Jüdische Existenz in der Moderne: Abraham Geiger und die Wissenschaft des Judentums 3110247585, 9783110247589

In diesem Band rekonstruieren international renommierte Wissenschaftler die Biografie und den Denkweg des Rabbiners und

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Jüdische Existenz in der Moderne: Abraham Geiger und die Wissenschaft des Judentums
 3110247585, 9783110247589

Table of contents :
Vorwort
Einführung
I
Abraham Geiger – Der Mensch
Abraham Geigers theologische Wende vor dem Hintergrund der neuzeitlichen Debatte um Religion und Vernunft
Abraham Geiger – kulturwissenschaftliche Reflexionen
II
Vom problematischen Dasein eines Reformers: Abraham Geigers Leben an vorderster Front
Abraham Geiger und Zacharias Frankel – Vergegnungen und Konfrontationen
Abraham Geiger in Breslau and the Controversy about the Jewish Confirmation for Boys and Girls
Abraham Geiger and the Hamburg Gebetbuchstreit of 1842
III
Abraham Geiger and the Denominational Approach to Jewish Religious Life
Abraham Geiger and America: His Influence on Jewish Life and Thought
Heros, Ikone, Gegenbild: Abraham Geiger aus der Perspektive der Reformbewegung in Amerika
IV
Eine verpasste Gelegenheit: Abraham Geigers lebenslang spannungsvolles Verhältnis zur Religionsphilosophie des Maimonides
Abraham Geiger as Historian of Medieval Judaism
Die „Wissenschaft des Judentums“ als Gründerdisziplin der kritischen Koranforschung: Abraham Geiger und die erste Generation jüdischer Koranforscher
Abraham Geigers Historische Philologie und die Anfänge der Islamwissenschaft in Deutschland
The Pitfalls of Counterhistory: Abraham Geiger and Samuel Hirsch on Rabbinic Judaism
V
Abraham Geigers Bildungsutopie einer jüdisch-theologischen Fakultät
Wissenschaft als Wiederauferstehung: Zur Polemik der toten Geschichte in der Wissenschaft des Judentums
Scholems Kritik der Wissenschaft des Judentums und Abraham Geiger
Abkürzungsverzeichnis
Auswahlbibliographie
Autorinnen und Autoren
Personenregister

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Jüdische Existenz in der Moderne

Studia Judaica Forschungen zur Wissenschaft des Judentums Begründet von Ernst Ludwig Ehrlich Herausgegeben von Günter Stemberger Band 57

De Gruyter

Jüdische Existenz in der Moderne Abraham Geiger und die Wissenschaft des Judentums Herausgegeben von Christian Wiese, Walter Homolka und Thomas Brechenmacher

De Gruyter

Wir danken dem Abraham Geiger Kolleg an der Universität Potsdam und der Erich und Maria Russell-Stiftung in Frankfurt am Main für die großzügige Unterstützung des Bandes.

ISBN 978-3-11-024758-9 e-ISBN 978-3-11-024759-6 ISSN 0585-5306 Library of Congress Cataloging-in-Publication Data A CIP catalog record for this book has been applied for at the Library of Congress. Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar. 쑔 2013 Walter de Gruyter GmbH, Berlin/Boston Druck: Hubert & Co. GmbH & Co. KG, Göttingen Satz: PTP-Berlin Protego TEX-Production GmbH, Berlin ⬁ Gedruckt auf säurefreiem Papier Printed in Germany www.degruyter.com

Inhalt Christian Wiese, Walter Homolka und Thomas Brechenmacher Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Christian Wiese Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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I Michael A. Meyer Abraham Geiger – Der Mensch . . . . . . . . . . . . . . . . .

1

Karl E. Grözinger Abraham Geigers theologische Wende vor dem Hintergrund der neuzeitlichen Debatte um Religion und Vernunft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Ken Koltun-Fromm Abraham Geiger – kulturwissenschaftliche Reflexionen . . .

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II Andreas Gotzmann Vom problematischen Dasein eines Reformers: Abraham Geigers Leben an vorderster Front . . . . . . . . .

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Andreas Brämer Abraham Geiger und Zacharias Frankel – Vergegnungen und Konfrontationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 113 Klaus Herrmann Abraham Geiger in Breslau and the Controversy about the Jewish Confirmation for Boys and Girls . . . . . . . . . 133

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Inhalt

David J. Fine Abraham Geiger and the Hamburg Gebetbuchstreit of 1842 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 161 III Adam S. Ferziger Abraham Geiger and the Denominational Approach to Jewish Religious Life . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 179 Walter Jacob Abraham Geiger and America: His Influence on Jewish Life and Thought . . . . . . . . . . 193 Christian Wiese Heros, Ikone, Gegenbild: Abraham Geiger aus der Perspektive der Reformbewegung in Amerika . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 205 IV George Y. Kohler Eine verpasste Gelegenheit: Abraham Geigers lebenslang spannungsvolles Verhältnis zur Religionsphilosophie des Maimonides . . . . . . . . . . . 249 Marc Saperstein Abraham Geiger as Historian of Medieval Judaism . . . . . . 275 Dirk Hartwig Die „Wissenschaft des Judentums“ als Gründerdisziplin der kritischen Koranforschung: Abraham Geiger und die erste Generation jüdischer Koranforscher . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 297 Susannah Heschel Abraham Geigers Historische Philologie und die Anfänge der Islamwissenschaft in Deutschland . . . . . . . . . . . . . 321 Judith Frishman The Pitfalls of Counterhistory: Abraham Geiger and Samuel Hirsch on Rabbinic Judaism . . 341

Inhalt

vii

V Carsten L. Wilke Abraham Geigers Bildungsutopie einer jüdisch-theologischen Fakultät . . . . . . . . . . . . . . . . . 359 Asher D. Biemann Wissenschaft als Wiederauferstehung: Zur Polemik der toten Geschichte in der Wissenschaft des Judentums . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 391 Christoph Schulte Scholems Kritik der Wissenschaft des Judentums und Abraham Geiger . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 407

Abkürzungsverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 425 Auswahlbibliographie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 427 Autorinnen und Autoren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 445 Personenregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 453

Vorwort Christian Wiese, Walter Homolka und Thomas Brechenmacher Die facettenreiche Geschichte der Wissenschaft des Judentums in Deutschland hat – von ihren Anfängen im Jahre 1819, als es die Mitglieder des Vereins für Cultur und Wissenschaft der Juden unternahmen, die jüdische Gelehrsamkeit von der traditionellen Dominanz der rabbinischen Autorität zu befreien und die kulturelle Integration der jüdischen Minderheit in Europa auf dem Wege der Wissenschaft zu legitimieren, bis zu ihrem Ende während der Zeit des Nationalsozialismus – eine Fülle hervorragender Gelehrter, wissenschaftlicher Werke auf dem Gebiet der jüdischen Geschichte, Literatur und Philosophie sowie eigenständiger jüdischer wissenschaftlicher Institutionen hervorgebracht. Die unterschiedlichen Strömungen der Wissenschaft des Judentums hingen dabei eng mit den jeweiligen Ausprägungen des religiös-kulturellen Selbstverständnisses der Reformbewegung, des „positiv-historischen“ Judentums und der „Neo-Orthodoxie“ zusammen, die sich im deutschsprachigen Judentum des neunzehnten Jahrhunderts in Abgrenzung zueinander herausbildeten. Da der neuen Disziplin über mehr als hundert Jahre hinweg konsequent die akademische Gleichberechtigung als Teil des universitären Wissenschaftskanons verweigert wurde, schuf sie sich mit dem Jüdisch-Theologischen Seminar Fränckel’scher Stiftung in Breslau (1854), der Hochschule (Lehranstalt) für die Wissenschaft des Judentums in Berlin (1872) und dem RabbinerSeminar zu Berlin (1873) hervorragende Bildungsinstitutionen, denen für die Modernisierung des Rabbinats entscheidende Bedeutung zukam und von denen wichtige Impulse für die jüdische Gelehrsamkeit sowie für das jüdische kulturelle Leben in weiten Teilen Europas, in Amerika und später auch in Palästina und in Israel ausgingen. Indem sie die philologische, historische und literarische Deutung der jüdischen Tradition mit den Mitteln der modernen Wissenschaft vorantrieb und den Anschluss an europäische Wissenschaftskulturen suchte, ohne dabei auf kulturelle Eigenständigkeit und den dezidierten Anspruch auf soziale und kulturelle Gleichberechtigung der jüdischen Minderheit zu ver-

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Vorwort

zichten, wurde die Wissenschaft des Judentums, vor allem in ihrer liberalen und „positiv-historischen“ Gestalt, zum Brennpunkt jüdischer Existenz in der Moderne: In ihrer wissenschaftlichen Neudeutung jüdischer Geschichte und Überlieferung, ihrem Beitrag zu innerjüdischen Identitätsdebatten, ihrem politischen Beharren auf Vollendung der Emanzipation der europäischen Juden sowie in ihrer intellektuellen Auseinandersetzung mit der Herausforderung durch die vielstimmige nichtjüdische Bestreitung des Existenzrechts sowohl eines traditionellen als auch eines modernen Judentums als Teil einer pluralen Gesellschaft wurde sie zu einem zentralen Faktor deutsch-jüdischer wie europäisch-jüdischer Geistes- und Kulturgeschichte. Die Zerstörung der Tradition der Wissenschaft des Judentums in Deutschland während der Zeit des Nationalsozialismus, die Schließung ihrer Institutionen, die Vertreibung und das Emigrationsschicksal vieler ihrer Vertreter, ihre Ersetzung durch antisemitische Forschungen zur sogenannten „Judenfrage“ – all diese Entwicklungen waren symbolischer Ausdruck des Schicksals des europäischen Judentums im zwanzigsten Jahrhundert überhaupt. Der am 24. Mai 1810 in Frankfurt am Main geborene berühmte Rabbiner und Historiker Abraham Geiger (1810–1874), dem dieser Band gewidmet ist, einer der Gründungsväter der Wissenschaft des Judentums und des Reformjudentums, zählt zweifellos zu den überragenden Gestalten des deutschen Judentums des neunzehnten Jahrhunderts und verkörpert wie kaum ein anderer die Vielfalt der wissenschaftlichen Errungenschaften und der kulturellen Ausstrahlungskraft jener Disziplin, aus der im zwanzigsten Jahrhundert in Europa, den Vereinigten Staaten und Israel die Judaistik als eigenständige Kraft im Kanon der Geisteswissenschaften hervorgegangen ist. Geigers reiches wissenschaftliches Œuvre in fast allen Bereichen jüdischer Gelehrsamkeit setzte Maßstäbe für die zeitgenössische Forschung, inspirierte eine ganze Generation von Rabbinern und Gelehrten im späten neunzehnten und frühen zwanzigsten Jahrhundert und bietet – bei aller naturgemäßen Zeitgebundenheit seines Denkens und Forschens – auch in der Gegenwart Anknüpfungspunkte, etwa mit Blick auf die Berechtigung des historisch-kritischen Zugriffs auf die religiösen Quellen des Judentums oder hinsichtlich des historischen und gegenwärtigen Verhältnisses von Judentum, Christentum und Islam. So begann Geiger, der eigentliche Gründer einer modernen jüdischen Theologie, in Auseinandersetzung mit den neuesten Tendenzen der Geschichtswissenschaft, Philologie und Orientalistik in Deutschland, in den 1830er Jahren ein intensives Studium des Arabischen und des Koran und unternahm es in seinem berühmten Preis-Essay Was hat Mohammed aus dem Judenthume auf-

Christian Wiese, Walter Homolka und Thomas Brechenmacher

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genommen?, nachzuweisen, dass weite Teile des Koran von der rabbinischen Literatur beeinflusst seien. Mit dieser These wurde das Buch sodann zu einem ersten Schritt in Richtung auf Geigers vielleicht wichtigstes und wirksamstes Projekt: die zugleich polemische und dialogisch angelegte Verteidigung der Existenzberechtigung eines sich fortentwickelnden, modernen Judentums gegen jene unzähligen nichtjüdischen Theologen, Historiker und Philosophen, die es zu einer überholten, toten und politisch-kulturell illegitimen Erscheinung ohne Belang für die europäische Moderne herabzuwürdigen pflegten. Indem er den tiefgreifenden Einfluss der jüdischen Tradition auf Christentum und Islam betonte und dem Judentum die Funktion der Bewahrung des reinen prophetischen „sittlichen Monotheismus“ und somit eine messianische Rolle in der Geschichte zuschrieb, forderte Geiger die triumphalistische christliche Theologie seiner Zeit im Kern ihres Denkens heraus und stellte die jüdisch-christlichen Beziehungen mit seinen Reflexionen über die Verankerung Jesu von Nazareth im Pharisäismus auf eine völlig neue Grundlage. Zugleich wandte er sich als Historiker und Theologe gegen den orthodoxen jüdischen Traditionalismus und wurde – als in zahlreiche Kontroversen verstrickter Rabbiner in Wiesbaden, Breslau, Frankfurt und Berlin, als federführender Organisator der auf eine behutsame Neuorientierung jüdischer religiöser Praxis zielenden Rabbinerkonferenzen in den 1840er Jahren sowie als Dozent an der Berliner Hochschule für die Wissenschaft des Judentums – zu einer der führenden Stimmen des Reformjudentums. Unermüdlich kämpfte Geiger für die Anerkennung der Wissenschaft des Judentums als eines selbstverständlichen Teils der universitas litterarum und forderte die Errichtung jüdisch-theologischer Fakultäten an den Universitäten, scheiterte mit diesem Ansinnen jedoch an der Beharrungskraft jener, denen eine derartige kulturelle Anerkennung des Judentums als undenkbar erschien. Mit seinen eigenen hervorragenden wissenschaftlichen Arbeiten, die er neben den Pflichten des Rabbinats verfasste, etwa mit seinem bahnbrechenden Werk zur Geschichte des Frühjudentums, das 1857 unter dem Titel Urschrift und Übersetzungen der Bibel in ihrer Abhängigkeit von der inneren Entwickelung des Judenthums erschien, oder seinen Vorlesungen über Das Judenthum und seine Geschichte (1864–1871), lieferte er eindrucksvoll den Nachweis dafür, dass auch der Ausschluss von den Universitäten die Repräsentanten der Wissenschaft des Judentums nicht daran zu hindern vermochte, schöpferische, originelle und wegweisende Forschung auf dem Gebiet jüdischer Geschichte und Literatur zu betreiben. Damit aber verlieh er dem Anspruch der jüdischen Minderheit auf kulturelle Partizipation und der Bestreitung christlicher Deutungshoheit auf dem Gebiet jüdischer Geschichte auf eine Weise

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Vorwort

Ausdruck, die im historischen Rückblick als herausfordernde Revolte gegen die kulturellen wie politischen Machtverhältnisse seiner Zeit erscheinen. Die herausragende Bedeutung Abraham Geigers, der in der späteren Rezeption als zentrale Symbolgestalt des Reformjudentums wahrgenommen wurde und – neben Leopold Zunz, Moritz Steinschneider oder Heinrich Graetz – als einflussreichster jüdischer Gelehrter des neunzehnten Jahrhunderts gelten kann, hat die Herausgeber dieses Bandes veranlasst, seiner im Sommer 2010, anlässlich seines 200jährigen Geburtstages, im Rahmen zweier unterschiedlicher Veranstaltungen zu gedenken und die dort gehaltenen Vorträge in einer Publikation zu vereinen. Das Abraham Geiger Kolleg in Potsdam, das seit 1999 als Ausbildungsstätte für das liberale Rabbinat neu an das Erbe seines Namensgebers anknüpft, widmete diesem gemeinsam mit der Universität Potsdam unter dem Titel „Durch Wissen zum Glauben: Abraham Geiger und die Wissenschaft des Judentums“ im Sommersemester 2010 eine Ringvorlesung. In Anlehnung an das bekannte Motto Geigers – „Durch Erforschung des Einzelnen zur Erkenntnis des Allgemeinen, durch Kenntnis der Vergangenheit zum Verständnis der Gegenwart, durch Wissen zum Glauben“1 – setzten sich die in diesem Rahmen gehaltenen Vorträge mit Werk und Wirkung des Reformers im Kontext der Wissenschaft des Judentums und der modernen Reformbewegung auseinander. Vom 16.–17. Mai 2010 veranstaltete zudem die Martin Buber-Professur für Jüdische Religionsphilosophie an der Goethe Universität Frankfurt am Main in Zusammenarbeit mit dem Abraham Geiger Kolleg an der Universität Potsdam, dem Centre for German-Jewish Studies an der University of Sussex und der Wissenschaftlichen Arbeitsgemeinschaft des Leo Baeck Instituts in Deutschland ein hochkarätig besetztes internationales Symposium in Geigers Heimatstadt zum Thema „Abraham Geiger (1810–1874): Reformer, Historiker, Herausforderer des Christentums“. Der Ertrag beider Veranstaltungen, bereichert um vereinzelte weitere Beiträge, liegt nun in diesem ersten großen Abraham Geiger gewidmeten Sammelband vor, der seit langem ein Desideratum darstellt und früheren Arbeiten sowie den jüngsten ausgezeichneten Monografien, vor allem Susannah Heschels Der jüdische Jesus und das Christentum: Abraham Geigers Herausforderung an die christliche Theologie (2001) und Ken Koltun-Fromms Abraham Geiger’s Liberal Judaism (2006), an die Seite tritt und sie durch detaillierte Studien zu einzelnen Facetten seiner Biografie und seines Werks ergänzt. Mit seinem 1

Zitiert n. Abraham Geiger’s Nachgelassene Schriften, Bd. 5, hrsg. von Ludwig Geiger (Berlin: Louis Gerschel, 1878), 278.

Christian Wiese, Walter Homolka und Thomas Brechenmacher

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biografischen Teil, der kritisch würdigenden Untersuchung der ganzen Fülle der Wirksamkeit Geigers – seiner Rolle in den Reformstreitigkeiten in Deutschland, seiner historischen Arbeiten zum Judentum der Antike und des Mittelalters, seiner herausfordernden Interpretationen des Verhältnisses des Judentums zum Islam und zum Christentum, seines Eintretens für die kulturelle Gleichberechtigung des Judentums und seiner Wirkung in der amerikanischen Reformbewegung – sowie mit der kontroversen Rezeptionsgeschichte Geigers bietet dieses Buch eine neue, differenzierte, zum Teil komparativ vorgehende Interpretation des Werks des Reformers im Kontext seiner Zeit. Darüber hinaus, so die Hoffnung der Herausgeber, leistet es einen Beitrag zur Würdigung und weiteren Erhellung der Geschichte der Wissenschaft des Judentums überhaupt, deren Gesamtgeschichte noch zu schreiben ist und zu deren vollständigem Bild die hier versammelten Beiträge einen weiteren Mosaikstein hinzufügen sollen.

*** Für das Zustandekommen dieses Bandes ist vielen Menschen zu danken – in erster Linie natürlich den Autorinnen und Autoren, die die Mühe nicht gescheut haben, sich von neuem eingehend mit den Quellen zu befassen und vielfach neues Material und differenzierende Deutungen zu präsentieren. Dank gebührt zudem den Herausgebern der Reihe Studia Judaica, Prof. Dr. Günter Stemberger, Prof. Dr. Charlotte Fronrobert und Prof. Dr. Alexander Samely, für die Aufnahme des Bandes, sowie Dr. Albrecht Döhnert, Angelika Hermann und Dr. Sabine Krämer für die hervorragende und vertrauensvolle Zusammenarbeit bei dessen Realisierung. Nicht zuletzt danken wir herzlich dem Abraham Geiger Kolleg und der Erich und Maria Russell-Stiftung in Frankfurt am Main für die großzügige finanzielle Unterstützung, ohne die sich das Projekt nicht hätte realisieren lassen.

Einführung Christian Wiese I Sie [die Wissenschaft des Judentums] ist die historische Kenntnis des Judenthums, die Wissenschaft von seinen religiösen Ideen, von deren Offenbarungen in den großen Individualitäten des jüdischen Volkes, in seiner Literatur, in seinem religiösen und sittlichen Leben. Sie ist auch die Wissenschaft von den jüdischen religiösen Ideen und Einrichtungen, wie sie eingeordnet erscheinen in unsere Weltanschauung, daß sie sich in uns und an uns als lebendige sittliche Mächte bewähren. Sie ist das große Zeugnis von den Taten des Judenthums in der Vergangenheit, von seinem Rechte in Gegenwart und Zukunft, sie ist unser Schutz gegen tausendjährige Vorurtheile, gegen alle geistigen Waffen, die gegen uns und unsere Lehre geschmiedet werden. Sie hütet die großen Thatsachen der Vergangenheit, sie sammelt die Strahlen, die den Urkunden des Judenthums entströmen, daß sie für die Gegenwart und für die Zukunft leuchten. Ohne sie wären wir ein Körper ohne Seele, ein Schiff ohne Steuermann […]. Sie hat das Erbe der wunderbaren Vergangenheit des jüdischen Volkes angetreten, darum harrt ihrer noch die schwere Aufgabe, alle guten Geister unseres Stammes mit kräftigem Worte wachzurufen gegen die Zerstörung, welche von der Kurzsichtigkeit, Unwissenheit und Gleichgiltigkeit angerichtet worden ist, ein Ende zu bereiten der Schlaffheit, mit welcher die Lehren des Judenthums dem jüngeren Geschlechte überliefert wurden. Es harrt ihrer die Aufgabe, Allen, die es angeht, zu Bewußtsein zu bringen, welche Aufgabe das Judenthum erfüllt hat, indem es unter unerhörten Kämpfen und Leiden seiner Bekenner die Religion der Propheten und der Thora vor allerlei Trübungen bewahrt hat, und sie wird auch die Pflicht haben, gegen das Beginnen, durch Aufnahme fremder Institutionen unsere Religion zu einem synkretistischen Gebilde zu machen, […] Stellung zu nehmen.1

Diese Definition, mit welcher der Historiker und Orientalist Martin Schreiner, Dozent an der Lehranstalt für die Wissenschaft des Juden1

Martin Schreiner, „Was ist uns die Wissenschaft des Judenthums?“, Allgemeine Zeitung des Judentums (= AZJ) 62 (1898), Nr. 13, 150ff., Nr. 14, 164f. und Nr. 15, 175ff., Zitat 177 (Hervorhebungen nicht im Original).

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Einführung

tums in Berlin, 1898 in seinem Essay „Was ist uns die Wissenschaft des Judenthums?“ die eminente Gegenwarts- und Zukunftsbedeutung der Wissenschaft des Judentums akzentuierte, spiegelt mit ihren drei zentralen Elementen – historisch-kritisches Gespräch mit der eigenen Tradition, aufklärerisch-emanzipatorischer Impuls nach außen und Stabilisierung von Identität nach innen – präzise das Selbstverständnis wider, das die junge Disziplin im Verlaufe des neunzehnten Jahrhunderts entwickelt hatte. Als Kind der Moderne hatte sie ihre Ursprünge in der Haskala, der jüdischen Aufklärung, und der spannungsreichen Begegnung mit dem Geschichtsverständnis des deutschen Idealismus und der Romantik, die zu einer Revolutionierung jüdischen Geschichtsbewusstseins führte. Im Zuge der Aufklärung hatten jüdische Intellektuelle die Herausforderung angenommen, angesichts des politisch-sozialen Wandels und der zeitgenössischen Philosophie jüdische Identität neu zu bestimmen, ohne die Kontinuität mit der eigenen Tradition aufzugeben. Denker wie Lazarus Bendavid, Salomon Maimon und Saul Ascher entfalteten ihr Verständnis des Judentums unter dem Einfluss Immanuel Kants und in Auseinandersetzung mit den antijüdischen Elementen seines Denkens, und die jüdische Philosophie insgesamt versuchte geltend zu machen, die jüdische Religion mit ihrer starken Orientierung auf Gebot und moralisches Handeln entspreche dem aufgeklärten ethischen Vernunftglauben in besonderer Weise; somit erschien das Judentum als Träger einer menschheitlichen Mission, die seine Fortexistenz als berechtigt erwies. Während der Romantik bot sich – mit Hilfe der Rezeption der idealistischen Konzeption der „Geistesgeschichte“, der Vorstellung von der Selbstentfaltung des „Geistes“ in mannigfaltigen, geschichtlich bedingten Formen – eine neue, dem aufklärerischen Rationalismus gegenüber wirkungsvollere Möglichkeit, die Existenz des Judentums – diesmal historisch – zu legitimieren. Verstand die Geschichtswissenschaft der Romantik die Geschichte der Völker und Religionen als Momente der Offenbarungsgeschichte des göttlichen Geistes, so konnte auch das Judentum als historische Ausprägung dieses Geistes in seinem Eigenrecht zur Geltung gebracht werden. Notwendig wurde dies, weil faktisch in der Emanzipationszeit das Judentum als religiöses und historisches Phänomen daraufhin bewertet wurde, ob Juden der Bürgerschaft in der modernen Gesellschaft und Kultur würdig waren oder nicht, wobei die nichtjüdischen Theologen, Historiker oder Philosophen in der Regel zu einem negativen Ergebnis kamen und selbstverständlich vom Ausschluss des Judentums aus der modernen europäischen Kultur ausgingen. Die Herausbildung der Wissenschaft des Judentums lässt sich daher, abgesehen von der Anziehungskraft historischen Denkens

Christian Wiese

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auf junge jüdische Intellektuelle der Nachaufklärungszeit, am ehesten als Antwort dieser Generation auf die Gleichzeitigkeit von Emanzipationshoffnung, neuen Manifestationen der Judenfeindschaft in der beginnenden Restaurationszeit und jener Tendenz der nichtjüdischen Gesellschaft verstehen, die sich – selbst in ihren liberalen Teilen – eine Befreiung der Juden von Diskriminierung nur als ihre Befreiung vom Judentum selbst vorzustellen vermochte. Zugleich stellte sie – in der Orientierung am Wissenschaftsverständnis ihrer Zeit – ein Ergebnis der fortschreitenden Akkulturation dar. Der Begriff der Wissenschaft des Judentums, der offenbar von dem Rechtsgelehrten Eduard Gans geprägt wurde, erschien als Titel der von dem Historiker Leopold Zunz 1822/23 im Auftrage des am 7. November 1819 gegründeten Vereins für Cultur und Wissenschaft der Juden herausgegebenen Zeitschrift für die Wissenschaft des Judentums. Die Mitglieder des Vereins, neben Gans und Zunz vor allem Isaac Levin Auerbach, Isaak Markus Jost, Moses Moser, Heinrich Heine sowie die Vorkämpfer der Haskala, David Friedländer und Lazarus Bendavid, waren in ihrem Bildungsstreben dem traditionellen Judentum selbst in hohem Maße entfremdet. Herausgefordert durch die zeitgenössische Gegenbewegung gegen die Emanzipation und die antisemitischen HepHep-Krawalle, wollten sie mit den Mitteln der Wissenschaft eine geistige Legitimation der kulturellen Integration der Juden leisten und gleichzeitig begründen, weshalb die jüdische Minderheit berechtigterweise an ihrer religiösen und kulturellen Eigenständigkeit festzuhalten gedachte. Der Verein vermochte seine geistige Isolierung innerhalb des Judentums jedoch nie zu überwinden und zerbrach im Sommer 1824 an materiellen Hindernissen und an dem angesichts der restaurativen Zeitstimmung unüberwindlichen Dilemma, die Eingliederung des Judentums in die deutsche Kultur gerade durch die wissenschaftliche Vergegenwärtigung jüdischer Tradition erreichen zu wollen. Das Scheitern kam bekanntlich darin symbolisch zum Ausdruck, dass Gans und Heine 1825 zum Christentum übertraten.2 Als sein Vermächtnis hinterließ der Verein jedoch die Konzeption der Wissenschaft des Judentums, die in der Folge zu einem Brennpunkt 2

Zur Entwicklung des Vereins vgl. Nahum N. Glatzer, „The Beginnings of Modern Jewish Studies“, in Alexander Altmann (Hrsg.), Studies in Nineteenth-Century Jewish Intellectual History (Hanover, N.H. und London: University of New England Press, 1964), 27–45; Sinai Ucko, „Geistesgeschichtliche Grundlagen der Wissenschaft des Judentums“, in Kurt Wilhelm (Hrsg.), Wissenschaft des Judentums im deutschen Sprachbereich, Bd. 2 (Tübingen: Mohr Siebeck, 1967), 315–352; Ismar Schorsch, „Breakthrough into the Past: The Verein für Cultur und Wissenschaft des Judentums“, Leo Baeck Institute Yearbook (= LBIYB) 32 (1988), 3–28.

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Einführung

jüdischen Selbstverständnisses wurde. Leopold Zunz, neben Abraham Geiger eine ihrer vielleicht bedeutendsten Gestalten im neunzehnten Jahrhundert, hatte 1818 in seiner programmatischen Schrift Etwas über die rabbinische Literatur die Leitlinien vorgegeben, indem er forderte, Juden sollten die jüdische Literatur und Tradition mit den Methoden der klassischen Philologie und Historiographie erforschen und dabei völlig davon absehen, „ob ihr sämmtlicher Inhalt auch Norm für unser eigenes Urtheilen sein soll oder kann“.3 Erst durch den Aufschwung einer kritischen, methodisch auf der Höhe der Zeit stehenden jüdischen Wissenschaft konnte das Judentum seiner Überzeugung nach gleichwertig an der deutschen Kultur teilnehmen und die Vorurteile der nichtjüdischen Umwelt überwinden. Mit dem universalen Wissenschaftsideal verband Zunz zugleich die reformerische Absicht, das Bleibende in der jüdischen Geschichte vom Vergänglichen, Menschlichen zu scheiden und auf diese Weise ein von der Last der rabbinischen Tradition befreites, zeitgemäßes jüdisches Selbstverständnis zu begründen. Die radikale Neuerung der Wissenschaft des Judentums bestand demnach darin, dass sie in Auseinandersetzung mit der zeitgenössischen Universal- und Kulturgeschichte ein wissenschaftliches Ethos entwickelte, das sich am Ziel eines systematischen säkularen und geschichtlich relativierenden Zugangs zur jüdischen Vergangenheit orientierte.4 In entschiedener Abwendung von der traditionellen jüdischen Gelehrsamkeit sollte die neue Wissenschaft den Quellen der Vergangenheit kritisch und wertfrei gegenübertreten und sich, wie Zunz 1845 in Zur Geschichte und Literatur formulierte, „zunächst von den Theologen emanzipieren und zur geschichtlichen Auffassung erheben“.5 Immanuel Wohlwill machte 1822 in einem unter dem Pseudonym Immanuel Wolf veröffentlichten Essay „Über den Begriff einer Wissenschaft des Judenthums“ deutlich, dass mit dem Postulat der Wissenschaftlichkeit auch eine kritische Reduktion des „durch tausendjährige Gewohnheit mechanisch und gedankenlos gewordenen Ceremonien-Wesens“, eine Besinnung auf die eigentliche „Idee“ des Judentums intendiert war. Der rein theologische Zugang sollte durch eine Darstellung der Geschichte der Religion, Kultur, Literatur und gesellschaftlichen Existenz des 3

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Leopold Zunz, Etwas über die rabbinische Literatur. Nebst Nachrichten über ein altes bis jetzt ungedrucktes hebräisches Werk (1818), abgedruckt in Leopold Zunz, Gesammelte Schriften, Bd. 1 (Berlin: Gerschel, 1875), 1–31, hier 5. Ismar Schorsch, „The Ethos of Modern Jewish Scholarship”, LBIYB 35 (1990), 55– 71. Leopold Zunz, Über jüdische Literatur (1845), abgedruckt in Zunz, Gesammelte Schriften, Bd. 1, 41–59, hier 57.

Christian Wiese

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Judentums ersetzt werden, womit zugleich der Tendenz der christlichen Gelehrten begegnet wäre, das Judentum „immer nur behufs einer geschichtlichen Verständigung der Christlichen Theologie“ zu behandeln oder es „in ein gehässiges Licht“ zu stellen.6 Die philologische, historische und philosophische Durchdringung der jüdischen Tradition auf der Grundlage rationaler Wissenschaft, die allein „über die Parteilichkeit, Leidenschaften und Vorurtheile des niedern Lebens erhaben“ sei, versprach aus Wohlwills Sicht eine Aufhebung der Fremdheit der Umwelt und die Förderung der Integration in die freie, humanistische Kultur Europas, denn „soll je ein Band das ganze Menschengeschlecht umschlingen, so ist es das Band der Wissenschaft, das Band der reinen Vernünftigkeit, das Band der Wahrheit“.7 Damit ist die angesichts der beharrlich fortwirkenden Zerrbilder vom Judentum unvermeidliche emanzipatorisch-apologetische Funktion der Wissenschaft des Judentums bereits für die Anfänge dokumentiert. Eine der wesentlichen Leistungen der jüdischen Gelehrten bestand in der „Erfindung einer Tradition“, einer philosophisch-ethischen Deutung der jüdischen Überlieferung, die auf den Nachweis zielte, dass Judentum und Moderne miteinander vereinbar seien.8 Dabei ging es vor allem darum, inhaltlich die Vorurteile gegenüber der jüdischen Religion zu zerstreuen und ein objektiv gültiges Bild ihrer Leistungen für die allgemeine Kultur zu entwerfen, damit aber ihr Fortleben zu legitimieren und ihre Emanzipationswürdigkeit zwingend zu machen. Aufgrund ihrer praktischen Funktion für die Stärkung von Selbstachtung und jüdischer Identität gewann sie zudem eine wichtige innerjüdische Dimension. Von Beginn an war sie dazu ausersehen, angesichts des vielfach konflikthaften Nebeneinanders unterschiedlicher jüdischer religiöser Strömungen, das mit der unterschiedlichen Definition der Grenzen der kulturellen Integration in die nichtjüdische Umwelt einherging, zur Vergewisserung der wertvollen Vergangenheit des Judentums und seiner zukünftigen Bedeutung in der Weltgeschichte des Geistes beizutragen. Die historisch-kritische Analyse der geschichtlichen Entwick6 7

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Immanuel Wolf, „Über den Begriff einer Wissenschaft des Judenthums“, Zeitschrift für die Wissenschaft des Judenthums 1 (1823), 1–24, hier 16. Ebd., 23f. Zu Wolfs Ansatz vgl. Christoph Schulte, „Über den Begriff einer Wissenschaft des Judentums. Die ursprüngliche Konzeption der Wissenschaft des Judentums und ihre Aktualität nach 175 Jahren“, Aschkenas 7 (1997), 277–303; zum Wissenschaftsideal bei Zunz und Wohlwill vgl. Michael A. Meyer, Von Moses Mendelssohn zu Leopold Zunz. Jüdische Identität in Deutschland 1749–1824 (München: C. H. Beck, 1994), 166–211. Shulamit Volkov, „Die Erfindung einer Tradition. Zur Entstehung des modernen Judentums in Deutschland“, Historische Zeitschrift 253 (1991), 603–628.

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Einführung

lung des Judentums sollte einerseits die Autorität der rabbinischen Tradition begrenzen und dem Eindruck entgegenwirken, die eigene Religion erschöpfe sich im normativen „Rabbinismus“. Dieser kritischen Destruktion entsprach auf der anderen Seite der Nachweis der in der jüdischen Geschichte reich vorhandenen Kräfte, aus denen eine Erneuerung, eine Rückbesinnung auf die zentralen religiösen Ideen und Gestalten hervorgehen konnte. Damit leistete die Wissenschaft des Judentums die Verankerung der zeitgenössischen jüdischen Identitätssuche in der Geschichte und legitimierte den Widerstand gegen eine Selbstauflösung der jüdischen Gemeinschaft.9 Eine der großen Enttäuschungen der Wissenschaft des Judentums im neunzehnten und frühen zwanzigsten Jahrhundert war das Scheitern ihrer Hoffnung auf ihren Einzug in die deutschen Universitäten. Jüdische Gelehrte hatten im Zuge des Emanzipationskampfes immer wieder versucht, auf dem Wege der akademischen Integration ihrer Disziplin den Zusammenhang zwischen verweigerter gesellschaftlicher Gleichberechtigung und der Missachtung jüdischer Forschung zu durchbrechen. „Die Gleichstellung der Juden in Sitte und Leben wird aus der Gleichberechtigung der Wissenschaft des Judentums hervorgehen“,10 schrieb Leopold Zunz 1845 und beantragte 1848, ermutigt durch den demokratischen Aufbruch während der Märzrevolution, beim preußischen Ministerium für Erziehung und religiöse Angelegenheiten die Errichtung eines Lehrstuhls für die Erforschung der jüdischen Geschichte und Literatur an der philosophischen Fakultät der Universität Berlin. Das Scheitern dieses Vorstoßes ist bezeichnend für den herrschenden Willen, die privilegierte Stellung des Christentums an den Universitäten zu bewahren und der jüdischen Wissenschaft in keinem Falle eine Stellung einzuräumen, die auf eine öffentliche Anerkennung der Gleichstellung des Judentums als Religion mitsamt seinen Institutionen hinausgelaufen wäre. Hinter der Ablehnung des Ansinnens von Zunz stand die Vorstellung, die Aufnahme der Wissenschaft des Judentums in den Kanon der Universitätsdisziplinen könne das Judentum stärken und der als Preisgabe jüdischer Identität gedachten „Assimilation“ an das „Deutschtum“ entgegenwirken.11 9 Vgl. Ismar Schorsch, „Scholarship in the Service of Reform“, LBIYB 35 (1990), 73– 101. 10 Zunz, Über jüdische Literatur (wie Anm. 5), 59. 11 Vgl. die Dokumentation von Ludwig Geiger, „Zunz im Verkehr mit Behörden und Hochgestellten“, Monatsschrift für Geschichte und Wissenschaft des Judenthums (= MGWJ) 60 (1916), 245–262; 321–347, bes. 334ff. Der preußische Kultusminister Adalbert von Ladenburg leitete den Antrag von Zunz an die philosophische Fakultät der Berliner Universität weiter. Eine von ihr eingesetzte Kommission verfass-

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Wie ein Leitmotiv begegnete in der Arbeit jüdischer Gelehrter bis ins zwanzigste Jahrhundert hinein daher die – vergebliche – Forderung, eine Vollendung der Emanzipation müsse irgendwann auch in der Gleichstellung ihrer Wissenschaft sichtbar Gestalt annehmen,12 ein Thema, das vor allem in der Auseinandersetzung mit der protestantischen Theologie immer wieder mit besonderer Intensität diskutiert wurde. Vorläufig musste man jedoch andere Wege einschlagen, um Forschung und Lehre zum Judentum einen Ort zu verschaffen. Da die Jeschiwot aufgrund ihrer traditionellen Struktur dazu nicht geeignet schienen, entstanden in Deutschland, wie auch in anderen Teilen Europas, seit Mitte des neunzehnten Jahrhunderts mit dem JüdischTheologischen Seminar Fränckel’scher Stiftung in Breslau (1854), der Lehranstalt (Hochschule) für die Wissenschaft des Judentums in Berlin (1872) und dem Berliner Rabbiner-Seminar (1873) moderne „Rabbinerseminare“, die den Erfordernissen der Zeit Rechnung trugen. In welchem Maße die Wissenschaft des Judentums zu dem Medium geworden war, das über die spezifische Ausrichtung jüdischen Selbstverständnisses Auskunft gab, wird darin sichtbar, dass die drei Institutionen jeweils einer der miteinander in Konkurrenz stehenden Strömungen des Judente ein Gutachten, das Zunz zwar als kompetenten Wissenschaftler würdigte, seine Forderung, das Ghetto auch für die jüdische Wissenschaft aufzuheben, jedoch zurückwies. Die Zurücksetzung der Juden sei längst aufgehoben, und eine jüdische Professur, die mit dem Nebengedanken gestiftet würde, „das jüdische Wesen in seiner Besonderheit, in seinen entfremdenden Gesetzen und Gebräuchen geistig zu stützen und zu bekräftigen“, würde eine „Bevorrechtung der Juden“ bedeuten und dem Sinn „der neuen, die starren Unterschiede ausgleichenden Freiheit“ widersprechen. Die Universität kenne für ihre Lehrfächer kein anderes Maß als den „inneren Gehalt der Wissenschaft“. Die jüdische Geschichte könne im Kontext der allgemeinen Geschichte behandelt werden, doch die Universität könne nicht einen theologisch orientierten Lehrstuhl zugestehen und damit gestatten, „daß ihr der Keim zu einer jüdischen theologischen Fakultät eingeimpft werde“; die Ausbildung von Rabbinern bleibe „ein Gegenstand seminaristischer Anstalten, aber nicht eigentlich der Universitäten“ (337ff.). Zur Interpretation des Vorgangs vgl. u.a. Alfred Jospe, „The Study of Judaism in German Universities before 1933“, LBIYB 27 (1982), 295–313; Heinrich Simon, „Wissenschaft vom Judentum in der Geschichte der Berliner Universität“, in Julius Carlebach (Hrsg.), Chochmat Jisrael – Wissenschaft des Judentums. Anfänge der Judaistik in Europa (Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft, 1992), 153–164, bes. 157ff. Bereits 1836/37 hatte Abraham Geiger unter Hinweis auf die aufklärende Kraft der Wissenschaft vergeblich die Gründung einer jüdisch-theologischen Fakultät gefordert; vgl. Abraham Geiger, „Die Gründung einer jüdisch-theologischen Facultät – ein dringendes Bedürfnis unserer Zeit“, Wissenschaftliche Zeitschrift für jüdische Theologie 2 (1836), 1–21. 12 Vgl. etwa David Kaufmann, „Die Vertretung der jüdischen Wissenschaft an den Universitäten“ (1895), in David Kaufmann, Gesammelte Schriften, Bd. 1 (Frankfurt am Main: Kauffmann, 1908), 14–38, Zitate 16 und 35ff.

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tums in Deutschland verpflichtet waren und das Forum dafür boten, die jeweiligen Entwürfe jüdischer Identität in der Moderne in einander widerstreitenden Wissenschaftskonzeptionen zur Geltung zu bringen. Obwohl selbstverständlich die „positiv-historische“ Tradition des Breslauer Seminars einen ebenso reichen wissenschaftlichen Beitrag leistete wie die liberale Strömung der Wissenschaft des Judentums und im gleichen Maße zur Ausbreitung eines Netzwerks jüdischer Gelehrter in ganz Europa beitrug, ist insbesondere die Lehranstalt für die Wissenschaft des Judentums zum Inbegriff einer modernen jüdischen Wissenschaft geworden. Sie ist untrennbar mit dem Namen Abraham Geigers verbunden, der an ihrer Gründung und Gestaltung in den ersten Jahren maßgeblich beteiligt war und dort von 1872 bis zu seinem Tod im Jahre 1874 lehrte. Die Reformbewegung des neunzehnten Jahrhunderts und die daraus erwachsene jüdisch-liberale Strömung können in erster Linie als Modernisierungsphänomen gelten, das sich einem komplexen Zusammenwirken politisch-sozialer Bedingungen und geistigkultureller Herausforderungen im Gefolge von Haskala und Emanzipation verdankt.13 Die Konfrontation mit den Forderungen nach kultureller Anpassung spielte in diesem Zusammenhang eine wichtige Rolle, schien es doch, als müssten sich Juden ihrer rechtlichen Gleichstellung erst als würdig erweisen, indem sie dem Judentum eine zeitgemäße Gestalt gaben und Elemente seiner Tradition, die von Nichtjuden als überlebt und als sozial trennend empfunden wurden, ausschlossen. Im Zentrum der Reformdiskussionen stand die Frage, ob das „Gesetz“, die rabbinische Halacha, noch als unaufgebbares Wesensmerkmal des Judentums gelten konnte. Einen zweiten wichtigen Impuls bildete die Rezeption der religiösen, sittlichen und ästhetischen Werte der nichtjüdischen, vor allem protestantischen kulturellen Umwelt. Die Reformbewegung zielte auf die Umgestaltung des Synagogengottesdienstes zu einem ästhetisch ansprechenden Kultus und entwarf ein neues, umfassendes theoretisches Konzept des Judentums, das seine Fortexistenz legitimierte und den geistigen Strömungen der Gegenwart Rechnung trug. Sie wollte auf diese Weise zugleich dem zunehmenden Taufdruck entgegenwirken und durch die Entwicklung eines modernen, philosophisch orientierten Judentums jüdisches Selbstbewusstsein festigen. Der Neuinterpretation jüdischer Geschichte und Tradition auf dem Wege der Wissenschaft kam für dieses Ziel eine herausragende Bedeutung zu.

13 Zur Geschichte des liberalen Judentums und seinen differenzierten Strömungen vgl. vor allem Michael A. Meyer, Antwort auf die Moderne. Geschichte der Reformbewegung im Judentum (Wien, Köln und Weimar: Böhlau, 2000).

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II Abraham Geiger, dessen Leben und Werk der vorliegende Band gewidmet ist, kann, wie Michael A. Meyer betont, mit Fug und Recht als „Gründervater der Reformbewegung“ gelten.14 Er formulierte im neunzehnten Jahrhundert die theoretischen Fundamente sowohl des jüdisch-liberalen Selbstverständnisses als auch der liberal orientierten Strömung der Wissenschaft des Judentums, und in seinem Lebenswerk als Gelehrter und Rabbiner waren das Ideal wissenschaftlicher Forschung und das Ziel der Modernisierung des Judentums – bei aller Spannung zwischen seinen vor allem in jüngeren Jahren bisweilen radikalen theoretischen Ansichten und den Erfordernissen der Verantwortung als Gemeinderabbiner – auf das engste miteinander verbunden. In seinen Predigten, Vorträgen, Korrespondenzen, publizistischen Auseinandersetzungen mit jüdischen und nichtjüdischen Gegnern sowie in seinen zahlreichen historischen Werken versuchte er der Reformbewegung seiner Zeit Ziel und Orientierung zu geben, ohne dabei dem wissenschaftlichen Ethos religiöse Grenzen zu setzen: Die „wissenschaftliche Wahrheit, nicht der Glaube, blieb sein letztes Richtmaß“, auch wenn sich ein gewisses Maß an persönlicher „Zerrissenheit“ in der Bemühung um die Harmonisierung von Wissenschaft und religiösem Leben seiner Gemeinschaft nicht vermeiden ließ.15 Geigers zentrale Forderung richtete sich auf die ungehinderte wissenschaftliche Erforschung der jüdischen Geschichte, einschließlich der Anwendung der historisch-kritischen Methode auf die rabbinischen Texte und die hebräische Bibel. Dies schloss auch eine relativierende Historisierung der normativ-religionsgesetzlichen Tradition mit ein, die das zeitgenössische Judentum von überflüssigem Ballast reinigen, durch den Rückgriff auf die biblischen Ursprünge das eigentliche „Wesen“ der prophetischen religiösen Überlieferung zur Geltung bringen und der Reform eine geschichtlich fundierte Grundlage geben sollte.16 Dabei setzte Geiger einen dynamischen Offenbarungs- und Traditionsbegriff voraus, der in den verschiedenen Epochen jüdischer Geschichte eine beständige lebendige Fortentwicklung erblickte, so dass auch eine Neudefinition des Judentums in der Moderne nicht als Traditionsbruch erscheinen musste. Die Prophetie mit ihrer universalen Religion und Ethik, die aus seiner Sicht auch den eigentlichen Kern der pharisäischen und 14 Ebd., 138. 15 Ebd. 16 Michael A. Meyer, „Jewish Religious Reform and Wissenschaft des Judentums. The Position of Zunz, Geiger and Fränkel“, LBIYB 16 (1971), 19–41, hier 28ff.

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rabbinischen Lehre ausmachte, sollte die notwendige Orientierung bieten, während es die seinerzeit als schützende Hülle notwendige religionsgesetzliche Tradition abzustreifen galt, um das wahre Wesen des Judentums als der universalen prophetischen Menschheitsreligion neu zur Entfaltung zu bringen. Mit einer ethisierenden Interpretation der Erwählung Israels und des traditionellen Messianismus, der zufolge das Judentum als das „Volk der Offenbarung“ von Beginn an dazu bestimmt war, in der galut eine universale „Mission“ zur Bewahrung des reinen Monotheismus und zur Vorbereitung der Glaubenseinheit der Menschheit zu erfüllen, prägte Geiger ein Denkmodell, mit dessen Hilfe sich auch der Anspruch des Judentums begründen ließ, die wahre Verkörperung des religiösen Universalismus zu sein und deshalb legitimerweise gleichberechtigt neben dem Christentum in der Moderne fortzuexistieren. Mit seinem theoretischen wie praktischen Reformkonzept, seinen Perspektiven für eine jüdische Theologie, seiner Deutung der Geschichte des Judentums seit der Antike und seiner Strategie der intellektuellen Selbstbehauptung gegenüber herabwürdigenden christlichen Judentumsbildern hat Abraham Geiger das liberale Judentum und das Selbstverständnis der liberalen Vertreter der Wissenschaft des Judentums in Deutschland wie in Amerika weit über seinen Tod hinaus bestimmt. Die prägende, inspirierende und zugleich herausfordernde, vielfach kontroverse Wirkung seines Denkens kam insbesondere anlässlich seines 100. Geburtstags am 24. Mai 1910 zum Ausdruck, inmitten der andauernden bitteren Kontroversen mit dem liberalen Protestantismus um das „Wesen“ von Judentum und Christentum17 und zu einer Zeit scharfer zeitgenössischer ideologischer Debatten zwischen liberalem Judentum, Orthodoxie und Zionismus. Diese innerjüdischen Auseinandersetzungen spiegelten sich auch in den Einschätzungen Geigers in den zahlreichen würdigenden, kritischen und polemischen Publikationen wider, die im Umfeld des Geiger-Jubiläums erschienen. Naturgemäß waren es insbesondere die Vertreter des liberalen Judentums, die Geigers Leben und Werk würdigten und im Spiegel des Jubiläums eine Bilanz seines Erbes zogen. Cäsar Seligmann etwa würdigte ihn als „Sämann der Zukunft“und „Wegebahner zu neuen jüdischen Lebensgestaltungen und Lebensentfaltungen“, die in der 17 Vgl. Uriel Tal, „Theologische Debatte um das ,Wesen‘ des Judentums“, in Werner E. Mosse und Arnold Paucker (Hrsg.), Juden im Wilhelminischen Deutschland 1890– 1914 (Tübingen: Mohr Siebeck, 1976), 599–632; Christian Wiese, Wissenschaft des Judentums und Protestantische Theologie. Ein „Schrei ins Leere“? (Tübingen: Mohr Siebeck, 1999), Kapitel 6.

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Gegenwart zutiefst relevant seien: „Darum gibt es“, rief der Frankfurter Rabbiner seinen liberalen Zeitgenossen zu, „für unsere heutige jüdisch-wissenschaftliche Forschung sowohl wie für unser religiös geistiges Leben und Streben nur eine Losung, die am hundertjährigen Geburtstag wie eine aufrüttelnde Mahnung in uns ertönen soll: Zurück zu Abraham Geiger!“18 Ihre Sicht der zeitgenössischen Relevanz seiner Errungenschaften kommt exemplarisch vielleicht am eindrucksvollsten in der Rede zum Ausdruck, die der Historiker Ismar Elbogen bei der Abraham Geiger-Feier am 22. Mai 1910 an der Lehranstalt für die Wissenschaft des Judentums in Berlin hielt, wo er seit 1902 als Dozent für jüdische Geschichte und Liturgie, seit 1906 auch als Inhaber eines Stiftungslehrstuhls für Ethik und Religionsphilosophie des Judentums tätig war. Stellvertretend für eine ganze Generation liberaler Rabbiner und Gelehrter pries Elbogen darin die historische Bedeutung Geigers als Aufklärer, Reformer und Gestalter der jüdischen Moderne, wies aber auch auf die herausfordernde Wirkung seines Denkens auf Freunde und Gegner hin: Wenige Tage noch, und hundert Jahre sind vollendet, seitdem Abraham Geiger geboren ward. Hundert Jahre! Und doch ist es, als weilte er noch lebend unter uns, noch wirkt sein Geist mächtig fort, noch tobt der Kampf um seinen Namen, und heute wieder ist er mehr umstritten als seit langer Zeit! Hundert Jahre erst, noch weilen unter uns die Zeugen seines irdischen Wirkens, – und doch hat Abraham Geiger bereits einen festen Platz in der Geschichte, als eine der markantesten Erscheinungen in der Judenheit des neunzehnten Jahrhunderts, als einer von denen, die nicht nur in der Geschichte geforscht, sondern selbst Geschichte gemacht haben, als einer, der mit fester Hand in die Entwicklung des Judentums eingegriffen hat, ohne dessen Wirksamkeit die Gestaltung unserer Gegenwart gar nicht zu denken ist. Ein vorbildlicher Lehrer, ein Fürst der Wissenschaft, ein unermüdlicher Vorkämpfer für Freiheit und Recht, für Fortschritt und Aufklärung. Wer Ewigkeitswerke geschaffen hat, wie Abraham Geiger, hat Anspruch auf den Dank aller Zeiten.19

Aus der Sicht Elbogens, der sich insbesondere nach dem Ersten Weltkrieg intensiv mit der Geschichte der Wissenschaft des Judentums auseinandersetzte und forderte, die Theologie ins Zentrum einer auf das jüdische Leben ausgerichtete, lebensverbundene Wissenschaft zu stel18 Cäsar Seligmann, „Abraham Geiger“, Liberales Judentum 2 (1910), 97–104, hier 104. 19 „Rede des Dozenten Ismar Elbogen“, in Neunundzwanzigster Bericht der Lehranstalt für die Wissenschaft des Judentums in Berlin (Berlin: H. Itzkowski, 1911), 53– 66, hier 53; vgl. auch Ismar Elbogen, „Abraham Geiger. 1810–1910“, Jahrbuch für jüdische Geschichte und Literatur (= JJGL) 14 (1911), 71–83.

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len,20 war Geigers eigentliche „Großtat“ die „Schöpfung der jüdischen Theologie“, die Forderung nach einer modernen, auf die Gestaltung des praktischen Lebens zielenden wissenschaftlich-theologischen Auffassung des Judentums, wie sie sich in seinen beiden Zeitschriften widerspiegelte – der Wissenschaftlichen Zeitschrift für jüdische Theologie (1835–1847) und der Jüdischen Zeitschrift für Wissenschaft und Leben (1862–1875).21 Sein unermüdlicher Kampf um Reform und Verjüngung des Judentums, um Überwindung der „Formenstarrheit“ durch „vom Geiste durchtränkte, durchdrungene Formen“ habe ihn zum unumstrittenen Führer jener werden lassen, die „einen Ausgleich des Judentums mit den zeitgenössischen Ideen auf historischer Basis“ erstrebten. Dabei habe Geiger mit seinem „kühnen Wagemut“ auch Reformideen angeregt, die zu übermäßig radikalen praktischen Folgerungen geführt hätten, und er habe ein Gleichgewicht zwischen der Radikalität seines eigenen theologischen Denkens und dem historisch Gewachsenen erst im Laufe seines Denkwegs gefunden. Er habe zunächst, wie Elbogen kritisch anmerkte, „die Kraft des Hergebrachten unstreitig vielfach unterschätzt“, er habe „mit genialem Blick das Werden und Wachsen überschaut“, dabei jedoch übersehen, „dass das Wachstum der Jahrhunderte selbst eine reale Macht wird, die in den Organismus sich einfügt, im Gemüt sich verankert und nachhaltig weiter wirkt“, und er habe den Blick einseitig auf das deutsche Judentum gerichtet, dabei aber bisweilen zu wenig auf das „der Gesamtheit Gemeinsame“ geschaut. Dass er den Dogmatismus der rabbinischen Tradition gebrochen und entscheidende Fragen wie jene nach der Offenbarung, der Gültigkeit der Tradition und der Relevanz des Zeremonialgesetzes „vor den Richterstuhl der historischen Kritik gezogen“ und auf diese Weise „die ewigen Ideen des Judentums“ wieder zur Geltung gebracht habe, bleibe sein dauerhaft gültiges Verdienst.22 Es waren, so Elbogen, vor allem Geigers glänzende wissenschaftliche Begabung und sein meisterhafter historischer Sinn, die seinem zunehmend umsichtigeren Reformdenken Orientierung gaben. Bewundernswert sei seine Vielseitigkeit und Schaffenskraft, mit der er eine „fast enzyklopädische Beherrschung“ jüdischen Wissens erlangt und nahezu in allen Bereichen der Wissenschaft des Judentums neue Impulse gegeben habe: „Ein unermüdlicher Schatzgräber, stieg er hinab in die verborgenen Tiefen, die Quellen zu ergründen; sein heller Geist

20 Vgl. Ismar Elbogen, „Neuorientierung unserer Wissenschaft“, MGWJ 62 (1918), 81– 96. 21 „Rede des Dozenten Ismar Elbogen“ (wie Anm. 19), 54. 22 Ebd., 55f.

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brachte Licht in die dunkelsten Epochen“,23 und seine Synthese des Gesamtverlaufs der jüdischen Geschichte in den Vorlesungen über Das Judenthum und seine Geschichte biete eine „grandiose Konzeption“ des Verlaufs der jüdischen Geschichte, der inneren Entwicklung jüdischen Lebens und jüdischer Kultur sowie des Anteils der Juden an der allgemeinen Kultur.24 Geigers wirksame Verteidigung des Judentums gegen jegliche Form der Verunglimpfung und sein Eintreten für die akademische Gleichberechtigung der Wissenschaft des Judentums machte ihn, so Elbogen, der selbst in den Jahren um das Geiger-Jubiläum führend an den zahlreichen Debatten um den religiösen und sittlichen Wert der jüdischen Religion beteiligt war, endgültig zu einem wegweisenden Vorbild für das liberale Judentum der Gegenwart: „So dauert sein Wirken und sein Andenken fort, zum Segen!“25 Elbogens bewundernde, wenn auch nicht unkritische Würdigung Abraham Geigers konnte innerhalb des deutschen liberalen Judentums weitgehend mit Zustimmung rechnen. Das gilt, wenngleich mit leisen Einschränkungen, auch für die Vertreter der amerikanischen Reformbewegung, die 1910 ihres Vorbilds gedachten. Emanuel Schreiber verfasste eine hagiographisch anmutende Schrift mit dem Titel Abraham Geiger: The Greatest Reform Rabbi of the Nineteenth Century,26 und eine Fülle weiterer Predigten und Ansprachen anlässlich des Geiger-Jubiläums,27 aber auch zeitgenössische Darstellungen der Geschichte der Reformbewegung wie jene David Philipsons28 priesen Geiger als Urbild ihres eigenen Selbstverständnisses. Anders als in Deutschland gab es jedoch unter den Reformern deutlich kritischere Stimmen, etwa wenn Kaufmann Kohler, der Präsident des Hebrew Union College, Geigers zögerliche Reformbemühungen beklagte und behauptete, in dieser Hinsicht sei das amerikanische Judentum längst über ihn hinweggeschritten.29 Aus Osteuropa kamen hingegen – auch unter liberalen Denkern – ande23 24 25 26

Ebd., 58. Ebd., 60f. Elbogen, „Abraham Geiger“ (wie Anm. 19), 83. Emanuel Schreiber, Abraham Geiger: The Greatest Reform Rabbi of the Nineteenth Century (Spokane, WA: Spokane Printing Co, 1892). 27 Vgl. die Beiträge im Yearbook of the Central Conference of American Rabbis 20 (1910), 96; 197–198; 246–283. 28 David Philipson, The Reform Movement in Judaism (London: Macmillan & Co, 1907). 29 Kaufmann Kohler, „Abraham Geiger: The Master Builder of Modern Judaism“, in Kaufmann Kohler, Hebrew Union College and Other Adresses (Cincinnati: Ark Publishing Co, 1916), 83–97. Zur Rezeption Geigers in der amerikanischen Reformbewegung vgl. die Beiträge von Walter Jacob und Christian Wiese in diesem Band.

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re, weit tiefgreifendere kritische Bedenken, insbesondere dann, wenn damit nationaljüdische Überzeugungen verbunden waren. Einer der freimütigsten Kritiker Geigers und der Wissenschaft des Judentums innerhalb des liberalen Judentums, die sich 1910 zu Wort meldeten, war der Krakauer Rabbiner, Gelehrte und Politiker Osias Thon. Aus Galizien stammend, hatte er in den 1890er Jahren an der Berliner Universität und an der Lehranstalt für die Wissenschaft des Judentums studiert, sich jedoch als Mitglied des von den Ideen Nathan Birnbaums bestimmten Jüdisch-nationalen Vereins Jung-Israel zionistischen Ideen zugewandt. Bereits in einem früheren polemischen Essay zum Thema „Das Problem der jüdischen Wissenschaft“ (1903) hatte Thon zwar seiner Bewunderung für die profunde Gelehrsamkeit ihrer Vertreter – einschließlich Leopold Zunz’, Abraham Geigers, Heinrich Graetz’ und Moritz Steinschneiders – Ausdruck verliehen, zugleich jedoch die Irrelevanz ihres Werks für ein lebendiges Verständnis jüdischer Geschichte und Gegenwart betont: „Ich kann ihre Namen nicht nennen, ohne mich tief vor ihnen zu verbeugen, ich staune ihr Riesenwerk an und doch bleibt ihr ganzes Wollen meiner Seele fremd und fern.“30 1910 nutzte Thon das Geiger-Jubiläum, um in einem Artikel in der zionistischen Zeitschrift Die Welt seine Verhältnisbestimmung von Wissenschaft des Judentums und jüdischem Nationalismus polemisch von Geigers Wissenschaftsverständnis abzugrenzen. So gewiss der berühmte Historiker als „Schöpfer und Meister der jüdischen Wissenschaft“ gelten müsse, der für die Erhellung der jüdischen Geschichte und Literatur „Großartiges, geradezu Unvergängliches“ geleistet habe, so sehr erweise ihn die Art und Zielsetzung seiner Geschichtsschreibung als genaues Gegenkonzept zur zionistischen Deutung und Gestaltung jüdischer Geschichte: Geiger wollte abbrechen, wir wollen fortsetzen, Geiger wollte abschließen, wir wollen von neuem anfangen; was uns heiliges Ideal ist, war ihm ein Gegenstand frivolen Spottes, woran wir mit aller Kraft der Seele glauben, das hat er fanatisch geleugnet. Und nun, da sich jetzt, fast 36 Jahre nach seinem Tode, der Sieg zweifellos uns zuneigt, während Geigers Bestrebungen auf der ganzen Linie endgültig bankrott sind, werden wir auch an seinem Gedenktage dem Triumpe unseres Lebenswillens über sein Auflösungsideal laut und lebhaft Ausdruck verleihen.31

30 Osias Thon, „Das Problem der jüdischen Wissenschaft“, in Osias Thon, Essays zur zionistischen Ideologie (Berlin: Buchhandlung „Kedem“, 1930), 49–57, hier 51. 31 Osias Thon, „Abraham Geiger (zu seinem 100. Geburtstage)“, Die Welt 14 (1910), wiederabgedruckt in Thon, Essays zur zionistischen Ideologie, 209–216, hier 209.

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Was folgt, ist der Versuch, nachzuweisen, Geigers Geschichtsbild, seine universalistische Theologie, sein pathologischer „Haß gegen jüdisches Volkstum“ und seine Missachtung der Millionen osteuropäischer Juden, die er als „Ringellocken“ tragende und in „Chassidimstübel“ sitzende ungebildete Menschen verunglimpft habe,32 hätten zum vollständigen Bankrott geführt und aus dem Judentum „ein Unglück“ gemacht statt eine Nation oder auch nur eine Religion, wäre nicht das „Leben des jüdischen Volkes […] zu seinem Glücke über Geiger hinweggegangen.“ Da Geiger „keine Molluske“ gewesen sei, die man zart anfassen müsse, sondern „ein Mann des harten Kampfes, der niemanden schonte und auch keine Schonung verlangte“, gelte es schonungslos auszusprechen, dass das nationale Judentum sich vom Historiker Geiger gerne belehren lasse, aber „Geiger dem Reformator, dem Vernichter, dem Zerstörer“ niemals folgen werde: „Sein Weg führt zu Tod und Auflösung, unser Weg führt zum Leben und zum Glücke.“33 Mit solchen Aussagen stellte sich Thon ganz in die Tradition des harschen Urteils Achad Ha’ams an der Tradition der Wissenschaft des Judentums und nahm Motive vorweg, die später in Chaim N. Bialiks vernichtender, von Bildern der „Überfremdung“ und „Verwesung“ bestimmter Kritik an der westeuropäischen jüdischen Forschung34 sowie in Gershom Scholems – nach der Zerstörung des deutschen Judentums – publizierter fulminanter Polemik gegen den von ihm diagnostizierten apologetischassimilatorischen Charakter der Wissenschaft des Judentums wiederbegegnen, für den unter anderem Geigers Werk als zentrales Symbol erschien.35 Nahmen Zionisten an Geiger vor allem wegen dessen dezidierter Ablehnung des jüdischen Volkstums als einer Kategorie modernen jüdischen Selbstverständnisses Anstoß, so bezog sich die scharfe Kritik orthodoxer jüdischer Gelehrter in erster Linie auf sein Offenbarungs- und Geschichtsverständnis einschließlich der Konsequenzen seines Denkens für die praktische Umgestaltung des religiösen Lebens durch das liberale Judentum. Nur ein Jahr nach dem GeigerJubiläum entbrannte der sogenannte „Richtlinienstreit“ um die von namhaften jüdisch-liberalen Gelehrten verfassten „Richtlinien zu einem Programm für das Liberale Judentum“, die vor allem von der Separatorthodoxie zum Anlass genommen wurden, dem liberalen Judentum 32 Ebd., 212f. 33 Ebd., 215f. 34 Chaim N. Bialik, „Jüdische Wissenschaft in fremder Sprache. Ein Brief an die Herausgeber des ,D’wir‘“, Der Jude 8 (1924), 566–574. 35 Vgl. dazu Asher Biemanns und Christoph Schultes Beiträge in diesem Band.

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aufgrund seiner angeblichen Annäherung an den Protestantismus das Recht abzusprechen, sich überhaupt noch zum Judentum zu zählen.36 Einer der wortgewaltigsten orthodoxen Protagonisten dieser Kontroverse war etwa Rabbiner Saul Kaatz aus Zabrze, der 1910 in einem Vortrag über „Liberales Judentum“ auf der Generalversammlung der Vereinigung traditionell gesetzestreuer Rabbiner Deutschlands dem Judentum Geigerscher Prägung vorwarf, es habe durch seine Leugnung der Göttlichkeit der Tora seine Zugehörigkeit zum wahren Judentum verwirkt: Kann denn die Tatsache aus der Welt geschafft werden, daß nach Aussage der Bibel, nach Anschauung des Talmuds, der Religionsphilosophen von Saadia über Maimonides bis auf Mendelssohn diejenigen als poschim usw. gelten, welche es für erlaubt halten, den Sabbat zu entweihen, an Pessach Chomez zu essen usw.? Man verbrenne die Bibel, den Talmud, die rabbinischen Schriften, die Religionsphilosophen und tilge das, was dort klar und deutlich geschieben steht, aus dem Gedächtnis der Menschen, man lasse etwa nur die Schriften Abraham Geigers und noch einiger weniger Anderer übrig, und dann erst möge man es der Orthodoxie als Willkür, Anmaßung oder Schlechtigkeit anrechnen, daß sie das liberale Judentum nicht als das wahre Judentum anerkennen.37

1911 veröffentlichte Kaatz dann ein Büchlein mit dem Titel Abraham Geiger’s religiöser Charakter, das aus einer Artikelserie zum Anlass des Geiger-Jubiläums im Hausblatt der Separatorthodoxie, dem Israelit, hervorgegangen war. Der vorangestellten captatio benevolentiae, in der Geiger als „phänomenal begabter Kopf“ dargestellt wurde, als Denker von bewunderungswürdiger, universaler Gelehrsamkeit, begabt mit einer „fabelhafte(n) Konzeptionskraft und eine(m) scharfen, bohrenden Verstand“, als glänzender Schriftsteller, „ein Meister auch des hebräischen Stils“, als „hinreißender Redner“ und glänzender Pädagoge, wenn auch oft voller fanatischer Kampfeslust, folgte eine umso negativere Charakterisierung des Menschen Geiger und eine polemische Auseinandersetzung mit dessen reformerischem Balanceakt. Geiger, so Kaatz, war womöglich ein „genialer Mensch“, aber gewiss kein „großer Mensch“, denn ihm fehlte das „Insiegel der Größe, die innere Harmonie und Selbstgewissheit, welche Richtung und Ziel des Weges kennt und von der tiefsten Überzeigung durchdrungen ist, dass das Ziel ein gutes und notwendiges ist. Geiger war mit sich selbst im Zwiespalt; durch sein 36 Zum „Richtlinienstreit“ vgl. Wiese, Wissenschaft des Judentums (wie Anm. 17), 267– 272. 37 Saul Kaatz, „Liberales Judentum“, Der Israelit 52 (1911), Nr. 7–12, hier Nr. 7, 2.

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Streben klaffte ein tiefer Riss. Er konnte nicht zur Einheit mit sich selbst gelangen.“38 Trotz seines zielbewussten Auftretens als „Umgestalter des Judentums“ sei er kein konstruktiver „Reformator“ gewesen, sondern ein zerstörerischer „Revolutionär“, der im Grunde seines Herzens gewusst habe, dass seine Ideen, vor allem seine Bestreitung der Göttlichkeit der Offenbarungsschriften, „in Wirklichkeit zur Auflösung des Judentums“ führten. Beherrscht von einem „Geist der Verneinung und der Zersetzung“, sei das, was er als wissenschaftliche Theologie proklamiert habe, letztlich, wie Kaatz in polemischer Anlehnung an Theodor Mommsens berühmtes Diktum über das antike Judentum formulierte, „lediglich und bewusst ein Ferment der Dekomposition“ gewesen.39 Seine destruktiven Deutungen seien von Hohn für Andersdenkende bestimmt gewesen, der im Grunde aber in der eigenen Unsicherheit angesichts des krassen Widerspruchs zwischen seinem Sinn für das Historische und seiner Anpassung an den Zeitgeist wurzelte, die er je nach Gutdünken gegeneinander ausgespielt habe. Das Porträt der Persönlichkeit des jungen Geigers, das Kaatz auf der Grundlage der Tagebücher und von Briefen zeichnete, war in hohem Maße negativ und stand in vollkommenem Gegensatz zur Wertschätzung der Liberalen. Es ist das Zerrbild eines hochbegabten, aber anmaßenden Menschen, dem „das Herz zu fehlen scheint“, aus dem ein geradezu grauenhafter „Hass gegen alles spezifisch Jüdische“ spricht40 und dessen „blinde Aufklärungssucht“ seinen leidenschaftlichen Willen begründet, „für die Zerstörung der altjüdischen Frömmigkeit zu wirken“.41 Die Tatsache, dass Geigers rabbinische Wirksamkeit ihn zur verantwortlichen Rücksicht auf die Empfindungen der Gemeinde zwang, wird ausschließlich als Ausdruck des Opportunismus eines Mannes gedeutet, der sich plötzlich gehütet habe, seine radikale Gesinnung zu offenbaren, um seine Stellung nicht zu gefährden: Der „religiöse Stürmer und Dränger, dem alles Altjüdische ein Greuel war, das er am liebsten mit Stumpf und Stiel ausgerottet hätte“, wurde aus Karrieregründen zum Diplomaten42 und erschlich sich in Breslau seine Stelle mit gespielter Orthodoxie.43 Ein klares Konzept der Zukunft konnte Geiger Kaatz zufolge zu keiner Zeit fassen, alles war bei ihm ein 38 Saul Kaatz, Abraham Geiger’s religiöser Charakter. Erster Teil (Frankfurt am Main: Verlag des „Israelit“, 1911), 5. 39 Ebd., 6f. 40 Ebd., 9f. 41 Ebd., 14. 42 Ebd., 24. 43 Ebd., 40f.

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„wildes, schwankendes Gähren und Drängen“.44 Letztlich aber propagierte er insgeheim aus „kosmopolitischer Abneigung gegen das Judentum“ dessen „Entwurzelung“ und Aufgehen in der Menschheit,45 und um seine Zweifel an der Existenzberechtigung des Judentums zu bannen, konstruierte er sich einen „jüdisch-religiösen Gedankenbau“, ein „subjektiv konstruiertes Tendenzjudentum“, das im Grunde nicht viel mehr war als eine über jeglicher positiver Religionsform stehende „Universalreligion“, die dem Christentum weit näher stand als dem Judentum.46 „Im Herzen ohne jüdische Überzeugung, ohne Glauben an die Zukunft des Judentums“, so Kaatz, habe sich Geiger in der Öffentlichkeit fälschlicherweise als der „überzeugungsvolle, zielbewusste Erneuerer des Judentums“ gebärdet, „der mit ehrlichem Enthusiasmus für dessen Umgestaltung eintrat und mit dem Brustton der Überzeugung verkündete, dass das Judentum dadurch eine neue Kraft und ein neues Leben gewinnen werde.“47 Die wütende Polemik, die ursprünglich noch einen zweiten Teil erhalten sollte, endet schließlich mit einer ausführlichen Beschreibung des Geiger-Tiktin-Streits in Breslau, die den Reformrabbiner vor allem als einen „guten Hasser“ darstellt,48 einen Menschen voller „hinterhältiger Tücke“ und Meister der Verhüllung, der nicht mit offenem Visier gekämpft, sondern seine wahren Absichten stets verschwiegen und Freunde und Gegner in die Irre geführt habe.49 Doch nicht nur für Teile der Orthodoxie war Abraham Geiger, wie diese Stimme zum Jubiläum zeigt, das geradezu verhasste symbolische Gegenbild gegen das eigene Verständnis des wahren Judentums, auch Vertreter der „positiv-historischen“ Breslauer Tradition der Wissenschaft des Judentums sahen in ihm zumeist in erster Linie den Zerstörer jüdischer Tradition. Schon Zacharias Frankel und Heinrich Graetz begegneten Geiger mit einem Maß an Polemik, das vielfach die Grenzen zur Feindseligkeit überschritt, und insbesondere Geiger und Graetz standen einander als unversöhnliche Gegenspieler gegenüber, die durch mehr als bloß ein unterschiedliches Verständnis des Judentums getrennt waren.50 Graetz charakterisierte Geiger in seinem Tage44 45 46 47 48 49 50

Ebd., 25. Ebd., 27. Ebd., 30. Ebd., 34. Ebd., 41. Ebd., 75. Zur Gegnerschaft Frankels vgl. den Beitrag von Andreas Brämer in diesem Band; zum Verhältnis von Graetz und Geiger vgl. etwa Markus Pyka, Jüdische Identität bei Heinrich Graetz (Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht, 2009), 71–77.

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buch als „kleines, hageres Männchen, das wenig Mut und Mannheit zu besitzen scheint“,51 und zieh ihn des Deismus, einer erbitterten Feindschaft gegen den Talmud und der Lieblosigkeit gegenüber dem Judentum. In seiner Darstellung des Rivalen im elften Band seiner Geschichte der Juden urteilte er, dieser habe das Judentum „zur Theologie, d.h. zu einer Kirchen- und Dogmen-Religion gemacht“ und dessen Vertreter, die Rabbiner, „zu Geistlichen und Pfarrern gestempelt“. Er habe zudem die Wissenschaft nicht als Selbstzweck betrieben, sondern zum Vorwand genommen, „das Judentum seines Inhaltes, der seine Eigenart ausmacht, zu entleeren, und es zu etwas Nagelneuem umzuformen“, damit aber „den Samen der Zwietracht in Jakobs Weinberg gestreut“.52 Markus Brann, der Herausgeber der Monatsschrift für Geschichte und Wissenschaft des Judentums (MGWJ) und seit 1891 Nachfolger von Heinrich Graetz als Dozent für jüdische Geschichte am Breslauer Seminar, nahm Geiger ähnlich wahr, schien ihn aber 1910 im Kontext der Feierlichkeiten zu seinem 100. Geburtstag weniger als Bedrohung denn als Urheber einer bedauernswerten, überlebten Strömung zu betrachten. In einem Privatbrief an seinen Freund Max Freudenthal hatte er nicht viel mehr als Ironie für die „Geigerfeiern“ übrig, die in Breslau stattgefunden hatten, und berichtete darüber, wie Julius Guttmann bei einer Feier in der großen, 2000 Menschen fassenden liberalen „Neuen Synagoge“ „unter einer wahrhaft beschämenden Teilnahmslosigkeit der Gemeinde“ über Geigers Leben und Werk geredet habe: „Ist das nicht in einer Stadt, in der der Mann etliche 20 Jahre gewirkt hat und nachdem in den Tagesblättern wiederholt auf die Feiern hingewiesen war, eine skandalöse Tatsache! Und dieser Sorte Judentum soll die Zukunft gehören!“53 Hinter der sarkastischen Diagnose der Wirkungslosigkeit des Erbes Abraham Geigers in einem spirituell entleerten liberalen Judentum verbarg sich jedoch zugleich ein dezidiertes Urteil über den Reformer selbst, dem Brann im Vergleich zu den konservativen Reformern keine irgendwie geartete religiöse Kraft zubilligte. Als Ismar Elbogen 1917 in 51 Tagebucheintrag vom 4.7.1842, in Heinrich Graetz, Tagebücher und Briefe, hrsg. und mit Anmerkungen versehen von Reuven Michael (Tübingen: Mohr Siebeck, 1977), 120. 52 Heinrich Graetz, Geschichte der Juden von den ältesten Zeiten bis auf die Gegenwart. Aus den Quellen neu bearbeitet, Bd. 11: Vom Beginn der Mendelssohnschen Zeit (1750) bis in die neueste Zeit (1848), zweite und vermehrte Aufl., bearbeitet von Markus Brann (Leipzig: Oskar Leiner, 1900; Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft, 1998), 472f. 53 Brief von Markus Brann an Max Freudenthal vom 2. Juni 1910 (Nachlass Markus Brann, Jewish National Library, ARC MS. Var 308, Mappe 398).

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privaten Briefen an Markus Brann Graetz’s polemische Darstellung an der Reformbewegung kritisch kommentierte, brachte Brann seine eigene Auffassung über Geiger zur Sprache und bestritt Elbogen das Recht, den Reformer in einem Graetz gewidmeten Jubiläumsheft der MGWJ gegen dessen Angriff zu verteidigen: Geiger ist in Wirklichkeit nichts weiter als eine mildere Form der krassen Holdheim’schen Negation. Die Geiger-Holdheimsche Reform ist, wie Zunz richtig urteilt, überhaupt keine Reform, keine Umgestaltung, keine Evolution, keine Entwicklung. Sie ist eine vollendete Revolution, eine vollkommene Empörung gegen das geschichtliche Judentum, ein Hochverrat an den ererbten Heiligtümern. Träger der einzig berechtigten Umgestaltung, Urheber einer wirklichen positiv historischen religiösen Reform waren nur Zunz, Mannheimer und Frankel. […] Geiger ist gerade so wie Holdheim ein ganz bewußter Schismatiker. […] Aus diesen habe ich den Eindruck gewonnen, daß es beiden, Geiger, sowohl wie Holdheim, an jeglichem religiösen Ernst gefehlt hat. Dieser Wurm nagt an ihrem Reformjudentum. Das ganze speciell Religiöse lag beiden Männern garnicht, wie durch tausend Einzelheiten deutlich bewiesen werden kann. Gerade in diesem protestantischen Reformationsjahr treten uns am klarsten die Lebensbilder der damaligen deutschen Reformatoren entgegen. Arge Revolutionäre sind Sie gewesen, diese Schöpfer reformierten Christentums, Luther, Zwingli, Calvin, um nur einige Namen zu nennen. Aber imposant an ihnen war ganz besonders der tief religiöse Ernst, der heiße religiöse Atem, mit dem sie ihren Standpunkt vertraten und verteidigten. Das ist es, was Geiger und Holdheim völlig abgeht. Ich würde Ihnen raten und Sie bitten, wenn es mit Ihrer Überzeugung übereinstimmt, diese ganze Disgression über Graetzens Auffassung der Reform zu unterlassen oder wenigstens grundsätzlich umzuändern. Für eine Apotheose Geigers ist unwidersprochen in Frankels Zeitschrift kein Platz.54 54 Brief von Markus Brann an Ismar Elbogen vom 5. Oktober 1917 (Nachlass Markus Brann, ARC Ms. Var 308, Mappe 322). Elbogen antwortete am 9. Oktober 1917 abwehrend, gestand aber zu, was er 1910 in seinen öffentlichen Äußerungen zum Jubiläum so nicht ausgesprochen hätte – nämlich dass auch er Zweifel am religiösen Charakter Geigers hegte: „Mir kommt es darauf an – und das Problem beschäftigt mich schon lange – die verschiedenen Richtungen der Reformbewegung auf eine wissenschaftliche Formel zu bringen. Schismatiker ist keine, wenn Sie mir die Bemerkung gestatten, denn Schismatiker sind wir für den Israelit alle, und für den Gerrer Rebbe mag es vielleicht auch S. R. Hirsch sein – wenn er ihn verstehen könnte. Dass Geiger keine religiöse Natur war – von Holdheim ist es mir noch nicht ganz sicher –, ist eine ganz andere Frage und hat der ganzen Reformbewegung unwiederbringlichen Schaden gebracht“ (ebd.). In einem Brief an Salo Baron vom 20. Dezember 1917 bekräftigte Brann sein Urteil über Geiger: Baron tue Graetz Unrecht, wenn er ihn pauschal für einen grundsätzlichen Gegner der jüdischen Reform halte. „Was ihn an der Reform abstieß, war die feststehende Tatsache, daß deren anerkannte Führer

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III Ein Jahrhundert später wirkt dieser Chor aus einander widerstreitenden Stimmen, aus ehrlicher Bewunderung, idealisierendem Lobpreis, verzeichnender Polemik oder ironischer Distanzierung wie das ferne Echo zeitgebundener ideologischer Debatten, die in dieser Gestalt endgültig der Vergangenheit angehören, auch wenn viele der Fragen, um die darin mit Blick auf das Problem des jüdischen Selbstverständnisses unter den Bedingungen der Moderne gerungen wurde, unter vielfach ganz neuen Vorzeichen noch immer lebendig sind: die Deutung jüdischer Tradition im Gespräch mit säkularer Wissenschaft und in Auseinandersetzung mit einem immer weniger traditionellen Welt- und Wirklichkeitsverständnis, der Umgang mit dem historisch-kritischen Zugriff auf religiöse Quellen, deren Offenbarungscharakter nicht ungebrochen fortzuschreiben ist, das Verhältnis von nationaler und religiöser Dimension des Judentums oder die historische wie theologische Beziehung der jüdischen Religion zu anderen Religionen, vor allem dem Christentum und dem Islam. Dennoch führt die zeitliche Distanz, die zwischen den erhitzten Kontroversen vor dem Ersten Weltkrieg und dem 200. Geburtstag Abraham Geigers im Jahre 2010 liegt, einschließlich der historischen Brüche des zwanzigsten Jahrhunderts, die das Reformund liberale Judentum des neunzehnten Jahrhunderts und die Bestrebungen der Wissenschaft des Judentums in Deutschland vor der Zeit des Nationalsozialismus als Welt einer fernen Vergangenheit erscheinen lassen, dazu, dass bei diesem Jubiläum ganz andere Dinge in den Vordergrund treten als das Trennende zwischen Reform und Orthodoxie oder der Dissens zwischen universaler „Mission“ in der Diaspora und nationalem Judentum. In einer Situation, in der Abraham Geiger nicht mehr als Heros und Identifikationsfigur oder als symbolische Gegengestalt in zeitgenössischen Kontroversen dient, scheint er nun endgültig zum Gegenstand historischer Analyse geworden zu sein: Er ist – als Individuum – eine überragende Figur der deutsch-jüdischen Geistes- und Kulturgeschichte, die trotz der zahlreichen Arbeiten, die ihm bis in die jüngste Zeit hinein gewidmet worden sind, noch einer vollen intellektuellen Biografie im Kontext der breiteren Geschichte der Reformbewegung und Wissenschaft des Judentums harrt, und zugleich ein – sehr bedeutsamer – Teil und Fahnenträger, Geiger und Holdheim, durchaus unreligiöse Naturen waren. Das Religiöse lag ihnen absolut nicht. Das Religiöse war für sie ein corpus vile, in dem sie gleichgültig herumschnitten, wie der Anatom an einem Leichnam. Das war die Triebfeder seiner Empörung und Erbitterung gegen die von diesen Männern vertretene Richtung“ (Nachlass Markus Brann, ARC Ms. Var 308, Mappe 67).

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einer höchst spannenden Epoche der Geschichte des deutschen Judentums im Spannungsfeld von Modernisierung, Emanzipation und kultureller Interaktion mit der nichtjüdischen Mehrheit in Deutschland. Er verkörpert zudem wissenschaftsgeschichtlich ein zentrales Kapitel in der Geschichte der Entstehung der modernen Judaistik, ihres Ringens um Integration in den Kanon der Wissenschaften und ihres emanzipatorischen Kampfes gegen die kulturelle Hegemonie christlicher judenund judentumsfeindlicher Fremdbilder. Am Beispiel Geigers, das zeigt das bleibende historische Interesse an seiner Biografie und seinem Werk, lassen sich offenbar – auch über 200 Jahre nach seiner Geburt und beinahe 140 Jahre nach seinem Tod – wesentliche Fragestellungen hinsichtlich der Interpretation der deutsch-jüdischen Geschichte erörtern, möglicherweise aber auch Impulse für gegenwärtige Debatten gewinnen, etwa was die Rolle von Wissen und Wissenschaft für das kulturelle Verhältnis von Minderheiten und Mehrheiten in einer Gesellschaft oder die Voraussetzungen und Erfordernisse des interreligiösen Gesprächs betrifft. Zwischen den Geiger-Jubiläen von 1910 und 2010 liegt, abgesehen von der einschneidenden Zäsur der zeitgeschichtlichen Ereignisse des zwanzigsten Jahrhunderts, eine eindrucksvolle Forschungsgeschichte, die das Bild der Persönlichkeit Geigers gegenüber früheren Darstellungen differenziert und vor allem wesentlich zur weiteren Erhellung und kritischen Deutung von Grundelemente seines Denkens sowie der Details seines wissenschaftlichen Werks beigetragen hat. Den Anfang machte Max Wiener, als er 1933, angesichts des Endes des jüdischen Integrationsversuchs in Deutschland über Jüdische Religion im Zeitalter der Emanzipation reflektierte und in seiner Analyse der „religiösen Idee in der Wissenschaft vom Judentum“ Geiger die bedeutsame Rolle der Klärung des Begriffs einer liberalen jüdischen Theologie zuschrieb. Aus seiner – liberal-zionistischen – Perspektive wies er seinerzeit auf das zentrale Problem des Geigerschen Entwurfs hin, die „Frage des Verhältnisses zwischen der lebendigen und konkreten Gestalt des jüdischen Daseins und dem universalen Gehalt der Lehre“.55 Obwohl er ihm zugestand, er sei sich der Bedeutung des Daseins eines lebendigen Volkes mit eigener Sprache bewusst gewesen, merkte er kritisch an, er habe dieser „Konkretion des Lebens“ eine „Idee des Judentums“ gegenübergestellt, „die nur in idealen Höhen schauen soll, ohne auf ihre irdischen Gebundenheiten zu achten“, und sei daher nicht gefeit gewesen vor den Gefahren der Innerlichkeit sowie der Konzentration auf „das vom 55 Max Wiener, Jüdische Religion im Zeitalter der Emanzipation (Berlin: Philo Verlag, 1933), zitiert nach der von Daniel Weidner herausgegeben Neuauflage (Berlin: Jüdische Verlagsanstalt, 2002), 197.

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wirklichen Leben losgelöste Prinzip einer ihm vorschwebenden jenseits der überkommenen Daseinsordnungen sich seiner Überzeugung nach geltend machenden geistigen Religiosität“.56 Ihre Fortsetzung fand Wieners Deutung in seiner 1962 vorgelegten englischsprachigen biografischen Darstellung, einem eindrucksvollen Versuch, die intellektuelle Entwicklung Geigers zwischen kritischer Wissenschaft und bleibender Verwurzelung in der religiösen Tradition des Judentums differenziert nachzuzeichnen.57 Kurze Zeit später – 1967 – brachte der Historiker Hans Liebeschütz Abraham Geiger und Heinrich Graetz in einem vergleichenden Kapitel seiner Untersuchung des Judentums im deutschen Geschichtsbild des neunzehnten und zwanzigsten Jahrhunderts unter dem Aspekt des Einflusses des Historismus auf die Wissenschaft des Judentums miteinander ins Gespräch. Er ging darin den unterschiedlichen Einflüssen der nichtjüdischen Theologie, Philosophie und Geschichtswissenschaft auf Geigers Denken nach, insbesondere seiner spannungsreichen Nähe zur Tübinger Schule der protestantischen Theologie sowie dem Denken Hegels und Schleiermachers, und arbeitete heraus, auf welche Weise er sich des historischen Denkens der ersten Hälfte des neunzehnten Jahrhunderts bedient habe, um in seinen Arbeiten zum antiken Judentum wie in seiner Konstruktion der jüdischen Geschichte bis in die Frühe Neuzeit das Bild einer universalen prophetischen jüdischen Vernunftreligion zu entwerfen, das, wie Liebeschütz urteilt, weniger die historische Wirklichkeit widerspiegelte als das politisch relevante Unterfangen Geigers, die Übereinstimmung des Judentums mit den „tiefsten Tendenzen des modernen Geistes“ nachzuweisen.58 1975 folgte die Publikation der von Jakob J. Petuchowski herausgegebenen Ergebnisse eines Symposiums anlässlich des 100. Todestages Geigers, das sich unter anderem Spezialfragen des Verhältnisses Geigers zur Talmudkritik, seiner Haltung zur Liturgiereform und seiner Auseinandersetzung mit der Bibelwissenschaft zuwandte.59 In diesem Zusammenhang würdigte etwa Michael A. Meyer Geigers zukunftsweisendes Konzept einer kontinuierlichen historischen Entwicklung des Judentums, kritisierte jedoch mit Recht, dass dieser es versäumt habe, seine historische Konstruktion des Judentums vom geschicht56 Ebd., 199f. 57 Max Wiener, Abraham Geiger & Liberal Judaism: The Challenge of the Nineteenth Century (Philadelphia: Jewish Publication Society of America, 1962). 58 Hans Liebeschütz, Das Judentum im deutschen Geschichtsbild von Hegel bis Max Weber (Tübingen: Mohr Siebeck, 1967), 113–157, hier 128. 59 Jakob J. Petuchowski (Hrsg.), New Perspectives on Abraham Geiger: An HUC-JIR Symposium (Cincinnati: Hebrew Union College Press, 1975).

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lichen Judentum zu unterscheiden.60 Ken Koltun-Fromms Monografie zum liberalen Judentum Geigers führt diese Forschungen fort und macht sie für gegenwärtige Debatten über eine liberale Praxis religiöser Autorität fruchtbar, indem sie zeigt, in welcher Weise Geigers historische Interpretation des Judentums – im Gegensatz zu einer rein rationalen Philosophie – Kategorien für eine Begründung von Autorität auf der Grundlage „historischer Praxis, lokaler Gemeinschaften und persönlicher Sinnstiftung“ bereitstellen könnte.61 Nicht zuletzt hat Susannah Heschels herausragende Studie zu Abraham Geigers Auseinandersetzung mit dem zeitgenössischen Protestantismus, die zunächst 1998 in englischer Sprache und 2001 in deutscher Übersetzung erschien, auf neuem theoretischem Niveau einen zentralen Aspekt des Wirkens Geigers ins Zentrum gestellt, der etwa Gershom Scholems vernichtende Kritik des Reformers als einer der notorischsten apologetischen „Liquidatoren“ des Judentums im neunzehnten Jahrhundert62 zu widerlegen geeignet ist. Indem Geiger als erster Gelehrter der Wissenschaft des Judentums in seinen 1863/64 und 1871 gehaltenen Vorlesungen über Das Judenthum und seine Geschichte das Neue Testament einer detaillierten historischen Analyse aus explizit jüdischer Sicht unterzog und Jesus konsequent im Kontext des pharisäischen Judentums verstand, so Heschel, begründete er eine wirkungsvolle Strategie der Verteidigung des Judentums, die vor allem in den Auseinandersetzungen mit dem liberalen Protestantismus zu Beginn des zwanzigsten Jahrhunderts eine entscheidende Rolle spielen sollte. Inspiriert von der Hoffnung, die neutestamentliche Wissenschaft von der unverzichtbaren Bedeutung der Erforschung der rabbinischen Literatur für das Verständnis Jesu und der Ursprünge des Christentums überzeugen und so ihrem Antijudaismus widerstreiten zu können, entfaltete Geiger seine Deutung der jüdischen Geschichte in Gestalt einer prononcierten Gegengeschichte zum Christentum, die das Judentum als ursprüngliche, 60 Michael A. Meyer, „Abraham Geiger’s Historical Judaism“, in Petuchowski (Hrsg.), New Perspectives on Abraham Geiger (wie Anm. 59), 3–16, bes. 13; vgl. auch Michael A. Meyer, „Universalism and Jewish Unity in the Thought of Abraham Geiger“, in Jacob Katz (Hrsg.), The Role of Religion in Modern Jewish History (Cambridge, MA: Association for Jewish Studies, 1975), 91–107 und Meyer, Antwort auf die Moderne (wie Anm. 13), 138–152. 61 Ken Koltun-Fromm, Abraham Geiger’s Liberal Judaism: Personal Meaning and Religious Authority (Bloomington und Indianapolis, IN: Indiana University Press, 2006). 62 Vgl. Gershom Scholem, „Überlegungen zur Wissenschaft vom Judentum“, in Gershom Scholem, Judaica 6: Wissenschaft vom Judentum, hrsg. und übersetzt von Peter Schäfer (Frankfurt am Main: Suhrkamp, 1997), 7–52, bes. 27ff.

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wahre Religion darstellte: Anstatt als religionsgeschichtlich überholte Vorstufe des Christentums erschien das Judentum darin als ursprüngliche und bleibend wahre Religion, das Christentum dagegen als Teil der jüdischen Glaubensgeschichte, als Tochterreligion, die sich durch den Einfluss der griechischen Philosophie vom biblischen Monotheismus entfernt und eine synkretistische, von einem verdunkelten Gottesbegriff bestimmte Tradition ausgebildet hatte. Diese – von Geigers protestantischen Kollegen als Zumutung zurückgewiesene – Interpretation des Verhältnisses beider Religionen, die dem religiös-kulturellen Einspruch gegen die Emanzipation des Judentums begegnen und eine selbstbewusste jüdische Identität begründen wollte, wurde, wie Heschel überzeugend zeigt, zur Grundlage einer „postkolonialen“ Revolte der liberalen Wissenschaft des Judentums gegen die hegemoniale Deutungsmacht des Protestantismus, die – alles andere als apologetischassimilatorisch – das Judentum als gleichwertige, wenn nicht überlegene religiös-kulturelle Kraft der europäischen Geschichte kennzeichnete.63 Was kann ein Sammelband wie der hier vorliegende auf dem Hintergrund der skizzierten Forschungsgeschichte seit dem 100jährigen Jubiläum 1910 bisheriger Erkenntnis hinzufügen? Ein detaillierterer Blick auf Persönlichkeit, biografischen Weg, eheliche und familiäre Beziehungen im Kontext der kulturellen Gegebenheiten der deutschen Gesellschaft des neunzehnten Jahrhunderts sowie die Erhellung weiterer Facetten des – jüdischen wie nichtjüdischen – philosophischtheologischen Hintergrunds des Denkens Geigers (Michael A. Meyer, Karl E. Grözinger, Ken Koltun-Fromm) liefern die Grundlage für ein noch differenzierteres Bild des Charakters seines intellektuellen Beitrags zur spezifischen Gestalt der liberalen Strömung innerhalb des deutschen Judentums. Die intensive Auswertung der publizierten Korrespondenz Geigers und neuer, bisher nicht interpretierter Quellen aus Archiven, die Materialien zu seinen Aktivitäten und Konflikten im Rabbinat in Wiesbaden, Breslau, Frankfurt und Berlin enthalten, erlauben zudem eine differenziertere Rekonstruktion seines Selbstverständnisses als Rabbiner, der Zwiespältigkeit seines Wirkens zwischen Wissenschaft und Praxis und vor allem auch seiner öffentlichen Wahrnehmung durch zeitgenössische Gegner wie Weggefährten (Andreas Gotzmann). Die prominente Rolle Geigers in den Reformstreitigkeiten 63 Vgl. Susannah Heschel, Der jüdische Jesus und das Christentum. Abraham Geigers Herausforderung an die christliche Theologie, übersetzt v. Christian Wiese (Berlin: Jüdische Verlagsanstalt, 2001); vgl. Susannah Heschel, „Revolt of the Colonized: Abraham Geiger’s Wissenschaft des Judentums as a Challenge to Christian Hegemony in the Academy“, New German Critique 77 (1999), 61–85.

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seiner Zeit wird durch die vergleichende Perspektive auf alternative Entwürfe wie jene Zacharias Frankels und die in dem Konflikt zwischen liberalem und „positiv-historischen“ Ansatz erkennbare „Vergegnung“ zweier einflussreicher Interpretationen von Sinn, Ausrichtung und Grenze wissenschaftlicher Erforschung der jüdischen Quellen, wie sie die Breslauer und die liberale Berliner Tradition der Wissenschaft des Judentums verkörperten (Andreas Brämer) deutlicher gefasst und mit Blick auf konkrete pädagogische und liturgische Reformprojekte wie die Jungen- und Mädchenkonfirmation und die Kontroversen über die Hamburger Gebetbuchreform in ihrer Komplexität sichtbar (Klaus Herrmann, David J. Fine). Beide Fallstudien erlauben eine detailliertere Analyse der Reformperspektiven Geigers sowie seiner konkreten Verhältnisbestimmung von theologischen Prinzipien und religiöser Praxis. Insbesondere hinsichtlich der Interpretation der Wirkungsgeschichte des Denkens Abraham Geigers in der amerikanischen Reformbewegung des späten neunzehnten Jahrhunderts legen die hier versammelten Beiträge die Grundlage für eine Neuinterpretation, die Jakob J. Petuchowskis klassische Deutung der Nachgeschichte der Reformideen Geigers und Samuel Holdheims in den beiden einander widerstreitenden Strömungen, für die einerseits der konservativere und auf Einheit bedachte Isaac M. Wise und andererseits radikale Reformer wie David Einhorn und Kaufmann Kohler stehen, wesentlich differenziert. Diese allzu schematische Sicht wird durch einen Vergleich von Geigers Konzept religiöser Diversität im Rahmen gemeindlicher Einheit im Vergleich zum Phänomen des American denominationalism einer kritischen Revision unterzogen (Adam S. Ferziger). Zugleich wird die Beziehungs- und Rezeptionsgeschichte Geigers im amerikanischen Kontext auf der Basis einer Fülle neuen Quellenmaterials aus zwei unterschiedlichen, jedoch komplementären Perspektiven neu geschrieben, so dass einerseits sein großer Einfluss auf die amerikanischen Reformer, aber auch das Zwiespältige und Konflikthafte in der Beziehung sichtbar werden (Walter Jacob, Christian Wiese). Ein weiterer Akzent liegt zudem auf dem vielfältigen wissenschaftlichen Werk Geigers selbst, das in den Stimmen zu seinem 100. Geburtstag eher allgemein gekennzeichnet und in späteren Arbeiten in Werküberblicken mehr oder weniger ausführlich erörtert wird. Ismar Elbogens Rede von 1910 führt neben der Begründung einer jüdischen Theologie unter den historischen Forschungen mehrere große Schwerpunkte auf, darunter die Schriften zur Bibelwissenschaft, den Bibelübersetzungen und zur talmudischen Literatur, die Rezeption der jüdischen Religionsphilosophie des Mittelalters, insbesondere der Schriften des Maimonides, die Wiederentdeckung der jüdischen Poesie

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in Spanien bei Jehuda Halevi und Salomo ibn Gabirol, die Sprachforschung und jüdische Bibelexegese des Mittelalters, etwa der nordfranzösischen Exegetenschule, die Karäerforschung und nicht zuletzt die Rekonstruktion der Epochen der jüdischen Geschichte.64 In dem 1910 von Geigers Sohn Ludwig publizierten Band Abraham Geiger. Leben und Lebenswerk haben namhafte Gelehrte wie Ismar Elbogen, Gottlieb Klein, Immanuel Löw, Felix Perles, Samuel Poznenski und Moritz Stern neben dem biografischen Teil lesenswerte Porträts dieser Forschungsleistungen verfasst. Der vorliegende Band konzentriert sich auf eine kritische Analyse des spannungsreichen Verhältnisses Geigers zur Philosophie des Maimonides, die von einem gewissen Desinteresse an den rationalistischen Grundlagen seiner Deutung des religiösen Rechts, aber auch von großer geistiger Affinität zeugt (George Y. Kohler), sowie auf die Interpretation der nicht weniger zwiespältigen Begegnung Geigers mit der jüdischen Geschichte des Mittelalters: Sie war vor allem bestimmt durch den eigentümlichen Gegensatz zwischen einer vielfach negativ akzentuierten, verallgemeinernden Sicht des mittelalterlichen und frühneuzeitlichen Judentums in den Reflexionen über Das Judenthum und seine Geschichte und sorgfältiger, überraschend breiter und tiefgreifender Forschung zu nahezu allen Genres jüdischer Literatur von Saadia Gaon bis Leon Modena und einer Fülle weniger bekannter Figuren des Mittelalters und der Frühen Neuzeit (Marc Saperstein). Geigers zwischen Polemik und Dialog angesiedeltes Unterfangen, die überragende kulturelle Bedeutung des Judentums in das Bewusstsein der europäischen Wissenschaft einzuschreiben, steht im Zentrum dreier weiterer Beiträge, die vor allem seine Interpretation der Bedeutung des pharisäisch-rabbinischen Judentums für die Entstehung und Geschichte des Islams und des Christentums in den Diskursen der Zeit kontextualisieren. Dabei wird in vergleichender Perspektive zum einen gezeigt, dass es jüdischen Gelehrten wie Abraham Geiger und Samuel Hirsch auf dem Wege der Beanspruchung Jesu von Nazareth als Teil des pharisäischen Judentums gelang, christlichen Überlegenheitsansprüchen die herausfordernde These der religiösen Originalität und Überlegenheit der jüdischen universalen „Mission“ in der Menschheitsgeschichte entgegenzuhalten und zugleich dem Christentum (wie dem Islam) eine positive heilsgeschichtliche Rolle zuzuschreiben – eine Strategie, die jedoch nicht ohne Fallstricke für das eigene Selbstverständnis blieb (Judith Frishman). Zum zweiten wird Geigers berühmte Preisschrift Was hat Mohammed aus dem Judenthume aufgenommen (1833) im Kontext der jüdischen Koranexegese des neunzehnten 64 „Rede des Dozenten Ismar Elbogen“ (wie Anm. 19), 58–61.

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Jahrhunderts analysiert und als Teil einer pionierhaften Funktion der Wissenschaft des Judentums bei der Entstehung der Islamwissenschaft in Deutschland dargestellt. Geigers innovative Lektüre des Koran, welche die rabbinische Literatur zum Schlüssel seiner Deutung machte, stand auch im Dienste der These des jüdischen Einflusses auf das Christentum, stellte jedoch vor allem einen dialogischen Ansatz dar, der den Islam als gleichwertigen Partner im Religionsgespräch des neunzehnten Jahrhunderts würdigte (Dirk Hartwig, Susannah Heschel). Dass Geiger und die Wissenschaft des Judentums insgesamt mit der Bemühung um die Etablierung einer jüdisch-theologischen Fakultät an einer preußischen Universität scheiterten, weist auf die engen Grenzen hin, die der Geigerschen Bildungsutopie seitens ihrer nichtjüdischen Umwelt gesetzt blieben (Carsten Wilke). Dass der Wissenschaft des Judentums, wie sie Abraham Geiger vorschwebte, auch im innerjüdischen Diskurs der Vorwurf der Irrelevanz für die eigene Zeit nicht erspart blieb, wenn auch erst Jahrzehnte nach seinem Tode, hängt insbesondere mit dem Aufkommen des Zionismus zusammen, dessen Vorstellung einer Renaissance des Judentums jener der auf Modernisierung und Universalisierung des Judentums im Sinne kultureller Integration in Europa ausgerichteten Ideen einer „Wiederbelebung“ seines religiöskulturellen Potentials diametral entgegenstanden – damit aber gerieten Abraham Geiger und andere bedeutende reformorientierte Forscher unter das Verdikt des Überholten, Toten, Liquidatorischen (Asher Biemann, Christoph Schulte). Diese Urteile, die es im Kontext der kontroversen Debatten über die Entstehung nationaljüdischer Ideen und Konzepte jüdischer Wissenschaft sowie angesichts der tiefen Desillusionierung hinsichtlich des emanzipatorischen Modernisierungsprojekts der jüdischen Minderheit in Europa zu verstehen gilt, sind selbst schon wieder ein Teil der Geschichte und Wirkungsgeschichte der Wissenschaft des Judentums Geigerscher Prägung geworden. Die Beiträge dieses Bandes sind leidenschaftsloser, weniger deklamatorisch, aus größerer intellektueller Distanz geschrieben, als es die Rezeption vor 100 Jahren oder auch Mitte des zwanzigsten Jahrhunderts gestatteten. Die historische Distanz lässt Geiger jedoch nicht als weniger interessant und bedeutsam erscheinen, im Gegenteil, der präzise Blick aus unterschiedlichen Perspektiven, den das vorliegende Buch ermöglicht, erweist ihn in der Tat als „einen der Giganten der jüdischen Geistesgeschichte“, als den ihn Jakob J. Petuchowski bezeichnet hat. Bleibt zu hoffen, dass das hier gezeichnete Bild – in seiner immer noch bestehenden Unvollständigkeit – Anregung zu weiterer Forschung bietet, damit auch die bisher nicht ausgemalten oder nur skizzenhaft angedeuteten Facetten hinzugefügt werden können.

Abraham Geiger – Der Mensch Michael A. Meyer Auch 200 Jahre nach seiner Geburt in Frankfurt am Main kann man den Einfluss des Rabbiners Abraham Geiger noch spüren. Als einer der schöpferischsten jüdischen Gelehrten des neunzehnten Jahrhunderts veröffentlichte er Bücher und Artikel, die auch heute noch gelesen werden, darunter besonders sein Hauptwerk Urschrift und Übersetzungen der Bibel in ihrer Abhängigkeit von der inneren Entwickelung des Judentums, das seit 1949 auch in hebräischer Übersetzung erhältlich ist. Die Ideen dieses bedeutendsten Ideologen der Reformbewegung des Judentums beeinflussen nach wie vor Rabbiner und Laien in der jüdischen Welt, auch wenn sie Geigers Werke selbst nie gelesen haben. Bücher und Artikel, die auf seine wissenschaftlichen Schriften eingehen, erscheinen auf Englisch und auf Deutsch.1 Eine der neuesten Studien konzentriert sich auf seine anhaltende Polemik mit christlichen Gelehrten darüber, wie jüdisch Jesus war, eine andere erklärt ihn zum Leitbild für die zeitgenössische Suche nach persönlicher Bedeutung und religiöser Autorität. Ich selbst habe mehr als einmal über Geiger geschrieben und versucht, seine Historisierung des Judentums zu verstehen und nachzuvollziehen, wie es ihm gelang, Universalismus mit einem Bewusstsein jüdischer Einigkeit zu verbinden.2 In diesem 1

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Vgl. Susannah Heschel, Abraham Geiger and the Jewish Jesus (Chicago: University of Chicago Press, 1998), auch in deutscher Übersetzung von Christian Wiese als Der jüdische Jesus und das Christentum (Berlin: Jüdische Verlagsanstalt, 2001); Ken Koltun-Fromm, Abraham Geiger’s Liberal Judaism: Personal Meaning and Religious Authority (Bloomington und Indianapolis, IN: Indiana University Press, 2006); und die kurze zweisprachige Biografie von Hartmut Bomhoff, Abraham Geiger: Durch Wissen zum Glauben [Jüdische Miniaturen, 45] (Berlin: Hentrich & Hentrich, 2006). Aus Anlass von Geigers 100. Todestag 1974 veranstaltete das Hebrew Union College-Jewish Institute of Religion zu seiner Erinnerung ein Symposium, welches veröffentlicht wurde als Jakob J. Petuchowski (Hrsg.), New Perspectives on Abraham Geiger: An HUC-JIR Symposium (Cincinnati: Hebrew Union College Press, 1975). Michael A. Meyer, „Jewish Religious Reform and Wissenschaft des Judentums: The Positions of Zunz, Geiger and Frankel“, LBIYB 16 (1971), 19–41; „Abraham Gei-

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Abraham Geiger – Der Mensch

Artikel möchte ich dagegen nicht näher auf einen bestimmten Aspekt von Geigers Gedankengut oder wissenschaftlicher Tätigkeit eingehen. Stattdessen möchte ich mich, besonders unter Berücksichtigung seiner Privatkorrespondenz, dem Menschen Geiger widmen, der Persönlichkeit hinter den Ideen, den inneren Konflikten und dem Einfluss eines turbulenten Geisteslebens auf die Entwicklung seiner Ideen. Sollte es mir gelingen, dem Porträt des großen Gelehrten und Rabbiners eine menschliche Dimension zu verleihen, so denke ich, habe ich mein Ziel erreicht. Man sagt von Abraham Geiger, er sei ein ilui gewesen, ein Wunderkind. Er kam am 24. Mai 1810 in einem traditionellen jüdischen Haushalt zur Welt. Der einzige Unterricht, den er erhielt, wurde von seinem Vater gegeben und beschäftigte sich ausschließlich mit den heiligen Schriften des Judentums. Im Alter von drei Jahren begann Geiger seine Bibelstudien, mit vier die der Mischna und mit acht die der Gemara. Erst als er fast zwölf war, fing er mit allgemeinen Studien an, und er erkannte sehr bald die Widersprüche zwischen den beiden Arten von Wissen. Die Kluft zwischen dem jüdischen und dem säkularen Bereich wurde noch offensichtlicher, als Geiger zum Studium an die Universitäten Heidelberg und Bonn ging. Das Universitätsstudium hätte Geiger ganz und gar dem Judentum entfremden können, so wie es anderen jungen Juden erging, die, weil sie das Jüdischsein nicht mit dem starken Wunsch in Einklang bringen konnten, zur modernen Kultur zu gehören, entweder gleichgültig gegenüber ihrer Herkunft wurden oder sie gänzlich zugunsten des Christentums hinter sich ließen. Soweit wir wissen, zog Geiger keine dieser Möglichkeiten jemals ernsthaft in Betracht. Sich jedoch weiter in dem traditionellen Judentum zu bewegen, wie es in seiner Zeit existierte und von seiner Familie praktiziert wurde, stellte für ihn auch keine Alternative dar. Stattdessen blieb er seiner jüdischen Identität verbunden, auch während er danach strebte, sie so umzugestalten, dass sie nicht länger mit kritischem Denken und moderner ästhetischer Vernunft im Widerspruch stünde. Das Judentum, sein Ausgangspunkt, wurde zu seinem Lebenszweck. Er entschied sich für den Beruf eines jüdischen Theologen, wie man es damals nannte, was praktisch bedeutete, Rabbiner einer jüdischen Gemeinde zu werden. Geigers Universitätsstudien waren besonders von dem Kulturhistoriker und Literaturwissenschaftler Johann Gottfried Herder beeinflusst ger’s Historical Judaism“, in Petuchowski (Hrsg.), New Perspectives on Abraham Geiger (wie Anm. 1), 3–16; „Universalism and Jewish Unity in the Thought of Abraham Geiger“, in Jacob Katz (Hrsg.), The Role of Religion in Modern Jewish History (Cambridge, MA: Association for Jewish Studies, 1975), 91–107.

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worden. Folglich sah er nun das Judentum als historische Einheit an, die sich, wie alle historischen Entitäten, im Laufe der Zeit entwickelt habe. Ihre Bräuche und Traditionen hätten durch die lange und mannigfaltige Geschichte der Juden hindurch Gestalt angenommen. Da sich das Judentum in vergangenen Zeiten verändert habe, werde es sich selbst nicht untreu werden, wenn es auch in der Gegenwart einen Wandel durchmachte, insbesondere wenn diese Veränderungen in der modernen Zeit überlebensnotwendig seien. Allerdings hatten die Mitglieder der jüdischen Gemeinde in Wiesbaden, wo Geiger, erst 22 Jahre alt, von 1832 bis 1838 tätig war, nicht wie er die Universität besucht. Für sie war das Judentum unveränderbar. Ihrer Auffassung nach, so beschrieb es Geiger einmal, lebte es in einer „ewigen Gegenwart“. Es gab wenige, wenn überhaupt welche, unter diesen „echte[n] Landleute[n]“, wie Geiger die Wiesbadener Juden beschrieb, die nachempfinden konnten, wie schmerzhaft es ihn frustrierte, wenn er jüdische Identität mit einem uneingeschränkten wissenschaftlichen Streben nach Wahrheit zu vereinbaren suchte. Während der Wiesbadener Jahre korrespondierte Geiger regelmäßig mit einem engen Freund aus Universitätstagen, dem späteren Professor für rabbinische Literatur an der École des Hautes Études in Paris, Joseph Dérenbourg. In seinen Briefen, die manchmal in den späten Abendstunden verfasst wurden, teilte Geiger sowohl seine Verzweiflung als auch seine Hoffnungen mit Dérenbourg. Er schrieb ihm von seinen erfolglosen Versuchen, das Judentum, das seiner Ansicht nach dringend einer Reform bedurfte, mit einem kritischen Geist, der nicht abgewiesen werden konnte, in Einklang zu bringen. Geigers Sohn Ludwig nannte diese Lebensjahre seines Vaters sehr zutreffend seine Sturm und Drang-Zeit. In manchen seiner Briefe scheint es, als habe der junge Rabbiner die Hoffnung, eine Reform des Judentums hervorzurufen, fast aufgegeben: „Ich glaube nun, daß das Judenthum jetzt in einem solchen krankhaften Zustande sich befindet, so wie es allen eine lange Zeit abgeschlossenen und dem Einflusse des allgemeinen Fortschrittes unzugänglichen einzelnen Gemeinschaften geht, besonders, wenn man noch dazu nimmt, daß die kirchliche Judengesellschaft ein durchaus aus fremden Landen mitgebrachtes fremdartiges Religionssystem überall zu bewahren gesucht hat.“3 In seinem derzeitigen Zustand, so war Geiger überzeugt, würde das Judentum nicht überleben können. Da das Judentum nun als Minderheit innerhalb der Gesellschaft lebte, ohne von den 3

Ludwig Geiger (Hrsg.), „Abraham Geigers Briefe an J. Dérenbourg (1833–42)“ [= Briefe], Allgemeine Zeitung des Judentums [= AZJ] 60 (1896), Nr. 6–12, 14, 16, 18, 20, 22, 24, 27, 20, 31f., hier Nr. 9, 103f.

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aktuellen Entwicklungen ausgeschlossen zu sein, und da es deshalb starkem Assimilationsdruck ausgesetzt war, bedürfe es einer inneren Stärke, die die Religion der Mehrheit, das Christentum, nicht erfordere. Diese innere Stärke aber sei auf ein Bekenntnis zu Idealen angewiesen, nicht bloß auf die Einhaltung ererbter Rituale. Geiger war hin- und hergerissen: Zeitweise war er überzeugt, ein allmählicher Reformprozess sei die Lösung, dann wieder tendierte er zu einem schärferen Bruch mit der Vergangenheit, den er Revolution oder Umsturz nannte. Er war überzeugt, dass „nur auf den Trümmern der Gegenwart ein Neues erbaut werden kann“.4 Außerdem neigte er manchmal dazu, für ein Schisma zu plädieren, das die modernen Juden von den Traditionalisten getrennt hätte. Bisweilen jedoch, und besonders später in seinem Berufsleben, zog er die Reform innerhalb einer vereinigten jüdischen Gemeinde vor. Zu dieser Zeit in seinem Leben sah Geiger das protestantische Christentum und besonders seinen wissenschaftlichen Kritiker, David Friedrich Strauss, als ein Vorbild für die Modernisierung des Judentums an. Die Erkenntnis, dass das Christentum begonnen hatte, den Bruch mit der historischen Kritik zu bewältigen, dass es sich vorwärts bewegte „im gleichen Schritt mit der Wissenschaft“, während das Judentum diese Herausforderung ignorierte, machte Geiger Angst, seine eigene Religion könnte zurückgelassen werden wie ein vom lebendigen Strom getrenntes Stauwasser und deshalb zur Stagnation verurteilt sein.5 Trotz der kulturellen und intellektuellen Kluft, die Geiger von der Wiesbadener jüdischen Gemeinde trennte, wussten die Gemeindemitglieder ihren jungen Rabbiner zu schätzen, denn Geiger war stets darauf bedacht, sie nicht zu befremden und neue Ideen mit vertrauten Texten in Verbindung zu setzen. Zuerst sagten sie über ihn: „Schade, daß er nicht frumm ist“, später jedoch: „Es ist nur unbegreiflich, daß er nicht frumm ist.“6 Die einzige liturgische Reform, die er in Wiesbaden anscheinend durchführte, war die Auslassung des Aw harachamimGebetes, das nach den Massakern an den Juden während der Kreuzzüge geschaffen worden war und Bibelstellen zitierte, die Gott um Rache an den Feinden der Juden anriefen.7 Obwohl er sich manchmal wünschte, sich ausschließlich der Wissenschaft widmen zu können, bescherte ihm seine Rabbinerrolle große Befriedigung. „Ich fühle wahrlich alle Freuden einer praktischen Stellung“, so schrieb er, „die verständige Frage 4 5 6 7

Briefe (wie Anm. 3), 164, 214, 236. Briefe (wie Anm. 3), 165f. Briefe (wie Anm. 3), 189. Dieses Gebet war bereits früher eliminiert worden, anscheinend zum ersten Mal von der „Neuen Kehille“ in Amsterdam am Ende des achtzehnten Jahrhunderts.

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eines Kindes, ein heilsamer Krankenbesuch, eine wirksame Ermahnung, ein eindringender und seinen Eindruck bewährender Vortrag, kurz, die vielen Einzelheiten, welche sich dabei herausstellen, haben einen großen Werth für mich […].“8 Aber Geiger stellte sich seinen Lebenszweck größer vor, als einer kleinen jüdischen Gemeinde zu dienen. Im Jahre 1835 gründete er ein literarisches Forum, die Wissenschaftliche Zeitschrift für jüdische Theologie, für die er sowohl als Redakteur fungierte als auch die meisten Beiträge schrieb. Auf ihren Seiten verband er wissenschaftlich-kritische Forschung mit Entwürfen eines Programms für ein geistig wiederbelebtes universalistisches Judentum, das sich auf den Glauben an Gott und auf Moralität konzentrierte und Form nur als Mittel zum geistigen Zweck ansah. Und im Jahre 1837, im Alter von 27, rief er ungefähr ein Dutzend seiner Kollegen zu einem Treffen in Wiesbaden zusammen, das, obwohl es wenig Auswirkungen hatte, das erste Mal war, dass Rabbiner, die einer Reform des Judentums zugeneigt waren, ein Gefühl gemeinsamen Strebens entwickeln konnten. Noch während seines Dienstes in seiner ersten Gemeinde legte Geiger seine grundsätzliche Einstellung zur jüdischen Tradition fest. Im Gegensatz zu manchen seiner Kollegen lehnte er einen Rationalismus ab, der zeitgenössische Ideen in die Begründungsschriften des Judentums hineinlesen wollte.9 Stattdessen strebte er danach, die Bibel und den Talmud als Produkte ihrer eigenen Zeit zu verstehen, die innerhalb ihres eigenen historischen Kontexts erfasst werden müssten. Sie enthielten zwar keine ewig gültige göttliche Wahrheit, besäßen jedoch Wahrheit für die Zeit, in der sie verfasst wurden. Ihre Autorität sei historisch relativ, nicht absolut oder ewig. In einem seiner bemerkenswertesten Briefe an Dérenbourg schrieb Geiger: „Eines ist es, das den Grundgedanken hergiebt, Nachweisung, wie Alles was sich vorfindet ein Gewordenes ist und keine bindende Kraft habe.“10 Historische Kritik diene als Werkzeug für den notwendigen Prozess der Zerstörung, die einem Wiederaufbau vorausgehen müsse. „Der Talmud muß weg, die Bibel, jener Komplex von meistens so schönen und erhabenen, vielleicht den erhabensten menschlichen Büchern, muß als Göttliches weg.“11 Es sei Heuchelei, wenn ein Rabbiner Kindern mythische Bibelgeschichten erzähle, als seien diese tatsächlich passiert. Allerdings lehnte Geiger 8 Briefe (wie Anm. 3), 237. 9 Wissenschaftliche Zeitschrift für jüdische Theologie [= WZJT] 3 (1837), 296. 10 Briefe (wie Anm. 3), 165. Hervorhebungen hier und im Folgenden stammen von Geiger. 11 Ebd.

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nicht jeden Text aus der jüdischen Vergangenheit grundsätzlich ab, stattdessen maß er jedem eine relative Autorität bei. Außerdem entdeckte er innerhalb dieser Texte eine Antwort auf veränderte Umstände und fortgeschrittenere ethische Ansichten. Anders als manche Denker der jüdischen Aufklärung ließ er den Talmud und spätere jüdische Literatur nicht zugunsten eines Judentums hinter sich, das sich ausschließlich auf die Bibel konzentrierte, weil sie eine Quelle war, die Christen mit Juden teilten. Stattdessen führte er das heftig umstrittene Argument an, die talmudischen Rabbiner hätten die Bibel manchmal absichtlich missverstanden, und zwar deshalb, um die biblischen Schriften für ihre Zeitgenossen relevant zu machen. Geiger verstand das Judentum demnach als eine Religion, die von uralter Zeit an einen Entwicklungsprozess durchgemacht, neue Elemente integriert und einige alte fallengelassen habe. Tatsächlich sei es diese Tradition der Offenheit gegenüber historischen Veränderungen und moralischem Fortschritt, die den Juden nun das Recht gebe, weitere Veränderungen zu fördern. Auf diese Weise sollte eine Tradition fortgeschrieben werden, die erst in neuerer Zeit Umgestaltungen rigide und unnachgiebig gegenüberstanden habe. Wenn nun aber die überlieferten Texte nur relative Autorität besaßen, wo war dann die Quelle der absoluten Autorität, die die Religion fordert? Geiger kritisierte seinen einstigen Freund aus Studententagen an der Universität Bonn, Rabbi Samson Raphael Hirsch, für dessen „Hundegehorsam“, seinen bedingunglosen Gehorsam gegenüber Text und Tradition, die seiner Meinung nach das offenbarte und deshalb absolut bindende Wort Gottes repräsentierten. Wenn nicht unmittelbar, so doch sicher indirekt von Immanuel Kant beeinflusst, plädierte Geiger für eine andere Art von Gehorsam. „Unter Gehorsam gegen Gott“, schrieb er in seiner Wissenschaftlichen Zeitschrift, „haben wir daher im Allgemeinen zu verstehn: den Gehorsam gegen das Göttliche in uns, gegen das von ihm uns gegebene sittliche Bewußtsein, dann die Ergebung in seinen Willen, wie er sich in unserm Schicksale ausspricht; undenkbar ist es hingegen für uns, daß Gott uns Dinge gebieten sollte, in welchen wir blos aus einem blinden Gehorsame gegen ihn uns seinem Willen zu unterwerfen haben.“12 Diese Einstellung sollte nicht als Gehorsam gegen sich selbst verstanden werden, sondern als Gehorsam gegen den Gott in sich, das göttliche Moralgesetz, von dem Kant geschrieben hatte. Geigers Ansicht nach besaßen die Zeremonien des Judentums keine solche intrinsische Autorität. Das bedeutete aber nicht, dass er sie als wertlos abgelehnt hätte. Sie wurden stattdessen Mittel zum Zweck für 12 Abraham Geiger, „Der Formglaube in seinem Unwerthe und in seinen Folgen“, WZJT 4 (1839), 1–12, hier 9f.

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die „Belebung unseres religiös-sittlichen Gefühles“.13 Nur die Zeremonien, die nicht mehr einem religiösen und moralischen Zweck dienten und deren Beachtung Selbstzweck geworden war, sollten ausrangiert werden. Solche, die zur religiösen Erhebung beitrügen, sollten als das Geistesleben stimulierend beibehalten werden. Eine von Formgläubigkeit belastete Religion, so glaubte Geiger, entbehrte der Poesie und zerstörte Spontaneität. Einer Religion ohne bedeutungsvolle Rituale und Zeremonien mangelte es hingegen an der notwendigen Konkretion ihrer Ausdrucksformen. Da er die Autorität des jüdischen Religionsgesetzes einschränkte, indem er ihren menschlichen Ursprung und ihre andauernde Entwicklung erklärte, konnte Geiger nicht behaupten, das gegenwärtige Judentum sei dasselbe, welches vom Berg Sinai von Moses, den Propheten, dem Talmud und vielen Generationen von Rabbinern verkündet worden war. Diese Aberkennung barg natürlich auch eine gewisse Gefahr: sein eigenes Religionsverständnis konnte wie eine Erfindung moderner Zeit erscheinen. Geiger musste es deshalb auf andere Weise als durch das offenbarte Gesetz mit der Vergangenheit verknüpfen. Eine Antwort fand er in der zu seiner Zeit weit verbreiteten Vorstellung des Geistes. Seine Verbindung zur jüdischen Vergangenheit ergab sich aus der „Teilnahme an dem ererbten geistigen Gute“. Dieses Konzept erlaubte außerdem eine Anknüpfung an seine Vorfahren, die nicht etwa als passive Sprachrohre Gottes der ewigen verbalen Offenbarung dienten, sondern „lebendige Inhaber des sittlich-religiösen und wissenschaftlichen Geistes in seiner geschichtlichen Stufe“ waren.14 Nicht das jüdische Gesetz, sondern der Geist des Judentums, wie er sich besonders in den Schriften der Propheten darstellte, bildete Geiger zufolge die Brücke zur Vergangenheit. Obwohl er diese Idee erst später im Leben entwickelte, ist sie zumindest implizit bereits in seinen frühen Schriften enthalten. Das jüdische Volk, so schrieb er später, besitze einen einzigartigen Geist oder Genius, durch den es sich von anderen Völkern unterscheide und für die göttliche Offenbarung empfänglich geworden sei. Diese bestehe aber nicht aus Worten, sondern müsse als das „Hineinleuchten der alles erfüllenden Kraft in die einzelnen Geister“ verstanden werden.15 Diese Offenbarung, glaubte Geiger, deren Inhalt die Existenz eines Gottes und Gottes Moralgesetz waren, könne nicht das Produkt menschlicher Kreativität allein gewesen sein. Erst eine solche göttliche Inspiration 13 Ebd., 10. 14 Abraham Geiger, „Die Aufgabe der Gegenwart“, WZJT 5 (1844), 1–35, hier 22. 15 Abraham Geiger, Das Judenthum und seine Geschichte. In vierunddreißig Vorlesungen (Breslau: Wilhelm Jacobsohn & Co, 1910), 28–37.

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habe die außerordentliche Schaffung der Bibel und der späteren religiösen Literatur ermöglicht. In einem Brief an Dérenbourg aus dem Jahre 1836, als er noch in Wiesbaden war und einen Augenblick des Optimismus erlebte, konnte Geiger seinen Glauben in folgenden Worten zusammenfassen: „Seit einiger Zeit, mein Lieber, habe ich ein Judenthum, das mich befriedigt, einen Glauben, dessen Grundlagen das Vertrauen auf einen Weltenlenker und die an uns gestellte Anforderung der Gerechtigkeit und Milde ist, der sich in Werken, die diesem Anspruche genügen, ausspricht und mit erhebenden Formen zur Erweckung dieser Gesinnungen umgiebt; dies ist mir sicher Geist des Judenthums, der aber schon in der Bibel, wenigsten im Pentateuch, nicht klar genug hervortritt.“16 Nach ein paar Jahren in Wiesbaden sehnte sich Geiger aufgrund seiner umfassenden Ambitionen nach einer größeren jüdischen Gemeinde, in der er größeren Einfluss ausüben konnte. Deshalb nahm er nur zu gerne eine Stelle in Breslau an, die ihm 1838 angeboten wurde. Nach langwierigen Bemühungen um die erforderliche Einbürgerung in Preußen und gegen den Widerstand der orthodoxen Gemeindeglieder gelang es Geiger, der Rabbiner der liberalen Fraktion dieser großen, einflussreichen jüdischen Gemeinde zu werden. Und endlich, nach sieben Jahren Verlobungszeit, konnte er nun auch seine geliebte Emilie Oppenheim heiraten, die er in Bonn kennengelernt hatte. Nun konnte er an Dérenbourg schreiben: „Gottlob, ich bin gesund, glücklich in meiner Stellung, glücklich mit meiner Emilie […].“17 Noch in Wiesbaden hatte Geiger einen Artikel für seine Wissenschaftliche Zeitschrift geschrieben, der den Titel trug: „Die Stellung des weiblichen Geschlechtes in dem Judenthume unserer Zeit.“18 Hier argumentierte er, dass der Talmud mit Blick auf die Stellung der Frau zwar einen klaren Fortschritt gegenüber der Bibel zeigte, jedoch noch weit von zeitgenössischen Maßstäben entfernt war. Auch wenn Geiger – im Gegensatz zu seinem Kollegen Rabbi Samuel Holdheim – kein ausgesprochener Feminist war und wie die meisten Männer seiner Zeit glaubte, die Naturgesetze sähen für Frauen notwendigerweise eine andere Rolle vor als für Männer, so vertrat er doch die Ansicht, der derzeitige religiöse Status von Frauen im Judentum stelle eine Beleidigung ihrer Würde dar. In Wiesbaden hatte er bereits die Rezitation der Passagen aus dem Gottesdienst entfernt, in denen Männer Gott danken, dass er sie nicht zu Frauen gemacht habe. 16 Briefe (wie Anm. 3), 115. 17 Briefe (wie Anm. 3), 259. 18 Abraham Geiger, „Die Stellung des weiblichen Geschlechtes in dem Judenthume unserer Zeit“, WZJT 3 (1837), 1–14.

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In der Folge drängte Geiger darauf, die Hochzeitszeremonien zu ändern, so dass der Bräutigam die Braut nicht wie ein Besitztum erlangte. Obwohl Geiger seine eigene Braut Emilie manchmal eher wie ein unmündiges Kind als wie eine Ebenbürtige behandelte, war er ihr doch innigst zugetan und schrieb von ihrem „liebenden Zusammenleben“. Sie wurde Mutter vierer Kinder, und als sie 1860 nach nur 20 Jahren Ehe starb, war Geiger untröstlich: Mein Haus ist und bleibt verödet. […] Die Liebe hatte ihr zum Verständnisse für all mein Wollen und Thun das Auge und den Geist geschärft und sie nahm daran so herzlichen Antheil; sie war so recht die Rabbinerin der Gemeinde und was der Mann so mühsam sich erkämpfen mußte, es ward ihr mit solcher Freude entgegengebracht […]. Daß sie so freundlich herniederblickt, wie ich sie immer vor mir sehe, und nicht einmal diese Freude an unserer Seite ausdrücken kann, ach, lieber Freund, das thut wehe, sehr wehe!19

Die mehr als 20 Jahre, die Geiger in Breslau verbrachte, waren zum größten Teil von produktiven, zufriedenstellenden Tätigkeiten erfüllt. Er vernachlässigte seine wissenschaftliche Arbeit nicht, obwohl er in der Gemeinde von 7000 Seelen außerordentlich viel zu tun hatte: drei Male hintereinander Predigt, blos mit Pause am vierten Sabbathe, Trauungen in großer Anzahl jedesmal mit einer Traurede – im Laufe dieses ersten halben Jahres 1846 waren deren 20 –, Leichenreden; regelmäßig zehn Stunden, augenblicklich noch mehr, Religionsunterricht mit der vollen Aufsicht über eine von 300 Kindern besuchte Religionsschule u. s. w., ist eine Aufgabe, die Zeit und Mühe hinlänglich in Anspruch nimmt, aber auch eine lohnende.20

Geiger kam zur Zeit der berüchtigten Damaskusaffäre des Jahres 1840 nach Breslau. Man hat oft von ihm gesagt, er habe sich nicht sehr besorgt um die Juden gezeigt, die damals in Syrien litten. Es ist sicher wahr, dass er sein Leben lang glaubte, es sei „ein geistiges Band“, das Israel verknüpfe. Dennoch muss man seine Haltung den Juden von Damaskus gegenüber in dreifacher Hinsicht qualifizieren. Erstens glaubte Geiger, dass die Juden als menschliche Wesen Unterstützung verdienten. Zweitens benutzte er seinen Einfluss, um die Verbesserung der Ausbildungsmöglichkeiten der Juden im Orient zu unterstützen, und spielte eine zentrale Rolle besonders dabei, Geld von der jüdischen Gemeinde Schlesiens für den Bau jüdischer Schulen in Ägypten zu sammeln.21 Und 19 Briefe (wie Anm. 3), 381. 20 Briefe (wie Anm. 3), 370. 21 Briefe (wie Anm. 3), 346.

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drittens veränderte sich seine Einstellung zur Frage der jüdischen Solidarität im Laufe seines Lebens. In einer seiner wenigen Predigten, die erhalten geblieben sind – Geiger schrieb nämlich seine Predigten selten auf – sprach er 1869 folgende Worte: „So war [Israel] stets ein Ganzes, eine Einheit und blieb es auch in unseren Tagen. Wenn der Hülferuf ertönt von weiter Ferne her, da verklingt er nicht in den entlegenen Ländern, da beeilte sich ein Jeglicher – und war er noch so entfernt – die Bruderhand entgegenzureichen, das warme Herz war auf dem weiten Wege nicht erkaltet und nicht erstorben. Wir sind eins, wir gehören zusammen.“22 Ein Jahr zuvor hatte Geiger den Vorstand der jüdischen Gemeinde in Berlin dazu gedrängt, Bismarck aufzufordern, sich für die gefährdeten Juden Rumäniens einzusetzen. So sehr ihm die Ausübung seiner verschiedenen rabbinischen Pflichten in Breslau auch Befriedigung verschaffte, so gewiss fühlte sich Geiger im Grunde genommen eher zu wissenschaftlicher Arbeit und Lehrtätigkeit hingezogen als zu praktischer Arbeit. Wäre eine Universität in Deutschland bereit gewesen, einen Juden für Judaistik einzustellen, so hätte sich Geiger zweifelsohne begeistert auf diese Stelle beworben. Er war der Ansicht, dass die rabbinische Ausbildung am besten innerhalb des Universitätswesens ausgeführt werden könne. Noch während seiner Zeit in Wiesbaden hatte er einen Artikel in seiner Wissenschaftlichen Zeitschrift veröffentlicht, die den Titel trug: „Die Gründung einer jüdisch-theologischen Facultät, ein dringendes Bedürfniß unserer Zeit“.23 Manche seiner Kollegen waren derselben Ansicht, und es fanden Versuche statt, das nötige Geld für eine derartige Fakultät aufzubringen. Der deutsche politische und akademische Betrieb war jedoch unumstößlich gegen eine solche Einrichtung eingestellt. Geiger war darüber enttäuscht, aber bereit, faute de mieux, die einzig gangbare Alternative zu akzeptieren, nämlich ein Rabbinerseminar, dessen Studenten gleichzeitig auf einen Doktortitel an einer deutschen Universität hinarbeiteten. Als eines der wohlhabenden Mitglieder der jüdischen Gemeinde Breslau, Kommerzienrat Jonas Fränckel, ein Bewunderer des liberalen Rabbiners, nach seinem Tod Geld zu eben diesem Zwecke hinterließ, hoffte Geiger zu Recht, die Verwalter von Fränckels Erbe würden ihn dazu auswählen, das Seminar zu leiten. Doch die Nachlassverwalter wählten stattdessen den konservativeren und deshalb weither akzeptableren Rabbi Zacharias Frankel und versetzten Geiger damit 22 Abraham Geiger, Nachgelassene Schriften, hrsg. von Ludwig Geiger, Bd. 1 (Berlin: Louis Gerschel, 1875), 442f. 23 Abraham Geiger, „Die Gründung einer jüdisch-theologischen Facultät, ein dringendes Bedürfniß unserer Zeit“, WZJT 2 (1836), 1–21.

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einen heftigen Schlag. Durch die Einrichtung des Jüdisch-Theologischen Seminars in seiner Stadt im Jahre 1854 und seinen Ausschluss vom Lehrpersonal wurde Geiger zum Außenseiter im institutionellen Zentrum jüdischer Studien in seiner eigenen Gemeinde. Diese schwere Enttäuschung und die Einsamkeit nach dem Tod seiner Frau ein paar Jahre später führten dazu, dass der Witwer 1863 Breslau verließ und zurück nach Hause nach Frankfurt ging, wo noch Familie von ihm lebte. Hier setzte er seine wissenschaftliche Arbeit fort, seinen „niemals aufgegebene[n] vertraute[n] Umgang mit meiner ersten und meiner letzten Freundin, der Wissenschaft. […] So oft wie möglich“, schrieb er, „ziehe ich mich in die Wissenschaft zurück, und da schwelge ich.“24 Er war nun der Herausgeber der Jüdischen Zeitschrift für Wissenschaft und Leben, eines neuen Forums für seine wissenschaftliche Arbeit ebenso wie für seine Kommentare zu zeitgenössischen jüdischen Angelegenheiten. Es war jedoch die rapide wachsende jüdische Gemeinde in Berlin, nicht Frankfurt, die zum Zentrum jüdischen Lebens in Deutschland geworden war, und Geiger fühlte sich von ihr angezogen. Zudem sollte in der preußischen Hauptstadt in Kürze ein liberales jüdisches Seminar eröffnet werden, an dem Geiger endlich auf Universitätsniveau unterrichten konnte. Also zog er 1870 noch ein letztes Mal um und verbrachte dann die wenigen verbleibenden Jahre seines Lebens als Gemeinderabbiner und Seminarprofessor an der neu gegründeten Hochschule für die Wissenschaft des Judentums. Seit seinem Umzug nach Berlin im Jahre 1870 lebte Geiger – nach der Unterbrechung durch die Frankfurter Zeit – wieder in Preußen und genoss die deutsche Einheit, die Bismarck errungen hatte. Geiger war kein politisch Radikaler. Im Gegensatz zu Leopold Zunz war er nicht in die Revolution von 1848 involviert. Er war jedoch auch kein fanatischer deutscher Nationalist. „Ich bin voll ein Deutscher, doch mehr ein Mensch“, schrieb er 1870 seinem Freund, dem Mathematiker Moritz Abraham Stern. Obwohl er Preußens Mission innerhalb Deutschlands für providentiell hielt, verwarf er Bismarcks Blut- und Eisentheorie als „fluchwürdig“. Mannhaftigkeit, so erklärte er, könne nicht „in der Wehrtüchtigkeit, sondern in der Charakterfestigkeit“ gefunden werden.25 Genauso wie Geiger danach strebte, die Enge des Judentums zu überwinden, und sich mehr um die Zukunft der Menschheit kümmerte, so verabscheute er auch die Selbstsucht von Preußens Ambitionen. 24 Briefe (wie Anm. 3), 370. 25 Brief an M. A. Stern vom 26. August 1870, in Abraham Geiger, Nachgelassene Schriften, hrsg. von Ludwig Geiger, Bd. 5 (Breslau: Louis Gerschel, 1885), 329–331, hier 329f.

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Die Zukunft, die für Geiger ein entscheidender Schwerpunkt aller Religion und besonders für das Judentum war, sollte sowohl von maßlosem religiösem Partikularismus als auch von chauvinistischer politischer Ideologie frei sein. In diesen späten Lebensjahren veränderte sich Geigers Einstellung zum Christentum grundlegend. Während er früher geglaubt hatte, dass es an der Spitze des menschlichen Fortschritts stünde, und es um seine Anpassungsfähigkeit an die Moderne beneidete, sah er nun in der zweiten Hälfte des Jahrhunderts, dass das Christentum den menschlichen Fortschritt bremste. Da sowohl Protestanten als auch Katholiken sich nun religiöser und politischer Reaktion zuwandten und das Judentum ohne Unterlass verunglimpften, wurde Geiger ihr heftiger Kritiker. Das Judentum und nicht das Christentum, so behauptete er nun voller Überzeugung, repräsentiere die Zukunft aller Religion. Unter den Religionen in Deutschland sei es die einzige, die sich im Denken und Handeln mit den fortschrittlichen Kräften verbündete. Es war jedoch schwierig, seine Glaubensgenossen von dieser Behauptung zu überzeugen. Der Druck zur Assimilation trieb viele Juden dazu, die jüdischen Gemeinden zu verlassen, um die Last zu vermeiden, die mit dem Jüdischsein in Deutschland einherging. In einer von Geigers interessantesten Schriften mit dem Titel Ueber den Austritt aus dem Judenthume: Ein aufgefundener Briefwechsel versuchte er einen Juden, der den Übertritt zum Christentum in Betracht zog, davon zu überzeugen, dem Glauben seiner Vorfahren treu zu bleiben. Geiger betonte, das Christentum und das Judentum seien nicht völlig gleich. Wenn sich sein Briefpartner aus führenden Kreisen ausgeschlossen fühle, weil er Jude sei, solle er lieber gegen die Ungerechtigkeit dieser Diskriminierung ankämpfen als sich ihr ergeben. „Ist es nicht ein edler Gedanke, den Resten eines ungerechten und kränkenden Vorurtheils die Spitze zu bieten […]?“26 Deutlich verweist er auf den reinen Gottesbegriff und diejenigen Zeremonialgesetze, die Geist und Gemüt erheben. Hatte Geiger früher die Überlebensfähigkeit des Judentums im modernen Zeitalter bezweifelt, so erklärte er nun in einem privaten Brief aus dem Jahre 1872 auf nachdrücklichste Weise seinen Glauben an die Zukunft des Judentums: Das Judenthum […] ist nicht ein zeitlich Vorübergehendes, es ist ein menschliches Urgut, das innerhalb eines dazu besonders befähigten Stammes zu seinem vollen Werthe gelangte, die Dauerkraft in sich trägt und 26 Ueber den Austritt aus dem Judenthume: Ein aufgefundener Briefwechsel (Leipzig: Wigand, 1858), 30. Dieser Text wurde als von so ausreichend anhaltender Relevanz angesehen, dass er 1924 vom Philo-Verlag nachgedruckt wurde.

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seine Ausbreitung über die gesammte Menschheit anstreben muss. Das Judenthum hat eine grosse dreitausendjährige Geistesgeschichte, in der die edelsten Lebensfrüchte gereift sind, eine Geschichte, von deren Ernte immer neue Nahrung ausgeht und ausgehen soll. Ob und was einstige grosse Geschichtsumwälzungen bringen können, darüber wollen wir wohl nicht voreilig abschliessen, aber bis dahin werden wir den Namen „Juden“, den vielgeschmähten, an den aber doch die reinste Gotteserkenntniss, die edelste Geistesfreiheit und Sittenreinheit sich knüpft, nicht aufgeben.27

Diese entschlossene Aussage über das Überleben des Judentums wurde jedoch durch eine neue Ambivalenz und eine neue Einsamkeit eingeschränkt. War sich Geiger in jüngeren Jahren unsicher gewesen, was das Überleben des Judentums in einer Moderne betraf, mit der er sich identifizierte und in die er große Hoffnung setzte, so hatte nun diese Moderne dem Idealismus den Rücken zugekehrt. Wieder einmal fühlte sich Geiger allein, nicht so sehr innerhalb des Judentums als innerhalb einer Kultur, die produktive Kritik und geistige Auseinandersetzungen hinter sich gelassen hatte. Er quälte sich nun mit dem „Materialismus der Naturforschung“, der „alles geistige Bestreben“ auflöse. „Er wirft eine jede geschichtliche Entwickelung, jede religiöse Aufklärung und geistige Erhebung als werth- und wesenlos hinweg, es erscheint ihm als überwundener Standpunkt […].“28 Zu der Enttäuschung über den Verlauf der europäischen Kultur trat zudem eine persönliche Enttäuschung. Er hatte gehofft, sein Sohn Ludwig, eines seiner vier Kinder, werde das Rabbinat wählen, so wie er selbst es getan hatte. Doch Ludwig, der einer der führenden Literaturwissenschaftler Deutschlands werden sollte, hatte religiöse Zweifel, die ihn davon abhielten, in die Fußstapfen seines Vaters zu treten. In einem anrührenden Brief an seinen Sohn schreibt Abraham an Ludwig: „Ich brauche es Dir nicht zu verbergen, daß ich gerne darauf hinsehe, wenn Du fortführst, was ich begonnen, wenn ich mir denke, daß ich in Deiner Brust alle meine Pläne, meine Bestrebungen niederlegen kann, wenn das viele Unvollendete, Abgebrochene, das der Mensch zurücklassen muß, einen liebe- und einsichtsvollen Vollender in Dir finden würde.“ Aber er fügte auch hinzu: „Die Rücksicht auf mich darf Dich nicht bestimmen.“29

27 Brief vom 8. Oktober 1872 an L. R. Bischoffsheim, in Geiger, Nachgelassene Schriften, Bd. 5 (wie Anm. 25), 346–353, hier 348f. 28 Brief an Bernhard Wechsler vom 14. September 1873, in ebd., 361. 29 Ludwig Geiger (Hrsg.), Abraham Geiger: Leben und Lebenswerk (Berlin: Georg Reimer, 1910), 181.

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Ich habe mich oft gefragt, wie es wohl gewesen wäre, Abraham Geiger zu treffen und mit ihm zu sprechen. Einer Sache bin ich mir sicher: Es wäre eine sehr einseitige Unterhaltung gewesen. Geiger war eine dominante Persönlichkeit. Dérenbourg nannte ihn in einer französischen Hommage an seinen Freund nach dessen Tod eine „personnalité puissante, ayant conscience de sa propre valeur.“30 So sehr er auch seiner Frau Emilie ergeben war, gab er doch zu, dass er sie nicht als eine unabhängige Persönlichkeit lieben konnte. Kurz nach seiner Verlobung schrieb er am 31. Juli 1833 an Elias Grünbaum: „Meine Emilie ist ein gar liebes, zartes, einfaches Mädchen, das ganz in mir lebt, und dessen ganze Denk- und Empfindungsweise sich der meinigen anbequemt, anders – nenne es Egoismus, aber ich besitze ihn nun einmal – hätte ich auch niemals lieben können […].“31 Wir wissen von Geiger, dass er sich an die jüdischen Traditionen hielt, an Jom Kippur fastete und bei sich zuhause täglich ein Tischgebet sprach. Da er sich an die Kaschrut hielt, nahm er nie im Hause eines Nichtjuden eine Mahlzeit zu sich.32 Merkwürdigerweise, für einen Mann mit Universitätsabschluss, besaß er wenig Interesse an Kunst, Musik oder Theater – seine Briefe erwähnen sie kaum. Man muss zu dem Schluss kommen, dass sich Geigers geistiges Dasein sehr strikt um Wissenschaft und Religion drehte. Sein Leben war bestimmt von intellektuellen und persönlichen Auseinandersetzungen, Errungenschaften und Enttäuschungen. Bei aller berechtigten Aufmerksamkeit für den großen Gelehrten und Rabbiner sollten wir nicht den Menschen Abraham Geiger vergessen, dessen oberstes Ziel die Erhebung der Menschheit durch das Judentum war.

30 Joseph Dérenbourg, Abraham Geiger. Esquisse de sa vie (Paris: n.p., 1875), 4. 31 Geiger, Nachgelassene Schriften, Bd. 5 (wie Anm. 25), 81f., hier 82. 32 L. Geiger (Hrsg.), Abraham Geiger: Leben und Lebenswerk (wie Anm. 29), 226.

Abraham Geigers theologische Wende vor dem Hintergrund der neuzeitlichen Debatte um Religion und Vernunft Karl E. Grözinger I. Abraham Geigers Ziele Abraham Geiger war gerade einmal 26 Jahre alt, als er das Motto seines gesamten Lebens in die jüdische Welt hinein und die christliche Welt hinaus rief. In die von ihm selbst im Jahre 1835 begründete Wissenschaftliche Zeitschrift für jüdische Theologie setzte er sogleich zu Beginn des zweiten Jahrgangs einen programmatischen Leitartikel mit dem unzweideutigen Titel: „Die Gründung einer jüdisch-theologischen Facultät, ein dringendes Bedürfniß unserer Zeit“. In diesem Artikel entwickelt der Autor die Aufgaben einer solchen jüdischen Theologie. Die jüdische Theologie sollte mit wissenschaftlichen Methoden, insbesondere mit Hilfe der Philosophie und Geschichtswissenschaft, all das erst begründen und erklären, was den meisten Juden bis dahin eine schiere Selbstverständlichkeit war. Nach Geiger müssen durch diese Theologie Fragen geklärt werden wie: die „Thatsache der Offenbarung […], die bewiesen, begreiflich gemacht werden soll; der philosophische und geschichtliche Beweis der besonderen biblischen Offenbarung soll folgen“ – erst dann kann sich die Darstellung dessen anschließen, was man als Jude im Einzelnen glaubt und was die Tradition überlieferte. Theologie war für Geiger also die Wissenschaft, durch die das Judentum sich auf sein Wesen, auf seine Stellung und seine Aufgabe in dieser Welt besinnen sollte. Weshalb war dies nötig? Die Antwort kann nur lauten: Weil die Antworten auf all diese Fragen für einen mit dem neuzeitlichen Denken konfrontierten Juden doch nicht mehr selbstverständlich waren. Für aufklärerisch denkende Zeitgenossen musste das Judentum erneut gerechtfertigt werden, um nicht als Relikt einer fernen Vergangenheit, als belanglose und überwundene Lebensform zu gelten. Viele zentrale Säulen des Judentums waren nicht erst seit der deutsch-jüdischen Aufklärung, sondern schon zweihundert Jahre frü-

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Religion, Vernunft und Bewusstsein bei Abraham Geiger

her im italienischen und sefardisch-marranischen Judentum in Frage gestellt worden, und der Historiker Geiger kannte diese kritischen Auffassungen sehr wohl und hat sich wissenschaftlich mit ihnen befasst. Geigers theologische Positionen waren keine Antworten auf die traditionellen Auffassungen der rabbinisch-talmudischen Orthodoxie, sondern bewegten sich im Rahmen einer Diskussion, die spätestens mit der italienisch-jüdischen Renaissance begonnen hatte, in der auch der Jude Baruch Spinoza nicht als Außenseiter gelten kann. In diesem Aufsatz soll die zentrale Frage des jüdischen neunzehnten Jahrhunderts und Abraham Geigers Antwort darauf herausgegriffen werden, wie dies auch Geiger in dem oben zitierten Grundsatzartikel tut. Es ist die Frage nach der Offenbarung und ihrem Verhältnis zur Vernunft.

II. Der philosophisch-theologische Hintergrund von Geigers Denken 1. Offenbarung und Vernunft – die innerjüdische Debatte bis zur Aufklärung Die Bedeutung von Offenbarung war im Judentum von Anfang an eine stets umstrittene Frage. Bereits die Bibel erörtert das Problem, worin man einen echten von einem falschen Propheten unterscheiden könne, fragt also nach verstehbaren Kriterien zur Unterscheidung von richtiger und falscher Offenbarung.1 Die nachbiblische rabbinische Literatur hat einen anderen Weg eingeschlagen, um eine Brücke von der überkommenen Offenbarung zu den eigenen neuen Fragen der Gegenwart zu bauen. Sie hat der schriftlichen Sinaioffenbarung die sogenannte „Mündliche Tora“ an die Seite gestellt. Mit ihrer Hilfe konnten der Offenbarungsbegriff und der Offenbarungsinhalt für neue Fragestellungen der Menschen in wechselnden Zeiten geöffnet werden.2 1

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Die folgende Darstellung ist ein systematischer Querschnitt aus den drei Bänden meines Buches Jüdisches Denken, Theologie, Philosophie, Mystik, Bd. 1: Vom Gott Abrahams zum Gott des Aristoteles (Frankfurt am Main: Campus, 2004); Bd. 2: Von der mittelalterlichen Kabbala zum Hasidismus (Frankfurt am Main: Campus, 2005); Bd. 3: Von der Religionskritik der Renaissance zu Orthodoxie und Reform im 19. Jahrhundert (Frankfurt am Main: Campus, 2009). Im Folgenden wird regelmäßig auf die entsprechenden Abschnitte dieser Darstellung hingewiesen. Hier: Jüdisches Denken, Bd. 1, 87–89. Vgl. Jüdisches Denken, Bd. 1 (wie Anm. 1), 227–234.

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Erst das jüdische Mittelalter warf dann die explizite Frage nach dem Verhältnis von Offenbarung und Vernunft auf und kam zu dem Schluss: Vernunft und Offenbarung sind identisch.3 Die Offenbarung sagt also nichts anderes als das, was die Vernunft erkennt – ja die höchste Stufe der Vernunfterkenntnis gilt den mittelalterlichen Denkern geradezu als Prophetie. Der höchste Philosoph ist der Prophet.4 Die Offenbarung musste sich von nun an stets an der Vernunft messen lassen, und die überkommenen Offenbarungsschriften wurden so lange interpretiert, bis sie der Vernunft entsprachen. Voraussetzung dieser Deutearbeit war aber, dass die Toraoffenbarung, die Bibel, den mittelalterlichen Philosophen als ein Buch der Vernunft galt – die Offenbarung der Tora entsprach der Vernunft. Auch Moses Mendelssohn gründete, wie weiter unten noch ausführlich dargestellt werden wird, die Religion auf die Vernunft, schloss aber die Toraoffenbarung davon aus. Nach Mendelssohn basiert zwar die Religion auf Vernunft, nicht aber die Offenbarung der Tora. Diese letztere Aussage wird hernach noch etwas einzuschränken sein. Mit dem Ausgang des Mittelalters und dem Anbruch der Neuzeit wurde die mittelalterliche Gleichung von Vernunft und Offenbarung wieder in Frage gestellt. Im italienischen Judentum der Frühen Neuzeit haben jüdische Denker darauf hingewiesen, dass die Erkenntnisse der Vernunft und vor allem die Erkenntnisse der neuen empirischen Wissenschaften sich doch erheblich von den Lehren der Offenbarung unterscheiden, wenn sie ihnen nicht gar widersprechen. Offenbarung und Vernunft wurden nun oft als Widerspruch gesehen. Um aber angesichts solcher Widersprüche zwischen Vernunft und Offenbarung sowie der empirischen Wissenschaft die Offenbarung nicht ganz preiszugeben, musste man nach einer neuen Ortsbestimmung für sie suchen. Entsprach die Erkenntnis der Offenbarung nicht der Erkenntnis der Vernunft, so musste gefragt werden, wie die Offenbarung dann zu verstehen sei. Die religiösen Denker des italienischen Judentums suchten dieses Problem dadurch zu lösen, dass sie von einer doppelten oder gar dreifachen Wahrheit sprachen. Eljahu Delmedigo (1460–1497) und vor allem sein später lebender Verwandter Josef Schlomo Delmedigo (1591–1655) sprachen darum von unterschiedlichen Wahrheiten, die nebeneinander bestehen und nebeneinander Gültigkeit haben. Das Konzept von der einen und einzigen Wahrheit wurde aufgegeben, an ihre Stelle sollte die Anerkennung unterschiedlicher Wahrheiten treten. Das war revolutionär und überaus modern, wurde nun doch behauptet, es gebe nicht nur 3 4

Vgl. ebd., 362–367. Vgl. ebd., 468–471.

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eine, sondern unterschiedliche Wahrheiten. Und was noch viel unerhörter erscheint: Die Religion ist nicht im Besitz der einzigen und wohl nicht einmal der höchsten Wahrheit. Der in vielen Wissensgebieten bewanderte Josef Schlomo Delmedigo erstellte eine Hierarchie von drei unterschiedlichen Erkenntnisformen beziehungsweise drei verschiedenen Wahrheiten.5 An oberster Stelle steht für ihn das empirisch nachweisbare Wissen ([dy). Unter diesem durch Experimente nachprüfbaren Wissen steht für Delmedigo die Überzeugung (b`j), das heißt die Überzeugung, die aus dem reinen Denken folgt und sich durch reine Argumentation Anerkennung als Wahrheit verschafft. Und an dritter Stelle, aber im Range gleich neben der Überzeugung, steht laut Delmedigo der Glaube (@ma), der sich allenfalls auf Tradition berufen kann. Alle drei Erkenntnisformen, Wissen, Überzeugung und Glaube, haben nach Delmedigo ihre je eigene Berechtigung. Alle drei Erkenntnisweisen und Wahrheiten gehören unabdingbar zum menschlichen Leben. Das Wissen ist die Erkenntnisweise der Naturwissenschaft, die Überzeugung die Erkenntnisweise der Philosophie und der Glaube die Erkenntnisweise der Religion. Wichtig für Delmedigos Position ist nun allerdings, dass nur eine dieser drei Wahrheiten ewig und unveränderlich ist, nämlich die empirische Wahrheit, das heißt das Wissen. Alleine diese empirische Erkenntnis kann die anderen beiden Wahrheiten verdrängen. Sie ist die unveränderliche höchste Wahrheit. Aber diese unveränderliche Wahrheit ist, wie gesagt, nun eben nicht die Wahrheit der Religion. Gegenüber dieser unverrückbaren Wahrheit besitzen weder die Überzeugung noch der Glaube die Macht, sich gegenseitig zu verdrängen, und sie beide können auch nicht das Wissen der empirischen Wissenschaft umstürzen. Das heißt im Klartext: Glaube und Philosophie stehen – unter dem „Wissen“ – gleichberechtigt nebeneinander und können sich gegenseitig nicht widerlegen. Die Wahrheit der Religion ist in diesem System zwar nicht die höchste unverrückbare Wahrheit, aber sie ist wenigstens gleichrangig mit der Wahrheit der Philosophie. Die Wahrheit von Philosophie und Religion unterscheiden sich nur dadurch, dass die Philosophie ihre Wahrheit alleine durch vernünftige Argumentation – ohne empirisches Experiment – und die Religion ihre Wahrheit aus dem Zeugnis verlässlicher Zeugen gewinnt. Keine von beiden kann aber die Wahrheit der anderen bestreiten. Damit hat die Offenbarung der Religion einen neuen, eigenen Platz neben der Philosophie, aber unterhalb der empirischen Erkenntnis. 5

Zum Folgenden vgl. Grözinger, Jüdisches Denken, Bd. 3 (wie Anm. 1), 68–75.

