uebernahme haft sein. Versinkt z. B. ein Eisenbahndamm, so fragt sich, ob die Wiederherstellung desselben eine bloße Reparatur oder eine Anlage ist. Dalcke a. a. O. nimmt das erstere an, Meyer a. a. O. S. 562 entscheidet sich für die letztere Alternative. Richtig ist allerdings, daß der Antragsteller im H.H. die Wiederherstellung eines gesunkenen Dammes nicht unter den Begriff der bloßen Unterhaltung gebracht wissen wollte. 59) H. Dieser Abschnitt ist nicht anwendbar, wenn der Anspruch auf Entschädigung bereits vor dem Inkrafttreten dieses Gesetzes entstanden war. O.Tr. II v. 16. Juni 1878, Entsch. 82 S. 126. 60) H. Vgl. Anm. 45. 61) H. Bezieht sich auf den Fall der §§. 16, 17. 62) H. Diese Vormerkung ist keine solche zur Erhaltung des Rechts auf Eigenthumsüber­ gang, sondern bezweckt lediglich Veröffentlichung des eingeleiteten Enteignungsverfahrens durch das Grundbuch. Achilles, Grundeigenthumsges. S. 103. 63) H. Das Ausbleiben wirkt jedoch nicht präkludirend für den im §. 30 des Ges. zugelassenen Rechtsweg. R.G. II H. v. 30. Juni 1881, Entsch. 5 S. 281.

Von Kaufs- und Verkaufsgeschäften.

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eines theilweise in Anspruch genommenen Grundstücks (§. 9.) anzubringen. Spätere Anträge dieser Art sind unzulässig. §. 26. Der Kommissar hat eine Vereinbarung der Betheiligten zu Protokoll zu nehmen und ihnen eine Ausfertigung auf Verlangen zu ertheilen. Das Protokoll hat die Kraft einer gerichtlichen oder notariellen Urkunde0*). In Bezug auf die Rechtsverbindlichkeit der von dem Kommissar abgeschlossenen Verträge kommen die Be­ stimmungen des §. 17. Absatz 2. und 5. zur Anwendung. §. 27. Zu der kommissarischen Verhandlung sind ein bis drei Sachverständige zuzuziehen, welche von der Bezirksregierung05) entweder für das ganze Unternehmen oder einzelne Theile desselben zu ernennen sind. Doch steht auch den Betheiligten zu, sich vor dem Abschätzungs­ termine über Sachverständige zu einigen, und dieselben dem Kommissar zu bezeichnen. Die ernannten Sachverständigen müssen die in den betreffenden Prozeßgesetzen vorgeschrie­ benen Eigenschaften eines völlig glaubwürdigen Zeugen besitzen00); dieselben dürfen insbesondere nicht zu denjenigen Personen gehören, die selbst als Entschädigungsberechtigte von der Ent­ eignung betroffen sind. §. 28. Das Gutachten wird von den Sachverständigen entweder mündlich zu Protokoll er­ klärt oder schriftlich eingereicht. Dasselbe muß mit Gründen unterstützt und beeidet werden0?). Sind die Sachverständigen ein- für allemal als solche vereidet, so genügt die Versicherung der Richtigkeit des Gutachtens auf den geleisteten Eid im Protokoll oder unter dem schriftlich ein­ gereichten Gutachten. Den Betheiligten ist vor der Entscheidung der Bezirksregierung (§. 29.) Gelegenheit zu geben, über das Gutachten sich auszusprechen00). §. 29. Die Entscheidung der Bezirksregierung00) über die Entschädigung, die zu bestellende Kaution und die sonstigen aus §§. 7—13. sich ergebenden Verpflichtungen erfolgt mittelst motivirten Beschlusses. Die Entschädigungssumme ist für jeden Eigenthümer, sowie für jeden der im §. 11. be­ zeichneten Nebenberechtigten, soweit ihm eine nicht schon im Werthe des enteigneten Grundeigen­ thums begriffene Entschädigung zuzusprechen ist, besonders festzustellen. Auch ist da, wo die den

Nebenberechtigten gebührende Entschädigung in dem Werthe des enteigneten Grundeigenthums begriffen 'ist, auf Antrag des Eigenthümers oder des betreffenden Nebenberechtigten das An­ theilsverhältniß festzustellen, nach welchem dem letzteren innerhalb seiner vom Eigenthümer an­ kannten Berechtigung aus der für das Eigenthum festgestellten Entschädigungssumme oder deren Nutzungen Entschädigung gebührt. In dem Beschlusse ist zugleich zu bestimmen, daß die Enteignung des Grundstücks nur nach erfolgter Zahlung oder Hinterlegung der Entschädigungs- oder Kautionssumme auszusprechen sei.

64) H. Die Bestimmung war nothwendig, weil aus diesen Protokollen Eintragungen in die Grundbücher stattfinden. 65) H. Vgl. Anm. 45. 66) H. Derartige Vorschriften enthält die Civilprozeßordnung nicht mehr. Man wird aber die Vorschriften über die Ablehnung von Sachverständigen (§. 371 vgl. m. §§. 41, 42 C.P.O.) entsprechend anzuwenden haben. Seyd el S. 92, will auch, noch die in §. 358 C.P.O. genannten unbeeidigt zu vernehmenden Personen ausschließen; indeß ist für die Bestimmung in §. 358 nicht der Gesichtspunkt der mindern Glaubwürdigkeit maßgebend. 67) H. Unter entsprechender Anwendung des §. 375 C.P.O. 68) Man wird annehmen müssen, daß die Regierung von Amtswegen oder auf Anrufen der Interessenten eine Wiederholung der Taxe anordnen kann, da ein Antrag, die Wiederholung der Abschätzung an die Zustimmung beider Theile zu knüpfen, bei der Berathung des Gesetzes im A.H. verworfen wurde. Eine solche Wiederholung entspricht auch dem bestehenden Recht. Vergl. O.Tr. III v. 18. April 1855, Entsch. 31 S. 104, und v. 25. Jan. 1867, Str. Arch. 67 S. 66. Ist aber die Entscheidung der Regierung (des Bezirksausschusses) bereits ergangen (§. 29), so ist eine Anfechtung der Taxe nur noch im Rechtswege möglich. 69) H. Vgl. Anm. 52.

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Erster Theil.

Eilfter Titel.

§. 4 (Zusatz).

§. 30. Gegen die Entscheidung der Regierung steht sowohl dem Unternehmer als den übrigen Betheiligten innerhalb sechs Monaten 70) nach Zustellung des Regierungsbeschlusses die Beschreitung des Rechtsweges zu7*). Ein Streit über das Antheilsverhältniß eines Neben­ berechtigten an der für das Eigenthum festgestellten Entschädigungssumme ist lediglich zwischen dem Nebenberechtigten und dem Eigenthümer auszutragen. Eines vorgängigen Sühneversuchs bedarf es nicht72). Zuständig ist das Gericht, in dessen Bezirk das betreffende Grundstück belegen ist73). Sind die Parteien über die Sachverständigen nicht einig, so ernennt das Gericht die­ selben 74). Wird von dem Unternehmer auf richterliche Entscheidung angetragen, sa fallen ihm jeden­ falls die Kosten der ersten Instanz zur Saft75). §. 31. Wegen solcher nachtheiligen Folgen der Enteignung, welche erst nach dem im §. 25. gedachten Termine erkennbar werden, bleibt dem Entschädigungsberechtigten bis zum Ablauf von drei Jahren76) nach der Ausführung des Theiles der Anlage, durch welche er benachtheiligt wird, ein im Rechtswege verfolgbarer persönlicher Anspruch gegen den Unternehmer77).

70) H. D. h. innerhalb sechs Kalendermonaten, nicht innerhalb 6 mal 30 Tagen trotz I. 3 §. 45. R.G. II H. v. 23. Sept. 1882, Entsch. 7 S. 277, J.M.Bl. 1883 S. 310. Die Frist ist Ausschlußfrist, nicht Verjährungsfrist, daher sind §§. 532 ff. I 9 auf dieselbe nicht anwendbar, und greift die Frist gegenüber einer Entscheidung in einem vor Inkrafttreten des Gesetzes eingeleiteten Enteignungsverfahren nicht Platz. O.Tr. III v. 16. Mai 1879, Entsch. 83 S. 278; R.G. III H. v. 26. Mai 1880, Entsch. 2 S. 234; II H. v. 4. Nov. 1880, Entsch. 3 S. 303. Dagegen werden von der Fristbestimmung Ansprüche, welche der Eigenthümer nicht auf Grund der Enteignung, sondern auf Grund des Nachbarrechts erhebt, nicht getroffen. Bohl­ mann Heft 1 S. 487. 71) H. Nur der Rechtsweg ist zulässig, nicht auch die Beschwerde an den Minister der öffentlichen Arbeiten. Ein bezüglicher Antrag, auch die letztere mit Suspensiveffekt zuzulaffen, wurde im A.H. abgelehnt. Vgl. auch §. 150 Abs. 3 Ges. v. 1. Aug. 1883 (G.S. S. 237). Die Beschreitung des Rechtsweges, zu welcher früher Klageanmeldung genügte (O.Tr. III v. 16. Mai 1819, Entsch. 83 S. 278), erfolgt jetzt durch Erhebung der Klage gemäß §. 230 C.P.O., §. 2 Ausf.Ges. zur C.P.O. v. 24. März 1879. Ist die Uebergabe des enteigneten Grundstücks bereits erfolgt, so bedarf es einer vorläufigen Abschätzung nicht mehr, sondern es steht in diesem Falle der sofortigen Geltendmachung des Anspruches des Expropriaten im Rechtswege nichts entgegen. O.Tr. III v. 28. Sept. 1874, Str. Arch. 92 S. 284. 72) H. Die in Abs. 2—4 enthaltenen Vorschriften über das Verfahren sind von der C.P.O. unberührt geblieben. §. 15 Nr. 2 Eins.Ges. zur C.P.O. — Abs. 2 ist dadurch gegenstandslos geworden, daß es eines vorgängigen Sühneversuchs in bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten über­ haupt nicht mehr bedarf. 73) H. Die in Abs. 3 bestimmte Zuständigkeit ist nach der Absicht des Gesetzes eine aus­ schließliche, R.G. II H. v. 4. Nov. 1880, Entsch. 3 S. 303. Daher hat die Vorschrift noch in sofern Bedeutung, als sie die Anwendung des §. 27 C.P.O., nach welchem Klagen in Betreff der Entschädigung wegen Enteignung eines Grundstücks im dinglichen Gerichtsstand erhoben werden können, ausschließt. 74) H. Sind die Parteien einig, so muß das Gericht diese Sachverständigen vernehmen; §. 369 Satz 1 C.P.O. findet dann keine Anwendung. 75) H. Dieser Absatz findet an Stelle von §§. 87, 88 C.P.O. Anwendung. — Für die Bemessung des Werthes des Streitgegenstandes ist, wenn nur der Eigenthümer den Rechtsweg beschreitet, die Differenz zwischen der von ihm geforderten Summe und der ihm zugebilligten Entschädigung maßgebend. R.G. III v. 26. April 1881, Entsch. 4 S. 386. 76) H. In diesem Falle handelt es sich um eine Verjährungsfrist, welche der Frist zur Anstellung der Schadensklage aus I. 6 §. 54 L.R. entspricht. 77) H. Welche nachtheilige Folgen unter den §. 31 zu rechnen sind, bestimmt sich da­ nach, in wie weit man einerseits über den gemeinen Werth des Grundstücks hinaus und ander­ seits für Schäden, welche nicht in der Enteignung, sondern in der auf dem enteigneten Grundstücke hergestellten Anlage ihren Grund haben, Ersatz zubilligt (vgk. oben Anm. 25 Nr. I und 29). So fern eins dieser für die Festsetzung der Entschädigungssumme bestimmenden Momente erst nach dem bezeichneten Termine erkennbar wird, ist die Anwendung des §. 31 begründet. Ansprüche wegen Folgen der Expropriation, welche neben dem Enteignungsverfahren auf Grund sonstiger civil­ rechtlicher Vorschriften (insbesondere des Nachbarrechts) erhoben werden können und nicht eine

Von Kaufs- und Verkauftgeschäften.

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3. Vollziehung der Enteignung. §. 32. Die Enteignung des Grundstücks wird auf Antrag des Unternehmers von der Bezirksregierung78) ausgesprochen78), wenn der nach §. 30. vorbehaltene Rechtsweg dem Unter­ nehmer gegenüber durch Ablauf der sechsmonatlichen Frist, Verzicht oder rechtskräftiges Urtheil erledigt, und wenn nachgewiesen ist, daß die vereinbarte (§§. 16., 26.) oder endgültig festgestellte Entschädigungs- oder Kautionssumme rechtsgültig80) gezahlt oder hinterlegt ist. Die Enteignungserklärung schließt, insofern nicht ein Anderes dabei vorbehalten wird, die Einweisung in den Besitz in ftd)81). §. 33. Gleichzeitig mit der Enteignungserklärung hat die Regierung da78), wo nach den bestehenden Gesetzen von dem Eigenthumsübergange Nachricht zu den Gerichtsakten zu nehmen ist, oder wo zur Eintragung des Eigenthumsüberganges bestimmte öffentliche Bücher bestehen, der zuständigen Gerichts- oder sonstigen Behörde von der Enteignung Nachricht zu geben, be­ ziehungsweise dieselbe um Bewirkung der Eintragung zu ersuchen. Der Enteignungsbeschluß der Regierung steht hierbei dem Erkenntnisse eines Gerichts gleich8^). §. 34. In dringlichen Fällen88) kann die Regierung84) auf Antrag des Unternehmers anordnen, daß noch vor Erledigung des Rechtsweges die Enteignung erfolgen solle, sobald die durch Regierungsbeschluß (§. 29.) festgestellte Entschädigungs- oder Kautionssumme gezahlt oder

hinterlegt worden. Diese Anordnung kann unter Umständen auch von vorgängiger Leistung einer besonderen Kaution abhängig gemacht werden. Gegen die Anordnung der Regierung84) in diesen Fällen steht innerhalb dreier Tage nach der Zustellung jedem Betheiligten der Rekurs an die vorgesetzte Ministerialinstanz offen88). §. 35. Jeder Betheiligte kann binnen sieben Tagen nach dem ihm bekannt gemachten, die Dringlichkeit aussprechenden Beschlusse verlangen, daß der Enteignung eine Feststellung des Zustandes von Gebäuden oder künstlichen Anlagen88) voraufgehe87).

anderweitige Bemessung der Entschädigung für die Enteignung zum Gegenstände haben, fallen nicht unter §. 31. Dalcke S. 112 f.; Seydel S. 101 f.; Bähr u. Langerhans S. 95 ff. 78) H. Vgl. Anm. 52. 79) H. Ein Rechtsmittel gegen die Enteignungserklärung war früher nicht zulässig; vgl. Seydel S. 107, insbesondere war (und ist) der Rechtsweg ausgeschlossen, Bähr u. Langer­ hans S. 97. Bei der allgemeinen Fassung des §. 150 Abs. 3 Ges. v. 1. Aug. 1883 (vgl. Anm. 54) findet jetzt das dort bezeichnete Rechtsmittel auch gegen den hier fraglichen Beschluß statt. 80) H. Das Wort „rechtsgültig" wurde hier eingeschoben, um zu bestimmen, daß die Regie­ rung nicht bloß prüfen solle, ob überhaupt gezahlt sei, sondern ob auch an den richtigen Em­ pfänger gezahlt sei und ob nicht etwa zu deponiren gewesen wäre u. s. w., eben so ob die Hinter­ legung gehörig erfolgt sei. Vgl. Seydel S. 103 ff., Bähr u. Langerhans S. 99. 81) H. Von diesem Augenblicke ab werden also auch dem Exproprianten die possessorischen Rechtsmittel zustehen, selbstverständlich aber erst von der Zustellung der Enteignungserklärung ab, wie sich aus §. 44 ergiebt. Bis zu diesem Zeitpunkte kann der Expropriat jeden Eingriff des Exproprianten seinerseits mit der Besitzstörungsklage zurückweisen. O.Tr. III v. 20. Jan. 1865, v. 19. Nov. 1869, v. 3. Febr. u. v. 23. Mai 1873, Str. Arch. 58 S. 102, 77 S. 40, 88 S. 92 u. 90 S. 197. Vergl. Anm. zu §. 44. 82) H. Zur Eintragung einer Vormerkung für eine abzuzweigende Parzelle bedarf es der Erfordernisse des §. 58 der Grundb.Ordn. nicht, eben weil es sich hier bloß um einen vor­ läufigen Vermerk handelt. Johow, Jahrb. 4 S. 133. Vgl. auch 4 S. 70, 8 S. 178. 83) H. Ueber die Dringlichkeit entscheidet die Regierung (der Bezirksausschuß) und in zweiter Instanz der Minister der öffentlichen Arbeiten mit Ausschluß des Rechtsweges. — Auch durch Vereinbarung der Interessenten kann die Dringlichkeit festgestellt werden. Johow, Jahrb. 8 S. 75 (Kammerger. v. 7. Juni 1877). 84) H. Vgl. Anm. 52. 85) H. Vgl. Anm. 54. Die dreitägige Frist ist indessen auch für die Beschwerde gegen die in Anm. 52 bezeichneten Behörden aufrecht erhalten in §. 150 Abs. 4 Ges. v. 1. Aug. 1883. 86) H. Diese Bestimmung ist nicht ausdehnend zu interpretiren. Bestellte Aecker gehören nicht hierher. Dagegen werden künstliche Rieselwiesen allerdings zu den künstlichen Anlagen zu rechnen sein.

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Erster Theil.

Eilfter Titel.

§. 4 (Zusatz).

Dieselbe ist bei dem Gerichte der belegenen Sache (Amtsgerichte, Friedensgerichte)87 88)89 90 91 92 93 mündlich zu Protokoll oder schriftlich zu beantragen. Das Gericht hat den Termin schleunigst und nicht über sieben Tage hinaus anzuberaumen und hiervon die Betheiligten und die Regierung8^) zeitig zu benachrichtigen. Die Zuziehung eines oder mehrerer Sachverständigen kann auch von Amtswegen ange­ ordnet werden. Sind die Parteien über die Sachverständigen nicht" einig, so ernennt das Gericht dieselben. Die Enteignung kann nicht vor Beendigung dieses Verfahrens erfolgen, von welcher das Gericht die Regierung zu benachrichtigen hat. §. 36. Die Entschädigungssumme wird an denjenigen bezahlt, für welchen die Feststellung stattgefunden hat.

Dieselbe wird in Ermangelung abweichender Vertragsbestimmungen von dem Unternehmer mit fünf Prozent vom Tage der Enteignung verzinst88), soweit sie zu dieser Zeit nicht bezahlt oder in Gemäßheit des §. 37. hinterlegt ist. Wird die durch Beschluß der Regierung88) festgesetzte Entschädigungssumme durch die gerichtliche Entscheidung herabgesetzt8r), so erhält der Unternehmer den gezahlten Mehrbetrag ohne Zinsen, den hinterlegten Mehrbetrag aber mit den davon in der Zwischenzeit etwa auf­ gesammelten Zinsen zurück. §. 37. Der Unternehmer ist verpflichtet, die Entschädigungssumme zu hinterlegen8^):

1) wenn neben dem Eigenthümer Entschädigungsberechtigte vorhanden sind, deren Ansprüche an die Entschädigungssumme zur Zeit nicht feststehen; 2) wenn das betreffende Grundstück Fideikommiß oder Stammgut ist, oder im Lehn- oder Leiheverbande steht; 3) wenn Reallasten, Hypotheken oder Grundschulden auf dem betreffenden Grundstück haften. Die Hinterlegung erfolgt bei derjenigen Stelle, welche für den Bezirk der belegenen Sache zur Annahme von Hinterlegungen der betreffenden Art, beziehungsweise von gerichtlichen Hinter­ legungen bestimmt ist88). Ueber die Rechtmäßigkeit der Hinterlegung findet ein gerichtliches Verfahren nicht statt. Jeder Betheiligte kann sein Recht an der hinterlegten Summe gegen den dasselbe bestreitenden 87) H. Die Prüfung, ob die Frist von sieben Tagen innegehalten ist, muß von Amtswegen erfolgen, wird aber unter Umständen schwierig sein, da der Antragsteller keinen Beweis darüber in Händen hat, an welchem Tage ihm der Beschluß der Regierung (§. 34) zugestellt worden ist. Es wird in solchen Fällen amtliche Auskunft von der insinuirenden Behörde zu erfordern sein. 88) H. Jetzt: dem Amtsgericht, in dessen Bezirk das Grundstück belegen ist. Auf das Verfahren sind §§. 447—455 C.P.O. entsprechend anzuwenden. Der zweite Satz des Abs. 4 gilt mit Rücksicht auf §. 15 Nr. 2 Einf.Ges. z. C.P.O. statt §. 369 C.P.O. 89) H. Ist die Besitzergreifung des enteigneten Grundstücks gemäß §. 16 des Ges. auf Grund einer Vereinbarung erfolgt, so muß die Entschädigungssumme vom Tage der Besitz­ ergreifung an verzinst werden. R.G. V v. 3. Nov. 1880 (J.M.Bl. 1881 S. 179). — Vgl. auch R. O H.G. III v. 27. Jan. 1876, Entsch. 19 S. 168. — Der Zinsanspruch kann auch nach Durch­ führung eines gemäß §. 30 des Ges. angestrengten Prozesses nachträglich selbstständig geltend gemacht werden. R.G. III v. 11. Mai 1880, Entsch. 1 S. 349. 90) H. Vgl. Anm. 52. 91) H. Darüber, in wie fern eine erfolgte Zahlung der im Verwaltungswege festgesetzten Entschädigung eine Herabsetzung derselben auf Klage des Unternehmers ausschließt, vgl. R.G. III v. 4. Juni 1880, J.M.Bl. 1881 S. 27. 92) H. Durch das Ges. über die Enteignung von Grundeigenthum sind die §§.11-19 des Ges. v. 3. Nov. 1838 und die Verordn, v. 8. Aug. 1832 ayfgehoben und werden die Gerichte nicht mehr verpflichtet, sich der Verkeilung der bei ihnen deponirten Gelder für enteignete Grundstücke zu unterziehen. Beschl. des Kammerger. v. 17. Mai 1876, Iohow, Jahrb. 6 S. 26, 8 S. 67, 72. Nach der Hinterlegungöordnung v. 14. März 1879 (G.S. S. 249) hat die Hinterlegungsstelle sich mit einer Vertheilung überhaupt nicht mehr zu befassen. 93) H. Vgl. Hinterlegungsordnung v. 14. März 1879 (G.S. S. 249). Ueber die Wir­ kungen der Deposition vergl. O.Tr. III v. 17. März 1871, Str. Arch. 81 S. 224, und v. 6. Okt. 1873, Str. Arch. 89 S. 322.

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Mitbetheiligten im Rechtswege geltend machen. Soweit nach dem Rechte einzelner Landestheile ein gerichtliches Vertheilungsverfahren in derartigen Fällen stattfindet, behält es dabei sein Bewenden 94). §. 38. Ist nur ein Theil eines Grundbesitzes enteignet95), so stehen der Auszahlung der für den enteigneten Theil bestimmten Entschädigungssumme die auf dem gesammten Grundbesitz haftenden Hypotheken und Grundschulden nicht entgegen, wenn dieselben den fünfzehnfachen Betrag des Grundsteuer-Reinertrags des Restgrundbesitzes nicht übersteigen. Reallasten, welche der Eintragung in das Grundbuch bedürfen, werden hierbei den Hypotheken gleich geachtet und in entsprechender Anwendung der bei nothwendigen Subhastationen geltenden Grundsätze96) zu Kapital veranschlagt9?). Auch wird bei einer solchen theilweisen Enteignung die Auszahlung der für den enteigneten Theil bestimmten Entschädigungssumme durch nicht eingetragene Reallasten, Fideikommiß-, Stammgut-, Lehn- oder Leiheverband des gesammten Grundbesitzes nicht gehindert, wenn die gedachte Entschädigungssumme den fünffachen Betrag des Grundsteuer-Reinertrages des gesammten Grundbesitzes und auch die Summe von dreihundert Mark nicht übersteigt. Die Auszahlung laufender Nutzungen der Entschädigungssumme kann ohne Rücksicht auf die vorgedachten Realverhältnisse erfolgen.

4. Allgemeine Bestimmungen. tz. 39. Alle Vorladungen und Zustellungen im Enteignungsverfahren sind gültig, wenn sie nach den für gerichtliche Behändigungen bestehenden Vorschriften erfolgt sind99). Die ver­ eideten Verwaltungsbeamten haben dabei den Glauben der zur Zustellung gerichtlicher Ver­

fügungen bestellten Beamten. §. 40. Verwaltungsbehörden und Gerichte ") haben die Beweisfrage unter Berücksichtigung aller Umstände nach freier Ueberzeugung zu beurtheilen. §. 41. Wo dieses Gesetz die Anordnung einer Kaution vorschreibt oder zuläßt, ist gleich­ wohl der Fiskus von der Kautionsleistung frei. §. 42. Wenn der Unternehmer von dem ihm verliehenen Enteignungsrechte nicht binnen der in §. 21. gedachten Zeit Gebrauch macht, oder von dem Unternehmen zurücktritt, bevor die Festsetzung der Entschädigung durch Beschluß der Regierung erfolgt ist, so erlischt jenes Recht. Der Unternehmer haftet in diesem Falle den Entschädigungsberechtigten im Rechtswege für die Nachtheile, welche denselben durch das Enteignungsverfahren erwachsen sind. Tritt der Unternehmer zurück, nachdem bereits die Feststellung der Entschädigung durch Beschluß der Regierung erfolgt ist, so hat der Eigenthümer die Wahl, ob er lediglich Ersatz für die Nachtheile, welche ihm durch das Enteignungsverfahren erwachsen sind, oder Zahlung der sestgestellten Entschädigung gegen Abtretung des Grundstücks geeignetenfalls nach vorgängiger Durchführung des in §. 30. gedachten Prozeßverfahrens im Rechtswege beanspruchen will. §. 43. Die Kosten des administrativen Verfahrens trägt der Unternehmer. Bei demselben kommen nur Auslagen, nicht aber Stempel und Sporteln zur Anwendung und können die Ent­ schädigungsberechtigten Ersatz für Wege und Versäumnisse nicht fordern. Im prozessualischen Verfahren werden die Kosten und Stempel taxmäßig berechnet99»-). 94) H. Ein derartiges Verfahren besteht seit Erlaß der Hinterlegungsordnung nicht mehr. Seydel S. 120 f. 95) H. Oder auch eins von mehreren nicht zusammenhängenden, mit einer Hypothek belasteten Grundstücken. Bähr u. Langerhans S. 107. 96) H. Jetzt §. 32 Ges. v. 13. Juli 1883 (G.S. S. 131). 97) H. Vergl. über diese Bestimmung und ihre Motive Dalcke a. a. O. S. 122 u. folg.; Seydel S. 123 f. Vergl. auch die allerdings auf Grund der früheren Gesetzgebung ergangenen Beschlüsse des App.Ger. zu Paderborn v. 17. Febr. u. 3. März 1874, Johow, Jahrb. 4 S. 232. 98) H. §§. 152 ff. C.P.O. 99) H. Für diese ist die freie Beweiswürdigung jetzt allgemeiner Grundsatz, §. 259 E.P.O. Ueber ältere Taxvorschriften s. Anm. 25 Nr. II a. zu §. 8 dies. Ges. 99 a) h Vgl. Ger.Kost.Ges. v. 18. Juni 1878 (R.G.Bl. S. 141) und abänderndes Ges. v. 29. Juni 1881 (R.G.Bl. S. 178).

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Erster Theil.

Eilfter Titel.

§. 4 (Zusatz).

Die Kosten des in §. 35. erwähnten Verfahrens sind vom Antragsteller vorzuschießen. Ueber die Verbindlichkeit zur endlichen Uebernahme dieser Kosten ist im nachfolgenden Rechtsstreit zu entscheiden. Im Bezirke des Appellationsgerichtshofes zu Cöln werden die Gebühren für die betreffenden Verrichtungen des Friedensgerichts nach der Taxe für die Friedensgerichte vom 23. Mai 1859. (Gesetz-Samml. S. 309.) berechnet. Sämmtliche übrigen Verhandlungen vor den Gerichten, Grundbuch- und Auseinander­ setzungsbehörden, einschließlich der nach §. 17. eintretenden freiwilligen Veräußerungsgeschäfte über Grundeigenthum innerhalb des vorgelegten Planes, sowie einschließlich der Quittungen und Konsense der Hypothekengläubiger und sonstigen Betheiligten, sind gebühren- und stempelfrei.

Auch werden keine Depositalgebühren angesetzt. Soweit diese Verhandlungen vor den Notaren vorgenommen werden, sind sie stempelfrei.

Titel IV. Wirkungen der Enteignung. §. 44. Mit Zustellung des Enteignungsbeschlusses 10°) (§. 32.) an Eigenthümer und Unter­ nehmer geht das Eigenthum des enteigneten Grundstücks auf den Unternehmer über. Erfolgt die Zustellung an den Eigenthümer und Unternehmer nicht an demselben Tage, so bestimmt die zuletzt erfolgte Zustellung den Zeitpunkt des Ueberganges des Eigenthums. Diese Vorschrift gilt auch in den Landestheilen, in denen nach den allgemeinen Gesetzen der Uebergang des Eigenthums von der Einschreibung in die Grundbücher oder von'der Ein­ reichung des Vertrages bei dem Realrichter abhängig gemacht ist. §. 45. Das enteignete Grundstück wird mit dem in §. 44. bestimmten Zeitpunkt von allen darauf haftenden privatrechtlichen Verpflichtungen frei, soweit der Unternehmer dieselben nicht vertragsmäßig übernommen hat*). Die Entschädigung tritt rücksichtlich aller Eigenthums-, Nutzungs- und sonstigen Real­ ansprüche, insbesondere der Reallasten, Hypotheken und Grundschulden an die Stelle des ent­ eigneten Gegenstandes2*).1 §. 46. Ist die Abtretung des Grundstücks durch Vereinbarung zwischen Unternehmer und Eigenthümer erfolgt und zwar in Gemäßheit des §. 16. unter Durchführung des Enteignungs­ verfahrens oder in Gemäßheit des §. 26., so treten die rechtlichen Wirkungen des §. 45. auch in diesem Falle ein3). Hypotheken- und Grundschuldgläubiger, sowie Realberechtigte können 100) Zur Uebertragung des Eigenthums bedarf es also einer Besitzeinweisung nicht mehr, vielmehr wird Eigenthum und Besitz mit der Zustellung des Enteignungsbeschlusses erworben. Vergl. Anm. 81. Ist oer Besitztitel für Eheleute auf Grund ehelicher Gütergemeinschaft berichtigt, so muß der Enteignungsbeschluß gegen die Ehefrau mitgerichtet sein. Beschl. des App.Ger. zu Posen v. 18. Juli 1874, Iohow, Jahrb. 4 S. 104. Dieser Ausspruch hat auch nach der neuen Gesetzgebung einen unbedingten Anspruch auf Anerkennung. Derselbe Beschluß führt auch aus, daß bei Enteignung einer Parzelle den Erfordernissen des §. 58 der Grundb.Ordn. durch Ein­ reichung eines Auszuges aus dem Grundsteuerbuche, resp. Beifügung einer Karte genügt werden müsse. Nach §. 21 dieses Ges. müssen die Grenzen des zu expropriirenden Grundstückes aber stets so genau bezeichnet sein, daß sich damit die in dem Beschluß erörterte Frage erledigen dürfte. Ueber die Abschreibung enteigneter Parzellen vgl. noch Achilles, GrundeigenthumsGes. S. 409. — Die Gefahr geht gleichfalls mit dem bezeichneten Zeitpunkte über. FörsterEccius 2 S. 174 f. — Die Grundsätze des §. 44 gelten auch für Enteignungen auf Grund des früheren Rechts. O.Tr. III v. 29. Juni 1871, Str. Arch. 97 S. 298. 1) H Die Hypotheken werden gelöscht, gleichviel ob sie durch die Expropriationssumme gedeckt werden, oder nicht. Die Realberechtigten sind mit weitergehenden Ansprüchen präkludirt. Bähr u. Lang er Hans S. 112. Nach dem früheren Rechte war dies anders. Vergl. Johow, Jahrb. 4 S. 201. 2) H. Ist bei Chausseebauten eine Entschädigung in einem anderen Grundstücke gewährt, so gehen alle Rechte und Lasten von dem expropriirten Grundstücke auf dieses ipso jure über. O.Tr. III v. 14. Febr. 1853, Entsch. 24 S. 403. 3) H. Erfolgte die Abtretung nicht in Gemäßheit der §§. 16, 26 dieses Gesetzes, sondern auf Grund eines anderweiten Vertrages zwischen Eigenthümer und Unternehmer, so findet §. 45

Von Kaufs- und Verkaufsgeschäften.

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jedoch, soweit ihre Forderungen durch die zwischen Unternehmer und Eigenthümer vereinbarte Entschädigungssumme nicht gedeckt werden, deren Festsetzung im Rechtswege gegen den Unter­ nehmer fordern, wobei die Beweisvorschriften der §§. 30. und 40. zur Anwendung kommen. §. 47. War das enteignete Grundstück Fideikommiß- oder Stammgut, oder stand dasselbe

im Lehn- oder Leih ev erb and e, so ist — mit Ausnahme des §. 38. vorgesehenen Falles — der Besitzer über die Entschädigungssumme nur nach den Vorschriften zu verfügen berechtigt, welche in den verschiedenen Landestheilen für die Verfügungen über derartige Güter und die an deren Stelle tretenden Kapitalien maßgebend sind. §. 48. War das enteignete Grundstück mit Reallasten, Hypotheken oder Grundschulden behaftet, so kann — mit Ausnahme des §. 38. vorgesehenen Falles — der Eigenthümer über die Entschädigungssumme nur verfügen, wenn die Nealberechtigten einwilligen 4* ).*5 §. 49. Der Eigenthümer des Grundstücks ist jedoch in den Fällen der §§. 47. und 48. befugt, wegen Auszahlung oder Verwendung der hinterlegten Entschädigungssumme die Ver­ mittelung der Auseinandersetzungsbehörden6) für Regulirung gutsherrlicher und bäuerlicher Verhältnisse, Ablösungen und Gemeinheitstheilungen in Anspruch zu nehmen ^). Die Auseinandersetzungsbehörde hat die bei ihr eingehenden Anträge nach den Bestim­ mungen zu beurtheilen und zu erledigen, welche wegen Wahrnehmung der Rechte dritter Per­ sonen bei Verwendung der Ablösungskapitalien in den §§. 110. bis 112. des Gesetzes vom 2. März 1850., betreffend die Ablösung der Reallasten und Regulirung der gutsherrlichen und bäuerlichen Verhältnisse, ertheilt worden sind. Diese Vorschrift kommt in den Landestheilen des linken Rheinufers, in der Provinz Han­ nover und den Theilen des Regierungsbezirks Wiesbaden, in welchen die Verordnungen vom 13. Mai 1867. (Gesetz-Samml. S. 716.) und 2. September 1867. (Gesetz-Samml. S. 1463.) nicht eingeführt sind, nicht zur Anwendung, vielmehr bleibt es hier bei den bisher bestehenden Vorschriften.

Titel V. Besondere Bestimmungen über Entnahme von Wegebaumaterialien. §. 50. Die zum Bau und zur Unterhaltung öffentlicher Wege (mit Ausschluß der Eisen­ bahnen) erforderlichen Feld- und Bruchsteine, Kies, Rasen, Sand, Lehm und andere Erde ist, soweit der Wegebaupflichtige nicht diese Materialien in brauchbarer Beschaffenheit und angemessener nicht Anwendung. Johow, Jahrb. d. App.Ger. 8 S. 183, R.G. II H. v. 23. Mai 1881, Entsch. 5 S. 246. 4) H. Bedarf es aber zur Auszahlung der Expropriationssumme nur dieser Einwilligung in beglaubigter Form, oder ist außerdem die Eintragung der Exnexuation im Grundbuche erfor­ derlich? Das App.Ger. Paderborn hat in dem Beschl. v. 17. Sept. 1874, Johow, Jahrb. 4 S. 235, auch die Eintragung der Exnexuation verlangt; diese Ansicht, welche sich allerdings auf die jetzt nicht mehr in Betracht kommende Allerh. K.O. v. 8. Aug. 1832 stützt, ist für das heutige Recht, da der §. 48 nur die Einwilligung verlangt, nicht mehr zutreffend. Die Richtigkeit der­ selben ist aber auch schon nach dem früheren Recht zu bezweifeln, denn der Grund, daß, wenn die Eintragung der Exnexuation nicht erfolge, der Gläubiger mit dem Dokumente Betrügereien treiben könne, ist kein Rechtsgrund. Das Grundbuch ergiebt ja auch die Abschreibung der expropriirten Fläche, und ein etwaiger Cessionar der eingetragenen Post mag sich, wenn er diese Abschreibung sieht, darum kümmern, was aus der Expropriationssumme geworden ist. — Der in diesem §. ausgesprochene Rechtsgrundsatz findet auch bei Expropriationen zu Ent- und Bewässe­ rungsanlagen Anwendung. Beschl. des Kammerger. v. 7. Aug. 1874, Johow, Jahrb. 5 S. 141. Daß die Entschädigung auch in dem letzteren Falle den Hypothekengläubigern haftet, folgt aus der Natur des Hypothekenrechts. Das Enteignungsgesetz hat damit, wie übrigens auch von dem Kammergericht anerkannt ist, nichts zu thun. — Eine Einwilligung des Unter­ nehmers ist nicht erforderlich. Johow a. a. O. 8 S. 72 f. 5) H. Und nicht der Gerichte, welche auch über Anträge der Hypothekengläubiger auf Aus­ zahlung der hinterlegten Summe nicht zu befinden haben. Johow a. a. O. 8 S. 74. 6) H. Das Kammergericht (Johow u. Küntzel, Jahrb. 1 S. 147) will §. 49 auch an­ wenden, wenn nicht bloß ein Theil eines Grundstücks, sondern ein ganzes Grundstück enteignet ist; doch passen die in Abs. 2 angeführten §§. 110—112 Ges. v. 2. März 1850 auf einen solchen Fall gar nicht. Vgl. Sey del S. 138 ff.

718

Erster Theil.

Eilfter Titel.

§. 4 (Zusatz).

Nähe auf eigenen Grundstücken fördern kann, und der Eigenthümer sie nicht selbst gebraucht7),8 9 ein Jeder verpflichtet, nach Anordnung der Behörde von seinen landwirthschaftlichen und Forst­ grundstücken, seinem Unlande oder aus seinen Gewässern entnehmen und das Aufsuchen derselben durch Schürfen, Bohren u. s. ro. daselbst unter Kontrole des Eigenthümers sich gefallen zu lassen. §. 51. Der Wegebaupflichtige hat dem Eigenthümer den Werth der entnommenen Mate­ rialien ohne Berücksichtigung des Mehrwerths, welchen sie durch den Wegebau erhalten, zu ersetzen. Wo durch den Werth der Materialien der dem Grundstück durch die Entnahme zugefügte Schaden, einschließlich der entzogenen Nutzungen, sowie die etwa bereits wirthschaftlich auf­ gewendeten Werbungs-, Sammlungs- und Bereitungskosten nicht gedeckt werden, hat der Wege­ baupflichtige, statt Ersatz jenes Werthes, hierfür Ersatz zu leisten. §. 52. Wenn ein Grundstück zur Gewinnung der Materialien hauptsächlich bestimmt ist und letztere für den Wegebau in solchem Maße in Anspruch genommen werden, daß das Grund­ stück deshalb dieser Bestimmung gemäß nicht ergiebig benutzt werden kann, oder wenn die Eigenthumsbeschränkung länger als drei Jahre dauert, so kann der Eigenthümer gegen Ab­ tretung des Grundstücks selbst an den Wegebaupflichtigen den Ersatz des Werthes desselben

verlangen. §. 53. In Ermangelung gütlicher Einigung hat der Landrath (in Hannover die betreffende Obrigkeit) ^) auf Grund vollständiger Erörterung zwischen den Betheiligten eine Entscheidung zu treffen, in welcher 1) die dem Wegebaupflichtigen gegen den Grundbesitzer einzuräumenden Rechte nach Gegen­ stand und Umfang speziell zu bezeichnen sind, und 2) die dafür zu gewährende Entschädigung auf Grund sachverständiger Abschätzung oder ge­ eignetenfalls (§. 12.) die dafür zu bestellende Sicherheit vorläufig festzusetzen ist. Gegen die Entscheidung unter 1. steht beiden Theilen binnen einer Präklusivfrist von zehn Tagen 0) nach deren Zustellung der Rekurs an die Regierung10)11mit aufschiebender Wirkung zu. Gegen die Feststellung der Entschädigung unter 2. ist innerhalb neunzig Tagen der Rechts­ weg, jedoch ohne aufschiebende Wirkung, zulässign). Ist gegen die landräthliche Entscheidung Rekurs verfolgt, so läuft diese Frist erst vom Tage der Zustellung der Entscheidung der Re­ gierung an. Eines vorgängigen Sühneversuchs bedarf es nicht12). Die dem Wegebaupflichtigen zuständigen Rechte dürfen erst ausgeübt werden, wenn der­ selbe in das Grundstück, beziehungsweise die daran auszuübenden Rechte eingewiesen ist. Dieser 7) H. Dabei wurde anerkannt, daß das eigene Bedürfniß an Materialien auch „in nächster Zukunft" unter diese Bestimmung falle, aber es fragt sich, wie weit die nächste Zukunft reicht. Kann der Eigenthümer nachweisen, daß der Umfang seiner Wirthschaft innerhalb der nächsten Zeit, also innerhalb 1—2 Jahren die Aufführung neuer Gebäude unbedingt nothwendig macht, und kann er etwa gar darthun, daß er schon Vorbereitungen für einen solchen Bau getroffen hat, indem etwa schon Zeichnungen und Anschläge gefertigt worden sind, so wird die nächste Zukunft sich unzweifelhaft auch auf den Zeitraum der nächsten Jahre erstrecken müssen. Denn nichts wäre unbilliger und ungerechter, als durch eine strikte Auslegung des Gesetzes den ohnehin sehr lästigen Eingriff in das freie Eigenthum, der hier statuirt ist, noch lästiger zu machen. Die Entscheidung der Frage unterliegt der Kognition des Landraths (Kreisausschusses) und in zweiter Instanz der der Regierung resp, des Bezirksausschusses. 8) H. Jetzt im Geltungsbereiche des Gesetzes über die allgemeine Landesverwaltung v. 30. Juli 1883 (G.S. S. 195) der Kreis- (Stadt-) Ausschuß; §. 151 Abs. 1 Ges. v. 1. Aug. 1883 (G.S S. 237). 9) H. Jetzt im Geltungsbereiche des angef. Ges. v. 30. Juli 1883 nach dessen §. 51 zwei Wochen. 10) H. Jetzt im Geltungsbereiche des in Anm. 8 angef. Ges. v. 30. Juli 1883 an den Bezirksausschuß, in Berlin an die erste Abtheilung des Polizeipräsidiums, welche im Beschluß­ verfahren entscheiden. §. 150 Ges. v. 1. Aug. 1883. 11) H. Vgl. Anm. 71 zu §. 30 d. Ges. 12) H. Vgl. Anm. 72 ebd.

Von Kaufs- und Verkaufsgeschäften.

719

Einweisung muß die Zahlung oder Sicherstellung der Entschädigung auf Grund vorläufiger Festsetzung vorausgehen. Wegen Auszahlung der Entschädigungssumme findet die in §. 36. gegebene Bestimmung Anwendung.

Titel VI. Schluß- und Übergangsbestimmungen. §. 54. Dieses Gesetz findet keine Anwendung: 1) auf die in besonderen Gesetzen oder im Gewohnheitsrechte begründete Entziehung oder Beschränkung des Grundeigenthums im Interesse der Landeskultur, als: bei Regulirung gutsherrlicher und bäuerlicher Verhältnisse, bei Ablösung von Reallasten, Gemeinheits­ theilungen, Vorfluthsangelegenheiten, Entwässerungs- und.Bewässerungsangelegenheiten, Benutzung von Privatflüssen, Deichangelegenheiten, Wiesen- und Waldgenossenschafts­ Angelegenheiten; 2) auf die Entziehung und Beschränkung des Grundeigenthums im Interesse des Bergbaues und der Landestriangulation 13).14 §. 55. Bereits eingeleitete Enteignungsverfahren") werden nach den bisherigen Vor­ schriften zu Ende geführt. Wird in einem solchen Verfahren der Rechtsweg beschritten, so findet der §. 40. auch hier Anwendung. §. 5615). Im Geltungsbereich der Kreisordnung vom 13. Dezember 1872. und in den Hohenzollernschen Landen werden die durch dieses Gesetz der Bezirksregierung beziehungsweise dem Landrath beigelegten Befugnisse und Obliegenheiten a) soweit dieselben in den §§. 5. 15. 18. bis 20. 24. und 27. enthalten sind, von den Prä­ sidenten der Bezirksregierungen, b) soweit dieselben in den §§. 3. 4. 14. 21. 29. 32. bis 35. und 53. Absatz 2. enthalten sind, von den Verwaltungsgerichten, c) soweit dieselben in §. 53. Absatz 1. enthalten sind, von den Kreisausschüssen, beziehungs-

13) H. Ein Verzeichniß der durch diesen §. aufrecht erhaltenen älteren Gesetze s. bei S eyd el S. 146 f. S. auch noch §. 152 Ges. v. 1. Aug. 1883 (G.S. S. 237). 14) H. D. h. solche, in welchen bereits der in §. 18 d. Ges. bezeichnete Antrag gestellt ist; dagegen enthält die Genehmigung einer Anlage, für welche die Enteignungsbefugniß demnächst nachgesucht ist, oder das in §. 16 bezeichnete Verfahren noch nicht die Einleitung des Enteignungs­ verfahrens. O.Tr. III v. 16. Febr. 1877, Str. Arch. 97 S. 158. — Vgl. auch Johow, Jahrb. d. App. Ger. 7 S. 126, 180. 15) H. §. 56 entfällt nach §. 151 Abs. 2 des Gesetzes über die Zuständigkeit der Verwaltungs- und Verwaltungsgerichtsbehörden v. 1. Aug. 1883 (G.S. S. 237) mit dem Inkraft­ treten dieses Gesetzes am 1. April 1884. An seine Stelle treten §§. 150, 151 Abs. 1 dieses Gesetzes, welche lauten: §. 150. Die Befugnisse und Obliegenheiten, welche in dem Gesetze vom 11. Juni 1874 über die Enteignung von Grundeigenthum (Gesetz-Samml. S. 221) den Bezirksregierungen (Landdrosteien) beigelegt worden sind, werden in den Fällen der §§. 15, 18 bis 20, 24 und 27 von dem Regierungspräsidenten, in den Fällen der §§. 3, 4, 5, 14, 21, 29, 32 bis 35 und 53 Absatz 2 von dem Bezirksausschüsse im Beschlußverfahren, in dem Stadtkreise Berlin von der ersten Ab­ theilung des Polizeipräsidiums, wahrgenommen. Auch gehen auf den Bezirksausschuß beziehungsweise die erste Abtheilung des Polizei­ präsidiums in Berlin die nach den §§. 142 ff. des Allgemeinen Berggesetzes vom 24. Juni 1865 (Gesetz-Samml. S. 705) der Bezirksregierung zustehenden Befugnisse über. Gegen die in erster Instanz gefaßten Beschlüsse des Bezirksausschusses beziehungsweise der ersten Abtheilung des Polizeipräsidiums findet, soweit nicht der ordentliche Rechtsweg zulässig ist, innerhalb zwei Wochen die Beschwerde an den Minister der öffentlichen Arbeiten statt. Bei der für die Erhebung der Beschwerde in §. 34 des Gesetzes vom 11. Juni 1874 be­ stimmten Frist von drei Tagen behält es sein Bewenden. §. 151 Abs. 1. Die nach § 53 Absatz 1 des Gesetzes vom 11. Juni 1874 dem Land­ rathe (in Hannover der betreffenden Obrigkeit) zugewiesene Entscheidung ist durch Beschluß des Kreis- (Stadt-) Ausschusses zu treffen.

720

Erster Theil.

Eilfter Titel.

§. 4 (Zusatz), §§. 5—13.

weise in den Stadtkreisen von den Magisträten, und in den Hohenzollernschen Landen von den Amtsausschüssen wahrgenommen. Die in Gemäßheit des §. 3. von dem Verwaltungsgericht zu treffende Entscheidung erfolgt auf das Gutachten des Kreisausschuffes, beziehungsweise des Magistrats in den Stadtkreisen, und des Amtsausschusses in den Hohenzollernschen Landen. §. 57. Alle den Vorschriften dieses Gesetzes entgegenstehenden Bestimmungen, sowie die Bestimmungen über das Wiederkaufsrecht bezüglich des enteigneten Grundstücks werden auf­ gehoben^).

Ein gesetzliches Vorkaufsrecht findet wegen aller Theile von Grundstücken statt, welche in Folge des verliehenen Enteignungsrechts zwangsweise oder durch freien Vertrag an den Unter­ nehmer abgetreten sind, wenn in der Folge das abgetretene Grundstück ganz oder theilweise zu

dem bestimmten Zweck nicht weiter nothwendig ist und veräußert werden soll. Das Vorkaufsrecht steht dem zeitigen Eigenthümer des durch den ursprünglichen Erwerb verkleinerten Grundstücks $u16 17).18 Wer das Enteignungsrecht ausgeübt hat, muß die Absicht der Veräußerung und den angebotenen Kaufpreis dem berechtigten Eigenthümer anzeigen, welcher sein Vorkaufsrecht verliert, wenn er sich nicht binnen zwei Monaten darüber erklärt. Wird die Anzeige unterlassen, so kann der Berechtigte seinen Anspruch gegen jeden Besitzer geltend machen. §. 58. Insoweit in anderen Gesetzen auf die Vorschriften der aufgehobenen Gesetze Bezug genommen ist, treten an die Stelle der letzteren die entsprechenden Vorschriften dieses Gesetzes. Urkundlich unter Unserer Höchsteigenhändigen Unterschrift und beigedrucktem Königlichen Jnsiegel.

§. 5. Zur Anlegung oder Verbreitung einer öffentlichen Landstraße, oder eines schiffbaren Canals oder Flußbettes können die Besitzer der angränzenden Grundstücke so viel davon, als zu diesem Behufe erfordert wird, dem Staate käuflich zu überlassen gezwungen werden. §. 6. Ein Gleiches hat statt, wenn der Staat der öffentlichen Sicherheit wegen einen Ort mit Festungswerken zu versehen nöthig findet. §. 7. Bei entstehendem Getreidemangel ist der Staat, zur Abwendung einer drohenden Hungersnoth, berechtigt, die Besitzer von Getreidevorräthen zur Ausstellung derselben zum feilen Verkaufe, jedoch mit Vorbehalt ihres eigenen Bedürfnisses, zu nöthigen. §. 8. In allen Fällen eines durch die Gesetze begründeten nothwendigen Ver­ kaufs muß, wenn über den Preis kein Einverständniß statt findet, derselbe nach dem Ermessen vereideter Taxatoren bestimmt werden. §. 9. Bei dieser Bestimmung ist nicht bloß auf den gemeinen, sondern auch auf den außerordentlichen Werth Rücksicht zu nehmen. §. 10. Ob der Fall einer Nothwendigkeit des Verkaufs zum gemeinen Wohl vorhanden sei, bleibt der Beurtheilung und Entscheidung des Oberhauptes des Staats vorbehalten. 8- 11. Ueber die Bestimmung des Preises aber soll dem bisherigen Eigen­ thümer") rechtliches Gehör nicht versagt werden"). 16) H. Die aufgehobenen Gesetze s. bei Dalcke a. a. O. S. 146 u. bei Bähr u. LangerHans S. 126. Darüber, daß §. 14 des Ges. v. 3. Nov. 1838 (G.S. S. 505) nicht aufgehoben worden ist, vgl. Seydel S. 41. — Ueber die heutige Geltung des letztbezeichneten Gesetzes s. Johow, Jahrb. 8 S. 67. 17) Ist das Grundstück inzwischen parzellirt worden, so ist das Vorkaufsrecht dadurch nicht untergangen, dasselbe steht vielmehr den Parzellenbesitzern gemeinschaftlich zu, O.Tr. III v. 15. Jan. 1877, Entsch. 79' S. 166. Das Vorkaufsrecht ist also nicht theilbar; ebenso wenig aber auch cessibel. Sey del S. 151. 18) H. Der Rechtsweg steht jetzt sowohl dem Exproprianten als dem Expropriaten und überhaupt jedem Betheiligten zu. Vergl. §. 30 des Enteign.Ges.

Von Kaufs- und Verkaufsgeschäften.

721

§. 12. Zum Abschlüsse eines jeden Kaufs ist erforderlich, daß der Verkäufer, EdorderMe die Person, auf welche das Eigenthum übergehen soll, die zu verkaufende Sache2o), gen Kaufs/ und der dafür zu erlegende Preis 21) hinlänglich bestimmt sind 22). überhaupt; §. 13. Zur Bezeichnung der Person, auf welche das Eigenthum übergehen ^«ehung soll, ist es genug, wenn aus dem Vertrage erhellet, von wessen Entscheidung, oder der Contravon welcher Begebenheit die nähere Bestimmung abhängen soll2^). ^cnten; 19) H. Der Anspruch auf den Expropriationspreis kann wie jeder andere Theilanspruch auch getheilt in mehreren Prozessen geltend gemacht werden. O.Tr. Itl v. 6. Jan. 1873, Str. Arch. 87 S. 295. 20) Ein Waarenkauf nach Mustern enthält bereits die Bestimmung des Gegenstandes. Der Abschluß hängt nicht von der Vergleichung der bei dem Besteller angelangten Waaren mit den Mustern ab. Simon, Rechtsspr. 3 S. 313. 21) Zu den Essentialien des Kaufs gehört rücksichtlich des Kaufgeldes nicht die Bestimmung wegen Zahlung und Verzinsung des Kaufgeldes, sondern nur der Höhe desselben. Soll das Kaufgeld nicht gegen Empfang des Kaufgrundstückes gezahlt werden (§. 221), soll es bis zu einem späteren Zeitpunkte nicht verzinslich sein, so ist eine Einigung darüber nur eine Einigung über eine Nebenbestimmung, sie betrifft nicht das Wesen des Geschäfts, sondern die Modalitäten der Zahlung des feststehenden Kaufpreises. O.Tr. III v. 19. Sept. 1862, Str. Arch. 47 S. 53. — Unter den Begriff des Kaufpreises fällt nicht bloß die Summe, welche der Käufer an den Ver­ käufer direkt zu zahlen verspricht, sondern auch die weitere, welche Jener für Rechnung des Ver­ käufers an einen Dritten zu zahlen sich verpflichtet. O.Tr. III v. 6. März 1863, Entsch. 50 S. 120. EL Vergl. über stillschweigende Preiseinigung Gruchot 19 S. 895 ff. 22) Vergl. Anm. zu §. 2 und die Anm. zu §. 135 d. T. H. Die Erfordernisse des §. 12 gelten auch für diejenigen Handelsgeschäfte, deren Gegenstand in der Lieferung einer Quantität vertretbarer Sachen gegen einen bestimmten Preis besteht, und welche zufolge Art. 338 des H.G.B. nach den Bestimnmngen über den Kauf zu beurtheilen sind. 23) Was die §§. 13—18 enthalten, ist eine unjuristische Erfindung von Suarez, welche den obersten Grundsätzen von Verträgen widerspricht. Gegen die dagegen eingekommenen Er­ innerungen sucht er sie, in den Vorträgen über die Revision der Monita, wie folgt, zu recht­ fertigen: „Der Fall, daß auch eine der den Vertrag schließenden Personen erst durch eine künftige Begebenheit näher bestimmt werden soll, läßt sich gegen die Meinung einiger Monenten ganz wohl denken, z. B. es kauft Jemand eine Stelle in einem Hospitale für den ersten Armen, der ihm morgen auf der Brücke begegnen wird. Die Meinungen, daß §§. 13—18 wegbleiben müßten, weil ein solcher Vertrag ein bloßes pactum de vendendo enthalte, oder weil der, welcher solchergestalt für einen Dritten kauft, selbst für den Käufer zu achten sei, weil er doch dem Verkäufer in jedem Falle verbindlich bleibe, sind beide unbegründet. Das Gesetz supponirt einen wirklichen Kauf, wo die Person des Käufers obwohl nur relativ bestimmt ist. Da auch der eine Theil, welcher den Kauf schließt, ausdrücklich erklärt, daß er nicht nur für sich selbst, sondern für einen Dritten kaufe, so kann er nicht als Käufer angesehen werden, sondern dieses ist der Dritte, der durch das Ereigniß oder den Ausspruch bestimmt werden soll. Ratio differentiae liegt darin, daß, wenn das Ereigniß oder der Ausspruch nicht erfolgen, nichts geschehen ist, und der, welcher den Kauf geschlossen, für seine Person kein jus agendi daraus hat. Zu §. 14 konfundiren die Monenten den hier beschriebenen Kauf mit einem bedingten. Von diesem ist gar nicht die Rede, sondern davon wird unten gehandelt. Hier ist emtio venditio pura vorhanden, und nur die Person des Käufers wird per relationem bestimmt. Hieraus folgt aber auch, daß die Begebenheit, auf welche Bezug genommen wird, innerhalb einer gewissen Zeit zuverlässig existiren müsse, weil sonst die Sache gar keinen exitum haben könnte, und eine inextrikable Ungewißheit des Eigenthums entstehen würde, die das Gesetz nicht zulassen will." (Ges.Rev. Pens. XIV S. 7.) Dabei ist eine Hauptsache vergessen, nämlich die Willensfreiheit des eigentlich gemeinten künftig bekannt werdenden Käufers: dieser soll der wahre Käufer sein und doch wird er wie eine willenlose Sache behandelt, die eben nur relativ bestimmt zu werden braucht. Die Idee ist ein logischer Widerspruch. Das Geschäft soll eine emtio venditio pura, und zugleich soll derjenige, welcher zum Besten des Dritten kauft, doch nicht Kontrahent sein, sondern eine unbe­ stimmte und unbekannte, auch nicht vertretene Person, von welcher man nicht weiß, ob es ihr gefällig sein wird, oder nicht, diesen für sie projektirten Kauf abzuschließen. Will sie davon nichts wissen, so ist, nach der Idee, wahrscheinlich kein Kauf zu Stande gekommen; wie soll also von Anfang eine emtio venditio pura vorhanden sein? Gefällt ihr hingegen das Geschäft, und soll es, ohne weitere Rücksicht auf den Verkäufer, durch ihr Wohlgefallen perfekt geworden sein, so ist ja offenbar erst jetzt der Kauf zu Stande gekommen und zwar zwischen diesem Dritten und dem Verkäufer. Eine Nebensrage, die aber für das Praktische eine Hauptsache ist, bleibt Koch, Allgemeines Landrecht. I.

8. Anfl.

46

722

Erster Theil.

Eilfter Titel.

§§. 14—27.

§. 14. Die Begebenheit oder das Ereigniß aber, welchem die Bestimmung der Person, auf die das Eigenthum gelangen soll, überlassen worden, muß so be­ schaffen sein, daß sie innerhalb einer gewissen Zeit unfehlbar eintreffen, und daß dadurch diese Person zuverlässig und ungezweifelt bestimmt werde. §. 15. Mangelt es an diesen Erfordernissen, so ist der Vertrag für nicht ge­ schlossen zu achten. §. 16. Ein Gleiches findet statt, wenn Derjenige, dessen Ausspruch die Be­ stimmung des künftigen Eigenthümers überlassen worden, den Ausspruch zu thun sich weigert. §. 17. Zögert derselbe mit diesem Ausspruch, und können die Parteien über eine gewisse Frist dazu sich nicht vereinigen, so muß der Richter, auf das Anrufen eines oder des anderen von ihnen diese Frist bestimmen. §. 18. Erfolgt auch binnen der durch den Richter bestimmten Frist kein Aus­ spruch, so ist der Vertrag für nicht geschlossen anzusehen. §. 19. Zur Schließung eines gültigen Kaufs wird erfordert, daß der Ver­ käufer über das Eigenthum der Sache zu verfügen berechtigt^), sowie, daß der Käufer eine solche Sache zu erwerben und zu besitzen fähig sei25). nun das Schicksal des Verkäufers mit seinem Interesse. Dieser soll wieder als Sache behandelt werden, denn er soll sich den ersten besten Almosenempfänger, der seinem vorläufigen Kontra­ henten „morgen auf der Brücke begegnen wird", als Käufer aufzwingen lassen. Eine solche Geschichte kommt im Leben nicht vor, und das ist das Beste an der Erfindung. H. Hiergegen vergl. Förster-Eccius, Theorie u. Praxis rc. 2 S. 55. Nach ihm verordnen dieM. 13—18 nicht, wie die Person eines unbestimmten Käufers zu suchen, sondern wie der neue Eigenthümer zu finden ist. Eine praktische Bedeutung haben die §§. unzweifelhaft nicht. 24) Vgl. I. 4 §. 2; L. 42 D. de usurp. 41, 3; Jj. 4 §. 32 D. de doli exe. 44, 4. Das O.Tr. deutet diese Satzung so: „Diese Vorschrift ist nicht dahin zu verstehen, daß, wenn zur Zeit der Errichtung des Kaufs der Verkäufer die Befugniß, über das Eigenthum der Sache zu verfügen, nicht gehabt hat, der Vertrag für die Kontrahenten unbedingt ungültig ist; vielmehr ist eine solche unbedingte Ungültigkeit nur in Beziehung auf den nicht zugezogenen Eigenthümer oder denjenigen, welchem die Dispositionsbefugniß über die Sache zusteht, vor­ handen; in Beziehung auf die Kontrahenten dagegen hängt die Gültigkeit oder Ungültigkeit des Vertrages von den besonderen Wirkungen ab, welche in jedem einzelnen Falle das Nichtvorhanden­ sein des in dem §. 19 vorgeschriebenen Requisits auf das Nechtsverhältniß der Kontrahenten unter einander hat, und diese sind nach den allgemeinen Vorschriften der Vertragslehre und insbesondere nach den Vorschriften der Gewährleistung bei Kaufverträgen zu beurtheilen." Pr. 601 v. 5. Jan. 1839. Die Gründe dazu s. in. in K och' s Recht der Forderungen 3 S. 609; 2. A. S. 725. Diese Auslegung ist unbefriedigend. Daß den dritten wahren Eigenthümer der Kaufkontrakt gar nicht berührt, ist eine sich von selbst verstehende Sache, für ihn existirt er nicht, und es kann nur sehr uneigentlich von einer Ungültigkeit in Beziehung auf ihn die Rede sein. In den Gründen sagt das O.Tr.: „Der Eigenthümer oder derjenige, dem die Dispositions­ befugniß über die Sache zusteht, kann daran "(an den Verkaufstontrakt) nicht gebunden sein, ist vielmehr berechtigt, den Verkauf anzufechten." Das ist juristisch unrichtig; der Dritte hat ganz und gar keine Berechtigung, einen Kontrakt anzufechten, den er nicht mit geschlossen hat; die Kontraktsklagen stehen nur den Kontrahenten zu. Die Satzung hat nur in Beziehung auf Sachen, welche, wie Lehen- und Fideikommißgüter, für die Parteien nicht im Verkehre sind, juristischen Sinn, denn ein Kauf über solche Sachen ist allerdings nichtig. 1. 11 §§. 28, 29. Außerdem ist sie völlig bedeutungslos, ja im Widersprüche mit der Lehre von der Gewährleistung und mit der Verjährung durch Besitz. Der Verkäufer kann sich zur Begründung des Einwandes der Nechtsungültigkeit des Kaufs auf den §. 19 nicht berufen. O.Tr. II v. 5. Dez. 1854, Entsch. 29 S. 351. Vergl. dazu O.Tr. III v. 15. Okt. 1858, Str. Arch. 31 S. 55. Gleichwohl hat der §. 19 einen juristischen Kern; der richtige Gedanke ist nur nicht zutreffend ausgedrückt, der Verfasser hatte etwas ganz anderes gesagt, als er hat sagen wollen. Das juristisch Wahre an der Sache ist dies: die Veräußerung ist nichtig, d. h. die Uebertragung; der Kauf aber, nämlich der Vertrag ist völlig bündig und hat gerade die Wirkung, daß er den Käufer wegen der Nichtigkeit der Uebertragung zu seinem Interesse verhilft. Vergl. Koch, Recht der Forderungen 2 S. 337 ff. und 3 S. 726. S. hierzu v. Savignp, Obligationenrecht, S. 289, 290. H. Dazu vergl. Förster-Eccius 2 S. 56, welcher sich im Wesentlichen der Koch'schen Ansicht anschließt.

Von Kaufs- und Verkaufsgeschäften. Anh. §. 12.

723

Obsolet^).'

§. 20. Wer fremde Sachen oder Güter verwaltet, darf von denselben oder ihren Nutzungen, so lange sein Auftrag dauert, ohne die besondere Bewilligung des Eigenthümers nichts käuflich an sich bringen27 25).26 §. 21. Der Auctionscommissarius und der Ausrufer sollen, von den Sachen, welche sie versteigern, weder selbst, noch durch oder für Andere etwas erstehen2^. §. 22. Bei gerichtlichen Verkäufen kann diejenige Gerichtsperson, welche die Handlung dirigirt, so wie diejenige, welche dabei das Protokoll führt, nicht mitbieten. §. 23. Hat eine dergleichen ausgeschlossene Person (§. 21. 22.) die Sache dennoch gekauft, so kommt es auf den Entschluß Derjenigen, welche ein Interesse dabei haben, an: ob sie das Gebot des an sich unbefugten Käufers genehmigen wollen, oder nicht. §. 24. Genehmigen sie dasselbe nicht, so muß die Sache, auf Gefahr und Kosten des unbefugten Käufers, anderweit zum Verkauf gebracht werden29). §. 25. Hat der unbefugte Käufer die erstandene Sache schon wirklich an sich genommen, so ist er bis zur beigebrachten Genehmigung der Interessenten für einen unredlichen Besitzer zu achten. §. 26. Wie weit Vormünder Sachen ihrer Pflegebefohlenen verkaufen, selbst kaufen, oder im Namen derselben Kaufverträge schließen können, ist gehörigen Orts bestimmt. (Th. 2. Tit. 18.)30)31 §. 27. Dadurch, daß die erkaufte Sache mit eines Andern Gelde'") bezahlt, oder für einen Andern bestimmt32) worden, wird das rechtliche Verhältniß zwischen dem Käufer mib Verkäufer in keinem Falle geändert33). 25) H. Das preuß. Recht kennt eine ganze Reihe von Erwerbsverboten. Vergl. darüber Förster-Eecius 2 S. 57. 26) In Folge der veränderten Militär- und Staatsverfassung. Der §. lautete: „Wenn Jemand, der kantonpflichtige Söhne hat, oder deren Einrangirung erwarten kann, alle seine Besitzungen verkauft, und dem Gerichte nicht eine anderweitige Anlegung des Kaufpreises zur bleibenden Fortsetzung des Domicilii im Lande sicher bekannt ist, oder derselbe solche nicht glaub­ haft nachweiset; so soll das Gericht dergleichen Veräußerung der Kanton-Revisions-Commission anzeigen, und wenigstens einen beträchtlichen Theil des Preises so lange zurückhalten, oder sich dessen versichern, bis derselbe zu einem andern Etablissement des Verkäufers angelegt, oder auf die davon geschehene Anzeige Verfügung ergangen sein wird." 27) H. Z. B. Domänenverwaltungsbeamte (K.O. v. 29. Febr. 1812, G.S. S. 16), Forst­ beamte (K.O. v. 5. Sept. 1821, G.S. S. 158). 28) H. Vgl. auch §. 75 Abs. 3 der Geschäftsanweisung für die Gerichtsvollzieher v. 24. Juli 1879 (Anlage zu Rr. 31 des J.M.Bl. v. 1879). 29) Daher braucht bei nothwendigen Subhastationen der nächst vorhergehende Bieter, im Falle die Interessenten das Gebot des unbefugten Bieters nicht annehmen, sich den Zuschlag nicht gefallen zu lassen, er kann ihn aber auch nicht verlangen, vielmehr ist ein neuer Bietungs­ termin anzuberaumen. O.Tr. III v. 30. Sept, und 3. Okt. 1853, Str. Arch. 10 S. 161. Denn jeder Bieter wird, wenn nicht das Gegentheil ausbedungen, durch ein Uebergebot befreit, und ob das letztere schließlich genehmigt werden wird, kann Jener nicht wissen und interessirt ihn auch nicht weiter. Für ihn ist es, um abzugehen, genug, daß das Uebergebot überhaupt aus­ genommen und dadurch zur Konkurrenz gelassen wird. H. Jetzt bleibt jeder Bieter, dessen Gebot zugelassen worden, an dasselbe gebunden, bis ein höheres Gebot ohne Widerspruch zugelassen worden ist; jedoch wird der Bieter durch Einstellung des Verfahrens oder Aufhebung des Termins von seiner Verpflichtung frei. 66 Ges. v. 13. Juli 1883 (G.S. S. 131). 30) H. Vgl. jetzt §§. 41, 42, 44 der Vorn: Ordn. 31) Ueber die Rechtsregel: res succedit in locum pretii, s. Anin. 27 zu I. 2 §. 36. 32) Vorausgesetzt, daß nicht in dem Kontrakte die Bestimmung ausgesprochen worden ist. Denn hätte z. B. der Käufer ausdrücklich für einen Dritten gekauft und wäre damit — wie natürlich, weil sonst der Kontrakt nicht vollzogen sein könnte — einverstanden; so würde aller­ dings dieser Dritte der Käufer, und die kontrahirende Person dessen Vertreter sein. 33) Wenn also auch die Regel: res succedit in locum pretii (Anm. 27 zu I. 2 §. 36) ausnahmsweise zu Anweisung kommt, wie z. B. in dem Falle A.G.O. I. 50 §. 276 und L.R' I. 17 §. 56, so hat dies doch nicht Einfluß auf das Verhältniß zwischen Käufer und Verkäufer, sondern

724

Erster Theil.

Eilfter Titel.

§§. 28—36.

'S.?«?™-0 §. 28. Alle Sachen, die dem freien Verkehre nicht entzogen sind, können der stände";' Gegenstand der Kaufshandlung sein. (Tit. 4. §. 14—19).

§. 29. Wird eine Sache nach geschlossenem Kaufe, aber vor erfolgter Ueber« gäbe, dem Verkehre entzogen, so ist der Kauf für nicht geschlossen zu achten. §. 30. Der Gegenstand der Kaufshandlung muß so bestimmt oder bezeichnet werden, daß darüber kein gegründeter Zweifel stattfinden sönne34). §. 31. Ist die nähere Bestimmung des Gegenstandes, welcher verkauft sein soll, einer künftigen BegebenheitS6) überlassen, so muß der Vertrag nach den Regeln der gewagten Geschäfte beurtheilt werden. (Abschn. 6.) gründet ein Verhältniß nur zwischen dem Käufer oder dessen Rechtsnachfolgern und dem Dritten, welcher sich auf jene Regel berufen kann. In den Kaufkontrakt kann dieser Dritte, mit dessen Gelde die Sache bezahlt worden ist, auch in dem gedachten Falle nicht eintreten, d. h. er kann die noch nicht geschehene Uebergabe an sich von dem Verkäufer nicht fordern; denn der Kontrakt besteht rechtlich wirksam nur zwischen den Personen, welche solchen im eigenen Namen und mit der Absicht, dadurch nur für sich ein Rechtsverhältniß zu begründen, geschlossen haben. Die actio emti steht mithin jenem Dritten nicht zu, und ein dingliches Recht gegen den Verkäufer, in Beziehung auf die fragliche Sache, ist ihm durch die Verwendung seines Geldes zur Bezahlung des Kaufpreises gleichfalls nicht erworben, mithin ermangelt ihm jedes Klagerecht auf Heraus­ gabe der Sache. Aber gegen den Käufer kann er, aus dem nämlichen Grunde, aus welchem er die Sache selbst, wenn sie demselben schon übergeben wäre, abfordern könnte, auch auf Abtretung der Kaufsklage klagen. Bei weiterer Entwickelung des Rechts wird man in diesem Falle eine actio utilis zulassen, d. h. die Session der actio emti fingiren (eine sog. nothwendige Session annehmen), weil die förmliche Session überflüssig ist, wo sie durch den Richter erzwungen werden könnte. H. Der Eigenthümer einer Sache, welche ein Dritter verkauft hat, ist nicht berechtigt, von dem Käufer den Kaufpreis einzufordern. O.Tr. IV v. 14. Juli 1868, Str. Arch. 72 S. 100. 34) Wenn bei noch obschwebender Separation einer Feldmark der Besitzer eines Bauer­ guts von dem auf dieses fallenden Sollhaben eine bestimmte Anzahl Metzen Roggen jährlicher Rente mit der Bestimmung verkauft hat, daß dem Käufer der nach jener Rente sich ergebende Betrag an Morgenzahl bei der künftigen Planlage eigenthümlich überwiesen werden soll, so ist dadurch der Gegenstand der Kaufhandlung hinreichend bestimmt. O.Tr. III (Pr. 1751) v. 30. Mai 1846, Entsch. 13 S. 168. M. s. auch die Anm. zu I. 4 §. 151. — Bei Waaren, die in beliebigen Mengen nach Maß oder Gewicht verkauft werden, ist die Bezeichnung der zu verkaufenden Quantität nach einem geringsten und höchsten Gewichte, z. B. 1000 bis 1500 Str. Syrup, zur Perfektion des Kontrakts hinreichend. O.Tr. IV v. 6. Juli 1854, Str. Arch. 14 S. 120. Die Bestellung von Waaren aus einer Handlung zur „Probe und Auswahl", so wie die Bestellung eines der Auswahl des Reisenden der verkaufenden Handlung überlassenen Assortements von Waaren im Betrage von 150 bis 180 Thlr. enthält keinen perfekten Kaufvertrag. O.Tr. IV v. 28. Juni 1862, Str. Arch. 45 S. 295. H. Ueber die Bestimmtheit des Gegenstandes vergl. Gruchot 1 S. 469 und 9 S. 122 und die Art. 336, 353 u. 352 des H.G.B. H. Soll der ursprüngliche Genuskauf in einen Kauf über individuell bestimmte Sachen, d. h. in einen Spezieskauf übergehen, so ist jedenfalls die Manifestation des Willens nicht bloß des Käufers, sondern auch des Verkäufers, also der beiderseitige übereinstimmende Wille dahin erforderlich, daß gerade die individuell ausgeschiedenen Sachen, diese Spezies, das Kaufobjekt sein sollen. O.Tr. IV v. 12. Sept. 1867, Str. Arch. 67 S. 344. H. Die Subhastation eines ideellen Grundstücksantheils kann nicht stattfinden, bevor nicht die Größe dieses Antheils bestimmt festgestellt ist. Daraus, daß Mehrere ein Grundstück ohne Angabe ihrer Antheile gemeinschaftlich erworben haben, folgt noch nicht, daß sie dasselbe zu gleichen ideellen Antheilen besitzen. Johow, Jahrb. d. App.Ger. 5 S. 12. H. Beispiele des Verkaufs einer Quantität, welcher nach einer vom Käufer zu machenden Spezifikation geliefert werden soll und dadurch genügend — relativ - bestimmt ist, bieten R.O..H.G. I v. 3. März 1874; II v. 27. Juni 1874; II v. 7./25. Rov. 1874, Entsch. 13 S. 302, 14 S. 41, 15 S. 146. H. Eine ungenaue schriftliche Bezeichnung des Kaufgegenstandes, der unter den Kon­ trahenten ein gewisser ist, kann die Aufrufung des Vertrages wegen Mangels der schriftlichen Form nicht begründen. Gruchot 18 S. 376. 35) Bei Verträgen, wodurch bestimmte Bergwerke oder Grubenantheile (Kuxe) veräußert werden, ist nicht die künftige sehr ungewisse Ausbeute, sondern die gegenwärtige Berechtigung, auf oder unter dem bestimmten Grunde und Boden Bergbau auf die bestimmt verliehenen

Von Kaufs- und Verkaufsgeschäften.

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§. 32. Ist die verkaufte Sache nach Maaß und Gewicht bestimmt, so wird im zweifelhaften Falle das marktgängige Maaß und Gewicht des Orts, wo die Ab­ lieferung geschehen soll *36), verstanden. §. 33. Ist dem Käufer die Wahl unter mehreren bestimmten Sachen Vor­ behalten worden3^), und eine oder die andere derselben wird, vor angestellter Wahl, es sei durch Zufall oder durch das Zuthun des Verkäufers38), vernichtet, verdorben, oder sonst abhänden gebracht, so ist der Käufer an den Vertrag nicht mehr ge­ bunden 3Ö). §. 34. Hat der Verkäufer den Verlust vorsätzlich oder aus grobem^) Ver­ sehen veranlaßt, so muß derselbe dem Käufer das Interesse leisten. §. 35. In beiden §. 33. bestimmten Fällen hängt es aber von dem Käufer ab, wenn auch nur eine von den mehreren Sachen noch übrig ist, bei dem Vertrage stehen zu bleiben; er kann jedoch alsdann kein Interesse fordern. §. 36. Ist eine von den Sachen, unter welchen der Käufer die Wahl haben sollte, durch desselben eigenes Zuthun vernichtet oder abhänden gebracht worden; so muß der Käufer bei dem Vertrage stehen bleiben, selbst wenn für ihn keine Wahl mehr übrig wäre. §. 37. Ist unter mehreren bestimmten Sachen dem Verkäufer die Wahl, welche derselben er dem Käufer gewähren wolle, Vorbehalten, so findet in Ansehung seiner alles das statt, was §. 33—36. wegen des Käufers verordnet ist. §. 38. Ist aus dem Vertrage nicht zu ersehen, ob der Käufer oder Ver­ käufer die Wahl haben solle, so kommt dieselbe dem Käufer 40a) zu. §. 39. War der Gegenstand des Kaufs schon zur Zeit des geschlossenen Ver­ trages nicht mehr vorhanden4'), und dieses beiden Theilen noch unbekannt42), so ist der Kauf für nicht geschlossen zu achten. Fossilien zu treiben (nicht die Grundstücke), Gegenstand des Kaufs; ein solcher Kauf ist mithin ein wahrer Sachkauf. II. 16 §§. 266, 322; H. jetzt Berggesetz v. 24. Juni 1865, §§. 52, 104. 36) Vergl. I. 5 §. 256 und die Anm. dazu. 37) Dieses dem Käufer eingeräumte Wahlrecht geht durch bloße Nichtausübung innerhalb der festgesetzten Frist noch nicht verloren. O.Tr. IV v. 16. Dez. 1851, Str. Arch. 4 S. 180. 38) Vergl. §. 37. Nach R. R. hat die Wahl nicht die Bedeutung einer Bedingung der Obligation; die alternative Obligation wird daher eine einfache, wenn aus irgend einem Grunde keine Wahl stattfinden kann. L. 72 $. 4 D. de solut. 46, 3; L. 16 pr. D. de verb. obl. 45, 1. Das L R. hat darüber keinen allgemeinen Grundsatz; hier beim Kaufe wird die entgegengesetzte Regel angewendet. Es ist anzunehmen, daß die Bestimmung eben nur eine Anwendung des vorausgesetzten allgemeinen Grundsatzes sein soll. — Auch darüber fehlt die Bestimmung: was geschehen soll, wenn der Käufer nicht wählen will, und der Verkäufer auf die Erfüllung dringt und sich durch Deposition befreien will. Wenn die Wahl als Bedingung be­ handelt wird, so muß der Grundsatz des I. 4 §. 105 zur Anwendung kommen, d. h. der Käufer muß das Pretium zahlen, und das Stück sich gefallen lassen, was der Richter zur Deposition annimmt. — H. Unter den §. 33 d. T. fällt nicht ein Vertrag, dessen Gegenstand in genere be­ stimmt ist (z. B. eine Anzahl Hämmel aus einer bestimmten Heerde), in welchem aber dem Käufer eine Mitwirkung bei der Ausscheidung der zu übergebenden Stücke zugestanden ist. R. O.H.G. III v. 9. Mai 1878, Cntsch. 24 S. 30. 39) H. Für den Fall eines Verzuges des Käufers finden §§. 95 ff. d. T. Anwendung; demnach befreit auch im Falle des §. 33 der Untergang der Sache den säumigen Käufer noch nicht ohne weiteres von der Pflicht, das Kaufgeld zu zahlen. R.O.H.G. III v. 9. Mai 1878, Entsch. 24 S. 30. 40) Nach der Regel sollte auch das mäßige Versehen verantwortlich machen. I. 5 §. 278. 40 a) Eine Ausnahme von der Regel (I. 5 §§. 274 und 156; I. 12 §. 388; I. 16 §. 192), wozu ein Grund weder angegeben, noch in den Eigenthümlichkeiten des Kaufs zu finden ist. S. auch die Anm. 83 zu I. 5 §. 274. Auch nach R. R. hat der Verkäufer die Wahl. H. Die Vorschrift findet aber keine Anwendung auf den Kauf einer Gattung, O.Tr. II v. 20. April 1876, Str. Arch. 96 S. 33 (es handelte sich um die Fixirung der Verpflichtung zur Gewährung des „erforderlichen Brennmaterials" auf einen bestimmten Betrag). 41) Die §§. 52—55 I. 5 dürfen auf diese Frage nicht bezogen werden; sie setzen eine bedingte Unmöglichkeit voraus, während hier von dem gänzlichen Mangel der als gegenwärtig

726

Erster Theil.

Eilfter Titel.

§§. 40—48.

§. 40. Wußte nur der Verkäufer, daß die Sache nicht mehr vorhanden sei, so muß er dem Käufer das Interesse leisten. §. 41. War es nur dem Käufer bekannt, und es ist keine andere erlaubte Absicht bei dem Geschäfte mit Zuverlässigkeit auszumitteln, so muß dasselbe, in An­ sehung des versprochenen4S), oder schon wirklich bezahlten Kaufpreises, nach den Regeln von Schenkungen") beurtheilt werden. §. 42. War ein Theil45) von der Substanz der verkauften Sache schon zur Zeit des abgeschlossenen Vertrags nicht mehr vorhanden, und dieses beiden Theilen unbekannt, so ist der Vertrag für nicht geschlossen anzusehen. vorhanden fingirten Gegenstandes die Rede ist. Der hier anerkannte Rechtssatz ist römisch. L. 15 pr. D. de contrah. ernt. 18, 1: „etsi consensum fuerit in Corpus, id tarnen in rerum natura ante venditionem esse desierit, nulla emtio est.“ Vergl. L. 8 pr. eodem. 42) War es hingegen beiden Theilen bekannt, so ist der Kauf gleichfalls nichtig. „Quod si uterque sciebat, et emtor et venditor, domum esse exustam totam, vel ex parte, nihil actum fuisse, dolo inter utramque p artem compensando.“ L. 57 §. 3 D. eodem. Vergl. §. 446 d. T. Der Grund ist Unmöglichkeit der Ausführung (I. 5 §§. 51 u. 52), wie in dem Falle der §§. 28, 29. Deshalb sagt die L. 8 D. eod.: „nec emtio nec venditio sine re, quae veneat, potest intelligi,“ d. i. der Kauf ist gar nicht vorhanden. Zu vergl. L. 7 D. de bered, vel act. vend. 18, 4. Ist auch angenommen von dem III. Sen. des O.Tr. in der am 20. Febr. 1849 entschiedenen Sache Zittman w. Burchardt, 819/3255 III, 48. Hat der Käufer auf solchen Kontrakt gezahlt, so kann er das Gezahlte nicht kondiziren, weil er nicht im Irr­ thume war. Es ist nicht nothwendig, positiv eine Schenkung zu fingiren, um die Kondiktion auszuschließen, die an sich nicht gegeben ist. Der röm. Jurist (Paulus) läßt den Grundsatz auch dann gelten, wenn die Sache nur zum Theile untergegangen war und die Parteien wider besseres Wissen so kontrahiren, als wenn solche vollständig vorhanden, indem Jeder zur Hintergehung des Anderen sich verstellte. Der Rechtsgrund (dolo inter utramque pariern compensando) ist genügend, um einem solchen Rechtsgeschäfte rechtliche Anerkennung zu versagen („et judicio, quod ex bona fide descendit dolo ex utraque parte veniente, stare non concedente.“ L. 57 §. 3 D. de contr. ernt. 18, 1). Das O.Tr. hat sich in einem Erk. v. 31. Jan. 1800, gegen die Meinung der Gerichte I. u. II. Instanz, in einem ähnlichen Sinne ausgesprochen. (Stengel 16 S. 168.) Die Kaufsklage fällt hiernach weg. Eine andere Frage ist: ob, wenn der eine Theil, namentlich der Verkäufer, das noch Vorhandene übergeben und der Käufer es angenommen hat, hieraus • als aus einem unbenannten Realkontrakte auf Gegenleistung (oder Rückgabe) geklagt werden könne. Das ist zu bejahen, ein gegenseitiger Dolus kommt hierbei nicht vor, jeder sieht und weiß, was er giebt und empfängt. H. Vgl. auch Förster-Eecius 2 S. 62 Anm. 60. Das R-O.H.G. III v. 21. Okt. 1875 u. v. 21. Dez. 1876, Entsch. 18 S. 270 u. 21 S. 269, sowie das O.Tr. III v. 21. Jan. 1878, Str.Arch. 98 S. 243 haben den §. 39 auch auf den Fall eines Kaufvertrages über eine als existent vorausgesetzte, aber noch nicht existirende Sache angewendet. 43) Darin geht also diese Bestimmung weiter als der sich auf das Gegebene beschränkende §. 55 I. 5; beide Fälle sind aber auch ungleich, denn im §. 55 konnte der, welcher sich das bedingt Unmögliche versprechen ließ, das Eintreten der Möglichkeit bis zur Erfüllungszeit erwarten (§. 56), daher der Wegfall seiner Verbindlichkeit sich von selbst versteht, wenn er sich irrte. Hier in dem Falle unseres §. 41 ist es ganz anders; hier konnte der wissende Käufer­ nichts erwarten. Man hat bei dieser Bestimmung den röm. Rechtsgrundsatz der L. 57 §. 2 D. eodem im Sinne gehabt, doch aber etwas wesentlich ganz anderes daraus gemacht, indem das R. R. das Geschäft folgerichtig als Kauf behandelt, hier aber dasselbe in eine Schenkung verwandelt wird, was ein ganz anderes praktisches Resultat giebt. H. Vergl. hiergegen Förster-Eccius 2 S. 62 Note 63. Nach L.R. I. 5 §. 55 ist nur das auf ein unmögliches Versprechen wirklich Gegebene als geschenkt anzusehen. Vergl. auch Gruchot 1 S. 326 und 9 S. 280. 44) H. Das Schenkungsversprechen bedarf der gerichtlichen Form, der Kaufpreis würde also nur dann als Geschenk eingeklagt werden können, wenn diese Form beobachtet wäre. Auch die Gründe des Widerrufs müssen hier Anwendung finden. 45) H. Auf die Größe dieses Theils kommt es nicht an, den Entscheidungsgrund der L. 57 pr. D. de contr. ernt. 18, 1, wonach es darauf ankommen soll, ob der nicht existirende Theil mehr oder weniger als die Hälfte betragen, hat das L.R. verworfen. O.Tr. v. 27. Sept. 1844, Entsch. 11 S. 250.

Von Kaufs- und Verkaufsgeschäften.

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§. 43. War es nur dem Käufer bekannt, so besteht der Vertrag, auch in Ansehung des verabredeten Kaufpreises. §. 44. War es nur dem Verkäufer bekannt, so ist der Käufer an den Ver­ trag nicht gebunden, und kann von ersterem die Leistung des Interesse fordern. §. 45. Will der Käufer bei dem Vertrage stehen bleiben, so finden die Vor­ schriften von der Gewährsleistung statt. (§. 192 bis 214.) §. 46. Der Kaufpreis muß in einer bestimmten46 * *)47 * Summe 48 4 ?) Geldes be- ii t Ansehung des Kauf­ stehen. preises. §. 47. Er muß entweder in sich, oder in Beziehung auf ein künftiges Ereigniß4^), gehörig bestimmt sein. §. 48. Wird der Kaufpreis durch Beziehung auf das Gutbefinden eines DritWar es beiden Theilen bekannt, daß ein Theil der Substanz nicht mehr vorhanden, so ist nach Bornemann (2. Ausg.) 3 S. 6 der Vertrag zu Recht bestehend, weil anzunehmen sei, daß der Mangel des fehlenden Theils bei Bestimmung der Gegenleistung berücksichtigt worden. 46) Ist der Preis der verkauften Waare nach Maßgabe des nach ihrer vorgängigen Ver­ arbeitung seitens des Empfängers sich ergebenden Gewichts derselben vereinbart worden, so wird der Kontrakt erst mit der Feststellung des Gewichts durch jene Verarbeitung perfekt. Daher ist, wenn der Empfänger vor dieser Verarbeitung in Konkurs verfällt, der Kaufkontrakt ungültig, weil es an einem bestimmten Kaufpreise fehlt. O.Tr. IV v. 6. Nov. 1855, Str. Arch. 19 S. 72. — H. Wenn verschiedene Alleineigenthümer ihre Grundstücke in einem Vertrage für einen Gesammtpreis verkaufen, so ist kein certum pretium vorhanden. App.Ger. Hamm v. 28. März 1860 bei Gruchot 4 S. 402; vgl. darüber a. a. O. S. 403 ff.; Förster-Eccius §. 124 Anm. 83, 2 S. 65. 47) H. Der in einer bestimmten Geldsumme vereinbarte Preis braucht nicht nothwendig auch in einer solchen gezahlt zu werden; vielmehr kann durch gleichzeitiges oder späteres Uebereinkommen auch eine anderweite Tilgungsart festgesetzt werden, insbesondere durch eine Hingabe an Zahlungsstatt, R.O.H.G. I v. 21. Okt. 1873, Entsch. 11 S. 225 (Aktien einer künftigen Aktien­ gesellschaft), durch Uebernahme von Schulden O.Tr. III v. 6. März 1863, Entsch. 50 S. 120, u. dergl. — Ferner ist es nach preußischer Rechtsauffassung kein wesentliches Erforderniß des Kaufs, daß der Kaufpreis lediglich in einer Geldsumme bestehe, aber er- kann auch zusammen­ gesetzt sein aus einer Geldsumme und aus anderen Vortheilen des Verkäufers (z. B. einer Ältentheilsbestellung, O.Tr. I v. 26. April 1854, Str. Arch. 14 S. 16). Wesentlich ist dann aber, daß die anderen 'Vortheile hinlänglich bestimmt sind. Wenn z. B. neben einer Geldsumme versprochen ist, daß dem Verkäufer das verkaufte Grundstück verpachtet werden soll, und weder Pachtgeld noch Pachtzeit festgesetzt ist, und wenn ein verabredeter Wiederkauf in den Vertrag nicht ausgenommen worden ist, so ist der Kaufpreis, um welchen das Grundstück verkauft wird, unbestimmt, folglich der Kauf wegen eines essentiellen Mangels nicht perfekt. In diesem Sinne ist ein solcher Fall entschieden durch das O.Tr. III v. 6. Sept. 1861, Entsch. 46 S. 28. Ebenso hat ein Rechtsgeschäft, durch welches dem Berechtigten die Holzlese gegen eine jährliche Körnerabgabe und eine jährliche Geldzahlung eingeräumt worden, nicht die Natur eines Kaufs. O.Tr. II v. 8. April 1862, Str. Arch. 45 S. 181. Dagegen ist ein Vertrag, durch welchen ein Grundstück für einen bestimmten Preis in einer Geldsumme und eine für die Lebensdauer des Verkäufers jährlich zu entrichtende Rente veräußert wird, ein Kaufsgeschäst. App.Ger. Hamm v. 16. Okt. 1856, Gruchot 1 S. 434. Dagegen Gruchot 7 S. 47. — Vgl. im Allgemeinen Dernburg 2 §. 135 Nr. 1 S. 342 f. 48) D. h. dergestalt, daß beide Theile darüber einverstanden sind und unter ihnen selbst kein Zweifel bei der Abschließung ist, daß und wie der Preis bestimmt sein solle. Durch Bei­ hülfe eines der Kontrahenten rücksichtlich des Eintritts des verabredeten von der Willkür der Parteien unabhängigen Ereignisses wird das Kaufsgeschäft vereitelt. O.Tr. III v. 23. Nov. 1853, Str. Arch. 13 S. 14. — H. Dagegen ist eine Verabredung, Vermiether verbinde sich, den Miether für die von diesem vorgenommenen baulichen Veränderungen bei Auflösung des Miethvertrages nach seinem Ermessen zu entschädigen, keine „gehörige Bestimmung" des Kauf­ preises, eine solche Abrede vielmehr nach I. 5 §. 71 ungültig. O.Tr. III v. 8. Jan. 1875, Entsch. 74 S. 1. — Andererseits ist es nicht für unzulässig zu erachten, den Kaufpreis in das billige Ermessen (arbitrium boni viri) eines Kontrahenten zu verstellen. Dernburg 2 §. 135 S. 345 f.; Förster-Eccius §. 124 Anm. 93, 2 -S. 67; R.O.H.G. I v. 2. März 1875, Entsch. 16 S. 427. Eben so ist die Bestimmung des Kaufpreises nach dem Durchschnittspreise, welchen der Verkäufer bei Kaufverträgen ü6et* gleiche Objekte im vorhergehenden Quartal erreicht hat, für ausreichend gehalten vom R.G. V v. 2. März 1881, Zeitschr. f. preuß. R. 1 S. 739.

728

Erster Theil.

(Stifter Titel.

§§. 49—58.

ten49)50bestimmt, 51 so müssen beide Theile sich dem Ausspruche dieses Dritten unter­ werfen 5°); und auch der Käufer kann des Einwandes einer Verletzung über die Hälfte (§. 58. sqq.) sich niemals bedienen. §. 49. Nur dann, wenn einer oder der andere Theil den Dritten durch Be­ trug vermocht hat, den Preis so und nicht anders zu bestimmen, ist der Kauf für nicht geschlossen zu achten, und der Betrüger zur Leistung des Interesse verpflichtet. §. 50. Haben die Kontrahenten die Bestimmung des Preises mehreren Per­ sonen überlassen, und diese können sich wegen des Ausspruchs nicht vereinigen^), so macht die Summe, welche der Durchschnitt ihrer zusammengerechneten Be­ stimmungen darstellt52),53den 54 wahren Kaufpreis aus. §. 51. Wenn auch nur einer dieser Schiedsrichter'^) seinen Ausspruch nicht thun kann, oder denselben zu thun beharrlich 5J) verweigert (§. 16. 17. 18.), so ist der Kauf für nicht geschlossen zu achten. §. 52. Auch durch Beziehung auf eine anderwärts schon feststehende Summe kann der Kaufpreis bestimmt werden *55). §. 53. Doch ist eine solche Bestimmung nur in so weit für hinreichend zu achten, als die Summe, auf welche die Kontrahenten sich bezogen haben, mit Zuverlässigkeit ausgemittelt werden kann. 49) Dieser muß in dem Vertrage so bestimmt verzeichnet sein, daß über die Person Ge­ wißheit ist; sonst ist der Kontrakt unvollendet. Ergänzung durch den Richter ist in diesem Falle so wenig denkbar wie alsdann, wenn irgend ein anderer wesentlicher Bestandtheil des Kaufs unbestimmt geblieben ist und hinterdrein die Parteien darüber nicht einig werden. Haben aber die Parteien verabredet, daß der Preis durch vereidete Sachverständige, welche das Gericht (worunter das forum rei sitae zu verstehen) ernennen würde, geschätzt werden solle, so ist das zur Bestimmung des Preises hinreichend. Auf diesem Wege werden alle sog. nothwendigen Käufe zur Vollendung gebracht, wenn die Betheiligten sich nicht vereinigen. §. 8 d. T. Vgl. den in dem R. v. 26. Jan. 1806 (Rabe 8 S. 480) beurtheilten Fall. 50) Kann oder will der Dritte den Anspruch nicht thun, so gilt auch hier der §. 51 be­ stimmte Grundsatz. Vergl. I. 5 72, 73. Ein solcher Kauf ist mithin ein bedingter; er fällt ganz weg, wenn die Bedingung, die eine wahre ist, nicht eintritt. Ist vorher die Uebergabe geschehen, so ist dadurch auch nur bedingt das Eigenthum übertragen, welches von selbst auf den Verkäufer zurückfällt, wenn es entschieden ist, daß die Bedingung vereitelt worden. 51) Es versteht sich, daß dieselben sich berathen dürfen und müssen. Kommt ein ein­ helliger Ausspruch zu Stande, so hat derselbe doch nicht die rechtliche Natur und Wirkung eines schiedsrichterlichen Spruchs (Laudums), vielmehr tritt er nur an die Stelle der Willenserklärung der Parteien. H. R.O.H.G. v. 20. Juni 1871, Entsch. 3 S. 74. 52) Dies ist eine ausdehnende Interpretation der Willenserklärung der Parteien. Nach dem Wortverstande (strikten Auslegung) müßte die Bedingung für wegfallend angesehen werden, wenn die Personenmehrheit nicht einig werden kann; denn in diesem Falle bestimmt sie eben nicht den Preis, eben so wie eine einzelne Person, welche mehrere Summen ausspricht und doch mit sich selbst nicht einig werden kann, welche als der eigentlich angemessene Preis von ihr be­ zeichnet werden soll. Man könnte aus eben denselben Gründen, wodurch der Durchschnitt bei der Personenmehrheit gerechtfertigt werden soll, auch in diesem Falle eine Fraktionsrechnung anwenden. Das östr. G.B. läßt, wenn keine Stimmenmehrheit erzielt wird, den Kauf für nicht eingegangen erachten. 53) Uneigentlich so genannt; sie sind nur „viri boni“, keine Privatrichteranstalt. S. die Sinnt. 51. 54) Man sollte glauben, eine bestimmt ausgesprochene Weigerung müßte genügen. Das Gesetz verlangt jedoch durch diesen Ausdruck eine wiederholte Aufforderung. 55) H. Wenn Sachen zu gewissen bestimmten Preisen verkauft werden, so kommt schon durch die bloße von dem Verkäufer angenommene Bestellung oder durch die Abnahme solcher Sachen ein Kaufvertrag zu Stande, indem sich der Besteller diesen Preisen stillschweigend unter­ worfen hat. Derjenige, welcher von einem Kaufmann Waaren annimmt, muß daher ohne weitere Verabredung die gewöhnlichen Preise zahlen. O.Tr. IV v. 11. Juli 1863, Str. Arch. 49 S. 323 und Gruchot 9 S. 296; ferner v. 15. Dez. 1864, Str. Arch. 60 S. 3. Anders, wenn ein be­ stimmter Preis, wie bei gewissen Biktualien, nicht üblich ist, hier ist kein eigentliches Kaufs­ geschäft zu Stande gekommen, vielmehr liegt ein Innominatkontrakt nach der Form do ut des vor und der Kaufwerth muß durch Sachverständige ermittelt werden.

Von Kaufs- und Verkaufsgeschäften.

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§. 54. Ist der Kauf mit Beziehung auf den Marktpreis eines gewissen Orts, ohne weiteren Beisatz, geschlossen worden, so ist der mittlere Marktpreis5Ö) zur Zeit der erfolgten Abschließung zu verstehen. §. 55. Mehr, als der Verkäufer, bei Abschließung des Contracts, sich aus­ drücklich vorbedungen hat, kann unter dem Namen eines Weinkaufs-, Schlüssel-, Halfter- oder Trink-Geldes nicht gefordert werden. §. 56. Aufgehoben '^). §. 57. Aufgehoben ^). §. 58. Der Einwand, daß der Kaufpreis mit dem Werthe der Sache inBonberVerkeinein Verhältnisse stehe, ist für sich allein den Vertrag zu entkräften, nicht hin-.dre Hälft?? reichend59 56)-57 58 56) H. Vergl. Art. 353 des H.G.B.: „Ist im Vertrage der Marktpreis oder der Börsenpreis als Kaufpreis bestimmt, so ist im Zweifel hierunter der laufende Preis, welcher zur Zeit und an dem Orte der Erfüllung oder an dem für letzteren maaßgebenden Handelsplätze nach den dafür bestehenden örtlichen Einrichtungen festgestellt ist, in Ermangelung einer solchen Feststellung oder bei nachgewiesener Unrichtigkeit" derselben, der mittlere Preis zu verstehen, welcher sich aus der Vergleichung der zur Zeit und am Orte der Erfüllung geschlossenen Kaufverträge ergiebt." 57) 11. Der §. lautete: „Ist die Münzsorte des Kaufpreises nicht bestimmt, so wird sie für Silber-Courant angenommen. (Tit. 5. §. 257. 258. 259.)" An Stelle der Landeswährung ist seit dem 1. Januar 1876 die Reichsgoldwährung getreten; Art. 1 des Münzges. v. 9. Juli 1873 (R.G.Bl. S. 233), Verordn, v. 22. Sept. 1875 (R.G.Bl. S. 303). Alle Zahlungen sind in Reichsmünzen zu leisten; an Stelle aller Reichsmünzen sind bei Zahlungen noch anzunehmen Einthalerstücke deutschen Gepräges (bez. österreichischen Gepräges bis einschließlich 1867), Art. 15 des Münzges., Ges. v. 20. April 1874 (R.G.Bl. S. 35). 58) H. Der §. lautete: „Ein Kaufpreis von Zehn Thalern und weniger darf nur in Scheidemünze, wenn aber derselbe zwar über Zehn, doch unter Dreißig Thaler beträgt, so muß er, im Mangel ausdrücklicher Bestimmung, halb in Courant und halb in Scheidemünze entrichtet werden." Statt dessen jetzt Art. 9 Abs. 1 des Münzges. v. 9. Juli 1873: „Niemand ist ver­ pflichtet, Reichssilbermünzen im Betrage von mehr als zwanzig Mark und Nickel- und Kupfer­ münzen im Betrage von mehr als einer Mart in Zahlung zu nehmen." Die Einthalerstücke sind jedoch nach wie vor an Stelle aller Reichsmünzen, also auch der Reichsgoldmünzen in un­ beschränktem Beträge in Zahlung zu nehmen. Art. 15 Nr. 1 a. a. O. 59) Das Mißverhältniß zwischen Leistung und Gegenleistung, welches die neueren Civilisten laesio enormis nennen, ist nach R. R. ein Klagegrund für den Verletzten, und dieses hängt organisch zusammen mit dem Verpflichtungsgrunde bei derjenigen Gattung zweiseitig verbindender Konsensualverträge, bei welchen die Leistung des Einen Vergeltung für die Leistung des Anderen sein soll, indem gerade diese Leistung, nicht die formlose Willenserklärung, als causa efficiens der Obligation des Anderen aufgefaßt wird, während bei den Verbal- und Literalverträgen der Verpflichtungsgrund lediglich in der gehörig angewendeten Form liegt. Gaius III §. 137. Es folgt mithin aus der rechtlichen Natur dieser zusammengesetzten Doppelobligation, daß jeder Theil durch den Empfang der Leistung des Anderen zu einer billig entsprechenden Gegenleistung verpflichtet wird, wenn nicht der Andere mit einer geringeren Leistung sich freiwillig zufrieden erklärt hat. Dieser ungezwungene freiwillige Konsens wird nicht angenommen, wenn der Ver­ kürzte in Folge seiner Unkenntnis; sich im Irrthume über den Werth befunden hat, oder durch Noth zur Eingehung eines ihn verkürzenden Handels gedrängt worden ist. Andererseits waren die Römer viel zu sehr Praktiker, als daß sie den Verkehr durch jedes Mißverhältniß der Leistung zur Gegenleistung unsicher machen ließen, zumal es der Handel und Wandel mit sich bringt, daß Jeder seinen Vortheil sucht, ohne welches der Verkehr aufhören würde. Deshalb mußte eine gewisse Grenze zwischen erlaubtem Gewinne des Einen und unerlaubter Verkürzung des Anderen gegeben werden. Man hätte die Feststellung derselben in jedem einzelnen Falle dem Ermessen überlassen können, und wahrscheinlich ist es auch so gewesen. Selbst die als Haupt­ stelle hierher gehörige L. 2 C. de rescindenda venditione 4, 44 sagt bloß: „minus autem pretium esse videtur, si nee dimidia pars veri pretii soluta sit,“ vermuthlich weil in der Vorstellung behauptet worden war, daß weniger als die Hälfte des wahren Werths gegeben worden sei. Die Kaiser antworten darauf anfangs allgemein, es sei, wenn der Bittsteller die Sache von höherem Werthe für einen geringeren Preis verkauft hätte („rem majoris pretii, si tu vel pater tuus minoris distraxerit“), billig, daß ihm die Sache gegen Erstattung des Empfangenen zurückgegeben oder ihm das am justo pretio Fehlende nachgezahlt werde; es sei aber ein zu geringer Preis, wenn u. s. w. Daraus ist nicht zu entnehmen, daß der Fall einer

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Erster Theil.

Eilfter Titel.

§. 59.

§. 59. Ist jedoch dieses Mißverhältniß so groß, daß der Kaufpreis den doppelten Betrag des Werths der Sache übersteigt, so begründet dieses Mißlaesio enormis nur dann vorhanden sei, wenn das Kaufgeld weniger als die Hälfte des wahren Werthes betrage: darüber trifft das Reskript keine Bestimmung. Man hat es aber so aufgefaßt, woraus dann die Lehre von der Verletzung unter oder über die Hälfte entstanden ist. Auch enthält das Reskript nur eine Rechtsanwendung auf den Fall des Verkäufers eines Grundstücks, woraus andere Meinungsverschiedenheiten in Beziehung auf den Bereich des Rechtsgrundsatzes hervorgegangen sind. Doch ist man so ziemlich darüber einig, daß die Regel aus den Eigen­ thümlichkeiten der in Rede stehenden Gattung von Verträgen fließe und allen dazu gehörigen Arten, wobei das, was die Kontrahenten einander wechselseitig geben, eine ehrliche Vergeltung für das Andere von ungefähr gleichem Werthe sein soll, gemeinsam sei, nicht aber als eine Singularität für den Fall des Verkaufs eines Grundstücks (das Reskript bezieht sich zufällig auf einen fundum venundatum) zu Gunsten des Verkäufers angesehen werden könne. Dies das N. R. im Ganzen, welches zum Verständnisse des L.R. hier nothwendig ist. Die Verfasser des L.R. haben dieses Remedium des Verkürzten nicht aufgefaßt als ein mit den Eigenthümlichkeiten gewisser Verträge organisch Zusammenhängendes; sie haben es als ein positiv eingeführtes Institut angesehen, welches nicht zu rechtfertigen, ja nachtheilig sei. Sie haben es daher abzuschaffen für gut gefunden, und nur eine ausnahmsweise Anwendung davon auf den Fall des Käufers, Tauschers und Lieferungsempfängers gemacht. Die Vorarbeiten geben darüber folgenden Aufschluß: In dem ersten ungedr. Entwürfe hieß es: §. 32. Der Einwand, daß der Kaufpreis mit der verkauften Sache in keinem Verhältnisse stehe, entkräftet den Kauf selber noch nicht. §. 33. In wie fern ein unverhältnißmäßiger Preis die Vermuthung eines Betrugs be­ gründe, muß nach den Umständen beurtheilt werden. Hierüber bemerkte Suarez zum Zwecke der Umarbeitung bei Revision der Monita: Ad §§. 32 u. 33. Da man sich darüber, daß rescissio ernt. vend. ob laesionem enor­ mem nicht ferner stattfinden solle, schon fast determinirt zu haben scheint, so enthalte ich mich fernerer Erörterungen. Nur das kann ich nicht umhin, zu wünschen, daß man die praesumtio doli, oder vielmehr eines den Kontrakt vernichtenden Irrthums ex laesione enormi gesetzlich etabliren möchte, nämlich in dem Falle, wenn der Käufer solchergestalt lädirt worden. Bei 99 Fällen unter 100 wird es doch gewiß zutreffen, daß, wenn Jemand eine Sache so weit über ihren wahren Werth bezahlt, dabei allerhand listige Vorspiegelungen, Ueberredungen, Uebereilungen und andere Kunstgriffe zur Ueberlistung des unerfahrenen, leichtsinnigen und unbesonnenen Käufers von Seiten des Verkäufers mit im Spiele sind. Es würde der Moralität gar zu schädlich sein, wenn dergleichen circumventiones durch die Gesetze begünstigt werden sollten. Man könnte zwar sagen, daß in einem solchen Falle der Käufer actionem doli anstellen könne; allein der Beweis des doli ist zu schwer und um deswillen hat eben jus romanum bei der laesio enor­ mis einen sogenannten dolum ex re, d. h. der sich aus der Sache selbst ergiebt, angenommen. Nur darin ist vielleicht das Römische Recht zu weit gegangen, daß es die aus der Läsion ent­ stehende Vermuthung als eine praesumtio Juris et de jure etablirt, und die Existenz einer Verletzung über die Hälfte für sich allein, ohne alle Rücksicht auf die übrigen Umstände, zur Rescission des Kontrakts für hinreichend erklärt hat. Ich würde also annehmen, daß, wenn ein überwiegendes Mißverhältniß zwischen dem gemeinen und gewöhnlichen Werthe und dem stipulirten Kaufpreise sich ergiebt, die Vermuthung für den Käufer streite, daß er sich in den bei der Sache gewöhnlich vorausgesetzten Eigenschaften geirrt habe. Diese Vermuthung aber kann durch eine nähere Untersuchung der Kaufsunterhandlung elidirt werden. Wenn z. B. bei dieser Untersuchung sich findet, daß der Käufer keineswegs übereilt, daß ihm alle Gelegenheit und Zeit, sich von der Beschaffenheit der Sache und ihrem Werthe zu informiren, gelassen worden, daß er wohl gar dieser Gelegenheit sich bedient, und hiernächst dennoch den Kontrakt für das verabredete pretium abgeschlossen habe, so ist jene Präsumtion elidirt, und der Käufer kann, wenn er auch wirklich in einem Irrthume versirt haben sollte, dennoch, da dieser Irr­ thum offenbar verschuldet gewesen, von seiner einmal abgegebenen Willenserklärung nicht wieder zurücktreten. Der gedruckte Entwurf brachte denn in den §§. 52—54 (welche sich in den §§. 58—60 d. T. wieder finden) die Abschaffung des Remediums als Regel und die Ausnahme zum Vortheile des Käufers. Die Einwendungen gegen solche Neuerung wiederholten sich; Suarez aber antwor­ tete darauf: Die Einwendung einiger Monenten, daß laesio enormis ganz ab geschafft werden müsse, weil sie höchst selten erwiesen werden könne, eine Menge unnützer Prozesse erzeuge, und der

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Verhältniß, zum Besten des Käufers, die rechtliche Vermuthung eines den Vertrag entkräftenden Irrthums60). (Tit. 4. §. 75. sqq.) Festhaltung der Verträge zuwider sei, verdient aus den bei der ersten Ausarbeitung vor­ gekommenen Gründen keine Rücksicht. Eben diese Monenten wollen, wenn man laesionem enormem beibehalte, daß es alsdann bloß darauf und nicht auf die §. 54 (§. 60 d. T.) angegebenen Umstände ankommen solle; — allein m. v. ohne Grund. Da das einzige Fundament, warum man die Remission eines Kaufs ob laesionem enormem annehmen kann, darin besteht, daß der Käufer sich in den Eigenschaften der Sache, welche den Werth derselben bestimmen, geirrt habe, so muß es aller­ dings auf diejenigen Umstände ankommen, woraus erhellet, daß entweder kein Irrthum vor­ gefallen sei, oder daß der Käufer in supina negligentia dabei versirt habe. Aus gleichem Grunde kann auch, gegen den Antrag fast der Hälfte der Monenten, die exceptio laesionis dem venditori nicht nachgelassen werden, weil bei diesem ein solcher Irr­ thum absque supina negligentia sich gar nicht denken läßt. (Gesetzrevis., Pens. XIV, Motive zum Tit. 11 S. 23.) Und in seinen amtlichen Vorträgen bei der Schlußrevision des Gesetzbuches sagt er noch: Die ganze Theorie des Römischen Rechts von der Laesione ultra dimidium ist von mehreren denkenden Rechtsgelehrten bezweifelt und angefochten worden. Thomasius in seiner Dissertation de aequitate cerebrina hat ex professo gezeigt: wie wenig dieselbe mit dem übrigen Systeme des Natur- und bürgerlichen Rechts Zusammenhänge: und daß der Dolus ex re, welcher dabei zum Grunde liegt, eine bloße Chimäre sei. So schwankend und relativ der Begriff des Werths überhaupt ist, indem dabei so viel auf Umstände, Verhältnisse, persönliche Rücksichten, Spekulationen, Liebhaberei u. s. w. ankommt, so schwer ist es, wie die tägliche Erfahrung lehrt, auch nur den wahren gemeinen Werth einer Sache mit irgend einigem Grade von Zuverlässigkeit auszumitteln. Da nun die Gesetze demjenigen, welcher durch Be­ trug oder unverschuldeten Irrthum bei einem Kaufsgeschäfte verkürzt worden, schon hinlänglich zu Hülfe kommen; übrigens aber der ganze Zweck des remedii de rescind. vendit. dadurch vereitelt wird, daß diesem Einwande im Kontrakte gültig entsagt werden kann, und derjenige, welcher darauf ausgeht, seinen Kontrahenten über das Ohr zu hauen, für eine solche Ent­ sagung zu sorgen, gewiß nicht ermangeln wird: So wären vielleicht Gründe vorhanden ge­ wesen, die ganze Theorie von der Laesione ultra dimidium aufzuheben. Inzwischen hat man dieses nicht thun wollen, da es nicht unbillig zu sein schiene, dem Käufer, welcher die Sache, die er kauft, noch nicht kennt, und also durch allerlei Vorspiegelungen und Kunstgriffe in der Beurtheilung ihres Werths leichter hintergangen werden kann, ohne just allemal einen eigent­ lichen Dolum des Verkäufers juristisch beweisen zu können, noch irgend ein Hülfsmittel da­ gegen, es sei so schwach es wolle, übrig zu lassen. Aber der Verkäufer, der die Sache bisher besessen und also hinlängliche Zeit und Gelegenheit gehabt hat, zu prüfen und zu beurtheilen, was sie ihm werth sei, kann, ohne sich selbst einer groben Nachlässigkeit anzuklagen, unmöglich behaupten, daß er sie unter dem halben Werthe verkauft habe. [gm Staatsrath vorgetragen und approbirt den 30. Dez. 1793.] (Jahrb. 41 S. 15.) Nach diesem Stande der Gesetzgebung ist zu behaupten, daß das in Rede stehende Remedium des Verkürzten, als eine Ausnahme, bei keinem andern Rechtsgeschäfte stattfinde, als wo es ausdrücklich zugestanden worden ist, die Ausnahme ist sogar bei einigen Formen des Kaufs und bei kaufsähnlichen Geschäften ausgeschlossen. (§§. 48, 343, 375, 486, 876, 926 d. T.) Bei Vergleichen ist die Unzulässigkeit gleichfalls ausgesprochen (I, 16 §. 439), was nach der Auf­ fassung des Instituts und dem angenommenen Grundsätze nicht nöthig war, aber für nützlich gehalten werden muß, um Streitigkeiten zuvorzukommen, die in Beziehung auf andere Verträge, bei welchen eine dergleichen Bestimmung nicht gegeben ist, geführt werden. Betreffs des Pacht­ kontrakts hat das O.Tr. III (Pr. Nr. 2227) v. 11. Juni 1850 den Streit im Sinne der hier vertretenen Meinung dahin entschieden: „Dem Pächter steht der Einwand einer Verletzung über die Hälfte nicht zu." Entsch. 19 S. 489. Und im Allgemeinen ist der hier entwickelte land­ rechtliche Grundsatz von dem O.Tr. IV v. 18. Okt. 1860 ausdrücklich angenommen. Str. Arch. 38 S. 318. — H. Vgl. auch — übereinstimmend — O.Tr. III v. 29. Sept. 1862, Entsch. 48 S. 171 u. Str. Arch. 45 S. 354, und v. 4. Sept. 1868, Str. Arch. 72 S. 129 — Dernburg 2 §. 136 S. 349; Förster-Eccius §. 127 a. E., 2 S. 114 f. H.G.B. Art. 286 schließt den Einwand überhaupt aus. 60) Wird das Mißverhältniß bewiesen, so wird ein Irrthum des Käufers vermuthet, mit) zwar ein solcher Irrthum, welcher den Vertrag entkräftet. Die Bezugnahme auf die §§. 75 ff. I. 4 deutet an, daß der Irrthum für einen wesentlichen gelten soll, keineswegs aber, daß der Irrthum ein wirklicher Irrthum im Wesentlichen des Geschäfts oder im Hauptgegenstande der Willenserklärung sein müsse. Auch die dortige, diesen Irrthum betreffende Vorschrift §. 79 wird hier zur Anwendung kommen; denn nicht die Verletzung, sondern der Irrthum ist der Auf-

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Erster Theil.

Eilfter Titel.

§§. 60—70.

