Abstraktion - Kapitalismus - Subjektivität. Die Wahrheitsfunktion des Werks in der Moderne 9783770543977, 3770543971

Study of the relation of non-representational art to capitalist abstraction in the 20th century with special focus on Mi

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Abstraktion - Kapitalismus - Subjektivität. Die Wahrheitsfunktion des Werks in der Moderne
 9783770543977, 3770543971

Table of contents :
Einleitung 9
Bildkritik und Wahrheitsproduktion. Zur Topik des Werkbegriffs in der Moderne. 11

I. Zwischen Ready-made und Monochrom 33
A Untitled, 1962. Was gegeben ist. 35
Im Horizont des Archivs. 35 Einige spezifische, einige hybride Objekte. Gegenlektüren zu Donald Judd. 42
B Intensität und Indifferenz. Schematismen der Werkpräsenz. 55
Donald Judd, Art Critic. 55
Anarchismus und Hierarchie. 58
Der ontologische Komparativ. 63
Geschichte der Werkpräsenz und Teleologie der Abstraktion. 70
Konturverlust: Black, White and Gray. 79


II. Im Licht des Ready-made. Präsenz und Zeitigung des Werks 91
A Die Zeit des Bildes und die Zeit der Spur 93
Der Kanon und das Archiv. 93
Der Werkbegriff und das Objekt der Kunstgeschichte. 97
Die Geburt des specific object und die Seinsweise des Werks. 102
Zur Epistemologie des abstrakten Bildes. 104
Die Spur in der Kunstgeschichte. 110
B Die Zeit des Ready-made.
Zu einem formalisierten Begriff von Indexikalität. 117
Phänomenologie des Ready-made. 118
a. déclaration und exposition. 118
b. Das surrealistische Imaginäre und das Ready-made als erhabenes Objekt. 121
c. Das Ready-made und die Warenform. 129
d.Neugeboren oder ready-made? Anfänglichkeit und Datierung. 137
Der Körper der Braut. Die Ready-mades und die Topologie des Grossen Glases. 149
Die Zeit im Glas und das Werden des Ready-made. 171
L’Impossibilité du fer. Das Ready-made und die Malerei. Seurat. 182
C Around 1960.
Bilder und Objekte „Nach dem Abstrakten Expressionismus“. 189
„It is like an empty glass ...“. Johns, Rauschenberg, Cage. 192
Das absolute Bild und die absolute Ware. Von Reinhardt zu Warhol. 198
Die Druckkammer Stellas. 207
Das minimalistische Objekt und die kantischen Synthesen. 213

III. Abstraktion und Deterritorialisierung.
Von der Bildepistemologie zur Produktionslogik 221
Die Abstraktion und das Weltverhältnis des Werks. 223
„Der Geist ist ein Knochen“. Greenberg mit Hegel. 231
A Zwei Spezifitäten: vom Medium zum Material. Die Passage Pollocks. 241
Homogenisierung. Vom Staining zum Eloxal. 241
Fraktalisierung und Opticality. Judds und Frieds Pollock. 245
Drip Paintings, 1947–1950. 249
Die Krise des Staffeleibildes und die Immanenzebene des Werks. 254
Materialspezifische Präsenz. 262
B Three dimensions are real space... Der synchronisierte Raum. 267
Anti-Paintings. 267
Bild und Index im real space. Die Schatten Warhols. 272
C Wholeness. Das Format Diesseits des Bildes. 281
„Relics of Representational Art“. Komposition als Symptom. 284
Mondrians Bilddestruktion. 287
Amerika – Amerika! 297
Das Tor zum real space. 303
Partialobjekte. 306
Abstraktion und Deterritorialisierung. 310

Epilog 325
Kapitalistischer Konstruktivismus? 327

Anhang 347
Bibliografie 349
Siglen 349
Werkverzeichnisse 350
Literatur 350
Personenregister 379
Abbildungsverzeichnis 385
Abbildungen 401

Citation preview

Egenhofer · Abstraktion — Kapitalismus — Subjektivität.

Sebastian Egenhofer

Abstraktion — Kapitalismus — Subjektivität. Die Wahrheitsfunktion des Werks in der Moderne

Wilhelm Fink

Publiziert mit Unterstützung des Schweizerischen Nationalfonds zur Förderung der wissenschaftlichen Forschung

Umschlagabbildung: Donald Judd, Untitled, 1966, DSS 82 © Art Judd Foundation, Licensed by VAGA, NY VG Bild-Kunst, Bonn 2008

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. Alle Rechte, auch die des auszugsweisen Nachdrucks, der fotomechanischen Wiedergabe und der Übersetzung, vorbehalten. Dies betrifft auch die Vervielfältigung und Übertragung einzelner Textabschnitte, Zeichnungen oder Bilder durch alle Verfahren wie Speicherung und Übertragung auf Papier, Transparente, Filme, Bänder, Platten und andere Medien, soweit es nicht §§ 53 und 54 URG ausdrücklich gestatten. © 2008 Wilhelm Fink Verlag, München (Wilhelm Fink GmbH & Co. Verlags-KG, Jühenplatz 1, D-33098 Paderborn) Internet: www.fink.de Einbandgestaltung: Evelyn Ziegler, München Gestaltung, Satz: Mark Schönbächler, Morphose, Basel Printed in Germany Herstellung: Ferdinand Schöningh GmbH & Co KG, Paderborn ISBN 978-3-7705-4397-7

5

Inhalt

Einleitung

9

Bildkritik und Wahrheitsproduktion. Zur Topik des Werkbegriffs in der Moderne.

11

I.

Zwischen Ready-made und Monochrom

33

A

Untitled, 1962. Was gegeben ist. 35 Im Horizont des Archivs. 35 Einige spezifische, einige hybride Objekte. Gegenlektüren zu Donald Judd. 42

B

Intensität und Indifferenz. Schematismen der Werkpräsenz. Donald Judd, Art Critic. Anarchismus und Hierarchie. Der ontologische Komparativ. Geschichte der Werkpräsenz und Teleologie der Abstraktion. Konturverlust: Black, White and Gray.

55 55 58 63 70 79

6 II. Im Licht des Ready-made. Präsenz und Zeitigung des Werks A

Die Zeit des Bildes und die Zeit der Spur Der Kanon und das Archiv. Der Werkbegriff und das Objekt der Kunstgeschichte. Die Geburt des specific object und die Seinsweise des Werks. Zur Epistemologie des abstrakten Bildes. Die Spur in der Kunstgeschichte.

B

Die Zeit des Ready-made. Zu einem formalisierten Begriff von Indexikalität. Phänomenologie des Ready-made. a. déclaration und exposition. b. Das surrealistische Imaginäre und das Ready-made als erhabenes Objekt. c. Das Ready-made und die Warenform. d. Neugeboren oder ready-made? Anfänglichkeit und Datierung. Der Körper der Braut. Die Ready-mades und die Topologie des Grossen Glases. Die Zeit im Glas und das Werden des Ready-made. L’Impossibilité du fer. Das Ready-made und die Malerei. Seurat.

C

Around 1960. Bilder und Objekte „Nach dem Abstrakten Expressionismus“. „It is like an empty glass …“. Johns, Rauschenberg, Cage. Das absolute Bild und die absolute Ware. Von Reinhardt zu Warhol. Die Druckkammer Stellas. Das minimalistische Objekt und die kantischen Synthesen.

III. Abstraktion und Deterritorialisierung. Von der Bildepistemologie zur Produktionslogik

A

91 93 93 97 102 104 110 117 118 118 121 129 137 149 171 182 189 192 198 207 213

221

Die Abstraktion und das Weltverhältnis des Werks. „Der Geist ist ein Knochen“. Greenberg mit Hegel.

223 231

Zwei Spezifitäten: vom Medium zum Material. Die Passage Pollocks. Homogenisierung. Vom Staining zum Eloxal. Fraktalisierung und Opticality. Judds und Frieds Pollock. Drip Paintings, 1947–1950. Die Krise des Staffeleibildes und die Immanenzebene des Werks. Materialspezifische Präsenz.

241 241 245 249 254 262

7 B

Three dimensions are real space… Der synchronisierte Raum. Anti-Paintings. Bild und Index im real space. Die Schatten Warhols.

267 267 272

C

Wholeness. Das Format Diesseits des Bildes. „Relics of Representational Art“. Komposition als Symptom. Mondrians Bilddestruktion. Amerika – Amerika! Das Tor zum real space. Partialobjekte. Abstraktion und Deterritorialisierung.

281 284 287 297 303 306 310

Epilog

325

Kapitalistischer Konstruktivismus?

327

Anhang

347

A

Bibliografie Siglen Werkverzeichnisse Literatur

349 349 350 350

B

Personenregister

379

C

Abbildungsverzeichnis

385

Abbildungen

401

Ich danke Herrn Prof. Dr. Gottfried Boehm für das Vertrauen, mit dem er die Entstehung dieses Buchs begleitet hat, das 2005 als Dissertation an der Universität Basel vorgelegt wurde. Herr Prof. Dr. Thomas Zaunschirm war spontan zur Mühe der Lektüre bereit, wofür ich ihm danke. In einer frühen Phase wurde das Vorhaben durch die Graduiertenförderung des Landes Baden-Württemberg unterstützt, was durch Frau Prof. Dr. Katharina Krause ermöglicht wurde. Auch ihr sei gedankt.

Einleitung

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11

Bildkritik und Wahrheitsproduktion. Zur Topik des Werkbegriffs in der Moderne. Der Blick auf die Kunst der Moderne erfasst auch heute kein abgeschlossenes, als Epoche konservierbares Bild. Wir erfassen Brüche, Umwälzungen und Reaktionen, die partiellen Kontinuitäten der Ismen und eine Vielzahl von Einzelfiguren. Epistemische Brüche wie den des Impressionismus mit der tonalen Malerei, des Kubismus und Futurismus mit der monokularen Perspektive. Historisch bestimmte wie den Einschnitt der Jahrhundertmitte durch den zweiten Weltkrieg und den Holocaust, die Zerstörung der europäischen Avantgarden und den „Verlust der Utopie“. Wir erfassen im Ganzen vor allem eine radikale Erschütterung und Diversifizierung dessen, was als Kunst und Kunstwerk Geltung gewinnen konnte, in deren Folge zeitgenössische Werke oft kaum noch Verwandtschaft mit der neuzeitlichen Überlieferung der bildenden Kunst zu haben scheint. Die Frage, was eigentlich passiert ist in der Kunst des 20. Jahrhunderts, wird ihre evidenteste Antwort in dem Verweis auf diese Aufsplitterung und Entgrenzung des Kunst- und Werkbegriffs finden, die die Geschichte der europäischen und amerikanischen Avantgarden bestimmt. Sie ist, das ist eine Leitthese dieses Buchs, wesentlich mit der Bewegung der modernen Repräsentationskritik, mit einem vielgestaltigen und radikalen Ikonoklasmus verknüpft. Die Abschneidung von der Beziehung auf ein Urbild, der anamnetischen und mnemonischen Beziehung, die die Repräsentation nicht nur dem Namen nach ist, setzt jene Bewegung frei, in deren Vollzug das Kunstwerk sich zunehmend so in die Wirklichkeit stellt, dass jede überlieferte Konzeption seiner Differenz und Beziehung zur Welt verlorengeht. Das nicht mehr bildhafte, nicht mehr repräsentationale Werk ist als Gebrauchsgegenstand, als Mittel politischer Agitation oder als modellhafte Projektion einer anderen Welt verstanden worden – oder es wurde als passive Empfängerstruktur oder Dispositiv der Reflexion auf die diesseitige Welt bezogen, die auch unter dem Namen des Kontexts, des historischen Umfelds, der Betrachtergemeinschaft und ihrer Sinnerwartungen figuriert. Während das repräsentationale Bild der Tradition unauf hebbar von der Vergangen-

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Einleitung

heit träumt, die es zeigt, ist die Welt des modernen Werks eine Welt, die noch nicht ist. Die Moderne hat sich der retrospektiven In-Beschlagnahme von Bildlichkeit und damit der menschlichen Imagination widersetzt. Sie hat methodisch explizit den Körper, der da träumt, sein Gemachtsein, sein Altern, seine zeitliche Existenz wiederentdeckt, die in der Malerei der Tradition vergessen und durch-sehen sind auf den figurierten, wiedererkennbaren Bildgehalt hin.1 Dieses Aufwachen der Moderne aus dem Traum der Repräsentation setzt im Impressionismus und Neo-Impressionismus des 19. Jahrhunderts daher als eine Medienkritik ein, die den Bildschein an den existierenden Körper des Werks, den materiellen Bildschirm zurückbindet; eine doppelte Medienkritik, die ebenso die Naturgesetzlichkeit des Lichts und des physiologischen Sehens wie die Produktions- und Existenzbedingungen des Werks einbezieht. Diese Medienkritik oder Medienreflexion hat im Verlauf des zwanzigsten Jahrunderts einen immer weiteren Begriff des Trägers des Scheins in den Blick gerückt. Der Schein, die vom Werk konstituierte, beschränkte und kanalisierte Sichtbarkeit, wurde aus dem Bildraum vertrieben und hat sich diesseits der Bildebene entfaltet. Die moderne Transformation des Werkbegriffs ist mit dieser Deplatzierung des Orts des Scheins verschränkt. Das Modell des repräsentationalen Bildes, das im Feld seiner Fläche oder, wie im Fall des plastischen Bildes, im Material seines Körpers den kontrollierten Bezug zum Ausschnitt einer vergangenen Welt herstellte, ist einer Pluralität extrovertierter Bezugnahmen auf die Welt diesseits der Bildebene gewichen, die für das Werk die Dimension seiner unabsehbaren Zukunft ist. Die Expansion des Werkbegriffs in der Moderne und die mit der Repräsentationskritik verbundene irreversible Umstülpung des Weltverhältnisses des Werks machen den weiteren theoretischen und historischen Horizont unserer Fragestellung aus. Eines der thematischen Zentren des Buchs bildet dabei ein Moment, in dem von einer Bewegung der Expansion und von einer Bewegung überhaupt wenig zu spüren ist. Im Minimalismus der sechziger Jahre und exemplarisch in der Arbeit von Donald Judd hat sich das Werk in ein passiv-vorhandenes, referenzloses und, wie der zeitgenössische Topos es will, tautologisches Objekt zusammengezogen. Es ist ein Moment der Windstille, in dem die geometrisch geglätteten, oft industriell produzierten minimalistischen Boxen und Polyeder in der Schale des Raums, der sie umgibt, dem White Cube der Galerie, bloß vor- oder dazuliegen scheinen, wie eingegossen in Glas. Was hier Werk genannt werden muss, scheint mit diesem Objekt – dem spezifischen Objekt, wie Judd sagt – verschmolzen und identisch zu sein, auf den Status einer Positivität reduziert, die der seiner materiellen Umgebung gleichartig ist. Die Situation ist homogen, transparent und absolut statisch. Die Beziehung von Werk und Umwelt ist auf das bloße Nebeneinander der räumlichen Kopräsenz nivelliert. Es ist diese Konstellation, die ich als eine Art Laborsituation begreife. Sie zwingt dazu, die Frage nach dem Werkbegriff als Frage nach der Seinsweise und dem Weltverhältnis des Werks zu formulieren. Sie zwingt zu einer Analytik dieser Unmittelbarkeit der 1

Aus Gründen, die im Verlauf des Texts deutlich werden, orientieren sich die Rückblicke auf die repräsentationale Tradition vorwiegend am flachen Bild der Malerei. Mutatis mutandis sind die Grundzüge der Argumentation auf die Skulptur übertragbar.

Bildkritik und Wahrheitsproduktion

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homogenen sinnlichen Präsenz, in der die Orientierung, die der kunsthistorischen Arbeit sonst aus Modellen gebahnter, verdichteter und begrenzter Referenz des Werks zukommt, ausgelöscht ist. Im Verlauf der thematischen Analysen werde ich die Linien sichtbar machen, die den Aufriss dieser Situation bilden, in die das minimalistische Objekt eingelassen ist. Linien, die aus dem weiteren historischen Kontext kommen und sich hier kreuzen, das ganze explosive Gemisch aus Sprache, Zeit und Geld, das das Glas dieses Raums zwischen den sechs Seiten des White Cube, den Donald Judd real space genannt hat, bildet. Die Instrumente kunsthistorischer Interpretation müssen umgeschmolzen, die der Semiologie verfeinert, die der Phänomenologie um eine Sensibilität für die Latenzen historisch akkumulierten Sinns erweitert werden, um die schillernde Vielstimmigkeit der tautologischen Präsenz der minimalistischen Objekte vernehmbar zu machen. Paradigmatisch ist die minimalistische Situation aber auch, weil sie dazu zwingt, die kritische Analyse auf den Grundriss der elementaren Parameter von Raum, Zeit, Materialität und Sichtbarkeit zu beziehen. Es geht nicht allein um die historische Spektralanalyse und die Entzifferung der latenten Signifikanzen der angeblich referenzlosen Werkpräsenz, es geht ebenso um die Rekonstruktion der phänomenologischen und ontologischen Konsistenz der minimalistischen Situation. Für die Frage nach dem Weltverhältnis des Werks und seine Umstülpung in der Moderne stellt der Minimalismus ein Schwellenmoment dar. Er markiert den Übergang zwischen dem intrinsischen, selbstkontrollierten und intentional-aktiven Weltverhältnis des Bildes, das sich im Element einer wie immer gebrochenen Ähnlichkeit, im Element der Idealität des Scheins auf ein Repräsentat öffnet, und dem extrinsischen, passiven Weltbezug der Spur, die realzeitlich, im Element der Kausalität auf den Moment ihrer materiellen Prägung, ihrer Produktion bezogen ist. Mit der Zuschüttung der ikonischen Dimension wird der in seine volle Präsenz eingegangene Körper des Werks notwendig zur Grundfläche der bewusstlosen Einschreibung der Spur. Das minimalistische Objekt ist als Produkt und Abdruck auf das Gesamt seines Herstellungsprozesses einschließlich seiner Präsentationsbedingungen bezogen, den es nicht bildlich zeigt, aber indexikalisch bezeugt. Die Formalisierung dieser beiden komplementären Achsen des Weltbezugs nicht nur von Kunstwerken, sondern des gegenständlich Seienden überhaupt wird ein zentrales Thema der Arbeit sein. Beiderseits, hinsichtlich der ikonischen und der indexikalischen Dimension, wird es zunächst darum gehen, prägnante Zeichentypen (figuratives Bild, Plan, analoges Diagramm; Fingerabdruck, Fotografie, Kratzer) auf ihre (temporal-)ontologische Grundstruktur zurückzuführen, um die Analyse den sowohl anikonischen wie spurlosen, aus der handlosen industriellen Produktion hervorgegangenen minimalistischen Objekten anzumessen. Ikonizität und Indexikalität werden so, mit Kant gesprochen, auf die Elemente der „mathematischen“ und der „dynamischen Synthesis“, die Grundachsen der ontologischen Solidarität der Gegenständlichkeit überhaupt zurückgeführt: die Verknüpfung der Gegenstände im Element der Ähnlichkeit, sofern sie gegeben sind in der Gleichzeitigkeit des Raums, und im Element

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Einleitung

der Kausalität und Wechselwirkung hinsichtlich ihres „Daseins in der Zeit“ (siehe Kap. II. C, bes. S. 213 ff.).2 Diese Dimensionen möglicher Beziehung (conjunctio) der Gegenstände aufeinander öffnen und strukturieren das Feld aller spezifischen Referentialität von Werken, ob solcher der Tradition oder der Moderne. Die semiotische Analyse, die das Werk als Zeichen oder Dispositiv von Zeichenelementen welcher Art immer (Ikon, Index, Symbol, nach der Peirce’schen Trias3 ) auffasst, wird so in die Entfaltung der ontologischen Grundzüge der Phänomenalität und Materialität des bloßen Objekts zurückgenommen. Dieses Objekt aber wird umgekehrt als Herd einer Selbstexplikation seines Weltverhältnisses lesbar, welche die Seinsweise des Kunstwerks ausmacht. Diese strukturale Analyse der minimalistischen Präsenz wird explizit auch in den Horizont der doppelten Genealogie der Minimal Art eingebettet. Im Minimalismus kommt die Bewegung der Abstraktion der modernen Malerei zum Abschluss und kreuzt sich mit dem Paradigma der industriellen Produktion. Im spezifischen Objekt Donald Judds überlagern sich die zwei extremen Typen des repräsentationskritischen Werks – das zum Objekt gewordene, kontrahierte Bild, das Monochrom, und das als Werk gesetzte anonyme Serienprodukt, das Ready-made. Ich werde das historische Umfeld dieser Durchdringung und Überblendung sichtbar machen, die nicht nur für Judd und die Minimal Art prägend ist, sondern die Kunstproduktion der Neo-Avantgarde der fünfziger und sechziger Jahre insgesamt bestimmt (siehe bes. Kap. II. C). Es sind die Hauptachsen des Texts dieser Produktion, eines Texts, den Judds frühe Kunstkritiken in einer spezifischen Brechung lesbar machen, die es zu rekonstruieren gilt (Kap. I. B). Historisch weiter ausgreifend zeichne ich aus verschiedenen Blickwinkeln und Distanzen, in nahsichtigen Analysen (besonders zu Jackson Pollock und Piet Mondrian, Kap. III. A, und III. C, S. 287 ff.) und in schematischen Rekonstruktionen (vom Impressionismus zu Ad Reinhardt und Frank Stella, Kap. II. A, S. 104 ff.) die Bewegung der Bildabstraktion nach, die in die minimalistische Situation mündet. Komplementär zu dieser verzweigten und dennoch selektiven Geschichte der Abstraktion in der Malerei rekonstruiere ich die Funktion des Ready-made im Werkzusammenhang Marcel Duchamps, d. h. in Bezug zu dessen Hauptwerk, dem Großen Glas, eine Funktion, die nur peripher mit der gängigen Auffassung zu tun hat, nach der es beim Ready-made um die Konfrontation eines „Alltagsdings“ mit einem institutionellen Kontext (dem Museum, dem Sockel oder auch nur dem Begriff von „Kunst“) geht (Kap. II. B). Ich interpretiere den Werkprozess des Ready-made als radikales Gegenmodell zum introvertierten oder intrinsischen Weltbezug des Bildes, zur ikonischen Repräsentation und ihrer Destruktion, in die die Bildabstraktion noch vertieft ist. Es ist das Modell eines dem Kommen und der irreduziblen Kontingenz der Zukunft zugewandten Werks.

2 3

Siehe Immanuel Kant, Kritik der reinen Vernunft, Hamburg 1971, 213 ff. (=KrV A [=erste Originalausgabe] 158 ff. / B [=zweite Originalausgabe] 197 ff.). Siehe Charles Sanders Peirce, Phänomen und Logik der Zeichen, Frankfurt a. M. 1993.

Bildkritik und Wahrheitsproduktion

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Mit der Darstellung der Kreuzung dieser beiden Paradigmen in der Neo-Avantgarde, im Minimalismus und speziell bei Donald Judd werden die Ansätze der Öffnung der minimalistischen Situation sichtbar, die das Eindringen der Zeit des Ready-made in den real space bewirkt, den Judd als neutrales Element nicht nur der Präsentation, sondern der Präsenz, der Seinsverfassung seiner Objekte begreifen wollte: eine Art Bildraum, in dem sie als die Figuren einer dreidimensionalen Malerei stillgelegt sein sollten. Von Duchamp aus wird nicht nur die Unmöglichkeit einer solchen Stillstellung evident. Die Präsenz des real space, die Dimension perzeptiver Unmittelbarkeit, in die nicht nur Judd alle Relevanz und Bedeutsamkeit visueller Kunst einschließen wollte, bestimmt sich vor dem Hintergrund der Konzeption Duchamps als Schnittebene im zeitlichen Sein des Werks. Die ästhetische Präsenz ist der Schnitt, den der Blick des Betrachtersubjekts, der an das Korn der Gegenwart, an die Aktualität der Empfindung gebunden ist, durch die in sich ungleichzeitige Existenz, durch das Alter und Altern des Kunstwerks legt. Von Duchamp aus erweist sich daher die Schicht der ästhetischen Präsenz als in sich gespalten in eine Vorderseite – die phänomenale Gegenwart, die dem Blick der stets zukünftigen, aus der Sicht des Werks „verspäteten“ Betrachtersubjekte zugewandt ist – und eine Rückseite, die die Träger dieser Gegenwart berührt: den Träger, der die „Fabrik“ für die Herstellung, die Institution des Museums oder der Galerie und allgemein die Strukturen der kulturellen Öffentlichkeit für die Ausstellung des Werks ist – und der lebendige Körper für das perspektivische, auf einen Zeit- und Raumpunkt fluchtende Wahrnehmungsbewusstsein des Betrachtersubjekts. Mir scheint, dass diese Spaltung der Werkpräsenz mit und nach dem Minimalismus aus der Latenz getreten ist. Gerade weil die visuelle Präsenz als Element künstlerischer Formgebung und Sinnkonstitution im Minimalismus nicht mehr auf einen Keilrahmen aufgespannt ist wie die Bildfläche der Malerei, sondern den gesamten Ausstellungsraum besetzt und dabei die Körper der Betrachter einbezieht, wird die abgekehrte Rückseite dieser geweiteten Präsenz, werden der Leib als Träger des Blicks, und der Ort und die Institution als Träger der Sichtbarkeit in den Werkprozess einbezogen.4 Unter dem Druck dieser bislang verdrängten Rückseite verwandelt sich die schon früh als Bühne erfasste minimalistische Situation5 in der Prozess- und PerformanceKunst der späteren sechziger und der siebziger Jahre zum Ort des Handelns, der materiellen Prozesse und der sozialen Interaktion, während in der Conceptual Art und der beginnenden Institutionskritik die Werkpräsenz selbst – der Bühnenraum und seine 4

5

Ein früher Zeuge dieser Dialektik ist Daniel Buren. Über die Bildträger der Malerei hat man lange Zeit kaum nachgedacht. Seit Frank Stella wird das unvermeidlich. So wird mit der Minimal Art das Nachdenken über den Raum und genauer über den Körper des Museums / der Galerie notwendig. Stellas Streifen stehen zum Keilrahmen im selben Verhältnis wie Judds Boxen zur Architektur (siehe exemplarisch Daniel Buren, „Grenzen/Kritik“ [1970], in: ders. , Achtung, Dresden/Basel 1995, 123–142). Siehe Michael Fried, „Art and Objecthood“ [1967], in: ders. , Art and Objecthood. Essays and Reviews, Chicago/London 1998, 148–172. Es ist gerade die „dunkle Rückseite“ der Werkpräsenz, die dauernde Existenz eines Trägers, der sich nicht auf heben lässt in die Selbstgegenwart des Blicks, die Frieds Unbehagen an der Minimal Art auslöst. Ich komme darauf noch zurück.

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Einleitung

Beleuchtung – auf ihre heterogenen Konstitutionsbedingungen zurückgeführt wird. Die minimalistische Situation erscheint so als letzte Gestalt einer noch von der repräsentationalen Malerei aus gedachten rein visuellen Kunst. An die Stelle der nur gezeigten oder dargestellten Objekte der Malerei, die in einem ideellen Bildraum angesiedelt waren, sind die materiellen Elemente des Werks im Ausstellungsraum selbst getreten. Was das repräsentationale Bild als materielles Dispositiv des Zeigens leistete, ist an die Institution, an jene Strukturen der Öffentlichkeit delegiert, die die verdichtete Sichtbarkeit der exponierten Objekte konstituieren. Im Moment des Minimalismus und speziell bei Judd bleiben diese Strukturen der Produktion der Sichtbarkeit verdeckt, überblendet vom Glanz und der Perfektion der Objekte selbst. (Die Entsprechung zu dieser Verbergung des Trägers liegt in der radikal-illusionistischen Malerei, exemplarisch bei Ingres, der Judds genuiner Vorläufer im 19. Jahrhundert ist.) In der Folge jedoch werden die Risse in dieser Schicht der unmittelbaren visuellen Präsenz entdeckt, die sich auf die Dimension des Träger öffnen, ohne sie doch in den Gesichtskreis der Werkpräsenz einholen zu können. In Kontinuität mit der Selbstkritik der modernen Malerei, die den Schein aus dem Bildraum vertrieben hat, wird in den späteren sechziger und den siebziger Jahren die Beziehung der Werkpräsenz auf ihren Träger als Begrenzung einer mit nichts anderem als dieser Grenze befassten Sichtbarkeit bestimmt. In vielen zeitgenössischen Arbeiten wird der Verlauf der Grenze dagegen narrativ in die Sichtbarkeitszone des Werks eingefaltet und so der Träger selbst zum Repräsentat. Das betrifft ebenso die Institution, die zum Gegenstand der investigativ gewendeten Institutionskritik der neunziger Jahre wird,6 wie das Publikum, dem neue Figuren imaginärer Identifikation angeboten werden. Die Präsenzebene des Werks, der die Abstraktion der Moderne die Höhlung des retrospektiven Traums ausgetrieben hat und die im Minimalismus zum Spiegel für ein bloß gegenwärtiges, sprach- und gedächtnisloses Sehen geworden ist, wird so nach der kritischen Exposition dieser Spiegelsituation als solcher wieder mit Bildern und narrativen Figuren gefüllt. Der Minimalismus erscheint als Scharnier zwischen der repräsentationskritischen Kunst der ersten Jahrhunderthälfte und der Kunst der Gegenwart, die das Imaginäre diesseits der Bildebene, im sozialen Raum einer intersubjektiv geöffneten ästhetischen Erfahrung refiguriert. Für die Analyse dieser Scharnierfunktion bleibt die erste Phase der kritischen Rezeption der Minimal Art entscheidend. Besonders die strukturale Verkoppelung der minimalistischen Situation mit dem medialen und ökonomischen, sozialen und politischen Raum in der Arbeit von Künstlern wie Dan Graham (fig. 164, 252, 253) und Michael Asher (fig. 255) ist für meinen Blick auf die Konstitutionsbedingungen der Werkpräsenz entscheidend (auch wenn ich Grahams und Ashers Werk selbst kaum berühren werde). Die abstrakte Sichtbarkeit, die als Erbe der selbstreflexiven modernen Malerei aus dem Bildraum gestiegen ist und die objektive Situation beschlägt, wird hier in ihrer Verzahnung mit ihren Produktionsbedingungen und ihrem ökonomisches Milieu sichtbar gemacht – zu einem Zeitpunkt, da Judd beginnt, seine Ar6

Siehe exemplarisch: Andrea Fraser, Bericht, hg. v. d. EA-Generali-Foundation, Wien 1995.

Bildkritik und Wahrheitsproduktion

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beiten im Südwesten von Texas zu Permanenten Installationen, zu dreidimensionalen Bildräumen auszukristallisieren (fig. 250). Diese Kristallisation kann nicht als genuine Weiterführung des kritischen Projekts der Moderne gelten und auch nicht als die architektonische Integration der sonst im Warenkreislauf flottierenden spezifischen Objekte, als die Judd sie sehen will. Sie ist die Spektakularisierung einer Sichtbarkeit, die ihren Ort in der Malerei verloren hat, durch die Projektion auf den Bildträger des billigen texanischen Landes. Statt der Geometrie, die den Raum der perspektivischen Malerei der Renaissance stabilisiert, ist es das der Zirkulation entzogene Kapital, das Judds Installation zum statischen Bild gerinnen lässt.7 Von heute aus wird dieses Bild – nicht nur Judds spätes Werk, sondern die Minimal Art insgesamt – oft als Schlussbild und als Symptom einer Fehlprogrammierung des utopischen Projekts der Moderne gelesen, jener Moderne, die sich am Topos der Präsenz und an der Konvergenz von Unmittelbarkeit und Universalität orientierte. Die postutopische Kunst der letzten Jahrzehnte hätte der latenten Gewalt dieses Programms die Toleranz des Partikularen, die kleinen Erzählungen und die leitende Figur des Prozesses, den Zusammenhang von Partizipation und Dialog entgegensetzt. Diese Kritik des modernen Präsenzparadigmas wird von vielen Seiten mit Munition versorgt. Seine Komplizenschaft mit dem positivistischen Wissensregime der Industriegesellschaft ist in der Kunstwissenschaft, seine Leitfunktion in der „onto-theologischen Verfassung der Metaphysik“ 8 ist im Anschluss an Heidegger von Jacques Derrida analysiert worden. Der Universalismus der Auf klärung und der internationalistische Traum der europäischen Avantgarden sind von den Cultural und Post-Colonial Studies als Legitimationsformen von Kolonialismus und Marktexpansion im Raum der bürgerlichen Öffentlichkeit bestimmt worden, als die helle, liberale Selbstrepräsentation einer Modernisierung, deren Motor die kapitalistische Akkumulation war und ist. Im Minimalismus aber, und das macht ihn zur entscheidenden Bruchstelle in der Entwicklung der Kunst des 20. Jahrhunderts, unterhält dieses Gesicht – die universell lesbare Sprache der abstrakten Kunst – keine distanzierte, analogisch-reflexive Beziehung zu seinem Träger mehr, sondern ist von diesem durchdrungen. Das epistemische Ideal der Universalität einer künstlerischen Sprache, eines Esperanto der Sinnesempfindungen, das die Konventionen der historisch-partikularen Kulturen abgestreift hätte, ist mit dem Universalismus der Warenform und dem gedächtnislosen Code des Tauschwerts verschmolzen. Die Warenform, die Wiederholbarkeit gleichförmiger Dinge, hat die Bildform, die die menschliche Kapazität der imaginativen Beziehung auf ein Differentes reflektiert, absorbiert. Wenn ich daher die Risse in diesem allzu geglätteten Bild, das der Minimalismus und das Judds Werk abgibt, sichtbar machen will, dann nicht um das Projekt der Moderne insgesamt zurückzuweisen, etwa im Namen des neuen Partikularismus der Gegenwartskunst, die im Gegenteil von den Rissen, von der Existenz und den Exis7 8

Zum Begriff des Spektakels als Bildgestalt des Kapitals: Guy Debord, Die Gesellschaft des Spektakels, Berlin 1996. Martin Heidegger, „Die onto-theologische Verfassung der Metaphysik“, in: ders. , Identität und Differenz, Pfullingen 91990, 31–67.

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Einleitung

tenzbedingungen des Spiegels der Werkpräsenz nichts wissen will, der der Träger auch ihrer Erzählungen und Bilder ist. Es geht mir zum Einen darum, durch dieses geronnene Schlussbild hindurch die Relevanz der Abstraktion der klassischen Moderne wieder sichtbar zu machen und gegen die hegemonialen formalistischen Lektüren zu verteidigen. Und es geht mir zum Andern, der heute gängigen Minimalismuskritik entgegen, darum zu zeigen, dass die Risse, die den verdrängten Bezug des Bildes auf die inkommensurable Dimension seiner Produktion anzeigen, schon im Minimalismus latent zu den Parametern des Werkgeschehens gehören, als die Künstler wie Graham und Asher sie dann explizieren. Darin liegt die Verwandlung der minimalistischen Situation, die das Eindringen der Zeit des Ready-made bewirkt, ein Ausdruck, den ich hier als leere Markierung setze, dessen heuristische Kraft sich aber in der Analyse von Duchamps Werk erschließen wird. Diese Transformation meint nicht notwendig eine Prozessualisierung der Werkstruktur. Es scheint mir fragwürdig, ob überhaupt das Modell des Prozesses genügt, den Werkbegriff von der positivistischen Episteme freizuhalten, die man mit dem modernen Präsenzparadigma nicht einfach zu Unrecht assoziiert. Wenn die Prozessualität – ob des Werks oder der Werkerfahrung – nichts anderes ist als die Verflüssigung der Werkgestalt durch die Einführung des zusätzlichen Parameters der Zeit, wie so oft in der Prozess- und Performancekunst seit den sechziger Jahren, ist wenig gewonnen. Die Absorbtionskraft des Spektakels, des Trägerelements der zeitgenössischen Kulturproduktion, wird von in diesem Sinn prozesshafter Kunst nicht einmal strapaziert. Der flüssige Grund des Geldes, das die hardware der spektakulären Präsenz und Repräsentation ist, kommt mit der Zeit als einem weiteren Parameter ohne Weiteres zurecht (was unter anderem natürlich das Kino als die zentrale neue Kunstform des industriellen Zeitalters zeigt). Das Präsenzparadigma ist sowenig wie die Warenförmigkeit von Kunst an die Form statischer Bilder oder geronnener Objekte gebunden. (Das ist aus der Perspektive Heideggers, Derridas und Guy Debords gleichermaßen evident.) Entscheidend ist nicht die kontinuierliche „plastische“ Transformation einer Werk- oder Erlebnisgestalt, wesentlich ist die Artikulation der Gespaltenheit der Werkpräsenz selbst in ihre zwei Seiten: die phänomenale Gegenwart und die Zeittiefe der Produktion und Existenz des Werks. Das Werkgeschehen, um dessen Begriff es mir geht, ist die Explikation dieser Heterochronie zwischen der ästhetischen Präsenz und der Dimension der Produktion. Es ist der Streit, mit Heideggers Wort, zwischen der im Spiel der ästhetischen Erfahrung auf die Semantik, die Sprache und den Anderen geöffneten Dimension sinnlicher Gegenwart und der ursprünglich vergessenen Zeittiefe der Sedimentation, die der Träger sowohl der Präsenz der Werke, wie des Bewusstseinsfelds der Subjekte ist. Das Werkgeschehen ist der Streit zwischen der Zeit des Bildes und der Zeit der Spur. Die Ausarbeitung der temporalen Struktur dieses Geschehens und der Spaltung des Zeitbegriffs selbst, der Heterochronie, an der es teilhat, ist eine der zentralen Aufgabenstellungen des Buchs. Es wird damit ein Begriff der Geschichtlichkeit des Kunstwerks gewonnen, der sich dessen Reduktion auf den Wahrnehmungsgegenstand und Anlass einer Selbstreflexion des Subjekts einerseits, auf das historische Dokument andererseits widersetzt. Die Frage nach der Seinsweise des Werks findet ihre Antwort in diesem Begriff.

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Ist aber der Werkbegriff nicht überhaupt der Ballast einer metaphysischen Tradition, den die Moderne abzuwerfen bemüht ist? Ein Überbleibsel kultisch-religiöser Gebundenheit im – ungenügend – säkularen Bereich der Kunst? Bleibt die angebliche Autonomie des Werks nicht die Spur der Abgrenzung eines Bereichs „höherer“ Realität, die mit dem Verlust der religiösen Transzendenz in der Neuzeit nur zur Unwirklichkeit, zur Nicht-Wirksamkeit der Kunst hinsichtlich des „profanen“ Lebens abgesunken ist? Die sich wiederholenden Schübe der Desublimierung und Entauratisierung, die Abweisung von Modellen einer introvertieren, organischen Werkeinheit in der Moderne sind jedenfalls oft in diesem Sinn als Zeichen einer Realisierung der künstlerischen Praxis im Widerstandsraum der politischen, sozialen und ökonomischen Notwendigkeiten und Fakten gelesen worden, als Zeichen einer Emanzipation der Kunst nicht mehr vom Kult, sondern von der idealistischen Impotenz der Kunst selbst. Die Motive einer solchen (Selbst-)Auffassung der Moderne sind greifbar genug: vom Topos der architektonischen Integration abstrakter Malerei oder dem Sprung von der „bourgeoisen Kunst“ als einer Sparte materialisierter Ideologie zur „proletarischen Kunst als Produktion“ über die dadaistischen und surrealistischen Versuche der Durchbrechung der ästhetischen Grenze, die minimalistische Konkretisierung des Werks in der Positivität einer Situation, die ephemere Prozess-, Performance- und Konzeptkunst der sechziger und der siebziger Jahre bis zur gegenwärtigen Selbstverbergung von Kunst als Dienstleistung und Informationsangebot zeichnet sich die Auf lösung der Grenzen und des ontologischen Eigensinns des Werks als die eigentlich progressive Bewegung des 20. Jahrhunderts ab. Die „Kunst“ im „Leben“ aufgehen zu lassen, scheint das Telos und der Motor jener Transformation des Werkbegriffs zu sein, nach der ich frage. Gegen diesen Anschein will ich einen Werkbegriff entwickeln, der sich mit der Affirmation einer historisch weit gefassten Moderne gerade in ihren progressiven und transgressiven Zügen nicht nur verbinden lässt, sondern sich mit ihr zwingend verschränkt. Die Krise des Werkbegriffs in der Moderne bezeichnet nicht die Nivellierung des autonomen Bezirks der Kunst im Feld der schon existierenden Welt, sie ist eine Neubestimmung des Weltverhältnisses des Werks, in deren Vollzug der ästhetische Schein, der den Schutzraum des repräsentationalen Bildes verlassen muss, in ein neues Verhältnis zu seinen wirklichen Existenbedingungen tritt. Das Werk ist Subjekt, nicht Objekt der Krise. Seine Autonomie konstituiert sich im Geschehen der Krise des Scheins, an der Grenze zum Außen, zur Nicht-Kunst, zum ästhetisch Nicht-Assimilierbaren. Autonomie ist endlich und konfliktuös. Inwiefern das Außen der Kunst sich als „das Leben“, als soziale Realität und überhaupt als Realität bestimmen lässt, werden wir sehen. Der Begriff, der in meiner Topik die Bestimmungen des Werkbegriffs an sich zieht, die mit Blick auf die dissonanten und fragmentarischen Formen der Kunst der Moderne als obsolet kritisiert wurden, die Totalität und Organizität, die Scheinnatürlichkeit und Scheinlebendigkeit, ist der Bildbegriff. Ein erweiterter Bildbegriff, der nicht nur das Gemälde oder das plastische Bild meint und auch nicht semiotisch über den ikonischen Bezug von Zeichenträger und Referent bestimmbar ist. Bild nenne ich die Seite der unmittelbaren Anschaulichkeit und Evidenz des Werks, die mit dem Gegenwartshorizonts seiner Betrachter verschmilzt. Diese Verschmelzung

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kann den zeitlichen Sprung des repräsentationalen Bildes in sich aufnehmen, das die Wahrnehmung des gegenwärtigen Bilddings auf eine gewesene Bildintention öffnet, oder sie kann in die Schicht einer erinnerunglosen Wahrnehmungsaktualität gebunden sein wie im Fall des tautologischen minimalistischen Objekts. In den Horizont der so bestimmten Bildlichkeit geht jedoch nicht die Dimension der Produktion und des Alters der Werke ein. Die Abblendung dieser Dimension, die ich die des Bildträgers nenne, konstituiert gerade die Form der Gegenwart des Bildes und des Bildbewusstseins. Dieser weit gefasste Bildbegriff ist mit der philosophischen Tradition solidarisch. Er führt zunächst auf den kantischen Begriff der transzendentalen Einbildungskraft zurück, die der konstitutive Grund der Welt des Bewusstseins und seiner Wahrnehmungen ist. Bild oder bildhaft, von der Kapazität der Einbildungskraft getragen und begrenzt, ist die sinnliche Gegenwart der Welt selbst, die Gesamtheit der imagines, wie die vorkantische Metaphysik sagte, die auf den Zeit- und Raumpunkt eines wahrnehmenden Körpers bezogen sind. Die phänomenale Welt ist so als die Täuschungsgestalt begriffen, in der sich das Außen oder das inkommensurable Sein (natura naturans, Ding-an-sich, blinder Wille, dionysisches Werden, vierte Dimension, noumenale Differenz – um eine Reihe von Namen zu zitieren, die von Spinoza über Kant und Nietzsche bis zu Duchamp und Deleuze dieser Dimension gegeben wurden) ebenso ausdrückt, wie verbirgt. Diesseits der subjektivitätstheoretischen Bestimmung gehört dieser Schicht des Bildes die jeweils historisch gewachsene Selbstrepräsentation der Welt an, die von der symbolischen Ordnung sanktionierte, medial kommunizierbare Realität, deren Träger heute weniger denn je der individuelle Körper eines Wahrnehmungssubjekts, sondern das Gesamt der technischen Bildapparate im weitesten Sinn ist, deren Natur sich in letzter Instanz ökonomisch bestimmt. (Die hardware der registrierten Gegenständlichkeit der Welt ist weder technisch noch anthropologisch-instrumental bestimmbar. Sie ist in Rechenmaschinen investiertes Kapital.) Im Bereich der Kunst schließt dieser erweiterte Bildbegriff also ebenso die minimalistische Situation wie die polymorphe, erzählerisch angereicherte und oft implizit dokumentarische Installationskunst der Gegenwart ein. Bild meint die Seite der – auch im intersubjektiven Spiel vermittelten – Anschaulichkeit des Werks. Was ich Werk nenne, geht nicht auf in dieser Anschaulichkeit. Das Werk stellt die Beziehung des Bildes zur abgekehrten Dimension des Bildträgers her. Es berührt die Grenze der konstituierten Welt, in die es als Bild eingelassen ist und die sich in ihm reflektiert, indem es in der Dimension seiner Anschaulichkeit deren Genesis lesbar hält. Das Werkgeschehen trägt die Krise der anschaulichen Evidenz des Bildes aus. Der Werkbegriff, den ich vorschlage, ist daher alles andere als eine Figur der Harmonisierung von Differenzen. Er beschreibt die konstitutive Instabilität solcher Harmonisierungsfiguren durch die Beziehung ihres Feldes insgesamt – des Feldes konstituierter Gegenwart – auf das Außen oder die Differenz an sich. Ich werde diese Krise des Bildes oder des Scheins vor allem in zwei Hinsichten analysieren, die in scheinbar entgegengesetzte Richtungen weisen. Die Dimension des Bildes ist einerseits begrenzt von der Resistenz der Spur, die die Gegenwart der Form an die Prozesse der Produktion, der In-formation ihres Materials erinnert. Dieser

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Aspekt der Analyse wird den meisten Raum einnehmen. Es gilt hier die Form der Gegenwart selbst, in der sich der Welthorizont des Bewusstseins konstituiert, auf die Ungleichzeitigkeit des Seins zu beziehen – auf die ursprünglich vergessene Zeittiefe des Alters der Welt, die ich (mit Derrida und anderen Autoren) Archiv nenne.9 Exemplarisch wird diese Analyse in Bezug auf Judds Präsenzbegriff und die für ihn konstitutive Verdrängung des indexikalischen Bezugs des Produkts auf die Produktion durchgeführt. Andererseits geht es um die Überschreitung der räumlichen und zeitlichen Perspektivik des Bildes oder des Scheins, auf das aperspektivisch Unendliche, das in der philosophischen Tradition als das Intelligible oder Noumenale gedacht wurde, das sich dem Anschauungsvermögen des endlichen Subjekts entzieht. Die Krise des Bildes weist also 1. in die Richtung einer materialistischen Bildkritik, die den Fetisch der gegenwärtigen Form an den vergessenen Produktionsprozess erinnert und die von der Marx’schen Analyse der Warenform zur institutionskritischen Kunst der siebziger Jahre reicht, und sie weist 2. auf die scheinbar entgegengesetzte Tradition einer Ästhetik des Erhabenen, die in ihrer kantischen Fassung eine Grenzerfahrung der Sinnlichkeit beschreibt, ein Scheitern der Einbildungskraft oder des Darstellungsvermögens, wie Kant auch sagt, das das Subjekt als negative Darstellung des Unendlichen erfährt.10 Diese auf den ersten Blick überraschende Korrespondenz hat sich im Lauf der einzelnen Analysen aufgedrängt, denen ich hier nicht vorgreifen will. Ich will nur die Grundzüge des Werkbegriffs umreißen, die sich aus dieser Konstellation ergeben, und diese in einen weiteren ideengeschichtlichen Horizont stellen, in dem die genannte Korrespondenz nicht überrascht, sondern historisch gegründet ist. Es gilt daran zu erinnern, dass die kritische Theorie ältere als bloß marxistische Wurzeln hat. Sie ist genealogisch mit der Bild- und Imaginationskritik des vorkantischen Rationalismus verknüpft. Bekanntlich ist Spinoza für Marx eine maßgebliche Figur. Die spinozistische Bild- und Bewusstseinskritik vollzieht sich als die Explikation der Beziehung der endlichen Wahrheit der Bilder (der imagines) auf die unendliche Substanz. Sie schreibt die Genesis der Welt, wie sie den Subjekten im Spiegel ihrer leiblichen Affizierbarkeit erscheint, in den Grund der produktiven oder gebenden Natur (natura naturans) ein. Die Konstitution der Welt in dem Schnitt, den das an den Körper und die Einbildungskraft (imaginatio) gebundene Bewusstsein durch das höherdimensionale Sein legt, ist so als Figur einer Verkennung bestimmt. Die Homologie zur marxistisch-ideologiekritischen Bestimmung der Repräsentation als Ausdruck und Abblendung der ökonomischen Basis ist hier handgreif lich und sie ist über Marx hinaus vielfach wirksam geworden. Das spinozistische Imaginäre, die Wahrnehmungswelt oder die Illusion der „ersten Erkenntnisgattung“ 11 und deren sozio-symbolische Stabilisierung im geteilten Obskurantismus des Aberglaubens, der marx’sche fetischistische Schein, Althussers Ideologie und Debords SpektaZu einer ersten Klärung des Begriffs s. u. , S. 39 Anm. 34. Immanuel Kant, Kritik der Urteilskraft, Hamburg 71990 (=KdU), 74–114 [=Seitenzahl der dritten Originalausgabe]). 11 Siehe Baruch de Spinoza, Ethik in geometrischer Ordnung dargestellt, Hamburg 1999, 181 f. (prop. 40, s 2). 9 10

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kel sind struktural kongruent.12 In diese doppelseitige Topik ist das Kunstwerk wie das menschliche Subjekt eingelassen. Es „badet in Ideologie“, wie Althusser sagt,13 aber es geht nicht auf in Ideologie, sondern bleibt ein Prozess der Wahrheitsproduktion, sofern es den Rand dieses Bads, sofern es die Dimension seiner bildlich irrepräsentablen Genesis berührt. In diesem topologischen Rahmen kehren sich die üblichen Vorzeichen von Kritik um. Und man verkürzt den Begriff der Moderne und der modernen Auf klärung entscheidend und lenkt sie in die Sackgasse des Positivismus, wenn man diese Umkehrung nicht mitdenkt. Die ideologiekritische Geste hat sich gewöhnlich als Brechung eines falschen Perfektibilitätsanspruchs verstanden, als die „ironische“ Erinnerung eines erhabenen Idealismus an die Gebrechlichkeit seiner endlichen Träger – des sterblichen Individuums und des materiellen Körpers des Werks, die als Gefäße der unendlichen Idee herhalten müssen. Zunächst in diesem Sinn werden im Folgenden Judds Perfektibilitätsphantasma oder Ad Reinhardts Traum von der Absolution des Bildes auf ihre Existenzbedingungen im historischen Raum zurückgeführt. Aber ist dies eine Geste der Verendlichung? Es ist die Kritik oder die Dekonstruktion – der Mitvollzug der Selbst-Dekonstruktion – einer Sphäre absoluter Unmittelbarkeit (Judd) oder absoluter Vermittlung (Reinhardt), die sich als Abschnürung vom Heterogenen oder vom Außen konstitutiert. Die Fetischisierung dieser Immanenz erzeugt die falsche Unendlichkeit einer erstarrten Gegenwart. In dieser Gestalt eines absoluten oder hypostasierten und dadurch substanzlosen Bildes fehlt dem Bewusstsein oder dem Denken, wie Hegel sagt, die Kraft, „das Tote fest zu halten“. Es schließt sich in den „Kreis“ eines „Leben(s), das sich vor dem Tode scheut und von der Verwüstung rein bewahrt“ 14 und sich eben dadurch dem Tod, dem Kristall als Trugbild des Ewigen assimiliert. Eine materialistische Kritik dieses Bildes, die in es die Widerständigkeit, die Reibung der Differenz wiedereinführt, geht nicht im Nachweis seiner irreduziblen Historizität auf. Sie ist nicht allein die Brechung seiner Siehe etwa Christopher Norris, Spinoza and the origins of modern critical theory, Cambridge/Oxford 1991; Yirmiyahu Yovel, Spinoza. Das Abenteuer der Immanenz, Göttingen 1994 (Kap. II. 4. , „Spinoza und Marx“); sowie den Abriss von Eugene Holland, „Spinoza and Marx“, in: Cultural Logic: An Electronic Journal of Marxist Theory and Practice, Vol. 2, Nr. 1 (Fall 1998), http://clogic. eserver.org/2-1/holland.html [25. 12. 2007]. Systematisch entscheidend sind die Versuche Althussers und Machereys, Spinozas Determinismus die Hegelschen Konzepte von Negativität und Widerspruch als Motor der Geschichte ersetzen zu lassen, um einen besseren, ateleologischen, subjektlosen Marxismus zu generieren (s. Louis Althusser, Eléments d’autocritique, Paris 1979; Pierre Macherey, Hegel ou Spinoza, Paris 1979). Spinozas Denken des Unendlichen als Dimension der unbewussten Produktion (s. Toni Negri, Die wilde Anomalie, Berlin 1982) ist jedenfalls sachlich wie historisch das Scharnier zwischen dem noch theologischen Denken der Renaissance und der materialistischen Auslegung des Seins in der nachhegelschen Philosophie. Das bezeugt seine Präsenz nicht nur in der marxistischen Tradition, auch die Lacansche Formel des Atheismus, „Gott ist unbewusst“, ist spinozistischen Ursprungs. 13 Zitiert nach: Benjamin H. D. Buchloh, Neo-Avantgarde and Culture Industry: Essays on European and American Art from 1955–1975, Cambridge (Mass.) / London 2000, 353; siehe dazu meine Rezension: „Mühen des Materialismus“, Texte zur Kunst, 11. Jg. , Nr. 44 (Dez. 2001), 207–212. 14 Georg Wilhelm Friedrich Hegel, Phänomenologie des Geistes, Hamburg 1988, 26. 12

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Idealität, sondern in eins damit die Explikation des Bezugs dieser endlichen Immanenz zum Unendlichen oder Inkommensurablen. Eine solche Überschreitung der Perfektion der Form, deren Präzision mit allen Mitteln der konstruktiven Bewusstheit dennoch angestrebt wird, auf das Inkommensurable, das Unkontrollierbare, hat Marcel Duchamp „Bejahungsironie“, „ironisme de l’affirmation“ genannt.15 Die Bejahungsironie bejaht die Persistenz des Todes, des Un-endlichen im endlichen Leben. Sie bejaht die Endlichkeit des Lebens, das in seiner Öffnung auf den Tod, auf das Chaos oder das Außen sich als Scharnier zwischen dem aspekthaften Bildbewusstsein und der unbewussten Partizipation am Unendlichen erfährt. Als ein solches Scharnier ist das Sein des Subjekts bei Spinoza bestimmt: als endlicher Modus des Unendlichen, das sich im Gesichtskreis dieses Modus zur bildförmigen Welt expliziert. Ich setze das Kunstwerk in Analogie zu dieser Struktur des Subjekts. Die Labilisierung klassischer Konzepte des Werks und der Werkeinheit sind in den so gefassten Werkbegriff integriert. Abgelöst von jeder morphologischen, medialen oder semiotischen Charakteristik ist aber am ontologischen Eigensinn des Werkgeschehens festgehalten. Es geht mit Blick gerade auf dezidiert objekthafte Werke wie die Ready-mades Duchamps und die minimalistischen Blöcke sinnlicher Präsenz darum, zu zeigen, dass das Werk seiner Seinsart nach prinizipiell nicht als Objekt, nicht als Vorhandenes bestimmt werden kann und sich deshalb nicht über die Eigenschaften des Objekts, das sein Körper sein mag, abgrenzen lässt vom „bloß Seienden“, wie Adorno sagt, von den Fakten und Situationen der konstituierten Welt. Jedoch soll dieser Mangel objektiver Kriterien nicht durch den Einsatz subjektiver ersetzt werden, die das in der Moderne zerstückelte und zerfließende Territorium der Kunst von der Seite der Rezeption aus konturieren. Was ich das Werkgeschehen nenne, konvergiert, anders gesagt, nicht mit dem Prozess der ästhetischen Erfahrung, wie ihn die vom Naturschönen ausgehende Ästhetik seit Kant entwickelt hat. Eine vom Subjekt aus gedachte Abgrenzung eines genuinen Bezirks der Kunst – ob von der utilitären Lebenspraxis oder vom kulturindustriellen Event – ist in der neueren Diskussion besonders mit Blick auf die post- oder polymediale Installationskunst versucht worden.16 Es werden dabei tendenziell die Züge der ästhetischen Marcel Duchamp, Die Schriften, übersetzt, kommentiert und herausgegeben von Serge Stauffer, Zürich 1994, 95; Marcel Duchamp, Duchamp du Signe. Ecrits, hg. v. Michel Sanouillet, Paris 21994, 46. 16 Siehe exemplarisch die Texte von Rüdiger Bubner (in: ders. , Ästhetische Erfahrung, Frankfurt a. M. 1989; ders. , „Ästhetische Erfahrung und die neue Rolle der Museen“, in: Menke/Küpper [Hg.], Dimensionen ästhetischer Erfahrung, Frankfurt a. M. 2003, 37–49), sowie das Buch von Juliane Rebentisch (Ästhetik der Installation, Frankfurt a. M. 2003), das in dieser Tradition ästhetischer Theorie steht, sich aber durch ein rares Bewusstsein (und Wissen) um die Komplexität der Werke auszeichnet, die daher mehr als nur „Beispiele“ sind. Eine Position, die die Abgrenzung einem verwandelten Begriff des ästhetischen Mediums anvertraut, hat in neuerer Zeit Rosalind Krauss bezogen (s. bes. dies. , „A Voyage on the North Sea“. Art in the Age of the Post-Medium Condition, London 1999; u. dies. , „Reinventing the Medium“, Critical Inquiry, vol. 25, No. 2, 289–305; dazu auch unten, S. 256, Anm. 447). 15

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Erfahrung oder des Geschmacksurteils, wie Kant es bestimmt, auf die Struktur des Kunstwerks projiziert. Die Losschneidung der „Gemütskräfte“ von der objektiven Einheit des Begriffs, der sie im Erkenntnisurteil unterliegen, findet so ihre Resonanz in der Bedeutungsoffenheit des Kunstwerks, dem die eindeutige signifikative und kognitive Beziehung auf ein Referenzfeld abgeschnitten ist. Das dreifache „Ohne“ – ohne Begriff, ohne Zweck und ohne Interesse an der Existenz des Gegenstands –, das nach Kant die Autonomie der ästhetischen Erfahrung gegenüber den Ansprüchen der Kognition und der Praxis konstituiert, ist so in der inhaltlichen Unverbindlichkeit des Kunstwerks reflektiert, das, was es zeigt, in die Klammer des Nur-Erscheinenden setzt. Man hat aus dieser Unverbindlichkeit in paradoxer Weise politisches Kapital geschlagen. Schon Kant selbst und nach ihm Schiller haben das vom Zwang der begriff lichen Programmierung befreite Spiel der Gemütskräfte als Vor-Bild gesellschaftlicher Kommunikationsprozesse gedacht.17 Die ästhetische Erfahrung wurde so als Reflexionsfigur der politischen bestimmt. Gerade dieser Zug ist in die aktuelle Theoriebildung eingegangen. Der begriff lose Einigungsprozess der Kunst, der die formalen Vielheiten nicht im statistischen Entscheid in binäre Oppositionen zwingt, sondern sie als solche integriert, wird als Maximalbild der Gewaltreduktion gedacht, die das Feld demokratischer Politik konstituiert.18 Die Voraussetzung dieser Konzeption ist die ästhetische Epoché, die Einklammerung oder die Störung des Signifikationsbezugs des Kunstwerks, der sich an einem Überschuss materieller Resistenz des Signifikanten, an der Körnung des ästhetischen Mediums bricht. Diese Abschneidung des Felds der ästhetischen Formen von der referentiellen Bindung resultiert in der temporären Suspension der partikularen Identitäten der Subjekte, die sich in der neuen Narrativierung der Gegenwartskunst zugleich respektiert und bestätigt sehen, und macht die ästhetische Erfahrung zum Element oder Katalysator der gefügigeren, spielerischen, selbst „ästhetischen“ Kommunikation, zur Propädeutik gewaltloser Meinungsbildung. Dieses Spiel der intersubjektiv geöffneten ästhetischen Erfahrung bleibt jedoch insgesamt ins Element der anschaulichen Gegenwart des Werks eingelassen. Es setzt nach der kantischen Bestimmung die Reduktion des Interesses an der Existenz ihres Gegenstands, des Werks, voraus. Diese Existenz ist es, die die narzisstisch-reflexive Konstellation der ästhetischen Erfahrung des Schönen, die sich in ihrer intersubjektiven Öffnung nicht verliert, sondern auf das Kollektivsubjekt des Publikums überträgt, begrenzt und unterbricht. Eine der geschichtlichen Seinsweise des Werks angemessene Zugangsweise kann das Interesse an seiner Existenz nicht aussschließen. Die Existenz und die Form dieser Existenz, ihr reflektorisches, affirmatives oder kritisch-antagonistisches Verhältnis zur Welt, die schon ist, gehören wesentlich zur Seinsweise des Werks. Die Form des Werks ist nie eine Form innerhalb des Kreises, den die ästhetische Einbildungskraft stabilisiert. Sie ist auch nicht die offene Form des „freien Spiels“ solcher Formen. Sie 17 18

Siehe Friedrich Schiller, Über die ästhetische Erziehung des Menschen, Stuttgart 1965. Dazu kritisch von der Seite der formalen Theorie der Politik Alain Badiou, Über Metapolitik, Zürich/Berlin 2003, bes. 29 ff.

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ist die Zeitgestalt, die das Feld dieses Spiels insgesamt auf die heterochrone Zeit der Produktion, der Dauer und des Gewordenseins des Werks bezieht. Dieser Bezug, der die zeitliche Nicht-Identität des Kunstwerks und seine Resistenz gegen die Auf hebung in eine wie immer bestimmte Gegenwart konstituiert, ist die Geschichtlichkeit des Werks. In sie sind seine Inhalte, das Bedeutete oder Gezeigte aufgenommen, ohne deshalb notwendig ästhetisch „eingeklammert“ zu sein. Die Politizität der Kunst muss als Moment der Geschichtlichkeit des Werks gedacht werden. Das reduziert, was hier politisch heißt, nicht auf den journalistisch-okkasionellen Bezug auf die historische Welt. Aber ebensowenig ist die okkasionelle Bindung aus dem Werkgeschehen ausgeschlossen. Es ist klar, dass Kunst ihre politische Relevanz nicht in den Netzen ihrer Referentialität einfangen kann. Ihre Gehalte gewinnen nur als Momente des Werkgeschehens Geltung, nicht das Werk als wie immer getrübter Ausblick auf eine schon existente Welt. Dieses Geschehen ist die Selbstexplikation seines Weltbezugs, zu dem die direkte dokumentarische Referenz gehören kann. Die Idee, dass Kunst ihre Politizität aus ihrer inhaltlichen Unverbindlichkeit bezieht, degradiert sie theoretisch zu dem Luxusgut, das sie oft tatsächlich ist. Nicht die Störung der Verweisung durch die Körnung des ästhetischen Signifikanten, sondern die Kraft des Werks seine partikularen Inhalte, die Figuren und Bilder, die seinen Körper beschlagen, als Material zweiter Ordnung in seine Form aufzuheben, konstituiert das Werkgeschehen. Diese Form ist die Form seines Weltverhältnisses, dass sich ebenso durch die Insistenz einer zeichenlosen Wahrnehmungssubstanz artikulieren kann, wie durch die dokumentarisch-referentielle Verzahnung mit den Fakten der historischen Welt. Ein Begriff der Politizität von Kunst, der Heartfield gegen Mondrian ausspielen muss oder umgekehrt, genügt seiner Sache nicht. Die volle Transparenz und die äußerste Opazität der Verweisung können zusammenfallen durch die Bindung des imaginativen Referenz- und Perzeptionsfeldes an die Existenz des Werks. Das Werk sagt sich aus durch die Gestalt seiner Existenz. Die Zeit seiner Existenz ist der Atem, der Antrieb seiner Sinnproduktion, in die alle seine formalen und materiellen Momente, einschließlich der referientiellen Anknüpfungen aufgenommen sind. Das schlechthin Unselbstverständliche dieser Existenz ist der Träger, der alle Verweisungen abbindet und opak werden lässt, ohne sie verschleiern zu müssen. Die Existenz des Werks ist der Grat zwischen der ästhetischen Gegenwart – die repräsentational geöffnet, allegorisch und narrativ ausgefaltet oder symbolisch angereichert sein mag und so mit einer ihr eigenen zeitlichen Tiefe versehen sein kann – und der heterochronen Dimension der Produktion, der absoluten Vergangenheit, die sich in der Gegenwart nur als sich verschließende zeigt. In die Terminologie Heideggers übersetzt ist diese Dimension der Sedimentation die „Erde“, in die das Weltspiel des Werks „zurückgestellt“ ist.19 Die ästhetische Materialität des Werks – die nicht sein Werkstoff ist, sondern die Materialität, die im Wahrheitsspielraum des Werks als wi-

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Siehe Martin Heidegger, „Der Ursprung des Kunstwerks“, in: ders. , Holzwege, Frankfurt a. M. 61980, 32 ff. u. 49 f.

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derständig opake insistiert und an der sich die direkte Verweisung bricht20 – zeigt sich im Riss zwischen der Dimension der Produktion oder der absoluten Vergangenheit und dem anschaulichen Spiel des Sinns. Materialität ist der phänomenale Ausdruck der Unauf löslichkeit, der Unabänderlichkeit, dessen, was schon war. Sie ist die in den Schnitt der Gegenwart reichende Dimension der Sedimentation, in die das Werk als Produziertes, als Spur, als Rest zurückreicht, die sich aber in seiner Anschaulichkeit nur als Widerstand und Grenze zeigt. Diese Resistenz zu explizieren, ihr eine Gestalt zu geben, gehört zu den Bestimmungen des ästhetischen Scheins. Was ich die Krise des Bildes, des Imaginären oder der Form der Gegenwart des Werks nenne, ist nichts anderes als der Bezug zu dieser Grenze, deren andere Seite der Bildträger, die Dimension der Produktion, des Unbewussten oder der noumenalen Differenz ist. Das Werkgeschehen ist daher nicht mit dem Spiel des Sinns kongruent, es konstituiert das Feld dieses Spiels durch seinen Bezug auf die inkommensurable Dimension des Trägers. Der Streit, der das Feld der Phänomenalität öffnet, nicht das Spiel des anschaulichen Sinns ist die Geschehnisweise des Werks. Dieser Streit, die notwendig blinde Überschreitung der Bildform, ist die Erfahrung der Grenze der Gegenwart – oder des Horizonts der Welt. Kant hat die Struktur dieses Streits in der „Analytik des Erhabenen“ als die scheiternde Synthesis der Einbildungskraft angesichts des formlosen Unendlichen gedacht. In diesem Scheitern öffnet sich das Werk auf die Grenze der Bedeutsamkeit der Welt, auf Nicht-Bedeutung und Nicht-Welt. Durch seine Begrenzung konstituiert es den Spielraum seiner Weltoffenheit. Dieser Spielraum der anschaulichen Immanenz oder des Scheins ist der Bezirk der endlichen Wahrheit des Werks. Die Wahrheitsfunktion ist die Leistung des Werks, diesen Spielraum zu öffnen und offenzuhalten, indem es ihn begrenzt.21 Seine Referentialität oder Bedeutsamkeit und jede andere partikulare Funktion ist an in diesem Spielraum entdecktes oder entborgenes Seiendes gebunden, ob im Bildraum repräsentationaler Malerei oder im Feld der Sichtbarkeit nachminimalistischer Installationskunst. Die Wahrheitsfunktion des Werks ist die Konstitution des Spielraums der Sichtbarkeit selbst, die Ermöglichungsbedingung jeder partikularen Bedeutung und Funktion. Sie gründet nicht im „richtigen“ Bezug auf einen Gehalt, sei dieser Bezug dokumentarisch, kognitiv oder praktisch. Sie ist der Ermöglichungsgrund der Gesamtheit solcher Bezüge. Wahrheit ist hier weder als substanzieller noch als relationaler Begriff gefasst, weder als die reflexionslose Positivität eines An-sich-Seins, noch als die vermittelte Beziehung eines Ensembles gegebener Zeichen auf ein Gegenstandsfeld. Wahrheit als Unverborgenheit, mit Heideggers Wort, ist der Ort der Setzung und Erfahrung solcher Positivität und der nicht-seiende Spielraum solcher Bezüge innerhalb des Seienden. Sie ist der Horizont des Erscheinens des Seienden, den 20 Siehe zu dieser Aneignung der Heideggerschen Begriffe Christoph Menke, Die Souveränität der

Kunst. Ästhetische Erfahrung nach Adorno und Derrida, Frankfurt 1991, 174 ff. Ich schreibe die Bestimmung ästhetischer Materialität zusätzlich in eine temporal-ontologische Topik, die die ästhetische Erfahrung auf den konkreten Begriff der Geschichtlichkeit des Werks bezieht. 21 Zur Struktur von Wahrheitskonstitution als Beziehung auf die Dimension irreduzibler Verschließung (Lethe) von Welt und Bewusstsein s. Marcus Steinweg, Behauptungsphilosophie, Berlin 2006.

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das Kunstwerk öffnet, ohne diese Öffnung im Bezug auf ein Gezeigtes, auf eine Figur oder einen gegenständlichen Gehalt abzubinden – auch nicht, wenn dieses Gezeigte, wie in der Minimal Art, allein der materielle Körper des Werks selber wäre, in den keine artikulierte Differenz mehr eingeschrieben ist. Wahrheitsproduktion ist die einzige mögliche Funktionsbestimmung von Kunst unter dem Regime ihrer Autonomie, von Kunst, die sich keine Zwecke von einer geschichtlichen Autorität (der Kirche, dem Staat, der liberalen Öffentlichkeit) vorgeben lässt. Jede spezifische, im genannten Sinn partikulare oder ontische Funktion, lenkt den Werkprozess in den ob signifizierenden oder unmittelbar praktischen Bezug auf einen Teilaspekt um. Die Immanenz des Werks in der Welt wird verdoppelt, nocheinmal einwärts gefaltet, und sein Geschehen wird auf einen innerweltlichen Sinn oder Zweck hin kanalisiert. Gegen diese Abbindung der Endlichkeit seiner Erschließungsfunktion in einer endlich-figurativen Referenz wird das Werk nur durch die konstruktive Überschreitung dieser Erschließungsfunktion, durch die Einschreibung des Scheins in den Grundriss seiner Genesis mächtig, die es an die Nicht-Welt, an das Chaos oder das Unendliche grenzen lässt. Es ist diese erhabene Struktur des Werkgeschehens, die die ästhetische Erfahrung auch des Schönen in sich reflektiert. Der Schnitt des dreifachen „Ohne“, der die ästhetische Erfahrung von der kognitiven oder praktischen Bindung an eine seiende Gegenständlichkeit befreit, ist an dem Horizont festgemacht, der in der Dichte des noumenalen Seins die Öffnung der Negativität, der endlichen, perspektivisch-aspektaften Erschlossenheit der Welt einzeichnet.22 Die Epoché der ästhetischen Erfahrung ist keine Leistung des Subjekts der Rezeption. Die negativen Bestimmungen ihrer Autonomie reflektieren ihr Eingelassensein in den Spielraum der ontologischen Differenz, das Nicht-Sein des Scheins oder der endlichen Wahrheit und Weltoffenheit des Werks. Dass die Frage nach dem Werkbegriff in der Moderne, die das veränderte Weltverhältnis des Werks ins Zentrum stellt, sich nicht als isoliert kunsthistorische verstehen kann, liegt auf der Hand. Dennoch bleiben im Folgenden sowohl die Anschlüsse an die Biografie der Autoren wie die Ausblicke auf die politische und soziale Geschichte des Jahrhunderts zurückhaltend. Zwar spielen die Rezeptionsgeschichte der Minimal Art, Duchamps und vor allem Pollocks und damit jeweils ganze diskursive Räume, die politisch äußerst gesättigt sind, eine bestimmende Rolle für die Ausrichtung und Scharfstellung des eigenen verspäteten Blicks. Jedoch bleibt dieser Blick wesentlich auf die Morphologie und die Struktur der behandelten Werke eingestellt. Die Welt, auf die sie sich beziehen, wird nicht primär als Entstehungsgrund und Kontext thematisch, sondern als die Welt, die sich und wie sie sich in ihnen zeigt. Ebenso die 22 Der Verlauf dieses Schnitts lässt sich vom ersten Satz der Kritik der reinen Vernunft, der die end-

liche, auf sinnliche Anschauung angewiesene menschliche Vernunft von sich selbst als Vernunft überhaupt scheidet, über die die „transzendentale Dialaktik“, die die Struktur der Kluft von Endlichkeit und unabweisbarem Unendlichkeitsbezug ausleuchtet, und die Kritik der praktischen Vernunft, die sie als den Ermöglichungsgrund der Freiheit denkt, bis in die „Analytik des Erhabenen“ in der Kritik der Urteilskraft verfolgen, die den Rückschlag der Inkommensurabilität von Vernunftidee und Anschauungsvermögen auf die Sinnlichkeit selbst thematisiert.

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Autoren. Dass Donald Judd sich durch seine Arbeit als phobisch-narzisstische und „sehr fragile“ Person, wie Dan Graham einmal sagt,23 abzeichnet, ist für mich weder biografisch belegbar, noch als kausale Beziehung zwischen Autor und Werk von Belang. Noch die Künstler, die in meiner Erzählung die Rolle der Heroen einnehmen, wie vor allem Duchamp, Mondrian und Warhol, interessieren mich ausschließlich im Licht ihres Werks. Damit soll nicht für eine formalistische Sterilisierung oder eine autonome Geschichte der Kunst plädiert sein. Modelle solcher Sterilisierung wie die modernistische Teleologie der Abstraktion – die Dialektik der Selbstreflexion und Selbstkritik der Künste, die nach Clement Greenberg deren Entwicklung steuert (s. u. „Der Geist ist ein Knochen. Greenberg mit Hegel“, S. 231 ff.) – sind nur diskursive Figuren in dem behandelten historischen Feld, das sich weniger gesetzmäßig ordnet. Sicher bezieht sich Kunst wesentlich auf Kunst – und mein Vorgehen besteht zum guten Teil darin, solche Beziehungen zu (re-)konstruieren, durch die Werke sich wechselseitig beleuchten und in ihrer Differenz und Singularität erhellen. Aber das Beziehungsgeflecht löst sich deshalb nicht vom realhistorischen Raum. Die Hinsicht, der gemäß die Beziehungen der Werke sich ordnen, betreffen gerade ihr Weltverhältnis, d. h. die Struktur ihrer Beziehung auf ihren inkommensurablen Träger, die ihrem Weltverhältnis als der im weitesten Sinn referentiellen Dimension die Gestalt und Grenze gibt. Die Werke stehen also, so sehr es um ihren Eigensinn, um ihre Materialität und ihre Herstellungsweise, ihre innere Logik und ihre Stellung in einem Werkzusammenhang geht, nie isoliert im Blick. Bis in die im engsten Sinn formalen und materiellen Qualitäten ist der Eigensinn des Werks nie etwas anderes als ein Moment seiner Kapazität, eine Welt zu reflektieren oder zu konstituieren. Das kann als Ertrag der ontologischen Scheidung des Werkgeschehens von seinen objektiven Substraten festgehalten werden: Die Materialität des Werks ist nie die Materialität eines Faktums der Sinnlichkeit, seine Form nicht die comprehensio eines Empfindungsmaterials. In seiner Gesamtheit, in allen Zügen seines Seins ist das Werk in die Bewegung der Explikation seines Weltverhältnisses eingespannt. Und das gilt auch und gerade für dezidiert objekthafte, stumme und in ihre schiere Präsenz zusammengezogene Werke, wie die Objekte Judds, die Streifenbilder Stellas und die Ready-mades Duchamps. Die Betrachtung der Form meint immer die Artikulation der Beziehung auf ein Differentes mit; eine Beziehung, deren Diversifizierung über alle etablierten Modelle (ikonischer, indexikalischer, symbolischer) Referentialität hinaus nicht mehr unter dem Begriff der Sinnkonstitution, sondern der Wahrheitsproduktion gefasst werden muss: Entwurf und Öffnung eines Spielraums möglicher Bedeutsamkeit, möglicher Beziehungen auf die Bilder der Welt und des Selbst, eine Öffnung aber, die nur von ihrer Grenze her Struktur und Stabilität gewinnt.

23 „I think Judd was a very strange character, a very fragile person. A lot of his work was influenced

by women artists, and in the end he was super-macho and paranoid. Typical American. Very fragile.“ (Hans-Ulrich Obrist, „Interview with Dan Graham, New York 2001“, in: H.-U. Obrist, Interviews. Volume I, Mailand 2003, 340).

Bildkritik und Wahrheitsproduktion

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Die miteinander verspannten Werkanalysen, die den größten Teil des Buchs ausmachen, sind so, ohne explizit kontextualisiert zu sein, in einen historischen und subjektivitätstheoretischen Horizont gestellt. Diese Konstellation soll in den Leitworten „Abstraktion – Kapitalismus – Subjektivität“ angezeigt sein. Gerade in Bezug auf die Kunst der Moderne, die vom Geschichtenerzählen Abschied genommen hat und fast nur in reaktionären Momenten zur Historienmalerei zurückgekehrt ist,24 die also ihren Weltbezug in der Form selbst realisiert, muss das Verhältnis von Formgeschichte und Weltgeschichte explizit formalisiert werden. Unter Abstraktion ist hier im weiten Sinn die Repräsentationskritik der Moderne einschließlich der Ready-made Strategie Duchamps verstanden, die thematisch im Zentrum des Buchs steht. Der Begriff des Kapitalismus verweist auf den Automatismus der Marktprozesse und der Akkumulation als den Motor der gesellschaftlichen Modernisierung, die die moderne Kunst reflektiert, kritisiert oder feiert – und der sie, wie T. J. Clark sagt, ein Auge einsetzen will.25 Kapital ist der Name für das subjektlose Subjekt der Geschichte, den Träger einer Welt, die sich nicht mehr dem autonomen Individuum der Neuzeit in einem geordneten Tableau der Zeichen repräsentiert, sondern sich in Zyklen der Produktion und Reproduktion, in die die Subjekte als enteignete Produzenten und Konsumenten eingelassen sind, auf dem Boden der Produktivität der allgemeinen Natur realisiert. Der Ikonoklasmus des modernen Werks, das sich für den Blick der Betrachter nicht mehr auf einen gegenständlich-figurativen Sinn öffnet, trägt dieser Verfassung der Welt Rechnung, in der die Einzeldinge wie die individuellen Subjekte in die Glieder eines anonymen Geschichtsprozesses verwandelt sind. Es geht also nicht nur um die zunehmende Warenförmigkeit von Kunst – zunehmend in dem intensiven Sinn, dass die Warenform die Bildform als Matrix des Weltbezugs des Werks unterwandert und ersetzt –, sondern um den Reflex, den die kapitalistische Deterritorialisierungsbewegung, die expandierende und vertief te Beziehung aller Seinsbereiche auf die Matrix der Wertäquivalenz im Ikonoklasmus des modernen Kunstwerk findet. Es geht um die Analogie zwischen der epistemischen Arbeit der Bilddestruktion oder der Destruktion des Eidos in der Kunst der Moderne und der Beziehung nicht mehr nur der Repräsentation, sondern der Selbstreproduktion der Welt auf die Bewegung der gleichförmigen Menge des Zählbaren, der Vielfachen der Eins, der gespeicherten und geschichteten, externalisierten menschlichen Arbeitskraft und menschlichen Zeit. Die Geschichte, an die die Formgeschichte, die immanente Geschichte der Kunst hier ihren Rückschluss sucht, ist daher nicht die der Öffentlichkeit, der Formen der Kommunikation oder der Verwaltung der Welt. Es ist nicht die politische Geschichte, die sich im Werk reflektiert. Den Grund der geschichtlichen Bewegung, die die moderne Kunst mitvollzieht, vorantreibt oder der 24 Die bedeutendste Ausnahme stellt das Spätwerk Malewitschs dar. Erst nach den sechziger Jahren

gibt es, vermittelt über die Fotografie, die allgemeinere Möglichkeit moderner Historienmalerei, für die Gerhard Richters Werk exemplarisch ist. 25 Siehe die „Introduction“ in: T. J. Clark, Farewell to an Idea. Episodes from a History of Modernism, New Haven / London 1999, 1–13, bes. 8 u. 11 f.; im Buch selbst beleuchten besonders die Essays zu Malewitsch und Pissarro die Reflexionsbeziehung zwischen der Bilddestruktion und dem ökonomischen Grund der politischen Repräsentation.

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Einleitung

sie sich nostalgisch entgegensetzt, macht die Kapitalakkumulation im weiten Sinn aus: die Entwicklung der marktfähigen Produktivkräfte, die Rationalisierung der Produktionsprozesse, die Ausdehnung und Vertiefung der Herrschaft der Rechnung über die sich gebende Natur. Es mag sein, dass diese Verweisung der politischen Geschichte in den Bereich der Repräsentation und des Selbstbildes einer Gesellschaft, deren Entwicklungsgesetze ökonomische sind, allzu klassisch marxistisch erscheint. Aber mir geht es nicht um eine „Determination in letzter Instanz“ 26, die die Kunst mit zum abgrenzbaren kulturellen Überbau zählte. Die Kunst durchquert den Raum der kulturellen und politischen Öffentlichkeit, den Raum der kommunizierbaren Inhalte und Meinungen, dem sie in intensiver Weise angehört, um ihren Entwurf einer möglichen Welt auf das ökonomische Unbewusste nicht nur der Politik zu beziehen. Zu diesem setzt sich die abstrakte oder bildkritische (nicht bildlose) moderne Kunst in Beziehung, ihm gibt sie ein Gesicht. Sie schematisiert nicht die Formen der Debatte, der Öffentlichkeit, der Meinungsfindung. Die Eröffnung eines Raums der Diskussion ist nur einer ihrer Effekte, ein Effekt dessen, dass sie diesen Raum begrenzt. Die Form von Kunst besteht und entsteht im Bruch mit der Möglichkeit von Kommunikation. Sie schematisiert nicht den Raum der demokratischen Liberalität, sondern die Opposition, den Streit von „Arbeit“ und „Kapital“, von lebendiger und toter Arbeit, der Aktualität von Handlungsoptionen und der trägen Bewegung einer statistischen Maschinerie, deren in sich zurückgespiegelte Oberfläche als die öffentlich affirmierte Realität der Fakten und Notwendigkeiten oder als Bild der Welt erscheint. An diesem Streit, an dieser Opposition, an diesem universellen Antagonismus partizipiert das Werkgeschehen. Abgesehen davon, dass die Spannung von Theorie und Geschichte zu den konstitutiven Zügen der Kunstgeschichte gehört, ist die theoretisch-philosophische Ausrichtung des Texts sicher ausgeprägt. Ich glaube, dass die Umwälzung der modernen Kunst von der Kunstgeschichte noch längst nicht aufgefangen und in eine Transformation ihrer Methoden und Grundbegriffe übersetzt worden ist. Zu dieser Übersetzung will das Buch einen Beitrag leisten. Das thematische Material ist auch gemäß dieser Aufgabenstellung gewählt. Die werkanalytische Arbeit grenzt auch deshalb häufig an genuin philosophische Fragehorizonte. Dennoch versteht sich die Untersuchung insgesamt als eine historiografische. Mit den Begriffen des Weltverhältnisses und seiner Grenze, der Repräsentation und ihrer Kritik, des präsentischen Objekts und der Inzidenz der Spur, die dieses auf seine Produktionsbedingungen öffnet, mit dem Verhältnis von Werk- und Bildbegriff und ihrer Reflexion in der Struktur von Subjektivität sind jedoch die metaempirischen Begriffe angezeigt, die es erlauben, das weite und heterogene Feld des Historischen zu durchmessen und zu ordnen. Um die Verkürzung der Phänomene auf die immer fast leeren Allgemeinbegriffe („die Abstraktion“, „die abstrakte Malerei“) ebenso zu vermeiden, wie die 26 Zur Komplizierung der „letztinstanzlichen“ Determination durch die ökonomische „Basis“, s.

Louis Althusser, „Widerspruch und Überdeterminierung“, in: ders. , Für Marx, Frankfurt 1968, 52–100.

Bildkritik und Wahrheitsproduktion

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bloß informative Faktenerzählung, werde ich singuläre und paradigmatische Positionen umreissen und aufeinander beziehen. Ad Reinhardt und Duchamp, Pollock, Newman und Mondrian, Robert Rauschenberg, John Cage und Jasper Johns, Frank Stella, Andy Warhol, Donald Judd und Robert Morris, die Pollock-Rezeption der sechziger Jahre sowie die beginnende Konzeptkunst und Institutionskritik – das wären die Namen und das Feld. Es geht mir nicht darum, eine Geschichte der Moderne zu schreiben, die diese Heterogenität in ein einheitliches Narrativ einbindet. Ich versuche aber – und das kann Geschichtsschreibung nur durch die Prägung und Explikation ihrer leitenden theoretischen Begriffe leisten –, eine Lesbarkeit dieses Feldes zu konstruieren, die seine Nicht-Darstellbarkeit respektiert, aber es als Feld von Denkmöglichkeiten, von möglichen Weisen des Weltbezugs der Werke und von Lebensformen des Subjekts erschließt. Damit ist das Element angezeigt, das die Spannung zwischen der philosophischtheoretischen und der historischen Dimension überbrückt. Es ist die Kritik, die Wertung der Werke – oder eher: die eigene Positionierung in Bezug auf sie. Die Kunstgeschichte in ihrer positivistischen ebenso wie historistischen Ausrichtung hat wenig Sinn für die Aufgabe der kritischen Stellungnahme, der Selbstpositionierung in Bezug auf ihre Gegenstände entwickelt. Die Wertung selbst gilt als unwissenschaftlich – und intolerant. Wenn Kunstwerke aber ein Modell und einen konkreten Vollzug von Subjektivität implizieren, kann die eigene Positionierung nur um den Preis der Reduktion von Kunstgeschichte auf die archivarische und sekundäre Arbeit vermieden werden, die ihr Klischeebild in der Öffentlichkeit (und vor allem bei den Künstlern) tatsächlich prägt. Die Aufgabe der Kritik, des Scheidens und Unterscheidens von Kunst und Nicht-Kunst, von guter und schlechter Kunst anzunehmen, ist die einzige Möglichkeit, auf die Höhe des Gegenstands zu gelangen. Der Versuch, Kunstwerke als Objekte des Wissens in szientifischer Neutralität stillzulegen, verfehlt sie in ihrer Seinsart. Die Krise, die sie auszeichnet, hat die Auseindersetzung mit ihnen, zu teilen. Die gängige Frage lautet natürlich: woher die Kriterien der Unterscheidung nehmen? Sicherlich nicht – um der Labilität des ästhetischen Urteils zu entgehen – von der Moral, von einer „politischen Haltung“ des Autors, die sich im Werk „niederschlägt“. Die Kriterien aus der ästhetischen Erfahrung zu gewinnen, wird als methodische Maxime unverzichtbar bleiben, wenn gilt, dass die ästhetische Urteilskraft nichts anderes als das Taktgefühl in der Annäherung an den historischen Komplex des Kunstwerks ist, das Element der Kompossibilität aller Methoden der Kunstwissenschaft und aller Ausfallschritte der Phantasie, die dazu beitragen, dieses „Objekt“ in seiner Geschichtlichkeit, in seinen Dependenzen und Wirkungen, in seiner Stellung zur Welt zu erfassen. Dann wird das ästhetische Urteil keine Meinungsäußerung mehr sein, sondern eine Standortbestimmung, dessen, der es ausspricht. Dieses Aussprechen geht in der Arbeit der Sichtbarmachung des Werks und seines Weltbezugs auf. Es ist die Versprachlichung der Werkerfahrung selbst.

I. Zwischen Ready-made und Monochrom

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A Untitled, 1962. Was gegeben ist. Im Horizont des Archivs. – Wie soll man es also anfangen, nach dem Weltverhältnis des Werks zu fragen? Wo und wann die Grenze ziehen zwischen dem, was wesentlich und zugehörig ist, und dem, was es nicht ist? In welchem Horizont kann diese vielleicht zu frontale und unbestimmte Frage artikuliert werden, wenn die Werke, um die es geht, wie exemplarisch die Arbeiten Don Judds, Objekte sind, die von sich her oder aus sich heraus kein Bild einer Welt projizieren, – Objekte, die „abstrakt“ oder „konkret“ sind und einfach vorhanden zu sein scheinen, in einem Raum, an einer Wand oder auf dem Boden, in wechselnden Situationen? Diese Situiertheit selbst ist offenbar eine erste Form, die Form der Unmittelbarkeit, in der das Weltverhältnis des Werks erscheint: die präsentische räumliche Relation, der rechte Winkel einer auskragenden Box zur Wand, der immer gleich bleibt, der zur „Definition“ des Werks gehört, die Maße und der vorgeschriebene Abstand von sechs Kuben, die in einer Reihe auf dem Boden stehen, an der Wand oder abgerückt von ihr, eine teils materielle, teils juridische Integrität oder Starre. Ist diese räumliche Gegebenheit der Werke die selbstverständliche Basis und der Horizont einer Thematisierung ihres Weltverhältnisses? Sie ist jedenfalls eine Schicht, über die eine Analyse nicht hinwegsehen kann. Aber offenbar auch nur eine Schicht: die präsentische Situation ist notwendig von verschiedenen Kontingenzlinien durchzogen. Von den objektiven und teilweise vom Werk selbst gebildeten räumlichen Relationen sind die Besonderheiten der wechselnden Räume, in denen die Objekte installiert sind, das Licht und die Schatten, das nicht völlig antizipierbare Spiel der Reflexionen usw. schwer abzuziehen. Die Wahrnehmung trifft immer Anderes, Zufälliges, vielleicht Störendes mit. Das Werk zeichnet „seinem“ Raum einen unscharfen ontologischen Hof ein. Und es ist als die Raumsituation selbst veränderlich und unkontrollierbar. Wo liegt also die Grenze zwischen dem Werk in seiner wesentlichen Situiertheit, der Konstellation von Objekt, Architektur und Leerraum, die auch Installation

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Untitled, 1962. Was gegeben ist

genannt wird, und dem, was bloß Umgebung und zufällig in der Nähe befindlich ist? Judd sagt einmal, dass sein Werk von seinem Interesse für sein „Verhältnis zur natürlichen Welt“ geprägt sei. „My work has the appearance it has, wrongly called ‘objective’ and ‘impersonal’, because my first and largest interest is in my relation to the natural world, all of it, all the way out.“ 27 Das lässt sich atmosphärisch und fast cinematisch auf die großen Permanenten Installationen Judds in Marfa, in SüdwestTexas, beziehen, auf die hundert Aluminiumboxen in zwei ehemaligen Artilleriehallen, deren skelettierte Architektur auf die flache Landschaft und den Wechsel von Licht und Wetter geöffnet ist (s. fig. 250). „All the way out“, das ist dort räumlich und konkret zu verstehen, die Installation ist auf den Horizont der Landschaft und den Himmel, auf eine unkorrumpierte Natur bezogen. Erreicht Judds Arbeit ihre Integrität vielleicht nur unter einem so „totalisierten“ Horizont einer virginalen Natur, die, wie Judd anderswo sagt, „wenn sie nicht vom Menschen bearbeitet ist, keine Bedeutung hat“?28 Wir werden auf das Verhältnis des räumlichen und des geschichtlichen Horizonts von Judds Werk später zurückkommen, ebenso auf die Frage, was hier Bearbeitung und Nicht-Bearbeitung der Natur heißen kann, ob die Bearbeitung nicht mit dem Sehen selbst – als einer Art Fotografie – beginnt. Naheliegender – in dem Maß wie Marfa geografisch fern liegt und die Installationen dort einzigartig sind –, naheliegender ist die Frage, wie sich das Wesen und die Grenzen ihrer Situation beim temporären Aufenthalt von objektartigen Werken in Museen und Galerien, in öffentlichen und privaten Sammlungen, auf dem Kunstmarkt und im Stadtraum bestimmen. Es ist die Minimal Art und die bildlose, opake Präsenz der minimalistischen Objekte gewesen, von der ausgehend in der Kunst und Kunstkritik der späteren sechziger Jahre klar wurde, dass die räumlich-phänomenale Definition des Situationsbegriffs gerade nicht ausreicht, um die Seinsweise – die Signifikanz und die Wahrheitsfunktion – des Werks zu erfassen. In der Folge der Minimal Art ist daher die Bestimmung der Definitionsebene oder des Definitionsmilieus der Situation des Werks einer der wesentlichen Diskussionspunkte gewesen. Der Situationsbegriff oder der Horizont der Selbstreflexion und Selbstdefinition des Werks hat sich dabei schrittweise erweitert: Ausgehend von der Tradition bildender oder visueller Kunst, die ein Primat des Zugangs durch die sinnliche Wahrnehmung zu implizieren scheint – ein Primat, das historisch erst für das säkularisierte Werk der Neuzeit und der Moderne so selbstverständlich Geltung beanspruchen kann –, hat die Vollräumlichkeit der minimalistischen Objekte bereits deutlich gemacht, dass diese Wahrnehmung nicht mehr, wie gegenüber dem Ereignis der Fläche in der Malerei, als isoliert visuelle und zeitlich auf den „Augenblick“ beschränkte das Element darstellt, in dem die Werkanalyse sich realisiert. Es ist offenbar der ganze Verlauf einer leiblichen Wahr27 Donald Judd, Complete writings 1975–1986, Eindhoven 1987, 32 (ab hier zitiert als CW II mit

Seitenzahl).

28 „Free-standing works, single or several, on level land are not a problem to place. The land is always

beneficial as space and if not remade by man has no meaning. Placing free standing works in cities is a problem…“. Donald Judd, „21 February 93“, in: Donald Judd. Large-Scale Works, New York 1993, 9–13, 11.

Im Horizont des Archivs

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nehmungserfahrung in seiner räumlichen, zeitlichen und individuellen Konkretion und Kontingenz, der das Element und den Stoff der Werkanalyse abgeben muss. Wo und wann aber beginnt diese Wahrnehmungserfahrung und in welchem (räumlich und zeitlich definierten) Moment wird sie zur Erfahrung des Werks? Die Objekte haben weder Sockel noch Rahmen, die früher eine Beantwortung erleichterten. Sie sind keine Bilder, die einen Blickpunkt oder Standpunkt eines Betrachters vorzeichnen, indem sie sich als „Rahmen“ auf ein ideell Gezeigtes öffnen. Sie stehen oder liegen auf dem Boden oder hängen an der Wand oder der Decke eines Raums, eines betretbaren Raumvolumens. Der Betrachter bewegt sich zwischen ihnen, ein weiterer, relativ zu ihnen und zum Architekturraum situierter und bewegter Körper. Die räumlich synchrone Situation spult sich ab in der Sequenz der Wahrnehmungsbilder, die ein bewegter Betrachter von ihr aufnimmt. Daraus hat man geschlossen, dass der erste Gegenstand einer unvoreingenommenen phänomenologischen Analyse des Werks dieser Film, dieses kinästhetische Video sein müsse: die Präsenz der Objekte als subjektiv vermittelte, in Gestalt der zeitlichen und räumlichen Abschattungen, unter denen sie sich notwendig zeigen.29 Wie nah aber ist dieser Film, diese an ihrem statischen Körper gebrochene, von ihm orientierte und dennoch zufällige Sequenz der phänomenalen Erfahrung dem Sein der Werke? Muss von ihr als irreduzibel ausgegangen werden? Oder anders gefragt: welche Tiefe und welche Materialität hat dieser Film selbst, den nicht einfach ein „Auge“ aufnimmt, sondern ein leibliches, geschlechtliches und selbst historisches Subjekt? Wenn „der Leib“, um die wesentliche philosophische Autorität der ersten phänomenologischen Deutungsansätze des Minimalismus zu zitieren, „System von Systemen zur Kenntnisnahme einer Welt“ 30 ist, wie der späte Merleau-Ponty formuliert, dann bringt der Schnitt und die Sequenz der Wahrnehmung keine glatte Fläche hervor, in der eine Lektüre die relevanten Zeichen anordnen könnte. Die Präsenz des Werks ist dann so komplex und mehrdimensional wie das leibliche Weltverhältnis des Subjekts im allgemeinen – und dieses ist, bei Merleau-Ponty und in der Rezeptionsgeschichte der Minimal Art, zu einem ontologischen Abgrund geworden, in dem alle möglichen theoretischen Konzeptionen blühen: die ursprüngliche Ebene der phänomenologischen Evidenz wird psy-

29 Die Abschattung ist Modus von Nicht-Präsenz, die dennoch zur Struktur des phänomenolo-

gischen Evidenzfelds gehört: Wir meinen wahrnehmend den Gegenstand (das intentum) als „Ganzen“ (in seiner vollräumlichen Gestalt und der zeitlichen Dauer seiner Existenz). Eigentlich gegeben sind uns aber wesenhaft nur seine abgeschatteten, in einem Jetzt gegenwärtigen Aspekte. Wir werden auf dieses Grundmotiv der phänomenologischen Wahrnehmungsanalyse und seine zentrale Funktion in der Minimalismusrezeption zurückkommen. 30 Maurice Merleau-Ponty, „Das mittelbare Sprechen und die Stimmen des Schweigens“, in: ders. , Das Auge und der Geist, Hamburg 2003, 111–175, 150. Der kanonische Referenztext der phänomenologischen Deutungsansätze ist Merleau-Pontys Phénoménologie de la Perception (1945), die 1962 in englischer Übersetzung erschien und deren Rolle für die Konzeption des Minimalismus oft überbetont wird – die ersten minimalistischen Arbeiten von Robert Morris, der den Bezug auf Merleau-Ponty in seinen „Notes on Sculpture“ (Artforum, 1966–69) initiiert hat, stammen von 1960 –, für die Rezeptionsgeschichte aber eminent und nachhaltig ist.

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Untitled, 1962. Was gegeben ist

choanalytisch „umgestülpt“,31 soziologisch durchquert, diskursanalytisch gebrochen usw. Immer wird so der phänomenologische Film auf seinen Träger, die Maschine, die ihn aufnimmt, das Subjekt und dessen generelle und historisch-spezifische Verfasstheit bezogen. Abgesehen aber noch von den Untiefen und Faltungen, von der Nicht-Neutralität des phänomenologischen Videos – vielleicht ist das Sein des Werks ontologisch schon im Ansatz treffender gefasst mittels einer reflexiven „Entfernung“ des Rezipienten. Vielleicht ist der Rekurs auf den Schnitt der lebendigen Erfahrung eine Scheinselbstverständlichkeit, sofern – aus der Sicht des Werks, wenn man so sagen kann – die zeitlichen Grenzen seiner Situation nicht die der Wahrnehmung, sondern die der Ausstellung sind, die die Wahrnehmung in ihrer eigenen Besonderheit jeweils ermöglicht. Vielleicht – so wird das Problem der Werkpräsenz von der institutionskritischen Kunst der späteren sechziger und der siebziger Jahre neu gestellt –, vielleicht kann und muss über die Funktion als Wahrnehmungsobjekt für ein Subjekt hinaus die Funktion und Bedeutung des Werks in einer wiederum vielschichtigen Öffentlichkeit und deren Vermittlungsprozessen, sein Bezug also zu einem kollektiven Subjekt (der „Gesellschaft“, der „Geschichte“) als zu seinem Weltverhältnis gehörig beschrieben werden. So entgrenzt sich die Situation weiter. Denn offensichtlich sind die Termine der Ausstellung dem Werk, sofern es Objekt ist, so äußerlich und es doch beeinflussend wie der Ausstellungsort – der räumliche und institutionelle Kontext32 – und wie der Wahrnehmungsablauf und die komplexe Disposition des individuellen Betrachters. Die Analyse der Situation als der Erscheinung des Weltverhältnisses des Werks müsste die volle Summe dessen, was man im weitesten Sinn Kontext nennt, einbeziehen und dies über den ganzen Zeitraum seiner Existenz: die Summe aller Situationen, in denen es gezeigt und nicht gezeigt wurde, in denen es war, jede dieser Sekunden; die materiellen Spuren des gesamten Spiels seiner Rezeption, die molare Wolke von Gedanken, die es hervorgerufen hat,33 alles, was von ihm gesagt oder geschrieben wurde und geschrieben werden wird. Das Evidenzfeld des Bewusstsein ist in der Perspektive der Psychoanalyse Prinzip einer Verkennung, Ausfall von Sicht oder „Skotom“ (s. J. Lacan, Das Seminar XI. Die Vier Grundbegriffe der Psychoanalyse, Weinheim/Berlin 41996, 89). Lacan ebenso wie (der späte) Merleau-Ponty beschreiben den Bezug des Bewusstseinsfelds zur positiven Dunkelheit des Unbewussten im topologischen Bild – einem Bild, sofern es den Sachverhalt um eine Dimension reduziert – eines Handschuhs: das Bewusstsein wäre dessen Innenfläche, das Unbewusste der Raum, in den der Handschuh greift, ohne ihn zu begreifen, und in einem anderen Bild das Bad, das ein Tuch dort färbt, wo es nicht vom Wachs des Bewusstseins imprägniert ist. Das Bewusstsein ist ein Fleck in dieser positiven Dunkelheit des Bads, die das Subjekt trägt und durchdringt (s. ebd. , 85 f.). 32 Man spricht oft von „kompromittierenden“ Kontexten. Das setzt eine vorgängige Integrität des Werks voraus. In unserer Perspektive ist die Kontingenz des Kontexts ontologische Bedingung der Funktion des Werks. Die Kompromittierung hat teil an der Generierung des Sinns. Das ist eine irreduzible Struktur, die wir ausarbeiten werden. Es gibt keine Sphäre nicht-kontaminierten, synchronen und in sich transparenten Sinns. Ihr entspräche, was wir die Sphäre des Bildes oder der ästhetischen Immanenz nennen. Die Gestalt des Werks ist die Grenze dieser Sphäre im Raum des Widerstands, der Reibung der Kontingenz. Die Gestalt des Werks ist die Krise des Bildes. 33 Robert Barrys Beitrag zu Prospect ’69 (einer frühen Konzeptkunst-Ausstellung: Kunsthalle Düsseldorf, 30. 09. – 12. 10. 1969) bestand, wie er sagte, „of the ideas that people will have from reading this interview. […] The piece[!] in its entirety is unknowable because it exists in the minds of 31

Im Horizont des Archivs

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Das Weltverhältnis des Werks müsste analog zum verschwimmenden Horizont der „kleinsten Perzeptionen“ bestimmt werden, die die Leibnizsche Monade auf ihre Welt beziehen. In seiner vollen Konkretion gefasst, schließt das Weltverhältnis des Werks das gesamte Archiv seiner physischen und diskursiven Voraussetzungen und Wirkungen ein.34 Das Sein des Werks ist nicht als intrinsischer Kern herauslösbar aus dem massiven Sediment seiner Historizität, durch die eine je gegenwärtige Wahrnehmung nur einen Schnitt legt. Was ist dem Werk wesentlich und was nicht? Wir haben uns spiralförmig von der räumlich-unmittelbaren Gegebenheit des Objekts in (s)einer Situation zur Summe der virtuellen Beziehungen der Werkmonade zur Welt bewegt. Führt die Frage nach dem Weltverhältnis des Werks unweigerlich zu diesem Konturverlust? Zumindest deckt er die Schwierigkeit auf zu sagen, wovon die so many people. […] I use the unknown […] because it’s more real than anything else“ (zit. nach Lucy Lippard, Six Years, Berkeley / Los Angeles / London 1997 [1973], 113). Auch dieser Materialismus des Unbekannten ist genealogisch Post-Minimal Art. 34 Wir nennen Archiv das Sediment aller Relationen des Werks zu seiner Welt in ihrer unspezifizierten Fülle, die Totalität der Spuren, in denen das Weltverhältnis des Werks sich niederschlägt und seinen präsentierbaren Kontur verliert; in diesem Massiv ist das instituierte Archiv, das archeîon, das „Regierungsgebäude“ mit seinen von der Ökonomie des öffentlichen Gedächtnisses gelenkten Apparaten der Selektion und Anordnung, die der Spur bereits Repräsentationsfunktion übertragen, nur ein Segment und eine Schicht. Archiv ist ein Wort für die Art und Weise, wie das Vergangene, „ganz von selbst“, wie Bergson sagt, im Gegenwärtigen „persistiert“, wie es sich staut bis an die Schwelle der Gegenwart. Wir werden diese Struktur im Folgenden präzisieren. Im Wesentlichen geht es darum, die Zeit des Archivs, der Sedimentation von Geschichte, von der Zeit des Gedächtnisses, der Repräsentation von Geschichte zu unterscheiden. Diese ordnen wir dem Bild, dem Bewusstsein und der spontanen Erinnerung zu, jene der Spur, dem Unbewussten und der nicht nur in Form diskreter Zeichen gespeicherten Information. Derrida hat diese Spaltung der Zeit bis in die Spitze der phänomenologischen Urpräsenz verfolgt und gezeigt, dass das Jetzt der Bewusstseinsgegenwart sich gegenüber der vertikalen Vergangenheit, dem anarchischen Früher des Archivs als Vergessen und Verspätung konstituiert. Ein fundamentales Vergessen, das den Horizont, die Schnittfläche der Gegenwart trägt, von der ausgehend dann Retentionen und spontan-selektive Erinnerungserlebnisse möglich werden. Es ist diese Heterochronie zwischen der horizontalen Zeit des Bewusstseins mitsamt seiner Bildtiefe und der vertikalen Zeit des Archivs, die überhaupt so etwas wie Zeit und Zeiterfahrung ermöglicht. Wir werden die Struktur dieser Heterochronie ausarbeiten. – Natürlich sind dies Grundthemen Derridas von seinen frühesten Texten zu Husserl an (Husserls Weg in die Geschichte… , München 1987 [1962]; Die Stimme und das Phänomen, Frankfurt a. M. 2003 [1967]), aber es sind in einem weiteren Sinn auch Motive einer materialistischen Historiografie, die mit dem geistes- oder ideengeschichtlichen Paradigma bricht, die, anders gesagt, versucht, Marx und Freud nicht zu vergessen. – Speziell zum Begriff des Archivs (und des archeîon) s. bes. Derrida, Dem Archiv verschrieben (Berlin 1997) und das Gespräch „Die Fotografie als Kopie, Archiv, Signatur“ (in: Amelunxen/Kemp, Theorie der Fotografie, Bd. IV, 280–96, 280 f.). Bei allen Differenzen weist Foucaults Archäologie des Wissens (Frankfurt a. M. 1981) in der zentralen Hinsicht – die Zeit des Archivs von der der Erinnerung zu trennen – in dieselbe Richtung (zum Begriff der Persistenz s. dort bes. 179 f.). Wir wollen uns im Lauf der Arbeit nur implizit auf diese Texte – es gäbe viele andere, von Bergson bis Althusser – beziehen und die Frage nach dem Verhältnis von Historizität und Gegenwart aus der Reflexion und Analyse verschiedener Werke selbst entfalten. Der Verlust der repräsentationalen Dimension in der bildenden Kunst der Moderne ist für diese methodische Problemstellung offenbar nicht peripher (s. u. „Die Zeit des Bildes und die Zeit der Spur“, S. 93–115).

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Untitled, 1962. Was gegeben ist

Rede ist, wenn vom Werk die Rede sein soll. Gibt es einen zwingenden Weg zurück zur Abgrenzung eines richtigen, eines angemessenen Fundaments, oder führt unsere Fragestellung zwangsläufig zur Auf lösung des Horizonts jeder möglichen Thematisierung? Die Insistenz auf der Schwierigkeit, die Grenze des Werks zu fixieren und schon das Element dieser Grenzziehung zu bestimmen, das Element, in dem sich die Gestalt des Werks konstituiert – ist keine mutwillige Generalisierung einer bloß methodischen Problemstellung. Die Fragestellung ist in den charakteristischen Zügen der zu behandelnden Werke motiviert. Ihre ontologische Generalität gewinnt von daher den Anhaltspunkt und die Notwendigkeit. Ihr Weltverhältnis, das scheint ein Grundzug der minimalistischen Objekte zu sein, über den weitgehend Konsens besteht und der von Anfang an die methodischen Schwierigkeiten ihrer Auslegung ausgemacht hat, ist nicht mehr vom Modell des Bildes her zu bestimmen. Die Werke projizieren keine Welt. Sie haben jene inneren Strukturen getilgt, durch die sich repräsentationale Kunst und auch die abstrakte Kunst der Moderne noch auf eine Welt bezog. Der Abbau jeder illusionistischen oder diagrammatischen Transparenz gilt als zentrale Intention. Die minimalistischen Objekte haben ihr Weltverhältnis scheinbar völlig externalisiert. Mit der Transparenz des Bildes verweigern sie durch ihre anonyme Produktionsweise auch die subjektive Seite künstlerischer Transzendenz, die auktoriale Expression. Die oft in Serie und in industriellen Verfahren hergestellten Objekte scheinen in den immanenten Kreislauf von Produktion und Konsumption und, wie manche Kritiker sagten, in eine geschlossene Ökonomie der Geldäquivalenz eingebunden: absolute Waren, reine Inkarnationen „ihres Tauschwerts“.35 Alle ihre Relationen liegen „horizontal“: von Objekt zu Objekt, vom Objekt zur Wand, vom Objekt zum Subjekt, vom Objekt zum begleitenden Text, zur Fotografie und ihren Reproduktion usw. Wenn diese externen, situativen oder lateralen Relationen abgeschnitten werden, bleibt nur das, was die Tautologie diktiert: das Objekt als materieller Bestand, ein reines Dieses, das unvermittelt ist, was es ist. Wenn es also einen ontologischen oder essentiellen Kern des Werks gäbe, wäre es offenbar die tautologische Identität des materiellen Objekts. Und jedes Hinausgehen über dessen punktuelle, gehaltlose Selbstbehauptung ist notwendig eine synthetische Bestimmung, deren Element erst definiert und auf seine Tragkraft und seine Angemessenheit in Bezug auf dieses singuläre Werk geprüft werden muss. Die Wahrnehmung, die das nackte Dies des Objekts im Spiel ihres temporalen Vollzugs säumt und in seine Aspekte auffächert, ist nur ein mögliches, ein von der Tradition bildender Kunst nahegelegtes – aber nur zum Ansehen war Kunst im Verlauf ihrer Geschichte selten da – Trägerelement von synthetischen Aussagen, die die Tautologie überschreiten. Und die Explikation und Vertiefung in dieses Element führt notwendig und hat geführt zu einer Expansion und Komplikation der Bestimmung des Seins des Werks selbst. Der Kreis unserer

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Karl Beveridge / Ian Burn, „Don Judd“ [1975], in: Stemmrich 1995, 498–526, 510. Wir kommen auf die „marxistische“ Kritik an der Warenförmigkeit von Judds Werk, für die dieser Text eines der frühen und maßgeblichen Beispiele ist, zurück.

Im Horizont des Archivs

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Fragestellung unterliegt von selbst der vektoriellen Erweiterung, der spiralförmigen Öffnung, die wir skizziert haben. In diesem Sinn ist die Frage nach dem Weltverhältnis des Werks, nach seiner Grenze und nach seiner Seinsweise ein Echo der minimalistischen Provokation. Sie bezieht sich auf ein Kernproblem, das die Minimal Art historisch zuerst in dieser Klarheit zu formulieren gezwungen hat. Dass sie jetzt, heute so gestellt werden kann und muss, ist einer der Effekte des Zeitenabstands, ein Effekt der Wirkungsgeschichte der Minimal Art, die deren eigene Voraussetzung zerstört oder zu einer bloßen Schicht im Archiv ihrer Lesbarkeiten reduziert hat: einen Begriff visuell autonomer Kunst und damit von aisthesis als primärer oder exklusiver Zugangsweise zum Werk. Es ist nicht einfach ein Effekt des Alters der Werke, sondern ihrer Rezeptions- oder Wirkungsgeschichte, die ihr Weltverhältnis nicht nur im generellsten Sinn mitausmacht, sondern in deren Verlauf es zum Thema der theoretischen und vor allem der künstlerischen Rezeption geworden ist. Die institutionskritische und die konzeptualistische Kunst der späteren sechziger und der siebziger Jahre haben Ebenen oder Milieus der Definition des Situationsbegriffs festgelegt, die sich der visuellen Erfassung entziehen, unterschiedliche Schnittebenen durch ein totalisiertes und längst zeitlich geöffnetes „all the way out“. Auf Dan Grahams Reflexion auf die ökonomisch-soziale und mediale „Materialität“ der Situation und auf Michael Ashers Einspannung der Werkpräsenz in die Temporalität der Ausstellung werden wir abschließend eingehen. Bei aller Kritik an Judds wenig problembewusstem visuellen Zuschnitt des Präsenzbegriff – einer Kritik, die durch derartige Entwicklungen ermöglicht wird und sie aufnimmt – wollen wir festhalten, dass der Minimalismus und sogar insbesondere Judds Frühwerk ein wesentlicher Bezugspunkt der Öffnung und Klärung des Werkbegriffs ist, den die genannten Künstler leisten. Die Minimalismuskritik der sechziger und siebziger Jahre ist genealogisch Post-Minimal Art. Die prozessual und die konzeptuell orientierte Kunst – Tendenzen, die Lucy Lippard in ihrem legendären „Six Years. The dematerialization of the art object from 1966 to 1972“ gemeinsam dokumentiert hat – findet ausgehend von dem ontologischen Grundriss statt, den die Minimal Art aufgestellt hat. Uns geht es nicht um eine Summierung kritischer Einwände gegen den einen oder anderen Minimalisten, sondern um die Sichtbarmachung und Dekonstruktion dieses Grundrisses. Wie soll man es also anfangen, nach dem Werk in seinem Weltverhältnis zu fragen? Die Wahrnehmung legt, wie wir sagten, einen Schnitt durch das Archiv, die Totalität seiner realen und möglichen Beziehungen zur Welt, nur einen Schnitt, der nicht die Grundfläche einer Lektüre sein muss, aber jedenfalls ein Anhaltspunkt ist oder die Linie eines Horizonts, die methodisch irreduzibel ist – ohne deshalb ein eigenständiges und exklusives Thema zu bilden. Die Alternative zwischen einer historizistischen, archivarischen Kunstgeschichte, der die Erscheinung des Werks zu einem oft zu leicht und rasch durchquerten Spiegel wird, und manchen formalistisch-phänomenologischen Analysen, die das Phänomen zum isolierten Fetisch machen, zur polierten Oberfläche einer nurmehr autoaffektiven Bestimmung der Wahrnehmung selbst, ist inakzeptabel. Die Destruktion dieser gerade in der Rezep-

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tion der Minimal Art und des Abstrakten Expressionismus zugespitzten Alternative wird einer der wesentlichen methodologischen Effekte der Frage nach der Seinsweise des Kunstwerks sein. Die Wahrnehmung und die Reflexion auf die Wahrnehmung sind also irreduzibel, aber sie bilden keine autarke und nicht die einzige Schicht der Analyse. Die aktuelle Präsenz der Werke ist eine Schnittebene, die nicht mit ihrem geschichtlichen Sein verschmilzt. Fangen wir also bei diesem Anfang an, mit der Präsenz der Objekte im Raum und dem Nachvollzug der formalen Syntax einiger Arbeiten Judds. Und fangen wir doppelt am Anfang an, indem wir als Beispiele die frühesten – die ältesten – Objekte Judds wählen, die seine Arbeit auf dem Weg der Konzeption jener spezifischen Objekte zeigen, die er in seiner ersten Einzelausstellung zum Jahreswechsel 1963/1964 in der Green Gallery in New York vorstellte. Wir werden sehen, wie die Bewegung der Wahrnehmung und ihrer Reflexion unwillkürlich über den Horizont sinnlicher Präsenz hinaustaumelt, um sich in einer weiteren und anders gelagerten Schnittebene, einem anderen Begriffsmilieu wieder zu fangen.

Einige spezifische, einige hybride Objekte. Gegenlektüren zu Donald Judd. – Fangen wir an mit einem Quadrat und einem Kreis. Der Kreis ist in der Mitte des Quadrats. Er ist so groß, dass er kein „Punkt“ ist und nicht groß genug, um als Zone oder Feld den Rest der Fläche zum Rahmen zu machen oder als Figur zum Grund. Es sind visuell gleichgewichtige Elemente. Der Kreis ist dichter, das Quadrat größer. Ihr gespanntes, aber statisches Zueinander ist offenbar eine Elementarform von bildlicher Komposition und Harmonisierung. Diese Konstellation erscheint in zwei Arbeiten Judds. Untitled (DSS 3136 ) ist 1962 entstanden. Es gehört zu den frühen Werken Judds, die, selbst noch bildhaft, seinen Weg heraus aus der Malerei, weg von der Bildform vorbereiten (fig. 1). Hier ist der zentrale Kreis ein eingesetztes Kupferblech, ein nicht völlig ebenes, aber präzis rundes und durch eine punktuelle Perforation wiederum in sich zentriertes Element, dessen Glanz den Umraum unscharf spiegelt. In einer Variante der Arbeit, ebenfalls Untitled, die 1962 konzipiert, aber erst 1991 hergestellt wurde37, ist die zentrale Rundung ein Bullauge aus halbtransparentem, purpurnen Glas (fig. 2). Die Bildfläche wird hier zur Wand mit einem verglasten Loch, durch das man in einen farbig verschatteten Innenraum38 sieht, den Bildraum, wenn man so sagen 36 Die Verständigung über Judds Arbeiten fällt manchmal schwer, da fast alle Untitled sind. Zur

Identifizierung dienen für Werke bis 1975 die Nummern des ersten Œuvre-Katalogs, Donald Judd, Ausst.-Kat. National Gallery of Canada, Ottawa, 24. Mai – 6. Juli 1975 (= DSS). 37 Von einigen frühen Arbeiten Judds existieren mehrere Versionen, deren Status nicht immer klar ist. Einige wurden als Remakes 1975 zur Ausstellung in Ottawa nachgebaut, sind also Duplikate. Einige sind als Arbeiten der frühen sechziger Jahre erst in den neunziger Jahren hergestellt und rückdatiert oder mit doppelter Datierung versehen worden. Die genaue Wiederholung einer Arbeit in einem anderem Material wird dagegen als neue Arbeit aufgeführt. 38 Die Arbeit hat eine Rückwand. Man sieht nicht die Wand, an der sie hängt (Inf. v. Rob Weiner, Chinati Foundation, 20. 11. 04).

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kann, während in DSS 31 diese Wand von dem Kupferelement durchbrochen ist, das durch die unscharfen Reflexe der Umgebung visuell geöffnet ist, ohne eine räumliche Vertiefung vorzutäuschen. Eine Synthese beider Prinzipien zeigt eine andere frühe Arbeit (Untitled, DSS 23, 1961), in der eine Aluminiumbackform, die knapp so tief wie der Bildkörper ist, dessen reale Tiefe im Zentrum seiner Frontfläche als Hohlform sichtbar macht und diese Eintiefung zugleich mit dem Schein der Reflexlichter des Metalls „füllt“ (fig. 3). In diesen frühen Bild-Reliefs Judds ist offenbar eine Konfrontation von realem und illusionärem Raum thematisch. Sie betonen die Körperlichkeit des Bildes und öffnen diesen Körper zugleich auf eine reale und virtuelle Tiefe. Dabei sind jene Elemente, die durch ihre Materialität und ihre Stellung in der kompositorischen Syntax das Moment des Scheins und der Tiefe in sich konzentrieren, die zentralen Kreise und das Rechteck der Backform, gerade keine bildlichen Formen, sondern materiell disparate Implantate, die durch einen Kontrasteffekt auch die Bildfläche selbst objekthaft und starr werden lassen: eine Wand, die diese Implantate auch hält und einfasst, auf der sie sich nicht wie Figuren auf einem Grund bloß abzeichnen. Die Frontflächen sind zudem stark texturiert und sie sind, wie die Seiten der Bildkörper in Kadmiumrot, hell – neben Purpur und Schwarz (der Farbe von DSS 23), die dominante Farbe von Judds Frühwerk – gestrichen: ein Pigment, das stark deckend und strahlend ist, aber in Judds Anwendung nie glänzt, sondern immer visuell verortbar bleibt.39 Diese gesättigte und feste Farbigkeit, die rauhe Textur, die größere seitliche Tiefe ihres Körpers (bei Untitled, 1962/91, sind es 10,2 cm, DSS 31 ist ähnlich tief) und die materielle Heterogenität der glänzenden Objektimplantate lassen die Arbeiten nicht mehr als legitime Bilder erscheinen. Alternative Namen wären Relief, Objekt, Assemblage – wir werden sehen. Offenbar stößt die formale Analyse hier an terminologische Grenzen. Die Materialität der Objekte drängt sich auf. Wenn ein Bildgrund oder eine Bildebene eine Hartfaserplatte ist, die auf einen tiefen Rahmen – der kein Keilrahmen ist – genagelt und nicht wie eine Leinwand gespannt ist, entsteht eine Kiste, kein Bild. Wenn ein Kreis ein implantiertes Fundstück aus Glas oder Blech ist, ist es kein Kreis im Sinn Kandinskys. Wenn Streifen auf eine Holzplatte genagelte Leisten sind, rot wie die Grundfläche, sind es keine bildnerischen Mittel im Sinn Mondrians, Newmans oder selbst Stellas. Wenn eine Bildfläche ein rotgestrichenes Alublech ist, in das im gleichmäßigen Raster 900 Löcher gebohrt wurden, ist es ein Stück Material, dem die Verwandschaft mit der idealen Projektionsfläche, der ehemaligen Bildebene, mit obsessivem Nachdruck ausgetrieben wurde.40 Wenn schließlich eine in eine teerige, schwarze Fläche eingesetzte Negativform, die die reale Bildtiefe aushebt, eine Blechbackform ist, kann von einem formalen Vokabular keine Rede mehr sein. Judds Ma39 Judd hat wiederholt diese Funktion seines Rot betont: es klärt und betont die real-räumliche

Form, die Kanten des Objekts, wie nur wenige andere, notwendig mitteltonige Farben. S. z. B. John Coplans, „ ‘I am interested in static visual art and hate imitation of movement’. An interview with Donald Judd“, Artforum, vol. IX, no. 10 (June 1971), 40–50, 43. 40 „Ist es Lochblech?“, wurde Judd in Bezug auf dieses Relief (DSS 43) gefragt. „No, I handdrilled 900 odd holes“ (ebd.).

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terialien sind mundane Objekte, Fundstücke, deren eigener semantischer Wert die Sphäre der formalen Bildanalyse, die eine Art phänomenologischer Reduktion voraussetzt, unauf hebbar kontaminiert. Es gibt in Judds frühen Arbeiten einen Exzess an materieller Konkretion und Heterogenität, den die bereinigte Sprache einer formalen Deskription nicht auffangen kann; eine Kontamination der Form durch die Historizität und latente Semantik des Materials selbst, deren Implikationen wir erst im Lauf der Arbeit voll entfalten werden. Bleiben wir hier bei einem Nachvollzug dessen, was man noch immer die formale Grammatik der frühen Arbeiten Judds nennen kann. Deren Entwicklung entfaltet genau den Exzess an Konkretion, der die Überschreitung des eidetisch bereinigten Horizonts einer formalen Grammatik als solcher bedeutet. Diese Entfaltung und Überschreitung fällt zusammen mit der Negation der Bild-Form, mit der schrittweisen und klar artikulierten Distanznahme von der Logik und Episteme eines bildhaften Weltbezugs in Judds Frühwerk. Die Chronologie und die Schritte dieses Übergangs sind noch im Horizont einer Sprache lesbar, mit Hilfe von Instrumenten der Analyse und Deskription, um deren Transformation und Destruktion es sich bei diesem Übergang handelt. Noch einmal ein Kreis und ein Quadrat. Diesmal liegt der Kreis horizontal. Er ist zum Grundriss eines schwarzen Zylinders geworden, der wie eine Stütze oder Säule, zur Hälfte überstehend, in einer nach vorne offenen Kiste steht, deren Boden oder Rückwand eine wiederum kadmiumrote und stark texturierte Fläche ist. Der Zylinder verläuft frei vor der roten Fläche. Er durchquert nicht das virtuelle Volumen eines Bildes, sondern das reale der flachen Kiste (fig. 4). Die Beziehung der Arbeit zur Wand ist arbiträr geworden. Der zentrale kreisförmige Einsatz in DSS 31 und dem Remake von 1991 zieht den Blick in eine noch halbimaginäre Tiefe – ob die verschattete reale des Bildkörpers oder die real-illusionäre einer Spiegelung –, in eine Tiefe, die orthogonal zur Frontfläche steht. Eine andere Positionierung als die für das Tafelbild übliche – auf Augenhöhe an der Wand – wäre offensichtlich forciert. Der vertikale Verlauf des Zylinders in Untitled (DSS 29) verleiht der Arbeit dagegen eine innere Tektonik, die ihre Standfestigkeit grammatisch akzentuiert. Sie zentriert den Blick nur zwischen rechts und links, nicht zwischen oben und unten und fordert daher nicht die Hängung in einer bestimmten Höhe. Obwohl sie mit der Konvention von Tafelbild und Relief die klare Hierarchie von Vorder- und Rückseite teilt, wurde DSS 29 so ungeplant zur ersten Bodenarbeit Judds. „It was a big thing when sitting on the floor. […] It was meant to go to the wall, but it looked all right on the floor.“ 41 In der nächsten Arbeit – nicht im Sinn der Chronologie der Entstehung, die nicht exakt eruierbar ist, es geht um den nächsten Schritt der Transformation der Grammatik des Bildes –, in Untitled (DSS 32, fig. 6) steht der Kreis wieder vertikal und wieder im Zentrum einer Ebene, keiner geschlossenen Fläche oder Wand, sondern im Zentrum der Frontebene eines Objekts, die von den horizontalen Streifen von drei kadmiumroten Holzbalken und den zwei offenen und, da die Innenseite der Rückwand des Objekts schwarz ist, dunklen Zwischenräumen gebildet wird. Der Kreis ist, geometrisch gesprochen, der Aufriss eines Zylinders, die Öffnung eines 41

Ebd. , 41.

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schwarzen Rohrs, das horizontal vom Zentrum der mittleren Planke ins einsehbare Innere des Objekts verläuft und dessen Tiefenraum gewissermaßen ausstemmt. Die Rückseite – eine Rückseite noch immer – ist gewölbt. Die Arbeit kann nicht an der Wand angebracht werden. Sie ist definitiv kein Bild mehr, aber sie muss offenbar, wie die drei eben beschriebenen Arbeiten mit ihren zentralen Implantaten, in Rückbezug auf die Morphologie des Bildes (die Flächigkeit) und seine konventionelle Aufgabe (die Raumillusion) und den Widerstreit beider gelesen werden; und innerhalb von Judds Werk im Rückbezug zu einem bestimmten Bild oder Gemälde, Untitled (DSS 24, Oil on canvas) von 1961, das dasselbe, dort tatsächlich noch formale kompositorische Schema mit zentrierendem Kreis und (dort sechs) schwarzen horizontalen Streifen zuerst angewandt hatte (fig. 5).42 In DSS 32 ersetzt das dunkle Innenvolumen, das hinten von der gewölbten, schwarzen Rückwand umschlossen, vorne von der Ebene der drei Planken begrenzt ist – oben und unten ist die Arbeit offen, es ist keine „Box“ – den virtuellen, illusionären Raum des Bildes, wie schon das Glasbullauge und die Blechbackform die reale Raumtiefe des Bildkörpers akzentuierten, nur mit neuer Vehemenz und Endgültigkeit. Die Tektonisierung des Objekts, die mit dem Einsatz der zylindrischen Säule in DSS 29 auf kam, strukturiert und stabilisiert jetzt den Tiefenraum, der reales Volumen geworden ist. Es ist dennoch – oder es ist gerade dieser Bezug zur Morphologie des Bildes, der dieser ersten als freistehende konzipierten, „komplett dreidimensionalen“ Arbeit Judds ihre Spannung gibt. Eine Spannung im fast buchstäblichen, physischen oder illustrativen Sinn. Das zylindrische Rohr steckt in diesem aufgebogenen Bild wie ein Pfeil in der Armbrust. Es verdrängt den illusionären Raum, indem es zugleich die materiell noch artikulierte Bildebene durchbricht und den „Bildgrund“ zu einer Biegung im realen Raum zwingt. Wir werden im Zug der Lektüre von Judds kunstkritischen Texten sehen, dass dieses keineswegs spezifische Objekt, diese aus gefundenen Materialien zusammengenagelte Straßenkreuzung einer malerisch-bildhaften und einer plastisch-tektonischen Raumkonzeption eine präzise, gewissermaßen didaktische Funktion besitzt, einen „theoretischen Gebrauchswert“. Es ist als eine Art Instrument, als Messinstrument und materialisierte Denkhilfe lesbar und eng mit der Ausbildung von Judds begriff lichem Dispositiv, mit der Formulierung seiner Bildkritik und deren Aporien verbunden. Verfolgen wir aber weiter die Entfaltung der formalen Grammatik – die Auf klappung des Bilds in den dreidimensionalen Raum, die das Wesen und das Trägerelement dieser Grammatik transformiert. Die Polarität einer Fläche, die Erbe der Bildebene ist, und zentriertem Kreis, der das Imaginäre (Tiefe und Schein) des Bilds materiell kontrahiert und mit der realen dreidimensionalen Körperlichkeit verschränkt, die unweigerlich jedem Bild hinter der Bildebene als Träger zugrundeliegt, wiederholt sich noch zweimal in den frühen, um ihre Spezifik, um ihren Eigensinn und den Horizont ihrer Lesbarkeit und ihres Selbstverständnisses ringenden Arbeiten Judds. Wir überspringen für einen Moment die frühere der beiden Arbeiten, Untitled (DSS 33, 1962), und kommen zum ersten „großformatigen“ specific object. 42

Eine Zeichnung von 1962 bestätigt diese Beziehung (fig. 7).

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Untitled (DSS 35, fig. 8) – provisorisch „Ladder Piece“ oder „Bleachers“ 43 genannt – führt die stumpfe (richtungslose) Symmetrie des im Zentrum markierten Quadrats in einer dreidimensionalen Übersetzung vor. Die zwei vertikalen quadratischen Seitenflächen, wieder beidseitig rot gestrichenes Holz, werden von sieben horizontal verlaufenden Sprossen verbunden oder auseinandergehalten, die eine diagonal aufsteigende Treppe oder Leiter bilden. Sechs der Sprossen sind rot gestrichene Kanthölzer mit quadratischem Querschnitt, die von außen mit den Seitenwänden verschraubt sind (die Schraubenköpfe sind sichtbar), die zentrale, mittlere ist ein rotviolett lackiertes Aluminiumrohr, das in die Seitenflächen eingefügt ist, sie aber nicht durchdringt. Die Punktsymmetrie erlaubt es, das Objekt um die horizontale Achse zu drehen, ohne dass sich seine Relation zum Umraum ändert. Oben und unten, vorne und hinten der „Treppe“ wechseln relativ zum Standpunkt eines Betrachters, aber in sich und im Verhältnis zum abstrakten Raum bleibt die Struktur bei der Drehung um die purpurne Mittelachse vollkommen gleich. Diese räumlich indifferente oder inerte Symmetrie wiederholt die der zentrierten letzten Bilder Judds. Die Arbeit betont, wenn man so sagen kann, ihre Dreidimensionalität durch die energische und weite Auseinderspreizung ihrer beiden Seiten durch die Sprossen, die länger sind als die quadratischen Seitenflächen breit und hoch. Der Raum, der so geschaffen wird, ist trotz seiner völligen Einsehbarkeit, strukturell in sich verschlossen. Er bleibt als Innenvolumen bestimmt. Er entsteht aus der Spiegelung zweier bildhafter Frontflächen. Und exakter gelesen erscheint DSS 35 als eine gespaltene und architektonisch ausstaffierte Bildfläche: die Sprossen sind die materialisierten Strahlen einer Selbstreflexion. Der Raum, den sie schaffen, ein eigengesetzlicher Kristall, ist aus einem narzisstischen Infekt dieser Bildfläche hervorgegangen. Dieses indifferente und strukturell stumpfe oder träge Volumen ist ganz von der Logik der Fläche abhängig. Wieviele Seiten hat dieses Objekt? Es hat die vier immateriellen immer gleichen, offenen Seiten, die den Blick auf die Treppe freigeben. In dieser Richtung schaut man durch die Arbeit hindurch – wie man an einem Bild, in dessen Ebene man steht, vorbeisieht. Es hat zwei Rückseiten, die Außenseiten, die nur durch das technische Detail, die diagonale Punktreihe der Schrauben strukturiert sind, die kaum als formale Elemente gelesen werden können. Bestimmend für die gesamte Struktur sind nur die sichtbar-unsichtbaren, die vor allem füreinander sichtbaren Innenseiten der Struktur: zwei Seiten, die einander reflektieren, die genetisch nur eine Fläche sind, zu deren Spaltung die ganze übrige Apparatur da ist. Von den frühen Bodenarbeiten Judds, die er in seiner ersten Einzelausstellung (Green Gallery, Winter 1963/64) zeigte, ist „Bleachers“ die größte (122 × 210 × 122 cm) und buchstäblich raumgreifendste, und es ist dennoch die am stärksten in der Herkunft aus der Bildreflexion befangene Arbeit. Ihre Räumlichkeit stemmt sich nicht gegen die Flachheit der Malerei und hebelt sie aus – wie das zwittrige DSS 32 seine „dritte“ Dimension gegen die piktoriale Ebene und in der Differenz und Spannung zu ihr behauptet. 43

„Bleachers“ (Reihen von Sitzbänken) ist als Bezeichnung (nicht als Titel) angegeben bei Meyer (James Meyer, Minimalism, New Haven / London 2001, 52 u. Anm. 24, 280), den Ausdruck „Ladder Piece“ verwendet Coplans im genannten Interview mit Judd (43).

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Die Struktur von „Ladder Piece“ scheint eher das antiillusionistische Bemühen um Unräumlichkeit, um Flächigkeit in der Malerei ins Dreidimensionale zu projizieren. Das so konstituierte Volumen – die aus sich herausreflektierte, gespaltene Fläche – ist eine Art Anti-Raum. Judd ist es gelungen, ein dreidimensionales Objekt mit nur einer Seite zu schaffen. Die Arbeit Judds dagegen, in der die Absetzung von der Bildform zuerst zu einer radikalen Lösung und zu einem eigenständigen neuen Werktyp geführt hat, ist Untitled (DSS 33, fig. 9, 10). Es ist seine zweite oder dritte Bodenarbeit, nach DSS 29, das noch als Kasten an der Wand konzipiert war, und DSS 32, dessen polemischer Bezug zur Bildform die Morphologie des Objekts noch massiv determinierte. DSS 33 entstand 1962 und wurde nicht in der ersten Einzelaustellung Judds, aber Anfang ’63 in einer Gruppenausstellung gezeigt.44 Es ist die erste Arbeit, die mit der monofrontalen Struktur des Bildes bricht, die in der beschriebenen invertierten Weise noch „Ladder Piece“ prägt. Vor „Ladder Piece“ entstanden, kleiner, schroffer, disharmonischer als dieses ist DSS 33 die erste völlig dreidimensionale Arbeit Judds, die erste Arbeit, die die Herkunft aus der Malerei verwunden hat und – um Judds Forderung nach einer Bewertung als wesentlicher Aufgabe von Kritik nachzukommen – es ist eine seiner besten Arbeiten überhaupt. Wir werden erst im Durchgang durch die ganzen folgenden Analysen den Rahmen und die Parameter der Lektüre sichern können, die diese Einschätzung – und eine gewisse Abwertung fast aller anderen Arbeiten Judds, die sie impliziert – voll einsichtig machen. Wieder erscheint das Rohr und wieder zwei Flächen, die es verbindet und – wie in DSS 32, motivisch auch in DSS 31 und seiner späteren Variante, nicht aber in DSS 35 – in der Mitte durchdringt und mit einem runden „schwarzen“ Loch markiert. Dieses Rohr – ein gefundenes Metallrohr mit deutlich geringerem Durchmesser als die Zylinder oder Kreise der bisher erwähnten Arbeiten – ist zweimal um 45° geknickt. Da es orthogonal zu den beiden Flächen steht, bilden diese einen rechten Winkel. Die Anordnung der drei Elemente ist die naheliegendste: Die Maße des Rohrs determinieren die Breitenmaße der aus Holzbrettern roh und nicht ganz eben zusammengefügten, roten Seitenflächen oder Winkelarme, sofern die Durchdringung in deren Mitte und der rechte Winkel, den sie bilden, geschlossen sein soll. Das Höhenmaß der Seiten ist dagegen frei wählbar.45 Da die Arme des Rohrs nicht gleichlang sind, sind zwei quadratische Seitenflächen unmöglich. Judd wählt ihre Höhe so, dass beide Seiten hochoblong sind und das Objekt zwischen brust- und hüfthoch (122 × 84 × 54,6 cm), eine nicht determinierte und moderate Entscheidung. Dieses Objekt hat mindestens drei Seiten. Die beiden Aussenflächen, mit dem schwarzen Kreis in der Mitte, deren Herkunft aus der Malerei offensichtlich ist, sind klar als zwei Seiten artikuliert – klarer als die beiden parallelen, gleichen, einander „reflektierenden“ Innenseiten von DSS 35 –, da sie den Raum in zwei Richtungen 44 New Work, Green Gallery, 8. 1. 63 – 2. 2. 63. 45 Das wird in der Literatur regelmäßig übersehen, jedenfalls nicht erwähnt. Selbst Judd, der forma-

le Gegebenheiten meistens äußerst präzis beschreibt, sagt verkürzend, „I think you realize that the pipe has determined the shape of the piece“ (Coplans, „ ‚I am interested…‘ “, 43), was nur für die Breite, nicht für die Höhe der Seitenflächen gilt.

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schneiden und durch ihre von der zentralen Markierung bestimmte Bildhaftigkeit einen Raum vor sich und einen bevorzugten Standort, also zwei Standorte für den Betrachter auszeichnen. Da sie wie die Ebenen eines Koordinatensystems senkrecht zueinander stehen, gehen zwei virtuelle Wände von ihnen aus, in denen die schwarzen Punkte je ein Aufmerksamkeitszentrum markieren. Der Winkelinnenraum, den sie nicht umschließen, aber fassen, ist dagegen schattiger, weicher, und, als eine Seite des Objekts genommen, weniger autoritär. Er ist auf ein Integral möglicher gleich angemessener Standorte des Betrachters bezogen, während die Außenseiten wie ein Bild einen zentralen Standpunkt – orthogonal zu ihrer Ebene – definieren. Diesen weichen oder geschützten Winkel durchquert auf halber Höhe die Ader des schwarzen Rohrs, das der Behälter jener Tiefe, jenes Nichts ist, das die Außenseiten materiell durchlöchert und visuell zentriert. In DSS 24 taucht die zentrale schwarze Markierung zuerst in einem Bild, einem Gemälde (Oil on Canvas) auf. In Untitled (1962/91) gibt das runde Bullauge die Einsicht frei, in das, was das Bild in Wirklichkeit ist, eine flache Kiste mit einem, in diesem Fall leeren Innenvolumen. In DSS 29 wird der Zylinder architektonisches, nicht mehr visuelles Element, das eine vorne offene Bildkiste vertikal durchläuft. DSS 32 verbindet beides, dort ist der Zylinder als tektonisches Element in die Tiefe eines Bildraums gestemmt, zwingt die Rückseite zur Auswölbung und bildet zugleich eine Öffnung in der Front des Objekts, deren Schwärze ein Surrogat und Konzentrat imaginativen Tiefenraums ist. In DSS 35 dagegen hielten die Sprossen und die zylindrische Achse nur zwei gleiche bildhafte, in sich punktsymmetrische und zueinander spiegelsymmetrische Flächen auf Abstand und bildeten den Anti-Raum der so gespaltenen Fläche. In DSS 33 nun verläuft das Rohr als schwarze Ader durch den gefassten und zugleich exponierten Winkelinnenraum, den die roten Seitenwände bilden. Und es enthält den negativen, sich entziehenden Raum, die Leere des Lochs, das die beiden Außenseiten perforiert. Wie in DSS 31 (und 23) der Glanz oder Schimmer des metallenen Implantats im stumpf kadmiumroten Bildschirm den Schein, eine Abweichung von Materie und Phänomen, in sich konzentriert, wie man im späteren Remake durch das halbtransparente Glas ins vage Bildinnere blicken konnte, wird der Schein in DSS 32 und 33 in das Schwarz, in die Leere des Innenvolumens des Rohrs hineingezogen. Der Tiefenraum des Bildes – der imaginäre Raum – wird von der runden Öffnung des Schwarz, das kein Pigment ist, das vom materiellen Schwarz des Rohrs nur gestützt wird, absorbiert, er wird von der gefassten Absenz dieses leeren Raums ersetzt. Ihre Bildhaftigkeit und flächige Extension gibt den beiden Außenseiten von DSS 33 eine Art Trichterfunktion. Der Spannungsabfall zwischen dem Rot und dem Schwarz, der Präsenz und Positivität der Fläche und der Absenz der kleinen runden Öffnung erzeugt eine Art zentripetaler Strömung, die eine unauslotbare Tiefe in dem Rohr konzentriert oder verdichtet. Der imaginäre Raum wird in das Rohr gesaugt und darin – da die Strömung konstant ist und das Rohr an beiden Enden mit einer Bildebene verschraubt ist – eingeschlossen. Das ist keine oder nicht ausschließlich eine wahrnehmungspsychologische Analyse, es folgt aus der Logik der syntaktischen Entwicklung der vorangegangenen Arbeiten, die wir skizziert haben. Das Imaginäre

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wurde in DSS 32 in das Schwarz des Zylinders gefasst und dieser als Real-Ersatz einer Bildtiefe konstituierte ein Volumen, das noch von einer Rückseite gefasst blieb. In DSS 33 ist die imaginäre Tiefe des Bildes in dem schmaleren Rohr komprimiert und verschlossen. Aufgrund des Spannungsgefälles kann sie nicht „entweichen“ und aufgrund der beidseitigen Einschließung kann sie sich nicht, wie in DSS 32, im diffusen Dunkel der Rückwand verteilen. So erlangt die unmögliche Rückseite des Bildes – die Rückseite nicht des Stücks Stoff auf Keilrahmen, sondern die Rückseite des imaginären Raums – eine eigene Ansichtigkeit in der Außenseite oder Außenhaut des geknickten Rohrs, das den Winkelinnenraum durchläuft. Die Knickung der imaginären Tiefe, der zur Bildebene orthogonalen Dimension des imaginativen (illusionären und ehemals perspektivischen) Raums ist von der Logik des Bildes ausgehend, in dem Horizont, der für alle vorangehenden Arbeiten Judds noch – als Widerstand zwar – in Geltung blieb, nicht vorstellbar: Eine Krümmung des Raums, die hier in einer unmöglichen „extimen“ 46 Szene materiell exponiert wird. Diese obszöne Exposition des Körpers des Imaginären, stößt den von den bildhaften Außenseiten eingetrichterten imaginären Raum – ein Mehr an Raum – wieder aus. Das schwarze Rohr, das in halber Höhe durch den Raumwinkel läuft, den die roten Winkelarme bilden, ist das positive, bemessene, handgreif liche Volumen, das andererseits der Aufenthalt der Absenz des imaginären Raums sein soll, als welcher die flache schwarze Perforation in den bildhaften Außenseiten visuell erscheint. Ein harmonisierender Ausgleich der Aspekte scheint nicht möglich, nur ein rhythmischer Wechsel, ein harter Zweitakt. Die Spannung der „three dimensions“ zum Imaginären der Malerei ist in diesen maschinischen Rhythmus übersetzt. Ein Exzess an Konkretion führt Judd von der Malerei, vom Bild, vom Imaginären in den real space. Das ist die Passage seines Frühwerks. Sie beginnt mit einem Nachweis der wirklichen Körperlichkeit und Materialität des Bildes, das eine flache Kiste ist, deren messbare Tiefe den illusionären Raum, der sich wesenhaft in der Bildebene konstituiert, ersetzt oder aushebt. In DSS 33 ist nun die Dreidimensionalität, wie zuvor in DSS 32, aber schärfer als dort, nicht mehr nur schlicht als die materielle Konkretion der Kiste mit sechs Seiten, als die jedes Bild gesehen werden kann, gegen die ideelle Flachheit und den aus ihr geborenen Illusionismus der Malerei ins Feld geführt. Die Negation des Bildes ist nicht mehr nur die Explikation seiner wirklichen dreidimensionalen Körperlichkeit. Sie ist ausgehend von den beiden zweidimensionalen Außenflächen eine strukturelle Überschreitung des Bildhaften, eine Überschreitung, die dem Bild das Imaginäre entzieht, indem sie es materialisiert, es in ein unmögliches Konzentrat bannt, und dieses Konzentrat von der anderen Seite her in einer für die Logik des Bildes unmöglichen Inversion reell exponiert. Was hier exponiert wird, ist die Rückseite nicht des wirklichen Bildkörpers, sondern die unmögliche Rückseite des Bildscheins oder des Imaginären. Das schwarze geknickte Rohr ist das Reale des 46 Das Innen des Innen ist das nicht-assimilierbare Außen. Diese Struktur der extimen Stütze hat

im Anschluss an Lacan Slavoj Žižek in vielen Büchern herausgearbeitet. Wir verdeutlichen im Lauf der Arbeit den topologischen Rahmen, in dem sich die psychoanalytische Terminologie entfaltet. „Jeder Begriff kann nur durch seine topologische Beziehung zu den anderen bestehen…“ (J. Lacan, Das Seminar XI, 96).

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Bildes. Es ist nicht einfach ein handgreif licher Beweis dafür, dass der Raum drei Dimensionen hat und eine Bildebene unvermeidlich die Frontfläche eines mehr oder weniger tiefen Körpers ist wie in der tektonischen Über- oder Nachakzentuierung dieser ohnehin gegebenen Positivität des Bildes in den früheren Arbeiten. Der polemische Bezug zur Malerei – zum Illusionismus in der Malerei, zum Bild als dem Ort der Konstitution des Imaginären – findet hier zu einer radikal eigenständigen Formulierung. Von den frühen specific objects ist DSS 33 das explosivste. Der imaginäre und der reale Raum – die Absenz einer Bildtiefe und die Greifbarkeit eines Raumvolumens – sind in dem Rohr ineinandergepresst wie Benzin und Luft in einem Zylindermotor. DSS 33 ist explosiv auch in dem Sinn, dass es in die von Judds Diskurs etablierten Kategorien – wholeness, immediacy, visuelle Evidenz – und in die ihnen zugehörige Konzeption der ästhetischen Erfahrung und ihrer homogenen Zeitlichkeit nicht integrierbar ist. Der Präsenzpunkt der visuellen Gegenwart, die Judd theoretisch als Element seiner Arbeit etabliert, wird hier einer extremen, letztlich unerträglichen Spannung ausgesetzt. Die heterogenen Aspekte von DSS 33 sind nicht als Abschattungen in einen Wahrnehmungsfluss integrierbar, sie sind Sinnaspekte des Objekts selbst, die entgegengesetzte „epistemologische Fluchtpunkte“ besitzen. Diese Disparatheit ist der Statik des Objekts eingeschrieben – sie macht seine innere Gespanntheit aus und kann nicht Korrelat einer schlichten, in sich kohärenten Wahrnehmung werden. Ihre Synthese findet nicht in der Wahrnehmungszeit statt, sondern in der getakteten, maschinischen Zeit des Werk-Objekts, deren erster Aufriss sich hier darstellt. DSS 32 und 35, das aufgestemmte und das gespaltene Bild sind sperrige Illustrationen oder Werkzeuge des Nachdenkens über die Bildillusion und den realen Raum. Mit dem Raumwinkel DSS 33, der in obszöner Weise ein materialisiertes Imaginäres exponiert, gewinnt das Denkmodell eine Autarkie und Aggressivität, gegen die die früheren Arbeiten statisch und verhalten wirken. DSS 33 ist eine ikonoklastische Maschine, die aus ihrem konzeptuellen und nicht formalen inneren Antagonismus eine antiästhetische Energie gewinnt, die nur wenige spätere Arbeiten wieder erreichen, – vielleicht nur eine Reihe von sehr stillen Plexiglaskisten, in denen Judd Mitte der sechziger Jahre eine Grenze seines Werkkonzepts berührt, von der er zu der formalistisch überblendeten und piktorial gebundenen Ästhetik zurückweicht, die sein späteres Werk kennzeichnen wird. Die grundsätzliche Defizienz einer formalen Analyse und ihre Gründe sind damit sichtbar geworden. DSS 33 sprengt die Konsistenz des Mediums der Phänomenalität, in dem sich die formale Analyse bewegt. Die Arbeit destruiert die mögliche Gleichzeitigkeit, in deren Horizont sich auch die ästhetische Reflexion verschiedener Aspekte eines Werks gewöhnlich einschreibt. Der Bruch mit dem Bild wird hier in einer Konsequenz vollzogen, die nicht dabei stehen bleibt, ein einheitliches Objekt an seine Stelle zu setzen, einen konkreten Körper unter der idellen Ebene, dem Ort der Konstitution des Scheins, auf tauchen zu lassen. Hier führt die Destruktion des Bilds zur Überschreitung des Elements der anschaulichen Evidenz selbst – des Imaginären, sofern es nicht nur das Moment des Bildscheins oder der Bildillusion ist, sondern Konstituens der Wahrnehmungswelt selbst. Es ist eine Überschreitung, die sich dem Objekt als die radikale Inkompossibilität seiner Aspekte einschreibt.

Einige spezifische, einige hybride Objekte. Gegenlektüren zu Donald Judd

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Das ist der entscheidende Schritt, den Judd in seinen theoretischen Diskurs nicht zu integrieren vermag, der Schritt durch den sein Frühwerk die positivistische Episteme, die seinen Diskurs trägt und bestimmt, schon gesprengt hat. Wir werden erst später die Linien dieser Analyse wiederaufnehmen können. Die Maschine, als die DSS 33 gedacht werden kann, ist schwer zum Laufen zu bringen. Das hier verwendete psychoanalytische Vokabular ist nur eine erste Anzeige der Dimension, in der ihre Anschlussstellen liegen. Erst nach der Ausarbeitung der theoretischen und historischen Topologie, die unsere Fragestellung insgesamt trägt, und nach der präziseren Lokalisierung der Grenzen der Phänomenologie in den folgenden Kapiteln wird die Struktur der dieser Maschine eigenen, heterochronen Zeitlichkeit sich genauer bestimmen lassen – um die Auseinandersetzung mit jenen Plexiglaskisten einzuleiten, die die stringentesten und wirkungsgeschichtlich bedeutendsten Arbeiten Judds sind. Nur ein weiteres der ersten specific objects, Untitled, DSS 41, eine wiederum kadmiumrote Kiste mit einem Spalt in der Oberseite kann sich gegen die konzeptuelle Strenge von DSS 33 behaupten. Diese Arbeit (fig. 12) zeigt genau die Alternative zu der Destruktion des Bildhaften und der Homogenität des Elements der Phänomenalität an, die DSS 33 (und 32) durchführen, die „formalistische“ Alternative, die Judds späteres Werk dominieren wird: eine Strategie der Harmonisierung von literalem Volumen und scheinbarer Tiefe eher als ihre Polarisierung und Konfrontation. DSS 41 ist eine der ersten quaderförmigen, auf dem Boden stehenden Arbeiten Judds, eine der ersten Boxen, die zum Prototyp ganzer Produktserien werden wird. Die Spur einer tektonisierenden Lektüre von Malerei ist auch hier nicht gelöscht. Der Spalt, der die Oberseite – die analog zur Frontfläche des Bildes optisch dominante Seite einer auf dem Boden stehenden Kiste und hier auch die größte Fläche – artikuliert, dieser Spalt erscheint als Bildelement wie zuvor die der Bildfläche eingesetzten leeren oder gefüllten Kreise oder wie ein Newman’scher zip. Und er ist auch ein Kreis, seine Öffnung ist als ein Leervolumen definiert – ein halber Zylinder, der die Fläche durchschneidet –, indem ins Innere der Kiste eine nicht überschaubare Anzahl (es sind achtundzwanzig) im Bereich des Spalts halbkreisförmig ausgesägter und wie die Box selbst kadmiumroter Lamellen eingestellt sind, die dünner als die ebenfalls ausgesägten Seitenwände der Kiste selbst sind. In DSS 39, einem gleichfalls in der Green Gallery ausgestellten Pendant, ist dieses zylindrische Volumen positiv artikuliert. Dem Spalt ist ein seitlich offenes Aluminiumrohr eingesetzt – unmittelbar abkünftig von dem Zylinder, der in Untitled (DSS 29) die flache, offene Kiste vertikal durchläuft (fig. 11).47 47

Die Syntax der frühen Arbeiten Judds ist begrenzt und erstaunlich permutationsfähig. Noch in einer weiteren Arbeit der Green Gallery Show scheint sie latent enthalten. DSS 38 (fig. 13), ein flaches „Podest“, das diagonal von einer Stufe durchschnitten ist, deren Frontfläche ein purpurnes Plexiglas überzieht, scheint kaum anders lesbar als in Bezug zu dieser Syntax, so dass die Frontfläche der Stufe als eine Art Schnittfläche durch ein zentrales Element zu lesen wäre, das wie das Alurohr in „Ladder Piece“ und wie die zentralen Implantate in allen anderen genannten Arbeiten als glänzendes Material den opaken (kadmiumroten) Körper der Arbeit durchquert. Diese Lektüre impliziert, dass DSS 38 gewissermaßen nur eine Hälfte eines Blocks ist, der ein identisches Passstück abgenommen ist; es impliziert dieselbe stumpfe Symmetrie wie DSS 35.

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Untitled, 1962. Was gegeben ist

Der Abstand dieser Lamellen nimmt progressiv ab (von etwa 7 bis etwa 0,8 cm). Diese Struktur, die der Arbeit den Namen „record cabinet“ eingebracht hat, betont das Innenvolumen, macht es aber zugleich unsichtbar: der enge Stand der Lamellen verschattet den Innenraum der Box und macht seine Bekanntheit und Unsichtbarkeit explizit. Die nicht mehr formale, aber konzeptuelle und grammatische Beziehung zu den vorangegangenen bildhaften Arbeiten ist nach den vorstehenden Analysen evident. Wieder ist ein „Bildraum“ dreidimensional konkretisiert, als Innenraum eines dreidimensionalen Objekts bestimmt. Record cabinet ist gewiss ein vollräumliches Objekt ohne wesentlichen Rückbezug zum Relief. Dennoch ist die Artikulation der Dreidimensionalität durch oder als die Schale eines nahezu geschlossenen Volumens gegenüber der aggressiven Exposition der beiden Ebenen des Winkels in DSS 33 ein konzeptueller Rückschritt. Die Beziehung von Innen und Außen ist epistemologisch den zu Anfang behandelten bildhaften Arbeiten analog. Das farbschattige Innere des Bildkastens, in den das Glasbullauge eine ungefähre Sicht freigibt, entspricht genau dem schattigen Inneren der Kiste, das hier die Lamellen in Scheiben schneiden. Dieser Innenraum wird zum Rückzugsort des Illusionären oder Imaginären, das in DSS 33 in gewaltsamer Weise gefangen, exponiert und gebrochen wurde. Dass die Arbeit faktisch keinen Boden hat, also keine Kiste ist – was herstellungs- und wartungstechnisch naheliegend ist, aber doch gegenüber dem ersten Eindruck eine sogar etwas unheimliche Täuschung darstellt48 – bestätigt diesen Charakter: Die Arbeit ist ein Sichtangebot, dass einen gewissen Illusionismus nicht nur nicht vermeidet, sondern absorbiert. Während das rabiate DSS 33 es nicht nötig hat, an den Geschmack zu appellieren, schön oder hässlich zu sein, macht diese weiche Absorption des Scheins die souveräne Eleganz von DSS 41 aus. Die Eleganz dieser Arbeit und so vieler weiterer Judds, in denen ein spezifischer Illusionismus – der materialspezifische Illusionismus spiegelnder Oberflächen, der subjektrelative der Täuschbarkeit und gezielten Täuschung der Wahrnehmung, ein Illusionismus in drei und mehr Dimensionen – heimlich und mit flüsternder Eloquenz den Diskurs der Malerei weiterführt, den Judd um 1960 am Ende glaubte. Wir sind mit der Diskussion dieser Arbeiten vorausgesprungen und der Horizont, in dem wir sie betrachtet haben, ist noch nicht sicher bestimmt, und so bleiben die Implikationen mancher der verwendeten Begriffe noch unentfaltet. Wir sind – vor allem mit dem Hinweis auf den maschinischen Charakter von Untitled (DSS 33) – über den Horizont der formalen Analyse, mit der wir begonnen haben, hinausgelangt, ohne dass klar wäre, wohin, ohne dass die Umrisse des Felds jener Objekte, die aus dem Abschied vom Bild und der Malerei hervorgehen, und die methodischen Erfordernisse ihrer Analyse schon klar erkennbar werden. Wir werden mit Ausblicken auf 48

Der Blick ins Innere der Box ist wie ein Blick in die Werkstatt. Sie ist grob gearbeitet, nicht auf Sichtbarkeit getrimmt. Die eng und in unruhigem Rhythmus (es ist keine lineare Progression) stehenden Lamellen berühren dort im Schatten des Innenraums den Fußboden wie Tastorgane. Die Arbeit bekommt latent tierhaften Charakter, etwas Käfer- oder Insektenhaftes. Judd würde eine solche psychologische Projektion natürlich vehement zurückweisen, aber Latenzen fallen per se aus dem Gesichtskreis der Intention.

Einige spezifische, einige hybride Objekte. Gegenlektüren zu Donald Judd

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Judds Kunstkritiken, die in den Jahren 1959 bis 1965, parallel zu den ersten specific objects entstanden sind,49 und auf zeitgenössische Entwicklungen und Problemstellungen im Werk einiger anderer Künstler, auf die Judd sich bezieht, diesen Horizont stabilisieren und das Feld der Objekt-Kunst historisch und phänomenal abgrenzen. Die Lektüre der Kritiken Judds erbringt zweierlei: Sie ist eine Einführung in die Problematik seines Begriffs einer abweichungslosen, unmittelbaren Werkpräsenz. Sie gibt Einblick in die Aporien seiner Bildkritik, die sich in strukturellen Verschiebungen bis in den genuin philosophischen, subjektivitätstheoretischen Horizont der späteren Texte Judds, die seine „eigene kleine Ästhetik“ 50 entfalten, verfolgen lassen. Und sie erlaubt oder zwingt vielmehr dazu, Judds Diskurs, seine Denk- und Sehweise, die sowohl sein Werk wie seine Kritiken prägen, zu historisieren, zu lokalisieren und zu datieren und gerade so in ihrer Eigenheit im Kontext der künstlerischen Produktion und der kunsttheoretischen Debatten um 1960 abzugrenzen. Wir lesen Judds Texte hinsichtlich der Schwierigkeiten und Mühen der Abschiednahme von der Malerei, von der Logik des Bilds, vom Imaginären, die auch die skizzierte Entwicklung seines Frühwerks gekennzeichnet hat. Und wir lesen sie unter dem damit verbundenen Aspekt des Bruchs, der Zersplitterung oder Sprengung des Werkbegriffs und der Gattungsdisziplin, zu deren Resultaten – wenig abseitigen Resultaten im Vergleich mit vielen anderen Folgen dieser Sprengung in den sechziger Jahren – Judds spezifische oder hybride Objekte gehören. Judds anarchischer Nominalismus, die philosophische Haltung, die er mit Marcel Duchamp teilt und die sich in der

Ich möchte keine Hierarchie zwischen der künstlerischen und der kunstkritischen Arbeit Judds in diesen Jahren, keinen eindirektionalen Einfluss in die eine oder andere Richtung behaupten. An einigen entscheidenden Punkten wird sich die Überlegenheit von Judds Werk, der Reflexion in seinen Arbeiten gegenüber dem Begriffsniveau seiner Texte zeigen. Das schränkt den Wert einiger neuerer kunsthistorischer Arbeiten ein, die sich primär auf die Exegese der Texte konzentrieren und Judds Intention durchsichtig zu machen versuchen. Das bleibt solange ein rein historisches Referat, wie die Werke anschließend nur im etablierten Horizont der Intention des Autors – aber ist der Autor der Texte nicht vielleicht ein anderer als der des Werks? genügt die Identität der Person hier den methodischen Ansprüchen? – behandelt werden. Wir sehen in der Durchstoßung dieses Horizonts die eigentlich brisanten Momente von Judds Frühwerk. – S. Richard Shiff, „Donald Judd: Fast Thinking“, in: Donald Judd Late Work, Ausst.-Kat. New York 2000 (eine erweiterte Version ist: „Donald Judd, Safe from Birds“, in: Donald Judd, Ausst.-Kat. London/Düsseldorf/Basel 2004); David Barry Raskin, Donald Judd’s Scepticism, Phil. Diss. , Univ. of Texas, Austin 1999 (Ich danke David Raskin herzlich für die freundliche Bereitstellung seiner Dissertation); ders. , „Specific Opposition: Judd’s art and politics“, Art History (U. K.), Vol. 24, No. 5, Nov. 2001; und jetzt ders. , „Judd’s Moral Art“, in: Kat. Donald Judd, Tate Gallery London 2004. – Das Verdienst dieser Arbeiten ist es, Judds „Ästhetik“, die in der dominanten Minimalismusrezeption von den Texten Robert Morris’ verdrängt wurde, zum ersten Mal überhaupt entfaltet und auf den Begriff gebracht zu haben. 50 So charakterisiert Judd „Art and Architecture“, einen Vortrag, der mit einigen anderen die erkenntnis- und subjektivitätstheoretische und (bild-)geschichtliche Grundlegung seines Werkkonzepts in Umrissen sichtbar macht (CW II 25–36, 36).