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Wichtig ist, so sei noch einmal betont: Offenbarung und Vernunft sind jetzt nicht mehr identisch. Das Mittelalter ist vorüber. Andere jüdische Denker der Frühen Neuzeit fügten dem menschlichen Wissenskanon noch eine weitere Erkenntnisform oder neue Wahrheit hinzu, die bisher allein die Domäne der Offenbarung war – gemeint ist die Wahrheit der Geschichte. Hier sind zunächst Asarja dei Rossi (1511–1578)6 und dann vor allem der venezianische Rabbiner Leone Modena (1571–1648) zu nennen. Sie beide haben die Aussagen der Offenbarung an den Erkenntnissen der Geschichtswissenschaft gemessen und gegebenenfalls korrigiert. Dies hat zum Beispiel der venezianische Rabbiner Leone Modena mit überaus kritischem Scharfsinn getan.7 Entgegen der rabbinischen Auffassung bestritt er nämlich, dass die rabbinische Mündliche Tora, das heißt die nachbiblische rabbinische Lehre in Mischna, Talmud und Midrasch ebenso wie die Schriftliche Tora sinaitische, also göttliche Offenbarung sei. Die gesamte rabbinische Tradition betrachtet Modena nach gründlichen historischen Recherchen als Menschenwerk und nicht als göttliche Offenbarung. Die wahre Religion ruht darum aus seiner Sicht alleine auf der biblischen Offenbarung, während die rabbinische Tradition, das christliche Neue Testament und der muslimische Koran nur als Menschenwerk gelten, das der wahren Religion, der wahren Offenbarung, eher im Wege steht. Einen nächsten radikalen Schritt vollzog der aus dem ConversoJudentum kommende Uriel da Costa (1583–1640).8 Er bestritt schließlich sogar die Göttlichkeit der gesamten schriftlichen Tora. Religion kann sich ihm zufolge daher nicht auf die Bibel und schon gar nicht auf die rabbinische Tradition stützen, sondern alleine auf das von der Vernunft erkannte natürliche Gesetz. Hier deutet sich bereits die Position Moses Mendelssohns an, wenn alleine die Vernunft als universale Wahrheitsquelle gilt, die Offenbarungsschriften dagegen als geschichtlich partikulare Wahrheit gedeutet werden. In diese Reihe jüdischer Kritiker muss schließlich noch der Jude Baruch Spinoza eingefügt werden.9 Auch Spinoza schied die Vernunft vollkommen von der prophetischen und biblischen Offenbarung. Die prophetische Offenbarung ist nach Spinoza etwas, das mit den Regeln der Vernunft nicht zu beurteilen ist. Die Prophetie und ihre Offenbarung haben mit der universalen Vernunfterkenntnis nichts gemeinsam. 6 7 8 9

Vgl. ebd., 49–58. Vgl. ebd., 93–135. Vgl. ebd., 136–157. Vgl. ebd., 158–228.

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Die biblische Offenbarung gilt ihm darum als eine partikulare israelitische Besonderheit. Die Vernunft schenkt den Menschen die wahre allgemeine und universelle Offenbarung, wohingegen die Prophetie den Juden ein mosaisches Staatsgesetz für das biblische Volk Israel bereitstellte, keinesfalls aber verlässliche Erkenntnisse über das Wesen der Welt und das Wesen der Gottheit. Mit der Position Spinozas steht man ganz nahe bei Moses Mendelssohn: Biblische Offenbarung und universale Vernunft sind nach ihm voneinander zu trennen. Und weiter: Die biblische Offenbarung ist eine Offenbarung von Gesetz, und zwar eines Gesetzes, das dem altjüdischen biblischen Staat als Staatsgesetz diente. Trotz der Konzentration des öffentlichen Bewusstseins auf Moses Mendelssohn als den Mittelpunkt der jüdischen Aufklärung war dieser nicht der einzige oder – philosophisch-theologisch betrachtet – wichtigste jüdische Aufklärer.10 Fast könnte man sagen, Mendelssohn ist ein Aufklärer von außen, während andere Vertreter der Haskala eher von innen her kamen. Die jüdische Aufklärung ist in ihren Zielsetzungen so vielseitig und vielfältig wie die allgemeine Aufklärung in Deutschland oder Europa. Je nach ihrem Standpunkt verfolgten die einzelnen jüdischen Intellektuellen in ihren Aufklärungsbemühungen ganz unterschiedliche Stoßrichtungen, und demgemäß fallen ihre Ortsbestimmungen für die Offenbarung im Verhältnis zur Vernunft verschieden aus. So sah zum Beispiel der Arzt und Naturwissenschaftler Mordechai Gumpel Schnaber-Levison (1741–1797)11 das Zentrum des Aufklärungsbedarfes darin, die moderne Physik und Naturwissenschaft als wichtige und richtige Erkenntnisbestrebung der Menschen darzustellen und nachzuweisen, dass die modernen Naturwissenschaften in keiner Weise mit dem jüdischen Glauben in Konflikt stünden. Er begründete dies mit einer neuen Hierarchie der Wissenschaften, die gleichzeitig die Unbedenklichkeit der modernen Wissenschaften und ihre Konfliktlinien zum Glauben aufzeigt. Der Berliner Schriftsteller Saul Ascher (1767–1822)12 äußerte sich in seinem Buch Leviathan oder über Religion in Rücksicht des Judenthums, alsbald nach Mendelssohns – im Folgenden noch darzustellender – Stellungnahme zum Thema, grundsätzlich zum Verhältnis von Vernunft und Offenbarung. In Übereinstimmung mit dem englischen Philosophen Thomas Hobbes gelangte Ascher zu der Auffassung, Ver-

10 Vgl. ebd., 343–349. 11 Vgl. ebd., 350–379. 12 Vgl. ebd., 417–443.

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nunft und Glaube seien zwei völlig unterschiedliche Begabungen des Menschen, die in einem diametralen Verhältnis zueinander stünden: Vernunft und Glaube kann man daher hier als ganz heterogene Dinge betrachten, so daß es im strengsten Verstande keinen vernünftigen Glauben giebt. […] an und für sich ist der Glaube immer der Vernunft zuwider.13

Aber trotz dieser Unvereinbarkeit von Vernunft und Glauben war Ascher der festen Überzeugung, dass der Mensch nicht ohne Glauben leben könne, der Glaube sei also wie die Vernunft eine zweite unverzichtbare Begabung des Menschen. Damit wendet sich Ascher, wie unten noch deutlich werden wird, in zwei Punkten gegen Moses Mendelssohn. Zum einen ist für Ascher die Grundlage der universalen Religion nicht die Vernunft, sondern der Glaube. Damit wird aber zugleich der Glaube das Fundament der partikularen jüdischen Religion und nicht das offenbarte Gesetz, wie Mendelssohn es wollte. Der galizische Aufklärer Nachman Krochmal (1785–1840) schließlich,14 der in der Religionsgeschichte bewandert war, stellte das Judentum in Anlehnung an die Herder-Hegelsche Geschichtsphilosophie als eine historisch bedeutsame Kulturleistung der Juden dar, die der ganzen Welt zugute kam und noch immer zugute kommt. 2. Offenbarung und Vernunft bei Moses Mendelssohn Demgegenüber betrieb Mendelssohn seine Aufklärung aus einer ganz anderen Motivation heraus.15 Als Philosoph von europäischem Format, der zugleich treu das jüdische Religionsgesetz befolgte, sah er sich einem äußeren Druck ausgesetzt, der sein Leben in den beiden widersprüchlich erscheinenden Welten – deutsche Bildung und jüdische Religion – nicht dulden wollte. Mendelssohn wollte gleichzeitig deutscher Philosoph und Intellektueller sowie halachatreuer Jude sein, was ihm allerdings christliche Kreise wie auch der preußische Staat nicht wirklich erlaubten. Mendelssohns Aufklärungsimpetus erfolgte deshalb aus dieser Zwangslage heraus. Er suchte das menschliche Denken in Philosophie und Religion von den Zwängen eines staatskirchlichen Drucks zu befreien. Darum hatte Mendelssohns Aufklärungsimpetus eine religionspolitische Ausrichtung. Sein Aufklärungsziel verfolgte die Ten13 Saul Ascher, Leviathan oder über Religion in Rücksicht des Judenthums (Berlin: Franke, 1792), 78f. 14 Vgl. Grözinger, Jüdisches Denken, Bd. 3 (wie Anm. 1), 444–476. 15 Zu Mendelssohn vgl. ebd., 380–416.

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denz, das menschliche Denken und Erkennen von den Zwängen der politischen Macht wie auch von den politischen Zwängen kirchlicher Macht zu befreien. Es ist diese Interessenlage, welche die Ausrichtung von Mendelssohns zentralem Aufklärungsbuch Jerusalem oder über religiöse Macht und Judentum bestimmte. Darin wollte Mendelssohn letztlich begründen, weshalb er dem christlichen Konversionsdruck nicht nachgeben müsse, sondern zugleich deutscher Intellektueller und traditionstreuer Jude sein könne. Im Zentrum des Buches steht angesichts der beschriebenen Zwangslage zunächst eine Erörterung über das Wesen von Religion und deren Verhältnis zum Staat. Mendelssohn vertritt im ersten Teil seines Jerusalem Auffassungen von Staat und Religion, die nicht nur das Judentum betreffen, sondern auch das sensible Verhältnis von christlichem Staat und christlicher Religion berühren. Mendelssohns Ansichten über Wesen und Ziele von beiden, von Staat und Religion, waren für seine christliche Umwelt ebenso revolutionär und gewagt, wie sie ein Problem für das jüdische Selbstverständnis wurden. Seine Kernthese lautete, das Phänomen Religion sei nicht mit einer der bekannten Religionen identisch. Weder das Christentum noch das Judentum sind für ihn die Religion schlechthin. Religion ist für Mendelssohn vielmehr eine universale menschliche Erkenntnisweise, die nicht an die definierten Religionsgemeinschaften gebunden ist oder von ihnen gar alleine vertreten werden kann. Religion ist eine universal-menschliche Erscheinung und zwar in zweifacher Hinsicht. Die erste Seite des Phänomens Religion ist eine spezielle Weise des Erkennens der Wahrheit, nämlich die Erkenntnis durch die Vernunft. Die zweite Seite ist dagegen soziologischer Natur, nämlich der Zusammenschluss von Menschen zum Zwecke der Erkenntnis und Pflege der Wahrheit. Die christliche Kirche, die Moschee und die Synagoge verkörpern demnach nicht je für sich das Gesamte von Religion. Alle drei sind nur partikulare historische Ausprägungen oder Realisierungen dieser umfassenden allgemeinmenschlichen Erkenntnisweise und Gesellschaftsform. Ähnlich wie Moses Mendelssohn sagte dies später auch Immanuel Kant in seiner Schrift Die Religion innerhalb der Grenzen der bloßen Vernunft (Königsberg 1793). Immanuel Kant sagt da: Es ist nur eine (wahre) Religion; aber es kann vielerlei Arten des Glaubens geben. – Man kann hinzusetzen, daß in den mancherlei sich, der Verschiedenheit ihrer Glaubensarten wegen, voneinander absondernden Kirchen dennoch eine und dieselbe wahre Religion anzutreffen sein kann.16 16 Immanuel Kant, Die Religion innerhalb der Grenzen der bloßen Vernunft, in Immanuel Kant, Werke in zehn Bänden, hrsg. v. Wilhelm Weischedel, Bd. 7: Schriften zur

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Es gibt also dem Wesen nach nur eine einzige Religion, die sich aber in verschiedenen Religionsgemeinschaften historisch realisieren kann und tatsächlich realisiert. Keine der bestehenden Religionsgemeinschaften ist die Religion schlechthin, keine von ihnen besitzt einen Alleinvertretungsanspruch für Religion. Sie alle partizipieren nur an dem universalen Phänomen Religion. Die Realisierung der universellen Religion in konkreten religiösen Gemeinschaften nannte Moses Mendelssohn mit dem im Deutschen geläufigen Terminus „Kirche“. Der Begriff Kirche ist im Sprachgebrauch Mendelssohns mithin nicht mehr ausschließliche Selbstbezeichnung der christlichen Kirche – oder gar nur der katholischen, wie der Vatikan dies jüngst wieder betonte. Der Begriff Kirche bezeichnet bei Mendelssohn eine religiöse Gesellschaft, unabhängig von deren spezifischer Konfession. Religion ist also ein universales menschliches Phänomen, das sich aber in unterschiedlichen Konfessionen realisieren und in unterschiedlichen Kirchen gesellschaftlich organisieren kann. Judentum, Christentum und Islam sind nur unterschiedliche Realisierungen von Religion, die sich als jüdische, christliche oder muslimische Kirche organisieren. Mit dieser Definition von Religion und Kirche tritt das Judentum gleichberechtigt neben die christliche Kirche. Beide partizipieren in entsprechender, aber unterschiedlicher Weise am Grundphänomen Religion. Das bedeutet, sie müssen in der Gesellschaft denselben rechtlichen Status genießen. Sie beide stehen im selben rechtlichen Verhältnis zum Staat, der keine von beiden bevorzugen oder benachteiligen darf. Der Grund für diese Beschränkung des Staates der Religion gegenüber, liegt laut Mendelssohn in den grundsätzlich verschiedenen Befugnissen von Kirche alias Religion und Staat. Bevor dieser weiteren Frage des Verhältnisses von Staat und Religion und deren unterschiedlichen Befugnissen nachgegangen wird, sei schon an dieser Stelle betont, was diese Äußerungen Mendelssohns für das jüdische Selbstverständnis bedeuten. Danach ist das Judentum zum einen eine berechtigte Religion neben anderen Religionen; zum anderen ist es zuallererst eine religiöse Konfession, nicht aber eine Volksgemeinschaft. Die alte Identifikation von Judentum als Religion mit Judentum als Volk ist damit aufgegeben. Juden können auf dieser Grundlage vollberechtigte Angehörige der verschiedenen deutschen und europäischen Staaten sein, in denen es unterschiedliche Konfessionen gibt.

Ethik und Religionsphilosophie, Teil II (Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft, 1981), S. 768.

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Wenn nun Religion eine allgemeinmenschliche Erscheinung ist und es ihrem Wesen nach recht eigentlich nur eine Religion – wenn auch in verschiedenen historischen Realisierungen – gibt, so stellt sich die Frage, worauf denn eine solche universale Religion gegründet sein kann. Will sie universal sein, so kann sie natürlich nicht auf partikularen Offenbarungen oder partikularen historischen Begebenheiten begründet werden. Darum gründet Mendelssohn die Religion auf eine Erkenntnisfähigkeit, die allen Menschen gleichermaßen eignet, nämlich auf die Vernunft. In diesem Sinne schreibt Mendelssohn an einer Stelle: Unsere Vernunft kann ganz gemächlich von den ersten sichern Grundbegriffen der menschlichen Erkenntnis ausgehen, und versichert sein, am Ende die Religion auf eben dem Wege anzutreffen. Hier ist kein Kampf zwischen Religion und Vernunft, kein Aufruhr unserer natürlichen Erkenntnis wider die unterdrückende Gewalt des Glaubens.17

Das bedeutet, die wahre und allgemeinmenschliche Religion ist für Mendelssohn die Religion der Vernunft. Nur was die Vernunft des Menschen erkennt, kann Grundlage der Religion als Religion sein. Als Fundament dieser Art Religion kann nichts dienen, was sich auf eine lokale Offenbarung beruft und nicht von der Vernunft bestätigt wird. Mit anderen Worten: Die Religion in ihrem innersten Wesen braucht keine Offenbarung außerhalb der Vernunft, und nur deshalb ist Religion ein allgemeinmenschliches Phänomen, weil eben alle Menschen mit Vernunft begabt sind. Mendelssohn ist zudem der Überzeugung, dass das Judentum eine wahrhafte Realisierung dieser Religion der Vernunft sei. Er begründet dies damit, dass das Judentum – etwa im Gegensatz zum Christentum – keinerlei offenbarte Glaubenslehren besitze. Ein Jude sei von niemandem gezwungen, an etwas zu glauben, was er mit seiner Vernunft nicht vereinbaren könne – diesbezüglich herrsche im Judentum absolute Freiheit. Angesichts dieser Begründung der Religion auf der Grundlage der Vernunft stellt sich natürlich die Frage, welche Bedeutung dann die jüdische Offenbarung am Berge Sinai hat, die doch traditionellerweise die Grundlage der Tora bildet und nach allgemeinem jüdischen Verständnis Anfang und Inbegriff aller Religion ist. Mendelssohns Antwort auf diese Frage muss später noch betrachtet werden. Doch schon an dieser Stelle wird deutlich, welche Probleme für das jüdische Selbstverständnis hier aufbrachen. Jetzt wird es nötig, die partikulare Offenbarung am Sinai zu begründen, die doch bisher für die jüdische Religion 17 Moses Mendelssohn’s Schriften zur Philosophie, Aesthetik und Apologetik, hrsg. von Moritz Brasch, Bd. 2 (Breslau: Wilhelm Jacobsohn & Co, 1892), 590.

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vollkommen selbstverständlich war. Außerdem muss nun die Bedeutung der biblischen Offenbarung erklärt werden, also die Frage, in welchem Verhältnis die sinaitische Offenbarung zur Vernunftreligion steht. Sind Vernunftreligion und die Sinaioffenbarung identisch, stehen sie in einem unversöhnlichen Gegensatz zueinander oder in einem komplementären Verhältnis? Bevor dies verhandelt wird, gilt es noch kurz das Verhältnis von Religion und Staat zu betrachten, wie es sich für Mendelssohn darstellt. Die Kirchen als gesellschaftliche Organisationen stehen der anderen gesellschaftlichen Organisationsform, nämlich dem Staat gegenüber. Beide, Kirche und Staat, haben laut Mendelssohn zwar dasselbe Ziel, nämlich dem Menschen ein glückliches Leben zu verschaffen. Aber trotz dieses gemeinsamen Zieles sind die Befugnisse der beiden Institutionen grundsätzlich verschieden. Das gemeinsame Ziel von Staat und Kirche, das jedoch durch unterschiedliche Methoden und Befugnisse erreicht werden soll, beschreibt Mendelssohn mit den folgenden kurzen Worten: Öffentliche Anstalten zur Bildung des Menschen, die sich auf die Verhältnisse des Menschen zu Gott beziehen, nenne ich Kirche, – [öffentliche Anstalten zur Bildung des Menschen, die sich auf die Verhältnisse des Menschen] zum Menschen [beziehen, nenne ich], Staat. Unter Bildung des Menschen verstehe ich die Bemühung, beides, Gesinnung und Handlung, so einzurichten, daß sie zur Glückseligkeit übereinstimmen, die Menschen erziehen und regieren.18

Aus dieser und weiteren Formulierungen Mendelssohns wird der Unterschied zwischen Staat und Kirche (das heißt der Religion) deutlich. Der Staat nimmt seine Aufgabe im Regieren wahr und kann dafür auch Gewalt einsetzen, während die Kirche nur erziehen kann und sich dabei ausschließlich auf das Überzeugen stützen darf. Gewalt und Zwang darf es in der Kirche nicht geben, Religion darf nur argumentieren und die Einsicht der Menschen herbeiführen. Ist nach Mendelssohn das Judentum demnach nur eine Kirche unter anderen, so bedeutet das, dass die jüdische Kirche, wie alle Kirchen, nicht über die Menschen „regieren“ darf – sie darf keinen Zwang ausüben, sondern lediglich werben und überzeugen. Das heißt, für Mendelssohn ist das in seiner Zeit noch gültige Instrument des Synagogenbannes, des Herem, im Sinne einer gesellschaftlichen Zwangs18 Moses Mendelssohn, Jerusalem oder über religiöse Macht und Judentum, in Moses Mendelssohn, Schriften über Religion und Aufklärung, hrsg. und eingeleitet von Martina Thom (Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft, 1989), 353–458, hier 361.

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maßnahme für die Religion nicht legitim. Dies gehört zum staatlichen Handeln, nicht zu dem von Kirchen. Damit sind alle vom jüdischen Gesetz verordneten Zwangsmaßnahmen kein legitimes religiöses Handeln. Spricht man demnach von Judentum als Religion im reinen Sinn, so kann der Zwang des Gesetzes nicht dazu gehören. Wenn nun Mendelssohn dennoch am jüdischen Gesetz festhielt und die Auffassung vertrat, dass das Gesetz für die Juden, und nur für die Juden, seine Gültigkeit weiterhin besitzt, so bedarf das natürlich einer ausführlichen Begründung. Zuvor gilt es aber die bisherigen Ergebnisse zusammenzufassen: (1) Für Mendelssohn ist die Religion ausschließlich auf die Vernunft gegründet. Religion und Vernunfterkenntnis sind identisch. (2) Die Offenbarung am Sinai ist nicht für alle Menschen verbindlich. Die Sinaioffenbarung vor dem Volk Israel ist nicht die Grundlage für die universale Vernunftreligion. (3) Als Religion der Vernunft darf Religion nur werben und überzeugen, nur lehren, aber keine Gesetzesgewalt ausüben. Gesetz und Gewalt sind die Mittel des Staates, der seinerseits keinen Einfluss auf die Erkenntnisse der Vernunft nehmen darf. (4) Die Stellung und der Sinn der jüdischen Gesetze sowie der Offenbarung am Sinai muss eigens begründet werden, da sie nicht universale Vernunfterkenntnis sind. Im ersten Teil seines Jerusalem hatte Mendelssohn die Religion als universale Vernunftreligion – oder natürliche Religion – definiert und deren Verhältnis zum Staat bestimmt. Außerdem hatte er festgestellt, das Judentum sei ein wahrhafter Vertreter einer solchen Vernunftreligion, da es keine Offenbarung von dogmatischen Glaubenswahrheiten kenne. Nach diesen Feststellungen musste sich Mendelssohn im zweiten Teil seines Buches mit der Frage auseinandersetzen, was denn die Offenbarung der Tora am Sinai bedeute, wenn sie nicht die Grundlage der universalen natürlichen Religion sei, und warum ein Jude trotz seiner Vernunfterkenntnis an dieser partikularen jüdischen Tradition festhalten müsse. Eine solche Antwort war umso dringlicher, als Mendelssohns bisherige Darlegungen dem allseits bekannten Erscheinungsbild des Judentums gründlich widersprachen. Jeder Jude weiß, dass auch das Judentum lehrhafte dogmatische Traditionen kennt und dass das Zentrum des Judentums in Gesetzen liegt, die der Vernunft durchaus nicht zugänglich sind. Mendelssohn weiß um diese Vorhaltungen und geht in einem längeren grundsätzlichen Passus seines Werkes darauf ein, der hier als Ganzes vorgetragen werden muss. Mendelssohn sagt da nicht ohne Pathos:

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Es ist wahr: Ich erkenne keine andere ewige Wahrheiten, als die der menschlichen Vernunft nicht nur begreiflich, sondern durch menschliche Kräfte dargetan und bewährt werden können. Nur darin täuscht ihn [den ungenannten Gegner] ein unrichtiger Begriff vom Judentum, wenn er glaubt, ich könnte dies nicht behaupten, ohne von der Religion meiner Väter abzuweichen. Ich halte dieses vielmehr für einen wesentlichen Punkt der jüdischen Religion und glaube, daß diese Lehre einen charakteristischen Unterschied zwischen ihr und der christlichen Religion ausmache. Um es mit einem Worte zu sagen: ich glaube, das Judentum wisse von keiner geoffenbarten Religion, in dem Verstande, in welchem dieses von den Christen genommen wird. Die Israeliten haben göttliche Gesetzgebung, Gesetze, Gebote, Befehle, Lebensregeln, Unterricht vom Willen Gottes, wie sie sich zu verhalten haben, um zur zeitlichen und ewigen Glückseligkeit zu gelangen; dergleichen Sätze und Vorschriften sind ihnen durch Mosen auf eine wunderbare und übernatürliche Weise geoffenbart worden, aber keine Lehrmeinungen, keine Heilswahrheiten, keine allgemeinen Vernunftsätze. Diese offenbarte der Ewige uns, wie allen übrigen Menschen, allezeit durch Natur und Sache, nie durch Wort und Schriftzeichen. […] man hat übernatürliche Gesetzgebung für übernatürliche Religionsoffenbarung genommen und vom Judentume so gesprochen, als sei es bloß eine frühere Offenbarung religiöser Sätze und Lehren, die zum Heile des Menschen notwendig sind.19

Es ist diese Definition des Judentums, die zu dem geflügelten Wort geführt hat, das Judentum sei nicht Orthodoxie, sondern Orthopraxie. Das Judentum ist für Mendelssohn also nicht offenbarte Religion im Sinne einer lehrhaften Dogmatik, sondern offenbartes Gesetz. Religion als Erkenntnis der heilsnotwendigen Wahrheiten wird für ihn ausschließlich durch die menschliche Vernunft definiert, die ein allgemeinmenschliches Phänomen ist. Die partikulare Offenbarung am Sinai kann schlechterdings nicht mit Religion identifiziert werden, sondern ist Gesetzgebung. Diese fast schockierende Beschränkung des partikularen Judentums auf die Gesetzesoffenbarung wird von Mendelssohn jedoch durch eine Reihe von weiteren Überlegungen wieder relativiert. Dies war umso dringlicher, weil Mendelssohn ja – als treuer Anhänger des Gesetzes – den Sinn des Gesetzes für jüdisches Leben und dessen Beziehung zur Religion als Vernunfterkenntnis erklären musste. Seine Erklärungen zum Verhältnis von Vernunft und Gesetzesoffenbarung stützen sich auf drei unterschiedliche Fragestellungen:

19 Ebd., 407f.

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A. Die erste Fragestellung ist die nach der Bedeutung von Wahrheit. Gibt es nur eine einzige Wahrheit, oder gibt es unterschiedliche Formen von Wahrheit, die sich auf Vernunftwahrheit und Offenbarungswahrheit verteilen lassen? B. Nachdem Mendelssohn unterschiedliche Wahrheitsformen für Vernunft und Gesetzesoffenbarung festgestellt hat, muss er darlegen, welchen Sinn und welche Funktion die Wahrheit der Gesetzesoffenbarung hat. Seine Antwort ist psychologischer Natur: Die Belehrung durch die Gesetze der Offenbarung entspricht besser der psychischen Natur des Menschen als die abstrakte Erklärung der Vernunft und ist besser geeignet, ihn sicher an das Ziel, zur Glückseligkeit, zu führen. C. Die dritte Frage ist schließlich die, weshalb das jüdische Gesetz Zwang und Strafe kennt, was Mendelssohn ja für ein Terrain des Staates, nicht aber der Religion hielt. Die Antwort ist eine historische Theorie: In der Zeit vor der Zerstörung des Ersten Tempels waren im Judentum Staat und Religion eins. Nach der Zerstörung des Tempels war das Judentum nur noch Religion, weshalb alle Straf- und Zwangsandrohungen des jüdischen Gesetzes seit damals hinfällig sind, der Rest der erzieherischen Gesetze aber ihre Gültigkeit behielten. Die wichtigste dieser Fragen ist die erste: Welches Verhältnis hat die Vernunftoffenbarung der wahren Vernunft-Religion zum offenbarten Gesetz? Mendelssohn stellt dafür zunächst die grundsätzliche Frage nach der Wahrheit. Hauptpunkt seiner Antwort auf diese Frage ist: Es gibt nicht nur eine einzige Wahrheit, sondern wenigstens zwei oder gar drei verschiedene Wahrheiten. Mendelssohn ist, wie oben deutlich wurde, nicht der erste Jude, der diese vielleicht erstaunliche Behauptung aufstellt. Moses Mendelssohn steht mit seiner Auffassung vom Verhältnis von Vernunft und Tora-Offenbarung zwischen den verschiedenen neuzeitlichen Positionen von Josef Schlomo Delmedigo, Asarja dei Rossi, Leone Modena, Uriel da Costa, und Baruch Spinoza, wobei er gerade Spinoza besonders nahe kommt. Im Einzelnen stellt Moses Mendelssohn zum Verhältnis von Vernunft und Tora-Offenbarung Folgendes fest: (1) Die Vernunft ist die höchste Erkenntnisquelle und offenbart die Wahrheit der Religion. Die Vernunftwahrheit zerfällt allerdings in zwei Unterkategorien:

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a.

b.

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Da ist zuerst die notwendige ewige Wahrheit. Zu ihr gehören Wahrheiten der reinen Logik und Sätze der Mathematik. Diese Wahrheiten sind ewig, weil Gott, die höchste Vernunft, sie so gedacht hat. Darunter steht die zufällige ewige Wahrheit. Dies sind die Wahrheiten der Naturgesetze. Sie entsprechen nicht dem göttlichen Wesen, sind also nicht mit ihm immer so gewesen; vielmehr entspringen diese zufälligen ewigen Wahrheiten dem Willen Gottes, der sie bei der Schöpfung so eingerichtet hat. Diese Wahrheiten kann Gott verändern, sie unterliegen seinem Willen. Die notwendigen Wahrheiten kann er nicht verändern, denn sie entsprechen seinem Wesen.

(2) Das Besondere an Mendelssohns Wahrheitsbegriff ist nun die zweite Wahrheit – die Geschichtswahrheit. Er folgt mit diesem Begriff seinem philosophischen Lehrmeister Leibniz, fügt sich aber zugleich in die oben skizzierte innerjüdische Debatte ein. Diese Wahrheit der Geschichte beinhaltet laut Mendelssohn Dinge, die sich in der Geschichte einmal so zugetragen haben, aber nicht notwendig so geschehen mussten. Sie hätten sich auch anders ereignen können. Diese Geschichtswahrheiten sind von Zeit und Raum abhängig. Das heißt, diese Wahrheiten waren zu einem bestimmten Zeitpunkt an einem bestimmten Ort wahr. An anderem Ort und zu anderer Zeit müssen sie nicht wahr gewesen sein. Diese Geschichtswahrheiten können wir nicht selbst herausfinden, sondern für sie sind wir auf verlässliche Zeugnisse angewiesen. Zu dieser zweiten Kategorie von Wahrheit zählt Moses Mendelssohn nun die biblische Offenbarung. Sie ist eine Wahrheit der Geschichte, die an den Sinai und an die Zeit des Exodus gebunden ist. Ihre Wahrheit kann man nur durch die Überlieferung kennenlernen, und sie ist nicht mit den Regeln der Vernunft beweisbar. Diese Geschichtswahrheit ist nicht universal und kann darum auch nicht für das ewige Heil der Menschen notwendig sein. Für das ewige Heil sind alleine die universalen Wahrheiten der Vernunft notwendig. Nachdem die Ordnung der Wahrheiten und ihre Bedeutung für die Religion festgestellt ist, muss Mendelssohn natürlich noch darlegen, weshalb man sich als Jude dennoch auf die jüdische Geschichtswahrheit der Offenbarung stützen müsse, obwohl doch für die Religion die notwendigen Vernunftwahrheiten ausreichen. Der Sinn der sinaitischen Offenbarung liegt für Mendelssohn in einer Art Erziehungsfunktion der biblischen Gesetze. Er vertritt – angelehnt an die mittelalterliche

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Position – die Auffassung, die biblischen Gesetze seien zwar nicht ausdrücklich Gesetze der Vernunft, enthielten aber doch implizit vernünftige Gedanken oder wiesen jedenfalls auf solche hin. Er sagt dazu: Ob nun gleich dieses göttliche Buch, das wir durch Mosen empfangen haben, eigentlich ein Gesetzbuch sein und Verordnungen, Lebensregeln und Vorschriften enthalten soll, so schließt es gleichwohl, wie bekannt, einen unergründlichen Schatz von Vernunftwahrheiten und Religionslehren mit ein, die mit den Gesetzen so innigst verbunden sind, daß sie nur eins ausmachen. Alle Gesetze beziehen oder gründen sich auf ewige Vernunftwahrheiten oder erinnern und erwecken zum Nachdenken über dieselben, so daß unsere Rabbinen mit Recht sagen: Die Gesetze und Lehren verhalten sich gegeneinander wie Körper und Seele.20

Warum, so könnte man nun fragen, spricht dann die Bibel nicht klare vernünftige Worte? Wozu bedarf es dieser Einkleidung und der rabbinischen Mündlichen Tora? Mendelssohn argumentiert wie folgt: Wenn man den Menschen klar formulierte dogmatische Sätze vorlegt, beginnen sie diese Sätze zu vergöttern und zu starren Dogmen zu machen. Sie vergessen dann, dass die Sprache nur Hinweischarakter hat und nicht selbst die ewige Wahrheit ist. Daher war es besser, den Juden Lebensregeln an die Hand zu geben, welche solche Wahrheiten einüben und sie nicht zu unveränderlichen Worthülsen erstarren lassen. Die Gesetzesübung braucht die lebendige mündliche Belehrung, die sich stets nach den Umständen und entsprechend der Fassungsgabe der Menschen verändern kann, nicht an Worte und Schriftzeichen […], die für alle Menschen und Zeiten, unter allen Revolutionen der Sprachen, Sitten, Lebensart und Verhältnisse immer die selben bleiben, uns immer dieselbe steife Formen darbieten sollen, in welche wir unsere Begriffe nicht einzwängen können, ohne sie zu zerstümmeln. Sie wurden dem lebendigen, geistigen Unterrichte anvertrauet, der mit allen Veränderungen der Zeiten und Umständen gleichen Schritt halten und nach dem Bedürfnisse, nach Fähigkeit und Fassungskraft des Lehrlings abgeändert und gemodelt werden kann.21

Mit solchen Erklärungen stellt Mendelssohn die biblische Offenbarung und das jüdische Gesetz in den Dienst der ewigen religiösen Vernunftwahrheiten. Die biblische Offenbarung ist nicht die ewige Vernunftwahrheit, aber sie dient dieser Wahrheit besser als die abstrakte Formulierung. Diese Erziehungsfunktion der jüdischen Offenbarung 20 Ebd., 417. Diese Auffassung ist indessen die der Sohar-Literatur und nicht schon der älteren Rabbinen, vgl. Grözinger, Jüdisches Denken, Bd. 2 (wie Anm. 1), 593f. 21 Mendelssohn, Jerusalem (wie Anm. 18), 420.

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entspricht sehr viel besser der Natur des Menschen, die von der abstrakten Wahrheit doch immer nur zum Götzendienst verleitet wird, während Gesetz und mündliche Erläuterung stets in Bewegung bleiben und den Menschen durch Tun an die Hand nehmen und so zur Wahrheit führen. Es ist also nach Mendelssohn richtig, zu behaupten: Das Judentum kennt nur eine Gesetzesoffenbarung und keine Offenbarung von Religionswahrheiten. Aber diese Gesetzesoffenbarung führt den Menschen sicherer zur ewigen Religionswahrheit als die nackte dogmatische Wahrheit. Moses Mendelssohn hat mit seinen Darlegungen die seit dem Mittelalter geführte Debatte um die Grundlagen der Religion aufgenommen und fortgeführt und damit die Probleme der Diskussion für das gesamte neunzehnte Jahrhundert auf die Tagesordnung gesetzt. Alle nachfolgenden Denker des neunzehnten Jahrhunderts mussten sich nunmehr mit den folgenden Fragen auseinandersetzen: Was begründet die Religion? In welchem Verhältnis steht sie zur Vernunft? Welche Bedeutung hat die Offenbarung und das Gesetz? Ist das Judentum eine Religion oder ein Volk? Mit diesen Debatten um das Verhältnis von Vernunft und Offenbarung ist das Problem aufgerissen, vor dem die jüdischen Denker des neunzehnten Jahrhunderts stehen, mit ihnen auch Abraham Geiger. Das Verhältnis von Vernunft und Offenbarung, die Frage nach dem Wesen der Prophetie und der Tora entscheiden schließlich auch die Frage nach dem Wesen des Judentums. Ist das Judentum Träger einer universalen Vernunftoffenbarung oder besitzt es nur eine partikulare Geschichtswahrheit? Ist das Judentum eine Religion oder nur ein geschichtlich gewordenes Volk?

III. Abraham Geigers Neuansatz in der Debatte um das Wesen der Religion und ihr Verhältnis zur Vernunft Die Grundlage der Religion und damit für das Judentum ist Abraham Geiger zufolge weder die Vernunft noch der Glaube.22 Stattdessen postuliert Geiger für die Religion ein völlig neues Fundament. Aus seiner Sicht ist das Fundament aller Religion das menschliche Bewusstsein, also das, wofür der Mensch sich selbst hält. Es ist die Selbsteinschätzung des Menschen, die Sicht seiner eigenen menschlichen Position, die das Fun22 Vgl. Grözinger, Jüdisches Denken, Bd. 3 (wie Anm. 1), 578–616.

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Religion, Vernunft und Bewusstsein bei Abraham Geiger

dament der Religion bildet. Die grundlegende Selbsteinschätzung des Menschen bewegt sich laut Geiger zwischen zwei extremen Gefühlslagen des Menschen. Da ist zum einen das fast grenzenlose Selbstbewusstsein des Menschen, mit seinem Denken und Erkennen Raum und Zeit hinter sich lassen zu können und in unbeschränkter Freiheit über die Beschränkungen dieser Welt hinauszudenken. Demgegenüber steht allerdings das gegensätzliche Gefühl und Bewusstsein der absoluten Beschränkung des Menschen, seiner Abhängigkeit von Raum und Zeit, seiner von ihm nicht willentlich herbeigeführten Existenz in dieser Welt. Es ist der Grundwiderspruch des menschlichen Bewusstseins von grenzenloser Freiheit und machtlosem Ausgeliefertsein, der für Geiger das Fundament der Religion bildet. Mit Geigers Worten: Es ist diese Doppelnatur in ihm, das Bewußtsein seiner Größe und Erhabenheit und wieder das demüthigende Gefühl seiner Unselbständigkeit, das Streben, sich zu jenem Quell zu erheben, aus dem auch seine geistige Kraft, […] hervorgeht, und dennoch auf der anderen Seite das Unvermögen, vollkommen die hohe Stufe einzunehmen.23

Dieses widersprüchliche Bewusstsein von Freiheit und Ohnmacht begründet nach Geigers Meinung das Wesen des Menschen und damit zugleich das Wesen der Religion. Nicht Vernunft und Offenbarung sind also für Geiger die Grundkoordinaten seiner Religionsdefinition, sondern es ist das menschliche Bewusstsein, sein doppeltes Gefühl von Vollmacht und Ohnmacht. Nochmals mit Geigers eigenen Worten: Ist nun das nicht wahrhaft Religion? Das Bewußtsein von der Höhe und Niedrigkeit des Menschen, dieses Streben nach Vervollkommnung mit dem Bewußtsein, daß man zur höchsten Stufe sich nicht emporringen könne, dieses Ahnen des Höchsten, das als freiwaltender Wille vorhanden sein muß, […], ist dies nicht recht das Wesen der Religion? Religion ist nicht ein System von Wahrheiten, sie ist der Jubel der Seele, die ihrer Höhe bewußt ist, und zugleich wieder das demüthige Bekenntniß der Endlichkeit und Begrenztheit, Religion ist der Schwung des Geistes nach dem Idealen hin, […] das Verlangen im geistigen Leben zu reifen […], das Körperliche und Irdische zu bewältigen, und auf der andern Seite das Gefühl, die nicht zu beseitigende Empfindung, daß man dennoch gebunden ist an das Endliche und Begrenzte, Religion ist der Schwung nach dem Höchsten hin, […] der Aufschwung nach der Alles umfassenden Einheit […].24

23 Abraham Geiger, Das Judenthum und seine Geschichte in vierundreißig Vorlesungen (Breslau: Wilhelm Jacobsohn & Co, 1910), 9f. 24 Ebd., 10.

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Abraham Geiger ist mit einer solchen Definition von Religion offensichtlich in die Schule des protestantischen Theologen Friedrich Schleiermacher gegangen. Doch was sind die Konsequenzen dieser neuen Verortung der Religion und damit auch des Judentums? Geiger hat mit seiner Begründung der Religion im menschlichen Bewusstsein die Positionen des Mittelalters wie auch jene der jüdischen Neuzeit verlassen und die Religion in einem hohen Maße individualisiert. Die mittelalterliche Logik und Mendelssohns Vernunftreligion sind Größen, die mit ihren Maßgaben letztlich außerhalb und über dem Menschen stehen. Das heißt, der Mensch ist laut diesen Konzeptionen von der über ihm stehenden Macht der Vernunft gezwungen, etwas als Wahrheit oder als Unwahrheit anzuerkennen. Dasselbe gilt für die „empirische“ Vernunft der Neuzeit, die durch ihre nachprüfbaren Gesetze den Menschen zwingt und die über seinen persönlichen Ansichten steht. Auch der Glaube ist von der Tradition und Offenbarung abhängig. Bei Geiger ist hingegen der einzelne Mensch das Maß aller Dinge geworden. Entscheidend für seine Religion und seinen Glauben ist das, was ihn sein persönliches Bewusstsein als richtig erkennen lässt. Dieses Bewusstsein muss sich nicht von einer logischen oder empirischen Realität zwingen lassen, aber auch nicht von historischen Wahrheiten und gar einer Tradition – etwa der jüdischen. Von der jüdischen Tradition gilt, laut Geiger, für den einzelnen Juden nur so viel, als sein persönliches Bewusstsein akzeptiert. Diese Grundeinsicht Geigers bestimmte auch sein reformatorisches Programm und Verhalten. Da wo seine Gemeinde ein traditionelleres Bewusstsein hatte als er selbst, behielt er die Formen der Tradition bei, weil für ihn das Entscheidende die Übereinstimmung von persönlichem Bewusstsein und religiösen Bräuchen war. Eine solche Übereinstimmung mit seinem persönlichen Bewusstsein war es zum Beispiel, die Geiger dazu veranlasste, alle jüdisch-nationalen und messianischen Elemente aus seinem 1854 veröffentlichten Gebetbuch zu streichen. Er sagt dazu im Vorwort dieses Gebetbuches: Die Klage über die verlorene volksthümliche Selbständigkeit Israels, die Bitte um Sammlung der Zerstreuten in Palästina, um Herstellung des Priesterund Opferdienstes tritt in den Hintergrund; Jerusalem und Zion sind die Orte, von denen die Lehre ausgegangen, an welche sich heilige Erinnerungen knüpfen, sind aber im Ganzen mehr als eine geistige Idee, als die Pflanzstätten des Gottesreiches, zu feiern, denn als eine gewisse Erdgegend, an welche sich etwa besonders die Vorsehung Gottes für alle Zeiten knüpfte. Ebenso heftet sich der ahnungsvolle Blick in die Zukunft auf das Messiasreich als auf die Zeit der allgemeinen Herrschaft der Gottesidee, der unter

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allen Menschen sich befestigenden Frömmigkeit und Gerechtigkeit, nicht aber als auf die Zeit der Erhebung des Volkes Israel.25

Abraham Geiger konnte auf diese zentralen Elemente der jüdischen Tradition verzichten, weil sie nicht seinem religiösen Bewusstsein entsprachen. Dieses persönliche Bewusstsein war für ihn der bestimmende Maßstab für sein Judentum, nicht die Vorgaben der Tradition. Geiger fühlte sich als Deutscher jüdischer Konfession, nicht als Angehöriger eines jüdischen Volkes. Man braucht sich nicht zu wundern, wenn Männer wie Samson Raphael Hirsch,26 für den die Tora die Grundlage des Judentums blieb, oder der nationale Denker Moses Hess, für den das geschichtlich gewordene Volk Israel Zentrum seines Denkens war,27 für Geigers Positionen nur Ablehnung, Hohn und Spott finden konnten. Aber Abraham Geiger wollte nicht einfach nur Deutscher sein, sondern eben jüdischer Deutscher, und er sah in seinem Judentum die überlegene Religion schlechthin, die dereinst das Gemeingut aller Menschen werden sollte. Bei all seiner Grundlegung der Religion im menschlichen Bewusstsein betrachtete er also dennoch die jüdische Tradition und die jüdische Geschichte als unverzichtbaren Ausgangspunkt seines Denkens. Darum musste er auch Rechenschaft darüber ablegen, in welchem Verhältnis seine Grundlegung der Religion zur Offenbarung im Sinne der Tradition stand. Nach der neuartigen Definition von Religion, die ihr Zentrum nicht wie bei Mendelssohn in der Vernunft, sondern im individuellen Bewusstsein des Menschen hat, musste Geiger folglich nicht die Frage des Verhältnisses von Vernunft und Offenbarung stellen, sondern die nach dem Verhältnis der Offenbarung zum persönlichen Bewusstsein des religiösen Juden oder Menschen schlechthin. Natürlich konnte die Offenbarung für Geiger nicht der einmalige „geschichtliche“ Akt der Offenbarung am Sinai sein. Auch die Offenbarung musste in irgendeiner Weise mit dem Bewusstsein der Individuen in Verbindung stehen. Um diese Beziehung von Offenbarung und individuellem Bewusstsein zu erklären, griff er zu einem in seiner Zeit verbreiteten Erklärungsmodell, nämlich zu der Vorstellung vom menschlichen Genie. Ein Genie war laut verbreiteter Auffassung ein Mensch, dem „aus dem tiefen Grund“ seiner Seele eine schöpferische Urkraft aufsteigt, die aus sich 25 Abraham Geiger, Israelitisches Gebetbuch für den öffentlichen Gottesdienst im ganzen Jahre mit Einschluss der Sabbathe und sämmtlicher Feier- und Festtage (Breslau: Julius Hainauer, 1854), VI. 26 Zu ihm vgl. Grözinger, Jüdisches Denken, Bd. 3 (wie Anm. 1), 496–537. 27 Vgl. Moses Hess, Rom und Jerusalem. Die letzte Nationalitätsfrage. Briefe und Noten, hrsg. von Max I. Bodenheimer (Leipzig: Kaufmann, 1899, 1. Aufl. 1862).

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selbst wirkt, und die wir nicht weiter erklären können. Die prophetische Offenbarung, die sich an unzähligen Individuen im Laufe der Geschichte äußert, ist eine solche individuelle Geistes- und Schaffenskraft, welche in einzelnen Genies ausbricht, und diese können mit dieser Kraft ihre Zeitgenossen bereichern. Im Gegensatz zu einem einfachen reproduktiven menschlichen Talent besitzt das Genie eine andere Begabung. Mit Geiger: Anders das Genie. Es lehnt sich nicht an, es schafft, es entdeckt Wahrheiten, die bis dahin noch verborgen waren, es enthüllt Gesetze, die bis dahin noch nicht bekannt waren, es ist, als wenn sich in ihm die Kräfte, welche in der Natur tief unten arbeiten, in ihrem Zusammenhange, nach ihrem gesetzmäßigen Ineinanderwirken in höherer Klarheit enthüllten, […], damit es hineinzuschauen vermöge in den tiefsten Urgrund der Seele und dort die Triebfedern und Beweggründe sich loszulösen verstände. […] das Genie ist eine freie Gabe, es ist ein Gnadengeschenk, […] das eingeprägt dem Menschen, das nimmermehr erworben werden kann, wenn es nicht im Menschen vorhanden ist. […] das Genie […] bricht sich Bahn, es muß seine Kraft entfalten, denn es ist ein lebendiger Drang, eine Macht, die stärker ist, als der Träger, eine Berührung mit der in der Natur zerstreuten Kraft, die gesammelt sich niederläßt, mit dem Allgeiste, der in höherer Erleuchtung sich ihm kundgiebt. […] das Genie bereichert die Menschheit mit neuen Wahrheiten und Erkenntnissen, es giebt den Anstoß zu allem Großen, was in der Welt geschieht, sich ereignet hat und ereignet.28

Es ist an dieser Stelle der Lehre vom Genie als dem eigentlichen Offenbarer, an der Abraham Geiger nochmals versucht, die jüdische Religion nicht im Strudel einer allgemeinen Religiosität untergehen zu lassen. Er ist überzeugt, dass es gerade die Juden waren, die ein spezielles Genie besaßen, das der Welt schon immer und auch in Zukunft dienen sollte, um das angestrebte Menschheitsziel der Sittlichkeit herbeizuführen. Auch für diese letztere Begründung der Sonderstellung Israels konnte sich Geiger an Erklärungsformen anlehnen, die man von deutschen Philosophen wie Herder, Fichte und Hegel kennt.29 Demnach gibt es nicht nur bei den einzelnen menschlichen Individuen unterschiedliche Genialitäten, sondern auch bei verschiedenen Völkern. So wie die Griechen das Genie für Kunst und Wissenschaft besaßen, so haben die Juden das Genie zur Religion. Die Juden besitzen – konzentriert in einzelnen herausragenden Gestalten – das Genie, einen tieferen Einblick in das „höhere Geistesleben“ zu haben, in die „Beziehung zwischen dem Men28 Geiger, Das Judenthum und seine Geschichte (wie Anm. 23), 32f. 29 Vgl. dazu Grözinger, Jüdisches Denken, Bd. 3 (wie Anm. 1), 458–461, 477–488, 498– 501, 510–514, 601–604.

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schengeiste und dem Allgeist“, in die „tiefere Natur des Sittlichen im Menschen“.30 Und dieses Genie der Juden, diese religiöse und sittliche Erkenntnis, dies ist es, was man gemeinhin als die „Offenbarung“ Israels bezeichnet. Abraham Geiger hat mit seiner Theologie die gefährliche Klippe der Vernunft, die gefährliche Klippe der empirischen Wissenschaft wie auch die des Glaubens und der Tradition umschifft und dem einzelnen Juden die Freiheit gegeben, sich auf sein persönliches religiöses Empfinden zu stützen. Mit diesem Empfinden durfte er in eigener Verantwortung den Zweifeln von Vernunft, Wissenschaft und Tradition entkommen. Der Jude konnte sich damit in dem ewigen Dilemma zwischen Judentum als deutsch-jüdischer Konfession und dem Judentum als Volksgemeinschaft oder gar Nation gemäß seinem eigenen Bewusstsein selbst verorten. Wie schwer ein solches individuelles Sich-Verorten allerdings in der gelebten religiösen und alltäglichen Wirklichkeit war, hatte Geiger schon selbst bei seinen Reformbemühungen spüren müssen, in denen ihn das Bewusstsein der traditionelleren und national denkenden Juden nicht nur einmal bremste. Eine weitere Herausforderung für das Geigersche jüdische Individuum waren die Ereignisse, welche dieses jüdische Individuum doch wieder in größere gesellschaftliche und nationale Kontexte zurückzwangen, nämlich einerseits die verheerende antisemitische Geschichte bis zur Shoah und andererseits der Erfolg der nationalen Deutung des Judentums, die in der Entstehung des Staates Israel und seiner Bindekraft für alle Juden auf der Welt ihre Krönung fand. Angesichts dieser Einsichten muss sich Geigers religiös-jüdischer Individualismus schwerwiegende Fragen gefallen lassen.

30 Geiger, Das Judenthum und seine Geschichte (wie Anm. 23), 35.

Abraham Geiger – kulturwissenschaftliche Reflexionen* Ken Koltun-Fromm Im Kontext der vielfältigen Ansätze zur Erforschung deutsch-jüdischer Identität und Praxis im neunzehnten Jahrhundert stehen Historiker wie ich, die sich auf Geistesgeschichte spezialisieren, vor einem eigentümlichen Dilemma: Einerseits versuchen wir jener Zeit kultureller Unruhe gerecht zu werden, so dass die Herausforderungen und Sehnsüchte derer, die sie durchlebt haben, sichtbar werden; andererseits suchen wir nach bedeutsamen Analogien, welche die Vergangenheit für die Gegenwart lebendig machen. Es geht darum, den Forschungsgegenstand angemessen zu erfassen, ihn aber auch jenen, die ihn erforschen, in seiner aktuellen Bedeutsamkeit vor Augen zu führen. Eine Möglichkeit, mit dieser Spannung umzugehen, besteht darin, über Zusammenhänge nachzudenken, welche die deutschen Juden nicht erkannten und die sie nicht einmal besonders kümmerten. Die folgenden Bemerkungen spüren einem solchen Zusammenhang nach, den Abraham Geiger (1810–1874), einer der bedeutendsten liberalen jüdischen Theologen seiner Zeit, nicht in seiner Tiefe und Bedeutung bedacht hat. Das war weder sein Fehler noch seine Leistung, sondern ein Zufall, der sich aus der Kollision zeitgenössischen Denkens mit einer historischen Vergangenheit ergab. Ich möchte eine Neuinterpretation einiger der durch die Geschlechterverhältnisse bestimmten Deutungen biblischer Texte aus der Feder Geigers vornehmen und sie mit seinem berühmten Brief an Leopold Zunz über die Relevanz jüdischer Zeremonien zusammenschauen, um daraus Erkenntnisse über das Verhältnis zwischen seinem Denken und kulturwissenschaftlichen Perspektiven zu ziehen. Zu diesem Zweck greife ich auf mein Buch Abraham Geiger’s Liberal Judaism (2006) zurück, allerdings so, dass die darin vorgelegte Analyse in eine entschieden andere Richtung verlagert wird. In diesem Buch habe ich eine Deutung Geigers mit Blick auf zeitgenössische Reflexionen über Autorität und persönlichen Sinn vorgenommen. Es ging darin weni∗

Aus dem Amerikanischen von Christian Wiese.

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ger um ein historisches Projekt, das Geiger in einer Tradition oder Bewegung verortet, sondern vielmehr um eine kritische Würdigung der Konflikte und Anliegen Geigers, die aus meiner Sicht auch bei Juden in der Gegenwart Widerhall finden. In dieser geistesgeschichtlichen Form der Rekonstruktion habe ich versucht, Geigers gründlichen Texten gerecht zu werden, auch wenn es mir selbst um intimere Fragen der Identität und Autorität ging. Am Schluss des Buches, in dem ich mich mit moralischen Quellen, Textinterpretationen, Historizität und rabbinischer Autorität befasste, steht jedoch ein Blick auf deren kulturelle Bedeutung. Ich schrieb darüber, wie Juden religiöse Autorität schaffen und leben, über „dichte Beziehungen“, die inspirieren, und ich berief mich auf „die alltäglichen Praktiken, die persönlichen Sinn stiften“. Kurz, ich ließ Geigers liberales Judentum in ein Modell für die gegenwärtige Praxis einfließen. Juden entdecken und befassen sich mit persönlichem Sinn und religiöser Autorität mit Hilfe ritueller Akte, der Interpretation von Texten, gemeindlichen Aktivitäten und dem, was der amerikanische Soziologe und Theologe Mordecai Kaplan (1881–1983) als „jüdische Kultur“ oder „jüdische Zivilisation“ (Jewish civilization) bezeichnet hat. Dieser Essay wird an späterer Stelle auf Kaplans Deutung der jüdischen Praxis zurückkommen, zum Teil weil letzterer mehr mit Geiger gemeinsam hatte, als er zugegeben hätte. Kaplan spielt auch in Abraham Geiger’s Liberal Judaism eine Rolle, wenn auch in einer Weise, die mir seinerzeit noch nicht ganz klar war, so dass dies hier neu thematisiert werden soll. Denn Kaplan verstand die Kraft materieller Objekte, jüdische Identität zu inspirieren, zu faszinieren und auszurichten, ihre Fähigkeit, Identitäten auf schöpferische ebenso wie auf schädliche Weise zu überwältigen und zu kontrollieren. Geigers Werk mit kulturellen Studien und Praktiken ins Gespräch zu bringen (eine Form der Forschung und Arbeit, in der Menschen mit Objekten arbeiten, um ein sinnvolles Leben zu schaffen und zu entwickeln), ermöglicht es uns, die Bedeutung dieser Objekte für religiöse Identität zu würdigen. Mit der folgenden relecture Geigers möchte ich einige der in meinem Buch analysierten Texte neu zu interpretieren versuchen, um zu verstehen, was ich selbst Geigers außerordentlichem Denken verdanke. Darüber hinaus gilt es jedoch auch zu fragen, welche Ressourcen ein jüdischer Reformer wie Abraham Geiger, der zutiefst in der romantischen und idealistischen Kultur des neunzehnten Jahrhunderts verwurzelt war, für jene bietet, die sich in der Gegenwart mit jüdischem Denken befassen. So weit mir bekannt, hat Geiger zwar über materielle religiöse Objekte nachgedacht, aber niemals eine Theorie der jüdischen kulturellen Praxis formuliert. Die Hermeneutik, derer ich mich hier zu bedienen

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beabsichtige, ist eher dekonstruktivistisch als romantisch, insofern ich Geiger gegen den Strich lesen und zeigen möchte, in welcher Hinsicht seine Texte Ansatzpunkte dafür bieten, auf eine Weise über jüdische Praxis nachzudenken, an die er vermutlich niemals gedacht hat. Aus meiner Sicht sprechen Geigers Werke die Leser nicht allein aufgrund ihrer intellektuellen Ehrlichkeit und Präzision an, sondern auch durch das, was sie kaum zu verbergen und zu unterdrücken vermögen. Nimmt man diesen Schleier weg, so beginnt man zu verstehen, weshalb Abraham Geiger noch immer die kritische Aufmerksamkeit moderner Forscher verdient, die – zu Recht, wie ich finde – feststellen, dass seine Welt von der unseren gar nicht so weit entfernt ist. Der Titel dieses Aufsatzes – „Abraham Geiger – kulturwissenschaftliche Reflexionen“ – mag auf den ersten Blick etwas überspannt, ja sogar geradezu absurd wirken, doch vielleicht kann der Versuch, Geiger gegen den Strich zu lesen, das heißt mit Geiger gegen Geiger zu argumentieren, sichtbar machen, auf welche Weise die Kulturwissenschaften Forschern im Bereich des jüdischen Denkens zur Erkenntnis verhelfen können. Geigers Bildungsweg als Jugendlicher spiegelt, wie der vieler seiner liberalen Kollegen, eine traditionelle Erziehung wider, die nur allmählich, aber unaufhaltsam zu kritischeren Studien der jüdischen Geschichte unter Einschluss der humanistischen Disziplinen führte. In einem streng observanten Haushalt aufgewachsen, studierte Geiger schon in jungem Alter hebräische Texte, „nicht um mich die hebräische Sprache zu lehren“, wie er in seiner Zeitschrift mitteilte, „sondern aus Frömmigkeit“.1 Schon bald sollte er sich – neben seinen Talmudstudien – auch mit der deutschen Sprache und mit der Mathematik beschäftigen. Er teilte den Ehrgeiz seiner Eltern, die sich einen in den klassischen rabbinischen Texten ausgebildeten Sohn wünschten, der ein gelehrter Talmudist werden sollte.2 Geiger besaß zudem passende Vorbilder: Sein Vater war selbst ein Lehrer und Rabbiner, und seine Mutter war die Tochter

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Abraham Geiger, Nachgelassene Schriften, hrsg. von Ludwig Geiger, Bd. 5 (Berlin: Louis Gerschel, 1878), 4. Ich skizziere hier nur summarisch Geigers Biografie, die Ludwig Geiger in seinem Buch Abraham Geiger: Leben und Lebenswerk (Berlin: Georg Reimer, 1910) gut dokumentiert hat. Als ausgezeichnete, bündige Darstellungen seines Lebens vgl. Susannah Heschel, Der jüdische Jesus und das Christentum: Abraham Geigers Herausforderung an die christliche Theologie, übersetzt von Christian Wiese (Berlin: Jüdische Verlagsanstalt, 2001), 55–96 und Michael Meyer, Antwort auf die Moderne: Geschichte der Reformbewegung im Judentum (Wien, Köln und Weimar: Böhlau, 2000), 138–152. Vgl. auch Ludwig Geiger, „Abraham Geigers Briefe an J. Dérenbourg (1833–42)“, Allgemeine Zeitung des Judentums [= AZJ] 60 (1896), 52–55.

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des Rosch Jeschiwa von Frankfurt.3 Geiger erinnert sich an eine Kindheit, die nur wenig Zeit für Kinderspiele ließ und vor allem vom Studium rabbinischer Texte geprägt war, bei dem es wohl weniger um Frömmigkeit als um eine fleißige Bemühung um die väterliche Liebe ging. Im Alter von elf Jahren lernte er von Privatlehrern Latein und Griechisch, und nach dem Tod seines Vaters im Jahre 1823 wandte er sich im Streben nach Unterweisung in den klassischen jüdischen Texten an seinen älteren Bruder Salomon (1792–1878).4 In seinen Tagebüchern klagte Geiger über diese Begrenzung der Ausbildung und darüber, dass er sich breiteren Studien der Geschichte, Literatur und Philosophie nicht gewachsen fühlte. Ludwig Geiger erinnerte, dass der Haushalt seines Vaters „vom Geiste der Aufklärung und deutscher Geistesentwicklung völlig unberührt geblieben war“.5 Was er daraus bezog, blieb „dem Zufall überlassen“.6 Doch das jüngste Kind einer Familie, die seit mehr als zweihundert Jahren in Frankfurt verwurzelt war, sollte bald Zutritt zu dieser fortschrittlichen, aufgeklärten Welt erhalten, als er im April 1829 – im Alter von 19 Jahren – sein Heim verließ, um sein Studium an der Universität Heidelberg aufzunehmen. Dort öffnete sich ihm ein völlig neuer Kosmos: Vorlesungen in Philosophie, Archäologie, Literaturgeschichte und Philologie. Unter Verzicht auf seinen ursprünglichen Wunsch, Theologie zu studieren, verließ Geiger Heidelberg nach weniger als einem Jahr, um sich dem Studium der orientalischen Sprache an der juristischen und an der philosophischen Fakultät der Universität Bonn zu widmen, wo er bis 1833 blieb.7 In Bonn, so Geiger in der Rückschau, „begann für mich ein neues Leben“.8 Geigers Bildungsweg entsprach dem vieler traditioneller Juden, die sich nach den liberalen humanistischen Studien an deutschen Universitäten sehnten. So stark er in den klassischen jüdischen Texten verwurzelt war, so gewiss sollte er ihrem Studium durch seine eigene philologische, historische, linguistische und philosophische Bildung eine neue Richtung verleihen.

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Heschel, Der jüdische Jesus und das Christentum (wie Anm. 2), 60. Vgl. ebd. und L. Geiger, Abraham Geiger (wie Anm. 2), 6. Ebd., 10. Max Wiener, Abraham Geiger and Liberal Judaism: The Challenge of the Nineteenth Century (Philadelphia: The Jewish Publication Society of America, 1962), 4f. Heschel, Der jüdische Jesus und das Christentum (wie Anm. 2), 64; Wiener, Abraham Geiger and Liberal Judaism (wie Anm. 6), 6–9. Geiger, Nachgelassene Schriften, Bd. 5 (wie Anm. 1), 17.

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Geigers wissenschaftliches und publizistisches Werk war in hohem Maße produktiv. Nach Beendigung seiner Universitätsstudien erhielt er einen Preis für seinen Essay über die jüdischen Quellen des Korans, den er ursprünglich in lateinischer Sprache verfasst und dann 1838 auf Deutsch unter dem Titel Was hat Mohammed aus dem Judenthume aufgenommen? veröffentlicht hatte. Susannah Heschel vertritt die These, dieser Text enthalte einen Großteil dessen, was in Geigers späteren Schriften begegnen sollte, da er bereits in dieser ersten Publikation eine „Gegengeschichte“ geltend gemacht habe, die das rabbinische Judentum ins Zentrum der Religionsgeschichte stellte.9 Bald nach Vollendung seiner Dissertation nahm Geiger ein Rabbineramt in Wiesbaden an, einer kleinen jüdischen Gemeinde, die den auf Wandel zielenden religiösen Bewegungen, die Geiger befördern sollte, ziemlich reserviert gegenüberstand. Ungeachtet seines persönlichen Glücks (1833 verlobte er sich in Wiesbaden mit Emilie Oppenheim), hatte er dort beruflich wenig Erfolg;10 fünf Jahre später zog er daher nach Breslau, wo er den größten Teil seiner Karriere als Rabbiner (1840–1863) zubrachte und den größten Teil seiner wissenschaftlichen Texte verfasste. In Breslau führte Geiger neue pädagogische Programme für Jungen und Mädchen ein, veröffentlichte das erste seiner beiden Gebetbücher, verfasste seine bedeutendste Forschungsarbeit (Urschrift und Übersetzungen der Bibel), gab die zweite seiner beiden Zeitschriften heraus (die erste war in Wiesbaden erschienen) und zog gemeinsam mit seiner Frau Emilie vier Kinder groß. Doch Emilies Gesundheit verschlechterte sich allmählich seit 1850, nach der Geburt des vierten Kindes, und als sie 1860 starb, suchte Geiger den Trost und die Unterstützung seiner Frankfurter Heimat. Seine Rückkehr nach Frankfurt im Jahre 1863 erwies sich jedoch letztlich als enttäuschend. Frankfurt erschien weniger als „das Licht der Welt“, wie Geiger es einst als Vierzehnjähriger bezeichnet hatte, denn als eine kleine, schläfrige orthodoxe Stadt.11 Dass drei seiner Kinder nicht mehr zuhause lebten, verstärkte nur noch sein Gefühl der Einsamkeit. Das Haus, so erzählt sein Sohn Ludwig, schien praktisch leer. Mehr noch, die meisten Verwandten Geigers waren orthodox und missbilligten seine liberaleren Ansichten.12 Tatsächlich bot die Heimat weit weniger Trost, als Geiger sich dies vorgestellt hatte, und so ver9 10 11 12

Heschel, Der jüdische Jesus und das Christentum (wie Anm. 2), 100ff. Geiger, Nachgelassene Schriften, Bd. 5 (wie Anm. 1), 67, 75, 77. Ebd., 3; Heschel, Der jüdische Jesus und das Christentum (wie Anm. 2), 91. L. Geiger, Abraham Geiger: Leben und Lebenswerk (wie Anm. 2), 176; Heschel, Der jüdische Jesus und das Christentum, 91.

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brachte er, obwohl er unermüdlich seine Forschungen vorantrieb, einen Großteil seiner Freizeit damit, seine zahlreichen alten Freunde zu besuchen. Während der Frankfurter Jahre veröffentlichte er das Buch, das sein populärster Text werden sollte – seine öffentlichen Vorlesungen über Das Judenthum und seine Geschichte.13 Als die Berliner jüdische Gemeinde einen Reformrabbiner suchte, der Michael Sachs nach dessen Tod 1864 ersetzen sollte, ergriff Geiger die sich ihm bietende Gelegenheit, im Zentrum des deutschen Kulturlebens und der jüdischen Gelehrsamkeit zu leben. Als Fakultätsmitglied der neuen Hochschule für die Wissenschaft des Judentums in Berlin hielt Geiger Vorlesungen über jüdische Geschichte und jüdisches Denken, während er zugleich von 1870 bis zu seinem Tod im Jahre 1874 als Rabbiner tätig war. Das Leben Geigers, der ebenso wie seine Frau in Berlin auf dem Jüdischen Friedhof an der Schönhauser Allee begraben ist, war von Wanderungen und Suche geprägt. Doch seine Entdeckungsfahrten führten zu einigen verzwickten Fragen, vor denen jüdische Identität in der Moderne steht. Eine dieser Fragen, mit denen sich Geiger auseinandersetzen musste, betraf die Beziehung zwischen Textdeutung und rituellen Handlungen. In Das Judenthum und seine Geschichte (1864/65) formuliert Geiger eine komplexe Theorie über öffentliche Akte und innere Zustände. In diesem Werk wurde so etwas wie eine geschlechtsspezifische Politik der Autorität sichtbar, der zufolge öffentliche männliche Akte innere weibliche Zustände bestimmen, die, wie uns Geiger wissen lässt, diese äußere Performanz im Grunde überhaupt erst hervorbringen. Er las biblische Texte mit dem Ziel, öffentliche rituelle Akte zu erklären, und machte deutlich, auf welche Weise seine Textdeutung diese rituelle Performanz rechtfertigte. Geiger behauptete, der öffentliche, männlich bestimmte Raum schaffe eine Arena, die der feineren Innerlichkeit der weiblichen Tugend unterworfen sei. Aus seiner Sicht übersetzte die rituelle Performanz lediglich die weiblichen Tugenden in eine öffentliche Darbietung. Diese idealistische Sensibilität ermöglichte es Geiger, spirituelle Erweckung schlicht als offenere, gemeindlich orientierte Enthüllung des privaten Charakters zu verstehen. Rituelles Handeln ist ein öffentlicher Akt, der auf angemessene Weise einem inneren geistigen Bewusstsein entspricht. Dieser religiöse Idealismus bringt Geiger dazu, biblische Texte so zu deuten, dass sie zeigen, auf welche Weise private weibliche Sensibilitäten männliche rituelle Performanz zu tragen und zu unterstützen vermögen. Doch dieser Idealismus fällt in sich zusammen, wenn man Geiger in Das Judenthum und seine Geschichte gegen den Strich liest. Einfach 13 Ebd., 91f.

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gesagt: Was Geiger sagt, ist nicht das, was er als Leser von Texten tut. Obwohl er behauptet, innere Zustände bestimmten die äußeren Formen, geschieht in seiner Textlektüre das genaue Gegenteil: Öffentliche (männliche) Akte steuern den Charakter und Umfang innerer (weiblicher) Zustände. Obwohl Geiger zu dem Schluss kommt, innere spirituelle Ideale rechtfertigten die öffentliche rituelle Reform, geht er in seiner textbasierten Argumentation völlig anders vor und zeigt stattdessen die Art und Weise auf, in der rituelle Performanz den Sinn religiöser Ideale absteckt. Im Folgenden soll gezeigt werden, dass diese Erklärung des Rituals kulturelle Aporien offenlegt, die Geigers Praxis der Textinterpretation beeinflussten. Geiger liest bürgerliche Vorstellungen des Weiblichen in den biblischen Text hinein, um den Platz von Frauen innerhalb der privaten, tugendhaften Sphäre der familiären Integrität zu rechtfertigen. Frauen besitzen seiner Vorstellung zufolge die kulturell traditionellen Tugenden des Begehrens, der Achtung, der Treue und der demütigen Unterwürfigkeit gegenüber ihrem Ehemann. Sie ist die exemplarische Matriarchin, die das Glück und öffentliche Ansehen der Familie ermöglicht, die schlichte, demütige Ehefrau und Mutter edler Männer. Der Wert des „Weibes“ ist der innerer Reinheit und häuslicher Gelassenheit.14 Geigers Darstellung der jüdischen Hausfrau wurzelt in dem Bild des „Kults der Häuslichkeit“, der sich in Europa entwickelt hatte und auch sonst wirksam wurde. Er beschreibt die jüdische Frau als demütiges, unterwürfiges Wesen, das ein heiteres, freundliches Haus führt. Das jüdische häusliche Leben bleibt diesem Bild zufolge frei von den Konflikten der Mittelschicht und den Kräften des unpersönlichen Marktes. Die jüdische häusliche Welt ist durch Harmonie und Ruhe geprägt, weil die jüdische Frau die Tugenden und die Disziplin an den Tag legt, die den bürgerlichen „Kult der Häuslichkeit“ kennzeichnen. Diese Textreflexionen setzten sich unmittelbar mit Geigers persönlichem Leben auseinander. Seine Frau Emilie starb am 6. Dezember 1860 im Alter von 51 Jahren. Sie war seit der Geburt ihres letzten Kindes zehn Jahre davor krank gewesen.15 Geiger erinnerte sich an jene Augenblicke in einem Brief an Joseph Dérenbourg wenig mehr als ein Jahr nach ihrem Tod: Sie hat schwer gelitten in den letzten Jahren und hat es würdig getragen. Am Anfange des Jahres 1860 unterwarf sie sich einer schmerzhaften Operation in Berlin, sie war auf dem Krankenlager, das ein Lager der Genesung zu sein 14 Abraham Geiger, Das Judenthum und seine Geschichte (Breslau: Wilhelm Jacobsohn & Co., 1910), 45. 15 Vgl. Heschel, Der jüdische Jesus und das Christentum (wie Anm. 2), 89.

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schien, so heiter, sie hatte so liebevolle Pflege, so hingebende Freundschaft gefunden.16

Als sie schließlich ihrer Krankheit erlag, gelobte sich Geiger, „meinen Kindern, meinem Amte, der Wissenschaft treu zu leben“. Doch obwohl er seine Anstrengungen bei der Arbeit verdoppelte, gestand er Dérenbourg, dass die „schmerzliche Lücke“ ihm stets „neu blieb“ – „mein Haus ist und bleibt verödet“. Indem er sich den schmerzlichen Verlust vor Augen führt, erinnert Geiger seine Frau als Mensch, der „schön war […] bis zum letzten Augenblicke, und die weibliche Anmuth und Würde erhöhte sich immer mehr“. Selbst nach ihrem Tod, so gesteht Geiger, lebt sie „auch heute noch in mir“.17 Diese persönlichen Reflexionen über seinen Verlust offenbaren die Tiefenschichten des Gefühlslebens Geigers. Sie zeigen jedoch noch etwas anderes: Sie spiegeln bürgerliches Empfinden für Vornehmheit und Raum wider. Aus Geigers Sicht blieb Emilie die würdevolle, ehrenhafte und freundliche Mutter und Ehefrau, voller Hingabe an das Wohl der Kinder und den Beruf ihres Mannes – ein Bild, das auch ihr Sohn Ludwig in der Biografie seines Vaters mit Bewunderung beschrieb.18 Sie „lebt noch“ in Geiger, weil sie alles verkörpert, was er mit Heim und Innerlichkeit verbindet. Seine Welt ist eine Welt der Gelehrsamkeit und Arbeit; ihre Pflicht liegt – Geigers Darstellung zufolge – im Verständnis „für all mein Wollen und Thun“. Durch ihre Einfühlsamkeit und ihre Unterstützung ermöglichte sie es Geiger – in ihrem Leben wie ihrem Tod –, seine Leidenschaft „einer Idee“ zu widmen und „der treue Arbeiter für sie zu sein“.19 Das Haus war in der Tat leer, doch die Kraft der Reformen Geigers wirkte fort. Indem er über diese „eine Idee“ und die tugendhafte weibliche Unterstützung dafür schrieb, reproduzierte er geschlechtsspezifische Prämissen über den weiblichen Raum der Innerlichkeit und die männliche öffentliche Arbeit. Zuhause und „im Innern“ konnte Geigers Frau seine öffentliche Welt von Religion und politischer Reform unterstützen. Die metaphorische Redeweise des persönlichen Verlustes, so tief und ehrlich dieser auch empfunden war, offenbart Geigers Verständnis des von den Geschlechterverhältnissen bestimmten Raums und des Kults der Häuslichkeit.

16 Brief Abraham Geigers an Joseph Dérenbourg vom 24. Februar 1862, in Ludwig Geiger (Hrsg.), „Abraham Geigers Briefe an J. Dérenbourg (1833–42)“, AZJ 60 (1896), Nr. 6–12, 14, 16, 18, 20, 22, 24, 27, 20, 31f., hier Nr. 32, 180. 17 Ebd., 181. 18 L. Geiger, Abraham Geiger: Leben und Lebenswerk (wie Anm. 2), 72. 19 AZJ 60 (1896), Nr. 32, 180.

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Doch auch dort, wo er über Emilies weibliche Spiritualität nachdenkt, bringt er ihre Tugend mit einem Gegenstand in Zusammenhang: ihrem Krankenlager. Selbst dort, auf dem Bett, das all ihre Krankheit in sich aufnahm, vermochte sie noch ihre Heiterkeit zu bewahren. So wie dieses Bett ihr Trost bietet, so tröstet Emilie all die um sie herum. So wie es sie unterstützt, so ist auch sie ihrem Ehemann eine Stütze. Geiger projiziert seine Trauer und seinen Verlust in dieses Bett und bezieht Trost aus dessen physischem Vermögen, Emilies Schmerzen zu lindern. Er kanalisiert seine Trauer durch dieses materielle Objekt. Hier wird eine der Formen erkennbar, durch die materielle Gegenstände persönliche Identität prägen und dem Raum der Emotionen innewohnen. Der Kult der Häuslichkeit findet schließlich irgendwo statt, in einigen Dingen: im Haus oder auf dem Krankenlager. Materielle Gegenstände sind auf das engste mit häuslichen Tugenden verbunden. Geigers Sinn für die unterstützende und dienende Hausfrau sowie für die Objekte, die er mit ihr verbindet, ist weder seine Erfindung noch die des neunzehnten Jahrhunderts. Diese Vorstellung von familiärer Behaglichkeit, die weibliche Wünsche an das männliche Glück in der bürgerlichen Gesellschaft bindet, wurzelt, wie Isabel V. Hull in ihrer einflussreichen Arbeit über Sexualität und bürgerliche Gesellschaft in Deutschland geltend macht, in der Aufklärungsphilosophie und vor allem im kameralistischen Denken des achtzehnten Jahrhunderts.20 Die Hierarchie der Werte ist klar: Die häusliche Sphäre dient den Interessen der männlichen bürgerlichen Gesellschaft. Außerdem legitimiert das Familienleben männliches politisches Handeln und männliche Rechte. Hull zeigt in der Tat, wie Vorstellungen von Geschlechterbeziehungen, Sexualität und familiärer Unterstützung das männliche Projekt des Aufbaus einer bürgerlichen Gesellschaft fördern. Der „Kult der Häuslichkeit“ wiederum kennzeichnet nicht nur Frauen als diejenigen, welche die durch die Familie öffentlich zur Schau getragene Männlichkeit ermöglichen. Er dient auch dazu, den öffentlichen Raum männlicher Performanz zu stärken und legitimiert diese Autorität im Haushalt und in der Familie. Emilies Heiterkeit fördert sowohl ihr eigenes als auch Geigers Wohl, denn sie ermöglicht es ihm, „meinen Kindern, meinem Amte, der Wissenschaft treu zu leben“. Obwohl sein Haus leer bleibt, ermöglicht ihm ihre Würde öffentlichen Erfolg. Verheiratete Männer, so erinnert uns Hull, verdanken ihre Stellung in der bürgerlichen Gesellschaft vornehmlich ihrer Rolle als Ehemänner und Väter. Die von Geiger entworfenen Bilder von häuslichem Segen und Behagen dienen – 20 Isabell V. Hull, Sexuality, State, and Civil Society in Germany (Ithaca, NY: Cornell University Press, 1996).

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selbst noch in ihrer Abwesenheit – dazu, seine männliche Autorität in der privaten wie öffentlichen Sphäre auszuweiten. Er definiert die „Stellung der Frauen“ in Bezug auf eine männliche öffentliche Autorität, die ihre Wurzeln in der privaten Sphäre findet. Geiger erkennt dieses Bild der Frau, die sich bescheiden auf das Private beschränkt, in der jüdischen Literatur wieder. Wie viele seiner Zeitgenossen bringt er eine Form der zeitgenössischen weiblichen Tugend zur Sprache, indem er sie in den biblischen Heldinnen entdeckt. Diese biblischen Charaktere wurden dann zu Vorbildern für deutsch-jüdische Frauen. So erscheint Rebekka, Geiger zufolge, „in unbefangener Jungfräulichkeit, freundlich und wohlwollend auch dem fremden Manne, wie sie auf seine Bitte bereitwillig für ihn schöpft und auch für die Kamele sorgt“.21 Geiger betont Rebekkas Bescheidenheit und sexuelle Reinheit bei ihrer ersten Begegnung mit Isaak. Aus seiner Sicht ist sie ein ideales Bild weiblicher Vornehmheit: freundlich, unschuldig, bescheiden und rein. In ihrem willigen Gehorsam gegenüber der Bitte des Knechtes begehrt Rebekka aktiv die Rolle der Ehefrau und passt sich ihr an. Auch Miriam ist stets rein „wie ein frischer Brunnquell“ und – „mit der Innigkeit des weiblichen Gemütes“22 – voller Treue. Dabei handelt es sich um mehr als bloß ein gesellschaftliches Bild. Es definiert weibliche Wünsche als natürlich gegeben, so dass Rebekka und Miriam sich also genau nach jener Bescheidenheit und Stille sehnen, für die sie stehen. Geiger schreibt die tugendhafte, fügsame und unschuldige Ehefrau – als „natürlichen Zweck einer Frau“23 – sowohl in die Familienordnung der bürgerlichen Gesellschaft als auch in die biblische Exodusgeschichte ein. Das gilt selbst für Geigers zwiespältiges Lob Deborahs als „eine(r) schöne(n) Gestalt“, als „Prophetin und Richterin“, die uns als „ein mutiges kühnes Weib, eine begeisterte Anführerin, und dennoch mit dem vollen Bewußtsein des Weibes“ entgegentritt.24 Deborahs öffentlich bezeugter Mut, im Verein mit ihrer Beherrschung religiöser Politik, bringt wenig von ihren weiblichen Tugenden zum Ausdruck. Geiger zufolge erkannte Deborah dies sogar selbst an. Sie zögert, in die Schlacht zu ziehen, weil der Sieg, wie sie zu Barak sagt, nicht einer Frau zugeschrieben werden solle. Doch Barak besteht darauf, dass sie ihn in die Schlacht begleitet, so dass sie, so wie Geiger es darstellt, schließlich widerstrebend in eine solche öffentliche Rolle einwilligt. Geigers 21 22 23 24

Geiger, Das Judenthum und seine Geschichte (wie Anm. 14), 45. Ebd., 45f. Hull, Sexuality, State, and Civil Society in Germany (wie Anm. 20), 298. Geiger, Das Judenthum und seine Geschichte (wie Anm. 14), 47.

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Deutung liest verschiedene Texte in Richter 4, 4–10 zusammen. Laut Darstellung des biblischen Textes ermutigt Deborah Barak nachdrücklich, in die Schlacht zu ziehen, doch er bittet sie um ihre Unterstützung. Sie willigt darauf zwar in seine Bitte ein, stellt aber fest, ihre Unterstützung werde seine Ehre mindern. Geiger deutet den Text jedoch so, dass er Deborahs schüchterne Ehrerbietung und ihr Widerstreben aufzeigt, den öffentlichen Kampf zu suchen – demnach scheint sie stärker Baraks Ruhm als ihren eigenen Heldenmut im Sinn zu haben. Im Buch der Richter wird sie als starke, öffentliche Figur dargestellt, und so sieht sich Geiger gezwungen, ihre privaten, weiblicheren Tugenden hervorzuheben. Deborah begehrt weder die Kriegsbeute noch Lobpreis für ihren eigenen Mut. Stattdessen erkennt sie ihre Weiblichkeit in ihrer Rolle als Zuschauerin an und kündigt Baraks Sieg mehr an, als dass sie daran teilhat. So öffentlich und mutig sie auch auftreten mag, nimmt sie doch ihre Weiblichkeit – mit enthusiastischen Worten, nicht mit öffentlichen Heldentaten – an, selbst dort, wo sie sich in den männlichen Raum hineinbegibt. Geiger preist ebenso ihre politische Kühnheit wie er ihre anmutige, schöne Gestalt vermerkt. Mut, Führungskraft und Tapferkeit sind wahrhaft männliche Tugenden, und so muss Geiger Deborahs Weiblichkeit verteidigen. Man könnte es für zu kühn halten, dass solch eine mutige Frau in Israel in Erscheinung getreten ist. Man bemerke, in welchem Maße Deborahs Platz in der weiblichen und familiären Ordnung öffentlichen Kräften unterworfen ist. Häusliche Tugend gewinnt ihre Bedeutung durch soziale Werte. Geiger argumentiert zwar, weibliche Kennzeichen der Innigkeit und Treue gehörten zum natürlichen Empfinden einer Frau und entstünden daraus, doch sein Text geht anders vor: In Das Judenthum und seine Geschichte, vor allem im Abschnitt „Stellung der Frauen“,25 bestimmt die männliche Sphäre die Grenzen und den Inhalt des Privaten. Das Schlachtfeld steckt Deborahs Stellung als private Beraterin und Unterstützerin ab. An diesem Punkt lässt sich Hulls aufschlussreiche Behauptung, die private Stellung einer Frau hänge von ihrer öffentlichen Bestimmung ab, unmittelbar auf Geigers Analyse biblischer weiblicher Charaktere anwenden. Hull zeigt, dass die geschützte Binnenwelt des Privatlebens stets in ihre öffentliche Darstellung verstrickt ist. Auch hier wird die Bedeutung kultureller Kräfte in Geigers Texten erkennbar. Denn so wie Frauen zum Teil durch öffentliche Anliegen bestimmt werden, so wird auch das ewige (weibliche) spirituelle Ideal durch materielle (männliche) körperliche Ausdrucksformen geprägt. Die öffentliche, materielle Welt der männlichen Performanz gestaltet aktiv die geistigen Ideale um, 25 Ebd., 45–49.

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die ihr vermeintlich zugrunde liegen. Der mit dem Weiblichen in Verbindung gebrachte religiöse innere Geist ist nicht die Ursache, sondern die Wirkung öffentlicher ritueller Akte. Kurz: Kulturelle Performanz steckt das Wesen und den Inhalt religiöser Ideale ab, so wie Baraks öffentliches Handeln das Wesen und den Inhalt von Deborahs geistigen Sensibilitäten bestimmt. Diese kulturelle Wende, der zufolge öffentliche Performanz religiöse Sensibilitäten zum Ausdruck bringt und prägt (und nicht andersherum), wird ein wenig deutlicher, wenn man Geigers bekannten Brief an Leopold Zunz (1794–1886) vom März 1845 betrachtet, in dem es um die Praxis des Anlegens der tefillin und die Kaschrutgesetze geht. Für Geiger, wie für viele andere seiner Generation, lieferte Zunz das Vorbild für jegliche Erforschung der jüdischen Geschichte. Sein Werk Die gottesdienstlichen Vorträge der Juden (1832) bildete eine Wendemarke der jüdischen Gelehrsamkeit, insofern sie eine sich organisch mit der Zeit entfaltende einheitliche jüdische Geschichte vor Augen führte. Seine Beherrschung der Quellen und seine inspirierende Botschaft waren in seiner Generation ohnegleichen. In der Frühphase des liberalen Judentums von 1819 bis 1834 war Zunz die anerkannte Führungsgestalt einer kleinen Gruppe, die die Berliner Judenheit zu reformieren trachtete. Geiger respektierte Zunz, suchte seine wissenschaftliche Billigung für zahlreiche seiner Artikel und pflegte durch die vielen Briefe, die zwischen ihnen hin- und hergingen, eine enge Freundschaft mit ihm. Umso erstaunter war Geiger, als er Zunz’ erbaulichen Artikel über das Anlegen der tefillin (1843)26 las und später gerüchteweise hörte, dass Zunz nun auch die Kaschrutgesetze beachtete.27 Zunz und Geiger hatten einander häufig geschrieben – viele ihrer Briefe drücken Wärme und Bewunderung aus, und beide erörtern ohne Vorbehalt ausführlich auch persönliche Fragen. Obwohl Geiger Zunz’ Artikel zögernd zur Kenntnis nahm und betonte, er hege keinen Groll, vermochte er dennoch nicht zu begreifen, warum jemand, der so fortschrittlich war wie Zunz, etwas praktizieren konnte, was Geiger als unbegründete religiöse Praxis erschien, bei der man (mit einem Ledergehäuse und Riemen) biblische Texte näher an das Herz und den Geist band.28 26 Leopold Zunz, „Thefillin, eine Betrachtung“ (1843/44), in Leopold Zunz, Gesammelte Schriften, Bd. 2 (Berlin: Louis Gerschel, 1876), 172–176. 27 Vgl. Ismar Schorsch, „Ideology and History in the Age of Emancipation“, in Ismar Schorsch, (Hrsg.), Heinrich Graetz: The Structure of Jewish History and Other Essays (New York: Jewish Theological Seminary of America, 1975), 1–62, hier 27. 28 Vgl. Geiger, Nachgelassene Schriften, Bd. 5 (wie Anm. 1), 180–184 und Wiener, Abraham Geiger and Liberal Judaism (wie Anm. 6), 113–115.

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Geigers Brief zeigt jedoch, dass es ihm vor allem um die Prinzipien ging, die Zunz’ ritueller Observanz zugrunde lagen. Geiger suchte lediglich nach den „Gründen“, mit denen Zunz seine Praxis rechtfertigte, doch er konnte sich nicht vorstellen, auf welche Weise das rituelle Anlegen der tefillin wahrhaft erbauen und erleuchten könne: Dass eine jede Ceremonie eine tiefere Bedeutung aufnehmen kann, dass sie von einer solchen nicht ganz leer ist, ist ohne Zweifel: aber sollte diese, die auf eine falsche Erklärung von Bibelstellen sich stützend rein im Amuletunwesen ihre Anknüpfungspunkte hat, unserer ganzen Anschauungsweise, dem gebildeten und ästhetischen Sinne ganz fremd ist, wirklich fruchtbar werden können? Das Todte bleibt todt, der Geist, der ehedem darin war, wirkt in anderer Weise und unter anderen Formen fort.29

Die rhetorische Kraft der Frage („wirklich fruchtbar werden können?“) wirft ein Schlaglicht auf die Distanz zwischen dem rituellen Akt und der ihm zugrunde liegenden Rechtfertigung. Sie zeigt außerdem, dass für Geiger aus gebotener Observanz (mizwot) nunmehr ein Instrument der persönlichen Erfüllung (Ceremonie) geworden ist. Er setzt voraus, dass auch Zunz seiner Welt des kulturellen und ästhetischen Feinsinns angehört und daher beide die religiöse Kluft erkennen sollten, die sich zwischen Sensibilität und Performanz auftut. Für Geiger gilt: „Das Todte bleibt todt“. Das heißt: Das Anlegen der tefillin gehört in den Bereich einer antiken Form der Magie, die keine spirituelle Kraft mehr vermittelt. Bis zu diesem Punkt bleibt Geiger seinem religiösen Idealismus treu: Innere Sensibilitäten bestimmen die öffentliche Performanz. Eine Sensibilität, die so wenig mit seiner modernen Welt in Zusammenhang steht, vermag er nicht wieder zum Leben zu erwecken; für jemanden, der – wie Geiger – religiöse Pflichten als rituelle Zeremonien versteht, ist ein spiritueller Grund erforderlich, um die Praxis des Anlegens der tefillin zu rechtfertigen. Geiger behauptet, selbst dann, wenn Juden im Anlegen der tefillin Sinn entdeckten, sei darin kein solcher Sinn zu finden, da die Praxis im „Amuletunwesen“ und in einer falschen biblischen Exegese verwurzelt sei. Doch das wirkliche Problem liegt bei Geiger in Zunz’ Charakter begründet. Wie konnte jemand wie Zunz einen solchen Ritus praktizieren? Wie Geiger an späterer Stelle in diesem Brief einräumt, mochte Zunz in den tefillin möglicherweise wirklich einen spirituellen Sinn entdecken, doch weniger kraftvolle Denker seiner Generation könnten sich vielleicht an einen geistlosen Gottesdienst verlieren.30 29 Geiger, Nachgelassene Schriften, Bd. 5 (wie Anm. 1), 181. 30 Ebd., 182.

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„Kann wirklich Zunz“, fragt sich Geiger in peinlich berührtem Erstaunen, der Mann, der sein ganzes Leben der jüdischen Wissenschaft gewidmet hat, vernünftigerweise praktizieren, was sich, wie er weiß, weder mit einer vernünftigen Exegese noch mit einem aufgeklärten Verständnis der jüdischen Geschichte begründen lässt? Ein Mann wie Zunz sollte das wirklich besser wissen! Verständlich ist die Kraft der Nostalgie, jene unaufgeklärten Juden zu trösten, die gewöhnlich tefillin anlegen. Doch der Verfasser des Werkes Die gottesdienstlichen Vorträge der Juden sollte den Grundsatz anerkennen, dass rituelle Praktiken einen rationalen oder spirituellen Grund verkörpern müssen. Bei der weiteren Lektüre dieses Briefes erkennt man jedoch die kulturelle Wende in Geigers Denken trotz seiner prononcierten idealistischen Rhetorik. Lesen wir also wiederum Geiger gegen den Strich: Ich ehre Rücksichten, die man im Leben zu beobachten hat, und würde, wenn Sie dies etwa in Ihrer Stellung als Seminardirector, unter den Verhältnissen, wie sie nun einmal sind, für angemessen erachteten, nichts Befremdliches darin finden; aber es wurde hinzugefügt, Sie hielten dies prinzipiell, nicht wegen Ihrer Stellung nothwendig, man müsse einziehen, sich an das Bestehende anklammern und dergleichen.31

Ismar Schorsch behauptet in seiner Deutung des Briefes Geigers an Zunz, bei der Kontroverse sei es darum gegangen, „was die entscheidende Kraft sein sollte, die das zeitgenössische Judentum bestimmen sollte, die kulturelle Ebene der Gegenwart oder das Erbe der Vergangenheit“.32 Gewiss bevorzugte Zunz die „Normen“ der Vergangenheit, Geiger dagegen den kulturellen und ästhetischen Geschmack der Moderne. Schorsch zeigt zwar auf hilfreiche Weise den kulturellen Einfluss auf Geigers Denken auf, übersieht jedoch vollkommen den ideologischen Kampf, der seiner Kritik zugrunde lag. Denn trotz der „kulturellen Ebene der Gegenwart“ vermochte selbst Geiger – als führende Gestalt einer Gemeinde – Zunz’ Speisegewohnheiten zu verstehen: „Wir sind übrigens milchig und fleischig, Gottlob, gesund, uns schmeckt das koschere Mittag- und Abendessen, und kurz wir befinden uns wohl als gebenschte jiddische Kinder.“33 Auch wenn Ironie durchklingen mag, geht es Geiger nicht um die Observanz, sondern um den Rechtfertigungsgrund, der sich hinter und in den rituellen Praktiken verbirgt. Geiger kritisiert, dass Zunz die Kaschrutgesetze aus Prinzip beachtet, obwohl sich ein solches nicht finden lasse. 31 Ebd., 182f. 32 Schorsch, „Ideology and History in the Age of Emancipation“ (wie Anm. 27), 28. 33 Geiger, Nachgelassene Schriften, Bd. 5 (wie Anm. 1), 184.

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Einer Lesart zufolge macht Geiger Zunz gegenüber lediglich erneut seine idealistische Position geltend: Religiöse Prinzipien bestimmen und rechtfertigen rituelle Handlungen. Zunz’ Praxis entspricht nicht den ideologischen Gründen, die ihnen zugrunde liegen. Wo also ist die kulturelle Wende, die ich entdecken möchte, indem ich Geiger gegen den Strich lese? Man bekommt diese Wende in einer weiteren Debatte über die Kaschrut vor Augen, die Geiger mit seinem Zeitgenossen Samuel Holdheim (1806–1860) führte, nachdem dieser seinen Artikel über die Speisegebote veröffentlicht hatte. Da sie lediglich „ceremonieller, symbolischer Natur“ seien, erklärte Holdheim „die religiöse Verbindlichkeit der Speisegesetze als erloschen“.34 Geiger reagierte heftig auf diese Behauptung und verfasste eine hitzige Antwort auf Holdheims Artikel.35 Er bezeichnete Holdheims These als „durchaus unangemessen“, weil sie eine „solche umfassende Erklärung“ biete.36 Geiger glaubte stattdessen, Juden sollten nach praktischen Reformen streben statt nach großartigen Verkündigungen, die wenig praktische Bedeutung für die jüdische Observanz hätten. Holdheims Überzeugungen mochten auf einzelne Gemeinden zutreffen, doch wenn er sie für alle verbindlich mache, würden sie zur Farce, da er damit die individuelle Freiheit der örtlichen jüdischen Gemeinden beseitige. Aus Geigers Sicht lehnen die Juden die Speisegebote nicht deshalb ab, weil die Wissenschaft sie dazu ermächtigt. Vielmehr stehen dabei persönliche Dinge auf dem Spiel, die sich dem fordernden Zugriff der Forschung entziehen: Allein andererseits wird man es auch nicht leugnen können: die Speisegesetze haben sich so tief in die jüdische Gesammtheit eingelebt, daß bis jetzt nur ein geringer Theil sie nicht als ein Hauptstück des Judenthums betrachtet, daß selbst die überwiegende Mehrzahl derer, welche die Beobachtung derselben ganz oder zu Zeiten und unter Umständen aufgeben, die Berechtigung dazu nicht in ihrer andern Auffassung des Judenthums finden, sondern in ihrer individuellen Freiheit, diese Vorschrift des Judenthums zu ignoriren.37

Die Speisegebote für obsolet zu erklären, wie Holdheim es tue, werde niemals die jüdische gemeindliche Praxis verändern, selbst wenn Holdheims Forschung sich als aussagekräftig erweisen sollte (was Geiger 34 Samuel Holdheim, „Materialien zu einem Commisionsbericht über die Speisegesetze“, Wissenschaftliche Zeitschrift für jüdische Theologie [= WZJT] 6 (1847), 41–63, hier 62f. 35 Abraham Geiger, „Nachschrift: Die Speisegesetze“, WZJT 6 (1847), 63–75. 36 Ebd., 64. 37 Ebd., 65.

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bezweifelte). Hier komme alltäglichen Praktiken mehr Gewicht zu als der übersteigerten rabbinischen Entschlossenheit. Die eigentümlichen „Umstände“ und individuellen Entscheidungen, wo auch immer sie herrührten, bestimmten die Praxis weit stärker als theoretische Behauptungen, die aus der Ferne und vom Schreibtisch aus erfolgten. Das spiegelt, so denke ich, Geigers Kritik an Leopold Zunz’ Umgang mit den Speisegeboten sehr angemessen wider. Geiger konnte die sozialen „Umstände“, die Zunz dazu bewegten, ein koscheres Haus zu führen, durchaus nachvollziehen. Was er nicht verstehen konnte, war, dass er diese Praxis auf theoretische Argumente zurückführte. Man beachte Geigers anfängliche Aussage: „Ich ehre Rücksichten, die man im Leben zu beobachten hat, und würde, wenn Sie dies etwa in Ihrer Stellung als Seminardirector, unter den Verhältnissen, wie sie nun einmal sind, für angemessen erachteten, nichts Befremdliches darin finden.“ Soziale Konformität machte aus Geigers Sicht Sinn, doch Zunz ehrte die kaschrut und die tefillin offenbar aus Prinzip. Obwohl es ihm um das Prinzip geht, das Zunz’ Praxis zugrunde liegt, legt Geiger unbewusst Zeugnis für den performativen Sinn öffentlicher Akte ab. In diesem Fall hält Zunz’ Praxis der Einhaltung der Kaschrut seine soziale Stellung, sein Ansehen und die Wirksamkeit seiner rabbinischen Pflichtausübung gegenüber seiner jüdischen Gemeinde aufrecht. Mit „ihrer Stellung als Seminardirector“ – das bedeutet, dass seine Praxis einen sozialen Nutzen hat und eine soziale Funktion erfüllt. Zunz vollzieht seine Observanz vor einer jüdischen Gemeinde, die sich Konformität mit traditionellen Essgewohnheiten wünscht. Gewiss, Geiger versteht, wie die öffentliche Darstellung religiöser Observanz wirksam religiöse Autorität rechtfertigt. Er erkennt die Rolle an, die er – genauso wie Zunz – als Führungsgestalt örtlicher jüdischer Gemeinden spielen muss. Doch Zunz rechtfertigt seine Rolle, indem er sich auf religiöse Ideale beruft anstatt auf die Notwendigkeit eines kulturellen Rollenspiels. Diese idealistische Rhetorik stellt jedoch Geigers Appell an die Freiheit und Wahlmöglichkeit konkreter religiöser Gemeinden in Frage. Geiger beginnt also mit der Formulierung einer performativen Theorie des Rituals, der zufolge öffentliche Akte eine autoritative Bedeutung besitzen, die völlig jenseits der sie rechtfertigenden religiösen Prinzipien liegt. Will man verstehen, was es mit Zunz’ Kaschrut und Anlegen der tefillin auf sich hat, so deutet Geiger hier an, so möge man den Blick auf die kulturellen Erwartungen und Prämissen seiner Gemeinde richten und erkennen, was sie als gemeindliche Performanz bedeuten. Doch wenn es darum geht, nach innen zu schauen und „Gründe“ für diese Praktiken zu suchen, vermag zumindest Geiger darin keiner-

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lei Sinn zu entdecken. Gemäß dieser Lesart stiften materielle Objekte (wie die tefillin) und kulturelle Performanz (die Beachtung der Kaschrut und das Anlegen der tefillin) Sinn durch körperliches Handeln. Der Akt selbst – die Verwendung eines Gegenstands oder die rituelle Zeremonie – verleiht die Autorität der religiösen Präsenz. Man braucht sich nicht auf eine nachgeordnete Idee oder einen prinzipiellen Grund zu berufen, um einem Objekt oder rituellen Akt Bedeutung zuzusprechen. Wir tun etwas mit den Dingen, und der Sinn liegt in der Verwendung der Dinge selbst. Geiger schlägt diesen Weg zwar nicht ein, spürt aber, dass performative Akte religiösen Sinn kultivieren und bestimmen. Indem man Geiger gegen den Strich liest, wie es dieser Essay versucht, wird deutlich, dass auch Geiger die Pflicht anerkennt, Dinge zu tun, die ihre Rechtfertigung nicht in einem begründenden Prinzip finden. Vielmehr finden diese Akte ihren Sinn in der Handlung selbst sowie in der Verwendung der Gegenstände. Materielle Objekte helfen, persönliche Identität zu klären und darzulegen. Und bisweilen geschieht dies ohne unser Wissen und unsere Absicht. In seinem erkenntnisreichen Artikel über Gegenstände, Identität und Trauer38 macht Bill Brown geltend, man könne sagen, dass „menschliche Subjekte und unbelebte Objekte einander wechselseitig konstituieren“. Brown zeigt, auf welche Weise Objekte „Identität materialisieren“. In Amerika, wo das „abstrakte Subjekt der Demokratie“ eine stärker persönliche Akzentuierung erfordert, hilft das Sammeln von Gegenständen, jene abstrakte Identität mit einem „konkreten Inhalt“ zu verfestigen. Brown erinnert an Mark Twains Trauer über den Tod seiner Tochter Suzy und die Art und Weise, in der er ihren Tod mit dem Verlust eines brennenden Hauses in Zusammenhang brachte: „Twain betrauert ihren Verlust durch dessen [des Hauses] Verlust.“ Indem er den Tod eines Kindes mit dem Verlust eines physischen Objekts verbindet, veranschaulicht Twain, Brown zufolge, „die Art und Weise, in der Gegenstände die Seele berühren“.39 Gewiss, Geiger glaubte nicht daran, dass materielle Objekte die Seele auf jene Art und Weise berühren, die Brown beschreibt. Und doch zeigen seine Reflexionen über Emilies Krankenlager, dass er, wie unbewusst auch immer, anerkannte, dass Objekte zu religiösen Glaubensüberzeugungen und Praktiken dazugehören. Zwar bewegte er sich eher in einer idealistischen Welt idealer Bindungen, die rituelle Akte erzeugen, doch er ermutigte zugleich zu einer pragmatischeren Sichtweise, die 38 Bill Brown, „The Tyranny of Things (Trivia in Karl Marx and Mark Twain)“, Critical Inquiry 28 (2002), 442–469. 39 Ebd., 446, 465, 468.

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seine idealistische Rhetorik aufhob. Man kann schlicht nicht das Zusammenspiel zwischen religiösen Objekten und Ritualen (um Geigers rhetorische Wendung zu übernehmen) und den Glaubensüberzeugungen und Bindungen ignorieren, die sie vielfach verkörpern und prägen. Rituelle Gegenstände wie die tefillin sind voller religiöser Bedeutung, weit über die Prinzipien hinaus, die ihre rituelle Praxis rechtfertigen. Religiöse Gemeinschaften erwarten von ihren Führern geistige Nahrung, und Zunz (ebenso wie Geiger) musste sich den sozialen Erwartungen anpassen, um diese geistigen Bestrebungen zu fördern. Für Geiger ist das Anlegen der tefillin ein kultureller Akt mit religiöser Bedeutung, nicht jedoch ein obligatorischer Akt, der in biblischer Exegese, offenbartem Gebot oder spirituellem Ideal verwurzelt ist. Der mit diesem religiösen Objekt und rituellen Akt verbundene Sinn liegt jenseits unserer Denkmöglichkeiten. Stattdessen entsteht er im Zuge des Gebrauchs dieses Objekts im Rahmen öffentlicher Performanz. Diese Sensibilität für rituelles Handeln und rituelle Objekte erinnert für mein Empfinden stark an Mordecai Kaplan. So wie ich Kaplans zahlreiche Werke interpretiere, bringt seine Vorstellung einer jüdischen Zivilisation die Art und Weise zur Sprache, in der jüdische Praktiken in sich sinnstiftend sind. Wir müssen diesen Akten keine Glaubensüberzeugungen zuschreiben, von denen wir meinen, dass sie diese rechtfertigen, denn die Akte selbst bergen gleichsam alle Rechtfertigung, derer sie bedürfen, in sich selbst. Mit anderen Worten: Bereits das Tun dieser Dinge (und in Kaplans Fall: das Tun dieser Dinge gemeinsam mit anderen Juden) ist von Bedeutung. Zudem eignet diesen Objekten und Handlungen selbst dann Sinn, wenn wir diesen nicht beschreiben können. Man betrachte Kaplans Besessenheit von Ton und Bildhauerei, die seinen leidenschaftlichen Wunsch erkennen lässt, einen dauerhaften materiellen Gegenstand zu schaffen.40 Im Herbst 1929 erinnerte sich Kaplan in seinem Tagebuch an das Bedürfnis, „Erleichterung von Einsamkeit und Monotonie“ zu finden, die er beim Verfassen seines bedeutendsten Werkes, Judaism as a Civilization, empfand.41 So legte Kaplan den Stift aus der Hand, und „spielte mit Ton“, um ein Portrait seines Schwagers Jacob H. Rubin zu schaffen.42 Nach etwa zehn Stunden des 40 Die folgende Darstellung von Kaplans künstlerischem Schaffen stammt aus meinem neuesten Buch; vgl. Ken Koltun-Fromm, Material Culture and Jewish Thought in America (Bloomington und Indianapolis, IN: Indiana University Press, 2010), 26–28. 41 Mordecai Kaplan, Judaism as a Civilization: Toward a Reconstruction of AmericanJewish Life (New York: The Macmillan Company, 1934). 42 Mel Scult, Communings of the Spirit (Detroit: Wayne State University Press, 2001), 357.

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Modellierens des Kopfes formte er schließlich etwas, was Rubin entfernt ähnlich sah, und beschloss, die Büste mit zu dessen Sommerhaus zu nehmen, um letzte Verbesserungen vorzunehmen. Unterwegs kamen Kaplan jedoch Bedenken, so dass er erwog, wieder umzukehren: „Es schien mir viel zu lächerlich, dieses Herumspielen mit Ton so ernst zu nehmen, so als wüsste ich über mich selbst Bescheid.“ Er fuhr jedoch dennoch fort, verlieh der Büste am Donnerstag nach dem Mittagessen eine „starke Ähnlichkeit“ und gewann daraus das Selbstbewusstsein, das ganze Wochenende daran weiterzuarbeiten. Kaplan scheint ziemlich besessen von dem Stück Ton zu sein: Ich arbeitete am Freitag, am Samstagabend und am Sonntag bis vier Uhr nachmittags daran. Abgesehen von der Lektüre eines Heftes von Moznaim [einer literarischen Wochenzeitung] und fünfzig Seiten von [Stephen Vincent] Benet’s John Brown’s Body leistete ich während der gesamten vier Tage keinerlei intellektuelle Arbeit. Die Abwechslung von der Anstrengung, ein jüdisches Utopia aus dem zartesten Spinnengewebe von Möglichkeiten zu weben, und die Freude, die mein Modellierversuch bei jedem einzelnen der Leute im West End hervorrief, war äußerst belebend für mich.43

Man beachte, wie Kaplan die Freude beim Modellieren mit der „Anstrengung“ beim Verfassen akademischer Werke vergleicht. Der intellektuelle Kampf ist prekär und abstrakt, gesponnen aus dem „zartesten Spinnengewebe von Möglichkeiten“. Die Arbeit an Judaism as a Civilization erfüllte ihn nicht und brachte lediglich seine tiefe Angst vor Scheitern und Inkompetenz zu Tage. Doch die Erschaffung eines materiellen Objekts verschaffte anderen Menschen Freude und belebte zugleich Kaplans schöpferische Bestrebungen. Etwas Wirkliches zu schaffen, einen Gegenstand zu formen, der tatsächlich einem Menschen ähnelte, bewegte Kaplan auf eine Weise, wie es die „intellektuelle“ Arbeit nicht vermochte. Das Stück Ton holte Kaplan aus seiner intellektuellen Welt der „Einsamkeit und Monotonie“ und umgab ihn mit einem Leben realer Gegenstände, an denen er sich freuen und die er erschaffen konnte. Dieses Gefühl leidenschaftlicher Freude stellte sich einige Monate später noch einmal ein, im Oktober 1929, als Kaplan an einer Büste seines Vaters arbeitete. Er hatte sie dem Maler Joseph Tepper gezeigt, der ihn auf einige kleinere Makel an der Figur hinwies. Nur wenige Monate zuvor hatte Kaplan es noch für lächerlich gehalten, mit Ton zu spielen. Doch nun sträubte er sich gegen Teppers Kritik: „Makel oder nicht – bevor ich begann, sie neu zu formen, hatte sie eine stärkere Ähnlich43 Ebd.

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Abraham Geiger – kulturwissenschaftliche Reflexionen

keit mit Vater.“ Kaplan machte sich daran, eine exakte Ähnlichkeit zu schaffen, und verbrachte, wie er erzählt, etwa zwölf bis dreizehn Stunden damit. „Ich war bis 3.30 Uhr morgens wach und konnte mich einfach nicht davon losreißen, bis es mir gelang, die Ähnlichkeit zu Vater wiederherzustellen, und das gelang mir nur, indem ich erneut genau die Gesichtslinien formte, die Tepper am stärksten als nicht menschlich kritisiert hatte.“44 Gewiss spielen bei jemandem, der das Ebenbild seines Vaters zu schaffen versucht, tiefere psychologische Fragen eine Rolle und nicht allein die Faszination von materiellen Objekten. Doch man bemerke, wie Kaplan zum Meisterkünstler wird, und zwar nicht, indem er Teppers Kritik zurückweist, sondern indem er die Inkompetenz des Kritikers durch das Material selbst offenbart. Denn die Büste ähnelte erst dann Kaplans Vater, als er die Linien wiederherstellte, die zu beseitigen Tepper ihm nahegelegt hatte. Kaplan hatte es von Anfang an richtig gemacht, und er blieb die ganze Nacht auf, um zu beweisen, dass er besser und künstlerisch einfühlsamer war, als die Spezialisten (jene anderen „Väter“) es ihm gegenüber waren. Und es ist genau dieses Gefühl der Kompetenz und Überlegenheit, das Kaplan an seiner akademischen Arbeit vermisste. In diesem Bereich schämte er sich seiner geringen Anzahl an Publikationen und betrachtete das, was er geleistet hatte, als zarte Spinnweben im Vergleich zu solideren, handfesteren Dingen. Doch indem er ein materielles Objekt schuf, das Ähnlichkeit mit dem Wirklichen besaß, betonte Kaplan den Unterschied zwischen Gedanken und Dingen: „Ich wünschte, meine literarischen Aufgaben und Studien könnten so Besitz von mir ergreifen wie dieses Modellieren.“45 Diese Art künstlerischer Arbeit ist für Kaplan deshalb so packend, weil es sich um einen materiellen Gegenstand handelt, der einen bleibenden Eindruck zurücklässt. Aus Kaplans Sicht stellen akademische Arbeiten eine Flucht in ein jüdisches Utopia dar. Ein Modell aus Ton dagegen ist ein dauerhafter Gegenstand voll Freude und Leidenschaft. Er entdeckt und verwirklicht seine persönliche Identität, indem er einen materiellen Gegenstand schafft. Kaplans Ansehen und Kompetenz erwächst aus materieller Produktion. Kurz: Kaplan tut etwas mit Dingen, und diese materielle Praxis lässt eine ganz andere Persönlichkeit sichtbar werden als jene des um akademische Auszeichnung Wetteifernden. Das ist es, was ich mit Hilfe einer performativen Theorie des Rituals auszusagen versuche: Die Bedeutung, die diese Rituale für uns haben, 44 Ebd., 370. 45 Ebd.

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gewinnen sie für uns durch deren Performanz. Kaplan legt in seinem Tagebuch diesen materiellen Diskurs offen; Geiger dagegen deutet nur an, auf welche Weise materielle Objekte religiöse Identität beeinflussen. Gewiss, Geiger war ein Denker seiner Zeit und bediente sich zur Rechtfertigung ritueller Reformen häufiger einer idealistischen Rhetorik. Zugleich übernahm und förderte er – im Sinne der Aufklärung – Prinzipien der Toleranz, des vernünftigen Diskurses und der Menschenrechte, und diese Werte stellten das traditionelle Judentum, das ihm aus seiner Jugend vertraut war, in Frage. Sich ganz auf die Reformideologie zu konzentrieren, würde jedoch dazu führen, dass man übersieht, auf welche Weise eine performative Theorie des Rituals die gegenwärtige jüdische Praxis mit Leben erfüllen kann. Denn aus Geigers Sicht liegt das Problem der religiösen Autorität nicht im inneren geistigen Gehalt begründet, sondern in den öffentlichen Ausdrucksformen. Es stimmt, dass Geiger von der Vitalität und wesentlichen Kraft einer inneren geistigen Sensibilität ausgeht, doch es ist das öffentliche religiöse Ritual, das die religiöse Kraft dieser latenten Spiritualität bestimmt. Erkennbar wird das in Geigers Interpretation biblischer Texte, die Modelle weiblicher Tugend zur Verfügung stellt. Er macht geltend, dass solche Modelle sich aus inneren weiblichen Zuständen herleiten, doch seine Texte stehen seinen eigenen Absichten entgegen, insofern sie eine stärker performative Beschreibung rituellen Handelns bieten. Es ist die jüdische Praxis, die geistige Reflexion hervorbringt und religiöse Autorität erzeugt. Das galt für Geigers Deutschland des neunzehnten Jahrhunderts und gilt heute noch weit mehr. Liest man Geiger gegen den Strich, wie ich es in diesem Essay versucht habe, so wird die Macht religiöser Objekte und Rituale deutlich, die persönliche und gemeindliche Identität zu beleben. In meiner eigenen Arbeit möchte ich eine Brücke zwischen jüdischem Denken und den Kulturwissenschaften schaffen. Ein solches Forschungsfeld ist so breit und flexibel, dass es auch Raum für Abraham Geiger bietet, der über das Wesen und den Geltungsbereich kultureller Praktiken reflektiert. Als Pädagoge und Theologe hat Geiger mich vieles gelehrt. Ein Aspekt dabei ist die Würdigung der Vitalität des gelebten Lebens und der materiellen Kultur, in der dieses Leben eingebettet ist.

Vom problematischen Dasein eines Reformers: Abraham Geigers Leben an vorderster Front Andreas Gotzmann Das neunzehnte Jahrhundert ist in vielerlei Hinsicht erstaunlich. Im Rückblick hat man das Gefühl, als habe jemand die Fenster weit aufgestoßen, so dass ein Schwall frischer Luft durch den Raum weht, das bislang scheinbar Festgefügte durcheinander wirbelt und den Staub von den Dingen bläst. Dies gilt mit Sicherheit für das deutsche Rabbinat und seine Repräsentanten. Während die frühneuzeitlichen Rabbiner mit ganz wenigen Ausnahmen in alter Tradition weitgehend hinter ihrem Werk verschwinden und nur von wenigen Amtsportraits existieren, treten mit der ersten Rabbinergeneration der Moderne plötzlich Personen auf die Bühne, die neben ihren Schriften ein Gesicht und eine in vielen Details fassbare Biografie aufweisen. Zeichnete sich das Rabbinat zuvor vor allem durch die beiden eng miteinander verknüpften Aspekte eines ehrwürdigen Alters und stetiger, zugleich eher abgeschlossener frommer Gelehrsamkeit aus, so treten nun junge Männer in Erscheinung, die in vielerlei Hinsicht einen Gegenentwurf zu jenem Bild darstellen. Es ist eine breite Riege von – aus heutiger Sicht – sehr jungen Männern Anfang zwanzig, die mit beeindruckendem Elan und einem erstaunlichen Selbstbewusstsein in dieses Amt drängten, um das Bild des Rabbiners ebenso zu verändern wie die Inhalte des Berufs.1 Sie setzten der alten Lerntradition religiöser Texte im Rahmen einer rasant wachsenden Öffentlichkeit Pamphlete, Streitschriften und wissenschaftliche Studien entgegen, veränderten dabei die Inhalte und Formen religiösen Wissenserwerbs und wurden – anders als das eher im Hintergrund agierende, stark von den Gemeindeleitungen abhängige Rabbinat der Frühen Neuzeit – zu den Wortführern des jüdischen neunzehnten Jahr1

Jugendlichkeit ist im öffentlichen Diskurs um das Rabbinat ein ganz entscheidender, neuer Faktor. Vgl. Abraham Geiger, Nachgelassene Schriften, hrsg. von Ludwig Geiger, Bd. 5 (Berlin: Louis Gerschel, 1878) 77–79 (= Brief Geigers an Samson Raphael Hirsch, Wiesbaden, 24.3.1832); ebd., 158 (= Brief Geigers an Leopold Zunz, Breslau, 8.-24.8.1841); ebd., 142 (= Brief Geigers an Jakob Auerbach, Berlin, 13.-21.6.1839).

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hunderts. Sie waren die Sprachrohre des deutschen Judentums, hinter welche die – wohlgemerkt weiterhin funktionierenden – alten Machtfaktoren vergleichsweise geschlossener Gemeindeleitungen und zentraler familiärer Netzwerke zumindest in der öffentlichen Wahrnehmung zurücktraten. Dabei entspricht dieses Bild des modernen Rabbiners den tatsächlichen Machtverhältnissen ebenso wenig wie die stereotype Kennzeichnung des frühneuzeitlichen Rabbiners als primäre Autorität jüdischer Gemeinden. Denn obwohl sich das Rabbinat in seiner Selbstdarstellung, Position und Identität entscheidend veränderte, zeigt ein genauerer Blick, dass auch dieses Bild stereotyp ist, die Personen sich weder in ihrer Individualität noch in ihren handlungsleitenden Intentionen und sozialen Bezügen vollständig erfassen lassen, und dies gerade, da viele der modernen Rabbiner sich nunmehr in besonderem Maße als öffentliche Personen präsentierten. Der Anspruch, einer Person wirklich ,nahe‘ zu kommen, ist dem neunzehnten Jahrhundert natürlich nicht wirklich angemessen. Jedem der Zeitgenossen wäre eine solche Vertraulichkeit, die sich womöglich sogar für die inneren Beweggründe des Handelns, die individuellen Ansprüche, aber auch für Situationen der Ohnmacht interessiert, fremd und als Übergriff erschienen. Uns bleiben auch die neuen Rabbiner trotz ihrer ostentativen Sichtbarkeit eigenartig fremd, und dies in eben dem Maße, in dem sie in ihren Schriften und Selbstdarstellungen sowie in der öffentlichen Wahrnehmung ein neues Bild des Rabbiners als Gelehrter, Reformer oder Bewahrer – und natürlich als gebildeter, bürgerlicher Mann – entwarfen. Hinter diese zwar an Dimensionen reichere, aber dennoch verschlossene Fassade, die von den Zeitgenossen mit ziemlicher Sicherheit wohl sehr viel weniger als solche wahrgenommen wurde, lässt sich nur schwer blicken. Ebenso wie die frühneuzeitlichen Rabbiner hinter dem Amt und den Funktionen, die sie charakterisierten, verschwanden, waren auch die modernen Rabbiner Chiffren ihrer selbst, wenn dies auch andere Inhalte und eine breitere öffentliche Präsenz und Präsentation ihrer Person umfasste. Ein entscheidender Unterschied zu ihren Vorgängern liegt dabei auf der Hand: Während jene in eine lange Tradition eingebettet waren, die im Rahmen eines gesamtgesellschaftlichen Interesses an Amtspersonen, ihren Funktionen und ihrer Erkennbarkeit allenfalls einigen herausragenden Persönlichkeiten eine gewisse Variabilität und dabei auch eine größere individuelle Sichtbarkeit ermöglichte, mussten die neuen Amtsvertreter eine solche amtsspezifische öffentliche Figur, das Modell des modernen Rabbiners, erst schaffen. Und mit der Zunahme an Öffentlichkeit, der Veränderung der kulturellen Deutungsmodelle und zugleich der Selbstwahrnehmung und öffentlichen Präsentation des Judentums pluralisierte sich dieses

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Bild in ganz erstaunlicher Weise, so stereotyp es im Rückblick auch erscheinen mag. Abraham Geiger, zweifellos eine der zentralen Gestalten des modernen Rabbinats, illustriert diese Aspekte in ganz besonderer Weise, da er im Hinblick auf jenes neue Bild des Rabbiners in jeder Hinsicht an vorderster Front stand. Gemeinsam mit den bekanntesten Vertretern des Rabbinats war er es, der dieses neue Bild überhaupt erst schuf. Dabei war er weder der erste moderne Rabbiner noch etwa der typische Vertreter dieser neuen Tradenten kultureller Identität. Geigers Person illustriert eher das Extrem, da er wie kaum ein anderer seiner Kollegen viele der zentralen Kämpfe persönlich ausfocht. Wie nur wenige andere stilisierte er sich zudem selbst öffentlich und erwarb durch die langanhaltenden Konflikte eine dauerhafte Präsenz und spezifische Gestalt: Geiger wurde in besonderer Weise zum Symbol des Reformrabbiners an sich.2 Dabei sind die unterschiedlichen Stilisierungen durch ihn und andere nicht klar voneinander zu trennen. Selbst das zeitgleiche Negativbild Geigers hing direkt von seinem Agieren oder jenen Inszenierungen als Reformer und Geistesheros ab, die dem positiven Bild zugrunde lagen. Zudem erfuhren diese eine deutliche Dynamisierung, wobei die Grenzziehungen zwischen Freund und Feind schon recht früh festgelegt waren. Dies erklärt sich aus vielerlei Faktoren, unter anderem zweifellos aus Geigers eigener Aggressivität und der Emphase, mit der er die ihm wichtigen Inhalte vertrat, wobei er – wie andere auch – die Positionen, die er kritisierte, sehr schnell und meist dauerhaft mit der Person verknüpfte, die sie vertrat. Entscheidend ist jedoch vor allem, dass Geiger bereits früh in seinem Leben und von da an durchgängig an der Spitze der jüdischen Reformbewegung stand, ja bald sogar zu deren Vor2

Michael A. Meyer, Antwort auf die Moderne. Geschichte der Reformbewegung im Judentum (Wien, Köln und Weimar: Böhlau, 2000), 138–152; Michael A. Meyer, „Abraham Geiger’s Historical Judaism“, in Jakob J. Petuchowski (Hrsg.), New Perspectives on Abraham Geiger: An HUC-JIR Symposium (Cincinnati: Hebrew Union College, 1975), 3–16; Andreas Gotzmann, Jüdisches Recht im kulturellen Prozeß. Die Wahrnehmung der Halacha im Deutschland des 19. Jahrhunderts (Tübingen: Mohr Siebeck, 1997), 187, 194, 211–214; Andreas Gotzmann, Eigenheit und Einheit. Modernisierungsdiskurse des deutschen Judentums der Emanzipationszeit (Leiden und Boston: Brill, 2002), 31–66; Susannah Heschel, Der jüdische Jesus und das Christentum. Abraham Geigers Herausforderung an die christliche Theologie, übers. von Christian Wiese (Berlin: Jüdische Verlagsanstalt, 2001); Ken Koltun-Fromm, Abraham Geiger’s Liberal Judaism: Personal Meaning and Religious Authority (Bloomington und Indianapolis, IN: Indiana University Press, 2006); Christian Wiese, Challenging Colonial Discourse: Jewish Studies and Protestant Theology in Wilhelmine Germany (Leiden und Boston: Brill, 2005), 88, 162, 187.

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reiter stilisiert wurde.3 Tatsächlich befand sich Geiger an nahezu allen Punkten seines Wirkens in direkter Auseinandersetzung mit dem traditionellen Rabbinat und der sich daraus parallel entwickelnden Orthodoxie. Zudem ging er bei der Neudefinition des Rabbineramtes und seiner Inhalte stets einen entscheidenden Schritt weiter als die meisten seiner Kollegen. Beides brachte ihn mit den etablierten, noch weitgehend frühneuzeitlichen organisatorischen Strukturen der jüdischen Gemeinden und mit den konservativen Kräften in Konflikt. Wie sehr er an vorderster Front stand und zum – allerdings überzeichneten – Paradigma des Reformers wurde, lässt sich daran ablesen, dass fast jeder Schritt seines Lebens zu aufreibenden Auseinandersetzungen führte und weit stärker als bei anderen Reformern von langanhaltenden öffentlichen Kontroversen begleitet wurde. Dieser besonderen Problematik und der Dynamik des Lebenswegs eines Reformers, der die Erneuerungsbewegung zu verkörpern schien, soll hier nachgegangen werden. Dies geschieht einmal durch einen Blick auf Besonderheiten seiner Positionierung. Zum anderen gilt das Interesse der Dynamisierung der Auseinandersetzungen, die zu jenem spezifischen Bild Geigers beitrugen. Das hier gezeichnete dynamischere, an Perspektiven reichere Bild steht im Gegensatz zu den bislang vorherrschenden einseitigen Darstellungen Geigers, die ihn in der Regel als Fels in der Brandung und als einen Geistesheroen vorstellten, der für die Klarheit der neuen religiösen Lehre stand. Diese Faszination an der Chiffre Geiger erklärt sich dadurch, dass solche Stilisierungen und die dauerhaften, starken geistesgeschichtlichen Verweise darauf bereits zu einem sehr frühen Zeitpunkt etabliert wurden und zunehmend für die Legitimität 3

Ludwig Geiger, Abraham Geiger. Leben und Lebenswerk (Berlin: Reimer, 1910), 228. Neben Geigers Selbststilisierungen findet sich dies schon in den 1840er Jahren, so etwa in der Beschreibung eines Teilnehmers an der Braunschweiger Rabbinerversammlung über Geigers verspätetes Eintreffen: „,Alles schaarte sich‘, so schildert ein Zeitgenosse, ,um den kleinen Mann mit dem durchdringenden Blick und dem langen herabhängenden Haare wie um einen Heiligen […] als wollten sie sagen: Du bist ja doch unser Aller Vorkämpfer, Du hast den Weg der kritischen Forschung, des Fortschritts im Rabbinismus, zuerst uns eröffnet, zuerst die Idee einer lebendigen Fortbildung im Judenthume ausgesprochen‘“; vgl. Geiger, Nachgelassene Schriften, Bd. 5 (wie Anm. 1), 118f. Vgl. auch Geigers Mischung aus Stolz und Ärger, als er vom orthodoxen Frankfurter Rabbinat um ein Gutachten in Sachen Beschneidungsverweigerung gebeten wurde; ebd., 170 (= Brief Geigers an Moritz Abraham Stern, Breslau, 25.8.1843): „R. Beer Adler [Dajan der Frankfurter Gemeinde] hat selbst meinen Bruder Jakob aufgefordert, er solle an mich schreiben, ich sei der einzige Mann, der bei der neuen Partei Gewicht habe, ich könne dadurch den Glauben vor gänzlichem Verfall retten. An mir freilich prallen solche Geschosse ab, und die Leute schämen sich doch auch, sich direct an mich zu wenden.“

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der religiösen Positionen bürgten, die damit verbunden waren oder aber sich davon absetzten. Dahinter verschwanden entscheidende Merkmale Geigers, etwa seine zumeist prekäre Position und sein stetiger persönlicher, oft existenzbedrohender Kampf gegen Widerstände, denn diese Zugangsweise, die seiner Person und seinen Lebensumständen weit angemessener wäre, hätte seine negative Wahrnehmung als ein problematischer Grenzgänger gestärkt. Verfolgen wir Geigers Lebensweg in groben Schritten und richten unseren Blick dabei systematisch auf einige wenige Aspekte, so wird bereits deutlich, wie schwierig dieser war. Aufgewachsen als Kind einer in Frankfurt etablierten, eher armen Familie mit etlichen rabbinischen Gelehrten und Gemeindefunktionären im Stammbaum, stand der 1810 geborene Abraham Geiger zwar nicht in der ersten Reihe religiöser Neuerer, wie er denn auch nicht zu den ersten Vertretern des sich rapide verändernden Rabbinats zählte; er wurde jedoch in die Periode wachsender Auseinandersetzungen hineingeboren. Dies zeigt sich bereits in seinem Bildungsgang. Während andere Kinder der Gemeinde und viele seiner späteren Berufskollegen bereits eine moderne schulische Erziehung genossen, ließ Geigers Familie ihn aufgrund der Frömmigkeit des Vaters nicht auf die moderne jüdische Schule in Frankfurt – das Philanthropin – gehen, da diese den Ruf einer religiösen Reformeinrichtung hatte. Er erhielt zunächst die damals für breite Schichten noch übliche grundlegende Erziehung in einer jener Schulen, die zunehmend als „Winkelschulen“ bezeichnet und nach und nach abgeschafft wurden. Sie boten von mehr oder weniger gebildeten Lehrern geleitete Schulstunden, in denen die untere Mittelschicht und Kinder der ärmeren Gemeindemitglieder in grundlegenden religiösen Dingen, in der Regel aber auch allgemeinen Fertigkeiten unterrichtet wurden. Die eigentliche religiöse Bildung erwarb Geiger innerhalb der Familie, was bei Gelehrtenfamilien durchaus üblich (da kostengünstig) war. Einen Ersatz für eine allgemeine moderne Schulbildung erhielt er mit Hilfe eines Stipendiums der Familie Rothschild, die für ihn Privatlehrer bezahlte, und etliches brachte er sich – wie viele der Maskilim des achtzehnten Jahrhunderts vor ihm – selbst bei. Letztlich erhielt er nie eine geschlossen moderne schulische Bildung oder legte eine der üblichen Prüfungen ab. Entsprechende Empfehlungsschreiben ersetzten dies, was zu seiner Zeit sicherlich nicht unüblich war, im Rahmen der Modernisierung jedoch auf einen noch brüchigen, konservativen Bildungsweg verweist.4 Auch Geigers rabbinischer Bildungsgang verlief nicht ideal. Während viele seiner späteren Kollegen im Rabbinat ihre Studien ab einem 4

Ebd., 6–8; L. Geiger, Abraham Geiger. Leben und Lebenswerk (wie Anm. 3), 8–20.

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gewissen Punkt bei bekannten Gelehrten, der Tradition folgend meist an verschiedenen Jeschiwot fortführten, um von diesen die für das Rabbinat erforderlichen Autorisationen zu erhalten, wurde Geiger nach dem frühen Tod des Vaters von seinem ältesten Bruder unterrichtet.5 Womöglich erklärt sich dies durch die nun noch prekärere finanzielle Lage der Familie, wiewohl Stipendien gerade für vielversprechende Talente wie Abraham Geiger nicht ungewöhnlich waren. Wie vielen der später als Theologen arbeitenden Zeitgenossen war aber auch seiner Familie bewusst, dass der Besuch einer Universität inzwischen auch für das Rabbinat ein Vorteil, wenn nicht gar eine Notwendigkeit darstellte. Seine Brüder finanzierten ihm daher ein Studium – erst in Heidelberg, dann in Bonn. Geiger beschrieb insbesondere diesen Schritt als Bruch mit dem bisherigen kulturellen Selbstverständnis. Dies erfuhr auch seine Umwelt; so berichtete Liebmann Adler, wie Geiger in den Semesterpausen in Frankfurt die Lehrstunden des Frankfurter Oberrabbiners Salomon Salman Trier besuchte und dort die anderen Studenten mit seinen „gesunden logischen Ansichten“ verblüffte und verwirrte, „was ihm die halb bestürzten über ihn sich erhaben dünckenden Jünger als große Anmaßung auslegten“.6 Die Distanzierung von der etablierten Zugangsweise zur religiösen Tradition war demnach bereits gegeben, was Geiger selbst auch sah; dabei bewegte er sich mit einiger Selbstsicherheit am Rande der bestehenden Strukturen. Geiger, der sich bereits früh für die Sprachwissenschaft interessierte, bereitete sich – anfangs vermutlich eher von seiner Familie getrieben – auf das Rabbinat vor, tendierte nach der Begegnung mit anderen Rabbinatskandidaten aus dem konservativen südwestdeutschen Umfeld aber zunächst zu einer akademischen Karriere als Philologe.7 Nachdem der Wechsel an die Universität Bonn ihn in liberalere Kreise gebracht hatte und als ihm bewusst wurde, dass für ihn als Juden eine Gelehrtenexistenz nahezu ausgeschlossen war, entschloss er sich mit Verve erneut für das Rabbinat.8 Nach seinen Heidelberger Erfahrungen, vermutlich aber auch aufgrund des Desinteresses des Bonner Rabbiners, erfolgte die eigentliche rabbinische Ausbildung dort im Selbststudium gemeinsam mit anderen Rabbinatskandidaten.9 Als Geiger auf Drängen der von seinen Studien eher ernüchterten Brüder die universitäre Ausbildung mit 5 6 7 8 9

Gotzmann, Eigenheit und Einheit (wie Anm. 2), 49–58. Illinois Staats-Zeitung, 27. Jg. Nr. 273, Chicago Mi. 18.11.1874 (ohne Paginierung erhalten). Geiger, Nachgelassene Schriften, Bd. 5 (wie Anm. 1), 26f. Ebd., 51 (= Brief Geigers an Schulrat Rossel [Aachen], Bonn, 30.5.1831). Dabei verweist Geiger in seinen autobiografischen Tagebucheinträgen darauf, dass er selbst keine Jeschiwa – „die bekannte jüdische Jesuitenschule in Würzburg“ unter

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einer Dissertation abschloss – dies mit einer für ihn persönlich ausgelobten Preisarbeit, die ihm hohe Anerkennung verschaffte –, tat er dies aus Kostengründen als externer Promovend ohne weitere Prüfungen an der Universität Marburg. Parallel zu der Verleihung der Doktorwürde erteilte ihm der zu konservativen Reformen tendierende Ortsrabbiner Moses Gosen ein Rabbinatsdiplom (ob dies mit einer spezifischen Prüfung verbunden war, ist allerdings fraglich), mit dessen Hilfe er nun eine Stelle suchte.10 Während die Mehrzahl der Rabbinatskandidaten weiterhin die vorgeschriebenen drei Prüfungsbescheinigungen erwarb, konnte Geiger dergleichen nicht vorweisen, da ihm, wie man ihm später nachsagte, das Frankfurter Rabbinat unter Salomon Trier aufgrund seiner Ansichten auch kein weiteres erteilt hätte. Allerdings amtierte derselbe Oberrabbiner später sogar bei der Trauung Geigers, und angeblich erhielt Geiger vor Antritt der Breslauer Stelle doch ein Rabbinatszeugnis aus Frankfurt, wofür es jedoch keine Belege gibt.11 Geiger erhielt seine erste Stelle in der Wiesbadener Gemeinde als Ortsrabbiner, und dies – für das traditionelle Rabbinat ungewöhnlich, damals aber auch bei anderen jungen Rabbinern der Fall – als Unverheirateter. Die besondere Situation in Wiesbaden brachte den inzwischen verlobten Geiger in erheblichen Zugzwang, der seine Wiesbadener Zeit, letztlich sogar einen erheblichen Teil seiner Karriere bestimmen sollte. Zunächst war da das geringe Gehalt, das trotz eines Zuschlags für die Miete nicht zur Gründung einer Familie reichte.12 Daher versah Geiger gemäß einem durch die Landesregierung vermittelten Kompromiss in der Gemeinde zugleich das Amt eines Lehrers, wodurch sein schmales Einkommen für diese überhaupt erst finanzierbar wurde.13

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dem berühmten Gelehrten Abraham Bing – besuchen wollte; vgl. Geiger, Nachgelassene Schriften, Bd. 5 (wie Anm. 1), 17. L. Geiger, Abraham Geiger. Leben und Lebenswerk (wie Anm. 3), 26. Geiger, Nachgelassene Schriften, Bd. 5 (wie Anm. 1), 110; das Rabbinatsdiplom soll anlässlich der Eheschließung im Auftrag des Frankfurter Vorstands übergeben worden sein; vgl. Michael Brocke und Julius Carlebach (Hrsg.), Biographisches Handbuch der Rabbiner, Teil I: Die Rabbiner der Emanzipationszeit in den deutschen, böhmischen und großpolnischen Ländern, 1781–1871, bearbeitet von Carsten Wilke, 2 Bde. (München: K. G. Saur, 2004), hier Bd. 1, 360. Geiger, Nachgelassene Schriften, Bd. 5 (wie Anm. 1), 68; das Gehalt betrug 400 fl.; vgl. Brocke und Carlebach (Hrsg), Biographisches Handbuch der Rabbiner, Bd. 1 (wie Anm. 11), 360; die Wohnungszulage betrug 120 fl. Nach L. Geiger, Abraham Geiger. Leben und Lebenswerk (wie Anm. 3), 31 war die Wohnung kostenfrei, wurde aber von der Gemeinde in ihrem Haushalt mit 60 fl. veranschlagt. Offenbar versuchte ein erheblicher Teil der Gemeinde, Geiger schon bald nach seiner Amtseinführung wieder loszuwerden. Vgl. HHStA Wiesbaden, Abt. 210, Nr. 2767, Fasc. 100 927; fol. 28r-v; Hzgl. Landesregierung an das Hzgl. Nassauische Staatsmi-

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Geiger war in dieser gesamten Zeit – ebenso wie anschließend in Breslau – gezwungen, um sein Gehalt zu kämpfen. Während es in Wiesbaden zweifellos um die Grundsicherung ging, sollte es sich zumindest nach den Anfangsjahren in Breslau mehr und mehr auch darum handeln, was angemessen und mit der bürgerlichen Wahrnehmung der eigenen Person und des beanspruchten Status vereinbar war. Zur gleichen Zeit musste sich Geiger, wie einige jüngere Rabbiner in dieser Umbruchphase, sein Amt, die damit verbundenen Funktionen und teilweise auch die Rechte erst erarbeiten, denn der erste Schritt des weiterhin offenen Emanzipationsprozesses war stets die Abschaffung öffentlich anerkannter Rabbinatsgerichte gewesen – meist mit Ausnahme einiger familienrechtlicher Belange. Während mit den Gerichtssporteln ein erheblicher Teil des Einkommens verloren ging, was bei bereits amtierenden Rabbinern häufig erst auf deren Klage hin aufgewogen wurde, brach zunehmend das zweite Standbein des Rabbinats weg, die Rolle, zugleich Lernender und Lehrender zu sein, also die religiösen Schriften etwa in Lernzirkeln im Sinne des alten Frömmigkeitsideals zu vermitteln.14 In dem Maße, in dem die allgemeine Schulpflicht und eine moderne Bildung durchgesetzt und oft zunächst durch die jüdischen Gemeinden organisiert wurden, wurde insbesondere die höhere jüdische Bildung noch stärker als bisher zu einer Enklave für Spezialisten. Noch konnte sie sich aufgrund der alten Organisationsstruktur beispielsweise im Kreise der Bruderschaften halten, sie verlagerte sich aber von einem allgemeinen Bildungswesen zu einer privaten Frömmigkeitsübung und stand zumindest den Gemeinderabbinern als Zusatzeinkommen meist nicht mehr zur Verfügung.15 Zugleich setzten sich zwar häufig auf obrigkeitlicher Seite ebenso wie auf Seiten der Gemeindeleitung Vorstellungen durch, die durchaus an traditionelle nisterium (Wiesbaden, 23.9.1835): „[…] die hiesige Judengemeinde respc. ein grosser Theil derselben hat bei uns schon um die Erlaubniß gebethen, den mit dem Rabbiner Geiger abgeschlossenen Contract ihm aufkündigen zu dürfen, weil ihnen die Ausgabe für dessen Besoldung zu schwer falle. Wir haben darin ein Erleichterungsmittel gefunden, dass Geiger sich bereit erklärt hat, den Judenkindern den Religionsunterricht selbst zu ertheilen, wodurch dann die Besoldung für einen eigenen Lehrer der Kinder erspart wird“; vgl. L. Geiger, Abraham Geiger. Leben und Lebenswerk (wie Anm. 3), 21f.; siehe dort den Anstellungsvertrag Geigers. 14 Gotzmann, Jüdisches Recht im kulturellen Prozeß (wie Anm. 2), 100–106; Monika Preuß, Gelehrte Juden. Lernen als Frömmigkeitsideal in der frühen Neuzeit (Göttingen: Wallstein, 2007). 15 Ein entscheidender Schritt in diesem Zusammenhang war die Notwendigkeit, bislang dezentral bzw. nur in treuhänderischer Verwaltung durch die Gemeinde betreute Lehrstiftungsgelder zusammenzuziehen und umzuwidmen, um die nunmehr von außen vorgeschriebenen jüdischen allgemeinen Schulen zu finanzieren.

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Funktionen des Rabbiners als Autoritätsperson und Garant von allgemeiner Ordnung, Moralität und Sittlichkeit anknüpften. Diese Aspekte wurden jedoch immer stärker mit spezifischen Amtsfunktionen im Rahmen einer als Zentralverwaltung gedachten Gemeindeorganisation verbunden, ein Konzept, das die obrigkeitlichen Funktionen des christlichen Klerus auf das Rabbinat übertrug. Geiger griff diese Ansätze in Wiesbaden sofort auf und versuchte die Reorganisation der jüdischen Gemeinden im Sinne einer solchen Zentralisierung voranzutreiben, und zwar in Orientierung an dem in einigen deutschen Staaten wie Baden oder Württemberg teilweise umgesetzten Modell der französischen Konsistorialverfassung.16 Dies war zwar im Sinne sowohl der eigenen Gemeinde als auch der örtlichen Behörden, entsprach jedoch kaum den Vorstellungen der Landesregierung, die selbst den Emanzipationsforderungen abwartend und eher ablehnend gegenüber stand. Wie die meisten jüdischen Gemeinden des Herzogtums Hessen-Nassau hielt die Regierung am status quo fest, denn in ihren Augen blieben die jüdischen Einwohner weiterhin Schutzbefohlene im Sinne des voremanzipatorischen Rechtsstatus. Die kleinen Gemeinden bevorzugten weiterhin die alte Organisationsform letztlich unabhängiger Einheiten, und sei es nur aus finanziellen Gründen. Aus Geigers Perspektive galt es jedoch, möglichst exklusive Amtsfunktionen zu definieren und wenn möglich sogar zu erweitern, um so dem Amt Autorität zu verleihen und dessen Einflussbereich festigen zu können.

I. Lehramt Ein zentrales Element war dabei der Schulunterricht. So entwarf Geiger für die Gemeinde Pläne für eine Schule und erteilte zugleich einen modernisierten Unterricht. Zudem richtete er mehrfach Petitionen an die Obrigkeit und forderte, man müsse das jüdische Schulwesen des gesamten Herzogtums prüfen und reorganisieren. Dadurch verband er sein Amt nicht nur mit einem modernen, fortschrittsfreundlichen Bildungsbegriff, sondern forderte für sich zugleich – über die eigene Gemeinde hinaus – die Oberaufsicht über die Inhalte und Qualifikation der Lehrenden. Dies war gleichzeitig eine Positionsbestimmung, denn während diese Funktion in vielen der sich modernisierenden Staaten weiterhin dem christlichen Klerus überlassen blieb und nun auch 16 Adolf Kober, „Abraham Geigers Bemühungen um die Organisation der jüdischen Unterrichts- und Kultusverhältnisse im ehemaligen Herzogtum Nassau“, in Ismar Elbogen, Josef Meisl und Mark Wischnitzer (Hrsg.), Festschrift zu Simon Dubnows siebzigstem Geburtstag (Berlin: Jüdischer Verlag, 1930), 215–225, bes. 219.

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für den jüdischen Bereich galt, wollte Geiger eine eigenständige jüdische Verwaltung etablieren. So forderte er, die bereits angestellten jüdischen Lehrer beziehungsweise Bewerber des Wiesbadener Umlandes prüfen zu dürfen, was in etlichen Fällen bewilligt wurde. Wie erhaltene Prüfungszeugnisse Geigers belegen, verliefen diese Prüfungen in der Mehrzahl der Fälle sehr unbefriedigend.17 Dies war kaum anders zu erwarten, denn die meisten Lehrer jüdischer Gemeinden waren als Armenlehrer angestellt worden, die ähnlich wie auf christlicher Seite vor allem kostengünstig sein und erst in zweiter Linie Kenntnisse, nur selten überhaupt eine Qualifikation mitbringen mussten.18 Ferner muss man sich vergegenwärtigen, dass Geiger bei seinen vermutlich sogar nachsichtigen Prüfungen universitäre Maßstäbe anlegte und Inhalte – wie etwa ein klares grammatisch geschultes Verständnis der hebräischen Sprache sowie eingehende Kenntnisse der Hebräischen Bibel – voraussetzte. Diese waren noch in seiner Generation gerade auf dem Niveau der Grundschullehrer, zumal in den armen Landgemeinden, aber nicht zu erwarten. Wie anderen Rabbinern auch, bot dies Geiger allerdings recht zuverlässig die Möglichkeit, sich selbst und seinem Amt vor der Obrigkeit, aber auch in den Gemeinden im Rahmen der Modernisierungsbestrebungen einen guten Ruf und neue Amtsbefugnisse zu verschaffen. Die Prüfungen ebenso wie Geigers Vorschläge einer zentralisierten Bildungsorganisation und -aufsicht durch das Rabbinat waren aus heutiger Perspektive zweifellos überfällig und angemessen.19 Aus Sicht insbesondere der überschuldeten Landgemeinden, die sich hier der Kritik und zunehmenden Kostenforderungen ausgesetzt sahen, stellte sich dies allerdings anders dar, denn in der Folge wurde man verpflichtet, Lehrer und darüber hinaus solche mit universitärer Bildung anzustellen. Wahrscheinlich wurden dadurch wie anderenorts zudem auch vereinzelt familiäre Versorgungsansprüche unterwandert und soziale Netzwerke in Frage gestellt, was gleichermaßen zu Verstimmungen und zur Ablehnung beitrug. Auch der Landesregierung selbst war all dies zu forsch. Selbst der Verbesserung offenkundiger Mängel im Bereich der jüdischen Grundschulbildung stand man sehr zurückhaltend gegenüber, zumal man sich 1817 für das fortschrittlichere Konzept konfessioneller Simultanschulen entschieden hatte.20 Geiger selbst schuf sich dennoch, 17 HHStA Wiesbaden, Abt. 211, Nr. 11474, Nr. 11519, Nr. 11539; Abt. 229, Nr. 2507; Abt. 290, Nr. 52; Abt. 293, Nr. 395. 18 Gotzmann, Eigenheit und Einheit (wie Anm. 2), 28–66. 19 Kober, „Abraham Geigers Bemühungen“ (wie Anm. 16), 217f. 20 Vgl. HHStA Wiesbaden, Abt. 210, Nr. 2767 Fasc. 100 927; demnach machte sich die Landesregierung jedoch durchaus Geigers Ansinnen für eine grundlegende Reform und eine rabbinische Supervision der existierenden Lehrer durch den hierbei „eif-

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wie auch andere Reformrabbiner, klare Kompetenzbereiche. So engagierte er sich besonders im schulischen Bereich und unterrichtete letztlich die Kinder der Gemeinde, was ihm ja auch einen Teil seines Einkommens sicherte. Dabei erreichte er, dass die Gemeinde für die kleinen Kinder einen weiteren Lehrer anstellte, damit er sich – dem Amt eher angemessen – den älteren Schülern sowie den eigentlichen Amtsgeschäften eines Rabbiners widmen konnte.21 Wohlgemerkt war das Lehrfach für das Rabbinat an sich keine Neuerung; Inhalte und Art unterschieden sich jedoch erheblich. Wie viele andere jüngere Kollegen übernahm Geiger – er allerdings nicht nur in der Phase der Redefinition des Rabbineramts, sondern dauerhaft – zunächst als überfällig angesehene Tätigkeiten, so etwa den Aufbau eines neuen Schulwesens, gegebenenfalls die Beteiligung am schulischen Unterricht und später auch an weiterführenden Lehreinheiten, die bei ihm und anderen Reformrabbinern bezeichnenderweise meist aber nicht im Rahmen bruderschaftlicher Lernzirkel stattfanden.22 Um das Amt neu zu definieren und gesellschaftlich sowie religiös neu zu verorten, wurden außerdem neue Rituale wie die Konfirmation, bei der es sich zunächst um eine schulische Abschlussprüfung für beide Geschlechter und nicht um einen Ersatz für die Bar Mitzwa handelte, immer bedeutender, und so legte Geiger schon in Wiesbaden und von da an kontinuierlich ein erhebliches Gewicht auf die gesell-

rigen und bereitwilligen“ Geiger zu eigen, da die „größtentheils ganz unwissenden und die verkehrtesten Grundsätze lehrenden Vorsänger, – meistens Ausländer, die wegen mangelhafter Ausbildung anderswo nicht unterkommen“ – unzureichend seien. Ebenda, fol. 28r-v; Hzgl. Landesregierung an das Hzgl. Nassauische Staatsministerium (Wiesbaden, 23.9.1835); rät, die Neuregelung des Schulwesens im Rahmen der Umgestaltung der Stellung der jüdischen Beisassen aufzuschieben. Vgl. ebd; Stellungnahmen seitens des Staatsministeriums (Wiesbaden, 3.11.1835); hier wird mit Blick auf Geigers Einschätzung positiv vermerkt, dieser könne zu den gebildetsten seiner Glaubensgenossen im Lande gezählt werden. Vgl. Arthur Berg, Simultanität als konstruktives Prinzip der allgemeinbildenden Schulen (Bühl: Konkordia AG, 1966). 21 Die Einbeziehung der schulischen Lehre war Teil des Programms Geigers als ein Ziel der Reformbewegung; vgl. Abraham Geiger, „Die Rabbinerzusammenkunft. Sendschreiben an einen befreundeten jüdischen Geistlichen“, Wissenschaftliche Zeitschrift für jüdische Theologie [= WZJT] 3 (1837), 313–348, hier 324. Dieselbe Strategie verfolgte Geiger später auch in Breslau, wo er ebenso zunächst einen Religionsunterricht, dann eine jüdische Schule und daneben einen weiterführenden höheren Unterricht begründete, an denen er dann selbst als Lehrer unterrichtete, so dass er also sein Rabbinat direkt mit schulischer Bildung verband; vgl. Geiger, Nachgelassene Schriften, Bd. 5 (wie Anm. 1), 146f. (= Brief Geigers an Jakob Auerbach, Breslau, 29.7.1841); L. Geiger, Abraham Geiger. Leben und Lebenswerk (wie Anm. 3), 30f. 22 So auch für Geiger; vgl. Geiger, Nachgelassene Schriften, Bd. 5 (wie Anm. 1), 74 (= Brief Geigers an Joseph Dernburg [Bonn], Wiesbaden, 19.2.1833).

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schaftliche Implementierung solcher neuen Rituale als religiöse rites de passage des bürgerlichen Lebens.23

II. Prediger Ein zweites zentrales Standbein, das in den zeitgenössischen Debatten zum Merkmal der modernen – zumal der reformorientierten – Rabbiner wurde, war bekanntlich das Predigen. Anders als die zeitgenössische Propaganda dies erkennen lässt, hatte es schon zuvor regelmäßig Predigten in jüdischen Gemeinden gegeben. Gerade in größeren Gemeinden hatten sich sogar Teile des Rabbinats, allerdings eher die Neben- oder Klausrabbiner, hierauf spezialisiert, und die Homiletik stellte dementsprechend einen Teil der rabbinischen Ausbildung und einen festen Bestandteil des Schrifttums dar.24 Dennoch war die Deutsche Predigt, die nun zum zentralen Bestandteil des Gottesdienstes wurde, aufgrund der neuen literarischen Form und ihrer im Gefolge der Schleiermacher’schen Theologie formulierten Zielsetzung, der Erbauung, Erhebung und Läuterung des Individuums zu dienen, etwas revolutionär Neues.25 Dazu kam, dass diese Predigten auf Hochdeutsch, das heißt in einer Sprache gehalten wurden, die bislang vor allem auf den Behördenverkehr und die Literatur beschränkt geblieben war, sich also in nahezu allen Bevölkerungskreisen erst noch durchsetzen musste.26 Dem stellte 23 Z. B. L. Geiger, Abraham Geiger. Leben und Lebenswerk (wie Anm. 1), 132, 136. 24 S[alomon] A[braham] Tictin, Darstellung des Sachverhältnisses in seiner bisherigen Rabbinatsangelegenheit (Breslau: H. Richter, 1842), 9, verweist sicherlich zu Recht darauf, dass auch er keineswegs nur talmudische Lehrvorträge, für die auch nach seiner Einschätzung nur ein kleiner Teil des Publikums Interesse zeigte, sondern durchaus homiletische Vorträge gehalten habe. Dazu bediente er sich jedoch vermutlich der beliebten alten Form des Mussar-Vortrags. 25 Simone Lässig, Jüdische Wege ins Bürgertum. Kulturelles Kapital und sozialer Aufstieg im 19. Jahrhundert (Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 2004), 290–325; Alexander Deeg, Predigt und Derascha. Homiletische Textlektüre im Dialog mit dem Judentum (Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht, 2006), insbesondere 121–162; Deeg geht allerdings auf diesen kulturellen Aspekt nicht ein. JHI Warschau, WR 915/ 916, Abraham Geiger an das Obervorsteherkollegium der Israel. Gemeinde Breslaus (Breslau, vor dem 30.8.1842); zitiert die Instruktion des Vorsteherkollegiums der Großen/Storchen Synagoge vom 2.1.1840 an ihn: „Ihre Verpflichtung dagegen ist, alle Sonnabende, […] auf Religion und Moral abzweckende Vorträge zu halten“. Vgl. Geigers Charakterisierung der Predigt in seiner Einladung zur ersten Rabbinerversammlung: Geiger, „Die Rabbinerzusammenkunft“ (wie Anm. 21), 319f. 26 Andreas Gotzmann, „Vatersprache und Mutterland. Sprache als nationaler Einheitsdiskurs im 19. Jahrhundert“, in Michael Brenner (Hrsg.), Jüdische Sprachen in deutscher Umwelt. Hebräisch und Jiddisch von der Aufklärung bis ins 20. Jahrhun-

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man in der zeitgenössischen Debatte die meist vertraglich vereinbarten Lehrvorträge der Oberrabbiner beziehungsweise die üblichen Moralpredigten gegenüber. Das Predigeramt, das nun viele Gemeinden einrichteten, beinhaltete und bedingte eine ganz erhebliche Veränderung jüdischer Religiosität. Dies war der meist nicht explizit genannte eigentliche Grund für die scharfen Auseinandersetzungen. Nicht nur, dass durch die Inhalte und die Sprache von nun an auch Frauen angesprochen und damit zumindest an diesem Punkt in das öffentliche Ritual einbezogen wurden, was allgemein zu einer ungewöhnlich zahlreichen Beteiligung von Frauen am Gottesdienst führte.27 Die besondere sprachliche Präsentation dieser Predigten – von der Struktur über den rhetorischen Gestus bis hin zur Sprache selbst – vermittelten zudem ein neues Verständnis von Religiosität, bei dem Religion im Sinne einer auf die individuelle innere Bildung ausgerichteten moralischen Instanz ins Zentrum gestellt wurde. Zugleich signalisierte die Zugänglichkeit der Predigten – etwa über die Sprache, durch die Nähe zur christlich-religiösen und zur bürgerlich-feierlichen Redekultur, insbesondere aber durch die Vergleichbarkeit gerade mit der als fortschrittlich empfundenen protestantischen Kirche – auch für nicht-jüdische Beobachter die Integrationsund Verbürgerlichungsbereitschaft der jüdischen Bevölkerung. Den neuen Rabbinern aller Couleur war die Notwendigkeit dieses neuen Bestandteils des religiösen Rituals selbstverständlich, weshalb auch Geiger neben regelmäßigen Talmudstudien gemeinsam mit Studienkollegen den homiletischen Vortrag einübte.28 Dies war schon deshalb erforderlich, weil dieser durchgängig zu dem für die Gemeinden greifbarsten Kriterium bei der Stellenbesetzung avancierte, nämlich dert (Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht, 2002), 28–42; Geiger, Nachgelassene Schriften, Bd. 5 (wie Anm. 1), 74 (= Brief Geigers an Elias Grünbaum, Wiesbaden, 29.12.1832): „Ich halte jeden Samstag Predigten, die mit dem grössten Enthusiasmus aufgenommen werden und die ihnen zugleich Deutschsprachübungen sind.“ Die vergleichsweise rasche Übernahme der hochdeutschen Sprache darf natürlich nicht darüber hinwegtäuschen, dass auch die jüdischen Reformer in stark dialektaler Färbung sprachen und damit dennoch oft schwer verständlich blieben; vgl. etwa die Polemik gegen Geigers Predigten in Der Orient 8 (1847), 131; „Wir erwarten auch wieder an diesen Pesach-Feiertagen von der Kanzel schwellende Frühlingsdithyramben, die sich zwar in dem holprigen Dialekt von Frankfurt ziemlich schlecht anhören, weil dazu eine mahlerische, poetische Sprache erforderlich ist, wie sie nur Auserwählten, Sachs, Salomon, Mannheimer verliehen ist. Die Augenlieder vieler andächtigen Zuhörer waren auch bei der ersten Pessachpredigt schon zum Schliessen zugeneigt, als der Frühling diesmal, der in der Natur lange auf sich warten ließ, in der silberstein’schen Synagoge obligat proklamirt wurde, die honigsüßen Frühlingstöne fingen schon an wie Schwefeläther zu wirken.“ 27 Vgl. (mit Bezug auf Geiger) Der Orient 7 (1846), 348. 28 Geiger, Nachgelassene Schriften, Bd. 5 (wie Anm. 1), 20–22, 46.