§. 60. Wird diese Vermuthung durch die übrigen, bei den Unterhandlungen und bei Abschließung des Vertrages vorgefallenen Umstände nicht gehoben, so ist der Käufer die Aufhebung des Vertrages 61) zu suchen berechtiget. (§. 250. sqq.) §. 61. Die Ausmittelung des Werths, zur Begründung dieses Einwandes, kann nur durch die Abschätzung vereideter Sachverständigen62) erfolgen. §. 62. Dabei muß auf den Werth, welchen die Sache zur Zeit des abge­ schlossenen Vertrages gehabt hat, Rücksicht genommen toerben63). §. 63. Doch wird eine Veränderung des Werths in der Zwischenzeit, von der Abschließung des Kaufs bis zur Abschätzung, nicht vermuthet64). §. 64. Sind die gesetzlich vorgeschriebenen oder sonst landüblichen Abschätzungs­ grundsätze verändert worden, so muß auf diejenigen, welche zur Zeit des geschlossenen Kaufs statt gefunden haben, Rücksicht genommen werden. §. 65. Der Käufer kann dieses Einwandes sich nicht bedienen, wenn er dem­ selben ausdrücklich entsagt 65). §. 66. Auch alsdann nicht, wenn aus dem Vertrage selbst, aus der Be­ schaffenheit seines Gegenstandes, oder aus den vor und bei der Abschließung des­ selben vorgefallenen Umständen erhellet, daß bei Bestimmung des Kaufpreises nicht auf den gemeinen, sondern auf den außerordentlichen Werth der Sache Rücksicht genommen worden^"). §. 67. Ferner alsdann nicht, wenn der Käufer die Sache uicht mehr zurück­ geben tanii67). Hebungsgrund. — H. Die in diesem §. aufgestellte Rechtsvermuthung ist durch die Civilprozeßordnung nicht berührt worden. 16 Nr. 1 des Einf.Ges. zur C.P.O. Ueber den Beweisantritt vergleiche R.G. IV v. 25. Mai 1882, Gruchot 26 S. 1168. 61) Dem Verkäufer ist nicht gestattet, das Plus herauszuzahlen und dadurch den Kauf wider den Willen des Käufers aufrecht zu erhalten. — II. Der Einwand der laesio enormis ist auch gegen die Klage auf Errichtung eines förmlichen Kaufkontrakts über ein Grundstück auf Grund einer Punktation zulässig. O.Tr. III v. 6. Okt. 1873, Str. Arch. 89 S. 313. Der Appellationsrichter hatte ausgeführt, daß diese Einrede erst dann in Frage kommen könne, wenn es sich um die Ausführung des Vertrages handle, das Obertribunal erklärte indeß und mit vollem Recht, daß die Klage auf Errichtung eines förmlichen Vertrages einen materiell zu Recht be­ stehenden Privatvertrag voraussetze und daß jeder einen solchen Vertrag entkräftende peremtorische Einwand statthaft sei. 62) Nicht auch durch öffentliche Lizitation, welche Manche nach den Grundsätzen des G. R. angewendet wissen wollen. Der Ausspruch der Schätzer bleibt jedoch ein wenig paffender Maß­ stab, weil sie auf die individuellen Meinungen der Parteien, auf welche es bei Käufen haupt­ sächlich ankommt, unmöglich achten können. — Der auf dem Grundstücke lastende, von dem Käufer ausdrücklich übernommene Altentheil darf, weil er nicht zu den beständigen Lasten und Renten gehört, nicht von dem Werthe des Grundstückes in Abzug gebracht, sondern muß dem Kaufpreise und den sonstigen Leistungen des Käufers hinzugerechnet werden. O.Tr. III v. 11. Mai 1866, Str. Arch. 63 S. 182. Darüber wäre zu disputiren. Es läßt sich auch be­ haupten, daß das Grundstück um so viel, wie der Altentheil zu würdigen, weniger werth wäre, und daß daher dessen Werth weder ab- noch hinzuzurechnen sei. H. Die Beweisvorschrift des §. 61 ist durch §. 14 des Einf.Ges. zur C.P.O. aufgehoben; der Beweis des Minderwerths kann jetzt mit jedem Beweismittel geführt werden. 63) H. Ueber die zu befolgenden Schätzungsgrundsätze vgl. O.Tr. IV v. 16. Febr. 1860, Str. Arch. 36 S. 221. 64) Verbesserungen wie Verschlechterungen müssen bewiesen werden; dann aber sind sie zu berücksichtigen. 65) Der Verzicht auf die Gewährleistung für alle Fehler (§. 137 u. I. 5 §. 348) ist der Entsagung des Einwandes oder des Klagegrundes wegen Verletzung über die Hälfte nicht gleich­ zustellen. O.Tr. IV v. 22. Nov. 1864, Str. Arch. 57 S. 117. 66) H. Auf die Enteignung finden die Vorschriften über laesio enormis keine Anwendung, nicht, weil auch nach dem Ges. v. 11. Juni 1874 unter den: „vollen" der „außerordentliche Werth" mit begriffen sei (so Förster-Ece ins, §. 127 Anm. 66, 2 S. 113 f. — vgl. Anm. 25 zu Zus. 1 bei §. 4 d. T.), sondern, weil die Enteignung kein Kaufvertrag ist und es insbesondere an einer Willenseinigung und einem dabei vorkommenden Irrthum mangelt (vgl. Anm. 10 ebendaselbst).

Von Kaufs- und Verkaufsgeschäften.

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§. 68. Endlich o«), wenn er innerhalb der Tit. 5. §. 343. bestimmten Frist die Aufhebung des Vertrages aus diesem Grunde nicht nachgesucht hat^). §. 69. Der Verkäufer kann den Kauf aus dem Grunde, daß der Werth der Sache den Betrag des Kaufpreises selbst mehr als doppelt übersteige, nicht an­ fechten. §. 70. Geschäfte, bei welchen ein Kaufpreis nur zum Schein festgesetzt worden^), können nach den Regeln des Kaufs nicht beurtheilt werden^). 67) Ein solcher Fall war folgender: Jemand hatte Leinenwaaren gekauft und klagte auf Rescission wegen Verletzung über dre Hälfte. Die Jnstanzrichter erkannten nach dem Anträge. Der Verkäufer legte die Nichtigkeitsbeschwerde ein, der Käufer jedoch ließ wegen seiner Kosten und Vorschüsse, auf Grund des §. 10 der V. v. 14. Dez. 1833, die Exekution vollstrecken und einen Theil der gekauften Waaren, als wenn sie Eigenthum des Verkäufers (Exequendus) ge­ wesen wären, zu seiner Befriedigung veräußern. Demnächst wurde das Appellationserkenntniß vernichtet und die Sache in die erste Instanz zurückgewiesen. Nun machte der Beklagte den Ein­ wand' daß der Kläger die Waaren nicht mehr vollständig zurückgeben könne, und diesen Ein­ wand erklärte das Obertribunal für begründet und erheblich. Denn, sagt es, der Kläger selbst ent­ äußerte sich durch seinen Exekutionsantrag desjenigen Objekts, welches er dem Beklagten zurück­ geben mußte, wenn seine Einrede der Verletzung über die Hälfte einen Erfolg haben sollte. O.Tr. IV ü. 19. Juni 1860, Str. Arch. 37 S. 295. H. Wird Irrthum bei doppeltem Preise vermuthet, so ist auch Gegenbeweis zulässig, und das Rechtsmittel muß versagt werden, wenn der Käufer sich über den Werth nicht geirrt hat, weshalb ein sachverständiger Käufer sich über­ haupt nicht wird darauf berufen dürfen. Förster-Eecius2 S. 111. Anderer Ansicht ist Gruchot 9 S. 322 wegen I. 4 §. 78. 68) Auch nicht im Falle der §§. 48, 343 u. 375 d. T. 69) Nicht allein die Klage auf Aufhebung des Vertrages ist dann verjährt, sondern auch der Einwand. Er „kann dieses Einwandes sich nicht bedienen, wenn" u. s. w., sagt der §. 65 d. T. Ist in judicando auch von dem O.Tr. angenommen worden, IV v. 19. Juli 1859, Str. Arch. 34 S. 219. Es versteht sich und ist auch a. a. O. anerkannt, daß die Verjährung erst von dem Tage der wirklichen (körperlichen) Empfangnahme der Sache durch den Käufer beginnt, und daß darauf andere Arten der Uebergabe, wodurch das Eigenthum gleichfalls über­ tragen wird, keinen Einfluß haben. — H. Gegen die Verjährbarkeit auch der Einrede s. Dernburg 2 §. 136 Anm. 10 S. 348; Förster-Eccius §. 127 Anm. 63, 2 S. 113 hält die Zeitbestimmung für eine Frist, keine Verjährung, daher die Vorschrift auch auf die Einrede für anwendbar, dagegen Unterbrechung des Zeitablaufs für ausgeschlossen. 70) H. Eine Simulation ist nicht nur dann vorhanden, wenn ein Geschäft bloß scheinbar geschlossen, in der Wirklichkeit aber der Abschluß eines Geschäftes überhaupt nicht beabsichtigt war, sondern auch dann, wenn hinter dem scheinbar geschlossenen ein anderes wirklich beabsich­ tigtes verborgen wird. Deshalb gehört zur Begründung des Einwandes der Simulation eines Kaufvertrages nicht nothwendig die Behauptung, daß zwischen den Parteien ausdrücklich ver­ abredet worden sei, es solle auf den Käufer kein Eigenthum übergehen. O.Tr. III v. 27. Mai 1853, Str. Arch. 9 S. 207. Der Einwand der Simulation eines Kaufvertrages wird durch ein Judikat, durch welches der Verkäufer zur Räumung des vorbehaltenen Miethsbesitzes verurtheilt worden ist, nicht ausgeschlossen. O.Tr. IV v. 13. Juli 1852, Str. Arch. 6 S. 261. 71) H. Ist der Kaufpreis kein pretium verum, so gilt das Geschäft nicht als Kauf. War nicht etwa die Absicht zu schenken vorhanden, so daß es als Schenkung gilt, so ist nichts ver­ handelt. L. 55 Dig. decontr. ernt. 18, 1. Förster-Eccius 2 tz. 124 S. 65. Nach früherem Rechte war kontrovers, ob ein Gläubiger Scheingeschäfte seines Schuldners unbedingt oder nur unter den­ selben Voraussetzungen wie andere, nicht simulirte Geschäfte anzufechten befugt sei, d. h. nur im Falle des Konkurses, bez. nach den für Anfechtungen außerhalb des Konkurses geltenden Vorschriften, insbesondere denen des Ges. v. 9. Mai 1855; für die erste Alternative vgl. O.Tr. v. 14. Dez. 1844, Pr. 1513, Entsch. 10 S. 355 (dazu K o ch, Beurtheilung S. 710), III v. 19. Dez. 1864, Entsch 54 S. 1 (Str. Arch. 57 S. 183); IV v. 26. Mürz 1867, Str. Arch. 67 S. 131; App.Ger. irr Hamm v. 15. Juni 1866, Gruchot 14 S. 139, R.G. V v. 13. Dez. 1879 und I H- v. 13. Jan. 1880, Gruchot 24 S. 545 u. 1022; für die letztere Alternative O.Tr. IV v. 20. Dez. 1854, Entsch. 53 S. 344. Die preuß. Konk.Ordn. (§ 103 Nr. 1) und das Ges. v. 9. Mai 1855 (§. 7 Nr. 1, §. 9) zogen die Scheingeschäfte wenigstens in einzelnen Beziehungen in ihr Bereich, die R.Konk.Ordn. und das R.Ges. v. 21. Juli 1879 (R.G.Bl. S. 277) erwähnen sie gar nicht. Es ist die Frage daher jetzt nach allgemeinen Grundsätzen zu entscheiden. Diese führen dahin, daß ein Scheingeschäft, weil es überhaupt keine rechtlichen Wirkungen äußert (I. 4 §. 52, §. 70 d. T.), von Jedem, der ein rechtliches Interesse daran hat, angefochten

Bon simulirten Käufen.

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Erster Theil.

Eilfter Titel.

§§. 71—78.

8- 71. Ob das wahre unter einem solchen Scheinkause verborgene Geschäft gültig sei oder nicht, ist nach den eigenthümlichen Regeln dieses Geschäftes zu beurtheilen 72). §. 72. Ist bloß die Summe des Kaufpreises in dem Instrumente höher7-') oder niedriger 74), als die Parteien denselben verabredet haben, zum Scheine bestimmt worden, so entsteht daraus an und für sich noch keine Ungültigkeit des Vertrages 75). §. 73. Vielmehr muß alsdann der Preis unter den Kontrahenten nach der

wahren, auf eine an sich rechtsgültige Weise getroffenen, Verabredung bestimmt werden. 8- 74. Ist der wahre Preis nur mündlich verabredet worden 7ti), so finden, je nachdem die Uebergabe bereits geschehen ist oder nicht, die Vorschriften des fünften Titels 8- 155. sqq. Anwendung 77). werden kann, und daß ein solches in dem Interesse des Gläubigers, aus dem Vermögen des Schuldners, also auch aus den demselben nur scheinbar entzogenen Gegenständen, Befriedigung zu verlangen, zu finden ist. R.G. IV v. 28. Febr. 1881, Entsch. 4 S. 248, insbes. S. 252 ff. Vgl. auch von den Kommentaren zum Ges. v. 21. Juli 1879 Jäckel S. 7 ff. A. M. Korn S. 166 ff., Hartmann S. 46 ff. — Dernburg 1 S. 225 und Förster-Eccius 1 S. 181 wollen dem Gläubiger nur ein Anfechtungsrecht ex iure des Schuldners einräumen und verlangen daher zur Anfechtung seitens des ersteren zuvorige Überweisung der Revokationsklage des letzteren. — Ueber die praktischen Konsequenzen der beiden Meinungen und über den besonderen Fall der Anfechtung der Erfüllung eines simulirten Rechtsgeschäfts vgl. Roch oll, Rechtsf. 1 S. 479 ff.; Nessel bei Gruchot 28 S. 135 ff. 72) H. Insbesondere hängt seine Gültigkeit davon ab, ob die für dieses Geschäft vorgeschriebene Form gewahrt ist. O.Tr. III v. 24. Jan. 1873, Entsch. 69 S. 5 (Str. Arch. 88 S. 18); IV v. 23. Nov. 1876, Str. Arch. 97 S. 45. Zur Begründung der Klage auf Erstattung einer in Ge­ mäßheit eines Scheinkaufes geleisteten Zahlung genügt der Nachweis der Simulation des ge­ schlossenen Rechtsgeschäftes nicht, vielmehr ist der Nachweis erforderlich, daß der Empfänger sich mit dem Schaden des Gebers bereichert habe, oder daß auch der in dem unter dem Scheinkauf verborgenen und also wirklich beabsichtigten Rechtsgeschäfte enthaltene Rechtsgrund weggefallen sei. O.Tr. IV v. 15. Mürz 1853, Str. Arch. 10 S. 14. 73) Vergl. das Publikandum v. 20. Febr. 1802 wegen Verhütung der nachtheiligen Folgen simulirter Kauf-, Tausch- und Pachtkontrakte. Dasselbe hat für das heutige Recht kaum noch praktische Bedeutung. Abgedruckt ist es in v. Rönne, Ergänzungen zu §§. 70 ff. d. T. (6. Aufl. 1 S. 520 f.), in N.’ C. 0. Tom. XI x. 767 de 1802, N. A. 1 S. 311, Rabe 7 S. 55 und Stengel 15 S. 287. 74) Geschieht meistens in der Absicht, um Besitzveründerungs-Abgaben, Stempelsteuer und Gerichtskosten zu ersparen. Der §. 72 ist aber nicht auf den Fall zu beschränken, daß behufs Täuschung dritter Personen der Kaufpreis höher oder niedriger als verabredet angegeben worden, vielmehr ist er in allen Fällen anwendbar, in welchen hinsichtlich des Betrages des Kaufgeldes das Geschäft anders niedergeschrieben als verabredet worden. O.Tr. III v. 13. Okt. 1856, Str. Arch. 23 S. 2; H. v. 6. März 1863, Entsch. 50 S. 120. 75) Der §. 72 setzt voraus, daß der Kaufpreis mit Wissen und Willen anders als im Ernste verabredet niedergeschrieben worden ist. Fehlt dabei der Wille auch nur eines Theiles, so ist der Fall der Simulation nicht vorhanden und der Kontrakt ist so, wie er niedergeschrieben, wegen Mangels des Konsenses nicht zu Stande gekommen. Ob er in der Art, wie er mündlich verabredet und "abgeschlossen worden, rechtsverbindlich sei, ist nach den Grundsätzen über mündliche Verträge zu befinden. 76) H. Für die Anwendung der §§. 72- 74 d. T., insbesondere hinsichtlich der Ungültigkeit eines schriftliche Form erfordernden Kaufvertrages, macht es keinen Unterschied, ob der Preis höher oder niedriger mündlich verabredet ist, als er in der Vertragsurkunde angegeben ist; insbesondere ist im' letzteren Falle der Kaufvertrag nicht etwa mit Beschränkung auf den niedrigeren Preis gültig. Pr. aus dem Jahre 1805 (Mathis 3 S. 3); O.Tr. IV v. 11. Okt. 1870, Entsch. 64 S. 62; Förster-Eccius §. 124 Anm. 81, 2 S- 65; Gruchot 9 S. 338. Auch bei mündlicher Verabredung einer anderen Tilgungsart des Preises als durch die schriftlich stipulirte Baarzahlung oder einer Nebenleistung greift 74 Platz. O.Tr. III v. 7. Juni 1852, Str. Arch. 9 S. 284; I v. 30. Sept. 1859, Str. Arch. 34 S. 285. 77) H. Bloß einseitige Erfüllung des Kaufvertrages mit simulirter Preisbestimmung macht den Vertrag noch nicht gültig; zwar ist Klage auf die Gegenleistung zulässig, aber der Beklagte hat noch immer das Recht, nach I. 5 §. 156 den Vertrag aufzurufen. O.Tr. II (Pr. Nr. 531) v. 7. Sept. 1838, Präj.S. S. 48. Ist dagegen der Vertrag von beiden Seiten im Wesentlichen

Von Kaufs- und Berkaufsgeschäften.

735

§. 75. Von der Form der Kaufverträge gilt alles das, was von der Form o°rm der der Verträge überhaupt, und derjenigen, welche über das Eigenthum unbeweglicher trän”’ Sachen geschlossen worden, insonderheit oben verordnet ist. (Tit. 5. §. 109. sqq., Tit. 10. §. 15. 16. 17.) §. 76. Ein gültig abgeschlossener Kauf zieht die Wirkung nach sich ’8), daß sctfinbw der Verkäufer zur Uebergabe der Sache79), der Käufer aber zur Zahlung des Verkäufers: Kaufpreises verpflichtet wird. §. 77. Was von der Uebergabe und Besitzergreifung überhaupt verordnet ist,^>r»ruebergilt auch von der Uebergabe der verkauften Sachen. (Tit. 7. §. 58. sqq.) §. 78. Die Sache muß vollständig So) f und mit allen zu ihr gehörenden Uun/der Pertinenzstücken 81) übergeben werden82). Pertmenzerfüllt, so kann er, auch wenn es sich um unbewegliche Sachen handelt, bei simulirter Preis­ bestimmung nicht mehr angefochten werden. O.Tr. II ü. 11. Nov. 1843 (Pr. Nr. 1371), Präj.S. S. 48; III v. 2. Okt. 1871, Str. Arch. 28 S. 6; v. 2. Febr. 1866, Entsch. 56 S. 87; FörsterEc eins a. a. O. u. §. 124 Anm. 148, 2 S. 77. Als Erfüllung gilt natürlich nur Zahlung des wahren, mündlich verabredeten, nicht des simulirten, schriftlich stipulirten niedrigeren Kauf­ preises, dessen Entrichtung die Konvalescenz nicht herbeiführt. O.Tr. III v. 10. Febr. 1858, Entsch. 38 S. 98 (Str. Arch. 29 S. 85). — Mit dem Wortlaute des Gesetzes, insbesondere gegenüber I. 5 §. 146 ist diese Praxis kaum vereinbar. Es handelt sich lediglich um eine, dem Grundgedanken des L.R., der Sanirung des Formmangels durch Erfüllung, entsprechende, eine empfindliche Lücke ausfüllende prätorische Rechtsbildung. Vgl. Anm. 73 zu I. 5 §. 156. Konsequent ist vom Standpunkt dieser Praxis die Entscheidung, daß wenn in einem Guts­ überlassungsvertrag eine Abfindungssumme, welche nach mündlicher Uebereinkunft gezahlt werden soll, nicht ausgenommen ist, doch derjenige, zu Gunsten dessen sie stipulirt ist, auf ihre Zahlung klagen kann, falls der Vertrag zwischen den Kontrahenten durch Uebergabe vollzogen ist und der Gutsannehmer auch nicht etwa von ihm zurücktreten will. O.Tr. I v. 14. März 1879, Entsch. 83 S. 205. 78) Die Annahme der gekauften Sache durch den Käufer muß unbedingt und ohne Vorbehalt geschehen, wenn aus ihr ein Anerkenntniß der gehörigen Erfüllung durch den Verkäufer ent­ nommen werden soll. O.Tr. III v. 22. Nov. 1852, Str. Arch. 8 S. 55. 79) H. Die Verpflichtung des Verkäufers erstreckt sich jetzt bei Grundstücken außer der Uebergabe noch auf die Auflassung, weil diese nach §. 1 des Ges. über den Eigenthumserwerb rc. v. 5. Mai 1872 die Form der Eigenthumsübertragung bildet, und Abtretung des Eigenthums nach §. 1 d. T. ein Begriffsmerkmal des Kaufvertrages bildet. O.Tr. III v. 19. Mai 1876, Str. Arch. 99 S. 16. Daneben bleibt aber die Verpflichtung zur Uebergabe wegen der an diese sich knüpfenden thatsächlichen und rechtlichen Folgen bestehen. Der n bürg 2 §. 141 Nr. 2 S. 360 f.; Förster-Eccius §. 125 Buchst. A Nr. 3 (2 S. 83 f.); vgl. auch Anm. 3 S. 79; Achilles, die Gesetze über Grundeigenthum rc. (3. Ausg.) S. 81 ff. Ein ausdrückliches Versprechen, zu übergeben bez. aufzulaffen, ist übrigens kein essentiale des Kaufvertrages, App.Ger. Magde­ burg v. 28. März 1874, Gruchot 18 S. 434 (freilich auch kein „naturale“, wie es dort heißt; vielmehr handelt es sich um ein Begriffsmerkmal des Kaufvertrages, welches mit dem Ausdrucke „ich verkaufe" implicite verabredet ist). 80) Vergl. Anm. 59 zu I. 4 §. 151 u. Anm. 83 zu I. 2 §. 107. Sind bei der gleichzeitigen nothwendigen Subhastation zweier Grundstücke deren Pertmenzien in den Taxverhandlungen ohne Widerspruch der Subhastationsinteressenten verwechselt worden, so hat es dabei sein Bewenden, sagt das O.Tr. III v. 28. Okt. 1853, Str. Arch. 10 S. 330. Das ist zu bezweifeln wegen des Irrthums im Gegenstände auf Seiten der Subhastationsinteressenten, in so fern ein solcher vorgefallen ist. Die verwechselten Pertmenzien können werthvoller als die Hauptsachen und von sehr ungleichem Werthe sein, so daß die Realgläubiger des einen Grund­ stücks schlecht fortkommen würden, wenn sie den Irrthum gegen sich gelten lassen müßten. Mangel an Widerspruch hat nur dann rechtliche Wirkung, wenn der, welcher widersprechen konnte, den Widerspruch mit Bewußtsein seiner Rechte unterließ. 81) H. Der Käufer eines Grundstückes, welcher die Eintragung erlangt hat, hat jetzt nach §. 7 des Ges. v. 5. Mai 1872 die Rechte eines Eigenthümers bezüglich aller Bestandtheile, welche sich aus dem Grundbuche, beziehungsweise aus dem von letzterem in Bezug genommenen Kataster ergeben. Seiner Vindikationsklage kann auch nicht die exe. rei vend. et traditae entgegen­ gestellt werden. Vergl. O.Tr. III v. 6. Dez. 1875, Entsch. 76 S. 69 (Str. Arch. 94 S. 292). Hierdurch hat die frühere Kontroverse, ob der Käufer eines Grundstücks als solcher zur Vin­ dikation von vor Abschluß des Kaufgeschäfts durch mündlichen Vertrag veräußerten Parzellen befugt

736

Bei Ver­ käufen in Pansch und Bogen.

Erster Theil.

Eilfter Titel.

§§. 79—87.

§. 79. Ist wegen letzterer im Vertrage nichts Besonderes verabredet, so treten die gesetzlichen Bestimmungen ein. (Tit. 2. §. 42. sqq.) §. 80. Derjenige unter den Kontrahenten, welcher mehr oder weniger, als die gesetzlichen Bestimmungen mit sich bringen, zum Zubehör gerechnet wissen will, muß sich dieses ausdrücklich vorbedingen83 * *).* 82 §. 81. Fehlen Pertinenzstücke, die zur Zeit des geschlossenen Kaufs84) vor­ handen waren, oder solche, die nach gesetzlicher Bestimmung (Tit. 2. §. 4.) als Theile der Substanz anzusehen sind, so muß der Verkäufer die Gewähr dafür leisten85).86 §. 82. Ist ein Grundstück nach einem gewissen Jnventario verkauft worden, so darf an Zubehör weder mehr noch weniger, als in diesem Jnventario enthalten ist, überliefert werden. §. 83. Ist ein Landgut, wie es steht und liegt, verkauft8ti), so wird unter sei (O.Tr. II v. 3. April 1840, Präj. Nr. 852 b, Entsch. 6 S. 279; I v. 14. Mai 1856, Str. Arch. 20 S. 16, III v. 2. März u. 3. April 1863, Entsch. 50 S. 76, 81) ihre Bedeutung verloren. 82) Im Uebrigen vergl. die Anm. zu §§. 341 u. folg. d. T. über die Rechte desjenigen, der ein Grundstück im Wege der Subhastation erworben hat. 83) Was die §§. 78—80 bestimmen, setzt voraus, daß die ganze Hauptsache Gegenstand des Kaufs gewesen ist. Wenn aber zwei unbewegliche Sachen sich zu einander verhalten wie Haupt­ sache und Zubehör, es wird jedoch ein bestimmter quantitativer Theil der Hauptsache verkauft, alsdann geht ipso jure ein verhältnißmäßiger Theil des Zubehörs in das Eigenthum des Käufers nicht über. Dies ist auch alsdann nicht der Fall, wenn aus dem Eigenthumsrecht auf die Zubehörung bestimmte Nutzungsrechte abfließen, alsdann geht ein verhältnißmäßiger Theil dieser Nutzungsrechte auf den Käufer auch nicht über. O.Tr. II v. 27. Febr. 1868, Str. Arch. 70 S. 102. Auch der §. 107 I. 2 L.R. giebt über diese Frage keine Auskunft. Doch ist dabei der Fall außer Betracht zu lassen, wenn eine Quote des berechtigten Grundstücks (ein ideeller Theil desselben) veräußert wird. (S. 104 a. a. O.) 84) Unter „Zeit des abgeschlossenen Kaufs", deren die §§. 78—87, 192—184 d. T. gedenken, kann nicht die Zeit verstanden werden, wo der Abschluß des Vertrages in verbindlicher Weise zu Stande gekommen ist; es kommt vielmehr darauf an, worüber die Kontrahenten mündlich einig geworden sind und worüber sie zur Erfüllung der Form eine schriftliche Urkunde zu errichten sich entschlossen haben. O.Tr. III v. 22. Nov. 1867, Str. Arch. 69 S. 134. 85) D. h. der Käufer kann die angenommene Sache wie eine fehlerhafte behandeln, er muß aber die für die Rüge der natürlichen Fehler (Mängel an äußern Eigenschaften) vorgeschriebene Frist (I. 5 §. 344) inne halten. 86) Ein Kauf in Bausch und Bogen oder „wie es steht und liegt", und ein Kauf nach einem Inventarium schließen einander aus. In einem Kaufkontrakte über ein Landgut hieß es: Der Verkäufer verkauft das Gut, wie es steht und liegt. Am Schlüsse nahmen die Kontrahenten auf ein beigefügtes unterschriebenes Verzeichniß Bezug, worin aufgeführt standen, zuerst unter der Ueberschrift: an Inventarium erhält der Käufer eine gewisse Stückzahl Vieh und Ackergerüthe; und dann unter der Ueberschrift: dem Verkäufer bleibt vorbehalten: eine Stückzahl Vieh und gewisse Wirthschaftsvorräthe. Außerdem war aber noch Vieles vorhanden, was weder unter der einen, noch unter der anderen Ueberschrift verzeichnet stand, jedoch bei dem Wirthschafts­ betriebe im Gebrauche war. Wer von den Kontrahenten hatte darauf Anspruchs Nach dem Kaufkontrakte war der Kauf ein Kauf in Bausch und Bogen, soweit das Berzeichniß keine Mo­ difikation enthielt. Das erste Rubrum: der Käufer erhält u. s. w., mußte so verstanden werden, daß der Käufer sich verbindlich gemacht hatte, die darunter verzeichneten Stücke jedenfalls zu gewähren und dafür aufzukommen, wenn sie auch zur Zeit der Uebergabe nicht vorhanden sein sollten; daß aber Alles, was an Pertinenzstücken überdies noch vorhanden sein würde und dem Verkäufer nicht ausdrücklich vorbehalten war, gleichfalls dein Käufer zustehen sollte. Die Beilage enthielt mithin eine zusätzliche Bestimmung zum Vortheile des Käufers. Wie ein Verkauf „mit allen Zubehörungen, Freiheiten und Lasten, wie solche im Hypothenbuche verzeichnet und von dem Verkäufer und seinen Vorfahren benutzt worden sind", sowie, was unter dem Ausdrucke „Hufe" zu verstehen, darüber s. m. den von Mathis 4S. 11 mitgetheilten Rechtsfall aus dem Jahre 1805. Der Verkauf in Bausch und Bogen verlangt aber eine ausdrückliche Verabredung der Parteien, es muß erhellen, daß ihre Willensmeinung gerade auf ein solches Geschäft gerichtet gewesen ist. O.Tr. III v. 13. Jan. 1862, Str. Arch. 44 S. 150. Deshalb ist, wie in

Von Kaufs- und Verkaufsgeschäften.

737

dem Zubehör alles das begriffen, was zur Zeit des geschloffenen Kaufs87 * *) * in * * *oder * bei demselben vorhanden, und zum Nutzen, oder zur Bequemlichkeit im Betriebe der Wirthschaft erforderlich, oder: dazu schon bisher im Gebrauche gewesen ist. §. 84. Dahin gehören besonders alle auf dem Gute vorhandene88)89Früchte und Vorräthe, sie mögen gesammelt, zugewachsen, oder erkauft88) sein. §. 85. Insonderheit alles geschlagene und noch unverkaufte90) Holz. §. 86. Desgleichen alles auf dem Gute beffndliche Zug-, Nutz- und junge Vieh, wenn es auch sonst, nach gesetzlichen Bestimmungen, zu den Inventarien­ stücken nicht zu rechnen wäre. §. 87. Dagegen dürfen auch, wenn das nach gesetzlichen Bestimmungen erforderliche Zubehör nicht vorhanden ist, die fehlenden Stücke nicht ersetzt werden91). diesem Erkenntniß ausgeführt wird, der Verkauf eines Grundstückes „nebst dem vorhandenen todten und lebenden Inventarium" kein Kauf in Bausch und Bogen. Bei dem Verkaufe eines Landguts in Bausch und Bogen ist der Verkäufer gesetzlich nicht verpflichtet, für die Brauchbarkeit eines jeden Stückes des Inventars zu haften. O.Tr. III v. 17. Febr. 1860, Str. Arch. 36 S. 226 u. IV v. 1. Okt. 1867, Entsch. 37 S. 84. H. Ueber den Kauf in Bausch und Bogen vgl. Dernburg 2 S. 356 ff.; FörsterEccius 2 S. 121 ff. 87) Vgl. Anm. 84. 88) Vorausgesetzt, daß sie noch nicht vorher verkauft und (körperlich oder symbolisch) an den Abkäufer übergeben worden sind. Denn auf solche, einstweilen sich noch bei dem Gute vorfindlichen Früchte rc. hat der Käufer des Guts dem dritten Eigenthümer gegenüber keinen An­ spruch, wenn er auch die Veräußerung nicht gekannt hat. S. die Anm. zu I. 2 §. 106 und die dort mitgetheilten Präjudize. Sind aber dergleichen besonders verkaufte Früchte rc. dem Käufer derselben noch nicht übergeben und es erfolgt die Uebergabe des Gutes an den Guts­ käufer ohne Vorbehalt; so erwirbt dieser das Eigenthum derselben mit. In wie fern der Frucht­ käufer seinen Titel gegen ihn zur Geltung bringen kann, ist nach den Grundsätzendes Tit. 10 zu entscheiden. H. Vgl. Dernburg 2 S. 357 Anm. 6. 89) Soll heißen: „erkauft". R. v. 17. Juni 1831 (Jahrb. 37 S. 323), v. 5. Mai 1834 (Jahrb. 43 S. 445), v. 29. Dez. 1837 (Jahrb. 50 S. 469). Vergl. auch die Er­ innerung von Suarez darüber, Jahrb. 41 S. 16.

90) Nämlich noch nicht an den Abkäufer übergebene. S. die Anm. 88. Dagegen kann auch ungeschlagenes Holz nicht mehr Zubehör sein; und dies ist in der That der Fall, wenn Holz auf dem Stamme verkauft und symbolisch, namentlich vermittelst Anschlages mit dem Forsthammer, dem Käufer, vor der Uebergabe des Gutes, übergeben worden ist. Der Guts­ käufer hat dann darauf dem Dritten gegenüber keinen Anspruch. S. den Rechtsfall in den Entsch. des O.Tr. (III v. 9. Mai 1845) 11 S. 201. Vergl. O.Tr. III v. 12. Mai 1854, Str. Arch. 13 S. 96. 91) Suarez macht zur Erläuterung dieser Bestimmung bei der revis. mon. folgende Be­ merkung : „In dem §. 137 (Entwurf §. 87 h. t.) ist angenommen, daß bei einem Kaufe in Bausch und Bogen die fehlenden gesetzlichen Pertinenzstücke nicht vertreten werden dürfen. Daraus könnte man folgern, daß, wenn der Kauf nicht in Bausch und Bogen geschlossen ist, die gesetz­ lichen Pertinenzstücke gewährt werden müssen. Diese Folgerung würde aber falsch sein. Denn zu dem gesetzlichen Begriffe eines Pertinenzstücks gehört es, daß solches bei dem Hauptgute wirklich vorhanden sei. Was nicht vorhanden ist, kann auch nicht als Pertinenzstück gefordert werden. Der gewöhnliche Kauf unterscheidet sich also von dem Kaufe in Bausch und Bogen ratione der Pertinenzstücke in Folgendem: a) Bei dem ordinären Kaufe kann der Verkäufer bei der Tradition der Sache Alles zurück­ nehmen, was nicht im gesetzlichen Sinne zu den Pertinenzstücken gehört; bei dem Kaufe in Bausch und Bogen muß er alles dabei taffen, was zum Gebrauche bei der Hauptsache bestimmt war, wenn es auch im gesetzlichen Sinne als ein Pertinenzstück nicht anzusehen ist. b) Bei dem ordinären Kaufe muß der Verkäufer für denjenigen Zubehör der Sache Eviktion leisten, der in sensu legis als ein Theil der Substanz anzusehen, i. e. ohne welchen die Sache zu ihrer bisherigen Hauptbestimmung nicht gebraucht werden kann, ohne Unterschied, ob der­ gleichen Stücke tempore contractus bei der Sache vorhanden waren, oder nicht. Bei dem Kaufe in Bausch und Bogen kann der Käufer nichts als Zubehör fordern, es sei übrigens so wesentlich, als es wolle, als was tempore contractus wirklich vorhanden war." (Bornemann, System Bd. 3 S. 22.) 47 Koch, Allgemeines Landrecht. I. 8. Allst.

738

Erster Theil.

Eilfter Titel.

§§. 88—95.

§. 88. Ist ein Haus, wie es steht und liegt, verkauft worden, so gebühren dem Käufer, noch außer dem gesetzlichen Zubehör, so weit dasselbe vorhanden ist, alle Möbeln, welche zur Zeit des geschlossenen Kaufs in dem Hause befindlich, und zur bequemen Wohnung erforderlich oder dienlich sind.

§. 89. Zu einer Fabrik oder andern Werkstätte, wenn sie in Pausch und Bogen, oder wie Alles steht und liegt, verkauft worden, werden die vorhandenen Vorräthe, ingleichen die in der Arbeit befindlichen Materialien, nicht aber die schon

verfertigten Waaren, als Zubehör gerechnet. §. 90. Bei einem auch in Pausch und Bogen verkauften Kramladen, sind dennoch die Waarenvorräthe, im zweifelhaften Falle, nicht für mitverkauft anzusehen. §. 91. Dagegen werden zu einer solchergestalt verkauften Bibliothek oder Naturaliensammlung, auch Bildsäulen und andere Sachen, die bisher zur Aus­ zierung der Bücherschränke und Naturalienbehältnisse gebraucht worden, mit gerechnet. Ae» und Ort §. 92. Ist keine Zeit zur Uebergabe bestimmt92), so kann der Käufer dieCfl«6e,ct= selbe, gegen Erfüllung der seiner Seits übernommenen Verbindlichkeiten, sofort ver­ langen. §. 93. Uebergabe der Sache und Zahlung des Kaufpreises muß, wenn nicht ein Anderes verabredet worden, an demselben Orte geschehen^). §. 94. Uebrigens finden, wegen des Orts und der Zeit, die allgemeinen im Titel von Verträgen enthaltenen Bestimmungen auch hier Anwendung. (Tit. 5. §. 230-251.) dcrÄsahr" §• 95. So lange der Verkäufer dem Käufer die Sache noch nicht übergeben der Lasten u. Nutzungen

ga"^)

Dabei ist zu erinnern, daß Suarez Theile der Substanz und Pertinenzstücke verwechselt identifizirt (Buchst, b). Vergl. auch §.81. Zu a ist zu bemerken, daß auch bei dem sog. ordinären Kaufe der Käufer, außer der Hauptsache und deren Substanztheilen, nichts weiter zu übergeben hat, als was der Wortlaut des Kontrakts besagt, oder das zum Grunde liegende Inventarium enthält; und daß, wenn über Pertinenzien nichts verabredet worden ist, fehlende Stücke welche gesetzlich als Pertinenzien angesehen werden müßten, wenn sie vorhanden wären, er ebenso wenig wie der Verkäufer in Bausch und Bogen zu ersetzen hat. Denn „was nicht vorhanden ist, kann auch nicht als Pentinenzstück gefordert werden." 92) H. Die Bestimmung der Zeit der Erfüllung gehört nicht zu den Essentialien des Kaufvertrages. Wenn darüber nichts festgesetzt ist, so ist sie unbeschadet der Gültigkeit des Vertrages nach Maßgabe der gesetzlichen Bestimmungen zu ergänzen. O.Tr. III v. 6. Okt. 1876, Str. Arch. 96 S. 300. 93) Denn nach der Regel muß die Zahlung des Kaufpreises gegen Empfang der Sache geschehen. §. 221 d. T. Der Zahlungsort bleibt auch für das rückständig verbleibende Kauf­ geld bestehen, und der Verkäufer muß sich das Geld von demselben auf seine Gefahr und Kosten abholen, wenn nicht durch Mora die Regel modifizirt wird. Denn wenn der Käufer mit seiner Leistung im Rückstände bleibt, so kann der Verkäufer, der sich einmal an Ort und Stelle zur Uebergabe wie zur Empfangnahme des Geldes eingefunden hat, darunter nicht leiden. Der Käufer muß dann Gefahr und Kosten der Zahlung am Aufenthaltsorte des Verkäufers tragen. In so weit das Kaufgeld kreditirt und keine Verabredung über den Zahlungsort getroffen worden ist, behält es bei der Regel des §. 93 sein Bewenden. Die Vorschrift des §. 774 findet hier keine Anwendung. — H. Für Handelskäufe find jetzt Art. 324, 342 H.G.B. bezüglich des Erfüllungsortes maßgebend. 94) Die in dieser Hinsicht hier gegebenen Bestimmungen enthalten das Gegentheil von den Grundsätzen des R. R. Man hat sie mit Vorbedacht getroffen, weil man den organischen Zu­ sammenhang des R. R. nicht einzusehen vermochte und besonders durch den falsch ausgedrückten Grundsatz über das Perikulum: casum sentit dominus (welcher lauten muß: periculum creditoris est), irre geleitet worden ist. Dieses ergiebt sich aus Suarez' Rechtfertigung dieser Bestimmungen bei der Schlußrevision des Gesetzbuches, wo er in seinen amtlichen Vorträgen sagt: „Diese Sätze weichen darin von dem R. R. ab, daß nach diesem das Perikulum sogleich, als der Kontrakt perfizirt war, auf den Käufer überging. Allein diese Vorschrift verdiente gewiß weniger als irgend eine andere beibehalten zu werden. Sie ist: 1) gegen alle Prinzipien des R. R. selbst, casum sentit dominus ist eine der ersten Regeln desselben. Bei dem Kaufe geht, wie bei allen übrigen titulis dominii translativis, das Eigenthum erst durch die Tradition auf den Emtorem über; und gleichwohl soll er noch vor der Tradition alle Gefahr tragen. 2) Der

Von Kaufs- und Verkaufsgeschäften.

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hat, bleibt bei allen freiwilligen Verkäufen, wenn sie nicht in Pansch und Bogen geschlossen, oder sonst ein Anderes ausdrücklich verabredet worden95), Gefahr und Schade9§) dem Verkäufer zur ßaft97). (§. 342.) Römische Satz beruhet ferner auf einer bloßen Spitzfindigkeit. Der Verkäufer, sagen die Doctores, verliert freilich durch den Untergang der Sache sein Dominium; aber der Käufer verliert da­ durch ebenfalls seine Aktion, auf die Uebergabe zu klagen, weil die res tradenda nicht mehr da ist. Hingegen bleibt dem Venditori seine Aktion auf das Pretium, weil durch dessen Zahlung der Kontrakt von dem Käufer immer noch erfüllt werden kann. Cf. Coccej i in Jure controv. Lib. XVIII Tit. VI qu. 2. Es ist aber unbegreiflich, wie man dem Verkäufer in dato casu eine Aktion auf Zahlung des Pretii nachgeben kann, da er doch nicht mehr im Stande ist, die verkaufte Sache zu gewähren; und gleichwohl eine jede actio ex contractu nothwendig voraus­ setzt, daß der Kläger von seiner Seite den Kontrakt erfüllen könne und wolle. 3) Die Römische Theorie ist auch wider die natürliche Billigkeit. Der Käufer, der die Sache noch nicht in seinem Verwahrsam hat, der darüber noch gar nicht disponiren, der nicht die geringsten Vorkehrungen zu ihrer Erhaltung und Sicherheit treffen kann, der noch nicht den geringsten Nutzen von ihr gezogen hat, soll dennoch schuldig sein, das Kaufgeld zu bezahlen, ob ihm gleich sein Verkäufer die Sache nicht mehr gewähren kann. 4) Diese Theorie führt auf große Weitläufigkeiten und Verwickelungen. Der Verkäufer muß in dem Zwischenräume bis zur Tradition die Funktion eines Depositars und Administrators bei der Sache übernehmen, er muß die Konservationskosten der Sache tragen; er muß über die Früchte und Nutzungen Rechnung legen rc. Es be­ darf wohl keiner Ausführung: wie schwankend und bedenklich ein solches Verhältniß sei, und zu wie vielen Streitigkeiten und Prozessen selbiges Anlaß geben könne. Die im Gesetzbuche an­ genommene Theorie ist also der Natur der Sache und des Geschäfts, den Prinzipiis des Römischen Rechts (?) und der natürlichen Billigkeit gemäß. Sie simplifizirt diese sonst so sehr verwickelte Materie ausnehmend, und verdient also wohl vor dem jure Romano den Vorzug." (Jahrb. 41 S. 16.) Uebrigens stimmen diese Vorschriften mit den von den Redaktoren, in Folge jener irrigen Auffassung des röm. Grundsatzes über das Perikulum, angenommenen allgemeinen Grundsätzen über die Gefahr überein, so daß, ohne Inkonsequenz, hier nichts anderes angeordnet werden konnte. H. Für Handelskäufe sind statt der §§. 95 ff. d. T. bez. neben denselben die Art. 343, 351, 354—359 H.G.B. maßgebend. 95) H. Die Anweisung des Käufers an den Verkäufer, die Sache auf eine besondere, mit der Gefahr der Verschlechterung verbundene Art und Weise zu verpacken bez. aufzubewahren, ist als eine die Anwendung des §. 95 d. T. ausschließende stillschweigende Uebernahme der Ge­ fahr aufgefaßt vom R.O.H.G. I v. 18. Okt. 1872, Entsch. 7. S. 231. 96) Darunter wird das Perikulum des R. R. verstanden, und das periculum rei tragen heißt, sich in dem Verhältnisse befinden: den den Gegenstand des Vertrages zufällig treffenden Schaden leiden zu müssen. Etwas anderes ist auch nach dem L.R. darunter nicht zu verstehen. Das hat die Bedeutung: der Verkäufer verliert die untergegangene Sache oder behält die ver­ schlechterte Sache, und kann von dem Käufer den Preis nicht fordern; der Käufer aber hat an den Verkäufer keinen Anspruch, denn der Zufall hat den Kontrakt aufgehoben. §. 100 d. T. Vergl. I. 5 §§. 364, 365 und I. 21 §§. 299—308. Die §§. 178, 179 sprechen diesen Grundsatz ausdrücklich aus. Seltsamerweise ist behauptet worden, oas L.R. verstehe unter Auflegung der Uebernahme der Gefahr eine Assekuranz oder die Verbindlichkeit, dem Anderen das Interesse zu vergüten, wie wenn er durch seine Schuld den Schaden verursacht hätte. Deshalb hat das O.Tr. III als Pr. unter Nr. 1488 v. 27. Sept. 1844 einzeichnen lassen: „Wenn das Gesetz dem Verkäufer die Gefahr der verkauften Sache auferlegt, so hat nicht etwa der Käufer Anspruch auf Ersatz des Schadens oder Minderung des Preises, sondern nur ein Recht auf Rücktritt vom Vertrage" (Entsch. 11 S. 239). Ist die Sache zufällig bloß verschlechtert und der Käufer über­ nimmt sie in diesem Zustande, so muß er das ganze Kausgeld, ohne Minderung, zahlen. 97) Der Gegensatz ist hiernach, daß mit der Uebergabe Gefahr und Schade auf den Käufer übergehen. Das ist nach der landrechtlichen Regel: casum sentit dominus, richtig, setzt jedoch einen unbedingten Kauf (§. 259) wie auch einen perfekten Kontrakt voraus (§. 131). Ist daher zu einem Verkaufe noch die Genehmigung einer dritten Person, z. B. der Kirchenbehörde, Obervormundschaft rc. erforderlich und geht die verkaufte Sache vor Ertheilung derselben zufällig zu Grunde, so trägt der Verkäufer den Schaden, wenngleich die Sache bereits übergeben war. O.Tr. III v. 11. Mai 1863, Entsch. 50 S. 126. — H. Seitdem der Uebergang des Eigen­ thums bei Immobilien nicht mehr an die Uebergabe sondern an die Auflassung geknüpft ist (§. 1 des Ges. v. 5. Mai 1872, betr. den Eigenthumserwerb rc.), ist für dieselben von den Gründen, mit welchen Suarez die Vorschrift deH §. 95 d. T. gerechtfertigt hat (s. vor. Anm. 94), der zu 1 (Anwendung des Grundsatzes casum sentit dominus) weggefallen. Allein die Vor-

740

Erster Theil.

Eilfter Titel.

§§. 96—106.

§. 96. Dies findet statt, selbst wenn die Uebergabe durch einen bloßen Zufall verzögert wird. §. 97. Wird die Uebergabe durch Schuld des Verkäufers aufgehalten, so haftet derselbe nicht nur für den an der Sache entstandenen Schaden98 * *),99 * * sondern 100 ******** auch, wenn Vorsatz oder grobes Versehen von seiner Seite bei dem Verzüge zum Grunde liegt, für den dem Käufer entgangenen Vortheil. §. 98; Hat aber der Käufer den Verzug der Uebergabe verschuldet, so haftet der Verkäufer nur für einen solchen Schaden, der an der Sache durch seinen Vorsatz oder grobes Versehen entstanden ist"). §. 99. In allen Fällen, wo die Uebergabe ohne Schuld des Verkäufers auf­ gehalten wird, kann derselbe von aller Verantwortung gegen den Käufer dadurch, daß er die Sache zur gerichtlichen Aufsicht und Verwahrung übergiebt, sich be­ freien 10°). §. 100. Wird die verkaufte Sache, noch vor der Uebergabe, durch einen Zufall gänzlich zerstört oder vernichtet, dergestalt, daß gar keine Uebergabe erfolgen kann, so wird der Contract für aufgehoben geachtet1). (Tit. 5. §. 364. sqq.) §. 101. Ist die Uebergabe durch Schuld des Verkäufers aufgehalten worden,

schrift, daß der Uebergang der Gefahr an die Uebergabe geknüpft sein soll, beruht auch auf anderen selbstständigen Gründen (vgl. Anm. 94 Nr. 2—4), welche auch nach dem Gesetz v. 5. Mai 1872 ihre Bedeutung behalten haben. Das letztere Gesetz beabsichtigte zudem nach Inhalt und Entstehungsgeschichte nicht, auf die obligatorischen Rechtsverhältnisse modifizirend ein­ zuwirken. Auch bei Immobilien ist daher der Uebergang der Gefahr nach wie vor an die Ueber­ gabe und nicht an die Auflassung geknüpft. O.Tr. III v. 2. Mai 1879, Gruchot 23 S. 916; R. G. V v. 13. Mai 1882, Entsch. 7 S. 241 (J.M.Bl. 1882 S. 297). Übereinstimmend: Achilles, die preuß. Ges. über Grundeigenthum re. (3. Ausg.) S. 82; Förster, Grundbuchr. S. 93, 94; Dalcke bei Gruchot 17 S. 464; Kurlbaum in Behrend's Zeitschr. f. Gesetzgebung rc. 3 S. 740; Förster-Eccius 2 S. 92 f. Anderer Meinung Dernbürg 1 S. 592; 2 S. 354 mit Rücksicht auf den Zusammenhang, in welchem nach landrechtlicher Anschauung Eigenthum und Tragung der Gefahr stehen. 98) D. h. er muß den Kontrakt auf Verlangen des Käufers erfüllen und entweder die Sache in dem bedungenen oder vorausgesetzten Zustande übergeben, oder, wenn sie nicht her­ zustellen ist, den Abgang ersetzen, wenn die Kosten auch das Kaufgeld übersteigen. Den ent­ gangenen Vortheil (das vollständige Interesse) soll er erst im Falle des Vorsatzes oder groben Versehens vergüten. 99) Der Käufer muß also die zufällig verschlechterte Sache übernehmen und das ganze Kaufgeld nach der Verabredung bezahlen, wenn er auch nur durch ein geringes Versehen die Uebernahme verzögert hat. Dies bezieht sich nur auf das periculum deteriorationis. Von dem periculum interitus ist erst in §§. 100 ff. die Rede. 100) Damit allein ist ihm nicht geholfen, er hat auch Bezahlnng des Kaufgeldes zu fordern und zwar sofort bei der Uebergabe (§§. 93, 221 d. T.), die Deposition ist aber Uebergabe. Vgl. I. 16 §. 234. Doch kann er nur unter zwei Voraussetzungen: Verderblichkeit der Sache, oder Kostbarkeit der Aufbewahrung und Verwaltung, gerichtlichen Verkauf und Befriedigung aus dem Erlöse, ohne weiteres, fordern, §§. 218—220 d. T. — H. Eine Deposition gemäß §. 99 ist nicht erforderlich und die Folgen rhres Unterbleibens kommen nicht in Betracht, wenn die Kontrahenten darüber einig sind, daß eine nachträgliche Uebergabe der verkauften Sache nicht stattfinden soll, und lediglich die Verpflichtung des Verkäufers zum Ersatz des aus der Nicht­ erfüllung des Vertrages dem Käufer und dessen Cessionar erwachsenen Interesse streitig ist. O.Tr. IV v. 9. Sept. 1858, Str. Arch. 30 S. 212 (der Käufer hatte dem Lieferanten die Abuahme der Waare unter dem Vorgeben, er habe den Schlußschein cedirt und ihm sei der jetzige Inhaber unbekannt, verweigert; der Verkäufer hatte nicht deponirt). — Für Handelskäufe ist jetzt Art. 343 H.G.B. maßgebend; über sein Verhältniß zu §. 99 d. T. vgl. R.O.H.G. III v. 9. Mai 1878, Entsch. 24 S. 30. 1) H. Ist ein Grundstück mit dem darauf befindlichen Gebäude verkauft und letzteres geht nach der Auflassung, aber von der Uebergabe unter, so findet §. 100 Anwendung (vgl. Anm. 97); der Käufer ist dann aber zur Rückauflassung der anea an den Verkäufer verpflichtet, weil dieselbe nach Aufhebung des Vertrages sich ohne Rechtsgrund in seinem Vermögen befindet, I. 16 tz. 202. Vgl. Förster, Grundbuchrecht, S. 94 f.

Von Kaufs- und Verkaufsgeschäften.

741

so haftet dieser dem Käufer zur Schadloshaltung, nach Verhältniß des Grades seiner Verschuldung. (Tit. 6. §. 10. sqq.) §. 102. Hat der Käufer durch seine, Schuld die Uebernahme verzögert, so kann der Verkäufer Schadloshaltung 2) fordern. §. 103. Zu dieser Schadloshaltung gehört auch3) die Bezahlung des be­ dungenen Kaufpreises, sobald der Käufer, auch nur durch ein mäßiges Versehen, Schuld daran ist, daß die Sache nicht zur gehörigen Zeit von ihm übernommen worden4).5 §. 104. Wenn nicht bloß der Verzug der Uebergabe, sondern der Verlust der Sache selbst, welcher die Uebergabe unmöglich macht, durch das Verschulden eines oder des andern Theils entstanden ist, so hat es bei den allgemeinen Vor­ schriften des Titels von Verträgen sein Bewenden. (Tit. 5. §. 360. 363. sqq.) §. 105. So lange der Verkäufer die Gefahr und Lasten der Sache zu tragen schuldig ist, können demselben in der Regel auch die Nutzungen nicht benommen werden. §. 106. Pacht- und Miethzinsen werden zwischen dem Käufer und Verkäufer, nach Verhältniß ihrer Besitzzeit, getheilt^).

2) Nur Schadloshaltung, nicht Erfüllung des Kontrakts (Bezahlung des Kaufgeldes), kann der Verkäufer fordern. Der Kontrakt ist mithin auch in dem hier vorausgesetzten Falle, wo die Sache nach dem Uebergabetermine ganz zu Grunde gegangen und der Käufer aus einem nur geringen Versehen in mora accipiendi ist, aufgehoben. Worin aber soll die Schadloshaltung bestehen, wenn nicht in der Zahlung des Kaufpreises für die vernichtete Sache? Der Schade besteht ja eben in dem Verluste des Kaufgeldes. Vermuthlich sind damit die Aufwendungen gemeint, welche der Verkäufer auf den Handel gemacht hat, so, daß er zwar die Sache verlieren, aber was er außerdem noch aus seinem Vermögen zur Vorbereitung und Eingehung des Geschäfts verwendet hat, erstattet erhalten soll, z. B. Müklergebühren, Gerichtskosten, Reisekosten, Auf­ bewahrungskosten u. dergl. Vgl. den folg. §. 103. Es ist unfindbar, welcher juristische Gedanke bei dieser Vorschrift geleitet hat. Denn ist der Käufer nur für ein mäßiges Versehen verant­ wortlich, so ist Alles, was sich außer dem Falle eines solchen Versehens zuträgt, Zufall; soll er schlechthin die Folgen seines Verzuges tragen, so muß er auf seiner Seite den Kontrakt erfüllen. Der Grund der Unsicherheit oder Inkonsequenz liegt in den nach L.R. zweifelhaften Erfordernissen der Mora. H. Das O.Tr. III v. 18. Aug. 1848, Entsch. 17 S. 144 hat §. 103 auch in einem Falle angewandt, wo durch den Verzug des Käufers die Uebergabe gänzlich unmöglich geworden war, und als Schadloshaltung dem Verkäufer das Kaufgeld mit Verzugszinsen zu­ gebilligt. Vgl. über dieses Urtheil Anm. 96 zu I. 5 §. 287. 3) Die Bestimmung ist auffallend. Mehr als Erfüllung des Kontrakts durch Bezahlung des Kaufgeldes nebst Verzugszinsen, sowie Schäden und Kosten kann der Verkäufer von dem Käufer in keinem Falle fordern. Worin also die Schadloshaltung, wozu auch die Bezahlung des Kaufgeldes gehört, bestehen soll, ist undenkbar, wenn man nicht etwa durch die längere Auf­ bewahrung oder durch den Untergang entstandene Schäden und Kosten im Sinne gehabt hat, was wahrscheinlich ist; denn diese muß der Käufer freilich gleichfalls ersetzen. Der Verkäufer­ kann durch den Untergang der Sache kein größeres Recht erhalten, als er haben würde, wenn er die Sache übergeben könnte. S. die folg. Anm. — H. Vgl. auch Anm. zu I. 5 §§. 287, 288. 4) Im Falle einer mora accipiendi aus mäßigem Versehen muß mithin der Käufer das periculum interitus rei tragen, d. h. er muß das Kaufgeld kontraktmäßig bezahlen, und der Verkäufer ist von seiner Verbindlichkeit frei, wie wenn er vollständig erfüllt hätte. — Dieser Rechtssatz gilt auch und kommt zur Anwendung dann, wenn zwar nach der Zögerung die Sache nicht zu Grunde gegangen, aber doch die Uebergabe durch die Zögerung dem Verkäufer unmöglich gemacht worden ist. S. die Anm. 71 zu I. 5 §. 361. H. Vgl. auch Koch, Recht der Forde­ rungen (2. Aust.) S. 364 f.; dagegen Gruchot 9 S. 374; Förster-Eccius 1 S. 814, 2 S. 86. 5) Ohne Unterscheidung zwischen beweglichen und unbeweglichen Sachen (H. auf letztere will den §. beschränken Bornemann, System 3 S. 28). Der Käufer der verpachteten oder vermietheten Sache tritt in die Rechte und Pflichten des Verkäufers. O.Tr. 111 v. 3. Juni 1853, Entsch. 25 S. 428, u. v. 20. Juni 1855, Entsch. 30 S. 446. — H. §. 106 findet auch auf ge­ richtliche nothwendige Verkäufe mit der Maßgabe Anwendung, daß hierbei an Stelle der Besitzzeit die Zeit vor und nach der Zuschlagsertheilung maßgebend ist. (Vgl. §. 342 d. T., jetzt §. 97

742

Erster Theil.

Eilfter Titel.

§§. 107—110.

§. 107. Geldzinsen 8*),*9 * *Kornpächte *67 der Unterthanen, Zehnten, Dienstgelder, Abschoß und andere Hebungen dieser Art gebühren dem Käufer, so weit sie nach der Uebergabe fällig sind 7). §. 108. Was der Substanz der Sache, nach geschlossenem Vertrage, durch natürliche An- und Zuwüchse noch beitritt, und davon, zur Zeit der Uebergabe, vermöge des gewöhnlichen Nutzungsrechts noch nicht abgesondert ist, gehört dem Käufer, und muß ihm mit der Sache zugleich übergeben werden8). §. 109. Keiner der Kontrahenten kann, wider des andern Willen, Sache und Kaufgeld zugleich nutzen8). des Ges. v. 13. Juli 1883.) Pacht- und Miethzinsen sind also zwischen dem Subhastaten und dem Adjudikatar nach dem Verhältniß der Zeit, welche vor die und welche nach die Zuschlagsertheilung fällt, zu theilen. O.Tr. III v. 7. Febr. 1879, Gruchot 23 S. 748. Dagegen hat der Adjudikatar einen Anspruch gegen den Miether auf Vertragserfüllung und Zahlung des Miethzinses aus einem zwischen diesem und dem Subhastaten geschlossenen Miethvertrage dann nicht, wenn derselbe durch Uebergabe nicht vollzogen ist, weil dann der Miethzins nicht Aequivalent der Nutzung der Sache ist und §. 106 d. T. sich nur auf Theilung der Nutzung bezieht. O.Tr. III v. 3. März 1879, Entsch. 83 S. 28. — Dagegen kann die Bestimmung des §. 106 nicht analog auf den Fall angewendet werden, in welchem es sich um einen von dem erkauften Grundstücke zu entrichtenden Erbpachtskanon handelt. Wird ein solcher erst nach der Uebergabe fällig, so hat der Käufer denselben zu entrichten und kann nicht eine Vertheilung desselben nach Verhältniß der Besitzzeit fordern. O.Tr. III v. 18. Nov. 1872, Str. Arch. 87 S. 43. 6) H. Den §. 107 wendet im Falle des Verkaufs von Aktien auf fällige Dividenden bei Nichtexistenz von Dividendenscheinen an R.O.H.G. I v. 14. Mai 1872, Entsch. 6 S. 145. 7) Die Unterscheidung der Pacht- und Miethzinsen von den Geld- und Naturalabgaben hat keinen sachlichen Grund; sie ist gegen die eingegangenen Erinnerungen und gegen Suarez' Vorschlag getroffen worden, aus einem nicht bekannten Grunde (Ges.Rev. Pens. XIV S. 37). H. Ueber die Entstehung der §§. 106, 107 vgl. Gruchot 9 S. 378 und zu §§. 106—108 überhaupt s. Förster-Eccius 2 S. 92 f.; Dernburg 2 S. 355 f. 8) Dazu gehören auch die Ablösungskapitalien (vergl. die Anm. zu §. 49 Nr. 6 des Rentenbank-Ges. im Tit. 7 Th. II) und die für abgelöste Berechtigungen angewiesenen Landabfindungen. Gleichfalls muß das Vorkaufsrecht, welches in der Zwischenzeit bei der Auflösung einer Eisenbahn­ gesellschaft auf die zur Eisenbahnanlage expropriirten, nun dem gemeinen Verkehre zurückfallenden Grundstücke dem Besitzer eines Gutes erwächst, dem Käufer des Gutes zustehen, und wenn es der Verkäufer vor der Uebergabe ausübt, ist er gehalten, das zurückgekaufte Grundstück dem Käufer des Gutes, gegen Vergütung der auf die Rückerwerbung gemachten Verwendungen, mit zu übergeben, ohne daß es für den letzteren eines besonderen Titels (Kontrakts) bedarf. 9) Vergl. §§. 227, 291 d. T., und L. 13 §. 20, 21 D. de act. emti 19,1; L. 5 C. eodem 4, 49. Die Regel lautet nicht: Keiner der Kontrahenten kann Sache und Kaufgeld zugleich nutzen; sondern einschränkend: daß dies nicht wider den Willen des Andern geschehen kann. Die Frage ist: wann anzunehmen sei, daß es wider den Willen des Andern geschehe. Einerseits ist die Meinung hervorgetreten, daß es in allen Fällen anzunehmen, in welchen Kaufgelder erst nach der Uebergabe gezahlt werden sollten und im Vertrage nichts über die Verzinsung bestimmt worden sei. Entsch. des O.Tr. 13 S. 179. Gegen diese Meinung sind zwei Präjudize des O.Tr. gerichtet: Nr. 82 II v. I. 1833, Präj.S. S. 49. Der Käufer eines Grundstücks, welchem im Kauf­ kontrakte die Befreiung desselben von den darauf haftenden Schulden und Realverbindlichkeiten bis zur Verlautbarung des Kontraktes zugesagt, und für den Fall der Nichterfüllung dieser Zusage das Recht vorbehalten ist, das Restkaufgeld, welches er bis zu einem gewissen Zeitpunkte verzinsen sollte, bis zur vollständigen Erfüllung des Gegentheils retiniren zu können, — ist nicht verpflichtet, das Restkaufgeld über diesen Zeitpunkt hinaus bis zur viel später geleisteten Liberation des Fundi zu verzinsen, obwohl das Grundstück schon beim Kontraktsabschlusse naturaliter übergeben worden. Die Vorschrift des §. 109 findet hier keine Anwendung, weil sie im Falle der Anwendung gegen den Käufer voraussetzt, einmal, daß ihm eine vertragsmäßige Uebergabe geleistet, und zweitens, daß von ihm wider den Willen des anderen Theiles res et pretium genutzt sei. Nr. 1745 III v. 9. April 1846. Wenn in einem Kaufkontrakte für die Zahlung des Kauf­ geldes Termine festgesetzt sind, welche erst nach der Uebergabe der Sache eintreten, ohne Zinsen vom Kaufgelde vorzubedingen, so können diese erst seit dem Eintritte der Fälligkeitstermine ge­ fordert werden. Entsch. 13 S. 178. Diesen Rechtssätzen ist beizustimmen. Dagegen will eine andere Meinung geltend machen: daß nur die Kaufgelder zu verzinsen seien, deren baare Zahlung bei der Uebergabe versprochen, aber nicht geleistet wurde, daß hingegen die Kaufgelder für kreditirt zu er'achten, nach §. 861 d. T.,

Von Kaufs- und Verkaufsgeschäften.

§. 110.

743

Hat also der Verkäufer das Kaufgeld ganz oder zum Theil empfan-

rücksichtlich deren solche Festsetzung nicht getroffen worden, Entsch. 13 S. 181. Dies ist nicht anzuerkennen. Der §. 861 hat das Geben von Sachen auf Kredit zum Gegenstände und sagt: Wann anzunehmen sei, daß Sachen auf Kredit gegeben worden, ist §§. 224—227 bestimmt. Diese aber beziehen sich hauptsächlich auf die Befugniß zum Rücktritte von dem Kontrakte bei aus­ bleibender Zahlung, falls der Verkäufer das Kaufgeld nicht geborgt hat (§. 226), und bestimmen nur nebenher (§. 227), daß der Verkäufer, wenn er micht zurücktritt und der Käufer die baar bedungene Zahlung bei der Uebergabe nicht leistet, auch Zögerungszinsen vom Tage der Uebergabe fordern könne. Das versteht sich von selbst, wegen der mora solvendi. Hierdurch wird unsere Frage nicht entschieden. Für den Fall, wo im Kontrakte ein Zahlungstermin ausdrücklich fest­ gesetzt worden ist, brauchen wir keine gesetzlichen Bestimmungen. Diese (§§. 221, 93) sind eben nur auf den Fall nöthig, wenn die Parteien nichts ausdrücklich oder besonders ausgemacht haben. Und nun kommen wir auf die obige Frage wieder zurück: wann anzunehmen sei, daß der Käufer Sache und Kaufgeld zugleich wider den Willen des Verkäufers nutze, wenn über die Zahlung des Kaufpreises der Kontrakt schweigt. In solche Lücke tritt der §. 221 d. T.: „Gegen Empfang der Sache ist der Käufer das Kaufgeld sofort zu erlegen schuldig...." Enthielte ein Kontrakt diese Worte, so würde wahrscheinlich kein Zweifel darüber aufkommen, daß der Käufer, wenn er nicht zahlte und der Verkäufer sich damit nicht einverstanden erklärte, wider den aus dem Kontrakte deutlich erkennbaren Willen des Verkäufers, Sache und Kaufgeld zugleich nutzte. Es ist aber ebenso gut als enthielte der Vertrag diese Bestimmung, „wenn nicht ein Anderes darin verabredet worden (§. 21 Schlußsatz) denn sie soll eben die Verabredung subsidiarisch ergänzen, oder vielmehr, es wird angenommen, daß die Kontrahenten gerade das, was subsidiarisch vorgeschrieben ist, und nichts anderes gewollt haben. In so fern läßt der Vertrag allemal den Willen derselben erkennen. Der schon oft auf die Zinsenobligation irrig bezogene §. 224 bestimmt nur die Frage: wann und wie lange der Verkäufer die übergebene Sache wegen Nichtbezahlung des Kaufgeldes soll zurückfordern können. Da jedoch dieses Prinzip bei der Umarbeitung des gedruckten Ent­ wurfs nicht beibehalten worden ist (§. 230), so ist der §. 224 'bedeutungslos geworden; er hätte sammt dem §. 225 gestrichen werden sollen; man hat dies übersehen. H. Vgl. mit dieser Aus­ führung übereinstimmend N.G. I v. 18. Febr. 1880, Entsch. 2 S. 201. Wenn der Käufer nach Empfang der Sache das Kaufgeld, ohne daß ihm ein Verzug zur Last fällt, in Gemäßheit des 271 I. 5 zurückhält (d. h. weil der Vertrag vom Käufer noch nicht vollständig erfüllt sei), so findet §. 109 gleichfalls Anwendung; allein der Käufer retinirt Kaufgeld nebst Zinsen, bis der Verkäufer seiner Vertragspflicht in der Hauptsache genügt hat. R.G. I H. v. 4. Jan. 1881, Gruchot 25 S. 973. — Vgl. Förster-Eccius 2 S. 82 f. H. Der Grundsatz des §. 109 findet auch bei Expropriationen Anwendung, O.Tr. III v. 31. Jan. 1859, Str. Arch. 32 S. 181; H. R.O.H.G. III v. 27. Jan. 1876, Entsch. 19 S. 168, R.G. V v. 3. Nov. 1880, Gruchot 25 S. 969 (J.M.Bl. 1881 S. 179); entgegengesetzt hat entschieden R.G. II H. v. 22. Nov. 1880, Gruchot 25 S. 971. Vgl. auch R.G. II H. v. 4. Juli 1881, Zeitschr. f. Preuß. R. 2 S. 230. So lange die Expropriationen nach dem L.R. zu beurtheilen waren, war die erstere Ansicht die unzweifelhaft richtige, weil die Enteignung nach §§. 3, 4 d. T. vom Gesetz als Kauf betrachtet wurde. Nach dem Ges. v. 11. Juni 1874 (auf welches sich die angeführten Urtheile des Reichsgerichts beziehen) ist dieses Argument höchstens noch für den (in dem Urtheil v. 3. Nov. 1880 behandelten) Fall einer Einigung über die Ab­ tretung selbst (nach §. 16 des Ges. v. 11. Juni 1874) zu verwerthen (s. Anm. 10 zu §. 1 des Zus. 1 zu §. 4 d. T.; wohl aber trifft daneben die ratio des §. 109 eben so in den Fällen zu, wo Nutzung des enteigneten Grundstücks und der zu zahlenden Entschädigung in derselben Person zusammen­ fallen, und ist daher 109 für entsprechend anwendbar zu erachten, Fö rster-E ccius 2 S. 174. Eine analoge Anwendung wird von §. 109 d. T. auf den Fall, wenn einem Miterben in dem Testamente des Erblassers das Nachlaßgrundstück gegen die Verpflichtung, seine Miterben abzufinden, überlassen wird, dahin gemacht, daß er die Abfindung der letzteren seit dem Todestage des Erblassers zu verzinsen gehalten sei. O.Tr. I v. 18. Juli 1859 (Str. Arch. 34 S. 209). H. In späteren Entscheidungen hat das O.Tr. hingegen die analoge Anwendung des §. 109 auf andere Rechtsgeschäfte als den Kauf mit Recht für unzulässig erachtet. III v. 4. Okt. 1870, Str. Arch. 79 S. 255 (Werkverdingung); III v. 5. April 1872, Gruchot 16 S. 527. Auch auf das Verhältniß des bloßen Besitzers der für das Kaufgeld verpfändeten Sache zum Verkäufer ist §. 109 für unanwendbar erklärt vom R.G. V v. 3. Dez. 1879, Gruchot 24 S. 440 und III H. v. 28. Febr. 1880, Zeitschr. f. Preuß. R. 1 S. 34. Der Käufer soll nicht Sache und Kaufgeld zugleich nutzen. Daraus ist gefolgert, daß eine Verpflichtung des zum Besitze des Grundstücks gelangten Käufers zur Verzinsung des nicht ge­ zahlten Kaufgeldes nach §. 109 nicht stattfinde, wenn das Grundstück Nevenüenüberschüsse nicht gewährt hat. Erk. des O.Tr. III v. 23. April 1856, Str. Arch. 21 S. 123. Das ist ein be­ denklicher Satz. Der Nutzen läßt sich nicht immer in benannten Geldsummen darstellen, er besteht

744

Erster Theil.

Eilfter Titel.

§§. 111—120.

gen, so muß er, wenn nicht ein Anderes verabredet ist, das Erhaltene1 ®0>l verabredet ist, der Wiederkäufer tragen"). Wiederkaufs. Z. 311. In wie fern das vorbedungene Wiederkaufsrecht auch gegen einen Dritten von Wirkung sei, ist nach den Vorschriften §. 264. 265 zu bestimmen17). §. 312. Das Wiederkaussrccht kann, wider deck Willen des Besitzers der v Wie weit Sache, einem Dritten nicht abgetreten werden1S). kauDrech?° cedirt werden

12) H. Die Verpflichtung zur Baarzahlung der Wiederkaufssumme geht über den Betrag, welchen der Käufer als Kaufgeld empfangen hat, nicht hinaus; §. 308 entscheidet nur die in Anm. 14. bezeichnete Kontroverse. R.G. IV v. 30. Mai 1881, Entsch. 5 S. 199. 13) Zur Erstattung der Kaufskosten und des erlegten Laudemiums ist der Wiedertäufer nicht verbunden, weil der Wiederkauf ein neues Rechtsgeschäft, und zwar ein eignes des Wieder­ verkäufers ist. Die gemeinrechtlichen Schriftsteller sind darüber verschiedener Meinung, je nach der Auffassung des Wiederkaufs, indem die Idee von der Aufhebung des ersten Kaufes bei vielen sich einmengt. H. Die Bestimmung entspricht der in Anm. 4 erwähnten geschichtlichen Natur des Rechtsinstituts, die Polemik Koch's in dieser und den folgenden Anmerkungen (13 bis 16) beruht auf Verkennung dieses historischen Zusammenhangs. 14) Entscheidet eine gleichfalls auf Begriffsverwirrung beruhende Meinungsverschiedenheit. H. Gruchot 10 S. 601. Die Leistungen brauchen nicht schon mit der Erklärung des Be­ rechtigten verbunden zu werden. O.Tr. III v. 19. Mai 1873, Str. Arch. 90 S. 185. 15) Auch hier mischt sich dieselbe Idee wieder ein; sonst mühte auf die Vorschrift der 56, 57 d. T. verwiesen werden. 16) Ist eine positive Vorschrift; nach allgemeinen Rechtsgrundsützen über Verträge hat jeder Kontrahent seine eigenen Kosten zu tragen. Aber auch hier äußert die Idee von dem Rücktritte des Verkäufers von dem ersten Kaufe ihren Einfluß. 17) H. Bei Grundstücken bedarf das Wiederkaufsrecht zur Wirksamkeit gegen Dritte der Eintragung in das Grundbuch. §. 11 Ges. v. 5. Mai 1872; Dalcke in Gruchot 17 n Kaufgelde zu entrichten ist, ein scheinbarer Verdacht, daß das Kaufgeld niedriger, als es ver­ abredet ist, zum Nachtheil des Abschoßberechtigten angegeben worden, so steht Letzterem frei, die eidliche Bestärkung der Angabe von dem Käufer und Verkäufer zu fordern. §. 510. Uebrigens hält sich der Abschoßberechtigte, wegen der Zahlung des Abschosses, vorzüglich an den Käufer, als Besitzer der Erbschaft." Sie sind aufgehoben (vgl. im Einzelnen die Nachweisungen zu Th. II Tit. 17 §§. 140 ff.); vielmehr gilt nach Art. 11 Abs. 2 der Verf.Urk. der Grundsatz: „Abzugs­ gelder dürfen nicht erhoben werden." Ueber die Versteuerung inländischen Vermögens eines ausländischen Erblassers s. §. 10 des Ges. v. 30 Mai 1873 (G.S. S. 329). 1) Trödelkontrakt nennen die neueren Civilisten dasjenige Rechtsgeschäft, über welches der Pandektentitel 19, 3 de aestimatoria handelt, und welches keinen Eigennamen hat. Es bestand

Vom Erbschaftskaufe. — Vom Trödelvertrage.

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Termins entweder die Sache zurückgegeben, oder der bestimmte Preis geliefert werden solle, so ist ein Trödelvertrag vorhanden?). §. 512. Ein solcher Trödelvertrag kann nur über bewegliche Sachen abge­ schlossen werden. §. 513. Das Eigenthum der Sache geht auf den Empfänger mit Ablaufe des Termins sofort über3*).2 §. 514. Der vorige Inhaber kann die Sache in der Zwischenzeit nicht zurück­ fordern 4). §. 515. Wenn aber der Empfänger mit dem Ablaufe des Termins den be­ stimmten Preis nicht liefert5), so ist der vorige Inhaber die Sache selbst, wenn sie sich bei dem Empfänger noch unverkauft befindet, zurück zu nehmen berechtigt. §. 516. Bis zum Ablaufe des Termins trägt der vorige Inhaber den Schaden und Verlust, welcher ohne grobes oder mäßiges Versehen des Empfängers ent­ standen ist. §. 517. Dagegen muß der Empfänger, wenn er vor oder in dem Termine die Sache zurückgeben will, auch alle in der Zwischenzeit entstandenen natürlichen Zuwüchse derselben mit abliefern. §. 518. Er muß allen Schaden und Verlust, welcher durch sein auch nur mäßiges Versehen an der Sache entstanden ist, vergüten. §. 519. Es kommen ihm. aber auch während seines Besitzes alle Nutzungen und Vortheile, welche die Sache außer den natürlichen Zuwüchsen gewähren kann 6), wenn nicht ein Anderes verabredet ist, zu gute. darin, daß Einer dem Anderen eine Sache um einen gewissen Preis (Aestimation) zu verhandeln übertrug, und hatte Aehnlichkeit mit allen drei Konsensualkontrakten, welche den täglichen ge­ meinen Verkehr hauptsächlich ausmachten, nämlich dem Kaufe, der Miethe und dem Mandate; denn der vierte Konsensualkontrakt (die Sozietät) gehörte viel weniger dem Tagesverkehre an. Man war deshalb darüber im Zweifel: ob man wegen der Aestimation ex vendito, oder ex locato (quasi rem vendendam locasse videtur), oder ex conducto (quasi operas conduxisset), oder mandati zu klagen berechtigt sei. Um diese Bedenken zu beseitigen, kam eine besondere Spezies von Klage, eine actio de aestimato in Vorschlag, die auch für den Fall anwendbar blieb, roetm der Uebernehmer sich den Lohn ausbedungen hatte. L. 1 u. 2 D. 1. c. Die Klage war von beiden Seiten eine direkte und der unbenannte Kontrakt ein wirklich zweiseitiger. Die Verf. des L.R. haben ihn als eine eigenthümliche Spezies von Vertrag beibehalten, gleich dem Tauschkontrakte, welcher weniger ein Bedürfniß ist, als der in der That ganz eigenthümliche Trödelkontrakt. 2) Zur Begriffsbestimmung gehören auch noch die §§. 512, 522—525. 3) Nämlich wenn ein wahrer Trödelvertrag geschlossen worden und das Geschäft nicht als Auftrag, oder als Dienstmiethe zu behandeln ist, und der Preis bezahlt wird. §. 515 u. die Anm. 5. H. Nicht der Ablauf des Termins allein entscheidet über den Eigenthumsübergang, son­ dern aus §. 515 ergiebt sich, daß auch die Zahlung des Preises in dem bestimmten Termine seitens des Trödlers hinzukommen muß. Zahlt der Trödler nicht, so fordert der Eigenthümer die Sache mit der Vindikation zurück. 4) Wenn der Kontrakt in einer rechtsverbindlichen Form geschlossen ist. Außerdem gelten die Grundsätze über mündlich geschlossene Verträge, I. 5 §. 146. Hier tritt jedoch das Eigen­ thümliche ein, daß der Trödler gleichfalls sagen kann, er habe, nach dem Empfange, schon den Anfang mit der Erfüllung durch seine Bemühung, die Sache anzubringen, gemacht. Für diese muß er dann entschädigt werden. 5) Diese Bedingung des im §. 513 ausgesprochenen Grundsatzes ist aus dem R. R. bei­ behalten, welches nicht wegen des jus poenitendi, sondern wegen des Grundsatzes bei Käufen, daß der Uebergang des Eigenthums durch Bezahlung oder Kreditirung des Preises bedingt war, dem Geber die Zurücknahme gestattete, wenn er nicht das Aestimatum bezahlt erhielt. L. 5 tz. 18 D. de tributoria actione 16, 4. Dieselbe Bedeutung hat auch die Bestimmung unseres §. 515; sie hängt zusammen mit dem Prinzipe, auf welchem der §. 230 d. T. beruht. 6) Aber in der Gewahrsam des Trödlers muß die Sache bleiben, vermiethen darf er sie nicht.

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Erster Theil.

Eilster Titel.

§§. 520- 530.

§. 520. Ist vor abgelaufenem Termine Concurs über das Vermögen des Empfängers entstanden, und die Sache bei ihm noch vorgefunden worden, so müssen die Gläubiger dem vorigen Inhaber entweder die Sache zurückgeben, oder den fest­ gesetzten Preis dafür bezahlen. §. 521. War der Termin der Rückgabe zur Zeit des entstandenen Coneurses bereits abgelaufen, oder wird die Sache in dem Vermögen des Gemeinschuldners nicht mehr vorgefunden; so muß der vorige Inhaber sich in den Concurs mit ein­ lassen, und seine Befriedigung, wegen des bedungenen Preises, an dem durch das Prioritätsurtel ihm anzuweisenden Orte abroarten7). §. 522. Ist eine Sache Jemandem zum Verkaufe, ohne Bestimmung eines gewissen Termins zur Zahlung oder Rückgabe, zugestellt worden, so ist ein bloßes Auftragsgeschäft vorhanden. §. 523. Ein Gleiches findet statt, wenn zwar ein Termin zur Rückgabe, aber kein Preis bestimmt ist. 8- 524. Ferner alsdann, wenn dem Empfänger der Sache für den über­ nommenen Verkauf eine gewisse Provision oder andere Belohnung ausgesetzt worden8).9 10 §. 525. Desgleichen alsdann, wenn eine unbewegliche Sache den Gegenstand des Vertrages ausmacht.e) §. 526. In allen Fällen aber, der Uebernehmer mag die Sache vermöge eines Trödeleontraets, oder eines bloßen Auftrages in seiner Gewahrsam gehabt haben, ist ein von ihm erfolgter Verkauf, sowohl in Ansehung des vorigen In­ habers, als des Käufers, rechtsbeständig'"). Sechster Abschnitt. Begriff.

Bon §. 527. Preis, gegen Ueberlassung

gewagten Geschäften und ungewissen Erwartungen.*) Verabredungen, nach welchen eine gewisse Sache, oder ein bestimmter') die Hoffnung") eines künftigen noch ungewissen Vortheils, oder gegen künftiger Vortheile3), die /nach dem natürlichen und gewöhnlichen

7) H. Vgl. jetzt zu §. 520 §. 35 R.Konk.Ordn., zu §. 521 §§. 15, 20, 38 R.Konk.Ordn. Der frühere Inhaber hat vor Eintritt des Termins ein Absonderungsrecht als Eigenthümer (arg. £. 513 d. T.); nach dem Termine ist er wegen des Preises Konkursgläubiger, so fern nicht der Verwalter den Vertrag durch Preiszahlung erfüllt. Ist der Termin noch nicht abgelaufen, die Sache aber veräußert, so. hat der frühere Inhaber die Befugniß, die Abtretung des Rechts auf die Gegenleistung oder diese selbst zu verlangen, so weit sie zur Masse eingezogen ist. FörsterEccius 2 S. 178 Anm. 26. 8) Nach R. R. widerspricht die Ausdingung eines Lohnes dem Kontrakte nicht. L. 2 I). h. t. 19, 3. 9) Dann ist ein bloßes Mäklergeschäft vorhanden. 10) H. Eine eingehende Erörterung der rechtlichen Natur des Trödelvertrages und ins­ besondere der Frage, ob das Geschäft ein Trödelvertrag bleibe, wenn der Empfänger bereits bei Eingehung des Vertrages einen bestimmten Dritten, der die Sache kaufen wolle, genannt habe, sowie der weiteren Frage, ob und in wie weit sich der Trödler einer Unterschlagung schuldig machen könne, findet sich in Goltdammer, Arch. für Strafrecht 10 S. 252. Vgl. auch R.G. II Str.S. v. 28. Dez. 1880, Entsch. in Straff. 3 S. 150. *) Koch, Recht d. Forderungen, 2. Ausg. 3 8. 325; Gruchot 12 S. 170, 420. 1) Das Gegenversprochene muß nicht nothwendig eine gewisse Sache oder ein bestimmter Preis, es kann gleichfalls etwas Ungewisses und Unbestimmtes sein. Dann ist das Geschäft von beiden Seiten ein gewagtes, welches unverboten, und sogar mit einer besonderen Form bedacht worden ist. S. I. 5 §. 139. H. Vgl. dagegen F örster - Eccius 2 S. 133 f. 2) Der Gegenstand des Kontrakts ist hier nicht eine künftige Sache, sondern nur die Hoff­ nung auf eine solche (emtio spei), wobei in Betreff der Nechtsbeständigkeit des Geschäfts nichts darauf ankommt: ob die Sache entstehen wird, oder nicht. §§. 528—531, 587 d. T. 3) Hier sind die Vortheile, die Sache, welche von der Zukunft erwartet werden, selbst der Gegenstand des Handels (emtio rei speratae); dieser Handel fällt von selbst weg, wenn die

Von gewagten Geschäften.

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Laufe der Dinge zwar zu erwarten, aber an sich noch unbestimmt sind4*),*5 versprochen oder gegeben wird, heißen gewagte Verträge^). §. 528. Ist die bloße Hoffnung eines künftigen ungewissen Vortheils der WLÄ? Gegenstand des Vertrages, so besteht derselbe, wenn auch gar kein Vortheil wirklich wird.6) §. 529. Sind Vortheile, die nach dem gewöhnlichen Laufe der Natur oder der Geschäfte zwar erwartet, aber noch nicht bestimmt werden konnten 7), der Gegen­ stand des Vertrages gewesen, so besteht derselbe ebenfalls, wenngleich der Vortheil der davon gehegten Erwartung nicht gemäß ausfällt. §. 530. Wenn aber der gehoffte Vortheil, ohne eigenes Verschulden des Käu­ fers, gar nicht8)9 zur Wirklichkeit gelangt, so wird in diesem Falle der Vertrag wieder aufgehoben"). Vortheile gar nicht zur Entstehung kommen, denn er ist ein bedingter. §. 530. Vergl. Anm. 90 zu I. 2 §. 110. 4) Vortheile oder Rechte, welche zur Zeit des Kontrakts schon wirklich vorhanden, wenn­ gleich nach ihrem Geldwerthe noch unbestimmt sind, machen das Geschäft nicht zu einem gewagten, wie z. B. ein Vertrag, wonach Jemand sich verpflichtet, eine bestimmte Zahl Eisenbahnquittungen gegen Zahlung einer bestimmten Geldsumme von dem Anderen zu übernehmen. Denn das Recht, welches der Käufer der Quittungen erhält, ist ein gegenwärtig wirklich schon vorhandenes Theilnahmrecht an der Eisenbahn; es soll nicht erst in der Zukunft entstehen. Rur der Ertrag ist unbestimmt, worauf aber in dieser Hinsicht nichts ankommt. H. Als gewagtes Geschäft ist nicht anzusehen ein Vertrag, durch welchen gegen ein bestimmtes Entgelt die Erlaubniß übertragen wird, eine Anlage (Ziegelofen) einer patentirten Art herzustellen und zu benutzen. Daher finden §§. 539, 540 d. T. keine Anwendung, wenn das Patent wegen nachträglich wider­ legter Neuheit und Ursprünglichkeit der Erfindung zurückgenommen wird. O.Tr. IV v. 14. Jan. 1873, Entsch. 68 S. 360. 5) H. „Zum Wesen der gewagten Verträge gehört es, daß der für den wagenden Theil konstituirte Anspruch einen Gegenstand betrifft, dessen Existentwerden von den Kontrahenten als überhaupt ungewiß vorgestellt ist, oder doch (bei im Allgemeinen vorausgesetzter Verwirklichung) als ungewiß in Bezug auf einen bei dem Vertragsabschlüsse als möglich vorgestellten, für den Wagenden vorteilhaften Umfang, während die vertragsmäßige Gegenleistung des Wagenden zu prüstiren ist, auch wenn im ersten Falle der Gegenstand, welchen sein Gegenkontrahent im Falle des Existentwerdens zu leisten hatte, gar nicht Dasein gewinnt, im zweiten Falle nur in dem für den Wagenden unvorteilhaften Maße in das Leben tritt." R.G. I v. 1. Nov. 1882, Entsch. 9 S. 287. 6) H. Unter den Hoffnungskauf fällt auch der Kauf des Rechts, bei einer neuen Aktien­ emission Aktien zu einem bevorzugten Preise zu beziehen. R.O.H.G. I v. 20. Juni 1876, bei Calm, Nechtsgrundsätze rc. 3 S. 76. 7) H. Hierzu gehört' nicht das bergmännische Finderrecht und die Muthung auf Grund desselben. Wenn also dasselbe cedirt wird und nicht den gehofften Erfolg, d. h. die Beleihung nicht zur Folge hat, so kann die Cession der Muthung nicht bloß aus diesem Grunde rückgängig gemacht werden; denn der Gegenstand der Veräußerung ist das dem Muther zustehende Recht, wie es eben ist. O.Tr. III v. 30. März 1860, Str. Arch. 37 S. 141. Denn die Abtretung einer Muthung enthält (H. was die Bauwürdigkeit des Feldes betrifft) nur eine emtio spei im Sinne des §. 528 d. T. und kann nur auf Grund der §§. 539, 540 d. T. mit der actio doli angegriffen werden, wenn der Cedent wußte, daß eine der Voraussetzungen, wodurch die Beleihung bedingt ist, nicht vorhanden war. O.Tr. III v. 9 Mai 1864, Entsch. 52 S. 420 (Str. Arch. 55 S. 91). H. Beide Entscheidungen sind nicht, wie Koch anscheinend annimmt, mit einander vereinbar. Die ältere ist die richtige, Ungewißheit des ökonomischen Erfolges macht den Vertrag noch nicht zu einem gewagten. Dernbürg 2 S. 410 f.; Förster-Eccius 2 S. 131 Anm. 97. 8) Gar nicht. Dann ist das Geschäft gegenstandlos und deshalb für nicht geschlossen zu erachten. 9) Einer besonderen Wiederaufhebung bedarf es nicht; denn er gilt für nicht geschlossen, weil er unter einer Bedingung geschlossen war und die Bedingung nicht eingetreten ist. Was der Käufer etwa vorausgegeben hatte, muß restituirt werden in dem Zustande, in welchem es alsdann vorhanden; für die verschuldeten Verschlimmerungen hat der Verkäufer Ersatz zu leisten. Der Käufer hat die condictio causa data. S. §. 587 d. T. 55 Koch, Allgemeines Landrecht. I. 8. Aufl.

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Erster Theil.

Eilfter Titel.

§§. 531—547.

§. 531. Ist es nach der Fassung des Vertrages, und nach den Umständen zweifelhaft: ob nur die Hoffnung, oder die gehoffte Sache selbst der Gegenstand des Vertrages gewesen sei, so ist letzteres anzunehmen. §. 532. War es zur Zeit der geschlossenen10)11Verabredung 12 13 14 15 16schon gewiß, und beiden Theilen bekannt, daß das, was als eine Hoffnung verkauft wurde, schon da sei, so muß der Vertrag nach den Grundsätzen des Kaufes") oder Tausches be­ urtheilt werden. §. 533. War solches nur einem Theile bekannt, so ist der andere, dem davon keine Anzeige gemacht worden, an den Vertrag nicht gebunden"). §. 534. War es, zur Zeit des geschlossenen Vertrages, schon gewiß, und beiden Theilen, oder auch nur dem Käufer allein bekannt, daß das, was als Hoff­ nung verkauft wurde, nicht erfolgen werde, so ist das Geschäft nach den Regeln von Schenkungen zu beurtheilen'''). §. 535. War dieses nur dem Verkäufer der Hoffnung bekannt, so ist der Käufer an den Vertrag nicht gebunden. §. 536. Vielmehr ist der Verkäufer alle Schäden und Kosten, die dem Käufer daraus, daß er demselben seine Wissenschaft verschwiegen hat, entstanden sind, zu ersetzen verbunden"). §. 537. War zur Zeit des geschlossenen Vertrages die Existenz des Vorfalls oder der Begebenheit, wovon Gewinn und Verlust bei dem Geschäfte abhängt, schon gewiß, und beiden Theilen bekannt; die Beschaffenheit und der Umfang des Ge­ winnes oder Verlustes selbst aber noch ungewiß, so ist das Geschäft dennoch als ein gewagter Vertrag anzusehen. §. 538. Ob alsdann der Vertrag, als ein solcher, der nur über eine bloße Hoffnung, oder der über erwartete Vortheile geschlossen worden, anzusehen sei, und also die Vorschrift §. 528. oder 530. stattfindet, ist nach dem Inhalte des Ver­ trages, allenfalls aber nach der Regel des §. 531., zu bestimmen. §. 539. Bei allen gewagten Verträgen sind beide Theile schuldig, einander alle zur Zeit des Vertrages ihnen") bekannte Umstände, wovon der Erfolg der Begebenheit, oder die Beschaffenheit des davon zu erwartenden Vortheils, ganz oder zum Theil abhängen kann, treulich anzuzeigen. §. 540. Kann ein Theil überführt werden, daß er dem anderen Umstände verschwiegen' '*) habe, die nach vernünftigem Ermessen der Sachverständigen, auf

10) In solchen Fällen koinmt es ganz besonders auf den Zeitpunkt an, in welchem das Geschäft als völlig abgeschlossen zu erachten ist. Dies kann bei Verträgen unter Abwesenden zweifelhaft sein. I. 5 §. 80 u. §§. 90 ff. Auch bei Vertrügen mit Korporationen. 11) Nach diesen Grundsätzen wird das gewagte Geschäft gleichfalls im Allgemeinen be­ urtheilt. Die Bestimmung will nur sagen, daß in dem vorausgesetzten Falle das Rechtsgeschäft nicht inehr bedingt (H. richtiger: überhaupt nicht bedingt; Förster-Eccius 2 S. 132 Sinin. 101), sondern ein unbedingter Sachkauf oder Tausch sei. 12) H. Der Fall, daß das, was als eine Hoffnung verkauft wurde, zur Zeit der ge­ schlossenen Verabredung schon da war, und daß dieser Umstand beiden Theilen unbekannt war, ist in §§. 532, 533 nicht geregelt. Auf ihn finden die allgemeinen Grundsätze für Willens­ erklärungen, also auch I. 4 §. 75 Anwendung. Auf Grund dieser Argumentation erklärt R.G. I H. v. 5. Jan. 1882 einen Vertrag über ein bereits gezogenes Lotterieloos, welches die Parteien noch nicht gezogen hielten, für ungültig. Entsch. 6 S. 289. 13) Eben so wie beim Sachkaufe in dem gleichen Falle, nach 41 d. T., H. welcher wiederum nur ein Anwendungsfall des §. 1045 d. T. ist. 14) Wie bei dem Sachkaufe, §. 40 d. T. 15) D. h. ihnen einseitig bekannt, denn was Beide schon wissen, braucht der Eine dem Anderen nicht zu sagen. 16) Die bloße Thatsache der Nichtanzeige genügt, um den Anderen, dem der Umstand nicht

Von gewagten Geschäften.

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den Entschluß desselben, in den Vertrag bedungenermaaßen sich einzulassen, hätten Einfluß haben können; so ist der andere befugt, von dem Vertrage wieder abzu­ gehen, und das Gegebene zurückzufordern. §. 541. Wer dergleichen Umstände dem Anderen mit Vorbedacht verschweigt, ist demselben zur vollständigen Schadloshaltung verpflichtet^). §. 542. Ueberhaupt haftet, auch bei Abschließung eines gewagten Vertrages, jeder Theil dem anderen für jedes mäßige Versehen. §. 543. Hat der Verkäufer durch jein mäßiges Versehen verursacht, daß die Hoffnung oder der gehoffte Vortheil nicht erlangt wird, so muß er den Käufer schadlos halten. §. 544. Hat er aber durch Vorsatz oder grobes Versehen die Erfüllung der Hoffnung oder die Erlangung des gehofften Vortheils hintertrieben, so muß er dem Käufer das volle Interesse vergüten. §. 545. Kann der entgangene Gewinn, wegen der Natur des Geschäftes, auf andere Art nicht ausgemittelt werden, so ist derselbe auf den doppelten Betrag des Kaufgeldes zu bestimmen. §. 546. Von Versicherungsverträgen, als gewagten Geschäften, wird im Kauf- o Von Vermannsrechte gehandelt"). (Th. 2. Tit. 8. Abschn. 14.)19) §. 547. Nur mit ausdrücklicher Genehmigung des Staats können öffent«on liche Lotterien"9), Glücksbuden, und andere dergleichen Glücksspiele unternommen an­ werden 21). bekannt war, zum Rücktritte zu berechtigen. Denn der Wissende war schuldig die Anzeige zu machen, diese Pflicht blieb also unerfüllt, wenngleich nur aus Unachtsamkeit oder Einfältigkeit geschwiegen wurde. Ist Vorbedacht, d. h. ein auf den eigenen Vortheil berechnetes Stillschweigen, die Ursache des Verschweigens, so hat der Andere ein noch größeres Recht, er kann vollständige Genugthuung fordern. §. 541. 17) Ist eine Anwendung der allgemeinen Rechtsregeln über die Haftung für Versehen I. 5 §. 278. H. Der §. 540 setzt ein wissentliches, wenn schon nicht doloses Verschweigen voraus. O.Tr. IV v. 29. Sept. 1870, Str. Arch. 79 S. 215. 18) Vgl. §. 651 d. T. 19) Statt Abschn. 14 ist zu lesen: Abschn. 13; Reskr. v. 29. Dez. 1837, Jahrb. 50 S. 469. 20) Außer der sog. Klassenlotterie, von welcher der Staat selbst Unternehmer ist, giebt es im Lande keine ständigen öffentlichen Lotterien. H. Die Einrichtung der Klassenlotterie beruht auf dem Lotterie-Edikte v. 20. Juni 1794 (Rabe 2 S. 643) und v. 28. Mai 1810 (G.S 1810, Anh. S. 712) sowie auf der K O. v. 21. Juli 1841 (G.S. S. 131). Das Spielen in auswärtigen Lotterien und die Privatausspielungen sind bei Strafe ver­ boten. V. v. 5. Juli 1847 (G.S.'S. 261); H. hinsichtlich des Verbots des Spielens in auswärtigen Lotterien noch gültig, R.G. II Str.S. v. 24. Febr. 1880, Entsch. in Straff. 1 S. 219; K.O. v. 2. Rov. 1868 (G.S. S. 991, vgl. dazu Reskr. v. 14. Nov. 1868, M.Bl. f. d. i. V. S. 305); R.St.G.B. §§. 286, 360 Nr. 14. Das gesetzliche Verbot des Spielens in fremden Lotterien macht zwar auch den über ein solches gemeinschaftlich auszuführendes Spiel geschloffenen Gesellschaftsvertrag zu einem ver­ botenen, hindert jedoch nicht den Erwerb des auf das gemeinschaftliche Loos in der fremden Lotterie gefallenen Gewinnes; und ist daher die Klage des einen Gesellschafters gegen den anderen auf Theilung des Gewinnes statthaft. O.Tr. IV (Pr. 1939) v. 10. Nov. 1847, Entsch. 15 S. 497. Man muß also zwischen dem Hoffnungskaufe (Titel) und der Erwerbung (Uebergabe) unter­ scheiden. Die letztere wird nicht für verboten erachtet. Man hat hier also eine gültige Tradition auf Grund eines ungültigen Titels. Ist unjuristisch. H. Das Präj. 1939 ist nochmals anerkannt in O.Tr. IV v. 27. Juni 1872, Str. Arch. 85 S. 293. Gemäß derselben Rechtsanschauung, daß auf Grund einer nach preußischem Recht strafbaren Handlung das nach ausländischem Recht be­ gründete Recht auf den Gewinn erworben werde, läßt das R.O.H.G. III v. 1. Okt. 1874, Entsch. 14 S. 220, eine Klage des Spielers gegen den, welcher in seinem Auftrage ein Loos in einer auswärtigen Lotterie erneuert und den Gewinn eingezogen hat, auf Herausgabe des letzteren zu. Dafür auch Dernburg 2 S. 418. Anders für das gem. Recht R.G. III v. 12. Juli 1881, Entsch. 5 S. 124, vgl. dazu Rocholl, Rechtsfälle, 1 S. 257. H. Die Rechtsverhältnisse zwischen mehreren gemeinschaftlichen Spielern desselben Looses (vgl. Gruchot 12 S. 187; D ernburg 2 S. 417; Förster-Eccius2 S. 400 Anm. 34) sind in anderem Zusammenhänge zu erörtern. Vgl. Anm. zu I. 17 §. 171.

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Erster Theil.

Eilfter Titel.

§. 548 (Zusatz), §§. 549—562 (Zusatz).

§. 548. Der bestätigte und öffentlich bekannt gemachte Plan ist das Gesetz, nach welchem die Rechte und Pflichten des Unternehmers beurtheilt werden müssen. 5. Edikt vom 28. Mai 1810. (G.S. 1810 Anh. S. 712.) §. 7. Die durch den Druck bekannt zu machenden Plane, Instruktionen für die Einnehmer und Publikanda, sind die Gesetze, nach welchen die Rechte und Pflichten Unserer General-LotterieDirektion, und der unter ihrer Autorität und von ihr angenommenen Einnehnrer, beurtheilt werden sollen. Subsidiarisch entscheidet hiernächst Unser Landrecht.

§. 549. In diesem Plane mnß sogleich bestimmt sein: wie für die Sicherheit der Interessenten bei diesem Geschäft gesorgt toorben22). §. 550. Hat der Unternehmer die in diesem Plane bestimmte Zahl von Loosen bis zu der darin angegebenen Ziehungszeit nicht absetzen können, so ist er schuldig, den Interessenten ihren Einsatz mit den höchsten nach den Gesetzen erlaubten Zinsen zurückzuzahlen. §. 551. Haben aber die Interessenten eine Verlängerung des Ziehungstermins sich ausdrücklich gefallen lassen, oder ihren Einsatz, nach erfolgter öffentlicher Be­ kanntmachung dieser Verlängerung, bis zum Verlaufe der Hälfte des neu bestimmten Zeitraums nicht zurückgefordert,- so hat es bei dem Vertrage sein Bewenden, und die Einsetzer können für den Verzug der Ziehung weder Zinsen, noch sonst eine Entschädigung fordern. §. 552. Bis zu dem im Plane bestimmten, oder in der Folge verlängerten Zeitpunkte, wo der Einsatz geschlossen werden soll, ist der Unternehmer verbunden, jedem sich meldenden Einsetzer, so lange noch Loose22') vorhanden sind, dergleichen zu überlassen. §. 553. Sind aber am Schluffe dieses Zeitpunktes noch unabgesetzte Loose übrig, so kann der Unternehmer dieselben auf eigenen Gewinn und Verlust behalten. §. 554. Zwischen dem Unternehmer und Einsetzer vertritt das Loos oder Billet die Stelle des schriftlichen Vertrages24). §. 555. Der bloße Besitz eines solchen Looses berechtigt den Inhaber zur Einziehung des darauf gefallenen Gewinnes22'). §. 556. Ueberhaupt gilt von dergleichen Loosen Alles, was die Gesetze wegen der auf den bloßen Inhaber lautenden Papiere verordnen. (Tit. 15. §. 45—53.)2B) 21) Das Einsetzen in eine Lotterie oder Kauf eines Lotterielooses ist ein Hoffnungskauf. §. 528 d. T. Vgl. O.Tr. v. 1. Okt. 1836, Entsch. 2 S. 135. Es finden daher die Vorschriften §§. 532 ff. auf den Fall Anwendung, wenn ein schon durchgefallenes Loos verkauft wird. H. Vgl. Anm. 12 zu §. 533; Gruchot 12 S. 191; Dernburg 2 S. 417f. 22) Ist bloß Instruktion für die Behörde, welche die Bestätigung ertheilt. 23) Die Loose sind den Papieren, die auf den bloßen Inhaber lauten, gleich. Das Loos gilt als der Vertrag zwischen dem Einsetzer und Unternehmer (Käufer und Verkäufer) über den Hoffnungskauf und legitimirt den Inhaber zur Abforderung des darauf gefallenen Gewinnes. §§. 554—556. Vgl. Entsch. des O.Tr. 2 S. 135. Deshalb kann der Unternehmer dem dritten redlichen Inhaber das von dein ursprünglichen Käufer rückständig gebliebene Kaufgeld nicht ab­ rechnen; denn das Billet gilt im Verkehre wie eine körperliche Sache, welche der erste Ausgeber unbedingt gegen den Gewinn umwechseln muß; der dritte Käufer des Billets ist ein Sachkäufer so gut wie ein Käufer von Pfandbriefen. Aus diesem Grunde hat K o ch seine frühere entgegen­ gesetzte Meinung geändert. Für Koch auch Dernburg 2 S. 417. A. M. Förster-Eccius 2 S. 135 Anm. 122 (unter Berufung auf den Wortlaut des §. 558). 24) H. Ob in dem Behalten eines vom Kollekteur unbestellt zugesandten Looses eine Kon­ senserklärung des Empfängers zum Spielvertrage zu finden sei, ist eine Thatfrage. Vgl. Dern­ burg 2 S. 416 Anm. 5; Gruchot 12 S. 187; Förster-Eccius 2 S. 134 Anm. 115 (welcher durch Liegenlassen des Looses niemals den Lotterievertrag entstehen lassen will». 25) Der Besitz des Looses begründet eine Verinuthung zum Vortheile des Einnehmers für die wirkliche Bezahlung des Gewinnes, wenn nicht der gewesene Inhaber Umstände nachweisen kann, aus welchen sich ergießt, daß er ohne Zahlung zu empfangen das Look, ausgeliefert habe. Vgl. hierüber Borne mann, Syst. (2. Ausg.) 3 S. 124.

Von gewagten Geschäften.

869

§. 557. Der Unternehmer soll die Loose nur gegen baare Zahlung des Ein­ satzes verabfolgen. §. 558. Hat er also auf den Einsatz Credit gegeben, so steht ihm deshalb keine gerichtliche Klage, sondern nur die Compensation gegen den auf ein solches Loos fallenden Gewinn ju27). An h. §. 18.

Wenn ein Einnehmer der Zahlen-Lotterie dem Spieler das Einsatzgeld stundet,

so geschieht solches auf seine Gefahr, und er ist den creditirten Einsatz gegen den Spieler ein­

zuklagen nicht befugt28).

§. 559. Der von dem Unternehmer angesetzte Collecteur verpflichtet den Unternehmer so weit, als er die Grenzen der ihm ertheilten Vollmacht nicht über­ schreitet. §. 560. Es muß aber diese Vollmacht in dem Plane, oder gleich mit dem­ selben, öffentlich bekannt gemacht werden. §. 561. Ist dies nicht geschehen, so wird der Unternehmer durch den von ihm wirklich angesetzten Collecteur ohne Unterschied verpflichtet. §. 562. Auch ein Versehen eines solchen Collecteurs, bei Anfertigung oder Einsendung der Listen, muß der Unternehmer gegen die Einsetzer vertreten. 6. Allerhöchste Kabinetsorder vom 21. Juli 1841. betreffend Verände­ rungen in der Lotterie-Verwaltung. (G.S. S. 131.) Da die Lage des Staatshaushalts mit Rücksicht auf die anderweil beabsichtigten SteuerErleichterungen die Abschaffung der Lotterie noch nicht gestattet, so will Ich, um den Wünschen mehrerer Provinzial-Landtage zu entsprechen, zur möglichsten Beschränkung des Lotteriespiels auf Personen der wohlhabenden Klassen und zur Abstellung der bei dem bisherigen Betriebe be­ merkbar gewordenen Uebelstände auf Ihren im Staatsministerium berathenen Antrag vom 8.

d. M. hierdurch Folgendes bestimmen: 1) der §. 10. des Edikts vom 28. Mai 1810., wonach den Lotterie-Einnehmern ein Klage­ recht auf gestundete Einsatzgelder eingerüumt ist, soll vom 1. Januar 1842. ab nicht mehr in Anwendung kommen, vielmehr in Ansehung aller von diesem Zeitpunkt ab gestundeten Einsatz­ gelder die Vorschrift des §. 558. Th. I. Tit. XI. des Allgemeinen Landrechts wieder in Kraft treten, nach welcher den Lotterie-Einnehmern und Unter-Einnehmern, sofern sie auf den Einsatz Kredit gegeben haben, deshalb keine gerichtliche Klage, sondern nur die Kompensation gegen den auf ein solches Loos fallenden Gewinn zusteht. Diese Vorschrift soll auch in allen Landestheilen, in welchen das Allgemeine Landrecht nicht eingeführt ist, von demselben Zeitpunkt ab zur Anwendung kommen. 2. Die sämmtlichen Stellen der Lotterie-Unter-Einnehmer sollen nach und nach eingehen, und es soll daher, wenn dergleichen Stellen durch den Tod der jetzigen Inhaber oder sonst zur Erledigung kommen, die Annahme anderer Unter-Einnehmer von Seiten der Lotterie-Direktion

26) H. Vgl. auch §§. 5, 6 Ed. v. 20. Juni 1794 ; §. 9 Ed. v. 28. Mai 1810 (vgl. Anm. 20). Das in diesen Bestimmungen enthaltene, auf die Eigenschaft der Loose als Jnhaberpapier ge­ gründete Verbot einer Beschlagnahme des Lotteriegewinnes gilt auch jetzt noch, aber nicht auf Grund jener Vorschriften, sondern weil §§. 722 f. C.P.O. die Werthpapiere den beweglichen körper­ lichen Sachen gleichstellt. 27) Der §. 558 d. T. wurde schon durch das Lotterie-Ed. v. 20. Juni 1794 §. 7 wieder aufgehoben, indem dort den Lotterieeinnehmern eine Klage auf den Einsatz gestattet wurde, einige Jahre nachher jedoch durch die K.O. v. 16. Juli 1799 (Rabe 5 S. 496), hinsichts der Zahlenlotterie, wieder hergestellt. Hieraus ist der §. 18 des Anh. entstanden. Hinsichts der Klassenlotterie blieb es bei dem §. 7 des Ed. v. 20. Juni 1794. Die Zahlenlotterie wurde 1810 durch das Lotterie-Ed. v. 28. Mai 1810 von einer an ihre Stelle gesetzten Quinenlotterie verdrängt und im §. 10 wiederum eine Klage auf den Einsatz, bei Quinen- sowohl als Klassen­ loosen, gegeben. Dies ward durch die K.O. v. 21. Juli 1841 abermals geändert, und zwar dahin, daß nun wegen keines Lotterieeinsatzes geklagt werden kann. 28) Doch nur gegen seinen Abkäufer. Ein dritter redlicher Erwerber des einer lettre au porteur gleichen Looses haftet nicht wie der Cessionar einer Forderung und braucht sich den kreditirten Einsatz, über welchen das Loos quittirt, nicht abrechnen zu lassen. Vgl. Anm. zu §. 552.

870

Erster Theil.

Eilfter Titel.

(Zusatz)

563-577.

nicht ferner genehmigt werden. Auch die Stellen der Lotterie-Einnehmer sollen vermindert, und insbesondere dergleichen Stellen in kleineren Städten oder auf dem platten Lande nicht wieder besetzt werden. Wo aber für jetzt die Wiederbesetzung erledigter Einnehmerstellen erforderlich ist, da soll dieselbe nur auf Kündigung erfolgen. 3) Auf die Beobachtung der schon bestehenden Vorschrift, wonach es den Lotterie-Ein­ nehmern und Unter-Einnehmern untersagt ist, mündlich oder schriftlich zum Lotteriespiel aufzu­ fordern, und ohne vorangegangene Bestellung Loose persönlich anzubieten oder in Briefen zu übersenden, oder durch einen Dritten anbieten oder zusenden zu lassen, ist auch ferner streng zu halten, und insbesondere dahin zu sehen, daß nicht die Lotterie-Einnehmer statt der eingehenden Unter-Einnehmer andere Privat-Kommissionaire annehmen29). Lotterie-Einnehmer und Unter-Einnehmer, welche diesen Vorschriften zuwider handeln, müssen sofort entlassen werden. 4) Die Zahl der in jeder Lotterie spielenden Loose soll vermindert, der Einsatz für jedes Loos hingegen erhöht und ein hiernach zu entwerfender Plan zu Meiner Genehmigung ein­ gereicht werden....

3) Vom Loose.

§. 563. Der von dem Unternehmer angesetze Collecteur hastet eben so für die Handlungen der von ihm bestellten Untercollecteurs. §. 564. Eigenmächtige Collecteurs können den Unternehmer nicht verpflichten, als in so fern Letzterer, durch die Annahme des von ihnen gesammelten Einsatzes, oder sonst, die Handlungen derselben genehmigt hat. §. 565. Der Gewinner kann seiner Bezahlung wegen an den Unternehmer30)31 32 sich halten ^). §. 566. Ausgenommen sind die Fälle, wenn der Collecteur entweder nach den besondern Gesetzen der öffentlich bestätigten Lotterie aus eigenen Mitteln zu haften verpflichtet ist, oder wenn er zum Collecteur sich eigenmächtig aufge­ worfen hat. §. 567. In beiden Fällen steht dem Gewinner frei, seine Bezahlung entweder von dem Unternehmer, so weit dieser nach §. 564. haften muß, oder von dem Collecteur zu fordern. §. 568. Die nach Art ordentlicher Handlungsbücher geführten Bücher des Unter­ nehmers und der Collecteurs haben unter diesen, nicht aber gegen Andere, mit wirklichen Handlungsbüchern gleiche Beweiskraft3-). §. 569. Der Gebrauch des Looses ist als ein Mittel zur Auseinandersetzung33) über gemeinschaftliche untheilbare Sachen erlaubt3^). 29) Dieses den Lotterieeinnehmern gemachte Verbot, ihre Loose durch einen Dritten aus­ bieten zu lassen, gilt nur als Disziplinargesetz gegen die Lotterieeinnehmer, ohne die civilrecht­ lichen Folgen des zwischen dem Einnehmer und dem Kommissionär geschlossenen Vertrages zu berühren. I. 3 §. 36 und I. 5 §. 68. O.Tr. IV v. 1. Mai 1851, Str. Arch. 2 S. 116. Der Kommissionär des Lotterieeinnehmers ist ohne eine dies ausdrücklich bestimmende Fest­ setzung des Vertrages nicht verpflichtet, dem Einnehmer die nicht abgesetzten Loose vor der Ziehung zurückzugeben. Vgl. die eben erwähnte Entsch. des O.Tr. und I. 13 §§. 61 u. 5. 30) Nicht auch an den Kollekteur, weil dieser nur als Beauftragter des Unternehmers handelt. 31) Zur Unterbrechung der Verjährung des Rechts auf Erhebung eines Gewinnes in der Klassenlotterie genügt die bloße Präsentation der Gewinnloose im Lokale der Generallotterie­ direktion an die Kassenbeamten nicht; vielmehr ist dazu die Aushändigung der Loose daselbst an die zur Empfangnahme berechtigten Beamten dergestalt, daß die Loose auf diesem Wege wirklich in die Gewahrsam der Generallotteriedirektion gelangen, erforderlich. O.Tr. IV v. 4. Sept. 1851, Str. Arch. 3 S. 243. H. Dernburg 2 S. 416 Anm. 7 hält mit Recht die in dem Lotterieplan, also einem Vertrage vorgeschriebene dreimonatige Präsentationsfrist behufs Gewinn­ erhebung für eine Ausschlußfrist, nicht eine Verjährungsfrist. 32) H. Die besondere Beweiskraft der Handelsbücher ist jetzt beseitigt durch §. 13 Abs. 2 Nr. 2 Einf.Ges. z. C.P.O. 33) Die Verloosung kann als Theilungsmodus auf zweierlei Weise angewendet werden, entweder so, daß der eine Theilnehmer die Sache und der andere von ihm eine voraus bestimmte

Von gewagten Geschäften.

871

§. 570. Auch kann dasselbe bei gemeinschaftlichen theilbaren Sachen als ein Mittel zur Entscheidung, welchem unter den Interessenten dieser oder jener Theil zufallen solle, gebraucht werden. §. 571. In diesem Falle müssen jedoch, ehe zur Verloosung geschritten wird, die Theile selbst, und was auf jeden derselben kommen soll, durch Einverständnis der Interessenten oder rechtskräftiges Erkenntniß bestimmt sein. §. 572. Auch der Richter kann sich des Looses bei Auseinandersetzungen und Theilungen bedienen, wenn entweder die Parteien damit einig sind, oder kein anderer Ausweg übrig bleibt. §. 573. Sobald die Entscheidung durch das Loos geschehen ist, geht das Eigenthum35 * *)36 * der * * * 34 Sache auf den Gewinner über. §. 574. Die Entscheidung des Looses kann unter dem Vorwande einer Ver­ letzung über die Hälfte nicht angefochten werden33). §. 575. Wegen Zahlung desjenigen, was der Gewinner den übrigen Theilnehmern herauszugeben hat, findet eben das statt, was in Ansehung des Kauf­ preises verordnet ist. §. 576. In so fern also der Verkäufer, wegen unterbliebener Zahlung des Kaufgeldes, von beut Vertrage zurücktreten kann, sind auch die übrigen Teilnehmer, wegen der von dem Gewinner nicht gehörig geleisteten Zahlung der Herausgabe, von der Verloosung zurückzutreten berechtigt37). §. 577. Wegen Spielschulden findet keine gerichtliche Klage33) statt. Abfindung in Geld oder anderen Leistungen erhält; oder so, daß mehrere untheilbare Sachen in verschiedene Portionen gelegt werden. Eine dritte denkbare Anwendung ist zwar auch ein Auseinandersetzungsmittel, aber enthält keine Theilung, sondern ein Spiel, nämlich wenn nur ein Treffer gemacht wird, auf welchen der Gewinner die Sache ganz erhalten und jeder andere Theilhaber leer ausgehen soll. H. Das von dem Gewinner etwa Herauszuzahlende hat die Natur des Kaufpreises, Dernburg 2 S. 411 Anm. 8. 34) Da kein Unterschied zwischen den verschiedenen Anwendungen des Looses als Aus­ einandersetzungsmittel gemacht wird, so ist auch die in der vor. Anm. erwähnte dritte un­ verboten. 35) Das Eigenthum geht zwar nicht über; denn der Gewinner ist schon Eigenthümer, nämlich Miteigenthümer. Aber er wird ein A l l e i n eigenthümer dadurch, daß die Mrteigenthümer aus­ scheiden. Diesen Rechtssatz spricht auch das O.Tr. II v. 4. Jan. 1859, Entsch. 40 S. 126 aus. — H. Die hier angeregte Frage betrifft die rechtliche Natur der Gemeinschafts-Theilung, welche in anderem Zusammenhänge zu erörtern ist. Vgl. Anm. zu I. 17 §. 90. S. auch Anm. 3 zu §. 1 d. T. 36) Ohne diese ausdrückliche Bestimmung könnte die Frage ijx dem Falle zweifelhaft sein, wenn derjenige, welcher die untheilbare Sache gewinnt, an die übrigen Miteigenthümer eine voraus bestimmte Geldsumme zahlen soll. Vergl. die Anm. 33 zu §. 569. — Der im §. 574 bestätigten Meinung ward von Einigen widersprochen, namentlich von Berger, Oec. jur. Lib. III fit. 5 th. 18 Not. 4 und von Lauterbach, Coll, theor.-pract.. Fand. Lib. XVIII tit. 5 §. 36. Diese Meinung gründete sich auf L. 23 D. fam. erciscundae 10, 2: „nisi tantum aestimatus sit dubius eventus.“ Dem fügte die Glosse bei: „Tune enim nihil redditur, quasi spes emta fuerit.“ 37) Diese Bestimmung setzt voraus, daß der Verkäufer berechtigt sein soll, die gegen baare Zahlung verkaufte und übergebene Sache zurückzufordern, wenn die Zahlung des Kaufgeldes ausbleibt. Anm. 53 zu §. 224 d. T. Nachdem aber bei der schließlichen Redaktion des L.R. dieser Grundsatz dahin geändert worden, daß der Verkäufer nur zur Verweigerung der Uebergabe berechtigt sein soll, wenn der Käufer nicht sogleich bezahlt (§. 230 d. T.), paßt der gegenwärtige 8. 576'nicht mehr, weil es bei der Verloosung einer gemeinschaftlichen Sache der Uebergabe behufs der Eigenthumsübertragung nicht bedarf, vielmehr das Alleineigenthum in den; Augenblicke, wo das Loos gezogen ist, auf den Gewinner ipso jure übergeht. (§. 573 d. T.) Da nun eine Abforderung der übertragenen Sache wegen Nichtzahlung des Kaufgelds nicht gestattet ist, so hat unser §. 576 gar keine Bedeutung, wenn man ihm nicht den Charakter einer anomalen Be­ stimmung beilegen will, was gegen die Entstehungsgeschichte verstoßen würde. H. D ernburg 2 S. 411 Anm. 8. *) Koch, R. d. Forderungen 3 §. 364; Gans, über Spiele und Wetten, Beitr. z. Rev. d. preuß. Ges. S. 164; Gruchot 12 S. 209 ff.; Bruck, über Spiel und Wette (1868); Krügelstein, Spiel und Wette (1869).

4) Vom Spiel*).

872

5) Von

Erster Theil.

Eilfter Titel.

§§. 578, 579.