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54 Ablehnung eines Allgemeinbegriffs von Kunst ausdrückt – „if someone says his work is art, it’s art.“ – ist Ausdruck oder Abdruck, Momentanbild dieser Situation der beschleunigten Expansion oder entropischen Auf lösung des Werkbegriffs, die oft als Grundbewegung der Avantgarde der sechziger und siebziger Jahre interpretiert wird. Wir konzentrieren uns zunächst auf die Schwierigkeiten, die ein solcher Nominalismus, der die Gattungsgrenzen einreißt oder unterläuft, einem Kunstkritiker machen muss, der zugleich den Sinn des Worts Kritik mit aller Unnachgiebigkeit aufrechtzuerhalten sucht.

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B Intensität und Indifferenz. Schematismen der Werkpräsenz. Donald Judd, Art Critic. – Zwischen 1959 und 1964/65 hat Judd regelmäßig Kunstkritiken geschrieben, vor allem kurze Ausstellungsreviews für Arts Magazine (bis 1960 Arts), später Sammelreviews (den „New York Letter“) für Art International, einige verstreut und zum Teil verzögert publizierte monografische Texte und zwei oder drei umfangreichere Essays. Diese frühen Texte machen den Hauptanteil der 1975 publizierten Collected Writings 1959–197551 aus. Judd hat später betont, dass er nur aus pragmatischen, finanziellen Gründen als Kunstkritiker gearbeitet hat, dass seine Texte nicht als Programmschriften zu lesen sind, die seine Arbeit theoretisch absichern oder kommentieren. Und diese Grenzziehung zwischen der Arbeit des Kritikers und des Künstlers muss eine Lektüre sicher beachten. Judds Texte spiegeln nicht unmittelbar seine künstlerischen Intentionen. Sie haben nichts mit den Manifesten der klassischen Moderne gemein, wenig auch mit den suchenden Reflexionen Barnett Newmans, den rituellen Monologen Ad Reinhardts oder mit den Schriften unmittelbarer Zeitgenossen wie den theoretisch anspruchsvollen Notes on Sculpture von Robert Morris. Judd schreibt und publiziert bis 1965 professionelle (schlecht bezahlte, aber bezahlte) Kunstkritik, zweckgebundene, schnellgeschriebene Auf tragstexte, die theoretisch – in der Ausarbeitung einer Terminologie und Kriteriologie und in der Ordnung des kontingenten Materials des lokalen Kunstmarkts (im überwiegenden Teil der Reviews bespricht Judd Ausstellungen zeitgenössischer Kunst in New Yorker Galerien) – eher zurückhaltend sind. Noch in Judds bekanntestem und oft doch als Programmschrift gelesenen Text, Specific Objects, dessen Titel direkt auf seine frühen Arbeiten übertragen wurde, setzt sich eine begriff liche Ordnung nur in Ansätzen gegen die Vielfalt und Heterogenität der behandelten Werke 51

Donald Judd, Complete Writings 1959–1975, Halifax / New York 1975 (ab hier zitiert als CW I mit Seitenzahl, bei aufeinanderfolgenden Zitaten nur die Seitenzahl).

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Intensität und Indifferenz. Schematismen der Werkpräsenz

durch, – die laut Judd nur darin übereinkommen, „weder Malerei noch Skulptur“ (CW I 181) zu sein. Über eigene Arbeiten spricht er in seinen frühen Texten nirgends explizit. Erst ab 1965, nach seiner ersten Einzelausstellung in der Green Gallery, der experimentellsten Avantgarde-Galerie der Stadt, äußert er sich in verschiedenen „statements“ als Künstler zur Konzeption seines eigenen Werks und versucht ihre philosophischen und politischen „Implikationen“ – der zentrale Ausdruck Judds für die „inhaltliche“ Dimension seiner Arbeiten, die er nicht mehr unter dem Aspekt der Referenz ansprechen will – zu umreißen. Dennoch stellt das Korpus der frühen Kunstkritiken nicht nur einen Überblick über das historische Umfeld von Judds Werkentwicklung dar, sondern ist wesentliche Grundlage zur Verständigung über sein Werk und den theoretischen Horizont, in den es eingebettet ist. Denn die Texte Judds thematisieren zwar die Konzeption seiner eigenen Arbeiten nicht direkt, sie geben kein Bild von ihr, aber sie tragen um so deutlicher die Spuren der Arbeit an dieser Konzeption, einen Abdruck des formalen oder visuellen Denkens, das sich in den spezifischen und hybriden Objekten niedergeschlagen hat, von denen wir einige analysiert haben. Ein Abdruck also, kein Bild. Wir interpretieren nicht programmatische Aussagen, wir versuchen eine Seh- und Denkweise zu rekonstruieren, ausgehend eher von den Forciertheiten und Verzerrungen, von den Blindheiten, die der Text verrät, als von der Transparenz der Aussagegehalte. Es geht um die Topologie und die Konsistenz des „Raums“, in den Judd die Vielfalt der künstlerischen Phänomene einschreibt. Dieser Raum ist der seines Sehens, der einer spezifischen Sichtbarkeit. Und das Subjekt dieses Sehens weiß über nichts anderes weniger zu sagen, als über die Konstruktionsregeln dieses Raums, über die Konsistenz des Elements, in dem es sieht. Wir können diese Konsistenz nur über die Wirkungen des Sehens im Gesehenen erfassen, das Judds Texte in fast protokollarischen Deskriptionen fixieren. Es geht also, wenn wir etwa Judds Verhältnis zu Jackson Pollock thematisieren, dessen Werk für ihn ein Modell war, an dem er sein Denken über Kunst immer wieder überprüft hat, nicht darum, etwas so Vages wie einen „Einfluss“ aufzuweisen. Ebensowenig sind die Teilblindheiten und Deformationen der Texte als „Verkennungen“ oder „Missverständnisse“ zu behandeln. Einfluss, Verkennung und Missverständnis sind fragwürdige methodische Kategorien, die letztlich einer Psychologie des Künstlers und der Intentionen angehören,52 während sich unsere Analysen eher im Raum einer Physik des Blicks und seiner Objekte bewegen. Wir suchen nicht nach einer wahren, originären Intention, wir suchen in einer Art negativer Hermeneutik die Linie auf, die den Kraftausgleich zwischen dem Subjekt und seinem historischen Feld, seinen Gegenständen aufzeichnet. Es wird am Beispiel von Judds Entwicklung bis in Einzelheiten evident, dass ein Kraftausgleich stattfindet. Das „historische Apriori“ – denn als solches kann die lokale Kunstszene, die das Material liefert, das sein Sehen bear52

Sie bezeichnen Verhältnisse der Absichten, des Wissens und Nicht-Wissens und setzen das Überblickswissen des Historikers, der mit ihnen operiert, stillschweigend voraus. Als eine der seltenen Abrechnungen mit diesen Lieblingskategorien der Kunsthistoriker siehe Michael Baxandalls „Exkurs wider den Einfluss“, in: ders. , Die Ursachen der Bilder, Berlin 1990.

Donald Judd, Art Critic

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beitet, für Judds Formulierung seines Werkkonzepts gelten – ist nicht einfach die starre Gussform, aus der das Subjekt die Formen seines Denkens, seiner Sprache und seiner materiellen Produktion abnimmt. Das „historische Apriori“ ist von einer massiven, aber deformierbaren „Positivität“, um den Ausdruck zu verwenden, mit dem Foucault die Seinsweise der „diskursiven Formation“ bezeichnet.53 Es ist deformierbar durch die subjektive Gewalt, durch die originäre Produktion sich nicht einfach von historischen, materiellen Bedingungen befreit, aber diese partiell umprägt. Eine solche Gewalt ist die Bedingung oder die Form dessen, was man die strittige Originalität eines Werks nennen kann.54 Sie ist es jedenfalls, die Judds Konzeption in der Kunstszene eine klare Kontur und die Durchsetzungskraft verschaff te, die ihn in wenigen Jahren aus einem formal experimentierenden Kritiker zu einem der prominentesten Künstler der sechziger Jahre machten. 53 M. Foucault, Archäologie des Wissens, 183 u. passim. 54 Diese Originalität ginge nicht aus einer frei intendierten Sinnstiftung hervor. Sie liegt nicht im

Gesagten, sie ist gewissermaßen ablesbar am Rand des Gesagten. Auktoriale oder subjektive Effizienz als solche Kraftwirkung ist selbst auf dem Niveau der Analysen der Archäologie des Wissens nicht auszuschließen, so sehr Foucault dort alle klassischen Begriffe von Werk, Subjekt und Autorschaft explizit in Klammer setzt. Foucault handelt, wie Blanchot erinnert, „vom Verschwinden des Subjekts (das heißt seiner neuen Existenzweise, die im Verschwinden besteht)“ (M. Blanchot, Michel Foucault, vorgestellt von Maurice Blanchot, Tübingen 1987, 28). Vielleicht kann Foucault immer doppelt gelesen werden – in seinem Auf treten gegen ein „humanistisches“ Konzept des Subjekts und der Funktionen (oder Einheiten) des Autors, des Werks usw. , in denen der Sinn letztlich an den Raum des Bewusstseins und der spontanen Intention gebunden bliebe; gegen diese Konzeption würde Foucault das historische Apriori der Aussageformen, den Zement einer Epoche hervorheben, die ein Denken- und Sagen-Können prägt, das sich nur per reflexiver Illusion als ursprünglich und spontan begreift. Aber zugleich wäre Foucault Zeuge eines anderen Subjekts, des Subjekts der Transgression oder jenes „Denkens des Außen“ (in: ders. , Von der Subversion des Wissens, Frankfurt a. M. 1987), das ihn – neben seinen „historischen“ Arbeiten – von Anfang an an Blanchot und Bataille interessiert hat (s. z. B. „Gespräch mit P. Caruso“, ebd. , 21, wo F. von dem „schlecht gelösten Konflikt“ dieser „Leidenschaft“ mit dem „Interesse für gewisse positive Studien, wie die von Dumézil und Lévi-Strauss“ spricht). Er ist der Denker des Subjekts einer Erfahrung, die dieses selbst in seinem Wesen und seiner Struktur transformiert (und deren Möglichkeit F. im Gespräch mit D. Trombadori gerade gegen eine orthodox-marxistische Auffassung von „Determination“ verteidigt: Der Mensch ist ein Erfahrungstier, Frankfurt a. M. 1997). Dieses transzendentale Werden des Subjekts (das Blanchot „Verschwinden“ nennt) durchquert den selbst klassischen Raum, in dem die Ideen von Autorschaft und Spontaneität des Sinns (Humanismus / Phänomenologie / Existenzialismus) den Paradigmen durchgängiger Determination (Strukturalismus / Marxismus / Psychoanalyse) oppositionell gegenüberstehen. Eine Brechung dieses oppositionellen Rahmens scheint mir eine komplettere und genauere Lektüre auch der früheren Texte Foucaults und selbst eines scheinbar so durchdringend „positivistischen“ Buchs wie der Arch. d. W. zu ermöglichen, als das gerade im Kontext der neueren Kunstkritik gängige Bild Foucaults als des radikalen Historizisten und Antiphilosophen, des Denkers der „Macht“ und der Passivität jener Biomasse, die von ihr organisiert und mit einer „Identität“ wie mit einem Markennamen gestempelt würde. Es sind Narzissmus und Larmoyanz, die dazu geführt haben, dass die „Selbstreflexion“ genannte Nabelschau der „partikularen Identitäten“ das heute dominante Paradigma im politisch-korrekten Kunstdiskurs ist. Ihre Berufung auf Foucault erscheint mindestens einseitig. Foucault hat diesen Historizismus auch zu überwinden versucht. Die Sorge um sich ist Selbsterfindung.

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Intensität und Indifferenz. Schematismen der Werkpräsenz

Anarchismus und Hierarchie. – Judd hat über alles Mögliche geschrieben. Er hat sich einen gewissen Anarchismus zum Programm gemacht. Aus der Kenntnis seines Werks und seiner späteren Verachtung z. B. der neoexpressionistischen figurativen Malerei und der postmodernen Architektur der achtziger Jahre wird man eine besondere Vorliebe des Kritikers für abstrakte, formal geometrische Werke erwarten. Das trifft aber so wenig zu wie das kunsthistorische Klischee einer Dialektik der Generationen, das die Minimal Art und die Pop Art als Reaktionen auf den „malerischen“, „subjektivistischen“, „existenzialistischen“ usw. Abstrakten Expressionismus darstellt. Für Judd sind vielmehr Pollock und später Newman und in etwas geringerem Maß Rothko und Still die maßgeblichen Künstler, auf die er sich affirmativ bezieht.55 Und auch seine Kritik des Malerisch-Expressiven trifft eher die Menge der epigonalen „Followers“ von de Kooning oder Franz Kline als diese selbst. Bezogen auf die unmittelbar aktuelle Situation hat Judd in seinen frühen Texten Dogmatismen jeder Art abgelehnt und ist ausdrücklich für eine möglichst große Offenheit und Heterogenität der Szene eingetreten. Er hat – neben und nach der unüberbietbaren Größe, die Pollock Anfang der sechziger Jahre für ihn darstellt – Stella, Noland und Reinhardt geschätzt, wie man erwarten würde, aber auch Oldenburg, Rauschenberg oder Lichtenstein und sogar den West-CoastBarbarismus eines Ed Kienholz. Seinen Kritiken ist ein stilistischer, morphologisch definierbarer Kanon kaum abzulesen.56 Eher erscheint eine gewisse Un-Ordnung der Beobachtungen, eine Sprunghaftigkeit, ein disjunktives Nebeneinander von knappen deskriptiven Ausblicken als methodische Attitüde der Texte. Die betonte Heterogenität der thematisierten Gegenstände kennzeichnet nicht nur die kurzen Reviews, auch die längeren und theoretisch anspruchsvolleren Texte einschließlich Specific Objects schränken die Geltung der erkennbaren Ansätze einer Systematik, Klassifikation und Begriffsbildung regelmäßig ein. Jede begriff liche Generalisierung verbindet Judd mit der nominalistischen Warnung vor dem Begriff. In Specific Objects folgt sie gleich nach der Ankündigung des Themas – derjenigen „Hälfte der besten neuen Arbeiten“, die „weder Malerei noch Skulptur“ sind: „The new threedimensional work doesn’t constitute a movement, school or style. The common aspects are too general and too little common to define a movement. The differences are greater than the similarities. The similarities are selected from the work; they Und Warhol, um die andere Seite der Rezeption des Abstrakten Expressionismus zu nennen, ist ohne Pollock so wenig denkbar wie Judd. Er hat den rebellischen (ödipalen) Künstlertyp in die Bedingungen industrieller (Image-)Produktion eingeführt. Dieselbe Farbe („industrial paint“), die Pollock durch den Leerraum eines projizierten Selbstbilds fallen lässt, streicht Warhol durch seine Siebe. Pollock’s „I am nature!“ antwortet Warhols Wunsch, „Maschine“ zu sein. Ein Statement wie Pollock’s „Every good painter paints what he is.“ und Warhol’s „If you want to know all about Andy Warhol, just look at the surface of my paintings and films and me, and there I am. There’s nothing behind it.“ sind formal genau kongruent. Wir werden die Parameter, in denen diese Kongruenz lesbar wird, im Folgenden etablieren. 56 Judd ist daher zu Recht als einer der flexibelsten Kritiker der frühen sechziger Jahre bezeichnet worden, als der vielleicht einzige, der für die spätmoderne abstrakte Malerei ebenso offen war, wie für den New Yorker „Neo-Dadaismus“ und die Anfänge der Pop Art (Philip Leider, „Perfect Unlikeness: Donald Judd as Critic“, Artforum, Vol. XXXVIII no. 6 [Febr. 2000], 98–103). 55

Anarchismus und Hierarchie

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aren’t a movements first principles or delimiting rules.“ (CW I 181). Keine Prinzipien also und keine deduziblen und präskriptiven Regeln, keine Allgemeinbegriffe. Man erkennt – und zahlreiche Wiederholungen der Argumentationsstruktur bestätigen es –57, dass Judds Anarchismus „Methode hat“ und mehr ist als die Offenheit des „Geschmacks“ oder die pluralistische Ideologie eines Kritikers. In Local History, einem kurz vor Specific Objects entstandenen Text, schreibt er z. B.: „The several complaints about confusion, lack of common goals, uncertainty and rapid change are naive. Like style, they are meaningless now. Things can only be diverse and should be diverse. Styles, schools, common goals and long-term stability are not credible ideas.“ (151). Und 1969 beginnen seine ersten Complaints: „I haven’t written anything for quite a while; I have a lot of complaints. Most of these are about attempts to close the fairly open situation of contemporary art. […] I’ve expected a lot of stupid things to reoccur — movements, labels — but I didn’t think there would be another attempt to impose a universal style. It’s naive and it’s directly opposed to the nature of contemporary art“ (197). In der Vereinheitlichung, in synthetischen (Stil-) Kategorien sieht Judd vor allem Effekte von Markt- und Machtinteressen, die der wesentlich heterogenen und pluralen „Natur der zeitgenössischen Kunst“ „direkt entgegengesetzt“ sind. Dennoch wird er sich in ihrer Kritik nicht sonderlich engagieren. Mehr als alles andere scheinen ihn diese Effekte zu langweilen. Judds Eintreten für Diversität, die Ablehnung der allgemeinen Kategorien und „großen Erzählungen“ der Stilentwicklung ist nicht im engeren Sinn politisch motiviert (wie etwa das Eintreten der Art-Workers Coalition für eine „Quote“ für Kunst von Frauen und Farbigen in den öffentlichen Museen Ende der sechziger Jahre). Die pluralistische Haltung seiner frühen Kritiken folgt der methodischen Leitidee eines radikalen skeptischen Empirismus, der den Horizont seiner philosophischen, künstlerischen und politischen Überzeugungen bildet. Judd glaubt nur an endliche, induktiv gewonnene Einheiten und relative, aposteriorische Ordnungen. Das betrifft die Kunst, die Politik, die Philosophie, die Wissenschaft gleichermaßen. Synthetische Urteile sind Interessensmasken. Eine „Begriffseinheit“ (ein „Stil“, ein „soziales Gefüge“, ein „historisches Narrativ“) ergibt sich aus einer Selektion und Zusammenstellung von Merkmalen, die von einem letztlich partikularen Interessenshorizonts bestimmt sind. Das Modell induktiver Begriffsbildung zeichnet sich in Judds Denken überall ab, in seinem politischen Anarchismus, der ihn die marxistische Systematisierung der Geschichte und die Vereinheitlichung ihres Handlungssubjekts zurückweisen lässt – „ ‘Fierce demands for social justice… allied with…

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Nur ein weiteres Beispiel, das den programmatischen Charakter dieser Antiprogrammatik verdeutlicht: „Three-dimensional work, approximating objects, and more or less geometric formats with color and optical phenomena, are a couple of the wider categories of new and interesting work. These categories are categories only by the common presence of a single very general aspect. A person could select other common elements which would make other groups. The things in common are, again, very general and inspecific. They certainly don’t form a style. They occur in contradictory or unrelated contexts.“ (CW I 151)

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Intensität und Indifferenz. Schematismen der Werkpräsenz

tribalism’ sounds just fine to me. ‘Destiny’ is a manifest myth“ 58 –, ebenso wie in seinem künstlerischen und kunstkritischen Denken – „a person could select other common elements which would make other groups.“ (151). Judd akzeptiert nur die begrenzte Geltung pragmatischer, kontingenzoffener Ordnungen des immer singulären, nomadischen Konkreten.59 Das ist die methodische Maxime seiner Arbeit als Kritiker wie als Künstler, das auch seinen politischen Vorstellungen in den sechziger Jahren die Orientierung gibt. Local order – eine opake, nicht diagrammatisch (als repräsentativer Ausschnitt eines übergreifenden Ganzen) lesbare Ordnung – ist eines der Schlagworte im Kampf gegen den unterstellten hierarchischen Rationalismus der europäischen Bildkomposition, das wir ausführlicher diskutieren werden (s. u. , S. 284 ff.), und es ist zugleich der Name für die Struktur einer „basisdemokratischen“ Gemeinschaft, deren größte repräsentative Einheiten die „townships“, die Bürgerschaften, wären: „The only practical, possible, though difficult, way to regain control is for everyone to establish townships, local political units. The townships would make it impossible for everyone to be ruled from the top; the resistance would be too complex, dense and permanent. […] Everyone has to act, has to accept the power that’s theirs, otherwise they’ve given it to someone else.“ 60 Analog zu diesem Konzept einer non-hierarchischen oder anarchischen politischen und formalen „from-base-to-top“ Organisation, ist ein Empirismus, der heterogene, je singuläre Elemente zu einer lesbaren, aber nicht logischen oder systematischen und in keiner Weise mehr repräsentativen Ordnung versammelt, das methodische Ideal von Judds begriffskritischer Kunstkritik. Und es liegt offenbar in der Konsequenz dieser Einstellung, dass er in seinem ersten publizierten „Statement“ (1966) wie entnervt – und „nicht ganz im Ernst“, wie er zwanzig Jahre später

58 CW I 222: Judd zitiert hier Franz Fanon, der selbst für die Kämpfe der De-Kolonisierung („Even

Franz Fanon“, wie Judd sagt) im „Tribalismus“ die Gefahr einer „Zersplitterung“ sieht. Dass Judd mit einer maoistischen Neuen Linken und mit der Idee eines universellen Klassensubjekts nichts anzufangen wusste, ist klar. Eine forcierte Zusammenschau der internationalen politischen Bewegungen der sechziger Jahre und ihrer Resonanz in der zeitgenössischen (amerikanischen) Kultur gibt Fredric Jameson in „Periodizing the 60 s“, in: ders. , The Ideologies of Theory. Vol. 2: The Syntax of History, Minneapolis 1989, 178–208; zu Fanon dort 188 ff. Zu „Judd’s politics“ und seiner Drift von einer „links-anarchistischen“ zu einer „rechts-liberalen Position“ s. bes. Raskin, „Specific Opposition: Judd’s art and politics“, sowie die anderen erwähnten Arbeiten Raskins (s. o. , Anm. 22). 59 Eine schöne Charakteristik dieser Prinzipienkritik des anglo-amerikanischen Empirismus und Pragmatismus findet sich in Gilles Deleuze / Claire Parnet, Dialoge, Frankfurt a. M. 1980, 61 ff. Dort spricht Deleuze vor allem auch von der flachen Verkettung des et als der Konjunktion des Empirismus. Dieses non-hierarchische et, die serielle Parataxe gehört zu den manifesten Einsätzen in Judds Texten und in seinem Werk. In welchem Sinn das hierarchisierende est in seinem Denken dennoch herrschend bleibt, werden wir im Weiteren zeigen. 60 CW I 203. Dieser Text, General Statement, 1971 in der Newspaper-Lower Manhattan Township veröffentlicht, ist eines der wesentlichen Dokumente von Judds politischem Engagement. Zum Umfeld von Judds politischer Praxis s. auch Raskins „Specific Opposition“.

Anarchismus und Hierarchie

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sagen wird61 – eine Begriffsdefinition von Kunst als ebenso lästig und steril ablehnt wie den Kampf dagegen. „ ‘Non-art,’ ‘anti-art,’ ‘non-art art’ and ‘anti-art art’ are useless. If someone says his work is art, it’s art.“ (CW I 190) Diese Geste summiert den Auf bruch der Neoavantgarde Ende der fünfziger, Anfang der sechziger Jahre. Was als Kunst gilt, löst sich auf in einem Feld punktueller, singulärer Phänomene. Den Horizont dieses Felds soll kein System und keine Teleologie, kein Gattungs- und kein Stilbegriff stabilisieren. „Kunst“ ist kein Allgemeinbegriff, es ist der taktisch gesetzte Eigenname der „Ereignisse“ in diesem Feld, denen nur ein prä-kategoriales, erwartungsloses Denken entsprechen kann. Dies ist der Topos des radikalen Empirismus. Lässt sich aber unter einer so entschieden nominalistischen Prämisse noch Kunstkritik betreiben – wenn ein Scheiden und Unterscheiden (krinein) von Kunst und Nicht-Kunst und von guter und weniger guter Kunst zum irreduziblen Kern dieses Begriffs und dieser Aufgabe gehört? Denn zumindest in Judds Fall hat der Anarchismus oder Antidogmatismus nicht den Effekt pazifizierender Toleranz gehabt. Er verbindet sich im Gegenteil mit einer oft fast arroganten Schärfe und Apodiktik seiner Qualitätsurteile, mit der Insistenz auf einer Rangordnung, einer „Bestenliste“, deren Aufstellung umso autoritärer wirkt, je weniger ihre Kriterien – eben ein formaler Kanon, ein theoretischer Horizont, das Eintreten für eine bestimmte „Richtung“ oder historisch definierte Haltung – absehbar sind. Judds Qualitätsurteile erscheinen gewissermaßen nackt, ohne argumentatives Gerüst, bezogen auf den einzelnen Künstler und das singuläre Werk, unvorbereitet durch eine Ordnung und kategoriale Hierarchisierung des Felds der Objekte – wie sie Anfang der sechziger Jahre natürlich besonders die ModernismusKonzeption Clement Greenbergs anbot, die mit der Aufgabe der modernistischen Kunst – und genauer der modernistischen Künste – die spezifischen Eigenschaften ihres jeweiligen „Mediums“ herauszuarbeiten, dem Qualitätsurteil, das auch für Greenberg als „Reflexionsurteil“ im Sinne Kants wesentlich nicht beweisbar ist, einen Rahmen und Halt gab. Judds Nominalismus geht wesentlich weiter als dieser durch das Ideal der Mediumspezifik, durch die Brechung des leeren Allgemeinbegriffs der Kunst zu den spezifischen Künsten und ihrer medialen Essenz kategorial und teleologisch gebändigte Greenbergs. Das Paradox des modernistischen Paradigmas liegt darin, dass zwar der Allgemeinbegriff Kunst nur einen leeren Horizont entwirft, unter den strikt nachträglich das fallen wird, was sich im „Geschmacksurteil“ des Kritikers, das (nach Kant) ohne begriff liche Führung auskommen muss, als fähig erweist „Überzeugung hervorzurufen“ (to compell conviction, wie die stehende Wendung Michael Frieds lautet), Überzeugung von seiner „Qualität“, – dass aber dennoch die Kreise der Künste, der Medien oder Gattungen, diesen offenen Horizont des ästhetisch Beurteilbaren (der Kunst) vollflächig und restlos unter sich aufteilen. „Mediumspezifik“ ist gewissermaßen die Bedingung, unter der der modernistische Geschmack, das reflektierende Sehen zu arbeiten, zu spielen, anfängt. Das Ready-made, so gut wie der minimalistische Block, stoppen dieses Spiel. Sie liegen außerhalb des ästhetisch Beurteilbaren und sind für Greenberg daher – als 61

Donald Judd, „Kunst und Architektur“, in: Stemmrich 1995, 74–91, 79 (CW II 28).

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Intensität und Indifferenz. Schematismen der Werkpräsenz

Kunst – irrelevant.62 „The notion of quality“, wird Michael Fried im Anschluss an Greenberg sagen – und quality ist das transzendentale Prädikat des Geschmacksurteils, das einzige Kriterium, wodurch sich ein Werk vom bloßen Objekt unterscheidet – „is meaningful or wholly meaningful only within the individual arts.“ 63 Was „zwischen den Künsten liegt“, ist folglich nicht Kunst.64 Zwischen den Künsten, zwischen den Medien liegt die unsublimierte Wirklichkeit, zwischen den Bildern liegt die bloß existierende Wand, über die der modernistische Kritiker sich nicht den Kopf zerbrechen muss, da sie dem Geschmack keinen Spielraum bietet. Eben dies aber tut Judd. Für ihn ist das Werk aus dem Kreis des Mediums, aus der Dimension der Darstellung, die das Element des „reinen ästhetischen Urteils“ ist, herausgehoben. Für ihn existieren die Werke. Er ergreift programmatisch für das Zwischen, für die Materialität dieser Fugen zwischen Medium und Medium, zwischen Bild und Bild, für die Resistenz der Wand Partei. Das ist der Einsatz, der das modernistische Paradigma sprengt. Judd lehnt nicht einen Allgemeinbegriff von Kunst ab, um in einem Regime der Gattungen – als wären diese ein unantastbares, ewiges Register, das nur historisch unterschiedlich gefüllt wird – eine Orientierung wiederzufinden. In seinen frühen Texten ist das Einzelwerk, das Objekt des Qualitätsurteils, daher keiner präskriptiven Selektion und Kategorisierung mehr unterstellt. Ob es sich z. B. um Malerei handelt oder nicht, und was Malerei im Unterschied zu Skulptur, zu Objektkunst usw. ist, ist für Judd kaum von Belang. Sein Qualitätsbegriff ist nicht vom Telos der Identität einer bestimmten Kunstform oder der Reinheit eines Mediums bestimmt. Die Kreuzung der Offenheit des Horizonts (des Kunstbegriffs, der in sich bestimmungsleer ist) und der Hierarchie der Rangurteile erscheint so in provokativer Reinform. Wir werden sehen, dass hier dennoch kein Widerspruch vorliegt. Die Kluft zwischen der Heterogenität der Gegenstände und der Hierarchisierung der Urteile über sie ist Anzeichen des einen Kriteriums, das Judds Interesse positiv lenkt. Sie ist das Anzeichen jenes Grundmotivs, auf das seine eigene Arbeit zielt und das zunächst kein stilistisches, formal oder morphologisch definierbares Kriterium für die „Qualität“ eines Werks einschließt und das, wie es scheint, noch nicht einmal Kunst von Nicht-kunst, Werke von gemeinen Objekten abzugrenzen erlaubt. Sie ist die Konsequenz von Judds ausschließlichem Interesse und seiner 62 Und dennoch beunruhigend. Die späte Auseinandersetzung Greenbergs mit Duchamp hat

Thierry de Duve aufgearbeitet (s. ders. , Clement Greenberg between the Lines, Paris, o. Jg. [1996]; und zur Kunst im Allgemeinen und der Spezifik der Künste, bes. Kap. 4, „The Monochrome and the Blank Canvas“ in: ders. , Kant after Duchamp). Wir werden das inzwischen stark bearbeitete Thema der Affinitäten und Differenzen zwischen Greenberg und dem Minimalismus (s. z. B. auch H. Foster, „Die Crux des Minimalismus“, in: Stemmrich 1995) noch mehrfach berühren. 63 M. Fried, „Art and Objecthood“, in: ders. , Art and Objecthood, 148–172, 164. „Quality“ ist zudem ein nahezu selbstreferentieller Begriff. Wie zeigt sie sich an? An der Fähigkeit des Werks „Überzeugung hervorzurufen“, to compell conviction. Überzeugung wovon? Die Überzeugung, dass es neben den Meisterwerken der Vergangenheit standhält, deren „Qualität außer Frage steht“. So flechten die Kreise der je selbst-reflexiven und begriff losen „Geschmacksurteile“ die Kette der kanonischen Meisterwerke (s. besonders „Introduction to My Art Criticism“, in: ders. , Art and Objecthood, bes. 23 ff. mit den Verweisen auf „Shape as Form“ und „Art and Objecthood“). 64 Es ist Theater mit dem seltsamen Wort von Fried (s. ebd. , 163 f.).

Der ontologische Komparativ

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auschließlichen Bevorzugung dessen, was er die „Kraft“, die „Intensität“ oder die „Präsenz“ eines Werks nennt. Ein Amalgam dieser Begriffe bildet die vertikale Achse seiner Kritik.

Der ontologische Komparativ. – Ein Amalgam – eine Verbindung also nahezu ohne Gerüst. Wir versuchen im Folgenden, die problematische Struktur dieser Verbindung zu klären, ihre innere Spannung und formale Illegitimität einerseits und die historische Konstellation, aus der sie ihre Plausibilität, ihre Kohäsionskraft gewinnt. All das sind mehr als nur Fragen der Terminologie. Der Präsenzbegriff selbst taucht bei Judd wörtlich selten auf. Seine wesentlichen Begriffe sind „power“ oder „force“ und „intensity“, die entsprechenden Adjektive und eine Reihe weiterer, analog gebrauchter Adjektive wie „aggressive“, „single“, „obsessive“, „narrow“, „direct“ und nicht zuletzt „specific“: eine permutative Kette inhaltsarmer und scheinbar austauschbarer Ausdrücke, die insgesamt jene „Eigenschaft“ oder „Qualität“ der „Präsenz“ eines Werks evozieren. Auch die stärkere semantische Färbung von „obsessive“ und „narrow“ bindet diese „Qualität“ nicht deskriptiv ab. Von den Arbeiten Lee Bontecous (fig. 14) schreibt Judd zum Beispiel in Local History: „The quality of the reliefs is exceptionally explicit or specific or single and obsessive“ (CW I 150). Und in Specific Objects: „The quality is intense and narrow and obsessive.“ Und dort springt er weiter und spannt die Kette über formal und konzeptuell scheinbar völlig heterogene Werke: „The boat and the furniture that Kusama covered with white protuberances have a related intensity and obsessiveness. Kusama is interested in obsessive repetition, which is a single interest. Yves Klein’s blue paintings are also narrow and intense“ (188 f.). Hier erhellen eher die zitierten Arbeiten den Sinn der ihnen zugeschriebenen Attribute als umgekehrt. Eine gewisse gleichmäßige Fülle und Komprimiertheit, die die Monochrome Kleins und Kusumas dicht gedrängte phallische Wucherungen teilen, scheinen das Kriterium der Zuschreibung zu sein (fig. 15/16). Auch die sexuelle Konnotation von „obsessive“, die sich in Bezug auf Bontecou und Kusuma motivisch explizieren ließe, bleibt latent und verteilt sich über die ganze permutative Reihe. Die Evokationskraft von Judds Terminologie wird wesentlich von der Wiederholungsstruktur getragen, von dem repetitiven „and… and… and“, in deren Kette die Adjektive eingesetzt werden. Worauf beziehen sich also diese „Begriffe“, die nahezu leer sind an deskriptivem Gehalt, – und so leer sein müssen, um den Spielraum möglicher Gegenstände des Qualitätsurteils, möglicher Werke nicht kategorial einzuschränken? Sie scheinen eine unterschiedlich gefärbte „Strahlung“ oder „Energie“ eines Werks zu bezeichnen, von der wir sehen werden, dass sie im Kern dessen Präsenz selbst meint: Diese ist das Element, in dem sich die Begriffe begegnen, das transparente Element, in dem Judds Terminologie ihren problematischen Halt findet und verliert. Der Präsenz, der Anwesenheit oder dem Anwesen des Werk-Objekts wird eine gewisse transitive Aktivität zugesprochen, eine Wirkkraft oder Vehemenz, die in Nomina wie „power“ und „intensity“ kondensiert, während Adjektive wie „specific“ und „direct“ oder „aggressive“

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Intensität und Indifferenz. Schematismen der Werkpräsenz

gleichsam adverbial als graduelle Charakterisierungen dieser Wirkkraft eingesetzt sind – eher als attributiv zur Bezeichnung bestimmter Eigenschaften der Objekte, als prädikative Merkmale ihres Begriffs. Sie bezeichnen eine emphatische Qualität des Seins des Werk-Objekts, ein in-sich-Aufscheinen (emphainesthai) dieses Seins im oder durch das Werk, nicht vereinzelbare Qualitäten, bestimmte sinnliche oder strukturelle Eigenschaften, sondern deren Summierung zu einem Effekt von „Kraft“ – oder einem „kraftvollen“ Effekt. „Qualität“ im Sinn des Werturteils des Kritikers – die „ästhetische Qualität“ als der von der formalistischen Kritik des 20. Jahrhunderts eingeführte säkulare Name für Schönheit – konvergiert mit diesem emphatischen Charakter der intensivierten, gesteigerten oder, wenn man so sagen kann, ausdrücklichen Präsenz des Werks. Die Syntax des Judd’schen „Qualitätsurteils“ ist gegenüber der normalen Prädikation eigenartig verschoben. Die Kopula erhält hier einen mehr als nur supplementären Wert. Sie wird zum Bezugszentrum der quasi-adverbial eingesetzten Adjektive, die sie in der normalen Aussagefunktion als Attribute auf den Gegenstand bezieht. Die Struktur dieser in sich blockierten oder rückläufigen Urteile, die auf das Objekt zeigen, aber nicht bei ihm ankommen, ist offenbar der kantischen Bestimmung des ästhetischen Urteils oder Reflexionsurteils analog, allerdings mit einer Differenz, die charakteristisch ist für Judds ganzes Dispositiv, für einen gewissen Bruch mit dem Bildbegriff in seinem Werk und Diskurs. Skizzieren wir kurz diesen Zusammenhang. Auch das kantische ästhetische Urteil sagt die Schönheit vom Urteilsobjekt aus, ist aber kein „objektives“ Urteil. Das Urteil des Schönen ist Reflexionsurteil, es ist Ausdruck einer Betroffenheit des Subjekts von diesem Gegenstand, Ausdruck einer „Steigerung des Lebensgefühls“, wie Kant sagt, deren „Anlass“ oder Auslöser das Objekt durch das ist, was wir dennoch seine Schönheit oder sein Schönsein nennen. Was hier ausgesagt wird, ist nichts, was sich am Gegenstand fixieren ließe, was in den Begriff des Gegenstands eingehen könnte, es ist der Zustand des sich-Gefallens des Subjekts im Betrachten des Objekts.65 In der Struktur dieses Urteilsprozesses – Prozess zu sein und sich-erhaltende Bewegung oder Spiel ist eines seiner Wesensmomente – ist aber die Wahrnehmung selbst, die sinnliche Empfindung als der Modus des materialen Bezugs auf das Objekt gewissermaßen abgeblendet. Die Bindung an die Materialität des schönen Gegenstands (die Farbe, den Laut usw.) würde das Spiel der Reflexion bremsen. Der Einklang von Sinnlichkeit und Verstand, auf den Kant das Wohlgefallen am Schönen zurückführt, betrifft die Einbildungskraft und den Verstand66 – und die Einbildungskraft am wenigsten in der Funktion, in der sie 65 Vgl. J. Derrida, Die Wahrheit in der Malerei, Wien 1992, 66. 66 Gadamer hat diese Bestimmung des Begriffs der Anschauung in der Kritik der Urteilskraft beson-

ders hervorgehoben. „Man verfehlt von vorneherein den Ort des Problems, wenn man von dem Wahrnehmungsbegriff oder gar vom Begriff des Wahrnehmungsurteils seinen Ausgang nimmt…“ („Anschauung und Anschaulichkeit“, in: Kunst als Aussage. GW 8, Tübingen 1993, 190). Man kann sich fragen, ob sich mit diesem natürlich zutreffenden Hinweis nicht das bei Kant fast auf der Hand liegende Problem – die Askese gegenüber dem Empfindungsmaterial, die das ästhetische Urteil freihalten soll vom Klinamen der Neigung – in Gadamers Auf fassung der ästhetischen

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der „rohen“ Materialität der Sinnesempfindung am nähesten kommt, in der Ausübung der Synthesis der Apprehension, der Aufnahme des Empfindungsmaterials als des „Grundstoffs“ einer Formbildung. Das Spiel der Reflexion in dem, „was man nur mit Zögern noch Erfahrung des Schönen nennen sollte“ 67, ist ein Spiel mit schon gebildeten, synthetisch geglätteten Formen von Gegenständlichkeiten, die zwar begriff lich noch unbestimmt sind, aber sich gerade durch eine besondere Eignung zur Bestimmbarkeit auszeichnen – sie „stimmen“ die „Erkenntniskräfte zu einer Erkenntnis überhaupt“ 68. Für Kant ist die Auf fassung der Form des Gegenstands und die reflektierende Beziehung dieser von der Einbildungskraft aufgefassten Form auf die Regelstrukturen des Verstands das Element, in dem die „Steigerung des Lebensgefühls“ sich entfaltet, die sich als Wohlgefallen am Gegenstand zu erkennen gibt. Die materiale Empfindung – unlösbar von der Existenz und der akuten Wirklichkeit des Gegenstands – verbleibt als Moment präreflexiver, passiver Bestimmtheit des Subjekts außerhalb oder unterhalb der Bewegung der eigentlich ästhetischen Urteilsbildung. Sie ist der transzendentalen Regelbildung nicht fähig, sie würde das reine Geschmacksurteil mit Spuren der pathologischen Neigung kontaminieren. Kants Reflexion etwa über die Farbe nimmt manchmal eigenartige spekulative Züge an. Über ihre transzendentale Dignität entscheidet, ob in ihrem Erfahrensein nur die Sinnlichkeit als passive Rezeptivität involviert ist oder bereits die Reflexion. Farberscheinung ist pulsus des Äthers. Empfangen wir, wenn wir eine Farbempfindung haben, nur diese SchläErfahrung fortträgt. Gibt es nicht auch bei ihm, bei aller Insistenz auf der Endlichkeit des Verstehens, die der eigentliche Boden der Hermeneutik ist, eine gewisse Reduktion der Materialität im Ästhetischen, der Materialität des Werks (oder des Signifikanten, um eine andere Sprache zu zitieren)? Gadamer fühlte sich vom Auf tauchen der „Erde“ in Heideggers Kunstwerk-Aufsatz auf seinem Weg der Würdigung des Kunstwerks gegenüber der Transparenz des Begriffs bestätigt. Tendiert seine Sprache aber nicht dazu, den „Streit von Welt und Erde“ doch eher zugunsten der „Welt“ (des offenen Horizonts des Sinns) zu schlichten? Natürlich durchziehen diese Fragen Gadamers ganzes Werk und eine eindeutige Antwort wird sich kaum ergeben. Im engeren Feld von Gadamers Kant-Lektüre, die die Reduktion der Reibung des Materials (die Überspringung der Synthesis der Apprehension im Begriff der „Sinnlichkeit“ in der KdU) in der Konstruktion des Urteils des Schönen etwas zu widerstandslos mitzumachen scheint, läge jedenfalls ein Ansatzpunkt, diese Frage zu entwickeln. Eine komplementäre Reduktion einer radikalen, irreduziblen Widerständigkeit und eines Auf kommens „roher Materialität“ (in Gadamers „Anschauung und Anschaulichkeit“) liegt in einer gewissen Unterbewertung der Rolle der Analytik des Erhabenen, in der das Spiel der ästhetischen Reflexion an den Ernst der ethischen Entscheidung grenzt: in einem Moment des Zerreißens des Bildes, angesichts des Unbestimmten, des Chaos der formlosen oder wüsten Natur. 67 J. Derrida, Die Wahrheit in der Malerei, 112 f. Mit Zögern, denn die ästhetische Erfahrung ist keine Erfahrung im Sinn der Einbettung in die Empirie und sie ist keine Erfahrung des Schönen, da dieses nicht Objekt, sondern Anlass des (selbst-)reflexiven Wohlgefallens ist. Die Epoché, welche die Sphäre der ästhetischen Immanenz konstituiert, ist die Reduktion der Widerständigkeit und Differenz des Objekts, die Erfahrung als solche erfährt, indem sie sie erträgt. 68 KdU 65. In dieser „Stimmung“ (d. h. Proportion) von Einbildungskraft und Verstand „zu einem Erkenntnisse überhaupt“ (KdU 28), die eines der zentralen Motive der Analytik des Schönen ist, kündigt sich die in der Rezeption der dritten Kritik massiv unterdrückte Wahrheitsrelevanz des ästhetischen Urteils an.

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ge oder zählen wir sie schon? Ins ästhetische Urteil Eingang finden könnte nur die Reflexion auf Zahl und Abstand, auf die Relationalität der empfundenen Schläge, der empfangene Schlag selbst nicht. Die Reflexion bildet das zeit-räumliche Raster, die Empfindung liefert den materiellen Punkt. Schön an der Farbe wären die Proportion und das Gleichmaß des Punktmusters, das Moirée von Relationen, das wir etwa Blau oder Rot nennen.69 Die reine Widerständigkeit, die Passivität des bloßen Affiziertseins, der (empfundene, noch nicht erfasste) Schlag selbst, in dem die unverfügbare (transzendente oder präsynthetische) Materialität, eine Materialität vor oder an der Schwelle der Apprehension sich „meldet“ (nicht sich „zeigt“), ist aus dem Urteil des Schönen ausgeschlossen. Diese reine Widerständigkeit oder Faktizität konstituiert die Unreinheit des Empirischen als solchen. Judds Intensitätsbegriff scheint dagegen eben die Kraft der empfundenen Schläge, die Amplitude oder das Integral dieser Heteroaffektion zu bezeichnen. Zwar ist auch in seinem „Urteil der Intensität“ der prädikative Bezug auf das Objekt reflexiv auf das urteilende, das sehende Subjekt zurückbezogen. Element dieses Rückbezugs bleibt aber die sinnliche Gegenwart des Objekts selbst. Element der Urteilsbildung ist der materiale Bezug, den das kantische Reflexionsurteil – obwohl es einzelnes Urteil sein soll und je nur aus Anlass der Gegenwart eines schönen Gegenstands gefällt wird – als passiv fundierende Schicht unter sich lässt. Der „Stoß“, auf den Judds Intenstitätsbegriff zu verweisen scheint, ermisst dagegen gerade die Einwirkung der sinnlich-materiellen Gegenwart des Objekts auf die Rezeptivität des Betrachters. Die (verbale) Transititivät der Werkpräsenz korreliert mit dieser physischen Vehemenz, die Kant reduziert, weil sich in Bezug auf sie das Subjekt nur passiv verhält. Hätte Judd also die „Ästhetik“, die Theorie der sinnlichen Erfahrung von Kunst, aus dem formalen Element der transzendentalen Reflexion in das materiale einer Physiologie und Physik der Empfindung versetzt, in das Bad jener „Schläge … des Äthers“ (KdU 40), in dem die organische Sinnlichkeit schwimmt, ehe ein transzendentales Subjekt mit der Herstellung einer Welt der Transparenz und der Formen beginnt? In jene unterste Schicht des transzendentalen Primärprozesses, die Kant Synthesis der Apprehension nennt, oder vielmehr in deren andere, abgestoßene Seite? Gewissermaßen ist es so. Judd skizziert in späteren Texten eine radikal-empiristische, materialistische Ästhetik, die auf einen physiologischen Grund (oder Un-Grund) der ästhetischen Erfahrung und ihrer Intensität rekurriert und deren Struktur und Grenzen wir nachzeichnen werden. Es ist ein Materiestrom, der das Bewusstsein trägt. Und die Funktion, die es in diesem Strom über Wasser hält, trägt den Namen der Einbildungskraft (s. u. „Abstraktion und Deterritorialisierung“, S. 310–323). Wo wir jetzt stehen, können wir diese Struktur noch nicht entfalten. Der Ausblick auf das Verhältnis von Empfindung und Reflexion, von Fremdaffektion (materialer Empfindung) und autoaffektivem Spiel in der Kritik der Urteilskraft soll nur zu einer ersten Lokalisierung der Problematik von Judds Präsenzbegriff beitragen, die sich 69 Siehe Immanuel Kant, Kritik der Urteilskraft, Hamburg 71990, §§14 u. 51 (ab zitiert als KdU plus

Seitenzahl der dritten Origalausgabe im Text).

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zunächst wesentlich nackter darstellt. Denn die Unterscheidung von bestimmendem Urteil und Reflexionsurteil vollzieht Judd nicht explizit. Sie sind für ihn im Stamm des Wahrnehmungsurteils noch verbunden.70 Gewiss impliziert der zeitliche Index, der im Präsenzbegriff liegt und auf Präsenz als Gegenwart verweist, den Bezug der „Intensität“ oder „Kraft“ des Werks auf die Selbstgegenwart des Wahrnehmenden, sie impliziert eine Aktualität, die sich scheinbar nur vom Zeitbewusstsein des erlebenden Subjekts aus bestimmen lässt, und insofern ist Judds Urteil der Intensität dem Reflexionsurteil analog. Judd aber projiziert die Empfindungsintensität, die Stärke des Affekts wie ein objektives Prädikat zurück auf das Objekt. Das kantische Wohlgefallen entfaltet sich quer zum Objektbezug, zur Aktualität der Heteroaffektion. Judds Intensitätserfahrung liegt in dieser Achse selbst. Und so kann er mit einem gewissen Recht das Objekt intensiv oder kraftvoll nennen, scheinbar wie man es rot oder groß oder klein nennen kann. Es ist nicht zu trennen, ist nicht unterscheidbar von dem Strahl der Intensität, den es auf das Subjekt richtet. Und dennoch, intensiv und kraftvoll sind keine Qualitäten wie rot oder schwarz. Seine Präsenz ist intensiv oder kraftvoll. Es ist intensiv. Rot oder schwarz aber ist das Objekt. Sichtbarkeit und Sichtbares bleiben einander heterogen. Welche Summe ziehen also Worte wie „power“ und „intensity“? Was heißt „specific“ über den zirkulär tautologischen Sinn – es ist so, wie es ist, seiner Art (Species), sich selbst gemäß – hinaus? Judd stellt diese Fragen nicht und legitimiert seinen Sprachgebrauch nicht ausdrücklich. Wir werden über seine frühen Schriften nur Ansatzpunkte für die Frage nach dem Begriff der Werkpräsenz gewinnen, den Grundriss einer Dekonstruktion dieses Begriffs, der die folgenden Kapitel weiter nachgehen. Die eigentümliche, zugleich zentrale und latente Rolle des Präsenzbegriffs in Judds Kunstkritik macht vor allem deutlich, dass dieser alles andere als klar ist. Oder vielmehr, dass er zu „klar“ ist, durchsichtig – struktur- und bestimmungslos. Er sagt in seinem ontologischen Grundsinn, von dem sich kein Aussagesatz losmachen kann, nur das Sein, das Gegebensein oder mit dem Ausdruck Kants die „bloße Position“ (Gesetztheit) eines Objekt aus: dass es ist, dass es da ist. Diese leere Generalität des Begriffs entspricht der formalen und konzeptuellen Disparatheit der von Judd betrachteten Werke – sie müssen nicht dies oder jenes sein, Bilder, Skulpturen etc. , sie müssen nur da sein –, aber sie verbindet sich nicht gut mit der „Eigenschaft“ einer ausgezeichneten „Intensität“ oder „Kraft“. Diese eigenartigen, transparenten Prädikate leisten eine Art atmosphärischer Supplementierung des Präsenzbegriffs, ohne ihm eine Struktur und einen bestimmten, das hieße auch einschränkenden Gehalt zu geben, einen Brechungswinkel. Sie suggerieren wie die „adverbial“ auf die „Werkpräsenz“ bezogenen Adjektive eine Gradualisierung jenes allgemeinsten und leersten „Prädikats“ – ein „Mehr an Präsenz“. Die Problematik dieses ontologischen Komparativs ist evident. „Sein ist offenbar 70 Für Judd als geborenen Empiristen („I leapt into the world an empiricist…“, CW II 15) ist die Wahr-

nehmung der einzige Stamm der Erkenntnis. Die Idee einer „transzendentalen Einbildungskraft“, in der sich für Kant (in Heideggers Lesart) die mögliche Wurzel der beiden Erkenntnisstämme (Sinnlichkeit und Verstand) anzeigt, ist in diesem Horizont ein Unbegriff. Für Judd ist der Empirismus David Humes das gültige philosophische Fundament.

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kein reales [sachhaltiges] Prädikat.“ 71 Es ist keine Eigenschaft, kein Begriffsmerkmal des Seienden, es ist deren unbestimmter Grund. Es kennt daher keine Grade. Seine Steigerung, die die vertikale Achse von Judds Kritik aufrichtet, ist eine Sache der Emphase und der Faszination: Sie erzeugt die leere, strukturlose oder „gläserne“ Distanz zwischen dem bloßen Faktum, der schlichten Gegebenheit oder Positivität eines Werks – das morphologisch, stilistisch, der Gattung und Typologie nach für Judd zunächst alles mögliche sein kann – und der supplementären Qualifizierung, die den hierachisierenden, wertenden Sinn enthält. „Sein ist … kein reales Prädikat“, das ist der Schlüsselsatz von Kants Widerlegung des ontologischen Gottesbeweises.72 „Sein“ (existentia, Vorhandensein) hat keinen bestimmten „Gehalt“ im Sinn der formalen Logik. Es ist kein reales, d. h. sachhaltiges Prädikat oder Begriffsmerkmal. Auch der Begriff (die essentia als Wesen oder Was-Sein) des unendlichen Seienden (Gottes), der alle denkbaren positiven Prädikate (Merkmale) impliziert, enthält daher dieses „supplementäre Merkmal“ nicht, kein Indiz der Existenz. Der Gegenstand eines Begriffs ist – unter der Bedingung der Widerspruchsfreiheit – als gedachter möglich, aber ein Begriff sagt nie mehr als diese Möglichkeit des Wesens des Gedachten aus, das Dass-Sein, die „Position“ des Referenten ist begriffslogisch nicht indizierbar, sie ist neutral oder univok gegenüber allen Prädikaten.73 Sein als existentia kennt daher keine Gradualisierung. Die Existenz wird von den Modalitäten der Wirklichkeit, Möglichkeit und Notwendigkeit konjugiert.74 Dennoch führt Kant den Begriff eines Intensitätsgrades an anderer Stelle ein. Trotz der Schwierigkeiten des Texts, auf die wir hier nicht eingehen können, skizzieren wir diesen Begriff. (Es geht hier, wie in allen diesen verkürzten Hinweisen auf einen Korpus philosophischer Texte, nicht darum, Antworten zu zitieren, sondern die Struktur unserer Fragestellung durch den Bezug auf eingeführte begriff liche Unterscheidungen zu präzisieren.) „In allen Erscheinungen hat das Reale, was ein Gegenstand der Empfindung ist, intensive Größe, d. i. einen Grad“, so formuliert Kant das Prinzip der „Antizipationen der Wahrnehmung“.75 Realität, realitas heißt nicht Wirklichsein (als Modalität der Existenz), sondern Sachheit.76 Der Realitätsgrad gehört zu den apriorischen Bestimmungen des Was-Gehalts möglicher Gegenstände der Erfahrung (unabhängig davon, ob sie wirklich, möglich oder notwendig sind). Der Intensitätsgrad ist Grad eines realen Prädikats des Erfahrungsgegenstands, Grad 71 KrV A 598 / B 626. 72 KrV A 592 ff. / B 620 ff. 73 Heidegger sieht in Kants These natürlich einen Vorverweis auf die ontologische Differenz von

Sein und Seiendem. Das Sein „ist“ nicht und ist auch nichts „am“ Seienden, auch nicht dessen generelle Verfassung, die Seiendheit (M. Heidegger, „Kants These über das Sein“, in: ders. , Wegmarken, Frankfurt a. M. 1978, 439–73). 74 Nach der vierten Gruppe der transzendentalen Grundsätze, den „Postulaten des empirischen Denkens überhaupt“, KrV A 218 ff. / B 265 ff. 75 KrV A 166 ff. / B 207 ff. (zit. nach B). Das befremdliche an diesen Antizipationen ist, dass sie den Erfahrungsgegenstand a priori gerade hinsichtlich dessen bestimmen, was empirisch an ihm ist (d. h. sein wird), hinsichtlich des Empfindungsgehalts, der Widerständigkeit. 76 S. dazu M. Heidegger, Die Frage nach dem Ding. Zu Kants Lehre von den transzendentalen Grundsätzen, Tübingen 31987, bes. 160 ff.

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einer Qualität oder eines Empfindungsgehalts, der – soviel, meint Kant, müsse a priori gewiss sein, obwohl sich dieser Satz auf die Empirizität selbst der Erfahrung bezieht – zwischen der Null der Nicht-Affektion und einer höchsten Schwelle liegen muss (an der die zum Schmerz gewordene Affektion aufgeschoben werden muss oder das empfindende Organ zerstört). Das scheint plausibel etwa für akustische Signale – ein Ton wird leiser, bis Stille eintritt –, aber nicht unbedingt für die Farbe, das Material visueller Empfindung? Eine Farbe kann sich scheinbar nur ändern, in eine andere Farbe umschlagen, nicht aber in Nicht-Farbe. „Der Fleck im Gesichtsfeld muß zwar nicht rot sein, aber eine Farbe muß er haben“, wie Wittgenstein sagt.77 Nach Kant bleibt bei Reduktion der Empfindungsintensität die Leere in Gestalt der reinen Anschauung (Raum und Zeit). Ist der leere Raum aber „farblos“? Und hieße das „schwarz“, sofern dies die physikalische oder physiologische Definition der Abwesenheit von Farb-Affektion meint? Ist dieses „schwarz“ dann aber nicht die Transparenz selbst – also nicht schwarz? Unter dem Aspekt des Sehens und der Sichtbarkeit scheint das einzig plausible Paradigma für die Ausdünnung der Widerständigkeit oder Realität eines Gegenstands bis zur Durchlässigkeit auf reine Anschaung – auf den Raum als „leere Anschauung ohne Gegenstand“, als ens imaginarium oder als Nichts78 – die Durchsichtigkeit des Seienden zu sein, das ein Bild ist. Dieses vielfarbige Ding könnte jener Ort, jene Stelle im Sehfeld sein, wo ein Loch ist, wo als ein Unsichtbares die Sichtbarkeit selbst sich einschiebt, als Leere für das Erscheinen von Gegenständen, den Eintritt von Widerstand, von Empfindung. Was bedeutet dies? Sicher bleiben für Kants Frage nach den Konstitutionsbedingungen der Gegenstände der Erfahrung die „Antizipationen der Wahrnehmung“ gültig. Sofern die Erfahrung Erfahrung eines Gegenstandes ist, hat sie der Empfindung nach und damit der Gegenstand der Realität nach einen Grad. Die bloße Existenz von so etwas wie Bildern zeigt aber, dass das Subjekt struktural auf anderes als auf Gegenstände geöffnet ist – und geöffnet nicht durch den Kontakt mit den Gegenständen selbst. Der Horizont möglicher Erfahrung ist geöffnet durch den Bezug des Subjekts auf das Nichts der „reinen Anschauung“. In diesem Horizont zeigt sich das mehr oder weniger dichte, leuchtende oder matte Seiende. Das Rätsel des Bildes ist, dass es, als seiendes Ding, etwas von diesem Nichts in sich aufgenommen hat – in Gestalt jener primären Unsichtbarkeit seiner selbst, die die Bedingung des Erscheinens dessen ist, was es zeigt. Und diese Unsichtbarkeit des Bildes ist es, die für Judd letztlich den Mangel an Intensität darstellt, den er beseitigen will. Er will, wie wir gesehen haben, dieses Nichts, das ens imaginarium des leeren Raums, der die Dimension der Idealität des Bildes ist, aushebeln oder auffüllen – mit Sand und kadmiumrotem Pigment. Darin gründen die Ambiguitäten und Schwierigkeiten von Judds Diskurs. Denn sein Vorhaben setzt schon eine Offenheit des Subjekts auf dieses Nichts voraus, eine Akzeptanz, die offenbar auf keiner sinnlichen Erfahrung beruhen kann, die keine Aufnahme durch die Wahrnehmung, die kein Eindruck sein kann – und für die Judd (als geborener Empirist) keinerlei positiven Begriff auf bringen kann. 77 L. Wittgenstein, Tractatus logico-philosophicus, 2.0131. 78 Siehe KrV A 292 / B 348.

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Intensität und Indifferenz. Schematismen der Werkpräsenz

Die Intensität oder Kraft, die verdichtete, in ihrer Opazität und Widerständigkeit gestärkte Präsenz von Judds Arbeiten soll ein Loch zustopfen, dass es seinem manifesten Seinsverständnis nach nicht gibt, nicht geben kann. Bemerkt Judd diese elementare Schwierigkeit nicht? Seine Texte berühren sie mehrfach – wir werden einige explizite Stellen analysieren (s. bes. u. „Konturverlust: Black, White and Gray“, S. 79 ff.) – und sie sind insgesamt von ihr affiziert. Die Indifferenz oder Neutralität des Seinsbegriffs gehört wesentlich zum „positivistischen“ Horizont von Judds eigenem Denken, zum Horizont seines Erfahrungsund Wissensbegriffs. Judds oft forciert wirkende, obsessive Nüchternheit hat eine philosophisch-theoretische Schulung durchlaufen, die den Komparativ der Präsenz ausschließt. Sein heißt Gegebensein – eine Konstellation von Widerstandspunkten. Dieser Seinsbegriff, Positivität, ein nominales Abstraktum, ist nicht einmal deklinierbar. Zeitlichkeit ist ihm streng akzidentiell. Wir werden sehen, dass Judd selbst, wo es not tut, im durchdringenden Licht dieses Seinsbegriffs arbeitet, der die Dimension von Bildlichkeit, die Negativität des Scheins, präliminarisch löscht, – und dass er dennoch das Schema der emphatischen Steigerung der Werkpräsenz, den ontologischen Komparativ gebraucht, der im ens imaginarium des Bildes seinen negativen Grund hat. An diesem Paradox – dessen vielfältige Motive, dessen Genealogie und dessen Folgen wir behandeln – lässt sich die ganze Entfaltung von Judds Diskurs auf hängen.

Geschichte der Werkpräsenz und Teleologie der Abstraktion. – Mit diesem schwierigen und schlecht ausbalancierten Gebrauch des Präsenzbegriffs steht Judd allerdings nicht allein. Gerade in der amerikanischen kunsttheoretischen Diskussion um 1960 hat diese Emphase eine Konjunktur, deren Motive greifbar sind. Der ontologische Komparativ gewinnt seine Plausibilität im Kontext der Geschichte der Abstraktion, wie sie sich um 1960 von den USA aus darstellt. In diesem Moment und von diesem Standpunkt aus erscheint Stellas Malerei und das konkrete Objekt der Minimal Art als Ende, als erreichtes Ziel der Abstraktionsbemühung der europäischen Moderne, als ein Schlussstein der europäischen repräsentationalen Tradition im Ganzen. Besonders in Kontexten, die eine eingängige Rhetorik nahelegen, wird das minimalistische Objekt als ein Werk dargestellt, das die Autorität eines Naturphänomens angenommen hat – als wäre mit der Bildstruktur jede Einschreibung einer Intentionalität und damit jeder interpretatorische Spielraum verloren gegangen. So schreibt E. C. Goossen im Katalog zu The Art of the Real. USA 1948–1968, einer Ausstellung, die neben Judds erster Retrospektive 1968 wesentlich zur Offizialisierung des Minimalismus beitrug: „The new work of art is very much like a chunk of nature, a rock, a tree, a cloud, and possesses much the same hermetic ‘otherness.’ “ 79 79 E. C. Goossen, The Art of the Real. USA 1948–68, New York 1968, n. p. Wir kommen auf die

semiologische Kritik dieses „Mythos“ einer natürlichen und asignifikanten Präsenz der minimalistischen Industrieprodukte, die in diesen Jahren und gerade in Reaktion auf Ausstellungen wie

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Es ist dieser Topos einer Nicht-Signifikanz, Geschlossenheit und Dichte, die den emphatischen Gebrauch des Präsenzbegriffs um 1960 bestimmt.80 Dieses Ding, als das der Minimalismus das Werk endlich freilegt, – um dieses Ding kommt man nicht herum. Gemessen an der Unbestreitbarkeit dieser stummen Tatsache, erscheint ältere und das heißt europäische Kunst als allzu verwickelt und abhängig von den Codes ihrer kulturellen Tradition. Mit dem minimalistischen Objekt, das für sich selbst steht, wäre endlich eine unbestreitbare Positivität und gewissermaßen ein Boden jenseits der Geschichte der bisherigen „westlichen“ Kunst erreicht. An die Stelle der Mythen und Symbole der europäischen Ikonografie wäre die hermetische Intensität der schlichten Gegenwart des Werkobjekts getreten. Unvermeidlich ist diese amerikanische Selbstsicht perspektivisch verzerrt und historisch kurzsichtig. Denn der Zusammenhang von sinnlicher Direktheit oder Unmittelbarkeit der Werkerfahrung und der Wahrheit oder Evidenz des Werks und seines Ausdrucks ist, weit entfernt davon, spezifisch amerikanisch zu sein, ein Grundzug des auf klärerisch-progressiven und universalistischen Paradigmas der europäischen Moderne insgesamt und ein zentraler Topos in den Texten der Theoretiker der europäischen Abstraktion – etwa bei Mondrian und Kandinsky. Die Destruktion figurativer Repräsentation soll die bildenden Künste nicht nur gemäß der Parole der Avantgarde seit dem 19. Jahrhundert aus der Abhängigkeit von der „Literatur“, von narrativen Strukturen (Mythos und Historiografie) und ihrer der Malerei und Skulptur als Bildkünsten unangemessenen Zeitlichkeit befreien. Sie soll sie auch von ihrer historisch partikularen und lokalen Trägerkultur lösen, vom im 19. Jahrhundert nur noch historistischen Gedächtnis, vom Ballast der ikonografischen Konventionen, die eine im allgemeinsten Sinn allegorische Lesbarkeit der Werke sicherten, ihre Lesbarkeit überhaupt aber, ihre physische Effizienz und ihre transkulturelle Verständlichkeit beschränkten. Die Insistenz auf der formalen Autonomie, auf der sinnlichen Positivität der Kunst, die Kritik der referentiellen Bindung des Werks, soll es in eine unmittelbare und, wie man hoff te, anthropologisch-allgemeine Wirksamkeit freigeben. Malerei als eine Art Esperanto der Farbe, eine universelle Sprache der Empfindung, die nicht von geteilten kulturellen Erinnerungen abhängt – das ist ein oft mehr als latenter Horizont der theoretischen Reflexion in der frühen Moderne (wesentlich bei Kandinsky). Die Wahrheit des abstrakten Werkes – die strukturell kein Gehalt mehr sein soll, sondern ein Effekt – würde auf der Evidenz und Widerständigkeit des sinnlich Gegebenen basieren. Der Universalismus der Moderne ist in dieser Perspektive nicht als einer der Botschaften zu lesen, er zielt auf deren Auf lösung in einer Sprache, deren Sinn ihr selbst nicht mehr transzendent wäre. Die Abstraktion vollzieht eine Erosion der Bilder oder des Bildes im Bild. Das kritische Telos der Abstraktion wäre ein Bild, dessen Artikulation ohne die Figuration eines The Art of the Real besonders in Europa einsetzte (s. exemplarisch: J. Meyer, Minimalism, Kap. 8, „1968: Canonization/Critique“), noch zurück. Das sekundäre Signifikat dieser stummen Präsenz wäre, nach der Wortbildungsregel Roland Barthes’ (R. Barthes, Mythen des Alltags, Frankfurt a. M. 1996, 101), Amerikanizität. 80 Beispiele mit Zitaten verschiedener Künstler und Kritiker bei Frances Colpitt, Minimalism. The Critical Perspective, Seattle 1990, 67 ff.

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Sinns durch die Repräsentation, ohne das Regulativ der reproduktiven Einbildungskraft unmittelbar in die sinnliche Materie einschneidet und aus ihr gestaltet. Es wäre ein Bild ohne Figur und ohne Grund, ein Bild ohne Bild, das seine Wahrheit als unmittelbar – im Hier und Jetzt – erfahrbare behauptet: „The image we produce is the self-evident one of revelation, real and concrete, that can be understood by anyone who will look at it without the nostalgic glasses of history.“ 81 So schließt The Sublime Is Now, der bekannteste Essay von Barnett Newman von 1948, der sich als Manifest der Abgrenzung von der europäischen Tradition versteht, aber viel eher eine Summe der breiten anti-traditionalistischen und anti-memorialen Tendenz der gesamten Moderne zieht. Judds Gebrauch des Präsenzbegriffs steht in dieser universalistisch-progressiven, auf klärerischen Tradition. Sein Werk und seine Schriften gehören der Phase der späten Moderne an, in der der Zusammenhang von Unmittelbarkeit und Universalität seine letzte affirmative Prägung erfährt. Es ist die amerikanische Phase der Moderne, die nach Judds Datierung 1946 mit Pollock beginnt und, um ein ebenso scharfes Datum anzugeben, 1966 mit den frühen Arbeiten von Dan Graham endet. Wir werden die Differenz des amerikanischen und des europäischen Paradigmas und Selbstverständnisses der Moderne noch nach verschiedenen Seiten hin präzisieren. Unter dem Aspekt, den wir im Moment verfolgen, der Herausarbeitung der Werkpräsenz als Element und Garant der Unmittelbarkeit und das heißt der universellen Lesbarkeit des Werks, lässt sich diese Differenz am klarsten hinsichtlich der Zeitlichkeit des Bildes formalisieren.82 Die europäische Abstraktion, für die aus amerikanischer Perspektive meistens Mondrian exemplarisch steht – wir kommen auf die Triftigkeit dieser Bezugnahme noch zurück –, hat zwar die konkreten, „wesentlichen“ oder „unumgänglichen“ (Kandinsky) Bildmittel, die „Grammatik der Malerei“, wie Barnett Newman sagt, entdeckt, kategorisiert und in historisch neuer Bewusstheit und Klarheit eingesetzt, sie hat aber die so gestärkte Präsenz oder Positivität des Bildes antizipativ, als eschatologischen Index auf einen Horizont zukünftiger voller Präsenz des „Universalen“ jenseits des endlich Bildhaften als sol-

Barnett Newman, Selected Writings and Interviews, ed. by John P.-O’Neill, Berkeley, Los Angeles 1992, 173 (ab hier zitiert als SWI mit Seitenzahl). 82 Grundlegend für die Verständigung über den historischen Sinn dieser Differenz bleiben die soziohistorischen Arbeiten zum Abstrakten Expressionismus, noch immer maßgeblich Serge Guilbauts, How New York Stole the Idea of Modern Art, Chicago/London 1983 (dt. , Wie New York die Idee der modernen Kunst gestohlen hat, Dresden/Basel 1997). Seit Guilbauts Pionierarbeit sind im Zuge der post-modernen Universalismuskritik besonders in den USA eine Reihe von Arbeiten erschienen, die das dominante Bild vom Triumph of American Painting – so der Titel Irving Sandlers (New York, 1970) – gründlich revidiert haben. Exemplarisch seien M. Lejas Reframing Abstract Expressionism (New Haven / London 1993), das sich auf das „psycho-soziale Klima“ der Nachkriegszeit bezieht, Ann M. Gibsons feministische Korrektur (Abstract Expressionism. Other Politics, New Haven / London 1997), und die Sammelbände Pollock and After (hg. v. Fr. Frascina, New York 1985), Reconstructing Modernism (hg. v. S. Guilbaut, Cambridge/London 1990) und abstrakter expressionismus (hg. v. R. M. Buergel u. St.-V. Kockot, Dresden 2000) genannt. 81

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chen bezogen. Die amerikanische Abstraktion dagegen setzt den Zeitindex ganz, gewissermaßen doppelt, auf das „Here and Now“ – auf die Konkretion und Direktheit der Bildmittel und darauf, dass der Moment der subjektiven Bilderfahrung als eine Art ästhetischer Epiphanie den Sinnhorizont des Werks voll ausschöpft.83 Im Augenblick der Bildpräsenz sind die Anwesenheit der Mittel (das Here des materiellen Bildzeichens) und die Gegenwart der Wirkung (das Now einer als „existenzielle“ gedachten ästhetischen Erfahrung) zusammengeschlossen. Die historische Zäsur, die der Abstrakte Expressionismus in der Geschichte der Abstraktion ausmacht, liegt in diesem Zusammenschluss und der verwandelten Konzeption des Weltverhältnisses des Bilds, die er impliziert: in der Kappung des antizipatorischen Zukunftshorizonts und der konsequenten Akzentuierung der Präsenz des Bildes und der als existenzielle – oszillierend zwischen Angst und Freiheit – gedachten ästhetischen Erfahrung. Diese Koinzidenz ist beim gros der Abstrakten Expressionisten oft theatralisch und illustrativ inszeniert und apokalyptisch überblendet. So in Gottliebs „Sonnen“, allzu plakativen Signalen des Atomzeitalters, in Motherwells lyrisch-dramatischen Elegien für die spanische Republik oder Hofmanns schwül-gewittrigen Farbengärten mit ihren tiefen Lenau- und Rilke-Versen als Titeln. Der Abstrakte Expressionismus bezieht das Bild nicht auf einen Horizont kollektiven Glücks, sondern inszeniert das „Drama der Subjektivität“, einer spätsurrealistischen Subjektivität unter dem Schatten der Atombombe.84 Diese pathetischen Überblendungen verblassen aber bald. In den sechziger Jahren werden die strenger formalisierten, die abstrakteren, asemantischen Konzeptionen jener Koinzidenz wirksam, deren struktureller Kern darin liegt, dass die Werkpräsenz von der antizipativen Dehnung, dem Zukunftsversprechen befreit, einhelliger geworden ist. (Wir werden in einem Ausblick auf Newmans Malerei sehen, dass sie um nichts enger geworden ist. Sie hat eine strukturell neuartige und begriff lich schwer zu artikulierende, aber einschneidende referentielle Dimension nicht verloren. Newman etabliert die Unmittelbarkeit der Werkpräsenz mit derselben Entschiedenheit wie Mondrian. Er hebt aber ebensowenig wie dieser das Thema, den Seins- oder Weltbezug des Werks in einer bloßen Selbstreflexion des Gemäldes auf. Als sein „subject matter“ konfrontiert Newman das verantwortliche, endliche Subjekt. Die referentielle Dimension seiner Malerei ist nicht, wie für Mondrian, das Universale, sondern die Freiheit, anders gesagt, die Form der Singularität.85 )

83 Die für die Bestimmung der Differenz Europa/Amerika einschlägigsten Texte Newmans sind

„The Plasmic Image“, SWI 138 ff. , und „Response to Clement Greenberg“, SWI 161 ff. , „The New Sense of Fate“, SWI 164 ff. , und „The Sublime Is Now“, SWI 170 ff. 84 Den spezifischen Wahrheitswert gerade der „Vulgarität“ dieser Inszenierungen haben T. J. Clarks eindringliche Interpretationen sichtbar gemacht (T. J. Clark, „In Defense of Abstract Expressionism“, in: ders. , Farewell to an Idea, 370–403). 85 Dies geht nicht auf im Pathos inszenierter Subjektivität. Und charakteristischerweise ist gerade T. J. Clark, der beste Interpret der Malerei der fünfziger Jahre, Newman gegenüber äußerst zurückhaltend. Er bemerkt nur etwas sibyllinisch, „the trouble with Barnett Newman is that he was never vulgar enough“ (ebd. , 387).

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Intensität und Indifferenz. Schematismen der Werkpräsenz

In der radikalen Abstraktion Newmans und Pollocks und in etwas schwächerem Grad bei Rothko und Still – das ist das ranking Judds86 – bereitet sich die Wendung vor, die die sechziger Jahre dem Begriff der Werkpräsenz geben werden. Bei Newman und Pollock ist zunächst das Bild selbst Gegenstand der Erfahrung – „a reality, not a picture of it“, wie Judd ein gängiges Schema zusammenfasst (CW II 41). Präsenz meint mit zunehmender Ausschließlichkeit diese Eigenrealität oder Gegenständigkeit des abstrakten Bildes selbst, die auch mit seiner Autonomie – als einer Freiheit vom Gegenstand – identifiziert wurde. Die Seh- und Denkweise einer ganzen Generation von amerikanischen Kritikern und Künstlern, angefangen mit Greenberg, in deren Folge Judd steht, arbeitet darauf hin, in der künstlerischen und theoretischen Aneignung des Abstrakten Expressionismus diese Autonomie des Bilds hervorzuheben, zu affirmieren, sie zu isolieren – und die epiphanischen und tendenziell theatralischen Züge der Bilderfahrung als letzte Spuren von Referentialität auszustreichen. Dies geschieht in den formalistischen Interpretationen von Pollocks „all over“ durch Greenberg, Michael Fried oder William Rubin u. a. , die die referentielle Dimension der Werke – das Netz von Metaphern, das ein Bildfeld Pollocks durchzieht – in ein immanentes Potential der Malerei als Medium, in die potentielle Welthaltigkeit eines dennoch „abstrakten“ oder „optischen Illusionismus“ verwandeln.87 Es geschieht in der zugleich elegischen und literalen Prozessualität der Malerei von Morris Louis und in der zwischen Szientismus und Dekoration schwankenden Aufgabenstellung der Kreis- und Streifenbilder Kenneth Nolands. Es geschieht in noch anderer Radikalität durch die gestreiften Bildblöcke, zu denen Stellas frühe Serien Pollocks dripping verschnüren. Und diese Arbeit eines Jahrzehnts – eine Arbeit der Reinigung und der Befreiung oder der Beengung und Selbstbeschneidung, je nach Standpunkt und Terminologie – ist der Kontext auch von Judds Blick nicht nur auf Newman und Pollock, nicht nur auf abstrakte Malerei, sondern auf Kunst überhaupt. Es ist die historische Matrix seines literalistischen Blicks, der keine Inhalte, keine Anspielung, kein Illusionsspiel zulässt, sondern auf der Konkretheit dessen, was er sieht, besteht – und sie so herstellt. Durch die formalistischen und materialistischen Interpretationen des Abstrakten Expressionismus, exemplarisch durch Judds eigene Pollock-Interpretation, deren oppositionelles Verhältnis zur Lesart Michael Frieds wir ausführlich thematisieren werden (s. u. „Zwei Spezifitäten: vom Medium zum Material“, S. 241), wird so eine letzte Konsequenz aus der angenommenen Teleologie der Abstraktion gezogen. Die Bildpräsenz sollte endgültig von referentiellen Indizes befreit sein. Im dann konkret, 86 Die Hervorhebung dieser vier als der besten und daher letzten Maler („[they] were the best

artists and could not be matched in painting, which theretofore could not continue on that level…“, Donald Judd, Some Aspects of Color… , Amsterdam 1993, 25 f.; ab hier zitiert als SA mit Seitenzahl) und unter ihnen die Bevorzugung von Newman und Pollock – als „not only consistent in style, which certainly Still and Rothko are, but in thinking“ (CW II 44) – ist in Judds Texten konstant. 87 Alle Texte von Greenberg zu Pollock in: Karmel 1999. Rubins bereits retrospektives „Jackson Pollock and the Modern Tradition,“ [1967], ebd. , 118–175; Michael Fried, „Three American Painters“ [1965], in: ders. , Art and Objecthood, 213–265.

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selbstidentisch gewordenen Bild käme die Geschichte der Moderne, diese so stark skandierte und doch lineare, wie eine ansteigende Melodie modulierte Geschichte ins Ziel: Die Ausflockung, der Schneefall der spektralen Pigmente auf der impressionistischen Leinwand wäre der historische Anfang eines Rückzugs des Bilds aus den verstreuten Täuschungen der Repräsentation, der Beginn seiner Selbstreflexion und Selbstwerdung; der analytische Kubismus die Erforschung dieser Täuschungen als Täuschungen, die fahl-systematische Ausleuchtung des epistemologischen Schachts des Bildes, die die konstitutive Falschheit und so die Unmöglichkeit der Repräsentation als Wesen und Eigenrealität des Bildes selbst aufdeckt; Mondrians Tafeln, die expansive Flächigkeit Matisse’s, die freien Formen Mirós erschienen als erneute Zukehrungen der nun als solche thematisierten Oberfläche der Bilder zum Raum, in dem sie sind, und zum Licht, das auf sie fällt, – und so als Stärkung einer gewissen noch dünnen, noch dekorativ ätherischen, aber unüberschreitbar mundanen Materialität der Malerei. Der Augenblick des Abstrakten Expressionismus stellt in dieser Linie des Aufstiegs der Bildpräsenz ein exzessives sforzato dar, den Moment einer letzten unklaren Vermischung von „Intensität“ (Unmittelbarkeit) und „Referentialität“ des Werks – und nach dessen Verebben und der Klärung der Sicht bleibt – ein Bild? Ein Gemälde?88 Ein autonomes oder selbst-referentielles Bild? Eine bemalte Scheibe, ein „Objekt“ vom Typ der frühen Arbeiten Stellas, in deren Streifen die geschleuderte, bewegte Farbe Pollocks gebändigt und abgelegt und so endlich sie selbst geworden ist, ideenlose Materie, bestenfalls, wie Stella sagt, „so gut … wie sie in der Dose war“ 89. Der doppelte und weit ausschwingende Akzent, den der Abstrakte Expressionismus auf die Werkpräsenz und die Präsenzerfahrung legt, ist zu dem einen Schlag der tautologischen immediacy geworden, dem „what you see is what you see“ Stellas. Aus dieser visuellen Substanz einer Malerei am Ende der Malerei wird Judd das Material seiner spezifischen Objekte brechen. Aber diese Prozedur ist nur Stück für Stück sichtbar zu machen. Das Schema der Steigerung der Bild- bzw. Werkpräsenz hat in der oft so oder ähnlich erzählten Geschichte der Moderne seinen topisch-historischen Hintergrund. Der ontologische Komparativ bezieht seine Plausibilität aus der Geschichte der Abstraktion, wie sie von deren Ende her konzipiert wurde: Die Geschichte der mo88 „In America a painter paints a painting with paint. In Deutschland ein(e) Maler(in) malt ein Bild

mit Farbe“ (Philip Pocock, „Painting I: The Light from the Other Side“, in: Texte zur Kunst, 6. Jg. , Nr. 21, März 1996, 213–216, 213). Das führt zu einiger terminologischer Verwirrung. Ich übersetze „painting“ nicht mit „Gemälde“. Nicht nur um den antiquierten Klang zu vermeiden, sondern in der Absicht, den Bildbegriff wesentlich über das hinaus, was im amerikanischen Kontext (bei Newman u. a.) „picture“ heißt, zu erweitern. Ich unterscheide vom Bild im Wesentlichen nur das anikonische (nicht areferentielle) Objekt – ohne die geschwollene Zwischenschicht von painting/ Gemälde gesondert zu beachten. „Gemälde“ wäre also das Wort für eine materielle Referenzebene beider Begriffe – Bilder und (Bild-)Objekte können Gemälde sein –, selbst aber kein Begriff im methodischen Sinn. Sachliche Unterscheidungen werden dadurch natürlich nur vorbereitet. Der Streit, ob Stellas Arbeiten Bilder oder Objekte sind, lässt sich nicht durch terminologische Klärungen entscheiden. 89 Stella in Bruce Glaser, „Questions to Stella and Judd [1964]“, in: Battcock 1995, 148–164, 157 / dt.: „Fragen an Stella und Judd“, in: Stemmrich 1995, 35–57, 46.

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dernen Malerei (der Moderne eines formalistischen Kanons, der Duchamp, Dada, den Surrealismus, den Neo-Dadaismus usw. ausklammert) ist die teleologische Bewegung des Bildes hin zu dem, was es ist – im Sinn eines gewissen konkretistischen, positivistischen Seinsbegriffs, unter dessen Auspizien diese Bewegung angeblich stattfand und retrospektiv gedacht wird. Und für Judd und einige andere Minimalisten hat das am Ende dieser Bewegung konkret gewordene Bild den Vorzug, endlich ganz das zu sein, was es immer schon ist. Endlich ist es Objekt und nicht mehr nur Repräsentation von Objekten. Es ist endlich ganz Objekt, und nicht mehr – wie illusionistische und in Resten auch abstrakte Bilder, wie ein Bild vielleicht als solches und notwendig – ein Objekt, das seine Anwesenheit spaltet, das seinen sinnlichen Körper, seine Materialität auf den Um- und Irrwegen der Repräsentation oder Signifikation verspielt, in der Scheinanwesenheit repräsentierter Dinge abblättern lässt und so schwächt. Das abstrakte Bild, das die Schwelle von Bildlichkeit als solcher erreicht, ist der Ort jener Transitivierung der Werkpräsenz, deren Wirksamkeit in Judds Dispositiv wir skizziert haben. Das von aller Referenz abgeschirmte BildObjekt ist seine Materie hier und jetzt und gewinnt aus dieser neuen ontologischen Einhelligkeit seines Seins, wie nicht nur Judd meint, seine gesteigerte Präsenz. Die Selbstreflexion des Bildes wird an der Schwelle von Bildlichkeit – das Objekt ist es selbst, es ist Subjekt und Objekt einer tautologischen Selbstdenotation – zur vertikalen Steigerung seiner Präsenz umgebogen. Der amerikanische Modernismus hat die Entwicklung der modernen Malerei unter dem Aspekt der Selbstreflexion, der Selbstkritik und des Aufweises der ihr als Medium wesentlichen Eigenschaften betrachtet. Sie wäre die fortschreitende aufweisende „Anerkenntnis“ (acknowledgement) der Positivität des Objekts, das das Bild unbestreitbar immer schon ist. In „Modernist Painting“ (1960) stellt Greenberg die Malerei seit Manet so dar, als brächte sie im Wesentlichen nichts anderes zum Ausdruck als dieses Faktum, dass ein Bild eine rechtwinklige Fläche ist. Ihre Entwicklung folgt der Gravitation dieses Dings, des Bildträgers, aber die Annäherung ist unendlich, weil die Differenz zwischen Bild und Objekt eine wesentliche und keine graduelle ist. Die Selbstreflexion des Bildes findet notwendig in der Bewegung eines Sich-Zeigens statt. Sie impliziert eine innere Abweichung, in der Materialität und Phänomen den Spielraum ihrer reflexiven Beziehung finden. Das Bild als das (grammatische) Subjekt der Signifikationsbewegung zeigt. Es zeigt – in repräsentationaler Malerei – etwas, das es selbst nicht ist, die Landschaft, die Figur. Das abstrakte oder selbstreflexive Bild schiebt an der Stelle dieses transzendenten („abwesenden“) Referenten seine eigene Materie und Struktur ein: Streifen, Farbe, die flache Leinwand, die Form des Trägers. Seine Materialität selbst wird Phänomen. Die Referenzbeziehung ist in Selbstdenotation überführt. Die Bildstruktur aber bleibt erhalten und sie bleibt solange erhalten, wie diese Selbstbeziehung noch als Reflexion, solange sie noch überhaupt als Beziehung bestimmbar ist. Das Bild, das eine Landschaft zeigt oder seine eigene Materialität und Struktur Phänomen werden lässt, leistet dies als das Subjekt des Zeigens. Es gibt sie zu sehen. Das Erblickte oder Gezeigte aber als solches, ob es Farbstreifen oder Bäume sind, bleibt von dem geschieden, was zu sehen gibt. Diese Unterscheidung – wie prekär sie im Lauf der Moderne geworden ist, liegt auf der

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Hand, sie ist bei Stella nurmehr eine grammatische Oszillation – wird vom Minimalismus kassiert. An die Stelle des Sich-Zeigens des non-repräsentationalen Bildes ist die Massivität des So-Seins des Objekts getreten. Eines materiellen Objekts, das keine Differenz in sich freisetzt, keine Signifikationsbewegung durchläuft, auch nicht die kürzest denkbare der Selbstdenotation wie die Streifenbilder Stellas. In Stellas frühen Serien hat sich die Selbstreflexion, der Motor der Teleologie des Modernismus, festgelaufen. Ihre Kreisbewegung wird von der Gravitation der Tautologie ergriffen, von der Gravitation der Materie selbst, der reflexionslosen, ungeformten Materialität der „Farbe … wie sie in der Dose war“. Diese Farbe in der Dose, die flüssige, formlose Farbe, die noch nicht sichtbar ist – und nicht einmal farbig, nicht einmal schwarz –, die materielle Farbe im Modus reiner Potentialität ist der phantasmatische ontologische Pol des minimalistischen Materialismus. Der Maßgabe dieser Materialität kann kein Bild, keine Erscheinung, keine geformte Materie überhaupt genügen. Sie bleibt eine regulative Idee. Und die „Güte“, die Stella dieser Farbe in der Dose zuspricht, ist ein ontologisches Prädikat wie die Transzendentalien der Scholastik und hat mit ästhetischer Qualität offenbar nichts zu tun. Die Tautologie nimmt an der Schwelle des Minimalismus die Bewegung der Selbstreflexion in sich auf oder nimmt sie an sich. Stellas „what you see is what you see“, die vielen variierenden Formulierungen, in denen Carl Andre so etwas wie eine „Würde“ der Materialien evoziert, mit denen er arbeitet („I want wood as wood, stone as stone …“), Judds insistentes „materials are simply materials“ sind Embleme des Minimalismus, die über den non-referentiellen Status des Werks wachen. Aber sprechen sie auch noch für eine Intensität seiner Präsenz? Das minimalistische Werk repräsentiert nicht mehr, es ist voll gegenwärtig, in seine Identität geborgen, das sichert die Tautologie. Aber offenbar hat der Minimalismus eine Schwelle überschritten, an der diese volle Gegenwart von einer Ambivalenz befallen wird, für die Judd, wie wir gleich genauer sehen werden, ausgesprochen sensibel ist. Der Tautologie selbst ist diese Ambivalenz eingeschrieben. Ihre Wiederholungsstruktur kann als Steigerungsform, aber auch als Ausdruck einer Ernüchterung gelesen werden. Das Ding, das es selbst ist, ist eben nur dies, nichts anderes und nicht mehr. Es ist nicht anders als andere Dinge. Ein Bild Stellas soll ein Objekt sein, das „ohne alle Verwirrung“ angesehen werden kann.90 So wie die Wand, an der es hängt? Oder wie sonst ein zu sich selbst beruhigtes Objekt, ein Ding oder Zeug in der glatten Haut seiner Form, ein physisch Vorliegendes? Worin könnte der spezifische oder emphatische Wert der Präsenz eines solchen sichtbaren Dings liegen? Als Resultat der Abstraktionsbewegung hat sich die weltoffene oder welthaltige Episteme des Bildes zu der in sich reflektierten, zeigend-gezeigten Materie des Bilds an der Schwelle von Bildlichkeit kontrahiert. Ort und Resultat dieser Kontraktion wäre das Monochrom. Seine Verdichtung zum visuellen Ding, das den repräsentationalen Differenzierungsbogen – das Phänomen der Welt – nicht mehr ausleuchtet, aber in seine einhellige Präsenz aufgenommen hat, das ihr Licht in der Intimität seiner Selbstgegenwart versammelt, – dieser Topos vollendeter Abstraktion ist 90 Glaser, „Questions“ / „Fragen“, 158/47.

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letztlich der Boden, der die 1960 gängige Assoziation des Präsenzbegriffs mit der „Fülle“ und „Prägnanz“, mit der „Evidenz“, der „Ausstrahlung“ oder „Kraft“ eines Werks trägt. Oft inexplizit und ohne sicheres Bewusstsein der Struktur und der Grenzen dieses Bodens. Denn dieser ist und bleibt der Bildbegriff. Nur durch den Rückbezug auf die Struktur des repräsentationalen Bildes und seine wesentliche innere Defizienz, sein Durchsetztsein von der Abwesenheit des nur gezeigten Referenten, und durch den Nachvollzug der Geschichte der Abstraktion gewinnt der emphatische Präsenzbegriff seinen Halt. Wenn das Bild aber endgültig und vollständig eingegangen ist in die Dichte jenes Objekts, das schlicht es selbst ist, ist dann nicht mit der Struktur der Repräsentation auch der Gewinn getilgt, den ihre fortschreitende kritische Zurückweisung als seine gestärkte Unmittelbarkeit verbuchte? Das Monochrom, das vorhandene Bildding, ist es nicht selbst primär ein Objekt? Warum soll man es Bild nennen? Oder, nebenbei gesagt, warum ein Werk? Was, außer seiner Nutzlosigkeit und der Reminiszenz an eine gewisse Tradition von Malerei – man könnte eine Art Abguss von einem Bild in ihm sehen91 – zeichnet es aus vor einem beliebigen anderen Ding, einem Alltagsgegenstand, der, hinter seinem bescheideneren Namen in seine stumme Materialität zurückgezogen, einfach da ist, nichts-sagend, resistent und so selbstidentisch, wie es sich ein Donald Judd nur wünschen kann? An der Schwelle von Bildlichkeit als solcher begegnet das Monochrom, ein reines Stück sinnlicher Substanz, seinem heimlichen Zwilling oder Doppelgänger, der die Abstraktion seit ihren Anfängen begleitet und aus der Distanz überwacht hat. Es begegnet dem anderen radikalen Pol moderner Repräsentationskritik, dem Ready-made, dem anderen Typ eines ontologisch massiven, eines ikonophoben Werks. Denn mit dem Ready-made kehrt nicht die Ähnlichkeitsbeziehung zurück. Das Ready-made ist das Ding, das es zu sein scheint – zumindest scheint es so. Es ist so dinghaft und „ohne alle Verwirrung“ anzusehen wie ein Bild Stellas. Duchamp hält fest, dass es nicht einmal angesehen werden muss oder angesehen werden sollte. „Es ist nur einfach da, man nimmt mit den Augen Kenntnis davon, dass es existiert. Aber man betrachtet es nicht so, wie man ein Bild betrachtet.“ 92 Von einer ausgezeichneten Präsenz dieses Werks, einer besonderen ästhetischen Ausstrahlung, kann kaum die Rede sein, ebensowenig von einer besonderen sinnlichen Intensität seiner Erfahrung. Es ist, so scheint es, in der Welt und zur Welt wie ein Ding überhaupt. Es ist da, ohne differentielle Tiefe, meistens aus einem harten Material. Es verspricht nichts außer zu dauern, falls es nicht verlorengeht, wie die meisten der „Originale“, die, ehe sie berühmt wurden und „ins Museum“ kamen – das ist die Reihenfolge! –, in Duchamps diversen Ateliers von der Decke hingen. Da hängt oder baumelt es und Allan McCollum hat solche „Abgüsse“ in Gips, Surrogate, wie er sie nennt, seit (… Anfang der achtziger Jahre…) produziert. Die Malerei war nur ein Tunnel – ihre Geschichte entspricht ihrer Tiefe. Heute, im industriellen Zeitalter, müssen wir das Bild als Gussform solcher Objekte begreifen, deren invertierte Transzendenz die horizontale Tauschbeziehung ist. Latent ist eine solche Konzeption bereits bei Yves Klein und bei Judd angelegt. 92 Marcel Duchamp, Interviews und Statements, übers. und hg. v. Serge Stauffer, Stuttgart 1992, 228 (ab hier zitiert als IS mit Seitenzahl); s. dort auch 134. 91

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ist noch kein Meisterwerk. Die Seinsweise des Ready-made ist ein Werden durch die Zeit – nicht die Präsenz des Bildes, ob sie repräsentational gespalten oder zum Schlag der tautologischen Gegenwart gebündelt ist. Wir werden die Begegnung von Ready-made und Monochrom im nächsten Kapitel formalisieren. Ihre Seinsweisen messen die Spanne des ontologischen Komparativs aus. Die indifferente Existenz des Ready-made und die Präsenz des zum Objekt gewordenen Bildes sind die Fluchtpunkte oder Pole seiner Struktur. Zugleich exemplifizieren Monochrom und Ready-made zwei komplementäre Modelle des Weltverhältnisses des Werks – die monadische Introvertiertheit eines absolut gewordenen Bildes, das das volle Differenzial der Welt in sich aufgenommen hat, und das Seinzur-Welt oder das Werden des leeren, gedächtnislosen Signifikanten, der der Aleatorik seiner zukünftigen Beziehung zur Welt entgegengeht. Es ist die Konstellation dieser beiden Pole des Präsenzbegriffs – der als Steigerung und als Enttäuschung gelesenen Tautologie – und der beiden Bahnen des Weltverhältnisses des Werks – des ikonischen Scheins, der im Monochrom sich verdichtet und erlischt, und der Gravur der Kontingenz, die das Ready-made altern, d. h. werden lässt und deren formale Struktur wir unter dem Begriff der Indexikalität fassen –, die die Topologie des historischen Raums bestimmt, in dem Judds specific object zur Welt kommt. Ehe wir diese Topologie weiter ausarbeiten, gehen wir auf eine Spaltung des Präsenzbegriffs ein, die den Minimalismus selbst durchläuft. Anhand von Judds Begegnung mit den frühen Skulpturen von Robert Morris, schlichten Volumen aus hellgrau gestrichenem Sperrholz, lässt sich die Problematik des als ähnlichkeitsbefreites Objekt existierenden Werks präzise lokalisieren.

Konturverlust: Black, White and Gray. – Judds Präsenzbegriff und sein Werkkonzept stehen offensichtlich dem Modell der Abstraktion nahe. Die Münze der Tautologie ist auf die Seite der Malerei und der guten ontologischen Massivität des Bilddings gefallen, was Judd, wie gesagt, nicht daran hindert, als Kritiker Werke, die eher Abkömmlinge des Ready-made sind, ebenso zu schätzen wie die spätmoderne abstrakte Malerei eines Kenneth Noland oder Frank Stella. Um die Differenz der beiden Paradigmen zu präzisieren und um zu zeigen, dass sie keinen unmittelbar morphologischen oder stilistischen Ausdruck finden muss, gehen wir auf ein längeres, relativ spätes (1964) Review Judds ein, das seine entschiedenste Auseinandersetzung mit Robert Morris, seinem schärfsten Konkurrenten innerhalb der Minimal Art bezeugt. Ein Text, der deutlich macht, dass die „stilistischen“ Grundzüge der Minimal Art – das geometrisch-abstrakte, dreidimensionale, vereinfachte Vokabular usw. – eine tiefe konzeptuelle und historische Gespaltenheit dieser „Bewegung“ verdecken, der man, gegen den erklärten Willen der Künstler, damals diesen Namen und eine kollektive ideologische Kontur zu geben begann. Wie fast immer in der Moderne, war auch dieser Ismus eine Erfindung der Kritik. Black, White and Gray, gelegentlich als erste „Minimal Art Show“ bezeichnet, fand im Frühjahr 1964 im Wadsworth Atheneum (Hartford, Conn.) statt, das unter der

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Leitung von Tony Wagstaff Jr. gerade zu einer der anspruchsvollen Institutionen für Avantgarde-Kunst wurde – „he is trying to have a contemporary museum“ (CW I 117), wie Judd spöttisch bemerkt. Thema und Titel lagen im Trend zur formalen Reduktion und zur „strengen Linie“, der nicht allein kunstimmanent blieb. „ ‘Vogue came up and took six pages — two in color, four in black and white — of models posed against the show, which I understand made a terrific hit at the magazine.’ “ 93 Judds Besprechung geht über diesen formalen oder stilistischen Zusammenhang des geometrischen „Vokabulars“ und des Verzichts auf Farbe, auf bunte Farbe, den der Ausstellungstitel anzeigt, natürlich hinaus. Entschiedener als in vielen anderen seiner Texte – die meisten seiner Reviews sind wesentlich knapper und deskriptiver gehalten – lässt er sich auf die philosophischen Implikationen der gezeigten Arbeiten ein. Im Zentrum stehen dabei die Skulpturen von Robert Morris: einige der hellgrauen Sperrholzpolyeder, u. a. Column (1961) und Slab (1962), Klassiker von Morris’ minimalistischem Frühwerk, und Portal (1961), das noch stärker dessen Zusammenhang mit der Performancepraxis, seiner eigenen und der seiner damaligen Frau Simone Forti, zeigt. Judd liest diesen simplen, nichts-sagenden Arbeiten eine „dadaistische“ oder „nihilistische“ Haltung ab, die sie mit Rauschenbergs White Paintings und George Brechts Table Chair Event teilen, die ebenfalls in der Ausstellung vertreten waren. Er nimmt Morris’ Arbeit so in ihrem tatsächlichen Entstehungskontext wahr. Während die Entwicklung seines eigenen Werks auf der Linie der formalistischen Abstraktion, ausgehend von Pollock, das Feld des New Yorker Neo-Dadaismus nur durchquert hat – nicht ohne von einigen Parasiten befallen zu werden, wie wir gesehen haben –, stellen die Tanz-, Musik- und Fluxusszene und der von John Cage, Rauschenberg und Jasper Johns gefilterte Einfluss Marcel Duchamps den Boden von Morris’ Frühwerk dar.94 Da diese genealogischen Zusammenhänge von der Rezeption weitgehend ausgeklammert wurden – woran Morris’ Selbstinterpretation in den späteren Notes on Sculpture (1966/67) entscheidenden Anteil hatte – gehe ich ausführlicher auf einige frühe Texte ein. In den Notes stellt Morris seine frühen Arbeiten in die Perspektive einer „Phänomenologie der Wahrnehmung“. Ihre einfachen Körper werden zu Reflektoren einer verleiblichten und temporalisierten ästhetischen Erfahrung, deren Vollzugsweise er in Anlehnung an Begriffe der Gestaltpsychologie und der Phänomenologie Merleau-Pontys entfaltet. Die Notes on Sculpture haben, indem sie die phänomenologische Minimalismusinterpretation initiiert haben, das historische 93 Tony Wagstaff, Brief an Betty Parsons, zit. in J. Meyer, Minimalism, Anm. 23, 284. Allgemein zu

diesem „Trend“, der die Genese und die ersten Publikumserfolge des Minimalismus begleitete, ebd. , insb. 78 f. 94 Zu diesem Umfeld allgemein: Edward Strickland, Minimalism: Origins, Bloomington/Indianapolis 1993; Annette Michelson, „Robert Morris: An Aesthetics of Transgression,“ in Robert Morris, Exh.-Cat. Washington/Detroit 1969/70, 7–89; dies. , „Frameworks“, in: Robert Morris – The Mind/Body Problem, Exh.-Cat. New York 1994, 50–61. Michelsons Essay von ’69 ist der erste Text, der den Anstoß von Morris’ Notes on Sculpture zu einer phänomenologischen Interpretation des Minimalismus aufnahm und erweiterte. Sie hatte in Paris in den fünfziger Jahren MerleauPonty gehört und hat so früh zum Transfer französischer Theorie beigetragen, der die avancierte amerikanische Kunstkritik bis heute so maßgeblich prägt.

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Bild des Minimalismus so stark geprägt, dass es sinnvoll scheint, einmal vor diesen Text zurückzugehen. Denn Anfang der sechziger Jahre bettet Morris seine „nackten“ Skulpturen noch in eine ganz andere Rhetorik. In einer Art Programmtext, BLANK FORM, den er 1960 für La Monte Youngs Anthology schrieb,95 vor der Publikation aber zurückzog, in einigen Briefen an John Cage aus demselben Jahr und nochmals in einem späten Rückblick auf die Entstehungsjahre dieser Arbeiten beschreibt oder situiert Morris das Skulptur-Objekt (die Blank Form) nicht in der Perspektive auf ein gesteigertes Wahrnehmungsbewusstsein wie später in den Notes, sondern als eine gezielte Annäherung an eine Schwelle der Nicht-Wahrnehmbarkeit, an einen Nullwert ästhetischer Präsenz, die so weit hinauszuschieben wäre, wie es die Angewiesenheit auf eine materielle Realisierung nur erlaubt. Der sinnliche Widerstand des Phänomens soll ausgedünnt werden zu einer „Membran“ über dem „Nichts“. Was Judd Werkpräsenz nennt, wird auf ein irreduzibles Minimum gebracht, einem Nullwert angenähert, von dem her sie eine ontologische Resonanz in der philosophischen Grundfrage gewinnt, die Morris zitiert – „the perpetual question, the whispered conundrum, that has followed me since childhood: why is there something instead of nothing?“ Es ist diese Resonanz, auf die Judd, sicherlich ohne die Texte zu kennen, in seinem Review reagiert. Um sie zunächst von heute aus wieder hörbar zu machen, schiebe ich einige längere Zitate aus diesen weniger bekannten Texten von Morris ein. BLANK FORM From the subjective point of view there is no such thing as nothing — Blank Form shows this, as well as might any other situation of deprivation. So long as the form (in the broadest possible sense: situation) is not reduced beyond perception, so long as it perpetuates and upholds itself as being object in the subject’s field of perception, the subject reacts to it in many particular ways […] Blank Form is still in the great tradition of artistic weakness-taste. That is to say I prefer it — especially the content (as opposed to „anti-form“ for the attempt to contradict one’s taste). Blank Form is like life itself, essentially empty, allowing plenty of room for disquisition on its nature and mocking each in its turn. Blank Form slowly waves a large gray flag and laughs about how close it got to the second law of thermodynamics. Some examples for Blank Form sculpture: 1. A column with perfectly smooth, rectangular surfaces, 2 feet by 2 feet by 8 feet, painted gray. 2. A wall, perfectly smoth and painted gray, measuring 2 feet by 8 feet by 8 feet. 3. A cabinet with simple construction, painted gray and measuring 1 foot by 2 feet by 6 feet — that is, a cabinet just large enough to enter.96

95 La Monte Young/Jackson Mac Lowe (Hg.), An Anthology, New York 1963. 96 Robert Morris, „Blank Form“, in: Haskell/Hanhardt (Hg.), Blam! The Explosion of Pop, Mini-

malism, and Performance 1958–64, Ausst.-Kat. , Whitney Museum of American Art New York, New York 1984, 101.

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Die erwähnte Säule wurde als Column gebaut (fig. 17), die „Wand“ einmal, um 45 ° geneigt, als Wall-Floor-Slab (fig. 19), und ein weiteres Mal als horizontal ausgebreitete, einige Zentimeter vom Boden abgehobene Scheibe, Slab, die in der Ausstellung vertreten war (fig. 18). Es sind Skulpturen, die so undifferenziert und belanglos sind, wie nur denkbar, – essentially empty, like life itself, allowing plenty of room for disquisitions. „There isn’t anything to look at“, wird Judd, der den „artistic weaknesstaste“ definitiv nicht teilt, kommentieren. „Slab is the only one interesting to see.“ (CW I 117) Morris aber will nichts „zum Ansehen“ machen, sondern die „große graue Flagge“ des gerade noch Sichtbaren ausbreiten über dem Grundrauschen der Entropie („the second law of thermodynamics“ – ein Modethema der sechziger Jahre). In den erwähnten Briefen an John Cage ist diese Annäherung an das „Nichts“ als die unmögliche Aufgabe der fortschreitenden Teilung einer Linie formalisiert. Actually, I can not conceive of nothing happening — I’m not trying to make a logical statement. In fact, a kind of “nothing” image is very important to me and I have said that I want to arrive at zero, although going toward it is like the successive divisions of a line — for the arrival one must go outside the process. For the time being I am involved in a kind of reducing process of attempting to find images that are closer and closer to the limit. This is, of course, very Protestant — wanting to achieve an absolute or final statement, to put a stop to process, to beat time […]. I am able to assign both a negative and positive value to this approach. On the one hand it reflects the desire to get outside by making logical steps (doing next to nothing so that nothing will be a real “next”). […] On the positive side there is my feeling about perception itself. You mentionned in your Letter of July that ‘most of what is happening is in nobody’s mind’: I feel that all of what is happening is in everybody’s mind — the statements are not exclusive of one another, I guess it is more a matter of focus.97

Hier ist die Grenze des „next-to-nothing“ als Unüberschreitbare formalisiert. Das „ ‚nothing‘ image“ bleibt, solange es image bleibt, vorstellbar (conceivable), ein extensives Etwas. Man kann sich der Schwelle nur von „innen“ nähern. Gegenüber der Leere der Blank Form sculpture, auf der „positiven Seite“, wird immer das „feeling about perception itself “ bleiben. In der Stille wächst die Tragweite des Gehörs. Cage hatte im schalltoten Raum der Harvard University seine Nerven und sein Blut gehört. Mit der Minimierung des sinnlichen Eindrucks wird der Hintergrundbereich der Wahrnehmungsakts als Horizont von Wahrnehmbarkeit überhaupt mitgegenwärtig. In dem späteren Interview hat Morris diesem Zusammenhang eine dunkle und fast literarische Tönung gegeben. Er bettet dort das „ ‚nothing‘ image“ seiner frühen Skulpturen in ein Klima existenzieller Erschütterung zurück und verleiht ihrem „fast nicht“ eine dramatische Resonanz. Das Thema und Medium des Texts ist die Erinnerung und das Verhältnis der Blank Form sculptures zur vorübergehenden

97 Robert Morris, „Letters to John Cage“, October 81, 70–79, 72. Siehe auch den Text des Heraus-

gebers: Branden W. Joseph, „Robert Morris and John Cage: Reconstructing a Dialogue“, ebd. , 59–69.

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und vorübergegangenen Zeit. Die leeren, aussagelosen Oberflächen der Skulpturen werden zu Projektionsflächen der sprachlichen Evokation. How is it possible to remember — sitting in the Guggenheim with you, next to Untitled (Wall/Floor Slab), in 1994 — that moment when I put the last nail into that piece, the first time it was built, one cold winter night in 1963 in an unheated loft on Fulton Street? Should I remember to/for you the sense that before me stretched eight square feet of as negative a sculpture as it was possible to make? Such memory degenerates into nostalgia now. How should I remember for/to you the context of those days, a time some felt was one in which Nietzsche’s sense of ‘tragic truth’ was being replaced by the ‘desperate truth’ of questioning values and premises? How should I remember to/for you a sense of how the world felt, how nailing together a slab of gray plywood resonated to impulses compounded of desparation, humor, speculation, anger, indifference, malice, doubt? […] Guggenheim retrospective: retrospection involves memory. Old works are borrowed, some I haven’t seen for thirty years. Dusty artifacts. I cannot replace a missing screw without permission from the owner. The dust of language covers these works. Their identities give way to the balance of how this one looks against that in a given space. Interior decoration becomes the concern. Memory vanishes. Memory reads off fragments seen out of context. I leave fragments that will be read out of context: it was an investigation; there were accidents; desire and fear, loss and memory, repetition and abandonment, theory, speculation, and doubt all accompanied the enterprise. These and the perpetual question, the whispered conundrum, that has followed me since childhood: why is there something instead of nothing?98

So gibt Morris’ Stimme seinen so nüchternen Skulpturen eine existenzielle und weitausgreifende ontologische Resonanz. Und die Logik des Arguments ist klar. Eine Skulptur, die sich zurückzieht auf die nicht mehr teilbare Trennlinie gegen das „Nichts“, eine Skulptur die so „negativ wie möglich“, so nichtssagend und leer wie möglich ist, kann keine andere Frage auslösen als die, warum sie überhaupt ist. Und da diese Frage ohne Antwort bleibt, erweitert sich ihr dezentrierter Kreis zum Horizont der Frage nach dem Grund des Seienden im Ganzen. Es ist diese Resonanz der minimierten Existenz von Morris’ Objekten, die Judd aufnehmen wird und die seine eigene Konzeption einer gesteigerten Präsenz, die das Werk vor alltäglich vorhandenen Dingen auszeichnen soll, in Unruhe versetzt. Die Topologie, die Morris 98 „Golden Memories. W. J. T. Mitchell talks with Robert Morris,“ Artforum, Vol. XXXII, No. 8

(April 1994), 86–91 u. 133, 88 f. Das Interview wurde vor der Eröffnung von Morris Retrospektive The Mind/Body Problem im Guggenheim Museum, New York, geführt. Da der Recorder ausfiel, wurde es nachträglich schriftlich wiederholt. Ein weiterer Text, in dem Morris retrospektiv seine metaphysische Verzweif lung oder antimetaphysische Aggression als background seines Frühwerks schildert, ist „Three Folds in the Fabric…“, in: ders. , Continuous Project… , Cambridge/ London 1993, 259–285: „At thirty I had my alienation, my Skilsaw, and my plywood. I was out to rip out the metaphors […] as well as every other whiff of transcendence. When I sliced into the plywood with my Skilsaw, I could hear, beneath the ear-damaging whine, a stark and refreshing ‘no’ reverberate off the four walls: no to transcendence and spiritual values, heroic scale, anguished decisions, historizing narrative, valuable artifact, intelligent structure, interesting visual experience“ (263 f.).

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hier skizziert und die in den Notes on Sculpture umgestülpt wird – dort geht es um die Faltung dieser Membran liminaler Wahrnehmbarkeit zum positiven Volumen der „starken Gestalt“ und um die phänomenale Imposanz dieser „Gestalt“ – geht in Judds Review von Black, White and Gray in ganz eigener Weise ein. Hören wir nach Morris’ Beschwörung der Winternacht und des existenziellen Zweifels das Echo, das die metaphysische Grundfrage in Judds grobkörnigem Kunstkritikervokabular findet. „Black, white, and gray, like black and white [Titel einer anderen Ausstellung, die Judd in derselben Ausgabe besprochen hat] is meager as a theme“ (CW I 117). Damit ist das Leitmotiv des Reviews angeschlagen, die „Magerkeit“, das „extreme understatement“ der Arbeiten von Rauschenberg, George Brecht und besonders von Morris. „They are next to nothing“, schreibt er, „you wonder, why anyone would build something only barely present. There isn’t anything to look at.“ Und an diesem Punkt wird er noch einmal einhaken und seine Kritik ansetzen: „I need more to think about and look at. Slab is the only one interesting to see.“ Aber zunächst fährt er in der zwischen Referat und Persiflage schwankenden Darstellung der philosophischen Haltung [attitude] fort, in der er das Leitmotiv der Ausstellung erblickt: „Rauschenberg said of one of his paintings, ‘If you don’t take it seriously, there is nothing to take.’ Morris’ pieces exist after all, as meager as they are. Things that exist exist, and everything is on their side.“ Alles ist auf ihrer Seite, diesseits der Schwelle, auf der Seite dessen, was ist. „They’re here, which is pretty puzzling. Nothing can be said of things that don’t exist.“ So löst die „magere“ Existenz von Morris’ Objekten bei Judd ein leicht ironisches thaumazein, ein inszeniertes philosophisches Staunen aus, das dem von Morris intendierten Effekt abgesehen von der Ironie sicherlich nahe kommt. Der Stoß des „dass es ist“ erfasst oder durchläuft, da er von der Linie oder Membran der minimierten Wahrnehmbarkeit über dem „Nichts“ ausgeht, alles was ist, was existiert – und alles im selben Maß. „Things exist in the same way if that is all that is considered — which may be because we feel that or because that is what the word means or both. Everything is equal, just existing, and the values and interests they have are only adventitious.“ Der Schwellenwert der Existenz unterläuft alle evaluativen Attribute. Ästhetische Qualität, aber auch Nutzwert, Tauschwert, „geistige“ oder „kulturelle“ Werte usw. sind nur Etiketten auf diesem flüssigen Grund der unterschiedslosen Existenz. „Morris’ objects seem to express this flat, unevaluating view.“ Aber wenn existiert, was existiert, wie soll sich Kunst gerade in dieser leersten Gemeinsamkeit, die alle Dinge teilen, auszeichnen? Denn das sollte sie – wie Judd annimmt – als Kunst. „Morris’ work implies that everything exists in the same way through existing in the most minimal way, but by clearly being art, purposefully built, useless and unidentifiable“: schriftlose Etiketten, die am ehesten an jenen Dingen haften, die Kunstwerke sind. „It sets a lowest common denominator; it is art, which is supposed to exist most clearly and importantly, but it barely exists.“ (118) Judd spürt die Bestimmungsleere des „lowest common denominator“ der bloßen Existenz und die entropische Gravitation, die von ihm ausgeht. Diese Leere ist die Herausforderung, die Morris’ Minimalismus 1964 für sein Konzept gesteigerter Werkpräsenz

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darstellt. „Everything is caught in and flattened.“ Es ist die Blöße ihrer Existenz, die Morris’ hellgraue Volumen mit formal fernliegenden Arbeit wie George Brechts Table Chair Event – ein weißer Stuhl an einem weißen Tisch, eine Zeitung, ein weißes Gedeck – verbindet. Von ihrem visuellen und semantischen Weiß geht eine insistente Behauptung aus, eine Selbstbehauptung ohne Selbst. An die Stelle des essentialistischen „a rose is a rose is a rose“ 99 oder „ein Bild ist ein Bild“ usw. ist eine existentiale Verflüssigung spezifischer Identitäten getreten. Ein Bild ist wie ein Rose ist wie ein Stuhl, wie ein Kubus oder ein Geschmack auf der Zunge. Die Leerstelle, die die Kunstwerke, „useless and unidentifiable“, im Geflecht der Bedeutsamkeit und Werte markieren, öffnet sich auf diesen Grund eigenschaftloser Existenz.100 Judd blickt auf diese leere Stelle, die Morris’ Hellgrau freilegt, und stellt die Schwäche des Eindrucks fest. Und er spürt, dass diese Schwäche den Boden, auf dem er steht, unterläuft. Das Weiß, das durch Brechts Events zirkuliert, das allgemeine Hellgrau der Existenz, das Morris über seine Objekte gießt und das sie unwiderstehlich emanieren, ist der NullLevel der Skala der Präsenz, die Judd aufstellen will. Jenseits dieses Minimums liegt offenbar nur die Nicht-Existenz. Das impliziert, dass das Minimum kein Minimum ist, sondern der einzige mögliche Wert. Die Indifferenz des dass bietet seiner Skala keinen Halt, sie scheint jeden Impuls ihrer Aufrichtung zu diskreditieren. Sie bildet eine absolute Ebene, die jede Erhöhung als „perspektivische Täuschung“ erscheinen lässt – als die schwache Gravur eines Namens, einer Form oder eines Nutzwerts, konstitutive Illusionen jenes „Futtertrogrealismus“, wie Malewitsch gesagt hätte, der die „gegenstandslose Erregung“ zu der objektiven Welt zweckbehafteter Dinge dekliniert, die „nur in unserem kleinen Schädel“ existiert.101 Die Existenz bildet einen Horizont, der unüberschreitbar scheint. Das Grau ist die Nichtfarbe dieser ontologischen Sphäre des leeren Begriffs der Existenz, der nur entgeht, was nicht ist, und worüber man, wie Judd sagt, „nicht sprechen kann“. In Judds Worten – „Nothing can be said about things that don’t exist.“ – klingt offenbar die referenzorientierte Sprachphilosophie von Wittgensteins Tractatus nach, aber auch (nennen wir es einen objektiven Zufall) das Verbot, das die Parmenideische Göttin über den Weg des Nicht-Seins verhängt und das die Homogenität oder Univozität des Seinsbegriffs sichert. Es ist dieses Verbot, das „Vernehmen“ (wie Heidegger noein übersetzt) und Sein zusammenbindet zu jenem „Selben“ einer absoluten Immanenz oder des Ereignisses: „Das Selbe nämlich ist Vernehmen (Denken) sowohl als auch 99 Bei Gertrude Stein heißt es: Rose is a rose is a rose, was offenbar einen anderen Sinn ergibt, als das

gängige falsche Zitat.

100 Man könnte zur Charakteristik dieser wässerigen, formlosen Existenz seitenweise aus Sartres

Der Ekel zitieren. „Ich erinnerte mich nicht mehr, daß das eine Wurzel war. Die Wörter waren verschwunden und mit ihnen die Bedeutung der Dinge, ihre Verwendungsweisen, die schwachen Markierungen, die die Menschen auf ihrer Oberfläche eingezeichnet haben. […] [D]ie Vielfalt der Dinge, ihre Individualität waren nur Schein, Firnis. Dieser Firnis war geschmolzen, zurück blieben monströse und wabbelige Massen, ungeordnet – nackt, von einer erschreckenden und obszönen Nacktheit.“ (Jean-Paul Sartre, Der Ekel, Reinbeck bei Hamburg 1989, 144 f.) 101 Der zentrale Topos von Malewitschs Denken: Realität, was wir Realität nennen, das Nebeneinander abgegrenzter, konturierter Dinge, erscheint nur im Horizont des Hungers, im Einzugsbereich unserer praktischen Bedürfnisse. Bergson und Nietzsche sagen im Grund dasselbe.

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Sein“.102 Judd interpretiert Morris genau. Der objekte Zufall weist in Richtung auf das, was dieser zur Zeit der Konzeption der Blank Form sculptures an Cage schreibt: „I cannot conceive of nothing happening…“. Und: „I feel that all of what does happen is in everybody’s mind.“ Die Membran über dem Nichts findet ihre Resonanz nur in dem weitesten Kreis der Frage nach dem Seienden im Ganzen. In dem zitierten Brief spricht Morris von der „schrittweisen“ Annäherung an das Nichts. Wenn die Grenze erreicht, die Reduktion allen partikularen Interesses geleistet ist, dann erweist sie sich als der Trennstrich in dem alternativlosen Binarismus von Sein und Nicht-Sein. Und alles ist auf der einen Seite. „Denn Nichtsein kannst Du nicht erkennen noch sagen – es ist nicht zu greifen.“ 103 Die Steigerung der Werkpräsenz, die die vertikale Achse von Judds Kritik bildet, verliert in einem solchen Rahmen ihren Halt. Sie scheint sich in der Schicht der sinnlichen Attribute einrichten zu müssen, in der retinalen Schminke, die Morris’ asketischer Minimalismus abgewaschen hat. Intensitätsgrade sind Grade der Realität in Kants Sinn: Grade sachhaltiger Prädikate. Existenz aber – Sein als „Position“ – ist kein „reales Prädikat“, sondern deren flüssiger Träger. Intensitätsgrade sind Grade, die in den spektralen Achsen sinnlicher Qualitäten wie der Farbe auf diesen eigenschaftslosen Grund und Ungrund bezogen sind, ohne ihn zu brechen. Es sind Grade von Qualitäten des Seienden, nicht ihres Seins, das sich, mit Deleuze gesprochen, immer „unter einem Grad ausdrücken“ wird, aber dasselbe bleibt, univok für alle Grade.104 Judds persiflierender Ton verbirgt nicht die Unruhe, in die ihn diese Homogenität des univoken Seins versetzt. „Things that exist exist, and everything is on their side. […] Everything is caught in and flattened.“ Wie soll ein Werk dieser Nivellierung entgehen, mit welchen Mitteln, mit Hilfe welcher Instrumente sollen hier andere Unterschiede als nur zum Nicht-Sein gemacht werden? Judd nimmt den naheliegenden und kürzesten Ausweg, diese „flache, entwertende Sicht“ als selbst auktorial verantwortete Haltung zu rahmen, die Resonanz der philosophischen Grundfrage an den Horizont einer Ausdrucksintention zurückzubinden. Angesichts von Arbeiten Stellas und Flavins markiert er so die konzeptuelle Differenz: „Dan Flavin’s fluorescent light 102 Martin Heidegger, „Der Satz der Identität“, in: ders. , Identität und Differenz, Pfullingen 91990

[1957], 9–30, 14. Zur absoluten Immanenz als Matrix einer Überblendung von Heideggers Ereignis-Denken mit der Philosophie von Deleuze, s. Marcus Steinweg, Der Ozeanomat. Ereignis und Immanenz, Köln 2001. 103 Parmenides, übers. u. eingeführt von K. Riezler, Frankfurt a. M. 1970, 29 (Diels Fragm. 4). 104 Gilles Deleuze, Differenz und Wiederholung, München 1992, 58. Wir werden das Thema der Univozität des Seins, eines der zentralen Motive des Denkens von Deleuze, noch mehrfach berühren. Das Universale Mondrians, das topologisch und ideengeschichtlich der spinozistischen Substanz entspricht (und das ist kein „objektiver Zufall“) und auf dessen Entbindung aus individuellen Erscheinungsformen seine Bildkritik zielt, die Gegenstandslosigkeit Malewitschs, die Anarchie der reinen Erregung unterhalb der Flexionen oder Trugbilder des interessengebundenen „Futtertrogrealismus“, der Chaosmos Pollocks, das Virtuelle Duchamps, die vom Kapital induzierte Materie, aus der Judd seine industriellen Monochrome stanzen lässt – wir interpretieren die Abstraktion, die Repräsentationskritik der Moderne insgesamt im Horizont des Deleuze’schen Begriffe der Univozität und der Deterritorialisierung, die in dieser ihren bildlosen Grund findet.

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and Frank Stella’s black painting and aluminum one have some connection to the exhibition’s flat and unhierarchical view of things, but are not related to Morris’ or Brecht’s expression of this. The work of both is more complex. Although they exclude painterly art, their work is decidedly art and is visible art.“ (119, Herv. von mir) Auch Flavin und Stella streben eine bareness des Objekts an und sie teilen, wie Judd selbst, die Zurückweisung überlieferter „hierarchischer“ Kompositions- und Ordnungsstrukturen mit Morris und Rauschenberg usw. Aber ihre Arbeiten sind als Lichtkunst und als entschieden visuelle Kunst um ein Minimum „komplexer“. Während Morris in einem Exerzitium der Negation versucht, eine „sub-phänomenale“ Schicht zu erreichen, das „Trommelfell“ freizulegen, dessen Resonanz unter dem Anschlag des Sehens die Sichtbarkeit selbst wäre, ziehen Flavin und Stella und Judd gerade nur diesen Widerklang, den Ausschlag der Sichtbarkeit in Betracht und versuchen ihn zu „steigern“. Der Reflex des Lichts und des Blicks glaciert oder versiegelt die Schicht, er bricht die Indifferenz der eigenschaftslosen Existenz zur visuellen Präsenz des Werks. Und so hält Judd gegen Morris’ „flache entwertende Sicht“ einen ausgezeichneten Bereich der Kunst aufrecht – und das heißt der Qualität von Kunst, die der Ausschlag, die Amplitude der Präsenz im vitalen Raum des Sehens wäre: „Stella’s aluminum painting is very good.“ (119) Und er wiederholt diese Geste ein Jahr später in einem Review von Morris’ „Plywood show“, dessen zweiter Einzelaustellung in der GreenGallery, in der Judd selbst kurz zuvor seine grell-roten ersten specific objects gezeigt hatte: „A lot can be said about Morris’s work, but not much in a review. First, many aspects often thought essential to art are missing, such as imagery and composition. This is also true of the work of Flavin and Stella, for example. Their work is obviously not like prior art. But theirs“ – setzt er fort, und das gilt wiederum auch von seiner eigenen Arbeit – „is plainly aesthetic in intention. Morris’s work nearly appears not to be art, though of course it is finally.“ (165). So entschärft Judd mittels einer doppelten Wendung die Herausforderung, die Morris’ Werk für seine eigene Konzeption darstellt. Er situiert es ausdrücklich innerhalb des Horizonts der Kunst, am Rand dieses Felds („nearly not art“, „existing in the most mimal way“), aber am inneren Rand („of course it is finally [art]“, „by clearly being art“). Die Setzung des Grau, so passiv und unentrinnbar es sich gibt, gehört dem Bereich des intentionalen Ausdrucks an. Und insofern ist die Abgrenzung einer „offen ästhetischen Intention“ von der dadaistisch „anästhetischen“ für Judd ausreichend, um seine eigene Konzeption von Intensität und Qualität im diskursiven Spiel zu halten. Die Problemstellung bleibt aber grundsätzlicher. Die univoke Existenz, der Morris’ Objekte eine prekäre Sichtbarkeit (vielleicht eher eine Hörbarkeit) geben, lässt sich selbst nicht derart positionieren und abgrenzen. Gewiss ist Morris’ minimalistisches Werk intentional gelenkt und ist ausdrücklich Kunst – im Kontakt mit seinen Texten, vor allem dem späten Interview, erweist es sich als geradezu literarisch – aber die epistemologische Herausforderung, die von ihm ausgeht, betrifft Judds Konzept der spezifisch ästhetischen Intensität eines Werks, das Objekt und nicht Bild sein soll, im Kern. In der naivsten und direktesten Weise könnte sich die Unruhe, in die Judd die Schattenfarben von Black, white and gray versetzen, das ironische thaumazein, in

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Intensität und Indifferenz. Schematismen der Werkpräsenz

eine Frage nach dem Effizienzniveau seiner Farbe, jenes Kadmiumrot, das seine erste Werkphase (1959–64) dominiert, zurückwenden. Ist ein „leuchtend“ roter Körper präsenter, seiender als ein grauer oder nur – auf fälliger? Oder wäre dies letztlich dasselbe? Ist die Intensivierung der Werkpräsenz messbar wie etwa die Lichtstärke einer Lampe? Hat sie eine Amplitude wie ein Ton, eine Art Lautstärke? Wir werden später sehen, wie Judds Präsenzbegriff eine subjektive Spiegelung erfährt und die Intensität zu einer Bestimmung der ästhetischen Erfahrung als eines Modus ausgezeichneter Selbstgegenwart des Subjekts wird. Der Ausstieg aus dem Bild bedeutet den Aufstieg der Präsenz aus der repräsentationalen Bindung. Dieser Ausstieg erlaubt eine größere sinnliche, materielle Dichte, die Vermeidung des Bildscheins, der Mischung der Präsenz mit der Absenz räumlicher Tiefe. Er erlaubt einen höheren Grad an Realität. Nun wird das Objekt Judds – ein grelles Rot hilft da nicht weiter, was allerdings hilft, ist eine Politur – in der Tat der ontologischen Auszeichnung ermangeln, die sein Diskurs prätendiert. Aber die gesteigerte Präsenz wird sich als Bestimmung der Intensität einer Erfahrung, deren Gegenstand, Anlass oder Dispositiv das Werk ist, aufrechterhalten. Das Offenhalten und die Kontraktion des Horizonts – des zeiträumlichen Horizonts der ästhetischen Immanenz – diese Anspannung des Wahrnehmungssubjekts ist Maß der Intensität des Werks. Der philosphische Horizont von Judds „eigener kleiner Ästhetik“ wird sich als ein lebensphilosophischer erweisen.

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II. Im Licht des Ready-made. Präsenz und Zeitigung des Werks

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A Die Zeit des Bildes und die Zeit der Spur In a thousand years the art of this century will be ceramic sinks and toilets because that’s all that will survive the wars and developpers. Donald Judd, 1984105

Der Kanon und das Archiv. – Das specific object als das aistheton, als geballtes Bild, geht aus der tautologischen Massivität hervor, zu der Stella die Episteme der abstrakten Malerei verdichtet. Von dieser Schwelle des Bildes springt es ab in den sogenannten real space. Es ist losgeschnitten aus der Matrix der repräsentationalen Bildtradition und als referenzloses Objekt in jene „zeichenlose Gegenwart“ versetzt, die von Anfang an als die methodische Herausforderung der Minimal Art begriffen wurde. Die Bewegung der Moderne hin zu einer sinnlichen Unmittelbarkeit und universellen Lesbarkeit des Werks schien in diesen stummen Monumenten, in diesen Blöcken geglätteter Materie auszulaufen, in deren Oberfläche keine Textur, kein Zeichen und erst recht nicht der Schein einer Bildtiefe mehr eingraviert war: Objekte einer unmittelbaren Erfahrung gewiss, aber zu lesen geben sie nichts. Die Idee, dass Kunst eine Bedeutung zu vermitteln habe, dass zur Struktur des Werks die Öffnung auf einen Sinn, eine aktive Artikulation seines Weltbezugs gehöre, stellte die Minimal Art mit einer Entschiedenheit in Frage, die offenbar radikal und neuartig war. 105 „A long discussion not about masterpieces but why there are so few of them, Part II“, CW II 70.

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Die Zeit des Bildes und die Zeit der Spur

Natürlich sind inzwischen diese Blöcke über und über mit Schrift bedeckt. Sie sind in die Dichte eines Archivs von Wirkungen und Effekten, von Reproduktionen und Texten eingebettet und der provozierende Moment ihrer anfänglichen Blöße ist nicht mehr zu erleben. Eine ästhetische Erfahrung heute wird sie daher – anders als bei ihrem ersten Auftreten, als ihr Horizont mit dem Umriss der Neuheit der Werke zusammenfallen konnte (so schildert Peter Schjeldahl den Anfangsschock bei seiner ersten Begegnung mit einer Ziegelsteinarbeit von Andre – „Bin ich auf einer Baustelle? Ich war euphorisiert…“, aber auch seine Nicht-Wiederholbarkeit106 ) – eine heutige ästhetische Erfahrung wird sie enthistorisieren und sie damit eines wesentlichen Moments ihres Sinns berauben. Eines wesentlichen Moments? Donald Judd hat sicher gewollt, dass seine Objekte wie Bilder betrachtet werden, eingelassen in die geglättete Ebene ihrer visuellen Gegenwart. Und wenn wir den Begriff des Sinns an den Horizont einer ursprünglichen Intention binden, dann wäre die ästhetische Erfahrung allerdings das Element, in dem das, was Judd den Sinn oder die „Implikationen“ seiner Arbeiten nennt, aufzusuchen wären. Der Horizont der ästhetischen Erfahrung, der mit dem der unmittelbaren Sichtbarkeit zusammenfiele, wäre der Spiegel, aus dem dieser Sinn zu schöpfen wäre. Dieser Erfahrungsbegriff aber ist offenbar naiv. Denn an der bloßen Gegenwart der Objekte wirkt eine Arbeit der Geschichte mit und hat mitgewirkt, die nicht intentional verantwortbar ist, nicht so jedenfalls – denn das ist das Modell dieser angenommenen Koinzidenz von Sinn-Horizont und Horizont der Sichtbarkeit –, nicht so wie in einem Bild, dessen opake Materialität auf eine scheinbare Gegenwart sich öffnet, dieser eine Sichtbarkeit gestiftet ist, die der historischen Zeit prinzipiell entzogen und von ihr unberührbar wäre. Das in seine taktile Oberfläche aufgestiegene Bild, das das specific object Donald Judds genealogisch ist und konzeptuell auch sein will, hat dieses innere Reservoir an Sichtbarkeit aufgegeben. Die polierten Oberflächen von Judds Volumen schließen dicht ab mit dem Raum, der Luft, dem Licht, die sie umgeben. Das Weltverhältnis dieser Objekte entsteht einzig in der Fläche dieses Kontakts, der Sinn entsteht außen, am Rand dieser Bilder, die nur aus Rand bestehen. An der Stelle der Reibung ihrer im Vollzug der modernen Repräsentationskritik kontrahierten Präsenz mit der historischen Zeit, in die sie als Objektoberflächen eingetaucht sind. Die ästhetische Erfahrung dagegen nimmt nur einen Kontaktabzug. Sie fügt nur ihren Kontaktabzug zu dem Sediment hinzu, das um die Objekte schon abgelagert ist, und sie übersieht oder durchsieht die Dichte und Tiefe dieser Ablagerung selbst. Zwischen Auge und Objekt liegen immer auch die vierzig Jahre Zeitenabstand, die vergessen werden in einer Wahrnehmung und ästhetischen Reflexion, die auf ihre Gegenwart und ihre Erlebnisintensität konzentriert bleibt. Nicht die Blöße der minimalistischen Präsenz provoziert deshalb heute. Dieses Ereignis ist längst vorbei, es ist als die erste, die unterste Schicht ihrer Sichtbarkeit abgelagert in der „Dichte der Zeit“ 107. Was heute überrascht, was überraschen sollte, 106 P. Schjeldahl, „Minimalism“, in: ders. , The Hydrogen Jukebox, Berkeley / Los Angeles / London

1993, 204–226, dort 204 f. u. 218 f.

107 M. Foucault, Archäologie des Wissens, 179.

Der Kanon und das Archiv

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ist, dass sie überhaupt noch sichtbar sind. Wenn wir uns erinnern, was die sechziger Jahre waren, welche Filme damals gemacht wurden, wie präkommerziell Soho noch aussah, als die Minimal Art dort entstand – eine graue Gegend, wie Robert Morris sagt, eine working area –,108 und wie die Unositzungen von kubanischen Zigarren vernebelt waren, wird klar, wie alt, wie outdated die Objekte, die diese Welt reflektierten, schon sind. Eher als das Museum, das ihre Sichtbarkeit verwaltet, und die Narrative der kanonisierten Historie, die ihr eine Zwangsläufigkeit zusprechen, vermittelt sich diese Historizität ihrer Gegenwart selbst einer archivarischen Arbeit. Ein Blick in zeitgenössische Kataloge und Zeitschriften macht bis in die sinnlichen Qualitäten des Materials deutlich – selbst die Druckfarben sind modeabhängig und was 1968 ein Katalog des Whitney Museum war, hieße heute kaum Broschüre –, aus welchem Schutt historischen Materials die Sichtbarkeit der minimalistischen Objekte gezogen wurde oder sich gezogen hat, wie künstlich, wie selten, wie wenig unmittelbar sie ist. Die schiere Transparenz des Raums, den Judd (vor langer Zeit) den real space nannte, ist Produkt einer Selektion, einer Arbeit des Vergessens. Was eine ästhetische Erfahrung nicht erfasst, die auf die Selbstgegenwart des Betrachters bezogen und auf den synchronisierten Raum des musealen Kanons aufgespannt bleibt, der, wie das repräsentationale Bild, ein Loch, eine Öffnung im opaken Sediment der historischen Zeit ist. Das Medium einer Erinnerung zwar, aber von einem Archiv vergessener Spuren, vergessenen Materials getragen, von einem Sockel der Unsichtbarkeit, der die repräsentationale und kanonische Funktion des Museums ermöglicht und deshalb wesentlich von ihr ausgeschlossen bleibt. Welche Funktion aber übernimmt das Kunstwerk selbst in diesem Geschehen seiner Überlieferung? Ist es nur deren passives Objekt? Marcel Duchamp hat die überdauernde Sichtbarkeit von Werken und ihren Werkcharakter überhaupt ein Produkt des Zufalls genannt, der „blinden Lotterie“, die die einen Künstler reüssieren lässt und die andern ruiniert.109 Die Zeit, und das heißt ein irreduzibles Maß an Kontingenz, ist das Element, in dem eine vom Künstler nie ganz kontrollierte Setzung zum Werk erst nachträglich wird. Duchamp hat diese Struktur des Werdens des Werks mit dem Ready-made formalisiert, das die Funktion der Autorschaft auf den Akt der Datierung, der Entscheidung über den Anfang seiner Existenz in der Zeit zuspitzt. Ich will zeigen, dass eine Datierung in diesem Sinn, die eine Art Selbstdatierung ist, zur Struktur des Kunstwerks als solchen gehört. 108 Siehe Robert Morris, „Size Matters,“ Critical Inquiry, no. 26 (Spring 2000), 474–487. Morris

stellt hier Judds „Pralinenschachtelkunst“ (479) als Vorboten des Wechsels vom Paradigma der Arbeit zu dem des Konsums dar, der sich in Soho inzwischen vollzogen hat: „Kunst als Avantgarde der Ökonomie“, wie Boris Groys es ausdrückt. 109 „Les artistes de tous temps sont comme des joueurs de Monte Carlo et la loterie aveugle fait sortir les uns et ruine les autres“, Brief an Suzanne Duchamp und Jean Crotti, 17. Aug. 1952, in: Affectionately, Marcel. The Selected Correspondence of Marcel Duchamp, Gent 2000, 319. Die konstitutive Funktion der Nachwelt für den Werkcharakter des Werks ist ein zentraler Topos in Duchamps Interviews und bestimmend für sein ganzes Werkkonzept. „Die Anschauer machen die Bilder“ ist die gängigste Formel dafür. Wir werden diese Struktur der Nachträglichkeit in ihren verschiedenen Schichten entfalten (II. B. Die Zeit des Ready-made).

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Die Zeit des Bildes und die Zeit der Spur

Das Sein des Werks fällt nicht in die historische Zeit, weil ein idealer Sinn das Schicksal hat, sich in einem materiellen Zeichenkörper ausdrücken zu müssen, in einem Körper, der ihn durch die Zeit transportiert. Das Verhältnis von Sinn, Materialität und Zeit ist völlig anders zu denken. Sein Körper ist nie und für kein Werk ein Gefäß und Vehikel, er ist der Ort und Apparat der Produktion des Sinns, einer Produktion, die der Zeit bedarf. Offensichtlicher als beim sprachlichen oder musikalischen Kunstwerk (bei „allographischen“, in Notationen tradierten Künsten110 ) gehört in der bildenden Kunst die Bindung an einen singulären, der Zeit ausgesetzten Körper und seine unwiederholbare Tatsächlichkeit zur Seinsstruktur des Werks. Das Ready-made macht klar, dass die Unwiederholbarkeit nicht von der Nicht-Reproduzierbarkeit des materiellen Objekts abhängt, sondern dass die Unwiederholbarkeit des Datums der Setzung eines formal und materiell durchaus reproduzierbaren oder ersetzbaren Objekts die Nicht-Reproduzierbarkeit des Werks konstituiert. Diese ist eine ontologische Struktur des Werks, keine empirische Eigenschaft seines objektiven Substrats.111 Die Gestalt des Werks ist nicht die präsente Raumgestalt oder Form dieses Objekts, sondern die Zeitgestalt eines Werdens, dessen Umriss in die Tiefe des Archivs zurückreicht bis an den Zeitpunkt seiner Setzung, seines Anfangs oder seiner Produktion, die nie und für kein Werk eine creatio ex nihilo ist. Deshalb ist eine ästhetische Erfahrung, die diesen zeitlichen Umriss nicht erfasst, die sich nur auf die Schnittebene einer synchronen Präsenz bezieht und die Genese dieses ihres Elements, der Sichtbarkeit, indem sie nur hinein- oder hindurchsieht, unmittelbar vergisst, dem Werk als Werk nicht angemessen. Auch dann nicht, wenn sein Autor eben dies vorschlägt – den Sinn vom aufsteigenden Spiegel seiner ästhetischen Gegenwart abzunehmen. Wenn also heute, nach vierzig Jahren, die nackte Präsenz der minimalistischen Objekte nicht mehr so nackt ist, sondern eingekleidet – oder vielmehr selber das Kleid ist, das Kleid ihrer Sichtbarkeit, das die Geschichte gewebt hat –, in welche Sinnprozesse tritt dann die Auseinandersetzung mit der Minimal Art heute ein? Wenn eine ästhetische Erfahrung, die auf die Erlebniszeit des Rezipienten konzentriert bleibt, die Zeitgestalt des Werks nicht erfassen kann, sind wir dann alternativ auf die bloß historische Analyse zurückverwiesen? Auf die genannte archivarische Arbeit, auf die Verortung des Objekts im Massiv seiner Determinanten und im Sediment seiner Wirkungen? Es geht darum zu sehen, dass diese Alternative zu kurz greift, dass die determinierende und determinierte Historizität nur der passive Boden der Geschichtlichkeit des Werks ist. Dieses artikuliert sich auf diesem und gegen diesen 110 Siehe Nelson Goodman, Sprachen der Kunst, Frankfurt a. M. 1995, bes. Kap. III, „Kunst und

Authentizität“.

111 Auf dieser temporal-ontologischen Ebene verliert die genannte Unterscheidung Goodmans zwi-

schen den allographischen und den autographischen Künsten (s. ebd. , 113) an Relevanz. Das Werk ist eine Zeitgestalt, deren Umriss im Raum der Geschichte singulär ist, auch wenn der Träger des Werks – wie eine Notation, aber nicht ein Gemälde – ohne Authentizitätsverlust kopiert und reproduziert werden kann. In ähnlicher Weise kann es mehrere Exemplare eines Ready-made geben, das dennoch ein singuläres Werk bleibt, wie eine Sinfonie oder ein Buch.

Der Werkbegriff und das Objekt der Kunstgeschichte

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Grund. In dieser Artikulation oder Selbstexplikation stellt es den Grundriss seines Weltverhältnisses auf, legt es die Parameter seiner künftigen Lektüren fest, ohne diese letztgültig kontrollieren zu können. Die Dimension der Bildlichkeit ist nur einer der möglichen Parameter dieser Selbstexplikation. Auch die bloße Setzung des Ready-mades, eines opaken, sinnentblößten Dings, ist in eine artikulierte Struktur eingeschrieben, die dem Zufall seines Werdens mehr auf die Sprünge half und hilft, als es den Anschein hat und als Duchamp zuzugeben bereit gewesen ist.

Der Werkbegriff und das Objekt der Kunstgeschichte. – Wir sind von der Frage nach dem Weltverhältnis des Werks ausgegangen, die von den Objekten des Minimalismus gestellt wird – oder die zu stellen sie zwingen, gerade sofern sie ihr keine Orientierung mehr bieten. Die minimalistischen Objekte scheinen bloß vorhanden zu sein, eingelassen in einen Raum, in den Horizont einer Situation, deren Grenzen und deren Definitionsmilieu schwer zu bestimmen sind (s. o. „Im Horizont des Archivs“, S. 35 ff.). Der Ausblick auf Judds Kunstkritik hat nun auf einen Begriff der Werkpräsenz geführt, der nicht das bloße Vorhandensein des Werks als Ding oder Objekt unter anderen meint, sondern eine gesteigerte, mit Judds Worten „klarere und wichtigere“ (CW I 118) Weise zu sein. Diese Supplementierung des Präsenzbegriffs verweist aber nicht auf eine Struktur, die die Bedeutungsbildung lenken würde, auf eine Signifikationsbewegung, die das Weltverhältnis des Objekts organisierte. Die Intensität der Werkpräsenz konvergiert im Gegenteil mit der Selbstidentität und Non-Referentialität des Werks und hängt von ihr ab. In welchem Verhältnis steht diese tautologische Präsenz, das Ideal des Minimalismus, zu dem, was wir als die Seinsweise oder Geschehnisweise des Werks suchen? Und wie verhält sich der Stoß des „dass es bloß ist“ zu der von Judd gesuchten Intensität? Ist dieser Stoß unmittelbar Moment und Antrieb der Intensität? Für Judd schien sich das anzudeuten: der Doppelschlag der Tautologie – it is what it is – ist grundlegend für die „Kraft“ des Werks. Der Blick auf Morris’ frühe Arbeiten hat aber gezeigt, dass die Zeichenlosigkeit des Werks von sinnlicher Intensität auch trennbar ist. Wie stehen also diese drei Terme zueinander: das schiere Vorhandensein des Objekts, das die Minimal Art als solches bloßzulegen scheint, indem sie sich damit begnügt, die intensivierte Präsenz, deren epistemologischer und historischer Hintergrund die Abstraktion in der Malerei ist, und das Weltverhältnis des Werks, das durch den Verzicht auf konventionelle Modelle der Kanalisierung von Referenzen in seiner Mehrdimensionalität und Fragwürdigkeit sichtbar wird? Und was wäre die Seinsweise des Werks im Verhältnis zu diesem Beziehungsgeflecht? Erzeugen hier nicht die Namen Scheinfragen? Ist nicht schlicht das Werk (und jedes Werk – nur dass der Minimalismus es endlich zeigt) ein Objekt, ein Vorhandenes, ein Ding in der Welt wie jedes andere? Die Idee einer ausgezeichneten Werkpräsenz würde dann auf die Relation dieses Dings auf ein Subjekt verweisen und „Intensität“ und „Kraft“ wären Ausdrücke für Effekte, die es in einem Wahrnehmungsvollzug etwa durch „intensive“ („reine“, „leuchtende“) Farbigkeit hervorruft, keine ontologischen Strukturmomente also, son-

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Die Zeit des Bildes und die Zeit der Spur

dern Prädikate jener Physik der Empfindung, zu der die Ästhetik im positivistischen Klima der Moderne geworden ist; und was wir als Weltverhältnis bezeichnen, wäre eben nichts anderes als das Gesamt der Bedeutsamkeits- oder Zeichenstrukturen im weitesten Sinn, in die dieses vorhandene Objekt eingespannt ist. Eine Frage nach der Seinsweise des Werks bleibt da offenbar nicht übrig. Aus einer gewissen Perspektive wird und muss es so scheinen. So gliedert sich das Feld der kunsthistorischen Forschung: in die historische Sicherung der materiellen Gegebenheit und Bedingtheit des Objekts (Datierung, Quellenkritik), die semiologische Ermittlung seiner (in ein anderes Trägermedium, primär die Sprache transferierbaren) Bedeutung (Ikonografie und Ikonologie im weitesten Sinn, der Visual Studies und Cultural Studies, die Autoethnologie der Postmoderne einschließt), und in eine phänomenologische Hermeneutik des Werks – und das heißt, auch lange nach der Malerei noch, des Bildes –, die seine primär kognitive, epistemologische Relevanz abwägt (ästhetische Theorie, Phänomenologie der Wahrnehmung). Untersuchung des Objekts als materieller Träger und Referent von Spuren, die es in dem selbst konturlosen Archiv der Totalität des Vergangenen (der Historie) lokalisiert. Einsetzung des Werks als Zeichen oder Dispositiv von Zeichenelementen in die symbolische Ordnung des überlieferten „menschlichen Sinns“: die Untersuchung seiner Aussdrucksstruktur oder Intentionalität. Reflexion schließlich auf den akuten wahrnehmenden Bezug zum Werk und die Auslegung der erkenntnis- und subjektivitätstheoretischen Implikationen seiner formalen Strukturen. So gliedert sich das Forschungsfeld der Kunstgeschichte gemäß ihren institutionell und methodisch etablierten Disziplinen. Sprechen diese Disziplinen aber tatsächlich vom Werk? Wird es nicht eher aufgespalten in drei wissenschaftliche Objekte, die jeweils dort kristallisieren, wo das Werkgeschehen im Horizont der jeweiligen Technik der Vergegenständlichung stillgelegt wird? Erwin Panofsky hat in seinen frühen methodologischen Texten zwar ein integratives Modell der Zusammenarbeit der drei Disziplinen vorgeschlagen: Die Quellenkritik lokalisiert den Träger im Archiv der Vergangenheit. Die Kunsttheorie gibt die Grundbegriffe an, in denen die Struktur des Bildmediums – das sich in der je gegenwärtigen Fläche des Bildes konstituiert – beschrieben werden kann. Die Ikonologie steigt durch das so in seiner Verzerrungstendenz erfasste und dadurch auf den Sinn transparent gewordene Medium hindurch in die Dimension der Bedeutung, der Ausdrucksintention (des „Kunstwollens“). Und da diese dem allgemeinen geistesgeschichtlichen Raum angehört, dessen Chronologie rückgeschlossen werden kann an die der Historie materieller Spuren, in dem das Dokument (der Sinnträger) datiert wird, schließt sich der Kreis. So greifen die Disziplinen ineinander und ergänzen sich.112 Das ideelle Bildmedium ist dabei das Element der Vermittlung zwischen 112 Ich beziehe mich bes. auf „Der Begriff des Kunstwollens“ [1924], „Über das Verhältnis der

Kunstgeschichte zur Kunsttheorie“ [1925] und „Zum Problem der Beschreibung und Inhaltsdeutung von Werken der bildenden Kunst“ [1932] (alle in: E. Panofsky, Aufsätze zu Grundfragen der Kunstwissenschaft, Berlin 1992). Noch glatter läuft die Zusammenarbeit der Disziplinen in „Kunstgeschichte als geisteswissenschaftliche Disziplin“ [1940] (in: ders. , Sinn und Deutung in der Bildenden Kunst, Köln 1978).

Der Werkbegriff und das Objekt der Kunstgeschichte

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der ästhetisch erfahrenen (akuten) Gegenwart der Bildfläche (des Zeichenkörpers) und dem Alter des materiellen Bildträgers ebenso wie der historischen Distanz des referentiellen Raums.113 So elegant und auch kraftvoll diese Zusammenarbeit der Disziplinen aber erscheint, sie rekonstituiert dennoch nicht die ontologische Einheit und den Seinssinn des Werks, sondern organisiert seine wissenschaftliche Vergegenständlichung. Denn noch immer meinen die Disziplinen das Werk in ganz unterschiedlicher Weise und aus unterschiedlichen Richtungen: als Dokument, als Bedeutungsträger und als Phänomen. Und die Getrenntheit der Sichtweisen, die in fixem Winkel zueinander stehen, ist beunruhigend genug, um weiter nach dem Ort zu fragen, in dem sie sich kreuzen sollten, nach der Einheit und dem Seinssinn ihres Gegenstands, des Werks. Panofsky selbst lässt diese Unruhe spüren, wenn er von dem „Fluch und Segen der Kunstwissenschaft“ 114 spricht, es mit Objekten zu tun zu haben, die als historische betrachtet werden müssen, die aber zugleich einen Geltungsanspruch fomulieren, der ihre Historizität transzendiert. Der eigentliche Anstoß des Minimalismus, die Frage nach der Seinsweise des Werks in ihrer ontologischen Grundsätzlichkeit zu stellen, liegt aber darin, dass die Verweisungsstrukturen, an denen die Kunstgeschichte sich gewöhnlich orientiert – die Bildfunktion und die von ihr getragenen Anschlussmöglichkeiten des Werks an die Welt –, im Wesentlichen weggefallen sind. Die Bildgegenwart und der Träger sind im Minimalismus miteinander verklebt. Es gibt nicht das Spiel eines von der Materialität des Objekts gelösten Scheins, in dem sich die freie Anbindung des Werks an seinen geschichtlichen Raum herstellen ließe. Die Sichtbarkeit ist aus dem Bild gestiegen, sie umfängt das Objekt hier und jetzt. Und dies macht die Frage nach der Struktur des Alterns oder Werdens des Werks und nach dem Ort der Sinnkonstitution dringlich. Im Bild der Tradition ist diese zeitliche Extension des Alters in der Struktur der Repräsentation innerlich verdoppelt. Das Bild reicht im Element des Scheins vergegenwärtigend in die Dimension seiner Vergangenheit zurück. Es ist diese Dimension, die der Ikonologe durchquert, um in der Schicht der Figuration den lesbaren Sinn des Werks aufzufinden – während die Quellenkritik von außen, in einem seitlichen Blick, den Kontur des Werdens desselben Werks, aber als des opaken Trägers, im Archiv der Überlieferung nachzeichnet. Im Minimalismus ist die Spannung zwischen diesem Innen- und diesem Außenraum kollabiert. Es sind keine zwei Schichten da, in die sich die Objektivierung teilen könnte. Das ganze 113 Mit eher terminologischen als sachlichen Verschiebungen gilt die Analyse auch für plastische Bil-

der, deren Oberfläche der Oberflächenfaltung ihres Gegenstands angepasst ist. Auch diese lokale Kongruenz löscht nicht den Spielraum der medialen Differenz. Auch ein plastisches Bild ist von der Spaltung des nur gezeigten Referenten und des gegenwärtigen Trägers des Zeigens affiziert. Wir orientieren uns weiter am Modell der (repräsentationalen) Malerei, weil diese Spaltung dort in exemplarischer Weise räumlich artikuliert ist, als Abstand zwischen der Bildebene oder Malfläche und dem figurativ ausgekleideten Bildraum, welchen Abstand der non-reelle Schein oder die Bildtiefe durchmisst: die Leere des ens imaginarium, die ins Bild eingelassen ist. Diese Leere, dieses Nichts ist das Element auch des zeitlichen Vermittlungsgeschehens, das die disziplinär restringierte Kunstgeschichte nicht zu thematisieren vermag, auch wenn sie von ihm „lebt“. 114 Panofsky, „Der Begriff des Kunstwollens“, in: ders. , Aufsätze zu Grundfragen der Kunstwissenschaft, 29.

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Die Zeit des Bildes und die Zeit der Spur

Objekt hat die Materialität des Rands zwischen dem Werden und der präsentischen Form angenommen. Es ist dieser Rand, der in die präsentische Sichtbarkeit einerseits eingeht und in die Zeittiefe der Spur andererseits zurückreicht. Es ist dieser Rand, der das Objekt der ästhetischen Kontemplation konstituiert, das Judd in ihm sehen will, und der andererseits der Gegenstand einer archivarischen Forschung wäre, die die „Kratzer“ auf seiner Oberfläche datiert. Das minimalistische Objekt zwingt dazu – und das macht die epochale Stellung der Minimal Art aus –, die Kontiguität dieser zwei Dimensionen zu denken, die im Werk der Überlieferung vom zeit-räumlichen Hiatus der Repräsentation getrennt gehalten sind. Im Bild scheint ein Kanal gegeben, der seine Gegenwart als visuelles Objekt durch die vergangene Zeit hindurch, die das Mass seines Alters ist, auf den Ursprung seines Sinns in der Ausdrucksintention eines Autors durchlässig macht. Dies ist das meistens implizite Modell einer historischen Hermeneutik, die den Sinn an den Horizont einer Intention bindet – und daher die Wiedererweckung seiner gewesenen Selbstgegenwart als die eigentliche Aufgabe der Auslegung begreift.115 Ich will dagegen zeigen, dass sich der Sinn von Anfang an und die ganze Zeit der Existenz des Werks hindurch an dessen Rand bildet,116 in der Zone zwischen seinem inneren und äußeren Rand, zwischen dem Schein, der der historischen Zeit entzogen ist, da er nicht ist, und der Materialität, die altert und den fraktalen Umriss des Werdens des Werks im Sediment der Vergangenheit einschreibt. Das Werk besteht nur aus diesem doppelten Rand, nur dort geschieht es, in dieser Zone seiner Krise – auch in der Kunst der Tradition. Die Kommunikation durch die Zeit hindurch, von Bewusstseinsaktualität zu Bewusstseinsaktualität, ist nur die Innenseite dieses Geschehens, die archivarische Forschung berührt nur ihre Außenseite. Die Maschinerie der kunstwissenschaftlichen Disziplinen insgesamt übersetzt des Werkgeschehens in die Produktion von wissenschaftlichen Aussagen, die seine objektivierbaren Aspekte betreffen. Sie ist nicht in der Lage, einen Begriff dieses Geschehens selbst zu geben.

115 So Gadamer, der nach der ganzen Arbeit, die er in Wahrheit und Methode der Distanzierung von

Hegel gewidmet hat, z. B. in „Ästhetik und Hermeneutik“ (1964) unvermittelt sagt: „Ist sie [die Kunst] doch unter allem, was uns in Natur und Geschichte begegnet, dasjenige, was am unmittelbarsten zu uns spricht und eine rätselhafte, unser ganzes Wesen ergreifende Vertrautheit atmet – als ob da überhaupt kein Abstand wäre und alle Begegnung mit einem Werke der Kunst eine Begegnung mit uns selbst bedeutete. Man darf sich dafür auf Hegel berufen. Er hat die Kunst zu den Gestalten des absoluten Geistes gerechnet, d. h. , er sah in ihr eine Form der Selbsterkenntnis des Geistes, in der nichts Fremdes und Uneinlösbares, keine Kontingenz des Wirklichen, keine Unverständlichkeit des nur Gegebenen auf tritt“ (GW 8, 1). Mir geht es darum, die konstitutive Anwesenheit solcher Kontingenz und Unverständlichkeit des „nur Gegebenen“ im Kunstwerk sichtbar zu machen: das Werk nicht als organisch geschlossene Sinngestalt, sondern als Geschehen im Verhältnis zur Faktizität dessen, „was bloß ist“ (wie Adorno sagt). Ein Prozess, der als solcher an der Faktizität, an der Nicht-Kunst und dem Nicht-Sinn partizipiert. 116 Die ganze Zeit hindurch, sagt Foucault, „während ihres ganzen Schlummers … in der Dichte der Zeit“ persistiert die „Aussage“ (Foucault, Archäologie des Wissens, 179). Hier ist die Grenze einer Phänomenologie berührt, die die Zeit von der lebendigen Gegenwart aus denkt (s. o. zum Begriff des Archivs, Kap. I, Anm. 8).

Der Werkbegriff und das Objekt der Kunstgeschichte

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Gerade durch ihre Kontraktion zum verweisungsfreien, in voller Präsenz gegebenen Objekt machen die minimalistischen Arbeiten klar, dass die Seinsweise des Werks nicht als das Vorhandensein eines Trägers bestimmt werden kann, der eine Bedeutung zusätzlich „hat“.117 Es wäre aus dieser Perspektive eben nichts als der sinn-lose Träger gegeben. Was als signifikative Strukturen in der Tradition methodisch eher ausgebeutet als auf seine Funktion befragt wurde, fehlt hier, und nach dem Sinn des Werks muss deshalb so offen als nach seinem Weltverhältnis gefragt werden. Eingetaucht in seine zeichenlose, physische Gegenwart zwingt das minimalistische Objekt, das Weltverhältnis des Werks und seine Artikulation von den elementaren Parametern von Raum, Zeit, Material und Sichtbarkeit aus zu denken. Es zwingt dazu, die Frage nach der Seinsweise des Werks als ontologisch-formale Frage ohne den Halt an etablierten Verweisungsstrukturen, durch die ein Kunstwerk vom bloß vorhandenen Objekt unterschieden wäre, zu formulieren. Das Kunstwerk ist nicht deshalb kein Objekt, weil es ein Zeichen wäre, es ist ontologisch durch seine Entwurfsstruktur ausgezeichnet. Es ist dadurch ausgezeichnet, dass es sein Weltverhältnis, das sich im Minimalismus in seiner konturlosen Unbestimmtheit – in der Unmittelbarkeit seiner räumlich-präsenten Relationen einerseits, im Staub des Archivs andererseits – zu verlieren scheint, einrichtet oder reguliert, in einem Akt, der die Selektion und Abweisung ebenso wie die gezielte Aufstellung von Referenzlinien und Reflexionsebenen impliziert. Durch dieses Einrichten seines Weltverhältnisses, das seine gleichursprünglich formale wie signifikative Leistung ist, ist es nicht nur in der Welt, sondern zur Welt. Es ist nicht das innerweltliche Ding, das als residualer Träger im Kreuzungspunkt der genannten methodischen Disziplinen steht, die es spalten. Es ist als Werk das Geschehen dieser Einrichtung oder dieses Entwurfs. Wir nennen dieses selektive und artikulierende Einrichten seines Weltverhältnisses seine Selbstexplikation oder seine Ausdrucksbewegung. Diese ist Moment der Seinsweise des Werks, seiner Geschehnisstruktur. Die spezifischen Modi von Referenzbildung (die bildliche Ähnlichkeit, die symbolisch-konventionelle Verweisung, die kausale Beziehung der Spur und das ganze Spektrum semiotischer Strukturen) sind dieser Bewegung gegenüber ebenso sekundär, wie die von Referenzverweigerung (die Kontraktion des Bildscheins, die Vermeidung der symbolischen Einschreibung, die Verwischung der Spur). Referenzbildung und Referenzverweigerung sind mögliche Momente der Selbstexplikation des Werks. Diese koordiniert die Grundachsen, nach denen sein Weltverhältnis sich bestimmt: das Gerüst und die Ausrichtung der Projektionsflächen, nicht die Formen und Gehalte der projizierten Bilder.