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der öffentlichen Probepredigt. Geiger griff all dies mit Überzeugung auf und erwies sich als ein begnadeter Redner, der angesichts der Fülle der von ihm gehaltenen Predigten und Vorträge im Rückblick nahezu als ein religiöser all-purpose orator erscheint.29 Obwohl Zeitgenossen Geiger als eher verschlossen und in sozialen Zusammenhängen zurückhaltend beschrieben, was dieser selbst so empfand und auf seine in Abgeschlossenheit verbrachte Kindheit zurückführte, scheint er dieses Merkmal bei solchen Auftritten, die einen entsprechenden Enthusiasmus sowie Überzeugungs- und Stimmkraft erforderten, abgelegt zu haben: Hier gewann sein Selbstbewusstsein, sich auf ureigenstem Gebiet zu bewegen, im Verein mit seinem Sendungsbewusstsein die Oberhand – ein Talent, das Geiger sehr früh erkannte und bewusst kultivierte.30 Doch während sich viele seiner Reformkollegen in dem schwierigen Machtgefüge der jüdischen Gemeinden im Predigeramt einrichteten, vertrat Geiger, wie wir noch sehen werden, den Anspruch, nicht nur ein Prediger mit eventuellen Zusatzfunktionen, sondern ein vollwertiger Rabbiner zu sein.31

III. Reorganisation: Religiöse Reorientierungen und Zentralisierungsbestrebungen der Gemeinde Neben diesen neuen Tätigkeiten standen natürlich vielfältige traditionelle Funktionen, vor allem im zivilrechtlichen Bereich. Da diese Aspekte in der Umbruchphase in Hessen-Nassau, wie in den meisten anderen Staaten, gesetzlich nur unzureichend geregelt waren, häufig sogar deutlich weniger als noch im Alten Reich, konnte z. B. jeder amtierende Rabbiner oder sogar private Gelehrte auf Wunsch ohne größere Schwierigkeiten jemanden in einer anderen Gemeinde beziehungsweise zu Hause trauen. Letztlich benötigte man hierfür sogar keinen Rabbi29 Siehe z. B. die Tätigkeitslisten bei L. Geiger, Abraham Geiger. Leben und Lebenswerk (wie Anm. 3), 70f. 30 So bereitete er seine vielen Predigten lediglich in Gedanken vor und hielt sie – ebenso wie später seine gelehrten Vorträge – offenbar weitgehend frei, was hinsichtlich der dabei geforderten Rhetorik, vom Aufbau bis hin zu der spezifischen Sprache, eine besondere Leistung darstellt. Geiger, Nachgelassene Schriften, Bd. 5 (wie Anm. 1), 74 (= Brief Geigers an Elias Grünbaum, Wiesbaden, 29.12.1832); ebd., 146 (= Brief Geigers an Moritz Abraham Stern, Berlin, 2.8.1839); vgl. ebd. 281. 31 So insbesondere in seiner Breslauer Zeit; aber bereits in Wiesbaden definierte er für sich diese neue Einheit von eigentlichem Rabbineramt, Prediger- und Lehrertätigkeit; vgl. Geiger, Nachgelassene Schriften, Bd. 5 (wie Anm. 1), 74 (= Brief Geigers an die Vorsteher der isr. Gemeinde zu Gothenburg/Göteborg, Wiesbaden, 8.5.1835).

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ner, da dies nach jüdischem Recht zwar üblich, aber nicht zwingend vorgeschrieben war. Auch galt es, verbindliche Strukturen und klare Kompetenzbereiche zu schaffen, was die frühen und erneut dauerhaften Bestrebungen Geigers erklärt, überhaupt erst einmal seinen Tätigkeitsbereich zu definieren und zu festigen. So forderte er gemeinsam mit den Wiesbadener Gemeindevorstehern von der Regierung, ausschließlich er persönlich solle die Eheschließungen aller Wiesbadener Juden vornehmen dürfen. Bezeichnenderweise wollte man ein derartiges staatlich gesichertes Monopol nicht nur auf Ortsfremde, die in Wiesbaden getraut wurden, ausgedehnt wissen. Der Zwang, Geigers Dienste in Anspruch zu nehmen, sollte sich auch auf jene Wiesbadener erstrecken, die sich andernorts trauen ließen.32 Geiger versuchte also nicht nur, sich als Ortsrabbiner zu etablieren. Unter der Hand sollte – anders als bislang üblich – die Gemeindesynagoge zum ausschließlichen rituellen Ort werden. Ein zentrales Anliegen war dabei, auf diese Weise anderen Rabbinern, etwa dem älteren Kollegen Samuel Salomon Wormser aus Langenschwalbach, Amtshandlungen in Wiesbaden und dessen Einzugsbereich zu untersagen, also zunächst überhaupt Geigers ausschließliche Zuständigkeiten als Ortsrabbiner abzusichern und über die Trauungsgebühren auch zu finanzieren.33 Zugleich findet sich hier schon der Anspruch Geigers und der Gemeindeleitung, dass die Gemeinde der Landeshauptstadt, wiewohl sie nicht die größte und älteste war, das Zentrum einer jüdischen Verwaltung des Herzogtums sein sollte.34 32 HHStA Wiesbaden Abt. 210, Nr. 2767, Fasc. 100 927; Schreiben des Vorstands der Israelitischen Gemeinde Wiesbaden an das Hzgl. Staatsministerium (Wiesbaden, circa 11.9.1833); ebd., fol. 25r-(unpag. 26v); das Dokument bezieht die ausschließliche Zuständigkeit jenseits der im Rubrum genannten Begrenzung auf die Eheschließungen auch auf den nun „auf bessere Grundlagen gestellte(n) Religionsunterricht, sowie die würdige Anordnung öffentlicher Feierlichkeiten, als der Confirmation und Copulation die beide in der Synagoge und begleitet mit dringlichen und erbaulichen Ermahnungen von Seiten unseres nunmehrigen Hr. Rabbiners vorgenommen werden“ sollen. Vgl. Kober, „Abraham Geigers Bemühungen“ (wie Anm. 16), 220; dabei sollte der Staat auch sein Gehalt und seine Funktionen bestimmen, was ihn unabhängiger von der Gemeinde gemacht hätte. 33 HHStA Wiesbaden Abt. 210, Nr. 2767, Fasc. 100 927; Schreiben des Vorstands der Israelitischen Gemeinde Wiesbaden an das Hzgl. Staatsministerium (Wiesbaden, circa 11.9.1833); ebd., fol. 25r-(unpag. 26v): „daß unserem Herrn Rabbiner Abraham Geiger allein die Uebernahme der Trauungen sowohl der Mitglieder unserer Gemeinde an irgend welchem Orte als auch der Glieder fremder Gemeinden dahier zustehe“, und zwar ausschließlich. Vgl. Kober, „Abraham Geigers Bemühungen“ (wie Anm. 16), 216. 34 HHStA Wiesbaden Abt. 210, Nr. 2767, Fasc. 100 927; Hzgl. Landesregierung an das Hzgl. Nassauische Staatsministerium (Wiesbaden, 29.10.1833; gezeichnet Möller) fol. 24r; dem widersprach allerdings selbst die ihm sonst wohlgesonnene Landesre-

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Zwei weitere Aspekte aus der Wiesbadener Zeit sind gleichermaßen wichtig, da sie das Bild Geigers als Reformator ganz entscheidend und dauerhaft prägen sollten. Zunächst sind dies die Gottesdienstreformen, die er gemeinsam mit dem Wiesbadener Gemeindevorstand umsetzte. Diese erscheinen im Rückblick zwar als sehr zurückhaltend, ja marginal, da die herkömmliche Liturgie und deren Sprache – anders als etwa im Rahmen des Hamburger Tempelverbands – fast unangetastet blieben; dennoch stellten sie, ähnlich wie die Einführung einer Predigt, für das konservative Umfeld der jüdischen Gemeinden der 1830er Jahre eine ganz einschneidende Veränderung dar, insofern sie das gemeinsame Ritual nach ganz anderen, nämlich bürgerlichen Maßstäben und einer neuen Ästhetik organisierten. Hatten die frühneuzeitlichen Gottesdienstordnungen bereits auf eine gewisse Angemessenheit der Kleidung geachtet und dabei Autoritäten, eine allgemeine soziale Hierarchie sowie den geordneten Ablauf des Rituals zu sichern versucht, so wurden diese nunmehr auf völlig neue, insbesondere der ländlichen Bevölkerung kaum vertraute Ideale ausgerichtet.35 Die grundlegende Tendenz bestand in einer Regulierung der Gemeinde hin zu einem angemessen bürgerlichen Betragen, der Kontrolle des Körpers sowie des Besitzes und der Nutzung spezifischer Kleidung. Hinter all dem stand eine grundlegende Umdeutung der Vorstellung sowohl der Gemeinschaft als auch des Individuums. Die dynamisierenden Faktoren, die das Ritual bis dahin bestimmt hatten, wurden dabei als unangemessen und störend weitgehend verdrängt. Davon waren jedoch Bereiche betroffen, die nicht nur für die Vorstellung der rechten Ausführung des Rituals, sondern insbesondere auch für die traditionelle Wahrnehgierung, da ein solcher Zwang, allein am Wohnort nur vom dortigen Geistlichen getraut werden zu dürfen, auch für Christen nicht bestehe und dies üblicherweise bei beiden auch zuhause geschehen könne. Ebd., fol. (vermutlich 27v) die Entscheidung des Ministeriums (Wiesbaden, 9.11.1833), dass „eine weitere Beschränkung der jüdischen Brautleute nicht stattfinden kann“. Die Gemeindevorsteher bezogen das Argument, vielleicht auch mit Blick auf die schon einmal geschehene Verweigerung der Zustimmung, auf die Möglichkeit, „die früher auch einem jeden Einzelnen die Aufnahme eines eigenen Rabbiners“ zugestand; HHStA Wiesbaden Abt. 210, Nr. 2767, Fasc. 100 927; Schreiben des Vorstands der Israelitischen Gemeinde Wiesbaden an das Hzgl. Staatsministerium (Wiesbaden, circa 11.9.1833); fol. 26r. Die Vorsteher deuteten an, dies sei ja mit der allgemeinen Amtserlaubnis für Geiger als Ortsrabbiner letztlich schon angedacht, und betonten, dass man ihnen von amtlicher Seite diesbezüglich Zusicherungen gemacht habe, die nun nicht eingehalten würden. 35 Dabei hielt Geiger zu Beginn in Wiesbaden fest, dass selbst an solche ,äusserlichen Reformen‘ hier nicht zu denken sei; Geiger, Nachgelassene Schriften, Bd. 5 (wie Anm. 1), 74 (= Brief Geigers an Elias Grünbaum, Wiesbaden, 29.12.1832); ebd., 170f. (= Brief Geigers an Leopold Zunz, Breslau, 9.12.1843).

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mung von Individuum und Gemeinschaft, somit auch des sozialen Status, ganz entscheidend waren. Dabei ging es zum einen um die Einbindung des Einzelnen in das Gemeindegebet: Der traditionelle jüdische Gottesdienst, bei dem der Vorbeter, der die korrekte Ausübung des Gebets symbolisierte, nur als grober Taktgeber für das in vielerlei Hinsicht recht individuell vollzogene Ritual fungierte, wurde deutlich verändert, insofern man die Gemeinde weitgehend in eine Zuschauerrolle verwies. Ihr wurden nur noch sehr begrenzt ent-individualisierte Handlungen – vor allem als Reaktion auf ein nun primär religiösen Spezialisten übertragenes Ritual – zugebilligt. Häufig geschah dies in Kombination mit einem Synagogenchor, der zunehmend die ursprüngliche liturgische Funktion der Gemeinde übernahm, was diese noch stärker in den Hintergrund drängte. Individuelle Handlungen, ja selbst Bewegungen im Raum, wurden zudem auf ein Minimum beschränkt. Zugleich entledigte man sich solcher Rituale, die aus Sicht einer bürgerlichen Ästhetik als unangemessen und unanständig erschienen – etwa den Gottesdienstbesuch auf Strümpfen oder das Sitzen auf dem Boden, lautstarke Äußerungen und emotionale Gesten sowie das Rauchen und am Schabbat das Tabakkauen während des Gottesdienstes. Man versuchte also über detaillierte – in Form von „Synagogenpolizeyordnungen“ veröffentlichte – Kataloge ein zurückhaltendes, kultivierteres Benehmen vorzuschreiben.36 Es ist charakteristisch, dass diese Veränderungen insbesondere im Rahmen neuer Synagogenbauten umgesetzt wurden, da diese den Erneuerungsanspruch an sich symbolisierten und zugleich alte Verbindlichkeiten wie die Zuständigkeit für die nicht immer in Gemeindebesitz befindlichen Gebäude oder die starke Konkurrenz um die Synagogenplätze aufhoben.37 Diese zunehmend umgesetzten Neubaupro36 So die von Geiger entworfene Ordnung für Wiesbaden, als eine für diese Zeit ganz typische Neuregulierung; HHStA Wiesbaden 244 Nr. 91; (Kopie der) Gottesdienstordnung der israel. Gemeinde Wiesbaden (4.1.1839); siehe z. B. §§3–10, 12–15, 17– 20; L. Geiger, Abraham Geiger. Leben und Lebenswerk (wie Anm. 3), 36; Lässig, Jüdische Wege ins Bürgertum (wie Anm. 25), 254–289. 37 Siehe z. B. Michael Sachs’ Gutachten vom 14.3.1855 an den Vorstand der Berliner Gemeinde, in dem dieser empfahl, neben der alten Synagoge, in der das Ritual etc. unverändert bleiben solle, eine neue Hauptsynagoge zu errichten, und zwar aus folgendem Grund: „Vieles, was nicht ohne Schwierigkeiten in die einzige Hauptsynagoge der Gemeinde mit den vielfach nuancirten Ansprüchen und Wünschen ihrer Besucher eingeführt werden könne, [werde] bei einer neuen Synagoge mit Leichtigkeit sofort bei der Eröffnung […] in’s Leben treten können. Dann werde es möglich sein, durch umfassende und eingreifende Gestaltung all den Ansprüchen zu genügen, die in einer ansehnlichen und gebildeten Gemeinde mit Recht an das Gotteshaus gestellt werden“; zitiert in Anonym, An die Mitglieder der hiesigen jüdischen

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jekte forderten, etwa durch ihre Akustik, solche Veränderungen des Kultus, durch die sich das Erscheinungsbild der rituellen Gemeinschaft und die emotionale Wirkung des Rituals auf die Gemeinde grundlegend veränderten. Was zuvor noch ein vertrauter Ort gemeinsamen Handelns gewesen war, stellte nun – zumindest für die ältere Generation – einen fremden Ort mit einem theaterhaften Gottesdienst dar, der vom Vorbeter, Chor und Rabbiner inszeniert wurde. Dieses neue Ritual band die Predigt häufig zwar noch nicht direkt in die Liturgie ein, machte diese durch die Form des Vortrags sowie die moralisierenden Inhalte als Teil eines emotionalisierenden Erziehungsgeschehens aber zu einem neuen Höhepunkt. Man muss sich die enorme Wirkung allein dieser ästhetischen Veränderungen des Gottesdienstes vergegenwärtigen, um das Befremden und die Widerstände der jüdischen Bevölkerung nachvollziehen zu können.38 Bezeichnenderweise war Geiger in Wiesbaden mit Blick auf einen bereits 1826 errichteten Synagogenneubau berufen worden, den man auch im Sinne einer Hauptsynagoge angedacht hatte und für den man sich nun einen neuen Gottesdienst erhoffte.39 In Breslau lagen die Dinge nicht viel anders. Tatsächlich erhielt die Anstellung Geigers als Agent der Modernisierung hier sogar eine noch größere Bedeutung: Breslau lag als eine der größten Gemeinden des späteren deutschen Reiches im Einflussbereich der polnisch-jüdischen Tradition und galt als ein Bollwerk gegen jede Neuerung.40 Im Zentrum des Neuerungsbegehrens stand auch in Breslau eine kleine Gruppierung, die im Rahmen einer der Gemeinden innerhalb des Gesamtverbands, der Gesellschaft der BrüGemeinde (ohne Ort und Jahr/Berlin, vermutlich 1865), 3, 21; letzteres im Schreiben des Vorstands der jüdischen Gemeinde Berlin an die Repräsentantenversammlung der Gemeinde (Berlin, 5.1.1865). Ebd. 3, 7 verweist man auch darauf, dass die Architektur liturgische Veränderungen wie die Orgel und ein Chor notwendig mache. 38 Vgl. die ins Ironische überspielte Reaktion der enttäuschten Unterstützer Geigers in Breslau, mit der sie die Geiger’sche Liturgiereform von 1846 als ein willkürliches Verwirrspiel darstellten; Anonym, Zweites Sendschreiben der großen Mehrzahl der Mitglieder der Breslauer Israelitengemeinde an Herrn Rabbiner Dr. Geiger und an sich selbst (Breslau: F. Aderholz, 1846), 3–5. Ebenso Der Orient 6 (1845), 394f.; ebd. 7 (1846), 159. 39 Abraham Moses Tendlau, Rede bei der Einweihung der neuen Synagoge in Wiesbaden (Wiesbaden: L. Schellenberg, 1826). 40 Zu den Breslauer Konflikten insgesamt Andreas Gotzmann, „Der Geiger-TiktinStreit. Trennungskrise und Publizität“, in Manfred Hettling, Andreas Reinke und Norbert Conrads (Hrsg.), In Breslau zu Hause? Juden in einer mitteleuropäischen Metropole der Neuzeit (Hamburg: Dölling & Galitz, 2003), 81–98; Michael A. Meyer, „Rabbi Gedaliah Tiktin and the Orthodox Segment of the Breslau Community, 1845–1854“, Michael 2 (1973), 92–107.

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der, die Modernisierung vorantreiben wollte. Nachdem die preußischen Behörden, ähnlich wie sonst bei der Reorganisation des Erziehungswesens, darauf drängten, die vielen kleinen Bethäuser zu schließen und eine zentrale Gemeindesynagoge zu errichten, hatte diese Gesellschaft 1829 mit dem später als Große- beziehungsweise Storchen-Synagoge bezeichneten Gotteshaus ein modernes, auch nach außen hin repräsentatives klassizistisches Gebäude errichtet, das aber nicht zur Hauptsynagoge wurde.41 Der Bau sollte nicht nur die gesellschaftliche Veränderung im Hinblick auf die Integration der Juden dokumentieren. Er versinnbildlichte ferner den Wunsch zur Umgestaltung der Gemeinde in eine zentralisierte, von einem modernen, gebildeten Begriff von Judentum und jüdischer Religiosität getragene Gemeinschaft. Der würdevollere Ort erforderte abermals einen modernisierten Gottesdienst und einen geeigneten Rabbiner.42 Wie in Wiesbaden sollte aus der sehr 41 Carol Herselle Krinsky, The Synagogues of Europe. Architecture, History, Meaning (New York: Architectural History Foundation, 1985), 324–330. Die Regierung förderte diese Zentralisierung weiterhin, etwa indem sie gerichtliche Eidesleistungen von Juden nur in einer Synagoge, der Haupt-Synagoge (und zwar Geigers Synagoge) zuließ; JHI Warschau, WR 915/916, Schreiben des Breslauer Stadtgerichts (1. Abt.) an R. Gedalja Tiktin (Breslau, 20.12.1847). Das Unverständnis des Staates hinsichtlich der wenig überschaubaren Struktur der Gemeinde lässt sich auch an Geigers Antwort auf die Frage des preußischen Königs anlässlich der Audienz im Jahre 1841 ablesen, als dieser nach der Anzahl der Breslauer Synagogen fragte; Geiger antwortete, es seien viele, man beabsichtige aber, eine Gemeindesynagoge zu bauen; vgl. Leo Baeck Institute New York, Archives, Jacob Jacobson Collection III, 99, Communities AR-C 7002. Sein späterer Gegner Gedalja Tiktin, der sich nur über eine Anstellung durch die orthodoxen Synagogen behaupten konnte, betonte 1843 in einem Gutachten an die Behörden, das Lehrhaus sei nach jüdischer Tradition zweifellos bedeutender und heiliger als die Synagoge; natürlich wollte er damit die Planungen einer weitgehenden Schließung der Privatsynagogen zugunsten einer zentralen unterwandern; vgl. G[edalja] S[alomon] Tiktin, Beitrag zur Beantwortung der von Seiten der Kgl. hohen Behörden vor kurzem an sämmtliche israelitische Gemeinden des preussischen Staates gerichteten, den jüdischen Kultus betreffenden Fragen, hg. v. der Gesellschaft Ahabat Reim, Dritte Brüderschaft genannt (Breslau: Ahabat Reim, 1843), 6–9; Geiger, Nachgelassene Schriften, Bd. 5 (wie Anm. 1), 253 (= Brief Geigers an Bernhard Wechsler, Breslau, Oktober 1861); Geiger beschreibt darin die Bestrebungen in Breslau, endlich eine wirkliche Gemeindesynagoge zu errichten, was von orthodoxer Seite natürlich nicht so positiv gesehen werde, da die Mehrheit das Gefühl habe, nicht hinter die Vorgaben der Storchen-Synagoge und die dort gemachten baulichen und inhaltlichen Veränderungen zurückfallen zu dürfen. Der Orient 6 (1845), 410f. betont die Unmöglichkeit des Unterfangens, in der religiös getrennten Gemeinde eine Hauptsynagoge zu errichten, zumal offenbar die Orthodoxen Zahlungen hierfür verweigerten. 42 So z. B. JHI Warschau, WR 915/916, Obervorsteherkollegium der jüdischen Gemeinde Breslau an das Ministerium der Geistlichen, Unterrichts- und Medizinalangelegenheiten (Breslau, 9.8.1842); hier betonte man, der Gottesdienst in der

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konservativen schlesischen Gemeinde mit ihrer frühneuzeitlichen, aufgrund der Grenzlage landsmannschaftlichen Organisationsstruktur, die einen vergleichsweise losen Zusammenschluss darstellte, eine Einheit geschaffen werden. Die Reorganisation des Konglomerats von über zwanzig unterschiedlichen öffentlichen Synagogen, die sich in Privatbesitz befanden oder durch bruderschaftliche Gruppierungen meist mit eigenen Finanzierungsfonds verwaltet wurden, zu einem homogenen Gemeinwesen mit einem zentralen rituellen Ort war eine der zentralen Triebkräfte in den Auseinandersetzungen zwischen Abraham Geiger und seinen Unterstützern einerseits und den konservativen Gruppierungen andererseits. Immerhin zeigte das Siegel der Breslauer Gemeinde, also des Vorstehergremiums des Dachverbands, eine ausgestreckte Hand mit dreizehn darin gebündelten Pfeilen und dem Bibelzitat „weHaiu laAchadim beJadecha – und in meiner Hand seien sie eins“, eine fromme Hoffnung, die sich jedoch nie erfüllte.43 Die wachsende Mittelschicht Breslaus versprach sich von Geiger und diesen Veränderungen zugleich eine klare Ausrichtung auf Berlin und den als Motor der Moderne verstandenen Westen hin. Damit wollte man die stetige Bedrohung durch die Randlage mildern, die den Eindruck erweckte, man sei nahezu in Polen.44 Dies betraf insbesondere das in seiner öffentlichen Präsentation ,polnisch‘ auftretende Rabbinat, das mit den als rückständig empfundenen religiösen Bewegungen Osteuropas identifiziert wurde.45 All dies machte die Reformbewegung Synagoge habe auch unter Geiger „nicht die geringste wesentliche Abänderung erfahren: die vor kurzem vom Vorstande der ,Gesellschaft der Brüder‘ getroffene Anordnung des leisen Mitbetens statt des bisherigen mißbräuchlichen lauten Mitschreiens der Betenden wird ein Hohes Ministerium hoffentlich als keine gesetzwidrige und tadelnswerthe Aenderung in der äußeren Form des jüdischen Gottesdienstes betrachten.“ 43 Nach Ez 37,17; dies ist auf etlichen der Veröffentlichungen des Obervorstehercollegiums der Israelitengemeinde Breslaus aus den 1840er Jahre zu sehen, so z. B. Anonym, Bericht des Obervorsteher Collegii an die Mitglieder der hiesigen Israeliten-Gemeinde über die gegenwärtig vorliegende Rabbinats-Angelegenheit (Breslau: Leopold Freund, 1842), 44. 44 Bezeichnend ist die noch vermittelnde Flugschrift, die letztlich einen modernen, wissenschaftlich gebildeten Rabbiner (insbesondere Prediger) für Breslau forderte, der ein Element europäischer Bildung einführen sollte; vgl. Isaac B. Lowositz, Rabbinenwahl. Zur Aufklärung über die dabei vertretenen religiösen Interessen (Breslau: Kohn, 1839), 19. 45 Ein Beispiel für die frühe antisemitische Wahrnehmung der Juden Breslaus als polnische Juden bietet Gustav Freytag, „Die Juden Breslaus“, in Gustav Freytag, Vermischte Aufsätze aus den Jahren 1848 bis 1894, hrsg. von Ernst Elster, 2 Bde. (Leipzig: Hirzel, 1903), Bd. 2, 339–347 [zuerst in: Grenzboten 30 (1849)]. Zu Geigers eigener Bewertung der östlichen Tradition vgl. Geiger, Nachgelassene Schriften, Bd. 5 (wie

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als eine den externen Emanzipationsforderungen vermeintlich förderlichere Strömung, die zugleich ostentativ den Anspruch der Modernität repräsentierte, besonders attraktiv, weshalb sich ein Teil des Gesamtgemeindevorstands und einige weitere Gemeindemitglieder von dem bereits renommierten jungen Theologen einen besonderen Reformschub versprachen. Geiger wurde damit in der Anfangsphase der Reorganisation jüdischer Gemeinden und der Redefinition von Religion und Religiosität zum sichtbaren Symbol dieser Modernisierungsprozesse.

IV. Besoldung Ein ganz entscheidender Aspekt bei all diesen Veränderungen betraf die Finanzierung der Rabbiner. In Hessen-Nassau errechnete sich das Rabbinergehalt – wie in den meisten anderen deutschen Staaten – trotz des Fortfalls des größten Teils der gerichtlichen Funktionen und des damit verbundenen Einkommens weiterhin nach dem alten Modell: Zu einem relativ bescheidenen jährlichen Fixum kamen im Einzelfall festgesetzte, zum Teil prozentual zu verrechnende Gebühren für individuell geleistete Tätigkeiten – von religiösen Akten bis zu Testamentseröffnungen – hinzu. Ein weiterer, erheblicher Anteil des Einkommens ergab sich ursprünglich zudem aus frommen Gaben und Ehrengeschenken, die dem Rabbiner teils regelmäßig etwa durch die Gemeinde und Bruderschaften, oft aber auch individuell zu öffentlichen wie privaten Anlässen beziehungsweise im Rahmen spezifischer Leistungen für Studienstiftungen oder bei Seelengedächtnisfeiern zuflossen. Diese Nebeneinnahmen machten bei der Mehrzahl der Rabbiner der Frühen Neuzeit – zumal all jenen, die nicht Gemeinderabbiner im eigentlichen Sinne waren – sogar den überwiegenden Teil des Einkommens aus; die meist ohnehin prekäre Situation dieses Berufsstands verschärfte sich daher aufgrund der ausstehenden Neuregelung der Besoldung zusätzlich. Zugleich hatte dieses Modell den Rabbiner in vielfacher Weise an seine Gemeinde rückgebunden. Es machte ihn zu einem festen Teil eines über stetige gegenseitige Verpflichtungen und Bezüge gesicherten Netzwerks, was ganz im Gegensatz zu dem obrigkeitlich

Anm. 1), 83, 166 (= Brief Geigers an Leopold Zunz, Breslau, 6.6.1843); zu Breslau: „eine zusammengelaufene, an der Grenze Polens liegende zahlreiche Gemeinde, die niemals Gemeinsinn hatte, in der daher auf vielen Seiten die tiefste Entsittlichung zum Vorschein kommt.“

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gedachten Statusbegriff und Autoritätsanspruch der modernen Rabbiner stand.46 Auch das direkte Besoldungssystem funktionierte zunehmend weniger. Das lag einmal daran, dass die in der Regel bereits hoch verschuldeten Gemeinden nunmehr auch noch die geforderten Neuerungen finanzieren mussten: jüdische Schulen, die verpflichtenden Rabbinate, erneuerte rituelle Einrichtungen wie Mikwaot oder Lokalfriedhöfe, aber häufig auch die im Rahmen der Verbürgerlichung geplanten neuen Synagogengebäude. Dazu kam die Notwendigkeit einer eigenen Armenversorgung und zuweilen sogar eigener Krankenanstalten, all dies bei einer noch zu einem erheblichen Prozentsatz verarmten jüdischen Bevölkerung. Mit der dazu notwendigen Zentralisierung der Gemeindeorganisation und aller finanziellen Ressourcen, von denen viele bislang von der Gemeinde nur treuhänderisch oder aber durch eigenständige Organisationen verwaltet worden waren, fielen für die Rabbiner die vielfältigen Möglichkeiten, das meist unzureichende Grundgehalt aufzubessern, zunehmend fort. Dies zwang sie trotz der in etlichen Staaten gestärkten Einbindung in staatliche Verwaltungsstrukturen und -abläufe in die unerträgliche Position von Bittstellern, zumal auf dem Hintergrund des durch die universitäre Ausbildung veränderten Statusbewusstseins und erst recht im Vergleich zu anderen Würdenträgern.47 Die direkte existenzielle Abhängigkeit konnte den neuen Rabbinern nicht recht sein, insbesondere wenn sie wie Geiger in vielfacher Weise auf Distanz, ja Konfrontation zu den bestehenden Strukturen gingen.48 Bei näherer Betrachtung zeigt sich, wie sehr Geigers wiederholte Versuche, sich ein Fixgehalt in vernünftiger Höhe zu sichern und 46 Andreas Gotzmann, Jüdische Autonomie in der Frühen Neuzeit. Recht und Gemeinschaft im deutschen Judentum (Göttingen: Wallstein, 2008), 129–136. 47 Offenbar war die Anstellung eines eigenen Rabbiners selbst in Wiesbaden – vermutlich aufgrund der finanziellen Belastung der mit 3.000 fl. bereits hoch verschuldeten Gemeinde – kontrovers gewesen; so nach HHStA Wiesbaden Abt. 210, Nr. 2767, Fasc. 100 927; Hzgl. Landesregierung an das Hzgl. Nassauische Staatsministerium (Wiesbaden, 29.10.1833; gezeichnet Möller) fol. 23v: „bekanntlich war nicht die ganze Judenschaft in hiesiger Stadt, sondern nur die Majorität für diese Maßregel“. Vgl. Kober, „Bemühungen“ (wie Anm. 16), 216; dabei hatte Wiesbaden das höchste Steueraufkommen der jüdischen Gemeinden des Landes. 48 In Abraham Geiger, „Ansprache an meine Gemeinde“ (1842), in Abraham Geiger, Nachgelassene Schriften, hrsg. von Ludwig Geiger, Bd. 1 (Berlin: Louis Gerschel, 1875), 52–112, hier 58: „ich habe meinen [!] festgesetzten Gehalt bezogen, Geldgeschenke jedoch, selbst die an Purim und Neujahre üblichen, abgelehnt, zum Theil mit Rücksicht darauf, Andern, welche derselben mehr bedürftig sein mochten, solche nicht zu entziehen.“

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zugleich seine amtliche Position zu festigen, sein Handeln und die öffentliche Wahrnehmung seiner Person bestimmten. Während seiner Wiesbadener Zeit nötigte ihn dies zu dem Versuch, die Gemeinden auf die Landeshauptstadt und somit auf seine Gemeinde und sein Amt hin auszurichten.49 Obwohl die eigene Gemeindeleitung ihn darin unterstützte, scheiterte dies vor allem an den stetigen Einwänden der anderen Gemeinden des Herzogtums, die zum Teil erst durch die territorialen Neuregelungen der Napoleonischen Zeit und des Reichsdeputationshauptschlusses zu Hessen-Nassau gekommen waren. Diese nahmen wohl auch den damit verbundenen Verlust von Eigenständigkeit mit Unbehagen zur Kenntnis, protestierten aber vor allem gegen zusätzliche finanzielle Belastungen, so schon bei früheren Vorstößen hinsichtlich der Anstellung eines Landrabbiners.50 Der Versuch, das Amt möglichst auf das ganze Land auszudehnen, war, wie Geiger in seinen Schreiben an die Regierung deutlich machte, neben der Frage der Anerkennung seiner Person und der von ihm vertretenen religiösen Richtung stets auch eine Frage des Einkommens. Letztlich war dies einer der Hauptgründe dafür, dass Geiger die Stelle kündigte. In Breslau spielten die Gehaltsfrage und die Frage der Nebeneinkünfte ebenfalls lange eine entscheidende Rolle.51 Ähnlich wie in Wiesbaden, wo die Gemeinde mit Geiger bewusst einen kostengünstigen Anfänger mit nur 400 fl. Gehalt angestellt hatte, befand sich auch die Breslauer Gemeinde in erheblichen Finanzierungsschwierigkeiten. Selbst der amtierende Oberrabbi49 HHStA Wiesbaden Abt. 210, Nr. 2767, Fasc. 100 927; Schreiben des Vorstands der Israelitischen Gemeinde Wiesbaden an das Hzgl. Staatsministerium (Wiesbaden, circa 11.9.1833); ebd., fol. 26r; führt dies direkt als zentralen Grund für die alleinige Autorisation Geigers sowie die Ausdehnung seiner Amtstätigkeit auch auf andere Gemeinden bei Trauungen an: „die pecuniäre Sicherstellung unseres Herrn Rabbiners scheinen es uns nöthig zu machen“; eine zuvor eingereichte Bitte in diesem Sinne war von der Landesregierung am 17.5.1833 jedoch bereits abgelehnt worden. 50 Laut L. Geiger, Abraham Geiger. Leben und Lebenswerk (wie Anm. 3), 32f. wusste die Landesregierung, dass die Landgemeinden nur einen orthodoxen Rabbiner akzeptieren würden, und versuchte den Konflikt über die schwierige Frage der Finanzierung im Vorfeld beizulegen. Für diese Schlussfolgerung finden sich zumindest in den genannten Akten allerdings keine Hinweise; dass es ab 1836 Abspaltungstendenzen von Wiesbaden gab, die sicherlich auch mit Fragen der Religion zu tun hatten, ist jedoch unbestritten. 51 Vermutlich zahlte ihm die Breslauer Gemeinde jedoch mehr als seinem Vorgänger im Amt, andernfalls hätte sich der Wechsel von Wiesbaden finanziell nicht gelohnt. Vgl. Geiger, Nachgelassene Schriften, Bd. 5 (wie Anm. 1), 110; demnach wurde das Gehalt nach fünf Jahren (1845) erhöht und 1856 anlässlich der Neuordnung der Gemeinde erneut festgesetzt. Siehe auch den Verweis des Sohns auf die „selbst für jene Zeit seltene Einfachheit“ des Geiger’schen Haushalts; ebd., 111.

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ner Salomon Tiktin verdankte sein Amt unter anderem der Tatsache, dass er persönlich finanziell gut gestellt war und auf ein angemessenes Gehalt verzichten konnte.52 Geigers höheres Breslauer Grundgehalt von vermutlich insgesamt 800 Talern wurde bezeichnenderweise nur zur Hälfe von der Gemeinde getragen; sie zahlte also nur wenig mehr als die Wiesbadener. Den zweiten Teil des Fixgehalts bestritt eine Gruppe privater Unterstützer der Reform.53 Dennoch war Geiger, der dank dieser Verbesserung endlich heiraten konnte und bald vier Kinder hatte, aufgrund des üblichen Finanzierungsmodells zumindest hie und da auf Nebeneinkünfte angewiesen, was ihn nicht nur in Kontakt mit dem Oberrabbiner brachte, sondern zugleich den anderen, weit schlechter gestellten, teilweise sogar an Geigers Stelle arbeitenden Gelehrten einen Teil ihres Einkommens streitig machte. Da manche dieser zusätzlichen Einkommensmöglichkeiten neben dem damit verknüpften Prestige durchaus erhebliche Beträge umfassten, nahm Geiger dies – manchmal auf Zureden seitens seiner Unterstützer und der Gemeinde – zuweilen wahr, wiewohl ihm diese Konkurrenzsituation ebenso wie die damit verbundenen Abhängigkeiten widerstrebten.54 Als Geiger im Rahmen eines inhaltlich verlockenden und finanziell weit besseren Angebots der kleinen Berliner Reformgenossenschaft sein Grundeinkommen in Breslau verbessern wollte, nahm man ihm dies sehr übel. Nach Angabe seines Sohnes genehmigte der Vorstand Geiger 1845, also vermutlich direkt vor dem Berliner Angebot, eine Gehaltsaufbesserung auf jährlich 1.000 Taler, was ihn angeblich mit dem Oberrabbiner finanziell auf eine Stufe stellte.55 Die 52 Die Gemeinde hatte seinem berühmten Vater Abraham Tiktin als Oberrabbiner nämlich recht großzügige Zusagen gemacht, unter anderem jährliche Pensionszahlungen an dessen Witwe von 400 Rtlr. Laut Brocke und Carlebach (Hrsg), Biographisches Handbuch der Rabbiner, Bd. 2 (wie Anm. 11), 856; erhielt Abraham Tiktin 1815 selbst 750 Tlr. 53 L. Geiger, Abraham Geiger. Leben und Lebenswerk (wie Anm. 3), 70; diese Angabe findet sich in den Akten und Streitschriften nicht; hier wird stets der Betrag von 400 Rtlr. genannt. Diese Summe wäre gegenüber Wiesbaden eine recht geringe Verbesserung gewesen. Vermutlich erklärt sich dies dadurch, dass die Gemeinde lediglich 400 Rtlr. zahlte, während der zweite Teil durch ein vermutlich als dauerhaft angelegtes Stiftungskapital privater Sponsoren aufgebracht wurde. Dieses System der Teilfinanzierung scheint wenigstens bis zur Neuregelung der Gemeinde, vermutlich aber bis zu Geigers Kündigung bestanden zu haben. 54 Vereinzelt konnte dieser Nebenerwerb für einen vergleichsweise geringen Aufwand 50 oder sogar 100 Rtlr. betragen; vgl. Der Orient 7 (1846), 111. 55 Diese Erhöhung wird in den genutzten Archivalien nicht genannt. Gedalja Tiktin wurde von den orthodoxen Gemeinden später ein gleich hohes Gehalt wie Geiger, auch hier nur 400 Rtlr. gezahlt, wobei die privaten Sponsoren Geigers vermutlich den

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Verbitterung auf Seiten der Gemeinde wird umso verständlicher, wenn man deren erhebliche finanzielle Schwierigkeiten in Betracht zieht. Am Höhepunkt der Revolutionswirren war sie sogar zahlungsunfähig und konnte Geiger für einige Monate gar kein Gehalt auszahlen. Diese Situation hatte sich durch die Weigerung orthodoxer Mitglieder, ihre Beiträge zur Finanzierung der Reformbestrebungen und damit auch zu Geigers Einkommen zu leisten, noch verschärft.56 An diesem Detail wird deutlich, wie sehr die allmählich voranschreitende Umgestaltung der Verwaltungsstrukturen hin zu einer homogeneren Gemeinschaft mit zentralen Institutionen, Ämtern und Zuständigkeiten auch die Position des Rabbinats veränderte. Hatte man in der Frühen Neuzeit in den großen Gemeinden meist lediglich den Oberrabbiner entsprechend und oft sogar erstaunlich gut versorgt, die Vielzahl sonstiger Rabbiner und selbst die für die Gemeinde tätigen Gelehrten aber nur minimal entlohnt und auf das schwer überschaubare, unsichere Finanzierungsgeflecht privater Stiftungen und punktueller Amtsvergütungen verwiesen, so führten vor allem die von den Behörden geforderten Gemeinderabbinate und deren angemessene Besoldung dazu, dass die Gemeinden in erhebliche Finanznot gerieten. Durch das Zusammenziehen der dezentralen Ressourcen wurde der überwiegende Teil der religiösen Gelehrten letztlich verdrängt. Die Frage des Einkommens war damit keineswegs erledigt, denn als man mit den orthodoxen Synagogen, die direkt nach Salomon Tiktins Ableben dessen Sohn Gedalja eigenständig angestellt hatten und ihre Gemeindeabgaben weiterhin verweigerten, einen Kompromiss schloss, zeigte die Reorganisation auch ihre Schattenseite. Da Geiger durch den Dachverband angestellt und nach dem Tod des Oberrabbiners zum Rabbiner der Gesamtgemeinde avanciert war, hätte er aus deren Kasse besoldet werden müssen. Dies schloss der Kompromiss jedoch aus, da die Rabbiner nunmehr auf religiös autonome Kultusverbände unterhalb der Ebene des Gesamtverbands verwiesen wurden. Dieses unerwartete, von orthodoxer Seite in Umkehrung der bisherigen Verhältnisse süffisant ausgekostete Resultat hatte für Gedalja Tiktin zudem das schöne Ergebnis, dass er nahezu der eigentliche Hauptrabbiner des Gesamtverbands zu sein schien, da ihm für den weiteren Teil hinzugaben; JHI Warschau, WR 915/916, Vertrag zwischen den Bevollmächtigten eines Teils der Gemeindemitglieder in Breslau und R. Gedalje Tiktin (Breslau, 24.5.1843); §5. 56 Anonym, [Erstes] Sendschreiben der großen Mehrzahl der Mitglieder der Breslauer Israelitengemeinde an Herrn Rabbiner Dr. Geiger und an sich selbst (Breslau: F. Aderholz, 1846), 2–3.

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alten Cultus-Verband resp. mir als dem Rabbiner die Ueberwachung der in der Gemeinde zu verbleibenden Institute übergeben, […] und mir für diese Beaufsichtigung 400 r. per anno bewilligt [wurden/d.A.]. Erst später als so zu sagen mit der alten Cultus-Gemeinde Friede geschlossen war, wurde aus Nützlichkeits-Gründen im Bezug auf die einzuziehenden Beiträge und um nach allen Seiten hin den Frieden dauernd zu gründen auch dem Dr. Geiger 400 r. p. anno gewährt.57

Obschon dieses Detail bei der Trennung der Kultusgemeinden im Eifer des Gefechts lediglich übersehen und, nachdem man es bemerkt hatte, beseitigt worden war, schuf dies für Geiger erneut eine missliche Situation, die ihm verdeutlichte, dass er sich seiner Position letztlich nie sicher sein konnte.58 Gehaltsverhandlungen spielten daher auch 57 L. Geiger, Abraham Geiger. Leben und Lebenswerk (wie Anm. 3), 109. Wie sich dies zu den zuvor gezahlten 1.000 Talern verhielt, bleibt unklar. JHI Warschau, WR 915/916; Gedalja Tiktin an den Polizeipräsidenten Breslaus (Breslau, 16.5.1852); dabei fügte er boshafterweise hinzu, dass man Geiger sein Gehalt „ohne besonders zu verrichtende Funktionen“ in der Gemeinde nach dem Vergleich nur als ein Opfer aus Furcht vor finanziellen Einbußen gebracht habe. Dies betont auch der Korrespondent des Orient 7 (1847), 50: nämlich dass der mit den Orthodoxen ausgehandelte Kompromiss – neben dem Zugeständnis der Zahlungen von orthodoxer Seite – eigenständige Kultusverwaltungen vereinbarte, die dem Gesamtvorstand entzogen blieben; „Ihre [= der Orthodoxen] Hauptbedingung ging also nicht mit Unrecht dahin, dass Geiger statutenmäßig nur das gelten soll, was er faktisch ist, Parteirabbiner für Reformlustige. Allein diese Bedingung ist aber dem geistlichen Herrn nicht genehm; er, der bisher so viel gethan um den Schein zu retten, soll des Friedens und des Glücks der Gemeinde willen, diesen Schein aufgeben, und den Titel des Gemeinderabbiners fahren lassen? Aber Herr Doktor, was sollen für die Dauer die hilflosen Nothleidenden anfangen, wenn ihnen die Hälfte ihrer Unterstützung und bei größerer Erschöpfung der Gemeindekasse vielleicht zwei Drittel und noch mehr geschmälert wird?“; vgl. Der Orient 8 (1847), 274. Hinzu kam, dass das Rabbinergehalt seitens des Gesamtverbands anscheinend fast ausschließlich über ,Kultuseinnahmen‘ erbracht wurde, nämlich die sogenannte Krupke, die KoscherFleischsteuer, weshalb naturgemäß vor allem die orthodoxen Bevölkerungsteile nolens-volens auch zu Geigers Gehalt beitrugen; vgl. Der Orient 8 (1847), 290. Nach einer Erhebung des Ministeriums standen hinter Tiktin im Vergleich zu Geiger etwa ein zusätzliches Drittel der Gemeindemitglieder; L. Geiger, Abraham Geiger. Leben und Lebenswerk (wie Anm. 3), 94. 58 Sogar als Tiktin verstarb und Geiger zum einzigen Rabbiner des Gesamtgemeindeverbands wurde; vgl. Geiger, Nachgelassene Schriften, Bd. 5 (wie Anm. 1), 167 (= Brief Geigers an Leopold Zunz, Breslau, 6.6.1843): „Sie sind mir hinter meinem Amte her […]. Ich bin nun einmal gegenwärtig einziger Rabbiner der hiesigen Gemeinde und mein Einfluss vermehrt sich in jeder Beziehung.“ Nach Auskunft von L. Geiger, Abraham Geiger. Leben und Lebenswerk (wie Anm. 3), 90f. gab es offenbar ein Gesuch der Orthodoxen beim Staatsministerium, Geiger zu entlassen, das jedoch abgelehnt wurde.

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eine Rolle bei Geigers Überlegungen, nach vielfachen Enttäuschungen das ihm angebotene und vermutlich auch immer ersehnte Rabbinat in seiner Heimatstadt Frankfurt am Main anzunehmen.59 Nüchtern betrachtet, ist sein Agieren durchaus verständlich, denn die Rabbiner konkurrierten auf einem öffentlichen Markt, doch die allgemeine Wahrnehmung war – zumindest in Bezug auf den Hauptrabbiner – durchgängig durch die Vorstellung einer idealerweise lebenslangen Führungsfunktion bestimmt. Diese Erwartung wurde in Geigers Fall zweifellos durch die vielen Kämpfe innerhalb der Gemeinden beziehungsweise in der Öffentlichkeit bestärkt, in denen er sich intern durchgesetzt hatte und stetig gegenüber den Gemeindemitgliedern sowie nach außen hin verteidigt worden war. Dass Geiger, nachdem er endlich vom Nebenrabbiner zum vollwertigen Gemeinderabbiner aufgestiegen war, diese hart erfochtene Stellung nun – womöglich unter Verweis auf erneute finanzielle Forderungen – aufkündigte, führte zu einem erneuten enormen Vertrauensverlust.60 Vermutlich als ein Resultat der ursprünglichen Anstellung als Nebenrabbiner war in Breslau die Frage der neuerdings üblichen Pension als Risikoabsicherung bei Dienstunfähigkeit offenbar offen geblieben, da Versorgungsvereinbarungen etwa für die Witwe schon in früheren Jahrhunderten in der Regel nur mit auf Dauer verpflichteten Oberrabbinern vereinbart worden waren. Nach der schrecklichen Erfahrung der Krankheit und des frühen Todes seiner Frau musste Geiger auch an die Versorgung seiner Kinder denken. Dennoch wurde ihm erneut öffentlich vorgeworfen, dass man bereits die Armenunterstützung zugunsten 59 Ein Hinweis aus der Breslauer Zeit zeigt Geigers Einschätzung der zentralen Bedeutung der Frankfurter Gemeinde; vgl. Geiger, Nachgelassene Schriften, Bd. 5 (wie Anm. 1), 172 (= Brief Geigers an Berthold Auerbach, Breslau, 25.12.1843). 60 Ich danke Fr. Julia Carls für die Zuarbeit: Um einen Vergleich zu geben (Angaben stets pro anno): Laut Brocke und Carlebach (Hrsg.), Biographisches Handbuch der Rabbiner, Bd. 1 (wie Anm. 11), 200 erhielt Löb Bodenheimer (Krefeld) 1845 787 Tlr., Akiwa Eger (Posen) gemäß dem Anstellungsvertag von 1814/5 1.400 Tlr. (ebd., 259). Es gibt jedoch auch deutliche Abweichungen, zum Teil aufgrund anderer Finanzierungsmöglichkeiten; so erhielt Elias Guttmacher (Pleszew/Pleschen) 1822 200 Tlr. (ebd., 401), wobei durch die Jeschiwa jedoch ein Nebeneinkommen bestanden haben wird; Esriel Hildesheimer erhielt in Berlin zunächst 400 Tlr. (ebd. 434), auf die er aufgrund der Finanzierung durch die Schwiegerfamilie jedoch verzichtete; Meyer Löbusch Malbim 1840 (Kempen) erhielt 450 Tlr. (ebd., Bd. 2, 640), Jakob Hirsch Mecklenburg 1830 (Königsberg) 500 Tlr. (ebd., 656) und Menachem Mendel Steinhardt 1809 (Warburg/Paderborn) zunächst noch 500 Tlr., ab 1815 circa 439 Tlr (ebd., 838). Siehe zum Vergleich die Gehälter jüdischer Schullehrer, Andreas Brämer, Leistung und Gegenleistung. Zur Geschichte jüdischer Religions- und Elementarlehrer in Preußen 1823/24 bis 1872 (Göttingen: Wallstein, 2006), 270–283, 286.

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der Finanzierung seines Gehalts gekürzt habe und nun versuchen musste, über private Geldgeber eine Pensionskasse einzurichten.61 Obwohl Geiger signalisierte, dass die Entscheidung für ihn nicht von der Einkommensfrage abhing, verließ er die Gemeinde in Breslau schließlich doch. Die Frankfurter Gemeinde bot ihm ein durchaus angemessenes Gehalt von 4.000 fl. Und obgleich unklar bleibt, wie viel ihm wenige Jahre später die Berliner Gemeinde zahlte, dürfte die Besoldung sich vermutlich etwas darüber, wohl auf der Höhe der seines dortigen Kollegen Joseph Aub bewegt haben, der mit 3.000 Talern ein ungewöhnlich hohes Einkommen hatte.62 Immerhin ermöglichte dies Geiger, der lange angestrebten, erst in den Berliner Jahren Wirklichkeit gewordenen Tätigkeit als Dozent an einer wissenschaftlichen Einrichtung, der neugegründeten Hochschule für die Wissenschaft des Judentums, ohne jedes Gehalt nachzugehen. Die Frage der finanziellen Sicherheit, die Geiger über weite Strecken seines Lebens begleitete, war, abgesehen von dem Aspekt der persönlichen, durchaus bescheiden bürgerlichen Lebensführung, zugleich immer auch eine Frage der symbolischen Anerkennung der Reform in seiner Person. Schließlich handelte es sich bei der Gehaltsfrage um eine Frage der Autoritätssicherung des Rabbinats, für das man eine Führungsfunktion und insofern auch eine entsprechende angemessene finanzielle Absicherung beanspruchte.63 Auch auf diesem Feld kämpfte Geiger an vorderster Front, was ihm jedoch aufgrund seines allgemeinen Rufs, Vorkämpfer des Neuen zu sein, zunehmend erschwert wurde und ihm darüber hinaus auf allen Seiten ein schlechtes Image einbrachte.64 61 Geiger, Nachgelassene Schriften, Bd. 5 (wie Anm. 1), 138. Erneut griff die Gegenpropaganda die Frage des Gehalts auf; vgl. Anonym, Ist die Wahl des Dr. Abraham Geiger zum Rabbiner in Berlin möglich? Ein Wort zur Verständigung von einem Freunde der Wahrheit und des Friedens (Berlin: als Ms. gedr., 1866), 5; L. Geiger, Abraham Geiger. Leben und Lebenswerk (wie Anm. 3), 170–173; hier erklärt Geiger, dass das in Frankfurt zugesicherte Gehalt zwar das Breslauer weit übersteige, dafür in Breslau die Nebeneinnahmen eine erhebliche Zulage bedeuteten; die Pensionskasse in Höhe des Jahresgehalts trat erst nach 10 Jahren Amtstätigkeit ein. Vgl. Gotzmann, Jüdische Autonomie in der Frühen Neuzeit (wie Anm. 46), 40–43, 214. 62 Für den Hinweis danke ich PD. Dr. Andreas Brämer; Brocke und Carlebach (Hrsg.), Biographisches Handbuch der Rabbiner, Bd. 1 (wie Anm. 11), 152. 63 Geiger, Nachgelassene Schriften, Bd. 5 (wie Anm. 1), 201 (= Brief Geigers an Bernhard Wechsler, Breslau, 31.1–2.2.1849): „Diese alten Gemeindeverbände mit ihren Schächtern und Badeanstalten, mit ihren alten Grundlagen und den verschiedenartigen, gewaltsam zusammengehaltenen Elementen müssen zusammenstürzen, wenn ein frisches Leben endlich im Judenthume erblühen soll.“ 64 Ebd., 221 (= Geigers Album, 21.11.1857; von Moritz Abraham Stern): „Die alten Helden kämpften auf grünem Rasen, die modernen kämpfen auf grauem Papier. Die

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V. Zwiespältigkeit: Wissenschaft und Praxis Ein ganz entscheidender Aspekt dieser immer zwiespältigeren Wahrnehmung Geigers erklärt sich aus zentralen Weichenstellungen in seinem Leben, die ebenfalls Teil des Bildes eines notorischen Reformers wurden. Da Geigers Abschied von Wiesbaden in diesem Zusammenhang eine bedeutende Rolle spielt, sollen die Vorwürfe, die ihm dort gemacht und die später weiter kolportiert wurden, im Folgenden genauer betrachtet werden. Auch wenn Geiger dort von sich aus ging, verbreitete die orthodoxe Propaganda das Gegenteil.65 Die gegen Geigers Zugriff auf das Amt des Landesrabbiners opponierenden Vorsteher etlicher Gemeinden Hessen-Nassaus hatten es bezeichnenderweise versäumt, den erfolgversprechendsten Einwand geltend zu machen, nämlich dass man sich die Ausgaben nicht leisten könne.66 Stattdessen argumentierten sie durchweg, Abraham Geiger sei für das Amt ungeeignet und aufgrund seiner unzureichenden rabbinischen Kenntnisse zumal für eine solche übergeordnete Stelle nicht qualifiziert. Um dies zu belegen, verwies man auf sein Rabbinatsdiplom und führte seinen angeblichen Mangel an Frömmigkeit, ja sogar einen fragwürdialten Helden brauchten den Stahl als Schwert, die modernen brauchen ihn als Feder. Je billiger Schlachtfeld und Waffe geworden, desto theuerer der Kampfpreis; er ist das Theuerste, was die Menschheit auf der heutigen Bildungsstufe überhaupt kennt – die geistige Freiheit. Im Kampfe um dieses höchste Gut hat man Dich, lieber G., immer in erster Schlachtlinie gesehen, keinem Sturme weichend, oft verletzt, nie gebeugt, ich würde sagen, wie eine deutsche Eiche, wenn Du nicht, statt Schatten, Licht verbreitet hättest.“ Die Gegenseite, hier vermutlich aus konservativer, aber nicht orthodoxer Position, charakterisierte Geiger natürlich anders; vgl. Der Orient 8 (1847), 274; „Da haben Sie den Märtyrer der Reform […]. O ein bequemes Märtyrerthum auf weichem Polster mit dampfender Havanna-Cigarre.“ 65 Kober, „Abraham Geigers Bemühungen“ (wie Anm. 16), 224. 66 Dieses Argument hätte die Landesregierung vermutlich überzeugt, da sie es bei zurückliegenden Versuchen selbst mehrfach als Hinderungsgrund angeführt hatte. HHStA Wiesbaden, Abt. 210, Nr. 2767, Fasc. 100 927; fol. 28r-v; Hzgl. Landesregierung an das Hzgl. Nassauische Staatsministerium (Wiesbaden, 23.9.1835); dort heißt es, man habe die Gemeinden des Herzogtums dazu befragt, ob sie zu der Besoldung eines Landrabbiners beitragen würden, „allein ohne günstiges Resultat“. HHStA Wiesbaden, Abt. 210, Nr. 2767, Fasc. 100 927; fol. 35r-39r; Unterschriebene Mosaisten (9 Gemeindevorsteher von 7 Gemeinden die aber deutlich mehr Ortschaften umfassten, zudem von 6–7 Gemeindemitgliedern) an das Staatsministerium (o. O., circa 23.3.1838); hier fol. 37r, werfen Geiger unter anderem vor, dass er „noch weniger das Unvollkommene und Schwankende auf eine zeitgemäße Weise zu verbessern“ suche, siehe auch fol. 37v. Laut Kober, „Abraham Geigers Bemühungen“ (wie Anm. 16), 221, datiert deren erster Vorstoß bereits aus dem Jahre 1836, gleichfalls mit Verweis auf unzureichende Qualifikationen.

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gen, einem Rabbiner nicht angemessenen Lebenswandel an. Er wurde sogar beschuldigt, den Schabbat zu verletzen, die Wochengebete nicht gemeinsam mit der Gemeinde zu verrichten, die Kindererziehung zu vernachlässigen und die Jugend aufgrund seines schlechten Beispiels durch seine Predigten auch gar nicht erreichen zu können.67 Dieser Versuch des Rufmords, der ganz auf den Aspekt der Religion ausgerichtet war, sollte Geiger sein ganzes Leben lang verfolgen. Selbst posthum verwies die orthodoxe Propaganda immer wieder auf sein unangemessenes, letztlich häretisches Verhalten und bezog sich dabei stets auf diese frühen, zweifellos inszenierten Verdächtigungen.68 Daneben versuchten Geigers Gegner bereits zu Beginn seiner Karriere, ihn in die Nähe der Häresie zu rücken. Geiger hatte in Wies67 HHStA Wiesbaden, Abt. 210, Nr. 2767, Fasc. 100 927; fol. 35r-39r; Unterschriebene Mosaisten an das Staatsministerium (o.O., circa 23.3.1838); dort heißt es, man verstehe zwar, dass ein Landesrabbiner sinnvoll wäre, sollte dies jedoch Geiger sein, so wolle man lieber auf diesen verzichten. „Denn der Mann ist uns nun einmal von einer solchen Seite bekannt und hat sich auf eine solche Weise als Ortsrabbiner bewährt, dass wir ihm nie und nimmermehr für einen Landesrabbiner qualificirt erachten und irgend einiges Gute für unsere Religion von seiner Dienstverwaltung erwarten können. Es fehlen ihm durchaus diejenigen wissenschaftlichen und theologischen Kenntnisse, welche nach unseren Religionsgebräuchen von einem wirklichen Rabbiner verlangt werden. Dazu reicht nicht hin, dass derselbe eine Predigt halten kann. Das bestehende Judenthum verlangt weit mehr von ihm – Geiger ist nie auf die vorgeschriebene, bisher überall zu Anwendung gekommene Weise als jüdischer Theolog und Rabbiner gehörig und förmlich geprüft worden. Dieses müsste von einem wirklich angestellten, in der Prüfung bestandenen Rabbiner geschehen. Aber Geiger hat selbst seine desfallsige Schwäche und Kenntnissmängel gefühlt, und statt sich von dem angestellten Rabbiner seiner Vaterstadt oder dem zu Mainz, Bingen, Darmstadt, Hanau, Cassel oder Bonn, wo er doch seine Studien machte, vorschriftsmäßig prüfen zu lassen, hat er sich auf eine gerade nicht lobenswerthe Weise ein Prüfungszeugniss zu Marburg zu verschaffen gewußt. Geiger besthätigt in seinem Lebens- und Lehrwandel, dass er den wahren religiösen Standpunkt, den wichtigen Beruf eines Rabbiners nicht erfasst hat und nicht zu würdigen weiß. […] Herr Geiger feyert den Sabath nicht, wie ihn seine Glaubensgenossen, die Mitglieder der Gemeinde, von jeher gefeyert haben, er verrichtet mit denselben nicht die herkömmlichen Wochengebete.“ 68 Saul Kaatz, Abraham Geigers religiöser Charakter, 1. Teil (Frankfurt am Main: Israelit, 1911; Erstveröffentlichung 1909 in Der Israelit), 38–40 verweist als Beleg der frühen Verdächtigung darauf, dass Geiger in späteren Jahren durchaus heimlich am Schabbat geraucht habe. Anonym, Ist die Wahl des Dr. Abraham Geiger zum Rabbiner in Berlin möglich? (wie Anm. 61), 3–4. Geiger ließ dies nicht unbeantwortet; vgl. z. B. Abraham Geiger, „Die letzten zwei Jahre. Sendschreiben an einen befreundeten Rabbiner“ (Breslau 1840), in Geiger, Nachgelassene Schriften, Bd. 1 (wie Anm. 48), 1–51, bes. 2–4, 6; Anonym, Vorstand und Geiger. Ein Beitrag zur Charakterisierung der israel. Gemeindezustände in Frankfurt a.M. (Frankfurt am Main, R. Baist, 1862).

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baden bereits die erste seiner beiden wissenschaftlich-theologischen Zeitschriften gegründet und die erste kleine Rabbinerversammlung einberufen. Damit schuf er ein Forum, das wenig später einen entscheidenden Beitrag zur Festigung der Reform leisten sollte. Durch beides meldete er sich als entscheidende Stimme der religiösen Reform zu Wort. Obgleich die Wissenschaftliche Zeitschrift für jüdische Theologie Geigers Einschätzung zufolge nur von wenigen gelesen wurde und durch ihren Zuschnitt auch primär als ein wissenschaftliches Forum gedacht war, wurden einzelne Aspekte, insbesondere die kritische Diskussion religiöser Rituale, in der Öffentlichkeit – zumindest am Rande – sehr wohl wahrgenommen und immer wieder kolportiert. Neben die positiven Darstellungen dieser Vorhaben in der fast ausschließlich reformfreundlichen jüdischen Presse traten die gleichfalls stereotypen Reaktionen der Konservativen. All dies lässt sich an den Vorwürfen der Gemeindevertreter aus dem Jahr 1838 bereits ablesen. Im Wissen um die Wirkung solcher Verdächtigungen warfen sie ihm sogar radikale Tendenzen vor, die womöglich über den religiösen Bereich hinaus reichten. Geiger wolle das bestehende Judentum vielmehr, wie er sich in seiner Zeitschrift unverholen ausspricht, bis auf die Wurzel ausgerottet wissen und spielt darüber den Freigeist, ohne das bestehende Nützliche zu beobachten […]. Dadurch hat Herr Geiger bey seinen Glaubensgenossen seinen guten Namen und jegliches Vertrauen zu Wort und That verloren.

Zugleich verübelte man ihm auch anderes, er sei nämlich „nur mit sich selbst und seinen Neuerungs-Ideen beschäftigt, und zufrieden als (Stuben)Gelehrter zu gelten. Die Außenwelt, die Gebräuche der Religion, die Ritualgesetze kümmern ihn nicht, noch weniger aber die Bildung der Jugend, deren geistige und moralische Fortschritte“.69 Geiger versah sein Amt als Ortsrabbiner und Lehrer ohne jeden Zweifel mit großem Engagement, wie ihm selbst von amtlicher Seite bestätigt wurde. Entscheidend ist jedoch, dass diese Beschuldigungen die Rollen eigenartig vertauschten: Man machte ihm Dinge zum Vorwurf, die bei Rabbinern bislang als Zeichen der Frömmigkeit galten, so etwa das Studieren selbst auf Kosten des Besuchs der allgemeinen Gottesdienste. Dass man Geiger sein Gelehrtendasein vorhielt, erklärt sich daraus, dass man in ihm mehr den modernen Prediger (so jedenfalls wurde er in den erhaltenen Schriftstücken wiederholt und ausschließlich bezeichnet) sah, der neben seiner Funktion als Lehrer irgendwo zwischen Kantor und eigentlichem Rabbiner eingeordnet wurde und 69 Beides HHStA Wiesbaden, Abt. 210, Nr. 2767, Fasc. 100 927; fol. 37r-v.

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sich vorrangig in den Dienst der Öffentlichkeit stellen sollte. Zugleich wird daran deutlich, dass wissenschaftliche Studien an Stelle des hergebrachten Lernens noch nicht als Betätigungsfeld für Rabbiner anerkannt waren. Diese Erwartung stand in diametralem Gegensatz zu Geigers Selbstwahrnehmung. Bereits seine Tagebucheintragungen aus der Jugendzeit, die ganz vom Gedanken bürgerlicher Selbstbeobachtung und Selbsterziehung getragen sind, belegen den Übergang von ersten Zweifeln an der überlieferten Tradition zu einem modernen Wissenschaftsverständnis. An die Stelle des alten kulturellen Deutungsmodells trat bei Geiger wie bei vielen seiner Zeitgenossen die philologische Textkritik.70 In einer auch nach Maßstäben des neunzehnten Jahrhunderts übersteigerten Sprache beschrieb Geiger, der sich selbst ständig mit unglaublichem Selbstbewusstsein zur zentralen Figur der kulturellen Erneuerung stilisierte, seine Studienkollegen fast durchgängig in paternalistischem Duktus und beurteilte sie danach, wie sie sich zu ihm und seiner Vorstellung von Wissenschaft verhielten.71 Diese Haltung änderte sich im Verlauf seines Lebens kaum. Am untersten Ende der Hierarchie stand aus seiner Sicht das alte Rabbinat, die traditionelle Gelehrsamkeit und Lebensform, dem letztlich bereits der Zugang zur Wissenschaft verwehrt blieb.72 70 Für eine weitere, fortschrittsgläubige Einschätzung von Wissenschaft, erneut mit Bezug auf Geiger, siehe z. B. Der Orient 3 (1842): „Am Mark der Civilisation nagen in der That diejenigen, welche die Wissenschaft verfolgen, denn die Civilisation ist nur die Form, in der die Wissenschaft im allgemeinen Volksbewußtsein sich darstellt.“ 71 Geiger, Nachgelassene Schriften, Bd. 5 (wie Anm. 1), 3–42, hier 9: „Von Tag zu Tag reifte der Gedanke in meinem Geiste, dass doch mein bisheriger Glauben nicht fest gegründet sei, es ward heller in mir, bis endlich die Flamme der Aufklärung allen Unrath vernichtet hatte. Doch ich musste lange meine Gedanken in mir herumtragen, bis ich endlich meinem gepressten Herzen einem Freunde gegenüber Luft machen konnte […]. Gelehrsamkeit, überhaupt schon die geringste Einsicht in irgend eine andere Wissenschaft ausser dem Thalmud, der mir nun tagtäglich verabscheuungswürdiger wurde, war zu dieser Zeit in meinen Augen das schätzenswertheste Gut.“ Vgl. ebd., 50 (= Brief Geigers an den Schulrat Rossel [Aachen], Bonn, 30.5.1831): „Wenn ein Rabbiner, ganz vom bösen, altthalmudischen Geiste besessen, ganz abgewandt vom wissenschaftlichen Streben, der einzige geistliche Vorsteher ist, […]. Freilich ist dies nun bei Männern von gediegener wissenschaftlicher Bildung nicht so sehr zu befürchten.“ 72 Wohlgemerkt stand dies im Gesamtzusammenhang der Aufwertung von Jugend und Neuerung gegenüber dem Alten und Überholten, so dass die Abwertung des alten Rabbinats auch das ,alte Leben‘ betraf; dies wird an Geigers Haltung gegenüber biedermeierlicher Romantik deutlich, wie sie etwa im frühen jüdischen Roman zum Ausdruck kommt; vgl. Geiger, Nachgelassene Schriften, Bd. 5 (wie Anm. 1), 74 (= Brief Geigers an Moritz Abraham Stern, Wiesbaden, 31.3.1836).

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Entscheidend für die öffentliche Wahrnehmung Geigers war, dass er in seinen Äußerungen noch bis in die Wiesbadener Zeit verständlicherweise vorsichtig blieb.73 Aufgrund der Reaktion seiner frommen Familie, der Frankfurter Gemeinde beziehungsweise dem konservativen badischen Umfeld war ihm bewusst, dass zu radikale Positionen auf erheblichen Widerstand stoßen würden. Selbst in seiner Bonner Zeit, in der er Gleichgesinnte getroffen hatte, darunter aber auch durchaus noch konservative Studienkollegen, verhielt er sich eher vorsichtig. Und sogar seine Einladung zu dem Wiesbadener Treffen reformfreundlicher Kollegen wurde mit taktisch kluger Überlegung ausgesprochen.74 Dennoch war es damals schon möglich, eine universitäre Bildung mit einer sich für alle Beteiligten verändernden traditionellen Gelehrsamkeit zu vereinbaren, vor allem da die Vorstellungen von Wissenschaftlichkeit und ihrem primären Deutungsanspruch insgesamt noch unklar waren.75 Ein Brief, den Geiger an den inzwischen als Landesrabbiner in Oldenburg tätigen Samson Raphael Hirsch schrieb, verweist auf diesen Orientierungswandel und die vorsichtige Doppeldeutigkeit seiner Äußerungen: Sie wissen, Bester, wie ich in der letzten Zeit immer mehr einer streng philosophischen Auffassung der Dinge nachgestrebt, wie das früher noch eingehüllte und schlummernde Bewußtsein plötzlich zur Klarheit sich entfaltete, und können sich denken, wie ich nicht allein mich Alles aus einem andern Standpunkt anzusehn gewöhnte, sondern wie ich auch an Selbstvertrauen gewonnen und wie dies überhaupt einem kecken, jugendlich heiteren Manne noch mehr Offenheit und Befangenheit gewährte. Vielleicht 73 Vgl. ebd., 74 (= Brief Geigers an Salomon Geiger, Wiesbaden, 19.4.1833); danach schätzte er die Situation recht realistisch ein, „denn die jungen Rabbiner geniessen das Zutrauen bloss so lange, als sie Alles hübsch beim Alten lassen“. 74 Ebd., 30, 53, 70; die ersten Hefte von Geigers Wissenschaftlicher Zeitschrift für jüdische Theologie [= WZJT] erschien laut dessen Sohn ohne dessen Namen, „mit Rücksicht auf die Verwandten, welche fürchteten, er würde sich durch Nennung desselben ins Verderben stürzen“. Tatsächlich ändert sich vom ersten Band zu den nachfolgenden lediglich die Angabe, dass der erste „von einem Verein jüdischer Gelehrter durch Abraham Geiger“, ab dem zweiten Band aber von Geiger „in Verbindung mit einem Verein …“ herausgegeben wurde. Geiger, ebd., 77f. (= Brief Geigers an Samson Raphael Hirsch, Wiesbaden, 24.3.1832) verweist auf eine „gewisse Bangigkeit“, die er auf Hirschs Seite im Hinblick auf Geigers Anstellung als Rabbiner bemerkt hatte; er reagiert darauf mit der Ermahnung zu mehr Toleranz: Hirsch solle nicht nur auf die „Richtigkeit seiner Ansicht pochen und die Andersgesinnten geradezu als schlechte Hirten verwerfen“. Vgl. Geiger, „Die Rabbinerzusammenkunft“ (wie Anm. 21), 329. 75 Was jedoch der Anerkennung von Wissenschaft als alleinigem Bezugspunkt keinen Abbruch tat; vgl. Geiger, „Die letzten zwei Jahre“ (wie Anm. 68), 16.

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waren es derartige Äußerungen in meinen Briefen an meine Familie, die sie neben der Wahrnehmung des großen Kostenaufwandes, den meine Anwesenheit an der Universität verursachte, bestimmte, mich auf’s Bestimmteste von dort abzurufen und nach Frankfurt einzuladen.76

Während die überwiegende Mehrzahl der Rabbiner aller religiösen Lager den hier aufscheinenden Wandel zwar vollzogen, jedoch Wissenschaft stets als durch Religion definiert und eingeschränkt begriffen, wurde Wissenschaft für Abraham Geiger und Samuel Holdheim, den einzigen Kollegen, den Geiger als ebenbürtig anerkannte, zu einer in sich nicht zu begrenzenden Triebkraft gesellschaftlichen Wandels. Diese Sichtweise war in ihrer zeittypischen Konzeption sicherlich auch eine religiöse, da Wissenschaft im Sinne des Historismus mit den Urgründen welt- und menschheitsgeschichtlicher Entwicklung auch deren göttliche Intention und somit auch deren transzendentes Ziel erschließen sollte. Sie blieb dabei jedoch nicht an Theologie gebunden, sondern gewann ihre quasi-religiöse Qualität gerade in ihrem Anspruch auf Unbegrenztheit, selbst noch in ihrer extremsten Ausprägung.77 Dementsprechend fortschrittlich und radikal waren auch Geigers wissenschaftliche Leistungen, allem voran seine quellenkritische Studie zur Entstehung der hebräischen Bibel, die in ihrer analytischen Konsequenz im zeitgenössischen Kontext einzigartig dastand.78 Geigers rührender, verständnisvoller Brief an seinen ältesten Sohn, als dieser ihm eröffnete, dass er sich aufgrund religiöser Zweifel nicht für den Beruf des Rabbiners entschließen könne, zeigt eindrucksvoll sein eigenes religiöses Wissenschaftsverständnis selbst im Angesicht einer im Rahmen der wissenschaftlichen Erforschung schwindenden Sakralität der religiösen Tradition: Deine Studien würden, wenn ich Deine Geistesrichtung nicht ganz und gar verkenne, doch keine anderen sein als: Philosophie, alte Sprachen, zumal als

76 Sänger Collection, Bar Ilan University, Nr. 0115; VI B 22; Abraham Geiger an Samson R. Hirsch (Bonn, 26.2.1832). 77 Geiger, „Die letzten zwei Jahre“ (wie Anm. 68), 28; Gotzmann, Eigenheit und Einheit (wie Anm. 2), 114–211; Gotzmann, „Jüdische Theologie im Taumel der Geschichte. Religion und historisches Denken in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts“, in Ulrich Wyrwa (Hrsg.), Judentum und Historismus. Zur Entstehung der jüdischen Geschichtswissenschaft in Europa (Frankfurt am Main: Campus, 2003), 173–202. 78 Diese Kompromisslosigkeit, die durch seine wissenschaftliche Arbeit genährt wurde, kennzeichnete auch die Einschätzung anderer Teile der jüdischen Traditionsliteratur; vgl. Geiger, Nachgelassene Schriften, Bd. 5 (wie Anm. 1), 173 (= Brief Geigers an Jakob Auerbach, Breslau, 13.1.1846); Heschel, Der jüdische Jesus und das Christentum (wie Anm. 2), 137–180.

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die lebendigste Äußerung ihres geistigen Lebens, Geschichte ihrer Literaturen, Geschichte überhaupt als die Entwicklung des Menschengeistes und zumal die geistige Bewegung, welche Juden und Judentum in die Menschheit gebracht. Das ist am Ende auch jüdische Theologie, ob sie theoretisch erkannt, ob sie praktisch geübt wird. […] Ob ein Buch seiner Begründung, der Pentateuch – es ist bloss eines neben so vielen anderen seiner geistigen Erzeugnisse –, von Moses geschrieben oder allmählich aus den tiefsten Gärungen geworden, macht das einen Unterschied? Im Gegenteile, wenn es bloß Moses damals geschrieben, es bliebe unverständlich, es enthielte Monstrositäten. Nur als Spiegel der jahrhundertelangen Volksentwicklung wird es klar, verständlich, aber noch verehrungswürdiger. Gottes Wort? Nun wie Gott eben spricht: vernehmlich in allen großen Geistestaten, und hier ist sicher eine der grössten Geistestaten in der Geschichte der Menschheit.79

Wissenschaftliches Forschen und die Vermittlung dieser neuen Sichtweise auf das Judentum wurden für Geiger dementsprechend mehr und mehr zum eigentlichen Kern seiner Tätigkeit. Erneut durchaus radikaler als bei den meisten jüdischen Forschern deutete er Wissenschaft nicht ausschließlich oder primär als Mittel der Selbstreflexion, das heißt einer vor allem jüdischen Zwecken verpflichteten jüdischen Wissenschaft des Judentums, sondern im Sinne einer objektiven und unbegrenzten Wissenschaftlichkeit, also einer Integration jüdischer Kultur in den Gesamtkosmos menschlicher kultureller Leistungen. Die Auswirkungen der Verdächtigungen gegenüber seiner wissenschaftlichen Tätigkeit in Wiesbaden zwangen Geiger jedoch zunächst erneut zur Vorsicht. Zu Beginn seiner Breslauer Zeit hielt er sich daher mit wissenschaftlichen Veröffentlichungen erkennbar zurück, seine Zeitschrift stellte er ein.80 Die Situation in Breslau blieb gespannt, da das orthodoxe Rabbinat über Jahre hinaus eine zermürbende Politik stetiger Nadelstiche verfolgte, wobei es mit vielfachen Beschwerden bei verschiedenen Behörden die eigene Position zu stärken und Gei79 L. Geiger, Abraham Geiger. Leben und Lebenswerk (wie Anm. 3), 177–181. Diese Desakralisierung der Bibel findet sich bei Geiger bereits früh – mit Bezug auf Spinoza – im Jahr 1832; vgl. Geiger, Nachgelassene Schriften, Bd. 5 (wie Anm. 1), 57 (= Brief Geigers an Elias Grünbaum, Frankfurt, 4.7.1832). Vgl. auch seinen Brief an Salomon Frensdorff (Bonn), Frankfurt, 15.8. und 24.9.1832 (ebd., 61). 80 In Geiger, „Ansprache an meine Gemeinde“ (wie Anm. 48), 72: „Seitdem ich jedoch die hiesige Stelle antrat, unterbrach ich meine schriftstellerische Tätigkeit. Ich hatte erkannt, dass man gar sorgfältig nachspürte, um irgend einen Ausdruck, der der Missdeutung fähig und zu Verdächtigungen geschickt sei, zu erhaschen […]. So legte ich mir den Zwang auf, und zwar freiwillig, der Oeffentlichkeit nichts zu übergeben, in dem gutmüthigen Glauben, die Bande des Friedens würden doch endlich wieder geknüpft werden, es war mir ein schmerzliches Opfer.“

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ger aus dem Amt zu drängen versuchte. Je weniger erfolgreich dieses Vorgehen war, desto mehr verlegte sich die orthodoxe Seite – und dies bedeutete im schlesischen Umfeld: alle Amtskollegen Geigers – auf eine völlig andere Taktik: Man versuchte in seiner Person erstmals öffentlich einen Reformrabbiner nicht nur an den Rand zu drängen, sondern zum Häretiker zu erklären. Anders als bei dem meist notgedrungen tolerierten Modell der Prediger, die in einer organisatorisch möglichst abgesonderten Enklave neben den Kantoren in der Regel liturgische Tätigkeiten und nur einige darüber hinausgehende neue Rituale vollziehen durften, idealerweise also von eigentlich rabbinischen Tätigkeiten ausgeschlossen blieben, sah man sich aufgrund der von Geiger angestrebten Vermischung von Predigeramt und Rabbinat zu diesem Schritt gezwungen. War Geiger bisher ,nur‘ seine Amtsbefugnis, die notwendige Gelehrsamkeit und Frömmigkeit abgesprochen worden, so war diese radikale Ablehnung die Konsequenz der spezifischen Breslauer Situation sowie deren Zusammenspiel mit Geigers eigenem Amtsverständnis. Entscheidend ist, dass sich dieser Versuch, ihn als Häretiker abzustempeln, nicht nur gegen seine wissenschaftliche Forschung richtete, sondern auch gegen die Art und Weise, in der er agierte. Während er nämlich erhebliche Veränderungen einforderte, blieb er in seinem persönlichen Lebensstil und seiner Amtsführung sehr viel konservativer. Geiger rechtfertigte dies durch ein Konzept der Trennung von Theorie und Praxis. Dies wurde zu einem entscheidenden Kritikpunkt, wobei man ihm erneut unaufrichtiges Verhalten vorwarf. Auch wenn es in Breslau anlässlich seines Amtsantritts Stimmen gab, die sagten, Geiger sei nun konservativer geworden, also wie ein reuiger Sünder auf die vorgezeichneten Wege zurückgekehrt, war letztlich jedem klar, dass seine Anschauungen mit denen des rabbinischen Establishments der Gemeinde kaum zu vereinbaren sein würden.81 Letztlich verdankte er die Stelle ja genau diesem Umstand. Während der über mehr als ein Jahrzehnt andauernden Konflikte in der Breslauer Gemeinde lebte Geiger sehr fromm. Wie er im Verlauf der Auseinandersetzungen in einer Verteidigungsschrift darlegte, lehnte er für sich zwar vereinzelte Rituale – insbesondere solche, die in den Rechtskodizes gar nicht verzeichnet waren beziehungsweise ihren Ursprung in kabbalisti81 Geiger, Nachgelassene Schriften, Bd. 5 (wie Anm. 1), 146f. (= Brief Geigers an Moritz Abraham Stern, Berlin, 14.–16.11.1839); Israel Deutsch und David Deutsch, Rücksprache mit allen Gläubigen des rabbinischen Judenthums über die jüngst erschienene Broschüre betitelt Ansprache an meine Gemeinde von Dr. Abraham Geiger (Breslau: H. Sulzbach, 1843), 4. So auch das Gutachten von neun schlesischen Rabbinern, vgl. Tictin, Darstellung (wie Anm. 24), 28, Beilage F 3.

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schen Traditionen hatten – durchaus ab.82 Dies dürfte aber nur die überfrommen Zeitgenossen bekümmert haben, da er ansonsten observant war: Weder in Breslau noch später in Berlin nahm Geiger Einladungen zum Essen an, zumal bei öffentlichen Ereignissen, aus Angst, das Essen könne nicht koscher sein. Er ließ in Breslau an seinem vorübergehenden Hotel-Logis sogar Mesusot anbringen, was halachisch gar nicht erforderlich war, und bediente sich zur Rasur eines Bartzwickers, da er kein Schermesser verwenden wollte. Seine Unterstützer zeigten sich zum Teil sogar in ihren Erwartungen enttäuscht, hier ein neues, bürgerliches Judentum vorgelebt zu bekommen. Als Geiger – offenbar in Ermangelung eines Schabbat-Eruws – mit einem über den Kopf gezogenen Gebetsmantel durch die Stadt ging, beklagte man sich, dass er geradezu wie ein polnischer Rabbiner auftrete.83 Dies war natürlich so nicht der Fall, denn Geiger gab sich durchaus anders als seine schlesischen Kollegen. Die Äußerungen dokumentieren jedoch die Erwartungen, die man in ihn gesetzt hatte, und die Enttäuschung, die seine konservative Lebensweise hervorrief. Die orthodoxe Seite nutzte indessen jede kleine Möglichkeit, um bei den Behörden Protest einzulegen.84 Das stetige Beobachten und die vergiftete Atmosphäre führten sogar dazu, dass man Geiger selbst sein bürgerliches Amtsbewusstsein und das Beharren auf der Anerkennung seiner Person ankreidete.85 82 Geiger, „Die letzten zwei Jahre“ (wie Anm. 68), 35–39. 83 Der Orient 7 (1846), 111; 7 (1846), 274f. Siehe Literaturblatt des Orients 7 (1846), 281; ,Aktenstücke der Messiaszeit‘ zitiert aus den Sendschreiben der großen Mehrzahl der Mitglieder der Breslauer Gemeinde (1846); L. Geiger, Abraham Geiger. Leben und Lebenswerk (wie Anm. 3), 14. 84 Wiewohl viele der stetigen Eingaben – so etwa wegen des Faltens der Hände beim Gebet oder des Gebrauchs eines dem christlichen Ritus entliehenen Talars – auch schon Zeitgenossen lächerlich erschienen, waren all dies noch Versuche, den in der Gemeinde verlorenen Boden mit Hilfe der Behörden wiederzugewinnen; deshalb brachte man auch exakt immer gerade jene Beschuldigungen vor, die sich aus der typisch reaktionären und anti-jüdischen Politik Preußens ergaben. JHI Warschau, WR 915/916 Stellungnahme des Vorstandes der Großen Synagoge an das Obervorsteherkollegium der Israelitischen Gemeinde Breslau (Breslau, vor dem 30.8.1842); dort wird betont, dass die Synagogenbeamten in dieser Synagoge bereits seit vierzehn Jahren vergleichbare Amtstalare trügen. Siehe hierzu Geigers scharfe, ironische Verteidigungsschrift von 1840; Geiger, „Die letzten zwei Jahre“ (wie Anm. 68), z. B. 3; unter Abdruck von Teilen des amtlichen Schriftverkehrs; L. Geiger, Abraham Geiger. Leben und Lebenswerk (wie Anm. 3), 73f., 84; siehe die königliche Kabinettsordre (11.9.1842). 85 Hierzu gehörte natürlich auch das rechte Auftreten, wie die ironische Bemerkung des Korrespondenten des Orients 17 (1847), 132 vermerkt, als Geiger „zu seinem Missvergnügen“ im „wochentägigen Anzug“ in die Synagoge kam, wo er eine festtägig gekleidete Gemeinde vorfand.

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Das grundlegende Problem bestand darin, dass Geiger viele der rituellen Handlungen, etwa die Beschneidung, aber auch die Kaschrut, keineswegs bejahte, wie schon damals aus seinen Schriften, zum Teil aber erst aus posthum veröffentlichten Äußerungen bekannt wurde, die selbst dann den Skandal erneut anfachten. So empfand er die Beschneidung als ein grausames Ritual und gönnte sich – wie andere Reformer auch – vereinzelt an weniger zentralen Fasttagen hinter verschlossener Tür eine Mahlzeit, auch wenn sein Lebensstil insgesamt ein orthodoxer blieb.86 Die auch hier wieder aufscheinende Differenz zwischen Religionsausübung und religiöser Überzeugung, wie sie sich aus seinen Studien speiste, veranschaulicht der Konflikt, den er mit dem von ihm als Gelehrten und als Freund in schlechten Tagen geschätzten Leopold Zunz austrug. Als Geiger erfuhr, dass Zunz seinen Haushalt wieder koscher führte und auch sonst gegen die radikalen Reformbestrebungen des Vormärz mit einer konservativen Kehrtwende reagierte, schrieb er ihm einen ironischen Brief. Seine Argumentation zeigt sehr genau, wie Geiger seine eigene und zugleich letztlich die Situation jedes Reformrabbiners einschätzte: Und nun kamen noch Privatnachrichten hinzu, Sie hätten mit einem Male streng koschere Wirthschaft eingeführt und was daran hängt. Ich ehre Rücksichten, die man im Leben zu beobachten hat, und würde, wenn Sie dies etwa in Ihrer Stellung als Seminardirector, unter den Verhältnissen, wie sie nun einmal sind, für angemessen erachteten, nicht Befremdliches darin finden; aber es wurde hinzugefügt, Sie hielten dies prinzipiell, nicht wegen Ihrer Stellung nothwendig, man müsse einziehen, sich an das Bestehende anklammern und dgl. Da kann ich mich nun freilich nicht wieder hineinfinden. Gerade jene Speisegesetze sind so etwas durchaus Geistloses, dabei das gesellige Leben so sehr beeinträchtigend, […] dass ich Allem mehr Werth beilegen könnte als diesem von der Mikrologie bis zum Wahnwitze ausgebildeten Zweige der rabbinischen gesetzlichen Praxis.87 86 Geiger, Nachgelassene Schriften, Bd. 5 (wie Anm. 1), 146 (= Brief Geigers an Moritz Abraham Stern, Berlin, 2.8.1839); ebd., 279; L. Geiger, Abraham Geiger. Leben und Lebenswerk (wie Anm. 3), 159. 87 Geiger, Nachgelassene Schriften, Bd. 5 (wie Anm. 1), 180–184 (= Brief Geigers an Leopold Zunz, Breslau, 19.3.1845), hier 182f.; vgl. ebd., 184: „Ihrer Frau Gemahlin wollen Sie mich bestens empfehlen, sie bleibt doch meine Freundin, wenn sie auch streng darauf sieht, dass das milchige Messer nicht das fleischige Tischtuch berührt und selbst wenn sie die Haube bis zur Nase rückte. Wir sind übrigens milchig und fleischig, Gottlob, gesund, uns schmeckt das koschere Mittag- und Abendessen, und kurz wir befinden uns wohl als gebenschte jiddische Kinder. So soll es ganz Jisroel ergehen und bifrat Machas `im ischtau ha-zenuoh, omen!“ Vgl. auch, ebd., 186f. (= Brief Geigers an Leopold Zunz, Breslau, 26.12.1845).

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Diese pragmatische Bewertung lässt sich durchaus auch bei anderen Reformrabbinern beobachten. So legte Leopold Stein seinen orthodoxen Lebensstil erst nach dem Verlust seines Amts mit einiger Erleichterung zunehmend ab.88 Offenbar war jedem der Reformer klar, dass es schwierig genug war, Reformen zu verteidigen und im öffentlichen Gottesdienst nach mühseligen Auseinandersetzungen mit der Gemeinde und den Gemeindegremien umzusetzen. Das private Leben, das von allen Seiten als unmittelbarer Maßstab der Integrität einer Amtsperson angesehen wurde, durfte hiervon zu allerletzt berührt werden, da dies das Verständnis der Mehrzahl der Gemeindemitglieder überfordert hätte. In seiner Haltung zur Umsetzung von Reformen setzte Geiger dies, wie gesagt, durchaus in Rechnung. Auffällig ist jedoch, wie bei den meisten religiösen Führern dieser Zeit, dass seine Selbstwahrnehmung und sein Verständnis dieses Wandels bei aller rhetorischen Emphase, mit der er forderte, Reformen nur unter Zustimmung einer Mehrheit, idealerweise sogar der Gesamtheit durchzuführen, ganz anders ausfielen. Auch hier differierten die Aussagen beziehungsweise Erwartungen von den Intentionen Geigers.89 Bei allen Rabbinern des neunzehnten Jahrhunderts gründete diese erstaunliche Einschätzung ihrer Person und ihres Amts erneut insbesondere in dem Stellenwert, den die moderne Bildung und Wissenschaft als Teil theologischer Qualifikation einnahmen. Nur so erklärt sich das Selbstbewusstsein, mit dem viele dieser neuen Rabbiner in den Gemeinden und gegenüber dem etablierten Rabbinat auftraten. Immerhin war die Mehrzahl von ihnen bei ihrem ersten Amtsantritt deutlich jünger als dreißig. 88 Vgl. Heinrich Landauer und Bettina Landauer (Hrsg.), Briefe und Gedichte von Leopold Stein (Augsburg: H. Mühlberger, 1916), 247 (= Brief Steins an seine Kinder, Amberg, 8.10.1872); „Das Essen war vorzüglich und ich schwelgte an zwei Tafeln, indem ich mit der allgemeinen Tafel – es waren 70 Gedecke – Fasanen, und mit Herrn Dr. Löwy Schalet aß. Es hat sonst nicht ein Einziger koscher gegessen und der Schammes von Sulzbach, der mir Schalet offerierte, wünscht mir beim Abschied den Sieg meiner Ideen. So weit ist die Welt voran gerückt.“ Vgl. ebd. (= Brief Steins an seine Kinder, Müdungen, 19.6.1874): „Der Herr Oberrabbiner von Trier! – Der seelentreue Freund hatte keine kleine Freude mit mir. – Er speiste mit mehreren frommen Seelen koscher. Dass sein Kollege trefe esse, begreift selbst dieser aufgeklärte Rabbi nicht; Ihr mögt Euch daher vorstellen, mit welchen Augen mich das jüdische Volk betrachtet. Es ist zum ersten Male, dass ich die rabbinischen Speisgesetze vor den verwunderten Augen der jüdischen Welt beiseite setze, und ich freue mich dessen von ganzem Herzen.“ 89 Wohlgemerkt findet sich eben diese Haltung durchaus auch auf orthodoxer Seite, dort jedoch geschützt vom traditionellen Status des religiösen Führers und Mahners, ein Status, der den Reformern aber gerade abgesprochen wurde.

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Es waren nicht nur grundlegende Reformen selbst der wichtigsten Rituale und religiösen Inhalte, die Geiger forderte. Stärker als die meisten Reformanhänger entzog er sich zugleich der Autorität der exegetischen Tradition des rabbinischen Judentums und befürwortete mit zunehmender Konsequenz ein ganz neues Interpretationsmodell. In dem Maße, in dem Geiger die historisch-kritische Analyse zum alleinigen Bewertungsmaßstab erhob, stellte er sich außerhalb des für die meisten Zeitgenossen nachvollziehbaren Begriffssystems. Wiewohl sich dies aus Geigers Perspektive natürlich umgekehrt darstellte, hatte ihn die Neuheit dieser Haltung, wie gezeigt, stets zu einer deutlichen Zurückhaltung hinsichtlich der praktischen Konsequenzen genötigt. Das bedeutet nicht, dass er an seinen Prinzipien gezweifelt oder für sich selbst nicht die Notwendigkeit einer konsequenten Umsetzung gesehen hätte. Der Grund für seine Zurückhaltung lag lediglich in dem klaren Bewusstsein, dass die unbedingte Forderung nach einem Aufgehen der bisherigen Theologie in der Wissenschaft nicht nur von den Gemeindemitgliedern kaum verstanden worden wäre. Auch unter den Kampfgenossen wusste er sich hier auf einem einsamen Außenposten, da sich selbst die Reformvertreter nie auf ein gemeinsames Leitprinzip einigen konnten. Deshalb verwies er schon früh immer wieder darauf, dass man klar zwischen Forschung und theologischem Handeln unterscheiden müsse. Während erstere sozusagen den Weg vorausblickend abstecke, sei die praktische Reform jeweils nur im harmonischen Wandel gemeinsam mit der Majorität der Gemeindemitglieder umzusetzen.90 Geiger musste schon früh deutlich betonen, dass seine Forderungen für die Gemeinden ungefährlich waren und die theoretische und praktische Dimension seines Wirkens sich zunächst voneinander trennen ließen: Ich habe bis jetzt die zwei verschiedenen Berufsarten des Schriftstellers und des Rabbiners zusammenzuhalten versucht, ohne sie zu vermischen, aber gerade die gegenseitige Einwirkung um so sicherer gehofft; ich glaube noch bis zur Stunde, dass ich keine widernatürliche Vereinigung unternommen habe und harre getrost des einzig gültigen Richterspruches, welchen der Herr der Wahrheit über mich aussprechen wird.91

Diese Differenz von Lehre und Praxis ließ sich allerdings kaum vermitteln, da man bei einer religiösen Autoritätsperson eine Persönlichkeit 90 Abraham Geiger, „Israel‘s Geistesleben. Predigt in Wiesbaden 1869“, in Geiger, Nachgelassene Schriften, Bd. 1 (wie Anm. 48), 434–444. 91 Ebd., 104; bezeichnenderweise wählte Geiger dies 1839 auch als Widmungsschrift für sein Portrait; vgl. Geiger, Nachgelassene Schriften, Bd. 5 (wie Anm. 1), 278; Geiger, „Die letzten zwei Jahre“ (wie Anm. 68), 17f.

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erwartete, bei der Denken und Handeln miteinander übereinstimmten.92 Und um die Reformbestrebungen nicht vollständig unberechenbaren Entwicklungen beziehungsweise dem Stillstand preiszugeben, wie er dies beispielsweise im Falle der unklaren Konzepte Zacharias Frankels vermutete, schrieb Geiger dem Amt des Rabbiners auch zu, Änderungen zu begründen und zu fordern, die den notwendigen Wandel hin zu dem religiösen Ziel kultureller Entwicklung erzwingen sollten.93 Noch bevor der Öffentlichkeit die Janusartigkeit dieser Haltung wirklich bewusst wurde, berief sich Geiger zu seiner Rechtfertigung auf die Freiheit akademischer Forschung, die er als Grundkonstante jüdischer Tradition darstellte; für den Häresievorwurf, den man gegen ihn erhob, sollte dies zum entscheidenden Punkt werden. Die daraus entstehende negative Wahrnehmung Geigers verschärfte sich zusehends, da er auch in anderer Beziehung eine kompromisslose Haltung einnahm. Während andere Reformkollegen sich auf das Amt des Predigers beschränkten, beharrte Geiger – wie schon in Wiesbaden – ostentativ auf seiner Anerkennung als vollwertiger Rabbiner. Wohlgemerkt handelte er auch hierbei zunächst erneut keineswegs so eindeutig, wie dies später dargestellt wurde. So stimmte er zu Beginn seiner Amtszeit in Breslau einer Vereinbarung zu, der zufolge er für zwei Jahre seine ,eigentliche‘ rabbinische Funktion als Dajan ruhen lassen sollte. Dies eröffnete dem orthodoxen Rabbinat die Möglichkeit, ihm gleichzeitig jede Anerkennung zu verweigern und ihn dennoch zu tolerieren, indem man sich auf die anderen Synagogen zurückzog.94 Die Konflikte flammten dementsprechend immer dann wieder auf, wenn ihnen Geiger, zumal in amtlicher Funktion, in die Quere kam oder auch nur ein Angebot friedlicher Koexistenz machte, was er durchaus mehrfach tat.95 Dann entgleiste die Situation zunehmend und der Ton wurde schärfer, insbesondere als Geiger seinen grundlegenden Anspruch geltend machte, schon aufgrund seines Arbeitsvertrags vollwertiger Teil des Rabbi92 Geiger, Nachgelassene Schriften, Bd. 5 (wie Anm. 1), 142 (= Brief Geigers an Jakob Auerbach, Berlin, 13.–21.6.1839). Einen guten Eindruck von dieser Haltung selbst auf Seiten wissenschaftsgläubiger und reformgeneigter Parteigänger gibt; ,Verus‘, Zu den Breslauer Rabbinatswirren, in: Literaturblatt des Orient 3 (1842), 554; 7 (1846), 98. 93 Geiger, Nachgelassene Schriften, Bd. 5 (wie Anm. 1), 142 (= Brief Geigers an Jakob Auerbach, Berlin, 13.–21.6.1839); so beispielsweise seine Selbstdarstellung als heilender Arzt des kranken Judentums. 94 Z. B. Allgemeine Zeitung des Judentums (= AZJ) 34 (1844), 478 zu Breslau: „Und so bilden nun jetzt die Betstuben die Burg, wohin sie sich flüchten.“ 95 L. Geiger, Abraham Geiger. Leben und Lebenswerk (wie Anm. 3), 77f.; es gab von Geigers Seite mehrfache Friedensangebote an Tiktin; vgl. Geiger, „Ansprache an meine Gemeinde“ (wie Anm. 48), 60, 64, 67.

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nats zu sein.96 Nachdem ihn Gemeindemitglieder immer häufiger baten, sie zu trauen, berief Geiger sich auf sein Recht, solche Akte generell und gegebenenfalls allein vornehmen zu dürfen.97 Er tat dies unter anderem auch, da in Preußen einige dieser Rituale zu den wenigen gesetzlich vorgeschriebenen Aufgaben eines Rabbiners gehörten und damit zu Amtspflichten wurden. Erneut verfolgte Geiger nicht nur das Ziel, sich und damit die Reformbewegung als legitime Ausdrucksformen des Judentums zu etablieren; er machte damit zugleich eine politische Aussage. Indirekt mahnte er dadurch nämlich die in Preußen ausstehende öffentliche Anerkennung des Rabbinats an, indem er die wenigen in Gesetzestexten genannten rabbinischen Funktionen als quasi behördliche Akte interpretierte.98 Geiger wusste zudem, dass er sich in dieser Hinsicht auch aus taktischen Gründen sehr vorsichtig verhalten musste, denn die Erfüllung dienstlicher Pflichten wurde Salomon Tiktin zeitgleich zum Vorwurf gemacht und führte letztlich zu dessen Suspendierung.99 Wohlgemerkt war der wenig erfolgreiche Versuch der Häresieerklärung nur eine Taktik der orthodoxen Seite. Mit dem Rücken zur Wand sah sich letztlich selbst Tiktins Sohn Gedalja, der unmittelbar nach dem plötzlichen Tod seines Vaters von elf orthodoxen Synagogen als Rabbiner angestellt worden war, dazu gezwungen, Geiger wieder ähnliche Kompromisse wie in anderen Gemeinden vorzuschlagen.100 96 Siehe Geigers Darstellung ebd., 54. 97 So auch bei Geiger, der gebeten wurde, eine Traupredigt zu halten, wobei er sich zunächst bereit erklärte, den Trauakt Tiktin zu überlassen und selbst nur als Prediger zu fungieren. Tiktins Weigerung, ihn anzuerkennen führte allerdings dazu, dass man Geiger die Vornahme der Trauung insgesamt übertrug, wodurch er faktisch wirklich rabbinische Funktionen übernahm; vgl. Geiger, ebd., 59. 98 Gotzmann, Eigenheit und Einheit (wie Anm. 2), 58–59. Ein Beispiel bietet auch Geigers Vorstoß anlässlich der Audienz schlesischer Gemeinden vor dem preußischen König, vgl. Leo Baeck Institute New York, Archives; Jacob Jacobson Collection III, 99, Communities AR-C 7002; Abschrift des Protokolls der Audienz (1841): „Geiger: Ein Gegenstand der unterthänigsten Bitte an Ew. Majestät wäre, dass unser kirchliches und Gemeinde Wesen unter den Schutz des Staates gestellt würde. König: Nun da bin ich nicht Ihrer Meynung, es ist doch am besten wenn der Staat sich nicht darein mischt und es ihnen selbst überläßt.“ Für den Staat waren Rabbiner nur einfache Angestellte privatrechtlicher Vereinigungen; Geheimes Staatsarchiv Dahlem, Rep. 84a, No. 11943; Gutachten des Kultusministeriums an das Ministerium des Innern (Berlin, vermutlich 11.3.1845). 99 Und letztlich wurde dies auch Geiger am Ende von den eigenen Unterstützern zum Vorwurf gemacht; vgl. Anonym, Drittes Sendschreiben der großen Mehrzahl der Mitglieder der Breslauer Israelitengemeinde an Herrn Rabbiner Dr. Geiger und an sich selbst (Breslau: F. Aderholz, 1846), 3–4. 100 JHI Warschau, WR 915/916 enthält die Bescheinigung der Vorstände Breslauer Synagogen und Betschulen, dass Gedalje Tiktin zum Rabbiner berufen und als solcher

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Schon zuvor hatte man angeboten, ihn offiziell zu Sitzungen des Rabbinatsgerichts einzuladen, allerdings nur dann, wenn Geiger vorab verbindlich erkläre, dass er niemals erscheinen werde. Geiger lehnte dies als Zumutung ab, deutete bei aller Entrüstung aber seinerseits eine ähnliche Lösung an. Diese hätte so aussehen können, dass die orthodoxe Seite zu den Sitzungen abgesehen von den hierfür besoldeten Gemeinderabbinern – also neben Geiger, Tiktin und einem festgesetzten Dajan – weitere orthodoxe Kollegen mit hinzuziehen solle, um zur Wahrung der Integrität der gerichtlichen Handlung auf die erforderliche Gesamtzahl orthodoxer Rabbiner verweisen zu können. Damit hielt sich Geiger im Bezug auf seine Dienstpflichten erneut bedeckt. Neben seiner Anerkennung als Rabbiner ging es ihm in diesem Zusammenhang aber auch um die Etablierung des Rabbinats als alleinig autorisierte öffentliche Institution und um die Durchsetzung eines zentralistischen, modernen Konzepts von Gemeinde. Dieser Kompromissvorschlag unterschied sich von dem der orthodoxen Verhandlungsführer zu Lebzeiten des alten Oberrabbiners lediglich dadurch, dass Geiger auf diese Weise sein Gesicht und den Anspruch auf sein Amt hätte wahren können. Doch gerade diese implizite Anerkennung des Rabbinats Geigers machte es der orthodoxen Seite unmöglich, darauf einzugehen.101

tätig sei (Breslau, 12.9.1844). Tictin, Darstellung (wie Anm. 24), 15f., 28–31; 30; Beilage F 3: Gutachten von neun schlesischen Rabbinern: „Kann aber Herr Geiger den Anforderungen eines Dajan nicht entsprechen, ist es da billig, dass er solches Amt bekleide, ist es bieder, dass er es übernommen, ist es recht, dass er sich Rabbiner nennt? Er nenne sich immerhin Doctor, Gelehrter, auch Prediger, wer kann etwas dagegen haben, aber wie so Rabbiner?“ Vgl. Geiger, „Ansprache an meine Gemeinde“ (wie Anm. 48), 77–82; wobei Geiger den Verhandlungsführern auch vorschlug, die gemeinsame Einbindung in ein Rabbinatsgericht mit Tiktin als Oberrabbiner und ihm als Assessor zu ändern, die Hierarchie zugunsten einer (weitgehenden) Gleichwertigkeit und damit der Möglichkeit getrennter Gerichtsgremien aufzuheben, die „von nun an als zwei neben einander stehende Oberrabbiner oder stellvertretende Oberrabbiner oder Rabbiner zu betrachten seien“. Der Gemeinde gegenüber drohte Geiger für den Fall, dass man ihn in seiner vertraglichen Funktion als Rabbiner nicht schütze, sogar mit Rücktritt. 101 Darüber hinaus benutzte die Gemeinde dieselbe Strategie nun gegen den als Privatrabbiner, aber mit dem Anspruch auf das Gemeinderabbinat amtierenden Gedalja Tiktin, dem rabbinische Amtshandlungen weitgehend untersagt wurden, was die Behörden auch unterstützten; das aber schränkte Tiktin gerade in den Funktionen erheblich ein, für die ihn die orthodoxen Gruppierungen angestellt hatten; z. B. JHI Warschau, WR 915/916, Schreiben des Breslauer Stadtgerichts (1. Abt.) an R. Gedalja Tiktin (Breslau, 20.12.1847). Dem wurde später aber zumindest für die ihn anstellenden Gemeinden stattgegeben; L. Geiger, Abraham Geiger. Leben und Lebenswerk (wie Anm. 3), 92–94.

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Während Geiger – wie viele der Reformer – darauf pochte, dass jenseits aller inhaltlichen Überzeugungen allein die faktische Einhaltung der Gebote den vollzogenen Akt gültig mache, eine der rabbinischen Tradition kritisch gegenüberstehende Person demnach als orthodoxer Rabbiner fungieren könne, solange nur die orthodoxe Halacha gewahrt bliebe, beurteilte die Gegenseite dies naturgemäß anders. Salomon Tiktin beharrte darauf, dass diese Zwiespältigkeit von Tun und Reden unzulässig sei, da die religiöse Gläubigkeit und die Amtsqualifikation eines Rabbiners untrennbar miteinander verbunden seien und da die Glaubwürdigkeit der Person von der Schlüssigkeit ihres Handelns abhänge. Man könne ihn nicht zwingen, mit jemandem wie Geiger gemeinsam zu amtieren: Sollte ich es ruhig mit ansehen können, daß eben derselbe Mann, von dem die planmäßig und geschickt berechnete Vernichtung des traditionellen Judenthums ausgeht, der ein solches Streben offen darlegt, und kein Hehl daraus macht, daß eben derselbe Mann […] unausgesetzt dahin strebt, als Dajan und Rabbiner zu fungiren […] ein Mann, der die Tradition läugnet, die Prinzipien des Talmuds öffentlich verspottet, Funktionen ausüben will, deren richtige Ausübung lediglich auf traditionellen Bestimmungen beruht?102

Diese Zwiespältigkeit wurde in der öffentlichen Wahrnehmung zu einem Grundmerkmal Geigers. So sehr man in ihm den Geistesheroen sah, empfanden selbst jene, die ihn als Reformer verehrten, die von Tiktin beklagte Diskrepanz. Im Übrigen stimmte die orthodoxe Seite unter Gedalja Tiktin am Ende notgedrungen getrennten Gerichtsgremien zu, was eigentlich zwar unannehmbar, aktuell aber wenig riskant erschien, denn keiner der örtlichen Rabbiner war bereit, gemeinsam mit Geiger zu amtieren.103 Und selbst wenn sich jemand unter Mitwirkung Geigers scheiden ließ, musste er damit rechnen, dass dieser Rechtsakt in jüdischen Gemeinden und sogar vor staatlichen Gerichten nicht anerkannt worden wäre.104 Exakt aus diesem Grund hatte die Gemein102 Tictin, Darstellung (wie Anm. 24), 15f. Ebenso schätzten die neun schlesischen Rabbiner die sonstigen Gesetzesübertretungen ein; vgl. ebd., 30. 103 Die orthodoxen Gemeinden, die sich nach Salomon Tiktins Amtszeit zusammenschlossen, legten im Anstellungsvertrag Gedalja Tiktins auch direkt fest, dass dieser „nur mit gleichgesinnten Rabbiner[n], welche sich zu den althergebrachten rabbinischen traditionellen Satzungen und Formen des jüdischen Glaubens aufrichtig bekennen fungiren“ dürfe; JHI Warschau, WR 915/916, Vertrag zwischen den Bevollmächtigten eines Teils der Gemeindemitglieder in Breslau und R. Gedalje Tiktin (Breslau, 24.5.1843); §3. 104 Auch hier wurde die von Geiger gerade zu Beginn seiner Breslauer Tätigkeit angekündigte Trennung von amtlichem Handeln und reformerischer Berufung nicht

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de zwecks Vermeidung des Konflikts bereits zu Beginn von Geigers Amtszeit einen weiteren Dajan angestellt, der diesen Teil seiner Amtspflichten übernahm; gegen Ende seiner Amtszeit musste man dies aus pragmatischen Erwägungen erneut tun.105 Diese eigenartigen Verwerfungen erklären sich dadurch, dass Geiger nicht nur Teil der Umwälzungen war, sondern gleichsam selbst die Frontlinie in diesen Auseinandersetzungen symbolisierte. Im Verlauf dieses jahrelangen, stetig von Pressemeldungen und Streitschriften begleiteten Prozesses wurde Geiger – wie sich schon in Wiesbaden angekündigt hatte – zunehmend zur Verkörperung der Reformbewegung. Zugleich blieb seine Stellung stets an eine allgemeine Reorganisation der Gemeinde als solche gebunden, die allerdings durch die Konflikte mit ihm, der ja als Träger der Reform, als Verkörperung des Häretischen wahrgenommen wurde, nicht nur befördert, sondern durchaus auch erschwert wurde.106 All dies zwang Geiger zu schwierigen Kompromissen und eigenartigen Positionierungen, die ihn zunehmend als unlauter, janusköpfig und unberechenbar erscheinen ließen. Dass dies in den zeitgenössischen Debatten Teil des Bildes seiner Person wurde, lässt sich dadurch erklären, dass die herrschende Vorstellung von der Persönlichkeit eines Menschen kaum Raum für Entwicklungen, geschweige denn für Brüche, Zwänge und Diskrepanzen ließ. Geigers Bild als Reformer war dadurch gekennzeichnet, dass sich vielfach die öffentliche Wahrnehmung seiner Person nicht mehr mit der Vorstellung vom Rabbineramt und einem Verhalten, das diesem angemessenen war, in Einklang bringen ließ. Daraus erklärt sich das selbst auf Seiten seiner Unterstützer wachsende Misstrauen. An zwei Punkten wurde die Divergenz so groß, dass sich am Ende selbst viele der Parteigänger Geigers von ihm abwandten. Die erste entscheidende Kontroverse betraf die öffentlichen Verlautbarungen der kleinen Gruppierungen sogenannter Reformfreunde in den 1840er Jahren, die im Fahrwasser ähnlicher Bewegungen innerhalb der christlichen Religionen die anerkannt, was nach orthodoxer Rechtsvorstellung auch gar nicht möglich war; vgl.Geiger, „Die letzten zwei Jahre“ (wie Anm. 68), 17f. 105 Vgl. Der Orient 7 (1846), 137: „So ist faktisch G.‘s Titel Rabbiner ein leerer Schall geworden, denn die einzige Funktion der Trauung, die ihm noch geblieben, wird hierorts nicht selten auch von Laien vorgenommen.“ 106 Bezeichnend ist die ähnliche Einschätzung Geigers von reformerischer Seite, so etwa durch die beiden Reformrabbiner/-prediger in einem Briefwechsel; CAHJP P 42/2, 1; Gotthold Salomon an Heymann Jolowicz (1.8.1848), zit. nach Brocke und Carlebach (Hrsg.), Biographisches Handbuch der Rabbiner, Bd. 1 (wie Anm. 11), 363; „Der arme Geiger hat eine üble Stellung. Warum capricirt sich der Mann auch, Rabbiner zu sein! Ein Rabbiner mit seinen Ansichten ist in der That ein dreieckiger Kreis.“

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für ihren Begriff schwerfälligen Reformen mit radikalen Thesen vorantreiben wollten. Anders als in den bisherigen mühsamen Verhandlungen sollten so neue Dogmen für ein modernes Judentum propagiert werden, wobei man sich dezidiert von der rabbinischen Tradition lossagte. Wie problematisch solche Äußerungen waren, lässt sich daran ablesen, dass die Autoren dieser Aufrufe ebenso wie die Mitglieder der Vereine in Frankfurt am Main, Berlin, Königsberg und Breslau unbekannt blieben. Nur einer trat namentlich auf, ein enger Jugendfreund Geigers, der Göttinger Mathematiker Moritz Abraham Stern.107 Diese allgemein bekannte Beziehung brachte Geiger bereits in Verdacht, mit dieser radikalen Gruppe in Verbindung zu stehen. Bei allem Ärger, den er hinsichtlich der Inhalte aber auch der Art der Veröffentlichung der Grundsätze der Reformfreunde hegte (und seinem Freund gegenüber auch zum Ausdruck brachte), fühlte er sich dennoch – gerade aufgrund dieser Freundschaft und der letztlich gemeinsamen Hoffnungen auf Veränderungen – verpflichtet, persönlich auf die Kontroverse zu reagieren. Das sollte sich allerdings als großer Fehler erweisen.108 All dies stand in unmittelbarem Zusammenhang mit einem weiteren Skandal, da – so wurde vermutet – ein Mitglied der Frankfurter Gruppe die Beschneidung seines Sohnes verweigert hatte, so wie dies bereits an anderen Orten geschehen war. Wie im Falle des Versuchs der schlesischen Rabbiner, Geiger und mit ihm der Reform die Zugehörigkeit zum Judentum zu bestreiten, beschloss auch das Frankfurter Oberrabbinat, nun eine klare Trennlinie zu ziehen.109 Man tat dies, wie Geiger erkannte, auf politisch sehr geschickte Weise, insofern diesmal, im Gegensatz zu den Breslauer Vorgängen, bei denen kaum eine repräsentative Kohorte orthodoxer Rabbiner zusammengekommen war, sogar Reformer mit in die öffentliche Gegenerklärung einbezogen wurden.110 Damit gestand man der Reform zwar ein gewisses Maß an Legitimi107 Michael A. Meyer, „Alienated Intellectuals in the Camp of Religious Reform. The Frankfurt Reformfreunde, 1842–1845“, AJS Review 6 (1981), 61–86; die Gruppe umfasste nur 45 Mitglieder und löste sich nach dem öffentlichen Skandal 1845 wieder auf. 108 Geiger, Nachgelassene Schriften, Bd. 5 (wie Anm. 1), 173 (= Schreiben Geigers an Moritz Abraham Stern, Breslau, 11.6.1844); Der Orient 6 (1845), 128; L. Geiger, Abraham Geiger. Leben und Lebenswerk (wie Anm. 3), 122f. 109 Geiger durchschaute diese Taktik und die Versuchung, auf reformerischer Seite dies als wirkliche Anerkennung zu interpretieren, als einer von wenigen; vgl. Geiger, Nachgelassene Schriften, Bd. 5 (wie Anm. 1), 170 (= Brief Geigers an Moritz Abraham Stern, Breslau, 25.8.1843). 110 Siehe die beiliegenden Gutachten bei Tictin, Darstellung (wie Anm. 24). Im Gegenzug veranlasste das Breslauer Obervorsteherkollegium Gutachtensammlungen, die Geigers Rechtgläubigkeit belegen sollten; vgl. Anonym, Rabbinische Gutachten über

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tät zu, konnte jedoch eine weitgehende Geschlossenheit herstellen und eine definitive Grenze für jegliche Veränderung festschreiben. Geiger selbst nahm aus eben diesem Grund, aber auch weil er persönlich die Beschneidung für überholt hielt, nicht an dieser Begutachtung teil. Vielmehr äußerte er sich mit Blick auf die Veröffentlichungen der Reformfreunde zwar durchweg kritisch, gestand ihnen jedoch zu, diese Themen anzusprechen und damit eine Debatte in Gang zu bringen. Die Annahme, die dahinter stand, nämlich dass man die religiöse Entwicklung keineswegs sich selbst überlassen könne, sondern durch ein bewusstes Argumentieren und entsprechende Vorstöße gegen immer neue Widerstände vorantreiben müsse, blieb der Mehrzahl der Zeitgenossen erneut unverständlich. Selbst seine Unterstützer verweigerten nun ihre Gefolgschaft. Dieser Zwist schlug sogar in heftigen Widerstand um, als die aus dieser Gruppierung hervorgegangene Berliner Reformgemeinde bei Geiger anfragen ließ, ob er nicht das Predigeramt übernehmen wolle. Geiger lehnte nach einigem Zögern zwar ab, nutzte dieses Angebot jedoch dazu, seine Position in Breslau zu stärken.111 Als er in einer veröffentlichten Ansprache an seine Gemeinde beklagte, was er schon in Wiesbaden und natürlich in Breslau stets empfunden und seinen Freunden gegenüber vielfach zum Ausdruck gebracht hatte, nämlich dass die Reformen zu zäh vorangingen und die Gemeinde ihm in dem von ihm angedachten Fortschritt nicht genügend folge, war die Reaktion heftig und für Geiger äußerst schmerzhaft.112 Gerade sein wichtigster Unterstützer in Breslau, Wilhelm Freund, wandte sich nun gegen ihn. Er und womöglich ein weiterer Kreis anonymer Autoren überzogen Geiger nun wie die Orthodoxie mit Schmähschriften, in denen man ihm immer wieder Zwiespältigkeit, ja sogar einen unberechenbaren und hintertrie-

die Verträglichkeit der freien Forschung mit dem Rabbineramte (Breslau: L. Freund, 1842); bzw. Zweite Sammlung (Breslau: L. Freund, 1843). 111 Auch hierbei ging es unter anderem um Gehaltsforderungen; so soll die Berliner Reformgemeinde Geiger ein Jahresgehalt von 2.000 Tlr. geboten haben; vgl. Der Orient 7 (1846), 103–104; Geiger, Nachgelassene Schriften, Bd. 5 (wie Anm. 1), 246 (= Brief Geigers an B. Wechsler, Breslau, 6.9.1860). 112 Ebd., 188–191 (= Brief Geigers an das Obervorsteherkollegium der Gemeinde Breslaus, Breslau, 19.3.1846): er habe das Angebot der Berliner Reformgenossenschaft nur deshalb nicht rundweg abgelehnt, weil ihm in Breslau „namentlich in der letzten Zeit eine gedeihliche Wirksamkeit gar sehr erschwert worden ist, und dass dieser Umstand es gerade ist, der mich verhindert hat, den Antrag ganz und gar abzulehnen“. Laut dem Korrespondenten des Orient 7 (1846), 104 wurde zumindest ,privatissime‘ über Geigers Entlassung gesprochen.

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benen Charakter vorwarf.113 Zahlreiche Broschüren, die seinen Karriereweg durch die Gemeinden begleiteten, beschrieben ihn zunehmend stereotyp auch als Umstürzler und als einen Mann von zweifelhaftem Charakter. Dies war gewiss unzutreffend, belegt aber im Rückblick die Vorbehalte und Widerstände, die in dem nahezu durchgängig konservativen, inzwischen zudem auf ein bürgerliches Weltbild ausgerichteten deutschen Judentum gegenüber einer als kontrovers empfundenen Person wie Geiger herrschten.114 Die für die Mehrzahl seiner Zeitgenossen immer schwerer nachvollziehbaren Diskrepanzen und Brüche seines Charakters nahmen ein solches Maß an, dass sein Bild in konservativen und orthodoxen Kreisen dauerhaft dadurch gekennzeichnet blieb. Ein Beispiel hierfür ist die bösartige Charakteristik Geigers durch den weithin anerkannten Historiker Heinrich Graetz, der nur einen anderen Kollegen, nämlich Samuel Holdheim, mit einer noch vernichtenderen Darstellung bedachte: Die Wissenschaft war für Geiger nicht Selbstzweck, sondern Mittel, um das Judentum seines Inhaltes, der seine Eigenart ausmacht, zu entleeren, und es zu etwas Nagelneuem umzuformen. […]; aber indem er die alten Erinnerungen und Belehrungsmittel aus der Synagoge verbannt wissen wollte, die Predigt und neue Gebete in der Landessprache zum Mittelpunkte des Gottesdienstes machte, den Prediger zum Seelsorger stempelte, dem die Laienwelt sich unterzuordnen hätte, entzog er dem Judentum gesundes Blut und beförderte gegen seinen Willen den Abfall. Seine Zeitschrift hat der Willkür, mit der Friedländer, Jacobson und ihre Gesinnungsgenossen die Reformen eingeführt hatten, den Schein der Notwendigkeit und der wissenschaftlichen Berechtigung verleihen wollen. Durch ihr ungestümes und absprechendes Wesen hat sie einen herben, heftigen Gegensatz hervorgerufen und somit den Samen der Zwietracht in Jakobs Weinberg gestreut.115 113 Geiger, Nachgelassene Schriften, Bd. 5 (wie Anm. 1), 241 (= Brief Geigers an Moritz Abraham Stern, Breslau, 19.5.1860): Geiger war sich sowohl des notwendigen Lavierens als auch des dadurch hervorgerufenen Eindrucks durchaus bewusst. 114 Vgl. Kaatz, Abraham Geigers religiöser Charakter (wie Anm. 68). 115 Heinrich Graetz, Geschichte der Juden. Von den ältesten Zeiten bis auf die Gegenwart, bearb. von Marcus Brann, Bd. 11: Geschichte der Juden vom Beginn der Mendelssohnschen Zeit (1750) bis in die neueste Zeit (1848), 2. Aufl., (Leipzig: Oskar Leiner, 1900), 473; L. Geiger, Abraham Geiger. Leben und Lebenswerk (wie Anm. 3), 154f.; Geiger, Nachgelassene Schriften, Bd. 5 (wie Anm. 1), 257 (= Brief Geigers an Moritz Abraham Stern, Breslau, 12.2.1862); die Einschätzung Graetz durch Geiger fiel jedoch kaum weniger schmeichelhaft aus: „da ist der ,Seminarlehrer‘ Grätz, ein Schwindler und Charlatan von der ersten Sorte“. Zu den Kämpfen zwischen Graetz und Geiger siehe Kerstin von der Krone, Wissenschaft in Öffentlichkeit. Die Wissenschaft des Judentums und ihre Zeitschriften (Berlin und New York: de Gruyter, 2011), 215–242.

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Geiger wurde dauerhaft zum Symbol einer Trennung sogar zwischen den reformorientierten Rabbinerseminaren in Breslau und Berlin, und zwar obwohl diese sowohl auf der Ebene der Studierenden als auch mit Blick auf ihr Lehrpersonal in engem Austausch miteinander standen. So verweigerten die Herausgeber einer Festschrift zu Heinrich Graetz’ 100. Geburtstag in der Zeitschrift des Breslauer Rabbinerseminars noch 1917 den Abdruck einer positiven Würdigung Geigers mit der Bemerkung an den Autor Ismar Elbogen, für eine „Apotheose Geigers“ sei „unwidersprochen in Frankels Zeitschrift kein Platz“.116 Geiger war zu kontrovers und selbst für die Reformer zu radikal. Bezeichnend ist, dass er erst 1869 erstmals einem Kandidaten, wohlgemerkt aus den Vereinigten Staaten, ein Rabbinatsdiplom verlieh, und dies aus der nüchtern pragmatischen Selbsterkenntnis heraus: Es ist übrigens die erste Hatarah, die ich ausstelle, da ich prinzipiell ein solches Ansuchen immer abgelehnt und die Bedingung gestellt habe, dass die Gemeinde das Zeugnis für ihren Kandidaten von mir verlange, weil ich eben der meiner Richtung wegen zu besorgenden Mißachtung eines solchen Zeugnisses vorbeugen wollte. Die amerikanischen Gemeinden flößen mir jedoch in dieser Beziehung ein größeres Vertrauen ein.117

Ein weiteres Ergebnis dieses Verlustes an Glaubwürdigkeit auch in den eigenen Reihen war, dass Geiger bei der Gründung des ersten modernen Rabbinerseminars in den deutschen Staaten konsequent jegliche Teilnahme verweigert wurde. Nicht nur, dass man ihn nicht als Leiter in Betracht zog und stattdessen mit dem konservativen Frankel einen langjährigen Rivalen berief.118 Dieser sorgte zudem dafür, dass Geiger auch als möglicher Dozent des Breslauer Seminars ausgeschlossen blieb, das, wie das Beispiel Heinrich Graetz zeigt, in der Folge nicht nur vor Ort, sondern auch über seine Absolventen einen strikten Konfrontationskurs gegen Abraham Geiger betrieb. Die Fronten, mit denen sich Geiger in Breslau zu arrangieren hatte, verringerten sich also keineswegs, sondern vermehrten und verfestigten sich vielmehr. Durch einen Richtungswechsel der preußischen Politik war dem zunächst nur als Privatrabbiner angestellten Gedalja Tiktin inzwischen der Titel eines schlesischen Landrabbiners verliehen worden, mit dem allerdings kei-

116 Diesen Hinweis verdanke ich Kerstin von der Krone, zitiert nach ebd.; National Library of Israel, Archive Department, Marcus Brann Archive, ARC Ms. Var. 308/ 322; Brann an Elbogen (Breslau, 5.10.1917/Kopie). 117 L. Geiger, Abraham Geiger. Leben und Lebenswerk (wie Anm. 3), 192. 118 Ebd., 126–131.

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nerlei Amtsfunktionen oder Autorität einhergingen.119 Dies und Geigers geschwächte Position stärkten die Gegenseite dennoch so sehr, dass die Breslauer Gemeinde Tiktin im Rahmen der Neuregulierung der Gemeinde und ihrer administrativen Trennung in zwei religiöse Gruppierungen am Ende gleichberechtigt neben Geiger als Gemeinderabbiner übernahm. Schon zuvor hatte die Gemeinde versucht, mit Benjamin Hirsch Fassel Geiger einen konservativen Kollegen an die Seite zu stellen, ein Plan, der aufgrund der plötzlichen Absage Fassels zwar nicht aufging, jedoch ebenso eindeutig gegen Geiger gerichtet gewesen war.120 Wenngleich kaum Klagen überliefert sind, verlief auch die Entwicklung in Geigers Berliner Zeit trotz der sonst angenehmen Arbeitsatmosphäre neben dem befreundeten Kollegen Joseph Aub als Gemeinderabbiner im Hinblick auf Geigers zentralen Wunsch einer akademischen Tätigkeit erneut nicht so positiv, wie die Würdigungen der 1872 in Berlin gegründeten Hochschule für die Wissenschaft des Judentums dies erscheinen lassen. Zwar wurde Geiger in die Planung mit eingebunden, er entwarf sogar Lehrpläne.121 Er war jedoch nicht Mitglied des Planungskomitees und konnte sich mit seiner Vorstellung einer wissenschaftlichen Ausbildungsstätte anstelle eines Rabbiner- oder Lehrerseminars letztlich nicht durchsetzen.122 Auch die von ihm angestrebte Art der Organisation im Sinne der universitären Selbstverwaltung durch die Lehrenden, was die Unabhängigkeit auch in Forschung und Lehre sichern sollte, konnte sich nicht gegen das Konzept eines exter119 Ebd., 94f. 120 Die dahinter liegende Absicht war Geiger durchaus bewusst; vgl. Geiger, Nachgelassene Schriften, Bd. 5 (wie Anm. 1), 191 (= Brief Geigers an das Obervorsteherkollegium der Gemeinde Breslaus, Breslau, 19.3.1846): „und man glaubte sogar, meiner Wirksamkeit geradezu einen Riegel vorschieben zu müssen durch die Beigesellung eines Collegen, den ich achte und ehre, der aber bloss in der Absicht geworben werden sollte, damit er mir als Hemmschuh diene.“ Vgl. Der Orient 7 (1846), 88f.; hier wird darauf verwiesen, dass man sich von Fassel eine Stärkung der konservativen Seite erhoffte, was nach dessen Absage dazu führte, dass die Reformseite nun sogar bereit war, Gedalja Tiktin innerhalb der Gesamtgemeinde anzuerkennen, um ihre Reformbestrebungen nicht abermals zu gefährden. Der Orient 7 (1846), 181f. weist darauf hin, dass das Ministerium nach Fassels Absage weiter auf die Besetzung der Stelle dränge, was aber nicht im Sinne Geigers sein konnte. 121 L. Geiger, Abraham Geiger. Leben und Lebenswerk (wie Anm. 3), 219–224. 122 Geiger strebte stets eine primär wissenschaftliche und so auch den theologischen Differenzen enthobene Institution an, was auch zu seiner Ablehnung eines primär auf die Rabbinerausbildung hin gedachten Seminars führte; siehe bereits zu Beginn seiner Karriere eine vergleichbare Haltung in der Konzeption seiner ersten Zeitschrift; vgl. Geiger, Nachgelassene Schriften, Bd. 5 (wie Anm. 1), 80f. (= Brief Geigers an Moritz Abraham Stern, Wiesbaden, 6.5.1833).

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nen Kuratoriums behaupten. Ebenso wenig wurde Geiger als Leiter der Institution angefragt. Immerhin wurde er einer der führenden Dozenten des Seminars, das sich sein Renommee als führender Wissenschaftler seiner Generation oder gar des Jahrhunderts zu eigen machte, ebenso wie man die auf anderen Forschungsgebieten bekannten Wissenschaftler Heyman Steinthal und Moritz Lazarus als Leiter beziehungsweise Aushängeschilder nutzte.123 Obgleich Geiger ein erhebliches Engagement in diese Tätigkeit steckte, wurde er dafür, wie bereits berichtet, nicht besoldet und zwar schon deshalb, weil die Ressourcen kaum für einen Lehrkörper hinreichten.124 Die ebenfalls gegen seine Vorstellung durchgesetzte Anstellungspolitik, die das Seminar jenseits der strikten Orthodoxie als eine über den religiösen Lagern stehende Ausbildungsstätte etablieren sollte, führte sogar dazu, dass durch die Besetzung der 123 Liebman Adlers Nachruf, in Illinois Staatszeitung 273 (1874), unpag. Die Stilisierung Geigers setzte bereits früh ein; nach seinem Tod wurde die Person Geigers sehr schnell zu einer Chiffre: „ein wahrer Riese des jüdischen und namentlich auch talmudischen Wissens“. Vgl. ebd., Nachruf von Bernhard Felsenthal: „Er war es, der hinuntersteigend in die Schichten der Geschichte, mit genialem Blicke und mit einer bewunderungswürdigen Divinationsgabe, die unter der Oberfläche der historischen Erscheinungswelt wirkenden Kräfte erkannte und Andern zum Verständnis brachte. […] Er war das Haupt der historisch-kritischen Schule im Judenthum unserer Zeit, er war der Meister, um den wir Andere uns als Jünger schaarten, zu dem wir stets mit neuer Liebe und neuem Danke aufblickten. […] Wehe der Welt des Judenthums, denn sie hat einen ihrer kundigsten Führer verloren! Wehe dem Fahrzeuge der jüdischen Wissenschaft, denn es hat einen seiner sichersten Steuerer verloren!“ Ebd., Kaufmann Kohlers Nachruf: „der Stolz und Leitstern des modernen Judenthums ist nicht mehr! Wie die Sonne in ihrem Verglühen, wenden jede scheidende theure Persönlichkeit ein verklärtes Bild dem Nachblickenden zu, namentlich aber der Geistesheld, der nach ausgerungenem Kampfe grösser erscheint, als wenn er noch von Erdenstaub umweht ist.“ Zur Gegenposition einer radikalen Ablehnung siehe Kaatz, Abraham Geigers religiöser Charakter (wie Anm. 68), 5f.; Geiger sei zwar ein genialer, aber aufgrund seiner Zwiespältigkeit kein großer Mensch gewesen, auch kein Reformator, sondern ein Revolutionär. 124 L. Geiger, Abraham Geiger. Leben und Lebenswerk (wie Anm. 3), 222; bezeichnenderweise erteilte man Geiger auch nur einen auf drei Jahre befristeten Lehrauftrag, was natürlich kein unbeschränkter Vertrauensbeweis ihm gegenüber war. Er nahm erst an, als man ihm versicherte, dass alle Dozenten lediglich für nur drei Jahre ihre ,Vokation‘ erhielten. Vgl. Emanuel Schreiber, Reformed Judaism and its Pioneers (Spokane, WA: Spokane Printing Co, 1892), 375; Emanuel Schreiber, Abraham Geiger als Reformator des Judenthums (Loebau: R. Skzerczek, 1879), 14f. Die Hochschule hatte zu Beginn nur einen hauptamtlichen und drei nebenamtliche Dozenten; vgl. Helmuth F. Braun, „Eine unpartheiische Pflanzstätte jüdischen Wissens‘. Die Hochschule für die Wissenschaft des Judentums in Berlin (1872–1942)“, in Tilmann Buddensieg, Kurt Düwell und Klaus-Jürgen Sembach (Hrsg.), Wissenschaften in Berlin (Berlin: Mann, 1987), 120–125, hier 122.

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curriculär zentralen Dozentur für Talmud mit Israel Lewy ein sehr konservativer Schüler Frankels und damit ein aggressiver Gegenpart Geigers lehrte, der sich nicht scheute, sogar im Unterricht gegen den renommierten älteren Kollegen zu agitieren.125 Dennoch brachte die Berliner Stelle Geiger erstmals Ruhe und vor allem ausgedehntere Möglichkeiten, sein Wissen zu vermitteln. Dieser Aspekt entsprach nicht nur seiner besonderen Berufung, sondern auch der frühen Erkenntnis, dass die Reformbewegung es bislang versäumt hatte, für Nachwuchs zu sorgen. Geigers recht zurückgezogenes Leben in Berlin war der Beschreibung seines Sohnes nach in besonderer Weise ein religiöses geworden. Schon früh morgens arbeitete Geiger am Stehpult seines Studierzimmers und führte, von nur wenigen anderen Pflichten unterbrochen, weitgehend das Leben eines Gelehrten; er hatte also, wie es schon immer seiner Vorstellung entsprochen hatte, religiöses Lernen durch wissenschaftliche Forschung und Lehre ersetzt. Das Entscheidende an diesem schwierigen und letztlich doch erfolgreichen Karriereverlauf ist, dass Geiger zwar schon früh als herausragender Gelehrter und Reformer gesehen wurde, es aber gerade auch dieser Aspekt war, der sein Bild als Zerstörer des überlieferten Judentums charakterisierte. Die medial angeheizten Konflikte trugen – gemeinsam mit der Notwendigkeit, sich in den Auseinandersetzungen taktisch klug zu positionieren, und natürlich mit Geigers persönlicher Situation im Bezug auf seine starken programmatischen Zielsetzungen – dazu bei, dass seine Gegner und erhebliche Teile der eigenen Parteigänger ihn zunehmend als eine problematische Persönlichkeit begriffen. Geiger, der in der eigenen Stilisierung und der externen Wahrnehmung zunehmend zur symbolischen Verkörperung der Reformbewegung wurde, galt zugleich als herausragender und geradliniger Reformer, aber auch als ein Extremer, der als unberechenbar, stets auch eigenen Interessen verpflichtet, zwiespältig und sogar charakterlos empfunden wurde. Zweifellos wird die „wahre“ Person Geigers jenseits dieser Chiffren nicht einfach am Schnittpunkt der beiden einander widersprechenden Perspektiven zu finden sein, denn er war, wie die hier skizzierte Problematisierung seines paradigmatischen und zugleich ungewöhnlichen Lebenswegs zeigt, gerade auch deshalb ein Getriebener, weil er an vorderster Front einer umstrittenen Bewegung stand. Wenngleich 125 Schreiber, Reformed Judaism (wie Anm. 124), 350 und 377 verweist jedoch darauf, dass ein Teil der Schüler des Breslauer Seminars, und zwar die gediegeneren, mehr als die Hälfte der Studenten Geigers in Berlin ausgemacht hätten. Laut L. Geiger, Abraham Geiger. Leben und Lebenswerk (wie Anm. 3), 223f. äußerte sich Geiger lobend über einen neuen Studenten, den ersten preußischen, der alles besuche, außer den Lewyschen Talmud, was er mit den Worten ,Auch gut!‘ quittierte.

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die Stilisierungen seiner Person die zeitgenössischen Zwänge und Entscheidungsmöglichkeiten weitgehend verdecken, gezwungenermaßen ambivalente Entscheidungen Geigers als problematisch beiseiteschieben oder überbetonen, so hatte es doch seinen Preis, der Erste zu sein und der Erste sein zu wollen. In diesem Sinne ist Ludwig Geigers Charakteristik seines berühmten Vaters zu verstehen: Er war ein reiner, moralisch denkender und handelnder Mensch. Wer wie er vierzig Jahre in vorderster Reihe stand, immer angefeindet und streng bewacht, durfte sich keine Blöße geben, aber schon seine wahrhaft edle Natur hielt ihn vor jeder Verirrung zurück.126

126 Ebd., 227.

Abraham Geiger und Zacharias Frankel – Vergegnungen und Konfrontationen Andreas Brämer Dieser Essay, der sich mit den Schnittstellen und Berührungsflächen zweier Rabbinerbiografien befasst, unternimmt zugleich den Versuch, Abraham Geiger (1810–1874) und Zacharias Frankel (1801–1875) als Vordenker und Impulsgeber des jüdischen Glaubens auf Augenhöhe zu präsentieren. Die ebenso konfliktreiche wie emotional negativ aufgeladene Beziehungsgeschichte der beiden Gelehrten entfaltete sich vor dem Hintergrund der religiösen Kernfragen, die das deutsche Judentum im zweiten Drittel des neunzehnten Jahrhunderts in Atem hielten. Ihre Konfrontationen, die sich über mehr als drei Jahrzehnte erstreckten, bezogen sich auf Aspekte der theologischen Weltsicht, die jüdische Literatur als Gegenstand der wissenschaftlichen Forschung sowie das Berufs- und Ausbildungsprofil des modernen Rabbinats. Allerdings muss zuweilen Vorsicht walten, wenn es darum geht, aus den empirischen Befunden dieser Gegenüberstellung verallgemeinernde Schlussfolgerungen zu ziehen, rückt doch das individuelle Moment mitunter so weit in den Vordergrund, dass sich psychologische Deutungen geradezu aufdrängen. Das spannungsreiche Verhältnis lässt sich also weder ausschließlich an unterschiedlichen ideologischen Positionen noch schlicht an verschiedenen Herkunftsmilieus, kulturellen Prägungen oder sozioökonomischen Rahmenbedingungen festmachen, sondern hängt nicht zuletzt vor allem mit dem gegensätzlichen Naturell der beiden Antagonisten zusammen.

I. Zacharias Frankels Lebenslauf entspricht einem strukturellen Raster, dessen wesentliche Merkmale auch auf den Entwicklungsgang Abraham Geigers sowie zahlreicher anderer rabbinischer Zeitgenossen zutreffen: 1801 in der Prager Judenstadt geboren, in einem eher traditionellen Milieu aufgewachsen und daher durch die frühe Bekanntschaft mit der

114 Abraham Geiger und Zacharias Frankel – Vergegnungen und Konfrontationen klassischen jüdischen Literatur geprägt, machte sich Frankel in Schule und Universität zugleich auch mit der europäischen Kultur und der historisierenden Weltsicht der Geisteswissenschaften vertraut. Nach Ordination und Promotion bekleidete er zunächst das relativ unbedeutende Rabbinat im böhmischen Kreis Leitmeritz, bevor ihn die jüdische Gemeinde Dresden 1836 zu ihrem geistlichen Oberhaupt bestimmte. Als ausgewiesener praktischer Theologe und führender Kopf einer moderaten Reformströmung sowie als Pionier der jüdischen Wissenschaft wurde er 1854 an das neu gegründete Jüdisch-Theologische Seminar in Breslau berufen, das erste moderne Rabbinerseminar in Deutschland, dem er bis zu seinem Tod im Jahre 1875 als Direktor vorstand. In den 1840er Jahren hatten insbesondere rabbinische Vertreter einer dritten religiösen Richtung den Versuch unternommen, sich von Reformbewegung und Orthodoxie zu distanzieren, indem sie öffentlich eine Position der Vermittlung bezogen. Aus diesem relativ kleinen Kreis ragt Frankel besonders heraus. Als Stichwortgeber des ,positivhistorischen‘ Judentums befürwortete er zeitlebens einen „gemäßigten Fortschritt“, der die als Verlust gedeutete Entzweiung in den Kultusgemeinden überwinden sollte. Gegen die liberale Theologie seiner Reformkollegen, die ein verinnerlichtes Bekenntnis forderten, bezeichnete er das Judentum als „Religion der That“: Ihr Regelwerk, die Halacha, lasse sich nicht unmittelbar aus rationalen Grundsätzen herleiten, vielmehr müsse sich die menschliche Vernunft ihm beugen. Am gesetzestreuen Judentum bemängelte er hingegen dessen absoluten Begriff der Offenbarung, durch den jeder Brauch göttliche Autorität beanspruchen könne. Frankel deutete die – vor allem im Talmud niedergelegte – mündliche Rechtstradition nicht als einmalig übergebenes, unmittelbar aus göttlicher Quelle herrührendes Erbe, sondern als das Ergebnis eines über Jahrhunderte hinweg andauernden Wachsens und Werdens. Die normative Gültigkeit der Überlieferung war in deren Alter begründet: Das innerhalb einer religiösen Gemeinschaft herrschende Bewusstsein ihrer Vergangenheit, so Frankel, stelle eine gültige – wenn auch nicht unmittelbare, auf Gottes Willen beruhende – Offenbarung dar. Indem er von der Heiligkeit einer zweiten, gewissermaßen immanenten Offenbarung sprach, verlieh Frankel dem Gesetz einen autonomen Wesenszug, der auch konkrete Möglichkeiten für Reformen eröffnete. Mittels der Begriffe „Gesammtwille und Wissenschaft“ bestimmte Frankel die Leitlinien für den religiösen Fortschritt, indem er aus den Ideen der ,Historischen Rechtsschule‘ sein eigenes Konzept zur Modernisierung des jüdischen Rechts entwickelte. Juristen wie Friedrich Carl von Savigny gingen davon aus, dass sich das Recht in seiner

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Entwicklung von zwei Seiten her gestaltete: zum einen als Produkt des Volkslebens, zum anderen als Resultat der juristischen Wissenschaft. Frankel erhoffte sich die notwendigen Impulse für eine angemessene Reform von den jüdischen Theologen. Ihre Aufgabe bestehe darin, wissenschaftliche Erkenntnis und kollektive Frömmigkeit zusammenzuführen, um auf diese Weise den Gestaltungsspielraum für eine Modernisierung der religiösen Praxis auszuloten. Da er davon überzeugt war, dass sich durch Kompromisse alle religiösen Parteien gewinnen ließen, sprach er sich für vorsichtige, moderate Veränderungen aus, ohne die Einheit von Idee und Form grundsätzlich in Frage zu stellen.1

II. Abraham Geiger nahm erstmals 1837 Kontakt zu Frankel auf, als er eine informelle Rabbinerzusammenkunft organisierte, deren Ergebnisse freilich hinter den Erwartungen („die Bande der Formenstarrheit zu lösen“) zurückbleiben sollten. Geiger besaß ohne Zweifel detaillierte Kenntnis von Frankels Kultusreformen in Dresden und lud ihn ein, weil er ihn zunächst als Mitstreiter auf seiner Seite vermutete.2 Dass Frankel dem Treffen in Wiesbaden fernblieb, spricht allerdings dafür, dass er schon früh zögerte, sich in das entstehende Netzwerk von gleichgesinnten Nachwuchsrabbinern zu integrieren. Geiger selbst kommentierte Frankels Absage mit der Bemerkung, dieser sei „zu viel Lamden“.3 Als jüdischer Gelehrter im traditionellen Sinne war Frankel demnach noch nicht in der Moderne angekommen, um seinen Platz in der bürgerlichen Gesellschaft einzunehmen. An diesem Urteil, mit dem er dem Affront 1

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Als Literatur älteren Datums zu Frankel vgl. Roland Goetschel, „Aux origines de la modernité juive: Zacharias Frankel (1801–1875) et l’école historico-critique“, Pardès 19–20 (1994), 107–132; Rivka Horwitz, Zacharias Frankel und die Anfänge des positiv-historischen Judentums [hebr.] (Jerusalem: Merkaz Zalman Shazar, 1984); Michael A. Meyer, „Jewish Religious Reform and Wissenschaft des Judentums: The Positions of Zunz, Geiger and Frankel“, LBIYB 16 (1971), 19–41; David Rudavsky, „The Historical School of Zacharia Frankel“, JJS 5 (1963), 224–244. Sowohl Frankel als auch Geiger pflegten eine enge Freundschaft zu dem Dresdner jüdischen Privatgelehrten Bernhard Beer (1801–1861); siehe auch Zacharias Frankel, Dr. Bernhard Beer. Ein Lebens- und Zeitbild (Breslau: Schletter, 1863); Abraham Geiger, „Bernhard Beer“, in Allgemeine Deutsche Biographie, Bd. 2 (1875), 246f. A. Geiger an Joseph Dérenbourg, 23.8.1837, in Ludwig Geiger (Hrsg.), „Abraham Geigers Briefe an J. Dérenbourg (1833–42)“, Allgemeine Zeitung des Judenthums [= AZJ] 60 (1895), 213f.; vgl. Abraham Geiger, „Die Rabbinerzusammenkunft. Sendschreiben an einen befreundeten jüdischen Geistlichen“, Wissenschaftliche Zeitschrift für jüdische Theologie [= WZJT] 3 (1837), 313–332.

116 Abraham Geiger und Zacharias Frankel – Vergegnungen und Konfrontationen der Zurückweisung begegnete, sollte Geiger im Grunde zeitlebens festhalten. Das Verhältnis war demnach bereits vor der ersten Begegnung nachhaltig gestört. Auch Frankel hatte Geiger vermutlich bereits zu diesem Zeitpunkt eher als Widersacher denn als Bündnispartner ausgemacht, eine Beurteilung, die sich dann seit den 1840er Jahren dauerhaft bestätigen sollte. Von den mehrjährigen Richtungskämpfen, die Geigers Berufung nach Breslau auslöste, erfuhr Frankel vermutlich zeitnah aus der Presse, spätestens jedoch 1842, als der Streit innerhalb der Synagogengemeinde kurzzeitig eskalierte.4 Zur Erinnerung: 1838 hatte das Obervorsteherkollegium der Kultusgemeinde entschieden, neben dem Oberrabbiner Salomon Abraham Tiktin (1791–1843) einen zweiten Rabbiner zu bestellen, von dem es vor allem regelmäßige Predigten in deutscher Sprache erwartete. Durch die Wahl Geigers vollzog die Gemeinde trotz öffentlicher Beteuerungen einen klaren Bruch mit ihrer orthodoxen Tradition. Gegen den konservativen Widerstand konnte Geiger seine Stelle freilich erst 1840 antreten, nachdem der König seiner Naturalisation als preußischer Staatsbürger zugestimmt hatte. Wie spannungsgeladen die Stimmung innerhalb der Gemeinde war, zeigte sich im April 1842, als Orthodoxe und Reformer anlässlich einer Bestattungszeremonie in einem Handgemenge aneinandergerieten. Frankel konnte bereits wenige Tage später in der Leipziger Allgemeinen Zeitung über den Vorfall lesen. Die Gefahr der Spaltung der Gemeinde wollte Frankel allerdings nicht der militanten Orthodoxie um den Oberrabbiner Tiktin zur Last legen. Verantwortlich dafür erschien ihm vielmehr Geiger, der sich, anders als Frankel in Dresden, keiner Vermittlung der Parteienstandpunkte verschreiben wollte, sondern ein Schisma durchaus in Kauf nahm. Dass Frankel sich wenig später der Bitte der Breslauer Gemeindevorsteher entzog, Geiger durch ein Gutachten zur Seite zu springen, veranschaulicht nochmals dessen Vorbehalte.5 In einem Privatbrief 4

5

Michael A. Meyer, Antwort auf die Moderne. Geschichte der Reformbewegung im Judentum (Wien, Köln und Weimar: Böhlau, 2000), 166–172; Andreas Gotzmann, „Der Geiger-Tiktin-Streit. Trennungskrise und Publizität“, in Manfred Hettling, Andreas Reinke und Norbert Conrads (Hrsg.), In Breslau zu Hause? Juden in einer mitteleuropäischen Metropole der Neuzeit (Hamburg: Dölling & Galitz, 2003), 81– 99; zu Geigers Version der Ereignisse vgl. Abraham Geiger, „Ansprache an meine Gemeinde“ (1842), in Abraham Geiger, Nachgelassene Schriften, hrsg. von Ludwig Geiger, Bd. 1 (Berlin: Louis Gerschel, 1875), 52–112, hier 73f. Rabbinische Gutachten über die Verträglichkeit der freien Forschung mit dem Rabbineramte, 2 Bde. (Breslau: Freund, 1842/43); vgl. Abraham Geiger an J. Auerbach, 14. Dezember 1842, in Nachgelassene Schriften, hrsg. von Ludwig Geiger, Bd. 5 (Berlin: Louis Gerschel, 1885), 163; Israelit des neunzehnten Jahrhunderts [= IdnJ] 5 (1844), 109; Ludwig Geiger, Abraham Geiger. Leben und Lebenswerk (Berlin: Rei-

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kommentierte Frankel die Vorgänge in der schlesischen Metropole wie folgt: Ich kann Geigers Tendenz nur mißbilligen: von ihm heißt es „bikesch la‘akor et hakol“ [aus der Pessach-Haggadah: er will alles entwurzeln]; und wer weiß, ob ich mich nicht auf einen scharfen Gang mit ihm einlasse und ihm sowohl seine irreligiöse als seine unpraktische Tendenz nachweise. Doch hat es noch Zeit damit.6

In Anbetracht seiner ablehnenden Haltung gegenüber Geiger sowie seiner Weigerung, zu den Gemeindeangelegenheiten öffentlich Stellung zu beziehen, ist es erstaunlich, dass sich Frankel am Ende scheinbar doch noch von der Breslauer Reformfraktion vereinnahmen ließ. Der klassische Philologe Wilhelm Freund (1806–1894) gehörte ursprünglich zu den engen Vertrauten des zweiten Breslauer Rabbiners, von dem er sich erst seit der Mitte der 1840er Jahre zunehmend entfremden sollte. Als Herausgeber der Zeitschrift Zur Judenfrage in Deutschland gelang es Freund 1843, Stellungnahmen zur Heiligkeit jüdischer Friedhöfe sowohl von dem Radikalreformer Samuel Holdheim (1806–1860), Landesrabbiner in Mecklenburg-Schwerin, als auch von Frankel einzuholen. In seinem Vorwort stellte Freund das Thema ausdrücklich in den Zusammenhang des Breslauer Friedhofsskandals, da orthodoxe Mitglieder der Gemeinde, die sich wegen der Handgreiflichkeiten vor Gericht verantworten mussten, den sakralen Status von jüdischen Begräbnisstätten bestritten hatten. Ohne sich auf den unmittelbaren Anlass der Anfrage zu beziehen, kennzeichnete Frankel den Friedhof als heiligen Ort des Judentums. Sein Gutachten konnte aber durchaus als Kritik an beiden Konfliktparteien gelesen werden, die gemeinsam die Ruhe der Toten gestört hatten.7

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7

mer, 1910), 80; Max Wiener, Abraham Geiger and Liberal Judaism: The Challenge of the Nineteenth Century (Philadelphia: The Jewish Publication Society, 1962), 27. Zacharias Frankel an Joseph Muhr, 10. April 1842, in Simon Bernfeld, „Zacharias Frankel in Berlin“, AZJ 62 (1898), 343–346, 356–358, 368–370, 389–391, 404, 437–439, 461–463, 486–488, 536–538, 569–570, 582–583, 595–597, 606–608, hier 462; vgl. Abraham Geiger an Leopold Zunz, 4. März 1841, sowie an Bertold Auerbach, 18. April 1842, in Ludwig Geiger (Hrsg.), Abraham Geiger’s Leben in Briefen (Berlin: Louis Gerschel, 1878), 155, 161. Zacharias Frankel, „Gutachten des Ober-Rabbiners Dr. Frankl (sic) über die Heiligkeit jüdischer Begräbnißplätze“, Zur Judenfrage in Deutschland 1 (1843), 266–270.

118 Abraham Geiger und Zacharias Frankel – Vergegnungen und Konfrontationen

III. In der Folge gelangten Geiger und Frankel, die beide mit den Quellen der schriftlichen und mündlichen Tradition aufs beste vertraut sowie mit dem akademischen Rüstzeug kritischer historisch-philologischer Forschung ausgestattet waren, wiederholt zu entgegengesetzten Schlussfolgerungen, sobald sie sich mit ähnlichen Problemstellungen befassten. Das lässt sich etwa anhand der Kontroverse um das 1841 in einer überarbeiteten Fassung herausgegebene Gebetbuch des Neuen Israelitischen Tempelvereins in Hamburg veranschaulichen. Der Siddur war zunächst der massiven Kritik des Hamburger Oberrabbiners – Chacham Isaak Bernays (1792–1849) – ausgesetzt, der dessen Verwendung zur Verrichtung der Pflichtgebete untersagte. Der 1817 gegründete Tempelverein wiederum sicherte sich die Unterstützung auswärtiger Reformgeistlicher und trug eine Sammlung von zwölf theologischen Gutachten zusammen, die Bernays’ Argumente gegen das Gebetbuch zu widerlegen suchten. Dass Geiger wie Frankel ein kritisches Urteil über den Siddur fällten, an dem sie sowohl Konsequenz als auch Wissenschaftlichkeit vermissten, registrierte die Direktion des Tempels mit Unverständnis. Geiger, der das Gebetbuch vor dessen orthodoxen Kritikern in Schutz nahm, bezeichnete den Tempel gleichwohl als „unschuldige Anstalt“. Auf diese Weise verlieh er seiner Enttäuschung Ausdruck, dass die Hamburger Reformer ihren vermeintlichen Vorteil als von der Gemeinde unabhängige Einrichtung nicht genutzt hatten, um einen radikalen Modernisierungskurs zu steuern und sich als Speerspitze der Kultusreform zu positionieren. Anstatt einem theologischen Leitgedanken zu folgen, habe der Tempel allenfalls eine äußerliche Schönheitspflege betrieben. Deutliches Unbehagen am neuen Gebetbuch äußerte auch Frankel, der sich weder Bernays anschließen noch mit dem Tempel solidarisieren mochte. Sein Verdikt, das Gebetbuch könne auf Gültigkeit oder Weiterempfehlung keinen Anspruch erheben, nahm dieses aus konservativer Warte ins Visier: Mit seinen radikalen Veränderungen des Gottesdienstes provoziere der Tempel eine Spaltung. Ein „dem Alten nur etwas Ergebener“, so Frankel, könne am Hamburger Tempel nicht sein Gebet verrichten.8 8

Abraham Geiger, „Der Hamburger Tempelstreit, eine Zeitfrage“ (1842), in Geiger, Nachgelassene Schriften, Bd. 1 (wie Anm. 4), 113–196; Zacharias Frankel, „Schreiben des Oberrabbiners Dr. Frankel an die Direction des Tempelvereins zu Hamburg“, Der Orient 3 (1842), 53–56, 61–64, 71–72; vgl. Seder ha’avoda. Gebetbuch für die öffentliche und häusliche Andacht der Israeliten [nach dem Gebrauch ders Neuen Israelitischen Tempels in Hamburg] (Hamburg: Berendsohn, 1841); Theologische Gutachten über das Gebetbuch nach dem Gebrauche des Neuen Israelitischen Tem-

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IV. Von 1844 bis 1846 gab Zacharias Frankel die Zeitschrift für die religiösen Interessen des Judenthums (ZRIJ) heraus. Seine Bereitschaft, sich dem Geschäft eines Publizisten zu widmen, war nicht zuletzt Ausdruck der Unzufriedenheit mit der Zeitschriftenlandschaft, die er vorfand. Zur damaligen Zeit war eine religiöse Meinungspresse im Entstehen begriffen, die ein ganzes Spektrum von Standpunkten vertrat. Abraham Geiger hatte bereits 1835 die Wissenschaftliche Zeitschrift für jüdische Theologie (WZJT) ins Leben gerufen, die ihm größere Freiheit bot als das rabbinische Gemeindeamt, wenn es darum ging, seine Reformüberlegungen öffentlich zur Diskussion zu stellen. Trotz der tendenziell radikaleren Ausrichtung der WZJT sind die strukturellen Parallelen zur ZRIJ nicht von der Hand zu weisen. Frankel nutzte die Monatsschrift ebenfalls als Sprachrohr, um seinerseits eine gemäßigte Reformagenda zu verkünden. Geiger musste die ZRIJ jedenfalls als Konkurrenzblatt betrachten, als er 1843 die Vorankündigung zu Gesicht bekam. Anzeige und Prospekt, in denen Frankel seine inhaltlichen Zielsetzungen ausführlich schilderte, unterzog Geiger einer kritischen Lektüre, die ohne Angabe des Verfassernamens in der Wochenschrift Der Israelit des neunzehnten Jahrhunderts erschien und die einem polemischen Verriss gleichkam („Salbaderei“, „ein paar winzige hohle Phrasen“).9 In ökonomischer Hinsicht hatten beide Zeitschriften einen schweren Stand, da sowohl die Suche nach Abonnenten als auch die Zahl und Qualität der eingesandten Aufsätze Probleme bereiteten. Ohne Frankels eigene Beiträge hätte die ZRIJ nicht regelmäßig – das heißt in monatlichen Lieferungen – erscheinen können. Aber auch die Aufsätze der WZJT stammten häufig aus Geigers eigener Feder. Angesichts der schwierigen Rahmenbedingungen orakelte Leopold Zunz (1794–1886) in Berlin noch vor der Drucklegung des ersten Heftes, man könne Fran-

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pelvereins zu Hamburg (Hamburg: Berendsohn, 1842); sowie Meyer, Antwort auf die Moderne (wie Anm. 4), 172–179; Jakob J. Petuchowski, Prayerbook Reform in Europe: The Liturgy of European Liberal and Reform Judaism (New York: World Union for Progressive Judaism, 1968), 56; Andreas Brämer, Judentum und religiöse Reform. Der Hamburger Israelitische Tempel 1817–1938 (Hamburg: Dölling & Galitz, 2000). IdnJ 5 (1844), 108f.; Zacharias Frankel, Anzeige und Prospectus einer Zeitschrift für die religiösen Angelegenheiten des Judenthums (Berlin: Simion, 1843); Material zu einem interessanten Vergleich beider Zeitschriften bietet Geigers programmatischer Aufsatz „Das Judenthum unserer Zeit und die Bestrebungen in ihm“, WZJT 1 (1835), 1–12; vgl. auch L. Geiger, Abraham Geiger (wie Anm. 5), 428; Meyer, „Jewish Religious Reform“ (wie Anm. 1), 33.