§. 578. Was aber Jemand in erlaubten39) Spielen verloren und wirklich bezahlt hat, kann er nicht zurückfordern. (Tit. 16. Abschn. 2.) Wet§. 579. Auch wegen Wetten 40) ist eine gerichtliche Klage nur alsdann zu-

38) Auch keine Kompensation; die Schuld ist ungültig. Einleitung §. 86, I. 16 §. 342. Die Ausstellung einer Urkunde novirt nicht. Mittels Wechsels kann jedoch eine Spielschuld auf dem Umwege realisirbar gemacht werden, daß der Wechsel einem Unwissenden girirt wird. Denn der Einwand nicht gezahlter Valuta ist kein wechselrechtlicher Einwand; die exceptio doli kann gegen den redlichen Dritten nicht begründet werden, und die Kondiktion des solchergestalt auf die Spielschuld Gezahlten findet nicht statt. §. 578. H. Gegen den dolosen Kläger aus dem Wechsel über eine Spielschuld greift die Einrede selbstverständlich Platz. O.Tr. IV v. 28. Mai 1863, Str. Arch. 50 S. 80; Dernburg 2 S. 413 Anm. 17. H. Das O.Tr. hat Kompensation mit einer Spielschuld in dem Sinne, daß die durch Gegen­ rechnung getilgte Forderung nicht nochmals geltend gemacht werden könne, unter Voraussetzung einer freiwillig eingegangenen und bewirkten Abrechnung zugelassen, IV v. 25. Sept. 1873, Entsch. 71 S. 25 (Str. Arch. 92 S. 47). Das R.G. I H. v. 19. Dez. 1880, Entsch. 1 S. 130, hingegen tritt Koch bei: die Spielschuld sei, weil nicht klagbar, auch nicht kompensabel; ein Aufrechnungsvertrag bezüglich einer Spielschuld sei nur in gehöriger Form rechtsbeständig, nicht genüge die bloße Willensübereinstimmung beider Theile, daß aufgerechnet werden solle oder auf­ gerechnet sei. Die Richtigkeit der letzteren Ansicht erhellt vor allem aus der Gleichstellung des Klage- und Einredeschutzes im preußischen Rechte. §. 86 d. Einl. (wo in Anm. 21 a. E. das eben angeführte Urtheil des R.G. nachzutragen ist). So auch Först er-Eccius 2 S. 180 Anm. 5; Dernburg 2 S. 413. 39) Was in unerlaubtem Spiele verloren und gezahlt worden, kann ob turpem causam seitens des Zahlers nicht kondizirt werden; nur dem Fiskus steht die Kondiktion zu, denn die causa ist hinsichtlich aller Theile turpis. I. 16 §§. 172, 173. H. Der Begriff des unerlaubten Spieles ist dem Strafrecht zu entnehmen. Vgl. §§. 284, 285, 360 Nr. 14 R.Str.G.B. und die Kommentare hierzu; Förster-Eccius 2 S. 180 Anm. 4. 40) Die Begriffsbestimmung von Wetten ist im L.R. nicht gegeben. „Es kann" — sagt das O.Tr. — „nur der Begriff des gemeinen Lebens, wie derselbe damals von den gemein­ rechtlichen Juristen aufgestellt wurde, zum Grunde gelegt werden. Danach aber steht nicht, wie der zweite Richter meint, jede Stipulation, wodurch eine Ungewißheit im Gewinn oder Verlust bei einem Vertrage von einer gewissen Thatsache abhängig gemacht wird, einer Wette gleich; sondern die Wette hat eben den Streit über die Wahrheit einer Behauptung zu ihrem alleinigen Objekte, und von beiden Seiten werden bestimmte Zahlungen oder Leistungen versprochen, je nachdem die Behauptung sich als richtig zeigt oder nicht." IV v. 14. Nov. 1865, Str. Arch. 60 S. 276. Für diese Definition wird das Zeugniß Lauterbach's beigebracht, welcher in seinem Colleg. theor.-pract. Pand. XI 5 §. 22 sagt: „Sponsiones sunt conventiones, quibus de veritate vel eventu alicujus rei, contendentes aliquid ponunt, vel promittunt, ea lege, ut victori cedat.“ Das letztgenannte Merkmal ist in die Definition des O.Tr. nicht ausgenommen, wie es hätte geschehen müssen, wenn es richtig wäre, daß das L.R. den Begriff der damaligen Juristen voraussetzte. Lauterbach scheint seine Definition dem weit älteren Heinrich Zoesius entlehnt zu haben, welcher in dem Comment, ad Digest. XI 5 No. 10 schreibt: „Sponsio — est contractus, quo de veritate alicujus rei, vel eventu contendentes vicissim aliquid spondent, quod fiat illius, qui veritatem est assecutus, vel pro quo stat rei eventus.“ Auch Voet, Comment. XI 5 No. 9 geht davon aus. Nur Hellfeld übergeht dieses Merkmal; er definirt Jurisprud. §. 760: „Sponsiones — sunt conventiones de dando vel faciendo, si eventus adhuc incertus, hac vel illa ratione exstiterit.“ Allein man setzt dasselbe voraus. Denn sein Kommentator Glück erläutert diese Stelle des §. 760 so: „Wette, sponsio, ist ein Vertrag, wodurch zwei Personen, bei Gelegenheit einer unter ihnen streitigen Behauptung, mit einander einig werden, daß demjenigen ein gewisser Gewinn zu Theil werden solle, dessen Behauptung über die Existenz oder Nichtexistenz einer Thatsache sich bestätigen würde." (11 S. 350.) Und einer der letzten der „damaligen" Juristen, Dabelow, wiederholt die hergebrachte Definition in folgender Fassung: „Eine Wette (sponsio) ist ein be­ dingtes reciprokirliches Versprechen zweier oder mehrerer Personen, daß sie einander etwas leisten wollen, auf den Fall, da eine zukünftige ungewisse Begebenheit auf diese oder jene Art existent werden sollte, oder eine ungewisse Begebenheit schon existent geworden ist." (Civilrechtsgelahrtheit §. 2518.) — Die späteren Juristen haben diese Begriffsbestimmung festgehalten bis auf Wilda (1843), welcher als der Erste behauptet und nachgewiesen hat, es gehöre keineswegs zum Begriff der Wette, daß den Wettpreis derjenige von den streitenden Personen, welcher Recht habe, von den übrigen erhalten solle. Es geschehe nicht nur oftmals, daß gleich bestimmt werde.

Von gewagten Geschäften.

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lässig, wenn die Wette sogleich baar41) gesetzt, und entweder gerichtlich, oder in die Verwahrung eines Dritten niedergelegt worden4^). es solle der Wettpreis nicht dem Sieger zufallen, sondern gemeinschaftlich verzehrt oder sonstwie verwendet werden; sondern es könne auch bestimmt werden, daß die Wettsumme zum Besten der Armen, einer milden Stiftung u. s. w. ausgesetzt werden solle. Das ist unbestreitbar, nur wird die Klage nicht unmittelbar jener dritten Persönlichkeit zustehen. Wilda bestimmt demnach den Begriff der Wette dahin: „es sei eine bei Aufstellung widerstreitender Behauptung getroffene Uebereinkunft, daß derjenige, dessen Behauptung sich als unrichtig erweisen würde, etwas Be­ stimmtes (an eine bestimmte Person oder zu einem gewissen Zwecke) verwirkt haben (oder als Strafe zahlen) solle." (Zeitschr. f. deutsch. Recht 8 S. 212.) Dieser Begriff entspricht auch den landrechtlichen Bestimmungen, welche nirgend vorschreiben, daß der Sieger den Wettpreis er­ halten müsse, wenn die Uebereinkunft eine Wette sein solle. Das O.Tr. hat daher das Rechte getroffen, indem es dieses als ein Erforderniß der Wette in seine Begriffsbestimmung nicht ausgenommen hat; nur können nicht die „damaligen gemeinrechtlichen Juristen" als Gewährs­ männer dafür angerufen werden, da ein wesentliches Merkmal von ihrer Definition weggelassen und durch ein anderes nicht ersetzt ist. H. Auch in einem späteren Urtheile (IV v. 16. Mai 1871, Str. Arch. 82 S. 120) hat das O.Tr. die Nothwendigkeit eines beiderseitigen Einsatzes, welchen jeder Theil gewinnen könne, als Begriffsmerkmal der Welte betont. Dernbürg findet das unterscheidende Begriffsmerkmal der Wette vom Spiel in dem Interesse der Bewährung seiner Behauptung, während es dem Spielenden nur um Erregung seiner Leidenschaft und um Gewinn zu thun sei. Er erblickt sonstige Kriterien des Spiels in dem Einfluß des Zufalls auf den Ausgang, wenn auch nicht ausgeschlossen sei, daß Geschicklichkeit und Gewandtheit der Spielenden mitbestimmend seien, sowie in dem objektiven Fehlen eines ernstlichen oder nützlichen Lebenszwecks. Förster-Ec eins 2 S. 181 f. verzichtet auf eine genaue Unterscheidung des Spiels und der Wette und verwirft insbesondere als Unterscheidungsmerkmale die Umstände, ob die Interessenten den Erfolg durch eigene Thätigkeit herbeiführen, und ob Gewinn beabsichtigt werde. Die Wett­ summe betrachtet er als Konventionalstrafe für den Fall, daß sich die Behauptung des Wettenden nicht bewahrheite. Vgl. auch Gruchot 12 S. 222. H. Besondere praktische Bedeutung gewinnt diese Unterscheidung in Anwendung auf die Frage, ob die sog. reinen Differenzgeschäfte als Spiel zu betrachten und daher die An­ sprüche aus denselben nicht klagbar seien. Vgl. Silberschlag bei Gruchot2S. 20. Dernburg 2 S. 412 Anm. 11 verneint diese Frage, weil das Differenzgeschäft auch ernsthaften Zwecken, einer wirthschaftlich gerechtfertigten Spekulation diene, ihm also das Begriffsmerkmal des Spiel­ zwecks fehle; Förster-Eccius 2 S. 129 Anm. 81 u. S. 182 Anm. 17 hält das Differenz­ geschäft für Wette. Das R.O.H.G., welches die Klagbarkeit der Differenzgeschäfte für das fran­ zösische Recht, nach welchem auch Wettschulden schlechthin unklagbar sind, verneint (I v. 12. Juni 1874 S. 273, Entsch. 14 S. 273), hat die Frage für das gem. Recht nur berührt, ohne sie zu entscheiden, in den Urth. v. 4. Nov. 1870, Entsch. 1 S. 93, u. I v. 7. März 1873, Entsch. 9 S. 203; eben so für das preuß. Recht das O.Tr. IV v. 2. Nov. 1865, Entsch. 56 S. 323. Das vormalige Oberappellationsgericht in Berlin erkennt vom Standpunkt des L.R. die Klagbarkeit der reinen Differenzgeschäfte an, Urth. v. 18. Nov. 1868, Fenner u. Mecke, civilrechtl. Entsch. 1 5. 26 (s. auch Goldschmidt, Zeitschr. f. d. ges. Handelsr. 18 S. 280), das Kammergericht verneint dieselbe, Urth. v. 15. Juli 1867 bei Mako wer. Komm. z. H.G.B. Anm. 41 c zu Art. 357 (8. Aufl. S. 391) u. v. 25. Okt. 1883, Zeitschr. f. preuß. Recht 3 S. 86. H. Der Unterschied zwischen Spiel und Wette ist ferner vielfach erörtert worden in An­ wendung auf die Frage, ob die organisirten „Wetten" bei Pferderennen (die sog. Buchmacherei, der Totalisator) als Glücksspiele im Sinne der §§. 284, 285, 360 Nr. 14 R.Str.G.B. anzu­ sehen seien. Wenngleich die strafrechtliche Seite der Frage, insbesondere in der Richtung, ob bei Eharakterisirung der fraglichen „Wette" als Spiel dieses als Glücksspiel anzusehen sei, hier nicht interessirt, ist doch die Entscheidung darüber, ob hier Wette oder Spiel vorliege, beim Mangel einer Definition im L.R. auch für dessen Auslegung von Bedeutung. Das Ö.V.G. 1882 I v. 6. April 1882, Entsch. 8 S. 363 (s. auch M.Bl. f. d. i. V. 1882 S. 152, Zeitschr. f. d. ges. Strafrechtswissensch. 2 S. 551, Goldschmidt, Zeitschr. f. d. ges. Handelsr. 28 S. 295), sowie das R.G. III Str.S. v. 29. April 1882, Entsch. in Strass. 6 S. 172 (s. auch M.Bl. f. d. i. V. 1882 S. 159, J.M.Bl. 1882 S. 267; Goldschmidt a. a. O. S. 308); II Str.S. v. 30. Juni 1882, Entsch. in Strass. 6 S. 421, II Str.S. v. 7. Juli 1882, Entsch. in Strass. 7 S. 21 haben jene Wetten für Spiele erklärt. Das O.V.G. legt Gewicht auf das Motiv, welches nicht in einem wirk­ lichen Meinungskampfe der sich persönlich fern bleibenden Wettenden, sondern nur in der Lust am Wagniß und Gewinn liege; die für das Spiel nöthige eigene Thätigkeit des Spielers sei schon im Eingehen des Spielvertrages zu finden. Auch das R.G. sucht das Unterscheidungsmerkmal zwischen Spiel und Wette ausschließlich im Vertragswillen der Kontrahenten und in dem Sinne, in welchem sie den Vertrag vereinbart haben: bei der Wette Interesse an der Bewährung einer

Erster Theil.

874

Eilfter Titel.

88- 580—583 (Zusatz), §. 591.

§. 580. Wetten sind ungültig, wenn ein Theil von der Gewißheit des Gegen­ standes der Wette unterrichtet war, und dieses dem anderen nicht angezeigt hat. §. 581. Gelder, die ausdrücklich 4^) zum Spielen oder Wetten, oder zur Be­ zahlung des dabei gemachten Verlustes, verlangt und verliehen worden, können nicht gerichtlich eingeklagt werden44). ufe0Itünfe£ §• 582. In so fern eine noch künftige Sache, die aber doch nach dem natürger Sa- lichen und gewöhnlichen Laufe der Dinge erwartet werden kann, ohne Bestimmung ^cnvar, und sie nicht geleistet hat, Zögerungszinsen entrichten89). Anh.

26 fällt weg").

Kaufleuten und Juden nicht über acht vom Hundert betragen. §. 826. Sind aber Zinsen vor­ bedungen, und zugleich eine Conventionalstrafe bestimmt worden, so dürfen beide zusammen den vorstehenden Satz der sechs und acht vom Hundert nicht übersteigen." Sie sie aufgehoben durch §. 1 Ges. v. 14. Növ. 1867 (Zus. 20 zu §. 804 d. T.). Hinschius a. a. O. (Anm. 45) S. 34; Förster-Eccius 1 S. 838 Anm. 36; Dernburg 2 S. 98. O.Tr. III v. 1. Nov. 1875, Entsch. 76 S. 99, läßt die Frage unentschieden. — Die Vorschriften bezogen sich übrigens ledig­ lich auf Darlehen. O.Tr. Pl.Beschl. v. 23. Jan. 1846, Entsch. 1 (12) 2 S. 3. 89) Verzögerungszinsen haben eine durchaus accessorische Natur, so daß sie in der Regel mit der Hauptforderung zugleich eingeklagt werden müssen und nicht durch eine selbstständige Klage eingefordert oder nach gefordert werden können. S. §. 845 und die Anm. dazu (H. jedoch auch Anm. 23 zu §. 848 d. T. a. E.) Wegen einer Ausnahme s. die Anm. 85 a. E. Tritt bei vorbedungenen Zinsen eine Zögerung mit der Kapitalszahlung ein, so kann der Gläubiger Zögerungszinsen fordern und die Konventionalzinsen fahren lassen, was sowohl hin­ sichtlich des Zinsfußes als der Verjährung erheblich ist. Dies ist streitig. Eine andere Meinung ist, daß bei eingetretenem Verzüge des Schuldners in Zurückzahlung des verzinslichen Darlehns die ferneren Zinsen ihre Eigenschaft als vorbedungene nicht verlieren und daher der vierjährigen Verjährung unterliegen, wogegen die durch den Verzug etwa begründeten Mehrzinsen der kurzen Verjährung nicht unterliegen, und daß es hierin nichts ändere, wenngleich in der Schuldver­ schreibung die Verzinsung nicht ausdrücklich bis zur Zurückzahlung des Kapitals versprochen sei. — Der Folgesatz ist einzuräumen, wenn der Grundsatz dieser Meinung richtig ist. Das ist nicht anzuerkennen, weil er keinen anderen Rechtsgrund hat als das Postulat, daß die hinzutretende causa ex mora gespaltet werden müsse und nur zum Theil Geltung erlange. Wo ist dafür ein juristischer Beweis? Jedoch hat sich die Mehrheit des damaligen Obertribunals durch den Pl.Beschl. (Pr. 1731) v. 9. April 1846, Entsch. 12 S. 17, für diese Meinung entschieden. Vgl. die Anwen­ dungen in den Erk. IV v. 18. Nov. 1851 und v. 29. Nov. 1853, Str. Arch. 4 S. 90 und 11 S. 76. Das O.Tr. hat denn auch bei einer Entsch. I v. 7. Nov. 1862 dem Pl.Beschl. eine Beschränkung beigefügt. Der Pl.Beschl. soll voraussetzen ein Zinsversprechen, „welches nicht durch einen terminus ad quem beschränkt ist, welches also, ungeachtet des hinzugekommenen Verzuges als in Kraft verblieben betrachtet werden kann." Str. Arch. 48 S. 60. D. h., wenn ein Darlehn auf ein Jahr, mit Hinzufügung des letzten Kalendertages, gegeben wird, so findet der Satz des Pl.Beschl. keine Anwendung; wenn es auf Widerruf (Kündigung) gegeben wird und der Gläu­ biger so kündigt, daß die Fälligkeit genau an demselben Tage eintritt, so findet er Anwendung. Die Unterscheidung ist rein willkürlich, unjuristisch. H. §. 3 des Bundesges. v. 14. Nov. 1867 (Zus. 20 zu §. 804 d. T.) bestimmt: „Wird die Zahlung eines Darlehns oder einer anderen kreditirten Forderung verzögert, so bleibt auch für die Zögerungszinsen der bedungene Zinssatz maßgebend, sofern derselbe höher ist, als die gesetzlich bestimmten Zögerungszinsen." Darin liegt der Ausdruck des Prinzips, daß alle Zinsen in dem beregten Falle auch Verzugszinsen sind. Der Gläubiger hat Zinsanspruch auf Grund eines doppelten Rechtstitels. So auch R.G. I H. v. 16. Dez. 1881, Gruchot 26 S. 963; Förster-Eccius 1 S. 457 Anm. 80; Dernburg 1 S. 404 Anm. 8, 2 S. '90 f.; Hinschius a. a. O. (Anm. 45) S. 27. 90) Er hieß: „Der Fiscus ist nur vorbedungene Zinsen zu zahlen schuldig." Vor Ein­ führung des L.R. war das Privilegium des Fiskus aus L. 17 §. 5 D. de usuris 22, 1: fiscus ex suis contractibus usuras non dat, sed ipse accipit, sowohl in der Gerichtspraxis unbezweifelt gehandhabt, als auch von der Brandenburg'schen Gesetzgebung, in dem Landtags­ rezesse v. 26. Juli 1653 §. 27, besonders anerkannt worden. Bei Abfassung des Gesetzbuchs war es übergangen worden, und man hielt dies, wie der Just.Min. in einem Schr. v. 20. Febr. 1797 (Rabe 4 S. 32) aussprach, für eine Aufhebung. Das Generaldirektorium und das Ober­ kriegskollegium waren anderer Meinung: man forderte im I. 1799 ein Gutachten von der Gesetzkommission. Das Gutachten der Justizdeputation v. 11. März 1799, und das hinterdrein noch von den vereinigten Deputationen der G.K. erstattete Gutachten v. 3. Sept. 1799 fiel dahin aus, daß das Privilegium aus der L. 17 §. 5 de usuris durch das L.R. aufgehoben und dessen Wiederherstellung weder gerecht, noch billig sei. Dies fand nicht Beifall bei dem Just.Min. und dem Generaldirektorium. Auf eine Jmmediatanfrage erging die K.O. v. 28. Okt. 1799, welche lautet: „Seine Königl. Majestät von Preußen rc. ertheilen dem Generaldirektorio und dem Großkanzler v. Goldbeck auf die Anfrage v. 24. d. M. zum Bescheid, daß allerdings ein deklaratorisches Gesetz dahin zu erlassen sei, daß Fiskus ohne Stipulation Zinsen zu bezahlen nicht schuldig, dergleichen aber, ohne Versprechen, ohne vorhergegangene Mahnung und bestimmten

Vom Darlehnsvertrage.

943

22. Gesetz, über die Rechte des Fiskus, hinsichtlich der Zinsen. Vom 7ten Juli 1833. (G.S. S. 79.) Wir rc. verordnen zur nähern Bestimmung und zur Einschränkung des fiskalischen Vor­ rechts hinsichtlich der Zinsen, auf den Antrag Unseres Staatsministeriums und nach erfordertem Gutachten Unseres Staatsraths, wie folgt: §. 1. In Ansehung des Rechts, Zinsen zu fordern, ist der Fiskus lediglich nach den all­ gemeinen Rechtsregeln zu beurtheilen 91). §. 2. Eben so gelten die allgemeinen Rechtsregeln in Hinsicht der Verpflichtung des Fiskus, vorbedungene Zinsen sowohl als solche Zinsen zu zahlen, welche in Folge besonderer gesetzlichen Vorschriften bei gewissen Geschäften eintreten92). §. 3. Eigentliche Zögerungszinsen dagegen ist Fiskus nur von dem Tage der in dem rechtskräftigen Erkenntnisse °3) bestimmten Zahlungsfrist mit Fünf vom Hundert 511 entrichten verbunden94). §. 4» Das gegenwärtige Gesetz ist in allen Provinzen Unserer Monarchie zur Anwendung zu bringen, und werden auch alle ihm entgegenstehende allgemeine und provinzielle gesetzliche Vorschriften hierdurch aufgehoben. 23. Gesetz über die Verpflichtung des Fiskus zur Zahlung von Zöge­ rungszinsen. Vom 7. März 1845. (G.S. S. 158.) Wir Friedrich Wilhelm rc. Um den von den getreuen Ständen mehrerer Provinzen vor­ getragenen Wünschen wegen Aufhebung des fiskalischen Vorrechts hinsichtlich der Zögerungszinsen möglichst zu entsprechen, verordnen Wir, unter Abänderung des §. 3. des Gesetzes vom 7. Juli 1833., auf den Antrag Unseres Staatsministeriums und nach vernommenem Gutachten Unseres Staats­ raths für den ganzen Umfang der Monarchie was folgt: Der Fiskus soll fortan auch in Ansehung der Verbindlichkeit, Zögerungszinsen zu zahlen, in Friedenszeiten den Privatpersonen völlig gleichgestellt sein. Dagegen soll derselbe während der Dauer eines Krieges von den bis zu dessen Ausbruch gegen ihn noch nicht rechtskräftig festgestellten oder während des Krieges fällig werdenden Forderungen Zögerungszinsen erst von dem Tage an zu entrichten verbunden sein, an welchem das Erkenntniß über die Forderung rechtskräftig wird"). Zahlungstag, zu empfangen wohl befugt sei." (N. E.S. 10 S. 2687; Rabe 5 S. 629.) In dem Zufertigungsreskr. v. 18. Nov. 1799 an die Justizkollegien sagt der Großkanzler, daß diese authentische Deklaration kein neues Gesetz enthalte. Aus dieser K.O. wurde in den ersten Anh. z. L.R. §. 26 nur der erste Theil, nämlich die Bestimmung: daß der Fiskus ohne Stipulation Zinsen zu bezahlen nicht schuldig sei, ausgenommen; der andere Theil, betreffend die Befugniß des Fiskus, Zinsen zu fordern, war zwar in den Entwurf des Anhangs auch ausgenommen worden, er findet sich aber durchstrichen, ohne daß ein Grund davon ersichtlich ist. Gesetzesrev. Pens. XII Motive zu L.R. II. 14 S. 146. Vgl. die Motive des Pl.Beschl. des O.Tr. v. 5. Juli 1852, Entsch. 23 S. 271 (Str. Arch. 5 S. 358). Inzwischen ist auch die in den §. 26 des Anh. aufgenommene erste Hälfte jener Verfügung durch die Ges. v. 7. Juli 1833 und v. 7. März 1845 (Zus. zu §. 827) gänzlich verändert. 91) Hierdurch ist denn der zweite Theil der K.O. v. 28. Okt. 1799 (Anm. 90) ganz be­ stimmt abgeschafft, was durch die bloße Nichtaufnahme in den ersten Anhang noch nicht ge­ schehen war. 92) Hier und im folgenden §. 3 werden die gesetzlichen Zinsen (usurae legales) im engeren Sinne und die eigentlichen Zögerungszinsen unterschieden, ein Unterschied, der in der landrecht­ lichen Gesetzgebung nicht deutlich hervortritt. Seit der Publikation dieses Gesetzes ist Zweifel darüber entstanden: ob die Verpflichtung des Fiskus zu den gesetzlichen Zinsen im engeren Sinne erst durch dasselbe begründet, oder nicht vielmehr schon vorhanden gewesen sei. Derselbe ist durch den Pl.Beschl. des O.Tr. (Pr. 2386) v. 5. Juli 1852 dahin entschieden: „Fiskus ist gemäß §. 26 des Anh. zum L.R. bis zur Publikation des Ges. v. 7. Juli 1833 von der Zahlung solcher Zinsen, welche in Folge besonderer gesetzlicher Vorschriften bei gewissen Geschäften ein­ treten, befreit gewesen." Entsch. 23 S. 271 (Str. Arch. 5 S. 358). 93) Vgl. die Anm. zu §. 196 I. 16. 94) Abgeündert durchs 'das Ges. v. 7. März 1845 (Zus. zu §. 827). S. auch Anm. zu I. 16 §. 195. 95) H. §. 645 C.P.O.

944

Erster Theil.

Eilfter Titel.

§§. 828—841.

§. 828. Diese Zögerungszinseu laufen von dem im Schuldscheine bestimmten Zahlungstage an'«). §. 829. Ist im Instrumente kein Zahlungstag bestimmt, so müssen sie, nach erfolgter Aufkündigung, von dem Ablaufe der dazu verabredeten oder gesetzmäßig bestimmten Frist'^), entrichtet werden. §. 830. Als Zögerungszinsen können in der Regel fünf'«) vom Hundert gefordert werden. §. 831. Auch wenn im Schuldscheine niedrigere Zinsen vorbednngen wären, kann der Gläubiger, von der Zeit der Zögerung des Schuldners an, fünf vom Hun­ dert fordern. §. 832. Aufgehoben "). §. 833. Außer den Zögerungszinsen kann der Gläubiger für den durch den Verzug des Schuldners ihm entstandenen Schaden keine weitere Vergütung for­ dern j0°). §. 834. Hat jedoch der Schuldner, bei vorhandenen hinlänglichen Zahlungs­ mitteln 1), aus Vorsatz oder grobem Versehen 2), die Zahlung verzögert, so kann der Gläubiger, statt der Zögerungszinsen, oder der Konventionalstrafe, den Ersatz des aus diesem Verzüge ihm erwachsenen wirklichen Schadens verlangen 3). wegen^P/-" §• 835. Sowohl vorbedungene, als Zögerungs-Zinsen, müssen in der Münzznhlunq der sorte des Capitals4) entrichtet werden. 96) §. 67 I. 16. H. Der früher hier von Koch erwähnte Fall der Gewährung eines Moratorium (§. 38 A.G.O. I. 47; Preuß. Konk.Ordn. §. 427) ist beseitigt durch §. 14 Nr. 4 Einf.Ges. zur C.P.O. 97) War vor dem Prozesse ein Verzug nicht zu erweisen, so laufen doch Prozeßzinsen seit Insinuation der Klage. A.G.O. I. 7 §. 48 d, H. eine noch geltende Vorschrift des materiellen Rechts. Vgl. Vierhaus, A.G.O. S. 18. 98) S. Anm. 9 zu §. 841 d. T. — Schon die Reichsgesetzgebung (Dep.Absch. 1600 §. 139) hatte in Anerkennung der reichskammergerichtlichen Praxis (Meiern, vom sechsten Zinsthaler S. 116 ff.) das Interesse des Gläubigers im Falle der mora solvendi zur Abschneidung weit­ läufiger Liquidationen und Beweisführungen auf fünf Prozent festgesetzt, weil man annahm, daß nach dem damals zulässigen Zinsfüße für den Rentenkauf (Reichspol.Ordn. 1530 Tit. 26 §. 8; 1548 Tit. 17 §. 8; 1577 Tit. 17 §. 9) der Gläubiger sein Geld so hoch nützen könne Die Bestimmung hat die Bedeutung einer Fiktion, gegen welche von keiner Seite ein Beweis zulässig ist, mit der einzigen Ausnahme, welche der §. 834 festsetzt. H. Die Höhe der gesetzlichen Zinsen, insbesondere der Verzugszinsen ist bei Handelsgeschäften sechs vom Hundert jährlich. Art 287 Abs. 1 H.G.B. Wenn Verzugszinsen mit Konventionalzinsen konkurriren, ist die Höhe der letzteren auch für die ersteren maßgebend. §. 3 Ges. v. 14. Nov. 1867. (Vgl. Anm 89.) 99) H. Der §. 832 lautete: „Kaufleute und Juden können den höchsten ihnen erlaubten Zinssatz als Zögerungszinsen fordern, wenn sie gleich im Instrumente selbst sich nur niedrigere Zinsen versprechen lassen." Der „höchste erlaubte Zinssatz" bestimmt sich jetzt nicht mehr nach dem durch das Ges. v. 14. Nov. 1867 aufgehobenen §. 805 d. T., sondern nach Art. 287 H.G.B. Da dieser nur für Handelsgeschäfte 6% als Verzugszinsen bestimmt, so ist bei nicht handels­ geschäftlichen Forderungen der Kaufleute jetzt der Satz von 5% maßgebend. R.G. IV v. 12. Febr. 1883, Gruchot 27 S. 923. 100) Vgl. Anm. 89 zu §. 821 d. T. H., s. auch Anm. 4 zu I. 5 §. 293. 1) Nur unter dieser Voraussetzung, die der Gläubiger in den seltensten Fällen zu erweisen im Stande sein wird, soll die reichsgesetzliche Entscheidung der Kontroverse (R.D.A. v. 1600 §. 139) Geltung haben, und auch nur unter Einschränkung auf den wirklichen Schaden. Die Bestimmung ist dadurch unpraktisch gemacht. 2) Nach der Regel muß in diesem Falle das ganze Interesse geleistet werden. I. 5 §. 285. Ein juristischer Grund zu der davon hier gemachten Ausnahme ist nicht bekannt. 3) Die §§. 833, 834 sind bei denjenigen Darlehnsverträgen nicht ausgeschlossen, bei denen die Valuta in den Objekten »des §. 793 gegeben ist. O.Tr. IV v. 11. April 1861, Str. Arch 41 S. 164. 4) Bei Entrichtung vorbedungener Zinsen vor Alters ausgeliehener Kapitalien ist das Verhältniß des zur Zeit der Ausleihung bestehenden Münzfußes verglichen mit dem zur Zeit der Zinszahlung gültigen Münzfüße maßgebend; Münzveränderungen, welche inmitten dieser

Von: Darlehnsvertrage.

945

§. 836. Was wegen der Capitalszahlungen §. 769—777. verordnet ist, findet auch bei Entrichtung und Eincassirung der Zinsen statt. §. 837. Wenn eine gewisse Summe zehn Jahre hindurch5*)* *als Zinsen eines schuldigen Capitals bezahlt worden, so entsteht die Vermuthung6),7 daß der Zah­ lende das Capital selbst als ein Darlehn schuldig sei. §. 838. Diese Vermuthung wird bloß dadurch, daß der Empfänger über das Capital selbst keinen Schuldschein vorzeigen kann, noch nicht entkräftet^). §. 839. Ist die §. 837. beschriebene Zinsenzahlung durch dreißig Jahre ge­ leistet worden, so kann der Gläubiger das Capital vermöge eines durch Verjährung erworbenen Rechts?) fordern, und der Beweis, daß ursprünglich kein Darlehn gegeben worden, ist nur in dem Maaße zulässig, wie gegen die Verjährung über­ haupt ein Beweis stattfinden kann8). §. 840. Ist die Summe des Capitals, zu welchem sich der Schuldner durch diese mehrjährige Zinsenzahlung (§. 837. 839.) bekannt hat, in den Quittungen nicht ansgedrückt, noch sonst auszumitteln, so müssen die jährlich gezahlten Inter­ essen nach landüblichem Zinsfüße zu Capital gerechnet werden. §. 841. Unter landüblichen Zinsen werden im Gesetze fünf vom Hundert ver­ standen 9). beiden Faktoren liegen, sind unerheblich. O.Tr. I v. 27. Nov. 1851, Entsch. 22 S. 308 (Str. Arch. 4 S. 115). Das (Gleiche gilt bei der Rückzahlung solcher Kapitalien. §. 787 d. T. H. Vgl. jetzt die in Ann:. 19 zu tz. 779 d. T. abgedruckten Bestimmungen des Reichsmünzgesetzes. 5) In jeden: Jahre besonders. Die causa braucht in den Quittungen nicht näher an­ gegeben zu sein, als daß es „Zinsen eines schuldigen Kapitals" seien; H. doch müssen die Zahlungen ausdrücklich als Zinszahlungen für ein Kapital geleistet sein. O.Tr. v. 16. April 1861, Gruchot 13 S. 272. 6) Die Vermuthung des Titels der Hauptschuld (weil eine Zinsenobligation nicht ohne Hauptstuhl gedacht werden kann), nach Brunnemann's Lehre in: Kommentar ad L. 28 0. de pactis, no. 9. S. aus der vorlandrechtlichen Praxis den Rechtsfall in Hy mm en, Beitrüge, Samml. 8 S. 59. H. Die Vermuthung ist aufrecht erhalten durch §. 16 Nr. 1 Einf.Ges. zur (5.P.O. 6a) Denn es kann von Anfang kein Instrument aufgesetzt worden oder das ausgefertigte Instrument verloren gegangen sein, nach Leyser, Med. sp. 243 m. 8. H. Vorlegung eines ein Zinsversprechen nicht enthaltenden Schuldscheins ist kein genügender Gegenbeweis, Gruchot 13 S. 274. 7) S. die Anm. 2 zu I. 9 §. 500. Diese eigenthümliche Begründungsart einer persönlichen Verbindlichkeit ist von mehrerer: gemeinrechtlichen Juristen aus der L. 6 pr. §. 1 D. de usuris 22, 1; L. 3, 4, 8 jj. 1 (). de praescr. XXX vel XL annor. 7, 39 u. L. 20 C. de agricolis et censitis 11, 47 erfunden worden. „Rach gen:einem Rechte kann durch die bestimmte Verjährung (praescriptio definita) eine Forderung nicht erworben, noch weniger aber die dingliche Be­ schaffenheit derselben begründet werden. Auch durch die unvordenkliche Verjährung kann dies nicht geschehen." O.Tr. v. 15. April 1836, Entsch. 2 S. 201. H. Es handelt sich in Wahrheit nicht im: eine Ersitzung, sondern nur um eine Beweisvorschrift, die Begründung einer besonders starken, durch 16 M. 1 Einf.Ges. z. E.P.O. konservirten Rechtsvermuthung. Förster-Eccius 1 S. 246 f., 444 f.; Dernburg 2 S. 84 uimmt Ersitzung des Kapitals an, weil nach preuß. Recht Besitz an Obligationen möglich sei. Vgl. auch Gruchot 13 S. 267 ff. 8) H. 837—839 d. T. sind nicht anwendbar, wenn die zu ersitzende Forderung für einen Anderen verbrieft und eingetragen ist. O.Tr. III v. 26. Sept. 1870, Str. Arch. 81 S. 4; vgl. auch O.Tr. v. 20. Juni 1850, Gruchot 13 S. 273. 9) H. Der landübliche Zinsfuß betrug in Ost- und Westpreußen, in den den: Reg.Bez. Cöslin einverleibten westpreuß. Exklaven, sowie in: Lauenburg-Bütowschen Kreise 6 °/0. Er ist in Bezug auf gesetzliche und Verzugszinsen auf 5% herabgesetzt durch V. v. 2. Juni 1827 (G.S. S. 76), K.O. v. 10. Mai 1828 (v. Kamptz, Annal. 12 S. 136 — dieselbe dehnt nicht, wie in früheren Auflagen angenommen wurde, die V. v. 2. Juni 1827 auf die ganze Monarchie aus, sondern deklarirt die letztere nur dahin, daß sie sich auf das ganze „Königreich", |b. i. die ganze danmlige Provinz^ Preußen erstrecke), K.O. v. 3. Febr. 1833 (G.S. S. 15). Die Herab­ setzung fand auf früher entstandene, später geltend gemachte Verzugszinsen keine Anwendung. O.Tr. II (Pr. 275) v. 9. Juni 1837, Präj.S. S. 359. In Schlesien beträgt der landesübliche Koch, Allgemeines Landrecht. I.

8. Miifl.

60

946

Erster Theil.

Eilfter Titel.

§§. 842—844.

§. 842. Hat der Gläubiger bei einem zinsbaren Darlehne über den letzten Zinstermin 10) ohne Vorbehalt quittirt11), so streitet für den Schuldner die Vermuthung, daß auch die vorhergehenden Termine berichtigt worden. §. 843. Ist über das Capital^) selbst ohne Vorbehalt quittirt worden, so sind die vorbedungenen Zinsen für bezahlt oder erlassen zu achten^). Zinsfuß allgemein noch 6 °/0. O.Tr. I v. 28. Okt. 1859, Str. Arch. 35 S. 202. — §. 841 d. T. ist durch das Ges. v. 14. Nov. 1867 nicht berührt worden, R.G. I H. v. 3. Febr. 1880, Gruchot 24 S. 977; Hinschius a. a. O. (Anm. 45 zu Zus. 20 bei §§. 804—806) S. 28; D ernbur g 2 S. 82. 10) Bei anderen terminlichen Leistungen werden zwei Quittungen zur Begründung der Vermuthung- gefordert. I. 16 §. 133 und Änm. dazu. 11) Hier wirkt die Quittung ohne Vorbehalt die Vermuthung. Ist eine Quittung nicht gegeben, so ist auf den allgemeinen Grundsatz des §. 133 I. 16 zurückzugehen. H. Vorausgesetzt ist eine Quittung, welche von dem Gläubiger dem Schuldner ertheilt worden ist. Eine solche Quittung liegt daher nicht vor, wenn sie von dem Gläubiger über die Zahlung aus einer in gerichtlicher Gewahrsam befindlichen Masse ertheilt wird. O.Tr. IV v. 5. Nov. 1868, Str. Ärch. 73 S. 22. H. Das O.Tr. hat, nachdem es schon in dem Pl.Beschl. v. 4. Dez. 1854 (vergl. Anm. 13) angenommen hatte, daß im Falle des §. 843 d. T. auch ein bloß mündlicher Vorbehalt genüge, um die aufgestellte Vermuthung zu widerlegen, ausgesprochen, daß kein Grund vorliege, an­ zunehmen, daß der Ausdruck: „ohne Vorbehalt quittirt" im §. 842 etwas anderes bedeute, als im 8- 843, und es ist deshalb auch im Falle des §. 842 ein bloß mündlicher Vorbehalt für rechtlich wirksam erachtet. III v. 4. Mai 1874, Str. Arch. 91 S. 239. H. Ueber die Fortdauer der Bestimmung vgl. §. 16 Nr. 1 Eins.Ges. z. C.P.O. 12) Nämlich über das ganze Kapital. Quittungen über Partialzahlungen haben diese Wirkung nicht. Pr. des O.Tr. von 1851 ohne Datum. (J.M.Bl. 1851 S. 296.) Es ändert nichts, wenn in der Quittung zugleich über einen Theil der Zinsen quittirt ist, nur muß kein Vorbehalt wegen des Uebrigen gemacht worden sein. Vergl. R. v. 4. Dez. 1835 ad 2 (Jahrb. 46 S. 568). — H. §. 843 bezieht sich nicht nur auf Quittungen über Darlehen. R.G. I H. v. 21. Mürz 1882, Gruchot 27 S. 924. 13) Es wird dafür „erachtet", gehalten, es wird angenonnnen, fingirt, das ganze Schuld­ verhältniß ist damit abgethan. Eben so nach §. 847. In beiden Fällen ist von der rechtlichen Wirkung einer Quittung über das Kapital ohne Vorbehalt die Rede; die Wirkung bleibt sich gleich, mag vor der Qurttungsleistung geklagt worden sein oder nicht, denn diese Thatsache ändert nicht den Rechtspunkt. Das O.Tr. findet in dem „zu erachten" des §. 843 eine Vermuthung, welche durch Gegenbeweis widerlegbar sei, nach dem Pr. v. 11. Mai 1839: „Die über die Zahlung eines Kapitals ohne Vorbehalt ausgestellte Quittung begründet zu Gunsten des Schuldners nur die Vermuthung, daß die vorbedungenen Zinsen bezahlt oder erlassen sind; der Nachweis des Gegentheils wird durch diese Vermuthung nicht ausgeschlossen." Entsch. 4 S. 336. Um diesen Satz zu begründen, müßte nachgewiesen werden, daß der Gesetzgeber einen unrichtigen Ausdruck gebraucht habe, denn das „dafür erachten", „dafür ansehen, halten", ist der bekannte und um zweideutige Ausdruck für eine Fiktion. M. s. z. B. §§. 25, 18, 39, 42, besonders 1027 und auch 1048 d. T.; I. 2 §§. 6, 7, 83; I. 4 §§. 105, 130; I. 7 §§. 17, 30 ; I. 9 §§. 73, 396 ; I. 12 §§. 64, 505, 585;'I. 13 §§. 129, 130; I. 14 §§. 154, 206; I. 15 §. 39; I. 16 §§ 116, 147; 1. 18 §. 630; I. 20 §§. 91, 280, 576; II. 1 694 und andere Stellen. Statt dessen beruht die Begründung des Satzes auf einer dem Wortlaute widersprechenden Folgerung; es werde nicht gesagt, wie in §§. 846 und 847, daß dergleichen Zinsen nicht nachgefordert werden könnten; es werde nur ausgesprochen, daß die Zinsen für bezahlt oder erlassen zu erachten seien, es solle also (?) vermuthet werden, daß u. s. w. Bei einer späteren Entscheidung IIl. v. 23. Nov. 1847, wo diese Deutung aufrecht erhalten wird, sind sachliche Gründe dafür gegeben. Der Grund des §. 843, nämlich des von dem O.Tr. hineingelegten Satzes, liege nicht in der Thatsache der auf irgend eine Weise eingetretenen Aufhebung der bis dahin bestandenen Haupt­ verbindlichkeit; die rein accessorische Natur der Zinsen höre auf, wenn sie verfallen seien; es werde dann ein selbstständiger Anspruch daraus. (Nechtsf. 3 S. 118.) Das Gesagte ist wahr. Wegen fällig gewordener Konventionalzinsen hat der Gläubiger die actio ex stipulatu, un­ abhängig von der Klage aus dem Hauptverhältnisse. Allein das würde doch nur ein Grund für den Gesetzgeber sein, die Bestimmung des §. 843 nicht zu geben oder die gegebene abzuschaffen, aber man kann damit nicht beweisen, daß das Vorhandene nicht vorhanden sei. Annehmbarer wäre die Beschränkung der Bestimmung der §§. 843 u. 847 auf die noch laufenden Zinsen, deren Zahltermin zur Zeit der Kapitalszahlung noch nicht eingetreten war. Dabei blieben die bereits selbstständig gewordenen Forderungsrechte unverletzt. Die röm. Ansicht ist überdies, daß Kapital und alle verfallene Zinsen den Inhalt einer einzigen Obligation ausmachen; und unter dem

Vom Darlehnsvertrage.

947

§. 844. Dagegen folgt aus einer ohne Vorbehalt ausgestellten Quittung14) über das Capital so wenig, als aus der Rückgabe des Schuldscheins, die erfolgte Zahlung oder Erlassung der von dem Richter zuerkannten 15) Verzugszinsen. Einflüsse dieses Rechtsgrundsatzes haben die Vers, des L.R. gestanden. — Von dieser Jurisprudenz ist das O.Tr. zurückgekommen; das Plenum hat befunden, daß keineswegs schon der Nachweis, daß weder gezahlt, noch erlassen worden sei, die Fiktion umstoße, daß vielmehr ein ausdrücklicher Vorbehalt bei der Quittungsertheilung, sei es von Seiten des Schuldners, indem er dem Gläubiger die Zinsen vorbehält, sei es von Seiten des Gläubigers, indem er die Quittung mit dem Vor­ behalte der noch unberichtigten Zinsen giebt, stattgefunden haben müsse. Dieser Satz ist durch folgenden Pl.Beschl. (Pr. 2584) v. 4. Dez. 1854 ausgedrückt worden: „Die im tz. 843 ausgestellte Vermuthung, daß die vorbedungenen Zinsen eines Kapitals für bezahlt oder erlassen zu erachten seien, wenn über das Kapital ohne Vorbehalt quittirt worden, wird durch jeden, auch bloß mündlichen Vorbehalt dieser Zinsen, gehoben." Entsch. 29 S. 13 (J.M.Bl. 1855 S. 38, Str. Arch. 15 S. 261). Der eigentlich streitige Rechtssatz aber ist der, daß ohne wörtlich ausgedrückten Vorbehalt die Vermuthung (Fiktion) nicht umgestoßen werden kann, d. h. daß der Gegenbeweis nicht auf die Thatsache der Nichtzahlung oder des Nichterlasses, sondern auf die Thatsache des ausdrücklichen Vorbehalts bei der Quittungsertheilung gerichtet sein muß. In dem Erk. IV v. 8. Okt. 1867, Entsch. 59 S. 463 (Str. Arch. 69 S. 30), hat das O.Tr. auch ausgesprochen: Die Fiktion, welche das Gesetz mit der Ausstellung einer vorbehaltlosen Quittung dahin verbindet, daß die vorbedungenen, oder Zögerungszinsen bezahlt, oder erlassen seien, setzt eine Quittung im technischen Sinne, also eine schriftliche Erklärung über erfolgte Zahlung des Kapitals und zwar bet ganzen Kapitals voraus. H. Für die Annahme einer Fiktion s. auch R.O.H.G. I v. 21. April 1876, Entsch. 20 S. 69, insbes. S. 71; Förster-Eccius 1 S. 453; Gruchot 13 S. 277; für die Annahme einer Vermuthung Dernburg 2 S. 84 f. (welcher unrichtig die Frage als vom R.O.H.G. offen gelassen bezeichnet). Bei der einen wie bei der anderen Auffassung ist die^Vorschrift durch 16 Nr. 1 Einf.Ges. z. E.P.O. aufrecht erhalten. Ist in einem Kaufgelderbelegungsverfahren ein Hypothekenkapital liquidirt, dasselbe gezahlt und darüber vom Gläubiger ohne Vorbehalt quittirt, so sind die vorbedungenen, nicht liquidirten Zinsen für bezahlt oder erlassen nicht zu erachten. O.Tr. III v. 7. Jan. 1867, Entsch. 58 S. 95. H. Hat der Zahlende nur das Kapital zu erlegen, der Empfänger aber Zinsen nicht von ihm, sondern anderswoher zu fordern, da darf der Zahlende vorbehaltlose Quittung fordern; deshalb findet §. 843 d. T. in einen: solchen Falle (Zahlung des Kapitals aus einer Konkursmasse, während nicht diese, sondern nur der Gemeinschuldner für die während des Konkurses ausgelaufenen Zinsen haftet) nicht Anwendung. R.O.H.G. a. a. O. — Ueber die Erfordernisse der Quittung vgl. Anm. 11. 14) H. Vgl. Annr. 11. 15) S- d. folg. Anm. 16. Der juristische Grund könnte davon sein, weil „zuerkannte" Verzugszinsen als eine selbstständige Judikatforderung anzusehen sind. Dieser Grund würde aber auch von verfallenen Konventionalzinsen gelten, welche eine selbstständige Forderung ex stipulatu sind; und doch soll die Forderung erloschen sein, wenn über das Kapital ohne Vorbehalt quittirt worden, wenn man nicht die §§. 843 u. 847 auf die noch laufenden nicht fällig gewordenen Zinsen bezieht. S. die vor. Anm. Es fehlt den verworrenen Bestimmungen über die Bezahlung imb Nachforderung der Zinsen an einem klaren leitenden Grundgedanken. Hier, bei den Verzugszinsen, scheint die rechtliche N.atur derselben als einer zufälligen Erweiterung der urspriinglichen Obligation, nämlich einer Entschädigung für ungehörige Erfüllung, vorgeschwebt zu haben. Denn dergleichen zufällige Erweiterungen einer Forderung können, nach röm. Recht, nicht mehr eingefordert werden, sobald die Klage aus dem Hauptgeschäfte durch Tilgung der Hauptforderung erloschen ist; man hat dafür keine besondere Klage. Eine Anwendung dieses Grundsatzes findet sich 1) hier im §. 844, wonach nicht zuerkannte Verzugszinsen nach Er­ löschung der Hauptforderung nicht nachgefordert werden können, wogegen die „zuerkannten" ein Bestandtheil der Judikatforderung sind; 2) im folg. §. 845, wonach auch Judikatzinsen (eine Spezies der Verzugszinsen) nicht nachgefordert werden können, wenn die Judikatforderung er­ loschen ist. Hieraus ergiebt sich der in dem Pr. 1336 des O.Tr. II v. 9. Sept. 1843 aus­ gesprochene Rechtssatz: „Verzugszinsen, die nicht auf einem Urtel beruhen, können nicht nach­ gefordert werden, sobald über das Kapital ohne Vorbehalt quittirt worden, mag über die Zahlung des Kapitals ein Erkenntniß ergangen sein, oder nicht." Entsch. 9 S. 225. Der Gegensatz ist: sie können nachgefordert werden, wenn über das Kapital mit Vorbehalt quittirt worden ist; es ist jedoch zu unterscheiden: ob über das Kapital ein Urtel ergangen ist, oder nicht. Ist wegen der Zahlung des Kapitals kein Erkenntniß ergangen, so können alle Verzugszinsen nachgefordert werden ; ist ein Erkenntniß vorhanden, worin die Verzugszinsen übergangen sind, so können nur die Judikatzinsen nachgefordert u>erden, die Verzugszinsen aus der vor dem Urtel liegenden Zeit

948

Erster Theil.

Eilfter Titel.

§§. 845—848.

§. 845. Verzugszinsen, auf welche der Richter nicht erkannt hat1können, * * * S. * * * * * * * * * * * auch von beut Tage des ergangenen Urtels17) an, nicht nachgefordert werden"), sobald über das Capital ohne Vorbehalt quittirt worden "). §. 846. Ein Gleiches findet statt, wenn vorbedungene Zinsen zwar gefordert, aber von dem Richter übergangen worden, und der Gläubiger sich bei dem Er­ kenntnisse beruhigt hat?"). §. 847. Hat aber der Gläubiger die vorbedungenen Zinsen nicht mit ein­ geklagt, so können dieselben, so lange noch nicht ohne Vorbehalt über das Capital quittirt ist, nachgefordert werden.

gelten für aberkannt. §§. 845 und 848 d. T. und Anm. 16. Hiergegen ist gesagt worden: Verzugszinsen, die nicht auf einem Urtel beruhen, könnten überhaupt nicht nachgefordert werden, auch wenn ein Vorbehalten der Quittung über das Kapital gemacht worden sei; denn man könne nicht reserviren, was man nicht habe, und eine besondere Klage wegen solcher Zinsen habe der Gläubiger nicht. Irrig. Eine besondere Klage hat der Gläubiger zwar nicht, aber er hat die Hauptklage, die auch auf diese Zinsen geht, folglich hat er etwas, was er sich reserviren kann. Gegen seinen Willen kann das Schuldverhältniß, also auch die Klage daraus, nicht erlöschen, wenn nicht durch Verjährung oder vollständige Befriedigung. — Das O.Tr. hat in Uebereinstimmung mit der hier vertretenen Meinung erkannt, daß, wenn ohne vorauf­ gegangene Klage ein Kapital gezahlt und darüber ohne Vorbehalt der Verzugszinsen quittirt worden ist, diese Verzugszinsen besonders eingeklagt werden können, IV v. 14. März 1862, Entsch. 47 S. 103 (Str. Arch. 45 S. 131). (H. S. jedoch auch Anm. 16.) Auch ein mündlicher Vorbehalt der Verzugszinsen bei der Zahlung und Quittirung des Kapitals, oder wenn der Gläubiger zur Aus­ stellung einer vorbehaltlosen Quittung über das Kapital durch den Schuldner dolose verleitet worden, ist mit Recht für genügend erachtet. O.Tr. III v. 17. Febr. 1865, Entsch. 54 S. 107. H. Vgl. auch R.O.H.G. II v. 3. Jan. 1877, Entsch. 21 S. 320, welches indessen die Entscheidung nicht auf die K o ch'sche Konstruktion aus dem Vorbehalte, sondern geradezu auf die selbstständige Klagbarkeit gesetzlicher Zinsen stützt. 16) Eine Klage auf Verzugszinsen ist jedenfalls unstatthaft, sobald über das Kapital ohne Vorbehalt quittirt ist. O.Tr. IV v. 10. Dez. 1867, Entsch. 59 S. 463 (Str. Arch. 69 S. 202), H. — im Widerspruch mit dem in Anm. 15 mitgetheilten Urth. v. 14. März 1862. 17) Unter dem Urtel ist das definitive rechtskräftige Erkenntniß zu verstehen. O.Tr. IV v. 17. Okt. 1854, Str. Arch. 15 S. 119. H. Jetzt §. 645 C.P.O. Verzugszinsen, welche bei der Einklagung des Hauptstuhls der Forderung nicht zugleich mit eingeklagt worden sind, und worauf der Richter auch nach I. 23 §. 58 A.G.O. nicht von Amts­ wegen erkannt hat, können in einem späteren Prozesse n i ch t m e h r nachgefordert werden. (Zu vergl. Annr. 21 zu §. 848 d. T.) Verzögerungszinsen, welche vom Tage des ergangenen Urtels zu laufen anfangen, können dagegen so lange gefordert und eingeklagt werden, als noch nicht über das er­ strittene Kapital selbst ohne Vorbehalt quittirt ist. Pl.Beschl. (Pr. 1605) des O.Tr. v. 12. Sept. 1845, Entsch. 11 S. 3. Dieses sind die sog. Judikatzinsen. Vergl. auch O.Tr. IV v. 17. Okt. 1854, Str. Arch. 15 S. 119, H. u. III v. 27. Mai 1867, Entsch. 58 S. 100 (Str. Arch. 67 S. 237) u. v. 5. Febr. 1872, Str. Arch. 85 S. 29. S. jedoch auch Anm. 23 a. E. Die Pr. 2474, 1605 betreffen nur solche Zinsen, auf welche der Richter des Vorprozesses hätte erkennen können. O.Tr. IV v. 15. Dez. 1870, Str. Arch. 83 S. 1. 18) Vergl. Anm. zu I. 16 §. 104. Verzugszinsen, welche nach der Einklagung des Hauptstuhls im Vorprozesse entstanden und daher nicht mit eingeklagt gewesen sind, zu deren Zahlung der Schuldner sich aber besonders verpflichtet hat, können auch nach Cession des Hauptstuhls an einen Dritten, gleich den vor­ bedungenen Zinsen, so lange eingeklagt werden, als nicht über das Kapital selbst ohne Vorbehalt quittirt ist. O.Tr. III v. 18. April 1856, Str. Arch. 21 S. 95. Ueber die Frage: ob Verzugszinsen, auch v o r Einforderung des Kapitals, selbstständig ein­ geklagt werden können, s. m. Anm. zu 1. 16 §. 64. ' 19) H. Vgl. Anm. 11 a. E. 20) H. Vgl. §. 14 Nr. 5 Eins.Ges. z. (5.P.O.: „Außer Kraft treten... 5. die Vorschriften, nach welchen eine Nebenforderung als aberkannt gilt, wenn über dieselbe nicht entschieden ist," und dazu 292 E.P.O., nach welchen:, wenn ein geltend gemachter Nebenanspruch in den: Urtheil übergangen ist, dasselbe auf einen, an eine einwöchige Frist von Zustellung des Urtheils an ge­ knüpften Antrag durch nachträgliche Entscheidung zu ergänze:: ist. - Wird die Frist versäumt, so ist nun selbstständige, nachträgliche Einklagung der Zinsen für statthaft zu erachten. Dernb u r g 2 S. 83 f.; Först er-Ec eins 1 S. 454'; M andry, d. civilrechtl. Inh. d. Reichsges. S. 245.

Vom Darlehnsvertrage.

949

§. 848. Hat der Richter geforderte2I) Verzugszinsen im Urtel übergangen 22), so hat dieses eben die Wirkung, als wenn er sie aberkannt hätte23). 21) Der Gegensatz würde sein: Nicht geforderte Verzugszinsen können nachträglich ein­ geklagt werden. Dies hatte das O.Tr. auch durch das Pr. 656 v. 20.Mpril 1839, Präj.S. S. 68, so ausgesprochen: „Die Vorschrift dieses kommt nicht zur Anwendung, wenn der Richter nicht geforderte Verzugszinsen im Urtel übergangen." Durch den Pl.Beschl. o. 12. Sept. 1845 (s. Ann:. 17) aber ist dieser Satz verworfen; wenn die Klage wegen der Hauptsache einmal konsumirt ist, können Verzugszinsen, auch nicht g eford erte Verzugszinsen, nicht mehr eingeklagt werden. — „Verzugszinsen, welche bei Einklagung des Hauptstuhls der Forderung nicht zugleich mit ein­ geklagt worden sind, können auch dann nicht nachgefordert werden, wenn sie in der Klage aus­ drücklich Vorbehalten sind. Auch der Ausspruch des erkennenden Richters, daß es bei diesen: Vorbehalte zu belassen sei, vermag nicht, demselben eine Wirkung beizulegen." O.Tr. IV (Pr. 2474) v. 11. Okt. 1853, Entsch. 26 S. 270. — Vergl. die übereinstimmende Anwendung in dem Erk. IV v. 17. Okt. 1854, Str. Arch. 15 S. 119, H. u. III v. 29. April 1878, Str. Arch. 99 S. 314. S. jedoch auch Annr. 23 a. E. — Durch Kompensation aber können Verzugszinsen, nachdem die­ selben bei der Hauptforderung nicht eingeklagt worden, noch geltend gemacht werden. O.Tr. III v. 1. Mai 1863, Entsch. 50 S. 153. 22) H. Die Vorschrift ist durch die in Anm. 20 angeführten §. 14 Nr. 5 Einf.Ges. z. E.P.O., und §. 292 E.P.O. beseitigt. Dadurch hat das Urth. des O.Tr. I v. 30. Nov. 1863, Str. Arch. 51 S. 250 (Auch eine Ergänzung des Erkenntnisses kann nicht verlangt werden, ohne Unterschied welcher Jnstanzrichter die Zinsen übergangen hat; das Gesetz bestimmt uneingeschränkt, daß die Uebergehung geforderter Verzugszinsen in einem richterlichen Urtheile mit deren Aberkennung gleiche Wirkung'haben solle, unterscheidet auch nicht zwischen „Nichterwähnung" und „Uebergehung" der Zinsen) sein Interesse bezüglich der in dem Verfahren nach der E.P.O. ergangenen Urtheile verloren. Darüber, ob, ähnlich wie bei vorbedungenen Zinsen (Anm. 20), bei Versäumung des Antrags auf Ergänzung des Urtheils die übergangenen Verzugszinsen selbstständig eingeklagt werden können, vgl. Anm. 23 a. E. Das Urth. des O.Tr. I v. 16. Ara: 1862, Str. Arch. 45 S. 246 (Die miteingeklagten, im Urtheilstenor aber übergangenen, Verzugszinsen sind auch dann für aberkannt zu erachten, wenn sie nach den Entscheidungsgründen haben zuerkannt werden sollen und dieses aus einer kulposen Omission unterblieben ist) hat noch Bedeutung für die Frage, ob auf- Grund des Urtheils Verzugszinsen gefordert werden können, und diese Frage fällt, wenn man eine nachträgliche selbstständige Einklagbarkeit der Verzugszinsen nicht annimmt, zusammen mit der anderen, ob Verzugszinsen nach Versäumung des Antrags auf Urtheilsergänzung überhaupt noch in irgend einer Weise geltend gemacht werden können. 23) Die in den §§. 843—848 enthaltenen Grundsätze über Zahlung und Nachfordermlg von Zinsen sind folgende: a) Bei vorbedungenen Zinsen. «) Der Gläubiger hat geklagt und ««) die Zinsen mitgefordert: dann können sie nicht noch einmal eingeklagt werden, wenn sie im Urtel über­ gangen oder aberkannt worden sind (§. 846, H. dieser Satz ist jetzt bezüglich der übergangenen Zinsen beseitigt: Anm. 20); oder ßß) nicht mitgefordert: dann können sie a) wenn und so lange das Kapital noch nicht bezahlt ist, noch nachgefordert werden (§. 847); b) ist das Kapital bezahlt und ohne Vorbehalt wegen der Zinsreste quittirt, so findet keine Nachforderung statt (§. 843). Dies ist aber streitig. S. Anm. 13. ß) Der Gläubiger hat nicht geklagt, sondern ohne Rechts­ weg Bezahlung erhalten. Dann ist es wie in den Fällen a und b. b) Bei Verzugs- (und gesetzlichen) Zinsen. «) Es ist wegen der Hauptforderung geklagt worden und ««) es sind Verzugszinsen zugesprochen. Dann können a) die zugesprochenen Ver­ zugszinsen noch immer eingefordert werden, nachdem schon über die Zahlung des Kapitals ohne Vorbehalt quittirt worden (§. 844); b) die zu wenig zuerkannten, mögen sie gefordert oder nicht gefordert worden sein, können nicht mehr eingeklagt werden (§. 848 u. Anm. 21). ßß) Es sind keine Verzugszinsen zuerkannt. Hier gilt das Gleiche wie in dem vorigen Falle b. ß) Der Gläubiger hat wegen der Hauptforderung nicht geklagt, aber über das Kapital quittirt: aa) ohne Vorbehalt: dann kann er keine Nachforderung machen; ßß) mit Vorbehalt: dann kann er das Vorbehaltene mit der Hauptklage noch nachfordern. (§. 844 und Pr. 1336 in der Anm. 15.) H. Die einzelnen in Anm. 12—22 mitgetheilten Entscheidungen des O.Tr. stehen keineswegs unter einander in der Begründung in Einklang. Insbesondere ist die Grundfrage, ob überhaupt eine selbstständige Einklagung von gesetzlichen, namentlich Verzugs-Zinsen möglich sei, nicht überein­ stimmend behandelt. Diese Frage konnte nach preuß. Recht wegen der Vorschrift, daß auf Ver­ zugszinsen von Amtswegen zu erkennen sei (§. 58 I. 23 A.G.O.), und der hieraus wie aus der konsumirenden Kraft des Urtheils von der Praxis hergeleiteten Folgerungen (vgl. Anm. 21) nur in der Gestalt praktisch werden, ob die Einklagung bei der Kapitalszahlung vorbehaltener gesetzlicher Zinsen zulässig sei. - Hier aber war immer noch der Ausweg möglich, daß man den

950

Erster Theil.

§. 849 24).

Eilfter Titel.

§§. 849—856.

Fällt weg25).

reservirten, durch die Kapitalszahlung als terminus ad quem festbestimmten Zinsanspruch als einen Theil der Hauptforderung behandelte (vgl. Anm. 15). Dagegen entsteht nach Beseitigung sowohl der Vorschrift, daß Verzugszinsen von Amtswegen zuzuerkennen sind (durch §. 279 Abs. 1 C-P.O.), als auch der Bestimmung, daß übergangene Verzugszinsen als aberkannt gelten (vgl. Anm. 20) die Frage der selbstständigen Klagbarkeit der Verzugszinsen neu für die Fälle, daß nur wegen der Hauptforderung geklagt worden ist oder daß die Zinsen im Urtheile übergangen sind. H. Die Unselbstständigkeit des Zinsanspruchs in Beziehung auf klagweise Verfolgung beruhte im röm. Recht auf der rechtlichen Natur derselben, „quae non tarn ex obligatione proficiscantur, quam officio judicis applicentur“ L. 54 pr. D. locati 19, 2; 1. 49 §. 1 D. de A. E. V. 19, 1. Ob diese Unterscheidung auch für das gem. Recht durch die E.P.O. beseitigt sei (vgl. hierüber Mandry, der civilrechtl. Inh. d. Reichsges. S. 284 f. Anm. 15), kann dahingestellt bleiben. Jedenfalls hat sich das L.R. der Anschauung des röm. Rechts nicht angeschlossen, der Rechtsgrund des Anspruchs auf Verzugszinsen ist das Gesetz, nicht das officium judicis. Wenn man die selbstständige Einklagung vorbehaltener Verzugszinsen (arg. §§. 843, 844 d. T.) zuläßt (vgl. Anm. 15), so liegt darin die Anerkennung der selbstständigen Klagbarkeit überhaupt; ein nicht bestehendes Recht'kann nicht vorbehalten werden. Die Konstruktion Koch's in Anm. 15 würde nur dann juristisch haltbar sein, wenn man die Zahlung des Kapitals zunächst auf die Verzugs­ zinsen anrechnete (I. 16 §. 153), indem dann ein den Verzugszinsen gleichkommender Kapitalsrest ungetilgt bliebe, auf welchen die Nachklage ginge. Aber diese Konstruktion scheitert daran, daß, wenn über das Kapital unter Vorbehalt der Verzugszinsen quittirt wird, die Parteien die Zahlung nicht auf die Zinsen angerechnet wissen wollen. I. 16 §§. 150—152. Man muß daher auch für die beiden am Ende des vorigen Abs. bezeichneten Fälle die selbstständige Einklagung der Verzugszinsen gestatten. — Für die selbstständige Klagbarkeit nach preuß. Recht: das in Anm. 15 a. E. angeführte Urtheil des R.O.H.G., nach gem. Recht: R.O.H.G. II v. 26. März 1873, Entsch. 9 S. 230; R.G. III v. 11. Mai 1880, Entsch. 1 S. 349. Vgl. (übereinstimmend) Dernburg 2 S. 93 f.; E a r u s, die selbstständige Klagbarkeit der gesetzlichen Zinsen (1876). Förster-Eccius S. 458 ff., insbes. Anm. 87. S. 459 will die selbstständige Klagbarkeit der Verzugszinsen nur in dem in Anm. 15 bezeichneten Falle (Vorbehalt in der Quittung) zulassen, verneint sie dagegen für die Fälle der Nichteinklagung bez. der (nicht durch rechtzeitigen Ergänzungsantrag beseitigten) Uebergehung im Urtheil, weil er die Nichtklagbarkeit des gesetzlichen Zinsanspruchs als Satz des materiellen preuß. Rechts ansieht. Wenn diese Prämisse richtig wäre, würde ihm allerdings zu­ zugeben sein, daß weder §. 279 E.P.O. noch §. 14 Nr. 5 Eins.Ges. z. E.P.O. einen solchen Satz hätten ändern können. — Die selbstständige Klagbarkeit der Judikatszinsen (§. 844 d. T. — Abs. 1 lit.’b, m, an a) wird durch diese Streitfrage nicht berührt. 24) §. 849 lautete: „Wer die gerichtliche Einklagung rückständig verbleibender Zinsen länger als zehn Jahre verabsäumt, der kann einen über zehn Jahre hinausgehenden Rückstand nicht ferner verlangen." 25) Durch §. 2 Nr. 5 des Ges. v. 31. Mürz 1838, Zus. 12 zu I. 9 §. 550, sind auch die an den dadurch aufgehobenen §. 849, welcher die Zinsenverjährungsfrist auf zehn Jahre bestimmte, wegen der Verjährung der Verzugszinsen, geknüpft gewesenen Kontroversen beseitigt. Ein Pl.Beschl. (Pr. 616) v. 11. März 1839 hatte ausgesprochen: „Verzugszinsen sind der zehnjährigen Verjährung nicht unterworfen." Entsch. 4 S. 280. Ü. D ernburg 2 S. 92; Förster - Eccius 1 S. 458. Auch die Frage ist oder war streitig: in welcher Zeit die Verzugszinsen verjähren, wenn Konventionalzinsen stipulirt worden sind. Nach der Natur der Rechtsverhältnisse hat der Gläu­ biger im Falle der Mora zwei Forderungsgründe wegen Zinsen, die einander nicht bedingen oder ausschließen, so weit sie sich ihrem Inhalte nach decken, nämlich: die Hauptklage aus Zögerungs­ zinsen (Schadensersatz), und die actio ex stipulatu auf die Konventionalzinsen. Ist die letztere verjährt, so bleibt noch die, erstere übrig. Das O.Tr. hat jedoch durch Pl.Beschl. (Pr. 1731) v. 9. April 1846 als Rechtssatz ausgesprochen: „Wenn von einem Schuldkapitale Zinsen vorbedungen waren, so unterliegen auch bei hinzugetretenem Verzüge des Schuldners die über zehn, resp, über vier Jahre hinausgehenden Rückstände der Verjährung, nicht aber die durch den Verzug begründeten Mehrzinsen." Entsch. 12 S. 17. (J.M.Bl. 1846 S. 131.) Dieser Satz fußt auf der Fassung des §. 827 d. T., wonach Zögerungszinsen erst alsdann und nur in so weit Konventionalzinsen oder Konventionalstrafe nicht ausbedungen sind, eintreten sotten. S. auch Pr. 2199 in der Anm. 88 zum Ges. v. 31. März 1838 (Zus. 12 zu §. 550 I. 9). H. Die Frage ist anders (für die Unanwendbarkeit der kurzen Verjährung auf die g e sammt en Zinsen vom Verzüge ab) zu entscheiden, da man nach §. 3 Ges. v. 14. Nov. 1867 alle Zinsen von diesem Zeitpunkt ab als Verzugszinsen anzusehen hat. Vgl. Anm. 89 zu §. 827 d. T.; Dernburg 1 S. 404 Anm. 8; Förster-Eccius 1 S. 457 Anm. 80.

Vom Darlehnsvertrage.

951

§. 850. Doch kommt dem Gläubiger bei dieser26)27Art 28 29 der30Verjährung 31 alles das zu statten, was den Anfang der gewöhnlichen Verjährung durch Nichtgebrauch hindert, oder deren Fortsetzung unterbricht2?). §. 851. Außer diesem Falle können Zinsen, deren Berichtigung der Schuldner verabsäumt oder verzögert hat, so weit sie rückständig sind, gefordert werden, selbst, wenn der Rückstand, wegen Länge der Zeit, den Betrag des Capitals über­ steigt2^). §. 852. Noch weniger kann ein Schuldner bloß aus dem Grunde, weil die von ihm nach und nach gezahlten 2t>) Zinsen die Summe des Capitals bereits über­ steigen, der ferneren Verzinsung sich entziehen. §. 853. Sind Sachen, welche nicht unter die Gegenstände des eigentlichen3') Gütlichen Darlehns gehören, mit der Bedingung gegeben 32) worden, daß eben so viel Sachen "Tarlehvon gleicher Art und Beschaffenheit zurückgegeben werden sollen, so finden in der nen30)‘ Regel alle wegen des eigentlichen Darlehns ertheilten Vorschriften Anwendung. §. 854. Der Empfänger ist dergleichen Sachen in eben der Quantität und Qualität, wie er sie erhalten hat, zurückzuliesern befugt und schuldig; es mögen dieselben in der Zwischenzeit am Werthe gefallen oder gestiegen sein. §. 855. Auch bei uneigentlicheu Darlehnen kann, statt der Zinsen, eine be­ stimmte Quantität Sachen von der vorgeliehenen Art bedungen werden. §. 856. Aber auch bei uneigentlichen Darlehnen sind nur die bei eigentlichen erlaubten Zinssätze zulässig 33). 26) Aber nicht bei der neuen kurzen Verjährung, wenigstens wird auf die Minderjährigkeit nicht Rücksicht genommen. S. Pr. 1802 in der Anm. 50 zu I. 9 §. 535. 27) Auch bei der zehn- (jetzt vier-) jährigen Verjährung der Zinsen nach §. 849 kommt es dein Gläubiger nach §. 850 in Verbindung mit I. 9 §. 569 zu Statten, wenn er nachweisen kann, daß der Schuldner unredlicher Weise und gegen besseres Wissen von seiner noch fort­ währenden Verbindlichkeit sich derselben entziehen wolle. Pl.Beschl. (Pr. 56) des O.Tr. v. 14. März 1834. Der dritte Besitzer eines verpfändeten Grundstücks kann deur Hypothekengläubiger den Einwand der Verjährung nicht entgegensetzen, wenn derselbe sein Recht, innerhalb der Ver­ jährungsfrist, gegen den persönlichen Schuldner ordnungsmäßig verfolgt hat, und nicht seit der Feststellung seines Ausfalls in diesem Prozesse die Verjährungsfrist abgelaufen ist. O.Tr. (Pr. 209 b) v. 1. April 1837, Entsch. 3 S. 88. S. die Anm. 34 zu I. 5 §. 439. S. noch das Pr. 1103 u. in der Anm. zu I. 16 §. 153. 28) Damit ist das röm. Verbot der Zinsen über das Doppelte (ultra alterum tantum) aufgehoben. 29) Jenes Verbot der Zinsen ultra alterum tantum (s. die vor. Anm.) bezog sich nur auf die rückständig verbliebenen, keineswegs auf die nach und nach gezahlten Zinsen. Spätere Verordnungen L. 29, 30 C. depQsiti 4, 32; Nov. 121 c. 2; Nov. 138, schrieben das Gegen­ theil vor, und obgleich sie nicht glossirt sind, wurde von Manchem doch die Geltung behauptet. Hiergegen ist der §. 852 gerichtet. 30) Das G. R. kennt diesen Ausdruck nicht, in der Sache weicht es von den L.R. nicht ab, denn es nimmt ein mutuum auch in anderen fungiblen Sachen als baarem Gelde an. Wird eine Quantität z. B. Moventien verliehen, unter der Bedingung eine Quantität von gleicher Güte zurückzugeben, so ist dies ein eigentliches Darlehn. Koch, Recht der Forder. 2. Ausg. 3 §. 552 S. 300. H. Gruch ot 13 S. 299; Dernburg 2 S. 474 f.

31) Vgl. §. 653 d. T. und die Anm. dazu. 32) H. „Geben" ist gleichbedeutend mit „übergeben" in §. 653 d. T. Der Darleiher hat nicht die Pflicht der Eigenthumsübertragung wie nach gem. Recht; es genügt die Hingabe, durch welche der Borger schon Eigenthum erwirbt, §. 664 d. T.; die Uebergabe ist nur modus acquirendi und gehört als bloße Form für die Vertragserfüllung gar nicht zum Inhalte des durch den Vertrag begründeten Rechtsverhältnisses. Ein Darlehn kann gegeben sein, nicht nur ohne daß der Darleiher Eigenthümer oder Besitzer des Darlehnsgegenstandes ist, sondern auch ohne daß er entweder selbst oder durch einen Dritten die Sache dem Borger übergeben hat, und nament­ lich muß es auch eine Erfüllung des Darlehnsvertrages darstellen, wenn der Borger einseitig

952

Erster Theil.

Eilfter Titel.

§§. 857—867.

§. 857. Sind die Zinsen solcher uneigentlichen Darlehne in Gelde bedüngen, so muß, bei Beurtheilung des Zinssatzes, auf den Werth, welchen die zum Dar­ lehn gegebenen Sachen zur Zeit des geschlossenen Vertrages gehabt haben, Rück­ sicht genommen werden. §. 858. Wo bei uneigentlichen Darlehnen Zinsen bedungen sind, da kann der Gläubiger bei verzögerter Rückzahlung, nur eben so, wie bei eigentlichen Dar­ lehnen, Verzugszinsen oder Entschädigung fordern. (§. 827—834.) §. 859. Sind aber keine Zinsen bedungen, und der Schuldner verzögert die Rückzahlung, so hat der Gläubiger die Wahl, entweder die Sachen in Natur, nebst den gesetzmäßigen Verzugszinsen -"), oder den Werth der Sachen, wie derselbe zur Zeit der schuldigen Ablieferung gewesen ist, zu fordern. §. 860. Verzögert der Gläubiger ohne erheblichen Grund die Annahme der Sache, so hat der Schuldner die Wahl: ob er noch die Sache selbst geben, oder deren zur Zeit der verabredeten Rücklieferung gestandenen Werth entrichten wolle. Bom (LredlWenn anzunehmen sei, daß Sachen auf Credit gegeben worden, ist Liren35 * ).*36* 37 33 38 34 §. 861. gehörigen Orts bestimmt. (§. 224—227.) 36) §. 862. So weit Jemand unfähig ist, eigentliche Darlehne aufzunehmen, so weit dürfen ihn: auch Sachen nicht auf Credit gegeben werden3^). §. 863. Creditirtes Lohn für wirklich gelieferte Arbeit, oder geleistete Dienste, sind auch solche3^) Personen zu entrichten verbunden. und ohne Zuthun des Darleihers sich in den Besitz der versprochenen Sache als einer ihm nach dem Vertrage zu leistenden Sache gesetzt hat. O.Tr. IV v. 9. Febr. 1871, Str. Arch. 81 S. 124. 33) Vgl. Anm. 44 zu §. 804 d. T. 34) Vom Tage des Verzugs an, nicht erst von der Wahl oder von der Anzeige der ge­ troffenen Wahl. 35) lieber den Unterschied zwischen Crcditum und Mutuum s. Glück, Erläuterungen 11 S. 467 ff. Das L.R. versteht unter Kreditiren Verkaufen und das Kaufgeld borgen, also auf Kredit verkaufen. 36) S. die Anm. 9 zu §. 109 d. T. Sachen auf Kredit geben heißt verkaufen und das Kaufgeld stunden. 37) S. das Pr. 327 u. Pr. 2404 v. 12. Okt. 1852 u. Anm. 40 a. E. zu §. 684 d. T. Das im §. 862 enthaltene Verbot bezieht sich nicht auf den Ankauf von Immobilien, für welche der Kaufpreis ganz oder zum Theil rückständig bleibt. O.Tr. III v. 29. April 1867, Entsch. 58 S. 109 (Str. Arch. 68 S. 71). Der Rechtsspruch bezieht sich auf den Gutskauf eines Lieutenants, welcher für das ganze rückständig verbliebene Kaufgeld Hypothek mit dem angekauften Gute bestellt hatte. Das Appellationsgericht zu Paderborn erklärte den Kauf auf Grund der §§. 678, 684 u. 862 d. T. für nichtig; das Obertribunal reprobirt dies, weil den §§. 862 u. 863 das Konklusum der Ges.Kommission v. 8. Juli 1788 (Klein, Annal. 3 S. 267) zum Grunde liegt, welches festsetzt: daß die Edikte wegen des verbotenen Schuldenmachens der Offiziere zwar auf kreditirte Waaren, es mögen Konsumtibilien oder Kleidungsstücke oder andere Sachen sein, nicht aber auf Handwerks- und Arbeitslohn für Schuster und Schneider, Fahnenschmiede und dergleichen anzuwenden seien. Dem ist beizustimmen. H. Die Bestimmung des §. 862 d. T. bezieht sich, wie sich aus der klaren Wortfassung („so weit") und daraus ergiebt, daß es sich hier um eine ganz allgemeine, nicht gerade das staatliche Interesse an der dienstlichen Stellung des Offiziers im Auge habende Bestimmung handelt, auch auf den Fall des §. 690 d. T. O.Tr. IV v. 8. Sept. 1874, Str. Arch. 91 S. 360. 38) Es werden an sich handlungsfähige Personen, vorausgesetzt, welchen nur die Fähigkeit, Darlehen aufzunehmen, durch besondere Verordnungen entzogen ist. Handlungsunfähige können auch dergleichen Mieths- und Kaufkontrakte, auf welche diese Ausnahme von der Regel sich be­ zieht, nicht gültig schließen; doch ist die Ausnahme nicht auf Grundstücke auszudehnen. Was für Arbeit und was für Dienste gemeint werden, durch deren Ausbedingung sich „solche Personen" halb und halb (vollständig nicht, nach §. 865) sollen verbindlich machen können, ist ungewiß. Es scheinen Dienste und Arbeiten zu sein, welche denselben zu ihren per­ sönlichen oder dienstlichen Bedürfnisse unentbehrlich sind. Darauf deutet eine vorlandrechtliche Entsch. der Ges.Kommission v. 8. Juli 1788 (Klein's Annal. 3 S. 267), wonach das Edikt wegen

Vom Darlehnsvertrage.

953

§. 864. Ein Gleiches gilt wegen der bei solchen Gelegenheiten von dem Ar­ beiter gemachten baaren Auslagen:i"), in so fern die Sachen zum eigenen Gebrauche des Schuldners erforderlich waren. §. 865. Doch muß der Gläubiger statt des etwa verabredeten''") höheren, mit dem zu derselben Zeit und an demselben Orte üblichen niedrigeren Lohne, und anstatt des verabredeten, mit dem wirklichen minderen Werthe der gelieferten Sachen sich begnügen. 866. Jede rückständige Zahlung muß uach der Natur des Geschäftes, aus welchem die Befindlichkeit dazu entstanden ist, beurtheilt werden'"). §. 867. Es ändert also die Natur des ursprünglichen Geschäftes, aus welchem die Zahlungsverbindlichkeit entstanden ist, noch nicht, wenngleich über die schuldige Summe ein Schuldschein, als über ein Darlehu^''), ausgestellt worden. des Schuldenwesens der Offiziere zwar auf kreditirte Waaren, nicht aber auf Handwerks- und Arbeitslohn der Schuster, Schneider, Fahnenschmiede u. s. w. Anwendung finden soll. Bei den Diensten hat man wohl an Barbiere, Friseure, Kleiderreiniger, Aufwärter u. dgl. zu denken. Die Schneiderarbeiten fallen heutzutage schon ins Zweifelhafte, da, wenn der Schneider den Stoff zu dem bestellten Kleide liefert, das Geschäft schon unter das „Gebell der Sachen auf Kredit" fällt. Dabei komint dann der §. 864 in Berücksichtigung. Es kommt Alles auf das richterliche Ermessen an, lvelches hier einen lveiten Spielraum hat. Das Speisen auf Kredit will man passiren lassen. (H. O.Tr. v. 21. Juli 1838, Entsch. 4 S. 97, und dazu Koch, Beurth. S. 224.) S. Annl. 40 a. E. zu §. 684. 39) S. die vor. Amn. 40) Der Kontrakt gilt also nur als ungenannter Realkontrakt nach der Form do ut des und facio ut des, nicht als Konsensualkontrakt. 41) H. Wo ein Banquier einem Gewerbetreibenden einen Kredit eröffnet hat, da ist es bei der eigenthiunlichen Natur dieses Geschäftsverhältnisses begriffswidrig, die innerhalb des Kredits „zu gewährellden Beträge" ohne weiteres mit Darlehnell zu identifiziren. Es sind darunter Geldvortheile jeder Art zu verstehen, welche dem Kreditnehmer durch das Eintreten des Kredit­ gebers zufallen. O.Tr. III v. 3. Juli 1871, Str. Arch. 82 S. 238. 42) Weiln aber die Schrift als das Anerkenntniß über eine Schuld aus denr ursprünglichen Geschäfte ausgestellt ist, so wird sie zur Begründung der Klage mehr oder welliger geschickt sein, je nachdem sie die Bestandtheile des Geschäfts und die Erfüllung desselben auf der Seite des Klägers bestimlnter bezeugt. Ein Jnstrllnlent, lvorill der Aussteller z. B. erklärt, daß er dem Andern für 500 Thlr. Wolle abgekauft, die gehandelte Wolle zur Zufriedenheit übergeben.erhalten habe und von dem Kaufgelde dafür, nach richtig gepflogener Abrechllung, noch 150 Thlr. schuldig geblieben sei, welche bis zu einem bestimmten Termine gestundet worden, — ist keineswegs ein bloßes referens, welches durch das relatuni, die Berechnung, ergänzt werden müßte, es ist viel­ mehr ein Dokument, welches selbstständig die causa debendi angiebt. Denn es enthält: 1) das Anerkenntniß eines mündlich geschlossenen Kaufkontrakts vollständig, indem Gegenstand, Preis und Personen genügend bestimmt sind; 2) die Quittung über gehörig geleistete Uebergabe des verkauften Gegenstandes; 3) das Geständnis; des Käufers, daß er seinerseits den Kontrakt durch Bezahlung des Kaufpreises noch nicht vollständig erfüllt habe, vielmehr mit einer bestimmten Summe darauf noch im Rückstände sei. Das ist mehr als der Verkäufer zur Begründung der Verkaufsklage behufs Einkassirung des Kaufgeldes nachzuweisen hat. Wollte der Beklagte z. B. leugnen, so viel Wolle gekauft und erhalten zu haben, daß er dafür 500 Thlr. schuldig geworden sei, und wollte er darauf die Unvollständigkeit "der Klageschrift in der Angabe der Quantität und des Preises für die Gewichtseinheit (Zentner oder Stein) behaupten; so könnte ihm das nichts helfen, weil er die vollständige Erfüllung des Kaufkontrakts von Seiten des Verkäufers zugestanden hat. Er Hütte also nicht allein die wahre Bewandtniß der Sache zu beweisen, sondern überdies noch seinen Irrthum bei dem Geständnisse darzuthun. Ueber einen ähnlichen Fall äußert sich das Justizministerium in einem Bescheide auf eine Beschwerde v. 15. Febr. 1841 in einem gleichen Sinne. (Ulrich, Arch. 8 S. 534.) Dagegen ist dessen Meinung über einen anderen Fall, worüber es sich in einem Schr. v. 22. April 1836 (Mannkopf, L.R. Nachtr. 1 S. 14) ausspricht, nicht anzuerkennen. Es war ein Schuldschein aufgelegt, worin es hieß: „den Werth laut heutiger Abrechnung baar empfangen." Dieser Schuldschein, meinte der Just.Min., enthalte nicht selbstständig die causa debendi, sondern ein bloßes referens, weil auf eine vor Ausfertigung desselben erfolgte Abrechnung Bezug genommen werde; dieses referens müsse durch das relatum ergänzt werden. Keineswegs. Die causa debendi ist nicht die Abrechnung, sondern die baare Zahlung der Valuta, gleichviel: ob die Zahlung in einer

954

Erster Theil.

Eilfter Titel.

§§. 868, 869.

§. 868. Nur in Ansehung der von den: Rückstände zu entrichtenden Zinsen finden eben die Vorschriften13), wie bei eigentlichen Darlehnen, Anwendung.

Achter Abschnitt. Bon Verträgen, wodurch Sachen gegen Handlungen, oder Handlungen gegen Handlungen versprochen werdens. g“ §. 869. Verabredungen, nach welchen Gelder oder Sachen für übernommene lut °c’ Handlungen oder Unterlassungen, oder Handlungen oder Unterlassungen gegen einunzertrennten Summe oder in zehn verschiedenen Summen erfolgt ist. Den baaren Empfang erkennt der Empfänger selbst an, das ist der Beweis gegen ihn. Die Abrechnung, die er zu semer besseren Ueberzeugung von der Richtigkeit des Empfanges gemacht hat, enthält auch sonst nichts als sein eigenes Bekenntniß, und dieses hat in der Wiederholung ganz denselben Werth wie in der ersten Erzeugung. Giebt es hier ein Relatum, auf welches das Referens Bezug nittunt, so ist es eben die Ueberzeugung des Ausstellers. Der Aussteller eines solchen Schuldscheins braucht nur darzuthun, daß das angegebene Valutenbekenntniß falsch und unbegründet sei. Zwar nimmt das O.Tr. an, daß gemäß der 742, 866 d. T. die Ungültigkeit der Hypothek, auch dem ursprünglichen Gläubiger gegenüber, nicht daraus folgt, wenn die Valuta auch nicht in einen: baaren Darlehn bestanden, sondern in einer anderen Schuldverpflichtung. (Anm. zu I. 20 §. 12.) „Allein" — sagt es — „den Be­ weis der anderen Verpflichtung muß der führen, der sich darauf stützt." O.Tr. III v. 4. Mai 1864, Str. Arch. 54 S. 172. H. So auch R.G. IV v. 28. Juni 1882, Gruchot 27 S. 345. Der §. 867 schließt eine gültig vollzogene Novation nicht aus. O.Tr. IV v. 30. April 1867, Str. Arch. 67 S. 157. H. Denn durch die Bestimmung des §. 867 I. 11 L.R. ist ein Mehreres nicht gesagt, als daß durch die mit dem wahren Vertragsverhältniß nicht überein­ stimmende, also unrichtige, Bezeichnung der schuldigen Summe als Darlehn diese nicht die rechtliche Natur eines Darlehns annehmen, daß vielmehr ungeachtet jener wahrheitswidrigen Bezeichnung auf dasjenige Rechtsgeschäft, aus welchem die Verbindlichkeit in der That entstanden ist, bei der Beurtheilung des aus demselben hervorgegangenen Rechtsstreites zurückgegangen werden soll. O.Tr. IV "v. 29. Febr. 1872, Entsch. 67 S. 118 (Str. Arch. 84 S. 249). Der Kläger klagte eine Waarenschuld ein und berief sich zur Widerlegung des Einwandes der Ver­ jährung auf einen Schuldschein des Verklagten, in welchem dieser die Schuld anerkannt und versprochen hatte, dieselbe als ein Darlehn zu verzinsen und nach 6 monatlicher Kündigung zurückzuzahlen. Der zweite Richter wies ab, weil auch von der Ausstellung des Schuldscheins bis zur Anstellung der Klage die zweijährige Verjährungsfrist abgelaufen war. Er hielt die Verjährung für durchgreifend, weil die rechtliche Natur der Schuld durch die Ausstellung einer neuen Urkunde nicht verändert werde. Das O.Tr. vernichtete und wies die Sache zur Ent­ scheidung in die zweite Instanz zurück, indem es argumentirte, daß von einem Falle, wie ihn der §. 867 im Auge habe, hier keine Rede sei und daß es wesentlich darauf ankomme, ob durch die Vereinbarung der Parteien materiell eine Aufhebung der früheren Kaufgelderschuld ein­ getreten und an deren Stelle eine Darlehnsschuld erzeugt worden sei. Gegen dies Urtheil s. P. Hinschius in Zeitsch. f. Gesetzg. u. Rechtswissensch. 7 S. 135; Förster-Eccius 1 S. 712 Anm. 14, vgl. auch 2 S. 284. Für das O.Tr. Dernburg 2 S. 37 Anm. 14. Auch das App.Ger. Frankfurt (Oder) erkennt in einer Verfügung v. 10. Jan. 1878, Johow, Jahrb d. App.Ger. 8 S. 223, die Zulässigkeit der Umwandlung einer Kautions- in eine Darlehnshypothek im Wege der Novation gemäß §. 867 d. T. an,, verlangt jedoch Ersichtlichmachung dieser Um­ wandlung im Grund buche. H. Aber auch der nicht eine Novation beurkundende Schuldschein behält, selbst wenn die Unrichtigkeit der Bezeichnung der Schuld als Darlehn feststeht, Bedeutung als Schuldbekennt­ niß. Es kann aus ihm geklagt werden, nur sind gegen die Klage auch die Einwendungen aus dem ursprünglichen Schuldverhältniß zulässig; werden solche nicht erhoben, so bildet der Schuld­ schein nach den Umständen ein ausreichendes Beweismittel für den Klagegrund. Der Schuldschein deckt die mangelnde schriftliche Form des ihm in Wahrheit zu Grunde liegenden Rechtsgeschäfts; eine in ihm erfolgte Pfandbestellung behält ihre Gültigkeit auch für die ausgemittelte wirkliche Schuld; ein in ihm gegebenes Zinsversprechen ist gültig, so weit es verbindlich sein würde, wenn die Schuld wirklich eine Darlehnsschuld wäre. So O.Tr. III v. 20. Febr. 1854, Str. Arch. 12 S. 172; IV v. 16. Nov. 1858, Entsch. 40 S. 138 (Str. Arch. 30 S. 350), R.O.H.G. II v. 9. März 1872, Entsch. 5 S. 253, insbes. S. 259 f.; II v. 27. April 1872, Entsch. 5 S. 424, insbes. S. 428; I v. 3. Dez. 1872, Entsch. 8 S. 148 (darüber v. Kräwel bei Gruchot 19 S. 511); R.G. I v. 11. Juli 1883, Annal. 8 S. 368. 43) Bezüglich der Zinsen gelten dieselben Vorschriften wie bei eigentlichen Darlehnen.

Von Verträgen über Handlungen.

ander, versprochen werden, urtheilen l).

sind

955

nach den Regeln der lästigen Verträge zu be­

*) H. Die Überschrift erschöpft den Inhalt des Abschnitts in so fern nicht, als die Verträge, welche derselbe ordnet, nicht bloß Handlungen, sondern auch Unterlassungen zum Gegenstände haben können (§. 1). Die Kategorie der „Verträge, wodurch Sachen gegen Handlungen oder Handlungen gegen Handlungen versprochen werden", umfaßt die zahlreichen Gestaltungen, welche der Arbeitsvertrag in der modernen Gesellschaft angenommen hat, insbesondere diejenigen Verträge, welche das römische Recht theils als Dienstmiethe, theils als unbenannte Realkontrakte bezeichnete, sowie den den: Kauf ähnlichen Lieferungsvertrag. Der wirthschaftliche Zweck, den diese Geschäfte mit­ einander gemein haben, ist die Verwerthung der menschlichen Arbeitskraft. Aus der hierdurch bedingten Gleichartigkeit der thatsächlichen Verhältnisse aber ergiebt sich für den Gesetzgeber die Berechtigung, dieselben einer einheitlichen Rechtstheorie zu unterstellen. Der Grundgedanke des Landrechts, die Verträge über Handlungen als eine besondere Gattung zu ordnen, ist daher gewiß richtig, wenngleich das Gebiet derselben vielleicht etwas zu weit gegriffen ist. (Vergl. För st e r 128, 134, 138.) Das Landrecht rechnet nach Abhandlung der allgemeinen Grund­ sätze (§§. 869—893) hierher die Verträge zwischen Herrschaften und Gesinde (§. 894), mit ge­ dungenen Handarbeitern und Tagelöhnern (§§. 895—919), mit Handwerkern und Künstlern 920—924), über ein verdungenes Werk (§§. 925-980), Lieferungsverträge (§§. 981—987), Prämien (§§. 988—995) und Verlagsverträge (§§. 996 ff.). Bei den Römern hatte die freie Arbeit nicht entfernt die wirthschaftliche Bedeutung, wie hi der modernen Gesellschaft, weil alle die zahlreichen Dienste, die wir uns gegen Entgelt leisten lassen, meist von (eigenen oder gemietheten) Sklaven verrichtet wurden. Daraus erklärt es sich, daß der Arbeitsvertrag im römischen Rechte eine selbstständige Gestaltung und Entwickelung nicht gefunden hat. Man stellte ihn, wenn ein bestimmter Lohn für die Leistung bedungen war, dem Mietsverträge an die Seite, und zwar entweder als locatio conductio operarum oder als 1. c. operis, je nachdem die Dienste als solche oder das Ergebniß der Arbeit den Gegenstand der Abrede bildeten. Lag ein Miethsvertrag wegen Mangels eines wesentlichen Erfordernisses nicht vor, war aber doch die Handlung einmal geleistet, so erachtete das neuere römische Recht den Empfänger der Leistung durch die Annahme derselben zu der wenn auch nur formlos von ihm versprochenen Gegenleistung für verpflichtet; der andere Kontrahent konnte indeß das von ihm Geleistete auch zurückfordern. Weil also die Verpflichtung zur Erfüllung des Vertrages auf der einen Seite nur durch die Erfüllung von der anderen Seite (re) begründet wurde, zählte man diese Verträge zu den Realkontrakten, und weil sie im Eivilrecht keine Namen hatten, faßte man sie unter der Bezeichnung „Innominatkontrakte" zusammen. Man theilte sie in ver­ schiedene Klassen ein: do ut facias, facio ut facias, facio ut des. L. 5 Dig. 29 5 de praescr. verbis. Puchta, Inst. §§. 272 u. 275. Das gemeine Recht hat die römische Theorie nicht ausgenommen. Nach einem un­ bestrittenen Gewohnheitsrecht sind die Innominatkontrakte Konsensualverträge. F ö r st e r - E c e i u s §. 138, Bd. 2 S. 303. Für das Land recht hält Koch, Recht der Forderungen 2. Ausl. 3 S. 149, noch an der Unterscheidung zwischen Dienstmiethe und Realkontrakt fest. Die neuere Wissenschaft indeß hat diese Ansicht aufgegeben. Man nimmt allgemein an, daß die Verträge über Handlungen nie­ mals Realkontrakte, sondern eine eigene Klasse zweiseitiger (lästiger) Verträge sind, die, durch das Bedürfniß des Verkehrs hervorgerufen, vielfach besonderen Regeln folgt. Gruchot, zur Lehre vom Werkverdingungsvertrage, in seinen Beiträgen re. Jahrg. 13 S. 1 ff., Glossen zum L.R. I. 11 §§. 869 ff., ebenda S. 641 ff. 1) H. Ueber den Begriff des Vertrags über Handlungen siehe I. 5 §. 408 und die Anm. dazu. Haben die Kontrahenten nach vollständiger Erfüllung des Vertrages mit einander verabredet, daß der eine Theil das von ihm abgelieferte Werk zurücknehmen und den empfangenen Preis dem anderen Theil zurückzahlen soll, so stellt diese Abrede nicht einen Vertrag über Hand­ lungen, sondern einen Kaufvertrag dar. R.G. 1 H. v. 11. Nov. 1881, Gruchot 26 S. 969. Zum Wesen der Verträge über Handlungen gehört es nicht, daß die Kontrahenten mit der Handlung, welche der eine zu leisten übernimmt, einen bestimmten Erfolg bezwecken. Hat der andere die Zahlung der Vergütung von einem Erfolge der Handlung abhängig gemacht, so kann er doch nicht unbedingt verlangen, daß ihm ein Kausalzusammenhang zwischen dem Erfolge und der Handlung nachgewiesen werde. Es kommt vielmehr in jedem einzelnen Falle auf den In­ halt der Verabredungen an. O.Tr. IV v. 14. Nov. 1871, Str. Arch. 83 S. 122.) Dagegen müssen, da Leistung und Gegenleistung „gegen einander" versprochen werden, die Handlungen von dem einen Kontrahenten dem anderen oder doch wenigstens in dessen Interesse verrichtet worden sein, um den Anspruch auf die Vergütung zu begründen. O.Tr. III v. 6. März 1868, Str. Arch. 70 S. 215. Gleichartigkeit der Leistungen auf jeder Seite ist nicht erforderlich; es

956

Erster Theil.

Eilfter Titel.

§§. 870—872.

§. 870. Es gehört also zum Wesen dieser Verträge, daß dem, welcher zu einer Handlung oder Unterlassung sich verpflichtet, eine Vergütung2) dagegen ver­ sprochen werde §. 871. Ist diese Vergütung im Vertrage nicht hinlänglich bestimmt ^), so sönnen vielmehr auf der einen Seite oder auch aus beiden Seiten die Leistungen^ aus Hand­ lungen und Sachen gemischt sein. Wenn also auch auf der einen Seite z. B. Geld und Hand­ lungen als Gegenleistung für ein Grundstück versprochen worden, so ist der Vertrag doch ein solcher, dessen Hauptgegenstand Handlungen sind. Vergl. I. 5 §. 408 Anm. 11. Zu dieser Klasse von Verträgen gehört auch die Verabredung zwischen dem Besitzer eines Grundstückes und einem Kommissionär, es solle gegen Provision ein Käufer verschafft werden, welcher für das Grundstück eine bestimmte Kaufsumme mit einer gewissen Anzahlung gebe; eine solche Verabredung hat keineswegs, wie man hat behaupten wollen, den Charakter einer Be­ dingung im Sinne des §. 104 I. 4, am wenigsten im Sinne des §. 105 ebd., sondern ist In­ halt der Willenserklärung selbst und Gegenstand des Vertrages. Die Verabredung hindert auch dell Grundstücksbesitzer gar nicht, einen anderen Kaufkontrakt zu schließen unter beliebigen anderen Modalitäten, i)enn ihre Wirkung ist nicht, daß derselbe nun sein Grundstück gar nicht anders als mit jener Stipulation -und nur au einen von dem Kommissionär gestellten Käufer hätte verkaufeir können, sondern die, daß der Kommissionär auf seine Provision nur dann An­ spruch haben sollte, wenn ein solcher Vertrag eingegangen würde. Erst wenn der Kommissionär einen solchen Vertrag früher, als der Besitzer selbst verkaufte, abgeschlossen hätte (sub spe rati) und nun derselbe die Anzahlung gehindert hätte, würde die Sache in der Lage gewesen sein, wo der Kommissionär seinerseits den Vertrag vollständig erfüllt gehabt hätte. O.Tr. IV v. 23. Febr. 1864, Str. Arch. 56 S. 34. H. Mandatar ist der Häuserkommissionär nicht ohne weiteres, sondern nur dann, wenn er den Kommittenten bei dem Verkaufe des Grundstücks zugleich rechtlich zu vertreten hat. Die Handlungen, welche der §. 869 im Sinne hat, sind keine Rechtshandlungen, begreifen daher die Ausführung eines Vollmachtsauftrages nicht unter sich. Mandat und Vertrag über Handlungen berühren sich jedoch im Rechtsverkehr sehr oft so nahe, daß es bisweilen nicht ohne Schwierigkeit ist, die Grenze zwischen ihnen zu finden. Vergl. O.Tr. IV v. 16. März 1852, Str. Arch. 5 S. 90, und v. 4. Febr. 1864, ebenda 52 S. 226, I. 13 §§. 5 u. 22 sowie die Anm. dazu. Der Verwaltungsvertrag fällt an sich unter den Gattungsbegriff der Verträge über Handlungen, folgt aber im Einzelnen vielfach besondereir Regeln. O.Tr. III v. 15. Juni 1874, Entsch. 72 S. 183. 2) Darunter wird die vereinbarte Gegenleistung verstanden, sie bestehe in nicht fungiblen Sachen oder auch in Handlungen, keineswegs ist darunter eine Vergütung nur in Gelde oder fungiblen Sachen zu verstehen. O.Tr. Pl. v. 7. Nov. 1845, Entsch. 12 S. 45. II. Es gehört nicht zum Begriffe der Verträge über Handlungen im Sinne des Landrechts, daß im Einzelnen bestimmte Handlungen der einen Seite und ebenso bestimmte Handlungen oder eine genau ver­ einbarte sonstige Vergütung stipulirt seien. R.G. I v. 8. Nov. 1882, Entsch. 8 S. 229. 3) Das bezieht sich auf die vollständige Abschließung eines Konsensualkontrakts. JDtit dieser ganz richtigen Bestimmung treten die §§. 873 u. 874 d. T. keineswegs in Kollision, wie man bei der Gesetzrevision bemerkt zu haben glaubt. Pens. 14 S. 162. H. Ko ch verneinte die Kollision deshalb, weil er annahm, daß die §§. 873 u. 874 den Fall des Realkontrakts beträfen. Dieser Annahme kann jedoch nicht beigetreten werden, weil die Fassung der Bestimmungen und das Verhältniß derselben zu den §§. 870—872 darauf Hinweisen, daß überall nicht lediglich die Leistung des Einen das den Anderen verpflichtende Moment bildet, sondern daß der Konsens Beider in Ansehung der für die Handlung zu gewährenden Vergütung den Empfänger der Leistung zur Gegenleistung verpflichtet. Vergl. die Anm. * S. 955. Die Fassung der §§. 870—874 ist allerdings keine glückliche, wie Gruchot a. a. O. S. 648 ff. nachgewiesen hat. Allein die Schwierigkeit des Verständnisses hebt sich ivesentlich, wenn man bei dem §. 870 nicht gerade an ein ausdrückliches Versprechen denkt, sondern in demselben nur das findet, was sich von selbst versteht, daß nämlich die Willenseinigung der Kontrahenten auch die Vergütung der Leistung umfassen muß. So auch das NXH. I v. 8. Nov. 1882, Entsch. 8 S. 230. Wie der Konsens sich zu äußern hat, darüber trifft der §. 870 keine Bestimmung. Es genügt also nach der allgemeinen Regel eine stillschw eigend e Willensäußerung. Eine solche aber erachtet das Gesetz in den §§. 871, 873 u. 874 für vor­ liegend, dergestalt, daß es in den Füllen dieser Paragraphen aus den Umständen folgert, daß derjenige, der die Handlung sich leisten läßt, auch willens ist, dafür die übliche Vergütung zu gewähren. Der §. 872 betrifft dann die Fälle, in denen diese Folgerung unstatthaft, eine Ab­ sicht, die Leistung zu vergelten, weder ausdrücklich erklärt noch aus den Umständen zu erkennen ist. Das bloße Geben und Leisten von der einen Seite ist nicht ausreichend, auf der anderen Seite eine Verbindlichkeit zur Vergütung des Geleisteten oder Gegebenen hervorzurufen.

Von Verträgen über Handlungen.

957

muß die fehlende Bestimmung nach dem Gutachten der Sachverständigen ergänzt werden5). §. 872. Ist gar keine Vergütung bestimmt, so ist der Vertrag ohne rechtliche Wirkung, und es kann auf dessen Erfüllung nicht geklagt werdens. 4) (H. Der Fall ist der, daß aus dem Vertrage die Absicht des einen Kontrahenten, die Handlung oder Unterlassung des anderen zu vergelten, ersichtlich ist, die Art oder der Betrag der Vergütung aber sich nicht bestimmen läßt. In diesem Falle wird angenommen, daß beide Theile als Entgelt das gewollt haben, was nach sachverständigem Gutachten recht und billig ist. Die Grenze zwischen den: Anwendungsgebiete des §. 871 und dem der §§. 873 u. 874 ist aber keine so fest bestimmte, daß nicht den Umständen des konkreten Falles Rechnung getragen werden müßte. R.G. I H. v. 20. Juni 1882, Gruchot 27 S. 446.) Verschieden hiervon ist der Fall, wenn die Kontrahenten die Festsetzung der Preise für die zu leistenden Arbeiten einer be­ sonderen Vereinbarung vorbehalten haben. Kommt diese Vereinbarung nicht zu Stande, so fehlt es dem Vertrage, durch welchen der eine Theil zur Leistung von Arbeiten sich verpflichtet hatte, an einem wesentlichen Erfordernisse (§§. 870 u. 872). Der Vertrag ist daher unver­ bindlich und zur Begründung des Anspruchs auf eine Konventionalstrafe gegen den Arbeiter ungeeignet. O.Tr. I V v. 20. Nov. 1866, Str. Arch. 68 S. 14. 5) (H. Besteht für den Fall, daß die Betheiligten den Betrag der Vergütung nicht fest­ gesetzt haben, eine gesetzliche oder von der Behörde innerhalb ihrer Kompetenz aufgestellte Taxe, jo vertritt letztere die Ermittelung der Höhe des Honorars durch Sachverständige. O.Tr. IV v. 5. Dez. 1867, Str. Arch. 69 S. 186; Gew.Ordn. v. 21. Juni 1869 §. 80. Die Vernehmung eines Sachverständigen findet auch dann nicht statt, wenn der eine Kon­ trahent über die von ihm geleisteten Handlungen (Arbeiten) dem anderen eine Rechnung zu­ gestellt und dieser bei den Rechnungspreisen sich beruhigt hat. Jener darf, wenn die Zahlung sich verzögert, nicht höhere Preise fordern und deren Angemessenheit durch Sachverständige nach­ weisen. Denn da er seine eigenen Leistungen jedenfalls am besten kennt, so muß er auch seine in der Rechnung enthaltene Schätzung gegen sich gelten lassen. So ist in vielen Fällen von dem vormaligen Stadtgerichte in Berlin entschieden. Das R.O.H.G. I gelangt zu demselben Ergebnisse durch Interpretation des Willens der Kontrahenten. Urth. v. 28. Okt. 1873, Entsch. 11 S. 249. Vergl. die Anm. 9 a. E.) Wird derselbe Dienst gleichzeitig mehreren Personen geleistet, so hat nicht jede die volle Vergütung, sondern nur ihren Theil nach der Kopfmhl zu entrichten. „Aerzte, welche bei Reisen über Land verschiedene Kranke besuchen, sind verbunden, die ihnen zustehenden Reise­ kosten, Diäten und Gebühren für Besuche auf alle bei der betreffenden Reise behandelte Kranke zu vertheilen." O.Tr. IV v. 16. Mai 1849, Entsch. 18 S. 201. Der Antheil des Zahlungs­ unfähigen muß jedoch von den Uebrigen getragen werden, weil sie dies ohne den Besuch bei dem Armen auch Hütten thun müssen, und sie auf Kosten des Arztes dessen Hülfe zu begehren kein Recht haben. Die Mehreren sind singuli, welche den Auftrag ganz gegeben haben; der Dienstleistende soll nur keinen Gewinn machen, aber er soll auch nicht Schaden haben, d. h. nicht weniger erhalten, als er erhalten haben würde, wenn er den Dienst nur dem Einen allein ge­ leistet hätte. Durch das Ausscheiden des einen Auftraggebers bleibt der andere Auftraggeber allein stehen. H. Wegen der Ansprüche eines Rechtsanwalts für eine Reise in Angelegenheiten verschiedener Parteien siehe die Geb.Ordn. v. 7. Juli 1879 §§. 3 u. 79 Abs. 3. Bergl. auch die Geb.Ordn. für Gerichtsvollzieher v. 24. Juni 1878 §. 17 Abs. 2. 6) (H. Ein Vertrag ist in dem gesetzten Falle überhaupt nicht zu Stande gekommen. Gruchot a. a. O. S. 648. Wegen des Geleisteten findet nur die Vindikations-, beziehungsweise die Bereicherungsklage statt, wenn überhaupt die Absicht vorhanden war, den Empfänger der Leistung zur Vergeltung derselben zu verpflichten. Siehe die Anm. 3.) Der Vertrag der kompromittirenden Parteien mit dem Schiedsrichter — das Rezeptum — ist an sich ein Vertrag über Handlungen. Seine Klagbarkeit gegen den Arbiter ist mithin nach §. 870 dadurch bedingt, daß demselben für die von ihm übernommene Thätigkeit eine Ver­ gütung versprochen worden ist. O.Tr. IV v. 26. Nov. 1857, Str. Arch. 27 S. 158. Nach römischem Recht konnte der Prätor gegen den widerwilligen Arbiter auch dann einschreiten, wenn eine Belohnung nicht bedungen war. L. 3 88- 1 u. 3, 1. 15 u. 32 §. 12 D. de receptis 4, 8. (H. Wind scheid 417.) Ist eine solche zugesagt, so findet auch nach preußischem Recht Klage und Zwangsvollstreckung gegen die den Spruch verweigernden Schiedsrichter stat. O.Tr. IV v. 7. Dez. 1849, Str. Arch. 27 S. 162. H. Eine Weigerung ist es aber nicht, wenn die Schiedsrichter das Verfahren bis dahin sistiren, daß über ihre Kompetenz durch Urtheil des ordentlichen Richters entschieden sein wird. R.O.H.G. v. 14. Mürz 1871, Entsch. 2 S. 164; Kowalzig, das reich^gesekliche Urheberrecht re., die Bestimmungen über Schiedsgerichte (1877) 5. 149.

958

Erster Theil.

Eilfter Titel.

§§. 873—875.

§. 873. Hat aber der, welcher die Handlung übernommen 7) hatte, sie wirklich geleistet, und gehört die Handlung zu seineu gewöhnlichen Nahrungs- und Berufs­ geschäften^); so kann er dafür, auch ohne ausdrücklichen Vorbehalt, den gewöhn­ lichen Lohn nach dem Gutachten der Sachverständigen 9) fordern. 7) Vorausgesetzt ist mithin eine Zustimmung von der anderen Seite, entweder durch Uebertragung der Verrichtung, oder durch Annahme der unaufgefordert, geleisteten Dienste. Vergl. jedoch Ann:. 11. Für Dienstverrichtungen, welche der Andere weder verlangt noch angenommen hat, kann nichts gefordert werden. Es kann auch nichts gefordert werden, wenn zwischen beiden Theilen schon ein dauerndes Dienstverhältniß besteht, vermöge dessen der Dienende alle ihm aufgetragene Verrichtungen übernehmen und besorgen muß, weil er alle seine Zeit rind Kräfte vermiethet hat. Das O.Tr. hat jedoch nach einer Entscheidung v. 6. April 1818 den Satz aus­ gesprochen : „Ein Dienstbote, welcher neben seinen gewöhnlichen Diensten seiner Herrschaft in deren Krankheit außergewöhnliche Dienste eine längere Zeit verrichtet hat, ist berechtigt, dafür eine angemessene außerordentliche Belohnung zu verlangen, wenn auch eine solche vorher nicht stipulirt worden." Simon, Rechtsspr. 3 S. 80. H. In dieser Allgemeinheit ist die Ent­ scheidung gewiß bedenklich. Wenn man sie mit Koch nicht geradezu für unrichtig halten will, so muß man sie doch wenigstens auf den Fall einschränken, in welchen: die Leistung außerhalb der Dien st p flicht des Gesindes liegt und ein gewöhnlicher Lohn dafür durch Sachver­ ständige sich feststellen läßt. Förster-Eecius §. 138, 2 S. 306 Note 15. Die Uebernahme der Verrichtung muß auch in der Absicht geschehen, ein Rechtsgeschäft ein­ zugehen, d. h. den Anderen zur Gegenleistung zu verpflichten, und der Andere muß den Dienst aninio se obligandi annehmen. Diese Voraussetzung ist nicht als vorhanden anzunehmen, wenn der Kommissionär die Verkaufsabsicht seines Kommittenten einem Dritten mittheilt und dieser ihm darauf ein Gebot zur Uebermittelung an den Kommittenten macht. Dem Kommissionär ist in diesem Falle der Provisionsanspruch an den Dritten, der später mit denl Konnnittenten in direkte Verhandlungen getreten ist und die Sache gekauft hat, abgesprochen. R.O.H.G. I v. 2. Jan. 1877, Entsch. 21 S. 274. Aus jenem Prinzip folgt auch, daß, wenn zwei Personen verschiedenen Geschlechts zu einer Geschlechtsgemeinschaft sich zusammenthun, und während des Zusammenlebens Einer den: Anderen häusliche Dienste thut oder Beide sich wechselseitig unter­ stützen, nach einer später in Unfrieden erfolgten Trennung Keiner von dem Anderen etwas fordern kann. Außerdem, und wenn andere Umstände eine Freigebigkeit nicht annehmen lassen, wird jene Absicht im Zweifel vernruthet. 874. 8) Eine Person aus der Arbeiterklasse, welche bei Anderen eine Reihe von Jahren hin­ durch alle Hausarbeiten und die gewöhnlichen Dienste eines Haus- und Küchenmüdchens ver­ richtet^ und dafür nichts weiter als Aufenthalt, Essen und Trinken erhalten hat, ist auch ohne besondere Verabredung berechtigt, den gewöhnlichen Lohn eines Dienstmädchens zu fordern. Pr. des O.Tr. v. 1806. Mathis 5 S. 8/ Dieser Grundsatz ist später ganz allgemein auf Dienst­ boten und Hausoffizianten für anwenbar erklärt worden. O.Tr. IV v. 16. Okt. 1855, Str. Arch. 19 S. 58. 9) Dies ist auch anwendbar auf Müklergeschäfte, für welche nicht die taxmüßigen Mäkler­ gebühren gefordert werden können. Entsch. des O.Tr. 12 S. 412. Zur Vermittelung eines Kaufgeschäfts durch nichtkaufmännische Mäkler genügt das Zuführen eines Kaufs- oder Verkaufs­ lustigen, oder der Nachweis der verkäuflichen Sache, sagt das O.Tr. IV in einen: Erk. v. 23. März 1854, Str. Arch. 14 S. 214. Diese Begriffsbestimmung von „Vermittelung" eines Kaufgeschäfts ist gar zu unbestimmt. In den: Erk. v. 15. Jan. 1861, ebenda 40 S. 129, geht davon das O.Tr. IV auch ab, indem es meint: was unter der Handlung der „Verinittelung" zu verstehen sei, beruhe nicht auf Rechtsbegrisfen, sondern auf der Würdigung der thatsächlichen Verhältnisse jedes besonderen Falles. Das ist das Nichtige. „Vermittelung" ist kein Rechts-, sondern ein sprachlicher Begriff des gemeinen Lebens und fällt in den Bereich der Thatsachen, wenn davon in einem Rechtsverfahren die Rede ist. H. Der Vermittler eines Darlehnsgeschüfts kann die ihn: für die Beschaffung des Darlehns versprochene Provision nicht fordern, wenn sein Auftraggeber das ihn: offerirte Darlehn nicht annimmt und so das Zustandekommen des Geschäfts vereitelt. O.Tr. 1 V v. 17. Febr. 1870, Str. Arch. 79 S. 33, und R.G. I H. v. 9. Jan. 1880, Gruchot 24 S. 982. Dagegen kann demjenigen, der den Verkauf eines Grundstücks vermittelt hat, das durch den Abschluß des Ver­ kaufs einmal verdiente Proxenetikum um deswillen nicht vorenthalten werden, weil Verkäufer und Käufer freiwillig den Verüußerungsvertrag wieder aufgehoben haben. O.Tr. I V v. 22. Sept. 1868, G r u ch ot 13 S. 545. Es fragt sich, ob der gewöhnliche Lohn des Koinnüssionürs, mit dessen Hülfe ein Grund­ stück verkauft ist, auch in einer Quote des Kaufgeldes bestehen kann. Das vormalige Stadtgericht zu Berlin hat dies in mehreren Erkenntnissen verneint, weil nach §. 873 der Lohn dav Aequi-

Von Verträgen über Handlungen.

959

§. 874. Gehört der Handelnde nicht unter diese Classe, sind aber auch die Umstände nicht10 * *)11 * vorhanden, ****** unter welchen eine Freigebigkeit gesetzlich vermuthet werden kann; so kann er dennoch eine Vergeltung, jedoch nur nach dem niedrigsten durch Sachverständige zu bestimmenden Satze fordern"). (§. 1046 12).13 sqq.) §. 875. Ist für die übernommene Handlung nicht Geld oder eine andere Handlung, sondern eine Sache, oder die Abtretung eines Rechts versprochen worden, so sind die Pflichten des Versprechenden, in Ansehung der von ihm zu leistenden Erfüllung, nach den Regeln vom Verkaufe"'), oder von der Cessionsleistung zu be­ stimmen 14). valent für die geleisteten Handlungen (Bemühungen) sein solle, deren Werth aber in keiner Weise von dem Erfolge abhängig sei. Das Verhältniß des Kommissionärs, der sich eine Quote versprechen läßt, zu dem Kommittenten'wird dabei als eine Sozietät aufgefaßt, bei welcher dieser das Grundstück zum Verkauf, jener seine Thätigkeit zur Herbeiführung desselben einsetzt. Eine solche Konstruktion des Verhältnisses gestattet allerdings der §. 873 nicht. Haben die Kontrahenten nach Leistung der Handlung die Vergütung für dieselbe verein­ bart, so hat es hierbei sein Bewenden. Daß eine solche Vereinbarung auch stillschweigend getroffen werden kann, ist nach I. 4 §. 59 außer Frage. (Vgl. Anm. 5 Satz 2.) Als still­ schweigend vereinbart aber muß der Betrag gelten, den der Eine zahlt und der Andere nimnlt, vorausgesetzt, daß nicht die Richtung der Absicht auf Leistung oder Annahme nur einer Ab­ schlagszahlung erweisbar ist. Deshalb ist ein Arzt, der längere Zeit hindurch für seine den Mitgliedern eines Haushalts geleisteten Dienste alljährlich nach Schluß des Jahres von dem Hausherrn ein Honorar empfangen hat, ohne sich einen Vorbehalt zu machen, nicht befugt, eine höhere Vergütung nach der Medizinaltare zu fordern. O.Tr. IV v. 11. Dez. 1873, Entsch. 71 S. 158. Die Frage, ob das Gericht Sachverständige hören muß, hat das O.Tr. in einem Falle, in welchen: die Jnstanzgerichte einem Arzt für drei Reisen von Berlin nach Wiesbaden zum Zwecke ärztlicher Behandlung eine Vergütung von 900 Thalern auf Grund eigener Sach­ kunde zugesprochen hatten, bejaht.' O.Tr. IV v. 25. Okt. 1877, Str. Arch. 98 S. 70.