117 So ist für Panofsky das Kunstwerk ein Ding, das „Intention“ – er setzt das Wort selbst in An-

führungsstriche („was die Gelehrten ‚Intention‘ nennen“) – „hat“, so wie – die Trivialität des Beispiels ist entlarvend – die rote Ampel die „Intention hat“, mich zum Bremsen zu bringen (ders. , Sinn und Deutung, 17).

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Die Zeit des Bildes und die Zeit der Spur

Die Geburt des specific object und die Seinsweise des Werks. – Es ist klar, dass Judds Präsenzbegriff auf die Frage nach diesem Geschehen der Selbstartikulation oder nach der Seinsweise des Werks eine einseitige, eine abschneidende Antwort gibt. Das Werk ist aistheton, unmittelbares Dies da, voll gegenwärtiges Objekt. Es soll vor allem nichts anderes sein als es selbst. Der emphatische Präsenzbegriff Judds formuliert dieses Ziel vor dem Hintergrund der Abstraktion in der Malerei. Die Identität des Monochroms ist der Pol, den die Genese des specific object durchlaufen muss. Die Selbsteinholung des Bilds aus dem Entzug der Repräsentation muss durch den Punkt der Tautologie, des „what you see is what you see“, hindurch. Die Tautologie trennt das Objekt aus der Matrix der Bildlichkeit und der Ausschlag auf Judds Skala der Intensität ist der Effekt dieses Losschnitts. Das so präsente Objekt ist in seiner ganzen Dichte, seiner sinnlichen Schönheit, seiner Undurchdringlichkeit unmittelbar da. Mit dieser Freisetzung tritt das Werk als mundanes Objekt in das seitliche, temporale und passive Weltverhältnis ein, das in Reinform das unassisted Ready-made Duchamps formalisiert hat. Die Aussetzung des areferentiellen Objekts in den real space, diese Entäußerung versetzt seine Präsenz in das literale Vorhandensein von Augenblick zu Augenblick. Der Durchgang durch die Tautologie ist zugleich der Moment der Passage von dem intrinsischen, autonomen oder spontanen Weltbezug des Bildes zu diesem Ausgeliefertsein des Werks, seines Stillstands, an die historische Zeit, in der sein Sinn sich als Spur und Sediment von Reflexen auf seiner opaken Oberfläche konstituiert und konstituieren wird. Das Judd’sche specific object ist zugleich und notwendig beides: Referent und Träger von Spuren, die es in der Zeit transformieren, die seinen Sinn und seine Erscheinung beugen – und präsenter Gegenstand einer ästhetischen Erfahrung, die diese temporale Distention, das Alter des Werkobjekts scheinbar nicht aufnehmen kann in ihr auf die lebendige Anschauung zentriertes Verstehen. Judds Präsenzbegriff thematisiert nur den vertikalen Ausschlag auf der Skala der Intensität, in dem der Losschnitt des Objekts aus dem Entzug der bildlichen Repräsentation resultiert. Den Eintritt in die mundane Zeit seiner Existenz und sein Ausgesetztsein an die Kontingenz der Bezüge zur Welt blendet er ab. Judd verfolgt nur, wie der innere Rand des Bildscheins sich zurückzieht aus dem Raum der Repräsentation und mit der Oberfläche des Objekts verschmilzt. Die parallele Bewegung der Außenseite des Bildrands, des Rands des Trägers im Archiv der historischen Zeit, verfolgt er nicht. Er entwickelt seinen Präsenzbegriff und sein Werkkonzept noch mit Blick auf die Teleologie der abstrakten Malerei, die im Monochrom mündet. Aber er entwickelt sie nicht mehr im epistemologischen Rahmen des Bildes. Das specific object hat keinen Rahmen, es lässt keinen Platz für einen Rahmen, jenes Parergon, das die Kluft zwischen dem inneren und dem äußeren Rand einer Darstellung überdeckt.118 Für Judd ist das Monochrom schon im Ansatz ein materieller Ort, 118 Die Abschaffung des Bilderrahmens begleitet die Moderne mindestens seit Mondrian, mit

verschiedenen Vorläufern im 19. Jahrhundert. Sie ist homolog zur Repräsentationskritik in der Malerei. Dass Judd Stellas Bilder von der Seite ansehen kann, als Scheiben, gewinnt seine Signifi-

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eine Scheibe, ein Körper im Raum, im Raum der Galerie, im Feld der historischen Konkurrenz von Neo-Dada und modernistischer Abstraktion, die sein Frühwerk prägt. Judd betrachtet Malerei, den materiellen Geburtsort des specific object, im Licht des Ready-made. Dieses Licht steht quer zu seiner Blickachse, und er thematisiert es nicht. Es ist Seitenlicht, und er sieht es nicht als die Ursache seines Sehens. Aber es macht erst verständlich, was und wie er sieht. Dieses Licht ist die Zeit, in der die Werkpräsenz sich gibt. Die Begegnung und manchmal explizite, oft eher latente Verflechtung der Paradigmen von Ready-made und Monochrom werden wir später mit Blick auf Arbeiten von Rauschenberg und Johns, von Reinhardt, Warhol und Stella genauer betrachten (II. C). Die Polarität und Annäherung dieser beiden radikalen Strategien der modernen Repräsentationskritik bestimmt die Topologie der Kunstszene, in der die Minimal Art entsteht. Vor dem Hintergrund dieser Konstellation wird sich zeigen, wie unlösbar Judds Begriff und Ziel der vermittlungslosen Werkpräsenz gerade in der Abwehr aller Strukturen von Referentialität mit der Frage nach dem Weltverhältnis des Werks verschränkt ist. Die Pole, die den ontologischen Komparativ aufspannen – die Intensität der grellroten Objekte Judds und die indifferente Existenz von Morris’ Blank Form sculptures –, verweisen auf die komplementären Modelle des Weltbezugs des Werks, die sich an den Paradigmen von Monochrom und Ready-made formalisieren lassen: den aktiven, intentional kontrollierten Weltbezug des Bildes, das seinen Referenten zeigt, und den passiven, kausal vermittelten der Spur, die die gewesene Existenz ihres Referenten bezeugt. In der Kunst der amerikanischen Nachkriegszeit, nach einem gewissen Abschluss der bildimmanent ausgetragenen Abstraktion in der Malerei Pollocks und Newmans, ist die Interferenz dieser komplementären Dimensionen besonders virulent: sie bilden im Neo-Dada ein offenes Geflecht, eine Art zweistimmigen Text wie in Jasper Johns’ Flaggen- und Zielscheibenbildern, während die Minimal Art und speziell Judds Werk vom Versuch ihrer Verwindung zum Strang der tautologischen Werkpräsenz lebt. Um diese Tautologie zum Sprechen zu bringen, um diesen Strang aufzulösen, müssen seine Elemente in ihrer formalen Struktur und ihrer Differenz herausgearbeitet werden. Ich unternehme das im Folgenden mit Blick auf das Verhältnis von Schein und Spur oder Abdruck in der Malerei und in der Methodik der Kunstgeschichte. Die anschließende, speziell auf Duchamp gerichtete Ausarbeitung der Zeitlichkeit des Ready-made und des Bezugs der Ready-mades zu Duchamps Hauptwerk, dem Großen Glas (II. B), wird eine temporal-ontologische Präzisierung der Begriffe, die hier im Spiel sind, erbringen und ihre Komplementarität anschaulich machen. Die Verschränkung dieser Dimensionen ist allgemein und irreduzibel. Es sind die Achsen der Synchronie des Bildes, das im Medium einer konstituierten Präsenz den Schein einer Welt einrichten kann oder sich zusammenziehen zum einfach-evidenten, sinnlich-gegenwärtigen Phänomen – und die Diachronie kanz auch im Kontext der Geschichte und Funktion dieses Parergons. (Siehe dazu für die frühe Moderne den Katalog In Perfect Harmony, Amsterdam/Wien 1995, dort bes. die Beiträge von W. Kemp und Chr. Traber.)

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oder die Existenz und das Altern des materiellen Objekts in der mundanen Zeit. Es sind die Pole von Anblick und Spur. Im Werk selbst schneiden einander die Präsenzebene und die Linie der historischen Zeit.

Zur Epistemologie des abstrakten Bildes. – Das Verhältnis von Leinwand und Farbe zum ikonischen Bildschein, den sie generieren, ist eine der Weisen der Artikulation des Sinns, durch die das Werk seine bloße Dinglichkeit überschreitet – sich expliziert oder ausdrückt. Im homogenen Nebeneinander des Dinglichen richtet sich die Öffnung des Scheins ein, stellt sich spontan das Weltverhältnis des Bildes her. Wenn wir von dem für die europäische Neuzeit grundlegenden Bildmodell, dem rational-perspektivischen Bild ausgehen, dann ist diese Öffnung keine Zeichenfunktion, die sich aus der Beziehung zwischen innerbildlichen Piktogrammen (Figuren) zu mundanen Referenzobjekten nährt, sondern eine rein räumlich bestimmte Struktur. Die Sprache des Bildes ist keine Signaletik oder Hieroglyphenschrift, für die der extensive Grund nur die Ermöglichung des Nebeneinander, der Diskretion der Zeichen oder Figuren wäre. Über die Figuren weggreifend ist im perspektivischen Bild der Schein zuvor die Öffnung eines einheitlichen Raums für die Figuren, die jeweils Teile dieses Raums sind. Der Schein ist die mit dem und durch das Bild eingerichtete Möglichkeit des Erscheinens von Körpern, von anderem Seienden. Er gründet nicht in der Ähnlichkeit, die eine Figur an einen mundanen Referenten knüpft, er ist ihre Möglichkeitsbedingung. Der Schein ist, anders gesagt, kein Effekt der Augentäuschung.119 Der Perspektive genügen ein paar Linien, um die Leere eines unendlichen Raums auszuhöhlen. Passiv-rezeptiv, vom unschuldigen Blick, wenn es ihn gäbe, und wenn der Blick nicht wesenhaft beutegierig wäre, würde immer nur die opake Dinggegenwart einer Bildoberfläche wahrgenommen. Der Schein ist die Funktion und das Produkt der transzendentalen Spontaneität, die diese opake Gegenwart auf bricht und die Leere setzt, das Nichts der Sichtbarkeit, in der erst die Figuren dem Ähnlichkeitsbezug auf bildtranszendente Referenten unterstellt sind – mit denen sie verwechselt werden mögen oder nicht.120 Der Schein selbst steht quer zu referentiellen Bezügen. Er ist als die Öffnung der Dinggegenwart des Bildes unabhängig von der Zeugnisfunktion und Treue oder dem fiktiven Charakter einer Darstellung, unabhängig von figurativer 119 Siehe Claudia Blümle / Anne von der Heiden, „Einleitung“, in: dies. (Hg.), Blickzähmung und

Augentäuschung. Zu Jacques Lacans Bildtheorie, Zürich/Berlin 2005, 7–42.

120 „Das Bild rivalisiert nicht mit dem Schein, es rivalisiert mit dem, was Platon jenseits des Scheins

uns als Idee vorstellt. Weil das Bild jener Schein ist, der behauptet, er sei das, was den Schein gibt, steht Platon auf gegen die Malerei als eine Aktivität, die mit der seinen rivalisiert.“ (Lacan, Das Seminar XI, 119) So liest Lacan die Platonische Ikonophobie gegen den Strich. Nicht den doppelten Abstand des Abbilds von der Idee, sondern die Struktur dieses komplexen Seienden, des Bildes, das den Schein in seiner Struktur erfasst und – „eine einfache Verschiebung unseres Blicks“ (ebd.) genügt – als Schein zu erkennen gibt, nicht die Defizienz des Abbilds also, sondern die Rivalität der Malerei mit der Dialektik interpretiert Lacan als den Anlass der platonischen Kritik der künstlerischen Mimesis. Das Bild täuscht nicht, es zeigt, dass die Konsistenz der Täuschung von

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Ähnlichkeit oder Unähnlichkeit. Er ist das Produkt einer transzendentalen Fiktion, der Setzung jenes Nichts der Idealität, des ens imaginarium des leeren Raums, das im Bild nicht vorhanden ist, aber zur positiven Struktur dessen gehört, was ein Bild ist, was historisch lange Zeit ein Bild war. Das elementare methodische Problem, vor das die Abstraktion die Kunstwissenschaft stellt und das im Minimalismus seine Zuspitzung erfährt, ist die Blockade, die Kontraktion dieser Distanz des repräsentationalen Raums. Alle ikonografische und ikonologische Deutung (im engeren methodischen Sinn) setzt die Einrichtung dieses Scheins, sie setzt identifizierbare, in einer gewissen Konsistenz gesicherte „Gegenstände“ als Basiselemente des Bildsinns voraus (die „Tatsachenbedeutung“, das „primäre“ oder „natürliche Sujet“ in Panofskys Schichtenmodell.121 ) Die Grunddimension des Bildes der Tradition („bis Courbet“, um die geläufigste Datierung des Bruchs mit dem perspektivischen Bildsystem zu nennen) war die einer Repräsentation, die mit dem Raum der Dinge strukturell homolog blieb oder so gedacht wurde. Der Hiatus der Wiederholung in der Struktur der Repräsentation blieb scheinbar unbestimmt, und ihn aufzufangen und die Lücke zu schließen, war gerade die spezifische Leistung der Perspektive, deren rationale Gesetzlichkeit nicht nur im Bild Geltung beansprucht, sondern eine totalisierende Beziehung zur Welt herstellt, in der die Bildebene selbst nur eine exemplarische Schnittstelle ist. Das neuzeitliche perspektivische Bild enthüllt nicht nur – als Fenster – das jeweils gegebene Sichtbare, den Ausschnitt, den es zu sehen gibt. Es entwirft struktural kontrolliert – als Spiegel oder Halbspiegel – für das Sehen eines formalisierten Subjekts (des cogito122 ) ein Regulativ, das die Beziehungen von Raum, Körper, Licht und Maß für die sichtbare Welt im Ganzen betrifft. Dieser geometrische Entwurf konstituiert den geteilten Seinssinn der repräsentierten Bildwelt und der das Bild umgebenden Dingwelt. Das Nichts der idealen Bildebene ist das Scharnier, das die ontologische Homologie dieser Realitäten herstellt – und das der Ikonologie von einem „natürlichen Bildsinn“ zu sprechen erlaubt, wobei sie die Unnatürlichkeit des Bildes selbst, die Technizität der Öffnung des perspektischen Scheins jeweils durch-sieht. Bereits mit der impressionistischen Epoché und dem Einzug der perspektivischen Hypothese durch Cézanne ist diese Homologie des bildlichen Referenzraums mit dem Raum mundaner Bedeutungen – der Dinge, die im Bild in derselben Sprache gemeint sind, dieselbe ontologische Konsistenz besitzen wie in der vom rational-perunserer „Fesselung“ in der Höhle, in der „Katakombe der Keilperspektive“ (K. Malewitsch, Über die Neuen Systeme in der Kunst [1919], Zürich 1988, 23) abhängt. Das Paradigma dieser Fesselung ist für Lacan die Fixierung des Subjekts im Augenpunkt der perspektivischen Konstruktion. 121 Erwin Panofsky, „Ikonographie und Ikonologie“ (in: ders. , Sinn und Deutung… , 36–68, 50); in „Zum Problem der Beschreibung und Inhaltsdeutung von Werken bildender Kunst“ [1932] nennt P. diese Schicht noch „Phänomensinn“ (in: Aufsätze zu Grundfragen der Kunstwissenschaft, 95). 122 Ein vorcartesisches cogito? Die präformierende Funktion des rational-perspektivischen Bildes und der Optik der Renaissance für die neuzeitliche Bewusstseinsphilosophie steht sicherlich außer Frage (dazu neuerlich L. Schmeiser, Die Erfindung der Zentralperspektive, München 2002, mit expliziten Referenzen auf Descartes; grundsätzlicher H. Damisch, The Origin of Perspective, Cambridge/London 1995).

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spektivischen Bildentwurf („seitlich“) miterschlossenen Welt – an der Wurzel zerstört. Die neue Bildautonomie zeigt sich zunächst darin, dass der Bildschein selbst zum Block wird. Und die gewöhnliche Grammatik, die Zeitstrukturen, die sie impliziert, erlaubt dem Sprechenden, dem vom Sinn des Bildes sprechenden Ikonologen nicht mehr, in das Bild einzudringen und das Gemalte in dieselbe weltliche Syntax zu binden, wie die Dingwelt, die es zeigt. Es ist zunächst das Bildding, an das die Sprache stößt. (Es ist dieser Anstoß, der Rilke von der Unaufessbarkeit von Cézannes Äpfeln sprechen ließ.) Jede Wiedereinholung auch einer noch so leicht identifizierbaren referentiellen Sinnschicht des Bildes muss sich methodisch im Durchgang durch diesen Block, der das Monument123 eines erinnerungslosen Sehens ist, vollständig transformieren. Alle Signifikationsstrukturen des Werks müssen, wie der Bildschein selbst in seiner Konstitution, der réalisation, durch diese Epoché in einer Wahrnehmung hindurch, die vergessen hat, was und wozu die Dinge sind. Die natürliche Welt insgesamt ist hier, mit Husserls Wort, „eingeklammert“ und ihre Neukonstitution impliziert eine ontologische Transformation der kategorialen Grammatik der Wirklichkeit, von der wir reden. Damit ist das Schema der Ikonologie, der das Bildmedium als das Element des Rückstiegs von der Gegenwart dieses Dings, das das Bild in seiner Positivität ist, in die Dimension seines ursprünglichen Sinns dient, zusammengebrochen. Was ich die Epistemologie des abstrakten Bildes nenne, beginnt mit diesem Zusammenbruch. Solange aber das Bild noch Bild ist, solange es noch die Bezugsstruktur aufweist zu etwas, das es nicht ist, das es zur Erscheinung bringt, solange wird es gelesen werden können als Modell oder Prisma eines Weltbezugs überhaupt, und solange sind auch die Modi seiner Widerständigkeit, der Verschleierung einer illusionistischen Transparenz – die Wege, die die kubistische Interpretation Cézannes und die post-kubistische Abstraktion nehmen – in ihrer Rückstrahlung auf das Subjekt der Wahrnehmung relevant: die Verschließung des Bildes bleibt Moment seiner Wahrheitsfunktion. Wie die Perspektive als „symbolische Form“ dem Weltverhältnis des rational, aus ersten Gründen erkennenden Subjekts entspräche, so findet die Epistemologie des impressionistischen und post-impressionistischen Bildes, das vom Fluchtpunkt der Perspektive, der Spiegelung des transzendentalen Ego abgeschnitten ist und den rationalen Linienwurf in der Textur der diskreten, gegenstandsneutralen Pinselstriche zerreibt, in dieser halbopaken Textur noch ein Modell der Wahrnehmung – und einer wahren Wahrnehmung –, das Modell eines verendlich123 Monument in dem Sinn, den Deleuze/Guattari dem Ausdruck geben: „hier ist das Monument

nicht etwas, das eine Vergangenheit ins Gedächtnis zurückruft, es ist ein Block gegenwärtiger Empfindungen, die ihre Bewahrung nur sich selbst verdanken […]. Zum Perzept oder Affekt dringt man nur vor als zu autonomen und sich selbst genügenden Wesen, die denjenigen, die sie empfinden oder empfunden haben, nichts mehr schulden: Combray, wie es niemals erlebt wurde, wie es nicht ist und nicht sein wird, Combray als Kathedrale oder Monument.“ (Was ist Philosophie, Frankfurt a. M. 2000, 197) Die Dauer des Monuments ist auf die temporale Anarchie der Intensität bezogen, die den Zeithorizont des Bewusstseins unterläuft. Es ist nicht am Faden der konstituierten Zeit mit erinnerbaren Ereignissen verknüpft. Das so gedachte Monument ist keine Repräsentation.

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ten, verzeitlichten, verleiblichten Bezugs zu einer präobjektiven oder, mit MerleauPontys auf Cézanne geprägtem Wort, einer „unmenschlichen“ Wirklichkeit. Dieses Modell der Bildlektüre ist nicht mehr ikonologisch, es greift nicht durch die Transparenz des Scheins und die Gegebenheit eines natürlichen Bildsinns (die Schicht des figurativen Noema des Bildes124 ) hindurch auf eine ihm eingeschriebene historischkulturelle, religiöse oder geistesgeschichtliche Bedeutung. Aber es begreift das Bild noch als Ausblick auf eine „Welt“ – als eine erste Musterung, eine primitive und noch bebende Schematisierung ihres „rohen Seins“. An die Stelle der natura naturata stillgelegter und konturierter Objekte tritt eine natura naturans, die noch vom Wirbel der Genese der Objektivität in der vielschichtigen und temporal gedachten Wahrnehmung des Subjekts gezeichnet ist. Die Verschleierung des transparenten perspektivischen Bildraums begreift sich selbst und wird methodisch begriffen als Indiz nicht einer Abwendung von der Wirklichkeit, sondern einer ursprünglicheren Frage nach dem Verhältnis des Subjekts zu ihr. Durch diese reflexive Wendung hält sich die Frage nach der ontoepistemologischen Relevanz der abstrahierenden Malerei aufrecht – und hält sich lange aufrecht. Bei aller Verschiebung der Problemstellung, die mit der radikalen Abstraktion einhergeht, bleibt das Bild Weltbild und epistemologisches Modell noch dort, wo es jede partikulare oder figurative Referenz in sich aufgelöst hat, auch nach dem Abbau aller partikularen Formen und Ähnlichkeiten, auf dem Weg zur Monochromie. Wir können dafür die Malerei Ad Reinhardts als Modellfall betrachten. Sie ist von sich her mit solcher Ausdrücklichkeit modellhaft, dass die Auslegung den Rekurs auf den Wahrnehmungsvollzug für einmal ausklammern kann, um zur diskursiven Reflexion der Technik der Abstraktion zu werden, die Reinhardts Malerei systematisch durchführt und die seine Texte deklamatorisch begleiten. Reinhardts Malerei ist Konzeptkunst über die Wahrnehmung, die Konstruktion eines kognitiven Modells, in dem die Wahrnehmung bereits im Ansatz gelöst wäre aus ihrer Einsenkung in den limitierten Aspekt der Gegenstandswelt, der im Kubismus und bei Mondrian noch durchgearbeitet und destruiert wird. Reinhardts Black Paintings reflektieren ein fensterloses monadisches Subjekt. Der tiefe und totale Raum des RenaissanceBilds, in dem sich die Dinge in vollem Licht in ihren differenten Qualitäten und Formen zukehren konnten, diese Totalität des Bildes ist zu dem kaum vernehmbaren Parfum der Elementarfarben reduziert, deren Mischungen das fast monochrome 124 Das Husserlsche Noema ist nicht der Gegenstand selbst (der Referent, wie er in der Welt ist),

sondern dessen Erscheinen im und für das Bewusstsein. Auf die Malerei bezogen, ist das Noema das im Element des Bildscheins Erscheinende als solches. Der Apfel, der nicht essbar, der Baum, der nicht brennbar ist usw. Also auch nicht die signifikante Form und Materie (der rötliche Kreis, das in Öl gebundene Pigment), sondern eben der Apfel, der Baum, als im Bild erscheinende. Das Noema ist weder transzendenter Gegenstand noch reell-immanter Teil des Bildes / des Bewusstseins. Es projiziert sich aus einem problematischen Außen auf deren autonom konstituierte (noetische) Struktur. (Siehe v. a. E. Husserl, Ideen zu einer Reinen Phänomenologie und Phänomenologischen Philosophie, Erstes Buch, hg. v. Karl Schumann, Den Haag 1976, bes. Kap. 3 u. 4; zur Regionslosigkeit des Noema, J. Derrida, „Struktur und Genesis…“, in: Die Schrift und die Differenz, Frankfurt a. M. 61994).

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Schwarz auf bauen. Es sind die kleinen, die kleinsten Perzeptionen der Monade, die in diesem „kaum“ die Innenseite der Bildidentität streifen.125 Das Bild ist solipsistisch, aber es bleibt totaler Repräsentant der Welt – ein virtuelles ens realissimum. Durch das Dispositiv der Malerei und des neuzeitlichen Bildes als Analogon eines Bewusstseinsraums hindurch repräsentiert diese immanente Differenzierung die Welt im Ganzen. Die Annäherung an die Grenze der Nicht-Wahrnehmbarkeit ist beides zugleich: das Bild wird sich selbst ähnlicher – die Serie konvergiert auf das eine absolute, absolut selbstidentische Bild. Aber der Horizont dieser Selbstidentität ist nicht der des materiellen Dings. Es ist das Limen der kleinsten Perzeption im fensterlosen Raum der Monade, die nichts als perzeptive Beziehung zum ihr anderen ist (und nur in diesem Sinn ist sie „fensterlos“). Dieser Horizont ist ganz außen. Die Minimierung der Farb-Oszillation im Dunkelraum von Reinhardts Malerei zeigt diese Distanz an, die der Ferne des Raumhorizonts im perspektivischen Bild entspricht.126 Im absoluten Schwarz würden Identität und Andersheit koinzidieren. Das absolute Monochrom wäre ein Werk, das eine Unendlichkeit an Vermittlungsarbeit geleistet hat. Es stellte das Paradigma unkorrumpierbarer, intrinsischer Bedeutung dar. Es hat eine Welt absorbiert oder in sich aufgehoben. Reinhardts Malerei ist unterwegs zu dieser Selbstabsolution. Daher ist das Black Painting kein Objekt in der Welt, ist es nicht „von dieser Welt“. „A museum is a treasure house and tomb, not a countinghouse or amusement center“, sagt Reinhardt, und das ist auch 1962 schon deutlich kontrafaktisch, „and any disturbances of its soundlessness, timelessness, airlessness, and lifelessness is disrespect and is, in many places, punishable“.127 Das Bild ist seinem epistemologischen Sinn nach kein Ding oder Objekt. Es ist ein unberührbares Etwas, die verdichtete Asche der Repräsentation, zu deren Bestimmung und Schutz

125 Das Rauschen der unendlich kleinen Differenz ist der Grund und Abgrund der Repräsentati-

on. Das ist eine der Leitlinien der Leibniz-Lektüren von Deleuze. Das Element der Analogien, Identitäten und Ähnlichkeiten konstitutiert sich über diesem Grund des nicht assimilierbaren Außen. Die kleinsten Perzeptionen, vorbewusste Wahrnehmungen unterhalb der Schwelle der imaginativen Synthesis und Rekognition von Formen, sind die Limesfunktionen der Repräsentation. Wie jedes Bild in seinen Horizonten ins Unendliche reicht, ist in dieser sich entziehenden Berührung die Monade in den Abgrund des non-Repräsentablen, der „Differenz an sich“, des Chaos getaucht. „An der Meeresküste oder nahe der Wassermühle hat Leibniz Dionysos nur um weniges verfehlt.“ (Deleuze, Differenz und Wiederholung, 271) 126 Der räumliche Horizont der Sicht ist nie der einzige Horizont repräsentationaler Malerei gewesen. Entsprechungen zum Limes der Perzeptibilität gibt es in vielfacher Weise: im Farb-, Licht- und Dunkelheitsraum, in Richtung auf das Größte und Kleinste, in der Annäherung an die unendliche Faltung der Natur, an die Korrosionskraft der Zeit. Die Bildsysteme der bedeutenden Maler der Tradition sind immer aus mehreren Horizonten gefügt, von denen her und auf die zu die Welt sich als Erscheinende in je anderer Weise konstituiert (oder schematisiert ist). Nicht nur in der „apriorischen“ Struktur des neuzeitlichen Bilds, der wissenschaftlichen Perspektive, auch in der materiellen Faktur der Malerei artikuliert sich eine implizite Ontologie. Eine Geschichte dieser Mikro-Ontologien der Malerei gibt es noch nicht. Einer ikonologisch geschulten Bildgeschichte ist diese Dimension auch deshalb verschlossen, weil Reproduktionen sie versiegeln. 127 Ad Reinhardt, Art-as-Art: The Selected Writings of Ad Reinhardt, ed. by B. Rose, Berkeley / Los Angeles 1991, 121 f.

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nur die Litaneien einer negativen Theologie zu taugen scheinen, die Reinhardts „Monologe“ um seine Bilder winden. Reinhardt zelebriert das Ende des Bildes als die assymptotische Annäherung an die Monochromie. Je näher deren Schwelle rückt, desto welthaltiger wird das Bild: es verlagert seinen Horizont nach außen. Frank Stellas Black Paintings markieren den nächsten Schritt nach diesem Ende, das Reinhardts Serie des sich selbst immer gleicher werdenden „letzten Bildes“ hinausschiebt. Sie markieren den Moment, in dem der Horizont, dem Reinhardt sich nähert und in dem die Selbstidentität des Bildes und seine absolute Vermittlung mit der Welt zusammenfielen, zurückspringt in die materielle Oberfläche des Gemalten – enamel paint oder aluminum paint on canvas. Gegen den Schattenraum und die matten, unsichtbaren Oberflächen von Reinhardts Malerei sind Stellas Stripe Paintings Sportgeräte, Trampolins für den Blick, für einen Blick, der so schnell sein sollte wie der von Ted Williams, dem Genie des Baseball, der die Nähte auf dem heranfliegenden Ball sehen konnte, für Stella Anfang der sechziger Jahre der „größte lebende Amerikaner“,128 oder wie der von Mickey Mantle, dessen Vorbild er am Ende des Gesprächs mit Bruce Glaser zitiert: Er haut den Ball aus dem Stadion – „and that’s enough“. Wie von diesem Schlag, meint Stella, ist das Publikum, das sich vorläufig noch lieber bei Matisse erholt, als seine Bilder anzusehen, vielleicht noch zu verblüfft – „because it’s so simple“.129 Dies ist der Schlag, der seine Energie aus dem Kollaps der Episteme des Bilds bezieht. Und es ist diese Art von Präsenz eines Bilds an der Schwelle von Bildlichkeit, eine volle und dichte, aber gewissermaßen elastische Präsenz, die Judds Präsenzbegriff präfiguriert. Die Geschichte der Bildabstraktion kann so als Destruktion des bipolaren Werkbegriffs verstanden werden, der einen Objektträger und eine sinnkonstitutive Bildstruktur unterscheidet. Die Arbeit der Verwebung von Schein und Materialität, die im Impressionismus beginnt und in der Malerei Cézannes eine methodische Klärung und Tieferlegung erfährt, ist bei Stella zu der materiellen Gegenwart eines Geräts geworden, das die epistemologische Tiefe, das Weltspiel des Bildes zum tautologischen Doppelschlag der über den Keilrahmen gespannten Leinwand strafft, deren Streifen ihre eigenen Ränder nachfahren. Wenn diese Verwebung aber so dicht ist – ist dann nicht das Bild tatsächlich und restlos mundanes Objekt geworden, das dieses Weltspiel blockiert? Ist dann eine über die Selbstreflexion der Wahrnehmung und – wenn auch nur aus der Distanz – über das Modell des Bilds als Fenster und Prisma eines 128 Nach Rosalind Krauss (The Optical Unconscious, Cambridge/London 1993, 7). Es ist Michael

Fried, der ihr Anfang der sechziger Jahre von dieser Faszination Stellas erzählt. Presentness, das will Krauss mit der Anekdote sagen, war damals für Fried noch keine Sache der „Gnade“ wie 1967 in „Art and Objecthood“, sondern der Sportlichkeit, der Fitness. 129 Glaser, „Questions“ / „Fragen“, 164/56. Kunst sollte den Betrachter erwischen wie „ein Hieb ins Gesicht mit dem Baseballschläger, oder besser, wie ein Schlag ins Genick“, sagt Bruce Nauman zwanzig Jahre später. „Man sieht den Schlag nicht kommen, er haut einen einfach um.“ (B. Nauman, Interviews 1967–87, Dresden/Basel 1996, 149.) Das ist das Erbe der pragmatistischen minimalistischen Ästhetik, einer Physik der Empfindung, und noch immer die amerikanische Version der modernistischen Unmittelbarkeit.

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Weltbezugs geführte „epistemologische“ Interpretation noch angemessen? Wir lassen diese Fragen hier offen. Ein Resultat dieser Kontraktion des Bildes in sein Material aber ist greifbar. Das Werk ist zur Objekt-Oberfläche geworden, die aus dem repräsentationalen Entzug gelöst und im Zeitspalt der ästhetischen Gewärtigung schlagartig da ist. Zugleich aber ist es das materielle Ding, ist die Oberfläche bemalte Oberfläche, ein Konglomerat von Materialien, das in die kontinuierliche Zeit seiner Produktion und materiellen Existenz eingebettet bleibt. Es ist, sofern es in keiner Weise mehr repräsentiert, dennoch nicht nur ein passiv Vorhandenes, das besonders dicht und leuchtend farbig wäre und jene physische Aura besäße, die Judd „power“ nennt. Diese Oberfläche, die keine repräsentationale Tiefe mehr generiert, ist an die Streifen oder Striemen des Pinsels gebunden, an den Raum der Produktion. Der anikonische Block, das aus dem Schein aufgetauchte Bild, ist in das Netz der temporalen Bezüge verflochten, die die andere Dimension nicht-arbiträrer, nicht-konventioneller Verweisungsstrukturen bilden – und die wir als Indexikalität der Ikonizität, die die Abstraktion destruiert, entgegenstellen. Schein und Spur sind die komplementären Momente der Seinsweise des Werks. Es sind die Achsen seines Weltbezugs, in die spezifische Referenzstrukturen allererst eingebildet oder eingeschrieben werden.

Die Spur in der Kunstgeschichte. – Die Bildfunktion ist die eine tragende Achse des Weltbezugs der Malerei und Skulptur der Tradition. Der Bildschein ist die im Element des synchronen Raums eingerichtete Möglichkeit des Erscheinens des noematischen Referenten des Werks. Dieser Schein ist ein Moment der „physischen“ (nicht der physikalischen) Realität des Bildes – in der an das Auge gewendeten Malerei wie in der tastbaren Skulptur, die nicht weniger scheinhaft ist –, keine (im Peirce’schen Sinn) „symbolische“ (arbiträre und konventionelle) Verweisungsstruktur.130 Die andere Achse ist die Indexikalität. Sie ist das im Element der mundanen Zeit wirkliche Geflecht kausaler Beziehungen, in denen das Werk hinsichtlich seiner Dinglichkeit oder als Produkt steht. Als Produkt ist es Träger von Spuren, Spuren, die eine Bildfunktion tragen können und die es zwangsläufig sind, die sie tragen, wenn das Produkt ein Bild ist, – aber nur in dem Maß, wie sie als Spur zum Verschwinden kommen. Die Spur als Spur ist wesenhaft Trübung und Störung der Bildfunktion. Ihre kausal-temporale Relation steht quer zum spontan eingerichteten ikonischen Schein. Ihre Verdrängung oder ihre Reduktion auf eine Dienstfunktion ist daher für die im weitesten Sinn idealistische neuzeitliche Ästhetik konstitutiv. Auch wenn der Spur der Hand seit der Renaissance ein Eigenwert zugeschrieben wird, bleibt die Indexikalität als zur Technik, zum materiellen Herstellungsprozess gehörig die unterdrückte Schwester des ikonischen Scheins. Sie ist scheinbar kein Strukturmoment des Sinns des Werks, ihre Verweisungsart bleibt an die opake Tatsächlichkeit des Trägermaterials gebunden. Im Element der historischen Determination grenzt sie an 130 C. S. Peirce, Phänomen und Logik der Zeichen, 64 ff.

Die Spur in der Kunstgeschichte

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die wesentliche Transparenz und Idealität des Sinns, der Intention, die sich im Medium des Scheins artikuliert, nur seitlich an. In der Kunstgeschichte und Ästhetik bleibt die Reflexion auf die Spur daher lange parergonal.131 Die Indexikalität ist zunächst das primäre Element der Arbeit der historischen Authentifizierung, der das Werk methodisch als Dokument gilt; ein nicht in jedem einzelnen Fall, aber seiner ontologischen Konsistenz nach wesentlich verlässlicheres Element als es der Bildschein für Methoden wie die Stilkritik oder die Motivgeschichte ist, die im Element der Fiktion Abdrücke der Tatsächlichkeit der Geschichte aufsuchen.132 Die Spur datiert, lokalisiert und authentifiziert das Werk per se im Element der externen, historischen Zeit, da sie selbst in einem temporalen und kausalen Verhältnis zu ihrem Referenten besteht. Was sie datiert, ist aber deshalb scheinbar nur der Träger des Werks, der durch eine nach-schaffende Interpretation mit Sinn erst wieder „belebt“ werden muss. So zeichnet sich die Polarität von Spur und Bild in der Trennung und Hierarchie zwischen den Konjekturalwissenschaften, deren Objekt die Materialschicht des Werks ist, und der Human- oder Geisteswissenschaft der eigentlichen Kunstgeschichte ab, die den Sinn der Werke zum Element und Gegenstand hat. Nur in einer gewissen expressionistischen Tradition ist die Spur als das Element der Beseelung, als Zeichen der Bewegtheit und Lebendigkeit des Werks begriffen worden. Im späten und schon etwas morbiden Höhepunkt dieser Tradition, im Abstrakten Expressionismus, hat die Funktion der Spur das Terrain gewechselt und der Begriff der Authentizität seinen Sinn verschoben. Es geht nun nicht mehr um die dokumentierte Echtheit des Werks, sondern um die Echtheit, die existentielle Authentizität des Ausdrucksakts eines Autors. Da das Werk primär als Zeugnis oder Reliquie dieses Akts zählt, zählt es um so mehr, je deutlicher ihm seine „Geburt“ eingeschrieben ist. Dieser Topos ist theoretisch so löchrig wie die meiste „Ausdrucksmalerei“, die ihm folgt. Verbunden bleibt die Spur mit ihrem Referenten nie. Der Referent der Spur – das Datum ihrer Setzung – entfernt sich zeitlich ständig. Die Kappung des Kontakts und der temporale Entzug sind das Wesen der indexikalischen Beziehung selbst. Das Modell, das die spiritualistische oder expressionistische Interpretation der Spur implizit vor Augen hat, ist die Geste, die aufgrund der besonderen Signifikanz des menschlichen Leibs auf einen Sinn (eine Intention) transparent sein kann. Die Malspur aber, die die Geste materiell konserviert, ist nicht mehr durchlässig auf eine 131 Siehe jetzt Georges Didi-Huberman, Ähnlichkeit und Berührung, Köln 1999, eine Art Monografie

des Index, seiner idealistischen Unterdrückung und schließlichen Anerkennung als wesentliches Element der künstlerischen Artikulation bei Duchamp. 132 Dass Morelli im ikonischen Schein gerade das „optische Unbewusste“ (das Detail, den Lapsus) aufsucht, hat bekanntlich die etablierten Kataloge der idealistischen Kunstgeschichte stark erschüttert. Seiner Struktur nach ist der Bildschein intentional konstituiert, er ist „spontane Fiktion“. Und die Fingernägel und Ohrformen etc. , die Morelli zu den Stützpunkten der Zuschreibung machte, sind Löcher in diesem kontrollierten Raum, Stellen in denen die Logik der Kopie, der unbewussten Wiederholung, des Abdrucks regiert. Es sind Indizien im Element des Scheins. Zum Detail als „Lapsus“ s. C. Ginzburg, „Der Jäger entziffert die Fährte, Sherlock Holmes nimmt die Lupe, Freud liest Morelli – die Wissenschaft auf der Suche nach sich selbst“ [1979], in: ders. , Spurensuche, Berlin 2002, 7–57.

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Die Zeit des Bildes und die Zeit der Spur

Emotion des Malers, sie verweist auf die Werkzeuge, die Zuständlichkeiten des Materials und auf die Zeit der Arbeit, durch die er jenes materielle Scharnier des Gemäldes flicht, das die zwei „Innen-Räume“, den figurativen Bildraum und den intentionalen Bewusstseinsraum, aufeinander bezieht. Expressionistische Malerei, die die Spur selbst als Kanal einer Ausdrucksbewegung begreift, ist ein Missverständnis und eine Unmöglichkeit. Und man wird gerade in den Arbeiten von paradigmatischen ActionPainters auf technischem Niveau eher eine Kritik dieser Konzeption formuliert finden. Man muss nicht Hans Namuths Film gesehen haben, um zu wissen, wie langsam etwa Willem De Kooning gemalt hat, in einem wie stockenden und vielschichtigen Arbeitsprozess seine Bilder konstruiert und in die extreme Dichte und Komplexität gezwungen sind, die ihre Monumentalität ausmachen (exemplarisch das großartige Easter Monday, Metr. Mus. , NY). Oder wenn wir an Pollocks dripping, die geworfene, getropfte Farbe denken, dann liegt das Wesentliche gerade darin, dass die Farbe für einen Moment losgeschnitten ist vom Geflecht intentionaler Kontrolle, dass sie im Moment ihres Fallens die „unbeseelte“ physikalische Materie ist, die der Gravitation und den Bewegungsgesetzen unterliegt. Durch Newmans masking tape schließlich ist die indexikalische Verletzung der synchronen Präsenz einer Bildebene extrem zugespitzt – die zips sind Spur des Abdeckbands, sie sind von ihm ausgeschnitten, von seiner Abwesenheit berührt, aber vom Paradigma einer auf die Intention transparenten Geste vollständig gelöst. Selbst in der expressionistischen Tradition kommt es zu einer Diskreditierung der Hand – oder vielmehr der Idee, dass die Hand dem Bild so etwas wie ein Auge einzusetzen vermag, das die Präsenz eines selbstbewussten Autors im Werk verbürgt. Auch in der Geschichte der Indexikalität stellt der Impressionismus, die erste ausdrücklich anexpressive Hervorkehrung des Arbeitsprozesses in der europäischen Malerei, einen historischen Bruch dar. Die impressionistische Maltechnik betont einerseits die Indexikalität – jeder tache, jedes Komma markiert den Jetztpunkt seiner Setzung –, und mechanisiert und anonymisiert sie zugleich. Die Striche und Punkte sind nicht nur gegenstandsneutral (in der ikonischen Dimension unähnlich), sie beschneiden auch die gestische Bewegung, fragmentieren sie zum stumpfen Punkt des Kontakts. (Nicht zufällig ist gerade Seurat, der diese Entseelung der Malarbeit, die Trennung von „Konzeption“ und „Hand“ ins systematische Extrem getrieben hat und folgerichtig den Wert seiner Bilder nach der investierten Arbeitszeit bemaß, zu dem für Marcel Duchamp paradigmatischen modernen Maler geworden, – wir kommen darauf zurück.) Dieselbe Technik also, die das perspektivische Geometral zermürbt, bricht auch die Lebendigkeit, die illusionäre „Spiritualität“ der Spur. Das ist die doppelte Herausforderung der impressionistischen Malerei an den idealistischen Bildbegriff. Trotz dieser Scharnierfunktion der Indexikalität schon im Beginn der Moderne hat sich in der kunsttheoretischen Diskussion die traditionelle Dominanz des Bildbegriffs das 20. Jahrhundert hindurch gehalten – in der Gestalt von Theorien der Abstraktion etwa, die diese primär als ein Erblinden oder als einen Rückzug des Bildes in sich selbst interpretieren und so, bis an die Schwelle der Monochromie, in der monadischen Selbstreflexion des Bildes das Modell des Weltbezugs des Kunst-

Die Spur in der Kunstgeschichte

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werks sehen. Wie aktiv die Angriffe auf die Bildtransparenz aus dem Seitenraum einer per se nicht repräsentationalen Beziehung auf die umgebende Welt getragen und geführt sind, wird – trotz der kubistischen und surrealistischen Collage, trotz des Konstruktivismus, trotz der mehr als nur ikonografischen und formalen Reflexe industrieller Produktionstechniken in der abstrakten Malerei selbst – kaum explizit thematisiert. Dass sich hier ein anderes Modell der Beziehung zwischen Werk und Welt herstellt, das der Erblindung des Bildes komplementär, aber heterogen ist, wird theoretisch nicht aufgefangen. Der Verlust der vom Bildmedium getragenen Erinnerungsleistung des Werks wird unter dem Motiv der angeblichen Geschichtsfeindlichkeit oder genauer, aber noch immer nur negativ, des Antihistorismus der Moderne verbucht, die Gegenwendung in den historischen Raum im Element der indexikalischen Beziehung wird weitgehend abgeblendet. Die Frage nach der Integration dieser beiden Dimensionen bleibt offen und eher noch ungestellt. Und gerade Donald Judd, der die in ihre blinde Präsenz aufgestiegene Bildfläche am Raster der industriellen Serienproduktion bricht, der sie durch die Metall- oder Plexiglasplatte als ein perfekteres Monochrom ersetzt, findet keinerlei Begriff für die in den geglätteten Oberflächen seiner neuen Materialien gestaute Zeit und für die passive, seitliche und immer von Kontingenzen durchflochtene Beziehung zur Welt, die sie dem Werk einschreiben. Eines der kritischen Phänomene, auf das wir immer wieder stoßen werden, nicht nur in Bezug auf Judd, ist der Glanz, es sind die Spiegelungen und Reflexionen, in denen die Dimension der Spur oder des Abdrucks und der vergessenen Zeit der Produktion und die je akute Gegenwart des Phänomens einander unmittelbar berühren. Erst im Zug der nach-minimalistischen Pollock-Interpretationen der sechziger und siebziger Jahre, die die drip paintings als Vorentwurf eines prozessualen Werkkonzepts lesen (und fehllesen), wird die Indexikalität als „theoretisches Objekt“ und als Paradigma des Weltverhältnisses des Werks ernstgenommen. Das Verhältnis des Abgusses zur Gussform, das „ça a été“ 133, das aus der Hohlform der Fotografie zurückstarrt, der Fuß- und Handabdruck, Newmans zip und die Flecken auf dem Grabtuch Christi, – unter der Vielfalt dieser expliziten Gestalten ist die Indexikalität seit den siebziger Jahren behandelt und theoretisch befragt worden.134 Diesseits dieser Auffächerung in verschiedene Zeichentypen interessiert uns das radikale Prinzip von Indexikalität. Wie wir den Bildbegriff auf die abstrakte Dimension des Scheins bezogen haben – und nicht auf die referentielle Ähnlichkeit der Figur –, 133 Roland Barthes’ Formel für die ontologische Melancholie des fotografischen Abdrucks (La

chambre claire. Note sur la photographie, Paris 1980 / Die helle Kammer. Bemerkung zur Fotografie, Frankfurt a. M. 1985). 134 Exemplarisch in den Arbeiten von R. Krauss, „Notes on the Index, Part 1/2“, in: dies. , The Originality of the Avantgarde… , Cambridge/London 1986; von Richard Shiff, „Performing an Appearance: On the Surface of Abstract Expressionism“, in: Auping (Hg.) Abstract Expressionism. The Critical Developments, New York 1987; ders. , „Pinselstrich, Motiv, Stoff lichkeit. Der Cézanne-Effekt im 20. Jahrhundert“, in: Cézanne. Vollendet – Unvollendet, Kat. Wien/Zürich 2000; und von G. Didi-Huberman, z. B. „The Index of the Absent Wound: Monograph on a Stain“, October 29, 1984, ebenso das erwähnte Ähnlichkeit und Berührung.

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Die Zeit des Bildes und die Zeit der Spur

geht es nun darum die Struktur der Indexikalität herauszuarbeiten, das Wesen des zeitlichen Entzugs des Referenten der Spur, der als das Datum ihrer Prägung bestimmt werden muss. Nicht die Positivität der (kausalen) Beziehung auf den Referenten, sondern die Spanne, die Distention der Zeit selbst, die diese Beziehung durchläuft (durchlaufen hat), ist die formale Dimension von Indexikalität. Nicht nur der umgrenzte Abdruck, sondern auch die glatte Oberfläche seines Trägers, nicht nur der Fingerabdruck auf einer Metallplatte, auch der Glanz der Politur muss als Spur gedacht werden. Jede gegenwärtige Form ist als Stockung eines vielschichtigen, gewesenen Prozesses der In-formation bestimmt, dessen Zeit bis an die Schwelle ihrer Gegenwart gestaut ist, in der sie an die Zukunft grenzt. Diese formale Struktur von Indexikalität, die auf eine Ontologie und nicht mehr eine Phänomenologie der Zeit verweist, macht das Duchamp’sche Ready-made als Moment der Seinsweise des Kunstwerks sichtbar.135 Das Ready-made ist das Modell eines Objekt-Zeichens, dessen Weltverhältnis, dessen Bedeutung, dessen Ort im geschichtlichen Raum extrinsisch und kontingenzoffen sind. Es ist die fotografierte, die umgestülpte Monade – oder die Monade aus der Außenperspektive, hinsichtlich ihrer Passivität oder Affizierbarkeit, nicht ihrer Reflexivität. Das Ready-made, leerer Signifikant, nichts-sagendes und nahezu geschmackloses Objekt, das durch die Geste seiner Wahl, die déclaration, isoliert ist aus der Matrix der Serienproduktion und der Ökonomie von Nutzen und Tausch entzogen, ist nichts als die Fläche jener Inskription der Welt, deren Geräusch, ein Kratzen oder Rauschen, das Monochrom auf der Innenseite derselben Membran bereits in Klang verwandelt. Wir fassen das Ready-made in dieser Formalisierung als Gegenpol zum Monochrom als dem absolut in sich vermittelten Bild in der theoretischen Gestalt, die Ad Reinhardt ihm gegeben hat. Das reine, „unassisted“ (nicht-nachgeholfene) Ready-made stellt das formale Paradigma des Ausgesetztseins des Werks in oder an die Zeit dar, an ihre Reibung, die es zum Element seiner Sinnproduktion macht. Es ist das Paradigma eines auf die Zukunft geöffneten, der Kontingenz der Zukunft aufgeschlossenen Werks. Die Zeit des Ready-made ist nicht die der lebendigen ästhetischen Erfahrung.136 Es ist die Zeit seiner materiellen Existenz als Objekt. Die ästhetische Erfahrung, ein vorübergleitender Schatten, schneidet diese Linie, aber schneidet sie nicht durch. Eine Epiphanie, in der der Sinn in einer möglichen Totalität sich einem Rezipienten 135 Die temporale Distention der Zeit der Spur ist komplementär zur distentio animi, die zuerst

Augustinus als Struktur der Zeit des Bewusstseins in einer für Husserl vorbildlichen Weise analysiert hat (Augustinus, Confessiones, Buch XI; Husserl, Zur Phänomenologie des Inneren Zeitbewußtseins, Hua X). Die Zeit, die hier gestaut ist, ist die Vergangenheit, die sich im Modus der Spur erhält, eine vertikale Vergangenheit, die nicht vom Präsenzhof des Bewusstseins aus als gewesene Gegenwart gedacht und deshalb auch nicht narrativiert werden kann. Wir werden die hier bestimmende Aquivokation des Zeitbegriffs im Folgenden ausarbeiten. Duchamps Werk gestattet ihre präzise Artikulation. 136 Es ist auch nicht die Zeit des Imaginären Museums, wie Th. de Duve in einem frühen und etwas dunklen Text darlegt (de Duve, „le temps du ready-made“, in: Marcel Duchamp, Ausst.-Kat. Paris 1977, Bd. 3: Abécédaire: approches critiques, Paris 1977, 166–184).

Die Spur in der Kunstgeschichte

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erschließen würde, ist strukturell verweigert. Der Horizont des Sinns ist umgestülpt, er liegt in der vierten Dimension. Was ich Werkpräsenz genannt habe, steht quer zu der Linie der Zeit des Ready-made. Sie ist nur ein Schnitt durch seine temporale Existenz. Die Funktion der Rezeption für die Sinnkonstitution des Werks ist damit allerdings nicht reduziert. Im Gegenteil, sofern das Ready-made keinen intrinsischen Sinn enthält (wie Reinhardts Bildurnen), ist es nichts anderes als der nackte Anlass zur Rezeption, zu einer Rezeption, die mit der Wahl, der déclaration des arbiträren Objekts, mit dem so „entkleideten“ Akt von Autorschaft137 beginnt („Der Modus der Rezeption – Betrachten und Auswählen – wird durch das Ready-made zum Modus der Produktion erhoben.“ 138 ) und sich in derselben Zeitschicht mit den Umständen der Präsentation (oder nicht-Präsentation), dem Skandal oder der Nicht-Beachtung, mit der Summe der Fehllektüren, den Kratzern auf der Oberfläche in den Staub des Archivs hinein verlängert. Der Sinn ist hier nie in einer ursprünglichen Totalität intentional gegenwärtig gewesen. Er ist nachträgliches Sediment, Produkt der Geschichte. Die Anschauer machen die Bilder, wie Duchamp immer wieder sagt.139 Die Rezeption als der bildliche, schriftliche und mündliche Diskurs seiner Aneignung und Interpretation, der sich um den Werk gewordenen indifferenten Gegenstand bildet, ist Moment des allgemeinen materiellen Prozesses, des Alterns des Readymade, dessen Antrieb oder Anstoß die Faktizität seiner Existenz vom Moment seiner Datierung an bleibt. Sie ist der unabschließbare Prozess, in dem sich die Welt in der Oberfläche des Objekts einschreibt und ihm „Bedeutung“ verleiht. Es ist diese totale Dimension des seitlichen Weltbezugs des Objekts in seiner materiellen Existenz und temporalen Kontinuität, die ich unter dem Aspekt der Indexikalität anspreche.

137 Vgl. Thierry de Duve, „Autorschaft, nackt, entblößt, sogar“, in: Bachmeyer/Kamper/Rötzer (Hg.),

Nach der Destruktion des ästhetischen Scheins. Van Gogh – Malewitsch – Duchamp, München 1992, 91–104. 138 Siehe Dieter Daniels, Duchamp und die anderen, Köln 1992, 213. 139 Siehe z. B. IS 52. Dieses Machen durchläuft verschiedene Stufen. Sie entdecken, sie bewahren, sie (re-)interpretieren und verleihen Sinn – sie machen die Geschichte oder die „ ‚Größe‘ “ (IS 123) des Werks. Diese Funktion der Nachwelt ist die dominante Ebene der Reflexion in Duchamps Interviews und in der Rezeption. Auf einer elementareren Ebene verschiebt sich das Machen auf den produktiven Perspektivismus der Wahrnehmung selbst, auf das, was ich „transzendentalen Primärprozess“ nenne: „was auf der Netzhaut flimmert und dabei Kunstwerk oder Frau ist, das machen wir selbst. Wir deuten die Frau aus unseren Sinnesreizen, unsere ganze Welt ist man made, von uns selbst gemacht“ (IS 126).

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B Die Zeit des Ready-made. Zu einem formalisierten Begriff von Indexikalität. Weil die Farbtuben, die der Künstler verwendet, industrielle Readymade-Produkte sind, müssen wir daraus folgern, dass alle Gemälde auf der ganzen Welt ‚nachgeholfene Readymades‘ und auch Assemblage-Werke sind. Marcel Duchamp, Hinsichtlich der Readymades, 1961140 …die Kunst ist keine Quelle der Lust, sie ist eine Quelle, die keine Farbe hat, die keinen Geschmack hat. Marcel Duchamp, 1960141

Der Ausblick auf das Ready-made soll die Zeitlichkeit dieser mundanen Existenz als Strukturmoment der Seinsweise des Werks sichtbar machen. Des Werks im Allgemeinen und nicht nur des Ready-made. Trotz dieser heuristischen Funktion beziehen wir uns ausschließlich auf die Konzeption Duchamps und nicht auf eine vage für bekannt gehaltene „Ready-made-Strategie“ – die Versetzung des „Alltagsdings“ in den „Kunst-Kontext“. Wir versuchen den Umriss sichtbar zu machen, den die Seinsweise oder Zeitigungsweise des Ready-made im Feld von Duchamps Gesamtwerk und besonders in Bezug auf sein Hauptwerk, das Große Glas erhält. Aus140 Marcel Duchamp, Die Schriften, übersetzt, kommentiert und herausgegeben von Serge Stauffer,

Zürich 1994, 242 (ab hier =ST und Seitenzahl).

141 Marcel Duchamp im Gespräch mit Georges Charbonnier, 1960, IS 88.

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Die Zeit des Ready-made. Zu einem formalisierten Begriff von Indexikalität

gehend von der Struktur dieses Bildes, das kein Bild ist, sondern eine Verzögerung in Glas (retard en verre), lässt sich die Konsistenz des Zeit-Raums erfassen, in den das Ready-made durch die déclaration ausgesetzt oder – mit einem anderen Grundwort Duchamps – exponiert ist. Wir beginnen mit Abgrenzungen dieser zentralen Begriffe der exposition und déclaration.

Phänomenologie des Ready-made. a. déclaration und exposition. – Déclaration und exposition haben wenig oder nichts mit der im Vorhinein vom kunstpolitischen Feld übergriffenen Geste der Provokation eines institutionellen Kontexts zu tun, mit der Ausstellung der Ausstellung durch den Kontrast des „Alltagsdings“, das durch seine Verschiebung ins „Museum“ gelangt wäre. Das Ready-made will nicht, wie diese gängigste Interpretation annimmt, zeigen, dass der Werkcharakter der Reflex der institutionellen „Macht“ auf einem beliebigen Gegenstand sei. Wenn Daniel Buren die Impotenz dieser Geste kritisiert, bleibt er ihr näher als Duchamp es je war.142 Dieter Daniels hat in seiner rezeptionsgeschichtlichen Studie gezeigt, dass der Rahmen der Präsentation der Ready-mades von den Begriffen der Öffentlichkeit, der Institution und des Kontexts bei weitem nicht abgedeckt ist.143 Die meisten Ready-mades begannen als Experimente in Duchamps diversen Ateliers, kaum jemand bekam sie zu sehen und fast alle „Originale“ gingen verloren. „Ich hatte nicht vor einen Scherz zu machen“, sagt Duchamp 1965, „und so habe ich lange niemand diese Dinge gezeigt.“ 144 Ausgestellt wurden sie im allgemeinen erst als sie längst durch Kommentare und Fotografien und durch die Repliken der Schachtel im Koffer, Duchamps monographisches Miniaturmuseum,145 als Werke registriert und 142 Buren hält Duchamps Pissoir für kontextabhängiger als seinen gestreiften Stoff, seine „Proposi-

tion“, die er quer durch alle konventionellen Rahmungen schiebt, um die Spannung von Innen und Außen, von Vorder- und Rückseite, von Erscheinung und Träger in allen ihren Spielarten und Horizonten zu neutralisieren. Die Idee des Werks soll als ideologischer Schein entlarvt und in richtiges Bewusstsein überführt werden. Duchamp dagegen hätte nur das „Objekt“ statt auf die Leinwand (Cézannes Äpfel) auf die Trägerstruktur des Museums projiziert, was epistemologisch noch immer realistisch und soziologisch kleinbürgerlich sei, wie jede Provokation der „Macht“. Burens Analyse ist konsistent (sie ist von Althusser geprägt), aber sie hat nicht viel mit Duchamp zu tun. Seine Beschreibungen sind Effekte des Ready-made im Medium Buren. Es sind Bilder, die er vom Ready-made macht, Kontaktabzüge (s. Daniel Buren, Achtung. Texte 1967–91, dort vor allem „Achtung“, „Bezugspunkte“, „Grenzen/Kritik“ und „Funktion des Museums“ [alle zwischen 1969 und 71]). 143 Dieter Daniels, Duchamp und die anderen. Der Modellfall einer künstlerischen Wirkungsgeschichte in der Moderne, Köln 1992. 144 Zit. ebd. , 216. Vgl. auch (IS 107) die Frage Charbonniers: „hat der Rahmen, in den man ein Readymade stellt, eine Bedeutung hinsichtlich der Definition des Ready-made? Duchamp: Nein.. nein, überhaupt nicht“. In den späten Interviews distanziert sich Duchamp oft von der institutionstheoretischen Auffassung des Ready-made. Es ist komisch zu sehen, wie wenig es genützt hat. 145 Duchamps tragbares Taschenmuseum, die Boîte oder Boîte-en-Valise (die ledergebunde DeluxeVersion), enthält Mini-Repliken seiner wichtigsten Arbeiten. Die Auf lage ist 300 plus 24. Die Standarddokumentation, die vor allem auch die aufwendigen Reproduktionstechniken (die Her-

Phänomenologie des Ready-made

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für die Institution umstandslos akzeptabel waren.146 Insofern stellt das legendäre Ready-made, das die Theoriebildung dominiert, das Pissoir Fountain, das Duchamp 1917 an die Society of Independent Artists schickte, eher einen Sonderfall als das reine Paradigma des Ready-made dar. Und noch dieser Sonderfall ist aus der Nähe betrachtet viel komplizierter, als es die institutionstheoretische Auffassung will. Ich kann das komplexe Spiel der Rahmungen, die im Richard Mutt Case ineinandergreifen, hier nicht entfalten, aber schon, dass das Pissoir gerade nicht ausgestellt wurde, zeigt, wie wenig das gängige Interpretationsmuster greift. Zudem war es keine sehr ehrwürdige, geschichts- und machtgesättigte Institution, kein „Museum“, das den Kunststatus des Alltagsdings hätte autorisieren können. Duchamp hatte die Society of Independent Artists mitbegründet, er hatte ihr den Namen und das Motto – ni jury ni prix – vom Pariser Salon des Independants übertragen, der fünf Jahre zuvor seinen Akt abgelehnt hatte, und ihre Statuten mitbestimmt, nach denen jedes, von wem immer eingereichte „Werk“ gegen eine Gebühr von fünf Dollar ausgestellt werden sollte.147 Das unter dem Pseudonym Richard Mutt148 eingesandte Pissoir war der Test dieser Rahmenkonstruktion, und gegen ihre Statuten lehnte die Society es ab, die Autorisierung von Fountain zu übernehmen. Damit aber fängt der „Langzeitversuch“ 149 des Ready-mades erst an. Den Status des Werks erhielt das Objekt im Lauf der Zeit. Die Fotografie, die Duchamp von Alfred Stieglitz aufnehmen ließ150 (fig. 20), ein Bericht in einer eigens dafür gegründeten Zeitschrift mit dem mehrschichtigen Titel „The blind man“ (das ist der Rezipient, aber auch Ödipus) – diese Eintragungen ins Archiv sind die ersten noch von Duchamp selbst arrangierten Kreise, die das Ready-made trotz und durch seine Nicht-Ausstellung im Element der Öffentlichkeit erzeugt. Kleine Kreise anfangs – es ist alles andere als ein „Skandal“, wie ihn 1913 der Akt Duchamps auf der Armory Show provoziert hatte, die registrierte Erschütterung ist minimal. Duchamp stellt im Fall von Fountain zunächst

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stellung der Gussformen für die so wiederholbar gewordenen Bilder – ein strukturales Grundmotiv, das Duchamps ganzes Œuvre durchzieht) schildert, ist Ecke Bonks, Die Große Schachtel, München 1989. 1916 wurden zwei oder drei nicht mehr sicher identifizierbare Ready-mades in der Bourgeois Gallery in NY ausgestellt, aber kaum zur Kenntnis genommen (zur Quellenlage s. de Duve, Kant after Duchamp, 102, Anm.). Die erste offizielle Ausstellung ist die des Flaschentrockners, der 1936 in der Exposition Surréaliste d’Objets keinerlei Provokationswert entfaltet (vgl. Daniels, Duchamp… , 229 f.). Eine Interpretation, die dem Geist, d. h. dem Humor dieses Spiels sehr nahe kommt, ist Th. de Duves „Given the Richard Mutt Case“ (in: Kant after Duchamp, Cambridge/London, 1996, Kap. 2). Die ausführlichste Dokumentation ist die Monografie William Camfields, Marcel Duchamp. Fountain, Houston 1989. Die Signatur ist nur „R. Mutt“. Richard ist als Name des Einsenders registriert. J. L. Mott Iron Works ist der Name des Herstellers, einer New Yorker Sanitärfirma. Daniels, Duchamp… , 217. Stieglitz, damals mit seiner Galerie 291 der wichtigste Impressario eher elitärer Avantgardekunst in New York, war für Duchamps „Scherze“ im allgemeinen nicht zu haben. Er hielt das Pissoir für die Einsendung des unbekannten Richard Mutt, deren Ablehnung gegen die Statuten der Society verstieß. Er fotografierte es aus ethischen Motiven und verschaff te Fountain unfreiwillig den Rahmen seiner Reputation als Fotograf und Galerist (s. de Duve, Kant after Duchamp, 116 ff.).

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Die Zeit des Ready-made. Zu einem formalisierten Begriff von Indexikalität

selbst die Ebene her, in der sich diese Erschütterung einzeichnet, er lenkt, so weit es geht, die Ausbreitung der Kreise, vor allem aber gibt er ihr Zeit. Denn es bleiben die Anschauer, die die Bilder machen. Sie fangen den Anstoß des Ready-made auf, den Anstoß der exposition, die jene „Quelle“ ist, die wie die Kunst „keine Farbe hat, die keinen Geschmack hat“ (IS 88). Das Präsenzfeld des Ready-made ist der Raum, den die Blicke und Sinnzuschreibungen der Anschauer durchqueren und offen halten. Es ist der Raum seiner Sichtbarkeit, der zu Anfang der Punkt der déclaration ist, mit der die Existenz des Objekts als Werk beginnt. Es ist die fortschreitende Zeit, die die Werkpräsenz konstituiert. Der Rahmen, den die institutionstheoretische Auffassung des Ready-made als Konstitutionsbedingung dieses Präsenzfelds (der Aura, des Kunststatus, des Werkcharakters) annimmt, ist also zu eng gefasst. Zu formal und weit fasst ihn dagegen die analytische Kunsttheorie, wenn sie die déclaration wesentlich als die logische Operation bestimmt, durch die ein Alltagsding in die „Objekt-Klasse“ der „Kunstwerke“ versetzt wird. Während Duchamp sich 1913 fragt, „kann man Werke machen, die nicht ‚Kunst–.‘ sind?“ 151, meint die analytische Kunsttheorie, dass sich das Rätsel des Ready-made in jenem Sprechakt „Dies ist Kunst.“ konzentrieren ließe, der in verschiedenen Schattierungen „konzeptueller Kunst“ seit den sechziger Jahren kursiert. Das Objekt, das von einem Sprung durch den logischen Reif dieses Begriffs Kunst zum Werk wird, und dieser Begriff selbst sind dabei als stabile Gegebenheiten gedacht: der Begriff des Objekts bleibt der formallogische (das Objekt ist Subjekt seiner Prädikate) und der Kunstbegriff bleibt soziologisch-konventionell (Klasse der Objekte, die „Kunst“ zu nennen man übereingekommen ist). Dass die prädikative Logik in Frage gestellt sein könnte, sofern das Werk nicht wie ein Objekt ist, kommt für einen Autor wie Arthur Danto zum Beispiel nicht in Betracht.152 Die Frage nach der Seinsweise des Werks ist von vorneherein im Element der für den Logiker unübersteigbaren „Sprache“ erstickt, in den Konventionshüllen der Alltagsgrammatik, die Duchamp mit Bergson als die unvermeidlichen, aber oft schlecht geschnittenen Konfektionskleider des Denkens begreift,153 als den Friedhof der Uniformen und Livreen oder die Kutte des Kartesianismus. „Es stimmt, dass ich tatsächlich sehr Kartesianer war. Wenn Sie das Wort défroqué verwenden könnten, was ‚entkutteter‘ Kartesianer bedeutet, weil ich sehr erfreut war über das sogenannte Vergnügen, den Kartesianismus als Denkform zu benützen.. Logik und, sehr nahe dabei, mathematisches Denken.“ (IS 79) 151 Das ist in Stauffers Anordnung die erste Notiz der Weißen Schachtel (ST 125). Es gibt drei Schach-

teln mit Notizen von Duchamp. Die Schachtel von 1914, mit 16 Texten und einer Zeichnung, in einer Auf lage von drei oder vier Exemplaren (s. Stauffers Einführung, ST 18 ff.). Die Grüne Schachtel, 1934 in einer Auf lage von 320 Emplaren herausgegeben, enthält in Stauffers Edition 110 Dokumente (Texte, Pläne, Fotografien). Sie ist die Legende zum Großen Glas (1915–23). Die Weiße Schachtel von 1966 enthält nocheinmal 76 Beiträge aus dem Umkreis des Glases, die vor allem methodologische Probleme präzisieren. 152 A. C. Danto, Die Philosophische Entmündigung der Kunst, München 1993; Die Verklärung des Gewöhnlichen, Frankfurt a. M. 1996. 153 Ein häufiges sprachkritisches Motiv Bergsons (s. etwa Schöpferische Entwicklung, Zürich o. J. , 47).

Phänomenologie des Ready-made

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Die déclaration ist ihrer Struktur nach die Wahl des Objekts. Sie drückt sich aus in der Geste der Datierung. Die exposition des Ready-made beginnt mit diesem Moment. Es ist diese Zeitlichkeit, die sich im formallogischen Raum der analytischen Kunsttheorie nicht reflektieren lässt. Die déclaration ist weder nur eine kontextuelle Verschiebung im historischen Raum noch der Sprung durch den Reif einer logischen Definition, der ein Alltagsobjekt in die „Klasse“ der „Kunstwerke“ versetzen würde. Sie ist, obwohl bloß die Wahl des schon-fertigen – „tout-fait“ / „ready-made“ – Objekts, dennoch eine Formalisierung der Produktion des Werks – die nie „ganz von vorne“ (IS 120) anfangen kann, wie Duchamp sagt, sogar in der „normalen Malerei“ nicht, die zwischen den Ready-mades der Tubenfarben zu wählen hat. Eines der ein wenig „nachgeholfenen“ Ready-mades macht diese Weite des Begriffs der exposition, die auch für die reinen Ready-mades, die paradigmatischen Objekte der konzeptuellen Kunst der sechziger Jahre gilt, deutlich. 1919 schickte Duchamp seiner Lieblingsschwester Suzanne das Rezept für ein Ready-made malheureux – ein apokryphes Selbstportrait nebenbei – als Hochzeitsgeschenk. Sie sollte ein Geometriebuch auf dem Balkon aufhängen und den Wind in den Seiten blättern lassen, der ihre didaktisch-infantile Präzisionsmalerei in nicht-euklidischen Zweifel ziehen würde (fig. 21). Für dieses unglückliche Ready-made, das sich, wie es die Fotografie zeigt, die Duchamp in die Große Schachtel aufnahm, „auf dem Balkon langweilt“ 154, blieb die Ausstellung der Bezug zu den guten und schlechten Wettern, zur Zeit, in der es sich auf lösen wird.155 Dies zeigt die Weite der Dimension an, in der der Begriff der exposition zu fassen ist. b. Das surrealistische Imaginäre und das Ready-made als erhabenes Objekt. – Sowenig wie um die Destruktion der Institution oder des Begriffs des Kunstwerks geht es beim Ready-made um die Entdeckung eines ästhetischen Werts von Dingen der Alltagswelt. Während Arman, Rauschenberg oder Spoerri, Künstler die „die Welt als Bild betrachten“, wie einer ihrer Interpreten sagt,156 in dem erweiterten Feld ihrer Sensibilität die Magie oder den erotischen Glanz von Alltagsdingen und ihrer Konstellation entdecken, soll das Ready-made von diesem Fluidum der Kunst gerade befreit sein. Es soll indifferent sein, frei von gutem oder schlechtem Geschmack, wie Duchamp in den Interviews der fünfziger und sechziger Jahre oft wiederholt. Wir kommen später auf die von John Cage vermittelte Duchamp-Rezeption von Robert Rauschenberg und Jasper Johns mit Blick auf die trockensten, am wenigsten „poetischen“ Beispiele zurück (s. u. „It’s like an empty glass…“, S.192 ff.). Die zentralen Duchamp’schen Begriffe des Geschmacks und der ästhetischen Indifferenz lassen sich vorläufig besser im Vergleich zwischen dem Ready-made und einem scheinbar verwandten Werktyp präzisieren, der ihm vor allem auch historisch näher steht, dem 154 Brief an Jean Crotti und Suzanne Duchamps, Okt. 1920, in: Affectionately, Marcel… , 92. 155 Der Bezug dieser Zeit (temps) der exposition zu den „Stürme[n] und […] guten Wetter[n]“ (ST 52),

„les tempêtes et les beaux temps“ (DDS 69) der Braut im Großen Glas wird später deutlich werden.

156 Pierre Restany über die Nouveaux Réalistes, zit. nach Daniels, Duchamp… , 222.

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surrealistischen objet trouvé. Vor dem Hintergrund einer zugleich kantischen und psychoanalytischen Topologie versuchen wir die Analogien wie die systematischen Differenzen zwischen André Bretons Konzept des zufälligen Funds und der indifferenten Wahl Duchamps sichtbar zu machen. In L’Amour fou, dem Theoriebuch zum objet trouvé, bestimmt Breton den Fund des Objekts als eines der „Vorkommnisse … , bei denen das Naturnotwendige mit dem menschlich Notwendigen auf sehr außergewöhnliche und aufregende Weise derart übereinstimmt, daß die beiden Determinationen sich als ununterscheidbar erweisen“. Und er definiert den Zufall dieses Fundes als das „ ‚Zusammentreffen einer äußeren Kausalität mit einer inneren Finalität‘ “, und an anderer Stelle als „die Gestalt… , unter welcher die äußere Notwendigkeit sich manifestiert, die im menschlichen Unterbewußtsein am Werk ist“.157 Kant, die vermittelnde Funktion der reflektierenden Urteilskraft zwischen Naturkausalität und Teleologie steht im Hintergrund, Freud und die Lenkung des Blicks durch das unbewusste Begehren im Vordergrund. Eine Suche, die bis dahin ins Leere, ins Unbestimmte ging – nach Kant artikuliert sich in ihr das Unendlichkeitsbegehren des endlichen Subjekts –,158 wird in dem Objekt eine „symbolische oder sonstige Lösung“ 159 gefunden haben, die retroaktiv die Suche in ihrer Struktur und ihrem Ziel klärt und ihre unbewusste Intention hervortreten lässt. Das objet trouvé sticht so seinem Finder ins Auge, weil dieses Auge, der Schirm des subjektiven Imaginären, schon empfänglich ist, von einem Begehren präformiert für das „Einklinken“, die Epiphanie des Objekts. Diese Epiphanie zeigt sich als ein gewisses Opakwerden, eine Vibration des Schirms selbst, der sich sonst als reine Transparenz über die Dinge legt. Eine Faltung des Schirms und die markanten Züge des Objekts scheinen sich „zweckmäßig“ – und in „sehr außergewöhnlicher und aufregender“ Weise, wie Breton betont – zu verschlingen. Das so gefundene Objekt wird daher starr und plötzlich erscheinen, wie aus dem Wahrnehmungsfluss herausgeschnitten, hängengeblieben im Projektionsschirm selbst, während der Rest des Films weiterläuft.160 Von diesem Punkt der Begegnung, deren Struktur Breton in den ersten Abschnitten des Buchs mit der Theorie einer seltsamen Liebe verknüpft, 157 A. Breton, L’Amour fou, Frankfurt a. M. 1997, 24 u. 27. 158 Das einzelne Schöne vermittelt die sinnliche Erfahrung mit dem Horizont jener „Fragen“ aus

dem ersten Satz der Kritik der reinen Vernunft – nach Gott, Welt und Seele –, die die menschliche Vernunft als Vernunft überhaupt „nicht abweisen“, aber als endliche Vernunft „nicht beantworten kann“ (KrV A VII). Das mehrfache „Ohne“, das das Schöne von endlich erkennbaren Begriffsbestimmungen abschneidet, steht in Resonanz zu diesem Horizont einer irreduzibel auf Unendlichkeit bezogenen Endlichkeit, den in der KrV vor allem die transzendentale Dialektik aufspannt. Das Schöne ist daher in sich die Spielart des Erhabenen, das in der KdU den Raum dieser Dialektik, in den das Schöne sich einschreibt, aufspannt und durchmisst. 159 L’Amour fou, 19. Breton gibt dem objet trouvé unverhohlen instrumentelle Funktion. Ein bisschen traumatisch („sehr … aufregend“, 24) soll die Begegnung mit dem Objekt zwar sein, aber doch hilfreich. Es zeigt – in einem gegenüber Kant reduzierten Sinn – durchaus an, „dass der Mensch in die Welt passe“, wie Kant von den „schönen Dingen“ sagt (Reflexionen zur Logik, Nr. 1820 a, Akademieausgabe Bd. 16, Berlin 1902). 160 Zu diesem „Stillstand“ s. ebd. , 14 f. mit dem Rückverweis auf den Schluss von Nadja (1928; Frankfurt a. M. 2002). Es ist dieser Moment der Starre, den R. Krauss als „The Photographic Condition of Surrealism“ analysiert (in: The Originality of the Avantgarde…).

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die die Einzigkeit ihrer Quelle mit der Ersetzbarkeit und Pluralität ihrer Objekte zu verbinden weiß, breitet sich daher konvulsivisch die Schönheit des Objekts aus. Wie schwierig die Bestimmung dieses Genitivs der Schönheit ist, haben wir schon in Bezug auf Kant gezeigt.161 Wie die wilde Tulpe, die durch die Kritik der Urteilskraft irrt, sich in das Zentrum eines Wohlgefallens – das Derrida als se-plaire-à-se-plaireà übersetzt162 – einschreibt und, abgeschnitten von ihrem botanischen Zweck als Fortpflanzungsorgan der Pflanze, zum Auslöser oder Anlass des (selbst-)reflexiven Spiels der Erkenntniskräfte wird, so rastet das objet trouvé im Schirm des subjektiven Imaginären ein und löst den Schauer der ästhetisch-sexuellen Erregung aus. „Die konvulsivische Schönheit wird erotisch-verhüllt, berstend-starr, magisch und umstandsbedingt sein, oder sie wird nicht sein“.163 Was bei Kant die scheinbar zahme „Steigerung des Lebensgefühls“ im Wohlgefallen am Schönen war, ist zu einer „körperliche[n] Erregung“ geworden, einem „Sprühen und Wehen an den Schläfen“, das „bis zu einem wirklichen Frösteln“ gehen kann, und das Breton kaum überraschend mit der „erotischen Lust in Verbindung bringt“.164 Die libidinöse Topologie ist in der Tat evident. Und das Objekt, das Breton, nachdem der theoretische Rahmen abgesteckt ist, bei dem berühmten Spaziergang mit Giacometti über einen Pariser Flohmarkt findet, bestätigt sie. Es ist ein „große[r] Holzlöffel, von bäuerlicher Fertigung, aber ein recht schönes Stück, wie mir schien, und sogar ein bißchen verwegen, dessen Stiel […] in einen kleinen Frauenschuh auslief, der dazugehörte. Ich nahm ihn sogleich mit.“ 165 So kauf freudig Breton sich hier erweist, lässt er sich doch einige Seiten Zeit, um Penis und Vagina in diesem Rätselbild zu finden und die Beziehung herzustellen zu seiner gegenwärtigen Beschäftigung mit dem Aschenputtel-Märchen und dessen „Pantoffel“, dem verlorenen Objekt, dem sexuellen Fetisch par excellene.166 Eher unfreiwillig zeigt Breton, dass es nicht die „tiefsten Verdrängungen“ 167 sind, die in der konvulsivischen Schönheit auf brechen, und deren Spuren er als guter Freudianer „bis in [s]eine Kindheit zurückverfolgen S. o. , p. 25 ff. Derrida, Die Wahrheit… , 66. L’Amour fou, 22. Ebd. , 12. Ebd. , 34. Ebd. , 38–44. Das Fetischobjekt konstituiert sich in dem Moment, in dem das (meistens männliche) Subjekt die „Kastration“ der Frau (der Mutter) entdeckt. Der Film springt zurück und der Blick erfasst – den Schuh. Die fetischistische Faszination gründet in der Kontraktion des weggeschnittenen Filmstücks zum Objekt, in einer Synthesis des Vergessens. Die Analogie zum Marx’schen Begriff des Warenfetischismus, der das Vergessen der in der Ware akkumulierten Arbeit bezeichnet, ist evident. Die wichtigsten Texte und Stellen Freuds – neben dem Fetischismus-Aufsatz von 1927 (GW XIV, 311–317) und Die Ichspaltung im Abwehrvorgang (GW XVII, 59–62) – führt J.-B. Pontalis an (Objekte des Fetischismus, Frankfurt a. M. 1972, 36). Zur Konstitution des Objekts durch das Vergessen, d. h. zur Starre und dem Bildcharakter des Fetischobjekts, s. J. Lacan, Das Seminar IV. Die Objektbeziehung, Wien 2003, bes. 137 ff. , und 183 ff.; zur Parallele Marx/Freud (bzw. Lacan) S. Žižek, The Sublime Object of Ideology, London 1989, bes. „The Unconscious of the Commodityform“, 16 ff. 167 L’Amour fou, 12. 161 162 163 164 165 166

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zu können“ glaubt.168 Es sind latente oder vorbewusste Inhalte, die im objet trouvé eine symptomale Vertretung finden, wie in der Bildsprache des manifesten Traumgehalts sich der durchaus bewusstseinsfähige Traumgedanke einschreibt, der weder verdrängt noch unbewusst ist und es nie war, sondern seinen Stoff aus der Tagesaktualität bezieht. Freud hat genau zwischen diesem latenten Gehalt des Traums und dem unbewussten Wunsch unterschieden, der nicht in einer hermeneutischen Tiefenschicht liegt, sondern sich im Vollzug der Traumarbeit der Oberfläche, der Form des Traums einschreibt. „The structure is always triple; there are always three elements at work: the manifest dream-text, the latent dream-content or thought and the unconscious desire articulated in the dream. This desire […] intercalates itself in the interspace between the latent thought and the manifest text; it is therefore not ‘more concealed, deeper’ in relation to the latent thought, it is decidedly more ‘on the surface’, consisting entirely of the signifier’s mechanism, of the treatment to which the latent thought is submitted. In other words, its only place is in the form of the ‘dream’: the real subject matter of the dream (the unconscious desire) articulates itself in the dream-work“.169 Dieser im eigentlichen Sinn eigentlich unbewusste Gehalt wird nie eine extensive, bildhafte Vertretung finden. Er wird nicht, in welcher metaphorischen Verstellung und Einfärbung auch immer, zum Signifikat des Traums. Er schreibt sich ein in die (entstellende) Arbeit der Signifikation, in die Dimension der Metonymie.170 Bretons Holzlöffel ist ein Vexierbild, das seine vorbewusste Beschäftigung mit dem Aschenputtelmärchen mitten im Erlebnisstrom, unter den Relikten des Flohmarkts aktualisiert. Und als das Bruchstück der Märchenerzählung, als das Breton ihn nachträglich erkennt, verdoppelt er in sich die Symbolik und Struktur der erotischen Begegnung, auf die Breton die Theorie des zufälligen Funds projiziert. Der Fuß und der Schuh im Märchen passen zusammen wie der gefundene Löffel und das von der vorbewussten Suche gespannte Imaginäre des Finders. In diesem Spiegelspiel reflektiert Breton sich in dem Prinzen, der im Aschenputtel des Flohmarkts die Prinzessin entdeckt. Das ist die Grundstruktur des surrealistischen Imaginären, jedenfalls nach dem schulführenden Theoretiker Breton. Wir werden sehen, wie anders es sich mit der Braut und den Ready-mades Duchamps verhält, wie sich dort der Junggesellen-Narzissmus an einer gewissen Ätze die Finger versengt. 168 Ebd. , 38. 169 S. Žižek, The Sublime Object… , 13. S. Freud, Die Traumdeutung, Kap. VI und VII. 170 Wir werden die Polarität von Metapher und Metonymie noch entfalten. Das ganze diskursive

Feld strukturiert natürlich R. Jacobsons „Der Doppelcharakter der Sprache und die Polarität zwischen Metaphorik und Metonymik“ (in: A. Haverkamp [Hg.], Theorie der Metapher, Darmstadt 1983); s. im selben Band auch: J. Lacan, „Das Drängen des Buchstaben…“; weiter: J. Derrida, „Freud und der Schauplatz der Schrift“, in: Die Schrift und die Differenz, bes. 348). Zur Herrschaft der Metonymie bei Freud selbst s. exemplarisch die Anfangspassage zur Namensverwechslung in Psychopathologie des Alltagslebens (GW IV, 5–12) und die Ausführungen der Traumdeutung zu jener „Silbenchemie“, die so wesentlichen Anteil an der Traumarbeit hat (Die Traumdeutung, GW II, Kap. VI, 303, Anm.). Eine Behauptung, die meine Zuordnung bestätigt, stellt Lacan in Seminar III. Die Psychosen, Weinheim/Berlin 1997, 253 ff.) auf: In der surrealistischen Poesie regiert die Metapher, im Primärprozess und bei den Kindern das Stottern der Metonymie.

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„Meine Ready-mades“, sagt Duchamp trocken, „haben nichts zu tun mit dem objet trouvé, weil das sogenannte ‚gefundene Objekt‘ vollständig vom persönlichen Geschmack gelenkt wird“ (IS 120). Geschmack scheint ein schwaches Wort zu sein für die eruptive Erfahrung der Schönheit im Surrealismus – und sicher will Duchamp nicht auf die Analogie zum kantischen ästhetischen Urteil anspielen, die wir skizziert haben, sondern ruft die geläufigeren Konnotationen von Gewohnheit, Mode und Zeitgeschmack auf. Den surrealistischen Begriff von Schönheit kennt Duchamp aber natürlich genau, und es ist mindestens polemische Absicht, die ganze „erotischverhüllte“ Bretonsche Theorie auf dieses Wort „Geschmack“ einzudampfen. „Das objet trouvé ist ein Ding, von dem Sie durch Ihren Geschmack angezogen werden: Sie sehen es und finden es schön. Sie sagen: ‚Das ist schön‘, insbesondere die an den Stränden, […] diese […] schönen Holzstücke. Und das ist in der Tat genau das Gegenteil des Ready-made.“ (IS 216) Es ist das Gegenteil des Ready-made, weil dieses gerade nicht-schön sein soll. Das objet trouvé, das auftaucht am Saum des Bewusstseins wie die „Baumwurzeln“ (IS 228) am Strand, zieht den Geschmack durch seine semantische und formale Bizarrerie an. Der Geschmack als vom Gefühl der Lust und Unlust gelenktes Denken tastet genau diese Linie oder diesen Saum ab und ist von ihm bewegt. Und für Duchamp geht es darum, diese Linie zu begradigen, den Schirm des Imaginären ruhigzustellen: den Geschmack zu anästhesieren. Während im objet trouvé der Stern der konvulsivischen Schönheit aufgeht, soll das Ready-made abgeschnitten sein von den Bahnen der vorbewussten Assoziation. Seine Wahl soll in einem Moment der Apathie getroffen werden, in dem Moment eines Desinteresses mehr noch an der Form als, kantisch, an der Existenz des Objekts – und eines Desinteresses, das irgendwie verspricht, andauernd zu sein. „Man musste dazu gelangen, ein Objekt auszuwählen mit der Idee, wenn Sie so wollen, von diesem Objekt nicht beeindruckt zu sein gemäß einem ästhetischen Ergötzen irgendwelcher Art. […] Schwierig also, ein Objekt zu wählen, das Sie absolut nicht interessiert, und zwar nicht nur an dem Tag, wo Sie es auswählen, sondern für immer, und das nie die geringste Chance hat, schön, hübsch, angenehm zum Anschauen oder hässlich zu werden.“ (IS 133 f. , siehe auch 106) Im Geschmacksurteil wird das Objekt in seiner Verspannung mit dem Imaginären aufgefasst. Es wird zum Katalysator im Spiel der Gemütskräfte, der ästhetisch-erotischen Erregung – zum fragmentarischen Bild oder zur Metapher. „Breton vermochte sich nie von einer gewissen Anziehung durch die bildhafte Qualität freizumachen“, sagt Duchamp einmal: er hat sich „nicht völlig losgelöst von den Begriffen der Qualität, der Komposition, der Schönheit der Materie“ 171. Eben dies muss die Wahl des Ready-made leisten, die ohne ästhetische Motivation auskommen soll. Wir haben gesehen, wie sich diese Anästhesie in den Theorien reflektiert, die die „Verschiebung“ eines arbiträren oder beliebigen Alltagsobjekts in einen anderen „Kontext“ für den zentralen Aspekt der Ready-made-„Strategie“ halten. An die Stelle des surrealistischen Bildschirms, in dem sich das objet trouvé verfängt, tritt nach diesen Interpretationen beim Ready-made der leere, non-sensible Rahmen der Institution oder 171 IS 207 (Anm. 7), 203. Es sind Überlieferungsvarianten derselben Aussage.

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der logischen Definition des Kunstwerks. (Das „Ding“ wird nicht auf die Leinwand projiziert wie Cézannes Äpfel, sondern auf die Trägerstruktur des Museums, so Buren, oder es springt durch den logischen Ring des Begriffs von „Kunst“.) So ist aber, wie jetzt klar wird, vor allem die Beziehung des Werks (des Objekts) zum Publikum formalisiert: Die Institution oder der Begriff von Kunst oder Kunstwerk fungieren als die Öffnungen, durch die der Künstler das formal arbiträre Objekt an die Nachwelt weiterreicht. Der Moment der Wahl des Ready-made, der Begegnung zwischen dem Objekt und dem Autor des Werks, ist hier völlig ausgeblendet. Und bei aller Differenz ist dies die Ebene, auf der sich die Beziehung zwischen dem Bretonschen Fund und Duchamps déclaration abzeichnet. Duchamp setzt dem unbewusst gelenkten Fund nicht die Konzeption einer „freien“ als einer durchdringend bewussten Wahl entgegen. Bewusst ist im Gegenteil nur die Indifferenz. Bewusst ist nur das Fehlen einer ästhetischen („verworren“ bewussten) Motivation. Der Vollzug der Wahl wird deshalb ein umso reinerer Ausdruck des Unbewussten sein. Es ist einfachste Algebra. Wenn das Bewusstsein (und Vorbewusstsein) reduziert ist, wird es „das Unbewußte [sein, das] die Auswahl übernimmt“ (IS 136). Die Anästhesie ist die Bedingung dafür, dass die Wahl passiert, für die Passage des Ready-made durch den Schirm des Imaginären. „Es – das Readymade – wählt gewissermaßen Sie aus. Sobald ihre eigene Wahl dazukommt, ist der Geschmack mit im Spiel, schlechter Geschmack, guter Geschmack, uninteressanter Geschmack“. (IS 155) Auch für Duchamp ist die ästhetische Erfahrung Saum zwischen Bewusstsein und Unbewusstem. Während Breton die Turbulenzen in dieser Schicht für Zeichen der Tiefe der Verdrängungen hält, die sich in der Epiphanie des Objekts aktualisieren, sieht Duchamp in ihnen die Spuren der Vermittlung des Objekts mit dem Bildcharakter des Bewusstseins. Daher gehört das surrealistische Objekt der Dimension des Schönen an. Es ist die Vermittlung der vertikalen Bewegung des „Auftauchens“ des Objekts mit dem Horizont des anschaulichen Gegenwartsbewusstseins, die sich in die ästhetische Erregung, ob konvulsivisch oder nicht, übersetzt. Wenn die reflektierende Urteilskraft oder der Geschmack aber anästhesiert ist, braucht es keinen „empörten Ozean“, um die Einbildungskraft überzustrapazieren. In dem etwas gespenstischen Moment der Motivationslosigkeit, in dem das Ready-made seinen Autor „wählt“, wird die Kluft, die das Spiel der Gemütskräfte in der Erfahrung des Schönen erfüllen oder überbrücken soll, zum Riss, der mit dem Umriss des Objekts selbst zusammenfällt. Das Formlose zeichnet den Kontur der Form. Das Ready-made ist erhabenes Objekt, sofern es sich der Aufnahme in eine imaginative Synthesis, eine Bildgegenwart verweigert. Die Struktur dieser Resistenz können wir erst später voll präzisieren.172 172 Der „empörte Ozean“ ist eine der kantischen Tropen des Erhabenen (KdU 77). Die Beziehung

des Begriffs auf ein definites, in seine Form eingeschlossenes und sogar besonders stilles Objekt scheint den Bestimmungen der Undarstellbarkeit des kantischen Erhabenen (Formlosigkeit, quantitative Nahezu-Unendlichkeit, dynamische Übermacht etc.) diametral zu widersprechen. Das wird sich im Lauf der weiteren Analyse auf klären. Die perspektivtheoretische Reflexion, die über das Große Glas auch auf das Ready-made bezogen ist, wird sichtbar machen, dass der Kontur der Form selbst (und jeder Form) zugleich als Durchriss im Imaginären gefasst werden kann und

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Das Ready-made geht wie sandgestrahlt aus diesem Bett der Anästhesie, der NichtResonanz, der Abwesenheit von gutem oder schlechtem Geschmack hervor, „bar jeglichen Bezugs und sorgfältig von jeglichem erkennbaren Inhalt gesäubert“ 173. Seine erste Eigenschaft ist diese Neutralität oder Reglosigkeit, die es von der „berstenden Starre“ des surrealistischen Fetischs wesentlich unterscheidet. Es hat den Bildschirm durchquert, es gerinnt nicht in ihm. Das unterscheidet die Wahl vom ästhetischen Urteil, das den Effekt der Einschreibung oder Ankunft des Urteilsobjekts in diesem Schirm dynamisch und reflexiv übersetzt. Um die methodische Voraussetzung dieser Passage – die Indifferenz – zu sichern, präzisiert Duchamp die Bedingungen der déclaration. Wie ein Quantenphysiker oder Lacan durch seine Sekunden-Sitzungen engt Duchamp den Zeitspalt für das Erscheinen des „Zufalls“ oder des „Unbewussten“ ein. „Die ‚Readymades‘ präzisieren. indem man sich für einen Moment der Zukunft (den und den Tag, Datum Minute), ‚ein Readymade vormerkt.‘ – Das Readymade kann hierauf (mit genügender Frist) gesucht werden.“ Die genügende Frist gehört zum Auf bau der Versuchsanordnung, des Apparats. Die Herstellung der Indifferenz, die Suche, nicht die Wahl, braucht Zeit. – „Die Hauptsache ist denn also dieser Chronometrismus [horlogisme], diese Momentaufnahme [instantané], wie eine Rede, die bei irgendeinem Anlass gehalten wird aber zu der und der Stunde. Es ist eine Art Rendezvous. – Datum Stunde, Minute, natürlich auf dem Readymade eintragen, als Information.“ (ST 100 174 )

Buchstäblich hat Duchamp diese Selbst-Anweisung nur ein einziges Mal befolgt, zufällig bei dem einzigen Ready-made, einem kleinen Hundekamm aus Eisen, dessen materielles Original erhalten blieb. Dieser Kamm, Peigne. feb. 17 1916 11 am (fig. 25) ist nicht nur deshalb das vielleicht „gelungenste“ Ready-made Duchamps. Während der Flaschentrockenständer (fig. 22) um 1960 schön (oder „bizarr“) zu werden beginnt, während Fountain zu sehr das legendäre Skandal-Objekt ist, hat Peigne – wie muss: Limitation im Imaginären und Delimitation des Imaginären fallen im Kontur in eins. In diesem Rahmen wird der Begriff des Erhabenen von seinem eingebürgerten protoromantischen Assoziationsfeld trennbar. Der Versuch einer Ausnüchterung bei gleichzeitiger Affirmation der strukturalen oder architektonischen Rolle des Erhabenen unterscheidet unsere Kant-Lektüre auch von manchen heideggerianischen Reimporten aus Frankreich, die nicht frei von einem gewissen religiösen Timbre sind (s. bes. Jean-Luc Nancy, „L’Offrande Sublime“ und Jacob Rogozinski, „Le don du Monde“, beide in: J.-F. Courtine u. a. (Hg.), Du Sublime, Paris 1988). Was ist das Es im Es gibt, dessen Aufriss diese Autoren im Erhabenen Kants angezeigt sehen? Natürlich kein metaphysischer Theos, aber doch der Horizont einer Öffnung, der der Name „Gott“ nur nachträglich entzogen ist. Ich versuche Kant materialistischer (anders gesagt: „spinozistisch“) zu lesen, also das Es rückhaltlos in die Immanenz seiner Gabe einzuholen. 173 M. Leiris, „Kunst und Gewerbe des Marcel Duchamp“, in: ders. , Die Lust am Zusehen, Frankfurt a. M. / Paris 1981, 121–127, 126. Michel Leiris war einer der ersten, der nach der surrealistischen Überblendung diese Neutralität des Ready-made wiederentdeckt hat. 174 Der französische Text in Marcel Duchamp, Duchamp du Signe. Ecrits, hg. v. Michel Sanouillet, Paris 21994, 49 (ab hier zitiert als DDS). Ich übernehme durchgängig die Hervorhebungen und die Interpunktion Duchamps in Stauffers Transkription. Ganz konsequent ist das, da es sich um ein Gemisch aus Schrift und Zeichnung handelt, allerdings nicht möglich.

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sonst am ehesten die Schneeschaufel (In Advance of the broken arm, 1915, fig. 26), die Schreibmaschinenhülle (Pliant de Voyage, 1916, fig. 24) und vielleicht Hat Rack (fig. 23) – etwas von der matten Reglosigkeit bewahrt, die das Ready-made im Moment der Wahl auszeichnen (d. h. nicht auszeichnen) soll. „In den 48 Jahren, seit dieser kleine Eisenkamm als Ready-made ausgewählt wurde, hat er die Charakterzüge eines echten Ready-made bewahrt. Weder Schönheit noch Hässlichkeit, nichts besonders Ästhetisches drum herum… Er wurde sogar in all diesen 48 Jahren nicht einmal gestohlen!“ (ST 245) Kurz vor der Wahl des Kamms hat Duchamp an einem Text gearbeitet, Rendezvous du Dimanche 6 Février 1916 à 1 h. ¾ après-midi, dem er – in einem Prozess der Überzensur (SurcenSure, nach seinem Wort, ST 208 / DDS 275) – jeden Sinn auszutreiben versuchte. Unter Einhaltung der Regeln der Grammatik hat er jede semantische Kontinuität, jede narrative Synthese auszuschließen versucht. Es ist eine Art Pointillismus der Sememe statt der Farben, aber mit der Absicht, „jedes Echo der physischen Welt“ auszulöschen, kein Bild zu erzeugen, keine Metapher, keine Figur einzuschreiben,175 ein Verfahren, das zur freien Assoziation der écriture automatique, die es antizipiert, im gleichen Verhältnis steht, wie die Wahl des Ready-made zum Fund des objet trouvé. Thierry de Duve hat allerdings ein Echo in diesem Text, gefunden – oder er hat den Kamm als Echo eines „slip of tongue“ am Ende des Texts gefunden: „après maints efforts en vue du peigne, quel dommage!“ Indem er peigne als den subjonctif von peindre liest, sieht er in dem Kamm aus Eisen das um 11 Tage verspätete Echo des Texts – eine materialisierte Selbstanrede des ehemaligen Malers Duchamp: „qu’il peigne“ oder „que je peigne“, „If I only could paint.“ 176 Gerade die Überzensur, die jeden sich manifestierenden Sinn unterdrückt, lässt die unbewusste Wunschregung sich einschreiben in die Arbeit am Signifikanten – so könnte man die psychoanalytische Mechanik noch einmal von der Assoziationslehre des Surrealismus abgrenzen. Das Unbewusste zeigt sich nicht in der Semitransparenz der Metapher, es schreibt sich ein in der Arbeit am Signifikanten, in der Dimension der metonymischen Verschiebung. Von peigne zu peigne – es ist das Gestotter der Buchstaben, das die metonymische Bewegung trägt. Die Assoziations- und Erinnerungslinien, die Bildsynthesen des Vorbewussten werden von diesem Gestotter zerschossen,177 die Gleitmittel der Metaphorik absorbiert.

175 Interv. mit Arturo Schwarz, zit. in: ders. , The Complete Work of Marcel Duchamp, New York

2000, 642. Duchamp gibt hier für diese „mühsame Arbeit“ eine Dauer von „einigen Stunden an“, in einer Antwort zu den „Hundert Fragen“ Stauffers sind es „mehrere[n] Wochen“ (ST 293). 176 De Duve, Kant after Duchamp, 167 ff. , 170. Es geht mir hier mehr um das Verhältnis von Überzensur und Echo des Unbewussten als um de Duves spezifische Interpretation dieses „subjonctif “. Die Resonanzen des Großen Glases sind in diesem wie in vielen anderen zunächst sinnlos wirkenden Texte Duchamps im Übrigen zahlreich. Es sind dies allerdings keine Echos der „physischen Welt“. 177 Die metaphorische Dimension der Sprache wird „pulverisiert“, wie David Joselit schreibt (D. Joselit, Infinite Regress. Marcel Duchamp 1910–1941, Cambridge/London 1998, 77).

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c. Das Ready-made und die Warenform. – Im theoretisch reinen Fall des präzisierten, antizipativ auf den Tag und die Uhrzeit datierten Ready-mades ist die déclaration also der entblößte Akt der Wahl und des Kaufs. Auch das ist eine Art Rendezvous (ST 100), aber die Situation ist nicht „magisch und umstandsbedingt“ 178, eher klinisch und experimentell. Das Ready-made wird an der Schnittstelle der déclaration, mit der seine Existenz als Werk beginnt, übernommen. Woher oder Woraus? Die gängige Antwort lautet – aus seinen „umweltlichen Bezügen“, aus einem „Kontext“. Was ist dieser Kontext? Und wie geht das Ding, das das Ready-made angeblich war, in ihm auf? Nach Heideggers Analyse der Weltlichkeit der Dinge in Sein und Zeit begegnet das innerweltlich Seiende zumeist nicht als reines Wahrnehmungsding, als nur Vorhandenes, sondern als Zuhandenes, als Gebrauchszeug, eingespannt in Bezüge eines um-zu („der Hammer ist zum Hämmern“ etc.), es begegnet unter dem Aspekt der Bewandtnis, die es mit ihm hat. In der erfassten Bewandtnis eines einzelnen Zeugs ist ein Zeugzusammenhang und seine Bewandtnisganzheit miterfasst. Im alltäglichen Umgang mit Gebrauchszeug ist Welt – ein Existenzial des Daseins, Heideggers Name für den Menschen – miterschlossen (SuZ §§14–18). Noch Heideggers später Dingbegriff ist auf diese Analysen von Sein und Zeit bezogen. Die meisten Interpretationen des Ready-made setzen, sicher eher ohne Heidegger im Auge zu haben, eine solche Weltlichkeit des Dings, eine Art inkarnierter Signifikanz voraus. Diese Voraussetzung ist die Bedingung des Befremdungs- und Sinneffekts, den die „Kontextverschiebung“, um die es beim Ready-made angeblich geht, auslösen soll. Ist so aber nicht vorausgesetzt, dass das Ready-made schon „in Gebrauch“, dass es schon individuiert, in eine differenzierte Lebenswelt oder Umwelt eingegangen war? Das objet trouvé hat diese Einbettung hinter sich. Es ist gespurt und ausgewaschen von den Wechselfällen und dem Geheimnis seines Vorlebens.179 Auch der Charme der Objekte des Neo-Dada und des Nouveau Réalisme zehrt von einer solchen athmosphärischen Supplementierung, die der Schmutz des Lebens verleiht. Das Ready-made aber ist neu. Es taucht aus einem schärferen Bad als dem Meer des Vorbewussten auf. Es wird nicht unter den Kuriositäten eines Pariser Flohmarkts gefunden, es wird gekauft, und zwar im Supermarkt, wie 1914 der Flaschentrockner, und später vorzugsweise in einem amerikanischen hardware-store. Während Breton – der große Liebende der Liebe im Zeitalter der Prostitution, wie Duchamp einmal sagt (vgl. IS 210) – das objet trouvé in eine Theorie der unverfüglichen erotischen Begegnung einschreibt, ist die Wahl des Ready-made nach einer Notiz der Weißen

178 L’Amour fou, 22. 179 Giacometti und Breton rätseln lange über die ehemalige Verwendung der Eisenmaske, die Giaco-

metti am selben Tag kauft wie Breton seinen Holzlöffel (L’Amour fou, 33 ff.). Ihre düstere Vorgeschichte im 1. Weltkrieg enthüllt sich später (44 ff.).

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Schachtel ein Koitus durch die Schaufensterscheibe (ST 125) 180. Der „Kontext“, aus dem das Ready-made entnommen wird, ist kein Geflecht lebensweltlicher oder umweltlicher Bezüge, kein Bühnenbild mit Frau zum Beispiel, wie bei Breton, es ist der Block seiner präindividuellen Existenz im Element der Wertäquivalenz der Waren. Duchamps selbstgestellte Aufgabe, einen Gegenstand zu finden, der ihn absolut nicht interessiert, ist wesentlich dadurch erleichtert, dass eine imaginierbare Vorgeschichte dieses Gegenstands abgeschnitten ist von der Anonymität der Serienproduktion. Das Ready-made hat keinen Stammbaum, keine individuelle Genese. Es geht aus dem Massiv eines vielfach aufgefächerten, arbeitsteiligen und asynchronen Produktionsdispositivs hervor, das insgesamt seine Gussform ist. Die Struktur der déclaration ist daher nicht binär (Alltagsding/Kunstwerk, profan/sakral, Gebrauchswert/Kultwert usw.), sondern tertiär. Sie fällt mit dem unsichtbaren Trennstrich zusammen, der die Ware in den sinnlich-sichtbaren Körper, mit dem sie am „innerweltlichen“ Leben und seinen Sinnbezügen partizipiert, und den abstrakten Tauschwert teilt, durch den sie an der Kapitalbewegung teilhat. Und jenseits der Markierung, in der Domäne der Wertäquivalenz der Waren, gibt es keinen „Kontext“, keine „Bewandtnis“, keine „Bilder“ – nur ihre sekundären Reflexe. Um die Radikalität dieses bildkritischen Potentials zu verdeutlichen, möchte ich die Struktur der Warenform noch etwas weiter entfalten und in einigen Ausblicken mit Heideggers Ding- und Werkbegriff verschränken. Es geht darum, das Verhältnis von Ware, Ding und Bild in ihrer wechselseitigen Abgrenzung zu formulieren. Die Warenform ist ein Agent der Zerstörung der Bilder. Als Ware, im Horizont des Kapitals, ist das Seiende nicht das, was Heidegger in Sein und Zeit Zeug und später Ding nennt. Die Ware wäre nach Heideggers späterer Terminologie auch nicht der seiner Weltlichkeit schon beraubte Gegenstand (das Erkenntnisobjekt) der Neuzeit. Sie gehört zum bestellbaren Bestand, als der das Seiende im herausfordernden Entbergen des Ge-stells, Heideggers Name für das Kapital, gefasst ist.181 Der Horizont der Warenproduktion ist flach und ontologisch homogen. Es ist die Rechnung im Element der Wertäquivalenz, an der die Ware nur als Ausdruck der abstrakten Arbeitszeit partizipiert, die ihren Wertcharakter (ih-

180 Nach dem auf 1913, dem Jahr des Fahrradrads, des ersten Ready-made, datierten Text, dessen Am-

biguitäten eine detaillierte Analyse erfordern würde. „Die Frage der Schaufenster / das Verhör der Schaufenster / über sich ergehen lassen. / Die Forderung des Schaufensters / Das Schaufenster / Beweis der Existenz der äußeren Welt… – / Wenn man das Verhör der Schaufenster über / sich ergehen lässt, spricht man auch seine / eigene Verurteilung aus / Die Wahl ist tatsächlich hin / und zurück. Aus dem Verlangen der / Schaufenster, aus der unvermeidlichen Antwort auf die Schaufenster, beschliesst sich die Fixierung der Wahl. Keine Versessenheit / ad absurdum, : den Koitus / durch die Glasscheibe hindurch mit einem / oder mehreren Objekten des Schaufensters / verbergen zu wollen. Die Strafe / besteht darin, die Scheibe zu durchschneiden / und darüber Gewissensbisse zu haben, sobald / die Besitznahme erfolgt ist / q. e. d. – / Neuilly. 1913“ (ST 125 / DDS 105). Viele der Motive dieses Texts werden von der Topologie des Großen Glases aus verständlicher werden. 181 Heidegger, „Die Frage nach der Technik“, in: Vorträge und Aufsätze, Pfullingen 61990, 20.

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ren Tauschwert182 ) konstituiert. Ein vorgesehener Gebrauch (eine Bewandtnis) wird zwar auch dem Warenexemplar noch aufgeprägt sein. Aber im Horizont der Warenproduktion steht nicht dieses eidos, das Aussehen des einzelnen Dings im Blick, in ihm ist vorgängig der Plural der Serie gemeint. Der Gebrauchswert ist nur eine Art terrestrische Stütze des Kapitals, seine „Naturalform“, wie Marx sagt, in der es sich entstellt oder totstellt, um durch diese Inkarnation im Reich der Konkreta zu fungieren – das heißt in Bewegung zu bleiben. „Je mehr die Zirkulationsmetamorphosen des Kapitals nur ideell sind, d. h. je mehr die Umlaufszeit = 0 wird oder sich Null nähert, um so mehr fungiert das Kapital, um so größer wird seine Produktivität und Selbstverwertung.“ 183 Die Zeit der Inkarnation als Gebrauchswert, ist für die Kapitalbewegung Larvenzeit, tote Zeit, ein in Kauf genommenes Widerstandsmoment. Die Form des Warendings ist daher nicht wie die der archaischen Heideggerschen Dinge – des Krugs, der Schale, der Bank – aus den Zügen der Welt des Gebrauchs, von ihrer Bewandtnis her bestimmt. Die Ware muss zwar irgendeinen Gebrauchswert reflektieren,184 sie muss zu den zunehmend von der Werbung dem 182 Marx unterscheidet Wert und Tauschwert noch einmal. Wesentlich ist, dass der Wert der Ware

(der abstrakte Wert, der unter den Marktbedingungen als Tauschwert um ein bestimmtes Maß oszilliert), in keinem Verhältnis zu ihrer Nützlichkeit (zum Gebrauchswert) steht, sondern zu der in ihre Herstellung investierten „gesellschaftlich [d. h. unter jeweiligen historischen Bedingungen: der technischen Entwicklungsstufe der Produktionsmittel] durchschnittlich notwendigen Arbeitszeit“. Der abstrakte Wert der Ware ist proportional zur insgesamt investierten Arbeitszeit und hat mit dem Gebrauchswert nichts zu tun. (Das Verhältnis von „Angebot und Nachfrage“ regelt nur Preisschwankungen, nicht den Preis.) K. Marx, Das Kapital I, MEW 23, Kap. 1, „Die Ware“. 183 K. Marx, Das Kapital II, MEW 24, 127 f. H. D. Kittsteiner lässt Heidegger paraphrasieren: „Diese Kreisbewegung der Vernutzung um des Verbrauchs willen ist der einzige Vorgang, der die Geschichte einer Welt auszeichnet, die zur Unwelt geworden ist“ (Mit Marx für Heidegger – mit Heidegger für Marx, München 2004, 128; Zitat aus „Überwindung der Metaphysik“ [1936–1946], in: Vorträge und Aufsätze, 92). Kittsteiner konfrontiert in seiner Studie vor allem Heideggers und Marx’ Geschichtsbegriff und ihre jeweilige Genese: Beide weisen über eine bloß „ontisch-historische“ Beschreibung der „Weltgeschichte“ als der Historie (wie Heidegger sagt) der „innerweltlichen Begebenheiten“ hinaus. Heidegger zunächst in die Dimension der Geschichtlichkeit des Daseins (als Modus von dessen Zeitlichkeit – SuZ, §§72–77) und später der Geschichte des Seyns (als „Geschick“ von Entborgenheitsweisen des Seienden) – Marx auf die Zirkulationsbewegung und fortschreitende Akkumulation des Kapitals. Für Heidegger ist die eigentliche Dimension der Geschichte die der ontologischen Wahrheitsentwürfe, die die für eine Epoche jeweils bestimmende Zugangsart zum Seienden ermöglichen und tragen – eine Dimension die sich struktural nicht vom entborgenen Seienden (und dessen „taktischer Verschiebung“) aus denken und beinflussen lässt und die deshalb die Zukunft ist. Für Marx besteht sie in der eigengesetzlichen Bewegtheit des Kapitals und der vertikalen Zeit seiner Akkumulation, in der selbsttätigen Aufzeichnung und Speicherung vergangener Arbeit, die die Metamorphose der Produktionsweisen bestimmt. Es ist die Bewegung dieses „Demiurgen“, der den Hegelschen Weltgeist ablöst, die die Weltgeschichte „macht“ und ihr deshalb phänomenal nicht angehört. Um diese Polarität einer lichten Zeit der Zukunft und der sedimentierten Vergangenheit geht es beim Verhältnis von Bild und Spur, das ich mit alldem weiter verfolge. 184 Und wenn es nur der Prestigewert ist, der „Zeichentauschwert“ (Sign exchange value) – ein in der „linken“ Kunstkritik der achtziger Jahre oft auf tauchender Begriff Jean Baudrillards (J. Baudrillard, For a Critique of the Political Economy of the Sign, St. Louis 1981).

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Leben aufgeprägten und serienfähig gemachten „Bedürfnissen“ passen, aber der Gebrauchswert ist nur eine Berührungsstelle, eine Art Klebefläche zwischen den Kreisläufen der Produktion und des Konsums oder Verbrauchs, deren Beschleunigung das immanente Telos jener zur „Unwelt gewordenen“ Welt ist, die Heidegger und Marx analysieren. Im Typos, der Stempelfläche der Fabrik, bleibt zwar das Negativ des Aussehens eines Dings eingeschrieben. Aber dieser Typos ist nicht – wie das Eidos im poetischen Hervorbringen Heideggers – Ursache des Vorliegens des einzelnen Dings.185 Die Serie ist in der entwickelten Warenproduktion ontologisch primär. Sie ist keine Multiplikation des „bewährten“ Einzeldings, sondern die Explikation des homogenen Kapitals unter dem Brechungswinkel eines möglichen Gebrauchswerts und im technisch-ökonomischen Rahmen einer Kalkulation von Produktionsund Marktvoraussetzungen. Die Ware ist daher im strengen Sinn Ding ohne Eidos, ohne Ur-bild. Sie ist einem Prototyp, nicht einem Archetyp nachgebildet. Die Investition in das Produktionsdispositiv, in die Gussform der Fabrik – die in sich eine Staffelung von Gussformen ist –,186 ist auf diesen flüssigen Körper der Serie, auf das Warenkapital bezogen. Die Investition ins Produktionsdispositiv, die die Bedingung der Form und Existenz des einzelnen Exemplars ist, kann sich nur gegen diese offene Gesamtheit der Serie auswiegen. Die einzelne Ware ist Ausdruck dieser Relation und nicht das eigenständige Ding, als das sie dem in natürlicher Einstellung lebenden Bewusstsein erscheint.187 185 „Die Frage nach der Technik“, in: Vorträge und Aufsätze, bes. 11 ff. 186 Gussform ist hier kein verfahrenstechnischer, sondern der formal-ökonomische Begriff des fixen

Kapitals, der Produktionsmittel, die die gleichförmige Sequenzierung des Material- und Zeitflusses der aktuellen Produktion erlaubt. Die Schwellendifferenz zwischen der in der Maschine geronnenen Zeit und der Aktualität des Zeit- und Materialstroms, den sie rastert und prägt, rechtfertigt diesen formalen Gebrauch des Begriffs. Ich komme darauf noch zurück (s. u., S.137 ff.). 187 Vielleicht wirkt diese Verflechtung von Marx’schen und Heideggerschen Motiven allzu elliptisch. Ich will so einige Grundlinien der Abgrenzung von Heideggers Werkbegriff markieren, der mir dennoch auch weiter als eine Art Leitfaden dient. Heidegger will, dass im Werk so etwas gewahrt („gerettet“) würde wie das welterschließende Beziehungsgefüge des Dings. Das poetische Hervorbringen, das er der technischen Produktion (Heraus-forderung) entgegenstellt, ist wesentlich Handwerk. Es findet im Licht einer erschlossenen Welt des Gebrauchs statt, auf der Weltinnenseite der artikulierten „Zwecke“ oder „Ursachen“ (der aristotelischen aitiai). Schon weil die handwerkliche Produktion von Gebrauchswerten historisch verschwindet, bleibt die Kunst als der Ort (das Metier?) solcher Hervorbringung der Bezirk der „Rettung der Dinge“. Auch Gadamer setzt das Ding der Ware entgegen – und will noch im modernen Werk „so etwas, wie früher ein Ding“ war, sehen („Kunst und Nachahmung“, in: GW 8, 35). Es bezeugt eine „geistige Ordnungskraft“ in „unserer sich immer mehr ins Uniforme und Serielle verändernden Welt“ (ebd. , 36). Dieser Topos des Werks als des Einzeldings, in dem eine Welt aufgeht, ist nicht einfach ein Ausdruck einer „provinziellen“ Nostalgie fürs Handwerk. Diese Konzeption ist mit einem Grundmotiv von Heideggers spätem Denken, dem Aufgang der physis verbunden, den die Geschichte der Metaphysik seit Platon zunehmend technisch verstellt. Während die Wissenschaften und die Philosophie an dieser Verstellung teilhaben, wäre in der Kunst der Spielraum des Ereignisses, des Spiegelspiels der Welt offengehalten. Das poetische Hervorbringen des Werks wäre geleitet von einem gewaltlosen Vernehmen (das vom Vorstellen des neuzeitlichen Subjekts und vom subjektlosen Stellen des Ge-stells wesentlich unterschieden ist), es wäre in seinem äußersten Horizont kein technischer Vollzug, sondern stimmlose Zustimmung – ein Einklang, der

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Die industrielle Produktion hat ihr Telos und ihren Horizont nicht in der erschlossenen Welt, sondern in der Beschleunigung der Umlaufbewegung des Kapitals. Deshalb ist die absolute Ware als ökonomisches Ideal ein Produkt mit minimiertem, eingeebneten Gebrauchswert. Die Kreisläufe von Produktion und Konsum berühren sich in einem Punkt, eine Übersetzung ohne Reibungsverlust. Die absolute Ware konnte so als Paradigma des autonomen Werks der Moderne aufgefasst worden. Wenn die Züge eines Gebrauchswerts abgeschliffen sind, wenn ein Produkt jene aufgestempelte „Eidetik“ verliert, durch die Waren sonst den „Schein des Seins für die Gesellschaft … krampfhaft aufrecht erhalten“,188 wie Adorno sich ausdrückt, dann bleibt ein namenloses Etwas, ein schillerndes Kondensat abstrahierter Arbeitszeit und gibt ein Modell des bild- oder referenzlosen Werks ab. In den siebziger Jahren haben manche marxistische Kritiker Judds industriell produzierte, semantisch leere, im Ding und seinem Zur-Welt-Sein geborgen wäre, wie es die Sprachakrobatik am Schluss des Dingaufsatzes evoziert. Kehrt aber so nicht in einer seltsamen Verlagerung und gegen die zentrale Tendenz von Heideggers Denken, den Wahrheitsbegriff vom Modell der Übereinstimmung (von Bild oder Satz und Sache) zu lösen, eine Art von „adäquatio“ im Herz des Wahrheitsgeschehens zurück? Nicht als Beziehung zwischen Seienden (intellectus et rei, Subjekt und Objekt) aber als die Entsprechung von Zusage und Zugehör, von Zuwurf und Entwurf, von Sein und Dasein? Die ganze Heideggersche Topik des Wahrheitsgeschehens balanciert auf diesem Grat einer reinen Wiederspiegelung, einer asymmetrischen, aber gewaltlosen Beziehung, die im Werk – ob als Bildwerk oder Dichtung – geborgen (oder gefügt) würde, während die Wissenschaft (und die „Philosophie“, sofern sie Wissenschaft ist) dem Gewaltparadigma des Ge-Stells, das das Seiende als „berechenbaren Bestand“ entbirgt, unterstellt oder verfallen wäre – und von dem weiteren Horizont der (seinsgeschichtlichen) Entscheidung über den Wahrheitsentwurf selbst abgeschnitten. Die Welt, die im Werk aufgehen soll, darf ihm nicht von der Type eines Apparats eingeschrieben sein. Die Form des Werks ist aus der wirkungslosen Dimension der Zukunft oder der Freiheit bestimmt, in der sich das Spiel des Gevierts entfaltet. Sie ist von einer Bildgebung bestimmt, die sich in einem Material realisiert – im Licht des sehr ausgewogen erscheinenden Oikos dieser Welt. – Es sind gerade diese „radikal-ökologischen“, gewaltverneinenden Züge von Heideggers spätem Denken als „schonendem Denken des Möglichen“, in dem das Kunstwerk in Vertretung des Dings eine zentrale Stelle einnimmt, die die Brauchbarkeit von Heideggers Werkbegriff für das zwanzigste Jahrhundert begrenzen. (Wo diese Grenze liegt, möchte ich nachher mit einem Ausblick auf Brancusi zeigen – um Heidegger nicht mit dem Hinweis auf Chillida unter Niveau zu schlagen. Es geht nicht um Heideggers „Geschmack“.) Gegen dieses Modell eines Einklangs von Werk und Welt im Bild geht es mir insgesamt darum, die irreduzible Technizität, einen radikalen Konstruktivismus als Strukturmoment des modernen Werks sichtbar zu machen. Eine Affirmation der Deterritorialisierungsbewegung des Kapitals (des Ge-stells) muss als Grundzug der Kunst der Moderne begriffen werden, als Parallele zur Abstraktion, die das Werk aus der Logik des Bildes und seines wie immer gebrochenen Verweises (Nachklang, Einklang etc.) auf ein Urbild – einschließlich des unanschaulichen Gevierts, des Oikos von Heideggers spätem Denken – herausdreht. Das moderne Werk ist anarchisch, weil sein bodenloser Grund „der umherirrende Automatismus des Kapitals“ ist (A. Badiou, Manifest für die Philosophie, 47), in dem kein Bild, kein eidos sich hält. Und nur auf dem Grund dieser Anarchie kann es radikal konstruktivistisch sein. Berührung des Chaos und Konstruktion bedingen einander. Ihr Ineinandergreifen ist das Bewegungsgesetz eines Ikonoklasmus, der sich zugleich der bloßen Reflexion einer schon konstituierten Wirklichkeit – der typischen Komplizität also von Positivismus und Historismus – entzieht. Dieser anarchische und konstruktive Ikonoklasmus ist ein Grundzug der progressiven Kunst der Moderne. 188 Th. W. Adorno, Ästhetische Theorie, 351.

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transportable Luxusobjekte in diesem Sinn als bloße „Inkarnationen ihres Tauschwerts“ beschrieben und kritisiert,189 in den achtziger Jahren wurde die absolute Ware als Paradigma einer Kunst der zynischen Affirmation wiederentdeckt.190 Wenn der Gebrauchswert, das der Ware aufgeprägte Muster ihrer Verzahnung mit dem Kreislauf des Konsums verwischt ist, dann gewinnt in der Oberfläche des nutz-los gewordenen Produkts das Gesetz des ökonomischen Dispositivs selbst eine „unmittelbare“ Sichtbarkeit. Im bildlos autonomen Werk tritt die Warenform in ihre Wahrheit ein. So hat zuerst Yves Klein den absoluten Raum des Monochroms in Bezug zur Geldabstraktion gesetzt. Und wir werden sehen, wie sich das Verhältnis von Bildabstraktion und Abstraktion des Tauschwerts bei Judd abzeichnet und wie er der Konvergenz seiner specific objects – seinem Modell der Kreuzung von Monochrom und Readymade – mit der absoluten Ware ein Projekt der Resistenz entgegenzusetzen versucht mit dem Konzept der Permanenten Installation. Kommen wir aber zu diesen Dingen Duchamps zurück, die keine Dinge sind. Für das Ready-made geht oder ging es jedenfalls anfangs noch nicht um seine eigene Warenförmigkeit als Werk. Es geht darum, dass das Ready-made der Warenform und nicht einem Kontext entfalteter Gebrauchswerte entnommen wird. Sein Dingsein ist ihm nicht erst durch die déclaration, die es einer Umwelt entzieht, verwehrt. Die déclaration reartikuliert vielmehr die innere Trennlinie, die die Ware von sich her in Gebrauchswert und Tauschwert teilt, in die sinnlich-konkrete Erscheinung des einzelnen Dings und die gezählte Zeit der investierten Arbeit, deren verstellender Ausdruck diese Erscheinung ist. Es ist diese Beziehung, die die déclaration von der bloß provozierenden Kontext-Verschiebung, vom Paradigma jener „kleinbürgerlichen“ oder „realistischen“ Soziologie, die Daniel Buren bei Duchamp zu erkennen glaubt, unterscheidet. Der Tauschwert ist keine Umwelt und kein Text. Er ist das „schärfere Bad“, das dem Ready-made die Bildassoziationen abschleift, ihm die Erinnerungstiefe raubt, die dem objet trouvé seine Expansionskraft im Imaginären gab.191 Erst die déclaration als Wahl und Kauf, als „Koitus durch die Glasscheibe“ singularisiert das Objekt, sie löst es aus dem flüssigen Körper der Serie. Aber sie lässt das so individuierte Ding nicht eingehen in den komplementären Kreislauf des Gebrauchs. Sie versetzt es in die stillgelegte Sphäre der Kunst, der jene gewöhnlich ikonisch distanzierten Dinge angehören, die zu nichts zu gebrauchen sind, weil sie zum Beispiel nur gemalt, bloße dargestellt sind, und die daher dauern. Wie ein gemaltes Ding im Schutzraum eines Bilds oder auch eine Statue, die zur Liebe sowenig taugt wie eine Pfanne Chardins zum Kochen, geht das Ready-made in eine Sichtbarkeit ein, die es nicht verzehrt. Ohne an Brauchbarkeit, zum Schneeschippen zum Beispiel, verloren 189 Beveridge/Burn, Don Judd, in Stemmrich 1995. 190 Hier, bei Jeff Koons, Haim Steinbach etc. spielt dann der erwähnte Zeichentauschwert Baudril-

lards seine entscheidende Rolle (s. o. , Anm. 84).

191 „Ein völlig neues Bad“, das ihn von seiner „durchaus französischen Fabrikation, wenn sie so

wollen“, entfernte, waren für Duchamp selbst die USA, wohin er schon 1915 auf brach, um dem „Kriegsgeschrei“ zu entgehen (IS 110). Ohne diesen frühen und oft wiederholten Klimawechsel wäre Duchamps Werk undenkbar.

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zu haben, ist es durch die déclaration in den Modus eines Sich-Darstellens versetzt. Ohne einen anderen Rahmen durchquert zu haben als den Zeitpunkt seiner Datierung, ohne eine andere Markierung dieser Passage als die Inskription des kalendarischen Datums ( feb. 17 1916 11 am) auf seinem Körper, die Signatur und gelegentlich ihre Erweiterung oder Verdopplung durch einen Satz, der „im Wesen auch wieder poetisch sein musste und oft ohne normalen Sinn“ (IS 104 f.), wie Duchamp sagt, „eine Art Fahne oder eine Farbe, die nicht aus der Tube kommt“ und die es von „diesen anderen Ready-mades, seinen Kumpeln“ (IS 107) jenseits der Schaufensterscheibe unterscheidet – ist es in den Schwebezustand eines Für-sich-Seins versetzt, der zur Existenzform von Kunstwerken zu gehören scheint. Das Datum der déclaration ist ein ontologischer Schnitt. Sie vollzieht eine radikale Singularisierung. Sie löst das Werk aus dem eminenten Plural der Serie. Die Geschichte des Ready-made als Werk beginnt mit der wesenhaft unwiederholbaren déclaration. Die Singularität des Werks setzt daher nicht die Nicht-Reproduzierbarkeit seines Körpers voraus. Die Gestalt des Werks ist nicht seine synchron gegenwärtige Raumform, sondern die Gestalt seines Werdens im Zeitraum der Geschichte, eine Gestalt, deren Kontur per se ontologisch irreproduzibel ist, weil er am Punkt der Datierung festgemacht bleibt, dem formalen Ursprung der Originalität des Werks und Fluchtpunkt seiner Zeitgestalt. Die déclaration kann nur einmal stattfinden – als der Schnitt, der das Ready-made von seinen „Kumpeln“ trennt und das Feld seines Werdens öffnet – wie die punktuelle Öffnung der Blende einer Camera Obscura den Lichtkegel einfallen lässt, der auf einen ebenen Schirm ein Bild projiziert. Sein plastischer Körper kann als die materielle Markierung dieser Passage gelten, die seinem Werden die physische Effizienz verleiht, die ihm erlaubt, sich abzudrücken – in The Blind Man’s Eye, das für Fountain zum Beispiel Alfred Stieglitz’ Kamera war.192 Die Werkgestalt fällt deshalb nicht mit dem Umriss dieses Körpers zusammen und auch nicht mit dem seiner Bilder. Sie ist der Umriss des zeiträumlichen Feldes seiner Effizienz, eines Feldes, das auch einer Mehrzahl von Exemplaren Aufenthalt bieten kann und dessen Entfaltung auch dann nicht unterbrochen ist, wenn eines „gestohlen“ wird oder „verloren“ geht, was für die meisten der Ready-mades eine Zeit lang der Fall war. Das Ready-made bleibt und bleibt in jedem Fall eines. Seine Singularität als Werk ist an die Tatsache und das Datum der Wahl gebunden. Nach einer gewissen Registratur dieses Akts kann sein Körper auch verloren gehen oder andererseits reproduziert und sogar multipliziert werden, wobei diese „Reproduktionen“ selbst wiederum ready-made sein können, wie bei den verschiedenen Flaschentrocknern, die Duchamp im Lauf der Jahre signierte, oder handwerklich nach dem orginalen Ready-made hergestellte Kopien wie bei der Edition von 14 Ready-mades, die Arturo Schwarz 1964 herausgegeben hat. Auch durch diese achtfache Brechung im Element der Ähnlichkeit – denn die Exemplare der Edition von Schwarz sind Abbilder, keine Abgüsse und keine „Kumpel“ des Originals – ist die „Ready-made-Idee … nicht verändert“ (IS 225). Der Verlust wie

192 S. o. S.118 ff. u. Anm. 150.

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die Multiplikation seines Körpers sind Strukturmoment des singulären Werdens des Werks. Die déclaration, sagt Duchamp, ist ein Schnappschuss193, aber sie ist ein Schnappschuss ohne Verschluss, der keinen Bildabdruck fixiert, sondern einen „Belichtungsprozess“ nur anfängt. Das Ready-made, das durch die Wahl isolierte, indifferente, unbezügliche, reglose Objekt, ist eine Fotoplatte, die erstens neutral, geschmacksindifferent, „sorgfältig von aller Bedeutung gesäubert“,194 das heißt flach oder leer sein muss, und zweitens so unempfindlich wie möglich für den Sinn. Nur so kann sie ihn im „Langzeitversuch“ 195 seines Werdens, seiner Belichtung oder exposition aufzeichnen. Das arbiträre Objekt der institutionstheoretischen Interpretation des Ready-made wird durch einen Reflex der „Macht“ des „Museums“ auf seinem Körper zum Werk. Das ekstatische surrealistische Objekt rastet plötzlich in das vom Vorbewussten präparierte Imaginäre seines Finders ein. Das Ready-made entwickelt sich langsam zum Bild – zu einer offenen Vielzahl von Bildern. Es sammelt Staub, es sammelt Worte. Es sagt nicht oder nicht nur „ça a été“ wie die Fotografie, die sich von einem Moment der Vergangenheit stempeln ließ, sondern „das entwickelt sich, das macht sich“ – es produziert ein Archiv. Fotografische Abdrücke, Interpretationen fallen von ihm ab. Die ästhetische Indifferenz des gewählten Objekts ist eine Bedingung dafür, dass es mit diesen Bildern, die die Anschauer von ihm machen, nicht verklebt. Eine gewisse Resistenz oder Abstoßungskraft gegenüber dem „Teig“ der Gegenwart, in dem seine Anschauer jeweils stecken,196 ist die Bedingung seiner Ausdauer bei dem Wettlauf mit der Nachwelt, der die Lebenszeit des Werks ausmacht. Die Entnahme des Objekts aus der Matrix der Serienproduktion ist für dieses operative Gefüge also essentiell. Seine klinische Neuheit ist bestimmend für die Neutralität des Ready-made und Voraussetzung der Präzision, mit der der Anfang seines Werdens datierbar sein muss. In dem Moment schließlich, da der „Wettlauf mit der Nachwelt“ für die Ready-mades zu enden schien – im toten Raum der musealen Kanonisierung –, hat Duchamp dem Konzept einen zweiten Atem gegeben, indem er sie zu jener kleinen Schar von Reproduktionen sich zerstreuen ließ, um sie in der besonderen Form der handwerklichen Kopie eines Serienprodukts der Warenform zurückzugeben. Zum ersten Mal in seiner seltsamen Karriere seit dem Erfolg seiner letzten Ölbilder auf der Armory Show verdient Duchamp Geld mit dem Verkauf seiner Kunst. Zuvor hatte er nur ein wenig mit Brancusis gehandelt.197

Stauffer übersetzt „instantané“ mit „Momentaufnahme“ (ST 100). Leiris, „Kunst und Gewerbe…“, in: ders, Die Lust am Zusehen, 126. Daniels, Duchamp… , 217. „Wir sind völlig im Teig, und wir sehen nichts um uns herum. Immer erst fünfzig Jahre später nehmen die Dinge Gestalt an.“ (IS 235). 197 Daniels, Duchamp… , 94 ff. Außer den von vorneherein multiplen Schachteln hat Duchamp eigene Werke selten verkauft. Das Glas bekamen die Arensbergs als Gegenleistung für die Ateliermiete. Mit dem Tzanck-Scheck bezahlte er seinen Zahnarzt usw. Das Rätsel, wovon Duchamp „gelebt“ hat, außer vom Atmen, ist nicht leicht zu lösen. Duchamps auch deshalb so langsame Karriere blieb beinahe ohne Unterstützung des Kunstmarkts. Das verfolgt Daniels ausführlich. 193 194 195 196

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„Ich habe etwas davon“, sagt er zu Tomkins, „wir können jetzt erster Klasse reisen, außer natürlich im Flugzeug.“ 198 d. Neugeboren oder ready-made? Anfänglichkeit und Datierung. – Sicher hat Duchamp das Ready-made nicht primär in einem kapitalismustheoretischen Horizont gedacht. Dass es ein Serienprodukt ist, dass es gekauft, nicht „gefunden“ wird, dass es dem Paradigma der Prostitution und nicht der Liebe angehört, des ersetzbaren, nicht des singulären Objekts – das sind Reflexe seines Verhältnisses zur Warenform, eine explizite Thematisierung aber findet nicht statt. Es geht uns auch nicht darum, diesen Bezug als Schlüssel zu präsentieren, der die „Magie“ (IS 120) des Ready-made reduzierte. Explizit zeichnet sich das Verhältnis zur Serienproduktion aber in Duchamps technischen Überlegungen zum Abdruck und Abguss ab, die strukturbildende Momente seines gesamten Werks sind, in technisch-konventioneller Form erst im Umkreis von Etant donnés (dort tauchen die verschiedenen Gipsabgüsse von Körperformen auf), in elementarem Sinn aber schon im Großen Glas und den Notizen der Grünen Schachtel. In den posthum publizierten Notes ist das Thema des Abgusses mit einem weiteren Feld von Überlegungen verbunden, die Duchamp unter dem Titel des infra mince, des „Infra Geringen“ oder „Infra Dünnen“ zusammenfasst. Es geht um Phänomene im Schwellenbereich der Wahrnehmung, um mikroskopische oder atomare materielle Prozesse und die Bruchteile von Raum und Zeit, in denen sie sich abspielen, eine Art Unschärfezone der Identität der Dinge. Eines der Beispiele, das in mehreren Notizen auf taucht, ist die Differenz zweier Objekte, die derselben Gussform entstammen. „La différence (dimensionelle) entre 2 objets faits en série [sortis du même moule] est un infra mince quand le maximum (?) de précision est obtenu“ 199. Und: „ 2 formes emboutis dans le même moule (?) diffèrent entre elles d’une valeur séparatrice infra mince“ (no. 35 rv.). Diese „approximation pratique de la similarité“, für die die „fabricat[ion] en série“ (no. 7) neben Zwillingen und Wassertropfen (no. 35 rv.) ein Beispiel ist, verknüpft Duchamp mit der Selbst-Abweichung eines materiellen Objekts in der Zeit: „Dans le temps un même objet n’est pas le même à 1 seconde d’intervalle. / Quels rapports avec le principe d’identité?“ (no. 7) Die Flucht der Serie im synchronen Raum, die Flucht der Objekte, deren Material dieselbe Gussform durchflossen hat, überkreuzt sich mit der Flucht der unmerklichen physischen Veränderung des einen materiellen Dings in der Zeit. Die déclaration ist der Moment der Kreuzung dieser beiden Fluchten. Sie trennt das Ready-made von „seinen Kumpeln“ und setzt es ein in den Modus eines Sich-Darstellens, in dem es sich nicht, wie im Gebrauch, abnutzt oder verzehrt – sich aber im Bereich des inf198 Calvin Tomkins, Duchamp. Eine Biographie, München/Wien 1999, 496. 199 Marcel Duchamp, Notes, Paris 1999, no 18. Eine erste Ausgabe der von Paul Matisse edierten

Notizen erschien 1980 im Faksimile-Druck mit Transkription und engl. Übersetzung. Die Nummern der Taschenbuchausgabe sind identisch. Die Notes enthalten neben verschiedenen Notizen und Sprachspielen nocheinmal viel Material zum Glas. Rückblickend wird klar, wie selektiv Duchamp bei der scheinbar so „losen“ Zusammenstellung der Grünen Schachtel vorgegangen ist.

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ra mince dennoch fortgesetzt transformiert. Das Ready-made ist als Serien-Produkt Ausstoß einer anonymen Maschine und es trägt keine Markierung der Zeit seiner individuellen Produktion. Eine solche Markierung wäre tendenziell Fehler, es wäre ein Mangelstück. Die Gusshaut muss „glatt“, sie muss absolute Trennung des beständigen Materials der Maschine und des sie durchfließenden Materials des Produkts sein.200 Dennoch braucht auch die Produktion des Einzeldings Zeit. Ein Widerstand des Materials wird überwunden. Es wird in seine Form geprägt. Es wird daher eine unwiederholbare infra geringe Körnung behalten – als Signatur dieses Augenblicks seiner Prägung. Auch die Serienproduktion partizipiert an der unumkehrbaren oder entropischen Zeit. Aber sie versucht, diese Partizipation durch die gleichförmige Wiederholung des Verfahrens zu reduzieren, sie drängt sie in den Bereich des infra mince ab. Das Produkt soll den Abdruck nur der in der Gussform der Produktionsmittel akkumulierten, bereits zur Normgröße verfestigten Zeit tragen, die das geometrische Skelett der Wiederholung ist, die den Fluss des Materials skandiert. Die infra geringe Differenz der Objekte, die aus derselben Gussform stammen, ist daher die verschwindende Spur der Partizipation des Verfahrens an der entropischen Zeit, die Spur der gebrochenen, aber nie absolut bezwungenen Widerständigkeit und Heterogenität des Materials und die Folge des unvermeidlichen Verschleißes der Gussformen selbst, die hart sein müssen, aber nie absolut exakt sein werden, da ihre Substanz und Form nichts anderes ist als sedimentierte Zeit.201 Die infra geringe Differenz der Serienprodukte ist mit der infra geringen Selbstabweichung eines einzelnen materiellen Dings nach dem „Intervall von 1 Sekunde“ insofern wesensverwandt. Es sind Markierungen der Entropie. Kommen wir hier nicht der formalen Struktur von Indexikalität näher, die wir von den differenzierten Typen indexikalischer Zeichen abheben wollten? Es lässt sich nun präzisieren, inwiefern das Ready-made, gerade sofern es als Serienprodukt keine ausdrückliche Markierung eines individuellen Herstellungsprozesses trägt – keinen konturierten Abdruck, der wie der Fingerabdruck oder das Siegel die Integrität eines ungespurten Grundes voraussetzt202–, das Paradigma des indexikalischen Weltverhältnisses des Werks darstellen kann. Es ist gewissermaßen vollflächig und 200 K. Marx, Das Kapital I, Kap. 6, „Konstantes und variables Kapital“. 201 Zum Verhältnis von geometrischer Idealität und Sedimentation verweise ich nochmals auf

J. Derrida, Husserls Weg in die Geschichte.

202 In Texten zur Funktion der Spur in der Historiografie wird oft eine Konturierung der Spur, ihr

Sich-Abheben als eine Art Figur von einem neutralen Träger vorausgesetzt – nach dem Modell einer an einen Leser adressierten Schrift. So wird Ricœur von der Spur auf das Zeugnis und den Zeugen und die notwendige Unterstellung seiner Glaubwürdigkeit geführt, was die ontologische Frage nach dem Wirklichkeitsmodus der Vergangenheit in die hermeneutische Frage nach ihrer (intersubjektiven) Überlieferung verwandelt (Das Rätsel der Vergangenheit… , Göttingen 1998, 29 ff.). Jedes Spurenlesen setzt zwar eine Konturierung der Spur voraus, nicht aber ihre intentionale Setzung als Zeichen. Ihr Umriss ergibt sich retroaktiv im Horizont einer Fragestellung und Untersuchungstechnik. Auch der glattgespülte Sand kann die interessanten Zeichen liefern, während die Fußabdrücke Lärm und Rauschen sind. Ein formalisierter Begriff von Indexikalität muss ohne Bezug auf den Rand einer Intention auskommen, der die Spur konturiert (figuriert). Auch die gelungenste Verwischung der Spur ist Spur.

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durchdringend Spur und Abdruck, eine Spur, die mit der Substanz ihres Trägers verschmolzen ist und deren Weltverhältnis in jener distentio der Zeit, dem Abstand zum Zeitpunkt ihrer Prägung, ihre tragende Achse findet. Wir haben das Readymade in Bezug zu Reinhardts absolutem Bild als umgestülpte Monade, als Monade aus der Außenperspektive bezeichnet (s. o. , S. 114). Was hier umgestülpt ist, ist die Zeit des Weltbezugs, die für Reinhardts Bild die intrinsische, einwärts gewandte Zeit der Erinnerung, die Zeit des Bildgedächtnisses ist – für das Ready-made die externe Zeit des Abdrucks, des Alterns und der unzählbaren Spuren, die seinen Körper befallen und die es im Archiv der Geschichte hinterlassen hat und hinterlassen wird. Dieses Modell der Umstülpung lässt sich vor dem nun skizzierten Hintergrund des Einschlags der Zeit in die gleichförmig-repetitive Serienproduktion und der infra geringen Selbstdifferenzierung des einzelnen Objekts in der Zeit präzisieren. Wir kommen dazu auf ein anderes komplementäres Werkkonzept, auf die Skulptur Brancusis zu sprechen. Duchamp zählt nicht nur das Strömen der Materie unter der Haut einer sichtbaren Form zum Bereich des infra mince, sondern auch die Phänomene, in denen es sich in der Wahrnehmung gewissermaßen meldet. Der Glanz, das Irisieren von Oberflächen, Moiré-Effekte, Lichtreflexionen und Spiegelungen sind wesentliche Beispiele des infra mince im optischen Bereich.203 Er nennt einige Verfahren, die in diesen Phänomenbereich führen. „Feilen – Politur – / die infra geringe [äußerst-feine?] Feile – Glaspapier – Schmirgelpapier / Schleifen von Lack / oft erreichen diese Verfahren das Infra Geringe“.204 Auch die Handarbeit kennt also das infra mince. Sie erreicht es in dem Grenzbereich, in dem das sequenzielle Nacheinander der Arbeit keine räumlichen Unterschiede mehr generiert, in dem die Spuren, die sie hinterlässt, ihre Diskretion verlieren und unlesbar werden in der Gleichzeitigkeit des Phänomens. In einem Aphorismus hat Duchamp diese Haut des synchronen Phänomens auf die abgedunkelte Tiefe der Arbeitszeit bezogen, die sich in ihm ausdrückt und verbirgt. Eine „Fabrik für Sandpapier zum ausschließlichen Gebrauch für Brancusi“, lautet eine undatierte Notiz.205 Man kann diese Fabrik als den Uterus, die Gussform von Brancusis Neugeborenen denken, wie es Mott’s Iron Work für Duchamps Pissoir war. Aber der Abdruck dieser Gussform, dieses materiellen Apriori, ist bei Brancusi im Licht einer Bildintention mit dem Material zur Form vermittelt, während das Ready-made („im Dunkeln“) aus dem umschließenden Kontakt mit seiner Fabrik, die für alle seine Kumpel dieselbe war, hervorgeht. Im Atelier, dem Raum des poetischen Hervorbringens, das Heidegger der technisch-industriellen Produktion entgegenstellt, ist die Arbeit vom Vorblick auf ein eidos, das Aussehen einer Form bestimmt. Die Zeitlichkeit der bloßen „Abfolge der Handgriffe“, die die widerständige „Geeignetheit“ eines Materials in die vorgesehene Gestalt eines Werks oder Dings „umschlagen lassen“ – wie Heidegger vom Holz (hyle) sagt, dass es unter den Händen 203 Notes, nos. 9 r, 24 , 25, 36, 42, 43, 46. Es gibt auch akustische und olfaktorische Beispiele. 204 „Limage – polissage – / la lime infra mince – papier de verre – toile eméri / ponçage du laque /

souvent ces opérations atteignent à l’infra mince“, Notes, no. 27.

205 Notes, no. 238.

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eines aristotelischen Handwerkers in ein Tischgestell „umschlägt“ 206 –, ist vom im Voraus erblickten telos der Form (morphe, eidos) übergriffen und begrenzt. In der Serienproduktion ist das Nacheinander durch das Raster der in der Maschine (der Gussform) akkumulierten Zeit, das Normmaß der Wiederholung reduziert, die den Fluss und den Widerstand des Materials skandiert. In der poiesis regiert die ganze Arbeitszeit hindurch die „Längsintention“ eines Bildbewusstseins, die das Nacheinander vorweg auf die Gleichzeitigkeit des Phänomens bezieht.207 Das Schleifpapier, die Werkzeuge sind im Raum des Ateliers schon zum „Zeugzusammenhang“ entfaltet und in eine erschlossene Welt eingerückt. Nicht zufällig ist gerade Brancusis Atelier mit seiner „Feuerstätte“ und seinen „archaischen“ Werkzeugen und monolithischen Materialblöcken inzwischen zum mythischen Ort verklärt (der natürlich touristisch erschlossen werden muss). Die Atelier-Arbeit findet auf der belichteten Weltinnenseite statt, im Zeitspielraum einer Intentionalität, in deren „Fungieren“, wie Merleau-Ponty sagen würde, nicht nur der Leib, sondern schon die Werkzeuge selbst aufgenommen sind. Und dennoch wird auch in der im Voraus erblickten Form zuletzt die Ungleichzeitigkeit der „Handgriffe“ und der bezwungene Widerstand des Materials gestaut sein – unter der infra dünnen Haut des Phänomens. 206 In dem wichtigen Text von 1939 „Vom Wesen und Begriff der Physis. Aristoteles, Physik B, 1“, (in:

Wegmarken, 237–299, 283). Lange vor dem Technik- und dem Dingvortrag ist hier das poetische Hervorbringen, das der griechische „Techniker“ noch ausübt, mit dem „ungezwungenen“ Aufgang der physis (der „Naturdinge“, der Gewächse) in Zusammenhang gebracht. Über die kategoriale Differenz der Gewächse und der Gemächte hinweg geht es Heidegger darum, die Partizipation auch der letzteren am Aufgang der physis als ontologischer und nicht mehr ontischer Bewegung (des Wachsens) sichtbar zu machen. Diese Partizipation ist nicht als Aufnahme und Verarbeitung eines „Rohstoffs“ gedacht, sondern primär als eine Art analogischer Fortsetzung der Selbstentfaltung des Gewächses im Hervorbringen des Dings – als die Zwanglosigkeit, mit der das Holz einer eigentümlichen Entelechie folgend in das Tischgestell „umschlägt“, das seine ursprüngliche „Geeignetheit“ gewissermaßen zum „Ausdruck“ bringt (s. 283 f.). Diese Zwanglosigkeit ist nur vom erschlossenen Weltinnenraum aus zu denken, daher die Dominanz von morphe und eidos über die hyle in der zweiten Hälfte des Texts. Ebenso wird im Technikaufsatz das Silber in das eidos der Schale „eingehen“, das Aussehen in das Silber „eingelassen sein“, in der gut austarierten Ökonomie des „Verschuldens“ der aristotelischen aitiai, zu denen Heidegger explizit keine causa efficiens rechnet, sondern stattdessen den apophantischen logos, der das „Spiel“ des Hervorbringens auf den Horizont der Welt (das Geviert) bezieht und dieses in der Schale „versammelt“ („Die Frage nach der Technik“, in: Vorträge und Aufsätze, 12 ff.). Es ist diese Harmonisierung, die wir als den radikal-ökologischen Zug in Heideggers spätem Denken bezeichnet haben. Wir bleiben mit demVerhältnis der Brancusischen Neugeborenen zum Apriori der Fabrik, an die Duchamp erinnert, und das sie gewaltsam in ihre Form prägt, indem es die irreduzible Ungeeignetheit des Materials bricht, bei diesem Thema. 207 Zum Begriff und der Funktion der Längsintentionalität in der Konstitution eines horizonthaften Zeitbewusstseins, s. etwa Husserl, Zur Phänomenologie des inneren Zeitbewußtseins, Hua X, 379 f. Die Längsintention ist, wenn man sich so ausdrücken kann, parallel zur „Laufrichtung“ der Zeit, primär auf Zukunft und Vergangenheit selbst gerichtet, während die Querintention sich primär auf den noematischen Gegenstand (ob als gegenwärtigen, zukünftigen oder vergangenen) bezieht. Daher ist in unserem Zusammenhang die präzise Erfülltheit des längsintentionalen Vorblicks (auf eine Form, ein eidos) nicht entscheidend. Duchamp hat die Struktur der Längsintention in der Vordatierung des Rendez-vous mit dem Ready-made formalisiert. Sie ist in diesem Fall ein blind date.

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Der Glanz von Brancusis Neugeborenem ist auf eine doppelte Dimension bezogen. Auf das Spiegelspiel der erschlossenen Welt, die es in seinem Daliegen auf dem Altartisch des Sockels, der in die Erde zurückreicht, „aufgehen“ lässt (fig. 27, 28 und 29), und auf die Dimension der Arbeitszeit, die Duchamp im Bild der Fabrik für Schleifpapier als Rückseite der je gegenwärtigen Spiegelung zusammenfasst. Brancusi hat die geschärfte Aktualität und Variabilität des Phänomens, das sich von Augenblick zu Augenblick aus den Kontingenzen von Lichteinfall, Blick und Umgebung neu produziert, explizit affirmiert – „es ist mir gleich, was sie reflektieren, solange es nur das Leben selbst ist“ 208 –, aber er hat sie zugleich auf einen archaischen Raum transparent gemacht, auf die Motive des Anfangs und der Geburt, auf die essentielle oder platonische Form und schließlich auf die Frühe eines kulturgeschichtlichen Raums, für den das Ensemble von Tîrgu Jiu mit Pforte, Säule und Tisch exemplarisch steht (fig. 31). In einer anamnetischen Bewegung hat er die infra dünne Hülle des Scheins, die mondäne und laszive Schönheit und technische Selbstgegenwart seiner Skulptur auf eine archetypische Formensprache aufgezogen, die sich der Kontingenz und Datierbarkeit entgegensetzt, die sich der Innerzeitigkeit selbst zu entziehen scheint.209 Die ständige und je akute Selbsterneuerung der aus den Indizes der Reflexe geflochtenen phänomenalen Gegenwart ist so mit einer Tiefe der Zeit oder einer Archezeit verspannt.210 Durchquert diese Spannung nicht gerade die verborgene Dimension der Arbeitszeit, die anachronistisch oder orthogonal zur „Haut“ der Gegenwart steht, und an die Duchamps Fabrik für Sandpapier erinnert? Duchamps Einfall kam nicht 208 Siehe Friedrich Teja Bach, Constantin Brancusi. Metamorphosen Plastischer Form, Köln 21988, 23. 209 Die Beziehung von Kontingenz der Erscheinung und Archetypik der Form ist entscheidend. Bran-

cusi hat deshalb die Politur nicht für naturalistische „Beefsteak-Skulptur“ empfohlen (s. ebd.).

210 Eine Spannung zwischen (technischer) Modernität und einem gewissen Archaismus ist in der

modernen Skulptur (mehr als in der eingefleischt neuzeitlich-europäischen Tafelmalerei) das ganze 20. Jhdt. virulent. Nirgendwo sonst ist sie so präzise und heiter artikuliert worden wie bei Brancusi. Georges Didi-Hubermans Versuch (Was wir sehen – blickt uns an, München 1999), diese „anachronistische Bewegung“ – vor allem mit Hilfe von Benjamins Begriff des dialektischen Bildes – in der radikal abstrakten, oft industriell produzierten Minimal Art sichtbar zu machen, hebt dagegen einseitig die dunklen und tiefgründigen Momente im Minimalismus hervor. Die einzige Möglichkeit das moderne Werk vor der Entzauberung (dem Verlust der Aura), vorm Positivismus zu retten, scheint Didi-Huberman in der Restauration einer prekären Erinnerung an einen „Kultwert“ zu sehen (übrigens auch in Bezug auf Barnett Newman, wo ich es für komplett abwegig halte: „The Supposition of the Aura: The Now, the Then, and Modernity,“ in: Negotiating Rupture, Chicago 1996, 48–63). Dass in Didi-Hubermans Minimalismusbuch gerade Tony Smith mit seinen schwarzen Kuben und düsteren Titeln (Die, Black Box) und seiner kryptofaschistischen „Erhabenheit“, die als Vergleichsfolie verlassener Industrielandschaften und des Nürnberger Zeppelinfelds mit Corbusiers Chandigarh taugt (s. S. Wagstaff, „Talking with Tony Smith“, in: Battcock 1995), eine Art Leitfigur darstellt, ist symptomatisch. Der einzige klassische Minimalist, dessen Werk eine Affinität zu jener Typologie des Grabmals aufweist, die Didi-Huberman evoziert, ist Carl Andre. Und dessen Arbeit ist dort am stärksten, wo sie diesen Bezug ohne irgendeinen Rekurs auf eine ikonische Transparenz oder auf eine „archaische“ Formensprache zu denken ermöglicht, wie in den Equivalents und manchen Metallplatten-Arbeiten der sechziger Jahre (s. fig. 88–93). Didi-Huberman will letztlich eine Art verstellter Bildtransparenz, eine „dialektisch“ gespeicherte, kultur-geschichtliche Erinnerung im abstrakten und radikalsäkularen Werk restituieren. Das bestimmt den traurigen, nostalgischen Ton seines Buchs.

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aus dem Leeren. Schon 1912, zur Zeit der ersten polierten Bronzen, hatte er auf dem Salon d’Aviation auf einen der wirklich flugfähigen Propeller gezeigt und Brancusi sein „Kannst Du etwas Schöneres machen?!“ entgegengeworfen (s. IS 46). Und trotz seines self-image als rumänischer Bauer hat Brancusi arbeitsteilige technische Verfahren nie abgelehnt, er hat mit Jean Prouvé das Projekt eines 50 Meter hohen Vogels im Raum geplant, dessen Konstruktion mit „der der Freiheitsstatue von New York vergleichbar gewesen wäre“ 211, und hat auf den Vorschlag Prouvés einen Neugeborenen in Edelstahl gießen lassen (fig. 30). So nah jedenfalls kommt das Paradigma des Brancusischen Archetyps der Logik des Prototyps Duchamps.212 Schließlich kann man hier – und das ist ein impliziter Bezugspunkt von Duchamps Aphorismus, der in die „Affäre“ verwickelt war – an die Schwierigkeiten der New Yorker Zöllner erinnern, in einem Vogel im Raum ein originales Kunstwerk zu erkennen und nicht irgendwelche, wenn auch offenbar nutzlose hardware, die zu 40% zu verzollen gewesen wäre – und an die entscheidende Rolle, die die Frage der Handarbeit und der Auf lage im anschließenden Rechtsstreit spielte, den Brancusi gewann. Trotz der beeindruckenden Zurückhaltung des Gerichts, sich in Fragen der „Ästhetik“ einzumischen – ein Ready-made Duchamps hätte nach geltender Rechtslage keine Chance auf Legitimation als Kunst gehabt.213 Artikulieren wir noch einmal die paradigmatische, operationale Differenz. Das Neugeborene Brancusis verschenkt oder verhüllt sich an seiner Oberfläche in die aus den Kontingenzen von Lichteinfall, Umgebung und Betrachterstandpunkt gewobene Gegenwart seiner Bilder. Es fließt über in die Aktualität einer Sichtbarkeit, die die Geduld der Atelierarbeit auf den präzise artikulierten Rahmen einer archetypischen Formensprache aufgezogen hat. Die Zeit, an die Duchamp erinnert, die der Fabrik für Sandpapier, füllt auf der Rückseite der Erscheinung den Zwischenraum, den diese anamnetische Bewegung durchquert. Indem Duchamp selbst die Produktion des Werks auf den Moment der Auswahl eines schon fertigen Objekts reduziert, berührt er diese andere, der Gegenwart abgewandte Seite, die Rückseite des Phänomens. Das Ready-made ist unmittelbar nichts anderes als der Abdruck seiner Fabrik. In der Atelierarbeit ist die sequenzielle Zeit der Produktion im Horizont eines Bildbewusstseins, eines Vorblicks auf die Form (eidos, morphe) reduziert. In der Serienproduktion in Gestalt der in der Gussform (dem typos, dem Negativ des Phänomens) geronnenen Arbeitszeit. Die Atelierarbeit findet auf der Weltinnenseite statt, im 211 Prouvé im Gespräch mit Bach, s. Bach, Brancusi, 305. 212 Auch diesem Edelstahlexemplar blieb das Sandpapier nicht erspart. Die Haut war „wie die einer

Kröte, sie musste also poliert und geglättet werden“, wie Prouvé sich erinnert (ebd. , 306). Zur Affinität von Brancusis eidetischen Formen zum industriellen Paradigma auch: R. Krauss, „The Material Uncanny“, in: Donald Judd. Early Fabricated Work, New York 1998, 11 f. u. Anm. 18. 213 Siehe C. Brancusi vs. the United States. The Historic Trial, 1928, hg. v. M. Rowell, Paris 1999, – ein beeindruckendes Dokument dafür, wie 1926 ein amerikanisches Gericht – unter durchaus gegebenem populistisch-nationalistischen Druck (gegen den französischen Geschmack und die ungesunde over-sophistication New Yorks etc.), mit dem „Skandalon“ moderner, abstrakter Kunst umging. Zu den historischen Umständen auch Daniels, Duchamp und die anderen, 94 ff.; und Bach, Brancusi, 344.

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Licht der Erschlossenheit von Form und Grenze der Dinge im Raum. Eigentliche Arbeit – Negation, Überwindung von Widerstand, Prägung des Materials – aber ist auch sie an der dunklen oder blinden Stelle des Kontakts zwischen Werkstück und Werkzeug, dort, wo das Sandpapier die Bronze berührt. Der Raum der Formintention und die Spanne der subjektiv-aktuellen Arbeitszeit, die diese Intention offenhält und strukturiert, überbrücken die Kluft zwischen der Fabrik für Schleifpapier und dieser Stelle des blinden Kontakts, an der die dennoch gewaltsame Prägung der Form faktisch stattfindet. In der Serienproduktion überzieht der Samt dieser Blindheit die ganze Form in einer prinzipiellen Simultaneität, weshalb wir den Guss als Paradigma verwenden, auch wenn das Verfahren aufgefächert sein kann in ein Nacheinander von je normierten Arbeitsschritten. Hier hat der Hauptanteil der Arbeit schon stattgefunden, und diese tote Arbeit macht die Substanz des materiellen Apriori der Fabrik aus. Das Ready-made geht – im Dunkeln214 – aus dem unmittelbaren Kontakt mit diesem Negativ hervor. Seine Phänomenalität ist daher strukturell nicht auf eine intendierte Form und auf einen erschlossenen Weltraum bezogen. Das Phänomen des Ready-made ist die Inversion seines Negativs, „seiner“ Fabrik, der Gussform, die es umgeben hat und von der es sich losreißt. Seine Form ist nicht, wie bei Brancusi, das eidetische Gerüst, auf das die Haut des Phänomens aufgezogen ist, sondern der typos, von dem sich der geprägte Stoff entfernt. Die positive Form des Ready-made wird daher auch nach seiner exposition (oder Belichtung) auf die Dunkelheit dieses historischen Apriori bezogen bleiben. Das ist die Umstülpung der Topologie Brancusis, der die zugespitzte Aktualität der phänomenalen Gegenwart seiner Skulpturen mit dem Uralter der eidetischen Form verspannt und so die Zeitlichkeit des Werks in doppelter Weise als Anfänglichkeit bestimmt. Die déclaration artikuliert gegenwendig den Anfang als den Moment, in dem das Ready-made aus der Gravitation und dem Kontakt mit seinem historischen Apriori entnommen wird, in dem es sich von seinen Kumpeln trennt, in dem es beginnt, sich von seiner Gussform, deren Abwesenheit es für immer umfangen wird, zu entfernen. Diese transitiv zu denkende Entfernung ist die distentio der Zeit der Spur im Allgemeinen. Das Werden des Ready-made wird sich daher nur in einer gewissen perspektivischen Verkennung als die Geschichte der Begebenheiten erzählen lassen, die sich durch das Jahrhundert seit seiner déclaration ziehen. Eine Verkennung, die allerdings unvermeidlich ist, wenn etwas erzählt werden soll, da sie das historische Narrativ als solches konstitutiert. In seiner ontologischen Struktur ist das Werden des Ready-made das Auf klaffen der Zeit, das es in die Gegenwart seiner Form und den Augenblick ihrer Prägung auseinanderreißt, es ist diese sich erweiternde Spanne selbst, die das nur aus dem seitlichen Blickwinkel des Historikers erzählbare Werden durchquert hat, sein sich von Sekunde zu Sekunde änderndes Alter – ein Begriff, der nicht schon gedacht ist, wenn man angibt, „wie alt“ es ist, indem man auf eine Stelle im Kalender zeigt, ob mit dem Finger oder mit Hilfe einer Zahl. 214 Ich greife vor: „Gegeben seien – im Dunkeln – 1° der Wasserfall, 2° das Leuchtgas…“. So beginnt

die Legende des Großen Glases.