120 Abraham Geiger und Zacharias Frankel – Vergegnungen und Konfrontationen kels Zeitschrift erst „nach ihrer Geburt den Totenschein ausstellen“.10 Zunz, einer der frühen Wegbereiter der Wissenschaft des Judentums, hatte Frankel, der ihn als Mitarbeiter zu verpflichten hoffte, zuvor eine Absage erteilt. Vermutlich wusste Zunz auch von den Existenzsorgen, die Abraham Geiger als Herausgeber der Wissenschaftlichen Zeitschrift plagten, von der zwischen 1835 und 1848 in unregelmäßiger Folge lediglich sechs vollständige Jahrgänge erschienen. Die ZRIJ, die die WZJT nicht zu imitieren suchte, sondern die als konservativer Gegenentwurf auftrat, glich in vielfacher Hinsicht ihrem Pendant, mit dem sie vermutlich auch bei der Suche nach Lesern konkurrierte. Während Frankel nach drei Jahrgängen 1846 aufgab, stellte die WZJT ihr Erscheinen erst zwei Jahre später ein.11

V. Vor der ersten Reformrabbinerkonferenz, die im Juni 1844 in Braunschweig tagte, warnte Frankel vor radikalisierenden Bestrebungen, ohne allerdings Geiger, der sich mit einem deutlichen Plädoyer für eine Reform der religiösen Praxis an seine Kollegen gewandt hatte, persönlich anzugreifen. Seine Zusage, an der Zusammenkunft teilzunehmen, hatte Frankel kurzfristig zurückgezogen. Dem Berliner Kollegen Michael Sachs (1808–1864), der seine Vorbehalte teilte und ebenfalls abgesagt hatte, schrieb Frankel wenige Wochen vor Beginn der Versammlung einen Brief, in dem er noch einmal seine Einschätzung verdeutlichte, dass Geiger (neben Holdheim) einen gefährlichen Irrweg beschritt und die radikale Tendenz der entstehenden Reformbewegung das Judentum von innen heraus bedrohte: 10 Leopold Zunz an Philip Ehrenberg, 11. März 1844, in Nahum N. Glatzer (Hrsg.), Leopold Zunz. Jude – Deutscher – Europäer. Ein jüdisches Gelehrtenschicksal des 19. Jahrhunderts in Briefen an Freunde (Tübingen: Mohr Siebeck, 1964), 228. 11 Andreas Brämer, „Auf der Suche nach einer neuen jüdischen Theologie – Die ,Zeitschrift für die religiösen Interessen des Judenthums‘ (1844–1846)“, Menora 12 (2001), 209–228; Barbara Suchy, „Die jüdischen wissenschaftlichen Zeitschriften in Deutschland von den Anfängen bis zum Ersten Weltkrieg. Ein Überblick“, in Julius Carlebach (Hrsg.), Wissenschaft des Judentums. Anfänge der Judaistik in Europa (Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft, 1992), 180–198, bes. 184–186. Mindestens fünf Autoren schrieben Beiträge sowohl für die ZRIJ (Zeitschrift für die religiösen Interessen des Judenthums) als auch für die WZJT (Wissenschaftliche Zeitschrift für jüdische Theologie): Rabbiner Joseph Aub (Bayreuth), Isaak Markus Jost (Frankfurt am Main), Rabbiner Salomo Jehuda Rapoport (Prag), Rabbiner Michael Sachs (Berlin) und Salomon Ludwig Steinheim (Altona).

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Was wird es nutzen, wenn wir mit Zank und Geschrei über Geiger und Holdheim herfallen und sie nach ihrem leider! ganz verwerflichen Charakter schildern? Sie meinen, wir werden hierdurch sie besiegt haben? Das Publicum legt es für eine Zanksucht aus, erblickt gerade hierin eine geistige Schwäche, die nur des groben Geschützes der Beleidigungen sich zum Angriff bedienen kann: und ist dieser verdampft (und hierin gibt es doch in der That gerade keinen gar zu großen Spielraum für Dialectik und logische Entwicklungen) was dann? Wir selbst haben den Gegner ebenbürtig gemacht; denn haben wir geschimpft, so hat er das Recht dagegen zu schimpfen und es wird nur darauf ankommen, wessen Lunge länger aushält. Warum denn nicht gelassen auftreten und mit Gründen die Gerechtigkeit unserer Sache nachweisen? Man kann wahrhaftig! auch hier genug Hiebe anbringen; und glauben wir das Publicum gewonnen oder es wenigstens von unserer redlichen Absicht überzeugt zu haben, dann diesen elenden Gegnern die Larve heruntergerissen; dann werde gezeigt: wählet zwischen uns und Jenen, die nicht den Glauben, nicht Euch, nicht Eure Sache, sondern sich, den schändlichsten Egoismus meinen. Seien Sie demnach unbesorgt: die Zeit des Zankens[?] wird kommen […] Ein anderer Stein, der Ihnen schwer auf dem Herzen liegt, ist die Rabbinerversammlung. Freilich haben Sie recht, wenn Sie rufen besodam al tavo nafschi [Gen. 49,6: an ihrer Versammlung will ich nicht teilnehmen], da die Liste zeigt, mit welchen ansche belija‘al [Bösewichten] man hier zusammenkommen wird. Aber wozu die Unruhe? Wir brauchen nicht zu gehen wenn wir nicht wollen; und wir wollen nicht. Warum? wissen wir schon; und warum erst zugesagt? wissen wir auch. Wir glaubten „Rabbiner“ zu einer Zusammenkunft zu veranlassen; sie haben sich nicht eingefunden: mit Verräthern wollen wir nicht zusammenkommen. [Isaak Noah] Mannheimer schreibt mir, er kommt nicht; Sie lassen mich durchsehen, daß Sie nicht kommen werden und ich sage Ihnen gerade heraus, ich bleibe zu Hause. Dem Vorwurfe der Inconsequenz werde ich schon zu begegnen wissen; das diese Tage fertig werdende 3. Heft [der ZRIJ] enthält einen Aufsatz betitelt „die projectirte Rabbinerversammlung“, der hoffentlich dieser Versammlung ein bischen die Augen öffnen wird.12

Wenige Monate nach der Braunschweiger Rabbinerversammlung, im Oktober 1844, reiste Abraham Geiger nach Dresden, wo er – wie auch 12 Zacharias Frankel an Michael Sachs (1844), in Central Archives for the History of the Jewish People, Jerusalem (CAHJP), P41/8; vgl. Zacharias Frankel, „Über die projectirte Rabbinerversammlung“, Zeitschrift für die religiösen Interessen des Judenthums [= ZRIJ] 1 (1844), 89–106; vgl. auch Andreas Brämer, „Zacharias Frankel and Samuel Holdheim: Comparative Perspectives“, in Christian Wiese (Hrsg.), Redefining Judaism in an Age of Emancipation: Comparative Perspectives on Samuel Holdheim (1806–1860) (Leiden und Boston: Brill, 2007), 209–227.

122 Abraham Geiger und Zacharias Frankel – Vergegnungen und Konfrontationen Frankel – als Vortragsredner an der ,ersten Versammlung deutscher und ausländischer Orientalisten‘ teilnahm. Bei dieser Gelegenheit suchte er diesen in dessen Privatwohnung auf, ohne sich jedoch ernsthaft um einen Ausgleich der Gegensätze zu bemühen. Ihr Treffen charakterisierte Geiger im Rückblick eher als persönlichen Triumph über seinen Widersacher: Meine Stellung zu Frankel in Dresden war wirklich ganz eigenthümlich und ich glaube, er bereut es fast, dass er sich durch mich überrumpeln und sich imponiren liess. Mit der vollsten Entschiedenheit seinen hierarchischen Anmassungen und seinem vorgeblichen Conservatismus entgegentretend, ihm seine gewaltsamen apologetischen Versuche als albern nachweisend, ihm den Glauben an seine Gläubigkeit erschütternd und ihm versichernd, dass kein Mensch das von ihm glaube, dass man ihm vielmehr eine Kenntniss des wahren Lebens abspreche, […] trieb ich ihn aus der vornehmen Stellung heraus, welche er allerdings gar zu gern auch Anfangs gegen mich einnehmen mochte, und so standen wir bald recht gut. Es sind ihm gewiss nach meinem Weggehen, wie er wohl meint, die besten Entgegnungen eingefallen, die auch in seiner Zeitschrift sich noch vernehmen lassen werden; ich werde dann auch nicht auf mich warten lassen. Ihm gegenüber ist Sachs offenbar bloss ein Schwätzer, der seine Befähigung, seine theologische Einsicht bis jetzt auch noch nicht im Geringsten kund gegeben. Schlagend bliebt vorläufig, dass die Herren sich nicht die Kraft zutrauen, in grösserer Zusammenkunft nach ihrer Richtung hin zu lenken, und das Gerede wird durch einige Rabbinerversammlungen bald praktisch gedämpft sein.13

Dass Frankel eine durchaus realistische Einschätzung der Mehrheitsverhältnisse der Rabbinerversammlung hatte, sollte sich zeigen, als sich die Reformgeistlichen 1845 zu einer zweiten Konferenz in Frankfurt am Main zusammen fanden. Gastgeber war der Lokalrabbiner der Mainmetropole, Leopold Stein (1810–1882), dem es gelang, auch Frankel zur Teilnahme zu bewegen, nachdem er ihm glaubhaft in Aussicht gestellt hatte, dass die gemäßigte Reform stark vertreten sein werde.14 Frankel gelangte jedoch bald zu der Einsicht, dass er in den Verhandlungen 13 Abraham Geiger an David Honigmann, 23. Oktober 1844, in Geiger, Nachgelassene Schriften, Bd. 5, 177; vgl. Verhandlungen der ersten Versammlung deutscher und ausländischer Orientalisten in Dresden den 1. 2. 3. und 4. October 1844 (Leipzig: Engelmann, 1845). 14 Steins Brief an Frankel ist nicht überliefert; vgl. jedoch das Schreiben Salomo Jehuda Rapoports an Zacharias Frankel, 8. Tammus (1845), in Ben Zion Dinaburg, Iggerot Schir, Kiryat Sefer 3 (1926/27), 222–335, 306–319, hier 227; Kiryat Sefer 4 (1927/ 28), 67–76, 166–172; siehe auch Robert Liberles, „Leopold Stein and the Paradox of Reform Clericalism, 1844–1862“, LBIYB 27 (1982), 261–279, hier 268.

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zwar nicht isoliert dastand, aber die deutliche Mehrzahl der anwesenden Amtsbrüder einen entschiedeneren Umbau des Kultus und der religiösen Praxis befürwortete. Nachdem die Versammlung auf der Eröffnungssitzung Stein zum Vorsitzenden ernannt hatte, traten Geiger und Frankel bei der Wahl des Vizepräsidenten als Konkurrenten auf, und der Breslauer Rabbiner entschied das Kräftemessen mit deutlichem Vorsprung für sich. Lediglich sechs Teilnehmer sprachen Frankel das Vertrauen aus, während Geiger 16 von 32 Stimmen erhielt.15 Sein vorzeitiges Ausscheiden aus der Konferenz, das er als demonstrativen Akt des Protestes publikumswirksam inszenierte, begründete Frankel vor allem mit Geigers kritischer Haltung gegenüber dem Hebräischen als Sprache der Liturgie. Im Verlauf der Diskussionen hatte Geiger den Wunsch nach mehr deutschen Gebeten geäußert. In einer Zeit der zunehmenden Akkulturation, so glaubte er, sei der hebräische Gottesdienst nicht mehr geeignet, Frömmigkeit und Andacht zu wecken. Der Versuch, dem Hebräischen eine religiöse Bedeutung beizumessen, könne zudem zu einem Zwiespalt führen, der die staatsbürgerliche Eingliederung der Juden gefährde. Als Frankel im Anschluss an Geigers Rede zu Wort kam, warf er ihm vor, er habe die Loyalitätserwartungen der Umwelt zum Maßstab der Reformdebatte erhoben. Nachdem sich bei der Abstimmung eine Majorität gegen die objektive Notwendigkeit der hebräischen Sprache in der Synagoge ausgesprochen hatte, blieb Frankel den weiteren Sitzungen fern. Sein Austrittsschreiben, das die Versammlung wenige Tage später im Plenum verlas, markierte den aufsehenerregenden Schlusspunkt einer radikalen Entfremdung. Während Frankel der noch jungen Reformbewegung den ,Scheidebrief‘ ausstellte, setzte sich Geiger selbstbewusst an deren Spitze.16 Frankels Versuch, 1846/47 eine eigene Theologenversammlung mit konservativer Tendenz auszurichten, scheiterte trotz anfänglichen Zuspruchs, während Geiger im Sommer 1846 als Gastgeber und Präses der dritten Rabbinerversammlung den Höhepunkt seines Erfolges genoss.17 Freilich mangelt es nicht an Hinweisen, dass Frankel einem 15 Weitere Stimmen erhielten Salomon Formstecher (Offenbach), Gotthold Salomon (Hamburg), Levi Herzfeld (Braunschweig) und Isaak Markus Jost (Frankfurt am Main). Zum Verlauf der Verhandlungen vgl. Protokolle und Aktenstücke der zweiten Rabbiner-Versammlung abgehalten zu Frankfurt am Main vom 15ten bis zum 28ten Juli 1845 (Frankfurt am Main: E. Ullmann, 1845). 16 Der Text war bereits in der Frankfurter Oberpostamtszeitung (1845), Nr. 198, 1949– 1950, erschienen; vgl. auch: Protokolle und Aktenstücke (wie Anm. 15), 86–90. 17 Zacharias Frankel, „Aufruf zu einer Versammlung jüdischer Theologen“, ZRIJ 3 (1846), 201–204; Zacharias Frankel, „Nachrichten über die projectirte Theologen-

124 Abraham Geiger und Zacharias Frankel – Vergegnungen und Konfrontationen konservativen Unbehagen Ausdruck verschafft hatte, das auch große Teile der jüdischen Bevölkerung empfanden. Selbst in Breslau formierte sich reformkritischer Widerstand, der nicht nur von der orthodoxen Fraktion, sondern auch von ehemaligen Förderern Geigers ausging. Hier initiierte der junge Gelehrte Heinrich Graetz (1817–1891), der sich zu Frankels Parteigängern zählte, ein Solidaritätsschreiben, das mit zahlreichen Unterschriften aus der Gemeinde an Frankel in Dresden abging. Es war vermutlich Graetz selbst, der in der Wochenschrift Der Orient euphorisch verkündete, das Einvernehmen über Frankels Austritt habe „die beiden religiösen Extreme der Stabilen und Progressisten einander angenähert“.18 Die Allgemeine Zeitung des Judenthums, deren Herausgeber, Rabbiner Ludwig Philippson (1811–1889) in Magdeburg, ebenfalls zu den Teilnehmern der Rabbinerkonferenz gehörte hatte, warf Graetz daraufhin vor, er habe sich insbesondere unter den Orthodoxen „mit List und Intrigue die größere Zahl der Unterschriften zu jener Addresse verschafft“.19 In seinem Tagebuch vermerkte Graetz dagegen mit besonderer Genugtuung, auch Gefolgsleute Geigers hätten die Dankadresse unterschrieben: Es hat Mühe gekostet, die Philister dazu [d. h. zum Solidaritätsschreiben] zu begeistern, ihnen die Nothwendigkeit desselben begreiflich zu machen, ihre Vorurtheile zu bekämpfen, sie endlich zum faktischen Unterzeichnen zu bringen. Welch ein langer mühsamer Weg. Endlich haben wir sie zur Post gebracht u. heute hat sie Frankel in Händen. Die Stylisirung ist sehr gerühmt worden, manche waren ganz dafür begeistert; der schönste Spaß aber ist, daß Geigerianer auch sich zum Unterzeichnen haben hinreißen lassen.20

VI. Hatten die theoretischen und praktischen Reformdebatten der 1840er Jahre die unüberbrückbaren Gegensätze zu Tage gefördert, so vermieden Frankel und Geiger fortan die Begegnung. Auf dem Gebiet der jüdischen Wissenschaft freilich kreuzten sich noch zuweilen ihre Wege. Versammlung“, ZRIJ 3 (1846), 241, 320, 339–341, 387; Protokolle der dritten Versammlung deutscher Rabbiner abgehalten zu Breslau vom 13. bis 24. Juli 1846 (Breslau: Leuckart, 1847). 18 Der Orient 6 (1845), 277. 19 AZJ 9 (1845), S. 532. 20 Heinrich Graetz, Tagebuch und Briefe, herausgegeben und mit Anmerkungen versehen von Reuven Michael (Tübingen: Mohr Siebeck, 1977), 151; vgl. AZJ 9 (1845), 532, 577–579, 580, 593–594, 640–641.

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Frankel, der einem offenen Schlagabtausch aus dem Weg ging, nahm Geigers Forschungsarbeiten durchaus zur Kenntnis, gab jedoch in der Öffentlichkeit vor, sie zu ignorieren, und verweigerte ihnen auch privat die Anerkennung („elendes Machwerk“).21 In seiner Korrespondenz machte auch Geiger vereinzelt seinem Unmut Luft, wenn er Frankels Veröffentlichungen zu Gesicht bekam. Sein Einwand etwa, „mit romantischem Brilliantfeuer und mit verlöschenden bibliographischen Kohlen [könne] kein Organ der Zeit“ unterhalten werden,22 bezog er sich auf die Monatsschrift für Geschichte und Wissenschaft des Judenthums, die Frankel seit 1851 edierte. Unbeschadet der negativen Prognose sollte sich die MGWJ allerdings als wichtigstes Fachorgan der noch jungen Wissenschaftsdisziplin etablieren. Dass Geiger selbst 1862 die Jüdische Zeitschrift für Wissenschaft und Leben als Vierteljahresschrift ins Leben rief, war nur die logische Konsequenz seiner abweichenden Vorstellungen, zumal ihn die Monatsschrift als persona non grata behandelte. Bis Frankel 1869 die Redaktionsgeschäfte an Heinrich Graetz übertrug, erschien keine einzige Besprechung von Werken Geigers. Allenfalls in Aufsätzen der Mitarbeiter kamen dessen Veröffentlichungen vereinzelt zur Sprache, doch stellte Frankel sicher, dass die Beiträge dem Autor kein Lob zollten.23 Wie eng persönliche Abneigungen und objektive Gegensätze miteinander zusammenhingen, veranschaulicht Frankels Haltung zur Urschrift, Geigers bahnbrechendem Hauptwerk zur biblischen Textund Religionsgeschichte. Meir Wiener (1819–80), regelmäßiger Autor der Monatsschrift, hatte für den Jahrgang 1864 eine Rezension zu Salomon Frensdorff (1803–1880) eingesandt, in der er dem Herausgeber 21 Zacharias Frankel an Bernhard Beer, 2. Mai 1856, in Jüdisch-Historisches Institut, Warschau, Bestand Breslau Nr. 1167; vgl. Abraham Geiger, Parschandatha. Die nordfranzösische Exegetenschule. Ein Beitrag zur Geschichte der Bibel-Exegese und der jüdischen Literatur (Leipzig: Schnauss, 1855). 22 Abraham Geiger an Meir Wiener, 23. Oktober 1854, zitiert in Meyer, „Jewish Religious Reform“ (wie Anm.1), 31–32; zur Monatsschrift vgl. Andreas Brämer, „Die Anfangsjahre des Jüdisch-Theologischen Seminars – Zum Wandel des Rabbinerberufs im 19. Jahrhundert“, in Hettling, Reinke und Conrads, In Breslau zu Hause? (wie Anm. 4), 99–112. 23 Vgl. z. B. Zacharias Frankel, „Jahresschau“, Monatsschrift für Geschichte und Wissenschaft des Judenthums (= MGWJ) 3 (1854), 12; MGWJ 7 (1858), 323f., Anm. 2; MGWJ 15 (1866), 344, Anm. 8; MGWJ 17 (1868), 247, 354; interessante vergleichende Anmerkungen zu JZWL und MGWJ in JZWL 4 (1866), S. 141–145; elf Autoren beteiligten sich an beiden Zeitschriften; vgl. auch Abraham Geiger, „Die jerusalemische Gemara im Gesammtorganismus der thalmudischen Literatur“, JZWL 8 (1870), 278–306; Joseph Perles, „Der jerusalemische Talmud im Lichte Geiger’scher Hypothesen“, MGWJ 20 (1871), 128–137.

126 Abraham Geiger und Zacharias Frankel – Vergegnungen und Konfrontationen des masoretischen Werks Ochlah we‘ochlah vorwarf, er habe Geigers ,Urschrift‘ übergangen. Frankel stellte sich rückhaltlos auf Frensdorffs Seite und unterstellte Geiger eine unredliche wissenschaftliche Praxis: Hinsichtlich der Recension des Ochlah we‘ochlah [Hannover 1864] wird sie die baldigste Aufnahme finden, nur gebe ich Ihnen anheim folgendes gef[älligst] zu erwägen. Dr. Frensdorf[f] hat unstreitig recht gehabt, Geigers Buch nicht zu erwähnen. Das Ochlah we‘ochlah ist ein Werk für Jahrhunderte; und sollte er G[eiger]’s Schandbuch ins Schlepptau nehmen, um ihm Unsterblichkeit zu verschaffen? Ich lobe sehr Ihren Eifer für die Wissenschaft, und Ihre Meinung kabbel ha‘emet mimi sche’omro [Maimonides in seiner Einleitung zu den Sprüchen der Väter: Nimm die Wahrheit an von dem, der sie spricht] aber G[eiger] ist es nicht um emet [Wahrheit] zu thun und er hat keinen emet: sein Werk ist voller Frivolität und böser Absichtlichkeit.24

Wiener, der als Oberlehrer an der jüdischen Religionsschule in Hannover tätig war, wurde von Frankel vor die Wahl gestellt, entweder den betreffenden Passus zu streichen, oder aber ganz auf die Veröffentlichung zu verzichten. Der Pädagoge lenkte ein – im Januarheft 1865 erschien seine Rezension, die keinen Hinweis mehr auf Geigers Buch enthielt!25 Warum sich Frankel, der den Inhalt der 1857 gedruckten Urschrift genau kannte, so vehement gegen das Werk aussprach, lässt sich unschwer rekonstruieren. Geiger war zu der – vermutlich korrekten – Hypothese gelangt, es habe in der Epoche der frühen Bibelübersetzungen noch keinen textus receptus gegeben. Mit der Annahme, die Bibel habe im Laufe der Geschichte „einzelne kleine Umgestaltungen“ erfahren, widersprach er Frankel, der im masoretischen Text der hebräischen Bibel eine nahezu unveränderte Überlieferung zu erkennen glaubte. In seiner Einleitung zur Forschungslage bezog sich Geiger auch auf Frankel und erhob massive Einwände gegen dessen Vorstudien zur Septuaginta, die 1841 erschienen waren. Geiger bestritt namentlich Frankels Annahme, die Abweichungen der Hebräischen Bibel von der griechischen Übersetzung der Siebzig beruhten auf korrumpierenden Einflüssen. Der masoretische Text spiele ebenso wie die Übersetzungen eine Rolle als Spiegel religionsgeschichtlicher Wandlungen. Unfähig, sich aus dem Zwiespalt zwischen Rechtgläubigkeit und kritischer Wissen-

24 Frankel an Meir Wiener, 20. September 1864, Archiv des Hebrew Union College, Akte Frankel; vgl. Meyer, „Jewish Religious Reform“, 37. 25 MGWJ 14 (1865), 31–37.

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schaft zu lösen, stehe Frankel zwar methodisch auf der Höhe der Zeit, stelle sich jedoch inhaltlich dem Fortschritt in den Weg: Es ist ein Verdienst Frankel’s, dass er die Frage wieder mit den um so Vieles reichern Mitteln unsrer Zeit aufgenommen hat; in den Resultaten jedoch ist er nicht allein nicht über Asariah [de Rossi] hinausgekommen, sondern wieder hinter ihn zurückgegangen. […] Welch eine Kette von widersprechenden Erklärungen, die geschichtlich durch Nichts begründet sind und am Ende doch Nichts erklären!26

VII. Jonas Fraenckel (1773–1846) war als Kaufmann in Breslau zu großem Wohlstand gelangt. Als langjähriges Mitglied im Obervorsteher-Kollegium der jüdischen Gemeinde gehörte er zu jenem Personenkreis, der sich mit Nachdruck für die Berufung Abraham Geigers als zweiten Rabbiner eingesetzt hatte. Als Fraenckel, der Geiger zudem eine jährliche Gehaltszulage aus der Privatschatulle bezahlte, 1846 ohne Nachkommen starb, hinterließ er ein Vermögen, das er testamentarisch für die verschiedensten wohltätigen Zwecke zur Verfügung stellte. Dass Fraenckel auch die Gründung eines Seminars „zur Heranbildung von Rabbinern und Lehrern“ gefördert wissen wollte und hierfür die Summe von 100.000 Talern einsetzte, hat die Historiographie vor allem auf Geigers Einfluss zurückgeführt.27 Doch sowohl Fraenckel als auch die Verwalter seines Nachlasses hatten sich zunehmend von Geiger distanziert, dessen Richtung „ihn unfähig macht, eine vollwichtige Rabbinatswürde

26 Abraham Geiger, Urschrift und Übersetzungen der Bibel in ihrer Abhängigkeit von der innern Entwicklung des Judenthums (Breslau: Julius Hainauer, 1857; Frankfurt am Main: Verlag Madda, 2 1928), 16; vgl. Zacharias Frankel, Historisch-kritische Studien zu der Septuaginta. Nebst Beiträgen zu den Targumim. Erster Band. Erste Abtheilung: Vorstudien zu der Septuaginta (Leipzig: Vogel, 1841; ND Westmead et al.: Gregg International Publishers, 1972); Hans Liebeschütz schrieb, Geiger sei „für Frankel ein Gegenstand fanatischen Hasses“ geworden; vgl. Hans Liebeschütz, „Judentum und deutsche Umwelt im Zeitalter der Restauration“, in Hans Liebeschütz und Arnold Paucker (Hrsg.), Das Judentum in der deutschen Umwelt 1800–1850 (Tübingen: Mohr Siebeck, 1977), 1–54, hier 42. 27 Geiger hatte bereits in den 1830er Jahren für die Einrichtung einer jüdisch-theologischen Fakultät geworben; Abraham Geiger, „Die Gründung einer jüdisch-theologischen Facultät, ein dringendes Bedürfniß unserer Zeit“, WZJT 2 (1836), 1–21; Abraham Geiger, Über die Errichtung einer jüdisch-theologischen Facultät (Wiesbaden: Riedel, 1838).

128 Abraham Geiger und Zacharias Frankel – Vergegnungen und Konfrontationen zu ertheilen“.28 Unabhängig aber von der Frage, ob Fraenckel Geiger als Direktor der Anstalt ausersehen hatte oder nicht, musste dieser es als tiefe Demütigung empfinden, als das Kuratorium ausgerechnet mit Zacharias Frankel in Verhandlungen eintrat und diesen 1854 mit der Leitung des Jüdisch-Theologischen Seminars betraute.29 Bei der Entwicklung des Seminarprojekts beanspruchte Frankel die alleinige Deutungshoheit in allen theoretischen und praktischen Fragen und stellte sicher, dass Geiger konsequent ausgegrenzt wurde. Auch als Dozent, so argumentierte Frankel, kam Geiger nicht in Frage, weil ein Prinzipienstreit innerhalb der Seminarmauern die Institution untergraben müsse. Gegen das Kuratorium, das Geiger durchaus nicht vollständig aus dem Spiel lassen wollte, setzte sich Frankel mit seiner Forderung durch, nicht nur selbst die religiösen Grundsätze des Seminars zu formulieren, sondern auch die Mitglieder des Lehrkörpers zu benennen. Auf die Personalie Geiger anspielend, schrieb er: Soweit ich davon entfernt bin, Bestimmungen, die mich persönlich betreffen, an die Spitze meiner Vorschläge zu stellen, muss ich im Interesse des hohen Gegenstandes selbst als unabweisbare Bedingung festsetzen, dass Wahl und Anstellung der Lehrer sowie deren Entlassung mir allein ganz anheim zu geben sind. Die neue Anstalt muss von Einem leitenden Gedanken, von Einem Geiste durchdrungen und belebt sein: soll ein organisches Ganzes entstehen, so darf auch nur Ein organisirender Gedanke walten.30

Die Eröffnung des Jüdisch-Theologischen Seminars als „Pflanzstätte für Rabbiner […] welche den Beruf haben, auf dem Boden des positiven und historischen Judenthums fortzubauen“, bedeutete einen wichtigen Fortschritt der Mittelströmung auf ihrem Weg zur institutionellen Verankerung. Frankel feierte aber auch einen ganz persönlichen Triumph in der Auseinandersetzung mit Geiger, insofern er ihm in dessen eigener Gemeinde eine herbe Niederlage zufügte. Dass der preußische König 28 Marcus Brann, Geschichte des Jüdisch-Theologischen Seminars (Fraenckel’sche Stiftung) in Breslau. Festschrift zum fünfzigjährigen Jubiläum der Anstalt (Breslau: Schatzky, 1904), 21; vgl. L. Geiger, Abraham Geiger, 128. Zur Vorgeschichte des Seminars vgl. zuletzt Carsten Wilke, „Den Talmud und den Kant“. Rabbinerausbildung an der Schwelle zur Moderne (Hildesheim et al.: Olms, 2003), 669–681. 29 L. Geiger, Abraham Geiger (wie Anm. 5), 125–130. 30 Frankel an Joseph Lehmann, 24. Februar 1853, in Brann, Geschichte des JüdischTheologischen Seminars (wie Anm. 28), 49; vgl. Statut für das jüdisch-theologische Seminar Fraenckel’sche Stiftung zu Breslau (Breslau: Grass und Barth, 1854); Statutenentwurf für das Jüdisch-Theologische Seminar Breslau, (o. D. 1853), Archiv des Jewish Theological Seminary, New York, Mss. 10286; eine Zusammenfassung der Satzungen bringt Brann, Geschichte des Jüdisch-Theologischen Seminars, 65–74.

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wenige Monate zuvor den Sohn und Nachfolger des 1843 verstorbenen Salomon Abraham Tiktin, Gedalja Tiktin (1808–1886), zum schlesischen Landrabbiner ernannt hatte, musste Geiger ebenfalls als symbolische Kränkung deuten.31 Das Seminar wusste den Bedürfnissen der Gemeinden Rechnung zu tragen und entwickelte sich zum Erfolg – entgegen den Erwartungen vieler Reformer und trotz starker Vorbehalte des orthodoxen Judentums. 1861 hatten die ersten Hörer die siebenjährige Regelstudienzeit absolviert und sich zu den Prüfungen gemeldet, bei denen sie sich zwar auch als moderne jüdische Geistliche präsentieren konnten, vor allem aber ihre Kenntnis der religiösen Rechtsliteratur unter Beweis stellen mussten.32 Als Geiger 1862 den Ablauf der Examina einer ausführlichen Besprechung unterzog, die er im ersten Jahrgang seiner Zeitschrift platzierte, richtete sich seine Kritik also im Grunde wiederum gegen Frankel. Es ging Geiger darum, die vermeintlichen Fehlentwicklungen des Seminars anzuprangern, das sich gegen den Zeitgeist stemme. Der Fokus auf der frommen Praxis, der Halacha, galt ihm als eine durch die historische Kritik überwundene „Mikrologie“ des Mittelalters, die im Leben der Gemeinschaft keine Rolle mehr spiele. Von dieser Warte aus gesehen, spreche die partielle Nähe von Forschung und Lehre zu traditionellen Methoden der Text- und Gesetzesauslegung gegen das Ausbildungskonzept des Breslauer Seminars. Es erzeuge Zwitterwesen, die ihre ebenso einseitige wie unzeitgemäße Gelehrsamkeit auf dem Gebiet des Sakralrechts lediglich durch die Qualifikation als Kanzelredner zu übertünchen suchten.33 Geigers Attacke blieb unbeantwortet. Von der Wirklichkeit zunächst bestätigt, konnte Frankel den Artikel mit Gelassenheit zur Kenntnis nehmen. Die sogenannte ,Breslauer Schule‘ erfreute sich großen Zuspruchs – zumal in Breslau selbst, wo 1864 Manuel Joël (1826–1890), der zuvor Homiletik am Seminar gelehrt hatte, Geigers Nachfolge antrat. Konservativer als sein Vorgänger, erwarb sich Joël

31 Der Treue Zions-Wächter 10 (1854), 5. 32 Zacharias Frankel, „Entlassung dreier zu Rabbinen herangebildeten Hörer des jüdisch-theologischen Seminars zu Breslau“, MGWJ 11 (1862), 161–174. 33 Abraham Geiger, „Die Rabbiner der Gegenwart“, JZWL 1 (1862), 165–174; zum Seminar vgl. auch Andreas Brämer, „Die Anfangsjahre der ,Monatsschrift für Geschichte und Wissenschaft des Judenthums‘ (1851–1868). Kritische Forschung und jüdische Tradition im Zeitalter der Emanzipation“, in Michael Nagel (Hrsg.), Zwischen Selbstbehauptung und Verfolgung. Deutsch-jüdische Zeitungen und Zeitschriften von der Aufklärung bis zum Nationalsozialismus (Hildesheim et al.: Olms, 2002), 139–159.

130 Abraham Geiger und Zacharias Frankel – Vergegnungen und Konfrontationen bedeutende Verdienste um die Gemeinde, deren tiefe ideologische Gräben er zu überwinden trachtete.34 Eine späte Genugtuung wurde jedoch auch Geiger zuteil, als er 1872 zum Gründungsrektor der Berliner Hochschule für die Wissenschaft des Judenthums ernannt wurde.35 Die liberale Hochschule sowie das orthodoxe Rabbinerseminar, das ein Jahr später ebenfalls in der Reichshauptstadt den Lehrbetrieb aufnahm, verfolgten bei der Ausbildung jüdischer Theologen jeweils eigene, von Breslau deutlich unterschiedene Konzepte. Ein dauerhafter Ausgleich der Gegensätze, dem das Jüdisch-Theologische Seminar ursprünglich den Weg zu bahnen hoffte, blieb angesichts der sozialen und religiösen Wirklichkeit des deutschen Judentums unrealistisch.

VIII. Nach der Shoah haben sich die liberalen Traditionen in den wieder gegründeten Synagogengemeinden der Bundesrepublik über lange Jahrzehnte kaum mehr entfalten können. Erst in der jüngeren Vergangenheit, nicht zuletzt unter dem Eindruck der Zuwanderung von sogenannten ,Kontingentflüchtlingen‘ aus der ehemaligen Sowjetunion, hat sich das Bild erneut zu wandeln begonnen. Bei seinen Bemühungen, in den Synagogengemeinden Fuß zu fassen und die orthodoxe Hegemonie in den Institutionen zu durchbrechen, um wieder eine pluralistische Anschauung von gelebter Frömmigkeit zur Geltung zu bringen, greift das progressive Judentum gern auf die Galionsfigur Abraham Geiger zurück. Die systematischen Versuche der letzten Jahre, eine Abraham Geiger-Renaissance einzuleiten und seinen Namen einer breiteren deutschen Öffentlichkeit in Erinnerung zu rufen, haben nicht nur anlässlich des 200. Geburtstages im Jahre 2010 Früchte getragen. Die zum Teil wissenschaftlich-kritische, teilweise aber auch an heldenhafte Verehrung grenzende Hinwendung zu Geiger als Wegbereiter der Kultus34 Geiger war 1863 einem Ruf nach Frankfurt am Main gefolgt; polemisch dazu: Dr. Geiger und sein Abgang von hier nach Frankfurt am Main. Ein Wort zur Orientirung für die Mitglieder der Breslauer Israeliten-Gemeinde (Breslau: A. Neumann, 1853); zu Joël vgl. Adolf Eckstein, „Joël als Seminarlehrer und seine Wahl zum Rabbiner in Breslau“, MGWJ 70 (1926), 320–330; Max Freudenthal, „Manuel Joël und die Kultusfrage“, MGWJ 70 (1926), 330–347. 35 Heinz-Hermann Völker, „Die Gründung und Entwicklung der Hochschule für die Wissenschaft des Judentums 1869–1900“, Trumah 2 (1990), 24–46; Irene Kaufmann, Die Hochschule für die Wissenschaft des Judentums (1872–1942) [Jüdische Miniaturen, 50] (Berlin: Hentrich & Hentrich, 2006).

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reform und Koryphäe der Wissenschaft des Judentums hebt ihn aus einer ganzen Generation von rabbinischen Gelehrten heraus, die es sich in Deutschland etwa seit den 1830er Jahren zur Aufgabe gemacht hatten, den jüdischen Glauben als moderne, bürgerliche Konfession zu positionieren, und die so den Grundstein für eine theologische Vielfalt legten, die sich dann auch in zahlreichen anderen Ländern der westlichen Welt ausprägen konnte.36 Deutlich weniger Aufmerksamkeit erhält hingegen Zacharias Frankel, der als Theologe und Forscher vor allem auf dem Gebiet der jüdischen Rechtsgeschichte ebenfalls wichtige Impulse zur Modernisierung des Judentums geliefert hat.37 Welchen Platz Frankel heute im Konservativen Judentum bzw. in der Masorti-Bewegung einnimmt, ist schwer zu bestimmen. Das New Yorker Jewish Theological Seminary, think tank des Konservativen Judentums in den USA, hat es versäumt, Frankel anlässlich seines 200. Geburtstages mit einer Tagung oder einer Publikation zu ehren, obwohl der damalige Kanzler des JTS, Ismar Schorsch, sich in einigen Aufsätzen mit dessen Leben und Werk auseinandergesetzt hat. Der israelische Historiker Guy Miron hat jüngst die These, das amerikanische Conservative Judaism fuße unmittelbar auf Frankels Konzept eines positiv-historischen Judentums, einer kritischen Prüfung unterzogen.38 Jedenfalls hat Frankel gegenwärtig keinen leichten Stand, auch wenn niemand ausdrücklich den Versuch unternimmt, sein Denkmal zu demontieren. Vielleicht aber ist es an der Zeit, sich wieder mehr auf die Person und ihr Werk zu besinnen. Namentlich in der Diskussion um die Gegenwart und Zukunft der Einheitsgemeinde können Frankels Schriften Anregungen geben, die man bei Geiger vergeblich sucht.

36 Hier sei vor allem auf das 1999 gegründete und nach Abraham Geiger benannte Rabbinerkolleg in Potsdam verwiesen. Siehe außerdem die hagiographisch gefärbte Biographie von Hartmut Bomhof, Abraham Geiger. Durch Wissen zum Glauben (Jüdische Miniaturen, 45) (Berlin: Hentrich & Hentrich, 2006); kritisch hingegen Ken Koltun-Fromm, Abraham Geiger’s Liberal Judaism (Bloomington und Indianapolis, IN: Indiana University Press, 2006). 37 Andreas Brämer, Rabbiner Zacharias Frankel. Wissenschaft des Judentums und konservative Reform im 19. Jahrhundert (Hildesheim et al.: Olms, 2000). 38 Guy Miron, „Auf der Suche nach einer brauchbaren Vergangenheit. Zu den deutschen Wurzeln der konservativen Strömung in den Vereinigten Staaten“, unpublizierter Vortrag in hebräischer Sprache, gehalten auf der internationalen Konferenz des Van Leer Institute in Jerusalem: Conservative Judaism. Halakhah, Culture and Sociology, 29./30. Dezember 2009.

Abraham Geiger in Breslau and the Controversy about the Jewish Confirmation for Boys and Girls* Klaus Herrmann I. Abraham Geiger as a Bar Mitzvah Boy in Frankfurt on the Main Abraham Geiger was born in Frankfurt on the Main in 1810, at a time when the town’s Jewish burghers were witnessing tremendous changes in their lives. The incorporation of Frankfurt into Napoleon’s Confederation of the Rhine (1806) and the constitution of the grand duchy of Frankfurt four years later gradually changed the status of the Jews, bringing them closer to the process of emancipation.1 In 1811 the ghetto was finally dissolved, and when equal rights for all citizens were proclaimed, the Jews were explicitly mentioned. However, after the end of Napoleon’s rule many of the old discriminatory laws were reintroduced. In 1804 a modern Jewish school was founded, the Philanthropin,



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The article is based on a lecture delivered at the conference “Religion and Beyond: Jewish Religious Life in Breslau/Wroclaw. Seventh Wroclaw Conference in Jewish Studies, 5–6 May 2010.” The conference took place on the occasion of the reinauguration and opening ceremony of the restored White Storck Synagogue – the very synagogue, where Abraham Geiger confirmed the first girls in 1844. The most comprehensive biography of Abraham Geiger was published by his son, Ludwig Geiger (1848–1919), on the occasion of the 100th anniversary of his father’s birth in 1910 in Berlin; cf. Ludwig Geiger, Abraham Geiger. Leben und Lebenswerk (Berlin: Georg Reimer, 1910), 1–231; it was republished under the title Abraham Geiger. Leben und Werk für ein Judentum in der Moderne and augmented by an epilogue by Walter Jacob (Berlin: Jüdische Verlagsanstalt, 2001). On Abraham Geiger cf. also Michael Brocke and Julius Carlebach, eds., Biographisches Handbuch der Rabbiner, Part One: Die Rabbiner der Emanzipationszeit in den deutschen, böhmischen und großpolnischen Ländern 1781–1871, compiled by Carsten Wilke (Munich: K. G. Saur, 2004), Vol 1, 360–365.

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with an openly secular and progressive program.2 Under the guidance of the educators Josef Johlson (1777–1851), Isaak Markus Jost (1793–1860) and Michael Creizenach (1789–1842) this institution became a major center for the Jewish Reform movement. When Creizenach, an outspoken advocate for reform in Judaism, became a teacher at the school in 1825, he established a Reform program that included the introduction of a Jewish confirmation ceremony.3 The first confirmation ceremony took place in 1828, a relatively late date by comparison with other Jewish Reform schools.4 Abraham Geiger became a prominent supporter of the Jewish confirmation during his time as a rabbi in Breslau, but even if he had attended the Philanthropin, he would have been too old to participate in the first Jewish confirmation there.5 In any case, Geiger, who also founded a modern Religionsschule in Breslau, had not been allowed to attend the innovative Philanthropin in Frankfurt, for he was born 2

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Cf. André Griemert, Bürgerliche Bildung für Frankfurter Juden? Das frühe Philanthropin in der Kontroverse um die jüdische Emanzipation (Marburg: Tectum-Verlag, 2010); Gerlind Schwöbel, Der Mandelzweig soll wieder Blüten tragen: Erinnerungen an das Philanthropin in Frankfurt zum 200-jährigen Jubiläum (Frankfurt am Main, Lembeck, 2004), and Albert Hirsch, Das Philanthropin zu Frankfurt am Main (Frankfurt am Main: Kramer, 1964). Cf. Michael Creizenach, Confirmations-Feier für mehrere Schüler und Schülerinnen der Frankfurter israelitischen Realschule, gehalten im Lokale dieser Anstalt den 12. Januar 1828 (Frankfurt am Main: Jäger, 1828). According to some sources, confirmation ceremonies were already being performed in the Freischule in Dessau as early as 1803; cf. Mordechai Eliav, Jüdische Erziehung in Deutschland im Zeitalter der Aufklärung und der Emanzipation. Erstausgabe Jerusalem 1960. Für die deutschsprachige Ausgabe vom Autor überarbeitet und ergänzt. Aus dem Hebräischen von Maike Strobel (Münster et al.: Waxmann, 2001) 330–347 (Ch. 10: “Die Konfirmation”), here 342. In a congratulatory message to Leopold Zunz on the occasion of Zunz’s 70th birthday, Geiger described the situation in Frankfurt am Main, when he was a youngster, as follows: “Der Theil, welcher neueren Bestrebungen [sc. in Frankfurt am Main] huldigte, war zahlreich, angesehen, auch im geschützten Besitze der Gemeindeverwaltung; eine Unterrichtsanstalt nach allen Erfordernissen der Zeit wurde mit liebendster Hingebung gepflegt, dort sogar auch eine Art Gottesdienst in dem modernsten Sinne zunächst für die Jugend eingerichtet, an dem sich zu betheiligen doch auch den gebildeten Familien, als dem Anstande und der zu vertretenden Richtung entsprechend galt, und ein inneres Bedürfnis fühlte sich auch befriedigt, namentlich als die anregende Kraft Creizenach’s hinzutrat. Das Rabbinat und die sonstigen Gemeinde-Institutionen blieben in alter Weise; man liess auf der einen Seite sich nicht das Geringste abdingen, und am Ende wurde auch ein solches Verlangen gar nicht gestellt“; cf. Abraham Geiger,“Eine Erinnerung an frühere Zeiten. Glückwünsche an Herrn Dr. L. Zunz in Berlin zur Vollendung des siebzigsten Jahres am 10. August 1864,” in Abraham Geiger, Nachgelassene Schriften, ed. Ludwig Geiger, Vol 1 (Berlin: Louis Gerschel, 1875), 296–380, here 299.

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into an Orthodox family and received a traditional religious education.6 Therefore, he participated only in the traditional bar-mitzvah ceremony as a 13-year-old boy, when he was called reading the Torah in the synagogue for the first time. The calling up to read the Torah symbolizes a boy’s attainment of maturity in traditional Judaism. Since the early modern period it had been quite common for the bar mitzvah to deliver a derashah (“talmudic discourse”) during the banquet after the synagogal ceremony. It usually dealt with some aspect of the bar-mitzvah ceremony itself. In addition, the discourse was a good opportunity for the boy to thank his parents for all their love and care, and the guests for their support and for attending his bar mitzvah. Geiger, too, had to deliver such a derashah addressed to his parents and the guests at his bar mitzvah in 1823. He described the ceremony in his diary as follows: For my 13th birthday, my family, who liked to praise me to the heights, wished to hear [from me] a learned address in Hebrew consisting of sheer hairsplittings (derashah), and a lecture in German; for the former I had to get the help of my oldest brother; the latter I managed smoothly.7

He then continued: “During the latter some of the pious men present held their hands before their faces” – they were obviously not pleased by the young Geiger’s open-minded speech. An extract from this lecture, published by his son Ludwig in his father’s Nachgelassene Schriften is quoted as follows: If we think about the whole life of mankind, the question immediately occurs to us, what did gracious Providence intend for man? Perhaps someone will think that his goal, his aim, is to acquire riches as long as he is in the world, for through this he then gets honorable positions for himself [and] spends his life in the greatest prosperity! Or God has accorded man strength and reason so that he can satisfy all his wishes, his desires, in short, all his passions! No! No well-meaning, reasonable man can or is going to think that, for what does he have of his earthly goods, of his honor, of his whole life at all, when he departs this world? What purpose can there be for him in devoting his noble, precious time, all of his life’s days – in which he enriches himself with so much knowledge, in which he sharpens his mind [and] his reasoning, in which he becomes useful and agreeable to his friends and neighbors, in which he could finally do so much good and beneficial 6

7

Cf. Ludwig Geiger in Leben und Lebenswerk (see note 1), 11: “Sie [his parents] hätten nie zugegeben, daß ihr Kind eine Anstalt besuchte, in der am Sonntag, später am Sonnabend deutscher Gottesdienst mit deutscher Predigt abgehalten wurde. Aber der Knabe erhielt einigen Privatunterricht.” Published in Abraham Geiger, Nachgelassene Schriften, ed. Ludwig Geiger, Vol. 5 (Berlin: Louis Gerschel, 1878), 7–8.

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[things] – merely to bodily pleasures, merely to empty thoughts, by which he effects not only nothing of any benefit, but also havoc and disaster? No, this is – according to the thoughts of the pious – the true, intended purpose of man in this world: to bring about good and useful things. One question has yet to be answered, however: what is the true idea of the words “to bring about good and useful things”? Under the former [good] we understand – in line with our sacred religion – [that we should] familiarize ourselves with God’s teachings in order, by this means, to obey his will, fulfill his commandments and follow his words; under the latter [useful], [we understand [that we should] assist through our instruction and support in [spreading] the knowledge of God’s laws and following them, so that [our activities], too, will be pleasing and agreeable to the Eternal One. But some may voice reservations to me, [asking] which drive will enable us to carry out all of this? How can we attain that high level of fulfilling all these duties? Here, too, the Almighty has been taking care of us with fatherly solicitude, for man need cultivate only good attitudes to him [and], as for the rest, he will help us [to fulfill our obligations].8

The main gist of this speech clearly reveals that Geiger had gained in his youth some secular education beside the traditional one.9 Nevertheless, he had to struggle at the beginning of his university career, which he began in 1829. Upon finishing his doctoral thesis on the question: “What Did Muhammad Borrow from Judaism” [“Was hat Mohammed aus dem Judenthume entlehnt?”], he wrote a groundbreaking study on the subject, notable for its refutation of anti-Islamic stereotypes.10

8 Ibid., 8. 9 Abraham Geiger himself was most indebted to his elder brother Salomon; cf. his letter to L. Zunz (10 August 1864), in Geiger, Nachgelassene Schriften, Vol. 1 (see note 5), 206–308, here 301–302. 10 First published 1833 in Bonn. For Geiger’s dissertation cf. again the biography by his son Ludwig (fn. 2), 13ff. A new edition with an introduction (Von Mohammed zu Jesus: Abraham Geigers Schrift über den Koran) was published by Friedrich Niewöhner 2004 in Berlin as part of the series “Jüdische Geistesgeschichte” (Vol. 5). For this subject cf. Klaus Herrmann, “Das Bild des Islam im Reformjudentum des 19. und frühen 20. Jahrhunderts,” in Annelies Kuyt and Gerold Necker, eds., Orient als Grenzbereich? Rabbinisches und außerrabbinisches Judentum (Wiesbaden: Harrassowitz, 2007), 217–248., and esp. the contributions by Susannah Heschel and Dirk Hartwig in this volume.

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II. The Spread of Jewish Confirmation Ceremonies in Nineteenth-Century Germany Why did the confirmation ceremony become so important for the Philantropin in Frankfurt and other so-called Jüdische Freischulen, like the ones in Dessau, Wolfenbüttel and Berlin – all devoted to modern educational and pedagogical concepts? How did the confirmation ceremony become, only a few years later, an integral part of the Reform synagogue? It had first been celebrated in 1810 in Kassel, the seat of the Westphalian consistory, founded under the Jewish reformer Israel Jacobson (1768–1828) after the installation of Napoleon’s brother as king.11 The confirmation ceremony belongs to Protestant culture, not to Jewish tradition. Why did Geiger promote the confirmation, first in Wiesbaden, where he started his career as a rabbi in 1832, and later in Breslau after he had established the Jüdische Religionsschule in 1843? Why did some nineteenth-century Reform rabbis even go as far as to demand the abolition of the traditional bar mitzvah – among them Abraham Geiger? In order to understand the emergence of the Jewish confirmation, I would like to quote from an excerpt by Leopold Zunz (1794–1886), the famous founder of the scholarly study of Judaism, Wissenschaft des Judentums, and the first Jewish “confirmand” – at least the first one from whom we have a record of the ceremony. He described his time as a schoolboy in Wolfenbüttel as follows: On Sunday noon, the 5th of June in the year 1803 I arrived with my uncle in the [school] courtyard […] The study of the Talmud now began straightaway from the very next day on […]. There were no school rules, no protocol, to a certain extent no pedagogy. Friday afternoons we sorted beans and peas; in our games and rough-and-tumble we were left on our own […]. I think Inspector Ehrenberg turned up at the end of 1806 or in January 1807 […]. In one day we literally moved over from a medieval age into a modern one, at the same time stepping out of Jewish helotism into bourgeois freedom. Just think vividly of all that I had been deprived of until then: parents, love, instruction, and educational materials […]. The first confirmation that Inspector Ehrenberg performed was my own, Sabbath 22 August 1807.12

11 For Israel Jacobson cf. Hartmut Bomhoff, Israel Jacobson: Wegbereiter jüdischer Emanzipation [Jüdische Miniaturen, 101] (Berlin: Hentrich & Hentrich 2010). 12 Quoted according to “Zum Andenken an Leopold Zunz gestorben 17. März 1886,” Jahrbuch für jüdische Geschichte und Literatur [= JJGL] 30 (1937), 131–172, here 131–132 and 138 (first published by Zunz in 1843).

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Zunz’s vivid description of an old-style traditional Jewish shul at the beginning of the nineteenth century, marked by ignorance of modern teaching methods and the needs of a young boy, while putting much stock on gardening and working in the teacher’s household, ends with the confirmation ceremony, which clearly symbolizes Zunz’s own abrupt entrance into a new age, the Age of Enlightenment. For his training in modern secular subjects with modern pedagogical goals Zunz was indebted to his teacher Samuel Meyer Ehrenberg (1773–1853) until the latter’s death in 1853. As mentioned before, the Jewish confirmation ceremony had its origins in the so-called Jewish Freischule, which over time replaced the traditional Jewish shul by implementing modern teaching concepts espoused by the surrounding German-Christian society. This can certainly be seen as one of the reasons for the rapid acceptance of the confirmation ceremony in Reform-oriented Judaism. The confirmation, at the end of the school course, especially symbolized the entry of young people into civil society – to be sure, a Christian-dominated “Mehrheitsgesellschaft” (majority society) – to which the Jews during the emancipation process gained more and more access. Soon the Jewish confirmation became an integral part of the modernized Jewish synagogue service itself; in the course of time it was also adopted in some traditional or even Orthodox synagogues.13 From the very beginning, the Jewish confirmation contained the same features as the Protestant version did. Zunz described this ceremony as follows: “A hymn, prayer and speech by the teacher, the examination, the teacher’s address and exhortation to the boy, the confirmand’s profession of faith and prayer, the giving of the blessing, a prayer, the final hymn.”14

III. The Jewish Confirmation Ceremony in Breslau For the religious training of the young Jewish generation, dozens of catechisms and Religionslehrbücher (religious educational texts) were published in the nineteenth century, most of which were meant for the preparatory classes that started at least several months before the con-

13 Cf. Klaus Herrmann, “Jewish Confirmation Sermons in 19th -Century Germany,” in Alexander Deeg, Walter Homolka and Hans-Günther Schöttler, eds., Preaching in Judaism and Christianity: Encounters and Developments form Biblical Times to Modernity (Berlin and New York: de Gruyter, 2008), 91–112, here 94ff. 14 Leopold Zunz, “Kurze Antworten auf Kultusfragen” (1843), in Leopold Zunz, Gesammelte Schriften, Vol. 2 (Berlin: Louis Gerschel, 1876), 204–220, here 214.

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firmation ritual.15 Abraham Geiger organized the ceremony in Breslau similarly, but did not publish such a religious educational textbook himself; he preferred, as his son Ludwig pointed out (himself a confirmand of his father’s in Breslau in 1861), a more open and spontaneous form of teaching. Like the Protestant confirmation, the examination of the candidate was a central feature of the Jewish ceremony. And, as in the Protestant ceremony, the main part of this examination consisted of a series of questions and responses. This was practiced by Geiger in the very same manner and described by his son Ludwig as follows: The Confirmation was also an examination. It did not actually mean that one of the chosen boys or girls professed her/his faith [Es wurde nicht etwa von einem oder einer Auserwählten ein Glaubensbekenntnis abgelegt], but rather that responses to certain questions were assigned beforehand and memorized. These were dictated, however, not, say, according to a fixed pattern, but [rather] according to the flux of the speech, questions and answers [even] despite the conventional [schema], which naturally [could] not be totally avoided, [so that it became] something direct, personal. Everything was prepared, not as a (public) exhibition with reversed roles, but questions and answers seemed to arrange themselves in a lively ad hoc interaction. In consequence, [the event made] – even on a public that routinely streamed to such festivities with great pleasure – an ever new and powerful impression.16

Ludwig Geiger’s remark that the male or female confirmand did not declare a profession of faith – so essential for the Protestant confirmation – is important. Some radical Jewish reformers like Samuel Holdheim (1806–1860) demanded exactly such a profession of faith for the synagogue as well. When Holdheim became Chief Rabbi of Mecklenburg-Schwerin he adopted the synagogal order17 of Rabbi Joseph von Maier (1798–1873) [he was the first rabbi to be ennobled in Germany], introduced in the Kingdom of Württemberg in 1836 on the demand of the authorities. Even if he himself had wished for much more radical reforms for the restructuring tasks he envisioned, nevertheless, according to his own testimony he accepted this synagogal rule-book in the hope of achieving a more unified course in the Jewish Reform move15 Cf. Jakob J. Petuchowski, “Manuals and Catechisms of the Jewish Religion in the Early Period of Emancipation,” in Alexander Altmann, ed., Studies in NineteenthCentury Jewish Intellectual History (Cambridge, MA and London: Harvard University Press, 1964), 47–64. 16 Cf. L. Geiger, Abraham Geiger: Leben und Lebenswerk (see note 1), 132–133. 17 An authoritative pronouncement or ordinances regulating the behaviour of community members during a synagogue service, a kind of rule-book.

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ment (and, indeed, Maier’s synagogal rules were positively received in the Rabbinical Assemblies, too).18 But Holdheim’s readiness to compromise had its limits: namely with regard to the Jewish confirmation, he attached the greatest importance to positioning the confirmand’s declaration of faith prominently in the center of the ceremony, precisely according to the Pietist understanding of the Protestant confirmation.19 In this respect Abraham Geiger did not follow the radical wing of the Reform movement. The confirmation itself became the bearer of the ideals of the Jewish Reform movement. Thus, already in the first years after the introduction of this ritual we find sermons devoted to the whole spectrum of Enlightenment-worldview themes such as pleas for humanism, tolerance and neighborly love [Nächstenliebe]. Young boys and – later on – young girls were encouraged to envision a better future that would be free of the old hatred against Jews. Unfortunately – as far as I know – none of Geiger’s confirmation sermons has been transmitted to us.20 As Ludwig Geiger pointed out, his father – in sharp contrast to most of the other Reform rabbis – hesitated to publish his sermons, not least because he based them on notes and did not write down the exact wording.21 Therefore, only a few of the sermons delivered by Abraham Geiger could be published in the Nachgelassene Schriften.22

18 Cf. Holdheim’s remark in Synagogen-Ordnung für die Synagogen des Großherzogthums Mecklenburg-Schwerin (Schwerin: Küschner, 1843), 14: “In der inneren Anordnung der Confirmation sind wir von der W(ürttembergischen) G(ottesdienst) O(rdnung) abgewichen und unserer eigenen auf Ueberzeugung ruhenden Ansicht gefolgt.” 19 Cf. Samuel Holdheim, Moses Mendelssohn und die Denk- und Glaubensfreiheit im Judenthume. Mit besonderer Beziehung auf die Confirmation (Berlin: Huber, 1859). 20 A list of confirmation sermons in the nineteenth century up to its last decade was collected by Sigmund Maybaum (1844–1919) in his groundbreaking study on Jewish homiletics; cf. Sigmund Maybaum, Jüdische Homiletik. Nebst einer Auswahl von Texten und Themen (Berlin: Dümmler, 1890), 93ff. and 359ff. In the General Introduction to the volume Maybaum himself complained that the parents were much too reluctant to welcome the confirmation ceremony into Judaism in his time. 21 Cf. L. Geiger, Abraham Geiger: Leben und Lebenswerk (see note 1), 134. 22 Most of his sermons were collected in Abraham Geiger, Nachgelassene Schriften, Vol. 1 (see note 5), 355–444.

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IV. The Jewish Confirmation within the Process of Embourgeoisement From the very outset, the Jewish confirmation ritual was attacked by the Orthodox camp. Of course, the main argument against the ceremony was its Protestant origin, an origin even more obvious when we remind ourselves of the songs chosen for the ritual. In the early phase of the Reform movement, Protestant hymns embellished the service. When the first Reform synagogue, the so-called “Jacobson Temple,” named after its founder Israel Jacobson, was inaugurated in Seesen in 1810 – we are celebrating not only Abraham Geiger’s 200th birthday this year, but also the 200th anniversary of the first Reform synagogue itself – composers like Louis Lewandowski (1821–1894) or Salomon Sulzer (1804–1890) who so deeply influenced synagogal music in the second half of the nineteenth century either had yet to be born or, as in Sulzer’s case, were still small children. Thus, expressly Protestant melodies and hymns (of course, with no traces of Christological elements which the enlightened Protestant songbook had already reduced) were quite common in Reform synagogues.23 I would like to give an example in order to illustrate this situation: a confirmation ceremony which took place in 1843 in Heddernheim, then located close to Geiger’s hometown Frankfurt on the Main, now a suburb of Frankfurt. The credo of the Christian tradition was of course replaced in the Jewish confirmation rite by the 13 Iqqarim of Maimonides. A poetical form of the 13 Iqqarim (principles of faith) known as Yigdal is included in the Siddur (Jewish prayerbook). In 1843 the sound of the confirmation ritual was a bit different. The Hebrew wording of the Yigdal was namely enhanced by the melody of a now very familiar Christmas carol: “O du fröhliche, o du selige, gnadenbringende Weihnachtszeit.”24 Its composer, Johannes Daniel Falk (1768–1826), 23 Cf. Klaus Herrmann, “Von Die Deutsche Synagoge (1817) bis zum Einheitsgebetbuch (1929). Liberale Jüdische Gebetbücher in Deutschland vor der Shoa,” in Walter Homolka, ed., Liturgie als Theologie: Das Gebet als Zentrum im jüdischen Denken (Berlin: Frank & Timme, 2005), 63–98. 24 The ceremony of this Jewish confirmation service was published by Isaac Löwenstein, Jom ha-Bikkurim. Eine vollständige israelitische Confirmationshandlung am Schebuoth-Feste (Frankfurt am Main: Bach, 1843) (Appendix). Cf. also Wolfgang S. Zink, Synagogenordnungen in Hessen 1815–1848: Formen, Probleme und Ergebnisse des Wandels synagogaler Gottesdienstgestaltung und ihrer Institutionen im frühen 19. Jahrhundert. Originale Archivdokumente hessischer Staaten und preußischrheinländischer Enklaven mit Einbeziehung des Königreiches Württemberg (Aachen: Verl. Mainz, 1998), 659ff.

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had originally written it as a so-called “Dreifeiertagslied” [The Three Holidays Song], dedicated to Christmas, Easter and Pentecost, and its melody is actually of Sicilian origin. At the time of the Jewish confirmation ceremony in Heddernheim, this “Dreifeiertagslied” was actually a favourite song in the Christian confirmation service in and around Heddernheim. Thus, adopting the melody of the Protestant confirmation song for the Jewish ceremony has been viewed as a deliberately demonstrative act of acculturation to the surrounding majority culture. Needless to say, the confirmation ceremony in Heddernheim is a good example of the acculturation process experienced by Judaism in the nineteenth century. But it is certainly more than that. To better understand the emergence of these Jewish confirmation ceremonies, it is also necessary to recall the changes that the Protestant rite had undergone in the eighteenth and nineteenth centuries. To put it in a few words, it can be said that the Protestant confirmation of the Enlightenment Age did not have much to do with the cause originally championed by Protestant Reformers: for those early Reformers, the confirmation was supposed to secure for Christian youngsters, boys and girls, the God-given grace they had received through baptism and to incorporate them into the communion-supper community with the obligation to submit themselves to this community’s ecclesiastical order. The acting subject is hence the community itself. The Enlightenment Age brought with it a rationalist understanding of the confirmation, according to which pupils were supposed to be instructed about how to lead a virtuous life [“tugendhaftes Leben”].25 The confirmands (whether boys or girls) explained in front of the community that they had gained a clear understanding of how to make the right decisions in all of life’s situations and solemnly vowed to orient their lives according to the divine commandments. In Protestant Germany the confirmation celebration mutated ever more from a church ritual into a civil affair. The confirmands were now viewed more as members of adult middle-class society than as members of the religious communicant fellowship. The confirmation became an initiation rite marking the attainment of the age of majority, and Jews, who were still struggling for equal rights in German society, just wanted to participate in this process. Thus, the Jewish confirmation is above all to be seen as part of this process of embourgeoisement and assimilation of German Jewish women and men.26 Addition25 For the confirmation ceremony in Protestantism, cf. Kurt Frör, ed., Confirmatio: Forschungen zur Geschichte und Praxis der Konfirmation (Munich: Evang. Presseverband für Bayern, 1959). 26 Cf. Benjamin M. Baader, Gender, Judaism, and Bourgeois Culture in Germany, 1800– 1870 (Bloomington und Indianapolis, IN: Indiana University Press, 2006), 146ff.,

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ally, in the Protestant German lands, it was the state itself, when introducing civil emancipation for its Jews, which required the confirmation as a kind of school-leaving or graduation certificate also for Jewish children, however, without displacing the traditional bar mitzvah for boys.27 Conditions in the Protestant lands were not at all uniform, however: whereas in some German regions the confirmation was obligatory for all girls and boys and included in new synagogal orders [“Synagogenordnungen”], in Prussia, where the Jewish confirmation had been practiced since 1814, it was banned in 1823, before being again reinstated in the mid-nineteenth century. That the worship services as well as the religious lessons of the various religious communities were placed under the jurisdiction of this type of state control is characteristic of the enlightened-absolutist church policies of the period. Thus, the Jewish confirmation reflects the position of Jews in the emancipation debate; in the case of Prussia this means that the newly established Jewish confirmation can also be seen as a response to the emancipation edict of 1812, in which the Jews in Prussia were declared to be “Einländer” [citizens]. That is, the confirmation showed the Jewish people that they had finally “arrived” and could hope to belong to the mainstream society. Conversely, the prohibition of the confirmation made it clear, however, that the aspired full equality in Prussia was still a long way off.

V. Abraham Geiger as an Advocate of Jewish Confirmation This complex and contradictory situation – so typical for a still fragmented Germany – is clearly demonstrated by Geiger’s first published defense of the Jewish confirmation in the so-called Unparteiische Universal-Kirchenzeitung für die Geistlichkeit und die gebildete Weltklasse des protestantischen, katholischen und israelitischen Deutschlands, a journal edited by Reform-minded Protestants, Catholics and Jews in 1837. Unfortunately this early inter-confessional endeavor did not survive even its very first year. After Geiger was appointed rabbi in Wiesand Simone Lässig, Jüdische Wege ins Bürgertum: Kulturelles Kapital und sozialer Aufstieg im 19. Jahrhundert (Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht, 2004), 250ff. and 329ff. 27 Cf., e.g., the synagogal order by Joseph Maier, Gottesdienst-Ordnung für die Synagogen des Königreichs Württemberg, unter höchster Genehmigung festgesetzt von der königl. Israelitischen Ober-Kirchen-Behörde (Stuttgart: Beck u. Fränckel, 1838). Cf. also Joseph Maier, Confirmations-Handlung nebst dem Confirmanden-Unterricht (Stuttgart: Beck und Fränckel, 1836).

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baden in 1832, he introduced some moderate reforms, among them the confirmation ceremony,28 basing them on a “synagogue order of service” that accorded with certain already accepted ones.29 But what Geiger could do in Wiesbaden, what other rabbis like “Kirchenrath” (the official and meaningful title of the chief rabbi) Joseph von Maier was obliged to do in Württemberg, was forbidden elsewhere in Germany. This was particularly the case, as mentioned before, in Prussia, where the monarch declared in 1823 that “the worship service of the Jews should only take place in the synagogue here and only according to the traditional rite without the least innovation in the language and in the ceremony, prayers and songs, exactly according to the old convention.”30 In 1814, the first Jewish confirmation ceremony took place in Berlin, but only nine years later it was forbidden in Prussia as a whole. As pointed out before: the confirmation could be seen as a kind of litmus paper for the status of the emancipation of the Jews in Prussia.31 Geiger himself had to struggle with this royal prohibition when he was called as a rabbi to Breslau; it was not until the 1840s that the Jews could celebrate their services more freely in Prussia as well.32 28 For this topic cf. Ludwig Geiger’s remarks in Geiger, Nachgelassene Schriften, Vol. 5 (see note 7), 67. 29 For the “synagogue orders” promulgated in Hessen, cf. Zink, Synagogenordnungen in Hessen 1815–1848 (see note 24). The synagogue order drawn up by Geiger is not included in Zink’s collection. 30 “Der Gottesdienst der Juden nur in der hiesigen Synagoge und nur nach dem hergebrachten Ritus ohne die geringste Neuerung in der Sprache und in der Ceremonie, Gebeten und Gesängen, ganz nach dem alten Herkommen gehalten werden soll”; quoted from Eugen Wolbe, Geschichte der Juden in Berlin und in der Mark Brandenburg (Berlin: Verl. Kedem, 1937), 247. Cf. Michael A. Meyer, “‘Ganz nach dem alten Herkommen’? The Spiritual Life of Berlin Jewry Following the Edict of 1823,” in Marianne Awerbuch and Stefi Jersch-Wenzel, Bild und Selbstbild der Juden Berlins zwischen Aufklärung und Romantik (Berlin: Colloquium-Verl., 1992), 229–243. 31 A document from 1822, the year before the general prohibition, revealing the Prussian monarch’s resistance to the Jewish confirmation was published by Ludwig Geiger, “Eine Konfirmation jüdischer Kinder,” Allgemeine Zeitung des Judentums [= AZJ] 66, 1902, 7–8. The case concerned a Jewish confirmation ceremony in Landsberg, officially attended by representatives of the Prussian state who were strongly criticized for going there by the Prussian king. 32 Under the reign of Frederick William IV of Prussia, King of Prussia 1840–1861; cf. L. Geiger, Abraham Geiger: Leben und Lebenswerk (see note 1), 45: Geiger’s polemical article against the chief rabbi in Soest was handed over to the Prussian authorities by the Orthodox camp in Breslau in order to compromise him (cf. Geiger’s characterization of Prussia as “the worldly arm of a government that one can’t really accuse of having a special liking for Jews”); his Orthodox opponents hoped Geiger’s reform could be stopped in this way.

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In his article in the Universal-Kirchenzeitung Geiger reported on a controversy in Soest, a provincial town in Westphalia, part of Prussia since 1815. Here he argued against a petition which had been addressed by the Orthodox chief rabbi Abraham Sutro (1784–1869) to the Prussian authorities, a petition that reads as follows: To Mr. Oberpräsident von Vincke in Münster. According to His Royal Majesty’s express order,33 as follows from the attached copy, Jews are not supposed to permit any innovations deviating from the traditional rite in their religious customs; also the Confirmation of children is to be seen as such an innovation, since this religious custom doesn’t belong to the Jews, and is further not to be allowed. Because the Confirmation of Israelite children now takes place in all the communities of this province and so many innovations deviating from the old rite have been introduced in the synagogue in Soest that the community there is to be viewed as a new sect, I would thus like to request the Eternal Royal Excellence to be most kindly disposed to see to it that in accordance with that Highest Command the [above-] mentioned innovations are no longer permitted. Münster, 17 July 1836.34

This petition well exemplifies how Orthodox rabbis tried to decry all Reform endeavors by claiming that these violated the above-quoted declaration of the Prussian king Frederick William III, and that their promoters were even setting up a “new sect” within Judaism. It is precisely this kind of “Kirchenpolitik” by the Orthodox camp that Geiger attacked in his defense of the Jewish confirmation: For a long time now Mr. Hellwitz, the Chief Chairman [Obervorsteher] of the Jewish Community, in Soest, Westphalia, has been active with selfless zeal on behalf of the purification and reform of [the] tarnished [name of] Judaism. The synagogue there is distinguished by orderliness unfortunately rare for such [an institution] [and] by festive ceremonies, which don’t completely displace the old traditions. Mr. Sutro, Chief Rabbi in Münster, seems not too pleased with this [situation] and thinks he needs to take steps against these directives, which have already been in force for a while in this community as well as in several associated communities. Although this does not reflect particularly favorably on his acumen, it would not be morally reprehensible. However, he goes further; he doesn’t offer the spiritual and moral strength that a pastor should possess. No, he turns directly to the state 33 Cf. the above-mentioned order by Prussian King Frederick William III. 34 Abraham Geiger, “Die Konfirmation unter den Juden in Preußen,” Unparteiische Universal-Kirchenzeitung für die Geistlichkeit und die gebildete Weltklasse des protestantischen, katholischen, und israelitischen Deutschland’s, Frankfurt am Main 1837, No. 8, 26. January 1837.

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authorities, where he is sure – through the worldly arm of a government that one can’t really accuse of having a special liking for Jews [welche man grade keiner besonderen Vorliebe für das Judentum zeihen kann] – to be able to weigh down on the better conviction of others, [a conviction] which is far more beneficial to the state’s interests than his own. This is mean and undignified, but a mere aberration, caused by an unholy zealousness, which still can’t be called “bad” as long as no really immoral facts are involved. […] But Mr. Sutro professes in this report […] that introducing the Confirmation or other small changes into the church service lets the members of the synagogue in Soest appear to be a new sect, and this step is [what I call] a slander. Mr. S. knows very well himself that all these small deviations in individual prayers are of so little significance, that various regions, even more so, various countries have differing customs in this respect, that at no [historical] time have people ever shied away from removing [things] from the prayers and adding to them, in general that the worship service in the synagogue for Jewish people, as it now exists – whereby the requirement is precisely that the most important ceremonies occur outside of the synagogue – cannot at all be treated with the same importance as the Church service, if each religion is considered from its own standpoint. Therefore it is naturally most far-fetched to think that just because of deviations in the worship service a sect could have arisen within Judaism; this is principally attested by Hamburg’s so-called new temple, where the worship service presents very significant differences without producing a variant sect.35

Rabbi Sutro was appointed Landesrabbiner for the districts of Münster and Dortmund in 1815 and chief rabbi of the district of Paderborn in 1828, holding the latter position until his death in 1869. He was an outspoken opponent of religious reforms, publishing, for instance, the anti-Reform work Milhamot Adonai [“The Wars of the Lord”].36 However, Sutro did become an active advocate of Jewish emancipation after the failed revolution of 1848 and the time of reaction; in 1853 he supported petitions to the Prussian authorities against discrimination in the appointment of Jews to governmental offices. But Sutro as an Orthodox rabbi viewed neither the Jewish confirmation nor the introduction of the organ into the synagogue as suitable means for achieving emancipation;

35 Quotations according to the online edition published by Ludwig Steinheim Institut, Duisburg: http://www.deutsch-juedische-publizistik.de/pdf/universalkirchenzeitung_008.pdf. 36 Abraham Sutro, Sefer Milhamot Adonai (Hannover: Ernst August Telgener, 1836; 2nd ed. Frankfurt am Main, 1836). For his biography, cf. Biographisches Handbuch der Rabbiner, Part One, Vol. 2 (see note 1), 846–848.

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on the contrary: reforming Judaism by christianizing it seemed to him to be the wrong way to gain equal rights in German society. Geiger’s key message in this text can certainly be seen in the wording: that various regions, even more so, various countries have differing customs in this respect, that at no [historical] time have people ever shied away from removing [things] from the prayers and adding to them.

He tried to base his religious reform on a strictly historical-scientific approach with its awareness that Judaism is constantly subject to changes. This became even more evident in the so-called “Hamburger Tempelstreit.” The Hamburg Temple congregation, “praised” by Geiger in his article for “not having produced a variant sect” in Judaism by implementing religious reforms, was the first one founded on a declared Reform basis. Constituted in 1817 under the name “Neuer Israelitischer Tempelverein” [New Israelite Temple Association], the congregation had to struggle less with the authorities than with the Jewish reformers in Berlin. When the Hamburg Temple congregation published a new edition of its Reform prayer book in 1841,37 it was harshly criticized by Geiger: But the most severe reproach concerning the Hamburg Temple, which deprived and deprives it of the position which it would have inevitably occupied in the Jewish community, is that it did not understand how to make itself the advocate of scientific, correctly recognized religious progress in the new Judaism.38

Later, Geiger’s open protest against Rabbi Sutro had consequences for himself: when he was appointed rabbi in Breslau, the Orthodox camp, headed by Rabbi Solomon Tiktin (1791–1843), tried to denounce him for violating Prussian laws: therefore a statement was sent to the Prussian authorities citing his critical, “Anti-Prussian” contribution in the Universal-Kirchenzeitung.39 But by the time Geiger conducted the first 37 The Hamburg Temple Association published the first edition of its prayer book in 1819. The book was edited by Seckel Isaac Fränkel (1765–1835) and Meyer Israel Bresselau (1785–1839) under the title: Ordnung der öffentlichen Andacht für die Sabbath- und Festtage des ganzen Jahres. Nach dem Gebrauch des Neuen-TempelVereins in Hamburg (Hamburg: Selbstverlag, 1819). 38 Abraham Geiger, “Der Hamburger Tempelstreit, eine Zeitfrage.” First published in Breslau 1842; reprinted in Nachgelassene Schriften, Vol. 1 (see note 5), 113–196, 176. Cf. Herrmann, “Von Die Deutsche Synagoge (1817) bis zum Einheitsgebetbuch” (see note 23). Cf. David J. Fine’s contribution to this volume. 39 Cf. L. Geiger, Abraham Geiger. Leben und Lebenswerk (see note 1), 45.

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confirmation rite in Breslau in 1844, Rabbi Tiktin had died the year before, and the Prussian state, as pointed out earlier, was not overly interested in the ways Jews wanted to practice their religion. Two years prior to the controversy in Soest, Geiger had defended the Jewish confirmation more indirectly by including a long article by the Reform rabbi Salomon Herxheimer (1801–1884), entitled “Über die synagogale Zulässigkeit und Einrichtung der Confirmation,” in his newly founded Wissenschaftliche Zeitschrift für jüdische Theologie. This is the first basic scholarly reflection on the Jewish confirmation rite. Salomon Herxheimer himself had already established the Jewish confirmation as a fixed feature of community life some years before.40 With regard to Herxheimer, it should be remembered that the Protestant confirmation of that period was not that of the Reformation, but one that had newly evolved “with great deviations,” as he himself emphasized, during the Enlightenment Age. In fact, the Church rite in the Protestant Church became a generally practiced event there only after the confirmation had already become a standard custom in many Jewish communities.

VI. A Ceremony for Boys and Girls Comparing the Jewish confirmation rite with its Protestant model, we can single out one major difference. The language of the Protestant ceremony was always a unisex one with words like Jugend (“youth”), Kinder (“children”) and Söhne und Töchter (“sons and daughters”), because in the Protestant tradition the confirmation was always addressed equal40 Salomon Herxheimer, “Über die synagogale Zulässigkeit und Einrichtung der Confirmation,” in: Wissenschaftliche Zeitschrift für jüdische Theologie [= WZJT] 1 (1835), 68–96. In the beginning of his rabbinic career Herxheimer hesitated to introduce the confirmation ceremony in the town of Eschwege; cf. his Bar-mizwaoder Confirmations-Feier gehalten in der Synagoge zu Eschwege am Sabbathe der Parascha Kedoshim 5589 (den 9. Mai 1829) (Eschwege: Röbling, 1829), here IV; cf. also Salomon Herxheimer, Erste Confirmationsfeier gehalten in der Synagoge zu Bernburg, am ersten Tage des Laubüttenfestes 5593 mit sechs Knaben und fünf Mädchen. Auf Verlangen in den Druck gegeben (Bernburg: Rubach, 1832); Salomon Herxheimer, Der israelitische Confirmand, oder Glaubens- und Pflichtenlehre (Hannöversch-Münden: Selbstverlag, 1831); one of the most popular catechisms, it was republished in 35 new editions, the last one in 1904, 20 years after his death! The Glaubens- und Pflichtenlehre was translated into English and Swedish. For Herxheimer, cf. Rolf Faber, Salomon Herxheimer 1801–1884. Ein Rabbiner zwischen Tradition und Emanzipation. Leben und Wirken eines fast vergessenen Dotzheimers (Wiesbaden: Heimat und Verschönerungsverein Dotzheim, 2001).

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ly to boys and girls. In the Jewish tradition, of course, the traditional bar mitzvah was, as its name indicates, only meant for boys. Thus, the gender aspect became very prominent in the debate on the Jewish confirmation, as it was directly linked to the general debate about women in Judaism at that time and taken up again and again in the confirmation ceremonies themselves. During the Enlightenment period the traditional role of women in Judaism underwent rapid changes, first and foremost in the field of education. At the outset these changes were first seen in connection with the so-called Berliner Salons of the early nineteenth century, associated with Rahel (Levin-) Varnhagen (1771–1833), Henriette Herz (1764–1847) and others. In the religious area we find at first practical rather than theoretical changes. In education equal standards for boys and girls were being demanded. And it was in Berlin that in 1817 the first confirmation of Jewish girls took place in a synagogue, the so-called “Beerschen Temple,” the Reform temple of Jacob Herz Beer (1769–1825), Giacomo Meyerbeer’s father); it had been established only two years earlier, in 1815, by Israel Jacobson, the founder of the aforementioned Reform temple in Seesen.41 We have a vividly enthusiastic report of this ceremony, which I would like to quote now: Dr. Kley [one of the preachers at the temple] confirmed two daughters of Jewish parents (Demoiselle Bernsdorf and Demoiselle Bevern) in the splendid Beerschen Temple here [Berlin] in an extremely ceremonial manner. A gathering of 400 people, as many as the temple could accommodate, dissolved – so to speak – into tears. All of those present were uplifted by the excellent sermon of this good speaker and by this solemn confirmation. The lighted lamps, the two girls, the first in Israel who have [ever] been confirmed, having passed their examination with the greatest praise; in short, everything made this one of the most festive and most beautiful celebrations.42

In the following years more and more boys and girls were confirmed in the synagogue, at times even together, which, of course, provoked protests among conservative community members. In light of these reforms it is understandable that passages which contradicted the new worldview were then removed from the Reform prayer books, most importantly the passage where men praise and thank God that they have not been created as women (she-lo asani ishah).

41 The first confirmation of girls at a Berlin school took place in 1814; cf. Eliav, Jüdische Erziehung in Deutschland (see note 4), 341. 42 Anonymous, “Aus einem Briefe aus Berlin,” Sulamith 5 (1817/1820), 279.

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VII. The First Confirmation Ceremony for Girls in Breslau In 1837 the first text on women by a Reform rabbi that can be termed truly emancipatory appeared in the Wissenschaftliche Zeitschrift für jüdische Theologie. Its author was Abraham Geiger and the article was entitled: “Concerning the Position of the Female Sex in Judaism of Our Time” [“Zur Stellung des weiblichen Geschlechts in dem Judenthume unserer Zeit”]. Its opening words make very clear Geiger’s basic emancipatory attitude: The position of the female sex, according to existing Judaism, has so much that is unnatural and unfavorable for our times [zeitwidriges], [and] has moreover so many ills in its wake that an immediate and sufficient alteration of several existing customs, the reason and meaning of which have already been repudiated by our time, is urgently needed.43

The article closes with a clear plea for the religious emancipation of Jewish women, a demand to abandon outdated practices: Let there be from now on no distinction between duties for men and women, unless flowing from the natural laws governing the sexes; no assumption of the spiritual inferiority of women, as though they were incapable of grasping the deep matters in religion; no institution of the public service, either in form or content, which shuts the doors of the temple in the face of women; no degradation of women in the form of the marriage service, and no applying the fetters which may destroy women’s happiness. Then will also the Jewish girl and the Jewish woman, conscious of the significance of the faith, become fervently attached to it, and our whole religious life will profit from the beneficial influence which feminine hearts know how to bestow upon it.44

The Third Rabbinical Conference, which met under the chairmanship of Abraham Geiger in 1846 in Breslau, summarized the main areas of the emancipation of women as follows: The Rabbinical Conference wants to declare the female sex to be religiously [as] equally obligated and entitled as the male [sex] and accordingly to pronounce as legal:

43 Abraham Geiger, “Die Stellung des weiblichen Geschlechts in dem Judenthume unserer Zeit,” WZJT 3 (1837), 1–14, here 1. 44 Quoted according to David Philipson, The Reform Movement in Judaism (London: Macmillan, 1907), 354, fn. 1.

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1. that women are obligated [to perform] such religious acts that are bound to a specific time insofar as these acts still possess strength and vitality for our religious consciousness; 2. that the female sex has to carry out all duties relating to children to the same degree as the male [sex]; 3. that it befits neither the husband nor the father to have the right to release a daughter who has attained religious maturity or a wife from her vow; 4. that from now on the benediction she-lo asani ishah [see above] based upon the [alleged] religious impairment of women will be dropped; 5. that the female sex is obligated from adolescence onwards to participate in religious lessons and public acts of worship and, in the latter respect, is counted as part of the minyan, and finally 6. that for both sexes the religious age of majority begins at thirteen.45

There is no doubt that a Jewish confirmation for boys and girls fits best with this declaration, which concludes that religious training should be the same for both sexes. But the suggestions by the Rabbinical Assembly were merely read; they were not discussed and could not be issued as binding. Equality of women was more a theoretical issue, not a practical one. No doubt: Geiger’s Reform endeavors were very much in accordance with the declaration of the Rabbinical Assembly. The situation in the communities was, however, different: like most of the Reform rabbis, Geiger was confronted with the fact that the principles of this declaration could not be implemented in the communities in their entirety at that time.46 Nevertheless, Geiger’s efforts for equal rights of men and women in the religious realm are clearly evidenced by his decision to teach boys and girls together in mixed classes in the preparatory courses for the confirmation ceremony in Breslau. Again his son Ludwig Geiger portrays this situation in a quite amusing way: Whereas in the lessons of the Religionsschule the students were assigned to different classrooms according to gender (this was an official policy in Prussia and elsewhere at that time), the confirmation lessons were offered to boys and girls together, an early example of so-called “co-education.” This was an unusual and hazardous undertaking: unusual, because Jews, even in the worship service, observed a strict separation of the sexes; hazardous, because these co-educational lessons were taking place just in those years – the boys and girls were between 13 and 15 years old – when the craving to be admired among young ladies and the love needs of young male adolescents 45 Protokolle der dritten Versammlung deutscher Rabbiner, abgehalten zu Breslau vom 13. bis 24. Juli 1846 (Breslau: Leuckart, 1847), 263ff. 46 In 1846 Samuel Holdheim declared that women were admissible to the minyan; cf. Philipson, The Reform Movement in Judaism (see note 44), 354, fn. 1.

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were beginning to sprout. Nevertheless, few took offense at the innovation, and disquieting results were not in evidence. The circumstance that some adolescent boys fell passionately in love with one or the other of their female companions had no sad effects: lifelong relationships were seldom formed, and when this really happened, they mostly turned out quite well.47

In the liberal Jewish journal Der Israelit des 19. Jahrhunderts, we find an enthusiastic account of the first confirmation ceremony that took place in Breslau under Abraham Geiger’s guidance in 1844, from which the following passages are taken: Breslau. How should I with a weak layman’s pen describe the exalted celebration that took place yesterday at the leavetaking of 15 girls from this institute and their reception in the holy bond of faith in the great temple. Already one hour before its start hardly any little space had been left free, and never in our community had one witnessed such a large assembly in the house of God. But everyone without exception, everyone who is truly pious of heart, everyone was deeply moved by the solemnity of a religious celebration that uplifted us for the first time in Breslau. After a moving prayer by our cherished rabbi Dr. Geiger and a short introduction about the ceremony’s purpose, the girls about to be discharged, in the order which chance had happened to place them, answered the rabbi’s questions about the most important teachings of our religion with brightly clear voices, with deep expressivity and with such determination that it must have been clear to the listener that this was the language of feeling imbued with the spirit of the teachings and their unshakable truth. […] At this point some of the most superior female pupils touchingly expressed words of thanks to their parents and as they went from their seats to thank them, to whom they owe their lives and their upbringing, no eyes remained free of tears and a festive pause followed before children, parents and relatives recollected themselves to listen to the reminder by the pastor who, himself deeply touched, needed a break, before directing his holy words to those who were about to leave, whom he had led with pious love onto the path of goodness and who, likewise expressing their love for their teacher, [were going] to continue to walk this path and to remain true to the faith of their fathers.48

Despite this warmly sympathetic view of the very first confirmation ceremony in Breslau, a major problem remained for Geiger and his Reform colleagues, a problem only indirectly indicated in this report. In many places it was above all girls who took part in the confirmation rite. Therefore it is understandable that reformers like Geiger wished to 47 L. Geiger, Abraham Geiger: Leben und Lebenswerk (see note 1), 133. 48 Der Israelit des 19. Jahrhunderts 5 (1844), 282.

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replace the traditional bar mitzvah with the modern confirmation ceremony for both sexes. In a letter to the Reform rabbi Bernhard Wechsler (1807–1874) in 1849, he expressed this hope that the bar mitzvah – now described by him as “Allfanzerei” – would soon become obsolete:49 Several cases of uncircumcised boys have gradually, if slowly, come to the fore here, perhaps also some which I hear nothing about. A form needs to be found to replace this old [rite]; just blessing the woman who has recently given birth will not suffice; the child’s presence seems to be equally required, and the start [of this new form] could be made with the girls. Then, like the confirmation vis-à-vis the bar mitzvah hocus-pocus [Allfanzerei], the new form would also supersede the old form of circumcision.50

“Allfanzerei” is a rather harsh term and means foolishness. To be sure: Geiger was much more polemical in his private correspondence than in the pulpit or in public. His intention in this letter is obvious: circumcision and bar mitzvah should be replaced by rituals which include boys and girls equally and here, for him, the confirmation ceremony was just one important step toward a comprehensive reform of Jewish religious life and worship. Things were different in reality, however: The majority of the communities did not want to see the traditional bar mitzvah replaced, but were quite satisfied with a confirmation ceremony for girls in which boys were allowed to participate if they so wished. The problem was that after their bar mitzvahs most boys did not want to go through yet another ceremony requiring a certain amount of preparation time. In the last confirmation ceremony under the guidance of Abraham Geiger in Breslau, held in 1863, 15 girls, but only six boys participated. Only the very radical Reform congregations like the Reform Assembly in the Johannisstrasse in Berlin abandoned the traditional bar mitzvah completely and practiced only a confirmation for boys and girls.51 In this respect, unlike Holdheim in Berlin, Geiger did not want to be a forerunner of radicalism in Judaism and pay the price for breaking away from mainstream Judaism and joining 49 The friendship between Geiger and Wechsler is characterized by Geiger’s son Ludwig as follows: “Endlich B. Wechsler […], ein freisinniger, gesinnungstüchiger Mann, der sich durch langjähriges gedeihliches Wirken als Rabbiner in Birkenfeld und Oldenburg einen geachteten Namen erwarb und durch treue, verständnisvolle Anteilnahme an Geiger’s praktischen und wissenschaftlichen Bestrebungen und durch ermunternden Zuspruch stets als wahrer Freund bethätigte“; cf. Geiger, Nachgelassene Schriften, Vol. 5 (see note 7), 68. 50 Ibid., 202–203. 51 Cf. ibid., 202–203; cf. also Philipson, The Reform Movement in Judaism (see note 44), 192, and Baader, Gender, Judaism, and Bourgeois Culture (see note 26), 149.

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a small radical religious community. Thus, he twice rejected an offer by the Berlin Reform Assembly to become their rabbi and preacher, although pecuniarily it was very attractive. But he did accept, in 1870, his election as rabbi of Berlin’s New Synagogue, inaugurated in 1866, which developed into a center for the liberal movement in Germany. When he came to Berlin to work together with Joseph Aub (1804–1880) at the New Synagogue, he could not, of course, accept Aub’s prayerbook, which was far less consistent, far less modern and far less radical than Geiger’s own prayerbooks, composed for his communities in Breslau (1854) and Frankfurt on the Main (1870). Thus, a committee came together to discuss the revison of the New Synagogue’s prayerbook between 8 December 1870 and 22 January 1871. Because of his sudden death in 1874, however, Geiger was unable to implement more radical reforms in the synagogue’s service; otherwise the development of the liberal movement, which ended up becoming mainstream Judaism in Germany, would have been more radical.

VIII. The Decline of the Confirmation-Ceremony In his “Abhandlungen aus den Programmen der jüdischen Religionsunterrichts-Anstalt in Breslau 1844–1863,” published by his son Ludwig,52 Abraham Geiger clearly pointed out that the confirmation ceremony itself should not be overestimated. According to him the ceremony should always be combined with an intense religious training in the Religionsschule – for Geiger this school was one of his chief concerns during his time in Breslau: Often, only at a later age are the children handed over to the institution, to be prepared for confirmation; the basic principles, knowledge of the Bible’s contents, the preparatory discussion of one’s obligations […] are so perceptible later that the pupils are brought in only with great effort, and because the ground for the actual religious instruction has not been cultivated, this [instruction] cannot penetrate so deeply. […] And thus it happens that a large number of the boys, before having matured [enough] for the confirmation, leave the institution and the number of boys to be confirmed is always very small. […] My plea is therefore aimed at parents, to entrust their children early to the school and to leave them there until the completion of instruction.53

52 Geiger, Nachgelassene Schriften, Vol. 1 (see note 5), 309ff. 53 Ibid., 333.

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Geiger’s criticisms refer to a development that became more and more visible in the second half of the nineteenth century, when a definite decline in the number of Jewish confirmations could be observed. And even in the radical Reform communities, which practiced only the confirmation rite, the latter lost the onetime acceptance and standing it used to have among young people.54 In 1867, at the so-called Jewish synod in Leipzig, where Geiger was one of the two vice-presidents, it became clear that the confirmation would never replace the traditional bar mitzvah in the synagogues.55 The totally conservative character of the synod, whose resolutions often only confirmed the procedures that were already practiced in the larger communities, must have been disappointing for Geiger, for he was, so to speak, putting his money on “progress” in Judaism. This conservative tendency manifested itself above all in the synod’s handling of the bar mitzvah-versus-confirmation question: its emphasis that confirmation was to be regarded only as a voluntary act [“the confirmation (rite) should not be introduced obligatorily”], for it the act is nevertheless improper [and] not in the sense of an acceptance and confirmation of the Jewish covenant, but a reinforcement within it through a profession of faith and a vow, for the reason that it closely brushes against that Christian purpose and sense of the act and sets such conditions on the Jew’s [sense of] commitment and belonging to his religion, that [this sense of belonging] would appear to be dependent on this action, [so much so] that all unconfirmed Jews would not be counted as Jews.56

In other words, the synod thought it important to establish that the Jewish confirmation should not be regarded as a mere imitation of Protestant customs. This is why we find clear reservations about making a “profession of faith,” as demanded by Holdheim and as practiced in the radical Berlin Reform community whose rabbi and preacher he had been since 1847: The confirmands should namely not be allowed to swear to always be true to certain doctrines, e.g., the 13 Maimonidean [articles of faith], something

54 For this cf. Herrmann, “Jewish Confirmation Sermons in 19th -Century Germany” (see note 13), 108–109. 55 For the synod cf. Michael A. Meyer, Response to Modernity: A History of the Reform Movement in Germany (New York and Oxford: Oxford University Press, 1988), 188–191. 56 Verhandlungen der ersten israelitischen Synode zu Leipzig vom 29. Juni bis 4. Juli 1869 (Leipzig: Gerschel, 1869), 233–238, here 234.

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which already appears to be a non-recognition of all the other fundamental teachings of the Mosaic religion and should not be condoned.57

If the confirmation for girls had once been, and precisely for Geiger, too, an important innovation with a view to placing the sexes in Judaism on an equal footing, at the Leipzig synod it was now more a question of fending off all those critics who “view in the confirmation for girls an innovation injurious to their Jewish conscience”. Thus it happened that the confirmation rite in Frankfurt on the Main, where Geiger was active from 1863 to 1870, and then at the last station of his career, the Neue Synagogue in Berlin, played a far lesser role than in Breslau. Whereas in Breslau the confirmation marked the conclusion of a pupil’s attendance over several years at the Religionsschule set up and led by Geiger, in the two other cities the preparatory course for the confirmation lasted only several months. As Geiger’s son Ludwig showed, the number of females confirmed, not to mention the males, dropped considerably, although both communities were much larger than the one in Breslau.58 During the German Empire period [1871–1918] a decline in attendance at the worship services was generally noted, in synagogues as well as in churches, a trend that was to continue throughout the Weimar Republic. People spoke ironically about the “Three-Day Jews” who visited the synagogue only on the High Holidays, Yom Kippur (Day of Atonement) and Rosh ha-Shanah (New Year festival) and commemorated Pesach (Passover, the Exodus from Egypt) en famille with the seder (ritual evening meal). Culturally, the period of the ensuing Weimar Republic, known as the heyday of “classical modernity,” gave rise to many avant-garde tendencies in the areas of literature, journalism, the fine arts, music and architecture. In all these areas it is noteworthy that many Jewish writers, artists and architects especially distinguished themselves, also in the new media such as the cinema and radio, which created totally new forms of entertainment. In such surroundings there arose a secular youth culture that consciously viewed itself as being in opposition to traditional religion. At the same time, this period also stood for a brand-new theological approach in both Christianity and Judaism as a response to the mass deaths and destruction of World War I. For the new theological tendencies in Judaism we must single out above all Martin Buber (1878–1965), once an enthusiastic and patriotic supporter of the war at its outset in 1914, along with Franz Rosenzweig 57 Ibid., 235. 58 L. Geiger, Abraham Geiger. Leben und Lebenswerk (see note 1), 136.

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(1886–1929), particularly for their joint translation of the Hebrew Bible into a German that was supposed to imitate the characteristics of the Hebrew language.

IX. Bat mitzvah versus Confirmation Standing for a conscious modernization of the Jewish worship service was Rabbi Hermann Vogelstein (1870–1942) from Breslau, whose special focus was the role of women in the synagogue, as is evidenced by his articles in the liberal Jewish press.59 Here again he represented the liberal tradition that had been founded in Breslau by Abraham Geiger. Himself profoundly influenced by Geiger’s thought, Vogelstein demanded that parents should pay more attention to the “Mädchenkonfirmation” in an article published in the Jüdische Liberale Zeitung in 1926: “The establishment of the confirmation for girls is a generally valuable and essential measure of the first Reform period.” [“Die Einrichtung der Mädchenkonfirmation ist eine überaus wertvolle und wesentliche Maßnahme der ersten Reformzeit.”]60 On the other side of the Atlantic, four years earlier, on Saturday morning, 18 March 1922, twelve-year-old Judith Kaplan, the daughter of Rabbi Mordecai Menahem Kaplan (1881–1983), stepped onto the bimah of her father’s synagogue, the Society for the Advancement of Judaism in New York City. She recited the preliminary blessing, read a portion of the Torah in Hebrew and English and then intoned the closing blessing.61 From this very moment onwards it became increasingly clear that a fully emancipated Jewish girl should have the right and obligation to be called up to read the Torah (and not just the right to participate in a ceremony that had been borrowed from the Protestant culture). The innovation introduced by Abraham Geiger in Breslau in 1844, a Jewish confirmation for boys and girls, was now being replaced by the equal right for boys and girls to be called up for the reading from 59 For Hermann Vogelstein, cf. the entry in Michael Brocke and Julius Carlebach, eds., Biographisches Handbuch der Rabbiner, Part Two: Die Rabbiner im deutschen Reich 1871–1945, compiled by Katrin Nele Jansen (Munich: K. G. Saur, 2009), Vol 2, 621– 624. 60 Both Hermann Vogelstein and his father Heynemann Vogelstein, contributed to the biography of Abraham Geiger published by his son Ludwig Geiger. 61 There seems to have been some “forerunners” of bat mitzvah ceremonies in the American Midwest as early as 1907; cf. Zvi Kaplan and Norma Baumel Joseph, “Bar Mitzvah, Bat Mitzvah,” in Encyclopaedia Judaica, eds. Michael Berenbaum & Fred Skolnik, Vol. 3, 2nd ed., 2007, coll. 164–167.

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the Torah. Thus the first bat mitzvah ceremonies took place in Germany just before the expulsion and annihilation of Jewish communities in Europe. At the Free University in Berlin we now have access to the 52,000 video-tapes of Shoah survivors which were collected in the late 1990s on the initiative of Steven Spielberg after he had produced his film “Schindler’s List.” For some of the first girls who were called upon to read the Torah, the Visual History Archive of the Shoah Foundation has testimonial interviews at its disposal. For example, Anna Fink (née Redlich) talks in her interview about one of the first bat mitzvah ceremonies in the synagogue on Fasanenstraße in the Berlin district of Charlottenburg (which to a great extent followed the practices of the New Synagogue in its worship rites) under the aegis of the Reform rabbi Manfred Swarsensky (1906–1981);62 in the certificate of her bat mitzvah Manfred Swarsenky had to cross out “boy” and write “girl.”63 At her confirmation ceremony Alice Fink was permitted to read from the Torah, as a bar mitzvah boy would have done. In other words, this ceremony stands for the beginning of an equal bat mitzvah celebration in the liberal synagogues in Germany. (“It was the first time in the synagogue at Fasanenstrasse that a girl came up to the bimah” [= the platform for reading from the Torah] Alice Fink pointed out in her interview). In 1934, Rabbi Vogelstein published an article in the aforementioned Jüdische Liberale Zeitung entitled “Ohne Vorbild” [Unprecedented] – in which he again dealt with the “Einsegnung der Mädchen” [Confirmation for girls]. He pointed out that the Reform movement “sought and found a way to arrange the lessons and the ceremony itself independently of non-Jewish models, especially by inserting the rite into the Sabbath worship service.”64 In the light of the above-mentioned article by Vogelstein published in 1926, it seems likely to assume that he introduced the bat mitzvah in Breslau as his colleague Swarsensky did 62 For M. Swarsensky, cf. Biographisches Handbuch der Rabbiner, Part Two, Vol. II (see note 59), 604–606, and Manfred Swarsensky, Oral History Transcript, www.wisconsinhistory.org/HolocaustSurvivors/Swarsensky.asp 63 Cf. Klaus Herrmann, Verena Nägel, Hans Joachim Teichler, History und Oral History – Jüdisches Leben in Berlin am Beispiel der drei Themenfelder: Jüdisches Sportleben in Berlin, Chanukka und Weihnukka, Bar/Bat Mizwa und die jüdische Konfirmation für Jungen und Mädchen. Ein Themenheft zu ausgewählten lebensgeschichtlichen Videos aus dem Visual History Archive des Shoah Foundation Institute for Visual History and Education an der University of Southern California (USC), Berlin 2010, pp. 66ff. and 84f.; a DVD attached to the special issue contains some sections of this interview with Alice Fink; the whole interview is available in the Visual History Archive, archived under No. 11001. 64 Jüdisch-Liberale Zeitung 13 (1934), No. 38, 13.7.1934, 5f.

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in Berlin. So far, I have not been able to find a written document on this new bat mitzvah in Breslau, but would like to mention the interview with Ilse Kaye (née Hoffmann) from the Visual History Archive of the Shoah Foundation, who claimed that she was one of the first girls called up to the bimah. Ilse Kaye was born in Breslau in 1921.65 Her bat mitzvah celebration took place around the year 1934. The interview was recorded in Buffalo Grove, Illinois, USA on 19 September 1995: Can you tell me a little bit about your synagogue? Yes, there were two synagogues in this city. I mean there were little tiny ones, this little “Betstube”, what they call, where they, you know, the very Orthodox […] the one I belonged to, which was leaning to reformed, it wasn’t quite reformed, it was a gorgeous building with a dome in gold, it was just […] I was so proud of it. It was a beautiful synagogue, and you know it wasn’t 66 […] They had a balcony where the women could sit, if they wanted to, but they could also mingle with the men down there. Do you remember the name of your rabbi? Dr. Vogelstein and Dr. Sänger!67 And you have fine memories of that temple? Very, very, especially that one rabbi [Vogelstein]. Cause I was bas [bat] mitzvahed in that temple. I was one of the first group to be bas mitzvahed. At that time it wasn’t heard of, that a girl goes to the bime [bimah]. Tell me about that bat mitzvah and how you studied for it. Well, we went to the rabbi’s house once a week, 20 girls. We were sitting on a big conference table and we talked about […] It was just wonderful. I will 65 The interview is archived in the Visual History Archive under the interview code 6930; interviewer was Judith Shiffman. From 1928 Ilse Kaye attended a private Lutheran school, which she thought of as a very good school. But when she turned 16, she switched to a Jewish Gymnasium, because she could not stand the way the other pupils treated her: avoiding her, because they were afraid to be associated with her. In 1939 the family fled to Shanghai and later lived in the U.S. 66 In November 1938 the "New Synagogue" (completed in 1872) as well as schools and other prayer houses in Breslau were destroyed. 67 Jacob Hirsch Sänger, born 1878 in Bingen, was rabbi in Breslau from 1918–1938 at the New Synagogue; he died in June 1938 a few months before the staged anti-Jewish rioting of “Kristallnacht” on 9–10 November1938.

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never forget that. And then, when we were bas mitzvah, the whole town came to look, because it was something so out […], outstanding. We all had white dresses on, we were sitting around the bime and each one had a little thing to say and the rabbi wrote it in the book and then we got the book, a prayer book. It was just, it was just nice, but they weren’t like here, then you went home and we had […] At home, we had catered […] I remember even what we had: We had roast beef, cold, and the family and friends came, and that was it, that was it. It wasn’t like here. It was really an unusual event in the history of Judaism and you must have been some of the first – We were the first one, yes, it was […] it was unbelievable. I will never forget that, that’s the last thing, experience.

Abraham Geiger and the Hamburg Gebetbuchstreit of 1842 David J. Fine The 1842 Hamburger Gebetbuchstreit, the controversy over the second edition of the Hamburg Temple prayer book, involved all sectors of the German rabbinate and stands as one of the essential debates of the 1840s that forged the outlines of the modern Jewish denominations. Coterminous with the Geiger-Tiktin controversy in Breslau, the controversy in Hamburg over the new Reform Temple’s edifice, the founding of the Reformfreunde in Frankfurt am Main, and just a few years before the founding of the Genossenschaft für Reform im Judenthum in Berlin in 1845 and the German rabbinical conferences of 1844, 1845 and 1846, the Hamburg Prayer Book controversy must be understood in this context of nascent denominational division.1 One of the most forceful and articulate voices in the controversy was that of Abraham Geiger. His critique of the prayer book illuminates the central issues that became the core of the project of Liberal Judaism in the nineteenth century.2 The second edition of the Hamburg prayer book was published in 1841 as a revision and expansion of the original 1819 prayer book. 1

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On these developments, cf. Michael A. Meyer, Response to Modernity: A History of the Reform Movement in Judaism (New York and Oxford: Oxford University Press, 1988), 100–142. On Geiger’s role in the prayer book controversy, cf. Klaus Herrmann, “Liberale Gebetbücher von Die Deutsche Synagoge (1817) bis zum Einheitsgebetbuch (1929),” in Walter Homolka, ed., Liturgie als Theologie: Das Gebet als Zentrum im jüdischen Denken (Berlin: Frank & Timme, 2005), 63–98, here 74–76; Andreas Brämer, Judentum und religiöse Reform: Der Hamburger Israelitische Tempel 1817–1938 (Hamburg: Dölling & Galitz, 2000), 52–55; David H. Ellenson, “The Israelitische Gebetbücher of Abraham Geiger and Manuel Joël: A Study in Nineteenth Century Liturgical Reform,” in David H. Ellenson, After Emancipation: Jewish Religious Responses to Modernity (Cincinnati: Hebrew Union College Press, 2004), 193–222, esp. 203–206. For recent reflections on Geiger’s general approach to liturgy, cf. Ken Koltun-Fromm, Abraham Geiger’s Liberal Judaism: Personal Meaning and Religious Authority (Bloomington and Indianapolis, IN: Indiana University Press, 2006), 30–37.

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That work was the first major prayer book of Reform Judaism. While it did stir up controversy, most of the debate in 1819 was focused on the mode of prayer in what was then a new experimental congregation. The essential issues were the use of the organ, choral singing and a sermon in German. That prayer book was Reform in that it opened from left to right, presented certain prayers in German rather than Hebrew, and translated everything into German. References to the ancient sacrifices were omitted, references to a return to Zion were eliminated or altered, and references to a personal messiah were changed to “redemption” (Erlösung rather than Erlöser), and German hymns were added. Subtle changes were made in the traditional liturgies but the nature of the 1819 reform was more aesthetic than ideological. The intention was chiefly to order the service with key passages in German and ample translations for use in the new Reform Temple in Hamburg.3 Just as the 1819 edition of the prayer book was written for the new Reform Temple established in Hamburg, the 1841 edition was published to coincide with the grand new 640-seat building of the Hamburg Reform Temple, formally dedicated in 1844.4 The new prayer book was more complete than the original, containing liturgies for every day of the year rather than only Sabbath and festivals. The new edition, according to Jakob J. Petuchowski, “represented, on the one hand, a return to Tradition, and on the other, an espousal of a more ‘radical’ Reform point of view.” Petuchowski cites the inclusion of the introductory psalms in Hebrew for the morning service and the reinstitution of some phrases making reference to Zion – but in small print and untranslated – as examples of the compromising nature of this prayer book. “The 1841 edition,” Petuchowski writes, “was evidently meant to satisfy all those who had criticized the 1819 edition – whether from a position of stronger traditionalism or from one of more radical Reform. It was inevitable that this tour de force would please neither.”5

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On the 1819 prayer book cf. Jakob J. Petuchowski, Prayerbook Reform in Europe: The Liturgy of European Liberal and Reform Judaism (New York: World Union for Progressive Judaism, 1968), 49–54. Cf. also Meyer, Response to Modernity (see note 1), 56; Herrmann, “Liberale Gebetbücher” (see note 2), 70–74; Ellenson, “The Israelitische Gebetbücher” (see note 2), 195–200. Cf. Meyer, Response to Modernity (see note 1), 116, and 622, fn. 60; Brämer, Judentum und religiöse Reform (see note 2), 40–44. Petuchowski, Prayerbook Reform (see note 3), 54–55. On the 1841 Hamburg prayer book, cf. also Ellenson, “The Israelitische Gebetbücher” (see note 2), 200–203; Brämer, Judentum und religiöse Reform (see note 2), 45–56; Herrmann, “Liberale Gebetbücher” (see note 2), 74–76.

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While the 1841 prayer book elicited response from all sides of the German rabbinate, it was never the intention of the editors to present an “ideologically pure” liturgy, either for the traditionalists or the radical Reformers. The purpose of the prayer book was not philosophical but “liturgical.” It was not meant for academic scrutiny, but for inspiration and worship. The concern of the editors was to provide a liturgy of simplicity and dignity (Einfachheit und Würde). They measured the success of the 1819 edition, which they wanted to emulate, as being able to spiritually reach those for whom the traditional forms no longer spoke, “für welche die Weihe fast gänzlich verloren hatte.”6 Nevertheless, the editors were aware that their work would cause some controversy, and they believed that they could defend their work against criticism. In the words of the prayer book’s preface: “Die Redaktion scheut keine redliche Beurtheilung, indem sie die vorliegende Arbeit sowohl in dem, was aufgenommen, wie in dem, was abgeändert oder weggelassen worden ist, vor dem gelehrten Publicum rechtfertigen zu können glaubt.”7 They justified the changes they made through a distinction between typischen (or statutory) prayers, and accessorischen (or non-statutory) prayers.8 In a brief section of scholarly notes at the end of the prayer book, the editors argue that only the Shema and its Blessings and the Amidah are the typischen, required prayers, and those have in fact been preserved in the Hamburg prayer book with very minimal change. The few changes in the text of the Amidah (relating to the sacrificial cult) are justified through rabbinic statements that the specific text of the Amidah is not the essence of the obligation to pray and that there is room for some fluidity of language.9 The controversy over the prayer book began in late 1841 when Isaak Bernays, the rabbi (hakham) of Hamburg, published an official religious advisory and declaration stating that one should not use this prayer book and that one who does so has not fulfilled the religious duty of prayer.10 The Hamburg Reform community gathered together 6 From the preface to the 1841 prayer book: Seder ha-avoda. Gebetbuch für die öffentliche und häusliche Andacht [nach dem Gebrauch des Neuen Israelitischen Tempels in Hamburg] (Hamburg: Berendsohn, 1841), iii. 7 Ibid., v. 8 Ibid., iv. 9 Ibid., 434–435. 10 The document appears in Brämer, Judentum und religiöse Reform (see note 2), 176– 178. See especially the conclusion of the judgment on p. 177: x’’dbh ist lar`y `ya lkl [ydwmw ryhzm, daß man aus dieser hlpt nicht darf llptm sein, und wer daraus llptm ist yrmgl nicht hlpt tbwj ydy axwy ist.” On Bernay’s role in igniting the controversy over the prayer book, cf. Meyer, Response to Moder-

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twelve rabbinic responsa in support of their prayer book and in opposition to Bernays. Published in 1842 as Theologische Gutachten über das Gebetbuch nach dem Gebrauche des Neuen Israelitischen Tempelvereins in Hamburg, the volume contained opinions from Joseph Aub, Isaak Auerbach, Aaron Chorin, Joseph Friedländer, Abraham Geiger, Moses Gutmann, Samuel Holdheim, Abraham Kohn, Joseph Maier, Isaak Noah Mannheimer, Ludwig Philippson and Leopold Stein. This collection was important, for as the “Orthodox” opposition had marshaled responsa against the founding of the Reform Tempelverein in 1819 (the Elleh Divrei Habrit), now, in 1842, it was the Reform marshalling national rabbinic support against the Orthodox opposition.11 The public debate over the Hamburg prayer book continued after the publication of the Theologische Gutachten, including opinions by Gotthold Salomon, the preacher of the Hamburg temple, Naphtali Frankfurter, Max Löwengard, and Zacharias Frankel.12 Frankel’s opinion is of particular interest because he simultaneously criticizes both Bernays for his unjustified halakhic ban, and the prayer book for its lack of scholarly consistency as well as its suppression of the “holiest sentiments of the nation” [heiligsten Gefühle der Nation].13 This is vintage Frankel, arguing for Tradition not from the standpoint of halakhic minutiae but from the commanding voice of Nation, People, History and Custom. Frankel’s critique elicited a fifty-four page monograph in response from Gotthold Salomon, the temple’s preacher. Frankel published a lengthy rejoinder to Salomon in Der Orient. Much of the Frankel-Salomon exchange revolves around technical points of disagreement and stylistic issues. Nevertheless, the nature and underlying tension behind the Frankel-Salomon exchange stands as an early example of the burgeoning split between the Reformers and the Positive-Historical school, this before Frankel’s famous exit from the Frankfurt rabbinical conference of 1845.14

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nity (see note 1), 116f., and Stephen M. Poppel, “The Politics of Religious Leadership: The Rabbinate in Nineteenth Century Hamburg,” LBIYB 28 (1983), 439–70, esp. 459–460. Meyer, Response to Modernity (see note 1), 117. A bibliography of writings on the Hamburg Gebetbuchstreit in 1841 and 1842 appears in Der Orient 3 (1842), 231–232. Cf. in general Edward A. Maline, “Controversies over the Hamburg Prayer Book” (master’s and ordination thesis, Hebrew Union College, 1963). Zacharias Frankel, “Das neue Hamburger Gebetbuch des israelitischen Tempel,” Der Orient 3 (1842), 53–54, 61–64, 71–72, here 72. Salomon’s response appears as Sendschreiben an den Herrn Dr. Z. Frankel, Oberrabbiner in Dresden, in Betreff seines “Orient” mitgetheilten Gutachtens über das neue Gebetbuch der Tempelgemeinde zu Hamburg (Hamburg: G. Bödecker,

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The other key voice of qualified support and critique for the prayer book was that of Abraham Geiger. On the one hand, Geiger stood with Frankel. Both argued against Bernays in the strongest terms, claiming that his ban was issued without any halakhic justification. But then both departed from the halakhic discussion. While so many of the rabbinic opinions collected in the Theologische Gutachten debate the halakhic points with Bernays, Geiger and Frankel both moved beyond that point of discourse to extra-halakhic critiques of the prayer book. And for all their similarities, the different directions of their respective critiques distinguish their two very different approaches to Judaism. Frankel criticizes the prayer book for its departure from Tradition, whereas Geiger criticizes it for its inconsistent approach to Reform. Frankel is concerned that the prayer book goes against the conservative “National Will of the Jewish people” (or Volksgeist) whereas Geiger is concerned that it is too ideologically hazy and unprincipled. Geiger first published a brief responsum on the Hamburg prayer book on 2 January 1842, which was included in the Theologische Gutachten. Two months later he published a full length monograph on the subject, entitled Der Hamburger Tempelstreit: eine Zeitfrage (the preface is dated 22 February 1842). The January responsum restricts itself to a critique of Bernays’ argument that the liturgy of the new prayer book does not fulfill the halakhic obligations of prayer. The longer monograph presents a detailed comprehensive discussion and critique of various aspects of the prayer book. The short responsum is phrased as a formal rabbinic halakhic opinion, a choice which indicates that Geiger’s Reform Judaism was not conceived as in complete opposition to rabbinic tradition. Even if the prayer book was not radical enough for Geiger, there were those on his left for whom his Judaism would itself never be radical enough. In the responsum, Geiger argues that the prayer book is not in violation of Talmudic or rabbinic law. The law (halakhah) requires that the Shema be recited with its accompanying blessings, including the acceptance of the yoke of God’s sovereignty and mention of the exodus from Egypt, as well as the recitation of the Amidah (the “standing” statutory prayer) which opens with the blessings of the Patriarchs, Might and Holiness, the intermediate blessings for weekdays or Sabbaths and festivals, and 1842). Frankel’s rejoinder appears under the title “Erwiderung auf das von Herrn Dr. Salomon, Prediger am neuen israelitischen Tempel zu Hamburg, an mich gerichtete Sendschreiben,” Der Orient 3 (1842), 353–368, 377–384. On Frankel and the Gebetbuchstreit, cf. Andreas Brämer, Rabbiner Zacharias Frankel: Wissenschaft des Judentums und konservative Reform im 19. Jahrhundert (Hildesheim et al.: Olms, 2000), 182–193.

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the closing blessings of Service, Thanksgiving and the Priestly Benediction. The halakhah requires only that these blessings be recited in their most abbreviated form; they are not required to be said in their traditional liturgical form. Indeed, the tradition itself offers an abbreviated Amidah, the Havinenu, which includes all of the blessings of the Amidah in abbreviated format for a situation in which one does not have the time to recite the longer traditional liturgy. The Havinenu form, Geiger argues, is permitted by the rabbis with ample precedent. Bernays’ claim that the Hamburg prayer book does not fulfill the obligation to pray because of its failure to affirm the theological dogma of the future redemption of Israel with a personal messiah and resurrection of the dead is an unfounded reading of halakhah, Geiger claims, for never before were such theological claims a part of the obligation for prayer.15 Geiger’s responsum makes clear in brief and terse terms the profound irony of the 1842 Hamburg prayer book controversy – that Bernays had no obvious halakhic ground to stand on. The Orthodox ban, while couched in halakhic language, was rooted more in theological dispute than legal violations. While Bernays certainly believed that the changes that the Reformers were making were significant and problematic, the Hamburg Temple prayer book was not in violation of the minimum requirements of Jewish law. This was the basic argument of Geiger and many other respondents in the Theologische Gutachten. Up to this point, Zacharias Frankel agreed with Geiger. But Frankel had his own philosophical issues with the prayer book. He felt that even if the law permitted the changes, tradition and the traditional sensibilities of the people demanded a greater conservatism. (Indeed, the American form of Conservative Judaism sees itself as rooted in Frankel’s philosophy.) Geiger agreed that there was more to a prayer book than satisfying the requirements of religious law. But for Geiger, the driving authority was not a Romantic attachment to Tradition, but rather a philosophically consistent approach to his ideology of Reform Judaism. Der Hamburger Tempelstreit, Geiger’s monograph on the prayer book controversy, is organized according to the following structure: a) introduction and significance of the controversy, b) discussion of Bernays and his ban, c) Geiger’s responsum of 2 January 1842 (reprinted verbatim), d) an historical overview of liturgical change, e) a survey 15 Abraham Geiger, Der Hamburger Tempelstreit: eine Zeitfrage (Breslau: Leuckart, 1842), 13–15. Geiger’s responsum appears in the Theologische Gutachten über das Gebetbuch nach dem Gebrauche des Neuen Israelitischen Tempelvereins in Hamburg (Hamburg: Berendsohn, 1842), 63–65.

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of modern liturgical reform, and f) discussion and critique of the first and second editions of the Hamburg Temple prayer book. The majority of the monograph is devoted to the discussion and critique of the prayer book, but it is a critique that is supported by careful introductions through which Geiger contextualizes the prayer book, identifies its organizing principles and then criticizes its shortcomings. In this introduction, Geiger claims that the Hamburg prayer book controversy is worthy of special attention since it deals with the greatest issues of the day, despite Bernays’ indictment of it as “Frivolität und Irreligiosität.”16 For Geiger, prayer book reform was of profound importance because it crystallized the religious and theological debates over how Judaism was perceived in the modern era. The real debate for Geiger was that between himself, the editors of the prayer book and critics from the right like Zacharias Frankel. Geiger completely dismisses Bernays as extraneous to the real discussion (although he takes several pages to dismiss him). Bernays’ ban on the prayer book was a spectacle unfitting modern times. “Und heute sollte sich ein solches Schauspiel wieder erneuern?” he asks.17 Bernays’ ban is such a spectacle because he was not an ultra-Orthodox rabbi, but rather the author of a book, Der Bibel’sche Orient, which itself argues for an historical development of Jewish liturgy. Not only that, but Bernays sees such development as beneficial, praising Abraham [the Patriarch, not Geiger!] as the first great Jewish reformer, for introducing both monotheism and prayer. “Er sah in Abraham,” writes Geiger on Bernays, “blos insoweit einen Reformator der damaligen religiösen Anschauung, als derselbe die Furcht und den Dienst von den vielen Göttern welche damals herrschten, auf den Einzigen übertrug.”18 Throughout Bernays’ book, according to Geiger, Bernays is critical of the stagnant Judaism of strict legalism and casuistry. Bernays argues eloquently for the importance of innovation in Jewish religious history. Now, Geiger charges, we must ask the learned author of Der Bibel’sche Orient why, of all the periods of Jewish history, the present must drag behind.19 16 17 18 19

Geiger, Hamburger Tempelstreit (see note 15), 3. Ibid., 5. Ibid., 6. Bernays’ Der Bibel’sche Orient was published in Munich in 1821. Geiger, Hamburger Tempelstreit (see note 15), 12–13. See also 73–74. While some might argue that Bernays was pressured into his stance, the only rabbinic opinion which was published supporting Bernays was that of Jakob Ettlinger in neighboring Altona. Cf. Meyer, Response to Modernity (see note 1), 117. Bernays had consistently opposed the Reformers in Hamburg throughout his rabbinate there. But his ban must have seemed especially harsh to many, a reaction which Geiger well expresses.

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Geiger’s critique of Bernays in Der Hamburger Tempelstreit is fascinating because it is so different from his critique in the Theologische Gutachten (although that responsum is reprinted in Der Hamburger Tempelstreit). In the earlier responsum, Geiger argues against Bernays on halakhic points. In the later monograph, Geiger’s argument is one of ideological consistency. If Bernays was scholarly enough to recognize the historical development of Jewish liturgy over time, Geiger argued, then how could he not apply that history to the present day? Geiger cannot understand that for Bernays, the study of history does not necessarily dictate contemporary praxis. For Bernays, historical research was a pursuit of knowledge. Such research was permitted, even lauded, but its results were not halakhically authoritative. This is the form that modern Orthodoxy would eventually take under Esriel Hildesheimer at the Rabbinical Seminary in Berlin. German Liberal Judaism differed from Hildesheimer’s Orthodoxy in that for the Liberals history could command.20 The difference between the Reform Judaism that stemmed from Geiger and the Positive-Historical (and later Conservative) Judaism that stemmed from Frankel was whether history commanded for change or for conservatism. The lessons of historical research could be disputed. But Frankel and Geiger agreed that history was the source of authority. In his critique of Bernays, Geiger is critiquing an entire approach to Judaism – the non-historical approach of the Orthodox – as intellectually inconsistent. Intellectual consistency, however, was as much of a priority to all religious leaders as it was to Abraham Geiger. The discussion of Bernays and the reprint of the short responsum is followed by Geiger in Der Hamburger Tempelstreit with a short history of liturgical development. In the biblical period, sacrifice was the major form of worship, although the beginnings of the thrice-daily prayer can be detected.21 Prayer in the biblical period, even if performed at specified times, was of undetermined content. The history of liturgical forms begins in the Second Temple period. This was the time when the Pentateuch emerged as the national scripture and was read publicly at regular times. Pentateuchal readings caused synagogue-like congregaAccording to Stephen M. Poppel, Bernays’ condemnation of the liturgical reforms “represents an exception to the historical view of Bernays as a perceptive and imaginative religious leader”; cf. Poppel, “The Politics of Religious Leadership” (see note 10), 459. 20 On Hildesheimer and the path of Modern Orthodoxy, cf. David H. Ellenson, Rabbi Esriel Hildesheimer and the Creation of Modern Jewish Orthodoxy (Tuscaloosa: University of Alabama Press, 1990). 21 Geiger, Hamburger Tempelstreit (see note 15), 16–17, citing Ps. 55:18 and Dan. 6:11 as evidence for thrice-daily prayer in the biblical period.

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tions, what Geiger calls “Sammelhäuser,” to form, and liturgies came to surround the scriptural readings, paralleling the Temple sacrifices.22 Geiger, in this identification of public scriptural readings as the origin of the synagogue, is following Leopold Zunz who began his classic Gottesdienstliche Vorträge der Juden (1832) with this claim. Geiger identifies three basic ideas which characterized the earliest Jewish liturgical forms: 1) Bekenntnis, the acknowledgement of the oneness of God, 2) Erinnerung, the recalling of the historical events that formed the Jews as a people such as the exodus from Egypt, and 3) Bitte, the petition of God for protection and support. These ideas, Geiger claimed, characterized the national character of Judaism.23 Here too one can see the influence of Zunz, for it was Zunz who first posited (at least among Jewish scholars) that the literature of a people was the gateway to its consciousness, “die Literatur einer Nation als den Eingang betrachtet zur Gesammtkenntniss ihres Culturganges durch alle Zeiten hindurch.”24 Zunz believed that the national literature of the Jews was its liturgy, and so he devoted the major efforts of his life-long scholarship to its study. Geiger’s scholarship focused on the Bible, the Second Temple and the early rabbinic periods.25 He was interested in the origin and essence of Judaism, and so he looked at its beginnings. But he accepted Zunz’s approach that the continued history of a people’s consciousness is to be told through a study of its literature, which for the Jews was substantively its liturgy. In Der Hamburger Tempelstreit, Geiger moves beyond the ancient period and follows the development of the religious consciousness of the Jews through history to the modern era. The development of the prayer book mirrored the people’s march through history, and just as that march was to continue in the nineteenth century, so was liturgical development. According to Geiger, Bekenntnis and Erinnerung were expressed though the Shema and its Blessings. The preceding and first two paragraphs of the Shema were devoted to Bekenntnis, to acknowledgment of God, while the third paragraph and succeeding blessing are devoted to Erinnerung, to recalling the exodus from Egypt. The Amidah, or Tefillah, is devoted to Bitte, to petition. The opening and closing 22 Ibid., 17, 19–20. 23 Ibid., 18. 24 Leopold Zunz, “Etwas über die rabbinische Literatur” (1818), in Leopold Zunz, Gesammelte Schriften, Vol. 1 (Berlin: Louis Gerschel, 1875), 1–31, here 6. 25 See Susannah Heschel, Abraham Geiger and the Jewish Jesus (Chicago: University of Chicago Press, 1998), who argues that much of Geiger’s scholarship was constructed as a defense of Judaism against the claims of Christian scholarship.

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benedictions of the Amidah provide the structure for the (weekday) middle petitionary benedictions, which Geiger says were originally private requests, “Herzensbitten.”26 Geiger explains the Amidah this way since he is suggesting that the specific content of the petitionary benedictions is not an essential element of Jewish prayer. What is essential is that the petitions accurately reflect the yearnings of the hearts of the worshippers. Geiger emphasizes that in its formative period the liturgy was meant to be understood by the worshippers. Prayer was acceptable in any language, the ancient Rabbis taught, and the liturgy itself was, except for the Shema and other scriptural passages, written in “späthhebräische Dialekt,” the dialect of rabbinic rather than the already ancient biblical Hebrew. Even the Shema was permitted to be recited in any language if the worshipper did not understand Hebrew. Rabbinic tradition testifies that the Shema was said in Greek. “R. Levi hörte Alexandriner das Schema wirklich griechisch lesen,” Geiger tells us.27 Geiger is implying here that nineteenth-century Germany was not the only time and place when the Jews did not fully understand their own ancient language. Even in rabbinic times, when the prayer book was first being composed, the Jews in certain parts of the Hellenistic world could not fully understand the Hebrew of the Bible. While Hebrew should be preserved in some places in the prayer book, it is completely warranted by Jewish rabbinic tradition to have much of the liturgy in German so that it can be better understood and more accurately reflect the hearts of the worshippers. Geiger reemphasizes that the obligation to pray and offer petition, Bitte, does not require the word-for-word recital of the standardized text of the Amidah. Samuel, one of the great sages of the Babylonian Talmud, suggested that latecomers to synagogue recite an abbreviated Amidah. This became the Havinenu, which Geiger made reference to in his shorter halakhic responsum on the Hamburg prayer book. Geiger also notes here that the Havinenu was not the only abridgement found in the traditional prayer book. The Uva Letziyon Go’el summarizes the Kedushah, while the Barukh Adonai Le’olam for weekday evenings and the Magen Avot for Shabbat evenings summarize those respective Amidah liturgies.28 The traditional prayer book also reflects what had been contemporary concerns, like the Yekum Purkan which prays for the welfare of the 26 Geiger, Hamburger Tempelstreit (see note 15), 18–19. 27 Ibid., 21. 28 Ibid., 22.

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Resh Galuta, the head of the Babylonian exilic community. Rather than pray mindlessly for the concerns of the Jews of early medieval Babylonia, Geiger suggests that contemporary Jews should pray for their own contemporary concerns, concerns that may and should appear in contemporary prayer books.29 Geiger next discusses the Kol Nidrei, the famous prayer for Yom Kippur eve whose place in the liturgy and text have been in flux from ancient times through the Middle Ages. The prayer, which annuls the vows of the previous year, has caused much misunderstanding. After explaining the fluidity of its development and it peripheral importance in the liturgy, Geiger suggests that its place in the prayer book need not be maintained, as it was already omitted in the Hamburg prayer book.30 What is of interest here is that for Geiger the importance of a prayer is determined by its historical role in the structural development of Jewish liturgy. Any Romantic attachment of the people to the prayer is irrelevant for Geiger (whereas for Frankel it is primary). The close of the Rabbinic period was marked by a formalization of the liturgy and an end to its “Lebendigkeit und Flüssigkeit.”31 The piyyutim, the medieval liturgical poems which were written as additions to the liturgy, were originally intended as a protest against the rigidity of the fixed liturgy, Geiger claimed. The history of the piyyut represented the “freie, zeitmäße Entwicklung” of the national spirit.32 This point reflects the scholarship of Zunz. But Geiger goes on to argue that while the piyyutim were originally written as songs which could be understood by the people, they became too esoteric and difficult to comprehend, so much so that Joseph Karo, the great early modern halakhic authority and author of the Shulhan Arukh, the still authoritative code of Jewish law, argued for their elimination. However, they were not eliminated, but were preserved because of “Starrheit und Pietismus.”33 The obstinacy of medieval and early modern piety has no place in the Judaism of the “Aufklärungs-Epoche,” claimed Geiger. One of the great projects of the enlightened Jewish communities is, as Geiger declares, the reform of the prayer book.34

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Ibid., 23. Ibid., 24–25. Ibid., 25–26. Ibid., 29. Ibid., 33. Ibid., 34.

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After a brief discussion of Israel Jacobson and the Westphalian reforms,35 Geiger comes to the first edition of the Hamburg Temple prayer book from 1819. The intentions of the Hamburg Temple reformers in 1819 were to restore “Ruhe” and “Ordnung” to Jewish worship. They sought this through elimination of the selling of honors, of calling up honorees by name, and of the trope and nusah music by which the scriptures and liturgy where recited. The new music of the Hamburg Temple would consist of congregational and choral singing with the accompaniment of a pipe organ. The Sephardic pronunciation of Hebrew would replace the Ashkenazic pronunciation. The duration of services would be shortened by eliminating the later medieval additions to the liturgy since the piyyutim were originally intended to add new to the old, not be codified along with the old. The duration of services would also be shortened by elimination of the reader’s repetition of the Amidah, by the reduction of the weekly scriptural reading to a third of the traditional prescription (taking three years rather than one to complete a full cycle of Penteuchal readings), by the omission of the Haftara (reading from the Prophets), and by omission of much of the introductory psalms of the Pesukei Dezimra before the formal morning service.36 Most of the reforms listed by Geiger which were initiated in 1819 were maintained in the 1841 edition of the prayer book. A major exception was the introductory psalms to the morning service, the Pesukei Dezimra, which were restored in their entirety in Hebrew in the 1841 edition. Having contextualized and justified the Hamburg Temple reformers through his discussion of the history of Jewish liturgical reform, Geiger cannot rest his pen without a critique of the prayer book. Much 35 Ibid., 35–37. 36 Ibid., 37–38. The triennial cycle of Torah reading used by the Hamburg Temple was not like that used by many synagogues today. In Hamburg they read the scriptures much like the triennial cycle of ancient times, that is, in the first year they read Genesis and began Exodus, in the second year they completed Exodus and Leviticus and began Numbers, and in the third year they completed Numbers and Deuteronomy. Today, synagogues on the triennial cycle read a third of the prescribed reading each week, and skip to that third of the next reading the following week, so that they are still reading from the same selection as synagogues on the annual cycle. For the week-by-week selection used in the Hamburg Temple, see pp. 431–433 of the 1841 edition of the Hamburg prayer book. The Gebetbuch provides 154 weekly Torah readings. For a late twentieth-century exposition of the approach employed by the Hamburg Reformers, cf. Lionel E. Moses, “Is there an Authentic Triennial Cycle of Torah Readings?,” in David J. Fine, ed., Responsa 1980–1990: The Committee on Jewish Law and Standards of the Conservative Movement (New York: Rabbinical Assembly, 2005), 77–128.

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of his critique can be applied to both the 1819 and 1841 editions of the prayer book. Two criticisms of Geiger are of special interest because they mark his completely rational and anti-Romantic attitude toward liturgy. He criticizes the prayer book for not eliminating the Kiddush, the sanctification of the Sabbath or festival recited in the evening over wine, and for not eliminating the Priestly Benediction (Numbers 6:24– 26) from the Amidah. The Kiddush belongs at home, not in the synagogue, Geiger argues. It was a late addition to the Friday evening service for the benefit of those who would be lodging in the synagogue overnight, which was not the case in Hamburg. And the Priestly Benediction should be eliminated because the priests (kohanim) are no longer in commission and we do not yearn for a return of the Temple where the priests will bless the people. The blessing given by the Cantor has no rationale (“keine Begründung”).37 What is striking is that the Friday evening Kiddush and the threefold Priestly Benediction are some of the most popular elements of Jewish worship. That the popular Will was not Geiger’s concern explains the completely theoretical nature of his critique, a critique which was not thoroughly implemented even in his own prayer book of 1854.38 A greater irony here is that the Kiddush and the threefold Priestly Benediction (recited by the Rabbi and Cantor) were not only preserved in Reform Jewish liturgy today, but by today have become highlights of the service, much more so than in traditional Jewish worship. Geiger is particularly troubled by the inconsistency of the Hamburg prayer book regarding the use of Hebrew and the use of German. While the most important prayers are printed in Hebrew, sometimes the “typische” prayers are in German (like the Friday evening Kiddush) and the “accessorische” prayers are in Hebrew (like the morning Pesukei Dezimra in the 1841 edition).39 The decision of the 1841 prayer book to put the Friday evening Amidah in German while the Sabbath morning service was printed almost entirely in Hebrew was also criticized by Frankel.40 Gotthold Salomon, the preacher of the Hamburg Temple, explained the logic of the decision as a purely local consideration. Friday evening services were held in Hamburg at sundown, which could be as early as four in the afternoon in the winter months. Hamburg Jewry was dominated by the rhythm of store hours (Geschäftsleben), result37 Geiger, Hamburger Tempelstreit (see note 15), 39. 38 Cf. Ellenson, “The Israelitische Gebetbücher” (see note 2), 212–213; Herrmann, “Liberale Gebetbücher” (see note 2), 81–85. 39 Geiger, Hamburger Tempelstreit (see note 15), 41–44. 40 Frankel, “Das neue Hamburger Gebetbuch” (see note 13), 62.

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ing in the phenomenon that Friday evening services were frequented mostly by women since the men were still at work. The women, unlike the men, could not read Hebrew and preferred a German service. Much of the editorial decisions, Salomon explains, were due to such issues of praxis, which was appropriate because a prayer book is meant to be used by people, not just analyzed by theorists.41 Nevertheless, the issue of the language of prayer could not be so easily dismissed as a mere practical matter. It was to become the major issue at the 1845 rabbinical conference in Frankfurt. Frankel had then begun to distance himself from the Reformers and Geiger when Geiger proclaimed his notorious affirmation of the spirituality of prayer in German even more so than Hebrew: “Ein deutsches Gebet [regt] mehr als ein hebräisches zur tieffen Andacht [an].”42 There were two major ideological issues that guided the editors of the Hamburg Temple prayer books of 1819 and 1841. Geiger identifies these two ideas as the denigration of other religions and the hope for a national future which included the coming of the messiah and the restoration of the Jewish commonwealth in Palestine.43 Various prayers were omitted in the prayer book which made reference to these two ideas, ideas with which Geiger and many of the other Reformers had difficulty. Geiger complains that while efforts were made to omit reference to a personal messiah, the editors did not replace the notion with its modern understanding, that the “Messiaszeit” is the time when the Jews will fulfill their mission of spreading God’s teaching throughout the world. As Geiger explains, “Die Messiaszeit ist nach ihr die Zeit der gesteigerten Erkenntnis, wo die Wahrheit und der Glaube in voller Reinheit strahlen, der Friede zwischen den Völkern herrscht und die gegenseitige Anerkennung und die Herrschaft des Rechtes allen Zwiespalt fern hält.”44 The particularistic redemption of a personal messiah becomes a universal redemption of a Messianic Age. Palestine is devalued but the redemption of the world through the realization of the Mission of Israel should have been incorporated into the new liturgy. Rather, the Hamburg prayer book deemphasizes the Messianic redemption but does not thoroughly eliminate references to the restoration of the Jewish commonwealth in Palestine.

41 Salomon, Sendschreiben and den Herrn Dr. Z. Frankel (see note 14), 14–15. 42 Protokolle und Aktenstücke der zweiten Rabbiner-Versammlung (Frankfurt am Main: E. Ullmann, 1845), 33. Cf. Meyer, Response to Modernity (see note 1), 136–137. 43 Geiger, Hamburger Tempelstreit (see note 15), 45. 44 Ibid., 47.

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The prayer book did retain the reference to the sacrifices in the Musaf (“Additional”) service, but replaced the line that asks that we be brought up to our land so that we may offer the obligatory offerings with: “Mit Liebe und Wohlgefallen auf die Worte unseres Mundes an der Stelle der einstigen Opfergaben.”45 The phrases employed in Hebrew, “areshet sefateinu” and “korbanot hovoteinu” are familiar liturgical phrases that flow easily amidst the traditional liturgy. Geiger is not satisfied with this felicitous and subtle emendation since it maintains the importance of sacrifices in the structure of the Musaf service. Even calling the service “Musaf” recalls the sacrifices, presenting an ambiguous message. The Musaf should be a prayer without reference to sacrifices of “offerings.” “Oder”, Geiger suggests, “sollte #swm nicht Mußafopfer, sondern das Mußafgebet bedeuten.”46 Geiger also criticizes Salomon’s defense of several retained references to the return to Zion. Salomon claimed that even while we are loyal to the Fatherland we have still always hoped for the return of at least some of our people to Zion.47 Geiger questions whether the Reform community really believes in a physical return to Palestine as their teacher Gotthold Salomon suggests. “Ob die Tempelgemeinde,” he argues “an diese die richtige Mitte haltende Messiasvorstellung wirklich glaubte und glaubt, wie Herr Dr. Salomon behauptet, mag dahin gestellt bleiben.”48 Interestingly, Salomon was articulating what was later to characterize German – as well as American – Zionism, a support for the Jewish establishment in Palestine but without support for any mass German – or American – immigration (aliyah). Many German Jews in the later period of the nineteenth century after the emergence of Zionism did not support even the mitigated approach of the German and American Zionist leaderships, and reflected more the attitude of Geiger. Zionism was to become a matter of bitter debate in the German Jewry of the early twentieth century.49 Geiger was very critical of Salomon and the prayer book’s “Unklarheit” regarding the future of the Jewish people, the Messianic era, the 45 46 47 48 49

Gebetbuch (1841 edition), 84. Geiger, Hamburger Tempelstreit (see note 15), 55. Ibid., 49–50. Ibid., 50. On German Jewry’s ambivalent reception of Zionism, cf. Michael Berkowitz, Zionist Culture and West European Jewry before the First World War (Cambridge and New York: Cambridge University Press, 1993); Stephen M. Poppel, Zionism in Germany 1897–1933: The Shaping of a Jewish Identity (Philadelphia: Jewish Publication Society, 1977); Ismar Schorsch, Jewish Reactions to German Anti-Semitism 1870–1914 (New York: Columbia University Press, 1972), ch. 7.

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return to Zion and the importance of sacrifices.50 The ambiguous reform presented the worshipper with only a partial truth, a “Halbheit.”51 But at the same time he praised the prayer book for its pioneering contribution to the history of liturgical development. A greater project should be undertaken, Geiger writes, for the plan of a prayer book guided in its editorship by the findings of Wissenschaft des Judentums. Only a prayer book born of careful Jewish scholarship would resolve the inconsistencies of that of Hamburg. A “jüdisch-theologische Facultät” should be founded so that the fruits of jüdische Wissenschaft might be made available to the needs of the Jewish communities of Germany.52 Geiger had spent much of his career clamoring for the establishment of a Jewish theological faculty at a German university. Frankel, who agreed that a Judaica faculty was essential for German Jewry, preferred the focus to be Talmud rather than theology, and preferred the establishment of a Jewish seminary rather than a faculty that would be part of a German university. Geiger was surely disappointed when Frankel was chosen to head the Jüdisch-Theologisches Seminar in Breslau rather than him.53 Geiger’s comments here in support for a Jewish theological faculty are not his first on that topic.54 The comment reveals Geiger’s plan to utilize Wissenschaft des Judentums for the reform of Judaism. For Geiger the academic study of Judaism was not (merely) academic. In Der Hamburger Tempelstreit, Geiger gives an example of how Wissenschaft might be employed to guide the development of modern Judaism. Geiger himself wrote an outline for a prayer book in his image. His Grundzüge und Plan zu einem neuen Gebetbuch of 1849 paved the way to his own prayer book, published in Breslau in 1854.55 Geiger’s prayer book preserved most of the liturgy in Hebrew and was seen, according to Petuchowski, as “far more traditionalist than the Hamburg ritual.”56 Geiger’s prayer book of 1854 is often seen as an example of the praxis which had to lag behind the theory of Der Hamburger Tempelstreit of

Geiger, Hamburger Tempelstreit (see note 15), 76. Ibid., 60, 62. Ibid., 67. Cf. Michael A. Meyer, “Differing Views on Modern Rabbinical Education in Germany in the 19th Century” [hebr.], World Congress for Jewish Studies. Proceedings 6 (1973), Vol 2, 195–200. On Geiger cf. especially 196. 54 Meyer dates Geiger’s views to 1836. Cf. ibid., 196, fn. 6. 55 Cf. above, fn. 38. 56 Petuchowski, Prayerbook Reform (see note 3), 56.

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1842. Max Wiener, however, is more charitable to Geiger and defends his consistency: This prayer book [of 1854] consistently reflected that religious philosophy and theological conviction which had long become firmly consolidated in Geiger’s mind. To Geiger, Israel continued to be a people, but one united solely by a common historic faith, renouncing aspirations it might have had in the past. As a consequence, all reminiscences of that sort, including recollections of medieval martyrdom, were to him no longer meaningful. Even Haman and Amalek were to be forgotten. Enlightened theologian as he was, Geiger removed from his prayer book all references to angels and to a physical resurrection of the dead. His aesthetic sense demanded the elimination of the piyyutim and a limitation of the many repetitions in the original siddur. However, despite all these innovations which must have seemed highly suspect to the traditionalists, Geiger’s prayer book in its essentials retained the traditional form. It differed from radical Reform particularly in that most of it still was in Hebrew.57

Geiger remained consistent in preserving what he understood to be the bases of Jewish liturgy, namely Bekenntnis, Erinnerung and Bitte. His prayer book, which served a broader and less cohesive community than that of the Hamburg Temple, preserved the acknowledgment of God’s oneness and sovereignty, of the historical experience of Israel in receiving God’s Mission, and in petitioning God for protection and salvation. The forms of prayer, the Shema and the Amidah, are preserved as they reflect these basic ideas. “The siddur should preserve its traditional character,” as David Ellenson summarized Geiger’s approach to the 1854 prayer book, “so that its links to Jewish history could be maintained.”58 History must be preserved for it is the backbone that provides the basis for Reform. Geiger’s response to the Hamburg Temple prayer book of 1841 is but one piece in the controversy over liturgical reform that erupted in its wakes, but it was one of the most important responses. Geiger’s response, alongside that of Frankel, helped chart the course of German Judaism in the years and decades to come.

57 Max Wiener, ed., Abraham Geiger and Liberal Judaism: The Challenge of the Nineteenth Century (Cincinnati: Hebrew Union College Press, 1981), 47–48. 58 Ellenson, “The Israelitische Gebetbücher” (see note 2), 206.

Abraham Geiger and the Denominational Approach to Jewish Religious Life Adam S. Ferziger I. Introduction Along with his broader role as one of the leading liberal Jewish theologians and pioneering scholars of his generation, Abraham Geiger served for over forty years – from 1832 to 1874 – as a local rabbi. His path encompassed one relatively minor community (Wiesbaden) and three major German Jewish centers: Breslau, Frankfurt, and Berlin. What practical rabbinical model was exemplified through his professional career? To what extent did it offer a roadmap for the overall advancement of Reform Judaism within nineteenth-century Germany? In what ways was this paradigm manifested in the subsequent proliferation of the Reform movement in the United States? In 1977, Jakob J. Petuchowski addressed some of these questions in an article published in the Leo Baeck Institute Year Book entitled “Abraham Geiger and Samuel Holdheim: Differences in Germany and Repercussions in America.”1 His main thesis was that beyond their numerous theological divergences, Geiger and Holdheim represent two distinct approaches to the way Reform Judaism could most effectively transform nineteenth-century German Jewish life. Geiger was committed to the traditional united communal structure that encompassed all local Jews. He sought to facilitate a “revolution from within” by introducing new types of religious norms and theological ideals, synagogue services, rabbis, and educational tools. For Holdheim, in contrast, the 1

Jakob J. Petuchowski, “Abraham Geiger and Samuel Holdheim: Differences in Germany and Repercussions in America,” LBIYB 22 (1977), 139–159 [reprinted in Jakob J. Petuchowski, Studies in Modern Theology and Prayer (Philadelphia: Jewish Publication Society, 1998), 257–282]. For an earlier rendition of aspects of the main argument, cf. Jakob J. Petuchowski, Prayerbook Reform in Europe: The Liturgy of European Liberal and Reform Judaism (New York: World Union for Progressive Judaism, 1968), 31–45. There he coins the terms “Reform from within” and “Independent Reform.”

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prevalent Jewish collective form was inimical to the aims of Reform. The only alternative was to create completely independent frameworks within which this fresh approach could be disseminated and set down roots. Petuchowski suggested, furthermore, that this division was mirrored in America through the variant paths of Reform’s two central pioneers in the mid-nineteenth century, with Isaac Mayer Wise following the Geiger unity model and David Einhorn exemplifying the denominationalist disciple of Holdheim. In the following I would like to reconsider and seek to modify aspects of this thesis. My aim is to present a fresh perspective on the example that Geiger’s German career offered for the burgeoning Reform denominational approach that flourished in the United States. Notwithstanding the merits and attractive formulation of Petuchowski’s essay, my central argument is that his dichotomous reading does not take full account of the position that emerges from Geiger’s rabbinical activities and the prevalent mode of German Jewish public religious life in his time. Indeed, Petuchowski’s rendition highlights a general tendency that continues to inhere to the study of Judaism in nineteenth- and early twentieth-century Germany: the overemphasis and often monolithic perception of the role of official communal separation in the development of Jewish religious life. This feature is exacerbated through the imprecise parallels drawn between the German and American environments. Somewhat ironically, this appears to be a case in which the formerly predominant discourse within research of Orthodoxy in Germany is paralleled by ongoing understandings of German Reform as well.

II. The Petuchowski Thesis Petuchowski’s characterization of Geiger as one who was dedicated to facilitating the spread of Reform while remaining allegiant to a unified Jewish communal life, is predicated on four main points: 1. Throughout his rabbinic career Geiger always served as rabbi within a unified Gemeinde structure. 2. During Geiger’s early tenure in Wiesbaden (1832–1837), his personal letters demonstrate that he initially contemplated seriously the value of creating a separate, independent Reform entity as the most viable vehicle for advancing his goals. Yet he concluded that this was not the proper approach and from that point on remained committed to the united framework. Similarly, in Breslau he sought to preserve the

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united communal structure despite the tensions that prevailed with the chief rabbis Solomon and Gedaliah Tiktin. 3. Geiger was twice invited to serve as rabbi of the independent Jüdische Reformgenossenschaft in Berlin. Both times he refused the position because the society stood apart from the Berlin communal apparatus. In fact, the second offer came in 1860 after the sudden death of Holdheim, who had functioned there as founding rabbi. Geiger would only move east ten years later when he was appointed as an official rabbi within the established Berlin Gemeinde. 4. Even regarding the Reform synods of the 1840s at Braunschweig, Frankfurt and Breslau, where Geiger played an instrumental role, he sought – albeit ultimately unsuccessfully – to create a wide coalition that could encompass figures like Zacharias Frankel on the right and Holdheim on the left. In this light, despite his desire to purify modern Judaism of what he considered to be arcane and foreign properties, at the conferences he remained a devout defender of the consensus position that continued to mandate male circumcision. Proceeding from this description, Petuchowski substantiated his identification of Isaac Mayer Wise as American heir to the Geiger legacy through Wise’s ongoing tarry to cultivate a minhag Amerika (American custom or ritual) that would be acceptable to the widest spectrum of local Jews. This broad-based focus resounded as well in his role as the driving force in the foundation and leadership of both the Union of American Hebrew Congregations and the Hebrew Union College. These salutes in title to unity signified Wise’s overall aim of thwarting the divisive direction championed by the inheritors of Holdheim’s separatist denominational outlook. Despite these myriad accomplishments in the spirit of Geiger, notes Petuchowski, the opposite camp ultimately won the day through the efforts of David Einhorn and primarily those of his sons-in-law: Kaufmann Kohler, who served for over 20 years as the second president of Hebrew Union College, and the prominent Chicago Reform rabbi, Emil G. Hirsch.2 There is no question that the united community was the exclusive venue for the profession of Geiger’s Reform outlook. Undoubtedly as well, Holdheim and company were in many cases more adamant in their celebration of a radical Reform unfettered by the need to compromise in order to satisfy less vanguard attitudes. All the same, the overemphasis in Petuchowski’s thesis on separatism versus unity as the central barometer for evaluating the nature of German-Jewish collective reli2

Ibid.

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gious life interferes with our ability to characterize Geiger’s model and how it resonated subsequently in America.

III. Unity as the Norm That Geiger spent his entire professional life working within the unified Gemeinde structure is not necessarily a compelling argument for his commitment to this format. With the exception of the leader of the Berlin independent congregation, and unlike some of their Orthodox counterparts, this was actually the type of venue in which all other nineteenth-century Reform rabbis in Germany functioned. Even in Berlin, the Jüdische Reformgenossenschaft activists did not follow the more radical path of their Orthodox Adass Jisroel counterparts and formally resign from the Berlin community in wake of the 1876 Austritt law.3 On the contrary, they persisted in paying taxes to the Gemeinde in order to maintain their good standing. As such, Geiger’s unwillingness to promote a fully autonomous Reform community may have had less to do with his ideological inclinations than his perception that such a formal separation was an anathema to the vast majority of German Jews – ultimately an impediment to the spread of Reform. From this perspective, the rejection of his initial speculations regarding facilitating a Reform schism does not confirm a deep-seated commitment to the idea of communal unity. It offers, instead, additional evidence of his pragmatic awareness of the strong connection that German Jews felt toward the Gemeinde of their ancestors – regardless of their personal observance. In this light, the following description by Saemy Japhet in his recollections from his youth is instructive. He describes the conflict felt by Frankfurt’s veteran Orthodox Jews when their dynamic rabbi – Samson Raphael Hirsch who was not a native son – decreed that they resign from the official community:

3

On the Adass Jisroel independent community led initially by Esriel Hildesheimer, cf. for example, David H. Ellenson, Rabbi Esriel Hildesheimer and the Creation of Modern Orthodoxy (Tuscaloosa and London: University of Alabama Press, 1990), 55–72; Adam S. Ferziger, Exclusion and Hierarchy: Orthodoxy, Nonobservance, and the Emergence of Modern Jewish Identity (Philadelphia: University of Pennsylvania Press, 2005), 151–185; Peter Honigmann, Die Austritte aus der Jüdischen Gemeinde Berlin 1873–1941: Statistische Auswertung und historische Interpretation (Frankfurt am Main et al.: Peter Lang, 1988).

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The Frankfurt-born members loathed the idea of secession. Deep-rooted affection for beloved traditions and innate loyalty formed ties with the Gemeinde which they did not intend to break […]. Rabbi Hirsch himself never found his way to the old Frankfurt Jewish inhabitants […] he belittled the so-called Frankfurt minhagim, he kept aloof from everything which was not connected with his own [independent] community.4

Like those described by Japhet, Geiger too was a Frankfurt native who was sensitive to this aspect of German-Jewish traditionalism. In fact, his brother Solomon Geiger was one of the loyalists in the Orthodox camp who, as Japhet noted, decried Hirsch’s various deviances from local tradition already in the 1850s.5 Abraham Geiger’s lack of adoption of the secessionist path, then, does not necessarily support Petuchowski’s contention that he was ideologically opposed to an independent Reform stream. What it does indicate is that along with convincing German Jews of the correctness of his enlightened religious approach, Geiger was aware that he would have also had to demonstrate why the traditional communal structure was no longer viable. From a practical perspective, such a political battle – as the subsequent internal Orthodox divide later proved – did not serve Geiger’s main goals. Yet Geiger even rejected the opportunity to serve in the “semi-autonomous” Berlin model. How then can he be characterized as anything but the ideological flag bearer of traditional communal unity (as put forward by Petuchowski)? A more nuanced examination of the nature of his rabbinic offices offers an adjusted picture.

IV. Constituency Definition vs. Communal Affiliation What were the actual frameworks within which Geiger aimed to realize his ambitions and what information do they offer regarding the evolution of modern Jewish denominationalism? In contrast to Petuchowski’s focus on the relatively formal issue of Geiger’s official commu4

5

Saemy Japhet, “The Secession from the Frankfurt Jewish Community under Samson Raphael Hirsch,” Historia Judaica 10/2 (1948), 99–122, here 109 and 119. Indeed, Japhet asserts (118–119) that the vast majority of those who followed Hirsch’s call to resign from the Gemeinde were newcomers to Frankfurt who lacked a long term family connection to the community. Robert Liberles, Religious Conflict in Social Context: The Resurgence of Orthodox Judaism in Frankfurt am Main, 1838–1877 (Westport, CT and London: Greenwood Press, 1985), 152.

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nal affiliation, the following sections will concentrate on defining the primary constituency and congregational institutions that he actually served. This, it is argued, provides a more useful tool for analysis of the form of collective religious existence that he sought to advance. Before applying this alternative perspective to look more carefully at Geiger himself, however, an instructive illustration is available from the realm of German Jewish Orthodoxy. Samson Raphael Hirsch and Markus Horowitz of Frankfurt, Esriel Hildesheimer of Berlin, and Anselm Stern of Hamburg were all Orthodox rabbis in major German-Jewish communities.6 One way of categorizing them would be to highlight their divergent approaches to Gemeinde politics. Hirsch and Hildesheimer led Austrittsgemeinden, whereas Horowitz and Stern operated under the umbrella of unified structures. This is a crucial distinction which no doubt sits at the foundation of many facets of internal Orthodox debates. Nonetheless, as David Ellenson and others have emphasized, Hildesheimer was in many ways much closer in his rabbinical approach to that of his disciple Horowitz than to his ostensive separatist comrade in arms, Samson Raphael Hirsch.7 More broadly, as Mordechai Breuer demonstrated in great detail, the religious, cultural, and social norms that these figures and their primary constituencies shared in common, present a far richer composite of German Orthodoxy than the more monolithic communal separation litmus test.8 As to the four rabbinical figures specified here, their most basic common denominators were all being leaders of religious collectives (synagogues or societies) that self-defined as Orthodox, while operating in Jewish environments that sustained a Reform alternative as well. In other words, regardless of whether they led an officially separatist Orthodox community or not, all of them were seen as Orthodox rabbis, and those who sought them out were primarily the local Jews who identified more closely with Orthodox religious interpretations. Had these Jews found the messages or practical innovations of Reform to be appealing, they could have easily fortified the existing Reform presence in their cities. The four Orthodox rabbis mentioned 6

7 8

A bibliographical guide that covers the major biographical materials on all four figures up until 2004 is to be found in Michael Brocke and Julius Carlebach, eds., Biographisches Handbuch der Rabbiner, part I: Die Rabbiner der Emanzipationszeit in den deutschen, böhmischen und großpolnischen Ländern, 1781–1871, arranged by Carsten Wilke, 2 vols. (München: K. G. Saur, 2004). Ellenson, Rabbi Esriel Hildesheimer (see note 3), 93–97. Mordechai Breuer, Modernity Within Tradition: The Social History of Orthodox Jewry in Imperial Germany, trans. Elizabeth Petuchowski (New York: Columbia University Press, 1992).