10) H. Jemand war als Baumeister gegen festen Gehalt engagirt, hatte aber auf An­ weisung seines Prinzipals auch dessen Ziegelei geleitet. Hierfür wurde ihm auf Grund des §. 874 eine besondere Vergütung zuerkannt, weil der Prinzipal den Mangel einer obligatorischen Absicht bei Uebertragung der nicht zu dem Berufe eines Baumeisters gehörenden Ziegeleigeschäfte nicht nachgewiesen hatte. O.Tr. IV v. 8. Sept. 1868, Str. Arch. 72 S. 141. Vgl. die Anm. 7. 11) Der Satz findet auf Vollmachtsaufträge nicht Anwendung; für diese gilt die besondere Bestimmung des §. 74 I. 13. Vgl. das Pr. 1882 zu §. 262 daselbst und Koch, Recht der Forderungen §. 285 Nr. IV. Ein Anspruch auf die in den §§. 873 u. 874 bestimmte, nicht ausdrücklich bedungene Ver­ gütung findet nicht statt, wenn eine vorgängige Aufforderung zu der geleisteten Handlung nicht stattgehabt hat. H. Ein Häuseragent z. B., der unaufgefordert und ohne Vereinbarung eines Honorars Jemandem ein Haus zum Kaufe nachweist, kann eine Vergütung für den Nachweis resp, seine Mühwaltungen nicht fordern. O.Tr. IV v. 14. März 1876, Str. Arch. 95 S. 293. Zweifel­ haft ist die Anwendung des Grundsatzes gegen einen Schriftsteller, der ohne Aufforderung und ohne Vorbehalt Beitrüge zu einer Zeitung geliefert hat, wenn dieselben zum Abdruck gelangt sind. Das O.Tr. IV hat auch in diesem Fall den .Honoraranspruch verneint in einen: Erk. v. 27. Nov. 1856, Str. Arch. 23 S. 83. Vgl. die Anm. 8 und Först er-Ec eins §. 138, 2 S. 306 Note 18. 12) Es muß heißen: „1041". N. v. 29. Dez. 1837, Jahrb. 50 S. 649. 13) Eigentlich müssen die Regeln von: Tausche angewendet werden. 14) JEL Wird in einem Vertrage über Dienstleistungen dem zu den Diensten Verpflichteten ein Ruhegehalt zugesichert, welches die Bezeichnung einer Pension führt, so nimmt dieser Lohn für bereits geleistete Dienste doch nicht die Natur einer Leibrente in den: Sinne an, daß nuninehr der Dienstvertrag, trotz seiner speziellen Natur als Vertrag über Handlungen, sich von selbst in einen Leibrentenvertrag verwandelte. O.Tr. I v. 30. Sept. 1872, Str. Arch. 86 S. 213. Als Vertrag über Handlungen ist auch die in einem Vergleiche getroffene Abrede, nach welcher der Schuldner zur Beschaffung der Bürgschaft einer bestimn:ten Person für seine Schuld dem Gläubiger sich verpflichtete, angesehen worden. R.O.H.G. v. 17. Jan. 1871, Entsch. 1 S. 226. Desgleichen ein Abkommen, mittelst dessen der eine Kontrahent als Gegenleistung für gewisse Vortheile (Wohnung und Gartenland) sich anheischig machte, vor der kompetenten Behörde in: Interesse des anderen Kontrahenten einen Verzicht auf eiu ihm zustehendes Recht zu erklären. R.O.H.G. 11 v. 26. Okt. 1872, Entsch. 7 S. 339. Dagegen sallen nicht alle Vertrüge, deren

960

Erster Theil.

Eilfter Titel.

§§. 876-885.

§. 876. Bei Verträgen, wodurch Sachen gegen Handlungen, oder Handlungen gegen einander versprochen werden, findet, wegen angeblicher Verletzung im Werthe, außer dem Falle eines Betruges, weder Anspruch noch Einwand statt15 * *).16 * * 17 * * 18 **** §. 877. Auch aus solchen Verträgen kann, so wie aus allen übrigen, wenn sie durch wechselseitige Einwilligung in gesetzmäßiger Form abgeschlossen sind, aus Erfüllung geklagt werden^). §. 878. Wenn aber der eine Theil die versprochene Erfüllung weigert *'), so kann der andere von dem Vertrage sofort zurücktreten "). Gegenstand ein Facere im Gegensatz zum Dare bildet, unter die Vertrüge über Handlungen, namentlich nicht ein Abkommen, inhalts dessen eine Versicherungsgesellschaft unter bestimmten Voraussetzungen ihr Risiko einer anderen Gesellschaft in Rückversicherung giebt, überhaupt nicht Versicherungsverträge, ebensowenig wie Sozietät, Mandat, pactum de cedendo. R.O.H.G. I vom 20. Febr. 1872, Entsch. 5 S. 164, und v. 1. Sept. 1873, ebenda 11 S. 19. Wegen Formmangels kann die Vergütung einer geleisteten Handlung nicht abgelehnt werden (I. 5 §. 165), selbst dann nicht, wenn die versprochene Vergütung in einem Rechtsgeschäft besteht, dessen Gültigkeit durch die Beobachtung einer bestimmten Form bedingt ist. In einem solchen Falle hat vielmehr der Verpflichtete das Rechtsgeschäft in der vorgeschriebenen Form zu vollziehen. O.Tr. IV v. 25. Juni 1874, Str. Arch. 92 S. 184. 15) H. Durch diese Vorschrift wird eine gemeinrechtliche Kontroverse entschieden. O.Tr. V v. 15. Juli 1856, Str. Arch. 27 S. 1; Gruchot, Glossen zu §. 876, in seinen Beiträgen rc. 13 S. 678. 16) Vorausgesetzt, daß der andere Kontrahent vom Vertrage noch nicht abgegangen ist. Ist dies bereits geschehen, so kommen die §§. 408 u. 409 I. 5 zur Anwendung. O.Tr. IV v. 13. Okt. 1857, Str. Arch. 28 S. 47. In einem Erk. v. 7. Jan. 1862, ebenda 43 S. 317, führt dagegen derselbe Senat aus, daß der auf eine bestimmte Zeit zu Tagelöhnerarbeiten auf einer Landwirthschaft schriftlich an­ genommene Tagelöhner, trotz des §. 408 I. 5, gegen den Dingenden, nachdem dieser ihn ent­ lassen habe, auf Erfüllung des Vertrages durch Ärbeitsgebung bestehen könne. Dies ist nicht verständlich. Einerseits ist aus den Gründen keineswegs klar, was denn das O.Tr. rund und nett eigentlich will; andererseits ist nicht findbar, wieso der Dingende soll gezwungen werden können, den Tagelöhner in seine Häuslichkeit aufzunehmen und ihn: Arbeit zu geben. Soll der Exekutor die Arbeit aussuchen und dem Tagelöhner anweisen? Einen solchen Zwang mit präzisem Erfolge möchte man sehen. Warum also der §. 409 I. 5 hier keine Geltung haben soll, bleibt unklar. 17) Eine bloße Zögerung ist noch keine Weigerung. Man hat aber auch hervorgehoben, daß hier nicht gesagt sei, daß der zurücktretende Kontrahent sich mit der bloßen Behauptung einer stattgefundenen Weigerung von der Erfüllung los machen könne. O.Tr. IV v. 7. Mai 1850, Entsch. 19 S. 158. Es scheint indeß, daß der §. 878 nichts anderes enthält als eine Wiederholung oder Anwendung des allgemeinen Grundsatzes von Vertrügen über Handlungen int §. 408 I. 5 ; und nach diesem Grundsätze kann man unter der bloßen Behauptung der anderseitigen Weigerung zurücktreten, freilich auf die Gefahr, den Anderen vollständig zu entschädigen, wenn nran die Behauptung nicht wahr machen kann. Vertrüge über verdungene Werke machen eine Ausnahme; sie fallen in den Bereich der Kaufkontrakte. Vgl. die Annr. 13 zu I. 5 tz. 408 und 9(11111. 48 zu §. 938 d. T. H. Ueber das Verhältniß des §. 878 d. T. zu der Bestimmung des §. 408 I. 5, ins­ besondere R.O.H.G. 1 v. 5. Mai 1874, Entsch. 13 S. 231; Rauschenbusch in Gruchot 19 S. 491. 18) H. Das Motiv für die Zulassung dieses Neurechts liegt in der Rücksicht auf die Be­ dürfnisse des täglichen Verkehrs, welche eine pünktliche und anstandslose Erfüllung der hier in Rede stehenden Vertrüge erfordern. Gruchot 13 S. 679 und 680. Siehe auch O.Tr. HI v. 10. Juli 1868, Str. Arch. 71 S. 315. Der §. 878 setzt einen berechtigten Rücktritt, nicht einen Rücktritt auf eigene Gefahr voraus. O.Tr. IV v. 4. März 1856, ebenda 20 S. 240. Der Engagementsvertrag der Schauspieler, auch der Vertrag, durch welchen Schauspieler sich verpflichten, Gastrollen zu geben, unterliegen den Grundsätzen bei Verträgen über Hand­ lungen. Der andere Kontrahent hat daher die für den Fall des einseitigen Rücktritts festgesetzte Konventionalstrafe nicht verwirkt, wenn er bei Nichterfüllung des Vertrages seitens des Schau­ spielers von dem Vertrage zurücktritt. O.Tr. IV v. 31. Dez. 1850, ebenda 1 S. 150. Dem auf Erfüllung belangten Schauspieler steht, da sein Vertrag ein Vertrag über Hand­ lungen ist, die Befugniß des Rücktritts noch in der zweiten Instanz zu. Zur Rechtfertigung

Von Verträgen über Handlungen.

961

§. 879. In Ansehung der Fälle, wo ein solcher Vertrag, wegen Unmöglich­ keit") der Erfüllung, wieder aufgehoben wird, hat es bei den allgemeinen Vor­ schriften des fünften Titels §. 360. sqq. sein Bewenden. §. 880. Hat in diesem Falle der eine Theil den Vertrag von seiner Seite, durch Leistung der versprochenen Handlung, schon vollständig erfüllt, und die Un­ möglichkeit der Erfüllung von der anderen Seite entsteht durch die Schuld des anderen Contrahenten; so muß Letzterer dem Ersteren, nach Maaßgabe des Grades seiner Verschuldung, den außerordentlichen Werth der versprochenen Sache, oder den Werth der besonderen Vorliebe vergüten. §. 881. Sollte der Contrahent, welchem durch seine Schuld die Erfüllung des von der anderen Seite schon ganz erfüllten Vertrages unmöglich wird, ebenfalls eine Handlung leisten; so muß er dem anderen den aus der Unterbleibung dieser Handlung entstehenden Schaden und entgehenden Gewinn, nach Maaßgabe des Grades seiner Verschuldung, vergüten. §. 882. Hat der eine Theil den Vertrag bereits ganz erfüllt, und dem anderen wird die Erfüllung von seiner Seite durch bloßen Zufall unmöglich, so muß Ersterer mit der Vergütung des gemeinen Werthes der versprochenen Sache, oder des ge­ wöhnlichen Lohns der Handlung, die er selbst geleistet hat, sich begnügen""). §. 883. Hat in dem Falle, wo der Vertrag wegen Unmöglichkeit der Er­ füllung rückgängig wird, der eine Theil den Vertrag zwar noch nicht ganz erfüllt, aber doch auf Rechnung desselben schon eine oder mehrere Handlungen geleistet, und die fernere Erfüllung wird ihm selbst durch seine eigene Schuld unmöglich; so kann er für das Geleistete von dem anderen nur insofern Vergütung fordern, als dieser sonst mit seinem Schaden reicher werden würde21). §. 884. Ein Gleiches findet statt, wenn dem, der schon etwas geleistet hat, die fernere Leistung nur durch einen Zufall, aber doch durch einen solchen, der sich in seiner Person ereignet, unmöglich wird. §. 885. Macht hingegen ein bloßer Zufall, daß dem, welcher die contractmäßigen Handlungen schon zum Theil geleistet hat, die Leistung der übrigen un­ möglich wird, so kann er für das Geleistete von dem anderen Contrahenten gewöhn­ liche Vergütung, nach dem Gutachten der Sachverständigen, fordern22).

des Rücktritts genügt die bloße, wenngleich unbegründete Behauptung, daß der Andere den Vertrag nicht erfüllt habe oder nicht erfüllen könne oder zu erfüllen verweigere. I. 5 §§. 408, 409 und die Anm. dazu. Auch ist zur Gültigkeit der Erklärung des Rücktritts das Hinzu­ kommen des thatsächlichen Rücktritts nicht erforderlich. O.Tr. IV v. 16. Nov. 1854, ebenda 15 S. 225. H. Der §. 878 findet Anwendung auch auf das Rechtsverhältniß der Privatbeamten zur Dienstherrschaft' Dienstvernachlässigung und vertragswidrige Handlungen von gewisser Erheb­ lichkeit und unter gewissen Umständen, sowie Veruntreuungen sind an sich geeignet, der Herrschaft das Recht auf Entlassung des lebenslänglich angestellten Beamten auch ohne Entschädigung des­ selben zu geben. O.Tr. I v. 17. April 1874, Str. Arch. 91 S. 219.

19) Vergl. I. 5 §§. 369 ff. und die Anm. dazu. 20) Ist keine konsequente Anwendung der Regel, nach welcher der Vertrag im Falle des Kasus ungültig oder vielmehr ausgehoben sein soll. Denn daraus folgt, daß der Kontrahent, welcher bereits vorgeleistet hat, das Geleistete schlechthin zurückfordern kann.

21) Er hat also weder die Kondiktion auf Erstattung des Geleisteten, noch weniger die Kontraktsklage, weil er kontraktswidrig gehandelt hat;.er hat nur die actio in factum wegen Bereicherung, welche andere Voraussetzungen hat, als die bloße nützliche Verwendung: der Empfänger muß zur Zeit der Klage sich noch wirklich im Besitze oder Genufse des unvergöltenen Vortheils befinden, den er ohne das Vorgefallene nicht haben würd«. Die Regel des I. 13 273 begründet die Klage nicht. Es versteht sich, daß der Kläger in dem Falle des §. 883 nicht allein seine Leistungen, sondern auch die Bereicherung des Bekl. durch dieselben, d. h. die Zweckmäßigkeit seiner Verwendungen und daß die letzteren dem Bekl. einen Vortheil verschafft Koch, Allgemeine- Landrecht. 1.

8. Ausl.

61

962

Erster Theil.

Eilfter Titel.

§§. 886—901.

§. 886. Entsteht die Unmöglichkeit der Erfüllung von der Seite des anderen Contrahenten, und zwar durch Zufall; so kann der, welcher auf Abrechnung des Vertrages schon Handlungen geleistet hat, contractmäßige Vergütung dafür, nach Verhältniß des Geleisteten, gegen das ganze im Contracte Versprochene, fordern53). §. 887. Kann nach diesem Grundsätze die contractmäßige Vergütung nicht bestimmt werden, so muß der Leistende mit einer gewöhnlichen Vergütung, nach dem Gutachten der Sachverständigen, sich begnügen. §. 888. Entsteht bei dem anderen Contrahenten die Unmöglichkeit, den Vertrag zu erfüllen, durch dessen eigenes Verschulden, so kann der, welcher auf Rechnung des Vertrages schon Handlungen geleistet hat, contractmäßige Vergütung dafür nach §. 886. oder im Falle des §. 887. die höchste von Sachverständigen zu bestimmende Vergeltung fordern^). §. 889. Außerdem aber muß ihm der andere Contrahent, nach dem Grade seiner Verschuldung, für den wirklichen Schaden und entgehenden Gewinn haften, welcher daraus erwächst, daß der Vertrag durch Leistung der noch übrigen Hand­ lungen nicht erfüllt, und also auch die ganze im Contracte versprochene Vergeltung nicht gefordert werden sann25). §. 890. Hat sich Jemand zu bloßen Unterlassungen verpflichtet, und handelt dieser seiner Verpflichtung zuwider, so muß er, nach dem Grade der ihm dabei zur Last fallenden Verschuldung, den Anderen entschädigen26). §. 891. Ist er aber zu der Handlung, die er unterlassen sollte, durch nnabhaben, beweisen muß. Daß der Vortheil wieder verloren gegangen sei, muß der Andere ein­ wenden. Den Gegensatz zum §. 883 enthält der §. 888. Vergl. Anm. 24 zu §. 888. 22) Der Fall dieses §. ist von dein des §. 882 juristisch nicht verschieden; hier Zufall, dort Zufall. Doch soll die Behandlung eine andere sein; denn hier soll Schätzung der Handlung eintreten, dort soll der gewöhnliche Lohn bezahlt werden. Das liegt darin, daß ein fertiges Werk einen gemeinen Werth hat, theilweise Leistungen aber für ,den Besteller vielleicht nichts werth sind, so daß er einen erheblichen Schaden leiden würde, wenn er die ihm vielleicht ganz unnützen Leistungen mit dem gewöhnlichen Tagelohne bezahlen sollte. Die Ausführung eines Baues ist nicht als eine Reihe einzelner selbstständiger, in sich vollendeter Leistungen anzusehen und der Bestimmung des §. 885 zu subsumiren, vielmehr ist nur die Hinstellung des vollendeten Gebäudes als die dem Bauübernehmer obliegende Leistung anzusehen, und demnach muß dieser den das unvollendete Gebäude treffenden Zufall trageu. Pr. des O.Tr. 35 v. I. 1832. Darin machen auch die Modalitäten bei Bezahlung des Lohnes, z. B. die, daß der Lohn wöchentlich nach Bedürfniß zur Auszahlung der Arbeiter gezahlt werden solle, keine Aenderung. 23) Wieder eine andere Abweichung von der Regel. Siehe Anm. 20 zu §. 882. 24) Zur Begründung der Klage des Werkmeisters, welcher zur Verrichtung einer Arbeit gedungen worden und dieselbe vor deren Vollendung wegen Rücktritts des Dingenden von: Vertrage abgebrochen hat, auf vertragsmäßige Vergütung des Geleisteten bedarf es nicht des Nachweises der Zweckmäßigkeit der bisherigen Verwendungen seitens des Werkmeisters, vielmehr liegt dem Verklagten der Beweis seiner Einrede ob, daß der Werkmeister in dieser Beziehung Anlaß zum Rücktritte vom Vertrage gegeben habe. O.Tr. IV v. 12. Mai 1857, Str. Arch. 26 25) H. „Bei Auflösung eines Dienstvertrages durch die Schuld des Dingenden bildet in der Regel die in dem Vertrage normi'rte Vergütung für die noch ausstehende Zeit den Maßstab für das dem Bediensteten zu leistende Erfüllungsinteresse; es bedarf seitens desselben keines be­ sonderen Nachweises, daß dieses Interesse der kontraktlichen Vergütung gleichkomme." Der Dingende hat nur die von ihm thatsächlich zu begründende und zu beweisende Einrede, daß der dem Bediensteten wirklich entgangene Gewinn den Betrag der bedungenen Vergütung nicht erreiche. Diese Einrede kann namentlich auch den Inhalt haben, daß der Bedienstete die Arbeits­ zeit, welche er bei Fortsetzung des Vertrages dem Dingenden Hütte widmen müssen, anderweit verwerthet habe. R.O.H.G. I v. 25. Ium 1875, Entsch. 18 S. 370. Vergl. auch das Urtheil desselben v. 27. April 1875, ebenda 17 S. 220, und Wind scheid, Lehrbuch §.404 Bd. 2 (5. Ausl.) S. 523. 26) Siehe I. 5 §. 291 und die Anm. dazu.

Von Verträgen über Handlungen.

963

wendbare Gewalt und Uebermacht genöthigt worden, so ist er zwar von aller Ver­ tretung gegen den anderen Contrahenten frei; §. 892. Doch muß er demselben dasjenige zurückgeben oder vergüten, was er von demselben als Wiederlage für die angelobte Unterlassung erhalten hat2'). §. 893. Kann demjenigen, der zu einer Unterlassung sich verpflichtet hat, von dem anderen Contrahenten keine Erfüllung geleistet werden, so muß Letzterer ihm für den aus der bisherigen Unterlassung entstandenen Schaden, nach dem Grade der Verschuldung, gerecht werden. §. 894. Die Verträge zwischen Herrschaften und gemiethetem Gesinde, in- " Sen° gleichen mit gedungenen gemeinen Handarbeitern und Tagelöhnern, gehören unter Herrschaften diese Classe von Verträgen27 28).29 30 (Th. 31 2. Tit. 5.) 1,1,6 ®c[i,,6e§. 895. Ein gedungener Handarbeiter ist schuldig, die Arbeit verabredeter-AB-rtmge maßen, unter der Aufsicht oder nach der Vorschrift dessen, der ihn gedungen hat, nm Hand»?-' zu verrichten. ^Tage-'^ §. 896. So lange er diese Vorschrift befolgt, darf er dem, welcher ihn ge- tönern*), düngen hat, nicht für den Ausschlag der Arbeit stehen, oder die fehlgeschlagene klnternehmung vertreten. §. 897. Wie weit aber Arbeiter, durch die Anweisung oder den Befehl des Dingenden, von dem Ersätze des einem Dritten entstandenen Schadens befreit werden, oder nicht, ist im sechsten Titel §. 45. sqq. bestimmt. §. 898. Handelt der Arbeiter wider die Vorschrift, so haftet er für allen dadurch verursachten Schaden. §. 899. Außerdem dürfen gemeine Handarbeiter sowohl gegen den Dingenden, als gegen einen Dritten, nur ein grobes oder mäßiges Versehen vertreten ‘2t>). §. 900. Der gedungene Arbeiter kann nur mit Einwilligung des Dingenden an seiner Statt einen Anderen stellen:i0). §. 901. Ist dieses mit Einwilligung des Dingenden geschehen, so darf der Arbeiter für die Handlungen des Stellvertreters, wenn nichts Besonderes verabredet worden, nicht einstehen1"). 27) Das folgt aus der durch Zufall bewirkten Aufhebung des Vertrages. 28) (H. Auf solche Verträge findet auch die Vorschrift 1. 5 §. 277 Anwendung. Dem­ gemäß ist eine Dienstherrschaft, welche das Gesinde ohne rechtmäßigen Grund entlassen und dann wieder ausgenommen hat, verpflichtet, demselben für die Zwischenzeit Lohn und Kostgeld zu zahlen. O.Tr. I v. 2. Sept. 1870, Str. Arch. 79 S. 166. Das Verhältniß ländlicher Besitzer zu ihren gegen Lohn und Deputat als Einlieger oder Komorniks angenommenen ländlichen Arbeitern in der Provinz Posen ist nicht nach den Vorschriften der Gesinde-O. v. 8. Nov. 1810, sondern nach den Bestimmungen dieses Titels §§. 925 ff. zu beurtheilen. O.Tr. T v. 7. Sept. 1877, Entsch. 80 S. 231; Str. Arch. 97 S. 334.) Der Schäferverding - Vertrag enthält seiner allgemeinen Natur nach einen Vertrag über­ gemiethete Dienste. Der Schäfer, insbesondere der Lohn- und Deputatschäfer, ist daher nicht als Verwalter der Schäferei anzusehen und mithin zur Rechnungslegung nicht verpflichtet. O.Tr. I V v. 11. März 1852, Str. Arch. 4 S. 377. *) Vergl. hierzu die Anm. * zur Ueberschrift dieses Abschnitts. 29) Gemeine Handarbeiter werden nicht als Sachverständige in ihrem Gewerbe angesehen und daher nicht nach der Regel des 1. 3 §. 23 beurtheilt; ein geringes Versehen wird ihnen also, außer dem Falle des §. 898, niemals angerechnet. Die Ausdrucksweise des L.R.: „grobes oder müßiges Versehen", bedeutet immer, daß nur für culpa levis, nicht auch für culpa levissima, einzustehen ist. Vergl. I. 13 §. 33. Statt „oder" sollte es „und" heißen. 30) II. Das Rechtsverhültniß zwischen dein Arbeiter und demjenigen, der ihn gedungen hat, wird in den §§. 895 ff. als ein persönliches aufgefaßt. Deshalb erscheint der Arbeit­ geber auch nicht befugt, das Recht auf die Dienste des Arbeiters einem Anderen abzutreten. In der älteren Praxis des gemeinen Rechts war dies streitig. Förster-Ece ins 2 §. 138 S. 312 Note 52; Gruchot, 13 S. 687. 31) Der Stellvertreter ist hier eigentlich nicht ein Stellvertreter, sondern ein Arbeiter,

964

Erster Theil.

Eilfter Titel.

§§. 902—920.

§. 902. Bei eintretenden unüberwindlichen Hindernissen ist der Arbeiter, einen Anderen für sich zu stellen, nicht verpflichtet. §. 903. Er ist jedoch schuldig, den Dingenden von dem Hindernisse so bald als möglich zu benachrichtigen. §. 904. Außer diesem Falle muß der Arbeiter, der weder die Arbeit selbst verrichten will, noch sich mit dem Dingenden über die Stellung eines Anderen ver­ einigen kann, zur Leistung der versprochenen Arbeit, oder Vertretung des dem Din­ genden aus der Unterbleibung entstehenden Nachtheils, nach den Vorschriften der Prozeßordnung^) angehalten werden. §. 905. Wenn die Zeit, wie lange der Vertrag dauern soll, weder in sich, noch in Beziehung auf die Vollendung einer gewissen Arbeit, bestimmt ist, so ist bei gemeinen Handarbeitern der Vertrag nur auf Einen Tag für geschlossen zu achten, und es kann also jeder Theil mit dem Verlaufe jeden Tages davon wieder abgehen. §. 906. Ein Gleiches finde! statt, wenn auch die Bezahlung der Arbeiter­ nicht nach dem Tagelohn, sondern nach Klaftern, Ruthen, oder einem andern Maaße bedungen worden; sobald nur erhellet, daß nicht das Werk selbst verdungen, sondern die Bestimmung des Maaßes bloß der nähern Bezeichnung wegen beigefügt worden. §. 907. Ist aber der Arbeiter auf eine in sich, oder durch Bezug auf die Vollendung eines gewissen Werks bestimmte Zeit gedungen worden; so kann er vor Ablauf dieser Zeit, in der Regel nur alsdann, wenn er untüchtig befunden wird, oder sonst seiner Pflicht kein Genüge leistet, entlassen werden S5J). §. 908. Wird in diesem Falle, wo der Vertrag mit dem Arbeiter auf eine in sich, oder durch Bezug auf die Vollendung eines gewissen Werks bestimmte Zeit geschlossen ist, die Fortsetzung der Arbeit durch einen Zufall, auch nur auf eine Zeit lang unterbrochen; so kann dennoch jeder Theil von dem Vertrage wieder ab­ gehen, und der Arbeiter kann nur für das Geleistete contractmäßige Vergütung, weiter aber keine Entschädigung, fordern. §. 909. Will jedoch der Dingende bei dem Vertrage stehen bleiben, und ver­ langt er, daß der Arbeiter, nach gehobenem Hindernisse, die Arbeit fortsetzen solle; so muß dieser, gegen Vergütung des gewöhnlichen Tagelohns für die Zwischenzeit, sich dieses gefallen lassen. §. 910. Wird die Arbeit auf eine Zeit lang durch grobes oder mäßiges Ver­ schulden des Dingenden, oder gar durch die freie Willkür desselben unterbrochen; so kann der Arbeiter, wenn er, nach gehobenem Hindernisse, die Arbeit fortsetzen will, auch für die Zwischenzeit nach Vorschrift §. 909. Vergütung fordern. §. 911. Will er aber von dem Vertrage wieder abgehen, so muß er mit contractmäßiger Vergütung des Geleisteten sich begnügen. §. 912. In den Fällen des §. 909. 910. muß der Arbeiter dasjenige, was er in dieser Zwischenzeit durch anderweitige Beschäftigungen erworben, oder doch zu erwerben erweislich Gelegenheit gehabt hat, auf die ihm zukommende Vergütuug sich abrechnen lassen. der für sich von dem Arbeitgeber die Arbeit erhalten hat. Daraus folgt von selbst, daß der früher gedungen gewesene Arbeiter für nichts haftet. Die Vorschrift setzt einen durch eine in sich oder beziehungsweise bestimmte Zeit dauernden Kontrakt voraus. Vergl. §. 905. 32) Jetzt (5.P.O. §§. 644 ff. und 773 ff. 33) H. Das Prinzip des §. 907 bestimmt auch das Recht des Hausarztes, der auf ein Jahr engagirt ist. (§. 920.) Wird der Arzt vorzeitig ohne rechtmäßigen Grund entlassen, so braucht er sich nicht mit einem verhältnißmäßigen Theil des ihn: zugesicherten Jahreshonorars zu begnügen, es muß ihm vielmehr das Honorar voll gezahlt werden. Först er -Ee eins a. a. O. S. 315 Note 68. Der juristische Grund dürfte in der rechtlichen Untheilbarkeit der Leistung liegen. Der Hausarzt muß während des ganzen Jahres seine Hülfe leisten; ob sie in Anspruch genommen wird, ist gleichgültig.

Vo>r Verträgen über Handlungen.

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§. 913. Entsteht eine solche Unterbrechung der Arbeit durch die Schuld des Arbeiters, so kann der Dingende von dem Vertrage zurücktreten, und der Arbeiter kann für das bereits Geleistete nur so weit, als dadurch der Vortheil des Dingenden wirklich schon befördert worden, Vergütung fordern. §. 914. Auch ist alsdann der Arbeiter dem Dingenden für den aus der Unter­ brechung der Arbeit entstandenen Schaden zu haften verpflichtet. §. 915. Will aber der Dingende bei dem Vertrage stehen bleiben, und ver­ langt also, daß der Arbeiter, nach gehobenem Hindernisse, die Arbeit fortsetzen solle, so muß er das schon Geleistete contractmäßig vergüten. §. 916. Doch bleibt auch alsdann der Arbeiter nach §. 914. zur Schadlos­ haltung verhaftet, und kann für die Versäumniß der Zwischenzeit keine Vergütung fordern. §. 917. Veranlaßt ein Zufall, daß die Arbeit ganz abgebrochen werden muß, so erhält der Arbeiter für das bereits Geleistete contractmäßige Vergütung; außer­ dem aber ist kein Theil dem anderen zur Schadloshaltung verpflichtet. §. 918. Wird die Arbeit durch Schuld oder Willkür des Dingenden ganz abgebrochen, so muß derselbe nicht nur das bereits Geleistete contractmäßig ver­ güten, sondern auch dem Arbeiter, so lange bis er Arbeit zu finden Gelegenheit hat, nach richterlichem Ermessen, das gewöhnliche Tagelohn entrichten'"). §. 919. Entsteht die gänzliche Abbrechung der Arbeit durch die Schuld des Arbeiters, so muß dieser nicht nur mit einer Vergütung des Geleisteten, welche dem durch das Geleistete dem Dingenden wirklich verschafften Vortheil angemessen ist8Ä), sich begnügen; sondern auch Letzterem für den aus der Rückgängigwerdung des Ge­ schäfts entstehenden Schaden haften'^"). §. 920. Was vorstehend von gemeinen Handarbeitern verordnet ist, findet in der Regel auch alsdann statt, wenn Werkmeister oder Künstler zur Verrichtung Werkern und einer gewissen Arbeit gedungen werden^). ftiiu,ttcru**■ 34) H. Ein Bauer, der einen Tagelöhner auf mehrere Jahre engagirt, dann aber ohne rechtmäßigen Grund entlassen hatte, mar zur Wiederaufnahme des Entlassenen in die Arbeit gegen das bedungene Tagelohn verurtheilt. Die Nichtigkeitsbeschwerde rügte Nichtanwendung des 8- 918- Das Obertribunal wies jedoch die Beschwerde zurück, indem es annahm, daß der 8- 918 nur auf den zweiten Fall des §. 907 bezogen werden könnte, „da es eine mindestens sehr ungewöhnliche Ausdrucksweise wäre, bei Dienstleistungen, welche das Bedürfniß einer Land­ wirthschaft fortdauernd erheischt, einen Wechsel in der Person des Arbeiters als ein Ab brech en der Arbeit zu bezeichnen, auch bei der Anordnung, wonach der Dingende das bereits Geleistete kontraktmäßig vergüten solle, nicht füglich an ein Tagelöhnerverhältniß gedacht sein könne." O.Tr. IV v. 7. Jan. 1862, Str. Arch. 43 S. 421. Die Motivirung dürfte nicht überzeugen. Der Sprachgebrauch gestattet sehr wohl, von dem Abbruche der Arbeit auch dann zu reden, wenn der Arbeiter entlassen und die Arbeiten, für die er gedungen war, von einem Anderen verrichtet werden. Auch bleibt es unerfindlich, weshalb die kontraktmäßige Vergütung der geleisteten Tagelöhnerarbeit hier etwas Auffälliges haben soll. Först er-Ec eins a. a. O. Note 61 be­ zieht denn auch den §. 918 auf beide Fälle des §. 907. Vgl. die Anm. 16 Abs. 2 zu §. 877. 35) Nur die actio in factum wegen Bereicherung hat der Arbeiter; die Kontraktsklage würde durch die exc. doli unwirksam gemacht werden. Die Bereicherung wird jedoch so weit konsumirt, wie der „aus Rückgängigwerdung des Geschäfts entstehende Schaden" des Anderen reicht. 36) H. Aus den §§. 869—919 tann eine Verpflichtung des Arbeitgebers zum Ersatz des Schadens, den der Arbeiter bei der Arbeit erleidet, nicht hergeleitet werden. Ob eine solche Verpflichtung im gegebenen Falle begründet ist, entscheidet sich nach den Grundsätzen des 6. Titels. O.Tr. I v. 24. Juni 1870, Zeitschr. für Gesetzgeb. u. Nechtspfl. 4 S. 535. Vgl. das R.G. v. 7. Juni 1871 §. 2. *) Diese Verträge werden gemeinrechtlich nicht von der Dienstmiethe oder dem Lohnvertrage unterschieden. H. Vgl. Windscheid §. 404. 37) Ist die Vergütung nicht für die vollendete Herstellung des Werkes, sondern nur nach dem fortschreitenden Umfange der Leistungen behufs Herstellung desselben vereinbart und zahl­ bar, so liegt kein Vertrag über ein angedungenes Werk (§. 925), sondern über Arbeiten vor.

966

Erster Theil.

Eilfter Titel.

§§. 921—926.

§. 921. Doch sind diese die Arbeit nach den Regeln ihrer Kunst zu verrichten, und dabei auch für ein geringes Versehen zu haften schuldig. §. 922. Hat aber der Dingende eine gewisse Art, wie die Arbeit verrichtet werden soll, ausdrücklich vorgeschrieben ; so ist der Arbeiter, wofern nicht Polizei­ gesetze entgegenstehen, sich darnach zu richten verbunden. §. 923. Er darf jedoch dabei nur für ein mäßiges Versehen haften , und in so fern ihm dergleichen Verfehen nicht zur Last fällt, den Erfolg auf keine Weise vertreten. §. 924. In den Fällen, wo der gemeine Handarbeiter nach den §. 909. 910. 918. Tagelohn für die Wartezeit fordern kann, muß dem Werkmeister oder Künstler eine billige Vergütung, nach richterlichem Ermessen, ausgesetzt werden 38). lwe^einÄr§• 9'25. Ist ein Werkmeister oder Künstler nicht bloß zu einer Arbeit ge­ dungenes 'düngen, sondern ihm ein ganzes Werk in Pausch und Bogen angeduugen worden3"); 2901 so finden zuvörderst die allgemeinen Grundsätze §. 869. sqq. Anwendung40). O.Tr. IV D. 14. Mai 1857, Str. Arch. 26 S. 37. (H. Desgleichen ist es nicht Werkverdingung, wenn der Gegenstand des Vertrags nicht die Eigenschaft eines einheitlichen Ganzen hat, z. B. die Herstellung einer Einrichtung (Möbel re?) für ein bestimmtes Haus nach einem Verzeichniß übernommen ist. Die Beifügung der Worte „ungefähr',, „circa", „etwa" bei der Preis­ angabe entzieht dem Vertrage nicht den Charakter der Werkverdingung. R.O.H.G. II v. 11. Dez. 1872, Entsch. 8 S. 209.) Die Leistungen der gewöhnlichen Handwerker, auch wenn dieselben das zu verarbeitende Material liefern, sind nur als Arbeiten, nicht als ein Werk schaffende Thätigkeit im Sinne der §§. 925 ff. zu beurtheilen. Dieser Grundsatz findet auch hinsichtlich der bei Schneidern auf Lieferung bestellten Kleider Anwendung. O.Tr. IV v. 19. Jan. 1854, Str. Arch. 12 S. 63. H. Die Anwendung ist jedoch nicht ohne Bedenken. Ein Vertrag, Inhalts dessen ein Brauer die Anfertigung mehrerer Bottiche für seine Brauerei bestellte, ist als Werkverdingungsvertrag angesehen worden. O.Tr. IV v. 13. u. 15. April 1869, ebd. 74 S. 219. Ein rechtlicher Unter­ schied zwischen den Leistungen des Schneiders, der einen Rock herstellt, und denen des Böttchers, der ein Faß anfertigt, dürfte aber kaum zu erkennen sein. 38) H. Auf Grund der §§. 909 und 924 war einer Schauspielerin, welche während ihres Engagements eine Zeit lang in Folge einer Krankheit nicht hatte spielen können, der Anspruch auf die vertragsmäßige Gage als „eine billige Vergütung" auch für die Dauer ihrer Krankheit zugesprochen worden. Das Obertribunal wies die Nichtigkeitsbeschwerde des verurtheilten Theater­ unternehmers, der vom Vertrage nicht abgegangen war, zurück. O.Tr. IV v. 19. Dez. 1871, Str. Arch. 84 S. 164. Eben so ist dem Werkmeister einer Fabrik, der während der Dauer seines Vertrages er­ krankt und nicht entlassen war, der Anspruch auf das bedungene Gehalt zugebilligt worden. R. G. V v. 13. März 1880, Gruchot 24 S. 1074. *) Hierzu die in der Anm. * zur Ueberschrift dieses Abschnitts nachgewiesene Literatur; ferner Koch, Anleitung zur Prozeßpraxis 1 (1860) S. 1020, Recht der Forder. §. 375 Bd. 3 (2. Aufl.) S. 986. EL. Bei der Locatio conductio operis ist der Unternehmer des Werkes der conductor und redemtor, der Besteller der locator operis, während bei der 1. c. operarum der Arbeiter locator und der Arbeitgeber conductor genannt wird. Neber den Grund dieses Sprachgebrauches s. Keller, Pandekten §. 339. Tie römischen Juristen unterschieden, ob der Besteller des Werkes den Stoff, aus welchem dasselbe gefertigt werden sollte, beziehungsweise den Grund und Boden, auf welchem der Bau projektirt war, hergäbe oder nicht, und behandelten im letzteren Falle den Vertrag nicht als I. c. operis, sondern als Kaufvertrag. §. 4 Inst, de locatione et conductione 3, 24; L. 2 tz. 1 Dig. locati conducti 19, 2. Die gemeinrechtliche Praxis hat diese Unterscheidung fest­ gehalten. Gruchot, zur Lehre von dem Werkverdingungsvertrage, in seinen Beiträgen rc. 13 S. 13 u. 14. Das L.R. erachtet es für gleichgültig, wer den Stoff liefert, ob der Besteller oder der Werkmeister. §. 926. Vgl. indeß §§. 949 ff. 39) H. Das Wesen des^Werkverdingungsvertrages liegt darin, daß der Werkmeister nicht seine Arbeiten, sondern eine Sache (im weiteren Sinne) als'das Produkt seiner Arbeits­ thätigkeit verspricht. Endemann, das deutsche Handelsrecht §. 150; Gruchot a. a. O. S. 19; R.O.H.G. I v. 26. März 1872, Entsch. 6 S. 31, und v. 7. Okt. 1873, ebd. 11 S. 158. Dadurch unterscheidet sich dieser Vertrag von den sonstigen Vertrügen über Handlungen und von dem Kauf. Dem Lieferungsvertrage ist die Werkverdingung ähnlich, aber nicht gleich. Den

Von Verträgen über Handlungen.

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§. 926. Auch wenn der Werkmeister die Materialien herzugeben übernommen hat, kann ein solcher Vertrag, unter dem Vorwande einer Verletzung über oder unter der Hälfte, weder von einem, noch dem anderen Theil angefochten werden. (§. 876.) Gegenstand des ersteren bilden in der Regel vertretbare Sachen, während die letztere immer nur da gegeben ist, wo die Herstellung eines individuell bestimmten Objekts (Opus) in Frage steht. Diese Auffassung ist in der Praxis des R.O.H.G. mehrfach zur Geltung gelangt, so nament­ lich in den Urtheilen v. 12. Mai 1871, Entsch. 2 S. 290, und v. 26. März 1872, ebd. 6 tz. 32. Das Obertribunal nimmt an, daß der Lieferungsvertrag sowohl wie der Werkverdingungskontrakt fungible und nichtfungible Sachen zum Gegenstände haben und daß der Unterschied zwischen beiden nur darin gefunden werden könne, daß es bei jenem auf das Verschaffen, bei diesem auf die Anfertigung bestimmter Werthe ankomme. O.Tr. I v. 8. Nov. 1869, Entsch. 62 S. 77, v. 14. Okt. 1872, Str. Arch. 86 S. 251, und v. 3. Jan. 1879, Str. Arch. 100 S. 366. Der Begriff der Werkverdingung nach Landrecht ist enger als nach gemeinem Recht. Das Eigenthümliche der 1. c. operis besteht darin, daß „der Vertrag nicht sowohl auf die Dienste als solche, als vielmehr auf das durch dieselben herzustellende Arbeitsresultat gerichtet ist." Windsch eid §. 399. Das Landrecht fordert überdies, daß das Resultat der Arbeit sich in der Herstellung beziehungsweise Verarbeitung einer körperlichen Sache bethätige. (§§. 926, 931 ff.) Der Unter­ schied zeigt sich beispielsweise in der Auffassung des Frachtvertrages. Dieser ist nach der herrschenden Lehre des gemeinen Rechts Werkverdingung. (Windscheid a. a. O. Rote 6 und $. 401 Rote 3 a. Vgl. auch O.Tr. V v. 5. März 1867, Str. Arch. 66 S. 250.) Nicht so nach Landrecht. Gemäß der (jetzt formell nicht mehr geltenden) Vorschrift des II. 8 §. 2458 sollte der Vertrag zwischen Fuhrleuten und denjenigen, welche sie gedungen haben, nach den Bestimmungen des I. 11 §§. 869—920 beurtheilt werden. Im Einklänge hiermit war das Reichsoberhandelsgericht geneigt, den Frachtvertrag nach preußischem Recht „als eine Art der Verträge über Handlungen" aufzufassen, indem es hervorhob, daß dasselbe einen engeren, den Frachtvertrag nicht umfassenden Begriff von Verträgen über ein verdungenes Werk aufstelle als das gemeine Recht. R.O.H.G. I v. 28. Nov. 1871, Entsch. 4 S. 177 u. 179. Diese Auffassung hält freilich vor der Gestaltung des Frachtvertrages im allgemeinen deutschen Handelsgesetzbuch nicht Stich. Denn „danach bilden den Gegenstand eines Frachtgeschäftes nicht die Transporthandlungen als solche, sondern der Transport selbst als deren Produkt. Hieraus folgt, daß, wenn überhaupt und bez. insoweit das L.R. nach Art. 1 des H.G.B. zur Bestimmung der Rechtsnatur des gewerblichen und resp, kaufmännischen Frachtgeschäfts herangezogen werden kann, nur die §§. 925 ff. Tit. 11 über verdungene Werke in Betracht kommen können." R.O.H.G. III v. 15. Juni 1876, Entsch. 20 S. 340, und II v. 1. Mai 1878, ebenda 23 S. 322. Diese Folgerung steht jedoch, auch in ihrer hypothetischen Form, der hier befolgten Auslegung des Landrechts nicht entgegen. Der Maschinenlieferungsvertrag ist Werkverdingung, vorausgesetzt, daß die zu liefernde Maschine nicht als eine bereits fertige und nur aufzustellende gehandelt war. In diesem Falle ist das Geschäft Kauf. R.O.H.G. v. 12. Mai 1871, Entsch. 2 S. 288, und v. 15. Sept. 1873, ebenda 11 S. 64. Hat der Unternehmer nur gewisse Theile zu liefern, jedoch die Her­ stellung der Maschine als eines opus auf dem Grundstücke des Bestellers, wenn auch unter dessen Mitwirkung, übernommen, so liegt gleichfalls Werkverdingung vor, und zwar nicht bloß nach preußischem Recht, sondern auch nach gemeinem Recht. R.O.H.G. II v. 20. Okt. 1877, Entsch. 23 S. 88. Für eine Besitzstörung, welche der Werkmeister bei der Herstellung des Werkes begeht, kann der Besteller nicht ohne weiteres wegen vernachlässigter Aufsicht über die Arbeiten, sondern regelmäßig nur dann verantwortlich gemacht werden, wenn er zur Vornahme der die Störung darstellenden Handlung Auftrag gegeben hat oder das Werk ohne die Störung nicht ausgeführt werden konntet O.Tr. III v. 6. Okt. 1873, Str. Arch. 89 S. 317. 40) Der Begriff eines verdungenen Werks im Sinne des §. 925 erfordert die Kombination der Arbeit und verarbeiteter Materialien zu einem neuen Produkte, so wie eine für das fertige Werk als ein Ganzes bedungene Vergütung in Pausch und Bogen. O.Tr. IV v. 4. März 1856, Str. Arch. 20 S. 240. Die Definition paßt genau auch auf ein Paar neue Stiefeln und einen den: Schneider angedungenen neuen Rock, dem das O.Tr. den Charakter eines angedungenen Werkes abgesprochen hat. — Die juristische Bezeichnung der „Kombination" ist: Spezifi­ kation, und die des „Produkts" ist: neue Spezies. (H. Vergl. gegen dies e Auffassung Förster Eccius 2 §. 138 S. 310 Note 41.) Eine andere Definition: „Das Wesen des Vertrages über ein verdungenes Werk besteht darin, daß nicht für einzelne Leistungen, selbst wenn sie schließlich zur Herstellung eines Ganzen führen sollten, besondere Preise verabredet sind, sondern daß für die Gesammtheit des Werkes als eines Ganzen eine Gesammtvergütung versprochen ist." O.Tr.

968

Erster Theil.

Eilfter Titel.

88- 927—933.

§. 927. Vielmehr muß der Werkmeister seiner Verbindlichkeit ein Genüge leisten, wenn es auch zu sejnent Schaden ausschlagen sollte. §. 928. In allen Fällen, wo ein Werk oder eine Arbeit einem Werkmeister oder Künstler angedungen worden, ist derselbe das Geschäft selbst auszuführen ver­ bunden, und kann die Ausführung, wider den Willen des Bestellers, einem Anderen nicht übertragen §. 929. Dagegen kann er sich, wenn nicht ein Anderes ausdrücklich verab­ redet ist, fremder Gehülfen und Mitarbeiter dabei bedienen. §. 930. muß aber die Handlungen dieser von ihm selbst gewählten Ge­ hülfen, gleich seinen eignen, vertreten42). §. 931. Auch hat der Besteller ein Recht des Widerspruchs, wenn der WerkIV v. 14. Juli 1866, Str. Arch. 63 S. 307. (H. Deshalb ist z. B. die Herstellung einer Gartenanlage für eine Gesammtvergütung unter den: Gesichtspunkt der Werkverdingung' aufge­ faßt worden. R.G. I H. v. 24. Sept. 1880, Gruchot 25 S. 728. Die Preisverabredung 'ist übrigens nicht ein wesentliches Erforderniß des Vertrages. (§. 942.) Auch dadurch, daß der Exekutionssucher die dem Exequenden obliegende Herstellung des Werkes durch einen Dritten leisten läßt, kann ein Werkverdingungsvertrag, und zwar zwischen dem Exekutionssucher und dem Dritten, dem der Richter die Ausführung überträgt, zu Stande kommen. R.O.H.G. III v. 24. Sept. 1874, Entsch. 14 S. 77. Vergl. die C.P.O. §. 773.) Der bedungene Preis einer bestellten und gelieferten Maschine umfaßt nicht die Kosten der behufs ihrer Aufstellung und Gangbarmachung nothwendig gewesenen Zuthaten und Ar­ beiten. Die letzten: sind nach dem gewöhnlichen Lohne zu vergüten. O.Tr. IV v. 3. Jan. 1856, Str. Arch. 19 S. 215. Das gilt nicht allein von Maschinen, sondern von jeden: beweglichen Werke, welches von der Werkstatt nach einem anderen Orte geschafft werden n:uß und dort aufgestellt wird, z. B. eine von einem Bildhauer in seinen: Atelier für eine bestinunte Kirche gebildete Altarwand, welche nicht bloß dahin zu transportiren, sondern auch am Bestimmungsorte aufgestellt und befestigt werden muß. Der Vertrag über ein verdungenes Werk bleibt Miethe, wenngleich der Meister den Stoff hergiebt. Deshalb braucht zu einem Bauverträge, worin der Baumeister die Lieferung der Materialien übernimmt, nur der allgemeine Vertragsstempel, nicht der Stempel für Lieferungs­ verträge verwendet zu werden. O.Tr. Str.S. v. 14. April 1859, Entsch. 42 S. 107.* Die Vorschriften von Verträgen über ein verdungenes Werk §§. 925—965 bleiben außer Anwendung, wenn der Uebernehmer eines Werkes kein Werkverständiger ist. Pr. des O.Tr. 35 v. I. 1832. H. O.Tr. IV v. 6. Juli 1871, Str. Arch. 82 S. 248. Es ist indeß nicht erfor­ derlich, daß der Unternehmer den Charakter des Meisters hat. Das Hauptgewicht wird viel­ mehr darauf zu legen sein, daß er berufsmäßig dergleichen Werke herzuftellen pflegt. Vergl. Anm. 66. 41) H. Aus dem Wesen des Werkverdingungsvertrages folgt nicht die Verpflichtung des Werkmeisters, persönlich die Arbeit zu verrichten, sondern nur, das Werk tüchtig und nach Wunsch zu liefern (1. 48 pr. D. loc. cond. 19, 2), es müßte denn die persönliche Verrichtung bedungen sein. Mommsen, Beiträge zum Obligationenrecht L S. 70 ff. Hiervon weicht das L.R. ab: „Die Selbstanfertigung ist als Kriteriun: der Werkverdingung gegenüber den: Mangel dieser Ver­ pflichtung beim Lieferungsgeschäft" anzusehen. R.G. IV v. 15. Rov. 1880, G r uchot 25 S. 988. 42) H. Diese unbedingte Haftung des Werkmeisters für die Gehülfen erachtet das Reichs­ oberhandelsgericht auch in den: gemeinen Rechte begründet. R.O.H.G. II v. 14. März 1874, Entsch. 13 S. 77. Von anderer Seite wird die Haftung auf culpa in cligendo beschränkt, wenn der Werkmeister nach dem Vertrage mit den: Besteller überhaupt zur Annahme von Ge­ hülfen zur Herstellung des opus berechtigt war. Windscheid §. 401 Rote 5. Auf Grund des §. 930 ist ein Werkmeister zum Ersatz des' Schadens verurtheilt worden, den seine Gehülfen bei dem von ihm übernommenen Bail durch unvorsichtige Behandlllng der Mauersteine angerichtet hatten. O.Tr. v. 27. Okt. 1852, G ruchot 13 S. 31. Dagegen ist die Verpflichtung des Lieferanten einer Dampfmaschine 51111: Ersatz des von seinem Monteur bei der Aufstellung 2C. dem Besteller der Maschine an einem mit derselben in Verbindung stehenden Holzschleifwerk zugefügten Schadens verneint worden, weil der Lieferant sich nicht zur Aufstellung der Maschine, sondern nur zur Zuweisung eines geeigneten Monteurs verpflichtet hatte. R.O.H.G. v. 27. Jan. 1871, Entsch. 1 S. 254. Die Entscheidung gründet sich auf das gemeine Recht, ist aber auch nach Landrecht gerechtfertigt und tritt nicht in Widerspruch mit dem Urtheil des Obertribunals.

Von Verträgen über Handlungen.

969

meister zu Arbeiten, welche handwerksmäßige Kenntnisse und Geschicklichkeiten erfor­ dern, Leute, die zu diesem Handwerke nicht gehören, und überhaupt, wenn er offen­ bar untüchtige Arbeiter und Gehülfen annimmt. §. 932. Der Werkmeister kann der Regel nach, und wenn nicht ein Anderes verabredet ist, die Zahlung nicht eher sortiern48), als bis das Werk bedungener­ maßen fertig geliefert, und von dem Besteller übernommen toorbcn43 44).45 §. 933. Das bestellte Werk muß zur bestimmten Zeit vollendet und abge­ liefert werden4"). 43) H. Die Forderung des Werkmeisters, der das Werk fertig gestellt, wenn auch noch nicht übergeben hat (Anm. 45), ist durch die schriftliche Abfassung des Vertrages nicht be­ dingt. I. 5 §. 165 und die Anm. dazu. Sie unterliegt, wenn lediglich eine handwerksmäßige Leistung vergolten werden soll und nicht etwa ein Entreprise-Vertrag, bei welchem die Arbeit des Unternehmers als Handwerkers in den Hintergrund tritt, in Frage steht, der kurzen Ver­ jährung aus dem Ges. v. 31. März 1838 §. 1. O.Tr. IV v. 14. März 1872, Str. Arch. 84 S. 275. 44) Die zur Uebernahme eines bestellten Werks im Sinne der §§. 932 ff. außer der körperlichen Besitzergreifung erforderliche Absicht, dasselbe als sein eigen zu besitzen, kann auch durch den fortgesetzten Gebrauch des Werks an den Tag gelegt, d. h. stillschweigend erklärt werden. Durch die ausdrücklich oder stillschweigend erklärte Absicht des Uebernehmers, das Werk behalten 511 wollen, wird die Absicht, etwaige Fehler desselben im Wege der Klage oder Einrede zu rügen, nicht ausgeschlossen. Hat daher der Uebernehmer des bestellten Werks das­ selbe nicht ausdrücklich gebilligt, so treten hinsichtlich der etwaigen Fehler desselben die Vor­ schriften. des 1 5 319 ff. ein. O.Tr. IV v. 15. Nov. 1853, Str. Arch. 12 S. 334, H. u. R. G. I H. v. 4. Ökt. 1881, Gruchot 26 S. 968. Dagegen kann der Besteller, wenn er das ihm gelieferte Werk einmal angenommen hat, eine exceptio non impleti contractus auf Grund der Thatsache, daß ein einzelner (unwesentlicher) Bestandtheil noch nicht geliefert sei, gegen den Anspruch des Werkmeisters nicht geltend machen. R.O.H.G. II v. 16. Mai 1874, Entsch. 13 S. 352. Auch eine Uebernahme unter Vorbehalt ist ungeeignet zur Begründung dieser Einrede, es sei denn der Vorbehalt des Inhalts, daß dem Annehmenden beliebige oder nach dem Resultat seiner Prüfung zu bewirkende Rückgabe freistehen solle; ein solcher Vorbehalt entzieht allerdings der thatsächlichen Hinnahme die Bedeutung rechtlichen Empfangs. R.G. I H. v. 9. März 1880, Gruchot 24 S. 979. Vgl. §. 947. Ansprüche gegen den Werkmeister wegen Fehlerhaftigkeit sind in der Regel der Ver­ jährung aus §§. 343 u. 345 a. a. O. unterworfen. Im Fall eines Verschuldens des Werk­ meisters findet die ordentliche Verjährung statt. O.Tr. IV v. 17. Febr. 1859, Str. Arch. 32 S. 268, und v. 10. Jan. 1867, ebenda 67 S. 25; R.O.H.G. I v. 26. März 1872, Entsch. 6 S. 36. Die Anwendung der §§. 343 u. 345 ist auch dann ausgeschlossen, wenn der Besteller wegen Unbrauchbarkeit des bedungenen Werks sich dasselbe anderweit beschafft hat und die Erstaitung des dafür bezahlten Preises fordert. R.O.H.G. II v. 20. Okt. 1877, Entsch. 23 S. 87. 45) Richt erst durch die Uebergabe erwirbt der Besteller das Eigenthum des Werks, wenn dieses auch eine bewegliche Sache ist (denn der Ausdruck: „übergeben", „Uebergabe" hat hier nicht die technische Bedeutung von Tradition, vielmehr von Ueberlieferung), sondern durch die in seinem Namen verrichtete Spezifikation, selbst wenn der Werkmeister seinen eigenen Stoff ver­ arbeitet hat; denn bei der auf einem Vertrage beruhenden Spezifikation ist von dem Eigenthume an dem Rohstoffe nicht auf das Eigenthum an der daraus geschaffenen neuen Sache zu schließen, vielmehr kommt es auf die, entweder ausgesprochene, oder aus dem Vertrage zu schließende, Absicht der Parteien an: diese kann auf eine unmittelbare Erwerbung des Eigenthums an der neuen Sache für den Besteller gehen, wenngleich der Werkmeister den Stoff dazu hergiebt. In diesem Falle ist der Verfertiger als beauftragter Vertreter des Bestellers in dem Geschäfte der Spezifikation anzusehen; hieraus folgt die unmittelbare Erwerbung des Eigenthums an der neuen Sache für den Besteller mit deren Entstehung und durch dieselbe. Dies ist der juristische Grund, durch welchen der von dem O.Tr. in einem Falle, wo ein Bildhauer das Originalmodell einer Vase gearbeitet und einen Erzgießer durch Vertrag verbindlich gemacht hatte, die Vase nach dem Modelle in Bronze zu gießen und kunstgerecht zu ciseliren, auch das Erz dazu herzugeben, angenommene Satz: daß die gegossene Vase sofort, noch vor der Ablieferung, das Eigenthum des Bestellers geworden (O.Tr. III v. 18. Juni 1856, Entsch. 33 S. 328 u. Str. Arch. 22 S. 36), gerechtfertigt wird. Die eigene Begründung der Entscheidung aus dem §. 22 des Ges. v. 11. Juni 1837, betr. den Schutz des geistigen Eigenthums, überzeugt nicht; diese Bestimmung betrifft die unerlaubte Nachbildung, wovon hier nicht die Rede ist; und erklärt nicht die Er­ werbung des Eigenthums, auf welche das O.Tr. in seiner ganzen Ausführung nicht eingeht.

970

Erster Theil.

Eilfter Titel.

§§. 934-945.

§. 934. Ist seine Zeit bestimmt, so muß der Werkmeister die Arbeit sofort anfaiigen und gehörig fvrtsetzen4). §. 935. Auch ist ein Werkmeister nicht befugt, das bestellte Werk noch vor Ablauf der ausdrücklich bestimmten Zeit abzuliefern, und den Besteller zur An­ nahme desselben zu nöthigen. §. 936. Liefert der Werkmeister das Werk zur bestimmten Zeit nicht ab, so trägt er von da an alle Gefahr, auch wegen der etwa von dem Besteller gelieferten Materialien. §. 937. Er haftet überdies dem Besteller für den aus der Zögerung ent­ stehenden Schaden, nach Verhältniß seines entweder bei Abfchließung des Vertrages, oder bei dem Betriebe der Arbeit begangenen Verschuldens 47 * ).* * * * * * * * * * * * 46 §. 938. Ueberhaupt aber steht dem Besteller frei, wenn das Werk mit dem Ablaufe der ausdrücklich bestimmten Zeit durch die Schuld des Werkmeisters, ober durch einen in dessen Person sich ereignenden Zufall, nicht abgeliefert wird, von dem Vertrage zurückzutreten48). §. 939. Wird die Uebernehmung des fertigen Werks von dem Besteller ohne rechtlichen Grund verzögert4"), so muß Letzterer alle Gefahr tragen50). Die Sache ist einfach, wenn man sich solche klar macht: die Erwerbungsart ist die Spezifikation. Ist die Absicht die, daß der Werkmeister für den Besteller verfertige (spezifizire), so wird der Besteller unmittelbarer Eigenthümer der neuen Sache mit deren Entstehung, wenn auch der Werkmeister Eigenthümer des Stoffes ist; verfertigt aber der Werkmeister die Sache zunächst für sich, behufs des Absatzes an den Besteller, so wird der Besteller erst durch die Uebergabe Eigen­ thümer. Ob jtznes oder dieses beabsichtigt worden, ist keine Rechts-, sondern eine Thatfrage. Vergl. L. 22 §. 2 D. locati conducti (19, 2) und L. 25 D. de acquir. rerum dominio (41, 1). (H. Siehe über jenen Rechtsfall Klostermann, das geistige Eigenth. 1 S. 418.) Aus dem Gesagten (Abs. 1) erhellet, daß der Besteller auf die Ueberlieferung des ver­ dungenen und fertig gestellten spezialisirten Werkes klagen kann, wie auch das O.Tr. IV, unter Vernichtung des im entgegengesetzten Sinne ausgefallenen Appellationsurtheils, in dem Erk. v. 20. März 1862, Entsch. 47 S. 110, erkannt hat. Die Klage gegen den Werkmeister ist die actio locati; das Werk ist ein fertiges opus conductum. 46) H. Dadurch hat eine Berücksichtigung der gegebenen Verhältnisse nicht ausgeschlossen werden sollen. I. 5 230 ff. Ein Fabrikant, der auf Bestellung arbeitet, bedient in der Regel seine Kunden nach der Reihe. Wer Eile hat, muß sich eine bestimmte Zeit der Lieferung ausbedingen. Vergl. den Fall in dem Erk. des O.Tr. IV v. 21. März 1861, Str. Arch. 41 S. 83. 47) H. Die Schadensersatzpflicht des Werkmeisters aus §. 937 wird dadurch nicht aus­ geschlossen, daß der Besteller von dem Rücktrittsrecht des §. 938 Gebrauch macht. R.O.H.G. I v. 6. Okt. 1874, Entsch. 14 S. 390. Siehe auch die folgende Anm. Satz 3. 48) „Die Vorschrift, wonach bei Verträgen über Handlungen der Kontrahent, welcher be­ hauptet, daß der andere Theil die Erfüllung bisher nicht kontraktmäßig geleistet habe, oder solchergestalt nicht zu leisten im Stande sei, sofort auf seine Gefahr von dem Vertrage wieder abgehen kann, findet auf verdungene Werke nicht Anwendung." O.Tr. IV v. 7. Mai 1850, Entsch. 19 S. 150, und v. 4. März 1856, Str. Arch. 20 S. 240. (H. Im Einklänge hiermit R.O.H.G. I v. 5. Mai 1874, Entsch. 13 S. 222, und III v. 15. Juni 1876, ebenda 20 S. 342.) „Der Besteller eines zu spät abgelieferten Werkes faim von der Befugniß zum Rücktritt nicht wehr Gebrauch machen, sobald er dem Werkmeister gegenüber einmal erklärt hat, daß er sich dieses Rechts nicht mehr bedienen, sondern bei dem Vertrage stehen bleiben wolle." O.Tr. IV v. 7. März 1850, Entsch. 19 S. 150. Vergl. hierzu die Anm. 44 zu §. 932 und 55 zu §. 947. H. Der 938 und die §§. 936 und 937 sind nicht so aufzufassen, als hätte der Besteller zur Begründung seines Anspruchs ein Verschulden des Werkmeisters oder einen von diesen: zu vertretenden Zufall zu beweisen. Die Klage des Bestellers ist vielmehr ohne weiteres gegeben, iuernt nachgewiesen ist, daß die Ablieferung des Werkes nicht zur vertragsmäßigen Zeit statt­ gefunden hat. Sache des Werkmeisters ist es dann, im Wege der Einrede darzuthun, daß die Verzögerung von ihm nicht verschuldet resp, nicht zu vertreten sei. R.O.H.G. III v. 18. Sept. 1876, Entsch. 21 S. 1, u. R.G. I H. v. 11. Jan. 1881, Gruchot 25 S. 986. 49) Eine solche grundlose Zögerung tritt auch ein, sobald der Besteller sich auf die Ueber­ nehmung des ihm angebotenen Werks nicht einlassen, und weder einen Sachverständigen be-

Von Verträgen über Handlungen.

971

§. 940. Ueberdies muß der Besteller dem Werkmeister für, den bedungenen Lohn Zögerungszinsen, vom Ablaufe der bestimmten Zeit an, wo das Werk fertig war, entrichten; und allen sonstigen aus der verzögerten Uebernahme entstandenen Schaden, oder die durch längere Aufbewahrung der Sache verursachten Kosten vergüten51 * *).* * * * * * 50 §. 941. Die auf ein verdungenes Werk im Voraus geleisteten Zahlungen werden auf den verabredeten Preis in Abzug gebracht. §. 942. Ist bei der Bestellung kein Preis verabredet worden, und die Par­ teien können sich darüber bei der Ablieferung nicht vereinigen, so muß derselbe, uach Würdigung der Sachverständigen, von dem Richter bestimmt werden52). §. 943. Bei der Ablieferung des Werks kann jeder von beiden Theilen ver­ langen, daß dasselbe, auf seine Kosten, von Sachverständigen besichtigt werde53). §. 944. Sind keine öffentlich bestellte Schaumeister vorhanden, so ist jeder Theil einen Kunstverständigen in Vorschlag zu bringen berechtigt. §. 945. Finden die Kunstverständigen einstimmig, daß das Werk tüchtig und

stellen (§. 943), noch ohne Zuziehung eines solchen das Werk abnehmen will. Der Werkmeister kann dann, unter gerichtlicher Niederlegung des Werks, unbedingt auf Zahlung des Preises klagen, oder, ohne Niederlegung, mit dem Anträge klagen, daß der Besteller verurtheilt werde, das Werk abzunehmen und "den Preis zu bezahlen. Daß derselbe verurtheilt werde, prinzipaliter sofort einen Sachverständigen zu ernennen, darauf kann der Werkmeister nicht klagen, denn das ist nur eine Befugniß des Bestellers. H. Dafür, daß die Zuziehung Sachverständiger nur ein Recht, nicht eine Pflicht der Kontrahenten ist, auch das R.O.H.G. III in dem Urtheil v. 2. Sept. 1875, Entsch. 18 S. 84. 50) Aus dieser Bestimmung, nach welcher der säumige Besteller des Werks „alle Gefahr" zu tragen hat, läßt sich nicht folgern, daß das Ereigniß, durch welches die bestellte Sache aus dem Besitze des Verfertigers gekommen, durch höhere Gewalt oder Zufall herbeigeführt, resp, ein solches sein müsse, welches durch kein mögliches erlaubtes Mittel hätte abgewendet werden können. O.Tr. IV v. 10. Jan. 1856, Str. Arch. 19 S. 234. Mit anderen Worten: der Aus­ druck „alle Gefahr"- bezeichnet hier nicht vis major, sondern den einfachen Kasus, d. h. ein schäd­ liches Ereigniß ohne Zuthun des Werkmeisters. 51) H. Die allgemeinen Regeln des Verzuges leiden auch auf Werkverdingungsverträge Anwendung, nicht aber die Spezialbestimmung des §. 109 dieses Titels. So lange mithin den Besteller der Vorwurf einer Zögerung nicht trifft, hat er beim Mangel einer besonderen Abrede den Preis für das Werk nicht zu verzinsen. Die Zustellung der Baurechnung an den Bauherrn vertritt die zur Begründung der mora nöthige Zahlungsaufforderung nicht. O.Tr. l.V v. 4. Okt. 1870, Str. Arch. 79 S. 255. Die Abrede, daß der Werkmeister das Eigenthum an dem Werk bis zur vollständigen Zahlung des Preises behalten solle, äußert ihre Wirkung auch nach der Ablieferung des Werkes an den Besteller. Der 8- 266 dieses Titels ist auf Werkverdingungsverträge nicht zu beziehen. O.Tr. III v. 22. Jan. 1869, ebenda 73 S. 254. 52) H. Hat der Werkmeister dem Besteller eine Rechnung über das gefertigte Werk zu­ gestellt, so kann er später unter dem Vorwande, daß der Rechnungspreis zu niedrig sei, nicht einen höheren Preis fordern. (Anm. 5 zu §. 871 d. T.) Daß die Preisbestimmung für den Begriff der Werkverdingung nicht wesentlich ist, ergiebt der §. 942 ganz klar. Hat daher Jemand die Herstellung der ganzen Maurerarbeit für einen Bau übernommen, so wird die Auffassung des Verhältnisses als Werkverdingung dadurch nicht ausgeschlossen, daß die Gesammtvergütung durch Veranschlagung der einzelnen Leistungen bestimmt worden ist. R.G. IV v. 26. April 1883, Gruchot 27 S. 925. 53) Wenn diese Besichtigung von keinem Theile verlangt worden, die Uebergabe vielmehr ohne solche Besichtigung erfolgt ist, so. folgt daraus noch nicht, daß der Annehmer die Un­ brauchbarkeit des Werks nicht mehr zu rügen berechtigt sein sollte; auch die ohne Vorbehalt erfolgte Annahme des Werks steht ihm nicht unbedingt entgegen, namentlich dann nicht, wenn es sich darum handelt, ob das Werk die bedungene Eigenschaft hat. I. 5 §§. 325—327; O.Tr. IV v. 17. Juni 1858, Str. Arch. 30 S. 113. Zu einer förmlichen Abnahme des bestellten Werkes unter Zuziehung von Sachverständigen ist jeder Theil berechtigt, nicht aber verpflichtet; ein Zwang dazu findet also nicht statt. O.Tr. IV v. 15. Juli 1863, Str. Arch. 51 S. 55, und v. 20. April 1871, ebenda 83 S. 15. H. Vergl. auch die Anm. 49 oben.

972

Erster Theil.

Eilfter Titel.

§§. 946-957.

contractmäßig augesertigt sei, so muß der Besteller es anuehmen, und die ver­ sprochene Zahlung dafür leisten. §. 946. Doch bleibt ihm, nach geleisteter Zahlung die Ausführung seiner Einwendungen im Wege Rechtens Vorbehalten54). §. 947. Wird das Werk untüchtig befunden, so hat der Besteller die Wahl: ob er vom Contracte abgehen, und also die Annahme verweigern, oder Schadlos­ haltung wegen der bemerkten Fehler fordern wolle55). §. 948. Doch steht auch dem Werkmeister frei, über die von dem Besteller behauptete Untüchtigkeit des Werks, auf richterliche Untersuchung und Entscheidung anzutragen. §. 949. In allen Fällen, wo der Besteller, wegen befundener Untüchtigkeit, das Werk anzunehmen nicht schuldig ist, kann er sirr die von ihm dazu gelieferten Materialien56), nach eigner Wahl, entweder Ersatz in gleicher Quantität und Qua­ lität, oder Vergütung des Werths fordern. 54) Die §§. 945 und 946 setzen ein der Abrede nach fertig hergestelltes Werk voraus; sie finden daher keine Anwendung, wenn das verdungene Werk, obgleich ohne Verschulden des Werkm,eisters, nicht ganz vollendet worden. O.Tr. IV v. 27. Nov. 1862, Str. Arch. 49 S. 14. Der Besteller hat auch dann, wenn bei der Ablieferung des Werkes ein ihn Sachverständige nicht zugezogen sind und der Preis von ihm bezahlt ist, die Wahl, ob er das Werk, dessen Un­ tüchtigkeit sich nach der Ablieferung herausgestellt hat, zurückgeben und von dem Vertrage ab­ gehen, oder ob er bei dem Vertrage bleiben und nur Schadloshaltung resp. Preisminderung wegen der Fehler fordern will. O.Tr. IV v. 4. Juni 1861, Str. Arch. 42 S. 103. H. Eben so R. O.H.G. III v. 9. Sept. 1875, Entsch 18 S. 83, und O.Tr. IV v. 29. Okt. 1878, Entsch. 82 S. 204. Abweichend O.Tr. IV v. 20. April 1871, Str. Arch. 83 S. 15. 55) Wenn es sich also bei einem verdungenen Werke nicht etwa um einen fehlenden, zu­ sätzlich nachzuliefernden Bestandtheil handelt, sondern wenn von Umarbeitung wegen behaupteter Fehlerhaftigkeit die Rede ist, so steht dem Besteller nur zu, entweder die Annahme des Werkes ganz abzulehnen und Entschädigung zu fordern, oder Schadloshaltung wegen der bemerkten Fehler zu verlangen; das Recht,' die ordnungsmäßige Umarbeitung zu erzwingen, hat er nicht. O.Tr. IV v. 15. März 1860, Str. Arch. 36 S. 312. Sonach findet bei Verträgen über ein ver­ dungenes Werk neben der Alternative der Nichtannahme wegen wesentlicher Fehler nur die Alternative der Preisminderung oder Schadloshaltung wegen Fehler des Werkes statt; auf Abhülfe der etwaigen Mängel kann nicht erkannt werden. O.Tr. IV v. 15. Juli 1863, ebenda 51 S. 55. Siehe Anm. 35 zu I. 5 §. 325. (H. Vergl. auch das Urtheil des R.O.H.G. I v. 26. März 1872, Entsch. 6 S. 35. Ist der Werkmeister verurtheilt, gegen Zurücknahme des untüchtigen Werkes den für dasselbe bereits empfangenen Preis an den Besteller zu restituiren, so kann er die Zahlung nicht davon abhängig machen, daß ihm das Werk in dem Zustande, in welchem er es geliefert hatte, zurückgegeben werde; vielmehr hat er nur ein Reten­ tionsrecht an dem Preise bis zur Höhe desjenigen Betrages, den ihm der Besteller etwa für die Beschädigung des Werkes in der Zeit seit der Ablieferung desselben schuldig geworden ist. O.Tr. IV v. 15. Okt. 1868, Str. Arch. 72 S. 268.) Wenn in dem Vertrage bestimmt ist, daß der Werkmeister verpflichtet sein solle, den nach dem Gutachten der Sachverständigen vorgefundenen Mängeln des Werkes auf eigene Kosten abzuhelfen, so ist der Besteller nicht berechtigt, entweder von dem Vertrage zurückzutreten, oder für die fehlerhafte Beschaffenheit des Werkes Schadloshaltung vom Werkmeister zu fordern, ihm steht vielmehr die Klage auf Erfüllung des Vertrages zu. O.Tr. IV v. 22. Febr. 1853, Str. Arch. 9 S. 16. H. Der §. 947 enthält die Anwendung des I. 6 §. 91 ausgesprochenen Grundsatzes auf den Werkvetdingungsvertrag. Dieser Grundsatz, der auf Verträge überhaupt nicht ohne weiteres anwendbar ist, gilt nach §§. 949 ff. für die Werkverdingung nur mit der Ein­ schränkung, daß das Recht zum Rücktritt nicht für diejenigen Fälle anerkannt ist, in welchen lediglich eine Bearbeitung der (dem Werkmeister nicht gehörigen) Sache den Gegenstand des Vertrages bildet. R.O.H.G. III v. 29. April 1875, Entsch. 16 S. 386. Vergl die Anm. zu §. 949. Der §.947 ist analog auch dann anwendbar, wenn bei der Ablieferung Sach­ verständige nicht zugezogen sind. R.G. I H. v. 16. Nov. 1880, Gruchot 25 S. 886. Hat der Besteller sich für die Annahme des Werkes entschieden, so bleibt ihm nur das Recht auf Schadloshaltung, welche im Falle eines Verschuldens des Werkmeisters auch über den Werth des gelieferten Werkes hinausgehen kann. R.G. I H. v. 13. Jan. 1882, Gruchot 26 S. 967.

Von Verträgen über Handlungen.

973

§. 950. Wählt der Besteller das Letztere, und hat er die Materialien selbst angekauft, so muß ihm der kostende Preis, sonst aber der Werth, welchen die Materialien zur Zeit der Ablieferung an den Werkmeister gehabt haben, ersetzt werdenö7). §. 951. In Ansehung solcher Fehler, welche keinen wesentlichen Einfluß auf den Gebrauch der Sache haben, findet nur Minderung des bedungenen Preises, oder Schadloshaltung statt58 56).59 57 §. 952. Ist jedoch bei Werken, die zur Pracht und Zierde bestimmt sind, in der äußerlichen Gestalt und Form derselben ein erheblicher Fehler begangen worden, so findet, wenn auch dieser Fehler den Gebrauch der Sache an sich nicht hindert, dennoch die Vorschrift §. 947. Anwendung ^). §. 953. Eben das gilt, wenn der Sache eine ausdrücklich vorbedungene, wenngleich an sick außerwesentliche Eigenschaft ermangelt60). §. 954. Der Werkmeister haftet für die gegen die Regeln seiner Kunst be­ gangenen Fehler und muß dabei auch ein geringes Versehen vertreten. §. 955. Hat er aber auf ausdrückliches Verlangen des Bestellers von den Regeln seiner Kunst abweichen müssen, so findet die Vorschrift des §. 923. An­ wendung. §. 956. Ist die Auswahl und Anschaffung der Materialien dem Werkmeister überlassen worden, so muß er auch dabei ein geringes Versehen vertreten. §. 957. Hat der Besteller die Materialien geliefert, und darüber kein Urtheil des Werkmeisters verlangt, so haftet Letzterer für einen aus der Beschaffenheit dieser Materialien entstandenen Fehler nur alsdann, wenn dieselben zn der

56) H. „Unter gelieferten Materialien versteht der Gesetzgeber" in dem §. 949 „offenbar nur Gegenstände, welche der Werkmeister zu dem ihm aufgetragenen Werke verbraucht oder in der Art verwendet, daß sie Bestand theile des Arbeitsproduktes als solchen werden, keineswegs aber den Gegenstand, an welchem das Werk ausgeführt werden soll." Deshalb sind in einem Falle, wo der Vertrag das Umfärben mehrerer Stücke Seidenzeug zum Gegenstand hatte, die §§. 949 ff. für unanwendbar erklärt und demnach dem Besteller das Recht abgesprochen, das Zeug wegen vertragswidriger Behandlung dem Uebernehmer aufzuzwingen, nämlich zwangs­ weise zu verkaufen. Die Frage, ob ein solcher Vertrag als Werkverdingung aufzufassen, blieb freilich unentschieden. R.O.H.G. I v. 13. Jan. 1874, Entsch. 12 S. 209. Vergl. auch R.O.H.G. III v. 29. April 1875, ebenda 16 S. 386. 57) Mit dem kostenden Preis in §. 950 ist der Kostenpreis gemeint. Anstatt Be­ steller nach dem Worte „Ablieferung" ist zu lesen Werkmeister. Jahrb. 37 S. 323, 43 5. 445, 50 S. 469. 58) H. Der Besteller darf wegen Mängel des von ihm angenommenen Werkes nicht die Zahlung des ganzen Preises oder Preisrestes verweigern, sondern nur den Betrag desselben zurückhalten, den er zur Beseitigung der Fehler auswenden muß. (I. 5 §. 271.) O.Tr. IV v. 6. Mai 1852, Str. Arch. 6 S. 140. Er kann aber auch, wenn der verabredete Preis den Werth, den das Werk bei fehlerfreier Beschaffenheit haben würde, übersteigt, verlangen, daß der Werkmeister sich mit dem begnüge, was das fehlerhafte Werk wirklich werth ist. O.Tr. IV v. 2. Mai 1871, ebenda 82 S. 38. Siehe die Anm. 44 und die folgende Anm. 59. 59) H. Der Werkverdingungsvertrag kann sehr wohl ein Handelsgeschäft sein; er unter­ liegt aber an sich nicht den nur.auf den Kauf berechneten Vorschriften des Handelsgesetzbuchs Art. 347. O.Tr. IV v. 13. und 15. April 1869, Str. Arch. 74 S. 219, und R.O.H.G. v. 12. Mai 1871, Entsch. 2 S. 288 und I v. 26. März 1872, ebenda 6 S. 32. Doch neigte die Recht­ sprechung des Reichsoberhandelsgerichts später dahin, wenn auch nicht die strengen Vorschriften, so doch das Prinzip des Art. 347 auch auf die Werkverdingung anzuwenden. R.O.H.G. II v. 15. Sept. 1873, Entsch. 11 S. 65, und v. 29. Juni 1874, ebenda 14 S. 43. 60) H. Durch das Vorbedingen von Eigenschaften wird die Sache individualisirt. Wird dann eine Sache angefertigt, welcher diese Eigenschaften fehlen, so ist nicht das bestellte, sondern ein individuell anderes Werk geliefert. Der Werkmeister hat also in diesem Falle seinen Vertrag noch gar nicht erfüllt und kann daher nicht verlangen, daß der Besteller das Werk annehme. O.Tr. v. 7. Sept. 1865, Gruchot 13 S. 52.

974

Erster Theil.

Eilfter Titel.

§§. 958

974.

bestellten Arbeit offenbar untüchtig waren, und er den Besteller deshalb nicht ge­ warnt hat"4). §. 958. Verlangt hingegen der Besteller über die von ihm angeschafften Mate­ rialien das Urtheil des Werkmeisters, so haftet Letzterer bei dieser Beurtheilung nur für ein mäßiges Versehen61 62).63 64 65 66 §. 959. Unglücksfälle an den Materialien, während der Arbeit, treffen den Eigenthümer derselben. §. 960. Wird das Werk selbst, vor der zur Uebergabe11 :i) bestimmten Zeit, durch einen Zufall vernichtet, oder unbrauchbar gemacht, so verliert der Werkmeister Arbeitslohn und Auslagen °4). §. 961. Hat der Besteller die Materialien geliefert, so muß er dieselben, soweit sie noch vorhanden, und >vie sie beschaffen sind, zurücknehmen. §. 962. Auch ist er in diesem Falle befugt, von dem Vertrage abzugehen, wenngleich der Werkmeister zur Anfertigung eines neuen Werks, gegen den verab­ redeten Preis, und gegen Lieferung neuer Materialien, sich erbieten wollte. §. 963. Hat aber in dem Falle des §. 960 der Werkmeister die Materialien angeschafft, so hängt es von diesem ab, ob er von dem Contracte abgehen, oder noch zu dessen Erfüllung mit anderen Materialien zugelassen sein wolle. §. 964. Doch findet Letzteres nur in so fern statt, als entweder kein Termin znr Ablieferung bestinimt war, oder der Werkmeister die bestimmte Frist noch inne halten kann. §. 965. Ereignet sich der Unglücksfall an dem Werke nach dem zur Ablieferung bestimmten Termin, jedoch vor der wirklichen Uebergabe, so hat es bei den Vor schriften §. 936. 937. 938. sein Bewenden. wn’wrbun§• 066. Wenn ein übernommener Bau vor der Uebergabe einstürzt, oder qeneuBauen. sonst Schaden leidet, so wird vermuthet, daß der Unfall aus einem Fehler des Baumeisters entstanden seiG5). §. 967. Ist der -Schade erweislich durch eineu bloßeu Zufall, oder durch einen solchen Fehler entstanden, welchen der Baumeister, als Kunstverständiger, nicht hat voraussehen können, so trifft der Verlust den Bauherrn. §. 968. Ist aber der Bau von dem Bauherrn einmal übernommen worden, so kann der Baumeister wegen solcher Fehler, die aus der Bauart, und weil dabei die Regeln der Kunst angeblich nicht beobachtet worden, entstanden sein sollen, nur innerhalb dreier Jahre nach der Uebergabe in Anspruch genommen werden. §. 969. Wegen solcher Fehler hingegen, die in der schlechten Beschaffenheit der Materialien ihren Grund haben sollen, kann der Baumeister zu allen Zeiten, innerhalb der gewöhnlichem Verjährungsfrist, zur Verantwortung gezogen werden ß,:). 61) U. Der Werkmeister hastet in diesen: Falle lediglich für ein grobes Versehen im Sinne des I. 3 §. 18. Förster-Eccius 2 §. 138 S. 316 Note 75. 62) Nach der Regel müßte er als Kunstverständiger für ein geringes Versehen verant­ wortlich sein. I. 5 H. 281. 63) „Uebergabe" bedeutet hier nicht die juristische Handlung der Tradition zur Uebertragung des Eigenthums, sondern die Thatsache der Ablieferung. Vergl. die Anm. 44 zu 932. 64) Nicht deshalb, weil er Eigenthümer der spezifizirteu neuen Sache wäre, sondern weil er als Vermiether der Arbeit das Versprochene nicht leisten kann. Vergl. Ann:. 45 zu §. 933. Der Satz folgt aus der locatio operis. 65) Die §§. 966 u. 967 bleiben außer Anwendung, wenn der Uebernehmer eines Baues kein Sachverständiger ist. Pr. 35 des O.Tr. II v. I. 1832. (Vergl. die Ann:. 40 Abs. 4 zu §. 925.) Diese §§. sprechen auch nicht von Unglücksfällen während der Arbeit, mithin nicht von' nur vollendeten 'Bautheilen, sondern von einem zur Uebergabe fertigen Baue. O.Tr.- I V v. 20. Nov. 1862, Str. Arch. 58 S. 78. 66) H. Das Obertribunal unterwirft der Vorschrift des §. 969 auch den Bauunternehmer, der weder Baumeister, noch überhaupt Werkverständiger ist. O.Tr. IV v. 6. Juli 1871, Str. Arch.

Von Verträgen über Handlungen.

975

§. 970. In beiden Fällen aber ist, auch nach der Uebergabe, die Frage: in wie fern ein sich äußernder Fehler, je nachdem derselbe in der Beschaffenheit der Materialien, oder der Arbeit seinen Grund hat, von dem Baumeister vertreten werden müsse? nach der Vorschrift §. 954—958. zu beurtheilen. §. 971 fällt weg«'). §. 972. Dieses Vorrecht kann er, so lange der Concurs noch nicht eröffnet ist, auf die Sache, auch ohne die besondere Einwilligung des Schuldners, eintragen lassenGS). §. 973. Auf bewegliche Sachen, die dem Besteller einmal übergeben worden, kann dies Vorrecht nicht ausgedehnt werden. §. 974. Entsteht aber vor der Uebergabe Concurs über das Vermögen des Bestellers, so kann der Werkmeister, wegen seiner Arbeit und Auslagen, des Zurückbehaltungsrechts auf das noch in seiner Gewahrsam befindliche Werk sich bedienen69). 82 S. 248. Das ist gewiß sehr zweckmäßig, da gar kein innerer Grund vorliegt. Jemanden, der zur Herstellung eines Baues gegen Entgelt sich verpflichtet, dann milder zu beurtheilen, wenn derselbe kein Sachverständiger ist. (Vergl. I. 3 §§. 22 u. 23 und I. 5 §. 281.) Allein wenn die Beschränkung der §§. 925—967 auf Werkverständige gerechtfertigt ist (vor. Annr.), so ist es mindestens gewagt, dem Worte „Baumeister" in dem §. 969 eine andere Bedeutung beizumessen, als in dem §. 968. In dem §. 968 ist allerdings von Verstößen gegen die Kunst die Rede. Allein der §. 969 setzt auch nicht bloß den Fall des Dolus, sondern auch die Fälle voraus, in denen ohne Arglist Materialien verwendet worden sind, deren schlechte Beschaffenheit nur von einem Sachverständigen bemerkt werden konnte. Das Obertribunal meint aber weiter, dürfe man von der unmittelbaren Anwendbarkeit des §. 969 auf nicht sachverständige Bauunternehmer überhaupt absehen, dann greife die Regel, d. h. die ordentliche Verjährung Platz. Das sei jedoch nicht die kurze Verjährung des I. 5. §§. 343 u. 345. Denn .diese §§. seien auf den Fall der Uebertragung des Eigenthums einer Sache zu beziehen, während hier ein Vertrag über Handlungen 'vorliege. Durch diese Aeußerung aber geräth das Obertribunal in Konflikt mit einer älteren Entscheidung, nach welcher auch die Ansprüche gegen den Werkmeister wegen Mängel des Werkes, so weit dafür nicht die besonderen Vorschriften der §§. 968 ff. I. 11 gegegeben sind, der Verjährung aus I. 5 §§. 343 u. 345 unterworfen sein sollen. O.Tr. IV v. 18. Mai 1865, Str. Arch. 59 S. 167. Von einer Anwendung des §. 969 auf nicht werk­ verständige Unternehmer kann daher nicht abgesehen werden; sie läßt sich aber nur rechtfertigen, wenn man die §§. 966 ff. durchweg auf alle Bauunternehmer bezieht. 67) H. Der §. 971 lautete: „Bei unbeweglichen Sachen hat der Werkmeister, in Ansehung der darin verwendeten Materialien und, Arbeiten, ein in der Coneursordnung näher bestimmtem Vorrecht." Dieses Vorrecht, welches in der A.G.O. I. 50 §§. 424 u. 426 geordnet war, ist durch die Konk.Ordn. v. 8. Mai 1855 unterdrückt. Die Konk.Ordn. für das deutsche Reich kennt es ebenfalls nicht. Der §, 971 ist daher bedeutungslos. 68) H. Dieser Titel zur Hypothek ist durch die neuere Gesetzgebung nicht beseitigt. Vgl. Einf.Ges. zur preuß. Konk.Ordn. v. 8. Mai 1855 Art. 11 und Ausf.Ges. zur R.Konk.Ordn. v. 6. Marz 1879 §. 11, auch O.Tr. IV v. 19. Juli 1859, Entsch. 41 S. 110; Str. Arch. 33 S. 341. Aber die Verwirklichung des Titels ist nach denr Ges. über den Eigenthumserwerb re. v. 5. Mai 1872 §. 19 dadurch bedingt, daß der Schuldner entweder die Eintragung der Hypothek bewilligt hat oder rechtskräftig zur Erklärung der Bewilligung verurtheilt ist. Fehlt es hieran, so kann in Gemäßheit des §. 22 nur eine 'Vormerkung eingetragen werden. 69) Nach I. 20 §. 566 soll das Retentionsrecht, welches dem Gläubiger wegen feiner Forderung etwa zusteht, durch die Konkurseröffnung gerade erlöschen. Wegen dieses Wider­ spruchs sind die Meinungen über den hier eigentlich gemeinten Rechtssatz getheilt. In dem gedr. Entwürfe lautet die Stelle so: §. 694. „Bei beweglichen Sachen bleibt der Werkmeister Eigenthümer, bis das Werk von dem Besteller übernommen worden." Man hatte dies auf solche Werke bezogen, von welchen der Werkmeister, weil er die Materialien dazu hergegeben, von Ursprung Eigenthümer geworden und folglich bis zur Uebergabe verbleibe. Dies war aber nicht der Sinn des Verf.: denn Su arez erklärte bei der rev. monitor.: „Ad §. 694 kann eigentlich nicht gesagt werden, daß der Werkmeister Eigenthümer des Werkes sei, besonders alsdann nicht, wenn der Besteller die Materialien hergegeben hat. In diesem Falle ist das Dominium gleichsam in suspenso, so lange, bis die Tradition erfolgt ist. Das Nähere hierüber gehört in die Materie von der Spezifikation, und ist auch dort vorgenommen. Zu dem gegen-

Rechte aus diesem Ver­ trage bei entstande­ nem Concurse.

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Erster Theil.

Eilfter Titel.

§§. 975—981.

§. 975. Entsteht Vor Ablieferung des Werks Cvncurs über das Nermögen des Werkmeisters, so kann der Besteller das in der Masse vorhandene vollendete Werk, gegen Erlegung des noch schuldigen Preises, fordern70 * *).* * * * * * * * * * * * * * * * * * * * * * * * §. 976. Ist das Werk noch unvollendet, so kann er die von ihm gelieferten Materialien, so weit sie noch vorhanden sind, als sein Eigenthum zurücknehmen. §. 977. Gleiche Befugniß steht dem Besteller zu, wenn Materialien vor­ handen sind, die der Werkmeister von dem Vorschüsse, welchen ihm der Besteller dazu ausdrücklich gegeben, erweislich angeschafft und bezahlt hat. §. 978. Soweit der Besteller für die von ihm gelieferten Materialien, oder für den Vorschuß, den er zu deren Anschaffung gegeben hat, durch diese Zurücknahme nicht entschädigt werden kann, ist er an das in der Masse vorhandene noch unvoll­ endete Werk sich zu halten berechtigt. §. 979. Kann er dadurch seine Befriedigung nicht erhalten, so muß er mit der in der Concursordnung ihm sonst angewiesenen Stelle sich begnügen. §. 980. Der Besteller kann der Annahme des in der Concursmasse voll­ endet 71) vorgefundenen Werks, gegen die Gläubiger, nur aus eben den Gründen, die er dem Gemeinschuldner selbst hätte entgegensetzen können, sich weigern. wärtigen Zwecke wird es genug sein, festzusetzen, daß, wenn vor der Ablieferung des Werkes Konkurs über das Vermögen des Bestellers entsteht, dem Werkmeister an das Werk ein jus retentionis zustehe." (Ges.Revis. Pens. 14 S. 165.) Die Absicht ist klar. Man wollte über das Recht des Werkmeisters an der Sache, welches, je nachdem die Materialien von ihm oder nicht von ihm Herkommen, Eigenthum oder Pfandrecht ist, hier nichts bestimmen, vielmehr bloß über das obligatorische Rechtsverhältniß Verordnung treffen; man war nur über die entsprechende Fassung verlegen. Der Fall ist der: der Werkmeister hat mit dem Gemeinschuldner kontrahirt, der Vertrag ist aber noch unerfüllt. In solchem Falle steht es bei der Gläubigerschaft, entweder das Geschäft auf sich beruhen zu lassen, oder, wenn sie davon Gebrauch machen will, auch passiv ganz in die Stelle des Gemeinschuldners zu treten, d. h. Zug um Zug gegenzuleisten. A.G.O. I. 50 tz. 39 und Konk.Ordn. §. 16 Satz 2. Rufen die Gläubiger das Geschäft auf, so hat der Werkmeister wegen des Geleisteten einen Anspruch an die Gläubigerschaft (ante omnes) nur in so fern, als die Masse noch jetzt dadurch reicher ist. 8- 294 a. a. O. und Konk.Ordn. §. 16 Satz 3. Fordern sie Erfüllung durch Ablieferung des Werkes, so ist der Werkmeister sofortige Bezahlung zu fordern berechtigt, nach der allgemeinen Regel über Erfüllung wechsel­ seitiger Verträge; und es ist ihm zum Schutze seines Rechts hier noch besonders das jus reten­ tionis gegeben, welches nichts anderes ist als die exceptio doli auf Grund des I. 5 §. 271. Vergl. die §§. 252 u. 258 I. 50 der A.G.O. Die Konk.Ordn. v. 8. Mai 1855 §. 33 Nr. 9 hat das Retentionsrecht in ein Pfandrecht verwandelt. Der Fall des Werkmeisters ist dem Falle des Verkäufers, der noch nicht übergeben hat, juristisch völlig gleich. So wenig der Verkäufergehalten ist, die verkaufte Sache an die Konkursmasse, ohne Bezahlung des Kausgeldes, zu über­ geben, gleich wenig ist der Werkmeister schuldig, sein Werk ohne Bezahlung des Lohnes heraus­ zugeben. Dazu hätte es der besonderen Bestimmung des §. 974 gar nicht bedurft; sie enthält keine grundsätzliche Ausnahme und auch keine Eigenthümlichkeit des Verdingungskontrakts. H. Die Bestimmung der Konk.Ordn. v. 8. Mai 1855 §. 33 Nr. 9 ist in die N.Konk.Ordn. §. 41 Nr. 6 übergegangen. 70) Hierbei ist vorausgesetzt, daß der Besteller die Materialien in Natur oder in den dazu erforderlichen Mitteln angeschafft habe, wie die §8- 976—979 klar machen. Hat er die Materialien nicht geliefert, so kommt auch hier der Grundsatz der Konk.Ordn. v. 8. Mai 1855 8- 16 zur Geltung. H. Jetzt entscheiden die Vorschriften der N.Konk.Ordn. 88- 15, 20 und 35. 71) Ist es unvollendet, so ist der Besteller nicht verbunden, sich die Vollendung durch einen von den Gläubigern angestellten Werkverständigen gefallen zu lassen, wegen des Grund­ satzes 8- 928. Dagegen aber ist die Bedeutung dieser Bestimmung für den Fall der Vollendung des Werkes unfindbar. Denn es versteht sich ganz von selbst, daß die Konkurseröffnung über das Vermögen des Gläubigers kein Ereigniß ist, welches den Schuldner liberiren könnte. — Ist das Werk unvollendet, so überträgt sich das Rechtsverhültniß nicht auf die Gläubigerschaft, weil nichtfungible Handlungen von ihr nicht geleistet werden können. 8- 928. Daraus folgt, daß dieses Kontraktsverhültniß, in Betreff der Ausführung des aufgetragenen Werks, durch die Kon­ kurseröffnung nicht verändert wird. Dasjenige, was in Folge des vor der Konkurseröffnung abgeschlossenen BerdingungskontraktS von dem Werkmeister nach der Konkurseröffnung erworben

Von Verträgen über Handlungen.

977

§. 981. Wer sich verpflichtet, einem Anderen eine bestimmte7^ Sache für einen gewissen 78) Preis zu verschaffen 74), wird ein Lieferant genannt. wird, verblieb nach der A.G.O. I. 50 §§. 33 und 34 ihm. H. Nach der preuß. Konk.Ordn. v. 8. Mai 1855 §§. 1 u. 280 floß der Preis seiner Arbeit zur Konkursmasse, sofern derselbe während der Dauer des Konkurses fällig wurde und nicht etwa als Arbeits- oder Dienstlohn im Sinne des Bundesgesetzes v. 21. Juni 1869 (B.G.Bl. S. 242) anzusehen und aus diesem Grunde von der Beschlagnahme auszuschließen war. Abweichend hiervon unterwirft die ReichsKonk.Ordn. §. 1 dem Konkursverfahren nur das zur Zeit der Eröffnung desselben dem Gemein­ schuldner gehörige Vermögen. *) H. Koch, Recht der Forderungen (2. Ausg.) 3 §.361; Löwenberg, über den Liefe­ rungsvertrag , unter Berücksichtigung des Handels mit geldwerthen Papieren (1846); Baron, zur Begriffsbestimmung des Lieferungsvertrages nach gemeinem und preußischem Recht, in Gruchot 2 S. 1—19; Endemann, das deutsche Handelsrecht §. 119; Gruchot, Glossen zum A.L.R. I. 11 §§. 981 ff., in seinen Beiträgen 13 S. 697 ff.; Förster-Eccius 2 §. 128 E. Die Einreihung des Lieferungsvertrages unter die Verträge über Handlungen ist ein Irr­ thum, der als solcher jetzt fast allgemein erkannt ist. Das Verschaffen oder Anschaffen der Sache, welches dem Lieferanten obliegen soll, ist allerdings eine Handlung. Aber diese Handlung leistet der Lieferant nicht dem Besteller (Anm. 1 zu §. 869); er verrichtet sie vielmehr in seinem eigenen Interesse, um sich zur Lieferung in den Stand zu setzen. Wie, wann und woher die Sache beschafft wird, berührt das Recht des Bestellers nicht, wenn er nur die Sache rechtzeitig und so, wie sie bedungen ist, erhält. Die Leistung des Lieferanten an den Besteller besteht also in einen: dare, nicht in einem facere; sie unterscheidet sich in nichts von der Leistung des Verkäufers, der für einen bestimmten Preis eine Sache giebt. Der Lieferungsvertrag ist seinem Wesen nach ein Kauf; er hat nur das Besondere, daß a) sein Gegenstand nur generell bestimmt, b) die Nebergabe der Sache nicht sofort, sondern erst einige Zeit nach dem Ver­ tragsabschlüsse in Aussicht genommen, und zwar so, daß die Existenz des Vertrages von der Einhaltung der Zeit abhängig gemacht ist, und c) daß der Lieferant abweichend von der Regel die Sache dem Besteller bringen muß. Förster-Eccius §. 128, 2 S. 128. Durch die Art. 271 u. 338 des Handelsgesetzbuchs haben die Vorschriften des Landrechts über den Lieferungsvertrag ihre praktische Bedeutung verloren. K o w a l z i g, Handelsgesetzbuch rc. (1876) S. 4, 31L 335.

72) In dem Ausdrucke ist hier fehlgegriffen. Nicht eine „bestimmte" Sache (Spezies oder „Individuum", wie es I. 5 §. 273 heißt), sondern eine Sache von einer bestimmten Gattung (Genus) ist gemeint. Vergl. Entsch. des O.Tr. US. 32. H. Der Lieferungsvertrag verliert dadurch seinen Charakter nicht, daß bei seinem Abschlüsse das Quantum zum Theil bereits geliefert, im Uebrigen aber nicht fest bestimmt, sondern von Bedingungen abhängig gemacht ist. O.Tr. I v. 7. Jan. 1878, Str. Arch. 98 S. 206. 73) Durch den „gewissen" Preis wird der Lieferungskontrakt dem Kaufkontrakte ähnlich und unterscheidet er sich von dem Mandate und namentlich von der Einkaussk.ommission (I. 13 §§. 5, 6; II. 8 §§. 698, 699), wobei ein Limitum des Einkaufspreises gesetzt ist. Denn ein Limitum des Preises ist kein „gewisser Preis" im Sinne des §. 981. O.Tr. IV v. 10. Febr. 1853, J.M.Bl. S. 142; Str. Arch. 8 S. 300. H. Ueber den Unterschied zwischen Lieferungs­ vertrag und Verdingungskontrakt siehe die Anm. 39 zu §. 925 und 41 zu §. 928. 74) Das „Verschaffen", d. i. die Handlung des vorherigen Anschaffens, insofern der Lieferant die Sachen noch nicht hat, soll hiernach das Charakteristische sein, welches den Lieferungskontrakt von dem Kaufkontrakte, dessen eigentlicher Gegenstand ein Geben (dare) ist (I. 2 §. 123), während der Lieferungsvertrag ein Handeln (Leisten, facere) zum Gegenstände hat (vgl. die Anm. zu §. 363), unterscheidet. Deshalb ist dieses Rechtsgeschäft unter die Vertrüge über Handlungen gestellt worden. Dies ist mit Vorbedacht geschehen. Suarez sagt in der revisio monitorum: „Herr Goßler meint, daß die Materie von Lieferungen nicht hierher gehöre, sondern zu der Lehre von: Kaufe. Allein es füllt wohl in die Augen, daß dies negotium viel­ mehr zusammengesetzt sei. Der Lieferant hat selbst die Sache noch nicht, die er dem Anderen verschaffen soll. Er übernimmt erst, solche anzuschaffen und sie sodann zu tradiren. Ante implementum ist also kein Kauf, sondern ein contractus facio ut des vorhanden. Erst post implementum tritt das Verhältniß wie zwischen Verkäufer und Käufer ein." Bornemann (2. Aufl.) 3 S. 189. Ich habe früher gesagt: „Der Lieferungsvertrag ist der umgekehrte Trödel­ vertrag. So wie der Trödelvertrag wesentlich ein Auftrag zum Verkaufe ist, und folglich sich, wenn er ausgeführt wird, zuletzt in ein Kaufgeschäft auflöst, so ist der Lieferungsvertrag ein Koch, Allgemeines Landrecht. I.

8. Mufl.

62

978

Erster Theil.

Eilfter Titel.

§§. 982-988.

§. 982. Der Lieferant kann sich der übernommenen Pflicht nicht entziehen, wenn auch die Lieferung durch uachher eingetretene Umstände erschlvert wird 75). §. 983. Wegen der Fälle, wenn die Lieferung überhaupt76), oder die be­ stimmte Art derselben, in Ansehung der Zeit oder des Ortes unmöglich, oder mit Auftrag zum Ankäufe, dessen Ausgang wieder ein Kauf ist, daher nach der Erfüllung die Grund­ sätze des Kaufs gelten." Koch, Recht der Forderungen 2. Ausg. 3 S. 1011. Das ist von dem O.Tr. mißverstanden worden, indem es darin die Behauptung einer Gleichheit oder Ähnlichkeit mit dem „Bevollmächtigungsvertrage" gesehen und die Beweisführung unternommen hat, das; der Lieferant kein Bevollmächtigter des Bestellers sei und nicht in dessen Namen handle. Entsch. 13 S. 61. Die Beweisführung ist unnöthig, denn „Bevollmächtigungsvertrag", d. i. die Ermächti­ gung, den Anderen bei Abschließung eines Rechtsgeschäfts mit einem Dritten zu repräsentiren, ist etwas ganz anderes, als der Auftrag zu einer Dienstverrichtung; und nur mit einem solchen, keineswegs mit einem Bevollmächtigungsvertrage, habe ich den Lieferungsvertrag verglichen. Das von mir Gesagte ist auch keine Begriffsbestimmung, wie es dort genannt wird, es ist nur eine beschreibende Vergleichung zur Verständigung des Begriffs; und diese Vergleichung, nämlich die Vergleichung mit dem Trödelvertrage, scheint mir noch immer zutreffend zu sein. H. Siehe gegen diese Rechtfertigung Förster- Ec eins a. a. O. S. 126 Note 65. Das O.Tr. sagt: „Bei Lieferungsverträgen im Sinne des A.L.R. macht zwar das Ver­ schaffen der Sache einen wesentlichen Theil der Verpflichtung aus, die der die Sache Ver­ sprechende gegen den Besteller übernimmt. Damit aber das Geschäft für einen Lieferungs­ vertrag erachtet werden könne, ist es nicht erforderlich: 1. daß das Verschaffen der Sache aus­ drücklich versprochen sei. Die entsprechende Verpflichtung kann vielmehr auch aus dem In­ halte des Vertrages, aus den Verhältnissen der Parteien, und aus den sonstigen Umständen entnommen werden; 2. daß aus dem Vertrage oder aus den Umständen die Voraussetzung des Bestellers hervor gehe, daß die versprochene Sache sich noch nicht im Besitze des Versprechen­ den befinde. Es schließt daher 3. die Anwendung der Regeln des Lieferungsvertrages nicht aus, daß sich der Uebernehmer (Lieferant) bereits beim Abschlüsse des Kontrakts thatsächlich im Besitze der Sache, d. i. von Sachen solcher Art und in der Quantität, wie er zu liefern sich verpflichtet, befunden hat." O.Tr. Pl. (Pr. 1755) v. 15. Juli 1846, Entsch. 13 S. 57. (Vergl. die Anwendung des dritten Satzes in dem Erk. des O.Tr. IV v. 14. Febr. 1856, Str. Arch. 20 S. 163.) Was unter dem „Verschaffen" zu verstehen sei, ist hierbei dahingestellt geblieben. Man sagt: „das Wort steht im Gesetze" und deshalb erklärten auch die Votanten, welche dafür hielten, es komme doch nur darauf an, daß das Gewollte dem Besteller verschafft, in seine Hände gebracht werde, gleichviel woher, für die Bejahung des Hauptsatzes stimmen zu müssen. J.M.Bl. 1846 S. 227. Das Lieferungsgeschäft ist aber seiner Wesenheit nach kein besonderes Geschäft; es ist nichts weiter als ein Kauf, und das Bedürfniß zur eigenthümlichen Behandlung desselben seitens der Gesetzgebung fehlt. Das O.Tr. nimmt für die Beurtheilung der Frage: ob ein vorliegender Vertrag für einen Lieferungsvertrag, oder für einen Kaufkontrakt anzusehen sei, „bei den; schwankenden, juristisch wenig charakterisirten Begriffe, wo nicht eben ein vom Kauf­ verträge unterscheidendes Merkmal ganz fehlt", in der That das Gebiet der thatsächlichen Wür­ digung in Anspruch. Dasselbe hat auch die Anwendbarkeit des I. 5 §. 408 auf Lieferungs­ verträge, insbesondere nachdem die Handlung des Verschaffens beendet, die Sache bereits geliefert ist, unter der Einrede, daß die Sache fehlerhaft sei, für ungültig erklärt. O.Tr. IV v. 31. Jan. 1861, Str. Arch. 40 S. 221. Auch das H.G.B. Art. 338 erkennt das Geschäft, dessen Gegenstand in der Lieferung einer Quantität vertretbarer Sachen gegen einen be­ stimmten Preis besteht, nur als ein itach den Bestimmungen über den Kauf zu beur­ theilendes Rechtsgeschäft an. Die Kommission hat es verneint, daß ein Bedürfniß dafür bestehe, für das Lieferungsgeschäft besondere, von den über das Kaufgeschäft gegebenen Normen ab­ weichende Bestimmungen zu treffen. Sitzung 75 v. 26. Mai 1857, Prot. Th. 2 S. 671. Nach Art. 271 Ziff. 2 ist die Uebernahme einer Lieferung von Gegenständen der Ziff. 1 erwähnten Art ein objektives Handelsgeschäft. H. Ueber die Eigenthümlichkeiten des handelsrechtlichen Lieferungskaufes vergl. Dernburg, Lehrbuch rc. 2 §. 6 Nr. 2. 75) Betreffs des zu leistenden Interesses wegen Nichtlieferung siehe die Anm. zu I. 5 §. 286. Bei Lieferungsverträgen steht der Weigerung der versprochenen Erfüllung die bisher nicht kontraktmäßig geschehene Leistung gleich. — Eine besondere ausdrückliche Erklärung des Rücktritts vom Vertrage ist nicht erforderlich, der Rücktritt kann auch durch Innehaltung der ferneren Lieferungen erklärt werden. O.Tr. IV v. 1. Nov. 1855, Str. Arch. 18 S. 259. 76) Z. B. wenn ein Buchhändler Kunden für ein anderswo angekündigles Werk sucht und dasselbe für den Ladenpreis zu liefern sich erbietet, hinterdrein aber der Verleger das Werk gar nicht oder nicht vollständig herausgiebt. Die Subskribenten können dann zurücktreten, den ge­ liefert erhaltenen Theil zurückgeben und den bezahlten Preis von ihrem Kontrahenten (nicht

Von Verträgen über Handlungen.

979

einer unvorhergesehenen Gefahr verknüpft wird, hat es bei den allgemeinen Vor­ schriften des Titels von Verträgen §. 360 — 376. sein Bewenden. §. 984. Wenn wegen veränderter Umstände die versprochene77 * *) Lieferung zu dem Zweck, wozu der Besteller sie bedungen hat, unnütz oder unbrauchbar wird 78), so kann zwar derselbe den Vertrag widerrufen; §. 985. Er muß aber den Lieferanten, wegen der zur Erfüllung von seiner Seite bereits gemachten Anstalten, und verwendeten Bemühungen oder Kosten, voll­ ständig entschädigen. §. 986. So weit der Lieferant zur Zeit des Widerrufs die bestellte Sache ganz oder zum Theil bereits angeschafft hat, muß der Besteller sie annehmen, oder sich den öffentlichen 79) Verkauf auf seine Gefahr und Kosten gefallen lassen 8"). §. 987. Nach geleisteter Lieferung findet unter den Contrahenten alles das statt, was zwischen Käufern und Verkäufern Rechtens ist81). §. 988. Auf nützliche Geistesarbeiten, oder gemeinnützige körperliche Fähigetroa von dem Verleger, mit dem sie nicht kontrahirt haben,) zurückfordern. Vergl. den Rechts­ fall im Schles. Arch. 1 S. 433. 77) Statt „besprochene" ist zu lesen: versprochene. R. v. 29. Dez. 1837, Jahrb. 50 S. 469. 78) Die §§. 984—986 finden nur alsdann Anwendung, wenn der Besteller den Nach­ weis führt, daß ihm die Lieferung zu dem bedungenen Zwecke unnütz geworden, nicht aber auch alsdann, wenn er aus reiner Willkür den Vertrag widerruft. O.Tr. Pl. (Pr. 1607) v. 19. Sept. 1845 Nr. 1, J.M.Bl. S. 196; Entsch. 11 S. 18. 79) Dadurch, daß der Lieferant die angebotene aber zurückgewiesene Sache durch Privat­ vertrag anderweit veräußert, wird er noch nicht seines ganzen Anspruches an den Besteller ver­ lustig. Ders. Pl.Beschl. Nr. 2. Der Lieferant, welcher vor Ablauf der Lieferungsfrist die bereits angeschaffte Waare wieder verkauft, weil der andere Kontrahent die Annahme überhaupt verweigert hat, geht dadurch seines Rechts, von den: letzteren wegen dessen einseitigen Rücktritts Entschädigung zu fordern, nicht verlustig, noch weniger wird er dadurch gar zur Entschädigung desselben verpflichtet. O.Tr. IV v. 10. Nov. 1857, Str. Arch. 27 S. 102. 80) Der Lieferant ist nicht verpflichtet, alternativ auf Annahme oder öffent­ lichen Verkauf der Sache auf Gefahr und Kosten des Bestellers zu klagen, sondern darf auch einfach auf Zahlung des bedungenen Preises gegen Uebernahme der versprochenen Sache Klage erheben. Ders. Pl.Beschl. Nr. 3. Bei der im Bd. 8 S. 264 ff. aus dem Jahre 1842 mit­ getheilten Entscheidung war das O.Tr. von entgegengesetzten Grundsätzen ausgegangen. 81) Doch nicht die Anfechtung wegen übermäßiger Verletzung; denn der Lieferant läßt sich nicht bloß den Werth der Sache bezahlen, sondern bringt auch seine auf das „Verschaffen" ver­ wendete Mühwaltung und Kosten in Anschlag. H. Ueberdies entsteht das Recht zur Anfechtung des Kaufes roegen Laesio enormis bereits mit dem Abschlüsse des Vertrags; der Lieferungs­ vertrag soll aber erst nach der Lieferung den Charakter des Kaufs annehmen. Plathner, Geist des preuß. Privatrechts 1 S. 359. *) Gemeinrechtlich ist man darüber nicht einverstanden, ob auf diesem Wege eine Obliga­ tion mit einem unbekannten Gläubiger kontrahirt werden könne. Unter holzn er. Schuld­ verhältnisse 1 Nr. 26 I, nimmt es an; v. Savigny, Obligationenrecht 2 S. 90, erklärt sich dagegen. Das L.R. hat hierin keinen Vorgänger. Die L. 5 C. quae res pignori 8, 17, welche die Prämie, die den Athleten in Aussicht steht, voraus zu verpfänden verbietet, berührt die Frage gar nicht. H. Die Römer konnten die Auslobung von Prämien nicht als rechtsverbindlich ansehen, weil sie ein obligatorisches Verhältniß mit einer persona incerta nicht für möglich hielten. Die Bedürfnisse des modernen Verkehrs haben indeß über die römische Auffassung hinweg­ geholfen. Die gemeinrechtliche Doktrin neigt sich mehr und mehr dahin, gegen den Auslobenden eine Klage auf Erfüllung seines Versprechens zu gestatten. Die Einen, wie IHering, Regels­ berger, Vangerow, Exn er, erachten den Versprechenden erst durch die Annahme des Ver­ sprechens für gebunden; die Annahme fällt aber regelmäßig mit der Erfüllung zusammen. (Vertragstheorie.) Andere, namentlich Kuntz e und Siegel, finden den Rechtsgrund der ver­ bindenden Kraft der Auslobung in dieser selbst und erkennen demgemäß grundsätzlich ein Recht des Auslobenden zum Widerruf seines Versprechens nicht an. (Theorie des einseitigen Rechts­ geschäfts.) Das Nähere hierüber und den Nachweis der reichhaltigen Literatur siehe bei Wind-

6) Prä­ mien*).

980

Erster Theil.

Eilfter Titel.

§§. 989—996.

feiten82 * *) *ober * * * *Unternehmungen, öffentliche83) Belohnungen auszusetzen84), ist einem Jeden erlaubt8^). §. 989. Wer dergleichen Prämien aussetzt, kann sein Versprechen vor dem Ablaufe der bestimmten Zeit nicht zurücknehmen86).87 §. 990. Doch steht ihm frei, die Preisfrage innerhalb der ersten Hälfte der zu ihrer Beantwortung ausgesetzten Zeit näher zu bestimmen. §. 991. Er kann sich selbst in den Wettstreit nicht mit einlassen, wenn er sich dieses bei der Bekanntmachung nicht ausdrücklich Vorbehalten hat. §. 992. Wer sich nicht zu rechter Zeit, oder nicht mit den vorgeschriebenen Maaßregeln als Mitwerber gemeldet hat, kann auf den Preis keinen Anspruch machen. §. 993. Selbst der, welcher den Preis ausgesetzt hat, kann einen solchen Mit­ werber zum Nachtheil der übrigen nicht zulassen. §. 994. Dem Urtheil des Aussetzers, oder dem von diesem gleich bei Be­ kanntmachung der Aufgabe ernannten Richter, müssen sämmtliche Mitwerber sich ohne alle Widerrede und weitere Berufung unterwerfen8?). scheid §. 308 Bd. 2 (5. Ausl.) S. 180—183. Das Landrecht steht in der Mitte zwischen beiden Theorien. Die Auslobung kann widerrufen werden, wenn sie ohne Zeitbestimmung erlassen ist. Die Annahme ist daher nicht entbehrlich. Wenn indeß für die Beantwortung der Preisfrage resp, die Herstellung der Arbeit eine gewisse Zeit gesetzt ist, so ist der Auslobende bis zum Ab­ laufe derselben einseitig gebunden. Dernburg, Lehrb. 2 §. 12. Siehe ferner Koch, Recht der Forder., 2. Ausg. 3 §. 362; Gruchot, Glossen zu dem A. L.R. I. 11 §§. 988—995, in seinen Beitr. 13 S. 709-727; Förster-Ec eins tz. 77, Bd. 1 S. 506-508. 82) Soll heißen „Fertigkeiten". Denn „Fähigkeiten" nennt man die Naturgaben, ver­ möge welcher man eine gewisse Thätigkeit zu erlernen vermag. 83) Nicht öffentliche Belohnungen sind gemeint, sondern das öffentliche Aussetzen der Be­ lohnungen. Die Fassung dieser Stelle ist unlogisch und ungrammatisch. 84) Das öffentliche Ausbieten einer Belohnung zu dem genannten Zwecke (Auslobung einer Prämie) ist ein Versuch zur Eingehung eines Vertrages über gewisse Handlungen, z. B. über Dienstmiethe, oder Darstellung eines Werks, oder Entdeckung eines Geheimnisses. Die Aufforderung ist an Jeden gerichtet und es ist nicht erforderlich, daß der Besteller ein eigenes und ausschließliches Vermögensinteresse dabei habe; er wird verbindlich, wenn auch lediglich nur die Allgemeinheit dabei gewinnt. Wer auf die Aufforderung eingeht, wird dadurch nicht zur Ausführung verbunden; er kann abstehen, aber für seine Mühwaltung und Aufwendung nichts fordern. 85) Das soll heißen: wer das thut, soll gehalten sein, das Versprochene zu bezahlen, er soll darauf verklagt werden können; denn „auch ohne dieses Gesetz würde es sich wohl von selbst verstehen, daß eine solche Handlung eine erlaubte, d. h. nicht verbotene sein würde." v. Savigny, Obligationenrecht 2 S. 91 Note f. H. In Zeitungsannoncen findet man zur Reklame für eine Waare bisweilen das Versprechen einer Belohnung für denjenigen, der einen bestimmten Mangel an der Waare nachweist. Ein solches Versprechen fällt nicht unter die Auslobungen im Sinne des §. 988. Es ist eine ein­ seitige Wette, welche für den Anpreisenden keine Verbindlichkeit erzeugt. Vergl. Regelsberger, civilrechtliche Erörterungen (1868) S. 206; I Hering, in den Jahrbüchern für die Dogmatik rc. 4 S. 99 ff., hält auch ein solches Versprechen für klagbar. Nach preuß. Recht ist die Klagbar­ keit zu verneinen. Förster-Eccius a. a. O. S. 507; Gruchot a. a. O. S. 718. 86) Wer dies dennoch thut, muß Alle, welche sich lediglich aus Anlaß der Aufforderung auf das Unternehmen eingelassen haben, für ihre Verwendungen entschädigen. Ist keine Zeit­ bestimmung in der öffentlichen Bekanntmachung enthalten, so kann er die Aufforderung zu jeder Zeit zurücknehmen, nur muß er für die bereits getroffenen Veranstaltungen den Unternehmern aufkommen. 87) H. Man rechnet zu den Auslobungen nicht bloß öffentliche Preisausschreibungen für die Lösung einer wissenschaftlichen oder künstlerischen Aufgabe rc., sondern auch das öffentliche Versprechen einer Prämie für die Wiederbringung einer verlorenen oder gestohlenen Sache, für die Ermittelung einer Person (eines Verbrechers, eines Verschollenen) u. dgl. Gruchot a. a. O. S. 716. Es ist daher nicht bedenklich, im Falle der Konkurrenz Mehrerer auch den §. 994 in entsprechender Weise auszudehnen. Eine „auf die Ergreifung" eines Flüchtigen „mit den unter-

Von Verträgen über Handlungen.