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Ich habe vom Datum als dem Rahmen gesprochen, den das Ready-made durchquert, und von der Markierung dieser Passage auf seinem so zur Welt gekommenen Körper durch die Signatur, das kalendarische Datum und jenen Satz „ohne normalen Sinn“ (IS 105), einen Buchstabenkranz, eine Kombination von Zeichen. Dieser „poetische“ Satz schreibt dem Ready-made den singulären Umriss des Ereignisses seiner Prägung ein. Er vergrößert die infra geringe Körnung seiner Materialität in die diskursive Lesbarkeit einer Buchstabenschrift. Vom Großen Glas aus wird sich die Funktion dieses Satzes präzisieren – er ist die „Signatur der Braut“. Das kalendarische Datum dagegen („Datum Stunde, Minute, natürlich auf dem Readymade eintragen, als Information“, ST 100) schreibt diese Singularität in die periodische Zeit ein, die anhand wiederkehrender Raumverhältnisse (ob von astronomischen Körpern oder von Zeiger und Zifferblatt), die sich je in der Synchronie einer Gegenwart abbilden, gezählt wird. Die Stempelung mit dieser Zahl ist die „Signatur der Junggesellen“. Diese zwei Seiten des Datums, der aufsteigende Kreis der die Zeit zählenden Gegenwart und der singuläre Umriss des Ereignisses, die Präsenz der sich-darstellenden, exponierten Form des nutzlosen Dings und die Abwesenheit und zeitliche Distanz seiner Gussform, die es als Transparenz umgibt, sind die Pole der expandierenden Spanne oder distentio der Zeit, die das Werden des Ready-made durchquert hat und durchquert und so konstituiert.215 Ich sagte anfangs, dass das Bild von der Datierung im Element der Passivität, von den kausalen Bezügen der Spur nur von außen berührt wird. Seinem Eigensinn nach spreizt sich der Schein in der und gegen die Materialität des Objekts auf und schafft jene widerstandsbefreite Zone, in der sich das bewusste, je selbst-gegenwärtige Subjekt reflektiert. Man hält deshalb den Schein für das Medium der Artikulation des Sinns, in dem sich die Freiheit und Aktivität einer Intention zu bezeugen vermag. Wenn diese Artikulation aber erst in der Schicht der Figuration des Bildes aufgesucht wird, in seiner noematischen Schicht, dort wo das Auge wieder auf Sichtbares stößt, ist die offenbar primäre Aktivität der Konstitution der Sichtbarkeit selbst, die Aufspreizung des Scheins im und gegen das Material des Bildes schon vergessen. Dann sind wir im historischen Puppentheater der Ikonologie, die nach der „Bedeutung“ der Figuren und Symbole und nach dem Zusammenhang der Narration fragt, aber die Existenz der Bühne, der Szene selbst und ihrer Belichtung vergessen hat, und deshalb hilf los bleibt, wenn der Vorhang fällt. Das Geschehen der Öffnung des Scheins ist vorausgesetzt, aber nicht als solches erfasst. Das Verhältnis von Idealität und Existenz des Bildes bleibt ungedacht. Die Verschließung der Bildszene in der Abstraktion der Moderne ist für die Ikonologie daher ein reines Trauma, ein Erblinden des Sinns, der Verlust der Sagbarkeit des Bildes. Da sie die Bewegung der Öffnung des Werks als solche nicht denkt, kann sie auch die Verschließung des Bildes 215 Diese Struktur der Selbstspaltung ist zentral in Derridas Überlegungen zum Datum in Schibbo-

leth. Die Markierung des Ereignisses ent-merkt (de-marque) es zugleich, wie Derrida sagt. Seine Codierung, seine Einschreibung ins Raster einer verräumlichten Zeit (Kalender, Uhr) zerstört die Singularität des Ereignisses, das der „Referent“ des Datums wäre. S. J. Derrida, Schibboleth. Für Paul Celan, Wien 32002 (bes. den II. Abschnitt).

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nicht denken und als Moment des Sinn-Geschehens oder der Wahrheitsfunktion des Werks erfassen. Brancusis Neugeborene, die die Offenheit des Scheins enthüllend um sich werfen, zeigen exemplarisch, dass die Idealität des Scheins nicht auf einen Bild-Innenraum, der hinter einer geometralen Ebene versiegelt wäre, angewiesen ist. Ihre eminente Sichtbarkeit schreibt sich unmmittelbar auf den Grund der Kontingenz und der Zeit eines Werdens, das in diese Sichtbarkeit überströmt. Sie produziert sich hier und jetzt – als das Moiré des Phänomens, das aus den Relationen von Licht, Material und Blick geflochten ist und sich je neu flicht. Es ist die Haut dieser Gegenwart, die über die Zeittiefe des gebrochenen Widerstands, der Ungeeignetheit eines Materials gespannt ist – wie sich im Bild die Transparenz eines Tiefenraums gegen das von allen Seiten andrängende opake Material der Pigmente stemmt und diesen Druck in die Erscheinung von Figur verwandelt. Auch die Bildgegenwart artikuliert oder produziert sich in dieser Zone der Krise des Scheins, wo sich das Werden seiner Materialität und die Spontaneität eines je gegenwärtigen Blicks überkreuzen. Wir müssen grundsätzlich das Geschehen des Werks als die Artikulation dieser Krise verstehen, als „Entfachung dieses Streits“, um noch einmal Heidegger zu zitieren.216 Nur bleibt es fast immer und fast zwingend die belichtete Innenseite, die phänomenale Seite dieser Kreuzung, die Bildseite des Werkgeschehens, die als die Frontfläche der Artikulation des Sinns und seiner Weiterreichung an die immer zukünftigen Anschauer bestimmt wird. Immer ist es der Glanz oder die ikonische Vertiefung dieser Gegenwart, der Schein, der der Aktualität des Blicks zugewandt ist, der den Boden und Horizont der Interpretation und kunsttheoretischen Reflexion darstellt. Wir sind so an dieses Paradigma gewöhnt, dass es fast unmöglich scheint, die abgewandte Seite des Phänomens anders zu denken, denn als die passive Historizität, die nur das Objekt oder den Träger und nicht die Sinngestalt des Werks berührt. Fast notwendig denken wir diese andere Seite schon im Rahmen jener Verkennung oder Verdrehung, die das Paradigma der Historie konstituiert – aus jener seitlichen Perspektive, die das Werden als externe Abfolge von innerzeitlichen und akzidentiellen Begebenheiten beschreibt.217 Das Ready-made zwingt und ermöglicht es, dieses Strukturverhältnis von reiner Faktizität und (zukunfts-)offener Phänomenalität präzise zu formalisieren. Es macht in einzigartiger Weise das reine Vergehen der Zeit als Antrieb und Parameter des Werkgeschehens fassbar. Die Trennung des Akts der Autorschaft von der Herstellung des Objekts, eine Trennung, die ihre Unterscheidung als wesentlich setzt, führt zunächst die Datierung im Element der Passivität ad absurdum, in die Anonymität 216 „Der Ursprung des Kunstwerks“, in: Holzwege, 34 ff. 217 Der bedeutende Schritt Heideggers besteht eben darin, das Werkgeschehen als „Gegenwendig-

keit“ von Lichtung und Verbergung zu denken. Wir haben die Einwände schon formuliert, die die dennoch spürbare Dominanz der Lichtung betreffen. Aber man sieht auch, wie schwer diese zu vermeiden ist. Wie sollte sich die konstitutive Funktion der Verbergung, des Dunkels, des Entzugs für Sinn und Wahrheit denken lassen – und sich nicht zur „Objektivität“ entstellen, die Korrelat eines wahren oder unwahren Erkenntnisbezugs des Subjekts wäre? Ein Denken der Immanenz, d. h. der Endlichkeit der Wahrheit, hat sich dieser Frage zu stellen.

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des industriellen Dispositivs der Produktion. Das Ready-made ist nichts anders als Spur dieses Dispositivs. Es ist durch und durch Abdruck, ohne den Spielraum einer freien Intentionalität, einer inneren Artikulation seines Sinns. Aber als dieses Produkt, noch umschlossen vom Uterus der Fabrik, ungeschieden von seinen Kumpeln – ist es nicht Werk. Erst die déclaration, die in den Spalt des infra mince dringt, und die Inskription des doppelten Datums, das die zwei Seiten dieses Spalts auseinderhält, konstituiert in dem Objekt, das formal und morphologisch unverändert bleibt, die Struktur des Werkgeschehens. Das Ready-made übernimmt die Verantwortung für seine Datierung. Der Autor, nicht als psychologische Person, sondern sofern er zur Funktion des Werks gehört, übernimmt die Verantwortung dafür, dass es „da“ ist – und für nichts anderes. Die Produktion des Werks ist im Wesentlichen die Entscheidung, jene de-cision, die ein gegebenes Material, ein Stück der schon gegebenen Welt, zum Werk dekliniert. Diese Entscheidung ist hier nicht mit der Formgebung – der Transformation eines Objekts in ein anderes – verschliffen, wie bei den Werken, die nachgeholfene Ready-mades sind, sondern ist der verdichtete Akt der Wahl, der die Existenzweise des Objekts transformiert. Indem die déclaration die Produktion des Werks auf diesen Moment zusammenzieht, artikuliert sie die Heterochronie der exponierten Erscheinung gegenüber der Vorzeit der Produktion und den Gussformen des Objekts. Durch den Schnitt der déclaration pariert das Ready-made die Relevanz der Faktoren, die es als Objekt „durch und durch“ determinieren. Der Anfang des Werks, dem die Rückseite seiner Gegenwart zugekehrt bleibt, ist das Herausspringen aus der Gussform seiner Faktizität, seine Unterscheidung von dem, was (es) schon ist und war. Die Struktur der Selbstdatierung und Selbstunterscheidung ist kein Spezialfall, sie gehört zur Wesensstruktur des Werks. In der in sich geteilten Schnittebene des Werks berühren und trennen sich die Zeit des Archivs und die Zeit der Repräsentation, die Oberfläche der Gegenwart, die der Phänomenologie im Licht der Zukunft erscheint – denn es gibt kein anderes Licht, als das der Zukunft, das auf das Sediment der Vergangenheit fällt und dessen Reflex wir Gegenwart nennen – und die vertikale Tiefe der akkumulierten Zeit, die das ontologische, nicht das phänomenologische Wesen der Vergangenheit ist. Weil das Sein des Werks diese als Geschehen zu denkende Krise ist, schließen sich in ihm Anfänglichkeit und Alter nicht aus. Und deshalb geht die Geschichtlichkeit des Werks – das Geschehen der Artikulation seiner Faktizität im Licht seines Möglichseins – nicht auf im üblichen Begriff der Historizität, der das Element der historisch-deskriptiven Wissenschaften ist, die vom datierten oder zu datierenden Objekt reden und nicht von der Bewegung der Selbstdatierung und Selbstunterscheidung oder des Werdens des Werks. Diese Bestimmung des Werkbegriffs beansprucht allgemeine Gültigkeit, auch für die bildhaften, repräsentationalen Werke der Tradition – zumindest der neuzeitlichen Tradition des im Wesentlichen und zunehmend säkularen Werks. Aber wo fängt die Säkularisierungsbewegung an? Die Renaissancemalerei, in der die Disziplin der rationalen Perspektive dem Bild die Chance einer Methexis am Absoluten nimmt und die für die Kunst des Mittelalters tragende Affinität von Repräsentation

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und Transsubstantation218 im Grunde obsolet macht, ist ein Schritt radikaler Entsakralisierung. Wir haben auch deshalb den Bezug auf das perspektivische Paradigma geschärft und werden das weiterführen, um diesen historischen Horizont gegenwärtig zu halten, ohne den von der Moderne im engeren Sinn schon auf Grund der Abhängigkeit der gesamten kunstheoretischen Begriffstradition nichts verstanden werden kann. Aber ist nicht eine gewisse Säkularisierungsbewegung das Geburtsrecht der Kunst überhaupt? Ist ihr Ursprung vielleicht nicht der Kult, sondern die Ablösung, die Emanzipation vom Kult? Ist diese Emanzipation nicht die Bewegung der Geschichtlichkeit selbst? Ich habe diesen Abschnitt „Phänomenologie des Ready-made“ genannt. Es ist deutlich geworden, dass eine Phänomenologie als solche hier an ihre Grenze kommt. Sie kann das Verhältnis von Anfänglichkeit und Datierung nicht beschreiben, die das Werkgeschehen kennzeichnet. Für die Phänomenologie ist der Anfang immer die Urszene jener Dehnung einer Präsenz über dem Quellpunkt eines Jetzt, durch die sich ein Zeithorizont für mögliche Gegenstände bildet. Die Retention hält das Bild einer eben aufgestiegenen Gegenwart fest, die Schliere der Eindrücke, die über den Spiegel des sensiblen Jetzt hinweggeflossen sind. Die Protention antizipiert in einer Leererwartung das Nichtabreißen dieses Stroms. Die iterative Selbstreflexion des transzendentalen Ego stanzt und normiert diesen Strom der aus dem bleibenden Jetzt, seinem Gegenüber, aufsteigenden je neuen Gegenwart und verschafft der Zeit so die formale Konstanz jenes Urwandels oder stehenden Stroms, der die Wesensgestalt des Bewusstseins überhaupt ist: die absolute Subjektivität.219 Gegenüber der Macht der Faktizität einer schon geschehenen, sedimentierten Geschichte, auf deren Boden auch das Subjekt der Phänomenologie steht, kann und muss diese sich, wenn sie an dem Sinn, den Husserl ihr als Strenger Wissenschaft gegeben hat, festhalten will, auf die juridische Priorität der Konstitutionsanalysen allen Sinns und aller Wahrheit aus der Ursprünglichkeit dieser Gegenwart, die allein eine transzendentale Reflexion leisten kann, berufen. Der Weltenanfang findet im Jetzt statt. Die Genesis der Zeit des Bewusstseins beansprucht Priorität gegenüber der Genesis des Bewusstseins und der Welt in der Zeit. Die déclaration aber schreibt sich ein in jenen Spalt zwischen einem Früher, das nie Gegenwart war und das nicht erinnert werden kann – der vertikalen oder absoluten Vergangenheit – und dem Präsenz- oder Bildbewusstsein, das dieser Vergangenheit gegenüber Resultat und Verspätung ist, ursprünglicher Abdruck, archétrace. Das 218 S. exemplarisch Hans Belting, Bild und Kult, München 1993. 219 Eine der schönsten Stellen Husserls: „Aber ist nicht der Fluß ein Nacheinander, hat er nicht doch

ein Jetzt, eine aktuelle Phase, und eine Kontinuität von Vergangenheiten, in Retentionen jetzt bewusst? Wir können da nicht helfen und nur sagen: Dieser Fluß ist etwas, das wir nach dem Konstituierten so nennen, aber es ist nichts zeitlich ‚Objektives‘. Es ist die absolute Subjektivität, und hat die absoluten Eigenschaften eines im Bilde als ‚Fluß‘ zu Bezeichnenden, eines Aktualitätspunktes, Urquellpunktes ‚Jetzt‘ etc. Im Aktualitätserlebnis haben wir den Urquellpunkt und eine Kontinuität von Nachhallmomenten. Für all das haben wir keine Namen.“ (Hua X, 371, kurs. i. Orig. gesperrt).

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Ready-made, der Körper des Ready-made, der auf der Weltinnenseite erscheint, ist schon Ausstoß und materialer Bildeffekt dieser Vergangenheit, derer keine Erinnerung mächtig ist. Eine Phänomenologie des Ready-made wird daher nur Effekte dieses Effekts auf fangen können. Sie bleibt von einer Gegenwart getragen, die die Bildseite seines Werdens ist – der temporalen Gestalt des Werks. Sie bleibt an ein Bildbewusstsein gebunden, das von seinen Gussformen nichts weiß und nichts wissen kann. Die reine Singularität, das unwiederholbare zeitliche Faktum, bleibt für die Phänomenologie, wie Husserl schreibt, „auf ewig das apeiron“. „Doch kann allein eine Phänomenologie, indem sie ans Ende der eidetischen Bestimmungen kommt und sich selbst erschöpft, die reine Materialität dieses Faktums freilegen. Sie allein kann die Verwechslung reiner Faktizität mit dieser oder jener ihrer Bestimmungen vermeiden“.220 Die Phänomenologie der Zeit, die „sich selbst erschöpft“, muss den Spiegel der lebendigen Gegenwart an dem absoluten Widerstand der reinen Faktizität sich brechen lassen, der auf eine radikal heterogene Dimension der Zeit verweist. Wir werden die Aquivokation des Zeitbegriffs, die auf eine konstitutive Spaltung, auf die Heterochronie im Herzen der Zeit selbst verweist, weiter entfalten. Das Große Glas, eine Verspätung in Glas, wie der Untertitel lautet, erlaubt ihre präzise Artikulation. Das Große Glas (fig. 32), La Mariée mise à nu par ses célibataires, même (Die Braut von ihren Junggesellen nackt entblößt, sogar), das Duchamp 1912 begann und 1923 für „definitiv unvollendet“ erklärte, stellt zusammen mit der Boîte Verte (1934), die Notizen zur Konzeption, Ikonografie und der technischen Ausführung enthält, das Koordinatensystem aller Arbeiten Duchamps dar. Einschließlich natürlich des anderen „großen“ Werks, Étant Donnés, das als eine dreidimensionale Replik Duchamps kompromissloses und kontrolliertes Œuvre abschließt. Über die Bezüge zwischen den Ready-mades, die alle während der langen und langsamen Arbeit am Glas, als Kondensationen seines „Klimas“, entstanden sind,221 und dem Glas selbst ist viel spekuliert worden. Am frühesten hat wohl Ulf Linde Beziehungen zwischen einzelnen Ready-mades und der Ikonografie der Mariée herausgearbeitet, aber das Material ist inzwischen reich und vielfältig.222 Ich werde im Folgenden einzelne se220 J. Derrida, Husserls Weg in die Geschichte… , 201 (Anm.). Das vorherige Zitat, das Derrida kom-

mentiert, aus Husserl, Philosophie als strenge Wissenschaft… , Frankfurt a. M. 1965, 43.

221 Vom Fahrradrad 1913 bis zum stark nachgeholfenen Ready-made Why Not Sneeze Rose Sélavy?

von 1921. 1924 fangen Duchamps Experimente zur „Präzisionsoptik“ mit rotierenden Scheiben an. Hopps und Harnoncourt weisen darauf hin, dass entsprechend die Reihe der seltsamen Gussobjekte (der Keuschheitskeil, das Weibliche Feigenblatt, das Objet Dard) im „Klima“ der klandestinen Arbeit an Étant Donnés entstehen. Anne d’Harnoncourt / Walter Hopps, Etant Donnés, Philadelphia 1987 (orig. 1969), 25 ff. 222 Lindes Monografie (Marcel Duchamp, Stockholm 1986) ist leider nicht aus dem Schwedischen übersetzt. Siehe aber seine dichte Interpretation des Fahrradrads („CYCLE. La Roue de Bicyclette“) im Abécédaire der Pariser Ausstellung (1977, hg. v. J. Clair) und die Skizze der Zusammenhänge in „MARiée CELibataires“, in: Linde/Hopps/Schwarz, Marcel Duchamp. Ready-mades, etc. (1913–1964), Paris 1964, 39–68; weiter sind v. a. die Arbeiten von Schwarz zu nennen (besonders der Essay in Complete Works), von J. Clair und von Th. Zaunschirm (Bereites Mädchen Ready-made, Klagenfurt 1983).

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mantische Bezüge – die Semantik ist hier allerdings überall so eng an die Struktur des Werks gebunden, dass sie von der funktionalen und topologischen Bestimmung kaum trennbar ist – nur streifen. Ich will nur die skizzierte Struktur der déclaration und des Werdens des Ready-made in ihrer Beziehung zur Topologie des Großen Glases klären. Damit ist der Grundriss angegeben, in den sich einzelne semantische Beziehungen einschreiben, auf deren Ausarbeitung ich verzichte. Ich versuche nicht, das Glas zu interpretieren. Ich versuche in einigen Grundzügen zu sagen, was es ist, – ohne mich allzu tief im Labyrinth dieses komplexesten und humorvollsten aller Kunstwerke zu verlieren. Dass ein so elliptischer Durchlauf ein Kompromiss bleibt, ist selbstverständlich. Es kann hier nur darum gehen, die Grundstruktur soweit zu klären, dass sich von ihr aus die Frage nach der Zeitlichkeit der Ready-mades und des Werks im Allgemeinen weiter präzisieren lässt. Das wird in jedem Fall eine Gratwanderung zwischen einer zu kargen und einer zu detaillierten Lektüre sein.

Der Körper der Braut. Die Ready-mades und die Topologie des Grossen Glases. – Das Große Glas ist kein Bild im geläufigen Sinn und auch nicht in der allgemeineren Bedeutung, die wir dem Ausdruck geben. Duchamp hat das vielfach ausgesprochen, und er hat es zunächst in einer Art Untertitel festgehalten: Verzögerung in Glas – retard en verre. „ ‚Verzögerung‘ gebrauchen anstelle von Bild oder Gemälde. Bild auf Glas wird zu Verzögerung aus Glas […] so wie man sagen würde ein Gedicht in Prosa oder ein Spucknapf aus Silber [un poème en prose ou un crachoir en argent]“.223 Wir wollen diese Verzögerung oder Verspätung auf den Moment der Datierung des Ready-made beziehen, oder vielmehr umgekehrt zeigen, dass die déclaration, die das Ready-made vom Körper der Serie löst, mit dieser Verzögerung konvergiert, die das zentrale Scharnier im Großen Glas bildet, den Horizont zwischen der Welt der Junggesellen und der Domäne der Braut. Das Große Glas ist kein Bild. Das zeigt sich zuerst daran, dass es aus Glas ist. Es ist durchsichtig auf den realen Raum, auf die Körper, die hinter ihm erscheinen (fig. 33, 34). Das Glas ist kein Bildgrund für eine Figur. Eher ist es ein Käfig (ST 95), in den die Formen der Braut (oben) und der Junggesellenmaschine (unten) geworfen sind. Ein flacher Käfig allerdings, für zweidimensionale Formen, und dies bleibt die Analogie zum Bild im Sinn des Tableaus, und deshalb nennt Duchamp in einer frühen Notiz das Glas auch ein Scharnierbild (ST 53) und an anderer Stelle ein Lachbild, tableau hilarante (ST 95 / DDS 45). Das Scharnier, um dass es sich hier handelt, ist das zwischen der „gewöhnlichen Perspektive“ (ST 52), nach deren Regeln sich dreidimensionale Körper in einer zweidimensionalen Projektionsebene abbilden – und einer per Analogie zu erdenkenden Perspektive, nach der sich eine vierte Dimension in den dreidimensi223 ST 36 / DDS 41. Stauffer übersetzt „Verspätung aus…“. Ich werde zwischen Verzögerung und Ver-

spätung und aus und in Glas wechseln. Duchamp: „daraus eine Verspätung machen im allerallgemeinst Möglichen, nicht so sehr in den verschiedenen Bedeutungen, die das Wort Verspätung [retard] annehmen kann, sondern vielmehr in deren unentschiedener Vereinigung“ (ebd.). Warum es jedenfalls kein Bild auf Glas ist, wird sich in aller Deutlichkeit zeigen.

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onalen Wahrnehmungsraum projiziert oder einbildet, dessen sämtliche erscheinende Formen, die sichtbaren Körper, daher als Projektionen vierdimensionaler Entitäten zu denken wären, „Schlagschatten … 4-dimensionale[r] Figur[en]“ (ST 151). Um die Konstruktion dieser Analogie kreisen in systematischer Weise vor allem die Notizen der 1966 veröffentlichten Weißen Schachtel, aber auch in der Grünen Schachtel von 1934 zeichnet sie sich in vielgestaltiger Verkleidung ab. Dieses Scharnier oder dieser Trennstrich ist zunächst in den drei Glasstreifen zwischen der Domäne der Braut und dem Bereich der Junggesellen materialisiert (6) 224. Dort liegt der Horizont der perspektivischen Konstruktion der unteren Hälfte des Glases, der unter anderem die Schokoladenreibe (1), die Wassermühle (2 C), den Gleitschlitten (2) und den Friedhof der Uniformen und Livreen (4) enthält. Diese toten Livreen sind nicht die Junggesellen selbst, sondern ihre Gussformen, die neun männischen Gussformen (moules mâliques), durch die das Leuchtgas zirkuliert, dessen „Amelioration“ (ST 76 ff.) einer der Hauptstränge des Geschehens im unteren Teil des Glases ist. Die Domäne der Junggesellen ist eine Welt der Maschinen, der kreisförmigen Bewegung, der Periodizität der Zeit. Die obere Hälfte enthält den Weiblichen Gehenkten (Pendu femelle (7)), das zweidimensionale Abbild des dreidimensionalen Körpers der vierdimensionalen Braut (s. etwa IS 80). Die Form dieses viszeralen Gebildes hat Duchamp dem Ölbild der Braut vom August 1912 entnommen (fig. 36). Werfen wir hier einen Seitenblick auf den Akt eine Treppe herabsteigend vom Anfang desselben Jahrs (fig. 35): der Akt ist das zweidimensionale Diagramm der Bewegung eines dreidimensionalen Körpers durch den Raum. Bild einer Pendeluhr (pendule), das eine Sequenz von Synchronschnitten durch eine Raumbewegung simultan repräsentiert. Dagegen die Braut, wie sie im Ölbild, dem letzten Ölbild Duchamps erscheint: eine unüberschaubare insektenhafte Figur in einem Raum, der sich um ihre Formen windet. Es ist die Braut wie sie erscheint – in dem Moment, in dem sie in den Raum projiziert wird, der sie zum Körper verzögert. Hier geht es nicht wie im Akt um die Bewegungsfolge eines konstituierten Körpers durch den Raum, eine Bewegung, deren Parameter die lineare Zeit wäre, sondern um die Genesis, die Konstitutionsbewegung des Körpers selbst durch die Projektion in oder auf den Raum, der – per Analogie – der flachen Projektionsebene der „gewöhnlichen Perspektive“ entspricht. Die Verhältnisbestimmung zwischen dieser anachronistischen Bewegung der Genesis, der Verzögerung selbst, und der Bewegung des verzögerten (konstituierten) Körpers in Raum und Zeit ist eine der zentralen philosophischen Problemstellungen des Glases, die wir ausführlich entfalten werden. – Da also die Braut an sich vierdimensional ist und schon ihre dreidimensionale Erscheinung, die die „gewöhnliche Perspektive“ wiederum zum Bild im geläufigen Sinn abflacht, nur „allegorischer Schein“ (ST 37), deswegen legt Duchamp schlüssigerweise den Perspektivhorizont des Junggesellenapparats auf die Höhe des Scharniers, das Braut und Junggesellen trennt, exakt in den obersten der drei Glasstreifen. Der Horizont – die konstitutive Grenze der Sichtbarkeit für die Junggesellen, 224 Im folgenden beziehen sich die Nummern in runden Klammern auf das Schema des nach der

Grünen Schachtel ergänzten Großen Glases von Suquet (fig. 37), aus: ders. , Marcel Duchamp ou l’ éblouissement de l’ éclaboussure, Paris 1998, 26 f.

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die die Anschauer sind – ist das Kleid der Braut. „Duchamp represented the Bride’s dress slipping from her shoulders as the horizon slipping away“, schreibt Jean Suquet. „If the bachelors don’t see her nude, totally nude, it’s because they bear the horizon within their own gaze, projecting it as far as their eyes can see. They fantasize and wave, far ahead of themselves, the dress that they are burning to undo. As long as they themselves remain envelopped in the perspective folds pulling them down to earth, vanishing point will keep vanishing“.225 Beide Perspektiven aber – die Verzögerung als Konstitutionsbewegung der dreidimensionalen Wirklichkeit und deren Projektion in jenen „Schnitt durch die Sehpyramide“, wo sich im Schleier (velum) der Bildebene226 ihre Formen abzeichnen – sind zugleich ineinander verschränkt. Das Scharnier des Horizonts trennt sie nicht nur. Zum einen ist, wie gesagt, die Braut im oberen Teil des Glases, die Projektion des bereits verzögerten, dreidimensionalen Weiblichen Gehenkten in die Fläche des Bildes, eine Projektion nach den Regeln der „gewöhnlichen Perspektive“, deren Konstruktionsgesetze unten regieren und ablesbar sind. Obwohl der Weibliche Gehenkte aus einem anderen Bild, das sich um Perspektivkonstruktion nicht kümmert, herausgeschnitten wurde und im Großen Glas nur eincollagiert ist, kann die Perspektive des ganzen Glases als konsistent angenommen werden, da „egal welche Form die Perspektive einer anderen Form gemäß einem bestimmten Fluchtpunkt und bestimmtem Abstand ist“ (ST 52227 ). Es ist gleichgültig, als welche Körperform die Braut im Ölbild von 1912 gemeint war (zumal es kaum ablesbar ist), ihr herausgeschnittenes Flächenbild wird – auf die strikte Perspektive des Junggesellenapparats bezogen – Bild einer dreidimensionalen Figur sein, deren „wahre Form man vielleicht herausfinden könnte“ (ST 52). Das viszerale Gebilde von 1912 wird durch die Beziehung auf Flucht- und Distanzpunkt der Junggesellenperspektive mit einem Wort, auf das wir zurückkommen werden, mensuriert. Andererseits ist auch die Junggesellenmaschine von der Beziehung auf die primäre, produktive Projektion, die Verzögerung bestimmt. Das ganze Glas artikuliert ihr „Verhältniszeichen“ (ST 37), nur je von seinen unterschiedlichen Seiten her. Die der Welt der Junggesellen zugekehrte Seite des Trennstrichs zeigt sich zunächst in der raum-zeitlichen Bewegung der Maschine(n), deren Sequenz die Grüne Schachtel erläutert. Auf die Raumbewegung als verstellten Ausdruck der Zeit der Braut im synchronisierenden Junggesellenbewusstsein kommen wir später zurück. Eklatanter ist die Verschränkung der Perspektiven durch das Paradox angezeigt, dass wir von den 225 Jean Suquet, „Possible“, in: de Duve (Hg.), The Definitively Unfinished Marcel Duchamp, Halifax/

Cambridge/London 1991, 89 u. 104. Suquet ist seit über fünfzig Jahren einer der fanatischen Leser des Großes Glases und seiner erotisch-erkenntnistheoretischen Maschinerie. Wir beziehen uns auch unausgesprochen auf seine Arbeiten und markieren nur einige Differenzen. Seine erste ausführliche Darstellung ist Le Miroir de la Mariée (Paris 1974), eine besonders knappe Einführung ist „THE LARGE GLASS: A Guided Tour“: www.toutfait.com/issues/issue_1/Articles/ largeglass.html. 226 Fadenraster, velum, Glas, Leere – „Veranschaulichungen“ der Bildebene von Dürer, Alberti, Leonardo… 227 Stauffer übersetzt „n’importe quelle forme“ (DDS 69) mit „irgendeine Form“, was die Betonung schwächt.

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Junggesellen die Gussformen sehen, den äußeren Mantel des Leuchtgases also, das in einem gewöhnlichen perspektivischen Bild den Sichtraum, die Bildtiefe selbst ausleuchten würde, den phänomenalen Raum, den eben der Horizont der Perspektive begrenzt – und der nicht als eingeschlossen denkbar ist in ein umgrenztes körperliches Volumen. Dass diese Gussformen sichtbar sind – von außen, als begrenzte Form – überschreitet die Logik der „gewöhnlichen Perspektive“. Und für die Junggesellen selbst, im Licht des Leuchtgases selbst, sind sie es auch nicht. Denn die Innenseite der Gussformen ist verspiegelt – und in eine unendliche Flucht von Licht und Spiegelungen entstellt. Die Junggesellen „wären wie eingewickelt, längs ihrer Reue, von einem Spiegel, der ihnen ihre eigene Komplexität zurückgeworfen hätte, bis zu einem Grad, da er sie ziemlich onanistisch halluzinierte.“ Sie können diese „Maske nie überwinden“ (ST 76 / DDS 76; Übers. variiert), die die Form der synchronen Sichtbarkeit selber ist.228 Hier wird die Paraphrase von Etant donnés ansetzen, der dreidimensionalen Replik des Großen Glases. Dort ist das Kleid der Braut zunächst als eine Tür mit zwei Gucklöchern lokalisiert (die dem Glasstreifen-Horizont entspricht). An diese angeheftet fällt der Blick des als Voyeur exponierten Anschauers in den erleuchteten Innenraum, in dem die entblößte Braut auf einem Reisigbündel liegt. Der Körper und der Körperraum des Betrachters sind abgeschnitten von diesem szenischen Sichtraum, dem imaginären Raum, und in ein strukturelles Dunkel gestellt, in dem er, als Träger des Blicks, nur für den Anderen, Dritten sichtbar ist. Diese Dunkelheit des eigenen Körpers, der neuronalen Maschine, die das Leuchtgas des Blicks produziert, entspricht der Gussform der Junggesellen, dem verspiegelten Material, aus dem die Form der Sichtbarkeit selbst besteht. Nur die Übersetzung dieser Topologie in die n – 1 Dimensionen des Tableaus (das zudem aus Glas sein muss) macht es möglich, diese Gussformen als Körper wiederum von außen – aber nur für uns, nicht für das Leuchtgas, das in ihr eingeschlossen ist – sichtbar zu machen, eingefasst in die Transparenz des Glasträgers. In Etant donnés steckt der Anschauer, wie immer, in seiner eigenen Gussform, und diese ist für ihn selbst so unsichtbar, wie im Glas für die Junggesellen. Das Leuchtgas, das aus den Gucklöchern, die die Augen sind, strömt, erleuchtet nur die verspiegelte Innenseite der Welt. Der Körper, der den Blick trägt, der das Leuchtgas produziert, diese „große Hauptthätigkeit ist unbewußt“.229 Sie ist 228 Das Große Glas soll „narzisstisch“ sein? Ein solcher Text bürstet jedenfalls die „Maske“ der Selbst-

bespiegelung systematisch gegen den Strich und das unternimmt das ganze Große Glas. Damit ist der Narzissmus nicht aufgehoben, aber energetisch verwandelt. Es ist eine Thematisierung, keine Einschreibung in eine narzisstisch-selbstgenügsame Topologie, wie so oft behauptet wird – in Lektüren, die eigentlich keine sind (z. B. Bocola 1997, 284 ff.). – Man lese hier übrigens „Reue“ als „Retention“, womit das genaue Verhältnis dieser Spiegelsituation zur Phänomenologie des Zeitbewusstseins sichtbar wird. Dieser vergessliche Spiegel des neuronalen Körpers ist der Träger der Bilder der Welt, die das egomorphe Bewusstsein in ihm erblickt. 229 Friedrich Nietzsche, Nachgelassene Fragmente 1880–1882, KSA 9, München/Berlin 1988, 563; zit. bei G. Deleuze, Spinoza. Praktische Philosophie, Berlin 1981, 29. Zum Bewusstsein als Ort einer natürlichen Illusion dort bes. 27 ff. , 70 ff. , 105 ff. Der eigene Körper, sofern er Wahrnehmungsobjekt geworden ist, ist vom selben Blick verspiegelt, er wird von uns selbst wie vom Anderen als Bild wahrgenommen. Topologisch ist daher das unzugängliche, unbewusst-tätige Innerste dieses Objekts jenes Außen der (innen verspiegelten) Gussformen des Leuchtgases (des Präsenz-

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die Rückseite, die Projektionsebene dieses dreidimensionalen Bildes. So zeichnet sich schon im topologischen Grundriss des Glases und von Etant donnés die Struktur jener Krise der Phänomenologie, die nur im Hellen arbeiten kann, ab, auf die wir beim Ready-made gestoßen sind. Gewissermaßen durchquert die vierdimensionale Perspektive also auch den unteren Teil des Glases. Obwohl es ein flacher Käfig ist, ist es insgesamt als Ineinandergreifen beider Perspektiven konzipiert. Um dieses endosmotische Verhältnis weiter pauschal zu charakterisieren – so durchdacht auf ihre Weise die Funktionen des Junggesellenapparats und das Ineinandergreifen seiner Bewegungsabläufe sind, deren weitgehend eindeutige (Re-)konstruktion die Grüne Schachtel erlaubt,230 diese Mechanik und diese Bewegungen sind auf einen Rahmen entschieden gelockerter oder gedehnter (ST 73) Naturgesetze bezogen. Es ist eine Welt an der Grenze zwischen mechanischer Determination und quantentheoretischer Aleatorik.231 Überall dringt mehr als ein Hauch von Zufall in die Kausalketten ein. Das ist zum Teil in den Notizen zur Herstellung einzelner Elemente des Glases festgehalten und tatsächlich durchgeführt – so bei den Haarsieben (9), deren Färbung (ein „umgekehrtes Bild der Porosität“, ST 85) der mit Firnis fixierte Staub der mehrmonatigen Staubzucht (fig. 38) ist, oder bei den Kapillarfäden (5), die der Linie folgen, zu der ein ein Meter langer, gerade gespannter Faden sich beim Fall aus einem Meter Höhe verbogen hat – der Linie der Maßnormstoppagen (fig. 39), auf die wir noch eingehen werden. In diesen Verfahren (es gäbe weitere Beispiele) ist in einem vorgreifenden Rahmen die Kontingenz eines ungelenkten Prozesses integriert. Was wir sehen, ist der Abdruck dieses Prozesses, der Zufall in der Konserve (s. ST 97) einer gegenwärtigen Form. Die Verzögerung der oder Bildbewusstseins), die im Glas aufgrund der perspektivischen Inversion sichtbar werden. Das Verhältnis von Innen und Außen kann hier nicht im dreidimensionalen Raum der Spiegelbilder oder der objektiven Welt, situiert werden, da das Subjekt zugleich deren Teil und Träger ist (Spiegelbild und Spiegel). Die objektive Wissenschaft findet im Licht des perspektivischen Imaginären statt. Die Arbeit der mehrstufigen Synthesis der transzendentalen Einbildungskraft (ein Name für die Spiegelschicht), die Kant in den Deduktionen (bes. in A) beschreibt und die wir transzendentalen Primärprozess nennen, konstituiert die Horizonte möglicher Gegenständlichkeit und liefert der Wissenschaft erst die Objekte einer wiederholbaren Erfahrung. Der Versuch, diesen Konstitutionsprozess (der die Verzögerung ist) im Feld der konstituierten Objektivität zu lokalisieren und in ihren raum-zeitlichen Parametern zu denken, führt zu einer logisch irregulären Einstülpung. Und doch findet die transzendentale Arbeit im biologischen Körper statt, der zugleich Träger und bildhaftes Objekt des Blicks ist, „empirisch-transzendentale Dublette“ mit dem Wort Foucaults (Foucault, Die Ordnung der Dinge, Frankfurt a. M. 1995, Kap. 9, 384.) Deshalb muss das Innerste des objektiven Körpers, wenn in ihm der nicht-lokalisierbare Ort der unbewussten großen Hauptthätigkeit (Nietzsche) gesucht wird, als das Außen gedacht werden, als die Gussform des Raums des Blicks. Der unbewusste, neuronale Körper ist die Zeitschwelle, in der sich das noumenale Werden – die vierdimensionale Braut – zur objektiven Realität verzögert. Er ist die Projektionsebene für die Filmbilder der Welt. 230 Ich verweise noch einmal exemplarisch auf die Texte Suquets. Er hat recht, irgendwelche grundsätzlichen Widerstände stellt die Maschine dem Verständnis nicht entgegen. Die Grüne Schachtel enthält alle zwingend notwendige Information. Wer nur vom Labyrinth der Notizen etc. spricht, bleibt bei der Eindruckswahrheit hängen. 231 Viele Autoren haben auf das „probabilistische Universum“ Henry Poincarés hingewiesen, über dessen Schriften Duchamp mit der Krise des Mechanismus in der neuen Physik in Berührung kam.

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vierdimensionalen Braut im synchronen Junggesellenbewusstsein artikuliert sich so auf der technischen Ebene des Glases als Verhältnis des kontingenzoffenen Herstellungsprozesses zur resultierenden Form. – Es gibt andererseits Motive, in denen die Einschreibung der Aleatorik literarisch gebunden bleibt, Importe aus Alfred Jarrys Pataphysik,232 wie Stoffe von „oszillierender Dichte“, „reintegrierte Reibungsenergie“, „emanzipierte Metalle“ (s. ST 68) – oder das autonome perpetuum mobile der Schokoladenreibe (1), die sich aufgrund des „Sponaneitäts-Sprichworts“ dreht, nach dem „der Junggeselle seine Schokolade selber reibt“ (ST 69), und die, entgegen dem Anschein, ohne direkte Verzahnung mit den sonstigen Abläufen des Junggesellenapparats bleibt („inutile“, Notes, no. 1151, 1182). So dringt die vierte Dimension als eine gewisse Unschärfe der Identitäten, als Labilität, der die Bewegungsfolgen determinierenden Gesetze, als „Oszillieren“ der Schwerkraft, als Durchlässigkeit von Materialien für die Sprache in die Mechanik auch der maschinischen und zunächst technoid und durchreguliert erscheinenden Junggesellenwelt ein. „Die Gesamtheit des Bildes scheint aus Papiermaché zu sein, weil diese ganze Darstellung die Zeichnung (im Negativ) einer möglichen Wirklichkeit ist, indem man die physikalischen und chemischen Gesetze ein wenig ausdehnt“ (ST 73233 ). Das Verhältnis zur vierten Dimension artikuliert sich also dreifach: im topologischen Paradox der Sichtbarkeit der Gussformen, in der raumzeitlichen Bewegung der Maschine, durch die das Glasbild ein Synchronschnitt ist, und in der Bewegung der Herstellungsverfahren, als deren Abdruck (oder konserviertes Resultat) die technischen Anweisungen der Grünen Schachtel die im Glas gegebenen Formen vergegenwärtigen. „Meine Landschaften beginnen dort, wo die von da Vinci enden“ (IS 156), sagt Duchamp einmal. Und dennoch sind, wie er sich wiederholt ausdrückt, nur die „Motorhauben“ sichtbar, nie der Motor.234 Das Element, in dem die Landschaften

232 Alfred Jarry und Raymond Roussel sind die wichtigsten literarischen Quellen oder Anregungen

mindestens für die fiktionale Physik und Mechanik im Glas. Wir müssen diese Bezüge beiseite lassen. 233 Stauffer übersetzt en moule (DDS 101) im Modell. Moule (wie in moules mâliques) ist nicht irgendein Modell, kein proportionales Vorbild vor allem, sondern die Gussform, das Negativ dieser „möglichen Wirklichkeit“. 234 Eine in den Interviews oft wiederholte Metapher (z. B. IS 127). Die ganze Mechanik mit ihren Zahnrädern, Röhrchen, Gummibändern und Kondensatorplatten, die im oberen Bereich, im Uhrwerk des Weiblichen Gehenkten noch wesentlich filigraner ausphantasiert ist als in der handfesten Bastelei der Junggesellenmaschine, all diese imaginierbaren Motoren sind dennoch nur Motorhauben – im Verhältnis zur vierten Dimension, zum Wasserfall oder dem Magneto-Verlangen der Braut, das sie antreibt. Wir kommen darauf zurück. Die Beschreibung des maschinischen Anteils der Braut müssen wir ganz ausblenden (ST 40–51). Greift in der Junggesellendomäne die Oszillation des Zufalls am Rand in die strenge Mechanik, so könnte man sagen, dass umgekehrt in der Braut die Mechanik in ein selbstantreibendes „Leben“ hineingreift. Die Elemente des Uhrwerks der Braut haben, wie die „Pulsnadel“, die „Freiheit der Tiere im Käfig“ (ST 49). „Die Braut hat ein Zentrum Leben – die Jungges. haben keines. Sie leben von der Kohle oder anderem Rohstoff [matière première], der nicht aus ihnen gezogen wird, sondern aus ihrem Nicht-ihnen.“ (ST 48 / DDS 68) Die Junggesellenmaschine ist primär ein Übersetzungsapparat von von außen zugeführten Kräften. Selbstbewegung ist auf den „Hang“ oder die „fixe[r] Idee“ des Leuchtgases

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sich fortsetzen über das sfumato der imaginären Horizonte hinaus, das Element, das den Motor heizt, ist die Sprache (fig. 40). Deshalb ist das Große Glas, das materielle Glasbild in Philadelphia, an dem Duchamp acht Jahre gearbeitet hat („zwei Stunden“ täglich, „das war seine Dosis“ 235 ), nur die eine Hälfte dieses Werks. Die Notizen der Grünen Schachtel, die 1934 in einer Auf lage von 320 Exemplaren publiziert wurde, gehören zu diesem Werk als der Strom, in den die Maschine eingetaucht sein muss, damit sie läuft. Die Sprache ist der eigentliche Wasserfall, „principe moteur“ 236. Die Unverbundenheit der Notizen in der Schachtel, die dazu zwingt, eine Ordnung oder Folge herzustellen und zu verwerfen, aktualisiert die Aleatorik, in die jede solche Ordnung eingetaucht bleibt: die Leere zwischen den Papieren, nicht zwischen den Worten und Zeilen, ist der Träger, auf den der immer verspätete Leser seine Ordnung schreibt. Dies ist eine echte Grenze. Die Ordnung treibt auf diesem aktualisierten Nichts. Eine Bedingung, dass die Sache läuft ist die: die Architektonik des Buchs darf die Bewegung der Schrift nicht anhalten. Aber warum die akribische, bis in die Materialität des Papiers gehende Faksimilierung? Warum diese Mimikry an Resultate des Zufalls? Weil sie Resultate des Zufalls sind. Durch die Materialität und den Umriss des Trägers bleibt der Gedanke an den Moment seiner Niederschrift gebunden. Die Braut ist Sprache im Zustand der Virtualität, eine Schreibmaschine oder ein Lettern-Kasten (ST 53). Sie sendet ihre Befehle (ST 54) als einen Luftzug, als Flamme (ST 52) oder als Bewegliche Inschrift (53237 ) an die schwarze Kugel aus, die auf dem Tisch des Schwerpunktjongleurs (14), einem Roulettetisch,238 balanciert, der auf dem Horizont des Bildes tanzt, in der Domäne der Braut (fig. 41). Der Gedanke ist ein Würfelwurf, eine Aktualisierung der Virtualität der Sprache, ein „Regentropfen“, zu dem der Staub der Buchstaben kondensiert.239 Die Niederschrift, die ihn in diskursive, sequenzielle Form bringt oder ihn codiert, ist daher von dem materiellen Träger nicht trennbar, auf den der Tropfen gefallen ist. Der Gedanke ist im Verhältnis zur beweglichen Inschrift der Braut – dem Integral von Sinn und Unsinn, das der Letternkasten enthält – ein Ready-made, eine Verzögerung des Buchstabenflugs zur Wortfolge. Er bleibt daher mit seiner Schrift

235 236 237 238

239

beschränkt, „aufzusteigen“ (ST 80/81) – und auf die onanistische Spontaneität der Schokoladenreibe. Selbstbewegung ist dagegen das eigentliche Wesen der Braut. „Bevor sie noch der Motor ist, der seine Schüchternheit-Kraft überträgt, ist sie diese Schüchternheit-Kraft selber – Diese Schüchternheit-Kraft ist eine Art Automobilin, Liebesbenzin…“ (ST 43). Henri Pierre Roché, Victor, München 1986, 79. Notes, no. 81 u. 95. Inscription mouvante (DDS 57), also vielleicht besser „bewegende/treibende Inschrift“. So Linde („Cycle“, in: abécédaire). Linde stellt auch die Beziehung des Schwerpunktjongleurs zum Fahrradrad her (eBd. u. ders. , „MARiée CELibataires“, in: Linde/Hopps/Schwarz, Marcel Duchamp. Ready-mades, etc.). Die Ideen fallen wie Regentropfen, tout-fait, aus dem Gewölk der Neuronen. So Rhonda Roland Shearer über Poincarés Theorie der Gedankenbildung (Rh. R. Shearer, „Marcel Duchamp’s Impossible Bed and Other ‘Not’ Ready-made Objects: A possible route of influence from art to science“, http://www.marcelduchamp.org/ImpossibleBed).

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und dem Umriss ihres Trägers, mit dem Datum und der Lokalität des Einfalls in der materiellen Spur verschmolzen.240 Die Braut ist Sprache im Zustand der Virtualität. Duchamps Texte sind auf diesen Grund oder Ungrund geschrieben. Wir finden weniger die metaphorische Schwingung der Bilder in ihnen, als eine Überlagerung der Oberflächenstruktur der Wörter durch andere Sinnperioden. Sie sind so stark von Alliterationen und Homonymien durchquert, dass der konturierte Sinn der Worte mit diesem Grund unterhalb aller Sinnperioden vernäht bleibt. Diese Vernähung ist eine der zentralen Techniken in den Sprachspielen von Rrose Sélavy, Duchamps weiblichem alter ego. Aber auch in den wesentlich technischen Notizen der Schachteln bricht diese Körnung der Buchstaben oft durch die Periode des Worts (was radikaler als jede Idiomatik die Möglichkeit der Übersetzung begrenzt). Wie die Folge der Notizen durch den „Auftrag“ auf den Zufall ihrer Anordnung, so bleibt die Sinneinheit der Sätze und Wörter porös auf den Buchstabenflug der Braut. Sinn ist das Interferenzphänomen an der Oberfläche der beweglichen Inschrift, „deren Gesamtheit von alphabetischen Einheiten. keine strenge Ordnung von links nach rechts mehr hat“ (ST 53).241 Im aleatorischen Spiel dieser kondensierten Gedanken, die die Imagination und die Entscheidungen des Lesers in Bewegung halten, läuft die Maschine des Großen Glases. „Etant donnés: 1° la chute d’eau / 2° le gaz d’éclairage“, so stößt der Préface überschriebene Text mit der Nennung der beiden Grundelemente die Bewegung an. Den Wasserfall, der über die Achse der Wassermühle (2 C) die (unausgeführte) Kette der Benediktinerflaschen antreibt (2 A), die wiederum den Gleitschlitten (2) in seine Vorund Zurückbewegung versetzt und ihn seine müden Litaneien singen lässt, die das Leuchtgas, in den Spiegel der Gussformen „längs seiner Reue“ eingewickelt, aus der Distanz vernimmt: „träges Leben, Lasterkreis, Onanismus, Horizontal, Prellbock240 Ich spreche von der manifesten Dimension der Notizen. Wie seit der Publikation der zahlrei-

chen Varianten der Notes der spontane Charakter ihrer Niederschrift, so steht nach neueren Untersuchungen von Rh. R. Shearer und St. J. Gould (Shearer/Gould, „The Green Box Stripped Bare: Marcel Duchamp’s 1934 ‚Facsimiles‘ Yield Surprises“, http://www.toutfait.com/duchamp. jsp?postid=697&keyword=shearer) die Präzision ihrer Faksimilierung in Frage. Die Mimikry ist weniger konsequent, als Duchamp behauptet und die Literatur bisher angenommen hat. Welche Schlüsse aus den Abweichungen von Original und (angeblichem) Faksmile zu ziehen sind, muss vorläufig offen bleiben. Die Zufälligkeit ist jedenfalls retroaktiv konturiert. 241 Die Struktur der Bedrohung des Sinns (des Bildes, der Metapher) durch die Virtualität der Sprache ist paradigmatisch formuliert in Paul de Mans „Shelleys Entstellung“ (in ders. , Die Ideologie des Ästhetischen, Frankfurt a. M. 1993, 147–182). Die Figur des Wortes hebt sich nicht ab von einem geglätteten Leergrund, sondern vom Treibsand der Buchstaben, die es unterlaufen, indem sie es bilden. Sinn ist explikative Aktualisierung und selektive Figuration dieses Potentials von Sinn und Unsinn. Deshalb ist der Würfelwurf eine Sinnfigur, „ein wunderbarer Ausdruck des Unterbewußten“, wie Duchamp sagt (Tomkins, Duchamp, 159), ein Imperativ, der nicht „den Zufall (den Zufallshimmel) abschaffen will“, sondern den „ganzen Zufall … bejaht“ (Deleuze, Differenz und Wiederholung, 250 ff.). Duchamp arbeitet ständig an dieser Grenze, die sich nicht nur im Milieu der Sprache artikuliert. Siehe dazu bes. die Notizen zum Nominalisme littéral (Notes, bes. 112 ff.) und zum Wörterbuch des Glases in der Grünen und bes. der Weißen Schachtel (ST 96 f. u. 132 ff.). Der Grund der Virtualität schneidet den Wörtern auch die Etymologien ab (Notes, no. 71 v, 771).

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Leben …“ (ST 64). Jean Suquet hat zum Leitfaden seiner knappen Einführung die komplementäre Reise oder Amelioration des Leuchtgases selbst gemacht,242 das seinen Kindheitserinnerungen folgend aufsteigt, aus einer Öffnung an der Spitze der Gussformen austritt, in den Kapillarröhrchen (5) gedehnt wird und gefriert, das durch die Siebe (9) diffundiert, und, orientierungslos geworden, spiralförmig zu Boden stürzt. Das nach dem Aufprall (10 B) des Mobils (10 A) auf die Lache des verflüssigten Gases – hier erst kreuzen die Bewegung, die der Wasserfall antreibt, und die „spontane“ Reise des Leuchtgases sich – explodiert oder verspritzt und durch die spieglerische Zurückwerfung der Okulistenzeugen (12), die seine Tropfen in Bilder verwandeln, in die Domäne der Braut projiziert wird und zugleich die Mechanik des Boxkampfs und die Auf- und Abwärtsbewegung der Widder (11 A/B) auslöst, die von unten am Kleid der Braut zerren. Wir können diesem starken, halluzinatorischen, kontra-mallarméschen und non-euklidischen Gedicht vorerst nicht weiter folgen. Der Aufriss der Grundstruktur muss hier genügen, um weiter das topologische Verhältnis der Ready-mades zum Großen Glas zu formalisieren. Die Ready-mades sind „Projektionen“ vierdimensionaler „Gegenstände“ auf oder in dreidimensionale Objekte. „Der Schlagschatten einer 4-dimensionalen Figur auf unseren Raum ist ein Schatten von 3 Dimensionen“ (ST 151), ein dreidimensionales Objekt. Die Braut, wie sie im oberen Teil des Glases erscheint, ist Schattenwurf eines solchen Schattenwurfs. Ihre zweidimensionale Erscheinung ist Projektion eines dreidimensionalen Objekts, des Weiblichen Gehenkten, der die Verzögerung einer vierdimensionalen „Figur“ ist. Eine Notiz, die Stauffer im „Zwischenkapitel“ publiziert, sie wurde in keine der Schachteln aufgenommen, lautet: „wahrscheinlich verbinden mit Notizen über 4 dmsl. Perspektive. / nach der Braut .... / ein Bild machen. aus den Schlagschatten / von Objekten […] – die Ausführung des Bildes mit / Hilfe von Lichtquellen. / und Zeichnung der Schatten auf diesen Ebenen. / indem man einfach den realen / projizierten Umrissen nachfährt…“ (ST 110). Eine Notiz in der Grünen Schachtel verknüpft dieses Schattenbild mit den Ready-mades: „Schlagschatten von Readymades. / Schlagschatten von 2.3.4. ‚zusammengerückten‘. Readymades / (Vielleicht eine Vergrößerung davon verwenden, um daraus / eine Figur zu gewinnen“ (ST 101). Das Ergebnis zeigt die Fotografie der Schlagschatten von Ready-mades – identifizierbar sind das Fahrradrad, der Hat Rack und das nachgeholfene Readymade With Hidden Noise (1916) 243, die verspannt sind mit der Sculpture for Travelling (1918), einem Geflecht zerschnittener Gummibadehauben – die Man Ray 1918 aufgenommen hat (fig. 44, 48). Eine gewisse Affinität dieser Schlagschattenfigur zur Gemengelage der Braut im oberen Teil des Glases ist deutlich (sie ist im Wesentlichen seitenverkehrt). „Nach der Braut .... / ein Bild machen. aus den Schlagschatten / von Objekten“. Die Konstellation der „ ‚zusammengerückten‘ Ready-mades“ (ST 101) 242 J. Suquet, „Possible“; sowie, „THE LARGE GLASS: A Guided Tour“. 243 Das zweimal aufzutauchen scheint, am rechten Rand und sich überlagernd mit dem Schatten

des Hutständers, wo die Schatten der zwei Platten und mindestens einer der Schrauben identifizierbar sind.

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ist das für dieses Schlagschattenbild „plastisch in 3 Dim. errichtet[e] Objekt“ (ST 110, Zit. umgestellt, S. Eg.), eine hypothetische Rekonstruktion der „wahre[n] Form“ des Weiblichen Gehenkten, „die man vielleicht herausfinden könnte“ (ST 52). Die Ready-mades sind nach dieser Beweisführung Körperteile des Weiblichen Gehenkten und als diese Körperteile Projektionen der vierdimensionalen Braut. Dass sie in Duchamps Ateliers meistens hingen, ist offenbar nicht ohne Signifikanz (fig. 47). Die déclaration und die in sich gedoppelte Datierung oder Signatur (s. o. , S. 143 f.), die das Ready-made aus dem flüssigen Körper der Serie (des Warenkapitals) löst, entspricht der Verzögerung, die die Braut in den dreidimensionalen Raum projiziert, und der Verspätung, mit der dieser Körper auf die Perspektive (auf Augenpunkt und Horizont) des Jungesellenapparats, d. h. der Anschauer bezogen wird. Diese Struktur gilt es weiter zu entfalten. Stellen wir damit die Interpretation der Ready-mades, der Lieblingsobjekte der kritischen konzeptuellen Kunst seit den sechziger Jahren, auf diesen Abgrund der halbesoterischen Fin-de-siècle-Spekulation über die vierte Dimension? Gewissermaßen ja. Die Duchamp-Exegeten sind sich nicht einig darüber, was (und ob etwas) mit diesen Spekulationen anzufangen sei, aber ihre wesentliche organisierende Funktion für das Glas ist spätestens seit der Publikation der Weißen Schachtel unbestreitbar. Und dass die Beziehung der Ready-mades zum Glas in etwa in diesen Grundriss einzuschreiben ist, ist keine besonders forcierte und auch keine völlig neue Idee. Ulf Linde hat in seinen Interpretationen zwar die eher semantischen Bezüge betont – das Fahrradrad entspricht dem Schwerpunktjongleur (fig. 41, 42), Fountain ist ein invertiertes Bild des Wasserfalls, die Schreibmaschinenhülle (fig. 24) ein Kleid der Braut –, aber schon Clair hat die formale Logik der Projektion zum Gerüst seiner Überlegungen gemacht.244 Und diese Logik ist auch in den semantischen Interpretationen impliziert und wird von ihnen umgekehrt bestätigt. Die Frage ist also, was mit dem Begriff der vierten Dimension anzufangen ist. Da das Verhältnis von dritter und vierter Dimension offenbar auf das Verhältnis von Braut und Junggesellen bezogen ist und auf die so schwierige – obwohl von der Braut, die kein „asensueller Eiszapfen“ ist, „hitzig. (nicht keusch)“ (ST 43) zurückgewiesene – Entblößung, hat man die vierte Dimension mit „der Erotik“ identifiziert. Aber Duchamp hat eher gezögert: „Sex is three-dimensional as well as four-dimensional. […] Sex is only an attribute that can be transferred into a fourth dimension, but is not the definition or the status of the fourth dimension. Sex is sex.“ 245 Soll man sich also damit begnügen, die vierte Dimension zum „notwendigen Symbol eines Unbekannten“ zu erklären, „ohne das das Bekannte nicht existieren könnte“, wie einmal Clair, der hier Gaston de Pawlowski, eine der Quellen Duchamps zitiert?246 Wir wollen dementgegen der 244 Siehe bes. J. Clair, Marcel Duchamp et la photographie, Paris 1977. 245 Zit. nach Schwarz, The Complete Works, 35, Anm. 9. 246 J. Clair, marcel duchamp ou le grand fictif, Paris 1975, 44. Es handelt sich um Gaston de Pawlowski,

Voyage au pays de la quatrième dimension, Paris 1912; die Texte Pawlowskis erschienen ab 1911 in Comoedia in Paris. Sie sind einer der ersten Kontakte Duchamps mit dem Thema der vierten Dimension, ehe er während seiner Arbeit an der Bibliothek Sainte-Geneviève die klassischen

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berüchtigten These nachgehen, die auch in der Duchamp-Literatur unter Verweis auf verschiedene Autoritäten von Einstein bis Bergson kursiert,247 nach der die vierte Dimension die Zeit sei. Nun sind die Reflexionen der Weißen Schachtel zur vierten Dimension aber in dieser Hinsicht zunächst eindeutig. Sie thematisieren die vierte Dimension im räumlich geometrischen Sinn als die zusätzliche Dimension einer Ausdehnung, die zu jedem gegebenen Punkt der dreidimensionalen Welt senkrecht steht. Jeder gegebene Punkt ist die „Endigung“ einer Linie, die aus der vierten Dimension auf „unseren Raum“ trifft und ihn „schneidet“. Jeder von „einem gewöhnlichen Auge im Raum3“ wahrgenommene Punkt „kaschiert“ oder „maskiert“ eine Linie, die „orthogonal“ nicht zu einer Ebene (einer Oberfläche) im Raum, sondern zum Raum selbst steht – und deshalb unsichtbar (kaschiert oder maskiert) bleibt, egal von woher dieser Punkt wahrgenommen wird. Ich erinnere daran, dass für das Leuchtgas die Maske der verspiegelten Gussformen unüberwindbar ist (ST 76).248 Das einfachste Darstellungsmittel dieser Verhältnisse ist der Analogieschluss nach dem Modell des Poincaréschen Schnitts.249 Ein Punkt schneidet oder teilt eine Linie. Eine Linie, ein Kontinuum von einer Dimension, schneidet eine Fläche, und die Fläche wiederum schneidet oder teilt den Raum, das Kontinuum von drei Dimensionen. Analog muss die dreidimensionale Ausdehnung als „Schnitt“ durch ein vierdimensionales Kontinuum begriffen weden, von diesem umfasst und von ihm aus „gesehen“ gewissermaßen ausdehnungslos, eine bloße Grenze. Hier aber drängt es sich auf, die Zeit als vierte Dimension zu denken. Wie eine Ebene2, schreibt Duchamp, die einen Raum3 teilt, von uns, so wird dieser Raum3 von einem „4 dimsl. Eingeborene[n] […] augenblicklich durchquert“ (ST 161), eben in jenem Augenblick der synchronen Präsenz, die für uns die Essenz der Gegenwart in drei Traktate zur Perspektiv-Theorie (Nicéron, Abraham Bosse, Anastasius Kircher) und die mathematischen Abhandlungen von Esprit Jouffret (Traité élémentaire de géométrie à quatre dimensions, Paris 1903) und Henry Poincaré zur non-euklidischen Geometrie las. 247 So von Suquet. „Possible“, 96 f. Suquet verweist hier neben Jarry und Einstein auf Bergson, aber er artikuliert nicht die Aquivokationen des Zeitbegriffs, die sich von Bergson aus aufdrängen. Für Suquet bleibt die Zeit im Wesentlichen der lineare Parameter der Bewegung der Körper und der Sprache als Wortsequenz, die dieser Bewegung folgen kann, während das Bild an den Simultanschnitt gebunden bleibt. Das vereinfacht sowohl den Zeitbegriff wie den der Sprache. Die an der Bewegungsfolge ablesbare Zeit ist die Zeit der Motorhauben. Sie ist nur der Reflex der Dauer (der durée) im präsenzbezogenen Bewusstsein (der Imagination) der Junggesellen. Entsprechend beschreibt die alltägliche Wort- und Begriffssprache nur diese Motorhauben, sie webt mit an der Hülle der Konventionen, indem sie die Buchstaben auf die Linie der reflektierten Zeit (der „Stimme“) auf fädelt. Für Duchamp (wie in anderer Weise für Bergson) ist diese diegetische Wortsprache nur die figurierte Ausdrucksoberfläche der Virtualität der Sprache, des „Lettern-Kasten“ der Braut. Es sind Wort-Ready-mades, Konfektionskleider wie Bergson sagt, in die das „Leben“ oder die „Intensität“ von der sozialen und kommunikativen Praxis eingenäht werden. Suquet scheint diese innere Doppelung von Sprache und Zeit, die im Großen Glas strukturbestimmend ist (und den ganzen Bergson’schen Diskurs prägt), nicht klar zu sehen. 248 Zum voranstehenden vor allem Texte no. 179 u. 187 (ST 154 u. 162 f.). Ich gebrauche im Folgenden Duchamps Schreibweise mit der nachgestellten Dimensionszahl auch außerhalb von Zitaten. 249 Henry Poincaré, Wissenschaft und Hypothese, Leipzig 1914 [frz. 1902], bes. Kap. III, „Der Begriff des Raums“ (dort § 3 „Das physische Kontinuum mit mehreren Dimensionen“). Text no. 186 (ST 161) ist der klarste Text zu dieser Technik des „Schnitts“ in der Weißen Schachtel.

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Dimensionen ist. Der synchrone, jetzt und je gegenwärtige (dreidimensionale) Raum muss als Schnitt zwischen einem Vorher und einem Nachher begriffen werden. Der Raum – von dem Tropfen des Jetzt ausgefüllt, den das in die tiefe und doppelte Kontinuität von Vergangenheit und Zukunft erstreckte Werden in die Gegenwart eines Bewusstseins fallen lässt – ist die belichtete Schnittebene der Welt, in der dieses Bewusstsein sich reflektiert. „Ich sah mich mich sehen“, sagt die junge Parze Valérys, die Lacan zur Einführung in den präsumtiven Narzissmus der Phänomenologie zitiert.250 Dieser selbstreflexive Blick konstituiert die verspiegelte Innenseite des Archivs, die perspektivisch gegenwärtige, gegenständliche Welt. Das Auffangen dieses Tropfens der Gegenwart, den die vierdimensionale Braut, der „wirkliche Motor“ des Werdens unter den Motorhauben der gegenständlichen Bewegungen, ins Junggesellenbewusstsein fallen lässt, dieses Raumwerden der Zeit, ist die Verzögerung. So führt die Reflexion auf eine geometrische vierte Dimension von sich aus auf das Problem der Zeit zurück. Duchamp verfolgt jedoch diese Möglichkeit nicht explizit. Eine andere Ebene der Reflexion ist die auf die Verhältnisse der Wahrnehmungskapazitäten eines zwei-, drei- und vierdimensionalen Sehens. Ein Flächenwesen wird ein flächiges Objekt, eine Form, die in der Ebene liegt, der es selbst angehört – und für das Flächenwesen ist ein Außerhalb dieser Ebene so unvorstellbar wie für uns die vierte Dimension251 – nie auf einmal erfassen können. Es wird diese Form umwandern können und aus einer Summierung der perspektivischen Ansichten (es sieht verschieden lange und, wenn „Nebel“ herrscht,252 verschieden getönte Linien) auf seine wahre Form schließen können. Oder es hat vielleicht eine Art Tastorgan und ist fähig zu einer „taktilen Rekogniszierung“ (ST 149) dieser wahren Form. Das gleiche gilt für unser Wahrnehmen dreidimensionaler Objekte im Raum. Wir können ihre wahre Form aus den (sequenziell wechselnden) Aspekten einer „SpaziergangWahrnehmung“ (ST 148) konstruieren oder sie „taktil rekogniszieren“ durch eine simultane Tastwahrnehmung, die das Objekt (eventuell) umfangen kann.253 Die Tastwahrnehmung ist eine Brücke zwischen der visuellen Wahrnehmung in n und n + 1 Dimensionen. „Das Sehen3 einer Ebene P. entspricht in der Ausdehnung . einer Aneignung4, von der man sich eine Vorstellung machen kann, indem man ein Federmesser mit der Faust packt .. zum Beispiel“ (ST 158). Wie wir von einem Punkt im Raum, der über der Ebene des Flächenwesens liegt, dessen Objekt auf einmal, ge250 Lacan, Das Seminar XI, 86 ff. „Doch mein zur Gänze Herrin aller meiner Sinne, / sie straffend mit

den Schauern, die meinen Leib durchrinnen, / und so, in sanften Banden, ganz nah bei meinem Blut, / sah ich mich, sah mich sehen, die verschlungen ruht, und goß über mein Waldreich aus Blicken goldne Glut.“ P. Valéry, Die junge Parze, übers. v. P. Celan, Frankfurt a. M. 1982, 11. 251 Einer der bekannten Texte, der diese Unmöglichkeit literarisch durchspielt, ist Edwin A. Abbots Flatlands (1884), das Duchamp wahrscheinlich nicht kannte. Clair verweist auf die Nähe von Pawlowskis Voyage zu Abbots Text, der voller humorvoll-verzweifelter Schilderungen des Erzählerquadrats von den Gesetzen und Grenzen der Wahrnehmung in Flatland ist (Edwin A. Abbot, Flatlands. A Romance of Many Dimensions, London 2001). 252 So die Bedingung bei Abbot. 253 Zum Verhältnis von sequenzieller „Spaziergang-Wahrnehmung“ mit wanderndem Augenpunkt und simultaner „taktiler Rekogniszierung“ in den verschiedenen Dimensionen siehe vor allem die Texte nos. 169, 170 u. 182 (ST 148 f. u. 158).

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wissermaßen unabgeschattet, in einer Weise betrachten können, die dem Flächenwesen wesenhaft unzugänglich ist, so muss ein Sehen4 als ein solches gedacht werden, das unsere dreidimensionalen Objekte aus allen Richtungen und Distanzen unseres Raums zugleich ansieht. „Das 3-dimsl. Objekt, im 4-dimsl. Kontinuum gesehen wird / als Ganzes wahrgenommen / Diese Wahrnehmung des Ganzen definieren“ (ST 153). Sie ist, nach einer anderen Notiz, eine „Umfangungskreishyperhyposicht. wie mit der Hand gepackt und nicht mit den Augen gesehen.“ (ST 150) „From a four-dimensional point of view,“ paraphrasiert Craig Adcock, „a three-dimensional object is not just seen — it is circum-hyper-hypo-seen. It is seen around, above, and below.“ 254 Für das vierdimensionale Sehen ist das dreidimensionale Objekt also die simultan erfasste Summe aller seiner möglichen Abschattungen, aller „virtuellen Bilder“, wie Duchamp sagt, aller möglichen Formen und Größen, unter denen es einem perspektivisch gebundenen Auge3 je erscheinen kann: die simultane Summe einer „Vielheit bis ins Unendliche der virtuellen Bilder des 3-dimensionalen Objekts. Indem diese Bilder die kleinsten bis ins Unendliche und die grössten bis ins Unendliche sind“ (ST 167).255 Das Auge4 würde nicht die Streuung und Flucht dieser Bilder sehen, sondern ihr Kondensat, oder das „Typen-Objekt“ (ST 166), deren Abdrücke in einem Auge3 sie sind, Abdrücke, die dieses selbst im Raum3 lokalisierte Auge nur sequenziell aufnehmen kann, indem es am Faden der Zeit um das Typen-Objekt „herumspaziert“. So kehrt auch hier die Zeit in die geometrische Reflexion zurück – als der Parameter der Raumbewegung, die dem Auge3 eine gewisse Verfilmung des Typen-Objekts erlaubt. Duchamp führt diese Überlegungen subtiler durch, als ich hier darstellen kann. Ich will nur zeigen, dass diese Reflexionen zur vierten Dimension weder besonders „spekulativ“ noch „esoterisch“ sind. Auch die Theorie der gewöhnlichen, dreidimensionalen Perspektive impliziert ja eine Überschreitung des bloßen Bildaspekts (der Abschattung oder des „virtuellen Bilds“, mit dem Ausdruck Duchamps) auf die wahre Form des Dings (als des Typen-Objekts), nämlich durch die geregelte Beziehung der Bilderscheinung – der perspektivischen Illusion, die uns die Raumdinge als konturierte Flächenformen, ein Flächenwesen die Flächenformen als Linien wahrnehmen lässt – auf den nicht-erscheinenden, absoluten Raum der Pläne, in denen Bildebene, Betrachter (Auge3) und Typen-Objekte an ihren wahren Orten und in ihren wahren Grenzen lokalisiert sind. Die Pläne sind keine Bilder, sie sind der Webrahmen des Bildes, der natürlichen perspektivischen Illusion. Es ist dieses erkenntniskritische Motiv der Perspektivtheorie, die das Verhältnis des unwahren oder verzerrten Bildes zur wahren aber unanschaulichen Form des Objekts zur Bestimmung bringt, das die Reflexionen zur vierten Dimension weiterführen und gewissermaßen ontologisieren. Sie artikulieren so auf ihre Weise, indem sie auf ihre Überschreitung spekulieren, die Grenze, die eine Phänomenologie der Wahrnehmung nur von innen her beleuchten und abtasten kann. Das Jenseits dieser Grenze ist nur im Modus einer Blindheit denkbar – und der 254 Craig Adcock, Marcel Duchamp’s Notes from the Large Glass. An n-dimensional Analysis, Ann

Arbor 1983, 96. Dort insgesamt v. a. „Un Œil4“, 87–134.

255 Zu diesem Komplex allgemein vor allem die Texte no. 185 u. 188, ST 161 u.166 f.

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geometrische Name dieser Blindheit, in die hinein sich die Gesetze, die das Sehen3 begrenzen, verlängern, ist die vierte Dimension. Duchamps Reflexionen zur vierdimensionalen Geometrie führen also an mindestens zwei Schnittstellen auf die Thematik der Zeit. Wenn der Raum3 ein Schnitt in einem Kontinuum4 ist, dann ist es naheliegend, ihn als synchronisierten „Jetzt-Raum“ zu denken, als die unendlich dünne Schicht reflexiv erhellter Gegenwart in dem in die Vergangenheit und Zukunft erstreckten Kontinuum der Zeit. Dies ist die ontologische Ebene der Reflexion. In diese Gegenwartsschicht ist das Präsenzbewusstsein eingelassen. Das ist das Scharnier zur zweiten, der erkennntnistheoretischen Ebene der Reflexion. Denn wenn dieses Präsenzbewusstsein zusätzlich als Auge (als Punkt) in dem so synchronisierten Raum lokalisiert ist, dann wird es von den Objekten dieses mit ihm gleichzeitigen Raums zudem nur je einen Aspekt, nur je einen Bildabzug pro Augenblick abnehmen können. Für eine wenigsten etwas bessere Übersicht ist es daher auf eine Bewegung in diesem Raum angewiesen, eine Bewegung, die, ohne die Schicht der Gleichzeitigkeit zu verlassen, eine Sequenz von Bildaspekten der dreidimensionalen Objekte auf eine so linearisierte, aus Augenblicken zusammengesetzte Zeit auffädelt – und deren Produkt, der Film oder die Chronofotografie der „Spaziergang-Wahrnehmung“ (ST 148), dennoch ein schwacher Abklatsch der vollen Wirklichkeit des Typen-Objekts bleibt, das ein Auge4 von allen Seiten zumal wie mit der „Faust“ „packt“. Das perspektivische Präsenzbewusstsein kann die vom Auge4 erfasste simultane Summe der Bilder oder die Wahrheit des Typen-Objekts bestenfalls kinematografisch explizieren, wie Bergson sagt. Aber auch der Film der Wahrnehmung bleibt eine Folge unwahrer Bilder.256 So artikuliert sich hier die Äquivokation des Zeitbegriffs, des Verhältnisses von Verzögerung und innerzeitlicher Bewegung der Körper. Zeit ist im ersten, ontologischen Paradigma das, was dem Präsenzbewusstsein entgeht, was die Simultaneität, in die dieses als egologische Reflexion gebunden ist, zur bloßen Grenze, zum ausdehnungslosen Schnitt macht. Zeit hier ist die dichte „Tiefe“, die Dimension der Ungleichzeitigkeit, in die sich das Gegenwartsbewusstsein in erster Linie nicht erstreckt, in die es nur in den sehr partiellen Ausstülpungen der Erinnerung und Antizipation ausgreift. Und Zeit ist in der zweiten, erkenntnistheoretischen Dimension der Parameter der Bewegung durch den oder im konstituierten (synchronisierten) Raum, der Parameter einer Bewegung, deren als Auge lokalisiertes Subjekt sich in und mit dem Zeitschnitt des Simultan-Bewusstseins im Verhältnis zu anderen Körpern verschiebt, entlang jenes Fadens, als welcher die Zeit sich in der Raumbewegung abzurollen scheint. Ich will diese vielleicht allzu bildhafte Ausdrucksweise nicht weitertreiben, es geht nur darum, die Spaltung des Zeitbegriffs soweit zu formalisieren, dass ihr Bezug auf das Verhältnis von Verzögerung und Verspätung durchsichtig wird, auf das Verhältnis der 256 Siehe v. a. H. Bergson, Schöpferische Entwicklung, Zürich o. J. [Paris 1907], Kap. IV: „Der kinema-

tographische Mechanismus des Denkens und die mechanistische Täuschung“. Die Literatur zu Duchamp und Bergson ist dürftig (s. die Aufs. v. Lucia Beier, Ivor Davies und Duchamp in Context von L. D. Henderson in der Bibl.). Eine systematische Konfrontation, die vor allem auch eine philologische Analyse einschließen müsste, wäre eine lohnende Arbeit. Wir werden im Folgenden nur einige Punkte beleuchten.

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primären, produktiven Projektion der vierdimensionalen Braut oder des Werdens in die Synchronschicht des Raums – und der Apperzeption des so konstituierten Objektfelds durch das in ihm lokalisierte Junggesellenbewusstsein, das von den räumlichen Körpern abgeschattete Bilder wahrnimmt. Zu sagen, dass die vierte Dimension die Zeit oder nicht die Zeit sei, hilft also wenig weiter, solange diese Aquivokation nicht geklärt ist. Die vierte Dimension ist jedenfalls nicht die Uhrzeit, die lineare Zeit, die wir an den Prozessen der physischen Welt ablesen – als eine Struktur des zählbaren Übergangs.257 Das Vorher und Nachher der Uhrzeit ist schon im Ansatz im Raum des kinematografischen Bewusstseins ausgelegt – als ein Hier und Dort auf einer Linie, die eine Raumbewegung durchläuft. So zeigt sich die Zeit in der Domäne der Junggesellen – an den periodischen Bewegungsfolgen der Maschine, wenn deren Gesetze auch vom Zufall angeweicht sind. Wir sagten schon, dass es die zentrale Herausforderung des Glases ist, das Verhältnis der Verzögerung zur Raumbewegung der Körper zu bestimmen. Diese Aufgabe hat sich nun geklärt. Die Verzögerung ist keine Verlangsamung einer intra-phänomenalen Bewegung. Sie ist die Herstellung der Ruhe oder Synchronie des Raums selbst als Bedingung der Möglichkeit der Ruhe und Bewegung von Körpern. „Man bestimme“, heißt es in dem Préface überschriebenen Text, der in einer eröffnenden Geste – Etant donnés, Gegeben seien – die Grundelemente des Glases, 1. den Wasserfall und 2. das Leuchtgas nennt, – „man bestimme die Bedingungen / der momentanen Ruhe (oder allegorischer Schein) einer Abfolge [einer Gesamtheit] kleiner Geschehnisse, / die einander durch Gesetze zu bedingen scheinen, um das Zeichen der Übereinstimmung zu isolieren zwischen, einerseits, dieser Ruhe, (die aller ungezählter Exzentrizitäten fähig ist) und, andererseits, einer Auswahl von Möglichkeiten, die durch diese Gesetze legitimiert sind und sie erst ermöglichen“– „les occasionnant“: ihnen Gelegenheit geben sich zu applizieren.258 Und Duchamp präzisiert den Sinn dieser (aller Exzentrizitäten fähigen) Ruhe: „Für momentane Ruhe = den Ausdruck extra-rapid hineinbringen. Man bestimme die Bedingungen einer besseren [besten] Exposition der extra-rapiden Ruhe [der extra-rapiden Pose (= allegorischer Schein) einer Gesamtheit … usw.“ 259 Unübersetzbar geht hier alles um den repos (Ruhe), die pose (Pose) und die exposition, was, wie extra-rapide, Termini aus der Fachsprache der Fotografie sind, die sich auf den Belichtungsprozess beziehen.260 Diese extra schnelle Exposition setzt die Braut, die Ungleichzeitigkeit des Werdens, dem Leuchtgas, der spieglerischen Selbstgegen257 Aristoteles, Physik IV, 219 b: τοῦτο γάρ ἐστιν ὁ χρόνος, ἀριϑμὸς κινήσεως κατὰ τὸ πρότερον καὶ

ὕστερον. Nach einer der Übersetzungen Heideggers (Die Grundprobleme der Phänomenologie, GA 24, 333): „Das nämlich ist die Zeit […]: ein Gezähltes [an] der im Horizont des Früher und Später begegnenden Bewegung.“ (Das „an“ scheint an dieser Textstelle versehentlich zu fehlen.) 258 ST 37 / DDS 43, Übers. variiert. „Momentan“ ist französisch „instantané“, das Wort, das in der Anweisung zur Präzisierung der Ready-mades als die substantivische „Momentaufnahme“ auf das „Rendez-vous“ der déclaration bezogen ist (ST 100 / DDS 49). 259 ST DDS 43. Stauffer übersetzt extra-rapide mit ultra-rapid, was nicht falsch ist – wie extra/außer, würde ultra ein jenseits jeder noch so schnellen innerräumlichen Bewegung bezeichnen – aber unnötig, da wir hier ohnehin im Lateinischen bleiben. 260 „Plaques extra rapides“ steht auf dem Deckel der Schachtel von 1914, der ersten Vorläuferin der Grünen Schachtel, die also zuvor Fotoplatten enthielt (Abb. ST 19).

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wart des Bewusstseins aus. Die Welt, die in diesem Licht Phänomen wird, ist daher „allegorischer Schein“ (apparence allégorique) der vierten Dimension. Die allegorische Erscheinung ist die Schicht des Kontakts zwischen der Braut und den Junggesellen, die „kinematische Entfaltung“ (épanouissement cinématique), in der sich die „freiwillig imaginierte Entkleidung“ der Braut und ihre durch die Junggesellen „elektrisch befehligte Entkleidung“ verschränken (ST 44). Die vierdimensionale Braut projiziert sich in die dreidimensionale Erscheinung. Das ist der ontologische Aspekt der Reflexion zur vierten Dimension (die Verzögerung). Im oberen Teil des Glases – wie im Ölbild der Epiphanie der Braut von 1912 – ist dieser Guss noch flüssig. In der nur erst verzögerten Braut sind die Formen, wie Duchamp sagt, nicht mensuriert: „eine Kugel in der Braut wird einen beliebigen Radius haben (der für die Darstellung gegebene Radius ist fiktiv und gepünktelt.)“ (ST 57, auch 142). Die Reiseplastik in der für das Schlagschattenfoto (fig. 44) aufgebauten Konstellation der Ready-mades bestand aus Gummibadehauben. Sie war „aller Exzentrizitäten fähig“ (fig. 48). Jede „materielle Darstellung“ der nicht-mensurierten Braut „wird nur ein Beispiel sein für jede dieser befreiten Hauptformen. (ein Beispiel ohne repräsentativen Wert, das aber das Mehr oder das Weniger erlaubt.).“ (ST 57.) Erst durch den Bezug auf die Perspektive des Junggesellenapparats, d. h. auf Distanz- und Fluchtpunkt, „werden die Linien, die Zeichnung ‚forciert.‘ und verlieren das Ungefähr des ‚immer noch Möglichen‘ “ (ST 98). Aus der offenen Summe der virtuellen Bilder, die jedes dreidimensionale Objekt (selbst eine Kugel) für ein Auge3 bereithält, die aber nur die „Umfangskreishyperhyposicht“ eines Auges4 simultan erfasst, wird durch die perspektivische „Forcierung“ ein Bild gewählt: „ein Beispiel ohne repräsentativen Wert“. Der aller Exzentrizitäten fähige Repos wäre also die Braut als verzögerte, aber noch nicht mensurierte („eine Kugel in der Braut …“). Sie wäre eingetaucht in das Milieu eines dreidimensionalen Sehens, so aber, dass dieses sie gleichsam noch standpunktlos umfließt (wie „mit der Faust gepackt“). Die Exzentrizitäten wären der Nachhall der Verzögerung oder Exposition der reinen „Virtualität“ 261, die sich in die phänomenale Wirklichkeit projiziert, wie in der viszeralen Entfaltung im Ölbild der Mariée von 1912 – dort als Gegenmodell zum Akt, der schon auf das Gesetz der Eins oder des Jetzt, das heißt auf die Non-Kontrarietät der Junggesellenintelligenz bezogen ist,262 und in diesem Raster seine exzentrischen Fähigkeiten nur als Abfolge mensurierter, je in einen Augenblickschnitt gebannter Bilder zum Ausdruck bringen kann: als 261 Virtualität ist einer der Namen, die Deleuze der Dimension des Heterogenen, des Außen, des

Inkommensurablen gibt, die das Bewusstsein unterläuft und trägt. Es ist ein Name für die Differenz, die ich unter dem Aspekt der Zeitreflexion, auf die Duchamp’s vierdimensionale Geometrie hinführt, als das noumenale Werden oder als Ungleichzeitigkeit bestimme, die sich in der Synchronisierungsmaschine des Gehirns in die Bewegung in sich je gleichzeitiger phänomenaler Bilder übersetzt. Weiter entfaltet habe ich diese Struktur in: „Form und Differenz. Zu einer Topik der modernen Abstraktion“, in: Gottfried Boehm (u. a.) (Hg.), Movens Bild, München 2008, und: „Die Abstraktion und die Topik des Imaginären“, in: Blümle/Schäfer (Hg.), Struktur, Figur, Kontur., Zürich/Berlin 2007, 271–297. 262 Nämlich auf den Satz vom Nicht-Widerspruch, der nur bequemlichkeitshalber Satz vom Widerspruch heißt, wie Duchamp bemerkt (Notes, no. 185 rv).

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Herabschreiten der Treppe, Stufe für Stufe. Diese Synchronschnitte der Bilder sind die verspäteten Reflexe der exposition extra-rapide (und der exzentrischen Fähigkeiten des repos) in der spieglerischen Selbstgegenwart des Junggesellenbewusstseins, für das ein Punkt ein Punkt, eine Linie eine Linie und die Zeit die Zahlenreihe ist, mit der es die Sequenz der aus Punkt und Linie aufgebauten, in sich je gleichzeitigen oder stehenden Bilder hinterlegt, um einen Film daraus zu generieren. Die Realität besteht nicht aus diesen Bildern – denn die Spiegelfläche des Bewusstseins ist angewiesen auf eine Affektion, und diese gibt sie sich nicht selbst, sie wird ihr durch die Selbstexposition der Virtualität gegeben. Die Realität lässt sich daher auch nicht aus den Bildern zusammensetzen, in dem man ihnen den leeren Parameter t hinzufügt. Die Realität konstituiert sich in der Zwischenschicht, im Hiatus von Verzögerung und Verspätung. Sie ist das Verhältniszeichen zwischen der extrarapiden Ruhe und der „Auswahl von Möglichkeiten,“ die den physikalischen Gesetzen Gelegenheit geben zu erscheinen. So wäre das Verhältnis von Braut und Junggesellen perspektivtheoretisch bestimmt: an sich ist das verzögerte dreidimensionale Objekt formlos. Erst die Forcierung durch die Perspektive, die verspätete Fixierung einer Wahl aus der Summe der virtuellen Bilder konstituiert die mensurierte, visuelle Form. Die simultane Rundumansicht des Typen-Objekts vernichtet dessen Kontur in der Simultanüberlagerung aller seiner Abschattungen, die ein perspektives Sehen (ein Auge3) nur in der Zeitfolge auseinanderlegen kann. Auch die Splitterung des Augenpunkts (eher als des Objekts) im analytischen Kubismus bleibt gegenüber dem nicht-mensurierten, vollen Objekt hoffnungslos im Hintertreffen. Der Kubismus ist aus Duchamps Sicht deshalb nur ein leicht „intellektuierter“ Naturalismus.263 – Das perspektivtheoretische Paradigma ist aber nur eines der Modelle der Verhältnisbestimmung von Braut und Junggesellen, ein tragendes Modell, da es sich beim Glas noch um eine Art Malerei, um Metamalerei handelt. Analog aber greift dieses Verhältnis auch auf die anderen Milieus über, vor allem auf das Verhältnis der Virtualität der Sprache der Braut – der inscription mouvante, die durch die Fotografien eines von einem Luftzug bewegten Gazestoffs dargestellt ist (fig. 49) – und des artikulierten Sinns der auf die Linie der Zeit aufgezogenen Worte und auf einer dritten Ebene auf das Verhältnis zwischen den Herstellungsverfahren und ihrer Integration der Kontingenz (wie in der Inschrift, wie in der Staubzucht, wie in der Geschicklichkeitsprojektion der neun Einschüsse) zu der resultierenden simultanen Form, die ihr zeitlicher Rand und Abdruck ist.

263 Zeigt sich hier nicht bereits die wesentliche (transstilistische) Affinität Duchamps zu Mondrian,

für den die kubistische Formanalyse nur der initiale Ansatz einer Arbeit ist, die die Trugbilder des individuierten oder perspektivischen Sehens nicht „multipliziert“, sondern radikal destruiert? Wir werden das Universale, das Mondrians Bilddestruktion freisetzt, in Analogie zum Virtuellen, zur Braut Duchamps interpretieren. Das Universale Mondrians hat nichts mit einer „platonischen“ Ideenmatrix zu tun, die in seinen „Rastern“ sichtbar würde, es entspricht topologisch und ideengeschichtlich der spinozistischen Substanz, die sich zu den Einzeldingen (den Modi) der Welt expliziert und ihnen immanent ist (s. u. unter „Mondrians Bilddestruktion“, S. 287 ff.).

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Im Préface wird dieses Verhältnis in einer allgemeinsten und offenen Weise bestimmt und die Herausarbeitung (Isolation) des Verhältniszeichens, des „signe de la concordance ou plutôt de.... ?“ (DDS 44) als eigentliche Aufgabe des Bildes bestimmt. Der Avertissement überschriebene Text variiert und verdeutlicht. Ich zitiere den französichen Text. Étant donnés ( dans l’obscurité ) 1° la chute d’eau / 2° le gaz d’éclairage […], on déterminera ( les conditions de ) l’exposition extra-rapide ( = apparence allégorique ) de plusieurs collisions [ attentats ] semblant se succéder rigoureusement chacune à chacune suivant des lois, pour isoler le signe de la concordance entre cette exposition extra-rapide ( capable de toutes les excentricités ) d’une part et le choix des possibilités legitimées par ces lois d’autre part.

Und weiter: comparaison algébrique

a b

a étant l’exposition b " les possibilités

le rapport a ∕ b est tout entier non pas dans un nombre c a ⁄ b = c mais dans le signe (a ∕ b) qui sépare a et b ; dès que a et b sont ‹ connus › ils deviennent des unités nouvelles et perdent leur valeur numérique relative, ( ou de durée ) ; reste le signe a ⁄ b qui les séparait ( signe de la concordance ou plutôt de .... ? .... chercher ). (DDS 43 f.).

Scheinbar, aus der Junggesellen-Perspektive, unterliegt die Auswahl der Möglichkeiten Gesetzen (der Abfolge etc.), die sie legitimieren. Andererseits, wie das Préface sagt, geben die Möglichkeiten als solche, nämlich die zahllosen Exzentrizitäten, den Gesetzen erst Gelegenheit (les occasionnant) sich zu applizieren. Die gesetzmäßigen Bewegungsabläufe sind also schon die Bändigung der Exzentrizitäten durch das Raster der Auswahl (choix).264 Die Un-Starre der Braut ist nicht die Raumbewegung, wie sie die Chronofotografie oder der Akt (fig. 35) festhält. Im Akt ist diese Un-Starre schon durch den Filter des Präsenzbewusstseins hindurchgeflossen und erscheint auf seiner Innenseite als Bewegungssequenz, als Abfolge je synchronisierter Bilder. Und das gilt für jede beobachtete – in einen Präsenzschnitt projizierte, in einem Nachbild (Retention) festgehaltene, in einer Leererwartung antizipierte – Bewegung. Es gilt entschieden für die Bewegung der Uhrzeiger, die über das Ziffernblatt laufen. Die Zeit der exposition oder Verzögerung wird also nicht die Uhrzeit sein. Die Uhrzeit wird in der Bewegung der gewählten Möglichkeiten ablesbar, zählbar am Vorrücken des Zei264 Die selektive Funktion des Wahrnehmungsapparats und Bewusstseins ist eines der Bergson’schen

Grundmotive (bes. in Materie und Gedächtnis). Erst die Selektion höhlt gewissermaßen den Raum möglichen Handelns aus und konturiert deren Objekte. Für diese Auswahl ist die perspektivtheoretische „Forcierung“ natürlich nur das geometrische Modell. Sie umfasst all die Filterungen und Übersetzungsleistungen, durch die der Leib die Schwingungsmannigfaltigkeit des Chaos’ (der Differenz) zu der so gesetzhaft-wohlgeordnet erscheinenden Wirklichkeit verarbeitet, in dem er weglässt, was uns, d. h. ihn nicht interessiert.

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gers. Aber dieses Vorrücken zeigt einen entropischen Prozess im Räderwerk der Uhr an, der einem Energiegefälle folgt. Wenn die Braut – Pendu femelle – daher eine pendule oder ein Uhrwerk ist (ein vielfältig durchgespieltes Motiv), dann ist sie vor allem das Innere und Innerste dieses Uhrwerks, „Magneto-Verlangen“ oder „konstantes Leben“. Die Notizen betonen diese Autochthonie ihres „Wünschens“, das allerdings keine Spontaneität ist, sondern eher eine Tendenz. „Die Braut hat ein Zentrum Leben – die Jungges. haben keines. Sie leben von der Kohle oder anderem Rohstoff [matière première], der nicht aus ihnen gezogen wird, sondern aus ihrem Nicht-ihnen.“ (ST 48 / DDS 68) Das „Magneto-Verlangen“, das Gefälle der entropischen Zeit, lässt den Akt im Screen eines synchronisierenden Bewusstseins die Treppe herabsteigen und die Zeiger der Uhren sich bewegen. Die Uhrzeit, die die Junggesellen am „stechenden Ruck“ (ST 46) der Zeiger ablesen, ist der innerweltliche Abdruck der Entropie, ehe sie zugrundeliegender Parameter ihrer Messung ist. Wenn daher Heidegger einmal polemisch fragt, ob die Zeit, „dieses Ungeheuer“, etwa in der Uhr sei, „drinnen im Werk“,265 wird man das bejahen müssen. Die Zeit ist in der Tat „in“ der Uhr, sie ist tätig in der Uhr. Allerdings ist sie nicht „in“ der sichtbaren Bewegung – weder der Zeiger noch sonstiger phänomenaler Zahnräder. Das sichtbare Uhrwerk ist ein in den Strom der Entropie gebauter Übersetzungsapparat, der den Schwung des Wasserfalls in die Bewegung phänomenaler Körper (Zahnräder und Zeiger) übersetzt. Das Wesen dieses Schwungs besteht, um die Sprache der Physik (Energiegefälle, Entropie) zu verlassen, im „Appetit“ der Vergangenheit auf die Zukunft, des Determinierten aufs noch nicht Determinierte. Als dieses Gefälle, als diese Differenz, als diesen Appetit denkt Bergson das Werden, das jeder phänomenalen Bewegung zugrundeliegt. Genau darin scheint sein Denken der Zeit mir eine zentrale Quelle der Duchamp’schen Inspiration zu sein. Die Unumkehrbarkeit der Zeit ist nur von diesem absoluten Unterschied von Vergangenheit und Zukunft her zu denken. Und die Gesetze, die dieser Bewegung und der Konstruktion dieses Apparats, der sie in Raumschritte unterteilt und diese zählt, auferlegt werden, sind die Nähte an den Kleidern der Braut, Nähte am Konfektionskleid der Realität. Alle ontisch-mechanischen Motoren oder Maschinen sind Hauben des Motors, der die produktive oder entropische Zeit, das energetische Werden selber ist. Alle ontisch-mechanischen Motoren sind in der verspätet-beobachteten Natur eingerichtete technisch-kausale Dispositive, die das magnetisch-konstante Wünschen der Braut in sich wiederholende Lageveränderungen von Körpern im Raum übersetzen. Die Raumbewegung mensurierter Körper ist der phänomenale Abdruck dieses noumenalen Motors. Die Bilder und ihre Sequenzen in der Zeit sind deshalb kein voller Begriff der Realität. Sie sind der von dem „längs seiner Reue“ in den Spiegel aktualer Selbstbeziehung „eingewickelten“ Leuchtgas belichtete Film. Was sich aber in diesen Film projiziert und was die Bewegung der Bilder selbst wie die des Apparats antreibt, ist die Zeit als das Werden, die monumentale Vergangenheit, die sich an den Rand der Gegenwart staut. Die Wirklichkeit – die Bilder des Films in ihrer vollen Materialität und in den Achsen ihrer Genesis, die sie selbst nicht zeigen können – ist das Verhältniszei265 Heidegger, Grundprobleme, GA 24, 340.

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chen, das Duchamp nur zögernd „signe de concordance“ nennt; der Strich zwischen a und b, das Scharnier im Glas – zwischen der Zahllosigkeit der Virtualität, dem Chaos oder der Differenz an sich, wie Deleuze sagen würde, und der Auswahl, den Restriktionen, dem Gesetz des Nicht-Widerspruchs der Junggesellenintelligenz. Es bleibt ein antagonistischer Bezug. Das Werden ist inkommensurabel, das Gehirn, die Synchronisierungsmaschine oder die Spiegelschicht des neuronalen Körpers, ist der Apparat seiner Mensuration zu den abgeschatteten Bildern, aus denen das Bewusstsein besteht. Wie die geometrische vierte Dimension Name einer konstitutiven Blindheit ist, die ein konstruktives Denken dennoch als zugehörigen Rand der Sichtbarkeit erfassen kann und muss, wie die Virtualität der Sprache Grund und Bedrohung des Sinns ist, so ist die konstituierte Wirklichkeit eingetaucht in die „universelle Wechselwirkung“, wie Bergson sagt,266 die sich im Gegenwartsbewusstsein – dieser von einem biologischen Körper getragenen und geschützten Zone der Selektion und Verlangsamung – in die Differenzen, die Verschiedenheiten und die Extension der Erscheinungswelt entfaltet. Diese zum Bewusstsein vertikal stehende Dimension der Differenz an sich, in die die unbewusste „große Haupttätigkeit“ des Gehirns eingelassen ist, ist das Grundmotiv des Denkens von Deleuze. Sie ist das zu Denkende, das sich nicht denken lässt. „Die Differenz ist nicht das Verschiedene. Das Verschiedene ist gegeben. Die Differenz aber ist das, wodurch das Gegebene gegeben ist. Sie ist das, wodurch das Gegebene als Verschiedenes gegeben ist. Die Differenz ist nicht das Phänomen, sondern das Noumenon, das dem Phänomen am nächsten kommt.“ Und er schreibt weiter: „Es mag also zutreffen, dass Gott die Welt mit seinen Rechnungen erschafft, aber diese Rechnungen gehen niemals auf, und diese Unstimmigkeit im Ergebnis, diese irreduzible Ungleichung bildet die Bedingung der Welt. Die Welt ‚entsteht‘. während Gott rechnet; es gäbe keine Welt, wenn die Rechnung aufginge. Die Welt ist stets einem ‚Rest‘ gleichzusetzen, und das Reale in der Welt kann nur in Form von Bruchzahlen oder gar inkommensurablen Größen gedacht werden. Jedes Phänomen verweist auf die Ungleichung, die es bedingt, jede Verschiedenheit, jede Veränderung verweist auf eine Differenz, die deren zureichenden Grund darstellt. Alles Geschehende und Erscheinende ist korrelativ zu Differenzordnungen: Höhen-, Temperatur-, Druck-, Spannungs-, Potentialdifferenz, Intensitätsdifferenz.“ 267 Gehen wir noch auf den Ort des intimsten Kontakts zwischen Braut und Junggesellen im Glas ein und auf den „Apparat“, an dem sich das Verhältniszeichen von Zufall und Zahl, von Chaos und Periode, der Zeit des Werdens und der an der Raumbewegung abgezählten Zeit paradigmatisch formalisieren lässt. Es ist der Schwerpunktjongleur (fig. 41; im Schema Suquets [fig. 37] ist eine andere Skizze integriert), ein Beistelltisch (guéridon), der auf dem Kleid der Braut tanzt oder balanciert, was nötig und beschwerlich ist, da die auf- und abfahrenden Widder des Boxkampfs (11 AB) von unten an diesem Kleid, dem Bildhorizont stoßen und zerren. Dies ist die letzte Sta266 Bergson, Schöpferische Entwicklung, 58. 267 Deleuze, Differenz und Wiederholung, 281.

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tion der von den Junggesellen „elektrisch befehligten Entkleidung“ (im Gegensatz zur „magnetisch“ gewünschten der Braut, ihrem Komplement). Auf dem also heftig bewegten Horizont hält sich der Schwerpunktjongleur und auf seiner Tischplatte, in der Höhe der Milchstraße und der inscription mouvante, taumelt die „schwarze Kugel“ – und wird im Gleichgewicht gehalten oder je „in neues Gleichgewicht versetzt“ von den Befehlen der Braut. Diese Befehle werden übermittelt von der „Filamentenmaterie“, die „extrem sensibel“ auf „Schwankungen des […] atmosphärischen Drucks“ reagiert und auch als „konsistente Flamme“ beschrieben wird, die „an der Kugel leckt“ (ST 52). Es ist der „Flair oder Sinn“ der Braut, der die „Wellen des Ungleichgewichts“ der Kugel aufnimmt und „die Befehle des neuen Gleichgewichts verteilt“ (ST 49268 ). Hier ist das Verhältnis der Zeit der Braut und der Zeit der Raum-Bewegung in der äußersten Engführung fassbar. Die Befehle der Braut, der Buchstabenflug, der Lufthauch, die konsistente Flamme sind die Gussform der Bewegungsbahn der Kugel, die eine Roulettekugel ist. In jedem Moment ihres Flugs „balanciert“ und „tanzt“ die Kugel auf der Oberfläche der Bahn, die sich hinter ihr schon geschlossen hat wie eine Tischplatte. In jedem Moment aktualisiert sich ein Integral von Faktoren, die ihr die Befehle des neuen Gleichgewichts „aufdrucken“ 269 und sie den Flug so oder so fortsetzen lassen. Im vakuumierten Raum einer reinen Physik (einer um den Faktor t erweiterten Geometrie) würde sich die Flugbahn als stetige Weiterführung ihrer gewesenen Kurve, die sich im Schnitt ihres Hier-und-Jetzt als Impuls ausdrückt, berechnen lassen. Der Impuls ist aber genau der Stoß ihrer hinter ihr sich schließenden Flugbahn, ihrer schon determinierten Vergangenheit, deren „Fortschreiten … an der Zukunft nagt“ 270, und die sie vor sich her und durch das synchrone Raumbild, als das sie im Koordinatensystem der Physik erscheint, hindurchtreibt in ihre wesenhaft nochnicht determinierte Zukunft. Wie ein „Komet mit nach vorne gerichtetem Schweif “ (ST 38) balanciert sie auf diesem Stoß ihrer Vergangenheit und empfängt die „Befehle des neuen Gleichgewichts“. Die Raumbewegung ist die Abfolge der Momente, in denen die Kugel sich aus der Gussform ihrer schon sedimentierten Bahn, die hinter ihr in der Tiefe der Vergangenheit, nicht in der Gegenwart des Raums liegt, löst oder herausspringt. Die Vergangenheit ist hier nicht – wie für das kinematografische (oder chronofotografische) Bewusstsein – das gerade gesehene, jetzt nur noch retentional gegenwärtige Bild der Kugel im Raum, sondern das Integral der Faktoren, die sie angetrieben haben und sie in diesem Moment weitertreiben durch den Synchronschnitt des mensurierten Bildes hindurch. Die Raumbewegung, die sich in der Schnittfläche der exposition abzeichnet, meldet also innerweltlich oder phänomenal die noumenale Zeit, die die Uhren ebenso antreibt wie die Roulettekugel, deren Zeitanzeige nur in sehr langen Perioden lesbar sein wird, weil zu viele infra geringe Faktoren ihre Bewegung bestimmen. Ehe die Zeit als Parameter – als die Linie oder 268 Übersetzung variiert (s. DDS 67). 269 Imprimer – nach einer Variante der Notes (no. 137). Das Erratum Musical, ein Kanon aus dem Hut

gezogener Noten auf die Lexikondefinition (Larousse) von imprimer kann als weitere Realisierung der Inscription Mouvante gelten, die die Kugel debalanciert, d. h. bewegt (ST 102 / DDS 53). 270 Bergson, Schöpferische Entwicklung, 52.

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Zahlenkette ausgelegt wird, auf der sich die je stehenden Bilder auf fädeln, zeugt sie die Bewegung.271 Das kinematografische Bewusstsein (das Bewusstsein überhaupt) hat zunächst die Bewegung auf den Momentschnitt des Jetzt reduziert und entzerrt dieses Bild dann unter dem Namen der Retention in die Dimensionen der eben gewesenen und im Jetzt noch erinnerten Gegenwart. Damit rückt die Vergangenheit in den Horizont des zuerst Erlebten und dann Erinnerten ein, als würde sie nach und aus einer Gegenwart konstituiert. Was für eine paradoxe Verkehrung – ist doch die Vergangenheit das, was vorher war. Eine Verkehrung aber, die nachdem sie einmal vollzogen ist – und ihr Vollzug ist die Grundfunktion des Bewusstseins überhaupt, das in seinem Wesen Zeitbewusstsein und in seiner Genesis Verspätung ist – als die Evidenz selbst erscheint. Die Vergangenheit, die das Früher ist, das sich an den Rand der Gegenwart staut und dabei ständig weiterwächst, scheint sich nun nachträglich als erst erlebte, dann retendierte und dann erinnerte Gegenwart zu konstituieren – von dem Horizont einer je aktuellen Selbstpräsenz des Bewusstseins aus, das für die Phänomenologie der Konstitutionsgrund allen Sinns ist. Das Bewusstsein ist dieser Spiegel, der die Zeit umkehrt. Es ist der Spiegel, der das absolut steile Gefälle von Vergangenheit und Zukunft, die radikale Differenz des Determinierten und des noch-nicht-Determinierten zu dem stetigen Strom der Bilder abbremst, der dem Bewusstsein den horizontalen Spielraum eines Lernens und Planens gewährt. – Das Aufsteigen des Leuchtgases und der Wasserfall, das Ineinandergreifen dieser zwei Bewegungen oder Energieformen, von Spontaneität und Entropie, bestimmt die Gesamtstruktur des Glases. Für das Leuchtgas – das aufsteigen will – zeigt sich das Gefälle des Wasserfalls im Spiegel der Reue – als Retention.272 Der Wasserfall, der die große Haupttätigkeit des Körpers antreibt, unter anderem dazu, Leuchtgas zu produzieren, ist zu dem namenlosen Wandel der Zeit des Bewusstseins nivelliert, die zugleich strömt und steht. Im Roulette – in den Obligations de Monte Carlo – hat der im Glas plastisch oder grafisch nicht realisierte Schwerpunktjongleur seine konzeptuelle Vertretung im Œuvre Duchamps gefunden (fig. 43). Auf dem Rasterfeld des Roulettetischs finden die Befehle der Braut ihre junggesellengemäße Übersetzung in berechenbare Wahrscheinlichkeiten. Wenn die Uhr eine Maschine ist, die die Entropie in möglichst genau periodisierte Bewegung übersetzt, so bleibt die Raumbewegung im Roulette vom „Belieben“ (ST 52) der Braut abhängig – und wird sich nur mit großer Verspätung in Form regelhafter Wiederholungen darstellen. Das Roulette ist das Spiel, dessen Apparat in den Bereich der Mariée hineinragt. Der Schwerpunktjongleur ist mechanisch ins Element der Braut getaucht. Nur die Endpunkte der von der Aleato271 Das Herausspringen aus dem Ort unter dem Anstoß des Werdens (oder der Dauer), der an den

Rand der Gegenwart gestauten Vergangenheit (s. ebd.), dieses Differieren vom mensurierten Bild ist das Wesen der Bewegung. Die gegenwärtige Raumlinie, die die Bilder (der Kugel, des Zeigers) durchlaufen, und an deren Einteilung die Zeit zählbar wird, ist der Abdruck des Werdens im kinematografischen Bewusstsein. Gäbe es die gezählte Uhrzeit allein würde Zenons Pfeil nicht fliegen und Achilles die Schildkröte nie überholen, wie Bergson mehrmals ausführt (z. B. ebd. , 305 ff.; und: Denken und schöpferisches Werden, Hamburg 32000, 164 ff.). 272 S. o. Anm. 109.

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rik zugeschnittenen oder geprägten Flugbahn werden im Raster eines JunggesellenApparats markiert oder gemerkt. Rot oder Grün: „Ich male jetzt auf den Zufall“ schrieb Duchamp an Picabia aus Monte Carlo, wo er sein Roulettesystem nicht völlig erfolglos testete.273 Der Apparat des Schachs gehört dagegen der Domäne der Zahl, des Rasters, des Raums und einer extremen Verzögerung an, die den Zeitraum der Partie zu einem plastischen Medium macht, wie Duchamp oft hervorhob. Aber sogar das Schach hat seinen Schwerpunktjongleur. An der Grenze der Berechnung ist es das „Unbewusste“, das entscheidet, ist die Entscheidung, die Wahl des Zugs, das Produkt einer Berührung zwischen der Kalkulation, die im Schach plastische Raumvorstellung ist, und der reinen Dringlichkeit der Zeit, dem Lauf der Uhr, ein Würfelwurf der Neuronen. Das Thetische berührt das Thematische.274 Wo an der Grenze eines Denkens äußerster Strenge die „Inspiration“ über den Zug entscheidet – in dem Moment, in dem die Kapazität der Kalkulation ausgefüllt und die Entscheidung daher wesentlich Entscheidung des Unentscheidbaren ist – dort rührt die Braut an die geometrale Welt der Junggesellen. Schach und Roulette sind Pole dieses Spiels des Lebens, die Duchamp einander annähern wollte.

Die Zeit im Glas und das Werden des Ready-made. – Kommen wir aber von diesen Spekulationen zur Phänomenologie und Topologie des Glases zurück zur Frage nach dem Bezug der Ready-mades zu diesem Bild, das keines ist. Ist es nun möglich geworden, wie ich mir vorgenommen hatte, direkt und unmittelbar zu sagen, was das Große Glas ist? In der „normalen Malerei“ (illusionistische, repräsentationale Tradition) schauen wir auf eine materielle (aus Indizes geflochtene) Oberfläche und projizieren aktiv oder spontan dieses Material in eine Bildtiefe, wo es zur erscheinenden Innenseite des figurativen Noema des Bildes wird. (Nicht mehr Pigment, sondern Grün des Apfels, Blau des Kleids etc.) Durch diese Aktivität des Blicks ist das Material des Bildes von sich selbst getrennt durch die inexistente Leere des Bildraums, an deren anderem „Ende“ es Phänomen (die erscheinende Seite des Noema) wird. Diese Durchdringung der Bildoberfläche durch den Blick, der nicht die Materie erblickt, die das organische Auge affiziert, sondern das non-reelle Phänomen, dem sie Erscheinung gibt, ist das phallische Moment, der Spontaneitätsanteil des Sehens, das in jeder Wahrnehmung gegen den Strom der Affektion zum Bild des Objekts gelangt, des Objekts dort draußen, wo ich (es) erblicke. Das (illusionistische/ perspektivische) Bild ist ein Dispositiv, das diese strukturale Doppelung des Sehens in sich expliziert, indem es die texturierte Bildoberfläche, das Ding, das das Auge affiziert, und das erblickte Objekt, das Noema des Bildes, in methodisch geklärter

273 Affectionately, Marcel… , 144. Die Obligations, Aktienoptionen wurden verkauft, um das Kapital

für den Einsatz zu erwerben.

274 Siehe G. Deleuze, Differenz und Wiederholung, 250 ff. Können wir hier nicht auch das Heidegger-

sche Paar physis und techné für thema und thesis einsetzen?

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Weise separiert und in ein (relativ) stabiles und räumlich bestimmtes Distanzverhältnis setzt. Beim Großen Glas blicken wir durch die Scheibe hindurch auf die infra dünne Grenze oder Schnittebene, die phänomenale Oberfläche jenes Materials, das auf der Rückseite, die während der Produktion die Vorderseite war, als opakes Inkrusto auf liegt und sich durch das Glas hindurch für den Anschauer exponiert. Das Phänomen – die apparence allégorique oder der repos extra-rapide – ist technisch der glatte Schnitt der (rückseitigen) Glasoberfläche durch den Zeit- und Materiestrom der Herstellung, den er aufprallen lässt und stoppt. Als würde man aus einem repräsentationalen Bild hinausblicken und die Farben (die Pigmente) von der Innenseite des Bildraums her auf dem „Fenster“ der idealen Bildebene auf liegen sehen, die in der „normalen“ Malerei eben die Stelle der beschriebenen Segregation von Bildmaterie und Phänomen (Noema) ist. Phänomen und nur Phänomen, gleichsam ohne „Dicke“, ist im Glas das épanouissement der Farben und Materialien von der Ansichtseite her, durch die Scheibe (pan) aus Glas hindurch – heterogenes Inkrusto, Abdruck der komplexen und in der Grünen Schachtel explizit geregelten Verfahren (wie der Staubzucht und anderer Zufallsverfahren) ist dasselbe Material von der Rückseite her, die in die Zeittiefe der Produktion zurückragt.275 In der Scheibe aus Glas ist das Nichts der Ebene materialisiert, an der sich Phänomen und Materie trennen. So wird jener Zug des perspektivischen Paradigmas radikalisiert, den wir hervorgehoben haben, dass sich im perspektivischen Bildraum die Erscheinungen nach denselben Gesetzen konstituieren und abschatten wie die Wahrnehmungsbilder der realen Dinge im Raum vor der Fläche. Im Großen Glas ist dies noch zwingender artikuliert, denn hier ist der perspektivische Raum, in dem die Phänomene des Gleitschlittens, der Schokoladenreibe und der Okulistenzeugen usw. zu schweben beginnen, sobald auf der Schauseite ein Auge am vorgesehenen Punkt einrastet, – dieser illusionäre Raum ist unmittelbar der reale Raum selbst, der durch das Glas hindurch gesehen wird, der Raum dieses Zimmers, dieses Fensters dort, durch das unter anderem ein Springbrunnen, eine Fontäne gesehen werden kann (fig. 34). Das ganze materielle Glasbild und seine phänomenale Umgebung ist repos instantané oder apparence allégorique der Braut. Die zunächst auf oben und unten verteilte Trennung von Braut und Junggesellen verdoppelt und realisiert sich in dem Synchronschnitt der Erscheinung, die sich zwischen der Rückseite der Glasplatte und dem auf ihr aufgetragenen Material konstituiert – für einen Anschauer, der verspätet und von der Schauseite aus und am besten vom geometralen Augenpunkt der Perspektive durch das Glas hindurch blickt und die Erscheinung mensuriert. So ist hier die Haut des je gegenwärtigen Phänomens nicht über dem Körper, dessen Abdruck im Präsenzbewusstsein der Anschauer sie ist, geschlossen. Sie überzieht diesen Körper nicht wie der Glanz der Politur die Neugeborenen Brancusis. Auf der Rückseite bleibt die Fabrik betretbar und die Grüne Schachtel ist zum guten Teil 275 Seit der Reparatur von 1936 ist die ursprüngliche, zerbrochene Scheibe zwischen zwei Glasplatten

eingefasst, die sie stabilisieren.

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ein Führer durch diese Fabrik. Deshalb ist die Mariée allerdings kein Bild auf Glas, sondern „retard en verre, comme on dirait poème en prose ou crachoir en argent“ (DDS 41). Auf dem Glas ist gerade nicht das Bild, sondern das Inkrusto aus Material und Zeit, das die – nicht nur räumlich, sondern ontologisch-temporal – spiegelverkehrte Rückseite des Bildes ist. Die vierdimensionale Braut, die „Stürme und guten Wetter“ (ST 52) ihres Werdens, die etwa die Staubzucht registriert, schlagen von der Rückseite ans Glas, dessen Hiatus sie durch eine asymmetrische, aber systematische Verkehrung Bild werden lässt.276 Rückseite und Vorderseite des Glases entsprechen topologisch den Dimensionen der Genesis der Form in der Zeit, die ihren Abschluss im Siegel eines primären Vergessens findet, durch welches ein Präsenzbewusstsein sich konstituiert (wie neugeboren) – und der Genesis der Zeit, einer spiegelverkehrten Zeit, in diesem Präsenzbewusstsein, für dass sich die Vergangenheit als Retention einer „zuerst“ erlebten, dann retendierten, dann erinnerten Gegenwart und einer erwarteten Zukunft konstituiert. Die Scheidemarke zwischen der spiegelverkehrten Zeit des Bewusstseins und der Entropie ist in der gegenwendigen Beziehung von Vorder- und Rückseite des Glases formalisiert. Nur die Sprache der Notizen ist an diese Scheidung nicht gebunden. Sie durchquert das Glas. Sie durchläuft beide Dimensionen seiner Verzeitlichung, die Verzögerung und die Bewegung. Sie beschreibt sowohl die Verfahren, die rückseitig orthogonal zum Phänomen, zur gewordenen Form stehen – und sie beschreibt die Abläufe der Raumbewegung dieser konstituierten Formen, durch die das Tableau einen Synchronschnitt legt – die maschinischen und repetitiven Bewegungsabläufe des Jungesellenapparats ebenso wie die loseren, eher strömenden oder baumelnden Bewegungen im Uhrwerk der Braut. Wobei in den Passagen, die diese von der Junggesellenseite aus gesehenen Bewegungsabläufe beschreiben, die Verben im allgemeinen konjugiert, d. h. temporal und modal bestimmt sind, in den Fabrikationsideen, die die Rückseite betreffen, dagegen im Infinitiv oder einem infinitivischen Futur stehen („xx wird – im Bildeffekt – yy sein“), der Verbform, in der sich das Verfahren in die zukünftige Gegenwart eines Anschauers projiziert. „A 276 Ich denke, dass nur zwei Verfahren von vorne appliziert wurden (bzw. so gedacht waren). Die

Einschusslöcher, die den Blick-Kontakt, die in die Domäne der Braut geschleuderten, von den Okulistenzeugen (ein Querschnitt durch das Auge, in Suquets Schema die Nummer 12) in Bilder verwandelten Tropfen des Leuchtgases symbolisieren und die nicht-ausgeführte Ätzung der Zeichnung des Junggesellenapparats (der „Eros-Matrize“, genaugenommen) auf das Glas (für die der Auf trag von der Schauseite her explizit vorgesehen war, s. ST 111 und v. a. Notes, no. 80 u. no. 134). Für die Einschusslöcher wurden 9 (oder 9 mal ein) in Farbe getauchte Streichhölzer – zur Entzündung des Leuchtgases – auf ein Ziel im oberen Bereich der Braut abgeschossen, das so durch den Quotient von Geschicklichkeit und Zufall zerteilt (demultipliziert), mit einer „Distanzquote“ als „souvenir“ der Flugbahn versehen (ST 56 / DDS 54) wird. Sie sind das skopische Pendant zur taktilen Begegnung von Inschrift und Kugel auf dem Tisch des Schwerpunktjongleurs, auf deren Tanz sie zu zielen scheinen. Diese Einschüsse wurden anschließend als Bohrungen markiert, also als Löcher, die weder auf der Vorder- noch auf der Rückseite des Glases sind. Eine weitere der schönen technischen Metaphern im Glas. – Inzwischen ist natürlich der zerbrochene originale Träger, auf dem das Material in der beschriebenen Weise aufgetragen ist, zwischen die zwei stabilisierenden Glasscheiben eingespannt.

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l’infinitif “ ist auch der Titel der Weißen Schachtel, die die Notizen zur 4-dimensionalen Perspektive enthält.277 Ich wüsste nicht, wo in der philosophischen Tradition die Aporien des Zeitbewusstseins klarer dargelegt, sicherer seziert wären als hier. Mir scheinen diese Aporien hier gelöst. Sie verlieren ihre Rätselhaftigkeit, wenn man akzeptiert, dass die Zeit des Bewusstseins oder des Lebens, nicht autochthon, sondern der phänomenale Reflex der Entropie oder der Zeit des Sterbens ist. Dass Erfahrung selbst dieses Fraktal von Leben und Sterben ist, das Verhältniszeichen von Spontaneität und Entropie, Leuchtgas und Wasserfall. Nietzsche, Freud, Bergson, Lévinas, Derrida – und, wie wir andeuten wollten, auf seine Weise Marx – haben von dem Früher einer vertikalen Vergangenheit gesprochen, dergegenüber das Präsenzbewusstsein und seine Zeit-Ekstasen sich nachträglich bilden. Sie sprechen alle auf ihre Weise von der konstitutiven Funktion eines Vergessens, das den Grund der Gegenwart legt, auf deren Rückseite die Dimension der seienden Vergangenheit beginnt, das Sediment des Gewordenen, das sich „ganz von selbst erhält“, indem es von Sekunde zu Sekunde anwächst, und in das das bewusste Erinnern mit der Taschenlampe einer Phänomenalisierung in jedem Fall nur die Leerräume spiegelverkehrter Bilder einbrennt. Das Große Glas ist eine Maschine, die diese Doppelstruktur, diese Heterochronie der Zeit selbst zu denken gibt. In ihren Grundzügen ist die Beziehung der Ready-mades zum Großen Glas nun deutlich geworden. Wie aber stellen sich von hier aus die klassischen Themen dar, die mit den isoliert betrachteten Ready-mades verbunden wurden? Wie steht es mit der ästhetischen Indifferenz und dem Werden des Ready-made? Wie mit dem Bezug zur Serienproduktion und mit der Struktur von déclaration und Datierung? Lassen sich diese Motive nocheinmal durchlaufen und bündeln? Wenn die Ready-mades Projektionen der vierten Dimension ins Element einer – am Faden der linearen Zeit sich verschiebenden – dreidimensionalen Gegenwart sind, und wenn wir dies mit der Topik des Abgusses, d. h. der Serienproduktion und der infra geringen Selbstdifferenzierung jedes Objekts in der Zeit (s. o. , S. 137 ff.), also mit dem Altern des Ready-made zusammendenken, dann entspricht die Datierung, auf deren innere Doppelung oder Spaltung wir hingewiesen haben, dem Scharnier der exposition extra-rapide. Auch die exposition ist eine in sich gedoppelte Struktur. Die Verzögerung der vierdimensionalen Braut zum Weiblichen Gehenkten und die Mensurierung von dessen noch flüssiger Gestalt durch die Perspektive des Junggesellenapparats, d. h. die Beziehung auf einen Punkt in Zeit und Raum, einen Punkt des Sehens, der immer in einer Gegenwart liegen wird. Dem entspricht der Moment der Wahl des Ready-made, die Singularisierung des Objekts, und seine Aussetzung in die Belichtung durch die Nachwelt. Dieselbe Doppelung drückt sich in der Struktur der Datierung aus, in ihrer Auf trennung in den „poetischen“ „Satz […] ohne normalen Sinn“ (IS 104), den Buchstabenkranz der Braut – und das kalendarische 277 Es sind diese zwei Dimensionen der Zeit und damit der Sprache, die Suquet nicht klar unterschei-

det (s. o. , S. 159, Anm. 247).

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Datum, das der Stempel der periodischen Zeit der Junggesellenmaschine, der astronomischen Messung ist. Der poetische Satz „vergrößert“, sagten wir, die infra geringe Körnung, durch die das Serienprodukt an der entropischen, unumkehrbaren Zeit des Materialstroms partizipiert, der das Raster des Verfahrens durchfließt und die Maßnormen der Gussformen verschleißt. Er ist die Signatur der Braut, die den Würfelwurf der Prägung dieses singulären Ready-made in die diskursive Lesbarkeit der Buchstabenschrift übersetzt.278 Die Inskription des kalendarischen Datums bezeichnet diesen Zeitpunkt von heute aus als ein Damals, dessen Abstand sich in der synchronen Tafel, dem Zahlenraster des Kalenders einschreibt – desselben Kalenders, in dem schon damals auf das heute als einen gegenwärtigen Ort gedeutet werden konnte. Wenn wir sagen – die Wirklichkeit konstituiert sich in dem Hiatus zwischen der Verzögerung und der Verspätung als das Bruchzeichen der Selbstgebung der Braut und der Mensuration durch die Junggesellen, dann ist daran nichts Rätselhaftes. Denn dieser Hiatus hat kein „innerzeitliches“ Maß. Die Wirklichkeit des Ready-made ist die distentio seines Gewordenseins, der Abstand zwischen der déclaration und der Gegenwart des Anschauers. Wir hatten in der isolierten Interpretation des Readymade die déclaration, als den Anfang seiner exposition gefasst, in deren „nach vorne offenem“ Prozess es Staub sammelt, fotografische, sprachliche (usw.) Bildabdrücke produziert und das Feld, den Lichtkegel seines Werdens konstituiert, in dem sein materieller Körper selbst sich verlieren oder multiplizieren kann, ohne dass die „Ready-made-Idee“ dadurch verändert wird.279 Der Fluchtpunkt und Ursprungspunkt dieses Felds bleibt der Zeitspalt der déclaration, des „Koitus durch die Glasscheibe“ und der „Fixierung der Wahl“ (ST 125). Die déclaration, sagten wir, ist ein Schnappschuss (instantané), aber ein Schnappschuss ohne Verschluss (s. o. , S. 134 ff.). Verweist aber nicht der repos instantané, die exposition extra-rapide etc. darauf, dass diese Belichtung des Ready-made doch nur eine momenthafte, eine kurze Belichtung wäre? „Kurz“, aber nach welchem Maß (in) welcher Zeit? Man hat das Readymade oft auf das Paradigma der Fotografie bezogen280 und dabei die déclaration, den Zeitpunkt der Wahl, mit der exposition, der Belichtungszeit identifiziert, die mit diesem Zeitpunkt beginnt. Die déclaration entspricht aber, um im Bild zu bleiben, in der n + 1-dimensionalen Fotografie Duchamps, der Öffnung der Blende der Kamera, der räumlichen Öffnung selbst, durch die sich die dreidimensionale Welt in ein zweidimensionales Bild projiziert. So projiziert sich die Braut, durch den Zeitpunkt der Wahl – der Trennung des Ready-made von „seinen Kumpeln“ –, in die apparence allégorique seines einzelnen Körpers. Dieser ist je gegenwärtig in dem verspäteten 278 Wie sehr die diversen poetischen Inschriften aus der Höhe der Braut auf die Ready-mades „ge-

tropft“ sind, hat vor allem Thomas Zaunschirm gezeigt (Bereites Mädchen Ready-made, Klagenfurt 1983). 279 Allerding kann, wenn das Ready-made Original verloren geht „im Grau der Zeit“ (IS 230) und die Signatur der Braut vergessen wurde, diese nicht ersetzt werden! So beim Flaschentrockenständer. 280 Krauss, „Notes on the Index: part I“, in: dies. The Originality… , 196 ff.; Clair, Marcel Duchamp et la photographie, Paris 1977.

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Präsenzbewusstsein, wie fern dieses auch dem Zeitpunkt der déclaration sei. Die exposition aber ist das bleibende und schwankende, pendelnde Dasein dieses Körpers im Strom der Kontingenz, dieses Ausgesetztsein, in dem das Ready-made vom Blick der Nachwelt belichtet oder „ ‚be-zufallt‘ “ (IS 124) wird. Vom Bildbewusstsein, dem Gegenwartsbewusstsein der Anschauer aus liegt der Zeitpunkt der déclaration in der Tiefe der Geschichte, die wir durchs Raster des Kalenders als ein Tableau gewesener (nicht-mehr seiender) Daten und Ereignisse sehen. Von der Seite der Braut aus, der Virtualität, erhält sich diese Vergangenheit automatisch und ganz von allein, wie Bergson sagt. Sie ist in jedem Moment das Ankommen in der Gegenwart, im Dasein des Ready-made und ist dieser Gegenwart kopräsent. Was auch ganz klar ist, und sich als das Alter des Ready-made ausdrückt, das von Sekunde zu Sekunde wächst. Die vierdimensionale Perspektive ist diese Altersperspektive, in der die Brechung in den Schwarz’schen Multiples eine Kaleidoskopdrehung ist. Man kann und muss die distentio des Alters als den Hiatus von Verzögerung und Verspätung, zwischen der déclaration und den Anschauern denken. Wir haben oben das Ready-made als sublimes Objekt vom objet trouvé abgegrenzt, das der Domäne des Schönen angehört, sofern es sich einschreibt – wenn auch in einem Moment konvulsivischer Turbulenz – in den Schirm des Imaginären, den das Ready-made passiert (s. o. , S. 121 ff.). Nun lässt sich diese Unterscheidung präzisieren. Auf den ersten Seiten von L’Amour fou hat Breton in einer gewissen Maskerade das Dispositiv des Großen Glases zitiert.281 Die „Boys der Strenge“, mit deren Beschwörung das Buch einsetzt, entsprechen den Gussformen vom Friedhof der Uniformen und Livreen: „vermutlich tragen sie einen Frack, ihre Gesichter sind nicht zu erkennen; es müssen sieben oder neun sein“ 282. Die Braut Duchamps erscheint zunächst multipliziert zu „einer Reihe von Frauen… in hellen Kleiderrn, … die er geliebt hat, die ihn geliebt haben, diese durch Jahre hindurch, jene einen Tag lang“ 283, um sich dann zu zerstreuen zu den Objektfetischen, deren Theorie die folgenden beiden Kapitel entwickeln (der „wunderbare kleine Schuh“ taucht schon hier auf, lange vor dem Fund des Holzlöffels). In Nadja (1928) war es noch eine Frau, allerdings eine tendenziell depersonalisierte, an der Schwelle zur Psychose „umherirrende Seele“ 284, die beim Erzähler jenen „Furor der Symbole“ 285 auslöst, den später die Theorie des objet trouvé aufnehmen wird. Das narzisstische Subjekt kann das Chaos des Realen, das Nadja für Breton – um den Erzähler mit dem Autor zu identifizieren – vertritt, nur in der Ge281 Die Grüne Schachtel erschien zwar erst 1934 (Bretons „Phare de la Mariée“ war kurz darauf die

282 283 284 285

erste zusammenhängende Lektüre, publ. in Lebel 1972), aber schon 1932 wurden einige Texte der Schachtel mit einem Kommentar Bretons publiziert (engl. in: This Quarter, Nr. 1. , Sept. 1932; franz. in: Le Surréalisme au Service de la Révolution, Nr. 5, Mai 1933). Die Grundstrukur des Glases war Breton schon länger vertraut, wie ein Hinweis auf den Friedhof der Uniformen und Livreen in Nadja (Frankfurt a. M. 2002, 27) bezeugt. L’Amour fou, 7. Ebd. , 8 f. Nadja, 61. Ebd. , 94.

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stalt dieser semiotischen Turbulenzen registrieren, die sein Imaginäres durchlaufen. Duchamps Braut aber ist keine Frau, auch nicht, wie es Bretons theatrale „Symmetrie fordert … sieben oder neun“ 286. Sie ist das zahllos Mögliche oder die Virtualität, vor der Explikation in die transzendental-logischen Modalitäten von Möglichkeit, Wirklichkeit und Notwendigkeit, die sich auf Gegenstände möglicher Erfahrung beziehen. „Das Mögliche“, schreibt Duchamp, „ist bloss / eine physikalische ‚Ätze‘ [Genre Vitriol] / die jede Ästhetik oder Kallistik versengt.“ (ST 110) Jede Ästhetik, auch die surrealistische. Möglich meint hier nicht das Möglichsein als logische Form, Widerspruchsfreiheit im Junggesellenbewusstsein, sondern die unartikulierte Virtualität selbst. Es ist diese Ätze, die bildlose, nicht-mensurierte, vierdimensionale Braut, deren Berührung Breton scheut. (Er fürchtet nichts mehr als die klinische Realität des Wahns, den Wahn als Eingetauchtsein ins Reale. Als Nadja, die er geheimnisvoll finden will, sich als krank erweist und eingeliefert wird, rettet er sich in einen politisch verbrämten Abscheu gegenüber der Brutalität der psychiatrischen Institution, um den Besuch mit gutem Gewissen zu vermeiden.287 Die Topologie ist stabil. Die Scheiben des Schaufensters und der Spiegel der Selbstliebe bleiben unverletzt. Das objet trouvé ist eine von dieser Zeichenbildfläche, als die die Realität der narzisstischüberreizten Sensibilität erscheint, abgenommene Blüte. Bretons Diskurs ist durch und durch und willentlich obskurantistisch.) Für Duchamp ist mit einem in diese Ätze des zahllos Möglichen getauchten Stift der Aufriss des Imaginären selbst gezeichnet. Wir haben das Krisenmoment, die gegenwendige Struktur der Perspektivkonstruktion hervorgehoben, die den konstituierten Bildschein immer schon auf den standpunktlosen Raum der Pläne durchquert hat. Diese Beziehung ist in Duchamps Reflexion angelegt. Deshalb überlegt er, die Zeichnung des Junggesellenapparats auf das Glas aufzuätzen, und zwar von vorne, von der Schauseite, der Seite der Junggesellen aus.288 Die Zeichnung, die Konturen, die die Bilderscheinung im Aspekt stilllegen, sie mensurieren oder ihre Form im Imaginären limitieren, sind als die Stelle des Durchrisses, der De-Limitation des Imaginären erfasst. Perspektivtheoretisch ist das vollkommen plausibel. Der Kontur einer Form ist der innere Horizont des erscheinenden Körpers, die Stelle, an der dieser sich in die Unsichtbarkeit entzieht oder wegdreht, für ein Auge jedenfalls, das auf einen Standpunkt im Raum eingeschränkt ist und deshalb nur mensurierte Bilder der Körper erfassen kann und ihre Abfolge in der Zeit. Als diese Stelle des Entzugs des endlichen Aspekts ist der Kontur – der limitierende Umriss – zugleich Durchriss durch das Bild, der Ort seiner gesetzlichen Straffung auf den Webrahmen der Pläne, die keine Bilder sind, sondern Schnitte durch den standpunktlosen oder absoluten Raum. Der Kontur ist nicht der Draht der rationalen Versicherung einer wahren Form, sondern der Riss, der das Imaginäre, den repos instantané der phänomenalen Erscheinung, mit dem Grund des Virtuellen – der simultanen Summe aller Bilder, wie sie ein Auge4 von den Dingen aufnimmt – ver286 Ebd. , 8. 287 Ebd. , 116 ff. 288 Mit Flußsäure (HF), was sich wegen der giftigen Dämpfe nicht machen ließ (s. die obere Anm. 169).

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näht. Er markiert die konstitutive Unwahrheit der partikularen Form – und segno di dio, wie die klassische Kunsttheorie sagt,289 ist der disegno, die Zeichnung nur, sofern in ihm die Sichtbarkeit selbst oder der absolute, nicht-perspektivische Raum auf leuchtet, der die endlichen Bilder zugleich ermöglicht und bedroht. Die rationale Perspektive ist das begriffene Scharnier zwischen der Sichtbarkeit an sich, die die Totalität und Vernichtung der Bilder ist, und dem, was das körper- und standpunktgebundene Sehen sieht, den Korrelationseffekten von Auge und Ding, die Spinoza imagines nennt. Die Perspektive artikuliert die Immanenz des endlichen Imaginären in der Virtualität oder der Unendlichkeit und die Immanenz der Virtualität in den endlichen Bildern, zu denen sie sich für das perspektivische Sehen expliziert.290 Deshalb ist nach innen, der unmittelbaren oder naiven Anschauung zugewandt, der Kontur formgebend, während er für eine Reflexion, die die Geometrie und damit die Genesis der endlichen Anschauung begreift, der Ort der Krise des Imaginären bleibt. Der Kontur ist Limitation und Delimitation zugleich, eine Struktur, die in sich die kantische Topik des Erhabenen begreift: Oszillation von Darstellung und Undarstellbarkeit. Deshalb kann Duchamp den Zufall „genausogut einsetzen wie die Perspektive“ (IS 123) und die Perspektive so gut wie den Zufall. Die Präzisionsmalerei (ST 95) und die gelenkte Aleatorik sind – wie Schach und Roulette – zwei Pole der Berührung des der Imagination Inkommensurablen, das „jede Ästhetik oder Kallistik versengt“. Der Kontur als solcher ist Riss im perspektivischen Imaginären, dessen Entgrenzung auf den standpunktlosen Raum, den die Pläne schneiden. Über ein bisher ausgespartes technisches oder methodisches Motiv der Schachteln ist dieser Aspekt der perspektivtheoretischen Reflexion mit der Topik der Ready-mades verschränkt. In jedem Kontur ist die perspektivische Apparenz291 mit ihrer Apparition vernäht, die Duchamp eine Gussform nennt. „Die negative Apparition“, schreibt er, ist „konventionell determiniert durch die lineare Perspektive zmB. , aber stets in einem Milieu von n – 1 Dimens. für ein Objekt von n Dimensionen“ (ST 72). Die Apparition eines dreidimensionalen „Objekts aus Schokolade zmB.“ wäre „eine Art Spiegelbild, das so aussieht als würde es zur Fabrikation dieses Objekts dienen wie eine Gussform, aber diese Gussform ist selber kein Objekt, sie ist das n – 1 dimensionale Bild der wesentlichen Punkte, dieses Objekts“ (ST 143). Für das dreidimensionale Objekt ist also die Apparition die ins 289 Panofsky, Idea: Ein Betrag zur Begriffsgeschichte der älteren Kunsttheorie, Berlin 1989. 290 Deshalb ist die Perspektive ikonoklastisch und atheologisch. Sie ist die Gestaltung einer imma-

nenten Unendlichkeit. Dem (endlichen) Bild ist jede Partizipation (Methexis) an einer Transzendenz (die sich emaniert) verwehrt. Das neuzeitliche Bild ist abgeschnitten vom Sakrament der Transsubstantation – und von der „Seinsvalenz“ (Gadamer), die sie dem heiligen Bild gewährt. Die Braut mag „Muttergöttin“ sein, aber sie ist auch „Ackerbaumaschine“ in einer „Welt in Gelb“ (ST 36). In jedem Fall ist sie kein männlich-transzendenter Theos. (Zum Verhältnis Immanenz/ Emanation G. Deleuze, Spinoza und das Problem des Ausdrucks, München 1993, Kap. XI, „Die Immanenz und die historischen Elemente des Ausdrucks“; zum inhärenten Ikonoklasmus der Perspektive: G. Boehm, Studien zur Perspektivität… , Heidelberg 1969, bes. 24 ff.) 291 Franz. apparence, dasselbe Wort, wie in der als allegorischer Schein übersetzten apparence allégorique aus dem Préface und dem Avertissement: die phänomenale Welt selbst.

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Negativ gefaltete Fläche der Gussform, die „Ebene (mit einer oder mehreren Krümmungen), Erzeugende […] (durch elementaren Parallelismus) der gefärbten Form des Objekts“ (ST 72), für die zwei- oder zweieinhalbdimensionale Bilderscheinung sind es die linearen Planschnitte. Die Analogie zwischen der linearen Perspektive, die im Großen Glas die Projektion des Weiblichen Gehenkten und der Elemente der Junggesellenmaschine in den flachen Käfig des tableau hilarante (DDS 45) reguliert, und der Logik des Abgusses, die die Genese des Ready-made beherrscht,292 ist der technische Anhaltspunkt der Verhältnisbestimmung zwischen den verschiedenen Dimensionen und ihren Projektionsregeln, die wir zum Leitfaden unserer Lektüre gewählt haben. Es ist der singuläre Zeitpunkt der Prägung des Materials in seine Form, die der Projektion einer Form in die Fläche des Bildes entspricht. Das Ready-made ist daher kein Bild und kein Bruchstück eines Bilds der Braut, da vor der Verzögerung, der Prägung, seine Form nicht ist. Das Ready-made ist bild- und erinnerungslos, weil es aus der Umschließung der in seiner Gussform sedimentierten Zeit hervorgeht und nicht vom Areal der gelebten Geschichte stammt wie Bretons Flohmarktstücke. Wenn auch „alle dreidimensionalen Gegenstände, die wir so arglos betrachten, Projektionen von uns unbekannten vierdimensionalen Formen sind“ 293, so ist in den Ready-mades und dem Dispositiv von déclaration und exposition, in dieser vierdimensionalen Kamera Duchamps, das Scharnier dieser temporalen Projektion paradigmatisch expliziert, so wie die rationale Perspektive die Verfasstheit unserer alltäglichen Wahrnehmungsbilder expliziert, indem sie ihre Naht – wegen des beidäugigen Sehens ist es gewöhnlich eine Doppelnaht – auftrennt und sie auf den geometralen Webrahmen der allgemeinen Optik bezieht. Während die rationale Perspektive also den Strukturbezug des vollen Körpers, des „Typen-Objekts“ (ST 166), das vom Sichtraum umflossen ist, zur verspätet-mensurierten Erscheinung oder dem endlichen Aspekt behandelt – die Schicht der Reflexion, die wir oben als die erkenntnistheoretische bezeichnet haben (s. o. , S. 162) –, so verlängert die Methodologie der Ready-mades dies auf die ontologische Schicht der Reflexion, auf die Frage nach der Genesis des materiellen Objekts selbst, die die Verzögerung ist. Die Beziehung dieser Struktur auf das Verhältnis des Materiestroms, der vom Kapital induzierten, verflüssigten Materie, zu der als Normmaß sedimentierten Zeit der Produktionsmittel in der industriellen Produktion geht über Duchamps explizite Anweisungen hinaus. Und dennoch, ist nicht gerade hier, abgelöst von der Topologie des Glases, die erst so spät auf die Ready-mades bezogen wurde, immer die Radikalität von Duchamps Geste gesehen worden? Dass das Ready-made ein Serienprodukt ist, ein „prostituiertes“ Ding, das der Warenform entnommen wurde – um erst spät als multipliziertes Werk wieder zur Ware zu werden –, das galt von Anfang an als die Spitze von Duchamps ikonoklastischer Intervention. Die Entschiedenheit der Abgrenzung vom surrealistischen Objekt jedenfalls, das mit dem Imaginären seines Finders nur verklebt – was den Effekt jener sexualisierten und „ein bißchen 292 Und später explizit die Produktion von Etant donnés und seiner Trabanten, was Georges Didi-

Huberman nachhaltig thematisiert hat (Ähnlichkeit und Berührung).

293 Cabanne, Gespräche mit Marcel Duchamp, Köln 1972, 53 (Herv. von mir).

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verwegen[en]“ 294 Schönheit ergibt, die uns nur noch so wenig interessiert, weil sie sich auf den „Teig“ einer Sensibilität als ihr Resonanzelement schon festgelegt hatte (s. o. , S. 134 ff.) – hängt mit dieser Topologie zusammen. Die déclaration des Readymade, die es der Gussform entnimmt, die es von „seinen Kumpeln“ trennt, bleibt der Punkt, der sich spaltende Zeitpunkt, durch den sich sein Werden in seine immer etwas schwankende Gegenwart projiziert, die es vor sich hertreibt.295 In seiner Altersperspektive, die man besser „mit abgewandtem Kopf “ (IS 134) als in frontaler visueller Vergegenwärtigung erfasst, bleibt das Ready-made von dem Entzug seiner Gussform berührt, die es einmal „gesehen“ hat, von allen Seiten zumal, „wie mit der Faust gepackt“. Vor diesem Hintergrund ist es also zwar richtig und notwendig und bereichernd, dass, angefangen von Linde, vierzig Jahre nach ihrer Entstehung, und in der „Spezialliteratur“ zu Duchamp inzwischen exzessiv und weit über unsere topografische Skizze hinaus die Beziehungen der Ready-mades zum Großen Glas erforscht werden – wobei die Zahlen- und Buchstabenkombinatorik in den Schachteln und die Sprachspiele Rrose Sélavys zu den Schlüsseln gehören, die zugleich selbst die Schlösser sind. Es ist klar, dass das Pissoir ein invertierter Wasserfall ist, dass sich die 50 cc Air de Paris (fig. 50) auf das Barometer der Braut beziehen und dass die Schreibmaschinenhülle ein Kleid der Braut ist – und für diese Ready-mades bestätigt ihre Anordnung in der Schachtel im Koffer neben dem Glas, dass der Bezug wohl nicht „unbewusst“ ist (fig. 51). Man kann das Fahrradrad auf seinem allerdings vierbeinigen Schemel296 als den vermissten Schwerpunktjongleur lesen und den Flaschentrockenständer vielleicht als invertierte Darstellung der Kette der Benediktinerflaschen und noch die Mona Lisa, die auf der phone ihrer Inschrift wie auf einer Herdplatte sitzt, ist nicht nur ein ikonoklastischer Witz, sondern ein Beweis dafür, dass „diese Jungfrau“ „kein asensueller Eiszapfen“ ist und „das überstürzte Angebot der Junggesellen hitzig. (nicht keusch) zurückweist“ (ST 43).297 – Aber heißt das, dass die Lektüren, die die Ready-mades isoliert betrachtet haben – und über vierzig Jahre waren es die einzigen –, „falsch“ waren oder nun irrelevant werden? 294 L’Amour fou, 34. 295 Zu diesem Schwanken würde ich die Unsicherheiten rechnen, die die meist unauf findbaren

Gussformen der Ready-mades betrifft. Sind sie vielleicht gar keine Serienprodukte, keine Readymades? Wie stark ist der Zeitspalt der déclaration doch mit einer manipulativen Beugung des Lichtkegels, der sich durch ihn in die Zukunft projiziert verbunden? Diesen notwendigen Fragen geht mit methodisch nicht immer dem Niveau der Problematik entsprechender Entdeckerlust vor allem Rhonda R. Shearer in ihren verschiedenen Arbeiten nach. 296 Auf die zum Teil wegretuschierten, zum Teil weggebrochenen Querstäbe dieses Hockers hat Zaunschirm hingewiesen (Bereites Mädchen… , 25 ff.). Es sind zumindest in einer der am stärksten gefälschten Versionen insgesamt 9 Stäbe, für jeden Junggesellen einer. Dass es drei Beine sein sollen, ist im Text festgehalten, in den Skizzen sind es vier. Aber der Bezug von drei und neun durchzieht die ganze Zahlenlogik des Glases. Das Fahrradrad hat allerdings nicht 27, sondern wie das des Roulette 36 Speichen. 297 LHHOQ ist phonetisch „ihr ist warm am Arsch“. Die drei Glasplatten des Horizonts werden auch als „Kühler“ bezeichnet (ST 43).

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In welcher Weise gehören sie zu ihrer „Belichtung“? Warum hat Duchamp sich so spärlich erklärt? Warum hat er jeden sehen und sagen lassen, was er oder sie wollte – und, ein einziges Mal, sogar mit Teeny Streit bekommen, weil sie fand, die Inzest-Theorie von Schwarz zum Großen Glas ginge wirklich zu weit und er müsse dementieren?298 Natürlich gehört das Offenlassen des in die Zukunft gerichteten Schweifs dieser Kometen (ST 38) zur Struktur und zur Souveränität von Duchamps gesamtem Unternehmen, zu seiner „Lebensart“ (IS 235). Dennoch ist in Bezug auf die Ready-mades sein Schweigen besonders laut. Duchamp hat allerdings nie von einer „Bedeutungslosigkeit“ oder „Beliebigkeit“ des Ready-made gesprochen, sondern von ästhetischer, formaler Indifferenz, deren Sinn wir jetzt noch einmal im Vergleich zum eruptiv-schönen surrealistischen Objekt gefasst haben. Aber die gesamte Struktur der Bezüge zum Glas hat er verschwiegen und ihre Entdeckung dem Blick der Nachwelt überlassen. Ich glaube zu verstehen, warum. Man muss in der Interpretation des Glases und der isolierten Betrachtung der Ready-mades weit gegangen sein, um diese Beziehung nicht auf das Skelett einer einfachen Ikonografie zu reduzieren. Man muss akzeptieren, dass das Glas kein Bild, sondern eine Verzögerung, ein Scharnier zwischen Verzögerung und Verspätung ist, dass es zugleich zwei-, drei- und vierdimensional ist. Nicht nur weil die Sprache der Schachteln durch es hindurchfließt, sondern weil es selbst in spezifischer Weise wird. Wenn wir dann in den Ready-mades geradezu „skulpturale“ Elemente des Glases erkennen, sind damit diese einfachen und schwierigen Probleme, die die isolierte Existenz der Ready-mades aufwirft, nicht reduziert und im Wesentlichen nicht einmal verändert, sondern nur auf einen präzisen Rahmen bezogen, aber eben nicht auf den einer Ikonografie. Das Glas vielmehr, das Material dieses Trägers, der Rückseite und Vorderseite, Produktion und Phänomen, Verzögerung und Verspätung trennt, und der Zeit-Raum, in den die Ready-mades durch die déclaration exponiert sind, müssen in ihrer epistemologischen Kontinuität gedacht werden. Das Glas, das die apparence der Farben, ihre dem Blick zugekehrte Seite vorm Ruß des Alters schützt, das die Rückseite bearbeitet, muss mit dem Modus des Sich-Darstellens des Ready-made im Raum der Sichtbarkeit verbunden werden. Den technisch regulierten Niederschlag der Kontingenz, den der Synchronschnitt der Glasplatte (pan) in die kinematische Entfaltung (épanouissement cinémathique) ausbreitet, die der „wichtigste Teil des Bildes (graphisch als Oberfläche)“ (ST 45) ist, den Schwung dieses Anpralls auf der Rückseite des Bildes nehmen die Ready-mades auf. Sie lassen das Glas um seine innere Achse schwingen – das Scharnier des Horizonts – und öffnen es als dreidimensionale, im Raum aufgehängte Körper, als Pendel dieses Uhr-Werks, für den Durchlauf der vierten Dimension. Die Ready-mades und das Glas mitsamt der Schachteln sind ein Werk. Mindestens das. Wie sich dieser Komplex auf die Antwort bezieht, die Etant donnés und seine Trabanten aus der Distanz von 40 Jahren geben, ist eine andere Frage. Wer jedenfalls Duchamp für diesen heiter-nihilistischen Dadaisten mit der

298 Tomkins, Marcel Duchamp, 519.

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Pfeife hält, der irgendwelchen Gelegenheitsideen nachhing, hat von diesem ungeheuren Werk kaum eine Kräuselung an der Oberfläche erfasst.

L’Impossibilité du fer. Das Ready-made und die Malerei. Seurat. – Es wird Zeit, endlich einen Weg zurück zu finden. Zurück zu den Fragen, die sich von der Minimal Art, vom Präsenzbegriff Judds aus gestellt haben. Zurück auf die andere Seite des Spiegels, wo sich das Monochrom befindet, und zur Diskussion seines Verhältnisses zum Ready-made und der Konvergenz und Überkreuzung dieser beiden Paradigmen der modernen Repräsentationskritik, die sich im Minimalismus abzuzeichnen scheint. Ich will dazu noch einmal einer Linie folgen, die Duchamp gelegt hat. Es ist die Linie der Stoppages Étalon, der drei Maßnorm-Stoppagen (fig. 40), die im Glas die Form der Kapillarfäden prägen, in denen das Leuchtgas durch eine „Streckung in der Längeneinheit“ zu „Pailletten“ gefriert, ehe es beim „Derby“ durch den Staub der Haarsiebe eine Zeit lang ganz die Orientierung verliert (s. ST 80 f.). Die Stoppagen sind das Werk Duchamps, das den Einsatz des Zufalls als Ergänzung der Präzisionsmalerei initiiert. In der Schokoladenreibe von 1914 sind die Fäden der Zeichnung gespannt. Die „Fabrikationsidee“ für die Stoppagen ist in der Schachtel von 1914 festgehalten und noch einmal in die Grüne Schachtel aufgenommen. Sie sind Duchamps erklärtes Lieblings-Ready-made (IS 156). „Die Fabrikationsidee / Wenn ein gerader horizontaler Faden von einem Meter Länge aus einem Meter Höhe auf eine horizontale Ebene herunterfällt, sich nach seinem Belieben verändert und eine neue Figur von der Längeneinheit ergibt. –“ (ST 97) Und eine Zusatznotiz: „3 Massnorm Stoppagen = Zufall in Konserve – / 1914.“

Die Linie, zu der der gerade Meter im Fallen sich verbiegt, ist in-formiert durch das Zeit- und Raummaß des Falls: ein Quadratmeter, den der Faden, oben straff gespannt, unten auf kommend in der (mit Firnistropfen) auf der Leinwand fixierten Welle, durch den Luftraum schneidet. Die Linie ist der untere Rand dieses Vorhangs aus Zeit, Raum und Gravitation und sonstigen Befehlen der Braut, die dem geraden Faden das Maß seiner Deformation aufprägen. Die dreimalige Wiederholung macht deutlich, dass der Vorhang unter gleichen – indifferenten – Ausgangsbedingungen immer anders fällt. Diese Konzeption von Zeit und Kontingenz ist als eine um eine Dimension verkürzte Allegorie der Zeitigung des Ready-made lesbar. Der gespannte Faden, das Normmaß, ist der Ausgangspunkt in anästhetischer Neutralität oder Indifferenzschönheit (ST 95) und er wird im Fallen – „the way that chance ordinarily chooses to manifest itself “ 299 – gebeugt oder vermindert (ST 21), so wie die Zeichnungen des Geometriebuchs, das Suzanne Duchamp auf ihrem Balkon dem Wetter (temps) überließ (fig. 21). Stumm wie die gerade Linie der Präzisionsmalerei, 299 Jean Suquet, „Possible“, in: de Duve (Hg.), The Definitively Unfinished Marcel Duchamp, 93.

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geschmacksindifferent, kommt das Ready-made aus der genormten Gussform des industriellen Dispositivs, und tritt, indem es den Zeitspalt der déclaration passiert, in die Dauerbelichtung der Rezeption ein, in die Domäne der Anschauer, die die Kontaktabzüge machen, indem sie die Tiefe des Werdens, die Bewegung des Falls selbst jeweils „vergessen“.300 Das Ready-made hängt in diesem Strom der Kontingenz, es zeichnet den Zufall auf. Wie? Nicht notwendig auf seinem Körper, auch wenn nach Duchamp jeder Schlagschatten einen infra geringen Abdruck hinterlässt. Primär indem es sich abdrückt in anderen Trägermedien. Es ist als Werk das Werden des Felds seiner Effekte, der Ausbreitung seiner Abgüsse oder Abzüge, die seine Negativbilder sind. (Darum ist die Fotografie eines Ready-made etwas radikal anderes als die fotografische Reproduktion eines gemalten Bildes.) Es ist dieses temporale Volumen seines Werdens, das einer ästhetischen Anschauung, die es in seiner mehr oder weniger vibrierenden extra-rapiden Ruhe erfährt, nicht zugänglich ist – sowenig wie ein Auge2, das in der Ebene lebt, in der die Linie der Stoppagen zu liegen kommt, ihre Krümmung wird sehen können. Das ist das Scharnier der Allegorie: Das Ready-made müsste angesehen werden wie die schöne Linie von einem Auge3, von uns, in einem unabgeschatteten Zumal. Wir aber blicken – im ästhetischen Urteil – nur auf die Schnittfläche des Bildes, die sein Werden in die Gegenwart unserer Anschauung projiziert. Das Volumen dieses Werdens, der Sinn des Ready-made ist für das ästhetische Bewusstsein so unsichtbar wie für das zweidimensionale Wesen die Krümmung der Linie in der Fläche, in der es liegt. Eine Uhr (Pendule) im Profil gesehen, sagt Duchamp, zeigt die Zeit nicht mehr an.301 Die Trois Stoppages Étalon isolieren, so scheint es, noch einmal oder zum ersten Mal den Zufall als den eigentlichen Boden der ästhetischen Produktion. Schönheit ist der Effekt, in dem die Aleatorik des Werdens sich verhüllt. Reine Aleatorik – bildlos, unimaginierbar – ist der einzige Name, der für die Dimension in Geltung bleibt, auf die sich das „Ohne des reinen Einschnitts“ 302 öffnet. Ohne Zweck – dieser Focus Imaginarius, durch den die reflektierende Urteilskraft ins Unendliche reicht – ist nur als die Abschneidung zu denken, die das Normmaß (die Regel) de-mensuriert, es auf das Maßlose oder Immense des Zufalls öffnet. Der „Kunst-Koeffizient“, sagt Duchamp im Vortrag über den Kreativen Akt ist das „Loch, das die Unfähigkeit des Künstlers darstellt, seine Absicht voll auszudrücken, […] eine arithmetische Relation zwischen dem Unausgedrückten-aber-Beabsichtigten und dem UnabsichtlichAusgedrückten“ (ST 239). So wären die Stoppagen als kritische Formalisierungen der Struktur der ästhetischen Idee lesbar: des einzelnen gegebenen Sinnlichen, von dem Kant sagt, dass es unendlich zu denken gibt. Dieses „Unendliche“ springt ihm aus der 300 Notes, no. 10: „le regard glacial du public (qui aperçoit et oublie immédiatement).“ Dieses Verges-

sen konstitutiert den allegorischen Schein der dreidimensionalen Realität. Der eisige Blick lässt die Virtualität gerinnen. Er hält den Wasserfall an. Davor aber, vor dem Vergessen, das das Bildbewusstsein konstituiert, ist die Wahrnehmung vom Wasserfall berührt. 301 Siehe ST 92, Anm. zu Text Nr. 84, und ausführlicher Notes, no. 135; s. auch AS, no. 610–12. 302 J. Derrida, Die Wahrheit in der Malerei, 105 ff.

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Lücke des Zufalls bei. Das Vermögen des Genies ist der Würfelwurf, der Imperativ, der das Virtuelle zum Schönen aktualisiert.303 Wie verhält sich nun dieses Volumen an Sinn, die Krümmung des Ready-made in der Zeit, zum ikonischen Schein oder dem Volumen des Bildes, das sich je akut oder spontan in der Aktualität eines Sehens konstituiert? Wie bezieht sich das Werden des Ready-made auf den Schein in der Malerei? Wir haben die Topologie dieser Beziehung in ihren formalen Zügen schon zu umreißen versucht (s. o. , S. 144 ff.). Das Bild reicht im Element des Scheins in die Tiefe der Erinnerungszeit zurück. Sein ideelles Volumen ist eine Art Ausschachtung oder Entleerung, eine transparente Verdopplung der Zeit seines Materials, der Reflex seines Werdens im Element des Scheins, der nicht in der Zeit ist, der gewissermaßen nicht altert, weil er nicht ist – und durch den hindurch dennoch eine immer tiefer werdende temporale Distanz durchquert werden muss, wenn eine Wahrnehmung und Auslegung das Bild an den Ursprung einer Intention zurückbinden soll, die im selben Geschichtsraum wie sein Körper datiert sein wird. – Das Ready-made hat diese Topik umgestülpt. Von seiner Datierung an, die seine Herauslösung aus dem materiellen Apriori seiner Gussform ist, wird es, und dieses Werden ist der Antrieb, der seine Gegenwart aufsteigen lässt und sich entfernen von dem Datum und seiner doppelten Markierung auf seinem Körper – durch den Stempel des kalendarischen Rasters, das die Distanz dieses Datums ermisst oder zählt, und den singulären Umriss des „poetischen Satzes“, des Buchstabenkranzes, mit dem die Braut das Ereignis in seiner Unwiederholbarkeit markiert.304 Die Bewegung des Werdens des Ready-made ist das Auf klaffen, die distentio dieser beiden Ränder seines Datums, der markierten Singularität des Ereignisses und der kreisför303 Ich lasse eine der überraschendsten Wendungen dieses Lieblings-Ready-mades Duchamps hier

beiseite und interpretiere nur seine Frontfläche. Die Sache ist einmal mehr viel komplizierter. Denn die Stoppagen sind tatsächlich Kunststopfereien (was die lexikalische Bedeutung des franz. Worts ist). Und zufällig ist hier, wie Duchamp selber einmal sagte, tatsächlich nur „die Idee“ gewesen, aus der dann „ein sorgfältig geplantes Werk entstand“ (IS 120). Es hat sehr lange gedauert, bis einmal jemand die Rückseite dieser auf Glas aufgeklebten Leinwandstreifen betrachtet hat – nach zahllosen Versuchen, einen Faden so genial fallen zu lassen wie Duchamp –, um festzustellen, dass dieses ganze angebliche Ready-made mitsamt seiner vorgeschobenen „Fabrikationsidee“ nur allegorische Erscheinung ist. Man kann die Geschichte dieser verspäteten Entdeckung, eine der lustigsten der Duchamp-Rezeption, nachlesen bei Rh. R. Shearer / St. J. Gould, „Hidden in Plain Sight: Duchamp’s 3 Standard Stoppages, More Truly a ‘Stoppage’ (An Invisible Mending) Than We Ever Realized“, http://www.toutfait.com/issues/issue_1/News/stoppages.html. Die Neulektüre bestätigt einmal mehr die Intuition von Linde, der die Stoppagen, ohne die Rückseite zu kennen, als Saum des Kleids der Braut gedacht hat (Linde, „MARiée CELibataires“, in: Linde/Hopps/Schwarz, Marcel Duchamp. Ready-mades, etc. , 47). Ich aber wollte von diesem Faden ja aus dem Labyrinth herausgeführt werden… 304 Ich erinnere daran, dass Derrida die Thematik des Datums mit dem der Beschneidung verschränkt und diese mit der Fellatio (in Schibboleth und „Zirkumfession“, in: Bennington/Derrida, Ein Portrait… , 77 ff.). „Sex is three-dimensional as well as four-dimensional“, sagte Duchamp (Schwarz, The Complete Work, 35). Ich denke an den Schwerpunktjongleur, den Suquet mit dem Phallus identifiziert, der auf dem von den Stößen des Boxkampfs erschütterten Kleid der Braut tanzt, ganz in ihrer Domäne, vom Wind der Inschrift in der Höhe der Milchstraße berührt – und den Duchamp in der Radierung des komplettierten Glases von 1965 (fig. 52), altersironisch, in perspektivische Ferne gerückt und zum posterektiven Komma des einen Beins reduziert hat.