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here would have ideally preferred that all local Jews look to them as the sole religious authority. But they adjusted to a reality in which religious heterogeneity prevailed and one rabbi or synagogue no longer axiomatically met the needs of the entire Jewish population. Abraham Geiger’s career trajectory manifests a similar dynamic.9

V. Abraham Geiger and his Synagogues This constituency or congregational perspective will now be utilized to illuminate the Reform rabbinic career of Geiger, and in the process modify the portrayal advanced by Petuchowski. During his early professional life in Wiesbaden, Geiger was clearly the communal rabbi who was assumed to be the religious leader for all local Jewry, although, as pointed out already, this period in particular marked his most intensive contemplation of complete Reform separation from the main communal structure. At each subsequent stop he affiliated with the local Gemeinde, but his constituencies gradually evolved into what might be called Reform congregations or factions. The model that emerged parallels, in many ways, that of his Orthodox adversaries described above. In 1840, Geiger took up his position in Breslau. There, it should be recalled, the traditionalist Solomon Tiktin remained Gemeinderabbiner and also became his younger colleague’s arch-rival. Geiger was relegated to second or junior rabbi with no authority to rule on Jewish law for the entire community. “This limitation,” wrote Max Wiener, “made him the rabbi of the Liberal element only rather that the spiritual leader of the [community].”10 His position as rabbi of a sub-group, in this case a minority, within the broader local Jewish community was further demonstrated by the fact that half his salary was funded by wealthy Breslau Jews who wanted to advance the Reform religious outlook that he epitomized. Subsequently, the ongoing agitation between Geiger and Solomon Tiktin, and after 1843 with his son Gedaliah Tiktin, led the government to put forward more than once a compromise that is actually reminiscent of the one instituted later in the century in the Ham9 For an expanded discussion, cf. Adam S. Ferziger, “Constituency Definition: The German-Orthodox Dilemma,” in Jack Wertheimer, ed., Jewish Religious Leadership: Image and Reality, Vol. 2 (New York: Jewish Theological Seminary of America, 2005), 535–567. 10 Max Wiener, “Biography of Abraham Geiger,” in Abraham Geiger and Liberal Judaism: The Challenge of the Nineteenth Century, compiled with a biographical introduction by Max Wiener, trans. Ernst J. Schlochauer (Philadelphia: Jewish Publication Society, 1962), 3–80, here 22.

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burg Jewish community.11 Two official independent religious entities would be sanctioned, one led by Tiktin and the other by Geiger, but both under the auspices of unified Breslau Gemeinde. Notably, Geiger was willing to agree, albeit unenthusiastically, admitting that, “In truth the division already existed on the ground, for numerous synagogues essentially were completely lacking dependence on one another – alas this official split is saddening. Yet for the sake of long-term peace – if no other option exists to preserve it – I was willing to come to terms with the inevitable and agree to serve henceforth as rabbi of only one of the two ‘congregations’.”12 It was Solomon Tiktin who, nonetheless, remained steadfast in his refusal to cooperate with this “denominational” arrangement and it fell through.13 Ultimately, Tiktin’s son Gedaliah was more amenable and Breslau in Geiger’s day, according to Jacob Katz, became the first German-Jewish community in which multiple synagogue entities with distinct ideologies were sponsored under the auspices of one unified local administrative body.14 The upshot from Geiger’s Breslau experience for the current discussion is that although he may have initially hoped to be recognized as a rabbi with authority for the entire Gemeinde, he adjusted quickly to a dynamic in which he was identified as the spiritual leader of a liberal contingent within the community. Surely he saw this pulpit as a vehicle for attracting more allegiants to Reform ideals. The conceptual underpinning of his enterprise, however, was that under modern circumstances it was suitable if not necessary for one local Jewish collective structure to encompass within it multiple factions or congregations predicated on divergent ideologies. This perception, I suggest, is far more nuanced than Petuchowski’s description of Geiger as the chief 11 On the Hamburg compromise, cf. Miriam Gillis-Carlebach, “The ‘Hamburg System’ – A Tolerant Application to a Troublesome Resolution,” Jewish Political Studies Review 12 (Fall 2000), 31–50; Ina Lorenz, “Das ‘Hamburger System’ als Organisationsmodell einer jüdischen Großgemeinde,” in Robert Jütte and Abraham P. Kustermann, eds., Jüdische Gemeinden und Organisationsformen von der Antike bis zur Gegenwart (Vienna: Böhlau, 1996), 221–255. 12 Abraham Geiger, Ansprache an meine Gemeinde (Breslau: n.p., 1842), 1–15 [from translation in Abraham Geiger, Mivhar Ketavav al ha-Tikunim ba-Dat, ed. Michael Meyer (Jerusalem: Merkaz Zalman Shazar and Merkaz Dinur, The Hebrew University of Jerusalem, 1980), 51.] 13 Ibid., 26. 14 Jacob Katz, A House Divided: Orthodoxy and Schism in Nineteenth-Century Central European Jewry (Hanover, N.H. and London: Brandeis University Press by University of New England Press, 1998), 20–23.

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proponent of “Reform from within” in which a chief rabbinical authority would delicately nurture an entire Jewish population toward ongoing ritual and ideological adjustment. Indeed, in light of the fact that half his compensation was underwritten by affluent Reform followers, it calls to mind the early stages of the Israelitische Religionsgesellschaft (IRG) of Frankfurt, in which Hirsch’s salary as rabbi of the Orthodox society was financed by wealthy local sympathizers led by Willy von Rothschild.15 Regarding Frankfurt, what of Geiger’s engagement to serve there in 1863? Did he not return to the position of chief rabbi of a united kehillah, filling the post previously held by Leopold Stein? Does this not provide Petuchowski with further evidence that Geiger aimed to cultivate Reform within a traditional unified communal model? Although he may have enjoyed the reencounter with the streets of his youth, Geiger’s biographers consider his stint as rabbi in Frankfurt to be the least significant and most frustrating period of his career.16 Moreover, the nature of his pulpit was quite consistent with the model that emerged in Breslau – independent congregational entities predicated on the ideological inclinations of their respective constituencies held together within an administratively unified structure. Indeed, in a letter to Leopold Zunz penned during his Frankfurt tenure in 1864, Geiger noted that this had long been the reality there and that he knew to expect this to be the case upon his return: In my own native city there was a strangely rigid dividing line between those who, on the one hand, had been influenced by the currents of the new era and who made strenuous efforts to assimilate its cultural elements and those who, on the other hand, clung tenaciously to outworn viewpoints and institutions. Each group went its own way, each indifferent to the other, and yet closely linked together by the common bond of the community in which they live.17

Thus, before accepting the Frankfurt position, Geiger appreciated that, even if from a formal sense the notion of a united Jewish community in Frankfurt continued to persevere, from a religious perspective distinct congregational identities had long been the rule. Unlike in Breslau, Geiger’s salary in Frankfurt was paid for completely by the local com-

15 Cf. Liberles, Religious Conflict in Social Context (see note 5), 87–164. 16 Ibid., 192–194; Wiener, “Biography of Abraham Geiger” (see note 10), 66. 17 Abraham Geiger, “Letter to Leopold Zunz on the Occasion of his 70th Birthday” (August 10, 1864), translated in Abraham Geiger and Liberal Judaism (see note 10), 140.

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munity, but consistent with his previous post his actual constituency was limited to the liberal Jewish population. By the time Geiger returned to Frankfurt in the 1860s he was also aware that a solid alternative for the Orthodox actually existed in the form of the voluntary IRG congregation led by Hirsch. In fact in many ways this was the heyday of Hirsch’s Frankfurt career. By that point the IRG was a thriving religious society with a school whose enrollment had grown within less than a decade from 84 to 250.18 Although, as noted, some Orthodox resented Hirsch’s lack of deferment to minhag Frankfurt, he and his institutions had still become the legitimate alternative to the Reform dominated communal institutions, its rabbi, its synagogue, and the majority of its facilities other than the cemetery. During this era there was little of the internal tension that later emerged among the Orthodox in 1876 when Hirsch demanded formal resignation from the Gemeinde. For the law still required all Jews to pay dues and register with the official local Jewish organization. From an administrative level, then, Geiger could be called the rabbi of the united community that encompassed all Frankfurt Jews. From the perspective of religious life, however, he serviced a Reform constituency that was comfortable with the mild Reforms instituted by his predecessor and sustained by him. To be sure, the denominational nature of the official Frankfurt community was only etched in stone, so to speak, in 1877 when in response to the Hirschian secession the Gemeinde itself appointed Markus Horowitz as rabbi for a distinct Orthodox constituency. Yet, there can be little doubt that Geiger knew full well before arrival that he was entering a religiously factionalized environment. His mandate in practice would be to lead those who identified with Reform while in parallel his former university mate continued to strengthen his role as, what Liberles termed, the “Champion of Orthodoxy.”19 In January 1870, after an extensive local struggle, Geiger moved to Berlin to occupy the position of rabbi in its Gemeinde. There he worked in tandem with Rabbi Joseph Aub, who had already caused controversy due to his institution of numerous liturgical changes.20 Although Geiger surely hoped to influence the religious spirit of the broader Jewish population, he made clear already in a letter to the communal board from 1869 that his primary interest in moving there was in order to create 18 Liberles, Religious Conflict in Social Context (see note 5), 153. 19 Ibid., 113, 138–155. 20 Julius H. Schoeps, “The Process of Adaptation (1790–1870),” in Andreas Nachama, Julius H. Schoeps, and Hermann Simon, eds., Jews in Berlin (Berlin: Henschel, 2001), 53–88, here 88.

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an institute for advanced Jewish studies in which he could train future scholars.21 The main constituency of Geiger’s Berlin rabbinate attended the Neue Synagoge on Oranienburger Straße, but he apparently was permitted to deliver sermons from time to time at the more traditionalist Alte Shul as well. Here too, however, it would be inaccurate to describe him as rabbi of a unified community in the full sense of the word, rather than the leader for a particular sub-section. Even before his arrival an independent Orthodox faction had been established. The Adass Jisroel society was founded in 1869 and Esriel Hildesheimer was hired to serve as its rabbi. Like the more veteran and confrontational Frankfurt counterpart led by Hirsch, this framework provided a concrete voluntary alternative to the liberal dominated leadership and institutions of the Gemeinde. For the purposes of the current discussion, what is crucial is that once again the formality of Geiger serving in a unified communal setting was counterbalanced by a religious environment that highlighted division based on ideology and practical observance. Indeed, in this case the actualization of this denominational like dynamic was inspired or at least exacerbated by the controversies surrounding the very proposal that Geiger be invested as a member of the local Jewish clergy. He knew this, and may have made some efforts to assuage these fears. Nevertheless, as in Breslau thirty years prior, his involvement actually instigated or concretized the internal split between divergent religious constituencies that increasingly came to characterize the spiritual life of the larger German Jewish communities from the mid-nineteenth century.

VI. American Jewish Denominationalism and German Judaism Moving to the nascent Reform movement on the other side of the Atlantic, Petuchowski’s efforts to draw together conceptually the German and American scenes are thought provoking. I would like to suggest, however, that the rough dichotomy which he put forward paralleling distinctions between Geiger and Holdheim in Germany and that which divided Wise and Einhorn in America offers limited insight. Whereas modern Central European Jewry inherited a tradition of a unified structure for local Jewish life and the question of deviating from this norm loomed large, America was a new environment character21 Abraham Geiger, “To the Board of the Jewish Community in Berlin,” (October 6, 1869), translated in Abraham Geiger and Liberal Judaism (see note 10), 131–133.

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ized by diversity in which European precedents had limited influence. If anything, it was the efforts of Wise to cultivate a new type of supercommunal, pan-geographic association among the wide array of Jewish congregations that represented a novel idea within the American religious milieu. Instructive in this regard is Michael A. Meyer’s bold description of America as a bastion of “free market religion” which for Reform Judaism became a “land of promise”: […] the Reform movement thrived fully, and almost easily, in America. The United States lacked the obstacles that had lain in the path of European Reform while providing an environment which could scarcely have been more conducive […] there was no government control over religion, no conservative established church to set the pattern of religious life. A multitude of denominations and sects competed for adherents in a free market of religions […] There were no officially recognized communities, no effective means for enforcing religious conformity. Among the early Jewish settlers in America disregard for Jewish observance was rampant and mixed marriage not infrequent. One was not born into a Jewish community, as in Europe, but affiliated – or not – with a particular synagogue. Religion was less a heritage carried with little reflection from generation to generation than a conscious voluntary choice. Because America was so different from Europe, it often seemed that the inherited traditional Judaism was an Old World phenomenon, and out of place in the New World.22

The variety that characterized the American scene was nurtured through five principles, which – according to historian Sydney Ahlstrom – defined American religious life from the founding of the United States – religious freedom, church-state separation, denominationalism, voluntarism, and patriotism.23 As Jonathan Sarna emphasizes, American Judaism in all its manifestations grew in response to these tenets.24 These factors also neutralized numerous efforts such as that of Isaac Mayer Wise to unite American Jews under a particular framework, and prevented rabbinic leaders from gaining authority beyond the voluntary memberships of their “private” congregations or religious movements. This stands in stark contrast to Central Europe even after emancipation. There Jewish life in a given area continued to be structured around an official communal body that was entitled to tax 22 Ibid., 225–227. 23 Sydney E. Ahlstrom, A Religious History of the American People (New Haven and London: Yale University Press, 1972), 379–384. 24 Jonathan Sarna, American Judaism (New Haven and London: Yale University Press, 2004), 41.

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revenue from the local Jews and in return provided a variety of social and religious services. Put succinctly, the parallel articulated by Petuchowski between early Reform in Europe and in America actually ends up sharpening distinctions between the two environments. In Europe, those who questioned the efficacy of a unified Jewish community were by definition innovators, whereas in mid-nineteenth-century America it was the efforts at instituting a form of unification in a setting predicated on a wealth of options that embodied a fresh initiative. That said the discussion here has highlighted the eventual rise of dynamic religious life even within Europe’s officially unified communal settings. Particularly in the larger communities, in the course of the nineteenth century multiple synagogues began to function and a variety of rabbinical figures served the religious needs of the heterogeneous Jewish collective. In some cases the communities were able and desirous of sponsoring parallel liberal and traditionalist or Orthodox constructs while at other times one of the factions sustained itself. There were also interesting combinations, such as that which supported Geiger himself in Breslau in which half his salary was paid for by the Gemeinde while the other was dependent on the donations of wealthy sympathizers. Indeed, few within the Orthodox, and none among the Reformers, followed the lead of Hirsch in completely seceding from the mother community.25 But the formal relationship between the local liberal and Orthodox, although often grounded in a certain sentimental attachment to the remnants of their ancestral roots, was at its core administrative or political. It was certainly not religious in the theological or ritual sense. From this perspective, America provided an environment in which the “denominationalization” or religious privatization could reach its fullest fruition. Clearly there are numerous aspects of American Reform that reflect the German roots of the movement. In the case at hand, however, it is actually consideration of the independent developments in America that facilitates a more nuanced retrospective appreciation for the nature of the complex congregational settings and rabbinic leadership that were evolving in the course of Geiger’s storied and often contentious rabbinic career. In summing up Geiger’s approach to the Jewish communal structure, Max Wiener declared, “Wherever groups of divergent ideologies joined under the protective shelter of a unified communal administration, each could preserve its ideological integrity […] the strength of the 25 Herman Graupe, The Rise of Modern Judaism (Huntington, N.Y.: Krieger Publishing, 1978), 173.

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organized community was preserved by its unity in all matters save ritual and worship.”26 No doubt, Geiger rejected the secessionist approach, but the model that he bequeathed can aptly be portrayed as “religious diversity in the context of political unity.” This was a distinct model that barely echoed within the American milieu.

26 Wiener, “Biography of Abraham Geiger” (see note 10), 45.

Abraham Geiger and America: His Influence on Jewish Life and Thought Walter Jacob Abraham Geiger was the intellectual founder of European Reform Judaism and surprisingly he played a similar role in North America. When Geiger was born in 1810, the North American Jewish community hardly existed. The tiny Jewish communities were scattered along the east coast and barely managed to survive. True, the spirit of modernity had led to the astonishing creation of a small native Reform movement in Savannah, Georgia, but that had no influence beyond its local surroundings. The new German speaking immigrants who arrived in ever larger numbers, wanted to establish themselves. They came with a vague understanding of Jewish traditions and a hint of the religious ferment of central Europe which had been largely repressed by the conservative governments in states large and small, who feared all change – even in the peripheral Jewish minority. America, however, was different with its separation of church and state, so the Reform movement would blossom with new immigrant rabbis in the fore. During Geiger’s lifetime he saw this tiny group of American Jews expand to half a million. By his death in 1874, it was well on the way to becoming a significant factor in the world Jewish community. This New World community organized itself, established institutions, periodicals, and newspapers which earnestly debated the future of Judaism. Abraham Geiger had a significant, perhaps unexpected part which took three paths: through his writings, his organizational efforts, and his personality. Although several American congregations thought of inviting Geiger to the New World, he never considered it.1 The colleagues who emigrated were soon completely immersed in the building communities and largely abandoned more theoretical considerations. So Samuel 1

He was invited by Oheb Shalom in 1858 according to Isaac M. Fine, The Making of an American Jewish Community: The History of Baltimore Jewry from 1773 to 1920 (Philadelphia: Jewish Publication Society of America, 1971), 63; Temple Emanu-El of New York also sought him according to Die Deborah 2 (1856), 98.

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Adler (1809–1891), who was very much involved in these debates in Europe, neither wrote nor published anything during his thirty years in America although he served as rabbi of the well established, large Temple Emanu-El of New York and was a national leader.2 Geiger’s influence in North America was greatest through his writings, especially those of a more popular nature. They made the Jewish past accessible in a semi-popular way and provided an intellectual foundation for the changes sought by the reformers. They appealed to others as well as the orthodox leader Isaac Leeser (1806–1868) whose unbounded energy led him to undertake whatever was necessary for the growing American Jewish community.3 He established the first successful American-Jewish newspaper, The Occident, in 1843 which soon attracted a large number of readers across the country. He asked young Isaac Mayer Wise (1819–1900) to become a contributor and soon made him editor of the paper’s “Theology and Philosophy” section (1852 to 1854). Wise provided selected portions of essays by Geiger in an English translation for inclusion there and in the Asmonean, a short lived journal.4 When Wise established his own paper, The Israelite, in 1854 he continued to publish translations of Geiger, Samuel Holdheim (1806– 1860) and others. Wise usually chose from Geiger’s Einleitung in das Studium der jüdischen Theologie (1849) and his Judentum und seine Geschichte (1863) both of which had originally been given as series of lectures. Through these pieces the thought of Abraham Geiger and his contemporaries was introduced to American Jewish readers.5 Wise’s 2

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This is the judgement of the American historian Jacob R. Marcus and can be documented. See Jacob Rader Marcus, United States Jewry 1776–1985, Vol. 3: The German Period Part 2 (Detroit: Wayne State University Press, 1993), 513. Isaac Leeser made the first English translation of the Bible, provided a translation of the Portuguese prayer book and separately a translation of the German rite; and see the following works: A Catechism for Jewish Children (Philadelphia: L. Johnson, 1869); Meditations and Prayers for Every Situation & Occasion in Life (Philadelphia, n.p, 1864); The Jews and the Mosaic Law (Philadelphia: E. L. Carey and A. Hart, 1834); The Claims of the Jews to Equal Rights (Philadelphia: C. Sherman & Co, 1840); Discourses on the Jewish Religion, 10 volumes (Philadelphia: C. Sherman & Co, 1866– 68). All this in addition to The Occident, a monthly paper, which he edited through twenty-six volumes from 1843 to 1869. Michael A. Meyer, “German-Jewish Identity in Nineteenth-Century America,” in Jacob Katz, ed, Toward Modernity: The European Jewish Model (New Brunswick, N.J.: Transaction, 1987), 247–267, here 254. James G. Heller, Isaac M. Wise: His Life, Work, and Thought (New York: The Union of American Hebrew Congrations, 1964) provides scattered references. See Bertram Korn, “Isaac Leeser: Centennial Reflections,” American Jewish Archives 19 (1967), 127–141.

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German language Deborah also brought material in the original German to another group of readers.6 Geiger’s historical and theological studies demonstrated that Judaism had changed and developed through successive periods. There was continuous development traceable from the struggle between Pharisees and Sadducees in the period of the Second temple onward. This process continued in stages through the centuries. Reform Judaism represented the latest stage in this long history and would reawaken a slumbering rabbinic Judaism. Geiger as so many others in the nineteenth century was influenced by the German philosopher Gotthold Ephraim Lessing (1729–1781) as were American Reform rabbis like Wise, David Einhorn (1809–1879), and others. Lessing’s system also stimulated Charles Darwin and led to the theory of evolution. Geiger’s studies and his part in the Wissenschaft des Judentums provided a firm foundation for the Reform movement. Geiger provided a very readable account of his thought in his book Judaism and Its History from which most of the excerpts were taken. This popular and more approachable summary of his earlier detailed studies was influential in North America. The complete book was translated by Maurice Mayer (1821–1867), published in New York in 1865. It turned out to be the only major work of Geiger ever translated into English. Geiger was pleased and printed the comments of a letter from distant New Orleans stating that fifty copies had been sold in the community despite the general low Jewish intellectual level. That reader also added that “to understand the rough English translation, a knowledge of German was helpful.”7 Geiger’s main contribution to the development of the Wissenschaft des Judentums was his Urschrift und Übersetzungen der Bibel in ihrer Abhängigkeit von der inneren Entwicklung des Judenthums (1857) in which he developed his ideas fully. Along with his study Sadducäer und Pharisäer 8 it produced a radically different Jewish view of Christianity and demanded that Christian scholarship of the Bible as well as New Testament studies give serious attention to Jewish sources thus far completely neglected. The Urschrift provided the scholarly basis for 6 7

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Die Deborah (1855–1900) was also a more personal organ for Isaac Mayer Wise as it probably remained easier for him to write in his native German. “Aus Briefen,” Jüdische Zeitschrift für Wissenschaft und Leben [= JZWL] 9 (1871), 8. Geiger’s History might have been selected for publication by the forerunner of the Jewish Publication Society which began to publish and distribute books, but as Mayer had already begun his work on Geiger’s essays, that did not occur. The creation of the Society assured a continuous stream of subsidized publication of Jewish books at a time when the commercial market remained insecure. Abraham Geiger, “Sadducäer und Pharisäer,” JZWL 2 (1863), 11–54.

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his reinterpretation of the Pharisees and Sadducees, the history of the Second Temple period, the beginnings of Christianity, and later Jewish history. Although originally largely rejected by Christian scholarship, it eventually succeeded in forcing attention to the rabbinic sources. The newly immigrated American rabbis were aware of the Urschrift and the controversies which surrounded it in Europe, but it was too scholarly for the American public.9 These limitations were also clearly shown by the American translation of Graetz’s monumental multi-volume history which omitted the scholarly footnotes for this American edition. The conclusions of Geiger’s scholarly work were completely accepted by Isaac Mayer Wise10 who used them, although he did not quote Geiger directly in these popular books on the Bible or on Christianity. For example, Wise published a brief introduction to the Bible with special emphasis on the Pentateuch. Its first section was a defense against the higher criticism as presented by Julius Wellhausen (1844–1918) and others in Germany, however the second part makes considerable use of such criticism.11 He could have cited Geiger’s Urschrift here and in his writings about Christianity, some of which were book length,12 but that did not happen. A bit later Kaufmann Kohler (1843–1826) used Geiger’s approach often in his numerous essays in the Jewish Encyclopedia. In the next generation the American scholars, Jacob Z. Lauterbach (1873–1942) and Louis Finkelstein (1895–1991) were influenced by his work. Most American Jews understood it as a historic basis for religious reform and in the twentieth century it helped to bring an appreciation of rabbinic literature. Abraham Geiger influenced American rabbis most through his two periodicals – Wissenschaftliche Zeitschrift für jüdische Theologie (1835– 1838) and Jüdische Zeitschrift für Wissenschaft und Leben (1862–1875) 9 We should note that his earlier study of Islam (Was hat Mohammed aus dem Judenthume aufgenommen (1833) was never mentioned as an interest in Islam was far removed from any American concern. 10 Among more traditional Jewish scholars Geiger was widely rejected as misunderstanding the Talmudic texts. Generally, however, Geiger’s view of the Sadducees was widely accepted as significant in the understanding of the developing rabbinic tradition. 11 Isaac M. Wise, Pronaos to Holy Writ (Cincinnati: R. Clark, 1891). 12 Isaac M. Wise, A Defense of Judaism versus Proselytizing Christianity (Cincinnati: American Israelite, 1889); Three Lectures on the Origin of Christianity (Cincinnati: Bloch & Co, 1873); The Martyrdom of Jesus of Nazareth (Cincinnati: American Israelite, 1874); Judaism and Christianity, Their Agreements and Disagreements (Cincinnati: Bloch & Co, 1883). In addition there were essays in The Occident and The Israelite.

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which were widely read and could be found in rabbinic libraries across the country. Through them the immigrant rabbis kept in touch with Jewish life in Germany as these magazines, despite their ponderous titles, brought more than lengthy historical essays. The issues contained discussions of current synagogal questions, responsa, book reviews, abstracts of other periodicals, exchanges of letters, and news from around the Jewish world. As that generation felt most at ease with German, it suited them perfectly.13 Similarly Geiger received American periodicals and from time to time cited them. Next to Geiger’s Urschrift, his most important efforts were the practical development of a prayer book. He began systematically and published a lengthy paper which provided the basis for consistent reform.14 Although he attempted to be consistent in the two liturgies, Israelitisches Gebetbuch (Breslau, 1854, and Berlin, 1870) which he developed, he introduced many reforms, but could not be absolutely consistent as he served a community which included Reform and Orthodox members and throughout his rabbinate he insisted on serving all of them. However, he was more consistent in the 1870 version. His prayer book was inconsistent and contained compromises as David Ellenson’s fine recent study has pointed out.15 Geiger influenced the more conservative American reformers as Marcus Jastrow (1829–1903) and Henry Hochheimer (1818–1912).16 We should remember that initially when American congregations like Har Sinai Congregation of Baltimore sought changes, they simply ordered copies of the Ham-

13 Unfortunately, no subscription lists exist. Casual references to these periodicals and to Geiger’s studies can be found in sermons and occasional letters which have survived. 14 Abraham Geiger, Grundzüge und Plan zu einem neuen Gebetbuch (Breslau: L. Freund, 1849). See also the earlier Der Hamburger Tempelstreit, eine Zeitfrage (Breslau: Leuckart, 1842) and the later Notwendigkeit und Maß einer Reform des jüdischen Gottesdienstes (Breslau: Julius Hainauer, 1861). In addition Geiger’s periodicals brought articles by others on a variety of liturgical questions as well as critiques of prayer books. 15 David H. Ellenson, “The Israelitische Gebetbücher of Abraham Geiger and Manuel Joël: A Study in Nineteenth-Century German-Jewish Communal Liturgy and Religion,” in David H. Ellenson, After Emancipation: Jewish Religious Responses to Modernity (Cincinnati: Hebrew Union College Press, 2004), 193–222. 16 For a discussion of influences see Jakob Petuchowski, “Abraham Geiger: The Reform Jewish Liturgist,” in Jakob Petuchowski, ed., New Perspectives on Abraham Geiger (Cincinnati: Hebrew Union College Press, 1975), 42–54, here 42ff.; Jakob Petuchowski, Prayer Book Reform in Europe (New York: World Union for Progressive Judaism, 1968).

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burg prayer book in 1842.17 Understanding this need, Leo Merzbacher (1810–1856) of Temple Emanu-El in New York produced the first Reform prayer book for his congregation in 1845 that was used only locally. When, a decade later, Isaac Mayer Wise began to plan for a prayer book and introduced his Minhag America at the Cleveland meeting of rabbis (1855), he hoped that its mildly Reform book would be widely adopted and not limited to a single congregation. It soon faced competition through the more radical and consistently Reform prayer book of David Einhorn’s Olat Tamid (1862). Geiger did not influence either of these prayer books. The most widely used nineteenth-century American prayer books were those of Wise and Einhorn, and both are far more radical than that of Geiger.18 Actually his moderate reforms are closer to the most recent American Reform prayer book in its general direction if not in its wide ranging additional prayers. Abraham Geiger’s other important influence came directly and indirectly through the three rabbinic meetings of Brunswick, Frankfurt, and Breslau (1844–1846) and their debates. They were organized and managed by Geiger. He also presided over the later synods held in Leipzig and Augsburg (1869, 1870). These meetings discussed every aspect of Reform Judaism and provided a forum for many different points of view. As the proceedings were published they provided a good source for further developments. Geiger wished to influence the total Jewish community through them, so he carefully avoided extreme positions and steered the meetings toward compromise or commissions to further study difficult questions.19 The thoroughness of the discussions as well as the final conclusions influenced the American rabbinate. Further influence was provided by the decision of the Central Conference of American Rabbis at its initial meeting in 1889 to print the conclusions and resolutions of those earlier meetings and to understand them as a “basis upon which this conference builds.” This represented a major long term influence of Geiger on the American rabbinate. 17 Bertram Korn, German-Jewish Intellectual Influences on American Jewish Life, 1824–1972 (Syracuse: Syracuse University Press, 1972), 18. 18 By the end of the nineteenth century it was clear that a more radical view of Reform Judaism as espoused by Samuel Holdheim and Einhorn was to be dominant in North America. As American Reform Judaism changed in the next century, this radical version was supplanted by something closer to Isaac Mayer Wise’s Minhag America with more traditional content and much more Hebrew. Neither of these books were influenced by Geiger’s prayer book or his theoretical essay. 19 See Walter Jacob, “Mechanisms of Change – the Case of Feminism,” in Walter Jacob and Moshe Zemer, eds., Only in America – The Open Society and Jewish Law (Pittsburgh: Rodef Shalom Press, 2009), 52-56, here 52ff.

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Geiger’s personal relationships with colleagues who settled in North America should not be underestimated. He remained in steady contact with many European colleagues both personally and through the journals to which they subscribed.20 Samuel Adler among the immigrants belonged to his close associates. Geiger was always prepared to use his influence to obtain a position for German colleagues who wished to resettle. In contrast to some others who saw America as peripheral, he appreciated the possibilities which the freedoms of this new land presented. He knew the problems of governmental control from his personal experiences as well as those of his colleagues. The tie of immigrant colleagues with the German language remained important. As German remained the primary language, for these rabbis, the Philadelphia Conference of 1869 was carried out completely in German and its proceedings only translated into English in 1974. We should note that the language of the Pittsburgh Conference of 1885 was English, however, its principal leader, Kaufmann Kohler wrote his Jewish Theology in German.21 Of all personal contacts, that with Isaac Mayer Wise was most important. He had heard Geiger in Frankfurt and on his journey to America he stopped in Breslau to meet with Geiger. A certain closeness developed so that when Wise had to deal with the problem of an agunah whose husband had disappeared by sailing back to Europe, he turned to Geiger for assistance through his journal. Geiger published the appeal to help discover the deceiver and was in agreement with Wise’s proposed other solutions.22 Wise intended to attend the Synod in Augsburg in July 1871, where he would have been the only American, but eventually could not do so and wrote to Geiger of his disappointment. The letter was read to the assembly by Geiger. Geiger also maintained a correspondence with Rabbi Bernard Felsenthal (1822–1908) of Chicago, some of which was published in the later Jüdische Zeitschrift für Wissenschaft und Leben. Geiger continued such contacts and a few weeks before his death (September 16, 1874) wrote complaining that his contacts in North America had become “very loose – Kaufmann Kohler,

20 Bernard Felsenthal’s correspondence has largely survived and has been partially published. See Adolf Kober, “Jewish Religious and Cultural Life in America as Reflected in the Felsenthal Collection,” Papers of the Jewish Historical Society 45 (1955), 93–127. 21 Kaufmann Kohler, Grundriss einer systematischen Theologie des Judentums auf geschichtlicher Grundlage (Leipzig: G. Fock, 1910). 22 JZWL 1 (1862), 163.

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Max Landsberger, Felix Adler.”23 He, of course, remained an influence for Emil G. Hirsch who had graduated from the Berlin Seminary.24 He also hoped for new pupils from North America. As we look at the rabbinic meetings held in North America, we see a continuing influence, so the rabbinic conference of Philadelphia in 1869 mentioned Geiger in its discussions and was generally influenced by him along with the earlier German rabbinic meetings.25 The format was similar, the language of the meeting the same, and the issues discussed were parallel. However, in contrast to all the German meetings, it was attended only by Reform rabbis and so all issues were discussed openly. Samuel Adler, one of the main participants in Germany, was one of the organizers on the Philadelphia meeting. It differed from its German predecessors as all in attendance were Reform, so more radical paths such as those of David Einhorn and Samuel Hirsch (1815–1889) could be openly discussed. The decisions reached were clearly intended for the Reform community.26 When the Central Conference was organized in Detroit in July of 1889, homage was paid to the past by electing Samuel Adler, the only American surviving member of the rabbinic conferences of the 1840s, as Honorary President. The following year which marked the hundredth anniversary of Geiger’s birth was to see the publication of a commemorative volume, but as that task had been filled through the volume published by his son, Ludwig Geiger, this did not occur. The volume of the Yearbook was dedicated to Geiger and a series of lectures on him was given at the Conference, including one by David Philipson (1862–1949) who gave a most thorough evaluation of Geiger’s work both scholar-

23 1866 and 1867; see Guido Kisch, “The Founders of Wissenschaft des Judentums and America,” in Jacob Rader Marcus, ed., Essays in American Jewish History (Cincinnati: The American Jewish Archives, 1958), 147–170, here 158f. 24 Ludwig Geiger, Abraham Geiger: Leben und Lebenswerk (Berlin: Reimer, 1910), 224. 25 Those present at the Conference were Kaufmann Kohler (1843–1926), Bernard Felsenthal (1822–1908), Isaac Chronic (1831–1884), Ludwig Feuerbach (1804–1872), Samuel Hirsch (1815–1889), David Einhorn (1809–1879), Isaac Mayer Wise (1819– 1900) (not present initially, Samuel Adler (1809–1891), Moses Mielziner (1828–1903), James S. Deutsch (1817–1886), James K. Gutheim (1817–1886), Lippman Mayer (1841–1904), Solomon H. Sonnenschein (1839–1908), Max Schlesinger (1837–1919), Max Lilienthal (1815–1882). 26 Sefton Temkin, ed. and trans., The New World of Reform – Containing the Proceedings of the Conference of Reform Rabbis Held in Philadelphia in November 1869 (Bridgeport: Hartmore House, 1974), 11.

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ly and practical in the rabbinic conferences and in his congregations.27 There were also dozens of sermons and lectures throughout America in 1910 to celebrate the hundredth anniversary.28 The personal influence continued with individuals such as Kaufmann Kohler, the scholarly third President of the Hebrew Union College, who had an early relationship with Abraham Geiger. While attending Gymnasium as a boy, he became acquainted with Geiger’s two sons, but never sought to meet their father. Later he met Geiger and found him personally helpful. At Geiger’s suggestion Kohler took up Oriental studies in Leipzig. When it became clear that he wanted more than academics, Geiger wrote warm letters of recommendation to his friends in North America including Einhorn, Adler, Felsenthal, and Max Lilienthal and recommended him for the rabbinic position in Detroit in 1869. Kohler emigrated to the United States and three months later attended the Philadelphia Conference.29 Kohler appreciated Geiger’s work greatly, as was shown in a centenary address given in 1910. In its title Kohler understood Geiger as the “master builder of modern Judaism” who did not limit his role to Reform Judaism. Kohler began with the following accolade: In Abraham Geiger, Judaism reached a new state of its existence. He broke the spell of centuries and spoke the liberating word which imbued it with new life and vigor, with new self-consciousness and self-confidence. He was the prophet to whom God revealed the secret of the age for modern Israel. He was its genius of rejuvenation and became the spiritual regenerator of Judaism and the Jew. He gave the reform movement its scientific basis, its historical foundation, and thus became the master-builder of modern Judaism. […] Not only, then, as the first and foremost champion of Reform pioneers does Abraham Geiger claim our homage on this Sabbath, but as the great creative genius, as the historical refashioner and rebuilder of Judaism.30

27 J. S. Raisin, “The Reform Movement before Geiger”; David Philipson, “Geiger as Reformer,” “The Reform Movement after Abraham Geiger”; and Kaufmann Kohler read a German letter from Abraham Geiger to his son, Ludwig; see Yearbook of the Central Conference of American Rabbis 20 (1910), 96; 197–198; 246–283. 28 Ibid., 95f. 29 Kaufmann Kohler, Personal Reminiscences of My Early Life (Cincinnati: Eggers, 1918). 30 Kaufmann Kohler, “Abraham Geiger – The Master Builder of Modern Judaism,” in Kaufmann Kohler, Hebrew Union College and other Addresses (Cincinnati: Ark Publishers & Co, 1916), 84–97.

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The kinship with Wise discussed earlier went further as he like Geiger felt the need for rabbis who combined Jewish learning with the critical university methodology. Both spent a huge amount of effort and time to establish modern rabbinic seminaries. The efforts were not only to train practical rabbis who could lead and elevate the Jewish learning and commitment of their congregants, but also an elite which could further the broader goals of Judaism. When Geiger opened the Hochschule in Berlin in 1872, he looked for new pupils from the USA: “We could use them and they us.”31 Emil G. Hirsch (1852–1923), as a young American, was part of the entering class. Others were to follow32 though the opening of the Hebrew Union College in Cincinnati in 1875 made this less necessary. Geiger’s dream of a university based scientific study of Judaism could not be realized in the Germany of his time, although he certainly made every effort and remained hopeful. The school was dedicated in May, 1872, without the state support granted to Protestant and Catholic theological faculties.33 Its problems become very clear by simply looking at the name changes forced upon it by governmental authorities who wished to diminish it: so it was the Hochschule in 1872, became the Lehranstalt in 1883, then the Hochschule again in 1918, then Lehranstalt in 1933 till it was forced to close in 1942. There was to be no possibility of academic Jewish studies at a German university till the establishment of a department at the University of Heidelberg in 1979. Finally in 1999 with the dedication of the Abraham Geiger College, the dream of Jewish studies including preparation for the rabbinate was realized at the University of Potsdam. It was a long road to the realization of Abraham Geiger’s dream.

*** Abraham Geiger’s influence on the American Reform rabbinate and on the movement generally is astonishing as he made no public effort in that direction nor was he interested in emigrating to North America. He appreciated the possibilities which the New World offered, constantly 31 Kisch, “The Founders of ‘Wissenschaft des Judentums’ and America” (see note 23), 158–159. 32 Samuel Salle (1854–1937), also an American entered in 1873 and others followed. With the founding of the Hebrew Union College in Cincinnati in 1875 it was no longer necessary to study abroad for the rabbinate, but some continued to prefer this option. 33 The new school sought appropriate quarters near the University; they were quite modest initially. A new building on Artilleriestrasse was dedicated in October, 1907.

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reported on progress made in this land, and encouraged every American effort. When colleagues wished to resettle, he helped them. Although much of that personal correspondence has been lost, traces of it remain. That was the practical Abraham Geiger and his influence was important in the lives of his generation. Geiger’s scholarly efforts continue to be influential, first of all directly as they pointed to the importance of rabbinic sources for the study of the Bible and developing Christianity. Beginnings in that direction were made more than a century ago, but we are only now feeling the full blossoming of those studies, especially in the availability to critical texts for large portions of the rabbinic literature. Geiger’s methodology has been equally important as he viewed the Jewish past historically and sought to place it into a broad framework without fearing where that might lead him. Jewish studies had to be part of the contemporary intellectual endeavors. They had to be open to philosophical and methodological debates and changes without restrictions. That path set by Geiger along with some of his contemporaries is very much part of modern Jewish life in North America, Israel, and Europe. Although we may find few direct references to Geiger or for that matter any of the other major figures of nineteenth-century Judaism, Geiger’s approach to rabbinic literature and the development of Judaism which he traced, have been accepted although modified in detail. Nothing of Geiger, not even his popular work Das Judentum und seine Geschichte have been translated into English or for that matter into Hebrew, so little of it is available to influence a new generation.34 Geiger’s combination of Jewish scholarship with the practical rabbinate has become less common as Jewish studies programs at American and some European universities have flourished. This has led to fewer scholarly modern rabbis, but Geiger remains a fine role model of what is possible through this combination. Geiger’s life-long efforts to maintain Jewish unity and to avoid practical and intellectual schisms in Jewish life remain a model as well. For him it meant that the intellectual endeavors and those of a practical nature would part company, but he was willing to take that risk. In the final analysis this brought him greater influence not only on the Reform Jewish community, but in the broader Jewish world. 34 Excerpts along with some correspondence have been published in Max Wiener’s Abraham Geiger and Liberal Judaism: The Challenge of the Nineteenth Century (Philadelphia: The Jewish Publication Society, 1962); see also Gunter W. Plaut, The Rise of Reform Judaism: A Sourcebook of its European Origins (New York: World Union of Progressive Judaism, 1963).

Heros, Ikone, Gegenbild: Abraham Geiger aus der Perspektive der Reformbewegung in Amerika Christian Wiese I. Das Geiger-Jubiläum 1910: Stimmen der amerikanischen Reformbewegung Am 28. Mai 1910 hielt der namhafte amerikanische Reformrabbiner und einflussreiche Theologe Kaufmann Kohler (1843–1926), der im gleichen Jahr seinen Grundriss einer systematischen Theologie des Judentums veröffentlichte,1 anlässlich des 100. Geburtstags Abraham Geigers eine Gedenkrede mit dem Titel „Abraham Geiger: The Master Builder of Modern Judaism“. Kohler, der ursprünglich aus der bayrischen Orthodoxie stammte, war in seinem geistigen Werdegang stark von Geiger geprägt worden und hatte 1869 mit dessen Unterstützung den Schritt der Auswanderung nach Amerika gewagt – sein Lehrer hatte ihn angeregt, in das „Land der Verheißung für das fortschrittliche Judentum“ zu gehen,2 und ihn an seine amerikanischen Kollegen empfohlen. In der Folge wirkte Kohler als Rabbiner an der Beth-El Gemeinde in Detroit, der Sinai-Gemeinde in Chicago und dem Tempel Beth-El in New York, bevor er 1903 zum Präsidenten des Hebrew Union College in Cincinnati gewählt wurde.3 In seinem überschwänglichen Lobpreis 1 2 3

Kaufmann Kohler, Grundriss einer systematischen Theologie des Judentums (Leipzig: G. Fock, 1910). Kaufmann Kohler, Personal Reminiscences of My Early Life (Cincinnati: Eggers, 1918), 11. Zur Geschichte des Hebrew Union College vgl. Samuel E. Karff (Hrsg.), Hebrew Union College – Jewish Institute of Religion at One Hundred Years: 1875–1975 (Cincinnati: Hebrew Union College Press, 1976); zu Kohler vgl. Robert F. Southard, „The Theologian of the 1885 Pittsburgh Platform: Kaufmann Kohler’s Vision of Progressive Judasism“, in Dana E. Kaplan (Hrsg.), Platforms and Prayer Books: Theological and Liturgical Perspectives on Reform Judaism (Lanham, MD: Rowman & Littlefield, 2002), 61–79; Yaakov S. Ariel, „,Wissenschaft des Judentums comes to America‘: Kaufmann Kohler’s Scholarly Projects and Jewish-Christian Relations“, in

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des berühmten Historikers und Mitbegründers der Reformbewegung in Deutschland, der Ursprungsheimat der Wissenschaft des Judentums, kommt sehr deutlich zum Ausdruck, in welchem Maße Geiger seit der Welle deutsch-jüdischer Einwanderung in Amerika in den 1850er und 1860er Jahren bis ins frühe zwanzigste Jahrhundert hinein zum Heros und zur Ikone des amerikanischen Reformjudentums geworden war. Zugleich lassen Kohlers Ausführungen allerdings auch eine vorsichtige kritische Abgrenzung durchscheinen, die auf erkennbare neue, eigene Akzente der nachfolgenden Generation von Reformrabbinern in Amerika hindeutet. Mit Abraham Geiger, dem „Genie der Verjüngung“ und „geistigen Erneuerer des Judentums und des Juden“, dem „Propheten, dem Gott das Geheimnis der Zeit für das moderne Israel offenbart“ habe, so hob Kohler hervor, habe das Judentum ein neues Stadium seiner Existenz erreicht. „Er brach den Bann der Jahrhunderte und sprach die befreienden Worte, die es mit neuem Leben und neuer Kraft erfüllten“, d. h. er verlieh der Reformbewegung ihr wissenschaftlich-historisches Fundament: „Das Fackellicht seiner Forschung und die Leuchtkraft seiner Vision erhellten die dunklen Winkel der jüdischen Geschichte, so dass Ordnung und Harmonie das Chaos des jüdischen Denkens durchdrangen.“4 Der Aufklärer Moses Mendelssohn (1729–1786) und der führende Mitinitiator der Wissenschaft des Judentums, Leopold Zunz (1794– 1886), hatten es aus Kohlers Sicht mit ihrem philosophischen Denken und ihrer historisch-literarischen Forschung im Grunde nicht vermocht, die Wirklichkeit der Juden in Europa wirksam zu verändern. Alles sei letztlich Theorie geblieben und entweder im Rationalismus oder in philologischer Analyse versandet, beides habe wenig zu einer lebendigen Reform des Judentums beigetragen.5 Geiger dagegen habe weit mehr geleistet als die bloße Negation und Destruktion des Alten, Überlieferten. Sein Beitrag bestand aus Kohlers Sicht in der schöpferischen Mischung aus historischer Erhellung der Entwicklung jüdischer Geschichte und Tradition, aus kritischer Diagnose der schweren Krise des traditionellen Judentums sowie aus einer konstruktiven Vision des Weges einer umsichtigen, zugleich konsequenten und traditionsbewussten Modernisierung des Judentums. Geigers Leistung, so urteilte

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Görge K. Hasselhoff (Hrsg.), Die Entdeckung des Christentums in der Wissenschaft des Judentums (Berlin: de Gruyter, 2010), 165–182. Kaufmann Kohler, „Abraham Geiger: The Master Builder of Modern Judaism“, in Kaufmann Kohler, Hebrew Union College and Other Adresses (Cincinnati: Ark Publishing Co, 1916), 83–97, hier 84f. Ebd., 86ff.

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er, gehe weit über den reformerischen Schlachtruf gegen die Beharrungskräfte einer kulturell überwundenen Stufe des Judentums hinaus und übersteige sogar die Reformen, die er selbst eingeführt oder vorgeschlagen habe – diese seien „schließlich nur halbherzige Maßnahmen“ gewesen „im Vergleich zu dem, was seine Mitstreiter und vor allem die amerikanischen Reformpioniere geleistet haben“.6 Geigers wahre Bedeutung liege vor allem in seiner „genialen Kraft als Historiker und Theologe“, die ihn zu seiner bahnbrechenden historischen Untermauerung einer modernisierenden Neuinterpretation des Judentums befähigt habe.7 Andere hätten jedoch diese Gedanken dann weit entschiedener als er in die Praxis gelebten jüdischen Glaubens umgesetzt. Offenbar betrachtete Kohler die Tatsache, dass sich Geiger dem Prinzip der historischen Kontinuität verschrieben und eine evolutionäre statt einer revolutionären Reformstrategie verfolgt hatte, eher als Stärke denn als Schwäche, ließ allerdings auch anklingen, dass inzwischen die Geschichte über sein Wirken als praktischer Reformer längst hinweggeschritten sei. Wichtiger fast als Geigers Beitrag zur innerjüdischen Neuorientierung erschien Kohler die Wirkung seiner Leistungen als Historiker auf die äußere, kulturelle Stellung des Judentums. Weit davon entfernt, das Judentum zu christianisieren, wie Gegner der Reformbewegung zu behaupten pflegten, sei Geiger „der beharrlichste, unverblümteste und gefürchtetste Gegner des Christentums gewesen“.8 Seine Forschungen zum antiken Judentum sowie zum geschichtlichen Verhältnis des Judentums zu Islam und Christentum hätten der jüdischen Minderheit einen geachteten intellektuellen Platz in der europäischen Kultur verschafft, die traditionelle Verachtung des pharisäischen und rabbinischen Judentums als historischen Irrtum entlarvt und die religiöse Überlegenheit der jüdischen Tradition im weiteren Horizont der Weltgeschichte unüberhörbar zur Sprache gebracht. Ähnliche Stimmen findet man in dieser Zeit in Amerika in Hülle und Fülle, seien es Emanuel Schreibers (1852–1932) biographischhagiographische Schrift Abraham Geiger: The Greatest Reform Rabbi of the Nineteenth Century,9 zahlreiche weitere Predigten und Ansprachen anlässlich des Geiger-Jubiläums im Jahre 191010 oder zeitgenös6 7 8 9

Ebd., 85. Ebd., 90. Ebd., 94. Emanuel Schreiber, Abraham Geiger: The Greatest Reform Rabbi of the Nineteenth Century (Spokane, WA: Spokane Printing Co, 1892). 10 Vgl. die Beiträge im Yearbook of the Central Conference of American Rabbis 20 (1910), 96; 197–198; 246–283.

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sische Darstellungen der Geschichte der Reformbewegung, etwa jene aus der Feder David Philipsons (1862–1949).11 Philipson, Sohn deutschjüdischer Einwanderer, Absolvent des ersten Jahrgangs des liberalen Hebrew Union College in Cincinnati und später Rabbiner der dortigen Synagogengemeinde Bne Israel, erinnerte am 1. Juli 1910 in einer ausführlichen Gedenkrede vor der Central Conference of American Rabbis an Geigers Errungenschaften als Historiker, der sich – gegen den Widerstand der Traditionalisten – für die Freiheit der Forschung eingesetzt und durch seine Arbeiten einer umsichtigen, das Schisma vermeidenden Reform den Weg geebnet habe. Alles andere als ein „blinder Verehrer der Vergangenheit“, sei er weder ein „rücksichtsloser Bilderstürmer“ und „ultra-modernistischer“ Denker noch ein „romantisierender“ Theologe gewesen, sondern ein Reformer im besten Sinne des Wortes, der fortzuentwickeln trachtete, „was von der Vergangenheit gut und wertvoll war, indem er die ewige Wahrheit des Judentums in einer Form präsentierte, die die zeitgenössische Generation anzog“.12 Als kritischer Geist und behutsamer Praktiker habe er sämtliche Aspekte jüdischer religiöser Wirklichkeit, von der liturgischen Praxis bis zur Stellung der Frauen, modernisiert und zugleich – als „Prophet des universalistischen Judentums“ – die Rolle des Judentums in der modernen Gesellschaft neu definiert und dessen religiös-kulturelle Selbstghettoisierung überwunden.13 Emil G. Hirsch (1852–1923), der 1869 mit seinem Vater Samuel Hirsch (1815–1889) von Luxemburg aus nach Amerika gekommen, 1872 aber nach Berlin gegangen war, um bei Geiger an der neu gegründeten Hochschule die Wissenschaft des Judentums zu studieren, charakterisierte die Stellung seines Lehrers zwischen radikaler Freiheit im wissenschaftlichen Urteil und Verantwortung für die konservativere Gesamtgemeinde, indem er dessen ironische Selbstbeschreibung zitierte: Geiger habe seinen amerikanischen Schülern seine Haltung als die des sprichwörtlichen „berühmten Schulklopfers“ beschrieben, dessen Aufgabe es war, „die Frommen früh morgens zum Gebet zu wecken und der, nachdem er an die Türen geklopft hat, selbst zurück ins Bett geht“. Geigers Sympathien, so Hirsch, hätten aber den Radikalen gegolten, vor allem auch seinen geistigen Schülern in Amerika: Amerika war für ihn das Land der Verheißung. Dass seine alten Waffengefährten, [David] Einhorn, [Samuel] Adler und [Samuel] Hirsch, die im alten 11 David Philipson, The Reform Movement in Judaism (London: Macmillan & Co, 1907). 12 David Philipson, „Abraham Geiger“, in David Philipson, Centenary Papers and Others (Cincinnati: Ark Publishing Co, 1919), 99–147, hier 102. 13 Ebd., 130f.

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Vaterland begonnene Arbeit in der jungen Republik fruchtbar gemacht hätten, und dass die Söhne dieser seiner Genossen und andere Amerikaner zu der Schule pilgerten, an der er lehrte, um das wissenschaftliche Rüstzeug zu erwerben, um das Werk ihrer Väter fortzusetzen, erfüllte ihn mit neuer Jugend.14

Bestätigt wird diese Aussage eindrucksvoll durch die Lektüre der unveröffentlichten Briefe Geigers an Felix Adler (1851–1933), den Sohn Samuel Adlers, der 1857 mit seiner Familie nach New York ausgewandert war, und durch eine ebenfalls unpublizierte Gedenkrede, die Felix Adler am Sonntag, den 16. Mai 1910, in der Free Synagogue in Upper Manhattan hielt. Adler hatte zunächst an der Columbia University studiert, war dann nach Deutschland gegangen und hatte in Heidelberg promoviert, wo er unter dem Einfluss des Neukantianismus und Ludwig Feuerbachs zu der Auffassung gelangt war, menschliche Moral lasse sich auch unabhängig vom Gottesgedanken begründen. Während seiner Zeit in Deutschland studierte er auch an der Lehranstalt für die Wissenschaft des Judentums, wo Abraham Geiger sein väterlicher Freund wurde. Die Briefe Geigers lassen erkennen, dass er Adler auch nach dessen Rückkehr nach New York 1874 verbunden blieb und von ferne beobachtete, wie dieser einen ganz anderen Weg einschlug als den der Nachfolge seines Vaters als Rabbiner der Gemeinde Emanu-El, der ihm vorgezeichnet war. So entnahm er der Jewish Times, dass Adler in seiner ersten und einzigen Predigt dort zum Thema „The Judaism of the Future“ einen Skandal verursachte, weil er Gott nicht erwähnte, sondern seinen Zuhörern seine Idee des Judentums als einer universalen Religion der Moral für die gesamte Menschheit vorstellte. In einem Brief vom 18. Januar 1874, den er mit „Mein lieber junger Freund“ einleitete, bat Geiger um genauere Details dieser Predigt und fragte, wohl mit Blick auf scharfe Kritik des New Yorker Reformrabbiners David Einhorn (1809–1879) an Adlers Rede, ironisch, ob seine Bestrebungen denn „nicht einhornisch genug“ seien. „Das allerdings“, fügt er hinzu, „scheint nun einmal eine fanatische Einhornerei zu sein: plus que, moins que, autrement que reformatorisch sein zu wollen, ist Ketzerei.“ Obwohl ihm Adlers säkularer Humanismus sehr fremd gewesen 14 Emil G. Hirsch, „One of Modern Judaism’s Greatest: A Centenary Address Preached in Anticipation of Abraham Geiger’s One Hundreth Birthday“, The Reform Advocate 40 (1910), 627–631, hier 631. Hirsch war 1877/78 Rabbiner in Baltimore, 1878– 1880 in Louisville und danach an der Sinai Congregation in Chicago. Zur überragenden Rolle Hirschs in dieser Gemeinde und seiner Bedeutung für das amerikanische Reformjudentum vgl. Tobias Brinkmann, Sundays at Sinai: A Jewish Congregation in Chicago (Chicago: University of Chicago Press, 2012).

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sein muss, bat er ihn, ihm auch in Zukunft ausführlich über seine innere Entwicklung Mitteilung zu machen, und ließ ihn seine persönliche Anteilnahme an seinem Ergehen wissen: „In den Lieben der Nachwelt fortleben, ist ja die schönste Unsterblichkeit […] So sei denn allzeit das höhere Streben Ihr Leitstern, der den Lebenspfad Ihnen erhalte und Frieden in Ihre Seele gieße.“15 Wenig später, am 27. Mai 1874, gratulierte er Adler herzlich zu seiner Ernennung als Professor für Hebräische und Orientalische Sprachen an der Cornell University und wünschte ihm, seine Auffassungen möchten sich mit dieser ehrenvollen Aufgabe weiter klären und ihm tiefere Erkenntnis verschaffen.16 Adlers weitere Kämpfe und Karriere zu verfolgen, den Verlust der Professur wegen des Atheimusvorwurfs, die Gründung der Society of Ethical Culture 1877 und die sozialpolitische Arbeit, der er sich widmete, bis er 1902 eine Professur für Sozialethik an der Columbia University angeboten bekam, war Geiger aufgrund seines vorzeitigen Todes 1874 nicht mehr vergönnt.17 In seiner New Yorker Gedenkrede 1910 stellte Adler, anders als viele Rabbiner, die vor allem über Geigers Bedeutung für die Reformbewegung nachdachten, die persönliche Dimension der Beziehung zu dem Gelehrten in den Vordergrund. Als junger amerikanischer Student in Berlin habe er den Gelehrten bewundert, namentlich für sein intuitives Verhältnis zur Wahrheit der jüdischen Religion, die Balance von Vernunft und Gefühl, die seine Deutung des Judentums auszeichnete, die herausragende Gelehrsamkeit als Historiker und Bibelkritiker, nicht zuletzt aber für seine feste Überzeugung, dass Denken den Menschen frei mache und die Erneuerung des Lebens und Geistes durch die Kenntnis der Vergangenheit errungen werden könne. Im Gegensatz zu vielen liberalen Juden der Gegenwart, die ihre Religion und die Treue zu den Bräuchen der Vergangenheit leichthin preisgegeben hätten, weil sie hinderlich seien, habe Geiger sich intensiv mit der Vergangenheit auseinandergesetzt: „Er sprach zur Vergangenheit, so wie Jakob zu dem Engel sprach, mit dem er in der Nacht rang: ,Ich lasse Dich nicht, Du segnetest mich denn.‘ Er ließ die Vergangenheit nicht los, bis sie ihn gesegnet hatte, d. h. bis sie seine wesentliche Treue zu ihr anerkannt und ihm die Sendung auferlegt hatte, sie auf ideale Weise zu erfül15 Brief von Abraham Geiger an Felix Adler vom 18. Januar 1874, Nachlass Felix Adler, Columbia University, Box 7. 16 Brief von Abraham Geiger an Felix Adler vom 27. Mai 1874, ebd. 17 Zu Biographie und Werk Adlers vgl. Benny Kraut, From Reform Judaism to Ethical Culture: The Religious Evolution of Felix Adler (Cincinnati: Hebrew Union College Press, 1979).

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len, selbst wenn er neue Wege aufzeigte.“18 Die Bewunderung und die Absicht, das Andenken des väterlichen Freundes zu ehren, hielt Adler jedoch nicht davon ab, aus der Sicht der Generation der Kinder der nach Amerika eingewanderten deutschen Rabbiner kritisch festzuhalten, auch Geiger sei dafür mitverantwortlich, dass die Reformbewegung nach anfänglichem Enthusiasmus nach dem Scheitern der Revolution von 1848 und angesichts des wachsenden Einflusses von Naturwissenschaft und Materialismus in Geistlosigkeit erstarrt sei, ja, er habe selbst gespürt, die Bewegung sei in der Phase der Kritik der Tradition stecken geblieben, ohne eine schöpferische Neuinterpretation des Judentums geleistet zu haben. Geigers Fehler habe darin bestanden, dass er es mit seiner Verehrung der Vergangenheit und seiner Vorstellung, man gelange zur Freiheit durch Intellekt und Wissenschaft statt durch das tiefere Inspirieren des Willens und durch die Antwort auf neue ethische Herausforderungen, versäumt habe, ein wahrhafter religiöser Führer zu werden und der jungen Generation eine ethisch-spirituelle Perspektive zu bieten. Adler betonte daher, er habe zu Geiger – anders als zu seinem eigenen Vater oder zu seinem Lehrer Heymann Steinthal (1823– 1899) – kein echtes Schülerverhältnis entwickeln können. Ein Lehrer könne aber auch durch seine Persönlichkeit wirken, und Geiger habe ihn auf diese Weise zutiefst beeinflusst – durch die unablässige intellektuelle Wirksamkeit als Theologe, Philologe und Liebhaber der Dichtkunst, vor allem aber durch seine menschlichen Züge. Adler erinnerte sich an die Mahlzeiten im Hause Geigers, der, nachdem er seine Frau Emilie verloren hatte, beim Tischgebet die Kinder auf natürliche Weise an die Präsenz ihrer Mutter erinnerte, indem er stets hinzufügte: „Und möge die Erinnerung an unsere geliebte Mama niemals aufhören, unter uns eine Quelle des Segens zu sein.“ Adlers Rede endete bezeichnenderweise – ein fernes Echo auf Geigers Brief an ihn – mit der Beschreibung des warmen Verhältnisses des Gelehrten zu seinen jungen Studenten, auch denen aus Amerika: Und schließlich liebte ich ihn wegen der Liebe, die er für uns, die Jüngeren, empfand und die er uns zeigte. Es gibt viele Arten von Liebe: die der Eltern zu ihrem Kind, die des Bräutigams zu seiner Braut, die des Freundes zum Freund und die des Lehrers zu seinem Schüler, die des reifen Mannes auf dem Höhepunkt des Geleisteten zu denen, die weit unter ihm sind, aber eines Tages seinen Platz einnehmen werden. Die Haltung Geigers in dieser Hinsicht war vorbildhaft. Sie bestand aus herzlichem Interesse und tiefer 18 Felix Adler, „Abraham Geiger: Adress at the Free Synagogue, Sunday May 16th, 1910“ (Typoskript), Nachlass Felix Adler, Columbia University, Box 77, Akte 17, Bl. 13.

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Achtung. Er gab den Jüngeren das Gefühl, dass ihre Erfolge seine waren. Er nahm Anteil an ihren Projekten, ihren Bestrebungen. Er äußerte voll Ernst seine Überzeugungen, die leidenschaftliche Bindung, die er niemals aufgab, doch er respektierte auch bei Anderen das Recht auf eigenständige Überzeugungen. Seine einzige Sorge bestand darin, die Flamme der Kerze am Brennen zu halten, solange er sie trug, und sie ohne Lichtverlust weiterzureichen – lasst diejenigen, die nach ihm kommen, ebenso treu sein wie er! […] Sechsunddreißig Jahre sind seit seinem Tod vergangen. Sein Name ist noch immer lebendig, sein Andenken wird noch immer hochgeschätzt. Für viele von uns war er intellektuell, was sein Name nahelegt: Abraham, ein erhabener Vater.“19

Während Adlers Gedenkrede in der persönlich-menschlichen Würdigung außergewöhnlich ist, zeichneten sich alle anderen zeitgenössischen Stimmen im Jubiläumsjahr 1910 dadurch aus, dass sie Abraham Geiger einmütig als überragende Figur der Wissenschaft des Judentums priesen, als begnadeten Polemiker gegen das Christentum, als vorsichtigen, toleranten Reformer mit Sinn für historische Kontinuität und als orientierende Kraft nicht nur für das europäische, sondern auch für das amerikanische Reformjudentum. Der Befund ist hier kaum anders als bei den zahlreichen Rabbinern und Gelehrten aus der deutschen Reformbewegung, die ihn ebenfalls zum Heros und zur Ikone ihrer eigenen Geschichte und Bestrebungen machten.20 Liest man die amerikanischen Quellen allerdings genauer, insbesondere jene Texte, die zu Lebzeiten oder unmittelbar nach dem Tode Geigers veröffentlicht wurden, so differenziert sich das Bild, und das Element des „Gegenbildes“ und des Widerspruchs, das im Titel des vorliegenden Essays zum Ausdruck kommt, gewinnt deutlichere Konturen. Diese Dimension der Wahrnehmung Geigers, die vor allem in der Beziehung zwischen ihm und seinem Mitstreiter in den 1840er Jahren und späteren radikalen Reformrabbiner in Amerika, David Einhorn, zum Tragen kommt, gilt es in der Folge näher zu betrachten. Im Zentrum steht dabei die Interpretation einer scharfen ideologischen Kontroverse zwischen Einhorn und Geiger im Jahre 1870 anlässlich der öffentlichen Debatten über die von führenden amerikanischen Reformrabbinern organisierte Philadelphia Confe19 Ebd., Bl. 22. 20 Vgl. etwa Ismar Elbogen, „Abraham Geiger. 1810–1910“, Jahrbuch für jüdische Geschichte und Literatur [= JJGL] 14 (1911), 71–83 und die würdigenden Beiträge von Gottlieb Klein (1852–1914), Felix Perles (1874–1933), Hermann Vogelstein (1841–1911), Samuel Poznanski (1864–1921) und Immanuel Löw (1854–1920) zu den verschiedenen Facetten von Geigers Werk in Ludwig Geiger (Hrsg.), Abraham Geiger. Leben und Lebenswerk (Berlin: Georg Reimer, 1910).

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rence von 1869. Dieser Konflikt und die jahrzehntelange zwiespältige, von einer Mischung aus freundschaftlicher Verbundenheit, intellektueller Weggenossenschaft und ideologischer Differenz geprägte Beziehung der beiden Gestalten, die symbolisch ist für eine bestimmte Periode der Reformbewegung in Deutschland und Amerika im neunzehnten Jahrhundert, werden im Folgenden in einem zweifachen Kontext gedeutet: zum einen aus der Perspektive der Entwicklung der Reformphilosophie Einhorns und zum anderen – wesentlich kürzer – im Zusammenhang der intensiven, aber nicht ohne Spannungen, kulturelle Herrschaftsansprüche und emanzipatorische Rhetorik verlaufenden transnationalen Beziehungen zwischen Wissenschaft des Judentums und Reformbewegung diesseits und jenseits des Atlantiks.

II. Abraham Geiger und David Einhorn: Frühe Weggenossenschaft als Reformer Die intellektuelle Begegnung David Einhorns und Abraham Geigers vollzog sich in der deutschen Phase der Wirksamkeit Einhorns, der – wie Geiger und stärker noch Samuel Holdheim (1806–1860) aus dem orthodoxen Milieu kommend – sich während seines Universitätsstudiums der entschiedenen Reform zugewandt hatte und als Rabbiner in Hoppstädten, Schwerin und Pest eine zunehmend gewichtige Stimme in der Zeit der religiös-kulturellen Neuorientierungen und ideologischen Streitigkeiten der 1840er Jahre geworden war. In diesen Jahren, in denen Einhorn die zentralen Elemente seiner Reformphilosophie, die zur Grundlage seines kompromisslosen Radikalismus in Amerika seit seiner Übersiedlung nach Baltimore 1855 werden sollten, in intensivem kritischem Dialog vor allem mit Holdheim ausformulierte,21 scheint sein Verhältnis zu Geiger ein respektvolles, ja freundschaftliches und das Maß an Übereinstimmung mit ihm in wichtigen Fragen beträchtlich. Einhorns erste öffentliche Intervention im Zuge der Kontroversen zwischen Orthodoxie und Reformbewegung über die Legitimität der Modernisierung des Judentums erfolgte ausgerechnet im Zusammenhang des „Geiger-Tiktin-Streits“, der von 1842 bis 1849 in Breslau tobte und zu einem symbolischen Kräftemessen zwischen Reformern 21 Vgl. Christian Wiese, „Samuel Holdheim’s ‘Most Powerful Comrade in Conviction’: David Einhorn and the Discussion about Jewish Universalism in the Radical Reform Movement“, in Christian Wiese (Hrsg.), Redefining Judaism in an Age of Emancipation: Comparative Perspectives on Samuel Holdheim (1806–1860) (Leiden und Boston: Brill, 2007), 303–373.

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und Traditionalisten führte, das in der Neuorientierung des deutschen Judentums eine zentrale Rolle spielte.22 Einer der Kernpunkte dieser Kontroverse, in der Geiger dem orthodoxen Rabbiner Gedalja Tiktin (1808–1886) gegenüberstand, lag bekanntlich in der Frage, ob ein reformorientierter Gelehrter wie Geiger, der in seinen Schriften die göttliche Offenbarungsqualität der rabbinischen Tradition sowie ihrer Hermeneutik der Bibel in Frage stellte und der die Kriterien historischer Wissenschaft auf die Quellen des Judentums anwandte, rechtmäßig als Rabbiner einer jüdischen Gemeinde dienen könne. Geiger selbst unterschied zwischen dem streng wissenschaftlichem Zugang und der Pflicht des Rabbiners, sich an die Gemeindeordnung zu halten und von religiösem Gefühl durchdrungenen Bräuchen mit Respekt zu begegnen, auch wenn sie ihm vom wissenschaftlichen Standpunkt aus obsolet erschienen. Was die Autorität der Tradition betraf, so machte Geiger geltend, der Talmud könne im Gegensatz zur Bibel keinen Anspruch auf kanonische Bedeutung erheben, und legitimierte die Erneuerung des religiösen Lebens mit Hilfe des in der Idee der mündlichen Tora angelegten Prinzips einer ständigen und zeitgemäßen Entwicklung der Tradition.23 David Einhorn gehörte – wie Holdheim – zu den siebzehn Reformern, die vom Ober-Vorsteher-Collegium der israelitischen Gemeinde zu Breslau gebeten wurden, ein „Rabbinische(s) Gutachten über die Verträglichkeit der freien Forschung mit dem Rabbineramte“ vorzulegen. Sie sollten sich darin mit der Frage auseinandersetzen, ob das von Geiger vertretene Fortschrittsprinzip aus jüdischer Perspektive legitim sei. Durften sich Forscher, welche die Autorität der rabbinischen Literatur in Frage stellten, wirklich noch als Juden bezeichnen? Konnte die jüdische Theologie die Integration der freien wissenschaftlichen Forschung als neues religiöses und kulturelles Deutungssystem vertragen? Und waren jene, die sie betrieben, berechtigt, das Amt eines Rabbiners auszuführen? Bei allen Unterschieden zwischen den einzelnen Gutachten verteidigten die vorwiegend jungen, reformorientierten Rabbiner Geiger übereinstimmend gegen Häresievorwürfe und sprachen sich für 22 Vgl. Michael A. Meyer, Antwort auf die Moderne. Geschichte der Reformbewegung im Judentum (Wien, Köln und Weimar: Böhlau, 2000), 164–172; Andreas Gotzmann, „Der Geiger-Tiktin-Streit – Trennungskrise und Publizität“, in Manfred Hettling, Andreas Reinke und Norbert Conrads (Hrsg.), In Breslau zu Hause? Juden in einer mitteleuropäischen Metropole der Neuzeit (Hamburg: Dölling & Galitz, 2003), 81– 98; Andreas Gotzmann, Eigenheit und Einheit. Modernisierungsdiskurse des deutschen Judentums der Emanzipationszeit, (Leiden und Boston: Brill, 2002), 193–211. 23 Abraham Geiger, „Die zwei verschiedenen Betrachtungsweisen. Der Schriftsteller und der Rabbiner”, Wissenschaftliche Zeitschrift für jüdische Theologie [= WZJT] 4 (1839), 321–333.

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die Anwendung wissenschaftlicher Methoden sowie, wenn auch mit erkennbarer Zurückhaltung, für eine klare Unterscheidung zwischen der Offenbarung Mose und der rabbinischen Literatur aus. Die Radikaleren unter ihnen ließen durchblicken, die talmudische Moral stünde nicht in jedem Fall in Einklang mit dem gegenwärtigen Bewusstsein, und sprachen dem Rabbiner das Recht zu, „mit der vollgültigen Zustimmung der competenten Stimmenführer der Zeit“ Änderungen der religiösen Praxis herbeizuführen.24 Einhorn etwa verteidigte in seinem Gutachten vor allem das Recht Geigers, die talmudischen Quellen historisch zu erforschen und sich bei seinen Reformen überholter zeremonieller Praktiken auf das Prinzip der historischen Entwicklung zu berufen. Auch er bediente sich der Strategie, gerade den Talmud selbst mit seinen aus der Sicht der Reformer vielfach überholten Auffassungen für den Geist der freien Forschung in Anspruch zu nehmen. Weit schärfer und pointierter als viele andere Gutachter verurteilte Einhorn, bei aller Anerkennung der Wahrhaftigkeit der rabbinischen Tradition, die orthodoxe „Apotheose“ des Talmud, seine „das Judenthum in einen stehenden Sumpf verwandelnde und zur ewigen Stagnation verdammende Autorität“.25 Die Abweichung von den Zeremonialgesetzen müsse allerdings, wolle es kein auf alltägliche Bequemlichkeit zielendes „frivoles Spiel mit dem Heiligen“ sein, „im Geiste des Judenthums“ erfolgen und auf gereifter wissenschaftlicher Erkenntnis beruhen.26 Von einer Verspottung des Talmud könne bei Geiger keine Rede sein, spürbar sei vielmehr der ernste Wille eines „nach Licht und Wahrheit ringenden Gemüthes und Geistes“, die Quellen des Judentums daraufhin zu erforschen, „welche Bestandtheile seiner Wesenheit – welche seiner Inkrustirung angehören, wie viel von seinem göttlichen, ewiglebenden und sich entfaltenden Geiste, der unter der Hülle der Durchbrechung gewärtig ist und nach ihr sich sehnt, während der verschiedenen Perioden seiner Existenz bereits in’s Leben herausgetreten oder noch zurück sei“.27 Auffällig ist beim frühen Einhorn, der später in Amerika die Autorität der rabbinischen Tradition weit radikaler in Frage stellte, der zu diesem Zeitpunkt noch relativ konservative Grundzug des Gutachtens – jene „Traditionalisierung der neuen wissenschaftli24 „Gutachten des Landesrabbiners Herrn Dr. Holdheim in Schwerin“, in Rabbinische Gutachten über die Verträglichkeit der freien Forschung mit dem Rabbineramte, 2 Bde. (Breslau: L. Freund, 1842/43), Bd. 1, 38–83, hier 76. 25 „Gutachten des Herrn Rabbiners Dr. David Einhorn im Fürstenthume Birkenfeld“, in Rabbinische Gutachten, Bd. 1 (wie Anm. 24), 125–139, hier 127. 26 Ebd., 131f. 27 Ebd., 135f.

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chen Vorgehensweise“, wie Andreas Gotzmann formuliert hat, mit der die Rabbiner versuchten, die Kategorien der historisch-kritischen Forschung in die gemeinsame religiöse Tradition zu integrieren, anstatt den Bruch mit ihr zu riskieren.28 Mit Einhorns Verteidigung Geigers im Tiktin-Streit begann eine Beziehung enger Weggenossenschaft, die trotz gelegentlicher Meinungsverschiedenheiten im Detail, vor allem während der Rabbinerkonferenzen der 1840er Jahre, durch grundsätzliche Übereinstimmung geprägt war. Weitgehend einig waren sich Geiger und Einhorn etwa in der erregten Kontroverse über das Programm des maßgeblich von Theodor Creizenach (1818–1877) geprägten Frankfurter „Vereins der Reformfreunde“. Dabei handelte es sich um eine kleine, kurzlebige Bewegung intellektueller Laien, die 1843 eine Grundsatzerklärung verfasst hatte, die, abgesehen von der in der Reformbewegung allgemein betonten Ablehnung der Erwartung eines „Messias, der die Israeliten nach Palästina zurückführe“, jegliche dogmatische wie praktische Autorität des Talmud bestritt und die Möglichkeit einer „unbeschränkten Fortbildung“ der „mosaischen Religion“ postulierte, damit aber implizit zugleich auch Offenbarungscharakter wie Gültigkeit der Bibel in Frage stellte.29 Hinter dem Begriff des „Mosaismus“, den auch Einhorn und Holdheim unter dem Einfluss der in der protestantischen Bibelwissenschaft der Zeit gängigen Unterscheidung zwischen einer ursprünglichen mosaisch-israelitischen bzw. prophetischen Tradition und einer nachexilischen priesterlich-rabbinischen Religion verwendeten, verbargen sich eine bewusste oder unbewusste Verinnerlichung der negativen nichtjüdischen Wahrnehmung der rabbinischen Tradition und der Versuch, nachzuweisen, dass das Judentum zu einer Rückkehr zum tief in seiner Geschichte verwurzelten Universalismus fähig sei. Es ist nicht ohne Bedeutung, dass ebenfalls 1843 eine heftige Debatte um die judenfeindlichen Thesen des Junghegelianers Bruno Bauer (1809–1882) entbrannte, der die Emanzipation ablehnte, weil das Judentum aus seiner Sicht keine vernunftgemäßen universalen Gesetze besaß, sondern zwangsläufig, auf Grund seiner „orientalischen Natur“, in seinem System partikularer, geistloser und exklusiver religiöser Zeremonien befangen sei. Selbst eine radikale Neudefinition, wie sie die „Reformfreunde“ vorschlugen, vermochte, so Bauer, die Grenze zwischen den Juden und der nichtjüdischen Gesellschaft nicht aufzuheben – das einzige Heil28 Gotzmann, Eigenheit und Einheit (wie Anm. 22), 195. 29 Zit. n. Meyer, Antwort auf die Moderne (wie Anm. 22), 183; zum Frankfurter Verein vgl. Michael A. Meyer, „Alienated Intellectuals in the Camp of Religious Reform: The Frankfurt Reformfreunde, 1842–1845“, AJS Review 6 (1984), 61–86.

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mittel sei die Aufgabe aller nationalen Züge und die Hinwendung zu Freiheit und Humanität.30 Die öffentliche Debatte um Bauers radikale Ansichten machte innerhalb der Reformbewegung eine Klärung des Verhältnisses von Judentum, Universalismus und Autorität der religiösen Quellen noch dringlicher, als sie angesichts der Herausforderung durch die „Reformfreunde“ ohnehin war. Welchen Preis war man bereit zu zahlen, um den Universalismus des Judentums und die Distanz zur rabbinischen Überlieferung nachzuweisen? Die überwiegende Mehrheit der Rabbiner lehnte es ab, mit der rabbinischen Literatur einen substantiellen Teil der jüdischen Tradition einfach grundsätzlich über Bord zu werfen, und befürchtete, das Prinzip der „unbegrenzten Fortentwicklung“ werde ein Judentum ohne jegliche Offenbarungsgrundlage zurücklassen. In den radikalen praktischen Forderungen der „Reformfreunde“, die Speisegebote und die Beschneidung preiszugeben, die sie als vormosaische, ausgrenzende und die Integration in die nichtjüdische Gesellschaft hemmende Elemente eines überholten jüdischen Partikularismus betrachteten, erblickten viele Reformer, darunter auch Geiger, einen sektiererischen Radikalismus, den es zu begrenzen galt, weil er letztlich überhaupt keinen sakrosankten Kern religiöser Überlieferung unangetastet ließ.31 Einhorn war sich mit Geiger offenbar grundsätzlich einig, dass den radikalen Ideen der „Reformfreunde“ mit dem Konzept einer Reform durch sorgfältige historische Überprüfung der Tradition statt durch unhistorische Verwerfung begegnet werden müsse. Er warf ihnen vor, ihr Programm führe lediglich zum Umsturz und zur „Entwurzelung des Judentums, welches er zu reformiren heu-

30 Bruno Bauer, Die Judenfrage (Braunschweig: Friedrich Otto, 1853); als jüdische Reaktionen vgl. u. a. Abraham Geiger, „Bruno Bauer und die Juden. Mit Bezug auf dessen Aufsatz: Die Judenfrage“, WZJT 5 (1844), 199–234, 325–371; Gustav Philippson, Die Judenfrage von Bruno Bauer näher beleuchtet (Dessau: Fritsche und Sohn, 1843); Gotthold Salomon, Bruno Bauer und seine gehaltlose Kritik über die Judenfrage (Hamburg: Perthes, Besser & Mauke, 1843); als Interpretation der Kontroverse vgl. Hans Liebeschütz, „For and against Emancipation: The Bruno Bauer Controversy“, Leo Baeck Institute Yearbook [= LBIYB] 4 (1959), 81–91. 31 Zu den Hintergründen der von Frankfurt ausgehenden Beschneidungskontroverse vgl. Robert Liberles, Religious Conflict in Social Context: The Resurgence of Orthodox Judaism in Frankfurt am Main, 1838–1877 (Westport, CT: Greenwood Press, 1985), 23–65; Andreas Gotzmann, Jüdisches Recht im kulturellen Prozeß. Die Wahrnehmung der Halacha im Deutschland des 19. Jahrhunderts (Tübingen: Mohr Siebeck, 1997), 251–302.

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chelt“.32 Damit aber werde ein „unheilvolles Schisma“ verursacht, das dem Kampf um die Emanzipation und gegen den „wüthenden Eifer der Proselitenmacherei“ zutiefst schade. Zwar teilte er die Überzeugung von der Entwicklungsfähigkeit des Judentums, die schon durch seine ganze Geschichte bewiesen werde: Der Talmud sei selbst ein Element dieser Entwicklung, „wie sehr er auch andererseits zur Verknöcherung jüdischen Lebens ohne Zweifel beigetragen“ habe. Eine Reform, die auf den unverrückbaren Grundlagen des „Mosaismus“ beruhe – Monotheismus und Offenbarungsglauben – sei daher völlig legitim, es gelte „die starrgewordenen Formen […] durch den Einhauch des lebendigen Geistes zu entfesseln“, sie historisch zu überprüfen und „ihre ungeheure Anzahl, worunter allerdings das Judenthum seufzt und keucht, zu verringern“. Die Reform schien ihm aber dort illegitim zu werden, wo die Göttlichkeit des „Mosaismus“ bestritten, die progressive Rolle, die der Talmud einst in der jüdischen Geschichte gespielt habe, verkannt und so ein Zustand völliger „Gesetzlosigkeit“ sanktioniert werde: Die Möglichkeit einer fortschreitenden Entwicklung in Rücksicht auf die Form und auch auf den Geist der israelitischen Lehre, in wie ferne dieser immer klarer und reiner in das menschliche Bewusstsein zu treten fähig erachtet wird, hat das Judenthum in seinen verschiedenen Stadien thatsächlich gezeigt, und kein Israelite, der seine Religion kennt, wird dieser eine Perfektibilität absprechen wollen, wonach zwar ihr allverkettendes Wesen über die ausschließende Form zu siegen uranfänglich bestimmt war, jedoch diese als schützende Schale und gleichsam als Israels Priestergewand, so lange unmöglich abgestreift werden könne und dürfe, bis jenes die Menschheit nach ihrem ganzen Innern und ganzem Umfange durchdrungen und der Mosaismus mit der Ankunft des messianischen Reiches seine Priestersendung vollführt haben wird. Hingegen muß jeder Israelite feierlichst gegen eine dem Geiste des Mosaismus zugedachte absolute Entwicklung protestiren, indem das Göttliche als ein in sich Vollkommenes eine solche Bewegung, deren Linien noch obendrein in diametraler Richtung laufen, nicht zulassen kann und somit eine solche Behauptung die Nichtgöttlichkeit des Mosaismus involvirt.33

Diese Passage enthält in nuce die Grundlagen des Denkens Einhorns, die er in seinem weiteren Werk in unterschiedlichen Kontexten systematisierte, gegen Orthodoxie wie gemäßigte Reform streitbar entfaltete und in zahllosen Predigten in immer neuen Bildern zu veranschaulichen 32 David Einhorn, „Gutachtliche Äußerung eines jüdischen Theologen über den Reformverein an einen sich dafür interessierenden Christen“, AZJ 8 (1844), 87–89, hier 87. 33 Ebd., 88.

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wusste. Leitmotive wie die Vorstellung von der priesterlichen Mission des jüdischen Volkes und den partikularen Formen als dem „Priestergewand“ Israels – all das dient hier der auch bei Geiger wirksamen Absicht, einerseits eine konsequente, klar begründete Reform zu legitimieren, andererseits aber eine Grenzüberschreitung hin zur Auflösung der traditionellen Fundamente des Judentums und einer unhistorischen Verwerfung der rabbinischen Tradition abzuwehren, die nur zu leicht auch auf die mosaische Tora selbst überzugreifen drohte. Ungeachtet der Heftigkeit, mit der er selbst schon bald kompromisslos die Autorität des Talmud bestreiten sollte, hielt Einhorn zeitlebens an einer relativen Würdigung seiner historischen Funktion im Zuge des fortschreitenden Bewusstseins der Offenbarung Gottes wie der messianischen Rolle Israels in der Geschichte fest und reagierte empfindlich auf antitalmudische Angriffe, die aus seiner Sicht falschen Motiven folgten und „unmöglich eine Reformation, sondern lediglich eine völlige Vernichtung des Mosaismus“ beabsichtigten.34 Obwohl sich in den 1840er Jahren immer deutlicher Einhorns intellektuelles Bündnis mit Holdheim herauskristallisierte und er in einigen Fragen erkennbar radikaler dachte als Geiger, etwa was die Frage der Zurückdrängung des Hebräischen im Gottesdienst betraf, stand er offenbar zeitweise – zumindest vor seiner Auswanderung nach Amerika – dem Anliegen des letzteren näher, die Reformen behutsam zu begründen, ohne das Gesetz, in dem sich der göttliche Wille manifestierte, zu bekämpfen und die Autorität der Bibel zu untergraben. Gelegentlich sprang Geiger Einhorn in Debatten mit Holdheim zur Seite, etwa 1847, als die beiden Gelehrten öffentlich über die angemessene Interpretation der Speisegebote stritten,35 und schloss sich der Auffassung Einhorns an, dass die Gemeinden, welche die Kaschrut weiterhin als zum Wesen des Judentums gehörig empfänden, behutsam überzeugt werden müssten.36 Die Beziehung der beiden Reformer blieb – auch nachdem Einhorn Europa hinter sich gelassen hatte – insgesamt von wechselseitiger Achtung bestimmt, wenn auch seit den 1850er Jahren, etwa in Rezensionen Einhorns in der von ihm in Baltimore herausgegebenen Zeitschrift Sinai, kritische Stellungnahmen begegnen, in denen sich spätere Konflikte abzeichnen. So urteilte Einhorn 1857 in einer Bespre34 Ebd., 89. 35 David Einhorn, „Materialien für den Commissionsbericht über die Speisegesetze“, Der Israelit des neunzehnten Jahrhunderts [= IdnJ] 8 (1847), 41ff.; 49ff.; 97–100; 105–108; 147–150; 153–156; Samuel Holdheim, „Materialien zu einem Commissionsbericht über die Speisegesetze“, WZJT 6 (1847), 41–63. 36 Abraham Geiger, „Nachschrift: Die Speisegesetze“, WZJT 6 (1847), 63–75.

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chung von Geigers Buch Leon da Modena (1856), er sei damit ebenso unzufrieden wie mit allem, was dieser in den letzten Jahren geschrieben habe: Einst habe der Löwe gebrüllt, nun aber sei er dem Schlaf verfallen und erwache lediglich von Zeit zu Zeit, um zur Reform des Judentums hinzublinzeln, schließe die Augen aber sofort wieder „in literarischhistorischer Wonne“.37 Es sollten jedoch noch viele Jahre vergehen, bis unübersehbar wurde, dass der Ozean, der die beiden Reformer seit 1855 trennte, mit der Zeit – jenseits von Unterschieden des Temperaments – in gewisser Weise auch zu einer ideologischen Trennlinie geworden war, die einen offenen Konflikt unvermeidlich machte.38

III. Die Polemik zwischen David Einhorn und Abraham Geiger über die Philadelphia Conference Als 1874 die Nachricht von Geigers überraschendem Tod in Amerika eintraf, gehörte Einhorn zu jenen, die den Gelehrten als erste öffentlich würdigten. In einem Nachruf in der Zeitschrift The Jewish Times sprach er von tiefster Trauer „in den weitesten Kreisen, diesseits und jenseits des Ozeans“ und pries den genialen Tiefblick Geigers, seine bahnbrechenden Leistungen als Historiker, seine entschiedene, freimütige Kritik der religiösen und sittlichen Verhältnisse des traditionellen Judentums, seine „meisterhafte und lichtvolle Auseinandersetzung über die Stellung des Weibes im Judenthum“, seine tiefschürfenden literarhistorischen Arbeiten zur Sprache der Mischna, zu Salomo Ibn Gabirol, Joseph Salomo del Medigo und zur nordfranzösischen Exegetenschule, und vor allem sein Meisterwerk, die „Krone aller seiner Arbeiten“, die Schrift Urschrift und Übersetzungen der Bibel, die ihn zu einer

37 David Einhorn, Rezension zu Abraham Geigers Leon da Modena (1856), Sinai 2 (1857), 435. 38 Zu den indirekten Auswirkungen der ideologischen Trennlinien mit Blick auf das amerikanische Reformjudentum vgl. Jakob J. Petuchowski, „Abraham Geiger and Samuel Holdheim: Their Differences in Germany and Repercussions in America“, LBIYB 22 (1977), 139–159. Die von Petuchowski vertretene Dichotomie, der zufolge Einhorn und radikale Reformer wie Kaufmann Kohler und Emil G. Hirsch in Amerika das Erbe Holdheims fruchtbar machten, während Geigers konservativeres Reformkonzept vor allem von Isaac M. Wise (1819–1900) aufgenommen wurde, vereinfacht jedoch die Komplexität des Verhältnisses der betreffenden Reformer und ihrer Ideen zueinander. Als Differenzierungsversuch vgl. den Beitrag von Adam S. Ferziger im vorliegenden Band.

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Leitfigur der theologischen Wissenschaft und Bibelkritik mache.39 In seiner Gedenkrede zu Ehren Geigers am 21. November 1874 im Tempel der Beth-El-Gemeinde zu New York charakterisierte Einhorn ihn als „großes Geisteslicht in Israel“, das „lange in voller Herrlichkeit auf Erden geleuchtet“ habe, als einen „der größten Söhne Abrahams, der den Namen des Erzvaters trug“,40 und beklagte, er sei unter jüngeren amerikanischen Juden zu Unrecht weithin in Vergessen geraten. Er würdigte Geiger als überragende Figur der Reformbewegung des neunzehnten Jahrhunderts und als denjenigen, der die von der Haskala, insbesondere von Moses Mendelssohn (1729–1786) durch die Definition des Judentums als „geoffenbartes Gesetz“, hinterlassene spirituelle Verunsicherung überwunden und das deutsche Judentum mit neuem Leben erfüllt habe – „er, der mit dem Schwerte seines reichen Wissens wie kein Anderer es verstand, Wege durch Felsen zu brechen und die eisernen Riegel vor der Pforte unserer Schatzkammern zu sprengen; er, der mit dem Zauberstabe des Genius in unserem innersten Heiligtum, in der Bibel, neue Welten der Wahrheit erschloß und mit tiefblickendem Seherauge in die verborgensten und entlegensten Theile unserer Geschichte eindrang, um das Judenthum zu verherrlichen und den Nachweis zu liefern, dass und in welcher Weise aus den Splittern des jüdischen Geistes der Reichtum der Religionen aller gebildeten Völker geflossen.“41 Vergleicht man Einhorns Eulogie mit den Gedenkreden anderer aus Deutschland nach Amerika ausgewanderter Weggenossen oder Schüler Geigers,42 insbesondere jener des Radikalreformers Kaufmann Kohler, der ihn ebenfalls als „Urvater“ und „für alle Zeiten eigentlichen wissenschaftlichen Begründer des Reformjudentums“ rühmte,43 so fällt auf, dass hier zwei Elemente fehlen: einerseits eine Würdigung seiner behutsam-konstruktiven Wirkung als Reformer, andererseits aber auch jegliche Kritik des konservativen Zuges des Geigerschen Reformkonzepts. 39 David Einhorn, „Abraham Geiger“, The Jewish Times 6 (1874/75), 621f. 40 David Einhorn, „Gedächtnisrede, gehalten am 21. November 1874 zu Ehren Abraham Geigers im Tempel der Beth-El-Gemeinde zu New York“, in David Einhorn Memorial Volume: Selected Sermons, hrsg. von Kaufmann Kohler (New York: Bloch Publishing Company, 1911), 190–193, hier 190. 41 Ebd., 192f. 42 Vgl. die Nachrufe Bernhard Felsenthals (1822–1908), des Rabbiners der liberalen Chicago Sinai Congregation, und zweier weiterer Weggenossen Geigers, des New Yorker Rabbiners Samuel Adler (1809–1891) und des Chicagoer Rabbiners Liebman Adler (1812–1892) in The Jewish Times 6 (1874/75), 622, 668–671. 43 Kaufmann Kohler, „Dr. Abraham Geiger. Gedächtnisrede“, The Jewish Times 6 (1874/75), 637–639, hier 638.

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Kohler stand im Grunde theologisch Samuel Holdheim sehr viel näher als Geiger, trotz dessen Förderung, und zeigte sich in seiner „Gedächtnisrede“ wesentlich freimütiger, wenn es darum ging, auch kritische Akzente zu setzen. Dass eine gewisse Spannung zwischen Geigers freier theoretischer und wissenschaftlicher Auffassung des Judentums, von der er sich auch durch öffentliche Konflikte nicht habe abbringen lassen, und den vorsichtig-zögerlichen praktischen Konsequenzen bestand, die er daraus gezogen habe, führte Kohler mit einem gewissen Verständnis auf den Willen zurück, nicht mit der Vergangenheit zu brechen und das Judentum zu spalten. Zugleich sprach er aber unmissverständlich aus, Geiger sei „hinter den vollen Anforderungen der Zeit“ zurückgeblieben: Er reformirte und reformirte stückweise und immer mäßiger und furchtsamer, statt, wie er mir einmal schrieb, „das Gestrüppe mit einem Mal wegzuhauen, damit der Baum des Lebens in seiner Freiheit sich entfalte“. Er hat in väterlich bevormundender Weise gegen die entschiedenen und edleren, vollgehaltigen prinzipienklaren Reformen seiner amerikanischen Jugendfreunde und Bundesgenossen sich abwehrend verhalten und sich in den letzten Jahren seine nächsten Geistesbrüder und Geisteskinder etwas entfremdet. Das ist nun einmal das Los aller jüdischen Geisteshelden, das gelobte Land ihrer innern göttlichen Verheißung nicht betreten zu dürfen. Mit erhabener Majestät schreitet das Judenthum ewig über seine verdienstgekrönten Männer alle hinweg und nimmt nur ihre Schöpfungen und Leistungen dankbar an, um sie als große Marksteine stehen zu lassen auf dem großen Gang seiner Geschichte.44

Im Grunde urteilte Kohler 1874, unmittelbar nach Geigers Tod, fast schärfer als in der eingangs vorgestellten späteren Würdigung des Jahres 1910 und ließ anklingen, sein Denken sei in verschiedener Hinsicht bereits Geschichte. Eine Dimension der Wirksamkeit Geigers allerdings erschien Kohler als wahrhaft bleibende Leistung, als orientierender Markstein weit über seine Zeit hinaus – seine Legitimation der Fortexistenz des Judentums in der Moderne durch die kritische Herausforderung des Christentums. Er würdigte damit das, was auch die spätere Forschung als eine von Geigers entscheidenden Leistungen erwiesen hat: Er war der Vertreter der Wissenschaft des Judentums, der am wirksamsten die theoretischen Grundlagen des liberalen Verständnisses des Judentums als einer universalen prophetischen und ethischen Menschheitsreligion formulierte und dabei in ständiger Auseinandersetzung mit der zeitgenössischen protestantischen Theologie ein Denkmodell 44 Ebd., 639.

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schuf, mit dessen Hilfe sich auch der Anspruch des Judentums auf kulturelle Relevanz und auf eine legitime und gleichberechtigte Fortexistenz neben dem Christentum begründen ließ. Indem Geiger in seinen 1863/64 und 1871 gehaltenen Vorlesungen über Das Judenthum und seine Geschichte das Neue Testament einer detaillierten historischen Analyse aus explizit jüdischer Sicht unterzog und Jesus konsequent im Kontext des pharisäischen Judentums verstand, konnte er das Judentum als ursprüngliche und bleibend wahre Religion darstellen, während das Christentum als Teil der jüdischen Glaubensgeschichte erschien, als Tochterreligion, die sich durch den Einfluss der griechischen Philosophie vom biblischen Monotheismus entfernt und eine synkretistische, von einem verdunkelten Gottesbegriff bestimmte Tradition ausgebildet hatte. Diese herausfordernde Interpretation des Verhältnisses beider Religionen, die dem religiös-kulturellen Einspruch gegen die Emanzipation des Judentums begegnete und eine selbstbewusste jüdische Identität begründen wollte, stellte den nachfolgenden Generationen eine herausfordernde Gegengeschichte zur christlichen Geschichtsdeutung zur Verfügung.45 Das erkannte auch Kohler uneingeschränkt an: Wie er in seiner Erstlingsschrift die Lehre des Mohammed als eine Tochter des Judenthums mit unwiderlegten Zeugnissen vor das Urtheil der kopfschüttelnden christlichen Gelehrtenwelt hingestellt hatte, so hat er in dem letzten Jahrzehnt seines Lebens immer zahlreichere Beweise für seine von Anderen breitgetretene, aber nicht klarer erfasste Behauptung herbeigebracht, dass der sogenannte Stifter des Christentums nichts als Jude war und dass erst Paulus die neue jüdische Sekte der Mutter entfremdet hat. Kühner und feuriger als irgendein Jude, hat er das Christenthum bekämpft, indem er es wissenschaftlich beleuchtete, und seine Grundlagen erschüttert, indem er seine Geschichtsquellen untersuchte.46

Anders als sein Schwiegersohn Kohler enthielt sich David Einhorn in der Situation der Trauer und des Gedenkens der Kritik oder des Hinweises auf eine Überlegenheit der radikaleren amerikanischen Reform im Vergleich zu Geigers Reformkonzept – er beließ es in seinem Nachruf bei einer leisen Anspielung auf einen schweren Konflikt zwischen ihm und Geiger, der jedoch nach „jahrelanger Verstimmung“ kurz vor dessen Tod – dank seines „liebreichen Entgegenkommen(s)“ – mit einer Aussöhnung geendet habe, die er um so mehr begrüße, als er ihn trotz teilweise abweichender Überzeugungen stets als die „Leuchte des Exils“ 45 Vgl. Susannah Heschel, Der jüdische Jesus und das Christentum. Abraham Geigers Herausforderung an die christliche Theologie (Berlin: Jüdische Verlagsanstalt, 2002). 46 Kohler, „Dr. Abraham Geiger. Gedächtnisrede“ (wie Anm. 43), 638.

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verehrt und bewundert habe.47 Die aufmerksamen Leser der Jewish Times erinnerten sich aber wohl nur zu deutlich an den heftigen, in Ton und Stil bitteren Angriff Einhorns gegen Geiger im Jahre 1870. Anlass der Auseinandersetzung waren kritische Bemerkungen des letzteren gegen die Thesen der von Einhorn federführend gestalteten Philadelphia Conference von 1869 gewesen, auf der sich die einflussreichsten amerikanischen Reformrabbiner versammelt hatten, um theologische und praktische Richtlinien für die Zukunft zu formulieren.48 Wie wir sehen werden, handelte es sich bei diesem vor der amerikanisch-jüdischen Öffentlichkeit ausgetragenen Konflikt nicht bloß um eines der vielen polemischen Scharmützel, die Einhorn in seiner Laufbahn – auch mit anderen Freunden und Weggenossen wie Samuel Holdheim und Samuel Hirsch – austrug. Vielmehr verbarg sich dahinter, zumindest aus Einhorns Sicht, ein grundsätzlicher ideologischer Konflikt, bei dem offenbar die Legitimität seiner gesamten Reformphilosophie auf dem Spiel stand. Ausgegangen war der Streit von einem Artikel, den Geiger 1870 unter dem Titel „Die Versammlung zu Leipzig und die zu Philadelphia“ in seiner Jüdischen Zeitschrift für Wissenschaft und Leben veröffentlicht und in dem er die geistig-kulturellen Bedingungen der Reformbewegung in Deutschland und Amerika kritisch miteinander verglichen hatte.49 Einhorn antwortete auf die zahlreichen polemischen Spitzen dieses Aufsatzes umgehend mit einer geharnischten Replik in der Jewish Times unter dem Titel „Dr. Geiger und die Philadelphier RabbinerConferenz“.50 In der Folge sollen die Argumente der beiden Reformer einander gegenübergestellt und im Kontext ihrer jeweils unterschiedlichen theoretischen Ansätze kurz, wenn auch nicht erschöpfend, erläutert werden. Geiger hatte zunächst – offenbar in Reaktion auf oder in Vorwegnahme von Kritik aus Kreisen des amerikanischen Reformjudentums – geltend gemacht, die Durchsetzung konsequenter Reformen zur Umsetzung der wissenschaftlichen fundierten Neuinterpretation jüdischer Tradition im praktischen Leben der Gemeinden in Deutsch47 Einhorn, „Abraham Geiger“ (wie Anm. 39), 621. 48 Zur Philadelphia Conference vgl. Meyer, Antwort auf die Moderne (wie Anm. 22), 366–372. 49 Abraham Geiger, „Die Versammlung zu Leipzig und die zu Philadelphia“, Jüdische Zeitschrift für Wissenschaft und Leben (= JZWL) 8 (1870), 1–27; zu Charakter und Inhalten der Leipziger Synode vgl. Meyer, Antwort auf die Moderne (wie Anm. 22), 273ff. 50 David Einhorn, „Dr. Geiger und die Philadelphier Rabbiner-Conferenz“, The Jewish Times 2 (1870/71), 107, 123f, 139, 171, 187f.

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land sei aufgrund des dort herrschenden Prinzips der Gesamtgemeinde sehr viel schwieriger als in vielen amerikanischen Gemeinden, die sich vielfach nur aus Gleichgesinnten zusammensetzten und somit entschiedenere, radikalere Reformen problemlos in die Tat umsetzen könnten. Weil die Reformer in Deutschland auf die konservativeren Teile ihrer Gemeinden Rücksicht nehmen müssten, dürfe man die unbefriedigenden Ergebnisse der Leipziger Rabbinerkonferenz von 1869, die einen eher konservativ-ängstlichen Eindruck hinterlassen habe, nicht einfach mit den Ergebnissen der Konferenz von Philadelphia vergleichen.51 Einhorn widersprach dieser Auffassung dezidiert und argumentierte, die amerikanischen Rabbiner seien angesichts der oft zufällig aus Migranten unterschiedlicher Herkunft zusammengesetzten Gemeinden „auch in Amerika nicht gerade auf Rosen gebettet“.52 In seiner Beurteilung der Philadelphia Conference lobte Geiger zunächst die beteiligten „tüchtigen“ amerikanischen Rabbiner, die er als „gar liebe wackere alte Freunde“ bezeichnete, und hob hervor, dass sie alle – der „würdige, besonnene“ Samuel Adler, der seinen Hang zum „apologetischen Conservativismus […] an Bord des AuswandererDampfboots zurückgelassen“ habe, der „allezeit von jugendlich edlem Eifer erglühende Einhorn“, der sich nach seinen Erfahrungen in Europa „nun so wohlthuend von der freien Luft Amerikas umweht fühlt“, und der „gerade, offene“ Samuel Hirsch, der „seine Philosopheme und die Lust am Symbolisiren dem praktischen Geiste Amerikas anbequemt“, aber auch Kaufmann Kohler und Bernhard Felsenthal – in engster Beziehung zur deutschen Reformbewegung stünden: Wir begegnen hier durchgehend Fleisch aus unserem Fleische, Geist von unserem Geiste: es sind Deutsche, die über das Meer gewandert, ihr Wissen und ihre theologische Richtung aus dem ursprünglichen Vaterlande mitgebracht und die an dessen Geistesquellen sich noch weiter laben, die aber unter den freieren Verhältnissen Amerikas zu einem energischeren und consequenteren Wirken befähigt und angetrieben sind.53

In der Folge stellte Geiger zunächst die 7 Thesen der Philadelphia Conference vor, die – im Hause Samuel Hirschs, aber unter starker theologischer Dominanz der Ideen Einhorns – als für die amerikanische Reform verbindlich verabschiedet worden waren.54 Im Zen51 Geiger, „Die Versammlung in Leipzig und die zu Philadelphia“ (wie Anm. 49), 3ff. 52 Einhorn, „Dr. Geiger und die Philadelphier Rabbiner-Conferenz“ (wie Anm. 50), 123. 53 Geiger, „Die Versammlung in Leipzig und die zu Philadelphia“ (wie Anm. 49), 6. 54 Zum Diskussionsverlauf siehe die Protokolle der Rabbiner-Conferenz, abgehalten zu Philadelphia, vom 3. bis zum 6. November 1869 (New York: S. Hecht, 1870).

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trum stand der Versuch, in klaren antithetischen Sätzen die universale Mission eines modernen, in seiner Ethik wie in seiner Zukunftshoffnung aller historisch bedingten partikularen Elemente entkleideten Judentums zum Maßstab jüdischer Identität zu erheben, sich auf diese Weise programmatisch von der traditionellen Orthodoxie abzugrenzen und antijüdischen Vorurteilen entgegenzutreten. Das messianische Ziel Israels, so die amerikanischen Reformer, sei nicht die Wiederherstellung des jüdischen Staates, die „abermalige Absonderung von den Völkern“, sondern „die Vereinigung aller Menschen als Gotteskinder“ im Bekenntnis zur Einzigkeit Gottes, „zur Einheit aller Vernunftwesen und deren Berufung zur sittlichen Heiligung“. Die Zerstörung des Zweiten Tempels und das Exil, die galut seien nicht als „Strafe für die Sündhaftigkeit Israels“, sondern als Ausdruck der göttlichen Absicht zu verstehen, „die Mitglieder des jüdischen Stammes zur Lösung ihrer hohen Priesteraufgabe, die Nationen zur wahren Erkenntnis und Verehrung Gottes zu leiten, nach allen Theilen der Erde zu senden“. Zudem gelte es die „Auserwähltheit Israels zum Religionsvolk“ und zum Träger der höchsten Idee der Menschheit nach wie vor scharf zu betonen, aber nur in einem Atemzug mit der universalen Mission des Judentums und der Idee der „gleichen Liebe Gottes gegen alle seine Kinder“.55 In den Thesen, die zum Maßstab der Umgestaltung der religiösen Praxis erhoben wurden, kamen also zentrale Topoi der europäischen und amerikanischen Reformbewegung des neunzehnten Jahrhunderts zur Sprache, die sich seit der Aufklärung in Deutschland in ständiger Auseinandersetzung mit dem Judentumsbild nichtjüdischer Theologien und Philosophien sowie im Kontext politisch-sozialer Debatten über die Integration des angeblich von einer unauflöslichen fremden „Sonderidentität“ bestimmten Judentums in die europäischen Gesellschaften herausgebildet hatten. Es ging ganz zentral um eine universalistische Neuinterpretation grundlegender Themen der jüdischen Überlieferung: um das Verständnis der Erwählung Israels, um die Deutung von Exil und Leid in der galut, der jüdischen Diasporaexistenz, um die Vision der messianischen Zukunft, um das Verhältnis des Judentums zur Menschheit und zu anderen Religionen, um die Relevanz des ZeremonialgesetBeteiligt waren die namhaftesten Reformrabbiner Amerikas, darunter auch Isaac M. Wise, der mit zu den „theologischen Collegen“ gezählt werden wollte, die – wie es im Aufruf zu der Versammlung hieß – „dem entschiedenen religiösen Fortschritt huldigen“; vgl. „Aufruf zu einer Rabbiner-Conferenz“, The Jewish Times 1 (1869/ 70), 8; zu den praktischen Beschlüssen in Philadelphia vgl. Meyer, Antwort auf die Moderne (wie Anm. 22), 367ff. 55 Zit. n. Geiger, „Die Versammlung in Leipzig und die zu Philadelphia“ (wie Anm. 49), 7f.

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zes für die Moderne und um die Verhältnisbestimmung von Universalismus und Partikularismus mit Blick auf die jüdische Religion – ein Motiv, dem in den zeitgenössischen Debatten über Modernisierbarkeit und Emanzipationswürdigkeit des Judentums entscheidende Bedeutung zukam.56 All diese Schlüsselelemente seiner Reformphilosophie standen nun für Einhorn auf dem Spiel, als Geiger die Thesen und die daraus gezogenen Konsequenzen für eine entschiedenere Reform der Praxis kritisch zu destruieren versuchte und dabei als Maßstab seine eigenen Thesen für die Leipziger Versammlung heranzog, die, wie er unumwunden zugab, dort auf Grund der „Ängstlichkeit“ der deutschen Reformbewegung kein Gehör gefunden hatten. Geiger räumte eine „nahe Verwandtschaft“ zwischen seinen Thesen und jenen aus Philadelphia ein, beharrte aber auf der Überlegenheit seines eigenen Denkens.57 Die Ergebnisse der Philadelphia Conference betrachtete er hingegen mit einem gewissen Argwohn und verstand sie – vermutlich mit Recht – als eine Art geistig-theologischer Unabhängigkeitserklärung seines Freundes Einhorn und der amerikanischen Reformbewegung, welche die deutsche an theoretischer wie praktischer Radikalität zu überholen ansetzte. Einhorn, der von seinen Prinzipien ebenfalls fest überzeugt war und in seiner Polemik nicht gerade sanft zu verfahren pflegte, schlug heftig zurück. Er warf Geiger vor, er habe in seiner Kritik „weder wissenschaftlichen noch religiösen Ernst“ bekundet, sondern sich schlicht von seiner Beleidigung über die „Anmaßung“ der amerikanischen Rabbiner leiten lassen, weil letztere nicht einmal im entferntesten daran dächten, die „lahmen Geiger’schen Thesen zu bestätigen oder auch nur in Betracht zu ziehen“, vielmehr die „Heiligsprechung des Schwankenden, Grundsatzlosen und Todtgeborenen“ verweigerten. Er selbst habe stets Geigers historischen Scharfsinn bewundert, auch wenn dieser „zu jeder Zeit hemmend und störend in jede entschiedene Maßregel einzugreifen“ bestrebt gewesen sei – immerhin habe Geiger aber bisher niemals in der Theorie gegen entschiedenere Reformen Front gemacht, für die „ja auch seine Forschungen einen mächtigen Hebel bilden“. Nun aber sehe er ihn zum ersten Mal „zugunsten der Prinzipienlosigkeit theoretisieren“ und die Partei der „schlimmsten Feinde des religiösen Fortschritts“ ergreifen. Radikal sei Geiger noch immer, etwa wenn er die amerikanischen 56 Siehe Michael A. Meyer, „Should and Can an ‘Antiquated’ Religion Become Modern? The Jewish Reform Movement in Germany as Seen by Jews and Christians“, in Michael A. Meyer, Judaism within Modernity: Essays on Jewish History and Religion (Detroit: Wayne State University Press, 2001), 209–222. 57 Geiger, „Die Versammlung in Leipzig und die zu Philadelphia“ (wie Anm. 49), 8f.

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Kollegen dränge, Proselyten die Beschneidung zu erlassen, vor allem aber „mit der Feder, insoweit seine Thesen und sein Hochmuth unberührt bleiben“.58 In privaten Briefen an seine amerikanischen Mitstreiter urteilte Einhorn noch schärfer, etwa wenn er an Bernhard Felsenthal schrieb, Geigers Zeitschrift werde „immer saft- und kraftloser“,59 und sich beklagte, er schlage „bald rechts, bald links den wahren Reformern in’s Gesicht“ und die Reformkonferenzen in Deutschland seien voller „Characterlosigkeit und Heuchelei u. Oberflächlichkeit“.60 Die detaillierte Auseinandersetzung Geigers mit den Thesen von Philadelphia und den Protokollen der Konferenz sowie Einhorns Gegenpolemik sind ausgesprochen facettenreich und beziehen sich sowohl auf grundlegende theologische und historische Überzeugungen als auch auf konkrete liturgische und halachische Fragestellungen sowie auf Themen (wie die Bedeutung des Sabbats oder die Zulässigkeit von Mischehen), die innerhalb der Reformbewegung auch in Amerika verschiedentlich Kontroversen ausgelöst hatten. An dieser Stelle können jedoch nur die zentralen Aspekte beleuchtet werden, die die Tiefe der Kluft widerspiegeln, die sich zwischen Geiger und der radikalen Reform Einhornscher Prägung aufgetan hatte. Ein grundlegender Einwand Geigers richtete sich gegen die aus seiner Sicht „theoretisierende“ und „dogmatisierende“ Sprache des Dokuments, die den Gemeinden ein regelrechtes Bekenntnis zu recht zweifelhaften Behauptungen abverlange und auf dieser ungenügenden Basis Schlussfolgerungen hinsichtlich der praktischen Gestaltung des Gottesdienstes formuliere. Damit, so Geiger, werde dem Judentum in Dingen der Kultusgestaltung, etwa mit Blick auf die Forderung nach dem Zurücktreten des Hebräischen im Gebet, zu Unrecht „ein Bekenntnis octroyiert“.61 Einhorn bestritt, dass es hier darum ging, den Gemeinden etwas aufzuzwingen, betonte aber die Notwendigkeit, klare, orientie58 Einhorn, „Dr. Geiger und die Philadelphier Rabbiner-Conferenz“ (wie Anm. 50), 107. Vgl. auch Samuel Adler, „Eine Erklärung“, The Jewish Times 2 (1870/71), 89: „Wenn Herr Dr. G. aber wie ein oberster Richter sich gebärdet und sich ziemlich stark verletzt zu fühlen scheint, daß seine in Leipzig durchgefallenen Thesen auch bei uns ihre volle Anerkennung nicht gefunden haben, so muß er es eben ertragen lernen, daß es Männer gibt, die auch ihm gegenüber, bei aller Hochachtung seiner wissenschaftlichen Leistungen, ihre theologische Selbständigkeit nicht aufzugeben geneigt sind.“ 59 Brief von David Einhorn an Bernhard Felsenthal vom 29. November 1872, Nachlass David Einhorn, American Jewish Archives (AJA), Cincinnati, MSS Col. 155. 60 Brief von David Einhorn an Bernhard Felsenthal vom 8. September 1873, AJA, MSS Col. 155. 61 Geiger, „Die Versammlung in Leipzig und die zu Philadelphia“ (wie Anm. 49), 9.

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rende Grundsätze zu formulieren, und vermutete hinter Geigers „Zetergeschrei über das Dogma“ die Neigung, dem Judentum den Charakter der Religion zu nehmen und es „mit Mendelssohn zu einem Conglomerat von Gesetzen zu erniedrigen“. Dann aber, fügte er hinzu, wisse er wahrlich nicht, „in welcher Weise ihm eine Weltmission zukommen oder auch nur, wenn im Gegensatze zu Mendelssohn diese Gesetze nur in ihrem rein menschlichen Theile für immer geltend betrachtet werden, längere Widerstandskraft gegen das Christenthum beigemessen werden kann“.62 Wichtiger als der Vorwurf des Dogmatisierens, wenn auch damit zusammenhängend, ist jedoch Geigers Vorwurf, die Thesen von Philadelphia seien theologisch zutiefst widersprüchlich. Die erste These, der zufolge das messianische Ziel Israels nicht die Wiederherstellung des alten jüdischen Staates und die abermalige Absonderung von den Völkern, sondern „die Vereinigung aller Menschen als Gotteskinder im Bekenntnis zur Einig-Einzigkeit Gottes, zur Einheit aller Vernunftwesen und deren Berufung zur sittlichen Heiligung“ sei, stehe in eindeutigem Widerspruch zur fünften These, die verlange, im gleichen Atemzug mit der Betonung der gleichen Liebe Gottes gegen alle seine Kinder auch die „Auserwähltheit Israels zum Religionsvolke, zum Träger der höchsten Idee der Menschheit“ hervorzuheben – ein richtiger Gedanke sei hier „so unklar wie nur immer möglich ausgedrückt“.63 Geiger verwies als klarere Alternative auf seine Leipziger Thesen, in denen es heißt, das Judentum sei „die Religion der Wahrheit und des Lichts“, Israel halte an seiner Aufgabe fest, „Träger und Verkünder dieser Lehre zu sein“, und knüpfe daran die Hoffnung, „diese Lehre werde immer mehr zum Gemeingute der ganzen gebildeten Welt werden und so Israel sich zur Menschheit erweitern“; dafür müsse jedoch „die nationale Seite Israels in den Hintergrund treten“.64 Einhorn kennzeichnete diese Formulierung als völlig nebelhafte Bestimmung des Inhalts der mes62 Einhorn, „Dr. Geiger und die Philadelphier Rabbiner-Conferenz“ (wie Anm. 50), 123. Hinter dieser Bemerkung steht Einhorns Kritik an Mendelssohns Ablehnung des Dogmas und seiner Definition des Judentums als „geoffenbartes Gesetz“, der gegenüber Einhorn die Auffassung vertrat, im Zentrum des Judentums stünden in jedem Fall – insbesondere moralische – Glaubenslehren, die ihren Ausdruck in symbolischen, zeitgebundenen zeremoniellen Formen und Geboten fänden; vgl. David Einhorn, Das Princip des Mosaismus und dessen Verhältnis zum Heidenthum und rabbinischen Judenthum (Leipzig: C. L. Fritzsche, 1854), bes. 4–13. 63 Geiger, „Die Versammlung in Leipzig und die zu Philadelphia“ (wie Anm. 49), 10 (die Passagen aus den Thesen von Philadelphia sind zit. n. ebd., 7f.). 64 Abraham Geiger, „Thesen für die am 29. d. [M.] in Leipzig zusammentretende Versammlung“, JZWL 7 (1869), 161–167, hier 163. Zu Geigers Verständnis des Universalismus im Judentum vgl. Michael A. Meyer, „Universalism and Jewish Unity in the

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sianischen Hoffnung: „Kann sich zu diesem Thesen-Messias, zu dieser durch und durch mysteriösen Person nicht auch das Christentum, der Atheismus und Pantheismus bekennen?“ Das jüdische Gepräge des messianischen Bewusstseins sei hier völlig verloren gegangen, dabei sei gerade hier das „scharfe Hervorheben der Grundgedanken“, mit denen die jüdische Religion stehe und falle, unentbehrlich. Geigers Mangel an klarer Bestimmung des Eigenen liege aber darin begründet, dass er „mit der Auserwähltheit Israels auf schlechtem Fuße“ stehe, weil er fürchte, Nichtjuden könnten über deren zu starke Betonung „die Nase rümpfen“. Die Überzeugung von der weltgeschichtlichen Berufung Israels, die Geiger immerhin grundsätzlich teile, sei jedoch haltlos ohne „das stolze Gefühl unseres Stammes, vom Allvater zur Segnung aller Erdenfamilien gesendet zu sein“, und eine Preisgabe der messianischen Aufgabe, die universale jüdische Lehre des reinen Menschentums zum Gemeingut aller Menschen zu machen, nehme dem Judentum seine religiös-historische Bedeutung.65 Scharf kritisierte Geiger auch die zweite These von Philadelphia, die betonte, der Verlust der Staatlichkeit Israels und das Exil seien nicht als Strafe für die Sündhaftigkeit Israels, sondern als Folge der göttlichen Absicht zu verstehen, „die Mitglieder des jüdischen Stammes zur Lösung ihrer hohen Priesteraufgabe, die Nationen zur wahren Erkenntnis und Verehrung Gottes zu leiten, nach allen Theilen der Erde zu senden“ – aus Sicht Geigers eine überflüssige, zudem hochproblematische „geschichtsphilosophische Construction“.66 Was sich in Geigers Kritik an den theoretischen Thesen der Philadelphia Conference widerspiegelt, ist offenbar die Skepsis des Historikers gegenüber dem philosophischtheologischen Ansatz Einhorns, in dessen Zentrum eine Neuinterpretation der klassischen Idee der „Mission Israels“ und der Erwählung steht, die sich mit dem paradoxen Begriff eines „partikularen Universalismus“ kennzeichnen ließe. Einhorns Geschichtstheologie, deren Grundideen hier nur angedeutet werden können, zielte darauf, eine theoretische Grundlage für die Deutung des Judentums als der reinen Verkörperung des religiösen Universalismus zu liefern. Hinter seiner Argumentation steht eine ihm ganz eigentümliche Offenbarungsvorstellung, die auf Schellings Idee eines ursprünglichen, vorbiblischen Monotheismus Thought of Abraham Geiger“, in Jacob Katz (Hrsg.), The Role of Religion in Modern Jewish History (Cambridge, MA: Association for Jewish Studies, 1975), 91–107. 65 Einhorn, „Dr. Geiger und die Philadelphier Rabbiner-Conferenz“ (wie Anm. 50), 124. 66 Geiger, „Die Versammlung in Leipzig und die zu Philadelphia“ (wie Anm. 49), 10 (die Passagen aus den Thesen von Philadelphia sind zit. n. ebd., 7f.).

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und einer sich in einem wachsenden „Gottesbewusstseins“ der Menschheit entfaltenden göttlichen „Uroffenbarung“ in dessen Philosophie der Offenbarung von 1841/42 beruht.67 Jüdisch gewendet, durch die Unterscheidung zwischen einer „Uroffenbarung“ an Adam durch den Odem der Schöpfung und der Offenbarung am Sinai, eröffnete dieser Gedanke zwei entscheidende Deutungsmöglichkeiten. Einmal gestattete er eine konsequente universalistische Deutung der frühesten Ursprünge des Judentums: Beginnt das Judentum – und seine Offenbarung – nicht erst mit Abraham oder mit der speziellen Offenbarung am Sinai, sondern bereits zu Beginn der biblischen Urgeschichte, so wird es „Menschenthum“ – „seine Wahrheiten und Verpflichtungen sind ihrem Wesen nach von Gott eingepflanzt, Axiome des Menschengeistes und somit im eigentlichen Sinne des Wortes angeboren“.68 Zweitens wird auf diesem Wege die von Gott geschenkte Vernunft, Teil der Gottebenbildlichkeit oder „Gottähnlichkeit“ des Menschen, zum eigentlichen „Organ“ der Offenbarung, die sich im wachsenden Bewusstsein des Menschen vermittelt.69 Das Sittengesetz ist Teil dieses vernünftigen Gottesgeistes im Menschen. Die auf das Volk Israel beschränkte Sinaioffenbarung, trotz der Theophanie kein äußerer, sondern ein innerer Vorgang, bringt das Bundesvolk und das Zeremonialgesetz als zeitlich und räumlich begrenztes Erziehungsmittel ins Spiel; letzteres ist zugleich göttlich und der fortschreitenden menschlichen Vernunft unterworfen. Das „eigentliche Schibboleth des Reformjudenthums“ lautet daher nach Einhorn folgendermaßen: Das Judenthum ist seinem Wesen noch älter, als der israelitische Stamm; es ist als reines Menschenthum, als Ausfluß des uns eingeborenen Gottesgeistes so alt, – wie das Menschengeschlecht. Der Ursprung und sein Entwickelungsgang – es wurzelt in Adam und gipfelt in der messianisch vollendeten Menschheit. Nicht eine Religion, sondern ein Religionsvolk wurde auf Sinai neu geschaffen, ein Priestervolk, das die uralte Gotteslehre zunächst tiefer in sich ausprägen und dann zur allgemeinen Herrschaft bringen sollte.70

67 Friedrich W. J. Schelling, Philosophie der Offenbarung (1841/42) (Frankfurt am Main: Suhrkamp, 1977); vgl. auch Friedrich W. J. Schelling, Philosophie der Mythologie. Nachschrift der letzten Münchner Vorlesungen 1841, hrsg. von Andreas Roser und Holger Schulten (Stuttgart-Bad Cannstatt: Fromann-Holzboog 1996). 68 David Einhorn, „Prinzipielle Differenzpunkte zwischen altem und neuem Judentum“, Sinai 1 (1856), 162ff.; 193–197; 290–294; 333ff.; 365–371; 2 (1857), 399–404; 540–544; 572–576; 7 (1862), 320–327, hier 293. 69 Ebd., 401. 70 Ebd., 539.

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Der „biblische Partikularismus“, der am Sinai ins Spiel kam, ist somit „nichts anderes als ein Hebel des unumschränkten Universalismus“.71 Das Reformjudentum beruhte Einhorn zufolge „auf dem unerschütterlichen Grundpfeiler einer Offenbarung, die alle Zeiten und alle Geschlechter umschließt und sich auf Sinai bloß einen Centralpunkt schuf im Bundesvolke, worin all’ ihre Strahlen sich sammeln sollen, um Licht und Leben dem einen großen Organismus der Menschheit zu spenden“.72 Damit ließ sich Erwählung universalistisch deuten als Idee, die „auf das Entschiedenste die höhere Geblüthsheiligkeit irgend eines Stammes“ verneint, „weil sie unverträglich ist mit der mosaischen Grundlehre der göttlichen Ebenbildlichkeit aller Menschen“.73 Zugleich war es – gerade aufgrund seiner radikalen Betonung des Universalismus – eines der zentralen Anliegen Einhorns, durch die Betonung des einzigartigen Charakters des jüdischen Volkes das Aufgehen des Judentums in die allgemeine Kultur zu verhindern. Sein Konzept eines aus der Geschichte herausgerufenen am ha-cohanim („Priestervolk“) und eines im Exil „wandernden Messias“74 verweist darauf, dass er mit einer Intensität wie kaum ein anderer Reformer seiner Zeit das Motiv der messianischen „Mission Israels“ ins Zentrum seines Denkens stellte. Am eindrucksvollsten entfaltete er es in seinen Predigten, etwa 1859 zu Tischa Be’Aw in seiner Gemeinde in Baltimore: Gewiss gelte es auch der Tränen und des Blutes des Exils zu gedenken, der von Grauen erfüllten Leidensgeschichte des jüdischen Volkes und der Opfer des Judenhasses. Weit mehr noch sei dieser Gedenktag aber, im Gegensatz zu jeglicher orthodoxer Sünden- und Galut-Theologie, ein Freudentag, jener Tag, an dem aus den Trümmern des jüdischen Staates mit seinen Institutionen „der Grund- und Eckstein zum Riesenbau des messianischen Reiches gelegt wurde“: „Wir feiern heute nichts Geringeres als den Geburtstag des Messias, d. h. Israel im Beginne seiner messianischen, welterlösenden Thätigkeit“!75 Ausdrücklich schrieb Einhorn der Zerstörung des Zweiten Tempels und dem Geschehen am Sinai eine gleichwertige Offenbarungsqualität zu und begründete so jene für sein Denken charakteristische Dialektik von Partikularismus 71 72 73 74 75

Ebd., 293. Ebd., 544. Ebd., 325. Ebd., 327. David Einhorn, „Predigt gehalten am Erinnerungstag der Zerstörung Jerusalems 5619 (1859) im Tempel der Har-Sinai-Gemeinde zu Baltimore“, in Dr. David Einhorns ausgewählte Predigten und Reden, hrsg. v. Kaufmann Kohler (New York: Steiger, 1881), 324–331, Zitat 325.

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und Universalismus, welche die eigenständige Fortexistenz des Judentums als Minderheit im christlichen Amerika begründen sollte: „Aus den Flammen Sinais offenbarte sich Gott durch Moses an Israel, aus den Flammen des Tempelberges durch Israel – der ganzen Menschheit!“76 Dabei handelt es sich um jene radikale Neuinterpretation des Exils und zugleich des Messianischen, die auch in den Thesen von Philadelphia wiederkehrt: An die Stelle des auf Grund seiner Sünde bestraften Volkes Israel, das auf das Kommen des Messias, die Rückkehr nach Zion und die Widerherstellung des Tempels hofft, tritt eine Gemeinschaft, die zur Verkörperung des um der Welt willen leidenden Gottesknechts wird, also selbst messianische Qualität besitzt – das Judentum wird zum Inbegriff der Wahrheit des Einen Gottes und einer humanen Sittlichkeit, muss aber gerade deshalb an seiner Einzigartigkeit im Vergleich zu den anderen Völkern festhalten. Diese Deutung einer universalen jüdischen Mission ermöglichte es einerseits, für die vollständige Integration der Juden in die amerikanische Gesellschaft zu plädieren, zugleich aber – gegen die Gefahr der assimilatorischen Auflösung – die Aufrechterhaltung einer fortdauernden eigenständigen jüdischen Identität zu legitimieren. Eine gewisse Absonderung von der nichtjüdischen Umwelt gehörte – in Einhorns Terminologie – mit zum „Priestergewand“ Israels, das es erst nach der Erfüllung der messianischen Zeit ablegen dürfe. Das jüdische Volk mitsamt seiner Sendung, so meinte er, wäre längst verschwunden, hätte es in seiner Exilgeschichte alle partikularen Schranken beseitigt. Erst mit der universalen Vollendung der messianischen Zeit, so sein Zukunftsbild, werde die „Mission Israels“ – dann aber endgültig – ihr Ende finden: Das messianische Reich wird ihrer [der Juden] nicht mehr bedürfen, und ebenso wenig – des eigenthümlichen Geisteslebens des historischen Judenthums. Was in diesem Geistesleben, in der Geschichte Israels, auch inmitten einer messianischen Menschheit noch irgend welche Heiligungskraft besitzt, das wird und muß in der Völkergesammtheit eindringen und mit ihren Eigenthümlichkeiten auf das Innigste sich vermählen […]. Das Judenthum wird als eine geschichtliche Religion das Gemeingut der Völker werden, dann wird aber das Priestervolk ebenso vom Schauplatze abtreten, wie einst der ahronidische Priesterstamm mit der Zerstörung des Tempels, […] dann wird Israel mit den Völkern, unter denen es zerstreut lebt, ganz und gar sich verschmelzen.77

76 Ebd., 329. 77 David Einhorn, „Holdheim’s Religionsbuch: Haemuna wehadea“, Sinai 4 (1859), 33– 38; 65–71; 97–102; 129–137, hier 136f.

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Offenkundig erwartete Einhorn, dass – sobald Israel seine Mission erfüllt und der Welt das Licht gebracht habe – alle Menschen die universale Botschaft des Judentums annehmen und den einen Gott Israels verehren würden. Dann erst könnten die Symbole, Gesetze und Zeremonien, die das Judentum von der Welt unterschieden, aufgegeben werden. Die Antwort, wann diese Zukunft erreicht sein werde, blieb allerdings Einhorns Geheimnis – bis dahin aber war das Judentum aus seiner Sicht durch eine unauflösliche Polarität von Universalismus und Partikularismus bestimmt. Wir stehen demnach vor der Paradoxie, dass Einhorns radikaler geschichtstheologischer Universalismus (mitsamt seiner Theorie einer adamitischen Präexistenz des Judentums vor der Volkswerdung Israels und einer zukünftigen messianischen Selbstauflösung des erwählten „Priestervolkes“, d. h. eines Endes der speziellen Bundesbeziehung mit Gott) offenbar als Gegengewicht eines starken partikularen Elements in der Gegenwart bedurfte. Einhorn sah sich gezwungen, die scheinbaren praktischen Implikationen seines extremen theoretischen Universalismus zu begrenzen, und das Mittel dazu lieferte der dezidierte Rückgriff auf den Aspekt der priesterlichen Erwählung, der – aus Geigers Sicht – mit einem zu stark ausgeprägten Bewusstsein der Eigenart des Judentums einherging. Keine geringe Rolle spielte dabei vermutlich der amerikanische Kontext, der Einhorn einerseits zu einem bisweilen geradezu enthusiastischen Humanitäts- und Fortschrittsglauben inspirierte,78 andererseits aber in der amerikanischen wie amerikanischjüdischen Gemeinschaft Entwicklungen wahrnahm, die ihm die Gefahren der Integration für die Bewahrung jüdischer Identität vor Augen führte. Dazu zählte nicht nur eine zunehmende Neigung zur Indifferenz und Vernachlässigung religiösen Lebens innerhalb der jüdischen Gemeinschaft, sondern auch die materialistische Tendenz, die Einhorn als ernsthafte Bedrohung des spirituellen Fortschritts erlebte.79 Solange diese Gefahr nicht gebannt war, schien die messianische „Mission 78 Es lohnt sich, unter diesem Aspekt seine 1866 gehaltene New Yorker Predigt aus Anlass der Legung des atlantischen Telegraphen mit dem Titel „Gott redet durch Feuerfunken“ zu lesen – eine begeisterte Hymne auf das fortwährende, Erleuchtung und menschliche Verbrüderung vorantreibende Wirken des Geistes Gottes; vgl. David Einhorn, „Predigt gehalten am 20. October 1866, aus Anlaß der Legung des atlantischen Telegraphen, im Tempel der Adath-Jeschurun-Gemeinde zu New York“, in Dr. David Einhorns ausgewählte Predigten und Reden (wie Anm. 75), 176– 182. In dem Ereignis erblickte Einhorn ein Zeichen dafür, dass die Welt auf dem Weg zur „Erreichung unseres stolzesten Zieles“ sei: „allgemeine Erleuchtung und Vereinigung, Verbrüderung aller Menschenkinder in Gott, ihrem Vater“ (181). 79 Vgl. etwa die eindringliche Gegenüberstellung des Zwiespalts zwischen den Errungenschaften der Zivilisation in Amerika und dem „schauerlichen“ Materialismus und

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Israels“ nicht nur nicht ausgespielt, sondern im Gegenteil notwendiger denn je, und Geigers Vorbehalte gegenüber der Erwählungsvorstellung sowie seine uneingeschränktere Betonung des jüdischen Universalismus in der Praxis der Gegenwart erschienen Einhorn offenbar mehr als bedenklich. Vergleicht man das Denken beider Reformer mit Blick auf das Verhältnis von Universalismus und Partikularismus, so lässt sich ihr Dissens demnach auf zweifache Weise erklären. Da wäre zunächst der unterschiedliche politisch-kulturelle Kontext, vor allem die problemlosere kulturelle Integration des amerikanischen Judentums in die nichtjüdische Gesellschaft, die Einhorn – im Unterschied zu Geiger, der im deutschen Kontext vor allem den Universalismus und somit die Integrationsfähigkeit des Judentums betonen wollte – dazu veranlasste, das bleibende partikulare religiöse wie ethnische Element des jüdischen Volkes besonders hervorzuheben. Ihre unterschiedliche Akzentsetzung war jedoch zugleich theoretisch begründet: Der Philosoph Einhorn vertrat in seinen geschichtstheologischen Reflexionen einen weit radikaleren Universalismus als der Historiker Geiger, aus dessen skeptischer Sicht die spekulative Idee, das jüdische Volk sei schon vor der Offenbarung am Sinai die Verkörperung einer universalen Menschheitsreligion gewesen, die es in der Geschichte bis zur universalen Durchsetzung der Wahrheit Gottes und bis zu seiner eigenen providentiellen Auflösung auszuprägen und zu verbreiten beauftragt sei, in der Gegenwart zu einer übertriebenen Erwählungsrhetorik zwang, die den Universalismus des Judentums im Grunde eher gefährdete denn theologisch plausibel machte. Nicht allein die in den 7 Thesen vorgelegte theoretische Grundlage, auch die praktischen Reformvorschläge der Philadelphia Conference unterzog Geiger einer scharfen Kritik. Am massivsten fiel sein Widerspruch hinsichtlich der Neuformulierung der Trauformel bei der Hochzeit aus. Dass Geiger und Einhorn gerade mit Blick auf die Gestaltung der Trauung und die Stellung der Frauen im jüdischen Gottesdienst aufeinanderprallten, mag zunächst überraschen. Geiger hatte sich seit seinem Artikel von 1837 über „Die Stellung des weiblichen Geschlechtes in dem Judenthume unserer Zeit“80 vielfach entschieden gegen Traditionen gewandt, die Frauen demütigten, ausschlossen und in der Trauzeremonie zum Besitz des Mannes herabwürdigten. Dass er persönlich allerIndifferentismus in David Einhorn, „Predigt gehalten am Neujahrstage 5639 (1878) im Tempel der Beth-El-Gemeinde zu New York“, in ebd., 197–204. 80 Abraham Geiger, „Die Stellung des weiblichen Geschlechtes in dem Judenthume unserer Zeit“, WZJT 3 (1837), 1–14.

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dings einem zutiefst bürgerlichen Frauenbild verhaftet war, lässt sich an seinen brieflichen Äußerungen über das Verhältnis zu seiner Frau schön ablesen.81 Einhorn hatte, inspiriert von Geiger, aber vor allem auch von Samuel Holdheim,82 bereits während der Rabbinerkonferenzen der 1840er Jahre gemeinsam mit letzterem die soziale, rechtliche und religiöse Diskriminierung der Frauen scharf kritisiert und deren vollständige religiöse Gleichheit gefordert. Als Sprecher des Komitees für die Stellung der Frauen bei der dritten Rabbinerkonferenz in Breslau 1846 hatte er in einer meisterhaften Analyse gezeigt, wie die Rabbinen die im mosaischen Gesetz angelegte Auffassung von der sozialen, rechtlichen und religiösen Inferiorität der Frauen zusätzlich verschärft hätten, und für seine Gegenwart die Anerkennung der vollkommenen religiösen Gleichheit der Frauen gegenüber den Männern angemahnt. In seinem Bericht fragte Einhorn, „ob ein für religiöse Eindrücke vorzüglich empfänglicher Theil unserer Glaubensgenossenschaft auch fernerhin, wie bisher, eine kränkende Ausschließung von der Vertheilung an mehreren Pflichten und Rechten, ihm und der gesammten Religionsgemeinde zum Nachtheile, erfahren solle“, und forderte eine Überwindung der von antikem Denken geprägten rabbinischen Anschauungen: Die Rabbinen waren auf ihrem Standpunkte zur systematischen Ausschließung des weiblichen Geschlechts von einem bedeutenden Theile religiöser Pflichten und Rechte allerdings vollkommen berechtigt, und das arme Weib durfte sich über die Vorenthaltung hoher, geistiger Wohlthaten nicht beklagen, weil man glaubte, Gott selbst habe das Verdammungsurteil über sie ausgesprochen; es durfte sich bei so viel kränkenden Zurücksetzungen im bürgerlichen Leben nicht einmal darüber beschweren, daß man ihm auch das Gotteshaus so gut wie verschlossen hielt, daß es sich von den Rabbinen die Erlaubnis zur täglichen Aussprechung des israelitischen Glaubensbekenntnisses als ein Almosen erbetteln mußte, ihm weder am Religionsun81 Vgl. die diesbezüglichen Ausführungen Michael. A. Meyers im vorliegenden Band. Zur Haltung der Reformbewegung mit Blick auf die Geschlechterverhältnisse im Kontext des deutschen Bürgertums vgl. Benjamin M. Baader, Gender, Judaism, and Bourgeois Culture in Germany, 1800–1870 (Bloomington und Indianapolis, IN: Indiana University Press, 2006); zu Geigers Haltung vgl. vor allem die ausgezeichnete Analyse von Ken Koltun-Fromm, Abraham Geiger’s Liberal Judaism: Personal Meaning and Religious Authority (Bloomington und Indianapolis, IN: Indiana University Press, 2006), 64–84. 82 Vgl. Samuel Holdheim, Die religiöse Stellung des weiblichen Geschlechts im talmudischen Judenthum. Mit besonderer Rücksicht auf eine diesen Gegenstand betreffende Abhandlung des Herrn Dr. S. Adler in den Protocollen der zweiten RabbinerVersammlung (Schwerin: C. Kürschner, 1846); Vorschläge zu einer zeitgemäßen Reform der jüdischen Ehegesetze (Schwerin: C. Kürschner, 1845).

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terrichte, noch an gewissen heiligen Elternpflichten ein Antheil gegönnt, der Vollzug heiliger Religionshandlungen bald erlassen, bald untersagt, und endlich durch die tägliche Benediction für das Glück, kein Weib geworden zu sein, im Hause Gottes die bitterste Kränkung zugefügt wurde. […] Für unser religiöses Bewußtsein hingegen, das allen Menschen einen gleichen Grad natürlicher Heiligkeit zugesteht und für welches die desfallsigen Unterscheidungen in der heiligen Schrift nur relative und momentane Geltung haben, ist es heilige Pflicht, die vollkommene religiöse Gleichstellung des weiblichen Geschlechts mit allem Nachdrucke auszusprechen. Das Leben, das stärker ist als alle Theorie, hat in dieser Rücksicht freilich schon gar Manches gethan; allein zur vollkommenen Gleichstellung fehlt noch sehr vieles, und auch das Wenige, das bereits geschehen, entbehrt immer noch der gesetzlichen Kraft. Es ist somit unseres Berufes, die gleiche religiöse Verpflichtung und Berechtigung des Weibes, in so weit dies möglich, als gesetzlich auszusprechen […].83

Erst später, in Amerika, sollte Einhorn diese Überzeugung in der Gemeindepraxis umsetzen. So verurteilte er 1858 in einer Predigt in Baltimore den „Emporen-Käfig“ in den Synagogen und räumte den Frauen seiner Gemeinde gleiche religiöse Rechten und Pflichten ein.84 Die Philadelphia Conference sprach sich zudem unter seiner Führung für eine Reform des Scheidungsrechts und eine liturgische Gestaltung der Hochzeit aus, welche die Gleichberechtigung der Partner zum Ausdruck brachte.85 Als liturgische Konsequenz aus seiner Überzeugung hatte Einhorn vor allem durchgesetzt, dass Frauen bei der Hochzeit gleichberechtigt die Trauformel sprechen und Braut und Bräutigam sich gegenseitig die Ringe reichen sollten. Geiger wandte sich entschieden gegen diese – aus seiner Sicht überflüssige – Praxis und betonte, wesentlich sei allein, dass der „Augenblick des Eintritts in die sittliche Lebensgemeinschaft entsprechend seiner Bedeutung würdig und feierlich“ sei. Dass die neue Trauformel das Prinzip der Gleichstellung der Frau mit dem Mann zum Ausdruck bringen sollte, überzeugte ihn nicht, im Gegenteil – er antwortete mit einer überaus deutlichen Darlegung seines auf der Passivität der Frau beruhenden bürgerlichen Verständnisses der Geschlechterverhältnisse. Mit dem „Mißbrauch“ der im Prin-

83 Protokolle der dritten Versammlung deutscher Rabbiner, abgehalten zu Breslau, vom 13. bis 24. Juli 1846 (Breslau: Leuckart, 1847), 253–265, hier 264. 84 Vgl. David Einhorn, „Predigt, vom Herausgeber dieser Blätter gehalten im Tempel der Har Sinai Gemeinde“, Sinai 3 (1858), 824; vgl. David Einhorn, „Über Familiensitze in den Synagogen“, Sinai 6 (1861), 205–207. 85 Vgl. Meyer, Antwort auf die Moderne (wie Anm. 22), 367f.

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zip richtigen Idee der Gleichberechtigung war er, wie er hervorhob, „durchaus nicht einverstanden“: Das Weib ist dem Manne ohne Zweifel ebenbürtig und nimmt dennoch eine andere Stellung in der Gesellschaft und in der ehelichen Gemeinschaft ein als der Mann und wird sie ewig behalten. Es mag Vieles in unsern bestehenden Verhältnissen zu Gunsten des Weibes zu verändern sein, dennoch wird der Mann immer der Herr des Hauses bleiben, die entscheidende Stimme haben, seine Aufgabe wird zunächst die Ernährung des Weibes und der Kinder, die Erhaltung des Hauses sein, seinen nimmt das Weib an, tragen dann die Kinder, und was den Eintritt in die Ehe betrifft, so wird immer der Mann um das Weib werben und nicht umgekehrt.86

Deshalb solle der Mann weiterhin bei der Trauungshandlung im Vordergrund stehen und die aktive Rolle spielen, wenn auch die veraltete Anschauung, der Mann sei der Besitzergreifende, die Frau das sich fast willenlos ergebende Objekt, ausgeschlossen werden müsse. Frauen müssten gegen die Willkür von Männern geschützt werden, aber in der bestehenden Trauungszeremonie könne er keine Zurücksetzung der Frau erkennen. Geiger bekannte in der Folge, dass es mir weit entsprechender erscheint, wenn der thatkräftige Mann handelnd für beide eintritt, das von beiden gegebene Versprechen durch Wort und Tat besiegelt, das züchtige Weib aber, das schon sein „Ja“ mehr gelispelt als vernehmlich gesprochen hat, nicht vor der Öffentlichkeit zu sprechen und zu handeln habe, sondern mit seelenvollem Blicke den Worten des Mannes lauscht und den Finger bereitwillig darreicht, dass ihm der Ring angesteckt werde. Auch weiter wird der Mann der gebende, das Weib das empfangende sein; darf dies Verhältnis nicht alsbald beim Eintritte in die Ehe seinen Ausdruck finden?87

Einhorn bezeichnete dies als „monströse Behauptung“, über die man nur staunen könne, sei es doch einst Geiger selbst gewesen, der „Klagelieder über das bittere Los des jüdischen Weibes“ angestimmt habe – nun aber stelle er sich mit „leerem Phrasengeklingel“ der Beseitigung eines Zustands in den Weg, der dem modernen Judentum zur Schande gereiche. Das alles mit sentimentaler Stimmung zu übermalen erschien Einhorn verwerflich, werde doch auf diese Weise die Preisgabe der Frauen an den Fluch der Knechtschaft fortgeschrieben. Die Lüge soll fortwuchern, das Weib – nach wie vor in die Lebensgemeinschaft unter Formen treten, die es kaum noch als Person gelten lassen und als 86 Geiger, „Die Versammlung in Leipzig und die zu Philadelphia“ (wie Anm. 49), 11. 87 Ebd., 12.

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Tochter Chava’s dem seinem ganzen Geschlechte anhängenden Fluche der Knechtschaft preisgeben – die Sentimentalität, die Romantik deckt Alles! O wie schön müßte sich die Trauungshandlung nicht erst dann ausnehmen, wenn das Hohelied dabei vorgelesen und der Bräutigam die verschleierte Geliebte mit ausgestreckten Armen anflehen würde: „meine Taube in der Höhle des Felsens, in der Kluft der Steige, laß mich schauen deine Gestalt, laß mich hören deine ,Ja‘ lispelnde Stimme; denn süß ist deine Stimme und deine Gestalt lieblich!“88

Mag es hier auch zum Teil um eine persönlich unterschiedliche Einschätzung der Geschlechterverhältnisse gehen, so sei an dieser Stelle jedoch auch an Karla Goldmans These erinnert, Einhorn habe es in Amerika – auf Grund ganz anderer kultureller Umstände und Rollenzuschreibungen an Frauen – erheblich leichter gehabt, sich von den in Europa erlernten kulturellen Mustern zu befreien als der in deutschbürgerlichen Männlichkeitsvorstellungen befangene Geiger. Die Generation der in Amerika eingewanderten Rabbiner, so Goldman, sah sich in viel höherem Maße genötigt, sich den kulturellen Gegebenheiten des amerikanischen religiösen Lebens zu öffnen, wo das Interesse an weiblicher Religiosität und dem Beitrag von Frauen zur Gestaltung des kirchlichen Gemeindelebens weit ausgeprägter war.89 Interessant ist, dass Geiger in der Kritik der Philadelphia Conference angesichts der dort erhobenen Forderung Kaufmann Kohlers, die Erfüllung von Berufspflichten am Schabbat zuzulassen, so deutlich wie kaum zuvor gegen jegliche Überlegung dieser Art protestierte, von einer Verlegung des Sabbats auf den Sonntag, wie sie in Kohlers Gemeinde in Chicago praktiziert wurde, oder einem alle vier Wochen zu feiernden Sonntagsgottesdienst mit streng wochentäglichem Charakter, den Einhorn ins Gespräch gebracht hatte, ganz zu schweigen.90 Einhorns Vorschlag, so Geiger, müsse den Sonntag zwangsläufig „zum siegreichen Nebenbuhler des samstäglichen Sabbath erheben und des letzteren Verdrängung beschleunigen“. Geigers Argument lautete nicht nur, dass die mit dem Sabbat verbundenen geschichtlichen Erinnerungen sich nicht willkürlich auf den Sonntag verlagern ließen, sondern vor 88 Einhorn, „Dr. Geiger und die Philadelphier Rabbiner-Conferenz“ (wie Anm. 50), 171. 89 Karla Goldman, Beyond the Synagogue Gallery: Finding a Place for Women in American Judaism (Cambridge, MA und London: Harvard University Press, 2000), bes. 153–172. 90 Vgl. David Einhorn, „Predigt gehalten am Schabuothfeste 5631 (1871) im Tempel der Adath-Jeschurun-Gemeinde zu New York“, in Dr. David Einhorns ausgewählte Predigten und Reden (wie Anm. 75), 306–313.

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allem, dass die Preisgabe des Sabbats eine Niederlage im „religiösen historischen Weltkampf“ mit dem Christentum wäre, eine „Unterwerfung unter das Christenthum, die Anerkennung von der Berechtigung seiner allgemeinen Herrschaft“.91 Einhorn hatte ihm bereits 1846 auf der dritten Rabbinerversammlung in Breslau vorsichtig widersprochen und Holdheims Kritik an Abraham Geigers Bericht über die Arbeit der Sabbat-Kommission unterstützt, weil diese den Akzent allein auf die Wiederherstellung einer „würdigen Sabbathfeier“ gelegt, die Frage der Kollision des Sabbats mit dem Werktag der nichtjüdischen Gesellschaft dagegen offengelassen hatte.92 Einhorn befürwortete eine symbolische Deutung des Sabbats, die in der Praxis eine flexible Gestaltung der Sabbatruhe zulassen sollte, ging aber nicht so weit wie Holdheim, aus dessen Sicht eine würdige Sabbatfeier letztlich nur durch eine Verlegung auf den Sonntag denkbar war. Geigers Überzeugung, dass ein solcher Schritt gerade mit Blick auf das Christentum unzulässig wäre, hätte Einhorn sicher geteilt, jedenfalls äußerte er sich dazu im Zuge der Debatte nicht.93 In der Auseinandersetzung über die Thesen von Philadelphia kamen noch eine ganze Reihe weiterer Meinungsunterschiede zur Sprache, vor allem mit Blick auf die Handhabung von Mischehen, deren vollgültige „Anerkennung ihrem sittlichen Werte nach“ Geiger selbstverständlich voraussetzte, wenn er auch die Frage nach der religiösen Beteiligung an der Trauung noch für unentschieden hielt.94 Eine Pflicht zur Beschneidung für Proselyten, die Einhorn forderte, hielt Geiger nicht für zwingend.95 Mit seiner Haltung gegenüber Ehen mit nichtjüdischen Partnern stand er offenkundig im Widerstreit mit Einhorn. Allerdings waren 91 Geiger, „Die Versammlung in Leipzig und die zu Philadelphia“ (wie Anm. 49), 22f. 92 Protokolle der dritten Versammlung deutscher Rabbiner (wie Anm. 83), 20f. 93 Vgl. Einhorn, „Predigt gehalten am Schabuothfeste 5631“, 312: „Ich hörte einst in der Breslauer Rabbinerversammlung die sinnige Äußerung [von Leopold Stein, vgl. Meyer, Antwort auf die Moderne (wie Anm. 22), 207]: man könne den Sabbath freilich am Freitag abend begraben, würde aber vergeblich am Sonntag auf seine Wiederauferstehung warten. Und so ist es! Denn eine solche Wiederbelebung würde einen Eliasgeist erfordern, der mit seiner heiligen Gluth dem todten Kinde wieder Leben einzuhauchen vermöchte, und solche Gluth ist in diesem Geschlechte nicht zu finden, und am wenigsten bei denen, für welche die Verlegung stattfinden, eine so ungeheure Kluft zwischen dem alten und neuen Israel entstehen soll. Ein solcher Wechsel mit dem Brautringe würden zahllosen Juden, die ihn eifrig wünschen, nur als eine Lossagung vom Gott Israels und Vermählung mit dem Christentum erscheinen, und so würde die treulos gewordene Braut auch noch den letzten Funken des alten Feuers der Liebe im Wasser auslöschen.“ 94 Geiger, „Die Versammlung in Leipzig und die zu Philadelphia“ (wie Anm. 49), 17. 95 Ebd., 24f.

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sich auch die amerikanischen Reformer hierüber nicht einig: So geriet Einhorn im Gefolge der Philadelphia Conference in eine heftige Auseinandersetzung mit Samuel Hirsch, als dieser in einer Artikelserie mit dem Titel „Darf ein Reformrabbiner Ehen zwischen Juden und Nichtjuden einsegnen?“ das rigorose rabbinische Verbot von Mischehen in der Tradition Esras und Nehemias als historisch bedingte Härte interpretierte und – ganz im Sinne Geigers – forderte, das Reformjudentum solle die staatlichen Gesetze der Eheschließung respektieren und Nichtjuden die Ehe mit einer Jüdin oder einem Juden gestatten, ohne dass diese formal zum Judentum übertreten und – sofern es sich um einen Mann handelte – die Beschneidung auf sich nehmen müssten.96 Einhorn sprach sich demgegenüber strikt gegen die Einsegnung gemischter Ehen aus, und zwar nicht, wie er zu betonen nicht müde wurde, auf Grund des talmudischen „Glauben[s] an die höhere Geblüthsheiligkeit des jüdischen Stammes“, sondern weil dies nach seiner festen Überzeugung bedeutete, „einen Nagel zum Sarge der winzigen jüdischen Race mit ihrem hohen Berufe zu liefern“.97 Die polemische Schärfe, mit der Einhorn eine liberalere Praxis ablehnte, hing ganz offenbar mit seiner Sorge um eine Auflösung jüdischer Identität zusammen: Er erkannte darin gerade kein Zeichen der Überwindung des Partikularismus, sondern eine Gefährdung der universalen „Mission Israels“ zur Verbreitung und Vertiefung der ewigen Wahrheiten und Sittengesetze. Er setzte dem die Pflicht Israels entgegen, an seiner Besonderheit festzuhalten, und fragte: „Darf [das Judentum] durch gemischte Ehen seine Nationalität, den eigentlichen Hebel seiner Missionstätigkeit, allmählich der Vernichtung zuführen oder auch nur schwächen lassen?“ Voraussetzung einer Ehe zwischen Juden und Nichtjuden war daher aus seiner Sicht, obwohl er Konversionen eher skeptisch beurteilte, der formelle Übertritt einschließlich Ritualbad oder Beschneidung.98 Mit Blick auf die Frage der Mischehen war es in diesem Falle Einhorn, der Geigers 96 Samuel Hirsch, „Darf ein Reformrabbiner Ehen zwischen Juden und Nichtjuden einsegnen?“, The Jewish Times 1 (1869/70), Nr. 27, 9–10; Nr. 28, 10–11; Nr. 30, 9–10; Nr. 31, 10; Nr. 32, 10; Nr. 33, 10; Nr. 34, 10; Nr. 35, 11; Nr. 36, 13. 97 David Einhorn, „Die Beschlüsse der Rabbinerversammlung“, The Jewish Times 1 (1869/70), Nr. 54, 10–11, hier 11. 98 David Einhorn, „Noch ein Wort über gemischte Ehen“, The Jewish Times 1 (1869/ 70), Nr. 48, 10–13, hier 11. Samuel Hirsch, „Der Nagel zum Sarge der winzigen jüdischen Race“, The Jewish Times 1 (1869/70), Nr. 47, 10f. warf Einhorn daraufhin ein Denken in den rassischen Kategorien Ernest Renans vor und unterstellte ihm Proselytenmacherei. „Die Hoffnung [des Reformjudentums] ist doch nicht“, hielt er ihm entgegen, „daß einst alle Menschen Juden werden, sondern sie werden eben, ohne Juden zu sein, in der Wahrheit, Sittlichkeit und Heiligkeit leben.“

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Einschätzung – und zwar aufgrund seiner stärkeren Akzentuierung der Erwählung und „Mission Israels“ – eine konservativere Sicht entgegensetzte, während Geiger hier weitgehend mit Samuel Holdheims Praxis übereinstimmte.99

IV. Anfänge der Emanzipation der amerikanischen Reformbewegung Abgesehen von der Infragestellung zentraler Prinzipien der Reformphilosophie David Einhorns war es offenbar in erster Linie der zwischen wohlwollender Anerkennung und paternalistischer Bevormundung schwankende Ton Geigers gegenüber der amerikanischen Reformbewegung, auf den die amerikanischen Rabbiner allergisch reagierten. Geiger bezeichnete am Ende seiner kritischen Lektüre den Ertrag der Philadelphia Conference zwar als „vielverheißend“, empfahl seinen amerikanischen Kollegen jedoch eine ernstere Hingabe an die Forschung, um der Aufgabe gewachsen zu sein, „dem Judenthume wissenschaftlich und praktisch seine welthistorische Mission zu erobern“. Die amerikanischen Rabbiner, so formulierte er, würden „jede Eifersüchtelei gegen das alte Heimathland aufgeben, vielmehr die geistige Vertiefung, wie sie in Deutschland gewährt wird, anzuerkennen und sich an ihr zu betheiligen haben, ohne Selbstgefälligkeit ihre in den Verhältnissen liegende größere Freiheit der praktischen Bewegung benützen, um die tieferen Fragen ihrer Lösung, die wesentlichen Bedürfnisse ihrer Befriedigung entgegenzuführen.“100 Unter der Voraussetzung einer solchen Haltung, die auf eine Anerkennung des Primats der Wissenschaft des Judentums in Deutschland und des deutschen Reformjudentums seitens seiner Kollegen in Amerika konnte Geiger schließlich auch die hohe Erwartung an Amerika hervorheben – „möge ein frischer Luftstrom belebend zu uns herüberdringen!“101 Einhorn wiederum charakterisierte Geigers Einspruch gegen manche Aspekte der Philadelphia Conference als bedauernswerten Versuch, „einerseits Leichen zu galvanisiren, andererseits Lebenskräftiges zu verstümmeln“, und warf ihm vor, die Bestrebungen seiner amerikanischen Kollegen verzeichnet zu haben: 99 Vgl. Samuel Holdheim, Gemischte Ehen zwischen Juden und Christen. Die Gutachten der Berliner Rabbinatsverwaltung und des Königsberger Konsistoriums beleuchtet (Berlin: L. Lassar, 1850). 100 Geiger, „Die Versammlung in Leipzig und die zu Philadelphia“ (wie Anm. 49), 21f. 101 Ebd., 27.

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Er hätte unsere Beschlüsse am freudigsten begrüßen sollen, anstatt den falschen Schmeicheleien der bittersten Gegner der religiösen Umgestaltung zu lauschen, hochmüthig und schwankend auf Stelzen einherzuschreiten und darüber zu zürnen, daß die dogmatisierende Conferenz keine Lust hatte, sich zu dem Dogma „in Geiger Alles, außer ihm Nichts!“ zu bekennen. Je größer Geiger’s Verdienste sind, die von jeher Niemand inniger als ich anerkennen konnte, desto trauriger ist ein solches Gebahren.102

Der Ton kritischer Überheblichkeit bei Geiger und die heftige Polemik Einhorns sind somit Ausdruck eines ideologischen oder theologischen Konflikts, der sich allerdings vor dem Hintergrund weitgehender Übereinstimmungen und des auch weiterhin fortwirkenden Einflusses Geigers auf die amerikanische Reform abspielte.103 Das hier exemplarisch dargestellte zeitweise Zerwürfnis zwischen Einhorn und Geiger scheint jedoch zugleich auch Teil und eine beispielhafte frühe Episode einer allgemeineren kulturellen Spannung zwischen den in Deutschland gebliebenen Reformern und der Generation der in die goldene medine ausgewanderten deutschen Rabbiner zu sein. Erstere waren tendenziell von dem Bewusstsein bestimmt, sie verkörperten den Ursprung und die bleibende Quelle einer wissenschaftlich-kulturellen Überlegenheit gegenüber dem kultur- und traditionslosen Amerika; letztere schwankten zwischen Bewunderung für sowie bleibender Verbundenheit mit der deutsch-jüdischen Kultur, einschließlich der Errungenschaften der Wissenschaft des Judentums, und dem wachsenden Empfinden, dem deutschen Vorbild entwachsen zu sein und Anspruch auf Anerkennung ihrer intellektuellen Selbständigkeit, wenn nicht ihrer ausgeprägteren Fortschrittlichkeit erheben zu können. Mit Recht ist viel darüber geschrieben worden, wie stark und nachhaltig wirksam unter den deutsch-jüdischen Einwanderern, einschließlich Rabbinern wie Einhorn, Adler, Felsenthal, Hirsch und Kohler, die Bindung an deutsche Sprache, Philosophie und Literatur war und welche bleibende Bedeutung sie der Wissenschaft des Judentums in Deutschland beimaßen.104 Nicht umsonst schickten, wie gesehen, einige der amerikanischen Rab102 Einhorn, „Dr. Geiger und die Philadelphier Rabbiner-Conferenz“ (wie Anm. 50), 188. 103 Das ist, ungeachtet des differenzierenden Tenors meiner Analyse, mit Recht in Walter Jacobs Beitrag im vorliegenden Band stark betont. 104 Vgl. Michael A. Meyer, „German-Jewish Identity in Nineteenth-Century America“, in Jacob Katz (Hrsg.), Toward Modernity: The European Jewish Model (New Brunswick, N.J. und Oxford: Transaction, 1987), 247–267; Christian Wiese, „Inventing a New Language of Jewish Scholarship: The Transition from German ‘Wissenschaft des Judentums’ to American-Jewish Scholarship in the 19th and 20th Centuries”, Studia Rosenthaliana 36 (2003), 273–304.