981

§. 995. Das Eigenthum der von einem jeden Mitwerber gelieferten Arbeit bleibt ihrem Urheber; und der Aussetzer des Preises kann sich darüber keine andere Verfügung anmaßen, als die er sich bei der Bekanntmachung ausdrücklich Vor­ behalten hat, oder die aus dem erklärten Zweck der Aufgabe von selbst folgt. §. 996. Das Verlagsrecht besteht in der Befugniß, eine Schrift durch den 7> Druck zu vervielfältigen, und sie auf den Messen88), unter die Buchhändler und ei vö° sonst, ausschließend abzusetzen8^). schlagenen Geldern" ausgesetzte Belohnung ist „nicht für die zu diesem Zwecke aufgewendete Thätigkeit an sich, sondern für den dadurch erzielten Erfolg versprochen und der Anspruch auf Zahlung durch ursachlichen Zusammenhang der aufgewendeten Thätigkeit mit dem erzielten Er­ folge bedingt. Wurde der Erfolg durch die in einander greifende Thätigkeit mehrerer Personen erreicht, so gebührt jeder derselben nur ein verhältnißmäßiger Antheil" an der Belohnung. Die Vertheilung erfolgt nach dem Grundsätze des §. 994 durch den Auslobenden oder durch die von diesem bezeichnete Person (Behörde). Wer damit nicht zufrieden ist, muß die Unangemessenheit der Vertheilungsart darthun. R.G.'I v. 26. Sept. 1883, Gruchot 28 S. 243. *) Gegenstand der unter diesem Rubrum getroffenen Bestimmungen ist nicht das sog. geistige Eigenthum, d. h. das Recht des Schriftstellers auf sein Werk, sondern das Verhältniß des Schriftstellers zum Verleger. H. Die Wissenschaft unterscheidet zwischen Verlagsverträgen im weiteren und solchen im engeren Sinne. Zu den ersteren gehört die Veräußerung des Rechtes selbst, welches dem Ur­ heber an seinem Werke zusieht, dergestalt, daß der Erwerber darüber nach Belieben verfügen kann. Ein solches Geschäft ist, wenn der Urheber unentgeltlich sich seines Rechtes begiebt, Schenkung, wenn der Erwerber für dasselbe ein Aequivalent an den Veräußerer zahlt oder sonst gewährt, Kauf oder ein kaufähnlicher Vertrag. Juristische Besonderheiten hat die Ver­ äußerung des Autorrechts nicht. Vgl. O. Wächter, das Verlagsrecht mit Einschluß der Lehren von dem Verlagsvertrag und Nachdruck (1857) A. 20 S. 222. Der Verlagsvertrag im eigent­ lichen (engeren) Sinne, von dem hier die Rede ist, besteht darin, daß der Urheber oder dessen Rechtsnachfolger das Recht zur Vervielfältigung und Veröffentlichung des Werkes, sei es be­ schränkt oder unbeschränkt, auf einen Anderen überträgt, und dieser dagegen sich verpflichtet, das Werk herauszugeben und zu verbreiten. Der Verleger überkommt also durch den Vertrag nicht nur das Recht, sondern auch die Pflicht zum Verlag des Werkes für eigene Rechnung. Das ist das Wesentliche. Alles Uebrige, namentlich auch das Honorarversprechen, ist neben­ sächlich. Kloster mann, das geistige Eigenthum, 1 Bd.: das Urheberrecht und das Verlags­ recht 1867 (1871) §. 28 S. 293. Das Landrecht läßt diesen Begriff des Verlagsvertrages nicht klar hervortreten. Es zählt den letzteren zu den Verträgen über Handlungen, indem es von dem Fall ausgeht, in welchem der Autor zur Zeit der Abschließung des Kontrakts das Werk noch nicht vollendet hat, also eine Handlung leisten muß, um seiner Verpflichtung zu genügen. Daß dieser Handlung eine Gegen­ leistung des Verlegers gegenüberstehe, gehört nach §. 870 zum Wesen des Vertrages. Es fragt sich daher, was dem Autor zu leisten ist. Einer Verpflichtung des Verlegers zur Verviel­ fältigung und Veröffentlichung des Werkes gedenkt das Landrecht nicht. Es hat aber auch nicht vorgeschrieben, daß ein Honorar vereinbart werden müsse, um dem Vertrage seine rechtliche Besonderheit zu wahren. Der Autor indeß schließt präsumtiv den Verlagskontrakt, um mittelst desselben die Publikation seines Werkes zu erlangen. Es muß daher auch nach Landrecht die Verpflichtung des Verlegers, das ihm in Verlag gegebene Werk zu vervielfältigen und zu ver­ öffentlichen, zum Wesen des Verlagsvertrages gerechnet werden. Hinschius, in der juristischen Wochenschrift 1840 S. 307; Koch, Recht der Forderungen §. 342, 2. Ausg. 3 S. 879; FörsterEccius 8. 134, 2 S. 184; Gruchot, Glossen zum A. L.R. I. 11 §§. 996—1023, in seinen Bei­ trägen rc. 13 S. 735. — In der Praxis der Gerichte nimmt der Verlagsvertrag nur eine bescheidene Stellung ein, weil Rechtsstreitigkeiten zwischen Verlegern und Autoren ziemlich selten sind. Der Wissen­ schaft dagegen hat das Verlagsrecht um so größeres Interesse abgewonnen. Außer den bereits genannten Werken sind für das preußische Recht von Wichtigkeit: v. Daniels, Lehrb. des preußischen Privatrechts (1851) 3 §§. 118—125; Petsch, die gesetzlichen Bestimmungen über den Verlagsvertrag in den einzelnen deutschen Staaten 1870; Klostermann, das Urheber­ recht an Schrift- und Kunstwerken, Abbildungen, Kompositionen, Photographien, Mustern und Modellen, nach deutschem und internationalem Rechte systematisch dargestellt (1876) §. 14. Die älteren Werke sind nachgewiesen bei Kl ost ermann, das geistige Eigenthum rc. (1867) 1 S. 100 ff. 88) Nicht bloß auf den Messen, sondern auch im Einzelnen. Das L.R. setzt noch die ehe­ malige Zunftverfassung voraus. Man vergl. den §. 1297 c des abgeschafften Tit. 20 Th. II.

982

Erster Theil.

Eilfter Titel.

§§. 997, 998 (Zusatz).

§. 997. Nicht bloß Bücher, sondern auch Landkarten, Kupferstiche, topogra­ phische Zeichnungen, und musikalische Compositionen, sind ein Gegenstand des Ver­ lagsrechts 90). §. 998. In der Regel erlangt der Buchhändler9^) das Verlagsrecht nur durch einen mit dem Verfasser darüber geschlossenen schriftlichen °2) Vertrag 93). 89) Das Verlagsrecht ist die ausschließliche selbstständige Berechtigung, ein Erzeugniß der Wissenschaft oder Kunst zum Absätze an Andere zu vervielfältigen und die Exemplare in den Handelsverkehr zu bringen. Es ist ein Ausfluß des anerkannten Eigenthums an dem Geistes­ produkte und kann ursprünglich nur dem Urheber des Werkes zukommen; es ist der materielle Bestandtheil jenes Eigenthums. Der Gegenstand dieses Eigenthums ist keine Sache und auch kein Recht; es ist eine durch Zeichen oder Schrift verkörperte Idee, und das Verlagsrecht ist das Mittel, dieselbe für den Urheber nutzbar zu machen. Dies geschieht entweder durch un­ mittelbare Ausübung des Verlagsrechts (Selbstverlag), oder durch gänzliche oder theilweise Ab­ tretung desselben an einen Anderen (Verlagskontrakt). §. 998 d. T. und §. 8 des Ges. v. 11. Juni 1837. H. Man darf hieraus nicht folgern, daß Koch das Recht des Urhebers als ein geistiges Eigenthum aufgefaßt hätte. Dagegen spricht seine Bemerkung in dem Recht der Forderungen 341, 2. Ausl. 3 S. 873: „Sucht man den eigentlichen Gegenstand des Eigenthums, so entdeckt man eine Fabel und wird inne, daß dieses Eigenthum kein Eigenthum, sondern nichts als eine ausschließliche gewerbliche Berechtigung ist." Auch das Verhältniß des Verlagsrechtes zu dem Rechte des Urhebers ist von Koch richtig gekennzeichnet. Das Urheberrecht ist das ursprüngliche, das Verlagsrecht das aus diesem ab­ geleitete, beschränktere Recht. Klo st e rmann, Urheberrecht re. (1876) S. 150. Gegenüber dieser Auffassung besteht eine andere, welche das Verlagsrecht mit dem Urheberrecht identifizirt, als das durch den Verlagsvertrag beschränkt oder unbeschränkt auf den Verleger übertragene Recht des Urhebers hinstellt. So namentlich O. Wächter, das Verlagsrecht re. (1857) S. 111, 219, das Autorrecht nach dem gemeinen deutschen Recht systematisch dargestellt (1875) S. 17 u. 117. 90) H. Vergl. das Ges. v. 11. Juni 1870 §§. 1 u. 43. 91) H. Der Verleger braucht nicht nothwendig Buchhändler zu sein, wie aus §. 997 erhellt. Die Verfasser des Landrechts bezweckten freilich in erster Linie den Vortheil des Buch­ händlers. Die Ableitung des Verlagsrechts aus dem ursprünglichen Recht des Urhebers lag ihnen fern. Hitzig, Kommentar zum Ges. v. 11. Juni 1837 S. 4. Bei der gegenwärtig ein­ geführten Gewerbefreiheit würde die Beschränkung des Verlagsrechts auf Buchhändler keinen Sinn haben. 92) (H. Nach dem Handelsgesetzbuch (Zus. zu §. 998) bedarf es, wenn das Verlagsrecht einem Kaufmann (Verlagsbuchhändler) abgetreten wird, keines schriftlichen Vertrages. Da aber die Autoren ihre Werke fast nur Buchhändlern in Verlag zu geben pflegen, so ist die Regel des §. 998 jetzt die Ausnahme. F. Hinschius in der Preuß. Anwalts-Zeitung 1866 S. 294; Förster a. a. O. S. 196; Petsch a. a. O. S. 10, 23, 24.) Liegt ein Handelsgeschäft nicht vor, so ist die schriftliche Form.unbedingt nothwendig. Auf das Honorar und ob dieses imtev oder über 50 Thlr. betrage, kann darum nicht gesehen werden, weil ein Honorar überhaupt nicht zu den Essentialen des Verlagskontrakts gehört, ja es kann vorkommen, daß der Autor seinerseits dem Verleger noch etwas dazu zahlt. S. die folg. Anm. Die Worte „in der Regel" beziehen sich nicht auf die Form des Uebertragungsgeschäfts, sondern auf die Erwerbungsart. Ausnahmen enthalten die §§. 1022, 1029. 93) Der Verlagskontrakt ist bald ein kaufsähnliches, bald ein miethsähnliches, bald ein aus Kauf oder Miethe und Sozietät gemischtes Geschäft, je nachdem der Verfasser ein bereits fertiges Werk gegen eine in sich oder beziehungsweise bestimmte Summe in Verlag giebt, oder auf Be­ stellung ein Werk gegen Lohn zu verschaffen verspricht, oder statt des Honorars eine Quote am Gewinne ausbedingt. Auch auf Zeit kann das Verlagsrecht abgetreten werden; dieses Geschäft ist dem Pachtkontrakte ähnlich. Daß in allen Fällen die Bestimmung einer Gegenleistung zu den wesentlichen Erfordernissen eines Verlagskontrakts gehöre, läßt sich nicht behaupten, vielmehr kann die Gegenleistung des Verlegers eben in der Uebernahme der Gefahr, die Kosten der Ver­ vielfältigung und Veröffentlichung des Werkes zu verlieren, wenn die Unternehmung fehlschlägt, bestehen und der Vortheil des Verfassers kann in der Veröffentlichung allein liegen. Deshalb aber ist der Verleger verpflichtet, das Werk durch den Druck zu veröffentlichen. Ist es jedoch ausgemacht, daß der Verfasser auch einen Preis in Gelde erhalten soll, so wird der Kontrakt erst durch die Bestimmung desselben perfekt. Ist kein Geldpreis zugesichert, so ist der Verlags­ kontrakt durch die Abtretung und durch die Uebernahme des Verlags vollgültig abgeschlossen; der Verfasser muß die Handschrift überliefern und der Verleger muß das Werk auf seine Kosten drucken lassen und veröffentlichen.

24.

Von Verträgen über Handlungen.

983

Allgemeines Deutsches Handelsgesetzbuch.

(G.S. 1861 S. 480; B.G.Bl.

1869 S. 404.) Art. 272.

Handelsgeschäfte sind.... die folgenden Geschäfte, wenn sie gewerbemäßig be­

trieben werden: 5) die Verlagsgeschäfte, sowie die sonstigen Geschäfte des Buch- oder Kunsthandels;....

H. (Hierbei darf aber nicht übersehen werden, daß ein eigentlicher Verlagsvertrag (oben Anm.*) immer nur dann vorliegt, wenn die Absicht der Betheiligten die ist, daß der Verleger die Ver­ vielfältigung und den Vertrieb des Werkes für eigene Rechnung übernehme. Handelt der Verleger bei diesen Geschäften für Rechnung des Urhebers, wenn auch in eigenem Namen, oder partizipiren beide an den Unkosten und dem Gewinn verhältnißmäßig, so liegt eine Uebertragung des Vervielfältigungsrechtes seitens des Autors nicht vor. Man spricht in dem ersten Falle von Kommissionsverlag; in letzterem ist das Rechtsverhältniß wesentlich Sozietät. R.O.H.G. I v. 12. Jan. 1875, Entsch. 16 S. 251 u. 252; Klostermann, das geistige Eigen­ thum 2C. 1 S. 293, 308 ff. und das Urheberrecht an Schrift- und Kunstwerken rc. §. 14 S. 145.) Ob der Verleger befugt sei, das erworbene Verlagsrecht wie ein anderes Vermögensrecht, ohne Einwilligung des Autors weiter abzutreten, ist zweifelhaft. Zwar wird durch die weitere Abtretung das kontraktliche Verhältniß zwischen ihm und seinem Autor nicht verändert; allein in den meisten Fällen hat der Autor noch ein anderes, gerade auf das Vertrauen zu der Person seines Kontrahenten gegründetes Interesse. Es kommt ihm gar viel darauf an, daß sein Werk weit verbreitet werde und mehrere Auflagen erlebe, nicht bloß des Geldinteresses wegen, sondern auch um Gelegenheit zu haben, das Werk zu verbessern. Deshalb hat er gerade seinem um­ sichtigen und thätigen Kontrahenten, und keinem Anderen, das Verlagsrecht abgetreten. Durch das Gesagte ist aber auch die Grenze der Beschränkung des Verlegers in der freien Verfügung über sein Recht angedeutet. Wo das höchste persönliche, das geistige Interesse des Autors weg­ fällt, z. B. durch den Tod, oder vielleicht auch durch Abkauf des ganzen Verlagsrechts für jetzt und alle Zukunft, da steht der weiteren Veräußerung desselben nichts im Wege. H. Die Veräußerung des Verlagsrechts seitens des Verlegers wird für zulässig erklärt: von dem Justiz mini st er im Einklänge mit einem Bericht des Stadtgerichts zu Berlin und des Kammergerichts daselbst (Reskr. v. 7. Juni 1838, v. Rönne, Ergänz, zum A.L.R. I. 11 §. 998). Eben so Klostermann, das geistige Eigenthum 1 S. 335 ff. und das Urheberrecht S. 147 u. 148. Für die Unzulässigkeit der Veräußerung: Hinschius, in der juristischen Wochenschrift 1840 S. 308 u. 314 (v. Rönne a. a. O. 6 Ausg. 1 S. 680), und Walter, System des deutschen Privatrechts §. 321, prinzipiell auch O. Wächter, das Verlagsrecht (1857) S. 366; Bluntschli, deutsches Privatrecht (3. Ausl, von Dahn) §. 156; v. Gerber, über die Natur der Rechte des Schriftstellers und des Verlegers, in den Jahrb. für die Dogmatik des heutigen römischen und deutschen Privatrechts 3 S. 392. Wächter will die Veräußerung des Verlagsrechts ausnahms­ weise gestatten, und zwar a) durch letztwillige Verfügung, b) mit der Veräußerung der Buch­ handlung, c) bei Auflösung der Sozietät, d) nach Erfüllung der Verbindlichkeiten aus dem Verlagsvertrage. Diese Ausnahmen dürften aber den Beweis liefern, daß das Prinzip der Un­ veräußerlichkeit nicht richtig ist. Nach preußischem Recht wenigstens scheint die Weitercession der Rechte des Verlegers ebenso wenig Bedenken zu haben wie die Cession der Rechte aus zweiseitigen Verträgen überhaupt (Anm. 10 zu §. 382 d. T.). Koch, Recht der Forderungen, 2. Ausg. 3 S. 876; Förster-Eccius a. a. O. S. 198. Allerdings sind Handarbeiter, Hand­ werker und Werkmeister nicht befugt, sich einen Anderen zur Erfüllung der von ihnen über­ nommenen Pflicht zu substituiren. (§§. 895, 900, 920, 928.) Allein gerade dadurch, daß dies ausdrücklich hervorgehoben wird, erkennt das Gesetz die Zulässigkeit der Substitution als Regel an. Der Schriftsteller und der Künstler freilich dürfen das Werk nicht von einem Anderen schassen lassen. (§. 1000.) Das hat aber seinen Grund darin, daß die Geistesschöpfung nothwendig eine andere ist, je nachdem sie von diesem oder von jenem hervorgebracht wird. Dagegen ist die Thätigkeit, die der Verleger bei der Vervielfältigung und dem Vertriebe eines Buches aufzuwenden hat, an sich eine vertretbare. Hat sich der Autor gerade an diesen Buchhändler gewendet, weil er von dessen Umsicht und Takt die weiteste und zugleich anständigste Verbreitung seines Werkes erwartet, so mag er die Unveräußerlichkeit des Verlagsrechtes sich ausbedingen. Hat er dies nicht gethan, so kann er sich nicht darüber beschweren, wenn der Verleger hauptsächlich von kauf­ männischen Gesichtspunkten sich leiten läßt. Die Bedürfnisse des Verkehrs sind eben mächtiger als die Rücksichten auf die Gefühle des Autors. Das Landrecht stellt jene unverkennbar in den Vordergrund. Mit der grundsätzlichen Zulässigkeit der Abtretung des Verlagsrechts ist das Recht des Autors, wegen veränderter Umstände vom Vertrage zurückzutreten (I. 5 §§. 378 ff.), sehr wohl vereinbar. Ob aber die Cession eine solche Veränderung mit sich führt, kann nur nach der Lage des einzelnen Falles entschieden werden. Vergl. §. 1005 d. T.

984

Erster Theil.

Stifter Titel.

(Zusatz) §§. 999—1007.

Die bezeichneten Geschäfte sind auch alsdann Handelsgeschäfte, wenn sie zwar einzeln, jedoch von einem Kaufmann im Betriebe seines gewöhnlich auf andere Geschäfte gerichteten Handelsgewerbes gemacht werden. Art. 277. Bei jedem Rechtsgeschäft, welches auf der Seite eines der Kontrahenten ein Handelsgeschäft ist, sind die Bestimmungen dieses vierten Buchs in Beziehung auf beide Kon­ trahenten gleichmäßig anzuwenden, sofern nicht aus diesen Bestinnnungen selbst sich ergiebt, daß ihre besonderen Festsetzungen sich nur auf denjenigen von beiden Kontrahenten beziehen, auf dessen Seite das Geschäft ein Handelsgeschäft ist. Art. 317. Bei Handelsgeschäften ist die Gültigkeit der Verträge durch schriftliche Abfassung oder andere Förmlichkeiten nicht bedingt.

§. 999. Ist dergleichen schriftlicher Vertrag nicht errichtet, die Handschrift jedoch von dem Schriftsteller abgeliefert worden, so gilt die mündliche Abrede zwar in Ansehung des dem Verfasser versprochenen HonorariiH); in allen übrigen Stücken aber sind die Verhältnisse beider Theile lediglich nach den gesetzlichen Vorschriften zu beurtheilen. §. 1000. Der Verfasser ist schuldig, den schriftlichen Vertrag durch Lieferung der Handschrift zur gehörigen Zeit zu erfüllen94 95). §. 1001. Thut er dieses nicht, so kann der Verleger von dem Vertrage wieder abgehen 96). §. 1002. Ist die Zeit, wann die Handschrift geliefert werden soll, im Ver­ trage nicht bestimmt, so wird angenommen, daß dieselbe dergestalt geliefert werden solle, daß der Verleger die Schrift noch auf die nächste Leipziger Messe bringen könne. §. 1003. Erhellet aus der Größe und dem Umfange des Werks, oder aus der kurzen Zwischenzeit bis zur Messe, oder aus anderen Umständen, daß dem Schrift­ steller eine längere Zeit habe gestattet sein sollen, so hängt die nähere im Contracte nicht enthaltene Bestimmung von dem Schriftsteller ab. 94) Es gilt mithin auch Alles, was zur Bestimmung des Honorars verabredet worden ist, namentlich Format, Schriftgattung, Zeilenzahl u. dergl. Der §. 999 handelt von dem Falle eines Realkontrakts; die §§. 998, 1000 ff. von dem eines Konsensualkontrakts. H. Vergl. gegen diese Auffassung die Anm. * zur Überschrift S. 981. 95) H. Hierbei ist vorausgesetzt, daß der Autor das Werk noch nicht fertig hat. Er muß es persönlich herstellen und zur rechten Zeit abliefern. Ist das Werk bereits zur Zeit des Ver­ tragsabschlusses vollendet, so dürfen an demselben wesentliche Aenderungen nicht mehr vorgenommen werden, weil sonst der Gegenstand des Vertrages nicht derselbe bleiben, dem Verleger mithin nicht das geleistet werden würde, was ihm versprochen worden. Ueberhaupt aber muß der Urheber das Werk in einer zur Vervielfältigung geeigneten Form, namentlich, wenn es zum Druck bestimmt ist, ein lesbares Manuskript liefern. Für den inneren Werth seiner Arbeit hat er nicht einzustehen. Wächter, Verlagsrecht S. 323 ff.; Klostermann, das geistige Eigen­ thum 2c. 1 S. 345 ff. Darüber, wodurch der Charakter eines Werkes als eines wissenschaftlichen bedingt ist, R.O.H.G. I v. 24. Mai 1872, Entsch. 6 S. 172. 96) Die Frage ist: ob der Verleger zurücktreten darf, wenn der Verfasser die Handschrift ohne Titel, Vorrede und Register abgeliefert und der Verleger sie ohne diese Stücke angenommen hat. In einem in der Jur. Wochenschr. von 1835 S. 336 mitgetheilten Rechtsfalle ist die Ent­ scheidung verneinend ausgefallen. Dies hat auch Grund, zwar nicht den angegebenen, daß anzunehmen, der Verleger, der ohne diese Stücke den Druck beginnen könne, habe in die gewöhnliche Nachlieferung gewilligt, sondern weil Vorrede und Register nicht nothwendige Stücke des Werkes sind — es giebt unzählige Druckwerke ohne Vorrede und ohne Register — und der Titel schon in dem Verlagskontrakte angegeben ist, folglich keiner Nachlieferung mehr bedarf. Wäre aber eine Vorrede und ein ^Register im Kontrakte ausdrücklich versprochen worden, so würde der Ver­ leger nicht verbunden sem, die Handschrift ohne diese Stücke anzunehmen, oder vor der Nach­ lieferung den Druck zu beginnen; vielmehr könnte er, wenn er nicht Frist gegeben hat, die Folgen der Nichtablieferung der Handschrift eintreten lassen. In dem Falle, wo der Verleger von dem Vertrage zurücktritt, wird dadurch der Vertrag aufgehoben, d. h. der Verleger hat keine Klage aus demselben auf das Jntexesse; es bleibt ihm nur die Kondiktion auf das Geleistete. Das Gleiche gilt im Falle des 1008.

Von Verträgen über Handlungen.

985

§. 1004. Doch kann derselbe von dem Verleger angehalten97)98werden, 99 100 eine gewisse Zeit zu bestimmen, oder sich den Rücktritt von dem Contracte gefallen zu lassen. §. 1005. Ereignen sich Umstände oder Hindernisse, welche den Verfasser ver­ anlassen"), das versprochene Werk gar nicht herauszugeben, so kann er von dem Vertrage zurücktreten"). §. 1006. Er muß aber dem Verleger den Schaden ersetzen, welcher demselben aus den zum Abdruck etwa schon getroffenen, und durch den Rücktritt unnütz werdenden Anstalten, wirklich entsteht7"). §. 1007. Giebt aber der Schriftsteller das einem Verleger versprochene Werk innerhalb Jahresfrist nach dem Rücktritte, ohne Vorwissen und Einwilligung des­ selben, in einem anderen Verlage, oder auf eigene Rechnung heraus, so muß er dem ersten Verleger auch für den entgangenen Gewinn *) gerecht werden. 97) Unter dem „Anhalten" ist eine außergerichtliche Aufforderung zu verstehen; denn für ein gerichtliches Verfahren fehlen die Formen und der Grundsatz zur Entscheidung über den Kostenpunkt; es ist auch kein Bedürfniß zur Einmischung des Richters. Bestimmt der Verfasser eine Zeit, so hat es dabei sein Bewenden, sie mag so lang sie will gesetzt werden. H. Der Verleger ist aber der Willkür des Autors nicht überlassen. Die Zeitbestimmung des letzteren muß sich mindestens in solchen Grenzen halten, daß die Erreichung des aus dem Vertrage oder aus den Umständen ersichtlichen Zweckes noch möglich bleibt. Die Vollendung eines auf die Befriedigung bestimmter Bedürfnisse berechneten Buches darf nicht so weit hinausgeschoben werden, daß dann voraussichtlich diese Bedürfnisse nicht mehr vorhanden sind und das Werk unverkäuflich ist. Man wird daher dem Verleger den Rücktritt vom Vertrage gestatten müssen, wenn der Autor einen so späten Termin für die Fertigstellung des Manuskripts bestimmt, daß jener, hätte er dies voraussehen können, auf den Vertrag nicht eingegangen sein würde. (I. 5 §§. 377 ff.) Vgl. Wächter S. 330; Beseler, System des gern, deutschen Privatrechts 230 Nr. II, 2. Ausg. S. 945, 3. Ausg. 2 S. 947; Bornemann, System, 2. Ausg. 3 S. 198; Koch, Recht der Forderungen 3 S. 877. 98) Eine richterliche Prüfung der Veranlassung findet nicht statt, vielmehr steht das Unter­ nehmen im Belieben des Vers., weil eine schriftstellerische Thätigkeit nicht erzwingbar ist. H. Das bezieht sich aber nur auf die erste Veröffentlichung, nicht auf neue Auflagen und Ausgaben. Klostermann, das geistige Eigenthum 1 S. 335, das Urheberrecht re. (1876) S. 114 u. 149. 99) H. Er muß aber den Rücktritt dem Verleger erklären. So lange er dies nicht thut, kann gegen ihn auf Erfüllung geklagt werden. (I. 5 §§. 270 u. 394, I. 11 §. 877.) Daß, objektiv betrachtet, eine literarische oder artistische Thätigkeit nicht erzwungen werden kann, ist kein Grund, der die Verurtheilung des Schriftstellers oder Künstlers zu der versprochenen Leistung ausschließt. Denn das hat jene Thätigkeit mit allen übrigen Handlungen gemein. Es kann sich nur fragen, ob die Executio ad faciendum hier anwendbar ist. Und diese Frage scheint unbedenklich bejaht werden zu müssen. Anderer Ansicht ist Beseler a. a. O. Note 5." Wenn das Werk einmal veröffentlicht (herausgegeben) ist, so ist der Autor auch nicht mehr befugt, von dem Vertrage zurückzutreten. Ist jedoch das Werk vergriffen, und der Verleger will von dem ihm eingeräumten Rechte, das Werk weiter zu vervielfältigen, keinen Gebrauch machen, so muß es dem Urheber freistehen, eine neue Auflage oder Ausgabe in einem anderen Verlage zu veranstalten. (§§. 1014 ff.) Klostermann, das geistige Eigenth. rc. 1 S. 364, das Urheberrecht rc. S. 147. 100) H. Die Verpflichtung des Autors zur Entschädigung des Verlegers ist nur dann ohne weiteres gegeben, wenn in Folge seiner freien Entschließung die Aufhebung des Vertrages herbeigeführt ist. (§. 1005.) Trifft diese Voraussetzung nicht zu, so entscheiden die allgemeinen Grundsätze des I. 5 §. 285 ff., 360 ff. und I. 11 §§. 879 ff. Vergl. Wächter S. 389-391. 1) Dessen Feststellung hat Schwierigkeiten, so lange die Auflage nicht abgesetzt ist, und wenn sie durch den neuen Verleger abgesetzt worden ist, so hat vielleicht dessen Klugheit und Thätigkeit das Ergebniß erzielt, während in dem Verlage des ersten Kontrahenten aus dem Werke ein Ladenhüter geworden wäre. H. Dieser Gesichtspunkt wird indeß das richterliche Ur­ theil nur in den seltensten Fällen beeinflussen. Der erste Verleger substantiirt seine Klage ein­ fach so, daß er nachweist, was die Auflage und deren Verbreitung dem anderen Verleger gekostet und was sie demselben eingebracht hat. Der Betrag, um welchen die Einnahme die Ausgabe übersteigt, ist der Gewinn, der aus dem Verlag gezogen und präsumtiv dem Kläger entgangen ist. (I. 5 §§. 286, 287; I. 6 §§. 5, 6.) Die Widerlegung dieser Präsumtion ist Sache des

986

Erster Theil.

Eilfter Titel.

§§. 1008—1019.

Z. 1008. Findet der Schriftsteller nöthig, in Ansehung des Umfanges, oder der Einrichtung des Werks, Veränderungen noch vor dem Drucke zu wachen, so hat der Verleger die Wahl, sich dieselben gefallen zu lassen, oder von dem Vertrage wieder abzugehen*2).3 4 5 6 §. 1009. Macht aber der Schriftsteller dergleichen Veränderungen nach bereits angefangenem Drucke, ohne die Einwilligung des Verlegers, so haftet er dem Ver­ leger für allen daraus entstehenden Schadens. §. 1010. Wegen der Fälle, wo die Erfüllung des Verlagsvertrages einem oder dem anderen Theile unmöglich wird, hat es bei den Vorschriften des §. 879. sqq. sein Bewenden *). §. 1011. Wenn ein neuer unveränderter Abdruck einer Schrift in eben dem­ selben Formate veranlaßt wird, so heißt solches eine neue Auflage'^). §. 1012. Weun aber eine Schrift in verändertem Formate, oder mit Ver­ änderungen im Inhalte, von neuem gedruckt wird, so wird solches eine neue Aus­ gabe genannt 0). verklagten Autors, der dabei allerdings auch zu dem Beweise verstattet werden muß, daß der Kläger mehr Kosten und weniger Einnahme gehabt haben würde, als der neue Verleger. 2) Vgl. die Anm. 96 zu §. 1001 H. und Klostermann, Urheberrecht re. S. 146. 3) H. Der §. 1009 steigert die Verpflichtung deS Autors aus §. 1008, wie das Ver­ hältniß beider zu einander ergiebt. Der Verleger hat daher auch im Falle des §. 1009 das Recht, vom Vertrage zurückzutreten. Aus der kontraktlichen Verpflichtung des Verlegers zur Vervielfältigung des Werkes folgt zweierlei: a. Das Manuskript muß so abgedruckt werden, wie es der Urheber liefert. Der Verleger darf Aenderungen daran nicht vornehmen. S. die Anm. 6. b. Die Sorge für die Korrektur der Druckbogen ist grundsätzlich Sache des Verlegers. Dem Autor liegt dieselbe nur dann ob, wenn sie besondere technische Kenntnisse erfordert, die nur bei ihm vorausgesetzt werden können, oder wenn das Manuskript so schlecht geschrieben ist, daß ohne seine Beihülfe ein korrekter Druck sich nicht herstellen läßt. Es ist jedoch allgemein Sitte, daß der Autor die zweite Korrektur selber vornimmt. Macht er dabei kleine Aenderungen im Text, ohne durch Druckfehler dazu genöthigt zu sein, so fallen dieselben nicht unter die Vor­ schrift des §. 1009, sofern sie das Interesse des Verlegers nicht beeinträchtigen. Gewohnheits­ mäßig trägt der Verleger sogar die durch Aenderungen der Art veranlaßten Satzkosten, wenn letztere nach billigem Ermessen nur für geringfügig' zu achten sind. Wächter, Verlagsrecht S. 348 u. 349. 4) H. Vergl. hierzu Pet sch a. a. O. S. 117—121 und die daselbst angeführten Schrift­ steller, namentlich Wächter S. 376 ff. und Klosterman, das geistige Eig. S. 368 ff. 5) H. Die Worte „Auflage" und „Ausgabe" werden im Buchhandel vielfach synonym gebraucht. Namentlich wird das, was das Landrecht unter einer neuen Ausgabe versteht, auch als Auflage bezeichnet. Bei der Interpretation der Verlagsverträge hat der Richter nicht an der buchstäblichen Bedeutung des Ausdrucks zu haften, sondern den wahren Sinn zu erforschen, den die Kontrahenten damit verbunden haben. (H.G.B. Art. 278.) „Wenn inan genau redet, so versteht man unter einer neuen Ausgabe nur einen solchen Abdruck einer Schrift, der nach vorangegangenen Veränderungen oder Verbesserungen vorgenommen ist, wodurch sich die Ausgabe von der bloßen Auflage unterscheidet." Campe, Wörterbuch der deutschen Sprache (Braunschweig 1807) 4 Bd. I S. 300. Aehnlich werden die Worte in dem Grimm'schen Wörterbuch (1854) 1 S. 680 und 864 erklärt. S. das Nähere bei Gruchot 13 S. 759. 6) H. Der literarische Sachverständigen-Verein hat sich in einem Gutachten v. 25. Jan. 1856 über den Gegensatz in den §§. 1011 u. 1012 wie folgt geäußert: Der Begriff einer neuen Auflage ist bedingt durch vollständige Uebereinstimmung in Format und Inhalt. Der Verleaer, welcher seinerseits eine neue Auflage zu veranstalten berechtigt ist, darf nicht die geringste Veränderung am Inhalte vornehmen. Die Verbesserung von Druckfehlern ist freilich nicht als Jnhaltsveränderung anzusehen. Aber über die Verbesserung von Druckfehlern darf auch der Verleger seinerseits bei Veranstaltung einer neuen Auflage nicht hinausgehen. Sty­ listische Veränderungen und noch so kleine Zusätze begründen schon den Begriff einer neuen Aus­ gabe. Nur darauf legt das Landrecht keinen Werth, ob etwa bei sonst unverändertem Formate gleiche Lettern zum Druck gebraucht sind oder nicht. Wenn also schon die bloße Veränderung

Von Verträgen über Handlungen.

987

§. 1013. Ist int Verlagsvertrage die Zahl der Exemplare der ersten Auflage nicht bestimmt, so steht es dem Verleger frei, auch ohne ausdrückliche Einwilligung des Verfassers, neue Auflagen zu veranstalten '). §. 1014. Ist aber die Zahl bestimmt, so muß der Verleger, wenn er eine neue Auflage machen will, sich darüber mit dem Schriftsteller oder dessen Erben, anderweit abfinden 8*).9 * *10 ***7 §. 1015. Können die Parteien sich darüber nicht vereinigen, so dient die Hälfte des für die erste Auflage gezahlten Honorarii znm Maaßstabe,J). §. 1016. Hingegen erstreckt sich das Verlagsrecht in der Regel, und wenn nicht in dem geschlossenen schriftlichen Vertrage ein Anderes verabredet ist, nur auf die erste Ausgabe des Werks, mit Inbegriff aller ferneren Theile und Fortsetzungen desselben. §. 1017. Der erste Verleger kann also niemals eine neue Ausgabe machen, ohne mit dem Schriftsteller einen neuen Vertrag darüber geschlossen zu haben'"). §. 1018. Dagegen kann auch der Schriftsteller keine neue Ausgabe veran­ stalten, so lange der erste Verleger die von ihm nach §. 1013. 1014. rechtmäßig veranstalteten Auflagen noch nicht abgesetzt hat. §. 1019. Können Verfasser und Buchhändler sich wegen der neuen Ausgabe des Formats zum Begriffe einer neuen Ausgabe im Sinne des Gesetzes genügt, so muß dies um so mehr von den im §. 1012 alternativ aufgestellten Veränderungen im Inhalte gelten. Der Gesetzgeber unterscheidet dabei nicht zwischen wesentlichen und unwesentlichen, gering­ fügigen und bedeutenden Veränderungen. Veränderungen als solche genügen. Und mit Recht. Denn, abgesehen von bloßen Druckfehler-Verbesserungen, kann man wirkliche Inhalts-Ver­ änderungen, so geringfügig solche auch erscheinen mögen, niemals dem Verleger, sondern nur dem Autor freistellen. Der Verleger darf sich nicht einmal ein Urtheil darüber anmaßen, ob eine Inhalts-Veränderung wesentlich und zulässig sei oder nicht. Heydemann und Dambach, die preußische Nachdrucksgesetzgebung (1863) S. 36. Zustimmend Klosterma n n, Urheber­ recht 2C. (1876) S. 146. 7) H. Dieses Recht des Verlegers ist durch die §§. 1, 2, 37 des Ges. v. 11. Juni 1837 in Ansehung der vor Erlaß desselben geschlossenen Verlagskontrakte nicht aufgehoben worden. O.Tr. Sen. für Str.S. v. 6. Juni 1855, Goltdammer's Arch. 3 S. 696. Gegenwärtig in­ deß besteht im deutschen Buchhandel ein allgemeiner Gebrauch, Inhalts dessen bei unbestimmter Uebertragung des Verlagsrechts vermuthet wird, daß der Autor dem Buchhändler nur die Befugniß zur Veranstaltung Einer Ausgabe habe einräumen wollen. Wächter S. 262; Beseler, System des d. Pr. R. §. 230, 2. Äufl. S. 946, 3. Ausl. 2 S. 948; Rössig, Handbuch des Buchhandelsrechts S. 129—136; Petsch S. 88. Dieses Gewohnheitsrecht gilt nach Art. 1 des Handelsgesetzbuches auch in Preußen. Klostermann, geist. Eig. re. S. 299 u. 340. Das ausschließliche Uebersetzungsrecht erwirbt der Verleger an sich nicht mit dem ihm übertragenen Verlagsrecht. Klo st ermann, Urheberrecht rc. (1876) S. 146. 8) Vergl. die Anm. 89 zu §. 996. 9) Diese Bestimmung ist auf den Fall zu beziehen, wenn dem Verleger das Recht auf neue Auflagen von: Verfasser schon zugesagt und nur das Honorar dafür nicht bestimmt worden ist. Außerdem kann dem Verfasser sein Eigenthumsrecht wider seinen Willen nicht abgezwungen werden. Auch würde davon der Verleger schwerlich Gewinn haben, da der Verfasser nur "an­ kündigen dürfte, daß, weil er seine Meinungen und Ansichten in Folge neuer Erfahrungen ge­ ändert habe, er im Begriffe stehe, eine neue Ausgabe zur Verbesserung der in der ersten ent­ haltenen Irrthümer zu veranstalten, was ihm nach §. 1016 freisteht. H. Dies ist auch die Meinung der Gesetzrevisoren, Pens. 16 S. 174. Dagegen wird von anderer Seite be­ hauptet, daß der §. 1015 nur so verstanden werden könne, daß der Verleger befugt sei, gegen Zahlung der Hälfte des für die erste Ausgabe des Werkes vereinbarten Honorars, auch wider den Willen des Autors neue Auflagen zu veranstalten. Vielttz, Kommentar 2 S. 740 u. 741; Gruchot 13 S. 763. Die Kontroverse ist indeß kaum von praktischer Bedeutung. (Anm. 7 zu §. 1013.) 10) H. Nach dieser Bestimmung darf der Verleger, der zu einer neuen Auflage berechtigt ist, das Buch in einem von der ersten Auflage verschiedenen Format nicht herausgeben. (§. 1011.) Der buchhändlerische Gebrauch soll indeß diese Vorschrift beseitigt haben. Klostermann, geist. Eig. 1 S. 345.

988

Vom Nach­ druck*).

Erster Theil.

Eilfter Titel.

§§. 1020—1036.

nicht vereinigen, so muß Ersterer, wenn er dieselbe in einem anderen Verlgge heraus­ geben will, zuvörderst dem vorigen Verleger alle noch vorräthigen Exemplare der ersten Ausgabe, gegen baare Bezahlung des Buchhändlerpreises, abnehmen11). §. 1020. Aufgehoben^). §. 1021. Vorstehende Einschränkungen des Verlagsrechts zum Besten des Schriftstellers fallen weg, wenn der Buchhändler die Ausarbeitung eines Werks, nach einer von ihm gefaßten Idee, dem Schriftsteller zuerst übertragen, und dieser die Ausführung ohne besonderen schriftlichen Vorbehalt übernommen ; oder wenn der Buchhändler mehrere Verfasser, zur Ausführung einer solchen Idee, als Mitarbeiter angestellt hat^). §. 1022. In diesen Fällen gebührt das volle Verlagsrecht vom Anfänge an dem Buchhändler, und der oder die Verfasser können sich auf fernere Auflagen und Ausgaben weiter kein Recht anmaßen, als was ihnen in deni schriftlichen Vertrage ausdrücklich vorbehalten ist"). 8- 1023. Anmerkungen zu Büchern, worauf ein Anderer das Verlagsrecht Hat, besonders abzudrucken, ist erlaubt. Mit dem Werke selbst aber können der­ gleichen Anmerkungen, ohne Einwilligung des Verfassers und seines Verlegers, nicht gedruckt, noch in den Königlichen Landen verkauft werden. §. 1024—1028 fallen weg16).

11) H. (Ls fragt sich, wie das in den §§. 1018 u. 1019 anerkannte Recht des Autors zur Veranstaltung einer neuen Ausgabe zu der Befugniß des Verlegers, das Werk von neuem aufzulegen, sich verhält. Eine eigentliche Kollision liegt, nicht vor. Denn an sich steht nichts im Wege, daß der Verleger das Werk immer wieder neu auflegt und der Autor neue Aus­ gaben veranstaltet. Aber es ist doch kaum anzunehmen, daß der Gesetzgeber einen so uner­ quicklichen Zustand habe legalisiren wollen. Es schemt vielmehr, daß die Absicht vorgewaltet hat, das exorbitante Recht, welches in §. 1013 dem Verleger beigelegt ist, durch die §§. 1018 u. 1019 einzuschränken. Man wird daher anzunehmen haben, daß das unbestimmte Recht des Verlegers zu neuen Auflagen erlischt, wenn der Autor seinen Entschluß, eine neue Ausgabe zu machen, dem Verleger kund thut und hiernächst wirklich ausführt. Aber die Befugniß zur Veranstaltung einer neuen Ausgabe ist dadurch bedingt, daß die Voraussetzungen der §§. 1018 u. 1019 eingetreten sind. Veranstaltet der Autor eine neue Ausgabe, ohne dem Verleger die vorhandenen Exemplare abgekauft zu haben, so macht er sich des Nachdruckes schuldig. R.G. II v. 12. Juli 1881, Entsch. 5 S. 261. 12) Der §. 1020 lautete: „Das Recht des Verfassers, daß ohne seine Zuziehung keine neue Ausgabe veranstaltet werden darf, geht, wenn nicht ein Anderes ausdrücklich und schriftlich ver­ abredet worden, auf seine Erben nicht über." Diese Bestimmung wurde durch das Ges. v. 11. Juni 1837 beseitigt, indem dasselbe unter §. 6 vorschrieb: „Auch die Erben des Autors sollen denselben Schutz noch dreißig Jahre lang nach dem Tode ihres Erblassers genießen, ohne Unterschied, ob während seines Lebens ein Abdruck bereits erschienen ist oder nicht." H. Jetzt entscheidet das Ges. v. 11. Juni 1870 §§. 3 u. 8, Zus. zu §§. 1032 ff. 13) Hier ist das Rechtsverhältniß locatio conductio operarum. 14) H. Der Besteller wird hier als Urheber des Werkes angesehen; sein Verlagsrecht ist ein ursprüngliches. Das Ges. v. 11. Juni 1870 hat dem Besteller die Rechte des Urhebers nicht beigelegt. Es ist dies, wie die Vorverhandlungen ergeben, absichtlich geschehen. Vergl. Petsch S. 38. Da indeß die Thätigkeit des Urhebers sich aus der Konzeption der Gedanken und aus der Fixirung derselben durch die Schrift zusammensetzt, an sich aber es wohl denkbar ist, daß der Eine die Idee faßt, der Andere sie gestaltet, so kann auch jetzt noch der Fall vor­ kommen, daß der Besteller als Urheber oder doch wenigstens als Miturheber des Werkes an­ gesehen werden muß. Vgl. Wächter, Verlagsrecht re. (1857) S. 184 ff.; Förster-Eccius 2 §. 134 S. 190. Hat freilich der Verleger nichts weiter gethan als den Plan des Werkes auf­ gestellt, so hat er an dem letzteren kein Urheberrecht. R.O.H.G. I v. 19. März 1875, Entsch. 17 S. 36; Klostermann, Urheberrecht rc. (1876) S. 120. *) Jolly, die Lehre vom Nachdruck, 1852; Mandry, das Urheberrecht an literarischen Erzeugnissen rc., 1857; Wächter, das Verlagsrecht mit Einschluß der Lehren von dem Verlags­ vertrag und Nachdruck, zweite Hälfte, 1858; Koch, Recht der Forderungen, 2. Ausg. 1859, §.400, 3 S. 1196; Heyd emann und Dambach, die Preußische Nachdrucksgesetzgebung, 1863;

Von Verträgen über Handlungen.

§. Buchs stellers Werks §. §. steller, ordnet §.

989

1029. Wenn keine Buchhandlung, welche auf die neue Ausgabe eines ein Verlagsrecht hat, mehr vorhanden, und auch das Recht des Schrift­ nach §. 1020.10) erloschen ist, so steht Jedem frei, eine neue Ausgabe des zu veranstalten. 1030 fällt weg"). 1031. Uebrigens gilt zwischen diesem neuen Verleger und dem Schrift­ welcher die neue Ausgabe besorgt, alles das, was bei neuen Werken ver­ ist. 1032—1036 fallen toeg18).

Dambach, die Strafbarkeit des Vorsatzes und der Fahrlässigkeit beim Vergehen des Nachdrucks im Preußischen Rechte, 1864; Klostermann, das geistige Eigenthum an Schriften, Kunstwerken und Erfindungen, 1 S. 373 ff. 15) In Folge des Ges. v. 11. Juni 1837, bez. des Ges. v. 11. Juni 1870. Der Wortlaut der außer Kraft gesetzten Bestimmungen ist: „§. 1024. Niemand darf, ohne Einwilligung des Verfassers und seines Verlegers, einzelne gedruckte Schriften in ganze Sammlungen aufnehmen, oder Auszüge daraus besonders drucken lassen. §. 1025. Wohl aber können Auszüge aus Schriften in andere Werke oder Sammlungen ausgenommen werden. §. 1026. Neue Ausgaben ausländischer Schriftsteller, welche außerhalb des deutschen Reichs, oder der Königlichen Staaten, in einer fremden Sprache schreiben, und deren Verleger weder die Frankfurter, noch die Leipziger Messe besuchen, können nachgedruckt werden, in so fern der Verleger darüber kein hiesiges Privilegium erhalten hat. §. 1027. Übersetzungen sind in Beziehung auf das Verlagsrecht für neue Schriften zu achten. §. 1028. Das Veranstalten einer neuen Uebersetzung durch einen anderen Uebersetzer ist kein Nachdruck der vorigen." 16) H. Die Aenderung dieser Bestimmung siehe in der Anm. 12 zu dem aufgehobenen §. 1020. 17) Der §. 1030 verordnete: „Sind jedoch in diesem Falle noch Kinder des ersten Grades von dem Verfasser vorhanden, so muß der neue Verleger, wegen der zu veranstaltenden neuen Ausgabe, mit diesen sich abfinden." Siehe die vorige Anm. 18) Vergl. die Gesetze v. 11. Juni 1837 §. 37 und v. 11. Juni 1870 §§. 57 u. 58. Die nicht mehr geltenden §§. 1032—1036 lauteten: 1032. Auch der Nachdruck solcher Ausgaben ist unter eben den Umständen unerlaubt, unter welchen der Nachdruck eines neuen Werks nach obigen Vorschriften nicht statt findet. §. 1033. In so fern auswärtige Staaten den Nachdruck zum Schaden hiesiger Verleger ge­ statten, soll Letzteren gegen die Verleger in jenen Staaten ein Gleiches erlaubt werden. §. 1034. Wer Bücher und Werke, deren Nachdruck nach vorstehenden Grundsätzen uner­ laubt ist, dennoch nachdruckt, muß den rechtmäßigen Verleger entschädigen. §. 1035. Diese Entschädigung besteht in dem Ersätze des Honorarii, welches der recht­ mäßige Verleger dem Verfasser gezahlt hat, und der mehreren Kosten, welche derselbe wegen besseren Druckes und Papiers, gegen den Nachdruck gerechnet, auf die rechtmäßige Auflage ver­ wendet hat. §. 1036. Uebrigens sollen unerlaubte Nachdrücke in hiesige Lande, bei Vermeidung der Eonfiscation, nicht eingeführt, und unbefugte Nachdrucker nach näherer Bestimmung des Eriminalrechts ernstlich bestraft werden. (Th. 2. Tit. 20. Abschn. 15.)" Die in Bezug genommenen, gleichfalls außer Kraft gesetzten, Bestimmungen des Kriminal­ rechts sind in den 88- 1294 bis 1297", Tit. 20, Th. II enthalten und lauten: „§. 1294. Bücher, auf welche ein Königlicher Unterthan das Verlagsrecht hat, soll Niemand nachdrucken. §. 1295. Hat der rechtmäßige Verleger ein ausdrückliches Privilegium erhalten: so hat der Nachdrucker eines Buchs, welchem ein solches Privilegium vorgedruckt, oder dessen Inhalt auf oder hinter dem Titelblatte bemerkt ist, die in dem Privilegio angedrohte Strafe verwirkt. §. 1296 a. Findet die Strafe aus einem besonderen Privilegio nicht statt: so soll dennoch der Nachdruck auf den Antrag des rechtmäßigen Verlegers konfiszirt, und zum Verkaufe un­ brauchbar gemacht, oder dem Verleger, wenn er es verlangt, überlassen werden. §. 1296 b. Es muß aber, in diesem letztern Falle, der rechtmäßige Verleger, wenn er den Nachdruck übernehmen will, die von dem Nachdrucker darauf verwendeten Auslagen demselben auf die zu leistende Entschädigung anrechnen, oder soweit sie dazu nicht erforderlich sind, an die Strafcasse herausgeben.

990

Erster Theil.

Eilfter Titel.

(Gesetz v. 11. Juni 1870.

§. 1.)

25. Gesetz, betreffend das Urheberrecht an Schriftwerken, Abbildungen, musikalischen Kompositionen und dramatischen Werken*). Vom 11. Juni 1870. (B.G.Bl. S. 339.) Wir rc. verordnen im Namen des Norddeutschen Bundes, nach erfolgter Zustimmung des Bundesrathes und des Reichstages, was folgt: §. 1297 a. So weit der Nachdruck selbst verboten ist, darf auch niemand, bey gleicher Strafe, mit auswärts nachgedruckten Büchern Handel treiben. 1297 b. Buchbinder dürfen des Handels mit ungebundenen Büchern, und blos ge­ hefteten Schriften, bei Strafe der Konfiskation des Werks, und des für schon verkaufte Exemplare gelöseten Werths, sich nicht anmaßen. §. 1297 c. Ein Verfasser kann seine für eigene Rechnung gedruckten Schriften zwar durch sich selbst, oder auch durch Andere verkaufen; es darf aber dergleichen Verkauf nicht in einem öffentlichen Laden, und an Orten, wo Buchhändler sind, nicht durch Buchbinder geschehen. §. 1297 d. Uebestretungen dieser Vorschrift werden ebenfalls mit der Strafe der Konfiskation nach 8- 1297 b geahndet." *) H. Bald nach Erfindung der Buchdruckerkunst erhoben die Schriftsteller den Anspruch, daß dem Urheber eines Geisteswerks das ausschließliche Recht der Vervielfältigung desselben zugestanden würde. Die Gesetzgebung erkannte jedoch diesen Anspruch nicht an, und die Wissen­ schaft vermochte ihn nicht zu begründen, weil sie dafür in den römischen Rechtsquellen keinen Anhalt fand, für neue Rechtsbildungen aber kein Verständniß hatte. Die allgemeine Ueber­ zeugung des Volkes verurtheilte indeß den Nachdruck als ein dem Schriftsteller zugefügtes Un­ recht. Luther gab dieser Ueberzeugung den kräftigsten Ausdruck, indem er die ohne seine Er­ laubniß vorgenommene Vervielfältigung seiner Werke für Raub und Diebstahl erklärte. Wächter, Verlagsrecht rc. S. 5 Note 5. Er betrachtete sich also als Eigenthümer seiner Geistesprodukte. Und diese Anschauungsweise blieb bis in die neueste Zeit hinein die herrschende. Im vorigen Jahrhundert entwickelte sich daraus die Theorie vom geistigen Eigenthum. Gestützt auf diese Theorie wurde der Kampf gegen diejenigen geführt, welche das ausschließliche Recht des Urhebers leugneten und den Nachdruck für erlaubt, vielfach sogar für löblich und wünschenswerth hielten. Die Schriften für und wider waren ungemein zahlreich. (Sie sind nach­ gewiesen bei Wächter S. 61 ff. und Klostermann, geist. Eig. 1 S. 100 ff.) Inzwischen suchte man die Autoren und deren Verleger durch Privilegien gegen den Nachdruck zu schützen. Die Gesetzgebung schritt zuerst in Sachsen ein, und zwar durch die Mandate v. 27. Febr. 1686 und v. 18. Dez. 1773. Preußen folgte nach. Die Bestimmungen des L.R. I. 11 88- 1020, 1024—1036 und II. 20 88- 1294—1297 d bezweckten, den Verfasser und dessen Verleger gegen den Nachdruck zu sichern. Weiteren Schutz fanden die Autorenrechte bei der Bundesversammlung in Frankfurt a. M. Am 6. Sept. 1832 vereinigte sich dieselbe über den Grundsatz, „daß bei Anwendung der gesetzlichen Vorschriften und Maßregeln wider den Nachdruck in Zukunft der Unterschied zwischen eigenen Unterthanen eines Bundesstaates und jenen der übrigen im Deutschen Bunde vereinten Staaten gegenseitig und im ganzen Umfange des Bundes in der Art auf­ gehoben werden sollte, daß die Herausgeber, Verleger und Schriftsteller eines Bundesstaates sich in jedem anderen Bundesstaate des dort gesetzlich bestehenden Schutzes gegen den Nachdruck zu erfreuen haben würden." Für Preußen wurde dieser Beschluß durch Patent und V. v. 12. Febr. 1833, G.S. S. 25 u. 26, verkündet. Durch den Beschluß der Bundesversammlung v. 9. Nov. 1837, der in Preußen durch Patent v. 29. Nov. 1837, G.S. S. 161, zur Publikation gelangte, wurden „gleichförmige Grundsätze zum Schutze des schriftstellerischen und künstlerischen Eigenthums gegen Nachdruck und unbefugte Nachbildung" aufgestellt. Namentlich wurden die Rechte der Schriftsteller und der Verleger auf deren Erben ausgedehnt und der Nachdrucker für entschädigungspflichtig und strafbar erklärt. Durch den Bundesbeschluß v. 19. Juni 1845 erfuhr der „Schütz für Werke der Literatur und Kunst gegen Nachdruck und mechanische Ver­ vielfältigung" wesentliche Erweiterungen. Publ.Pat. v. 16. Jan. 1846, G.S. S. 149. Ein Beschluß v. 9. Nov. 1856 dehnte den Schutz zu Gunsten der Werke der vor dem 9. Nov. 1837 verstorbenen Autoren bis zum 9. Nov. 1867 aus. Publ.Pat. v. 26. Jan. 1857, G.S. S. 93. Die Rechte der Verfasser dramatischer und musikalischer Werke wurden durch die Bundesbeschlüsse v. 22. April 1841 und v. 12. Mürz 1857 gewahrt. Publ.Pat. v. 6. Nov. 1841, G.S. S. 385, und v. 4. Mai 1857, G.S. S. 426. Die preußische Gesetzgebung war indeß der Thätigkeit des Bundestages vorauügeeilt. Das Gesetz zum Schutze des Eigenthums an Werken der Wissen­ schaft und Kunst gegen Nachdruck und Nachbildung v. 11. Juni 1837, G.S. S. 165, regelte er­ schöpfend die hier in Frage stehenden Verhältnisse. Auch in einigen anderen deutschen Staaten entwickelte die Gesetzgebung auf diesem Gebiete eine anerkennenswerthe Thätigkeit. Als die norddeutschen Staaten endlich unter Preußens Führung im Jahre 1866 sich eng

Von dem Urheberrecht an Schriftwerken rc.

991

I. Schriftstücke*). 8- 1. Das Recht, ein Schriftwerk auf mechanischem Wege zu vervielfältigen, steht dem a) Aus­ schließliches Urheber desselben ausschließlich ju1). Recht des

Urhebers.

aneinander schlossen, machte das von der vormaligen Bundesversammlung nur unvollständig befriedigte Drängen nach einem einheitlichen Autorrecht von neuem sich geltend. Die Ver­ fassung des norddeutschen Bundes v. 26. Juli 1867 unterwarf deshalb unter Art. 4 Nr. 6 „den Schutz des geistigen Eigenthums" der Bundesgesetzgebung. In Ausführung dieser Verheißung beschloß der Bundesrath am 10. Juni 1868, einen Gesetzentwurf ausarbeiten zu lassen. Der Entwurf wurde auf der Grundlage eines der vormaligen Bundesversammlung in Frankfurt a. M. von dem Börsenverein deutscher Buchhändler vorgelegten Entwurfes von dem verstorbenen Pro­ fessor Kühns aufgestellt, hiernächst von einer Sachverständigen-Kommission geprüft, von ver­ schiedenen Privatpersonen begutachtet, unter Berücksichtigung der erhobenen Ausstellungen und gemachten Verbesserungsvorschläge von dem Geheimen Ober-Postrath Dambach neu redigirt und in dieser Gestalt mit einigen Modifikationen von dem Bundesrath am 4. Febr. 1870 ge­ nehmigt. (Klostermann, Urheberrecht S. 15 u. 16.) Der Reichstag, dem alsbald der Ent­ wurf mit Motiven vorgelegt wurde (Drucksachen Nr. 7), berieth denselben zum ersten Male am 21. Febr. 1870. Bei der zweiten Lesung im März wurde nach Annahme der von der Re­ gierung vertretenen Prinzipien die Vorlage einer Kommission überwiesen. Auf den Vorschlag der Kommission, welche schriftlichen Bericht erstattete (Drucks. 132), schied der Reichstag den 5. Abschnitt des Entwurfes über das Urheberrecht an Kunstwerken aus. Am 19. und 20. Mai erfolgte die dritte Lesung. Am 11. Juni 1870 hat der Entwurf die gesetzliche Sanktion erhalten, und am 20. desselben Monats ist er durch das Bundesgesetzblatt Nr. 19 unter dem oben an­ gegebenen Titel als Gesetz verkündet worden. In Kraft getreten ist dieses Gesetz in dem Gebiet des vormaligen norddeutschen Bundes und nach der Verfassung des deutschen Bundes Art. 80 I Nr. 25 auch in Württemberg, Baden und den südlich vom Main belegenen Theilen Hessens am 1. Jan. 1871. In Bayern ist es in Gemäßheit des Bundesgesetzes v. 22. April 1871, BG.Bl. S. 87, am 1. Jan. 1872 eingeführt und auf Elsaß-Lothringen durch das Reichsges. v. 27. Jan. 1873, R.G.Bl. S. 42, ausgedehnt. Durch das Ges. v. 11. Juni 1870 sind die bisherigen Gesetze und Verordnungen über das Urheberrecht an Schriftwerken, Abbildungen, musikalischen Kompositionen und dramatischen Werken außer Wirksamkeit gesetzt, namentlich also auch das preußische Ges. v. 11. Juni 1837 und die Beschlüsse der ehemaligen Bundesversammlung zu Frankfurt a. M. in so weit beseitigt. Zur Erläuterung des Gesetzes dienen die Verhandlungen des Bundesraths, Drucks, aus den Jahren 1868 Nr. 13 u. 89, 1869 Nr. 115 u. 139, 1870 Nr. 7, die Motive des Entwurfs, der Bericht der Kommission, die stenographischen Berichte über die Verhandlungen des Reichs­ tages, welche in einem besonderen Abdruck bei Kortkampf in Berlin erschienen sind, die Ent­ scheidungen des 'Reichsoberhandelsgerichts und eine reichhaltige Literatur, aus welcher namentlich hervorzuheben sind: Dambach, die Gesetzgebung des norddeutschen Bundes, betreffend das Urheberrecht an Schriftwerken rc. 1871; Endemann, das Gesetz vom 11. Juni 1870, betr. das Urheberrecht rc. 1871; Klostermann, das Urheberrecht an Schriftwerken rc., nach dem Reichs­ gesetz vom 11. Juni 1870 systematisch dargestellt (Anh. zu dem 1867 veröffentlichten ersten Bande des „geist. Eig."), 1871; Dahn, zur neuesten deutschen Gesetzgebung über Urheberrecht, in der Zeitschrift für Gesetzgebung und Rechtspflege (Berlin 1871), S. 1—74; Klostermann, über das Urheberrecht an Schriftwerken nach dem Gesetze vom 11. Juni 1870, ebenda S. 75—88; Dam­ bach, einige Bemerkungen zur Lehre vom Urheberrecht, ebenda 6 S. 51—60; O. Wächter, das Autorrecht, nach dem gemeinen deutschen Rechte systematisch dargestellt, 1875; Kl ost er mann, das Urheberrecht an Schrift- und Kunstwerken, Abbildungen, Kompositionen, Photographien, Mustern und Modellen, nach deutschem und internationalem Rechte systematisch dargestellt, 1876; Kowalzig, das reichsgesetzliche Urheberrecht an Schriftwerken rc., erläutert vornehmlich aus den Entscheidungen des R.O.H.G., 1877. *) H. Das Wort steht in dem Bundesgesetzblatt von 1870 S. 339. Nach Dambach, Urheberrecht S. 11, liegt ein Druckfehler vor. Jedenfalls behandelt das Gesetz nicht alle Schrift­ stücke als Gegenstand des Urheberrechts. Vgl. die folgende Anmerkung. 1) H. Ueber den Grund dieses Rechtes giebt das Gesetz unmittelbar keinen Aufschluß. Der Streit darüber ist fast so alt wie die Buchdruckerkunst. Noch in neuerer Zeit ist dem Urheberrecht die natürliche Berechtigung abgesprochen und also der Schutz, welcher demselben von der Rechtsordnung ertheilt wird, auf polizeiliche Motive zurückgeführt. Der Hauptvertreter dieser Richtung ist v. Gerber in seinen und Jhering's Jahrb. 3 S. 359 ff. gesammelten jurist. Abhandl. 2 S. 274, System des Privatrechts §. 200 Note 1 und §. 219 Note 4 (11. A.) S. 547, 548, 594. Gegen ihn namentlich: Förster-Eccius a. a. O. S. 189; Wächter,

992

Erster Theil.

§. 2.

Eilfter Titel.

(Gesetz v. 11. Juni 1870. §. 2.)

Dem Urheber wird in Beziehung auf den durch das gegenwärtige Gesetz gewährten

Autorrecht S. 9; Klo st ermann, Urheberrecht (1876) S. 1. Ebenso verwerflich ist die noch in der Reichsverfassung v. 16.April 1871 Art. 4 Nr. 6 nachklingende Vorstellung eines geistigen Eigenthums. Der Begriff, welcher mit dieser Bezeichnung verbunden wird, ist falsch. Darüber ist man jetzt ziemlich allgemein einverstanden. Das Recht, ein Geisteswerk zu schaffen, fließt aus der Persönlichkeit. Die Verfügung über das geschaffene Werk aber steht dem Urheber aus­ schließlich zu, weil er dasselbe hervorgebracht hat. Wächter, Verlagsrecht S. 89 ff.; Dahn S. 5 ff. — Hat der Autor sich für die Veröffentlichung entschieden, so könnte man sagen, sein Recht wäre konsumirt; sein Zweck, seine Gedanken möglichst weit zu verbreiten, würde am sichersten erreicht, wenn das Werk von Jedem nachgedruckt werden dürfte. Allein dies ist gewöhnlich nicht zutreffend, da es erfahrungsmäßig viel schwieriger ist, bei der Zulässigkeit des Nachdrucks, als bei dem gesetzlichen Verbot desselben, für ein gutes Buch einen Verleger zu finden. Jeden­ falls ist die Rücksicht auf die möglichst weite Verbreitung des Werkes nicht entscheidend. Der Autor hat wie jeder Mensch nach dem natürlichen Recht einen Anspruch auf Lohn und Schutz für seine Arbeit. Diesen Anspruch befriedigt der Staat dadurch, daß er dem Urheber des Geisteswerkes das ausschließliche Recht zur Vervielfältigung desselben verleiht. Daß aber ein solches Recht mit dem Eigenthum nichts gemein hat, ergiebt sich aus der Verschiedenheit des Gegenstandes und des Inhalts beider Rechte. Gegenstand des Eigenthums ist entweder eine Sache oder ein Recht; das Geisteswerk aber ist weder dieses noch jenes. (I. 8 §. 2 Anm. 2 Abs. 2.) Der Inhalt des Eigenthums besteht in der ausschließlichen Herrschaft des Eigenthümers über das ihm unterworfene Objekt; der Urheber einer Gedankenschöpfung dagegen kann, sobald sie veröffentlicht ist, von dem Mitgenusse und der Mitbenutzung seines Werkes Andere nicht ausschließen. (Kl ost ermann, das Urheberrecht rc., Anhang zu dem „geist. Eig." S. 7.) Das Urheberrecht gehört überhaupt nicht, wie Klostermann (das geistige Eigenthum 1 S. 114) annimmt, zu den dinglichen Rechten. Es kann nicht dinglich sein, weil es sich nicht in der Herrschaft über eine Sache äußert. Zur Kennzeichnung der Ausschließlichkeit des Rechts der Veröffentlichung und Vervielfältigung genügt es, dasselbe zu den absoluten Rechten, und zwar speziell zu den Gewerbsberechtigungen zu zählen. Das Urheberrecht ist daher zweifellos ein Vermögensrecht, wofür namentlich auch seine gesetzlich anerkannte Vererblichkeit spricht. Aber das Ges. v. 11. Juni 1870 macht den Schutz des Autors nicht von einem vermögensrechtlichen Interesse desselben abhängig. (R.O.H.G. I v. 25. Jan. 1875, Entsch. 16 S. 227 u. 228.) Es erkennt vielmehr an, daß das Urheber­ recht lediglich, weil es besteht, rechtlich zu schützen ist, also wesentlich auch eine persönliche Seite hat. (§§. 4 ff.) Vgl. hierzu Anders, Beitr. zur Lehre vom literarischen u. artistischen Urheber­ recht rc. 1881, und Kärger, die Theorien über die juristische Natur des Urheberrechts rc. 1882. Subjekt dieses Rechtes ist der Urheber des Schriftwerkes, der Autor, wie das Ges. v. 11. Juni 1837 ihn nannte, „derjenige, aus dessen geistiger Thätigkeit das Werk hervorgegangen ist." (Motive.) Vgl. §. 20. Den Gegenstand des Urheberrechts bilden nach §. 1 Schriftwerke. Das alte Gesetz schützte jede herausgegebene Schrift. Der Begriff der letzteren ist an sich weiter als der Begriff des Schriftwerks. Aber es nicht anzunehmen, daß das Objekt des Urheberrechts ab­ weichend von der hergebrachten Auffassung habe bestimmt werden sollen. Es sind vielfach Versuche gemacht worden, das Wesen des Schriftwerkes a priori zu be­ stimmen. Aber sie sind meist an der thatsächlichen 9tahn: des Begriffes gescheitert. Als Regel wird anzunehmen sein, daß jede Schrift, welche gedruckt und zum Gegenstände des Vertriebs gemacht ist, als ein unter den Schutz des Gesetzes gestelltes Schriftwerk zu gelten hat. Vgl. darüber Wächter, Verlagsrecht S. 113 ff., Autorrecht S. 54—65; Klostermann, geist. Eig. 1 S. 150 ff.; Urheberrecht rc. (1876) S. 26 ff.; Kowalzig S. 2 u. 3. Der literarische Sachverständigenverein in Berlin hat sich gutachtlich u. a. dahin aus­ gesprochen : a) An Kirchenliedern, welche von einer bestimmten Religionspartei bei der öffentlichen oder häuslichen Andacht allgemein gebraucht werden, hat Niemand ein Verlagsrecht; es wäre denn an einer Sammlung solcher Lieder mit eigenthümlicher Anordnung und bestinnnter Text­ recension. Gutachten v. 15. Jan. 1840, Jur. Wochenschr. 1840 S. 609. b) Auch Wohnungsanzeiger und ähnliche statistische Nachweisungen, deren Bearbeitung wissenschaftliche oder Kunstkenntnisse nicht erfordert, sind als schriftstellerische Arbeiten anzusehen, bei denen ein Nachdruck möglich ist. Gutachten v. 28. Febr. 1840, ebenda S. 661. c) Die Zusammenstellung eines Werkes aus einzelnen Stellen eines anderen, wenngleich mit Auslassungen, einzelnen Aenderungen und Zusätzen, sowie mit Abweichungen in der Ord­ nung und Verbindung, ist als ein verbotener Nachdruck anzusehen. ' Auch ein Nachdruck von Werken ist möglich, welche, wie beispielsweise Kochbücher, bekannte, auf allgemeiner Erfahrung beruhende Regeln und Vorschriften enthalten. Gutachten v. 16. Sept. 1840, ebenda S. 861.

Von dem Urheberrecht an Schriftwerken re.

993

Schutz der Herausgeber eines aus Beiträgen Mehrerer bestehenden Werkes gleich geachtet, wenn dieses ein einheitliches Ganzes bildet^).

d) Die Herstellung eines gleichförmigen Textes von klassischen Werken durch kritische Thätigkeit ist nicht dergestalt als ein freies schriftstellerisches Produkt zu betrachten, daß dem Verfasser für diese Bearbeitung eines fremden Textes dieselben Rechte zustehen, wie einem Autor für ein von ihm verfaßtes Originalwerk. Er hat deshalb kein Widerspruchsrecht gegen die Vervielfältigung in seiner Textherstellung. Gutachten v. 7. Jan. 1841 und Entsch. des Stadt­ gerichts zu Berlin v. 20. Juli d. I., Jur. Wochenschr. 1842 S. 149. Das Obertribunal hat sich mit Bezug auf die Ueberschrift des Ges. v. 11. Juni 1837 wie folgt geäußert: Unter den Werken der Wissenschaft und Kunst sind allerdings Geistesprodukte verstanden, aber dieses Gesetz schützt gegen den Nachdruck literarische Erzeugnisse jeder Art; auf die Gattung, den Umfang, die Darstellungsweise kommt es nicht an, noch weniger auf den inneren Gehalt der Schrift. Erk. des Senats" für Str.S. II v. 7. Nov. 1861, J.M.Bl. S. 288. H. Im Einklänge hiermit steht die Auffassung des Reichsoberhandelsgerichts. Es kommt, sagt dasselbe, „nur darauf an, daß das Werk aus einer, immerhin geringen, geistigen Thätigkeit der als Urheber bezeichneten Person hervorgegangen ist, und es ist keineswegs erforderlich, daß dasselbe eigenthümliche Gedanken in eigenthümlicher Form darstelle. So läßt sich nicht bezweifeln, daß jede für den literarischen Verkehr bestimmte Sammlung von allge­ mein zugänglichen Thatsachen und Aeußerungen lediglich durch die Eigenthümlichkeit ihrer Anordnung und Gliederung zum Gegenstände des Urheberrechts werden kann, und es steht in Wissenschaft und Rechtsprechung völlig fest, daß insbesondere lexikalische Werke aller Art schon unter diesem Gesichtspunkt des Rechtsschutzes gegen Nachdruck fähig sind." R.O.H.G. I v. 25. Jan. 1875, Entsch. 16 S. 228. H. Briefe können Gegenstand des Urheberrechts sein. Ob sie es im gegebenen Falle sind, das zu entscheiden ist Sache thatsächlicher Würdigung. O.Tr. Sen. für Straff. I v. 28. Jan. 1861, Goltdammer, Arch. 9 S. 537; Oppenhoff, Rechtspr. 1 S. 473. Den Ab­ druck Schiller' scher Briefe hat der literarische Sachverständigenverein in einem Gutachten v. 13. Febr. 1860 als Abdruck einer Schrift im Sinne des Ges. v. 11. Juni 1837 angesehen. Hei) demann und Dambach, die Preußische Nachdrucksgesetzgebung S. 234. Die gewöhnlichen brieflichen Mittheilungen des täglichen Lebens, Geschäftsbriefe u. s. w. erachtet Dambach, Urheberrecht S. 20, für nicht geschützt. Vgl. R.O.H.G. I v. 24. Mai 1872, Entsch. 6 S. 171. Klosterm an n hält dies für unrichtig; er ist der Meinung, daß, wenn solche Briefe gedruckt, resp, zum Gegenstände des Verlages gemacht werden, damit der Beweis erbracht sei, daß sie zur Veröffentlichung sich eignen. Kl ost ermann, Urheberrecht re. 1871 (Anh. zum geist. Eig.) S. 13 und 1876 S. 44. Hiergegen vertheidigt Dambach seine Ansicht in Beh­ r'end's Zeitschrift für Gesetzgebung re. 6 S. 58—60. Er führt aus, daß „zum Begriffe des Schriftwerkes erfordert wird: a. daß dasselbe das Produkt einer eigenen geistigen Thätigkeit des Autors sei, und b. daß es sich dazu (objektiv) eigne, Gegenstand des literarischen Verkehrs, des Ver­ lages, zu sein." Aber damit ist Klostermann nicht widerlegt. Denn ein gewisses Maß geistiger Thätig­ keit gehört zur Konzeption jeder Schrift, und wenn diese gedruckt und verlegt ist, dann wird sie auch wohl objektiv zum Gegenstände des Verlages geeignet sein. Vgl. hierzu R.O.H.G. I v. 18. Febr. 1879, Entsch. 25 S. 79. Der Titel eines Buches ist nicht Gegenstand des Urheberrechts, wodurch indeß nicht aus­ geschlossen ist, daß der Titelnachdruck einen Anspruch auf Schadensersatz begründen kann. R. O.H.G. 1 v. 6. Okt. 1871, Entsch. 3 S. 319; Klostermann, Urheberrecht (1876) S. 38 u. 39. Die Vervielfältigung auf mechanischem Wege ist die Vervielfältigung durch äußere Werkzeuge, wie dieDruckerpresse, die Abgußform, die Kupferplatte u. dgl. Kl ost er­ mann, geist. Eigenthum 1 S. 397. Auch die Herstellung photographischer Abdrücke, füllt unter den Begriff der mechanischen Vervielfältigung. R.O.H.G. I v. 12. Jan. 1875, Entsch. 16 S. 257. Daraus, daß das Recht der Vervielfältigung des Werkes ausschließlich dem Urheber desselben beigelegt wird, folgt, daß ein Verlagsrecht an Werken, die gegen Nachdruck nicht mehr geschützt sind, nicht entstehen kann. Nach dein L.R. 1. 11 §. 1032 war dies anders. Auch die Handschrift eines alten Klassikers ist kein Gegenstand des Urheberrechts. Motive S. 22. 2) H. Hierher gehören namentlich Sprachwörterbücher, Konversationslexika, Staatswörter­ bücher u. dgl., dagegen nicht die gewöhnlichen Zeitungen, Zeitschriften, Journale, Sammlungen von Abhandlungen u. s. w. Dambach, Urheberrecht S. 30. Das unterscheidende Merkmal liegt darin, daß bei jenen die Zusammenstellung durch eine autorgleiche Thätigkeit bedingt ist, Koch, Allgemeines Landrecht. I. 8. Aufl. 63

994

Erster Theil.

Eilfter Titel.

(Gesetz v. 11. Juni 1870 88- 3, 4.)

Das Urheberrecht an den einzelnen Beiträgen steht den Urhebern derselben 3). 8- 3. Das Recht des Urhebers geht auf dessen Erben ütier4). Dieses Recht kann be­ schränkt oder unbeschränkt durch Vertrag oder durch Verfügung von Todeswegen auf Andere übertragen werdens.

bei diesen dagegen nicht. Vgl. hierüber Kowalzig S. 5; Klostermann, Urheberrecht (1876) S. 119. Das Reichsoberhandelsgericht hat einen Katechismus, den ein evangelisches Konsistorium herausgegeben hatte, gegen Nachdruck geschützt. R.O.H.G. II v. 15. Jan. 1873, Entsch. 8 S. 380. Vergl. die Anm. zu §. 28. Die Regierungsvorlage wollte dem Herausgeber den Unternehmer gleichstellen. Dazu bemerkte die Kommission des Reichstages: „Unter dem Unternehmer könnte auch ein Verleger verstanden sein, dem an den: Entstehen des Werkes vielleicht kein anderes Verdienst zukommt, als daß er den allgemeinen Plan'vorzugsweise nach dessen geschäftlicher Seite entworfen hat. Uebt der Unternehmer zugleich eine redaktionelle Thätigkeit bei dem Zustandekommen des Ganzen aus, so wird er auch auf dem Werke als Herausgeber genannt sein oder sich als solchen nennen können. Das Gesetz hat die Absicht, der geistigen Arbeit ihren Lohn zu sichern; es kann die Rechte des Urhebers auch nur dem gewähren, der an einem Sammelwerke eine dem Autor gleichartige literarische Thätigkeit entfaltet." Bericht der Komm. S. 2. Das österreichische Ges. v. 19. Okt. 1846 giebt auch dem Besteller eines Werkes ein Verlagsrecht. Klo st er mann, geist. Eig. 1 S. 226. S. auch die Anm. 14 zu §. 1022. 3) Wenn ein Aufsatz, welcher von dem Verfasser für eine Zeitschrift geliefert und in dieser abgedruckt ist, von demjenigen, der das Verlagsrecht der Zeitschrift erworben hat, in einer Sammlung von Aufsätzen, ohne Zustimmung des Verfassers, wieder abgedruckt wird, so enthält dies einen verbotenen Nachdruck. In diesem Falle ist die Entschädigung des Beeinträchtigten, wenn der rechtmäßige Abdruck als Theil einer Zeitschrift keinen besonderen Verkaufswerth hat, durch Arbitrium zu bestimmen. Gutachten des lit. Sachverst.-Vereins v. 31. Okt. 1838, Jur. Wochenschr. 1840 S. 161. 4) H. Ges. v. 11. Juni 1837 §. 6. Vgl. die Anm. 12 zu §. 1020 d. T. und * zur Über­ schrift des vorliegenden Gesetzes. 5) H. Das Mittel zur Uebertragung des Urheberrechts unter Lebenden ist der Verlags­ vertrag. (I. 11 88- 996 ff.) Dieser Vertrag unterliegt der Regelung durch die Landesgesetze. R. O.H.G. I v. 27. Nov. 1874, Entsch. 15 S. 195, und v. 12. Jan. 1875, ebenda 16 S. 256. Hat der Urheber seine Rechte ganz oder theilweise auf einen Anderen übertragen, so legitimirt dieser nach außen hin sich durch den Uebertragungsakt. Was Beide sonst noch mit einander verabredet haben, berührt dritte Personen grundsätzlich nicht. R.O.H.G. I v. 24. April 1874, Entsch. 12 S. 321 Note*, und v. 27. Nov. 1874, ebenda 15 S. 193 u. 194; Kowalzig S. 5. Ein besonderer Fall ist der des sog. getheilten Verlagsrechtes, welches bei Musikalien nicht ungewöhnlich ist. Dasselbe besteht darin, „daß der Urheber sein Werk einem inländischen und einem oder mehreren ausländischen Verlegern dergestalt in Verlag giebt, daß er jedem der­ selben für einen räumlich begrenzten Bezirk das ausschließliche Verlagsrecht einräumt." Beim Mangel bezüglicher Verabredungen hat jeder Mitverleger „für sein Gebiet das Ausschließungs­ recht, wie gegen jeden Anderen, so auch gegen die Mitverleger in dem Umfang, in welchen: dasselbe dem Urheber zusteht." Wenn indessen der eine Verleger das Werk in dem Verlags­ gebiete des anderen lediglich in der Absicht vervielfältigen läßt, um dasselbe in seinem eigenen Gebiete zu verbreiten, so liegt hierin kein Eingriff in das Recht des anderen und also kein Nachdruck. R.O.H.G. I v. 16. März 1877, Entsch. 22 S. 37. Streitig ist, ob die Uebertragung auch gegen den Willen des Autors erfolgen kann, ob das Urheberrecht ein Gegenstand der Exekution für die Gläubiger der Berechtigten ist. Ko­ walzig, der an sich das Urheberrecht für ein taugliches Exekutionsobjekt hält, verneint dennoch S. 7 die gestellte Frage, wenigstens nach preußischem Recht, weil er in diesem die prozessualischen Formen für die Zwangsvollstreckung in das Urheberrecht vermißt. Sein Grund dürfte freilich nicht zutreffen. Das Manuskript kann sicherlich gepfändet werden, und dem Verkauf der Hand­ schrift und des daran haftenden Urheberrechts (nach den Vorschriften über die Versteigerung gepfändeter Sachen) steht formell nichts entgegen. Man könnte sich auch so helfen, daß nur der Verlag öffentlich ausgeboten und dann im Wege der executio ad faciendum der Abschluß eines Verlagsvertrages mit dem Bestbietenden herbeigeführt würde. Allein es fragt sich, ob überhaupt in dieser Weise über das Urheberrecht verfügt werden kann. Die Frage, welche in der Sitzung des Reichstages v. 12. Mai 1870 (gegen die Regierungsvorlage) der Regelung durch die Eivilprozeßgesetzgebung vorbehalten wurde, hat in der C.P.O. für das deutsche Reich ihre Lösung nicht gefunden, da dieses Gesetz nur im Allgemeinen davon ausgeht, daß Vermögensrechte des Schuldners der Zwangsvollstreckung unterliegen. (8- 754.) Es handelt sich in der That um eine Frage des materiellen Rechts.

Von dem Urheberrecht an Schriftwerken re.

995

8- 4. Jede mechanische Vervielfältigung eines Schriftwerkes, welche ohne Genehmigung des Berechtigten (§§. 1. 2. 3.) hergestellt wird, heißt Nachdruck und ist verboten8).

d) Verbot des Nachdrucks.

Hinsichtlich dieses Verbotes macht es keinen Unterschied, ob das Schriftwerk ganz oder nur theilweise vervielfältigt wird?). Als mechanische Vervielfältigung ist auch das Abschreiben anzusehen, wenn es dazu be­ stimmt ist, den Druck zu vertreten8). Das Recht zur Veröffentlichung eines Schriftwerkes fließt nicht aus dem Eigenthum an dem Manuskript (§. 5 Nr. 1), sondern lediglich aus der Autorschaft, kann daher von einem Dritten nur mit Genehmigung des Urhebers (§. 4) ausgeübt werden. Die Kontroverse spitzt sich deshalb auf die Frage zu: Kann diese Genehmigung von der P erson des Autors getrennt werden? Erkennt man in dem Urheberrecht nicht ein reines Vermögensrecht, sondern zugleich ein höchst persönliches Moment, so muß man mit Dambach S. 37 die Frage grundsätzlich verneinen. Aber auch diejenigen, welche die persönliche Seite des Autorrechts nicht zugestehen, müssen sich bescheiden, daß doch die Person des Urhebers bei der Veröffentlichung des Werkes dergestalt betheiligt ist, daß es eine empfindliche Rechtsverletzung sein würde, die Publikation zwangsweise vorzunehmen. Klostermann, Urheberrecht (1876) S. 26, 140 ff. Hält man des­ halb daran fest, daß von der Genehmigung des Autors nicht abgesehen werden darf, so stellt sich die Sache so: a. Ist das Werk noch nicht vervielfältigt (gedruckt), so findet die Zwangsvollstreckung in das Urheberrecht nicht statt, es sei denn, daß der Verfasser bereits endgültig die Schrift zum Gegenstände des Verlags oder Vertriebs bestimmt hätte. Endemann S. 15; Kloster mann S. 143. b. Sind die vorhandenen Exemplare eines Werkes vergriffen, so erscheint es nicht be­ denklich, zum Zwecke der Befriedigung der Gläubiger die Veranstaltung einer neuen Auflage im Wege der Zwangsvollstreckung zuzulassen. Denn die Rücksicht auf das persönliche Interesse, welches der Urheber an der Geheimhaltung haben könnte, ist durch die bereits erfolgte Ver­ öffentlichung gegenstandslos geworden. Doch wird ihm die Vornahme von Abänderungen nicht zu beschränken sein. Kl ost er mann a. a. O. Dambach S. 37 will einen Zwang zur Veranstaltung einer neuen Auflage überhaupt nicht und Wächter, Autorrecht S. 114, einen solchen nur gegen die Erben des Urhebers ge­ statten. c. Das Manuskript als Autograph ist Gegenstand des Zwangsverkaufs (Dambach S. 38), aber nur, wenn die Möglichkeit, es zu vervielfältigen, dem Verfasser gewahrt bleibt. d. Die Ansprüche, welche der Autor mittelst des Urheberrechts erworben hat, insbesondere die Forderungen, welche ihm gegen den Verleger zustehen, haben als Exekutionsobjekte nichts besonderes. 6) Dabei ist es gleichgültig, welcher äußeren Mittel der Nachdrucker zur Herstellung der Vervielfältigung sich bedient. Änm. 1 vorletzter Absatz. Wer eine mit hebräischen Lettern gedruckte deutsche Übersetzung eines jüdischen Gebet­ buches ohne Genehmigung des Autors oder seiner Rechtsnachfolger mit deutschen Lettern ab­ drucken läßt, begeht einen Nachdruck. Gutachten des lit. Sachverst.-Vereins v. 29. Dez. 1840, Jur. Wochenschr. 1841 S. 501. H. Für den Begriff des Nachdruckes ist es nicht wesentlich, ob die Vervielfältigung von dem berechtigten Abdruck oder von einem Nachdrucke desselben hergestellt worden ist. O.Tr. Sen. für Strass. I. v. 28. Juni 1861, Oppenhoff, Nechtspr. 1 S. 473. Auch der Abdruck eines Theater-Couplets kann Nachdruck sein, selbst dann, wenn dasselbe nachgeschrieben und von dieser Schrift der Abdruck genommen ist. Erk. desselben v. 3. Juli 1861, ebenda S. 483. 7) H. Unter „theilweiser Vervielfältigung" ist die Vervielfältigung von Theilen und Stücken des Originals zu verstehen. R.O.H.G. I v. 7. Okt. 1873, Entsch. 11 S. 167. Thatfrage ist es, ob die Aufnahme eines Theils des fremden Produkts in ein Schriftwerk Nachdruck oder nach 7a erlaubt ist. Die Wiedergabe der in einem Buche enthaltenen Gedanken in wesentlich anderer Form ist kein Nachdruck, daher z. B. nicht die Verarbeitung einer Novelle zu einem Drama. Dagegen schließen einzelne Veränderungen des Originals den Begriff des Nachdruckes an sich nicht aus. Dambach, Urheberrecht S. 43, 45; R.O.H.G. I v. 25. Jan. 1875, Entsch. 16 S. 239. 8) H. Durch diese Bestimmung wird eine Kontroverse des bisherigen Rechts entschieden. Das Abschreiben zum eigenen Gebrauch ist selbstverständlich dem Nachdruck nicht gleich zu achten. Eigener Gebrauch ist es aber nicht mehr, wenn ein Lehrer einzelne Lieder oder ein­ zelne Stimmen abschreiben läßt, um die Abschriften unter die Schüler zu vertheilen. Das ist Nachdruck im Sinne des $.4. Dambach a. a. O. S. 52; Endemann S. 18. Dasselbe 63*

996

Erster Theil.

Eilfter Titel.

(Gesetz v. IL Juni 1870 §§. 5, 0.)

§. 5. Als Nachdruck (§. 4.) ist auch anzusehen: a) der ohne Genehmigung des Urhebers erfolgte Abdruck von noch nicht veröffentlichten Schriftwerken (Manuskripten)9* ).* * Auch der rechtmäßige Besitzer eines Manuskriptes oder einer Abschrift desselben bedarf der Genehmigung des Urhebers zum Abdruck10); 11 b) der ohne Genehmigung des Urhebers erfolgte Abdruck von Vorträgen, welche zum Zwecke der Erbauung, der Belehrung oder der Unterhaltung gehalten sind"); c) der neue Abdruck von Werken, welchen der Urheber oder der Verleger dem unter ihnen bestehenden Vertrage zuwider veranstaltet12); d) die Anfertigung einer größeren Anzahl von Exemplaren eines Werkes Seitens des Ver­

legers, als demselben vertragsmäßig oder gesetzlich gestattet ist13). gilt von der Vervielfältigung einzelner Chorstimmen, welche der Vorsteher eines Gesangvereins zum Gebrauch für dessen Mitglieder veranstaltet. R.O.H.G. I v. 11. Dez. 1874, Entsch. 15 S. 313. 9) H. Vergl. die Uebereinkunft zwischen Deutschland und Frankreich, betr. den Schutz an Werken der Literatur u. Kunst, v. 19. April 1883 Art. 1, R.G.Bl. S. 269. Unter Manuskript ist nicht jedes beschriebene Stück Papier, sondern im Wesentlichen nur eine solche Schrift zu verstehen, welche eine mehr oder weniger wissenschaftliche literarische Be­ deutung hat, oder sich, so zu sagen, zum Druck qualifizirt. Gutachten des lit. Sachverst.-Vereins v. 4. März 1861; Heyd emann und Dambach, die preußische Nachdrucksgesetzgebung S. 140. 10) H. Mit dem Eigenthum an einem Manuskript ist also das Recht zur Vervielfältigung desselben nicht verbunden. Das Urheberrecht an einem Briefe, wenn solches überhaupt be­ gründet ist, gebührt daher nicht dem Adressaten und Empfänger, sondern dem Absender und Verfasser. Gutachten des lit. Sachverst.-Vereins v. 13. Febr. 1860, Heydemann und Dam bach a. a. O. S. 241. 11) H. Das Gesetz unterscheidet nicht zwischen improvisirten Vorträgen und solchen, wel­ chen ein Manuskript zu Grunde gelegt ist. Der von Kowal zig S. 8 aus der Wahl des Wortes „Abdruck" statt „Druck" (§. 4) hergeleitete Zweifel, ob auch improvisirte Vortrüge gegen Nachdruck geschützt sein sollen, erscheint nicht begründet. Vergl. über die Frage Kl ost er mann, Urheberrecht (1876) S. 59 u. 60. Zum Thatbestände des Nachdrucks ist nicht erforderlich, daß der Abdruck den Vortrag buchstäblich wiedergiebt. Gutachten des lit. Sachverst.-Vereins v. 28. Jan. 1846, Heydeman n und Dambach S. 228. Dagegen fallen Berichte über den Vortrag, wie sie in Zeitungen vor­ zukommen pflegen, nicht unter den Begriff des Nachdrucks. 12) Einen Fall des Nachdrucks, dessen der Verleger gegen den Autor sich schuldig macht, siehe in der Anm. 3 zu §. 2. Daß auch der Verfasser' gegen den Verleger einen Nachdruck be­ gehen kann, ist bereits unter der Herrschaft des Ges. v. 11. Juni 1837 angenommen worden: a. Der Autor eines Werks, welcher dem Verleger das ausschließliche Verlagsrecht eingerüumt hat, macht sich durch Veranlassung einer anderweitigen Vervielfältigung dieses Werkes des Flach­ drucks schuldig. — Dies gilt in jenem Falle auch von dem zweiten Verleger, welcher sein Ver­ lagsrecht lediglich von dem Autor herleitet. O.Tr. I v. 26. Hept. 1851, Str. Arch. 2 S. 372. (H. Vgl. die Anm. 11 zu §. 1019.) b. Die Zusammenstellung eines Werks aus einzelnen Stellen eines anderen, wenngleich mit Auslassungen, einzelnen Aenderungen und Zusätzen, sowie mit Abweichungen in der Ordnung und Verbindung, ist als ein verbotener Nachdruck anzusehen. Gutachten des lit. Sachverst.-Vereins v. 9. Okt. 1838, Jur. Wochenschr. 1840 S. 369. H. Der Thatbestand des Nachdrucks wird auch dadurch nicht ausgeschlossen, daß der Autor das nachgedruckte (das ältere) Werk aus wissenschaftlichen Abhandlungen, die er selbst vordem in Zeitschriften hatte erscheinen lassen, zusammengestellt hatte. R.O.H.G. I v. 21. März 1879, Entsch. 25 S. 37. Ist zwischen dem Urheber einer Zeichnung und dem in Aussicht genommenen Verleger verabredet, daß die Zeichnung erst nach Prüfung der Probeabdrücke durch den Urheber und nach Vereinbarung eines Honorars vervielfältigt und verbreitet werden solle, so macht der Ver­ leger sich des Nachdrucks schuldig, wenn er mit der Vervielfältigung vorgeht, ohne daß jene Prüfung erfolgt und ein Honorar vereinbart ist. R.O.H.G. I v. 12. Jan. 1875, Entsch. 16 S. 255. 13) H. Im Königreich Sachsen darf der Verleger, falls über die Stärke der Auflage zwischen ihm und dem Autor eine Vereinbarung nicht getroffen ist, nicht mehr als 1000 Exemplare drucken lassen. Bürgerl. Gesetzb. 1142. Hat jedoch der Verfasser oder Herausgeber eines in Lieferungen erscheinenden Werkes dem Verleger die Herstellung einer größeren Anzahl von

Von dem Urheberrecht an Schriftwerken rc. §. 6.

997

Übersetzungen ohne Genehungung des Urhebers des Originalwerkes gelten als

Nachdruck u): a) wenn von einem, zuerst in einer todten Sprache erschienenen Werke eine Uebersetzung in einer lebenden Sprache herausgegeben wird"); b) wenn von einem gleichzeitig in verschiedenen Sprachen herausgegebenen Werke eine Ueber­ setzung in einer dieser Sprachen veranstaltet wird; c) wenn der Urheber sich das Recht der Uebersetzung auf dem Titelblatte oder an der Spitze des Werkes vorbehalten f)(it16), vorausgesetzt, daß die Veröffentlichung der vorbehaltenen Uebersetzung nach dem Erscheinen des Originalwerkes binnen einem Jahre begonnen und binnen drei Jahren beendet wird. Das Kalenderjahr, in welchem das Originalwerk er­ schienen ist, wird hierbei nicht mitgerechnet. Bei Originalwerken, welche in mehreren Bänden oder Abtheilungen erscheinen, wird jeder Band oder jede Abtheilung im Sinne dieses Paragraphen als ein besonderes Werk angesehen, und muß der Vorbehalt der Uebersetzung auf jedem Bande oder jeder Abtheilung wiederholt

werden. Bei dramatischen Werken muß die Uebersetzung innerhalb sechs Monaten, vom Tage der Veröffentlichung des Originals an gerechnet, vollständig erschienen sein. Der Beginn und beziehungsweise die Vollendung der Uebersetzung muß zugleich innerhalb der angegebenen Fristen zur Eintragung in die Eintragsrolle (§§. 39. ff.) angemeldet werden, widrigenfalls der Schutz gegen neue Uebersetzungen etttfdjt17). Die Uebersetzung eines noch ungedruckten gegen Nachdruck geschützten Schriftwerkes (§. 5. Littr. a und b) ist als Nachdruck anzusehen. Uebersetzungen genießen gleich Originalwerken den Schutz dieses Gesetzes gegen ^a^^btuc^18).

Abzügen gestattet, so ist dies nach seinem Tode auch gegen denjenigen maßgebend, der die Schluß­ lieferungen im Auftrage des Verlegers verfaßt. Von einem Nachdruck seitens des letzteren wegen Uebertretung des 1142 cit. kann keine Rede sein. R.O.H.G. I v. 19. März 1875, Entsch. 17 S. 37. 14) H. Abweichungen von dem Rechte des §. 6 finden sich in den Verträgen Deutschlands mit Italien v. 12. Mai 1869, der Schweiz v. 13. Mai 1869 Art. 5 u. 6 und Frankreich v. 13. April 1883 Art. 9 u. 10. 15) H. Nach dem Ges. v. 11. Juni 1837 §. 3 Nr. 3 wurde nur die in deutscher Sprache veranstaltete Uebersetzung als Nachdruck angesehen. Die Uebersetzung aus einer todten Sprache in eine andere todte Sprache ist nicht verboten, es sei denn, daß auf dem Original der Vorbehalt der Uebersetzung (c) stände. 16) H. Das bisherige Recht (vorige Anm.) erforderte, daß die Sprache, in welcher die Uebersetzung veranstaltet werden sollte, in dem Vorbehalt bezeichnet würde. Von diesem Er­ forderniß hat das neue Gesetz abgesehen. Danach genügt folgende Fassung: „Das Recht der Uebersetzung wird vorbehalten." Dieses Recht fließt eigentlich nicht aus dem Urheberrecht. Denn jede Uebersetzung ist ein eigenthümliches Geistesprodukt. Nur die Erwägung, daß dasselbe durch den Verfasser des Originals erst ermöglicht ist, hat dahin geführt, dem Urheber eines Schrift­ werks ein an kurze Fristen gebundenes Exklusivrecht zur Uebersetzung zu geben. Vergl. Dahn a. a. O. S. 18. Eine andere Auffassung vertritt Klostermann, Urheberrecht rc. (1876) S. 217. Nach der Regierungsvorlage sollte das Uebersetzungsrecht des Autors durch den Vorbehalt auf der ersten Ausgabe des Werkes gewahrt werden. Das Plenum des Reichstages strich indeß die gesperrt gedruckten Worte, indem es den Vorbehalt auf jeder folgenden Ausgabe eben­ falls für erforderlich hielt. 17) H. Die Anmeldung zur Eintragung in die Eintragsrolle ist deshalb vorgeschrieben, damit sich Jeder, der ein Werk zu übersetzen beabsichtigt, vergewissern kann, ob nicht bereits der Verfasser von seinem Uebersetzungsrecht Gebrauch gemacht hat. Dambach S. 74; Ende­ mann S. 27. Vergl. 88- 15 u. 59. In dem Uebereinkommen mit Frankreich v. 19. April 1883 ist eine Eintragung in die Rolle nicht vorgeschrieben. Wegen des Verhältnisses zu Italien und der Schweiz siehe die Uebereinkunft mit Italien v. 12. Mai 1869 Art. 3 u. 6 und die Verträge mit der Schweiz v. 13. Mai 1869 Art. 6 und v. 23. Mai 1881. 18) H. Gleichviel, ob sie rechtmäßig angefertigt sind oder nicht. Die Vorlage des Bundes­ rathes beabsichtigte, nur die rechtmäßig erschienenen Uebersetzungen gegen Nachdruck zu schützen.

998 c) Was nicht anMe^isn

Erster Theil.

Eilfter Titel.

(Ges. v. 11. Juni 1870 §§. 7, 8.)

§. 7. Als Nachdruck ist nicht anzusehen: a) das wörtliche Anfuhren einzelner Stellen oder kleinerer Theile eines bereits veröffentlichten Werkes oder die Aufnahme bereits veröffentlichter Schriften von geringerem Umfang in ein größeres Ganzes, sobald dieses nach seinem Hauptinhalt ein selbstständiges wissen­ schaftliches Werk ist19), sowie in Sammlungen, welche aus Werken mehrerer Schriftsteller zum Kirchen-, Schul- und Unterrichtsgebrauch oder zu einem eigenthümlichen literarischen20) Zwecke veranstaltet werden. Vorausgesetzt ist jedoch, daß der Urheber oder die benutzte Quelle angegeben ist21);

Die Kommission des Reichstages vindizirte diesen Schutz auch der unrechtmäßigen Uebersetzung und entschied sich deshalb für die vorliegende Fassung. Vergl. §. 15. 19) H. Unter Schriften sind auch Aufsätze zu verstehen, welche in Zeitschriften ver­ öffentlicht sind. R.O.H.G. I v. 24. Mai 1872, Entsch. 6 S. 170 u. 171. Auf ungedruckte Schriften bezieht die Bestimmung des §. 7 a sich nicht. Daher ist der unbefugte Abdruck der einer Patentanmeldung beigefügten, von dem Patentamt öffentlich ausgelegten Beschreibungen und Zeichnungen in einer Zeitung Nachdruck. R.O.H.G. I v. 18. Febr. 1879, Entsch. 25 S. 81. Für die Frage, ob eine Schrift von geringerem Umfang vorliegt, kommen haupt­ sächlich zwei Gesichtspunkte in Betracht: 1. die Bedeutung, welche die abgedruckte Schrift dem Werke, in welches sie ausgenommen worden, gegenüber hat, sowohl nach dem räumlichen Um­ fange, als nach dem Gehalte; 2. die innere Verbindung beider Schriftwerke, ob nämlich, dem Zwecke des wissenschaftlichen Werkes gemäß, der Abdruck für dasselbe Bedürfniß war, oder ob der Abdruck ohne ein solches Bedürfniß nur in der Absicht erfolgte, von der geistigen Arbeit eines Anderen Gewinn zu ziehen. Ebenda S. 173. Für den Charakter eines Werkes als eines wissenschaftlichen ist es gleichgültig, welchen wissenschaftlichen Werth dasselbe hat, ob es gut oder schlecht, gründlich oder oberflächlich aus­ gearbeitet ist. Das Gesetz verlangt bloß, daß das Werk seiner Natur nach zu den wissenschaft­ lichen Werken zu zählen sei, d. h. daß sein Inhalt und die Art und Weise der gegebenen Er­ örterungen und Darstellungen seine Bestimmung bekunden, einem wissenschaftlichen Zwecke zu dienen. Entsch. 6 S. 172. 20) H. Der Entwurf des Bundesrathes hatte hier noch die Worte „oder künstleri­ schen". Die Kommission des Reichstages wollte aber Sammlungen, die weder kirchlichen noch Unterrichtszwecken dienten, ohne Zustimmung der Verfasser überhaupt nicht gestatten und amendirte demgemäß den Entwurf. Jur Plenum dagegen entschied man sich für die gegenwärtige Fassung. Man hat also Sammlungen von Gedichten u. s. w. zu künstlerischen Zwecken nicht freigegeben. Allein damit ist für die Auslegung des Gesetzes wenig gewonnen. Man kann wohl einen literarischen Zweck von einem künstlerischen unterscheiden. Aber wo liegt die Grenzlinie zwischen dem letzteren und einem eigenthümlichen literarischen Zwecke? Die Frage ist hauptsächlich praktisch, wenn Jemand eine Anthologie von Gedichten herausgiebt und einige davon mit Illustrationen versehen läßt, die vielleicht einen hohen Kunstwerth haben. Hier liegt ein künstlerischer Zweck vor, wenn die Absicht die ist, dem 2eser der Gedichte zugleich einen Kunstgenuß zu bereiten. Aber der Fall gestattet auch die Auffassung, daß der Heraus­ geber durch die Bilder das feinere Verständniß der Poesien anbahnen will. Und dieser Zweck ist gewiß ein eigenthümlicher literarischer. Siehe jedoch Dambach S. 82. 21) H. In einem 1870 und 1871 von D. herausgegebenen Lexicon Sophocleum, welches sich als verbesserte, theils vermehrte, theils verkürzte Umarbeitung der ersten Ausgabe des Ellendt'schen Lexicon Sophocleum darstellte, ist nicht bloß Plagiat, sondern strafbarer Nach­ druck gefunden worden, R.O.H.G. I v. 25. Jan. 1875, Entsch. 16 S. 219 ff. „Das reine Pla­ giat," so heißt es in den Gründen, „d. i. die bloße Benutzung fremder Aeußerungen in eigenen Schriftwerken unter Verschweigung des wahren Urhebers der erstern, wird durch das Reichsgesetz überall nicht getroffen. Das Plagiat geht in Nachdruck erst dann über, wenn die fremde Aeußerung nicht nur ihrem Inhalte nach, sondern auch in der von ihrem Ur­ heber gewühlten Form benutzt, somit die fremde Aeußerung selbst wiedergegeben wird; unwesentliche Formänderungen kommen dabei rechtlich nicht in Betracht, wenngleich sie den Be­ weis des Nachdrucks erschweren." (S. 239.) „So wenig jedes Plagiat ein Nachdruck ist, so wenig braucht der Nachdruck zugleich ein Plagiat zu sein, da er seinen Charakter durch offene Nennung des Urhebers nicht verliert. Das Gesetz trägt aber dem Bedürfniß der literarischen Produktion Rechnung, indem es gewisse Fülle, welche an sich den Charakter des Nachdrucks haben, dem Nachdrucksverbot gänzlich entzieht und sie nur, wenn sie zugleich den Charakter des Plagiats tragen, den milderen Nechtsnachtheilen des Plagiats unterwirft. Dies ist der klare Sinn und erkennbare Zweck des 7 a des Reichs­ gesetzes. In den durch §. 7 a des Gesetzes geregelten Fällen liegt somit, mag der Urheber

Von dem Urheberrecht an Schriftwerken rc.

999

b) der Abdruck einzelner Artikel aus Zeitschriften und anderen öffentlichen Blättern mit Aus­ nahme von novellistischen Erzeugnissen und wissenschaftlichen Ausarbeitungen, sowie von sonstigen größeren Mittheilungen, sofern an der Spitze der letzteren der Abdruck untersagt ist32); c) der Abdruck von Gesetzbüchern, Gesetzen, amtlichen Erlassen, öffentlichen Aktenstücken und Verhandlungen aller Art2"); d) der Abdruck von Reden, welche bei den Verhandlungen der Gerichte, der politischen, kom­ munalen und kirchlichen Vertretungen, sowie der politischen und ähnlichen Versammlungen gehalten werden21 * *).22 * * 23 * * 24 * * 25 ******** §.8. Der Schutz des gegenwärtigen Gesetzes gegen Nachdruck wird, vorbehaltlich der M Dauer des folgenden besonderen Bestimmungen, für die Lebensdauer des Urhebers (§§. 1. und 2.) und cheu Rechtes dreißig Jahre nach dem Tode desselben gewährt^). desurhebers.

oder die benutzte Quelle angegeben oder nicht angegeben sein, niemals Nachdruck, dagegen bei Nichtangabe der Quelle Plagiat vor. Es mag vielleicht unter dem Schutze dieses Gesetzes gestaltet sein, in umfassende allgemeine Lexika den Inhalt mehrerer Speziallexika, sogar wortgetreu, aufzunehmen, sofern nur das allgemeine Lexikon nicht aus einer bloßen derartigen Kompilation besteht, sondern nach seinem Hauptinhalt als ein selbstständiges wissen­ schaftliches Werk erscheint. So mögen ferner Anthologien, sofern sie nur zu den im Gesetz bestimmten Zwecken veranstaltet werden, auch sehr äußerlich aus Werken mehrerer Schriftsteller zusammengestellt sein. Auch überall, wo in einen selbstständigen Grundstock ein weder qua­ litativ noch quantitativ erheblicher fremder Bestandtheil, wenngleich wesentlich unverändert hineingearbeitet worden, ist der Thatbestand des Nachdrucks ausgeschlossen." „Aber es gehört unter diese Ausnahmsfälle nicht, wenn ein zweibändiges Lexicon Sophocleum von mehr als 2000 Seiten in ein neues Lexicon Sophocleum von sogar erheblich geringerem Umfange in der Weise hineingearbeitet wird, daß der für die Zwecke des Spezial­ lexikon wichtigste und zur Zeit allein noch werthvolle, sogar dem Umfange nach überwiegende, Bestandtheil des älteren Werkes wörtlich oder mit nur geringen Aenderungen in das neue Kon­ kurrenzwerk herübergenommen wird." (S. 240 u. 241.) Vergl. Klo st er mann, Urheberrecht (1876) S. 203 ff. 22) H. Für diese Ausnahmsfälle gewährt das Gesetz also den Artikeln der Zeitschriften denselben Schutz, wie selbstständigen Schriftwerken (§. 7 a). In allen übrigen Fällen sind die Zeitungsartikel nicht geschützt, auch wenn die Voraussetzungen im §. 7 a nicht vorliegen. R.O.H.G. I v. 24. Mai 1872, Entsch. 6 S. 171. 23) H. „Es widerspricht den Zwecken des Staates und des damit verbundenen politischen Lebens, Angelegenheiten, deren allgemeinste Mittheilung wünschenswerth ist, zum Gegenstände eines Privatrechts zu machen, das durch die Ausschließlichkeit der dem Urheber zustehenden Mittheilungsbefugniß der schnellen und billigen Verbreitung hinderlich ist." (Mot.) Die Regierung wollte zwar nur den Nachdruck der bereits durch den Druck veröffentlichten Aktenstücke gestatten und überdies die Behörde ermächtigen, den Nachdruck zu verbieten. Allein der Reichstag lehnte diesen Vorschlag ab. Der §. 7c bezieht sich somit auf öffentliche Aktenstücke jeder Art. Privatschriften, welche einer öffentlichen Behörde überreicht sind, gehören aber dazu nicht. Daher ist es Nachdruck, wenn die einem Patentgesuche beigefügten Zeichnungen und Beschreibungen vor der Patentertheilung ohne Genehmigung des Erfinders durch den Druck veröffentlicht werden. Durch das Patentges. v. 25. Mai 1877 ist das Ges. v. 11. Juni 1870 nicht geändert. R.O.H.G. I v. 18. Febr. 1879, Entsch. 25 S. 76-78 u. 83. 24) H. Vergl. zu b, c, d Klostermann, Urheberrecht rc. (1876) S. 48 ff. 25) H. Diese Fristen gewährte auch das Ges. v. 11. Juni 1837 §§. 5 u. 6. Innerhalb derselben genießen den Schutz gegen Nachdruck nicht bloß die von dem Urheber bereits durch den Druck veröffentlichten Schriftwerke, sondern auch die Manuskripte und die zur Erbauung, Be­ lehrung .oder Unterhaltung gehaltenen Vorträge (§. 5 a u. b). Dambach, Urheberrecht S. 100. Durch neue Auflagen wird die Schutzfrist an sich nicht geändert. Liegt aber eine verbesserte oder vermehrte Ausgabe vor, so läuft für das wirklich Neue daran auch eine neue Schutzfrist. Arbeitet der Verfasser sein Werk um, so ist nach dem Inhalt der Umarbeitung zu bestimmen, ob dieselbe als ein neues Schriftwerk im Gegensatz zu der früheren Ausgabe anzusehen und deshalb selbst­ ständig schutzberechtigt ist. Wächter, Verlagsrecht S. 445 u. 446. Der Schutz wird lediglich dem Urheber und dessen Rechtsnachfolgern gewährt. „Das Ges. v. 11. Juni 1870 kennt nur Rechte des Urhebers und der Erben, auf welche sie übergehen, sowie derjenigen, auf welche diese Rechte durch Vertrag oder Verfügung von Todes-

1000

Erster Theil.

Eilfter Titel.

(Gesetz v. 11. Juni 1870 §§. 9—13.)

8. 9. Bei einem von mehreren Personen als Miturhebern verfaßten Werke erstreckt sich die Schutzfrist auf die Dauer von dreißig Jahren nach dem Tode des Letztlebenden derselben *26). Bei Werken, welche durch Beiträge mehrerer Mitarbeiter gebildet werden, richtet sich die Schutzfrist für die einzelnen Beiträge danach, ob die Urheber derselben genannt sind oder nicht (88. 8. 11.) 2'). §. 10. Einzelne Aufsätze, Abhandlungen rc., welche in periodischen Werken, als: Zeit­ schriften, Taschenbüchern, Kalendern rc., erschienen sind, darf der Urheber, falls nichts Anderes verabredet ist, auch ohne Einwilligung des Herausgebers oder Verlegers des Werkes, in welches dieselben ausgenommen sind, nach zwei Jahren vom Ablauf des Jahres des Erscheinens an ge­ rechnet, anderweitig abdrucken ^). §. 11. Bei Schriftwerken, welche bereits veröffentlicht'^) sind, ist die im §. 8. vor­ geschriebene Dauer des Schutzes an die Bedingung geknüpft, daß der wahre Name des Urhebers auf dem Titelblatte oder unter der Zueignung oder unter der Vorrede angegeben ist30).

Bei Werken, welche durch Beitrüge mehrerer Mitarbeiter gebildet werden, genügt es für den Schutz der Beiträge, wenn der Name des Urhebers an der Spitze oder am Schluß des Beitrags angegeben ist. Ein Schriftwerk, welches entweder unter einen: anderen, als dem wahren Namen des Ur­ wegen übertragen worden sind; es kennt keine Rechte bestimmter Personen, wie beispielsweise das französische Ges. v. 3. August 1844 von den Wittwen und den Kindern spricht." R.G. II v. 8. März 1881, Entsch. 3 S. 160. 26) H. Das Urheberrecht ist hier als untheilbar gedacht. Jeder der Miturheber gilt als Autor des Werkes, jedoch mit der aus dem gleichen Recht der anderen sich ergebenden Be­ schränkung. Ende mann S. 33. Andere nehmen an, daß jedem Miturheber das Urheberrecht nach Quoten und zwar im Zweifel nach Kopftheilen zustehe. So Wächter, Autorrecht S. 92, und Kl ost er mann, Urheberrecht rc. 1876 S. 111. Verfügen können die Miturheber über das gemeinschaftliche Geistesprodukt nur gemeinsam. Daher ist z. B. der eine Miturheber ohne Zu­ stimmung der übrigen zum Abschlüsse eines Verlagsvertrages nicht befugt. (Vergl. §. 51.) Dagegen bleibt ihm die Verfolgung des Nachdrucks unbenommen. (8- 28.) Aus der Untheilbarkeit des Rechtes folgt, daß die Dauer desselben durch den Tod eines Miturhebers nicht be­ einflußt wird. Fraglich bleibt indeß, ob das Recht der Erben des früher verstorbenen 30 Jahre' nach dem Tode ihres Erblassers oder noch 30 Jahre nach dem Tode des letztlebenden Miturhebers währt. Für das bisherige Recht pflegte mein sich für die erstere Alternative zu entscheiden. Wächter a. a. O. S. 454 u. 455. Nach dem neuen Gesetz dagegen scheint die zweite Alter­ native zuzutreffen, weil dasselbe den dreißigjährigen Schutz nicht, wie §. 6 des Ges. v. 11. Juni 1837, den Erben, sondern dem Werk des Urhebers nach dessen Tode zugesteht und zu einem Schutz der Erben nur dadurch gelangt, daß es das Urheberrecht für vererblich erklärt (8- 3), das einmal vererbte Recht aber so lange wirksam sein muß, als ihm nicht das Gesetz die Wirkung abspricht. Eben so, jedoch aus einem anderen Grunde, Klostermann a. a. O. S. 115. 27) H. Bei solchen Werken (8- 2 Abs. 1) wird der Schutz noch 30 Jahre lang nach den: Tode des Herausgebers gewährt. Ist der Herausgeber nicht genannt, so fällt das Werk als Ganzes nach 30 Jahren, von der ersten Herausgabe an gerechnet, ins Freie. (8- 11 Abs. 3.) Bildet das Werk kein einheitliches Ganzes im Sinne des 8- 2 Abs. 1, so genießt es als solches überhaupt keinen Schutz. Das Urheberrecht an den einzelnen Beiträgen unterliegt den gewöhn­ lichen Regeln. Vergl. hierzu Dahn in der Zeitschrift für Gesetzgebung rc. 5 S. 32. 28) H. Der §. 10 bestimmt für den gesetzten Fall die Dauer des Verlagsvertrages der­ gestalt, daß das Recht des Werkverlegers an den: einzelnen Aufsatz rc. nach Ablauf von zwei Jahren erlöschen soll. Klostermann, Urheberrecht rc., Anh. zu dem 1. Bande des „geist. Eig.", S. 51. Die Nachdrucksklage kann daher nach Ablauf der Frist nur noch dem Autor gestattet werden. Dambach, der in seinem Urheberrecht S. 108 das Verlagsrecht des Verlegers jedem Dritten gegenüber erhalten wissen wollte, hat diese Ansicht in der Zeitschrift für Gesetzgebung rc. 6 S. 54 Note 4 fallen lassen und die Klostermann'sch e Auslegung des 8- 10 als richtig all­ erkannt. 29) H. „Veröffentlicht" bedeutet dasselbe wie „erschienen", „her aus gegeben". Dambach, Urheberrecht S. 110. 30) H. Steht der Name des Urhebers (Herausgebers 8- 2) oder der Urheber (§. 9 Abs. 1) an einer anderen Stelle des Werkes, so bleibt letzteres ebenso gut ein anonymes, als wenn der Name gänzlich fehlte. Klo st er mann, Urheberrecht rc. (1876) S. 162.

Von dem Urheberrecht an Schriftwerken:c.

1001

Hebers veröffentlicht, oder bei welchem ein Urheber gar nicht angegeben ist, wird dreißig Jahre lang, von der ersten Herausgabe an gerechnet, gegen Nachdruck geschützt (§. 28.)31). Wird innerhalb dreißig Jahre, von der ersten Herausgabe an gerechnet, der wahre Name des Urhebers von ihm selbst oder seinen hierzu legitimirten Rechtsnachfolgern 3^) zur Eintragung in die Eintragsrolle (§g. 39. ff.) angemeldet33), so wird dadurch dem Werke die im §. 8. be­ stimmte längere Dauer des Schutzes erworben31). §. 12. Die erst nach dem Tode des Urhebers erschienenen Werke werden dreißig Jahre lang, vom Tode des Urhebers an gerechnet, gegen Nachdruck geschützt33).35 §. 13. Akademien, Universitäten, sonstige juristische Personen, öffentliche Unterrichts­ anstalten, sowie gelehrte oder andere Gesellschaften, wenn sie als Herausgeber dem Urheber gleich zu achten sind (§. 2.), genießen für die von ihnen herausgegebenen Werke einen Schutz von dreißig Jahren nach deren Erscheinen36).