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migen Wiederkehr der gezählten Zeit. Es ist nun klar, dass eine Erzählung von den Geschicken seiner Rezeption (einschließlich der Fehl- und Nicht-Rezeption selbstverständlich) noch keinen Begriff dieses Werdens liefert. Sie ist dessen Projektion in den diegetischen Raum, die die Distention des Werdens in die Sukzession des kinematografischen Bewusstseins, in eine historische Narration übersetzt, die seine Linie nur nachfährt.305 Noch weniger aber erfasst natürlich von dieser Struktur, wer – wie Judd es tun wird – vom Ready-made nur den Schlag seiner visuellen Gegenwart auffängt und nach seiner „Intensität“ befragt. Seine geglättete Oberfläche ist opak. In der ikonischen Dimension ist ihm keine Tiefe, kein Volumen beigefügt. Und dennoch bleibt sein gegenwendiges Verhältnis zum Bild und zur „normalen Malerei“, wie Duchamp sagt, ein Schlüssel, der exoterische Schlüssel zu seinem Verständnis. In einigen Interviews, in denen Duchamp seine „kleinen Erklärungen“ gibt – wobei er den Bezug zur Metamalerei des Glases verschweigt – ist unausgesprochen das Werk Seurats das Paradigma. „Das Merkwürdige beim Ready-made ist, daß ich nie fähig war, zu einer Definition oder Erklärung zu gelangen, die mich voll befriedigt. […] Es liegt immer noch Magie in der Idee, also möchte ich es lieber lassen, als zu versuchen, exoterisch darüber zu sein. Aber es gibt kleine Erklärungen und sogar bestimmte allgemeine Wesenszüge, die wir diskutieren können. Angenommen, Sie verwenden eine Tube Farbe; Sie haben sie nicht selbst hergestellt. Sie kauften sie und verwendeten sie als ein Readymade. Selbst wenn Sie zwei Zinnoberrot zusammenmischen, ist das immer noch die Mischung zweier Ready-mades. So kann der Mensch nie erwarten, ganz von vorn anzufangen; er muss von ready-made-Dingen ausgehen, wie sogar seine eigene Mutter und sein Vater.“ (IS 120) Es ist dieses Motiv, das Duchamp oft wiederholt. Wir haben das Statement „Hinsichtlich der Readymades“ von 1961 zitiert, das folgert, „dass alle Gemälde auf der ganzen Welt ‚nachgeholfene Readymades‘ und auch Assemblage-Werke sind.“ (ST 242) In den Interviews wird oft nicht so sehr die Malerei von den Implikationen des Readymade aus gedacht, eher wird die Wahl des Ready-made in Analogie zur Malerei interpretiert. „Was heißt ‚machen‘, ‚etwas machen‘? Das heißt, eine Tube Blau, eine Tube Rot auswählen, ein wenig davon auf seine Palette zu setzen, und immer auswählen, die Menge Blau, die Menge Rot, und immer auswählen, die Stelle, wo man sie auf die Leinwand bringen wird, immer ist es auswählen. […] Die Auswahl ist die Hauptsache in der Malerei, sogar in der normalen.“ (IS 104) Das Nichts des Bildscheins, das ideelle Volumen des Bilds, wird hier auf seinen anderen Rand zurückgeführt, den temporalen Kontur, den die Sequenz der Wahlentscheidungen – zwischen Ready-made-Farbtuben – im Raum seiner Fabrikation einschreibt. Das spontane Sehen, das die Bildoberfläche durchdringt und aushöhlt, wird an diesen Bildrand, der in der Zeit 305 Dennoch ist Daniels’ Studie Duchamp und die anderen in ihrer Trockenheit eines der besten

Bücher zu Duchamp und in ihrem Materialreichtum ein unverzichtbarer Anstoß. Aber es bleibt eine Erzählung, die keinen wirklichen Begriff des Falls und seines topologischen Raums gibt. Dem historischen Narrativ fehlt ein Begriff der vierten Dimension.

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verläuft, erinnert, an diesen Rand, der beim unassisted Ready-made, „dessen Existenz“ von nur einer Geste „entschieden wurde“ (IS 134), mit dem Kontur der gegenwärtigen Form in so rätselhafter Weise zusammenfällt. Ziehen wir ein weiteres Zitat heran. Auf die Frage nach dem Wesen des Genies – wir morphotischen Sprachspiele geantwortet: „L’impossibilité du fer“ – „Die Unmöglichkeit des Eisens“ (IS 32). Die Unmöglichkeit von Eisen/machen – fer/faire. Das Verschlucktwerden des Machens in dem Stoff, der eine Art Emblem von Resistenz ist, markiert diese Unmöglichkeit. Ist das eine kategorische Verneinung des Sinns der Frage? Jedenfalls hält es fest, dass das Schaffen des Genies keine creatio ex nihilo ist. Nur die „Braut hat ein Zentrum Leben – die Jungges. haben keines. Sie leben von der Kohle oder anderem Rohstoff [matière première], der nicht aus ihnen gezogen wird, sondern aus ihrem Nicht-ihnen [tiré non-d’eux mais de leur non-eux].“ (ST 48 /DDS 68) Der Künstler ist Techniker, Handwerker, wie Duchamp unablässig wiederholt, oder Demiurg. Selbst die „ziemlich onanistische“ Halluzination des Leuchtgases bedarf einer Differenz und eines Widerstands, einer Reibung. Selbst der Spiegel, der von Bildern überfließt, hat eine Materialität und eine andere Seite. Das Spektrallicht des Ready-made macht die Unmöglichkeit der Hervorbringung als creatio ex nihilo evident. Das gilt a fortiori für den Schein in der Malerei, der ein Nichts ist, das aus einem Etwas entsteht. Das Gemälde ist das materielle Protokoll der Wahlentscheidungen des Autors, die diese Materie ihrer Aufzeichnung um nichts vermehren. Das Wählen ist die Hauptsache, sogar in der normalen Malerei. Es dekliniert die Farbe, die auch im Dunkel der Tube schon ist. Stellen wir uns Seurat, Duchamps modernen Maler, vor.306 Punkt für Punkt ist die Setzung der Farbe eine Wahlentscheidung. Die Leinwand zeichnet deren Abfolge und Summe auf. Sie ist gebrochen in Indizes eines Jetzt, in dem über was und wo und wieviel entschieden wurde. Die forcierte Kürze des tache macht das deutlich. Er ist Indiz einer Entscheidung, nicht einer inspirierten Bewegung. Jede dieser Setzungen ist ein Moment der déclaration. Sie löst den tache als Lichtpunkt aus dem Potential der Tubenfarbe. Es ist der minimale Spalt der Entscheidungsfolge – jetzt dies, jetzt dies –, durch den die pointillistische Leinwand „belichtet“, zum Bild aktualisiert wird, wie die Camera Obscura simultan durch die Öffnung der Blende. Diese Belichtung ist der in sich gebrochene Akt, die Passage zwischen dem Material der Malerei und der Erscheinung des Bilds: exposition. Sie macht die Leinwand zum Schirm. Zum Schirm einer Projektion, in der jene zwei ontologisch inkompossiblen Seiten – der scheinbare Raum hinter der Bildebene und der Zeit-Raum, der vor ihr liegt – in eine radikale Kontiguität getrieben, fast gepresst werden. Die Spektralisierung der Erscheinungsfarbe ist nur die eine Seite der (post-)impressionistischen Revolution. Seurat lässt ihr eine Fraktalisierung der Zeit der Produktion antworten. Der organische Prozess der Malerei – wie die romantische Theorie der inspirierten Spur ihn denkt – wird zur 306 „Seurat und Mondrian waren keine Retina-Maler, obwohl sie den Anschein hatten“ (IS 48).

Oft betont Duchamp die Bevorzugung Seurats gegenüber Cézanne, von dem (d. h. von einer bestimmten symbolistischen Cézanne-Aneignung) sein malerisches Frühwerk ausgegangen war (vgl. z. B. IS 9, 14, 180, 197).

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Abfolge diskreter Entscheidungsmomente gebrochen, die die Bildebene mit einem Mosaik von Farbkörnern belegen. Das Gemälde ist das Sediment dieses Arbeitsprozesses. Wenn Seurat seine Preise nach der Arbeitszeit kalkuliert, ist dies nur konsequent.307 Die Zeit des Sehens, in der der Anschauer, nicht den materiellen Schirm, aber das Bild macht, wie Duchamp sagt, ist hier nicht als Wiederholung eines Moments ursprünglicher Sinnbildung bestimmt. Es ist die (Re-)Produktion des Scheins in der und gegen die gebrochene Materialität der Bildoberfläche. Es ist die Arbeit, eine demiurgische Arbeit der Betrachtung gewissermaßen, die in dem materiellen Schirm, der nicht wie ein Spiegel auf Anhieb antwortet, das Nichts des Scheins und in seiner Tiefe das erscheinende Bild wieder aushebt – in einem Prozess, den das neunzehnte Jahrhundert in rein quantitativen Begriffen zu beschreiben versucht hat.308 In diesem Prozess greifen die entropische Zeit, in die die weltabgewandte, unbewusste Seite des Körpers eingetaucht ist und die den physiologischen Prozess jenes Sehens antreibt, das auf der Rückseite der Retina beginnt, und die Spontaneität der Einbildungskraft oder der Intentionalität, die draußen bei den belichteten Bildern der Dinge ist, ineinander. So wäre im Bildschirm Seurats die Grenze zwischen der Zeit des Lebens und der Zeit des Sterbens artikuliert. Das Licht des Ready-made macht in aller Malerei diese fraktale Struktur sichtbar. Es „sagt“, dass die mundane Faktizität unentrinnbar ist, dass die Leinwand, der Keilrahmen, die aufgetragene Farbe ready-made sind, und das Bild eine Assemblage. Eine dicht gemischte, wie die Reinhardts, eine gekörnte wie die Seurats oder eine sich von selbst entmischende wie ein Combine Painting von Rauschenberg. Das Bild oder der Bildschein, die Verwindung der heterogenen Materialien zu diesem Nichts, das sich auf eine andere Gegenwart öffnet, dieser Zauber, aus dem der Maler in vorfotografischer Zeit Gewinn schlug, ist es allein, der den ontologischen Gegenpol zu dieser Entmischung darstellen kann. Aber am Rand des Bildes und in den Scharten der Repräsentation bleibt die Entmischung virulent. Das Ready-made „sagt“, dass die Materie des Werks immer schon ontologisch homogen ist mit der Materie der Welt, in der und aus der es ist. Vom Ready-made geht die Insistenz dieser Zeit der Materie in ihrer Trägheit und Unzerstörbarkeit als das Spektrallicht aus, das den Schein des Bilds, die Synchronie einer Sichtbarkeit auffasert oder zerbricht. Bilder sind wie alle Produkte des Menschen nachgeholfene Ready-mades. Sie leben von der „primären Materie“ ihres „non-d’eux“. Wenn aber diese Algebra gilt, nach der „jedes Gemälde auf der ganzen Welt ein nachgeholfenes Ready-made ist“ – dann ist auch das Readymade ein Bild, ein Bild, das aus nur einem einzigen tache besteht, ein Bild, das die Datierung direkt an der Öffnung der Tube der Fabrik abschneidet vom Massiv eines materiellen Potentials. Es ist kein Ding, wie wir gesehen haben. Und es ist auch kein Bild, sofern mit diesem Begriff noch die Beziehung auf ein Eidos, eine wahre 307 Vgl. etwa Seurats Brief an Emile Verhaeren, Febr./März 1887, zit. in: Peter Paquet, Helldunkel,

Raum und Form. Georges Seurat als Zeichner, Frankfurt a. M. (u. a.) 2000, 317 f.

308 Zu diesem Traum exemplarisch: J. Crary, Techniken des Betrachters. Sehen und Moderne im 19.

Jahrhundert, Basel/Dresden 1996.

188 oder proportionale Entsprechung zu einem Urbild gemeint ist309 – denn wie sollte ein Urbild im positiven Dunkel der un-gesehenen Materie sich halten können? Das Ready-made ist Trugbild der Braut, „ein Beispiel ohne repräsentativen Wert“ (ST 57). Es ist eine Explikation der Virtualität, allegorischer Schein, in dem die noumenale Differenz sich exponiert und tilgt.

309 G. Deleuze, „Platon und das Trugbild“, in: ders. , Logik des Sinns, Frankfurt a. M. 1993, 311–324,

314.

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C Around 1960. Bilder und Objekte „Nach dem Abstrakten Expressionismus“. How white it is! no painting ornaments it; it is all of a piece. (Reverie on a plate). Eric Satie im Gespräch mit John Cage310

Wir hatten die „Geschichte der Werkpräsenz“ bis an die Grenze verfolgt, an der der Spielraum der Repräsentation, die ikonische Differenz, zur grammatischen Oszillation von Zeigendem und Gezeigtem, noumenalem Material und phänomenaler Form geworden war (s. o. , S. 76 ff.). An dieser Schwelle geht das Sich-Zeigen des Bildes in das So-Sein des Objekts über. Und in diesem Moment – nachdem der Spielraum der ikonischen Differenz aufgebraucht ist, im Moment der historischen Realisierung der Teleologie der Abstraktion – begegnet dem Monochrom im Spiegel der Tautologie das Ready-made als sein heimlicher Zwilling. Inwiefern aber so spät? Was bestimmt diese historische Konjunktur? Das erste Ready-made, das Fahrradrad, hat Duchamp 1913 „erfunden“, im Jahr von Der Sieg über die Sonne und den ersten suprematistischen Kompositionen. Das Schwarze Quadrat – allerdings durchaus kein monochromes Bild – und das Ready-made sind für viele Theoretiker die seitdem maßgeblichen Achsen der radikalen Avantgarde(n) des 20. Jahrhunderts. Aber es bleiben, auch wenn Duchamp seinen „pikturalen Nominalismus“ von Anfang an als Konkurrenzprojekt zur reinen Malerei konzipiert hat (wie besonders de Duve betont), bis in die fünfziger Jahre getrennte Paradigmen, die keine verwechselbaren Werke hervorbringen. Ihre Kreuzung und Verflechtung ist dagegen das Signum der Epoche „Nach dem Abstrakten Expressionismus“ – wie der Essay Clement Greenbergs von 1962 betitelt ist, der 310 John Cage, „Eric Satie“ [1958], in: ders. , Silence, Cambridge/London 1971 (1961), 76–82, 78. Der

Text ist von Cage als fiktives Gespräch aus überlieferten Äußerungen Saties komponiert.

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Around 1960. Bilder und Objekte „Nach dem Abstrakten Expressionismus

im Fluchtpunkt der modernistischen Selbstreflexion des Mediums der Malerei die unbemalte Leinwand als „legitimes Bild“ auftauchen lässt.311 Nach dem Abstrakten Expressionismus – das ist keine strikt chronologische Bestimmung. Rauschenbergs Frühwerk entsteht Anfang der fünfziger Jahre, als der Abstrakte Expressionismus seine ersten öffentlichen Erfolge (oder, wie in Newmans Fall, Misserfolge) feiert, das von Johns kaum später. Beide aber gehören nicht nur einer jüngeren Generation an, ihre Arbeiten zeigen einen Wechsel der künstlerischen Sensibilität und des Modells von produktiver Subjektivität an. Ihr Werk entsteht unter dem Einfluss des absorptiven Diktums der „impossibilité du fer“. Das Subjekt nimmt die Funktion jener Schnittstelle der Wahlentscheidungen ein, die das große Readymade der Welt re-informieren. Es ist nicht mehr Quelle oder ursprünglicher Träger eines transzendenten Sinns, der eine passive Materie „befruchten“ würde, wie in der „machistischen“ Topologie der vorangegangenen Generation.312 Die Sensibilität von Neo-Dada und Pop ist junggesellenhaft oder homosexuell und kommt ohne die Mythen der Zeugung aus. Bei Rauschenberg oder Johns und in Europa bei Yves Klein grenzt die Praxis der Malerei unmittelbar an die déclaration. Ob es International Klein Blue (IKB) ist oder das Bleiweiß, mit dem Rauschenberg seine White Paintings streicht, die Materialien werden fast ohne Nachhilfe zum „Bild“. Das Ready-made hat die Bildform unterwandert, sie wird nur mehr als morphologische Konvention dieser flachen Objekte begriffen, deren referentielle Kapazität abgeschliffen ist. Andererseits ist der Unterschied zwischen einem Combine Painting Rauschenbergs, das alle möglichen „Alltagsdinge“ als „Pigmente“ verwendet und der Installation oder Assemblage eines Nouveau Réaliste, einer Akkumulation von Arman beispielsweise, die das Format der Leinwand, eine rechteckige Trägerfläche vollends aufgegeben hat, offenbar nurmehr ein gradueller. Es ist diese Situation, in der sich die bis dahin getrennt verlaufenden Hauptwege der modernen Repräsentationskritik in der polymorphen Produktion der Nachkriegsavantgarde überschneiden, die Judds frühe Kritiken beleuchten und der sein Frühwerk angehört. Und es ist diese Kreuzung, die von Anfang an als der tragende Kontext und die Matrix der Entstehung der Minimal Art verstanden wurde.313 311 Allerdings als schlechtes Bild, wie Greenbergs weitere Reflexion ausführen will. Wir kommen

auf diesen traumatischen Moment in Greenbergs Modernismuskonzeption im nächsten Kapitel zurück. Siehe Clement Greenberg, „After Abstract Expressionism“, in: ders. , The Collected Essays and Criticism, Vol. 4, ed. by John O’Brian, Chicago 1986, 121–134 (diese Ausgabe ab hier zitiert als CG plus Bandangabe); dt. in: Greenberg, Die Essenz der Malerei, hrsg. v. K. Lüdeking, Dresden/Basel 1997, 314–35). 312 Ein Paradigma, das in Newmans Arbeiten und Texten vor Onement I noch massiv – und mit allen von der Ideologiekritik inzwischen aufgedeckten „Implikationen“ (der männliche Geist befruchtet die weibliche Materie usw.) ausgeprägt ist (s. z. B. „The Plasmic Image“, SWI 138 ff. – und kritisch dazu M. Leja, „Barnett Newman’s Solo Tango“, Critical Inquiry, vol. 21 (Spring 1996), 556–580). Nach Onement I hat der „Geist“ bei Newman allerdings die Substanzialität verloren, die seinen Auf tritt als Spermozyte erlaubte. Die „politische Korrektur“ Lejas scheint insofern nicht sehr relevant. 313 So in Richard Wollheims Essay „Minimal Art“, der wesentlich zur Einführung des Terminus beigetragen hat (1965, in: Battcock 1995, 387–399), allerdings nicht das behandelt, was wir heute

191 Wenn die Minimal Art also einen epistemologischen Einschnitt in der Geschichte der Moderne und das Ende einer bestimmten Modernismuskonzeption darstellt, dann nicht, weil sie in der Arbeit der Synthese oder Verflechtung der beiden Paradigmen allein stünde. Höchstens leistet sie dabei eine besonders harte Arbeit und bringt ein besonders prekäres Produkt hervor. Eine Synthese aber kommt auch hier nicht zustande. Wir werden in Judds Werk ein einziges Beispiel eines kompletten Ineinanderaufgehens der Homogenisierungstendenz der abstrakten Malerei und der Schnitt-Technik des Ready-made finden, eine restlose Überlappung der Paradigmen – die dennoch keine Synthese ist, eher eine Zirkulation oder ein Taumel. Der Ort dieser Überlappung bleibt von einer absoluten Unruhe bestimmt. Aber nicht nur bei Judd, der nach diesem Moment der Höchstspannung – die er mit den schon erwähnten Plexiglasboxen erreicht – zu einer Ästhetik der autonomen Form zurückfindet, auch im Werk von Morris, von Rauschenberg und Johns führt die Engführung von Abstraktion und Ready-made eher zu einer unablässigen, unterschiedlich gestimmten Oszillation, als zu einer Synthese. In der lispelnden Frage „Is it a flag, or

Minimal Art nennen, und in Barbara Roses frühen Texten („ABC Art“, ebenfalls von 1965, in: Battcock 1995, 274–297; dies. , „New York Letter“, Art International, vol. VIII, no. 1. , Febr. 1964, 40 f.; dies. , „Looking at American Sculpture,“ Artforum, vol. III, no. 5, Febr. 1965, 29–36). Die theoretisch entschiedenste Interpretation des Minimalismus als Kreuzung dieser beiden Achsen der progressiven Avantgarde – der Ready-made-Strategie und der Monochromie (des Schwarzen Quadrats) – findet sich in den Schriften Benjamin Buchlohs, der an die Stelle Malewitschs vor allem auch den russischen Konstruktivismus (und Produktivismus) setzt. Es ist wichtig, im Auge zu behalten, dass dies Modelle der Interpretation und nicht Beschreibungen einer Faktenlage sind. Gerade Buchloh unterscheidet manchmal nicht klar zwischen dem Dispositiv seiner Begriffsbildung und der zu interpretierenden historischen Realität. Um z. B. den Konstruktivismus als Quelle des Minimalismus zu retten, beruft er sich mehrfach auf Camilla Grays „bahnbrechendes“ Buch The Great Experiment: Russian Art 1863–1922, das erst 1962 erschien – als Judds und Morris’ erste vollentwickelte minimalistische Arbeiten bereits existierten. Morris und Judd betonen beide, dass sie die russische Avantgarde zu spät voll wahrgenommen hatten, um von ihr beeinflusst zu werden (Morris nicht zuletzt im Interview mit Buchloh selbst – „Not constructivism but construction“; Buchloh, „Three Conversations…“, October 70, 49). Carl Andre bestätigt dagegen die Module Rodtschenkos als Anstoß, und Flavin widmet Tatlin eine seiner ersten NeonArbeiten (s. J. Meyer, Minimalism, 112, und Anm. 144 und 145, 290). Duchamp auf der anderen Seite hat Judd wenig interessiert, Andre hat ihn explizit abgelehnt, nur Morris hat sich intensiv mit ihm befasst. Zu Buchlohs kanonischem Modell s. bes. „Michael Asher and the Conclusion of Modernist Sculpture“ [1980], in: ders.: Neo-Avantgarde and Culture Industry, 1–39; zur Geschichte (der Unterdrückung) des russischen Konstruktivismus und Produktivismus in den USA ders. , „Cold War Constructivism“ [1986], in: Guilbaut (Ed.), Reconstructing Modernism, Cambridge/ London 1990, 85–112 (ein Text, der gerade verdeutlicht, warum die Minimalisten ihre europäischen „Vorbilder“ so wenig kannten); zur Duchamp-Rezeption nach dem zweiten Weltkrieg ders. , „Conceptual Art 1962–1969: From the Aesthetics of Administration to the Critique of Institutions“, October 55, 105–143. – Buchloh bezeichnet sich regelmäßig als Historiker, die Stärke seiner Arbeiten aber liegt zweifellos im gewaltsam-konstruktiven Charakter seiner Historiografie. – Eine stark von Buchloh geprägte Darstellung des Minimalismus als Kreuzungspunkt des modernistischen Autonomiebestrebens mit der postmodernen Reflexion auf den „Kontext“ ist Hal Fosters allzu kanonisch gewordener Essay „The Crux of Minimalism“ (in: ders. , The Return of the Real, Cambridge/London 1996, dt. in Stemmrich 1995).

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Around 1960. Bilder und Objekte „Nach dem Abstrakten Expressionismus

is it a painting?“ 314, die am Anfang des Werks von Jasper Johns steht, kommt diese Oszillation nur zum deutlichsten, weil vielleicht „langsamsten“ Ausdruck.

„It is like an empty glass …“. Johns, Rauschenberg, Cage. – „It all began,“ sagt Johns 1959 in einem Interview, „with my painting of an American flag. Using this design took care of a great deal for me because I didn’t have do design it. So I went on to similar things like the targets — things the mind already knows. That gave me room to work on other levels. For instance, I’ve always thought of a painting as surface; painting it in one color made this very clear. Then I decided that looking at a painting should not require a special kind of focus like going to church. A picture ought to be looked at the same way you look at a radiator.“ 315 Johns hat die Flagge nicht eigentlich gemalt. Die Streifen und Sterne sind aus Zeitungspapier geschnitten, das von der in Wachs gebundenen Farbe mit dem Leinwandträger verklebt, collagiert wird. Die Technik der Enkaustik (Wachsmalerei) lässt das langsame Staccato der cézannesken taches zu einer taktilen Schicht anschwellen, die mit dem mundanen Assemblage-Grund aus Zeitungspapier verflochten ist. In den monochromen Flaggen bildet diese doppelte Faktur der Materialschichten des Trägers und des in der Wachsfarbe deutlich stehenbleibenden Pinselduktus, der dem Muster inexakt folgt,316 die Flagge körperlich nach. Es kann daher eine Flagge in Weiß geben – so wie ein Heizkörper ein Heizkörper bleibt, egal ob er grau oder rot gestrichen ist. Diese blättrige, diskrete, geschichtete Textur bleibt auf die Zeit der Herstellung explizit geöffnet, angefangen von dem Terminus post-quem, den die Zeitungen, die einmal newspapers waren, fixieren. Die materiellen Elemente sind in dem flachen Körper, der speckigen Doppelschicht des Gemäldes in einem prekären Zueinander gehalten (fig. 53). Eher als Malerei ist dies eine demiurgische Bastelei, und ihr Produkt ist das fragile Surrogat eher als ein Bild der Flagge. Die Flagge oder die Zielscheiben – „things the mind already knows“ – durchsetzen dieses Produkt und versetzen es in einen Modus seitlicher Referenz, die nicht die souveräne, auf Distanz angelegte Darstellungsfunktion des Bildes ist, sondern die Intimität der materiellen Kopie ins Spiel bringt. Diese Kopie einer Flagge ist durch mehr als nur die farblose Farbe eines Titels vom seriellen Original geschieden (wie das Ready-made von „seinen Kumpeln“). 314 Diese Frage, die Alan Salomon formuliert (in: Jasper Johns. Paintings, Drawings and Sculptures,

Ausst.-Kat. Whitechapel Gallery, London 1964, 9) ist auch der Titel eines der klassischen Texte von M. Imdahl („Is It a Flag, or Is It a Painting? Über mögliche Konsequenzen der konkreten Kunst“, in: Zur Kunst der Moderne. Ges. Schriften I, 131–180). 315 „His Heart Belongs to Dada“, Time 73 (May 4, 1959), in: Jasper Johns, Writings, Sketchbook Notes, Interviews, ed. by Kirk Varnedoe, New York 1996, 82. 316 Imdahl sieht in dem genannten Text (s. o. , Anm. 207) in der Malarbeit Johns noch eine „gegen die Fahne ganz indifferente … Mikrostruktur“ („Is It a Flag…“, 151), eine Art Tobey’schen Tachismus, was nicht der Fall und auch nicht möglich ist. Wie sollte eine formindifferente Malerei die Farbe so sauber in die Streifen und die Sterne einpassen? Ein schönes Beispiel dafür, wie der Blick von einer historisch-theoretischen Problemstellung, vom „Teig“ (IS 235) seiner Gegenwart (un-)scharf gestellt ist.

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Bildliche Darstellung und Ready-made-Wiederholung verflechten sich – wie in den Glühbirnen und Bierdosen, die Johns um 1960 in Bronze gießt und mit den originalen Firmenzeichen Ballantine Ale bemalt (fig. 55). Ist es also eine Flagge oder ein Bild? Gegeben ist dieses mehrschichtige, materiell heterogene Gewebe der geschwollenen Fläche, das sein Referenzfeld von Rand zu Rand abdeckt – und dennoch nicht mit ihm verschmilzt. Denn die Logik der Kopie ist nur die eine Stimme in diesem Spiel. In einigen Flaggenbildern bleibt z. B. ein monochromer Streifen oder ein Restfeld neben oder hinter der Flagge stehen und etabliert eine Art Figur/Grund-Relation, die die Bildfunktion nachhaltig stabilisiert (fig. 59). Das gebastelte, dingliche Surrogat der Flagge bleibt von der nicht-materiellen und synchronen Kohäsion des Bildes überspannt. Gerade dies machen die monochromen Flaggen und Zielscheiben deutlich (fig. 54, 56, 57, 58). Die Löschung der Farbigkeit (der Eigenbuntheit) des Referenten ist Indiz der Bildfunktion. Das Gemälde ist nicht nur eine Wiederholung, die mit dem referentiellen Original distanzlos verflochten wäre, es ist zugleich Feld und Fenster des Ausblicks auf dieses Ding, ein Fenster, das die Lokalfarbe der Flagge ausfiltern kann. So ist die speckige Flachheit des Assemblage-Surrogats (Leinwand, Zeitungscollage, geronnenes Wachs) mit der in sich gespaltenen, doppelten Flachheit von Bildebene und Referent verflochten. Die ikonische Distanz, die das Bild als Zeigendes von seinem Gezeigten trennt, ist minimiert, die Bildfunktion ist gefährdet, da die materielle Schicht der Assemblage die beiden ideellen Pole des Bildes, die Bildebene und den noematischen Referenten, in sich abzubinden droht. Aber sie kollabiert nicht – und das ist neben der (Möglichkeit der) Monochromie, der Ausfilterung der Lokalfarbe dieses Objekts, dessen Kopie den Bildraum gleichsam okkupiert, vor allem dadurch gesichert, dass nur eine Seite der Flagge erscheint und erscheinen kann. Bei aller Konvergenz mit der Logik des Ready-made als des dreidimensionalen Trugbilds hält Johns’ Malerei die grundlegende epistemologische Spannung des Bildes aufrecht, nur eine Seite seines Referenten in die Sichtbarkeit zu stellen, weil es selbst nur eine sichtbare Seite besitzt.317 Johns lässt die Paradigmen von Ready-made und Abstraktion, der heterogenen Assemblage und des monochromen Bildes ineinandergreifen wie zwei Sprachspiele, deren Oszillation er an einem Punkt der Unentscheidbarkeit zum Stocken bringt. Es ist nach einem Wort von Octavio Paz „ein Scheibenschießen – auf eine metaphysische Zielscheibe.“ 318 Aber wenn dieses Ziel getroffen wird und dadurch erst da ist, lässt 317 Leo Steinberg, der wichtigste Interpret von Johns, hat für die Malerei nach dem Abstrakten Ex-

pressionismus den Ausdruck Flat-bed-Painting (nach dem horizontalen Farb-Bett oder Becken in der Drucktechnik) vorgeschlagen. Er sieht Rauschenberg als deren Erfinder. Steinbergs Analyse verdeutlicht die Radikalität des Bruchs mit dem Gemälde, das als gegenüber einem stehenden Betrachter vertikal aufgerichtetes Sichtfeld noch bei Pollock „nature painting“ bleibt. Die Bilder Rauschenbergs dagegen können, wie Steinberg sagt, aufgehängt werden, wie man „ein Hufeisen als Glücksbringer“ an die Wand nagelt, aber die Vertikalität ist ihnen nicht als epistemologische Struktur eingeschrieben. „They no more depend on a head-to-toe correspondence with human posture than a newspaper does.“ (L. Steinberg, „Other Criteria“, in: ders. , Other Criteria, bes. 82–91, 84.) Der Vergleich macht die eklatante Umstellung des Weltverhältnisses dieser DingBilder gegenüber dem Sicht-Bild der Tradition deutlich. 318 Octavio Paz, Nackte Erscheinung, Frankfurt a. M. 1991, 86.

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sich dieses stumpfe, ambivalente Produkt, das kein Bild im klassischen Sinn mehr ist, als „Objekt“ beschreiben? Johns will, dass man seine Malerei wie einen Heizkörper anschaut – im Gegensatz zu der „religiösen“ Ergriffenheit, die die abstrakt-sublime Malerei des Abstrakten Expressionismus angeblich verlangt. Wie sieht man ein Bild an? Wie sieht man einen Heizkörper an? Dass ein guter Maler aus einem Heizkörper ein betäubendes Op-ArtSpektakel machen kann, weiß man spätestens seit Gerhard Richters Röhren- und Vorhangbildern. Aber Johns meint natürlich nicht die physiologische Blindheit, die das Auge befällt, wenn man einen Heizkörper wie ein Bild anschaut. Er spielt auf die Duchamp’sche Indifferenz an, eine Art ruhiger Apathie des Blicks, in der die Feststellung der Existenz des Gegenstands von keinem ästhetischen Interesse an seiner Form überlagert wird. Eine Indifferenz, in die, wenn wir Johns’ Beispiel beim Wort nehmen, jenes passive Zutrauen gemischt wäre, das man den „unaufdringlich verlässlichen“ Alltagsdingen, Heideggers Zeug entgegenbringt. Und wenn das Objekt, das so angeblickt wird, ein Bild-Objekt ist, ein real (taktil) vorhandenes, aber aufdringlich unverlässliches oder eignungsloses Objekt wie eine Flagge aus Wachs und Zeitungspapier – was und wie ist es dann? Ein Objekt wie der Heizkörper selbst? Ein energetisches Objekt, dessen Resourcen – die politisch-ökonomisch zu nennen, nicht forciert wäre – weitläufig sind und zwar nicht im Anblick mitpräsent, aber doch, sofern das „Flaggending“ nicht wie ein impressionistisches Bild von einem weltlosen Auge angeblickt wird, mitgemeint und mitverstanden? Wir kommen also auf die schon formulierte Frage zurück (s. o. „Der Werkbegriff und das Objekt der Kunstgeschichte“, S. 97), ob das Werk überhaupt als Objekt, als Vorhandenes bestimmbar ist. Der Ausblick auf die Zeitgestalt des Ready-made hat dieser Frage nun einen präziseren Umriss gegeben. Das Ready-made, sofern es in seiner Werkfunktion aufgefasst wird, ist nicht da, es liegt nicht vor als das vorhandene Objekt, das sein existierender Träger ist. Als Werk hat es nicht den Kontur der Form dieses Objekts im Raum, sondern den Kontur des Werdens, der in die zeitliche Tiefe zurückreicht bis an den Punkt der déclaration, in dem diese Form sich von ihrer Gussform löst. Seine Perspektive ist vierdimensional, sein Fluchtpunkt ist die Datierung. Wie im Bild, das von der Seite gesehen wird, der Raum, das heißt der Schein als die Dimension der Artikulation seines Sinns erlischt – so zeigt das Ready-made, das von vorn, als präsente Form erblickt wird, „die Zeit nicht an“, die distentio der Altersperspektive, die das Volumen seines Sinns konstituiert. Diese temporale Spreizung des Seins des Werks ist in Johns Malerei durch die Zeitungscollage und die geschärfte Indexikalität der Maltechnik explizit formalisiert. Offensichtlicher als bei Seurat oder im Impressionismus kann das Bild-Objekt, der hergestellte Schirm, nicht von dem Zeitraum der Handlungen, deren Protokoll er ist, abgelöst werden. Aber zugleich ist diese protokollarische Schicht mit der Präsenzebene des Bilds verschränkt. Man muss die Flagge von vorne ansehen – und zugleich auf die Zeit ihrer Produktion, auf ihren seitlichen Weltbezug oder ihre Historizität reflektieren. Man muss die datiert-datierende Schicht der Assemblage eingetaucht in die Transparenz einer akuten Sichtbarkeit, verschränkt mit der Synchronie des Bildes wahrnehmen.

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Johns’ Werk sind die Parameter seines Weltbezugs so deutlich eingeschrieben, dass es nichts anderes ist als die Kreuzung dieser Achsen, in deren Flucht es sich integriert und desintegriert. Es bleibt kein neutrales Substrat diesseits der Elemente dieser Artikulation. Das Werk ist selbst der Ort und die Bewegung dieser zeitlichen und räumlichen Aufspreizung und Disidentifikation. Kann man einen solchen gerade durch seine explizite, artikulierte Materialität (welt)-offenen Komplex auch nur in einem residualen Punkt der Konvergenz als Objekt, als Vorhandenes bestimmen? Judd würde auf die Leinwand und den Keilrahmen hinweisen als den toten Körper des Bildes – legitimiert bloß von der morphologischen Konvention der Malerei –, auf dem die Collage aufgezogen ist. Diesen toten Körper setzt offenbar auch Johns nicht völlig in Bewegung. Er verbleibt als eine Art träger und stetig vorhandener Grund unterhalb des Werkgeschehens. Ob aber selbst dieser Grund als Schicht von Vorhandenheit im Werk bestimmt werden kann, ist nicht offensichtlich. Aus der Perspektive des Bildes ist der Träger selbst kein präsentierbares Ding, kein möglicher Gegenstand, sondern die Rückseite der Sichtbarkeit selbst oder des Scheins, den es als Bild generiert. Und diese konstitutive Verborgenheit des Trägers, die eines der rätselhaftesten Strukturmomente des Bildes überhaupt ist, zeigt an, dass der Bildträger nichts Vorhandenes im Sinn einer realistischen Ontologie ist und sein kann, sondern das Reale des Bildes, das in dessen Sichtbarkeit ebenso wie der bloßen Positivität des Objekts schon verdrängt, gebändigt, perspektivisch mensuriert worden ist. Kann man ein Flaggen-Bild von Johns also als Objekt bezeichnen? Der Ausdruck stößt ins Leere. Die Ontologie des Objekts, die einen homogenen Sinn von Vorhandenheit als Horizont voraussetzt, bricht ein in dem Geflecht von Absenzen, die es durchqueren. Die Spiegelebene des Bildes, die ihrem epistemologischen Grundsinn gemäß zunächst dem Subjekt der Rezeption dessen Gegenwart zurückspiegeln muss, ehe sie als Darstellung ein Repräsentat vergegenwärtigen kann, ist vom Material der Collage durchsetzt. Aber dieses Material stellt nicht den Boden einer massiven Dinglichkeit her. Es treibt auf dem Spiegel der Bildfläche wie Blätter auf einem Teich. Johns BildObjekte sind nicht mit sich gleichzeitig. Die Präsenzebene des Bildes und das heißt der Anschauung ist von dem Entzug der indexikalischen Datierung aufgerissen. Konturen sind hier nicht allein Formbegrenzungen im Raum der visuellen Gegenwart, es sind Zeitspalte im Raum der Produktion. Und so ist das Sein dieses Objekts porös auf die Zeit des Demiurgen, auf die Sequenz der Datierungen, die seine Elemente an der Oberfläche einer Gegenwart spielen lassen. Und dieses Spiel bleibt auf die Zeit der Rezeption geöffnet, – nicht in der elementaren und formal-reinen Weise wie beim Ready-made, aber doch analog zur Konzeption Duchamps, von dem Johns sagte, „it may be a great work of his to have brought doubt into the air that surrounds art.“ 319 Es ist bezeichnend, dass es ein Musiker war, der diese generative, zeitliche Öffnung des Bildes nach der Abstraktion am klarsten begriffen hat. John Cage hat sie in einem schönen Text über Johns sichtbar gemacht („He is engaged with the endlessly changing ancient task: the imitation of nature in her manner of operation. The structures he uses 319 „Thoughts on Duchamp“ [1969], in: J. Johns, Writings, Sketchbook Notes, Interviews, 23.

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give the dates and places […]. They are the signature of anonymity“ 320). Ich möchte hier aber springen zu den Kommentaren von Cage zu Rauschenbergs paradigmatischen White Paintings – einer Reihe glatt monochromer Paneele in modular aufeinander bezogenen Formaten, die zu verschiedenen Gruppen zusammengestellt sind.321 Das Verhältnis von Bild und Kontingenz lässt sich hier in Reinform analysieren. Die Paneele der White Paintings sind direkt aneinandergerückt, die Konturen ihrer Formate sind wie Saiten über das Weiß je einer Fläche gespannt (fig. 60). Am Black Mountain College, wo sie 1951 entstanden, waren einige von ihnen als Elemente in einem multimedialen Theater Piece von Cage als Sichtschirme oder Reflektoren integriert.322 Es sind mundane Oberflächen, handhabbar und beweglich. Wie die ästhetische Indifferenz des Ready-made macht das unberührte Weiß der Tafeln die Kontingenz als Medium ihrer je aktuellen Erscheinung (mit-)sichtbar. „The white paintings“, schreibt Cage in seinem Text von 1961 – und hier steht die Staubzucht Duchamps (fig. 38) im Hintergrund –, „were airports for the lights, shadows, and particles.“ 323 Im Bereich des infra mince ist die Erscheinung ins Werden getaucht. „The white paintings caught whatever fell on them; why did I not look at them with my magnifying glass?“ 324 Indem sie durch ihre eigene Neutralität oder Leere die Un-Reinheit der Sichtbarkeit selbst, die sie (so oder so) erscheinen lässt, miterschließen oder indizieren, wird ihre Erscheinung als Geschehen erfasst. „Everything is so much the same, one becomes acutely aware of the differences, and quickly. And where, as here, the intention is unchanging, it is clear that the differences are unintentional“ 325. Es gibt keinen Horizont intentionaler Aktualität, der die Zufälle in eine prästabilierte Ordnung fügt. Nicht die erscheinenden Differenzen als gegebene Qualität sind daher entscheidend (deshalb verwendet Cage 320 John Cage, „Jasper Johns: Stories and Ideas“, in: Jasper Johns. Paintings, Drawings and Sculptures,

26–35, 28. Mit Struktur meint Cage hier die der Flagge oder Zielscheibe.

321 Es sind sechs White Paintings, ein einzelnes Paneel und fünf Gruppen. Hier die modularen

Maße der Einzeltafeln und ihrer Zusammenstellungen: 1 Tafel: 48 ×48 ; 2 Tafeln: je 72 ×48 , ges. 72 ×96 ; 3 Tafeln: je 72 ×36 , ges. 72 ×108 ; 4 Tafeln: je 36 ×36 , ges. 72 ×72 ; 5 Tafeln je 72 hoch und unterschiedl. breit, ges. 72 ×126 ; 7 Tafeln je 72 ×18 , ges. 72 ×126 . 322 Vgl. Richard Kostelanetz, John Cage im Gespräch, Köln 1989, 93 f. Die beste Dokumentation von Rauschenbergs Frühwerk und der Situation am Black Mountain College und der Zusammenarbeit mit Cage ist: Walter Hopps, Robert Rauschenberg. The Early 1950’s, Houston 1991 (dort 65 f.). 323 John Cage, „On Robert Rauschenberg, Artist, and His Work“, in: ders. , Silence, 98–108, 102. Es sind keine Bilder, es sind Flughäfen, es sind Bühnen, wird Michael Fried sagen, es ist Theater, es ist keine Malerei, wie Cages Musik Theater ist und nicht Musik („Art and Objecthood“, in: ders. , Art and Objecthood, 164). – B. W. Joseph bringt diesen Satz Cages über den Bezug zu Duchamp hinaus mit den Schattenprojektionen Laszlos Moholy-Nagys in Verbindung (dessen The New Vision für Cage ein wichtiges Buch war). Eine interessante Überlagerung, denn Moholy-Nagy sieht die Projektion als logischen Schritt, der auf Malewitschs Weiß-auf-Weiß folgen muss. Auch hier also wird eine Grenzlinie, die die abstrakte Malerei als Bild erreicht, von der anderen Seite her als mundane Oberfläche okkupiert. Es fällt allerdings der für Cage selbst wie in seinem Blick auf Rauschenberg entscheidende Moment der Kontingenz beiseite. Die Schatten und der Staub von denen er hier spricht, werden nicht eigens produziert, durch Apparate geschickt wie Moholy-Nagys Projektionen. Sie werden nichteinmal „gezüchtet“ (s. B. W. Joseph, Random Order… , Cambridge/London 2003, 36 ff.). 324 John Cage, „On Robert Rauschenberg…“, in: ders. , Silence, 108. 325 Ebd. , 102.

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sein Vergrößerungsglas nicht), sondern die vertikale und nicht zu vergegenständlichende Dimension der Sichtbarkeit, deren Rezeptoren die White Paintings werden, indem sie ihre impurity akzeptieren. Cage hat hier das Modell eines „offenen“ Werks gesehen, wie er selbst es paradigmatisch in Silent Piece 4 33 (1952) verwirklicht hat, das, wie er betont, nach den White Paintings entstand.326 Wie bei Morris’ Blank Form sculpture ist das Werk zu einer Rahmen- und Empfänger-Struktur geworden. Wie die Paneele der White Paintings für den Staub und die Schatten ist Cages 4 33 , gerahmt und zweimal geteilt durch das Auf- und Zuklappen der Tastenabdeckung durch den Pianisten, ein artikuliertes Gefäß, das sich während der Aufführung mit den Umweltgeräuschen füllt und so entsteht, während das Klavier, die Tastatur, die Schreibmaschine schweigt.327 In Cages Poetik erhält die Zeit ihre taktlose vertikale Tiefe zurück, die Dimension der indeterminierten Abweichung, in der das Kleid der Braut in Bewegung ist, die Dimension, aus der der Zufall „kommt“. Sie ist nicht oder nicht mehr nur der gestraffte Parameter, dessen Einteilung die Abfolge der formalisierten Ereignisse der Musik (der Töne, der Anschläge) zählt. Die zählbare Leere der periodisierten Zeit ist der Parameter nur der Struktur des Werks, die dem Zufall einen Grund oder ein Terrain des Erscheinens bietet (den Flughafen, das Gefäß, das Raster des Roulettetischs). Cage unterscheidet Struktur und Methode. Eine Methode wie die Zwölftontechnik determiniert die Konfiguration des purifizierten Klangmaterials. Analogien im Bildbereich wären z. B. Sequenzierungen und Permutationen von Farbwerten wie in Albers Quadraten und allen anderen modernen Versuchen einer Systematisierung der Füllen. „The twelvetone row is a method; a method is control of each single note. There is too much there there. There is not enough of nothing in it.“ 328 Die Struktur ist leer, das Gefäß möglicher Geräusche, Ereignisse. „It is like a glass of milk. We need the glass and we need the milk. Or again it is like an empty glass into which at any moment anything may be poured“ 329, schreibt Cage in Lecture on Nothing – und über die White Paintings analog: „The structure was not the point. But it was practical: you could actually see that everything was happening without anything’s being done. Before such emptiness, you just wait to see what you will see.“ 330 Dieses Warten aber muss artikuliert sein – wie die weiße Membran Rauschenbergs durch die Formate der Paneele, wie 4 33 durch die weite Periodik, wie die Lecture on Nothing durch eine Silbenzählung, die erlaubt, die nicht-gesprochenen Silben als Stille, als emphatische Abwesenheit oder nothing 326 „To Whom It May Concern: The white paintings came first; my silent piece came later“, Titel der

Erstpublikation des Rauschenberg-Essays in Metro (Mailand), Mai 1961.

327 Diesen Vergleich zieht Cage selbst (s. R. Kostelanetz, John Cage… , 137). 328 John Cage, „Lecture on Nothing“, in: ders. , Silence, 124. Dieser Text, einer der schönsten Com-

posed Talks von Cage, ist von 1959, der etwas spätere Rauschenberg-Artikel hat hier seinen Hintergrund. 329 Ebd. , 110. 330 Ebd. , 107; s. auch 113 f.: „We are at the beginning of the third part and that part is not the part devoted to structure. It’s the part about material. But I’m still talking about structure. It must be clear from that that structure has no point…“ Die Struktur ist die Periodisierung der leeren Zeit, in die die gesprochenen Silben des Texts gefüllt werden können, die aber als Struktur auch die Stille zählt, deren Anteile, nothing, gegen Ende der Lecture immer größer werden.

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erfahrbar zu machen. Cage ist kein Idealist der Passivität. Die totale Immersion von „Kunst“ und „Leben“ ist nicht möglich. Es braucht – Es, das Regnen, die Schatten, der Zufall, die Geräusche und die Stille brauchen den Ort, die Grenze und die Struktur, um zu erscheinen. „Structure without Life is Death. But Life without Structure is unseen. Pure life expresses itself within and through structure.“ 331 Rauschenbergs White Paintings haben das Paradigma der Abstraktion – wenn wir diese als kritische Abarbeitung der repräsentationalen Beziehung auf die Welt verstehen – preisgegeben. Sie haben die Gravitation der Erinnerung, die dem Bild wesentlich zu sein scheint, verwischt. Sie treiben auf der Oberfläche der Gegenwart, sie sind zu Gefäßen der Akzeptanz einer Zukunft geworden, die ihr Material betreffen wird. Diese aus der Tiefe der Repräsentation ganz aufgetauchten Objekte sind die reinsten Beispiele der Überkreuzung des Ready-made-Paradigmas mit dem Purismus der abgeschlossenen Abstraktion, dem Monochrom.332 Nehmen wir den Vergleich dieser Paradigmen hier wieder auf, indem wir auf Ad Reinhardts absolute Bilder zurückkommen. Das Monochrom Rauschenbergs reguliert das Spiel der Welt nicht in sich. Es wird zur Spielstätte ihres Erscheinens. Reinhardts Bilder haben in ihrer autonomen Struktur einen Schematismus angelegt, der nur an den Horizonten des selbstregulierten Übergangs der Elementarfarben in die Monochromie eine Bewegung zulässt. Das Werk in seiner faktischen Dinglichkeit ist so der Kontingenz seines Orts und seiner Zeit asymptotisch entzogen. Rauschenbergs White Paintings wurden, wie Cage fabuliert, nach der Ausstellung in den Fluss geworfen. „The paintings were thrown into the river after the exhibition. What is the nature of Art when it reaches the Sea?“ 333 Das Bild der aufs Meer zutreibenden White Paintings, im Wasser, in der imperzeptiblen All-Berührung, das ist Cages Metapher für das Kunstwerk als materieller Ort der Inskription der Welt – und es ist exakt die Umstülpung der Reinhardtschen Bildmonade. Es ist, wie das Ready-made, die Monade von außen gesehen.

Das absolute Bild und die absolute Ware. Von Reinhardt zu Warhol. – „I’ve never approved or liked anything about Marcel Duchamp. You have to choose between Duchamp and Mondrian“, schreibt Reinhardt. „Then the whole mixture, number of poets and musicians and writers mixed up with art. Disreputable. Cage, Cunningham, Johns, Rauschenberg. I’m against the mixture of all the arts, against the mixture of art and life you know, everyday life…“ 334 Ad Rein331 Ebd. , 113. 332 Im Sommer vor ihrer Enstehung hatte Clement Greenberg am Black Mountain College gelehrt.

Branden Joseph evoziert seine gespenstische Gegenwart als den Schwamm, der Rauschenbergs Bildflächen freigewischt hat (Joseph, Random Order… , Cambridge/London 2003, 29 f.). 333 Cage, Silence, 98. 334 Ad Reinhardt, zit. nach B. Buchloh, „Conceptual Art 1962–1969…“, 112 (s. auch Reinhardt, Artas-Art, 28).

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hardt setzt auf das Bild und seine selbstreflexive Immanenz. Die Kontaminationen der Welt werden gesiebt und ausgefiltert und nur als latente Oszillation der Identität des Bildes zugelassen. Cage hat auf die Zeit der Welt und auf die „nicht-intendierten Geräusche“ gesetzt, die man „Stille“ nennt335. Der Perspektivwechsel zwischen der Innenansicht und Reflexivität der ultra-sensitiven Monade und dem Werk als Reagens und Träger einer aleatorischen Inskription ist radikal, aber es ist eine Drehung auf einem Punkt. Die empfindende Innenseite der Bildmonade und die empfindliche Oberfläche der White Paintings – oder die auf den nicht-klingenden Flügel gespannten viereinhalb Minuten von Silent Piece – sind die zwei Seiten derselben Haut. Das Monochrom, das im Hudson River aufs Meer zutreibt und auf dem Niveau der „kleinen Perzeptionen“ schon im Kontakt mit ihm steht – diese Immersion von Werk und Welt schließt Reinhardts Bild aus, indem es sie einschließt. Diese Absolution des Bildes hat Reinhardt in vielen Texten formuliert. A square (neutral, shapeless) canvas, five feet wide, five feet high, as high as a man, as wide as a man’s outstreched arms (not large, not small, sizeless), trisected (no composition), one horizontal form negating one vertical form ( formless, no top, no bottom, directionless), three (more or less) dark (lightless) no-contrasting (colorless) colors, brushwork brushed out to remove brushwork, a matte, flat, free-hand painted surface (glossless, textureless, non-linear, no hard-edge, no soft-edge) which does not reflect its surroundings — a pure, abstract, non-objective, timeless, spaceless, changeless, relationless, disinterested painting — an object that is self-conscious (no unconsciousness), ideal transcendent, aware of no thing but art.336

Als Flughäfen für den Staub wollte Reinhardt seine Bilder nicht sehen. Aber er musste erfahren, dass sie es waren. „The painting leaves the studio as a purist, abstract, non-objective object of art, returns as a record of everyday (surrealist, expressionist) experience (‘chance’ spots, defacements, hand-markings, accident — ‘ happenings,’ scratches), and is repainted, restored into a new painting painted in the same old way (negating the negation of art), again and again, over and over again, until it is just ‘right’ again.“ 337 Das Verhältnis von Reinhardts Bild nicht zu der Welt, die es in seiner Tiefe sublimiert, aber zu der, die es faktisch umgibt, ist wesentlich das der Gefährdung. Judd, halten wir das vorgreifend fest, ist dafür sehr empfindlich gewesen. „Most of Reinhardt’s paintings,“ schreibt er 1973, „are scratched“ (CW I 209). Sie sind in „records of everyday experience“ verwandelt und sie können seit Reinhardts Tod nicht mehr restauriert werden („negating the negation of art“).338 Die 120 Bilder, die 1966 „für länger als üblich“ im Jewish Museum gezeigt wurden, hätten „nie mehr bewegt werden“ sollen (CW II 22). Ihr Umraum hätte der Stilllegung der Zeit, die zum Wesen des Bildes ge335 336 337 338

Cage, „Experimental Music: Doctrine“, in: Silence, 13–17, 14. Ad Reinhardt, Art-as-Art, 82 f. Ebd. , 83. Warum eigentlich nicht? Reinhardt hat kein Copyright für sein master painting beansprucht. Jeder sollte es machen können, jeder, der es kann jedenfalls. Ist das so schwer? Restauratoren aber dürfen wohl, juridisch, und um den Marktwert des Originals nicht zu zerstören, nur Kratzer durch Flecken ersetzen.

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hört, sich angleichen sollen. Die Vision dieser Kristallisierung ist die Vorzeichnung dessen, was Judd als die Permanente Installation in Marfa, im Südwesten von Texas zu verwirklichen versuchen wird. Aber kommen wir auf Reinhardts Auffassung dieser Zeit-losigkeit des Werks zurück. Für ihn ist das Museum, dessen Inkompetenz Judd pragmatisch-realistisch beklagt („museums are inadequate to their job“, CW II 9), der Ort dieser Stilllegung der Zeit. „A museum is a treasure house and tomb“, schreibt er, „and any disturbances of its soundlessness, timelessness, airlessness, and lifelessness is disrespect and is, in many places, punishable“.339 Das Museum, von dem Reinhardt träumt, wäre ein Ort ohne eigene Geschichte und mit der Macht versehen, die Geschichtlichkeit seiner Inhalte ohne Rest aufzuheben. „When you try to place the art back into its time and place, you make it relative.“ Diese Relativität ist die seitliche Beziehung des Werks auf seine historische Welt. „But when you lift it out of that and put it into a museum of fine art, then you are making it absolute, timeless and meaningless.“ 340 Reinhardts Bilder sind auf dieses utopische, absolute Museum bezogen, das nicht existiert. Schon ihr Ausgestelltsein, ihre Exposition oder Belichtung verletzt daher ihre Integrität. Jedes Bild Reinhardts ist zerkratzt. Es ist zerkratzt schon von einem Blick, der sich nicht in seine monadische Tiefe einlässt, sondern den Rand, die Rahmung und die schwache oder ausgelöschte Textur mitsieht. Es ist zerkratzt von einem, wie Reinhardt sagt, nicht-initiierten Sehen, von einem Sehen in dem „Sehender und Gesehenes“ trennbar bleiben und ihr Bezug eine äußere Relation, die in die Zeit fällt. Nur ein „absolutes Sehen“ würde dem absoluten Bild gerecht. „No ordinary seeing but absolute seeing in which there was neither seer nor seen.“ 341 Dies ist ein autoritatives Programm: „prohibit revelation to the uninitiated / Not distinguish knower and known / […] Not ‘see’ it, but ‘oned’ with it“.342 Dieses initiierte Sehen wäre Kommunion mit dem Bild, „consciousness of consciousness“ 343. Es würde in die Intimität eines „Selbstgesprächs“ eingehen, in einen Monolog „mit absolut leiser Stimme“.344 Reinhardt geht technisch weit, um diese Immersion von Bild und Sehen zu ermöglichen. Der Rückzug der Artikulation des Bildes hinter das Dunkel der matten, nahezu unsichtbaren Membran, die Löschung der Spur der Produktion („brushwork brushed out to remove brushwork“) sind dazu die Mittel. Man sieht das Bild nur im Modus eines kontemplativen, eines zumindest ausdauernden Rezeptionsvollzugs.345 Das Sehen bleibt nicht die gerichtete Beziehung auf das Objekt an Ebd. , 121/120. Ebd. , 19. Ebd. , 109. Ebd. , 113. Ebd. , 111. Jacques Derrida, Die Stimme und das Phänomen, 34. Wir haben im Zug der Verortung der Grenzen der Phänomenologie natürlich vielfach auf Motive Derridas zurückgegriffen. Das Verhältnis von Ausdruck und Anzeichen bei Husserl, wie es Derrida in Die Stimme analysiert, ist weitgehend auf das von Bild und Spur bei Reinhardt beziehbar – auch wenn die Konzentration auf die Schrift, deren Zeichen codiert und wiederholbar sind (eine allographische Notation mit Goodmans Ausdruck, s. o. , Anm. 5.), die Problemlage verschiebt. 345 „[H]alf an hour in front of each painting“ – das ist die Zeitangabe Y.-A. Bois’ für die spätesten, die unsichtbarsten Bilder Reinhardts (Y.-A. Bois, „The Limit of Almost“, in: Ad Reinhardt, Kat. 339 340 341 342 343 344

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der Wand. Es produziert das Phänomen, das es sieht, indem es das Objekt, von dem es affiziert wird, negiert. „Consciousness of consciousness“, diese Konvergenz ist das utopische Ideal. Es würde die widerstandslose Durchquerung der materiellen, aus „Anzeichen“ geflochtenen Membran verlangen, die das Bild trotz allen technischen Raffinements ist. Das Bild müsste sich hinter dem Betrachter schließen. Randlos würden Bild und Auge eingehen in einen Raum. Das Museum, dessen Gravitation die historische Zeit im Vorhinein löscht, ist der atopische Ort dieser Begegnung. An diesem Ort wäre das Bild dem „prison of temporality“, den „drear perspectives of ongoing time“ entkommen.346 Das Sehen jetzt aber fällt in die Zeit. Die halbe Stunde der Kontemplation mag noch so selbstvergessen sein, die Uhr dennoch läuft weiter. Und die Produktivität des Sehens, die hier im Spiel ist, ist auch physiologisch determiniert, von der Chemie des Körpers getragen, wie von der Physik des Lichts, das von außen auf die materielle Membran des Bildes fällt, auf das Material, das negiert werden muss, damit das Bild erscheint. Das Sehen ist diese Arbeit der Negation. Die Erzeugung des Phänomens braucht und verbraucht den Widerstand der Materialität, die sie negiert. Diesen materiellen Aspekt des Sehens weist Reinhardt schaudernd zurück. „Seeing is touching, eyes feel ligth waves / blackest of blasphemies“.347 Der Wasserfall fällt. Eyes feel light waves. Schwärzer als das Monochrom ist die Stelle dieses Kontakts. Reinhardts Bild zieht sich seiner Prätention nach in eine transmundane Tiefe zurück. Das absolute Bild müsste sich seiner Teleologie gemäß in sich selbst verschließen. Um aber Bild zu sein, braucht es ein Sehen, dem es sich appräsentiert – durch die Schnittfläche seiner verletzlichen Oberfläche hindurch. Es ist auf diese materielle Existenz in Zeit und Raum angewiesen, auf die zeitlich und räumlich singuläre Tatsächlichkeit dieser Existenz, deren Stellenwert Reinhardt mit allen Mitteln zu reduzieren versucht. Das wirksamste, das einzig wirksame Mittel dieser Reduktion ist die Wiederholung der – einander immer gleicher werdenden – Exemplare des einen und einzigen Bildes, des master painting, die dessen Idealität einer kollektiven Zeit anvertraut. Ist diese offene Serie, die auf die Tiefe einer Absolution von der Differenz und der Zeit zuläuft, nicht wirklich das präzise Gegenbild zum Ready-made, das aus dem Dunkel seiner Gussform genommen, der Belichtung durch die Zukunft sich entgegendreht? Indem seine Herstellung nichts anderes war als die Entscheidung über den Zeitpunkt, von dem an es als Werk existiert, macht das Ready-made die Zeit dieser Existenz zum Parameter der Seinsweise des Werks. Die Zeit – und nicht den Ort, den Kontext oder die „Macht“ einer Institution. Nur durch die ontologische Integration der Zeit, die nichts anderes als die Umstülpung der Werk-Monade ist, ist die Anschlussmöglichkeit des Kontexts geschaffen. Reinhardts Black Paintings verlangen eine tote Zeit, einen zeitlos stummen Raum – das „museum of fine art“. In der absolut synchronisierten Zeit dieses Museums würde das Ready-made erstarren. Aber man kann sich darauf Los Angeles / New York, New York 1991, 11–33, 28). Bemerkenswert genug, dass ein Zeitmaß angegeben werden kann für den Ausstieg aus der Zeit des physischen Bezugs zum Objekt, zum (fast) schwarzen Pigment, das der Träger des Bildes ist. 346 Reinhardt, Art-as-Art, 107. 347 Ebd. , 111.

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verlassen, dass dieses Museum nicht existiert. Selbst wenn die Uhren stehenbleiben, läuft die Zeit weiter. Sowenig wie der Bildbezug „consciousness of consciousness“, eine Kommunikation ohne Träger sein wird. Die materielle Membran des Bilds als ein Geflecht einander auslöschender „Anzeichen“, wird sich immer als Rauschen in dieses „absolut stille Selbstgespräch“ mischen. Im Licht des Ready-made, das in den Bereich des infra mince, der mikroskopischen materiellen Differenzen dringt, wird die blättrige Struktur von Reinhardts Black Paintings sichtbar. Nicht erst ein Kratzer auf der Oberfläche, der es in ein „surrealistisches event“ verwandelt, bindet das Bild in die mundane Zeit. Das Licht des Ready-made ist durchdringender. Es erfasst die zeitliche Tiefe der Produktion als einer Information des Materials, aus der die Form auch dieser Bilder hervorgeht. Die Verdichtung des Bildscheins zum Monochrom, die Versammlung der Welt in den monadischen Block, in die Urne, die das Bild Reinhardts ist, versucht dieses Licht in sich zu absorbieren. Es gibt kein Außen des Bildes mehr, keine Zeit, keinen Ort. Das Bild sollte zurückgezogen sein in den toten Raum des Museums, der seiner intrinsischen Unbeweglichkeit den Schutz, den Rahmen oder das Futteral bereitstellt. Dieses Bild wäre nur und für immer Rückkehr zu sich. Es würde noch den Sehenden, die Kontingenz eines Blicks, den Betrachter in seiner vulgären Lebendigkeit in sich aufgenommen haben. Das Museum ist ein Grab. Das Bild ist eine Totalisierung der Dimension der Erinnerung, einer Erinnerung ohne Gegenwart, ohne Zukunft, ohne Erinnernden. Aber natürlich weiß Reinhardt um die Unmöglichkeit, den atopischen Charakter dieser Konstellation. Er weiß, dass die Gegenwart seiner Malerei im Raum des Museums, das kein Schatzhaus und Grab, sondern Unterhaltungs- und Börsenbetrieb ist, eben nicht zum initiierten Sehen führt, sondern Theater und Performanz bleibt. „Theater, acting, ‘lowest of the arts’ “ 348. Der Rückzug bleibt, auch soweit er gelingt und sich methodisch („maltechnisch“) sichern lässt, ein Modus des Bezugs auf das Außen. Das Negierte ist virtuell anwesend. Und das Wissen darum ist der Anlass seines Schreibens. Reinhardts Texte artikulieren den äußeren Rand seiner Bilder. Sie sind die Zahnräder, die die Bilder im Strom des Gelds und der Meinungen am Laufen halten. Ich glaube, dass man der Bedeutung Reinhardts, des Ironikers, der in Comic-strips die Genealogie des Modernismus verzeichnet und der am Ende seiner 1000 slides von Kreuzformationen quer durch die Weltkunstgeschichte sein grinsendes Gesicht an Stelle eines abgebrochenen Buddha-Kopfs in die Kamera schiebt, näherkommt, wenn man diese exoterische Mechanik der Nicht-Funktion seiner Malerei im Verhältnis zu der sie umgebenden Welt, den Casinos des Kunstbetriebs, als Moment seiner Werkkonzeption mitthematisiert. Sonst muss man Reinhardt religiös lesen, und das führt meistens sprachlich und gedanklich nicht sehr weit. Man wird das Verhältnis der Black Paintings zu den „drear perspectives of ongoing time“, die senkrecht zu ihrer Oberfläche und ihrer Tiefe stehen, als aktivierendes Moment seines Werkkonzepts verstehen müssen. Und es ist dieses Verhältnis, das seine Texte,

348 Ebd. , 74.

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die in der linearen, diegetischen oder verfallenen Zeit um den absoluten Raum der Bilder kreisen, an ihrem berührbaren Rand reflektieren. Die Funktion des äußeren Rands von Reinhardts Bildern ist epistemologisch ebenso essentiell wie die der Kreuzstruktur und der liminalen Polychromie, ihr innerer, selbstkontrollierter Horizont. An diesem Rand fahren die Negationen seiner Texte entlang. Sie sichern diesen Rand und regulieren seine Durchlässigkeit. Sie negieren jene zufälligen, kontextuellen Sinnerwartungen, die Projektionen von Licht und Schatten, die aus dem historischen Raum auf die Fläche der Bilder fallen. Indem sie diese „Kratzer“ abwehren, registrieren sie sie. Wenn das Bild in einer Art von osmotischer Beziehung zur Welt steht, die das Atmen der Farben im Dunkelraum des Monochroms anzeigt, dann ist der Rand ein Schnitt durch diese atmende Membran. Und wie die Technik der Abstraktion eine Filterung des Phänomens der Welt im Ganzen leistet und nur diese Schwingung des nahezu eigenschaftslosen Wesens des Bilds, seines monologischen Selbstbezugs, zulässt, so artikulieren und bestimmen die Texte eine analoge Filterfunktion des Bildrands im Verhältnis zum historischen Raum, zur faktischen Umwelt, an die sie rühren. Das ist der Grundduktus, das Konstruktionsprinzip von Reinhardts Texten, am strengsten durchgeführt in dem langen „Gedicht“ Art in Art is Art-as-Art, das nur von der binären Beziehung von Innen und Außen, von Art und Non-Art handelt.349 Wie eine Schallplatte, die nur in einer Rille läuft, laufen Reinhardts Monologe an dieser Grenze entlang. Bei den späteren, formalisierten Texten ist dies offensichtlich, sie verteilen nur die Plusund Minus-Zeichen ins Diesseits und Jenseits der Grenze, aber auch die fließenderen Texte wechselnder Thematik und die Interviews sind von dieser oppositionellen Struktur getragen. Sicher hat Reinhardt die konstitutive Funktion der Sprache für sein Werkkonzept nicht ausdrücklich gemacht wie Duchamp, der die Grüne Schachtel explizit als Katalog oder Legende zum Großen Glas präsentiert hat. Aber noch einmal, warum schreibt Reinhardt? Und warum so viel und so wenig „gelegentlich“? Ich will nicht sagen, dass die Kontemplation der Bilder, die fast immer von einem Stacheldraht von Kratzern (von den materiellen Verletzungen bis zur schlechten Beleuchtung) behindert wird, sich erübrigte und dass es sich hier um „Konzeptkunst“ handelt. Ich will sagen, dass die Texte das zu den Bildern komplementäre Element von Reinhardts Werk sind. Und sie sind das faktisch jedenfalls auch bei den Interpreten, die diese Mechanik nicht thematisieren, sondern den Rahmen der Texte nur passieren und allein von sich und den Bildern zu sprechen glauben. Die Texte sind nicht als sekundäre, nachträgliche Kommentare, sondern als funktionale Elemente von Reinhardts Werk zu begreifen. Sie sind die Zahnräder der Ironie, mit denen das Bild in den Stoff der Welt greift, die Wassermühlen, die den Zuwurf der Kontingenz auffangen und in die Produktion von Sinn übersetzen. Was in der Tiefe des Bildes, wie es dem initiierten, kontemplativen Sehen erscheint, die Kreuzstruktur und die Farbdifferenz leisten, die Regulierung der Beziehung des Werks zur Welt in der Dimension der Repräsentation oder der Erinnerung, leisten am Rand des existierenden

349 Ebd. , 63 ff.

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Objekts die Texte, die sein seitliches Verhältnis zu seiner Umgebung im Element der Kontiguität codifizieren. Es ist dieser Rand oder diese Grenze, die Cage oder Rauschenberg (und in anderer Weise Robert Morris) als Membran auf den Körper des Werks aufziehen. Die Inversion ist systematisch und komplett. Das absolute Bild müsste unbezüglich sein, in sich geschlossen und nur durch seine Selbstgegenwart hindurch – in der Oszillation oder dem Atmen der Farbe – auf das Außen der Welt bezogen. Aber Reinhardt schneidet die Monade auf, er halbiert sie, so dass sie der Ergänzung durch ihre andere Hälfte bedarf, des initiierten, aus der Weltzeit herausgetretenen Sehens, des sensiblen Auges, das sich über sie stülpt, um die Wunde ihrer Zuwendung in die externe Sichtbarkeit zu schließen. Und bei aller technischen und strategischen Bemühung werden der Blick und das Licht, die die repräsentationale Schwingung des Schwarz tragen, doch immer von außen auf die materielle Membran des Gemalten fallen und die Immanenz des Bildes kontaminieren, mag das Sehen auch noch so ausdauernd und verinnerlicht sein. Deshalb gehören die Texte, die diesen realen Kontext abdunkeln, und deshalb gehört das Phantasma des absoluten Museums, das die Luft für die Bilder filtert und das eine Dunkelkammer ist, zu Reinhardts Werk. Die weißen Bilder Rauschenbergs, das unassisted Ready-made, die leere, geteilte Zeit von Cages Silent Piece nehmen die Materialität der Bildränder an, deren Sinn und Funktion Reinhardts Texte im Element der Sprache – dieser zusätzlichen, farblosen Dimension der Malerei – artikulieren. Rauschenbergs White Paintings spannen diese Materie des Rands oder der Grenze zur Welt über die Reihe der verschiedenen Paneele. Für sie ist der Erinnerungsraum geschlossen und die Luft ist voll Staub. An der Schwelle von Innen und Außen kehrt sich die zeitliche Ausrichtung des Weltbezugs des Werks um. Reinhardts Bild ist einem Raum totaler Repräsentation zugewandt, dem Raum, in dem sich einige Jahrtausende Bildgeschichte – der Erinnerung an Bilder im Medium des Bildes350 – überlagern. Die geritzte Außenhaut der Monade, die quadrierten Flächen der White Paintings sind wie das Ready-made gedächtnislos der Zukunft und dem Zufall entgegengewandt. Aber vielleicht ist diese Opposition nicht einmal scharf genug. Die zu dem immer produktiven und immer im „Geschmack“ gefangenen Rauschenberg jedenfalls nicht. (Cage ist eine ganz andere Größe als Rauschenberg). Vielleicht müssen wir, um Reinhardt an Land zu holen, sein Verhältnis zu dem schlechtesten, dem korruptesten Künstler der sechziger Jahre in seinen Augen, die hier möglicherweise ein spieglerisches Bild zurückwerfen, bestimmen. „He has become the most famous. He’s a household word. He ran together all the desires of artists to become celebrities, to make money, to have a good time, all the surrealist ideas. Andy Warhol has made it easy. He runs discothèques....“ 351 „I don’t know“, sagt dagegen Warhol in einem späten 350 Die Abtrennung der Geschichte der Kunst von der Geschichte im Allgemeinen ist eines der

Leitmotive der Texte. Das museum of fine art materialisiert diese Grenze zwischen der äußeren Geschichte (dem „historischen Kontext“) und der immanenten Geschichte, die die Erinnerungstiefe des Bildes selber ist. 351 Reinhardt, Art-as-Art, 27.

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Interview, „I made a mistake. I should have just done the Campbell Soups and kept on doing them. Because then, after a while, I did like some people, like, you know, the guy who just does the squares, what’s his name? The German — he died a couple of years ago; he does the squares — Albers. I liked him; I like his work a lot. […] And then before Albers, the person I really like, the other person who did black-on-black paintings. […] - You are thinking of Ad Reinhardt’s painting? - Right.“ 352 Die Opposition zwischen Warhol, dem gedächtnislosen Spiegel, und Reinhardt, dem Maler des Bildgedächtnisses, setzt wie jede Opposition verbindende Achsen voraus. Eine davon ist das immer gleiche Bild, das master painting, das auch Warhol sich quadratisch denkt. „You see, I think every painting should be the same size and the same color so they’re all interchangeable and nobody thinks they have a better painting or a worse painting. And if the one ‘master painting’ is good, they’re all good.“ 353 Für Reinhardt ist dieses eine Bild universell, weil es alle möglichen Bilder in sich summiert, für Warhol ist sein Modell die Egalität der Waren, die aus derselben Gussform stammen. „A Coke is a Coke and no amount of money can get you a better Coke than the one the bum on the corner is drinking. All the Cokes are the same and all the Cokes are good. Liz Taylor knows it, the President knows, the bum knows it, and you know it.“ 354 Eine weitere Achse des Bezugs zeigt Warhols Reflexion auf den einen Raum und den einen Gedanken – „Space is all one space and thought is all one thought, but my mind divides its spaces into spaces into spaces and thoughts into thoughts into thougts …“ 355 –, fast meditative Reflexionen über die Leere, die Reinhardt sehr naheliegen. Die radikale Differenz oder Oppositionalität aber zeigt sich im Verhältnis von Warhols Philosophy zur Zeit, zu den „drear perspectives of ongoing time“, denen die absolute oder „pervasive“ Präsenz von Reinhardts Bild entgehen will.356 Für Warhol sind diese drear perspectives irreduzibel. Zeit ist Arbeitszeit, die Zeit, in der die Maschine läuft, die Zeit des Lebens, das mit dem Verschleiß der Maschine, mit dem Sterben koextensiv ist. Es ist die Zeit des Magnetbands, „my wife“, wie Warhol sagt,357 das die Gegenwart mit sich in die sedimentierte Vergangenheit reißt. Warhol sucht kein Entkommen aus dem „prison of temporality“ 358, jedenfalls nicht in einen Raum widerstandsbefreiter Erinnerung. „Being born is like being kidnapped. And then sold into slavery. People are working every minute. The machinery is always going. Even when you sleep.“ 359 Der weiteste Horizont dieser Zeitreflexion ist die Zersetzung der Maschine im Tod und ihr spurloses Verschwinden: „At the end of my time, when I die, I don’t want to leave any leftovers. And I don’t want to be a leftover. I was watching 352 Benjamin Buchloh, „Three Conversations in 1985: Claes Oldenburg, Andy Warhol, Robert Mor-

ris“, October 70, 33–54, 41.

353 Andy Warhol, The Philosophy of Andy Warhol (From A to B and Back Again), San Diego / New

York / London 1975, 149. Zum Quadrat als bestem Format ebd. , 148. Ebd. , 101. Ebd. , 143. Reinhardt, Art-as-Art, 107. „My tape recorder and I have been married for ten years now. When I say ‘we,’ I mean my tape recorder and me. A lot of people don’t understand that.“ Warhol, The Philosophy… , 26. 358 Reinhardt, Art-as-Art, 107. 359 Warhol, The Philosophy… , 96. 354 355 356 357

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TV this week and saw a lady go into a ray machine and disappear. That was wonderful, because matter is energy and she just disappeared.“ Aber er korrigiert sich, denn auch dieses Verschwinden könnte noch als Flucht erscheinen. „Still, I do really like the idea of people turning into sand or something, so the machinery keeps working after you die. I guess disappearing would be shirking work that your machinery still had left to do. Since I believe in work, I guess I shouldn’t think about disappearing when I die. And anyway, it would be very glamorous to be reincarnated as a big ring on Pauline de Rothschild’s finger.“ 360 Das ist Warhols spinozistischer Materialismus, den seine Philosophy völlig stringent formuliert. Der Tod kommt von außen, er ist keine immanente Finalität des Lebens. Wie die Liebe sind Leben und Tod Angelegenheiten der Chemie. Was aus der Perspektive des endlichen Lebens Tod heißt („the end of my time“) ist die Zersetzung der Maschine, die immer schon aus dem Sand ihrer Teile besteht, die sie ständig ausstauscht, aus dem Materiestrom der Welt neu schöpft. Die Aussicht als Stein an Pauline de Rothschilds Finger weiterzuarbeiten, nimmt diesem Unfall des Todes einiges von seiner akzentuierten Brisanz. „I don’t believe in it, because you’re not around to know that it’s happened.“ 361 Das individuelle Leben hat als partikularer „Modus“ am Sein der „Substanz“ immer schon partizipiert. Das Totsein aller Teile der Maschine, deren Lauf mit dem Leben koextensiv ist, ist der Modus dieser Partizipation. Das Leben ist nicht autochthon, es erhält sich als Verhältniszeichen zum Sterben. Es ist diese Perspektive, in der die Zeit die Funktion der Verwehung der Materie annimmt, in die das Leben die vorübergehende Figur einer Organisation zeichnet – „a figment“, mit dem Wort, das Warhol auf seinem Grabstein stehen haben wollte.362 Reinhards Museum ist in diesen toten, bewegten Sand vergraben, um einen Raum transparenter und selbstkontrollierter Bewusstheit aufrechtzuerhalten und zu schützen, in dem die Zeit der Materie in einer totalisierten Erinnerung aufgehoben wäre, einer Erinnerung ohne „hypomnestische“ Stütze, ohne Band, ohne „Anzeichen“ und „Archiv“.363 Raum einer Bildgegenwart, die einige Jahrtausende der Bildgeschichte in sich summiert. Wir haben gesehen, wie Reinhardts Texte die Arbeit der Vermittlung zwischen der Intimität der Bilderfahrung, des initiierten oder „absoluten Sehens“ und der Maschinerie des Körpers ebenso wie der historischen Apparate der Sinnproduktion leisten. Die Texte verspiegeln den Rand seiner Bilder. In dem Dispositiv dieser Überkreuzungen sind die heliumgefüllten Silberkissen, die Warhol 1966, dem Jahr von Reinhardts großer Ausstellung im Jewish-Museum, bei Leo Castelli herumfliegen ließ, als genaue Repliken auf Reinhardts Black Paintings lesbar, als die exakte Um360 Ebd. , 113. 361 Ebd. , 123. 362 „I always thought I’d like my own tombstone to be blank. No epitaph, and no name. / Well, actu-

ally, I’d like it to say, ‘figment’ “. Andy Warhol, America, New York 1985, 129.

363 Zur Zeit des (Ton-)Bandes s. J. Derrida, „Ja*, oder der faux-bond (II)“, in: ders. , Auslassungspunk-

te: Gespräche, Wien 1998; zur „hypomnestischen“ – d. h. äußeren, materiellen, non-spontanen – Stütze des Gedächtnisses (Spur und Archiv), ders. , Dem Archiv verschrieben, Berlin 1997, bes. 19 ff.; zum „Anzeichen“ bei Husserl, ders. , Die Stimme… .

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stülpung der Bildmonade ins grellere Licht des Spektakels (fig. 61, 62). Einen zweiten Raum der Ausstellung – mit der er nicht das Ende der Malerei, aber das Ende seiner „Kunst-Karriere“ ankündigte – hatte Warhol mit Kuhkopftapeten ausgeschlagen, mit dem Blick selbst angefüllt, einem sprichwörtlich unschuldigen Blick, der „sieht und unmittelbar vergißt“ 364. In diesem Leuchtgas konstituiert sich das Aussehen der umgestülpten und gasgefüllten Monaden je akut und nachträglich unter den „Schlägen des Lichts“, im pulsus des Äthers, auf den Kant sich noch spekulativ bezog.365 Dieses Aussehen, das nur aus Kratzern besteht, ein Moiré aus Kontingenzen wie der überfließende Schein der Neugeborenen Brancusis, entsteht in Augen, die – „schwärzeste der Blasphemien“ – „Lichtwellen fühlen“.366 Die ganze Bildoberfläche, hat jene reflexive Materialität angenommen, die Reinhardts Texte dem ausdehnungslosen Rand seiner Bilder verleihen, der Schnittlinie durch die Haut der Monade, in deren Inneres das Bild den Einblick freigibt. Hier drehen sich die Wassermühlen, hier ist die Zeit an der ständigen Produktion und Zerstörung des Scheins beteiligt. Die Serialität, die bei Reinhardt dem Ritornell der Gebetsmühle entspricht und der absoluten Einzigkeit, weil Totalität des im Bild erinnerten Welt-Raums, ist auf die ursprungslose Wiederholung der Warenform zurückbezogen. Warhols Silberkissen steigen im Licht des Ready-made aus dem Bild Reinhardts auf.

Die Druckkammer Stellas. – So ließen sich einige Fäden aus dem Entstehungskontext der Minimal Art herauslösen. Aber es sind noch immer, trotz ihrer Verflechtung, trennbare und quer zueinander laufende Fäden. Reinhardts absolutes Bild partizipiert auf seine Weise an der Seinsart des Ready-made, der reinen Faktizität. Warhols Silberkissen partizipieren als ironische Umstülpung am Status des absoluten Bildes, indem sie ihre Erscheinung als in absoluter Flüchtigkeit existierendes Produkt der Kontingenz inszenieren. Rauschenberg und Johns lassen die Oberfläche des Monochroms Falten werfen und Staub sammeln und eine nicht mehr nur infra geringe Prägung des historischen Raums annehmen. Dennoch sind es getrennte Blickbahnen und, wie es scheint, inkompossible Daseinselemente, in denen diese Werke existieren und ihren Weltbezug artikulieren. Es ist dieser zwiefältige Raum, mit dem die kurzangebunde, positivistische Diktion Stellas und Judds bricht. In Stellas frühen Serien ist das Duchamp’sche Anathema des nachgeholfenen Ready-mades noch enger mit dem Paradigma der Abstraktion verwoben als in einem monochromen Flaggenbild von Johns. Es sind keine alternierenden intellektuellen Optionen mehr, sondern Elemente eines Dispositivs der Produktion. Es sind nicht getrennte, wie Öl und Wasser segregierende Sprachspiele, die in einem fragilen intellektuellen Konstrukt ineinandergefügt sind – sondern Bildraum und Welt364 Duchamp, Notes, no. 10 „le regard glacial du public (qui aperçoit et oublie immediatement). / Très

souvent cet échange a la valeur d’une separation infra mince…“.

365 S. o. S. 64 ff. 366 Reinhardt, Art as Art, 111.

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raum werden von Stellas handfester Arbeit zu einem Kontinuum der phantomfreien Wirklichkeit ineinandergepresst. „Meine Malerei“, sagt Stella 1964 im Gespräch mit Judd und Bruce Glaser, „basiert … darauf, daß nur das, was gesehen werden kann, auch da ist. Es ist tatsächlich ein Objekt. Jedes Bild ist ein Objekt, und jeder, der sich intensiv genug damit beschäftigt, muss sich schließlich der Objekthaftigkeit dessen, was er macht, stellen. Er macht einen Gegenstand. All das sollte als selbstverständlich angesehen werden.“ 367 Stella führt den Diskurs moderner autonomer Malerei in sein historisches und systematisches Extrem. Die Selbstreflexion des Bilds, seiner Materialität und seiner potentiellen Effekte sind Element und Thema der frühen Serien. Die Streifen, deren Breite in etwa der Tiefe des (seitlich nicht bemalten368 ) Keilrahmens entspricht, füllen das Format ganz. Sie referieren auf dessen reale Maße, und ihre Schemata explizieren die realen Symmetrien des Bildformats (fig. 63). Die Copper- und Aluminum-Series verstärken diese Koinzidenz von Bildmuster und Bildkörper durch die Einführung des nicht-rechteckigen Trägers, der shaped canvas (fig. 64–70). Die Distanz und Apriorität des Formats gegenüber seiner inneren Artikulation entfällt. Stellas Malerei ist aber nicht schlicht unillusionistisch oder flach. Die Objekthaftigkeit ist ein Ziel, zu dem ein Weg gefunden werden musste. Stella: „Die Lösung, zu der ich kam – und wahrscheinlich gibt es davon einige, obwohl ich nur eine weitere kenne, nämlich Farbdichte –, zwingt den illusionistischen Raum in gleichbleibenden Raten aus dem Bild heraus“.369 Stellas Stripe Paintings legen die materiellen Elemente der Produktion des Bildscheins bloß, sie exponieren eine Grobmechanik des Illusionismus. Vor allem die Black Paintings spielen mit den trivialen Vexierphänomenen der Treppungen, sie schachten einen Raum aus, stülpen ihn um – es ist eine Wurzelbehandlung gegen die metaphysische Entzündung der Malerei. Im Wechsel zwischen Schacht und Zikkurat durchquert der Schein die Bildebene und affirmiert sie rückläufig als Ort seiner Entstehung. Stellas frühe Stripe Paintings sind systematische Überführungen des Bilds in seinen Objektstatus, Exerzitien seiner Inkarnation. Die Gewinnung der Bildpräsenz – am Ende, in der Fluchtlinie der abstrakten Malerei – läuft aus in dem tautologischen Block: „Wenn das Bild nur prägnant genug, akkurat genug oder richtig genug wäre, könnte man es nur ansehen. Alles, was jemand in meinen Bildern erkennen soll, und alles, was ich jemals aus ihnen erkenne, ist, daß man die ganze Idee ohne jede Verwirrung sehen kann … Man sieht das, was man sieht.“ 370

367 Glaser, „Questions“ / „Fragen“, 158/46 f. 368 Das ist keine Nebensächlichkeit. Es ist für Stella ein wesentliches Argument dafür, dass seine

Bilder nicht, wie Judd will, Objekte sind, sondern eben Bilder (s. ebd. , 162/54). Sie haben eine und explizit nur eine Ansichtsseite. 369 Frank Stella, „Vortrag am Pratt-Institut“, in: Stemmrich 1995, 32–34, 32. Die andere Lösung, die Stella kennt, „Farbdichte“, hat übrigens einen Namen, sogar einen Markennamen: IKB, International Klein Blue. Stella besaß eines von Yves Kleins Bildern – den einzigen, die laut Judd konsequent un-räumlich, d. h. flach sind (CW I 182). 370 Glaser, „Questions“ / „Fragen“, 158/47.

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Stellas frühe Serien (als die Black Paintings entstanden, war Stella 24, es sind alles andere als letzte Bilder) sind wohl der historisch erste Fall einer abstrakten Malerei, die schon im Ansatz nicht mehr mit der ikonisch-referentiellen Dimension des Bildes und ihrer Dekonstruktion, ihrem Abbau, ihrer essentiellen Analyse beschäftigt ist. Abstraktion „von der Natur“ findet nicht statt. Stella übernimmt die Streifen als fertiges Idiom aus Johns’ Flaggen. Er übernimmt die Radikalität der Monochromie aus Reinhardts Serie,371 die 1955 begann, er übernimmt die Industrie-Farbe aus Pollocks drip paintings, die gestanzte Flächigkeit von Newman und sein Werkzeug, den house-painting brush, von Willem De Kooning. Alle diese „Materialien“ werden in dem Block komprimiert, dessen tautologische Selbstbehauptung also vielstimmig eklektizistisch schillert. Die Frage nach der Identität des Bildes ist für Stella schon im Ansatz nicht mehr die nach der Konstitution und dem Abbau seiner referentiellen Dimension, sondern die nach dem Bestand der materiellen und idiomatischen Elemente, die in seiner historischen Situation vorliegen. Stellas erster Schritt ist der Bruch mit Reinhardts letztem Bild. Seine Reflexion auf Malerei ist im Ansatz produktionsästhetisch, nicht epistemologisch und kognitiv. Und diese Ausrichtung der Selbstreflexion des Bildes orientiert wiederum die Wahl der Elemente der Produktion. Traditionelle, komplexe Strukturen werden aussortiert wie schlechte Werkstoffe. „Man will die Sachen loswerden, die einem Schwierigkeiten machen.“ 372 Zu diesen „Sachen“ gehört vor allem die Aufspannung der Farbe in einem zeichnerischen Raum. In diesen Raum zieht ihr „art school background“ noch die Maler der vorangegangenen Generation. „Sie waren mit dem Zeichnen groß geworden, und am Ende malten oder zeichneten sie alle mit dem Pinsel.“ 373 Was mache ich mit der Farbe, die im Pinsel ist? Das ist die Frage eines Malers wie de Kooning, der schon den Anstreicherpinsel in der Hand hat, den Stella übernehmen wird: „man hat den Pinsel und man hat die Farbe auf dem Pinsel und man fragt sich, warum man das tut, was man tut, welche Beugung (inflection) man dem Pinsel und der Farbe am Ende des Pinsels gibt. Es ist wie Handschrift. Und ich fand heraus, dass ich in diesem Rahmen einfach nichts zu sagen hatte. Ich wollte keine Variationen machen. Ich wollte keinen Weg aufzeichnen [I didn’t want to record a path]. Ich wollte die Farbe aus der Dose auf die Leinwand bekommen.“ 374 Stella erweitert die Reflexion des Bildmediums produktionsästhetisch auf die Situation des Malers, zu der die Farbe, die noch in der Dose ist, gehört. Nicht die inaktuelle Intention und die leere Leinwand als Möglichkeitsraum des Bildes, sondern die Leinwand als Stoff (der besonders bei einer shaped canvas etwas taugen muss, genauso wie das Holz des Keilrahmens) und die Farbdose sind die Pole oder Extreme dieser Situation. „Ich kannte einen Schlaumeier, der sich über 371 Newman würde protestieren, wenn man Reinhardt das Patent auf Black on Black zuschreibt. Ab-

raham, sein schwarzes Bild, ist von 1950, und es ist wirklich schwarz auf schwarz, im Gegensatz zu Reinhardts „arrangement of pinkish, bluish ‘blacks’ which end up in grays“ (nach einem unabgeschickten Letter to the Editor von 1966, zit. bei Bois, „On Two Paintings by Barnett Newman“, October 108, 8). 372 Glaser, „Questions“ / „Fragen“, 159/49. 373 Ebd. , 156 f./45. Von Newman kann man das absolut nicht sagen. 374 Ebd. , 157/46, Übers. verändert.

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meine Bilder lustig machte, aber auch die Abstrakten Expressionisten nicht mochte. Er sagte, sie könnten gute Maler sein, wenn sie es nur schaffen würden, die Farbe so gut zu lassen, wie sie in der Dose war. Und das ist es, was ich versuchte. Ich versuchte, die Farbe so gut zu lassen, wie sie in der Dose war.“ 375 Stella will die Farbe ins Bild bringen, sie Erscheinung werden lassen, ohne ihre Integrität als Farbe zu brechen – durch die Zeichnung, die Ausfaltung in den Raum einer sei es abstrakten Figuration. Die Deklination der Farbe zum Bild, ihre Ausbreitung im Phänomen soll so erfolgen, dass von dieser ontologischen Güte, von ihrer Dichte als materia prima möglichst wenig verloren geht.376 Die Farbe wird so ins Bild gefüllt, wie sie in der Dose war. Das Format ist von der Farbe ausgegossen. Das Phänomen ist ein Schnitt durch das per se sich in seine Tiefe und Undurchdringlichkeit entziehende Material, es ist dessen vom Licht eloxierte Oberfläche. Die Organisation dieses Schnitts zum Bild durch das Schema der hellen Linien, die Ritzen der Leinwand sind, soll das Phänomen stabilisieren oder lokalisieren, um den konfrontativen Augenblick des Sehens, den Zusammenprall von Blick und Bild zu sichern. Stella insistiert darauf, dass nach Abschluss der Arbeit nur der Oberflächenspiegel dieser ehemals flüssigen Materie zu sehen ist. Diese Stillegung ist Bedingung und Kriterium der Bildwerdung. Er will, dass seine Streifen in die im visuellen Jetzt versiegelte Präsenz der synchronen Fläche eingehen. „I didn’t want to record a path“ 377. Lässt sich das aber vermeiden? Reinhardt hat alle Mühe daran gesetzt, die „Pfade“ des Pinsels zu verwischen. Das Bild musste als „reines Kunstwerk“ aus dem Produktionsprozess entlassen werden. Textur als Textur bleibt „record of every day experience“, Abdruck der Arbeit in der maschinischen Zeit der Produktion, und muss durch supplementäre Arbeit – „brushwork … to remove brushwork“ – gelöscht werden. Stellas dichte, taktile und oft glänzende Email- und Aluminium-Farbe ist schon phänomenal der matten, kaum lokalisierbaren Farbasche Reinhardts diametral entgegengesetzt, und die Trennung der Streifen durch die Ritzen unbemalter Leinwand, verhindern die Absolution des Bilds aus dem Raum der Produktion definitiv. In den ersten Serien, am zwingendsten in den monochromen Bildern, weil sie dort noch 375 Ebd. , Übers. verändert. 376 Die Güte der Farbe in der Dose ist keine ästhetische Qualität, es ist die Potentialität der unge-

formten Materie (hyle) vor ihrem Erscheinen. Diese reine Hyle, den Stoff vor jeder Qualifizierung, gibt es nicht. Ihr Begriff ist eine „formale Anzeige“. So interpretiert Gadamer den aristotelischen Begriff der Hyle – nicht als seienden Werkstoff eines mythischen Demiurgen, sondern als „grundlegende Hinsicht“ einer ontologischen Interpretation der Natur (vgl. H.-G. Gadamer, „Gibt es die Materie“, in: GW 6, 201–217). Dieser Stoff, die Farbe in der Dose oder der Tube, vor ihrer Explikation zu einem Stella oder einem Seurat, ist die noumenale Materie, die Virtualität oder die Differenz an sich, die wie Deleuze sagt, „nicht das Gegebene selbst [ist], sondern das, wodurch das Gegebene gegeben ist“ (Deleuze, Differenz und Wiederholung, 287). Topologisch nimmt Heideggers Erde, die sich verschließt, indem sie sich ins Offene oder die Lichtung stellt, die Stelle dieses Grenzbegriffs ein. Die Farbe in der Dose hat keine Farbe. Sie ist präphänomenal. (Zur Verknüpfung von Heideggers „Verborgenheit“ mit dem Deleuzeschen „Chaos“ s. auch Alan Badiou: „Zwei Briefe…“, in: Balke/Vogl (Hg.), Gilles Deleuze – Fluchtlinien der Philosophie, München 1996, 243–251, 250 f.) 377 Glaser, „Questions/Fragen“, 157/46.

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weniger etwas anderes sind, sind die Streifen Aufzeichnung (recording) der Pinselbewegung, auch wenn Stella das „nicht will“. Für seinen Wunsch, die Farbe so gut zu lassen, wie sie in der Dose war, sind Pollocks drip paintings und die in ihr Flüssigsein losgelassene industrial paint der manifeste Horizont gewesen. Und gegen die exzentrische Rhythmik von Pollocks Leinwänden erscheinen Stellas gestapelte Streifen tatsächlich als statisch und bildhaft gebunden, als hätte er nur in die Dose geblickt. Zugleich aber paraphrasiert seine Arbeit fast explizit das Duchamp’sche Anathema des Gemäldes als nachgeholfenem Ready-made, eine Deklination von vorgefundenen Materialien durch Wahlentscheidungen eines Autors – und immer und notwendig deren Protokoll. Der Wechsel von Farbstreifen und Leinwand artikuliert mit der räumlich-synchronen Bildfläche unweigerlich auch den Zeitraum der Arbeit vor dem Bild. Das Licht des Ready-made fällt durch die Ritzen des Phänomens in den Raum der Produktion. Es erfasst den Körper des Malers im Streifenkleid seiner dem Bildmuster unterworfenen Bewegungen. Diese ersten Serien Stellas, die statische Ikonen sein wollen, werden als gebündelte Indizes lesbar, als eine Art Daumenkino, in dem Stella – wie ihn die Fotos seines Freundes Hollis Frampton zeigen, neben sich den Eimer mit der noch sehr guten Farbe, die eine Hand in der Tasche, in der anderen den 2 ½-inch Pinsel, mit dem er die Leinwand abdichtet (fig. 71) – zweifellos nicht mehr das Bild eines „legitimen Malers“ abgibt.378 Er ist zum Produzenten eines Objekts geworden, den Anforderungen von dessen Grammatik unterworfen wie dem Rhythmus einer Maschine. Die Essenz von Malerei, die Stellas Bilder, modernistisch gelesen, noch reflektieren oder exponieren und die sie bereits als historischen Subtext – von Johns zu Reinhardt zu Pollock – in einem prekären Eklektizismus referieren, ist mit Stellas produktionsästhetischer Wendung operational geworden, eine Handlungsanweisung, die sich den Maler unterwirft. Stellas „what you see is what you see“ ist die Weiterleitung dieses Zwangs, dem er als Produzent durch die historische Konjunktion – „He wants to be Velázquez so he paints stripes“, wie Michael Fried es ausdrückt379 – unterworfen ist, an das Subjekt der Rezeption. Der Diskurs der modernistischen Abstraktion kommt in diesen Serien zu seinem Ende oder Abschluss. Nicht durch die Wiederholung des einen und einzigen letzten Bilds Reinhardts, sondern durch eine kurze und entschiedene Durchführung. Stellas Stripe Paintings deklinieren die Haut der Monade von außen. Im Licht des Ready-made, das die farblose Zutat der Zeit im Bild sichtbar macht, fächern sich die flüchtigen Vexierbilder von Schacht und Zikkurat zur Spirale der Bewegungsspuren auf, deren Enden in den hardware-stores liegen, in denen Stella sein Holz, seine Leinwand und seine Farben kauft. Indem sie das Bild zu der gänzlich eindeutigen Sache machen, die sich „ohne alle Verwirrung“ ansehen lässt, zerstören Stellas Serien 378 Juan José Lahuerta, „Der Raum der Malerei“, in: Frank Stella, Ausst.-Kat. München/Madrid

1995/96, 51–62, 55. Lahuerta stellt zu recht fest, dass das Streifenlicht dieser Jalousie auch auf den Betrachter fällt: „Stella hat auf den Raum der Malerei hingewiesen wie jemand, der den unsichtbaren Menschen entdeckt. Er hat ihn mit Farbe überschüttet.“ (ebd. , 61). Dieser sichtbare Mensch wird der Rezipient der vollplastischen Minimal Art sein. 379 Zitiert – oder paraphrasiert – von Rosalind Krauss in: „A view of Modernism“, Artforum, vol. XI, no. 1 (September 1972), 48–51, 48.

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die nicht-materielle Kohäsion, die allein die Bildfunktion, der Schein, dieser Sache verleiht. Ohne Halt im homogenen Element des Scheins zerfällt das Bild in seine materiellen Elemente. Es ist entwicklungsgeschichtlich daher nur konsequent, wenn die Minimalisten aus Stellas Frühwerk den Schluss ziehen, dass die Bildform nur eine Art Setzkasten für diese Elemente ist, ein „container“, wie Judd sagt, nichts anderes als eine überkommene Leerform, in die sich zu fügen, eigentlich keine Veranlassung mehr besteht. Es ist logisch, dass Andre – der in diesen Jahren ein Atelier mit Stella teilte, aber die seltene Eigenart besaß, kein Maler zu sein – statt flache Streifen zum Bild auszulegen, Holzbalken zu seinen brancusiesken Pyramiden stapelt und später Ziegelsteine oder Metallplatten „klastisch“ nebeneinanderlegt (siehe fig. 81–93 zur Entwicklung Andres). Es ist logisch, dass Judd für seine Produktion ein weiteres Spektrum von Materialien und Techniken ansetzt, als das Metier der Malerei und der container der Bildform zuließen. Die Verdichtung des Ikons zum Bild-Ding, die Ausrichtung der Selbstreflexion der Malerei auf den materiellen Bestand der Bildelemente hat von sich her zum Zerfallen, zu einer Autodestruktion des Bilds als Gattungsform geführt, die bei Stella paradigmatisch zu beobachten ist. Die Ebene der Bildpräsenz ist nur mehr der synchronisierende Schnitt durch den mundanen Raum und die Zeit der Produktion. Ein Schnitt durch die schon gegebene Welt, der seine Kohärenz nur der Wiederstandskraft, der Tauglichkeit der Materialien verdankt, in denen er überdauert. Dieser prekäre Schnitt ist bei Stella zum letzten Mal zugleich der ideale Ort des Bildes, an dem die Spirale der Bewegungsspuren für den Moment des Blicks ruht. Für den Moment eines Sehens, das „ohne alle Verwirrung“ bleibt, das sich der Tautologie unterwirft und nur sieht, was es sieht, den Zement des Gegebenen. Stella selbst reagiert in seinen folgenden Serien auf den drohenden Bildzerfall und das misreading seiner minimalistischen Freunde380 mit der Restitution eines gewissen Illusionismus, durch eine Faltung der Vexierbilder, die sich nicht mehr auf das Umspringen zwischen Schacht und Zikkurat beschränken, deren Stufen ebenenparallel und gewissermaßen trittsicher blieben. Zuerst in den Irregular Polygons (1965/66, fig. 74–76) sorgen die Schräglagen von Formelementen, die zugleich als Teile der Gesamtform des Bildes erscheinen, für eine Abweichung zwischen den realen Maßen des Trägers und der erscheinenden, virtuell in den Raum gefalteten Fläche. Es gibt sogar virtuell unsichtbare Flächen, die hinter anderen liegen, wie im Raum figurativer Malerei. So ist die Bilderscheinung, obwohl sie Flächenbild bleibt, größer als die reale Fläche des Trägers. In den vorangehenden Running-V Paintings bezieht der Anschein einer Faltung oder Knickung noch den realen Träger ein (fig. 72, 73). Wenn hier eine Täuschung entsteht, dann die, dass Leinwand und Keilrahmen selbst im realen Raum geknickt sind – Bild und Träger aber bleiben dabei kongruent. In 380 Vgl. die Abgrenzungen Stellas in Rubin, Frank Stella, New York 1970, z. B.: „The sculptors just

scanned the organization of painting and made sculpture of it. It was a bad reading of painting; they really didn’t get much of what the painting was about. Repetion is a problem, and I don’t find it particularly successful in the form of sculptural objects. […] Repeated units on a unified painted ground function a lot differently than do separate units standing on a floor or nailed to the wall“ (dort, 70).

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den Irregular Polygons ist der Bildschein nach den materialistischen Exerzitien der Stripe Paintings zum ersten Mal wieder mehr als die Summe seiner Teile. Die Bildgrammatik lässt wieder den Konjunktiv zu. Und dieses Mehr des Scheins gibt dem Bild die Kohäsion zurück, die es im Minimalismus verliert. Der Schein fängt die materiellen Elemente, die zu Modulen einer rein repetitiven Parataxe geworden waren – zu Modulen wie die Kanthölzer, die Ziegelsteine oder Metallplatten Andres –, durch ihre elastischere Syntax wieder ein. Im „Kampf um Stellas Seele“ bleibt dieser selbst nicht neutral.381 Er entscheidet sich für – die Malerei. Es ist bald nicht mehr Pollock sondern Caravaggio, der sein Nachdenken über den Raum und die Fläche orientiert.382 Und dennoch ist keine Rückkehr auf die Bühne der Repräsentation möglich. Stellas Malerei entfaltet sich vor der Bildebene im verzerrenden Licht des Spektakels (fig. 77–80).

Das minimalistische Objekt und die kantischen Synthesen. – Die Herausforderung des Minimalismus zeichnet sich nach diesen Überlegungen von selbst ab. Johns und Rauschenberg sprechen in einem regulierten Spiel zwei Idiome gleichzeitig, eine einfache, zweistimmige Fuge. Bereits für Stella ist der Pol des Ready-made kein Idiom mehr, ihn nehmen die „guten“ Materialien ein, Dosenfarbe, Leinwand und Holz, die er auf möglichst pragmatische Weise zu einem möglichst eindeutigen visuellen Objekt verarbeitet. Nur bleibt auch dieses Objekt noch ein Bild-Ding, ein Zwischending zwischen Bild und Ding. Es ist noch handgemacht, und diese Handarbeit hat die „guten“ Materialien auf die konventionelle Form des Bildes aufgezogen, über den Schacht gespannt, der das Bild einmal war. Nach beiden Seiten – der Indexikalität und der Ikonizität – ist Stellas Bild noch in lesbarer Weise geöffnet. Auf den operationalen Raum der Produktion (des Körpers und des repetitiven Malprozesses) und auf den ikonischen Raum der Vexierbilder und ihrer wechselseitigen Löschung. Im Minimalismus – und im Folgenden spreche ich vor allem von Judd – scheinen diese beiden Seiten definitiv kontrahiert, ihre Entfaltung abgeschnitten. Hier kreuzen sich Ready-made und Monochrom, Warenform und absolutes Bild an einem stummen Ort. Serielle oder industrielle Produktion und radikal abstrakte Malerei sind definitiv nicht mehr als künstlerische Optionen, sondern als Momente eines Produktionsdispositivs aufgefasst. Judds eigensteife Materialien haben das specific object vom Rückhalt der Wand befreit. Es ist im real space gelandet. Es hat im Idealfall keine Rückseite mehr. Träger und Phänomen sind ineinander verschmolzen. Judds tautologische Präsenz meint diese Selbstaus381 Vom Kampf um Stellas Seele – zwischen ihm selbst und Carl Andre, zwischen dem traditions-

bewussten modernism und dem nihilistisch-dadaistischen minimalism – spricht rückblickend einmal Michael Fried (s. H. Foster (Hg.), Discussions in Contemporary Culture 1, Seattle 1987, 79). Wir kommen nachher in Bezug auf Frieds und Judds opponierende Pollock-Lektüren darauf zurück (III. A). 382 Frank Stella, „Arbeitsraum / Working Space“, in: ders. , Die Schriften / Writings, Köln/Jena 2001, 10–173.

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sage seiner materiellen Identität. Es ist visuell kompakter, resistenter als ein noch so inkarniertes Bild Stellas. Es weist keine ikonische Schwingung mehr auf. Deshalb ist der Raum, in dem es Objekt ist, homogen und nicht mit dem Schein vermischt, der in den Bildern war. Die Positivität seiner Gegenwart, seines Gegebenseins ist massiv. Denn auch nach der Seite des temporalen Entzugs der Spur ist das specific object scheinbar stumm und bloß resistent. Es ist in die Spurlosigkeit der industriellen Produktion getaucht. Über ihre Herstellung geben die Oberflächen seiner Materialien keine Auskunft. Dieses emphatische Schweigen – im Vergleich zum Handwerk der Malerei, von der Sanduhr Seurats bis zu der Gymnastik Stellas – umhüllt diese Objekte und gibt dem die Resonanz, was Judd ihre Kraft oder Intensität und visuelle Unmittelbarkeit nennt. Wir werden diese Konstellation quer lesen müssen. Werfen wir einen Blick auf eine der Plexiglasboxen, die es in mehreren Farben und Ausfertigungen gibt (fig. 94, 95). Da sind nur diese Materialien. Sie bilden nicht eigentlich ein kohärentes Objekt: „Box“ ist nur ein Name der Syntax, des Plans, nach dem diese fünf Ready-mades – zwei Metallplatten und drei Plexiglasplatten – zusammengesetzt sind und von den gespannten Drahtschnüren zusammengehalten werden, deren Zugkraft die Metallseiten auf die eigensteifen Plexiglasplatten übertragen. Die ganze Form und das ganze Material ist von einem Kreislauf der Kräfte durchflossen, der die Box zusammenhält. Die Plexikiste hat keinen Boden und kann keinen haben, da durch die rückseitige oder unterseitige Öffnung die Drahtschnüre gespannt werden mussten. Der Innenraum war der Arbeitsraum, ehe die Box, die eine Haube ist, über ihn gestülpt wurde und er sich in gefärbtes Volumen verwandelt hat. Aus ihrer extremen Ökonomie und technischen Lesbarkeit bezieht diese visuell geradezu schüttere Arbeit ihre „Kraft“. Wie bieder und schwerfällig ist ein Gemälde Stellas dagegen. Wieviel träges, unverbrauchtes Material enthält es noch. Die ganze saugfähige Leinwand, die den Abdruck des Pinsels trägt, und das schwere Holzskelett, das dem Bild den Körper leiht. Das alles hält nur zusammen, weil es ein Muster gibt, das den deutlich lesbaren Raum der stupiden Produktion durch den ebenso stupiden ikonischen Effekt des Vexierbilds auswiegt und in die synchrone Fläche bindet. In Judds Materialien ist dieser Raum der Produktion selbst transparent geworden. Seine Strukturen und Abfolgeverhältnisse sind in der Anonymität des industriellen Dispositivs aufgelöst. Sie sind in der Zeit der Gussform gespeichert, deren Abwesenheit die Materialien umgibt. Ihre Oberflächen spiegeln in dieser, der zeitlich-indexikalischen Richtung, in der sich Stellas Bilder auf den working space auffächern, die Homogenität des in ihren Produktionsmitteln akkumulierten Kapitals, der toten Arbeitszeit. Die Streifen, die Stellas Bildebene schließen, registrieren noch die Sequenz der Arbeitsschritte. Im Glanz und der Glätte von Judds Materialien ist dagegen jene Absolution vom Raum der Produktion erreicht, die Reinhardt mit seinem supplementären, sich selbst verwischenden „brushwork“ anstrebte. Für Reinhardt war diese Verwischung die Bedingung dafür, dass die Bildmembran jene transchrone Erinnerungstiefe gewinnt, die das Vergessen der Zeit als Nacheinander ist. Für Judd ist die Perfektion der Oberflächen der Garant der vollen Präsenz, die er, vor dem Hintergrund seiner Inter-

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pretation der Abstraktion als Rückzugsbewegung aus der repräsentationalen Selbstverstellung des Bildes, als Ziel seiner Arbeit auffasst. Judd sieht den Stau der Zeit im Rücken, auf der Rückseite seiner Materialien nicht. Wir haben den Begriff von Indexikalität soweit formalisiert, dass klar wird, dass die „Kraft“ der unmittelbaren Präsenz, von der Judd spricht, der intra-phänomenale Ausschlag dieser in ihnen gestauten Zeit, der abstrakten, in keine Sequenzen mehr auf lösbaren Arbeitszeit ist, ein stummer Nachhall ihrer realen Ursache im Blick der verspäteten Anschauer. Duchamp bietet dieses Modell der Analyse und Querlektüre des Judd’schen Präsenzbegriffs an. Aber hat eine solche Beschreibung etwas mit Judd, mit Judds Intention zu tun? Sofern er sich in seinen Schriften und seinem Selbstverständnis auf den Raum der visuellen Unmittelbarkeit, ins Element der phänomenalen Gleichzeitigkeit zurückzieht – und wir werden die Strategien dieses Rückzugs noch genauer analysieren –, offenbar nicht. Aber findet eine Analyse, die die Anachronie der Materialien mitliest, wenigsten eine Resonanz in seinem Werk und dessen eigensinniger Artikulation? Eine Resonanz im „Unabsichtlich-Ausgedrückten“, im „Kunst-Koeffizienten“ 383 seines Werks? Sie findet diese Resonanz in den Plexiglasboxen, in deren Inneren die Drähte gespannt sind, in deren „Brust“ der Wasserfall rauscht. Judd hat hier die phänomenale Anonymität der verwendeten Materialien unterbrochen. Die Box wird zur Vitrine, in der die Syntax ihrer Herstellung und der in ihrer Gegenwart wirkenden Zeit ausgestellt ist. Aber die Plexiboxen sind tatsächlich ein Sonderfall. Judd hat nur hier einen Begriff, eine Form für diesen Anschluss der visuellen Gegenwart seiner Objekte an die entropische Zeit gefunden. Meistens zeigt sich dieser Anschluss bei ihm, ähnlich wie bei Reinhardt, im Modus der Negation, des erstickten oder abgeschnittenen Worts. Wir werden in den nächsten Abschnitten daher Judds Werk immer auch von den symptomatischen Stellen, den Risslinien, den Fugen her lesen. Die Auseinandersetzung bleibt zum guten Teil eine Fallstudie. Im Wesentlichen wird es darum gehen, zu zeigen, wie von der Seite der Malerei her, des Bildes und der Immanenz der ästhetischen Gegenwart, das Verhältnis zur Zeit der Produktion sich artikuliert. Es wird – mit Blick vor allem auf Pollock und Mondrian – um eine erst wirklich tragfähige Bestimmung des Begriffs und der Geschichte der Abstraktion gehen – und um die engere Frage schließlich, aus welcher Sicht auf diese Geschichte heraus Judd gedrängt ist, industriell produzierte Materialien zu verwenden und diese – ohne im entferntesten Duchamp und das komplexe Paradigma des Ready-made im Sinn zu haben – als Abschluss der Repräsentationskritik der modernen Malerei zu betrachten. Es geht darum, die von der Epistemologie des Bildes her aufgefasste Arbeit der Abstraktion in ihrem Verhältnis zur Logik der industriellen Produktion, zur abstrakten Arbeitszeit zu begreifen. Die Frage aber, die sich im Wiederanschluss an die allgemeinen Überlegungen zum Werkbegriff und zur Seinsweise des Werks vom Beginn des Kapitels zunächst stellt, ist noch einmal grundsätzlich. Wir haben Bild und Spur, die Synchronie des An383 Duchamp, „Der kreative Akt“, ST 239.

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blicks und die Linie der historischen Zeit als die Grundachsen bestimmt, nach denen sich das Weltverhältnis des Werks bestimmt (s. o. „Die Zeit des Bildes und die Zeit der Spur“, S. 93 ff.). Ich würde nun statt von der „Linie der historischen Zeit“, die bereits diegetisch und narrativ ausgelegt ist, von der „Tiefe der sedimentierten Zeit“ sprechen – denn in dieser Sedimentation besteht die Wirklichkeit der Vergangenheit, nicht in der Erzählung davon. Wir haben diese Achsen einerseits ontologisch formalisiert und auf die innere Spaltung des Zeitbegriffs in das noumenale Werden und den Präsenzhof des phänomenalen Bewusstseins bezogen – mit der Linie der (von der Sprache und vom Kalender) gezählten Zeit als Ausdruck ihrer Verzahnung. Wir haben sie aber auch entformalisiert und als künstlerische Optionen sichtbar gemacht, als Dimensionen, in denen sich Werke in unterschiedlicher Weise und Gewichtung auf die Welt öffnen. In den Beispielen von Johns bis Stella ist die Artikulation dieser Dimensionen noch explizit lesbar geblieben. Es sind eben noch bildförmige Arbeiten, die in radikal divergierender, aber expliziter Weise auf die Zeit des Index bezogen sind – ob als Sprung in den Strom der Zeit, in die Kontingenz wie bei Rauschenberg – oder in Form der bestimmten Negation wie bei Reinhardt. Im Minimalismus sind nun definitiv nur noch die strikt formalisierten Begriffe dessen, was hier Bild – nämlich abgesehen von aller figurativen Ikonizität oder ähnlichkeitsvermittelten Verweisung – und was hier Spur – nämlich abgesehen von jeder Konturierung und Datierbarkeit eines Abdrucks und seines Typos – heißen soll, anwendbar. Das überhaupt hat zu Anfang die Formalisierung der Begriffe angestoßen und ist der Grund dafür gewesen, die Frage nach der Seinsweise des Werks als ontologische Frage zu fassen und den Werkbegriff von Modellen expliziter, kanalisierter Referenzbildung soweit wie möglich freizuhalten. Die Bildform ist als Form der Bewusstseinsgegenwart bestimmt, als Form der Welt selbst, sofern sie im Licht des Präsenzbewusstseins eines Ich erscheint, als mensurierte Gegenständlichkeit. Spur ist, was in die Dimension des Alters und Alterns der Welt verweist, in dessen Schnittfläche zur Zukunft sich dieses Gegenwartsbewusstsein konstituiert. In der Kreuzung der so temporalontologisch bestimmten Dimensionen von Bild und Spur steht das minimalistische Objekt, gerade sofern es die spezifische Ausgestaltung oder Figuration jeder dieser Dimensionen verweigert. In der daher erzwungenen Formalisierung besteht aber weiterhin die Schwierigkeit. Denn zwar lässt sich die tautologische minimalistische Präsenz von den formalisierten Begriffen von Anblick und Spur aus als eine Kreuzung dieser Achsen begreifen. Aber das scheint nichts daran zu ändern, dass ein Cortenstahlkubus, eine Reihe von Metallplatten, eine Neonröhre einfach Vorhandenes sind. Es lässt sich schwer behaupten, dass sie ihr Weltverhältnis artikulieren oder explizieren, durch welche Bewegung sich das Werk vom nur vorhandenen Objekt unterscheiden soll. Die Formalisierung ist vielleicht zu weit gegangen und hat alle spezifischen Kriterien der Anwendbarkeit der Begriffe von Bild – als Synchronie des Anblicks – und Spur – als Distention der Zeit des Materials – aufgelöst. Scheinbar ist nun nur noch gesagt, dass die minimalistischen Objekte wie alle sonstigen Gegenstände unter jenen zwei Hinsichten betrachtet werden können, die bei Kant die Elemente der mathematischen und der dynamischen Synthesis sind, in deren Kreuzungspunkt schlechthin

Das minimalistische Objekt und die kantischen Synthesen

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jedes Erfahrungsobjekt steht. Jedes Objekt kann und muss betrachtet werden hinsichtlich seiner räumlich gegenwärtigen Form und jetzt gegebenen sinnlichen Qualitäten (Farbe, Dichte, Temperatur etc.) und unter dem Aspekt seines „Daseins in der Zeit“ und seiner Wechselwirkung mit allem, was sonst ist, wodurch seine Form nurmehr als Momentaufnahme in einem allgemeinen Prozess der materiellen Transformation bestimmt ist. Kant hat diese beiden grundsätzlichen Hinsichten in der Unterscheidung zwischen den mathematischen und den dynamischen transzendentalen Grundsätzen zum Ausdruck gebracht. Die mathematische Synthesis ist Synthesis des Gleichartigen – Synthesis einer Mannigfaltigkeit, die zuvor von der Einigungsform des Raums übergriffen ist. Die dynamische Synthesis bezieht sich dagegen auf das „Dasein“ der Gegenstände möglicher Erfahrung in der Zeit – und ist Synthesis des Ungleichartigen, das, wie Ursache und Wirkung, notwendig zueinander gehört. Diese beiden aufeinander irreduziblen, aber unlösbar ineinander verschränkten Achsen bilden die Grundparameter der kantischen Ontologie.384 Das Beharren des minimalistischen Objekts auf seiner zeitlichen, räumlichen und materiellen Identität zieht die beiden Dimensionen, die des räumlichen Anblicks des Bildes und die des zeitlichen Entzugs der Spur in sich zusammen. Ihre absolute Konvergenz wäre im Spiegelbild erreicht und wir werden auf die entscheidende Rolle des Glanzes und der verschleierten Reflexe gerade bei Judd noch stoßen. Die Tautologie „verzwirnt“ diese zwei Dimensionen zur ontologischen Grundbestimmung des Objekts, als welches das minimalistische Werk sich gibt. Die Tautologie scheint das Werkgeschehen, das wir als die Explikation dieser Dimensionen bestimmt haben, zum Vorhandensein des Wahrnehmungsdings zu komprimieren. Das Readymade kann zwar lehren, dass ein lange für arbiträr gehaltenes Objekt, wenn es nur als „Kunst“ deklariert ist, auch von seiner opaken Passivität nicht daran gehindert wird, mit der Zeit ein gewisses Volumen an Sinn aufzufangen. Dennoch, im Fall von Judds industriell produzierten Post-Stella-Paintings dreht sich die Tautologie um jenen Punkt, dessen eine Seite die sinnliche Unmittelbarkeit ist – die eklatante Evidenz des „what you see is what you see“ –, die das reine aistheton aus der längsgerichteten Zeitlichkeit der Indexikalität, der In-Formation des Produkts reißt oder diese an den Rand drängt (auch dies ein Bild-Rand, aber im temporalen Feld). Und Judds ganzer Diskurs will die Ebene unmittelbarer Sichtbarkeit, die durch diesen Punkt oder diese Seite des Punkts läuft, als Sinnhorizont des Werks etablieren und stillstellen. Und diese Ebene soll glatt sein und nicht wie die Ready-mades ein Auffangbecken für den Zu-Fall des Sinns. Die andere Seite desselben Punkts aber bleibt die Kontinuität der trägen, unzerstörbaren Materie, deren präsente oder gegenwärtige Form notwendig und – da Judd den Bildschein vermeidet, der der vergehenden Zeit konstitutiv entzogen ist, – bis ins Innerste Aufzeichnung, Protokoll, Indiz seiner Produktion oder Formung bleibt. Die Tautologie kontrahiert oder verwindet diese beiden Seiten, die beiden formal unterschiedenen Dimensionen nicht-arbiträrer, nicht-konventioneller Referenz zu der blockhaften Gegenwart eines homogen

384 Vgl. KrV A 158 ff. / B 197 ff.

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materiellen und durch die Zeit persistierenden, dabei aber wie der ideale Bildschein chronophoben Objekts. So würde in der Malerei der Tradition eine mathematische Synthesis – die ähnlichkeitsvermittelte Beziehung auf den Referenten – die Hauptachse des Weltbezugs des Werks ausmachen, während die dynamische – die kausal vermittelte zu den Pinseln, zu den Marktpreisen der Farben, zur Halsstarrigkeit der Auftraggeber etc. – den Rand des Bildes von außen konturiert und ihm den Text der nur dokumentarischen oder archivarischen Historie einschreibt. Die Moderne aber wäre in einem wesentlichen und breiten Strang ihrer Entwicklung eine Eintrübung der ikonischen Dimension, eine Auf lösung der mathematischen Ähnlichkeit, der Figuration. Und egal, wo man den Anfang dieser Eintrübung setzt – ob sehr früh mit dem Auf tauchen eines gewissen „Menschen“ in der Tiefe eines gemalten Spiegelbildes, wie Michel Foucault in seiner Analyse der Meniñas von Velázquez, oder mit dem ersten impressionistischen tache, einem Fleck Tubenfarbe auf einer Bildoberfläche –, dem Einzug der ikonischen Ähnlichkeit ist notwendig eine andersartige und zunehmende Ausdrücklichkeit des indexikalischen Weltbezugs des Werks, die zunehmende Relevanz seiner Faktur, wie der russische Konstruktivismus sagt, korrelativ. Zwangsläufig rücken mit dem Aufstieg des Bildes in seine materielle Gegenwart die akzidentiellen, zeitlich-kausalen, gewesenen, gegenwärtigen und zukünftigen Beziehungen zu der materiellen Welt, die es umgibt, in den Blick. Das kann eine Gestalt austarierter Balance und ausdrücklicher Verflechtung annehmen wie bei Johns – oder in einer gegenläufigen Bewegung, wie bei Reinhardt oder Judd, der Versuch einer Löschung oder Abdrängung der indexikalischen Dimension sein. Im Licht des Ready-made, im Licht eines formalisierten Begriffs von Indexikalität bleibt diese Löschung der Spur als Spur lesbar. Sie verteilt den Nabel der Produktion über die ganze Oberfläche des Bildes. Um das Verhältnis dieser von der Produktion geprägten Gegenwart des Materials zum Begriff des Bilds und seiner Synchronie bei Judd und auf dem Weg zum Minimalismus soll es im Folgenden gehen.

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III. Abstraktion und Deterritorialisierung. Von der Bildepistemologie zur Produktionslogik

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Die Abstraktion und das Weltverhältnis des Werks. – Mit dem letzten Kapitel hat die Frage nach dem Weltverhältnis des Werks eine klarere Struktur gewonnen. Sie ist in ihrer Verschränkung – nicht Identität – mit der Frage nach der Seinsweise des Kunstwerks erfasst. Es ist diese Frage in der Linie der Heideggerschen Kritik der Ontologie der Vorhandenheit, die für alles Seiende unterschiedslos die Kategorien zu liefern beansprucht, auf die gerade die objekthafte Kunst des Minimalismus führt. Sind Kunstwerke überhaupt als Objekte bestimmbar, als innerweltlich vorhandene Objekte, die eine Bezugsstruktur in sich einfalten und sich so zusätzlich öffnen auf eine Welt? Macht nicht die Grundverfassung dieser Bezugsstruktur und also die Nicht-Identität des Werks mit sich selbst oder mit dem Objekt, als das es vorhanden ist, eben die Seinsweise des Kunstwerks aus? Muss nicht also diese Seinsweise als das Geschehen einer Disidentifikation bestimmt werden, in dem der vorhandene Gegenstand nur einen Pol oder einen Herd, den lokalen materiellen Träger bildet? Wir haben gesehen, wie eng die Frage nach der Seinsverfassung ihres Gegenstands mit der Methodenreflexion und der disziplinären Verfassung der Kunstgeschichte verschränkt ist und ihr oft ungeklärtes Selbstverständnis als Wissenschaft affiziert. Für die kunstwissenschaftlichen Disziplinen ist der Objektbegriff zunächst indifferent der Begriff des (logischen) Gegenstands, des Trägers oder Kreuzungspunkts ihrer Prädikationen. Das Werk ist als das logische Objekt der Referent, in dem sich ihre Aussagen überschneiden. Die Existenz eines solchen Kreuzungspunkts ist aber alles andere als sicher, sofern es völlig heterogene Elemente sind, die die Aussagen der Quellenkritik, der ikonografischen Sinnforschung und der phänomenologischen Formanalyse tragen, so dass diesen methodischen Grundstellungen je ein anderer Begriff des Werks als Objekt entspricht. Geflecht und Residuum materieller Spuren, Zeichen oder Dispositiv von Zeichenelementen, je aktuales ästhetisches Phänomen – diese Objektivationen, unter denen das Kunstwerk den maßgeblichen etablierten Disziplinen erscheint, lassen das Werk selbst als das Feld zwischen diesen getrennten Seins- und Sinnschichten erscheinen. Das Werk – der „Gegenstand“ der Kunstwis-

224 senschaft – ist kein Objekt, kein solide Vorhandenes, sondern das Geschehen, das diese Schichten trennt und aufeinander bezieht. Vor allem mit Blick auf Duchamp habe ich nun die Nicht-Identität des Kunstwerks mit sich „selbst“ oder mit seinem Körper und seine Resistenz gegenüber den Kategorien einer Ontologie des Vorhandenen entfaltet. Es ist vor allem nicht mit sich gleichzeitig. Seine Ungleichzeitigkeit mit sich ist die Spanne seines Geschehens oder seiner Geschichtlichkeit. Die Ontologie des Werks muss die Ontologie dieses Geschehens sein. In deren Zentrum steht die Heterochronie der Zeitformen von Bild und Spur. Damit sind nicht mehr jene eingrenzbaren Verweisungsstrukturen angesprochen, mittels derer das Werk seine tautologische Präsenz überschreitet, indem es auf anderes Seiendes – das Gezeigte des Bildes oder den Typos (die Ursache) der Spur – verweist, sondern es sind die Bedingungen der Möglichkeit dieser Überschreitung gemeint. Die Synchronie des Raums, in der das Werk mit seiner Welt kopräsent ist, die sich aber ebenso ikonisch, im Element der Ähnlichkeit, öffnen kann auf ein räumlich und temporal distanziertes Gezeigtes wie in der Malerei und Skulptur der Tradition – und die Diachronie oder Dischronie der Spur: die ständig zunehmende zeitliche Distanz, die jedes informierte Material vom Datum seiner Prägung trennt, einem Datum, das in sich gedehnt und gestaffelt sein kann und sich auf die in den Produktionsmitteln, deren Abdruck es trägt, gestaute Zeit entgrenzt. Wenn das Werk ontologisch als Geschehen bestimmt werden soll, als Geschehen der Artikulation des Zwischenraums seiner Nicht-Identität mit den Gestalten seiner wissenschaftlichen Objektivation, ist es nicht Zeigendes im Hier und Jetzt der Wahrnehmung, noch Gezeigtes und dessen Sinn, noch Spur im Archiv der absoluten Vergangenheit, sondern die artikulierte Struktur der Leere, die sie trennt. Diese Leere oder dieses Nichts ist der Spielraum der Wahrheit des Werks. Es ist im Bild der Tradition – im perspektivischen Bild – der Schein der Bildtiefe, das ens imaginarium des Raums, das die pigmentierte Bildebene von dem Gegenstand trennt, dem sie für ein daran nie unschuldiges Auge Erscheinung gibt. Es ist im Fall der Spur die Distention der Zeit, die der Abdruck eines Augenblicks in einer resistenten Materie überdauert hat. Zweifellos ist diese Resistenz der Materie so unabdingbar wie ihre Berührung durch den Typos, dessen Spur sie trägt. Zweifellos ist das Gezeigte, das im Zeigenden des Werks auf behalten ist, wesentlich zu seiner Sinn- und Geschehnisstruktur gehörig. Der Zwischenraum bedarf dieser Markierungen im Seienden um zu geschehen. Aber als solcher ist er nie etwas Gegebenes und war und wird es nicht sein. Ich habe mit Duchamp einen Begriff der Seinsweise des Werks entwickelt, der vor allem die temporale Struktur dieses Geschehens beschreibt. Die déclaration oder Datierung des Ready-made, die als die Produktion des Werks von der Herstellung des Objekts unterschieden ist, öffnet einen Zeitspalt, durch den sich sein Werden in die Zukunft, die verspätete Gegenwart seiner Anschauer projiziert. Die Geste der déclaration – die Selbstdatierung des Werks, sofern es nicht Ausdruck einer auktorialen Intention ist, sondern die Autorfunktion in seine Struktur integriert – bringt diese „völlige[n] Verschiedenheit“ (IS 134) zwischen dem Serienprodukt, das den Raum der Austauschbarkeit mit „seinen Kumpeln“ (IS 107) teilt, und dem Werk her-

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vor, das der singuläre Prozess oder die Zeitgestalt ist, deren Anfang oder Ursprung im Datum seiner Setzung liegt und deren Träger oder Fortpflanzungsmedium die Existenz des Ready-made ist. Die Seinsweise des Ready-made ist das gerade nie fertige Geschehen der exposition dieses Körpers, der dabei auch verloren gehen oder sich multiplizieren kann, es ist das Geschehen der Projektion des Ready-made in die (immer zukünftige) Gegenwart seiner Anschauer, die der Projektionsschirm für das ephemere und schwankende und alle zehn Jahre mit der Struktur des Schirms sich ändernde Bild des Ready-made abgibt. Duchamp hat diese Struktur mit dem Vorgehen der „normalen Malerei“ (IS 104, Zit. umgest.) verglichen, die eine Vielzahl von Ready-mades, nämlich die Flecke der Tubenfarben auf einer Leinwand exponiert und seinen zukünftigen Anschauern entgegen sendet. Diese Tubenfarben sind bei der repräsentationalen Malerei so gesetzt, das die Sendung bei ihrer Ankunft im Auge eines Anschauers sich umkehrt und sich im Medium des Scheins auf eine repräsentierte Szene öffnet, die ihre eigene Zeitstelle in der Vergangenheit wahrt – oder wiedergewinnt. Je in der Gegenwart der Anschauer wird das durch die Zeit erstreckte Kontinuum materieller Resistenz der auf dem Bildschirm informierten Farben zur Öffnung für einen Blick, der im Element des Bildscheins in die Vergangenheit zurückreicht – zur gewesenen Gegenwart des Repräsentats. Dass der Blick in Gegenrichtung jene Zeit durchläuft, die die Materie des Werks im Lauf ihres Alterns überdauert hat, dass also die scheinbare Raumtiefe des Bildes zugleich der wachsende zeitliche Abstand seiner Gegewart zu seinem Noema ist, diese doppelläufige Temporalität, gehört zur Grundstruktur der repräsentationalen Malerei, die die Moderne zu löschen versucht. Bei Seurat, um hier einen Anfang der Destruktion dieser Struktur zu markieren, ist die Reetablierung der repräsentierten Zeit und Szene an die physiologische Arbeit des Auges eines lebendigen Körpers gebunden, das aus den materiellen Farben des Schirms den Raum und die Zeit der Bildszene nur mühsam wieder ausgräbt. Mondrian fasst in diesem Schirm die Elemente der potentiellen Repräsentation zusammen, die unmischbaren Grundfarben der Pigmente und die extremen Richtungen der Fläche, die Senkrechte und die Waagrechte. Seine Analyse isoliert im Tableau, dem Ort des Bildes, die Produktionsmittel des Scheins und setzt sie in dynamische Beziehungen zueinander, die ihr Zusammenströmen zum figurativen Bild, ihre rückläufige Aushöhlung auf eine im Bild nur gezeigte Vergangenheit verhindern. Damit ist das Bild aus der memorialen Bindung, dem Raum des Gedächtnisses und des Todes gelöst und epistemologisch der Zukunft, den „Menschen der Zukunft“ zugewandt, wie die Widmung in Mondrians Neo-Plastizismus-Essay von 1920 lautet. Ad Reinhardt mischt dieselben Elemente des Bildes zu einer Repräsentation neuen Typs. Eine Repräsentation ohne Figur, eine Repräsentation, die die Totalität der Welt in die Immanenz des Bildraums einholen will, in die Camera obscura eines Auges, das nicht auf einen selektiven Aspekt, auf den kegelförmigen Lichteinfall der Welt geöffnet ist. Das Bild leistet hier, eher als dass es einen Schnitt durch einen solchen Lichtkegel legt, eine Strukturanalyse der Blindheit, einer innervierten, als Rezeptivität gefassten Blindheit, des in die Vergangenheit des eigenen Körpers eingelassenen Sehens. Stella schließlich strafft die Plane der Leinwand zum Boden einer

226 Resistenzerfahrung für den Blick. Hier ist weder an eine Vergangenheit noch an eine Zukunft appelliert. Die Seherfahrung wird zur gymnastischen Übung auf dem Sprungbrett der visuellen Tautologie. Das Werk soll Objekt geworden sein und das Objekt soll eingegangen sein und fixiert bleiben in der Aktualität seiner physischen Gegenwart für einen „Blick aus Fleisch“ 385. Es ist dieses Programm, das Judd ohne den Rückhalt der Bildform, jener Scheibe an der Wand, die kein Fenster mehr ist, im real space weiterführt. Die Gegenwart, so scheint es, ist das für die spezifischen Objekte einzige und sie durchdringende Daseinselement geworden. Von Duchamp aus können wir sehen, worin die Problematik dieses Versuchs, die zeitliche Disidentität des Werks zu löschen und das Werkgeschehen auf die Schicht seiner physischen Aktualität einzuschränken, zumindest in der Ausprägung besteht, die er bei Stella und dann in extremis bei Judd gewinnt. Das Material jener Objekte, die ihren Sinn im Angesehenwerden finden, soll aus der repräsentationalen Bildtiefe, soll von einem Gegenstand, den es nur zeigt, losgeschnitten sein und eingehen in die Schicht seiner physischen Aktualität. Mit der Loslösung aus der Dimension der Repräsentation ist hier ein Kollaps der Zeitstruktur des Werks überhaupt verbunden, die sich in der Malerei der Tradition in der Dialektik von Spur und Bild, Materie und Schein, in der Gegenläufigkeit der Zeit der Überlieferung (des Alterns, der Persistenz der Spur) und der Zeit des Blicks zeigt, der den Schein im Bild erweckt und sein Repräsentat vergegenwärtigt. Duchamp hat – auch wenn die Readymades rückhaltlos non-repräsentational sind – gerade diese zeitliche Extension, den wachsenden Abstand von Datierung oder Produktion und Gegenwart des Werks struktural artikuliert. Diese ist die Spanne, die der „Lichtkegel“ der exposition im vierdimensionalen Kino der Geschichte überwinden muss und aus der Sicht der verspäteten Anschauer immer schon überwunden hat. Die gesamte Spanne dieser Zeit gehört zur Gestalt des Werks oder des Werkprozesses, der mit der Datierung beginnt. Es gibt hier also zwar keine Bildtiefe, durch die der Blick in die Vergangenheit eines Repräsentats gelangen könnte, aber die temporale Spanne ist explizit offengehalten. In Judds Sichtweise zählt dagegen nur die Schicht unmittelbarer Gegenwart, jene Präsenzebene, in der das Werkgeschehen sich mit der aktualen, d. h. leiblichen Erfahrung seiner Betrachter schneidet. Judd zumindest will, dass seine Objekte ohne den Schleppsack der Erinnerung, sei sie ikonisch oder indexikalisch gebannt, in der Gegenwart ihrer Anschauer ankommen. Er will, dass sie die Zeit schnell, ohne Reibungsverlust durchqueren, was neben der Bildlosigkeit vor allem durch die industrielle Produktion seiner Materialien sichergestellt sein soll. Diese rückhaltlose, auf die leibhaft visuelle Unmittelbarkeit in der Wahrnehmung eines Betrachters verkürzte Gegenwart des Werks ist das einzige Element, das für seine ästhetische Geltung – dafür wie gut, wie intensiv und kraftvoll es ist – Relevanz beanspruchen kann. Das specific object schwimmt in seiner 385 M. Foucault, Die Ordnung der Dinge, 377. Es ist in der Tat „der Mensch“, dessen Spur Foucault

in der Schliere im Spiegel der Meniñas entdeckt, als Ankündigung der Rückbindung des Raums der Repräsentation an diese „empirisch-transzendentale Dublette“ (ebd. , 384), der zum voll inkarnierten Betrachtersubjekt der Minimal Art wird (s. o. , S. 36 ff.).

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visuellen Gegenwart, in der Schicht seiner aktualen physischen Präsenz. Die Tautologie hat es von allen strukturierten Beziehungen auf die Welt losgeschnitten. Die Träger dieser Präsenz – der Körper des Betrachters als Träger des Blicks einerseits und der Ort, die Architektur, die Institution als Träger der Exposition des Objekts andererseits – sind in dieser Aktualität vergessen. Judds Werk ist für die Aporien, die diese Reduktion mit sich bringt, und die die meisten Beispiele formal-abstrakter Kunst seit den sechziger Jahren mit ihm teilen, exemplarisch. Das Modell dieser verkürzten, aber durchdringenden Präsenz ist die Gegenwartsform des Spektakels, der Sichtbarkeit der Welt, deren Träger das Geld oder der Tauschwert ist, das Modell dieses Vergessens ist das Vergessen der Dimension der Produktion, die sich im Glanz der Warenform verschließt. Die ontologische Matrix der visuellen Synchronizität, die bei Judd die materiellen Objektexponate selbst durchdringt, und die die Rolle übernimmt, die die Geometrie für den Bildraum der Renaissance einnahm, ist die universelle Vergleichbarkeit alles Seienden im Element der Wertäquivalenz. Es wird im Folgenden darum gehen diese Aporien mit Blick auf die Form von Judds Werk zu analysieren und ihre Implikationen im historischen Raum nicht nur der isolierten Kunstgeschichte zu entfalten. Ich habe nun aber zu sehr Duchamp gegen Judd und gegen Reinhardt ausgespielt. Ich habe vor allem die Abstraktion nur unter dem einen Aspekt betrachtet – als eine Bewegung hin zur Unmittelbarkeit der schlagartigen ästhetischen Präsenz der Objekte Judds oder zur absoluten Vermittlung des einen Bildes Reinhardts, das die Totalität möglicher Repräsentationen der Welt absorbiert haben soll. Damit ist der Begriff der Abstraktion höchstens schematisch bestimmt. Der Blick auf Ad Reinhardt hat dazu gedient, ein Modell des absoluten Bildes dem externalisierten, kontingenzoffenen Weltbezug des Ready-made entgegenzustellen. Die Abstraktion als produktive Kraft in der Entwicklung der Moderne kann aber auf das radikal konservative Modell Reinhardts nicht verkürzt werden. Der progressive Impuls der Abstraktion ist der bildimmanente Ikonoklasmus, der sich bei Pollock und Mondrian analysieren lässt, nicht der Rückzug des Sinns in eine intrinsische Unantastbarkeit. Ich will im Folgenden einige Wege der Repräsentationskritik und der Bilddestruktion in der Malerei des 20. Jahrhunderts verfolgen, die einen anderen Begriff vom Unternehmen der Abstraktion vermitteln. Der Diskurs und das Werk Judds dient dabei als eine Art Leitfaden, aber die Diskussion geht über seinen historischen und theoretischen Horizont in verschiedene Richtungen hinaus. Es wird vor allem um die Korrespondenzen und Übergänge zwischen der Bildepistemologie und dem Raum der realen Produktion gehen – vor dem Hintergrund der Konvergenz, die in Judds Werk an die Oberfläche tritt. Aus Motiven, die noch aus dem Argumentationszusammenhang der Bildabstraktion stammen, springt Judd zur Produktion dreidimensionaler Objekte und zur Verwendung industriell produzierter Materialien, in deren spezifischen Eigenschaften er die Homogenisierungsbemühung der abstrakten Malerei ins Ziel gelangen sieht. Ohne die Beziehung von „Kapitalismus“ und „Abstraktion“, die Korrespondenz zwischen der Flächigkeit, der atomisierten Textur und non-hierarchischen Organisation der Bildebene in der Malerei der Moderne und der Wertäquivalenz der menschlichen Arbeiten, die der gerechte Markt

228 oder die klassenlose Gesellschaft zu vermitteln hätten – Leitmotive in den Theorien der Abstraktion, die vom Impressionismus über Malewitsch und Mondrian bis zu Greenberg und Adorno zu verfolgen wären – historisch entfalten zu können,386 wird es darum gehen die Problematik einmal in die Tiefe zu schneiden. Die Arbeit der Defiguration und der Destruktion des perspektivischen Bildscheins in der modernen Malerei soll in ihrem Verhältnis zur kapitalistischen Deterritorialisierung sichtbar gemacht werden, zur Erosion der historisch gewachsenen oder „mythischen“ 387 Strukturen der vormodernen Welt durch die Beziehung der Gesamtheit des Seienden auf den Grund der vervielfältigten Eins, auf das Äquivalenzgesetz oder, wie Marx sagt, auf das „eiskalte Wasser der egoistischen Berechnung.“ 388 Wie die serielle Warenform die „poetischen“ Dinge, die dieser alten Welt angehörten, zerstört (s. o. , S. 129–134), so haben sich die Strukturen der sozialen und materiellen Realität der Vormoderne insgesamt, ihre nicht-synchronisierten, aber mit dem Kreislauf der Natur verschränkten Zeitlichkeiten, die lange historische Sedimentation der sozialen Ordnung durch die Industrialisierung und den expansiven Kapitalismus aufgelöst. Deterritorialisierung im Sinn von Gilles Deleuze meint diese ambivalente Verschränkung von Destruktion und Emanzipation, die schon in den berühmten Passagen des Kommunistischen Manifests über die weltgeschichtliche Rolle der Bourgeoisie auf leuchtet: „alle feudalen, patriarchalen, idyllischen Verhältnisse [werden] zerstört […]. Alle festen, eingerosteten Verhältnisse mit ihrem Gefolge von altehrwürdigen Vorstellungen und Anschauungen werden aufgelöst, alle neugebildeten veralten, ehe sie verknöchern können. Alles Ständische und Stehende verdampft, alles Heilige wird entweiht, und die Menschen sind endlich gezwungen, ihre Lebensstellung, ihre gegenseitigen Beziehungen mit nüchternen Augen anzusehen“.389 Jedoch ist diese Erosion, diese „Verdampfung“, mehr als eine soziale Transformation. In der Perspektive, die wir schon umrissen haben, und die Marx’ Kapitalbegriff mit dem des heideggerschen Gestells (des „Wesens 386 Die Homologie zwischen gegenstandsloser Malerei und klassenloser Gesellschaft ist bei Male-

witsch vielfach explizit (s. K. Malevich, „Impressionism“ [nach 1929], in: ders. , The Artist, Infinity, Suprematism, Kopenhagen 1978, 177–192): der kognitive Trug des Gegenstands korreliert dem ökonomischen des Eigentums, während sich in der Faktur der Malfläche die Gleichheit der Arbeit einschreibt. Bei Mondrian taucht dagegen in seinem letzten Buch ein von Partikularinteressen nicht mehr deformierter Markt als Modell der non-hierarchisch organisierten Kompositionsordnung in der Bildebene auf (s. „The New Art – The New Life: The Culture of Pure Relationship“ [1931], in: Piet Mondrian, The New Art – The New Life. The collected writings of Piet Mondrian, London 1987, 244–276, bes. 260 ff. [ab hier =NANL]). Wir werden gleich noch auf Clement Greenbergs Assoziation der Atomisierung der Bildtextur in der Moderne mit der Rationalisierung der Arbeitsprozesse in der industriellen Produktion stoßen, aber damit sind die Bezugspunkte nur angedeutet. Einer der wenigen Autoren, der diese Resonanzen tragfähig gemacht hat, ist T .J. Clark (exemplarisch in seinen Texten zu Pissarros Anarchismus und zu Malewitsch in Vitebsk, beide in: ders. , Farewell to an Idea). 387 In verwandtem Sinn hat Gadamer vom von „allen geteilten Mythos“ als tragendem Grund der vormodernen Welt und der Kunst, in der sie sich spiegelt, gesprochen („Ende der Kunst? Von Hegels Lehre vom Vergangenheitscharakter der Kunst bis zur Anti-Kunst von heute“ [1985], in GW 8, 206–220, 209). 388 Marx/Engels, Das Manifest der kommunistischen Partei, Stuttgart 1969, 26. 389 Ebd. , 26 f.

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der Technik“) zusammendenkt, durchgreift diese Verdampfung aller „eingerosteten Verhältnisse“ durch die Beziehung auf das „eiskalte Wasser der Berechnung“, die dann nicht einmal mehr „egoistisch“ ist, die Gegebenheitsweise des Seienden selbst – und dies buchstäblich bis in die subatomare und genetische Struktur. Alain Badiou hat in einer der klarsten Bestimmungen des Deleuzeschen Begriffs der Deterritorialisierung, in der die Marx’sche Affirmation verschärft ist, diese ontologische Mission des Kapitals umrissen. „Den Nihilismus bezeugt unsere Epoche (…) insoweit, als unter Nihilismus die Auf lösung der traditionellen Form der Bindung verstanden wird, die Entbundenheit als Seinsform all dessen, was verbunden scheint. Denn zweifellos basiert unsere Zeit auf einer Art verallgemeinerter Atomistik, weil keine symbolische Sanktionierung des Bandes in der Lage ist, der abstrakten Macht des Kapitals zu widerstehen. Daß sich bei allem, was verbunden ist, erweist, daß das Reich des Mannigfaltigen ausnahmslos der bodenlose Grund dessen ist, was sich zeigt, daß das Eine nur das Ergebnis transitorischer Bewegungen ist, wird von der allgemeinen Plazierung der Beziehungen unserer Situation in der zirkulären Bewegung des allgemeinen Geldäquivalents unvermeidlich bewirkt. Da das, was sich zeigt, immer einen zeitlichen Gehalt hat und unsere Zeit im buchstäblichen Sinne gezählt ist, gibt es nichts, was mit etwas anderem eigentlich verbunden ist, weil das eine wie das andere Glied dieser als wesentlich angenommenen Verbindung unterschiedslos auf die neutrale Oberfläche der Rechnung projiziert wird.”390 Wenn es einen Bezug zwischen der modernen Malerei und diesem Grundzug der Modernisierung gibt, drückt er sich nicht in der Mimikry eines technoiden Formvokabulars an die neuen Erscheinungsformen der Zeit aus. Die moderne Abstraktion ist auf die Bewegung der Deterritorialiserung in keinem narrativen, allegorischen, zuletzt doch wieder mimetischen Sinn bezogen. Sie vollzieht eine analoge Arbeit an der Episteme der bildlichen Repräsentation. Das Bild der Tradition, das einer auf ein Subjekt und seinen Bezug zur Natur und zur, sei es unkenntlichen, Ratio Gottes bezogenen Welt entsprach, wird durch eine gegenstandslose Flächenmalerei ersetzt, weil die Einheit des Gegenstands und Dings in den Horizont der alten Welt gehört und sich im Element der Rechnung aufgelöst hat. Die Abstraktion ist keine Arbeit im Elfenbeinturm der Meditation auf ein transmundanes Eidos hinter den wechselnden Erscheinungen der Welt. Ich werde zu zeigen versuchen, wie verfehlt eine solche Vorstellung in Bezug auf Mondrian ist. Die Abstraktion ist die stärkste und genaueste Reflektion der Modernisierung in ihrer ontologischen Dimension, die sich in der Zerstörung der Episteme der Figuration artikuliert. Es ist der Atomismus der Zahl, der in Seurats Malerei die szenisch-narrative Kontinuität der Bilderscheinung zerlegt, es ist die deterritorialisierte, der natürlichen Erscheinung entzogene Farbe, die in die Bildfläche der abstrakten Malerei aufschließt, und es ist „die neutrale Oberfläche der Rechnung“, die in den industriellen Materialien Judds, die von der Rechnung bis in die molekulare Struktur durchdrungen sind, eine unmittelbare Übersetzung ins Visuelle findet.

390 Alain Badiou, Manifest für die Philosophie, Wien 1997, 45 f.

230 So ist die Realabstraktion, die Abstraktion des Tauschwerts oder des Geldes, der Hintergrund, vor dem die Beziehung zwischen dem Paradigma des Ready-made und der abstrakten Malerei ihren Halt und Sinn gewinnt. Sie ist der historische Boden der Verflechtung dieser beiden Paradigmen der modernen Repräsentationskritik in den fünfziger und sechziger Jahren, die wir umrissen haben und die Judds Werkkonzept prägt. Es geht nicht nur darum, die Zeit des Ready-made, die Zeit der Spur und also die heuristische Kraft der „Bejahungsironie“ (ST 95) gegen den problematischen Perfektibilitätsanspruch Judds oder Reinhardts auszuspielen. Es geht zuvor darum, die Konvergenz der Paradigmen gerade auch von der Seite der Bildabstraktion aus zu begreifen. Denn auch hier führt die Destruktion der Tiefenstruktur der Repräsentation, der geschichteten, in sich differenzierten Zeit des Bildes, zur Kontraktion in eine homogene Substanz, die bei Reinhardt noch die volle Erinnerungstiefe des repräsentationalen Bildes zu bewahren beansprucht, bei Stella oder exemplarisch in Yves Kleins blau gewalzten Bildern sich dagegen als materiell homogen präsentiert. Die Abstraktion, die der epistemischen Arbeit der Malerei im Fall des Ready-made entspricht, hat dagegen faktisch im Raum der Produktion stattgefunden. Das Ready-made geht aus der Gussform akkumulierten Kapitals, akkumulierter abstrakter Arbeit hervor. Die Beziehung des inkommensurablen Körpers der Braut zum konturlosen Körper der Serie und zur Tubenfarbe Seurats ist Indiz dieser Konstellation. Seine Gegenwart ist als der Abdruck und die phänomenale Innenseite dieser entzogenen Vergangenheit bestimmt, auf die es im Element der Indexikalität, der dynamischen Synthesis des „Daseins in der Zeit“ bezogen ist. Das Monochrom dagegen hat die differente Zeittiefe der Repräsentation, hat die Bilderinnerung durch die epistemische Arbeit der Abstraktion in sich zusammengezogen. Die zwei Zeitachsen von Bild und Spur bleiben komplementär, aber überkreuzen sich im Moment ihrer beiderseitigen Kontraktion. Dass Judd das Ende der modernen, repräsentationskritischen Malerei durch den Einsatz einer Plexiglasplatte besiegelt, macht die Kraft und Genauigkeit der Platzierung seines Werks in der Topik der Kunst der Moderne aus. Damit ist der Aufriss der folgenden Analysen gegeben. Es geht darum, den epistemologischen Sinn der Repräsentationskritik in der Malerei im historischen Rückblick zu differenzieren. Zugleich soll aber die faktische Einflechtung der Ready-mades, die nicht erst Judds „neue Materialien“ sind, ins Bild und allgemein die Interferenz neuer Produktionsverfahren mit dem Sinn der innerbildlichen Bilddestruktion befragt werden. Es geht also durchaus um den Abschied vom Bild oder von der Malerei als Gattung oder Branche der Kunstproduktion um 1960, ein Abschied, an dem Judd aktiv beteiligt war. Er aber sieht die Abstraktion, rückblickend und in starker Verkürzung, nur als einen Weg zu der dichteren, durchdringenden Gegenwart eines Materials, das aus dem „simultanen“ Kontakt mit seiner Gussform hervorgeht. Dieses Material soll der Ersatz des Bildes sein. Endpunkt und Konsequenz seiner Selbsteinholung aus der Repräsentation in seine Gegenwart, als welche Bewegung er die Abstraktion allein versteht. Die Plötzlichkeit seines Erscheinens, seiner apparence, soll die Intensität seiner Präsenz sichern. Das Verhältnis dieses Materials zur Zeit der Spur, den äußeren Rand dieses Bildes, das sich um den Punkt der Tautologie dreht, begreift Judd nicht. Die Unruhe, in die ihn die grauen Volumen von Robert Morris versetzt haben (s. o. ,

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S. 79 ff.), kommt letztlich daher, dass Morris’ Blank Form sculptures die vergehende Zeit ihrer Existenz, die Zeit der Lichter und Schatten als Parameter und Bedingung ihrer Sichtbarkeit offen akzeptieren. Judds Diskurs ist dagegen völlig anders strukturiert. Seine Grundachse ist die bestimmte Negation des Bildes, des Bildraums, deren Resultat die Zeitbestimmung des real space ist: Synchronizität. Judd verabschiedet die Malerei, aber sein Paradigma bleibt von dem Reflex des Bildes, der den Raum seines gesamten Werks durchläuft, bestimmt. Durch den Ausstieg aus der Malerei gelangt er – wie viele andere Künstler der sechziger Jahre – nur in eine dreidimensional entfaltete imaginäre Szene: in die Positivität einer scheinlosen Wirklichkeit. Um die Konsequenzen dieses „verfrühten Siegs“ über die Malerei, über die Repräsentation oder das Bild zu erfassen, stellen wir vor allem drei maßgebliche Vergleiche an, die über Judds Sicht und Selbstsicht hinausführen. Zu Pollock, zu Warhol und zu Mondrian. In Abschnitt III. A. zu Pollock, dessen drip paintings den Grundriss von Judds „materialspezifischem“ Paradigma vorzeichnen. In Abschnitt III. B. zu Warhol, dessen Siebdrucke den Anschluss des aus der Repräsentation aufgetauchten Bildes an die Welt der industriellen Produktion durch die Einblendung fotografischer Schattenbilder artikulieren, während Judds Polituren diesen Bezug „abstrakt“, das heißt hier stumm und implizit reflektieren. In Abschnitt III. C. zu Mondrian, dessen Werk erst einen vollen Begriff des epistemologischen Sinns von Abstraktion als einer Destruktion des Bildes gibt. Für die amerikanische Szene der sechziger Jahre war Clement Greenberg bekanntlich die historisch prägende Figur, der theoretische Gegner und Übervater, aus dessen Begriffsapparat, dem modernism, sich die Avantgarde oder Neo-Avantgarde zu befreien versuchte. Um einige Grundlinien nicht nur des theoretischen Felds, sondern auch der künstlerischen Produktion der sechziger Jahre zu fixieren, werde ich einleitend in wenigen Zügen Greenbergs Paradigma und seine Entwicklung skizzieren.

„Der Geist ist ein Knochen“. Greenberg mit Hegel. – Greenbergs Paradigma scheint zunächst wenig zu taugen, um das Verhältnis von Geschichtlichkeit und Autonomie des Werks zu präzisieren. Ein klassischer Text wie Modernist Painting (1960) behandelt die Geschichte der modernen oder selbstkritischen Malerei als deren „innere“ Angelegenheit, als die „Dialektik“ oder „Logik“ einer Entwicklung, die im Rahmen des Bildes und über dem Boden des Trägers hin- und herläuft und die Anhebung und Belichtung dieses Ortes erbringt, der das Bild immer schon war. Die Schale des Bildraums wird im Lauf dieser Entwicklung seichter, der Schein wird ausgeleert. „Konventionen“, die aus der repräsentationalen Tradition stammen (Perspektive, Tonalität, Figur-Grund-Verhältnis), werden getestet und, wenn sie sich als entbehrlich erweisen, um ein Bild sagen zu lassen, was es als Bild ist und immer schon war, werden sie abgelegt oder negiert. „From Manet onwards …“ sind es primär verschiedene Modi des Widerstreits und der Integration von Rand und Tiefe des Bildes, die die Stationen der Entwicklung bestimmen. Das Weltverhältnis des Werks, nach dem wir fragen, und das seine passive oder laterale Historizität einschließt, die Di-

232 mension der Spur oder der Indexikalität, ist von dieser autonomen Logik der Selbstreflexion der Malerei im Ansatz ausgeschlossen. Dieser orthodoxe Modernismus Greenbergs ist jedoch selbst das Produkt einer Entwicklung. Beim frühen Greenberg ist die Entwicklungbewegung der Moderne noch alles andere als eine autonome Logik.391 Es ist die Flucht vor dem „Kitsch“, die Reaktion auf die kulturelle und soziale Desintegration der modernen Industriegesellschaft, die Greenberg in seinem ersten maßgeblichen kunsttheoretischen Essay, Avantgarde and Kitsch (1939), in beißend antikapitalistischem Ton diagnostiziert, die die Avantgarde zum Rückzug auf das Feld ihrer Autonomie, ihres unangreifbaren Herrschaftsbereichs treibt. In seinen frühen Texten ist Greenberg noch bereit, auch die Verluste in diesem Rückzugsgefecht anzuerkennen. Die Selbstkritik ist eine Arbeit der Selbstbeschränkung, der Negation, der Isolation. Sie schließt progressiv die gemeinsam geteilte Welt aus dem Bild aus, die der Malerei der Tradition zugänglich war – allerdings nur sofern sie als repräsentationale nicht essentiell Malerei war. Die Avantgarde muss diese geteilte und mit den anderen Künsten teilbare Welt ausschließen, sie muss exklusiv werden, weil der Kitsch – Greenbergs Wort für die Produkte der Kulturindustrie vom Hollywoodfilm bis zum Comic strip – die tradierten Formen repräsentationaler Kunst annektiert und ausgesaugt hat, die deshalb nur noch zum „Alexandrinismus“ der „offiziellen Kultur“, zu den Stilkopien von Historismus und Salonmalerei taugen. Während die akademische Hochkultur also die sklerotischen Leerformen der Kunst der Tradition weiterträgt und der Kitsch, vital, aber vulgär ihre Effekte nachahmt, hält die Avantgarde zwar nicht die gesellschaftlich-politisch, religiös oder metaphysisch bedeutenden Sujets, aber die Verfahrensweisen der „formellen Kultur“ der Tradition am Leben, durch die diese an jener etwas sakral-entleerten Qualität partizipierte, die für Greenberg beinahe – Judd wird ihn hier paraphrasieren – die Essenz oder Definition von Kunst ausmacht. Auf dem restringierten Terrain des l’art pour l’art, auf dem Boden der umstellten und doppelt bedrängten formalen Autonomie und durch die Konzentration auf die Verfahrensweisen selbst, auf das „jeweilige Medium seines eigenen Metiers“ 392 ist es dem avantgardistischen Künstler 391 Der frühe Greenberg ist gerade für viele Kritiker, die die kulturpolitische Dominanz seines Pa-

radigmas bekämpf ten und dem steril gewordenen Autonomie-Ideal Konzepte der Historizität und Politizität auch der abstrakten Kunst entgegenzusetzen versuchten, eine wichtige Referenz geworden. Eine der eindringlichsten Lektüren von „Avantgarde and Kitsch“ ist T. J. Clarks „Clement Greenbergs Theory of Art“ (in: Frascina [Hg.], Pollock and After, New York 1985, 47–63.) Siehe dort auch die Auseinandersetzung mit Michael Fried (ebd. , 65–88), und weiter die Diskussionen mit Greenberg selbst, in: Buchloh/Guilbaut/Solkin (Hg.), Modernism and Modernity, Halifax 1983, 188–193 u. 265–277. Auf den frühen Greenberg (und den frühen Meyer Schapiro) verweist Thomas Crow in „Moderne und Massenkultur in der bildenden Kunst“, in: Texte zur Kunst, 1. Jg. , Nr. 1, 45–85. De Duves Auseinandersetzung mit Greenberg dagegen bezieht sich auf dessen theoretischen Gesamtentwurf und sein Verhältnis zu Duchamp (s. Th. de Duve, Clement Greenberg between the Lines, Paris, o. J. [1996] und ders. , Kant after Duchamp, Cambridge/London 1996). 392 Clement Greenberg, Die Essenz der Moderne, hrsg. v. K. Lüdeking, Dresden/Basel 1997, 29–55, 34. Orig. in: Clement Greenberg, „Avantgarde and Kitsch“, in: ders. , The Collected Essays and Criticism, Vol. 1, ed. by John O’Brian, Chicago 1986, 3–22, 9 (diese Greenberg-Ausgabe ab hier zit. als CG plus Band und Seitenzahl).