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biner ihre Söhne zur Ausbildung an die deutschen Rabbinerseminare, vor allem zur Lehranstalt für die Wissenschaft des Judentums in Berlin, wo Geiger wirkte. Das Bewusstsein war zu dieser Zeit sehr stark ausgeprägt, dass die Wissenschaft des Judentums in Amerika noch nicht die institutionellen und personellen Ressourcen besaß, um gleichwertige wissenschaftliche Leistungen hervorzubringen.105 Ausgerechnet Einhorn war bis zu seinem Lebensende das vielleicht prominenteste Sprachrohr der Überzeugung vieler Intellektueller unter den Immigranten, wonach die Zukunft der amerikanisch-jüdischen Kultur von ihrer Fähigkeit abhing, die Werte und Errungenschaften des modernen deutschen Judentums nach Amerika zu verpflanzen. Er weigerte sich bis zuletzt, auf Englisch zu schreiben und zu predigen, weil ihm die deutsche Sprache als „Sprache unseres Geistes und Herzens“ erschien, „welche die reformatorische Idee in’s Leben rief und bisher trug, wie der Wärter den Säugling, und sich wenigstens vorläufig noch hüten muß, ihr hohes Amt auf die englische Zunge zu übertragen und die schützenden Mutterarme dem Kinde zu entziehen“.106 Amerika repräsentierte für ihn einerseits die Zukunft des Judentums, ein Land, in dem es nach tausend Jahren der Unterdrückung in Freiheit zur Blüte gelangen und seine eigene messianische Aufgabe verwirklichen könne – das „gelobte Land“, das „neue Kanaan“, das „Land Zion“.107 Es scheint, als habe Einhorn, enttäuscht von den politischen Zuständen in Europa, ein „messianisches“ Amerika vor Augen gehabt, dem aber zu seinen Leid105 Die Allgemeine Zeitung des Judenthums zitierte 1866 in einer Notiz über die jüdische Gemeinde in Chicago Bernhard Felsenthal mit den Worten:, „Was die Behauptung betrifft, wir sollten uns vom deutschen Judenthum emancipiren und unsere Unabhängigkeit proclamiren, so sagen wir: Wehe uns, wenn wir jetzt von seinen Einflüssen uns frei machen würden! Wie im Mittelalter die Sonne jüdischer Wissenschaft erhaben und herrlich in Spanien leuchtete, und wie aus jenen vergangenen Jahrhunderten die Strahlen dieser Sonne erhellend und erwärmend noch in unsere Gegenwart hereinfallen, so steht nun diese Sonne am deutschen Himmel und sendet von da aus ihr wohlthätiges Licht zu allen Juden und jüdischen Gemeinschaften, die unter den modernen Culturvölkern zu finden sind. Deutschland ist an die Stelle Sefarad’s getreten“; vgl. AZJ 30 (1866), 202f., hier 202. 106 David Einhorn, „Antrittspredigt gehalten am 31. August 1866 in der AdathJeschurun-Gemeinde zu New York bei deren gleichzeitiger Tempelweihe“, in Dr. David Einhorns ausgewählte Predigten und Reden (wie Anm. 75), 60–72, hier 65. 107 Vgl. David Einhorn, „Trauerrede, gehalten am 19. April 1865, als am Tage der Bestattung Abraham Lincolns, im Tempel der Keneseth-Israel-Gemeinde zu Philadelphia“, in Dr. David Einhorns ausgewählte Predigten und Reden (wie Anm. 75), 135–139. Vgl. dazu Gershon Greenberg, „The Significance of America in David Einhorn’s Conception of History“, American Jewish Historical Quarterly 67 (1973), 160–184.

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wesen fehlte, was einst seine Hoffnungen auf Deutschland begründet hatte: ein Geist der Wissenschaft, der Philosophie und der religiösen Tiefe. Wie sehr er letztlich, trotz seiner Rhetorik des „neuen Zions“, in der Gedankenwelt seiner Herkunftskultur verhaftet blieb, zeigt seine Abschiedspredigt 1879, in der er sich als „Ivri“, als „Wanderer“ bezeichnete, der aus seiner deutschen Heimat in die „gottgesegnete“ Republik Amerika gekommen sei: So stolz ich nun auch auf dieses Adoptivbürgertum bin und so glühend auch mein Herz ist für das Wohl dieser Freiheitsstätte, deren Sternenbanner allen Geknechteten Schutz gewährt – das kann und werde ich nimmer vergessen, daß die alte Heimath das Land der Denker, gegenwärtig das erste Culturland der Welt und vor allem das Land Mendelssohns, die Geburtstätte der Reform des Judenthums, welche, genährt und voll tiefwissenschaftlichen Geistes großgezogen, wie in einem immer reicher werdenden jüdischen Schriftthume stolz sich entfaltend, nach und nach in andere Länder eindrang und selbst übers Meer getragen wurde. Entzieht ihr nun den deutschen Geist oder – was dasselbe, die deutsche Sprache – ihr habt dann den Mutterboden entrissen und sie muß dahinwelken, die liebliche Blume! […]. Mit einem Worte: wo die deutsche Sprache verbannt wird – da ist die Reform des Judenthums nichts weiter als ein glänzender Firnis, eine Zierpuppe ohne Herz, ohne Seele, der die stolzesten Tempel und die prachtvollsten Choräle kein Leben einzuhauchen vermögen!108

Dennoch ist die Zeit des Konflikts zwischen Einhorn und Geiger eine Zeit des vorsichtigen Wandels in dieser Hinsicht, und im Zusammenhang der Philadelphia Conference wurden die ersten Zweifel laut, ob die deutschen Reformer noch als Vorbild für die jüdische Religion in Amerika gelten konnten. Bei Isaac M. Wise und den Kräften innerhalb der Reformbewegung, die sich die Amerikanisierung des Judentums auf ihre Fahnen geschrieben hatten,109 war diese Skepsis noch weit ausgeprägter, und die Gründung von Institutionen wie des Hebrew Union College in Cincinnati trug ihr Übriges zu einem Gefühl der Emanzipation von der Vorherrschaft des deutschen Judentums bei. In den 1870er und frühen 1880er Jahren mehrten sich die Stimmen auf beiden Seiten, die dieses Streben nach Selbständigkeit konstatierten – deutsche Rab108 David Einhorn, „Abschiedspredigt gehalten am 12, Juli 1879 im Tempel der Beth-ElGemeinde zu New York“, in Dr. David Einhorns ausgewählte Predigten und Reden (wie Anm. 75), 60–72, 85–92, hier 90. 109 Zu Biographie und Wirken von Wise vgl. Sefton D. Temkin, Creating American Reform Judaism: The Life and Times of Isaac Meyer Wise (London: Littman Library of Jewish Civilization, 1998); zur Amerikanisierung vgl. Jonathan Sarna, JPS: The Americanization of Jewish Culture (Philadelphia: Jewish Publication Society, 1989).

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biner zuweilen mit einer gewissen Verwunderung, Skepsis und Verärgerung. So reagierte Ludwig Philippson (1811–1889), der Herausgeber der Allgemeinen Zeitung des Judenthums, 1880 auf eine Bemerkung in der amerikanischen Zeitschrift Der Zeitgeist, das unfreie deutsche Judentum häufe zwar Schätze von Wissen an, durchstöbere „die reichen Fundgruben der Wissenschaft, aber das Judenthum schreitet bei alledem nicht vorwärts“, mit dem Vorwurf der Selbstüberhebung und der gereizten Frage, man möge ihm nur ein einziges Erzeugnis des amerikanischen Judentums nennen, das seinen Ursprung nicht in Deutschland habe: „Die große Zahl der amerik. Rabbiner sind Deutsche, und nicht wenige von ihnen haben noch vor kurzem auf den deutschen Schulbänken gesessen. Nun sie in Amerika sind, stellen sie sich gern den deutschen Collegen gegenüber, das amerikanische Judenthum dem deutschen, bei welcher Parallele das letzere gar arg wegkommt!“ Die amerikanischen Rabbiner seien jedoch nicht imstande, „irgendein, ja ein einziges amerikanisches Product [zu] nennen, für das nicht – wir schließen die Irrthümer mit ein – ein Vorbild in Deutschland gefunden wird“. „Ihr geht uns nach“, rief er den amerikanischen Kritikern zu, „Ihr geht in den Geleisen, die wir euch geebnet und breitgetreten.“110 Umgekehrt mehrten sich in dieser Zeit die Stimmen, denen zufolge die Zukunft der Reformbewegung und der Wissenschaft des Judentums in Amerika lag, oder – wie Kaufmann Kohler es 1886 ausdrückte: „Das amerikanische Judentum hat von Deutschland gelernt, jetzt ist es bereit, zu lehren“.111 Natürlich vollzog sich diese Veränderung des amerikanisch-jüdischen Selbstbewusstseins nur in einem ganz allmählichen Prozess, der sich erst um die Jahrhundertwende – im Zuge der Veröffentlichung der Jewish Encyclopedia 112 und anderer Leistungen der Wissenschaft des Judentums in Amerika – deutlicher ausprägte. Man könnte die Ambivalenz gegenüber Geiger, die in manchen der ange110 Ludwig Philippson, „Über das Judenthum in den Vereinigten Staaten von Nordamerika“, AZJ 44 (1880), 433–436, hier 435 (die Passage aus Der Zeitgeist ist zit. n. ebd., 435). 111 Kaufmann Kohler in The Jewish Reformer, 29. Januar 1886, 12. Vgl. Kaufmann Kohler, „The Discovery of America: Its Influence Upon the World’s Progress, and Its Especial Significance for the Jews“, The Menorah 13 (1892), 232–242. Kohler, der erst an der Leipziger Synode und dann an der Philadelphia Conference teilgenommen hatte, hatte schon 1870 das Gefühl gehabt, das amerikanische Reformjudentum sei die „Religion der Zukunft“, in einem Land, das frei von Zwängen und dem Fortschritt zugewandt war; vgl. Kohler, Personal Reminiscences (wie Anm. 2), 11f. 112 Shuly Rubin Schwartz, The Emergence of Jewish Scholarship in America: The Publication of the Jewish Encyclopedia (Cincinnati: Hebrew Union College – Jewish Institute of Religion, 1991).

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führten Stimmen zur Sprache kommt, mitsamt dem starken Akzent auf der Bewunderung Geigers als des Heros und der Ikone einer konsequenten, wissenschaftlich fundierten Reform des Judentums und der gleichzeitigen mehr oder weniger impliziten Andeutung, die Zeit seiner Bedeutung für die theologische wie praktische Ausrichtung der Reform sei vorüber, als eines unter vielen Elementen dieses umfassenderen kulturellen Emanzipationsprozesses verstehen, der vor allem das radikale Reformjudentum in Amerika Ende des neunzehnten und zu Beginn des zwanzigsten Jahrhunderts prägte. Im Jahre 1910, als Vertreter des amerikanischen Reformjudentums den 100. Geburtstag Abraham Geigers zum Anlass nahmen, Rückschau zu halten, war das Bewusstsein, in Amerika etwas Neues, Eigenständiges geschaffen zu haben, über eigene Institutionen der Wissenschaft des Judentums zu verfügen und die Modernisierung des Judentums über das in Europa hinaus Denkbare vorangetrieben zu haben, bereits so stark ausgeprägt, dass die ideologischen Auseinandersetzungen, die in den 1870er Jahren aufgebrochen waren, keine entscheidende Rolle mehr spielten und Geigers Werk mit größerer Milde, aber auch mit stärkerer Distanz gewürdigt werden konnte. Der Forscher und Reformer Abraham Geiger war endgültig zu einer historischen Figur geworden, deren Grenzen, Zeitbedingtheit und Kontextgebundenheit sich selbstverständlich und unpolemisch konstatieren ließen, ohne dass damit seine überragende Bedeutung für das deutsche wie das amerikanische Judentum des neunzehnten Jahrhunderts sowie die fortdauernde Relevanz von Teilen seines Werkes für die eigene Gegenwart bestritten werden mussten.

Eine verpasste Gelegenheit: Abraham Geigers lebenslang spannungsvolles Verhältnis zur Religionsphilosophie des Maimonides George Y. Kohler Maimonides’ philosophisches Hauptwerk, der Führer der Verwirrten, hat seit seinem Erscheinen gegen Ende des zwölften Jahrhunderts für Aufruhr gesorgt. Schon zu Lebzeiten des Rabbiners und Philosophen ins Hebräische übersetzt, brachte es im dreizehnten Jahrhundert insbesondere in Frankreich und Spanien Unruhe in die jüdischen Gemeinden; heftige Diskussionen über die Rechtgläubigkeit des Autors brachen aus, Bannsprüche wurden geschleudert, nach einigen Quellen sollen die Gegner des Maimonides den Führer sogar bei den christlichen Behörden als Ketzerwerk angezeigt haben – worauf einige Folianten wohl auch verbrannt wurden. Und doch war der Siegeszug des Buches – auch außerhalb des Judentums – nicht aufzuhalten. Es wurde bereits Mitte des dreizehnten Jahrhunderts ins Lateinische übertragen, hatte einen nicht zu unterschätzenden Einfluss auf die Scholastik und hinterließ deutliche Spuren in den Werken von Thomas von Aquin, Meister Eckhart und manchen anderen. Im fünfzehnten Jahrhundert wurde die hebräische Übersetzung des Rabbi Samuel Ibn Tibbon zu einem der ersten gedruckten Bücher eines jüdischen Autors, zweihundert Jahre später war Maimonides’ Führer der Gegenstand heftiger Angriffe in Spinozas Theologisch-Politischem Traktat. Aber erst 1742, nach nahezu zweihundert Jahren ohne neue Ausgaben des Buches, brachte der Dessauer Drucker Israel ben Abraham den Führer wieder auf den Markt. Seine Ausgabe wurde noch von den klassischen MaimonidesKommentatoren begleitet. Die nächste Edition, die Isaac Abraham Euchel 1791 – auf dem Höhepunkt der Haskala – besorgt hatte, enthielt dagegen schon den nie zuvor gedruckten radikal-rationalistischen Kommentar von Moses Narbonni und einen Versuch, Maimonides’ Philosophie im Lichte des kritischen Denkens Kants zu verstehen, verfasst von dem jungen polnischen Gelehrten Salomon Maimon. Damit war der Weg für eine moderne Rezeption des alten Buches geebnet. Die jüdische Aufklärung tat sich jedoch schwer mit der Aktua-

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lität des komplexen Gedankengebäudes des Führers. Lange noch diente das Buch mehr als erste Brücke zum philosophischen Denken für rabbinisch gebildete Juden, das heißt mehr als methodische Anleitung in der Philosophie denn als theologische Aufklärung – das beste Beispiel in diesem Zusammenhang bietet wohl Salomon Maimon selbst. Aber auch Maimons Mentor Moses Mendelssohn spart Maimonides’ Philosophie aus seinen Werken weitgehend aus. David Sorkin urteilt sogar, der Führer habe Mendelssohn so „verhext“ (bedeviled), dass er besonders in seinen hebräischen Werken ständig nach Abgrenzung zu Maimonides’ kaltem Rationalismus gesucht und sich lieber dem romantischen Nationalismus Jehuda HaLevis angeschlossen habe.1 Erst mit dem Aufkommen der Reformbewegung im Judentum zu Beginn des neunzehnten Jahrhunderts entdeckten zahlreiche radikale jüdische Reformer das hilfreiche Potential, das in Maimonides’ Theologie für ihre Sache bereitzuliegen schien. Schon 1809 verfasste der junge Gotthold Salomon einen Aufsatz, der in Maimonides einen Rabbiner pries, der weltliche Bildung nicht nur zugelassen, sondern geradezu für in der Gotteserkenntnis unabdingbar erklärt habe.2 Neben diese Idee, die Autorität des Halachisten Maimonides für die Zwecke von Aufklärung und allgemeiner Bildung zu nutzen, trat bald noch eine zweite Strategie: Maimonides’ umstrittene Theorie von der rationalen Begründung der biblischen Gebote aus dem dritten Teil des Führers wurde als geeignete Methode erkannt, eigene Reformen zu rechtfertigen. Wenn Maimonides insbesondere mit Blick auf die von der Bibel geforderten Tieropfer im Tempel erklärt, der Zweck dieser Vorschriften liege einzig und allein in der allmählichen Erziehung der Israeliten zum wahren Gottesdienst, der in Gebet und guten Taten bestehe, so war dieses historische Herangehen durchaus auf die Gegenwart übertragbar.3 Waren also Maimonides zufolge die Opfergesetze vor allem deshalb erlassen worden, weil in biblischen Zeiten alle Völker ihren Göttern Tiere opferten und Israel durch die Beibehaltung dieses Brauches vorerst mit den alten Mitteln zum Dienst an dem einzigen Gott erzogen werden sollte, so ergab sich aus dieser Theorie eine klare Konsequenz: Da die Tieropfer den Gottesdienst der Kulturen nicht länger bestimmten, waren sie auch für Israel durch höhere Formen zu ersetzen – oder noch allgemeiner 1 2 3

David Sorkin, Moses Mendelssohn and the Religious Enlightenment (Berkeley: University of California Press, 1996), XXIV. Gotthold Salomon, „Rabbi Moses ben Maimon“, Sulamith (1809), 376–412. Vgl. More Nevuchim III, 32. Eine brauchbare deutsche Übersetzung legte 1923 Adolf Weiß vor; sie wurde wiederaufgelegt als Mose ben Maimon, Führer der Unschlüssigen (Hamburg: Meiner, 1995).

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und radikaler: Hatte ein Gebot des jüdischen Religionsgesetzes seinen historischen Rahmen verloren und war über Grund und Hintergrund seiner Entstehung hinausgewachsen, so konnte es kraft der Autorität des Maimonides selbst aufgehoben werden. Diese Schlussfolgerung aus der Religionsphilosophie des Führers erschien vielen frühen Reformern als verlockender Bezugspunkt zu dem mittelalterlichen Traktat, der eine Wiederentdeckung und Neubelebung des Buches reizvoll machte. Das erkannte nicht nur der später berühmte Reformprediger Gotthold Salomon, sondern auch der MaimonidesBiograph Peter Beer aus Prag und der junge Isaak Markus Jost, die beide in den 1830er Jahren reform-orientierte Deutungen von Maimonides’ Theologie vorlegten.4 Doch schon 1836 regte sich auch der erste Widerstand gegen diese Vereinnahmung des großen Rabbiners und Kodifizierers des talmudischen Rechts für die Zwecke der Reform. Der junge Oldenburger Rabbiner Samson Raphael Hirsch wagte sich in seinen bahnbrechenden Neunzehn Briefen über Judenthum an eine scharfe Kritik an Maimonides’ Theorie von den Gründen der biblischen Gebote; diese erste in klassischem Hochdeutsch geschriebene Apologie des orthodoxen Judentums wurde somit zugleich zu einem Wegweiser für den Umgang der sich in Abwehr gegen die Reform entwickelnden NeoOrthodoxie mit der Religionsphilosophie des Maimonides. Maimonides, so Hirsch, hat im Judentum zu gleichen Teilen „alles Gute und Böse geboren“.5 Die Reformer zeigten sich allerdings von Hirschs Angriffen unbeeindruckt, im Gegenteil – die seltsame Zurückweisung gerade nur des philosophischen Werkes des Maimonides schien ihnen ihre eigene Lesart eher noch zu bestätigen. Hirschs Frankfurter Jugendfreund Abraham Geiger erklärte in einer äußerst kritischen Besprechung der Neunzehn Briefe, er selbst werde, im Gegensatz zu Hirsch, den Namen des Maimonides immer „in hohen Ehren“ halten, und zwar selbst dann, wenn Maimonides „hundertfach geirrt haben“ sollte, was auch Geiger offenbar nicht ausschloss. Mit Hinweis auf das 26. Kapitel im dritten Teil des Führers schreibt Geiger, im Gegensatz zu Hirsch könne er in Maimonides doch stets den wahren „Geist des Judentums wieder erkennen“, der eben nicht „in übernatürlichen Erscheinungen das Zeugnis für den Glauben und der bloß in der Vernunftmäßigkeit das Creditiv für die 4

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Peter Beer, Leben und Wirken des Rabbi Moses ben Maimon gewöhnlich Rambam auch Maimonides genannt (Prag: Sommersche Buchdruckerei, 1834); Isaak Markus Jost, Geschichte der Israeliten, Bd. 6 (Berlin: Schlesinger, 1826), 176ff. Samson Raphael Hirsch, Neunzehn Briefe über Judenthum (Altona: Hammerich, 1836), Achtzehnter Brief, 97.

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Wahrhaftigkeit“ finde.6 Für Geiger, wie für alle Reformer, stellte der Rationalismus in Maimonides’ Philosophie den zentralen Aspekt der Aktualität des Buches dar, auch wenn sie längst nicht mit allen Theorien des mittelalterlichen Traktates übereinstimmten. Als Geiger 1836, voller Optimismus über die im Entstehen begriffene Wissenschaft des Judentums, zur Gründung einer jüdisch-theologischen Facultät aufrief, schlug er vor, als ersten Schritt einen Verein zur Förderung und finanziellen Unterstützung dieses Projekts zu gründen. „Dieser Verein heiße Maimonidesverein“, rief er aus, zur Ehre des Mannes der uns mit seinem wissenschaftlichen Geiste getragen durch die Finsternis des Mittelalters, der allen neueren Bestrebungen Anknüpfungspunkt war und ist, zur Ehre des um Israel hochverdienten Mannes, der nun nach beendigtem siebenhundertjährigem Walten unter uns – denn sein Geist lebet nicht bloß in den lichten Räumen, sondern auch hier noch bei uns fort – gefeiert werden möge durch ein solches Denkmal, über das er segnend von dorther seine Hände bereitet […].7

Es gibt wohl kaum ein besseres Bild für das Selbstverständnis der frühen Reformbewegung als das förmliche Gesegnet-Sein durch den maimonidischen Geist. Noch im selben Jahr veröffentlichte Geiger einen kurzen Artikel über verschiedene gottesdienstliche Reformen, die Maimonides angeregt hatte und die Geiger Parallelen zu seiner eigenen Zeit aufzuweisen schienen. Besonders angetan hatte es ihm die Entdeckung, dass auch Maimonides das Missfallen der Nichtjuden am „unruhigen Benehmen“ der Juden während des Gebets eine Entweihung des göttlichen Namens genannt hatte. Maimonides’ Initiative auf diesem Gebiet sollte man sich „wohl zum Muster nehmen, und von ihm lernen wie solche Pflichten weit höher sind als die Erfüllung des talmudischen Buchstabens“.8 6 7

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Abraham Geiger, „Neunzehn Briefe über Judenthum … von Ben Usiel“, Wissenschaftliche Zeitschrift für jüdische Theologie [= WZJT] 3 (1837), 74–91, hier 90f. Abraham Geiger, „Die Gründung einer jüdisch-theologischen Facultät, ein dringendes Bedürfniß unserer Zeit“, WZJT 2 (1836), 1–21, hier 20f. Zur eigentlichen Geschichte des Maimonidesvereins siehe Frank Surall, „Abraham Geigers Aufruf zur Gründung eines ,Maimonidesvereins‘“, in Görge K. Hasselhoff (Hrsg.), Moses Maimonides (1138–1204): His Religious, Scientific and Philosophical Wirkungsgeschichte in Different Cultural Contexts (Würzburg: Ergon-Verlag, 2004), 397–425. Abraham Geiger, „Gottesdienstliche Einrichtung des Maimonides“, WZJT 2 (1836), 246–245, hier 254. Vgl. auch Michael A. Meyer, „Maimonides and Some Moderns“, CCAR Journal 44 (1997), 4–15. Die Responsa zur Gottesdienstreform des Maimonides sind vor allem Nr. 221, 256 und 258 in Joshua Blau (Hrsg.), Tshuvot haRambam, 3 Bde. (Jerusalem: Mekitzei Nirdamim, 1986).

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1838 lag schließlich die erste brauchbare deutsche Übertragung wenigstens eines Teils des Führers vor, und es ist sicher kein Zufall, dass Simon B. Scheyer, ein weiterer Frankfurter Jugendfreund Geigers, seine kommentierte Übersetzung ausgerechnet mit dem dritten Teil des Werkes begonnen hatte. Scheyer ließ von Anfang an keinen Zweifel an den Reformabsichten, die er mit seiner Übersetzung verband, und fand bereits in der Einleitung deutliche Parallelen zwischen Maimonides’ Zeit und seiner eigenen Zeit: sowohl in der fruchtbringenden „Vermählung der Wissenschaft mit der Religion“ als auch in dem Widerstand der „Freunde des Alten, kampfgerüstet zur Verteidigung der angefochtenen Autorität“.9 Abraham Geigers Verhältnis zu Maimonides’ philosophischem Hauptwerk ist dagegen, entgegen allen Erwartungen, viel zwiespältiger. Sobald es – jenseits der allgemeinen Wertschätzung des religiösen Rationalismus – um die tatsächliche inhaltliche Auseinandersetzung mit den Theorien des Führers ging, tat sich Geiger lange Zeit nicht weniger schwer als Mendelssohn, den Theorien und theologischen Deutungen des Werkes eine zeitgenössische Bedeutung abzugewinnen. Zwar schätzte er Maimonides als den Urheber des eigentlichen philosophischen Denkens im Judentum, wies dessen Universalismus jedoch eindeutig zurück und wandte sich vor allem strikt gegen seinen radikalen Rationalismus in der Auslegung der Bibel. Für Geigers Verständnis des Wesens des Judentums spielt die ethnische Komponente, das Nationale, eine bestimmende Rolle, und sein Lebensprojekt, gerade die ideologiebedingten Entwicklungen im biblischen Text herauszuarbeiten, steht in diametralem Gegensatz zu Maimonides’ These, die Bibel enthalte eine ewige, subtextuale, philosophische Bedeutungsebene, die Unstimmigkeiten mit der menschlichen Vernunft erklären solle. Aus Geigers Sicht war Maimonides ein Philosoph, ein Mann der Theorie, und kein Reformer wie er selbst – das heißt Maimonides interessierte sich für elegante Exegese, Geiger selbst dagegen für praktische Verbesserungen im täglichen Leben des jüdischen Volkes – eine Gegenüberstellung, die sich allerdings nur auf dem Gebiet der Ideologie aufrechterhalten lässt. Geiger schrieb überraschend wenig über Maimonides – vielleicht, weil er viele Jahre damit beschäftigt war, sich eine eigene Position zur

9

Dalalat al Haiirin = Zurechtweisung der Verirrten/von Moses ben Maimon; ins Deutsche übersetzt mit Zuziehung zweier arabischen Ms. und mit Anmerkungen begleitet von Simon Scheyer (Frankfurt am Main: Hauch, 1838), Vorrede, V. Zum Verhältnis Geigers zu Scheyer vgl. Geigers Tagebuch in Ludwig Geiger (Hrsg.), Abraham Geiger’s Leben in Briefen (Berlin: Reimer, 1878), 17f.

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Theologie des Führers zu erarbeiten.10 Er veröffentlichte insgesamt nur einen einzigen Aufsatz, der sich ausschließlich mit Maimonides befasst, und selbst dieser Text aus dem Jahre 1850 untersucht nur einige – meist frühe – Werke des Rabbiners: den Kommentar zur Mischna und die Sendschreiben nach Spanien und Jemen.11 Ganz offenbar war Geigers Verhältnis zu Maimonides’ Philosophie von Anfang an problematisch. In einem Brief vom 6. April 1831 (an niemanden anderen als an seinen damaligen Freund Samson Raphael Hirsch) betont Geiger, er habe „mit vielem Vergnügen“ wieder einmal den ersten Teil des More Nebuchim gelesen, allerdings, wie er sofort anfügt, nur in einem „literarischhistorischen Sinne“.12 Das gleiche Gefühl der bewussten Abwehr einer eventuellen zeitgenössischen Bedeutung des Traktats vermittelt eine Tagebucheintragung vom Ende des selben Monats: „Auch den More Nebuchim habe ich nunmehr durchgelesen, freilich nicht in der Absicht, über die von ihm behandelten Gegenstände belehrt zu werden, sondern mehr aus sprachlichen und historischen Gründen […].“13 Diese Abwehr scheint fast allzu künstlich. Gewiss war Geiger nach dem Lesen des ersten Teils des Führers noch von der Angestaubtheit aristotelischer Metaphysik abgeschreckt, doch nachdem er den ganzen Traktat zu Ende studiert hatte, musste er sich in jedem Falle eine Meinung zur Aktualität von Maimonides’ Theorie von den Gründen der biblischen Gebote im dritten Teil des Buches gebildet haben. Diese Theorie war es aber, die vielen jungen Reformrabbinern in den 1830ern den Mut gab, eine rational und theologisch begründete Änderung oder gar Abschaffung mancher rabbinischer Regelungen zu fordern.14

10 Vgl. Ismar Elbogens Kapitel über Geigers Lebenswerk in L. Geiger (Hrsg.), Abraham Geiger. Leben und Lebenswerk (Berlin: Georg Reimer, 1910), 328–351; zu Maimonides vgl. 335–339. 11 Abraham Geiger, „Moses ben Maimon“, in Abraham Geiger, Nachgelassene Schriften, hrsg. von Ludwig Geiger, Bd. 3 (Berlin: Louis Gerschel, 1876), 34–69. Eine Fortsetzung des Essays war offensichtlich geplant, wurde aber niemals ausgeführt. 12 Abraham Geiger, Brief an Samson Raphael Hirsch, 6. April 1831, in Abraham Geiger, Nachgelassene Schriften, hrsg. von Ludwig Geiger, Bd. 5 (Berlin: Louis Gerschel, 1885), 48–50, hier 49. 13 Ebd., 39. 14 Vgl. etwa Rabbinische Gutachten über die Verträglichkeit der freien Forschung mit dem Rabbineramte (Breslau: Freund, 1842), 10; Gotthold Salomon, Das neue Gebetbuch und seine Verketzerung (Hamburg: Behrendson, 1841), 18f.; Heymann Jolowicz, Ueber das Leben und die Schriften Musa ben Maimun’s (Königsberg: W. Koch, 1857), 19; Protokolle und Aktenstücke der zweiten Rabbinerversammlung (Frankfurt am Main: E. Ullmann, 1845), 111; Leopold Stein „Maimonides über die Opfer“, Der Israelitische Volkslehrer 7 (1857), 176–181 und viele andere mehr.

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Unabhängig davon, ob Geiger diese Theorie des Maimonides schon 1831 oder erst später ablehnte – nur zwei Jahre später plante er, gemeinsam mit zwei seiner engsten Freunde, die Veröffentlichung einer kritischen Edition des gesamten Korpus jüdisch-mittelalterlicher Philosophie, und nicht zufällig sollte er selbst in diesem Projekt für den More verantwortlich sein. In einem Brief von 1833 – Geiger war inzwischen schon Gemeinderabbiner in Wiesbaden – berichtete er, er selbst, Joseph Dérenbourg und Salomon Frensdorff hätten die Planung dieser Ausgabe begonnen, er habe aber noch nicht einmal begonnen, seinen Teil zu verwirklichen. Der Brief ist an einen weiteren Freund Geigers adressiert, an Elias Grünebaum, der Gersonides’ philosophisches Hauptwerk Die Kriege Gottes edieren sollte, während Frenssdorf HaLevis Kusari und Dérenbourg Saadias Emunoth weDeoth übernommen hatte. Geiger war offenbar der Koordinator des gesamten Projekts. Salomon Munk in Paris arbeite an einer arabischen More-Ausgabe, so schließt Geigers Brief – „ich werde versuchen ihn auch in unseren Kreis zu ziehen“.15 Ein Jahr später war immer noch nichts geschehen. In einem Brief an Leopold Zunz vom 12. August 1834 beschreibt Geiger sein Vorhaben einer More-Ausgabe immer noch so, als befinde es sich in einer frühen Planungsphase. Sie sollte auch „eine Darstellung der Wirksamkeit des Maimonides enthalten“, versprach Geiger, „da ich ihn aber als den Höhepunkt des Mittelalters betrachte, in dem das ganze Gebiet des Judenthums, sowohl in thalmudischer als in philosophischer Beziehung, vereinigt war, so werde ich nicht eine nackte Biographie geben können, sondern werde ihn größtenteils als eines der bedeutendsten geschichtlichen Momente in der Entwicklung des Judenthums darstellen […].“ In diesem Zusammenhang gestand Geiger dann doch zu, Maimonides „Einfluss auf die Folgezeit“ reiche durchaus „bis auf unsere Tage herab“.16 1835 publizierte Geiger dann in der ersten Ausgabe seiner Wissenschaftlichen Zeitschrift für jüdische Theologie einen langen Aufsatz über jüdisches Denken in den zweihundert Jahren vor Maimonides, das er interessanterweise bereits Wissenschaft des Judentums nennt. Der Artikel ist als „Theil der Einleitung eines größeren Werkes über Maimonides’ Leben und Wirken“ angekündigt – allerdings ist dieses Werk (so wie das gesamte Mittelalter-Projekt) offensichtlich niemals vollen-

15 Abraham Geiger, Brief an Elias Grünebaum, 31. Juli 1833, in Geiger, Nachgelassene Schriften, Bd. 5 (wie Anm. 12), 81f., hier 82. 16 Brief an Leopold Zunz, 12. August 1834, in ebd., 82–87, hier 84.

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det worden.17 1844 fasste Geiger einige maimonidische Thesen, die er für die radikalsten Lehren des Führers hielt, in einem anderen Kontext zusammen,18 und erst in den späten 1860ern, nachdem er sein Rabbinat in Breslau aufgegeben hatte, veröffentlichte er im Rahmen seiner Vorlesungen über die Geschichte des Judentums einen kurzen, teilweise enorm kritischen Abriss seiner Lesart der Religionsphilosophie des Maimonides im More.19 Geigers Kritik an Maimonides’ Denken zieht sich durch die gesamte literarische Auseinandersetzung mit dem berühmten Philosophen und beginnt bereits in dem Essay von 1850, in dem er eines der Lieblingsstreitthemen des neunzehnten und frühen zwanzigsten Jahrhunderts hinsichtlich der Biographie des Maimonides diskutiert: die Frage, ob Maimonides für eine gewisse Zeit seiner Jugend, wenigstens äußerlich und unter dem Druck der almohadischen Verfolgung Andersgläubiger in Spanien, den Islam angenommen habe – wie zeitgenössische arabische Quellen berichten. Diese Ansicht vertraten sowohl Geiger und Jost als auch Heinrich Graetz und Salomon Munk. Später hat das liberale Lager im deutschen Judentum diese Theorie aufgegeben und Maimonides eher dagegen „verteidigt“.20 Orthodoxe Autoren dagegen waren von Anfang an ausgesprochene Gegner der Konversions-Theorie – und zwar aus demselben Grund, aus dem Geiger sie aufnahm: Sie wurde als biografischer Hinweis auf eine angebliche allgemeine Laxheit in Mai-

17 Abraham Geiger, „Die wissenschaftliche Ausbildung des Judenthums in den zwei ersten Jahrhunderten des zweiten Jahrtausends bis zum Auftreten des Maimonides“, WZJT 1 (1835), 13–38, hier 13. 18 Abraham Geiger, „Neue Beiträge zur Geschichte des Streites über das Studium der Philosophie in den Jahren 1232 bis 1306“, WZJT 5 (1844), 82–123, bes. 87ff. 19 Abraham Geiger, Das Judentum und seine Geschichte von der Zerstörung des zweiten Tempels bis zum Ende des zwölften Jahrhunderts. In zwölf Vorlesungen. Nebst einem Anhange: Offenes Sendschreiben an Herrn Professor Dr. Holtzmann (= Das Judenthum und seine Geschichte. Zweite Abteilung) (Breslau: Schlettersche Buchhandlung, 1865), 138–149. 20 Vgl. Felix Perles, „Maimonides“, Ost und West 5 (1905), 289–300, hier 292; Simon Bernfeld, „Moses ben Maimon“, Ost und West 13 (1913), 785–795, bes. 786–790. Aber es gab immer auch liberale Stimmen, die die These von Maimonides’ Konversion ablehnten – etwa Gotthold Salomon oder Rabbiner Heymann Jolowicz. Einen orthodoxen Beitrag zu dieser Debatte bietet Abraham Berliner, „Zur Ehrenrettung des Maimonides“, in Jacob Guttmann et al. (Hrsg.), Moses ben Maimon, sein Leben, seine Werke und sein Einfluss (Leipzig: G. Fock, 1908), 104–130. Die arabischen Quellen der Theorie diskutiert Bernard Lewis, „Jews and Judaism in Arab Sources“ [hebr.], Metzuda 3–4 (1945), 171–180.

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monides’ Bekenntnis zur halacha, dem Religionsgesetz, interpretiert.21 Ausgelöst wurde die gesamte Debatte um Maimonides’ Konversion schon 1839, als der französische Orientalist Eliakim Carmoly in Josts Zeitschrift Israelitische Annalen zum ersten Mal Auszüge aus einer religionsgesetzlichen Entscheidung des jungen Maimonides publizierte, die er 1163 in einem Brief an die von Zwangskonversionen bedrohten spanischen Gemeinden gesandt hatte.22 Im Anhang an seinen MaimonidesEssay von 1850 publizierte Geiger die erste wissenschaftliche Edition des Sendschreibens (Iggeret haShmad), dessen Echtheit bis dahin heftig umstritten gewesen war.23 Im eigentlichen Essay brachte Geiger sodann Maimonides’ Sendschreiben nach Spanien gegen dessen eigenen Autor in Stellung und behauptete, in dem Brief, der ursprünglich geschrieben worden sei, um einen religionsgesetzlich akzeptablen Status für den Marano (den Zwangskonvertiten) zu konstruieren, erweise sich die „künstlich erreichte Harmonie“ bald als eine „erkünstelte“ und drohe sich „in Zwietracht aufzulösen“.24 Aus der Perspektive von Geigers allgemeinem Verständnis halachischer Reformen wäre es „gesünder“ gewesen, die halacha unter diesen Umständen extremen religiösen Drucks ganz zu vernachlässigen, anstatt sie auf Grund außerhalb des Gesetzes stehender Einflüsse zu „beugen“. In seinem Essay versuchte Geiger eine hypothetische, aus seiner Sicht vernichtende Antwort auf Maimonides’ Brief zu geben und erwähnte wie nebenbei auch andere, absichtliche Gesetzesübertretungen, die sich Maimonides habe zu Schulden kommen lassen, vor allem seine spätere Übersiedlung aus dem Land Israel ausgerechnet nach Ägypten – ein Schritt, der auch Maimonides’ eigenem großen Kodex des talmudischen Rechts zufolge als verboten galt.25 21 Vgl. Jay Harris, „Maimonides in Nineteenth-Century Jewish Historiography“, PAAJR 54 (1987), 117–140, bes. 138f. 22 Eliakim Carmoly, „Maimonides und seine Zeitgenossen“, Israelitische Annalen 1 (1839), 308ff., 317f., 325f. und 332. 23 Geigers Edition des Sendschreibens basierte auf dem Münchener Manuskript einer hebräischen Übersetzung des arabischen Originals. Zur Echtheitsdebatte siehe zum Beispiel ein Werk von 1844 von J. Bukofzer, der behauptet, Carmoly habe das gesamte Sendschreiben erfunden (J. Bukofzer, Maimonides im Kampf mit seinem neuesten Biographen Peter Beer [Berlin: S. D. Schnitzer, 1844], 79f.) oder die autobiographische Einleitung von Michael Friedländer zu seiner englischen Übersetzung des More (New York: Trübner, 1881), xxxiii. Neuerdings wurden die Zweifel an der Echtheit der Epistel von Herbert Davidson wiederholt; vgl. Herbert Davidson, Moses Maimonides – The Man and his Works (New York und Oxford: Oxford University Press, 2005), 504ff. 24 Geiger, „Moses ben Maimon“ (wie Anm. 11), 50. 25 Vgl. in Maimonides Mishneh Torah, Gesetze über Könige und Kriege 5, 7.

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Darüber hinaus finden sich in Maimonides’ Mischnakommentar einige Stellen, die den Text abweichend von der talmudischen Standardinterpretation verstehen. Hier, so formuliert Geiger, bricht Maimonides’ „gesunder Sinn fast wider seinen Willen“ durch. Zwar handelt es sich dabei aus seiner Sicht lediglich um Ausnahmefälle, sie beweisen allerdings, welche Ansichten Maimonides’ „Seele erfüllen und wie gerne er eine jede Gelegenheit ergreift, die Lehren der Philosophie, die ihm am meisten am Herzen lagen, auch in Werke anderen Inhalts hineinzubringen.“ Im allgemeinen, so lautet seine Schlussfolgerung, kann Maimonides jedoch als rabbinischer Denker nicht anders, als die Mischna nach der Gemara auszulegen – sicher eine Anspielung auf Geigers eigenes Verständnis der Mischna im Sinne eines unabhängigen, von der Gemara vielfach missverstandenen Werks rabbinischer Literatur, wie er es fünf Jahre früher in seinem Lehr- und Lesebuch zur Sprache der Mischnah niedergelegt hatte.26 Diese Tendenz des Mischnah-Lehrbuchs wurde oft scharf attackiert, besonders durch den jungen Heinrich Graetz, der Geiger ohnehin zeitlebens für einen „Hitzkopf“ hielt.27 Erstaunlicherweise finden sich jedoch gerade in der Auseinandersetzung mit Maimonides’ Religionsphilosophie – und besonders in ihrer weitgehenden Ablehnung – auffällig viele Parallelen zwischen beiden Denkern. Diese seltene Übereinstimmung kann auf einer abstrakten Ebene vor allem mit der Zurückweisung dessen erklärt werden, was sowohl Geiger als auch Graetz als Maimonides’ religiösen Rationalismus empfinden. Noch unter dem philosophischen Einfluss Hegels stehend und ästhetisch von der Romantik geprägt, erkennen Geiger und Graetz im Führer nichts als einen sterilen, kalten Intellektualismus, der ihrem geliebten spirituellen Judentum aufgedrängt werden sollte – genau der Grund also, warum später jüdische Neo-Kantianer, nach der philosophischen Rückkehr zu Kant in den 1870ern, umgekehrt den More als ihren besten Beleg für die Nähe 26 Vgl. Abraham Geiger, Lehr- und Lesebuch zur Sprache der Mischnah (Breslau: Leuckart, 1845). 27 Siehe Jakob Levys Rezension in Der Orient 5 (1844), Nr. 51, 810f., besonders aber Der Orient 6 (1845), Nr. 1, 13f. Graetz diskutiert Geigers Erbe im elften und letzten Band seiner Geschichte der Juden, aber weil dieser zum Zeitpunkt des Erscheinens des Bandes noch lebte, an den besonders kritischen Stellen ohne Namensnennung. Geigers Name wird erst nach dessen Tod in der dreibändigen volkstümlichen Fassung der Geschichte genannt, und von da dann vom Herausgeber der Neuauflage des elften Bandes, Markus Brann, auch in die Langfassung übertragen. Siehe Heinrich Graetz, Geschichte der Juden, Bd. 11: Geschichte der Juden vom Beginn der Mendelssohnschen Zeit (1750) bis in die neueste Zeit (1848) (Leipzig: Leiner, 2 1900), 536.

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des Judentums zu Kants Kritischer Philosophie adoptierten.28 Geiger wie Graetz verstanden das Judentum jedoch eher romantisch als eine Inkarnation der jüdischen Nationalgeschichte und standen damit Jehuda HaLevi, Maimonides’ großem mittelalterlichen „Gegenspieler“, weit näher als dem Autor des More Nevuchim. Von Graetz übernahm Geiger auch ein imposantes Beispiel für die „Trivialität“ des Maimonides in der Erklärung der Gebote: Nach dem More sollte das Räucherwerk im Tempel seine Veranlassung darin haben, „dass die üblen Dünste welche sich in dem Tempel durch die vielen Opfer notwendig erzeugten, vertrieben werden“.29 Beide Denker sind sich darüber hinaus in der Auffassung einig, Maimonides habe – entgegen seiner erklärten Absicht – die angestrebte Harmonie von Religion und Philosophie niemals erreicht. Die Absicht selbst allerdings hielt Geiger immer für „redlich“. In einer Besprechung des ersten Bandes von Salomon Munks Ausgabe des More (erschienen 1856) nennt Geiger das Buch ein „Friedenswerk“, Maimonides selbst „im vollsten Sinne ein[en] Mann der Vermittlung“.30 Während Geiger einen solchen Ausgleich allerdings von vornherein für unmöglich hielt, glaubte Graetz, Maimonides habe „in seinem Bestreben die Religion mit der Zeitphilosophie zu versöhnen, die erstere der letzteren untergeordnet und die Herrin über die Gemüter zur Sklavin gemacht. Glaubenssätze und Bibelverse, die sich philosophisch nicht rechtfertigen lassen“, fährt Graetz enttäuscht fort, „haben nach dem maimunischen System

28 Vgl. zum Beispiel die Aufsätze von Julius Guttmann, „Kant und das Judentum“, in Schriften der Gesellschaft zur Förderung der Wissenschaft des Judentums (Leipzig: Fock, 1908), 42–62; Hermann Cohen, „Innere Beziehungen der Kantischen Philosophie zum Judentum“, Bericht der Lehranstalt für die Wissenschaft des Judentums 28 (1910), 41–61; oder Moritz Steckelmacher „Über die Gründe der jüdischen Sympathie für die Kantsche Philosophie“, in Festschrift für Jacob Guttmann (Leipzig: Fock, 1915), 89–112. 29 Abraham Geiger, Das Judenthum und seine Geschichte, 3. Abth.: Von dem Anfange des dreizehnten bis zum Ende des sechzehnten Jahrhunderts: in zehn Vorlesungen (Breslau: Schlettersche Buchhandlung, 1871), 41. Vgl. More III, 45. Graetz hatte dieses Beispiel schon 1846 in einer Kontroverse mit dem Maimonides-Experten Bernhard Beer benutzt, siehe Heinrich Graetz „Die Konstruktion der jüdischen Geschichte. Eine Skizze“, Zeitschrift für die religiösen Interessen des Judenthums [= ZRIJ] 3 (1846), 81–96, 121–132, 361–380, 413–421, hier 416. 30 Abraham Geiger in Zeitschrift der Deutschen Morgenländischen Gesellschaft [= ZDMG] 14 (1860), 732f. Munk publizierte als erster eine wissenschaftliche Ausgabe des arabischen Originals des More (mit französischer Übersetzung und Kommentar): Le Guide des Egares, Paris 1856 (1861, 1866).

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keinen Werth.“31 Geiger dagegen bestritt, dass Maimonides überhaupt die Möglichkeit hatte, der Religion die Herrschaft über die Gemüter zu belassen. Aus seiner Sicht war jeder Versuch, Philosophie und Glauben zu harmonisieren, aussichtslos. Ein solches Unterfangen sei lediglich eine Illusion – eine Illusion allerdings, der zahlreiche jüdische Denker viele Jahrhunderte lang angehangen hätten: „Man hatte sich in den Gedanken hineingelebt, dass hier zwei geistige Potenzen seien, die in gewissem Sinne einander decken, die höchstens einander ergänzen, nimmermehr aber sich gegenseitig ausschließen oder widersprechen […] man lebte in dem guten frohen Glauben, man habe die Versöhnung in Wirklichkeit zu Stande gebracht, und in dem Namen Maimonides war der volle Ausdruck dieser Versöhnung, dieser friedlichen Vereinigung gegeben.“ In Wirklichkeit sorgte Maimonides jedoch, so Geiger, für einen ständigen Krieg der Anschauungen im jüdischen Denken, manchmal musste sich die griechische Philosophie „in die gewohnte positive Überlieferung fügen“; dann wieder mussten „jüdische Auffassung, alte ehrwürdige, überkommene Anschauungen und Verpflichtungen in eine abstrakte, geistige Höhe hinein versetzt werden, die ihr ursprünglich nicht eigen war“.32 Während also Graetz an diesem Punkt offenbar noch unter dem Einfluss seines früheren Lehrers Samson Raphael Hirsch stand und Maimonides beschuldigte, das Judentum mit nichtjüdischen Methoden zu erklären, verdächtigte Geiger Maimonides fortwährend nur des „Rabbinismus“, vermisste aber auf den Seiten des More das spirituell Erhöhende, das er an den Werken seiner wirklichen mittelalterlichen Helden, der Dichter-Philosophen Jehuda HaLevi und Salomon Ibn Gabirol so sehr schätzte. Man muss nur Geigers ausführliche poetische Beschreibung von Ibn Gabirols Weltanschauung und Verhältnis zu seinen Mitmenschen lesen, um zu verstehen, wie Geiger seine eigene Stellung in der menschlichen Gesellschaft sah – aber auch um seine innere Distanz zu Maimonides nachzuempfinden.33 Und über HaLevi schreibt er: „Juda ist eine höchst liebenswürdige Natur und ein bedeutender Mensch; nicht 31 Heinrich Graetz, Geschichte der Juden, Bd. 7 (Leipzig: Leiner, 2. verb. Aufl. 1873), 32. 32 Geiger, Das Judenthum und seine Geschichte, 3. Abth.: Von dem Anfange des dreizehnten bis zum Ende des sechzehnten Jahrhunderts (wie Anm. 29), 21. Der Streit um die Frage, ob philosophische Weisheit dem Judentum „ursprünglich eigen war“ ist eine interessante Debatte, die sich über viele Jahrhunderte hinzog. Vgl. dazu Abraham Melamed, The Myth of the Jewish Origin of Science and Philosophy [hebr.] (Jerusalem: Magnes University Press, 2010). 33 Geiger, Das Judenthum und seine Geschichte von der Zerstörung des zweiten Tempels bis zum Ende des zwölften Jahrhunderts (wie Anm. 19), 102f.

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befriedigt von jener Spekulation, die sich mit philosophischen Allgemeinheiten nährt, verlangt er persönlich Fassbares, an das er das warme Herz anlehnen, das er in die Dichterbrust einschließen kann.“34 Liturgische oder sogar weltliche Poesie, die aus der Mitte des jüdischen Selbstverständnisses kommt, war aus Geigers Sicht besser geeignet, das Judentum wiederzuerwecken, als trockene philosophische Theorien über die Natur Gottes oder das Entstehen der Prophetie. Doch auch HaLevis philosophisches Hauptwerk, der Kusari, stand, wie Geiger bereits 1835 schrieb, in „entschiedenem Gegensatz“ zu Maimonides’ Philosophie. Selbst wenn Maimonides’ Denken womöglich „der damaligen Zeit angemessener“ war, traten HaLevis Ansichten „dem Judenthume wie die Geschichte es ausgebildet hatte“ weniger stark entgegen als die des Verfassers des More.35 Es war vermutlich die Idee des Sich-Herausbildens, der dynamischen Entwicklung im Judentum, besonders in der Halacha, die den Kusari aus Geigers Sicht attraktiver machte als Maimonides’ Werk. Für Geiger, wie für HaLevi, ist das jüdische Volk das lebendige Gefäß, in dem sich diese Entwicklung abspielt – während die Geschichte des jüdischen Volkes für Maimonides nichts anderes als eine Antwort auf universell gültige Wahrheiten darstellt. Geiger nahm insbesondere an Maimonides’ Bibel-Exegese Anstoß. Wie bereits andere Reformrabbiner vor ihm erkannte er, dass Maimonides in seiner Schriftauslegung philosophische Spekulation einem einfachen Verständnis des Wortsinnes vorzog. Das erkläre sich jedoch vor allem aus Maimonides’ festem Glauben an die Unveränderlichkeit und Fehlerlosigkeit des Textes der Tora selbst. Maimonides sei, schrieb Geiger schon 1844, von der Überzeugung ausgegangen, „die Schrift könne nur die volle Wahrheit enthalten, die von ihm aufgenommene Philosophie aber biete volle Wahrheit“; das habe ihn schließlich gezwungen, der Bibel häufig „starken Zwang“ anzutun.36 An diesem Punkt kommt es somit zu einem Konflikt mit Geigers eigenem theologischen Interessenfeld. Seine intensiven wissenschaftlichen Bemühungen, zu einer Urschrift der Bibel vorzustoßen, können im Sinne reformatorischer Theologie gut als Bemühung verstanden werden, auch die Ur-Bedeutung der biblischen Gebote zu entdecken und auf diese Weise die talmudische Exegese in ihren Grundlagen herauszufordern.37 Gei34 35 36 37

Ebd., 120. Geiger, „Die wissenschaftliche Ausbildung des Judenthums“ (wie Anm. 17), 167. Geiger, „Neue Beiträge“ (wie Anm. 18), 89. Geigers Hauptwerk trug den Titel Urschrift und Übersetzungen der Bibel in ihrer Abhängigkeit von der innern Entwicklung des Judentums (Breslau: Julius Hainauer,

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gers wesentliche Kritik an der Schriftauslegung der Rabbinen bestand ja vor allem in dem Vorwurf, sie hätten das dem Wortsinn gemäße Verständnis der Tora ihrem immer stärker werdenden Bedürfnis geopfert, eine biblische Basis für die zahlreichen außerbiblischen Regelungen und Gesetze zu finden, die das Judentum im Laufe der Jahrhunderte hervorgebracht hatte. Dieses Bedürfnis führte Geiger zufolge zwangsläufig zu einer stark „getrübten“, wenn nicht vollkommen fehlerhaften Exegese. Wiederum gegen die Auffassung des Maimonides (und zahlreicher neo-orthodoxer Zeitgenossen) schloss sich Geiger hier der Position des Nachmanides (1194–1270) an, der fest davon überzeugt war, die talmudischen Rabbinen hätten ihre Exegese ernst gemeint und geglaubt, religionsgesetzliche Regelungen ließen sich tatsächlich und geltungskräftig (zum Beispiel) aus eingebildeten Anomalien der biblischen Sprache ableiten. Geigers Kritik lautete, der Talmud habe so seinem eigenen Gesetz eine göttliche und damit bleibende Autorität zu verleihen versucht, die es nicht verdiente – und auf diese Weise auch die Flexibilität und Anpassungsfähigkeit an Zeit und Ort, die frühere Schichten der Mischna noch besessen hätten, stark eingeschränkt. Das Judentum, so Geiger, müsse zum „natürlichen Schriftsinn“ und somit zu einer „gesunden“ Exegese zurückfinden, während existierendes außerbiblisches Recht allein im Rahmen seiner historischen Entstehung betrachtet werden dürfe.38 Auch in philosophischer Hinsicht konnte Geiger Maimonides’ Umgang mit dem Problem des offensichtlichen Widerspruchs zwischen manchen biblischen Passagen und spekulativer Erkenntnis aus ganz ähnlichen Gründen nicht folgen. Maimonides zufolge gibt es in der Bibel nicht nur eine allegorisierende Textebene, die sich vor allem an die einfachen Massen richtet, sondern darüber hinaus eine tiefere, nur geschulten Denkern zugängliche philosophische Bedeutungsschicht. Letztere, wandte Geiger ironisch ein, müsse für Maimonides schon allein deshalb existieren, „weil sonst das Bibelwort nicht inhaltsvoll genug wäre“.39 Die talmudischen Rabbinen wussten von dieser tieferen Bedeutung vieler Tora-Verse, behauptet Maimonides, verbar1857). Vgl. dazu die Darstellung bei Ken Koltun-Fromm, Abraham Geiger’s Liberal Judaism: Personal Meaning and Religious Authority (Bloomington und Indianapolis, IN: Indiana University Press, 2006), 41ff. 38 Vgl. Abraham Geiger, „Das Verhältnis des natürlichen Schriftsinnes zur thalmudischen Schriftdeutung“, WZJT 5 (1844), 53–81, 243–259, und die ausführliche analytische Darstellung in Jay M. Harris, How Do We Know This? Midrash and the Fragmentation of Jewish History (New York: SUNY Press, 1995), 157–165. 39 Geiger, Das Judenthum und seine Geschichte von der Zerstörung des zweiten Tempels bis zum Ende des zwölften Jahrhunderts (wie Anm. 19), 141.

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gen sie aber vor den Massen. Geiger war diese esoterische Methode, die besonders in Maimonides’ Führer zum Ausdruck kommt, von Anfang an verdächtig – schien sie ihm doch allein die Absicht zu verfolgen, die „getrübte“ rabbinische Exegese durch die philosophische Hintertür wieder einzuführen und damit indirekt neu zu rechtfertigen. Noch dazu gibt diese Methode, sollte sie von den Rabbinen tatsächlich verwendet worden sein, auch Maimonides selbst das Recht, esoterische Bibelauslegung zu betreiben. Dabei stößt er jedoch dann aus Geigers Sicht nur allzu rasch auf dieselben Probleme, mit denen die Urheber jeder konspirativen Exegese zu kämpfen haben – „wo der Leser oft nicht mit aller Entschiedenheit aussagen kann, was Darstellungsform, was die wahre innere Absicht ist; so wird es allmälig im Geiste des Denkers selbst unklar, er klammert sich selbst zuweilen an die Form und Bezeichnung, die er gewählt, um sie als wesentlich, als von tieferem Werthe, festzuhalten.“40 Mit dieser Deutung nahm Geiger beinahe schon eine Stellungnahme zu den großen Debatten um Maimonides’ Esoterik vorweg, die im zwanzigsten Jahrhundert durch Leo Strauss ausgelöst werden sollten und die bis heute anhalten.41 Die „Darstellungsform“ aber, so kann man Geigers Hauptwerk – die Urschrift – verstehen, scheint zu einem großen Teil für die Bedeutung des biblischen Textes irrelevant zu sein, und zwar einfach deshalb, weil sie historisch zahlreichen Veränderungen unterworfen war. Obwohl Geiger diese absichtlichen Manipulationen am biblischen Text (von der Zeit der Rückkehr aus dem babylonischen Exil bis zum Makkabäer-Aufstand) als politisch oder dogmatisch motiviert erklärte, weist diese Theorie doch deutlich auf seine eigene Reform-Ideologie hin: Die Juden haben, entgegen aller Behauptungen des Gegenteils, niemals an den „toten Buchstaben“ geglaubt, sondern immer an den Geist des Textes, an seine intellektuelle Lebendigkeit.42 40 Ebd., 144f. 41 Vgl. vor allem Leo Strauss, „The Literary Character of the Guide for the Perplexed”, in Leo Strauss, Persecution and the Art of Writing (Chicago: University of Chicago Press, 1988), 38–94 und Leo Strauss, „How to Begin to Study The Guide of the Perplexed”, in Moses Maimonides, The Guide of the Perplexed, übersetzt von Shlomo Pines, Bd. 1 (Chicago: University of Chicago Press, 1963), xi–lvi. 42 Vgl. Max Wiener, Jüdische Religion im Zeitalter der Emanzipation (Berlin: PhiloVerlag, 1933), 253. Ken Koltun-Fromm sieht einen „decisive shift away“ in der Urschrift im Vergleich zu Geigers früherem Artikel, weil das Bestehen auf einem exakten „natürlichen Schriftsinn“ im Widerspruch zur Annahme einer Entwicklung des biblischen Textes stehe; vgl. Koltun-Fromm, Abraham Geiger’s Liberal Judaism (wie Anm. 37), 41. Allerdings würde ein sich fortwährend ändernder Text rabbinische Exegese, die auf halben Worten oder Wortwiederholungen basiert, nur noch „getrübter“ machen.

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Interessanterweise träfen sich Geigers und Maimonides’ Absichten im Grunde in einem wesentlichen Punkt, und wäre Geiger dem More unvoreingenommen begegnet, so hätte er möglicherweise das gemeinsame Element erkannt: den teleologischen Zugang zur Bibel, der vor allem von außer-halachischen Erwägungen beeinflusst war. Doch aus Geigers Sicht ist Maimonides’ Philosophie nicht kreativ und seine Auffassung vom Gesetz bestenfalls ausweichend. Philosophisch ist Maimonides demzufolge in dem natürlich beschränkten Denken des Mittelalters befangen, halachisch bleibt er inkonsequent, wenn er versucht, rabbinische Regelungen aus ethischen Gründen „umzudeuten“, anstatt offen ihre Überholtheit zuzugeben: Maimonides, so Geiger, war es „weit mehr um die rein philosophische Auffassung zu thun als um eine Umgestaltung des Lebens“.43 Wenigstens was die philosophische Seite betrifft, zeigt sich Geiger hier erneut als ein Anhänger der Schule HaLevis und Hegels, die, anders als die Linie, die von Maimonides zu Kant führt, Philosophie nur als ein sich fortwährend wandelndes „Produkt der Geschichte“ ansieht, wie Geiger 1849 in seiner Einleitung in das Studium der jüdischen Theologie schrieb. Die Annahme einer ewigen, universellen Wahrheit, die spätere, dem Neukantianismus verpflichtete Maimonidesforscher im Führer vertreten fanden, blieb Geiger verborgen. Noch deutlicher wird Geigers bewusste Abwehr einer Gemeinsamkeit mit dem maimonidischen Denken dort, wo es um die Begründung der biblischen Gebote geht, den klassischen Bezugspunkt des Reformjudentums mit Blick auf Maimonides’ philosophisches Hauptwerk. Auch hier sind die Positionen von Maimonides und Geiger an sich nicht weit voneinander entfernt, doch Geigers eigentümliches Bestreben, sich von den Theorien des Führers abzusetzen, verhindert eine klarere Identifikation. In einer Vorlesung seines Bandes Das Judenthum und seine Geschichte, die zur Hälfte Maimonides gewidmet ist, erklärt Geiger, dass für Maimonides auch die praktischen religiösen Satzungen des Judentums nicht einfach „als von dem höchsten Gesetzgeber ausgegangen“ hinzunehmen seien, „denen wir uns ohne Weiteres zu unterwerfen haben.“ Die Gebote sind im More vielmehr als Ausdruck der höchsten Weisheit dargestellt, wie auch als „Mittel, die uns zur höheren Lebensauffassung anleiten“. Wohl zutreffend, wenn auch stark zugespitzt, schließt Geiger mit Blick auf Maimonides’ Theorie von

43 Geiger, Das Judenthum und seine Geschichte von der Zerstörung des zweiten Tempels bis zum Ende des zwölften Jahrhunderts (wie Anm. 19), 148.

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den biblischen Geboten: „Begreifen wir sie nicht, so haben sie keinen Werth.“44 Doch wo man eigentlich Zustimmung erwarten könnte, formuliert Geiger sofort seine schärfste Kritik an Maimonides’ Theologie: Um nun für alle biblischen Gebote (und teilweise auch für talmudische Regelungen) rationale Begründungen zu finden, nehme Maimonides zu den seltsamsten und fragwürdigsten Methoden Zuflucht. Am Ende, so urteilt Geiger – im Rahmen der Geschichte des deutschen Reformjudentums recht überraschend –, ist jene lange Passage im dritten Teil des Führers, in der Maimonides sich detailliert mit der Begründung der Gebote beschäftigt, „die schwächste seines Werkes und Systems“.45 Doch obwohl die große Mehrheit seiner Reformkollegen vom genauen Gegenteil überzeugt waren und den dritten Teil des More als mutigsten Einschnitt des Maimonides in die orthodoxe Glaubenstheologie feierten, war Geiger mit dieser scharfen Ablehnung nicht allein. Abgesehen von seinem bereits erwähnten konservativen Kritiker Heinrich Graetz gab es auch im Reformlager Rabbiner, die Geigers (zumindest äußerlich) ablehnende Meinung über Maimonides’ strenge Rationalisierung der Gebote teilten. In einer heftigen Diskussion über Maimonides’ berühmte Opfer-Theorie im 32. Kapitel des dritten Teils des Führers hatte schon zwanzig Jahre früher, auf der zweiten Rabbinerversammlung 1845 in Frankfurt, der junge Ludwig Philippson Geigers Kritik vorweggenommen. Maimonides’ Idee, die biblischen Opfergebote seien nichts als eine „Concession an die heidnischen Gebräuche“, hielt Philippson dem Protokoll der Konferenz zufolge für „die größte Inconsequenz dieses großen Mannes“, denn sie widerspreche dem Begriff der göttlichen Offenbarung vollständig. Das Opfer sei vielmehr „der symbolische Ausdruck dessen, was in der Seele vorgeht, die äußere symbolische Darstellung, also mit der inneren Heiligung ganz dasselbe“.46 Was hier in Philippsons Erklärung anklingt, wird dann von Geiger 1865 noch einmal ausdrücklich bestätigt. Die biblischen Opfergesetze hätten für Maimonides in sich selbst „keinen Werth“ und verfolgten nur 44 Ebd, 147. 45 Ebd. 46 Protokolle und Aktenstücke der zweiten Rabbinerversammlung (wie Anm. 14), 117. Philippson, Rabbiner von Magdeburg und Herausgeber der Allgemeinen Zeitung des Judentums, reagiert hier auf eine Behauptung von Rabbi Hayum Wagner aus Mannheim, der mit Bezug auf Maimonides die Konzessions-These vertreten hatte. In der anschließenden Diskussion stimmte auch Rabbi Samuel Adler aus Alzey Philippson zu – was beide Rabbiner aber letztlich nicht davon abhielt, bei der abschließenden Abstimmung für eine Streichung der Bitte um die Wiedereinführung der Opfer in der Shabbat-Liturgie zu stimmen.

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erzieherische Absichten: Sie sollten die Israeliten vom Götzendienst zum wahren Gottesdienst durch das Gebet führen. Maimonides’ rationalistische Begründung des Gesetzes, so Geiger, führe daher im Allgemeinen bestenfalls zu einer Anerkennung der Gebote „als zulässig, als nicht der Vernunft widersprechend“. Es müsse aber vielmehr darum gehen, in ihnen „ein wesentlich religiöses Moment“, eine „Notwendigkeit und Unverbrüchlichkeit, eine in ihnen liegende Kraft sittlicher und geistiger Erhebung“ nachzuweisen.47 An anderer Stelle schreibt er: Maimonides’ rationalistische Begründungen „zerstörten jedenfalls alle Weihe des Opferdienstes“.48 Die Argumentation der Reformer, die aus Maimonides’ Theorie die Möglichkeit der Aufhebung oder Aussetzung einzelner Vorschriften ableiten wollten, sei verfehlt, denn Maimonides habe die praktischen Tora-Gesetze „trotz seiner schwachen Begründung unzweifelhaft als dauernd verbindlich betrachtet“.49 Es scheint also, als habe Abraham Geiger, im Gegensatz zu Maimonides, der den Wert der Gebote an ihrer Vernunftgemäßheit maß, allen denjenigen Geboten keinen Wert beigemessen, die kein wesentlich religiöses Moment aufweisen und daher nicht zur inneren Heiligung beitragen. Schon 1839 hatte Geiger seine eigene Definition der Autorität des jüdischen Ritualgesetzes formuliert, eine Definition, der er zeit seines Lebens treu blieb. Die religiösen Zeremonien dienten „zur Belebung unseres religiös sittlichen Gefühls“, so Geiger, und seien äußere Formen, die bald zur Erinnerung an Ereignisse der Vergangenheit, und hiedurch entweder an Gottes väterlich und weise waltende Vorsehung, oder zur Demüthung, bald zur Stärkung unseres Wohlwollens, bald zur Bewahrung oder Wiedergewinnung unserer geistigen Reinheit dienen sollen. Ihre Geltung kann demnach nur darin bestehen, daß sie in der That belebenden Gehalt in sich tragen, was wiederum nicht anders möglich ist als wenn sie den lokalen Verhältnissen entsprechen und der Bildungsstufe angemessen sind. Sobald dieselben jedoch die Kraft, ihre Bestimmung zu erfüllen, nicht mehr besitzen und dennoch erhalten werden sollen und nun noch sogar in höherem Maße Anspruch auf Beachtung machen, indem sie jetzt nicht mehr Mittel, was sie in der Tat nicht mehr sind, sondern Selbstzweck zu sein vorgeben, so ist ihr Werth gänzlich dahin, und an die Stelle des freien sittlichen 47 Geiger, Das Judenthum und seine Geschichte von der Zerstörung des zweiten Tempels bis zum Ende des zwölften Jahrhunderts (wie Anm. 19), 147f. 48 Geiger, Das Judenthum und seine Geschichte, 3. Abth.: Von dem Anfange des dreizehnten bis zum Ende des sechzehnten Jahrhunderts (wie Anm. 29), 41. 49 Geiger, Das Judenthum und seine Geschichte, von der Zerstörung des zweiten Tempels bis zum Ende des zwölften Jahrhunderts (wie Anm. 19), 148.

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Handelns ist die nackte Formenübung eingetreten, und mit ihr gründet sich der Aberglaube seinen Thron.50

Dass Geiger somit, anders als sein radikalerer Kollege Samuel Holdheim, nicht an der Abschaffung aller religiösen Zeremonien interessiert war, geht später noch einmal klar aus einem anderen Werk hervor: Es gebe durchaus „ächte Ceremonien“, schrieb Geiger 1858, die er nicht nur „als Hülle, sondern als die angemessene leibliche Darstellung des Geistes, daher als seinen dauernden, wenn auch der Umgestaltung unterworfenen Ausdruck betrachte“.51 Geigers Interpretation von Maimonides’ Theorie zur Begründung der biblischen Gebote folgt also ganz eigennützigen Absichten. Während Maimonides, der an der Bewahrung der gesetzlichen Autorität der gesamten Tora interessiert war, nach Gründen suchte, die Gebote in einer feindlichen, nichtmonotheistischen Umgebung zu halten, hegte Geiger kein Interesse an der Aufrechterhaltung der religiösen Rituale, solange ihre Fähigkeit zur spirituellen Erhebung der Seele innerhalb des Judentums nicht erwiesen war.52 Nicht eine zeitlose – aber auch keine sich entwickelnde – halacha galt Geiger als Grundlage für den Fortbestand des Judentums, so Michael A. Meyer, „sondern dessen innerer Schöpfergeist, der nicht nur die einzelnen Gesetze hervorbrachte, sondern auch religiöse Grundsätze und ethische Ideale.“53 In einer späteren Vorlesung über den Einfluss maimonidischer Philosophie auf die weitere Entwicklung des Judentums kommt dieser Gedanke noch deutlicher zum Ausdruck. Wie andere MaimonidesKritiker des neunzehnten Jahrhunderts auch, bemängelte Geiger in Maimonides’ Religionsphilosophie die Abwesenheit der reformerischen Konsequenz: Was theologisch als falsch erkannt wurde, hät50 Abraham Geiger, „Der Formglaube in seinem Unwerthe und in seinen Folgen“, WZJT 4 (1839), 1–12, hier 10; Geigers Stellung zum Ritualgesetz findet sich auch in seiner Rezension von Moses Brück, Rabbinische Ceremonialbräuche (Breslau: Schulz, 1837), publiziert in WZJT 3 (1837), 413–426. 51 Abraham Geiger, Über den Austritt aus dem Judenthume: Offenes Sendschreiben an M. Maaß (Breslau: Wigand, 1858), 14. 52 Vgl. dazu die ganz andere Position, die später Hermann Cohen zum jüdischen Ritualgesetz einnahm. Übereinstimmend mit Maimonides sieht Cohen in der Beibehaltung der alten Rituale einen Abwehrmechanismus gegen jede nicht rein monotheistische Form der Religion und eine Methode der Bewahrung des Judentums als Träger des reinen Monotheismus. Zu Cohen und Maimonides vgl. George Y. Kohler, „Finding God’s Purpose – Hermann Cohen’s Use of Maimonides to Establish the Authority of Mosaic Law“, Journal of Jewish Thought and Philosophy 18 (2010), 85–115. 53 Michael A. Meyer, Antwort auf die Moderne. Geschichte der Reformbewegung im Judentum (Wien, Köln und Weimar: Böhlau, 2000), 144.

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te praktisch nicht als Gesetz festgeschrieben oder auch nur beibehalten werden dürfen.54 So fragt Geiger, ob Maimonides’ Theorie aus dem More, der zufolge alle prophetischen Erscheinungen, eigentlich sogar alle übernatürlichen Elemente der Bibel, nichts als Visionen oder Traumbilder seien, nicht wenigstens auf die damit im Zusammenhang stehenden Gebetstexte praktische Auswirkungen haben sollten.55 Das enthusiastische Lob des jungen Geiger für Maimonides’ Ansatz zu einer Reform des Gottesdienstes scheint nun vergessen; vermutlich hatte er längst bemerkt, dass Maimonides in seinen Responsa gar nicht am Kampf gegen den talmudischen Buchstaben interessiert war. Wenn zum Beispiel die Akedah, die Opferung Isaaks, nur ein Traum Abrahams war, erkundigt sich der reife Geiger nun zynisch – „wie verträgt sich denn damit, daß auf jenen Traum hin noch weiter Gebete gesprochen werden, welche verlangen, daß das Verdienst nicht bloß Abrahams, der wenigstens den Traum hatte, sondern auch Isaaks, dessen bloß im Traum gedacht worden, der also gar nicht mitthätig war, uns heute noch zu Gute komme?“ Dasselbe gilt nun für Maimonides’ Erklärung der biblischen Opfergesetze: „Die Zeit des Götzendienstes ist vorüber, nirgends werden mehr blutige Opfer dargebracht, eine mögliche Verlockung durch sie zum Götzendienste ist gänzlich verschwunden. Wozu dennoch Gebete sprechen mit der Klage über das Fallen der Opfer, mit der Sehnsucht nach deren Wiederherstellung?”56 Was Geiger hier versucht, ist ganz offensichtlich eine Doppelstrategie: Auf der einen Seite lehnte er Maimonides’ rationale Erklärung der biblischen Gebote als unspirituell und wenig erbaulich ab, auf der anderen Seite jedoch war er nur allzu gerne bereit, dieselbe rationale Erklärung des More anzuerkennen – als Rechtfertigung für die Abschaffung überholter Regelungen des jüdischen Zeremonialgesetzes. Als der konservative evangelische Theologe Martin Maaß Geiger vorwarf, das Judentum habe seine religiösen Pflichten nie vor der Vernunft zu recht54 Dieser Gedanke einer „Inkonsequenz“ bei Maimonides findet sich schon in Saul Aschers Leviathan von 1792. Vgl. später auch in Moritz Eislers Vorlesungen über die jüdischen Philosophen des Mittelalters, Bd. 2: Maimonides (Wien: Wallishausser, 1870), 120 und Benzion Kellermanns Vortrag Liberales Judentum (Berlin: M. Poppelauer, 1907), 11. 55 Vgl. More II, 41. Die Gebetbuchreform stand im Vordergrund der Reformbestrebungen Geigers. 56 Geiger, Das Judenthum und seine Geschichte, 3. Abth.: Von dem Anfange des dreizehnten bis zum Ende des sechzehnten Jahrhunderts (wie Anm. 29), 50f. Allerdings sagt Maimonides nirgendwo ausdrücklich, auch die Akedah sei „nur“ eine Vision Abrahams gewesen – schon im Mittelalter ein Thema anhaltenden Streits unter Maimonides-Kommentatoren.

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fertigen versucht, schleuderte Geiger ihm als Antwort bedenkenlos gerade das entgegen, was er nur kurze Zeit später als den schwächsten Teil des More bezeichnen sollte: „Hat nicht Maimonides einen großen Theil des dritten Buches seines Führers der Verwirrten, More Nebuchim, ausschliesslich dieser Begründung der Gebote, Taame Hamizwoth, gewidmet?“57 Auch autobiographisch kann sich Geiger auf dieser Ebene, der Abwehr orthodoxer Gehorsamsansprüche, mit Maimonides identifizieren: Nachdem er 1840 von seinen orthodoxen Gegenspielern in der Breslauer Gemeinde bei den preußischen Behörden denunziert worden war, schrieb er kurze Zeit später, recht grob verallgemeinernd, über Maimonides’ mittelalterlichen Gegenspieler Salomon ben Abraham aus Montpellier: „Der fromme Salomo nahm zu dem Mittel seine Zuflucht, zu welchem die ohnmächtige Orthodoxie, der innern geistigen Zuversicht ermangelnd, immer greift; er denuncierte.“58 Was geschah nun mit Geigers Kritik an der mangelnden Spiritualität der maimonidischen Theologie? Ein Akzeptieren von Philippsons spiritueller Erklärung der Opfergesetze hätte bedeutet, dass Gebetstexte, die die Wiedereinführung des Opferkultes in einer messianischen Zukunft behandeln, nicht anderes als Geigers ideales Judentum erbitten, dem zufolge das Erfüllen der Gebote lediglich spirituelle Erhebung und religiöse Erbauung bewirkt. Aber Geiger und Philippson, und mit ihnen die meisten Reformer, die sich über Maimonides’ „trivialen Rationalismus“ beklagen, lehnten ausdrücklich jeden Gedanken an eine Wiedereinführung der Opfer ab. Stillschweigend akzeptierten sie den von Maimonides im More formulierten Fortschrittsgedanken, der das Gebet als eine spirituelle Höherentwicklung gegenüber dem Opfer versteht, das es im Laufe der religiösen Geschichte Israels als Form des unmittelbaren Gottesdienstes ablöste.59 Geiger folgte 1865 fast wörtlich Philippsons auf der Frankfurter Konferenz vorgetragener These, nicht der Fall des Tempels habe die Opfer aufgehoben; vielmehr, schreibt Geiger, hätten sie

57 Geiger, Über den Austritt (wie Anm. 51), 13. 58 Geiger, „Neue Beiträge“ (wie Anm. 18), 96. Zum Streit um das Breslauer Rabbinat vgl. Meyer, Antwort auf die Moderne (wie Anm. 53), 164–169; zur mittelalterlichen Debatte um den More vgl. Idit Dobbs-Weinstein, „The Maimonidean Controversy“, in Daniel Frank und Oliver Leaman (Hrsg.), History of Jewish Philosophy (London: Routledge, 1997), 275–86. 59 Vgl. More III, 32. Maimonides geht nach Meinung vieler Kommentatoren sogar noch einen Schritt weiter: Im selben Kapitel lässt er einen hypothetischen Propheten auftreten, der die Israeliten aufruft, Gott nicht mehr mit Gebet und Fasten zu dienen, sondern nur noch mit Kontemplation, der somit höchsten Form der Gottesverehrung.

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„äußerlich auf[gehört], weil sie innerlich von dem tieferen Ausdrucke der Gottesverehrung, dem Gebete, längst überwunden waren“.60 Geigers eigene Auffassung von den Tempelopfern ist daher der des Maimonides sehr ähnlich, in ihren Konsequenzen sogar noch radikaler. Schon 1842 kritisierte er die Herausgeber des reformierten Hamburger Gebetbuches wegen der offenbaren Inkonsequenz ihrer Revision der Gebetstexte über die Wiedereinführung der Opfer. Ohne Maimonides ausdrücklich zu erwähnen, monierte Geiger, die Formulierung der Hamburger Reformer, Gott möge das Gebet als „Ersatz“ für die Opfer annehmen, zeige, dass die Autoren des Gebetbuches den Opferkult als die eigentliche Form des Gottesdienstes ansähen, so als sei dieser nur aus historischen Gründen – sozusagen zwangsläufig – vom Gebet ersetzt worden. Damit sei „der Grundgedanke, dass das Gebet höher stehe als das Opfer, ganz zurückgedrängt“ – immerhin ein Gedanke, den Maimonides klar im More formuliert hatte.61 1865 schließlich, in seinen Vorlesungen über die Geschichte des Judentums, schrieb Geiger noch viel drastischer: „das thierische Opfer ist nicht der Wurzel des Judenthums entsprossen, es ist geduldet worden, aber auch blos geduldet, bekämpft immer von den Edelsten und Besten in Israel, seinen Propheten, die es mit den schärfsten Worten in seiner Niedrigkeit bezeichnen.“62 Er belegte diese Aussage mit den berühmten Worten des Micha: 63

60 Geiger, Über den Austritt (wie Anm. 51), 14. Zu Philippson vgl. Protokolle und Aktenstücke der zweiten Rabbinerversammlung (wie Anm. 14), 118. 61 Abraham Geiger, Der Hamburger Tempelstreit (Breslau: Leuckart, 1842), auch in Nachgelassene Schriften, hrsg. von Ludwig Geiger, Bd. 1 (Berlin: Louis Gerschel, 1875), 113–196, hier 171. Der Gedanke der historischen Ablösung des Opfers durch das Gebet geht auf den Talmud zurück (bBer 26b). Das Hamburger Tempelgebetbuch hatte den traditionellen Text des Mussaf-Gebets am Schabbat so revidiert: “… “ 62 Abraham Geiger, Das Judenthum und seine Geschichte bis zur Zerstörung des zweiten Tempels. In zwölf Vorlesungen. Nebst einem Anhange: Renan und Strauß (= Das Judenthum und seine Geschichte. Erste Abteilung) (Breslau: Schlettersche Buchhandlung, 2 1865), 52f. 63 Micha 6, 8 („Es ist dir gesagt, Mensch, was gut ist und was der HERR von dir fordert, nämlich Gottes Wort halten und Liebe üben und demütig sein vor deinem Gott“). Dieser Vers wurde später eine der am meisten zitierten biblischen Passagen in den Werken Hermann Cohens, der Geigers Argument von der Opferfeindlichkeit der Propheten fast wörtlich wiederholt, allerdings mit dem notwendigen Hinweis auf das maimonidische Original. Vgl. Hermann Cohen, Religion der Vernunft aus den Quellen des Judentums (Frankfurt: Kauffmann, 1929), 411–13.

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Ausdrücklich betonte Geiger nun – wie Maimonides vor ihm – den außerbiblischen Ursprung des alt-israelitischen Opferdienstes: „das Opfer war in der alten Zeit so tief in das allgemeine Bewußtsein eingegangen, so der entsprechende Ausdruck des bloß natürlichen religiösen Bewußtseins, daß es auch in Israel Eingang fand“, aber eben nur als „Ausdruck eines Geduldeten“.64 Wäre das Opfer im Judentum von zentraler, wesensbestimmender Bedeutung, argumentierte er, so hätte die jüdische Religion mit dem Tempel untergehen müssen. Schließlich fasste er zusammen: Eine jede Begründung der Religion auf Opferdienst, […] ein jeder sehnsüchtiger Blick auf den früheren Opferdienst als auf eine höhere und vollere Lebensäußerung, ein jeder Ausspruch, dass der Opferdienst nun einmal geschwunden sei und daher ersetzt werden müsse durch ein Gebet, eine jede solche geistige Anerkennung des Opferwesens ist ein Rückfall in das Heidentum.65

Angesichts dieser radikalen Aussage scheint Geigers Kritik an Maimonides’ Opfertheorie aus dem Führer zumindest etwas unredlich – und der Vorwurf der mangelnden Konsequenz, die Geiger Maimonides anlastet, fällt zum Teil nun auf ihn selbst zurück. Maimonides will zwar das Religionsgesetz nicht aufheben, auch wenn er es als überholt erkannt hat, doch auch Geiger weiß, dass „das Leben schon in ältester Zeit diese Konsequenz gezogen, daß, sobald die innere Begründung geschwunden, auch der äußere Bestand des Gesetzes allmälig zusammenbrach,“66 dass also dieser Prozess des historischen Fortschritts, auch in den Formen des Gottesdienstes, unabhängig von rechtlichen Entscheidungen der Rabbiner stattfindet. Daher scheint es, als habe sich Geigers Widerstand gegen Maimonides’ Opfertheorie wiederum nicht gegen die Theorie selbst gerichtet, sondern lediglich gegen das Versäumnis des More, aus Geigers Sicht, aus dieser Theorie die logischen praktischen Konsequenzen zu ziehen und den Opferkult ein für alle Mal ausdrücklich für abgeschafft zu erklären.67

64 Geiger, Das Judenthum und seine Geschichte bis zur Zersörung des Zweiten Tempels (wie Anm. 62), 53. 65 Ebd., 54. Die gekennzeichnete Auslassung im Zitat enthält einen harten Angriff gegen die Übernahme des Opfergedankens im christlichen Menschenopfer, der aber nicht in den Rahmen dieser Studie gehört. Die Polemik gegen das Ersetzen des Opfers durch das Gebet ist dagegen gegen den Talmud gerichtet; vgl. Anm. 56. 66 Geiger, Über den Austritt (wie Anm. 51), 13f. (Hervorhebung des Verfassers). 67 Doch im Gegenteil: in einer oft debattierten Passage seines großen Rechts-Kodex, des Mischneh Torah, legt Maimonides ausdrücklich fest, dass der Opferdienst in der mes-

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Und dennoch: All diese Kritikpunkte bedeuten keineswegs, dass Geiger die oft äußerst radikal formulierten Positionen des Maimonides zu vielen zentralen Themen der jüdischen Theologie verborgen geblieben wären. 1844 würdigte er als Maimonides’ „weit greifende Ansichten“ die rationalistischen Lehren des Führers von den biblischen Wundern, vor allem aber von der Prophetie. Darüber hinaus habe Maimonides die Idee der Vorsehung „von der Gottheit auf die selbstständige Aneignung der höheren Kräfte von Seiten der denkenden Wesen“ verlagert. Nicht zuletzt folge aus Maimonides’ rein geistiger Auffassung von der Seele „auch die rein geistige Vergeltung im Jenseits, die er von allen irdischen, daher auch räumlichen Vorstellungen zu befreien sucht“.68 Als ein späteres Beispiel für Geigers Wissen um die deutliche Abweichung maimonidischer Theologie von der jüdischen Tradition kann sein Kommentar von 1865 über das Wesen der Offenbarung gelten, wie es sich in Geigers Interpretation des More darstellt. Geiger zufolge war Offenbarung für Maimonides nicht ein einmaliges historisches Ereignis am Berg Sinai, wie das talmudische Judentum weitgehend annimmt.69 Wenn Gott mit den Sinnen nicht wahrgenommen werden kann, wie Maimonides lehrt, so kann Offenbarung, in Geigers Worten, „daher nicht eine Erscheinung sein, die mit den Augen gesehen, mit den Ohren vernommen wird“. Vielmehr ist Offenbarung für Maimonides „ein rein geistiger Act, es ist die Erhebung des menschlichen Geistes zum Gottesgeiste, die allerdings bei den wenigsten Menschen stattfinden kann“. Unter diesen war es Moses, der, wie Maimonides ausführt, allein die höchste intellektuelle Ebene erreicht hatte. „Diese geistige Höhe des Menschen ist ihm Offenbarung“, so beschließt Geiger die gesamte Darstellung.70 sianischen Zukunft wieder aufgenommen werden wird (Mischneh Torah, Gesetze von Königen und Kriegen 11, 1). 68 Geiger, „Neue Beiträge“ (wie Anm. 18), 88. 69 Die rabbinische Literatur enthält zahlreiche Debatten über das Thema, wann Moses/ Israel die Tora gegeben wurde und ob Moses’ Rolle bloß die des Diktat-Aufnehmens war. Vgl. etwa bGit 60a-b, bMen 30a oder Nachmanides in der Einleitung zu seinem Torakommentar. 70 Geiger, Das Judenthum und seine Geschichte von der Zerstörung des zweiten Tempels bis zum Ende des zwölften Jahrhunderts (wie Anm. 19), 142f. Geigers Position kommt hier der Ansicht moderner Maimonidesforscher nahe, die – unter dem Einfluss von Leo Strauss’ Esoteriktheorie – annehmen, Maimonides habe eine direkte Beteiligung Gottes am Empfang der Tora „zwischen den Zeilen“ des More bestritten. Vgl. etwa Howard Kreisel, „Maimonides on Divine Religion“, in Jay M. Harris (Hrsg.), Maimonides After 800 Years: Essays on Maimonides and His Influence (Cambridge: Harvard University Press, 2007), 151–166, hier 156.

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Auch ein Vergleich von Maimonides’ Theorie der Prophetie mit Geigers eigenen Aussagen zu diesem Thema bringt interessante Parallelen ans Licht. Sowohl Abraham Geiger als auch Heinrich Graetz fühlten sich im Zuge ihrer Darstellung der Geschichte des Judentums genötigt, an einem gewissen Punkt auf den prophetischen Ursprung des Judentums einzugehen, wie ihn die historischen Textquellen beschreiben. Beide Historiker hatten ihrem Publikum, nach ihrem eigenen Verständnis, eine moderne wissenschaftliche Erklärung des Phänomens der Offenbarung und der Prophetie anzubieten und schufen so die aus theologischer Sicht sicher interessantesten Abschnitte ihrer jeweiligen Werke.71 Für seine eigene Theorie des Prophetentums übernahm Geiger von Maimonides nur den strengen Intellektualismus der Erklärungen im More, ohne auf die langen Phasen erzieherischer Vorbereitung einzugehen, die Maimonides für einen wahren Propheten für notwendig hielt. Geiger verweist in seiner Untersuchung der Prophetie eher auf eine widersprüchliche Passage aus Maimonides’ Einleitung zum Führer, in der Offenbarung als eine unerwartete, blitzartige göttliche Erleuchtung beschrieben wird. Judentum, so führt Geiger nun weiter aus, „ist eine solche Religion der Offenbarung, die aus solchen göttlichen Blicken erstanden und das Geschaute zu einem Ganzen verbunden hat“.72 Was allerdings die für Maimonides so wesentliche lange Lernphase betrifft, die später im More als Voraussetzung für das Teilhaben an solchen göttlichen Visionen verlangt wird, so schließt sich Geiger hier erneut lieber Jehuda HaLevi an als Maimonides: Das ganze jüdische Volk trägt in sich die Anlage zur Prophetie, eine Anlage, die Israel auch selbst hervorgebracht hat, selbst wenn man Offenbarung als rein intellektuellen Akt versteht. Diese seltsame Synthese aus More und Kusari versucht HaLevis Annahme eines inhärenten „genetischen“ Unterschiedes der Juden von den anderen Völkern mit Maimonides’ Theorie von einem überdurchschnittlichen Intellekt zu verbinden, der allein fähig sei, Offenbarung zu empfangen. Doch am Ende wird Geiger mit dieser Synthese nie71 Graetz, der sich der theologischen Schwierigkeiten mit der biblischen Geschichte Israels bewusst war, hob sich das Schreiben der ersten beiden Bände seiner Geschichte bis zum Schluss auf. Geigers Geschichte wurde von den Rezensenten gerade wegen der ersten fünfzig Seiten angegriffen; vgl. Geigers offenen Brief an Heinrich Julius Holtzmann, in Das Judentum und seine Geschichte von der Zerstörung des zweiten Tempels bis zum Ende des zwölften Jahrhunderts (wie Anm. 19), 185ff. Zur Holtzmann-Kontroverse vgl. Susannah Heschel, Der jüdische Jesus und das Christentum: Abraham Geigers Herausforderung an die christliche Theologie, übersetzt von Christian Wiese (Berlin: Jüdische Verlagsanstalt, 2001), 331–336. 72 Geiger, Das Judenthum und seine Geschichte bis zur Zerstörung des zweiten Tempels (wie Anm. 62) 35f.

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mandem gerecht: HaLevi lag nichts ferner als Eliten-Intellektualismus und Maimonides hat eine Beschränkung von Prophetie auf Israel immer abgelehnt.73 So bleibt Geigers Verhältnis zur Religionsphilosophie des Führers der Verwirrten bis zum Ende spannungsgeladen und geprägt von den Einflüssen des neunzehnten Jahrhunderts in Deutschland, wo sich die Wiederentdeckung des jüdischen Mittelalters erst langsam einen Weg in die Reformtheologie bahnen musste. Geiger war nicht daran interessiert, die philosophischen Grundlagen der jüdischen Religion, vor allem den strikten Monotheismus, herauszuarbeiten und damit auf dem Gebiet universeller philosophischer Wahrheiten bei Maimonides einen Anknüpfungspunkt zu finden, der eine zukunftsorientierte Interpretation des Judentums gerechtfertigt hätte. Andererseits war Geiger Maimonides’ rationalistische Erklärung des Mosaischen Rechts nicht konsequent genug, um in seinem Versuch, den Zugang zur Halacha neu zu definieren, auf den More zurückgreifen zu können. Dennoch kommen sich insgesamt die Positionen beider Denker oft so nahe, dass man fast von einer verpassten Gelegenheit sprechen könnte.

73 Besonders in seinem Sendschreiben in den Jemen betonte Maimonides, die Glaubwürdigkeit eines Propheten hänge weniger von seiner Religion ab als vom Inhalt seiner Botschaft.

Abraham Geiger as Historian of Medieval Judaism Marc Saperstein I. Preparing this article has been a significant challenge for me. I rarely accept invitations to speak or write on topics that I know little about. And I confess at the outset that Abraham Geiger was one such topic. Indeed, in more than 30 years of academic lecturing, I would say that of all the topics I agreed to speak on, this was the subject I knew the least about when I agreed. Of course I was aware of his role in the development of German Reform Judaism, from works such as Gunther W. Plaut’s Rise of Reform Judaism and Michael Meyer’s Response to Modernity. I had read New Perspectives on Abraham Geiger, papers given at an HUC-JIR Symposium on the occasion of the one hundredth anniversary of his death.1 I was fascinated by Susannah Heschel’s Abraham Geiger and the Jewish Jesus soon after it appeared in 1998, and I had found much interesting material in Ismar Schorsch’s From Text to Context: The Turn to History in Modern Judaism.2 But to give a lecture on Geiger at the Abraham Geiger College and the University of Potsdam in a series of other lectures delivered by scholars who really work on this topic – that was an 1

2

Gunther W. Plaut, The Rise of Reform Judaism: A Sourcebook of its European Origins (New York: World Union for Progressive Judaism, 1963); Michael A. Meyer, Response to Modernity: A History of the Reform Movement in Judaism (New York and Oxford: Oxford University Press, 1988); Jakob J. Petuchowski, ed., New Perspectives on Abraham Geiger: An HUC-JIR Symposium (Cincinnati: Hebrew Union College Press, 1975): this volume contains articles by Michael A. Meyer on Geiger’s historical approach to Judaism, Nahum Sarna on his Biblical Scholarship, David Weiss-Halivni on Talmudic Criticism, and Jakob J. Petuchowski on Geiger as a Liturgist. Susannah Heschel, Abraham Geiger and the Jewish Jesus (Chicago: University of Chicago Press, 1998); Ismar Schorsch, From Text to Context: The Turn to History in Modern Judaism (Hanover N.H. and London: Brandeis University Press by University of New England Press, 1994).

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altogether different matter. While an article on Geiger as preacher would fit the broad subject of most of my research and publication over the past 30 years,3 I decided to focus on the period of my original academic training and to devote my attention to Geiger as a historian of medieval Judaism, “medieval” in the broader chronological sense to include the sixteenth and first half of the seventeenth century (which most of us would now call the early modern period). As far as I could tell, this is not an area that has received much academic study. To be honest, I was not really aware of what Geiger had written about medieval Judaism when I began my project, beyond the material in the second part of his 1864– 1865 course of lectures called Das Judenthum und seine Geschichte.4 What I have discovered in the course of preparation has been a true education for me, and the personal element will appear frequently. I began my preparation by re-reading the passages from Abraham Geiger that Michael Meyer included in his anthology Ideas of Jewish History. Looking specifically at his treatment of the medieval period, I confess that I reacted with considerable dismay. In his “General Introduction to the Science of Judaism,” a series of lectures delivered very late in his career (1872–1874) at the Hochschule für die Wissenschaft des Judentums in Berlin, the period from the end of the Talmud to the middle of the eighteenth century is presented almost entirely in negative terms. This third period of Jewish history (following the biblical and rabbinic eras) is characterized by toilsome preoccupation with the heritage as it then stood. The spiritual heritage was guarded and preserved, but no one felt authorized to reconstruct it or develop it further. No one dared to go beyond the limits set long before. This was the period of rigid legalism (starre Gesetzlichkeit), of casuistry, the era which was devoted to the summing up of what had been handed down by tradition.5 3

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See the powerful, moving passage from an 1863 sermon on the 50th anniversary of the “Battle of the Nations” (Völkerschlacht) that I included near the beginning of my Jewish Preaching in Times of War, 1800–2001 (Oxford: Littman Library of Jewish Civilization, 2008), 3–4. Abraham Geiger, Judaism and Its History: In Two Parts, trans. Charles Newburgh (New York: Bloch, 1911). I have not been able to include a study of the third part of these lectures, in which Geiger takes his material beyond 1200 (Das Judentum und seine Geschichte in vierunddreissig Vorlesungen (Breslau: Jacobsohn, 1910). See Michael A. Meyer, Ideas of Jewish History (Detroit: Wayne State University Press, 1987), 170, taken from Geiger’s Lectures at the Academy for the Science of Judaism, Berlin 1873/74, translated by Max Wiener, Abraham Geiger and Liberal Judaism (Philadelphia: Jewish Publication Society, 1962), 156; from Abraham Geiger, Nachgelassene Schriften, ed. Ludwig Geiger, Vol. 2 (Berlin: Louis Gerschel, 1875), 64.

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These are generalizations about medieval Judaism to which I would give a rather negative assessment if I read them in an undergraduate history paper. Further on in the lectures, Geiger returns to this theme. Conceding that it was “a period of lively interest and participation on the part of Jews in general culture,” he insists that the Jewish intellectual energy was not “free and able to work on its own heritage and to transform it.” The negative language continues: it was an “era of inner legalistic rigidity in Jewish Law,” of “petrification” due to forces that made it “impossible to forge a new link in the chain of vital evolution,” centuries characterized by “paralysis of thought, brought about by the force of unfavourable circumstances”. “Thus tradition […] became more inflexible and rigid as the years went on.”6 Such broad, negative generalizations seemed to me to reflect the clichés of someone who simply did not know the material very well, someone who was creating an artificial construct in order to dramatize the dynamic changes introduced in the period of Mendelssohn and his followers. Nahum Sarna and David Weiss-Halivni had written that Geiger’s “supreme interest was the history of the Halakhah.”7 And Ismar Schorsch characterized his achievement as the scholarly detection of halakhic diversity and development. “He marshalled impressive evidence from a multiplicity of ancient sources to suggest halakhic innovation in response to new values and priorities.”8 Yet his description of the medieval period did not fit even my own limited knowledge of the dynamic elements in medieval halakhic writing: in responsa, in rabbinic and communal ordinances, occasionally even in codes. These dynamic elements would include Maimonides’ outline of the progressive modifications in Jewish bankruptcy law in his Mishneh Torah 9 and his responsum repudiating the repetition of the Amidah because of resulting lack of decorum in the synagogue service;10 Rashi’s responsum on Jewish 6 Wiener, Abraham Geiger and Liberal Judaism (see note 5), 168–69, taken from Geiger, Nachgelassene Schriften, Vol 2 (see note 5), 130. 7 Nahum Sarna, “Abraham Geiger and Biblical Scholarship,” in Petuchowski, ed., New Perspectives on Abraham Geiger (see note 1), 17–30, here 27; cf. David Halivni, “Abraham Geiger and Talmud Criticism,” in ibid., 31–41, here 31, 32. 8 Schorsch, From Text to Context (see note 2), 318–319. 9 Hilkhot Malveh ve-Loveh 2,1–4. The passage challenges Geiger’s statement in Judaism and its History that the construction of the Mishneh Torah prevents an historical approach, “For the idea of looking at things in their historic development was wanting in [Maimonides] as in the entire Middle Ages (!)” (342). To whatever extent this generalization may be valid, it certainly does not apply to this specific passage. 10 Geiger actually published his translation from the Arabic of this responsum in his early book Melo Chofnayim (Berlin: Fernbach, 1840), and included other responsa as well, but in the rest of his career he seemed uninterested in investigating this aspect

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status totally transforming the original Talmudic context of af al pi shehata Yisra’el hu (b. Sanh. 45a: “even though they have sinned, they are still Israel”) and applying it to justify the refusal to recognize “conversion” to Christianity,11 or the responsa of Judah ben Asher justifying non-halakhic procedures involving corporal punishment for violent acts because of the “needs of the time”; the abundant evidence of ordinances passed not only by recognized rabbinic authorities such as Rabbenu Gershom but also, perhaps even more important, by local communities in response to changing circumstances and new needs.12 Geiger was fascinated by the history of halakhah, yet it seemed as if he had paid little attention to halakhah and its development in the Middle Ages. Indeed, his characterization of this period appeared to me to be in tension with his fundamental approach to the history of Judaism. Repudiating fundamentalist dogmas, Geiger insisted that Judaism had constantly undergone a process of transformation impelled in part by internal spiritual development but also in response to changing historical conditions.13 Yet when it came to the Middle Ages, Geiger apparently wanted to apply to Judaism the model of a stagnant, arid medieval Christianity that was finally transformed by the Protestant Reformation.14 There appeared to be nothing of real interest for him in the Jewish culture of the Middle Ages, nothing worth intensive study.

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of medieval Jewish culture. His publication of Maimonides’ responsum was cited by Solomon Freehof, Modern Reform Responsa (Cincinnati: Hebrew Union College Press, 1971), 20–21. Jacob Katz, Halakhah ve-Kabbalah (Jerusalem: Magnes Press, 1984), 255–269. Note that in Judaism and Its History (see note 4), Geiger does indeed discuss the Ordinances of Rabbenu Gershom, presenting them as both exemplifying the true ethos of “Judaism” and a recognition of “the needs of their country,” i.e., the Christian context of monogamy. Indeed, he praises the “freshness” of the rabbis in Gershom’s synod, in contrast with “a later, narrow-minded Orthodoxy [that] would have found imitation of foreign custom in such action” (Geiger, Judaism and its History, 360). But he does not seem to recognize the local communal ordinances that played such a dynamic role in medieval Jewish life. Michael A. Meyer, “Abraham Geiger’s Historical Judaism,” in Petuchowski, ed., New Perspectives on Abraham Geiger (see note 1), 3–16, here 5. Cf., however, the even more extreme generalization about Christianity in Geiger, Judaism and Its History (see note 4), 392: “Christianity has closed up eighteen centuries ago, has kept away every further movement, fought it at all times and still fights it today, not only in its greater part, Catholicism, but also in the smaller part of Christendom which has granted some room to historic development, Protestantism, where in theological circles the ruling so-called orthodoxy fights the modern as its worst enemy.” Here the contrast between Judaism and Christianity is emphasized. And note also the formulation in his 1869 sermon “the Soul of Israel”: after the spirit

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The lectures incorporated into Judaism and Its History reveal a considerably more expansive and nuanced picture. To be sure, this is not a “History of the Jews” (Geschichte der Juden), as Graetz was writing, but a cultural history (Geistesgeschichte) of Judaism. There is virtually nothing about Jewish legal status under Islam and Christianity, or about Jewish self-government. Virtually no attention is given to the economic life of the Jews.15 Internal Jewish conflicts (such as the Karaites versus Rabbanites over the regulation of the calendar,16 or Saadia Gaon versus the Exilarch David ben Zakkai,17 are given short shrift – though more attention would be devoted to the conflicts over the work of Maimonides and the study of philosophy in his later lectures.18 Messianic movements from the period of early Islam and the Crusades are conspicuous by their absence. The focus is on Jewish cultural creativity; on this topic he covers the ground rather fully, especially with regard to the Islamic environment.19 There are occasionally elements of condescension that seemed unbecoming even for a writer of such brilliant intellect as our author. The Karaites were not advocates of progress but antiquarians, “the spiritual and corporeal descendants of the Sadduccees,” who “achieved nothing important in explaining the Scriptures.”20 Geiger certainly did not think very highly of the Geonim during the first centuries of Islam, perhaps because some of their most important work was not known at the time

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of Judaism became separated from the political state, “Israel’s soul blossomed and entered into all parts of the world; and now the strength of Israel has proved itself everywhere. […] Even in the darkest days, there was an inner strife and stirring which preserved the real life of Israel in strength and vigor […] and was it not in the darkest ages that the brightest luminaries shone forth from Israel, of all peoples?”; Meyer, Ideas of Jewish History (see note 5), 171–172; Wiener, Abraham Geiger (see note 5), 262; cf. Abraham Geiger, “Israel‘s Geistesleben. Predigt gehalten in der neuen Synagoge zu Wiesbaden am Sabbathe, den 24. August 1869,” in Abraham Geiger, Nachgelassene Schriften, ed. Ludwig Geiger, Vol. 1 (Berlin: Louis Gerschel, 1875), 434–444, here 438ff. This seems like a rather different characterization of the medieval period than the negative formulations in his lectures a few years later. There is a passing reference to a mid-12th century document by which a Jewish owner of real estate in southern France, Kalonymos ben Todros, sells all his manorial rights to the Commander of St Jean; Geiger, Judaism and Its History (see note 4), 372. Ibid., 267, 281. Ibid., 283. Geiger, Das Judentum und seine Geschichte (see note 4), 403–436. Perhaps not surprising given his original research interest, his treatment of Islam is far more comprehensive than his treatment of medieval Christendom. Geiger, Judaism and Its History (see note 4), 262, 264, 268.

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and would await the discoveries of the Cairo Geniza.21 Saadia Gaon is described as “possessing little mentally creative power,” though he had “broad and wide knowledge,” and in the end he is praised as “well worthy to be glorified, a man of valiant, untiring endeavour, of unbroken energy, and a mind filled with general knowledge.”22 The poetry of Samuel Ha-Nagid does not quite pass muster by Geiger’s exacting standards: if his poems “do not exhibit special genius, yet [they] are not without skill and fine expression in their [Hebrew] language.”23 But there are also medieval figures whom he deems worthy of unreserved praises. Hasdai ibn Shaprut was a “statesman of genius,” deservedly renowned for his diplomacy.24 Bachya ibn Pakuda is described with great sympathy as a man who deeply feels and examines the depths of the human heart, its true religious and moral requirements. […] A beautiful period that holds such a man.”25 Samuel ibn Nagrela Ha-Nagid, “an elevating character, […] shines to posterity as one of the most important scholars in many fields,” in addition to succeeding in his high position of Vizier in the Muslim principality of Granada.26 Solomon ibn Gabirol, given eleven full pages, a third of one lecture, is praised with great admiration: “towering high above his time,” he is “a poet whose poems are consecrated, full of thought, a thinker whose thoughts are poetically transfigured”.27 Judah Halevi is “an ornament of Judaism for all times.”28 The treatment of such figures sparkles with fine insights. Halevi was responsible for the novel conception that the sanctity of the land of Israel remained throughout the ages, even in its destruction – a view explicitly repudiated in the Babylonian Talmud.29 Abraham ibn Ezra 21 Ibid., 276. 22 Ibid., 276–277, 283. 23 Ibid., 305. Compare his significantly more negative assessment of the poetry of Moses ibn Ezra in his earlier work Tsitsim u-Ferahim: Me-Shirei Sefarad ve-Italya Nilkahim. Jüdische Dichtungen der spanischen und italienischen Schule (Leipzig: Leiner, 1856), 12: “Kaum einer seiner Dichtungen konnte ich den rechten Geschmack abgewinnen, dass sie mich zur Nachbildung gereizt hätte […] da fand ich den Gedanken weder tief noch klar, die Sprache weder rein noch durchsichtig.” 24 Geiger, Judaism and Its History (see note 4), 289–290. 25 Ibid., 302–303. 26 Ibid., 304–305. 27 Ibid., 305, 307. 28 Ibid., 323. 29 Ibid., 325–326. In this conception, Halevi was preceded by the Karaite writer Daniel al-Kumisi: cf. Leon Nemoy, Karaite Anthology (New Haven and London: Yale University Press, 1952), 34–39, a text not published until 1921. Yet Halevi asserted his position under more extreme historical circumstances than those in al-Kumisi’s time:

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was “the first humorous Jewish author.”30 Maimonides is presented in a manner that gives far more attention to his philosophical than to his legal work, and Geiger follows one exegetical tradition in detecting an esoteric character to the philosophical writing: in order to remain true to his philosophical beliefs without breaking the thread which joins him to the community, Maimonides uses “a form of expression which takes on a popular wrap but reveals his views perfectly to the truly intelligent” – with the result that the reader cannot always be certain which is his true inner intention.31 Geiger’s preference for the Muslim to the Christian context, characteristic of his contemporaries, is reflected in his transition from Spain to northern France and Germany: “From wide, high-vaulted halls, permitting the freest movement of the mind, I now lead you into low, narrow chambers, affording very limited distance to the view.”32 The period ending in 1200 is “a long desert with scantily wrung fruits, a dried-up scholarship, torturing dissection of uncomprehended ideas.”33 And this period was only the prelude to the “real degeneracy” of Christianity in the Middle Ages, following the year 1200.34 Thus in Judaism and Its History, Geiger’s treatment of Jewish culture in Christian Europe through the twelfth century is fairly perfunctory: Rabbenu Gershom, Rashi and several other French exegetes, Sabbato Donolo and Nathan of Rome from Italy; a few Talmudic scholars, the Kimchi family and the Ibn Tibbons from southern France. The Tosafists as legal scholars receive one sentence, and the emerging movement of German Pietism represented by Judah He-Hasid and Sefer Hasidim – characterized by Gershom Scholem as “the decisive event in the religious development of German Jewry”35 – is not mentioned at all. There is also a tendency toward overblown, hyperbolic generalizations about Christian Europe that few scholars would accept today, especially in the final lecture of his first series. His assertion that “the most significant philosophers of the Arabic era were actually Jews”

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the land of Israel was under the control of the Christians, who (unlike the Muslim rulers) prohibited Jews from living in Jerusalem. Geiger, Judaism and Its History (see note 4), 337–338. Ibid., 347. Ibid., 352. Ibid., 378. Ibid., 357. Gershom Scholem, Major Trends in Jewish Mysticism (New York: Schocken, 1941), 81.

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could hardly be defended by an unbiased evaluation.36 He makes Albertus Magnus and Thomas Aquinas overly dependent upon Maimonides, whose work they occasionally cited from a Latin translation, but who was not a major influence.37 The contrast between Jewish and Christian culture in northern Europe is something of an embarrassment: “While bishops and knights in the Dark Ages had fallen victim entirely to a hallowed ignorance and remained alien to the complex arts of reading and writing, these scattered remnants of the Jews never ceased to strive after spiritual development, [which] represented an intellectual activity that kept them alert and active. Ignorance was never canonised in Israel; at times scholarship may have been somewhat distorted, ingenuity misguided, and the intellect clothed in gaudy frills; but the intellect never ceased to be active. […] These products of thought and intellectual efforts are impressive and awe-inspiring.”38

Perhaps both anticipating and exaggerating the implications of Moritz Steinschneider’s magisterial book on Jewish translations of Greek and Arabic texts, he claims that the medieval Jews “carry those Greek works everywhere, and scatter the seeds of the new culture far and wide. From the Arabic they are translated into Hebrew, and from the Hebrew into the Latin and the various languages of Europe; only through that channel the works came to be known to medieval Europe, and they were the only mental and spiritual seed sown during that time of drought.”39 Coming to Italy, Geiger makes a totally unfounded claim about Immanuel of Rome: “We find, in a class with Dante (steht bald neben Dante), a Jewish poet, Immanuel. A close friend of Dante, and 36 Wiener, Abraham Geiger and Liberal Judaism (see note 5), 192; Geiger, Judaism and Its History (see note 4), 171; Geiger, Das Judentum und seine Geschichte (see note 4), 158. 37 Wiener, Abraham Geiger and Liberal Judaism (see note 5), 193: “Albertus Magnus copied the best of Maimonides in his writings and Thomas Aquinas borrowed a good deal from him”; Geiger, Judaism and Its History (see note 4), 171; Geiger, Das Judentum und seine Geschichte (see note 4), 158. 38 Wiener, Abraham Geiger and Liberal Judaism (see note 5), 192; Geiger, Judaism and Its History (see note 4), 169–170; Geiger, Das Judentum und seine Geschichte (see note 4), 156. 39 Geiger, Judaism and its History (see note 4), 171; Geiger, Das Judentum und seine Geschichte (see note 4), 158; cf. the formulation in Wiener, Abraham Geiger and Liberal Judaism (see note 5), 153; Geiger, Nachgelassene Schriften, Vol. 2 (see note 5), 40. The consensus among cultural historians today is that most of the Greek philosophical sources did not come into medieval Christendom by way of Hebrew translations of Arabic texts, but by translations directly from the Arabic or (in the Eastern Empire) directly from the Greek.

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intimately associated with him. […].”40 Needless to say, Immanuel was neither a friend of Dante’s, nor remotely “in a class” with him. This truly seemed to me like the work of a scholar who had set out to cover a designated period of time, but whose interest – and probably knowledge – was waning toward the end, especially when he turned to Christian Europe. From these overviews, I would certainly not have ranked Geiger as having made any contribution to the history of Judaism in the Middle Ages. And then I began to look at his more specialized work. Allow me to speak personally about how Geiger’s scholarship turned out to be unexpectedly relevant to my own academic research. My MA rabbinic thesis, written in 1971–72, was a new reading of the well-known Kulturkampf relating to the study of non-Jewish philosophical texts, which embroiled the Jewish communities of southern France and Aragon in the middle of the first decade of the fourteenth century. This culminated in the ban of excommunication pronounced over those who studied such texts before the age of 25, promulgated by one of the leading rabbinic authorities of the age, R. Solomon ben Abraham ibn Adret, Rashba. In studying the primary sources relating to this controversy, I discovered among the protagonists a man named Levi ben Abraham of Villefranche in Languedoc. Although he was a rather prolific author (though much of his work has not survived intact), he had no official position in the Jewish community, but moved frequently, serving as a private tutor, occasionally for substantial patrons. From the perspective of the traditionalists, including Rashba, he was one of the villains, accused of spreading heretical doctrines in his work, “placing a stumbling block on a well-trodden path.”41 His defenders insisted that there was nothing at all heretical about his work. At that time, I had no access to anything that Levi had actually written, or any need for it. Three or four years later, I was working on my doctoral dissertation on the manuscripts of a massive philosophical commentary on the 40 Wiener, Abraham Geiger and Liberal Judaism (see note 5), 193; Geiger, Judaism and Its History (see note 4), 172; Geiger, Das Judentum und seine Geschichte (see note 4), 158f. Cf. Geiger, Tsitsim u-Ferahim: Me-Shirei Sefarad ve-Italya Nilkahim (see note 23), 58, where the more moderate formulation is made: Immanuel was “also a poet in the spirit of his older contemporary Dante and his younger contemporary Boccaccio.” 41 Abba Mari of Lunel, Sefer Minhat Qena’ot (Pressburg: Verlag Anton Edlen v. Schmidt, 1838; Jerusalem 1968), 51. An expanded version of one part of the rabbinic thesis was published as “The Conflict over the Rashba’s Herem on Philosophical Study: A Political Perspective,” Jewish History 1 (1986), 27–38, with reference to Levi ben Abraham in fn. 23.

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aggadot of the Talmud and of the Midrash Rabbah, written by a previously unknown scholar from southern France. In this context, the work of Levi ben Abraham became directly relevant, because he resorted to allegorical interpretations of rabbinic aggadot in a manner similar to that of my author, and I copied by hand, from the microfilm of a Vatican Library manuscript in Jerusalem, many passages in which the allegorical approach even to passages of a messianic character is pronounced.42 At that time – the mid-1970s – I knew of nothing by Levi that was available in print. Only in the last generation have scholars such as Colette Sirat, Gad Freudenthal, Warren Harvey and especially Howard Kreisel begun serious academic investigation and publication of his work, recognizing that the opus of a controversial encyclopaedic popularizer, even thought not a profound original thinker writing for the intellectual elite, is indeed worthy of serious investigation.43 It was not until I started looking into Geiger’s œuvre that I discovered to my surprise and delight, that in 1853 he had published in Hebrew a significant study of Levi ben Abraham, based on a manuscript of Levi’s encyclopaedic work Livyat Hen that he found in the Munich Library as Hebrew Manuscript 58.44 Much of the article is a summary of the most 42 See Marc Saperstein, Decoding the Rabbis: A Thirteenth-Century Commentary on the Aaggadah (Cambridge, MA and London: Harvard University Press, 1980), 117– 18, 207. 43 Colette Sirat, “Les différentes versions du Livyat Hen de Levi b. Abraham”, Revue des Études Juives (= RÉJ) 122 (1963), 167–177; Gad Freudenthal, “Sur la partie astronomique du ‘Liwyat Hen’ de Lévi ben Abraham ben Hayyim,” RÉJ 148 (1989), 103–112; Warren Harvey, “Levi ben Abraham of Villefranche’s Controversial Encyclopedia,” in Steven Harvey, ed., The Medieval Hebrew Encyclopedias of Science and Philosophy (Dordrecht: Kluwer Academic Publishers, 2000), 171–188; Howard Kreisel, ed., Leviyat Hen: Ha-Helek ha-Shelishi min ha-Ma’amar ha-Shishi, Ma’aseh Bereshit (Jerusalem: World Union of Jewish Studies, 2004); Howard Kreisel, ed., Leviyat Hen le-Rabi [sic!] Levi ben Avraham: Ekhut ha-Nevu’ah ve-Sodot ha-Torah (Beersheba: Ben-Gurion University Press, 2007). 44 The article was published in Hehalutz 2 (1853), 12–27; this Hebrew periodical, under the editorship of the maskil Joshua Heschel Schorr, was modelled after Geiger’s Wissenschaftliche Zeitschrift für jüdische Theologie. According to Schorsch, “Geiger not only inspired much of Schorr’s research agenda, but graced the periodical with his own contributions; From Text to Context (see note 2), 325. Heinrich Graetz refers to Geiger’s article and the additions published four years later in Otsar Nehmad 7 (1857), 94–98, but only by the journal, year and page, without citing its author: Geschichte der Juden, 11 vols. (Leipzig: O. Leiner, 1873), Vol. 7, 238, fn. 2: “Verg. über denselben [Levi ben Abraham]: Carmoly, La France israélite p. 46ff., S. Sachs, Kerem Chemed VIII, p. 198f., Chaluz II, p. 17f. Ozar Nechmad II. p. 94f.” and similarly p. 239 fn. 2. For Graetz’s ongoing feud with Geiger, see Schorsch, From Text to Context (see note 2), 279–281; whether there was a consistent reluctance by Graetz to mention Geiger by name in his historical writing deserves investigation. The orig-

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interesting passages, including allegorical interpretations not only of rabbinic aggadot (e.g. about demons) but of narratives about the Patriarchs and about Moses. This is followed by some biographical material: Geiger presents Levi as a popular philosophical preacher who aroused the opposition of a minority of intolerant traditionalists. He praises Levi as one of the very first who recognized that Maimonides’ Guide contained an esoteric meaning that was often in tension or conflict with commonly accepted Jewish doctrine: “almost the first who with bold spirit fathomed the profound words of Maimonides, removed the veil spread over them, and revealed their secret.”45 He then provides some fascinating examples of later rabbis quoting from the manuscripts of Levi’s work.46 Needless to say, before the days of Google Book searches, this kind of information reveals extremely wide reading in Jewish sources. Finally, Geiger added a paragraph on the nineteenth-century scholarship – Elyakim Carmoli, Leopold Zunz, and Leopold Dukes, before highlighting his own discovery. I also discovered to my great delight that Leo Baeck had published an early study entitled “Zur Charakteristik des Levi ben Abraham” in the Monatsschrift für Geschichte und Wissenschaft des Judenthums of 1900.47 Here was indeed an individual who united various aspects of the ideology of Progressive Judaism: a commitment to the truth that comes from the general culture (in his case, philosophy from the Arabic and Islamic ambience as mediated through Maimonides), alongside a sustained interest in and rigorous reading of biblical and rabbinic texts based on the assumption that they still have something to teach us, and I might add the willingness to hold true to his values despite the vehement attacks of the traditionalist establishment. Another figure on whom I had worked and to whom Geiger devoted considerable energy was the well-known Venetian rabbi Leon Modena. One of the most colourful, versatile and prolific rabbis of his time, his work suffered a prolonged eclipse for some two hundred years. As inal Hebrew article and the additions were republished in Samuel Poznanski, ed., Kevutsat Ma’amarim (Geiger’s Gesammelte Abhandlungen in hebräischer Sprache) (Warsaw: Verlag Tuschiyah, 1910), 254–284. 45 Cf. Harvey, “Levi ben Abraham of Villefranche’s Controversial Encyclopedia” (see note 43), 178 n. 26, based on the Hechalutz article, 21. 46 Including the Provençal Jacob ben David, writing in Naples around the year 1490, Abravanel, and Moses Almosnino, in his collection of sermons published only at Venice in 1588. 47 Leo Baeck, “Zur Charakteristik des Levi ben Abraham ben Chajim,” Monatsschrift für Geschichte und Wissenschaft des Judenthums [= MGWJ] 44 (1900), 24–41, 59–71, 156–167, 337–344, 417–423.

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a contemporary scholar puts it, “Following his death, Modena’s name withdrew from the foreground of rabbinic consciousness and indeed of Jewish intellectual history. […] Modena’s writings were not disseminated: almost none of his Hebrew printed works were reprinted and neither were his manuscript works recopied.”48 This neglect began to be redressed by the pioneers of Wissenschaft des Judentums. Ari Nohem, Modena’s polemical attack against Kabbalah, repudiating its claim to be an ancient doctrine from the rabbinic period, was published by Julius Fürst in 1840.49 Sha’agat Aryeh, a refutation of a work called Kol Sakhal attributed to an unknown figure who lived around the year 1500 challenging the rabbinic tradition, was published by the Italian rabbi Isaac Samuel Reggio in 1852. Geiger’s book-length study of Modena was published four years later.50 From this point on, every Jewish historian covering Italian Jewry gave significant attention to Modena’s work.51 Geiger’s study includes 63 pages of his own German text and 34 pages of Hebrew texts by Modena, written in small type, 40 lines to the page. This consists of three works. The first is Magen ve-Tsinnah, composed of 11 questions sent to Venice from Hamburg by someone who challenged the observance of tefillin and an aspect of circumcision, followed by Modena’s responses in defense of the Talmudic tradition. The other two texts were published only in incomplete excerpted versions. Magen va-Herev is a strong anti-Christian polemic; Geiger published an introduction and a summary of the content from the text

48 David Malkiel, “Leon Modena and His World: Past, Present, and Future,” in David Malkiel, ed., The Lion Shall Roar: Leon Modena and His World (Jerusalem: Magnes Press and Ben-Zvi Institute, 2003), 7–15, here 8. Geiger’s introduction to his book Leon da Modena (see note 50) seems to be the source for Malkiel’s statement, referring to Modena’s work as neglected except for Riti and Ari Nohem on Kabbalah (48–49). 49 Geiger discusses this work within the tradition of anti-Kabbalistic literature in his study cited in the following footnote, German section, 12–15; cf. 53 n. 3: a critique of the 1840 edition, with a list of textual corrections. See now Yaacob Dweck, The Scandal of Kabbalah: Leon Modena, Jewish Mysticism, Early Modern Venice (Princeton: Princeton University Press, 2011), 227–228. 50 Abraham Geiger, Leon da Modena: Rabbiner zu Venedig 1571–1648, und seine Stellung zur Kabbalah, zum Thalmud, und zum Christenthume (Breslau: J. U. Kern, 1856). 51 Ibid., 9. Malkiel describes Geiger’s book as the climax of “the fascination with Modena as a proto-modern critic of medieval rabbinic culture”; cf. Malkiel, “Leon Modena and His World,” (see note 48), 9.

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copied by Reggio from a copy written by Modena’s grandson.52 Hayyei Yehudah is Modena’s now famous autobiography, printed from Reggio’s copy made from Modena’s own autograph text.53 Why was this material of interest to Geiger? Reggio had already argued that Kol Sakhal, the heretical attack on rabbinic tradition to which Modena provided a response, was actually written by Modena himself, his response just a cover, strong enough to deflect suspicion, but not strong enough to overshadow the brunt of the attack. This would have provided a model for a respected rabbi, who had functioned in a major Italian community, but who could not accept the entirety of the rabbinic literature as authentic tradition emanating from Sinai. Geiger accepted Reggio’s claim and took this approach one step further, arguing that the heretical questions purportedly coming from Hamburg at the beginning of Magen ve-Tsinnah were also written by Modena.54 On this last issue, Geiger turned out to be wrong. Texts discovered generations later have shown that they were indeed written by Uriel da Costa, and reflected his genuine challenge to the practices of the contemporary Jewish community.55 This is an example of ingenious argumentation by Geiger eventually refuted by the discovery of new texts. The authorship of Kol Sakhal has remained a bitterly contentious issue among scholars to the present, and respected twentieth-century scholars have continued to argue that Modena was the author.56 It is interesting to note that Ellis Rivkin z”l, who early in his career wrote one of the strongest attempts to refute Modena’s authorship of this strong challenge to tradition and to defend Modena’s traditionalism regarding the rabbis, later became a professor of Jewish history at Hebrew Union 52 Geiger, Leon da Modena (see note 50), Hebrew section 10b-11a; cf. the edition of Magen ve-Herev, edited by Shlomo Simonsohn (Jerusalem: Mekitsei Nirdamim, 1960), 5–6. 53 Geiger, Leon da Modena, Hebrew section, 15a, Mark R. Cohen, The Autobiography of a Seventeenth-Century Venetian Rabbi: Leon Modena’s Life of Judah (Princeton, NJ: Princeton University Press, 1988), xvi, fn. 4. 54 Geiger, Leon da Modena (see note 50), German text, 25–29, beginning with a German summary of the 11 heretical theses. 55 Ellis Rivkin, Leon da Modena and the Kol Sakhal (Cincinnati: Hebrew Union College Press, 1952), 108, citing Carl Gebhardt, ed., Die Schriften des Uriel Da Costa (Heidelberg et al.: Winter et al., 1922), 22–26, 248–249; Herman Prins Salomon, Introduction to Uriel da Costa, Examination of the Pharisaic Traditions (Leiden: Brill, 1993), 11–12; unlike Rivkin, Salomon is highly appreciative of Geiger’s argument given the sources available to him. 56 For a review of the scholarly literature on this question, see Talya Fishman, Shaking the Pillars of Exile: “Voice of a Fool”: an Early Modern Jewish Critique of Rabbinic Culture (Stanford: Stanford University Press, 1997), 3–8.

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College, Cincinnati. Geiger apparently wanted to claim Modena as a pre-cursor for Reform; Rivkin obviously had no interest in doing so. Thus we have here an interesting test case as to whether in this particular instance, Geiger’s careful reading of the work of Leo Modena led to conclusions informed not by academic objectivity but rather by an ideological agenda. Here is how a recent study puts it: Geiger portrays Leon Modena as “a noble and precocious figure, ‘the first modern Jew,’ and not a little tragic. Had Modena lived but two centuries later, Geiger laments, Lessing would have immortalized him, and he would have been able to openly take the reformist position of his more liberated ideological descendants.”57 It is one thing to select figures for research with whom one feels a natural affinity; it is quite another to allow one’s interpretation of texts to be influenced by a conclusion one would like to see because it would be useful in contemporary conflicts. On Geiger’s reading of Modena, I suppose that the jury is still out, although the most recent study of the matter, by Talya Fishman, rejects Rivkin’s analysis and supports Geiger’s conclusion that Modena was indeed the author of Kol Sakhal.58 Similar to Geiger’s interest in Modena was his investigation of the younger contemporary Joseph Solomon Delmedigo (“YaSHaR miKandia”), 1591–1655.59 Geiger published the full text of Delmedigo’s letter to a Karaite, Zerah ben Nathan of Troki, to which he had been given access by a contemporary Karaite scholar. The critical comments 57 Ibid., 4, citing Geiger, Leon da Modena (see note 50), 44, 52–53. See the Foreword to the book. Fishman notes that the critique of the authority of rabbinic tradition in the Kol Sakhal was not based on contemporary critical methodologies or modern sensibilities external to the texts, as was Geiger’s critique, but rather from within. 58 For two earlier literary models for presenting potentially heretical questions or ideas, for which the author may possibly have had some sympathy, but providing what appear to be conclusive responses or rebuttals, see Marc Saperstein, “The Method of Doubts: Problematizing the Bible in Late Medieval Jewish Exegesis,” in Jane Dammen McAuliffe, Barry D. Walfish, and Joseph W. Goering, eds., With Reverence for the Word: Medieval Scriptural Exegesis in Judaism, Christianity, and Islam (New York and Oxford: Oxford University Press, 2003), 133–156, and my discussion of the scholastic “disputed question” as a form in medieval Jewish sermons, in Marc Saperstein, Jewish Preaching 1200–1800 (New Haven and London: Yale University Press, 1989), 395–397, and Marc Saperstein, “Your Voice Like a Ram’s Horn”: Themes and Texts in Traditional Jewish Preaching (Cincinnati: Hebrew Union College Press, 1996), 84–86, 200–207. 59 Abraham Geiger, Melo Chofnayim [“Two Full Fistfulls,” Eccles. 4:6]; German Part 1–95 (Biographie Josef Salomo del Medigo’s, dessen Brief an Serach ben Nathan, enthält einen kurzen Leitfaden der hebräisch-jüdischen Literaturgeschichte), Hebrew part 1–29 (Berlin: Fernbach, 1840); cf. Abraham Geiger, Nachgelassene Schriften, Vol 3., ed. Ludwig Geiger (Berlin: Louis Gerschel, 1875), 1–33.

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in this letter relating to Kabbalah and to the rabbinic literature (especially the aggadah) led Geiger to conclude that his more ambiguous statements in other works should be interpreted accordingly, and that Delmedigo, like Modena, was a sceptic regarding the rabbinic tradition. The conclusion of a modern study of Delmedigo reflects fairly closely that of Geiger: Delmedigo’s critique of Kabbalah and rabbinic Judaism is “neither open nor direct; it is nonetheless obvious and infallible.”60 I will mention more briefly four other areas of Jewish cultural creativity that I have worked on at various stages of my professional life, in all of which I now discovered that Geiger had done pioneering work.

II. 1. Exegesis My research has used exegesis in a manner that reflects the following statement by Geiger: “In der Erklärung der biblischen Urkunden prägt sich am schärfsten das religiöse Bewusstsein der Zeit aus” (“In the interpretation of biblical sources, the religious consciousness of the time finds its expression most clearly”).61 My own research has focused primarily on allegorical interpretations of biblical and rabbinic texts, reading into those texts meanings that would demonstrate the ultimate consistency between divine revelation and the truths that come through human reason, and on homiletical interpretations that apply ancient texts to contemporary challenges. Geiger was more fascinated by the attempt of some medieval Jewish exegetes to liberate themselves from the Midrashic reading of the Bible and uncover its original meaning, the peshat. Everyone knows of Rashi’s commentary to the Torah and other biblical books. Considerably less well known is that Rashi did not work in a vacuum: there were a group of contemporaries and followers from northern France, some of them from his own household, who also were deeply engaged in biblical exegesis. Geiger became extremely 60 Isaac Barzilay, Yoseph Shlomo Delmedigo, Yashar of Candia: His Life and Times (Leiden: Brill, 1974), 305; also 42, 100, 169, 241. On the significance of Geiger’s publication of Delmedigo’s letter, see David B. Ruderman, Jewish Thought and Scientific Discovery in Early Modern Europe (New Haven and London: Yale Univeristy Press, 1995), 128–129. 61 Abraham Geiger, Parschandatha: Die nordfranzösische Exegetenschule. Ein Beitrag zur Geschichte der Bibel-Exegese und der jüdischen Literatur (Leipzig: Schnauss, 1855), 6, citing his earlier Nit’ei Na’amanim (see below, fn. 62).

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interested in the tendency which their comments exemplified to liberate themselves from a dependence on rabbinic Midrash, and t0 uncover the simple meaning, peshat, of the biblical text. But unlike Rashi’s commentaries, which had been printed among the very first printed books in Hebrew, this material was not readily accessible, even in manuscript. In many cases it was a matter of gathering comments attributed to specific individuals from later literature that quoted them: a needle in haystack project. Geiger began this task in 1843 of gathering comments by Joseph Kara as quoted by later writers, and published the results four years later under the title Nit’ei Na’amanim (Isa.17:10 “delightful saplings”).62 The project continued, and reached its culmination with the publication of Parschandatha: Die nordfranzösische Exegetenschule. This was the first of his Hebrew texts that I encountered, and I was surprised and strongly impressed by a fluid Hebrew style that has much more in common with twentieth-century Hebrew academic writing than with the highly florid style of contemporary literary figures writing in Hebrew.63 The first chapter presents Hebrew passages from Saadia’s Arabic commentary on Job, based on citations by French exegetes, derived largely from a Munich MS (Number 5) of Rashi’s biblical commentary with additional comments by Joseph Kara citing his teacher, including many comments by Saadia on Job.64 The second chapter is devoted to Menachem ben Helbo, according to Geiger the first and greatest of the French commentators according to the peshat, whose work had been lost but was being reconstructed by Geiger and his contemporaries from later citations. The third chapter is on Menachem’s nephew Joseph Kara, with the material in Geiger’s earlier book supplemented with new content from several Munich manuscripts. The fourth chapter is largely devoted to Samuel ben Meir (Rashbam), who had also been treated in Nit’ei Na’amanim, with material also on Joseph Bekhor Shor. The entire book reveals evidence of lively scholarly interchanges between 62 Nit’ei Na’amanim: Kovetz Inyanim Shonim me-Kitvei Yad Noshanim; Sammlung aus alten schätzbaren Manuscripten (Breslau, n.p., 1847). This rare book is not listed in the HUC or Harvard Judaica collections, but is in the National Library in Jerusalem. 63 Cf Schorsch, From Text to Context (see note 2), 325: “Despite his preference of German in prayer as well as scholarship, Geiger wrote Hebrew with rare felicity. […].” 64 Lenn Evan Goodman’s recent English translation of Saadia’s Arabic commentary on Job – The Book of Theodicy: Saadia’s Translation and Commentary on the Book of Job (New Haven and London: Yale University Press, 1988), contains no mention of these medieval Hebrew citations or anything about a medieval Hebrew version of the work.

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Geiger and colleagues in current periodicals; he appears to be part of a community of scholars actively publishing and interacting in a manner that advances knowledge through the discovery of new material. 2. Poetry I started my academic work as an undergraduate in the field of English literature, and in my MA programme at the Hebrew University in 1969– 1971, I studied not only medieval Jewish history but also medieval Hebrew poetry with Ezra Fleischer, Dan Pagis and Aharon Mirsky. Virtually every page of my four volumes of Hayim Schirman’s HaShirah ha-Ivrit be-Sefarad u-ve-Provence is filled with my own notes of reactions to the poetry. I knew that German Jewish scholars in the early twentieth century had translated some of the poems from the Golden Age: Franz Rosenzweig’s edition of Halevi’s Zionslieder was a paramount example. But I had not imagined how much work Geiger had devoted to this poetry. Michael Sachs had written earlier (1845) on Die religiöse Poesie der Juden in Spanien, but Geiger was one of the first to treat the secular poetry. Perhaps not surprisingly, the approach is biographical and thematic, with little sophisticated literary analysis. Somewhat more surprisingly, given his knowledge of Arabic, there is little effort to compare with the Arabic poetry that influenced the Jewish poets so profoundly. A significant component of his publications is devoted to the selection and translation of the poems. I am not equipped to pass judgment on the literary character of the translations; I can say, however, that they appear to reflect considerable effort to present them in an appropriate German rhyme scheme. I have looked at three of Geiger’s small books dedicated to the poets and their work. He began with Divan des Castiliers Abu’l-Hassan Juda Ha-Levi,65 with extensive translations of the poetry related to episodes and themes in the poet’s life. Five years later came a book on Spanish and Italian Hebrew poetry, with 63 pages in German, and 36 pages in Hebrew, beginning with a long passage from the 18th chapter of Alharizi’s Sefer Tahkemoni on the flourishing of Spanish Hebrew poet-

65 Abraham Geiger, Divan des Castiliers Abu’l-Hassan Juda ha-Levi. Nebst Biographie und Anmerkungen (Breslau: J. U. Kern, 1851); Geiger, Nachgelassene Schriften, Vol. 3 (see note 59), 97–177.

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ry in the eleventh century). The Italian material includes the Mahberot of Immanuel ha-Romi, the “friend of Dante” mentioned earlier.66 To illustrate one aspect of Geiger’s approach as a scholar, I would call attention to a single note to the Hebrew text of a passage from Immanuel’s Mahberot. On page 32 of the Hebrew texts, there is a Hebrew phrase “ve-al asher he’emin […].” The note at the bottom of the page reads (in Hebrew): “In the printed editions of Brescia and Constantinople (I do not have access to the Berlin edition): ve-khol [asher he’emin].” Now, the Mahberot of Immanuel was indeed printed in Brescia 1492, Constantinople 1535, and Berlin 1796.67 It is rather amazing that Geiger somehow had access to the texts of the first two editions, one of which is an extremely rare incunabulum, and would check the readings of a single word.68 Near the beginning of this work, Geiger writes that he is undertaking a full study of Solomon ibn Gabirol, and he will therefore pass him over quickly. The full study appeared twelve years later: Salomo Gabirol und seine Dichtungen 69 : 147 pages, including a 13-page introductory treatment of Gabirol’s predecessor Samuel ha-Nagid, “Vizir and Poet,” with 30 pages of notes (including textual comments). As with all his work on the poets, there are extensive German translation of the poems. This was not an area where Geiger was to make ground-breaking new discoveries or present novel theories or interpretations. But his achievement in making this body of material accessible to a German reading public was significant. 3. Jewish Polemical Literature In my work at the Hebrew University, I first came across a late fourteenth to early fifteenth-century Spanish Jewish writer named Profiat Duran, also known as Ephodi because of his work Ma’aseh Ephod.70 Especially compelling was a much shorter work by Ephodi called “Al 66 Tsitsim u-Ferahim: Me-Shirei Sefarad ve-Italya Nilkahim (see note 23). For the reference to Dante, see above at note 40. 67 Dov Yarden, Mahberot Emmanuel ha-Romi, 2 vols. (Jerusalem: Mosad Bialik, 1957), 20–21 of the Introduction. 68 For the passage, see Yarden, Mahberot Emmanuel ha-Romi, Vol. 2, 515, line 92, reading ve’al. It is unclear to me which is the edition that Geiger was using for the Hebrew text that he published. 69 Abraham Geiger, Salomo Gabirol und seine Dichtungen (Leipzig: O. Leiner, 1867). 70 This was indeed the first text I studied with Isadore Twersky, during the autumn of 1973 in my doctoral program at Harvard. See Isadore Twersky, “Religion and Law,”

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Tehi Ka’avotekha” (“Don’t be Like Your Fathers”). Addressed to a friend who had converted to Christianity, it purports to be sympathetic toward his decision to convert to Christianity with all its unusual doctrines, but of course it is a biting satirical attack, one of the most celebrated works in the literature of Jewish polemics. I was startled to discover that Geiger was the first to publish this work (“from ancient manuscripts”), and 25 years later devoted 3½ pages of his lectures on Judaism and its History to a full translation.71 Geiger also published (from a sixteenth-century text, with variant readings), a similar work by a contemporary of Ephodi, the Hebrew poet Solomon Bonafed of Saragossa.72 I should mention in passing Geiger’s interest in Karaites, and especially the classic apologeticpolemic work Hizzuk Emunah by Isaac of Troki, the subject of another of his path-breaking studies, published in 1853.73

in S. D. Goitein, ed., Religion in a Religious Age (Cambridge, MA: Association for Jewish Studies, 1974), 69–82, esp. 75–77. 71 Geiger, Melo Chofnayim (see note 59), 42–50 (see Frank Talmage, Kitvei Pulmus le-Profet Duran [Jerusalem: Merkaz Zalman Shazar, 1981], Introduction, 30); Frank Talmage, “The Polemical Writings of Profiat Duran,” in Frank Talmage, Apples of Gold in Settings of Silver: Studies in Medieval Jewish Exegesis and Polemics (Toronto: Pontifical Institute of Mediaeval Studies, 1999), 281–297; Geiger, Das Judentum und seine Geschichte (see note 4), 482–485. 72 Solomon Bonafed was witness to the spectacular Disputation of Tortosa and the wave of conversions to Christianity that followed in its wake. When one of the converts wrote a Hebrew epistle to a former friend, trying to convince him to follow suit, Bonafed (perhaps influenced by Ephodi) responded in rhymed prose, powerfully attacking such central Christian doctrines as vicarious atonement, Incarnation, transubstantiation, and the Trinity, and especially the claim that with the coming of Jesus the world has been redeemed. Geiger in Qovets Vikkuhim (Breslau: n.p. 1844); Frank Talmage, “The Francesc de Sant Jordi–Solomon Bonafed Letters,” in Frank Talmage, Apples of Gold (see note 71), 253–280; Yitzhak Baer, A History of the Jews in Christian Spain, 2 vols. (Philadelphia: Jewish Publication Society, 1961–1966), Vol. 2, 218–224. 73 Abraham Geiger, Isaak Troki: Ein Apologet des Judenthums am Ende des sechzehnten Jahrhunderts (Breslau: J. J. Kern, 1853); see Geiger, Nachgelassene Schriften, Vol. 3 (see note 59), 178–223. Other works reflecting this interest are Proben jüdischer Vertheidigung gegen christliche Angriffe im Mittelalter (Breslauer Jahrbuch 1 and 2 (1850–1851), showing that Jews were aware of Christian arguments and felt need to respond, and Abraham Geiger, Die Stellung des Judenthums zum Christenthum im dreizehnten und vierzehnten Jahrhundert. Offenes Sendschreiben an den evangelischen Oberkirchenrath in Berlin. (Breslau: Schletter, 1871).

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4. Southern France The Jewish community of southern France was relatively neglected in scholarly work in comparison with the great communities of Spain, (northern) France, Germany, Poland and Italy. Until near the end of the thirteenth century it was politically and culturally quite distinct from the kingdom to the north, speaking a different language, with greater affinities to Barcelona than to Paris. Its Talmudic-centered culture was transformed by the arrival of immigrants from the Iberian Peninsula beginning the middle of the twelfth century who had access to the riches of Judeo-Arabic civilization, and began a process of making these available to the native population through a massive programme of translation. This was the area of special interest for my own mentor, Isadore Twersky, and it became the context for my doctoral dissertation. In addition to his work on Levi ben Abraham, I was thrilled to discover that Geiger had written detailed biographical studies of one of the most significant families that played a major role in this transition: the Kimhis, best known by David Kimhi, Radak, whose commentaries to the Prophets are printed in the standard Mikra’ot Gedolot, but whose father Joseph – the well-spring of biblical exegesis in southern France – and his older brother Moses were also significant figures.74 These men are relevant to two of the themes mentioned above: exegesis and polemic literature.

III. Conclusion Let me offer some conclusions about Geiger as Historian of Medieval Judaism. First: we must remember that this was not his paramount interest. His first book was on the origins of Islam; his heart was in the biblical period, followed by the rabbinic period, and of course he was deeply engaged with controversial issues of contemporary Judaism. Despite this, looking at the range of his publications on the medieval and early modern Judaism – excluding even his path-breaking study on the influence of Judaism on early Islam – I would conclude that this constitutes a dossier of scholarly productivity that would be a source of pride for 74 Abraham Geiger, Qevutsat Ma’amarim: Gesammelte Abhandlungen in hebräischer Sprache (Berlin: Louis Gerschel, 1877), 186–243. Frank Talmage, a leading expert on Radak, refers to Geiger as “the Kimhis’ biographer”, cf. David Kimhi: The Man and the Commentaries (Cambridge, MA and London: Harvard University Press, 1975), 8.

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any professor of Jewish Studies today at the end of a full career. Adding to these works his profound books on biblical and Talmudic texts, this is a record that would inspire only admiration and envy. Secondly, this was scholarship not limited to the well-trodden tracks. Yes, Geiger wrote significant studies of Maimonides and Judah Halevi, but he wrote more about a host of lesser known figures who were far more representative of the Jewish community than were the intellectual giants towering over the masses. Many contemporary scholars (myself included) are focusing more on such secondary figures – we can see this in comparing histories of Jewish philosophy over the past three or four generations, from Julius Guttmann and Isaac Husik to the present – and noting how many more figures appear in the recent works. In his investigations of expressions of Jewish creativity below the pinnacles, Geiger appears quite contemporary. Thirdly, Geiger seemed to have been passionately committed to the discovery, analysis and publication of texts. In the days before the Makhon le-Tatslumei Kitve-Yad in Jerusalem, before microfilming and digitization, much of his work entailed travel to libraries or visits to individuals and copying out by hand either selected passages or full texts for publication. The characteristically florid and often hyperbolic generalizations that I have cited earlier become perhaps more tolerable when we remember that they are the words of someone who spent countless hours hunting for citations of a little-known French exegete, or copying the texts of unpublished manuscripts by Leon Modena. Geiger was not simply a man of broad generalizations that fit his Weltanschauung; he was also a man committed to make the texts that are the fundamental building blocks for an intellectual edifice accessible to educated Jewish readers. Fourthly, the range of genres with which he dealt is truly impressive. Today we tend toward specialization: it is unusual to find someone writing authoritatively about both the poetry and the technical philosophy of Solomon ibn Gabirol or Judah Halevi, both the biblical exegesis and the halakhic methodology of the Tosafists. Geiger’s range was prodigious. As far as I can tell, the only major medieval genre he did not research in detail was halakhah, though his magisterial competence in this field for the earlier period is beyond question. Finally, and perhaps most important of all: Let us never forget that alongside all of this prodigious scholarship, Geiger was a congregational rabbi, who had the commitments and responsibilities that go with such a position. Ismar Schorsch emphasized this aspect of Geiger’s career: “Without a doubt, Geiger looms as the premier exemplar in the nineteenth century of the modern rabbi qua scholar.” His greatest pro-

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fessional achievement, according to Schorsch, was “to have preserved learning as the core of the modern rabbinate. If historical thinking was pioneered by intellectuals in flight from the traditional rabbinate, in the person of Geiger it was reunited with a transformed and rejuvenated type of rabbinic leadership.” Indeed, he demonstrated through his scholarly oeuvre the “religious relevance of historical research.”75 And that, I take it, should not at all be irrelevant to rabbinic education today.

75 Schorsch, From Text to Context (see note 2), 312, 319.

Die „Wissenschaft des Judentums“ als Gründerdisziplin der kritischen Koranforschung: Abraham Geiger und die erste Generation jüdischer Koranforscher* Dirk Hartwig Am 24. April 2010 veröffentlichte die Frankfurter Allgemeine Zeitung unter der Rubrik Belletristik einen Essay Stefan Weidners mit dem Titel: „Der Mensch ist nicht aus Tesafilm gemacht.“ Der Artikel rezensiert die kurz zuvor erschienene Koranübersetzung Hartmut Bobzins.1 In der Besprechung erfährt der Leser, der Koran sei gar kein Buch, sondern die „perfekte Gestalt eines Hypertextes avant la lettre“,2 der aus lauter Verweisen und Bezügen bestehe. Nach Weidner ist es genau die „hypertextuelle Struktur des Textes“, die eine Übersetzung – jedenfalls eine Übersetzung im gängigen Sinne – schwierig, wenn nicht unmöglich macht: Das, was aber am Koran unübersetzbar ist, ist in Wahrheit nichts anderes als das, was auch die Muslime nicht verstehen und über dessen Deutung sie streiten. Die dadurch bedingte Vielzahl der Auslegungen und möglichen Übersetzungen ist zugleich der natürliche Schutz des Korans vor allen einsinnigen Auslegungen. Nicht zuletzt die Vielzahl und die Unzulänglichkeit der Übersetzungen sind es, die das Bewusstsein wachhalten, dass wir es nur mit einer Übersetzung zu tun haben – ein Bewusstsein, das im Fall der Bibel ∗

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Dies ist die schriftliche Fassung eines Vortrages, der im Rahmen der Ringvorlesung „,Durch Wissen zum Glauben‘. Abraham Geiger und die Wissenschaft des Judentums“ am Abraham Geiger Kolleg und der Universität Potsdam am 14. Juni 2010 gehalten wurde. Er basiert teilweise auf einem Aufsatz, der an anderer Stelle veröffentlicht wurde; vgl. Dirk Hartwig, „Die Wissenschaft des Judentums und die Anfänge der kritischen Koranforschung. Perspektiven einer modernen Koranhermeneutik“, Zeitschrift für Religions- und Geistesgeschichte [= ZRGG] 61 (2009), 234–256. Hartmut Bobzin, Der Koran, aus dem Arabischen neu übertragen von Hartmut Bobzin unter Mitarbeit von Katharina Bobzin (München: C. H. Beck, 2010). Frankfurter Allgemeine Zeitung, 24. April 2010, Nr. 95.

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jahrhundertelang nicht existiert hat und heute noch bei allen Evangelikalen und Bibeltreuen so schwach ausgebildet ist, dass sie sich, ohne mit der Wimper zu zucken, auf Übersetzungen berufen, als wären diese vom Herrgott selbst autorisiert. Sie tun damit dasselbe, was die Fundamentalisten und die sich in ihnen spiegelnden sogenannten Islamkritiker mit dem Koran zu tun versuchen.3

Der interessierte Leser wird sich aber weiterhin fragen, wie man sich einem Text nähern kann, der keine abgeschlossene Sinneinheit ist (oder sein will), sondern ein (noch) „offener“ Text, der Debatten zur Zeit seiner Entstehung abbildet – ein Verweiszusammenhang, dessen Referenzen nicht ohne weiteres ersichtlich sind. Selbst wenn uns Gestalten aus der Hebräischen Bibel oder dem Neuen Testament begegnen, so sind sie doch „umfunktioniert“ und kommen uns daher nicht selten nur mäßig bekannt vor, da der Koran ein exegetisches Interesse verfolgt, das bei den biblischen Büchern so „noch nicht denkbar wäre“.4 Die Frage nach dem Koran ist nicht neu, sondern beginnt mit dem frühesten Auftreten des Islams auf der Bühne der Geschichte.5 So hielt unter anderem Johannes von Damaskus (ca. 655–750) den Islam für eine christliche Häresie arianischer Prägung;6 das heißt der Islam wurde als eine „unzureichende“ Version der christlichen Glaubenslehre verstanden, die es zu bekämpfen galt – auch hier war der Islam eine Herausforderung, diesmal eine theologische. Auch wenn die Einschätzungen über die Jahrzehnte nicht „freundlicher“ wurden, so wurde dennoch die Kenntnis des Islams auf eine grundlegend neue Basis gestellt, die den Koran nun theologisch – und aus Textkenntnis – zu widerlegen suchte. Bereits im Jahre 1143 fertigte Robert Ketenensis (ca. 1110–ca.1160) die erste lateinische Koranübersetzung an, die für Jahrhunderte die Basis einer jeden Beschäftigung mit dem Koran bildete.7 Erst Theodor Bibliander (1509–1564) veröffentlichte 1543 – eine zweite Auflage erschien 3 4 5 6

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Ebd. Angelika Neuwirth, Der Koran als Text der Spätantike. Ein europäischer Zugang (Berlin: Verlag der Weltreligionen, 2010), 564. Adel-Théodor Khoury, Der theologische Streit der Byzantiner mit dem Islam (Paderborn: Schöningh, 1969). Vgl. Daniel J. Sahas, John of Damascus on Islam: The „Heresy of the Ishmaelites“ (Leiden: Brill, 1972). Vgl. auch Reinhold Glei (Hrsg.), Schriften zum Islam. Von Johannes Damaskenos und Theodor Abu Qurra. Kommentierte griech.-dt. Textausgabe [Corpus Islamo-Christianum, Series Graeca 3] (Würzburg: Echter, 1995). Vgl. Thomas E. Burman, Reading the Qur’an in Latin Christianity, 1140–1560 (Philadelphia: University of Pennsylvannia Press, 2007); vgl. auch John V. Tolan, Saracens: Islam in the Medieval European Imagination (New York: Columbia University Press, 2002).

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bereits 1550 – eine erste abendländische Islamenzyklopädie unter dem Titel Machumetis Saracenorum principis eiusque successorum vitae ac doctrina ipseque Alcoran (Basel: J. Oporius 1543).8 Es ist besonders bemerkenswert, dass diese Ausgabe erst nach einem Disput gedruckt werden konnte, in dem der Reformer Martin Luther Partei für den Druck ergriff, aber nicht, weil er dem Islam wohlgesonnen war, sondern weil sie aus seiner Sicht das wichtigste Instrument der Bekehrung und Abschreckung bildete.9 So schreibt Luther etwa 1542 in seinem Schreiben an den Rat zu Basel, „das man den Mahmet oder Türken nichts verdrieslicheres thun, noch mehr schaden zu fugen kan (mehr denn mit allen waffen), denn das man yhren alcoran bey den Christen an den Tag bringe, darinnen sie sehen mugen, wie gar ein verflucht, schendlich, verzweifelt buch es sey, voller lugen, fabeln und aller grewel […].“10 Erst die Übertragungen ins Französische (1647) durch André Du Ryer (ca. 1580–1660) sowie ins Lateinische (1698) durch Ludovico Marraci (1612–1700) lösten diese erste Übersetzung ab, die dem Islam jede spirituelle Ebenbürtigkeit mit der Hebräischen Bibel und dem Neuen Testament absprach. Diese abwertende Sicht erklärt sich zum Einen aus der traditionellen Feindschaft gegenüber dem Islam, zum anderen aber aus der Tatsache, dass Europa sich neu erfand und sich letztlich als christlich definierte – diesem Denkmuster sind wir heute noch verhaftet, wenn wir von einem „jüdisch-christlichen“ Europa sprechen. Aber auch zur Zeit der sich schrittweise vollziehenden Aufklärung wurde der Koran nicht auf gleicher Augenhöhe mit dem biblischem Schrifttum betrachtet;11 abfällige Bemerkungen finden sich sowohl in der Encyclopédie ou Dictionaire raisonné des sciences, des 8 Vgl. Hartmut Bobzin, „Über Theodor Biblianders Arbeit am Koran (1542/3)“, Zeitschrift der Deutschen Morgenländischen Gesellschaft [= ZDMG] 136 (1986), 347– 363. 9 Vgl. Katja Vehlow, „The Swiss Reformers Zwingli, Bullinger and Bibliander and their Attitude to Islam (1520–1560)”, Islam and Christian-Muslim Relations 6 (1995), 229– 254. 10 Zitiert nach Ludwig Hagemann, Christentum contra Islam. Eine Geschichte gescheiterter Beziehungen (Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft, 1999), 36. Zum Islamverständnis Luthers vgl. auch Ludwig Hagemann, „Der Islam in Verständnis und Kritik bei Martin Luther“, Trierer Theologische Zeitschrift 103 (1994), 131– 151. Vgl. auch Hartmut Bobzin, Der Koran im Zeitalter der Reformation. Studien zur Frühgeschichte der Arabistik und Islamkunde in Europa (Beirut und Stuttgart: Steiner, 1995). 11 Vgl. Dietrich Klein und Birte Platow (Hrsg.), Wahrnehmung des Islams zwischen Reformation und Aufklärung (München: Fink, 2008); vgl. auch Ziad Elmarsafy, The Enlightenment Qur’an: The Politics of Translation and the Construction of Islam (Oxford: Oneworld, 2009).

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arts et des métiers von Denis Diderot (1713–1784) und Jean Baptiste le Rond d’Alembert (1717–1783) als auch im deutschen Pendant Grosses vollständiges Universal-Lexicon Aller Wissenschaften und Künste von Heinrich Zedler (1706–1751) – hier wären die Einträge „Orient“ und „Islam“ („Mahométisme“) einen eigenen Beitrag wert. Bereits die Aufklärung wandte sich dem vermeintlich politischen Islam zu – man denke etwa an das Konzept des islamischen Despotismus, wie er etwa in den „Persischen Briefen“ (Lettres persanes) von Baron de Montesquieu (1689–1755) dargelegt wird,12 für den er deckungsgleich mit der französischen Aristokratie war. Trotzdem oder gerade deshalb wurde das allgemeine Interesse am Islam geweckt, der jedoch zumeist nur als Projektionsfläche für erotische Fantasien der Europäer zu taugen schien. Erst zu Beginn des achtzehnten Jahrhunderts wurde der Koran in deutscher Übersetzung einem breiteren Publikum zugänglich gemacht. Diese Übersetzungen waren – wie schon die 1616 erschienene Übertragung von Salomon Schweiger (1551–1622) – Drittübersetzungen, das heißt sie wurden aus dem Englischen oder Lateinischen angefertigt. So etwa David Nerreter (1649–1726) im Jahre 1703, der Marracis Übersetzung zugrunde legte, oder auch Theodor Arnold (1683–1771), der sich noch 1734 an der englischen Übersetzung von George Sale (1697–1736) orientierte – diese Ausgabe wurde unter anderem von Johann Wolfgang von Goethe für seinen West-Östlichen Diwan verwendet. Es sei hier auch nur am Rande bemerkt, dass Goethe ein durchaus gespaltenes Verhältnis zum Koran hatte, wenn er etwa schrieb, dieser sei ein Buch, „das uns, so oft wir auch daran gehen immer wieder von neuem anwidert, dann aber anzieht, in Erstaunen versetzt und am Ende Verehrung abnötigt“.13 Eine erste deutsche Übersetzung des Koran aus dem arabischen Original wurde von David Friedrich Megerlin (ca. 1698–1778) 1772 unter dem Titel „Die türkische Bibel, oder der Koran“ herausgebracht, die die Polemiken der Kirche wiederspiegelte und (wahrscheinlich) auch von Goethe als „elende Produktion“ bezeichnet wurde.14 Ein 12 Michael Curtis, Orientalism and Islam: European Thinkers on Oriental Despotism in the Middle East and India (Cambridge und New York: Cambridge University Press, 2009), bes. 72–102. 13 Zitiert nach Stefan Leder, „Die Botschaft Mahomets und sein Wirken in der Vorstellung Goethes“, Oriens 36 (2001), 215–241, hier 234; vgl. auch Stefan Wild, „,Die schauerliche Öde des heiligen Buches‘. Westliche Wertungen des koranischen Stils“, in Christoph Bürgel und Alma Giese (Hrsg.), Gott ist schön und er liebt die Schönheit. Festschrift für Annemarie Schimmel zum 7. April 1992, dargebracht von Schülern, Freunden und Kollegen (Bern: Lang, 1994), 429–447. 14 Frankfurter Gelehrte Anzeigen, 22. Dezember 1772 (Rezension) – wahrscheinlich stammt sie von Goethe, der jedoch nicht namentlich genannt ist.