31) H. Anonyme und pseudonyme Werke wurden durch das Ges. v. 11. Juni 1837 §. 7 nur 15 Jahre, von der ersten Herausgabe an gerechnet, geschützt. Erst der Bundesbeschluß v. 19. Juni 1845 dehnte die Frist auf 30 Jahre aus. Werke, welche zwar nicht unter dem Familiennamen, wohl aber unter dem notorischen Autornamen des Verfassers erschienen, rechnete Wächter, Verlagsrecht S. 434 u. 435 Note 13, nicht zu den pseudonymen Werken. Er berief sich dabei auf den Geist der Bundesgesetzgebung, namentlich auf den (formell allerdings schon durch den Beschluß v. 12. März 1857 aufgehobenen) 2 des Bundesbeschluffes v. 22. April 1841, welcher der Nennung des offenkundigen Autornamens dieselbe Bedeutung wie der Angabe des Familiennamens beilegte. Das Obertribunal hat indeß Len au's Gedichte als ein pseudonymes Werk behandelt. Sen. für Strass, v. 4. März 1870, Oppenhoff, Rechtspr. 11 S. 138. Die Entscheidung hätte auch unter der Herrschaft des vorliegenden Gesetzes so ausfallen müssen. Dambach S. HO; Endemann S. 35; Kloster­ mann, geist. Eigenth. 1 S. 289 und Urheberrecht rc. (1876) S. 162. 32) H. D. h. von den Rechtsnachfolgern, insofern sie legitimirt sind, den wahren Namen des Urhebers zur Eintragung anzumelden. Den Erben des Autors wird die Befugniß hierzu nicht bestritten werden können, wohl aber dem Verleger oder Herausgeber, wenn derselbe dazu von dem Urheber nicht besonders ermächtigt worden ist. Der Grund ist, daß das Recht der Veröffentlichung überhaupt, also auch der Art und des Umfanges derselben, als ein Ausfluß des Urheberrechts angesehen werden muß, mithin auf Andere nur in so weit übergehen kann, als der Autor den Uebergang will. Daß aber der Uebergang auf die Erben ohne Beschränkung gewollt ist, davon ist so lange auszugehen, bis eine letztwillige Verfügung des Urhebers bei­ gebracht wird, durch welche derselbe seine Erben in Ausübung des Urheberrechts beschränkt. (§. 3.) Hiernach kann mit Endemann S. 36 nicht angenommen werden, daß es besondere, d. h. doch wohl außerhalb des Erbrechts liegende, Schwierigkeiten habe, zu erkennen, ob die Erben zu der in Rede stehenden Anmeldung legitimirt sind. Vergl. Dambach S. 111 und lost er mann, Urheberrecht (1876) S. 164. 33) H. Die rechtliche Wirkung der Anmeldung ist nicht bedingt durch die Eintragung in die Rolle. Wächter, Autorrecht S. 144; Klostermann, Urheberrecht S. 165. Im Üebrigen siehe die Anm. 17 zu §. 6. 34) H. Wird ein Schriftwerk zuerst anonym oder pseudonym herausgegeben, später aber eine neue Ausgabe unter dem wahren Namen des Autors veröffentlicht, so werden beide Aus­ gaben selbstständig gegen Nachdruck geschützt, die erste, in Ermangelung der Anmeldung zur Eintragsrolle, überhaupt nur 30 Jahre, die andere bis nach Ablauf von 30 Jahren seit dem Tode des Urhebers. Der längere Schutz ist indeß gegenstandslos, wenn die neue Ausgabe nur einen unveränderten Abdruck der alten enthält, weil diese nach Ablauf von 30 Jahren seit ihren: Erscheinen unbedingt inS Freie fällt. Dambach, Urheberrecht S. 112 u. 113. Für das frühere Recht nahm man an, daß das Werk als solches, also auch die ohne Nennung des wahren Verfasser-NamenS erschienene Ausgabe den ausgedehnteren Schutz erlangte, wenn dieser Name vor Ablauf von 30 Jahren auf der neuen Ausgabe oder auf einem der alten beigegebenen neuen Titelblatte bekannt gemacht würde. Wächter, Verlagsrecht S. 435 u. 436. 35) H. Nach dem Beschluß der vormaligen deutschen Bundesversammlung v. 19. Juni 1845 Nr. 2 begann die dreißigjährige Schutzfrist für posthume Werke erst vom Tage des Er­ scheinens des Schriftwerkes an zu laufen. 36) H. Der Paragraph hat seine Fassung in der Kommission des Reichstages erhalten. Der Satz „wenn sie rc." ist an sich überflüssig, weil es sich von selbst versteht, daß Akademien u. s. w. nur dann Urheberrechte haben, wenn sie als Herausgeber dem Urheber gleich zu achten

1002

Erster Theil.

Eilfter Titel.

(Gesetz v. 11. Juni 1870 §§. 14—18.)

§. 14. Bei Werken, die in mehreren Bänden oder Abtheilungen erscheinen, wird die Schutzfrist von dem ersten Erscheinen eines jeden Bandes oder einer jeden Abtheilung an be­ rechnet^). Bei Werken jedoch, die in einem oder mehreren Bänden eine einzige Aufgabe behandeln und mithin als in sich zusammenhängend zu betrachten sind, beginnt die Schutzfrist erst nach dem Erscheinen des letzten Bandes oder der letzten Abtheilung38 * *).39 * * 40 * * * * * * * * * * * * * * * * * * * * * * * * * 37 Wenn indessen zwischen der Herausgabe einzelner Bände oder Abtheilungen ein Zeitraum von mehr als drei Jahren verflossen ist, so sind die vorher erschienenen Bände, Abtheilungen rc. als ein für sich bestehendes Werk und ebenso die nach Ablauf der drei Jahre erscheinenden weiteren Fortsetzungen als ein neues Werk zu behandeln3"). §. 15. Das Verbot der Herausgabe von Uebersetzungen dauert in dem Falle des §. 6. Littr. b fünf Jahre vom Erscheinen des Originalwerkes, in dem Falle des §. 6. Littr. c. fünf Jahre vom ersten Erscheinen der rechtmäßigen Uebersetzung ab gerechnet *"). ftiib. Eine besondere Bedeutung gewinnt diese Einschränkung jedoch durch Allegirung des §. 2. Denn danach stehen dem Herausgeber die Rechte des Urhebers nur unter der doppelten Voraus­ setzung zu, daß das Werk a) aus Beiträgen Mehrerer zusammengesetzt ist und dennoch b) ein einheitliches Ganzes bildet. Wo diese Voraussetzung nach der einen oder der anderen Richtung hin nicht zutrifft, ist der §. 13 nicht anwendbar, und die Akademie, Universität rc. hat allenfalls nur die Rechte des Herausgebers aus §. 28 Abs. 3. Dahn (a. a. O. S. 36) ist mit diesem Ergebniß nicht einverstanden. Er sagt wörtlich: „Das kann nicht die Willensmeinung des Gesetz­ gebers gewesen sein: denn ohne Zweifel kann z. B. eine Universität Einem ihrer Mitglieder den Auftrag geben zur Ausarbeitung ihrer Geschichte bei einem Jubiläum oder anderen Fest und, nachdem sie etwa für diesen Freidienstvertrag Honorar bezahlt, als Herausgeberin das ausschließliche Verlagsrecht für sich binnen der Schutzfrist in Anspruch nehmen." Allein ein solcher Fall unterliegt wohl nicht dem §. 13. Denn läßt sich die Universität für das dem Ver­ fasser gezahlte Honorar das Verlagsrecht abtreten, so ist der Grund dieses Rechtes nicht in der Herausgabe, sondern in dem Vertrage zu suchen. Steht dagegen der Honorarzahlung die Üebertragung des Verlagsrechtes als Gegenleistung nicht gegenüber, so behält der Autor das Urheberrecht, und die Universität kann die Ausübung desselben nur so weit beschränken, als dies ausdrücklich oder stillschweigend vereinbart ist. Vergl. das Ges. v. 11. Juni 1873 §. 8. Dam bach S. 116—118; Endemann S. 37 u. 39; Klostermann, Urheberrecht, Anhang zu dem „geist. Eig." 1 S. 29. Daß übrigens das Urheberrecht der juristischen Personen nicht ein ursprüngliches, sondern immer nur ein abgeleitetes sein kann, ist die gewöhnliche Meinung. Ende mann S. 8 u. 37; Wächter, Autorrecht S. 103; Klostermann, Urheberrecht (1876) S. 104—107. Diese Meinung hat auch guten Grund. Das Urheberrecht steht ursprünglich keinem Anderen zu, als den: Urheber, d. i. demjenigen, der das Geisteswerk geschaffen hat. Eick solches Werk kann aber nur von einer physischen Person geschaffen werden. Eine juristische Person kann es immer nur durch eine solche schaffen lassen. Jdentifizirt sie sich mit dem Urheber, so folgt daraus nichts weiter, als daß sie dessen Recht sich angeeignet hat oder dasselbe ausübt. Ab­ weichend Kowalzig S. 17 u. 18, dem jedoch das von ihm in Bezug genommene Urtheil des R.O.H.G. II v. 15. Jan. 1873, Entsch. 8 S. 381, nicht zur Seite zu stehen scheint. 37) H. Der §. 14 bezieht sich nur auf anonyme und pseudonyme sowie auf die denselben in §. 13 gleichgestellten Werke, weil nur bei solchen die Schutzfrist vom Erscheinen berechnet wird. Dambach S. 119; Endemann S. 38. Der Abs. 1 steht zum Abs. 2 in dem Ver­ hältniß der Regel zur Ausnahme. Ob diese oder jene vorliegt, läßt sich nur aus thatsäch­ lichen Gründen entscheiden. 38) H. Zu dieser Klasse gehören namentlich lexikalische Werke (Ges. v. 11. Juni 1837 §. 8 a), dagegen nicht Gesammtausgaben der Werke eines bestimmten Schriftstellers, auch nicht eine „Bibliothek deutscher Romane"; hier bildet vielmehr jeder einzelne Roman, dort jedes einzelne Werk eine selbstständige Geistesschöpfung. Wächter, Verlagsrecht S. 451 u. 452. 39) H. Durch diese Bestimmung wird der an sich ungemessenen Ausdehnung der Schutz­ frist zweckmäßig eine äußerste. Schranke gesetzt. Das war so bereits nach dem Bundesbeschlusse v. 9. Nov. 1837 Art. 2. Siehe Wächter, Verlagsrecht S. 451; Endemann S. 39. 40) H. Die Frist beträgt nach der Uebereinkunft mit Frankreich v. 13. April 1883 Art. 10 zehn Jahre. Die Rückübersetzung in die Sprache des Originals ist, weil wesentlich nur eine Reproduktion des letzteren, objektiv betrachtet, immer Nachdruck; desgleichen die Üebertragung einer Dialekt-

Von dem Urheberrecht an Schriftwerken re.

1003

§. 16. In den Zeitraum der gesetzlichen Schutzfrist (§§. 8. ff.) wird das Todesjahr des Verfassers, beziehungsweise das Kalenderjahr des ersten Erscheinens des Werkes oder der Uebersetzung nicht eingerechnet n). §. 17. Ein Heimfallsrecht des Fiskus oder anderer zu herrenlosen Verlassenschaften be­ rechtigter Personen findet auf das ausschließliche Recht des Urhebers und seiner Rechtsnachfolger nicht ftdtt12). §. 18. Wer vorsätzlich oder aus Fahrlässigkeit einen Nachdruck (§§. 4. ff.) in der Absicht, e) EntMdenselben innerhalb oder außerhalb des Norddeutschen Bundes zu verbreiten, veranstaltet, ist ^Snafen.^

den Urheber oder dessen Rechtsnachfolger zu entschädigen verpflichtet und wird außerdem mit

einer Geldstrafe bis zu Eintausend Thalern bestraft13).

dichtung ins Hochdeutsche, weil dieses keine fremde Sprache ist. (§. 6.) Klostermann, Urheberrecht rc. (1876) S. 219 u. 220. 41) H. Die Frage, wer gegebenen Falls das Todesjahr des Autors zu beweisen habe, entscheidet sich nach der Regel, daß derjenige, welcher aus einer Thatsache Rechte herleitet, den Beweis dieser Thatsache führen muß. Wer also seine Berechtigung zur Herausgabe des Werkes eines bekannten Autors auf den Ablauf der Schutzfrist gründet, der muß darthun, daß der Autor vor länger als 30 Jahren verstorben sei. Wächter, Verlagsrecht S. 450; Klost erm ann, geist. Eigenthum 1 S. 284. Es ist dies jedoch nicht unstreitig. Da mb ach verlangt den Beweis des Todes zwar ebenfalls von demjenigen, der das Werk "als nicht mehr geschützt herausgiebt, den Beweis des Todes-Jahres dagegen von der anderen Partei. „Denn," so sagt er, „das Recht der Erben und Rechtsnachfolger des Autors ist kein ewiges, sondern ein zeitlich beschränktes, und der Verlagsberechtigte muß daher den Nachweis führen, daß sein Recht, welches eben nur ein zeitliches ist, noch existirt." Dambach, Urheberrecht S. 125. Noch weiter ist das Reichsoberhandelsgericht gegangen; es hat aus dem angeführten Grunde den Schluß gezogen, „daß derjenige, welcher als Kläger das ausschließliche Urheberrecht in An­ spruch nimmt, darzuthun hat, daß die Schutzfrist noch nicht abgelaufen ist, daß also entweder der Urheber noch lebt oder daß er vor weniger als 30 Jahren verstorben ist." R.O.H.G. II v. 30. Nov. 1877, Entsch. 23 S. 68. Die Ausführung in den Gründen dieses Urtheils, daß das Urheberrecht dem Eigenthum nicht gleichstehe, sondern „auf rein positiver Vorschrift beruhe", ist zwar unbestreitbar, aber hier nicht entscheidend, weil jedes subjektive Recht, auch das Eigen­ thum, seine Quelle in den (positiven) Satzungen des objektiven Rechtes hat. 42) H. Nach dem bisherigen Recht gingen die Rechte des unbeerbt verstorbenen Schrift­ stellers an seinem Werk auf den Fiskus öder denjenigen, der statt des Fiskus ein Recht auf erblose Verlassenschaften hatte, über. Wächter a. a. O. S. 483. Hiergegen ist der §. 17 ge­ richtet. Das Urheberrecht erlischt fortan durch den Tod des nicht beerbten Autors, insoweit dieser nicht bei Lebzeiten darüber verfügt, z. B. das Verlagsrecht einem Buchhändler abgetreten hat. Ein neues Verlagsrecht kann nach dem Erlöschen des alten nicht mehr begründet werden. Vergl. I. 11 §. 1029. 43) H. Was, objektiv betrachtet, Nachdruck ist, bestimmen die §§. 4—6. Die subjektiven Erfordernisse desselben werden unter §. 18 abgehandelt. Danach genügt es zur Feststellung der rechtlichen Verantwortlichkeit des Thäters, daß derselbe den Nachdruck, in der Absicht der Verbreitung, vorsätzlich oder fahrlässig veranstaltet hat. a. Zum Begriffe des Vorsatzes gehört weder Gewinnsucht noch Eigennutz. O.Tr. Pl. v. 13. Febr. 1844, J.M.Bl. S. 89. Zweck und Motive sind rechtlich ohne Einfluß. Ob die nachgedruckten Exemplare verkauft, verschenkt oder nur verliehen werden sollen, ändert mi dem dolus des Nachdruckers nichts. R.O.H.G. I v. 11. Dez. 1874, Entsch. 15 S. 311. Letzterer muß sich nur bewußt sein, durch die Veranstaltung des Nachdrucks das Urheberrecht beziehungs­ weise das Verlagsrecht eines Anderen zu verletzen. Wächter S. 625; Ende mann S. 43. Dieses Bewußtsein kann aber bei demjenigen nicht vorausgesetzt werden, welcher kurz vor Ab­ lauf der Schutzfrist eines Werkes dasselbe'nachdrucken läßt, um gleich nach Ablauf der Frist die fertigen Exemplare auf den Markt werfen zu können. In einem solchen Falle ist der Vorsatz dadurch ausgeschlossen, daß die beabsichtigte Verbreitung keine rechtswidrige, sondern eine er­ laubte ist. Eine Vervielfältigung in dieser Absicht ist nicht strafbar. R.O.H.G. I v. 16. März 1877, Entsch. 22 S. 44; Dambach S. 135; Endemann S. 41. Anderer Meinung: Wächter, Autorrecht S. 220; Kl oster mann, Urheberrecht rc. 1876 S. 241. b. Die Strafbarkeit des aus Fahrlässigkeit begangenen Nachdrucks wurde auch unter der Herrschaft des Ges. v. 11. Juni 1837 angenommen. O.Tr. Sen. für Strass, v. 8. Mai 1863, J.M.Bl. S. 186. Die Strenge, welche in der Gleichstellung der Fahrlässigkeit und des Vorsatzes liegen würde, hat indeß durch den Abs. 2 dieses Paragraphen eine wesentliche

1004

Erster Theil.

Eilfter Titel.

(Gesetz v. 11. Juni 1870 §§. 18, 19.)

Die Bestrafung des Nachdrucks bleibt jedoch ausgeschlossen, wenn der Veranstalter desselben auf Grund entschuldbaren, thatsächlichen oder rechtlichen Irrthums in gutem Glauben gehandelt hat"). Kann die verwirkte Geldstrafe nicht beigetrieben werden, so wird dieselbe nach Maaßgabe der allgemeinen Strafgesetze in eine entsprechende Freiheitsstrafe bis zu sechs Monaten umge­

wandelt 45). Statt jeder aus diesem Gesetze entspringenden Entschädigung kann auf Verlangen des Be­ schädigten neben der Strafe auf eine an den Beschädigten zu erlegende Geldbuße bis zum Be­ trage von zweitausend Thalern erkannt werden4Ö). Für diese Buße haften die zu derselben Verurtheilten als Gesammtschuldner.

Milderung erfahren. Die Frage, ob eine Fahrlässigkeit im Sinne des Gesetzes vorliegt, ist that­ sächlicher Natur. Endemann S. 43. Vergl. §. 29 und die Anm. dazu. Hat der Verleger einen Prokuristen bestellt, so ist er für den von diesem ohne sein Wissen veranstalteten Nachdruck nicht verantwortlich. R.O.H.G. III v. 28. März 1878, Entsch. 24 S. 38. c. Wo der Nachdruck verbreitet werden soll, ob in Deutschland oder im Auslande, ist nach §. 18 nicht von Belang. Aber hiermit nicht zu verwechseln ist die Frage, wo das Werk nachgedruckt wird. Vergl. über dieselbe Endemann S. 18,41,42. Die Strafbarkeit eines im Auslande veranstalteten Nachdrucks eines im deutschen Reiche erschienenen Werkes bestimmt sich nach den §§. 4 u. 5 des deutschen Str.G.B. Vergl. §§. 22 u. 61. d. Der z. 18 handelt nur von der Strafbarkeit und der Entschädigungspflicht des Ver­ anstalters eines Nachdruckes, d. i. des Thäters im Gegensatz zu dem Theilnehmer, Anstifter und Gehülfen. Der Thäter aber ist in der Regel nicht der Drucker, sondern derjenige, welcher den Nachdruck für eigene Rechnung veranstaltet oder durch einen Anderen veranstalten läßt, um die Exemplare zu verbreiten, der Drucker mithin nur, wenn er aus eigener Veranlassung un­ befugt Exemplare eines Buches in der Absicht, dieselben zu verbreiten, herstellt. O.Tr. Sen. für Straff, v. 7. Dez. 1860, Goltdammer, Arch. 9 S. 111; Oppenhoff, Rechtspr. 1 S. 101. Vergl. auch R.O.H.G. I v. 12. Jan. 1875, Entsch. 16 S. 255, und überhaupt Wächter, Autor­ recht S. 186, und K lost ermann a. a. O. S. 244. Der Kommissionsverleger eines Nachdrucks wird nur als Gehülfe des Thäters angesehen. e. Die Strafbarkeit des Nachdrucks ist nicht dadurch bedingt, daß der Verletzte einen Schaden erlitten hat. §. 22. Ueber den Grund siehe Anm. 1 Abs. 2 zu §. 1 d. G. * 44) H. Der Abs. 2, der erst im Plenum des Reichstages eingeschaltet worden, ist aus die Entschädigungspflicht des Nachdruckers ohne Einfluß; für diese bewendet es bei den privatrecht­ lichen Regeln. Endemann S. 43. R.O.H.G. I v. 16. Mai 1873, Entsch. 10 S. 127. Daß eine Bestrafung nicht eintreten kann, wenn der Angeschuldigte die ihm vorgeworfene Handlung aus einem entschuldbaren Irrthum in Thatsachen bona fide begangen hat, ist selbst­ verständlich. Dagegen ist die gleiche Berücksichtigung des Rechts-Irrthums eine juristische Anomalie, die man durch den Hinweis auf die zweifelhaften Grenzen, von denen das Gebiet des Nachdrucks umgeben ist, zu rechtfertigen gesucht hat. Die Rechtfertigung wird indeß als eine glückliche nicht gelten können, weil sie zur Negation der Strafbarkeit jedes Uebertreters eines Strafgesetzes führen muß, der von zwei Instanzen, weil der Thatbestand des Vergehens aus Rechtsgründen nicht für vorliegend erachtet worden, freigesprochen und erst von der dritten Instanz zu einer Strafe verurtheilt ist. Denn wie kann man dem Angeschuldigten die Uebertretung eines Gesetzes zurechnen, wenn zwei Richterkollegien seiner Meinung gewesen sind, daß eine-solche Uebertretung in seiner Handlungsweise gar nicht gelegen habe'! Aber man rechnet sie ihm schon zu. Und mit Recht. Denn eine geordnete Strafrechtspflege würde nicht möglich sein, wenn ignorantia Juris die Strafbarkeit ausschlösse. Wenn man gleichwohl zu Gunsten des Nachdruckers eine Ausnahme von der Regel zugelassen hat, so ist dies wohl nur darum ge­ schehen, weil man nur so eine Milderung des strengen Prinzipes, welches der erste Satz des §. 18 ausspricht, erreichen zu können glaubte. Vergl. die vor. Anm. b. 45) H. Die verwirkte Geldstrafe wird nicht, wie z. B. in England, als Privatstrafe an den Beschädigten, sondern als öffentliche Strafe an den Fiskus gezahlt. Deshalb be­ durfte es einer Bestimmung, nach welcher die nicht beitreibbare Geldstrafe in Freiheitsstrafe um­ zuwandeln ist. Dahn a. a. O. S. 41. Die Umwandlung ist nach den Grundsätzen des ReichsStr.G.B. §§. 28 u. 29 vorzunehmen. 46) H. Ueber die rechtliche Natur der Buße gehen die Ansichten auseinander. Die Einen, wie Oppenhoff, Strafgesetzbuch §. 188, sehen darin eine Privatstrafe. Andere, ins­ besondere Dochow, die Buße im Strafrecht und Strafprozeß 1875, charakterisiren die Buße lediglich als Entschädigung. Wieder Andere halten dieselbe für eine Kombination beider Mo-

Von dem Urheberrecht an Schriftwerken rc.

1005

Eine erkannte Buße schließt die Geltendmachung eines weiteren Entschädigungsanspruches aus^). Wenn den Veranstalter des Nachdrucks kein Verschulden trifft, so haftet er dem Urheber oder dessen Rechtsnachfolger für den entstandenen Schaden nur bis zur Höhe seiner Bereicherung "). §. 19. Darüber, ob ein Schaden entstanden ist, und wie hoch sich derselbe beläuft, des­ gleichen über den Bestand und die Höhe einer Bereicherung, entscheidet das Gericht unter Würdigung aller Umstände nach freier Ueberzeugung").

mente. So u. a. C. G. v. Wächter, die Buße rc. 1874; O. Wächter, das Autorrecht S. 248 ff.; Klostermann, das Urheberrecht an Schrift- und Kunstwerken rc. S. 258; Ko­ ni alzig S. 23. Nach dem Reichsrecht scheint die Dochow'sche Auffassung den Vorzug zu verdienen, weil dasselbe die Buße als Surrogat der dem Verletzten gebührenden Entschädigung hinstellt und die Strafe daneben bestimmt. Rüdorff, Strafgesetzbuch 2. Aufl. 1877 S. 370, 3. Aufl. S. 461; Dernburg, Lehrbuch des preußischen Privatrechts 2 §§. 79 u. 312a. Der Anspruch auf Buße kann nur im Strafverfahren geltend gemacht werden. Faßt man dieselbe als Entschädigung auf, so steht vom Standpunkt des materiellen Rechts nichts entgegen, nach den: Tode des Beschädigten, wenn auf dessen Antrag die Untersuchung gegen den Beschädiger eingeleitet ist, den Erben des Beschädigten die Nachholung des Antrags auf Zu­ erkennung der Buße zu gestalten. Nach der A.G.O. I. §. 444 kann jedoch „der Anspruch auf Buße von den Erben des Verletzten nicht erhoben oder fortgesetzt werden". Die Entscheidung über den Anspruch bildet einen Bestandtheil des Strafurtheils. Deshalb hat nach §§. 430, 441 u. 443 et. a. O. der Beschädigte, welcher als Privatkläger oder als Neben­ kläger den Anspruch auf die Buße verfolgt, dieselben Rechtsmittel wie der Staatsanwalt. 47) H. Eben so das Strafgesetzbuch §§. 188 u. 231. Wird der Beschädiger von dem Strafrichter zur Entrichtung einer Buße überhaupt nicht verurtheilt, sei es daß er 'freigesprochen oder der Schade nicht als ausreichend aufgeklärt angesehen wird, so bleibt dem Beschädigten die Verfolgung des Entschädigungsanspruches im Eivilprozesse. Wenn dagegen das Strafurtheil auf Buße lautet, mag der Betrag derselben auch noch so weit hinter der Höhe des Anspruches zurückbleiben, so findet eine weitere Entschädigungsforderung nicht statt. Der Attspruch auf die erkannte Buße ist vererblich und cessibel. Dernburg 2 §§. 79 u. 83 Note 12. Von dem Erlaß der Strafe durch Begnadigung des Verurtheilten wird er nicht berührt. K owalzig S. 23. 48) H. Natürlich. Denn wenn das Verschulden wegfültt, so fehlt der besondere Rechts­ grund, welcher den Nachdrucker zur Entschädigung verpflichtet: könnte. Es bleibt dann nur die subsidiäre Bereicherungsklage im Sinne des L.N I. 13 §. 230. Die Bereicherung des Nachdruckers aber besteht in dem etwaigen Ueberschuß, den der Erlös aus dem Verkauf der nach­ gedruckten Exemplare über den Betrag der gesummten Herstellungskosten des Nachdrucks ergiebt. Nur selten indeß wird sich ein solcher Ueberschuß ermitteln lassen, weil der Verkauf des Nach­ drucks meist schon in einem Stadium inhibirt wird, in welchen: von einer Deckung der Kosten des Veranstalters noch nicht die Rede sein kann. Gelingt im einzelnen Falle der Beweis der Bereicherung, so muß der Kläger ferner beweisen, daß dieselbe mit seinem Schaden erfolgt sei, daß also der ihm zugefügte Schade mindestens so viel betrage, als der Betrag der Bereicherung. Dieser Beweis hat keine besonderen Schwierigkeiten. Man darf freilich nicht an den positiven Schaden (damnum emergens), sondern nur an den entgangenen Gewinn (luerum cessans) denken. Letzterer bestimmt sich nach I. 6 §§. 5 u. 6. Vergl. 1007 d. T. und die Anin. dazu. Daß die Vereicherungsklage besonders zu substantiiren und nicht etwa als das Geringere in der Entschüdigungsklage von selber enthalten ist, scheint nicht zweifelhaft zu sein. „Zu den gemeinsamen Voraussetzungen beider Klagen tritt für die Entschädigungsklage als besonderer Thatbestand hinzu ein vertretbares Verschulden des Beklagten, für die Bereicherungsktage hin­ gegen als besonderer Thatbestand die Bereicherung des Beklagten." R.O..H.G. 1 v. 21. April 1874, Entsch. 12 S. 331. Vergl. auch Klostermann, Urheberrecht S. 254. 49) H. Der Entwurf des Bundesrathes hatte an Stelle dieser Vorschrift folgende zwei Paragraphen: „§. 19. War das Werk von dem Berechtigten noch nicht herausgegeben, so ist der Betrag der Entschädigung mit Rücksicht auf die besonderen Umstände des Falles richterlich zu bestimmen." „H. 20. War das Werk von dem Berechtigten bereits herausgegeben und ist die Höhe des durch den Nachdruck wirklich entstandenen Schadens nicht als erwiesen anzusehen, so ist der Betrag der Entschädigung nach Beschaffenheit der Umstände auf eine dem Verkaufswerthe (Buch­ händler-Nettopreise) von 50—1000 Exemplaren der rechtmäßigen Ausgabe gleichkommende Summe vom Richter nach freiem Ermessen zu bestimmen."

1006

Erster Theil.

Eilfter Titel.

(Gesetz v. 11. Juni 1870 §§. 20, 21.)

8- 20. Wer vorsätzlich oder aus Fahrlässigkeit einen Anderen zur Veranstaltung eines Nachdrucks veranlaßt, hat die im §. 18. festgesetzte Strafe verwirkt, und ist den Urheber oder dessen Rechtsnachfolger nach Maaßgabe der §§. 18. und 19. zu entschädigen verpflichtet, und zwar selbst dann, wenn der Veranstalter des Nachdrucks nach §. 18. nicht strafbar oder ersatz­ verbindlich sein sollte^). Wenn der Veranstalter des Nachdrucks ebenfalls vorsätzlich oder aus Fahrlässigkeit gehan­ delt hat, so haften Beide dem Berechtigten solidarisch. Die Strafbarkeit und die Ersatzverbindlichkeit der übrigen Theilnehmer am Nachdruck richtet sich nach den allgemeinen gesetzlichen Vorschriften'^). §. 21. Die vorräthigen Nachdrucks-Exemplare und die zur widerrechtlichen Vervielfältigung ausschließlich bestimmten Vorrichtungen, wie Formen, Platten, Steine, Stereotypabgüsse rc..

Diese Vorschläge gründeten sich im Wesentlichen auf das Ges. v. 11. Juni 1837 §.11 und den Bundesbeschluß v. 19. Juni 1845 Nr. 5. Man hatte erwogen, daß es in Nachdrucks­ sachen nach allgemeiner Erfahrung schwierig, meist sogar unmöglich wäre, die Höhe des Schadens mit juristisch überzeugender Sicherheit nachzuweisen, daß indeß die Bestimmungen des bisherigen Rechts in dieser Beziehung sich wohl bewährt hätten. Dambach S. 143. Die Reichstags­ kommission acceptirte denn auch die Vorschläge des Bundesrathes. (Ber. S. 15.) Aber im Plenum des Hauses fand man in der Beschränkung der Würdigung des Schadens auf den Ver­ kaufswerth einer bestimmten Anzahl Exemplare eine viel zu große Einengung des richterlichen Ermessens. Man entlehnte deshalb aus dem Entwürfe einer L.P.O. für den norddeutschen Bund (§. 457) einen Satz, der dann als §. 19 in das Gesetz übergegangen ist. Stenogr. Be­ richte (Separatabdruck) S. 65. Danach ist der Richter nicht verpflichtet, über die Höhe der Entschädigung ein sachverständiges Gutachten einzuholen. R.O.H.G. I v. 25. Jan. 1875, Entsch. 16 S. 246. Vergl. die C.P.O. für das deutsche Reich §. 260 und R.G. II v. 12. Juli 1881, Entsch. 5 S. 265. 50) H. Bei dem Vergehen des Nachdrucks ist der eigentliche Thäter der Veranstalter desselben (Anm. 43 d), also meist der Verleger des Buches, welches als Nachdruck qualifizirt wird. Den Verleger trifft aber ein Verschulden regelmäßig in allen den Fällen nicht, in denen nur theilweise nachgedruckt ist, der Autor aus anderen Büchern mehr, als gesetzlich statthaft, entlehnt und seinem Werke einverleibt hat. Betrachtet man hier den Autor lediglich als in­ tellektuellen Urheber, als Anstifter im Sinne des Straf-Gesetzbuchs §. 48, so wird man ihm nichts anhaben können, weil die Strafbarkeit des Anstifters durch die Strafbarkeit des Thäters bedingt ist. Zudem kennt das Strafrecht eine kulpose Anstiftung zu einem Vergehen nicht. Das gewöhnliche Rechtsgefühl versteht es aber nicht, daß in einem Falle ein Buchhändler wegen fahrlässiger Veranstaltung eines Nachdrucks bestraft, in einem anderen Falle dagegen ein Schrift­ steller, welcher über Gebühr aus einem anderen Werke abgeschrieben, seinem Verleger aber hier­ von natürlich nichts gesagt hat, mit Strafe verschont wird. Einer so ungleichen Behandlung soll der §. 20 entgegentreten. Derselbe richtet seine Spitze hauptsächlich gegen die Schriftsteller. Vergl. Mot. S. 51 und den Komm.Ber. S. 16. Hat der Veranstalter des Nachdrucks im guten Glauben gehandelt, so ist ihm der Ver­ anlasser, wenn dieser ihn getäuscht hat, wegen Einziehung der Nachdrucksexemplare regreß­ pflichtig. Wächter, Autorrecht S. 241; Klostermann a. a. O. S. 256. 51) H. Als Theilnehmer an einem Nachdruck fömtcii in Betracht kommen: Anstifter, Ge­ hülfen und Begünstiger. a. Der Anstifter ist, so fern er nicht als Veranlasser den §§. 18 u. 20 dieses Gesetzes unterliegt, nach §. 48 des Str.-G.-Buchs zu bestrafen. b. Als Gehülfe wird nach §. 49 des Str.-G.-Buchs bestraft, „wer dem Thäter zur Be­ gehung des Verbrechens oder Vergehens durch Rath oder That wissentlich Hülfe geleistet hat" Zum Begriffe der Hülfeleistung beim Nachdruck wird also der allgemeine, für die Theil­ nahme erforderliche Dolus verlangt. O.Tr. Sen. für Strass, v. 7. Dez. 1860. Gol­ dammer, Arch. 9 S. 111; Oppenhoff, Nechtspr. 1 S. 101. Derjenige, welcher einen Nachdruck in: Auftrage eines Anderen und ohne die Absicht der eigenen Vertreibung bewirkt, macht sich nur dann strafbar, wenn bei ihm die Voraussetzungen der strafbaren Theilnahme zutreffen, insbesondere also, wenn er wußte, daß der Abdruck ein unbefugter sei. Erk. desselben v. 18. Dez. 1863, J.M.Bl. 1864 S. 65; Oppenhoff, Rechtspr. 4 S. 265. e. Der Begünstiger des Nachdruckes verfällt, sofern sein Vergehen nicht in §. 25 d. Ges. vorgesehen ist, der Strafe des §. 257 des Strafgesetzbuchs.

Von dem Urheberrecht an Schriftwerken rc.

1007

unterliegen der Einziehung 5-). Dieselben sind, nachdem die Einziehung dem Eigenthümer gegenüber rechtskräftig erkannt ist53), entweder zu vernichten oder ihrer gefährdenden Form zu entkleiden und alsdann dem Eigenthümer zurückzugeben54). Wenn nur ein Theil des Werkes als Nachdruck anzusehen ist,, so erstreckt sich die Ein­ ziehung nur auf den als Nachdruck erkannten Theil des Werkes und die Vorrichtungen zu diesem Theile55). 52) H. Nach dem Bundesbeschlusse v. 9. Nov. 1837 Art. 4 sollte „außer den in Gemäß­ heit der Landesgesetze gegen den Nachdruck zu verhängenden Strafen in allen Fällen die Weg­ nahme der nachgedruckten Exemplare stattfinden," und das Ges. v. 11. Juni 1837 schrieb unter 8- 10 die Konfiskation der vorräthigen Exemplare des Nachdrucks vor. Im Einklänge hier­ mit stand der Entwurf zu dem vorliegenden Gesetze. Das Wort „Konfiskation" gefiel jedoch nicht und mußte deshalb der Einziehung weichen. Mit diesem Ausdruck bezeichnet das Strafgesetzbuch für das deutsche Reich denselben Begriff, den das preußische Strafgesetzbuch vom 14. April 1851 „Konfiskation" nannte. Unter Konfiskation wird in der Regel der Uebergang des Eigenthums einer Sache auf den Fiskus in Folge einer strafbaren Handlung verstanden. (I. 9 §. 364.) Das ist auch die Auffassung des Str.G.B. §§.. 40, 152, 295, 360, 367, 369. Die Strafe der Konfiskation findet indeß ihren Zweck nicht m sich selbst, sondern in der Absicht des Gesetzgebers, die Wieder­ holung des Delikts zu verhindern. Diesen Zweck läßt auch das Ges. v. 11. Juni 1870 in §. 21 erkennen, wenn es bestimmt, daß die eingezogenen Gegenstände vernichtet oder ihrer gefährden­ den Form entkleidet werden sollen. Die Einziehung wird daher als eine Präventiv­ maßregel gegen Fortsetzung und Wiederholung des Nachdrucks aufgefaßt. (Dambach, Ur­ heberrecht S. 151; R.G. II v. 12. Juli 1881, Entsch. 5 S. 265.) Allein damit ist nur der Zweck, nicht aber das Wesen der Maßregel gekennzeichnet, für die juristische Konstruktion des Begriffs mithin nichts gewonnen. Der Konfiskation in dem alten Sinne steht die Einziehung hier nicht gleich, weil die ihr unterworfenen Gegenstände nicht kraft Gesetzes den Eigenthümer wechseln. Für denjenigen, den irgendwie ein Verschulden trifft, mag sie den Charakter der Strafe behalten, auch wenn im Uebrigen eine Kriminalstrafe nicht eintritt. (Kl ost er mann, Urheber­ recht rc. 1876 S. 251.) Das Gesetz (§. 21 Abs. 3 u. 4) bringt aber die Maßregel auch gegen völlig schuldlose Personen zur Anwendung. Der juristische Grund hierfür ist unerfindlich. Die Einziehung hat in solchen Fällen eine durchaus positive Natur (Endemann S. 51), indem sie sich zu einem, allerdings von dem Gesetze gebotenen, Eingriff in das Privateigenthum gestaltet. Von diesem Gesichtspunkte gehört sie zu der Kategorie der Enteignung (Entziehung oder Beschränkung des Eigenthums), die unmittelbar freilich nur zum Vortheil des Verletzten, mittel­ bar aber nach der Meinung des Gesetzgebers auch im Interesse der öffentlichen Ordnung ins Werk gesetzt wird. 53) H. Hiernach muß derjenige, bei dem die Einziehung vollzogen werden soll, rechtlich gehört und insbesondere für befugt erachtet werden, gegen das Urtheil des Gerichts das zulässige Rechtsmittel einzulegen. Auch sind die Sachen, um die es sich handelt, in dem Erkenntniß genau zu bezeichnen. Denn solche Gegenstände, auf deren Einziehung nicht speziell erkannt ist, dürfen auf Grund dieses Erkenntnisses dem Eigenthümer nicht weggenommen werden. Ende mann S. 50. Wegen des Verfahrens siehe St.P.O. I. §§. 447 ff. "

54) H. Das Recht des Urhebers an dem Produkt seines Geistes beherrscht die Materie, mit deren Hülfe die unbefugte Vervielfältigung vorgenommen ist oder werden soll. Der Autor ist daher befugt, das Eigenthum an der Sache, so weit dieselbe ausschließlich der Gestaltung seiner Gedankenschöpfung dient, zu übernehmen. (Klostermann, geist. Eigenth. 1 S. 415ff.) Will er dies nicht, so kann doch ohne seine Zustimmung das Eigenthum in der vorliegenden Form nicht gelassen werden. Denn auf die Herstellung dieser Form hat er ein ausschließliches Recht. Zur Wahrung desselben ist daher die Form zu beseitigen. Wie dies zu geschehen hat, ist eine Frage, welche die Vollstreckung des auf Einziehung lautenden Urtheils betrifft. Der Richter hat nicht etwa die freie Wahl, nach Belieben die Nachdrucksexemplare oder sonstigen Konfiskate zu vernichten oder nur der gefährdenden Form zu entkleiden. Der erstere Weg ist vielmehr nur dann zu betreten, wenn der zweite nicht zum Ziele führt. Indem der Richter sich für das Eine oder das Andere entscheidet, befindet er über ein wichtiges Privatrecht, über das Eigenthum nämlich. Daraus folgt, daß, wenn der Vernichtung widersprochen wird, weil auch ohne dieselbe der gesetzliche Zweck sich erreichen ließe, der Eigenthümer hierüber rechtlich gehört werden nmß. (A.G.O. I. Einl. §. 1.) Endemann S. 52. 55) H. Der Satz bezieht sich auf den Inhalt des Urtheils, nicht unmittelbar auf dessen Vollstreckung. Wenn nur einige Bogen oder gar nur einige Seiten als Nachdruck qualisizirt werden, so ist auch nur auf Einziehung dieser Bogen oder Seiten zu erkennen. Läßt sich indeß eine Beseitigung dieses Theils des Buches nicht ausführen, ohne zugleich andere Theile zu ver-

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Erster Theil.

Eilfter Titel.

(Gesetz v. 11. Juni 1870 §§. 22—25.)

Die Einziehung erstreckt sich auf alle diejenigen Nachdrucks-Exemplare und Vorrichtungen, welche sich im Eigenthum des Veranstalters des Nachdrucks, des Druckers, der Sortimentsbuch­ händler, der gewerbsmäßigen Verbreiter und desjenigen, welcher den Nachdruck veranlaßt hat (§. 20.), befinden ^). Die Einziehung tritt auch dann ein, wenn der Veranstalter oder Veranlasser des Nach­ drucks weder vorsätzlich noch fahrlässig gehandelt hat (§. 18.). Sie erfolgt auch gegen die Erben desselben57). Es steht dem Beschädigten frei, die Nachdrucks-Exemplare und Vorrichtungen ganz oder theilweise gegen die Herstellungskosten zu übernehmen, insofern nicht die Rechte eines Dritten dadurch verletzt oder gefährdet werden").

§. 22. Das Vergehen des Nachdrucks ist vollendet, sobald ein Nachdrucks-Exemplar eines Werkes den Vorschriften des gegenwärtigen Gesetzes zuwider, sei es im Gebiete des Norddeutschen Bundes, sei es außerhalb desselben, hergestellt worden ist59). Im Falle des bloßen Versuchs des Nachdrucks tritt weder eine Bestrafung noch eine Ent­ schädigungsverbindlichkeit des Nachdruckers ein,i0). Die Einziehung der Nachdrucksvorrichtungen (§. 21.) erfolgt auch in diesem Falle"').

letzen, so kann selbstverständlich diese Verletzung von dem Eigenthümer mit Grunde Rechtens nicht gerügt werden. O.Tr. S^n. für Strass, v. 28. Juni 1861, Goltda m m e r, Arch. 10 S. 192 ; Oppenhoff, Rechtspr. 1 S. 473. Vergl. D n m bach, Urheberrecht S. 152. Das Prinzip ist angewendet auf den Fall des Nachdrucks eines Lexikons, wo es technisch unmöglich war, inner­ halb der einzelnen Wortartikel die nachgedruckten Bestandtheile von den übrigen äußerlich zu sondern. R.O.H.G. I v. 25. Jan. 1875, Entsch. 16 S. 246. 56) H. Vergl. die Gesetze über die Presse (für Preußen) v. 12. Mai 1851 §. 50 und (für das Reich) v. 7. Mai 1874 §. 27. Dazu Marquardsen, Reichs Preßgesetz S. 242ff., und Kl ost ermann, Urheberrecht rc. (1876) S. 247 ff. 57) H. Die Beziehung dieses Satzes zu dem vorigen ergiebt, daß nicht bloß das gegen den Erblasser auf Einziehung ergangene Erkenntniß gegen die Erben zu vollstrecken ist, sondern daß die Erben sogar selbst verurtheilt werden können, sich die Einziehung der im Nachlasse vor­ gefundenen Nachdrucks-Erzeugnisse und Mittel gefallen zu lassen. Damit im Einklänge steht der Ausspruch des Obertribunals: In Nachdruckssachen hat der Strafrichter auch nach dem Tode des Beschuldigten die Entscheidung über die Konfiskation der Nachdrucks-Exemplare zu treffen. Pl.Beschl. des Sen. für Straff, v. 24. Okt. 1864, J.M.Bl. 1865 S. 2, Entsch. 52 S. 479. Vergl. §. 26 Abs. 2. 58) 11. Diese Befugniß ist weder durch die Entschädigungspslicht noch durch die Strafbarkeit desjenigen bedingt, gegen den die Einziehung erkannt ist. Sie wird deshalb von Klostermann als Ausfluß eines dem Autor oder dem Verlagsberechtigten an den unbefugt vervielfältigten Exemplaren des Werkes zukommenden Eigenthumsrechtes bezeichnet. Dieses Eigenthum soll auch die Wahrung der Rechte Dritter erklären. Man hat dabei hauptsächlich an den Fall gedacht, daß der den Nachdruck verfolgende Verleger vom Autor nur das Recht erworben hat, eine be­ stimmte Anzahl Exemplare anfertigen zu lassen. In diesem Falle können dem Verleger die Nachdrucks-Exemplare nur mit Genehmigung des Urhebers überlassen werden. Letzterer dagegen darf die Ausantwortung verlangen; aber er darf die Corpora delicti, so lange das Recht seines Verlegers dauert, nicht veräußern. (Sten.Ber. S. 66.) Vergl. Kl oster mann, geist. Eigenth. 1 S. 424, Anh. dazu S. 43; End em ann S. 51 u. 52. Die Herleitung der Befugniß des Beschädigten zur Uebernahme der fraglichen Gegenstände aus dem Eigenthum ist jedenfalls auf den unveränderten Nachdruck und auf die hergestellten Exemplare zu beschränken, wie Kl ost er mann, Urheberrecht re. 1876 S. 250, selber anerkennt, aber auch in dieser Beschränkung nicht ohne Bedenken. Siehe die Anm. 52 und 54. 59) Das Vergehen des Nachdrucks ist durch den bloßen Druck vollendet; daß die Ver­ breitung hinzugetreten sei, ist nicht erforderlich. O.Tr. Sen. für Straff, v. 7. Nov. 1861, J.M.Bl. S. 288. Gutachten des lit. Sachverst.Vereins v. 25. Okt. 1843, Heydemann und Dambach, die preuß. Nachdrucksgesetzgebung S. 285. H. Die Herstellung auch nur Eines Exemplares ist genügend, vorausgesetzt, daß die Absicht bestand, mehrere Exemplare herzustellen und zu verbreiten. 18 Abs. 1. Wo der Nachdruck vollendet wird, ob im Gebiete des ehemaligen norddeutschen'Bundes, jetzt des deutschen Reiches (Anm. *), oder außerhalb desselben, erscheint gleichgültig. Ein Ausländer aber, welcher im Auslande den Nachdruck eines in Deutschland geschützten Werkes veranstaltet, darf deshalb in Deutschland nicht zur Verantwortung gezogen werden. Str.G.B. 4. Vergl. die Anm. 43 zu §. 18. 60) H. Der Versuch eines Vergehens wird nach dem Str.G.B. §. 43 nur in den Füllen

Von dem Urheberrecht an Schriftwerken re.

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§. 23. Wegen Rückfalls findet eine Erhöhung der Strafe über das höchste gesetzliche Maaß (§. 18.) nicht statt «2). §. 24. Wenn in den Fällen des §. 7. Littr. a. die Angabe der Quelle oder des Namens des Urhebers vorsätzlich oder aus Fahrlässigkeit unterlassen wird, so haben der Veranstalter und der Veranlasser des Abdrucks eine Geldstrafe bis zu zwanzig Thalern verwirkt63). Eine Umwandlung der Geldstrafe in Freiheitsstrafe findet nicht statt. Eine Entschädigungspflicht tritt nicht ein. §. 25. Wer vorsätzlich Exemplare eines Werkes, welche den Vorschriften des gegenwärtigen Gesetzes zuwider angefertigt worden sind, innerhalb oder außerhalb des Norddeutschen Bundes gewerbemäßig feilhält, verkauft oder in sonstiger Weise verbreitet, ist nach Maaßgabe des von ihm verursachten Schadens den Urheber oder dessen Rechtsnachfolger zu entschädigen verpflichtet und wird außerdem mit Geldstrafe nach §. 18. bestraft ^).

bestraft, in welchen das Gesetz dies ausdrücklich bestimmt. Die Entschädigungspflicht ist für den Fall des Versuches deshalb verneint, weil nicht anzunehmen ist, daß der Urheber oder dessen Rechtsnachfolger durch den bloßen Versuch des Nachdrucks beschädigt werden könne. Der unbefugte Druck eines Bogens von einem mehrere Bogen starken Werke wird von Kloster­ mann, Urheberrecht S. 35, nach §§. 4 u. 22 als vollendeter theilweiser Nachdruck, von Dambach, Urheberrecht S. 157, nur als Versuch des Nachdrucks charakterisirt. 61) H. Es ist nicht zweifelhaft, daß die Vorrichtungen auch vorläufig (im Wege des Ar­ restes) in Beschlag genommen werden können. Aber die Beschlagnahme setzt voraus, daß dem Richter wirklich ein Versuch des Nachdrucks glaubhaft gemacht ist. Wenn dagegen „bloß die Befürchtung der künftigen Begehung eines Nachdrucks vorliegt", so läßt sich eine Beschlag­ nahme nicht rechtfertigen. R.O.H.G. 1 v. 9. Juni 1876, Entsch. 20 S. 382. 62) H. Die Bestimmung ist gegen die partikularen Strafgesetze, welche eine Erhöhung der Strafe wegen Rückfalls gestatteten, gerichtet. Gegenüber dem deutschen Str.G.B. wäre sie nicht nöthig gewesen, da dieses den Rückfall als Strafschärfungsgrund nur in besonders hervor­ gehobenen Fällen gelten läßt. 63) H. Da der Abdruck in den Fällen des §. 7 a mt sich erlaubt ist, so kann auch die Unterlassung der Quellenangabe nicht mit der Nachdrucksstrafe, sondern als Verstoß gegen die Ordnung nur mit einer geringen Geldstrafe belegt werden. Mot. S. 32. Die Handlung resp. Unterlassung qualifizirt sich lediglich als Uebertretung. §. 37. Eine Strafe tritt überhaupt nicht ein, wenn die Quellenangabe von dem Veranstalter und dem Veranlasser des Abdrucks weder aus Vorsatz noch aus Fahrlässigkeit unterlassen, sondern durch einen Zufall, z. B. beim Satz oder Druck, unterblieben ist. Dambach S. 462. 64) (EL Die fahrlässige Verbreitung von Nachdrucksexemplaren ist nicht strafbar. Die vorsätzliche Verbreitung dagegen ist ein selbstständiges Vergehen, im Gegensatz zu der durch die Vervielfältigung konsumirten Veranstaltung des Nachdrucks. §§. 18 u. 22. Das war auch die Auffassung des Ges. v. 11. Juni 1837. In Bezug auf den §. 13 desselben hat das O.Tr. sich dahin ausgesprochen:) Die Frage, ob ein Werk widerrechtlich vervielfältigt sei, ist nur nach preußischen Regeln zu beantworten; das Verbot des Verkaufs solcher Werke bezieht sich daher auch auf die im Aus­ lande gedruckten Werke, sobald sie nur nach preußischen Gesetzen für Nachdruck zu erachten sind, sollte dieses auch am Orte ihres Erscheinens nicht der Fall sein. O.Tr. v. 13. Okt. 1859 Nr. 2, J.M.Bl. S. 430. Die in Preußen stattgefundene Verbreitung eines außerhalb Preußens gedruckten und herausgegebenen Verlagsartikels, welcher zwar nicht nach den an dem Orte seines Erscheinens geltenden Gesetzen, wohl aber nach preußischen Gesetzen ein Nachdruck eines in Preußen er­ schienenen Werkes ist, fällt unter die Strafbestimmungen dieses Ges. Die Verbreitung von Exemplaren nachgedruckter Werke kann nicht als Theilnahme an dem Vergehen des Nachdrucks aufgefaßt werde», sondern ist ein selbstständiges Vergehen, welches nach den Ges. des Ortes, wo es begangen wird, zu beurtheilen ist. — Daher liegt einzum Verkaufhalten im Sinne des Ges. auch da vor, wo eine spezielle Bestellung eines Nachdrucksexemplars vorausgegangen ist. O.Tr. v. 18. Jan. 1861, J.M.Bl. S. 61; Goltdammer, Arch. 9 S. 192; Oppenhoff, Rechtspr. 1 S. 220. EL. Die Frage, ob eine gewerbemäßige Verbreitung vorliegt, ist nach der Lage des einzelnen Falles zu beantworten. Ueber den Begriff des Gewerbemäßigen siehe O.Tr. Straff. II v. 2. März 1871, J.M.Bl. S. 119, und R.O.H.G. I v. 29. April 1873, Entsch. 9 S. 437. Mehrere Exemplare sind nicht unbedingt erforderlich. Der Sortimentsbuchhändler, welcher auch nur Ein Nachdrucks-Exemplar ausstellt oder an seine Kunden verschickt oder verkauft Koch, Allgemeines Landrecht. I.

8. Aufl.

64

1010

Erster Theil.

Eilfter Titel.

(Gesetz v. 11. Juni 1870 §§. 26-28.)

Die Einziehung der zur gewerbemüßigen Verbreitung bestimmten Nachdrucks-Exemplare nach Maaßgabe des §. 21. findet auch dann statt, wenn der Verbreiter nicht vorsätzlich gehandelt tyat65). Der Entschädigungspflicht, sowie der Bestrafung wegen Verbreitung unterliegen auch der Veranstalter und Veranlasser des Nachdrucks, wenn sie nicht schon als solche entschädigungs­ pflichtig und strafbar finb66). 0 Verfahren. §. 26. Sowohl die Entscheidung über den Entschädigungsanspruch, als auch die Verhän­ gung der im gegenwärtigen Gesetze angedrohten Strafen und die Einziehung der NachdrucksExemplare re. gehört zur Kompetenz der ordentlichen Gerichte67).

Die Einziehung der Nachdrucks-Exemplare rc. kann sowohl im Strafrechtswege beantragt, als im Civilrechtswege verfolgt werden68). §. 27. Das gerichtliche Strafverfahren ist nicht von Amtswegen, sondern nur auf den Antrag des Verletzten einzuleiten60). Der Antrag auf Bestrafung kann bis zur Verkündung eines auf Strafe lautenden Erkenntnisses zurückgenommen werden7"). handelt gewerbemäßig. Klostermann, geist. Eig. 1 S. 402. Ja sogar der Inhaber einer Leihbibliothek soll sich strafbar machen, wenn er vorsätzlich ein Nachdrucks-Exemplar gegen Ent­ gelt verleiht. Dambach S. 164. Nach dem bisherigen Recht war der Verbreiter mit dem eigentlichen Nachdrucker soli­ darisch zur Entschädigung des Autors oder Verlegers verpflichtet. Ges. v. 11. Juni 1837 §. 13. Nach dem vorliegenden Ges. haftet er nur nach Maßgabe des von ihm verursachten Schadens. Die Solidarhaft ist aus Rücksicht der Billigkeit gegen die Sortimentsbuchhändler aufgegeben worden. Dambach S. 166. 65) H. Dagegen kann von einer Bereicherungsklage im Sinne des §. 18 Abs. 6 gegen den Verbreiter als solchen niemals die Rede sein. Mot. S. 33.

66) H. Die Konsequenz dieser Bestimmung ist, daß derjenige, welcher als Veranstalter oder als Veranlasser des Nachdrucks belangt wird, nicht zugleich als Verbreiter in Anspruch genommen werden darf. Mot. S. 93; Endemann S. 56. Wohl aber kann die nach der rechtskräftigen Entscheidung über die Veranstaltung oder Veranlassung des Nachdrucks von dem Angeschuldigten vorgenommene Verbreitung von Nachdrucksexemplaren, "eben weil sie ein selbstständiges Vergehen ist, noch besonders zum Gegenstand eines Strafverfahrens und einer Entschädigungsklage gemacht werden. Mot. S. 33; Dambach S. 168. 67) H. In mehreren deutschen Staaten waren nicht die Gerichte, sondern die Verwaltungs­ behörden zur Entscheidung in Nachdruckssachen kompetent. Wächter, Verlagsrecht S. 613 ff. Hiergegen richtet sich der erste Satz des §. 26. Für Preußen ergiebt sich die Zuständigkeit der Gerichte bereits aus dem L.R. Einl. §. 79 und der A.G.O. I. Einl. §. 1. Nach §. 16 des Ges. v. 11. Juni 1837 hatte der Strafrichter auch über den Entschädigungs­ anspruch des durch den Nachdruck Verletzten zu entscheiden, wenn der Verletzte dies beantragt hatte. O.Tr. Sen. für Straff. I v. 1. Juni 1859, Entsch. 42 S. 85*, v. 18. Jan. 1861, J.M.Bl. S. 61, und v. 8. Mai 1863, J.M.Bl. S. 186; Pl. v. 24. Okt. 1864, J.M.Bl. 1865 S. 2; Entsch. 52 S. 478 und 53 S. 28*; I v. 24. Juni 1867, Entsch. 58 S. 110. Mit dem 1. Januar 1871 aber ist der §. 16, so weit derselbe sich auf Gegenstände des vorliegenden Ges. bezog, außer Wirksamkeit getreten. Vergl. §. 57. Die sonst dem preußischen Strafprozesse un­ bekannte Adhäsion der Civilpartei findet daher auch in Nachdruckssachen nicht mehr statt. Klostermann in der Zeitschrift für Gesetzgebung rc. 5 S. 86. Die Sache stellt sich jetzt so, daß zuständig sind: 1. ausschließlich a) der Strafrichter zur Bestrafung des Beschuldigten so wie zur Verurteilung desselben zur Zahlung einer Geldbuße an den Beschädigten (§. 18), b) der Civilrichter zur Entscheidung über den Entschädigungsanspruch des Verletzten, sofern nicht statt der Entschädigung die Geldbuße gefordert wird, 2. der Strafrichter und der Civilrichter, je nachdem der Berechtigte sich an diesen oder an jenen wendet, zur Entscheidung über die Einziehung (§§. 21 u. 26 Abs. 2). 68) H. Dieser Satz ist erst bei der Berathung.im Plenum des Reichstages hinzugefügt morden. Sten.Ber. S. 71. Er trägt der doppelten Auffassung, welcher die Einziehung des Gesetzes unterliegt, gebührende Rechnung. 69) H. Im Allgemeinen ist hier auf die §§. 61— 65 des Str.G.B. für das deutsche Reich zu verweisen. Der zur Strafverfolgung erforderliche Antrag kann in genügender Weise schriftlich oder mündlich bei jeder Behörde gemacht werden, welche in dem gesetzten Falle das Recht wie die Pflicht hat, eine Anzeige über das vorgefallene Vergehen aufzunehmen und dessen Verfolgung zu veranlassen. Der erkennende Richter darf daher die von der Staatsanwaltschaft beantragte

Bon dem Urheberrecht an Schriftwerken re.

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§. 28. Die Verfolgung des Nachdrucks steht Jedem zu, dessen Urheber- oder Verlags­ rechte durch die widerrechtliche Vervielfältigung beeinträchtigt oder gefährdet finfc71). Bei Werken, welche bereits veröffentlicht sind, gilt bis zum Gegenbeweise derjenige als Urheber, welcher nach Maaßgabe des §. 11. Absatz 1. 2. auf dem Werke als Urheber ange­ geben ist72).

Beweisaufnahme über die in der gedachten Art erfolgte Antragstellung nicht aus dem Grunde beseitigen, weil die letztere nur bei dem Gerichte oder der Staatsanwaltschaft habe erfolgen können. O.Tr. Sen. für Straff, v. 11. März 1857, J.M.Bl. S. 194. Der Strafantrag kann Namens des Verletzten auch von einer Person, die dieser dazu mündlich bevollmächtigt hatte, gestellt werden. Erk. dess. v. 12. März 1862, Oppenhoff, Rechtspr. 2 S. 300. Eine Theilung des Strafantrages ist unstatthaft. Der Antrag auf Bestrafung des Veranstalters eines Nach­ drucks genügt daher auch zur Einleitung des Strafverfahrens gegen die Theilnehmer, namentlich gegen den Veranlasser. Dagegen ist die Strafbarkeit der Verbreitung (§. 25) als eines selbst­ ständigen Vergehens durch einen besonderen Antrag bedingt. VgN Dambach, Urheberrecht S. 173; Wächter, Autorrecht S. 269; Klostermann, Urheberrecht rc. (1876) S. 261. 70) H. Vgl. hierzu Rüdorff, Strafgesetzbuch §. j64, 3. Aufl. (Stenglein) S. 241 ff. 71) H. Da das Recht, ein Schriftwerk auf mechanischem Wege zu vervielfältigen, aus­ schließlich dem Urheber des Werkes zusteht, so folgt, daß auch der Autor derjenige sein muß, der die Verletzung dieses Rechts zu verfolgen befugt ist. Sind mehrere Urheber vorhanden, so sind nicht bloß alle zusammen, sondern auch jeder einzelne für sich befugt, das Urheberrecht gegen den Nachdruck zur Geltung zu bringen. (Anm. 26 zu §. 9.) Mit dem Autor konkurrirt bei veröffentlichten Werken in der Regel der Verleger, als der Inhaber des wichtigsten Theils der Urheberrechte, des Verlagsrechts. Beide können einander ausschließen, z. B. in dem Falle, wo der Autor sein Verlagsrecht an den Verleger veräußert hat; die Veräußerung beseitigt jedoch dann sein Interesse nicht, wenn das Honorar, welches ihm der Verleger zu zahlen hat, von der Zahl der Auflagen oder Ausgaben abhüngt. Kl ost er­ mann, geist. Eig. 1 S. 429. Hat der Verleger die Exemplare, zu deren Herstellung er be­ rechtigt war, bereits verkauft, so ist nur noch der Autor zur Verfolgung des Nachdrucks legitimirt. O.Tr. Sen. für Straff, v. 20. Mai 1869, Oppenhoff, Rechtspr. 10 S. 326. Die Berechtigung zur Stellung des Antrags auf Bestrafung des Angeschuldigten und auf Einziehung der Nachdrucks-Erzeugnisse und Mittel ist, wenn sie Mehreren zukommt, eine soli­ darische; d. h. wenn, nachdem der Strafrichter von einem Mitberechtigten angerufen worden, rechtskräftig erkannt ist, sei es auf Strafe und Einziehung oder auf Freisprechung, so ist die Sache insoweit auch für die Mitberechtigten erledigt, und der Antrag darf ihrerseits nicht wiederholt werden. Die Entschädigung dagegen, welche der Eine fordert, ist unabhängig von derjenigen, auf welche der Andere Anspruch hat. Wenn deshalb auch eine gemeinschaftliche Klage nicht gerade unstatthaft ist, so kann doch Jeder für sich den Civilrichter anrufen. Schwierig wird die Sache erst, wenn einer von mehreren Berechtigten den Strafrichter angeht und zugleich den Antrag auf Zuerkennung einer Geldbuße statt der Entschädigung stellt. Endemann S. 60 meint, daß dann der Richter bei Bemessung der Buße darauf zu rücksichtigen habe, daß dieselbe nur dem Antragsteller zu Gute komme und dessen Mitberechtigte später die ihnen ge­ bührende Entschädigung im Civilprozesse einklagen können. Allein dieser Meinung dürfte die Bestimmung des §. 18 entgegenstehen, daß auf die Geldbuße nur „statt jeder aus diesem Ge­ setze entspringenden Entschädigung erkannt werden kann". Die Verurtheilung des Angeschuldigten zur Erlegung der Buße befreit denselben also von jeder weiteren Entschädigungspflicht. Deshalb hat der Richter die Höhe der Buße nach Maßgabe des gesummten Schadens festzusetzen, den der Angeschuldigte durch sein Vergehen verursacht hat. Sache der nicht zugezogenen Berechtigten ist es dann, sich mit demjenigen zu benehmen, an den der Beschuldigte judikatmäßig Zahlung leisten muß. letzterem wird freilich in den: Nntersuchungsverfahren der Einwand gestattet werden müssen, daß der eigentlich resp, hauptsächlich Verletzte ihm gegenüber auf jeden Ersatzanspruch verzichtet habe. Der Richter kann aber auch, da die Zuerkennung der Buße seinerseits rein fakultativ ist, dieselbe ablehnen und den Antragsteller auf den Civilprozeß verweisen. Verfolgt Jemand, der nicht selbst der Urheber ist, die Verletzung des Urheberrechts, so kann er, falls dieses nicht ganz oder theilweise auf ihn übergegangen ist, nur im Namen des Ur­ hebers oder der Rechtsnachfolger desselben vor Gericht auftreten. Selbst die Genossen­ schaft dramatischer Autoren und Komponisten in Leipzig ist nicht befugt, im eigenen Namen Verletzungen des Urheberrechts eines ihres Mitglieder klagend geltend zu machen. R.O.H.G. 1 v. 21. April 1874, Entsch. 12 S. 329. 72) H. Die Worte „nach Maßgabe des §. 11 Abs. 1 u. 2" beziehen sich, wie gegen Ende mann S. 61 anzunehmen ist, nach ihrer Stellung und nach den Motiven nur auf die Aeußerlichkeiten. Wer auf dem Titelblatt oder unter der Vorrede oder der Zueignung, bez.

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Erster Theil.

Eilfter Titel.

(Gesetz p. 11. Juni 1870 §§. 29—31.)

Bei anonymen und pseudonymen Werken ist der Herausgeber, und wenn ein solcher nicht angegeben ist, der Verleger berechtigt, die dem Urheber zustehenden Rechte wahrzunehmen73). Der auf dem Werke angegebene Verleger gilt ohne weiteren Nachweis als der Rechtsnachfolger des anonymen oder pseudonymen Urhebers7^). §. 29. In den Nechtsstreitigkeiten wegen Nachdrucks, einschließlich der Klagen wegen Be­ reicherung aus dem Nachdruck, hat der Richter, ohne an positive Regeln über die Wirkung der Beweismittel gebunden zu sein, den Thatbestand nach seiner freien, aus dem Inbegriff der Ver­ handlungen geschöpften Ueberzeugung festzustellen 7Ö). Ebenso ist der Richter bei Entscheidung der Frage: ob der Nachdrucker oder der Veran­ lasser des Nachdrucks (§§. 18. 20.) fahrlässig gehandelt hat, an die in den Landesgesetzen vor­

geschriebenen verschiedenen Grade der Fahrlässigkeit nicht gebunden78). §. 30. Sind technische Fragen77), von welchen der Thatbestand des Nachdrucks oder der Betrag des Schadens oder der Bereicherung abhängt, zweifelhaft oder streitig, so ist der Richter befugt, das Gutachten Sachverständiger einzuholen78).

an der Spitze oder am Schluß des einzelnen Beitrages, als Urheber genannt ist, der gilt als der wahre Urheber so lange, bis derjenige, welcher demselben die Autorschaft bestreitet, den Beweis führt, der Urheber sei ein anderer. Das liegt so sehr in der Natur der Verhältnisse, daß das Gesetz eigentlich nur das ausspricht, was der Richter auch ohnehin annehmen müßte. O. Wächter, Verlagsrecht rc. S. 621; Dambach, Urheberrecht S. 177. Sind mehrere Ausgaben desselben Werkes unter dem Namen verschiedener Urheber ver­ öffentlicht, so streitet die Vermuthung für die Rechtmäßigkeit der zuerst erschienenen Ausgabe. Dies erhellt aus dem Relativsätze „welche bereits veröffentlicht sind". Vergl. hierzu K o w a l z i g S. 31. Dem Verleger kommt die Vermuthung nur insofern zu Gute, als er die Autorschaft des­ jenigen, der nach dem Gesagten als Urheber (Herausgeber §. 2, Uebersetzer §. 6) anzusehen ist, nicht nachzuweisen braucht. Dagegen muß der Verleger in der gewöhnlichen Weise darthun, daß der Autor ihm das Verlagsrecht übertragen habe. Die Thatsache, daß er als Verleger auf dem Titel angegeben ist, überhebt ihn der Nothwendigkeit dieses Beweises nicht. Mot. 73) H. Die Legitimation des Verlegers war schon nach dem bisherigen Recht außer Zweifel gestellt. Sie schließt jedoch nicht aus, daß der Autor aus der Anonymität heraustritt und selber seine Rechte wahrnimmt. Er muß dann aber seine Autorschaft beweisen. O.Tr. Sen. für Straff, v. 6. Juli 1864, Goltdammer, Arch. 12 S. 705, und v. 20. Mai 1869, Oppenhoff, Rechtspr. 10 S. 326. Durch die Eintragung in die Eintragsrolle kann dieser Beweis nicht geführt werden. (§. 40.) Dambach S. 179; Klostermann, Urheberrecht (1876) S. 263. Ein Fall der Legitimation des Herausgebers ist in dem Urtheil des R.O.H.G. v. 15. Jan. 1873 behandelt. Anm. 2 zu §. 2. 74) H. Dieser Satz und der vorhergehende finden ihre Rechtfertigung in dem Schutz der Anonymität und der Pseudonymität. Der Urheber soll nicht genöthigt sein, an die Öffentlichkeit zu treten. Die für den Herausgeber und den Verleger streitende Rechtsvermuthung kann aber von dem Beschuldigten bez. Beklagten widerlegt werden. Es folgt dies aus der Verbindung, in welcher der dritte Absatz mit dem zweiten Absatz des §. 28 steht. Vgl. Dambach S. 180 und Endemann S. 62. Die Vermuthung gilt überhaupt nicht gegenüber dem Verfasser. Klostermann a. a. O. 75) H. Vgl. die entsprechenden Bestimmungen der C.P.O. S. 259 und der Str.P.O. §. 260. Die Grundsätze von der Beweis last werden von der freien Beweistheorie nicht berührt. §§.19,21,28. Kowalzig S. 33. 76) H. Die Unterschiede zwischen grobem, mäßigem und geringem Versehen (culpa lata, levis, levissima) sind als unpraktisch verworfen. R.O.H.G. I v. 16. Mai 1873, Entsch. 10 S. 127 a. E. Der Richter hat, wenn er den Vorsatz verneinen muß, sich nur die Frage vorzulegen: Hat der Angeschuldigte oder Verklagte fahrlässig gehandelt oder nicht? Mot. „Es genügt jedes, auch das geringste Verschulden, jede Außerachtlassung der in Verhältnissen dieser Art erforderlichen Umsicht und Besonnenheit." R.O.H.G. I v. 12. Jan. 1875, Entsch. 16 S. 261. Ein Unterschied zwischen strafrechtlicher und civilrechtlicher Fahrlässigkeit darf nicht gemacht werden. Dambach S. 185. 77) H. Den Gegensatz zu den technischen Fragen bilden hier lediglich Rechts-Fragen. Ueber die letzteren soll nicht der Sachverständige, sondern ausschließlich der Richter befinden. Sten. Ber. (Sep.-Abdr.) S. 75.

Von dem Urheberrecht an Schriftwerken rc.

1013

§. 31. In allen Staaten des Norddeutschen Bundes sollen aus Gelehrten, Schriftstellern, Buchhändlern und anderen geeigneten Personen Sachverständigen-Vereine gebildet werden, welche, auf Erfordern des Richters, Gutachten über die an sie gerichteten Fragen abzugeben verpflichtet finfc70). Es bleibt den einzelnen Staaten überlassen, sich zu diesem Behufe an andere Staaten des Norddeutschen Bundes anzuschließen, oder auch mit denselben sich zur Bildung gemeinschaftlicher Sachverständigen-Vereine zu verbinden. Die Sachverständigen-Vereine sind befugt, auf Anrufen der Betheiligten über streitige Entschädigungsansprüche und die Einziehung nach Maaßgabe der §§. 18. bis 21. als Schieds­ richter zu verhandeln und zu entscheiden 80 78).79 Das Bundeskanzler-Amt erläßt die Instruktion über die Zusammensetzung und den Ge­ schäftsbetrieb der Sachverständigen-Vereine81). 78) H. Die Sachverständigen erscheinen hier lediglich als Gehülfen des Richters. Ende­ mann S. 63. Die Befugniß desselben zur Einholung eines Gutachtens ist daher durch einen Partei-Antrag nicht bedingt. Gelangt der Richter durch eigene Prüfung zu einer festen Ueber­ zeugung, so braucht er überhaupt nicht den Rath eines Sachkundigen. Hat er aber einmal ein Gutachten sich erstatten lassen, so ist er dennoch an die in demselben ausgesprochenen An­ sichten nicht gebunden. R.O.H.G. I v. 24. Mai 1872, Entsch. 6 S. 169. Vergl. die Anm. 49 zu §. 19. 79) H. Das Gesetz v. 11. Juni 1837 bestimmte unter §. 17: „Scheint es dem Richter zweifelhaft, ob eine Druckschrift als Nachdruck oder unerlaubter Abdruck zu betrachten, oder wird der Betrag der Entschädigung bestritten, so hat der Richter das Gutachten eines aus Sachver­ ständigen gebildeten Vereins einzuholen. — Die Bildung eines oder mehrerer solcher Vereine, die vorzüglich aus geachteten Schriftstellern und Buchhändlern bestehen sollen, bleibt einer besondern von Unserem Staatsministerium zu erlassenden Instruktion vorbehalten." Diese Instruktion wurde am 15. Mai 1838 erlassen. Die Auffassung der Sachverständigen-Vereine, welche derselben zu Grunde lag, ging im Wesentlichen in den Entwurf des Gesetzes über, der im Jahre 1870 dem Reichstage vorgelegt wurde. Man wollte den Richter namentlich verpflichten, von keinem anderen Sachkundigen als dem Sachverständigen-Verein ein Gutachten einzuholen und das letztere, wenn es sich um die Höhe der Entschädigung handelte, auch zu befolgen. (Mot.) Im Reichs­ tage war jedoch die Stimmung den Sachverständigen-Vereinen überhanpt nicht günstig. Der Paragraph erhielt die vorliegende Fassung, um die Bedeutung der Vereine abzuschwächen (Sten. Ber. S. 73 ff.) Der Richter ist danach in der Wahl der Sachverständigen nicht beschränkt und von denselben in der Beurtheilung auch der technischen Fragen völlig unabhängig. Dahn a. a. O. S. 56 u. 57; Kl oster mann, Urheberrecht (1871) S. 47 u. 48; Dambach S. 189—191. „Ueber die Bedeutung der Sachverständigen-Vereine in Nachdrucks-Angelegenheiten und die Stellung dieser Vereine zu den Gerichtsbehörden" siehe Heydemann in der Zeitschrift für Gesetzgebung und Rechtspflege 4 S. 1—15. Nach einer Bekanntmachung v. 29. Mai 1872, J.M.Bl. S. 135, hat der Minister der geist­ lichen rc. Angelegenheiten im Einverständniß mit dem Justizminister dem in Gemäßheit des Ges. v. 11. Juni 1837 in Berlin bestehenden literarischen bez. musikalischen Sachverständigen-Vereine die Funktionen der nach §. 31 des Reichsgesetzes v. 11. Juni 1870 zu bildenden entsprechend en Vereine für das Gesammtgebiet des preußischen Staates und für diejenigen Staaten, welche sich an ihn auf Grund des §. 31 anschließen, übertragen. 80) H. Nach der A.G.O. I. 2 §§. 169 ff. können nur physische Personen als Schieds­ richter fungiren. Um dem Sachverständigen Verein als solchem die Befugniß zur Annahme und Ausübung des Schiedsrichteramtes beizulegen, bedurfte es mithin'einer ausdrücklichen Be­ stimmung des Gesetzes. So erklärt sich der Abs. 2 des §. 31. (Mot.) Jetzt entscheiden die Vorschriften der C.P.O. 851 ff. 81) H. Diese Instruktion ist am 12. Dez. 1870 von dem Bundeskanzler-Amt erlassen und durch das Bundes-Gesetzblatt S. 621 bestimmt bekannt worden. Sie hat in den §§. 6 u. 7 einige Aenderungen erlitten, und zwar §. 6 durch die Bekanntmachung des Reichskanzlers v. 16. Juli 1879, Centr.Bl. für das d. R. S. 490, und §. 7 durch die Bek. desselben v. 25. Okt. 1882, Eentr.Bl. S. 417. Unter Berücksichtigung dieser Aenderungen lauten die einzelnen Para­ graphen wie folgt: §. 1. Die Sachverständigen-Vereine sind entweder a) literarische oder b) musikalische Sachverständigen-Vereine. In keinem Staate des Norddeutschen Bundes darf mehr als ein literarischer und ein musikalischer Sachverständigen-Verein bestehen. §. 2. Jeder Verein besteht aus sieben Mitgliedern, einschließlich des Vorsitzenden. Für den Fall der Verhinderung einzelner Mitglieder wird eine Anzahl Stellvertreter ernannt. §. 3. Die Ernennung der Mitglieder und Stellvertreter erfolgt durch die zuständige

1014

Erster Theil.

Eilfter Titel.

(Gesetz v. 11. Juni 1870 §§. 32—34.)

§. 32*). Die in den §§. 12. und 13. des Gesetzes, betreffend die Errichtung eines ober­ sten Gerichtshofes für Handelssachen vom 12. Juni 1869. (Bundesgesetzbl. S. 201.), geregelte Zuständigkeit des Bundes-Oberhandelsgerichts zu Leipzig wird auf diejenigen bürgerlichen Rechts­ streitigkeiten ausgedehnt, in welchen auf Grund der Bestimmungen dieses Gesetzes durch die Klage ein Entschädigungsanspruch oder ein Anspruch auf Einziehung geltend gemacht wird. Das Bundes-Oberhandelsgericht tritt auch in den nach den Bestimmungen dieses Gesetzes zu beurtheilenden Strafsachen an die Stelle des für das Gebiet, in welchem die Sache in erster Instanz anhängig geworden ist, nach den Landesgesetzen bestehenden obersten Gerichtshofes, und zwar mit derjenigen Zuständigkeit, welche nach diesen Landesgesetzen dem obersten Gerichtshöfe gebührt28). Centralbehörde, welche auch den Vorsitzenden und dessen Stellvertreter aus der Zahl der Vereins­ mitglieder bestimmt. Die Mitglieder und Stellvertreter werden als Sachverständige ein für alle Mal gerichtlich vereidet. §. 4. Der literarische Sachverständigen-Verein ist berufen, auf Erfordern der Gerichte Gutachten über technische Fragen abzugeben, von welchen a) der Thatbestand des Nachdrucks von Schriftwerken oder Abbildungen (§§. 1. ff., §§. 43. und 44. des Gesetzes v. 11. Juni 1870.) oder b) der Thatbestand der unerlaubten Aufführung eines dramatischen Werkes (§§. 50. ff. a. a. O.) oder c) der Betrag des durch den Nachdruck oder die unerlaubte Aufführung entstandenen Schadens, beziehungsweise der Bereicherung, abhängt. Ein Mitglied des Vereins muß als Zeichner, Kupferstecher rc. mit der Anfertigung der im §. 43. des Gesetzes v. 11. Juni 1870. erwähnten Zeichnungen und Abbildungen vertraut sein. §. 5. Der musikalische Sachverständigen-Verein ist berufen, auf Erfordern der Gerichte Gutachten über technische Fragen abzugeben, von welchen a) der Thatbestand des Nachdrucks von musikalischen Kompositionen (§§. 45. ff. a. a. O.) oder b) der Thatbestand der unerlaubten Aufführung eines musikalischen oder dramatisch-musi­ kalischen Werkes (§§. 50. ff. a. a. O.) oder c) der Betrag des durch den Nachdruck oder die unerlaubte Aufführung entstandenen Schadens, beziehungsweise der Bereicherung abhängt. g. 6. Das verlangte Gutachten hat der Verein nur dann abzugeben, wenn von dem er­ suchenden Gerichte 1. in dem Ersuchungsschreiben die zu begutachtenden Fragen einzeln aufgeführt, 2. dem Vereine übersendet sind a) die gerichtlichen Akten, b) die zu vergleichenden Gegenstände, deren Identität durch Anhängung des Gerichtssiegels oder auf andere Art außer Zweifel gestellt und gegen Verwechselung gesichert ist. §. 7. Sobald der Antrag auf Erstattung eines Gutachtens von Seiten des Vereins an den Vorsitzenden desselben gelangt ist, ernennt der letztere nach seinem Ermessen ein oder zwei Mitglieder zu Referenten,' welche ihre Meinung schriftlich abzugeben und in einer demnächst anzuberaumenden Sitzung des Vereins vorzutragen haben. Nach stattgehabter Berathung erfolgt durch Stimmenmehrheit der Beschluß. Bei Stimmengleichheit giebt die Stimme des Vorsitzenden den Ausschlag. §. 8. Zur Fassung eines gültigen Beschlusses ist die Anwesenheit von wenigstens fünf Mitgliedern, einschließlich des Vorsitzenden und der etwa zugezogenen Stellvertreter, erforderlich. Mehr als sieben Mitglieder dürfen an dem Beschlusse nicht Theil nehmen. §. 9. Nach Maaßgabe des gefaßten Beschlusses Mrd das Gutachten ausgefertigt, von den bei der Beschlußfassung anwesend gewesenen Mitgliedern des Vereins unterschrieben und mit dem dem Vereine zu überweisenden Siegel untersiegelt. Die etwaige Verwendung von Stempeln zu dem Gutachten richtet sich nach den Gesetzen der einzelnen Bundesstaaten. §. 10. Der Verein ist befugt, an Gebühren für das Gutachten zehn bis Einhundert Thaler zu liquidiren, welche vom requirirenden Gerichte sofort nach Eingang des Gutachtens dem Vor­ sitzenden des Vereins kostenfrei übersandt werden. §. 11. Wenn die beteiligten Parteien in Gemäßheit des §. 31. Absatz 2. des Gesetzes vom 11. Juni 1870. einen Sachverständigen-Verein als Schiedsrichter anzurufen beabsichtigen, so haben sie ihre desfallsigen Anträge in beglaubigter Form an den Verein gelangen zu lassen. Die in den §§. 6. bis 10. enthaltenen Bestimmungen kommen auch in diesem Falle analog zur Anwendung. *) H. Die Zuständigkeit des Oberhandelsgerichts ist nach dem deutschen Gerichtsverfassungs"gesetze §§. 12, 135 u. 136 auf das Reichsgericht übergegangen. Vgl. das Einf.Ges. v. 27. Jan. 1877 §. 8. Für das Verfahren sind die Vorschriften der C.P.O. und der Str.P.O. maßgebend.

Von dem Urheberrecht an Schriftwerken re.

1015

In den zufolge der vorstehenden Bestimmung zur Zuständigkeit des Bundes-Oberhandels­ gerichts gehörenden Strafsachen bestimmt sich das Verfahren auch bei diesem Gerichtshöfe nach den für das Gebiet, aus welchem die Sache an das Bundes-Oberhandelsgericht gelangt, geltenden Strafprozeßgesetzen82 83).84 85 Die86Verrichtungen 87 der Staatsanwaltschaft in diesen Strafsachen werden bei dem Bundes-Oberhandelsgericht von dem Staatsanwalt wahrgenommen, welcher dieselben

bei dem betreffenden obersten Landesgerichtshofe wahrzunehmen hat. Der bezeichnete Staats­ anwalt kann sich jedoch bei der mündlichen Verhandlung durch einen in Leipzig angestellten Staatsanwalt oder durch einen in Leipzig wohnenden Advokaten vertreten lassen.8^) Strafsachen, für welche in letzter Instanz das Bundes-Oberhandelsgericht zuständig ist, und Strafsachen, für welche in letzter Instanz der oberste Landesgerichtshof zuständig ist, können

in Einem Strafverfahren nicht verbunden werden. Die Bestimmungen der §§. 10. 12. Absatz 2., §. 16. Absatz 2., §§. 17. 18. 21. und 22. des Gesetzes vom 12. Juni 1869. finden auch auf die zur Zuständigkeit des Bundes-Oberhandels­ gerichts gehörenden Strafsachen entsprechende Anwendung. §. 33. Die Strafverfolgung des Nachdrucks und die Klage auf Entschädigung wegen Nach- g) Verjähdrucks, einschließlich der Klage wegen Bereicherung (§. 18.), verjähren in drei Jahren88). run0* Der Lauf der Verjährung beginnt mit dem Tage, an welchem die Verbreitung der Nach­ drucks-Exemplare zuerst stattgefunden hat88). §. 34. Die Strafverfolgung der Verbreitung von Nachdrucks-Exemplaren und die Klage auf Entschädigung wegen dieser Verbreitung (§. 25.) verjähren ebenfalls in drei Jahren8^). Der Lauf der Verjährung beginnt mit dem Tage, an welchem die Verbreitung zuletzt statt­

gefunden hat88). 82) H. Diese Bestimmung hat nur noch für Bayern praktische Bedeutung. Einf.Ges. zum G.V.G. §. 8 Abs. 2. 83) H. Siehe die Anm. * zu diesem Paragraphen. 84) H. Die beiden Sätze sind durch das G.V.G. §§. 142 ff. beseitigt. Die Funktionen der Staatsanwaltschaft in Gemäßheit des Ges. v. 11. Juni 1870 werden bei dem Reichsgericht von dem Ober-Reichsanwalt resp, dessen Vertreter wahrgenommen. 85) H. Vgl. das Str.G.B. für das deutsche Reich §. 67, sowie das L.R. I. 6 §. 54 u. die Deklaration v. 31. März 1838. 86) H. Die Verjährung der Strafverfolgung hätte mit dem Tage, an welchem das Ver­ gehen des Nachdrucks nach §. 22 vollendet wiro, und die Entschädigungsklage mit dem Tage, an welchem deren Anstellung zuerst möglich ist, eventuell mit dem Zeitpunkt der Entstehung des Schadens, beginnen sollen. Statt dessen hat die Neichstagskommission den Lauf der Verjährung von der ersten Verbreitung des Nachdrucks an gerechnet, um zu verhindern, daß Jemand „auf Vorrath nachdruckte". Denn, so argumentirte man, wenn die Verjährung bereits mit der Her­ stellung des ersten Nachdrucksexemplars begönne, so brauchte der Nachdrucker die angefertigten Exemplare nur drei Jahre lang zu verbergen, um dann damit hervortreten zu können, ohne sich strafbar und entschädigungspflichtig zu machen. Komm.Ber. S. 18. Die Motivirung erscheint jedoch nicht überzeugend. Ein Nachdruck in der Absicht, dessen Erzeugnisse erst nach drei Jahren zu verwerthen, ist so wenig wahrscheinlich, daß die mögliche Gefahr wohl kaum ein Abgehen von der allgemeinen Rechtsregel zu rechtfertigen vermag. Ueberdies trifft den Veranstalter des Nach­ drucks, wenn er nach drei Jahren aus demselben Vortheil ziehen will, doch immer die Strafe der Verbreitu ng und die Entschädigungspflicht des §. 25. Zum Schutz des Verlagsberechtigten dürfte sonach die Bestimmung des Abs. 2 keinesfalls erforderlich sein. Die Konseauenz derselben führt dahin, daß das Vergehen des Nachdrucks überhaupt nicht verjährt, wenn oer Thäter die Absicht der Verbreitung, die er bei der Vollendung des Vergehens (§. 22) hatte, nach der Voll­ endung aufgiebt. Die Bestimmung des §. 33 Abs. 2 ist „zur analogen Anwendung auf den Fall der öffentlichen Aufführung nicht geeignet, weil hierbei ein Unterschied zwischen der Herstellung und Verbreitung nicht gemacht werden kann". In diesem Falle beginnt die Verjährung „von der Zeit der öffentlichen Aufführung zu laufen, mit welcher sowohl der Thatbestand der strafbaren Handlung als die Voraussetzungen des Civilanspruchs vollständig gegeben sind. Haben mehrere unbefugte Aufführungen desselben Werkes stattgefunden, so läuft bezüglich jeder einzelnen Auf­ führung eine besondere Verjährung." R.O.H.G. I v. 30. Nov. 1878, Entsch. 24 S. 282. 87) H. Siehe die Anm. 85.

1016

Erster Theil.

Eilfter Titel.

(Gesetz v. 11. Juni 1870 §§. 35—41.)

§. 35. Der Nachdruck und die Verbreitung von Nachdrucks-Exemplaren sollen straflos bleiben, wenn der zum Strafantrage Berechtigte den Antrag binnen drei Monaten nach erlangter Kenntniß von dem begangenen Vergehen und von der Person des Thäters zu machen unterläßt ”0). §. 36. Der Antrag auf Einziehung und Vernichtung der Nachdrucks-Exemplare, sowie der zur widerrechtlichen Vervielfältigung ausschließlich bestimmten Vorrichtungen (§. 21.), ist so lange zulässig, als solche Exemplare und Vorrichtungen vorhanden finfc90 88).89 §. 37. Die Uebertretung, welche dadurch begangen wird, daß in den Fällen des §. 7. Littr. a. die Angabe der Quelle oder des Namens des Urhebers unterblieben ist, verjährt in drei Monaten9*). Der Lauf der Verjährung beginnt mit dem Tage, an welchem der Abdruck zuerst verbreitet worden ist92). §. 38. Die allgemeinen gesetzlichen Vorschriften bestimmen, durch welche Handlungen die

Verjährung unterbrochen wird9-*). Die Einleitung des Strafverfahrens unterbricht die Verjährung der Entschädigungsklage nicht94), und eben so wenig unterbricht die Anstellung der Entschädigungsklage die Verjährung des Strafverfahrens. 88) H. Die Kommission des Reichstages hat die Verbreitung des Nachdrucks (§. 25) als ein sogenanntes fortgesetztes Vergehen aufgefaßt und damit den von ihr dem §. 34 hin­ zugefügten zweiten Satz gerechtfertigt. Komm.Ber. S. 18. Für das Strafverfahren mag dies zutreffend sein. Für den Civilanspruch dagegen ist die Bestimmung nicht ohne Bedenken. Die Verjährung der Entschädigungsklage wegen aller Verbreitungshandlungen beginnt erst mit der letzten dieser Handlungen. Endemann S. 67 setzt den Fall, daß Jemand im Jahre 1870 Nachdrucksexemplare verbreitet und dadurch den Thatbestand des §. 25 erfüllt hat; die Sache wird nicht verfolgt, so daß im Jahre 1874 die Verjährung eingetreten zu sein scheint. Da fällt es dem Besitzer ein, einige Exemplare, die er im Jahre 1870 übrig behalten hat, zu verkaufen. Nunmehr tritt der Derlagsberechtigte auf und fordert Entschädigung, und zwar nicht bloß wegen der 1874, sondern auch wegen der 1870 vorgenommenen Verbreitung. Kann hier der Beklagte den Anspruch aus der früheren Zeit durch Berufung auf die Verjährung zurückweisen? Endemann verneint die Frage, weil die Verjährung der Verbreitung überhaupt erst mit der letzten Verbreitungshandlung im Jahre 1874 begonnen hat. Dambach S. 198 u. 199 will in einem solchen Falle die einzelnen Handlungen als selbst­ ständige Vergehen betrachten und deshalb jede in sich abgeschlossene Handlung besonders ver­ jähren lassen. Doch scheint das Gesetz für eine solche Auffassung keinen Anhalt zu bieten. 89) H. Die Vorschrift entspricht dem §. 61 des Str.G.B. Sind Mehrere zu dem Anträge berechtigt, so kommt §. 62 daselbst zur Anwendung. Die Kenntniß darf nicht vermuthet werden. Wenn also der Angeschuldigte behauptet, daß der Antragsteller von dem Nachdruck (§. 22) oder von der Verbreitung der Nachdrucksexemplare (§. 25) bereits länger als drei Monate Kenntniß habe, so muß er dies beweisen. O.Tr. Sen. für Straff, v. 15. Juii 1870, Str. Arch. 78 S. 329. Bei Berechnung der Frist wird der Tag, an welchem der Antragsteller die Kenntniß erlangt hat, mitgerechnet. Dambach S. 201. Die Frist ist übigens keine Verjährungs-, sondern eine Präklusiv-Frist, so daß die Regeln über die Unterbrechung der Verjährung auf dieselbe nicht anzu­ wenden sind. O.Tr. Sen. für Straff, v. 30. Sept. 1863, Str. Arch. 50 S. 295. Eben so Klostermann, Urheberrecht rc. (1876) S. 269. 90) H. Aber doch nur so lange, als überhaupt das Werk gegen Nachdruck geschützt ist (§§. 8 ff.). Denn nach Ablauf der Schutzfrist ist das Recht des Urhebers resp. Verlegers er­ loschen, die Legitimation desselben zu dem Anträge auf Einziehung und Vernichtung der Nach­ drucks-Erzeugnisse und Mittel daher zu verneinen. (§. 28.) Dambach S. 202 hält die Einziehung auch noch nach Ablauf jener Frist für zulässig, weil die Konfiskation mit der widerrechtlichen Herstellung verwirkt ist. Allein dieser Grund beweist nichts, weil die Konfiskation sich nicht ipso jure vollzieht, sondern von dem Willen des Berechtigten abhängt, mithin nicht mehr vorgenommen werden darf, wenn der Berechtigte, so lange sein Recht bestand, von demselben keinen Gebrauch gemacht hat. Ende mann S. 68; Wächter, Autorrecht S. 288; Klostermann a. a. O. S. 270. 91) H. Str.G.B. §. 67 Abs. 3. 92) H. Gleichviel, ob und wann der Berechtigte Kenntniß von der Uebertretung erhalten hat. 93) H. Vergl. das L.R. I. 9 §§. 551 ff. und Str.G.B. §. 68. 94) H. Hieraus folgt, daß die Verjährung der Entschädigungsklage durch den Antrag des

Von dem Urheberrecht an Schriftwerken rc.

1017

§. 39. Die Eintragsrolle, in welche die in den §§. 6. und 11. vorgeschriebenen Eintra­ gungen stattzufinden haben, wird bei dem Stadtrath zu Leipzig geführt 95 * *). §. 40. Der Stadtrath zu Leipzig ist verpflichtet, auf Antrag der Betheiligten die Ein­ tragungen zu bewirken, ohne daß eine zuvorige Prüfung über die Berechtigung des Antrag­ stellers oder über die Richtigkeit der zur Eintragung angemeldeten Thatsachen stattfindet96). §. 41. Das Bundeskanzler-Amt erläßt die Instruktion über die Führung der Eintrags­ rolle 97).98 Es ist Jedermann gestattet, von der Eintragsrolle Einsicht zu nehmen und sich be­ glaubigte Auszüge aus derselben ertheilen zu lassen99). Die Eintragungen werden im Börsen­ blatt für den Deutschen Buchhandel und, falls dasselbe zu erscheinen aufhören sollte, in einer anderen vom Bundeskanzler-Amte zu bestimmenden Zeitung öffentlich bekannt gemacht.

Beschädigten auf Verurtheilung des Beschuldigten zur Erlegung einer Geldbuße statt der Ent­ schädigung nicht unterbrochen wird. Dambach S. 204; Wächter, Autorrecht S. 287. 95) H. Der Stadtrath zu Leipzig hat in seiner Eigenschaft als Kuratorium der Eintrags­ rolle am 3. Febr. 1871 folgende Bekanntmachung erlassen: „Die in Gemäßheit der Vorschrift in §. 39 des Bundesgesetzes v. 11. Juni 1870, betreffend das Urheberrecht rc., von dem unterzeichneten Kuratorium zu führende Eintragsrolle umfaßt lediglich die Eintragungen: a) der wahren Namen der Urheber anonymer oder pseudonymer Werke (Abth. A., vergl. Abs. 4 §. 11 und Abs. 3 §. 52 des alleg. Gesetzes); b) von Anmeldungen des rechtzeitigen Erscheinens vorbehaltener Uebersetzungen(Abth. B., vergl. Abs. 4 §. 6 des alleg. Gesetzes); c) von früher ertheilten Privilegien (Abth. C., wird am 1. April 1871 geschlossen, vergl. Abs. 4 §. 60 des alleg. Gesetzes). Nach Maßgabe der vom Bundeskanzler-Amte über die Führung der Eintragsrolle erlassenen Instruktion ist der Antrag auf eine der vorberegten Eintragungen schriftlich oder zu Pro­ tokoll bei uns zu stellen. Ersteren Falls muß die Echtheit der Unterschrift des Antragstellers gerichtlich oder notariell beglaubigt sein, letzteren Falls die Identität der Person des Antragstellers, dafern derselbe bei uns nicht persönlich bekannt ist, durch zwei dem Protokoll­ führer persönlich und als glaubhaft bekannte Zeugen erwiesen werden. Dem Antragsteller wird ein Eintragsschein nur auf besonderes Verlangen ertheilt. Die Einsicht der Eintragsrolle ist während der gewöhnlichen Dienststunden Jedermann gestattet. Alle Eingaben, Verhandlungen, Atteste, Beglaubigungen u. s. w., welche die Eintragung in die Rolle betreffen, sind stempelfrei, für jede Eintragung, für jeden Eintragsschein, sowie für jeden sonstigen Auszug aus der Eintragsrolle ist eine Gebühr von je 15 Ngr. im Voraus zu entrichten oder auf Wunsch mittelst Postvorschuß einzuziehen." 96) H. Der Zweck der Eintragsrolle ist die Herstellung eines sicheren und allgemein er­ kennbaren Rechtszustandes. (Vgl. die Anm. 33 zu §. 11.) Der Gesetzgeber hat dabei weniger das Interesse der Autoren, als vielmehr das Interesse des Publikums im Auge gehabt. Es soll Jeder Gelegenheit haben, sich zu überzeugen, ob ein Werk übersetzt (§. 6), nachgedruckt i§§. 11 u. 60) oder öffentlich aufgeführt (§. 52) werden darf. Diese Gelegenheit bietet die Eintragsrolle. Mot. S. 36 u. 37; Komm.Ber. S. 10 u. 18. Für den Autor hat die Anmeldung zur Eintragung in die Rolle gewissermaßen die Natur einer Protestation; er wahrt sich durch dieselbe ein Recht, welches er sonst verlieren würde. Das Recht selbst aber wird durch die Ein­ tragung nicht bewiesen. Es besteht auch nicht eine Vermuthung für die Richtigkeit der einge­ tragenen Thatsachen. Nur die Zeit, in welcher die Thatsache eingetragen und bekannt gemacht worden ist, wird durch die Nolle festgestellt. Von einer Pflicht oder einem Recht des Leipziger Stadtraths zur Prüfung der Berechtigung des Antragstellers oder der Richtigkeit der zur Ein­ tragung angemeldeten Thatsachen kann daher keine Rede sein. Glaubt Jemand Grund zur Be­ schwerde über den Stadtrath zu haben, so hat er sich an die Königl. Sächs. Behörde zu wenden, welche demselben vorgesetzt ist. Dahn a. a. O. S. 61 u. 62. In letzter Instanz entscheidet die Eentralstelle des Reiches kraft des diesem durch die Reichsverfassung Art. 4 Nr. 6 übertragenen Schutzes des geistigen Eigenthums. 97) H. Diese Jnstr. ist am 7. Dez. 1870 erlassen, jedoch erst im Jahre 1876 durch das Eentralblatt für das deutsche Reich S. 120 veröffentlicht worden; sie ist abgedruckt in dem Werke „die Gesetzgebung des deutschen Reiches von der Gründung des norddeutschen Bundes bis auf die Gegenwart" 2 S. 116—118. Ihr Inhalt ist der Hauptsache nach in der Bekanntmachung des Stadtraths zu Leipzig v. 3. Febr. 1871 enthalten. 98) H. Vergl. die Anm. 95 zu ß. 39,

Eintrags­ rolle.

1018

Erster Theil.

Eilfter Titel.

(Gesetz v. 11. Juni 1870 §§. 42—47.)

§. 42. Alle Eingaben, Verhandlungen, Atteste, Beglaubigungen, Zeugnisse, Auszüge u. s. w., welche die Eintragung in die Eintragsrolle betreffen, sind stempelfrei. Dagegen wird für jede Eintragung, für jeden Eintragsschein, sowie für jeden sonstigen Auszug aus der Eintragsrolle eine Gebühr von je 15 Sgr. erhoben, und außerdem hat der Antragsteller die etwaigen Kosten für die öffentliche Bekanntmachung der Eintragung (§. 41.) zu entrichten. II.

Geographische, topographische,

naturwissenschaftliche, architektonische,

technische und ähnliche Abbildungen.

§. 43. Die Bestimmungen in den 1—42. finden auch Anwendung auf geographische, topographische, naturwissenschaftliche, architektonische, technische und ähnliche Zeichnungen und Abbildungen, welche nach ihrem Hauptzwecke nicht als Kunstwerke zu betrachten füxfc90). §. 44. Als Nachdruck ist es nicht anzusehen, wenn einem Schriftwerke 10°) einzelne Ab-

99) H. Eure Zeichnung bezweckt nach Mandry, Urheberrecht an literarischen Erzeugnissen und Werken der Kunst :c. 1867 S. 218, entweder 1. „die Darstellung des Schönen und die Erregung der demselben entsprechenden Gefühle im Betrachtenden (ästhetische Darstellung)" oder 2. „die Vermittelung von Gedankenaustausch (belehrende Darstellung)" oder endlich 3. „die Befriedigung anderweiter, materieller Bedürfnisse des Menschen (industrielle Dar­ stellung)." Der Entwurf des vorliegenden Gesetzes beabsichtigte die Regelung des Urheberrechts an den unter 1 u. 2 gedachten Erzeugnissen. Der Abschnitt, welcher von den Werken der bildenden Kunst handelte, wurde indeß von Plenum des Reichstages gestrichen. (Sten.Ber. S. 99.) Zeichnungen und Abbildungen, welche einen ästhetischen Zweck verfolgen (1), sind daher nicht Gegenstand des Gesetzes. R.O.H.G. I v. 6. Okt. 1871, Entsch. 3 S. 315. Sie fallen in den Bereich des Gesetzes, betreffend das Urheberrecht an Werken der bildenden Künste, v. 9. Jan. 1876. Industrielle Zeichnungen (3) gehören hierher nur dann, wenn sie zur Belehrung über die dargestellten Gegenstände bestimmt, resp, zum Gegenstände des Vortrags gemacht sind; hiervon abgesehen sind sie nur in so fern geschützt, als die Bedingungen des Gesetzes, betr. das Urheber­ recht an Mustern und Modellen, v. 11. Jan. 1876 erfüllt sind. Klostermann a, a. O. S. 65. Den Schutz der Photographieen gegen unbefugte Nachbildung regelt das Ges. v. 10. Jan. 1876. Die §§. 43 u. 44 des Ges. v. 11. Juni 1870 beziehen sich demnach nur auf die unter Nr. 2 gekennzeichneten Abbildungen, durch welche nicht sowohl künstlerische als vielmehr wissen­ schaftliche Ideen veranschaulicht werden. Auf den literarischen Werth der Zeichnung kommt es dabei nicht an. (Anm. 1 zu §. 1.) O.Tr. Sen. für Straff, v. 31. März 1870, Oppenhoff, Rechtspr. 11 S. 215. Zu den Abbildungen im Sinne des §. 43 sind namentlich gezählt worden: Landkarten aller Art, Globuskarten, Wandkarten, Stadtpläne (Heydemann und Dambach S. 464, 484, 490, 493, 496), anatomische, botanische, mineralogische Abbildungen, Darstellungen von Maschinen, Geräthen rc. (Komm.Ber. S. 19), Zeichnungen, welche einem Patentgesuche zur Beschreibung der Erfindung beigefügt sind (R.O.H.G. 25 S. 78) rc. Auch Post- und Reisespiele, sowie Modellirkartonbogen für Kinder hat der literarische Sachverständigen-Verein in Berlin, weil dadurch ein belehrender Zweck verfolgt wird, gegen mechanische Vervielfältigung schützen wollen. Heydemann und Dambach a. a. O. S. 118 und 511. Streitig ist, ob plastische Abbildungen nach §. 43 den Schutz des Gesetzes genießen. Dafür: M andry a. a. O. S. 268 und mit gewissen Einschränkungen auch Kl ost er mann S. 65; dagegen: Wächter, Autorrecht S. 290, und namentlich Endemann S. 71. Die Motive des Gesetzentwurfs beantworten die Fragen ebenso wenig wie der Kommissionsbericht. Die ganze Bestimmung des §. 43 scheint indeß, wie Ende mann hervorhebt, von einer Gleich­ stellung der Abbildungen mit den Zeichnungen auszugehen und deshalb die Verneinung der ge­ stellten Frage zu fordern. Wenn dies richtig ist, so bleibt den plastischen Abbildungen nur der Musterschutz, so fern dessen Voraussetzungen nach dem Ges. v. 11. Jan. 1876 erfüllt sind. Vergl. Klostermann a. a. O. In: Uebrigen ist es, wenn an sich §. 43 anwendbar ist, gleichgültig, wie die mechanische Vervielfältigung hergestellt ist, ob durch Stiche, Steindruck, Photographie u. s. w. Ende mann S. 71. Im Reichstage wurde beantragt, die Nachbildung des Originals in einem von diesem abweichenden Maßstabe zu gestatten. Der Antrag wurde indeß verworfen. Sten.Ber. S. 82. In der Berichtigung des älteren Stadtplans nach einem neueren Plan liegt keine unbefugte Nachbildung des letzteren. R.O.H.G. I v. 7. Okt. 1873, Entsch. 11 ©.‘165. 100) H. Das Werk braucht nicht gerade ein wissenschaftliches zu sein. Bei den Be­ rathungen des Entwurfes in Leipzig wollte man die Aufnahme nur in ein wissenschaftliches Werk

Von dem Urheberrecht an Schriftwerken rc.

1019

bildungen aus einem anderen Werke *) beigefügt werden, vorausgesetzt, daß das Schriftwerk als die Hauptsache erscheint und die Abbildungen nur zur Erläuterung des Textes u. s. w. dienen. Auch muß der Urheber oder die benutzte Quelle angegeben sein, widrigenfalls die Straf­ bestimmung ün §. 24. Platz greift.

III.

Musikalische Kompositionen.

8- 45. Die Bestimmungen in den §§. 1. bis 5., 8. bis 42. finden auch Anwendung auf das ausschließliche Recht des Urhebers zur Vervielfältigung musikalischer Kompositionen?). §. 46. Als Nachdruck sind alle ohne Genehmigung des Urhebers einer musikalischen Kom­ position herausgegebenen Bearbeitungen derselben anzusehen, welche nicht als eigenthümliche Kompositionen betrachtet werden können, insbesondere Auszüge aus einer musikalischen Kompo­ sition, Arrangements für einzelne oder mehrere Instrumente oder Stimmen3*),1 42 5sowie 6 der Abdruck von einzelnen Motiven oder Melodien eines und desselben Werkes, die nicht künstlerisch ver­ arbeitet sind^). §. 47. Als Nachdruck ist nicht anzusehen: das Anführen einzelner Stellen3) eines bereits veröffentlichten Werkes der Tonkunst, die Aufnahme bereits veröffentlichter kleinerer Komposi­ tionen in ein nach seinem Hauptinhalte selbstständiges wissenschaftliches Werk"), sowie in Samm-

gestatten. Doch ist später hiervon abgesehen worden. Dambach S. 218; Wächter, Autor­ recht S. 293. 1) H. Nach 8- 7 a kann auch die Beifügung einer einzelnen Abbildung, welche nicht in einem anderen Werke erschienen, sondern selbstständig veröffentlicht ist, als Nachdruck nicht an­ gesehen werden. 2) H. Das Tonwerk genießt hiernach denselben Schutz wie das Schriftwerk. Auf den inneren Gehalt wird auch hier nicht gesehen. Wesentlich ist nur, daß die Komposition eine geistige Schöpfung darstellt, welche zur mechanischen Vervielfältigung und zum Vertriebe geeignet ist. Unter dieser Voraussetzung sind bloße Fingerübungen im Klavierspiel ebenso geschützt, wie musikalische Improvisationen, deren Veröffentlichung seitens des Komponisten gar nicht beabsich­ tigt war. Mandry a. a. O. S. 196; Wächter, Verlagsrecht S. 159; Dambach S. 220 u. 221; Endemann S. 72. Vergl. auch O.Tr. v. 18. Dez. 1863, J.M.Bl. 1864 S. 55. 3) H. Auszüge, namentlich Klavierauszüge, überhaupt vereinfachte Darstellungen ganzer, insbesondere Partiturwerke (Endemann S. 74), Arrangements und Transskriptionen sind un­ bedingt verboten, wenngleich sie „oft mit großem Geschick und mit Erfindung den Effekt des Originals unter anderen Bedingungen, z. B. für andere Instrumente, hervorzubringen suchen". Mot. S. 39; Komm.Ber. S. 20; Dambach S. 224. 4) H. Der Sinn ist der: Einzelne Motive und Melodien eines und desselben Werkes dürfen nicht abgedruckt, wohl aber künstlerisch verarbeitet werden. Endemann S. 74. „Das musikalische Werk soll, wie das literarische, gegen mechanische Ausbeutung geschützt, aber der geistigen Verarbeitung zugänglich sein. Das Alte soll zur Anregung für das Neue dienen, aber dieses Neue selbst soll eine eigenthümliche Leistung und nicht eine äußerliche Umgestaltung freunder Arbeit sein." Komnr.Ber. S. 20. Nach diesem Prinzip entscheidet sich auch die Frage, ob Variationen, Phantasien, Etüden über ein Thema gestattet sind. Das französische Recht verneint die Frage, das bayerische Ges. v. 28. Juni 1865 Art. 22 bejahte sie. Nach dem vorliegenden Gesetze liegt darin kein Nachdruck, wenn die Komposition eine eigen­ thümliche ist. Dahn, in der Zeitschrift für Gesetzgebung re. 5 S. 66. Dasselbe gilt auch von Potpourris. Die bloß mechanische Nachbildung ist hauptsächlich daran zu erkennen, daß die Verbindung der fremden Melodien und Motive durch künstlerisch unselbstständige Uebergänge hergestellt ist. Entwurf des Bundesraths 8- 48; Gutachten des musik. Sachv.Vereins in Berlin v. 24. Aug. 1860, J.M.Bl. 1863 S. 63; Dambach S. 225; Wächter, Verlagsrecht S. 596 Note 5. Vergl. überhaupt Wächter, Autorrecht S. 294—312; Kloster­ mann, geist. Eig. 1 S. 171 ff. und Urheberrecht (1876) S. 66, 67, 220, 221. 5) H. Einzelne Stellen d. h. Takte sind nicht identisch mit kleineren Theilen eines bereits veröffentlichten Tonwerks. Letztere dürfen nicht, wie nach 8- 7 a bei Schriftwerken, mit abgedruckt,werden. Endemann S. 76; Wächter', Autorrecht S. 305. 6) H. Die Aufnahme kleinerer Kompositionen in ein selbstständiges musikalisches Werk ist hiernach nicht erlaubt. Die Frage aber, ob das Werk seinem Wesen nach ein wissen­ schaftliches oder ein musikalisches ist, kann nur nach der Lage des einzelnen Falles be­ antwortet werden. Endemann a. a. O. Gegen den ersten Satz, sofern das musikalische Werk zugleich ein wissenschaftliches ist, Wächter, Autorrecht S. 307 Note 20.

1020

Erster Theil.

Eilfter Titel.

(Gesetz v. 11. Juni 1870 §§. 48-50.)

hingen von Werken verschiedener Komponisten zur Benutzung.in Schulen, ausschließlich der Musikschulen7).8 9 Vorausgesetzt ist jedoch, daß der Urheber oder die benutzte Quelle angegeben

ist, widrigenfalls die Strafbestimmung des §. 24. Platz greift. §. 48. Als Nachdruck ist nicht anzusehen: die Benutzung eines bereits veröffentlichten Schriftwerkes als Text zu musikalischen Kompositionen, sofern der Text in Verbindung mit der Komposition abgedruckt wird^). Ausgenommen sind solche Texte, welche ihrem Wesen nach nur für den Zweck der Kom­ position Bedeutung haben, namentlich Texte zu Opern oder Oratorien °). Texte dieser Art dürfen nur unter Genehmigung ihres Urhebers mit den musikalischen Kompositionen zusammen abgedruckt werden. Zum Abdruck des Textes ohne Musik ist die Einwilligung des Urhebers oder seiner Rechts­ nachfolger erforderlich10).11 12 §. 49. Die Sachverständigen-Vereine, welche nach Maaßgabe des §. 31. Gutachten über den Nachdruck musikalischer Kompositionen abzugeben haben, sollen aus Komponisten, Musik­ verständigen und Musikalienhändlern bestehen"). IV. O öffentliche Aufführung dramatischer, musikalischer oder dramatisch­

musikalischer Werke. §. 50. Das Recht, ein dramatisches, musikalisches oder dramatisch-musikalisches Werk öffentlich aufzuführen, steht dem Urheber und dessen Rechtsnachfolgern (§. 3.) ausschließlich zu *'). 7) H. Sammlungen von Werken verschiedener Komponisten dürfen nur zum Schul­ gebrauch veranstaltet werden. Darin liegt eine wesentliche Abweichung von dem Prinzip des §. 7a, nach welchem auch Sammlungen zu einem eigenthümlichen literarischen Zwecke zulässig sind. Auf den Charakter der Schule kommt es nicht an, ebenso wenig darauf, ob die Samm­ lung beim Musik- oder Turnunterricht benutzt werden soll. Musikschulen sind ausgeschlossen, weil die Komponisten und Verleger auf den Absatz ihrer Werke in solchen Schulen vorzugsweise rechnen müssen. Komm.Ber. S. 21. Jene Abweichung von dem Prinzip rechtfertigt sich durch den verschiedenen Charakter kleinerer Musikstücke und kleinerer Schriftwerke: während jedes Erzeugniß der Tonkunst, auch wenn sein Umfang noch so gering ist, zum selbstständigen Verlag und Vertrieb sich eignet, läßt sich dies von einem einzelnen Gedicht in den meisten Fällen nicht behaupten. Mot. S. 40; Komm.Ber. S. 21. Die Frage nach der Zulässigkeit von Quodlib ets, d. h. von Tonwerken, die aus lauter einzelnen Takten fremder Kompositionen zusammengesetzt sind, entscheidet sich nach dem Prinzip des §. 46. Vergl. Wächter, Verlagsrecht S. 595, Autorrecht S. 305, und Dambach S. 226. 8) H. Diese Bestimmung ist im Interesse der musikalischen Komposition unentbehrlich. Mot. S. 40. Der Gedanke, welcher ihr zu Grunde liegt, ist der, daß die Verbindung des Textes mit der Komposition ein selbstständiges Geisteswerk erzeugt, mithin als Nachdruck des Textes nicht angesehen werden kann. Es ist aber festzuhalten, daß der Text zu der Musik benutzt sein muß und daß die Benutzung nur dem Komponisten zusteht. Wer also eine fremde Melodie abschreibt und ein fremdes Gedicht, welches danach gesungen werden kann, darunter setzt und diese Zusammenstellung vervielfältigt, der begeht einen Nachdruck. Wächter, Verlagsrecht S. 601 u. 602, Autorrecht S. 296. Schriftwerke, welche noch nicht gedruckt sind, dürfen ohne Genehmigung ihres Autors auch nicht zu musikalischen Kompositionen verwendet werden. (§. 5a.) Denn das Gesetz gestattet dem Komponisten nicht die Veröffentlichung eines fremden Werkes, sondern nur die Benutzung desselben, nachdem der Autor von dem ausschließlich ihm zustehenden Rechte der Veröffentlichung bereits Gebrauch gemacht hat. 9) H. Solche Texte können nicht freigegeben werden, wenn sie nicht ihren Verlagswerth verlieren sollen. Mot. 10) H. Vorausgesetzt ist ein Text, der bereits mit einer Komposition verbunden ist. Ende mann S. 77. Nur in dieser Verbindung wurzelt das Recht des Komponisten zur Ver­ werthung des Textes. „Außerhalb des musikalischen Organismus bleibt der Text ein für den Komponisten fremdes Rechtsobjekt." Wächter, Verlagsrecht S. 601. Textbücher zu Opern, Oratorien, Kantaten u. s. w. dürfen daher ohne Genehmigung des Autors nicht gedruckt werden. 11) H. Siehe die Jnstr. v. 12. Dez. 1870, in der Anm. 79 zu §. 31. 12) H. Man kann dieses Recht auf die aus dem Urheberrecht fließende Befugniß des Autors, ausschließlich übex die Art und den Umfang der Veröffentlichung seines Werkes zu be-

Von dem Urheberrecht an Schriftwerken rc.