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möglich, „Kunst und Literatur von hoher Qualität hervorzubringen“ 393 und damit eine Erfahrung anzubieten, die von allen „transzendenten“ Bezügen des Bildes (oder des Texts oder des Musikstücks) auf seine Welt absieht. Obwohl Greenberg nun, etwa in seinem zweiten wichtigen Essay, Towards a Newer Laocoon, die „Überlegenheit“ der in diesem Sinn autonomen, das heißt abstrakten oder non-referentiellen Kunst feststellt, sieht er diese Überlegenheit doch der historischen „Zwangslage“ geschuldet, „aus der er [der Künstler] sich nur lösen kann, wenn er seine Ambitionen aufgibt und zu einer schalen Vergangenheit zurückkehrt. […] Man kann sich der abstrakten Kunst aber nicht durch ein naives Ausweichmanöver oder durch bloße Negation entledigen. Wir können sie nur bewältigen, indem wir uns durch sie hindurchkämpfen. Wohin? Ich weiß es nicht.“ 394 So beschreibt Greenberg in seinen frühen Texten den Rückzug oder die Isolation der Avantgarde von „der Gesellschaft“ als erzwungene Wahl. Und obwohl er den Zwang selbst in gesellschaftstheoretischen, vor allem in klasssentheoretischen Begriffen beschreibt – es ist primär der Zusammenbruch der Aristokratie, der die Flucht der Avantgarde in die Autonomie in Gang setzt –, verleiht ihre adversative Stellung zur Öffentlichkeit ihr keinen inhärent kritischen, keinen gesellschaftskritischen Charakter. Aus politischen und sozio-ökonomischen Gründen ist die Avantgarde vielmehr wesentlich apolitisch und elitär. (Faschismus und Stalinismus wählen, meint Greenberg, das Medium des Kitsches für ihre Propaganda – und Mussolini nur zögernd –, ausschließlich weil er den Massen besser gefällt, nicht weil die avantgardistische Kunst essentiell politisch progressiv wäre, sie ist nur schlechter brauchbar. Das ist die so nüchterne wie simplifizierende These Greenbergs im letzten Abschnitt von Avantgarde und Kitsch.) In Towards a Newer Laocoon, dem Essay von 1940, der sich nach der Abgrenzung des Feldes der Autonomie der Avantgarde gegen die doppelte Dekadenz von Historismus und Kitsch auf die wechselseitige Abgrenzung der Künste innerhalb dieses Feldes konzentriert, schreibt er: „Malerei und Skulptur können vollständig nur sein, was sie tun; wie funktionale Architektur und wie Maschinen beinhaltet ihr Aussehen, was sie tun. Das Bild und die Skulptur erschöpfen sich in ihrer visuellen Wahrnehmung. Nichts muss identifiziert, nichts verknüpft, über nichts muss nachgedacht, aber alles muss gefühlt werden. […] Die rein bildnerischen oder abstrakten Eigenschaften des Kunstwerks sind die einzig gültigen.“ 395 In derartigen Formulierungen – die in ihrer manifesten Aussage für die Abschneidung jeder „mundanen“ Referenz des autonomen Werks einstehen – kündigt sich zugleich die erste große Wendung in der Entwicklung von Greenbergs Dispositiv an, die es für einen Moment aus seinem „Ästhetizismus“ herauszudrehen scheint. Im Lauf der vierziger Jahre verschiebt sich allmählich das Dispositiv und die Diagnose. Gerade in ihrer Isolation und der Konzentration auf die Verfahrensweisen erscheinen die avantgardistischen Künste nun in einem weiten historischen Sinn modern. Es sind exemplarisch Texte wie „The Present Prospects of American Pain393 Greenberg, Die Essenz… , 37. 394 Ebd. , 80. 395 Ebd. , 74 f.

234 ting and Sculpture“ (1947), „The Situation at the Moment“, „The Crisis of the Easel Picture“ (beide 1948) und „Our Period Style“ (1949), in denen diese Perspektive in den Vordergrund rückt. Der Konzentration einer referenzbefreiten Malerei auf ihre „funktionalen Elemente“, die, wie Greenberg im Laokoon-Text Valéry paraphrasierte, „wie eine Maschine“ die „Emotion bildnerischen Sehens“ hervorbringen,396 – diesem Elitismus und Purismus liest Greenberg nun eine Konsonanz mit der allgemeinen Tendenz der wissenschaftlichen und gesellschaftlich-ökonomischen Rationalisierung ab, die die Moderne seit dem 19. Jahrhundert in allen Lebensbereichen prägt. Er interpretiert die Preisgabe der referentiellen Dimension und die Konzentration auf die Eigenschaften des „Mediums“ nicht mehr nur als Flucht, sondern als Ausdruck eines erkenntniskritischen Empirismus oder Positivismus, der die Malerei seit dem Impressionismus bestimmt. Seit dem Impressionismus „glaubt“ der modernistische Maler an nichts mehr als die positiven, unmittelbar gegebenen Sinnesdaten. Das Bild repräsentiert folglich keine gegenständliche Wirklichkeit mehr, die Malerei reproduziert die Textur einer Erfahrungsweise, die, wie das impressionistische Sehen, eine Epoché vollzogen hat und die Beziehung zur Gegenstandswelt aus dem Nebenaneinander gleichartiger Impressionen erst konstituiert. Gerade diese epistemologisch „flache“ Struktur einer Malerei, die die „Schale“ des repräsentationalen Bildes (des „Staffeleibildes“) auszuleeren scheint, sieht Greenberg nun in einer ausgreifenden Resonanz mit der sozialen und ökonomischen Realität der Moderne im Ganzen. „Gerade diese Einförmigkeit, diese Auf lösung des Bildes in bloße Textur, bloße Sinnesempfindung, in eine Ansammlung ähnlicher Wahrnehmungseinheiten scheint auf etwas zu antworten, das tief in der heutigen Sensibilität verwurzelt ist. Sie entspricht vielleicht dem Gefühl, daß alle hierarchischen Unterscheidungen erschöpft sind, daß keine Art und keine Region der Erfahrung einer anderen essentiell, oder auch nur relativ, überlegen ist. Vielleicht spricht sie für einen monistischen Naturalismus, der die gesamte Welt als gegeben hinnimmt und für den es keine ersten und letzten Dinge mehr gibt, sondern nur noch die Unterscheidung zwischen dem mehr und dem weniger Unmittelbaren Gültigkeit besitzt. […] Für die Malerei bedeutet sie in jedem Fall, daß die Zukunft des Staffeleibildes als Medium ambitionierter Kunst sehr problematisch geworden ist“.397 Die Krise des Staffeleibildes ist Krise der Repräsentation, d. h. der Figuration. Sie fängt mit der „positivistischen“ Bildoberfläche der Impressionisten an, und sie wird 1948/49 affirmativ bestimmt und in doppelter Weise als Integration des Bildes mit seinem Ort und seiner historischen Gegenwart interpretiert: Als die Aufhebung des Bildscheins – des Orts der „Mystizismen“, der religiösen oder politischen Ideologeme, mit einem Wort: der „Inhalte“ – in die Positivität der „unistischen“ Fläche auf der einen Seite und als die Integration dieser Fläche in die kulturelle Syntax einer rational verfassten Gesellschaftsstruktur, für die das architektonische Raster steht, auf der anderen Seite. Die Restriktion auf das Terrain der formalen Autonomie hat sich von einer Flucht und Reaktion in eine denkbar weite Expansion der Geltung des unistisch-abstrakten 396 Ebd. 397 Ebd. , 154.

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Bildes umgekehrt. Das Bild, das sich aus der repräsentationalen Tiefe gezogen hat und sich nun Punkt für Punkt, Fleck neben Fleck wie die impressionistische Malerei oder die All-over-Strukturen Pollocks, die Greenberg zu dieser Zeit akut vor Augen hat, als Geflecht unhierarchisierter Ereignisse darstellt, entspricht dem „Atomismus“ und wissenschaftlichen Rationalismus der entwickelten Industriegesellschaft. Die Selbstreflexion des Bildes hat in dem Moment, da es plan und einförmig wird, ihre äußere Grenze erreicht und zugleich überschritten. Die Krise des Staffeleibildes ist topologisch gesprochen der Moment, in dem sich die materialisierte Bildebene mit dem Raster einer International Style-Architektur überkreuzt. Aus dem sich schließenden Fenster des Staffeleibildes wird das „dekorative“ Wandbild ausgeschnitten, das Greenberg in dieser Phase als Modell der erhofften Reintegration der Avantgarde, in eine epochale, die USA einbeziehende Hochkultur der Moderne anvisiert. Rationalisierung wird nun zum inhärent positiven Wert. „The new Art Style breathes rationalization. […] It does not rationalize art [d. h. taste, das Geschmacksurteil] — which is impossible — but it produces an art that answers to the temper of men who know no better way of attaining an end than by the rationalization of every means thereto. This art is one of the few manifestations of our time uninflated by illegitimate content — no religion or mysticism or political certainties. And in its radical inadaptability to the uses of any interest, ideological or institutional, lies the most certain guarantee of the truth with which it expresses us.“ 398 Die Isolation, in die die Abstraktion die Malerei geführt hat, hat sich umgekehrt. Die positivistische Immanenz und operationelle Selbstreflexion des Bildes findet zu dieser Resonanz mit dem aufgeklärten, auch ökonomischen Rationalismus und den egalitären Idealen der amerikanischen Gesellschaft. „Integral efficiency is as lofty an ideal as any, and perhaps more real than any other. Its unfavorable associations are the vulgar ones.“ Diese „vulgären“ Assoziationen waren die einzigen, die Greenberg 1939 – als er noch von der aristokratischen französischen Kultur, vom Baudelaireschen Ästhetizismus und von der École de Paris träumte – mit der amerikanischen Industrie-Gesellschaft verband: Comics, Schlager, Hollywoodfilme, „Kitsch“ für jeden Geschmack in einer Umgebung grauester Profanität. Nach dem Krieg, der Europa zerstört und den Amerika gewonnen hat, mit dem Selbstbewusstsein der Nation im Rücken, die sich als die politisch und bald auch kulturell führende Macht des Westens zu begreifen beginnt, kann die „integral efficiency“, die Maxime der industriellen Produktion, die „erhabenen Ideale“ ersetzen, die die Kunst der Vergangenheit im Element der heute (für „uns“) „illegitimen“ religiösen Mythen ausdrückte. „But only“, wie Greenberg hinzufügt, „only in art as yet, because art does not have to determine and can so well refuse to serve ends outside itself, has an appropriate vision of efficiency as an ideal been bodied forth, a vision of that complete and positive rationality which seems to 398 CG II 326, Herv. v. mir. Man könnte Lukács’ klassische Beschreibung der Rationalisierung der

Arbeitsprozesse (der Zerlegung des organischen Produktionsprozesses in normierte, wiederholbare Schritte und der entsprechend passiv-kontemplativen Ausschaltung des Arbeiters) als Kommentar zu dieser Passage lesen (G. Lukács, „Die Verdinglichung und das Bewußtsein des Proletariats“, in: ders. , Geschichte und Klassenbewußtsein, Neuwied/Berlin 1970).

236 me the only remedy for our present confusion.“ 399 In der Kunst, in der Hypostase des Bildes wird auch die Maxime der Rationalität von partikularen Zwecken („ends outside itself“), denen sie im Raum der Politik und der Ökonomie unterstellt ist, befreit und zur Vision, zum Ideal erhoben. Die immanente Effizienz der Malerei ist universell oder absolut geworden. Nirgendwo sonst kommt Greenberg der „funktionalistischen“ Perspektive der europäischen Avantgarden näher als in dieser Bestimmung der Krise des Staffeleibildes, die er Ende der 40 er Jahre – 1949 ist das produktivste Jahr Pollocks – mit dessen drip paintings und mit dem erhofften Übergang zur Wandmalerei verbindet. Für einen Moment rückt der amerikanische Abstrakte Expressionismus in eine Homologie mit dem Bauhaus, mit de Stijl, mit den Modellen einer architektonischen Reintegration der abstrakten Malerei ein. Und Pollock, der 1949 mit Peter Blake ein Mies’sches Stahl-Glas-Museum für seine Bilder entwarf (fig. 138), ist dieser Vorstellung ein Stück weit gefolgt, doch verkennt sie zweifellos die historische Situation. Es ist ein Bündel von Gründen, das Greenberg zur Preisgabe dieser Perspektive führt. Es ist nicht nur die baldige Stagnation und der Abbruck von Pollocks Werk oder das Faktum, dass gerade diejenigen seiner Bilder, die Großformate von 1950, die Greenberg’s Ideal „einer abgeklärten, weiten, ausgeglichenen apollinischen Kunst“ 400 am nächsten kamen, nicht als Wandbilder, sondern als Hintergrund für Modefotografien gesellschaftlichfunktional reintegriert wurden, und dass sich insgesamt das „unistische“ abstrakte Bild in den fünfziger Jahren als weniger resistent gegen ideologische Vereinnahmung erwies, als Greenberg gedacht hatte. Mit dem lang ersehnten Durchbruch der amerikanischen Avantgarde nimmt sich die Warenform der Malerei an und rettet das sterbende Staffeleibild. Der Markt, nicht das Raster der Architektur erweist sich als der Ort und die Matrix der Integration des Werks in den gesellschaftlichen Zusammenhang. Sicherlich trägt all dies zu Greenbergs Absage an das funktionalistische Ideal bei. Ihre bald prinzipiell werdende Schärfe aber hat ihre Wurzel in einer inneren Inkonsistenz, die von Anfang an in seinem Paradigma angelegt ist. Greenberg beschreibt, wie gesagt, in Texten wie Modernist Painting (1960) die Kunst, das heißt die einzelnden Künste als Universalsubjekte ihrer eigengesetzlichen historischen Entwicklung. Die Künstler sind nur die Emissäre, die die Bewegungen ausführen, die „die Malerei“ oder „die Skulptur“ ihnen vorschreiben. Wenn sie andere Züge ausführen, dekretiert Greenberg sie ins qualitative Aus, das zugleich die Zone historischer Irrelevanz ist. Schon im Laokoon-Text von 1940 hat Greenberg aber das Wesen dieser Künste oder Medien mit einer Minimaldefinition des ihnen Spezifischen, dessen, was sie mit keiner anderen Kunst teilen und teilen können, konvergieren lassen. Dies ist der Ansatz einer dogmatischen Verengung und eines zwar konstant geleugneten, aber auf der Hand liegenden präskriptiven und normativen Charakters seines Paradigmas. Während die unistische Flachheit des Bildes in The Crisis of the Easel Picture oder The Present Prospects als eine epistemologische Struktur erschien, die, indem sie eine neue Schicht der Wirklichkeit des Bildes 399 CG II 326. 400 Greenberg, Die Essenz… , 135.

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freilegt, zugleich eine Wahrheit der Welt artikuliert, der es angehört, ist im Newer Laocoon das Wesen des Mediums einer jeden Kunst auf die objektiv bestimmbare Positivität des materiellen Bildträgers zurückgeführt. Die Identität oder das Wesen des Mediums ist nicht als ein Modus des ästhetischen Scheins bestimmt, als eine Weise, zur Welt zu sein. Das Wesen des Mediums ist mit seiner Materialität und reflexionslosen Gegebenheit, in der es gerade aufhört, Medium zu sein, es ist mit den Eigenschaften des material support selbst amalgamiert. Es ist dieser reduktive Begriff des Mediums und des Wesens der jeweiligen Kunst, der von Anfang an die Richtung festlegt, die zum Kollaps von Greenbergs Paradigma führen muss. Denn als Wesen der Malerei taucht, wenn ihre „Selbstkritik“ einmal zu tief schürft, der nackte materiale Träger selber auf. Für einen traumatischen Moment zeigt sich – als das Scharnier der Selbstreflexion der Malerei, die in den späteren Texten Greenbergs als der Motor ihrer autonomen Entwicklung gilt – die unbemalte Leinwand selbst. Und sie erscheint als legitimes Bild. Die Passage aus Greenbergs After Abstract Expressionism (1962) ist berühmt. „Under the testing of Modernism more and more of the conventions of the art of painting have shown themselves to be dispensable, unessential. By now it has been established, it would seem, that the irreducible essence of pictorial art consists in but two constitutive conventions or norms: flatness and the delimitation of flatness; and that the observance of merely these two norms is enough to create an object which can be experienced as a picture: thus a stretched or tacked-up canvas already exists as a picture — though not necessarily as a succesful one.“ 401 Judd und andere werden daraus die Konsequenz ziehen, dass die Malerei als solche nichts anderes als eine Konvention ist – „not undeniable and unavoidable“ (CW I 181). Wenn in der Folge der modernistischen Selbstreflexion ein Ready-made aus Leinwand Bild (picture) genannt werden kann, dann hat die Maxime der Mediumspezifik offenbar die Kraft verloren, die Geschichte dieser Kunst zu organisieren. Die Konvergenz des radikal selbstkritischen Bildes mit dem Ready-made liegt sogar aus Greenbergs Perspektive auf der Hand. Er fährt fort – und beschreibt damit in Parenthese die Auf lösung seines eigenen Paradigmas, die 1962 in vollem Gange ist: „(The paradoxical outcome of this reduction has been not to contract, but actually to expand the possibilities of the pictorial: much more than before lends itself now to being experienced pictorially or in meaningful relation to the pictorial: all sorts of large or small items that used to belong entirely to the realm of the arbitrary and the visually meaningless.)“ 402 So hat die „objektivistische“ Bestimmung des Wesens der Malerei, die Amalgierung von Medialität und Materialität des Bildes zur Auf lösung jener Spezifik geführt, die ihren Entwicklungsgang lenken soll.403 Weniger einprägsam und plausibel als diese Bewegung, die zur Anerkenntnis des indifferenten Dings – ob es eine Leinwand oder sonst ein arbiträres „item“ ist – als Bild führen musste, ist Greenbergs Geste der Abwehr durch die Supple401 CG IV 131 f. 402 CG IV 132. 403 Dieser Moment ist das zentrale Thema Thierry de Duves in Kant after Duchamp (v. a. Kap. 3,

„The Monochrome and the Blank Canvas“) und in Ein pikturaler Nominalismus, München 1987, dort v. a. „Das Readymade und die Abstraktion“.

238 mentierung der Frage des Wesens des Mediums mit der nach der Qualität des Werks: „As it seems to me, Newman, Rothko, and Still have swung the self-criticism of modernist painting in a new direction simply by continuing it in its old one. The question now asked through their art is no longer what constitutes art, or the art of painting, as such, but what irreducibly constitutes good art as such. Or rather, what is the ultimate source of value or quality in art? “ 404 Wenn die Logik der strikt immanenten, sich ins Terrain der Bildfläche eingrabenden „Dialektik“ der Malerei, statt zu ihrer Wesenssicherung, zu ihrer Zerstörung führt, muss es das Auge sein – die Urteilskraft oder der Geschmack –, das Auge des Betrachters, das die Malerei vor dieser ihrer Wahrheit, ihrer mise à nu rettet. Das Sehen, das als ein erster farbloser Farbauftrag, ein Lichtwurf, auch die nackteste Fläche in ein phänomenales Feld verwandelt, rettet die Konsistenz des Mediums vor der Materialität des Trägers, der „nicht mehr sich in sich reflektierendes Sein, sondern rein unmittelbares Sein wäre“.405 Man könnte das Auftauchen der Leinwand aus dem Schein als dem reflexiven Element der Malerei so mit Hegel als den Moment paraphrasieren, in dem sich der beobachtenden Vernunft das Dasein oder die Wirklichkeit des Geistes im Schädelknochen zeigt.406 Die Malerei, das Übersubjekt, dem Greenberg die Organisation seiner eigenen Geschichte anvertraut, entdeckt ihre „unmittelbare Wirklichkeit“ in dem arbiträren Ding, der nackten Leinwand, das nicht einmal „den Wert eines Zeichens“ annimmt: „ein so gleichgültiges, unbefangenes Ding, daß an ihm unmittelbar nichts anderes zu sehen und zu meinen ist, als nur es selbst“.407 Es ist die von Anfang an etwas „elende“ und „knöcherne“ 408 Bestimmung des Wesens des Mediums, seine Verwechslung oder Vermischung mit einer objektiven oder kategorialen Bestimmtheit dessen, was ein Bild notwendig und tatsächlich „ist“, die zu diesem Auf-GrundLaufen führen musste. Von Anfang an hat Greenberg das Für-sich-Sein der Malerei – das Bewegung und Selbstreflexion ist – mit ihrem An-sich-Sein kontaminiert, indem er das Selbst einseitig oder in Hegels Sinn abstrakt mit den spezifischen Eigenschaften des material support identifiziert hat. Deshalb sind die Texte Greenbergs aus den späten vierziger Jahren, in denen er die Krise des Staffeleibildes als die Wahrheit der Malerei seiner Zeit erfährt, von heute aus seine überzeugendsten. In diesen thematisiert er für einen Moment jene Durchkreuzung von Materialität und Schein, die das Werkgeschehen ist. Die Dialektik des Modernismus läuft also und läuft doch nicht, auf dieses arbiträre, gattungslose Objekt, auf das tote Material der Leinwand zu, das sogleich von einem 404 CG IV 132. 405 G. W. F. Hegel, Phänomenologie des Geistes, 223 (Kursiva i. Orig. gesperrt). 406 Vor allem Slavoj Žižek hat die Momente bei Hegel aufgegriffen, in denen die Spekulationsbe-

wegung das nicht assimilierbare Außen berührt, und sie mit den Lacanschen Figuren des gespaltenen Subjekts verbunden: der Knochen der Leinwand oder des Schädels, an dem sich die Immanenz der Reflexionsbewegung bricht, entspricht der extimen Stütze, dem Objekt klein a, das die Inkonsistenz der symbolischen und imaginären Identität des Subjekts und seiner Repräsentationen indiziert. 407 Ebd. , 222 (Kursiva i. Orig. gesperrt). 408 Ebd. , 224.

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selbstreflexiven „Sehen“ wieder zu- oder eingedeckt wird, um der Entwicklung nun der „guten“ Malerei neuen Spielraum zu geben. Sie läuft auf dieses Ding zu, und sie stößt es aus – oder dieses stößt sich ab aus der Reflexionsbewegung des Mediums. Ist es dieses „Ausfallprodukt“ der modernistischen Dialektik, wie Michael Fried einmal formuliert, der tote Buchstabe der Malerei, in dem das minimalistische oder literalistische Objekt sein ontologisches Modell findet?409 Wir stellen die Frage zurück. Verfolgen wir zunächst, welche Entwicklung die von diesem obstinaten Gewicht befreite, „authentische modernistische Malerei“ nimmt, die Greenberg und Fried protegieren. Die Reflexion, die nun nicht mehr der Grundfläche des Bildes eingeschrieben ist, sondern der Pyramide, deren Basis die Bildfläche und deren Spitze das Auge ist – und zwar das des Kritikers, das des Malers nur, sofern er urteilt, nicht sofern er produziert –, restituiert der Malerei den Schein und sogar einen „Illusionismus“, der verhindert, dass das Trägerding die Reflexionsbewegung blockiert. Dieser abstrakte Schein, die opticality, ist das Element der Weiterentwicklung einer Malerei, in der Greenberg und Fried das authentische Erbe von Pollock sehen – und die von Helen Frankenthaler über Kenneth Noland und Morris Louis, in deren Arbeit die Technik des staining, des fließenden, wässerig offenen Farbauftrags eine zentrale Rolle spielt, zu den schwebenden Volumen der spray paintings von Jules Olitski führt – und von dort vielleicht am folgerichtigsten zur technizistischen kalifornischen Op Art, zu den Licht-Arbeiten von Robert Irwin, Douglas Wheeler oder James Turrell. Das Phänomen, das bei Noland, Louis oder Olitski, bei aller Ätherik der Erscheinung noch an eine Materialität und einen lesbaren Herstellungsprozess gebunden ist, erscheint z. B. in Turrells Lichtarbeiten als stoff lose „Essenz“, die einem isolierten, körperlosen Auge eingeflößt wird. Der Rezipient steckt etwa den Kopf in einen Apparat, dessen Kugelform selbst dem Augeninneren nachgebildet ist, und lässt sich mit Lichtblitzen überschütten, deren Frequenz und Farbe er (oder sie!) „selbst“ regulieren kann.410 Es ist eine reine Seherfahrung. Licht und im Licht Erscheinendes sind nicht trennbar, kaum das sehende Auge vom gesehenen farbigen Licht. Es ist eine auf keinem anderen Weg, in keinem anderen „Medium“ zu erreichende und eine intensive Erfahrung – und wenn dies aus den Resten der Greenberg’schen Kriteriologie zu folgern ist, handelt es sich um autonome visuelle Kunst. Aber es sind Surrogate, es ist Erlebnisfetischismus. Es sind keine Werke. Hier hat der Schein jeden Bezug zu seinem Träger, zu der Maschine, die ihn produziert, und zu deren geschichtlichen Ort verloren.411 Was in der Greenberg’schen Genealogie bei Manet als Reflexion 409 „It should be evident that what I think of as literalist sensibility is itself a product or by-product,

of the development of modernist painting itself, more accurately, of the increasingly explicit acknowledgement of the literal character of the support that has been central to that development.“ („Shape as Form“, in: Fried, Art and Objecthood, 88.) 410 Man wird das kaum „Partizipation“ nennen wollen, obwohl gelegentlich auch die infantilsten Betätigungen als solche propagiert werden. S. dazu J. Rebentisch, „Mythos Betrachtereinbeziehung“, in: Texte zur Kunst, 10. Jg. Nr. 40, 126–130. 411 Dass Turrell in der architektonischen Staffage seiner Apparate oft eine klassizistische Mausoleumsikonografie zitiert und sein Großprojekt im Roden Crater Boullée’sche Kugeln und Kuben ausbeutet, ist charakteristisch.

240 auf die irreduziblen Eigenschaften des material support des Bildes ansetzt, hat sich nach der traumatischen Begegnung mit der nackten Leinwand, dem „Knochen“ der Malerei, in einen neuartigen Hyperillusionismus, in einen wiederum in Hegels Sinn abstrakten, einseitigen Spiritualismus verkehrt. Die Selbstbeschränkung der modernistischen Malerei, die Greenberg zunächst als unfreiwilligen Rückzug beschrieb, dann im Einklang mit der wissenschaftlichen Disziplin der Zeit sieht und als Ausdruck eines epochalen Stils der Welterschließung begreift, ist zum Spezialismus einer zwar unersetzbaren, aber auf ein technisch generiertes Reizerlebnis reduzierten ästhetischen Erfahrung geworden.412 Das Auge, das zunächst als Supplement der Selbstreflexion der Malerei auftaucht, um deren Nacktheit zu verhüllen, ist zum Organon der Wahrheit des Werks geworden. Die Retina hat die Bildfläche als Grund seines autonomen Sinns abgelöst. Die Abspaltung des Minimalismus liegt dieser Entwicklung des optischen Modernismus voraus und ex negativo zugrunde. Heißt das aber, dass das minimalistische Objekt schlicht die scheinlose Materialität jenes „Knochens“ annimmt, den die Dialektik des Modernismus ausgeschieden hat? Gewiss ergreift Robert Morris Partei für den Sand der Leinwand als Anti-Bild, für das Rauschen der Indifferenz unterhalb der Schwelle des „ästhetisch Interessanten“, des konsumierbaren (perzipierbaren) Phänomens. Deshalb wäscht sein Minimalismus die Farbe ab und präsentiert die Blank Form sculpture als stummen Empfänger von Licht, Schatten und Augenblicken, wie es die leeren Strukturen von Cage exemplifizieren. Judds Stellung aber ist schwerer zu bestimmen. Die Präsenz seiner, wie er sagte, entschieden visuellen Kunst (s. o. , S. 87) soll das ganze Ready-made oder die Assemblage von Ready-mades, die das Werk ist, durchdringen. Die Intensität dieser Präsenz soll das Skelett des bloßen Trägers absorbieren – etwa wie bei Dan Flavin das Licht die hardware der Leuchtstoffröhren phänomenalisiert, ohne sie zu verbergen. Die Spezifik des visuellen Werks soll nicht medial bestimmt, nicht kosmetisch attributiv und in degenerierter Form nur mehr retinal sein, sie soll dem Objekt selbst angehören. Judd wäscht die Farbe daher nicht ab von einem epistemologisch härteren Träger, sondern will, dass sie ihn ganz durchdringt. Die Integration von Schein und Materialität geht daher zunächst nicht in die Breite, sie geht in die Tiefe der Materialität selbst und unterwirft diese jener Homogenisierung, die für den Bildschein aufgrund seiner Idealität gegeben war. Als umso notwendiger wird sich die Frage nach dem Ort, dem Rahmen und der Zeitlichkeit dieser spezifischen Objekte, die aus dem autonomen Bild hervorgehen, im historischen Raum erweisen. 412 Die Verbergung des Trägers im visuellen Schein ist die antimoderne Wendung, zu der der von

Greenberg geerbte privative Autonomiebegriff die Entwicklung des „optischen“ Modernismus führt. Die Mischung von Szientismus und Esoterik, der radikale Illusionismus, die Physiologisierung des Erfahrungsbegriffs und die entsprechende Reduktion des Subjekts der Werkerfahrung auf das decoupierte Auge sind Grundmomente von Arbeiten Turrells (der hier nur exemplarisch steht). Die Ununterscheidbarkeit von Sehen und Gesehenem überwindet natürlich nicht die Spaltung von „Subjekt“ und „Objekt“, sondern unterbietet sie. Im isolierten Reizempfang ist die organische Sinnlichkeit von der Subjektivität getrennt, so wie der trägerlose Schein der opticality von der komplexen, historisch verankerten Apparatur, die ihn erzeugt.

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A Zwei Spezifitäten: vom Medium zum Material. Die Passage Pollocks. Die Differenz von Materialspezifik und Mediumspezifik, eine der Bruchlinien zwischen dem Greenberg’schen Modernismus und Judds Minimalismus, ist so minimal wie einschneidend. Die Grenze der beiden Paradigmen liegt zwischen der ideellen Bildebene und der materiellen Bildfläche. Es ist klar, dass sich eine solche Grenze nicht leicht überschreiten lässt. So schmal die Grenzlinie zu sein scheint, so schmal, dass Stellas Gemälde sie in ihren Körper verflechten, sie bleibt eine epistemologische Kluft. Die materielle Identität des Trägers ist zwar der Horizont der modernistischen Selbstreflexion, auf den nach Greenbergs Modell die selbstkritische Malerei der Moderne zugeht, aber sie ist als Horizont wesenhaft nicht erreichbar. Die reflexionslose Identität des material support ist der Angelpunkt der modernistischen Dialektik, der „Knochen“, an dem sie sich verschluckt, und der deshalb überschwemmt und zugedeckt werden muss vom Schein der opticality, dem Lichtwurf des Auges. Mit der unmittelbaren oder rückhaltlosen Affirmation dieser Identität springt der Horizont – die paradigmatische Grenze – zurück und übergreift das ganze Feld, aus dem der Schritt gekommen war. Die Grenzüberschreitung ist unmöglich, weil für beide Seiten die Grenze ein Horizont ist, der mitkonstitutiv ist für das, was als ästhetisches Phänomen Geltung gewinnen kann.

Homogenisierung. Vom Staining zum Eloxal. – Aus der modernistischen Perspektive ist nicht nur die „nackte Leinwand“ unter der Farbe, sondern Leinwand und Farbe, das Geflecht der verschiedenen Materialien, das Gemälde als Assemblage insgesamt ist der Träger des ästhetischen Phänomens, der als solcher zwar „anerkannt“, aber nicht wie im Literalismus – Frieds Wort für die Minimal Art –

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Zwei Spezifitäten: vom Medium zum Material. Die Passage Pollocks

„hypostasiert“ werden soll.413 An dieser Materialität, an der „Existenz“ des Bildes als Gegenstand ist die ästhetische Reflexion „ohne Interesse“. Sie unterliegen jener Epoché, jener Einklammerung, über der sich das Reflexionsspiel des ästhetischen Urteils erhebt.414 Für die materialspezifische Sicht Judds dagegen ist jede Art schwebender Phänomenalität ein sekundärer Effekt, der die Faktur der hier und jetzt gegebenen Materie verdeckend umspielt und auf sie zurückgeführt werden sollte. Es ist dieses Schweben, es sind die visuellen Ambiguitäten, die er etwa in der Malerei Kenneth Nolands feststellt, die in seinen Augen die mögliche Kraft von Malerei, solange sie sich als Medium begreift, wesentlich beschränken. „Painting now is not quite sufficient, although only in terms of plain power. It lacks the specifity and power of actual materials, actual color and actual space. More essentially it seems impossible to further unite the rectangle and the lines, circles or whatever are on it. The image within the rectangle is obviously a relic of pictured objects in their space. This arrangement has been progressively reduced for decades. It has to go entirely.“ (CW I 93) Die wesenhafte Mittelbarkeit des Mediums widerstreitet der möglichen größeren Kraft eines Werks, das jede innere formale und signifikante Differenz aufgegeben hat. Das Figur-Grund-Verhältnis, das schematisch der Wahrnehmung von Dingen im Raum entspricht, erscheint hier und wiederholt als das exemplarische Strukturrelikt der repräsentationalen Tradition. „It has to go entirely.“ Es soll ganz verschwinden – zugunsten der primären Einheit und einhelligen Präsenz des Werks als Objekt. Obwohl die simple Zentralität in Nolands Kreisbildern ihre formale Einheit und das Eindringen der flüssigen Farbe in die ungrundierte Leinwand ihre materielle Homogenität sichern, sieht Judd noch „eine Kluft“ (a gap) zwischen den Kreisen als den „expressiven Teilen und dem Rest der Leinwand“ (183), auf der sie sind. Auf die Abschaffung dieser Kluft läuft in Judds Augen die Abstraktion zu. Der Radius der Selbstvermittlung, den das Figur-Grund-Verhältnis der Präsenz des Materials auferlegt, soll zum Punkt der tautologischen Selbstbehauptung werden. Und sofern eine weitere, über die bei Noland erreichte hinausgehende Vereinheitlichung von Figur und Grund, von Markierung und Fläche „unmöglich scheint“, verfehlt die Malerei als solche die „Kraft und Spezifität“ (93), die vollständig objekthaften Arbeiten zugänglich ist. Das nicht mehr mediale Werk wird daher kein Bild, sondern spezifisches Objekt sein. Der Übergang ist nicht ohne weiteres an der Morphologie dieses Objekts festzumachen – es könnte auch flach sein und an der Wand hängen –, er ist dann vollzogen, wenn die reflexiv geöffnete Identität des Mediums sich zur Spezifik des material support zusammengezogen hat oder mit ihr verschmolzen ist.415 Diese Kontraktion zu der sich selbst aussagenden Materie des 413 Die Unterscheidung zwischen acknowledgement (dem legitimen Auf trag und Erfolg der moder-

nistischen Malerei) und hypostatization des Trägers (der „Korruption“ des Minimalismus) ist der zentrale Aspekt in Frieds „Shape as Form“ (in: Fried 1998). Sie bereitet ihm noch rückblickend einige Bauchschmerzen (siehe „Introduction“, ebd. , bes. 37 und 65, Anm. 47). Siehe auch oben, „Die Druckkammer Stellas“, S. 207 ff. 414 Zum kantischen Reflexionsurteil, s. o. , S. 64 ff. 415 Die „radical contraction of specificity itself into a physical character“ beschreibt auch Rosalind Krauss als die Geburt des Judd’schen specific object, das sie in neueren Texten als Baustein einer

Homogenisierung. Vom Staining zum Eloxal

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Bildes, das dann kein Bild mehr ist, wäre nach Judd das Telos der modernen Malerei, dessen Erreichen sie als Malerei zerstört. So dreht er die Greenberg’sche Argumentation um. „Painting has to be as powerful as any kind of art, it can’t claim a special identity, an existence for its own sake as medium. If it does it will end up like lithography and etching.“ (93) Malerei, für Greenberg eine der Künste und als Medium Ort der Selbstgewinnung des jeweiligen Werks, ist für Judd nichts anderes als eine Sparte im Bereich einer deregulierten Kunstproduktion, eine technisch und materiell und nicht zuletzt sozial und ökonomisch definierte Sparte wie die genannten Druckgrafiken. Und das (materielle) Produkt der Malerei, das Bild, hat zur Kunst im Allgemeinen einen ebenso arbiträren und losen Bezug wie alle möglichen anderen Objekte, darunter auch andere Bilder, insbesondere fotografische. Die Rettung der Malerei vor dem Schicksal der Druckgrafik, vorm Abrutschen ins Kunstgewerbe, liegt für Judd daher nicht darin – und die Malerei seit den sechziger Jahren gibt ihm recht –, dass sie sich auf eine „Existenz um ihrer selbst willen als Medium“ zurückzieht. Vielmehr müssen die Produkte der Malerei, was Malerei auch immer sei, so „kraftvoll“ wie jene Objekte sein, die in Abgrenzung zur Tradition der Malerei und Skulptur das diversifizierte Feld der modernen Kunst insgesamt und der Neo-Avantgarde im Besonderen bevölkern, die ein Leben zwischen den überlieferten Gattungen führen. Erst in dem Moment jedoch, in dem das Bild seine Spezifik als Bild verliert, scheint es das Niveau dieser Konkurrenz zu erreichen: die rein extrovertierte Wirksamkeit der sinnlichen Kräfte und Eigenschaften. So lange es in die Arbeit einer medialen (Selbst-)Vermittlung gebunden bleibt, unterläuft es diese Ebene seiner materiellen Existenz, in der es mit den Dingen der umgebenden Wirklichkeit kommuniziert. Es sieht also so aus, als liege der Übergang von der Mediumspezifik zur Materialspezifik in dem Punkt der vollständigen Vereinheitlichung des Bildes, an der Schwelle zur Monochromie, an der sich Bild und Objekt begegnen. Dass Judd unter Nolands Arbeiten die Kreisbilder, in denen diese Selbst-Identifikation zu einer Art motivischallegorischer Verdopplung findet, am meisten schätzt, ist charakteristisch.416 Auch weist die „Identifizierung“ der Farbe mit der Leinwand durch das staining technisch in diese Richtung.417 „As has been said often, the paint is soaked into the canvas; it’s in the material and not on top of it.“ (172) Das staining erzeugt ein Material – gefärbte Leinwand. Auf dieser Linie liegt Judds eigene spätere Vorliebe für eigenfarbige oder durchgefärbte Materialien (Metalle, Kunststoffe, Sperrholz, Beton) und alternativ „international praxis of installation art“ behandelt, einer post-medialen Praxis, deren spezifische Differenz als Kunst sich im Feld der Kulturindustrie verlieren. Die Box des Fernsehers ist das specific object der neunziger Jahre (siehe Krauss, „The Crisis of the Easel Picture“, in: Varnedoe/Karmel 1999, 155–179, dort 164). 416 Siehe David Batchelor, „A small Kind of Order: Donald Judd interviewed“, Artscribe (November/December 1989), 62–67, 67. 417 Das staining ist ebenso entscheidend in Greenbergs und Frieds orthodoxem Modernism. Farbe ohne Gerüst, das ist der Weg zur opticality. Zur Filiation des staining vom späten Pollock über Frankenthaler zu Louis s. Greenbergs „Louis and Noland“ von 1960 (CG IV 94–100, bes. 96 ff.) und, schon in vollem Bewusstsein des historischen Einsatzes gegen den Literalismus, Frieds „Morris Louis“ von 1966/67 (in: ders. , Art and Objecthood, 100–131, bes. 106 ff.).

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Zwei Spezifitäten: vom Medium zum Material. Die Passage Pollocks

für technische Verfahren, die eine möglichst dichte und tiefe Verbindung der aufgetragenen Farbe und des Trägers garantieren, wie Einbrennlackieren und Verzinken von Blech und vor allem das Eloxieren von Aluminium, das als genaue Übersetzung des staining in Judds industrielles Dispositiv gelten kann. (Beim Eloxieren oder Anodisieren wird die Oberfläche des Aluminiums im Säurebad oxidiert. Sie wird dadurch porös, also saugfähig und kann vor der Versiegelung – die keine weitere Materialschicht hinzufügt: die Poren schließen sich durch Kochen in reinem Wasser – eingefärbt werden. Die Farbe sitzt dann in der Oxidschicht des Metalls, wie Nolands verdünnte Acrylfarbe in der ungrundierten Leinwand.) Die tiefe Verbindung von Farbe und Trägermaterial durch das staining ist für Judd also vorbildhaft. Sie bleibt in der Malerei aber ein Teilerfolg, solange nur eine Zone der Leinwand eingefärbt ist, die zwangsläufig als Figur oder „image“ gelesen werden wird – „obviously a relic of pictured objects in their space.“ (93) Die Figur-GrundDifferenz ist der konstitutive Fehler aller nicht-monochromen Malerei, den Judd konsequent vermeiden wird. Es gibt in seinem Werk bei aller koloristischen Opulenz keine durch die Einfärbung differenzierten, ansonsten materiell und räumlich kontinuierlichen Oberflächen. Jede durchgängige Oberfläche (Ebene) ist vollflächig monochrom und materialgleich. Sie ist meistens die Oberfläche eines „Objekts“ – einer Scheibe, eines Metallprofils – das rundum und im Idealfall auch durch und durch monochrom ist. Das farbig abgehobene Element ist materiell aus dem Komplex der Arbeit herauslösbar. Eine latente Zerlegbarkeit gehört zur Syntax vieler Arbeiten Judds. Nur bei wenigen frühen Objekten – Kompromisse aus technischen und das heißt finanziellen Gründen – sind diese Regeln gebeugt und ein materiell einheitlicher und nur als Raumform vor-artikulierter Körper zusätzlich durch eine farbige Fassung differenziert, so bei einem Stack aus gefaltetem Zinkblech, dessen Aussenseiten grün lasiert sind (fig. 96).418 Im Normalfall aber entspricht jeder Farbe ein materielles Element, eine Scheibe, wie in den späteren Stacks, deren Quader aus Metall und Plexiglasscheiben zusammengesetzt sind (fig. 97, 98), oder ein vollräumliches Element, wie die U-Profile, die Judd seit den achtziger Jahren verwendet. In jedem dieser Elemente ist für sich genommen die lokale Verschmelzung zu der nicht mehr bildhaften Einheit vollzogen, deren Scheitern an Nolands Bildern reklamiert. Ohne sich zur Monochromie zu verurteilen – der einzigen Möglichkeit auf jenen Einflächern, die Bilder sind, die Einschreibung einer Figur-Grund-Differenz zu vermeiden – , entgeht Judd dieser Differenz durch den Einsatz einer Mehrzahl materiell 418 In der ersten der auskragenden Wandarbeiten, deren Typ später zur Grundeinheit der Stacks wur-

de (DSS 47, 1964), ist eine zylindrische Eintiefung (herkünftig aus dem „Schlitz“ in DSS 41) blau lasiert, auch hier also eine nicht materiell, aber räumlich vorartikulierte Oberfläche. Grundsätzlich jedoch bevorzugt Judd die materielle Trennbarkeit von Elementen unterschiedlicher Farbe. Dass z. B. Anne Truitt ihre Boxen mehrfarbig bemalt, ist für ihn das entscheidende Argument gegen ihre Arbeit („too close to Reinhardt“) und gegen Greenberg, der ihr in „Recentness of Sculpture“ (1967) die „Erfindung“ des Minimalismus zuschreibt (siehe „Complaints“, CW I 197 f.). Greenberg und Judd verbinden dabei übrigens die Alternative monochrom/polychrom mit der sexuellen Differenz. „If the queen had balls she would have been king“ (ebd.). Die Monochromie steht für „männliche Entschiedenheit“ (s. dazu J. Meyer, „the case for Truitt: minimalism and gender“, in: ders. , Minimalism, 222–228).

Fraktalisierung und Opticality. Judds und Frieds Pollock

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isolierter, je monochromer Ready-mades, aus denen er das radikal polychrome Objekt, eine Konstellation von Objekten, parataktisch zusammensetzt. Das ist der Weg, auf dem Judd Phänomenalität und Materialität zu verschmelzen versucht. Nicht das Abfließenlassen der nur attributiven Farbe von einem in neutralerer, irreduzibler Weise „existierenden“ Skelett wie bei Morris, sondern die Durchdringung und Identifikation des materiellen Trägers mit der phänomalen Farbigkeit ist Judds Option. Stella wollte die Farbe so gut auf die Leinwand bringen, wie sie in der Dose war. In Judds Produktion ist die Farbe gleichsam nur aus der Dose herausgeschält und in Scheiben geschnitten: Je eine Farbe, ein vorfabriziertes Element wie eine Plastikoder Metallscheibe wird zum Element seiner radikal polychromen, dreidimensionalen Malerei (fig. 99, 100). Der Übergang zwischen der Mediumspezifik und der Materialspezifik folgt also dem Motiv der Vereinheitlichung des Bildes, die ihr Ziel in der Identität des Monochroms hat, bricht diese anvisierte Einheitlichkeit aber am Prisma eines neuen Produktionsdispositivs. Die Einführung der radikalen Polychromie ist für Judd legitim, da die Differenz der Farben kein Figur-Grund-Verhältnis impliziert, sondern sich als rein sinnliche Differenz nebengeordneter Materialien bestimmt. Ihre Relation ist non-hierarchisch, sie ist ihren Gliedern strikt äußerlich oder sie ist disjunktiv, wie Gilles Deleuze sagen würde.419 Der Malerei scheint dieser epistemologisch flache, nicht-diagrammatische Relationstyp verwehrt. Und dennoch ist es ein Maler der Judd den Weg zu dieser Polychromie gewiesen hat. Es ist Jackson Pollock, der aus Judds Sicht noch in der Malerei mit den tiefsten epistemologischen Bestimmungen von Bildlichkeit gebrochen hat. Er hat die ideelle Einheit des Bildes an dem Fraktal heterogener Materialien gebrochen, aus denen es besteht.

Fraktalisierung und Opticality. Judds und Frieds Pollock. – Pollock ist in Judds Augen, wie er 1967 schreibt, „a greater artist than anyone working at the time or since.“ (195) Erst später wird er ihm Barnett Newman uneingeschränkt zur Seite stellen. 20 Jahre nach den ersten drip paintings schreibt er in seinem monografischen Essay: „Most painting since Pollock’s is somewhat conservative in comparison. The idea that Frankenthaler, Louis, Noland and Olitski form a line of advance from Pollock’s work“ – Greenbergs und Frieds Idee – „is ridiculous“ (195). Der Kampf gegen die modernistische Vereinnahmung Pollocks ist eröffnet. Für Judd liegt die Radikalität von Pollocks Werk der späten vierziger Jahre in der Schärfe und Widerstandskraft, die die drip-Technik den Differenzen der Materialien gibt. Hier ersetzt die materielle Diskretion die ikonische Differenz. In Specific Objects schreibt er: „Pollock’s paint is obviously on the canvas, and the space is mainly that made by any marks on a surface, so it is not very descriptive and illusionistic. Noland’s concentric bands are not as specifically paint-on-a-surface as Pollock’s paint, but the bands flatten the literal space more.“ (182) Nolands Malerei ist zwar flacher als die 419 Siehe oben, Kap. I, Anm. 33.

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Pollocks und sie ist durch das staining einer Vereinheitlichung des Bildphänomens in technischer Hinsicht näher als auch die dichtesten drip paintings Pollocks. Dennoch ist in diesen etwas erreicht, was Nolands Malerei im Ansatz als konservativ und damit als obsolet erscheinen lässt. Es geht in Pollocks Malerei bereits nicht mehr um die Homogenität des Bildphänomens, um die möglichst enge Verbindung von Farbe und Grund wie beim staining und der kompositorischen Vereinheitlichung des Bilds in den Arbeiten Nolands und Stellas. Es gibt kein Bildphänomen mehr. Die Schärfe der materiellen Differenzen zwischen den Farben, die Pollocks Technik mit sich bringt, hat das Bildphänomens von „unten her“ zerrissen, ehe sich eine ikonische Differenz konstituiert, deren Beseitigung dann zum Problem würde. Judd sieht in Pollocks Bildoberflächen zuerst den Schorf. Die ganze Problematik von Einheit und Differenz ist damit auf die Ebene der Materialspezifik gehoben. Es geht nicht mehr um die Beseitigung einer ikonischen Differenz. Es geht um die materielle Spezifität der Farben selber, jeder einzelnen Farbe – auf dem „Grund“ der Leinwand, einem weiteren Material. Es geht um die spezifische Präsenz dieser diskreten, je selbstidentischen Materialien. The dripped paint in most of Pollock’s paintings is dripped paint. It’s that sensation, completely immediate and specific, and nothing modifies it. […] It’s not something else that alludes to dripped paint. […] The various colors in any painting [of Pollock] are more discrete than they are in most paintings, in which they are within a range or relate to an identifiable scheme. Most paintings seem harmonious in comparison. Also, the paints as materials and surfaces, as well as the canvas, are more discrete than they usually are. (195)

Diese Diskretion der Farben aktiviert ihre Widerstandskraft gegen die virtuelle Entfernung ihrer selbst, gegen die Trennung von Materie und Phänomen. Sie steht ihrem Zerfließen zum Schein entgegen. Es sind zählbare, verwobene, aber trennbare Materialien, Ready-mades wie die Tubenfarben Seurats und nachdrücklicher als diese. Das dripping hat das homogene Bildphänomen zum Fraktal dieser Materialien umgebrochen. Es ist genau diese widerständige und in sich gebrochene Faktur, es ist diese schlecht gemischte Assemblage, die Michael Fried außerhalb des Bezirks ästhetischer Phänomenalität fallen lässt. Die materiellen Differenzen der Farben und sonstigen Materialien Pollocks mögen das Bild als „existierenden Gegenstand“ zerfurchen, sie berühren nicht das, was für die ästhetische Anschauung des Modernismus als Bild gelten kann. Dieses zerfurchte Material, der Schorf der Oberfläche ist für Fried nur der Limes der Buchstäblichkeit, dem Malerei sich annähern kann, dem sie unter dem Druck der historischen Dynamik sich auch angenähert hat – aber es ist auch der Staub, in den sie noch aus nächster Nähe nur tödlich stürzen kann und tatsächlich stürzt, wenn sie ihr „optisches“ Wesen verliert. Die gekörnte Materialität von Pollocks Malerei ist für Fried insgesamt der Träger des abstrakten Scheins, den sie im Auge des Anschauers produziert oder produzieren soll, eines Scheins nicht von körperlichen Dingen, sondern von „Modalitäten“, der Seinsmodalitäten einer Materie,

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„die nur optisch existiert – like a mirage“ 420. Die rohe Materie des Bildes ist dem Schein der opticality bei Pollock zwar bedrohlich nahe, aber sie ist aus dem Blickwinkel Greenbergs und Frieds nicht zu sehen. Diese blicken horizontal auf die vertikale Leinwand – oder durch sie als Analogon zum Gesichtsfeld hindurch. Dripped paint 420 C. Greenberg, „The New Sculpture“, Art and Culture, Boston 1961, 139–145, 144. Diese etwas

überzitierte Stelle findet sich nicht in der Version der Erstpublikation des Essays von 1949 (CG II 313–319). Die Änderungen, die Greenberg für die Publikation in Art and Culture an seinen früheren Essays vorgenommen hat, um sie seinem entwickelten Paradigma anzupassen – wie Reinhardts brushwork … to remove brushwork eine supplementäre Arbeit, die den Texten ihre historische Akzidentialität und einen Teil ihrer Lesbarkeit nimmt –, sind für die Greenberg-Philologie entscheidende Anhaltspunkte. (Greenberg hat eine solche Rehistorisierung nicht gewünscht. Mit dem Vorwort O’Briens zur Ausgabe von Band III und IV seiner Schriften, das ihr Programm skizziert [CG III xv–xxxiii], war er so wenig einverstanden, dass er ihm die Herausgeberschaft für den letzten Band entzogen hat.) Die Differenz der zwei Fassungen von „The New Sculpture“ ist exemplarisch. Warum opticality in einem Text über Skulptur und warum erst 1960? Das „Medium“ der Skulptur, meint Greenberg, gewinnt daraus, dass sein irreduzibler Literalismus „unserer“ modernen „positivistischen Sensibilität entgegenkommt“ (CG II 318), eine äußerste Freiheit. Die Skulptur darf deshalb – wider das grundlegende Dogma der modernistischen Gattungsdisziplin – auch „Effekte anderer Künste“ nachahmen – und zwar v. a. der Zeichnung. Soweit laufen die Argumente der beiden Fassungen noch in etwa parallel (CG II 317 f. / Art and Culture, 142 ff.). Abstrakte Skulptur ist Raumzeichnung. 1948 wäre dabei noch an die gechmiedeten Linien von Picasso, González oder des frühen David Smith zu denken. In der späteren Umarbeitung aber bleibt Greenberg nicht bei dem Literalismus, bei der Handgreif lichkeit des essentiell anti-illusionistischen Mediums der Skulptur stehen, es ist nun ein Streben nach „purity“, das alle modernen Künste nicht mehr zur Konfrontation mit den spezifischen Charakteren ihres Mediums führt (sofern dieses noch vom material support her gedacht wird, wie im Laocoon-Text), sondern zur Reduktion von Materialität als solcher und deshalb – ebenfalls in allen Künsten – zur Bevorzugung der sheer visuality, die im Idealfall jede taktile (und sonstige) Affektion durch die Schwere und Undurchdringlichkeit eines Materials vergessen lässt (Art and Culture 143 ff.). Greenberg biegt die „Freiheit“ der Skulptur, die sie ihrem inhärenten Literalismus verdankt, zurück in eine Illustration dieser „puristischen“ These, die nicht mehr in der Konkretion, sondern der Dematerialisierung des Werks ihren Horizont hat: „anti-illusionism comes full circle“, schreibt er – und nun ist es eher eine Blitzlicht-Zeichnung Picassos, die ihm vorschwebt, als die Schmiedearbeit eines David Smith oder González –, „instead of the illusion of things, we are now offered the illusion of modalities: namely, that matter is incorporeal, weightless and exists only optical like a mirage. […] The constructor-sculptor can, literally draw in the air with a single strand of wire that supports nothing but itself “ (ebd. , 144 f.). In einer Bewegung, die der Wendung der selbstkritischen modernen Malerei zum „optischen Illusionismus“ analog ist, zu der die wesenlose Wahrheit der nackten Leinwand sie zwingt, wird der Literalismus des Mediums Skulptur in die Affirmation einer gewichtlosen sheer visuality überführt. Der Kreis, den der Anti-Illusionismus so vollzieht, ist ein Möbiusband. Der Positivismus Greenbergs hat sich unterwegs in sich selbst verdreht. Insistiert er in den 40 er Jahren noch auf der widerständigen Materialität Pollocks, so träumt er nun von einer absoluten Materialbeherrschung und propagiert eine Kunst, die Idealen folgt, die er in Towards a Newer Laocoon als die des dekadentesten Illusionismus des 19. Jhdts. beschrieb: „The painted picture occurs in blank, indeterminate space; it just happens to be on a square of canvas and inside a frame. It might just as well have been breathed on air or formed out of plasma. […] Everything contributes to the denial of the medium, as if the artist were ashamed to admit that he had actually painted his picture instead of dreaming it forth.“ (CG I 29) Klingt das nicht wie die Beschreibung von Arbeiten James Turrells? Das Element dieses Traums der Materialbeherrschung ist von Ingres bis Turrell und Bill Viola das Kapital.

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as dripped paint, dieses Material, an dem Judds Auge kratzt, fällt unter diesem Blick aus. Deshalb wird der Begriff der opticality vom Schorf von Pollocks Farbe nicht diskreditiert. Die Nivellierung dieser rohen und diskreten Materialität konstituiert erst das visuelle Element der ästhetischen Erfahrung, sie gehört zum Vollzug der Epoché, die das Bild als Phänomen hervorgehen lässt. Für Fried ist die Flachheit eine essentielle Bestimmung der Malerei, für Judd eine willkürliche und immer nur ungenau eingehaltene morphologische Gewohnheit. In dem polyfokalen Liniengeflecht Pollocks, das Judd als Netz aus ausgehärteten, diskreten und zählbaren Farben sieht, nimmt Fried ein Raumfeld wahr, das eine optische Tiefe generiert, einen Raum, der kein illusionistischer Raum im Sinn des Renaissancebilds mehr ist, kein Raum für „tastbare“ Körper, sondern ein der Malerei eigener Raum, der einen Weltbezug durch das „Sehen und das Sehen allein“, „ohne Verifizierung durch die Berührung“ stiftet.421 „Pollock’s field is optical because it addresses itself to eyesight alone. The materiality of the pigment is rendered sheerly visual, and the result is a new kind of space — if it still makes sense to call it space — in which conditions of seeing prevail rather than one in which objects exist, flat shapes are juxtaposed, or physical events transpire.“ 422 Dieser Schein der opticality, in dem sich das reflektierende Bildsehen bewegt, gilt für Fried als das ästhetische Phänomen. Er ist der Malerei als Medium zu eigen – diesen Raum ohne Körper und ohne Tastbarkeit teilt sie mit keiner anderen Kunstform, er ist aus der essentiellen Flächigkeit der Bildebene geboren. Die exzessive Materialität von Pollocks dripping integriert Fried so als Ausschlag zum Pol des Malerischen in das klassische (Wölfflinsche) Dispositiv formalistischer Kritik. Die fallende Farbbahn ist Zeichnung, die den kategorialen Überschlag zur malerischen Konturlosigkeit vollzogen hat. Selbst die mit erschreckender Heftigkeit freigelegten „Cutouts“ – in Out of the Web: Number 7 (1949, fig. 128) zeigt die freigelegte Hartfasertafel die Spuren der eingesetzten Werkzeuge (Spachtel, Messer oder Stechbeitel, nicht die elastische Eleganz des Palettenmessers) und am Rand die Dicke der Farbschichten423 – integriert Fried in seine optische Lektüre. Er interpretiert sie als halluzinierte Leerstellen im Feld des dripping, das das Augeninnere spiegelt, blinde Flecken, die die abstrakte opticality des Farbnetzes mit einer Art negativer Figuration aus Abwesenheit durchlöchern.424 Für Judd liegt das unmittelbare Phänomen „unterhalb“ dieses im Sehen erzeugten und das ästhetische Erleben tragenden Scheins. Die Arbeit seines Blicks ist darauf gerichtet, dieses Spiel des Phänomens anzuhalten, die Hülle des Mediums zu durchlöchern oder sie mit der materiellen und materiell diskreten Oberfläche des Gemalten, das das Bild – nicht als Bild, aber „in Wirklichkeit“ – ist, zu verschmelzen. Und das nicht nur in Bezug auf Pollock. Ein Schulbeispiel dieser Arbeit des Blicks ist seine 421 Siehe M. Fried, „Three American Painters“ [1965], in: ders. , Art and Objecthood, 224 f. 422 EBd. 423 Detailabbildungen in: Jackson Pollock, Ausst.-Kat. New York / London 1998/99, 256 f. Auch

Maß- und Materialangaben im Folgenden nach diesem Katalog. Zusätzlich verweise ich bei den Abbildungen auf die Nummern des Catalogue Raisonné von O’Connor/Thaw, New Haven 1978 (=OT). 424 Fried, Art and Objecthood, 227 ff.

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forcierte Anti-Interpretation von Newmans Shining Forth. To George, in der er, was sein eigenes methodisches Ziel ist, als Newmans Motivation bei der Konzeption der Bildstruktur unterstellt (fig. 243). Judd liest das räumliche Widerspiel zwischen den beiden äußeren, dem negativen und dem positiven zip in Shining Forth als das Mittel, das Newman zur Abflachung des Bilds einsetzt, zur Aufhebung einer Figur-GrundRelation, da die Leinwand links Grund, rechts Figur ist. „This description may have been dry reading“, so schließt dieser phänomenologisch extrem selektive und gewaltsame Text, „but that’s what’s there.“ (CW I 201) Judds Blick auf Malerei übt buchstäblich eine Unterdrückung des Illusionären, der Nicht-Identität des Bildes aus. Diesem oppressiven Blick erscheint Malerei immer schon in den schweren Block gebannt, in die bemalte Scheibe, als die die Bilder Stellas sie endlich zeigen. Und Stella ist laut Judd der einzige zeitgenössische Maler, der die Lehre aus der Materialität von Pollocks drip paintings gezogen hat (195). Natürlich wäre mit Stella abermals die Scheidemarke zwischen Minimalismus und Modernismus erreicht. Für Judd ist es die speckige Farbe Stellas, die „impure-purist surface“, wie Robert Smithson sie nennt,425 die Pollocks paint-on-a-surface näher kommt, als das elegische staining von Frankenthaler oder Louis. Fried dagegen beansprucht Stella – der in den Irregular Polygons durch das Vexierspiel von Flächenfaltungen den depicted shape des Bildes vom literal shape des Trägers nach ihrer Koinzidenz in den Streifenbildern wieder unterscheidet (fig. 74–76) – für seine Polemik gegen die literalistische Korruption des Modernismus.426 Der „Kampf um Stellas Seele“ 427 wird mit Waffen geführt, die aus Stellas Bildern erst entnommen werden. Dasselbe lässt sich von der Rezeption von Pollocks drip paintings sagen – und in diesem Kampf steht mehr auf dem Spiel. Die Entwicklung der amerikanischen Kunst der sechziger Jahre und die Geschichte ihrer Rezeption lässt sich nach der Stellung zu Pollock ordnen – Rosalind Krauss hat das versucht, wir kommen darauf zurück. Die Opposition von Fried und Judd ist nur ein begrenzter Ausschnitt aus diesem Feld. Wir wollen im Folgenden den historischen Ort und die weit in den politischen Raum ausgreifenden Resonanzen dieser scheinbar allzu speziellen Diskussion über Medium- und Materialspezifik lesbar machen.

Drip Paintings, 1947–1950. – Wir betrachten die Entwicklung von Pollocks drip paintings von 1947 bis zur allmählichen Preisgabe der Technik nach 1951. Dass die wenigen Arbeiten Pollocks nach 1951/52 sich nicht mit seinem früheren Werk (einschließlich der Bilder von vor 1947) messen können, ist weitgehend Konsens. Ich werde dieses Urteil (das ich teile) nicht diskutieren, ebensowenig die Umstände und Gründe des Produktivitätsverfalls in Pollocks letzten Lebensjahren. Die Entfremdung von der drip-Technik durch die ständige Reflexion in Hans Namuths Kamera während 425 Robert Smithson, The Collected Writings, Berkeley / Los Angeles / London 1996, 20. 426 Fried, „Shape as Form: Frank Stella’s Irregular Polygons“, in: ders. , Art and Objecthood, 77–99. 427 Siehe oben, S. 212 f. u. Anm. 380 u. 381.

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der Arbeit an den drei großen Leinwänden im Herbst 1950 und durch die langwierige schaustellerische Mit-Arbeit an Namuths Farbfilm, die Pollock zur künstlichen Anpassung seines „Rhythmus“ zwang, ist zweifellos ein wesentlicher Grund. Danach war das dripping mit dem Gefühl der Scharlatanerie verbunden, das Pollock an Namuth zurückgab: „I’m not a phony, you’re a phony…“. Unmittelbar nach der Fertigstellung des Films fing Pollock nach drei Jahren Abstinenz wieder zu trinken an.428 Das letzte Bild vor diesem Zusammenbruch, Number 29, 1950 (fig. 136), dessen kalte Opulenz an manche viel spätere „Reliefs“ von Stella denken lässt, hat Pollock auf die Glasplatte „gemalt“, unter der Namuth mit der Kamera lag. Das Auge der Kamera hatte den resistenten Leinwandgrund ersetzt, mit dessen „Entdeckung“ die drip paintings 1947 einsetzten. „Anti-illusionism comes full circle“.429 Wir verfolgen also diese Entwicklung von ihren Anfängen an. Zwischen den ersten, primitiven Arbeiten in der „neuen Technik“ und den souveränen Großformaten von 1950, den berühmtesten Bildern Pollocks, seinem Floß der Medusa, wie Varnedoe meint430, liegt eine Differenz, der weder Fried noch Judd viel Beachtung schenken, die aber nicht weniger polarisierend ist als die Stellung ihrer Interpretationen zueinander. Ich will hier keine Kongruenz konstruieren, aber Affinitäten dieser jeweiligen Polaritäten bestehen.431 428 Pollocks Karriere wird oft als der Dreiakter von Suche, Fund und Selbstverlust geschildert. Das

ist zwar pathetisch, aber auch zwingend. Die Gründe des Selbstverlusts (Namuths Kamera, der Alkohol) wurden vielfältig diskutiert, z. B. bei R. Krauss, The Optical Unconscious (chapter „six“) und Kirk Varnedoe, „Comet: Jackson Pollock’s Life and Work“, in: Jackson Pollock, Ausst.-Kat. New York / London 1998/99, 15–85, 60 ff. Die ausführlichste biografische Schilderung bei S. Naifeh / G. W. Smith, Jackson Pollock. An American Saga, New York 1989, 647 ff. 429 S. o. , S. 247 f. , Anm. 420. Durch dieses Glas hindurch entdeckt Krauss, einmal mehr, Picasso im Rücken Pollocks: Picasso der mit der Spur des Lichts direkt in den „Augen-blick“ der Fotografie gezeichnet hat: „one can see him there as well, bare-chested, in his all-too-familiar boxer undershorts, impishly grinning: Picasso — sucking all the air out of space, taking up all the room.“ (The Optical Unconscious, 302) Krauss sieht Pollock hier, wo er sich in der Nähe des Urvaters und Meisterzeichners wiederfindet – „that guy missed nothing!“ –, den Kontakt zu seinem „Medium“, der Gravitation, der horizontality der Leinwand, der basesse des Materials verlieren. Das ist eine der überzeugendsten Passagen ihrer Lektüre. 430 Varnedoe, „Comet…“, 60. 431 Die Differenz der frühen und späten drip paintings bildet dagegen eine Leitlinie des PollockEssays von T. J. Clark, „The Unhappy Consciousness“ (in: ders. , Farewell to an Idea, 299–369). Eine frühere Version ist „Jackson Pollock’s Abstraction“ in: Guilbaut (Ed.), Reconstructing Modernism, Cambridge/London 1990 (diese Version ist in deutsch publiziert als: Jackson Pollock. Abstraktion und Figuration, Hamburg 1994). Unsere Skizze verdankt diesem weitgespannten Text mehr als sich im Einzelnen anzeigen lässt, auch wenn sie einen anderen Blickwinkel einnimmt. Clark fragt auf seine Weise nach dem Weltverhältnis von Pollocks Malerei – und er fragt nach der Verschränkung der beiden Dimensionen, in denen es sich artikuliert: der der „Metapher“ oder der Autonomie des Scheins und der Intention – und der „Metonymie“ oder der „seitlichen“ Verschränkung schon der Produktion mit der zukünftigen „Öffentlichkeit“, deren „Codes“, deren „Sinn-Erwartungen“ im „Wort“ des Werks immer schon mitsprechen. Trotz der Geduld und des Reichtums seiner Untersuchung bleibt jedoch Clarks Weltbegriff tendenziell von einem soziologischen Begriff der „Öffentlichkeit“ dominiert. Was wir Weltverhältnis des Werks nennen, ist zunächst gewissermaßen physischer – auch und gerade dort, wo es um die Geschichtlichkeit des Werks geht. Die „Offenheit“, auf die es sich entwirft, ist nicht von Clarks „Öffentlichkeit“ zu trennen, aber sie verschmilzt nicht mit ihr.

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Es sind vor allem die frühen drip paintings, in denen die Farben jene Diskretion und Härte zeigen, die Judd hervorhebt. In Phosphorescence, Alchemy und Lucifer (alle 1947, fig. 117, 120, 121) 432 bildet die geflossene oder geworfene Farbe ein taktiles, reliefiertes Geflecht abhebbarer Strähnen und Fetzen. In und unter der Farbe kleben zusätzliche Materialien, die den taktilen Charakter der Oberfläche unterstreichen und als Vorläufer des Sands, den Judd unter das Pigment seiner letzten Bilder mischt gelten können. In Full Fathom Five (fig. 118) sind es „Farbtubendeckel, Nägel, Reißnägel, Zigaretten, Münzen und Knöpfe“, in Galaxy und Sea Change (fig. 113, 116, alle ebenfalls ’47) Kiesel- und Schottersteine. In Phosphorescence ist der Reliefcharakter der Farbe selbst am ausgeprägtesten, in Alchemy, einem der größten der frühen drip paintings (deren Formate allesamt moderat und handhabbar sind433 ), ist mit den Farbsträhnen wirkliche Schnur verflochten, die eine oberste Lage dünner und scharfer Linien aus weißer Ölfarbe wiederum materiell imitiert. In diesen frühen Arbeiten bilden die Farben und hinzugefügten Materialien ein diskontinuierliches Netz, das die Einrichtung eines Bildscheins nicht endgültig verhindert, aber ihn durch seine Schärfe und reliefierte Prägung an die lokalisierte Oberfläche zurückbindet. Judds materialspezifische Interpretation findet hier mehr als genug Anhalt. „The elements and aspects of Pollock’s painting are polarized rather than amalgamated. […] Also, the paints as materials and surfaces, as well as the canvas, are more discrete than they usually are.“ (CW I 195). In diesen Bildern zerfällt der homogenisierende Schein oder wird von „unten“ her durchfurcht von der tatsächlich sehr heterogenen Materialität, die über die Diskretion von Farbmaterialien noch hinausgeht. Und es sind diese Bilder, nach denen alle nachfolgenden, Pollocks eigene eingeschlossen, somewhat conservative aussehen, wie Judd 1967 sagt. In den folgenden Jahren geht die Trennschärfe und damit die Spezifität der Materialien allmählich zurück. Das Relief wird flacher, es werden keine der klassischen Malerei fremden Materialien mehr beigemischt, die Farbe selbst wird flüssiger und die Formate größer, was die faktische Dematerialisierung unterstreicht. Diese Entspannung und beginnende Homogenisierung, die zu den späten Großformaten führt, ist kein geradliniger, methodisch gelenkter Prozess – Pollocks Werk ist in der Phase der drip paintings kaum weniger experimentell und qualitativ schwankend als zuvor in den Jahren der „Suche“ –, aber sie lässt sich doch im Überblick als eine Resublimation des Bildes aus dem steinigen Bett des dripping beschreiben, als eine

432 Die Abbildungen sind hier mehr noch als bei anderen Bildern nur Notate, Erinnerungsstützen.

Ich verweise nocheinmal auf die guten Reproduktionen und die Detailaufnahmen in Jackson Pollock, Ausst.-Kat. New York / London 1998/99 (zu den genannten Bildern dort. 224 ff.). 433 Die meisten sind kaum größer als 1 × 2 Meter (Alchemy 114,6 × 121,3 cm; Lucifer 104,1 × 267,9 cm; Phosphorescence 111,8 × 71,1 cm). Das ändert sich tendenziell im Lauf der drei Jahre von Pollocks drip paintings. Die größte der Leinwände von 1950, One: Number 31, misst 269,5 × 530,8 cm, Autumn Rhythm ist nur wenig kleiner. Dennoch ist die big canvas einer der Mythen des Abstrakten Expressionismus. Die Krise des Staffeleibildes hat mit der schieren Größe der Leinwände nicht viel zu tun. – Siehe zum Topos des amerikanischen Großformats und seinen europäischen Vorläufern auch W. Rubin, „Jackson Pollock and the Modern Tradition,“ [1967] in: Karmel 1999, 118–175.

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Wiederaufrichtung des Scheins, die der optischen Lektüre von Fried und Greenberg entgegenkommt. Wichtige Schritte – aber wie gesagt, es ist kein methodisch gesicherter Gang, eher ein experimentielles Hin und Her – sind Number 1 A, 1948 (fig. 122), eines der ersten Bilder – Pollock greift hier Erfahrungen mit einer Reihe von offengrundig-linearen Papierarbeiten auf 434 (fig. 123, 124) –, in denen sich hinter einem noch steifen, materiell-insistenten Farbgeflecht die Leinwand als Lichtgrund aufrichtet.435 In Number 5, 1948 und Number 1, 1949 (fig. 129), einem der souveränsten, seiner technischen und formalen Mittel sichersten Bilder Pollocks überhaupt, sind die steifen Farbschnüre, die in Phosphorescence oder Alchemy die „Figuration“ austreiben und die noch in Number 1 A, drahtig und scharf, wie gefroren, vor der Lichtfläche stehen, zu kurvig in sich zurückkehrenden Arabesken geöffnet, die die Bewegungen und wechselnden Geschwindigkeiten der Farbquelle (des Stocks, der durchlöcherten Dose) im Raum über der Leinwand auf diese projizieren. In den schnellen, fliegenden Linien höhlt die Bewegung des Index eine Bildtiefe aus, in der man unwillkürlich den Bewegungsraum des Malers reflektiert sehen will. Die Farbspur – in Alchemy eine schneidende Gerade – wird als Flugbahn in einem hinter die Bildebene gespiegelten Raum lesbar. Diese Spiegelung allerdings gehorcht keiner Symmetrie. Wechselnde Stärke (Breite) der Farbspur zeigt wechselnde Geschwindigkeiten, verschiedene Wurfrichtungen und Fliehkräfte der flüssigen Farbe an, eher als den Ort der Farbquelle. Dennoch konstitutiert sich so ein imaginärer Bildraum als dynamischer Reflex der Bewegungsgesetze und Materialeigenschaften. Im Extrem zeigt eine Reihe von kleineren Bildern diese paradoxe Restitution einer Tiefenräumlichkeit durch die geschärfte Indexikalität der Farbspur (fig. 131) 436, sie erzeugen tatsächlich Effekte wie Fotos von bewegten Lichtern im Dunkeln: die Spur wird als Bahn gelesen, die einen Raum einhüllt und figuriert. Ein entgegengesetzter Weg der Re-Ikonisierung deutet sich in Bildern an, die eine stückhaft unverdaute Figuration in das Geflecht des dripping einfügen. Summertime. Number 9 A (1948) (fig. 125) probt zuerst die Annäherung an den Fries, eine Bildform, die auf das Ziel einer architektonischen Integration der Malerei verweist. Zugleich ist hier die geflossene Linie als Einfassung einer geschlossenen, nachträglich eingefüllten Farbfläche verwendet. Mit diesem (miróesken) Vorgehen schlägt Pollock das Thema der Verknüpfung von dripping und abstrakter Figuration an, das er in den negativen Figuren der Cutouts und ihren Inversionen durchspielen wird (fig. 127, 128, 130) und in The Wooden Horse: Number 10 A, wo der Kopf eines Holz-Schaukelpferds in das Liniengeflecht eingesetzt ist, ins schrille Extrem treibt (fig. 126). So bilden der dynamische Reflex des Bewegungsraums über dem Bild und das ins Netz des all over eingesetzte flache Figurfragment die beiden Pole der Refiguration oder Re-Ikonisierung in Pollocks Malerei in den ersten Jahren der drip-Technik. In 434 Jackson Pollock, Kat. New York / London, 232–41. Die Chronologie ist allerdings nicht gesichert. 435 Frühestens hier bekommt Frieds Feststellung „We tend to read the raw canvas as if it were not

there.“ (Art and Objecthood, 224) eine gewisse Berechtigung.

436 Neben Number 33, OT 234 v. a. noch: Number 34, 1949, OT 235; Number 30, 1949: „Birds of

Paradise“, OT 237.

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den großen Leinwänden von 1950 aber hat sich der Streit zwischen Figur und Feld beruhigt, eine gewisse Synthese hat stattgefunden: das Netz des dripping selbst produziert nun den abstrakten Schein der opticality. Wir haben einerseits Number 32 (fig. 135), das die Diskontinuität, die das dripping als Technik dem Bild einschreibt, zu konzentrieren und methodisch und theatral zu isolieren scheint, und andererseits Lavender Mist, One: Number 31 und Autumn Rhythm (fig. 132–134), wo das Netz sich atmosphärisch aufzulösen beginnt. Das Farbnetz, dessen krude Materialität 1947 den Bildschein von innen her auf bricht und dessen defigurierendes und figuratives Potential inzwischen ausgetestet ist, ist zu einer Art Schaum (One: Number 31) verwandelt oder zu einem dunstigen sfumato (Lavender Mist) aufgelöst, das mit einer ikonisch-metaphorischen Lesbarkeit unmittelbar harmonisiert. Diesen weichen Versionen des Netzes muss keine Figur mehr als Unterbrechung eingesetzt werden (wie in Summertime oder den Cutouts). Es hat sich vom Fraktal Judds in das Sehfeld Frieds verwandelt. Gegen die scharfe Kälte von Lucifer und die jede Figuration und Räumlichkeit zerreibende Materialität von Phosphorescence ist Autumn Rhythm ein fast naturalistisches Landschaftsbild, das von trockenem Laub und brechenden Ästen erzählt. Noch das drahtige, lichtgrundige dripping von Number 1 A, 1948 ist vom schaumigen Weiß von One weiter entfernt als von den zähen Öl- und Lackfarbenspritzern von Lucifer.437 Die späteren Bilder können daher, das ist der für uns im Moment entscheidende Punkt, kaum mehr als „Reliefs“, als materiell und zeitlich geschichtet gelesen werden, auch wenn manche Strähnen weniger verdünnter Farbe „überstehen“, die Diskontinuität des Malprozesses also noch registriert bleibt – wie in dem schwarzen Zickzackgeflecht, das, wie „Stacheldraht“ 438, den Dunst von Lavender Mist zerschneidet. Schon die Formate, die sich zum Sehfeld, zur Kinoleinwand aufrollen, schließen eine Gerinnung der Materialität und die Verfestigung des Bilds zum „Objekt“ aus. Aus angemessener Sichtdistanz fällt die Textur oder Faktur kaum mehr ins Gewicht.439 Es sind diese Bilder von 1950/51, die der modernistischen Interpretation Vorschub leisten. In ihnen beginnen die visuellen Effekte des dripping, dessen Entschärfung zum staining sie initiieren, über die Lesbarkeit des technischen Vollzugs zu dominieren. Judds Beschreibungen gleiten hier ab. Autumn Rhythm und One sind ausgesprochen harmonische Bilder. Ihre Farbwerte – Umbra, Weiß, Schwarz und ein kaltes Graugrün in One, Weiß, Schwarz und Ocker in Autumn Rythm – bauen mit dem hel437 Es sind genaugenommen keine Spritzer. Es scheint, dass Pollock die Leinwand insgesamt oder

stellenweise schräg angehoben hat, so dass die noch nasse grüne Farbe, eine der obersten Schichten, langsam nach rechts ausgeflossen ist. Der „Wind“, der durch das Gestrüpp der Farbspuren geht (und den Clark mit einigen Zeilen aus Miltons Paradise lost vernüpft, „The Unhappy Consciousness“, in: ders. , Farewell… , 338), ist ikonischer Effekt der Viskosität der Farbe und der Gravitation. Diese technische Primitivität, die wirklich radikal und frei und alles andere als spektakulär ist, macht Lucifer zu einem der bedeutendsten Bilder der Moderne. 438 Clark relativiert aufgrund dieses Stacheldrahts die Treffsicherheit des Titels, der von Greenberg stammt (ebd. , 341). 439 Die Textur ist im Verhältnis zur Größe der Leinwand objektiv flacher, unabhängig von der Sichtdistanz, die in diesem Zusammenhang oft allzu wichtig genommen wurde (vgl. M. Fried, „An Introduction…“, in: ders. , Art and Objecthood, 19 ff. bes. die Anm. 24/57 f. zu Clarks Pollock-Essay).

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len Beige der ungrundierten Leinwand einen breiten und natürlichen, d. h. tonalen Grundklang auf. Die Diskretion der Farben ist in den Malgrund als Lichtgrund zurückgebunden. Dass die Farbe geworfen oder gespritzt wurde, bleibt zwar lesbar, aber das sfumato nimmt diese Diskontinuität in die Synchronie des Phänomens zurück. Charakteristisch ist, dass Pollock hier keine Aluminiumbronze mehr verwendet, deren Glanz zur „vulgären“ Extroverthierheit vieler Bilder der Vorjahre wesentlich beigetragen hat. In Lavender Mist ist noch etwas davon in den Dunst des Farbraums gemischt, in den drei anderen Großformaten vermeidet Pollock sie, und offensichtlich wäre ihre „abstoßende“ Materialität, die Stella gefiel,440 in das asketisch-existenzielle schwarz-weiß von Number 32 so wenig integrierbar gewesen wie in den Pannaturalismus von One und Autumn Rythm. Von den splitternden Dissonanzen von Alu- und Emailfarbe und den vereinzelten grellen, aus der Tube aufgedrückten Ölfarbenstreifen, von den Kieselsteinen und Glasscherben von 1947 ist in der gelösten Souveränität dieser apollinischsten Bilder Pollocks nichts mehr zu spüren. Eine Linie, die in Phosphorescence oder Alchemy noch als Hieb den Bildschein zerschneidet, ist nun eine Bahn, links und rechts angelöst und mit dem hellen Grund der Leinwand verbunden. Sie konturiert nicht, sie durchfliegt den visuellen Raum, den sie zugleich konstituiert.441 Das heavy impasto, das 1947 das Farbnetz beschwert, ist aufgelöst. Die späten Leinwände „rein optisch“ zu lesen, wie Fried es tut, bleibt noch immer einseitig, aber die Orientierung dieser Lektüre ist evident. Was folgt? Es folgt noch die große Serie der Black-and-White Paintings, in denen Pollock mit verdünnter schwarzer Emailfarbe auf ungrundierter Leinwand zeichnet und deren verdunstende Linie – „now he volatilizes“, raunte Greenberg442 – der Ausgangspunkt für Frankenthaler, Louis und Noland wurde. Aus dem wiederaufgerichteten, homogenisierten Schein taucht die figurative Zeichnung wieder auf, das image, dessen Vergrabung oder Ertränkung am Anfang der drip paintings stand (fig. 137).

Die Krise des Staffeleibildes und die Immanenzebene des Werks. – Judd und Fried haben diese Entwicklung von Pollocks Arbeit zwischen 1947 und ’50 ausgeblendet. Judd ist so auf die ausgehärtete Buchstäblichkeit des Materials konzentriert, dass er nur dripped paint as dripped paint sieht und den indikativen Schweif des dripping und erst recht die Restitution des Scheins und sogar der Figur in den späten Leinwänden übersieht. Umgekehrt ist Fried so auf die Homogeneität der opticality, das Element seines handlosen Bildsehens angewiesen, dass er die rohe Materialität der frühen Arbeiten abblenden muss und sich, über440 „Repellent“ war Stellas Wort (zit. bei Krauss, The Optical Unconscious, 248). 441 Dass Pollocks Linie nicht mehr konturiert, ist in Frieds Darstellung der entscheidende Bruch

mit der Renaissancetradition (Art and Objecthood, 223 ff.). Dass sie ein Index ist, der den Bildschein an der Heterochronie des Herstellungsprozesses bricht und die Bildebene zum Scharnier zwischen dem Zeit-Raum des Scheins und dem der Produktion werden lässt, markiert diesen Bruch in unseren Augen (s. u. , S. 257–62). 442 Ebd. , 290.

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einstimmend mit Judd, die Frage nach der Zeitlichkeit des dripping, der Diskontinuität, die es besonders den frühen Bildern einschreibt, nicht stellt. Beide fixieren das Werk in einer unmittelbaren Präsenz: Fried in der des sublimierten Scheins, Judd in der des geronnenen Materials. Beide unterschlagen die Spannung, die sich zwischen 1947 und 1950 ausprägt und die jedem einzelnen Bild eingeschrieben ist. In verschobener Weise ist diese Polarität dagegen mit einem Thema verflochten, das die Pollock-Rezeption von Anfang an bestimmt hat, mit dem Thema der horizontality. Unter diesem Begriff lässt sich die bisher überwiegend technische Analyse mit der Frage nach dem geschichtlichen oder kulturellen Ort von Pollocks Malerei verknüpfen. Der Begriff der horizontality beherrscht die Diskussion um die Krise des Staffeleibildes, was der amerikanische Name der allgemeinen Krise der Repräsentation in der Moderne ist. In seinem bekanntesten Statement spricht Pollock 1948 von dem „heavy impasto with sand, broken glass and other foreign matter added“, mit oder über dem er „malt“, und er hebt die horizontale Stellung der Leinwand hervor. „I hardly ever stretch my canvas before painting. I prefer to tack the unstretched canvas to the hard wall or the floor. I need the resistance of a hard surface. On the floor I am more at ease. I feel nearer, more a part of the painting“ 443. Pollock beruft sich im Weiteren auf die „indian sand painters from the West“ und deren temporäre, heilende (nicht heilige) Bilder. Die Überschreitung der westlichen Tradition der Staffelei-Malerei wird in eine kulturelle Perspektive gerückt, in der die Herstellung des Werks Ritus ist und ihr Produkt nicht bleibt. Als der Autor dieses Statement kann Harold Rosenberg gelten, der Theoretiker des American Action Painting, der das Werk als Zeugnis des existenziellen Akts, die Leinwand als „Arena“ begreift, in der das Subjekt seine Freiheit erprobt. Zur gleichen Zeit lässt Greenberg, sein Antipode, Pollock ebenfalls vom „Staffeleibild als sterbender Form“ sprechen. Aber nun verbindet dieser Tod sich mit dem Ausblick auf die bevorstehende „transition“ zur Wandmalerei, auf die architektonische Integration, deren Zeit vielleicht noch nicht „ganz … reif“ sei.444 Rosenbergs existenzialistische Perspektive auf den schamanischen Künstler und Greenbergs modernistische Hoffnung auf eine apollinische, das heißt Matisse’sche Zukunft der amerikanischen Malerei, die endlich ihren provinziellen (oder „vulgären“ 445 ) Metaphysizismus, ihre gothicness, ihre surrealistische, freudianische, d. h. dionysische Herkunft abgelegt hätte, – das waren die zeitgenössischen interpretativen Perspektiven, die Pollock zur Verfügung standen. Und diese Pole einer Kunst des existenziellen Engagements und des ästhetischen détachement sind mit der horizontalen und der vertikalen Stellung der Leinwand, mit dem Boden und der Prärie der „sand painters from the west“, der Landschaft von Pollocks Herkunft einerseits – und mit der architektonischen Wand,

443 „My Painting“, in: Possibilities I, Winter 1947/48, zit. nach Karmel 1999, 17 f. 444 „Application for Guggenheim Fellowship“, zit. nach Karmel 1999, 18. Zu Pollock als dem „Unter-

zeichner“ dieser beiden um 90° gegeneinander verdrehten Statements siehe Rosalind Krauss, „The Crisis of the Easel Picture“, in: Varnedoe/Karmel 1999, 155–179, 166 f. 445 T. J. Clark, „In Defense of Abstract Expressionism“, in: ders. , Farewell… , 370–403.

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mit New York und d. h. mit Europa und der rationalistischen Moderne andererseits verknüpft (fig. 138).446 In einer der einflussreichsten neueren Arbeiten zu Pollock hat Rosalind Krauss diese Struktur aufgegriffen und zu einem weit ausgreifenden Dispositiv entwickelt.447 Es geht Krauss primär darum, im Rekurs auf Pollocks Malerei und die Alternative zwischen dem vertikalen Bild und der horizontalen Leinwand einen Interpretationsrahmen für die körper- und prozessorientierte Kunst der sechziger Jahre zu etablieren und deren Bezugnahme auf Pollocks dripping gegen die „akademische“ Malerei der „Greenberger“ Frankenthaler, Louis und Noland, gegen den optischen Pollock des Spätmodernismus abzuheben. Die horizontality verbindet sich in diesem Rahmen mit der Kritik der auf ein rationales Subjekt zentrierten und von ihm beherrschten Repräsentation. Sie entbindet die Materie in ihr Fließen (den Zustand des Bataille’schen Informe) wie in der Prozess- und Anti-Form-Kunst der späteren sechziger Jahre; sie ist die Dimension des Skatologischen, wie in den verstreuten Intensitätspunkten von Twomblys Graffitis und ihrer Geruchs- oder Hunde-Perspektive und in Warhols PissPaintings; und sie ist das Medium der Artikulation der Zeit und des Abdrucks der Leiblichkeit, wie in Kaprows Performances oder Serras repetitiven Blei-Schüttungen, in Morris’ Filz-Arbeiten und Lynda Benglis’ „femininen“ Kautschukplaquen (siehe fig. 141–147: zur „informen“ Pollockrezeption der 60 er; L. Benglis: fig. 156, 158). Die Vertikale assoziiert Krauss dagegen mit der zyklopischen Herrschaft des cogito, das das „informe“ Material in die präsente Form zwingt, das den Leib auf das Auge reduziert und seine Bewegungen einfrieren lässt wie das monokulare Dispositiv des perspektivischen Bildes, das Pollocks dripping zerstört hat. Die Wiederaufrichtung des Scheins in Pollocks klassischen Großformaten, die Resublimation der entbundenen Materialität zum Bild macht daher die für Krauss gerade wesentliche Subversion rückgängig. Die Flamme wird wieder entzündet, die Repressionsleistung der „Kultur“

446 Man müsste noch das berüchtigte Vogue- oder Cecil-Beaton-Modell hinzufügen, die Cutouts der

Fashion-models vor Autumn Rythm und Lavender Mist (fig. 139), die Reintegration einer Kunst ästhetischer Negativität in den Apparat gesellschaftlicher Repräsentation, wie T. J. Clarks adornitische Interprationslinie geht. Es ist dieses Modell, das Andy Warhol (für den Beaton tatsächlich ein Rollenmodell war: s. Andy Warhol. Photography, Zürich 1999, 34 u. 287) als das historisch gültige und eigentlich produktive betrachtet. Er integriert seine Schichten – abstrakte Malerei und industrielle Imageproduktion – wieder in ein Verfahren: dieselbe industrial paint, die Pollock auf die Leinwand wirft, streicht Warhol durch seine Siebe. Die so konstituierte „Ikonizität“ ist alles andere als eine Rückkehr der Repräsentation (s. u. „Bild und Index im real space. Die Schatten Warhols“, S. 258 ff. ). 447 Die wichtigsten Texte von Krauss zum Komplex der horizontality sind das Pollock-Kapitel („six“) in The Optical Unconscious und „The Crisis of the Easel Picture“ (in: Varnedoe/Karmel 1999); das ganze Feld ergänzend: dies. / Yve-Alain Bois, Formless. A User’s Guide, New York 1997. Allgemeiner zu dem zentralen Thema der neueren Arbeiten von Krauss, dem erweiterten Begriff des „ästhetischen Mediums“, der nicht mehr an eine Gattungsdisziplin und an die Bildform gebunden wäre und für den die horizontality das erste maßgebliche Beispiel ist, dies. , „A Voyage on the North Sea“. Art in the Age of the Post-Medium Condition; dies. , „Reinventing the Medium“, Critical Inquiry, vol. 25 (Winter 1999), 289–305, und dies. , „ ‘…And then turn away?’ An Essay on James Coleman,“ October 81 (Summer 1997), 5–33.

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kehrt zurück. Die Veils, Flames und Florals von Morris Louis markieren für sie diese Bewegung umgekehrter Dekadenz.448 Für Krauss’ Typologie der Pollock-Effekte in den sechziger und siebziger Jahren ist dieses Modell sicher mehr als nur heuristisch brauchbar, es ist in den von ihr behandelten Arbeiten tatsächlich wirksam. Als Interpretationsrahmen von Pollocks eigenem Werk ist die Einsetzung der horizontality als „Medium“, das das Bildmedium „ersetzt“, aber offenbar forciert. Dass Pollock auch während der Arbeit an der liegenden Leinwand diese als vertikal zu hängendes Bild antizipiert hat, ist unzweifelhaft.449 Auch wird die Unübersichtlichkeit der liegenden Malfläche, für Krauss ein wesentlicher Faktor der Zerstörung der Werkeinheit und des ihr entsprechenden, „idealistischen“ Modells von Subjektivität, gerade erst bei den späten Großformaten brisant, in denen der Bildschein sich wieder aufrichtet. Für die aggressiv-disharmonischen, aber eher kleinen Bilder von ’47, stellt sich das Problem der Unüberschaubarkeit auch für die liegende Leinwand nicht. Der Zusammenhang der Desintegration des Bildes und des Modells von Subjektivität in Pollocks Werk muss daher anders und weniger buchstäblich situiert werden. Die horizontale Stellung der Leinwand ist sicher mehr als eine bloß technische Voraussetzung, die in der Gegenwart des formalen Resultats bedeutungslos würde (wie für Fried und Judd), aber sie ersetzt nicht das Bildmedium, so als wäre der Prozess selbst, als wären Zeit und Material die Elemente der künstlerischen Artikulation und nicht die Fläche in ihrer räumlichen Simultaneität – wie es bei Serras Bleischüttungen, einem der wichtigen Beispiele von Krauss, sicher der Fall ist (fig. 142,143). Es geht nicht darum, Pollocks prozessbetonter Malerei eine Polemik gegen die simultan-räumliche Präsenz des Bilds abzulesen, es geht darum, die Verschränkung der beiden Dimensionen zu denken. Die Leinwand wurde auf dem Boden bearbeitet und wird aufgerichtet. Das dripping hat Spuren hinterlassen, die anzeigen und anzeigen werden, dass die Leinwand während der Bearbeitung lag. Wenn das Bild wieder in die vertikale Stellung gebracht und das Feld der prozessualen Malerei in das des gleichzeitigen Anblicks umgeklappt ist, bleibt für die Anschauung die Horizontale als die Ebene des gewesenen Prozesses in ihrer Kreuzung mit der präsenten Bildebene dennoch gegenwärtig. Sie bleibt gegenwärtig in der Weise des Entzugs. Einzelne Referenzen der gebündelten und zum Netz verflochtenen Indizes sind nicht verfolgbar. Die Horizontale des Entzugs 448 The Optical Unconscious, „six“, zu Louis bes. 290 ff. Krauss bezieht sich auf Freuds Zur Gewinnung

des Feuers (GW 16, 3–9). Louis’ Wiederentzündung der Flamme (des Bildes), die Pollocks dripping gelöscht hat, wäre „Kulturleistung“, also „Triebverzicht“ – und harmoniert deshalb so gut mit dem Puritanismus Frieds (Louis’ bedeutendstem Interpreten). Sie steht für eine apolitische, asexuelle (verklemmt sexuelle), statische, akademische („the pictorial makes academic“, October 69, 10) und letztlich repressive „Museumskunst“. So das Netz der Konnotationen, das Krauss auswirft. Sie ist auch deshalb eine so einflussreiche Autorin, weil sie die Machtpolitik des Diskurses perfekt beherrscht. 449 S. auch Clark, „The Unhappy Consciousness“, 325. Clark reagiert dort vor allem auf einen Text, in dem Krauss Pollock explizit durch Namuths Kamera sieht (R. Krauss „Reading Photographs as Text…“, in: H. Namuth / B. Rose (Hg.), Pollock Painting, New York 1980). Ihre Pollock-Lektüre ist aber nirgends frei von diesem szenischen Blick.

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bleibt aber in der Entwurfsstruktur der drip paintings ein ebenso wesentlicher Parameter wie die scheinbare Bildtiefe, die das Farbnetz als simultanes optisches Feld generiert. Es ist ein entscheidendes Moment von Pollocks Malerei, dass er mit dem Dispositiv von Palette, Pinsel und Hand, über die das Auge regiert, mit dem Dispositiv der Staffeleimalerei gebrochen hat – in einer Weise wie Picasso oder Matisse auch in ihren monumentalsten Arbeiten nicht. In diesem Punkt kann die Insistenz von Krauss auf der paradigmatischen Bedeutung der horizontality nur unterstrichen werden. Die Zeitachse des Entzugs der Spur, senkrecht zur Bildebene gestellt, muss integriert werden in das Sehen des Bildscheins. Jeder Punkt eines drip painting ist ebenso datiert, wie er lokalisiert ist. Die Schichten und Differenzen der Farben sind Schnitte aus der unmöglichen Richtung, die die Zeit der Produktion für die simultane Bildpräsenz darstellt. Es sind diese Schnitte oder Risse im geronnenen Perfekt des dripped paint und im absoluten Präsens der opticality, von denen Judd und Fried nichts wissen wollen. Und die drip paintings als Bilder zu betrachten, kann nicht heißen, diesen Bezug zu kappen, weil er nicht kompatibel wäre mit einem bestimmten Begriff des Sehens, des Sehens von Bildern und der Simultaneität ihrer Präsenz. Die horizontality ist die Zeitebene, die die präsente Bildebene durchquert. Ihre Integration ist die Aufgabe einer denkenden Anschauung. Die ästhetische Erfahrung hat sich dieser Entwurfsstruktur des Werks „mimetisch“ anzupassen. Wenn sie sich auf die Reflexion von Auge und Bildfläche im Element visueller Präsenz beschränkt, wenn sie das seitliche Weltverhältnis abreißen lässt, ob am Rand des Bilds als Objekt und Material oder am Rand des akuten Sehfelds (und seines retentionalen und protentionalen Zeithofs), verfehlt sie die Aufgabe, diesen Zeit-Raum zu denken und offen zu halten. Wir nennen diesen mehrdimensionalen, zeitlich und räumlich aufgespannten Entwurfsraum, der mit der Bildebene nicht zur Deckung kommt, die Immanenzebene des Werks. Die Krise des Staffeleibildes ist bei Pollock in einer exemplarischen Schärfe und Genauigkeit formuliert, die tatsächlich zu jener Sprengung der Gattungen beiträgt, die die Kunst der sechziger Jahre auszeichnet. Krauss will diesen Bruch sichtbar machen, indem sie retroaktiv – und im allzu symmetrischen Gegenzug zu Greenberg und Fried – die Kategorien der Prozess- und Körperkunst der sechziger Jahre auf Pollocks Malerei projiziert. Ich möchte langsamer und historisch genauer vorgehen. Gewiss ist mit der neuen diskontinuierlichen Technik Pollocks eine Krise des Subjekts der Malerei verbunden. Es ist eine Verschärfung jener Krise des cogito, die MerleauPonty der Verwindung der wissenschaftlichen Perspektive im Werk Cézannes abgelesen hat. Mit Staffelei und Pinsel gibt Pollock den Rahmen des Gesichtsfelds auf, die Renaissancetradition des Fensters, jenes Orts einer visuellen Probeentnahme der Welt, den die Moderne vom Impressionismus an hatte zufrieren sehen. Das dripping, die durch den Raum über der Leinwand fallende Farbe, zerschneidet das projizierte Pre-Image und das ihm entsprechende Selbst-Bild des Autors – den Strukturentwurf des Subjekts, der dem perspektivischen Bildraum entspricht. Seine Vor- oder Unzeitigkeit bringt die Spiegelfläche dieses strukturellen Narzissmus in Unruhe. Die Bildproduktion ist nicht mehr von der Einbildungskraft getragen. Die Farbe, die als Spur auf der Bildebene liegt, hat den Horizont der Perspektive durchkreuzt. Indem

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die Linie materiell geworden ist – so materiell wie die gespannten und gefallenen Fäden Duchamps –, wird ihre Flucht unmöglich. Der Raum vor, d. h. jetzt über dem Bild ist durch die drip-Technik, die die Farbe aus dem Netz auch der „fungierenden Intentionalität“ des Leibs und der Geste losschneidet, die Merleau-Ponty thematisierte, in seiner schieren Physikalität dem Bild eingeschrieben. Entlang der Farbspur laufen Risse durch den Raum der Synthesis des Imaginären. In den frühesten drip paintings Pollocks findet diese Arbeit an der Bildstruktur, die Arbeit der Entwurzelung und Verwandlung des Perspektivbilds und des ihm entsprechenden Selbsts noch thematischen Niederschlag. In den Titeln und Strukturen von Full Fathom Five, Vortex (fig. 115) und The Nest (beide Bilder hießen zuvor Unfounded 450 ), von Sea Change und Phosphorescence wird die narzisstische Konstellation wörtlich genommen. Das Meer, Horizontale ohne Horizont, ist ihr konturloser Gegenstand, eine Fläche, der sich die Bildfläche zuneigt und mit der sie zu verschmelzen beginnt. Die Architektonik des Bildes wird in den Wirbelstrukturen, die die Bewegung des Wassers evozieren und zugleich primitive Tests der drip-Technik sind, aufgelöst. In Reflection of the Big Dipper (Spiegelung des Großen Bären, fig. 114) und, diesem Titel entsprechend, in Galaxy (fig. 113) und Comet durchquert die Spiegelung des Himmels die engere Spanne der Selbstreflexion. Die Bildfläche als die unruhige, vom Material und dessen eigener Tiefe und Zeit zerfurchte Oberfläche verwirft das Gesicht, das sich in ihr sucht. Die integrale Gestalt einer Selbstgegenwart löst sich auf in einer präobjektiven Natur. „Full Fathom Five thy Father lies / Of his bones are coral made: / Those are pearls that were his eyes: / Nothing of him that doth fade, / But doth suffer a sea change / into something rich and strange …“ 451 Mit Ariels Lied aus The Tempest – einem Lied des Windes: „This is no mortal business, nor no sound / the earth owes…“ –, dem er zwei Titel entnimmt, evoziert Pollock diesen Moment einer alchimistischen Wandlung der Materialität seiner Bilder. Auch andere Titel der frühen drip paintings wie Enchanted Forest und Magic Lantern beschwören diese Stimmung. „The titles“ schreibt Clark, „being so much larger than life […] seems to me to have been meant to establish the basic tenor of the new body of work, and encourage viewers to look at it through Ariel’s eyes. Which is to say, look through the paintings’ superficial roughness and materialism, and see them as magic — spells or disguises of some sort, fanciful, filigree, made out of nothing“.452 Natürlich beschwört Pollock diesen „Chaosmos“ 453 einer präobjektiven Natur nicht nur durch die Werktitel, jene „Farbe, die nicht aus der Tube kommt“ (IS 107). Bildepistemologisch führt die den ersten drip paintings vorangehende Sounds in the Grass-Serie eine Auf lösung des Distanzraums des Sehens, der Möglichkeit von Figuration, von Ob450 Clark vermutet, dass das Wort aus Finnegan’s Wake oder Moby Dick, zwei „geheiligten Texten“

Pollocks stammt (Clark, „The Unhappy Consciousness“, 334).

451 Shakespeare, The Tempest, v. 394 ff. 452 Clark, „The Unhappy Consciousness“, 300. 453 Der Chaosmos, nach dem Wort von Joyce (aus Finnegan’s Wake), das erfahrene und gestaltete

Chaos: „Die Kunst verwandelt die chaotische Variabilität in chaoide Varietät […]. Die Kunst kämpft mit dem Chaos, aber um es spürbar zu machen…“ (Deleuze/Guattari, Was ist Philosophie, 242 f.).

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jektivation durch. Die Bildkomposition wird in einem immer kleinteiligeren Wirbel zerrieben, die Konsistenz von Körpern im Raum, konturierte Gegenständlichkeit wird zu einem Geflecht materieller Spuren aufgelöst. Eyes in the Heat, Shimmering Substance (fig. 111, 112) und Earth Worms sind charakteristische Bilder und Titel. Der distanzgebietende Blick vermischt sich mit der gesehenen „Natur“. In Shimmering Substance taucht zuerst die Fläche des Meers als der Ort dieser Vermischung und Selbstverwechslung von Sehen und Gesehenem auf, die in Eyes in the Heat titelgebend ist. Die Wirbelstrukturen von Vortex, The Nest und Sea Change, die das Auge in die Tiefe ziehen, verschärfen sie. Die Materie der Malerei löst sich aus der noematischen Bildtiefe, in der jede noch so flache Figuration sie als gebändigten Stoff festhielt – wie noch in der vorangegangenen Accabonak Creek-Serie (fig. 109). In den ersten drip paintings tritt diese Materie als das „heavy Impasto“ aus Glassplittern, Kieseln, Knöpfen, Schnüren und Farben an die Oberfläche, verwandelt „into something rich and strange“. Das ist Pollocks Passage zu einer abstrakten und dennoch referenzgesättigten Malerei, ein Weg, der ihn wie fast gleichzeitig Newman und Rothko durch einen gewissen mythischen Surrealismus führt. Die Arbeit der Defiguration, die die isolierbaren Mytheme und die narrativen Strukturen dieses Surrealismus zerreibt, stellt diese materiell und semantisch dichte Ebene her, die das Bild ausschneidet, mit der seine Fläche verschmilzt. Aber erst die „neue Technik“ reißt diese träumerische Passage und die metaphorische Matrix dieser Verwandlung in eine geklärte Werkgestalt. Erst die drip-Technik, die der Bildoberfläche die irreduzible zeitliche Diskontinuität zufügt, zieht diese Materie, die kurz zuvor als weiches, noch vom Pinsel gebeugtes Geflecht die Bildebene überzieht und die in den ersten drip paintings angeschwemmt wird wie die Kiesel in Galaxy, an Land. Wie entscheidend die vorangehende Arbeit der Defiguration für diesen Schritt ist, zeigt ein Blick auf die Bilder von 1943 (fig. 102, 103), in denen das dripping episodisch auftaucht, aber Zeichnung, Flugbahn einer Linie über einem fernen, abstrakt-figurativen und ganz glatten Grund bleibt. Erst nach der Arbeit der extremen Komprimierung der Figuration (z. B. in Pasiphaë, Mural, Gothic, There Were Seven in Eight, Troubled Queen, fig. 104–108) und nach der Zerreibung der Figur in der Sounds in the GrassSerie durchgreift das Netz den Bildraum und transformiert seine gesamte Architektur. Galaxy z. B. ist noch weitgehend gemalt. Nur die weiße Farbe, etwas Grün und Gelb und ein feiner Regen Braun sind getropft, die Silberbronze ist mit dem Pinsel aufgetragen. Aber während in den Bildern von ’43 die schwarze Farbbahn das flache ornamentale Feld nur überfliegt – fast wie die drahtigen Striche in Stenographic figure (fig. 101) – ergreift das dripping nun die ganze Tiefenstruktur des Bildes. Erst hier ist das Netz gefüllt, erst hier ist die Episteme des Bildes aus der Verankerung in der geometralen Perspektive, der Episteme der Repräsentation gelöst. Dieser Schritt Pollocks ist so entscheidend wie der Newmans von einem noch latent szenischen Bild wie The Word I oder Moment zu Onement I (fig. 236–238), über den Yve-Alain Bois geschrieben hat454. Und wie bei Newman der Bruch mit dem szenischen Raum und die Einholung des Anfangs, der das Thema seines ganzen Frühwerks 454 Yve-Alain Bois, „Perceiving Newman“, in: ders. , Painting as Modell, Cambridge 1993, 187–213.

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ist, in die Gegenwart des Bildes mit der geschärften Indexikalität des masking tape verschränkt ist, das diese Gegenwart auf ein prozedurales Vorher öffnet – in einem Riss, der den Blitz oder Lichtstrahl ersetzt, als der der zip in den früheren Bildern erschien455 – so findet Pollocks Arbeit in der epistemologischen Tiefe des Bildes, die Arbeit der Defiguration, die Augen und Korallen vom Grund des metaphorischen Meeresbodens löst, erst in dem Moment zu einer positiven und voll geklärten Artikulation, in dem das dripping die Bildarchitektur erfasst – wie in Galaxy, Full Fathom Five und Sea Change. Natürlich ist dadurch Pollocks Malerei nicht zur Prozesskunst geworden. Die Krauss’sche Diagnose ist ein Ausweichen vor der eigentlichen Frage, was hier geschieht, wenn der flüssige Farbstrahl aus einer durchlöcherten Dose den disegno der Klassik ersetzt. Denn darum geht es. Fried hat nur die Autonomie dieser Linie gesehen, die kein deskriptiver (figurierender) Kontur mehr wäre, sondern Flugbahn in jenem rein optischen „space“, den das Netz des dripping generiert.456 Zuvor aber und tieferreichend wird von diesem Strahl der Webrahmen der Bildgegenwart selbst, werden die strukturgebenden, abstrakten Parameter von Horizont und Fluchtlinien, Bildebene und Bildrand, wird das synchrone Geometral der repräsentationalen Malerei durch Pollocks „neue Technik“ aufgelöst. Es ist die Struktur der Apriorität des Raums, den die explizite Einschreibung des Index zerstört. Dass sich ein optisches Feld und eine weite metaphorische Resonanz im Netz des dripping rekonstituiert, widerspricht dem nicht. Was hier aufgelöst ist (und darin liegt die zentrale Parallele zu Newman), ist die präkonstituierte Präsenz, die „Geometrie“ einer intentionalen Leere, die das Element des ob appräsentationalen oder repräsentationalen Bezugs figurativer, surrealistisch-phantasmatischer oder geometrisch-abstrakter Formen für ein Subjekt wäre.457 Die Destruktion der Figur selber (Pollocks Arbeit vor ’47) ist dafür nur die Vorarbeit. Erst wenn nicht mehr nur der ehemalige Kontur, sondern die ganze Architektur des Bildraums am Zeitrand des Bildes festgemacht ist, wenn seine statische Gegenwart mit der Zeit der Produktion verknüpft ist, die in den flüssigen Linien des dripping den Bildraum durchgreift, hat diese radikale Transformation der Bildstruktur stattgefunden, die Pollock und Newman leisten. Sie sind nach Mondrian – dessen Arbeit aber noch, wie wir sehen werden, gegen die Episteme des repräsentationalen Tafelbilds gerichtet ist und in dieser ihren Widerhalt findet – vielleicht die ersten und einzigen abstrakten Maler des 20. Jahrhunderts, die eine fundamental neue und positiv bestimmte Bildform, ein neues Weltverhältnis des Gemäldes erfinden. Die geschärfte Einschreibung der Indexikalität (bei Pollock durch das dripping, bei Newman durch das masking tape, dessen Abwesenheit sein einziges 455 Nachdem ich lange über Newman und diese Struktur des Anfangs, das Früher des Es gibt, auf das

die Bildpräsenz bezogen ist und das von Lyotard und anderen Autoren (J.-L. Nancy, J. Rogozinski) unter dem Aspekt des „Erhabenen“ thematisiert wurde, nachgedacht habe, erscheint mir der Sachverhalt in der Tat derart simpel. Dieses Früher ist das Vorher der Produktion. 456 Fried, „Three American Painters“, in: ders. , Art and Objcthood. 457 Auf diesen sehr allgemeinen Begriff von Geometrie und einer „art free from any kind of … geometry“ und eines „new image based on new principles“ (SWI 179) bei Newman kommen wir später zurück.

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Zwei Spezifitäten: vom Medium zum Material. Die Passage Pollocks

flächengliederndes Element, den zip berührt) hat die Präsenzebene des Bildes nach ihrer Herausarbeitung aus dem repräsentationalen Entzug, die der manifeste Sinn der Abstraktion ist, explizit auf die Zeit und den Raum der Produktion des Werks, auf dieses anarchische Vorher hin umgebrochen, das in keine anschauliche Gegenwart einzuholen ist. Diese explizite Artikulation des äußeren Rands des Bildes ist der entscheidende Schritt der amerikanischen Abstraktion und eine wesentliche Voraussetzung für die post-abstrakte Kunst seit den sechziger Jahren.

Materialspezifische Präsenz. – Für Künstler wie Johns, Rauschenberg und Oldenburg war von Pollocks drip paintings aus der Schritt zum Combine Painting, zum heterokliten Objektbild vorgezeichnet. Pollocks Malerei, die keine Staffeleimalerei mehr ist, hat den Kreis des Mediums, das von den impressionistischen Spektralfarben bis zu den Grundfarben Mondrians noch in der Idealität des Lichts seinen Einheitsgrund findet,458 gesprengt. Pollocks Materialien stehen zwar in der medienanalytischen Tradition der Moderne, aber sie radikalisieren sie über einen Punkt hinaus, an dem die Unterscheidung von intrinsischen Elementen der Malerei – die auf einer wie immer skalierten Palette der diaphanen Dimension des Bildes gegenüberliegen – und „foreign matter added“,459 von Glas über Kieselsteine zu Zigarettenkippen, ausgesprochen prekär wird. Pollocks Lackfarbe zerreißt die Konsistenz des Mediums, wie er mit der Aufgabe der Staffelei, die im Dispositiv der Produktion dem Bildrahmen und jenen kaum je real eingesetzen Sicht-Hilfen der Perspektivtheoretiker der Renaissance (dem Gitternetz, den Fenstern, dem „Türchen“ Dürers etc.) entspricht, die synchrone Einheit des Bildes als Sichtfenster auf eine Welt preisgibt. Durch ihre materielle und zeitliche Diskontinuität artikuliert Pollocks neue Technik den äußeren Rand des Bildes, seine Grenze zur Kontingenz und Faktizität der Welt. Die drip painting lassen diesen Rand, im Moment der Krise des Staffeleibildes, bis auf den metaphorischen Meeresgrund – einen Deleuze’schen Chaosmos oder ein Merleau-Ponty’sches „Meer des sens brut“ 460 zurückreichen, um 458 „Was man auch vom Licht sonst noch aussagen möge, so ist doch nicht zu leugnen, daß es absolut

leicht, nicht schwer und Widerstand leistend, sondern die reine Identität mit sich und damit die reine Beziehung auf sich, die erste Idealität, das erste Selbst der Natur sei. Im Licht beginnt die Natur zum erstenmal subjektiv zu werden und ist nun das allgemeine physikalische Ich…“ (G. W. F. Hegel, Ästhetik III. Werke Bd. 15, Frankfurt a. M. 1970, 31). Hegel sieht mit Goethe in der Newtonschen Spektral-Theorie einen blasphemischen Gewaltakt gegenüber diesem „Ich“. Diesen technisch-szientifischen Gewaltakt führt die moderne Malerei weiter, aber er setzt als solcher den Horizont der Einheit des Spektrums noch voraus. Zur wissenschaftlichen Matrix dieser Entwicklung im 19. Jhdt. siehe J. Crary, „Modernizing Vision“, in: Foster 1988, 29–49, und ders. , Techniken des Betrachters, Dresden/Basel 1996. – Zur ersten Idealität des Lichts siehe auch die Passage über die Lichtgüsse und die verzehrende Macht des Lichts, der Sichtbarkeit selbst, in der Phänomenologie des Geistes („Das Lichtwesen“, Phänomenologie… , 452) und Derridas Kommentar in Glas, Paris 1974, 265 ff.. 459 Pollock, „My Painting“, zit. nach Karmel 1999, 18. 460 Merleau-Ponty, Das Auge und der Geist, Hamburg 2003, 277.

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das sonst immer im Noema der Figur gebundene Material der Malerei als Readymade an Land zu holen. Es sind diese Ready-mades, die die folgende Generation am Rand der Malerei übernimmt und definitiv auch dem morphologischen Rahmen des Bildes entzieht. Rauschenberg klappt die bereits durchlässig gewordenen Wände von Pollocks Atelierscheune auf und öffnet das Bild für den Auf tritt diverser Fundstücke der Straßenränder und second hand shops. Pollocks heavy impasto wird zur Collage vergrößert, das Wooden Horse rollt als Autoreifen aus dem Bild. Die Großstadt hat den Horizont der Prärie abgelöst. Oldenburg hat seinerseits an die „Vulgarität“ von Pollocks Farbmaterialien angeknüpft. „Pollock’s paint immediately suggested city subjects, the walls, the stores, the taxicabs. I used that kind of paint to entangle the objects in my surroundings. […] The vinyl I now use is still paint, the objects dissolving now in paint.“ 461 In Oldenburgs Store ist der Malgrund zum zerteilten Körper der Ess- und Anziehsachen aus Gips- oder Pappmaché geworden, die in tropfenden Lack eingehüllt werden; das Vinyl der Soft Sculptures zieht dann den Lackstrom selbst, der aus Pollocks Dosen floss, in einem Objekt zusammen. Die schlecht gemischten Assemblagen, die Pollocks frühe drip paintings sind – und für Oldenburg sind vielleicht noch mehr die klebrig-pompösen Spätwerke wie Convergence (OT 363) und Blue Poles (OT 367) paradigmatisch – desintegrieren, der Bildschein verliert die Kraft, ihre Elemente zu synchronisieren. Der seitliche Weltbezug der Materialien reißt Pollocks Leinwände zu mehr oder weniger dreidimensionalen „Assemblagen“ auseinander (fig. 148–152) oder lässt sie zu verschiedenförmigen Objekten gerinnen (fig. 153–156). Auch Judds Pollock-Lektüre steht unter dem heuristischen Druck des Ready-madeParadigmas. Die Aussteifung des Monochroms durch den Sand in seinen letzten kadmiumroten Bildern und der Übergang zum Relief sind sein Versuch, die spezifische Härte von Pollocks Bildoberflächen zu erreichen. Noch die Objektimplantate (Messingscheibe, Blechbackform, Rohre) in den frühen Reliefs können wie die Elemente in Rauschenbergs Dingbildern als Übersetzung und Vergrößerung von Pollocks Impasto gelesen werden. Auch für Judd zeichnet die materielle Heterogenität und Diesseitigkeit von Pollocks Bildern die Notwendigkeit des Bruchs mit der Malerei als Gattung und Handwerk vor. Aber er zieht Pollocks Lack nicht auf eine bekannte Objektform auf – wie Oldenburg in seinen Soft Sculptures –, sondern er bezieht sie auf die abstrakte Matrix der industriellen Produktion, auf die Syntax der Serie, das geradlinige Raster und die implizite Endlosigkeit der Ebene. Er lässt den Lackstrom durch das Raster fließen und stellt die Farbfetzen und Farbschnüre Pollocks als Plastik- und Metallplatten auf. Er bringt die gekörnte Bildoberfläche, die die Schwelle ihrer Materialisierung erreicht hat – eine Schwelle, die Stellas Serien bestenfalls auszementieren – mit der Gravitation des Kapitals in Berührung. Es sind die Möglichkeiten der industriellen, arbeitsteiligen Produktion, die diese Farbschnüre in die dritte Dimension aufschießen lassen. Diese Kristallisation ist unter anderem das Gegenmodell zu dem im Horizont des materiellen, körperlichen und libidinösen Prozesses und der gesellschaftlich-politischen Veränderung gelesenen 461 „Jackson Pollock: An Artist’s Symposium, Part 2“, Artnews,Vol. 66, no. 3 (May 1967), 27 u. 66.

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Pollock der späteren sechziger Jahre, dem Pollock der Hippies und der Marcusianischen Neuen Linken. The use of three dimensions makes it possible to use all sorts of materials and colors. Most of the work [in three dimensions] involves new materials, either recent inventions or things not used before in art. Little was done until lately with the wide range of industrial products. Almost nothing has been done with industrial techniques and, because of the cost, probably won’t be for some time. Art could be mass produced, and possibilities otherwise unavailable, such as stamping, could be used.

Das schreibt Judd 1964, dem Jahr seiner ersten maßgeblichen Ausstellungen. Schon vier Jahre später, im Frühjahr 1968, wird er seine erste Einzelausstellung im Whitney Museum haben (fig. 163). Und trotz der Kosten ist bereits zu diesem Zeitpunkt ein Großteil seiner Arbeiten in spezialisierten Werkstätten produziert. In Working Drawings, einer legendären frühen Konzeptkunstausstellung, nimmt Mel Bochner 1966 eine Rechnung der Bernstein-Brothers als Zeichnung Judds auf (fig. 165).462 1965 erscheint ein Essay von Robert Smithson über Judd, der eine ganze Palette „neuer Verfahren“ auffächert, die dieser angeblich verwendet – „Alchemie für das Jahr 2000“ – und 1966 ein weiterer, der die Präsenz von Judds kristallinen Boxen bereits in den Horizont der Entropie stellt und das neonfarbene Plastik mit den Giften in den Sümpfen von New Jersey assoziiert.463 Ebenfalls 1966 konzipiert Dan Graham Homes for America (fig. 164), eine Foto-Konzept-Arbeit, die den minimalistischen Serialismus mit dem Fertighausbau der amerikanischen Vorstädte assoziiert – und zugleich die Zeitschriftenseite, Relais im Publikations- und Distributionssystem des Kunstmarkts, als materiellen Träger des Werks entdeckt. Der Paradigmenwechsel vollzieht sich in zwei fast gleichzeitigen Schritten. Judd hat noch mit dem Hintergrund der Malerei zu tun und damit, die an Land gezogene Bildoberfläche im Raum der Objektproduktion zu rastern, auszusteifen, das von Pollock geschöpfte Material in Objektinstallationen zu stabilisieren, die sich gesichert im real space halten. Smithson und Graham und andere Künstler der folgenden Generation fragen schon nach dem Raster, nach der Substanz der Gussformen selbst, und nach den Bedingungen der Präsenz dieser Objekte im sozio-ökonomischen Raum. Für Judd wird die ökonomische Struktur, die seine Arbeit trägt und als Unternehmen ermöglicht, theoretisch immer neutralisiert bleiben. Für ihn ist das Geld klares Wasser und die einzige Anschaulichkeit, die es gewinnt, ist die Transparenz und Synchronie des real space, des Raumvolumens, das seine Objeke umgibt (fig. 166). Er schreibt seine Arbeit entschieden in diesen ökonomischen Raum ein. „All I want is more money – to make 462 Working Drawings and Other Visible Things on Paper Not Necessarily Meant to be Viewed as Art,

School of Visual Arts, NY, December 1966.

463 Smithsons „Donald Judd“ erschien im Katalog der Ausstellung 7 Sculptors (Philadelphia Inst.

of Cont. Art), „The Crystal Land“ passenderweise in Harper’s Bazaar (May 1966). Alle Texte Smithson wiederpubliziert in: ders. , The Collected Writings, Berkeley / Los Angeles / London 1996; Gesammelte Schriften, Köln 2000. Mit der Alchemie assoziiert er Judds Techniken in „Entropie und Neue Monumente“, ebd. , 35.

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more pieces. The more money I have the more technical means I can take advantage of“.464 Dem Künstlertyp des kritischen Intellektuellen und politischen Aktivisten, den die späten sechziger Jahre wiederentdecken, tritt der Unternehmer zur Seite. Das Motiv der befreienden Expansion des Werkbegriffs, das die sechziger Jahre mit Pollock verbinden, ist im ökonomischen Raum artikuliert. Diesseits der Bildebene und ohne Atelier geht die Malerei in „business art“ über, wie Warhol es auf den Punkt bringen wird – und das stellt vielleicht eine radikalere und weiter reichende Öffnung dar als die meiste Performance- und Prozesskunst der sechziger Jahre, die fast immer in der engen symbolischen Sphäre der „Kultur“, sei es eine Avantgarde- oder Underground-Kultur verbleibt. Aber es bedeutet auch, dass Judd – der politisch damals links-anarchistische (oder basisdemokratische) Positionen vertritt – aus dem Bild zu fallen beginnt. In einem Umfeld, in dem Form als solche schon als konformistisch gilt, musste die „technophile“ Ästhetik seiner haltbaren und allzu gut verkäuf lichen Stückware, der die Whitney-Show den „Stempel des Establishment“ 465 verpasste, wie selbst der Kritiker der New York Times im Jargon der Neuen Linken schrieb, als zwar adäquate, aber bloß passiv-kontemplative Widerspiegelung der „gesellschaftlichen Bedingungen“ erscheinen. „A few years before“, fasst Meyer zusammen, „Judd’s embrace of factory techniques had seemed a radical statement — a staunch critique of anthropocentric order and metaphysical ‘truth.’ Now it seemed perfectly reactionary“.466 Zunehmend ist Judd in der Kunstszene isoliert und beginnt sich aus New York zurückzuziehen, um bald hauptsächlich in Marfa, im Südwesten von Texas seine installativen Großprojekte zu verfolgen, die weiterhin vom Verkauf der spezifischen Objekte in New York getragen werden. Die Permanente Installation versucht die Präsenz des Objekts, die im Galeriebetrieb nur das Stocken der Kapitalbewegung für die Dauer der Ausstellung ist, im geologischen Zeitrahmen zu fixieren. In ihrer Permanenz – die Judd als „Tendenz zur Architektur“ verstehen will (s. etwa CW II 9) – findet im Gegenteil die Epoché der Zeit, die Stasis, die den repräsentationalen Bildraum strukturell auszeichnet, eine letzte Reflexion. Pollocks Fraktalisierung des Bildphänomens durch die Akzentuierung der materiellen Differenzen der Farbe markiert für Judd den Rand des „idealistischen“ Mediums und des Handwerks der Malerei. Die Außenseiten dieses Fraktals spiegeln jene vielfältige materielle Welt, in der und aus der das Werk ist. Sie spiegeln das Produktangebot, das für Pollock bestand und das die Avantgarde der sechziger Jahre erweitern wird auf den „wide range of industrial products“, den Judd 1964, als er Specific Objects schreibt, nur erst tastend – because of the cost – zu erproben beginnt. Judd klappt Pollocks dripped paint um in den real space. Pollocks radikale Polychromie ist der Grundriss der materiellen und technischen Diversifizierung seiner zunehmend ar464 Zitiert bei J. Meyer, Minimalism, 250. 465 Ebd. 466 Ebd. Früh haben derartige Kritik Dore Ashton („New York Commentary“, 1968), Patrick Heron

(„A kind of cultural imperialism?“, 1968), Ursula Meyer („De-Objectification of the Object“, 1969), und Jutta Held („Minimal Art – eine amerikanische Ideologie“, 1972) formuliert, schärfer und klarer dann Beveridge und Burn („Don Judd“, 1975).

266 beitsteiligen Objektproduktion. Während für Oldenburg oder Rauschenberg mit diesem zur-Welt-Kommen, das sich in Pollocks drip paintings ankündigt, das Werk in das Geflecht psycho-sozialer, semantischer Bezüge der berührten und berührenden Gegenstände einer Alltagsumgebung einbezogen wird, setzt Judd die Syntax der Produktion – Raster und Serie – als abstrakt-formale Struktur ein. Die indexikalische Anbindung seines Formvokabulars und seiner Materialien an den Raum und die Zeit der Produktion – an ihr historisches Apriori, ihre Gussformen – wird von seinem an der Malerei geschulten Blick neutralisiert. Er bindet das Fraktal spezifischer Materialien zurück in die Einheit einer bedeutungsbefreiten zeitlich und räumlich präsenten Form. „Materials vary greatly and are simply materials — formica, aluminum, cold-rolled steel, plexiglas, red and common brass, and so forth. They are specific. If they are used directly, they are more specific. Also, they are usually aggressive. There is an objectivity to the obdurate identity of a material.“ (CW I 187) Die größere Konkretion, die gestärkte Präsenz, die visuelle „Aggressivität“ – das sind die für Judd zentralen und einzig bewussten Motiv seiner Materialwahl. Die Rangfolge zwischen der klassischen Ölfarbe, den Lacken Pollocks und dem eigensteifen Plastik seiner Objekte – „Oil paint and canvas aren’t as strong as commercial paints and as the colors and surfaces of materials, especially if the materials are used in three dimensions“ (183) – ist die Abstufung ihrer Widerstandskraft gegen die Verschleifung ins mediale Phänomen oder den Schein, gegen ihre Entfernung und Entaktualisierung. Der Vorteil der neuen Materialien liegt – aus der Perspektive Judds, die über die Malerei hinaus von der Teleologie der Abstraktion bestimmt ist – darin, dass Träger und Farbauftrag nicht oder nur schwer unterscheidbar sind. Seine Scheiben und Elemente sind, wie Saties Porzellanteller, „all of a piece“ 467. Die Löschung der ikonischen Differenz, die das explizite Thema und Anliegen Judds ist, verschränkt sich mit der Selbstverbergung des Produktionsprozesses im industriellen Produkt. Die industriellen Materialien sind „einfach Materialien“. Ihre Produktionsweise, ihre Historizität, die Datierbarkeit, die sie dem Werk einschreiben, sind im Element des Anblicks gelöscht. Es ist die Schicht- und Spur- und damit Zeitlosigkeit dieser Materialien, die sie restloser, wie es scheint, mit größerem Schwung eingehen lässt in die angestrebte abweichungslose Präsenz des Werks, die Judd als ihren Vorzug begreift. „Sheet aluminum is sheet aluminum, that’s it“, wird Judd auch 1989 noch sagen.468 Aus einer Plexiglasplatte lässt sich keine Spiralbewegung des Malerpinsels mehr auswickeln. Sie ist plan. Sie ist einfach da. Die Möglichkeiten der industriellen Produktion besiegeln das Ende der Malerei.

467 John Cage, „Eric Satie“, in: Silence, 78. 468 Batchelor, „A small Kind of Order: Donald Judd interviewed“, 64.

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B Three dimensions are real space… Der synchronisierte Raum. „If someone asked me, ‘What’s your problem?’ I’ d have to say, ‘Skin.’ “ Andy Warhol469

Der Übergang von der Medium- zur Materialspezifik ist einer der Grate, der den Minimalismus vom Modernismus trennt. Der ihn von der modernen oder modernistischen Malerei trennt. Der Ausfall des Materials aus dem Schein, seine Kontraktion zu nicht mehr nur zähen, sondern in sich stabilen Elementen, die isolierte Produktion dieser Elemente und ihre parataktische Zusammensetzung zum dreidimensionalen Objektbild – so lässt sich Judds Passage in den real space vor dem Hintergrund seiner Pollock-Lektüre beschreiben. Im Licht des Ready-made hat eine Spektralanalyse des „Mediums“ stattgefunden, die den Horizont der natürlichen Sichtbarkeit sprengt. Die Schnittstellen, die Fugen und Risse, die Judds zusammengesetzte Arbeiten durchlaufen, reichen in die Zeittiefe der Produktion zurück. Judd aber bleibt für diese Dimension, die vertikal zum präsentischen Anblick steht, die sich nicht einholen lässt in das tautologische „that’s what’s there“, als solche blind. Es wird im Folgenden um die Genealogie dieser Blindheit gehen.

Anti-Paintings. – Judd ist sich der eigentümlichen, historisch bestimmten Ahistorizität und Normativität seines neuen Paradigmas mindestens teilweise bewusst. Sie stört seine antidogmatischen Sensoren. Und so beginnt Specific Objects eher zögernd, mit Warnungen vor der „retroaktiven“ Anwendung der neuen Kriterien. 469 Andy Warhol, The Philosophy… , 8.

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The objections to painting and sculpture are going to sound more intolerant than they are. […] The disinterest in painting and sculpture is a disinterest in doing it again, not in it as it is being done by those who developed the last advanced versions. New work always involves objections to the old, but these objections are really relevant only to the new. They are part of it. If the earlier work is first-rate it is complete. New inconsistencies and limitations aren’t retroactive. Obviously, three dimensional work will not cleanly succeed painting and sculpture. It’s not like a movement; anyway, movements no longer work; also linear history has unraveled somewhat. (CW I 181)

Judd münzt die Feststellung der „Auffaserung“ einer Greenberg’schen „linear history“ nicht in ein Dogma vom Ende der Malerei um. Gerade die wiederholten Deklarationen des Endes der Malerei gehören noch ihrem Paradigma selber an, sie setzen noch einen essentiellen Begriff der Gattung und ihrer Geschichte voraus. Für Judd kann Malerei durchaus als eine der „Fasern“ des offeneren Felds der Kunstproduktion weiter existieren. Specific Objects begründet bloß, warum es nicht naheliegend ist, ausgerechnet in dieser Branche zu arbeiten – begründet dies allerdings mit Begriffen, die aus der noch nicht „aufgefaserten“ Geschichte der Malerei stammen und von der Logik des Modernismus geprägt sind, dessen „literalistische Korruption“, wie Fried sagen würde, Judds Diskurs darstellt. „The new work“, fährt Judd fort, „exceeds painting in plain power“, um noch einmal einzuschränken: „but power isn’t the only consideration, though the difference between it and expression can’t be too great either.“ (181) Einige Sätze weiter aber wechselt der Tonfall und die Sichtweise rückt in den Grundriss des objektivistischen Paradigmas ein, das Malerei buchstäblich marginalisiert. The main thing wrong with painting is that it is a rectangular plane placed flat against the wall. A rectangle is a shape itself; it is obviously the whole shape; it determines and limits the arrangement of whatever is on or inside of it. (181 f.)

Damit ist die Diskussion über Malerei im Grunde schon beendet. Malerei im intrinsischen Sinn, Bilder, gibt es nicht. Es gibt nur diese flachen Kisten an der Wand und ein mehr oder weniger „plausibles“ Arrangement farbiger Spuren auf ihrer Vorderseite. Judd erzählt die jüngste Geschichte der Malerei als Weg zur Anerkenntnis dieses Faktums. In work before 1946 the edges of the rectangle are a boundary, the end of the picture. The composition must react to the edges and the rectangle must be unified, but the shape of the rectangle is not stressed; the parts are more important, and the relationships of color and form occur among them. In the paintings of Pollock, Rothko, Still and Newman, and more recently of Reinhardt and Noland [und natürlich von Stella, den Judd hier vielleicht auslässt, weil er ihn nicht mehr zu den Malern zählen will], the rectangle is emphasized. […] A painting is nearly an entity, one thing, and not the indefinable sum of a group of entities and references. The one thing overpowers the earlier painting. (182)

Soweit ist diese Geschichte noch in Analogie zum Narrativ der Bildabstraktion gehalten. Es ist der Aufstieg des Bildes in seine Identität, den Judd analog zur linear history

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des Modernismus schematisiert. Doch fasst er ihn nicht mehr aus der Perspektive des Bildes als Destruktion und Aufhebung der Repräsentation oder des Scheins, sondern „objektiv“, als Bestätigung der Identität jenes Dings, der Scheibe an der Wand, die das Bild – nicht als Bild, aber „in Wirklichkeit“ – immer schon ist und war. Judd fährt fort – und hier liegt der Umschlagpunkt, an dem die zu sich selbst gekommene Malerei zum Kristallisationspunkt der Arbeit „in drei Dimensionen“ wird: It [the one thing] also establishes the rectangle as a definite form; it is no longer a fairly neutral limit. […] The plane is also emphasized and nearly single. It is clearly a plane one or two inches in front of another plane, the wall, and parallel to it. The relationship of the two planes is specific; it is a form. Everything on or slightly in the plane of the painting must be arranged laterally. (182)

Die letzte, essentielle und irreduzible Konvention, die für Greenberg und Fried Limitation ebenso wie Ermöglichung von Malerei war, begrenzte Flächigkeit,470 ist in Judds Augen zu der willkürlichen und einschränkenden Morphologie der flachen Körper geworden, die man Bilder nennt. Judd geht von dieser materiellen Bestimmtheit des Zeichenkörpers aus, der für den Modernismus strukturell jenseits der medialen Essenz der Malerei liegt – wie für ihn selbst das Grau von Morris’ Polyedern unterhalb der Schwelle des ästhetisch Interessanten. Er betrachtet Malerei in dem durchdringenden Licht räumlicher Synchronizität, das die gleichmäßig opake, raumverdrängende Positivität aller Dinge enthüllt. Bildliche Repräsentation kann so nur als virtueller und sekundärer Effekt erscheinen, immer zurückführbar auf die räumlich-materielle Gegebenheit und spezifische Form des Bildkörpers, einer „Fläche, ein oder zwei Inch vor einer anderen Fläche, der Wand, und parallel zu ihr“ (182), und auf das „seitliche Arrangement“ (182) von Markierungen auf dieser Fläche. Repräsentation und Illusionismus ebenso wie alle Konventionen der Malerei einschließlich der Flächigkeit, erscheinen in diesem Licht als akzidentiell. Nicht essentiell im Sinn des Modernismus, aber faktisch irreduzibel ist nur die raumkörperliche Gegebenheit des Werks, das ein Objekt ist, was es der Morphologie oder Gattung nach auch sonst sei. Die Seinsmöglichkeit von so etwas Bildern, die wesenhaft keine Objekte sind, ist hier gelöscht. Der „sense of singleness“, den die Malerei an ihrem Ende erreicht, in dem Moment, in dem das Bild zum rechteckigen Körper wird, „sieht jetzt wie ein Anfang aus, mit einer besseren Zukunft außerhalb der Malerei“ (182). Der Bildraum, in dem sich die Tradition aufgehalten hat, ist in dieser von unlöslichen Materialien von innen und außen beschlagenen Scheibe zusammengeballt. Diese nackte Positivität des Bilddings hatte Greenberg entdeckt, um sie sogleich wieder mit dem Schein der opticality zuzudecken. Er hatte die Frontseite dieser Scheibe zwar nicht mehr als Schnittebene, aber als Grundfläche einer Sehpyramide eingesetzt. Für Judd wird ihr volles Volumen zum Sprungbrett in den real space. Der Bildbegriff nimmt so in Judds Rückblicken einen ambivalenten Status an. Das Bild ist zur Scheibe ausgegossen und diese Scheibe ist der Sockel und die Grenze 470 CG IV 131.

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seines Paradigmas. Das Schneetreiben, das in ihr seit dem Impressionismus noch stattfindet, gilt es deshalb stillzulegen. Das gelingt durch das neue Produktionsdispositiv, durch die materielle Trennung und räumliche Auf klappung ehemaliger Bildelemente in die dritte Dimension. Wie im Übergang von der Mediumspezifik zur Materialspezifik gibt Judd dem Selbstbezug des abstrakten Bilds eine konkretistische Wendung. Er pocht auf die Bildebene, um sie als Oberfläche des im Raum vorhandenen Dings zu erweisen. Er lässt den real space auch die Dimension des Bildscheins okkupieren. Bilder sind flach, sie sind flache Körper, aber sie sind keine Flächen oder Ebenen, sondern mehr oder weniger rauhe Oberflächen. Flächigkeit als essentielle oder paradigmatische Bestimmung des Bildes gehört einem Sprachspiel an, mit dem Judd bereits gebrochen hat. In diesem Sinn ist die Scheibe des Bildes zugleich Fundament und doppelter Boden von Judds Dispositiv. Der negierte Bildraum ist das Parergon des real space: in ihm und doch nicht in ihm befindlich, ein gegebenes Volumen und doch zugleich mehr und weniger als dies. Das Bild, dieses kaum Seiende, wird zur konstitutiven Stütze jener Realität und scheinlosen Positivität, in der Judd seine Arbeiten ansiedeln will.471 Judd liest, historisch gesprochen, die Abstraktion als Anlauf für den Absprung in den real space. Nach dem Sprung aber sind die Zeit und die Bewegungsart dieses Anlaufs, ist der geschichtliche Sinn der Abstraktion konzeptuell nicht mehr integrierbar. Rückblickend ist allzu klar, dass Bilder immer schon opake Körper waren, flache, auskragende Kisten, auf deren Oberfläche farbige Markierungen angebracht sind, ob nun solche, die raffinierte Täuschungseffekte hervorrufen oder solche, die die materielle Objektform bloß nachfahren wie die Streifen Stellas. Retroaktiv, ob Judd will oder nicht, reduziert sein Blick den Bildschein zur „bloßen Illusion“ und Bilder zu diesen, sagen wir, speziellen Objekten, die die Illusion der Präsenz eines („in Wirklichkeit“) Abwesenden unter bestimmten, manchmal stark determinierten Umständen (Einäugigkeit und frontale Stellung z. B.472 ) hervorrufen. Die Geschichte der 471 In diesen Jahren beginnen übrigens die Figuren in einer anderen Bildkiste sich senkrecht zur Bild-

ebene zu bewegen. Während im Fernseher das perspektive Geometral ein Element der hardware geworden ist, die das Bild auf die Innenseite einer Glasplatte projiziert, ein Element der Rückseite des Bildes, ist die Disziplin der Perspektive diesseits der Scheibe zum real space zerstäubt, der die spezifischen Objekte, dreidimensional entfaltete Bildoberflächen, richtungslos umfließt. 472 Im Gespräch mit Glaser hatte Stella der Auffassung seiner Bilder als Scheiben widersprochen, die Judd mit dem Hinweis auf den tieferen Keilrahmen begründet. „When you stand directly in front of the painting it [die Tiefe der Keilrahmen] gives it just enough depth to hold it off the wall; you’re conscious of this sort of shadow, just enough depth to emphasize the surface. In other words, it makes it more like a painting and less like an object, by stressing the surface.“ (Glaser, „Questions“ / „Fragen“, 162/54) „When you stand directly in front of the painting…“. Das ist die Eigenart der Bildbetrachtung, deren Konventionalität der Minimalismus sichtbar gemacht und untergraben hat. Wie gelangt der Betrachter vor das Bild? Dieser Weg, auf dem ihn eventuell ein Totenschädel anblickt (s. Lacan, Das Seminar XI, 71–126), liegt für Stella wie für Fried außerhalb der „ästhetischen Erfahrung“. Der Bildbegriff setzt komplementär zur Flächigkeit des Bildes einen Stillstand des Betrachters, den Rahmen einer kontemplativen Zeit voraus, den der minimalistische Körper sprengt. Judds Werk nistet sich in den Moment dieser Sprengung ein. Die halluzinatorische Statik seines Werks ist ein Moment äußerster Turbulenz. Deren Spuren in seinen Arbeiten folgen wir.

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Abstraktion, die in einer emphatischen Werkpräsenz münden würde, ist der Rückzug des Bilds aus den Nebelregionen der Repräsentation auf seinen Eigenbestand. So ist zwar plausibel, dass das letzte Bild – das avancierteste, das „kraftvollste“ und objektivste zugleich –, dasjenige sein wird, das diese scheinlose Positivität sowenig wie möglich verhüllt. Aber nur sofern das so inkarnierte Objekt trotz allem noch als Bild angesehen wird, kann diese Inkarnation als Stärkung seiner Präsenz gelten. Seine Positivität gewinnt den für Judd entscheidenden emphatischen Sinn nur, solange sie als selbstkritische Abgrenzung, als Rückzug vom „Ozean des Scheins“ auf die „Insel der Wahrheit“ 473 begriffen wird, wie es das modernistische Paradigma verlangt. Judds materialistische oder literalistische Wendung aber hat im Vorhinein den „Sitz des Scheins“ 474 zerstört. Die Positivität des real space ist schon in den Bildraum geflutet und hat seine Inexistenz ausgehoben. Was und wo aber ist dann dieser „Nebel“, der in den Bildern zu nisten scheint – und der sich, wie die Perspektivmalerei zeigt, auch teilen kann in feste Körper und transparente Leere, wodurch die Täuschung hyperbolisch wird? Was ist jenes Nichts des Bildes, dessen Negation und Ausstreichung Judds Paradigma trägt? Im Grunde hat er keinen Begriff dafür. Es ist etwas, das es nicht geben kann, da es nicht ist. Nach dem Paradigmenwechsel ist die Körperlichkeit des Bildes bereits als selbstverständliche Grundlage etabliert. Es ist aus Judds „objektivistischer“ Sicht im Grunde gleichgültig, ob ein Bild seine Flachheit bestätigt (oder anerkennt, wie Fried sagt) oder nicht. Es ist ohnehin flach. Wenn es diesem Faktum nicht zu entgehen versucht, ist es bestenfalls weniger schlecht. So schlüssig also aus Judds Sicht der Abschied von der Malerei ist, so fragwürdig bleibt die Emphase, mit der er die „Ankunft“ im Dreidimensionalen als eine Art Erlösung und Inititation begrüßt. Three dimensions are real space. That gets rid of the problem of illusionism and of literal space, space in and around marks and colors — which is riddance of one of the salient and most objectionable relics of European art. The several limits of painting are no longer present. A work can be as powerful as it can be thought to be. Actual space is intrinsically more powerful and specific than paint on a flat surface. (CW I 184) 475

Der Text ist an symptomatischer Stelle elliptisch. „Actual space“, Dreidimensionalität wurde als die objektivistische „Beleuchtung“ von Malerei eingeführt, zur Aufdeckung der Wahrheit, dass Bilder selbst Körper sind. Dennoch soll sich nun die Arbeit in drei Dimensionen – hinsichtlich der Kraft und der Spezifität – wesentlich („intrinsically“) von der bereits objektivistisch (materialspezifisch) gesehenen Malerei („paint on a flat surface“) unterscheiden. Das widerspricht zum einen Judds Nahblick auf Pollock, dessen „Impasto“ den Grundriss seines material-spezifischen Paradigmas darstellt 473 So charakterisiert Kant das Verhältnis eines anderen Scheins zur Stabilität der Erfahrungswirk-

lichkeit in der Fabel am Anfang von Phaenomena und Noumena (KrV A 235 f. / B 294 f.).

474 Ebd. 475 Judd versteht unter literal space nicht reales Volumen (real space, auch: actual space), sondern

die Oszillation und scheinbare Tiefendifferenz jeder Markierung auf einer Fläche. Ein Übergangsphänomen in den illusionistischen Raum.

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(während die „kaum existierenden“ Volumen von Robert Morris verdeutlicht hatten, dass Dreidimensionalität als solche noch keine Garantie „kraftvoller“ Werkpräsenz ist). Wesentlich unterscheidet sich der wirkliche Raum vom illusionistischen Raum in der Malerei. Wesentlich unterscheidet sich die Präsenz des dreidimensionalen Objekts nicht von der über den Keilrahmen gespannten Leinwand und dem Schorf der Farbe, sondern vom Bild, das im „actual space“ nicht existiert. Die „größere Kraft“ der Judd’schen Antimalerei gründet in dieser rätselhaften Nicht-Existenz, die sich im Körper des Bildes einnisten kann. Die Negation der Malerei nimmt so in Judds Diskurs zwei miteinander unvereinbare Funktionen an. Als die vollflächige Negation des ontologischen Eigensinns des Bildes, des Scheins, der im real space erlischt, macht sie die Arbeit in drei Dimensionen unausweichlich: das specific object macht nur die ohnehin gegebene, latente Körperlichkeit des Bildes explizit. Andererseits aber bestimmt sich die „größere Kraft“ des Objekts im real space oder actual space in Abgrenzung vom illusionären Raum des Bildes. Die Arbeit „in drei Dimensionen“ ist Negation der ideellen Flächigkeit der Bildebene – eine Negation aber, die dieser Idealität und dem Bildschein, den sie gebiert, eine gewisse eingeklammerte Geltung belassen muss, da sie der Grund sind, gegen den sich die Präsenz des specific object als „stärkere“ oder „intensivere“ Präsenz etablieren soll, als partizipierend an einem höheren Wirklichkeitsgrad als ihn Malerei erreicht. Wir können von hier aus auf die genaue Parallele dieser Doppelbewegung der Bildkritik zur Struktur der frühen plastischen Arbeiten Judds zurückblicken, die wir anfangs analysiert haben (s. o. , S. 42 ff.). Diese sind nicht schlicht dreidimensional und deshalb, wie von selbst, nicht-illusionistisch, sondern sie sind es im polemischen Rückbezug zur Matrix der Malerei, dem Modell des Bildes. Sie verbuchstäblichen, materialisieren dessen Imaginäres. Nicht schlicht als Objekte gewinnen sie ihre gestärkte Präsenz, sondern als Anti-Paintings. Die einer ehemaligen Bildfläche eingesetzten zentralen Objektimplantate hebeln den Bildraum aus und ersetzen ihn durch den virtuellen Raum des Glanzes oder durch die „Schwärze“ einer realen Absenz. Die Konkretion dieser frühen Objekte Judds gewinnt ihre „Kraft“ in ihrem kontradiktorischen Bezug zum Bildhaften, das sie in der einen oder anderen Weise noch integrieren – synthetisch harmonisierend wie DSS 41 (fig. 12), wo sich der Schein in die schattigen Zwischenräume der Lamellen zurückzieht, oder dissonant und gewaltsam wie der sperrige Holzwinkel DSS 33 (fig. 9, 10, 172), wo der imaginäre Raum in ein Abflussrohr gesperrt und ihm das Genick gebrochen ist.

Bild und Index im real space. Die Schatten Warhols. – „Almost all paintings are spatial in one way or another. Yves Klein’s blue paintings are the only ones that are unspatial, and there is little that is nearly unspatial, mainly Stella’s work. It’s possible that not much can be done with both an upright rectangular plane and an absence of space. Anything on a surface has space behind it. Two colors on the same surface almost always lie in different depths. […] Except for a complete and unvaried

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field of color or marks, anything spaced in a rectangle and on a plane suggests something in and on something else, something in its surround, which suggests an object or figure in its space, in which these are clearer instances of a similar world — that’s the main purpose of painting.“ (CW I 182 f.) Solche eher klagenden als anklagenden Passagen machen deutlich, warum Judd aus seiner Sicht den Schnitt machen musste, der sein Werk von der Malerei löst. Sie machen deutlich, dass er diesen Schnitt schon vollzogen hat, indem er Bilder im Licht räumlicher Synchronizität als bemalte Körper betrachtet. In diesem Licht ist mit Malerei einfach nicht genug anzufangen. Der Versuch, die Relikte des Illusionismus, das Figur-Grund-Verhältnis loszuwerden, schränkt sie so sehr ein, dass sie zur unsinnigen Beschränkung des Kunstmachens wird. „Painting and Sculpture have become set forms“, heißt es später. „A fair amount of their meaning“ – ihre Bindung an die Episteme der Repräsentation – „isn’t credible“ (184). Judd stellt dieses Ende nur fest. Er muss es nicht proklamieren. Er kündigt auch nicht das völlige Verschwinden von Malerei an. „Finally, a flat and rectangular surface is to handy to give up. Some things can be done only on a flat surface. Lichtenstein’s representation of a representation is a good instance.“ (181) Aber Malerei ist auf den Status einer kontingenten morphologischen Konvention depotenziert, auf die Bedingung der Flachheit, die der literalistische Blick als Wahrheit der essentiellen Flächigkeit aufgedeckt hat. „Of course something can be done within a given form, but with some narrowness and less strength and variation.“ (184) 1960 steht Judd mit dieser Sichtweise natürlich nicht allein. Auch für die anderen Minimalisten sind Stellas Bildobjekte Absprungspunkt in den real space. Flavin schraubt zu dieser Zeit Glühbirnen seitlich in den Keilrahmen monochromer Ikonen, ehe er die isolierte Neonröhre direkt an die Wand montiert (fig. 167–170). Carl Andre stapelt Zedernholzbalken statt Farbstreifen zu Zikkurats, ehe er seine Ziegelsteine auf dem Fußboden auslegt (fig. 81–93). Eine neue Syntax löst die Elemente des Werks von der Selbstzentrierung des Bildes, das seine Bindekraft verliert, seitdem die modernistische Selbstreflexion den Sand der unbemalten Leinwand gestreift hat. Nach 40 Jahren distanzierter Parallelität hat das Ready-made die konventionelle Gattungsform des Bildes unterwandert. Es ist die vom Quader des Keilrahmens „ausgestopf te“ Leinwand. Auch Oldenburg, der sie mit Kapok füllt und ihr die konventionelle Form eines Hamburgers oder einer Kloschüssel gibt, begreift sich als „Post-Pollock-Painter“. Überall entstehen um 1960 diese hybriden Objekte, die „weder Malerei noch Skulptur“ (CW I 181) oder beides zugleich sind. Die sichtbar gewordene spezifische Form des Bildes wird von verschiedenen Künstlern als Grundfläche einer neuen dreidimensionalen Objektkunst begriffen, die sich im real space, dem gallery space entfaltet. Rauschenbergs Öffnung des Bildes nach vorne war eine Vorbereitung dieser Bewegung, die in den White Paintings die Morphologie noch intakt ließ. Zehn Jahre später springen die im Verlauf der Moderne rahmenlos gewordenen Bilder quer zu den stilistischen Differenzen von Minimal, Neo-Dada und Pop von den Wänden und bilden die post-malerische Objektkunst der sechziger Jahre. Judd hat für die Erfindung dieses im real space gelandeten zwittrigen Objekts und vor allem für seine Präsentation ohne Sockel – die natürlich wesentlich ist, da ein Sockel einen pikturalen Raum ausgrenzt – wiederholt eine Art Patent beansprucht, was abwegig ist. Der Verzicht

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auf den Sockel als überlebte Präsentationsstütze „skulpturaler“ Objekte ist um 1960 fast so verbreitet wie die Preisgabe des Rahmens in der Malerei. Neben Oldenburg, Chamberlain und Morris, die zeitgleich oder auch kurz vor Judd – Oldenburgs Floor Burger und andere Soft Sculptures lagen kurz vor Judds erster Einzelausstellung auf dem Boden der Green Gallery (fig. 171), ebenso einige Arbeiten von Morris –, möchte ich nur auf die prekäre Nähe von Judds ersten freistehenden Objekten zu Ellsworth Kellys „Skulpturen“ verwiesen, die aus der Faltung monochromer oder bichromer Bildebenen hervorgehen. Pony, das erste dieser sanfter als Judds grobe Holzplanken im Raum gelandeten Bilder, ist von 1959 und wurde im selben Jahr bei Betty Parsons gezeigt (fig. 173, 177). Judds Patentanspruch beruht auf einer konstitutiven Verdrängung. Der real space, der gallery space war um 1960 in New York ein sehr reales und umkämpftes Terrain.476 Judds Feststellung des Endes oder vielmehr der Auffaserung der Malerei zur polymorphen Objektproduktion beschreibt also eine um 1960 manifeste Tendenz. Specific Objects summiert nur diesen Tatbestand, es ist ein report, kein Manifest. Was in dieser Situation historisch zum Ausdruck kommt, ist nicht das Ende der Malerei – es ist der Abschluss der „Partie“ der modernistischen Malerei in Stellas Werk.477 Das Paradigma der Selbstreflexion des Mediums hat sich in Stellas Serien totgelaufen. Robert Ryman ist der vielleicht einzige bedeutende modernistische Maler nach Stella, nach dem Minimalismus, nach der beschriebenen Entfaltung der Bilder im real space. Er versucht nach der tautologischen Kontraktion in Stellas Serien, den Motor der Selbstreflexion, der der Antrieb des Modernismus war, wieder zum Laufen zu bringen, indem er ihn in die geschichtliche, materielle Welt ausgreifen lässt, indem er den Zirkel des „Selbst“ – die Einheit des Bildes – öffnet und dekonstruiert. Im Effekt zieht aber diese Öffnung das, was sie als weltliche Elemente der Malerei, als „unverarbeitete“ Ready-mades, als historischen Träger entdeckt, in die Funktion der reflexiven Selbsterfassung ein (fig. 174–176). Der Kreis, der dekonstruiert werden sollte, erweitert sich und das Licht der Selbstreflexion überzieht die freigestellten Elemente – Wand, Keilrahmen und Halterung, nackte Leinwand und Tubenfarbe, Datum und Signatur. Durch diese Auf trennung und sachliche Darlegung bleibt Rymans Dekonstruktion dem Positivismus der Spätmoderne verhaftet. Die Dekonstruktion des Bildes wird zu einer akademischen, fast administrativen Arbeit. Ryman ist der Nachlassverwalter („der Wächter des Grabs“, wie Yve-Alain Bois mit mehr Pathos sagt478 ) der modernistischen Malerei, kein originärer Produzent mehr, der in der Malerei eine neue Wahrheit der Malerei erfindet. 476 Zu Judds Patentanspruch siehe z. B. Coplans, „ ‘I am interested…’ “, 44, und rückblickend SA 25.

Er erwähnt als ein Beispiel, das seiner Erfindung vorausging, regelmäßig nur „a small piece by Lucas Samaras“, eine typische „Deckerinnerung“. 477 Zu diesem neo-greenbergianischen Modell von Spiel (Malerei) und Partie (modernistische Malerei) siehe Y.-A. Bois, „Painting: The Task of Mourning“, in: ders. , Painting as Model, Cambridge 1990. 478 „Although he is claimed by some as a postmodernist“, schreibt Bois, „I would say he is more accurately the guardian of the tomb of modernist painting […]. Assymptotically, his paintings get closer and closer to the condition of the photograph or of the readymade, yet remain at the thresh-

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Und dennoch ist mit dem Ende der modernistischen und im restriktiven (positivistischen oder „knöchernen“) Sinn selbstreflexiven Malerei, weder die Malerei als solche noch auch nur die moderne Malerei vorbei. Es ist Andy Warhol, der seine eigenen Konsequenzen aus der Sprengung des Bildes durch Pollock zieht und der auf der Höhe einer Auseinandersetzung mit der formalistischen Avantgarde, die er im Schatten- oder Glamourbereich seiner Werbegrafik geführt hat,479 das Bild in ein radikal transformiertes Verhältnis zur industriellen Waren- und Bildproduktion setzt – zu jener Image-Industrie, vor der nach Greenbergs früher Diagnose die Avantgarde auf die Insel ihrer „Autonomie“ geflohen war. Warhols Werk führt nicht im wie weit immer gespannten oder dekonstruktiv gelockerten Kreis auf die selbstreflexiv bestimmte Identität des Bildes zurück. Er schneidet diesen Kreis auf und bestimmt die verschwindende Präsenz des Urbilds und damit auch der unverstellten Positivität des Bildes in seiner Dinglichkeit zum ontologischen Horizont seiner Arbeit. Die Pop Art ist durch Warhol und ausschließlich durch ihn und die methodische Stringenz seines Werks ein epistemologischer Bruch, der den des Minimalismus ergänzt. Es sind nicht die Ikonen von Alltagsdingen, die Entdeckung der Schönheit des Banalen, die Reverenz, die Wesselman Matisse erweist und Lichtenstein durch den comic strip hindurch Mondrian und Leger, es ist die methodische Stringenz, mit der Warhol die Serienproduktion in die Malerei eingeführt hat, die die Pop Art weit über ein stilistisches Phänomen hinaushebt. Warhol ist der einzige PopKünstler, bei dem der Siebdruck und das fotografisch-indexikalische Dispositiv der Bildproduktion und -reproduktion die reflektierte Schärfe einer künstlerischen Methode gewinnen, die das Weltverhältnis des Werks artikuliert.480 Rauschenberg z. B. gebraucht den Siebdruck – wie zuvor in seinen Dante-Illustrationen die Grattage – zur Herstellung eines Palimpsests geschichteter, im Grund versinkender, einander löschender Bilder. Er bezieht die Drucktechniken auf die subjektive, mnemonische Reaktion auf die mediale Bildüberflutung. Die weiße Leinwand beginnt die Schatten, als deren Empfänger Cage sie sah, festzuhalten, sie wird zum Analogon einer inneren Camera Oscura, die eine halbgeteilte, aber nicht haltbare Welt vorübergleiten lässt. Der Werkprozess wird zur Allegorie des Erinnerns und Vergessens

old of simple negation. His position is difficult to maintain, yet it is perhaps, historically, the most cogent one“ (Bois, „Painting: The Task of Mourning“, in: ders. , Painting as Model, 232; siehe auch „Ryman’s Tact“ im selben Buch). Historically cogent – gewiss, wenn die Geschichtlichkeit der Malerei bereits in die autonome Dialektik ihrer Selbstreflexion übersetzt worden ist. Genau diese immanente Historizität aber, die eine Entschärfung ihres Verhältnisses zur realen Geschichte (zu der der „Produktionsmittel“, wie Adorno etwas monistisch sagen würde) ist, haben Minimalismus, Pop und die Kunst der sechziger Jahre insgesamt hinter sich gelassen. 479 Diese Seite der Überkreuzung von „High and Low“ hat besonders Benjamin Buchloh hervorgehoben („Andy Warhol’s One-Dimensional Art, 1956–1966“, in: ders. , Neo-Avantgarde and Culture Industry). 480 Das macht der zur Zeit erscheinende kritische Katalog erst voll deutlich, denn die Quantität wird zum Index des Weltverhältnisses von Warhols, das kein selektiver Ausstellungskatalog vermitteln kann.