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Jahr später, schon 1773, kam eine Übersetzung des Quedlinburger Hofpredigers Friedrich Eberhard Boysen (1720–1800) heraus, die 1828 von Samuel Friedrich Wahl (1760–1834) noch einmal überarbeitet wurde. Sucht man nach einer „objektiven“ Koranlektüre, die den Text auf Augenhöhe mit anderen Traditionen, vor allem mit jüdischen, christlichen und anderen außereuropäischen Texten stellt, so kommt man nicht umhin, einen Blick auf die Entstehung der modernen Orientalistik zu werfen. Es war Johann Jacob Reiske (1716–1774), „der entgegen der traditionellen, theologisch motivierten Beschäftigung mit der arabischen Sprache versucht hat, die arabische Philologie als eine selbständige Wissenschaftsdisziplin zu etablieren“.15 Der „Märtyrer der arabischen Literatur“, wie sich Reiske selbst nannte,16 wurde Zeit seines Lebens wenig beachtet, und erst nach seinem Tod entstand eine moderne Orientalistik, die sich seit der Gründung der École spéciale des langues orientales vivantes im Jahre 1795 in Europa verbreitete. Das Institut, das schon bald nach seiner Gründung von Antoine Silvestre de Sacy (1758–1838)17 vertreten wurde, war Ausgangspunkt jeder Beschäftigung mit dem Orient, und auch Deutschland sandte Gelehrte nach Paris, um an der École spéciale zu studieren – nebenbei sei angemerkt, dass deutsche oder besser deutschsprachige Gelehrte überdurchschnittlich vertreten waren. Zu den wohl bedeutendsten deutschen Schülern gehörten Johann M. A. Scholz (1794–1852), Johann Gustav Stickel (1805–1877), Georg Friedrich Wilhelm Freytag (1788–1861), Johann Gottfried Ludwig Kosegarten (1792–1860), Heinrich Leberecht Fleischer (1801–1888), Gustav Leberecht Flügel (1802–1870) und Gustav Weil (1808–1889).18 Letzterer bekannte sich als einziger der hier genannten zum jüdischen Glauben und wurde 1861 als erster Jude Ordinarius an der Universität Heidelberg; wir werden noch einmal auf ihn zurückkommen. 15 Abbas Poya, „Ist das Tor des ,Igtih¯ ˘ ad‘ in der Islamwissenschaft geschlossen?“, in Abbas Poya (Hrsg.), Das Unbehagen in der Islamwissenschaft. Ein klassisches Fach im Scheinwerferlicht der Politik und der Medien (Bielefeld: transcript-Verlag, 2008), 243–262. 16 Vgl. Hartmut Bobzin, „Reiske, Johann Jacob“, in Allgemeine deutsche Biographie & Neue deutsche Bibliographie, Bd. 21 (Berlin: Duncker & Humblot, 2003), 391f., hier 392. Vgl. auch Sabine Mangold, Eine „weltbürgerliche Wissenschaft“ – Deutsche Orientalistik im 19. Jahrhundert (Stuttgart: Steiner, 2004), 29–34; Johann J. Fück, Die arabischen Studien in Europa. Bis in den Anfang des 20. Jahrhunderts (Leipzig: Otto Harrassowitz, 1955), 108–124. 17 Ebd., 140–157. 18 Zu Gustav Weil vgl. Wolfgang Heidenreich, „Weißer Kieselstein – schwarzer Obelisk. Erinnerung an den Sulzburger Orientalisten Gustav Weil [1808–1889]“, in Manfred Bosch (Hrsg.), Alemannisches Judentum. Spuren einer verlorenen Kultur (Eggingen: Ed. Isele, 2001), 318–328.

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Für unsere Zwecke – die Frage nach einer jüdischen Koranwissenschaft19 – sind in der dritten Generation vor allem die Schüler Georg Friedrich Wilhelm Freytags und Heinrich Leberecht Fleischers von Bedeutung: Zu den wichtigsten Schülern Freytags in Bonn20 zählten Heinrich Georg August Ewald (1803–1875), Lion Baruch [Ludwig] Ullmann (1804–1843) und Abraham Geiger (1810–1874) – die beiden letztgenannten waren jüdischen Glaubens. Zu den zahlreichen Schülern Fleischers zählten unter anderem Friedrich Delitzsch (1850–1922), Emil Kautzsch (1841–1910), Friedrich August Müller (1848–1892) und Ignaz Goldziher (1850–1921) – letzterer gilt gemeinhin als der bedeutendste jüdische Orientalist.21 Zumindest der Name Abraham Geiger ist in dieser Aufzählung auffällig, verbindet man ihn doch eher mit der „Wissenschaft des Judentums“ oder der jüdischen Reformbewegung im neunzehnten Jahrhundert.22 Die „Wissenschaft des Judentums“23 und die teilweise aus ihr hervorgegangene Reformbewegung forderten das deutsche Judentum auf, sich mit Tradition und Moderne auseinanderzusetzen und gegebenenfalls um Abwandlungen und Anpassungen des Gesetzes zu ringen – ein Kampf, der bis heute noch nicht vollends ausgetragen ist. Die Stoßrichtung der „Wissenschaft des Judentums“ war einem neuen Wissenschaftsideal verpflichtet und brach mit dem klassisch-jüdischen Lehrsystem, in dem das religiöse Lehrhaus die eigentliche „hohe Bil19 Es muss hier darauf hingewiesen werden, dass diese Frage schon einmal aufgeworfen wurde, vgl. dazu Martin S. Kramer (Hrsg.), The Jewish Discovery of Islam: Studies in Honor of Bernard Lewis (Tel Aviv: Tel Aviv University, 1999); vgl. auch Dirk Hartwig, Walter Homolka, Michael J. Marx und Angelika Neuwirth (Hrsg.), „Im vollen Licht der Geschichte“. Die Wissenschaft des Judentums und die Anfänge der kritischen Koranforschung (Würzburg: Ergon Verlag, 2008). 20 Zu Freytag vgl. Johann J. Fück, „Georg Wilhelm Freytag“, in Bonner Gelehrte. Beiträge zur Geschichte der Wissenschaften in Bonn 1818–1968 [150 Jahre Rheinische Friedrich-Wilhelms Universität in Bonn: Sprachwissenschaft] (Bonn: Bouvier, 1970), 293–295. 21 Zu Ignaz Goldziher vgl. Holger Preißler, „Ignaz Goldziher in Leipzig – Ein ungarischer Jude studiert Orientalistik“, Leipziger Beiträge zur jüdischen Geschichte und Kultur 3 (2005), 293–315; Peter Haber, Zwischen jüdischer Tradition und Wissenschaft. Der ungarische Orientalist Ignác Goldziher (1850–1921) (Köln, Weimar und Wien: Böhlau, 2006). 22 Vgl. Michael A. Meyer, Antwort auf die Moderne. Geschichte der Reformbewegung im Judentum (Köln, Weimar und Wien: Böhlau, 2000). 23 Vgl. Abraham Geiger, „Allgemeine Einleitung in die Wissenschaft des Judentums“, in Abraham Geiger, Nachgelassene Schriften, hrsg. von Ludwig Geiger, Bd. 2 (Frankfurt am Main: Gerschel, 1875), 233–242; vgl. auch Siegfried Ucko, „Geistesgeschichtliche Grundlagen der Wissenschaft des Judentums“, Zeitschrift für die Geschichte der Juden in Deutschland [= ZGJD] 5 (1935), 1–35.

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dung“ vermittelte – und dennoch hatten weltliche Belange dort kaum Raum. (Ein „radikal“ anderes Lehrsystem sollte erst 1920 durch das Jüdische Lehrhaus in Frankfurt am Main realisiert werden.) Durch eben solch ein Bildungssystem war auch Leopold Zunz (1794–1886) gegangen, der die Gründungsfigur der „Wissenschaft des Judentums“ werden sollte, namentlich die Samson-Schule in Wolfenbüttel, „ein düsteres Bet ha-midrasch (Lehrhaus) der primitivsten Art.“24 Diese in Zunz’ programmatischer Schrift „Etwas über die rabbinische Literatur“ (1818)25 eingeforderte neue Wissenschaftlichkeit bemühte sich, die gesamte Literatur der Juden zum Gegenstand der Forschung zu erheben.26 Dieses Wissenschaftsideal wurde später von Immanuel Wolf (1799–1847) noch näher bestimmt und ist auch heute noch Mahnung für Studierende: Sie [das heißt die Wissenschaft, DH] beginnt mit keiner vorgefaßten Meinung und ist unbekümmert um das letzte Resultat. Sie geht weder darauf aus, ihren Gegenstand in ein vortheilhaftes, noch in ein nachtheiliges Licht, in Beziehung auf die herrschenden Ansichten, zu setzen, sondern zeigt ihn auf, wie er ist. Die Wissenschaft ist sich selbst genug, ist an und für sich wesentliches Bedürfnis des menschlichen Geistes. Sie braucht daher keinen Nutzen außer sich zu bezwecken. Aber darum bleibt es nicht minder wahr, daß jede Wissenschaft nicht bloß auf andere Wissenschaften, sondern auch auf das Leben den bedeutendsten Einfluß übt […].27

Doch noch bevor sich die Zentren dieser neuen Wissenschaftstradition in Berlin („Hochschule für die Wissenschaft des Judentums“) und Breslau („Jüdisch-Theologisches Seminar Fraenckel’scher Stiftung“) grün24 Michael A. Meyer, Von Moses Mendelsohn zu Leopold Zunz. Jüdische Identität in Deutschland 1749–1824, übersetzt von Ernst-Peter Wieckenberg (München: C. H. Beck, 1994), 169. Vgl. auch Leopold Zunz, „Mein erster Unterricht in Wolfenbüttel“, Jahrbuch für jüdische Geschichte und Literatur [= JJGL] 30 (1937), 131–138. 25 Leopold Zunz, Etwas über die rabbinische Litteratur, nebst Nachrichten über ein altes bis jetzt ungedrucktes hebräisches Werk (Berlin: Maurersche Buchhandlung, 1818), wiederabgedruckt in in Leopold Zunz, Gesammelte Schriften, Bd. 1 (Berlin: Louis Gerschel, 1875), 1–31. 26 Für eine aufschlussreiche Darstellung des Wissenschaftsideals Leopold Zunz’ vgl. Meyer, Von Moses Mendelsohn zu Leopold Zunz (wie Anm. 24), 166–211; Giuseppe Veltri, „A Jewish Luther? The Academic Dreams of Leopold Zunz“, Jewish Studies Quarterly 7 (2000), 338–351. Vgl. auch Thomas Rahe, „Leopold Zunz und die Wissenschaft des Judentums“, Judaica 42 (1986), 188–199; Giuseppe Veltri, „Jewish Philosophy: Humanist Roots of a Contradiction in Terms“, in Giuseppe Veltri, Renaissance Philosophy in Jewish Garb: Foundations and Challenges in Judaism (Leiden und Boston: Brill, 2009), 11–38. 27 Zeitschrift für die Wissenschaft des Judenthums, hrsg. von Leopold Zunz, Berlin 1822, 18.

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den konnten, legte Abraham Geiger die Weichen für das zukünftige Curriculum der (Rabbiner-)Seminare.28 In dieses Lehrprogramm wurden später auch die verschiedenen Disziplinen der Orientalistik aufgenommen. In den Folgejahren bildete sich eine jüdische Koran-, Islamund Orientwissenschaft heraus, die sich – von den Rabbinerseminaren übergreifend – auf die universitäre Landschaft Deutschlands ausbreitetete und die auf fast allen Gebieten ihres jeweiligen Interesses bahnbrechende, oft noch heute gültige Referenzwerke zu verfassen vermochte: Man denke hier etwa an Hartwig Hirschfeld (1854–1934), Jacob Barth (1851–1914), Josef Horovitz (1874–1931), Isidor Scheftelowitz (1875– 1934), Ignaz Goldziher (1850–1921) und natürlich Heinrich Speyer (1897–1935). Doch noch ehe die letztgenannten Forscherpersönlichkeiten – hier nur eine kleine Auswahl – sich auf die Suche nach den Ursprüngen des Islams aufmachten, wurde die Frage bereits heftig diskutiert. 1866 wurde in der Monatsschrift für Geschichte und Wissenschaft des Judenthums (MGWJ), die mit Unterbrechungen von 1851 bis 1939 als führende deutschsprachige jüdische Wissenschaftszeitschrift erschien, eine Besprechung mit dem Titel „Der Einfluss des Judenthums auf die Entstehung und Ausbildung des Islams nach den neuesten Forschungen von Sprenger und Nöldeke“ gedruckt.29 Wollte Aloys Sprenger (1813– 1893) zeigen, dass der Koran sich in hohem Maße christlichen Traditionen verdankte, so zeigte Theodor Nöldeke (1836–1930), dass Sprenger zwar mit vielem recht hatte, in vielen Punkten jedoch den Einfluss des Christentums auf den Koran überbewertete. Die MGWJ schloss sich der Meinung Nöldekes an, der seit dem Erscheinen seiner Geschichte des Qorâns (1860) als ausgewiesener Koranforscher anerkannt war, und fasste die Problematik folgendermaßen zusammen: Wenn es daher klar auf der Hand liegt, dass Muhammed bei der Gründung des Islam sowohl vom Judenthum, wie vom Christenthum, wie von der heidnischen Religion der Araber beeinflusst worden, so ist doch die Frage nach dem Gerade des Einflusses, den eine jede der genannten Religionen ausgeübt, weit schwieriger zu beantworten, schwieriger schon deshalb, weil Muhammed das Entlehnte in der Regel umzugestalten und den Grundprincipien seines Religionssystems conform zu machen suchte, besonders aber, 28 Vgl. Christoph Schulte, „Über den Begriff einer Wissenschaft des Judentums. Die ursprüngliche Konzeption der Wissenschaft des Judentums und ihre Aktualität nach 175 Jahren“, Aschkenas 7 (1997), 277–302. 29 „Der Einfluss des Judenthums auf die Entstehung und Ausbildung des Islam nach den neuesten Forschungen von Sprenger und Nöldeke“, Monatsschrift für Geschichte und Wissenschaft des Judenthums [= MGWJ] 12 (1866), 441–455.

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weil Muhammed, wie aus mehreren Stellen des Korân deutlich hervorgeht, zu verschiedenen Zeiten, je nachdem ihm an Freundschaft der Bekenner der einen oder anderen Religionen mehr oder minder gelegen war, ihre Einrichtungen und Gebräuche annahm und später wieder verwarf.30

Die Referenztexte für das Koranverständnis sind zweifelsohne in der jüdischen und christlichen Tradition, in gewissem Maße auch in altarabischen paganen Überlieferungen zu suchen.31 Die ersten Hörer des Koran besaßen sicher Kenntnisse dieser Traditionen, da ohne sie der Koran gänzlich in einem leeren Raum stehen würde, ganz ohne Bezugspunkte. Es wundert daher wenig, dass es besonders jüdische Forscher waren, die die jüdische Tradition als Rüstzeug mitbrachten und jederzeit Legenden und Debatten aus Bibel, Targum, Talmud und Midrasch abrufen konnten, welche die Frage nach der Genese des Koran auf eine neue Diskussionsbasis stellten. Dem neuen Wissenschaftsideal verpflichtet, ließen sie polemische Tendenzen, die den Propheten Muhammad stets als Scharlatan, falschen Propheten, Lügner und Betrüger abgetan hatten, hinter sich und schonten auch die jüdische Tradition wenig. Einem jüdischen Studenten an der Universität Bonn gelang erstmals, und zwar in Beantwortung einer von Freytag für das Jahr 1832 gestellten Preisfrage, den Koran in einem jüdischen – oder besser rabbinischen – Koordinatensystem zu verorten, indem er nachzuweisen versuchte, was Muhammad aus dem Judentum aufgenommen hatte: dieser Student war Abraham Geiger.32 Abraham Geiger legte also 1832 beziehungsweise 1833 mit seiner Preisschrift „Was hat Muhammad aus dem Judenthume aufgenommen?“33 die Grundlage für die jüdische Koranforschung. 1834 sollte die Universität Marburg Geiger dafür auch noch die Doktorwürde zuer30 Ebd., 442. 31 Vgl. Julius Wellhausen, Skizzen und Vorarbeiten, Heft 3: Reste altarabischen Heidentums (Berlin: Reimer, 1887); neuerdings vgl. auch Tilman Seidensticker, „Sources for the History of Pre-Islamic Religion“, in Angelika Neuwirth, Nicolai Sinai und Michael Marx (Hrsg.), The Qur’an ¯ in Context: Historical and Literary Investigations into the Qur’anic ¯ Millieu (Leiden und Boston: Brill, 2009), 293–323. 32 Vgl. Jacob Lassner, „Abraham Geiger: A Nineteenth-Century Jewish Reformer on the Origins of Islam“, in Kramer (Hrsg.), The Jewish Discovery of Islam (wie Anm. 19), 103–136. 33 „Inquiratur in fontes Alcorani seu legis Mohammedicae eas qui ex Judaismo derivandi sunt“ (Bonn 1832). Deutsch, herausgegeben auf eigene Kosten Abraham Geigers „Was hat Mohammed aus dem Judenthume aufgenommen? Eine von der Königl. Preussischen Rheinuniversität gekrönte Preisschrift“ (Bonn: Selbstverlag, 1833). Eine zweite Auflage erschien in Leipzig 1902 (Nachdruck Berlin 2005 mit einem Vorwort von Friedrich Niewöhner).

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kennen.34 Bereits 1831 hatte er als Student und auf Anraten Freytags die Lektüre des Korans begonnen, die bereits zu diesem frühen Zeitpunkt auf die Preisschrift verwies. Es handelte sich dabei um eine Arbeit, die nur jemand mit einer fundierten rabbinischen Bildung ausfüllen konnte, und schon damals schien sich Freytag für Geiger entschieden zu haben. So schreibt Geiger am 29. April 1831 in sein Tagebuch, dass er am Ende seiner Studienferien nunmehr die ersten drei Suren des Korans gelesen habe. Und er fährt fort: Letzteres besonders auf Anrathen Freytag’s, der mir die Lektüre umsomehr anempfohlen hatte, da er wünschte als Preisaufgabe die Untersuchung ,über die jüdischen Quellen des Koran‘ aufzustellen, eine Arbeit, die ihm gerade für mich sehr geeignet schien. In der That habe ich zu dieser Arbeit grosse Neigung und darf für diesen Zweck eine ziemlich reiche Ausbeute erwarten, da sich überall Anklänge an das Judentum und zwar an das durch die Rabbinen und de märchenhafte Grillenfängerei morgenländischer Juden gestaltete finden.35

Tatsächlich erwies sich für Geiger die Lektüre von Sure 2 (al-baqarah) und Sure 3 (al ¯ ‘Imran) ¯ in Hinblick auf die aufgetragene Fragestellung als besonders ertragreich, da beide Suren aus Medina datieren.36 Bei einer Lektüre, die nicht durch spätere Kommentare getrübt ist, erkennt man mit der „richtigen“ Vorbildung rabbinische Debatten wieder, mit denen der Verkünder erst in Medina in Kontakt gekommen sein kann, da Juden erst dort eine gesellschaftliche Realität bildeten – gerade durch diesen Kontakt (und Konflikt) wurde er genötigt, klare Grenzen zwischen den Juden und der entstehenden Gemeinde zu ziehen, die sich zunehmend als Gottesvolk verstand und damit das traditionelle Israel abzulösen beanspruchte.37 Im Vorwort zur deutschen Ausgabe seiner – ursprünglich auf Lateinisch verfassten – Preisschrift (1833) beschrieb Geiger seine Herangehensweise, die zunächst nicht mehr war als „purer“ Zufall. Es sollte ein „glücklicher“ Zufall werden: 34 Auch Silvestre de Sacy nahm Notiz vom der Abhandlung Geigers und lobte sie in einer ausführlichen Besprechung im Journal des Savants (1835, 162–174). 35 Abraham Geiger, Nachgelassene Schriften, hrsg. von Ludwig Geiger, Bd. 5 (Berlin: Louis Gerschel, 1878), 38f. 36 Vgl. Theodor Nöldeke, Geschichte des Qorân (Göttingen: Dieterichsche Buchhandlung, 1860), 121–174. Insbesondere zu Sure 2 und 3 vgl. auch Abraham Katsh, Judaism in Islam: Biblical and Talmudic Background of the Koran and its Commentaries, Suras II and III (New York: Bloch Publishers, 1952). 37 Zur Gemeindebildung in Medina vgl. Neuwirth, Der Koran als Text der Spätantike (wie Anm. 4), 510–560.

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Die Hülfsmittel, mit denen ich diese Arbeit unternahm, waren bloss der nackte arab. Text des Koran nach Hinckelmann’s Ausgabe,38 nach welcher daher auch citiert ist, Wahl’s Uebersetzung und eine vertraute Bekanntschaft mit dem Judentume und dessen Schriften. Eine Abschrift aus dem Commentar des Beidhawi zum Korane über einige Stellen der zweiten und dritten Sure, die sich H. Prof. Freitag gemacht und mir nach seiner gewohnten Güte zur Benutzung überliess, war das einzige ausserkoranische Hülfsmittel. Ich hatte dadurch den Vortheil, den Blick frei zu haben und nicht gerade theils durch die Brille arab. Commentare die Stellen anzusehn, theils auch die Ansichten späterer arab. Dogmatiker und ihre Erzählungen ihrer Historiker im Korane finden zu wollen; ich hatte aber auch ausserdem die Freude, manche dunkle Andeutungen selbständig aufgefunden und richtig bezogen zu haben, sowie mich später arab. Schriften belehrten.39

Geigers Anliegen und die Struktur seines Werkes lassen sich am besten mit den Worten Ludwig Geigers (1848–1919)40 zusammenfassen, der nicht nur als Sohn und Biograph Abraham Geigers in die Geschichte eingehen sollte: In der Abhandlung wurde der Einfluß des Judentums auf Mohammed als bewiesen vorausgesetzt, in einer ersten Abteilung die Fragen beantwortet, ob Mohammed aus dem Judentum etwas aufnehmen wollte, ob er dies konnte und durfte, alle drei Fragen wurden in Hinblick darauf, daß der Stifter der neuen Religion mit dem Judentume bekannt war, es schätzte und auch durch die Stimmung der Zeitgenossen zu einer solchen Benutzung angeregt wurde, bejaht. In der zweiten Abteilung wurden die einzelnen aus dem Judentum entlehnten Gedanken, Glaubensansichten, sittlichen und gesetzlichen Bestimmungen und Lebensmeinungen sowie namentlich die mannigfachen Geschichten aufgezeichnet, die der Koran aus der Bibel entnahm. In einem kurzen Schluß wurde sodann gezeigt, daß trotz dieser Entlehnung der Koran viele biblische Gebräuche und Vorschriften, besonders die Speiseverbote, bestreitet.41

Abraham Geiger sieht den Propheten Muhammad also nicht mehr – wie in der christlichen Polemik üblich – als Betrüger, Scharlatan und Lügner, sondern versteht ihn als „wirklichen Schwärmer“, der „von 38 Gemeint ist hier Abraham Hinckelmann (1652–1695), dem man lange Zeit die erste Druckausgabe des arabischem Koran zuschrieb: Al-coranus sive lex islamatica Muhammedis (Hamburg: Schultze-Schiller, 1694) [Anmerkung des Verfassers]. 39 Geiger, Was hat Mohammed aus dem Judenthume aufgenommen? (wie Anm. 33). V. 40 Zu Ludwig Geiger vgl. Hans-Dieter Holthausen, „Ludwig Geiger (1848–1919)“, Menora. Jahrbuch für deutsch-jüdische Geschichte 2 (1991), 245–265. 41 Ludwig Geiger, Abraham Geiger. Leben und Lebenswerk (Berlin: Reimer, 1910; ND Berlin: Jüdische Verlagsanstalt, 2001), 17.

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seiner göttlichen Sendung überzeugt“ war.42 Aber die „vorurteilsfreie“ Beschäftigung mit dem Koran – und dem Islam – hatte einen nicht zu unterschätzenden Nebeneffekt, wie Susannah Heschel zu Recht hervorgehoben hat: „In gewisser Weise wurde der Islam zur Schablone, mit der sie der deutschen Umwelt das Judentum nahebringen konnten. Durch ihre Studien zur Rationalität der rechtlichen wie ethischen Traditionen des Islams sowie durch ihre Bewunderung für einen Monotheismus und seine Zurückweisung des Anthropomorphismus lieferten jüdische Gelehrte eine Erklärung für die rationale und ethische Grundlage der jüdischen Halacha und die Bedeutung seines Eintretens für den Monotheismus.“43 Auch wenn die Aussage Heschels wohl weit über die bloße Koranforschung hinausgeht, so kann doch kein Zweifel daran bestehen, dass der strenge Monotheismus des Islam – welcher dem christlichen Dogma der Trinität gegenübersteht – eine starke Anziehung auf die jüdischen Forscher ausübte; und manche Juden wurden von der Universalität des Islams sogar so sehr in seinen Bann gezogen, dass sie konvertierten. Auch Chaim Noll, dem hier im Einzelnen nicht gefolgt werden kann, möchte das Interesse der Juden am Islam als Identitätsfindung inmitten einer feindlich gesinnten Umwelt verstehen und kommt so zu einer anderen Bewertung: „Da das Judentum die spirituelle Grundlage von Mohameds Monotheismus war, da überhaupt biblisches Gedankengut das Milieu bestimmte, in dem der Koran entstand, bedeutete Geigers, Goldzihers und anderer Juden Hinwendung zur Erforschung des Koran in Wahrheit einen Schritt in Richtung jüdischer Selbsterforschung.“44 Vielleicht ist das nicht ganz von der Hand zu weisen, doch spielen hier eine Reihe weiterer Faktoren eine Rolle, die die Hinwendung jüdischer Forscher zu Koran- und zur Islamforschung bedingten. John M. Efron hat bisher als einziger ein überzeugendes Bild gezeichnet, 42 Geiger, Was hat Mohammed aus dem Judenthume aufgenommen? (wie Anm. 33), 35. Vgl. dazu Nicolai Sinai, „Orientalism, Authorship, and the Onset of Revelation: Abraham Geiger and Theodor Nöldeke on Muhammad and the Qur’an“, in Hartwig, Homolka, Marx und Neuwirth (Hrsg.), „Im vollen Licht der Geschichte“ (wie Anm. 19), 145–154. 43 Susannah Heschel, „Die Wissenschaft des Judentums und der Islam – ein Vorbild für Deutschland im 21. Jahrhundert“, Vortrag gehalten am 6. Juli 2009 anlässlich der Eröffnung des Kollegiums Jüdische Studien an der Humboldt Universität zu Berlin; vgl. auch Susannah Heschel, „Revolt of the Colonized: Abraham Geiger’s Wissenschaft des Judentums as a Challenge to Christian Hegemony in the Academy“, New German Critique 77 (1999), 61–85. 44 Chaim Noll, „,Ein Fall weltgeschichtlichen Plagiats‘. Jüdische Sichtweisen auf den Koran“, Zeitschrift für Geschichtswissenschaft 12 (2007), 1020–1036.

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das diese Hinwendung erklärt, indem er die folgenden Faktoren nennt: “(1) the desire of Jewish Orientalists for Jewish civil equality through emancipation; (2) their rejection (often virulent) of Orthodox Judaism; (3) their antipathy to Christianity; and (4) their Islamophilia which saw them tirelessly promote the idea of a genuine Muslim-Jewish symbiosis”.45 Alle diese Faktoren lassen sich bei den jüdischen Koranforschern und Orientalisten mal mehr, mal weniger ausgeprägt finden. Für Geiger aber war vielleicht ein anderer Punkt noch wichtiger, nämlich dass sich Christentum und Islam gleichsam „organisch“ aus der jüdischen Offenbarungslehre entwickelten – und eben darin sah Geiger die lebendige spirituelle Kraft des Judentums, die auch im Islam ungetrübt wirksam war. In Geigers Worten stellt sich das etwa so dar: Im Allgemeinen war seiner Hauptabsicht nicht nur eine Entlehnung früherer Religionsansichten nicht fremd, sondern verband sich im Gegentheile ganz innig mit ihr. Er verlangte keine Eigentümlichkeit, kein neues, alles frühere umstossendes Gebäude aufzurichten, sondern im Gegentheile ein solches, das die Grundzüge alles Früheren, gereinigt von dem, was später Menschenhände hineingetragen oder geändert hatten, umfasse, bloss den einen oder den andern Punkt, so vorzüglich sein Prophetenthum, mitaufnehme. Er lässt alles Frühere vollkommen bestehen.46

Die Rolle, die hier dem Reformator Muhammad zukommt, kann ohne größere Probleme auch auf Abraham Geiger selbst übertragen werden, insofern „eben auch das Reformjudentum nicht eine pauschale Ablehnung des traditionellen Judentum anstrebte als vielmehr eine Wiederentdeckung der im Judentum schon immer enthaltenden liberalen Tendenzen“, wie Klaus Herrmann überzeugend gezeigt hat.47 Noch deutlicher tritt dieser Punkt in einer Rezension zu Aloys Sprengers Buch Das Leben und die Lehre Mohammads aus dem Jahre 1862 hervor. Dort schreibt Geiger: Der Islam ist die jüngste große Religion, nicht – eine neue Religion. Es gibt blos eine Religion der Offenbarung, das Judenthum. Das Christenthum ist im Mutterschoße dieser Religion getragen, der Islam mittelbar von ihr 45 John M. Efron, „From Mitteleuropa to the Middle East: Orientalism through a Jewish Lens“,The Jewish Quarterly Review 94 (2004), 490–520. 46 Geiger, Was hat Muhammad aus dem Judenthume aufgenommen? (wie Anm. 33), 30. 47 Klaus Herrmann, „Das Bild des Islam im Reformjudentum des 19. und frühen 20. Jahrhunderts“, in Annelies Kuyt und Gerold Necker (Hrsg.), Orient als Grenzbereich? Rabbinisches und außerrabbinisches Judentum (Wiesbaden: Harrassowitz, 2007), 217–247, hier 222; oder auch Efron, „From Mitteleuropa to the Middle East“ (wie Anm. 45).

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gesäugt und genährt worden. Das Judenthum war eine neue, ist die Religion. Es hat gegenüber den Phantasmen des Heidenthums und der Unzulänglichkeit der Speculation durch intellectuelle Anschauung – und das ist ja Offenbarung – die ewigen religiösen Wahrheiten erfaßt, sie mit der ganzen Gluth der Ueberzeugung erfüllt und verbreitet, und diese Wahrheiten bleiben in ihrem festen Bestande trotz allen Anfechtungen und Zweifeln. Das Christenthum und der Islam haben die Erscheinungsform des Judenthums, wie sie gerade zur Zeit ihrer Entstehung sich dargestellt hatte, zum Theile aufgenommen, zum Theile modifiziert und so eine eigenthümliche Form aufgestellt, ohne eine neue Religion zu gründen. Wir können der Geschichte des Judenthums folgen, aber seine Geburtsstunde nicht belauschen. Wie eine jede neue Idee tritt es hervor als ein Plötzliches, als eine geniale Geburt, es ist empfangen; der weiteren Arbeit, die sich dann daran knüpft, können wir mit forschendem Blicke nachgeben. Die anderen Religionen sind aus den zeitlichen Verhältnissen, aus der Umgebung erzeugt, wir können und müssen die ganze Gährung genau beobachten, aus der dann die feste Gestalt in’s Dasein getreten. Gerade diese Zeit der Gährung, die Entstehung des Christenthums und des Islams ist ein Moment der Geschichte, der Verbreitung des Judenthums; hat die neue Religionsform ihre feste Gestalt gewonnen, so durchläuft sie eigenthümliche Bahnen, sie hat sich von ihrer Wurzel losgelöst.48

Auch wenn Geiger dem Islam nur wenige Jahre später „ethische Dürftigkeit“ zuschrieb, konnte er dennoch von dessen reformatorischer und belebender Kraft reden. Durch die islamische Hochkultur wurde auch das Judentum von dieser reformatorischen Kraft ergriffen, ihm wurde gleichsam neues Leben eingehaucht: Der Islam ist religiös und ethisch dürftig und nüchtern, und dennoch wuchs er, in eine frische Volksthümlichkeit eingeimpft, ebenso zu einer staatlichen wie geistigen Macht heran. Er bemächtigte sich rasch aller geretteten geistigen Erbstücke aus der griechischen Rüstkammer und er vermochte es, die Wissenschaften zu einer neuen Blüthe zu bringen, wenn auch ohne wesentliche Förderung, so doch dem Geiste alte Nahrung zugänglich machend. Es war ein befreiender Rauch, der auch in das Judenthum frisch belebend eindrang […] und es war, als wenn selbst todte Gebeine neu erstehen sollten.49

Es ist hier nicht zu übersehen, dass Geiger sich dem romantischen Bild vom maurischen Andalusien nicht entziehen kann – ein Bild, das auch 48 Abraham Geiger, „Recension zu Aloys Sprenger, Das Leben und die Lehre Mohammads,“ Jüdische Zeitschrift für Wissenschaft und Leben [= JZWL] 2 (1862), 185–191, hier 186. 49 Geiger, „Allgemeine Einleitung in die Wissenschaft des Judentums“ (wie Anm. 23), 102f.

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in jüngster Zeit immer wieder kritisch hinterfragt wird und zu heftigen Diskussionen führt.50 Geigers bahnbrechende Studie, die sich der „wahren Wissenschaftlichkeit“ verdankt, fiel auf fruchtbaren Boden. Nur wenige Jahre später, nämlich bereits 1840, verfasste Ludwig [Lion Baruch] Ullmann,51 der ein Studienkollege und „Freund“ Geigers war52 – beide hatten sich im gleichen Jahr an der Universität Bonn eingeschrieben, um bei Freytag zu studieren – eine Koranübersetzung, die in hohem Maße dem Geiger’schen Ansatz verpflichtet war. In dem Vorwort zu seiner Übersetzung lesen wir: Wenn schon eine jede Uebertragung, aus welcher und in welche Sprache es auch sei, mit Schwierigkeiten zu kämpfen hat, um wie viel schwieriger ist’s, aus einer orientalischen zu übertragen, soll sie nicht ihrer eigenthümlichen Sprachbildung, Wortfügung, Bilder und Phrasen, überhaupt ihres morgenländischen Gewandes ganz beraubt werden. Bei dem Koran nun kömmt noch hinzu, daß die vielen Wiederholungen, und die so häufigen Uebergänge vom höchsten Schwulste in die fadeste und matteste Geschwätzigkeit, und die vielen Beziehungen auf uns ganz unbekannte Dinge, und die Aneinanderkettung gar nicht zusammengehörender Sätze, und das Hinüber- und Herüberschweifen von einem Gegenstande zum anderen, einer jeden Übersetzung desselben, wie auch alle vorhandenen ohne Ausnahme bezeugen, den Reiz und die lebendige Farbe nicht geben können, welche man sonst in orientalischen Schriften erwarten darf. Was diese Uebersetzung vor anderen voraushaben wird, ist die genaue Beachtung und Nachweisung alles dessen, was Muhammed aus dem Judenthum entlehnt hat.53 50 Vgl. Ismar Schorsch, „The Myth of Sephardic Supremacy“, LBIYB 34 (1989), S. 47– 66 [wiederabgedruckt in Ismar Schorsch, From Text to Context: The Turn to History in Modern Judaism (Hanover, N.H. und London: Brandeis University Press by University Press of New England, 1994), 71–92]. 51 Zu Ullmann vgl. den Nekrolog über ihn in Der Orient 42 (1843), 332f., und Der Orient 49 (1843), S. 390f. Vgl. auch Geigers Einschätzung Ullmanns in Abraham Geiger, Nachgelassene Schriften, Bd. 5 (wie Anm. 35), 20f. 52 Geiger schreibt über Ullmann: „Er ist vielseitig gewandt, aber oberflächlich und ohne Tiefe, ein geschickter Redner, aber ohne Feuer und Begeisterung, klug, vorsichtig, gutmüthig, mit Jedermann befreundet, aber keiner Aufopferung für eine Person oder Sache fähig.“ Und weiter: „Durch den Rednerverein näherten wir uns, smollirten mit einander und wurden recht vertraut, besonders dadurch, dass ich ihn von seinen orthodoxen religiösen Ansichten befreite und ich mich fast allein vor ihm in meinen wahren Gesinnungen äussern darf.“ Zitiert nach Geiger, ebd., 20f. 53 Ludwig Ullmann, Der Koran. Aus dem Arabischen wortgetreu neu übersetzt, und mit erläuternden Anmerkungen versehen (Crefeld: Funcke, 1840), [2f]. Diese Einschätzung lässt sich wohl für die deutschen Koranübersetzungen halten, allerdings hatte

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Die Übersetzung Ullmanns erlangte hohe Verbreitung und wurde bereits 1897 in einer neunten Auflage herausgegeben, obgleich ihr der spätere Korangelehrte Theodor Nöldeke nur mäßige Qualität zuschrieb. So verfasste Nöldeke anlässlich des Erscheinens der fünften Auflage der Ullmann’schen Übersetzung einen Verriss, der hier komplett zitiert sei: So erfreulich es ist, daß die deutsche Lesewelt am Koran einen solchen Antheil nimmt, daß von einer Uebersetzung desselben nach 25 Jahren bereits die fünfte Auflage nöthig geworden, so sehr ist es doch zu beklagen, daß sie ihre Kenntnis des Korans noch immer aus einer so jämmerlichen Schülerarbeit schöpfen muß, wie der Ullmann’schen. Der arglose Leser hat keinen Begriff von der Erbärmlichkeit dieser Uebertragung, aus der er ein ganz falsches Bild der Urschrift erhält, die zwar schon an und für sich unserem Geschmacke mißfallen muß, wie sie durch diese Vermittlung erscheint. So lange die längst erwartete Koranübersetzung eines unserer größten Orientalisten noch nicht erschienen ist, müssen wir wiederholt unsere Landsleute auf die englische Uebersetzung von J. M. Rodwell (London und Edinburgh 1861) als den bis jetzt besten Ersatz des Originals hinweisen und vor dem Gebrauche der Ullmann’schen und der kaum viel besseren älteren deutschen Übersetzungen warnen.54

Ullmanns Übersetzung wurde 1959 neu bearbeitet und erlebte seitdem vergleichsweise hohe Auflagen – sie ist damit die am längsten in Druck befindliche deutsche Koranübersetzung, die auch von einem breiten Publikum angenommen wird55 – damit wurde Ullmanns Hoffnung erfüllt, den Koran „in die Hände Vieler zu bringen“.56 Die Aufdeckung der Bezugnahmen auf frühere Texte, insbesondere jene, die nicht von den Kommentaren verfolgt wurden, war ein Anliegen Geigers, der die Genese des Koran vor dem Hintergrund jüdischer Legenden aus Talmud und Midrasch ansiedelte. Aber gerade dies untereine frühe Koranübersetzung ins Hebräische von Hermann [Zvi-Chaim] Reckendorf (1825–1875) eine ähnliche Stoßrichtung: Hermann Reckendorf, Der Koran. Aus dem Arabischen ins Hebräische übersetzt und erläutert (Leipzig: Gerhard, 1857). [Hermann Reckendorf ist nicht mit seinem ,gleichnamigen‘ Sohn Hermann Salomon Reckendorf (1863–1923) zu verwechseln, der sich ebenfalls der arabischen Sprache und Kultur gewidmet hat und eine Professur in Heidelberg und Freiburg im Breisgau bekleidete; vgl. z. B. Hermann Salomon Reckendorf, Mohammed und die Seinen (Leipzig: Verlag von Quelle & Meyer, 1907)]. Über eine weitere hebräische Koranübersetzung berichtet Heimann J. Michael in Der Orient 39 (1841), 606f. 54 Literarisches Zentralblatt für Deutschland, Nr. 18, 29. April 1865, 473. 55 2005 wurde die Ullmann’sche Übersetzung erneut aufgelegt, allerdings mit falschem Verfassernamen, „Assmann“ statt „Ullmann“. 56 Ullmann, Der Koran (wie Anm. 53), [2].

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streicht auch schon die Prämisse der Geiger’schen Studie, Muhammad habe Elemente aus dem Judentum aufgenommen.57 Der Text ist bei Geiger – und noch mehr bei Ullmann – und seinen Nachfolgern weiterhin ein „epigonaler Text aus der Feder eines nur mäßig gebildeten Autors“,58 wie Angelika Neuwirth erst kürzlich ausdrücklich festgestellt hat. Und dennoch betont sie: „die hier praktizierte Lektüre des Textes vor dem Hintergrund der theologischen Diskussionen seiner Zeit ist bis heute für den – nicht auf der Grundlage der islamischen Tradition stehenden – westlichen Forscher noch immer der seriöseste und konstruktivste Weg zur Erschließung des Textes.“59 Anhand biblischer und rabbinischer Intertexte – vor allem jedoch auch anhand christlicher, vornehmlich syrischer, aber auch altarabischer Zeugnisse – können die Debatten, die sich während des koranischen Geneseprozesses abspielten, rekonstruiert werden.60 Die Entstehung einer jüdischen Koranforschung verdankt sich aber nicht allein Abraham Geiger – und in seiner Tradition folgend Ludwig Ullmann und Hermann Reckendorf. Etwa zehn Jahre später, im Jahre 1844, legte der bereits oben kurz erwähnte Gustav Weil, der gleichfalls ein Schüler von de Sacy war, eine grundlegende Studie zum Koran vor, in der er die ersten Pfade einer historischen Koranbetrachtung beschritt. Erstmals hat Bernhard Lewis auf die Bedeutung Weils in seinem zu wenig beachteten Essay „The Pro-Islamic Jews“ hingewiesen und in folgenden Worten zusammengefasst: In 1843 he [Gustav Weil, DH] published his first major work – on the life and teachings of the Prophet Muhammad. There had been many biographies of Muhammad in Europe; Weil’s was the first that was free from prejudice and polemic, based on a profound yet critical knowledge of the

57 Es sei nur kurz erwähnt, dass es gerade diese Prämisse war, die das Werk Geigers so attraktiv für christliche Missionare machte. Eine englische Übersetzung erschien bereits 1896 und wurde auf dem indischen Subkontinent für die Mission von Muslimen eingesetzt; vgl. Moshe Pearlman, „Prolegomenon“, in Abraham Geiger, Judaism and Islam (New York: Ktav, 1970; ND der englischen Übersetzung), vii–xxiv. 58 Angelika Neuwirth, „Im vollen Licht der Geschichte“ (Einleitung), in Hartwig, Homolka, Marx und Neuwirth (Hrsg.), „Im vollen Licht der Geschichte“ (wie Anm. 19), 25–39, hier 30. 59 Ebd. 60 Vgl. dazu auch Angelika Neuwirth, „Zur Archäologie einer Heiligen Schrift. Überlegungen zum Koran vor seiner Kompilation“, in Christoph Burgmer (Hrsg.), Streit um den Koran. Die Luxenberg-Debatte. Standpunkte und Hintergründe (Berlin: Schiler, 2004), 82–97.

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Arabic sources, and informed by a systematic understanding of Muslim belief and piety.61

Noch deutlicher wird dieser Umstand, wenn wir Gustav Weil einmal selbst zu Wort kommen lassen; so schrieb er tief beeindruckt: Als Reformator, was Mohamed ursprünglich war und sein wollte, verdient er unsere volle Anerkennung und Bewunderung. Ein Araber, welcher die Schattenseiten des damaligen Judentums und Christentums aufdeckte und nicht ohne Lebensgefahr den Polytheismus zu verdrängen und die Lehre von der Unsterblichkeit der Seele seinem Volk einzuprägen sucht, verdient nicht nur den größten Männern der Geschichte an die Seite gesetzt zu werden, sondern auch den Namen eines Propheten.62

Das schmale Bändchen, das auf Anfrage vom Verlag „Velhagen & Klasing“ angefertigt wurde und das der in diesem Haus erschienenen Koranübersetzung Ludwig Ullmanns beigegeben wurde, war die bis dahin erste wissenschaftliche Einleitung in den Koran, die unter anderem die arabischen Ausgaben des Textes verzeichnete und Übersetzungen auflistete. Weils Einleitung war dreiteilig gegliedert und behandelte (a) Muhammad, (b) den Koran und (c) den Islam. Ursprünglich arbeitete Ullmann selbst an einer Einleitung in den Koran für den Verlag „Velhagen & Klasing“, konnte diese aber aufgrund seines frühen Todes nicht mehr fertig stellen, und so wurde die Aufgabe an einen ausgewiesenen Orientalisten übergeben. Von forschungsgeschichtlicher Bedeutung ist Weils Argumentation für eine koranische Chronologie (Surenchronologie), die er der Ta’r¯ ¯ ıkh al-kham¯ıs f¯ı ahiwal ¯ nafs naf¯ıs von al-Diy¯arbakr¯ı (10. Jh./16. Jh.) entnimmt.63 Dadurch wird der Koran erstmals – zumindest in einem nicht-islamischen Kontext – in ein Spannungsfeld von Früher und Später gesetzt und so eine Entwicklung von koranischen Gedankenfiguren fassbar gemacht. Die von Weil vorgeschlagene Surenchronologie ordnet die Suren nach „historisch-kritischen“ Gesichtspunkten in vier Perioden: früh-, mittel-, spätmekkanisch und medinisch. Die von Weil vorgeschlagene Chronologie (1844) wurde von Theodor Nöldeke (1860) und später von Friedrich Schwally (1909) 61 Bernard Lewis, „The Pro-Islamic Jews“, Judaism 17 (1968), 391–404; wiederabgedruckt in Bernard Lewis, Islam in History: Ideas, People, and Events in the Middle East, rev. und erw. Neuauflage (Chicago und La Salle: Open Court Publishing, 3 2002), 137–151, hier 141. 62 Gustav Weil, Historisch-kritische Einleitung in den Koran (Bielefeld: Velhagen & Klasing, 1844), 115f. 63 Vgl. dazu Emmanuelle Stefanidis, „The Qur’an Made Linear: A Study of the Geschichte des Qorâns’ Chronological Reordering“, Journal of Qur’anic Studies 10 (2008), 1–22.

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überarbeitet und aufgrund von Form und Sprache neu aufgestellt; sie wurde so zu einem unverzichtbaren, Instrument für die Lektüre des Koran, wenn auch Weils Arbeit rasch in Vergessenheit geriet.64 Gustav Weils „historisch-kritische Einleitung in den Koran“ fand große Verbreitung und wurde bereits 1844 in der Zeitschrift für Theologie in Verbindung mit mehreren Gelehrten“ zitiert. Interessanterweise war als Titel „Die Zukunft des Islams“ gewählt worden: Fragen wir nach dieser gedrängten Darstellung des Islams, welche Zukunft wir ihm prophezeien und welche Fortschritte er machen muß, um sich auf die Höhe der europäischen Civilisation zu schwingen, so glauben wir, daß er mit dem Judenthume ganz denselben Weg zu wandeln hat, sowohl zur Sonderung der Tradition von der Offenbarung selbst, als zur Unterscheidung in der heiligen Schrift zwischen ewigen Wahrheiten und zwischen Gesetzen und Vorschriften, die nur vorübergehende äußere Umstände hervorriefen. Eine einstige Verschmelzung mit dem Christenthume ist für den Islam um so eher vorauszusehen, als Mohammed selbst Christus und Maria weit höher stellt als ein Theil der protestantischen Christen. Gelangen die Mohammedaner einmal durch historisch-theologische Studien zur Überzeugung, daß das jetzige Christenthum ein ganz anderes ist als das, welches Mohammed kannte, daß das Urchristenthum wieder zu seiner Reinheit durch eigene Kraft zurückgekehrt ist, daß man auch als Christ nur an Einen Gott zu glauben hat, der allein Himmel und Erde geschaffen, daß man die Mutter Gottes weder für Gottes Gattin, noch Christus für einen aus dieser Verbindung durch Zeugung hervorgegangenen Sohn Gottes zu halten braucht, so ist die Scheidewand zwischen ihnen und den Christen durchbrochen. Fahren aber die christlichen Missionäre wie bisher fort, von den Muselmännern geradezu einen Glauben an Dogmen zu fordern, die sie unmöglich begreifen können und die sie, wie der Stifter ihrer Religion, als Abgötterei zu verwerfen genöthigt sind, so müssen auch wie bisher alle ihre Bemühungen ohne Erfolg bleiben. Juden sowohl als Mohammedaner können nur auf dem Wege des Rationalismus bekehrt werden.65

Dieses Zitat ist bemerkenswert, da es wieder einmal den Islam in die kulturelle Nähe des Judentums rückt. Lesen wir es genau, so scheint es die bereits referierten Bemerkungen Susannah Heschels und John M. 64 Vgl. neuerdings auch Nicolai Sinai, „The Qur’an as Process“, in Neuwirth, Sinai und Marx (Hrsg.), The Qur’an ¯ in Context (wie Anm. 31), 407–439. Vgl. auch Angelika Neuwirth, „Qur’an and History – a Disputed Relationship: Some Reflections on Qur’anic History and History in the Qur’an“, Journal of Qur’anic Studies 5 (2003), 1–19. 65 Zeitschrift für Theologie in Verbindung mit mehreren Gelehrten (1844), 237f. Dieses Zitat stammt ursprünglich aus Weil, Historisch-kritische Einleitung in den Koran (wie Anm. 62), 120f. [Hervorhebungen vom Verf.].

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Efrons zu bestätigen. Der Islam wurde zur Schablone für das Judentum: Mit seiner letzten Bemerkung richtet sich Weil indirekt gegen Missionare, die versuchten, Juden – eventuell auch ihn – zur Konversion zu bewegen. Der vielgepriesene Aristotelismus des islamischen „Mittelalters“, der gleichermaßen Maimonides und Averroes hervorgebracht hat, hat hier einen „würdigen“ Erben gefunden. Zusammenfassend kann man also feststellen, dass die „unvoreingenommene“ Koranforschung ein „jüdisches Unternehmen“ war: (1) Geigers Systematik und Verortung jüdischer Reflexe im Koran; (2) Ullmanns Koranübersetzung, die dem Text weite Verbreitung brachte und sich an Geigers Grundprämissen orientierte; und (3) Weils „historischkritische“ Einleitung, die erstmals auf die Chronologie verwies. Es ist schon eine Ironie, dass die Koranforschung heute weitgehend in den Händen von Forschern liegt, denen die historische Kenntnis der „Wissenschaft des Judentums“ fehlt, die einen Schlüssel zur Interpretation der bei der Korangenese im Hintergrund stehenden Traditionen liefert. Während die Bibel in der historischen Forschung längst in ihre historische Umwelt zurücklokalisiert wird66 – erst im Kontrast zu ihr zeichnet sich ihre theologische Leistung ab – wird der Koran gemeinhin mit dem identifiziert, was die späteren Kommentatoren exegetisch in ihn hineinlegten.67 Diese teleologische Sichtweise, die die islamischen Exegeten (mufassirun) ¯ dem Koran als ,abgeschlossenes Buch‘ aufprägten, wirft einen Schatten auf jegliche Beschäftigung mit dem islamischen Gründungsdokument, sei es im akademischen oder im außer-akademischen Rahmen. Kommen wir aber abschließend noch einmal auf unsere Ausgangsfrage zurück: Wie können wir uns einem Text nähern, der sich als komplexer Verweiszusammenhang darstellt? Gerade hier können uns noch heute die Vorarbeiten der „Wissenschaft des Judentums“ nützliche Methoden an die Hand geben, um schrittweise auf den Koran zuzugehen und ihn auf Augenhöhe mit Texten der jüdischen und christlichen Tradition zu lesen. Haben die rabbinisch vorgebildeten Forscher den Koran noch als „intuitionally intelligible“68 verstanden und als „entirely familar and symbiotically linked to Judaism“69 empfunden, so ist uns der Text heute, wie auch den christlichen Gelehrten vor der „Wis66 Vgl. allgemein John B. Gabel, Charles B. Wheeler und Anthony D. York, The Bible as Literature: An Introduction (New York und Oxford: Oxford University Press, 4 2000). 67 Vgl. Neuwirth, Der Koran als Text der Spätantike (wie Anm. 4), 37–42. 68 Efron, „From Mitteleuropa to the Middle East“ (wie Anm. 45), 520. 69 Ebd.

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senschaft des Judentums“, relativ verschlossen. Der Koran kommt uns unstrukturiert, konfus und unklar vor. Wegweisende Koranforschung stellt sich daher in die Tradition Abraham Geigers und Gustav Weils und folgt ihren eingeführten Grundmethoden: Erstens wird die Surenchronologie70 jeder Beschäftigung mit dem Koran zugrunde gelegt, denn nur so kann dem spezifischen Charakter des Koran Rechnung getragen werden, der zumindest in der Frühzeit kein „Buch“, sondern lebendige Debatte mit einer plurikulturellen Umwelt sein wollte. Zweitens versucht die Forschung durch Analyse der jüdisch-christlichen und rabbinischen Referenztexte die ursprüngliche Diskurssituation zu vergegenwärtigen. Die hier als Korrektiv erforderliche Forschungsrichtung versucht daher, „von außen“, das heißt historisch-kritisch, das kulturelle Umfeld des spätantiken Arabiens in seiner ganzen Komplexität abzubilden. Bereits im Frühjahr 2007 nahm ein deutsches Forscherteam unter der Leitung von Angelika Neuwirth ein Projekt an der BerlinBrandenburgischen Akademie der Wissenschaften mit dem Titel „Corpus Coranicum: Textdokumentation und historisch-kritischer Kommentar zum Koran“ auf,71 das nicht zufällig den Grundmethoden der Wissenschaft des Judentums verpflichtet ist.72 Der Koran wird natürlich keineswegs – wie noch bei Geiger und seinen Nachfolgern – als Plagiat jüdischer und christlicher Überlieferungen,73 sondern als sich entwickelnde Kommunikation verstanden, die den historischen Kontext seiner Genese abbildet. Dabei evoziert 70 Vgl. Theodor Nöldeke und Friedrich Schwally, Geschichte des Qorâns, Bd 1: Über den Ursprung des Qorâns (Leipzig: Dieterich, 2 1909), 58–65; 66–234. Zur Chronologie vgl. jetzt auch Neuwirth, Der Koran als Text der Spätantike (wie Anm. 4), 276–331. Eine auf dem neuesten Stand der Forschung befindliche Chronologie koranischer Texte wird derzeit von Angelika Neuwirth in ihrem sukzessiv erscheinenden Handkommentar zum Koran erarbeitet; erschienen ist bisher Bd. 1: Poetische Prophetie. Frühmekkanische Suren (Berlin: Verlag der Weltreligionen, 2011). 71 Vgl. Michael J. Marx, „Ein Koran-Forschungsprojekt in der Tradition der Wissenschaft des Judentums: Zur Programmatik des Akademievorhabens Corpus Coranicum“, in Hartwig, Homolka, Marx und Neuwirth (Hrsg.), „Im vollen Licht der Geschichte“ (wie Anm. 19), 41–53. 72 Vgl. Angelika Neuwirth, „,Eine europäische Lektüre des Koran‘ – Koranwissenschaft in der Tradition der Wissenschaft des Judentums“, Simon Dubnow Institute Yearbook 7 (2008), 261–283. 73 Man denke hier nur an Franz Rosenzweig (1886–1929), der im Koran einen „merkwürdigen Fall weltgeschichtlichen Plagiats“ entdeckt; vgl. Franz Rosenzweig, Der Stern der Erlösung (Frankfurt am Main: Kauffmann, 1921), 149f. Zu Rosenzweigs Verhältnis zum Islam vgl. Franz Rosenzweig, „Innerlich bleibt die Welt eine“. Ausgewählte Schriften zum Islam, herausgegeben, eingeleitet und mit einem Nachwort versehen von Gesine Palmer und Yossef Schwartz (Berlin: Philo, 2003).

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der Korantext, ein im Fluss befindlicher Text, der sich in Relation zu etwas anderem konstituiert, jüdisch-christliche, rabbinische und andere Traditionen in Form einer Textreflexion, das heißt er ,strahlt‘ auf die evozierten Traditionen zurück und gibt ,eigene‘ Antworten auf die theologischen Debatten seiner Zeit. Der Koran „entlehnt“ daher nicht, sondern er kommentiert. Die zeitgenössische Koranwissenschaft sollte also mehr an den Entwicklungen und Diskursen interessiert sein, die den Koran konstituiert haben, als an einem bereits zum Kanon erstarrten Korantext. Das ist gerade die Schwierigkeit, die Stefan Weidner in seiner Besprechung herausstellt, und dies sollte uns bei jeder Koranlektüre bewusst sein – dies gilt für die arabische Lektüre und noch weit mehr für die Lektüre eines heiligen Textes in Übersetzung. Auch wenn die von uns angestrebte Forschung die Korangenese heute anders verortet als noch vor 150 Jahren, so sind doch die Vorarbeiten der „Wissenschaft des Judentums“ weiterhin von zentraler Bedeutung für die Rekonstruktion der komplexen Kommunikationsprozesse, aus denen der Koran in der Spätantike, die auch den Hintergrund der Geburtsprozesse der beiden anderen monotheistischen Religionen – Judentum und Christentum – bildet, als authentisches Zeugnis hervorgegangen ist. Diese ersten Vorarbeiten des neunzehnten Jahrhunderts – Abraham Geiger, Ludwig Ullmann und Gustav Weil, die man ruhigen Gewissens als erste Generation jüdischer Koranforscher bezeichnen kann – orientieren sich am Koran selbst und nicht am Kommentar, der ein post-kanonisches Interesse verfolgt, das dem Koran als Kommunikationsprozess gegenübersteht. Es bleibt zu bemerken, dass die spätere (jüdische) Koranforschung in ihren Ansätzen methodisch divers und nicht mehr ausschließlich den Prämissen Geigers verpflichtet war.74 Es entstanden daher schon bald andere Ansätze und methodologische Kehrtwendungen, die dem Koran und dem Islam nicht immer wohlgesonnen waren – es ist sicher, dass die vier Generationen von Koran- und Frühislamforschern, die auf Geiger folgten, teilweise ganz andere Interessen hatten als die Pioniere der Disziplin. Zunehmend traten auch politische Umstände in Erscheinung, sei es der erwachende „Volksgedanke“ oder später die immer stärker virulente Palästinafrage. Während Abraham Geiger noch an einer „wahren Wissenschaftlichkeit“ interessiert war und den Koran als Nacherzählung biblischer Erzählungen mit Färbung durch die rabbinische Exegese erkannte, wur74 Für die Entwicklungen in der Koranforschung nach Abraham Geiger, Ludwig Ullmann und Gustav Weil siehe Dirk Hartwig, „,Die Wissenschaft des Judentums‘ und die Anfänge der kritischen Koranforschung. Perspektiven einer modernen Koranhermeneutik“, ZRGG 61 (2009), 234–256

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de die Thematik mehr und mehr ein Politikum – und sie ist es auch heute noch. Aber erst wenn die hundertjährige „große“ Tradition jüdischer Koranforschung in angemessener Weise aufgearbeitet ist,75 können in einem nächsten Schritt die Ergebnisse dieser Forschungsrichtung in die gegenwärtig geführte Debatte um den Koran eingeführt werden. Nur in dieser wissenschaftsgeschichtlichen Einbettung, die auf die „Wissenschaft des Judentums“ nicht verzichten sollte, kann der Koran kontextualisiert und in seinen Bezugsrahmen gesetzt werden. Erst dann kann der Koran dem interessierten Leser zugänglich gemacht werden und sich zugleich als die intellektuelle Herausforderung erweisen, die er bei seiner Verkündigung war.

75 Zu diesem Zweck bewilligte die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) ein dreijähriges Forschungsprojekt, das am Seminar für Semitistik und Arabistik der Freien Universität Berlin angesiedelt ist. Der Bearbeiter des Projekts ist auch zugleich der Verfasser dieses Aufsatzes.

Abraham Geigers Historische Philologie und die Anfänge der Islamwissenschaft in Deutschland* Susannah Heschel I. Einführung Im Mai 2010 jährt sich zum zweihundertsten Mal Abraham Geigers Geburtstag, und ich freue mich außerordentlich über die Gelegenheit sein wissenschaftliches Werk zu würdigen. Zu Beginn mag ein Tribut an den Menschen Geiger stehen: Im Zuge der Erforschung seines Werkes habe ich auch seine Tagebücher und Briefe gelesen und war sehr beeindruckt von seinem feinen Charakter, seiner persönlichen Integrität und seiner menschlichen Wärme. Er besaß gute Freunde, denen er im Alter von 20 Jahren begegnet war, und hielt diese Freundschaften bis zu seinem Tode aufrecht. Er war seinen Freunden und seiner Familie gegenüber aufmerksam und großzügig, er war voller Energie, arbeitsam, setzte sich und seiner jüdischen Gemeinschaft hohe Ziele und arbeitete hart dafür, sie zu erreichen. Er war offen gegenüber anderen Standpunkten und hatte, obwohl er selbst als Jude traditionell lebte, Verständnis dafür, dass andere Juden sehr unterschiedliche Wege einschlugen. Er besaß ein außerordentlich breites Wissen, war mit wissenschaftlichen Publikationen in vielen Disziplinen vertraut und besprach neue Veröffentlichungen in den beiden von ihm herausgegebenen Zeitschriften. Er veröffentlichte sein Werk in hebräischer wie in deutscher Sprache und beherrschte neben dem Hebräischen auch das Aramäische, Arabische, Syrische, Griechische und Lateinische. Abraham Geiger hatte es in seinem Leben nicht leicht: Sein Vater starb, als er noch sehr jung war, und seine Familie verfügte nur über wenig Geld. Als Jude vermochte er keine akademische Stellung an einer deutschen Universität zu erlangen, und die Breslauer orthodoxen Juden bereiteten ihm große Schwierigkeiten, so dass sich seine Ernennung zum ∗

Aus dem Amerikanischen von Christian Wiese.

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Rabbiner dort über mehrere Jahre hinweg verzögerte. Als schließlich 1854 das Jüdisch-Theologische Seminar in Breslau seine Pforten öffnete, wurde er nicht unter die Dozenten berufen – ein Affront gegen ihn und ein Unglück für die Studenten, die so viel von ihm hätten lernen können. Seine Frau war viele Jahre lang krank, so dass er für die vier gemeinsamen kleinen Kinder verantwortlich war, und doch gelang es ihm in diesen Jahren, sein magnum opus zu vollenden, das 1857 veröffentlichte Buch Urschrift und Übersetzungen der Bibel. Geigers Liebesgedichte lassen einen leidenschaftlichen Mann erkennen, und seine Gelehrsamkeit verrät einen brillanten, umwerfend originellen und schöpferischen Geist. Er hat nicht allein unser Wissen erweitert, sondern uns zugleich veranlasst, unsere Schlussfolgerungen, ja unsere Kategorien der historischen Analyse zu überdenken. Sein Werk fand nicht das Verständnis und die Wertschätzung, die es verdient hätte, und er wurde häufig durch den Antijudaismus christlicher Gelehrter verletzt und desillusioniert. Er nahm das nicht schweigend hin, sondern schrieb darüber – über David Friedrich Strauss, Ernest Renan, Friedrich Schleiermacher, Friedrich W. C. Umbreit, Heinrich E. G. Paulus, Friedrich Wilhelm von Amon und viele andere. Beeindruckend und bewegend ist auch seine Weigerung, sich der Verzweiflung hinzugeben. 1872 schrieb er an seinen Freund Joseph Dérenbourg, die christlichen Gelehrten bedienten sich auch weiterhin vorurteilsvoller Stereotypen gegenüber dem Judentum: „Mit dem Christenthume und seinen Theologen ist es wirklich eine traurige Sache […]. Was ist nun da zu thun? Man kann von unserer Seite noch so viel protestiren, sie hören nicht darauf, und da sie zahlreicher sind und die Macht haben, so überschreien sie uns. Und dennoch! Die Wahrheit und die ächte Forschung dringen doch durch.“1 Dieser Beitrag ist Geigers innovativem Werk zum Koran und seinem Einfluss auf die spätere lebendige jüdische Forschung zum Islam gewidmet. Bevor ich mich seiner Islamdeutung zuwende, möchte ich jedoch einige Bemerkungen machen, die mir für ein Verständnis der Methoden Geigers entscheidend zu sein scheinen. Die philologische Methode ist vor allem von Gelehrten auf dem Gebiet der klassischen Philologie entwickelt worden, etwa von Karl Lachmann, der Texte jeweils für sich, als ursprüngliche Texte, studierte und Texteinflüsse unabhängig von sozialen Kontexten aufspürte.2 Der mechanische Vor1 2

Brief Abraham Geigers an Joseph Dérenbourg vom 10. April 1872, in Jüdische Zeitschrift für Wissenschaft und Leben [= JZWL] 10 (1872), 156f., hier 156. Richard D. Weis, „Lower Criticism: Studies in the Masoretic Text and the Ancient Versions of the Old Testament as Means of Textual Criticism“, in Magne Saebø

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gang der Arbeit der Schreiber beim Kopieren und Übersetzen eines Textes führte zu – versehentlichen oder absichtlichen – Veränderungen, welche die Forscher durch Emendationen korrigieren mussten. Geiger wich in bedeutender Weise von diesen Methoden ab. Erstens löste er sich, obwohl er ein Philologe war, während seines Lebens von einem Großteil der in Europa herrschenden Philologie und legte den Akzent auf historistische Methoden. Das heißt, er analysierte Texte als Philologe wie als Historiker, um daraus etwas über den religiösen Glauben und die theologische Polemik der Zeit zu erfahren, die diese hervorgebracht und weitertradiert hatte. Zweitens war sich Geiger der Entstehung der Rassentheorie innerhalb der Geisteswissenschaften während des neunzehnten Jahrhunderts durchaus bewusst. Er polemisierte gegen die Verwendung rassischer Kategorien insbesondere im Werk Ernest Renans und versuchte historische Kategorien zu entwickeln, die den Aspekt der Rasse für seine Analysen überflüssig machen würden. Tatsächlich dürften einige der negativen Reaktionen auf Geigers Werk zu seinen Lebzeiten weniger durch wissenschaftliche Thesen als vielmehr durch rassische Prämissen bestimmt gewesen sein. Zu Beginn möchte ich einige Aspekte der innovativen Philologie Geigers beim Studium der biblischen Texte erörtern, wie sie in seiner Urschrift zum Ausdruck kommt, und werde mich dann seinem bahnbrechenden Werk zum Islam zuwenden. Im neunzehnten Jahrhundert entstanden bedeutende Forschungen zum masoretischen Text, zu den Targumim, zum Samaritanischen Pentateuch, zur Septuaginta und zu anderen griechischen Bibelübersetzungen. Diese Studien waren mit philologischen, historischen, aber auch mit theologischen Anliegen verbunden: So bestimmten etwa Bedenken mit Blick auf die Rolle anthropomorpher Bilder innerhalb des Judentums die moderne jüdische Targumforschung, etwa jene zum aramäischen Targum Onkelos, der versuchte, Anthropomorphismen aus seiner Übersetzung des hebräischen Textes zu entfernen. Die wachsenden Bedenken innerhalb des modernen jüdischen Denkens über die Gegenwart von Anthropomorphismen in biblischen, rabbinischen und mittelalterlichen hebräischen Texten brachten, wie Gershom Scholem gezeigt hat, ein apologetisches Genre hervor und verlieh zudem der Forschung zum Targum Onkelos eine besondere Dringlichkeit. In diese wissenschaftliche Diskussion mischte sich Geiger 1857 mit seiner Urschrift ein. Sein Buch untersuchte die biblischen Texte und Übersetzungen der Antike und bot zugleich eine Geschichte der Epo(Hrsg.), Hebrew Bible/Old Testament: The History of Its Interpretation, Bd. 3 (Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht, 2010), 1–55, hier 12.

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che zwischen dem zweiten vorchristlichen und dem zweiten nachchristlichen Jahrhundert dar, das heißt der wichtigsten Periode in der Geschichte des Judentums wie des Christentums. Geiger stellte diese vierhundert Jahre als Zeit enormer Veränderungen innerhalb des Judentums dar, in deren Mittelpunkt die Spannungen zwischen den beiden Hauptparteien in Palästina standen, der Sadduzäer und der Pharisäer. Die Sadduzäer waren die konservative, aristokratische Partei der Priester des Jerusalemer Tempels, die sich an Rom anpassten. Im Gegensatz dazu waren die Pharisäer Geiger zufolge eine Partei der fortschrittlichen religiösen Reform, die die jüdische religiöse Praxis zu demokratisieren trachtete, so dass das Heim jedes Juden dem Tempel gleichwertig war, jeder Tisch ein Altar und das Gebet eines jeden Juden ebenso viel wert wie jenes der Priester. Der Wahlspruch der Pharisäer stammte aus dem 2. Makkabäerbuch: „Gott hat Allen das Erbe, das Priestertum und die Heiligung gegeben.“3 Zu den vorrangigen Tatsachen für Geigers Rekonstruktion des antiken Judentums gehörten die vielen Übersetzungen biblischer Texte. Im Zusammenhang der Identifizierung der Herkunft dieser antiken Übersetzungen wurde Geiger in die zeitgenössischen Kontroversen über Zeichen hineingezogen, anhand derer sich jüdisches oder aber christliches Engagement feststellen ließ: Die griechisch-sprechenden Juden etwa brauchten eine Übersetzung des hebräischen Textes. Doch nicht allein Juden verfassten und studierten diese Übersetzungen. Im zweiten Jahrhundert beanspruchten die Christen die Hebräische Bibel mittels der Septuaginta für sich. Geiger mischte sich in eine Debatte unter modernen Gelehrten über den jüdischen oder christlichen Charakter der anderen griechischen Übersetzungen ein, die Theodotion, Aquila und Symmachus zugeschrieben wurden. Während einige moderne Forscher sie als Ausdruck judenchristlicher Überzeugungen deuteten, beharrte Geiger darauf, die drei Übersetzer seien Juden gewesen, und identifizierte die „christlichen“ Elemente ihrer Übersetzungen als bewusste Polemik gegen Aspekte der christlichen Lehre. Symmachus’ Bestreben, anthro3

Abraham Geiger, Urschrift und Übersetzungen der Bibel in ihrer Abhängigkeit von der innern Entwickelung des Judenthums (Breslau: Julius Heinauer, 1857), 223. Diese konkrete Aussage Geigers gewann breite Aufmerksamkeit. Kritiker, die sich gegen seine Deutung des Pharisäismus als Liberalisierung im Gegensatz zu den Sadduzäern wandten, behaupteten, 2 Makkabäer 2, 17 beschreibe nicht den Pharisäismus, sondern Israels Haltung gegenüber der heidnischen Welt; vgl. Johann Wilhelm Hanne, „Die Pharisäer und Sadducäer als politische Parteien“, Zeitschrift für wissenschaftliche Theologie 10 (1867), 239–263; vgl. dazu Abraham Geiger, „Die neuesten Fortschritte in der Erkenntnis der Entwickelungsgeschichte des Judenthums und der Entstehung des Christenthums“, JZWL 10 (1867), 252–282, hier 258f.

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pomorphe Gottesbilder aus seiner Übersetzung zu entfernen, seien von der Absicht geleitet gewesen, entgegen der Vorstellung von der Inkarnation das rein geistige Wesen Gottes hervorzuheben. Ähnlich habe Symmachus die von den Christen gelehrte leibliche Auferstehung der Toten abgelehnt und daher in seiner Hiobübersetzung alle Hinweise darauf getilgt.4 Geiger betrachtete somit zahlreiche Bibelübersetzungen der Antike als wichtige Zeugnisse für das soziale, politische und religiöse Leben von Juden und Christen in der Antike sowie für ihre Konflikte, die von Historikern analysiert und rekonstruiert werden müssten. Texte waren daher nicht einfach Glieder einer Kette von Texten, sondern Ausdruck der gesellschaftlichen und religiösen Beschaffenheit jener, die sie schrieben und studierten. Doch nicht nur die antiken Texte selbst, sondern auch ihre moderne Erforschung war in religiöse Konflikte verwickelt. Geiger sandte seine Studie zu Symmachus 1862 zuerst zur Veröffentlichung an die 1858 gegründete, von Adolf Hilgenfeld herausgegebene Zeitschrift für wissenschaftliche Theologie. Obwohl sich Hilgenfeld schwer damit tat, Autoren zu finden und die Zeitschrift unabhängig vom Einfluss der Kirche und der theologischen Schulen zu halten, weigerte er sich, Geigers Artikel abzudrucken, und veranlasste diesen damit, seine eigene Zeitschrift zu gründen.5 Hilgenfelds Weigerung war Teil einer umfassenderen Strategie christlich-theologischer Zeitschriften in Deutschland während dieser Zeit, die auf den Ausschluss des Werks jüdischer Autoren zielte. Andere Texte der Antike wurden schlicht als so verderbt und unzuverlässig dargestellt, dass sie als für im Wesentlichen wertlos für die Rekonstruktion des masoretischen Textes galten; das war sowohl die Meinung von Wilhelm Gesenius, der 1815 eine Studie zum Samaritanischen Pentateuch veröffentlichte, als auch die von Zacharias Frankel, der den samaritanischen Text 1851 als eine revidierte Fassung auf der Grundlage des masoretischen Textes definierte, der allerdings voller Irrtümer und Eingriffe der Schreiber sei.6 Geiger, der nicht einfach 4 5

6

Abraham Geiger, „Symmachus, der Übersetzer der Bibel“, JZWL 1 (1862), 39–64. Abraham Geiger, Brief an Rabbiner Bernhard Wechsler aus Oldenburg vom 7. Januar 1862, in Abraham Geigers Nachgelassene Schriften, Bd. 5: Briefe, hrsg. von Ludwig Geiger (Berlin: Louis Gerschel, 1878), 255. Susannah Heschel, Der jüdische Jesus und das Christentum. Abraham Geigers Herausforderung an die christliche Theologie, übersetzt von Christian Wiese (Berlin: Jüdische Verlagsanstalt, 2001), 165; Wilhelm Gesenius, De Pentateuchi Samaritani origine indole et auctoritate commentatio philologica-critica (Halle: Renger, 1815); James D. Purvis, The Samaritan Pentateuch and the Origin of the Samaritan Text (Cambridge, MA: Harvard University Press, 1968), S. 59, 75–80, zit. n. Nahum Sarna,

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nur an der Rekonstruktion von Texten, sondern an der Geschichte der Juden und des Judentums interessiert war, betrachtete den Samaritanischen Pentateuch als Beweis dafür, dass sich der biblische Text über die Zeiten hinweg als Reaktion auf politische und religiöse Herausforderungen entwickelt und verändert habe: Das Judentum, so betonte er immer wieder, war weder eine statische noch eine einheitliche Religion. In einem Artikel über das exegetische Werk der Samaritaner erklärte Geiger die Verlagerung des samaritanischen Verständnisses der Auferstehung: Solange die Vorstellung der Auferstehung mit jüdischen nationalen Hoffnungen in Verbindung gebracht wurde, insbesondere nach der Zerstörung Jerusalems, standen ihr die Samaritaner ablehnend gegenüber. In dem Augenblick aber, in dem sich die Auferstehung von diesen Hoffnungen löste, nahmen die Samaritaner sie an.7 Geiger brachte die Samaritaner mit den Sadduzäern in Verbindung und verwies auf ihre gemeinsame Opposition gegen die Einstellungen der Pharisäer.8 Wie die Samaritaner, so Geiger, gaben auch die Sadduzäer ihren Widerstand gegen die Auferstehungshoffnung auf; die Zerstörung des Tempels und der Verlust ihrer Stellung als Priester förderte ihre Annahme der Vorstellung der Auferstehung.9 Auf dieser Grundlage deutete Geiger sodann Passagen in Apostelgeschichte 23, 8, Markus 12, 18 und Lukas 20, 27, denen zufolge die Sadduzäer die Auferstehung bestritten, als tendenziöse frühchristliche Texte, die aus pharisäischen Einflüssen auf das Frühchristentum zu einer Zeit herrührten, als die Sadduzäer noch gegen die Auferstehung eingestellt waren. Die Frage der Rasse trat in den Debatten über die Rekonstruktion des hebräischen masoretischen Textes der Bibel zutage. Der masoretische Text war, da er nur aus Konsonanten besteht, besonders anfällig für Veränderungen und deshalb aus Sicht vieler Forscher unzuverlässig, bedurfte also dringend der Emendation. Geiger stimmte dieser Sicht

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8 9

„Abraham Geiger and Biblical Scholarship“, in Jakob J. Petuchowski (Hrsg.), New Perspectives on Abraham Geiger: An HUC-JIR Symposium (Cincinnati: Hebrew Union College Press, 1974), 17–30, hier S. 30, Anm. 54. Vgl. auch Weis, „Lower Criticism: Studies in the Masoretic Text“ (wie Anm. 2), 43. Abraham Geiger, „Zur Theologie und Schrifterklärung der Samaritaner“, Zeitschrift der Deutschen Morgenländischen Gesellschaft [= ZDMG] 12 (1858), 132–142; wiederabgedruckt in Abraham Geiger, Nachgelassene Schriften Bd. 3, hrsg. von Ludwig Geiger (Berlin: Louis Gerschel, 1876), 255–266; vgl. auch Abraham Geiger, Lesestücke aus der Mischnah, mit Anmerkungen und einem Glossare versehen (Breslau: Leuckart, 1845), 3; Abraham Geiger, „Wie man gelehrte Rezensionen schreibt“, Literaturblatt: Beilage zum Israeliten 5 (1845), 21–24. Babylonischer Talmud, Traktat Eruvim 31b and 68b; vgl. Geiger, Urschrift (wie Anm. 3), 126. Abraham Geiger, „Apokryphen zweiter Ordnung“, JZWL 7 (1869), 111–135.

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nicht zu. In seiner Urschrift machte er geltend, der masoretische Text sei seit der Entstehung des rabbinischen Judentums und seiner Halacha im zweiten Jahrhundert u. Z. bewusst Veränderungen unterzogen worden. Diese Textrevisionen hätten sich – sowohl in Babylonien als auch in Palästina – bis ins zehnte Jahrhundert fortgesetzt, wobei Vokalisierungen ebenso verändert worden seien wie Akzentzeichen oder ganze Wörter. Der masoretische Text sei also, mit anderen Worten, das Ergebnis eines Akkumulationsprozesses, und es sei die Aufgabe des Historikers, diesem Vorgang nachzuspüren, um die dem Text eingeschriebenen religiösen Entwicklungen aufzudecken. Die Abweichungen des Hebräischen vom Griechischen seien nicht Zeichen eines verderbten hebräischen Textes, sondern lediglich Indikatoren wichtiger Unterschiede, deren Bedeutung es aufzuspüren gelte.10 Die Reaktionen auf Geiger waren gemischt. Paul de Lagarde, der später im neunzehnten Jahrhundert zum beherrschenden Gelehrten in diesem Bereich wurde, machte geltend, es gebe zwei hebräische Texte, die sich aus einem einzigen Archetyp heraus entwickelt hätten – davon einer aus Ägypten, auf dem die Septuagintaübersetzung beruhe, und einer aus Palästina, der masoretische Text. Damit entthronte er die Zentralstellung des masoretischen Textes. Auf der Grundlage der Septuaginta behauptete er, er könne den vermeintlich ursprünglichen hebräischen Text aus Ägypten rekonstruieren. Um diesen ursprünglichen Text wiederzugewinnen, musste de Lagarde die mit der Zeit auf Grund von Fehlern der Schreiber oder bewusster Abänderungen in die antiken biblischen Texte eingedrungenen unterschiedlichen Verfälschungen identifizieren, damit die Wissenschaft den ursprünglichen, einen Text ans Tageslicht bringen konnte. Die Bemühung, einen reinen, ursprünglichen masoretischen Text zu rekonstruieren, entsprach jener in anderen Disziplinen im neunzehnten Jahrhundert, nicht nur in den Geisteswissenschaften, sondern auch in den Naturwissenschaften – etwa dem Versuch der Klassifizierung reiner und ursprünglicher Minerale und Edelsteine.11 Julius Wellhausen zum Beispiel stürzte sich als Kritiker Geigers mit seinem ersten Buch Der Text der Bücher Samuelis, einer textkritischen Studie zum 1. und 2. Samuelbuch (1871), in die Forschung. In seinem Vorwort schrieb Wellhausen, es sei die Lektüre von Geigers Urschrift gewesen, die ihn zur Erforschung der Samuelbücher bewogen habe. Wellhausen stimmte in der Folge Geigers Auffassung zu, die Abwei10 Sarna, „Abraham Geiger and Biblical Scholarship“ (wie Anm. 6), 27. 11 Vgl. Robert Proctor, „Anti-Agate: The Great Diamond Hoax and the Semiprecious Stone Scam“, Configurations 9 (2001), 381–412.

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chungen von den orthographischen Regeln innerhalb des masoretischen Textes seien zu zahlreich und wichtig, als dass man sie als bloße Irrtümer der Schreiber betrachten könnte. Allerdings meinte er, Geiger übertreibe, wenn er so viele und tiefgreifende tendenziöse Änderungen des biblischen Textes postuliere.12 Mit Richard Weis’ Worten: „Wellhausen war alles andere als überzeugt von Geigers Argument, die Überlieferung und Übersetzung des Textes sei durch die jüdische Sozial- und Religionsgeschichte geprägt.“13 Wie Weis jüngst gezeigt hat, setzten sich Geigers Schlussfolgerungen jedoch letztlich durch, beeinflussten so das Werk Theodor Nöldekes, Paul Kahles, Hermann L. Stracks und anderer Forscher des frühen zwanzigsten Jahrhunderts und wurden schließlich von den Zeugnissen der Qumranschriften bestätigt. Lagardes Deutung des masoretischen Textes läuft darauf hinaus, dass der masoretische Text in einem Prozess der Verunreinigung und Korruption des „reinen“ Originals auf dem Wege über Irtümer der Schreiber oder bewusste Fälschung entstanden sei, während Geigers Ansatz darin bestand, die geschichtliche Entwicklung des Judentums mittels des Zeugnisses textueller Veränderungen zu erfassen. Aus Lagardes Sicht handelt es sich bei der Überlieferung des biblischen Textes um einen Prozess der Verwässerung, so dass der Textkritiker das reine Original Jahrhunderten der Kontamination und Korruption wieder abringen muss. Im Gegensatz dazu wollte Geiger die historische Entwicklung des Judentums mittels der durch textliche Veränderungen zur Verfügung gestellten Zeugnisse kartographieren. Zu diesem Zweck wandte er sich dem Koran zu – als einem Text, der eine spätere Stufe des Wachstums des Judentums sichtbar macht und zeigt, auf welche Weise der jüdische Monotheismus zu den heidnischen Arabern gelangte.

II. Die erste Generation: Geigers Erforschung des Korans Die Geschichte der jüdischen Faszination vom Islam beginnt mit Abraham Geiger. Als Geiger 1829 seine orthodoxe Familie in Frankfurt verließ, um an der Universität Heidelberg, später dann – zwischen 1830 und 1833 – in Bonn zu studieren, schloss er sich einer kleinen Gruppe männlicher jüdischer Studierender an, die neu an deutschen Universitäten willkommen geheißen wurden (jüdische Frauen mussten noch bis 1890 12 Julius Wellhausen, Der Text der Bücher Samuelis (Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht, 1871), 29–33. 13 Weis, „Lower Criticism: Studies in the Masoretic Text“ (wie Anm. 2), 32.

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warten).14 Mehrere der Kommilitonen Geigers in Bonn dachten darüber nach, den Beruf des Rabbiners zu ergreifen; in jener Zeit erschien Bonn „wahrhaftig als eine Hochschule für jüdische Theologen“.15 Da es kein Rabbinerseminar gab, an dem sie hätten studieren können, schufen sie sich ihre eigene Weise des Lernens und kamen regelmäßig zusammen, um das Predigen zu üben. Geiger studierte vor allem orientalische Sprachen und schrieb sich in Kursen in Arabisch bei dem Philologen Georg Freytag ein, einem Schüler Antoine de Sacys, der seit 1810 die Professur für Arabisch an der Bonner Universität innehatte.16 Es handelte sich um eine bemerkenswerte Gruppe von Studenten, die allesamt herausragende Gelehrte wurden: Salomon Munk, der zur mittelalterlichen arabischsprachigen jüdischen Philosophie arbeitete und Maimonides’ Führer der Verwirrten aus dem Arabischen ins Französische übersetzte, Joseph Dérenbourg, der zum Judentum der Periode des Zweiten Tempels schrieb und später, gemeinsam mit seinem Sohn Hartwig Dérenbourg, zu den mittelalterlichen arabischen Texten Saadjas und des Averroes forschte, Salomon Frensdorff, der wichtige Forschungen zum masoretischen Text veröffentlichte, Samson Raphael Hirsch, der nur ein Jahr lang in Bonn blieb und bald der führende Rabbiner innerhalb der deutschen Orthodoxie wurde, und Ludwig Ullmann, der 1840 eine deutsche Übersetzung des Korans veröffentlichte.17 In Heidelberg verbrachte Geiger Zeit zudem mit Gustav Weil, der später ausgiebig zum frühen Islam publizierte. Ullmann starb in sehr jungen Jahren, Frensdorff wurde Lehrer in Hannover, und Geiger wirkte als Rabbiner in Breslau, Frankfurt und Berlin, während Munk, Déren14 Monika Richarz, „Juden, Wissenschaft und Universitäten“, in Walter Grab (Hrsg.), Gegenseitige Einflüsse deutscher und jüdischer Kultur von der Epoche der Aufklärung bis zur Weimarer Republik [Jahrbuch des Instituts für deutsche Geschichte, Beiheft 4] (Tel Aviv: Nateev, 1982), 55–72. 15 Ludwig Geiger, „Abraham Geigers Briefe an J. Dérenbourg (1833–42)“, Allgemeine Zeitung des Judentums [= AZJ] 60 (1896), 52–55, hier 52. Als Darstellung der Beziehung zwischen diesen beiden Männern vgl. Michael Graetz, „The History of an Estrangement between Two Jewish Communities: Germany and France during the 19th Century“, in Jacob Katz (Hrsg.), Toward Modernity: The European Jewish Model (New Brunswick and Oxford: Transaction Books, 1987), 159–169. 16 Zu Freytags Karriere an der Universität Bonn vgl. Christian Renger, Die Gründung und Einrichtung der Universität Bonn und die Berufungspolitik des Kultusministers Altenstein (Bonn: Ludwig Röhrscheid Verlag, 1982), 237–239. Aufgrund eines Aktenverlustes des Universitätsarchivs lässt sich leider nicht rekonstruieren, welche Seminare und Vorlesungen Geiger belegte. 17 Universitätsarchiv Bonn, Immatrikulationsakten: Album Academiae Borussicae Rhenanae, D. XVIII Octob. 1829 Album der Universtiät Bonn 1827–1829, 1 IMB 1827/2.1839.

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bourg und Weil nach Frankreich zogen und dort akademische Laufbahnen einschlugen. Die Islamwissenschaften in Deutschland begannen in den 1830er Jahren mit einem Brain-Drain; ihr Ende fanden sie in den 1930er Jahren mit einer weit katastrophaleren Vertreibung. Um 1933 waren die Islamwissenschaften und die Arabistik in Deutschland stark von jüdischen Gelehrten bestimmt und nahmen in der Welt eine Spitzenstellung ein. Einigen dieser jüdischen Forscher gelang es, nach Palästina, Großbritannien oder in die Vereinigten Staaten auszuwandern, andere verloren ihr Leben.18 Die Disziplin der Islamwissenschaften wurde dezimiert und brauchte nach dem Krieg Jahrzehnte, um sich neu zu konstituieren. Geigers Buch Was hat Muhammad aus dem Judenthume aufgenommen?, das ursprünglich in lateinischer Sprache verfasst und 1833 veröffentlicht wurde, entstand auf die Ermutigung seines Lehrers Georg Freytag hin, der das Thema des Preis-Essays zu den jüdischen Quellen des Korans aus Hochachtung vor ihm formulierte. Erst im Frühjahr 1831 begann Geiger – gemeinsam mit zwei seiner Kommilitonen – seine Koranstudien. Am 29. April 1831 notierte er in seinem Tagebuch: „In der That habe ich zu dieser Arbeit große Neigung und darf für diesen Zweck eine ziemlich reiche Ausbeute erwarten, da sich überall Anklänge an das Judenthum und zwar an das durch die Rabbinen und die märchenhafte Grillenfängerei morgenländischer Juden gestaltete finden.“19 Er verfasste den Essay während der ersten vier Monate des Jahres 1832, gewann den Preis und wurde dafür 1834 von der Universität Marburg promoviert. Die Publikation seines Buches wurde in ganz Europa als Beginn eines neuen Verständnisses der Ursprünge des Islams innerhalb des Judentums gefeiert.20 Antoine de Sacy, Heinrich Ewald, Reinhard Dozy, Theodor Nöldeke, Heinrich Fleischer und Ignaz Goldziher gehörten zu den vielen Gelehrten, die es als „epochemachend“ (Nöldeke) priesen. Tatsächlich schuf Geigers Werk ein Muster, dem zahlreiche andere jüdische Forscher, wie etwa Gustav Weil, Hartwig Hirschfeld, Isaac Gastfreund, Josef Horovitz, Victor Aptowitzer, Israel Schapiro, David Sidersky und Abraham Katsch, folgten – ihnen allen lag 18 Ludmila Hanisch, „Akzentverschiebung: zur Geschichte der Semitistik und Islamwissenschaft während des ,Dritten Reiches‘“, Berichte zur Wissenschaftsgeschichte 18 (1995), 217–226, hier 221. 19 Abraham Geiger, Nachgelassene Schriften, Bd. 5 (wie Anm. 5), 39. 20 Abraham Geiger, Was hat Mohammed aus dem Judenthume aufgenommen? Eine von der Königl. Preussischen Rheinuniversität gekrönte Preisschrift (Bonn: Selbstverlag, 1833; ND Leipzig: M. W. Kaufmann, 1902; Osnabrück: Biblio Verlag, 1971).

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daran, den Nachweis für rabbinische Parallelen zu frühislamischen Texten und für den prägenden Einfluss des Judentums auf den Glauben, die rituelle Praxis und die Gesetze des Islams zu führen. Geigers Konstruktion der islamischen Ursprünge ist jedoch zugleich eine Studie zum Judentum. Der Islam, so Geiger, wurde aus den Bausteinen jüdischer Ideen und religiöser Praktiken zusammengefügt. Im Umkehrschluss argumentierte er, die Juden besäßen ein „religiöses Genie“ und das Judentum sei ein kraftvoller, origineller religiöser Impuls, der imstande sei, für primitive kulturelle Kontexte geeignete Ableger hervorzubringen, ohne seine wesentlichen Charakteristika und die Reinheit seiner Lehren preiszugeben. Sowohl der Islam als auch das Christentum hätten als Bemühung begonnen, der heidnischen Welt den jüdischen Monotheismus zu bringen. Dabei sei es dem Islam gelungen, einen strengen Monotheismus zu bewahren, während das Christentum, wie Geiger später argumentierte, seine Theologie mit heidnischen Ideen verwässert habe. Das zentrale Anliegen Geigers bestand jedoch darin, nachzuweisen, dass die rabbinische Literatur als wissenschaftlicher Dreh- und Angelpunkt des Verständnisses der Religionen des Westens dienen könne. Eines der am stärksten verachteten Werke der westlichen Kultur, die rabbinische Literatur, wurde plötzlich von Geiger als Schlüssel zum Verständnis des Islams erwiesen, so wie er später zeigte, dass die rabbinische Literatur den Schlüssel zum Verständnis der Gestalt Jesu und der Lehren der Verfasser der Evangelien darstelle. Ein Beispiel ist die Wiedergabe der Geschichte über den Turmbau zu Babel (Genesis 9, 8–9) im Koran und im Midrasch. In beiden Fällen wird die biblische Strafe der Zerstreuung und Sprachverwirrung durch einen Fluch verschärft, dem zufolge die Erbauer des Turms durch einen giftigen Wind vollständig vernichtet oder keinen Platz in der kommenden Welt haben würden (Sure 11, 63 und Mishnah Sanhedrin 10, 3). Geiger behauptete nachdrücklich, der Koran sei nicht das Produkt christlicher Häretiker, die Mohammed Unwahrheiten über die biblischen Erzählungen gelehrt hätten, wie die meisten Christen über die Jahrhunderte hinweg geltend gemacht hatten (mit der Ausnahme von Petrus Venerabilis, der das Judentum für die Enstehung des Islams verantwortlich machte), sondern eher ein Träger rabbinischer Lehren. Jahre später – 1862 – schrieb Geiger in einer Besprechung von Aloys Sprengers Buch Das Leben und die Lehre des Mohammad: Der Islam ist die jüngste große Religionsform, nicht – eine neue Religion. Es giebt blos eine Religion der Offenbarung, das Judenthum. Das Christenthum ist im Mutterschoße dieser Religion getragen, der Islam mehr mittel-

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bar von ihr gesäugt und genährt worden. Das Judenthum war eine neue, ist die Religion. Es hat gegenüber den Phantasmen des Heidenthums und der Unzulänglichkeit der Speculation durch intellectuelle Anschauung – und das ist Offenbarung – die ewigen religiösen Wahrheiten erfaßt, sie mit der ganzen Gluth der Überzeugung erfüllt und verbreitet, und diese Wahrheiten bleiben in ihrem festen Bestande trotz allen Anfechtungen und Zweifeln. Das Christenthum und der Islam haben die Erscheinungsform des Judenthums […] ohne eine neue Religion zu gründen.21

Zumeist konzentrierte sich die Diskussion über den Einfluss des Judentums auf den Islam auf Fragen des religiösen Rechts, des Rituals oder ethischer Prinzipien. Geigers Erörterung bietet zusätzlich ein erstaunliches Beispiel des jüdischen Beharrens darauf, dass dieser Einfluss nur in einer Richtung verlief: Das Judentum beeinflusste den Islam, ein Einfluss des Islams auf das Judentum wurde dagegen zu keiner Zeit anerkannt. Dazu kommt, dass es im neunzehnten Jahrhundert beinahe keine jüdische Forschung zum Sufismus und zur Schia gab, vermutlich um das Bild des Islams als einer rationalen Religion aufrechtzuerhalten. Die mystischen und irrationalen Elemente der islamischen Tradition wurden ignoriert, so wie sie auch mit Blick auf das Judentum marginalisiert und herabgewürdigt wurden. Geiger schreibt: „Die Werke der apokalyptischen Literatur sind Schmarozerpflanzen an dem gesunden Baume des Geisteslebens“ und fügt hinzu, sie seien selbst „Zeugnisse einer krankhaften Zeit“.22

III. Die nachfolgende Generation Die Erforschung des Islams war in den 1830er Jahren in Deutschland noch in ihren Anfängen begriffen. Die grundlegenden wissenschaftlichen Instrumentarien – Enzyklopädien, kritische Textausgaben und Methoden zu ihrer Analyse – waren noch nicht entwickelt. Geigers Analyse des Korans beruhte, wie er schrieb, schlicht auf dem „nackten arabischen Text“. Heinrich Leberecht Fleischer, der 1835 Professor für Orientalische Sprachen an der Universität Leipzig wurde, hatte – wie Freitag – seine Karriere bei de Sacy in Frankreich begonnen, wo die Forscher damit beschäftigt waren, den Schatz an Dokumenten auszu21 Abraham Geiger, Rezension zu Aloys Sprenger, Das Leben und die Lehre des Mohammad, nach bisher größtentheils unbenutzten Quellen bearbeitet, Bd. 1 (Berlin: Nicolai’sche Verlagsbuchandlung, 1861), JZWL 1 (1862), 185–191, hier 186. 22 Abraham Geiger, „Einige Worte über das Buch Henoch,“ JZWL 3 (1864), 196–203, hier 196.

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werten, den Napoleons Gelehrte von ihren Expeditionen in den Nahen Osten mitgebracht hatten.23 Bonn blieb ein kleineres Zentrum des Studiums des Islams als Leipzig; in Leipzig hatte Fleischer über 300 Studenten, Juden wie Christen, und von den 131 Dissertationen, die er vor seinem Tod im Jahre 1886 betreute, wurden 51 von Juden verfasst – darunter Daniel Chwolson, Morris Jastrow, Immanuel Löw, Wilhelm Bacher, Eduard Baneth und Ignaz Goldziher, den Fleischer als seinen bedeutendsten Schüler betrachtete.24 Fleischer war auch der Begründer und Herausgeber der Zeitschrift der Deutschen Morgenländischen Gesellschaft und nahm dort auch Beiträge jüdischer Autoren auf; seine Zeitschrift wurde dadurch eine der wenigen angesehenen deutschen akademischen Zeitschriften im Bereich der Religionswissenschaft, in denen Juden ihre Forschungen veröffentlichen durften, und machte so die Islamwissenschaft zu einer Disziplin, die Juden in besonderer Weise offenstand. In der zweiten Hälfte des neunzehnten Jahrhunderts waren es zudem einige jüdische Gelehrte, die erste Kontakte mit der muslimischen Welt aufnahmen. Gustav Weil studierte Philologie bei Antoine Sylvestre de Sacy in Paris, bereiste sodann mit französischen Expeditionen Nordafrika und verbrachte vier Jahre in Kairo, wo er bei Mohammed al-Tantawi Arabisch und türkische Dialekte studierte. Unter den Nichtjuden waren es Alfred von Kremer, Joseph von HammerPurgstall und Aloys Sprenger, die zeitweise in muslimischen Ländern lebten. Doch in den letzten Jahrzehnten des neunzehnten Jahrhunderts ergab sich eine neue Entwicklung. Josef Horovitz wirkte sieben Jahre lang als Professor für Arabisch an der Aligargh Muslim University; Max Herz wurde Berater für die architektonische Restauration von Moscheen und Bewahrung islamischer Altertümer in Kairo; Goldziher entwickelte während seiner Reisen nach Kairo und Damaskus persönliche Beziehungen zu Gelehrten, religiösen Reformern und politischen Führern, und mehrere seiner Studien zur Hadith-Literatur und zum Koran wurden später ins Arabische übersetzt und Mitte des

23 Zu Fleischer vgl. Sabine Mangold, Eine ,weltbürgerliche Wissenschaft‘: Die deutsche Orientalistik im 19. Jahrhundert (Stuttgart: Steiner, 2004); Johann J. Fück, Die arabischen Studien in Europa bis in den Anfang des 20. Jahrhunderts (Leipzig: Otto Harrassowitz, 1955); Martin Kramer (Hrsg.), The Jewish Discovery of Islam: Studies in Honor of Bernard Lewis (Tel Aviv: Tel Aviv University, 1999); Holger Preißler, „Heinrich Leberecht Fleischer: Ein Orientalist, seine jüdischen Studenten, Promovenden und Kollegen“, Leipziger Beiträge zur Jüdischen Geschichte und Kultur 4 (2006), 245–268. 24 Universitätsarchiv Leipzig, Philosophische Fakultät, Promotionen.

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zwanzigsten Jahrhunderts in Ägypten veröffentlicht.25 Diese Übersetzungen erfolgten Josef van Ess zufolge vornehmlich auf Veranlassung von Ali Hasan Abdalqadir, der während der 1930er und 1940er Jahre an der al-Azhar Universität lehrte.26 In den 1940er Jahren brachen in Ägypten Kontroversen über den Gebrauch von Goldzihers historistischem Ansatz aus, insbesondere im Zusammenhang mit dem Aufstieg der Muslimbruderschaft; Mustafa al-Sibai, der Gründer der Muslimbruderschaft in Syrien, kam 1939 zur al-Azhar-Universität, um bei Abdalqadir zu studieren, und wandte sich dagegen, dass dieser in seinen Vorlesungen über das islamische Recht Goldziher heranzog. Die Kontroversen über historistische Deutungen islamischer Texte begrenzte die Wirkung des Werkes Goldzihers in Ägypten, ebenso wie die anderer europäischer Historiker.27 Die jüdischen Gelehrten und Theologen, die den Islam bewunderten, standen in scharfem Gegensatz zu einigen der bedeutenden zeitgenössischen christlichen Islamwissenschaftler in Deutschland. Julius Wellhausen etwa übertrug die traditionelle christlich-theologische Herabwürdigung des Judentums auf seine Bewertung des Islams. Carl Heinrich Becker schrieb die Ursprünge des Islams dem Hellenismus statt dem Judentum zu.28 Als Wellhausen sich in seinen Forschungen vom Alten Testament ab- und dem Islam zuwandte, tat er das in der Absicht, wie er schrieb, „über den wilden Stamm zu lernen, auf den die Priester und Propheten den Sproß der Tora Jahwes aufpfropften“.29 Was er zu finden hoffte, war, wie Josef van Ess erklärt, „Religiosität ohne Priester und Propheten, ohne das Gesetz und ohne Institutionen“.30 Wellhausen suchte nach einem vom Judentum gereinigten liberalen Protestantismus. Aus seiner Sicht war die Epoche der klassischen Prophetie 25 Josef van Ess, „Goldziher as a Contemporary of Islamic Reform“, in Eva Apor und Istvan Ormos (Hrsg.), Goldziher Memorial Conference: June 21–22, 2000, Budapest (Budapest: MTKA, 2005), 37–50. 26 Ebd., 38. 27 Vgl. Gautier H. A. Juynboll, The Authenticity of the Tradition Literature: Discussions in Modern Egypt (Leiden: Brill, 1969). 28 Carl H. Becker, „Der Islam als Problem“, Der Islam 1 (1910), 1–21. 29 Julius Wellhausen (Hrsg.), Muhammed in Medina. Das ist Vakidi’s Kitab alMaghazi in verkürzter deutscher Wiedergabe (Berlin: Reimer, 1882), 5. Vgl. Peter Machinist, „The Road Not Taken: Wellhausen and Assyriology“, in Gershon Galil, Mark Geller und Alan Millard (Hrsg.), Homeland and Exile: Studies in Honor of Bustenay Oded (Leiden und Boston: Brill, 2009), 469–532. 30 Josef van Ess, „From Wellhausen to Becker: The Emergence of Kulturgeschichte in Islamic Studies“, in Malcolm H. Kerr (Hrsg.), Islamic Studies: A Tradition and Its Problems (Malibu: Undena Publications, 1980), 27–51, hier 42.

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der Höhepunkt des antiken Israel; das Priestertum und das religiöse Recht betrachtete er dagegen als spätere Entwicklung, die eine Degeneration der biblischen Religiosität Israels ins Judentum darstellte. Ähnlich ging Becker von einer Dichotomie zwischen subjektiver Religiosität und institutionalisierter Religion aus – und darin implizit einer Dichotomie zwischen Protestantismus und Judentum. Van Ess schreibt: „Aus seiner [Wellhausens] Sicht stärkt die Scharia den Konservativismus und macht Fortschritt unmöglich; ihr idealistischer Charakter läßt jene, die ihr unterliegen, an einer angemessenen Erfüllung verzweifeln und begünstigt somit ihre Trägheit.“31 Im Gesamtkorpus der Wissenschaft zum Islam steht Goldziher als einzigartige Figur da. Sein Werk ist so vielfältig, tiefschürfend und einflussreich, dass ich in diesem Zusammenhang nur kurz einige Aspekte erwähnen kann, die seine Bedeutung ausmachen. Goldzihers Forschung beschränkte sich nicht auf die Philologie, er war vielmehr ein Proto-Religionsphänomenologe, der nach Mohammeds Erleben als Prophet fragte. Mit Blick auf die Thematik des jüdischen Einflusses auf die Herausbildung des Islams wiederholte Goldziher die jüdische Bestreitung seiner Originalität: Es kommt wenig darauf an, „dass die Lehren Muhammads nicht originelle Schöpfungen des Genius waren, die ihn zum Propheten seines Volkes erweckte“ und dass sie „allesamt aus dem Judenthum und Christenthum zusammengelesen sind.“ Ihre Originalität besteht vielmehr darin, „dass diese Lehren der arabischen Weltanschauung zu allererst durch Muhammad mit energischer Beharrlichkeit entgegengesetzt wurden.“32 Gleichzeitig ignorierte oder bestritt Goldziher vielfach die Möglichkeit des jüdischen Einflusses auf Aspekte des islamischen Rechts, selbst dort, wo dieser Einfluss offenkundig war. Patricia Crone hat darauf hingewiesen, dass Goldziher „ohne weiteres den Beweis für die Theorie hätte führen können, daß das jüdische Recht in starkem Maße zur Scharia beigetragen hat; er sprach sich jedoch immer wieder für die Auffassung aus, sie [die Scharia] sei eine vergangene Stufe der römischen Rechtsgeschichte’, die ihren Beitrag geleistet habe“.33 Gleichzeitig weisen Goldzihers Methoden klare Anzeichen jüdischen Einflusses auf. In seiner Redaktionskritik früher Texte 31 Ebd., 43. 32 Ignaz Goldziher, „Muruwwa und Dîn“, in Ignaz Goldziher, Muhammedanische Studien, 2 Bde. (Halle: Max Niemeyer, 1889/90), Bd. 1, 1–39, hier 12. 33 Patricia Crone, Roman, Provincial, and Islamic Law: The Origins of the Islamic Patronate (Cambridge und New York: Cambridge University Press, 1987), Anhang II.

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des Islams (und des Judentums) bediente er sich der historistischen Methoden der Tübinger Schule der neutestamentlichen Forschung, die er aus Geigers monumentaler Studie zum Judentum der Zeit des Zweiten Tempels (Urschrift und Übersetzungen der Bibel, 1857) gelernt hatte. Diese Methoden wandte Goldziher erstmals in seinen Studien zu hebräischen Mythen und später in seinen Vorlesungen zur jüdischen Geschichte an, in denen er die progressive Entwicklung des Judentums betonte – Vorlesungen, die sein reaktionäres ungarischjüdisches Publikum dermaßen empörten, dass man seine sechste und abschließende Vorlesung absagte.34 Geigers Methoden, vermittelt durch die Tübinger Schule Ferdinand Christian Baurs und David F. Strauss’, spiegeln sich in Goldzihers Unterscheidung zwischen den auf Mekka und den auf Medina zurückgehenden Teilen des Korans (wobei Mekka jüdisch ist) ebenso wider wie in seinem Argument, die Hanafitische und Malikitische Schule der Rechtsauslegung bringe eine Reihe sozialer und politischer Schichten zum Ausdruck.35 So wie Geiger mit den rabbinischen Texten verfahren war, ging auch Goldziher vor, indem er die einander widerstreitenden Schulen aufzeigte, die die Hadith-Literatur geschaffen hatten, und ihre Auffassungen dann Mohammed zuschrieb. Wie Geiger setzte sich Goldziher mit der Rassentheorie auseinander, die in einigen Bereichen der Orientalistik aufkam, insbesondere im Werk Ernest Renans, der den Islam – wie das Judentum – als starr und der Veränderung unfähig betrachtete. Aus Goldzihers Sicht war zum Beispiel die Tatsache, dass es unmöglich war, den Beweis für eine Frühdatierung der Hadith-Literatur zu führen, ein Zeichen für die progressive Entwicklung des Islams jenseits der Mekka- und MedinaPeriode. Als umsichtiger Historiker erkannte Goldziher, dass isnads, Ketten der Überlieferung, nicht zuverlässig als Beweis für die Echtheit historischer Daten dienen konnten: „Das Hadith wird uns nicht als Document für die Kindheitsgeschichte des Islam, sondern als Abdruck der in der Gemeinde hervortretenden Bestrebungen aus der Zeit seiner reiferen Entwickelungsstadien dienen; es bietet uns ein unschätzbares Material von Zeugnissen für den Entwickelungsgang, den der Islam 34 Ignaz Goldziher, Der Mythos bei den Hebräern und seine geschichtliche Entwicklung. Untersuchungen zur Mythologie und Religionswissenschaft (Leipzig: Brockhaus, 1876). 35 1868 schrieb Goldziher in sein Tagebuch: „Ich begann Geigers Botschaft zu verstehen, nachdem ich mich mit Strauss und Bauer vertraut gemacht hatte“ – d. h. mit den radikalen historistischen Methoden der Tübinger Schule; vgl. Robert Simon, Ignac Goldziher: His Life and Scholarship as Reflected in His Work and Correspondence (Leiden: Brill, 1986), 134.

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während jener Zeiten durchmachte, in welchen er aus einander widerstrebenden Kräften, aus mächtigen Gegensätzen sich zu systematischer Abrundung herausformt.“36 Mit anderen Worten: isnads wurden dazu verwendet, spätere Lehren zu legitimieren, indem man sie in die Vergangenheit projizierte. Goldzihers Muslime waren wie die Rabbinen der Antike, die ihre Lehren berühmten Rabbinen früherer Zeiten zuschrieben und ihre Rechtsauslegungen entsprechend der politischen, sozialen und wirtschaftlichen Umwelt der Juden modifizierten: Goldziher hob hervor, dass selbst Mohammed seine Lehren an die Umstände der Araber anpassen musste, denen er predigte. Die religiöse Praxis war formbar, und die Interpretationen des Korans mussten zu unterschiedlichen Zeiten voneinander abweichen; das war ein Zeichen der Lebendigkeit der Religion – dasselbe Argument, das Goldziher in seinen Arbeiten über die hebräischen Mythen mit Blick auf das Judentum zur Sprache brachte.

IV. Der Islam im modernen jüdischen Selbstverständnis In der jüdischen Polemik gegen das Christentum, die, wie Uriel Tal gezeigt hat, aus den unklaren Unterschieden zwischen liberalem Judentum und liberalem Protestantismus erwachsen war,37 fungierte der Islam als stillschweigender Gesprächspartner. Als Vernunftreligion richtete der Islam gemeinsam mit dem Judentum die Aufmerksamkeit auf die Anomalie des Christentums als einer vernunftwidrigen Religion. Hermann Cohen betrachtete das Christentum, in einem scharfen Bruch mit Ernest Renan und der von ihm inspirierten Tradition, als eine Religion des Mythos und daher als philosophisch im Irrtum befangen und ethisch unfähig, schrieb aber über den Islam: „Die jüdische Philosophie des Mittelalters erwächst nicht sowohl aus dem Monotheismus des Islams, als vielmehr aus dem ursprünglichen Monotheismus, und höchstens kann die Verwandtschaft, die zwischen dieser Tochterreligion und der der Mutter besteht, die innige Beziehung verständlich 36 Ignaz Goldziher, „Ueber die Entwickelung des Hadith“, in Ignaz Goldziher, Muhammedanische Studien, Bd. 2, 1–274, hier 5. Man bemerke, dass David S. Margoliouth, ein Zeitgenosse Goldzihers, das Argument – wie Henri Lammens and Joseph Schacht – noch weiter auszog. 37 Uriel Tal, Christians and Jews in Germany: Religion, Politics, and Ideology in the Second Reich, 1870–1914, übersetzt von Noah Jonathan Jacobs (Ithaca, NY: Cornell University Press, 1975).

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machen, welche intimer als sonstwo zwischen Judentum und Islam sich anbahnt.“38 Franz Rosenzweigs Wendung zu einer negativen Bewertung des Islams spiegelt seine weit freundlichere Sicht des Christentums wider, aber auch eine Verlagerung seines Interesses vom Judentum als einer Religion der Vernunft zu einer Heilsgeschichte, an der sowohl das Judentum als auch das Christentum teilhaben, mit der Folge eines Ausschlusses des Islams.39 Leo Strauss wandte sich schließlich ab von dem, was er als Apologetik Geigers und des liberalen Judentums betrachtete, und benutzte die muslimisch-jüdische Affinität, um das Judentum als eine dem Christentum überlegene Religion des Gesetzes zu verteidigen. Damit akzeptierte Strauss die in der christlichen Vorstellung so lange verankerte Dichotomie zwischen der angeblichen „Gesetzlichkeit“ und Sinnlichkeit des Judentums im Gegensatz zur vermeintlich höheren Ethik und Spiritualität des Christentums, wertete aber diese Dichotomie um. Strauss fasst die antijüdische Haltung Paul de Lagardes wie folgt zusammen: „Zwischen Judentum und Christentum gibt es keine Versöhnung, das Judentum ist das antichristliche Prinzip schlechthin.“40 Gerade dank seines Materialismus und seiner Bejahung des Primats des Gesetzes sei das Judentum dem Christentum in Wirklichkeit überlegen. Strauss zufolge respektieren die islamische, die jüdische und die griechische Philosophie allesamt das Primat des Gesetzes für die Gesellschaft und die Moral, während es dem Christentum und dem modernen Staat um den Glauben geht und beide einen Mangel an Interesse an der Zentralität des Gesetzes innerhalb von Religion und Gesellschaft teilen. Strauss schaut Christentum und Säkularismus in ihrer Missachtung des Gesetzes zusammen und macht das Christentum für seinen eigenen Niedergang im säkularen Zeitalter selbst verantwortlich, während das Judentum, so behauptet er, von Moderne und Säkularismus unberührt geblieben sei.

38 Hermann Cohen, Religion der Vernunft aus den Quellen des Judentums (Frankfurt am Main: Kauffmann, 2 1929), 107f. 39 Private email-Korrespondenz mit Professor Robert Erlewine im Oktober 2009. Zu Rosenzweigs Texten zum Islam vgl. Gesine Palmer und Yossef Schwartz (Hrsg.), „Innerlich bleibt die Welt eine“: Ausgewählte Texte zum Islam (Berlin: Philo, 2003). 40 Leo Strauss, „Paul de Lagarde“, in Leo Strauss, Gesammelte Schriften, Bd. 2: Philosophie und Gesetz – Frühe Schriften, hrsg. von Heinrich Meier (Stuttgart und Weimar: Metzler, 1997), 323–333, hier 328; vgl. Leora Batnitzky, „Leo Strauss’s Disenchantment with Secular Society“, New German Critique 94 (2005), 106–126.

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V. Schluss Worin besteht die Bedeutung von Geigers wissenschaftlichem Ansatz heute? Erstens wird deutlich, dass wir seinem Werk nicht wirklich gerecht werden können, wenn wir es nicht in einen größeren Zusammenhang stellen und sein breites intellektuelles Engagement erkennen. Um zum Judentum forschen zu können, musste er auch Studien zum Islam und zum Christentum anstellen. Die vergleichende Forschung verschaffte ihm das Verständnis dafür, wie Religionen funktionieren und denken. Als Gelehrter eignete er sich nicht nur die philologischen Methoden anderer Forscher im Bereich des Judentums oder im Bereich der Klassischen Philologie an, sondern lernte auch von den Neutestamentlern der Tübinger Schule. Wie unter anderem Ferdinand C. Baur deutete er Veränderungen im biblischen Text als Zeichen der historischen Entwicklung, nicht der Degeneration. Das versetzte ihn in die Lage, das Judentum und den Islam als lebendige Religionen zu verteidigen, gegen die gewöhnlich vertretene Auffassung, sie seien Fossilien der Geschichte. Seine Deutung widersprach der romantisierenden Neigung von Gelehrten der Orientalistik, einen gereinigten Text zu rekonstruieren, die, wie Suzanne Marchand argumentiert hat, durch ihre Suche nach der ursprünglichen, authentischen deutsch-arischen Seele motiviert war.41 Diese Suche war nicht Geigers Ziel, und wäre man seinen Methoden gefolgt, so wäre die deutsche Religionswissenschaft nicht rassistisch geworden. Geiger betrachtete Wissenschaft als jüdisch: Das freie Streben nach wissenschaftlicher Forschung – ohne Begrenzung durch Doktrinen – war es, was aus seiner Sicht das Judentum vom Christentum unterschied, so dass Juden, die sich der modernen Welt zugesellten, eine Blüte des Judentums erlebten. Geiger und die jüdischen Gelehrten, die ihm nachfolgten, machten den Islam zu einem gleichwertigen Partner im Religionsgespräch des neunzehnten Jahrhunderts. Ihr Werk, so Emel Tastekin, stellte die erste Bemühung dar, „dem inneren Imperialismus der westlichen und angelsächsischen Kultur entgegenzutreten, und somit den Vorläufer der vergleichenden und postkolonialen literarischen Forschung des zwanzigsten Jahrhunderts“.42 Geigers Forschungen zum Islam waren Teil seines umfassenderen wissenschaftlichen Programms, des Versuchs, die 41 Suzanne Marchand, German Orientalism in an Age of Empire: Religion, Race and Scholarship (Cambridge und New York: Cambridge University Press, 2009). 42 Emel Tastekin, „Europe as Abrahamic: Nineteenth-Century Paradigms Re-Examined“, Vortrag beim American Comparative Literature Association meeting (New Orleans, LA, 2010).

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christliche Hegemonie umzustürzen und dem Judentum eine neue Stellung innerhalb der europäischen Geschichte und des europäischen Denkens zu verschaffen. Während Ernest Renan und andere eine scharfe Trennung zwischen dem Semitischen und dem Indo-Europäischen vornahmen, waren sowohl der Islam als auch das Judentum ebenso europäisch wie das Christentum. Geiger vertrat in jedem Fall, wie Angelika Neuwirth herausgearbeitet hat, ein weit positiveres und humaneres Verständnis des Islams als alles, was andere europäische Orientalisten schrieben.43 Geigers Werk ist deshalb notwendiger als je zuvor. Heute sind wir Zeugen einer massiven Kritik des Islams als einer Religion der Gewalt, der Intoleranz und des Antisemitismus – eine Einschätzung, die sich im Werk der jüdischen Gelehrten des neunzehnten Jahrhunderts nicht findet. Heute sehen wir, wie zunehmend Trennungen zwischen Christentum und Islam oder zwischen Judentum und Islam vorgenommen werden. Für Geiger dagegen ist keine Religion eine Insel, kann keine Religion als autonomes Gebilde verstanden werden. Das christliche Europa lässt sich nicht angemessen begreifen, ohne die Rolle des Judentums und des Islams mitzudenken, sowohl in ihrer physischen Präsenz als auch als geistige Verbündete, gelegentlich als Gegenstand der Polemik. So veranlasste das Streben nach europäischer Integration auch Geiger, ein Bündnis zwischen Judentum und einem idealisierten Bild des Islams zu schaffen. Der Islam wurde zu einer Schablone, um Christen in Europa das Judentum zu erklären und es zu verteidigen. Seine Forschung zum Islam diente als Modell für eine rational-philologische Methode, die – so hoffte er – die christlichen Gelehrten übernehmen und an die Stelle ihrer romantischen, nationalistischen und vom Rassendenken bestimmten Ansätze setzen würden. Heute erkennen wir natürlich auch, dass Geiger eine Allianz zwischen Judentum und Islam schmiedete, um seine Definition des Judentums als einer Religion des ethischen Monotheismus zu untermauern. Doch selbst wenn Geiger geltend machte, dass der Islam – wie das Christentum – aus dem Judentum entstanden sei, verdankte sich sein eigenes modernes Judentum, so sehen wir heute, seinem idealisierten Bild des Islams.

43 Angelika Neuwirth, „,Im vollem Licht der Geschichte‘. Die Wissenschaft des Judentums und die Anfänge der kritischen Koranforschung“, in Dirk Hartwig, Walter Homolka, Michael J. Marx und Angelika Neuwirth (Hrsg.), „Im vollen Licht der Geschichte“: Die Wissenschaft des Judentums und die Anfänge der kritischen Koranforschung (Würzburg: Ergon Verlag, 2008), 25–39.

The Pitfalls of Counterhistory: Abraham Geiger and Samuel Hirsch on Rabbinic Judaism Judith Frishman Susannah Heschel, when discussing Abraham Geiger’s understanding of religion, asks: […] “in defining the nature of religion, is Geiger identifying the faith of Jesus as typical of the Jews, or is he constructing the faith of the Jews after the model of the liberal Protestant’s version of Jesus’ faith?”1 It is a truism that the works of historians reflect the societies and times in which they are written; they do so by either incorporating contemporary notions, rejecting them or both. Geiger’s popular lecture series on the history of Judaism2 and the philosophical treatises of his contemporary Samuel Hirsch (1815–1889)3 form no exception 1 2

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Susannah Heschel, Abraham Geiger and the Jewish Jesus (Chicago: University of Chicago Press, 1998), 147. Abraham Geiger, Das Judenthum und seine Geschichte. In zwölf Vorlesungen. Nebst einem Anhange: Ein Blick auf die neuesten Bearbeitungen des Lebens Jesu (Breslau: Schlettersche Buchhandlung, 1864), republished as Das Judenthum und seine Geschichte bis zur Zerstörung des zweiten Tempels. In zwölf Vorlesungen. Nebst einem Anhange: Renan und Strauß (= Das Judenthum und seine Geschichte. Erste Abteilung) (Breslau: Schlettersche Buchhandlung, 2 1865) and Abraham Geiger, Das Judenthum und seine Geschichte von der Zerstörung des zweiten Tempels bis zum Ende des zwölften Jahrhunderts. In zwölf Vorlesungen. Nebst einem Anhange: Offenes Sendschreiben an Herrn Professor Dr. Holtzmann (= Das Judenthum und seine Geschichte. Zweite Abteilung) (Breslau: Schlettersche Buchhandlung, 1865). The two volumes were republished under the title Das Judentum und seine Geschichte. In vierunddreißig Vorlesungen (Breslau: Wilhelm Jacobsohn, 1910). All references are to the 1910 edition; Ludwig Geiger, ed., Abraham Geigers Allgemeine Einleitung in die Wissenschaft des Judentums (Berlin: Louis Gerschel, 1875) (= special print from Ludwig Geiger, ed., Abraham Geigers Nachgelassene Schriften, Vol. 2 [Berlin: Louis Gerschel, 1875]. All references are to Vol. 2 of Geiger’s Nachgelassene Schriften. Samuel Hirsch, Die Religionsphilosophie der Juden oder das Prinzip der jüdischen Religionsanschauung und sein Verhältniss zum Heidenthum, Christenthum und zur absoluten Philosophie (Leipzig: Heinrich Hunger, 1842).

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to this rule. In this article I will make the claim that while Geiger’s and Hirsch’s works are certainly justifications for religious reform and answers to the new humanism of their time, they are beyond all else historical and philosophical readings framed by Christian polemics against Judaism. These polemics were no longer limited to the confines of the Church or theological seminaries and faculties but had been incorporated into the debates on the emancipation of the Jews at large in Germany. Geiger and Hirsch respond extensively to claims that: 1) Jews could not be good citizens because they were a nation within a nation and longed for a homeland elsewhere; 2) they rigidly adhered to the letter of the law which had nothing to do with morality; 3) Judaism was priestly and hierarchical; 4) Jews and Judaism were allochronic, not coeval, and remained outside the flow of history – an assessment that implied the necessary demise of Judaism; 5) Judaism was particularistic and Jews kept to themselves to the extent of being misanthropic. Heschel has dubbed Geiger’s response “a counterhistory of Christian counterhistory,” one of whose prime motives was “ending Christian anti-Judaism with the challenge of a counterhistory of Jesus.” She concludes that while Geiger “did not succeed […] in ending the theological animosity of German Christian theologians toward Judaism, he did succeed in demonstrating the false bases of their accounts of Judaism.”4 But did he or fellow reformer Hirsch indeed do so? In what follows I will argue that Geiger and Hirsch did not simply refute Christian accounts of Judaism but rather endorsed many if not most of their anti-Jewish arguments. Having done so, they were then confronted with the dilemma of acknowledging the failures of Judaism while at the same time claiming its superiority. The results of this acknowledgement are pithily captured in the title “Zeit der starren Gesetzlichkeit,” by which Geiger, in part two of his Allgemeine Einleitung in die Wissenschaft des Judentums, referred to Judaism of the sixth to mid eighteenth centuries – a period of no less than 1200 years!5 This negative judgment is perforce the outcome of the type of history Geiger set out to write, the nature of which will be discussed below.

4 5

Heschel, Abraham Geiger and the Jewish Jesus (see note 1), 14–15. L. Geiger ed., Abraham Geigers Allgemeine Einleitung in die Wissenschaft des Judentums (see note 1), 97.

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I. Geiger’s History of Judaism Geiger intends to write neither a history of the Jews nor a history of the Jewish people, but rather a study of Judaism’s spiritual achievements,6 as the titles Das Judenthum und seine Geschichte and Allgemeine Einleitung in die Wissenschaft des Judentums indicate. With its focus on religion, this approach enables Geiger to skirt accusations of double loyalty associated with Jewish nationhood. It allows him, moreover, to present Judaism’s contribution to the world as one of lasting significance, on a par with that of the Greeks and superior to Christianity. This agenda was already set in the first chapter of Das Judenthum und seine Geschichte where Geiger begins by defining or rather redefining religion in prevalent nineteenth-century romantic terms as “the longing of the spirit after the Ideal,”7 and after “the highest pursuits,”8 a longing that will never cease as long as man exists. It is next the author’s task to demonstrate that Judaism has functioned and still functions as Religion, prompting men to act according to higher principles. If he is able to do so, then it will be clear that Judaism is “one of the noblest animating powers among mankind.”9 This definition of religion avoids terms common to the pre-modern Jewish self-definition such as torah, covenant, law and commandments, thereby positions Judaism outside of the Christian supersessionist framework and marks it as a world-historic phenomenon.10 Christianity, by implication, will have to demonstrate that it still functions as Religion in this newer and loftier sense of the word. This definition, however, does not resolve the conflict between the universal aspects of religion on the one hand, and the embodiment of religion in the particularities of peoplehood and state on the other. Christianity, after all, boasted of the universal appeal of its spiritual tenets as compared to the limited success of a carnal Judaism. Geiger is thus forced to simultaneously defend both Jewish peoplehood and its dissolution. He does this with the claim that Religion is always primarily religion of a people11 and the ensuing affirmation that religion that goes beyond nationality is superior. In fact, political life, unity and statehood led more often than not to the downfall of many a 6 He says this explicitly in his Allgemeine Einleitung in die Wissenschaft des Judentums (see note 1), 29. 7 Geiger, Das Judentum und seine Geschichte (see note 1), 17. 8 Ibid., 19. 9 Ibid. 10 Cf. ibid., 5. 11 Ibid., 23.

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gifted people.12 He explains that whereas religion and moral values had to be protected within a people from the outside threats of paganism in Judaism’s early phases, the fall of the state by no means implied the demise of Judaism – and by inference its subsequent replacement by Christianity. To the contrary, Geiger attributes greater status to this stateless condition. He thereby explicitly rejects the identification of Judaism with forms of peoplehood and nationalism, implicitly criticizes the privileged position of Protestantism in German nation-forming and is anxious about the future of the newly united Empire. A period of statehood and the development of national consciousness were necessary, isolating the people from other nations and granting the God it worshipped a special position.13 The development of the Jewish God idea took place slowly: at first other gods were acknowledged yet relegated to lower positions. While this was not the purest understanding of the unique God of the entire world who could neither be sensed nor depicted, it bore the seeds of the true God idea.14 The Temple and priesthood also served a function, eliminating foreign elements and focusing on the service of the one God. These institutions, however, were not meant to be eternal; they served their purpose within a specific period of historical development of the faith. The faith the people bore was not to be limited to one nation but was ultimately intended for all of humanity. Therefore, Geiger concludes, it is not birth that makes someone Jewish but faith,15 clearly a counterreading of the Christian interpretation of Abraham’s justification through faith (Gen 15:6) in Gal 3:6, Rom 4:3 and Paul’s juxtaposition of an Israel according to the flesh and Israel of the spirit in Rom 9:6–9. Geiger consequently dismisses the age old longing for the return to Zion, the rebuilding of Jerusalem and the restoration of the Temple as retrogressive errors that he ascribes to persecution. The dismissal of these traditional elements is reflected in his liturgical reforms of 1854 and more radically in 1870 as well as in Geiger’s attack on Manuel Joël’s 1872 revision of Geiger’s prayer book in which more traditional references to Zion and Jerusalem are restored.16 Priesthood, sacrifices, pow12 13 14 15 16

Geiger, Allgemeine Einleitung in die Wissenschaft des Judentums (see note 1), 30. Ibid., 40. Ibid., 41. Geiger, Das Judentum und seine Geschichte (see note 1), 175. Cf. Geiger’s preface to his 1854 prayer book as well as “Etwas über Glauben und Beten. Zu Schutz und Trutz,” Jüdische Zeitschrift für Wissenschaft und Leben [= JZWL] 7 (1869) 1–59, here 52–54. Reference from Jakob J. Petuchowski, Prayerbook Reform in Europe: The Liturgy of European Liberal and Reform Judaism (New York: World Union for Progressive Judaism, 1968), 278–281.

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er struggles around the Temple represented external forms that would make way for higher forms of worship whose roots had already taken hold in Temple times. Prayer, for example, had already been instituted by the Pharisees, but it was only after the fall of the temple that man’s relationship to God became clearer through the immediate expression of prayer rather than through outward symbols.17 Geiger’s historical survey returns time and again to the themes just touched upon: unique to Judaism are “the longing of the spirit after the Ideal,” i.e. the manifestation of the consciousness of man’s innate moral power,18 and the acknowledgment of the one universal God. Judaism at times took on, had to take on, particularistic forms in order to protect its mission from outside threats and lead the world on God’s path to moral freedom. Concomitantly, the seclusion resulting from (Christian) persecution was detrimental and together with the adoption of foreign elements led to subjection to outward forms.19 Geiger compares Judaism in the Middle Ages to a plant in the dark,20 its stem contorted, deformed and denaturalized by its search for light. However, the seed of Judaism’s spirit remained firmly rooted and when given lee exhibited vitality, robustness, moral aspiration and power. The intrepidness of Geiger’s counterhistory reaches its climax when he points to no one less than the Pharisees as proof of Judaism’s vitality. It is especially Hillel who represented the quintessence of spiritual progress and evolution “by respecting the sentiment rather than the ancient rigorous laws, consulting time rather than ancient custom.”21 Scholars have rightly pointed to the important role Geiger’s glorification of the Pharisees as a universal symbol for progress and his identification with Hillel play in both his counterhistory and legitimation of reform.22 But Geiger’s positive evaluation is short lived: struggling 17 18 19 20 21 22

Geiger, Das Judentum und seine Geschichte (see note 1), 174. Ibid., 40. Ibid., 168. Ibid, 169. Ibid., 276. For Geiger on the Pharisees and counterhistory, cf. Heschel, Abraham Geiger and the Jewish Jesus (see note 1); Judith Frishman, Wat heeft het christendom van het jodendom overgenomen? Abraham Geiger en de geschiedschrijving van het rabbijns jodendom [Rede uitgesproken bij de aanvaarding van het ambt van hoogleraar geschiedenis en literatuur van het rabbijnse jodendom aan de Katholieke Theologische Universiteit te Utrecht op donderdag 28 januari 1999] (Utrecht: KTUU, 1999/2000) [inaugural lecture, Catholic Theological University of Utrecht]; Ken Koltun-Fromm, Abraham Geiger’s Liberal Judaism (Bloomington and Indianapolis, IN: Indiana University Press, 2006), 52–57. For Geiger’s identification with Hillel,

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to distinguish between the husks and the kernel, he points to increasing rigidity in Judaism, which he also attributes to the Pharisees – albeit the stricter school of the Shammaites. As for the rest of the history of Judaism, even the historical personalities who, according to Geiger, represent religious truths and deep moral principles, made the yoke of the law heavier. Rabbi Akiva, for example, is described as a rigid legalist and is criticized for his use of far-fetched exegesis in an attempt to preserve the laws of the past,23 but owes the regard in which Geiger holds him to the anti-Christian twist Geiger gives his exegesis. By way of illustration: Akiva interprets Gen 1:26–27 (“Let us make man in our image […] so God created man in his own image”) to mean that man occupied a special position of excellence in the order of creation, for God has no image. Gen 3:5 “[…] as soon as you eat it your eyes will be open and you will be like God” means according to Akiva that man – as opposed to other creatures – was able to distinguish between good and evil by his own reasoning (the meaning of “like God”). Geiger praises what he sees as a denial of any real similarity between man and God, an identity mistakenly made by Christianity. Akiva, as opposed to heathens and Christians, also understood both parts of the verse “all things are determined, but freedom is given” to be essential to religion, meaning that man can elevate and perfect himself by his own efforts and is not doomed by fate, or (by implication) by original sin. And finally Akiva’s pronouncement that “the righteous among all nations and religions will gain eternal life” in a time when Judaism had closed itself off from external influence and its eyes were darkened by violence, attests to the indestructible Jewish religiosity and universalism, to continuity and development in Judaism.24 Geiger’s critical stance regarding what he calls the period of tradition, the period in which the spiritual legacy of the past was consolidated,25 pales when compared to his judgment of post-Talmudic period up to his own times. Despite new biblical translations, the blossoming of philosophy and the high culture of the Jews of Spain, Geiger points to the primacy of the letter of the text and finds very little evidence for the expression of independent conviction. While Geiger clearcf. Harvey Hill, “The Science of Reform: Abraham Geiger and the Wissenschaft des Judentum,” Modern Judaism 27 (2007), 329–349. 23 Geiger, Allgemeine Einleitung in die Wissenschaft des Judentums (see note 1), 89; Geiger, Das Judentum und seine Geschichte (see note 1), 185. 24 Ibid., 185–189. 25 Geiger, Allgemeine Einleitung in die Wissenschaft des Judentums (see note 1), 31; 54– 97. This period begins with the redaction of the Bible and ends with the redaction of the Talmud.

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ly appreciates the importance of Bildung and deprecates the Jews of Germany as uncouth, new times only begin with the reawakening of the spirit. In that sense neither the struggle for emancipation and equal rights nor the literature and poetry of Börne and Heine are essential; in fact, Geiger protests, whoever regards the latter as “great capital in the history of Judaism, is no historian of Judaism!”26 Accordingly Moses Mendelssohn is praised for his efforts to bring culture to the Jewish community of Germany, but does not really represent the new. For Mendelssohn dared to think freely and recognized that some of the ritual laws may no longer have relevance, yet he failed to introduce religious reform, preferring to teach eternal truths rather than criticize the existing situation. Moreover, he called for the separation of Church and State, claimed that eternal truth could be derived from reason and subsequently denied that Judaism was revealed religion, deeming it revealed law intended for the Jews alone. Unlike Lessing, who distinguished between the Christian religion and the Religion of Christ, Mendelssohn had failed to distinguish between the religion of the people and the Religion of Judaism.27 This critical distinction, the sine qua non of Geiger’s scientific study of Judaism, was first made by Israel Jacobson and Jacob Herz Beer, followed by Gotthold Salomon, Eduard Kley, and Isaak Noah Mannheimer, who introduced reforms in the liturgy. But for Geiger, writing after the failed revolution of 1848, the real struggle was yet to come, against repressive political forces on the one hand and above all for internal progress on the other; and in the latter he was the self-designated leader.

II. Geiger on Christianity As evinced in the previous section, Geiger’s historical approach in general and the specifics of his history of Judaism are strongly influenced by a nineteenth-century Protestant understanding of religion. However, this did not imply that Christianity was preferable to Judaism. Because Geiger’s arguments against Christianity have been discussed by this author and by Susannah Heschel in earlier publications28 I will limit myself here to a very brief overview. On the positive side, Christianity took the message of Judaism and propagated it among the heathens in a new form, thus fulfilling a mission that Judaism had not been able 26 Ibid., 211. 27 Ibid., 190–198. 28 Cf. note 22 above.

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to accomplish. Negatively, in order to appeal to the heathens, Judaism had been divested not only of its outer forms but of its profound intrinsic substance. This transpired in three phases: 1) the announcement of a new world in which the Messiah had come, died and was resurrected; 2) the Greek-Jewish concept of the Logos was identified with the only-begotten Son of God who died on behalf of mankind; 3) Paul spread the Jewish God Idea and ethics to the heathens, revoking the law in the process. Christianity made Jesus its highest ideal and attributed the greatest perfection to it. But Jesus, Geiger protests, was a Pharisee and represented nothing new. The message of Judaism – man’s selfdestination and ennoblement – was in no need of intermediaries or great personalities and had in no way become irrelevant. While Christianity and later Islam had served to spread Judaism’s God Idea, this Idea was still most perfectly preserved in its truest form in Judaism. It was from Judaism’s reawakened spirit that the message would once more be spread to humanity.

III. Samuel Hirsch on Christianity If Geiger denied that either Christianity or Islam had contributed anything new to the world, he was not the only one to do so. Samuel Hirsch, Geiger’s colleague and fellow reformer, made similar assertions. At the same time, Hirsch, like Geiger, acknowledged the role these religions played in spreading the message of Judaism to the pagans in a manner which was more accommodating to the pagan way of thinking than Judaism. Yet again like Geiger, Hirsch’s view on Christianity was closely linked to his understanding of Judaism and its relation to the state and vice versa. Hirsch too was able to herald Judaism – in Geiger’s words – as “one of the noblest animating powers among mankind,”29 and a worldhistorical phenomenon by redefining religion in terms borrowed from societal categories prominent in his days, categories that were basically foreign to Judaism’s self-understanding. Samuel Hirsch, rabbi, philosopher and author of Die Religionsphilosophie der Juden, was a devotee of Hegel. Yet in disagreement with Hegel’s philosophy, he argued for the complete identity of religious and philosophic truth on many points. Moreover, Hirsch rejected Hegel’s notion that evil was the necessary means to good and what he perceived as Hegel’s embracing of the Christian doctrine of original sin overcome by the Incarnation in philosophical terms. It was precisely this concept 29 Geiger, Das Judentum und seine Geschichte (see note 1), 19.

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which Hirsch understood as alien to Judaism.30 For Hirsch, like Geiger, the essence of Judaism is moral freedom, i.e., the freedom to choose between the tendency to sin and virtue, both of which – virtue/goodness and sin/evil – are real possibilities. The election of the people of Israel is directly related to this choice, for while Adam and Eve failed to make God’s will their own conscious will and thus did not become free, Abraham was the first to recognize his duty to overcome sin. Therefore God chose his descendants to demonstrate in their own lives man’s true destiny. They were to teach the world that God is ruler over all of nature and man is to resemble God in rising above nature. With the fall of the Temple and dispersion, Israel entered its missionary phase, propagating the truth by choosing freedom instead of sin. Hirsch implies here that no Jesus or saviour was needed to release Israel from the curse of sin. What then was the explanation for the rise and success of Christianity? While Israel spread the truth by its deeds, it was an intensive form of religion, Hirsch explains, and was not to spread the truth by word. This became the task of the Church, which spread the message to the pagans. Paganism, from which Abraham had liberated himself, was considered by Hirsch to be passive. Believing that human beings were subjugated perforce to nature, paganism had to reconcile itself to its terrible fate. Only something new, from without, brought about in a miraculous way, could save humanity: the belief in God incarnate, a supernatural being who was the only one not to inherit original sin. For the Jews, Jesus was no exception and provided no reason to form a new religion. He had fulfilled his task, as every Israelite must do; he was perfect only in the sense that others were and can be.31 But for the Church he became an intermediary, and the Church in turn became the intermediary for an intermediary.32 Pauline Christianity and the Catholic Church – necessary as forms of extensive religion intended for spreading the message to the heathens – could not bring them the truth.33 The Protestant Church negated both Pauline Christianity and Catholicism by claiming that all could come to God without the help of an intermediary by means of their deeds. While untrue to its origi30 For Hegel’s changing views on Judaism cf. Hans Liebeschütz, Das Judentum im deutschen Geschichtsbild von Hegel bis Max Weber (Tübingen: Mohr Siebeck, 1967), 1–42 and more recently Michael Brumlik, Deutscher Geist und Judenhaß: Das Verhältnis des philosophischen Idealismus zum Judentum (Munich: Luchterhand, 2000), 196–249. 31 Hirsch, Die Religionsphilosophie der Juden (see note 3), 778. 32 Ibid., 782. 33 Ibid., 833.

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nal message concerning the salvation of Christ, the Protestant Church thereby took a great step forward in bringing the truth to the world; yet, like the Catholic Church, it mistook that which was proper for heathens for the absolute truth.34 Thus Christianity is not superior to Judaism as its historical development and natural successor, nor is it universal, but rather a hybrid form, necessary for spreading the message outward. Judaism, unlike Christianity, demands neither belief in dogmas nor has intermediaries. Therefore it is not the Jew, the oriental, who is not free and enslaved to a demanding God,35 but rather the Church that demands irrational belief in its dogmas. In his Religionsphilosophie Hirsch concludes that the task of Judaism is to continue – unchanged in theory and practice – to bring the truth that it represents, i.e. freedom and moral values (Sittlichkeit), to the world.36 This truth is none other than the universal (allgemein menschlich) truth, that which agrees with reason. However, because the Jew’s calling is eternal, Hirsch insists at this stage of his thinking that ritual remain obligatory, so that Jews will always remain conscious of their special task.37

IV. Hirsch on Reform and Talmudic Judaism It would seem then that Hirsch is arguing for an unchanging Judaism. Yet, his philosophy is far from traditional: he avoids using the term revelation and when he does so, he does so only circumspectly. Moreover, despite his advocacy of Israel’s separate identity, he calls for obedience to the state, because the present-day state is not heathen but revelationbased.38 He identifies the law of the state with God’s law and the state as a divine institution and goes so far as to give the law of the state precedence over Jewish law there where there is no conflict, because 34 Ibid., 786–787. Hirsch and Geiger similarly opine that only Judaism proclaims the absolute or most perfect truth. 35 Hirsch is reacting to the then common accusations against the Jews of maintaining “oriental” ways and obeying a ruthless, commanding God and his heteronymous, statutory laws. On orientalism, cf. Bruno Bauer, Die Judenfrage (Braunschweig: Friedrich Otto, 1843) against whom Hirsch addressed his treatise Das Judenthum, der christliche Staat und die moderne Kritik (Leipzig: Heinrich Hunger, 1843). For Judaism as statutory law, cf. Immanuel Kant, Religion within the Limits of Reason Alone, trans. Theodore M. Green and Hoyt Hudson (New York: Harper and Row, 1960), 3–10, 40–49, 54–128. 36 Ibid., 864. 37 Ibid., 865–866. 38 Ibid., 835.

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while both are divine, the latter is particular and the former of common interest. In his two major works which followed, Die Reform im Judenthum und dessen Beruf in der gegenwärtigen Welt (1844) and Die Humanität als Religion, in Vorträgen gehalten in der Loge zu Luxemburg (1854),39 Hirsch’s position on religious reform and his judgment of Judaism and Christianity become more extreme. In Die Reform im Judenthum Hirsch sets out to reform Judaism from the inside out, so that it reflect the religious world view of contemporary Jews rather than reduce it to a poor copy of the Church for the sake of emancipation. This reform was not to be arbitrary but based on a principle.40 The Jewish question, as Hirsch sees it, thus takes on larger dimensions: it is no longer about granting equal opportunity to the Jews, but about whether their world view accords with the changing society in which men are united in love, or whether they are a foreign element, to be rejected. Judaism, like Christianity, must subject itself to the criticism of reason. The Jews must either join society wholeheartedly or oppose it; they can’t simultaneously adhere to a religion that is contrary to society and yet flirt with it. And here is where religious reform enters the discussion. In Hirsch’s view, neither the heteronomists, who artificially seek to preserve everything, nor those in favour of autonomy yet looking to the Talmud to validate abandoning each and every custom, are equal to the problem.41 Talmudic Judaism is as wholly inappropriate for modern times as is Catholicism, as they are both lacking in spirit. Hirsch’s judgment, like Geiger’s, is harsh: the Talmud came to be in the first centuries C.E., in a time of decline, doubt and corruption. The Jews placed their hope in the future and their very being was linked to the past. The present could make no claims because there was no spiritual life. The form that Judaism took on was one foreign to itself. The problem with Talmudic Judaism is its misunderstanding of the religious principle that, according to Hirsch, remains constant and is eternal but may be endowed with a differing physiognomy in every age.42 The rabbis thus failed to recognize that the ceremonies and rituals were intended by Moses and the prophets purely to symbolise inner religious thought, and were not to be obeyed simply because God com39 Samuel Hirsch, Die Reform im Judenthum und dessen Beruf in der gegenwärtigen Welt (Leipzig: Heinrich Hunger, 1844) and Die Humanität als Religion, in Vorträgen gehalten in der Loge zu Luxemburg (Trier: C. Troschel, 1854). 40 Hirsch, Die Reform im Judenthum (see note 39), 5. 41 Ibid., 9–11. 42 Ibid., 16–17.

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manded them. As such they only indicate the basis; each generation was to fill in the details anew and all forms that can’t be justified by inner spiritual contents must be set aside. Failing to find value in Talmudic Judaism, Hirsch – once more like Geiger – attempts to describe Judaism as a/the true religion. Here he becomes truly radical, explaining that God is nothing other than a higher state of human consciousness,43 reducing revelation to history and the Bible to a history book. The truths Judaism proclaims are not a confession but teachings common to humanity, in principle accessible to reason without a Sinai or God’s miraculous appearance.44 In this it is decisively unlike Christianity, which has a revealed God, a revealed teaching and is in need of God’s grace in order to make its dogmas comprehensible.45 However, while the Bible tells of man’s having been created with the ability to be free, holy and good, humankind subjected itself to nature and was not free. Therefore a people was chosen whose history was meant to teach men their calling. It was to serve as an example for the world, as a proto-type for all peoples and histories. Understood in this sense, Jews do not form a nation but are born witnesses to history46 and must (in the face of negative Protestant attitudes toward ritual) maintain a symbolic system which aids them to demonstrate ever more clearly the sanctity of history.47 The symbols Hirsch has in mind are, however, not those governed by medieval and Talmudic principles, which became a religion in and of themselves.48 Because Hirsch is convinced that present-day society’s goals parallel the true purpose of Jewish history, and that he now stands at the threshold of the future as foretold by the prophets, he proclaims all ceremonies which obstruct the maintenance of civil society as secondary: “No symbol that restrains the Jews from participation in and realization of this goal can be considered Jewish any longer.”49 Hirsch, having discovered the essence of Judaism, now has it serve as the basis for all reform. He also writes a counterhistory to Bauer’s con43 The influence of Feuerbach on Hirsch is discernable here. See Ludwig Feuerbach, Lectures on the Essence of Religion, trans. Ralph Manheim (New York: Harper and Row, 1967). 44 Hirsch, like Mendelssohn, proposes that religious truth is accessible through reason alone. Like Geiger he denies the importance of any intermediaries. 45 Hirsch, Die Reform im Judenthum (see note 39), 26–28. 46 Ibid., 60. 47 Hirsch argues simultaneously against the attitudes of the Protestant Church, Kant and Feuerbach to ritual. 48 Ibid., 62. 49 Ibid., 65–69, here 69.

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ception of Judaism. He agrees that the Jewish Question is not simply about granting citizenship to Jews; and that the Jews too must subject their religion to the criticism of reason. However, he disagrees with Bauer and other theologians who describe Christianity as being on a higher level than Judaism and Judaism as a religion of slaves. In his rejoinder to Bauer, Hirsch, only reluctantly and as a concession to Zunz, reviews Jewish history. Hirsch is willing to concede that a lot went wrong, that Jews did not always develop Judaism’s important principle throughout history. However, he says, the Jews are no worse in this than the Christians: their histories were parallel for living as an oppressed minority under the Christians, Jews followed their trends. If the Christian “developed his transcendent faith [bildete seinen jenseitigen Glauben aus],” the Jew did the same with his “law that became transcendent [jenseitig gewordenes Gesetz]” as developed in the Talmud.50 When Greeks infiltrated the Arabs, Jews took part in academic work and composed philosophical treatises in Arabic. If in the Middle Ages Christians were scholastic and casuistic, the Jews had their counterpart in the Talmud study of medieval France. Christian mysticism was paralleled by Kabbalah, Reformation by Levita and Lutheran dogmatics by pilpul.51 As for the accusation that Jews produced no art, Hirsch affirms that if the Jews had no world, they could hardly create art. However, one thing they did do was refuse the spiritual, other-worldly life, turning instead to the past. Unfortunately they turned not to the spirit of the past but to its outward forms and symbols.52 Nonetheless, Hirsch calls upon Christian detractors (among whom Bauer) to look at the Jews of the nineteenth century and their use of text and tradition when passing judgment, rather than looking at only those Jews who followed their law without meaning in the course of this negative history. The latter could hardly be considered representative of Judaism, just as Orthodox Christians do not represent Christianity as a whole.53 As for Christianity, Hirsch inverts Bauer’s arguments and insists that Judaism represents the universal and stands for human freedom. Christianity is a confession, containing dogmas that are simply to be accepted as such, and remains closed for those who don’t confess these dogmas. It is true that Judaism is a nation but not in the sense that Bauer employs: the Jews are people with a mission and as such the Jew needs 50 Hirsch, Das Judenthum, der christliche Staat und die moderne Kritik (see note 35), 19. 51 Ibid. 52 Ibid., 92. 53 Ibid., 55.

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to remain a Jew. Until the mission is fulfilled, the people need rites and ceremonies to remind them of their calling. However, these ceremonies must not be mindless. Here Hirsch has gone further than his Religionsphilosophie in admitting that some rites may no longer achieve the effect for which they were instituted. However, rites and ceremonies should not be abolished simply because of the pressure that non-Jews exert. Finally, Hirsch seems convinced that his own times are quite close to realizing the messianic ideal: life and religion have been equated with each other in civil society. He therefore subsumes ceremonies and even the prohibition to work on the Sabbath, to service for the common good. By identifying civil society with the ultimate, universal goal of Judaism, Hirsch now seems to have resolved all conflict between Church and State.54 Ten years later we find Hirsch addressing his fellow members of the Masonic Lodge in Luxemburg. He is struggling not only against those who would exclude Jews from the lodge on the basis of a putative intimate connection between Freemasonry and Christianity; he must also address those who would underestimate or would like to minimize religion’s role in society. Hirsch defines religion yet again, this time making use of Feuerbach’s understanding of religion as anthropology, i.e. the teaching of the innermost being of man and humanity. Relinquishing religion, when it is understood in this way, therefore means nothing less than relinquishing one’s humanity.55 Here we see Hirsch’s definition of religion moving ever more in the direction of general societal values, a definition that will include Judaism, Christianity and Freemasonry, and one that is far from any traditional concept of mitzvoth. Surely speaking from his experience as a freemason in the 1850’s, Hirsch claims to experience tolerance in religion, a tolerance based on humanity. However, because religion has not always been characterized by tolerance, and undoubtedly because Jews and Judaism were accused of demanding tolerance while they in turn were said to be far from tolerant, Hirsch explores the causes of intolerance by yet again comparing Paganism, Judaism and Christianity.

54 For the identification of the goals of Judaism with those of the state, cf. Andreas Gotzmann, “Zwischen Nation und Religion: Die deutschen Juden auf der Suche nach einer bürgerlichen Konfessionalität,” in Andreas Gotzmann, Rainer Liedtke, and Till van Rahden, eds., Juden, Bürger, Deutsche: Zur Geschichte von Vielfalt und Differenz 1800–1933 (Tübingen: Mohr Siebeck, 2001), 241–261; Andreas Gotzmann, Eigenheit und Einheit: Modernisierungsdiskurse des deutschen Judentums der Emanzipationszeit (Leiden and Boston: Brill, 2002), esp. 212–243. 55 Hirsch, Die Humanität als Religion (see note 39), Vorwort i.

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Paganism, according to Hirsch, is not intolerant. Because it is the religion of nature, the pagan seeks God not within himself but in the visible world. Man according to paganism could take no other way than that which he took. Paganism could never raise itself above slavery because men valued other men only in so far as they were useful to them. But Paganism ended up asking “wherefore all this”? Unlike Paganism, God’s word to Abraham and the Prophets contains the principle of life for humanity: God hears all people; all are God’s image. This is the principle that gives freedom and dominion. The period up to the time of the rebuilding of the Temple, was one of continuous pagan struggle against this principle, even within Judaism. Since the Second Temple period the Jews had failed to live out this principle. Hirsch describes Ezra and the Pharisees in terms of his own post-1848 experience: they were Gemüthsmenschen and mystical romantics whose Restoration was nothing less than a fantasized past and constructed tradition. Opposed to them were the Sadducees, cool, rational literalists for whom the old must be restored, precisely as it was, without later increment or notions of tradition. Thus both the Pharisees and Sadducees, the romantics and orthodox, reverted to paganism, with all its formalities and outward ceremonies. Judaism, Hirsch concedes, sought truth in literalness for as long as two millennia and had thus operated outside of history, as Bauer had rightly claimed.56 Judaism became intolerant, but this intolerance remained an internal affair. Christianity, however, was far more intolerant, and this intolerance was due to Paul and not Jesus. In a revaluation of Jesus, Hirsch once more places Jesus squarely within Judaism. However, Jesus was unlike other Jews of his time in that he realized that things had gone wrong; he wanted to show the Jews a new life according to Scripture by serving as an example of this life. Most Jews did not become true Christians, i.e. real followers of Jesus’ way of life, even though his teaching as such was not new to them (and I suspect that following Hirsch’s definition they were also not true Jews). In this sense they do not differ from most Christians who are also not true Christians in the sense that they imitate Christ. Paul’s teaching of original sin was new, and he rightly went to meet the pagans with this teaching. Paganism understood immediately when Paul said “your life till now has been false.” But his message to the Jews was ambiguous: he attributed the attitude of the Pharisees and Sadducees – a temporary aberration! – to Judaism in general. Whereas sin was understood by Jews as the failure to work and choose freedom, Paul 56 Ibid., 212–222.

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made sin into something universal and necessary. All, he claimed, really desire evil. Thus with Adam, sin entered the world for once and for all. It would seem then that Judaism, despite the law, offered as little as paganism; for the Jews, equally under the curse of Adam, were unable to understand the law as the law of the heart. Here Hirsch disagrees violently with Paul: that there could be no salvation in the teaching of Judaism was unacceptable and incorrect. The true teaching of Judaism, says Hirsch, is none other than the true teaching of the Church. Thus the foundation is laid for Christianity: not salvation but only desire for pleasure may be found in man. Salvation is in Christ: not the human in Jesus is salvation but the superhuman. Christ’s life is no longer within, and thus may not be found within by others. Faith can only come to man from outside, through an intermediary. Because the Church alone may determine whether this faith is correct or heretical, there is no salvation outside of the Church and there can be no tolerance for those who refuse it. This is why the religion of love is intolerant. As long as Christianity is something superhuman, as long as all must sin, salvation can only come from without, from a divine superhuman mercy. Hirsch describes the Church and its teachings as false. Yet the Church has become undeniably great. The solution to this enigma is that while false for the Jews, Christianity is true for pagans: pagans live out pleasure and for them there is no salvation. They seek God not within themselves but in the visible world. Christianity provided them with an answer to the emptiness of their existence.57 Despite these anti-Christian polemics, Hirsch experiences a growing diversity and tolerance in society based on humanity and true, practical love. He momentarily and surprisingly sets his polemics with Christianity aside when declaring that all churches preach love; that love is the very heart of the system, be it Jewish or Christian. The distinction between Judaism and Christianity is then merely one of dogma, specifically original sin. Hirsch goes even further in 1) pronouncing truth, the product of the human heart, to be relative; 2) minimizing God’s role in the gaining of religious knowledge or moral truth, which is naturally present in man; and 3) describing the Scriptures as human works that nevertheless contain in a deep sense the religious side of life. Like truth itself, Hirsch regards ritual – the material, temporal expressions of truth – as relative. Adhering to incomprehensible symbols that fail to express the underlying ideas is close to paganism, where rituals are carried out as divine 57 Ibid., 223–246.

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necessities, as literal and unalterable service to God.58 Yet symbols and rituals, the art form of religion, are necessary if religion is to be an outer reality and not just an inner reality or thought. Hirsch closes his book with several suggestions for Jews and Christians in order to help effectuate the religion of the future: Jews should not be literal but realize that ceremonies are only temporal symbols of eternal truth, to be replaced by ceremonies appropriate for the present stage of development without losing sight of the truth. The Church as an institution must accept the state’s claims to its own holy law and not intervene in state matters, even when the state honours such men that the Church would not have declared worthy of love or honour. When all’s said and done, “a good dutiful life is not abject; goodness is goodness and virtue is virtue.”59 Thus for Hirsch the religion of love and tolerance is the religion of the future. “Our time,” he says, “senses and feels daily more and more that its task is to make this a reality. This is the religion Paul expected once paganism was conquered, when all are alive in Christ, when death – life in pleasure – is done away with. Then the son will be made subordinate to God who made all things subject to him, and thus God will be all in all (1Cor 15:24–28).”

V. Conclusion It remains unclear what utopia Hirsch had in mind at the time of the completion of Die Humanität als Religion: a Judaism true to its principle, a Christianity close to Judaism, and a Freemasonry true to its own doctrines; or a religion beyond Judaism, Christianity, and Freemasonry, embodying the divine-human truth that Hirsch felt they shared. Perhaps these are in fact one and the same. Hirsch’s disappointment with the turns European society takes led him to conclude that as long as the religion of love and tolerance had not been established, the Jewish mission remained unfulfilled and as such the Jew must remain a Jew, in the present but even in the messianic future.60 The Jew will exemplify that 58 Ibid., 120–147. 59 Ibid., 247–248. 60 For a further comparison of Holdheim and Einhorn on the Jewish mission, see Christian Wiese, “Samuel Holdheim’s ‘Most Powerful Comrade in Conviction’: David Einhorn and the Debate Concerning Jewish Universalism in the Radical Reform Movement,” in Christian Wiese, ed., Redefining Judaism in an Age of Emancipation: Comparative Perspectives on Samuel Holdheim (1806–1860) (Leiden and Boston: Brill, 2007), 306–373.