1021

In Betreff der dramatischen und dramatisch-musikalischen Werke ist es hierbei gleichgültig.

finden, zurückführen. Allein in der Praxis hat weniger diese Erwägung als vielmehr die Rück­ sicht auf. die dem Urheber zustehende vermögensrechtliche Nutzung an dem Erzeugnisse seines Geistes dahin geführt, die öffentliche Aufführung eines Werkes von der Genehmigung des Ver­ fassers abhängig zu machen. Wächter, Verlagsrecht S. 630 ff. und Autorrecht S. 314. Nach den: älteren Recht war diese Genehmigung bei ungedruckten Werken unbedingt (O.Tr. v. 6. April 1835, Simon, Rechtspr. 4 S. 232), bei den durch den Druck veröffentlichten Werken nur dann erforderlich, wenn der Autor das Recht, die Erlaubniß zur Aufführung zu ertheilen, durch einen Vermerk auf dem Titelblatt sich vorbehalten hatte. Ges. v. 11. Juni 1837 §. 32 und v. 20. Febr. 1854 Lz. 2. Das vorliegende Gesetz hat, mit einer Ausnahme bei musikalischen Werken (§. 50 Abs. 2), den Unterschied zwischen gedruckten und ungedruckten Werken, sowie den Vorbehalt als eine überflüssige Formalität fallen lassen. Mot. S. 41; Komm.Ber. S. 23. Es verbietet die öffentliche Aufführung ohne Genehmigung des Autors. Fehlt diese Genehmigung, so ist die Aufführung eine unbefugte. „Die unbefugte Aufführung bildet den Grund der Delikts klage, ist daher von dem Entschädigung oder Strafe beanspruchenden Kläger zu behaupten." Des Beweises dieser Behauptung aber ist der Urheber überhoben, da ihm die Befugniß zur Aufführung ausschließlich zusteht, die Vermuthung mithin für die Unbefugtheit der nicht von ihm veranstalteten Aufführung spricht. R. O.H.G. I v. 21. April 1874, Entsch. 12 S. 333 u. 334; Wächter, Autorrecht S. 337. Die Genehmigung des Autors ist also von demjenigen zu beweisen, der dessen Werk auf­ führen läßt. Daß sie ausdrücklich erklärt sein müsse, ist nicht vorgeschrieben. Sie kann auch durch konkludenteHandlungen erfolgen. Wächter, Autorrecht S. 319. Im Zweifel ist anzunehmen, daß die Genehmigung des Autors eine örtlich beschränkte ist. Der Leiter (Direktor) einer ständigen Bühne, den der Autor zur Aufführung seines Werkes ermächtigt hat, kann daher, wenn nicht besondere Vereinbarungen oder Umstände eine andere Auffassung rechtfertigen, bloß aus der ihm ertheilten Ermächtigung ein Recht zur Aufführung nur an dieser Bühne herleiten. R.O.H.G. I v. 8. Febr. 1878, Entsch. 23 ©.367; Wächter S. 321; Klostermann S. 157. Eben so darf, wenn die Verwaltung einer ständigen Bühne (einer Hof­ bühne) nach Erwerbung des Rechtes zur Aufführung eines dramatischen Werkes eine weitere Bühne in Pacht und Leitung genommen hat, auf dieser Bühne ohne neue Erlaubniß das Werk nicht aufgeführt werden. R.G. II v. 13. Jan. 1882, Entsch. 6 S. 29. Abweichend R.O.H.G. I v. 30. Nov. 1878, Entsch. 24 S. 285. Die örtliche Beziehung der Genehmigung zur Aufführung rechtfertigt aber andererseits auch den Schluß, daß dieselbe für die Bühne unabhängig von der Person des Leiters derselben ertheilt ist. Es bestand in und außerhalb Deutschland der Gebrauch, und zwar schon vor Erlaß des Ges. v. 11. Juni 1870, „daß ein gegen einmalige Honorarzahlung dem jeweiligen Leiter einer stehenden Bühne zur Aufführung überlassenes dramatisches oder dramatisch-musikalisches Werk als „der Bühne" überlassen galt, d. h. auch von jedem nachfolgenden Unternehmer des gleichen Theaters ohne nochmalige Vereinbarung oder Honorarzahlung aufgeführt werden durfte." Dieser Gebrauch aber dient zur Ergänzung der unter seiner Herrschaft geschlossenen Verträge, indem davon auszugehen ist, daß die Kontrahenten das in Fällen dieser Art Uebliche, Gewöhnliche wollen. Hieran hat das Ges. v. 11. Juni 1870 nichts geändert. Die vor seinem Erlaß einem Theater eingeräumten Aufführungsrechte können daher von dem zeitweiligen Direktor nach wie vor ausgeübt werden. R.O.H.G. I v. 21. April 1874, Entsch. 12 S. 337, und v. 8. Febr. 1878, ebenda 23 S. 364. Wie man sich das Ver­ hältniß juristisch zurechtlegen kann, darüber ergeben die weiteren Ausführungen S. 359 ff. daselbst das Nähere. Vergl. auch Nissen, von der Uebertragbarkeit des Rechts zur Aufführung dramatischer Werke rc., in Goldschmidt's Zeitschrift für das gesammte Handelsrecht Bd. 18 S. 346—364; Wächter S. 320, Kloster mann S. 155-158. Die Aufführung eines Musikstückes besteht in der musikalischen Wiedergabe des Inhalts der Komposition. Bei "dramatischen und bei dramatisch-musikalischen Werken dagegen läßt sich von einer Aufführung nur sprechen, wenn die Darstellung „mit vertheilten Rotten und mit scenischer Handlung" erfolgt. Kl ost ermann, geist. Eig. 1 S. 404. Die Aufführung in Privatgesellschaften ist gestattet. Denn der Autor hat ein Interesse nur an der öffentlichen Aufführung, weil nur mit dieser regelmäßig eine vermögens^ rechtliche Nutzung verbunden ist. Wächter, Verlagsrecht S. 633. Der Begriff der Oesfentlichkeit aber ist thatsächlicher Natur. Entscheidend ist, daß der Zutritt zu der Aufführung nicht auf einen bestimmten Kreis von Personen beschränkt ist. Dahn a. a. O. S. 70. Doch kann auch eine sogenannte Abonnementsvorstellung und die Aufführung in einem Liebhabertheater oder einem Gesangverein den Charakter der Oeffentlichkeit tragen. Mot. S. 42. Ende mann S. 79. Die bloße Vorlesung ist nicht verboten. Klostermann, Urheberrecht (1871) S. 39. In der Ermächtigung zur Ausführung liegt an sich nicht die Ermächtigung zum Druck. Wenn jedoch das Werk bisher nicht gedruckt oder die gedruckten Exemplare vergriffen sind, so

1022

Erster Theil.

Eilster Titel.

(Gesetz v. 11. Juni 1870 §§. 51—54.)

ob das Werk bereits durch den Druck rc. veröffentlicht worden ist oder tiidjt13). Musikalische Werke, welche durch Druck veröffentlicht worden sind, können ohne Genehmigung des Urhebers öffentlich aufgeführt werden, falls nicht der Urheber auf dem Titelblatt oder an der Spitze des Werkes sich das Recht der öffentlichen Aufführung vorbehalten hat"). Dem Urheber wird der Verfasser einer rechtmäßigen Uebersetzung des dramatischen Werkes in Beziehung auf das ausschließliche Recht zur öffentlichen Aufführung dieser Uebersetzung gleich geachtet15). Die öffentliche Aufführung einer rechtswidrigen Uebersetzung (§. 6.) oder einer rechts­ widrigen Bearbeitung (§. 46.) des Originalwerkes ist untersagt'"). §. 51. Sind mehrere Urheber vorhanden, so ist zur Veranstaltung der öffentlichen Auf­ führung die Genehmigung jedes Urhebers erforderlich"). Bei musikalischen Werken, zu denen ein Text gehört, einschließlich der dramatisch-musi­ kalischen Werke, genügt die Genehmigung des Komponisten attein18). §. 52. In Betreff der Dauer des ausschließlichen Rechts zur öffentlichen Aufführung kommen die §§. 8. bis 17. zur Anwendung.

Anonyme und pseudonyme Werke, welche zur Zeit ihrer ersten rechtmäßigen öffentlichen Aufführung noch nicht durch den Druck veröffentlicht sind, werden dreißig Jahre vom Tage der ersten rechtmäßigen Aufführung an, posthume Werke dreißig Jahre vom Tode des Urhebers an gegen unbefugte öffentliche Aufführung geschützt'"). Wenn der Urheber des anonymen oder pseudonymen Werkes oder sein hierzu legitimirter Rechtsnachfolger innerhalb der Frist von dreißig Jahren den wahren Namen des Urhebers ver­ mittelst Eintragung in die Eintragsrolle (§. 39.) bekannt macht, oder wenn der Urheber das enthält die Genehmigung zur Aufführung die Ermächtigung zu einer diesen Zweck nicht über­ schreitenden Vervielfältigung. Wächter, Autorrecht S. 322; Klostermann, Urheberrecht (1876) S. 154.

13) H. Vergl. §§. 1 u. 5a. 14) H. Der Entwurf des Bundesrathes beabsichtigte, musikalische Werke gegen öffentliche Aufführung nur so lange zu schützen, als sie noch nicht gedruckt wären. Motivirt war dies wie folgt: „Wenn die Komposition gedruckt ist, so fordert es die Sitte des musikalischen Verkehrs, daß ihre Aufführung gestattet sei. Es würde kaum möglich sein, ein Konzert mit neueren Kompositionen zu Stande zu bringen, wenn es verboten sein sollte, Sonaten, Symphonien rc., obwohl sie im Buchhandel erschienen sind, ohne Genehmigung des Komponisten öffentlich vorzu­ tragen. Auch fordert das eigene Interesse des Autors die möglichste Verbreitung seiner Kom­ positionen durch öffentliche Aufführung." Mot. S. 41. Die Kommission des Reichstages hielt es indeß für billig, dem Komponisten das Recht auf einen Antheil an dem Gewinne, der durch die öffentliche Aufführung seines Werkes erzielt würde, zu wahren. Deshalb fügte sie den Satz „falls nicht rc." hinzu. Komm.Ber. S. 24. Vergl. Dahn a. a. O. S. 68; Wächter, Autorrecht S. 315 und 329. Der Vorbehalt ist aber nicht bloß auf der ersten Ausgabe, wie die Kommission wollte, sondern auf jedem Exemplar jeder Ausgabe zu machen. Sten.Ber. S. 92. Eine besondere Form dafür ist nicht vorgeschrieben. Es ist daher namentlich nicht nöthig, daß der Name des Komponisten unter dem Vorbehalt steht. Nach dem Ges. v. 20. Febr 1854 §. 2 war dies unerläßlich. 15) H. Weil nach dem letzten Absätze des §. 6 Übersetzungen den gleichen Schutz gegen Nachdruck wie die Originalen genießen. Selbstverständlich kann der Uebersetzer nur die Auf­ führung seiner Uebersetzung verbieten. Dahn a. a. O. S. 68; Wächter, Autorrecht S. 317. 16) H. Vergl. §. 6 b u. c. 17) H. Siehe §. 9 u. die Anm. 26 dazu. Vergl. auch Wächter S. 316. 18) H. Die Genehmigung des Komponisten genügt auch dann, wenn einzelne Stellen des Textes nicht gesungen, sondern gesprochen werden. Dambach S. 240. Andererseits ist die Genehmigung des Dichters erforderlich zur Aufführung von dramatischen Werken, in denen Musikpiecen vorkommen, ohne daß dadurch das Drama den Charakter der Oper annimmt. Mandry S. 317; Dahn S. 71; Endemann S. 81. 19) H. Die Vorschrift entspricht der Bestimmung des §. 11 Abs. 3. Nach dem Ges. v. 11. Juni 1837 §. 32 wurden posthume Werke nur 10 Jahre lang, vom Tode ihres Autors ab, gegen öffentliche Aufführung geschützt. Vergl. den Bundesbeschl. v. 12. März 1857 Nr. 1.

Von dem Urheberrecht an Schriftwerken re.

1023

Werk innerhalb derselben Frist unter seinem wahren Namen veröffentlicht, so gelangt die Be­ stimmung des §. 8. zur Anwendung2). §. 53. Bei dramatischen, musikalischen und dramatisch-musikalischen Werken, welche noch nicht mechanisch vervielfältigt, aber öffentlich aufgeführt worden sind, gilt bis zum Gegenbeweise derjenige als Urheber, welcher bei der Ankündigung der Aufführung als solcher bezeichnet worden ist20 21). §. 54. Wer vorsätzlich oder aus Fahrlässigkeit ein dramatisches, musikalisches oder dramatisch­ musikalisches Werk vollständig22) oder mit unwesentlichen Aenderungen unbefugter Weise23)24 25 öffentlich aufführt2^), ist den Urheber oder dessen Rechtsnachfolger zu entschädigen verpflichtet und wird außerdem mit einer Geldstrafe nach Maaßgabe der §§. 18. und 23. bestraft2^). Auf den Veranlasser der unbefugten Aufführung findet der §. 20. mit der Maaßgabe An­ wendung, daß die Höhe der Entschädigung nach §. 55. zu bemessen ist26). 20) H. Die erstere Alternative bezieht sich auf Werke, die noch nicht gedruckt sind; sind sie gedruckt, so entscheidet §. 11 Abs. 4. Die zweite Alternative stellt der Eintragung in die Eintragsrolle die Veröffentlichung unter dem wahren Namen des Autors gleich. 21) H. Die Vorschrift bezweckt, die Führung der Legitimation des Autors und beziehungs­ weise der Rechtsnachfolger desselben bei solchen Werken, welche öffentlich aufgeführt werden können, zu erleichtern. Folgende Fälle sind dabei zu unterscheiden: ä. Ist das Werk bisher weder mechanisch vervielfältigt, noch öffentlich aufgeführt, so muß derjenige, welcher dasselbe verfaßt zu haben behauptet, diese Behauptung beweisen. Eine Rechtsvermuthung besteht nicht. Vgl. A.G.O. 1 Einl. §. 16 und Tit. 13 §. 28. b. Wenn dagegen das noch nicht mechanisch vervielfältigte Werk öffentlich ausgeführt ist, so spricht die Vermuthung für die Autorschaft desjenigen, welcher bei Ankündigung der Auf­ führung als Verfasser genannt ist. Dies ist der Fall des §. 53. Ueber anonyme und pseudonyme Werke ist keine Bestimmung, getroffen. Der Autor muß daher, wenn er seine Eigenschaft als solcher darthun will, aus der Anonymität resp. Pseudonymität heraustreten. Komm.Ber. S. 25. 6. Ist das Werk bereits mechanisch vervielfältigt (gedruckt), so kommen lediglich die Grund­ sätze des §. 28 zur Anwendung. Dambach S. 243. 22) H. „Vollständig" heißt nicht so viel, wie „von Anfang bis zu Ende", sondern ist gleichbedeutend mit „unverändert". Das ergiebt sich aus dem Gegensatz „oder rc." Daß die Aufführung auch nur Eines Aktes ohne Genehmigung des Autors unstatthaft ist, darf nach §. 4 Abs. 2 nicht bezweifelt werden. Klostermann, Urheberrecht (1871) S. 39; Ende­ mann S. 80 u. 84; Bayerisches Ges. v. 28. Juni 1865 Art. 41. Daher ist es auch nicht bloßer Versuch, wenn die Aufführung eines Stückes abgebrochen und nicht wieder ausgenommen wird. Dambach S. 247 u. 250. 23) H. Ein Theaterdirektor hatte die Befugniß zur Aufführung eines Stückes daraus herleiten wollen, daß bereits seine Vorgänger in der Direktion dasselbe Stück gegeben hätten. Er wurde jedoch wegen unbefugter Aufführung verurtheilt, da er den Erwerb der Befugniß seinerseits nicht nachwies. R.O.H.G. II v. 4. Sept. 1872, Entsch. 7 S. 49. Diese Entscheidung steht nicht in Widerspruch mit dem Urtheil des R.O.H.G. I v. 21. April 1874, ebenda 12 S. 358. 24) H. Ueber den Begriff der öffentlichen Aufführung siehe die Anm. 12 zu §. 50. 25) H. Nur für die Geldstrafe sind die §§. 18 u. 23 allegirt. Die Entschäd igung bestimmt sich nach §. 55. Gleichwohl kann auch hier auf eine an den Urheber oder dessen Rechts­ nachfolger zu erlegende Buße erkannt werden. Die Entstehungsgeschichte des §. 18 Abs. 4 er­ giebt nämlich, daß dort die Worte „statt jeder aus diesem Gesetze entspringenden Entschädigung" gerade um deswillen gewühlt sind, um auch die Entschädigung, welche dem Berechtigten nach §§. 54 u. 55 zu leisten ist, mit zu umfassen. Sten.Ber. S/58 ff., 107. Dre Bestimmungen des §. 21 dagegen sind auf den Fall der unerlaubten Aufführung nicht anwendbar. Das hindert indeß die Polizeibehörde nicht, eine ohne Genehmigung des Autors veranstaltete Vorstellung zu inhibiren und die dabei gebrauchten Hülfsmittel mit Beschlag zu belegen. Zu einer Einziehung (Konfiskation) kann aber eine solche Beschlagnahme nicht führen. Dambach S. 253; Wächter, Autorrecht S. 336. 26) H. Während der erste Absatz die rechtlichen Folgen für den Veranstalter festsetzt, bezieht sich der zweite Absatz auf den Veranlasser der unbefugten Aufführung. Die Straf­ barkeit und Ersatzpflicht der Theilnehmer an der unerlaubten Handlung des Thäters be­ stimmt sich nach den gewöhnlichen Regeln. (Anm. 51 zu §. 20.) Daß danach auch Schau­ spieler, Sänger u. s. w. zur Verantwortung gezogen werden können, wenn sie von dem Mangel der Genehmigung des Autors zu der Vorstellung Kenntniß hatten, ist nicht zweifelhaft. Dambach S. 249.

1024

Erster Theil.

Eilfter Titel.

(Gesetz v. 11. Juni 1870 §§. 55—58.)

§. 55. Die Entschädigung, welche dem Berechtigten im Falle des §. 54. zu gewähren ist, besteht in dem ganzen Betrage der Einnahme von jeder Aufführung ohne Abzug der auf die­ selbe verwendeten kosten27). Ist das Werk in Verbindung mit anderen Werken aufgeführt worden, so ist, unter Be­ rücksichtigung der Verhältnisse, ein entsprechender Theil der Einnahme als Entschädigung fest­ zusetzen. Wenn die Einnahme nicht zu ermitteln oder eine solche nicht vorhanden ist, so wird der Betrag der Entschädigung vom Richter nach freiem Ermessen festgestellt. Trifft den Veranstalter der Aufführung kein Verschulden, so haftet er dem Berechtigten auf Höhe seiner Bereicherung2^). §. 56. Die Bestimmungen in den §§. 26. bis 42. finden auch in Betreff der Aufführung von dramatischen, musikalischen und dramatisch-musikalischen Werken Anwendung2"). V. Allgemeine Bestimmungen.

§. 57. Das gegenwärtige Gesetz tritt mit dem 1. Januar 1871. in Kraft. Alle früheren, in den einzelnen Staaten des Norddeutschen Bundes geltenden, rechtlichen Bestimmungen in Beziehung auf das Urheberrecht an Schriftwerken, Abbildungen, musikalischen Kompositionen und dramatischen Werken treten von demselben Tage ab außer Wirksamkeit. §. 58. Das gegenwärtige Gesetz findet auf alle vor dem Inkrafttreten desselben erschienenen Schriftwerke, Abbildungen, musikalischen Kompositionen und dramatischen Werke Anwendung, selbst wenn dieselben nach den bisherigen Landesgesetzgebungen keinen Schutz gegen Nachdruck, Nachbildung oder öffentliche Aufführung genossen habens.

27) H. Das Motiv für diese Bestimmung lag für den Gesetzgeber in der Erwägung, daß der Autor der Regel nach gar nicht im Stande ist, den Beweis zu führen, daß er durch die Aufführung seines Stückes einen Schaden erlitten habe. Mot. S. 43. In vielen Fällen wird überhaupt eine Beschädigung des Verfassers nicht stattgefunden haben. Die Entschädi­ gung, welche ihm indeß gleichwohl zu leisten ist, hat dann die Natur einer Privatstrafe. Komm.Ber. S. 25. R.O.H.G. 1 v. 16. Mai 1873, Entsch. 10 S. 116. Sie umfaßt auch die auf die unbefugte Aufführung entfallende Quote der Abonnementsgelder. R.O.H.G. I v. 24. Jan. 1879, Entsch. 24 S. 336. 28) H. Die Bereicherung wird in der Regel der Nettoeinnahme aus der unbefugten Auf­ führung gleichkommen. Die Klage unterscheidet sich von der Bereicherungsklage des §. 18 Abs. 6 dadurch, daß letztere die Bereicherung des Beklagten nur bis zum Betrage des dem Kläger zu­ gefügten Schadens ergreift, während hier ein Schade überhaupt nicht nachgewiesen zu werden braucht. (Anm. 47 zu §. 18.) Der Beklagte muß sich gefallen lassen, wie ein negotiorum gestor behandelt zu werden. Er ist daher verpflichtet, dem Kläger Rechnung zu legen. R.O.H.G. III v. 13. Sept. 1877, Entsch. 22 S. 338. 29) H. Vgl. §. 33 Anm. 86 Abs. 2. 30) H. Durch diese Vorschrift hat das Gesetz nicht ohne weiteres rückwirkende Kraft sich beigelegt. a. Die Frage, ob ein Schriftwerk rc. überhaupt gegen Vervielfältigung und Veröffent­ lichung beziehungsweise öffentliche Aufführung geschützt und wie lange der Schutz zu gewähren ist, entscheidet sich lediglich nach dem neuen Gesetz. Die Aufführung eines durch den Druck veröffentlichten Dramas mithin, welches früher von Jedermann aufgeführt werden durfte, weil der Verfasser das ausschließliche Recht der Aufführung durch einen Vermerk auf dem Titelblatts sich nicht gewahrt hatte (Ges. v. 20. Febr. 1854 §. 3), ist seit dem 1. Jan. 1871 ohne Ge­ nehmigung des Autors nicht mehr gestattet. R.O.H.G. I v. 17. Mai 1878, Entsch. 23 S. 397. Dasselbe gilt, wenn die frühere zehnjährige Schutzfrist, nicht aber die dreißigjährige Frist, welche das gegenwärtige Gesetz den Erben des Autors nach dessen Tode gewährt, am 1. Jan. 1871 bereits abgelaufen war. Es wird also durch das Gesetz ein Urheberrecht (das Recht der Auf­ führung), welches bisher nicht existirte, neu geschaffen und ein verlorener Rechtsschutz wieder­ hergestellt. R.O.H.G. I v. 16. Mai 1873, Entsch. 10 S. 121. Dadurch aber werden wohl­ erworbene Rechte nicht verletzt. Denn Niemand war berechtigt, zu verlangen, daß ihm die Aufführung eines Dramas, welcher vor dem 1. Januar 1871 nichts im Wege stand, auch nach diesem Termin ohne Erlaubniß des Autors oder der Rechtsnachfolger desselben gestattet würde. Nicht so einfach liegt die Frage nach dem Einfluß des neuen Gesetzes auf bestehende Ver­ träge, durch welche der Autor sein Werk in Verlag gegeben oder die Aufführung an einer

Von dem Urheberrecht an Schriftwerken rc.

1025

Die bei dem Inkrafttreten dieses Gesetzes vorhandenen Exemplare, deren Herstellung nach der bisherigen Gesetzgebung gestattet war, sollen auch fernerhin verbreitet werden dürfen, selbst

wenn ihre Herstellung nach dem gegenwärtigen Gesetze untersagt ist.

bestimmten Bühne gegen Honorar gestattet hat. Soll hier, wenn das Werk zur Zeit des Ver­ tragsabschlusses überhaupt nicht oder nicht mehr geschützt gewesen, oder die damals gewährte Schutzfrist abgelaufen ist, der Vertrag durch das Ges. v. 11. Juni 1870 oder durch den Ablauf der ursprünglichen Schutzfrist aufgehoben sein, oder in Kraft bleiben; die Neuverleihung des Urheberrechts und die Verlängerung der Schutzfrist durch das neue Gesetz also dem Autor, oder dem Verleger, resp, der Bühne, zu Gute kommen? Vorausgesetzt ist, daß nicht eine unbeschränkte Veräußerung des Rechts stattgefunden oder die Ausübung desselben nur auf eine bestimmte Zeit überlassen ist; denn in jenem Fall ist der Erwerber ganz an die Stelle des Autors ge­ treten, und in diesem erlischt sein Recht mit dem Ablauf der Zeit. Im Uebrigen ist die Frage in dem Leipziger Theaterprozeß, in.welchem 37 Autoren beziehungsweise deren Rechtsnachfolger durch die „deutsche Genossenschaft dramatischer Autoren und Komponisten" dein Direktor und Pächter des Leipziger Stadttheaters gegenüber die Erweiterung und Neuverleihung des Schutz­ rechts für sich in Anspruch nahmen, zu Gunsten der Bühne entschieden. N.O.H.G. I v. 21. April 1874, Entsch. 12 S. 319. Motivirt ist die Entscheidung wesentlich durch Feststellung des Ver­ tragswillens der Betheiligten. „Es entspricht," so heißt es in den Gründen S. 343, „dem vermuthlichen Willen beider Theile, daß dem Erwerber der Aufführungsbefugniß in gleicher Weise die Vortheile eines durch die spätere Gesetzgebung verlängerten oder ertheilten Rechts­ schutzes zu Gute kommen, wie ihn die Nachtheile eines durch die spätere Gesetzgebung entzogenen oder verminderten Rechtsschutzes treffen." In einem Urtheil v. 27. Nov. 1874, Entsch. 15 S. 193 ff., ist dieser Auslegungsgrundsatz gegen wiederholte Angriffe aufrecht erhalten und dabei seine Geltung auch für'den Berlagsvertrag behauptet worden. (S. 196.) Gegen die Ausführungeil, des Neichsoberhandelsgerichts ist hauptsächlich zweierlei geltend gemacht worden: 1. Die im H. 52 des Gesetzes enthaltene Ausdehnung des Schutzes aus den Zeitraum von 30 Jahren nach dem Tode des Autors solle nach der Absicht des Gesetz­ gebers nicht den Theaterunterllehmern, sondern den Autoren und deren Erben zu Gute kommen. 2. Zu dem nämlichen Ergebnisse führe die Auslegung der Verträge. Zweifellos sei, daß die Verlängerung der Schutzfrist dann dem Autor und dessen Erben zu Gute komme, lverul das Aufführungsrecht nur für eine bestimlnte Zeit eingerüumt worden sei; diesem Falle aber stehe eine unbeschränkte Einräumung des Aufführungsrechtes gleich, indenl sie wegen der gesetzlichen Beschränkung des ausschließlichen Aufführungsrechtes in Ansehung der Zeit eben so verstanden werden müsse, wie wenn dasselbe unter ausdrücklicher Beschränkung auf die Dauer der Schutzfrist übertragen worden wäre. v. Hillern, Streitfragen aus dem Autorrechte rc. 1876 S. 10 ff. Von diesen Einwendungen erledigt sich die erste durch die Erwägung, daß das Gesetz die Wirkungen der vor seiner Geltung von den Autoren abgeschlossenen Verträge und die dadurch begründeten Rechte unberührt läßt, vlithill llicht entgegensteht, daß die Theaterunternehmer von der im Interesse der Autoren erfolgten Ausdehnung der Schutzfrist mittelbar Vortheil ziehen. Die zweite Einwendung „beruht auf einem Trugschluß. Wird ein Recht, welches nach gesetz­ licher Vorschrift auf einen bestinlmten Zeitraum beschränkt ist, durch Vertrag ohne weitere Be­ schränkung übertragen, so steht dasselbe einem Rechte, welches an sich zeitlich nicht beschränkt, aber durch den Vertrag in der Beschränkung auf denselben Zeitraum übertragen ist, allerdings in Ansehung der Dauer gleich". Dagegen liegt der Grund der Zeitbeschrünkung in jenem Falle lediglich „in der Rechtsregel, daß Niemand mehr Rechte übertragen kann, als er selbst hat", in diesen: dagegen „allein in dein Willen der Vertragschließenden. Hieraus erklärt es sich, daß eine nach Abschluß des Vertrages eintretende Veränderung der Gesetzgebung in Betreff der Dauer des Rechts in beiden Fällen verschieden wirkt. An dem Willen der Vertragschließenden, welcher auf eine zeitliche Beschränkung des übertragenen Rechts gerichtet war, vermag eine hinterher eintretende Veränderung der Gesetzgebung nichts zu ändern. Da­ gegen ist die Rechtsregel, daß Niemand andere als die ihm zustehenden Rechte übertragen kann, durchaus verträglich mit der Annahme, daß das ganze Recht einschließlich der späteren Er­ weiterung desselben übertragen sei". R.O.H.G. I v. 8. Febr. 1878, Entsch. 23 S. 359. Das Reichsgericht ist dem Reichsoberhandelsgericht beigetreten. Nach seiner Auffassung ist bei einen: Vertrage, durch welchen der Autor die Aufführung seines Werkes auf einer bestimmten Bühne ohne Zeitbeschrünkung gegen En:pfang eines Honorars gestattet hat, das ent­ scheidende Moment „nicht die Erklärung, auf künftig erst entstehende Rechte im Voraus zu verzichten, sondern der Wille, sich dem bestimmten Theater gegenüber sofort jeder Be­ ziehung zum Werke, so fern es sich um das Verbot seiner Aufführung handelt, zu begeben, so daß die aus der Erlaubniß hervorgehende Besugniß zur öffentlichen Aufführung des Werkes Koch, Allgemeines Landrecht. I. 8. Aufl. 65

1026

Erster Theil.

Eilster Titel.

(Gesetz v. 11. Juni 1870 §§. 58- 60.)

Ebenso sollen die bei dem Inkrafttreten dieses Gesetzes vorhandenen, bisher rechtmäßig an­ gefertigten Vorrichtungen, wie Formen, Platten, Steine, Stereotypabgüsse re., auch fernerhin zur Anfertigung von Exemplaren benutzt werden dürfen3'). Auch dürfen die 6eint Inkrafttreten des Gesetzes bereits begonnenen, bisher gestatteten Vervielfältigungen noch vollendet werden. Die Regierungen der Staaten des Norddeutschen Bundes werden ein Inventarium über die Vorrichtungen, deren fernere Benutzung hiernach gestattet- ist, amtlich aufstellen und diese Vorrichtungen mit einem gleichförmigen Stempel bedrucken lassen. Ebenso sollen alle Exem­ plare von Schriftwerken, welche nach Maaßgabe dieses Paragraphen auch fernerhin verbreitet werden dürfen, mit einem Stempel versehen werden. Nach Ablauf der für die Legalisirung angegebenen Frist unterliegen alle mit dem Stempel nicht versehenen Vorrichtungen und Exemplare der bezeichneten Werke, auf Antrag des Ver­ letzten, der Einziehung3'). Die nähere Instruktion über das bei der Aufstellung des Inven­ tariums und bei der Stempelung zu beobachtende Verfahren wird vom Bundeskanzler-Amre erlassen33 * *).* * * * * * * * * * * * * * * * * * * * * * * * * 31 32

ein eigenes selbstständiges Recht der kontrahirenden Bühne geworden ist". R.G. II v. 8. März 1881, Entjch. 3 S. 156, und v. 13. Jan. 1882, ebenda 6 S. 29. Bei posthumen Werken begann der Schutz nach dem Bundesbeschluß v. 19. Juni 1845 Nr. 2 erst mit dem Tage des Erscheinens, während die Schutzfrist nach §. 12 des Ges. v. 11. Juni 1870 bereits vom Todestage des Autors läuft. Wenn also z. B. das Werk eines im Jahre 1850 verstorbenen Schriftstellers erst im Jahre 1861 herausgegeben ist, so hatten die Erben ein Recht auf Schutz gegen Nachdruck bis 1891 einschließlich. Dieses Recht ist ihnen durch das neue Gesetz insofern verkümmert, als nach demselben das Werk schon mit beut Jahre 1880 den Schutz verloren hat. Das ist allerdings ein Fall der rückwirkenden Kraft des Gesetzes. Man ist sich dessen bei der Berathung des Entwurfes in der Kommission des Reichstages auch bewußt gewesen; ein Versuch aus der Mitte der Kommission, den nm 1. Januar 1871 bereits erschienenen Werken den längeren Schutz des alten Rechts zu wahren, scheiterte an dem Widerspruch der Majorität. Komm.Ber. S. 32. Ein zweiter Fall der Rückwirkung des Gesetzes kann bei Uebersetzungen vorkommen, da hier die längere Schutzfrist des alten Rechts auf fünf Jahre verkürzt worden ist. (§. 15.) b. Die Folgen der Verletzung des Urheberrechts bestimmen sich nach dem zur Zeit der Verletzung geltenden Recht. Darauf, wann das Werk entstanden oder erschienen ist, kommt es nicht an. Die Bestrafung des Nachdrucks indeß erfolgt, auch wenn derselbe vor dem 1. Januar 1871 begangen ist, nach dem iteueit Gesetz, insofern letzteres zu einer milderen Behandlung des Angeschuldigten führt als das alte Gesetz. Str.G.B. §. 2. Da §. 58 auch solche Schriftwerke re. schützt, die nach dem bisherigen Recht nicht, geschützt waren, so kann es vorkommen, daß eine Handlung, die vor dem 1. Januar 1871 erlaubt war, nach diesem Zeitpunkt als verboten angesehen wird. Das Verbot wirkt aber nicht zurück.- Das Gesetz macht denjenigen, welcher vor dem Eintritt seiner Geltung eine damals rechtmäßige Ver­ vielfältigung vorgenommen hatte, nicht bloß nicht rechtlich verantwortlich, sondern es erkennt die Rechtmäßigkeit der Vervielfältigung sogar ausdrücklich an, indem es die Ausbeutung der letzteren auch unter seiner Herrschaft gestattet. Abs. 2*, 3, 4. 31) H. „Es ist diese Bestimmung hauptsächlich für den Musikalienhandel von Erheblichkeit Bei musikalischen Kompositionen werden in der Regel nicht feste Auflagen angefertigt, wie von Büchern, sondern es werden von den Platten nur nach dem jeweiligen Bedürfnisse Exemplare abgezogen. Wollte man nun dem Musikalienhändler, welcher bisher in rechtmäßiger Weise Platten angefertigt hat, deren fernere Benutzung untersagen, so würde hierin eine große Benachtheiligung der Musikalienhändler gegenüber den Buchhändlern liegen, indem die letzteren die bereits herge­ stellten ganzen Auflagen auch ferner verbreiten dürfen." Mot. S. 52. 32) H. Dagegen kann der Besitzer der Vorrichtungen und der Exemplare weder bestraft, noch entschädigungspflichtig gemacht werden, da die Herstellung derselben unter der Herrschaft des alten Rechts nichts Unrechtmäßiges war. Die Einziehung ist lediglich eine Folge der Nichtbeachtung des polizeilichen Gebotes der Abstempelung. Endemann S. 91; Dambach S. 263. 33) H. Das Bundeskanzler-Amt hat am 7. Dez. 1870 folgende Instruktion erlassen: §. 1. Nach tz.58. Absatz 3. und 5. des Gesetzes vom 11. Juni 1870 —, betreffend das Urheberrecht an Schriftwerken rc. (Bundesgesetzblatt Seite 339), dürfen die beim Inkrafttreten dieses Gesetzes vorhandenen, bisher rechtmäßig angefertigten Vorrichtungen, wie Formen, Platten, Steine,

Von dem Urheberrecht an Schriftwerken rc.

1027

§. 59. Insofern nach den bisherigen Landesgesetzgebungen für den Vorbehalt des Uebersetzungsrechts andere Förmlichkeiten und für das Erscheinen der ersten Uebersetzung andere Fristen, als im §. 6. Littr. c. vorgeschrieben sind, hat es bei denselben in Betreff derjenigen Werke, welche vor dem Inkrafttreten des gegenwärtigen Gesetzes bereits erschienen sind, sein Bewenden 60. Die Ertheilung von Privilegien zum Schutze des Urheberrechts ist nicht mehr zulässig. Dem Inhaber eines vor dem Inkrafttreten des gegenwärtigen Gesetzes von dem Deutschen Bunde oder den Regierungen einzelner, jetzt zum Norddeutschen Bunde gehörigen Staaten er­ theilten Privilegiums steht es frei, ob er von diesem Privilegium Gebrauch machen oder den Schutz des gegenwärtigen Gesetzes anrufen will.

Stereotypabgüsse rc. auch fernerhin zur Anfertigung von Exemplaren benutzt werden, selbst wenn ihre Herstellung nach dem Gesetze vom 11. Juni 1870 untersagt ist; die Vorrichtungen müssen aber amtlich mit einem Stempel versehen werden. Wer sich daher im Besitze derartiger Vorrichtungen befindet und dieselben noch ferner zur Herstellung von Exemplaren benutzen will, hat die Vorrichtungen bis zum 31. März 1871 ein­ schließlich der Polizeibehörde seines Wohnortes vorzulegen. §. 2. Die Polizeibehörde stellt ein genaues Verzeichniß der ihr vorgelegten Vorrichtungen nach dem anliegenden Formulare A. auf und bedruckt die Vorrichtungen demnächst mit ihrem Dienststempel. Ob die Herstellung der Vorrichtungen nach der bisherigen Gesetzgebung erlaubt war, hat die Polizeibehörde nicht zu prüfen; dagegen hat dieselbe die Stempelung zu verweigern, wenn sie ermittelt, daß die Vorrichtungen erst nach dem 1. Januar 1871 hergestellt worden sind. §. 3. Das Verzeichniß (§. 2.) wird bis zum 30. April 1871 von der Polizeibehörde an die zuständige Centralbehörde des betreffenden Bundesstaats im Geschäftswege eingereicht und von der letzteren aufbewahrt. Einer Anzeige, daß bei der Polizeibehörde Vorrichtungen zur Ab­ stempelung überhaupt nicht vorgelegt worden seien, bedarf es nicht. §. 4. Nach 8- 58. Absatz 2. und 5. des Gesetzes vom 11. Juni 1870 dürfen die beim Inkraft­ treten dieses Gesetzes vorhandenen Exemplare, deren Herstellung nach der bisherigen Gesetzgebung gestattet war, auch fernerhin verbreitet werden, selbst wenn ihre Herstellung nach dem gegen­ wärtigen Gesetze untersagt ist; die betreffenden Exemplare von Schriftwerken müssen aber mit einem amtlichen Stempel versehen werden. Wer sich daher im Besitze derartiger Exemplare von Schriftwerken befindet, hat dieselben bis zum 31. März 1871 einschließlich der Polizeibehörde seines Wohnortes vorzulegen. §. 5. Die Polizeibehörde stellt ein genaues Verzeichniß der ihr vorgelegten Exemplare nach dem anliegenden Formulare B. auf und bedruckt demnächst jedes einzelne Exemplar mit ihrem Dienststempel. Die Bestimmungen im §. 2. Absatz 2. und im §. 3. dieser Instruktion finden auch auf die Abstempelung der Exemplare von Schriftwerken Anwendung. Eine Abstempelung der Exemplare von Abbildungen und musikalischen Kompositionen findet nicht statt. §. 6. Für die Jnventarisirung und Abstempelung der Vorrichtungen und Exemplare werden Kosten nicht erhoben. 34) H. Das Ges. v. 11. Juni 1837 bestimmt unter §. 4 Nr. 3: „Als Nachdruck ist nicht an­ zusehen: die Herausgabe von Uebersetzungen bereits gedruckter Werke. — Ausnahmsweise sind jedoch Uebersetzungen in folgenden Füllen dem Nachdrucke gleich zu achten: a) Wenn von einem Werke, welches der Verfasser in einer todten Sprache bekannt gemacht hat, ohne seine Genehmigung eine Deutsche Uebersetzung herausgegeben wird. b) Wenn der Verfasser eines Buches solches gleichzeitig in verschiedenen lebenden Sprachen hat erscheinen lassen, und ohne seine Genehmigung eine neue Uebersetzung des Werkes in eine der Sprachen veranstaltet wird, in welchen es ursprünglich erschienen ist. Hat der Verfasser auf dem Titelblatte der ersten Ausgabe bekannt gemacht, daß er eine Ueber­ setzung, und in welcher Sprache, herausgeben wolle, so soll diese Uebersetzung, wenn sie innerhalb zweier Jahre nach dem Erscheinen des Originals erfolgt, als mit dem Original gleichzeitig erschienen behandelt werden." Die Anmeldung zur Eintragung in die Eintragsrolle (§. 6) ist jedoch auch bei den vor dem 1. Januar 1871 herausgegebenen Werken erforderlich, wenn die Uebersetzung erst an oder nach diesem Termine erschienen ist. Mot. S. 36. Auch wird die Geltung des §. 15 durch §. 59 nicht eingeschränkt. Ebenda S. 52.

1028

Erster Theil.

Eilfter Titel.

(G. v. 11. Juni 1870 §§. 61, 62.)

Der Privilegienschutz kann indeß nur für den Umfang derjenigen Staaten geltend gemacht werden, von welchen derselbe ertheilt worden ist. Die Berufung auf den Privilegienschutz ist dadurch bedingt, daß das Privilegium ent­ weder ganz oder dem wesentlichen Inhalte nach dem Werke vorgedruckt oder auf oder hinter dem Titelblatt desselben bemerkt ist. Wo dieses nach der Natur des Gegenstandes nicht statt­ finden kann, oder bisher nicht geschehen ist, muß das Privilegium, bei Vermeidung des Er­ löschens, binnen drei Monaten nach dem Inkrafttreten dieses Gesetzes zur Eintragung in die Eintragsrolle angemeldet und von dem Kuratorium derselben öffentlich bekannt gemacht werden3*-'). 1 * ** 6 §. 61. Das gegenwärtige Gesetz findet Anwendung auf alle Werke inländischer Urheber, gleichviel ob die Werke im Jnlande oder Auslande erschienen oder überhaupt noch nicht ver­ öffentlicht sind,36). Wenn Werke ausländischer Urheber bei Verlegern erscheinen, die im Gebiete des Nord­ deutschen Bundes ihre Handelsniederlassung haben, so stehen diese Werke unter dem Schutze des gegenwärtigen Gesetzes3T).

35) H. Nur angemeldet muß das Privilegium vor dem 1. April 1871 sein. Darauf, ob die Eintragung und die Bekanntmachung rechtzeitig erfolgt, kann es nicht ankommen, weil dem Privilegirten auf die Beschleunigung dieser Akte ein bestimmender Einfluß nicht zusteht. Dam bach S. 266; Klo st ermann, Urheberrecht (1871) S. 32 u. 53. Vergl. die Anm. 33 zu §. 11 des Ges. 36) H. Das ältere Recht schützte diejenigen Werke, an denen im deutschen Bunde ein Urheber- (resp. Verlags-) Recht erworben war. Es sah also auf den Wohnort des Autors, be­ ziehungsweise des Verlegers. Klostermann a. a. O. S. 22. Das neue Gesetz ist zur Vermeidung ungerechtfertigter Konsequenzen, welche mit diesem Prinzip verbunden sind, von demselben ab­ gegangen: es gewährt seinen Schutz jedem Werke, dessen Verfasser ein Inländer ist. Lediglich diese Eigenschaft entscheidet. Wo das Werk hervorgebracht, wo es erschienen, ob es überhaupt veröffentlicht ist oder nicht, ist gleichgültig. Mot. S. 53. Wächter, Autorrecht S. 128 ff.; Klostermann, Urheberrecht (1876) S. 107 ff. H. Inländer ist Jetzt jeder, welcher einem Staate des deutschen Reichs angehört. Ges. v. 1. Juni 1870, B.G.Bl. S. 355; Reichsverf. Art. 3. Ein Autor, welcher als Ausländer ein Werk im Auslande hat erscheinen lassen, erwirbt mit dem Reichsindigenat zugleich das Recht auf Schutz seines Urheberrechts im Jnlande, so weit nicht wohlerworbene Rechte anderer Inländer entgegen­ stehen. Eben so verliert er den Schutz, wenn.er die Eigenschaft als Inländer aufgiebt oder der­ selben ohne seinen Willen verlustig wird. Die im Auslande veröffentlichten Werke ausländischer Verfasser sind im Jnlande nicht schutzberechtigt, es sei denn, daß internationale Verträge es anders bestimmen. Solche Vertrüge sind geschlossen: a. zwischen Preußen und Großbritannien am 13. Mai 1846, G.S. S. 343, und am 14. Juni 1855, G.S. S. 695; b. zwischen Preußen und Frankreich am 2. Aug. 1862, G.S. 1865 S. 486; vgl. den Friedensvertrag v. 10. Mai 1871 §. 11, R.G.Bl. S. 231, und die Zusatzkonvention v. 11. Dez. 1871, ebenda 1872 S. 7; 6. zwischen Preußen und Belgien am 28. März 1873, G.S. S. 428; d. zwischen dem norddeutschen Bunde und Italien a\n 12. März 1869, B.G.Bl. S. 293; e. zwischen dem norddeutschen Bunde bez. dem deutschen Reiche und der Schweiz am 13. Mai 1869, B.G.Bl. S. 624, und am 23. Mai 1881, R.G.Bl. S. 171; f. zwischen dem deutschen Reiche und Frankreich am 19. April 1883, R.G.Bl. S. 269. Dieser Vertrag ist an die Stelle der Uebereinkunft v. 2. Aug. 1862 (b) getreten. Vgl. Dambach, der deutsch-französische Litterar.-Vertrag v. 19. April 1883. Mit Erläuterungen, Berlin 1883. Die bezeichneten Verträge sowie diejenigen, welche von andern deutschen Staaten mit Großbritannien, Belgien und Frankreich geschlossen worden sind, schützen meist das ausschließliche Vervielfältigungsrecht des Autors auch dann, wenn das Werk desselben vor Abschluß des Vertrags veröffentlicht worden ist. Dagegen erstreckt sich der Rechtsschutz hinsichtlich der Befugnis; des Autors zur Aufführung nur auf diejenigen Werke, welche nach Eintritt der Wirksam­ keit des Staatsvertrags zum ersten Male in einem der betheiligten Staaten veröffentlicht oder öffentlich aufgeführt worden sind. R.O.H.G. 1 v. 16. Mai 1873, Entsch. 10 S. 122 u. 123, und v. 27. Nov. 1874, ebenda 15 S. 189 ff.; Kl oster mann, Urheberrecht (1876) S. 279. 37) H. Die Ausnahme, welche diese Vorschrift von dem Prinzip des ersten Absatzes macht, ist durch die Rücksicht auf den inländischen Buchhandel gerechtfertigt. Mot. S. 53. Jnr Handel und Verkehr kommt es auf die "Nationalität der Person nicht an. Den Schutz des Gesetzes

Von dem Urheberrecht an Werken der bildenden Künste.

1029

§. 62. Diejenigen Werke ausländischer Urheber, welche in einem Orte erschienen sind, der zum ehemaligen Deutschen Bunde, nicht aber zum Norddeutschen Bunde, gehört, genießen den Schutz dieses Gesetzes unter der Voraussetzung, daß das Recht des betreffenden Staates den innerhalb des Norddeutschen Bundes erschienenen Werken einen den einheimischen Werken gleichen Schutz gewährt; jedoch dauert der Schutz nicht länger als in dem betreffenden Staate selbst. Dasselbe gilt von nicht veröffentlichten Werken solcher Urheber, welche zwar nicht im Nord­ deutschen Bunde, wohl aber im ehemaligen Deutschen Bundesgebiete staatsangehörig sind^). Urkundlich re. 29. Gesetz, betreffend das Urheberrecht an Werken der bildenden Künste"). Vom 9. Januar 1876. (R.G.Bl. S. 4.) Wir re. verordnen im Namen des Deutschen Reichs, nach erfolgter Zustimmung des Bundes­ raths und des Reichstags, was folgt:

genießt daher der Verleger nicht, weil er Inländer ist, sondern weil er im Jnlande eine Handelsniederlässung (Buchhandlung) hat. Ob diese Niederlassung die Haupt- oder nur eine ZweigNiederlassung ist, darauf wird nicht gesehen. Es genügt aber nicht die Bedruckung des Titels eines Buches mit der Firma des Verlegers, das Werk muß vielmehr in der inländischen Handlung erschienen sein, der Verlagsort muß im Jnlande liegen. Klostermann, geist. Eig. 1 S. 251, und Urheberrecht S. 108 u. 272; Wächter, Autorrecht S. 130 ff. Geht die dies­ seitige Niederlassung ein, so erlischt der Schutz für die Werke des ausländischen Urhebers im Jnlande. — 38) H. Nachdem das Gesetz im ganzen deutschen Reiche Geltung erlangt hat (Anm. * zu der Überschrift d. Ges. S. 990), ist der §. 62 nur noch für das Verhältniß Deutschlands zu Luxemburg, Lim­ burg, Liechtenstein und denjenigen Provinzen Oesterreichs von Bedeutung, welche dem vormaligen deutschen Bunde angehörten. In diesen Ländern sind die deutschen Autoren und Verleger bereits durch die dort publizirten Bundesbeschlüsse aus den Jahren 1832, 1837 und 1845 den ein­ heimischen gleichgestellt. Die letzteren genießen daher den gesetzlichen Schutz für ihre Werke auch im deutschen Reiche. Wächter, Verlagsrecht S. 407 und Autorrecht S. 134; Klostermann a. a. O. S. 273 u. 274. *) H. Vergl. hierzu Klostermann, das Urheberrecht an Schrift- und Kunstwerken rc., Berlin 1876; Oscar Wächter, das Urheberrecht an Werken der bildenden Künste rc., Stutt­ gart 1877. Beide Werke sind in der Folge nur mit den Namen ihrer Verfasser citirt. Aus der älteren Literatur sind hervorzuheben: Schn aase, über das künstlerische Eigenthum. Aus den Annalen für die Rechtspflege und Verwaltung. Trier 1843; Volkmann, die Werke der Kunst in den deutschen Gesetzgebungen zum Schutze des Urheberrechts. München 1855; O. Wächter, das Recht des Künstlers gegen Nachbildung und Nachdruck seiner Werke. Nach den in Deutschland geltenden Rechten und den neuesten legislativen Anträgen dargestellt. Stuttgart und Tübingen 1859; Kühns, der Rechtsschutz an Werken der bildenden Künste. Eine Druckschrift im Namen der deutschen Kunstgenossenschaft. Berlin 1861; Goltdammer, die strafbare Nachbildung von Kunstwerken. Berlin 1864. Vergl. auch die Literaturnachweise in den Amn. * zu den Marg. bei I. 11 §§. 996 und 1024 und zu der Ueberschrift des Ges. i). 11. Juni 1870. Das Urheberrecht an Werken der bildenden Künste steht seinem Grunde und Gehalte nach wesentlich auf gleicher Linie mit dem Urheberrecht an Schriftwerken (Anm. 1 zu §. 1 des Ges. v. 11. Juni 1870). Die Verschiedenheit des Gegenstandes beider Rechte übt indeß einen ge­ wissen Einfluß auf die Stellung des Berechtigten. Denn während das Kunstwerk schon an sich, d. h. in der Gestalt, in welcher die Idee seines Schöpfers sich verwirklicht hat, als Original, einen Vermögenswerth darstellt, vermag der Schriftsteller sein Werk nur durch Vervielfältigung zu verwerthen. (Wächter S. 3, 31 ff.) Hinzutritt, daß die Reproduktion eines Kunstwerkes weitaus schwieriger ist als die eines Schriftwerks. Es ist daher erklärlich, daß die Bestrebungen, für den Urheber einer Geistesschöpfung den staatlichen Schutz zu erlangen, zunächst immer nur den Nachdruck im Auge hatten. (Wächter S. 4.) Insofern freilich, als auch das Kunstwerk einer mechanischen Vervielfältigung fähig ist, kamen auch diesem die Maßregeln gegen den Nach­ druck zu Gute. Allein da die Werke der Kunst, um vervielfältigt werden zu können, regelmäßig erst in eine andere Kunstform umgesetzt, also der Thätigkeit eines mit dem Urheber des Originals nicht identischen Künstlers unterworfen werden müssen, so schützten die älteren Gesetze das Ver­ vielfältigungsrecht nicht in der Person des ursprünglichen Urhebers, sondern zu Gunsten des reproduzirenden Künstlers oder des Verlegers. (Kl ost er mann S. 70 u. 71.) Doch bedrohte schon das bayerische Strafgesetzbuch vom Jahre 1813 Th. 1 Art. 397 mit Strafe und Schadens­ ersatz denjenigen, der ein Kunstwerk ohne Genehmigung des Urhebers oder der Rechtsnachfolger

1030

Erster Theil.

Eilfter Titel.

(Gesetz v. 9. Jan. 1876 §§. 1—5.)

desselben durch den Druck oder sonst vervielfältigte und im Publikum bekannt machte, ohne das­ selbe zu eigenthümlicher Form verarbeitet zu haben. (Wächter S. 5.) Aber erst das preußische Gesetz „zum Schutze des Eigenthums an Werken der Wissenschaft und Kunst gegen Nachdruck und Nachbildung" v. 11. Juni 1837, G.S. S. 165, verlieh den Kunstwerken den gleichen Rechtsschutz wie den Schriftwerken. Es bestimmte u. a.: „8- 21. Die Vervielfältigung von Zeichnungen oder Gemälden durch Kupferstich, Stahlstich, Holzschnitt, Lithographie, Farbendruck, Übertragung u. s. w. ist verboten, wenn sie ohne Ge­ nehmigung des Urhebers des Original-Kunstwerks oder seiner Rechtsnachfolger bewirkt wird. 8. 22. Unter gleicher Bedingung ist die Vervielfältigung von Skulpturen aller Art durch Abgüsse, Abformungen u. s. w. verboten. §. 23. Hinsichtlich dieser Verbote, §§. 21. und 22., macht es keinen Unterschied, ob die Nachbildung in einer andern Größe, als das nachgebildete Werk, oder auch mit andern Ab­ weichungen von demselben vorgenommen worden ist; es seyen denn die Veränderungen so über­ wiegend, daß die Arbeit nicht als eine bloße Nachbildung, sondern als ein eigenthümliches Kunst­ werk betrachtet werden könnte. §. 24. Als eine verbotene Nachbildung ist es nicht zu betrachten, wenn ein Kunstwerk, das durch die Malerei oder eine der zeichnenden Künste hervorgebracht worden ist, mittelst der plastischen Kunst, oder umgekehrt, dargestellt wird. §. 29. Die Abbildung eines Kunstwerkes, welche durch ein anderes, als bei dem Original angewendetes Kunstverfahren, z. B. durch Kupferstich, Stahlstich, Holzschnitt u. s. w. (§. 21), oder durch Abgüsse, Abformungen u. s. w. (§. 22.); rechtmäßig angefertigt worden, darf nicht ohne Genehmigung des Abbildners oder seiner Rechtsnachfolger durch ein rein mechanisches Ver­ fahren vervielfältigt werden, so lange die Platten, Formen und Modelle, mittelst welcher die Abbildung dargestellt wird, noch nutzbar sind. Auch hierbei kommt die Bestimmung des §. 23 zur Anwendung." Die hier legalisirten Grundsätze wurden in der Hauptsache auch von der vormaligen Bundes­ versammlung zu Frankfurt a. M. den Beschlüssen vom 9. November 1837 und vom 19. Juni 1845 zu Grunde gelegt. Wenn nun auch diese Beschlüsse in den meisten Staaten Deutschlands zur Publikation gelangten, so entsprachen sie doch den Wünschen der Künstler nicht vollständig, weil sie wesentlich nur die Grundsätze über den Nachdruck von Schriftwerken auf die Verviel­ fältigung der Kunstwerke anwendeten, den Eigenthümlichkeiten der letzteren aber nicht ausreichend Rechnung trugen, namentlich einen rechtlichen Schutz des Künstlers gegen Kopien nicht gewährten. (Klostermann S. 71 ff.) Die auf Herstellung eines gemeinsamen Urheberrechts "gerichteten Bestrebungen, welche vorzugsweise von den Regierungen Sachsens und Oesterreichs gefördert wurden, hatten zunächst nur den praktischen Erfolg, daß die Bundesversammlung in Frankfurt a. M. einen Gesetzentwurf aufstellen ließ, in welchem auch das Recht an Werken der bildenden Künste eine Stelle fand. Dieser Entwurf ist fast wörtlich in das bayerische Ges. v. 28. Juni 1865 übergegangen. (Wächter S. 7 ff.) Damit ist die Partikulargesetzgebung auf diesem Gebiete zum Abschluß gelangt. Der Versuch der Eentralgewalt des norddeutschen Bundes, das Urheberrecht an Werken der bildenden Künste zugleich mit dem Urheberrecht an Schriftwerken rc. gesetzlich zu ordnen, scheiterte. Der Reichstag lehnte, wie bereits oben Anm. 99 zu 8- 43 d. Ges. v. 11. Juni 1870 erwähnt wurde, den Abschnitt des Entwurfes v. 4. Febr. 1870 ab, und zwar deshalb, weil die Schwierigkeiten, welche der Ordnung des Urheberrechts an Werken der bildenden Künste ohne gleichzeitige Berücksichtigung der Kunstindustrie entgegengetreten waren, auch auf dem Wege der Vorberathung durch eine Kommission nicht hatten überwunden werden können. (Klostermann S. 16; Wächter S. 13 ff.) Die hierbei zu lösenden Fragen wurden nunmehr zmn Gegenstände einer Enquote von Sachverständigen aus den Kreisen der Künstler und Industriellen gemacht. Auf Grund der so gewonnenen Resultate ließ das Reichskanzleramt durch den geheimen Ober-Postrath Dambach drei Gesetzentwürfe ausarbeiten, von denen der eine das Urheberrecht an Werken der bildenden Künste, der andere das Urheberrecht an Mustern und Modellen, der dritte den Schutz der Photographieen gegen unbefugte Nachbildung zu ordnen bestimmt war. Die Entwürfe wurden, mit Motiven versehen, am 1. November 1875 dem Reichstage vorgelegt (Drucks. Nr. 24). Hier wurden sie am 9. November, nach erfolgter erster Lesung, einer besonderen Kommission über­ wiesen. Diese erstattete unterm 4. Dezember schriftlichen Bericht (Drucks. Nr. 76). Demnächst passirten die Entwürfe am 13. die zweite und am 17. Dezember 1875 die dritte Lesung (Sten. Ber. S. 604, 743). Nach der am 18. Dezember vorgenommenen Schlußabstimmnng (ebenda S. 745) sind sie von dem Bundesrath genehmigt und von dem Kaiser mit der gesetzlichen Sanktion versehen worden. Die Gesetze tragen das Datum des 9., des 10. und des 11. Januar 1876. Ihre Verkündigung durch das Reichsgesetzblatt S. 4—14 ist am 18. desselben Monats erfolgt.

Von dem Urheberrecht an Werken der bildenden Künste.

A. §. 1.

1031

Ausschließliches Recht des Urhebers.

Das Recht, ein Werk der bildenden Künste^ ganz oder theilweise nachzubilden*),

steht dem Urheber desselben ausschließlich zu. §. 2. Das Recht des Urhebers geht auf dessen Erben über. Dieses Recht kann beschränkt oder unbeschränkt durch Vertrag oder durch Verfügung von Todeswegen auf Andere übertragen

werden31).2 §. 3. Auf die Baukunst findet das gegenwärtige Gesetz keine Anwendung4).5 6 §. 4. Als Nachbildung ist nicht anzusehen die freie Benutzung eines Werkes der bildenden Künste zur Hervorbringung eines neuen Werkes"). 5. Jede Nachbildung eines Werkes der bildenden Künste, welche in der Absicht, dieselbe zu verbreiten"), ohne Genehmigung des Berechtigten (§§. 1, 2) hergestellt wird, ist verboten. Als verbotene Nachbildung ist es auch anzusehen:

1) H. Die bildenden Künste sind die Malerei (Zeichnung) und die Plastik (Bildhauerkunst und Baukunst). Die Werke der bildenden Künste, Kunstwerke, sind mit Ausschluß der Baukunst (§. 3) dem Schutz des Gesetzes unterworfen. Das Kunstwerk unterscheidet sich durch seinen Zweck von denjenigen Abbildungen, welche durch die Gesetze v. 11. Juni 1870 und v. 11. Jan. 1876 geschützt sind. Der Künstler, welcher dem von ihm gefaßten Gedanken Form giebt, beabsichtigt dabei die Darstellung des Schönen; der Zweck seiner Schöpfung ist ein ästhetischer. (Vgl. die Anm. 99 zu §. 43 des Ges. v. 11. Juni 1870.) Ob dieser Zweck im einzelnen Fall erreicht ist, ob das geschaffene Werk Anspruch hat auf künstlerischen Werth, ist für den rechtlichen Begriff des Kunstwerkes gleichgültig. (Mot. S. 10.) Aus dem Bereiche der Werke der bildenden Künste scheidet es nur aus, wenn der erkennbare Zweck auf Belehrung oder^ auf den materiellen Gebrauch gerichtet ist. Kloster mann S. 69 ff.; Wächter S. 41 ff. Die Photographie ist kein Kunstwerk, weil zu ihrer Her­ stellung keine formgebende, sondern eine lediglich reproduzirende Thätigkeit erforderlich ist. Klostermann S. 78. 2) H. Der materielle Inhalt des Urheberrechts an Werken der bildenden Künste hat hier­ durch gegenüber dem Ges. v. 11. Juni 1837 eine bedeutende Erweiterung erfahren. Während dieses Gesetz das ausschließliche Recht des Urhebers nur auf die mechanische Vervielfältigung erstreckte, umfaßt dasselbe jetzt jede Nachbildung, also grundsätzlich auch die Kopie. Dadurch unterscheidet sich das künstlerische Urheberrecht zugleich von dem Urheberrecht des Ges. v. 11. Juni 1870. Der Grund für die Erweiterung des ersteren liegt" darm, daß das Kunstwerk auch als Unikum einen Vermögenswerth repräsentirt und das Original durch die Herstellung von Kopien häufig an Werth beträchtlich verliert. Vergl. Kl ost ermann S. 74 und Wächter S. 32 ff. Ueber die theilweise Nachbildung siehe Wächter S. 187 ff. 3) H. Eben so das Ges. v. 11. Juni 1870 §. 3. Vergl. die Anm. 4 u. 5 dazu und Wächter S. 86 ff. 4) H. An dem einzelnen Bauwerk besteht sonach kein Urheberrecht. Der Grund ist, daß dasselbe, wenn es auch im einzelnen Fall ästhetische Anforderungen erfüllt, doch wesentlich mate­ riellen Zwecken dient. (Klostermann S. 75; Wächter S. 41 ff.) Auch das preußische Ges. v. 11. Juni 1837 schützte die Werke der Baukunst nicht gegen Nachbildung. Der Nachdruck von Plänen, Zeichnungen, Rissen rc. ist durch das Ges. v. 11. Juni 1870 §. 43 verboten. Mot. S. 11. Vergl. §. 5 Nr. 3. 5) H. Das Kunstwerk kennzeichnet sich als Original durch die Form, in welcher die Idee des Künstlers Gestalt gewonnen hat. Es verhält sich hiermit eben so wie mit dem Schriftwerk und dem Tonwerk. Die Gedanken, welchen der Schriftsteller durch die Sprache, der Tondichter durch die Melodie einmal Ausdruck geliehen hat, entziehen sich der ausschließlichen Verbindung mit der Person ihres Erzeugers. Wie sie ihren Ursprung haben in dem Jdeenkreise, in welchem der Autor lebt und schafft, so sollen sie wieder befruchtend wirken auf diesen Kreis. Die geistige Entwickelung würde stillstehen, wenn der Eine die von dem Anderen ausgedrückten Gedanken nicht verwerthen dürfte. Der Gedanke, welchem der Einzelne Gestalt gegeben hat, ist dadurch Gemeingut geworden; nur die Form, in welcher er der Welt sich offenbart, verbleibt dem Urheber. In dem Kunstwerk freilich durchdringen Form und Inhalt sich oft dergestalt, daß es schwierig ist, diesen von jener zu trennen. Aber das beweist nichts gegen die Richtigkeit des Prinzips, auf welchem der §. 4 beruht. Anm. 7 zu §. 4 und Anm. 4 zu §. 46 des Ges. v. 11. Juni 1870. Vergl. auch Klostermann S. 229; Wächter S. 185, 6) H. Ges. v. 11. Juni 1870 §§. 18 ff.

1032

Erster Theil.

Eilfter Titel.

(Gesetz v. 9. Jan. 1876 §§. 6—8.)

1. wenn bei Hervorbringung derselben ein anderes Verfahren angewendet worden ist, ttls bei dem Originalwerk7); 2. wenn die Nachbildung nicht umnittelbar nach dem Originalwerk-e, sondern mittelbar nach

einer 3. wenn kunst, 4. wenn

Nachbildung desselben geschaffen ist8); die Nachbildung eines Werkes der bildenden Künste sich an einem Werke der Bau­ der Industrie, der Fabriken, Handwerke oder Manufakturen befindet °); der Urheber oder Verleger dem unter ihnen bestehenden Vertrage zuwider eine

neue Vervielfältigung des Werkes veranstalten; 5. wenn der Verleger eine größere Anzahl von Exemplaren eines Werkes anfertigen läßt, als ihm vertragsmäßig oder gesetzlich gestattet ist10). 8- 6. Als verbotene Nachbildung ist nicht anzusehen: 1. die Einzelkopie eines Werkes der bildenden Künste, sofern dieselbe ohne die Absicht der Verwerthung angefertigt wird11). Es ist jedoch verboten, den Namen oder das Mono­ gramnr des Urhebers des Werkes in irgeitb einer Weise auf der Einzelkopie anzubringen, widrigenfalls eine Geldstrafe bis zu fünfhrmdert Mark verwirkt ist; 2. die Nachbildung eines Werkes der zeichnenden oder malenden Kunst durch die plastische Kunst, oder umgekehrt12);

7) H. Z. B. ein Oelgemülde durch Zeichnung kopirt ist. Klo st er mann S. 226. Motivirt ist die Vorschrift lediglich durch die Konsequenz aus der Ausschließlichkeit des Urheberrechts. Mot. S. 12. 8) H. Ges. v. 11. Juni 1870 §. 4 Anm. 6 Abs. 3. 9) II. Nach dem Ges. v. 11. Juni 1837 §. 25 war „die Benutzung von Kunstwerken als Muster zu den Erzeugnissen der Manufakturen, Fabriken und Handwerke erlaubt." Jetzt ist sie nur insoweit gestattet, als der Fabrikant, Handwerker re. in der Lage ist, die Bestimmung unter §. 4 des Ges. v. 9. Jan. 1876 für sich in Anspruch zu nehmen. Ob dies der Fall, ist That­ frage. Vergl. darüber Wächter S. 200 ff. 10) H. Die Vorschriften unter Nr. 4 und 5 enthalten die Anwendung der Bestimmungen des Ges. v. 11. Juni 1870 §. 5 c und d auf Kunstwerke. 11) II. Die Einzelkopie, welche das Gesetz gestattet, kann wiederholt werden, wenn damit nur nicht die Absicht der Verwerthung verbunden ist. In der Kommission des Reichstages wurde „der Vorschlag, statt „Einzelkopie" „einmalige Kopie" zu setzen, fallen gelassen, da beide Begriffe etwas Verschiedenes bedeuten. Es soll die Handkopie erlaubt sein, gleichgültig ob sie einmal oder mehrmals geschieht. Der Ausdruck „einmalig" würde die Folge haben, daß z. B. der Besitzer eines Gemäldes straffällig würde, wenn er dasselbe in seinen: Zimmer ohne Erlaubniß des Künstlers zu seinem Vergnügen einige Male nachzeichnet." Komm.Ber. S. 5; Kloster m ann S. 228. Die Veräußerung einer ohne die Absicht der Verwerthung an­ gefertigten Kopie ist an sich nicht unerlaubt. Wächter S. 181. Aber wenn der Verfertiger der Kopie selbst der Veräußerer ist, so wird dies nicht selten ein starkes Anzeichen dafür sein, daß er schon bei der Anfertigung die Absicht der Verwerthung hegte. Die erlaubte Kopie eines Kunstwerks steht wesentlich auf. gleicher Linie mit der Abschrift eines Schriftwerks, welche nicht die Bestimmung hat, den Druck zu ersetzen. Ges. v. 11. Juni 1870 § 4. 12) H. Nach dem Ges. v. 11. Juni 1837 §. 24 war es ebenfalls „als eine verbotene Nachbildung nicht zu betrachten, wenn ein Kunstwerk, das durch die Malerei oder eine der zeich­ nenden Künste hervorgebracht worden ist, mittelst der plastischen Kunst, oder mngekehrt, dargestellt wird." Durch Ges. v. 20. Febr. 1854, G.S. S. 93, wurde indeß diese Bestimmung aufgehoben und statt derselben vorgeschrieben, daß „eine solche Darstellung nur dann als eine verbotene Nachbildung zu betrachten ist, wenn sie auf rein mechanischem Wege erfolgt." Diesen Stand­ punkt nahm auch der Gesetzentwurf v. 4. Febr. 1870 ein, unter Beifall der Kommission des Reichstages, welche den Entwurf zu berathen hatte. (Drucks. 1870 Nr. 138 S. 28.) Gegen den Entwurf von 1875 dagegen, der ebenfalls von der Auffassung des Gesetzes vor: 1854 aus­ ging (Mot. in den Drucks, des Reichst. 1875 Nr. 24 S. 13), vertrat die Kommission sowohl wie das Plenum des Reichstages den Standpunkt des Gesetzes von 1837. (Komm.Ber. Drucks. Nr. 76 S. 5; Sten.Ber. S. 545.) Doch nahm der Reichstag einen Vorschlag an, nach welchem die Worte „durch die plastische Kunst" den Worten „in plastischer Form" substituirt wurden. Das Verfahren also, mittelst dessen die Nachbildung ausgeführt wird, muß ein künstlerisches sein, im Gegensatz zur mechanischen Nachbildung. (Wächter S. 197.) Das aber scheint in der That der Tendenz des Ges. v. 20. Febr. 1854 zu entsprechen.

Von dem Urheberrecht an Werken der bildenden Künste.

1033

3. die Nachbildung von Werken der bildenden Künste, welche auf oder an Straßen oder öffent­ lichen Plätzen bleibend sich befinden. Die Nachbildung darf jedoch nicht in derselben Kunstfornt erfolgen13); 4. die Aufnahme von Nachbildungen einzelner Werke der bildenden Künste in ein Schrift­ werk, vorausgesetzt, daß das letztere als die Hauptsache erscheint, und die Abbildungen nur zur Erläuterung des Textes dienenu). Jedoch muß der Urheber des Originals oder die benutzte Quelle angegeben werden, widrigenfalls die Strafbestimmung im §. 24 des Gesetzes von: 11. Juni 1870, betreffend das Urheberrecht an Schriftwerken rc. (BundesGesetzbl. 1870. S. 339) Platz greift'"). §. 7. Wer ein von einem Anderen herrührendes Werk der bildenden Künste auf recht­ mäßige Weise, aber mittelst eines anderen Kunstverfahrens nachbildet, hat in Beziehung auf das von ihm hervorgebrachte Werk das Recht eines Urhebers (§. 1), auch wenn das Original

bereits Gemeingut geworden ist l0). §. 8. Wenn der Urheber eines Werkes der bildenden Künste das Eigenthum am Werke einem Anderen überläßt, so ist darin die Uebertragung des Nachbildungsrechts fortan nicht enthalten'-); bei Portraits und Portraitbüsten geht dieses Recht jedoch auf den Besteller^) über. Der Eigenthümer des Werkes ist nicht verpflichtet, dasselbe zum Zweck der Veranstaltung von Nachbildungen an den Urheber oder dessen Rechtsnachfolger herauszugeben 10). 13) H. Die ausführliche Entstehungsgeschichte dieser Bestimmung siehe bei Wächter S. 153 ff. Die Materialien ergeben darüber, welchen Begriff das Gesetz mit dem Worte „Kunstform" verbunden haben will, etwas Positives nicht. Nur negativ scheint festzustehen, daß nmn bei der Kunstform nicht an den Gegensatz zwischen plastischer und malender Kunst zu denken hat. Nach Klostermann S. 76 nruß unter der Kunst form das in §.7 gedachte Kunstverfahren ver­ standen werden, wenn anders die Bestimmungen des §. 6 Nr. 2 u. 3 nicht denselben Gedanken ausdrücken sollen. (Hiergegen Wächter S. 158 und 159.) Einverstanden ist inan darüber, daß ein Freskogemülde an einem öffentlichen Gebäude nicht al fresco, wohl aber vermittelst der Photographie, des Kupferstichs u. dgl., eherne Standbilder an öffentlichen Orten nicht in Erz­ guß, wohl aber durch die Skulptur nachgebildet werden dürfen. Ein ausschließliches Recht des Bildhauers, von seinem Werke Gipsabgüsse in verkleinertem Maße herstellen und durch den Kunsthandel vertreiben zu lassen, wird von Klostermann S. 77 nicht anerkannt, von Wächter dagegen a. a. O. zugestanden. Vergl. O.Tr. Sen. f. Straff, v. 24. Febr. 1864, J.M.Bl. S. 78; Göltdammer, Arch. 12 S. 184; Oppenhoff, Rechtsspr. 4 S. 383. 14) H. Nur unter dieser Voraussetzung ist auch nur die als Titelvignette zu einem Schriftwerke verwendete Nachbildung eines Kunstwerkes gestattet. Unter der Herrschaft des älteren Rechts ließ man die Titelvignette, deren man sich ihrer Kleinheit wegen an Stelle des Vorbildes nicht bedienen könnte, als Kunstzugabe zu einer Broschüre ohne weiteres zu. O.Tr. Sen. f. Strass, v. 23. Juni 1858, Goltdammer, Arch. 6 S. 692. Bildet nicht ein Schriftwerk, sondern eine Reihe von Abbildungen künstlerischer Erzeugnisse den Gegenstand der Veröffentlichung (Album, Gallerie u. dgl.), so ist die Nachbildung eines Kunstwerkes als Titelvignette sowohl nach dem älteren Rechte (R.O.H.G. I v. 12. Jan. 1875, Cntsch. 16 S. 254) als nach dem vorliegenden §. 6 Nr. 4 ohne Genehmigung des Urhebers verboten. 15) H. Ebenso das Ges. v. 11. Juni 1870 §. 44. 16) TI. Vergl. hierzu den §. 29 des Ges. v. 11. Juni 1837, oben in der Anin. * zur Ueberschrift, und die Erkenntnisse des O.Tr. Sen. f. Strass, v. 24. Febr.1864, Anm. 13, und v. 24. Mai 1871, J.M.Bl. S. 188, auch das Ges. v. 10. Jan. 1876 §. 9,Zus. 30. Die Photo­ graphie hat nicht den Charakter des Kunstverfahrens im Sinne des 7; Komm.Ber. S. 11 ff.; Klostermann S. 80; Wächter S. 276. 17) H. 'Nach dem Ges. v. 11. Juni 1837 28 hatte die Uebertragung des Eigenthums den Verlust des Urheberrechts an den: Kunstwerke zur Folge, so fern nicht der Urheber dieses Recht sich vorbehalten, oder auf den Erwerber übertragen hatte, und dem obersten Kuratorium der Künste Anzeige gemacht war. 18) B. Auch wenn der Besteller nicht der Portraitirte ist. Das Recht des Bestellers ist kein urspüngliches, sondern ein von dem Urheber abgeleitetes Recht; es erlischt mithin mit dein Ablauf der' dem Urheber von dem Gesetze verliehenen Schutzfrist. Das Rechtsverhältniß des Portraitirten zu dem Besteller und dem Urheber liegt nicht auf dem Gebiete des Urheberrechts. Siehe darüber Klostermann S. 133 und Wächter S. 74ff.

Erster Th ei/.

1034

Eilfter Titel. B.

§. 9.

(Gesetz v. 9. Jan. 1876 §§. 9-16.)

Dauer des Urheberrechts.

Der Schutz des gegenwärtigen Gesetzes gegen Nachbildung wird für die Lebens­

dauer des Urhebers und dreißig Jahre nach dem Tode desselben gewährt2"). Bei Werken, welche veröffentlicht sind, ist diese Dauer des Schutzes an die Bedingung ge­ knüpft, daß der wahre Name des Urhebers auf dem Werke vollständig genannt oder durch kennt­

liche Zeichen ausgedrückt ist21 19).20 Werke, welche entweder unter einem anderen, als dem wahren Namen des Urhebers ver­ öffentlicht, oder bei welchen ein Urheber gar nicht angegeben ist, werden dreißig Jahre lang, von der Veröffentlichung an, gegen Nachbildung geschützt22). Wird innerhalb dieser dreißig Jahre der wahre Name des Urhebers von ihm selbst oder seinen hierzu legitimirten Rechtsnach­ folgern zur Eintragung in die Eintragsrolle (§. 39 des Gesetzes vom. 11. Juni 1870, betreffend das Urheberrecht an Schriftwerken rc., — Bundes-Gesetzbl. 1870 S. 339) angemeldet, so wird dadurch dein Werke die im Absatz 1. bestimmte längere Dauer des Schutzes erworben 2^). §. 10. Bei Werken, die in mehreren Bänden oder Abtheilungen erscheinen, wird die Schutzfrist von dem ersten Erscheinen eines jeden Bandes oder einer jeden Abtheilung an be­

rechnet. Bei Werken jedoch, die in einem oder mehreren Bänden eine einzige Aufgabe behandeln und mithin als in sich zusammenhängend zu betrachten sind, beginnt die Schutzfrist erst nach

dem Erscheinen des letzten Bandes oder der letzten Abtheilung. Wenn indessen zwischen der Herausgabe einzelner Bände oder Abtheilungen ein Zeitraum von mehr als drei Jahren verflossen ist, so sind die vorher erschienenen Bände, Abtheilungen re. als ein für sich bestehendes Werk und ebenso die nach Ablauf der drei Jahre erscheinenden

weiteren Fortsetzungen als ein neues Werk zu behandeln24). 8- 11. Die erst nach dem Tode des Urhebers veröffentlichten Werke werden dreißig Jahre lang, vom Tode des Urhebers an gerechnet, gegen Nachbildung geschützt2^). §. 12. Einzelne Werke der bildenden Künste, welche in periodischen Werken, als Zeit­ schriften, Taschenbüchern, Kalendern rc. erschienen sind, darf der Urheber, falls nichts anderes verabredet ist, auch ohne Einwilligung des Herausgebers oder Verlegers des Werkes, in welches dieselben ausgenommen sind, nach zwei Jahren, vom Ablaufe des Jahres des Erscheinens an gerechnet, anderweitig abdrucken26). 8- 13. In den Zeitraum der gesetzlichen Schutzfrist wird das Todesjahr des Verfassers27)

19) H. Dieser Satz ist eine Folgerung aus dem Begriff des Eigenthums. Eine gesetzliche Beschränkung des letzteren durch das Urheberrecht besteht nicht. Der Urheber kann mithin die Herausgabe des Werkes zum Zwecke der Vervielfältigung von den: Eigenthümer nur verlangen, wenn dieser ihm dazu aus einem obligatorischen Grunde verpflichtet ist. Wächter S. 116. 20) H. Ebenso der Bundesbeschluß v. 19. Juni 1845 Nr. 1, G.S. 1846 S. 149. Nach dem Ges. v. 11. Juni 1837 §. 27 waren Kunstwerke überhaupt nur 10 Jahre lang geschützt. Die gegenwärtige (dreißigjährige) Schutzfrist gilt auch für Schriftwerke nach dem Ges. v. 11. Juni 1870 §. 8. 21) H. Durch diese Bestimmung wird das Prinzip des Ges. v. 11. Juni 1870 §8- H, 43 u. 45 auf Kunstwerke ausgedehnt. Unter der Herrschaft des Ges. v. 11. Juni 1837 §. 27 und des Bundesbeschlusses v. 19. Juni 1845 Nr. 3 war der Schutz der Kunstwerke gegen Nachbildung bedingt durch die Anmeldung bei dem obersten Kuratorium der Künste (Ministerium der geist­ lichen rc. Angelegenheiten). 22) H. Bei solchen Werken wird das Urheberrecht von den: Herausgeber und, wenn ein solcher nicht angegeben ist, von dem Verleger in Gemäßheit des Ges. v. 11. Juni 1870 8- 29 wahrgenommen. Siehe §. 16. Ueber die Natur der Rechte des Verlegers und des Herausgebers: Klostermann S. 104 und gegen denselben Wächter S. 80. 23) JEL Ebenso das Ges. v. 11. Juni 1870 §. 11. 24) H. Der Paragraph wiederholt wörtlich dre Vorschriften des Ges. v. 11. Juni 1870 8- 14. 25) H. Eine Wiederholung des §. 12 a. a. O. 26) H. Entspricht fast wörtlich dem 8- 10 a. a. O. 27) H. Mit dem Verfasser ist der Urheber des Kunstwerkes gemeint. Wächter §. 26 Note 5 S. 127.

Von dem Urheberrecht an Werken der bildenden Künste.

1035

beziehungsweise das Kalenderjahr der ersten Veröffentlichung oder des ersten Erscheinens M) des Werkes nicht eingerechnet^). 8- 14. Wenn der Urheber eines Werkes der bildenden Künste gestattet, daß dasselbe an einem Werke der Industrie, der Fabriken, Handwerke oder Manufakturen nachgebildet wird, so genießt er den Schutz gegen weitere Nachbildungen an Werken der Industrie:c. nicht nach Maß­ gabe des gegenwärtigen Gesetzes, sondern nur nach Maßgabe des Gesetzes, betreffend das Ur­ heberrecht an Mustern und Modellen3"). 8- 15. Ein Heimfallsrecht des Fiskus oder anderer zu herrenlosen Verlassenschaften be­ rechtigter Personen findet auf das ausschließliche Recht des Urhebers und seiner Rechtsnach­ folger nicht statt31).

C.

Sicher st ellung des Urheberrechts.

8- 16. Die Bestimmungen in den 88- l8—42 des Gesetzes vom 11. Juni 1870, betreffend das Urheberrecht an Schriftwerken rc., (Bundes-Gesetzbl. 1870. S. 339) finden auch auf die Nachbildung von Werken der bildenden Künste entsprechende Anwendung 3"). Die Sachverständigen-Vereine, welche nach Maßgabe des 8- 31 des genannten Gesetzes Gutachten über die Nachbildung von Werken der bildenden Künste abzugeben haben, sollen aus Künstlern verschiedener Kunstzweige, aus Kunsthändlern, Kunstgewerbtreibenden und aus anderen Kunstverständigen bestehen33). 28) H. Erschienen ist ein Werk, wenn es veröffentlicht, d. h. aber nicht schon, wenn es öffentlich ausgestellt, sondern wenn es vervielfältigt und im Kunsthandel zu haben ist. Das Gesetz bedient sich hier und in den vorigen Paragraphen der Worte „Veröffent­ lichung" und „Erscheinen" in dem nämlichen Sinne. Wächter S. 137. Das Kalenderjahr des Erscheinens ist nicht immer das Jahr, welches auf dem Titel steht. Die Verleger pflegen die gegen Ende des Jahres erscheinenden Werke meist mit der Zahl des folgenden Jahres bedrucken zu lassen. Klostermann S. 166. 29) H. Der §. 13 ist eine Nachbildung des §. 16 des Ges. v. 11. Juni 1870. 30) H. Der Satz ist eine Konsequenz aus dem. Begriff des Kunstwerks. Tritt dieses in den Dienst des Gewerbes, so begiebt sich der Künstler damit insoweit des Rechts auf Schutz des Kunsturheberrechts. In wie weit und unter welchen Voraussetzungen dann der Muster- oder Modellschutz eintritt, bestimmt sich nach dem Ges. v. 11. Jan. 1876. Beide Urheberrechte laufen neben einander. Die Grenze zwischen ihnen ist prinzipiell scharf gezogen, im einzelnen Fall freilich schwer zu erkennen. Vergl. hierüber Wächter S. 64, 104, 203. 31) H. Der §. 15 lautet ebenso wie die Bestimmung unter §. 17 des Ges. v. 11. Juni 1870. 32) H. Vergl. hierzu die Anm. 43—98 zu §§. 18—42 des Ges. v. 11. Juni 1870. Die Eintragsrolle für Werke der bildenden Künste wird nach den durch das Eentralblatt für das deutsche Reich 1876 S. 119 ff. veröffentlichten Bestimmungen des Reichskanzleramts v. 29. Febr. 1876 zusammen mit der Eintragsrolle für Schriftwerke rc. als Eine Rolle geführt. Vergl. darüber Klostermann S. 188ff. und Wächter S. 149 u. 150. 33) H. In Ausführung dieser Vorschrift sowie des §. 10 des Ges. v. 10. Jan. und des 8- 14 des Ges. v. 11. Jan. hat das Reichskanzleramt unterm 29. Febr. 1876 „Bestimmungen über die Zusammensetzung und den Geschäftsbetrieb der künstlerischen, photo­ graphischen und gewerblichen Sachverständigen-Vereine" erlassen und durch das Centralblatt für das deutsche Reich 1876 Nr. 9 veröffentlicht. Der Justizminister hat diese Be­ stimmungen, welche aus neun Paragraphen bestehen, mittelst Verfügung v. 19. Okt. 1876 den Gerichten durch das J.M.Bl. Nr. 56 S. 193 ff. noch besonders bekannt gemacht. Nach §. 1 der Best, darf „in keinem Bundesstaate mehr als ein künstlerischer, ein photo­ graphischer und ein gewerblicher Sachverständigen-Verein bestehen." Der §. 2 lautet: „Der künstlerische und der photographische Sachverständigen-Verein besteht aus je sieben, der gewerbliche Sachverständigen-Verein aus zehn Mitgliedern, einschließlich des Vorsitzenden. Für den Fall der Verhinderung einzelner Mitglieder wird eine Anzahl Stell­ vertreter ernannt." Unter 88- 3-5 sind die Vorschriften der Jnstr. v. 12. Dez. 1870 §§. 3, 6 und 7 Abs. 1 (Anm. 81 zu 8- 31 des Ges. v. 11. Juni 1870) wörtlich wiedergegeben. Die Bekanntmachung des Reichskanzlers v. 25. Okt. 1882, Centr.Bl. S. 417, bezieht sich auf den §. 5. Der Wortlaut des 8- 6 der Bestimmungen ist der: „Zur Fassung eines gültigen Beschlusses ist bei dem künstlerischen und bei dem photographischen Sachverständigen-Verein die Anwesenheit

1036

Erster Theil.

Eilfter Titel.

D.

(G. v. 9. Jan. 1876 §§. 17—21.)

Allgemeine Bestimmungen.

§. 17. Das gegenwärtige Gesetz tritt mit dem 1. Juli 1876 in Kraft. Alle früheren in den einzelnen Staaten des Deutschen Reichs geltenden Bestimmungen in Beziehung auf das Urheberrecht an Werken der bildenden Künste treten von demselben Tage ab außer Wirksamkeit •31). §. 18. Das gegenwärtige Gesetz findet auch auf alle vor dem Inkrafttreten desselben er­ schienenen Werke der bildenden Künste Anwendung, selbst wenn dieselben nach den bisherigen Landesgesetzgebungen keinen Schutz gegen Nachbildung genossen haben. Die bei dem Inkrafttreten dieses Gesetzes vorhandenen Exemplare, deren Herstellung nach der bisherigen Gesetzgebung gestattet war, sollen auch fernerhin verbreitet werden dürfen, selbst wenn ihre Herstellung nach dem gegenwärtigen Gesetze untersagt ist. Ebenso sollen die bei dem Inkrafttreten dieses Gesetzes vorhandenen, bisher rechtmäßig angefertigten Vorrichtungen, wie Formen, Platten, Steine, Stereotypabgüsse u. s.w. auch fernerhin zur Anfertigung von Exemplaren benutzt werden dürfen. Auch dürfen die beim Inkrafttreten des Gesetzes bereits begonnenen, bisher gestatteten Vervielfältigungen noch vollendet werden. Die Negierungen der Staaten des Deutschen Reichs werden ein Inventarium über die Vorrichtungen, deren fernere Benutzung hiernach gestattet ist, amtlich aufstellen und diese Vor­ richtungen mit einem gleichförmigen Stempel bedrucken lassen^''). Nach Ablauf der für die Legalisirung angegebenen Frist unterliegen alle mit dem Stempel nicht versehenen Vorrichtungen der bezeichneten Werke, auf Antrag des Verletzten, der Einziehung. Die nähere Instruktion über das bei der Aufstellung des Inventariums und bei der Stempelung zu beobachtende Verfahren wird vom Reichskanzler-Amt erlassen'^). §. 19. Die Ertheilung von Privilegien zum Schutze des Urheberrechts ist nicht mehr zulässig. Dem Inhaber eines vor dem Inkrafttreten des gegenwärtigen Gesetzes von den Regierungen einzelner deutscher Staaten ^') ertheilten Privilegiums steht es frei, ob er von diesem Privile­ gium Gebrauch machen oder den Schutz des gegenwärtigen Gesetzes anrufen will. Der Privilegienschutz kann indeß nur für den Umfang derjenigen Staaten geltend gemacht werden, von welchen derselbe ertheilt worden ist.

von wenigstens fünf, bei dem gewerblichen Sachverständigen-Verein die Anwesenheit von wenig­ stens sieben Mitgliedern, einschließlich des Vorsitzenden und der etwa zugezogenen Stellvertreter, erforderlich. Es dürfen bei dem künstlerischen und dem photographischen Verein nicht mehr als sieben Mitglieder, bei dem gewerblichen Verein nicht mehr als zehn Mitglieder an dem Be­ schlusse Theil nehmen.Die §§. 7—9 reproduziren den Wortlaut der von der Jnstr. v. 12. Dez. 1870 unter §§. 9—11 gegebenen Vorschriften, so jedoch, daß die Gebühren in §. 8 auf 30 bis 300 Mark bemessen und in §. 9 die §§. 4—8 der Bestimmungen in Bezug genommen sind. 34) H. Zu den hierdurch außer Kraft gesetzten Bestimmungen gehören u. a. die das Ur­ heberrecht an Werken der bildenden Künste betreffenden Vorschriften, der Ges. v. 11. Juni 1837 und v. 20. Febr. 1854 sowie der Beschlüsse der vormaligen Bundesversammlung zu Frankfurt a. M. v. 9. Nov. 1837, v. 19. Juni 1845 und v. 9. Nov. 1856. . 35) H. Nach dem Ges. v. 11. Juni 1870 §. 58 Abs. 5 mußten bei Schriftwerken auch die Exemplare, um verbreitet werden zu dürfen, abgestempelt werden. Die Erstreckung dieser Vorschrift auf Kunstwerke hat man als unzuträglich und überflüssig fallen lassen. Wächter S. 163. Im Uebrigen ist der Inhalt des §. 58 ohne sachliche Aenderungen meist wörtlich in dem vorliegenden §. 18 wiedergegeben. 36) H. Die erforderlichen Bestimmungen sind von dem Reichskanzleramt am 29. Febr. 1876 erlassen und durch das Eentralblatt für das Reich S. 118 öffentlich bekannt gemacht worden. Vergl. zu dem §.18 Klostermann S. 168 ff. und — zum Theil gegen denselben — Wächter S. 144 ff., auch die Anm. zu §. 58 des Ges. v. 11. Juni 1870. 37) H. Das Ges. v. 11. Juni 1870 hat im §. 60, mit welchem der vorliegende §. 19 sonst wesentlich gleichlautet, hier die Worte: „von dem deutschen Bunde oder den Regierungen einzelner, jetzt zum norddeutschen Bunde gehörigen Staaten." Für Kunstwerke kommen also Privilegien, welche von dem ehemaligen deutschen Bunde ertheilt sein könnten, nicht mehr in Betracht.

V. d. Urheberrecht an Werken d. bildenden Künste. — V. d. Schutz d. Photographier.

1037

Die Berufung auf den Privilegienschutz ist dadurch bedingt, daß das Privilegium entweder ganz oder dem wesentlichen Inhalte nach dem Werke vorgedruckt oder auf oder hinter dem Titelblatt desselben bemerkt ist. Wo dieses nach der Natur des Gegenstandes nicht stattfinden kann oder bisher nicht geschehen ist, muß das Privilegium bei Vermeidung des Erlöschens, binnen drei Monaten nach dem Inkrafttreten dieses Gesetzes zur Eintragung in die Eintrags­ rolle angemeldet werden. Das Kuratorium der Eintragsrolle hat das Privilegium öffentlich bekannt zu machen^). §. 20. Das gegenwärtige Gesetz findet Anwendung auf alle Werke inländischer Urheber, gleichviel ob die Werke im Jnlande oder Auslande erschienen oder überhaupt noch nicht ver­ öffentlicht sind. Wenn Werke ausländischer Urheber bei inländischen^) Verlegern erscheinen, so stehen diese Werke unter dem Schutze des gegenwärtigen Gesetzes. §. 21. Diejenigen Werke ausländischer Urheber, welche in einem Orte erschienen sind, der zum ehemaligen Deutschen Bunde, nicht aber zum Deutschen Reich gehört, genießen den Schutz dieses Gesetzes unter der Voraussetzung, daß das Recht des betreffenden Staates den innerhalb des Deutschen Reichs erschienenen Werken einen den einheimischen Werken gleichen Schutz ge­ währt; jedoch dauert der Schutz nicht länger, als in dein betreffenden Staate selbst. Dasselbe gilt von nicht veröffentlichten Werken solcher Urheber, welche zwar nicht im Deutschen Reich, wohl aber im ehemaligen deutschen Bundesgebiete staatsangehörig sind **°). Urkundlich rc. 30. Gesetz, betreffend den Schutz der Photographieen gegen unbefugte Nachbildung*). Vom 10. Januar 1876. (N.G.Bl. S. 8.) Wir rc. verordnen im Namen des Deutschen Reichs, nach erfolgter Zustimmung des Bundes­ raths und des Reichstags, was folgt: 38) H. In dem 60 des Ges. v. 11. Juni. 1870 ist die Bekanntmachung mit der An­ meldung in demselben Satze vorgeschrieben. Das konnte dem Mißverständnisse Raum geben, als ob die Erhaltung des Privilegiums auch von der Bekanntinachung abhängen solle. Die vorliegende Fassung stellt außer Zweifel, daß nur die Unterlassung der Anmeldung mit dem Erlöschen des Privilegiums bedroht ist. Vergl. die Anin. 35 zu 60 cit. 39) H. Der Verleger muß also ein Inländer sein, wenn der ausländische Urheber berechtigt sein soll, den Schutz unseres Gesetzes gegen Nachbildung anzurufen. Der Entwurf, den die Regierung dem Reichstage vorgelegt hatte, wollte im Einklänge mit dem Ges. v. 11. Juni 1870 §. 61 diesen Schutz schon dann eintreten lassen, wenn der Verleger, ohne das Jndigenat erworben zu haben, eine Handelsniederlassung im Jnlande Hütte. Die Komnüsston des Reichs­ tages hat dies geändert, indem sie die vorliegende Fassung annahm, um die Umgehung des Gesetzes zu verhindern. Komm.Ber. S. 9. Verliert der Verleger die Eigenschaft als Deutscher, so ist das von ihm verlegte Kunstwerk des ausländischen Urhebers nicht mehr geschützt. Desgleichen erlangt der Verleger den Schutz für ein solches Werk nicht dadurch, daß er nach dessen Erscheinen das deutsche Jndigenat erwirbt. Dein inländischen Kommissionsverleger des ausländischen Autors wird der Schutz des Gesetzes abgesprochen. Wächter S. 122 u. 123. Vgl. auch die Annr. 36 zu §. 61 cit 40) H. Ges. v. 11. Juni 1870 §. 62. *) H. In Bayern wurden die Photographieen bereits durch das Ges. v. 28. Juni 1865 gegen Nachbildung geschützt. In dem übrigen Deutschland waren sie schutzlos. Namentlich ge­ nossen sie nicht den Schutz, den die Bundesbeschlüsse und die Partikulargesetze den Kunstwerken angedeihen ließen. Wenigstens machte sich nur vereinzelt die Ansicht geltend, daß der Photograph eine bildende Kunst übe. Heutzutage scheint die Unrichtigkeit dieser Ansicht ziemlich allgemein anerkannt zu sein. Mag imnrerhin die Photographie nicht selten ästhetischen Zwecken dienen und das Schönheitsgefühl im hohen Grade befriedigen, eine Kunst in dem Sinne, wie die Malerei dies ist, kann sie nicht sein, weil der Photograph das Bild nicht schafft, sondern die Ent­ stehung desselben nur ermöglicht. Er ist nicht der Urheber, sondern nur der Verfertiger des Bildes. Seine Thätigkeit ist nicht eine formgebende, sondern nur eine vorbereitende, nach­ helfende, ausführende. Die Photographie ist ein Kunstgewerbe. Sie hat, wie dieses überhaupt, Anspruch auf Schutz ihrer Erzeugnisse, weil es recht und billig ist, daß der Lohn für die Arbeit demjenigen gesichert werde, der dieselbe verrichtet. Treffend sagt Kl ost ermann, geist. Eig. 1 S. 191:

1038

Erster Theil. §. 1.

Eilfter Titel.

(Gesetz v. 10. Jan. 1876 §. 1.)

Das Recht, ein durch Photographie hergestelltes Werk ganz oder theilweise auf

mechanischem Wege nachzubilden, steht dem Verfertiger der photographischen Aufnahme aus­ schließlich ju1).

„Hierfür läßt sich nicht nur geltend machen, daß der Originalphotograph oft sehr viel Zeit, Mühe und Kosten auf die Aufsuchung und Aufnahme der abgebildeten Gegenstände verwenden muß, während der Verfertiger der photographischen Nachbildung diese Kosten erspart und daher die Bilder wohlfeiler Herstellen kann, als der ursprüngliche Urheber. Es kommt namentlich hinzu, daß die photographischen Abbildungen mit den, Werken der reproduzirenden Künste (Kupferstich, Lithographie u. s. w.) in Bezug auf ihre Bedeutung für den vermögensrechtlichen Verkehr vollkommen auf einer Linie stehen. Sie haben denselben Zweck wie jene, sie werden auf dieselbe Art durch den Buchhandel vertrieben, sie werden mit derselben Leichtigkeit vervielfältigt wie die Stiche und gewähren durch ihre Vervielfältigung denselben Gegenstand der vermögensrechtlichen Nutzung wie jene. Sie stimmen also mit den Werken der reproduzirenden Kiinste in allen ju­ ristisch relevanten Merkmalen überein und unterscheiden sich eben nur dadurch, daß sie nicht Produkte der bildenden Kunst, sondern der photographischen Technik sind." Rücksichten dieser Art führten bald nach Errichtung des norddeutschen Bundes dahin, die Einführung eines gesetzlichen Schutzes der Photographieen gegen Nachbildung ins Auge zu fassen. Der in Erledigung des Bundesrathsbeschlusses v. 10. Juni 1868 von dem Professor Kühns ausgearbeitete Entwurf eines Gesetzes über das Urheberrecht enthielt einen besonderen Abschnitt zum Schutz der Photographieen. Dieser Abschnitt wurde dann von dem Geheimen Ober-Postrath Dambach zu einem besonderen Gesetzentwurf gestaltet. (Drucks, des Reichst. 1870 Nr. 8.) Der Reichstag lehnte'freilich in der Sitzung v. 14. Mai 1870 diesen Entwurf ab, wollte aber damit durchaus nicht gegen den Rechtsschutz der Photographieen sich erklären, hielt vielmehr dafür, daß dieser Schutz nur gleichzeitig mit dein Urheberrecht an Kunstwerken und Mustern geordnet werden könnte. (Sten.Ber. S. 899.) Die verbündeten Regierungen schlossen dieser Auffassung sich an und legten demgemäß am 1. November 1875 dem Reichstage die drei Entwürfe vor, welche in der Anm. * zu der Überschrift des Ges. v. 9. Jan. 1876 S. 894 näher bezeichnet sind. (Drucks. 1875 Nr. 24.) Der Reichstag ließ sich von der zur Vorberathung der Vorlagen von ihm eingesetzten Kommission schriftlichen Bericht erstatten (Drucks. Nr. 76 S. 11 — 18) und erhob den Entwurf des Gesetzes zum Schutz der Photographieen in der Fassung, in welcher der­ selbe aus den Berathungen der Kommission hervorgegangen war, ohne Debatte zunr Beschluß. (Sten.Ber. S. 738.) Das am 10. Januar mit der kaiserlichen Sanktion versehene und am 18. Januar durch das Reichsgesetzblatt S. 8—10 verkündete Gesetz ist am 1. Juli 1876 in Kraft getreten. Eine wissenschaftliche Bearbeitung des neuen Rechts enthalten die mehrfach in Bezug ge­ nommenen Werke von Kl oster mann, das Urheberrecht an Schrift- und Kunstwerken rc., Photo­ graphieen, Mustern und Modellen (Berlin 1876), und Wächter, das Urheberrecht an Werken der bildenden Künste, Photographieen und gewerblichen Mustern (Stuttgart 1877). 1) H. Gegenstand dieses Rechtes ist das durch Photographie hergestellte Bild, und zwar kann jede photographische Aufnahme des Schutzes gegen Nachbildung theilhaftig werden, gleich­ viel ob sie nach der Natur oder von einem Werke der bildenden Kunst angefertigt worden ist. Eine Beschränkung nach dieser Richtung ist nicht anerkannt. (Mot. Drucks. 1875 Nr. 24 S. 33.) Die Beschränkung, welche der §. 1 in seinem zweiten Satze ausspricht, ist nicht durch die Be­ schaffenheit, sondern durch die rechtliche Qualifikation des Gegenstandes begründet. Das Wort „Photographie" ist von dem Gesetze im weitesten Sinne gebraucht; es bezeichnet nicht etwa den Gegensatz zur Daguerreotypie, sondern alle mechanischen Erzeugungen, welche mit Hülfe des Lichts hervorgebracht werden (§. 11), so z. B. die Heliographie, die Pprographie, den photographischen Stein- und Metalldruck, den Anilindru ck, den Glasdruck, die C hromo­ lithographie 2C. Komm.Ber. S. 17; Wächter S. 280. Der Schutz der Photographie reicht nicht so weit wie der des Kunstwerks: er wird nicht gegen jede, sondern nur gegen mechanische Nachbildung gewährt. Insbesondere „findet er nicht statt gegen solche Nachbildungen, welche .... mittelst der malenden oder zeichnenden Kunst angefertigt sind. Es kann allerdings nicht geleugnet werden, daß auch der Holzschnitt, die Litho­ graphie, der Kupfer- oder Stahlstisch unter Umstünden zu geringerem Preise hergestellt werden können, als die Photographie, und daß dieselben also in das Absatzgebiet der photographischen Ausnahme beeinträchtigend eingreifen können. Allein vorwiegend wird der Photograph nur da­ durch geschädigt, daß sein Werk wiederuni durch Photographie oder ein sonstiges mechanisches Verfahren reproduzirt wird, und es erschien daher vorzuziehen, die auf nicht mechanischem Wege hergesteltte Nachbildung zu gestatten." (Mot. S. 35.) Ist hiernach die graphische Nachbildung des photographischen Bildes als erlaubt anzusehen, so ergibt sich, wie Kl ost er­ mann S. 85 sagt, „daß unter der mechanischen Nachbildung, auf welche das ausschließliche Recht des Photographen beschränkt ist, nur die photographische Kopie und die mechanische Ueber-

Von dem Schutz der Photographieen.

1039

Auf Photographieen von solchen Werken, welche gesetzlich gegen Nachdruck und Nachbildung noch geschützt sind, findet das gegenwärtige Gesetz keine Anwendung?). tragung der Aufnahme auf eine Druckplatte verstanden ist." Diese Auffassung liegt anscheinend auch dem Bericht der Kommission des Reichstages, Drucks. 1875 Nr. 76 S. 11 u. 12, und der Darstellung Wach ter' s S. 291 zu Grunde. Es ist selbstverständlich, daß der Begriff der mechanischen Nachbildung einer Photo­ graphie dadurch nicht ausgeschlossen wird, daß dieselbe nicht von der Originalaufnahme, sondern von einer Nachbildung gefertigt worden ist. (Mot. S. 35.) Der Entwurf enthielt eine dem Ges. v. 9. Jan. 1876 tz. 5 Nr. 1 und 2 entsprechende Bestimmung, die aber als überflüssig von der Kommission gestrichen wurde. (Komm.Ber. S. 13.) Nach Wächter S. 292 soll das Verbot der Nachbildung einer Nachbildung voraussetzen, „daß letztere selbst dem Verbot unterlag: denn," so exemplifizirt er, „würde der Photograph z. B. einen nach einer Photographie genommenen Kupferstich wiedergeben, so läge hierin nicht eine Verletzung des jener Photographie ge­ währten Rechtsschutzes, da letztere gegen Kupferstich nicht geschützt war." Hiergegen ist zu bemerken, daß in dem Falle des Beispiels die Nachbildung der Photographie keine mechanische ist, sondern ein Werk darstellt, welches nach §. 8 selbstständig gegen jede Nachbildung geschützt ist, aber aus den: Rechte des Nachbildners (Kupferstechers), nicht des Photographen, — daß dagegen die Photographie, wenn sie mit Erlaubniß ihres Verfertigers photographisch von einem Andern kopirt worden, doch gegen mechanische Nachbildungen auch dieser rechtmäßigen Nachbildung (Kopie) aus dem Rechte des Originalphotographen geschützt werden muß. 2) H. Ist das photographische Objekt gegen Nachdruck oder Nachbildung geschützt, so sind drei Fülle möglich: a. Der Urheber des geschützten Werkes hat die photographische Aufnahme desselben nicht gestattet. Ist hier die Photographie in der Absicht der Verbreitung beziehungsweise der Ver­ werthung angefertigt, so stellt sie den Thatbestand des Nachdrucks oder der unbefugten Nach­ bildung im Sinne des Ges. v. 11. Juni 1870 resp, des Ges. v. 9. Jan. 1876 dar, begründet daher für den Photographen keine Rechte. b. Das Werk ist mit Genehmigung seines Urhebers photographirt, ein ausschließliches Recht zur Vervielfältigung der Photographie aber dem Verfertiger derselben nicht eingeräumt. In diesem Fall ist die Photographie, weil sie kein Kunstverfahren im Sinne des Ges. v. 9. Jan. 1876 H. 7 ist, aus dem Rechte des Photographen nicht geschützt gegen mechanische Nachbildungen, die ein Dritter vorninunt. Nur der Urheber des photographischen Objekts kann gegen dieselben auf Grund seines Urheberrechts einschreiten. c. Der Urheber hat das Nachbildungs- oder Vervielfültigungsrecht dem Photographen un­ eingeschränkt oder unter Einschränkung auf photographische Aufnahmen übertragen. In diesen Füllen hat der Erwerber zwar ebenfalls nach 1 Satz 2 kein ursprüngliches Recht auf Schutz gegen Nachbildung der von ihm hergestellten Photographieen. Aber er genießt diesen Schutz kraft seiues von dem Urheber abgeleiteten Rechts nach Inhalt der zwischen ihnen be­ stehenden Vereinbarungen und nach Maßgabe des Ges. v. 11. Juni 1870 oder des Ges. v. 9. Jan. 1876. Ob in concreto der Fall zu b oder der zu c vorliegt, ist Thatfrage, die der Richter, nach Befinden auf Grund sachverständigen Gutachtens, zu entscheiden hat. Wächter (S. 279) bemängelt die Bestimmung des Gesetzes unter §. 1 Satz 2, indem er bemerkt, „es entspreche zwar durchaus den allgemeinen Grundsätzen, daß der Nachbildner kein Ausschließungsrecht gegen andere Nachbildungen oder Aufnahmen desselben Originalwerkes habe, nicht aber, daß seine Ausnahme des Schutzes der Kategorie derselben entbehre." Es scheint indeß nicht, daß dieser Vorwurf zutreffend wäre. Nichtig ist wohl nur, daß die Nachbildung selbstständig in so weit schutzberechtigt sein muß, als sie dem Original gegenüber eine eigene Geistesschöpfung ist. Das photographische Bild ist aber kein Erzeugnis des schaffenden Geistes. Der Photograph übt nur eine mechanische Thätigkeit. Freilich ist diese Thätigkeit durch technische Kenntnisse und Geschicklichkeit bedingt, oft auch mit einem nicht unerheblichen Aufwande von Kapital verbunden, und deshalb schützt das Gesetz regelmäßig die Werke der Photographie. Allein die Gründe für den Schutz verlieren das Gewicht, wenn das photographirte Objekt selbst gegen Nachbildung oder Nachdruck geschützt ist. In diesem Fall ist die Photographie rechtlich nichts weiter als ein Mittel zur mechanischen Vervielfältigung eines fremden Geistesprodukts, die Herstellung des photographischen Bildes mithin unstatthaft. Kann nun aber aus einer ver­ botenen Handlung derjenige, welcher sie vorgenommen hat, Rechte nicht herleiten, so folgt, daß die Nachbildung des photographischen Bildes nicht von dem Photographen, sondern nur von dem Urheber des durch die Photographie kopirten resp, vervielfältigten Werkes verfolgt werden kann. Hierin ändert sich auch dadurch nichts, daß der Urheber die photographische Ausnahme genehmigt hat. Denn an sich folgt aus der Genehmigung nur, daß ihm gegenüber die Aufnahme nicht eine unbefugte ist. Der Photograph leitet sein Recht von dem Urheber ab und hat mithin nur

1040 8- 2. hergestellten §. 3. dieselbe zu

Erster Theil.

Eilfter Titel.

(Gesetz v. 10. Jan. 1876 §§. 2—12.)

Als Nachbildung ist nicht anzusehen die freie Benutzung eines durch Photographie Werkes zur Hervorbringung eines neuen Werkes-*). Die mechanische Nachbildung eines photographischen Werkes, welche in der Absicht, verbreiten, ohne Genehmigung der Berechtigten (§§. 1 und 7) hergestellt wird, ist

verboten4). §. 4. Die Nachbildung eines photographischen Werkes, wenn sie sich an einem Werke der Industrie, der Fabriken, Handwerke oder Manufakturen befindet, ist als eine verbotene nicht anzusehen''). §. 5. Jede rechtmäßige photographische oder sonstige mechanische Abbildung der Original­ aufnahme muß auf der Abbildung selbst oder auf dem Karton

a) den Namen beziehungsweise die Firma des Verfertigers der Originalaufnahme oder des Verlegers, und b) den Wohnort des Verfertigers oder Verlegers, c) das Kalenderjahr"), in welchem die rechtmäßige Abbildung zuerst erschienen ist, enthalten, widrigenfalls ein Schutz gegen Nachbildung nicht stattfindet. §. 6. Der Schutz des gegenwärtigen Gesetzes gegen Nachbildung wird dem Verfertiger des photographischen Werkes fünf Jahre gewährt7). Diese Frist wird vom Ablaufe desjenigen Kalenderjahres ab gerechnet, in welchem die rechtmäßigen photographischen oder sonstigen mecha­ nischen Abbildungen der Originalaufnahme zuerst erschienen sind. Wenn solche Abbildungen nicht erscheinen, so wird die fünfjährige Frist von dem Ablauf desjenigen Kalenderjahres ab gerechnet, in welchem das Negativ der photographischen Ausnahme entstanden ists).

die Befugnisse, welche dieser ihm zugestanden hat, namentlich also die aus dem Urheberrecht fließende Befugniß zur Untersagung weiterer Nachbildungen nur, wenn dieselbe auf ihn über­ tragen ist. Vergl. übrigens Wächter S. 55 ff. 3) H. Diese Bestimmung, welche den: 8- 4 des Ges. v. 9. Jan. 1876 entspricht, versteht sich nach §. 1 Satz 1 von selbst ; sie hätte ebenso gut wegbleiben können. Zu ihrer Motivirung ist auch nur dies gesagt: „Eben so wie der Künstler bei den Werken der bildenden Künste, soll auch der Photograph nur gegen die eigentliche Nachbildung, gegen die Reproduktion seines Werkes geschützt werden; dagegen muß es gestattet sein, ein photographisches Bild frei zu be­ nutzen zur Schaffung eines neuen Werkes. Wenngleich Fälle dieser Art nicht oft Vorkommen werden, zumal der Photograph durch das vorliegende Gesetz überhaupt nur gegen mechanische Nachbildung geschützt wird, so sind dieselben doch nicht undenkbar, und es erschien daher zweck­ mäßig, eine dem 4 des Gesetzentwurfs, betreffend das Urheberrecht an Werken der bildender: Künste, entsprechende Bestimmung aufzunehmen." (Mot. S. 35.) Nach Kloster m a n n S. 84 „betrifft der Fall, auf welchen 8- 2 sich bezieht, die Ausführung eines Gemäldes oder einer Zeichnung, bei welcher eine Photographie oder vielmehr die mechanische Kopie einer solchen zur bloßer: Grundlage der Zeichnung genommen ist." 4) H. Vergl. Ges. v. 9. Jan. 1876 §. 5 und Ges. v. 11. Juni 1870 18 ff., auch den 8- 9 des vorliegender: Gesetzes. Eine einzelne mechanische Nachbildung ist nur verboten, wenn ihre Herstellung in der Absicht der Verbreitung erfolgt. Wächter S. 294. 5) H. Die photographische Aufnahme ist also irr: Gegensatz zu dem Kunstwerk (Ges. v. 9. Jan. 1876 §. 5 Nr. 3) gegen Nachbildungen an Erzeugnissen der Industrie re. nicht geschützt. Aber die Fassung (wenn sie sich . . . befindet) deutet an, daß die Nachbildung doch immer nur insoweit erlaubt ist, als sie nicht als selbststärrdiges Bild, sondern an und mit einem Werke der Industrie verbreitet wird. (Kornrn.Ber. S. 14.) Vgl. W ächter S. 294. 6) H. Die Angabe der Jahreszahl auf der Abbildung oder dem Karton begründet keine Verrr:uthung für die Zeit des erster: Erscheinens. Klosterrnann S. 190. Vgl. die Anrn. 28 zu §. 13 des Ges. v. 9. Jan. 1876, S. 1035. 7) H. Die Schutzfrist, die bei Schrift- und Kunstwerken noch 30 Jahre nach dem Tode des Urhebers läuft, ist für Photographieen auf nur 5 Jahre festgesetzt, weil dieser Zeitraurn „für den Zweck der Ausbeutur:g des dern erster: Verfertiger zustehenden ausschließer:den Rechtes" als ein vollkommen ausreichender angesehen worden ist. (Mot. S. 35.) Photographieen, welche einem Schriftwerke einverleibt werden, erlangen dadurch nicht den längeren Schutz dieses Werkes; sie sind nicht Bestandtheile desselben. Klosterrnann S. 169; Wächter S. 288. 8) H. „Hierin liegt allerdings die Nöthigung für den ersten Verleger, spätestens bis zum

1041

Von dem Schutz der Photographieen.

Bei Werken, die in mehreren Bänden oder Abtheilungen erscheinen, findet der §. 14 des Gesetzes vom 11. Juni 1870, betreffend das Urheberrecht an Schriftwerken rc., Anwendung. §. 7. Das in §. 1 bezeichnete Recht des Verfertigers eines photographischen Werkes geht auf dessen Erben über. Auch kann dieses Recht von dem Verfertiger oder dessen Erben ganz oder theilweise durch Vertrag oder durch Verfügung von Todeswegen auf Andere übertragen werden"). Bei photographischen Bildnissen (Portraits) geht das Recht auch ohne Vertrag von selbst auf den Besteller über1"). §. 8. Wer eine von einem Anderen verfertigte photographische Aufnahme durch ein Werk der malenden, zeichnenden oder plastischen Kunst nachbildet, genießt in Beziehung auf das von ihm hervorgebrachte Werk das Recht eines Urhebers nach Maßgabe des §. 7 des Gesetzes vom 9. Januar d. I., betreffend das Urheberrecht an Werken der bildenden Künsten). §. 9. Die Bestimmungen in den §§. 18 bis 38, 44, 61 Absatz 1 des Gesetzes vom 11. Juni 1870, betreffend das Urheberrecht an Schriftwerken rc., finden auch Anwendung auf das ausschließliche Rachbildungs- und Vervielfältigungsrecht des Verfertigers photographischer Werke,2). §. 10. Die Sachverständigen - Vereine, welche Gutachten über die Nachbildung photo­ graphischer Aufnahmen abzugeben haben, sollen aus Künstlern verschiedener Kunstzweige, aus Kunsthändlern, aus anderen Kunstverständigen und aus Photographen bestehen^). §. 11. Die Bestimmungen des gegenwärtigen Gesetzes finden auch Anwendung auf solche

Werke, welche durch ein der Photographie ähnliches Verfahren hergestellt werden "). §. 12. Das gegenwärtige Gesetz tritt mit dem 1. Juli 1876 in Kraft. Auf photographische Aufnahmen, welche vor diesem Tage angefertigt sind, findet dasselbe nur dann Anwendung, wenn die erste rechtmäßige photographische oder sonstige mechanische Abbildung der Original­ aufnahme nach dem Inkrafttreten des gegenwärtigen Gesetzes erschienen ist15). Ablauf des fünften Jahres nach der Entstehung des Bildes eine Vervielfältigung desselben zu unternehmen, wenn er die Ausbeutung seines ausschließenden Rechtes beabsichtigt. Bei dem vorwiegend industriellen Zwecke, der bei photographischen Aufnahmen obwaltet, liegt in dieser Zumuthung keine Unbilligkeit. Ein eigentliches Urheberrecht, wie es an Werken der Literatur, der Musik oder der bildenden Künste anerkannt ist, kann dem Verfertiger einer Photographie nicht eingeräumt werden, und darum würde auch die Gewährung des Rechtsschutzes auf Lebens­ dauer und auf 30 Jahre nach dem Tode, die in Rücksicht auf die persönlichen Interessen des Urhebers geboten erschien, über die Zeitgrenze hinausgehen, die der Photograph für seinen Schutz billiger Weise in Anspruch nehmen kann. Rur sofern der Verfertiger das photographische Abbild vervielfältigen und absetzen will, wird er geschützt; will er dies nicht, so verliert er sein ausschließendes Recht durch Ablauf von 5 Jahren." Mot. S. 36. 9) H. Es gilt also hier dasselbe, was das Ges. v. 9. Jan. 1876 §. 2 für das Urheber­ recht an Kunstwerken bestimmt. 10) H. Hierdurch tritt das Gesetz dem Mißbrauche entgegen, „daß photographische Por­ traits ohne oder gegen den Willen des Bestellers vervielfältigt und verbreitet werden." Mot. a. a. O. Siehe die Anm. 18 zu §. 8 des Ges. v. 9. Jan. 1876. 11) H. Kupferstiche, Lithographieen rc. sind hiernach als selbstständige Kunstwerke geschützt, gleichviel ob das nachgebildete Werk der bildenden Kunst oder der Photographie angehört. (Mot. S. 37.) Der Unterschied ist nur der, „daß der Kupferstecher, der ein Oelgemälde nachbilden will, dieses Recht sich von dem Maler erwerben muß, während er die Photographie ohne Erlaubniß nachbilden darf, vorausgesetzt, daß die Photographie selbst nicht Abbild eines geschützten Gemäldes ist." Komm.Ber. S. 16; Wächter S. 280. 12) H. Vgl. das Ges. v. 9. Jan. 1876 §. 16. 13) H. Siehe hierzu die Anm. 33 zu §. 16 cit. 14) H. „Es ist die Möglichkeit nicht ausgeschlossen, daß im Laufe der Zeit die Photographie durch ein anderes vervollkommneteres Verfahren verdrängt wird, welches zwar in rechtlicher Be­ ziehung mit der Photographie gleich zu behandeln ist, aber doch einen anderen Namen trägt. Um auch den Erzeugnissen eines solchen etwaigen neuen Verfahrens den Schutz des gegenwärtigen Gesetzes zu sichern, ist — den geäußerten Wünschen der Photographen entsprechend — der §.11 in das Gesetz ausgenommen." Mot. S. 37. 15) H. Photographieen, deren Veröffentlichung vor dem 1. Juli 1876 begonnen hat, sind also nicht geschützt. Diese Abweichung von dem Prinzip, welches den Ges. v. 11. Juni 1870 Koch, Allgemeines Landrecht. I.

8. Aufl.

66

1042

Erster Theil.

Eilfter Titel.

(Gesetz v. 11. Jan. 1876 §. 1.)