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(fig. 178–180).481 Es ist offensichtlich, dass Warhol mit einer so künstlerischen Poetik und Psychologie nichts zu tun hat.482 Er verwendet die Drucktechniken nicht, um dem Bild die Tiefe des Erinnerungsraums zu restituieren, den die Moderne abgeschliffen hat. Er macht die Reproduzierbarkeit, die Serialität und den doppelten indexikalischen Schnitt von Fotografie (ein Foto ist kein Bild) und Siebdruck zu Instrumenten der Entwurzelung des Werks aus der ikonisch-referentiellen Dimension. Er lässt Schatten von Bildern auf die stumpfe Oberfläche eines Trägers fallen, der eine Leinwand oder eine Sperrholzkiste sein kann – wie der Schatten der eines Filmstars oder ein Firmenlogo. Warhol streicht jene industrial paint, die Pollock in dem prekären Moment des dripping aus dem Regime der Geste entlässt und auf den Roulettetisch wirft, durch das fotografisch imprägnierte Sieb. Definitiver als durch den Fall der Farbe ist durch das Sieb die Homologie des Raums des Bildes mit dem Raum der Selbstgegenwart des Bewusstseins gelöscht. Die „Figuration“, die es dem Material der Farbe aufprägt, ist alles andere als eine Wiederkehr der Repräsentation. Die Figuren sind Reflexe von Ready-mades, die von Außen in das technisch geöffnete Produktionsdispositiv einer Factory fallen, die man nur mühsam noch mit dem intimen Gedächtnisraum des Ateliers assoziieren wird. Es sind Schatten von Bildern, die eine primitive und durch ihre Fehler als Prozess lesbare Technik auf einen Träger wirft, der noch an Malerei erinnern kann – verstärkt in den siebziger Jahren, als Warhol das Publikum wechselt und aus Polaroids der rich and famous Salongemälde macht und dabei seine „expressiven“ Untermalungen einsetzt.483 Der Schatten selbst und der Raum, aus dem er stammt, und der Referent, dessen Abdruck er ist, all dies bleibt diesseits der Bildebene. Warhols Bilder sind in ihrem Anfang fotografisch produziert. Eine Wiederkehr der rationalen Perspektive, deren Episteme in der Kameratechnik inkarniert ist. Die Funktion des cogito ist auf den Momentschnitt der Belichtung, der Öffnung dieses technischen Auges reduziert. Von Anfang sind, die Bilder, die dieses Auge aufnimmt, Abdrücke, keine spontanen Produktionen. Kann man Warhols Arbeiten, die mehrfach gebrochene Foto- oder Skiagrafien sind, also noch Bilder nennen? Geben sie 481 Die „surrealistische“ Genealogie von Rauschenbergs Einsatz der Drucktechniken ist bezeichnend.

Für die Grattage der Dante Serie ist er noch offensichtlich. Es sind hier nur keine Hölzer und Blätter unterlegt wie bei Ernst, sondern mit einem Lösungsmittel angeweichte Zeitschriftenausschnitte. Das „Unbewusste“ der fünfziger Jahre ist bereits mit Illustrationen beschlagen. 482 Johns, Cage und Rauschenberg sind fast noch europäische Intellektuelle. Sie hatten zu Warhols Kommerzialismus ein gespaltenes Verhältnis. „Jasper’s whole Wittgenstein side reared up in horror at him“, sagt Henry Geldzahler einmal (zit. nach D. Bourdon, Warhol, New York 1989, 134). Warhol hat auch eine ganz neue Art des Denkens erfunden. 483 Den Bruch mit der Tradition der Portraitmalerei in Warhols Society-Portraits betont Candice Breitz („Warhols Portraits. Von der Kunst zum Business und wieder zurück“, in: Andy Warhol Photography, Hamburg/Pittsburgh/Zürich, 1999) – gegen eine Reihe von Autoren gewandt, die wenigstens hier, beim menschlichen Gesicht, nicht auf einen Resthumanismus und auf Psychologie verzichten wollen (wie Th. Crow, „Saturday Disasters: Trace and Reference in Early Warhol,“ in: Guilbaut (Hg.): Reconstructing Modernism… , Cambridge/London 1990, und R. Rosenblum, „Andy Warhol. Court Painter to the 70 s“, in: Andy Warhol. Portraits of the 70’s, Ausst.-Kat. New York 1979).

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etwas zu sehen? Und wenn ja, dann wo? Eine von Seurat bemalte Leinwand ist ein Bild, aber nicht ein Bild der Pinselstriche. Eine von Warhol bedruckte Leinwand ist ein Bild, aber nicht des Siebs und der Fotografie. Seurats Leinwand ist Bild, da die Pinselstriche das Material so in-formiert haben, dass der real produzierte Schirm ein Wiedererkennen auslösen kann. Die Ähnlichkeit, die dieses Wiedererkennen trägt, bildet sich in der Dimension des Scheins, der das Produkt des physiologischen Sehens ist. Die Ähnlichkeit, die der Leinwand Warhols eingeschrieben ist, liegt dagegen schon im Werkzeug selbst, dessen Abdruck sie trägt. Mit einem solchen Pinsel wie dem imprägnierten Sieb lassen sich nur Marilyns oder Car crashs „malen“. Die Ähnlichkeit verbleibt über der Leinwand, diesseits des Schirms. Sie gehört nicht in den Raum der spontanen Erinnerung, sondern des Archivs, in die Dimension des Entzugs (der distention) der Spur. Die Bildähnlichkeit selbst ist koextensiv mit dem Ereignis der Prägung, das sich zeitlich entfernt. Das Wiedererkennen ist sekundärer Reflex, nicht Voraussetzung und Element der Bildproduktion. Wie das Aussehen eines einzelnen Flecks von Seurat „mathematisch“ dem Pinsel ähnelt, dessen Abdruck er ist und dessen vorübergegangene Existenz er („dynamisch“) bezeugt, so ist der ikonische Referent von Warhols Malerei im Raum ihrer Produktion gestaut. Der Schein selbst ist vorproduziert und bricht sich in den Bildern nur. Warhols Gemälde geben zu sehen, aber ihr Referent – der Star oder das Desaster – steht am Anfang einer Kette von Kontiguitäten, die mit der Einprägung seines Lichtabdrucks in die Fotoplatte beginnt, eine Einprägung, die „im Dunkeln“ stattfindet wie jede Gravur, und die eine Staffette erinnerungsloser, spektralisierender Spiegel durchläuft. Warhols Leinwand trägt den Abdruck dieser präkonstituierten, eminenten Sichtbarkeit, die er sowenig herstellt wie Seurat die Farben und Pinsel, mit denen er malt, und wie vor allem die Fabriken dieser Farben und Pinsel. So wird in Warhols Werk das Bild wieder Ereignis. Die leichten und scharfen fotografischen Schatten der Siebdrucke haben den schon angeschwollenen Begriff der um ihre Identität besorgten Hochkunst, der auch Stellas proletarischer Arbeit den Rückhalt gibt, aufgeschnitten. Sie haben, unerwartet, zugleich die Flachheit des Bildes und eine Art von passiver Referentialität vereint. Die Forderungen und Gesetze der kulturellen Öffentlichkeit, die sich nicht mehr ausgrenzen lassen, werden in dem Produkt, das sie mithervorbringen, zugleich gespiegelt. Durch diesen Schnitt, der aus der Dimension des Außen und der Kontingenz auf die Bildebene fällt, auf die Rauschenberg und Cage die Werkstruktur nur ungerichtet geöffnet haben, wird die Malerei aus der historischen Überdeterminiertheit, in die sie der „knöcherne“ Begriff ihres Wesens im Modernismus geführt hat, befreit. Der formale Kontur des image und der zeitliche Riss des Index fallen bei Warhols Siebdrucken ins eins. Das ist der Schritt, durch den die Selbstreflexion der Malerei wieder welt-geschichtlich wird. Nicht die Wiederkehr der figurativen Ähnlichkeit nach der Abstraktion trägt die Weltanbindung von Warhols Malerei, entscheidend ist das Durchdringenlassen des Abdrucks ins Bild, dessen Reflex sich auf dem Strom der nackten Leinwände fängt, der durch die Factory fließt (fig. 181–184). Wie nahe Judd Warhol kommt, hat sich damit angedeutet. Die früheste minimalistische Installation sind Warhols Tomato Juice Boxen in der Stable Gallery 1964

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(fig. 185). Die Matrix der seriellen Produktion und der Warenform, die Warhol in die Ausdrucksbewegung seines Werks integriert, prägt auch Judds Arbeit bis ins Innerste seiner Morphologie, seiner phänomenalen Effekte und seiner Ordnungsprinzipien. Und sein Werk bleibt radikal unterbestimmt und unterbewertet, solange man nur seine Selbstauslegung, die solche Bezüge in der ästhetischen immediacy aufgehoben sehen will, heranzieht, um ihm dann gegen diese offenbar unhaltbare „puristische“ Selbstinterpretation die „verborgene Historizität“, die „latente Semantik“ seiner Materialien und seriellen Formen etc. nachzuweisen, die er „verkenne“.484 Auf die methodische Struktur solcher ideologiekritischer Interpretationen, deren Richtigkeit sie nicht weniger ungenügend macht, kommen wir noch zurück. Im Moment, in der Nähe des Abschieds vom Bild, sehen wir das Prinzip dieser Verkennung, dieser seltsamen Blindheit oder eher Blendung Judds sich abzeichnen. Für Judd stellt das specific object die Möglichkeit dar, abstrakte, formal autonome Kunst in jenem Diesseits der Bildebene herzustellen, das er real space nennt. Es ist die Möglichkeit, die morphologischen Beschränkungen zu unterlaufen, die das modernistische Paradigma der Malerei auferlegt, ohne mit diesem Paradigma zu brechen. Während für Warhol das vom Modernismus freigelegte Trägerobjekt – eine Sperrholz-Box oder die flache Kiste einer Leinwand – der Untergrund für einen Reflex der Massenbildproduktion ist, will Judd die ikonische Tiefe des Bildes in die Intensität der autonomen Präsenz seiner Objekte übersetzen. Die Mehrschichtigkeit des Siebdrucks – ein entscheidendes Charakteristikum von Warhols Werk – ist für Judd daher Anathema. Warhol zeigt, dass Malerei und sogar figurative Malerei sich quer zur Achse der ikonischen Repräsentation und ihrer Destruktion, also nach der Abstraktion fortsetzen lässt: als Abriss vom Urbild, als Beschleunigung des Bildes auf den Horizont seiner Referenzlosigkeit zu.485 Die enge Fokussierung von Judds bildtheoretischen Überlegungen auf das Problem der ikonischen Differenz und ihrer Austreibung in der Abstraktion er484 Exemplarisch ist Ch. Reeve, „Cold Metal: Donald Judd’s hidden Historicity“, Art History (U. K.),

vol. 15, no. 4, 486–504; s. auch A. C. Chave, „Minimalismus und die Rhetorik der Macht“, in: Stemmrich 1995, 647–677. Das sind im Grunde naive Texte. Sie bleiben auf dem Level der Meinung. Problembewusster und schärfer sind frühere ideologiekritische Texte zur Minimal Art, besonders der noch immer maßgebliche „offene Brief “ von K. Beveridge / I. Burn, „Don Judd“ (1975), ebd. , 498–525. 485 Die Referenzlosigkeit des von der Serialität ergriffenen Bilds ist natürlich das zentrale Thema in den Texten Baudrillards nicht nur zu Warhol (s. etwa J. Baudrillard, Agonie des Realen, Berlin 1978; „Von der absoluten Ware“, in: Andy Warhol. Paintings 1960–1986, Ausst.-Kat. Luzern 1995, 15–18; „Die Simulation“, in: W. Welsch (Hg.), Wege aus der Moderne, Weinheim 1988, 153–162), sie lenkt aber auch das Interesse von Foucault und Deleuze. Durch Warhol wird wenigstens sporadisch der Provinzialismus der französischen kunsttheoretischen Reflexion mit ihrem strukturalistischen Korsett und ihrer Orientierung an den Heroen der Moderne (Klee) und an drittklassiger Nachkriegsmalerei (Hantaï, Corneille, Riopelle…) unterbrochen. „Es war, als habe jemand in einer dunklen, trüben Atmosphäre die Tür zu einem lodernden Hochofen geöffnet“, schrieb Peter Schjeldahl von Warhols Flowers-Ausstellung bei Illeana Sonnabend in Paris 1965. „Die Zukunft flutete von den Wänden wie reines Ozon“ (zit. nach V. Bockris, Andy Warhol, Düsseldorf 1989, 241). Leider hat Deleuze von diesem Ozon nicht genug eingeatmet, sonst hätte nicht noch Was ist Philosophie? einen so antiquierten Begriff von Malerei. Aber was hat Foucault in seinem unveröffentlichten Manuskript über die Marilyns geschrieben?

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laubt ihm nicht, eine solche Möglichkeit zu sehen, noch ihre weitreichende Relevanz zu begreifen. Warhol ist der bedeutendste Künstler unter seinen unmittelbaren Zeitgenossen, dessen Rang Judd in seinen Kritiken von Anfang an verkennt – so wie in anderem Sinn die paradigmatische Bedeutung Duchamps. Beiden gegenüber verhält er sich „generös“, aber er beurteilt ihre Arbeiten ausschließlich unter dem unangemessenen, mindestens ungenügenden Aspekt ihrer visuellen Form.486 Judd ist durchgängig blind für die indexikalische Dimension des Weltbezugs des Werks. Für ihn ist nicht die absolute epistemologische Flachheit der Warhol’schen Siebdrucke relevant, sondern die virtuelle Räumlichkeit, die auch sie in der Wahrnehmung umspielt. Dieses Spiel gilt es zu löschen. Und das leistet Judds eigene industrielle Monochromie. Die in die Dreidimensionalität explizierten Oberflächen seiner „neuen Materialien“ aber tragen die Schatten anderer, unsichtbarer, transparenter „Ikonen“. Judd ersetzt die Warhol’schen Superstars durch die Homogenität der im Produktionsdispositiv gestauten Arbeitszeit, die sich in den industriell bearbeiteten Oberflächen reflektiert. Er ersetzt die im Sieb gebundene Ähnlichkeit durch Spraypistole und Politur, das figurative Schattenbild des Drucks durch die Reflexe und den Glanz der Metalle. Der Abstraktion des Bildes, das sich zur monochromen Fläche geschlossen und zum materiell homogenen Element zusammengezogen hat, begegnet in dieser Oberfläche die Gallerte der Arbeitskraft, wie Marx sagt, die in den Produktionsmitteln gebunden ist.487 Die Homogenität der Materialien, der Glanz der Oberflächen ist deren Spur und konturloses Bild. Judds Objekte tragen den Abdruck desselben epochalen Raums, in dem Warhol seine ikonisch-figurativen Bildstempel auswählt. Aber in ihnen ist dieser Abdruck transparent, er ist die Transparenz selbst, die Spurlosigkeit, die das immanente Telos der industriellen Produktionsweise ist. Deshalb sieht Judd den Abdruck nicht. Wie er die temporale Dimension des dripping abschneidet vom präsenten Perfekt des dripped paint, so isoliert er seine Materialien von der in ihrer Gegenwart gestauten Zeit der Produktion, deren Spur sie im Verschwinden zeigen. Im real space ist die Zeit des Index, die im Produkt gestaute Zeit gelöscht. Für Judd sind allein der Aufstieg aus der ikonischen Tiefe in die Fläche und die Schließung und Versiegelung der Fläche relevant, die eine Metall- oder eine Kunststoffplatte soviel besser leistet als selbst die technisch raffinierte Malerei Reinhardts oder ein monochromes Bild Yves Kleins. Und wenn das Maximum materialspezifischer Flachheit und Homogenität auch nur durch eine veränderte Produktionsweise erreicht werden kann, bleibt sie für Judd ikonischer, nämlich formaler Wert in jedem Fall. Die polierte Oberfläche reflektiert als Bild, dessen epistemische Struktur oder Architektonik sich in der Homogenität des Materials aufgelöst hat, die Autonomie des visuellen Bildraums hinaus in den real space, den White Cube der Galerie.

486 Siehe exemplarisch das Review zu Warhols Stable Gallery Show, 1963, CW I 70. 487 Karl Marx, Das Kapital, Bd. 1, MEW 23, 52.

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C Wholeness. Das Format Diesseits des Bildes. Wir haben den Übergang von der Bildepistemologie zur Produktionslogik unter zwei Aspekten behandelt. Bei Judd und anderen Post-Pollock-Malern der fünziger und sechziger Jahre fällt die resistente Materialität der Farbe, der Pollock eine neue Varianz und Krudheit gegeben hat, definitiv aus dem Bildschein heraus. Dennoch sind Pollocks Farbbahnen, in ihrer Zähigkeit und Dichte, noch und wieder raumkonstituierend, in ein phänomenales Milieu versetzt, das mit ihrer literalen Gegebenheit auf der Bildebene nicht zusammenfällt: Lichtspur, nonfigurativer Umriss und sogar Naturrepräsentat wie in Lavender Mist, One und Autumn Rhythm. Oldenburgs Vinyl, Serras Blei, Benglis’ Kautschuk und Judds Kunststoff- und Metallplatten haben dies gemein, dass sie die Anbindung an einen nur gezeigten Gegenstand, dessen Farbe sie wären (Blau des Kleids, Grün des Apfels) und das heißt an ein von ihrer Existenz ablösbares phänomenales Milieu aufgegeben haben. Sie sind als das Material, das sie sind, im real space gegeben. Das heißt – und daraus machen Serra, Benglis und viele andere ein Programm, während es für Judd eine abgedrängte Wahrheit bleibt –, sie sind primär als Resultate des Herstellungsprozesses gegeben, der sie informiert. Wir haben gesehen, wie Pollock selbst den in seinen Spuren expliziten Produktionsprozess, dessen Heterochronie die präsente Bildebene durchquert, mit der Arbeit der Bilddestruktion in der metaphorischen Dimension seiner Malerei zu verschränken vermochte: das Chaos, auf das das Bild sich am Rand seiner Defiguration oder Dekomposition öffnet, auf dem metaphorischen Meeresgrund der Malerei, ist ebenso die Farbe, „wie sie in der Dose ist“, die unflektierte, unraffinierte Materialität der Farbe als präphänomenales Potential. Es ist die Verschränkung von metaphorisch-epistemischer und metonymisch-technischer Dimension in Pollocks drip paintings, die die Komplexität seines Werks ausmacht und die Divergenz der künstlerischen Positionen, die sich auf ihn beziehen (von Morris Louis bis Allan Kaprow), ermöglicht.

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Wholeness. Das Format Diesseits des Bildes

Unter Judds Blick fällt dieser komplexe, mehrdimensionale Weltbezug in sich zusammen zur Wahrheit des „that’s what’s there“. Die tautologische, in ihrem Perfekt komprimierte Präsenz schneidet aber auch und vor allem Judds eigene Materialien von ihrem Herstellungsprozess ab. Wie er das dripping nicht sieht, sondern nur dripped paint, sieht er auch nicht die „gespenstige Gegenständlichkeit“ 488 der in seinen industriellen Materialien kristallisierten vergangenen Arbeit. Wir haben die Genealogie dieser Blindheit für die Information, die auch eine Politur darstellt, analysiert. Judd ist blind für die indexikalische Dimension des Weltbezugs seiner Objekte, da für ihn nur die Schicht der visuellen Unmittelbarkeit ästhetische Relevanz besitzt. Jedoch ändert die Blindheit des Autors nichts an der Realität dieser Beziehung. (Dass sie unbewusst bleibt, ist vielmehr topologisch schlüssig.) Warhol hat durch die Einblendung indexikalisch produzierter images, die selbst nicht auf ein ehemals präsentes Urbild zurückgehen, sondern Abdrücke, Splitter der monumentalen, präfabrizierten Sichtbarkeit der Massenbildproduktion sind, das rein selbstpräsente moderne Werk wieder mit der Welt der industriellen Produktion verzahnt. Die Siebdrucksilhouetten sind die Kerben, die sein Werk im Geschehen der Welt, der es angehört, in Bewegung halten. Und Judds Polituren, die Verschleifung dieser Kerben, setzen das specific object in jenen halluzinatorischen Schwebezustand im real space aus, den das rein visuelle, gewichtlose Phänomen, das Noema figurativer Malerei, das vom Material und der Produktion des Gemäldes struktural abgeschnitten ist, und der Warenfetisch, dessen Faszinationskraft im Vergessen der Produktion gründet, sich teilen. Ein entscheidender Aspekt fehlt jedoch in der Rekonstruktion des Übergangs von der Bildepistemologie zur Produktionslogik, der Aspekt der allgemeinen kompositionstheoretischen Fragen. Der epistemologische Sinn des Bildes, abgesehen von seiner referentiellen Bindung, hängt wesentlich von der Art und Weise ab, wie die heterogene Mannigfaltigkeit seiner Elemente in seinem Format geeinigt ist. Das Bild ist und war nie nur ein Fenster auf eine schon fertige Welt. Es ist ein Ort, an dem ein bestimmter Bezug des Subjekts nicht auf die Welt, sondern auf das Chaos oder die präsynthetische Differenz (oder das Sein) sich artikuliert. Das Bild leistet modellhaft eine Einigung, die der Synthesis der Mannigfaltigkeit der körperlichen Affektionen des Subjekts zum geordneten Kosmos entspricht. Komposition, compositio, Zusammensetzung ist der Name für diese Leistung des Bildes, die seine innere Vielheit auf die Homogenität der Bildfläche als Raumgestalt und auf das Subjekt als Träger des Blicks bezieht. Die Art, wie dieser Bezug, wie die Vermittlung von Vielheit und Einheit sich darstellt, strahlt über das Bild hinaus, das als exemplarischer, ausschnitthafter Ordnungsentwurf das Schema eines Weltentwurfs ausmacht. Es ist dieser Ausgriff einer im Bild realisierten Ordnung über dessen lokale Gegenwart hinaus, den Judd explizit zurückweist und dem er alternative Konzepte von Einheit und Ordnung entgegensetzen will: die non-diagrammatische, „kleine“ oder „lokale“ Ordnung, die rein parataktische Wiederholung, und vor allem die in sich unvermittelte Einheit und Ganzheit des Werkobjekts, die er wholeness nennt. 488 Karl Marx, Das Kapital, Bd. 1, MEW 23, 52.

283 Die Arbeit der Bildkomposition ist der metaphorischen oder epistemologischen Dimension der Malerei angehörig. Sofern das figurative und, wie wir sehen werden, noch das abstrakte Bild, die Form des subjektiv-vorstellenden Bezugs auf die Welt reflektiert (sie reproduziert, klärt oder verschleiert), steht die Art in der es die Synthesis des Mannigfaltigen zur Bildeinheit vollzieht, in Analogie zur transzendentalen Leistung des Subjekts, das das „Gewühl seiner Empfindungen“ zur gegenständlichen Welt transformiert. Das Objekt, das im real space angekommen ist und das klassisch kompositorische Ordnungsstrukturen zugunsten der Simplizität einer primären Einheit (etwa der paradigmatischen „Box“) und der Reihung, Rasterbildung oder aber aleatorischen Verteilung solcher (gleicher) Einheiten in einem Objektensemble aufgegeben hat, steht in Bezug zu einer anderen Synthesis und einer anderen Produktion der Welt. Nicht die Leistung des Subjekts, nicht die unbewusste Arbeit der „Nerven“, mit Nietzsche gesprochen, hat diese Einheit und Ordnung hervorgebracht, sondern die vertikale Geschichte, die absolute Vergangenheit der Akkumulation, die sich im Stand der Produktionsmittel ausdrückt. Diese vertikale, vergessene Geschichte ist realiter den Materialien Judds, ihrer Homogenität und Glätte eingeprägt, die er selbst in der Linie der Teleologie der Bildabstraktion als unmittelbar und nur gegenwärtig sieht. Diese vergessene Geschichte ist der Träger der Synthesis, deren Produkt die wholeness als die unmittelbare und im Sinn der Bildepisteme tatsächlich „nonkompositorische“ Einheit und Ganzheit seiner Objekte ist. Diese ist nicht analogisch-reflexiv auf den transzendentalen Prozess bezogen, durch den ein Subjekt seine Welt konstituiert, wie die komplexe Einheit des Bildes, sondern ist im Element der indexikalischen Verkettung mit dem Stand der Produktivkräfte im Raum der realen Produktion verbunden, deren Resultat sie ist. Die folgende Interpretation der kompositionstheoretischen Implikationen von Judds Diskurs und Werk wird an ihrem Ende zurück in die Problematik der Materialspezifik münden. Jedoch setzt der Begriff der wholeness zunächst einen anderen Akzent. Er gehört in den Kreis jener Begriffe, die die Präsenz des Werks diesseits der Bildebene rahmen. Zugleich ist er selbst der äußerste Kreis, in dem das begriff liche Dispositiv Judds insgesamt seine Begründung oder eher seine Aufhängung findet. Wholeness ist der Kreis des Bildformats selbst, der sich im Moment der Zerstörung der Episteme des Bildes von dessen totem Körper löst und zum Rahmen einer Sicht auf oder in den real space wird. Hier lässt sich die Verschränkung des zunächst prädikativ gebrauchten Begriffs der Werkpräsenz mit seiner subjektiv-zeitlichen Bestimmung in nuce analysieren. Die Intensität, um die es in Judds Diskurs geht, erweist sich als Bestimmung der Werkerfahrung selbst. Wholeness wird zum temporalen Horizont der ästhetischen Erfahrung in dem Moment, in dem das Format des Bildes zur bloßen Form des Bildobjekts geworden ist. Die begrenzte Ebene des Bildes – denn diese, die leere Eins des Formats ist „whole“, nicht das Farbgesprenkel der materiellen Oberfläche – löst sich am Umschlagpunkt von Judds Bildkritik von dessen morphologischer Konvention (der Scheibe an der Wand) und wird zur transparenten Hülle, die das specific object überzieht und es zur unvermittelten Einheit eines Dies Da zusammenfasst: Das plötzliche, geballte Einssein des specific object ersetzt die dialektische Einheit des komponierten Bildes, die als die Synthese einer (repräsentierten) sinnlichen Viel-

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falt mit der leeren Einheit der Bildebene den ausholenden und zögernden Seinssinn und damit die geringere Kraft von „relational komponierter“ Kunst ausmachte. „The thing as a whole, its quality as a whole, is what is interesting. The main things are alone and are more intense, clear and powerful.“ (CW I 187) Wir verfolgen die Genese der wholeness, des amerikanischen Gegenbegriffs zur „europäischen Komposition“ oder „relationalen Komposition“, was fast synonym ist, in mehreren Schritten.

„Relics of Representational Art“. Komposition als Symptom. – „A rectangle is a shape itself; it is obviously the whole shape. It determines and limits the arrangement of whatever is on or inside of it. In work before 1946 the edges of the rectangle are a boundary, the end of the picture. The composition must react to the edges and the rectangle must be unified, but the shape of the rectangle is not stressed. The parts are more important, and the relationships of color and form occur among them. In the paintings of Pollock, Rothko, Still and Newman, and more recently of Reinhardt and Noland, the rectangle is emphasized. The elements are broad and simple and correspond closely to the rectangle. The shapes and surface are only those which can occur plausibly within and on a rectangular plane. The parts are few and so subordinate to the unity as not to be parts in an ordinary sense.“ (181 f.) Wir haben die Passage schon unter dem Aspekt des Aufstiegs des Bilds in den real space betrachtet. Die Genese der wholeness verläuft parallel zu dieser. Whole ist die gegebene Form des Bildobjekts, das Format, das in repräsentationaler Malerei zum Rand degradiert ist, der die Leere des Bildraums nur ausschneidet. Die Beziehung erscheinender Figuren zum Bildrand bleibt dabei als solche arbiträr. Sie berühren ihn nicht, er berührt sie nicht. Ihr harmonisierender Ausgleich, die kompositorische Synthese, findet im Gegenzug gegen diese Arbitrarität statt und ist ihr nachträglich. Noch in der abstrakten europäischen Malerei – vor 1946 heißt vor Pollock – wird diese „representational subordination of the whole to its part“ meistens beibehalten (187). Erst die amerikanische Malerei beseitigt diese Nachordnung eher als Unterordnung, indem sie den Bildraum als Ort und Ermöglichung der Figuration in die einheitlichhomogene Bildfläche aufsteigen lässt und deren eigene Extension zum primären Phänomen macht. Rothko bestätigt dieses Primat der gegebenen Form des Bildes (des rectangle) mit seinen wenigen verschwommen Farbkissen, Still durch die materielle Kompaktheit und Weitflächigkeit seiner gespachtelten Farbfelder, Newman und Reinhardt durch die randparallele Gliederung des Bildfelds – ein Rezept, das Stellas deduktive Strukturen ausschlachten werden. Die Einheit des Bild-Objekts wird nicht auf dem Weg einer Harmonisierung von Teilen und Format erreicht, sie geht aus einem Sein-lassen hervor, das die vorgegebene Einheit, die Stetigkeit einer Fläche, die von Rand zu Rand gespannt ist, auftauchen lässt und sie affirmiert. Die Genese der wholeness folgt also, wenn die genannten Maler exemplarisch sind, der Gravitation des Monochroms, der Homogenisierungstendenz der Abstraktion. Wie Judd Pollock in dieser Erzählung unterbringt, ist daher nicht leicht einsichtig. Groß und einfach (broad and simple), wenige oder nur solche, die „plausiblerweise in

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einem Rechteck vorkommen können“ (182), sind die Elemente in Pollocks drip paintings jedenfalls nicht. Und Pollock taucht hier nicht beiläufig auf, an anderer Stelle schreibt Judd ihm explizit die Erfindung der wholeness zu: „I think it’s clear that Pollock created the large scale, wholeness and simplicity that have become common to almost all good work.“ (195) Simplicity? Den formal-deskriptiven Sinn vorausgesetzt, den der Begriff der wholeness in Bezug auf die anderen genannten Maler anzunehmen scheint, ist dies alles andere als klar. Halten wir diesen Widerspruch fest. Er ist ein Leitfaden, an dem sich die Verschiebung des Begriffs von einer noch morphologischen und formalen Bestimmung des Werks zur transzendentalen Bestimmung der Werkerfahrung verfolgen lässt. Die paradigmatische Funktion des Monochroms, das jedes bildkompositorische Problem vorgreifend auslöscht, ist dagegen klar, und vor diesem Hintergrund des sich schließenden Bildes zeichnet sich die Analogie ab, die Judd zwischen abstrakter, aber relational komponierter, und figurativer oder repräsentationaler Malerei herstellt – und die seinen Einwand gegen Komposition als solche im Wesentlichen trägt. In repräsentationaler Kunst kann Komposition als die Synthese der sinnlichen Mannigfaltigkeit einer repräsentierten Objektwelt (der Teile oder Figuren) mit der Eins der Bildebene, dem ideellen Ort der Repräsentation, begriffen werden. In abstrakter Kunst ist Komposition analog dazu die Integration einer Vielzahl ungleicher Bildelemente mit der Einheit der Fläche, in oder auf der sie eingeschrieben sind. In beiden Fällen geht die Werkeinheit aus der Harmonisierung einer Vielzahl von Teilen hervor. Für Judd ist sie damit das Resultat einer ganz überflüssigen Mühe, da die Einheit, auf die es ankommt, die primäre oder vorgängige des ganzen Bilds als Objekt, der whole shape des rectangle ist, die nur „auf einen Schlag“ erreichbar ist. Solange die Ränder des Rechtecks, das die Vorderseite des Bild-Objekts ist, als „a boundary, the end of the picture“ (182) erscheinen und die differenzierten Bildelemente nur aus der Distanz einfassen, ist dieser whole shape des Bildkörpers zu einer (gleichgültig ob seichten oder tiefen) Schale ausgehöhlt, in der die Bildelemente schwimmen. Komposition ist dann ihre sinnvoll geordnete Fügung in Relation zu dieser Form, dem Rand der Fläche. Das sinnliche Ding, das das Bild ist, verspielt seine Gegenwart im Nachhall der Repräsentation. Seine von der Differenz gespurte, verzögerte Einheit – und diese Verzögerung, die Elastizität der Fügung ist das klassische Kriterium der Lebendigkeit des Werks als eines organischen Ganzen – ist für Judd nur eine Schwächung seiner Präsenz. Die Abstraktion als solche ändert für Judd also nichts Grundsätzliches am Vollzugssinn von Komposition. Die Extraktion reiner Bildelemente aus dem sinnlichen Differential, der Mannigfaltigkeit der natürlichen Erscheinung erlaubt zwar zum Beispiel Mondrian eine nähere Heranführung der so gewonnenen opaken, anikonischen Bildmittel an die Bildebene und im Grenzfall sogar eine taktile Verwebung. Diese partikularen Bildelemente – die Trias der Elementarfarben, die gerade Linie und der rechte Winkel, die ein Potential universeller Welthaltigkeit in sich konzentrieren – sind nicht mehr in einem illusionistischen Raum freigestellt und in ihrer Stellung zum Bildrand arbiträr, aber die Arbeit der Komposition bleibt aus Judds Sicht der in repräsentationaler Malerei geleisteten solange strukturell homolog, wie die Elemente

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als asymmetrische, als an sich Ungleiche ins Spiel kommen, so dass ein verhältnismäßiges Gleichgewicht nachträglich eingerichtet werden muss. Schon die Vorstellung einer Balance hat offenbar nur Sinn, solange die Elemente als gegen das Format beweglich, in einer virtuellen Distanz und Ablösung von der Bildoberfläche vorgestellt sind. Für Judd und Stella sind deshalb Asymmetrie und Balance zusammengehörige und hinreichende Indizien der epistemologischen Kontinuität der „europäischen“ abstrakten Malerei mit der repräsentationalen Tradition. Relationale Komposition als Einrichtung dieser Balance bleibt eine Arbeit der Harmonisierung eines an sich kontingenten, sinnlich-materiellen Stoffs – ob dies die Büsche, Steine und Menschen Poussins sind, das unendliche Fraktal der Natur, oder die bereits gebändigten Bildelemente einer post-kubistischen Abstraktion – mit der gegebenen Einheit und Homogenität der Bildebene, dem ideellen Rezeptor dieses Spiels der Differenzen. Ob im Vollzug dieser Synthese das Rechteck die scheinbare Transparenz des Bildfensters erhält oder nicht, ist daher unwesentlich. Die „Realisierung der Einheit der wechselseitigen Beziehung der Gegensätze“ 489, nach der Formel Mondrians, bleibt, auch wenn die Fläche opak und sogar zu einer taktilen Gegebenheit geworden ist, noch der ausgreifenden Organisationsbewegung analog, die das repräsentationale Bild nicht schlicht als Fenster auf einen Ausschnitt, aber als exemplarischen Entwurf einer onto-epistemologischen Ordnung auf das Ganze seiner Welt bezog. Für Judd ist die Sache damit erledigt. „Relationale“ Komposition als solche ist „rationalistisch“.490 Sie setzt zuviel Ordnung in der Welt voraus. „Wir haben erkannt, daß die Welt zu neunzig Prozent aus Zufall besteht“.491 Dies auszudrücken, durch eine „einfache Form, die weder nach Ordnung noch nach Unordnung aussieht“,492 ist Judds eigenes, wie er meint, bescheideneres oder „glaubwürdigeres“ epistemologisches Ziel. Die non-relationale Ordnung seines Werks – die Reihe oder Serie gleicher Elemente ist ihr Paradigma – soll eine nicht-diagrammatische Ordnung sein, eine bloße Anordnung, die im Hier und Jetzt gebunden wäre und ihre materielle Gegenwart nicht übersschreitet. Judd nennt sie deshalb vorzugsweise lokal. Local order soll so an das Material und den Ort ihrer Verwirklichung gebunden sein wie Lokalfarbe an den Körper, dessen Farbe sie ist. Jede Entrückung über das materielle Hier und Jetzt hinaus wäre ein Nachklang von Repräsentation. Jede diagrammatische Durchlässigkeit oder Exemplarität einer gegebenen Ordnung behauptet, indem sie das bloße „it’s there“ überschreitet, schon zuviel. In der Getrenntheit und gespannten Beziehung der Bildelemente bei Mondrian sieht Judd deshalb nichts anderes als ein Strukturrelikt der repräsentationalen Tradition, einen Restillusionismus im abstrakten Bild, das an sich, seinem inneren Telos nach bereits etwas anderes sein will. „The white in Mondrian’s paintings seems space, the bars objects. The white, if regarded as fine texture, can seem surface. This double function is obviously ambiguous, and is naturalistic.“ (CW II 17) 489 490 491 492

Aus „The New Plastik in Painting“ (1917), NANL 27–74, 46. Wir kommen nachher auf Judds „Rationalismuskritik“ zurück (s. u. , S. 310 ff.). Siehe Glaser, „Questions“ / „Fragen“, 156/44. Ebd.

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Mondrians Bilddestruktion. – Judds Sichtweise ist gewaltsam und simplifizierend wie immer, trifft aber einen wesentlichen Punkt. Mondrians Werk ist tatsächlich alles andere als ein einfacher Bruch mit der repräsentationalen Tradition. Wir gehen in einem Ausblick auf Mondrians Werkentwicklung ein. Sie erlaubt eine Klärung des Begriffs der Abstraktion, die über den naiven Konkretismus und Positivismus Judds und Stellas und im Grunde schon Greenbergs wesentlich hinausführt. Wir lesen Mondrians Neoplastizismus der zwanziger Jahre als aktive Rückwendung und Auseinandersetzung mit dem repräsentationalen Bild in seinen grundlegenden epistemologischen Schichten und Strukturen. Und wir versuchen zu zeigen, dass und inwiefern die „relationale Komposition“ bei Mondrian in diesen Jahren nichts anderes als das Element der Destruktion oder Verwindung der Repräsentation ist – und deshalb gerade nicht ihr Relikt. Die Abstraktion von der Natur, die Abarbeitung des Naturalismus und seiner Strukturreste hat Mondrian 1919 hinter sich. Der Neoplastizismus setzt nach der kubistischen Filterung und anschließenden Begradigung und Klärung der Bildmittel ein, die von da an die Werkzeuge von Mondrians Bilddestruktion sind. Vor allem aber setzt er ein nach der Etablierung des Bildes als Objekt und als Ort. Ein Blick auf Mondrians Arbeit der zehner Jahre (fig. 188–191) kann vor allem dies deutlich machen: die rechtwinkligen Strukturen der schwarzen Linien oder Balken, die ausgehend von der Berührung mit dem analytischen Kubismus seine Kompositionen prägen, sind keine Veranschaulichungen eidetischer oder transzendenter Strukturen „hinter“ dem Erscheinungsbild der Natur. Das Universale, von dem Mondrian in seinen Texten spricht, hat mit einer „platonischen Ideenwelt“ nichts zu tun.493 Ich kann im Folgenden kaum auf Mondrians Texte eingehen, ihr esoterische Ruf aber scheint mir nicht gerechtfertigt. Mondrians Konzeption ist völlig durchsichtig und von den Sketchbook Notes an ist die spinozistische Topologie deutlich ausgeprägt. Das individuelle (oder partikulare) Bewusstsein ist eine Ausfaltung der univoken Substanz wie alle partikularen Seienden (die Modi Spinozas). Die natürlichen imagines, als welche die Dinge dem Bewusstsein sich geben, sind Produkt der Beziehung dieser beiden Partikularitäten – der Natur selbst (natura naturata) und des individuellen (partikularen) Bewusstseins, die in Wahrheit, aber – mit einem Wort, dem Mondrian seine volle epistemologische Härte belässt – unbewusst494 493 Dieses Missverständnis durchdringt die ganze Mondrian-Literatur. Mondrians Texte sind aber

diesbezüglich völlig klar. Ihr spinozistisches Erbe liegt von den Two Sketchbooks (1912–14, hg. v. J. M. Joosten u. R. P. Welsh, Amsterdam 1969, Exzerpte in NANL 15 ff.) an auf der Hand (die Vermittlungswege und Filterungen wären ein Thema für sich). Für viele Kunsthistoriker gehört leider alles, was Philosophie heißt, einer in sich nicht weiter differenzierten höheren Sphäre an, in der sich „platonische Ideen“ und die spinozistische Substanz ohne weiteres mischen (so bei Jaffé, Piet Mondrian, Köln 1971, 33–38). 494 1917 (in „The New Plastic in Painting“) taucht der Ausdruck noch zögernd auf (NANL 65 u. 70 ff.), in „Neo-Plasticism the General Principle of Plastic Equivalence“ (dem Haupttext des Bauhausbuchs Neue Gestaltung, 1925) ist dann ein positives Unbewusstes gegen das natürliche Bewusstsein gestellt (145), wie Mondrian in einem Brief an van Doesburg betont (NANL 133). Die Intuition, die die künstlerische Arbeit lenkt, ist die Membran zwischen diesem positiven Unbewussten, in dem das Subjekt mit dem Universalen einheitlich verbunden ist, und der bewussten (aktuellen und

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verbunden sind, sofern sie je am Universalen, der einen Substanz partizipieren. Die Erscheinungen der Dinge für das individuelle Bewusstsein, die in den limitierenden Kontur geschlagenen Formen im leeren Raum, unterliegen der primären Verzerrung der zeit-räumlich gebundenen (perspektivischen) Apperzeption. In der weitgehenden Verfallenheit der alten Malerei an diese Erscheinungen, die per se schon Bilder (imagines) sind, liegt ihre Unwahrheit und ihre Tragik: sie fesselt das Bewusstsein an den endlich-individuellen Aspekt. Sie redupliziert nur die Struktur des Imaginären, die das natürliche Weltbewusstsein der Subjekte begrenzt und trägt. Dennoch ist in der Malerei der Tradition, und das ist ihr Wert als Kunst, das Gemälde als der Ort aufgefasst, an dem die Erscheinung analysiert und auf ihre essentiellen – und das heißt, weil der Ort eine Fläche ist – planimetrischen Werte befragt werden kann. Das Bild ist eine Falle, aber es ist auch der Ort, an dem die Funktionsweise jener umgreifenden Falle, die die perspektivisch erblickte Erscheinungswelt als solche ist, untersucht werden kann. Das Ziel der Malerei kann daher, wenn sie als Kunst Ausdruck des Universalen ist, nicht sein, sich den „kapriziösen“ Formen der sinnlich gesehenen Natur anzupassen. Die Malerei ist das Medium der Analyse der Bilder. Sie legt sie auseinander auf das hin, was in ihnen nur implizit ist. Sie legt dar, was sie an und für sich selbst betrachtet oder in Wahrheit sind.495 Wir haben gesehen, dass die rationale Perspektive ein solches Paradigma der Bildkritik sein kann, dass sie es in der Renaissance war und es für Duchamp, nach seiner Passage durch den Kubismus, wieder wird. Mondrian sieht diese Möglichkeit nicht, macht sie jedenfalls theoretisch nicht explizit. Er blickt auf die Tradition durch den Filter seines Frühwerks, in dessen symbolistisch unterwandertem Jahrhundertwendenaturalismus sich die „tragische Befangenheit“ allerdings deutlich abzeichnet. Es sind diese glycerinzähen Abendlandschaften, die Mondrian den Geschmack am tiefstehenden Mond und an Baumsilhouetten verdorben haben (fig. 186).496 Und es ist klar, dass es nach der kurzen und schwierigen Verschränkung einer fauvistischpostimpressionistischen Farbanalyse mit dem theosophischen Symbolismus (fig. 187) die Berührung mit dem analytischen Kubismus ist, die das überspannte und libidinös aufgeladene Erscheinungsbild sprengt (fig. 188, 189). Mondrian sieht den Kubismus wie Duchamp als Auf brechung der perspektivisch kanalisierten Beziehung, die das individuelle Bewusstsein auf die Natur bezieht, die ihm – aufgrund dieser Kanalisierung – in partikularen und limitierten (Duchamp sagte: mensurierten) Formen erscheint. Der analytische Kubismus als Multiplikation des Augenpunkts im Umraum eines Objekts beginnt mit der Zerstörung dieses falschen Anscheins der limitierten perspektivischen) Apperzeption der voneinander und von ihm getrennten abständigen Dinge. Ich schematisiere natürlich noch mehr als Mondrian, aber dies scheint mir das spinozistische Gerüst seiner Texte zu sein (nach der Erkenntnistheorie, die zugleich eine Ontologie der NichtErkenntis ist, im zweiten Buch der Ethik). 495 Siehe Baruch de Spinoza, Ethik in geometrischer Methode dargestellt, Buch II, Lehrsatz 32, 33 u. 35. Das Gerüst einer spinozistischen Lektüre von Mondrians Texten habe ich ausführlicher entfaltet in: S. Egenhofer, „Die Abstraktion und die Topik des Imaginären“, in: C. Blümle / A. Schäfer (Hg.), Figur – Struktur – Kontur, Zürich/Berlin 2007, 271–297. 496 NANL 85 f.

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Formen. Er ist technisch die Aufsplitterung des Geometrals der Perspektive, das die Konsistenz der imagines der natürlichen Wahrnehmung ebenso wie der gemalten Bilder der Tradition garantiert. Jedoch zieht der Kubismus nicht die Konsequenz aus dieser Geste, er bleibt bei einer bloßen simultanen Mehrzahl der Blickpunkte stehen, der die Aspekte oder Facetten der dennoch plastisch-kohärenten Dingform entsprechen. Die Partikularität des Bildbewusstseins ist angebrochen, aber nicht aufgelöst. Die ganze Konstellation, deren Ausdruck das Bild (Gemälde) ist, bleibt raum-zeitlich gefangen. Duchamps Konsequenz war die Rückkehr zur strengen (einäugigen) Perspektive und ihre analogische Verdopplung im Scharnier des retard, der die (relative) Synchronizität des räumlich situierten (partikularen, individuellen) Bewusstseins und seiner Welt konstituiert. Mondrian treibt die Analyse des Bildes als Tableau weiter. In dieser Selbstreflexion der Malerei wird es deshalb nicht darum gehen, die Positivität des Bildes, seine Materialität oder sein Dingsein herauszuarbeiten. Was das Bild, mit der spinozistischen Formel, an sich selbst betrachtet oder in Wahrheit ist, ist nicht wiederum ein Ding in seiner limitierten oder, wie Judd sagt, spezifischen Form: das Objekt eines Bildbewusstseins. Das Bild bleibt eine epistemologische Struktur und ein Modell des Weltbezugs des Subjekts. In der Selbstreflexion des Bildes und der Destruktion des perspektivischen Bildscheins geht es um eine Durchdringung und Veränderung dieses Weltbezugs. Es geht um eine Befreiung dieses Bezugs aus der Partikularität des individuellen Bewusstseins und aus der „tragischen Befangenheit“ im Imaginären, das nur eine Seite des Seins, die Seite der Getrenntheit, der distanzierten Objektivität der Natur im individual-zeitlichen Erlebnishorizont begreift und vom universellen, „realen“ oder „ganzen Leben“ 497 – dem Leben, in unserer Topologie, das das Sterben als seine andere Seite einbezieht – abgeschnitten bleibt. Die wesentlichen Schritte dieser Entbindung sind die Zerstörung der limitierenden Form und die Extraktion der Elemente der Bilderscheinung – der drei Primärfarben, der Nicht-Farben schwarz und weiß und der geraden Linie in ihren beiden extremen Richtungen, der Senkrechten und der Waagrechten. So ist das Höchstmaß an Polarisierung, an Distanz zwischen den Elementen erreicht, die natürlicherweise „ineinanderfließen“ und die Erscheinung von begrenzten (konturierten) Formen im leeren Raum ergeben. Elementarfarben haben hier nicht wie in den Bilder der theosophischen Phase eine symbolisch-spirituelle Qualität, sie sind schlicht technisch die äußersten Pole des Felds der Mischfarben, in denen sich jede Produktion eines Bildscheins realisiert – und das Selbe gilt für Schwarz und Weiß und für die Horizontale und die Senkrechte als Pole der sonst ins Spiel limitierter Formen „zerfließenden Winkligkeit“ des Erscheinungsbilds.498 Die Extraktion der Bildelemente ist die Ar497 Die Struktur, nach der „unser ganzes Leben/Sein“ (our whole being) seine unbewusste Seite ein-

schließt und darin am Universalen partizipiert, hat Mondrian zuerst in „Neo-Plasticism: The General Principle of Plastic Equivalence“ (1920) entfaltet (NANL 132–147, 134). Das „reale Leben“, das von derselben unbewussten Partizipation am Universalen bestimmt ist, ist zentrales Motiv in „The New Art – The New Life“ (NANL 244–276). 498 „Confluent angularity“, NANL 37: Form geht aus der Konfluenz der beiden extremen Richtungen zu Kurven und Schrägen hervor. Ich verwende den Begriff der Konfluenz auch in Bezug auf die Farben.

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beit der Abstraktion von der Natur, die Mondrians Werk der zehner Jahre bestimmt. Die späten Bilder dieser Phase zeigen den Grundcharakter dieser Arbeit (fig. 190 und 191). Die kurzen, geraden, bereits weitgehend rechtwinklig ausgerichteten Linienstücke halten die unscharfen Farbflecken auseinander. Es ist wie Schneeschnippen in mehrfarbigem Schnee. Die steifen Linienstücke sperren sich gegen die Tendenz der Farben, der polarisierten, aber formlosen Intensitäten, zum Erscheinungsbild „zusammenzufließen“. Mondrians spätere Linienstruktur muss in Kontinuität mit der instrumentalen Aufgabe dieser Linienstücke und ihrer Arbeit in der Fläche des Bildes gesehen werden. Offenbar steht Mondrians postkubistisches Werk in der Kontinuität der technischen Analyse des Mediums, mit der die Moderne einsetzt. Die Zermahlung der Erscheinung im Impressionismus und Divisionismus ist für die Extraktion reiner Bildelemente die Voraussetzung. Schon dort ist mit voller Bewusstheit der scheinbar natürliche Kontur der Dinge zerstört. Gerade Seurats drahtige, gestraffte Konturen machen das deutlich. Sie erscheinen als Teilungen im Bildschirm selbst, als „Stege“, zwischen denen die losen Farbpixel sich verteilen wie Metallspäne im Magnetfeld der Körpererscheinungen jenseits des Schirms. Und wie die Farbe gesplittert bleibt und gewissermaßen nur aus der Distanz, wie unter magnetischer Influenz sich so ordnet, dass der poröse Anschein von Form und Volumen entsteht, so legt die Linie sich nicht um einen Körper, der in einem leeren Raum exponiert und von diesem sicher unterschieden wäre. In Mondrians postkubistischer Abstraktion, die rasch auf die Frage der Farbe zurückkommt, wird dieser Divisionismus radikalisiert. Die Linien, die aus den Schatten-Facetten des analytischen Kubismus zusammengezogenen schwarzen Balken, sind gerade Linien, die nicht mehr der Fläche ein figuratives Muster auf legen, in das die Farbstreu sich verteilt, sondern die als Stäbe die blockhaft getrennten Grundfarben (und die Nicht-Farbe Weiß) auseinanderhalten. Seurats feinkörniges Mosaik wird vom kubistischen Raster durchgekämmt. Die Linie, bereits bei Seurat eine Struktur im Schirm des Bilds und nicht mehr in einer imaginativen Tiefe des Körperraums, wird gebrochen, und die spektralen Farbpixel, die Regenbogenfarben des Lichts werden zu den Polen der drei plastischen Grundfarben zusammengezogen und allmählich zu den planaren Flächen verdichtet, die, seit sie 1917 einmal isoliert, ohne Liniengerüst auftauchen, Mondrians Bildelemente sind.499 Im gleichen Zug ist die Linie dunkel geworden, eine Extraktion der kubistischen Schattenfacette, die noch am Objekt und seiner Ansicht haftete. In der geraden Linie werden die Raumwerte des Bildes von der Körperform des Dings gelöst. Die Farben, die von den begradigten und verlängerten Linien gefasst werden, sind dynamische Bildelemente, aber keine Figuren oder Formen mehr, da sie geradlinig und rechtwinklig eingeschlossen sind: 499 Darauf, dass es nicht die sieben Farben des Lichts sind, legt Mondrian größten Wert. Bloß keine

natürliche Harmonie! „Vantongerloo now writes me that he has invented an entire system based on the eternity, or rather the unity of the seven colors and the seven tones!!! As you now, he uses all seven of them, for goodness sake, just like the rainbow. With his Belgian intellect he has created an operative system which, as I see it, is based on nature. He hasn’t the faintest idea of the difference between the manner of nature and the manner of art. Now I see how I was right to distinguish conscious from unconscious…“ (Brief an van Doesboerg, 1920, NANL 133).

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„Real form is closed or curved in oppositition to the apparent form of the rectangle, where lines intersect, touch at tangent, but continue uninterrupted.“ 500 Ich thematisiere diese Genese des rein abstrakten Bildes bei Mondrian so ausdrücklich, weil der epistemologische oder technische Sinn dieser Phase zwischen 1912 und 1919 im ganzen neoplastischen Werk Mondrians wirksam bleibt. Mondrian arbeitet nicht daran, die natürliche Erscheinungswirklichkeit zu „durchdringen“, um zu einer eidetischen Struktur „dahinter“ zu gelangen. Er setzt – angestoßen vom analytischen Kubismus, der seine Arbeit aus der „tragischen Befangenheit“ im Naturbild, im individuell-Imaginären heraussprengt – die moderne Medienanalyse fort und radikalisiert sie. Die Extraktion (Trennung und Polarisierung) der Elemente der Erscheinung und die Stabilisierung des Bilds als Ort sind daher nur der erste Schritt auf dem Weg der Abstraktion. 1919 ist auf diesem Weg ein Punkt erreicht, an dem das in Judds und Stellas Augen radikale Problem – die Analogie von relational komponierter und repräsentationaler Malerei – gelöst oder beseitigt ist. Nach einer Reihe von Bildern über mehr oder weniger synkopierten Modulen hat Mondrian mit dem strikten, randparallelen Raster der Checkerboard-Paintings ein Dead-End von NonKomposition erreicht, das nicht überbietbar scheint (fig. 192–194). Die Problematik der Balance – „Man macht etwas in der einen Ecke, und dann balanciert man es aus mit etwas in der anderen Ecke“ 501 –, die Stella noch 40 Jahre später für typisch europäisch hält, ist erledigt. Das Bild als Ort und seine Elemente in ihrer Positivität sind festgelegt. Von hier scheint es nur ein kleiner Schritt zur positivistischen Nachkriegsabstraktion zu sein, der Bestätigung des Bilds als partikularer Form. Das gerasterte Feld ist aber eher Mondrians Gegenmodell zur transparenten Bildebene, dem geometrischen Ort des Bildes im Paradigma der Perspektive. Wie in der rationalen Perspektive die Definition der Bildebene als Schnitt durch die Sehpyramide die Bedingung der Selbstexplikation des Bildes im Rahmen einer allgemeinen Optik ist, so ist die Errichtung des Rasterfelds die Voraussetzung von Mondrians weiterer Arbeit der Bilddestruktion. Deshalb kehrt nach den Checkerboards von 1919 die Komposition zurück. Die bloße Beseitigung der tradierten relationalen Bildstruktur wäre ein „verfrühter Sieg“, ein Ausweichen vor dem Problem.502 Es hieße, die Malerei aufzugeben, ehe man sie „gründlich zerstört“ hat.503 Die bloße Affirmation des Bilds als Ding und Form kann kein Weg aus dem imaginär befangenen Raum sein. Die in Judds Augen nur fatale Strukturhomologie von relationaler Komposition und repräsentationaler 500 NANL 138. 501 Glaser, „Questions“ / „Fragen“, 164/37 502 Mondrian erkennt dies, als er 1919 nach Paris zurückkehrt, auch an den in chthonischen Schlaf

versunkenen Bauern, mit denen ausgerechnet Picasso die Reaktion der zwanziger Jahre einleitet.

503 So Bois in Bezug auf die nicht-völlige Beseitigung der Textur in Mondrians Malerei (Y.-A. Bois,

„The Iconoclast“, in: Piet Mondrian. 1872–1944, Ausst.-Kat. , Den Haag / Washington / New York 1995/96, 313–372, 372). An Bois’ Essay lehnt sich die folgende Darstellung der Entwicklung von Mondrians Bildproblematik an. Den Bezug dieser Entwicklung auf die Destruktion oder Verwindung des repräsentationalen (perspektivischen) Bilds stellt Bois nicht explizit her. Er behandelt sie, wie auch Barnett Newmans Malerei, auf der im vorhinein abgeflachten Ebene der „formalen“ Bildprobleme, zentral des Figur-Grund-Verhältnisses. Die metaphysischen Fragen sind zu semiotischen reduziert.

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Wholeness. Das Format Diesseits des Bildes

Bildlichkeit ist im Gegenteil das Element und die Bedingung der Möglichkeit und der Wirksamkeit einer Destruktion des Bildes, die tiefer reicht als alle Abstraktion im gängigen Sinn. Während das bildoberflächliche Raster der Checkerboards nur eine Schutzmaßnahme gegen den Naturalismus war – und tatsächlich flackerte das tonale Farbfeld unter dem Raster wie ein „Sternenhimmel“ 504 – ist der Neoplastizismus eine Destruktion der strukturellen Voraussetzungen jedes Naturalismus, eine explizite Auseinandersetzung mit dem rational-perspektivischen Tafelbild. Eine Serie kleiner, in etwa quadratischer Bilder von 1921–22 mit einem zentralen offenen, ebenfalls in etwa quadratischen Feld und den nach außen gedrängten drei Farben stellt den Einstieg in diese Arbeit der Bilddestruktion dar (B 125, B 134–141 u. B 144–146).505 Es sind in ihrer Simplizität programmatische Bilder, in deren blockierter Dynamik die kommende Entwicklung gestaut ist (fig. 198–205). Die kräftigen Balken drängen die Farben gegen den Rand. Die Schmalheit der Farbfelder, die vom Format nicht einfach beschnitten sind – fast alle Linien stoppen knapp vor dem Bildrand, die (Phänomen-)Farbe muss also eine plastische Eigenkonsistenz besitzen, um nicht „auszulaufen“ –, die Schmalheit dieser an den Rand gedrängten und dort zusammengedrängten Farbfelder induziert das zentrale, in etwa quadratische Feld mit einer expansiven Kraft. Diese Kraft muss in der Fläche wirken. Sie überträgt sich über die Balken auf die Farbfelder und über die Farbfelder auf die Ränder. Oder gegenläufig: da zwischen den Bildrändern und den Farbfeldern eine dynamische und gewissermaßen taktile Beziehung besteht, muss das zentrale Quadrat in die Oberfläche steigen. Seine Expansion ist ebenenparallel, nicht einfach weil es schon in der Fläche liegt, sondern indem es aufsteigt und dabei größer wird – wie ein sich nähernder Gegenstand. Das Bild ist noch (oder wieder) mit Blick auf seine Vergangenheit als Schacht konzipiert. Die Bildgrenzen sind Ränder und nicht, wie Judd will, der Kontur einer spezifischen Form oder jener planaren Oberfläche, die die Checkerboards rasterten. Das Gebälk der Linien verklammert das Bildinnere mit den Rändern als einem offenkundig anderen, das die Farbe dennoch berührt, nicht nur beschneidet. Die Tendenz der Bildmitte, in der Tiefe zu liegen, wird durch diese Physik der Flächenkräfte bestritten. Die vektorielle Beziehung auf die Bildränder in einem flächigen Diagramm hebt die Bildmitte an. Hinzu kommt in B 125, B 134 und 135 (dort am stärksten506 ) und B 146 (fig. 198, 199, 205) die Andeutung einer punktsymmetrischen Anordnung, einer taumelnden Drehung der Struktur um einen nicht-markierten zentralen Punkt, als würde das Bild aus der Tiefe herausgeschraubt. 504 Eine Analogie, die Mondrian für Checkerboard with Dark Colors selbst herstellt (siehe ebd. , 190). 505 Alle Werkangaben und Katalognummern nach Piet Mondrian. Catalogue Raisonné, Vol. I–III,

hg. v. Robert P. Welsh u. Joop M. Joosten, Inmerc, Blaricum/Paris 1998.

506 B 135 ist außerdem fast genau die punktsymmetrische Drehung von B 134 um 180°. Selten sind

oben und unten bei Mondrian so leicht austauschbar. Beugt sich der Blick hier über eine Bildtiefe, die Tiefe auch für den Schweresinn wäre? Liegt die Bildebene horizontal wie bei Pollocks Wirbelbildern? Natürlich nicht ganz. Aber eine gewisse Verunsicherung der idealen Vertikalität des Bildes ist im Spiel.

Mondrians Bilddestruktion

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Die Ausdrücklichkeit der dynamischen Beziehung von Bildzentrum und Rand macht deutlich, dass die Fläche nicht von selbst flach, nicht von selbst da ist. Zwischen den Rändern, an denen und von denen her das Bild Ding wird, und dem Bildzentrum besteht ein ontologisches Gefälle, das aufzufangen und zu übersetzen die Aufgabe der bildinternen Struktur ist. Die Ränder bilden daher keinen Ausschnitt aus dem „platonischen“ Beziehungsraster der Welt, das das Bild vermöge einer supra-retinalen Sensibilität sichtbar machen würde.507 Aber sie begrenzen (determinieren) die Fläche anders als die Linien, die sie einteilen. Die Ränder gelten zugleich für die Felder, an die sie (oder die an sie) unmittelbar grenzen, besonders für die Farbfelder (da diese gefüllt sind), und für das ganze Bild. Sie überfliegen das Feld des Bildes. Das modulare Raster der Checkerboard-paintings, aber auch der Rauten-Bilder von 1918/19 (B 97–100), das synkopierte Raster von Composition with Grid 7, 1919 (B 101) und selbst die nicht-modularen Gitter von 1918 (B 92–95, fig. 192) und der wenigen Übergangbsilder zwischen den Checkerboards und den Kompositionen, in denen sich das Raster desintegriert (etwa B 104–110, fig. 195, 196) 508, erreichen einen viel gelasseneren Ausgleich von Fläche und Rand. Die Farbfelder haben hier häufig den Charakter von festen Tafeln (Checkerboard with Light Colors erscheint fast unweigerlich als gekachelte Wand), die nur richtig ausgelegt werden müssen, um das Feld ohne einen Rest oder ein Loch leeren Bildgrunds zu füllen. Dennoch springt Mondrian von diesen verfrühten Lösungen des Figur-Grund- und Kompositions-Problems erst ab in die eigentliche Arbeit des Neoplastizismus. Eine verfrühte Lösung sind die Checkerboards insofern, als gerade in ihnen eine Art Naturalismus aufscheint. Das Raster liegt ebenenparallel in der Bildfläche. Hinter ihm bilden die Farben durch die rhythmische Wiederholung und die Tonalitätssprünge – es sind nicht die reinen Elementarfarben – ein pulsierendes Feld. Die Unbezüglichkeit von Raster und Farbe stellt eher eine technifizierte und vergrößerte neoimpressionistische Bildform dar (einen szientifischen Naturalismus). In den Bildern des Neoplastizismus dagegen, erscheint jede Farbe – reine, ungetrübte Elementarfarbe nun – nur ein Mal, und zwar so, dass die Farbfelder nicht nur von den Linien getrennt, sondern von Nicht-Farbe (Weiß oder Hellgrau) gegeneinander abgesperrt sind. Dies ist eine Grundregel des Neoplastizismus, an die Mondrian sich von 1921 bis zu den späten Bildern, in denen die Farbe sich von der Linie löst, weitgehend hält. Die frühen, kleinen und paradigmatisch einfachen Bilder der genannten Serie, die den Einstieg in den Neoplastizismus markieren, machen den epistemologischen Sinn dieser Grundregel deutlich. Während noch in den Übergangsbildern zwischen den Checkerboards und den ersten 507 Zur Auffassung der Bilder als Ausschnitte laden vor allem natürlich die rautenförmigen Kompo-

sitionen Mondrians ein (siehe den Text von Max Bill, „Die Komposition I/1925 von Piet Mondrian“ [=B 169] im Kat. Bern 1972). Ich kann die spezifischen Probleme der Rautenbilder hier nicht behandeln. Dem Bildproblem, wie es sich Mondrian zwischen 1920 und 1932 stellt – als Vermittlung der partikularen Gegenwart des endlichen Bilddings mit dem Potential universaler Repräsentation, die in der Abstraktion der Bildmittel vorbereitet ist – wird die Auffassung des Bildes als Ausschnitt aber grundsätzlich nicht gerecht. 508 Das Hauptfeld von B 107 (fig. 195) ist z. B. durch 9 Quadrate gegliedert, aber dieses implizite Raster ist links oben aufgelöst.

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neoplastischen Kompositionen (B 104–110) sich wiederholende Farbfelder als stabile Paneele in ein (dereguliertes) Raster eingesetzt sind, ist nun eine expansive Dynamik – eine Dynamik, die mit dem Auftauchen des „zu großen“ und „zu hellen“, leeren Quadrats in B 114 (fig. 197) von 1920, dem „ersten eigentlich neoplastischen Bild“ 509, sich ankündigt – ein zentrales Moment in der Logik der Komposition. Die Linien oder Balken drängen die Farben auseinander. Sie „determinieren“ sie, wie Mondrian sagt. Sie stellen sich gegen die Ausbreitungstendenz der Farben und damit gegen ihre Vermischungstendenz, gegen den Sog ihrer Konfluenz zum natürlichen Erscheinungsbild, aus dem sie die analytische Arbeit der zehner Jahre herausgezogen hat. Ohne das gegen den Rand gestemmte Liniengerüst, fiele die Farbe in die imaginäre Bildtiefe und die Reproduktion der partikularen Naturerscheinung zurück. Dieser Irrealis ist der Bildlogik negativ eingeschrieben. Diese kleinen Bilder, die einfachsten Kompositionen in Mondrians frühem Neoplastizismus, formulieren die Aufgabe der Destruktion des Bildes in exemplarischer Direktheit. Sie setzen ihr einen Ausgangspunkt. Und die Arbeit geht über verschiedene Stufen bis zu einem Kompositionstyp, den Yve-Alain Bois treffend als „classical type“ bezeichnet hat. Die wichtigsten Zwischenschritte sind die Bilder, in denen das große zentrale Feld seitlich geöffnet ist (fig. 206, 207, 209), die schlichten harmonischen Hochformate von 1927 (fig. 210, 213) und einige „quadratische“ Versionen eines kompositorisch nahezu analogen Typs (fig. 208, 211). Die Entwicklung gegenüber dem „primitiven“ Bildansatz der frühen Serie (mit eingeschlossenem „Quadrat“) macht seine variierte Wiederholung 1926–28 deutlich (fig. 208, 211): Auch hier ein großes, eingeschlossenes nahezu quadratisches Feld (in einem ungefähr quadratischen Format) und eine Verteilung der Farben und Linien an den Rändern. An die Stelle der expansiven Dynamik der Farbe und der seitlichen Verspannung des Linien-Gerüsts gegen die Bildränder ist nun ein ruhiger Ausgleich getreten. Zum einen sind die Linien schmaler (es sind keine „Balken“ mehr) und laufen meistens bis ganz an den Bildrand, vor allem aber treten Linienkreuzungen auf (fig. 208), die einen Fixpunkt im Bildgerüst markieren. In der frühen Serie ist das Herandrängen der Balken gegen den Rand auch durch ihre Verschiebbarkeit gegeneinander angezeigt. Nun scheint ein Gleichgewicht der Flächenkräfte des Bildes erreicht, das das Zentrum nicht mehr gegenüber dem Rand prädestiniert erscheinen lässt, noch umgekehrt. Der Kreuzpunkt zweier Linien wird zum Angelpunkt einer in die Fläche gehängten Waage. Diese Ausgeglichenheit der Komposition steigert – nach der Vermittlung von B 206 (fig. 214) und 203, die seine Struktur antizipieren, aber noch die dynamische Disproportionalität der Bilder mit Quadrat aufnehmen – der von Bois so genannte „classical type“, auf den Mondrian immer wieder zurückkommt. Zwischen 1928 und 1932 entstehen 11 Bilder dieses Typs,510 die meisten davon in exakt quadratischem Format, was

509 Bois, „The Iconoclast“, 323. 510 Es sind B 204, 213, 215, 221, 225, 227, 228, 230, 232, 233, 234. Bois zählt 1994, vor dem Erscheinen

des Catalogue raisonné, nur acht Versionen, ohne sie zu spezifizieren („The Iconoclast“, 353).

Mondrians Bilddestruktion

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vorher und nachher eher selten ist.511 Hier ist das Zentrum, das in der frühen Serie um die leere Bildmitte taumelt und um dessen Anhebung in die Fläche die Komposition „ringt“, im Balancepunkt des verschobenen Fadenkreuzes der zwei Hauptlinien stillgestellt – der Horizontalen, die das Bildfeld etwas unterhalb der Mitte durchläuft, und der Vertikalen, die es harmonisch teilt (fig. 216–222). „Poussin“, notiert van Doesburg in sein Tagebuch – und Mondrian, meint Bois, fühlt seinen „Atem im Nacken“.512 Die Ruhe des neoplastischen Bildes, schreibt er 1931 wie in einem Selbsteinwand, soll nicht der kathartischen Ruhe des Landlebens, der Ruhe des alten Herrn im Lehnstuhl ähneln.513 Er sieht offenbar die Gefahr, Matisse zu nahe zu kommen und die futuristische Militanz und die Jazzbandtrompeten zu verraten. Die „Ruhe“ oder „Harmonie“ des neoplastischen Bilds, soll aus der „dynamischen Opposition“ seiner Elemente resultieren. Die wechselseitige Löschung der Partikularitäten im Element der exakten oppositionellen Relationen, das ist das Schema, dem gemäß Mondrian die angestrebte Entbindung des Universalen (des univoken Seins) zu denken und technisch zu realisieren versucht. „When [Neo-Plasticism] speaks of equilibrated relationship, it does not mean symmetry but constant contrast.“ 514 Dieses „Gleichgewicht“ ist eher im rhythmischen Bildwechsel, im Puls der Großstadt zu erfassen, in dem sich die Bilder (imagines) überlagern und wechselseitig löschen, als in der Ruhe eines Landschaftsraums, eher in den Synkopen des Jazz als in den Harmonien der Klassik.515 Die allzu natürliche Harmonie der Komposition des „classical type“ droht einem Zurücksinken in die organische Form gleichzukommen. Die Konfluenz der „konstanten Kontraste“ zum Erscheinungsbild würde durch das Melos der artikulierten Fläche ersetzt. Die Arbeit des Neoplastizismus würde nicht in einer Annihilierung des Bildes als Modus individuierten (partikularen) Bewusstseins enden – sondern das Bild würde selbst zur partikularen Form, die einen universalen Einklang mit der Natur im Element mathematischer Proportionen realisiert. Ein Pythagoreismus der Proportion ist aber das letzte, was Mondrian vorschwebt. Dennoch, mehr als zehnmal wiederholt er im Lauf von vier Jahren diese prekäre, allzu harmonische Komposition „Poussin’schen“ Typs. Es steht viel auf dem Spiel.

511 Die quadratischen Formate sind, auch in anderen Kompositionstypen, am häufigsten in den Jah-

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ren 1926–1932 (z. B. die Gruppe B 207, 214, 216 [fig. 215], 217, 220, 235). Nach 1932 verschwinden exakte Quadrate wieder völlig (bis auf zwei unvollendete Bilder von 1938 und 1940), um erst mit Broadway Boogie-Woogie, dem größten Bild Mondrians, „triumphal“ zurückzukehren. Ich zähle die „Rauten“ – auf die Spitze gestellte Quadrate – hier nicht mit. Sie sind nur den Maßen des Trägers nach, nicht als Bilder quadratisch. Bois, „The Iconoclast“, 356. „Realist and Superrealist Art“ (1930), NANL 229. „Down with Traditional Harmony“ (1924), NANL 190 f. , 191. Den Großstadtrhythmus versucht Mondrian in den „Two Paris Sketches“ von 1920 mit sprachlichen Mitteln des Futurismus zu realisieren (NANL 124 ff.). Zum Naturalismus in der in ihren Mitteln per se abstrakten Musik siehe beispielsweise das Bauhausbuch: „Ebenso wie die sieben Farben des Prismas sich in der natürlichen Erscheinung vereinigen, ebenso verschmelzen sich die sieben Töne der Musik als einzige Erscheinung. In ihrer natürlichen Ordnung drücken die Töne wie die Farben die natürliche fließende Harmonie aus“ (Bauhausbuch, 23/NANL 144).

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Wholeness. Das Format Diesseits des Bildes

Epistemologisch ist die Spannung von Fläche und Tiefe in der klassischen Komposition gelöst. Es braucht keine seitlichen Expansionskräfte mehr, um die Fläche auf die Höhe der Ränder zu heben. Von dem Andrang des zentralen Felds gegen die begrenzenden Balken in der frühen Serie ist nur in dem schwachen Aufquellen der einzigen eingeschlossenen Fläche rechts unterhalb der Mitte noch etwas spürbar. (Genealogisch – B 206, fig. 214, u. B 203 hinzugezogen – ist diese Fläche der Nachkomme des zentralen Quadrats von 1921/22.) Die Horizontlinie und die eine Vertikale bilden nun tatsächlich eine Waage, deren Angelpunkt, in der Fläche liegend, lokal und funktional die Stelle des Fluchtpunkts des perspektivischen Bildes einnimmt, darin von der landschaftlichen Proportion der horizontalen Teilung bestätigt. (Die Horizontale liegt in der natürlichen Höhe eines Landschaftshorizonts im Sehfeld eines stehenden Menschen.) Die Farbfelder – auch hier am Rand des Bildes gehalten – sind nicht einfach frei bewegliche Gewichte, sie sind nach wie vor Flächenkräfte (wie das zunehmend auch die Nicht-Farben Grau und Weiß werden), aber sie haben die ihnen angemessene Größe. Sie drängen nicht gegen die Ränder noch gegen die Balken. Selbst nicht oder kaum das schmale, stützende Feld am unteren Rand. Und nun erst, in diesem Moment einer prekären Ruhe, kann Mondrian das perspektivische Tafelbild an der Wurzel zerstören. In den Checkerboard paintings lag das lineare Raster über dem flackernden Farbfeld: ein gerasterter Naturalismus. Die ersten neoplastischen Arbeiten hatten das Problem der epistemologischen Tiefe des Bildes viel gründlicher erfasst: Das Kräftediagramm der Serie von 1921/22 ist der Ansatz, das „tragische“, aspektgebundene Weltverhältnis des perspektivischen Sehens auszuhebeln. Im klassischen Bildtyp von 1928–32 ist das Zentrum in die völlig ebene Komposition eingelassen. Mondrian hat das perspektivische Bild für seine Zerstörung präpariert. In Composition B, with Double Line and Yellow and Grey, 1932, wird die Horizontlinie – die Saite, deren Schwingung einer natürlichen Harmonie schon zu nahe erschien – gespalten.516 Es ist einer der bildgeschichtlich entscheidenden Momente in der Geschichte der modernen Malerei. Die Bildfläche ist nun epistemologisch konvex! Sie drängt vor, und sie teilt die Linien, sie lässt die Linien sich teilen und verteilen wie Schattenstriche (fig. 223–230). Wenn nun das Raster wiederkehrt, ist es ein dynamisches, ein synkopiertes, ein Jazzband-Raster, unter dem sich die Bildebene gewissermaßen „wölbt“ (so dass die Linien oft außen dichter liegen). Der repos des klassischen Bildtyp ist in einen radikalen Dynamismus überführt. Das synkopische Raster liegt nicht mehr als repetitive Struktur über einer im Herzen naturalistischen Abstraktion wie in den Checkerboards. Deshalb fallen Raster und Farbe nicht mehr auseinander, die Farbe muss nicht mehr gefasst werden, um nicht in eine naturalistische Tiefe zu stürzen und sich zu mischen. Es ist nun die Möglichkeit einer nicht von einer Linie begrenzten (durch „ihr Gegenteil determinierten“) Farbe gegeben, und der Weg über die selbst farbige Linie zum Zerbrechen 516 Ich kann nicht sehen, dass die Doppellinie bei Marlow Moss, die sie zu Mondrians erstauntem

Unwillen um 1930 „erfunden“ hat, eine analoge Funktion hat. Siehe dazu Carel Blotkamp, Mondrian. The Art of Destruction, London 1994, 204 ff.; und Y.-A. Bois (Hg.), „Lettres à Jean Gorin“, Macula 2, 1977, 128 f.

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der Linie in die vibrierenden Farbrechtecke vorgezeichnet, die in Broadway Boogie Woogie und Victory Boogie Woogie an die Oberfläche steigen (fig. 231–235): eine rhythmische Gestaltung von Intensitäten. Der verfrühte Sieg von 1918/19 ist abgegolten und in einen wirklichen Sieg verwandelt. 1932, mit der Spaltung des Horizonts hat das Bild seine Präsenzebene durchquert. Mondrian hat die Episteme des Bildes umgekehrt. Es ist aus seiner repräsentationalen, seiner memorialen Anbindung gelöst517 und in ein aktives, ein überströmendes Verhältnis zur Zukunft versetzt.

Amerika – Amerika! – „I’m on my way to America“ – soll Mondrian gesagt haben, als er 1938 in England ankam.518 Aber erst als im Herbst 1940 neben seinem Atelier eine Bombe einschlug, brach er nach New York auf. Wir haben mit Broadway Boogie Woogie und Victory Boogie Woogie den Atlantik schon überquert. Der Bruch mit dem tradierten Bildkonzept, den Mondrian in seinen letzten Lebensjahren vollzieht, ist abermals tief. Erst in New York erkennt er in der schwarzen Linie das Erbe der klassischen Bildstruktur und gibt sie auf. Es ist in der Tat evident. Die schwarze Linie, die als Gerade zwar keine limitierte Form generiert, aber doch die „feminine“ Vermischung der Farben, der Intensitäten verhindert, ist nichts anderes als disegno. Und in ihr Verhältnis zur Farbe bleibt das ganze ontologische Gewicht der tradierten Dichotomien von eidos und hyle, Form und Materie, Intellekt und Sinnlichkeit und die Ökonomie ihrer Konnotationen eingeschrieben, die den europäischen kulturgeschichtlichen Raum prägen. „Only now,“ schreibt Mondrian 1943 an einen Interviewpartner, „I become conscious that my work in black, white and little color planes has been merely ‘drawing’ in oil color“; und: „I think the destructive element is too much neglected in Art.“ 519 Nach dreißig Jahren der Arbeit hat Mondrian die Deterritorialisierung der Repräsentation vollzogen. Er hat sie vollzogen im „Medium“ der Malerei und ist nicht zur direkten Gestaltung der Umgebung, der politischen und architektonischen übergesprungen wie um 1920 die russischen Konstruktivisten und bald viele andere. Radikaler vielleicht und jedenfalls langwieriger520 als dieser logische Schritt über die Repräsentationskritik hinaus zur plastischen und politischen Gestaltung des Raums 517 Die memoriale Bindung des Bildes ist gewiss radikal, wie Boehm schreibt – „Das Bild ist in einem

radikalen (nicht gattungsbezogenen) Sinne memorial, d. h. es bezeugt den Tod.“ (G. Boehm, „Zu einer Hermeneutik des Bildes“, in: Gadamer/Boehm, Die Hermeneutik und die Wissenschaften, Frankfurt a. M. 1978, 470) –, diese Bindung greift tief, sie ist schwer zu lösen, aber sie ist keine strukturell-allgemeine Bestimmung des Bildes als solchen, wie Mondrian zeigt. Die Spaltung des Horizonts ist Zerstörung eben der Wurzel der memorialen Bindung. Sie befreit die Malerei vom „Geist des Alten“, der Repräsentation und ihrem bewusstseinstheoretischen Modell, der Erinnerung. Mondrian ist einer der wenigen modernen Künstler, der das erreicht hat. Seine Malerei, er betont es seit den zwanziger Jahren unaufhörlich, bezeugt das Leben. 518 Michel Seuphor, Piet Mondrian. Leben und Werk, Köln 1957, 171. 519 NANL 356 u. 357. 520 „C’est vrai, une nouvelle forme de tableau peut naître, mais, je crois, cela exige une préparation très longue.“ Mondrian an Gorin, 1934, in: Bois (Hg.), „Lettres à Jean Gorin“, Macula 2, 1977, 131.

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und der Welt diesseits der Bildebene, sosehr dieser Schritt zum Horizont auch von Mondrians Arbeit gehört, ist die epistemologische Umkehrung der Zeitausrichtung des Bildes, das dennoch Bild bleibt – und in dessen Idealität Mondrian in seinen späten Texten die Voraussetzung gerade auch seiner politischen Resistenzkraft sieht: „Plastic art is a free aspect of life. Not being bound by physical and material conditions, it does not tolerate any oppression and can resist it. It is disinterested, its only function is to ‘show.’ It is for us to see what it reveals.“ 521 Die Destruktion des Bildes im Bild, die Ablösung vom „Geist des Alten“, der Schwerkraft der Erinnerung, die sich in der Spur der Schuld konstituiert (Duchamp sagte Reue für Retention), diese Umkehrung der Zeit-Ausrichtung des Werks auf die Zukunft ist aber keine Arbeit, die im Elfenbeinturm eines weißgestrichenen Ateliers oder mit den Scheuklappen eines blinden (oder esoterischen) „Optimismus“ stattfinden könnte. Sie ist mit der Reflexion der technischen Entwicklung der Moderne und mit einer Wachheit für die geschichtliche und politische Situation immer verschränkt gewesen. Mondrians geografische Bahn ist dafür mehr als ein Symptom. Die letzten großen Bilder der europäischen Moderne entstehen nicht zufällig an diesem anderen Ufer, in Amerika. Und dennoch gibt es hier keine Weitergabe des Stabs. Nicht zu Pollock und Newman und erst recht nicht zu diesen allzu selbstbewussten jungen Männern, die Judd und Stella Anfang der sechziger Jahre sind. Ich habe die Differenz Europa/Amerika schon hinsichtlich der Zeitlichkeit des Bildes formalisiert, das der Abstrakte Expressionismus von seinem eschatologischen Horizont abschneidet. Pollock und Newman haben diesen Horizont schon deshalb nicht, haben ihn nicht vor sich, weil sie in diesem Land geboren sind, das für die europäische Moderne – wie andererseits der Sozialismus – noch ein mehr oder weniger „messianisch“ versprochener Name ist. Für sie ist Amerika der sehr konkrete Kontinent, in dem sie die Wirtschaftskrise, die Depression, den New Deal, den Kriegseintritt erlebt haben. Für Pollock gibt es noch die Great Plains des Westens, wo er geboren ist, und in Springs stellvertretend den Atlantik, aber das sind mythische Landschaften, keine geschichtlichen Horizonte mehr. Ich glaube, dass dieses Faktum, dass für die amerikanischen Künstler der Erdball rund geworden war und seit Pearl Harbor vom „Westen“ gewissermaßen überzogen, die Differenz von europäischer und amerikanischer Moderne entscheidend mitprägt. Die Konvergenz von technischer Modernisierung und demokratischer Gesellschaftsordnung, dieser Topos Amerika, ist für die Formation der Avantgarde in New York im publizistischen Raum zwar bestimmend gewesen, aber seine Strahlkraft hat er spätestens mit dem Abwurf der Atombome verloren.522 Die Differenz zwischen Amerika als Horizont der europäischen Moderne und der Realisierung der Moderne in Amerika bleibt deshalb einschneidend. Um diesen Bruch nicht zu glätten, um zumindest die Bewegung von Mondrians Ikonoklasmus nicht unvermittelt 521 „Liberation from Oppression in Art and Life“, mit dem früheren Titel: „Art Shows the Evil of

Nazi and Soviet Oppressive Tendencies“, 1939–40, NANL 320–330, 320.

522 Zu dieser publizistischen Situation siehe bes. Guilbaut, How New York Stole the Idea of Modern

Art (1983) und Leja, Reframing Abstract Expressionism (1993). Auf ein gewisses Überschwappen der europäischen Idee von Amerika auf Greenbergs Paradigma in den unmittelbaren Nachkriegsjahren haben wir schon hingewiesen.

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in den Präsenz- oder Objektbegriff Judds und Stellas – die beide von seiner Problemstellung so gut wie nichts mehr sehen – münden zu lassen, möchte ich schematisch das Verhältnis Newmans und Mondrians skizzieren, das eines der entscheidenden Scharniere in der Beziehung Amerika/Europa bleibt.523 Mondrian entwickelt die Theorie des Neoplastizismus – parallel zur (post-)kubistischen Abstraktion von der Natur – während des ersten Weltkriegs. Die Zerstörung der partikularen Form – der alten, im Individuum zentrierten Welt – findet im Zusammenbruch der nationalstaatlichen Ordnung ihre Resonanz (und umgekehrt).524 Newman beginnt nach 1945 wieder zu malen. Mondrians Werk ist in die zwei ZeitHorizonte der Zerstörung des Alten und der Entbindung des Neuen eingespannt. Für Newman ist einerseits die Auslöschung der Bildüberlieferung Voraussetzung. „ I had to start from scratch as if painting didn’t exist, which is a special way of saying that painting was dead. I felt that there was nothing in painting that was a source that I could use…“ 525 Andererseits ist die Zuversicht, mit der Mondrian auch auf die technische Entwicklung der industrialisierten Welt, auf Amerika als Versprechen blickt, nachdem das volle Ausmaß der Zerstörung des Kriegs und des Holocaust sichtbar geworden war und nach dem Abwurf der Atombomben nicht mehr haltbar gewesen. „After all it was an American boy, who did it“, schreibt Newman 1947.526 Auch der eschatologische Horizont von Mondrians Werk ist für ihn abgeschnitten. Newmans einziges Thema ist deshalb von den ersten erhaltenen Arbeiten an der Anfang. Ein Anfang, den er in seinem Frühwerk noch in Bezug auf griechische und alttestamentarische Mytheme und in einem aufgelöst surrealistischen Formenvokabular artikuliert – die Geburt der kosmischen Ordnung ist analog zur Geburt des Bilds aus dem Chaos des Unbewussten. Es ist dann aber zweifellos das Abstraktionsniveau von Mondrians Werk, das Newman klar macht, dass seine an Miró und Masson orientierte Sprachform den Anforderungen der Modernität der Malerei nicht gewachsen ist. Mondrian hat die Grammatik der Malerei auf ein post-mythisches Niveau gehoben.527 Das Thema des Anfangs muss deshalb im Präsens – im Modus der sinnlichen Unmittelbarkeit der Bildmittel – erzählt werden.528 Es ist ein Anfang quer zur Zeit, 523 Zu dieser Beziehung exempl. der Kat. Europa/Amerika. Die Geschichte einer künstlerischen Faszi-

nation seit 1940, Museum Ludwig Köln, Köln 1986 (dort bes. der klassische Text von Imdahl „Zur Bild-Objekt-Problematik…“, 245–55 [wiederpubl. in: Imdahl, GS Bd. 3]; und zu den beiderseitigen „Mythen“: Rafael Jablonka, „Begegnungen“, 17–23). Zu Amerika als Horizont der Deterritorialisierungsbewegung bei Deleuze, Marcus Steinweg, Bataille Maschine, Berlin 2003, 59 ff. 524 So das de Stijl-Manifest vom November 1918, NANL 24. 525 SWI 302 f. Der vorausgesetzte Tod der Malerei ist einer der zentralen Topoi in Newmans Reflexion (s. etwa auch SWI 191). Newman nimmt ihn methodisch für jedes seiner Bilder in Anspruch: „I start each painting as if I had never painted before“ (SWI 248). 526 SWI 169. 527 Siehe die unter dem Titel „The Plasmic Image“ versammelten Texte von 1945 (SWI 138–155). Daneben v. a. „Letter to Clement Greenberg“ (SWI 161–64). Im Frühjahr 1945 hatte Newman die Retrospektive Mondrians im Museum of Modern Art (21. 3. – 13. 5.) gesehen. 528 Das ist das Einstiegsargument von Bois in seine Analyse der Wahrnehmungserfahrung von Newmans Malerei („Perceiving Newman“, in: ders. , Painting as Model). In Abwehr einer falschen Sakralisierung zieht sich Bois in diesem inzwischen kanonischen Text hinter den Filter der sechziger Jahre zurück und liest Newman als den Proto-Minimalisten, zu dem er erst rezeptions-

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das Aussetzen der Kausalfolge, das die Form der Freiheit ist. Während Mondrians Doppellinie den Horizont spaltet und das Bild aus der Anbindung an die Repräsentation löst, spaltet Newmans zip die Präsenzebene selbst des Bildes und öffnet seine Gegenwart auf das Früher des Es gibt (fig. 240, 242). Die beiden Zeithorizonte schlagen zur Vertikalen der Freiheitsbehauptung im Akut zusammen. Newmans sense of place oder sense of space,529 der von diesem vertikalen Aufriss gezeichnet ist, hat deshalb nichts mit dem homogen-ausgegossenen Raumvolumen Judds zu tun – und die Präsenz des Werks, die auch er anstrebt, nichts mit dem dinghaft-voluminösen Dasein einer Bildscheibe. Newman bekämpft diesen Objektivismus und Positivismus als den neuen Totalitarismus der verwalteten Welt, „der neuen Pyramide“ 530, die die geometrische Abstraktion in Europa nach dem zweiten Weltkrieg in so schüchterner Weise hofiert und in deren Innenraum Judd und Stella definitiv Platz genommen haben. „In a world of geometry, geometry itself has become our moral crisis“, schreibt er in einem seiner emphatischen Texte der 50 er Jahre: „Unless we face up to it and discover a new image based on new principles, there is no hope for freedom. (…) Only an art of no geometry, can be a new beginning“.531 Newmans „new image based on new principles“ impliziert die Zerstörung der Szene, des Rahmens und Elements präkonstituierter Präsenz im Bild. „No geometry“ ist keine formal-deskriptive, sondern eine transzendentale oder epistemologische Charakteristik der Bildstruktur. Der zip ist kein Bildelement, sondern ein Riss im Format (fig. 239, 242). Ein Riss, der das Bild auf die nicht-positivierbare Dimension des Anfangs oder der Freiheit öffnet.

geschichtlich geworden ist. Bois erscheint der Topos des Sublimen daher nur als der Einfallsort der religiösen Gespenster, die etwa R. Rosenblum beschwört (s. Rosenblum 1961 und 1975 in der Bibl.). Für uns ist mit dem Sublimen oder Erhabenen dagegen die Struktur der Öffnung der konstituierten Präsenz, der von den Synthesen der Einbildungkraft getragenen Form der Objektivität, auf das Es gibt oder das Früher der Gebung bezeichnet. Es ist der Ort der Krise des gegenständlich-perspektivischen Scheins – und für das Subjekt die Stelle der Überkreuzung von Imagination und Freiheit. Diese Struktur ermöglicht eine historisch genauere Lektüre des Werks und der Texte von Newmans als Bois’ Merleau-Ponty’sche Wahrnehmungsgymnastik. 529 Siehe neben „Ohio, 1949“ (SWI 174 f.), dem Text, der von der Entdeckung dieses Raums, des „spatial dome“ (SWI 250) angesichts der indianischen Grabhügel in Akron, Ohio handelt, vor allem die späteren Interviews mit Seckler (SWI 247 ff.), Sylvester (SWI 254 ff.) und die „Response to the Reverend Thomas F. Mathews“ (SWI 286 ff.). Ich habe versucht, diese Texte im Zusammenhang von Newmans Schriften zu interpretieren, in: S. Egenhofer, The Sublime Is Now, Koblenz 1996 (bes. Kap. V, „Ohio, 1949“, 99 ff.). 530 SWI 179. 531 EBd. Der zitierte Text bedürf te einer ausführlichen Interpretation, die vor allem auch die Wanderung der Pyramide durch Newmans Texte verfolgt, wo sie 1947 als „symbol of hieratic thought“ und Modell des sublimen (amerikanischen/primitiven), nicht schönen (europäischen/klassischen) Werks erscheint, eines Werks, dessen Inhalt seine Form transzendiert („The New Sense of Fate“, SWI 164 ff. , 166); 1949, im Moment der Entdeckung seines auf das Es gibt geöffneten space (oder place) sieht er sie in perspektivische Ferne gerückt – als „nothing but an ornament, what difference if the shape is on a table, a pedestal, or lies immense on a desert?“ („Ohio, 1949“, 174 f.) – und 1959 erscheint sie dann als die „neue Pyramide“, in deren Raum der (expressionistische) Künstler, seine Ekstasen inszeniert – unter dem „Baldachin der Triangulation“ und im Rahmen jenes szenischen Bildraums, den die „art of no geometry“ sprengen soll.

Amerika – Amerika!

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Der ihm den „minimalen Befehl: Sei“ 532 einschreibt, wie Jean-François Lyotard in Anlehnung an einen typischen Bildtitel Newmans sagt, einen leeren Befehl, der im Raum der geschlossenen Kalkulatorik von Nutzen und Effekt, im Raum unter „der neuen Pyramide“ eine hyperbolische Sprengkraft gewinnt. „Almost fifteen years ago“, sagt Newman in einem Gespräch Anfang der sechziger Jahren, „Harold Rosenberg challenged me to explain what one of my paintings could mean to the world. My answer was that if he and others could read it properly it would mean the end of all state capitalism and totalitarianism. That answer still goes.“ 533 Eine solche hyperbolische Sprengkraft traut sich das in sich zurückgebundene minimalistische Objekt nicht mehr zu. Die ästhetische Erfahrung als Schema oder Vorriss der Freiheit des Subjekts, dieses klassische Motiv der nach-kantischen Ästhetik scheint mit dem Modernismus gestorben zu sein. Der White Cube ist eine Zelle, eine Betriebseinheit im Bau der „neuen Pyramide“. Die Druckkammer Stellas, Morris’ situation und Judds real space sind geschlossene, ontologisch homogene Räume, die eine akut ereignishafte Transzendenz sowenig zulassen wie eine eschatologische oder repräsentationale. Dennoch ist Newmans Komprimierung der Werkerfahrung im Here and Now für Judds und Stellas Präsenzbegriff eine Voraussetzung. Sie trägt mit zur Trennung vom Boden der europäischen Bildgeschichte bei. Nach dem Abstrakten Expressionismus ist der „Utopismus“ der europäischen Moderne eine Zeit lang out. Das Ziel einer Herausarbeitung der Objekthaftigkeit des Bildes ist bereits durch eine Kluft von der Arbeit der bildanalytischen europäischen Abstraktion geschieden und ist in keiner Weise ihre radikalisierende Konsequenz, wie Stella und Judd annehmen. Mondrians Werk zielt nicht auf die Herstellung eines emphatischen Dings, er will in der Malerei den standpunktgebundenen Aspekt und die partikulare Form zerstören – eine epistemologische Aufgabe, die sich mit dem Bild in der ihm eigenen Sinndimension, der Weise seines Weltbezugs als Bild auseinandersetzt. Judd will wie Stella das ganze Bild als selbst partikulare Form („a definite whole“ 534 ) begreif lich machen – eine morphologische Aufgabe, in der die Bildelemente nurmehr auf ihre Eignung hin angesehen werden, die Form des Bildes als Objekt („a plane one or two inches in front of another plane, the wall“, CW I 182) zu bestätigen. Diese Verkürzung oder Abschneidung des Bild-Problems ist bereits Indiz von Judds Stellung diesseits der great divide, die Pollocks und Newmans Werk für ihn darstellen,535 auf ihrer abschüssigen, verschatteten Seite. Das Werk Stellas bewirkt den Paradigmenwechsel nicht, es setzt, neben dem doppelten Zwang, der von Reinhardts und Johns’ opponierenden Bildkonzepten ausgeht, die von Mondrian geleistete und von Newman und Pollock verschärfte Destruktion des Bildes voraus. Um dies auf die engere Fragestellung von Komposition und non-kompositorischer wholeness zurückzulenken: es ist die systematische Deklination und Artikulation der impliziten 532 533 534 535

J.-F. Lyotard, „Der Augenblick, Newman“, in: ders. , Das Inhumane… , Wien 1989, 157. SWI 251. Glaser, „Questions“ / „Fragen“, 154/40. Siehe CW II 16 und allg. „Abstract Expressionism“, CW II 37 ff.

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Symmetrien und realen Maße des Bildträgers als gegebener Form, die Stellas Serien zu der bis dahin konsequentesten Realisierung von non-relationaler Ordnung und wholeness in der Malerei machen. Und es ist ihr strikter Gegensatz zum „europäischen“ Konzept von Bildlichkeit, der für Judd, für den Stellas Frühwerk eine Art paradigmatischen Sichtrahmen darstellt, die ganze Problemstellung Mondrians unsichtbar macht. Bei Stella ist keines der Bildelemente mehr virtuell beweglich. Visuelle Gewichte oder Expansionskräfte spielen keine Rolle. Jedes Element impliziert das finite Ganze, von dem es abgeleitet und dessen nebengeordnetes Glied es ist. Über das Verhältnis von Teil und Ganzem ist mit dem Bau des Keilrahmens und der Festlegung der Streifenbreite (der Wahl der Pinselstärke) entschieden. Als Bildelemente sind die Streifen schon Resultat: ihre Zahl, ihr Maß, ihre Anordnung ist im Raum einer primitiven, ganzzahligen Mathematik mit dem Träger gleichzeitig. „The order is not rationalistic and underlying but is simply order, like that of continuity, one thing after another“ (CW I 184). Stellas Stripe Paintings setzen die ganze Fläche des Bilds als gegebenes Maß voraus – und Komposition ist nurmehr die affirmative Re-Artikulation dieses primären, schon mit der Wahl der ready-made-Materialien und dem Vorentwurf des schematischen Musters, das die Malarbeit mit Farbe füllen wird, präsenten Ganzen. Wir haben die Vorbildfunktion von Pollocks dripped paint für Stellas Wunsch, die Farbe so gut zu lassen, wie sie in der Dose war, skizziert und inzwischen gesehen, um wieviel komplexer die Funktion dieser Dosenfarbe bei Pollock selber ist. Ebenso ist klar geworden, dass Newmans Glättung und Beruhigung von Mondrians „Tanz der Elemente“ nicht in die Richtung weist, in die Stella und Judd gehen. Zwar unterscheidet auch Newman das Gemälde als painting vom picture der Tradition, aber er betont ebenso die Kluft zwischen painting und object.536 Das Kunstwerk als solches ist nicht Objekt, sondern statement. Die Werkpräsenz, die Newman anstrebt und die sich auch für ihn im Gegenzug gegen eine gewisse Defizienz des (szenischen) Bildes (des picture) bestimmt, lässt sich nicht von der Positivität des minimalistischen Objekts aus denken. Wie Mondrians Doppellinie den Horizont spaltet, spaltet Newmans Vertikale eben jenes finite und objektive Format, das Stella und Judd für die letzte mögliche Wahrheit der Malerei halten. Als die Selbst-Aussage des Anfangs transzendiert das Werk die Positivität des Objekts. Stella dagegen befindet sich, ohne den zurückgelegten Weg noch zu überschauen, bereits diesseits der Bildebene. Er bemalt nurmehr das Ready-made der aufgespannten Leinwand mit Streifen wie Johns seine in Bronze gegossenen Bierdosen mit den Markenlabels. Er schließt die Bildebene hinter sich ab, nachdem und weil er den epistemologischen Raum der Malerei schon verlassen hat. Die hysterische Wiedererweckung eines computerisierten Barock in seinen späten Reliefs bestätigt die Unumkehrbarkeit dieses Schritts. Und schließlich scheint damit auch klar, dass der minimalistische Ausstieg aus der Malerei, die Objektivierung des Bildes und seine Entfaltung im real space nichts 536 Zum Tanz der Elemente (bei Mondrian) siehe v. a. „Ohio, 1949“ (SWI 174 f.) und das „Interview

with David Sylvester“ (SWI 254–259). Die Unterscheidung zwischen Werk/Gemälde und Objekt ist durchgängig thematisch.

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mehr mit dem Übergang von der Repräsentation zur Gestaltung der realen Umgebung zu tun hat, wie ihn – übereilt vielleicht in Mondrians Augen – der russische Konstruktivismus, das Bauhaus und andere riskiert haben. Die Ersetzung des Bilds durch das Objekt im Minimalismus hat zwar die Geschichte der durchgeführten Abstraktion im Rücken. Aber die amerikanische Version des Ausstiegs aus der Malerei verrät diese Geschichte zugleich, da das Objekt, zu dem sie gelangt, im Wesentlichen Werk-Objekt, Kunst-Werk bleibt, lokalisiert im Raum einer konstituierten Realität, und nicht Ansatzstelle und Katalysator von deren Transformation sein will. Die Matrix des minimalistischen Werk-Objekts, wir haben es schon formuliert, ist nicht das Raster der Architektur, von dem Greenberg einen Moment lang als einem Rückhalt für die Malerei Pollocks träumt, sondern die Warenform. Für Minimalismus und Pop ist der Markt der Ort der gesellschaftlichen Integration. Der Tauschwert hat den Horizont der Universalität der frühen Moderne absorbiert. Die Synchronizität des real space ist sinnliches Schema des Äquivalenzgesetzes. Es ist die Druckkammer des White Cube, in der das Bild seine diaphane Tiefe und Spannkraft verliert und die zum Geburtsort des spezifischen Objekts wird.

Das Tor zum real space. – Die primäre Ganzheit des Formats, deren Name wholeness ist, markiert die Schwelle zwischen dem Bildraum und dem real space. Wir haben gesehen, wie Stellas Streifenbilder sich auf fächern lassen, wie sie sich auf die Zeit und den Raum ihrer Produktion und ihrer materiellen Bedingungen beziehen. Aus ihrer statischen Präsenz steigt im Licht des Ready-made die Spirale der Handlungen auf, deren Protokoll sie sind. Auch in dieser Doppelseitigkeit zeigt sich ihre Schwellenfunktion. Für Judd aber ist der real space diesseits der Bildebene nicht der Zeit-Raum der materiellen Produktion. Das Daumenkino von Stellas Streifen bleibt für seinen Blick geschlossen. Das Objekt im real space bleibt in die Dimension des Anblicks und der Gleichzeitigkeit eingeschrieben, die wir als die des Bildes bestimmt haben. Deskriptiv scheint der Begriff der wholeness bei Judd auf keinen anderen Gegenstand als die glatte Fläche eines Monochroms (sei es eines mit Ritzen) zu verweisen. Dennoch ist Pollock für ihn der Erfinder der wholeness. Auf diesen Punkt komme ich nachher zurück. Zunächst geht es darum zu zeigen, wie der Begriff in Bezug auf Objekte, die im real space angelangt sind, seine formal-deskriptive Restriktivität verliert, so dass Judd ihn auf das Feld der post-medialen Kunstprodukion der frühen sechziger Jahre und auf morphologisch divergierende und nicht unbedingt einfache und formal geschlossene Objekte beziehen kann. Dabei zeigt sich auch, warum diese dreidimensionalen Objekte keine Skulpturen sind. „When you start relating parts,“ sagt Judd im Gespräch mit Glaser, „you’re assuming you have a vague whole — the rectangle of the canvas — and definite parts, which is all screwed up, because you should have a definite whole and maybe no parts, or very few. […] The whole’s it. The big problem is to maintain the sense of the whole thing. […] I just want it to exist as a whole thing. And that’s not especially unusual. Paint-

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ing’s been going toward that for a long time.“ 537 Obwohl es im Gesprächszusammenhang bereits um seine eigenen Arbeiten geht, ist das „Rechteck der Leinwand“ der selbstverständliche Ausgangspunkt der Überlegung. Es ist ein Ganzes, aber es ist – in repräsentationaler und relational komponierter Malerei – nur die Leerform für die Anordnung der Teile. Das Format ist der ausschnittgebende Rahmen einer Durchsicht, die sich mit der Tiefe und der seitlichen Unendlichkeit des virtuellen Bildraums vermischt, ein Ganzes, das Judd deshalb vage nennt. Man könnte diese Vagheit als Effekt der Ablösung des Bildrands von der Schwelle des Bildraums bestimmen, die das Bildfenster erst ins Schweben versetzt – als im Verhältnis zur Szene (den Teilen/ Figuren des Bildes) bewegliche Sichtfunktion.538 Judd nimmt in diesem Sinn die Nicht-Existenz (Idealität) der Bildebene als finestra aperta in einem ersten Schritt gewissermaßen wörtlich. Die Teile – gleichgültig ob gegenständliche oder abstrakte Figuren – sind in der tradierten Malerei, wie er meint, wichtiger, weil sie wirklicher sind, da die Bildebene epistemologisch nicht existiert. Sein Blick akkomodiert sich gewissermaßen auf die Teile, die Figuren, er stellt sich auf die virtuelle Tiefe des Bildraums ein. Es ist diese hyperbolische Interpretation der ikonischen Differenz, die das Format zu den „neutral limits“ reduziert, von denen Judd in Specific Objects spricht. Diese Durch-sehung des Bilds schlägt notwendig zurück. Und mit ihrer Korrektur akkomodiert sich der Blick nicht mehr auf die Teile, die in einer imaginären Tiefe liegen, sondern auf das Bildrechteck selbst, und Judd verlangt nun, dass dieses die Dichte und Bestimmtheit gewinnen soll, die er zuvor den Teilen/Figuren zuspricht: „you should have a definite whole and maybe no parts, or very few“. Die Aufgabe, die diese gespaltene Sichtweise vorzeichnet, ist die Anhebung der Teile in die Ebene, bis zum Moment ihrer Konvergenz mit dem Ganzen, den Rändern des Bilds als endlicher gegebener Form. Die zwei Wege dieser Beseitigung der ikonischen Differenz sind die Monochromie (Kleins „Farbdichte“) und die forciert-deduktive Beziehung zwischen der Binnengliederung und der Form der Leinwand (Stellas deduktive Strukturen). Der Weg in den real space führt also durch das sich schließende Tor von Stellas Leinwänden hindurch. Der Moment, in dem die flottierenden Teile eines Bildes mit dem „vagen“ Ganzen des Formats zur primären Einheit der positiven Form einrasten, behält daher epistemologische Vorbildfunktion für die Gegebenheitsweise des specific object. Die Synchronie des Bildes bleibt die Gussform der wholeness nach der Malerei. Stellas Streifen, die sich Seite an Seite gegen den Bildrand stemmen, stoßen den Rahmen der wholeness – einen weiteren leeren, beweglichen Kreis – von der nur noch morphologisch zu begreifenden Form des ausgegossenen Bildes ab. Das Schema der wholeness, das Judd nun in den Raum der dreidimensionalen Objekte der sechziger Jahre wendet, ist daher nicht das Monochrom selbst, was einen morphologischen und restriktiven Sinn des Begriffs vorzeichnen würde, noch ist es die nackte Leinwand, 537 Glaser, „Questions“ / „Fragen“, 151 f./40. 538 Diese Subjektivierung des Bildes ist die „kühne Neuerung“, die Panofsky van Eyck zuschreibt

(„Die Perspektive…“, in: Grundfragen… , 119): die Bindung des Bildes an die temporalisierende Funktion des Blicks.

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sein nominalistischer Zwilling. Es ist das leere, das ungemalte Bild – oder das Format als Rahmen einer unmittelbaren Sicht, einer synchronen Präsenz. Wholeness hat sich von einer formal-deskriptiven, auf das Werk als Raum-Objekt bezogenen Bestimmung, zu einer subjektiv-temporalen Kategorie der Wahrnehmung oder der ästhetischen Erfahrung verwandelt. Dennoch heißt das nicht, dass jedes im Raum gegebene Objekt auch whole wäre. Im Gegenteil ist nach Judd gerade die Skulptur auf dem Weg der Vereinheitlichung, den die „Malerei schon lange geht“ und der im specific object mündet, zurückgeblieben. Gerade die modernistische Skulptur des Greenberg’schen Kanons, die sich ausgehend von der kubistischen Collage entwickelt, die nach Gonzales bei David Smith einen Höhepunkt und im Werk Caros und der britischen Schule der Welded Sculpture ihren akademischen Ausklang findet, zehrt noch analytisch-abstraktiv vom Körper der Statue, der paradigmatischen Aufgabe der Bildhauerei der Tradition. Ihre Abstraktheit539 hat sie nicht von der Episteme des Bildes befreit. Sie bleibt figurativ und in einem mimetisch-pikturalen Raum gefangen. Man könnte sagen, dass die modernistische Skulptur vom Ereignis, das die Fotografie für die Malerei darstellt, primär die Welle der stilistischen Reaktion abbekommen hat, die die Statue einige Jahrzehnte lang durchkämmt und zerfleddert. Dieser Geschichte gehört der Minimalismus, der aus der Malerei geboren ist, nicht an. „The new [three-dimensional] work“, schreibt Judd, „obviously resembles sculpture more than it does painting, but it is nearer to painting. Most sculpture is like the painting which preceeded Pollock, Rothko, Still and Newman. […] Most sculpture is made part by part, by addition, composed. The main parts remain fairly discrete.“ (CW I 183) Und zum Beweis „rahmt“ er mit dem Format der wholeness eine Skulptur von Mark di Suvero und zeigt, dass diese ein komponiertes image ist und aller händeringenden Raumexpansion zum Trotz keineswegs im real space angekommen. „Di Suvero uses beams as if they were brush strokes, imitating movement, as [Franz] Kline did. The material never has its own movement. A beam thrusts, a piece of iron follows a gesture; together they form a naturalistic and anthropomorphic image. The space corresponds“ (183). Di Suvero komponiert ein image vor einem supponierten Leergrund. Die Balken können noch so rauh und schwer sein und aus Abrisshäusern stammen, es ist dieser implizite Leergrund, der das Werk derealisiert.540 Wir beginnen zu begreifen, wie die Spezifik des real space, der zunächst der Raum jedes Körpers zu sein schein, sich etabliert. Seine 539 Siehe M. Fried, „Caro’s Abstractness“ (1970), in: ders. , Art and Objecthood, 189 ff. 540 Ein solcher Ausblick macht deutlich, wie tief der Bruch des Minimalismus mit dieser Traditi-

onslinie moderner Skulptur ist. David Smith ist kein Einfluss für die Minimalisten, auch nicht mit den späten formal-geometrischen Cubi. Er ist eine Vaterfigur höchstens, indem er, wie Carl Andre sagt, „einen Weg blockiert“. „Wenn jemand noch Smiths machte, dann war er es selbst und sonst niemand. […] Die stärksten und besten Einflüsse sind, glaube ich, die negativen, wenn jemand durch sein großartiges Werk einen Weg blockiert für die, die unmittelbar nach ihm kommen.“ (Ph. Tuchman, „Ein Interview mit Carl Andre“, in: Stemmrich 1995, 160). Robert Morris beschreibt sein Verhältnis zu Smith im selben Sinn, allerdings in aggressiverer Rhetorik: „If there was a kind of ‘Œdipal rage,’ it was against Smith. I wanted to do something absolutely different, to wipe him right out.“ (B. Buchloh, „Three Conversations in 1985…“, October 70, 49) Michael Frieds Vorliebe für Caros pikturale „Abstraktheit“ bestätigt ihrerseits diesen Bruch.

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Konstitution verlangt ein „Einrasten“, das dem der Bildelemente in non-relationaler Komposition analog ist. Es genügt für das dreidimensionale Werk nicht, die Bildebene bloß durchquert zu haben, als ein Nichts, wenn es dann als dreidimensionales Skulpturbild in einem noch immer als vage Leerzone implizierten Raumgrund ausgesetzt ist. Die dritte Dimension, von der Judd spricht, stellt sich als Orthogonale auf der sich schließenden Bildebene auf. Der real space, nicht als die „unendliche gegebene Größe“ des „einen […] einigen und allbefassenden Raum[s]“ 541 – auf diesen Raum bezieht sich die sublime Malerei Newmans –, sondern als definites gegebenes Volumen übernimmt die Funktion des Formats. Der White Cube ist der erste Prototyp einer solchen geschlossenen Ganzheit, des neuen definiten Formats, in das die Minimalistischen Objekte eingefügt werden (fig. 166). Von dem Scharnier der Bildnegation ist aber weit darüber hinaus der Horizont von Judds Werkentwicklung vorgezeichnet. Der Spiegel des Bilds im Moment seiner äußersten Restriktion wirft sein Licht auf den Horizont der Permanenten Installation voraus, in die Judd seine non-relationalen Objekte integrieren wird. Die hypnotische Stasis seines späteren Werks nimmt hier ihren Ursprung. Die Sprach- und Zeitferne von Judds Werkkonzeption ist Erbe des negierten, nicht dekonstruierten Bildes – Reflex dieses „verfrühten Siegs“. In Judds Kunstkritik Anfang der sechziger Jahre wirkt sich die Verabschiedung von der Malerei oder dem Gemälde als beengender und überlebter Werkgestalt aber zunächst tatsächlich befreiend aus. Diesseits der Bildebene verliert der Begriff der wholeness den disziplinierenden morphologischen Sinn. Es handelt sich um eine Verflüssigung.

Partialobjekte. – Von der Trägerstruktur des Keilrahmens gelöst, legt sich das verflüssigte Format auch über exzentrische und komplizierte Gestalten. Judds Beispiele reichen von Chamberlain bis Lee Bontecou. Der Begriff der wholeness behält eine formal-deskriptive Valenz, betrifft aber im Wesentlichen die epistemologische Struktur des Werks, die Vermeidung der ikonischen Differenz. Whole ist das Objekt, das – durch den Kreis des Bildes in den real space gesprungen – ganz und unmittelbar, ohne den Nachhall einer referentiellen Verdopplung da ist in der Gegenwart der sinnlichen Anschauung. Whole ist das Objekt, das die Einheit und Selbst-Gleichzeitigkeit der ästhetischen Erfahrung nicht durch eine innere Spaltung, die ikonische oder repräsentationale Differenz verletzt. Dieses Objekt muss einen neuen Typ von Ganzheit erreichen, die nicht aus der Synthesis von Teilen hervorgeht wie in der tradierten Komposition. Die Genese dieser Ganzheit lässt sich am besten mit Blick auf Judds Kommentare zu Oldenburgs Soft Sculptures präzisieren. Hier wird die Konvergenz zwischen dem Augenblick, in dem das Bild sein Objekt, sein Referenzobjekt verschluckt, und dem Moment erfassbar, in dem dieses Objekt die Bildebene passiert, die Morphologie des Bildes auf löst und in dem neuen „Medium“ des real space erscheint. In einem Review schreibt Judd: 541 KrV B 39 (Kursiva im Orig. gesperrt).

Partialobjekte

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„Ordinarily the figures and objects depicted in a painting or sculpture have a shape or contain shapes that are emotive. Oldenburg makes one of those subordinate shapes the whole form. Real anthropomorphism is subverted by the grossly anthropomorphic shapes, man-made, not shapes of natural things or people“ (CW I 133). Judd sieht in Oldenburgs Dingsurrogaten keine wesentliche Beziehung mehr zu repräsentationaler Kunst. Ihr „schreiender“ oder „fetter“ (grossly ist doppeltgenau) Anthropomorphismus unterläuft ein tragendes Moment der repräsentationalen Tradition. In einem Katalogessay erläutert Judd: „Oldenburg’s work is so extremely anthropomorphic that it isn’t anthropomorphic in the real sense of the word. The real sense is one of the main aspects of old European Art. […] [It] is the appearance of human feelings in things that are innate or not human, usually as if those feelings are the essential nature of the thing described.“ (191) Oldenburgs Objekte sind keine Portraits der Dinge, die wie die Stilllebenmalerei von Chardin bis Morandi etwas vom „Wesen“ ihrer Gegenstände, wie Judd sagt, zu erkennen zu geben versuchen: „Oldenburg’s pieces have nothing to do with the objects they’re like. You don’t feel that he’s saying anything about toothpaste tubes, light switches or telephones. The pieces have only the emotion read into these objects; they have no sense that it’s really there.“ (191) „Sogar echter Kuchen schmeckt heutzutage nicht wie Kuchen“, sagt Oldenburg selbst einmal.542 Oldenburgs pieces portraitieren nicht die Dinge, sondern gleich nur noch die „Gefühle“, die „wir“ in die Dinge projizieren. Die Soft Sculpture verschluckt gewissermaßen ihren Referenten. Das „Gefühl“ ist nicht wie beim konventionellen „Anthropomorphismus“ auf das Ding übertragen, das dabei vorgeblich es selbst bleibt, in einem Rahmen dennoch neutraler Distanz, der der des Bildes ist. Das „Gefühl“ überzieht das Objekt, es eignet es sich an und transformiert es morphologisch und semantisch. „The whole switch – Oldenburgs roter Lichtschalter aus Vinyl (fig. 161) – seems to be like breasts but doesn’t resemble them and isn’t descriptive, even abstractedly. There aren’t two breasts, just two nipples. The two switches don’t seem like two breasts. As nipples though, they are too large for the chest. Also, they can be turned up or down. The whole switch is big and soft and the nipples are enormous — the main things. The form is whole and simple and has no discrete parts.“ (193) Der Lichtschalter ist kein Lichtschalter, kein Bild oder Modell eines Lichtschalters und kein Bild einer Brust. Er ist Lichtschalter und Brust und Soft Sculpure, alles zugleich, formal eindeutig und semantisch polyvok. „The switch doesn’t suggest this single, profound [basic emotive/biopsychological, wie es kurz zuvor heißt] form, as do the breasts of Lachaise’s women, but is it, or nearly it. This sort of basic form occurs in most of Oldenburgs work. The form is single, as it is felt, is single in form, is without discrete parts. It’s enough.“ (133) Die Synthese der unterschiedlichen Realitätsebenen gehorcht nicht dem Modell einer wie immer gebrochenen Repräsentation. Oldenburgs Ding ist kein Bild – seine mehrdimensionale Identität folgt der Logik des Partialobjekts, kein Repräsentant, sondern

542 Claes Oldenburg, Eine Anthologie, Stuttgart 1996, 155. Aus einem Kommentar zu The Store (1961).

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Schnittstelle von Intensitätsströmen.543 Ganz ist es nicht als synthetische Totalität, sondern als bestimmtes Teil, das von Gefühlen und Projektionen durchflossen und überfüllt wird, ein Teil, das mehr ist, als es selbst, ohne auf anderes zu verweisen, eine gefräßige Synekdoche. Dass auch die Materialität von Oldenburgs Soft Sculptures aus dem Bild herausgezogen, an der Oberfläche von Pollocks drip paintings abgeschöpft ist wie die Materialien von Judds kristallinen Objekten, unterstützt diese Realisierung der ehemaligen Bildfigur auf andere Weise (s. o. , S. 263). Aber gelangt diese Inversion von Figur und Grund, diese Umstülpung der Figur aus der repräsentationalen Distanz in die intensive Gegenwart der „emotive, biopsychological form“ und des dichten Materials, das „noch immer Farbe ist“, wie Oldenburg sagte544, in den Raum scheinloser Objektivität, den man mit Judd verbindet? Oder verwandelt sich vielmehr der real space in eine neue Art von Bildraum? Raum eines distanzlosen Sehens – eine Sensitivitätszone, angeschlossen an diese Lichtschalterbrust, die von einem tastenden Auge umflossen wird? Ich will das nicht psychoanalytisch oder gar psychologisch weiterführen. Ein Ausschnitt aus einem Review Judds über Yves Klein soll aber ein analoges und zugleich ein Gegenbild evozieren, ein Gegenbild unter anderem, weil es sich hier um Kleins synthetisches Unendlichkeitsblau handelt. In dem Text, einem der dichtesten Judds, durchdringen sich die Motive der sinnlichen Intensität des Bildes, der Sexualisierung des Sehens und der libidinösen Struktur seines Felds. Oldenburgs Lichtschalterbrust ist in Judds Augen Kleins Monochrom nah. „The blue paintings are the interesting ones; the others [Anthropometrien und Feuerbilder], despite their flamboyant means, are not unususal. [Sie sind für Judd vom FigurGrund-Verhältnis infiziert. Wie immer liest er die Abdrücke nur als Figuration.] In three respects Klein’s blue paintings are related to certain American work. They are simple and broadly scaled, they tend to become objects and, consequently, they have a new intensity. […] The quality that is intense is, however, extremely foreign. Klein’s paintings have an unmitigated, pure but very sensuous beauty. Ingres’s Angélique, Le Bain Turc or some of Correggio’s paintings occur as parallels. There is nothing which objectifies or mitigates the pungent beauty but its difficult strength. A very large painting is simply a panel of blue paint, which is rolled on so as to produce a dense texture. The corners of the panel, as in every painting, are rounded, which accords with the sensation that the panel is an erotic blue object. Another blue painting, one of the best, has sponges attached, some which overhang the edges. The irregular sponges and format and the encrusted, absorbed blue upon the sponges are especially voluptuous.“ (69 f.)

543 Das Partialobjekt – nicht als Repräsentant oder Symbol sondern als „Gradient“ von Intensitäten

– ist wesentliches Funktionselement der „Wunschmaschinen“ bei Deleuze/Guattari (Anti-Ödipus, Frankfurt a. M. 1977, bes. Kap. 1). Die Brust – die „gute“ und die „böse“ Brust – ist sein Modell bei Melanie Klein, die die Logik des Partialobjekts maßgeblich ausgearbeitet hat. Die Brust repräsentiert nicht die Mutter, sie ist an ihr (an etwas Unbekanntem) angeschlossen. 544 Oldenburg in: „Jackson Pollock: An Artist’s Symposium, Part 2“, 66.

Partialobjekte

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Wir haben gesehen, wie das Format der wholeness im Moment der Schließung des Bildes von dessen Rand abgestoßen wird. Es wird zum Rahmen oder Fokus einer Sicht auf das Objekt im real space. In diesem Rahmen kann eine Figur auftauchen, wie das komponierte „image“ di Suveros – oder ein solches Objekt wie die knochenlose Soft Sculpture Oldenburgs, die die perspektivische Distanz des Blicks kollabieren lässt und vom real space „umflossen“ ist. Das Sehfeld wird zur quasi-taktilen Intensitätszone. Entsprechend ist Kleins Blau aus der Tiefe eines phantasmatischen Raums gestiegen und quillt an den Rändern des Bildobjekts über. Whole ist dieses massive Objekt, das sein Referenzfeld – für Klein ist das Monochrom aus dem Himmel von Nizza geschnitten, Judd sieht in ihm die Frauenkörper Ingres eingeschmolzen – zu einer homogenen Materie zusammengezogen hat. Probleme von Komposition, die das Verhältnis von Einheit und Differenz im Werk betreffen, sind damit gelöst. Es gibt nur diese eine Form und dieses eine Material, das in die Bildebene aufgestiegen ist und sie passiert, um im real space Platz zu nehmen. Dennoch ist das Format der wholeness noch von den Bildrändern her gedacht. Offenbar muss es gefüllt werden. Aber wie, mit welchem „Stoff“? Aus Judds Sicht ist es das ehemalige „Repräsentat“ – die biomorphe Form Oldenburgs, die die Soft Sculpture ausstopft, die passgenauen Streifen Stellas und Kleins Himmelblau, die das Bildrechteck füllen. Whole ist das Objekt, wenn es bis zum Rand gefüllt ist, wenn das Format in die Figur gestürzt ist, die Figur sich zum weichen Format aufgebläht, sich zur shaped canvas gestrafft hat oder zum positiven Gussstück des Monochroms geworden ist. Die Episteme des Bildes ist damit getilgt. Oldenburgs Objekt, Stellas Streifen und Kleins sinnliches Blau besetzen die systematische Stelle der noematischen Mannigfaltigkeit, die im Bild über den Hiatus der ikonischen Differenz hinweg kompositorisch mit der ideellen Einheit des Formats synthetisiert werden musste. Whole ist das „Bild“ ohne Figur und ohne Hintergrund, das Bild, dessen Rand mit dem Kontur seiner Figur und dem Horizont seiner Darstellungsfunktion in dieselbe Linie fällt. Hier gibt es keinen Platz für eine referentielle Differenz und keine Zeit, wenn man so sagen kann, für ihre kompositorische Synthesis. Dies ist die primäre Ebene von Judds Reflexion und Bestimmung des Begriffs der wholeness. Und auf dieser, der im engeren Sinn kompositionstheoretischen Ebene, der Ebene der Bildepistemologie, scheinen die Implikationen relationaler Komposition tatsächlich aufgelöst. Kehrt aber das Problem der Hierarchie von ideeller Einheit und sinnlicher Mannigfaltigkeit, leerer Form und stoff licher Fülle, in deren Trennung und nachträglicher Harmonisierung Judds Einwand gegen die europäische Malereitradition zentriert, nicht auf einer elementareren Ebene zurück? Denn auch wenn das Format der wholeness mit dem Umriss des Werk-Objekts selbst zusammenfällt, was diesen Umriss tatsächlich füllt, ist nicht das referentielle Ding – ob es eine Eiswaffel oder der Himmel von Nizza ist –, es ist nicht mehr das Noema eines Bildes, sondern der Stoff selbst, aus dem das Objekt hergestellt oder geprägt ist – Oldenburgs Vinyl, Stellas „gute“ Materialien, Kleins synthetisches Pigment und Judds Metall- oder Kunststoffplatten. Wie steht es mit dem Verhältnis dieser Materialien selbst zu ihrer Form? Sind sie keiner „Synthesis“ unterworfen? Wenn sie es sind, die das sinnliche Differential ersetzt haben, auf das das repräsentationale

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Bild sich öffnete und dessen Durchkämmung, Systematisierung und Glättung zur Arbeit der Abstraktion der Moderne im Ganzen gehörte – wie verhält sich dann ihre „atomare“ Mannigfaltigkeit, zu der Form, in der sie im real space erscheint? Hat Judd diesen Stoff, den in seinem Fall das Raster der Serienproduktion zuschneidet, theoretisch vergessen? Greifen wir hier einen Moment lang weiter aus, um den historischen und philosopischen Horizont von Judds Repräsentationskritik, die in der Kompositionskritik eine ihrer Spitzen hat, zu skizzieren. Die gestellten Fragen haben hier ihre Resonanz.

Abstraktion und Deterritorialisierung. – In einem der frühesten und bekanntesten Versuche, seine Einwände gegen die relationale Komposition auf den Punkt zu bringen, im Gespräch mit Glaser, hat Judd ihren „Implikationen“ und damit den Eigenschaften der „europäischen Tradition“, die er „nicht mag“, einen Namen gegeben. „They’re innumerable and complex, but the main way of saying it is that they’re linked up with a philosophy — rationalism, rationalistic philosphy. […] All that art is based on systems built beforehand, a priori systems; they express a certain type of thinking and logic that is pretty much discredited now as a way of finding out what the world’s like. — Discredited by whom? By empiricists? — Scientists, both philosophers and scientists.“ 545 Als philosophischer Diskurs lässt sich, was Judd „Rationalismus“ nennt, nur schwer abgrenzen. Er blickt auf die europäische Philosophiegeschichte durch das Raster des logischen Positivismus wie auf die Malereigeschichte durch das von Stellas Stripe Paintings, was kein sehr differenziertes Bild ergibt. Aber er greift auch, indem er wiederholt David Hume als prägenden Bezugspunkt nennt,546 durch dieses Raster hindurch zu einem der Initiatoren der anglo-amerikanischen, empiristischen und pragmatischen Tradition. Ich will Judds „eigene kleine Ästhetik“ 547 nicht ausführlicher diskutieren, jedenfalls nicht auf der Ebene seiner späteren „philosophischen“ Texte. (R. Shiff und D. Raskin haben das hinreichend getan.) Aber der Bezug auf Hume, der einen Schlüssel zu diesen Texten und zu Judds Selbstverständnis bietet, scheint mir hier relevant. Die Hume’sche Insistenz auf der unüberschreitbaren Immanenz einer aus Impressionen geflochtenen Welt, das Modell des Bewusstseins als des absoluten Theaters der vorübergleitenden Perzeptionen, dem wir beiwohnen, ohne das geringste „von einem Schauplatz [zu] wissen, auf dem sich jene Szenen abspielten, oder von einem Material, aus dem dieser Schauplatz gezimmert wäre“ 548; die Konzeption eines Bewusstseins, das in „seine“ Empfindungen eingetaucht ist und diese bewegliche Haut, die es beschlägt und aus der es besteht, nicht durchdringen, noch sie von etwas, das hinter ihr läge und das 545 Glaser, „Questions“ / „Fragen“, 150 f./39 f. 546 So etwa gegenüber Rainer Crone: s. ders. , „Symmetrie und Ordnung. Die formale Logik in Do-

nald Judds Skulpturen“, in: Donald Judd, Ausst.-Kat. Eindhoven 1987, 70; s. auch CW I 72 u. 81.

547 „Art and Architecture“, CW II 36. 548 David Hume, Ein Traktat über die menschliche Natur. Buch I. Über den Verstand, Hamburg

21989, 327.

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sie „anzeigen“ würde, unterscheiden könnte, dieses Modell, in dem sich ein radikaler Strukturskeptizismus und ein rückhaltloser Datenpositivismus überkreuzen,549 zeichnet sich in Judds Diskurs auf allen Ebenen ab – und maßgeblich in seinen bildtheoretischen Reflexionen, denen die Analogie oder der Parallelismus von Bild- und Bewusstseinsstruktur zugrundeliegt. Als „Rationalismus“, den er in der europäischen Bildtradition angelegt sieht, bezeichnet Judd Versuche, diese Haut der Immanenz an transzendenten Strukturen, den „apriori built systems“ festzuheften und also doch einen „Schauplatz“ des Theaters der Perzeptionen zu konstruieren und das „Universum der Einbildungskraft“ 550 zu überschreiten. Diese rationalistische Hypothese, die Setzung eines Grunds jenseits der Immanenz der Empfindungserlebnisse, sieht Judd letztlich mit der Struktur von Bildlichkeit als solcher verknüpft. Bis zu dem Moment, da sie ihr Wesen aufgibt und sich zur tautologischen Materialität zusammenzieht, bis in die abstrakte Malerei der Moderne und die Nähe seiner Gegenwart, liest er der Bildstruktur einen latenten „Apriorismus“ ab, der sie mit der rationalistischen Matrix verknüpft. Mit der impressionistischen Epoché, die die Bildebene zur Reproduktion jener „Haut“ der „Impressionen“ werden lässt, die von keiner „rationalen“ Linie mehr durchtrennt wird, beginnt zwar die methodische Kritik der Bild-, also der Bewusstseinstranszendenz, aber ihre Konsequenz erreicht diese Kritik offenbar erst dann, wenn die Diaphanie der Bildtextur ganz preisgegeben ist. Das elementare Schema eines Figur-Grund-Verhältnisses genügt, um noch das abstrakte und fast „unistische“ Bild, einen Noland oder Rothko, wie wir gesehen haben (s. o. , S. 241 ff.), mit der dualistischen Unterscheidung eines ganzheitlichen und, trotz der auf kommenden Materialität des Trägers, tendenziell idealisierten Grundes und der partikularen, sinnlich gegebenen Objekte zu infizieren. Das Figur-Grund-Verhältnis ist das ursprüngliche Muster des dem Bild als solchen eingeschriebenen dichotomischen Erkenntnismodells. Mit diesem Muster ist für Judd das ganze Netz der homologen „metaphysischen“ Dualismen verknüpft: die Dichotomie von Form und Stoff, von Verstand (der den Grund denkt) und Sinnlichkeit (die die kontingente Materie empfindet), von Seele und Körper, von Linie und Farbe usw. Es ist dieses Netz, das aus der Epoche der Repräsentation – „From Giotto to Courbet“, das sind regelmäßig die Markierungen dieser Epoche in Judds „little history“ (CW II 38) – ein Ganzes macht, das als solches im Terrain der platonischchristlichen und neuzeitlichen Metaphysik wurzelt oder in ihr das Begriffsklima findet, das Judd austrocknen will. Die Frage ist also, inwiefern das in den real space, in ein Diesseits der Bildebene gelangte, von der noematischen Figur gelöste Material der spezifischen Objekte diesem rationalistischen Raster entgeht. 549 Zu dieser Konstellation, G. Deleuze, David Hume, Frankfurt a. M. / New York, 1997 [Paris 1953:

das Buch über Hume ist die thèse von Deleuze].

550 Hume, Traktat I, 91 f.: „Man richte seine Aufmerksamkeit so intensiv als möglich auf die Welt

außerhalb seiner selbst, man dringe mit seiner Einbildungskraft bis zum Himmel, oder bis an die äußersten Grenzen des Weltalls; man gelangt doch niemals einen Schritt weit über sich selbst hinaus, nie vermag man mit seiner Vorstellung eine Art der Existenz zu erfassen, die hinausginge über das Dasein der Perzeptionen, welche in dieser engen Sphäre aufgetreten sind. Dies ist das Universum der Einbildungskraft; wir haben keine Vorstellung, die nicht darin ihr Dasein hätte.“

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In einem der ersten statements (1968), in dem Judd seine Arbeit als Künstler präsentiert, spricht er in sehr allgemeiner Weise von der Preisgabe oder Verwerfung der Unterscheidung von „Struktur“ und „Strukturiertem“. „I discarded ‘order’ and ‘structure’. Both words imply that something is formed. Material, area, volume or color are ordered or structured. This separation of means and structure — the world and order — is one of the main aspects of European or Western art and also of most older, reputedly civilized art. It’s the sense of order of Thomist Christianity and of rationalistic philosophy which developed from it. Order underlies, overlies, is within, above, below or beyond everything.“ (CW I 196) So klingt die für Judd typische Reader’s Digest Version von Philosophiegeschichte. Kein sehr differenziertes Bild, wie gesagt. „I wanted work that didn’t involve incredible assumptions about everything. I couldn’t begin to think about the order of the universe, or of American society. I didn’t want to claim too much.“ (196) Die Bedingung dieser Vermeidung ist die Beseitigung der diagrammatischen Struktur des Werks. „Obviously the means and the structure couldn’t be separate and couldn’t even be thought of as two things joined. Neither word meant anything.“ (196) Wir haben skizziert, worum es geht. Der epistemologische Anspruch des Bildes ist zu weit gesteckt. Die Trennung von Struktur und Strukturiertem innerhalb seiner primären, aber zunächst negierten und nur rückläufig bestätigten Einheit, diese Trennung und der Spielraum zwischen der sinnlichen Gegenwart und dem Sinn des Bildes, den sie erzeugt, gibt diesem die Transparenz eines Diagramms, eines Ordnungsentwurfs, der über seine opake und lokale Anwesenheit hinausgreift (s. o. , S. 285 f.). Dieses Spiel ist blockiert im Partialobjekt Oldenburgs wie im Monochrom Kleins, die bis zum Rand von ihrem Material gefüllt sind. An dieser Schwelle müssen die alten, „rationalistischen“ Begriffe weggeworfen werden. „A shape, a color, a surface is something in itself. It shouldn’t be conceived as part of a fairly different whole. The shapes and materials shouldn’t be altered by their context. One or four boxes in a row, any single thing or such a series, is local order, just an arrangement, barely order at all.“ (196) Hier wird evident, wie der Begriff der non-relationalen Ordnung sich in sich selbst verschluckt und zum Oxymoron wird. Ein Ding – eine Kugel im Idealfall, eine Box hat immerhin 6 Seiten und 12 Kanten – wird man in der Tat kaum als Ordnungsentwurf auffassen können. Aber eine Reihe stellt wohl so etwas wie ein elementares Syntagma von Ordnung überhaupt dar. Judd beißt die Zähne zusammen und behauptet weiter. „The series is mine, someone’s, and clearly not some larger order.“ Sie projiziert keine Ordnung auf ein größeres Feld – wie das diagrammatische Bild auf den Kosmos oder die Gesellschaft. Sie mag fortsetzbar sein, aber von ihr aus ist nicht auf ein Ganzes der Reihe, der sie entstammt, zu schließen. Sie ist epistemologisch stumpf oder flach. „It has nothing to do with either order or disorder in general. Both are matters of fact. The series of four or six doesn’t change the galvanized iron or steel or whatever the boxes are made of.“ (196) Ist diese Programmatik haltbar? Selbst wenn wir den non-diagrammatischen Charakter der Reihe als Modell von Non-Komposition akzeptieren – ist es plausibel, dass die Form auch nur der einzelnen Box und auch nur einer ihrer Platten das Material „nicht verändert, aus dem sie gemacht“, aus dem sie ausgestanzt ist, leuchtet es ein, dass

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die „Mittel/Materialien und die Struktur“ hier nicht unterscheidbar wären? Zwar gibt es keine verschiedenen Elemente, die syntaktisch komponiert werden müssten, wie die Stahlträger und Balken etc. einer Skulptur von Caro oder di Suvero. An ihre Stelle ist das eine Objekt oder die Abfolge gleicher Objekte getreten, die sich gleichsam von selbst organisieren – wie im komplementären Modell non-relationaler Ordnung, der aleatorischen Verteilung.551 Und so glaubt Judd mit der Komposition, die eine organisierende Struktur von organisierten Elementen innerhalb eines „vagen“ Ganzen unterscheidet, die Hierarchie von Struktur und Strukturierten und die Dichotomie von Form und Stoff beseitigt zu haben. Aber das reale Material, aus dem seine Boxen bestehen, bleibt eine sinnlich-dichte, räumlich-extensive Mannigfaltigkeit, der „atomare Stoff“ in der Hülle einer Form. Und eine ausgestanzte Metallplatte ist ein einer Struktur unterworfenes Material. Judd hat die elementare Differenz von Materie und Phänomen, die die Bildstruktur ausmacht, kassiert. Aber nun, nachdem das Bildformat, das ideelle Fenster, in dem in der ikonischen Distanz das Noema des Bildes erschien, sich zur Form des Dings selbst verwandelt hat, die von einem Material gefüllt ist, interpretiert er diese Form noch immer als den Ort des Erscheinens des Materials. Einen Ort, der allerdings nicht mehr als solcher gedacht und erfahren würde und nicht einmal als Leere, ohne die Atome, die auf dieser rahmenlosen Bühne, die sie erst bilden, vorüberziehen. Von einem „Material, aus dem dieser Schauplatz“, der die gefüllte Form selber ist, „gezimmert wäre“ – einem transzendenten Bestand ihrer Geometrie etwa in Gott – können wir allerdings, wie Hume sagt, „ganz und gar nichts … wissen“.552 Solange nicht jedenfalls, als wir uns auf die Immanenz der gegenwärtigen Empfindung beziehen. Unter der Hand aber hat sich die Subsumption des Materials unter die Form und Struktur, die auf der epistemologischen Ebene des Begriffs von Bildkomposition abgewiesen und beseitigt wurde, auf die radikalere Ebene der Produktion, der Prägung des Materials in seine Form verschoben. An die Stelle des Rahmens des Bildes und des ideellen Fensters der Sicht auf die gegenwärtige Erscheinung ist die abwesende Gussform getreten, an die Stelle der transzendenten Rationalität des disegno das Raster der Zuschnitte. Die Bühne, von der wir nichts wissen, ist die Fabrik. Das ist die Traversée von der Bildepistemologie zur Produktionslogik, um deren Rekonstruktion es uns geht. Zeichnen wir ihre Bewegung noch einmal ausgehend von der Immanenz des Bildes nach. In repräsentationaler Malerei dient, schematisch gesprochen, das konkrete Material (die Farbe) seiner eigenen Vertreibung,553 es produziert sein Verschwinden in Transparenz. Die Farbe breitet sich aus in einem Schleier von Differenzen und verbirgt 551 Wolke und Kristall (so ein Werktitel von Carl Andre) sind die polaren Modelle non-komposito-

rischer Ordnung. Bei Andre stehen die Scatter Pieces und die „klastischen“ Arbeiten für diese Aggregatzustände. Bei Warhol gibt es Geld im Raster (im Koffer) und im Flug, Brillo Boxen in der Fließbandlinie und im Kumulus des Schlussverkaufs. Cage entwirft das leere Raster als Spielfläche kontingenter Ereignisse. Die schlechte Unendlichkeit der numerischen Reihe und der Zufall sind die zwei Wege, der Komposition die transzendente ratio abzuschneiden. 552 Hume, Traktat I, 327. 553 „Vertreibung“ ist der technische Ausdruck für die stufenlose Übergangsbildung zwischen verschiedenen Farben im Malprozess, ein Mischen auf der Leinwand selbst.

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ihre Materialität in der noematischen Gegenständlichkeit, der dieser Schleier Erscheinung gibt. Im Impressionismus beginnt die methodische Kritik dieser Selbstverschleierung. Die impressionistische Farbe bricht nicht nur als Spektralfarbe den Schleier zum grobfädigen Gewebe um, sie bleibt auch als taktiles Material und Spur an der Bildoberfläche stehen. Mondrians aus der Konfluenz im Erscheinungsbild extrahierte und blockhaft auseinandergelegte Elementarfarben bringen die Basisdifferenz zum Vorschein, die im Material selbst (nicht mehr im diaphanen Licht, wie die Spektralfarbe), ergänzt von den Non-Colors und dem rechten Winkel (dem Extrakt aller möglichen flächigen Winkel und Kurven) das Potential aller formalen und farbigen Differenzierung (zu allen möglichen „partikularen“ Erscheinungen) in sich sammelt. Aber auch diese Deklaration der Eigenrealität der sinnlich-materiellen Bildmittel findet (bis 1932) vor dem Grund und gegen das epistemologische Modell des repräsentationalen Bildschachts statt. Die Blöcke der Elementarfarben gewinnen ihr Sinnpotential daraus, der repräsentationalen Selbstverschleierung entzogen zu sein, sie gewinnen es aus dem Zug der Konfluenz oder der Gravitation des Bildscheins, gegen die Mondrians Komposition durch die „konstante Oppositionalität“ ihrer Elemente sich stemmt. Deshalb ist ihre Beziehung zum rahmenden Format, wenn auch alles andere als „vage“ oder „arbiträr“, in Judds Augen nicht ganz zu unrecht das einer „dialektischen“ Vermittlung. Das leere (ideelle) Format geht der materiellen Realisierung der Komposition „zeitlich“ voraus. Erst im Monochrom, im strikt modularen Bild, in der whole shape Oldenburgs (oder Bontecous oder Judds) scheint das Material mit dem Format des Bildes aufzuschließen zur positiven Form des Objekts. Nun lässt sich auch Farbe als Material und Farbe als Erscheinung nicht mehr – oder nur noch schwer – trennen. Farbe ist nur mehr ein Material unter anderen. Strukturell sind schon bei Stella (nicht erst bei Ryman) Leinwand und Keilrahmen, die bisher zur Trägerstruktur des Bildes gehörten, in viel eminenterer Weise Sinnelemente des Werks als etwa bei Mondrian.554 Noch Reinhardts Syntax war durch und durch eine des Bildes und seiner eidetischen Elemente und nicht des Materials und seiner Zeit. Sein fast-monochromes Bild enthält noch den vollen Reichtum und die epistemologische Tiefe repräsentationaler Malerei. In ihm schwingt die potentiell universale Repräsentation von Mondrians Bildkonzept nach (auch wenn Mondrian sie entgegengesetzt gebraucht hat). Stellas klebrige Emailfarbe (in den Black Paintings) und die reflektierende Aluminiumfarbe, die er von Pollock übernimmt, haben das Bild aus diesem Raum herausgenommen. Die Streifen deklinieren die Haut der Monade von außen. In ihr begegnen sich die zwei Dimensionen: die ikonisch-phänomenale der Vexierbilder von Schacht und Zikkurat und die indexikalische des Zeitraums der Produktion, deren Protokoll die Streifen sind. Sie begegnen sich in der gestraff ten, auf den tieferen Keilrahmen, das Skelett des Bildes, gespannten Leinwand, dessen Form sie rückläufig affirmieren wie eine Tätowierung.

554 Und dennoch ist selbst Kleins Malerei noch (Stellas Vexierbilder ohnehin) von der Oszillation

von Materialität und Phänomenalität, Pigment und intensiver Unendlichkeit, Stoff des körperlichen Signifikanten und Noema des Bildes bestimmt (s. o. , S. 76 ff.)

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Dennoch kann selbst eine so forcierte Technik eine gewisse Verdrängung der Materialität des Trägers und eine entsprechende Idealisierung der Bilderscheinung nicht ganz vermeiden: so durchdringend dinghaft das Bild auch wird, es behält eine Rückseite. „Eines der extremsten Probleme bei Bildern als Objekten ist die andere Seite – die Rückseite. Das kann nicht gelöst werden, das liegt in der Natur der Sache.“ 555 So Jasper Johns, der seine Kopien flacher Objekte mit dieser irreduziblen Matrix des Bildes, der Flächigkeit amalgamierte. Die Einseitigkeit und Idealität des Bildes zu zerstören, ist dagegen der zentrale Einsatz von Judds Frühwerk gewesen. Der kadmiumrote verzogene Holzwinkel (DSS 33) ist, wenn auch in sich differenziert, one thing. Die von der Absenz der zentralen schwarzen Öffnung in die Bildoberflächen, als die die Winkelaußenseiten erscheinen, getriebene Farbe fließt am Rand über, bedeckt (wie Kleins Blau, aber nicht Stellas Streifen) die Seitenkanten der Bretter und überzieht zusätzlich die Rückseiten, die einander zugekehrten Winkelinnenseiten, die keine Bildrückseiten mehr sind – da sie sonst unsichtbar wären. Dieses Überfließen der Farbe, das die Rückseite in die emphatische Sichtbarkeit des Rot einbezieht, wird von der gegenläufigen Bewegung des Rohrs, des Objektimplantats, gekreuzt und verstärkt. Die auf den bildhaften Außenflächen nur visuelle Markierung, der schwarze Kreis, der in der Fläche liegt, ist die virtuelle Grenze der realen Öffnung oder Leere, die auf der Rückseite des Objekts in die obszöne Sichtbarkeit des schwarzen Rohrs umgestülpt ist, das den Winkelinneraum durchläuft. Was hier konkrete taktile Gegenwart gewinnt, ist die Rückseite nicht des Bildträgers, sondern der imaginären Tiefe des Bildes, die in die zugleich reale und scheinbare Öffnung der Außenseiten flieht (aufgrund des Intensitätsgefälles von rot und schwarz und der Größenverhältnisse von Fläche und zentralem Kreis). Die elementarste Struktur des Bildes, eine Vorder- und eine Rückseite zu haben, ist in die Umstülpungsbewegung zwischen absorptiver Öffnung und taktilem und geknicktem Rohr überführt, die der Antrieb dieser ikonoklastischen Maschine ist. Ein Objekt aus rotgestrichenen Holzplatten und einem gefundenen Abflussrohr, in dem jede Materialfaser gleichermaßen zählt, weil sie notwendig ist, damit die Sache läuft. Hier herrscht tatsächlich jene Anarchie von Struktur und Materie, die Judds theoretisches Ideal ist. Der elementare Idealismus des Bildes ist diesem Objekt gründlich ausgetrieben. Jedoch ist DSS 33 eine Ausnahme selbst in Judds Frühwerk. Und bei seiner programmatischen Preisgabe der Begriffe von „Ordnung“ und „Struktur“ und dem Versuch die Differenz von Material und Struktur zu unterlaufen, denkt Judd zweifellos primär an seine „industrielle Monochromie“. An den Einsatz von homogenisierten Materialien, die topologisch die Stelle der Bildebene einnehmen, die keine (sichtbare) materielle Schichtung mehr aufweisen (Farbe auf Leinwand etc. , s. o. , S. 241 ff.), die eine aus der Dose Stellas nur herausgeschälte und in selbsttragende Scheiben geschnittene Farbe wären: Materie und Phänomen zumal und in einem. Die epistemologische Homogenität des Monochroms ist Produkt jener Bildgeschichte und Arbeit der Abstraktion, deren Dimension zuletzt Judds Verweis von 555 Jasper Johns, „Ziele auf maximale Schwierigkeit beim Bestimmen dessen, was passiert ist“. Inter-

views, Statements, Skizzenbuchnotizen, Dresden 1997, 113.

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Klein auf Ingres angedeutet hat: in seiner Dichte ist die „phantasmatische“ Welt, die Scheinwelt des repräsentationalen Bildes aufgegangen oder kontrahiert. Das Monochrom ist aber materiell, selbst wenn es wie bei Klein als getauchtes Objekt erscheint, was es allerdings nicht ist, nur oberflächlich homogen. Farbe auf Leinwand auf Holz, eine „farblose“ (graue?) Rückseite, dahinter Luft und die Wand – keine sehr solide Angelegenheit. Judds Platten, die die Stelle der Bildebene einnehmen, sind nicht mehr nur monochrom, sie sind im Idealfall der Metalle und Kunststoffe, oder von Beton und Sperrholz auch materiell (relativ) homogen. Ihnen ist noch das Gefälle von Vorder- und Rückseite ausgetrieben, das DSS 33 als Antriebskraft nutzt. Ihre Homogenität scheint tatsächlich die Unterscheidung von Struktur und Strukturiertem zu vermeiden. Die Struktur oder Form ist nur, sofern das Material ist. Sie ist nur dessen Zuschnitt, sein Aufhören. Die industriell produzierten Materialien, die Judd verwendet, sind aus seiner Sicht Endpunkte der Entdifferenzierung, die die Teleologie der Abstraktion den Bildmitteln vorschreibt. Als würde die Homogenität und unvermittelte Einheit, die wholeness, die das Bild als Bild nur in der zweidimensionalen Ebene erreichen kann, durch diesen „Guss“ eines Materials in die flache Form der Scheibe erreicht werden, als würde die ideelle Bildebene selbst, die geometrische Ebene, nun die Stärke dieses materiellen Volumens annehmen, das im Idealfall farbig und transparent zugleich sein wird. Sehen wir uns eine Plexiglasplatte an. Von ihrem Rand einwärts – einem Rand, der keine Stärke oder Substanz hat, der nur ihr präzises Aufhören ist – ist sie homogenes Material. Eine Platte ist ein sehr flacher Quader. Das Material nimmt dieses Volumen ein, das es gleichmäßig füllt wie Wasser. Wenn wir die Hierarchie von Struktur und Strukturiertem, von Form und Materie in ihrem bildepistemologischen oder kompositionstheoretischen Sinn im Blick behalten – und wir müssen dieses Material als Ersatz der Bildebene sehen, jener komplexen Schicht, in der die epistemologische Arbeit der Malerei stattfand, gerade im Verlauf der Abstraktion –, dann scheint das Notwendige erreicht. In diesem Becken treiben keine Bildelemente mehr. Seine materiellen Punkte sind ununterschieden und austauschbar, selbst in der Richtung zwischen Oberfläche und Tiefe. Klar, dass Mondrians Arbeit, seine drei Farben aus dem Brunnen zu ziehen – selbst wenn er ihn auf seine Weise zum Überfließen bringt –, im Vergleich archaisch erscheinen muss. Diese in sich selbst schwimmende Farbe braucht keine tektonisierende Struktur mehr wie Mondrian noch lange die schwarzen Balken des disegno brauchte. Dieses Objekt braucht auch keinen Rahmen, braucht nicht jene Zierleisten, mit denen Reinhardt seine Bilder umnagelt. Und es hat in keiner Weise mehr einen materiellen Träger, der noch irgendwie vom Phänomen trennbar wäre – wie die Monochrome Stellas und Kleins, deren phänomenale Farbe die tote Rückseite, den „Knochen“ von Keilrahmen und Leinwand überzieht. Von seinem Rand einwärts ist es einfach da. Das flache Volumen dieser Materie, die homogen wie Wasser ist, und in dem jedes Molekül die Stelle jedes anderen einnehmen kann, stellt sich dar als Konsequenz und Abschluss der Bildabstraktion. Es ist absolut still. Die virtuelle Beweglichkeit ist in den Materialqualitäten – Härte, Steifigkeit und Trans-

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parenz – gebunden. Es ist ein Phänomen, das sein eigener Träger ist. Und dennoch, ist es, wie Judd will, „just there“ – selbstidentisch, spezifisch und aggressiv – und „führt nirgendwo anders hin“?556 Die Plexiglasplatte ist als Ready-made aus dem flüssigen Körper der Braut geschnitten, aus der prinzipiell endlos erstreckten gleichförmigen Ebene des vom Kapital induzierten synthetischen Materials. Seine Form, die nur als das Aufhören dieses Stoffs denkbar ist, der sie bis ganz an den Rand füllt, ist nichts anderes als die abwesende Gussform, das Raster der maschinischen Produktion. Der rationale disegno ist zum Zuschnitt geworden, der das homogenisierte, deterritorialisierte Material in die Form, meistens die Form eines Rechtecks bringt. Ein weiteres und geschichtlich reales Ausgreifen des „rationalistischen Netzes“, das Judd allerdings nicht bemerkt. In seinem ganzen theoretischen Horizont geht es um die Kontraktion des Raums und der Episteme der Malerei zu einem Objekt, das „ist, was es ist“, das non-repräsentational ist. Vor diesem Hintergrund bestimmt sich für ihn die tautologische Identität. Mit dem Sprung des specific object in den real space aber ist Judd aus dem Element des ikonischen Bezugs auf die Welt in das der indexikalischen Einschreibung eingetreten. Die Arbeit der Abstraktion findet nicht mehr in der epistemologischen Schicht der Malerei statt – als eine Analytik des Bildes und Ordnung der Potentiale seiner wesentlichen Diaphanie –, sondern im Dispositiv der Produktion, dem verzweigten Massiv toter, gespeicherter Arbeit, das die Gussform konstituiert, die dem Produkt einerseits äußerlich bleibt und es andererseits bis ins Innerste seiner Erscheinung prägt. An die Stelle der kompositorischen Synthesis einer repräsentierten (noematischen) Mannigfaltigkeit mit der ideellen Einheit des Bildes ist die Extraktion und vielstufige Verarbeitung und Transformation von „natürlichen Rohstoffen“ getreten und ihre „chemische“ Synthesis zum genormten und homogenisierten Produkt, dem in seine Form geprägten Material. Die Stahlplatte, die Plexiglasplatte trägt den Abdruck der gestauten Tiefe der Zeit der Produktion. Ihre Homogeneität, die für Judd nur das Telos abstrakter Malerei (tautologische Identität, intensive Gegenwart) um so viel perfekter realisiert, als die in mühsamer Handarbeit ihre eigene Spur verwischende Malerei Reinhardts, diese Homogenität und Glätte der Platte ist Ausstoß und durch und durch Spur der in den Produktionsmitteln akkumulierten Zeit. Nicht nur ihre Form ist durch den Zuschnitt als neue Gestalt des disegno geprägt, das Material selbst ist von der vertikalen Historizität, die für das dreidimensionale Ready-made den Referenzraum des flächig-synchronen Bildes ersetzt, durchdrungen. Dies ist ihre referentielle Dimension oder Tiefe, die an die Stelle des negierten Bildraums tritt. Die Arbeit der Abstraktion, die Reinhardts Schwarz mit der Asche der Repräsentation angereichert hat, findet nicht mehr in der Dimension des Bildes statt, des ikonischen oder mathematischen Bezugs auf die Welt, sondern findet statt und hat stattgefunden im Element der realen Produktion und ihrer dynamisch-kausalen Einschreibung im Produkt. Der totalisierte Weltbezug der Bildmonade Reinhardts ist in Judds Materialien in diesen real-zeitlichen (nicht aber narrativen) Raum verdreht. Im 556 Batchelor, „A small Kind of Order: Donald Judd interviewed“, 64.

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Element sedimentierter, nicht erinnerter Zeit bezieht sich dieses Monochrom in seinen „kleinsten Perzeptionen“ auf die Differenz der Welt, die es affiziert. Reinhardts totalisierte Erinnerung an Malerei durch Malerei hindurch aber ist Programm und sie gehört dem kulturgeschichtlichen Raum an und wird deshalb beschworen und oft für bare Münze, das heißt religiös genommen. Die akkumulierte Arbeit aber, deren Abdruck Judds Materialien tragen, deren Abdruck sie sind, wird weder beschworen noch fällt es leicht, sie überhaupt zu sehen und zu denken, weil sie nicht der Geschichte des Sinns, nicht der Dimension der Erinnerung angehört, sondern der der Vergegenständlichung von Zeit, die der Grundzug jeder technisch-vermittelten Beziehung auf die selbstgebende Natur ist. Dieser Bezug ist es, der in dem „Wasser“ von Judds Plexiplatte erstarrt ist und als reine Erscheinung existiert. Die Abstraktion hat stattgefunden – wie sie stattgefunden hat und durchgearbeitet ist in Reinhardts Bild. Aber sie hat stattgefunden und bleibt Sinndimension des Werks, d. h. Dimension seiner Wahrheit, in der radikalen Äußerlichkeit einer Zeit, die von der Selbstgegenwart der Wahrnehmung, in die sich die räumliche Form projiziert, abgeschnitten ist, die der phänomenalen Gegenwart abgewandt bleibt und sich keiner Erinnerung öffnet. Es ist klar, dass Judd mit allem, was er sagt, und fast allem, was er nach Mitte der sechziger Jahre tut, diese Abschneidung verschärft. Die ideelle Bildebene bleibt das Modell der Synchronie der Sichtbarkeit auch für die im real space exponierten Materialien. Diese Synchronie ruht auf dem Vergessen der an die Schwelle jeder Gegenwart gestauten und sie tragenden Zeit. Diese Stauung ist es, die nun, da der Werkpräsenz der Hiatus der ikonisch-repräsentationalen Vermittlung, die Resonanz eines Erinnerungsraums ausgetrieben ist, in die gleißende Gegenwart des Materials durchschlägt. Die industriellen Materialien sind dynamisch (s. o. , S. 217) von der vergessenen Zeit der Produktion in-formiert. Ihre Glätte ist diese unlesbare Information. Unbewusst hat Judd das Element des Weltbezugs seines Werks gewechselt. Es ist nicht mehr primär die räumliche Gegenwart, die visuelle Präsenz und die „Implikationen“, die in deren formaler Artikulation für das betrachtende Subjekt lesbar werden, es ist die Spur und die Stauung der vergessenen Zeit der Produktion, die den Spiegel dieser formalen Gegenwart tragen. Die gesteigerte Intensität, die „Plötzlichkeit“ der Werkpräsenz, die Judd anstrebt, ist der Index dieses Vergessens der Arbeit, der abstrahierten, in den Produktionsmitteln sedimentierten toten Zeit, als deren unlesbares Zeichen die Glätte und Homogenität der deterritorialisierten Materialien sich im Schnitt der visuellen Unmittelbarkeit zeigen. Daher ist Judds Auffassung abwegig, dass die „rationalistischen Implikationen“, die er der europäischen Bildtradition abliest, die sich eine materielle Welt, die „zu neunzig Prozent aus Zufall besteht“ 557, zum harmonischen Kosmos zurechtlügt, dass, allgemein gesprochen, die Hierarchie von Form und Stoff, Struktur und Strukturiertem usw. in der wholeness und non-relationalen Ordnung seiner Objekte und Objektreihen beseitigt wären. Das gilt nur, sofern sie durch den Filter des selbstgegenwärtigen Leuchtgases, des Wahrnehmungsbewusstseins hindurch gesehen werden – als die Figuren eines räumlich synchronen Bildes. In 557 Glaser, „Questions“ / „Fragen“, 156/44 (Übers. verändert).

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der indexikalischen oder dynamischen Dimension ihres Weltbezugs sind sie dagegen von der gewaltsamen Hierarchie affiziert, die im industriellen Produktionsprozess herrscht. Hier durchdringt die ratio (die Zahl, die Formel, das „Wissen“) die Materie selbst, um die Wiederholbarkeit der Formen sicherzustellen, die mit ihrem Material, dem Chaos der Rohstoffe, das in sie eingegangen ist, nicht mehr zu tun haben als das ultratransparente und geglättete Rechteck oder Rund eines Ölgemäldes von Ingres mit den Körpern der Haremsfrauen oder Bankiersgattinnen, die es zeigt. Die Glättung und Homogenisierung des Materials, die es geeignet macht für den Aufschluss in die volle Präsenz des spezifischen Objekts, verdankt sich seiner vorgängigen Verflüssigung, in der die technische Rationalität – nicht Erbe, sondern geschichtliche Wirklichkeit des Begriffs – sich rückhaltlos durchsetzt. Die Differenz der Materie und das heißt letztlich der gebenden Natur (natura naturans) ist der abstrakten Homogenität des Kapitals unterworfen. Auf der Ebene der Produktionslogik sind die „Implikationen“ von Judds wholeness und local order alles andere als non-hierarchisch oder anti-rationalistisch. Jedoch gibt es ein Moment, das die industrielle ratio von der philosophischen, jedenfalls von der vor-Hume’schen und vorkantisch-dogmatischen trennt. Die technische ratio impliziert nicht die Behauptung einer transzendenten Geltung ihrer „Kategorien“. Die instrumentelle Zugriffsmöglichkeit muss nur eine bestimmte „Korngröße“ erreichen, die von den Erfordernissen des Produkts bestimmt bleibt. Die Geschichte der neuzeitlichen Naturwissenschaft und Technik verzeichnet eine extreme Senkung dieser Korngröße, proportional zur Kapitalakkumulation,558 aber die Schwelle bleibt Schwelle. Und ob jenseits von ihr Chaos oder Ordnung herrscht, steht nicht zur Diskussion. Das industrielle Dispositiv kommt ohne einen vorgreifenden Schluss über das Ende der Reihe aus. Man kann es nach-kantisch nennen, wie umgekehrt in der Kritischen Theorie die kantische Beschreibung der transzendentalen Subjektivität als jener großen Maschine – mit ihren Fangarmen (Synthesis der Apprehension), ihren seriellen Formen (Synthesis der Reproduktion) und ihrer Normenkontrolle (Synthesis der Rekognition) –, die die Natur (natura naturata) als Regelzusammenhang der Erfahrungsgegenstände hervorbringt, in Analogie zur gesellschaftlichen Produktion gesetzt wurde.559 Wie im transzendentalen Primärprozess die Verfassung der Materie oder des Rohstoffs, ehe er zum Mannigfaltigen der Sinnesempfindung wird, gleichgültig ist, weil schlechthin unbekannt oder noumenal, so ist in der industriellen Produktion der Zustand des Stoffs unterhalb der jeweils gesetzten Schwelle irrelevant. Der Regelzusammenhang wird der Materie oder 558 Je größer die Investition ins „Messgerät“, desto höher die Auf lösung. Das ist eine etwas grobe

Gleichung, aber als Strukturregel wohl gültig. Die Naturwissenschaften „sehen“ heute ihr Referenzfeld durch eine immer brechungsstärkere „Linse“ aus ineinander verschränkten Maschinen. 559 So einmal explizit bei M. Horkheimer („Kants Philosophie und die Auf klärung“, in: ders, Zur Kritik der instrumentellen Vernunft, Frankfurt a. M. 1997, 203–215, bes. 209). Der ausdauerndste Theoretiker dieses schwierigen Parallelismus ist Alfred Sohn-Rethel, der in vielen Analysen die Realabstraktion (die Warenform) als das historische Apriori des Transzendentalsubjekts aufzuweisen versucht hat (z. B.: Geistige und körperliche Arbeit, Weinheim 1989).