Photographische Aufnahmen, welche schon bisher landesgesetzlich gegen Nachbildung geschützt waren, behalten diesen Schutz; jedoch kann derselbe nur für denjenigen räumlichen Umfang geltend gemacht werden, für welchen er durch die Landesgesetzgebung ertheilt nmr16). 31. Vom 11. Wir raths und

Gesetz, betreffend das Urheberrecht an Mustern und Modellen*). Januar 1876. (R.G.Bl. S. 11.) 2c. verordnen im Namen des Deutschen Reichs, nach erfolgter Zustimmung des Bundes­ des Reichstags, was folgt:

§. 58 und v. 9. Jan. 1876 §. 18 zu Grunde liegt, ist dadurch gerechtfertigt, daß die Abstem­ pelung und Jnventarisirung, an welche der Schutz älterer Photographieen geknüpft werden müßte, bei der ungeheuren Zahl derselben schlechterdings nicht ausführbar erscheint. Mot. S. 37. 16) H. Die Bestimmung hat praktische Bedeutung nur für Bayern. Mot. S. 38. Vgl. die Anm. zur Überschrift des Gesetzes. — Das Gesetz gewährt den Schutz gegen Nachbildung nur denjenigen Photographieen, welche von Inländern gleichviel ob im In- oder Auslande hergestellt worden sind. Der ausländische Photograph kann für seine Aufnahmen auch durch Uebertragung des Verlags auf einen In­ länder keinen Rechtsschutz erlangen. Die Bestimmungen des Ges. v. 11. Juni 1870 61 Abs. 2 und §. 62, welche im Wesentlichen das Ges. v. 9. Jan. 1876 unter §§. 20 u. 21 wiedergiebt, finden auf Photographieen keine Anwendung. (§. 9.) Der Grund, den die Kommission des Reichstags hierfür geltend macht, ist der, daß der Schutz der von Ausländern angefertigten Photographieen, welche im Auslande regelmäßig nicht geschützt sind, eine Vertheuerung des Preises der Bilder im Jnlande zur Folge haben und also das inländische Publikum gegenüber dem ausländischen benachtheiligen, überdies die Abschließung internationaler Verträge zum gegen­ seitigen Schutz der Photographieen bedeutend erschweren würde. Komm.Ber. S. 17. *) H. Der Schutz gewerblicher Muster und Modelle gegen Nachbildung findet seine juri­ stische Rechtfertigung in denselben Gründen, welche für den Schutz der Kunstwerke sprechen. Mag immerhin die geistige Thätigkeit des Zeichners und des Modelleurs eine weit geringere sein, als die des Malers und des Bildhauers, hier wie dort ist es die schöpferische Kraft des Genies, die Erzeugung und Gestaltung neuer Ideen, die Autorschaft, woraus für den natür­ lichen Gerechtigkeitssinn der Anspruch sich ergiebt, daß der Lohn für die Geistesschöpfung dem­ jenigen gesichert werde, dem dieselbe ihre Entstehung verdankt. Die Rechtsordnung hat indeß nicht bloß das einzelne Individuum, sondern auch, und zwar vorwiegend, die anderen Individuen, die Gesammtheit, zu berücksichtigen. Deshalb wird das Urheberrecht nirgends in seiner Absolut­ heit anerkannt, sondern stets nur mit gewissen Einschränkungen zu Gunsten der intellektuellen und materiellen Entwickelung des Volkes. Bei dem gewerblichen Urheberrecht haben die Rück­ sichten auf die allgemeinen Bedürfnisse und Interessen sogar für die Frage, ob ein solches Recht überhaupt anzuerkennen sei, die Entscheidung herbeigeführt. Man hat die Frage nicht so gestellt: hat der Urheber eines Musters oder Modells einen natürlichen Anspruch auf Schutz gegen Nach­ bildung? sondern so: ist der Muster- und Modell-Schutz geeignet, die Industrie zu heben? Die Frage hat sich demnach zu einer rein wirthschaftlichen gestaltet und folglich in den ver­ schiedenen Zeiten und je nach dem Standpunkt der herrschenden Anschauungen auf diesem Ge­ biete eine verschiedene Lösung erfahren. Der Musterschutz hat seinen Ursprung in Frankreich. Hier hat er sich aus kleinen An­ fängen, die im vorigen Jahrhundert mit der Seidenindustrie in Lyon gemacht wurden, zu all­ gemeiner Geltung entwickelt. Dem Beispiele der Franzosen folgten die Engländer und in neuerer Zeit die Amerikaner, die Belgier, die Oesterreicher und die Russen. Alle führen den Aufschwung, den ihre Industrie genommen hat, nicht zum geringsten auf den Musterschutz zurück. In Deutsch­ land dagegen beharrte man bei der hergebrachten Freiheit der Nachbildung. Nur in einein Theil der preußischen Nheinprovinz und in Elsaß-Lothringen war durch die dort geltenden franzö­ sischen Gesetze der Urheber gewerblicher Muster und Modelle in der Ausbeutung derselben gegen fremde Eingriffe geschützt. Klostermann, geist. Eig. 1 S. 206 ff. und Urheberrecht re. (1876) S. 85 ff. Ueber den Werth des Muster- und Modellschutzes wurde lange Zeit hindurch lebhaft ge­ stritten. In Preußen wurden im Jahre 1854 die Negierungen und Handelskammern veranlaßt, sich darüber gutachtlich zu äußern. Die Gutachten, welche eingingen, erklärten sich meist gegen den Musterschutz. Doch zählte die Minderheit unter sich gewichtige Stimmen, welche denselben forderten, in erster Linie die Aeltesten der Berliner Kaufmannschaft. (Klostermann S. 91.) Nur allmählich vollzog sich ein Umschwung in der öffentlichen Meinung zu Gunsten des Muster­ schutzes. Der Reichstag des norddeutschen Bundes gab demselben, allerdings in sehr behutsamer Weise, dadurch Ausdruck, daß er die Ablehnung des zur Ordnung des Urheberrechts an Kunst­ werken bestimmten 5. Abschnitts des Gesetzentwurfs vom 4. Februar 1870 mit einer Resolution

Von dem Urheberrecht an Mustern und Modellen.

1043

§. 1. Das Recht, ein gewerbliches Muster oder Modell ganz oder theilweise nachzubilden, steht dem Urheber desselben ausschließlich zu*). begleitete, mittelst welcher die verbündeten Regierungen ersucht wurden, „dem nächsten Reichs­ tage ein Gesetz vorzulegen, welches den 5. Abschnitt selbstständig und dergestalt regelt, daß dabei zugleich die berechtigten Interessen der Kunstindustrie entsprechende Berücksichtigung finden." (Sten.Ber. S. 888.) Wesentlich gefördert wurde die Einführung des Musterschutzes durch die Einverleibung von Elsaß-Lothringen in das deutsche Reich. Die dortigen Fabrikanten eröffneten eine lebhafte Agitation für den Musterschutz, indem sie geradezu erklärten, daß derselbe für ihre Industrie eine Lebensfrage wäre. Eine Reihe von Handelskammern in dem übrigen Deutschland unter­ stützte ihr Begehren. Auch in der Literatur fand dasselbe beredte Fürsprecher; so namentlich: Iannasch, der Musterschutz und die Gewerbepolitik des deutschen Reiches 1873; Landgraf, Musterrecht und Musterschutz 1875; Weigert, der Musterschutz 1875. Nachdem dann bei der im Mai 1875 von dem Bundesrath veranlaßten Enquete die Sach­ verständigen mit überwiegender Mehrheit für den Musterschutz sich ausgesprochen hatten, wurde der Entwurf eines Gesetzes, betreffend das Urheberrecht an Mustern und Modellen, aufgestellt und dem Reichstage am 1. November 1875 vorgelegt. (Vgl. die Anm. * zur Überschrift des Gesetzes v. 10. Jan. 1876.) Die Motive, welche dem Entwurf beigefügt waren, hoben, unter Hinweis auf die Ergebnisse der Enquete und die Wünsche der Fabrikanten in Elsaß-Lothringen ii. a. Folgendes hervor: „In den letzten Jahren ist von den Industriellen Deutschlands das Verlangen nach einem Musterschutzgesetze mit erhöhtem Nachdruck gestellt und namentlich geltend gemacht worden, daß die deutsche Industrie den ihr gebührenden Rang und die Blüthe, zu welcher sie befähigt sei, erst dann erlangen könne, wenn sie gegen unbefugte Nachbildung geschützt werde. Ohne diesen Schutz könne der Fabrikant keine erheblichen Opfer aufwenden, um tüchtige Künstler zur An­ fertigung neuer Muster und Modelle zu gewinnen, und der Künstler wiederum werde seine Kraft der Industrie nicht zuwenden, da diese ihm keinen entsprechenden Lohn für seine Arbeiten zu bieten im Stande sei. Es ist ferner darauf hingewiesen worden, daß Frankreich die Blüthe seiner Industrie, wenigstens zum großen Theile, seinem Musterschutzgesetz verdanke, und es ist endlich hervorgehoben, daß die deutsche Kunstindustrie auf den neuesten Weltausstellungen den anderen Ländern gegenüber zurückgestanden habe, — ein Umstand, welcher auf, das Engste mit dem Mangel eines gesetzlichen Schutzes gegen Nachbildung der Muster und Modelle Zusammen­ hänge." Drucks, des Reichstages 1875 Nr. 24 S. 22. Das Prinzip der Vorlage wurde weder in der Kommission noch im Plenum des Reichs­ tages bekämpft, der Entwurf vielmehr mit einigen Modifikationen angenommen. Drucks. Nr. 76 S. 18 ff.; Sten.Ber. S. 605 ff., 738. Schon am 18. Januar 1876 konnte durch die an diesem Tage ausgegebene Nummer 2 des Reichsgesetzblattes das am 11. Januar mit der kaiserlichen Sanktion versehene Gesetz verkündet werden. Am 1. April 1876 ist es in Kraft getreten. Vergl. außer den systematischen Bearbeitungen von Kl ost ermann und Wächter (Anm. * zur Überschrift des Ges. v. 10. Jan. 1876) Dambach, das Musterschutzges. v. 11. Jan. 1876, erläutert 1876. 1) H. Die Fassung schließt sich genau dem §. 1 des Gesetzes, betr. das Urheberrecht an Werken der bildenden Künste, an. Der Unterschied, welcher zwischen diesen Werken und den gewerblichen Mustern und Modellen besteht, bestimmt sich durch den Zweck, den der Urheber bei seiner Schöpfung verfolgt. Das Kunstwerk ist sich selbst Zweck; es soll das Schöne zur Darstellung bringen und dadurch demselben entsprechende Gefühle in dem Beschauer erregen, sein Zweck ist ein ästhetischer. Die Muster und Modelle dagegen haben einen materiellen Zweck, sie dienen als Vorbilder zur Ausfüllung der Flüche eines Gebrauchsgegenstandes oder zur plastischen Gestaltung desselben, indem sie zwar durch Erweckung des Farben- und Formen­ sinnes gleichwie die Kunstwerke ästhetische Vorstellungen vermitteln können, aber nicht um dieser selbst willen, sondern zur Verzierung oder Verschönerung von Gegenständen des Gebrauches. (Dambach S. 17; Kl ost er mann S. 100.) Insofern die Muster (Modelle) zugleich eine solche ästhetische Bestimmung haben, pflegt man sie als Geschmacksmuster zu bezeichnen und stellt ihnen dann die Gebrauchsmuster, d. h. diejenigen gegenüber, bei denen der Gebrauchs­ zweck überwiegt und wesentlich maßgebend ist für die Form. (Wächter S. 304.) Nach Dambach S. 16 sollen die Gebrauchsmuster, d. h. nach ihm solche Muster, welche „eine neue praktische Anwendung des Gerüthes oder Werkzeuges" herbeizuführen bestimmt sind, nicht zu den von dem vorliegenden Gesetz betroffenen Gegenständen, sondern in das Gebiet des Patent­ schutzes gehören. Eben so in Uebereinstimmung mit der festen Praxis des gewerblichen Sachverständigen-Vereins (§. 14 dieses Ges.) — vgl. Patentblatt herausg. v. kaiserl. Patentamt. Berlin, Jahrg. 1878 S. 83 und Jahrg. 1879 S. 91 — das R.O.H.G. I v. 3. Sept. 1878, Entsch. 24 S. 109, und R.G. II v. 19. März 1881, Entsch. 4 S. 108.

1044

Erster Theil.

Eilfter Titel.

(Gesetz v. 11. Jan. 1876 §§. 2—7.)

Als Muster oder Modelle im Sinne dieses Gesetzes werden nur neue und eigenthümliche Erzeugnisse angesehen2). §. 2. Bei solchen Mustern und Modellen, welche von den in einer inländischen gewerb­ lichen Anstalt beschäftigten Zeichnern, Malern, Bildhauern re. im Auftrage oder für Rechnung des Eigenthümers der gewerblichen Anstalt angefertigt werden, gilt der letztere, wenn durch Vertrag nichts anderes bestimmt ist, als der Urheber der Muster und Modelle s. §. 3. Das Recht des Urhebers geht auf dessen Erben über. Dieses Recht kann beschränkt oder unbeschränkt durch Vertrag oder durch Verfügung von Todeswegen auf Andere übertragen werden4). §. 4. Die freie Benutzung einzelner Motive eines Musters oder Modells zur Herstellung eines neuen Musters oder Modells ist als Nachbildung nicht anzusehen"). §. 5. Jede Nachbildung eines Musters oder Modells, welche in der Absicht, dieselbe zu Dagegen ist nicht unterschieden „zwischen den Erzeugnissen der Kunstindustrie und den gewöhnlichen Mustern der Gewerbe, vielmehr der Schutz gegen unbefugte Nachbildung allen Mustern und Modellen gleichmäßig gewährt. Bei den Verhandlungen der Enquete über­ zeugte man sich allseitig, daß eine Grenze zwischen den verschiedenen Arten der Industrie-Er­ zeugnisse nicht gezogen werden könne, daß der Üebergang aus der Kunstindustrie zum gewöhn­ lichen Muster ein ganz allmählicher und verschwindender sei, und daß es gerechtfertigt erscheine, auch den einfachsten, aus Linien und Strichen kombinirten Mustern, sobald sich in ihnen eine eigene geistige Thätigkeit manifestire, den Schutz des Gesetzes zu gewähren. Der Schutz gegen Nachbildung wird gewährt dem Urheber, d. h. demjenigen, aus dessen geistiger Schöpfung das Werk hervorgegangen ist; es liegt hierin zugleich ausgedrückt, daß nur neue Muster, nicht etwa Nachbildungen geschützt sind." Mot. S. 23. Klostermann trat de lege ferenda für die Beschränkung des Schutzes auf solche Muster und Modelle ein, welche der mechanischen Vervielfältigung fähig wären, d. h. „mittelst einer äußeren Vorrichtung, wie z. B. das Drucken, Weben, Pressen u. s. w., auf einmal dargestellt und beliebig oft wiederholt werden könnten; er wollte also von einem Musterschutz nichts wissen, wenn „in der Wiederholung des Musters dieselbe Thätigkeit angewendet werden muß, wie bei der Hervorbringung des Originals, also z. V. dem neu erfundenen Schnitt eines Kleidungs­ stücks." Klo st er mann, geist. Eig. 2 S. 252. Das vorliegende Gesetz hat jedoch in dieser Weise nicht unterschieden; es schützt eben alle Muster und Modelle, welche gewerblichen Zwecken dienen. Dambach S. 18. Die Grenze zwischen dem Patentschutz und dem Muster- und Modellschutz ergiebt sich aus einer Vergleichung der Gegenstände des Schutzes. Das Patent schützt den technischen Effekt der Erfindung in jeder Form der Ausführung, „durch welche derselbe technische Effekt mit denselben Mitteln erreicht wird". Der Musterschutz dagegen beschränkt sich auf die bestimmte Form, in welcher das Muster (Modell) deponirt ist. Klostermann S. 101; Wächter S. 305. Aehnlich R.O.H.G. I v. 3. Sept. 1878, Entsch. 24 S. 113. 2) H. Die Ueberflüssigkeit dieser Bestimmung ergiebt sich aus den Motiven S. 23 (vor. Anm.). Die Kommission des Reichstages hat dieselbe der Regierungsvorlage hinzugesetzt, um dem Publikum das Verständniß des Gesetzes zu erleichtern. Komm.Ver. S. 20; Dambach S. 19; Wächter S. 303. 3) H. Der §. 2 ist dem russischen Gesetze vom 11. Juli 1864 entlehnt. Die Vorschrift ist jedenfalls sehr praktisch, weil das durch sie vermittelte Rechtsverhältniß in den weitaus meisten Füllen den Intentionen der Betheiligten entspricht und demnach den Fabrikeigenthümer der Nothwendigkeit besonderer Vereinbarungen über das Urheberrecht überhebt. Vorausgesetzt indeß ist, daß der Zeichner re. in der Anstalt beschäftigt, d. h. für dieselbe wenn auch auf noch so kurze Zeit angestellt ist. Wo er das Muster oder Modell anfertigt, ob zu Hause oder in den Räumen der Anstalt, ist gleichgültig. Nicht anwendbar ist der §. 2, wenn der Zeichner, ohne von dem Fabrikanten engagirt zu sein, auf dessen Bestellung einzelne Muster fertigt. Ob der Fabrikant Inländer oder Ausländer ist, kommt nicht in Betracht, wenn nur die Anstalt im Jnlande liegt. Mot. S. 23; Komm.Ber. S. 21; Danlbach S. 24 ff.; Wächter S. 308. 4) H. Siehe die Anm. 3 zu dem gleichlautenden 2 des Ges., betr. das Urheberrecht an Werken der bildenden Künste, v. 9. Jan. 1876. Von diesem Recht unterscheidet sich aber das Urheberrecht an Mustern und Modellen durch seinen rein vermögensrechtlichen Charakter, so daß es besonderen Beschränkungen bei der Zwangsvollstreckung nicht unterliegt. Kl ost er­ mann S. 142; Dambach S. 27; Wächter S. 310. 5) H. Vgl. die entsprechenden Bestimmungen der Ges. vom 9. Jan. 1876 §. 4 und v. 10. Jan. 1876 §. 2 sowie die dazu gehörigen Anmerkungen.

Von dem Urheberrecht an Mustern und Modellen.

1045

verbreiten, ohne Genehmigung des Berechtigten (§§. 1—3) hergestellt wird, ist verboten8). Als verbotene Nachbildung ist es auch anzusehen: 1. wenn bei Hervorbringung derselben ein anderes Verfahren angewendet worden ist, als bei dem Originalwerke, oder wenn die Nachbildung für einen anderen Gewerbszweig bestimmt

ist, als das Original; 2. wenn die Nachbildung in anderen räumlichen Abmessungen oder Farben hergestellt wird, als das Original, oder wenn sie sich vom Original nur durch solche Abänderungen unter­ scheidet, welche nur bei Anwendung besonderer Aufmerksamkeit wahrgenommen werden können; 3. wenn die Nachbildung nicht unmittelbar nach dem Originalwerke, sondern mittelbar nach einer Nachbildung desselben geschaffen ist7). §. 6. Als verbotene Nachbildung ist nicht anzusehen: 1. die Einzelkopie eines Musters oder Modells, sofern dieselbe ohne die Absicht der gewerbs­ mäßigen Verbreitung und Verwerthung angefertigt wird8); 2. die Nachbildung von Mustern, welche für Flächenerzeugnisse bestimmt sind, durch plastische Erzeugnisse, und umgekehrt8); 3. die Aufnahme von Nachbildungen einzelner Muster oder Modelle in ein 10). §. 7. Der Urheber eines Musters oder Modells genießt den Schutz gegen Nachbildung nur dann, wenn er dasselbe zur Eintragung in das Musterregister angemeldet und ein Exemplar oder eine Abbildung des Musters rc. bei der mit Führung des Musterregisters beauftragten

Behörde niedergelegt hat"). 6) H. Eben so das Ges. v. 9. Jan. 1876 §. 5. 7) H. Die Sätze unter Nr. 1—3 sind einfache Konsequenzen aus dem Grundsätze des 8.1, die auf den bei der Enquete geäußerten Wunsch Aufnahme in das Gesetz gefunden haben. Mot. Vgl. übrigens zu Nr. 1 u. 3 das Ges. v. 9. Jan. 1876 §. 5 Nr. 1 u. 2. 8) H. Die Absicht der Verbreitung oder Verwerthung macht also die Anfertigung einer Einzelkopie noch nicht zu einer unbefugten Nachbildung. Diesen Charakter erlangt die Kopie erst, wenn bei ihrer Herstellung die Absicht auf gewerbsmäßige Verbreitung oder Ver­ werthung gerichtet ist. „Wer also z. B. 20 Handarbeiterinnen zur Verfertigung von Kopien unterhielte, würde dem Gesetze verfallen. Eine einzelne Frau aber, die ein Muster abstickt, soll darin nicht gehindert sein. Für den Fabrikanten kann der Verkauf einer Einzelkopie gleich­ gültig sein; folglich wäre es nicht zu rechtfertigen, wenn das Gesetz solche einzelne Personen, die sich mit Mühe durch das Leben helfen, mit Strafe bedrohen wollte." Komm.Ber.S. 24. Wenn aber so eine Frau ihren Lebensunterhalt dadurch erwirbt, daß sie fremde Muster abstickt, so trifft sie doch wohl der Vorwurf der unbefugten Nachbildung. Dambach S. 42. Ueber den Begriff der gewerbemäßigen Verbreitung siehe das Ges. v. 11. Juni 1870 §. 25 Anm. 64. 9) H. Eine Zeichnung kann sowohl als Muster für Flächenerzeugnisse als auch als Vorbild zu einem Modell für plastische Erzeugnisse verwerthet werden. Vgl. die Bestimmungen deö Reichskanzleramtes v. 29. Febr. 1876 §. 6, in der Anm. 16, und überhaupt das Ges. v. 9. Jan. 1876 §. 6 Nr. 2. 10) H. Das Schriftwerk braucht nicht gerade die Hauptsache zu sein, wie in den Fällen der Ges. v. 11. Juni 1870 §. 44 und v. 9. Jan. 1876 8- 6 Nr. 4. De-r Gesetzgeber hat die Aufnahme von Abbildungen einzelner Muster und Modelle in Schriftwerke, als den Fabrikanten unnachtheilig, ohne Einschränkung freigegeben. Komm.Ber. S. 24; Dambach S. 45. 11) H. Die Gesetzgebungen aller Staaten, welche den Musterschutz eingeführt haben, machen denselben davon abhängig, daß der Urheber das Muster (Modell) zur Eintragung in ein Register bei der mit der Führung desselben betrauten Behörde anmeldet und bei dieser Behörde ein Exemplar des Musters rc. hinterlegt. Es beruht dies, wie der Pariser Kassationshof in einen: Urtheil ausgeführt hat, „auf der Erwägung, daß das Waarenmuster nicht, wie die literarischen und künstlerischen Erzeugnisse, kraft des Gesetzes der ausschließlichen Benutzung des Urhebers vorbehalten ist, sondern daß es hierfür, wie bei Erfindungen, einer besonderen Erklärung des Urhebers bedarf, zumal ohne diese Bedingung es unmöglich wäre, diejenigen Muster, deren Benutzung ihrem Erfinder vorbehalten ist, von anderen zu unterscheiden." Mot. S. 25; Kl o st er­ mann S. 191.

1046

Erster Theil.

Eilfter Titel.

(Gesetz v. 11. Jan. 1876 §§. 8, 9.)

Die Anmeldung und Niederlegung muß erfolgen, bevor ein nach dem Muster oder Modelle gefertigtes Erzeugniß verbreitet wird12 * *).* * * * * * §. 8. Der Schutz des gegenwärtigen Gesetzes gegen Nachbildung wird dem Urheber des Musters oder Modells nach seiner Wahl ein bis drei Jahre lang, vom Tage der Anmeldung (§. 7) ab, gewährt. Der Urheber ist berechtigt, gegen Zahlung der im §. 12 Absatz 3 bestimmten Gebühr, eine Ausdehnung der Schutzfrist bis auf höchstens fünfzehn Jahre zu verlangen. Die Ver­ längerung der Schutzfrist wird in dem Musterregister eingetragen. Der Urheber kann das ihm nach Absatz 2 zustehende Recht außer bei der Anmeldung auch bei Ablauf der dreijährigen und der zehnjährigen Schutzfrist ausüben13). §. 9. Das Musterregister wird von den mit der Führung der Handelsregister beauftragten Gerichtsbehörden geführt14).15 Der Urheber hat die Anmeldung und Niederlegung des Musters oder Modells bei der Gerichtsbehörde seiner Hauptniederlassung, und falls er eine eingetragene Firma nicht besitzt, bei der betreffenden Gerichtsbehörde seines Wohnortes zu bewirken. Urheber, welche im Jnlande weder eine Niederlassung, noch einen Wohnsitz haben, müssen die Anmeldung und Niederlegung bei dem Handelsgericht in Leipzig bewirken^). Die Muster oder Modelle können offen oder versiegelt, einzeln oder in Packeten nieder­ gelegt werden. Die Packete dürfen jedoch nicht mehr als 50 Muster oder Modelle enthalten und nicht mehr als 10 Kilogramm wiegen. Die näheren Vorschriften über die Führung des Musterregisters erläßt das Reichskanzler-Amt16).

Fraglich ist die Wirkung einer unrichtigen Anmeldung. Das Reichsgericht hat in einem Falle, in welchem die Muster eines Schriftgießers für Matrizen und Typen als für plastische Erzeugnisse bestimmt angemeldet worden, obschon sie nur für Flächenerzeugnisse bestimmt waren, die Frage zwar unentschieden gelassen, jedoch bemerkt: „Das Gesetz macht den Schutz nicht davon abhängig, daß bei der Anmeldung eine der zwei in §. 6 Ziffer 2 genannten Kate­ gorien von Erzeugnissen ausdrücklich bezeichnet und daß richtig angegeben wird, für welche Kategorie das Muster in der That bestimmt ist." R.G. II v. 19. März 1881, Entsch. 4 S. 109. Vgl. die Anm. 9 zu §. 6. 12) JEL Vor der Anmeldung und Niederlegung ist das Muster aus dem Grunde der Ur­ heberschaft nicht geschützt. Es empfiehlt sich deshalb^ damit nicht zu zögern (Wächter S. 313) und bis dahin das Muster geheim zu halten. Werden Erzeugnisse, welche nach demselben ange­ fertigt sind, verbreitet, bevor die Anmeldung erfolgt ist, so kann aus der Urheberschaft ein Recht nicht mehr hergeleitet werden; die nachträgliche Anmeldung und Hinterlegung ist wirkungslos. Von der Eintragung ist der Musterschutz nicht abhängig. Dambach S. 47 ff. Vergl. auch die Anm. 35 zu §. 60 des Ges. v. 11. Juni 1870. „Eine Verbreitung im Sinne des Gesetzes liegt vor, wenn ein nach dem Muster gefertigtes Erzeugniß mitgetheilt oder zugänglich gemacht worden ist, ohne Unterschied, ob eine Veräußerung oder nur eine Gebrauchsgestattung stattge­ funden hat; gleichgültig ist auch, ob das Erzeugniß durch den Urheber selbst oder ohne sein Wissen durch einen Anderen verbreitet worden ist." R.G. II v. 19. März 1881, Entsch. 4 S. 109. 13) H. Ueber die legislatorischen Gesichtspunkte, welche bei Bemessung und Ordnung der Schutzfristen leitend gewesen sind, Dambach S. 55 und Wächter S. 322 ff. 14) H. Zuständig für die auf die Führung der Musterregister bezüglichen Geschäfte sind nach dem Ausf.Ges. zum G.V.G. v. 24. April 1878 §. 25 die Amtsgerichte. Der Justizminister kann indessen die Führung der Register für die Bezirke mehrerer Amtsgerichte einem derselben übertragen (§. 30). Die Anmeldung bei einer unzuständigen Behörde ist unge­ eignet zur Wahrung des Urheberrechts. Dambach S. 61. 15) H. Vgl. Ges. über den Markenschutz v. 30. Nov. 1874 §. 20. 16) H. Die „Bestimmungen über die Führung des Musterregisters" sind von dem Reichs­ kanzleramt am 29. Febr. 1876 erlassen und hiernächst durch das Centralblatt für das deutsche Reich S. 123 ff. und durch das Justiz-Ministerial-Blatt S. 191 ff. veröffentlicht worden. Ihr Wortlaut ist folgender; §. 1. Das Musterregister wird von den mit der Führung der Handelsregister beauftragten Gerichtsbehörden geführt (§. 9 des Gesetzes vom 11. Januar 1876, betreffend das Urheberrecht an Mustern und Modellen — Reichs-Gesetzblatt S. 11). Soweit im Nachstehenden nichts Ab­ weichendes bestimmt ist, kommen die Vorschriften über die Führung des Handelsregisters auch bei dem Musterregister zur Anwendung.

Von dem Urheberrecht an Mustern und Modellen.

1047

§. 2. Das Musterregister wird nach dein anliegenden Formular A. eingerichtet. Zu dem­ selben ist ein Verzeichniß anzulegen, welches die eingetragenen Namen, beziehungsweise Firmen in alphabetischer Reihenfolge enthält. §. 3. Zu dem Musterregister werden Akten angelegt, in welche, nach der Zeitfolge, alle dasselbe betreffenden Eingaben, Verhandlungen, Urkunden rc., gebracht werden. Eingaben und Verhandlungen, in welchen ein Antrag auf Eintragung in das Muster­ register enthalten ist, müssen mit dem Vermerke versehen werden, an welchem Tage und zu welcher Stunde sie bei dem Gerichte eingegangen sind. 8- 4. Die Exemplare und Abbildungen der Muster rc., welche in Gemäßheit des §. 7 des Gesetzes beim Gerichte niedergelegt werden, sind in einem besonderen, leicht zugänglichen Be­ hältnisse sicher aufzubewahren und mit einem Papierstreifen zu versehen, auf welchem das be­ treffende Blatt des Musterregisters und der Akten angegeben ist. §. 5. Die Anträge auf Eintragung in das Musterregister können schriftlich oder mündlich zu Protokoll gestellt werden. Im ersteren Falle muß die Echtheit der Unterschrift des Antrag­ stellers voll einer zur Führung eilres öffentlichen Siegels berechtigten Person, unter Beidrückung dieses Siegels, amtlich beglaubigt sein; im letzteren Falle muß die Identität der Person des Antragstellers, sofern derselbe dem Gericht nicht bekannt ist, durch einen bekannten und glaub­ haften Zeugen erwiesen werden. §. 6. Bei der Anmeldung muß bestimmt angegeben werden, ob das Muster rc., dessen Eintragung verlangt wird, für Flächenerzeugnisse oder für plastische Erzeugnisse bestilnmt ist. (§. 6 Nr. 2 des Gesetzes). Wenn der Anmeldende eine solche Angabe unterlassen hat, so ist er zur nachträglichen Beibringung derselben mit den^ Bemerken aufzufordern, daß die Eintragullg des Musters rc. vor Abgabe dieser Erklärung nicht erfolgen könne. Die Anmeldung eines und desselben Musters rc. für Flächenerzeugnisse und für plastische Erzeugnisse ist unzulässig. Lz. 7. Die Muster können offen oder versiegelt, einzeln oder in Packeten niedergelegt werden. Die Packete dürfen aber nicht mehr als 50 Muster rc. enthalten und nicht mehr als 10 Kilo­ gramm wiegen (§. 9. Abs. 4 des Gesetzes). Wenn bei der Gerichtsbehörde ein Packet eingeht, welches mehr als 10 Kilogramm wiegt, oder welches — nach der Aufschrift bezw. nach dem Anschreiben — mehr als 50 Muster enthält, so ist dasselbe zurückzusenden und die Eintragung in das Musterregister zu verweigern. Auf den Packeten muß äußerlich angegeben sein, wie viel Muster rc. in demselben enthalten sind. Außerdem müssen an jedem Muster, beziehungsweise an jedem Packete mit Mustern die Fabriknummern oder die Geschäftsnummern, unter welchen die Muster in den Geschäftsbüchern des Urhebers oder seines Rechtsnachfolgers eingetragen sind, angegeben sein. §. 8. Alle Eingaben, Verhandlungen, Atteste, Beglaubigungen, Zeugnisse, Auszüge rc., welche die Eintragung in das Musterregister betreffen, sind stempelfrei. Die Gebühren, welche für die Eintragung und Niederlegung der Muster rc. entrichtet werden müssen, sind im §. 12 des Gesetzes angegebenAußerdem hat der Anmeldende nach §. 9 des Gesetzes die Kosten der Bekannt­ machung im Deutschen Neichsanzeiger zu tragen. Diese Kosten betragen für die Bekanntnrachung jeder einzelnen Eintragung 1 Jh 50Pf. Eintragungsscheine werden nur auf aus­ drückliches Verlangen des Anmeldenden ertheilt. Für jeden solchen Schein, sowie für jeden sonstigen Auszug aus dem Musterregister wird eine Gebühr von 1 Jtx erhoben. (§. 12. des Gesetzes.) Die Gebühren sind entweder baar an das Gericht einzusenden oder, auf Verlangen des Anmeldenden, durch Postvorschuß von demselben einzuziehen. 8- 9. Wenn in Gemäßheit des §. 8 des Gesetzes eine Verlängerung der Schutzfrist bean­ tragt wird, so ist diese Verlängerung im Musterregister in der Spalte 7 einzutragen. Die Verlängerung der Schutzfrist wird ebenfalls im Deutschen Reichsanzeiger bekannt gemacht, und es hat daher derjenige, welcher die Verlängerung nachsucht, außer den im 8- 12 des Gesetzes bestimmten Gebühren die Kosten der Bekanntmachung mit 1 50 Pf. zu tragen. 8- 10. Die Eintragung und die Verlängerung der Schutzfrist wird monatlich im Deutschen Reichsanzeiger bekannt gemacht (8- 9. des Gesetzes). Die mit der Führung des Musterregisters betraute Behörde hat am Schluffe jedes Monats ein Verzeichniß der von ihr im Laufe des ver­ flossenen Monats bewirkten Eintragungen an die „Expedition des Deutschen Reichs- und Preu­ ßischen Staatsanzeigers in Berlin" portofrei einzusenden und zugleich den Kostenbetrag für die Bekanntmachung (s. 88- 8, 9) beizufügen. Die Expedition des Deutschen Reichsanzeigers rc. übersendet dem Gerichte über die erfolgte Bekanntmachung kostenfrei ein Belagsblatt, welches zu den Akten zu bringen ist.

Erster Theil.

1048

Eilster Titel.

(Gesetz v. 11. Jan. 1876 §§. 9-12.)

Die Bekanntmachung ist nach folgendem Muster abzufassen: A. In das Musterregister ist eingetragen: No. 1. Firma Schmidt und Co. in Leipzig: 1 Muster für Teppiche; offen; Flächen­ muster; Fabriknummer 100; Schutzfrist 1 Jahr; Angemeldet am 1. April 1876, Vormittags 9 Uhr. No. 2. Fabrikant Schulz in Leipzig: 1 Packet mit 20 Mustern für Tapeten; Flächen­ muster; Fabriknummer 10—29; Schutzfrist 3 Jahre; Angemeldet am 2. April 1876, Vormittags 10 Uhr. No. 3. Glasfabrik von Müller in Leipzig: 1 Glaskrone; versiegelt; Musterfürplastische Erzeugnisse; Fabriknummer 20; Schutzfrist 10 Jahre; Angemeldet nm 3. April 1876, Vormittags 11 Uhr. Leipzig, den 30. April 1876. Königliches Handelsgericht. B. In das Musterregister ist eingetragen: bei No. 1 Firma Schmidt u. Co. in Leipzig hat für das unter No. 1 eingetragene Teppichmuster die Verlängerung der Schutzfrist bis auf 3 Jahre angemeldet. Leipzig, den 31. Dezember 1876. Königliches Handelsgericht.

A.

Musterregister. 1

Fortlaufende N r.

Angabe: ob das Muster für Flächen­ erzeugnisse oder für plastische Erzeugnisse bestimmt ist.

Schutz­ frist.

5.

6.

Name, bezw. Firma des Anmeldenden.

Tag und Stunde der Anmeldung.

Bezeichnung des angemeldeten Musters oder Modells.

i.

2.

3.

4.

1.

Firma Schmidt u. Comp. in Leipzig.

1. April 1876, Vormittags 9 Uhr.

1 Muster für Flächen­ 1 Jahr. Teppiche, offen. erzeugnisse. Fabriknummer 100.

2.

Fabrikant Schulz in Leipzig.

2. April 1876, Vormittags 10 Uhr.

1 versiegeltes Packet mit 20 Mustern für Tapeten, Fabriknummer 10—29.

Verlän­ Akten gerung über das der Muster­ Schutz­ register. frist.

8.

Bemer­ kungen.

9.

Bd. 1. S. 1.

Flächen- 3 Jahre. erzeugnisse.

§. 11. Die versiegelt niedergelegten Muster rc. werden nach Ablauf der Schutzfrist, oder, falls die Schutzfrist drei Jahre übersteigt, nach Ablauf von drei Jahren, von der Anmeldung ab gerechnet, von Amts wegen eröffnet und können alsdann von jedermann eingesehen werden. Damit die Eröffnung rechtzeitig erfolge, ist über die versiegelt niedergelegten Muster ein besonderes Verzeichnis zu führen, in welchem der Tag vermerkt wird, an welchem die amtliche Eröffnung vorzunehmen ist. Ueber die erfolgte Oeffnung ist eine kurze Verhandlung aufzunehmen, welche bei den Akten verbleibt. g. 12. Die niedergelegten Muster rc., sowie deren Abbildungen werden vier Jahre nach Ablauf der Schutzfrist aufbewahrt. Demnächst ist der Urheber, bezw. sein Rechtsnachfolger aufzufordern, die Muster rc. wieder in Empfang zu nehmen, widrigenfalls über dieselben ander­ weitig verfügt werden würde. Wenn der Urheber, bezw. sein Rechtsnachfolger die Muster rc. nicht in Empfang nimmt, so ist wegen deren weiterer Verwendung die Bestimmung des Reichskanzler-Amts im geordneten Geschäftswege einzuholen. Nachtrag zu der Bekanntmachung v. 29. Februar 1876 (Central-Bl. S. 123). Vom 23. Juli 1876. §. 1. Im Musterregister erhält jedes Muster oder Modell, welches einzeln niedergelegt

Von dem Urheberrecht an Mustern und Modellen.

1049

Die Eröffnung der versiegelt niedergelegten Muster erfolgt drei Jahre nach der Anmeldung (§. 7) beziehentlich, wenn die Schutzfrist eine kürzere ist, nach dem Ablaufe derselben 17 * *).18 * * 19 ******** Die Eintragung und die Verlängerung der Schutzfrist (§. 8 Alinea 2) wird monatlich im Deutschen Reichsanzeiger bekannt gemacht. Die Kosten der Bekanntmachung hat der Anmeldende zu tragen. §. 10. Die Eintragungen in das Musterregister werden bewirkt, ohne daß eine zuvorige Prüfung über die Berechtigung des Antragstellers oder über die Richtigkeit der zur Eintragung angemeldeten Thatsachen stattfindet1S). §.11. Es ist Jedermann gestattet, von dem Musterregister und den nicht versiegelten Mustern und Modellen Einsicht zu nehmen und sich beglaubigte Auszüge aus dem Musterregister ertheilen zu lassen^). In Streitfällen darüber, ob ein Muster oder Modell gegen Nachbildung geschützt ist, können zur Herbeiführung der Entscheidung auch die versiegelten Packete von der mit der Führung des Musterregisters beauftragten Behörde geöffnet werden 20). §. 12. Alle Eingaben, Verhandlungen, Atteste, Beglaubigungen, Zeugnisse, Auszüge re., welche die Eintragung in das Musterregister betreffen, sind ftempelfrei21). Für jede Eintragung und Niederlegung eines einzelnen Musters oder eines Packets mit Mustern rc. (§. 9) wird, insofern die Schutzfrist auf nicht länger als drei Jahre beansprucht wird (§. 8 Absatz 1), eine Gebühr von 1 Mark für jedes Jahr erhoben. Nimmt der Urheber in Gemäßheit des §. 8 Absatz 2 eine längere Schutzfrist in Anspruch, so hat er für jedes weitere Jahr bis zum zehnten Jahre einschließlich eine Gebühr von 2 Mark, von elf bis fünfzehn Jahren eine Gebühr von 3 Mark für jedes einzelne Muster oder Modell zu

wird, und jedes niedergelegte Packet mit Mustern rc. bei Eintragung der Schutzfrist eine besondere Nummer. §. 2. Die Kosten für die Bekanntmachung der Eintragung einer Schutzfrist oder ihrer Verlängerung int Reichsanzeiger betragen zwei Mark fünfzig Pfennig. Dieselben kommen für jedes in das Musterregister eingetragene einzelne Muster oder Musterpacket besonders zum Ansatz. §. 3. Für jede Bekanntmachung, welche ausführlichere Angaben enthält, als die im §. 10 der Bestimmungen vom 29. Februar l. I. vorgeschriebene Abfassung, sind, wenn die Bekanntmachung im Reichsanzeiger mehr als acht Druckzeilen einnimmt, statt des im §. 2 der gegenwärtigen Be­ stimmungen erwähnten Kostenbetrags die für Veröffentlichungen im Reichsanzeiger allgemein festgesetzten Jnsertionsgebühren zu entrichten. §. 4. Die Vorschriften der §§. 2 und 3 finden auf alle Bekanntmachungen Anwendung, welche der Expedition des Reichsanzeigers nach dem 15. Aug. 1876 zugehen. 17) H. Die Eröffnung versiegelt hinterlegter Muster hebt den Schutz derselben nicht auf. Wenn also die Schutzfrist den Zeitraum von 3 Jahren übersteigt, so sind die Muster (Modelle) durch die Eröffnung zwar der Geheimhaltung, nicht aber dem Schutze gegen Nachbildung entzogen. Dambach S. 63; Wächter S. 317. 18) H. „Die Eintragung in das Musterregister erfolgt ohne vorherige causae cognitio. Es entspricht dies der Bestimmung im §. 40 des Gesetzes v. 11. Juni 1870, indem danach die Eintragungen in die Eintragsrolle in Leipzig ebenfalls ohne vorherige Prüfung über die Be­ rechtigung des Antragstellers stattfinden. Eine vorgängige causae cognitio würde zu unabseh­ baren Verwickelungen führen und die mit Führung des Registers beauftragte Behörde in Privat­ rechtsstreitigkeiten bringen, was selbstverständlich vermieden werden muß. Wird die Nichtigkeit der eingetragenen Thatsachen später bestritten, so muß es den Betheiligten überlassen bleiben, ihre gegenseitigen Behauptungen im Rechtswege zum Austrag zu bringen." Mot. S. 27. 19) H. Die Öffentlichkeit des Musterregisters folgt aus dessen Bestimmung, da diese u. a. die ist, „dem Fabrikanten, welcher ein fremdes Muster oder Modell nachbilden will, die Möglich­ keit zu gewähren, sich Ueberzeugung davon zu verschaffen, ob das Muster überhaupt gegen Nachbildung geschützt ist und an wen er sich zu wenden habe, um die Genehmigung zur Nachbildung zu erlangen." Mot. S. 27. 20) H. Daß unter Streit fällen nur N e ch t s streitigkeiten (Prozesse) zu verstehen sind, ist nach dem gewöhnlichen Sinne des Wortes kaum zweifelhaft, überdies in den Motiven S. 28 noch ausdrücklich hervorgehoben worden. Die versiegelten Packete dürfen also vor Ablauf der gesetzlichen Frist nur entweder auf den Antrag des Niederlegers (§. 9 Abs. 4 u. 5) oder auf Ersuchen des Prozeßgerichts geöffnet werden. 21) H. Der Satz ist dem Ges. v. 11. Juni 1870 §. 42 entlehnt.

1050

Erster Theil.

Eilfter Titel.

(Ges. v. 11. Jan. 1876 §§. 13—17.)

§. 1037.

entrichten. Für jeden Eintragungsschein, sowie für jeden sonstigen Auszug aus dem Muster­ register wird eine Gebühr von je 1 Mark erhoben.

§. 13. Derjenige, welcher nach Maßgabe des §. 7 das Muster oder Modell zur Ein­ tragung in das Musterregister angemeldet und niedergelegt hat, gilt bis zum Gegenbeweise als Urheber22). §. 14. Die Bestimmungen in den §§. 18—36, 38 des Gesetzes vom 11. Juni 1870, betreffend das Urheberrecht an Schriftwerken :c. (Bundes-Gesetzbl. 1870 S. 339), finden auch auf das Urheberrecht an Mustern und Modellen mit der Maßgabe entsprechende Anwendung, daß die vorräthigen Nachbildungen und die zur widerrechtlichen Vervielfältigung bestimmten Vorrichtungen nicht vernichtet, sondern auf Kosten des Eigentümers und nach Wahl desselben entweder ihrer gefährdenden Form entkleidet, oder bis zum Ablauf der Schutzfrist amtlich aufbewahrt werden23).24 25 Die Sachverständigen-Vereine, welche nach §. 31 des genannten Gesetzes Gutachten über die Nachbildung von Mustern oder Modellen abzugeben haben, sollen aus Künstlern, aus Gewerbtreibenden verschiedener Gewerbzweige und aus sonstigen Personen, welche mit dem Muster- und Modellwesen vertraut find, zusammengesetzt werden2*). §. 15. Bürgerliche Rechtsstreitigkeiten, in welchen auf Grund der Bestimmungen dieses Gesetzes eine Klage wegen Entschädigung, Bereicherung oder Einziehung angestellt wird, gelten im Sinne der Reichs- und Landesgesetze als Handelssachen2^).

§. 16. Das gegenwärtige Gesetz findet Anwendung auf alle Muster und Modelle inländischer Urheber, sofern die nach den Mustern oder Modellen hergestellten Erzeugnisse im Inlands ver­ fertigt sind, gleichviel ob dieselben im Jnlande oder Auslande verbreitet werden. Wenn ausländische Urheber im Gebiete des Deutschen Reichs ihre gewerbliche Niederlassung haben, so genießen sie für die im Jnlande gefertigten Erzeugnisse den Schutz des gegenwärtigen Gesetzes26). Im Uebrigen richtet sich der Schutz der ausländischen Urheber nach den bestehenden Staats­ verträgen 27). 22) H. Ist dasselbe Muster (Modell) von Mehreren angemeldet, so streitet die Vermuthung der Urheberschaft für denjenigen, dessen Anmeldung zuerstbei der Behörde eingegangen ist. Vergl. die Anm. 72 zu §. 28 des Ges. v. 11. Juni 1870. 23) H. Durch diese Bestimmung ist die Anwendbarkeit des 5.Absatzes in dem 8- 18 des Ges. v. 11. Juni 1870 nicht ausgeschlossen. Dambach S. 102. Das Gegentheil behauptet Klostermann S. 252, „weil sonst einerseits dem Eigenthümer der eingezogenen Sachen, andererseits dem Beschädigten ein Wahlrecht zustehen würde, über dessen Konkurrenz das Gesetz keine Bestimmung trifft." Dieser Grund dürfte jedoch nicht zutreffen. Zunächst hat der Be­ schädigte sich zu erklären, ob er die Gegenstände der Einziehung übernehmen will. Uebernimmt er dieselben, so ist die Sache erledigt. Gegenfalls verbleiben die Sachen dem Eigenthümer, nach dessen Wahl dann so verfahren wird, wie der §. 14 des vorliegenden Gesetzes vorschreibt. So scheint das Verhältniß auch von Wächter S. 336 aufgefaßt zu werden. Derjenige, welcher auf Grund eines Eintrages im Musterregister eine Privatklage wegen Zuwiderhandlung gegen das Ges. v. 11. Jan. 1876 erhebt, ist, auch wenn ihm ein besonderes Verschulden nicht nachgewiesen wird, nach gemeinem Recht verpflichtet, dem freigesprochenen Beschuldigten die in der Untersuchung aufgewendeten Vertheidigungskosten und den durch eine Beschlagnahme des als gesetzwidrige Nachbildung bezeichneten Musters entstandenen Schaden zu ersetzen. R.G. III v. 3. Okt. 1882, Entsch. 8 S. 16. Vgl. die Str.P.O. v. 1. Febr. 1877 SS- 503 ff. 24) H. Ges., betr. den Schutz der Photographier, v. 10. Jan. 1876 §. 10 Anm. 13. 25) H. Ger.Verf.Ges. §. 101 Ziff. 3 c. Vergl. Ges., betr. das Urheberrecht rc., v. 11. Juni 1870 §. 32 und Ges. über den Markenschutz v. 30. Nov. 1874 §.19. Die Nechtsstreitigkeit en gelten als Handelssachen, nicht die materiellen Rechtsverhältnisse, aus denen sie hervor­ gehen, wenigstens nicht auf Grund des §.15. Dambach S. 75. 26) H. Das Prinzip, welches diesen Bestimmungen (Satz 1 u. 2) zu Grunde liegt, ist die Beschränkung des Schutzes auf das deutsche Fabrikat. Komm.Ber. S. 32. Aus diesem Prinzip erklärt sich auch die Abweichung derselben von den entsprechenden Vorschriften des Ges. v. 11. Juni 1870 §. 61. Vergl. übrigens Ges. v. 9. Jan. 1876 §. 20 und v. 10. Jan. 1876 §. 9.

Von dem Urheberrecht an Mustern und Modellen. — Von Schenkungen.

1051

§. 17. Das gegenwärtige Gesetz tritt mit dem 1. April 1876 in Kraft. Es findet An­ wendung auf alle Muster und Modelle, welche nach dem Inkrafttreten desselben angefertigt worden sind. Muster und Modelle, welche vor diesem Tage angefertigt worden sind, genießen den Schutz des Gesetzes nur dann, wenn das erste nach dem Muster rc. gefertigte Erzeugniß erst nach dem Inkrafttreten des Gesetzes verbreitet worden ist28). Muster und Modelle, welche schon bisher landesgesetzlich gegen Nachbildung geschützt waren, behalten diesen Schutz; jedoch kann derselbe nur für denjenigen räumlichen Umfang geltend gemacht werden, für welchen er durch die Landesgesetzgebung ertheilt roar29).

Neunter Abschnitt. Bon Schenkungen*).

§. 1037.

Schenkungen sind Verträge1), wodurch Einer dem Anderen das Bekiff und

27) H. Vgl. den Handelsvertrag zwischen Deutschland und Oesterreich-Ungarn v. 23. Mai 1881 Art. 20, R.G.Bl. S. 129, und das Schlußprotokoll von demselben Tage, ebenda S. 150. 28) H. Der Grund dafür, daß die Muster und Modelle, nach denen schon vor dem 1. April 1876 Erzeugnisse angefertigt und verbreitet worden, ungeschützt bleiben, liegt nach den Motiven S. 29 in der großen Schwierigkeit der Abstempelung und Jnventarisirung. (Ges. v. 10. Jan. 1876 §. 12, Sinnt. 15.) Vergl. R.G. II v. 19. März 1881, in Sinnt. 12 zu §. 7 d. Ges. 29) H. Diese Vorschrift hat praktischen Werth nur für Rheinpreußen und Elsaß-Lothringen. Dambach S. 82. *) Koch, das Recht der Forderungen, nach gemeinem und nach preußischem Recht, 231 ff. Bd. 3 (2. Ausg.) S. 150ff.; Förster-Eccius §. 122; Dernburg 2 §§. 161—165; Gruchot, Glossen zum Ällg. L.R. I. 11 1037 ff., in seinen Beiträgen zur Erläuterung des preußischen Rechts 13 S. 779—865; v. Savigny, System des heutigen römischen Rechts 4 (1841) S. 1 ff ; v. Meyerfeld, die Lehre von den Schenkungen nach römischem Recht 1. (1835) und 2. Abth. (1837); Windscheid §§. 365 - 369. 1) (H. Schenkung int weiteren Sinne ist jede Bereicherung des Empfängers, welche von dem Zuwendenden beabsichtigt und als solche von dem Empfänger angenommen wird. Im engeren Sinne ist eine Zuwendung dieser Art nur dann Schenkung, wenn damit zugleich eine entsprechende Vermögensverminderung auf Seiten des Zuwendenden verbunden ist/ Windscheid 5. Stuft 2 S. 378 ff. Hier handelt es sich nur um die Schenkung im engeren Sinne, deren Begriff überdies noch dadurch eingeschränkt wird, daß dieselbe nur durch ein Rechtsgeschäft unter Lebenden vermittelt werden kann.) Der §. 1037 bestimmt nicht den Begriff der Schenkung, sondern nur ein einzelnes Mittel, durch welches dieselbe verwirklicht wird (donatio perficitur). Zu jeder Schenkung gehören zwei Personen: der Schenker, welcher einen Gegenstand seines Vermögens unentgeltlich veräußert und dadurch verliert, und der Beschenkte, welcher diesen Gegenstand unentgeltlich erwirbt und dadurch sein Vermögen verntehrt. Als Mittel zur Schenkung können die verschiedenartigsten Geschäfte dienen. Denn eine Schenkung läßt sich bewirken durch Verschaffung eines dinglichen Rechts (dando), durch Verschaffung eines Forderungsrechts (obligando) und durch Befreiung von einer Schuld oder Last (liberando). v. Savigny, System rc. 4 S. 1. Der §. 1037 spricht nur von der einen Gestalt, in welcher eine Schenkung zur Erscheinung kommen kann, nämlich von der Verbindlichmachung des Schenkers gegen den Beschenkten, oder dem Verschaffen eines Forderungsrechts des letzteren an den Schenker (Schenkungsversprechen). (H. Die Schenkung liegt hier in dem Versprechen, nicht in der späteren Leistung. Letztere ist die Erfüllung des Versprechens. Die Erklärung, einem Anderen etwas schenken zu wollen, kann daher als ein verbindliches Schenkungsversprechen nicht angesehen werden. Der animus donandi muß de praesenti vorhanden sein, wenn eine klagbare Verpflichtung begründet werden soll. Gruchot 13 S. 793.) Der Inhalt der Forderung ist für das Wesen der Schenkung unerheblich; die Forderung kann auf alle möglichen Gegenstände des Vermögensrechts gehen: auf Verschaffung von Eigenthum, oder eines anderen dinglichen Rechts, oder eines Forderungsrechts an einen Dritten. Unerwähnt bleiben hier, int §. 1037, die beiden Formen der Tradition und der Liberation. Daß aber auch dando geschenkt werden könne, setzen die §§• 1040, 1052, 1053 und 1065, 1149 d. T. u. a. voraus, und die Form der Liberation ist in einer anderen Stelle, nämlich int §. 393 I. 16 unter der Entsagung eines bereits erworbenen Rechts in so weit mitbegriffen, als es sich um die Liberation des Beschenkten von einer Schuld an den

1052

Erster Theil.

Eilfter Titel.

g§. 1038, 1039.

Eigenthum einer Sache oder eines Rechts2) unentgeltlich zu überlassen:!) sich ver­ pflichtet. Schenker handelt. (Vgl. die Anm. 5 zu §. 1039.) Dagegen wird der Schenkung in der Gestalt der Liberation des Beschenkten von der Schuld an einen Dritten, durch baare Zahlung oder durch Expromission nirgends gedacht. Dies ist konsequent. Denn durch diese einseitigen Rechts­ handlungen kann eine Schenkung deshalb nicht vollzogen werden, weil das L R. bei allen Schenkungen die Acceptation für nothwendig erklärt (§. 1058), mithin eine einseitige Schenkung nicht kennt. Vielmehr haben die erwähnten Handlungen stets eine Regreßklage (aus Mandat oder negotiorum gestio) zur Folge. I. 14 §§. 341, 406 und I. 16 tz. 45. Das hat den Sinn, daß, wenn der Zahler oder Expromittent in der Absicht, den Schuldner liberando zu beschenken, handelte, diese Absicht so lange keine rechtliche Folge hat, bis sie gegen den Schuldner ausgesprochen und von diesem acceptirt worden, also in einen Vertrag zwischen dem Schenker und dem Beschenkten übergegangen ist. v. Savigny a. a. O. S. 294. Denn bis dahin, wo die Acceptation des Bedachten hinzutritt, ist nichts geschehen, was zur Vollziehung (Perfektion) einer Schenkung gehört. Rach juristischer Konsequenz würde aber dennoch dem Zahler oder Expromittenten keine Regreßklage zustehen, denn es ist auch nichts geschehen, was die Perfektion eines anderen Rechtsverhältnisses zur Folge haben könnte: eine Schenkung ist nicht geworden, da die Acceptation fehlt, ein Forderungsrecht für den Handelnden ist aber auch nicht begründet, weil darauf die Absicht nicht gerichtet war. Das praktische Resultat würde mithin, nach allgenreinen Rechtsgrundsätzen, dem einer gültigen Schenkung doch ganz gleich sein, ohne die Be­ stimmungen der Titel 14 §. 406 und 16 §. 45. Rur vermöge derselben kann der Handelnde seine ursprüngliche Gesinnung hinterdrein ändern und die actio negotiorum gestorum gebrauchen. Die Gesetzgebung hätte zu diesem Resultate auch bei Anerkennung einer einseitigen Schenkung gelangen können, wenn sie den Widerruf derselben unbedingt freigestellt hätte. H. Vgl. §. 1065 Änm. 38 a Abs. 3. 2) Nicht bloß eine Sache oder ein Recht, sondern auch H. die freigebige Begründung einer obligatorischen Verpflichtung kann den Gegenstand einer Schenkung bilden. Der Eigenthümer eines Grundstücks kann dadurch schenken, daß er eine Hypothek auf dasselbe eintragen und von dem (vorgeschobenen) Gläubiger an den Beschenkten cediren läßt. O.Tr. IV v. 23. Nov. 1876, Str. Arch. 97 S. 48. 3) Zu übertragen, wird gemeint, durch Tradition (§. 1038) und bez. durch Abtretung (Eession). Auch das beschränkte Eigenthum einer Sache kann zum Zwecke einer Schenkung über­ tragen werden, namentlich auch der ideale Theil einer pro indiviso besessenen Sache, v. Savigny 4 S. 109. Kein landrechtlicher Grundsatz steht entgegen. Das O.Tr. sagt, daß Gegen­ stände einer fortgesetzten allgemeinen Gütergemeinschaft nicht Gegenstände einer Schenkung zwischen dem überlebenden Ehegatten und den Kindern sein könnten, weil der überlebende Ehegatte und die Kinder Eine Person repräsentirten, eine Schenkung unter ihnen mithin als eine solche an­ zusehen sei, welche Jemand an sich selbst verrichte; zu einer Schenkung aber zwei Personen gehörten. O.Tr. v. 22. Aug. 1840, Ulrich Arch. 8 S. 173. Der Vordersatz ist unrichtig; unter sich repräsentiren die Gemeinschafter so viel Personen (Parteien), als an der Gemeinschaft Theil nehmen; sie können also unter sich jedes Rechtsgeschäft über die gemeinschaftlichen Sachen, z. B. die Auseinandersetzung, sehr wohl abschließen. Warum also nicht auch z. B. die Ueberlassung einer Sache an den Einen oder den Anderen zum Zwecke der Schenkung? Wäre der Grund, welcher der Schenkung entgegenstehen soll, eine Wahrheit, so könnten die Gemeinschafter nimmer­ mehr auseinander kommen; denn eine Person kann mit sich selbst auch keinen Theilungsrezeß schließen. Die allgemeine Gütergemeinschaft wirkt aber unter den Theilnehmern andere Modifi­ kationen der Rechte und Uebereignungsarten, ohne die Möglichkeit einer Beschränkung des Einen auszuschließen. Nicht weniger können fremde Sachen als Mittel zur Schenkung dienen; der Beschenkte erwirbt dadurch als selbstständiges Geschenk das Besitzrecht und kann überdies das Eigenthum pro donato ersitzen, die sonstigen Bedingungen der Verjährung durch Besitz vor­ ausgesetzt. Die Tradition einer Sache und die Überweisung eines Rechts ist in allen ihren ver­ schiedenen Gestalten anwendbar. Die Tradition kann mithin zum Zwecke der Schenkung auch brevi manu, oder durch Auftrag mit Erfolg vollzogen werden. Eben so die Uebertragung eines noch nicht vorhandenen Rechts an einen Dritten dadurch, daß dasselbe unmittelbar auf den Namen des Beschenkten begründet wird, indem dieser an dem Vertrage Theil nimmt (vergl. §§. 671 u. 672); und eines schon vorhandenen Rechts, außer der Eession, auch durch Expromission und Delegation. Auf einen Fall der Anwendung der Delegation zum Zwecke der Schenkung bezieht sich das Pr. des O.Tr. 1709 v. 21. Febr. 1846, Entsch. 13 S. 190: „Bei verbrieften Forde­ rungen ist es eine gültige Uebergabe, wenn der Gläubiger die Urkunde dem Schuldner zurückgiebt, diesen eine neue Obligation auf dem Namen des — Beschenkten ausstellen läßt, und Letzterer solche annimmt." Vergl. 1. 2 §. 1 D. de don. 39, 5; 1. 11 C. eod, 8, 54, Der Mangel

Von Schenkungen.

1053

§. 1038. Auch bei Schenkungen erlangt der Geschenknehmer das Eigenthum des Geschenks erst durch die Uebergabe ^). (Tit. 10. §. 1. 18—25.) 32. Gesetz über den Eigenthumserwerb und die dingliche Belastung der Grundstücke rc. vom 5. Mai 1872. §. 1. (Zus. zu Tit. 10., oben S. 665.)

§. 1039. Blvße Verzichtleistungen auf ein zwar angefallenes, aber noch nicht wirklich übernommenes^), ingleichen auf ein zweifelhaftes Recht, sind nach den Regeln von Schenkungen nicht zu beurtheilen.

der schriftlichen Form auf der Seite des Schenkers (Deleganten) wird hier ersetzt, in seinem Verhältnisse zu dem Schuldner, durch Vollziehung des dem Schuldner gegebenen mündlichen Auftrags zur Expromission, und in seinem Verhältnisse zu dem Beschenkten durch die Quasitradition der Forderung. §. 1090. 4) Denn die Schenkung ist kein Erwerbungsmittel, sondern ein Resultat, zu dessen Er­ zielung man sich der Uebergabe und anderer Rechtsgeschäfte als Mittel bedienen kann, wobei die Schenkung als justa causa wirkt. (Anm. 1.) Der §. 1038 hat aber noch einen anderen Sinn, er steht in Verbindung mit dem vorhergehenden §. 1037 und sagt, daß, wenn nicht durch die Uebergabe, sondern durch die Begründung eines Forderungsrechts auf Uebergabe einer Sache (Schenkungsversprechen) geschenkt wird, das Eigenthum der versprochenen Sache nicht schon durch das Schcn'kungsversprechen übertragen werde, sondern von der Uebergabe abhängig sei, wie bei jeden: anderen Titel, welcher ein Recht zur Sache giebt. Nachdem der Schenker das geschenkte Geld dem Vormunde des Beschenkten zur Auf­ bewahrung übergeben hat, ist er nicht mehr berechtigt, über die wenngleich verzinsliche und hypothekarische Ausleihung des Geldes zu verfügen. O.Tr. II v. 28. Nov. 1853, Str. Arch. 11 S. 71. H. Der §. 1038 ist in seiner Anwendbarkeit jetzt auf bewegliche Sachen beschränkt. Bei unbeweglichen Sachen, für welche ein Blatt im Grundbuche angelegt ist oder doch an­ gelegt werden kann (Grundb.Ordn. 49), überträgt die Uebergabe, auch wenn ihr die causa der Schenkung zu Grunde liegt, kein Eigenthum. Als Form der Schenkung indeß hat die Ueber­ gabe ihre Bedeutung behalten. Anm. 41 zu §. 1066. 5) Nach dem Begriffe der Schenkung muß der Schenker aus seinem bereits erworbenen Vermögen etwas veräußern, er muh Verlust haben. Unterlassene Erwerbungen, wenngleich sie aus Wohlwollen gegen einen Anderen, um diesen: den Gegenstand zukommen zu lassen, unter­ blieben, sind keine Veräußerungen, mithin enthalten sie keine Schenkung. Damit steht der Satz dieses §. in Einklang. Der 393 I. 16 äußert sich scheinbar widersprechend: „Eine — Ent­ sagung eines bereits erworbenen, ingleichen eines zwar künftigen, aber doch so beschaffenen Rechts, daß der Anfall desselben dem Entsagenden gewiß war, ist einer Schenkung gleich zu achten." Der scheinbare Widerspruch verschwindet bei der richtigen Beziehung der beiden Stellen. Unser §. 1039 ist namentlich von angefallenen, aber noch nicht angetretenen Erbschaften zu ver­ stehen, obgleich in der Bestimmung keine konsequente Anwendung des Grundsatzes von der Er­ werbung einer Erbschaft auf den Begriff der Schenkung zu finden ist, da nach preuß. Recht zur Loswerdung einer Erbschaft eine positive Handlung, die Entsagung, erforderlich ist (§. 368 I. 9), folglich die Entsagung eine wahre Veräußerung eines schon wirklich erworbenen Gegenstandes, gleich einer Dereliktion, enthält, während es nach R. R. sich gerade umgekehrt verhält. Die zweite Stelle dagegen, der §. 393 I. 16, handelt von der Tilgung und Aufhebung obliga­ torischer Rechte, insbesondere von dem pactum remissorium und erkennt, wie schon gesagt (Amn. 1), die Schenkung auch in der Form der Liberation an. (O.Tr., Entsch. 8 S. 250ff.) Der 8- 393 spricht von zweierlei Rechten, die er als Gegenstand einer Schenkung gleich stellt: von „bereits erworbenen", und von „zwar künftigen, aber doch so beschaffenen, daß der Anfall — gewisi war". (H. Die erstere Klasse macht keine Schwierigkeiten. In­ sonderheit ist der Erlaß einer Schuld rechtlich als Schenkung anzusehen, weshalb die darüber errichtete Urkunde auch dem Schenkungsstempel unterworfen ist. O.Tr. I v. 30. April 1875, Entsch. 75 S. 180.) Hinsichtlich der zweiten Klasse dagegen kann Zweifel über die Beziehung sein, namentlich darüber: ob darunter nicht eben dieselben Rechte gemeint sein möchten, welche in unserem §. 1039 als „zwar angefallene, aber doch nicht wirklich übernommene" bezeichnet werden. Der Zweifel verliert sich bei der Betrachtung, daß der §. 393 lediglich einen Satz aus der Lehre von den Arten der Tilgung obligatorischer Verbindlichkeiten enthält. An welche Rechte man bei „zwar künftigen aber rc." gerade gedacht habe, ist freilich nicht zu wissen; denn der Ausdruck paßt weder auf bedingte, noch auf betagte (ex die). Vielleicht ist die Restitution eines Fideikommisses (ich meine nicht ein Familienfideikommiß) im Sinne gewesen. Jedenfalls ist hier von obligatorischen Rechten und deren vertragsmäßiger Entsagung die Rede, so

1054 Wann die 1040. Schenkungen MUthet 6).

ww?“b?ct

Erster Theil.

Eilfter Titel.

§§. 1040—1042.

Daß eine Sache als ein Geschenk gegeben worden, wird nicht ver-

§• 1041. Wo eine besondere persönliches, obschon nicht gesetzlich verbindende Pflicht zur Wohlthätigkeit vorhanden ist, da wird vermuthet, daß das ohne Vor­ behalt 8) Gegebene9) in der Absicht, solches zu schenken, gegeben worden. daß die Entsagung als Mittel zur Vollziehung einer Schenkung dient. Vergl. über die Form das Pr. 801 (Pl.Beschl. in der Anm. zu §. 393 I. 16.) 6) (H. Deshalb wird jedoch der Vindikationskläger dadurch, daß der Beklagte Schenkung behauptet, aber nicht beweist, noch nicht der Verpflichtung überhoben, die für die Red­ lichkeit und Rechtmäßigkeit des Besitzes des Beklagten streitende Vermuthung zu widerlegen. O.Tr. III v. 29. Juni 1874, Str. Arch. 92 S. 197.) Die in den §§. 1040—1045 gegebenen Bestimmungen behufs Feststellung des animus donandi beziehen sich alle nur auf eine von den verschiedenen Gestalten, in welchen die Schenkung in'die Erscheinung treten kann, nämlich auf die Uebergabe (Anm. 1). Mittelst dieses Rechts­ geschäfts kann eine Schenkung stillschweigend vollzogen werden; andere Rechtsgeschäfte, welche man als Mittel zum Zwecke einer Schenkung anwenden kann (Vertrag oder Schenkungsversprechen, Uebereignung eines schon bestehenden Rechts, Liberation), vermögen schwerlich ohne in die Sinne fallende Aeußerung des Willens vollzogen zu werden. Deshalb bedarf es bei der Schenkung in der Form des Gebens (dare, Tradition), und nur bei dieser, gesetzlicher Bestimmungen, wo­ durch dem Richter ein die Thatsache betreffender Anhalt gegeben wird, wenn über die bei einem stumm vollzogenen Geben gehegte Absicht hinterdrein Parteistreit entsteht. Für andere Rechts­ geschäfte sind die hier gegründeten Vermuthungen nicht vorgeschrieben, weil sie dabei völlig ent­ behrlich. Wenn z. B. Jemand für den Anoeren eine Schuld bezahlt, so können diese Vorschriften schon deswegen, weil das Landrecht in dieser Form die Schenkung nicht anerkennt (Anm. 1), keine Anwendung finden. (Für die Unanwendbarkeit auf diesen Fall auch das O.Tr. 111 (Präj. 1004) v. 17. April 1841, Entsch. 7 S. 88, und 1 v. 24. Sept. 1852, Str. Arch. 6 S. 332, und v. 15. Rov. 1861, ebenda 44 S. 84.) Denn wollte inan auch die Absicht der Schenkung, aus den Umständen oder aus den persönlichen Verhältnissen, vermuthen, so würde das ganz fruchtlos sein, weil jene Absicht allein keine rechtliche Folge haben soll, und daher bei dem Mangel der Acceptation eine Schenkung nicht zu Stande gekommen wäre. Es bleibt mithin lediglich bei dem wirklich vollzogenen Rechtsgeschäfte, der negotiorum gestio. §. 406 I. 14 und Anm. 1 zu 8- 1037 d. T. Rach R. R. ist es anders: danach kann in dieser Form Jemand wider sein Wissen und Willen beschenkt werden. L. 14 I). de don. 39, 5; 1. 2 i. f. C. de rei vind. 3, 32; 1. 23 I). de solut. 46, 3. (H. Vergl. indeß Windscheid §. 365 Rote 5.) Welche andere justa causa einem stumm, oder unter einer zweifelhaften Willenserklärung, vollzogenen Geben unterliegt, muß, wenn keine Vermuthung für eine Schenkung zutrifft, aus den Umstünden gefunden werden. H. Was vorstehend von der Schenkung durch Uebergabe gesagt ist, muß auch dann gellen, wenn eine Schenkung als causa der Auflassung in Frage'steht. Das römische Recht hatte übrigens eine solche Rechtsvermuthung, wie sie der §. 1040 aufstellt, nicht. Erst die gemein­ rechtliche Doktrin hat dieselbe ausgebildet, indem sie der modernen Anschauung, daß im Ver­ kehrsleben der Regel nach jeder Leistung eine Gegenleistung gegenübersteht, daß nichts ohne Entgelt gethan wird, Rechnung trug. Vergl. Schloßmann, zur Lehre von der Causa obli­ gatorischer Vertrüge (1868) S. 45; Endemann, Handelsrecht §. 92; Gruchot 13 S. 795 u. 796. Als Rechts- Vermuthung entbehrt indeß die Präsumtion des Landrechts der inneren Be­ gründung. Denn die Frage, ob Jemand die Absicht, zu schenken, gehabt hat, ist rein that­ sächlicher Ratur. v. Meperfeld 1 S. 45. Es läßt sich auch in der Praxis mit dem Satze „donatio non praesumitur“ nichts anfangen, weil durch denselben Niemand der Verpflichtung überhoben wird, den Anspruch, welchen er rechtlich verfolgt, thatsächlich zu begründen und zu be­ weisen. Vergl. hierüber Gruch o t, 13 S. 652, und K o ch, Recht der Forder. (2. Ausg.) 3 S. 154 ff. 7) Eine besondere persönliche Pflicht zur Wohlthätigkeit, d. i. eine durch Familien­ verhältnisse begründete, im Gegensatze zur allgemeinen christlichen und menschlichen Pflicht, auf welche in 8S- 1043 u. 1044 gleichfalls eine Vermuthung gegründet wird. Vergl. 11. 2 8- 234 und die Anm. dazu. 8) Ohne Vorbehalt, d. h. eben ohne alle Erklärung oder unter zweifelhafter Erklärung, so daß die eigentliche Absicht, in welcher gegeben und angenommen worden (die causa), ungewiß ist. O.Tr. v. 27. Sept. 1839, Schl. Arch. 4 S. 368. Wäre die Sache beim Geben ausgesprochen worden, so könnte das dadurch vollzogene Rechtsgeschäft hinterdrein einseitig nicht verändert werden. Hütte z. B. Jemand dem Andern in der gewissen Absicht, schenken zu wollen, eine Sache gegeben, so würde es ganz vergeblich sein, wenn er nach der Annahme noch einen Vor­ behalt nachholen wollte. 9) S. die Anm. 6. Dem „Gegebenen" ist das Geleistete (Anm. 11) und ausdrücklich Gestattete in dieser Beziehung gleichzustellen. O.Tr. IV v. 2. Rov. 1865, Str. Arch. 60

Von Schenkungen.

1055

§. 1042. Was also10) Verwandte in auf- und absteigender Linie, Geschwister und Eheleute, einander ohne Vorbehalt geben, wird für gesckenkt angesehen, so lange nicht ein Anderes aus den Umständen erhellet, oder durch besondere Ge­ setze bestimmt ist. (Th. 2. Tit. 1. Abschn. 5.)12) S. 253. (H. Die Leistung kann auch durch Abtretung eines Kapitals oder durch nützliche Ver­ wendung geschehen. R.G IV v. 4. Nov. 1880, Gruchot 25 S. 887, und I H. v. 31. Jan. 1882, ebenda 26 S. 970.) Nicht aber kann von Schenkung die Rede sein, wenn die Person, aus deren Vermögen das Geschenk kommen soll, dasjenige, was sie von dem Anderen kontraktlich zu fordern hatte, zu fordern eine Zeit lang unterlassen hat, wie seltsamerweise ein App.Gericht erkannt hat, O.Tr. II v. 9. Febr. 1865, Str. Arch. 57 S. 222, oder wenn diese Person sich passiv bei der Entziehung des Gegenstandes verhält, z. B. wenn der Andere durch Geschäfts­ besorgung etwas an sich genommen hat. O.Tr. v. 13. März 1846, Ulrich Arch. 12 S. 265. Die Frage ist zweifelhaft. 10) (H. Deshalb kann auch ein großjähriges Kind, welches nach des Vaters Tode im Hause der Mutter verblieben und unterhalten ist, für die der Mutter im Hause geleisteten Dienste eine nicht versprochene Vergütung nicht fordern. Es folgt dies zwar nicht aus II. 2 §§. 121 ff., weil diese Bestimmungen nur das Verhältniß der unter väterlicher Gewalt stehenden Kinder­ regeln, wohl aber aus dem allgemeinen Grundsatz, der in dem §. 1042 dieses Titels zum Aus­ druck und in den §§. 121 ff. cit. zur Anwendung gebracht ist. O.Tr. I v. 4. Okt. 1875, Str. Arch. 94 S. 183. Die Ausstattung, welche der Vater seinem Kinde gegeben hat, gilt als geschenkt. II. 2 §. 288. Dazu O.Tr. III v. 8. Mai 1876, Entsch. 77 S. 190.) Der §. 1042 enthält, wie das Wort „also" andeutet, eine bloße Folgerung aus dem in 1041 ausgesprochenen Prinzip, daß unter den Personen, welche durch Familienverhältnisse mit einander verbunden sind, Schenkung zu vermuthen ist, wenn die bezeichnete Voraussetzung vor­ liegt. Treffend sagt daher das O.Tr.: „Die Vermuthung der Schenkung beschränkt sich nicht bloß (Ulf die im §. 1042 bezeichneten Verwandten; er bezeichnet nur einzelne Fälle, in denen diese Vermuthung eintritt." O.Tr. III (Pr. 260) v. 27. Mai 1837, Präjudizien rc. S. 71. Dies ist z. B. auch bei Verschwägerten, namentlich in dem Verhältnisse zwischen Schwiegersohn und Schwiegereltern der Fall. O.Tr. v. 26. Nov. 1847, Nechtsf. 3 S. 164. (H. und R.G. IV v. 4. Nov. 1880, G ruchot 25 S. 887.) Historisch zu ermähnen ist, daß ein Erlaß des Just.Min. v. 18. Jan. 1841, J.M.Bl. S. 56, das Gegentheil hehauptet. 11) Z. B. wenn ein Sohn seinem Vater häusliche Dienste, jedoch nur gegen die mündliche Zusicherung der künftigen Hofesfolge geleistet hat, der Hof aber später einem andern Sohne übergeben wird, O.Tr. v. 13. Okt. 1838, Ulrich Arch. 5 S. 605; oder wenn der Geber Schuldner des Empfängers ist, O.Tr. v. 27. Sept. 1839, Schles. Arch. 4 S. 368, und I (Pr. 2217) v. 7. Juni 1850, Entsch. 20 S. 284 und 288. Vergl. auch O.Tr. I v. 24. Sept. 1852, Str. Arch. 6 S. 331. (H. Später ist das Gegentheil angenommen: „Der Umstand," sagt das O.Tr., „daß derjenige, welcher etwas ohne Vorbehalt gegeben oder geleistet hat, ein Schuld­ ner des Empfängers ist,' ist keineswegs für sich allein geeignet, die hier in Rede stehende Ver­ muthung zu beseitigen. Es müssen nothwendig noch andere Umstände hinzutreten, wenn die Sache so liegen soll, wie sich der §. 1042 ausdrückt, ein anderes als die Absicht, zu schenken, aus dem Umständen erhellt." Dabei ist dem Vorwurfe des Widerspruchs mit jenen älteren Ent­ scheidungen durch die Bemerkung begegnet, daß der Fall des Erkenntnisses v. 27. Sept. 1839 thatsächlich anders gelegen habe und daß die betr. Aeußerung in den Gründen des Urtheils v. 7. Juni 1870 nur eine zur Entscheidung der Sache selbst gar nicht gehörige Nebenbemerkung gewesen sei. O.Tr. IV v. 5. Jan. 1869, Str. Arch. 73 S. 204.) Den Vorschriften der §§. 1041—1045 läßt sich der Fall nicht unterordnen, in welchem Jemand die Schuld eines Andern einseitig aus eigenen Mitteln ohne Vorbehalt bezahlt. Ein Geschenk des Zahlers an den Schuldner wird, auch bei einer zwischen Beiden bestehenden, im 1042 bezeichneten, Verwandtschaft resp. Verbindung, durch eine solche Handlung noch nicht existent, vielmehr ist nach I. 16 §. 45 das dadurch zwischen diesen Personen entstandene Rechtsverhältniß, wenn nicht ein der Absicht der Freigebigkeit an sich entgegenstehendes Mandat zur Bezahlung vorliegt, nach den Regeln von der negotiorum gestio zu beurtheilen; der Zahler­ hat unmittelbar ex lege (§. 46 cit.) von dem Schuldner Ersatz des statt seiner gezahlten Be­ trages, zu fordern. O.Tr. I v. 15. Nov. 1861, Str. Arch. 44 S. 87. Diese Verbindung des Nachsatzes mit dem Vordersatze als einer Folge des letzteren ist unjuristisch. Das Rechtsprinzip der negotiorum gestorum actio und das der actio ex lege stehen von einander ganz unab­ hängig neben einander, ohne alle innere Verwandtschaft oder Zusammengehörigkeit. Die actio n. g. ist eine ursprüngliche Klage, gleich der actio mandati; die aus 46 zustehende Klage dagegen ist eine cedirte Klage, nämlich ebendieselbe, welche dem bezahlten Gläubiger zustand.

1056

Erster Theil.

Güster Titel.

§§. 1043-1048.

8- 1043. Eben so12 13) wird bei dem, was einem Armen zu seinem Unterhalte gegeben worden, die Absicht, solches zu schenken, vermuthet. §. 1044. Ein Gleiches findet statt, wegen solcher Gelder und Sachen, die an Armenanstalten und milde Stiftungen ohne weiteren Vorbehalt abgeliefert worden. ~ §. 1045. Was unter Umständen gegeben worden, wo sich gar keine andere Absicht des Gebenden denken läßt14),15ist 16 gleichfalls für geschenkt anzusehen. Schenkungs­ §. 1046. Wenn die Gesetze Jemanden zu Handlungen, die an sich eine bloße verträge, welche den Freigebigkeit enthalten würden, in Beziehung auf gewisse Personen oder Verhält­ lästigen gleich zu nisse ausdrücklich verpflichten; so werden die zur näheren Bestimmung dieser Pflicht geschlossenen Verträge den lästigen gleich geachtet^"). achten.

§. 1047. Wenn also Personen, welche eine andere auszustatten nach den Ge­ setzen schuldig sind, derselben eine gewisse Summe oder Sache zur Ausstattung, oder auch zum Brautschatze ausdrücklich versprochen haben, so ist ein darüber in rechtsgültiger Form^) abgefaßter Vertrag für einen lästigen anzusehen. 12) Die hier bezeichneten besonderen Gesetze sind die §§. 314 ff. a. a. O. 13) Ebenso, d. h unter denselben Voraussetzungen. Keineswegs wird durch das „eben so" eine Herleitung dieser hier gegründeten Vermuthung aus dem Prinzipe des §. 1041 angedeutet, wie das O.Tr. in dem Erk. v. 5. Sept. 1845, Entsch. 11 S. 414, meint; vielmehr hat diese Vermuthung einen anderen allgemeineren Grund als „eine besondere persönliche Pflicht". (Anm. 7.) Zwischen einem Armen als solchem und Anderen besteht keine besondere persön­ liche Pflicht zur Wohlthätigkeit, wohl aber die sehr allgemeine religiöse gegen alle Menschen. Auf diese gründet der §. 1043 eine besondere Vermuthung. Aber die Vermuthung wird eben so ausgeschlossen wie jene nach §. 1042, also z. B. auch durch den Umstand, wenn der Geber der Schuldner des Empfängers ist, daher bei dem Verpfleger die Vermuthung nicht ein­ tritt, wenn der Verpflegte eine Forderung an ihn hat, zumal der Verpflegte, so lange die Forderung nicht konsumirt ist, sich nicht einmal im Zustande der Armuth befindet. O.Tr. IV v. 2. Juni 1848, Rechtsf. 4 S. 121. In allen Fällen aber ist jede Vermuthung für eine Schenkung ausgeschlossen, wo der Geber rechtlich verbunden ist, das Gegebene zu geben. Was also z. B. öffentliche, zur Unterstützung Hülfsbedürftiger verpflichtete Anstalten denselben gewähren, ist nicht als geschenkt anzusehen. O.Tr. v. 5. Sept. 1845, Entsch. 11 S. 410. H. Dasselbe gilt auch dann, wenn die Anstalt, z. B. ein Hospital, welches einer Kirche gehört, zwar nicht gesetzlich, wohl aber statutenmäßig zur Aufnahme und Verpflegung Hülfsbedürftiger be­ stimmt ist. O.Tr. I v. 29. Jan. 1872, Str. Arch. 86 S. 44. Ein Armenverband, der einer Person, welche zum Unterhalt ihrer Kinder verpflichtet aber unvermögend ist, Unterstützung ge­ währt, kann das Gezahlte nach den Grundsätzen der nützlichen Verwendung zurückfordern, sobald die Vermögenslage des Empfängers sich so weit gebessert hat, daß derselbe bei Rückzahlung des Empfangenen nicht sofort wieder hülfsbedürftig werden würde. R.G. IV v. 27. Nov. 1879, Gruchot 24 S. 514. 14) Z. B. wenn unter aufgenöthigten Höflichkeitsbezeigungen, auS Gastfreundschaft und auf Einladung zu Besuchen oder Genüssen, gegeben wird. O.Tr. v. 13. Jan. 1838, Jur. Wochenschr. 1838 S. 729. (H. Wenn zwei Personen verschiedenen Geschlechts, ohne mit einander verheirathet zu sein, wie Eheleute zusammen leben, so muß das, was Einer dem Anderen ohne Vorbehalt giebt oder zu den Kosten des gemeinschaftlichen Unterhalts verwendet, als geschenkt angesehen werden. Kammerger. v. 4. März 1853, v. Rönne. Ergänz. 6. Ausg. 1 S. 703.) Daß die Absicht, zu schenken, nicht ausdrücklich erklärt zu sein braucht, sondern auch aus den Umständen gefolgert werden kann, ist nach 8- 1045 selbstverständlich. Das Obertribunal hat angenommen, daß der Beweis der thatsächlich vorhanden gewesenen, wenngleich nicht er­ klärten Absicht des Gebers, zu schenken, unmittelbar durch Eideszuschiebung geführt werden könne. O.Tr. IV v. 2. Okt. 1855, Str. Arch. 18 S. 171. H. Jetzt enscheidet darüber, ob dies zulässig ist, die C.P.O. §. 410. 15) Was Jemand zu geben verpflichtet ist, das schenkt er nicht, wenn er es giebt. (Anm. 13.) Die Widerruflichkeit ist folglich ausgeschlossen. 16) Diese ist die allgemeine Vertragsform. Daher kann auch derjenige, der dem anderen Theile eine unbewegliche Sache unter der Vereinbarung, daß derselbe eine bestimmte Person heirathe, abgetreten hat, diesen Vertrag wegen Mangels der schriftlichen Form nicht anfechten, wenn der Andere die bezeichnete Person wirklich geheirathet hat. O.Tr. (Pr. 1611) v. 7. Nov. 1845, Entsch. 12 S. 31. Vergl. Anm. 18. Aber ein wesentliches Erforderniß bleibt unter allen

Von Schenkungen.

1057

§. 1048. Auch wenn ein Fremder unter der Bedingung, oder zum Zweck einer zu schließenden Ehe18), einem oder dem anderen der künftigen Eheleute etwas in rechtsgültiger Form lö) versprochen hat, ist ein solcher Vertrag einem lästigen gleich zu achten^). Umständen, daß „eine gewisse Summe oder Sache" versprochen worden. Deshalb kann der­ jenige, der mit einem Anderen die Vereinbarung getroffen, dessen Pflegetochter gegen Zuwendung der Hälfte seines Nachlasses zu heirathen, nachdem er die bezeichnete Person wirklich geheirathet hat, nicht auf Erfüllung klagen, weil die versprochene Gegenleistung eine unbestimmte, selbst eine ungewisse ist, die sogar der Willkür des Verpflichteten anheim gegeben ist, indem dieser es so einrichten kann, daß er gar nichts hinterläßt, abgesehen davon, daß selbst die „Zuwendung" auf den Todesfall ein Akt der freien Willkür ist. I. 5 §. 71; O.Tr. 1 v. 5. Okt. 1855, Entsch. 31 S. 398. Gleiche Unklagbarkeit ist vorhanden, wenn eine Parzelle von einem Grundstücke als Mitgift formlos versprochen worden: dies ist nichtig, wenn auch darauf die Heirath vollzogen worden ist. 17) S. die vor. Anm. Die Bestimmung dieses §. ist rein positiv; sie steht nicht im orga­ nischen Zusammenhänge mit anderen Instituten oder Rechtsgrundsätzen. Etwas Aehnliches kennt das R. R. in der Dos, welche ein Fremder dem Ehemann giebt oder verspricht. Darin liegt durchaus keine Schenkung des Gebers an den Mann, aber es ist eine Schenkung an die Frau, denn diese erwirbt dadurch die dotis actio gegen den Mann, ohne ihre Theilnahme, selbst ohne ihr Wissen. L. 9 §. 1, 1. 33 i. f., 1. 43 §. 1 I). de jure dot. 23, 3; 1. 5 §. 5 D. de doli exc. 44, 4; 1. un. 8- 13 C. de rei uxor. act. 5, 13. In dieser Weise kann das Geschäft nach den Grundsätzen des L.R. nicht vollzogen werden. Einestheils giebt es keine Dos im Sinne des R. R., welche die Frau dem Manne zu bestellen verpflichtet wäre, so daß der Mann für seinen Theil von dem Fremden nur das erhielte, was ihm zukäme, während die Freigebigkeit des Fremden lediglich die Frau anginge. Anderentheils kann die Frau nicht ohne Acceptation an dem Gegebenen oder Versprochenen Theil nehmen. Was mithin ein Fremder dem Ehemanne aus bloßer Freigebigkeit giebt oder verspricht, das kommt ihm allein zu gut und ist in Wahr­ heit ein Geschenk, es soll aber, nach der positiven Bestinunung unseres §. 1048 dafür nicht an­ gesehen werden, d. h. eine solche Freigebigkeit ist der für Schenkungen vorgeschriebenen Form nicht unterworfen und kann auch nicht wie eine Schenkung widerrufen werden. Soll das Ge­ gebene oder Versprochene im Falle der Auflösung der Ehe der Frau zufallen, so muß diese zugezogen werden; die einseitige Bestinunung des Gebers würde der Frau keinen Anspruch gegen den gewesenen Ehemann geben. 18) Diese Vorschrift erfordert nicht, daß der, welchem zum Zwecke oder unter der Be­ dingung einer zu schließenden Ehe etwas versprochen wird, bereits verlobt sei, oder eine bestimmte Wahl getroffen habe. O.Tr. II (Pr. 765) v. 29. Nov. 1839. Vergl. Anm. 16. Es liegt im Begriffe des im §. 1048 vorausgesetzten lästigen Vertrages, sagt das O.Tr., daß das unter der Bedingung oder zum Zwecke einer zu schließenden Ehe Versprochene und die Schließung der Ehe sich als Leistung und Gegenleistung darstellen müssen, sowie im Begriffe des im I. 5 §. 165 vorausgesetzten mündlichen Vertrages, daß das Versprechen der Eingehung der Ehe als Hauptgegenstand des Vertrages von der einen Seite und das Versprechen von der anderen Seite als die Vergütung für die Erfüllung dieses Versprechens erscheint. Diese Auffassung liegt auch dein Pl.Beschl. v. 7. Nov. 1845 (Anm. 16) nach seinen Motiven zum Grunde. Nun ist aber allerdings in jedem einzelnen Falle nach den vorwaltenden Umständen zu ermessen, in wie fern das Versprechen zu dem Zwecke der zu schließenden Ehe erfolgt und in dieser Richtung der diesfüllige Vertrag geschlossen war. O.Tr. I v. 16. Nov. 1866, Str. Arch. 66 S. 161. D. h. kurz: es ist eine Frage thatsächlicher Natur: ob das vorliegende Versprechen ein Versprechen der Ehelichung einer bestimmten dritten Person als Leistung von einer Seite und eine promissio dotis als Gegenleistung von der anderen Seite im Sinne des §. 1048 sei. H. So auch O.Tr. I v. 28. Okt. 1878, Entsch. 82 S. 191; Str. Arch. 99 S. 170. In einem anderen Falle, der zur Entscheidung desselben gelangt ist, stützte der Kläger seinen Anspruch auf einen Revers des Be­ klagten folgenden Inhalts: „Wenn mein Bruder" (der Kläger) „in die Wirthschaft der Wittwe W. geb. A. zu G. hineinheirathet, so zahle ich ihm am Tage seiner Verheirathung mit der ge­ nannten Wittwe eine Ausstattung von 2000 Rthl." Der Appellationsrichter hatte hierin eine (wegen Formmangels ungültige) Schenkung im Sinne des §. 1049 gesehen, da dem Verklagten eine gesetzliche Verpflichtung zur Ausstattung seines Bruders nicht obläge. Das Obertribunal hob jedoch das angegriffene Urtheil auf, indem es annahm, daß der Revers den Abschluß eines nach 8- 1048 klagbaren Vertrages beurkunde. O.Tr. I v. 24. März 1873, Str. Arch. 88 S. 332. Mit dem O.Tr. einverstanden R G. 1 H. v. 25. März 1881, Gruchot 25 S. 936. 19) Der 8- 1048 hat nur den Zweck, auszudrücken, daß auch aus einem bloß schrift­ lichen Versprechen die Klage auf Erfüllung wie aus einem lästigen Vertrage stattsinde und Koch, Allgemeines Landrecht. I.

8. Aufl.

67

1058

Erster Theil.

Eilfter Titel.

1049—1053.

§. 1049. Was aber nur bei Gelegenheit einer Eheverbindung versprochen worden24), hat, wenn dabei eine bloße Freigebigkeit zum Grunde liegt, die Natur einer Schenkung22). §. 1050. Verträge zwischen Eheleuten, wodurch einer dem anderen gewisse Vortheile auf den Todesfall bestimmt, sind nicht als Schenkungen, sondern als lästige Verträge zu betrachten 23). §. 1051. Wenn wechselseitige Schenkungen unter Lebendigen geschehen sind, so muß jede Schenkung für sich, nach den von Schenkungen überhaupt vorgeschriebenen Regeln, beurtheilt werden. §. 1052. Wenn jedoch ein Theil das dem anderen versprochene oder gegebene Geschenk auch aus einem an sich gesetzmäßigen Grunde widerruft, so muß der andere wegen desjenigen, was er von seiner Seite, in Ansehung des von ihm ver­ sprochenen Geschenks, wirklich gegeben, oder geleistet hat, vollständig entschädigt werden24). nicht der Einwand gemacht werden dürfe, daß das eine bloße Freigebigkeit in sich schließende Versprechen zu seiner Gültigkeit die gerichtliche Abfassung erfordere, wie der §. 1063 bezüglich der reinen Schenkungsverträge vorschreibt. Setzt somit der §. 1048 ein Versprechen in rechtsgültiger Fom voraus, so ist auch, wenn es sich um eine Summe von mehr als 50 Thlr. handelt, nach der als Regel geltenden Vorschrift 1. 5 §§. 133 ff. die schriftliche Ab­ fassung nöthig. H. Dabei ist indessen nicht zu übersehen, daß die Eingehung der Ehe eine Handlung ist, deren Leistung den anderen Kontrahenten zur Erfüllung auch des nur münd­ lich gegebenen Versprechens nach §. 165 a. a. O. verpflichtet. O.Tr. I v. 28. Jan. 1867, Str. Arch. 67 S. 71, u. N.G. I H. v. 25. März 1881, Gruchot 25 S. 938. 20) H. Derjenige, welchem das Versprechen gemacht ist, erfüllt den Vertrag durch seine Verheirathung mit der bezeichneten Person. Aus der Natur des Abkommens folgt eine weitere Verbindlichkeit seinerseits nicht. Der andere Kontrahent kann daher, wenn später die Ehe ge­ schieden wird, das Gegebene oder Geleistete nicht zurückfordern. Wind scheid, die Lehre des röm. Rechts von der Voraussetzung (1850) S. 27 u. 28; Gruchot 13 S. 807. 21) Gleichviel, ob von dem anderen Ehegatten oder einem Dritten. 22) H. Der §. 1049 hat nicht bloß ein am Tage der Eheschließung abgegebenes Versprechen im Sinne. Seine Voraussetzung ist vielmehr nur die, daß die in Rede stehende Ehe zwar noch nicht vollzogen, aber deren Eingehung bereits gewiß und in der Vorbereitung begriffen sei. O.Tr. I v. 24. März 1873, Str. Arch. 88 S. 335. 23) Diese Verträge gehören überhaupt nicht zu den Rechtsgeschäften unter Lebenden. Die Bestimmung hat nur die Bedeutung, daß der Widerruf ausgeschlossen sein soll. 24) Was man sich bei dieser Bestimmung, die eigentlich mit dem vorhergehenden §. 1051 nicht harmonirt, juristisch gedacht hat, ist nicht bekannt. Eine wahre wechselseitige Schenkung giebt es nicht. Macht Einer dem Anderen ein Geschenk, so kann er dazu wohl durch die Hoff­ nung bewogen werden, daß der Andere sich dadurch veranlaßt finden werde, ihm wieder ein Geschenk zu machen; nichts desto weniger aber ist die erste Handlung eine wahre Schenkung. Wird der Andere wirklich dadurch bestimmt. Jenem wieder etwas zu schenken, so ist dies eine remune­ ratorische Schenkung, die das R. N. gleichwohl als wahre Schenkung behandelt. Die scheinbarwidersprechende 1. 25 §. 11 D. de bered, pet. 5. 3 bezieht sich nicht darauf, sondern auf den Um­ fang der Leistungen des Erbschaftsbesitzers, v. Savigny 4 S. 92 ff.; v. Meyerfeld 1 S. 369 ff. Die Neueren haben aber daraus den Begriff einer wechselseitigen Schenkung, welche zu den lästigen Verträgen gehören soll, entnomnren. Darauf beziehen sich einige Monita gegen den Entwurf, in welchem die wechselseitige Schenkung ganz übergangen war. Hierüber äußert Suarez in der revis. monit.: „Es wollen einige Monenten, daß alle donationes reciprocae als lästige Verträge betrachtet werden sollen. Dies kann man aber unmöglich annehmen, wenn man nicht zugeben will, daß die ganze Legislation über die Schenkungen vereitelt werde. Ich glaube, daß solche Schenkungen allen anderen gleich behandelt zu achten sind, und das einzige Singuläre dabei stattfindet, daß, wenn der Eine revozirt, der Andere wegen dessen, was er auf seine Schenkung schon gegeben oder, geleistet hat, vollständig entschädigt werden müsse." In Folge dessen wurden die §§. 1051 u. 1052 eingeschaltet. Ges.Rev. Pens. 14 S. 186. Die erste Stelle entspricht völlig den Grundsätzen des R. R.; die zweite Stelle hingegen bringt die wechsel­ seitigen Schenkungen gewissermaßen auf den Stand, welchen die Monenten wollten; aber es ist unklar, wie das gemeint ist. Man kann es zunächst zweifelhaft finden: ob jedem der beiden Schenker zugestanden sein soll, wegen des Gegebenen oder Geleisteten Entschädigung zu fordern.

Von Schenkungen.

1059

§. 1053. Schenkungen, welche unter einer von dem Geschenknehmer zu leisten­ den Bedingung, oder zu einem gewissen von ihm zu erfüllenden Endzweck 25) ver­ sprochen oder gegeben worden, sind, im zweifelhaften Falle, den lästigen Verträgen gleich zu achten. wenn der Andere mit Erfolg widerruft. Denn auf den Vorschenker paßt der Grund des Gesetzes nicht; es war, als er durch sein Geschenk die Dankbarkeit des Anderen zu gewinnen versuchte, völlig ungewiß, ob der Andere durch ein Gegengeschenk sich dankbar erweisen würde; der Vor­ schenker konnte nichts fordern, und es wird wohl als völlig zweifellos angesehen werden, daß er seine Schenkung aus dem Grunde allein, weil kein Gegengeschenk erfolgte, niemals hätte wider­ rufen können, wenn es auch ganz gewiß geworden, daß er ein solches nicht zu erwarten habe. Diese insofern von Anfang unwiderrufliche Schenkung soll hinterdrein den Charakter einer zu ver­ geltenden Leistung annehmen, wenn zufällig ein Gegengeschenk folgt. Das liegt außer dem Bereiche der Jurisprudenz. Dennoch ist dies, nach dem Wortlaute, der Inhalt des Gesetzes. Hiernächst ist zu fragen: ob, nachdem der Eine seine Schenkung widerrufen, die Schenkung des Anderen, lediglich wegen jenes Widerrufs, auch soll ganz widerrufen (aufgehoben) werden können, oder ob sie fortbestehen soll, nämlich als Innominatkontrakt (ein juristischer Widerspruch), und Entschädigung für das Geleistete soll gefordert werden dürfen. Die zweite Eventualität führt zur offenbaren Rechtsverletzung, indem der Beschenkte gezwungen wird, die geschenkt erhaltene, noch im unveränderten Zustande vorhandene Sache, die ihm vielleicht zu gar nichts nütze ist, zu behalten und mit einer schweren Summe Geldes zu bezahlen, für die er freiwillig niemals nur einen Groschen ausgegeben haben würde. Dieser Grund nöthigt, sich für die erste Even­ tualität zu entscheiden. Dann aber, fragt sich weiter, warum diesem Gegenschenker nicht eben so nur obliegen soll, die noch vorhandene Sache in ihrem dermaligen Zustande zurückzugeben, gleichwie er selbst gehalten ist, die von ihm gegebene Sache, so wie sie ist, zurückzunehmen. Nach der Fassung des Gesetzes ist er berechtigt wie verpflichtet, die noch vorhandene Sache zurückzugeben, aber doch verpflichtet, die Verschlechterungen zu vergüten, weil er die Wieder­ aufhebung der beiderseitigen Schenkungen veranlaßt hat und der Andere darunter nichts verlieren soll. Man hat sich diese Verhältnisse nicht in ihrem wahren Zusanunenhange klar gedacht. H. Förster-Eccius findet in dem §. 1052 nur den Rechtssatz ausgedrückt, daß der Widerruf des einen Theils, der ihm nur aus den gesetzlichen Gründen zusteht, auch den anderen Theil zum Widerruf berechtigt, wenn derselbe sich nicht selbst auf solchen Grund stützen kann. Förster-Eccius 2 §. 122 S. 41. 25) Donatio sub modo. Dieses Rechtsgeschäft ist aus Schenkung und Verpflichtung ver­ mischt (negotium mixtum); die Bereicherung wird durch die auferlegte Verpflichtung zum Theil wieder aufgehoben. Die Verpflichtung kann bestehen in einer Leistung an den Schenker, oder an einen Dritten, oder in einer Leistung in: öffentlichen oder kirchlichen Interesse. Betrifft der Modus nur die Verwerthung des Geschenks zum Besten des Beschenkten, so ist das Rechtsgeschäft eine reine und wahre Schenkung. §. 1056. Deshalb ist „das aus reiner Freigebigkeit ertheilte Versprechen, Jemanden während seines Ausbildungsstadiums bei einer öffentlichen Behörde zu unterhalten oder zu unterstützen, von Seiten solcher Personen, die überhaupt keine gesetzliche Verpflichtung zur Erziehung resp. Alimentation haben, nach den Regeln von Schenkungen zu beurtheilen, und bedarf daher zur Klagbarkeit der gerichtlichen Form." O.Tr. III (Pr. 1715) v. 27. Febr. 1846, Entsch. 13 S. 182. Das R. R. behandelte die donatio sub modo als Schenkung, d. h. sie war den Formen und den positiven Einschränkungen der Schenkung unterworfen, doch so, daß, wenn deswegen eine Ungültigkeit oder ein Widerruf zur Durchführung kam, das auf die Schenkung Geleistete abgezogen werden durfte. L. 49 D. de don. inter vir. 24, 1; 1.5 §. 9 I). de jure dot. 23, 3. Wegen Erfüllung der Auflage hatte der Schenker, wenn er ein eigenes Vermögensinteresse dabei hatte, außer dem Falle der Stipulation, stets die actio praescriptis verbis, wie aus einem Inno­ minatkontrakte. Wenn aber eine Leistung an einen Dritten oder eine Handlung, bei der kein Einzelner ein Geldinteresse hat, auferlegt war, so konnte er im Falle der willkürlichen (unver­ schuldete Unmöglichkeit befreite) Nichtleistung nur das Geschenk, condictione causa data, zurück­ fordern. L. 3 §. 8 C. de cond. ob causam 4, 6. Der Dritte hatte, wenn er dem Vertrage nicht beigetreten war, nach älterem Recht keine Klage, nach neuerem Recht hatte er eine actio utilis. L. 3 0. de don. quae sub modo 8, 55. (H. Vgl. hierzu Windscheid §. 368 a. E.) Diese praktische Seite der donatio sub modo behandelt das L.R. anders: eine solche Schenkung soll nach unseren: §. 1053 schlechtweg wie ein lästiger Vertrag angesehen werden. Daraus folgt: 1. Sie ist weder der Form, noch dem Widerrufe einer Schenkung unterworfen; 2. der Geber kann schlechthin auf Gegenleistung (Erfüllung des Modus) klagen, im Falle derselbe nicht in einer Leistung an ihn selbst besteht, auch dann, wenn er kein besonderes Geldinteresse dabei hat, 67*

1060

Erster Theil.

Eilfter Titel.

§§. 1054-1063.

§. 1054. Wenn jedoch aus den Umständen klar erhellet2"), daß die Bedingung oder der Endzweck nur zum Schein beigefügt worden, so ist dergleichen Schenkung, auch in Ansehung der Befugniß zum Widerrufe, nach den allgemeinen Grundsätzen von Schenkungen überhaupt zu beurtheilen. §. 1055. Doch muß, wenn ein Widerruf aus gesetzlichen Gründen erfolgt, und die Bedingung oder der Zweck nicht zum eigenen Vortheil des Beschenkten bei­ gefügt waren, Alles, was Letzterer zu deren Erfüllung gethan oder geleistet hat, demselben nach dem höchsten Werthe vergütet werden. §. 1056. Zielt die beigefügte Bedingung, oder der bestimmte Zweck, lediglich zum Besten des Beschenkten27) ab, so kann eine solche Schenkung gleich jeder anderen widerrufen werden. §. 1057. Liegt jedoch der Grund des Widerrufs nicht in dem eigenen Ver­ schulden des Beschenkten; und hat dieser, in Rücksicht auf die Schenkung, Hand­ lungen vorgenommen oder Einrichtungen getroffen, die ihm jetzt, bei erfolgendem Widerrufe, schädlich werden: so kann er deshalb von dem Geschenkgeber Ent­ schädigung2^) fordern., Wie Schcn§. 1058. Bei allen20) Schenkungen ist, wie bei anderen ’50) Verträgen, eine trüge qe- ausdrücklich oder durch Handlungen erklärte Annahme nothwendig. (Tit. 5. §. 78. sqq.) schlossen wer­ den. ebenso wie nach N. N. O.Tr. 111 (Pr. 1571) v. 10. Mai 1845, Entsch. 12 S. 150; 3. der Dritte hat, wenn er bei dem Vertrage nicht zugezogen worden ist, kein Klagerecht. H. Hierbei ist übersehen, das; der §. 1053 die donatio sub modo nicht schlechtweg, sondern nur im zweifelhaften Falle den lästigen Verträgen, gleichstellt. Die unter Nr. 1 und 2 gezogenen Folgerungen treffen daher dann nicht zu, wenn die Schenkung trotz des modus ihren Charakter als solche behält. In diesen: Falle ist a) die Gültigkeit des Geschäfts durch die Beobachtung der für Schenkungen vorgeschriebenen Fornr bedingt und der Widerruf gestattet, dagegen b) die Klage auf Erfüllung des Endzwecks ausgeschlossen und nur die Rückforderung des Geschenkes zulässig. (I. 4 §§. 74, 154, 157, 158 und die Anm. dazu.) Vergl. FörsterEccius §. 122, 2 S. 40 u. 41, und R.G. I H. v. 8. Juni 1880, Gruchot 25 S. 435. 26) Es soll also dem Richter aus den Umständen wahrnehmbar sein. Direkter Beweis durch Eidesdelation ist damit ausgeschlossen. 27) Siehe die Anm. 25 zu §. 1053. 28) Die Entschädigung muß so weit reichen, daß der Beschenkte in die Lage kommt, in welcher er sich befunden haben würde, wenn er nicht beschenkt worden wäre. Eine solche Ent­ schädigung wird jedoch in manchen Fällen gar nicht zu ermessen sein. Gesetzt, ein junger Mensch hätte eine donatio alimentorum auf gewisse Jahre erhalten, um zu studiren. Ohne dieselbe wäre er Professionist geworden, als welcher er sich schon im zwanzigsten Jahre hätte ernähren können. Er hat es in diesem Alter aber erst bis zum Abgänge zur Universität gebracht, nun ihm die Schenkung entzogen wird. Er hat jetzt keine Mittel zum Unterhalte und ist auch nicht im Stande, sich den Unterhalt durch Arbeit zu verdienen; der Verlust der Schulzeit seit dem 14. Jahre wird ihm nun schädlich. Wie soll dieser entschädigt werden? Ich meine: auf diesen Fall findet der, freilich sehr unbestimmte, Satz gar keine Einwendung. Der Beschenkte ist jetzt, hinsichtlich seines Unterhalts, nicht schlimmer gestellt, als er es vor der Schenkung war; und die Schulwissenschaften, welche er in Folge des bisherigen Genusses der Schenkung erlernt hat, werden ihm nicht schädlich, sie können ihm nur Vortheil bringen. 29) Bei allen, ohne Ausnahme. Dadurch entsteht eine erhebliche Abweichung von dem R. R. Nach dessen Grundsätzen ist d.ie Einwilligung des Beschenkten zwar auch in solchen Fällen nothwendig, wo die Schenkung durch ein Rechtsgeschäft vermittelt wird, welches die Natur eines Vertrages mit dem Beschenkten hat, wie namentlich Tradition (L. 55 D. de obl. et act. 44, 7), Schenkungsversprechen, Erlaßvertrag, aber nicht, weil die Schenkung als solche zu ihrer Voll­ endung der Acceptation bedürfte, sondern weil das Rechtsgeschäft, worin die Schenkung beruht, nicht ohne die Einwilligung des dadurch Beschenkten vollzogen werden kann. In Fällen aber, wo eine Rechtshandlung zur Schenkung angewendet wird, zu deren Vollziehung die Mitwirkung des Beschenkten nicht erforderlich ist, wie bei der Bezahlung einer Schuld, bei der Expromission, da bedarf es zur Perfektion der Schenkung der Annahme des Beschenkten nicht, v. Savigny4 S. 146, wo die Beweise gegeben sind. Nach den Grundsätzen des L.R. verhält es sich damit anders. (Anm. 1 zu §. 1037.) H. Die Frage ist übrigens auch nach R. R. nicht unstreitig. Puchta z. B. hält an der Bertragsnatur der Schenkung fest und fordert deshalb zur Voll-

Von Schenkungen.

1061

§. 1059. Doch sind die Worte31 * *) * und * * * 30 Handlungen des Anderen, im zweifel­ haften Falle, fo zu deuten, daß er das Geschenk dadurch habe annehmen wollen. §. 1060. Wenn der Beschenkte wegen Kindheit, Krankheit, oder sonst wegen Mangels am Verstände32), die Absicht, das Geschenk anzunehmen, nicht äußern kann, so kann ein jeder Dritter dasselbe zu seinem Besten aceeptiren33). §. 1061. Ein noch nicht angenommenes Geschenk kann von den Erben dessen, für den es bestimmt war, wider den Willen des Schenkenden nicht mehr rechts­ gültig acceptirt werden. §. 1062. Wie weit der Beschenkte nach dem Tode des Schenkenden noch an­ nehmen könne, oder die Erben des Letzteren diesen Antrag zurückzunehmen34) befugt sind, ist nach den allgemeinen Grundsätzen von der Acceptation überhaupt zu beurtheileu. (Tit. 5. §. 90—108.) §. 1063. Schenkungsverträge sollen gerichtlich abgeschlossen3^) werden.

endung der letzteren die Annahme des Beschenkten; er bescheidet sich zwar, daß der Schuldner liberirt wird, wenn ein Dritter animo donandi den Gläubiger befriedigt; aber er sieht hierin nur dann eine Schenkung, wenn der gewesene Schuldner von der Tilgung der Schuld Kenntniß erlangt und der Absicht des Dritten, ihm damit ein Geschenk zu machen, zustimmt. Puchta, Institu­ tionen 8- 205 Note p. Gleicher Ansicht sind u. a. Wind scheid §. 365 Note 5 und Förster Eccius a. a. O. S. 14. 30) Die Vers, des L.R. sind davon ausgegangen, daß die Schenkung ein einseitiges Rechts­ geschäft sei, welches die Natur eines Vertrages zwischen dem Schenker und dem Beschenkten habe. Daher halten sie die Acception bei diesem Vertrage, wie bei anderen Verträgen, für noth­ wendig. Vergl. die vor. Anm. Die Form der Annahme ist die allgemeine. I. 4 §. 94 und I. 5 §. 81, verb. mit §. 1059 d. T. 31) In der authentischen Ausgabe von 1817 steht hier, in Folge eines Druckfehlers, „Werke" statt Worte. 32) Außer dem Falle eines solchen in mangelhaften Geisteskräften liegenden Hindernisses kann kein Dritter den Willen des Beschenkten ersetzen: geschieht es doch, so ist das Geschäft nichtig. Vergl. I. 5 §. 88. Die vom Vater seinem minderjährigen Kinde zwar nach der Thei­ lung des Nachlasses seiner verstorbenen Ehefrau, jedoch mit Rücksicht auf diese Theilung gemachte Schenkung kann auch von dem bestellt gewesenen Theilungskurator angenommen werden, sagt das O.Tr. IV v. 10. Mai 1855, Str. Ärch. 17 S. 184. Was dabei Bedenkliches oder Be­ dingtes wäre, ist nicht findbar. Mit oder ohne Rücksicht auf die Theilung, Theilungskurator oder nicht; jeder Dritte hätte mit Erfolg aceeptiren können, wenn der Beschenkte ein Kind war, wie der §. 1060 verordnet. War er aber nicht mehr in den Kinderjahren und demnach fähig, sich selbst zu erklären I. 4 §. 21), so war der vormalige Theilungskurator zu dessen Vertretung schwerlich legitimirt. 33) Aus einem Vertrage, wodurch ein Großvater einem bereits geborenen Enkel und denen, welche etwa noch später geboren würden, ein Grundstück schenkt, können, wenn ihn die Eltern der Beschenkten genehmigt haben, die nachgeborenen Enkel und deren Rechtsnachfolger Rechte gegen den erstgeborenen Enkel unmittelbar geltend machen. O.Tr. III v. 26. Mai 1862, Entsch. 47 S. 114. H. Vgl. gegen dieses Erkenntniß P. Hinschius in der Preuß. Anw.Zeitung 1863 S. 172 ff. und Grüchot 13 S. 817 Note 4.

34) Muß heißen: „zurückzunehmen". N. v. 29. Dez. 1837, Jahrb. 50 S. 469. *) Bei der Schenkung hat man von Alters her und fast bei allen civilisirten Völkern eine besondere Gefahr des Mißbrauchs einer vollkommenen Willensfreiheit gefunden, und daraus Anlaß genommen, die Freiheit des individuellen Willens bei dieser Handlung zu beschränken. Das R. R. hat zu diesem Zwecke drei ganz positive Regeln: Erschwerung der Willenserklärung durch positive Formen; Verbot der Schenkung unter Eheleuten; Gestattung des Widerrufs einer selbst vorschriftsmäßig, also gültig vollzogenen Schenkung in gewissen Fällen aus besonderen Gründen. Auch die Verfasser des L.R. haben die vollkommene Willensfreiheit des Individuums bei Schenkungen für gefährlich und Einschränkungen für zuträglich, von den vorgefundenen Mitteln aber zwei für ausreichend gehalten: die besondere Form und den Widerruf, wogegen das dritte Mittel, das Verbot der Schenkungen unter Ehegatten, ganz aufgehoben worden ist. (§. 1072.) Von der Form wird hier in den §§. 1063—1069 gehandelt. Dieses Erschwerungsmittel ist bei weitem nicht so durchgreifend angewendet wie im R. R. Dieses fordert die Anwendung der Form, bei Strafe der Nichtigkeit, bei der Schenkung in allen Gestalten, welche sie anzunehmen

1062

Erster Theil.

Eilfter Titel.

§§. 1664, 1065.

§. 1064. Aus einem außergerichtlichen, wenn auch schriftlichen Schenkungs­ verträge kann daher in der Regel auf Erfüllung nicht geklagt werben36). fähig ist. Nicht so das L.R.: nur die Schenkung in der Gestalt des Schenkungsversprechens ist als solche einer positiven Form unterworfen. Bei der Schenkung durch Tradition und Quasi­ tradition (Session) schien den Vers, die Gefahr des Mißbrauchs der Willensfreiheit nicht so groß, um auch hier die besondere Form vorzuschreiben. Suarez sagt darüber in seinen Vorträgen über die Schlußrevision des Gesetzbuchs: „Da in der ganzen Lehre von Schenkungen hauptsächlich darauf gearbeitet worden, dem Leichtsinne, den Uebereilungen und den Unbesonnenheiten, die bei solchen Geschäften hauptsächlich vorfallen, möglichst vorzubeugen, so ist als ein solches Vorbeugungsmittel angenommen: daß aus pactis de donando, wenn sie außergerichtlich geschlossen werden, auf Erfüllung nicht soll geklagt werden können. Es giebt Leute, die sich sehr bedenken, wenn sie nur etliche Louisd'or baar aus ihrem Beutel weggeben sollen, die es aber gar nichts kostet, ein Versprechen, das erst in der Zukunft erfüllt werden soll, auszustellen und zu unter­ schreiben. Niemand verliert etwas durch obige Feststellung. Ist das Geschenk nicht übertrieben, sondern den Vermögensumständen des Donantis angemessen, so kann er es ja gleich geben. Kann er aber dies nicht, so ist solches ein Zeichen, daß das Geschenk ihn wirklich inkommodire und seinen Umständen nicht angemessen sei. Auf allen Fall bleibt ja noch der Weg der gericht­ lichen Ausstellung übrig, wobei von Uebereilungen und ungestümen Zudringlichkeiten weit weniger zu besorgen ist." Jahrb. 41 S. 23. H. Ist die Schenkung ein Handelsgeschäft, so ist ihre Gültigkeit nicht bedingt durch die Beobachtung einer Form. R.O.H.G. III v. 15. März 1875, Entsch. 16 S. 184. 35) Wegen dieses Ausdrucks ist die gerichtliche Form auch für die Annahme behauptet worden. Die Vorschrift bezieht sich jedoch nur auf die Verbindlichmachung des Schenkers, auf das Schenkungsversprechen, wie aus Suarez' Erklärung (s. die vor. Anm.) erhellet und aus §. 1059 folgt, indem diese Vorschrift von allen Schenkungen gilt (§. 1058), also auch von Schenkungsversprechen, welche danach durch Handlungen acceptirt werden können. Der Ausdruck „absch ließ en" hat hier dieselbe Bedeutung wie das „errichten" im §. 172 I. 5. Die Beschränkung der Vorschrift auf das Versprechen folgt außerdem aus dem Zwecke der Form, und aus den allgemeinen Grundsätzen über die Anfechtung formwidriger Verträge. Der Zweck ist, Leichtsinn und unbesonnene Uebereilungen zu verhüten, nicht etwa in der Person des Beschenkten bei der Annahme; dieser wird gar nicht verpflichtet, den versprochenen Gegenstand künftig anzunehmen, er kann trotz der Acceptation des Versprechens die Annahme der Erfüllung ab­ lehnen. Und einen Vertrag wegen Mangels der Form kann nur die Partei, hinsichtlich welcher die Form nicht beobachtet worden ist, anfechten, weil nur diese nicht verbindlich gemacht worden ist. Ein vor einem Gerichtsdeputirten ohne Zuziehung eines Protokollführers oder eines Unter­ schriftszeugen von einem schreibkundigen Schenker und einem schreibunfähigen Beschenkten abge­ schlossener Schenkungsvertrag kann danach von dem Schenker nicht angegriffen werden, weil der acceptirende Beschenkte nur mit Kreuzen unterzeichnet hat, und seine Annahme nur als eine mündlich erklärte gilt. Wer aus diesem Grunde die Unverbindlichkeit des gerichtlichen Ver­ sprechens behaupten will, der muß entweder die absolute Nichtigkeit des Vertrages von An­ fang an behaupten, was ganz gewiß grundlos sein würde, da außergerichtliche Schenkungsverträge mit nicht klagbar sind (§. 1064), oder er müßte den Grund der Unverbindlichkeit des Versprechens darin finden, daß der Beschenkte auch seinerseits nicht an die Annahme gebunden wäre. Damit würde aber, konsequent, die Möglichkeit bestritten werden, ein Schenkungsversprechen überhaupt zum rechtsgültigen Dasein zu bringen, denn der Beschenkte kann niemals gezwungen werden, den ihm versprochenen Gegenstand anzunehmen, er ist auch an die in gerichtlicher Form erklärte Annahme nicht gebunden. 36) (H. Eine Schenkungsurkunde unterliegt aber dem Schenkungsstempel, auch wenn wegen Mangels der gerichtlichen Form eine Klage auf Erfüllung nicht stattfindet. O.Tr. I v. 28. Okt. 1878, Entsch. 82 S. 189.) Die schriftliche Erklärung des Vaters, Einem seiner Kinder eine bestimmte Summe zahlen zu wollen, welche dasselbe auf seinen väterlichen Erbtheil anzurechnen verpflichtet sein solle (II. 2 §§. 303 u. 327), stellt ein reines Schenkungsversprechen dar und ist mithin wegen mangelnder gerichtlicher Form unklagbar. O.Tr. IV v. 9. Juni 1863, Str. Arch. 49 S. 245. H. Eine Schenkung kann auch nicht in der Weise rechtsgültig konstituirt werden, daß der Schenker in notarieller Form sich zum Darlehnsschuldner auf Höhe einer nach seinem Tode zahlbaren Summe bekennt und die fingirte Forderung durch die als Gläubiger bezeichnete Person dem Beschenkten notariell cediren und hiernächst auf sein Grundstück in das Grundbuch eintragen läßt. Eine Darlehnsforderung ist hier selbstredend nicht entstanden, weil sie nicht gewollt, auch ein Darlehn nicht gegeben ist. Eine Schenkung ist zwar beabsichtigt gewesen, aber wegen Mangels der gerichtlichen Form nicht zur rechtlichen Existenz gelangt. O.Tr. III v. 24. Jan. 1873, Entsch. 69 S. 25; Str. Arch. 88 S. 18. Vgl. die Anm. 2 zu §. 1037.

Von Schenkungen.

1063

§. 1065. Ist hingegen eine geschenkte bewegliche Sache oder Summe37) dem Geschenknehmer bereits übergeben3S) worden, so findet deren Rückforderung aus dem Grunde der Ermangelung eines gerichtlichen Vertrages nicht statt3