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dem Chaos aufgeprägt, dem Rohstoff, der, indem er auch nur als Rohstoff erfasst, schon vom Produktionsdispositiv affiziert ist. Über die reine Dispersion der Materie vor dieser ersten Apprehension des Chaos als Rohstoff, als Empfindungsmannigfaltigkeit ist in dem Dispositiv, das wiederholbare Erfahrungsereignisse produziert (Waren oder den Regelzusammenhang der Natur) weder etwas ausgesagt noch vorausgesetzt. Die transzendentale Produktion – die nicht sekundäre Erkenntnis des Produzierten (Wissenschaft) ist – berührt immer das Chaos. Aber sie versetzt keine Bilder, keine eidetischen Strukturen in das Chaos hinein, um es zu stabilisieren. Das ist der wesentliche Schritt Kants, dass er keine transzendenten Konstitutionsregeln in die noumenale Materie (das präsynthetische Chaos) projiziert, sondern sich auf den immanenten Gebrauch der Kategorien beschränkt, die die Prägeformen der konstituierten Gegenständlichkeit oder der phänomenalen Welt sind.560 So ließe sich das industrielle Dispositiv in einen „transzendentalen Empirismus“ einbetten und fände in ihm, nicht in einem „dogmatischen Rationalismus“, seine philosophische Entsprechung. Was Deleuze und Guattari als Deterritorialisierungsbewegung des Kapitals denken, ist Index dieses Treibens einer immanenten, aber wie das Feld der Verstandeserkenntnis des kantischen Subjekts notwendig expandierenden, aufs Unendliche geöffneten Ökonomie der Produktion und Repräsentation im Chaos oder der absoluten Differenz. Mit der Reflexion auf diesen Parellelismus, die ich nicht weiter vertiefen will, fällt vielleicht der Anschein der Forciertheit weg, der in der direkten Beziehung der Bildabstraktion (im epistemischen Sinn von Mondrian bis Reinhardt) auf jene Abstraktion der Arbeit, die in der Dimension der Spur Judds Materialien berührt, liegen mag. Man ist an die Analogie zwischen der Transparenz oder Diaphanie des (repräsentationalen) Bildes und des Bewusstseins auf eine phänomenale Welt gewohnt. Wir haben dieses Verhältnis hinsichtlich der Zeitstrukturen formalisiert. Vergessen, Stoppung, Umkehrung des Werdens gehören zur Konstitutionsbewegung des Gegenwartsbewusstseins, das perspektivisches Bildbewusstsein ist: Epoché der entropischen Zeit und doch von ihr angetrieben und auf ihr treibend. Judd selbst be560 Der transzendentale Primärprozess ist die Konfrontation mit dem präsynthetischen Chaos oder

der noumenalen Differenz. Er ist geleitet von den Kategorien (Notionen) und verschafft diesen ihren Gehalt. Das Schematismus-Kapitel ist ein ordnender Rückblick auf die Methode oder das Verfahren dieses „Geschehens“, die Deduktion nach A aber ist seine erste Durchführung, die nichts anderes sein kann als seine hypothetisch-konkrete Beschreibung. Die Deduktion nach B setzt bereits seine geklärte Ordnung und reinen Produkte voraus, das Ego der Apperzeption und „alle seine Vorstellungen“ (B 132), und fragt weniger nach der Bildung dieser Vorstellungen als nach der Struktur und den Verfahren ihrer (logischen) Verknüpfung in der Einheit der Apperzeption. So sehe ich die Beziehung und Abfolge dieser Kapitel, weitgehend mit Heideggers Interpretation (in Kant und das Problem der Metaphysik). Der Ausdruck Primärprozess meint die „verborgene Kunst in den Tiefen der menschlichen Seele, deren wahre Handgriffe wir der Natur schwerlich jemals abraten werden“ (A 141 / B 180 f.). Es ist klar, dass auch die Ausführungen des Schematismuskapitels diese „wahren Handgriffe“ nicht aufdecken. Indem sie die Kunst des Schematismus in der Orientierung am Modell der logischen Subsumtion fassen, sind sie ein formaler Entwurf, ein Vorschlag zur Selbstverständigung, wie ihre Verfahrenslogik in Bezug auf den Rahmen des Parallelismus von formaler und transzendentaler Logik (Ontologie), in den die Kritik eingeschrieben ist, gedacht werden kann.

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greift das Bild als Bewusstseinsmodell – und das Bewusstsein und seine Leistung als Modell des Bildes: die leere Idealität einer Aufmerksamkeit und Empfänglichkeit für die affizierende Materie, also die Farbe, die von dem strukturierten Rezeptor des Bildes oder des Bewusstseins zur phänomenalen (noematischen) Objektivität entfaltet wird. An diesen reflexiven Bezug von Bild und Bewusstsein also ist man gewöhnt, die Renaissancetradition und die klassische Kunsttheorie haben ihn uns eingeprägt. Was in diesem Modell unterdrückt ist, ist die parellele Analogie zwischen der Materie des Bildes und ihrer In-Formation durch den Produktionsprozess, der im Moment der Öffnung des Bildscheins vergessen ist und vergessen sein muss, zum lebendigen, unbewussten Körper, der dem Bewusstsein entzogen bleibt, da er der Träger seines intentionalen Horizonts und seiner Erkenntnisobjekte ist. Wenn das Subjekt und sein Weltbezug daher auf der fundamentalen Ebene nicht der Erkenntnis, sondern der Produktion von Erkennbarem, von Kant und seit Kant vermehrt in Analogie zur Maschine gedacht wird, wenn die Maschine als das Dispositiv der Verzögerung des Chaos, des Werdens oder der Differenz zur normierten Erscheinung und damit zur wiederholbaren Erfahrungserkenntnis Komplement des (Bild-)Bewusstseins ist und dieses gegenüber dem Primärprozess, der es trägt, sekundär, dann ist in dem Moment, da das abstrakte Bild, dessen materielle Identität und Spezifik das Telos von Judds Dispositiv ist, von der Logik des Ready-made nicht mehr nur mehr schräg belichtet, sondern durchdrungen wird, da es selbst faktisch zum Industrieprodukt geworden ist, der skizzierte Vergleich nicht forciert, sondern topologisch zwingend. Von hier aus können wir auf die bildepistemologische Ebene der Analyse zurückspringen und klären, in welchem Sinn für Judd Pollock als der Erfinder der wholeness gelten kann. Damit greifen wir zugleich die Pollocklektüre vom Anfang des Kapitels wieder auf. Ohnehin durchdringen sich zunehmend die drei Hinsichten, unter denen wir die Passage in den real space behandelt haben, die der Materialspezifik, des Verhältnisses der Idealität der Fläche zur Synchronie des real space und der Kompositionskritik. In den Bildern, die Pollocks ersten drip paintings unmittelbar vorangehen, in der Sounds in the Grass-Serie, wird die figurative Bildarchitektur zerrieben. Die Defiguration erreicht den „Grund“ der Formlosigkeit. In Shimmering Substance, Croaking Movement oder Eyes in the Heat (fig. 110–112), ist jene Struktur aufgelöst, die im repräsentationalen Bildraum das Material an seinem Platz hält, es einer Form einschreibt. Pollocks Defiguration hat im Bild jene Schwelle erreicht, wo der Schirm seiner Synthesis brüchig und durchlässig wird. Die Malerei greift nun gleichsam direkt in das präsynthetische Material und wird primäre Produktion, nicht Repräsentation von Produziertem. Dieser Traum – sein „dream of priority“ 561 – ist Pollocks Bildern eingeschrieben. Es ist der bildepistemologisch entscheidende Schritt, der der Synthesis des Materials zum Monochrom gleichsam vorausliegt. Pollocks heterogenes Material, das Impasto, das in den drip paintings die Bildoberfläche überspannt, ist 561 Siehe Clark, „The Unhappy Consciousness“, 333, der den „dream of priority“ etwas anders liest.

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an jenem Ort, „fünf Faden tief “, wo Knochen und Korallen sich mischen, aufgegriffen. Auf diesem Grund, in der anachronistischen Tiefe des Präsynthetischen sind die Differenzen keine figurierten Differenzen mehr. Und ihre Zusammenstellung ist keine Komposition, und schon gar keine relationale. Das Bild wird als Stelle des Übergangs des Chaos’ in die seiende Form gefasst. Vorher ist keine Form und Figur. Das Chaos erscheint auf der Schwelle oder als Schwelle der imaginativen Synthesis selbst. Und es ist nicht erstaunlich, sondern gar nicht anders denkbar, als dass diese Freisetzung des Materials einerseits in der Tiefe der Bildstruktur stattfindet, auf dem „metaphorischen“ Meeresboden, und dass sie andererseits technisch realisiert, ans Land eines „metonymischen“ Verfahrens gezogen werden muss. Ohne das technische Verfahren Pollocks und seine lang und hart erarbeitete Funktion bliebe der „dream of priority“ in der Tat nur der Traum einer Intensität, eine psychobiografische Episode ohne Bestand. Die präsynthetische Materie, die durch das Bild hindurch als ein Jenseits jeder schematischen Apperzeption zu erreichen wäre, als noch nicht präsenter und gerade darum eigentlich seiender, differenter Grund – ist nichts anderes als die Farbe in der Dose, von deren substanzialer Integrität der Minimalismus noch immer und sehr viel tiefer träumt als Pollock, der diese Materie in ihrer vollen Komplexität und Mehrdimensionalität begriffen und ihren Ort in der Struktur seines Werks bestimmt hat. Wenn Judd also Pollock die Erfindung der wholeness zuschreibt, macht dies den epistemologischen Sinn des Begriffs in seiner bildtheoretisch radikalen Schicht deutlich. Whole ist das Bild nicht notwendig, sofern es glatt, dicht und homogen gefüllt ist, wie es die Beispiele Rothkos, Newmans und Stills etc. nahelegten. Im Monochrom, sofern es hier als methodischer Pol der Arbeit dieser Künstler gelten kann, wäre die erste Synthesis bereits vollzogen, das Chaos unter die Schwelle der präsentablen (reproduzierbaren) Form zurückgedrängt. Das Wimmeln der Differenz summiert sich dann im Ausschlag der sinnlichen „Intensität“. Bei Pollock ist der Primärprozess im Moment dieser Kontraktion, der ersten Synthesis angehalten. Die Form, die Leerform der wholeness ist da – vom Vakuum eines Blicks überspannt, der gewissermaßen „noch nicht“ apprehendiert hat. Es ist der Moment der Synthesis selbst, der hier thematisch und methodisch artikuliert wird – das Bild an der temporalen Schwelle zur Bildlosigkeit oder der noumenalen Differenz. Aber während Pollock explizit die Synchronie der Bildpräsenz, die erst das Produkt der Synthesis sein wird, durch die indexikalische Einschreibung ihres Verhältnisses zur Faktizität des Materials bricht und die Bildebene zur Immanenzebene entfaltet, sieht Judd den Augenblick der Apprehension, die temporale Schwelle der synthetischen Bildeinheit, nur als die zeitliche Form, die – egal welches – Datenmaterial glatt umschließt. Judds positivistische Interpretation verdrängt die Auf brechung der Bildeinheit in Pollocks Werk, die mit dessen neuer, spezifischer und heterogener Materialität wesentlich verknüpft ist. Der Vermeidung des räumlichen Hiatus der ikonischen Differenz durch die widerständige Körnung von paint on a surface entspricht für Judd die Vermeidung der zeitlichen Verschleifung der Synthese dieses Materials zur Einheit einer gegebenen Form. So wie das gekörnte Material unmittelbar da ist, auf der Leinwand lokalisiert, so ist es unmittelbar im Jetzt gegeben, dripped paint

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as dripped paint, in der Präsenz seines Perfekts. Die präsynthetische Vielheit, in die Pollock sein Material loslässt, ohne das technisch-epistemische Register von Pinsel, Palette und Staffelei und den Eingriff von Farbskalen und sonstigen medienanalytischen Schemata – diese von Differenzen zerrissene Materialität gibt sich in der einen Eigenschaft, der Konkretion und „unnachgiebigen Identität“ (CW I 187), zugleich als völlig homogen. Das abweichungslose Hier des materiellen Punkts und das abweichungslose Jetzt der Wahrnehmung (Empfindung) bilden die wie auch immer „gefüllte“ Form der materiellen Präsenz selbst. Sie kreuzen sich im Datum als dem einzigen Element, der einzigen Substanz der sinnlichen Positivität. Für die Ganzheit des Werks, die sich, in einem Guss, aus dieser Substanz der sinnlichen Daten herstellt, ist es daher gleichgültig, ob dieser Stoff monochrom oder gesprenkelt ist. Der Sand und Kies, die Zigarettenkippen, Münzen und Knöpfe, die in Pollocks Farbe kleben, unter ihren Schichten und Bahnen, unterbrechen dieses akute und lokale Gegebensein nicht. Sie stärken seine Konkretion. Das gekörnte Material des Werks ist es, das in Judds Augen dem Kreis der wholeness von innen her beispringt und die Fülle der Werkpräsenz sichert. Die neue unmittelbare, nicht-komponierte oder nonrelationale Einheit ist der Zusammenschluss einer sinnlich differenzierten, aber ontologisch homogenen Stoff lichkeit mit der Form akuter sinnlicher Wahrnehmung.

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Kapitalistischer Konstruktivismus? Der Bruch mit der Episteme des Bildes, den Judd in seinem Werk und seinem Diskurs und in den Spitzen unbewusst vollzieht, ist systematisch. Mit der Auf klappung des specific object im real space hat sich die Prädestination eines Blickpunkts verloren. Die Beziehung von Auge und Bild – seit dem Impressionismus aus dem strikten Geometral der Perspektive genommen, das im Kubismus splittert – ist im Raum absolut zerstreut. Indem das Material durch den Rahmen der wholeness in den real space gelangt ist wie Oldenburgs Vinyl, ist das Werk in den paradigmatischen Zeit-Raum des Ready-made – die vierdimensionale Perspektive – eingetreten. Judds sprachliches Herumhämmern auf Oldenburgs Soft Switches zeigte, wie dieser Übergang und der Status des ins Ready-made getretenen Bildes oder seiner Materie sich in einer libidinösen Topologie und Ökonomie bestimmen kann. Judds Plexiboxen zeigten, wie die Temporalisierung, der das aus dem Bildraum getretene Objekt zwangsläufig unterliegt, auch in seiner eigenen Syntax aufgefangen und artikuliert werden kann. Aber seine Materialien ingesamt sind in die Zeit eingetaucht, in der Zeit gewaschen. Ihre Phänomenalität selbst ist Spur. Judds ganzes Dispositiv aber, sein Begriff des Werks und der Werkpräsenz und wesentlich der der Ordnung (oder Nicht-Ordnung) und ihrer „anti-metaphysischen“ und „anti-hierarchischen“ „Implikationen“ bleiben am Bild und dem Modell des Durchblicks auf eine Welt orientiert. Eines Durchblicks, der sich in der Malerei – hier und jetzt – als Negation eines in der Zeit persistierenden Materials, des Geflechts der Spuren, aus denen das Bild besteht, konstituiert. Der Rahmen von Judds Bild aber, der Installation im real space, ist die Gegenwart des Raums selbst. Und diese Gegenwart ist nicht – wie die des Bildscheins und damit der phänomenalen Figuration (ob naturähnlich oder abstrahiert) tatsächlich – vom Blick und der Aktualität des Sehens jeweils erst hergestellt. Die Gegenwart des ungerahmten Raums und die Gegenwart der Materialien in ihm, die dort die Objektformen bilden, sind

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Epilog

als reale Konstellation, das, was in der Malerei die schartige Oberfläche war, deren datierte und lokalisierte Gegenwart (Pollocks Impasto) den Schein-Raum des Bildes gerade verstellt. Die materiellen Objekte im real space sind auch genealogisch oder werkbiografisch Auffaltungen der materiellen Bildoberfläche im Format des architektonischen Volumens, auf dem Grund einer Gebäudestruktur als ihrem Träger. Diese aus Pollocks Bildoberfläche gezogenen „Objekte“ können dann Serras oder Benglis’ explizit an einen lesbaren Produktionsprozess rückgeschlossene Materialgerinsel sein oder eben Judds aus der handlosen Bearbeitung der Industrie aufgetauchte, geglättete Scheiben. In jedem Fall aber ist der Raum ihrer Gegenwart an die Kontinuität der produktiven Zeit angeschlossen. Und wenn man die Innenseite dieses Raums, der Gussform ihrer Präsenz weiß streicht wie einen Bildhintergrund, ändert das daran nichts – oder nur wenig. Dieser Anschluss betrifft nicht nur die indexikalische oder texturale Einschreibung von Zeit im Material des Produkts. Seine Präsenz, seine Sichtbarkeit selbst ist, speziell im Fall der Ausstellung in der Galerie, im konkreten Sinn ein Produkt, getragen nicht von der Gegenwart und Aktivität eines Blicks, sondern von der ökonomischen Funktion des Galeriebetriebs, es ist der Raum, in dem der Tauschwert extrahiert wird, ein stillgelegter Raum, in dem die Zeit zählt. Judd will diesen Raum sehen wie einen Bildraum – als wären die Materialien in ihm phänomenale Figuren, in der ideellen Leere eines Scheins freigestellt, der eine Existenz einzig in der Gegenwart der Wahrnehmung gewinnt, die ihn spontan je neu konstituiert. Seine Materialien aber sind die Pinselstriche und nicht die Figuren oder die Noemata in diesem „Bild“. Und dass seine Pinsel keine Borsten mehr haben, dass die Spraypistole und das Eloxierbad keine lesbare Verzahnung von zeitlichem Nacheinander und räumlichem Nebeneinander mehr erzeugen wie meistens die Handarbeit zum Beispiel in der Malerei, ändert nichts am Anschluss dieser aufgerichteten Materialien an die Zeit ihrer Produktion. Duchamp hat das Ready-made durch den Zeitspalt der déclaration in sein Werden ausgesetzt, das je eine Bildgegenwart durchquert. Judd will, dass sich das Sein des specific object im real space aus bildhaften Präsenzschnitten zusammensetzt oder schichtet! Das wird ihn zum Konzept der Permanenten Installation führen. Dass aber jeder dieser Bildschnitte von der Zeit durchflossen bleibt, dass er ein Kontaktabzug der andrängenden Oberfläche der absoluten Vergangenheit eines Werdens ist, das dem Bewusstsein, etwas verspätet, als Gegenwart erscheint; dass die Braut, anders gesagt, auch wenn sie sich in stehende Bilder exponiert, dennoch „schreitet“ oder „strömt“, dass jede noch so homogenisierte Präsenz vom materiellen Werden getragen ist – einschließlich der Augenpunkte und perspektivischen Sichtkegel, die ein lebender Körper durch dieses Raumbild trägt562 –, vergisst Judd. Theoretisch bleibt er mit seiner ganzen Konzeption in der 562 Die phänomenologische Minimalismusrezeption hat sich lange Zeit primär mit der Ausleuch-

tung dieser Sichtkegel der kinästhetisch bewohnten Wahrnehmung beschäftigt (exemplarisch in Bezug auf das geometrale ABC der frühen Arbeiten von Robert Morris und von ihm in den Notes on Sculpture initiiert). Michael Fried dagegen hat sofort gespürt, dass diese belichtete Immanenz der Wahrnehmung nur mehr die Innenseite einer prinzipiellen Blindheit ist, in die der Betrachter in der minimalistischen Situation eingetaucht ist, die ihn angeht, die ihn „umgibt“. (Sartres

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verspiegelten Gussform stecken. Sein Paradigma ruht und ruht nur unruhig auf dem Vergessen der Zeit des Werdens oder der Entropie. Es ist dieses Vergessen, das Judd erlaubt, die andersartige Diagrammatik einer „series of four boxes“, ihre zeitliche Perspektivik zu übersehen. Es ist Bedingung dafür zu übersehen, wie weitgehend in dieser temporalen Perspektive Struktur und Strukturiertes unterschieden sind, wie hierarchisch-gewaltsam die Beziehung der Form zur materiellen Mannigfaltigkeit seiner Objekte ist, dem vom Kapital affizierten, deterritorialisierten Material. Der Filter der wholeness als Präsenzschnitt, der den real space zum Bildraum macht, in dem sich je aktuell ein selbstgegenwärtiges Bewusstsein spiegelt, diese Verkennung der Situation, in die der „verfrühte Sieg“ über die Malerei geführt hat, diese narzisstische Einschließung, denn der reflexive Bezug der Werkimmanenz wird nun randlos und verkennt sich als absolut, macht es möglich, dass Judd seine local order für „barely order at all“ hält und nicht sieht, dass er nur das Terrain gewechselt hat, und dass die rationalistische Komposition nun in die Tiefe der Synthesis des Materials selbst zurückreicht. Ich möchte die Diskussion dieser Passage von der Bildepistemologie zur Produktionslogik der post-studio Kunst Judds und den Blick auf die Neo-Avantgarde der sechziger Jahre insgesamt mit einem historischen Rückblick und Gegenbild schließen. Man hat diesen Übergang von der Malerei in den real space oft mit dem russischen Konstruktivismus in Zusammenhang gebracht, was ich vorhin in Bezug auf die Differenz Europa/Amerika vielleicht überhastet zurückgewiesen habe. Denn wenn wir Texte von Tatlin zur „Materialkultur“ und von anderen Autoren aus dem Umkreis des Konstruktivismus lesen, fallen fast komische Affinitäten zu Judds Paradigma der „Materialspezifik“ ins Auge, – komisch, wenn man die radikale Differenz der historischen Situation nicht vergisst. Ich zitiere aus dem „Programm der Arbeitsgruppe der Konstruktivisten am INChUK“ (Alexander Rodtschenko, Warwara Stepanowa und Aleksej Gan): „Die Gruppe sieht folgende Punkte als materielle Elemente an: 1. Das Material in seiner Gesamtheit. / Analyse der Ausgangsbestandteile, seine industrielle Verarbeitung oder Verwendung in der Herstellung, seine Qualitäten, seine und mit ihm Lacans Name für das, worauf diese Blindheit bezogen ist, wäre der Blick. Die theoretische Konstellation hat Georges Didi-Huberman in Was wir sehen blickt uns an entfaltet.) Die „theatrale“ minimalistische Situation strahlt auf den Körper, den Träger des Sehens zurück. Auf den Körper, der im Dunkeln hinter den Augen beginnt und dem die entzogene Seite des Objekts entspricht, das sich in seine Aspekte nur einkleidet, das volle Objekt also, wie es von einem Auge4 gesehen würde, „wie mit der Faust gepackt“ (ST 158). Die „Gegenwart“ (presence) des minimalistischen Objekts – im Gegensatz zur „Gegenwärtigkeit“ (presentness) der modernistischen Kunst, die ihren Körper (ihre Materialität) unter sich abgeworfen hat und den Betrachter in einem Moment der „Gnade“ von dem seinen befreit – ist für Fried deshalb so beunruhigend, weil sie von der schlechten Unendlichkeit der entropischen Zeit unterströmt ist, von jener Straße, die endlos ist, weil sei „beispielsweise im Kreis führt“ (Fried, „Kunst und Objekthaftigkeit“, Stemmrich 1995, 263). Soweit nur möchte ich andeuten, wie sich die Lektüre von Frieds berühmtem Text in meine Topologie einschreiben würde. Diese Lektüre aber führt zu Morris, zu Tony Smith und über den Minimalismus hinaus zu Robert Smithson. Judds visuelle Kunst hat mit Frieds Konstruktion des Literalismus von Anfang wenig zu tun.

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Epilog

Verwendung. / Die intellektuellen Materialien sind folgende: 2. Licht. 3. Raum. 4. Volumen. 5. Fläche. 6. Farbe. / Die Konstruktivisten stellen intellektuelle Materialien mit den Materialien der festen Körper auf eine Stufe.“ 563 „Intellektuelle Materialien“ mag ein schwieriger Ausdruck (oder auch eine problematische Übersetzung) sein, aber Judd würde das unterschreiben: „Color and space occur together“ (SA 22), schreibt er in seinem letzten publizierten Text. Und über die Gleichwertigkeit von Material und leerem Raum, die für seinen Begriff der Installation bestimmend ist: „[W]hat is needed is a created space, space made by someone, space that is formed as is a solid, the two the same, with the space and the solid defining each other.“ (CW II 16 f.) – Oder wenn man Tatlins „Rechenschaftsberichte“ über die Arbeit der „Abteilung Materielle Kultur“ vom Anfang der zwanziger Jahre liest, die von der Erforschung von Materialeigenschaften und – das hätte Judd besonders interessiert – von „Deckmaterialien (Standardfarben)“, d. h. von widerstandsfähigen Lacken handeln; eine Forschungsarbeit, die zwar auf den Gebrauch „dieser Materialien […] im täglichen Leben“, d. h. in der Massenproduktion zielt, aber trotzdem von einem theoretischen Vortrag über „Die Farbe als Deckmaterial gegen (den Impressionismus und andere) ‚Ismen‘ “ begleitet wird – sich also noch in Relation zur Geschichte der Malerei versteht.564 Judd hat sich selbst – spät, aufgrund der schlechten Rezeptionssituation – für Malewitschs flache und dichte Farbflächen interessiert und in Tatlins „interest in real materials and space“ eine Verwandtschaft zu seinem eigenen Pragmatismus gesehen.565 Wo ihm die Bezugnahme sicherlich schwerer fiel, war der Topos vom „Künstler als Organisator der Lebensweise“, der Tatlins und Rodtschenkos Texte durchzieht, aber auch dieser weitere Horizont findet, wie es scheint, in Judds späten Großprojekten, in den Installationen in Marfa in Texas, in ihrer angeblichen „Tendenz zur Architektur“ (vgl. CW II 9) und schließlich in Judds Möbeldesign – die gute Form für eine bessere Welt – seine Resonanz. Wie bei Judd geht es im Konstruktivismus um die materielle Realisierung des Werks im wirklichen Raum, um den Ausstieg aus dem Schein des „Bildchens“, um die Verabschiedung der Staffeleimalerei, aber darüber hinaus geht es um den Ausstieg aus der „Kunst“ überhaupt als der „idealistischen“ Träumerei von Leuten und für Leute, die sonst nichts zu tun haben, die nicht produzieren, der Kapitaleigner. Dieser Ausstieg hat in der russischen Avantgarde eines seiner zentralen Scharniere in dem Begriff der Faktur, der indexikalischen Einschreibung der Produktion im Produkt, die bei Judd tendenziell abgeblendet ist. Der Begriff der Faktur bezeichnet zunächst die Textur

563 Zit. nach: Europa – Europa. Das Jahrhundert der Avantgarde in Mittel- und Osteuropa, Ausst.-

Kat. Bonn, 1994, hg. v. Ryszard Stanislawski u. Christoph Brockhaus, Bd. 3: Dokumente, 193 f. Das INChUK ist das „Institut für künstlerische Kultur“, 1920 in Moskau gegründet. Zu seiner Geschichte s. Gaßner/Gillen (Hg.), Zwischen Revolutionskunst und Sozialistischem Realismus, Köln 1979, 97 ff. 564 Zitate aus dem „Rechenschaftsbericht über die Forschungsarbeit im Jahre 1924. Abteilung Materielle Kultur“, in: L. A. Shadowa (Hg.), Tatlin, Weingarten 1987, 277 ff. 565 Siehe „On russian art and its relation to my work“ [1981], CW II 14–18, 16; und speziell zu Malewitsch, „Malevich: Independent Form, Color, Surface“, CW I 211 ff.

Kapitalistischer Konstruktivismus?

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oder Oberflächenstruktur des Bildes, die parallel zum Abbau der Repräsentation in der Malerei ins Bewusstsein tritt. Seine volle Dimension gewinnt der Begriff aber erst in der theoretischen Reflexion des Konstruktivismus im Zusammenhang mit dem Ausstieg aus dem Bild.566 Sehr klar beschreibt Warwara Stepanowa den Moment des Übergangs in einem Brief an Aleksej Gan, 1922: „Es ist verständlich, daß sich in der Faktur, wie auch in allen anderen Elementen der Malerei, die faktische Abkehr von der Darstellung widergespiegelt hat. / Als die Kunst von der kontemplativen Betrachtung zum aktiven Tun überging, änderte sich auch der Produktionsprozeß, das heißt der Begriff der Faktur. Ich halte die Faktur für einen Produktionsprozeß. Bis jetzt, oder genauer gesagt, bis zu den ersten Etappen der neuen Kunst (dem Impressionismus) konnte man nur von der Manier eines Künstlers sprechen.“ 567 Und sie listet die Stationen einer „historische[n] Entwicklung“ auf: „1.Manier (darstellende Faktur) […], 2. Faktur des Bildes […], 3. Bearbeitung der Oberfläche […] / Zugabe von Sand, Glas, Sägemehl […] / Auf kleben (Papier/Rinde etc.) / Faktur durch Übermalung mittels Schablone […] / 4. Mechanisierte Fakturen / a) Verwendung von Werkzeugen / […] Zerstäuben der Malfarbe durch einen Zerstäuber / Walzen und Pressen / Mattieren (mechanisch glatt)“ – um mit der konstruktivistischen Definition zu schließen: „5. Die Faktur als Bearbeitung des Zustands des Materials im Konstruktivismus“.568 Die „mechanisierte Faktur“ erscheint, wenn das Bild Objekt geworden ist. So schreibt Rodtschenko 1917: „Der Pinsel ist durch neue Werkzeuge ersetzt worden, die zur Bearbeitung der Oberfläche geeigneter und effizienter sind. Der Pinsel, der für eine Malerei unersetzlich war, die Objekte und ihre Subtilitäten wiedergab, ist zum unangemessenen und ungenauen Instrument der neuen ungegenständlichen Malerei geworden, und die Presse, die Walze, der Zeichenstift und der Kompass haben ihn ersetzt.“ 569 Der Ausstieg aus der gegenständlichen Malerei, in der es nur eine Manier geben kann, weil die gestaltete Form der Dimension des Scheins angehört und vom Produktionsprozess nur „seitlich“ berührt werden kann, zur Bearbeitung des Bildes selbst als Objektoberfläche ist aber nur ein Schritt zur räumlichen Entfaltung des konstruktivistischen Reliefs, mit der zugleich der Begriff der Faktur seinen vollen temporalen Sinn gewinnt. Aleksej Gan hat in seinem Konstruktivismus-Buch (Tver 1922) die formale Definition des Begriffs entfaltet, die vom Konstruktivismus zum utilitaristischen Produktivismus führen wird:

566 Auf die entscheidende Rolle des Begriffs bei Malewitsch hat Y.-A. Bois hingewiesen („Malé-

vitch, le carré, le degré zéro“, Macula 1 [1976], 28–49), wobei sein Interesse von einem, sagen wir, „Ryman’schen“ Blickwinkel gelenkt ist. Allgemeiner zur Geschichte des Begriffs: Margit Rowell, „Vladimir Tatlin: Form/Faktura“, October 7, 83–108; B. Buchloh, „From Faktura to Factography“, October 30, 82–119; Aage Hansen-Löve, „Faktur, Gemachtheit“, in: Aleksander Flaker, Glossarium der russischen Avantgarde, Graz/Wien 1989, 212–219, – sowie die Dokumente in: Europa – Europa, 124–141. 567 „Die Faktur. Brief an Aleksej Gan“, in: Europa – Europa, 134 f. , 134. 568 Ebd. , 135 (kurs. i. Orig. groß.). 569 Zit. nach Buchloh, „From Faktura to Factography“, 89.

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Epilog

„An die Definition der Faktur darf man nicht vom professionellen Standpunkt des Malers aus herangehen. […] / Bei der Betrachtung unseres Begriffs der Faktur muss man vom Material allgemein ausgehen. / Als Beispiel nehmen wir Gusseisen, ein industrielles Material. / Damit man ein Ding daraus erhält, nimmt man einen komplizierten Produktionsprozess vor. Gusseisen wird geschmolzen, also in eine glühende flüssige Masse verwandelt, dann in einen vorbereiteten Formkasten gegossenen; anschließend durchläuft es die Schmirgelabteilung oder es wird einfach grob versäubert, kommt in die mechanische Abteilung auf die Drehbänke, und erst dann kann man sagen, dass aus dem Gusseisen ein Ding wird. Dieser gesamte Prozess ist die Faktur, also die Bearbeitung des Materials insgesamt und nicht nur die Bearbeitung seiner Oberfläche. / Hier wird das Material in seinem Rohzustand verstanden. Zweckmäßige Verwendung des Materials heißt Auswahl und Verarbeitung, und der Charakter der zweckbestimmten Verarbeitung ist die Faktur. […] Faktur heißt Erinnerung an das Faktum, an das faktische Wesen einer bestimmten Beschaffenheit eines Körpers, einer Materie. / Bei uns bleibt diese Bedeutung exakt erhalten. / Das Material ist ein Körper, Materie. Die Verwandlung dieses Rohstoffs in einen bestimmten Zustand erinnert uns dennoch an seinen Urzustand und teilt uns die neu anstehende Möglichkeit seiner Verwandlung mit. / Da wir ihn verwandeln und verarbeiten, verändern wir seine Faktur.“ 570

Hier deutet sich die elementare Schwierigkeit des Begriffs der Faktur und des konstruktivistischen Paradigmas im Ganzen an. Denn der „komplizierte Produktionsprozess“, ist nie der des einzelnen Dings, das er informiert, und diese Information – die Faktur – wird nie den Produktionsprozess in Transparenz zu lesen geben. Der Produktionsprozess reicht effektiv einige Jahrtausende zurück, und das Produkt aus Gusseisen, das aus ihm hervorgeht, wird den Abdruck dieser Geschichte tragen, aber es wird sie nicht erinnern. Es ist für die industrielle Produktion – und um das Eindringen der „Kunst“ in die Massenproduktion geht es hier – wesentlich, dass in ihr die Faktur nicht erinnert. Nicht an den ehemaligen Zustand eines (nur eines?) Rohmaterials – und nicht an die Vollzugsweisen seiner Transformation, da diese nicht primär im aktuellen Arbeitsvollzug geleistet wird, sondern von der Hebelkraft der in den Produktionsmitteln im weiten Sinn, der das technische Wissen (den General Intellect, wie Marx sagt571 ) einschließt, sedimentierten Geschichte (der toten Arbeit). Der Konstruktivismus – Gan ist hier exemplarisch – geht noch von einem „natürlichen“ Rohmaterial aus, dessen Endgestalt als „fakturiertes“ Objekt transparent wäre auf den „Urzustand“ wie auf die „anstehende Möglichkeit seiner Verwandlung“, auf seine Vergangenheit und seine mögliche Zukunft. In Tatlins Materialkultur ist diese Struktur ausgeprägt. „Wir müssen das Spektrum unseres Denkens auf die Materialien und ihre Wechselbeziehungen ausdehnen […] [und] im Material selbst die Vorbedingung zur Form ausfindig [zu] machen“, schreibt er in „Der Künstler als Organisator der Lebensweise“. Das führt zur Verwendung des gewachsenen Holzrohrs für Stühle, die dem Menschen angemessen sind, der „ein organisches Wesen 570 Zit. nach Boris Groys / Aage Hansen-Löve (Hg.), Am Nullpunkt. Positionen der russischen Avant-

garde, Frankfurt a. M. 2005, 346 f. (Kursiva i. Orig. fett).

571 Im berühmten „Fragment über die Maschinen“, in: Karl Marx, Grundrisse der Kritik der politi-

schen Ökonomie, MEW 42, Berlin 1983, 590–609, 602.

Kapitalistischer Konstruktivismus?

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ist, bestehend aus Skelett, Nerven und Muskeln“, weshalb es „unerläßlich ist, daß ein Stuhl federt“ (fig. 246, 248).572 Eine solche funktionale Transparenz ist in der Serienproduktion und der komplexen Raffinerie der Rohstoffe, die sie aufnimmt und verarbeitet, prinzipiell gebrochen. Es gibt keine organische Identität des Materials, die sich bis in einen „Rohzustand“ verfolgen ließe. Plexiglas zum Beispiel, Polymethylmethacrylat, ensteht durch Polymerisation aus Aceton, Blausäure, Schwefelsäure und Methanol. Ein „illegaler Know-how-Transfer“ von Öhringen bei Heilbronn, wo die Prozedur von Otto Röhm 1933 zur Marktreife gebracht wurde,573 gehört zu den historischen Kontingenzen, die in Judds „Rohm-Haas-Plexiglas“ eingeschrieben sind, zur Faktur dieses Materials. Die Faktur industriell produzierter Materialien erinnert die Geschichte, deren Resultat sie ist, nicht. Und diese Erinnerungslosigkeit ist es, die als solche in ihren faktischen Qualitäten – Homogenität, Glätte, Reproduzierbarkeit – phänomenale Gegenwart gewinnt. Als methodische Maxime des Konstruktivismus zielt der Begriff der Faktur auf die Transparenz des Produktionsprozesses im Produkt. In Tatlins Reliefs, in denen die Form aus der „tätige[n] Anspannung“ 574 der Materialien resultieren soll, als ein Diagramm ihrer Dynamik (fig. 244), ist das noch auf einer halb allegorischen Ebene umgesetzt: die Materialien selbst – nicht nur Holz, auch Glas oder Blech – sind als qualifizierte Gegebenheiten vorausgesetzt. Die Definition der Faktur, die Gan formuliert, führt weiter. Sie durchbricht den gegenwärtigen Zustand oder die Eigenschaften des Materials im Allgemeinen auf die Zeit der Produktion. Deshalb ist die Entwicklung vom Konstruktivismus zum utilitaristischen Produktivismus oder der Produktionskunst ein nicht nur „politisch“ – weg von der Kontemplation des Bildscheins der Vergangenheit zur Umgestaltung der materiellen Umgebung der Zukunft –, sondern epistemologisch und methodisch motivierter Schritt. Der Weg des Künstlers „in die Fabrik“ folgt dem zeitlichen Kontur der Faktur. Und die Aufgabe, diesen Umriss, in dem sich der Arbeitsprozess im Material einschreibt, zu gestalten, impliziert letztlich die Gestaltung der ökonomischen Strukturen der Produktion selbst. Die Produktionskunst will keine angewandte Kunst sein oder formales Design, es geht nicht um die „Schönheit“ des fertigen Produkts. „Der Grundgedanke der Produktionskunst, daß die äußere Erscheinung eines Dings von seiner ökonomischen Bestimmung abhängt und nicht von abstrakten ästhetischen Erwägungen,“ schreibt Ossip Brik 1924, „ist von unseren Wirtschaftsfunktionären noch unzureichend begriffen worden; ihnen scheint, daß der Künstler, dem es darum geht, zum ‚ökonomischen Geheimnis‘ der Sache vorzudringen, sich nicht um seine Angelegenheiten kümmert. / So ergibt sich dann unvermeidlich die angewandte Kunst, als Resultat der Abschottung des Künstlers von der Produktion. – Ohne die erforderlichen ökonomischen Direktiven greift er notgedrungen zu ästhetischen Schablonen. / Aber welchen Ausweg gibt es aus dieser Lage? / Vorwärts! – zur Überwindung die572 Zitate aus der „Künstler als Organisator der Lebensweise“, in: Shadowa, Tatlin, 329. 573 Information des deutschen Kunststoffmuseums (http://www.deutsches-kunststoff-museum.de/

index.php?id=401) (20. 12. 07).

574 Siehe Shadowa, Tatlin, 334.

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ser Trennung. / Vorwärts! – zum Bündnis von Künstler und Fabrik. / Aber ganz und gar nicht zurück – zur reinen Staffeleikunst: zurück – zum Bildchen.“ 575 Wenn die Kunst über die Gestaltung der scheinbaren Dimension des „Bildchens“, aber auch über die formale Verschönerung der „fertigen Erzeugnisse“ 576 hinausgelangen will, muss sie in die hardware des „ökonomischen Geheimnisses“ eindringen. Um die Faktur in dem radikalen Sinn, den die Theoretiker der Produktionskunst dem Begriff geben, zu gestalten, muss die Kunst mit der „wissenschaftlichen Organisation der Arbeit“ 577 verschmelzen. Die erscheinende Form der Produkte wird dann der unwillkürliche Ausdruck der „gesellschaftlich zweckmäßigen“ Organisation der Produktionsverhältnisse sein und daher von selbst und auf neue Weise schön. Dem Künstler, der die „kontemplative“ Kunst der Vergangenheit aufgegeben hat, bleibt die Aufgabe „die unmittelbare Arbeit in den Fabriken zu organisieren“ 578. Er wird zum Sozial-Ingenieur oder zum tayloristischen Manager.579 Damit zeichnet sich die Geschichtskonzeption ab, in deren Rahmen der Begriff der Faktur seine eigentliche Relevanz gewinnt. In der Massenproduktion ist die Faktur der proportionale Ausdruck zwischen der in den Produktionsmitteln akkumulierten Arbeit und der Widerständigkeit der Rohstoffe. Die Hand, die aktuell-produktive menschliche Arbeit, vermittelt diesen Ausdruck nur. Um die Faktur zu gestalten und über die „angewandte Kunst“ hinauszugelangen, muss der Produktivismus deshalb nicht nur die „wissenschaftliche Organisation“ der „unmittelbare[n] Arbeit in den Fabriken“ angehen, sondern er muss die Akkumulation oder Sedimentation der lebendigen menschlichen Arbeit in oder zu den Fabriken, den Gussformen der künftigen Produktion lenken und gestalten. Er muss die Schwellendifferenz zwischen den Produktionsmitteln und dem Produkt durchbrechen, eine technische, aber vor allem ökonomische Differenz (zwischen fixem und variablem Kapital). Und die Gegenkraft gegen die Trägheit der vergangenen, in den Produktionsmitteln verdinglichten Arbeit ist die Ausrichtung auf die Zukunft im Licht der „sozialen Zweckmäßigkeit“. Das ist die zugleich epistemologische wie politisch-ökonomische Konstellation, in die Konstruktivismus und Produktivismus eingeschrieben sind, die sich in zahlreichen Texten abzeichnet, ohne als solche voll durchsichtig zu werden. Die Durchbrechung 575 Ossip Brik, „Vom Gemälde zum Kattundruck“ [LEF 1924], zit. nach: Harrison/Wood (Hg.),

Kunsttheorie im 20. Jahrhundert, Bd. 1, Stuttgart 1998, 364–68, 367.

576 Ebd. 577 Das führt explizit Boris Arvatov aus (Kunst und Produktion, München 1972). Die „wissenschaft-

liche Organisation der Arbeit“, die effiziente Gestaltung der Zeitstrukturen der Produktion – mit einer der vielen Abkürzungen der Revolutionsjahre: NOT – ist das Medium des produktivistischen Künstlers, der die Faktur – und nur indirekt die Form der Produkte – gestaltet. 578 A. Babitschev, N. Tarabukin, „Protokoll Nr. 7 des wissenschaftlichen INChUK Rates. 23. März 1922“, zit. nach: Gaßner/Gillen (Hg.), Zwischen Revolutionskunst und Sozialistischem Realismus, 105. 579 Nach Frederick Taylor, The Principles of Scientific Management (1911). Arvatov spricht selbst von der „streng utilitäre[n], ‚taylorisierte[n]‘ Lebensgestaltung“ (Kunst und Produktion, 71), die der Produktivismus anstrebt und die bekanntlich zu Lenins Maximen gehörte. Buchloh streift diese etwas beunruhigende Aussicht – der Künstler als Manager, der die Arbeiteffizienz steigert – nur (Buchloh, From Faktura to Factography, 78).

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der Bildebene im konstruktivistischen Relief – als Ansatzstelle der Gestaltung der zukünftigen Realität („an interchange station between painting and architecture“, wie Lissitzki vom Proun sagt580 ) – hat zugleich die Faktur zum methodisch wesentlichen Element der Gestaltung gemacht. Im Produktivismus wäre diese noch künstlerische, noch allegorische Struktur geschichtlich realisiert. Das Zurückgreifen der Faktur in die Vergangenheit des Produktionsprozesses realisiert sich in der Gestaltung des Heute als der prägenden Vergangenheit des Morgen. Der Produktivismus will nicht gegenwärtige Formen, sondern die Gussformen der Zukunft gestalten. Die Bedingung für diese Dominanz der Zweckkausalität, eine Umkehrung der Wirkungsrichtung der Zeit, ist – mit den Worten von Boris Arvatov – „natürlich die Kollektivierung der Produktion und der Übergang zur Naturalwirtschaft, in der Techniker und Konsument, verbunden durch den Künstler-Konstrukteur, nicht mehr durch die Kluft des Marktes getrennt sind.“ 581 Der Produktivismus, der aus dem Konstruktivismus entsteht, mit Tatlins Denkmal für die III. Internationale (fig. 245) als Monument des Übergangs, des Durchbruchs, setzt die Freisetzung der Produktion aus dem Element des Tauschwerts voraus, die Abschaffung der Spiegelfläche des Markts, die zwischen Produktion und Konsum vermittelt – und schlecht vermittelt, wie Arvatov meint. „Die materielle Umwelt der Gesellschaft“ wird erst dann zu dem, was sie eigentlich ist, „eine Funktion der industriellen Technik und des bewußten formalen Schaffens, d. h. der Kunst“, wenn die Vermittlung des Tauschwerts ausgeschaltet ist.582 Die Schaufensterscheibe des Markts wäre in der sozialistischen Kunst des Produktivismus aufgelöst, nicht nur für den Moment der déclaration perforiert. Die Kunst – als eine Art Universalverwaltung einer in den Gestalten von Natur und Zweck in Vergangenheit und Zukunft erstreckten Zeit – hätte die Glasscheibe des Markts und den Tauschwert als Element der immer nur synchronen und planlosen Vermittlung von Produktion und Konsum ersetzt. Das Bild der industriellen Transformation der Welt, das der Produktivismus und besonders Arvatov entwirft, ist letzlich am Ideal einer Harmonisierung von Natur und Mensch orientiert. Obwohl es die industrielle Massenproduktion ist, die die neue Welt gestalten soll, fließen die organizistischen Metaphern über. Die Konstellation bleibt der Tatlin’schen Materialkultur nah, an deren naturalistischem Pol das gewachsene Holz für federnde Stühle stand und dessen utopischen Horizont der Letatlin, das leonardeske, entschieden präindustrielle 580 Zit. nach Sophie Lissitzky-Küppers, El Lissitzky, London 1968, 329. 581 Arvatov, Kunst und Produktion, 61. 582 Arvatov, Kunst und Produktion, 52. Zu dem Produkt, das Ausdruck dieser Durchbrechung der

Schaufensterscheibe wäre, keine Ware, sondern „sozialistisches“ Gebrauchsding, auch ders. , „Everyday Life and the Culture of the Thing“, October 81, und Christina Kiaers Kommentar „Boris Arvatov’s Socialist Objects“ im selben Heft. Marx formuliert die Perspektive dieser Freisetzung der Produktion im „Maschinenfragment“ in Bezug auf die Produktionsmittel: Die automatisierte Maschinerie ist zwar die gemäße Realisationsform des Kapitals, da in ihr die Enteignung der lebendigen Arbeit einen Höhepunkt erreicht, aber das heißt nicht, dass die Maschinerie nur als Gestalt des fixen Kapitals denkbar und in dessen Sinn einsetzbar wäre (s. MEW 42, bes. 595 f.). Ihr Gebrauchswert würde im Gegenteil erst durch ihre Vergesellschaftung und den bewussten (Arvatov würde sagen „künstlerischen“), nicht mehr vom blinden Automatismus des Markts geregelten Einsatz zum vollen Durchschlag kommen.

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Epilog

Flugfahrrad besetzt, mit dem der kommunistische Mensch in die Zukunft fliegt (fig. 247). Dass sich Tatlin damit um 1930 von der utilitaristischen Idee und von der Ausrichtung auf die Massenproduktion zurückgezogen hat, ist eines der Zeichen dafür, dass sich statt der organizistischen, lebendig-funktionalen und evolutiven Kunst mit den Stalin’schen Fünfjahresplänen das technokratische Raster der Plan- und Kriegswirtschaft als Ersatz des Markts abzuzeichnen beginnt. Die Affinität von Judds materialspezifischer Gestaltung im real space zum konstruktivistischen Bruch mit der Repräsentation schließt also eine diametrale Entgegensetzung ein. Auch Judds reales Material ist aus der Tiefe des „Bildchens“ genommen und auch Judd geht in der Folge „in die Fabrik“, aber in anderem Sinn als es die Produktivisten sich dachten. Er verwendet seine neue Produktionsweise und lernt ihre Möglichkeiten kennen zugunsten ihres visuellen Effekts. Die Fabrik wird zum Ort der Herstellung autonomer visueller Kunst, zum Atelier. Judds Werkkonzept bleibt in den Gegenwartshorizont der Form eingeschrieben. Das doppelte Schema des Präsenzbegriffs ist einerseits die Ebene des Bildes selbst in ihrer idealen Transparenz – und diese Ebene hat Judd aufgelöst zum real space – und es ist andererseits das Tauschgesetz, dessen sinnliches Schema die räumliche Synchronizität und dessen mythischer Ausdruck die Tautologie ist. „I like the materials I use a great deal as materials, and as far as I’m concerned it doesn’t go anywhere else. Sheet aluminum is sheet aluminum. That’s it.“ 583 Judds Begriff der Werkpräsenz, dem der Zukunfts- und Vergangenheitshorizont abgeschnitten ist, ist mit dieser, wenn man so will, politischökonomischen Konstellation verbunden, die die Jahre um 1960 insgesamt prägt und zum Einschnitt in der Entwicklung der Moderne macht. Die Glättung und Homogenisierung des industriell produzierten Materials, diese spezifische Gestalt einer sich selbst verbergenden und enthüllenden Faktur, die der Ausdruck der Nicht-Transparenz der Produktionabläufe ist, der Abdruck der in den Produktionsmitteln sedimentierten toten Arbeit, macht die tautologische oder non-referentielle Präsenz des minimalistischen Objekts zur Ansatzstelle neuer Mytheme, darunter das der visuellen Unmittelbarkeit, dessen Appell Judd erliegt. Es gehört zum Sinn der epistemologischen Schwelle von Minimalismus und Pop, so sehr sie aus der Moderne stammen und so sehr Judd sich später wieder an der europäischen Moderne orientiert und sogar Möbel entwirft – aber man muss nur einen seiner Stühle neben einen Tatlins stellen, um die diametrale Differenz der Konzeptionen zu ermessen (fig. 248 und 249) –, es gehört zum geschichtlichen Einschnitt von Minimalismus und Pop, dass sie den Spiegel der non-referentiellen Präsenz nicht mehr auf lösen und auf lösen wollen, sondern ihren Fetischismus als Element einer post-repräsentationalen Bildproduktion affirmieren. Judd vielleicht primär, weil er die Frage der Genesis und der Einschreibung dieser Präsenz in den Zeitraum der Geschichte insgesamt verkennt oder als irrelevant für seinen Begriff visueller Kunst 583 Batchelor, „A small Kind of Order…“, 64. Zum „Mythos“ der Tautologie siehe Roland Barthes’

„Racine ist Racine“ in Mythen des Alltags: „Unsere Tautologen sind wie Hundebesitzer, die plötzlich brutal an der Leine zerren…“ (R. Barthes, Mythen des Alltags, 27).

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erachtet. Aber auch ein Künstler wie Dan Graham, der die „Entzifferung“ der „Mythen“ der Moderne von Roland Barthes gelernt hat (während Judd beim deskriptiven Literalismus Robbe-Grillets stehen geblieben war), hat in seiner sogenannten Conceptual Art die Tautologie nicht nur soziologisch zum Sprechen gebracht – wie exemplarisch in der Zeitschriftenversion von Homes for America (1966, fig. 164), die den Minimalismus, seine Produktionsprinzipien, seine Serialität, seine Permutationslogik und seine local order auf den Fertighausbau und die Mittelklasse-Siedlungen der amerikanischen Vorstädte bezieht, eine etwas andere soziologische Rückbindung als die anarchistisch-demokratische, die Judd in seiner Arbeit „impliziert“ sah; Graham hat die Ebene der tautologischen Präsenz, in der Präsentation und Repräsentation zusammenfallen, diese Bildebene, in der sich nichts mehr zeigt, als die Realität des Materials, aus dem das Bild besteht, nicht einfach zerbrochen, sondern als Reflexionsebene des Weltverhältnisses des postmalerischen Werks eingesetzt. So werden nach der durchgeführten Repräsentationskritik der Moderne wieder „figurative“ Bilder eingespielt, indexikalisch produzierte Bilder wie bei Warhol, Fotografien und Spiegelungen, und der Raum der visuellen Gegenwart in einer Analyse imaginärer Identifikationsprozesse aufgefächert und nicht mehr primär fetischismuskritisch auf die Dimension der Produktion bezogen.584 Der Glanz und der Schimmer, die verschleierten Reflexe von Judds Kunststoffen und polierten oder eloxierten Metallen, sind in Grahams Installationen freigewischt. Der Spiegel wird zum Instrument einer „entschieden visuellen Kunst“ (CW I 119), in die die Trägheit des Körpers, die Zeit und die Sprache wieder eingeführt sind, diesseits der Bildebene, diesseits des memorialen Raums der Repräsentation (fig. 41 a u. b). Der andere große Semiologe der Minimal Art, Robert Smithson, hat die Suggestionen von Judds „neuer Palette“ in einem Text hörbar gemacht, den er zu Judds Unzufriedenheit585 als Katalogessay unterbrachte. Ich zitiere den Anfang dieses Essays: „Donald Judd hat neuerdings eine ‚Firma‘, die die Techniken der abstrakten Kunst in Regionen hineinträgt, von denen bislang niemand sprach. Mal geht er nach Long Island City zur Blechschmiede von Bernstein Brothers und lässt sich ‚Pittsburgh‘-Falzverbindungen in ein paar (Bethcon-)eiserne Boxen schweißen, ein anderes Mal geht er zu Allied Plastics in Lower Manhatten und lässt sich ‚leuchtend‘ rosa Rohm-Haas-Plexiglas zurechtschneiden. Judd ist immer auf der Suche nach einem neuen Oberflächenfinish, wie zum Beispiel Lavax Wrinkle Finish, von dem ein Firmenprospekt verspricht: ‚Es verbindet Schönheit mit hoher Dauerhaftigkeit.‘ Judd mag diese Verbindung, und so wird er vielleicht eine seiner ‚Boxen‘ ‚selbst‘ damit besprühen. Oder vielleicht fährt er 584 Grahams Entwurf für ein Kino mit verspiegelten und halbverspiegelten Wänden und Projekti-

onsflächen und sein Vergleich mit dem „Bauhaus Paradigma“ von Johannes Duikers Handelsblad Cineac (1934) ist exemplarisch für das Verhältnis dieser Analytik des Imaginären zu der der klassischen Moderne. Während Duikers Kino die „Produktionsmittel ästhetischer Erfahrung“ enthüllt, wird in „meinem Kino … statt der Maschine die Leinwand und das System voyeuristischer Identifikationen bloßgelegt“ (Dan Graham, „Cinema“, in: Ausgewählte Schriften, Köln 1994, 193–198, 197). 585 „Judd gefiel der Aufsatz nicht, er haßte ihn.“ Dan Graham, „Interview mit Eugenie Tsai“, in: , Münster 1989/90, 17.

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nach Hackensack, New Jersey, weil er den Tip bekommen hat, dort gäbe es eine neue, auf Zink basierende Farbe mit dem Namen Galvanox, die mit einer Feuerverzinkung vergleichbar sei. Solche Verfahren tendieren dazu, die Kunstliebhaber zu verblüffen. Sie fragen sich entweder, wo die ‚Kunst‘ geblieben ist oder wo das ‚Werk‘ oder beides auf einmal. Sie verstehen nicht so leicht, daß Judd damit beschäftigt ist, die Kunst auf neue Medien auszudehnen. Sein neuer Zugang zur Technik hat nichts mit sentimentalen Vorstellungen vom ‚Arbeiten‘ zu tun.“ 586 Judd hat Smithsons vulgär-barocke Lektüre der impliziten Semantik seiner Arbeiten als „Romantisierung der Technik“ (s. CW I 221) missverstanden und Smithsons Texte insgesamt bei jeder späteren Gelegenheit zurückgewiesen. „I think Smithson was just a sophomore: what appears to be intellectual is really just kid’s stuff.“ 587 Smithsons Perspektive ist aber alles andere als romantisch, sie ist es weniger als die fast der ganzen Kunstszene der sechziger Jahre. Zentrale Texte wie „The Monuments of Passaic“, „Hotel Palenque“ – ein Diavortrag über ein Hotel in Mexiko, das gleichzeitig und bis zur Ununterscheidbarkeit weitergebaut, verändert und abgerissen wird – oder „The Crystal Land“ 588 evozieren Orte der „Stagnation“ (ein Lieblingswort Smithsons) am Rand der Städte, am Rand „Amerikas“. Smithson schreibt den Kreis der kapitalistischen Ökonomie, der sich in Judds kristallinen Objekten ausdrückt und reflektiert, in die sich erweiternde Spirale der Entropie und der ökologischen Verwüstung ein. Die Reste von Industrieanlagen, die verfallenden Steinbrüche in New Jersey, die er mit Judd besuchte, werden als Resonanzraum der minimalistischen Präsenz, als der dunkle Hintergrund ihrer „Fluoreszenz“ inszeniert, in den die abgeschnittene Faktur verweist. Tatlin hat sich seine „Deckmaterialien“ noch nicht wie Eiskremsorten aussuchen können. Seine „Abteilung für materielle Kultur“ hat in einem vor allem zu wenig industrialisierten Land und in einer primitiven Kunsthochschulsituation (Arbeitsräume, die für Tage geschlossen wurden, damit die Farbproben nicht einstauben, was wieder den Protest von Kollege Malewitsch bei irgendeinem Parteifunktionär provoziert589 ) an ihren Musterkarten für die Serienproduktion gearbeitet – mit einem Vortrag gegen den Farbauftrag der „Ismen“ nebenbei. Für Judd sind Materialien und Verfahren gewiss nicht ganz jene Fertigprodukte, die Smithson an ihren leuchtenden Markennamen anfasst. Aber wenn Judd „in die Fabrik“ geht – zum Beispiel zu den Bernstein Brothers, die ab Mitte der sechziger Jahre die meisten seiner Metallarbeiten herstellten –, dann um die besten Mittel für seine formalästhetische Zielvorstellung zu finden.590 Technische und ökonomische Überlegungen gehen in die Arbeit ein, aber bleiben dem in einer Bildintention angestrebten visuellen Effekt unterstellt. Die Fabrikation ist von vorneherein auf den Präsenzef586 587 588 589 590

Smithson, „Donald Judd“, in: ders. , Gesammelte Schriften, 19 f. Batchelor, „A small kind of order…“, 67. Alle Texte in: Smithson, Gesammelte Schriften (engl. in: The Collected Writings). Vgl. Shadowa, Tatlin, 272 f. Ausführlicher zur Zusammenarbeit mit den Bernstein Bros. sowie zu den neuartigen Schwierigkeiten der Restauration von Judds Arbeiten, Ann Temkins, „Wear and Care“, Artforum (Summer 2004), 205–208 u. 289.

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fekt ausgerichtet. Und es ist wohl symptomatisch, dass Bernstein Bros. inszwischen keine Ventilatorschächte und Heizkörper mehr baut, sondern auf die Restauration von post-studio Skulpturen umgestiegen ist.591 Die Fabrik ist ins Kunstbusiness gegangen. Die Annahme einer tieferen Affinität zwischen Minimal Art und Konstruktivismus und den utopischen Bewegungen der europäischen Moderne insgesamt idealisiert beide Seiten. Sie ist höchstens auf dem Niveau einer formalistisch isolierten Kunstgeschichte haltbar. Ich möchte mit einigen Detailbeobachtungen schließen, die verdeutlichen, dass diese Konstellation durchaus einen formalen Ausdruck oder Abdruck in Judds Werk hinterlässt. Als eine Haupteigenschaft seiner Arbeiten wird oft die Transparenz oder Lesbarkeit ihrer Konstruktion betont. „Every aspect of their making was revealed and considered to the detail of the detail“ 592, schreibt Richard Serra einmal. Dass das für die materiellen Elemente selbst eben nicht gilt – man sieht einer Plexiglasplatte gerade nicht an, wie sie hergestellt wurde, ihre Faktur ist blind –, ist nur der eine Punkt. Auch die von Judd hergestellte Konstellation oder Zusammensetzung der Elemente hat ihre Verborgenheiten. Haben seine geschlossenen Boxen zum Beispiel Böden? Untitled (DSS 41, fig. 12), wo es visuell überprüfbar, aber nicht auffällig ist, hat keinen, eine Version mit nur drei eingestellten Lamellen, wo das Fehlen unübersehbar wäre, hat einen Boden.593 Die Basler Stahlkuben (DSS 186) haben einen, die vier Kuben einer früheren Version hatten keinen. Waren dies Attrappen? Formal-ästhetisch ist der Boden überflüssig, konstruktiv und ökonomisch ist er unsinnig, aber Kuben im vollen Sinn, wie man unwillkürlich annimmt, sind es jedenfalls nicht. Tendenziell sind in Judds Werk geschlossene Volumen auf der unsichtbaren Unterseite offen, ein Boden ist nur in Fällen eingefügt, wo er konstruktiv nötig ist, also eher selten.594 Es sind, wie die Plexikisten, Hauben, die über den Raum ihrer Herstellung – die innenliegende Verbindung der Platten – gestülpt sind. Verborgen, und dies ist auffälliger und für den ästhetischen Effekt entscheidend, sind auch die Aufhängungen aller Wandarbeiten Judds (und das ist nach Stückzahlen wohl der Hauptteil seiner Produktion), exemplarisch die der auskragenden Quader der Stacks (fig. 96–98), was eine Illusion von Schwerelosigkeit, eines angehaltenen Fallens erzeugt und die Epoché der Zeit im real space unterstreicht. Die Transparenz der Konstruktion geht bei Judd lange nicht so 591 S. ebd. , 289. 592 Richard Serra, „What I have been experiencing… [Nachruf auf D. J.],“ Artforum, vol. XXXII, no.

10 (Summer 1994), 70 u. 113 f. , 113.

593 Zu record cabinet (fig. 12) s. o. , S. 51 ff. Die Variante mit drei eingestellten Lamellen ist z. B. abge-

bildet in Donald Judd: Farbe, Kat. Hannover/Bregenz, 18.

594 Information von Rob Weiner (Chinati Foundation) 20. 11. 2004. Peter Ballantine, ein langjähri-

ger Assistent Judds, schreibt bestätigend: „All ‘closed cube’ type metal pieces I know of are open at the bottom.“ (Email vom 22. 11. 2004.) Dass die sechs Kuben in Basel einen Boden haben, ist die Information von Roland Wetzel (Kunstmuseum Basel). Ich habe diese Bodenplatten nicht gesehen. Klar ist aber, dass sie nicht wie die anderen Seiten der Box von innen fixiert worden sein können, dass sie also – wenn sie dies vortäuschen, also nicht sichtbar verschraubt oder eingesenkt sind oder ähnliches – die Sache nicht etwa „ehrlicher“ machen, sondern den visuellen Bluff, dass es Kuben seien, durch den technischen ersetzen, dass ihre Seiten eineinder glichen.

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weit, wie meistens angenommen wird – mit Hinweis auf die „guten Details“, wie die Imbusschrauben an vielen Arbeiten aus eloxiertem Alu, das nicht geschweißt werden kann. Die Plexiglaskisten (fig. 94, 95) sind in der völligen Transparenz auf die Syntax ihrer Zusammensetzung und in deren fortwährender Integration in die Gegenwart ihrer Form – durch den Kreislauf der Schub- und Zugkräfte, der ihr gesamtes Material durchfließt – in Judds Werk im Gegenteil einzigartig. Eine der seltenen Bestätigungen einer solchen Gegenlektüre stellt ein Statement von Robert Gober dar, jemand der sich auf Latenzen und ihre Diagnostik jedenfalls versteht. Gober schreibt über sein Verhältnis zur Minimal-Tradition: „Andre’s work is what it is. If you pick up a metal plate or a timber and turn it over and look underneath, its essence always remains the same. But with Judd, at least in the case of the wall mounted works, it’s a very different story, a very different sculptural tradition. They appear to be what they are, but actually there is always a bit of old fashioned stagecraft involved. While these sculptures appear to be completely forthright and just the form you can see, there is actually a tiny concealed space built into the sculpture, adjacent to the wall, where a hanging bar resides. Although Judd hides it from view, because, I guess, he doesn’t want you to think about it, there is always this dark, weirdly undiscussed backstage space. Judd’s sculptures anounce themselves as paradigms of clarity and forthrightness, yet achieve this goal through formal deception. There is a masculine bluff about these works that I find endearing, emotionally complex, and perhaps in their duplicity quintessentially American.“ 595 Ich möchte mit einem Detail schließen, in dem die Verbergung der Herstellung selbst ein sichtbares Zeichen hinterlässt. An den in zahllosen Permutationen der Farben und Maßzusammenstellungen produzierten Arbeiten aus einbrennlackierten (manchmal verzinkten) U-Profilen, die seit den achtziger Jahren entstehen, sind die eher großen Schlitzschrauben, die die Elemente zusammenhalten – die Aufhängung des Objekts an der Wand bleibt wie immer unsichtbar – alle senkrecht gestellt. Hunderte kleiner Indizes, die nicht den zufälligen Moment anzeigen sollen, in dem die Schraube festsaß, sondern durch eine supplementäre Arbeit – brushwork brushed out to remove brushwork – in die synchrone Gegenwart der Form eingeholt worden sind. Natürlich zeigen diese Uhren nun nichts anderes als diese supplementäre Arbeit an, die Spur der Verwischung der Spur. Ein schlecht getarntes Verbrechen. Das mag noch plausibel sein bei den eher kleinen Wandarbeiten dieses Typs, in denen die Schraube proportional als formales Detail gelten kann, bei den monumentalen Bodenarbeiten aus denselben Elementen (fig. 99) wird die Perfektion selbst zum Symptom. Statt die Zeit durch die Großform der in der Dimension ihrer Faktur heterogenen Skulptur aus Einzelelementen streichen zu lassen, sind auch hier alle Schrauben auf zwölf Uhr gestellt. Das ist zwanghaft und repressiv und nimmt der Skulptur den Atem. Indem Judd die Kriterien, die erst in der Synchronie der Form ihren Geltungsrahmen finden, in die Dimension der Herstellung zurücksickern lässt, wird im real space die Zeit des Werks abgestellt. 595 Robert Gober, „[Artists’ Takes]“, Artforum (Summer 2004), 210.

Kapitalistischer Konstruktivismus?

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Auch innerhalb von Judds theoretischem Horizont wäre es konsequenter, wäre es plausibel, die pauschale Großform an das Flattern des Zufalls grenzen, sich mit ihm verzahnen zu lassen. „It’s a short life and a little speed is necessary“ (CW II 30), sagt Judd andernorts, wo es um die Konstitution der immer unscharfen Einheit oder wholeness der lebendigen Person geht, die ringsum ins Nicht-Wissen getaucht, von der Differenz der Welt berührt ist, die, wie man weiß, „zu neunzig Prozent aus Zufall besteht“.596 „A person lives in a chaos of a great diversity of ideas and assumptions, but does function after all as one in a natural way. A person is not a model of rationality, or even of irrationality, but lives, which is a very different matter. A person lives with a little solid knowledge“, konstituiertes, sedimentiertes Wissen, „a great deal of fragmentary knowledge,“ Wissen am Rand des Wissens, „a lot of assumptions and many provisional solutions and reactions made from day to day. […] All of this is unified in a work of art in a not very different way. Art is made as one lives.“ (CW II 29) Wenn diese Analogie zwischen der räumlich-formalen wholeness des Werks und der psychisch-temporalen wholeness der Person den Horizont von Judds theoretischer Selbstverständigung bildet, und wenn sich die Einheit der Person in ihrer untersten Schicht durch jenes schnelle Denken bildet, das das Fühlen ist, das seine Prämissen nicht darlegen kann und dennoch zum Schluss, zur Handlung kommt,597 warum sollte im Werk dann die Grenze zum Chaos, zu den Zufällen des Produktionsprozesses, auf dem Boden einer nachträglich erlangten Kontrolle mit solcher Insistenz geradegezogen werden? Die senkrecht gestellten Schrauben bezeugen ein sehr junggesellenhaftes, elektrisch-befehligendes Verhältnis zur Braut. Theoretisch scheint Judd es lockerer zu nehmen. „A person thinking, feeling and perceiving, which occurs all at once, is whole, even though the person is short of information in all regards.“ (CW II 42) In seinem Werk will er diese unsystematische und unscharf begrenzte Einheit und Ganzheit des Subjekts in ihrem Verhältnis zum inkommensurablen Sein in der non-diagrammatischen und non-hierarchischen räumlich-formalen Ordnung des Werks gespiegelt sehen, in einer synchronisierten Ordnung. Der zeitliche Kontur zwischen der Form und der Produktion wird über einen unsichtbaren Bildrand gestrafft. Zwar thematisiert Judd theoretisch das schnelle Denken, durch das das Leben, das auf dem Delirium der Impressionen treibt, das Chaos auf die Einheit des Augenblicks hin ordnet, das Werk aber soll komplett und durchdringend in die synchrone Gegenwart der Form eingegangen sein, deren Verhältnis zur Zeit so ungedacht bleibt, wie das der Figuren im Bildraum zum Geflecht der Pinselstriche, das ihren Anblick trägt und materiell konserviert. Judds „eigene kleine Ästhetik“ (CW II 36) betrifft nur den präsentischen Bezug des Anschauers zum Spiegel des absoluten Bildes, das die Permanente Installation sein will. Das Einströmen der Zeit und Kontingenz in das räumlich entfaltete Bild soll das Glas des real space verhindern. Judd denkt den Rand dieses Bildes nicht, oder er 596 Siehe Glaser, „Questions“ / „Fragen“, 156/44. 597 Was Judd Gefühl nennt – „simply a quick summary of experience, some of which is thought“

(CW II 30) – ist dieses „überstürzte“ Schließen, das seine Prämissen zumindest nicht „klar und deutlich“ erkennt und das Ch. S. Peirce Abduktion genannt hat. Siehe dazu, Richard Shiff, „Donald Judd: Fast Thinking“, 5 ff. / ders. , „Donald Judd, Safe from Birds“, 35 ff.

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denkt ihn nur als den räumlichen Horizont der akuten ästhetischen Erfahrung. Er denkt nicht die Einschreibung dieses Bildes – des ästhetischen Scheins – in die historische oder entropische Zeit, die es durchqueren und transformieren wird. Deshalb artikuliert er die Krise des Scheins, die das Geschehen und die Gestalt des Werks ist, nicht aktiv, sondern drängt sie – wie Ad Reinhardt – an den äußeren Rand des Bildes ab. In Marfa in Texas hat er den hundert Aluboxen, die in zwei ehemaligen Artilleriehallen installiert sind, den Landschaftshorizont als Parergon gegeben und sie durch die kreisförmige Zeit der Natur von der Zeit der Geschichte abgeschirmt. Diese Geste des Ausschlusses, der Versuch einer Absolution des Bildes, die unmöglich bleibt, begrenzt die historische Geltung und die künstlerische Tragkraft von Judds Werk.

*** Ich breche die Untersuchung hier eher ab, als dass ich sie abschließe. Ich hatte vorgehabt, auch die Öffnung der Schere von Ready-made-Strategie und Bildabstraktion, deren Kreuzungspunkt die tautologische Werkpräsenz des Minimalismus bildet, zu behandeln. Schon die genealogische Analyse der minimalistischen Situation mit Blick auf die erste Jahrhunderthälfte war von den Einsichten der minimalismuskritischen Kunst seit den sechziger Jahren bestimmt. Paradigmatisch für meine Lektüre sind dabei besonders die Arbeiten von Michael Asher und Dan Graham. Beide leisten nicht nur eine Rekontextualisierung, eine historische Analyse und Rückbettung der sinnlichen Unmittelbarkeit der Werkpräsenz, auf der besonders Judd bis zuletzt insistiert. Sie integrieren diese Analyse und den Aufweis der Verspätung der Präsenz gegenüber der Produktion in ein neu gefasstes, radikal temporalisiertes Werkkonzept. Die Heterochronie von Form und Produktion wird als Krise der ästhetischen Unmittelbarkeit bestimmt, als eine Krise des Bildes, die die Geschehnisstruktur und das heißt die Geschichtlichkeit des Werks ausmacht. So schneidet Graham in frühen Arbeiten wie Homes for America (fig. 164) den engen Bezirk visueller Präsenz, den die Wände der Galerie einschließen, in doppelter Weise auf. Semantisch werden die (Anti-)Kompositionsprinzipien der Serialität, Permutation und local order, in denen der Minimalismus Gesten der Referenzverweigerung sah, mit dem Fertighausbau und der architektonischen wie sozialen Ordnung der amerikanischen Vorstadtsiedlungen assoziiert. Struktural wird die Weiße Zelle der Galerie als bloße Betriebseinheit im übergreifenden System des Kunstmarkts erkannt und als solche umgangen, indem die Zeitschriftenseite, komplementäre Betriebseinheit im selben System, als Träger der Werkpräsenz in Beschlag genommen wird. Grahams Works for Magazine Pages überschreiten, indem sie ein von sich

343 aus serialisiertes Trägermedium bespielen, radikal den Horizont einer im Hier und Jetzt gebundenen Wahrnehmung. Der gespitterte, über die ganze Auf lage einer Zeitschrift verteilte Körper des Werks gewinnt eine neue Monumentalität, die eine nur mehr statistisch fassbare Öffentlichkeit als Subjekt der Rezeption adressiert. Rezeption wird als geschichtlicher Prozess einer verzögerten Manifestation des Werks bestimmt, in der die ästhetische Erfahrung nur ein Teilmoment ist. In späteren Arbeiten, den Performances und Pavillons, führt Graham die Zeit der Sprache und die Trägheit des Körpers in die minimalistische Situation ein, als deren Emblem das Element des Spiegels gegenwärtig bleibt (fig. 252, 253). Der gegenwärtige, bildhafte Anblick der Situation wird in seiner irreduziblen Verspätung und Defizienz gegenüber seinen Trägern bestimmt: gegenüber dem Träger der Wahrnehmung, als der der eigene Körper fungiert, ehe er im Wahrnehmungsfeld als umgrenztes Objekt erscheint, wie gegenüber dem Spiegel, der sich zu den aspekthaften Bildern nur für einen lokal gebundenen Blick entstellt. Der Spalt von Träger und Bild, von Materie und Phänomen, den zumindest Judds Minimal Art schließen will, wird zum Spielraum des Werkgeschehens. Michael Asher hat bei seinen wenigen Ausstellungen in kommerziellen Galerien Anfang der siebziger Jahre den real space, die Zone perzeptiver Unmittelbarkeit, in der Judds specific objects als Figuren erscheinen, als das Produkt der Galerie markiert und auf den Rahmen und die Strukturen seiner Produktion zurückbezogen. In der Galerie Friedrich in Köln hat er die Decke aller funktional differenzierten Räume (Büros, Küche, Ausstellungsräume, Lager) in der dunklen Farbe des Fußbodens streichen lassen und so die Ausstellungsfunktion der Galerie auf diese selbst, auf ihre Performanz zurückgelenkt (4. – 28. 11. 1973). In der Galleria Toselli in Mailand (13. 9. – 13. 10. 1973) hat er den weiten, garagenähnlichen Ausstellungsraum sandstrahlen lassen und so die Haut des weißen Anstrichs entfernt, die die Zone der ästhetischen Präsenz und des Tauschs von objektförmiger Kunst vom Raum der Geschichte und der Ökonomie separiert (fig. 254, 255). Wenn Judd in Marfa die Architektur der Artilleriehallen „reinigt“, wie er es nennt, und ihr Skelett seitlich auf den Landschaftsraum öffnet, so dass das natürliche Licht und der Wechsel der Tagesund Jahreszeiten sich in der Struktur der 100 Aluminiumboxen bricht (fig. 250), hat dies die entgegensetzte Funktion. Die Werkpräsenz wird von der zirkulären Zeit der Natur umfangen und in eine ahistorische Idealität versetzt. Ihre Abschneidung von der Dimension der Produktion wird verabsolutiert. Das Werk wird in eine apollinische Fata Morgana ohne körperlichen Träger verwandelt. 1993, in seinem letzten publizierten Text, schreibt Judd: „I feel that I have the steam engine, but no tracks. Or the gasoline engine and no wheels.“ (SA 8) Wenn der kristalline real space, der den Illusionsraum der Malerei ersetzt, aber dessen Immobilität und Scheinhaftigkeit erbt, dieser im Leeren schwebende Kompressionsmotor ist, hat dessen Kraft in Ashers Werk wieder Grund im Widerstandsraum der Geschichte gefunden. In der Installation bei Toselli ist der real space mit der vergangenen Arbeit von vier Tagen Sandstrahlgebläse aufgeladen. Die ungerichtete, auf kein Objekt fokussierte Sichtbarkeit, die das einzige Produkt von Ashers Intervention ist, exponiert den Ort dieser Produktion als Bild. Der Schleier der Sichtbarkeit ist immer schon wieder

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gefallen und, was sich zeigt, ist eine weitere apparence, hier das Braun (nicht Grau) der Wände, ein Bild in den Farben der Vormoderne. Aber der Abriss der weißen Farbe, die sonst den neutralen Hintergrund des Ausstellungs- und Tauschprozess abgibt, bleibt als Indiz der vollzogenen Enthüllung lesbar. Das selbstapologetische Bild, das die ästhetische Gegenwart des Werks und das jede Gegenwart ist, ist vollflächig auf die ästhetisch inkommensurable Dimension der Produktion geöffnet, die sich in der Materialität der Situation ebenso verbirgt wie zeigt. Der Werkprozess ist in artikulierter Weise an diese „Dialektik“ oder diesen „Streit“ von Enthüllung und Verbergung angeschlossen. Das Werk ist kein gegebenes Objekt der Kontemplation und auch kein vorhandener Zeichenträger oder Kanal eines Sinns. Es evolviert, es ist die Stätte der Produktion einer Sichtbarkeit, der ihre historische Kritik eingeschrieben ist. Hier berührt der real space die „Gleise“ (SA 8) der geschichtlichen Zeit, deren Fehlen Judd verspürt. Ohne eine prozessuale Arbeit zu machen, die sich in der Zeit morphologisch verändert, gelingt Asher die ontologische Integration der Zeit in die Seinsweise des Werks.

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Anhang

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B Personenregister A

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B

Bach, Friedrich Teja 141 f. Badiou, Alain 24, 133, 210, 229 Ballantine, Peter 339 Barry, Robert 38, 53 Barthes, Roland 71, 113, 336 f. Bataille, Georges 57, 256, 299 Baudelaire, Charles 235 Baudrillard, Jean 131, 134, 278 Baxandall, Michael 56 Beaton, Cecil 256; fig. 139 Beier, Lucia 162

Belting, Hans 147 Benglis, Lynda 256, 281, 328; fig. 156, 158 Benjamin, Walter 22, 141, 191, 205, 275 Bergson, Henri 39, 85, 120, 159, 162, 166–170, 174, 176 Beveridge, Karl 40, 134, 265, 278 Blotkamp, Carel 296 Bochner, Mel 264; fig. 165 Bockris, Victor 278 Bocola, Sandro 152 Boehm, Gottfried 178, 297 Bois, Yve-Alain 200, 209, 256, 260, 274 f. , 291, 294–297, 299 f. , 331 Bontecou, Lee 63, 306, 314; fig. 14 Brancusi, Constantin 133, 136, 139–143, 145, 172, 207; fig. 27–31 Breitz, Candice 276 Breton, André 122–126, 129 f. , 176 f. , 179 Brik, Osip 333 f. Bubner, Rüdiger 23 Buchloh, Benjamin H. D. 22, 191, 198, 205, 232, 275, 305, 331, 334 Buren, Daniel 15, 118, 126, 134 Burn, Ian 40, 134, 265, 278

C

Cabanne, Pierre 179 Cage, John 31, 80 f. , 86, 121, 189, 192, 195–199, 204, 240, 266, 275–306, 313 Camfield, William A. 119 Caro, Anthony 305, 313

380

Personenregister

Castelli, Leo 206 Cézanne, Paul 105, 107, 109, 113, 118, 126, 186, 258 Charbonnier, Georges 117 f. Chave, Anna C. 278 Clair, Jean 60, 148 f. , 158–160, 175 Clark, T. J. 29, 73, 228, 232, 250, 253, 255–257, 259, 321 Colpitt, Frances 71 Coplans, John 43, 46 f. , 274 Courbet, Gustave 105, 311 Crary, Jonathan 187, 262 Crotti, Jean 95, 121 Crow, Thomas 232, 276 Cunningham, Merce 198

D 185

Flavin, Dan 86 f. , 191, 240, 273; fig. 167–70 Forti, Simone 80 Foster, Hal 62, 191, 213, 262 Foucault, Michel 39, 57, 94, 100, 153, 218, 226, 278 Frankenthaler, Helen 239, 243, 245, 249, 254, 256 Freud, Sigmund 39, 111, 122–124, 174, 257 Fried, Michael 15, 61 f. , 74, 109, 196, 211, 213, 232, 239, 241–243, 245–250, 252–255, 257, 261, 268–271, 305, 328 f.

G Damisch, Hubert 105 Daniels, Dieter 115, 118 f. , 121, 136, 142,

Danto, Arthur C. 120 da Vinci, Leonardo 154 de Duve, Thierry 62, 114 f. , 119, 128, 151, 182, 189, 232, 237 de Kooning, Willem 58, 209 Deleuze, Gilles 20, 60, 86, 106, 108, 152, 156, 164, 168, 171, 178, 188, 210, 228 f. , 245, 259, 262, 278, 299, 308, 311, 320 de Man, Paul 156 Derrida, Jacques 17 f. , 21, 26, 39, 64 f. , 107, 123 f. , 138, 144, 148, 174, 183 f. , 200, 206, 262 Descartes, René 105 Didi-Huberman, Georges 111, 113, 141, 179, 329 d’Harnoncourt, Anne 148 Doesburg, Theo van 287, 295 Duchamp, Marcel 14 f. , 18, 20, 23, 27–29, 31, 53, 62, 76, 78, 80, 86, 95, 97, 102 f. , 111 f. , 114 f. , 117–187, 189, 191, 194–196, 198, 203, 207, 211, 215, 224–227, 232, 237, 259, 279, 288 f. , 298, 328; fig. 20–26, 32–52 Duchamp, Suzanne 95, 121, 182 Duchamp, Teeny 181 Dürer, Albrecht 151, 262

E

F

Einstein, Albert 159 Ernst, Max 276 Eyck, Jan van 304

Gadamer, Hans-Georg 64 f. , 100, 132, 178, 210, 228, 297 Gan, Aleksej 329–333 Geldzahler, Henry 276 Ginzburg, Carlo 111 Glaser, Bruce 75, 77, 109, 208–210, 270, 286, 291, 301, 303 f. , 310, 318, 341 Gober, Robert 340 Gonzales, Julio 305 Goodman, Nelson 96, 200 Goossen, E. C. 70 Gottlieb, Adolph 73 Gould, Stephen J. 156, 184 Graham, Dan 16, 18, 28, 41, 72, 264, 337, 342–344; fig. 164, 252 f. Gray, Camilla 70, 79, 84, 191 Greenberg, Clement 28, 61 f. , 73 f. , 76, 189 f. , 198, 228, 231–241, 243–245, 247, 252–256, 258, 268 f. , 275, 287, 298 f. , 303, 305 Groys, Boris 95, 332 Guattari, Félix 106, 259, 308, 320 Guilbaut, Serge 72, 191, 232, 250, 276, 298

H

Harrison, Charles 334 Haskell, Barbara 81 Hegel, Georg Wilhelm Friedrich 22, 28, 100, 131, 228, 231, 238, 240, 262 Heidegger, Martin 17 f. , 25 f. , 65, 67 f. , 85 f. , 129–133, 139 f. , 145, 163, 167, 171, 194, 210, 223, 320 Held, Jutta 265 Henderson, Linda Dalrymple 162 Heron, Patrick 265 Hesse, Eva; fig. 141

381 Hofmann, Hans 73 Holland, Eugene 22 Hopps, Walter 148, 155, 184, 196 Horkheimer, Max 319 Hume, David 67, 310 f. , 319 Husserl, Edmund 39, 106 f. , 114, 138, 140, 147 f. , 200, 206

I

Imdahl, Max 192, 299 Ingres, Jean-Auguste-Dominique 247, 308 f. , 316, 319 Irwin, Robert 239

16,

J

Jablonka, Rafael 299 Jacobson, Roman 124 Jaffé, H. L. C. 287 Jameson, Fredric 60 Jarry, Alfred 154, 159 Johns, Jasper 31, 80, 103, 121, 190–196, 198, 207, 209, 211, 213, 216, 218, 262, 276, 301, 302, 315; fig. 53–59 Joosten, Joop M. 287, 292 Joselit, David 128 Joseph, Branden W. 82, 196, 198 Jouffret, Esprit Pascal 159 Joyce, James 259 Judd, Donald 12 f. , 21 f. , 28, 31, 35 f. , 40–54, 55–88, 93–95, 97, 100, 102 f. , 109 f. , 113, 133 f. , 142, 182, 185, 190 f. , 195, 199 f. , 207 f. , 212–215, 217 f. , 226 f. , 229–232, 237, 240, 241–251, 253–255, 257 f. , 263–266, 267–274, 277–279, 281–287, 289, 291 f. , 298–323, 327–330, 333, 336–344; fig. 1–13, 94–99, 157, 160, 162 f., 166, 249

K

Kandinsky, Wassily 43, 71 f. Kant, Immanuel 13 f. , 20–26, 43, 46, 61 f. , 64–69, 86, 119, 122 f. , 127 f. , 153, 164, 183, 207, 216 f. , 232, 237, 271, 319–321 Kaprow, Allan 256, 281; fig. 144 Karmel, Pepe 74, 243, 251, 255 f. , 262 Kelly, Ellsworth 274; fig. 173, 177 Kiaer, Christina 335 Kienholz, Edward 58 Kittsteiner, Heinz Dieter 131 Klee, Paul 278 Klein, Yves 63, 78, 134, 190, 208, 230, 272, 279, 304, 308 f. , 312, 314–316; fig. 15 Kline, Franz 58, 305

Koons, Jeff 134 Krauss, Rosalind E. 23, 109, 113, 122, 142, 175, 211, 242 f. , 249 f. , 254–258, 261 Kusama, Yayoi 63; fig. 16

L

Lacan, Jacques 22, 38, 49, 104 f. , 123 f. , 127, 160, 238, 270, 329 Lahuerta, Juan José 211 Lebel, Robert 176 Leibniz, Gottfried Wilhelm 39, 108 Leider, Philip 58 Leiris, Michel 127, 136 Lenin, Wladimir Iljitsch 334 Le Va, Barry; fig. 147 Lévinas, Emmanuel 174 Lichtenstein, Roy 58, 273, 275 Linde, Ulf 148, 155, 158, 180, 184 Lippard, Lucy 39, 41 Lissitzky, El 335 Louis, Morris 22, 30, 74, 131, 239, 243, 245, 249, 254, 256 f. , 281 Lukács, Georg/György 235 Lyotard, Jean-François 261, 301

M

Macherey, Pierre 22 Malewitsch, Kasimir 29, 85 f. , 105, 191, 196, 228, 330 f. , 338 Manet, Edouard 76, 231, 239 Mangold, Robert; fig. 254 Man Ray 157 Marx, Karl 21, 22, 30, 39, 57, 123, 131 f. , 138, 174, 228 f. , 279, 282, 332, 335 Matisse, Henri 75, 109, 137, 255, 258, 275, 295 McCollum, Allan 78 Merleau-Ponty, Maurice 37 f. , 80, 107, 140, 258 f. , 262, 300 Meyer, James 46, 71, 80, 191, 232, 244, 265 Meyer, Ursula 265 Michelson, Annette 80 Miró, Joan 75, 299 Mondrian, Piet 14, 25, 28, 31, 43, 71–73, 75, 86, 102, 107, 165, 186, 198, 215, 225, 227–229, 231, 261 f. , 275, 285–303, 314, 316, 320; fig. 186–235 Morris, Robert 31, 37, 53, 55, 74, 79, 80–87, 95, 97, 103, 191, 197, 204 f. , 230 f. , 239, 240, 243, 245, 256 f. , 269, 272, 274, 281, 301, 305, 328, 329; fig. 17–19, 145

382

Personenregister Motherwell, Robert 73

N

Naifeh, Steven 250 Namuth, Hans 112, 249 f. , 257; fig. 140 Nancy, Jean-Luc 127, 261 Nauman, Bruce 109 Negri, Toni 22 Newman, Barnett 31, 43, 51, 55, 58, 72–75, 103, 112 f. , 141, 190, 209, 238, 245, 249, 260 f. , 268, 284, 291, 298–302, 305 f. , 322; fig. 236–243 Nietzsche, Friedrich 20, 83, 85, 152, 153, 164, 174, 283 Noland, Kenneth 58, 74, 79, 239, 242–246, 254, 256, 268, 284, 311 Norris, Christopher 22

O

O’Brian, John 190, 232 O’Connor, Francis V. 248 Oldenburg, Claes 58, 205, 262 f. , 266, 273 f. , 281, 306–309, 312, 314, 327; fig. 153–55, 161, 171 Olitski, Jules 239, 245

P

Panofsky, Erwin 98 f. , 101, 105, 178, 304 Parmenides, 86 Parsons, Betty 80, 274 Pawlowski, Gaston de 158–160 Paz, Octavio 193 Peirce, Charles Sanders 14, 110, 341 Picabia, Francis 171 Picasso, Pablo 247, 250, 258, 291 Platon 104, 132, 188 Pocock, Philip 75 Poincaré, Henri 153, 155, 159 Pollock, Jackson 14, 27, 31, 56, 58, 72–75, 80, 86, 103, 112 f. , 193, 209, 211, 213, 215, 227, 231 f. , 235 f. , 239, 241, 243, 245–266, 267 f. , 271, 273, 275 f. , 281, 284 f. , 292, 298, 301–303, 305, 308, 314, 321–323, 328; fig. 101–138 Poussin, Nicolas 286, 295

R

Rainer, Yvonne 310 Raskin, David Barry 53, 60, 310 Rauschenberg, Robert 31, 58, 80, 84, 87, 103, 121, 187, 190–193, 196–198, 198, 204, 207, 213, 216, 262 f. , 266, 273, 275–277; fig. 60, 149–52, 178–80

Rebentisch, Juliane 23, 239 Reeve, Charles 278 Reinhardt, Ad 14, 22, 31, 55, 58, 103, 107–109, 114 f. , 139, 187, 198–207, 209–211, 214–216, 218, 225, 227, 230, 244, 247, 268, 279, 284, 301, 314, 316–318, 320, 342 Restany, Pierre 121 Richter, Gerhard 29, 194; fig. 100 Rilke, Rainer Maria 73, 106 Roché, Henri Pierre 155 Rodtschenko, Alexander 191, 329–331; fig. 329–31 Rose, Barbara 108, 191, 257 Rosenberg, Harold 255, 301 Rosenblum, Robert 276, 300 Rothko, Mark 58, 74, 238, 260, 268, 284, 305, 311, 322 Rubin, William 74, 212, 251 Ryman, Robert 274 f. , 314, 331; fig. 174–76

S

Sartre, Jean-Paul 85, 328 Satie, Erik 189, 266 Schapiro, Meyer 232 Schjeldahl, Peter 94, 278 Schwarz, Arturo 128, 135, 148, 155, 158, 176, 181, 184 Seckler, Dorothy Gees 300 Serra, Richard 256 f. , 281, 328, 339; fig. 142 f. Seuphor, Michel 297 Seurat, Georges 112, 182, 185–187, 194, 210, 214, 225, 229 f. , 246, 277, 290 Shakespeare, William 259 Shearer, Ronda Rholand 155 f. , 180, 184 Shiff, Richard 53, 113, 310, 341 Smith, David 247, 305 Smith, Gregory White 250 Smithson, Robert 249, 264, 329, 337–338; fig. 146, 159 Smith, Tony 141, 329 Sohn-Rethel, Alfred 319 Spinoza, Baruch de 20–23, 152, 178, 287 f. Stalin, Josef 233, 336 Stauffer, Serge 23, 78, 117, 120, 127 f. , 136, 149, 151, 154, 157, 163 Steinbach, Haim 134 Steinberg, Leo 193 Steinweg, Marcus 26, 86, 299 Stella, Frank 14 f. , 28, 31, 43, 58, 70, 74 f. , 77–79, 86 f. , 93, 102 f. , 109, 207–214, 216 f. ,

383 225 f. , 230, 241 f. , 245 f. , 249 f. , 254, 263, 268, 270, 272–274, 277, 284, 286, 287, 291, 298–304, 309 f. , 314–316; fig. 63–80 Stepanowa, Warwara F. 329, 331 Stieglitz, Alfred 119, 135 Still, Clyfford 58, 74, 238, 268, 284, 305, 322 Suquet, Jean 150, 153–154, 157, 159, 168, 173 f. , 182, 184; fig. 37 Suvero, Mark di 305, 309, 313 Sylvester, David 300, 302

T

Tatlin, Vladimir 191, 329–338; fig. 244–48 Taylor, Charles 334 Temkins, Ann 338 Tobey, Mark 192 Tomkins, Calvin 137, 156, 181 Truitt, Ann 244 Turrell, James 239–240, 247

V

Valéry, Paul 160, 234 Varnedoe, Kirk 192, 243, 250, 255 f. Viola, Bill 247

W

Wagstaff, Tony Jr. 80, 141 Warhol, Andy 28, 31, 58, 103, 198, 204–207, 231, 256, 265, 267, 272, 275–279, 282, 313, 337; fig. 61 f., 181–85 Weiner, Rob 42, 339 Welsh, Robert P. 287, 292 Wesselman, Tom 275 Wheeler, Douglas 239 Wittgenstein, Ludwig 69, 85, 276 Wölfflin, Heinrich 248 Wollheim, Richard 190

Y Z

Yovel, Yirmiyahu 22

Zaunschirm, Thomas 148, 175, 180 Žižek, Slavoj 49, 123 f. , 238

384

385

C Abbildungsverzeichnis Donald Judd, Untitled, 1962 (DSS 31), Öl auf Liquitex und Sand auf Hartfaserplatte mit Kupfer, 122 × 122 cm; Judd Foundation, Marfa, Texas / New York. 2. Donald Judd, Untitled, 1962/91, Öl auf Sperrholz, Sand, Glas, 118 × 118 × 10,2 cm; Court. PaceWildenstein. 3. Donald Judd, Untitled, 1961 (DSS 23), Öl mit Aluminiumbackform auf Hartfaser auf Holz, 122,2 × 91,8 × 10,2 cm; New York, The Museum of Modern Art. 4. Donald Judd, Untitled, 1962 (DSS 29), Öl, Wachs und Sand auf Leinwand und Holz, Emailfarbe auf Holz und Asphaltrohr, 128,3 × 114,3 × 24,4 cm; Judd Foundation, Marfa, Texas / New York. 5. Donald Judd, Untitled, 1961 (DSS 24), Öl auf Leinwand, 170 × 169,2 cm; Judd Foundation, Marfa, Texas / New York. 6. Donald Judd, Untitled, 1962 (DSS 32), Öl auf Holz und Hartfaserplatte und Holz mit Alsphaltrohr, 112,4 × 102,6 × 35 cm; Judd Foundation, Marfa, Texas / New York. 7. Donald Judd, Studie zu bemalter Holzskulptur mit Asphaltrohr (cf. DSS 32), 1962, Bleistift auf Papier, 27,9 × 35,6 cm; Judd Foundation, Marfa, Texas / New York. 8. Donald Judd, Untitled, 1963 (DSS 35, Version von 1975), Öl auf Holz und Lack auf Aluminium, 122 × 210,8 × 122 cm; Judd Foundation, Marfa, Texas / New York. 9. Donald Judd, Untitled, 1962 (DSS 33), Öl auf Holz und Emailfarbe auf Eisen, 121,9 × 84,1 × 54,6 cm; Basel, Öffentliche Kunstsammlung. 10. Donald Judd, Untitled, 1962 (DSS 33, Version von 1975), Öl auf Holz und Emailfarbe auf Eisen, 121,5 × 83,5 × 55,5 cm; Judd Foundation, Marfa, Texas / New York. 11. Donald Judd, Untitled, 1963 (DSS 39), Öl auf Holz und Eisenrohr, 56,2 × 115,1 × 77,5 cm; Hirshhorn Museum and Sculpture Garden, Washington D. C. 12. Donald Judd, Untitled, 1963 (DSS 41), Öl auf Holz, 49,5 × 115,6 × 77,5 cm; The National Gallery of Canada, Ottawa. 1.

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Abbildungsverzeichnis

13. Donald Judd, Untitled, 1963 (DSS 38), Öl auf Holz und Plexiglas, 49,5 × 123,2 × 123,2 cm; Dan Flavin Estate. 14. Lee Bontecou, Untitled, 1960, Metall und Leinwand, 88,9 × 139,7 × 40,6 cm; Sammlung Halley K. Harrisburg und Michael Rosenfeld. 15. Yves Klein, Monochrome bleu sans titre, 1959 (IKB 67), 92 × 73 cm; Privatbesitz. 16. Yayoi Kusama, Accumulation II, 1962, Collection Hood Museum of Art, Dartmouth College, Hanover, N. H. 17. Robert Morris, Untitled (Two Columns), 1973, Refabrikation eines Originals von 1961, gestrichenes Aluminium (Version von 1961: gestrichenes Sperrholz), 243,8 × 61 × 61 cm; Museum für zeitgenössische Kunst Teheran. 18. Robert Morris, Untitled (Slab), 1962, gestrichenes Sperrholz, 30,5 × 243,8 × 243,8 cm. 19. Robert Morris, Untitled (Wall / Floor Slab), 1962, gestrichenes Sperrholz, 248,9 × 248,9 × 30,5 cm. 20. Marcel Duchamp, Fountain, 1917, Original verloren, Maße unbekannt; Foto: Alfred Stieglitz, 1917. 21. Marcel Duchamp, Ready-made malheureux, 1919, Geometriebuch, Original zerstört, Maße unbekannt; Reproduktion aus der Schachtel im Koffer. 22. Marcel Duchamp, Bottle Dryer, 1914, Flaschentrockner, Version von 1936, 59 × 37 cm; Ort unbekannt; Fotografie aus der Schachtel im Koffer. 23. Marcel Duchamp, Hat Rack, 1917, Replik von 1964 (Edition Schwarz), 23 × 44 × 33 cm. 24. Marcel Duchamp, Pliant de Voyage, 1916, Replik von 1964 (Edition Schwarz), 23 cm hoch. 25. Marcel Duchamp, Peigne, 1916, Hundekamm aus Stahl mit Inschrift in weißer Farbe, 16,6 × 3 × 0,3 cm; Philadelphia, Philadelphia Museum of Art. 26. Marcel Duchamp, In Advance of the Broken Arm, 1915, Replik von 1964 (Edition Schwarz), 132 cm hoch. 27. Constantin Brancusi, Der Neugeborene II, um 1920 (TB 166), Marmor, 16,5 × 26 cm; Sammlung Rolf de Maré, Paris; Foto: Constantin Brancusi. 28. Constantin Brancusi, Der Neugeborene, 1925 (TB 209 a), Polierte Bronze, 17 × 25 × 17 cm; Musée National d’Art Moderne, Paris; Foto: Constantin Brancusi. 29. Constantin Brancusi, Weltenanfang, ca. 1920 (TB 162); Marmor auf polierter Metallscheibe, Länge 29 cm; Dallas Museum of Art, Dallas, Texas; Foto: Constantin Brancusi. 30. Constantin Brancusi, Der Neugeborene, 1927 (TB 209 b), rostfreier Stahl, poliert, 18,4 × 24,8 × 17 cm; Musée National d’Art Moderne, Paris; Foto: Constantin Brancusi. 31. Constantin Brancusi, Die Tafel des Schweigens, Tîrgu Jiu (TB 267), 1937/38, Gesamtdurchmesser 557 cm. 32. Marcel Duchamp, La Mariée mise a nu par ses célibataires, même (Das Große Glas), Öl, Firnis, Bleifolie, Bleidraht und Staub auf zwei Glasplatten, montiert zwischen zwei Glasplatten, fünf Glasstreifen, Aluminiumfolie, Holz- und Stahlrahmen, 277,5 × 175,8 cm; Philadelphia, Philadelphia Museum of Art. 33. Marcel Duchamp, Das Große Glas vor dem Zerbrechen im Brooklyn Museum of Art 1926/27.

387 34. Marcel Duchamp, Das Große Glas mit Ausblick auf den Springbrunnen im Hof, Philadelphia, Philadelphia Museum of Art. 35. Marcel Duchamp, Nu descendant un escalier, Januar 1912, Öl auf Leinwand, 146 × 89 cm; Philadelphia, Philadelphia Museum of Art. 36. Marcel Duchamp, Mariée, August 1912, Öl auf Leinwand, 89,5 × 55 cm; Philadelphia, Philadelphia Museum of Art. 37. Marcel Duchamp, Das Große Glas, Schema komplettiert von Jean Suquet (aus: Jean Suquet, Marcel Duchamp ou l’ éblouissement de l’ éclaboussure, Paris: L’Harmattan 1998). 38. Marcel Duchamp, Élevage de poussière, Fotografie von Man Ray 1920, Edition, Paris 1964, 24 × 30,5 cm. 39. Marcel Duchamp, 3 Stoppages étalon, 1913/1914, drei Fäden auf Leinwand auf Glas und drei Holzlineale, Maße der Glasstreifen je 125,4 × 18,3 cm; New York, The Museum of Modern Art. 40. Marcel Duchamp, L. H. O. O. Q. , 1919, Bleistift auf Farbreproduktion, 19,7 × 12,4 cm; Privatsammlung, Paris. 41. Marcel Duchamp, Jongleur de Gravité, 1915, Notes, no. 149 / AS no. 317, Bleistift auf Papier, 20 × 16 cm; Ex Coll: Estate of the Artist. 42. Marcel Duchamp, Fahrradrad, 1913, Replik von 1964 (Edition Schwarz), 126,5 cm hoch. 43. Marcel Duchamp, Obligations de Monte Carlo, 1924, Fotocollage auf Farblithografie, 31,5 × 19,5 cm; Kunsthaus Zürich. 44. Marcel Duchamp, Ombres portées, New York 1918, 6,1 × 3,9 cm; Sammlung Alexina Duchamp. 45. Marcel Duchamp, Mariée, August 1912, Öl auf Leinwand, 89,5 × 55 cm; Philadelphia, Philadelphia Museum of Art. 46. Marcel Duchamp, Ombres portées (siehe Nr. 44), seitenverkehrt. 47. Duchamps Atelier, 33 W. 67 th St., New York, 1917–18 (Fotograf unbekannt). 48. Marcel Duchamp, Sculpture de Voyage, New York, 1918, Fotografie, 7 × 5 cm; Kunsthaus Zürich. 49. Marcel Duchamp, Zwei Fotografien für die Pistons de courant d’air / Durchzugskolben der Inscription mouvante, 59,5 × 49,3 cm; Philadelphia, Philadelphia Museum of Art; und: 58,8 × 50 cm; Sammlung Alexina Duchamp. 50. Marcel Duchamp, 50 cc Air de Paris, 1919, Glasampulle, 13,5 cm hoch; Philadelphia, Philadelphia Museum of Art. 51. Marcel Duchamp, From or by Marcel Duchamp or Rrose Sélavy (The Box in a Valise) [Die Schachtel im Koffer oder die Große Schachtel], 1936–1941, Miniatur-Repliken und Farbreproduktionen von Werken Duchamps in einer stoffbezogenen Pappschachtel in einem Lederkoffer, verschiedene Fertigungsserien, 1941–1971, ca. 40 × 40 × 10 cm; Gesamt: etwa 310 Exemplare. 52. Marcel Duchamp, The Large Glass Completed, 1965, Radierung, 35,6 × 24 cm; Platten: Staatsgalerie Stuttgart. 53. Jasper Johns, Flag, 1954/55, Öl, Enkaustik und Collage auf Leinwand, 107,3 × 154 cm; New York, The Museum of Modern Art. 54. Jasper Johns, White Flag, 1955, Enkaustik und Collage auf Leinwand, 198 × 306,7 cm; New York, Sammlung. Jasper Johns.

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55. Jasper Johns, Painted Bronze, 1960, Öl auf Bronze, 14 × 20,3 × 12,1 cm; Köln, Museum Ludwig. 56. Jasper Johns, Gray Flag, 1957, Enkaustik auf Leinwand, 65,8 × 96,1 cm; Privatsammlung. 57. Jasper Johns, Flag, 1960, Sculpmetal und Collage auf Leiwand, 33 × 50,1 × 3,8 cm; Sammlung Robert Rauschenberg. 58. Jasper Johns, White Target, 1958, Enkaustik und Collage auf Leinwand, 107,9 × 107,9 cm; Sammlung Steven A. Cohen. 59. Jasper Johns, Flag on orange Field, 1958, Enkaustik auf Leinwand, 137,1 × 192 cm; Privatsammlung. 60. Robert Rauschenberg, Vier der White Paintings, 1951, Ölfarbe auf Leinwand, ein Panel: 48 × 48 ; drei Panele, je 72 × 36 , gesamt: 72 × 36 ; vier Panele, je 36 × 36 , gesamt: 72 × 72 , sieben Panele, je 72 × 18 , gesamt: 72 × 126 ; Besitz des Künstlers; Fotos: Dorothy Zeidmann. 61. Andy Warhol beobachtet seine Silver Clouds, Leo Castelli Gallery, New York 1966; Foto Fred W. McDarrah. 62. Andy Warhol, Silver Clouds, Leo Castelli Gallery, New York 1966 (Fotograf unbekannt). 63. Frank Stella, Aus den Lithographien nach den Black Paintings, je 38,1 × 55,9 cm; Gemini Graphic Editions Limited, Los Angeles. 64. Frank Stella, Newstead Abbey, 1960, Aluminiumfarbe auf Leinwand, 299,7 × 182,2 cm; Stedelijk Museum, Amsterdam. 65. Frank Stella, Luis Miguel Dominguín, 1960, Aluminiumfarbe auf Leinwand, 238 × 182 cm; Sammlung Mr. und Mrs. Robert Mnuchin. 66. Frank Stella, Kingsbury Run (zweite Version), 1960, Aluminiumfarbe auf Leinwand, 195,6 × 189,2 cm; Sammlung Joan Carpenter Troccoli, Denver, Colorado. 67. Frank Stella, Union Pacific, 1960, Aluminiumfarbe auf Leinwand, 196,2 × 377,2 cm; Des Moines Center, Des Moines, Iowa. 68. Frank Stella, Pagosa Springs, 1960, Kupferne Emailfarbe und Bleistift auf Leinwand, 252,1 × 252,1 cm; Hirshhorn Museum and Sculpture Garden, Washington, D. C. 69. Frank Stella, Creede II, 1961, Kupferne Emailfarbe auf Leinwand, 210,2 × 210,2 cm; im Besitz des Künstlers. 70. Frank Stella, Creede I, 1961, Kupferne Emailfarbe auf Leinwand, 209,6 × 209,6 cm; Sammlung Martín Z. Margulies. 71. Frank Stella bei der Arbeit an Getty Tomb (zweite Version); Foto: Hollis Frampton. 72. Frank Stella, Claro que sí, 1964, Metallpulver auf Leinwand, 243,8 × 349,3 cm; Moderna Museet, Stockholm. 73. Frank Stella, Nunca pasa nada, 1964, Metallpulver auf Leinwand, 274,3 × 563,9 cm; Lannan Foundation, Los Angeles. 74. Frank Stella, Moultonboro II, 1965, Epoxydharz und fluoreszierende Acrylfarbe auf Leinwand, 279,4 × 305,4 cm; Privatbesitz, Toronto. 75. Frank Stella, Moultonville II, 1965, Epoxydharz und fluoreszierende Acrylfarbe auf Leinwand, 315 × 223 cm; Privatbesitz, Toronto.

389 76. Frank Stella, Conway I, 1966, Epoxydharz und fluoreszierende Acrylfarbe auf Leinwand, 204,5 × 311,2 cm; im Besitz des Künstlers. 77. Frank Stella, Chodorow II, 1971, Collage aus Filz, Karton, Stoff und Tempera auf Holztafel, 274,4 × 269,3 cm; National Gallery of Art, Washington D. C. 78. Frank Stella, Bonin night heron II (5.5 x), 1976/77, Lack, Glasschrot und Öl auf Aluminium, 251,4 × 319,9 × 38,1 cm; Albright-Knox Art Gallery, Buffalo, New York. 79. Frank Stella, Diavolozoppo (4 x), 1984, Mischtechnik auf Leinwand, Aluminium und geätztem Magnesium, 139,1 × 169,7 × 16,1 cm; im Besitz des Künstlers. 80. Frank Stella, Watson and the Shark, 1991, Mischtechnik auf Aluminium, Aluminiumguss, Gusseisen, 383,5 × 487 × 350,5 cm; im Besitz des Künstlers. 81. Carl Andre mit Holzskulpuren 1959; Foto: Hollis Frampton. 82. Carl Andre, Radial Chain Saw Sculpture, 1959 (zerstört); Foto: Hollis Frampton. 83. Carl Andre, Last Ladder, 1959, Holz, 214 × 15,6 × 15,6 cm; Tate Gallery, London; Foto: Hollis Frampton. 84. Carl Andre, Baboons, 1959 (zerstört); Foto: Hollis Frampton. 85. Carl Andre, Found Steel Objects, 1961 (zerstört), Fotos: Hollis Frampton. 86. Carl Andre, Convex Ash Pyramid, New York 1959 (zerstört); Krefeld 1995 (wiederhergestellt), Fichtenholz, 90 × 90 × 180 cm; Court. Konrad Fischer Galerie; Foto des Originals: Hollis Frampton. 87. Carl Andre, Pyramid (Square Plan), New York 1959 (zerstört), Foto: Hollis Frampton. 88. Carl Andre, Sand Lime Instar [Equivalents], New York 1966 (zerstört); New York 1995 (wiederhergestellt), acht Blöcke von je 120 Kalksandsteinziegeln, zweilagig, Gesamtmaße: 14 × 449 × 724 cm; Sammlung Carl Andre, New York. 89. Carl Andre, Cuts, Ottawa 1979 (zuerst Los Angeles 1967), Zementgussstein, Rechteck von 1472 Einheiten mit 8 × 30 leeren Einheiten, Gesamtmaße: 10,1 × 935 × 1300 cm; Sammlung Raussmüller, Schaffhausen. 90. Carl Andre, Weathering Piece, Antwerpen 1970, Aluminium, Kupfer, Stahl, Magnesium, Blei, Zink, 36 Einheiten, Gesamtmaße: 1 × 300 × 300 cm; Otterlo, Rijksmuseum Kröller-Müller. 91. Carl Andre, Spill (Scatter Piece), 1966, ca. 800 Plastikklötze, je 1 × 2 × 3 cm; Gesamtmaße variabel; Sammlung Kimiko und John Powers. 92. Carl Andre, Steel Row, 1967, Heißgewalzter Stahl, 12 Einheiten, Gesamtmaße: 0,9525 × 50,8 × 457,2 cm; Sammlung Fröhlich, Stuttgart. 93. Carl Andre, 64 Lead Square, 1969, Blei, 64 Einheiten, Gesamtmaße: 0,9525 × 162,56 × 162,56 cm; Herbert Collection. 94./95. Donald Judd, Untitled, 1966 (DSS 82), Bernsteinfarbenes Plexiglas, rostfreier Stahl, 50,8 × 122 × 86,4 cm; Sammlung Fröhlich, Stuttgart. 96. Donald Judd, Untitled, 1967 (DSS 104), Zinkblech und grüner Lack, 10 [12] Einheiten, je 23 × 101,6 × 78,7 cm; New York, The Museum of Modern Art. 97. Donald Judd, Untitled, 1993, Kupfer und Plexiglas, 10 Einheiten, je 25 × 101 × 77,54 cm; Privatsammlung, Court. PaceWildenstein. 98. Donald Judd, Untitled, 1992, Edelstahl und Plexiglas, 10 Einheiten, je 15,5 × 68,5 × 61 cm; Hiroshima, The Hiroshima City Museum of Contemporary Art.

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99. Donald Judd, Untitled, 1989/90, Einbrennlackiertes Aluminium und Zinkblech, 150 × 165 × 750 cm. 100. Gerhard Richter, 256 Farben, 1974, 222 × 414 cm. 101. Jackson Pollock, Stenographic Figure, 1942 (OT 88), Öl auf Leinen,101,6 × 142,2 cm; New York, The Museum of Modern Art. 102. Jackson Pollock, Water Birds, 1943 (OT 93), Öl auf Leinwand; 66,4 × 53,8 cm; Baltimore, Baltimore Museum of Art. 103. Jackson Pollock, Untitled [Composition with Pouring II], 1943 (OT 94), Öl und Lack auf Leinwand, 63,8 × 56,2 cm; Washington, Hirshhorn Museum and Sculpture Garden, Smithsonian Institution. 104. Jackson Pollock, Pasiphaë, ca. 1943 (OT 101), Öl auf Leinwand, 142,5 × 243,8 cm; New York, The Metropolitan Museum of Art. 105. Jackson Pollock, Mural, 1943–44 (OT 102), Öl auf Leinwand; 243,2 × 603,2 cm; Iowa City, The University of Iowa City Museum of Art. 106. Jackson Pollock, Gothic, 1944 (OT 103), Öl auf Leinwand, 215,5 × 142,1 cm; New York, The Museum of Modern Art. 107. Jackson Pollock, There Were Seven in Eight, ca. 1945 (OT 124), Öl auf Leinwand, 109,2 × 259,1 cm; New York, The Museum of Modern Art. 108. Jackson Pollock, Troubled Queen, ca. 1945 (OT 128), Öl und Lack auf Leinwand, 188,3 × 110,5 cm; Boston, Museum of Fine Arts. 109. Jackson Pollock, The Key, 1946 (OT 156), Öl auf Leinwand, 109,2 × 259,1 cm; New York, The Museum of Modern Art. 110. Jackson Pollock, Croaking Movement, 1946 (OT 161), Öl auf Leinwand, 137 × 112,1 cm; Venedig, Peggy Guggenheim Foundation. 111. Jackson Pollock, Eyes in the Heat, 1946 (OT 162), Öl auf Leinwand, 137,2 × 109,2 cm; Venedig, Peggy Guggenheim Foundation. 112. Jackson Pollock, Shimmering Substance, 1946 (OT 164), Öl auf Leinwand, 76,3 × 61,6 cm; New York, The Museum of Modern Art. 113. Jackson Pollock, Galaxy, 1947 (OT 169), Öl, Aluminiumfarbe und feiner Steinsand auf Leinwand, 110,4 × 86,3 cm; Nebraska, Omaha, Joslyn Art Museum. 114. Jackson Pollock, Reflection of the Big Dipper, 1947 (OT 175), Öl auf Leinwand, 111 × 92 cm; Amsterdam, Stedelijk Museum. 115. Jackson Pollock, Vortex [Unfounded], 1947 (OT 178), Öl- und Emailfarbe auf Leinwand, 53,3 × 46,3 cm; Privatsammlung. 116. Jackson Pollock, Sea Change, 1947 (OT 177), Öl und Kieselsteine auf Leinwand, 141,9 × 112,1 cm; Seattle, The Seattle Art Museum. 117. Jackson Pollock, Phosphorescence, 1947 (OT 183), Öl, Email- und Aluminiumfarbe auf Leinwand, 111,8 × 71,1 cm; Addison Gallery of American Art, Phillips Academy, Andover, Massachusetts. 118. Jackson Pollock, Full Fathom Five, 1947 (OT 180), Öl auf Leinwand mit Nägeln, Bostich, Knöpfen, Schlüssel, Münzen, Zigaretten, Streichhölzern etc., 129,2 × 76,5 cm; New York, The Museum of Modern Art. 119. Jackson Pollock, Enchanted Forest, 1947 (OT 173), Öl auf Leinwand, 221,3 × 114,6 cm; Venedig, Peggy Guggenheim Collection.

391 120. Jackson Pollock, Alchemy, 1947 (OT 179), Öl, Lackfarbe, Aluminiumfarbe und Schnur auf Leinwand, 114,6 × 221,3 cm; Venedig, Peggy Guggenheim Collection. 121. Jackson Pollock, Lucifer, 1947 (OT 185), Öl auf Leinwand, 104,1 × 267,9 cm; Collection Harry W. and Mary Margaret Anderson. 122. Jackson Pollock, Number 1 A, 1948 (OT 186), Öl und Lack auf Papier, 172,7 × 264,2 cm; New York, The Museum of Modern Art. 123. Jackson Pollock, Number 4, 1948: Gray and Red, 1948 (OT 202), Öl und Gesso auf Papier, 57,4 × 78,4 cm; Estate of Frederick R. Weisman. 124. Jackson Pollock, Number 14, 1948 (OT 204), Emailfarbe und Gesso auf Papier, 57,8 × 78,8 cm; New Haven, Connecticut, Yale University Art Gallery. 125. Jackson Pollock, Summertime: Number 9 A, 1948 (OT 203), Öl und Lack auf Leinwand, 84,5 × 549,5 cm; London, Tate Gallery. 126. Jackson Pollock, The Wooden Horse: Number 10 A, 1948 (OT 207), Öl, Lack und hölzerner Pferdchenkopf auf brauner Baumwolle, auf Faserplatte, 90,1 × 190,5 cm; Stockholm, Moderna Museet. 137. Jackson Pollock, Untitled (Cut-Out), 1948–50 (OT 1030) Öl, Lack, Aluminiumfarbe und Mischtechnik auf Karton und Leinwand, 77,3 × 57 cm; Kuashiki, Ohara Museum of Art. 128. Jackson Pollock, Out of the Web: Number 7, 1949 (OT 251), Öl und Emailfarbe auf Hartfaserplatte, ausgeschnitten, 121,5 × 244 cm; Stuttgart, Staatsgalerie. 129. Jackson Pollock, Number 1, 1949, 1949 (OT 252), Lack und Aluminiumfarbe auf Leinwand, 160 × 259 cm; Los Angeles, The Museum of Contemporary Art. 130. Jackson Pollock, Triad, 1948 (OT 198), Öl und Emailfarbe auf Papier, auf Faserplatte aufgezogen, 52 × 65,4 cm; Chicago, Collection Art Enterprises. 131. Jackson Pollock, Number 33, 1949 (OT 234), Email- und Aluminiumfarbe auf Gesso auf Papier, auf Faserplatte aufgezogen, 57,1 × 78,7 cm; Privatsammlung. 132. Jackson Pollock, Lavender Mist: Number 1, 1950 (OT 264), Öl, Lack und Aluminiumfarbe auf Leinwand, 221 × 299,7 cm; Washington, National Gallery of Art. 133. Jackson Pollock, One: Number 31, 1950 (OT 283), Öl und Aluminiumfarbe auf Leinwand, 269,5 × 530,8 cm; New York, The Museum of Modern Art. 134. Jackson Pollock, Autumn Rhythm: Number 30, 1950 (OT 297), Öl auf Leinwand, 266 × 525,8 cm; New York, The Metropolitan Museum of Art. 135. Jackson Pollock, Number 32, 1950 (OT 274), Emailfarbe auf Leinwand, 269 × 457,5 cm; Düsseldorf, Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen. 136. Jackson Pollock, Number 29, 1950 (OT 1036), Lackfarbe, Öl, Aluminiumfarbe, Draht, Schnur, farbiges Glas und Kies auf Glasplatte, 121,9 × 182,9 cm; Ottawa, National Gallery of Canada. 137. Jackson Pollock, Echo: Number 25, 1951 (OT 345), Lack auf Leinwand, 233,4 × 218,4 cm; New York, The Metropolitan Museum of Arts. 138. Pollock u. Peter Blake mit ihrem Modell für ein Ideales Museum, 1949; Foto: Ben Schultz. 139. Cecil Beaton, Vogue Models vor Lavender Mist und Autumn Rhythm (Vogue, März 1951). 140. Hans Namuth, Pollock bei der Arbeit an Autumn Rhythm, 1950.

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Abbildungsverzeichnis

141. Eva Hesse, Untitled, 1970, Latex über Seilen, Draht, Kordel, Maße variabel; New York, Whitney Museum of American Art. 142. Richard Serra wirft mit geschmolzenem Blei; Foto: Gianfranco Cargoni. 143. Richard Serra, Casting, 1969, Blei, Gesamtmaße: 10,4 × 780 × 468 cm; zerstört. 144. Allan Kaprow, Yard, 1961, Autoreifen, Martha Jackson Gallery, New York. 145. Robert Morris, Untitled (Threadwaste), 1968, Putzwolle und Spiegel, Maße variabel; New York, The Museum of Modern Art. 146. Robert Smithson, Asphalt Rundown, Rom, Oktober 1969. 147. Barry Le Va, Source (sheets to strips to particles), 1968, grauer Filz, Atelier Installation, Maße variabel, zerstört. 148. Arman, Poubelle I, 1960, diverse Materialien, 65 × 40 × 10 cm; Krefeld, KaiserWilhelm Museum. 149. Robert Rauschenberg, Co-Existence, 1961, Öl auf Leinwand mit Stoff, Holz, Metall und Draht, 168,6 × 128,1 × 34,9 cm; Virginia, Virginia Museum of Fine Arts. 150. Robert Rauschenberg, First Landing Jump, 1961, Öl, Stoff, Metall, Leder, Elektrische Fixierung und Kabel auf Brett mit Autoreifen und Holzschranke, 226,3 ×182,8 ×22,5 cm; New York, The Museum of Modern Art. 151. Robert Rauschenberg, Trophy IV (For John Cage), 1961, Metall, Stoff, Lederstiefel, Holz, und Draht auf Holz mit Kette und Taschenlampe, San Francisco, San Franscisco Museum of Modern Art. 152. Robert Rauschenberg, Inside-Out, 1962, Ölfarbe, Papier, Stoff, Holz, Blech, Metall, Draht, Glas, Alarmglocke und Dreiradrad, 100 × 125 × 40 cm; Düsseldorf, Kunstsammlung Nordrheinwestfalen. 153. Claes Oldenburg, Blue Shirt, Striped Tie, 1961, Musselin in Gips auf Drahtgestell, Lackfarbe, 91,4 × 50,8 cm; Verbleib unbekannt. 154. Claes Oldenburg, Soft Toilet, 1966, Vinyl, Plexiglas, Kapok auf Holzsockel, 144,9 × 70,2 × 71,3 cm; New York, Whitney Museum of American Art. 155. Claes Oldenburg, The Store, Schaufenster mit Blick auf die Straße, 1961 (Fotograf unbekannt). 156. Lynda Benglis, Wing, 1970, Aluminiumabgusss (1975), 170,2 × 150,5 × 152,5 cm; Court. Cheim & Reid, New York, Galerie Michael Janssen, Köln. 157. Donald Judd, Untitled, 1965 (DSS 61), Ölfarbe auf kaltgewalztem Stahl; 39,6 × 350 × 297,2 cm; Moderna Museet, Stockholm. 158. Lynda Benglis, Contraband, 1969 Pigmentierter Latex, 1030 × 280 cm; Court. Galerie Michael Janssen, Köln. 159. Robert Smithson, Glue Pour, Vancouver, 1969/70. 160. Donald Judd, Untitled, 1969 (DSS 207), violettes Plexiglas und Aluminium, 83,8 × 172,7 × 122 cm; Sammlung Thomas und Cristina Bechtler. 161. Claes Oldenburg, Soft Switches, 1964, Vinyl, mit Dacron und Leinwand ausgestopft, 119,4 × 119,4 × 9,1 cm; Kansas, The Nelson Atkins Museum of Art. 162. Donald Judd, Untitled, 1968 (DSS 128), Bernsteinfarbenes Plexiglas und rostfreier Stahl, 83,8 × 172,7 × 122 cm; New York, Whitney Museum of American Art. 163. Donald Judd, Ausstellung im Whitney Museum of American Art, 27. Februar – 24. März 1968; Foto: John D. Schiff.

393 164. Dan Graham, Homes for America, 1966–67, Layout für die Publikation in Arts Magazine (Dec. 1966 – Jan. 1967). 165. Mel Bochner, Working Drawings and Other Visible Things on Paper Not Necessarily Meant to be Viewed as Art, Ausstellung in der School of Visual Arts Gallery, New York 1966. 166. Donald Judd, Installation in der Galerie Annemarie Verna, Zürich 1985. 167. Dan Flavin, icon VIII (To Blind Lemon Jefferson), 1962–63, Öl auf Hartfaser, Porzellanfassungen, Ketten, rote Glühbirnen, 63,8 × 63,8 × 26,5 cm; Privatsammlung, New York. 168. Dan Flavin, icon III, 1962–63, Öl auf Holz, rote Glühbirne, rote Neonröhre, 63,8 × 63,8 15,2 cm (ausschließlich der Lampen); Donald Judd Estate, Marfa, Texas / New York. 169. Dan Flavin, the diagonal of May 25, 1963 (to Constantin Brancusi), 1963, 244 cm hoch; New York, DIA Center for the Arts. 170. Dan Flavin, „fluorescent light“, Green Gallery, New York, November 1964. 171. Claes Oldenburg, Floor Burger, Green Gallery, New York, 1962, Leinwand, ausgestopft mit Schaumgummi und Pappschachteln, Liqitex und Latexfarbe, 132 × 213 cm; Art Gallery of Ontario, Toronto. 172. Donald Judd, Untitled, 1962 (DSS 33), Öl auf Holz und Emailfarbe auf Eisen, 121,9 × 84,1 × 54,6 cm; Basel, Öffentliche Kunstsammlung. 173. Elsworth Kelly, White Angle, 1966, bemaltes Aluminium, 183,5 × 183,5 × 91,5 cm; New York, Solomon R. Guggenheim Museum. 174. Robert Ryman, Untitled, 1961, Öl auf Leinen, 41,9 × 41,9 cm. 175. Robert Ryman, Untitled, 1958, Öl auf Baumwolle, 109,3 × 109,3 cm. 176. Robert Ryman, Anchor, 1984, Acryl auf Faserplatte mit Stahl- und Aluminiumhalterungen, 355 × 319 cm. 177. Elsworth Kelly, Pony, 1959, bemaltes Aluminium, 78,7 × 198,1 × 162,6; Collection of Miles and Shirley Fiterman. 178. Robert Rauschenberg, Canto XV. Der Sodomit Brunetto Latini, 1958–60, TransferZeichnung, Bleistift, Aquarell, Gouache, 36,8 × 29,2 cm / Canto XVI. Der Absturz des Höllenflusses Phlegeton, 1959, Transfer-Zeichnung, Bleistift, Buntstift, Aquarell, Gouache, 36,7 × 29,1 cm; New York, The Museum of Modern Art. 179. Robert Rauschenberg, Vacation, 1961, Transfer-Zeichnung, Bleistift, Aquarell, Gouache, 58,3 × 73,6 cm; Privatbesitz. 180. Robert Rauschenberg, Brace, 1962, Öl und Siebruck auf Leinwand, 152,4 × 152,4 cm; Collection of Robert and Jane Meyerhoff. 181. Andy Warhol, Brillo Box (Pasadena-Typ: Eines von 100 zusammengehörigen Exemplaren, nach dem Design von 1964 produziert 1970), 1964/70, Siebdruck auf Sperrholz, 50,8 × 50,8 × 43,3 cm; Pasadena, Pasadena Museum of Art. 182. Andy Warhol, Erste Ausstellung der Campbell’s Soup Can Paintings in der Ferus Gallery, Los Angeles 1962. 183. Andy Warhol, Elvis 4 Times, 1963, Siebdruck auf Aluminiumfarbe auf Leinwand, 212,1 × 382,3 cm; Daros Collection, Zürich. — Elvis 3 Times, 1963, Siebdruck auf Aluminiumfarbe auf Leinwand, 210,8 × 273,7 cm; Sammlung Frederick W. Hughes.

394

Abbildungsverzeichnis

Triple Elvis, 1963, Siebdruck auf Aluminiumfarbe auf Leinwand, 210 × 180,5 cm; Virginia Museum of Fine Arts, Richmond. — Elvis I and II, 1963/64, Siebdruck auf Acrylfarbe auf Leinwand (links), Siebdruck auf Aluminumfarbe auf Leinwand (rechts), je: 208,3 × 208,3 cm; Art Gallery of Ontario, Toronto. — Double Elvis, Siebdruck auf Aluminiumfarbe auf Leinwand ,1963, 210,2 × 222,3 cm; Hamburger Bahnhof, Berlin. 184. Andy Warhol, Ambulance Disaster, 1963/64, Siebdruck auf Leinwand, 316,2 × 202,9 cm; Hamburger Bahnhof, Berlin. 185. Andy Warhol, Retrospective im Institute of Contemporary Art, University of Pennsylvania, 1965 (Fotograf unbekannt). 186. Piet Mondrian, Five Tree Silhouettes along the Gein with Moon, 1907/08 (A 660), Öl auf Leinwand, 79 × 92,5 cm; Den Haag, Gemeentemuseum. 187. Piet Mondrian, Woods near Oele, 1908 (A 593), Öl auf Leinwand, 128 × 158 cm; Den Haag, Gemeentemuseum. 188. Piet Mondrian, The Gray Tree, 1911 (B 4), Öl auf Leinwand, 78,3 × 107,3 cm; Den Haag, Gemeentemuseum. 189. Piet Mondrian, Flowering Trees, 1912 (B 20), Öl auf Leinwand, 60 × 85 cm; The Judith Rothschild Foundation, New York. 190. Piet Mondrian, Composition in Oval with Color Planes 1, 1914 (B 53), Öl auf Leinwand, 107,6 × 78,8 cm; New York, The Museum of Modern Art. 191. Piet Mondrian, Composition, 1916 (B 80), Öl auf Leinwand, 119 × 75,1 cm; New York, The Solomon R. Guggenheim Museum. 192. Piet Mondrian, Composition with Color Planes and Gray Lines 1, 1918 (B 92), Öl auf Leinwand, 49 × 60,5 cm; Privatsammlung, Schweiz. 193. Piet Mondrian, Composition with Grid 8: Checkerboard Composition with Dark Colors, 1919 (B 102), Öl auf Leinwand, 84 × 102 cm; Den Haag, Gemeentemuseum. 194. Piet Mondrian, Composition with Grid 9: Checkerboard Composition with Light Colors, 1919 (B 103), Öl auf Leinwand, 86 × 106 cm; Den Haag, Gemeentemuseum. 195. Piet Mondrian, Composition C, 1920 (B 107), Öl auf Leinwand, 60,3 × 61 cm; New York, The Museum of Modern Art. 196. Piet Mondrian, Composition A, 1920 (B 105), Öl auf Leinwand, 90 × 91 cm; Rom, La Galleria Nazionale d’Arte Moderna e Contemporanea. 197. Piet Mondrian, Composition with Yellow, Red, Black, Blue, and Gray, 1920 (B 114), Öl auf Leinwand, 51,5 × 61 cm; Amsterdam, Stedelijk Museum. 198. Piet Mondrian, Composition with Red, Blue, Black, Yellow, and Gray, 1921 (B 125), Öl auf Leinwand, 39,5 × 35 cm; Den Haag, Gemeentemuseum. 199. Piet Mondrian, Composition with Blue, Black, Yellow, and Red, 1922 (B 135), Öl auf Leinwand, 39 × 34,7 cm; Privatsammlung. 200. Piet Mondrian, Composition with Red, Blue, Yellow, Black, and Gray, 1922 (B 137), Öl auf Leinwand, 41,9 × 48,6 cm; Toledo, The Toledo Museum of Art. 201. Piet Mondrian, Composition with Blue, Yellow, Red, Black, and Gray, 1922 (B 138), Öl auf Leinwand, 42 × 50 cm; Amsterdam, Stedelijk Museum. —

395 202. Piet Mondrian, Composition with Blue, Yellow, Red, and Black, 1922 (B 141), Öl auf Leinwand, 42 × 48,5 cm; Minneapolis, The Minneapolis Institute of Art. 203. Piet Mondrian, Composition with Large Red Plane, Bluish Gray, Yellow, Black, and Blue, 1922 (B 144), Öl auf Leinwand, 54 × 53,4 cm; Privatsammlung, Monte Carlo. 204. Piet Mondrian, Composition with Blue, Yellow, Black, and Red, 1922 (B 145), Öl auf Leinwand, 53 × 54 cm; Stuttgart, Staatsgalerie. 205. Piet Mondrian, Tableau 2, with Yellow, Black, Blue, Red, and Gray, 1922 (B 146), Öl auf Leinwand, 55,6 × 53,4 cm; New York, The Solomon R. Guggenheim Museum. 206. Piet Mondrian, Tableau No. II, with Black and Gray, 1925 (B 166), Öl auf Leinwand, 50 × 50 cm; Bern, Kunstmuseum. 207. Piet Mondrian, Composition with Red, Yellow, and Blue, 1927 (B 187), Öl auf Leinwand, 38 × 35 cm; court. Amely Juda Fine Art, London. 208. Piet Mondrian, Composition with Red, Yellow, and Blue, 1927 (B 188), Öl auf Leinwand, 51,1 × 51,1 cm; Cleveland, The Cleveland Museum of Art. 209. Piet Mondrian, Composition with Black, Red, and Gray, 1927 (B 189), Öl auf Leinwand, 56 x56 cm; Cottbus, Brandenburgische Kunstsammlungen. 210. Piet Mondrian, Composition: No. III, with Red, Yellow, and Blue, 1927 (B 190), Öl auf Leinwand, 61 × 40 cm; Amsterdam, Stedelijk Museum. 211. Piet Mondrian, Composition with Red, Yellow, and Blue, 1927 (B 191), Öl auf Leinwand, 40 × 52; Otterlo, Rijksmuseum Kröller-Müller. 212. Piet Mondrian, Large Composition with Red, Blue, and Yellow, 1928 (B 201), Öl auf Leinwand, 123 × 80 cm; Privatsammlung. 213. Piet Mondrian, Composition: No. I, with Black, Yellow, and Blue, 1927 (B 193), Öl auf Leinwand, 73,5 × 54 cm; Privatsammlung. 214. Piet Mondrian, Composition, with Red, Blue, Yellow, and Black, 1929 (B 206), Öl auf Leinwand, 45,1 × 45,3 cm; New York, The Solomon R. Guggenheim Museum. 215. Piet Mondrian, Composition No. IV, with Red, Blue, and Yellow, 1929 (B 216), Öl auf Leinwand, 52 × 51,5 cm; Amsterdam, Stedelijk Museum. 216. Piet Mondrian, Composition with Red, Black, Blue, and Yellow, 1928 (B 204), Öl auf Leinwand, 45 × 45 cm; Ludwigshafen, Wilhelm-Hack-Museum. 217. Piet Mondrian, Composition No. II, with Yellow and Blue, 1929 (B 215), Öl auf Leinwand, 52 × 52; Rotterdam, Museum Boymans-Van Beuningen. 218. Piet Mondrian, Composition No. II, with Blue and Yellow, 1930 (B 225), Öl auf Leinwand, 50,5 × 50,5 cm; Privatsammlung. 219. Piet Mondrian, Composition A, with Red and Blue, 1931 (B 230), Öl auf Leinwand, 55 × 55 cm; Winterthur, Kunstmuseum Winterthur. 220. Piet Mondrian, Composition B, with Double Line and Yellow and Gray, 1932 (B 231), Öl auf Leinwand, 50 × 50 cm; Privatsammlung. 221. Piet Mondrian, Composition C, with Gray and Red, 1932 (B 232), Öl auf Leinwand, 50,2 × 50,4 cm; Privatsammlung. 222. Piet Mondrian, Composition with Yellow and Blue, 1932 (B 234), Öl auf Leinwand, 55,5 × 55,3 cm; Sammlung Beyeler, Riehen. 223. Piet Mondrian, Composition in Black and White with Double Lines, 1934 (B 243), Öl auf Leinwand, 59,4 × 60,3 cm; Privatsammlung: Dallas, Dallas Museum of Art.

396 224. Piet Mondrian, Composition (No. I) Gris-Rouge, 1935 (B 255), Öl auf Leinwand, 56,9 × 55 cm; Chicago, The Art Institute. 225. Piet Mondrian, Composition with Double Line and Blue, 1935 (B 259), Öl auf Leinwand, 71,1 × 68,9 cm; Sammlung Beyeler, Riehen. 226. Piet Mondrian, Composition C (No. III), with Red, Yellow, and Blue, 1935 (B 261), Öl auf Leinwand, 56,2 x55,1 cm; Privatsammlung: London, Tate Gallery. 227. Piet Mondrian, Composition with Yellow, 1936 (B 264), Öl auf Leinwand, 74 × 66 cm; Philadelphia, Philadelphia Museum of Art. 228. Piet Mondrian, „Composition in White, Blue, and Yellow“: C, 1936 (B 267), Öl auf Leinwand, 70,5 × 68,5 cm; Privatsammlung. 229. Piet Mondrian, Composition with Yellow, Blue, and Red, 1939–42, 1937/1942 (B 279.308), Öl auf Leinwand, 72,5 × 69 cm; London, Tate Gallery. 230. Piet Mondrian, Composition No. 12, 1936–42, with Blue, 1937/1942 (B 280.309), Öl auf Leinwand, 62 × 60,5 cm; Ottawa, National Gallery of Canada. 231. Piet Mondrian, Place de la Concorde, 1938–43, 1938/1943 (B 283.321), Öl auf Leinwand, 94 × 94,4 cm; Dallas, Dallas Museum of Fine Art. 232. Piet Mondrian, New York. 1941 / Boogie Woogie. 1941–42, 1941/42 (B 299.319), Öl auf Leinwand, 95,2 × 92 cm; Sammlung Hester Diamond. 233. Piet Mondrian, New York City, 1942 (B 301), Öl auf Leinwand, 119,3 × 114,2 cm; Paris, Musée National d’Art Moderne, Centre Georges Pompidou. 234. Piet Mondrian, Broadway Boogie Woogie, 1942–1943 (B 323), Öl auf Leinwand, 127 × 127 cm; New York, The Museum of Modern Art. 235. Piet Mondrian, Victory Boogie Woogie (unfinished), 1942–44/1944 (B 324), Öl auf Leinwand, 126 × 126 cm; Den Haag, Gemeentemuseum. 236. Barnett Newman, The Word I, 1946 (BNF 6), Öl auf Leinwand, 121,9 × 91,4 cm; Sammlung Irma und Norman Braman, Florida. 237. Barnett Newman, Moment, 1946 (BNF 7), Öl auf Leinwand, 76,2 × 40,6 cm; London, Tate Gallery. 238. Barnett Newman, Onement I, 1948 (BNF 14), Öl auf Leinwand und Öl auf Abdeckband, 69,2 × 41,3 cm; New York, The Museum of Modern Art. 239. Barnett Newman, Be I, 1949 (BNF 34), Öl auf Leinwand, 236 × 190,8 cm; Houston, Texas, The Menil Collection. 240. Barnett Newman, White Fire II, 1960 (BNF 74), Öl auf Leinwand, 243,8 × 193 cm; Basel, Öffentliche Kunstsammlung. 241. Barnett Newman, Right Here, 1954 (BNF 65), Öl auf Leinwand, 127,6 × 89,5 cm; Amsterdam, Stedelijk Museum. 242. Barnett Newman, Jericho, 1968/69 (BNF 111), Acryl auf Leinwand, 269,2 × 285,8 cm; Paris, Musée National d’Art Moderne, Centre Georges Pompidou. 243. Barnett Newman, Shining Forth (To George), 1960 (BNF 76), Öl auf Leinwand, 289,6 × 442 cm; Paris, Musée National d’Art Moderne, Centre Georges Pompidou. 244. Vladimir Tatlin, Winkelrelief (Konterrelief höheren Typs; Materialkombination), um 1915; Eisen, Aluminium, Lewkas, installiert auf der Letzten Futuristischen Ausstellung 0–10, 1915; Foto: Staatsarchiv für Film-, Foto- und Tondokumente, Leningrad. 245. Vladimir Tatlin, Modell des Denkmals der III. Internationale, 1919/20, Petersburg 1920.

397 246. Vladimir Tatlin, Stuhlmodell (1927), Rekonstruktion von W. G. Solopow und W. J. Pawlow, Metall, Leder, 1976, 80 × 65 cm; Nachlass A. Shadowa, Moskau. 247. Vladimir Tatlin, Der Letatlin, 1929–32, Originalmodelle; Fotos: Zentrales Staatsarchiv für Literatur und Kunst, Moskau. 248. Vladimir Tatlin, Stuhl. Entwurfsmodell, 1927, Ahornholz, Stoff; Foto: A. Rodtschenko, Sammlung W.A. Rodtschenko. 249. Donald Judd, Chairs, 1991, Sperrholz, 76,2 × 38,1 × 38,1 cm. 250. Marfa, Texas, Gelände der Chinati Foundation mit den Artilleriehallen; Permanente Installation von hundert Aluboxen in den zwei Artilleriehallen, 1980–84; Die südliche Halle; Fotos: Chinati Foundation. 251. Installation von Untitled, 1968 (DSS 199), im Museum of Modern Art, New York, Juni 1996; Fotos des Autors. 252. Dan Graham, Public Space / Two Audiences, 1976, zwei Räume mit separaten Eingängen, getrennt von einer Thermopanescheibe, Spiegelwand, Teppich, Neolicht, Holz, ca. 220 × 700 × 220 cm; Installation ‚Ambiente’, Venedig Biennale 1976. 253. Dan Graham, Public Space / Two Audiences, 1976; Installation Kunsthalle Düsseldorf, 2002. 254. Ausstellung von Robert Mangold, Galleria Toselli, Mailand (um 1970), Foto: Giorgio Colombo. 255. Michael Asher, Austellung in der Galleria Toselli, 13. September – 8. Oktober, 1973, Fotos: Giorgio Colombo / Franco Toselli (Kunstlicht nur für die Fotografie).

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Donald Judd: Der Körper des Bildes und die Entdeckung des real space

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Untitled, 1962 (DSS 31) Untitled, 1962/91 Untitled, 1961 (DSS 23) Untitled, 1962 (DSS 29) Untitled, 1961 (DSS 24) Untitled, 1962 (DSS 32) Studie zu bemalter Holzskulptur mit Asphaltrohr (cf. DSS 32), 1962

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Untitled, 1963 (DSS 35, Version von 1975) Untitled, 1962 (DSS 33) Untitled, 1962 (DSS 33, Version von 1975) Untitled, 1963 (DSS 39) Untitled, 1963 (DSS 41) Untitled, 1963 (DSS 38)

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Schematismen der Werkpräsenz 14. 15. 16. 17.

Lee Bontecou, Untitled, 1960 Yves Klein, Monochrome bleu sans titre, 1959 Yayoi Kusama, Accumulation no. 2, 1962 Robert Morris, Untitled (Two Columns. 1961 / refabr. 1973) 18. Robert Morris, Untitled (Slab), 1962 19. Robert Morris, Untitled (Wall-Floor Slab), 1962

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Marcel Duchamp. Die Indifferenzschönheit (ST 95) des Ready-made 20. 21. 22. 23. 24. 25. 26.

Fountain, 1917 Ready-made malheureux, 1919 Bottle Dryer, 1914 Hat Rack, 1917 Pliant de Voyage, 1916 Peigne, 1916 In Advance of the Broken Arm, 1915

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Constantin Brancusi. Archetypische Formen

27. 28. 29. 30. 31.

Der Neugeborene II, um 1920? Der Neugeborene, 1925? (TB 209a) Weltenanfang, ca. 1920 (TB 162) Der Neugeborene, 1927 (TB 209b) Die Tafel des Schweigens, Tîrgu Jiu, 1937/38 (TB 267)

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32. Marcel Duchamp, La Mariée mise a nu par ses célibataires, même, 1915–23

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Marcel Duchamp. Das Große Glas und die letzten Bilder

33. Das Große Glas vor dem Zerbrechen, Brooklyn 1926/27 34. Das Große Glas, Philadelphia Museum of Art 35. Nu descendant un escalier, Januar 1912 36. Mariée, August 1912

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37 37. Das Schema des Großen Glases, komplettiert von Jean Suquet Die Legende ist keine direkte Übersetzung derjenigen Suquets, sondern ein Abgleich mit den Bezeichnungen Stauffers (1) Schokoladenreibe (2) Gleitschlitten

(2A) Kette der Benediktinerflaschen / Agraffe und Winde (2B) Pedal im Untergeschoß (2c) Wassermühle (3) Schere (4) Gussformen der Junggesellen (5) Kapillarfäden (6) Horizont / Kleid der Braut / Kühler (7) Braut (Weiblicher Gehenkter) (8) Milchstraße / Inscription mouvante

(8a) (8B) (9) (10)

Filamentenmaterie(?) Durchzugskolben Haarsiebe Abfluss-Ebenen des Leuchtgases (10A) Mobil (10B) Abstürze / Verspritzung (11A/B) Widder des Boxkampfs (12) Okulistenzeugen (13) Einschusslöcher (14) Schwerpunktjongleur

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Marcel Duchamp. Sprache und Zufall im Umfeld des Großen Glases 38. Élevage de poussière, Photo Man Ray 1920 39. 3 Stoppages étalon, 1913/1914 40. L.H.O.O.Q., 1919

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41. Jongleur de Gravité (Notes, no. 149) 42. Fahrradrad, 1913 43. Obligations de Monte Carlo, 1924

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Die Ready-mades und der Körper der Braut

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44. Schlagschatten von Readymades, New York 1918 45. Schlagschatten von Readymades, New York 1918, seitenverkehrt 46. Die Braut, 1912 47. Duchamps Atelier, 33 W. 67th St., New York, 1917–18 48. Sculpture de Voyage, New York, 1918

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Marcel Duchamp 49. Zwei Fotos für die Pistons de courant d’air / Durchzugskolben der Inscription mouvante 50. 50 cc air de Paris, 1919 51. Die Schachtel im Koffer (die Große Schachtel), 1936–41 52. The Large Glass Completed, 1965 (Radierung)

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Jasper Johns. Amalgamierungen von Bild und Objekt 53. 54. 55. 56. 57. 58. 59.

Flag, 1954/55 White Flag, 1955 Painted Bronze, 1960 Gray Flag, 1957 Flag, 1960 White Target, 1958 Flag on orange Field, 1957

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Robert Rauschenberg / Andy Warhol 60. Rauschenberg, Vier der White Paintings, 1951 61. Warhol, Silver Clouds, Castelli Gallery, NY 1966 62. Warhol, Silver Clouds, Castelli Gallery, NY 1966

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63 Frank Stella: Die Tautologie in der Malerei 63. 64. 65. 66. 67. 68. 69. 70.

Lithographien nach den Black Paintings, 1967 Newstead Abbey, 1960 (Aluminum Series) Luis Miguel Dominguín, 1960 (Aluminum Series) Kingsbury Run, 1960 (Aluminum Series) Union Pacific, 1960 (Aluminum Series) Pagosa Springs, 1960 (Copper Series) Creede II, 1961 (Copper Series) Creede I, 1961 (Copper Series)

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Frank Stella 71. 72. 73. 74. 75. 76. 77. 78.

Stella im Atelier, Fotos von Hollis Frampton Claro que sí, 1964 (Running-V Paintings) Nunca pasa nada, 1964 (Running-V Paintings) Moultonboro II, 1965 (Irregular Polygons) Moultonville II, 1965(Irregular Polygons) Conway I, 1966 (Irregular Polygons) Chodorow II, 1971 (Polish Village Series) Bonin night heron II (5.5x), 1976/77 (Exotic Bird Series) 79. Diavolozoppo (4x), 1984 (Cones and Pillars) 80. Watson and the Shark, 1991 (Moby Dick Series)

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Carl Andre 1: zwischen Brancusi, Stonehenge und Stella… (Fotos Hollis Frampton) 81. 82. 83. 84. 85

Andre mit Holzskulpuren, 1959 Radial Chain Saw Sculpture, 1959 Last Ladder, 1959 Baboons, 1959 (im Hintergrund wie in fig. 83 Stellas Union Pacific) 85. Found Steel Objects, 1961 86. Convex Ash Pyramid, 1959 87. Pyramid (Square Plan), 1959

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93 Carl Andre 2 Gemäß Andres Formel – „Form → Structure → Place“ (Arts Magazine, Vol. 43, No. 7, May 1969, 24) – ist seine Entwicklung – nach der Verschränkung der Brancusischen Form mit Stellas Struktur (siehe die vorigen Abbildungen) – mit den „klastischen“ Bodenarbeiten beim Ort angekommen. Erst spät hat er den tragenden ersten Schritt erkannt, seinen „main concern: matter“ ( Journal of Contemporary Art, Vol. 3.2, Fall/Winter 1990, 19). 88. Sand Lime Instar, 1995 (Replik der Equivalents von 1966) 89. Cuts, Ottawa 1979 (zuerst Los Angeles 1967) 90. Weathering Piece, Antwerpen 1970 91. Spill (Scatter Piece), 1966 92. Steel Row, 1967 93. 64 Lead Square, 1969

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95 94. u. 95. Donald Judd, Untitled (DSS 82), 1966, Bernsteinfarbenes Plexiglas, rostfreier Stahl, 50,8 × 122 × 86,4 cm; Sammlung Fröhlich, Stuttgart.

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98 Industrielle Polychromie 96. 97. 98. 99. 100.

Donald Judd, Untitled, 1967 (DSS 104) Donald Judd, Untitled, 1993 Donald Judd, Untitled, 1992 Donald Judd, Untitled, 1989/90 Gerhard Richter, 256 Farben, 1974

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109 Jackson Pollock 1 101. Stenographic Figure, 1942 (OT 88) 102. Water Birds, 1943 (OT 93) 103. Untitled [Composition with Pouring II], 1943 (OT 94) 104. Pasiphaë, ca. 1943 (OT 101) 105. Mural, 1943–44 (OT 102) 106. Gothic, 1944 (OT 103) 107. There Were Seven in Eight, ca. 1945 (OT 124) 108. Troubled Queen, ca. 1945 (OT 128) 109. The Key (Accabonac Creek Series), 1946 (OT 156)

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Pollock 2 110. 111. 112. 113. 114. 115. 116. 117. 118. 119.

Croaking Movement, 1946 (OT 161) Eyes in the Heat, 1946 (OT 162) Shimmering Substance, 1946 (OT 164) Galaxy, 1947 (OT 169) Reflection of the Big Dipper, 1947 (OT 175) Vortex [Unfounded] (OT 178) Sea Change, 1947 (OT 177) Phosphorence, 1947 (OT 183) Full Fathom Five, 1947 (OT 180) Enchanted Forest, 1947 (OT 173)

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Pollock 3 120. Alchemy, 1947 (OT 179) 121. Lucifer, 1947 (OT 185) 122. Number 1A, 1948 (OT 186) 120

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Pollock 4 123. Number 4, 1948: Gray and Red, 1948 (OT 202) 124. Number 14, 1948 (OT 204) 125. Summertime: Number 9A, 1948 (OT 203) 126. The Woodden Horse: Number 10A, 1948 (OT 207) 127. Untitled (Cut-Out), 1948–50 (OT 1030) 128. Out of the Web: Number 7, 1949 (OT 251)

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Pollock 5 129. 130. 131. 132.

Number 1, 1949 (OT 252) Triad, 1948 (OT 198) Number 33, 1949 (OT 234) Lavender Mist: Number 1, 1950 (OT 264) 133. One: Number 31, 1950 (OT 283)

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Pollock 6 134. Autumn Rhythm: Number 30, 1950 (OT 297) 135. Number 32, 1950 (OT 274) 136. Number 29, 1950 (OT 1036) 137. Echo: Number 25, 1951 (OT 345) 135

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426 Pollock-Rezeption 1: Prozesskunst und Anti-Form 138. Pollock u. Peter Blake mit ihrem Modell für ein ‚ideales Museum‘, 1949 (Foto: Ben Schultz) 139. Cecil Beaton, Vogue Models vor Lavender Mist und Autumn Rhythm (Vogue, März ’51) 140. Hans Namuth, Pollock bei der Arbeit an Autumn Rhythm 141. Eva Hesse, Untitled, 1970 142. Richard Serra wirft mit geschmolzenem Blei (Foto: G. Cargoni) 143. Richard Serra, Casting, 1969 144. Allan Kaprow, Yard, 1961 145. Robert Morris, Untitled (Threadwaste), 1968 146. Robert Smithson, Asphalt Rundown, 1969 147. Barry Le Va, Source (sheets to strips to particles), 1968

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Pollock-Rezeption 2: schlecht gemischte Assemblagen – kontrahierte Materialitäten 148. 149. 150. 151. 152. 153. 154. 155. 156.

Arman, Poubelle I, 1960 Rauschenberg, Co-Existence, 1961 Rauschenberg, First Landing Jump, 1961 Rauschenberg, Trophy IV (For John Cage), 1961 Rauschenberg, Inside-Out, 1962 Oldenburg, Soft Toilet, 1966 Oldenburg, Blue Shirt, Striped Tie, 1961 Oldenburg, The Store, Schaufenster, 1961 Lynda Benglis, Wing, 1970

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Farben ohne Träger. Varianten der ‚Materialspezifik‘ 157. Donald Judd, Untitled, 1965 (DSS 61) 158. Lynda Benglis, Contraband, 1969 159. Robert Smithson, Glue Pour, 1969/70 160. Donald Judd, Untitled, 1969 (DSS 207) 161. Claes Oldenburg, Soft Switches, 1964 162. Donald Judd, Untitled, 1968 (DSS 128)

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Die Werkpräsenz und ihre Gußformen 166

163. Donald Judd, Ausstellung im Whitney Museum of American Art, 27. Februar – 24. März 1968 164. Dan Graham, Homes for America, 1966–67, Layout für die Publikation in Arts Magazine (Dec. 1966 – Jan. 1967) 165. Mel Bochner, Working Drawings and Other Visible Things on Paper Not Necessarily Meant to be Viewed as Art, Ausstellung in der School of Visual Arts Gallery, New York 1966 166. Donald Judd, Installation, Galerie Annemarie Verna, Zürich 1985

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Entfaltete Bilder, Dekonstruierte Malerei 175

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167. Dan Flavin, icon VIII (To Blind Lemon Jefferson), 1962–63 168. Dan Flavin, icon III, 1962–63 169. Dan Flavin, the diagonal of May 25, 1963 (to Constantin Brancusi), 1963 170. Dan Flavin, ‚fluorescent light‘, Green Gallery, New York, 1964 171. Claes Oldenburg, Floor Burger, Green Gallery, New York, 1962 172. Don Judd, Untitled (DSS 33), 1962 173. Elsworth Kelly, White Angle, 1966 174. Robert Ryman, Untitled, 1961 175. Robert Ryman, Untitled, 1958 176. Robert Ryman, Anchor, 1984 177. Elsworth Kelly, Pony, 1959

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185 Schatten und Bilder 178. 179. 180. 181. 182.

Rauschenberg, Cantos Xv/XVI, 1959 Rauschenberg, Vacation, 1961 Rauschenberg, Brace 1962 Warhol, Brillo Box, 1964/1970 Warhol, Erste Ausstellung der Campbell’s Soup Can Paintings in der Ferus Gallery, Los Angeles 1962 183. Warhol, Fünf von 36 Elvis-Siebdrucken von 1963 184. Warhol, Ambulance Disaster, 1963/64 185. Andy Warhol, Retrospective im Institute of Contemporary Art, University of Pennsylvania, 1965

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Mondrian 1: von der ‚tragischen‘ Befangenheit im Erscheinungsbild zur Errichtung der Bildebene…

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186. Five Tree Silhouettes along the Gein with Moon, 1907/08 (A 660) 187. Woods near Oele, 1908 (A 593) 188. The Gray Tree, 1911 (B 4) 189. Flowering Trees, 1912 (B 20) 190. Composition in Oval with Color Planes 1, 1914 (B 53) 191. Composition, 1916 (B 80) 192. Composition with Color Planes and Gray Lines 1, 1918 (B 92) 193. Composition with Grid 8: Checkerboard Composition with Dark Colors, 1919 (B 102) 194. Composition with Grid 9: Checkerboard Composition with Light Colors, 1919 (B 103) 195. Composition C, 1920 (B 107)

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Mondrian 2: Die Desintegration des Rasters, die Wiederkehr des Zentrums. Einstieg in die Arbeit des Neoplastizismus…

205

196. Composition A, 1920 (B 105) 197. Composition with Yellow, Red, Black, Blue, and Gray, 1920 (B 114) 198. Composition with Red, Blue, Black, Yellow, and Gray, 1921 (B 125) 199. Composition with Blue, Black, Yellow, and Red, 1922 (B 135) 200. Composition with Red, Blue, Yellow, Black, and Gray, 1922 (B 137) 201. Composition with Blue, Yellow, Red, Black, and Gray, 1922 (B 138) 202. Composition with Blue, Yellow, Red, and Black, 1922 (B 141) 203. Composition with Large Red Plane, Bluish Gray, Yellow, Black, and Blue, 1922 (B 144) 204. Composition with Blue, Yellow, Black, and Red, 1922 (B 145) 205. Tableau 2, with Yellow, Black, Blue, Red, and Gray 1922 (B 146)

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Mondrian 3: Von der Aushebung des Bildes zur ‚klassischen‘ Komposition: ‚When Neo-Plasticism speaks of equilibrated relationship, it does not mean symmetry but constant contrast…‘ (NANL 191)

215

206. Tableau No. II, with Black and Gray, 1925 (B 166) 207. Composition with Red, Yellow, and Blue, 1927 (B 187) 208. Composition with Red, Yellow, and Blue 1927 (B 188) 209. Composition with Black, Red, and Gray, 1927 (B 189) 210. Composition: No. III, with Red, Yellow, and Blue, 1927 (B 190) 211. Composition with Red, Yellow, and Blue, 1927 (B 191) 212. Large Composition with Red, Blue, and Yellow, 1928 (B 201) 213. Composition: No. I, with Black, Yellow, and Blue, 1927 (B 193) 214. Composition, with Red, Blue, Yellow, and Black, 1929 (B 206) 215. Composition No. IV, with Red, Blue, and Yellow, 1929 (B 216)

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Mondrian 4: Die ‚klassische‘ Komposition und die Spaltung des Horizonts. Umkehrung der Episteme des Bildes.

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216. Composition with Red, Black, Blue, and Yellow, 1928 (B 204) 217. Composition No. II, with Yellow and Blue, 1929 (B 215) 218. Composition No. II, with Blue and Yellow, 1930 (B 225) 219. Composition A, with Red and Blue, 1931 (B 230) 220. Composition B, with Double Line and Yellow and Gray, 1932 (B 231) 221. Composition C, with Gray and Red, 1932 (B 232) 222. Composition with Yellow and Blue, 1932 (B 234) 223. Composition in Black and White with Double Lines, 1934 (B 243) 224. Composition (No. I) Gris-Rouge, 1935 (B 255) 225. Composition with Double Line and Blue, 1935 (B 259)

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234 Mondrian 5: Das dynamisierte Raster und die Freisetzung der Farbe. Das epistemologisch konvexe Bild.

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226. Composition C (No. III), with Red, Yellow, and Blue, 1935 (B 261) 227. Composition with Yellow, 1936 (B 264) 228. ‚Composition in White, Blue, and Yellow‘: C, 1936 (B 267) 229. Composition with Yellow, Blue, and Red, 1939–42, 1937/1942 (B 279.308) 230. Composition No. 12, 1936–42, with Blue, 1937/1942 (B 280.309) 231. Place de la Concorde, 1938–43, 1938/1943 (B 283.321) 232. New York. 1941 / Boogie Woogie. 1941–42, 1941/42 (B 299.319) 233. New York City, 1942 (B 301) 234. Broadway Boogie Woogie, 1942–1943 (B 323) 235. Victory Boogie Woogie (unfinished), 1942–44/1944 (B 324)

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Barnett Newman. Inszenierung und Verkörperung des Anfangs in der Malerei

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236. The Word I, 1946 237. Moment, 1946 238. Onement I, 1948 239. Be I, 1949

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Barnett Newman. Ikonische Differenz und Heterochronie der Spur 240. White Fire II, 1960 241. Right Here, 1954 242. Jericho, 1968/69 243. Shining Forth (To George), 1960

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Konstruktivismus und Design 244. Vladimir Tatlin, Winkelrelief, um 1915 245. Vladimir Tatlin, Modell des Denkmals der III. Internationale, 1919/20 246. Vladimir Tatlin, Rohrstuhl, 1927 (Replik in Metall, 1976) 247. Vladimir Tatlin, Der Letatlin, 1929–32 248. Vladimir Tatlin, Rohrstuhl, Entwurfsmodell 1927 249. Donald Judd, Chairs, 1991

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250 Das aus dem Schein gehobene Bild. Alternative Gestalten des real space 250. Marfa, Texas, Gelände der Chinati-Foundation mit den Artelleriehallen; Permanente Installation von hundert Aluboxen in den zwei Artilleriehallen, 1980–84; die südliche Halle 251. Installation von Untitled (DSS 199, 1968), im MoMA, New York, Juni 1996 251

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255 Nach dem Minimalismus 252. Dan Graham, Public Space / Two Audiences, 1976; Installation ‚Ambiente‘, Venedig Biennale 1976 253. Dan Graham, Public Space / Two Audiences, 1976; Installation Kunsthalle Düsseldorf, 2002 254. Ausstellung von Robert Mangold, Galleria Toselli, Mailand (um 1970) 255. Michael Asher, Installation Galleria Toselli, Mailand, 1973 (Kunstlicht nur für die Fotografie)

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