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labour, the choice of a moral life, the choice of freedom, is the fulfilment of God’s will. Geiger, like Hirsch, is convinced that Judaism still has an important role to play as an animating power, prompting men to act according to higher, moral principles. For Geiger too this mission can only be accomplished by living out the universal through the particular. In their polemics against Christianity both Geiger and Hirsch reclaim Jesus as a Jew: for Geiger Jesus is a Pharisaic Jew, no different than other Jews; for Hirsch Jesus exemplifies the life of a true Jew. Both recognize the necessary and therefore positive role Christianity is to play in spreading the God Idea yet judge it negatively for its pagan elements. Without these pagan elements Christianity would not have been successful; however these elements also confounded the message of Judaism through the doctrine of original sin. Geiger and Hirsch agree that Christians and philosophers rightly criticise Judaism which, since the beginning of the rabbinic period, had lost sight of its true spirit. They identify this spirit of morality (Geiger) or freedom (Hirsch) as the essence of Judaism and it is the history or philosophy of this essence that these thinker wish to convey. In order for this spirit, this message of freedom, to progress and reach all humanity in the future, Judaism must be stripped of the accruements and malformations of the past. As reformers Geiger and Hirsch hoped to make Judaism relevant for its practitioners as well as for society at large. The society they envisioned was one where religion played a prominent role. Therefore their struggle was not simply the struggle for emancipation, but for recognition of the seminal importance of Judaism as Religion and the role it was to play, not only in the past but also, and perhaps especially, in the future. To achieve this they misprized the halakhic aspects of Judaism and the nearly two thousand years of history in which Judaism’s spirit had all but stagnated.

Abraham Geigers Bildungsutopie einer jüdisch-theologischen Fakultät Carsten L. Wilke Die Akademisierung des Rabbineramtes, die sich im europäischen Rahmen seit der Aufklärung ankündigte und dann im Laufe weniger Jahre zwischen 1821 und 1835 das gesamte deutschsprachige Judentum erfasste, war nicht das Werk von Rabbinerseminaren. Die dauerhafte Gründung dieser neuen Institutionen setzte erst drei bis fünf Jahrzehnte später ein. Ebenso wenig war sie den damaligen jüdischen Gemeinden zu verdanken. Angesichts der Aufgabe, neue Bedürfnisse ihrer Mitglieder nach kompetenter Gottesdienst- und Schulreform, Apologetik und Repräsentation zu befriedigen, die indifferente Minderheit zurückzugewinnen und die traditionalistischen Kreise zu beschwichtigen, stellten die Gemeindevorstände inkohärente und zum Teil unerfüllbare Anforderungen an das Bildungs- und Berufsprofil ihrer Rabbiner, ohne sich ernsthaft um deren Heranbildung zu bemühen. Zwar beschäftigten sich staatliche Bildungspolitiker umso intensiver mit dieser Frage, erreichten jedoch im Allgemeinen das Gegenteil von dem, wonach sie strebten. In Süddeutschland schrieben detaillierte Reformgesetze und Staatsexamina das Bildungsprofil der Rabbiner auf einem bescheidenen Kompromissstandard fest, während in Preußen die systematische Missachtung des Rabbinats ein Klima der Unsicherheit schuf, das die Kandidaten dazu zwang, die religiösen Ansprüche der Traditionsgelehrsamkeit ebenso im vollen Umfang zu erfüllen wie die wissenschaftlichen der Universität. Die religiösen Autoritäten des damaligen Judentums haben die Entwicklung zum wissenschaftlich gebildeten Rabbiner zum Teil gebremst, zum Teil auch begleitet, jedoch nirgendwo wirklich gesteuert. Gewiss, Schulhäupter namentlich in Würzburg, Karlsruhe und Prag fanden zu einer toleranten Haltung, die es Talmudschülern seit 1816 erlaubte, regulär oder inoffiziell an der Universität zu hören. Dadurch war aber zwischen Jeschiwa- und Universitätsbildung noch keine Synthese geschaffen, sondern nur (für die Neuorthodoxen) die Möglichkeit zur Parallelisierung beider Institutionen oder (für die Reformer) ein stufen-

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loser Übergang von der einen in die andere, der Formen einer religiösen Konversionskrise annahm. Der tiefgreifende Wandel jüdischer Wissenskultur erwuchs somit aus der unkoordinierten Synergie zahlreicher persönlicher Bildungsexperimente seitens der Studenten und ihrer – jüdischen wie nichtjüdischen – Lehrer. Die meisten Akteure in diesem Prozess sind in ihren oft provinziellen Verhältnissen historisch wenig greifbar, andere haben erst im Laufe der jüngeren Forschung Bekanntheit erlangt. Nur einer von ihnen, Abraham Geiger, ist seit jeher Gegenstand der Geschichtsschreibung über den Kulturwandel des Rabbinats und nimmt in manchen Darstellungen sogar eine Schlüsselrolle ein. In seiner Jugend war Geiger in Heidelberg und Bonn einer der ersten Rabbinatsstudenten, die einen Teil ihrer Ausbildung an der Universität erwarben; seine Marburger Dissertation gilt als Meilenstein bei der Synthese zwischen akademischer Orientalistik, Wissenschaft des Judentums und Rabbinerausbildung.1 Als Rabbiner in Wiesbaden war Geiger 1836 Autor eines Aufsehen erregenden Aufrufs zur Gründung einer jüdisch-theologischen Fakultät in Deutschland.2 Nach seiner Anstellung in Breslau unternahm er seit 1841 als Haupt eines informellen Lernzirkels von Rabbinatskandidaten einen frühen Versuch, rabbinische Wissensvermittlung nach akademischen Standards auszurichten.3 Schließlich war er in den letzten Jahren seines Lebens der bei weitem renommierteste unter den Dozenten der 1872 gegründeten „Hochschule für die Wissenschaft des Judentums“ in Berlin.4 1 2

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Ludwig Geiger, Abraham Geiger. Leben und Lebenswerk (Berlin: Reimer, 1910), 13–18. Michael A. Meyer, „Differing Views on Modern Rabbinical Education in Germany in the 19th Century“ [hebr.], World Congress for Jewish Studies. Proceedings 6 (1973), division B, 195–200, hier 196; Salo W. Baron, „Jewish Studies at Universities: an Early Project“, Hebrew Union College Annual 46 (1975), 357–376; Alfred Jospe, „The Study of Judaism in German Universities before 1933“, LBIYB 27 (1982), 295–313; Carsten L. Wilke, „Den Talmud und den Kant“. Rabbinerausbildung an der Schwelle zur Moderne (Hildesheim et al.: Olms, 2003), 637–646; Henry Wassermann, „Fehlstart: Die ,Wissenschaft vom spätern Judentum‘ an der Universität Leipzig“, in Stephan Wendehorst (Hrsg.), Bausteine einer jüdischen Geschichte der Universität Leipzig (Leipzig: Leipziger Universitätsverlag, 2006), 323-341, hier 322. Wilke, „Den Talmud und den Kant“ (wie Anm. 2), 585–588; Carsten L. Wilke, „Talmudschüler, Student, Seminarist: Breslauer rabbinische Studienlaufbahnen 1835– 1870“, Aschkenas 15 (2005), 111–125. Marianne Awerbuch, „Die Hochschule für die Wissenschaft des Judentums“, in Reimer Hansen et al. (Hrsg.), Geschichtswissenschaft in Berlin im 19. und 20. Jahrhundert (Berlin und New York: de Gruyter, 1992), 517–550; über Geigers Lehrtätigkeit an der Hochschule dort 536–539.

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Geigers Anteil an der Erneuerung der jüdischen Wissenschaft sollte dennoch in angemessenen Grenzen gesehen werden. Für jede einzelne seiner epistemologischen und institutionellen Initiativen konnte er sich auf Konzepte oder Erfahrungen unmittelbarer Vorgänger stützen. Im Bereich der Bildungspolitik erweist er sich, ähnlich wie – Michael A. Meyer zufolge – auf religiösem Gebiet, als „ein Mann der zweiten Generation, der mehr als jeder andere die Strähnen bündelte und in eine Ideologie für die Bewegung verwob“.5 Es ist notwendig und zum Teil Anliegen dieses Aufsatzes, einige dieser Stränge mit Hilfe historischer Quellenforschung auf ihre Ursprünge zurückzuverfolgen. Denn nur im Kontext des weiteren Entwicklungszusammenhangs der Rabbinerausbildung im neunzehnten Jahrhundert kristallisiert sich jene Idee heraus, die Geigers Projekt tatsächlich Originalität verlieh: die Aufnahme der jüdischen Theologie in den universitären Kanon gemäß den epistemologischen und institutionellen Parametern theologischer Fakultäten. Es ist ein zufälliges, aber durchaus symbolisches Zusammentreffen, dass der zweihundertste Jahrestag von Geigers Geburt im Frühjahr 2010 gleichzeitig mit dem der von preußischen Gelehrten um Humboldt, Fichte und Schleiermacher entworfenen deutschen Forschungsuniversität begangen wurde. Für keine kulturelle Schöpfung empfand Geiger eine derart glühende Bewunderung wie für die „schöne Blüthe des geistigen deutschen Lebens, die Universitäten“. Hier lag für ihn das unbestrittene Zentrum des gesellschaftlich verbürgten Wissenskonsens. Mit einer misslungenen medizinischen Metapher beschreibt er die Universität als den Ort, „wo alle Pulsadern der gesammten geistigen Thätigkeit schlagen“.6 Er verzehrte sich förmlich in dem Wunsch, seine Wissenschaft, die jüdische Theologie, dort hin- und darstellen zu können, als gleichberechtigtes Mitglied des Ordens der Auserwählten, der in Humboldtscher Einsamkeit und Freiheit den kollegialen Wettstreit um die Wahrheit ausfocht. Geiger selbst machte keinerlei Hehl daraus, dass er sein unmittelbares Vorbild in jenen protestantisch-theologischen Fakultäten sah, von denen die religiöse Moderne ausging – sei es das Halle des Pietismus, das Göttingen der Aufklärung, das Berlin des Idealismus oder das Tübingen der Kritik – und an denen „die neuere deutsche protestantische Theologie einen muthigen und erhebenden Kampf gegen Irrthümer aller Art unternommen hat“.7 Die Zentralität der Uni5 6

Michael A. Meyer, Antwort auf die Moderne. Geschichte der Reformbewegung im Judentum (Wien, Köln und Weimar: Böhlau, 2000), 138. Abraham Geiger, „Die Gründung einer jüdisch-theologischen Facultät, ein dringendes Bedürfniß unserer Zeit“, Wissenschaftliche Zeitung für jüdische Theologie [= WZJT] 2 (1836), 1–21, hier, 18.

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versität im Innovationsprozess suchte Geiger auf jüdische Verhältnisse zu übertragen. Der Erfolg der „Wissenschaft des Judentums“ hing seiner Auffassung nach wesentlich von ihrer Neuformulierung als Universitätswissenschaft und ihrer Aufnahme in die deutsche akademische Landschaft ab. Umgekehrt sah er diese Wissenschaft, ja das moderne Judentum überhaupt, durch ein Scheitern dieses Anspruchs auf Akzeptanz in der deutschen Gesellschaft und Kultur in ihrem Bestand gefährdet. Zu Geigers Lebzeiten (und weit darüber hinaus) wurde diese Forderung seitens der christlichen Wissenschaftler und Bildungspolitiker im Allgemeinen zurückgewiesen. Gedenkt man heute, zumal an Universitäten, der Schlüsselrolle Geigers bei der Verwissenschaftlichung des jüdisch-theologischen Studiums, so gilt es die ironischen Züge dieses Verhältnisses mitzureflektieren. Nicht wenige Institutionen der Judaistik oder Jüdischen Studien im gegenwärtigen Deutschland betonen die paradoxe Tatsache, dass sie – mit einer Verspätung von 150 Jahren – eine akademische Würde verkörpern, die dem Meister selbst sein Leben lang verwehrt blieb.8 Diese Sichtweise deutet die eigene wissenschaftliche Normalität als Verwirklichung der uneingelösten Hoffnungen und gescheiterten Projekte deutsch-jüdischer Geschichte, legitimiert sie als eine Art Wiedergutmachung vergangenen Unrechts und rettet damit einen dialektischen Kontinuitäts-, ja Fortschrittsgedanken über die Shoah hinweg. Ein solches Selbstverständnis geht bewusst das Risiko des Anachronismus ein, denn die judaistischen/Jüdischen Studien der Nachkriegszeit sind von der Wissenschaft des Judentums vor 1933 durch einen „wesensmäßigen Bruch“ getrennt, mag sich diese noch so sehr als usable past zur wahlverwandten Anknüpfung anbieten.9 Problematisch ist insbesondere das für die Entwicklung des Faches seit Gei7

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Abraham Geiger, „Der Kampf christlicher Theologen gegen die bürgerliche Gleichstellung der Juden, namentlich mit Bezug auf Anton Theodor Hartmann“, WZJT 1 (1835), 52–67, hier 54. Programmatisch wurde diese Kontinuitätslinie im Konzept eines an der Hochschule für Jüdische Studien in Heidelberg erarbeiteten Sammelbands ausgedrückt; vgl. Julius Carlebach (Hrsg.), Wissenschaft des Judentums. Anfänge der Judaistik in Europa (Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft, 1992). Siehe auch die Selbstdarstellung der Jüdischen Studien an der Universität Halle (http:// www.judaistik.unihalle.de/2272505_2272508) und am Abraham-Geiger-Kolleg in Potsdam (http:// www.abraham-geiger-kolleg.de/das_kolleg/einleitung.php), letztere übernommen vom Zentralrat der Juden (http:// www.zentralratdjuden.de/de/topic/275.html). „Vorwort der Herausgeber“, in Michael Brenner und Stefan Rohrbacher (Hrsg.), Wissenschaft vom Judentum. Annäherungen nach dem Holocaust (Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht, 2000), 7–10, hier 8.

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ger über weite Strecken prägende Streben nach einer idealen Einheit – oder zumindest einer funktionalen Polyvalenz – der Jüdischen Studien in ihren vier Aspekten: (1) als geisteswissenschaftliches Fach, (2) als theologisch-identitätsstiftende Selbstvergewisserung, (3) als Bühne jüdischer Außendarstellung und (4) als Berufsschule für Religionsbeamte. Wiewohl sich dieses Einheitsstreben in verschiedenen Epochen und Institutionen mit unterschiedlicher Intensität artikulierte und vermutlich nirgends vollständig verwirklichte, muss es als historische Motivation ernst genommen werden – nicht zuletzt deswegen, weil es Geigers einflussreicher Konzeption einer angewandten jüdischen Wissenschaft zugrunde liegt. In Abkehr von wissenschaftsgeschichtlichen Interpretationen, die Jüdische Studien und Jüdische Theologie von vornherein entweder als Synonyme behandeln oder aber in Kontrast zueinander setzen,10 sollten die Brückenschläge, die – wenn auch allenfalls punktuell erfolgreich – immer wieder zwischen beiden Wissensbemühungen unternommen worden sind, als Gegenstand der Geschichtsschreibung entdeckt werden. Gerade Geiger hat die Spannung zwischen Wissenschaft und Religion subjektiv sehr intensiv erlebt, ja seine Entscheidung für das Rabbineramt im Laufe seines Lebens immer wieder unverhohlen bereut. Da ihm mehr an wissenschaftlicher Autorität denn am wissenschaftlichen Habitus lag, war er sich, wie Ismar Schorsch bemerkte, „seiner größten beruflichen Leistung, nämlich die gelehrten Studien als Kernstück des modernen Rabbinats verteidigt zu haben“, nicht bewusst.11 Die folgenden Bemerkungen setzen daher die Existenz von Diskontinuitäten voraus, die Geigers Auffassungen nicht allein von heutigen Deutungen, sondern auch von ihrem damaligen Zeithintergrund, ja sogar von seiner eigenen Praxis trennen.

I. Geiger als Lernender: sein Rabbinatsstudium 1829–1832 Seine unerwiderte Liebe zur Universität teilte Geiger mit Leopold Zunz und Ludwig Philippson, während andere seiner Mitstreiter, wie etwa 10 Zu ersterer Lösung tendiert Baron, „Jewish Studies at Universities“, 358, zu letzterer Nils H. Roemer, Jewish Scholarship and Culture in Nineteenth-Century Germany: Between History and Faith (Madison WI: University of Wisconsin Press, 2005), 45. 11 Ismar Schorsch, „Scholarship in the Service of Reform“, in Ismar Schorsch, From Text to Context: The Turn to History in Modern Judaism (Hanover, N.H. und London: Brandeis University Press by University Press of New England, 1994), 303-333, hier 319.

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Samuel Holdheim und Isaak Löwi, bei allem Streben nach zentralen theologischen Institutionen deren Anerkennung durch den Staat doch nicht dieselbe Wichtigkeit beimaßen. Der Unterschied könnte darauf zurückzuführen sein, dass die ersteren – anders als die letzteren – nicht in einem Milieu eigenständiger jüdischer Gelehrsamkeit sozialisiert worden waren. Wie sehr Geiger seine religiöse Jugendbildung in Frankfurt nur als drückende Isolation wahrnahm, zeigen die Tagebuchaufzeichnungen des Jugendlichen, der sich nach wenigen Jahren talmudischen Privatunterrichts in einem faustischen Moment in Szene setzt, an dem er auf sein Leben zurückblickt und es durch die Anhäufung zwecklosen Wissens vergeudet glaubt. Wenn Geiger später gleichwohl eine religiöse Laufbahn wählte, so behielt er doch Reserven bei. Er bemühte sich zunächst um eine von rabbinischen Autoritätsstrukturen freie Studienumgebung, mied also „die bekannte jüdische Jesuitenschule in Würzburg“12 und entschied sich für die Universität Heidelberg, die zweite Adresse für Rabbinatsstudenten in jenen Jahren.13 Dort schrieb er sich am 2. Mai 1829 ein, und zwar für „orientalische Philologie“.14 Diese Fachbezeichnung hatte in süddeutscher Terminologie einen anderen Sinn als jenen, den Geiger selbst mit ihr verbinden sollte. Die Universitäten Würzburg und Heidelberg trugen dem Zustrom jüdischer „Theologen“ ohne Reifezeugnis nämlich dadurch Rechnung, dass sie ihnen einen Sonderstatus einräumten, der sie nicht für ein Fakultätsstudium, sondern pro forma nur für das Fach Orientalistik zuließ. Das Orientalistikstudium war zwar Teil der akademischen Ausbildung von Rabbinern seit deren Würzburger Anfängen; den Rabbinatskandidaten des Großherzogtums, von denen das Gesetz einen zweijährigen Universitätsaufenthalt verlangte, diente es jedoch hauptsächlich als Maske der Theologie. Bei dem jungen Geiger verhielt es sich dagegen umgekehrt: Hier wurde der Rabbiner die ungeliebte Maske des Orientalisten. Er war im Sommer 1829 „von Heidelberg mit dem festen Entschlusse zurückgekommen, der Theologie Valet zu sagen und mich meinem Lieblingsstudium zu widmen“.15 Erst nach seinem Wechsel nach Bonn, als er Ende 1829 in den hebräischen Schriften des italienischen Gelehrten Samuel David Luzzato ein Vorbild 12 Abraham Geiger, „Tagebuch“, in Abraham Geiger, Nachgelassene Schriften, hrsg. von Ludwig Geiger, Bd. 5 (Berlin: Louis Gerschel, 1878), 3–41, hier 17. 13 Wilke, „Den Talmud und den Kant“ (wie Anm. 2), 417f., 420, 427f. 14 Gustav Toepke, Die Matrikel der Universität Heidelberg. Fünfter Teil: Von 1807 bis 1846 (Heidelberg: Winter, 1904). 15 Geiger, Nachgelassene Schriften, Bd. 5 (wie Anm. 12), 12, 16, 17. Die Berufsentscheidung zum „Orientalisten“ trafen auch andere jüdische Studenten der Generation (Joseph Dernburg, Julius Fürst, Salomon Munk, Gustav Weil u. a.).

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für die Verbindung aus rationalistischer jüdischer Theologie und orientalischer Philologie entdeckt hatte, fand er sich mit der rabbinischen Studienlaufbahn ab.16 Geigers persönliche Erfahrung mit der Universität war keine rundum positive. Am Heidelberger Gelehrtenmilieu nahm der scheue Studienanfänger noch nicht teil, und „dem Strudel des Studentenlebens entriss“ ihn „ein ernsteres Streben“. So stand er zwischen der „Seichtheit“ der badischen Rabbinatskandidaten, die das Studium wie eine Formalie hinter sich zu bringen trachteten, und der bekennenden Judenfeindschaft Heidelberger Professoren wie Heinrich E. G. Paulus, Jakob Friedrich Fries und Wilhelm Karl Umbreit. Erstaunlicherweise ergriff er Partei für die letzteren und gegen seine Mitstudenten. In einem Brief an Paulus sprach sich der Student Geiger 1829 zugunsten einer Verschärfung der akademischen Anforderungen an die badischen Rabbiner aus.17 Demselben Wunsch gab er noch später, 1837, in seiner Zeitschrift Ausdruck.18 Als ausländischer Student in Heidelberg und Bonn lernte Geiger zunächst die süddeutsche Reformpolitik und sodann die preußische akademische Freiheit kennen; sein Verhalten in beiderlei Umgebung zeigt, dass er die jeweils zur Verfügung stehenden Modernisierungshebel im Interesse seiner eigenen Ideale zu nutzen suchte. Während die süddeutschen Rabbinatskandidaten als Orientalisten oder „jüdische Theologen“ an den Universitäten mancherlei Ausnahmeregelungen genossen, mussten ihre preußischen Pendants wie alle Studenten das Reifezeugnis vorweisen, die üblichen Lehrpläne ableisten und – in Ermangelung eines Staatsexamens – nach dem einzigen, sehr anspruchsvollen Studienabschluss greifen – dem Doktorat. Nur zu diesem Zweck betätigten sich kurzzeitig Philippson als Altphilologe und der junge Geiger als Arabist. Berufspraktische Kenntnisse konnten die angehenden Rabbiner im preußischen Umfeld nur auf eigene Initiative erwerben. In Bonn gründete Geiger mit jüdischen Mitstudenten einen Lesekreis und einen Predigtverein, der wöchentlich in der Gemeindesynagoge übte. Die süddeutsche und die preußische Richtung der Rabbinatsstudien unterschied Geiger anhand der Geisteshaltung ihrer Absolventen als die romantische und die rationalistische Richtung, die

16 Ebd., 51f.; L. Geiger, Abraham Geiger. Leben und Lebenswerk (wie Anm. 1), 13f.; Susannah Heschel, Der jüdische Jesus und das Christentum. Abraham Geigers Herausforderung an die christliche Theologie (Berlin: Jüdische Verlagsanstalt, 2001), 68. 17 Wilke, „Den Talmud und den Kant“ (wie Anm. 2), 435. 18 „Süddeutsche Staaten“, WZJT 3 (1837), 304–306.

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„Schellingianer und Hegelianer innerhalb des Judentums“.19 Den entscheidenden Eindruck übte das Universitätsstudium auf die Rabbinatskandidaten seiner Generation also aus, indem es sie einem philosophischen System aussetzte, mitsamt der Herausforderung, dieses zu einer eigenen Idee vom Judentum zu verarbeiten. Kurz: Nicht die Einbindung in eine institutionelle oder soziale Welt akademischer Freiheit, sondern vielmehr die Konfrontation mit ihr verlieh der akademischen Ausbildung für die angehenden Rabbiner ihren Wert. Darin lag gleichzeitig das von Geiger später beklagte Elend des unvollständigen, unkoordinierten Ausbildungsganges, dessen jüdischer Kandidat sich „in der ganzen Betrachtung seines theologischen Eigenthums […] den wissenschaftlichen Weg zu bahnen“ habe.20 „Die Heranbildung von tüchtigen jüdischen Theologen war bis jetzt nur das Werk des Zufalls“,21 konstatierte auch Ludwig Philippson im Jahre 1842. Auf der Frankfurter Rabbinerversammlung von 1845 rief dieser zu dringender Abhilfe für das Elend der jüdischen Theologiestudenten auf, von denen ihn verzweifelte Briefe erreicht hätten. Ein jeder von ihnen sei vollkommen auf sich gestellt: „die christliche Theologie muß er studiren, um sich hernach so gut er kann eine jüdische daraus zu abstrahiren.“22 Das talmudische Programm, das früher von der Bar-Mitzwa bis zum Alter von 24 Jahren den rabbinischen Scholaren ausbildete, und das gymnasiale und universitäre Curriculum waren jedes für sich bereits vor allem mit altsprachlichem Wissensstoff überladen; dazu hatte der Rabbinatsstudent sich oft noch den Lebensunterhalt durch Privatstunden zu verdienen und durfte im Interesse seines Rufes seine Gebets- und Sabbatpraxis nicht vernachlässigen. Er ruinierte also seine Gesundheit durch Nachtwachen über Talmud und Sophokles und stand am Ende seines Doppelstudiums ohne eine ideologische Brücke zwischen diesen beiden Kulturen da. Die nicht formalisierte akademische Ausbildung des Rabbiners der eigenen Generation betrachteten sowohl Geiger als auch Philippson mit ambivalenten Gefühlen. Einerseits verstanden und nutzten sie sie in ihrem Studium als Chance zum eigenständigen Umgang mit den jüdischen Quellen und heroisierten diese Pionierleistung im Nachhin19 L. Geiger, Abraham Geiger. Leben und Lebenswerk (wie Anm. 1), 17, nach einem Ausdruck in Geigers Brief an Leopold Zunz, 22.4.1831. 20 Geiger, „Die Gründung einer jüdisch-theologischen Facultät“ (wie Anm. 6), 15. 21 Allgemeine Zeitung des Judenthums [= AZJ] 6 (1842), 307. 22 Protokolle und Aktenstücke der zweiten Rabbinerversammlung, abgehalten zu Frankfurt am Main vom 15ten bis zum 28ten Juli 1845 (Frankfurt am Main: E. Ullmann, 1845), 373.

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ein; andererseits wollten sie den nachfolgenden Generationen eine solche Offenheit nicht zumuten, sondern sie in einem formalisierten Studium die selbst erarbeitete Lösung auf sicherem Wege nachvollziehen lassen.

II. Geiger als Visionär: die Manifeste von 1836 und 1838 Seit Mendelssohns Zeiten, genauer nach einem Plan Isaak Abraham Euchels aus dem Jahr 1784, begegnet das Rabbinerseminar in den Debatten um die Reform von Rechtsstatus und Kultur der Juden als vorherrschender Institutionalisierungsentwurf. Seine Verfechter behielten sich, indem sie zwar den Seminarbegriff aus der christlichen Umwelt übernahmen, ihn aber zwischen theologischen und pädagogischen Vorbildern (Priester-, Prediger- oder Lehrerseminar) in der Schwebe ließen, bei der inhaltlichen Gestaltung des neuen Institutionstyps eine gewisse Originalität vor. Dahinter stand der Grundgedanke, die im Judentum vorgefundenen Talmudstudien zur Berufsausbildung zu verschlanken und um weitere jüdische wie allgemeine Studien zu bereichern. Versuche zur Verwirklichung dieses Modells, wie sie erstmals unter der napoleonischen Herrschaft nachweisbar sind, wurden während der Restaurationszeit in zahlreichen europäisch-jüdischen Zentren unternommen, meist veranlasst durch staatliche Reformgesetze und die Freisetzung ökonomischer Mittel im Zuge der Reform alter Talmudistenstiftungen. In den frühen Rabbinatsschulen von Prag, Metz oder Amsterdam ähnelte der Unterricht dem an den vormaligen Jeschiwot, ja mitunter war einfach der Name der Institution ausgetauscht worden. In Deutschland gelang eine solche pragmatische Reorganisation des Rabbinatsstudiums jedoch nicht. Die Spaltungen in den Gemeinden, die konkurrierenden Maximalforderungen der Staatsreformer und der Traditionalisten, das ideologische Gewicht, das der Rabbinerbildungsfrage zugeschrieben wurde, und schließlich auch der rasche Erfolg akademisch gebildeter Kandidaten auf dem Stellenmarkt nötigten alle künftigen Versuche der Institutionalisierung dazu, eine anspruchsvollere kulturelle Synthese zu schaffen. Seit den im Laufe der 1820er Jahre in Süddeutschland erlassenen Studienverordnungen musste eine Rabbinerbildungsinstitution zumindest in räumlicher Nähe zu einer Universität gedacht werden. Die radikale Option, die Rabbinerschule als eine jüdisch-theologische Fakultät selbst zum Teil der Universität zu machen, begegnet erstmals im Zusam-

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menhang der von nichtjüdischen Staatsreformern ersonnenen Umerziehungsmaßnahmen.23 Als erster einer Reihe von Autoren, welche die Schuld für die Pogrome von 1819 in der kulturellen Unangepasstheit ihrer Opfer suchten, machte sich in Preußen gleich nach den Unruhen Ferdinand Schubert dafür stark, „jeder Universität eine jüdischtheologische Fakultät beizugesellen“.24 Als erste staatliche Stelle nahm das böhmische Gubernium 1826 den Plan zu einer Fakultät an der Prager Universität auf. In Bayern legten 1827–1828 sowohl der oberfränkische Kreisschulrat Johann Baptist Graser als auch der Anführer der Münchner Orthodoxen, Israel Hirsch Pappenheimer, genauere Pläne zu einer solchen jüdisch-theologischen Fakultät vor. Dem preußischen Kultusminister Altenstein wurde 1832 ein ähnliches Gesuch unterbreitet, das er allerdings abschlägig beschied. Extreme christliche Bildungsreformer sprachen sich sogar dafür aus, die Rabbinerausbildung ganz an evangelisch-theologische Fakultäten zu verlagern. Anfang 1836 berief die bayerische Regierung Kreisversammlungen jüdischer Vorsteher und Rabbiner ein, um sie die Möglichkeit der Gründung einer Zentralbehörde diskutieren zu lassen.25 Die drei Rabbiner des geplanten Münchner Konsistoriums sollten zugleich eine jüdischtheologische Fakultät der bayerischen Juden bilden. In mehreren Kreisen stellten sich die jüdischen Delegierten mehrheitlich hinter diesen Plan. In Mittelfranken lag dazu ein Memorandum des Fürther Reformrabbiners Isaak Löwi vor, das neben anderen Reformmaßnahmen die „Gründung einer israelitisch-theologischen Facultät“ durchdachte.26 Die Kreisversammlungen schätzten die zu erwartenden Kosten allerdings als zu hoch ein, um sie ohne Staatshilfe aus zusätzlichen Abgaben der jüdischen Gemeinden decken zu können, und überließen die Entscheidung einer künftigen landesweiten Generalsynode.27 Geiger fand den Plan zur jüdischen Fakultät als Mittel obrigkeitsstaatlicher Kontrolle vor, noch bevor er ihn vom Standpunkt der

23 Wilke, „Den Talmud und den Kant“ (wie Anm. 2), 631–635. 24 Ferdinand Schubert, Geschichte, Religionsgrundsätze und staatsbürgerliche Verhältnisse der Juden. Ein Noth- und Hilfsbüchlein für die gegenwärtige Zeit (Köln: M. Dumont-Schauberg, 1819), 121; Wilke, „Den Talmud und den Kant“ (wie Anm. 2), 300f. 25 W[echsler] aus Sch[wabach] am 5.11.1835, siehe WZJT 2 (1836), 137–144, 402–415, insbes. 405 über das Ziel „einer kirchlichen Verfassung und einer die ReligionsAngelegenheiten leitenden Oberbehörde“. 26 WZJT 3 (1837), 135. Der Text dieses Planes scheint verloren. 27 AZJ 1 (1837), 352.

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akademischen Freiheit aus durchdachte.28 Seine Konzeption rabbinischer Wissenschaftlichkeit legte er in zwei Denkschriften nieder. Die erste, betitelt „Die Gründung einer jüdisch-theologischen Facultät, ein dringendes Bedürfniß unserer Zeit“, eröffnet das erste Heft im Jahrgang 1836 der Wissenschaftlichen Zeitschrift für Jüdische Theologie, erschien aber vermutlich schon im Dezember 1835, also kurz vor den bayerischen Kreisversammlungen.29 Die zweite Schrift, eine Broschüre „Ueber die Errichtung einer jüdisch-theologischen Facultät“, ist auf den 16. Januar 1838 datiert. Geiger beginnt seinen ersten Aufruf mit dem programmatischen Satz: „Das innerste Lebensmoment, der tiefste Gehalt aller wahrhaft geistigen Bewegung ist die Wissenschaft.“ Die von ihm angenommene Dynamik steht im genauen Widerspruch zur landläufigen Vorstellung, nach der alle Theorie graue Reflexion über ein grünendes Leben sei. Die Wissenschaft, mit Metaphern von Licht, Rang, Raum belegt, ordnet das Chaos des jüdisch-religiösen Getümmels „auf dem Marktplatz des Lebens“. Verödungsmetaphern stigmatisieren in Geigers Rhetorik das „wüste“ Talmudstudium. Dem traditionellen jüdischen Leben eingeschrieben, liefert Talmudgelehrsamkeit nur ein „rituelles Lernen“ (um den Begriff Mordechai Breuers zu verwenden)30 : Es ist „ein religiöser Act; war ja die theologische Ausbildung, gleichviel ob ein Resultat aus derselben erfolgte oder nicht, eine gottselige und gottgefällige Handlung“. Die Metaphorik, die Geiger für die intellektuelle Kultur seiner Zeitgenossen ersinnt, lässt an die deutsche Landschaftsmalerei der Romantik denken, wo italienische Hirten zwischen den unverstandenen Ruinen vergangener Hochkulturen ihr kümmerliches Alltagsleben fristen; „vergebens suchet das Leben, sich in seinen Irrgängen zurecht zu finden, vergebens den Schutt wegzuräumen“. Der wissenschaftliche Ansatz müsse mit dem üblichen, unkritisch-repetitiven Erlernen des Talmud brechen und ein eigenständiges vernünftiges Durchdringen des Stoffes an dessen Stelle setzen. Es gebe dazu keine Alternative, denn 28 Meyer, Antwort auf die Moderne (wie Anm. 5), 141 und 158f. beschreibt die Fakultätsprojekte Geigers und des bayerischen Politikers Johann Baptist Graser, ohne allerdings eine Verbindung zwischen beiden herzustellen. Ein Korrespondent Geigers zieht indes den Vergleich mit den christlichen Entwürfen einer akademischen jüdischen Theologie; siehe WZJT 2 (1836), 397. 29 Geigers Schlussbemerkung zu Heft II,1 ist auf den 2. Dezember 1835 datiert; terminus ante quem ist der im Aufsatz genannte Termin zur Gründung des Trägervereins, der 1. April 1836. 30 Mordechai Breuer, Oholei Torah (The Tents of Torah). The Yeshiva, Its Structure and History [hebr.] (Jerusalem: The Zalman Shazar Center for Jewish History, 2003), 40 und 94.

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in den Umwälzungen der Moderne sei mit den alten Institutionen des Talmudstudiums auch das lebensumfassende Glaubensbewusstsein, die alte „Glaubensinnigkeit“ verschwunden, die sie einst getragen habe. Nur die Wissenschaft könne dieses verlorene organische Ganze neu erschaffen. Dazu bedürfe sie moderner Institutionen, an denen eine „gründlich und selbständig behandelte, jüdische Theologie im Geiste der jetzigen Bildung“ gelehrt würde, die geeignet sei, die „klösterliche Dumpfheit“ zu vermeiden, die sich an einem eigenständigen konfessionsgebundenen Seminar breit machen würde. Methodisch wie organisatorisch gehört die jüdische Theologie aus Geigers Sicht in den überkonfessionellen universitären Studienzusammenhang, „in die Reihe der Wissenschaften, da hat sie einen Bund geschlossen mit ihren Schwestern, unauflöslich, unzertrennlich; Hand in Hand gehen sie vereint dahin“.31 In einer fundamentalen Dreiteilung, die Schleiermacher in seiner Kurzen Darstellung des theologischen Studiums von 1811 vorexerziert hatte,32 brachte Geiger die theologischen Materien als philosophische, historische und praktische in eine Hierarchie, wobei er Schleiermachers Idealismus teilte, ja radikalisierte.33 Die spekulativen Grundfragen der jüdischen Theologie seien zu beantworten, „ehe man noch gar zum Talmud kömmt“. Erst müsse die philosophische Begründung des Offenbarungsglaubens geleistet werden, bevor es dann die geschichtliche Grundlage der biblischen Offenbarung nachzuweisen, Inhalt und Gehalt der biblischen Schriften darzulegen, die Dogmen und ethischen Lehren in systematischer Ordnung daraus zu extrahieren, eine „Gesammtanschauung“34 zu gewinnen und schließlich die Texte in diesem Licht zu lesen gelte. Im zweiten, historischen Teil kommt es Geiger wesentlich auf die Umdeutung der rabbinischen Traditionsvorstellung im Sinne seines Ideals des religiösen Fortschritts an: demzufolge gilt nicht das historisch Gewordene als heilig, sondern das Heilige als histo31 Geiger, „Die Gründung einer jüdisch-theologischen Facultät“ (wie Anm. 6), 6. 32 Friedrich Schleiermacher, Kurze Darstellung des theologischen Studiums zum Behuf einleitender Vorlesungen (Berlin: G. Reimer, 2 1830). 33 Das Alte Testament gilt Schleiermacher nicht mehr als christliche Glaubensurkunde; es müsse „zuläßig bleiben“, es ganz zu übergehen (Kurze Darstellung, 53, §115). Dennoch wird die Forderung nach Kenntnis der neu- und alttestamentlichen Quellensprachen für alle christlichen Theologen weiterhin gestellt. Auch die orientalistische Sprachbeherrschung will Schleiermacher in einem rechten Maß beibehalten (58f., §130–131) und das Studium der zum Verständnis des Neuen Testaments notwendigen „gleichzeitigen und späteren jüdischen Schriften“ gar noch fördern (62f., §142). 34 Geiger, „Die Gründung einer jüdisch-theologischen Facultät“ (wie Anm. 6), 7.

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risch geworden, nämlich als veränderliche Ausdrucksform eines immanenten religiös-ethischen Geistes. Dieser Standpunkt eines modernistischen Idealismus erlaubte es, die herkömmliche legale Auffassung der jüdischen Religiosität als Gebotserfüllung zu hinterfragen. Geiger forderte (so ist es prägnant in seinem Nachruf formuliert) „nicht einen blinden Gehorsam gegen ein ererbtes Gesetz, sondern die freie Entfaltung der innern sittlichen Kraft“.35 Auf der Grundlage dieser dogmatischen Prämisse konstruiert Geigers Fakultätsprojekt in einem dritten Schritt eine neue Praxis: „Die Untersuchung dient nun nicht blos zur Erkenntniß dessen, was war; ihr Erfolg dient zur Würdigung, zur Gestaltung der Gegenwart.“36 Widersacher der deduktiv vorgehenden Geistestätigkeit ist immer wieder das „eigennützige Leben“, das den erworbenen Habitus so lange starrsinnig verteidigt, bis schließlich triumphierend „die Wissenschaft das Leben beherrscht und dieses sich gerne dienstbar zeigt“.37 Geigers wissenschaftlich-historische Methode erhebt also den Anspruch auf eine objektive Normfindung, die jene der halachischen Ordnung aus Schriftgesetz und Tradition vollgültig ersetzen sollte. Die „durch die Natur der Menschheit nothwendige, unabweisbare“ Richtung der Geschichte, so pflichtete ihm Philippson bei, müsse auch bei der jüdischen Theologenausbildung als Leitschnur dienen.38 In der Sache ist Geigers Reformansatz allerdings idealistisch, nicht historistisch orientiert. Er beruht auf der Grundlage einer stringenten Anwendung des philosophischen Prinzips ethischer Autonomie und huldigt dabei konstant, wenn auch eher vordergründig „der geschichtlichen Betrachtungsweise“.39 Denn historische Prozesse werden bei ihm, je 35 Ludwig Philippson, „Dr. Abraham Geiger“, AZJ (1874), 765–768, hier 766. Vgl. schon Abraham Geiger, „Die Rabbinerzusammenkunft. Sendschreiben an einen befreundeten jüdischen Geistlichen“, WZJT 3 (1837), 331–332, bes. 314: „Des Judenthums Wesen ist freie Entfaltung der innern sittlichen Kraft, die Anerkennung des Menschen in seiner Würde.“ Vgl. dazu Michael A. Meyer, „Ob Schrift? Ob Geist? Die Offenbarungsfrage im deutschen Judentum des neunzehnten Jahrhunderts“, in Jakob J. Petuchowski und Walter Strolz (Hrsg.), Offenbarung im jüdischen und christlichen Glaubensverständnis (Freiburg: Herder, 1981), 162–179; engl.: „,Scripture or Spirit?‘: The Revelation Question in German-Jewish Thought of the Nineteenth Century“, in Michael A. Meyer, Judaism within Modernity: Essays on Jewish History and Religion (Detroit: Wayne State University Press, 2001), 111–126, bes. 121. 36 Geiger, „Die Gründung einer jüdisch-theologischen Facultät“ (wie Anm. 6), 5. 37 Ebd., 8. 38 Protokolle und Aktenstücke der zweiten Rabbinerversammlung (wie Anm. 22), 376. 39 Dass Geigers Versuch, seine religösen Grundgedanken auf dem Weg historischer Forschung zu rechtfertigen, zum Scheitern verurteilt war, urteilte auch Hans Liebe-

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„nach dem verschiedenen Zwecke, welchen der Forscher vor Augen hat“,40 bald als Fortschritt, bald als Verfall, bald als indifferente Variation bewertet; mal gilt die Überlegenheit Europas über den Orient, mal die der sefardischen über die aschkenasische Tradition. Missliebige Überlieferungen streicht Geiger einmal als uralte, unpassende Relikte, „ein Product des fernen Morgenlandes, ein Erbtheil verflossener Jahrtausende, der Abdruck einer uns fremden Denk- und Empfindungsweise“, ein anderes Mal als neuere Zusätze, durch welche „die Trauer der Zeiten eine ungeheure Masse an Schalen“ über den alten, reinen jüdischen Wesenskern gestülpt und sich „ein Formglaube und Formdienst wuchernd […] eingeschlichen“ habe.41 So dogmatisch seine Geschichtsphilosophie sich auch gebärden mag, sie gelangt zu keinem einheitlichen Schema des historischen Ablaufs, sondern beinhaltet, wie Geiger selbst einräumt, „die Geltendmachung einer gewissen Subjectivität, nicht des Einzelnen, sondern des ganzen Zeitalters“.42 Seine Wissenschaft des Judentums vermochte zwar ein neues kollektives Selbstverständnis zu stiften, verfehlte aber den Zweck, der ihr im Rahmen des Fakultätsprojekts zugeschrieben wird: die Abschaffung oder Abänderung bestehender und die Einführung neuer liturgischer Bräuche objektiv zu legitimieren. Geigers zentrale Ermächtigung der Wissenschaft zur „Herrschaft über das Leben in allen seinen Aeußerungen und Gestaltungen“43 gründet in der Sache auf der Schleiermacher’schen Dreierhierarchie von Religionsphilosophie, Geschichte und Praxis. Geschichtswissenschaftliche Kompetenz im Sinne der Wissenschaft des Judentums liefert hier nur einen fragwürdigen Ausgangspunkt für weltanschauliche Sinnstiftung und normative Beweisführung; sie spielt allerdings eine zentrale Rol-

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schütz, „Historismus und Wissenschaft des Judentums: Abraham Geiger und Heinrich Graetz“, in Hans Liebeschütz, Das Judentum im deutschen Geschichtsbild von Hegel bis Max Weber (Tübingen: Mohr Siebeck, 1967), 113–157, bes. 125: „Die universale Vernunftreligion, die Geiger und seine Freunde als Wesen des Judentums predigten, bietet keinen Schlüssel zur historischen Wirklichkeit.“ Abraham Geiger, „Die zwei verschiedenen Betrachtungsweisen. Der Schriftsteller und der Rabbiner“, WZJT 4 (1839), 321–333, hier 321. Abraham Geiger, „Über die jüdischen Trauergebräuche“, WZJT 3 (1837), 214–233, hier 215 und Geiger, „Die Rabbinerzusammenkunft“ (wie Anm. 35), 314f. Wenig später unterschied Geiger in diesem Sinne zwischen der „legalen“ und der „religiösen“ Sicht von Geschichte; letztere wird dabei definiert als „die unversiegbare, in immer neuer, unerschöpflicher Kraft den für die Ewigkeit herrschenden Geist auszuprägen, frühere Aeußerungen zu modificiren, neue an deren Stelle zu setzen“; vgl. Abraham Geiger, Die letzten zwei Jahre. Sendschreiben an einen befreundeten Rabbiner (Breslau: Friedländer, 1840), 23. Geiger, „Die zwei verschiedenen Betrachtungsweisen“ (wie Anm. 40), 330.

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le bei der Neubegründung persönlicher Autorität und damit bei der Legitimation der kognitiven und sozialen Hierarchie, auf die es Geiger ankommt. Er setzt nämlich beim jüdischen Theologen einen hohen Grad an historisch-philologischer Sachkenntnis voraus und führt diesen Gedanken zu dem Schluss, die soziale Organisation dieses religiösen Wissens erfordere die Ämtertrennung zwischen dem Rabbinat und der theologischen Wissenschaft.44 Eine Personalunion sei unmöglich, denn der Gelehrte benötige eine professionelle Konzentration auf seine wissenschaftlichen Aufgaben abseits der Ablenkungen seelsorgerlicher Amtstätigkeit; vor allem aber müsse er seine Forschungsergebnisse frei von Rücksichten auf Gemeindeinteressen formulieren dürfen. Für den von Geiger auch biografisch erfahrenen Widerspruch zwischen Orientalistik und Rabbinat sowie außer- und innerjüdischer Einflussnahme versprach die noch zu schaffende Würde eines jüdischen Theologieprofessors eine ideale Lösung. Seine Zielvorstellung einer autonomen und dennoch für die Gemeinde maßgeblichen theologischen Wissenschaft verließ sich, wie er geltend machte, ganz auf die Möglichkeit, neue Ideen mittels freier Diskussion durchsetzen zu können;45 der intendierte Rahmen einer Fakultät implizierte dagegen die Vorstellung einer staatskirchlichen Ordnung, in der die jüdische Religion – analog zur christlichen Theologie – Anerkennung und Verbindlichkeit erfahren würde. Zumindest auf den ersten Blick scheint ein solcher Entwurf in die zeitgenössische Bildungspolitik nur schwer einzuordnen zu sein. In Preußen winkte zwar das Humboldtsche Modell der freien Wissenschaft, doch die Errichtung einer jüdischen Fakultät war dort aufgrund der Nichtanerkennung der jüdischen Religionsgemeinschaft von vornherein ausgeschlossen. In Bayern, Österreich und Württemberg, wo die Errichtung einer jüdisch-theologischen Fakultät gesetzlich möglich und auch politisch opportun war, wäre sie jedoch mit engen Vorgaben bildungspolitischer Reform befrachtet gewesen und vermutlich keine Stätte der freien Wissenschaft geworden. Welche Lösung Geiger zwischen diesen beiden ungünstigen Alternativen anstrebte, ließ er nur durch Anspielungen durchblicken. In seinem Aufruf von 1836 erklärt er, er habe für die Fakultät eine bestimmte, aber ungenannte Universitätsstadt im Auge, wo nicht allein „eine unse44 Geiger, „Die Gründung einer jüdisch-theologischen Facultät“ (wie Anm. 6), 5–9. 45 Andreas Gotzmann, „Jüdische Theologie im Taumel der Geschichte. Religion und historisches Denken in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts“, in Ulrich Wyrwa (Hrsg.), Judentum und Historismus. Zur Entstehung der jüdischen Geschichtswissenschaft in Europa (Frankfurt am Main: Campus, 2003), 173-202, siehe 192. Ludwig Philippson war hinsichtlich der eigenen Überzeugungskraft nicht minder optimistisch; vgl. Wilke, „Den Talmud und den Kant“ (wie Anm. 2), 643f.

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rer humanen Regierungen, welche die Förderung Israels wünschen“, ihre Schutzherrin sein würde, sondern wo „noch mancher schickliche Anknüpfungspunkt sich darbietet“.46 Die Schrift von Januar 1838 gibt erneut zu verstehen, dass Geiger die geplante Fakultät auf den Schutz „einer entschieden wohlmeinenden Regierung“ bauen wollte. Unter den reaktionären Verhältnissen des damaligen Deutschland ließen sich diese Anspielungen nur auf Baden beziehen, wo die liberale Regierung, die Staatsminister Ludwig Georg von Winter von 1833 bis zu seinem Tod im März 1838 leitete, der gesamtdeutschen Tendenz zur Einschränkung der bürgerlichen Freiheiten noch für ein Jahrfünft Widerstand leistete. Geigers eigene Bemerkungen zu anderen Gelegenheiten legen nahe, dass er sein Fakultätsprojekt tatsächlich in Heidelberg ansiedeln wollte, wo seine jüdische Theologie sowohl der preußischen Missachtung als auch dem bayerischen Dirigismus entgangen wäre. Am 22. August 1830, ein Jahr nach seinem Wechsel vom Neckar an den Rhein, hatte er in einer Tagebuchnotiz überlegt, dass „ein jüdisches Seminar an einer Universität“ errichtet werden sollte, wo „Exegese, Homiletik, und für jetzt noch Talmud und jüdische Geschichte in echt religiösem Geiste“ gelehrt werden könne.47 1835 wünschte er „eine Professur der jüdischen Theologie“ ausdrücklich für Heidelberg.48 Kurz nach der Emanzipation der badischen Juden dreißig Jahre später empfahl er wiederum die Stadt am Neckar als Sitz für eine jüdisch-theologische Fakultät und rechtfertigte dies mit dem (inzwischen wieder) „liberalen Sinn“ der Karlsruher Regierung.49 Über eine finanzielle Beteiligung des Großherzogtums machte er sich allerdings keine Illusionen. Er dachte an ein traditionelles Mittel der Finanzierung, nämlich an die Abschöpfung alter talmudischer Lehrhausstiftungen, und an ein modernes, nämlich die Gründung eines Fördervereins und eine Subskription „über das ganze Deutschland“. Der „schickliche Anknüpfungspunkt“ waren anscheinend die personellen 46 47 48 49

Geiger, „Die Gründung einer jüdisch-theologischen Facultät“ (wie Anm. 6), 21. Geiger, Nachgelassene Schriften, Bd. 5 (wie Anm. 12), 37. WZJT 1 (1835), hier 274. Geiger, „Was thut Noth?“, Jüdische Zeitschrift für Wissenschaft und Leben [= JZWL] 3 (1864/65), 251–258, hier 254: „Also zwei Dinge thun Noth: erstens eine jüdischtheologische Facultät und namentlich für das westliche Deutschland. Die Ausführung dieses Verlangens ist gar nicht so schwierig […] Man hat für’s Erste nur dafür zu sorgen, daß an einem Universitätssitze, etwa Heidelberg, einige tüchtige Männer die Disciplinen lehren, welche der Wissenschaft des Judenthums vorzugsweise angehören, und allmälig wird daraus eine Facultät sich bilden, deren Beziehung zur Universität bei dem liberalen Sinne der betreffenden Regierung unschwer geregelt würde.“

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Veränderungen an der gut dotierten „Lemle Moses-Klaus“, einer seit 1708 im nahen Mannheim bestehenden Lehrhausstiftung, deren orthodoxer Leiter Jakob Ettlinger unter dem Druck des reformorientierten Gemeindevorstandes sein Amt Anfang 1836 zur Verfügung gestellt und einen Ruf auf das schleswig-holsteinische Oberrabbinat angenommen hatte. Hayum Wagner, einer der wenigen badischen Reformrabbiner, wurde am 28. März 1837 als Klausrabbiner aufgenommen und unterbreitete sogleich einen Plan für „die Umwandlung der Anstalt in ein theologisches Seminar“.50 Dieses verlorene Dokument scheint zu belegen, dass hinter Geigers Fakultätsinitiative ein konkretes Projekt stand: die Fundierung und großherzogliche Anerkennung eines oder mehrerer jüdisch-theologischer Stiftungslehrstühle an der Universität Heidelberg in Verbindung mit einem praktisch-theologischen Seminar in Mannheim unter Konfiszierung der Mittel der dortigen Lehrklause. Da Wagner auch zwei der späteren Rabbinerversammlungen besuchte, war er wahrscheinlich auch Teilnehmer an der Konferenz von vierzehn Reformrabbinern, die Geiger in Wiesbaden am 16. Juli 1837 einberief.51 Diese erste Rabbinerkonferenz der Geschichte hat allerdings weder ihre Teilnehmerliste noch ihre Beschlüsse veröffentlicht – und zwar mit Grund, galt sie doch vor allem dem Ziel, Wege zu erörtern, um staatliche Behörden zur Einberufung jüdischer Synoden zu veranlassen.52 Geiger, Löwi und Wagner, die in jeweils unterschiedlichen Staaten an einem Fakultätsprojekt arbeiteten, haben ihre Pläne möglicherweise bei dieser Gelegenheit miteinander abgestimmt.53 Ein Hamburger Korrespondent von Geigers Zeitschrift schlug vor, Subskribenten für die Fakultät durch namentliche Nennung in der Presse anzulocken.54 Eben dies versuchte ein Jahr später ein Magdeburger Gesinnungsgenosse, der Schullehrer Ludwig Philippson, mit einem großen Aufruf, den er am 24. September 1837 in seiner neu gegründeten Allgemeinen Zeitung des Judentums veröffentlichte. Schon am 15. Juni, noch vor dem Wiesbadener Treffen, hatte Philippson unter dem Namen seines Bruders Phöbus mit der Veröffentlichung von „Ideen zu einer Encyclopädie und Methodologie der jüdischen Theologie“ 50 WZJT 3 (1837), 309; die undatierte Pressemeldung trägt eine „Nachschrift“ vom 28. April 1837. 51 WZJT 3 (1837), 479; vgl. Meyer, Antwort auf die Moderne (wie Anm. 5), 146. 52 AZJ 1 (1837), 125. 53 Vermutlich bei dieser Gelegenheit wurde Bernhard Wechsler von einem reformrabbinischen Bet-Din ordiniert, der aus Geiger, Josef Aub und Löwi bestand; vgl. Leo Trepp, Die Oldenburger Judenschaft. Bild und Vorbild jüdischen Seins und Werdens in Deutschland (Oldenburg: Holzberg, 1973), 209. 54 WZJT 2 (1836), S, 397f.

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begonnen. Der Hamburger Lehrer Meyer Isler notierte im Dezember einige eigene „Bemerkungen über die Errichtung einer jüdischtheologischen Facultät“, veröffentlichte sie aber erst im März des Folgejahres, um dem Unternehmen nicht durch „ein voreilig gesprochenes Wort“ zu schaden.55 Tatsächlich stellte das Projekt hohe Anforderungen an den diplomatischen Sinn der Initiatoren. In Reaktion auf traditionalistische Vorbehalte, die Geiger mit seinen freimütigen Bekenntnissen zu einer Reformwissenschaft selbst begünstigt hatte, schrieb er in einer zweiten Denkschrift vom Januar 1838 gegen den Verdacht an, dass die wissenschaftliche Freiheit einer theologischen Fakultät einseitig die Reformrichtung begünstigen würde. Auch konservative Ansichten, so versprach er, würden durch die freie Debatte die Möglichkeit zur methodischen Darlegung ihrer Argumente erhalten. Allerdings unterlag Geiger hier in einem Zirkelschluss, denn sein Beharren auf einer Rabbinerausbildung in akademischer Freiheit drückte an sich bereits die Bereitschaft zur Anpassung an Vorstellungen der protestantischen Umwelt aus. Dass er sich als Wissenschaftler nicht über rabbinische Amtsrücksichten erheben wolle, beteuerte Geiger in einem auf den 13. Juni 1838 datierten Aufsatz, in dem er seine frühere These von der Unvereinbarkeit wissenschaftlicher und praktischer Standpunkte relativierte. Der theologische Dogmatiker „ist mir hier der Priester der wahren Wissenschaft, der die Geheimnisse des gesammten Ideenzusammenhanges in der Zeit enthüllt“; der Rabbiner ist dagegen als Pragmatiker an die Umstände gebunden, „er benutzt eben, was da ist“. Doch handle es sich hier lediglich um zwei einander ergänzende „Betrachtungsweisen“, und er selbst habe sie „bis jetzt zusammenzuhalten gesucht, ohne sie zu vermischen“.56 Auch diese diplomatische Vorsicht führte nicht zum Ziel. Dass die rund ein Jahr lang mit Energie verfolgte Subskription zur Gründung der Fakultät nur ein Achtel des notwendigen Stiftungsbetrags aufbrachte, lag vornehmlich an der unüberbrückbaren geographischen, sozia55 Meyer Isler, „Bemerkungen über die Errichtung einer jüdisch-theologischen Facultät“, AZJ 2 (1838), 153-156, 157–160, 161f., hier 153; Wilke, „Den Talmud und den Kant“ (wie Anm. 2), 638. 56 Geiger, „Die zwei verschiedenen Betrachtungsweisen“ (wie Anm. 40), 323, 328, 333. Anders als Ismar Schorsch (vgl. Anm. 11) behauptet Ken Koltun-Fromm, Geiger habe gerade die Personalunion aus jüdisch-theologischem Schriftsteller und Gemeinderabbiner als Ideal verfochten; vgl. Ken Koltun-Fromm, Abraham Geiger’s Liberal Judaism: Personal Meaning and Religious Authority (Bloomington und Indianapolis, IN: Indiana University Press 2006), 138. Geigers inkonsistente Verlautbarungen in dieser Frage lassen beide Auffassungen zu, doch scheint mir die Darstellung von 1838 in stärkerem Maße durch apologetische Rücksichten motiviert.

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len und religiösen Zerklüftung des damaligen deutschen Judentums. Die aus Preußen von markanten Vertretern der Reformrichtung geleitete Sammlung erreichte weder die Staaten südlich der Mainlinie noch die Vermögenden, noch die Orthodoxen.57 In Bayern und Österreich wurde sie verboten, allerdings wurden gleichzeitig eigene Bemühungen angestrengt. Staatliche Stellen, nämlich die oberfränkische Regierung und die Wiener Universität, setzten sich für die Gründung einer universitären Einrichtung ein.58 In Baden sprach sich der Rabbiner Leopold Schott,59 in Württemberg sogar die königliche Regierung im Sinne einer eigenen Fakultät aus. Sogar in Preußen setzte Ludwig Philippson im Frühjahr 1842 Hoffnungen in die Gründung einer korporativen Verfassung der preußischen Juden und einer gemeinsamen Oberbehörde, die den Anstoß zu „Instituten zur Bildung von Rabbinen“ geben sollte.60 Die Aussichten auf eine staatliche Zentralisierung waren während jener kurzen Diskussionsphase auch von Philippsons ideologischen Gegnern im orthodoxen Lager so ernst genommen worden, dass sie einen eigenen Plan zur Fakultätsgründung einreichten, der inhaltlich an die jüdische Überlieferung, hinsichtlich seiner Organisationsstrukturen und Methoden jedoch an die Universität angepasst sein sollte.61 Als die politischen Entwicklungen in Preußen diese Erwartungen bereits enttäuscht hatten, unternahm Philippson auf der Frankfurter Rabbinerversammlung am 28. Juli 1845 einen letzten Vorstoß, indem er einen Ausschuss zur „Gründung einer oder mehrer jüdischtheologischen Facultäten in Deutschland“ unter Geigers Vorsitz ins Leben rief.62 Dieses Gremium, das weder eigenmächtig noch im Dienste der Rabbinerversammlung, sondern allein zur Unterstützung unabhängiger gemeindlicher Kräfte tätig werden wollte, trat ein einziges Mal an die Öffentlichkeit, und zwar während der Breslauer Nachfolgeversammlung von 1846, indem es den Kuratoren der soeben eröffneten Fraenckelschen Stiftung seine Mitarbeit bei der Verwirklichung des darin eingeschlossenen Rabbinerseminars anbot. Fraenckels Kuratoren 57 AZJ 3 (1839), 231: Philippson habe gleich bei Beginn der Subskription an die Rothschilds in Paris, Wien und Frankfurt geschrieben, aber keine Antwort erhalten. In Frankfurt hätten einige Gelehrte ein Komité gebildet, sich aber nicht auf eine religiöse Tendenz des Projekts einigen können. 58 Wilke, „Den Talmud und den Kant“ (wie Anm. 2), 647–652. 59 Israelitische Annalen 3 (1841), 7. 60 AZJ (1842), 306f. 61 Manfred Jehle (Hrsg.), Die Juden und die jüdischen Gemeinden Preußens in amtlichen Enquêten des Vormärz, 1842–1845, 4 Bde. (München: K.G. Saur, 1998), Bd. 1, 224 und 240. 62 Protokolle und Aktenstücke der zweiten Rabbinerversammlung (wie Anm. 22), 193.

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versteckten ihre Ablehnung hinter dem höflichen Angebot, Geiger nach erfolgter Gründung der Institution in den Beirat des Vorstands aufzunehmen, wollten ihm also auf deren Konzeption von Anfang an keine Mitsprache zugestehen. Noch bis 1853, ein Jahr vor der Gründung des Jüdisch-Theologischen Seminars, hegten sie den Wunsch, Geiger vom Lehrbetrieb zumindest „nicht ausgeschlossen zu sehen“, trafen damit aber auf die energische Weigerung des neuen Seminardirektors Zacharias Frankel, der eine einheitliche religiöse Linie forderte. Nach der erst später am Seminar formulierten Begründung dieser Entscheidung fehlte Geiger „diejenige Autorität in Deutschland, die ihm das Vertrauen desjenigen Teils der Judenheit sicherte, auf den es bei der Gründung eines solchen Unternehmens wesentlich ankam“.63 Die Diskussion unter den Seminargründern galt wohlbemerkt nur der Person Geigers und keinesfalls seiner wissenschaftspolitischen Vision. Das Scheitern seines Fakultätsprojekts kann ebensowenig dem Widerstand des akademischen Establishments zugeschrieben werden. Auch in Ländern außerhalb Deutschlands, wo die jüdischen Bürgerrechte in umfassender Form verwirklicht waren, ist es nie zu einer solchen Fakultätsgründung gekommen. Noch unter der verbesserten Rechtslage zu Anfang der Weimarer Republik zerschlug sich eine Initiative zu einer Jüdisch-theologischen Fakultät an der neu gegründeten Universität Frankfurt nicht zuletzt an Bedenken innerhalb der jüdischen Stiftergruppe.64 Die Übertragung des protestantischen Institutionsmodells auf jüdische Verhältnisse bot grundsätzliche Schwierigkeiten, die Geigers Entwürfe in den Augen des wesentlichen „Teils der Judenheit“ nicht hinreichend zu lösen vermochten.

63 Protokolle der dritten Versammlung deutscher Rabbiner abgehalten zu Breslau vom 13. bis 24. Juli 1846 (Breslau: Leuckart, 1847), 292; Marcus Brann (Hrsg.), Geschichte des Jüdisch-Theologischen Seminars (Fraenckel’sche Stiftung) in Breslau. Festschrift zum 50jährigen Jubiläum der Anstalt (Breslau: Schatzky, 1904), 15f., 48–50; Andreas Brämer, Rabbiner Zacharias Frankel. Wissenschaft des Judentums und konservative Reform im 19. Jahrhundert (Hildesheim et al.: Olms, 2000), 323, 327f. 64 Christian Wiese, Wissenschaft des Judentums und protestantische Theologie im wilhelminischen Deutschland – ein Schrei ins Leere? (Tübingen: Mohr Siebeck, 1999), 335–345; Christhard Hoffmann, „Wissenschaft des Judentums in der Weimarer Republik und im ,Dritten Reich‘“ in Brenner und Rohrbacher (Hrsg.), Wissenschaft vom Judentum (wie Anm. 9), 25–41, bes. 28f.; Christhard Hoffmann, „Die ,Verbürgerlichung‘ der jüdischen Vergangenheit: Formen, Inhalte, Kritik“, in Wyrwa (Hrsg.), Judentum und Historismus (wie Anm. 45), 149–172, bes. 161f.

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III. Geiger als Lehrender: die Einleitungsvorlesungen von 1845, 1863 und 1872 Informelle theologische Vorträge für Rabbinatskandidaten im Sinne der Wissenschaft des Judentums hielt erstmals Leopold Zunz 1834 in Berlin. Das Vorbild wurde von Rabbinern, Predigern und Orientalisten in Prag seit 1836, in Wien seit 1840 nachempfunden; in diesen beiden Metropolen zog es ein ganzes Programm von Lehrveranstaltungen über biblische, talmudische und jüdisch-religionsphilosophische Texte nach sich, das sich kurz vor der Revolution von 1848 sogar in die Universitätssäle verlagerte. Die konservativeren Österreicher sowie manche neuorthodoxe Rabbiner, die private Schülerkreise um sich sammelten, regten Geiger in Breslau zu Bemühungen um ein theologisches Lehrangebot nach seinen eigenen Überzeugungen an.65 Geiger gab seit Sommer 1841 jüdischen Universitätsstudenten in eigenen Privatvorträgen eine sprachgeschichtliche Einführung in das Talmudaramäische und in die Mischna. Es kam ihm darauf an, dass der Studierende sich nicht etwa den Geist des talmudischen Argumentierens zu eigen mache, sondern „diesen Stoff bewältige, ordne, verarbeite, über ihm stehe und ihn zu beherrschen wisse“.66 Diese Lehrtätigkeit erhielt im Folgejahr ihren Sitz an einer neuen Art Lehrhaus im zweiten Stock der Hospitalstiftung des Jonas Fraenckel, wo eine Bibliothek moderner jüdischer Literatur und ein Lese- und Lehrverein für Gymnasiasten und Studenten entstanden. Hier schloss sich ein ebenso gelehrtes wie populäres Vortragsangebot durch Geiger und seine jungen Schüler an, dem der Breslauer Volksmund den Namen einer „jüdischen Facultät“ zulegte.67 Damit waren zumindest die Absichten Geigers überspitzt charakterisiert. Hatten sich nämlich die jüdisch-theologischen Lehrveranstaltungen des vorangehenden Jahrzehnts im Rahmen der traditionellen Gattung des Textkommentars bewegt, wagte der Rabbiner 1845 eine Vorlesung zur „Einleitung in das Studium der jüdischen Theologie“ im universitären Stil.68 Damit begründete Geiger einen didakti65 Wilke, „Den Talmud und den Kant“ (wie Anm. 2), 580–599; Margit Schad, Rabbiner Michael Sachs. Judentum als höhere Lebensanschauung (Hildesheim et al.: Olms, 2007), 45–46, 210–217. 66 Abraham Geiger, Lehrbuch zur Sprache der Mischnah (Breslau: Leuckart, 1845), V. 67 Der treue Zions-Wächter (1846), 13. 68 Abraham Geiger, „Einleitung in das Studium der jüdischen Theologie“ [1845], in Abraham Geiger, Nachgelassene Schriften, hrsg. von Ludwig Geiger, Bd. 2 (Breslau: Louis Gerschel, 1875), 1–32.

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schen Ansatz, den sein Berliner Amtskollege Michael Sachs schon im Folgesemester mit eigenen Vorlesungen über „Litteratur- und Culturgeschichte der Juden“ nachahmte und der immer wieder seine Nachfolger finden sollte.69 Geiger gab genau nach Schleiermachers Vorbild eine zusammenhängende Übersicht aller „drei Theile“ der Theologie – Philosophie, Geschichte und Praxis. Wie Schleiermacher gewichtete er den zweiten Teil materiell am stärksten, ordnete jedoch jegliches Erforschen der biblischen und nachbiblischen Texte einem vorausgesetzten „theologischen Zweck“ unter. Die jüdische Geschichte unterteilte Geiger dialektisch in eine biblische Periode schöpferischer Innigkeit, eine rabbinische fixierender Nachahmung und schließlich eine moderne der Kritik. Bei der Interpretation der rabbinischen Quellen behielt sich Geiger also auch in seiner historischen Argumentation einen weiten Reformspielraum vor. Die Reformtheologie kommt auch in der Ausklammerung jeder politisch-ökonomischen Dimension aus Geigers Wahrnehmung der jüdischen Geschichte zum Ausdruck, die „nur eine Geschichte der Geistesthaten“ sein soll.70 Geigers Nachahmung protestantisch-theologischer Vorbilder bei seinen improvisierten Veranstaltungen erklärt sich auch aus seinem fortwährenden Streben nach universitärem Rang. Zeugnis seiner Bemühungen ist ein im Universitätsarchiv in Wrocław aufbewahrter, anrührender Brief von Geigers Hand, gerichtet 1842 an den Dekan der Breslauer Philosophischen Fakultät. Geiger bittet darin um die Erlaubnis, seine im Fraenckelschen Krankenhaus stattfindenden orientalistischen Vortragsreihen auf einem Zettel am schwarzen Brett der Fakultät anzuzeigen. Die Fakultät hatte an der Qualität von Geigers gelehrten Vorträgen, in denen er aus unserer Sicht die linguistische Erforschung der Talmudsprachen begründete, nichts auszusetzen. Trotzdem verweigerten 69 Michael Sachs behandelte das „Gesammtgebiet der jüdischen Literatur und die Aufzählung der Quellen und Hilfsmittel für diese Wissenschaft“, zit. n. Wilke, „Den Talmud und den Kant“ (wie Anm. 2), 589. Das damalige Publikum betrachtete die Vorträge als zeitpolemische Entgegnung auf die Vorlesungen des radikalen Reformers Sigismund Stern über Die Aufgaben des Judenthums und der Juden in unserer Zeit (Berlin: Buchhandlung des Berliner Lesecabinets, 1845); siehe Schad, Rabbiner Michael Sachs (wie Anm. 65), 86–88, 90–92. Stern, Geiger und Sachs stehen um nichts weniger in einer Traditionslinie wissenschaftlicher Einleitungen, deren erstes Projekt Leopold Zunz 1825 konzipierte. Doch erst zwischen 1905 und 1935 gab die „Gesellschaft zur Förderung der Wissenschaft des Judentums“ in Berlin einen mehrbändigen Grundriss der Gesamtwissenschaft des Judentums heraus. Kaufmann Kohler veröffentlichte gleichzeitig einen Grundriss einer systematischen Theologie des Judentums auf geschichtlicher Grundlage (Leipzig: Fock, 1910). 70 Geiger, „Einleitung in das Studium der jüdischen Theologie“ (wie Anm. 68), 5, 9–10, 19.

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die Professoren dem Eindringling Zugang zu ihrem schwarzen Brett. Nach dem Gesetz, so der Dekan, seien „nur öffentliche, bei der Universität angestellte Lehrer und habilitirte Privatdocenten berechtigt, Vorlesungen am Schwarzen Brett anzukündigen“. Dass Geiger den Dekan überhaupt dazu befugt halte, eine solche Erlaubnis zu erteilen, beweise seine „Unbekanntheit mit den akademischen Einrichtungen“. Noch durch seine Rebellion bestätigte der Subalterne die Rechtmäßigkeit der Ordnung, in der es zwischen insider und outsider keine Verwechslung geben durfte.71 Aufgrund seines Bedürfnisses nach akademischer Einbindung der von ihm vertretenen Wissenschaft scheint Geiger die Erfahrung seiner Chancenlosigkeit an der damaligen deutschen Universität als besonders entmutigend erlebt zu haben. Schon 1846 stellte er seine wissenschaftlichen, 1850 auch seine populären Vortragsreihen ein. Es war zu diesem Zeitpunkt schon offensichtlich, dass er und seine Gesinnungsgenossen keine unmittelbare Einwirkung auf die Rabbinerausbildung ausüben konnten. Ludwig Philippson bekannte 1845, es sei seinesgleichen „bis jetzt nicht gegeben, Schüler zu haben und zu unterrichten“;72 seinen späteren Nachruf auf Geiger begann er mit einer langen Rechtfertigung gegen diesen quälenden Vorwurf: „warum haben diese Männer nicht für unmittelbar von ihnen geschulte Jünger gesorgt?“73 Geiger und die seinen hätten beizeiten versucht, so macht Philippson geltend, „die Masse“ für die Idee einer Fakultät zu begeistern, diese habe ihnen aber die Mittel versagt. So hätten sie die meiste Zeit damit verbracht, ihre Richtung in ihren Gemeinden unter Kämpfen einzubürgern; außerdem hätten sie ihren Beruf ausgefüllt und ausgiebig publiziert. „Dies war Lehrthätigkeit genug. Die rechten Jünger muß der Genius geben, den die Vergunst des Geschickes verleiht und austheilt.“ 71 Archiwum Uniwersytetu Wrocławskiego [Universitätsarchiv Breslau], F 99, Bl. 1–2. Geigers Eingabe lautet hier wie folgt: „Bereits im Sommer 1841 habe ich vor einer Anzahl Studirender Vorlesungen über die chaldäische Sprache gratis gehalten; ich wünschte, auch in diesem Sommer, lediglich zum Wohle der Wissenschaft, derartige Vorlesungen, und zwar 1) über die chaldäische Sprache, 2) über die syrische Sprache und 3) – wenn sich dafür eine genügende Anzahl fände – über die Mischnah zu halten. Indem ich nur im Interesse, diese auf der Universität nicht vorgetragenen Gegenstände einem größeren Kreise studirender Jünglinge zugänglich zu machen, mich dieser Aufgabe unterziehen will, daher auch wünsche, daß denselben diese meine Absicht bekannt werde, so wäre es mir erfreulich, wenn ich einen dafür lautenden Anschlag an das schwarze Brett zu machen die Erlaubniß erhielte. Sollte es mir gar gestattet werden, meine Vorlesungen im Auditorium der Universität zu halten, so würde ich dafür recht dankbar sein.“ 72 Protokolle und Aktenstücke der zweiten Rabbinerversammlung (wie Anm. 22), 373. 73 Philippson, „Dr. Abraham Geiger“ (wie Anm. 35), 765.

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Unumwundener konstatiert der Historiker Michael A. Meyer im Rückblick, es sei den Reformern nicht gelungen, „eine zweite Generation von außergewöhnlichen Rabbinern hervorzubringen, die zu einer Neuorientierung und Erneuerung in der Lage gewesen wären“.74 Doch warum hatten Reformrabbiner, anders als die neuorthodoxen Jeschiwahäupter, fast nirgends Schüler? Die Modernisten standen vor einem Dilemma. Sie teilten die einhellige Verurteilung des Jeschiwa-Systems durch die Aufklärer, sie verachteten das Privatlehrer- und Winkelschulwesen, und sie strebten nach einer öffentlich anerkannten Wissenschaft. Aber die Verhältnisse erlaubten ihnen nicht die Institutionsgründungen, die sie anstrebten. So blieben ihnen offizielle und informelle Schüler gleichermaßen versagt. Geigers Vorstellung von der Neubelebung des Judentums durch die Wissenschaft übte indes eine indirekte Wirkung auf das JüdischTheologische Seminar aus, das 1854 aus testamentarischen Mitteln eines individuellen Stifters, des Kommerzienrats Jonas Fraenckel, in Breslau entstand und im markanten Unterschied zum Geiger-Philippsonschen Fakultätsprojekt als unabhängige private Einrichtung konzipiert war. In dem Memorandum, in dem der erste Direktor Zacharias Frankel vor der Gründung seine leitenden Gedanken niederschrieb, bog er Geigers Vorstellung von der hierarchischen Einwirkung der Wissenschaft mit Hilfe derselben Lebens- und Todesmetaphern ins Konservative um. Die „ewigen Wahrheiten“ des Judentums müssten, so forderte Frankel, durch die wissenschaftliche Beschäftigung mit ihnen attraktiv gestaltet werden; die Wissenschaft „stellt jene dem Geiste als Lebendiges und Leben Ausströmendes gegenüber, gibt ihm die spannende und anregende Beschäftigung, durch die diese Wahrheiten ein lebendiges, ohne die sie ein totes Gut sind“.75 Diese Aufgabe konnte aus Frankels Sicht nicht nur die moderne Kritik, sondern auch die herkömmliche Talmuddialektik erfüllen, sofern sie aus ihrer unsystematischen Verfassung zur scharfsinnigen Interpretationsweise früherer Zeiten zurückfand. Folge die Talmudinterpretation nur „einem systematischen Forschungsgange“, so könne sie „neuere Zeitbedürfnisse und kritische Auffassung des Geistes der Wissenschaften“ einschließen. In Abkehr von einer Lieblingsidee der Aufklärung sahen sowohl Geiger als auch Frankel den Geistlichen nicht als Volkslehrer oder 74 Meyer, Antwort auf die Moderne (wie Anm. 5), 276. 75 Brann, Geschichte des Jüdisch-Theologischen Seminars (wie Anm. 63), Beilagen, S. I; vgl. Meyer, „Differing Views“ (wie Anm. 2), 197–199; Brämer, Rabbiner Zacharias Frankel (wie Anm. 63), 328–332; Wilke, „Den Talmud und den Kant“ (wie Anm. 2), 675–681.

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Schulmeister für Erwachsene, sondern als Forscher. Unter jüdischtheologischer Wissenschaft verstand Frankel allerdings schon die verschiedenen überlieferten Methoden, die Stoffmasse der Traditionstexte rational zu ordnen, während Geiger ihr eine moderne religiöse Systemschöpfung abverlangte. Frankels Prüfungsordnung, die auf der Vermittlung eines umfangreichen, auch ritualgesetzlichen Lernstoffes aufbaute, verwarf Geiger 1862 als eine überlebte „Mikrologie des Mittelalters“.76 Dass Geiger in seinem Idealismus gleichwohl flexibler wurde, zeigt sein Wahlspruch aus den 1850er Jahren, der eine Rückkehr vom Apriori der Glaubensdogmatiken zum Aposteriori der philologischhistorischen Gelehrsamkeit ausdrückt. „Durch die Erforschung des Einzelnen zur Erkenntnis des Allgemeinen, durch Kenntnis der Vergangenheit zum Verständnis der Gegenwart, durch Wissen zum Glauben.“77 Das Wissen, nicht mehr die Wissenschaft ist es, worauf der Glaube fußt. So wählte Geiger nicht die Theologie, sondern die Geschichte zum Thema der öffentlichen Vorlesungsreihe, mit der er sich im Winter 1863/64 bei seiner neuen Gemeinde in Frankfurt einführte. Seine Darstellung Das Judenthum und seine Geschichte durchschritt sein Thema zwar in chronologischer Folge, ging jedoch wiederum im Dreisatz Philosophie-Geschichte-Praxis von der essentiellen Bestimmung des Gegenstandes aus. Geiger sprach nämlich „über Judentum, das tiefere Wesen desselben, seine Ausbildung und Entwickelung, sein Verhältnis zu anderen ähnlichen Erscheinungen in der Geschichte, die Aufgabe, die es zu erfüllen übernommen und wie es sie erfüllt hat, die Aufgabe, die ihm noch weiter geblieben ist, sowohl für die Gegenwart, als auch für eine lange Zukunft“.78 Als die Leipziger Synode von 1869 ihre Absicht erklärte, „eine höhere Lehranstalt für die Wissenschaft des Judenthums“ anzustreben, fügte sie den geigerisch anmutenden Gedanken hinzu, „daß deren Bedeutung sich nicht darauf beschränken darf, die Heranbildung junger Männer zu künftigen Lehrern und Verkündern der Religion (Rabbinern) zu erzielen, sondern daß sie zugleich eine Pflegestätten der freien wissenschaft-

76 Abraham Geiger, „Die Rabbiner in der Gegenwart“, JZWL 1 (1862), 165–174. 77 Ismar Elbogen und Johannes Höniger, Lehranstalt für die Wissenschaft des Judentums. Festschrift zur Einweihung des eigenen Heims (Berlin: o. A., 1907), 29; Awerbuch, „Die Hochschule für die Wissenschaft des Judentums“ (wie Anm. 4), 538. 78 Abraham Geiger, Das Judenthum und seine Geschichte bis zur Zerstörung des zweiten Tempels. In zwölf Vorlesungen. Nebst einem Anhange: Renan und Strauß (= Das Judenthum und seine Geschichte. Erste Abteilung) (Breslau: Schlettersche Buchhandlung, 1865), 3.

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lichen Erkenntnis sei“.79 Die infolge dieses Aufrufs in Berlin gestiftete Hochschule für die Wissenschaft des Judentums verstand sich, anders als die von Geiger entworfene Fakultät, nicht als theologische Dogmenschmiede, sondern als säkulare, religiös unparteiliche Institution. Dass Geiger als Berliner Gemeinderabbiner 1872 eine der vier Gründungsdozenturen innehatte, heißt nicht, dass ihm in der Institution irgendeine leitende Funktion zukam, wie es die Literatur mitunter behauptet. Ganz im Gegenteil: Rabbiner waren bei ihrer Planung und Leitung grundsätzlich ausgeschlossen. Als Geiger 1871 von der geplanten Gründung der Hochschule berichtete, stellte er die neue Institution zwar in die Kontinuität der Idee einer jüdisch-theologischen Fakultät, die erstmals „vor einem Menschenalter“ vorgebracht worden sei; er räumte jedoch zugleich ein, in die Vorbereitungen zu der neuen Institution so wenig eingeweiht zu sein, dass er nicht zu sagen wisse, ob sie eine freiere wissenschaftliche Betätigung erlauben würde als das Breslauer Seminar.80 In seinen ersten Vorlesungen, die er im Wintersemester 1872/73 begann, versuchte er sein bereits unzeitgemäßes Ideal eines moderntheologischen Weltbilds umzusetzen – ein Gegenentwurf zu Frankels historistischer Auffassung von Wissenschaftlichkeit als Habitus und Methode. Vierzig Jahre nachdem er zu Beginn der Wissenschaft des Judentums um deren „Gesammtanschauung“ rang, sah er seine eigene Aufgabe weiterhin darin, „das bisher Vereinzelte zu einem ganzen wohlgeordneten Gefüge zu gestalten“.81 Geiger konzipierte zum vierten Mal nach 1835, 1845 und 1863 eine Einleitungsvorlesung, die er diesmal in Vermeidung theologischer Begrifflichkeit als „Allgemeine Einleitung in die Wissenschaft des Judenthums“ betitelte.82 Bei dem Versuch, die Sprache, Geschichte und Religion des Judentums in ein umfassendes System zu konzeptualisieren, standen immer noch Herder und Hegel Pate. Die hebräische Sprache betrachtet Geiger zu Anfang seiner Vorlesung als „Wortausdruck des jüdischen Gedankens“ und

79 Abraham Geiger, „Thesen für die am 29. d. [M.] in Leipzig zusammentretende Versammlung“, JZWL 7 (1869), 161–167, hier 166. 80 Geiger, „Jüdisch-theologische Lehranstalten“, JZWL 9 (1871), 127–129, hier 127, 129. 81 Geiger, „Meine Wirksamkeit an der ,Hochschule für die Wissenschaft des Judentums‘. Von Ostern 1872 bis dahin 1874“, JZWL 11 (1875), 18–42, bes. 18–30, vom 24. Februar 1873. 82 Geiger, „Allgemeine Einleitung in die Wissenschaft des Judenthums“, in Abraham Geiger, Nachgelassene Schriften, hrsg. von Ludwig Geiger, Bd. 2 (Breslau: Louis Gerschel, 1875), 35–243.

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des „Volkstriebes“.83 Die jüdische Geschichte passt er sodann in sein bekanntes dialektisches Narrativ ein, das den jüdischen Volksgenius in seinem „Geheimnis des Werdens“ enthüllen soll: Er identifiziert die biblische Epoche als die der Offenbarung, die talmudische als die der Tradition, die mittelalterliche als die der „starren Gesetzlichkeit“ und die moderne als die der Kritik. Geiger revidierte sein historiografisches Schema zwischen 1845 und 1872 also nur insofern, als er dem rabbinischen Judentum nun eine frühe, kreative Epoche zugestand, bevor er es in Erstarrung verfallen ließ. Ein derartiger historischer Determinismus rechtfertigte eine zweifache reformjüdische Apologetik: Einerseits machte Geiger den Traditionalisten die angebliche Starrheit der jüdischen Vormoderne zum Vorwurf, andererseits erwies er die wissenschaftliche Kreativität einzelner Autoren derselben Vormoderne zu Zwecken der reformerischen Selbstverteidigung.84 Am Ende seines Lebens war Geiger immer noch ein Idealist bis in die Knochen, der die jüdische Wissenschaft nicht als einen Stoff oder als Gegenstandsfeld, sondern als ein einheitliches System auffasste, dessen religiöser Wahrheitsgehalt ihm bedeutsam erschien. Die als erweislich betrachtete geschichtliche Gesetzmäßigkeit des Hinüberwachsens vom Nationalen ins Universale rechtfertigte den Aufruf, das Judentum „von allen volkstümlichen [d. i. nationalen] Elementen“ zu befreien.85 Die deskriptive und die normative Bewegung sind in seinem Denken auch hier, kurz vor seinem Tode, noch ebenso untrennbar verbunden wie in seinem 1835 formulierten Projekt einer jüdischen Theologie als Fakultätswissenschaft.

IV. Geiger stromabwärts Man sollte Geigers gescheiterten Versuch einer Neukonzeption der Rabbinerausbildung weder einseitig aus der Perspektive der Universität beurteilen, die Juden nicht einmal den Zettel am Schwarzen Brett gönnte, noch allein aus der Perspektive des Konservatismus der Talmud83 Über diese und andere Einflüsse Herders auf Geigers Denken siehe Michael A. Meyer, „Jewish Religious Reform and Wissenschaft des Judentums: the Positions of Zunz, Geiger and Frankel“, LBIYB 16 (1971), 19–41, hier 27; vgl. Meyer, Antwort auf die Moderne (wie Anm. 5), 416. 84 Geiger, „Allgemeine Einleitung in die Wissenschaft des Judenthums“ (wie Anm. 82); vgl. auch Awerbuch, „Die Hochschule für die Wissenschaft des Judentums“ (wie Anm. 4), 538f. 85 Geiger, Nachgelassene Schriften, Bd. 5 (wie Anm. 12), 168; Awerbuch, „Die Hochschule für die Wissenschaft des Judentums“ (wie Anm. 4), 539.

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akademien und Rabbinerseminare, die Geigers radikale akkulturierte Gangart missbilligten. Bei der Modernisierung der Rabbinerausbildung im neunzehnten Jahrhundert handelt es sich um eine Verschränkung von zweierlei Wandlungsprozessen an sehr unterschiedlichen Institutionen: Die Universitäten wandten sich vom scholastischen und neuhumanistischen Paradigma ab und verschrieben sich dem Idealismus, später dann dem Historismus, während sich an den Jeschiwot Überdruss an der Dialektik breit machte und neue text- oder praxisorientierte Alternativen erprobt wurden, die auch für die späteren Rabbinerseminare richtungsweisend wurden. Im Werk Geigers ist die Frage der interkulturellen Herausforderung an die Rabbinerausbildung, der Synthese von jüdischem und akademischen Wissen, ein wiederkehrendes Problem, für das er eine radikale Lösung vorschlug: Jüdische Religionslehre sollte zur akademischen Wissenschaft erhoben und an einer staatlichen jüdisch-theologischen Fakultät gelehrt werden. Der Aufbau eines systematischen Ideengebäudes sollte sich gemeinsam mit dem einer stützenden Institution vollziehen. Drei Grundgedanken beherrschen dieses Projekt: (1) der Systemcharakter der jüdischen Wissenschaft, (2) ihre postulierte Herrschaft über das jüdische Leben und (3) ihre Verschmelzung mit der Universität. Die gegenwärtige wissenschaftliche Beschäftigung mit dem Judentum ist diesen Prinzipien gegenüber auf Distanz gegangen. Unverwirklicht blieb zunächst Geigers Forderung, „daß die Gestaltung des Glaubens aus einem Gusse sein müsse“.86 Moderne Rabbinerausbildung ist ein interkulturelles Unterfangen geblieben, das auf den Austausch zwischen unterschiedlichen, ja disparaten Institutionstypen und Wissenskulturen angewiesen ist. Zweitens schwand mit der Zuversicht, die Wissenschaft des Judentums könne verbindliche Regeln zur Gestaltung der Praxis liefern und etwa durch die historische Datierung jüdischer Traditionen zu einem objektiven Urteil über deren Legitimität gelangen, eine wesentliche Grundlage des Geigerschen Wissenschaftsverständnisses. Die heutigen Jewish Studies sind weit entfernt von der Idee einer Fakultät aus jüdischen Gelehrten, deren Aufgabe darin bestehe, einen normativen Standpunkt des Judentums für den rabbinischen Nachwuchs, die jüdische Öffentlichkeit sowie nichtjüdische Politiker und Theologen zu 86 Abraham Geiger, „Heuchelei, die erste Anforderung an den jungen Rabbiner unserer Zeit“, WZJT 1 (1835), 285–306, bes. 291. Geiger polemisiert hier gegen die Koexistenz von Jeschiwa- mit Universitätstraditionen, deren Ergebnis „jene unglückselige Klasse halb gebildeter Bachurim“ sei und „jenes Schaukelsystem, das bald hiehin bald dorthin sich neiget“.

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formulieren. Die von Geiger erhoffte Synthese aus freier Forschung und kultusgemeindlicher Praxis, das Postulat einer grundsätzlichen Entsprechung zwischen den Interessen der jüdischen Religionsgemeinschaft und denen der scientific community weist die letztere mitunter energischer denn je von sich.87 Und drittens ist unter den Bedingungen des 21. Jahrhunderts die staatliche Universität, an der Abraham Geiger einst „alle Pulsadern der gesammten geistigen Thätigkeit schlagen“ sah, nicht mehr der einzige, zentralisierte Tempel der Wissenschaft. Nichtstaatliche akademische Einrichtungen – wie das nach Geiger benannte Kolleg in Potsdam – sind heute ein anerkannter, auch akkreditierter Teil einer komplexer gewordenen Landschaft des Wissens. Unter den drei oder vier jüdischen Institutionen, die seit kaum mehr als einem Jahrzehnt in Deutschland erfreulicherweise die rabbinische Ausbildung mit zu ihren Aufgaben zählen, ist keine Teil einer Universität, so eng und erfolgreich die Kooperationen in Potsdam und in Heidelberg auch sein mögen. Ein staatliches Wissenschaftsmonopol wäre ein ebensolches Monstrum wie das von Geiger als Metapher ersonnene Lebewesen, dessen sämtliche Pulsadern sich in einem Körperteil zusammendrängen. Der Verlust der idealen Hierarchie von Wissenschaft und Leben einerseits und des bildungspolitischen Zentralismus andererseits entfremdet uns Geigers Vision in dem Maße, in dem er uns der Realität seiner Zeit gegenüber annähert, die zwar auf epistemologischem Gebiet ungemein kreativ, auf institutionellem jedoch gänzlich erfolglos war. Die religiösen Entwicklungen der 1820er bis 1840er Jahre, die die Wissenschaft des Judentums und das moderne Rabbinat hervorbrachten, blieben unhierarchisch und dezentral. Wie Geiger selbst bemerkte, hatte seine eigene Rabbinergeneration keine Schule – sie habe sich „mehr nach den einzelnen Individualitäten, nach den Umständen gebildet“. Für ihn wie für uns war diese Generation gleichwohl die erste und maßgebliche der jüdischen Moderne. Geiger erklärt den eigentümlichen Erfolg dieser benachteiligten Individualitäten aus einem Kontingenzfaktor: Sie seien „in der Zeit einer mächtigen Bewegung innerhalb des Judenthums 87 Bei der Grundsatzerklärung, dass die an den Universitäten der USA betriebenen Jüdischen Studien „kein jüdisches Unternehmen mit jüdischen Zielen“, sondern ein „Kernbestandteil der allgemeinen Studien, der Geistes-, Sozial- und Kulturwissenschaften“ seien, setzt eine gemeinsame Verlautbarung der American Academy of Jewish Research und der Association for Jewish Studies an, die am 27.4.2010 als „Statement on Hiring Practices“ elektronisch veröffentlicht wurde. Der Text trennt sehr scharf zwischen Institutionen der religiösen Ausbildung, bei denen Gemeindezugehörigkeit zur Einstellungsqualifikation (bona fide occupational qualification) gehören darf, und den akademischen Jüdischen Studien, deren Auswahl- und Anstellungspraktiken ausschließlich professionellen Gesichtspunkten zu folgen haben.

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erwachsen […] dies gibt Kräfte, scharfen Blick, auch Begeisterung“.88 Ludwig Philippson folgte ihm, wenn er schrieb, „daß Zeiten der Krisen immer eine größere Anzahl großer, schöpferischer Geister hervorrufen“ – allerdings sei deren Erfolg nicht reproduzierbar: „der innere Kampf, an den eine große Summe von Kräften verschwendet wird, muß der Jugend erspart bleiben“.89 Noch heute fällt auf, dass die Persönlichkeiten der wirren Umbruchszeit, deren Zweihundertjahrfeiern wir nach und nach begehen, markanter im Gedächtnis geblieben sind als die weitaus systematischer gebildeten Absolventen der unterschiedlichen Rabbinerseminare. An den ersten Rabbinern, die aus der systematischen Ausbildung am Breslauer Seminar hervorgingen und 1862 ins Berufsleben traten, hatte Geiger wenig Freude; vielmehr notierte er, dass „die lebensvolle geistige Anregung, welche in den dreißiger und vierziger Jahren vorzugsweise von Rabbinern ausging“, nunmehr „erstarrt“ sei.90 Bei aller Bewunderung für die anarchische Kreativität jener Gründerjahre soll gewiss nicht die Notlage übersehen werden, aus der heraus die erste moderne Rabbinergeneration – auf der Grundlage ihrer Talmudstudien, der ideologisch gefärbten Vorlesungen christlicher Theologieprofessoren und einem unglaublichen Maß an autodidaktischer Anstrengung – ein eigenes Bildungsprofil schuf. Doch kommt es darauf an, die damalige Vielfalt der – staatlichen und privaten, stabilen wie persönlich-informellen – Institutionen des Wissens historisch zur Kenntnis zu nehmen und zu würdigen. Denn diese Art institutioneller Vielfalt hat immer als ein dringend benötigtes Korrektiv vereinheitlichter Bildungssysteme gewirkt, seien diese à la Humboldt oder alla bolognese. Die rabbinische Bildungsgeschichte verweigert sich einer teleologischen Entschlüsselung gemäß einer hegelianischen Dialektik der Aufhebung. Weder war das akademische Rabbinerseminar die Synthese aus den Antithesen der überlebten Jeschiwa und Geigers unrealisierbarem Fakultätsideal, noch kann der wissenschaftlich gebildete Rabbiner als Synthese aus dem talmid-chacham und dem Universitätstheologen gelten. Die Widersprüche zwischen Universitätswissenschaft und rabbinischer Tradition sind nicht nur wegen des judenfeindlichen Klimas der damaligen deutschen Universitäten unaufgelöst geblieben. Das Judentum, wie Geiger es vorfand, gründete auf der Weitergabe eines literarisch-liturgischen Textkorpus und auf der Teilnahme an 88 Abraham Geiger, Ueber die Errichtung einer jüdisch-theologischen Facultät (Wiesbaden: Riedel, 1838), 21. 89 Protokolle und Aktenstücke der zweiten Rabbinerversammlung (wie Anm. 22), 374. 90 Abraham Geiger, „Die Rabbiner der Gegenwart“, JZWL (1862), 165–174, hier 165.

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einer halachisch geordneten Lebenswelt. Die Übersetzung jener Textund Mahlgemeinschaft in eine Glaubensgemeinschaft mit eindeutigem Lehrsystem gelang nicht. Eine abermals vieldeutige Geschichtswahrnehmung erbte den einstigen Stellenwert der autoritativen halachischen Traditionsliteratur; der turn, den Geigers Wissenschaft des Judentums bewirkte, führte – anders als erhofft – nicht vom Text zum Sinn, sondern „vom Text zum Kontext“. Die historische Wissenschaft hat die erhoffte Herrschaft über das jüdische Leben nie antreten können, sondern sich ihm eingefügt, mitunter als eine neue Variante des „rituellen Lernens“. Geigers Fakultätsprojekt wurde vermutlich schon mit dem badischen Regierungswechsel von 1838 obsolet, verliert aber deswegen nicht an Gegenwartsinteresse. Schöpfungen der Vergangenheit sind in der geschichtlichen Weiterentwicklung keineswegs – und schon gar nicht gut – aufgehoben. Gerechter als Hegels Logik wird dem verschütteten Geigerschen Entwurf wohl eher Foucaults Archäologie des Wissens: Ausgegrenzte Diskurse fallen dem Vergessen anheim und harren der Entdeckung sowie ihrer Verwandlung in eine Grundlage künftiger Rebellionen. Seit dem Ersten Weltkrieg suchten deutsche Doktorrabbiner nach dem intensiven Text- und Sozialleben der osteuropäischen Jeschiwa; ähnlich mag eines Tages auch das verdrängte Potential in Geigers Entwurf, die Vorstellung von den unter einem Dach „Hand in Hand“ gehenden Theologien, seine Überzeugungskraft neu entfalten. Geigers Wissenschaftlichkeit erweist sich als komplexer und doppelbödiger, als es angesichts ihrer meist polemisch vereinfachten Formulierung scheinen mag. Er stellt sich seine jüdische Wissenschaft als ein ideales System vor, legte aber zugleich großen Wert auf dessen induktive philologisch-historische Herleitung. Er hoffte darauf, aus eindeutigen Resultaten der Forschung Antworten zu allen jüdischen Lebensfragen gewinnen zu können, wollte aber dabei die Freiheit und den Pluralismus der Wissenschaft gewahrt wissen. Er strebte danach, die Wissenschaft des Judentums institutionell in der staatlichen Universität aufgehen zu lassen, schrieb ihr aber zugleich die Aufgabe zu, die jüdische Differenz darzustellen und zu verteidigen. Diese Widersprüche sind im Denken Herders, Hegels und Schleiermachers angelegt, von dem Geiger sich eigenem Bekunden nach anregen ließ.91 Aus historischer Perspektive ist jedoch festzuhalten, dass 91 Abraham Geiger, Das Judenthum und seine Geschichte von der Zerstörung des zweiten Tempels bis zum Ende des zwölften Jahrhunderts. In zwölf Vorlesungen. Nebst einem Anhange: Offenes Sendschreiben an Herrn Professor Dr. Holtzmann (= Das Judenthum und seine Geschichte. Zweite Abteilung), (Breslau: Schlettersche Buchhandlung, 1865), 194ff.

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Geigers Religion der Wissenschaftlichkeit nicht auf einem bloßen Importvorgang beruht, der die jüdische nach der christlichen Theologie umzugestalten bestrebt gewesen wäre. Noch weniger spiegelt sie eine biografische Prägung Geigers durch die Philologen oder Theologen der deutschen Universität wider. Vom „Strudel des Studentenlebens“ spricht er nur in despektierlichem Ton, und das Urteil über seine Professoren fällt noch viel vernichtender aus. In seinen Erinnerungen begegnen wir Philologen, die ein „strenger geisttödtender Pedantismus“ verdummt habe,92 und Theologen, die sich vor Glaubensdünkel und Voreingenommenheit spreizten.93 Geigers Verherrlichung der freien Universitätswissenschaft ist eine idealisierende Projektion, eine Bildungsutopie, die sich dem Blickwinkel des Außenseiters verdankt. Schon der Leipziger Zeitgenosse Julius Fürst war einsichtsvoll genug, um spitz zu bemerken, dass Geigers hymnisches Loblied auf die deutsche Universität „aber mit den Zwecken und Absichten, welche die Regierungen mit unsern Hochschulen haben, so im Widerspruche steht, daß es zwar beschämend, aber an der Zeit sein möge, die Stimme eines Juden über unsre Hochschulen zu hören“.94 Geigers wissenschaftlicher Universalismus bringt, wie alle jüdischen Universalismen, nicht den selbstzufriedenen Anspruch zum Ausdruck, universal zu sein, sondern die Bemühung um Universalität. Der utopische Zug seiner Zukunftsuniversität mag erklären, warum heutige Institutionen sie als ihre ideale Vergangenheit beanspruchen. 92 Dies war ihm aus der Heidelberger Philologie erinnerlich; vgl. Geiger, Nachgelassene Schriften, Bd. 5 (wie Anm. 12), 13. Er spricht später gar im Pauschalurteil von „deutscher gelehrter Pedanterie, von der nicht leicht irgend jemand in Deutschland frei hält; das ist eine schrecklich ansteckende Krankheit“; siehe Abraham Geiger, Nachgelassene Schriften, hrsg. von Ludwig Geiger, Bd. 2 (Breslau: Louis Gerschel, 1875), 312. 93 Geiger bemerkt, „es mochte auch mancher rationalistische Theologe, nachdem er die Begeisterung für den eignen Glauben verloren, den einzigen Haltpunkt noch finden, wenn er Andersglaubende nicht sowohl wissenschaftlich bekämpft, als vielmehr feindlich befehdet“; vgl. Geiger, „Der Kampf christlicher Theologen gegen die bürgerliche Gleichstellung der Juden“ (wie Anm. 7), 54. Der „Versuch, mit der fortgeschrittenen Wissenschaft sich zu versöhnen, sich selbst durch unbefangene Forschung zu verjüngen“, sei im Christentum Episode geblieben und habe sich bald ins Gegenteil verkehrt. „Die kirchliche Theologie sinkt immer tiefer“; Abraham Geiger, Das Judenthum und seine Geschichte, 3. Abth.: Von dem Anfange des dreizehnten bis zum Ende des sechzehnten Jahrhunderts: in zehn Vorlesungen (Breslau: Schlettersche Buchhandlung, 1871), 162. 94 Nachgedruckt bei Monika Richarz, Der Eintritt der Juden in die akademischen Berufe. Jüdische Studenten und Akademiker in Deutschland 1678–1848 (Tübingen: Mohr Siebeck, 1974), 232–237, hier 235.

Wissenschaft als Wiederauferstehung: Zur Polemik der toten Geschichte in der Wissenschaft des Judentums Asher D. Biemann Vielen seiner späteren Bewunderer galt Abraham Geiger als „Begründer einer neuen Epoche im religiösen Leben des Judentums“.1 Einen „Erneuerer und Erwecker des Judentums von prophetischer Glut und Kraft“ nannte ihn die illustrierte jüdische Monatsschrift Ost und West anlässlich seines hundertsten Geburtstags im Mai 1910,2 und sogar das zionistische Blatt Die Welt würdigte ihn als „Schöpfer und Meister der jüdischen Wissenschaft“.3 Geiger selbst verstand sich als Reformer, Historiker und Verkünder einer neuen, von ihm selbst geschaffenen jüdischen Theologie. Damit stand er im Mittelpunkt der Grundtendenzen und Hoffnungen der Wissenschaft des Judentums, die von ihren Anfängen her als eine Erneuerung des jüdischen Lebens auftrat, als Gegenkraft zum Druck der Assimilation und zugleich als Ausweg aus einer inneren „Formenstarre“, wie Geiger es selbst formulierte. David N. Myers bemerkte in seiner umfassenden Studie zur Entwicklungsgeschichte der jüdischen Wissenschaft und deren Fortsetzung in der Jerusalemer Schule sehr zutreffend, dass „Wissenschaft mehr als nur ein Begriff war, der die methodologische Strenge ihrer Anhänger bezeichnete: Sie war ein Programm der Selbstdefinition einer Gruppe und ein Programm der Erneuerung.“4 Jakob Katz erblickte in der 1 2 3

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Ismar Elbogen, „Abraham Geiger. 1810–1910“, Jahrbuch für jüdische Geschichte und Literatur [= JJGL] 14 (1911), 74f. [Elias] Kalischer, „Abraham Geiger und die Rumänischen Juden. Ein Gedenkblatt“, Ost und West 10 (1910), 417f., hier 418. O[sias] Thon, „Abraham Geiger: Zu seinem 100. Geburtstag“, Die Welt 14 (1910), 536–538, hier 536. Zu Thons ansonsten kritischer Haltung gegenüber Geiger siehe unten. David N. Myers, Re-inventing the Jewish Past: European Jewish Intellectuals and the Zionist Return to History (New York und Oxford: Oxford University Press, 1995), 18. Vgl. auch Nils H. Roemer, Jewish Scholarship and Culture in Nineteenth Century Germany: Between History and Faith (Madison, WI: University of Wisconsin

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Wissenschaft wiederum eine „Wiederbelebung des jüdischen Geistes“, während Michael Graetz die Wissenschaft des Judentums schlechthin als „Renaissance des Judentums im 19. Jahrhundert“ beschrieb.5 Tatsächlich feierte Abraham Geiger in der Erstlingsnummer seiner 1835 begründeten Wissenschaftlichen Zeitschrift für jüdische Theologie die „Jünger“ dieser Wissenschaft als „Anbruch einer schönern Morgenröthe“ und Kämpfer gegen all das, was im Judentum den Glauben „verpestet“, den Geist „zerknickt“ und die Form „verunstaltet“ habe: „Der Geist Gottes schwebt über den Wassern, und so wird er auch bald sprechen: es werde Licht!“6 Das Licht der Wissenschaft glaubte Geiger ein gutes Jahrzehnt später auch im Erwachen des jüdischen „Volksgeistes“ und dessen „lebendigem Bewußtsein“ zu erblicken, wiewohl nicht im engeren nationalen Sinn, und weniger noch im Sinne Hegels, sondern im Sinn einer historischen Selbstläuterung durch geschichtliches Denken.7 Die Wissenschaft trat auf diese Weise, wie Simon Bernfeld später schrieb, gerade durch ihr historisches Vorstellungsvermögen mit vollem Bedacht den Judentaufen und der bevorstehenden „völligen Auflösung des Judentums“ wirkungsvoll entgegen.8 Sie spielte, wie unlängst Ken Koltun-Fromm genau am Beispiel Geigers gezeigt hat, eine entscheidende Rolle in der jüdischen Identitätspolitk des neunzehnten Jahrhunderts, besonders im Widerstand gegen Hegel und die Hegelianer.9 Ein „Regenerationsmittel“ nannte Wolf Landau diese Wissenschaft daher schon 1852, ein Medium „fortwährender Zeugungskraft“, ja geradezu eine „Wiedergeburt“ im Geist der Makkabäer: „Wissenschaft, der rettende Genius des Judentums“, heißt es bei ihm, hauch-

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Press, 2005), 60, 146f.; insbesondere auch Christian Wiese, Wissenschaft des Judentums und protestantische Theologie im wilhelminischen Deutschland: Ein Schrei ins Leere? (Tübingen: Mohr Siebeck, 1999), 59–65. Jacob Katz, Jewish Emancipation and Self-Emancipation (Philadelphia: The Jewish Publication Society, 1986), 83; Michael Graetz, „Renaissance des Judentums im 19. Jahrhundert: Der ,Verein für Cultur und Wissenschaft der Juden‘ 1819 bis 1824“, in Marianne Awerbuch und Stefi Jersch-Wenzel (Hrsg.), Bild und Selbstbild der Juden Berlins: Zwischen Aufklärung und Romantik (Berlin: Colloquium Verlag, 1992), 211–27. Abraham Geiger, „Das Judenthum unserer Zeit und die Bestrebungen in ihm“, Wissenschaftliche Zeitschrift für jüdische Theologie [= WZJT] 1 (1835), 1–12, hier 1 und 8. Abraham Geiger, „Die religiösen Thaten der Gegenwart im Judenthume“, WZJT 13 (1847), 1–16, hier 5. Simon Bernfeld, „Hundert Jahre Wissenschaft des Judentums“, Ost und West 18 (1918), 325–334, hier 332. Vgl. Ken Koltun-Fromms ausgezeichnete Studie Abraham Geiger’s Liberal Judaism: Personal Meaning and Religious Authority (Bloomington und Indianapolis, IN: Indiana University Press, 2006), bes. 12–39.

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te dem Volk „mit einem Male neues Leben“ ein und gab ihm einen „neuen Schwung“. Wissenschaft war also für Landau nicht nur ein Mittel der Wiederbelebung des Judentums, nämlich dessen eigentliche „Wiege und Ernährung“, sondern sogar das „einzige Regenerationsmittel“.10 Sie war es, die laut Geiger dem „todt erscheinenden Gegenstande dennoch Leben entlocken“ konnte und die Moses Hess – dem protozionistischen Philosophen der Tat – zufolge den „todten Glauben“ in „lebendige, schöpferische Erkenntnis“ zurückzuverwandeln verstand.11 Ähnlich verhielt es sich in Heinrich Graetzens Volkstümlicher Geschichte der Juden von 1874, in der die Wissenschaft des Judentums als Zeichen einer „Verjüngung“ und als „Erwachen verborgener Kräfte“ erscheint: „Die jüdische Wissenschaft hat das Wunder der Wiederauferstehung gefördert“, schreibt Graetz trotz seiner lebenslangen, gegenseitigen Rivalität mit Geiger. „Sie hat den jüdischen Stamm aus der Grabesnacht erweckt.“12 Noch Leo Baeck feierte die Ära eines Leopold Zunz und dessen Nachfolger in der Wissenschaft des Judentums als „Erneuerungsarbeit“ und „Prozess des Wiedererwachens“: „Die Wiedergeburt“, schreibt er mit Blick auf diese Wissenschaft, „war eingetreten.“13 Umso erstaunlicher muss es erscheinen, dass bei den Kritikern und mitunter Gegnern der Wissenschaft des Judentums ein genau umgekehrter Eindruck entstand. Denn kaum ein anderes Urteil wurde mit solcher Regelmäßigkeit und Vehemenz dieser Wissenschaft entgegengehalten wie das der inneren Totheit, Mumifikation, und sogar des geistigen Mordens. Bereits 1855 – und nicht zufällig aus Anlass des Trauertags Tischa be’Aw – sprach Geigers ehemaliger Studienkollege Samson Raphael Hirsch, Autor der berühmten Neunzehn Briefe und späterer Gründer der jüdischen Neo-Orthodoxie, von den verderblichen Absichten der Jüdischen Wissenschaft, das „alte Judentum zu Grabe zu tragen“ und seiner Ruinen mit endloser, jedoch ebenso lebloser Sorg-

10 Wolf Landau, „Die Wissenschaft, das einzige Regenerationsmittel des Judenthums“, Monatsschrift für Geschichte und Wissenschaft des Judenthums [= MGWJ] 1 (1852), 483–499, hier 486; 489; 499. 11 Abraham Geiger, „Die Gründung einer jüdisch-theologischen Facultät, ein dringendes Bedürfniß unserer Zeit“, WZJT 2 (1836), 1–21, hier 8. Vgl. Moses Hess, Rom und Jerusalem. Die letzte Nationalitätenfrage. Briefe und Noten, hrsg. von Max I. Bodenheimer (Leipzig: M. W. Kaufmann, 1899), 5. 12 Heinrich Graetz, Volkstümliche Geschichte der Juden in drei Bänden, Bd. 3: Von den massenhaften Zwangstaufen der Juden in Spanien bis in die Gegenwart (Leipzig: Oskar Leiner, 1913), 593. 13 Leo Baeck, Dieses Volk: Jüdische Existenz (Frankfurt am Main: Europäische Verlagsanstalt, 1955), 360–362.

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falt in Büchern zu gedenken.14 Vier Jahrzehnte später beklagte Simon Dubnow, seines Zeichens selbst Historiker und gewissermaßen ein Kind der wissenschaftlichen Tradition, die „Mumien der Wissenschaft des Judentums, die niemals vom Elixier des Lebens gekostet haben“.15 1901 dann schrieb Martin Buber, damals noch Herausgeber der Herzlschen Welt, die Wissenschaft des Judentums trage „ihren großen Namen zu Unrecht“, da sie eben doch nur eine „Abtheilung der Philologie“ geblieben sei, die sich nicht mit lebendigem Judentum, sondern mit „altjüdischem Schrifttum“ befasse.16 Ähnlich urteilte Franz Rosenzweig 1914 über die „alte“ Wissenschaft des Judentums und charakterisierte sie als Historie, die sich mit „totem Gegenständlichen“ begnüge, ja selbst Opfer der „tötenden Macht der Geschichte“ geworden sei; im Gegensatz dazu entwarf er 1920 das Bild einer „neuen“ jüdischen Wissenschaft, die das „alte Lied“ ersetzen und lebendig machen sollte.17 Ein Jahr später formulierte Gershom Scholem in Bubers Zeitschrift Der Jude die Grundlagen seiner späteren und wohl bekanntesten Kritik an der Wissenschaft des Judentums als einer geradezu „mörderischen“ Philologie, in deren „geschundenen“ Quellen wenig von dem „leuchtenden und lebendigen Strome“ der ursprünglichen Poesie und Prosa des Volkes zu finden sei.18 Ein „Geschlecht der Entfremdung“ legte Scholem zufolge „Hüllen“ und „Krusten“ um das Erbe des Judentums, während es zugleich davon überzeugt war, eben jene entfernt und das innere Wesen des Judentums erhellt zu haben. In seinen 1944 in hebräischer Sprache erschienenen Überlegungen zu diesem Thema stellte Scholem die Wissenschaft des Judentums schließlich als eine „Beerdigungszeremonie“ dar, die es ihren Anhängern erlaubte, sich des Judentums ganz und endgültig zu entledigen, und zwar gerade durch das wissenschaftliche Studium desselben. „Einbalsamiert und beerdigt“ steht die Vergangenheit da, vom Leben abgeschnitten, und die Verkünder dieser Wissenschaft machen sich selbst zu „Totengräbern, Einbalsamierern, und Leichenrednern“, an deren Schriften die Geschichte, die „Lebens14 Samson R. Hirsch, „Die Trauer des 9. Av“, in Samson R. Hirsch., Gesammelte Schriften, Bd. 1 (Frankfurt am Main: Kauffmann, 1902), 123–138, hier 130. 15 Simon Dubnow, Nationalism and History: Essays on Old and New Judaism, hrsg. von Koppel S. Pinson (Cleveland & New York: Meridian Books, 1961), 335. 16 Martin Buber, „Jüdische Wissenschaft“, Die Welt 5 (1901), Heft 41, 1f., hier 2. 17 Franz Rosenzweig, „Atheistische Theologie“, in Franz Rosenzweig, Der Mensch und sein Werk. Gesammelte Schriften, Bd. 3: Zweistromland. Kleinere Schriften zu Glauben und Denken, hrsg. von Reinhold Mayer und Annemarie Mayer (Dordrecht: Nijhoff, 1984), 687–697, hier 688; und Franz Rosenzweig, „Bildung und kein Ende“, in ebd., 461–481, hier 494. 18 Gershom Scholem, „Lyrik der Kabbalah“, Der Jude 6 (1921–22), 55–69, hier 55.

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essenz“, vertrocknet, und deren Bücher zu Grabmalen werden. „Zeile um Zeile“, schreibt Scholem, „erstrecken sich die Gräber der einbalsamierten Tatsachen, versehen mit einer Friedhofsnummer.“19 Noch in seiner gemilderten Kritik von 1959 spricht Scholem von einem „Hauch des Begräbnisartigen“, welcher der Wissenschaft des Judentums ein Jahrhundert lang anhaften sollte.20 Scholems unverbesserlich morbide Verurteilung der jüdischen Wissenschaft als einer Form des „historischen Selbstmords“ ist, auch wenn sie überspitzt und, wie Susannah Heschel zurecht schrieb,21 „eindimensional“ anmuten mag, der Literatur eine Art Prüfstein unseres Verständnisses nicht nur der Wissenschaft, sondern der gesamten „Epoche der Erneuerung“ (wie Heinrich Graetz sie nannte) seit den Tagen Mendelssohns geworden. In diesem Sinne ist Scholems Kritik mehr als ein historisches Kuriosum, das aus dem unmittelbaren Eindruck der Zerstörung des europäischen Judentums und aus seiner eigenen zionistischen Überzeugung sowie aus seinem persönlichem Verhältnis zur Jerusalemer Schule begriffen werden muss. Sie ist – im Gegenteil – eine Polemik gegen die Geschichte selbst und zugleich gegen jene autonomen, gedächtnislosen „Wissenden“, die schon Geiger ihrer versessenen Jetztzeit bezichtigte, oder gegen jene „besserwissend-kontemplative“ Gegenwart, die sich aller Vergangenheit überlegen empfindet und aller „alten Bücher“ entledigt, wie Leo Strauss den modernen Historismus in seiner Auseinandersetzung mit Karl Löwith einmal karikierte.22 In ihr kehrt ein Grundmotiv der Jahrhundertwende wieder, das auch den frühen Zionismus prägen sollte: der Dualismus von Geschichte und Leben, dem der Dualismus von angeblich toter Historie und lebendiger Erinnerung gegenüberstand. Es überrascht daher kaum, wenn Osias Thon, einer der fleißigsten Publizisten der zionistischen Bewegung, gerade Geigers historische Weltsicht und dessen Anspruch, Geschichte nicht nur zu schreiben, sondern zu „machen“, der Vitalität und dem „ge19 Gershom Scholem, „Überlegungen zur Wissenschaft vom Judentum“, in Gershom Scholem, Judaica 6: Die Wissenschaft vom Judentum, hrsg. und übersetzt von Peter Schäfer (Frankfurt am Main: Suhrkamp, 1997), 9–52, hier 23, 26. 20 Gershom Scholem, „Wissenschaft vom Judentum einst und jetzt“, in Gershom Scholem, Judaica 1 (Frankfurt am Main: Suhrkamp, 1963), 147–164, hier 153. 21 Susannah Heschel, „Revolt of the Colonized: Abraham Geiger’s Wissenschaft des Judentums as a Challenge to Christian Hegemony in the Academy“, New German Critique 77 (1999), 61–85, bes. 68. 22 Vgl. Abraham Geiger, Das Judenthum und seine Geschichte (Breslau: Schlettersche Buchhandlung, 1864), 1–2; Briefwechsel Leo Strauss und Karl Löwith, 15. August 1946, zit. n. „Correspondence Concerning Modernity: Karl Löwith and Leo Strauss“, Independent Journal of Philosophy 4 (1983),111–118, hier 107.

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sunden Instinkt“ des jüdischen Volkes gegenüberstellt. „Vollständig fremd“ war Geiger dieses Leben, schreibt Thon, da er eben nur „Studierstube“ und „Bücherstaub“ kannte und, indem er sich der Rolle eines schismatischen „jüdischen Martin Luther“ bemächtigte, das jüdische Volk mit krankhaftem Hass verabscheute: „Das jüdische Volk! Geiger konnte dieses Wort nicht hören, ohne geradezu krank zu werden.“23 So stand nach Thons Ermessen Geigers „Auflösungsideal“ dem „Triumphe unseres Lebenswillens“ diametral entgegen: „Geiger wollte abbrechen, wir wollen fortsetzen, Geiger wollte abschließen, wir wollen von neuem anfangen […] Sein Weg führt zu Tod und Auflösung, unser Weg führt zum Leben und zum Glücke.“24 Nicht nur sein Mangel an jüdischem Solidaritätsgefühl ließ Geiger Thons Aussagen zufolge scheitern, sondern vor allem sein (Miss)verständnis der Geschichte als abgeschlossenes „Vorbei“, um einen hier angemessenen Heideggerismus zu gebrauchen, das schmerzlos und unwiederbringlich der Vergangenheit verfiel. „Mordet es nicht mit eurem kalten Verstande“, mahnte Geigers Zeitgenosse Zacharias Frankel die jüdischen Wissenschaftler vor der Unterdrückung des lebendigen und mitunter nostalgischen „Gemüths“.25 Und tatsächlich, Thon wusste es nicht anders, als Geiger als lebensfremd und durch den eigenen „Fortschritt“ sowie die eigenen, „hochtrabenden“ Reformen verblendet darzustellen, als einen letztlich gefühllosen Mann, der nicht nur wie ein naives Kind mit alles verzehrendem „Feuer“ spielte, sondern auch mit nichts geringerem als „Selbstmord“, einem Freitod durch Hingabe und die Historie. Mord, Selbstmord und Tod durch Geschichte waren also in der polemischen Literatur gewiss verbreitete Begriffe, auf die Scholems Polemik mühelos zurückgreifen konnte, um sie, wie Peter Schäfer gezeigt hat, durch kabbalistische Anspielungen zusätzlich zu verfeinern. Diese Polemik war nicht nur „zionistisch“. In ihr hallt auch wider, was etwa Franz Rosenzweig in seiner Lehrhausrede von 1920 als „Einkehr“ und lebendige Verinnerlichung durch „anders Erinnern“ dem historischen Vergessen entgegenhielt, oder wie er im Stern der Erlösung schrieb: „Der Mensch soll nicht vergessen, er soll alles in sein Innres erinnern.“26 Wir finden darin Spuren einer „organischen Erinnerungsgemeinschaft“, wie Martin Buber 1932 schrieb, deren Gedächt23 24 25 26

Thon, „Abraham Geiger“ (wie Anm. 3), 537. Ebd., 536; 538. Vgl. Geiger, „Die religiösen Thaten der Gegenwart im Judenthume“ (wie Anm. 7), 9. Franz Rosenzweig, „Neues Lernen“ (Entwurf), in Rosenzweig, Gesammelte Schriften, Bd. 3 (wie Anm. 17), 505–510, hier 510; und Franz Rosenzweig, Der Stern der Erlösung (Frankfurt am Main: Suhrkamp, 1984), 419.

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nis weder von historischer Kritik noch von Nostalgie und „Rücksucht“ getragen war, sondern von einer „Leidenschaft des Überlieferns“, einer „weckenden“ Erneuerung des „Gedächtnisbandes“, einer „Wesenshaltung“, die an ein immerwährendes, geschichtsunabhängiges „Urgedächtnis“ anknüpfen konnte.27 In der beschriebenen Polemik scheint endlich das vorweggenommen, was in den neueren Debatten um Geschichte und Gedächtnis von Yosef Yerushalmi bis zum späten Paul Ricœur wiederkehren sollte: die Sorge angesichts einer zunehmenden Historisierung der Vergangenheit und die Notwendigkeit der kulturellen Erinnerung als einer Verlebendigung der Geschichte – oder, wie bei Ricœur (und schon bei Dilthey), eine Neuverknüpfung von Geschichtlichkeit, Lebendigkeit, Entwicklung und Freiheit.28 Dabei handelte es sich nicht um einen gemeinen Anti-Historismus, sondern um genau das, was die Wissenschaft des Judentums – und besonders Geiger – selbst erzielen wollte – eine Wiederauferstehung aus der toten Vergangenheit. Die Polemik der toten Wissenschaft entstammt somit der Rhetorik derselben Wissenschaft und, wie Scholem bemerkte, dem Bewusstsein ihrer eigenen Dialektik von Zerstörung und Restauration – oder, mit anderen Worten, ihrem eigenen Wiederauferstehungsbedürfnis. Der letzte, vielleicht einzig wirkliche Restaurator in der Wissenschaft des Judentums war aus Scholems Sicht kein anderer als Nachman Krochmal, der jüdische Wiederauferstehungsdenker und vermeintliche Hegelianer schlechthin, dessen Hauptwerk jedoch, so Scholem, in der Wissenschaft kaum Resonanz fand.29 Wo Krochmal – eigentlich ganz im Gegensatz zu Hegel und sogar bewusst gegen ihn – von einem in der 27 Martin Buber, „Warum gelernt werden soll. Aus dem ,Arbeitsplan’ der Berliner Schule der jüdischen Jugend“, in Martin Buber Werkausgabe, Bd. 8: Schriften zu Jugend, Erziehung und Bildung, hrsg. von Juliane Jacobi (Gütersloh: Gütersloher Verlagshaus, 2005), 220–222, hier 221–222. 28 Vgl. Paul Ricœur, Memory, History, Forgetting (Chicago und London: University of Chicago Press, 2004), 372f. 29 Allerdings ging die Wiederentdeckung Krochmals gerade auf Leopold Zunz zurück. Zu Krochmal siehe Simon Rawidowicz, Iyunim be-machshevet Israel II (Jerusalem: Rubin Mass, 1969), bes. 163–169; Jay M. Harris, Nachman Krochmal: Guiding the Perplexed of the Modern Age (New York und London: New York University Press, 1991); Steven Schwarzschild, „Two Modern Jewish Philosophies of History“, PhD diss., Hebrew Union College, 1955; Jacob Taubes, „Nachman Krochmal und der moderne Historismus“ (1963), in Jacob Taubes, Vom Kult zur Kultur: Bausteine zu einer Kritik der historischen Vernunft, hrsg. von Aleida and Jan Assmann et al. (München: Wilhelm Fink, 1996), 68–84; Shlomo Avineri, „The Fossil and the Phoenix: Hegel and Krochmal on the Jewish Volksgeist“, in Robert L. Perkins (Hrsg.), History and System: Hegel’s Philosophy of History (Albany: State University of New York Press, 1984), 47–71; Asher Biemann, Inventing New Beginnings: On the Idea

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Volksgeschichte sich immer erneuernden und wiederbelebenden Geist sprach, blieb bei der Wissenschaft nichts als ein körperloses Wesen, ein restlos vergeistigter Geist ohne Medium der Wiederauferstehung. „[Diese] Geister“, schrieb Scholem mit einem besonderen Verweis übrigens auf Geiger, „irren, von ihrem Körper getrennt und entblößt, in der Wüste umher. Sie hausen in der Nähe von den Gefilden der Lebenden und blicken sehnsuchtsvoll auf ihre vergangene Welt.“30 Das ureigene Programm der Wissenschaft, das historische Judentum einer radikalen Reinigung zu unterziehen und das „alte Brauchbare“ vom „Veralteten“, das „Bleibende“ vom „Vorübergehenden“ zu scheiden, wie es schon bei Leopold Zunz hieß,31 war somit verantwortlich für die Exilierung des jüdischen Leibes und dessen eigentlicher, unvergeistigter, Leiblichkeit. Nun war jedoch, wie schon Ismar Schorsch richtig bemerkte,32 genau diese Scheidung des Wesentlichen vom Akzidentellen, diese Wesensschau, die sich wie ein rhetorischer Leitfaden von den Anfängen der Zeitschrift Shulamit bis in die Erneuerungssucht der Gegenwart zieht, eine Antwort auf den Druck der Historisierung – gleichsam eine Revolte gegen die zernichtende Geschichte, auf deren dialektischem Altar die Nationen, nach Hegels Vorstellung, zu opfern seien, wenn auch in dem trostvollen Wissen, dass „von Wandel und Niedergang neues Leben hervorgeht und wirklich wird, daß neues Leben vom Tod entsteht.“33 Dieses Wissen war – mit wenigen Ausnahmen wie etwa Eduard Gans – der jüdischen Wissenschaft nicht genug. Die Suche nach einem aus der Geschichte erkennbaren, jedoch derselben Geschichte widerstrebenden Wesen und Geist prägte somit nicht nur das neunzehnte Jahrhundert, sondern pflanzte sich auch – vielfach auf unscheinbare Weise – in das folgende, ganz und gar unessentielle zwanzigste Jahrhundert fort. Selbst ein so dem sozialgeschichtlichen Ansatz verpflichteter Historiker wie Salo W. Baron konnte nicht umhin, noch 1937 von „ewigen“ und „wesenhaften“ Elementen des Judentums zu sprechen, die aus der Totalität seiner Geschichte erkennbar würden und in ihrem Widerstand zur Natur immerzu die Rückkehr der Übriggebliebenen

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of Renaissance in Modern Judaism (Stanford: Stanford University Press, 2009), bes. 165–171. Scholem, „Überlegungen zur Wissenschaft vom Judentum“ (wie Anm. 19), 23. Leopold Zunz, Etwas über die rabbinische Literatur, in Leopold Zunz, Gesammelte Schriften, Bd. 1 (Berlin: Louis Gerschel, 1875), 1–31, hier 5; 15. Vgl. Ismar Schorsch, From Text to Context: The Turn to History in Modern Judaism (Hanover. N.H. und London: Brandeis University Press by University of New England Press, 1994), bes. 268. Georg W. F. Hegel, Vorlesungen über die Philosophie der Weltgeschichte, hrsg. von Karl Ilting et al. (Hamburg: Felix Meiner, 1996), 18.

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(schear jaschuv) verbürgen sollten.34 Eine Geschichte des Judentums ohne „Wesen“ im allerweitesten, unwesentlichsten Sinn schien noch Baron undenkbar, ebenso wie eine Geschichte ohne Erinnerung, und es bleibt bis zum heutigen Tag eine Herausforderung an die Disziplin der Jüdischen Studien, eine Geschichte des Judentums zu schreiben, ganz zu schweigen von einer jüdischen Geschichte, die ohne stillschweigenden Rekurs auf etwas die Geschichte Überdauerndes auskommt. Für die Wissenschaft des Judentums stellte sich diese Herausforderung als ein Dilemma zwischen eigentlich ungeschichtlichem Judentum und eigentlich unjüdischer Geschichte dar. Abraham Geigers Bedenken gegen Isaak Markus Josts Allgemeine Geschichte des israelitischen Volkes von 1832 werden aus diesem Dilemma heraus verständlich. Schließlich war es Josts bewusste Auflösung der jüdischen Geschichte – besonders in ihrer diasporischen Gestalt – in Universalgeschichte, die das Judentum nicht mehr von seinem inneren Zusammenhalt her, sondern aus seinen äußeren Umständen begriff. In ihrer letzten Instanz sollte diese Geschichte, wie Jost in seiner Replik gegen Geigers Angriff schrieb, gar nicht als „jüdische Geschichte“ gedacht werden, schon gar nicht als „ein bestehendes Ganzes, sondern als eine Seite der Geschichte der wichtigsten Völker und Staaten, mit denen die Juden in Berührung traten“.35 Erst diese Berührung, so glaubte Jost, gewiss nicht zu Unrecht, vervollständigte die jüdische Geschichte und verlieh ihr ein bisher unbeachtetes „Lebensmoment“. Geiger indessen bezichtigte Jost, gerade dieses Lebensmoment aus der Geschichte vertrieben und ihren auch in der Diaspora fortwirkenden inneren Zusammenhang missachtet zu haben. Nur so konnte Jost zu der Ansicht gelangen, die jüdische Geschichtsschreibung solle lieber einem talentierten deutschen Historiker mit „gutem Wissen der Fakten und deutschem Fleiß“ aufgetragen werden als den jüdischen Geschichtsschreibern selbst. Mit seiner äußeren Geschichte, die nunmehr eine Provinz der Weltgeschichte war, schickte Jost somit auch den „Geist“ des Judentums ins Exil: „Hier kommt uns der Moderduft eines Leichenfeldes entgegen“, schrieb Geiger über eine Periode in Josts Geschichtsauffassung, ein „Schaudergemälde […] starrer Unveränderlichkeit“, in dem kein Entwicklungsprinzip walten konnte.36 Jost stand somit aus Geigers Sicht auf der Seite der

34 Salo W. Baron, A Social and Religious History of the Jews, Bd. 1 (New York: Columbia University Press, 1937), 13; 30. 35 Isaak M. Jost, „Beitrag zur jüdischen Geschichte und Bibliographie“, WZJT 1 (1835), 358–366, hier 358. 36 Abraham Geiger, „Die jüdische Geschichte“, WZJT 1 (1835), 169–192, hier 180.

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„Männer des Stillstands“,37 einer toten Wissenschaft, deren Leblosigkeit nicht – wie bei den Gegnern des „Fortschritts“ – in der Verleugnung der Geschichte, sondern umgekehrt in der völligen Hingabe an die Geschichte lag. Noch 1928 schrieb Salo W. Baron über Josts radikalen Historismus in ganz ähnlicher Weise wie Osias Thon über Geiger geurteilt hatte: „Es ist wohl eine seiner wesentlichsten Schwächen, daß er, insofern er einen solchen Gegenstand wie die Geschichte des jüdischen Volkes behandelte, keine definitive Ansicht dessen besaß, was das jüdische Volk wirklich war.“38 Die Suche nach dem „Wesen“, die, wie Schorsch zutreffend urteilt, die Wissenschaft des Judentums vor dem reinen Historismus bewahrte, war in diesem Sinn nicht eine schlichte Antwort auf die Vergänglichkeit aller Dinge, sondern eine Verweigerung der Notwendigkeit der Geschichte. So fiktiv, willkürlich und vielleicht, wenn man das so sagen darf, „unjüdisch“ dieses „Wesen“, dieser Geist und diese „judentümliche Idee“ (Heinrich Graetz) auch gewesen sein mögen, sie stellten doch einen Bezugspunkt her, dem sich weder der Historiker noch die geschichtlichen Ereignisse selbst zu entziehen vermochten. Leopold Zunz’ stark an Ranke erinnernde Bemerkung in der Geschichte der Literatur von 1841, alle Epochen stünden dem „Geist“ gleich nahe, bringt diesen Aspekt des „Wesens“ als eines „ruhenden Pol[s]“ – wie Zunz es dachte – der historischen Gleichzeitigkeit zur Sprache.39 Viel mehr an Herder als an Hegel angelehnt, entwarf Zunz bereits in seiner Programmschrift von 1818 – Etwas über die Rabbinische Literatur – den Ansatz eines „großartigen Gesammtblicks“, der – im Gefolge von Herders „Allanblick“ der Geschichte und deren Mannigfaltigkeit – das historisch Nahe und Ferne, das Alte und Neue, wie in einem Gemälde der Gleichzeitigkeit betrachten konnte. Und tatsächlich, wo Herder von einem „Gottgemälde“ sprach, redete Zunz von einem „lebendigen Kunstwerk“, einem „Meer geistiger Taten“.40 Eine wahrlich lebendige Wissenschaft bedeutete für Zunz demnach das In-der-Mitte-Stehen in diesem Kunstwerk, das Begreifen seiner Gegenwart als Mittelpunkt und als „Übergang von Wissen zu Leben“. Wir stehen an einem „Wendepunkt“, einem „Tag des Erwachens“, wie Zunz in einer symboli37 Vgl. Geiger, „Die religiösen Thaten der Gegenwart im Judenthume“ (wie Anm. 7), 6. 38 Salo W. Baron, „I. M. Jost, the Historian“, in Salo W. Baron, History and Jewish Historians: Essays and Addresses, hrsg. von Arthur Hertzberg et al. (Philadelphia: Jewish Publication Society, 1964), 240–262, hier 245. 39 Leopold Zunz, „Die jüdische Literatur“, in Leopold Zunz, Zur Geschichte und Literatur, Bd. 1 (Berlin: Veit u. Comp., 1845), 1–21, hier 1. 40 Ebd., 2, und Zunz. Etwas über die rabbinische Literatur (wie Anm. 31), 5.

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schen Predigt von 1820 schrieb, an dem die vergangene Welt und die noch größere kommende Welt zugleich und mit gleicher historischer Authentizität erscheinen.41 Dieser Gedanke des großen Zusammenblicks findet sich auch bei Geiger, der 1836 von einer „Gesammtanschauung“ sprach, in der das früher in der Nähe – und nur aus ihr allein – Gesehene plötzlich für den im Mittelpunkte Stehenden als „geistiger Reichtum aller Zeiten hervortritt“.42 Was dem ungeübten Auge als Verstrickung in ein „Spinngewebe“ erscheinen muss, fügt sich in den Händen der Wissenschaft doch zu einem „Leitseil“, schreibt Geiger, das, „unmerklich beginnend“, uns nicht nur in die „hohen Räume des Menschengeistes“, sondern auch – und besonders – „auf den Marktplatz des Lebens führt“.43 Die „überall anknüpfenden Fäden“ der Wissenschaft bringen die Entwicklung des Judentums auf ein „geordnetes Ganzes“. Aber dieses geordnete Ganze war gerade nicht, wie Yerushalmi es sah, der letztlich unheilvolle Versuch, eine „totale Vergangenheit“ zu schaffen, sondern im Gegenteil das Bestreben, etwas wie eine totale Gegenwärtigkeit zu erreichen: einen Mittelpunkt, in dem die immer weiter auseinandergerückten Zeiten, die „dunkle Urzeit“ und die „unmittelbare Gegenwart“, um mit Geiger zu sprechen, gleich zugänglich und gleich bedeutend blieben.44 Wenn Franz Rosenzweig in einem Vortrag von 1919 über „Geist und Epochen der jüdischen Geschichte“ das Thema der Mitte wieder aufgriff, so wird darin nur eine von vielen Kontinuitäten von der Wissenschaft des Judentums zur sogenannten jüdischen Renaissance des frühen zwanzigsten Jahrhunderts sichtbar. Warum, fragt Rosenzweig, begann Heinrich Graetz seine Geschichte des Judentums in der Mitte, in der großen „Epochenscheide“ des Jahres 70? Weil es diese Mitte war, die es ihm erlaubte, Geschichte in zwei Richtungen zu schreiben, rückwärts und vorwärts; weil er in dieser Mitte das Wesen der jüdischen Geschichte erkannte, ihre Dialektik von „Riss“ und „Brücke“, ihre Periodizität des Augenblicks, wie Rosenzweig an anderer Stelle schrieb, und damit letztlich, ihre Überwindung der historischen Epochen schlechthin. „Der Geist des Judentums“, so Rosenzweig, „überschreitet die

41 Leopold Zunz, „Erweckung zum Fortschreiten“ (1820), in Leopold Zunz, Gesammelte Schriften, Bd. 2 (Berlin: Louis Gerschel, 1876), 90–95. 42 Geiger, „Die Gründung einer jüdisch-theologischen Facultät“ (wie Anm. 11), 7f. 43 Ebd., 1. 44 Abraham Geiger, „Allgemeine Einleitung in die Wissenschaft des Judentums“ (1849), in Abraham Geiger’s Nachgelassene Schriften, Bd. 2, hrsg. von Ludwig Geiger (Berlin: Louis Gerschel, 1875), 33–245, hier 63.

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Scheidung der Epochen, denn er ist älter und jünger als sie. Er toleriert keine Epochen. Aber das heißt auch: er toleriert keine Geschichte.“45 Gewiss gilt es hier einzuwenden, dass ja gerade das Epochenmachen zum täglichen Brot der Wissenschaft gehört. Doch für Rosenzweig waren die Epochen der jüdischen Geschichte nur äußere Ordnungspunkte einer inneren Gleichzeitigkeit – Mittelpunkte eben, an denen Nähe und Ferne der Zeiten zusammenfließen. Ein Volk, das zugleich alt und jung ist, wie Rosenzweig in Abwandlung eines Grundthemas der jüdischen Geschichtsschreibung darlegt, trägt nun einmal die „Totalität der Geschichte“ in sich, ohne an Epochen gefesselt zu sein.46 Es trägt die Totalität der Geschichte und seiner Geschichte in sich und findet darin sein eigentliches Wesen. Weiter als auf seine Ganzheit kann man das Judentum Rosenzweig zufolge nicht reduzieren. „Man ist es“, war bekanntlich seine Definition des jüdischen Wesens zur Eröffnung des Frankfurter Lehrhauses im Jahre 1920, in der vielleicht etwas von Geigers Definition des Judentums von 1869 widerhallte: „Es ist.“47 Dieses „Es ist“ erlaubte es der Wissenschaft, eine bemerkenswerte Periodizität der Gleichzeitigkeit zu entwickeln, in der die Epochen und Phasen des Judentums in sinnvollem Bezug zueinander standen. Man denke an die geläuterte Wiedervereinigung von geistiger und politischer Geschichte bei Heinrich Graetz oder an die analogische Rückführung des vierten Zeitalters – des gegenwärtigen Zeitalters der „Befreiung und Lösung aus den Fesseln der früheren Periode“ und des Versuches, „sich zu erneuern und den geschichtlichen Fluß in Gang zu bringen“ – auf das erste Zeitalter: das am fernsten zurückliegende Zeitalter des „frischen ungebrochenen und ungefesselten Schaffens […] und der freien schöpferischen Gestaltung“ in Geigers Einleitung zur Wissenschaft des Judentums.48 Im „Es ist“ des Judentums war diese Distanz nicht nur überwunden und immer wieder überwindbar, sondern auch von hermeneutischer Bedeutung. Was bei Hans-Georg Gadamer später zu einer Hermeneutik der Distanz – einem „anders Verstehen“ – wird, ist schon in Geigers Beobachtung gegenwärtig, die „Nähe der Zeiten“ mache unser Verstehen viel eingenommener und subjektiver als die „fernge45 Franz Rosenzweig, „Geist und Epochen der jüdischen Geschichte“, in Rosenzweig, Gesammelte Schriften, Bd. 3 (wie Anm. 17), 527–538, hier 537. 46 Franz Rosenzweig, „Jüdische Geschichte im Rahmen der Weltgeschichte“ in Rosenzweig, Gesammelte Schriften, Bd. 3 (wie Anm. 17), 539–552, hier 539. 47 Abraham Geiger, „Israel’s Geistesleben. Predigt in Wiesbaden 1869“, in Abraham Geiger’s Nachgelassene Schriften, Bd. 1, hrsg. von Ludwig Geiger (Berlin: Louis Gerschel, 1875), 433–444, hier 438. 48 Geiger, „Allgemeine Einleitung“ (wie Anm. 44), 63f.

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legene Zeit“ und deren „totale Differenz“.49 Und so erlaubte das große „Es ist“ der Wissenschaft auch, sich auf den altbewährten Grundsatz zu berufen, nichts Neues geschaffen zu haben und nichts Neues schaffen zu wollen, sondern nur das Alte zu korrigieren und besser zu verstehen, die Vergangenheit aus sich selbst zu befreien und, wie Geiger schrieb, jene „tiefere Kraft des Judentums“ wieder wirksam zu machen, die „zu allen Zeiten die innerste Triebfeder war“, genau jenes Moment, das bei Buber später „Urgedächtnis“ heißen sollte. Rosenzweigs knappe Äußerung zur Allgleichzeitigkeit der jüdischen Geschichte fasste auch hier zusammen, was in der Wissenschaft bereits vorweggenommen und zutiefst mit dem jüdischen Selbstverständnis verbunden war: „So ist alles schon da.“50 Im selbstverständlichen „Es ist“ des Judentums glaubte Geiger, glaubte die Wissenschaft des Judentums insgesamt, ihr Leben verbürgt zu haben: „In allem, was das Wohl der Menschheit betrifft, da schließt es liebend sich an“, schrieb Geiger über das Judentum – seine geschichtliche „Urkraft“ „geht in dem Volksleben auf, und dennoch bleibt in ihm sein Geist eigenthümlich“.51 Doch wenige Generationen später schienen dieses Leben und diese Eigentümlichkeit aus dem „Es ist“ gewichen, da, wie Rosenzweig ganz richtig erkannte, das stille Wissen der jüdischen Gegenwart nicht dasselbe war wie deren Gelebtwerden, weil es sogar, indem es als Ersatz-Leben auftrat, das Leben erstickte. „Man ist es“, lautete Rosenzweigs Antwort auf die „tötende Macht der Geschichte“ und des Büchermachens. Man hört darin, wie auch bei Scholem später, Nietzsche, Dilthey, und eine gute Portion Neu-Romantik, etwa Theodor Lessings Abwehr der Historie als „Totengräber“ und Wiedergeburt der Wissenschaft als „Willenschaft“ des „dargelebten Lebens“, oder aber, bei Friedrich Gundolf, Stefan Georges berühmtem jüdischen Jünger, die Abscheu vor aller „Textbuchgeschichte“.52 Man hört jedoch auch Leopold Zunz’ Programm einer Wissenschaft, die geschaffen war, um ins Leben zu führen, einer leben49 50 51 52

Geiger, „Die religiösen Thaten der Gegenwart im Judenthume“ (wie Anm. 7), 13f. Rosenzweig, „Geist und Epochen der jüdischen Geschichte“ (wie Anm. 17), 536. Geiger, „Israel’s Geistesleben“ (wie Anm. 47), 438. Theodor Lessing, Geschichte als Sinngebung des Sinnlosen oder die Geburt der Geschichte aus dem Mythos (Hamburg: Rütten & Loening, 1962 [1916]), 49; Friedrich Gundolf, Dichter und Helden (Heidelberg: Weiss, 1921), 42. Siehe auch Kurt Nowak, „Die ,anti-historische Revolution‘: Symptome und Folgen der Krise historischer Weltorientierung nach dem Ersten Weltkrieg in Deutschland“, in Horst Renz und Friedrich W. Graf (Hrsg.), Umstrittene Moderne: Die Zukunft der Neuzeit im Urteil der Epoche Ernst Troeltschs (Gütersloh: Gütersloher Verlagshaus, 1987), 133–171.

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digen Wissenschaft, die, wie dieser noch 1870 schrieb, mit der Poesie ein „Bündnis“ eingehen und sich von ihr harmonisch durchdringen lassen sollte.53 Nicht zuletzt vernimmt man darin Geigers eigene Überzeugung, die Wissenschaft müsse ein „Lebensstrom“ sein. Man hört, mit einem Wort, die Wissenschaft des Judentums. Im Grunde, dessen war sich Rosenzweig wohl bewusst, war das neue Lernen, war die neue jüdische Renaissance der Weimarer Jahre kein Abschied von der alten Wissenschaft, sondern eine Neubewertung ihrer Werte, eine Renaissance ihrer Renaissance, ein spätes Einlösen ihrer Hoffnungen. Geigers Glaube an die poetische Kraft des Judentums, an dessen Verjüngung durch die „Poesie des Volkslebens“, die er 1839 der „Prosa der Satzung“ entgegenhielt, war bereits ein Hinweis auf ein lebendig ästhetisches Verständnis des Judentums, aber eben nur ein Hinweis, denn im Gegensatz zu Rosenzweig hielt Geiger das Leben der Satzung, des Formenglaubens, das jüdische Leben als solches, für nicht poetisch genug.54 Und hier lag vielleicht für Scholem die eigentliche Wurzel der sterbenden, mordenden, Wissenschaft: Ihr fehlte in letzter Hinsicht der poetische Sinn. Ihr Allanblick der jüdischen Geschichte als eines tätigen Kunstwerks erfolgte ohne wirkliches Kunstverständnis, ohne Verständnis dafür, dass in der Kunst ein „irrationaler Stachel“ walten muss, ein Unreines, ein Ungelöstes, vielleicht sogar ein schlimmer Formenglaube, ein Aberwitz, ein Menschliches, ein Häßliches, ein Kitsch – alles eben, was dem aufgeklärten und apologetischen Judentum zuwiderlief und daher, wie Scholem schreibt, als „unjüdisch, und allenfalls halbheidnisch, herausgeworfen wurde“.55 Das ganze Judentum der Wissenschaft war nicht ganz genug: Es war noch kein „Es ist“. Es war noch nicht, und spielte bereits mit dem Nicht-Mehr, mit der Trennung des Brauchbaren vom Veralteten, des Toten vom Lebendigen, des Schönen vom Hässlichen. So stand es in tiefem Widerspruch zu seiner proklamierten Ganzheit und im Widerspruch zum „Gesammtblick“ der Wissenschaft. Und so blieb es undialektisch und verwundbar, indem es derselben Verwundbarkeit der reinen Ideen und des reinen Menschheitsglauben erlag, die bereits Moses Mendelssohn mit Sorge vorausgesehen und mit seinem Vertrauen in die praktische Symbolkraft des Gesetzes zu verhindern gesucht hatte. Unfähig, den Bogen zur leiblich-nationalen 53 Vgl. Leopold Zunz, „Israels gottesdienstliche Poesie“ (1870), in Zunz, Gesammelte Schriften, Bd. 1 (wie Anm. 31), 123–130. 54 Abraham Geiger, „Poesie, Prosa, Verlegenheit“, WZJT 6 (1839), 161–165, hier 162; 164. 55 Scholem, „Wissenschaft vom Judentum einst und jetzt“ (wie Anm. 20), 156.

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Existenz zu schlagen, ob mit oder ohne Zionismus, und nicht imstande, das Judentum in seiner sinnlichen, ästhetischen Gestalt zu sehen, war es der Wissenschaft – Scholem zufolge – versagt, vom Wissen ins Leben zu gehen. Eine Wissenschaft, die wie die Kunst, sich und den Menschen von ihrer eigenen Reinheit dekontaminierte, die dem „Es ist“ ganz vertrauen konnte, war Rosenzweigs rezeptloses Rezept für ein neues jüdisches Lernen. Ein Judentum, das durch die „Tore der Unreinheit zur wiederhergestellten Welt“ führte, eine Auflösung der Auflösung der Wissenschaft, war Scholems anarchische Vision. Beide erklärten das „alte Lied“ der Wissenschaft des Judentums für tot. Aus beiden aber sprach, wenn man so unwissenschaftlich sagen darf, der Geist derselben Wissenschaft, ihr Verlangen nach lebendiger Erinnerung und nach einem Judentum, das, mit Geigers Worten, „lebensfrisch“ und „lebensfroh“ bleiben durfte, „geistdurchdrungen, die irdische Welt nicht verläugnend, sondern verklärend, an ein bestimmtes Volk mit seiner Sprache und Geschichte sich anlehnend, und doch die Menschheit umfassend“.56 Für beide galt, was Rosenzweig in seinem Aufsatz „Bildung und kein Ende“ anzudeuten versuchte und was auch in Geigers „nicht abgeschlossener eigenthümlichen Geisteskraft“ lag: ein Weiterdenken der jüdischen Wissenschaft ins Unendliche.

56 Geiger, „Allgemeine Einleitung“ (wie Anm. 44), 39.

Scholems Kritik der Wissenschaft des Judentums und Abraham Geiger Christoph Schulte Gershom Scholems Forschungen und seine über 500 Publikationen zur jüdischen Mystik sowie zum Messianismus, vor allem aber seine Wiederentdeckung, Sammlung, Dokumentation, Rekonstruktion, Neuvermessung und Darstellung der Kabbala als eigenes und eigenständiges Feld der Jüdischen Studien, stellen die wohl bedeutendste Gelehrtenleistung der Wissenschaft des Judentums im zwanzigsten Jahrhundert dar.1 1897 in Berlin geboren, wurde Scholem bereits 1913 als Jugendlicher zum Zionisten, arbeitete ab 1915/16 zur Kabbala,2 verließ Deutschland 1923 nach seiner Promotion,3 und lebte von da an bis zu seinem Tod im Jahre 1982 in Jerusalem. 1925 war er einer der Mitbegründer der Hebräischen Universität in Jerusalem und machte dort seine akademische Karriere, zunächst als Bibliothekar, später als Lecturer und dann Professor für jüdische Mystik. Scholem war Mitglied der Israelischen Akademie der Wissenschaften und nach seiner Emeritierung im Jahre 1962 zeitweise deren Präsident; er wirkte als Gastprofessor an verschiedenen europäischen und nordamerikanischen Universitäten, erhielt mehrere Ehrenpromotionen und wurde 1981, ein Jahr vor seinem Tod, zum ersten Fellow des Berliner Wissenschaftskollegs gewählt. Der überzeugte, aber oft auch verzweifelte Zionist Scholem war nie nur Universitätsprofessor, er war zeitlebens ein public intellectual 1 2

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Bibliographia schel Kitvej Gershom Schalom – Bibliography of the Writings of Gershom Scholem (Jerusalem: Magnes Press, 1977). Vgl. Gershom Scholem, Tagebücher 1913–1917, hrsg. von Karlfried Gründer und Friedrich Niewöhner unter Mitarbeit von Herbert Kopp-Oberstebrink (Frankfurt am Main: Jüdischer Verlag, 1995) und Gerschom Scholem, Tagebücher 1917–1923, hrsg. von Karlfried Gründer, Herbert Kopp-Oberstebrink und Friedrich Niewöhner unter Mitwirkung von Karl E. Grözinger (Frankfurt am Main: Jüdischer Verlag, 2000). Detailliert schildert Scholems Jugend-Autobiographie diese Entwicklung; vgl. Gershom Scholem, Von Berlin nach Jerusalem. Jugenderinnerungen (Frankfurt am Main: Suhrkamp, 1997).

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und ein streitbarer, häufig streitsüchtiger Polemiker mit klar verteilten Sympathien und Antipathien.4 Seine Freundschaft zu Walter Benjamin und sein Engagement für dessen Werk bewahrten einen der bis heute wichtigsten deutsch-jüdischen Literaturkritiker und Denker vor dem Vergessen; berühmt wurde aber auch Scholems öffentlicher Streit mit Hannah Arendt anlässlich des Erscheinens von deren Buch Eichmann in Jerusalem, als er Arendt mangelnde Liebe zum jüdischen Volk vorwarf.5 Bis heute umstritten ist Scholems wütende Polemik Wider den Mythos vom deutsch-jüdischen Gespräch, die durch ihre klare Absage und Kritik an der historischen Vorstellung Furore machte, vor 1933 habe ein intellektueller und sozialer Dialog zwischen Juden und Deutschen, gar eine „deutsch-jüdische Symbiose“ stattgefunden – für Scholem war jenes Gespräch ein ohne Antwort gebliebener jüdischer Monolog, der nach 1933 von den Deutschen gewaltsam beendet wurde.6 Neben viel öffentlichem Streit haben diese Polemiken Scholems indessen bis heute aktuelle und kontroverse Forschungsfragen ausgelöst und neue Forschungen inspiriert: Denn im Detail lässt sich zeigen, dass Arendts entdämonisierende Sicht des Massenmörders Adolf Eichmann dessen banalen Charakter durchaus trifft. Und die Forschung zu den Wechselbeziehungen zwischen Juden und Christen in Deutschland legt nahe, dass es über 200 Jahre lang neben einem weit verbreiteten Judenhass immer auch einzelne, tiefe Freundschaften und intellektuelle Wechselbeziehungen zwischen Juden und Christen gegeben hat. Eines also kennzeichnet die Auseinandersetzung mit Gershom Scholem bis heute: Er war ein Gelehrter von so überragender intellektueller Bedeutung, dass selbst noch seine übertriebensten Polemiken und seine Irrtümer Einsichten auslösen können. Der Gelehrte Scholem hat sich nur zweimal in seinem Leben ausführlich7 zur Wissenschaftsgeschichte und Methodik des eigenen Faches im Ganzen geäußert – zur Wissenschaft des Judentums des 4

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Vgl. David Biale, Gershom Scholem: Kabbalah and Counter-History (Cambridge, MA: Harvard University Press, 1982); Peter Schäfer und Gary Smith (Hrsg.), Gershom Scholem. Zwischen den Disziplinen (Frankfurt am Main: Suhrkamp, 1995); Maurice Kriegel (Hrsg.), Gershom Scholem (Paris: Edition de l’Herne, 2009). Brief Gershom Scholem an Hannah Arendt vom 23.6.1963, in Gershom Scholem, Briefe, hrsg. von Thomas Sparr, Bd. 2: 1948–1970 (München: C. H. Beck, 1995), 95– 100; Arendts Antwort vom 20.7.1963, ebd., 100–105. Gershom Scholem, „Wider den Mythos vom deutsch-jüdischen ,Gespräch‘“, in Gershom Scholem, Judaica 2 (Frankfurt am Main: Suhrkamp, 1970), 7–11. Zur Thematik der Symbiose vgl. Manfred Voigts, Die deutsch-jüdische Symbiose. Zwischen deutschem Sonderweg und Idee Europa (Tübingen: Niemeyer, 2006). Ein kurzer Text Scholems zur Wissenschaft des Judentums ist noch enthalten in: Leo Baeck Institut Jerusalem (Hrsg.), Zur Geschichte der Juden in Deutschland im 19. und

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neunzehnten und zwanzigsten Jahrhunderts. An diese knüpft bis heute alle wissenschaftliche Erforschung des Judentums an, sei es unter dem Namen Judaic Studies, Études Juives, Machschevet Jisrael, Judaistik oder Jüdische Studien.8 Diese Äußerungen Scholems zur Wissenschaft des Judentums sollen hier untersucht und ausgewertet werden, mit einem besonderen Schwerpunkt auf der Rolle, die Abraham Geiger darin spielt. Die moderne wissenschaftliche Erforschung des Judentums ging von der Tradition der Wissenschaft des Judentums aus und wurde bis zum Zweiten Weltkrieg von ihr beherrscht. Bis heute stehen die Jüdischen Studien auf ihren Schultern. Die Wissenschaft des Judentums trägt ihren Namen seit 1821, als der 1819 gegründete Verein für Cultur und Wissenschaft der Juden mit Leopold Zunz als Redakteur die Zeitschrift für die Wissenschaft des Judenthums herausgab, die der neuen Wissenschaft ihren Namen gab.9 Hinter diesem Namen „Wissenschaft des Judentums“ versammelten sich im neunzehnten und frühen zwanzigsten Jahrhundert alle maßgeblichen Versuche, die Geschichte der jüdischen Religion und des jüdischen Volkes, religiöses wie profanes Judentum und Judesein von den Anfängen bis in die Gegenwart umfassend zu erforschen, zu sammeln und darzustellen.10 Auch Scholem begann seine wissenschaftliche Karriere mit Publikationen etwa in der Monatsschrift für Geschichte und Wissenschaft des Judentums,11 dem wichtigsten Publikationsorgan dieser Disziplin, das am

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20. Jahrhundert (Jerusalem: Academic Press, 1971), 45–48. Ich danke Manfred Voigts für den Hinweis auf diesen Text. Julius H. Carlebach (Hrsg.), Wissenschaft des Judentums. Anfänge der Judaistik in Europa (Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft, 1992); Kurt Wilhelm (Hrsg.), Wissenschaft des Judentums im deutschen Sprachbereich. Ein Querschnitt, 2 Bde. (Tübingen: Mohr Siebeck, 1967). Christoph Schulte, „Über den Begriff einer Wissenschaft des Judentums. Die ursprüngliche Konzeption der Wissenschaft des Judentums und ihre Aktualität nach 175 Jahren“, Antrittsvorlesung an der Universität Potsdam am 4.2.1997, Aschkenas 7 (1997), 277–302. Vgl. Christoph Schulte, „Be’ajat haDat beMada’ej haJahadut beGermania beMeot hatescha-esre vehaessrim“, Braun Lectures in the History of the Jews in Prussia No. 9, Ramat Gan 2003, 21 S.; deutsch: „Religion in der Wissenschaft des Judentums. Ein historischer Abriß in methodologischer Absicht“, Revue des Études Juives, 161 (2002), 411–429. Gershom Scholem, „Alchemie und Kabbala; ein Kapitel aus der Geschichte der Mystik“, Monatsschrift für Geschichte und Wissenschaft des Judenthums [= MGWJ] 69 (1925), 13–30; 95–110; 371–374; Gershom Scholem, „Eine unbekannte mystische Schrift des Mose de Leon“, MGWJ 71 (1927), 109–123; Gershom Scholem, „Eine kabbalistische Erklärung der Prophetie als Selbstbegegnung“, MGWJ 74 (1930), 285– 290.

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Breslauer Jüdisch-Theologischen Seminar gegründet und herausgegeben wurde, er distanzierte sich jedoch später deutlich von der Wissenschaft des Judentums. In seinen beiden einzigen ausführlichen Beiträgen zu dieser Wissenschaft hat Scholem mit ihr kritisch abgerechnet: Ein erstes Mal 1944 in einem hebräischen Zeitschriften-Beitrag mit dem Titel „Mitoch hirhurim al Chochmat Jisrael“, der in Luach Ha’arez in Tel Aviv erschien. Das zweite Mal hat Scholem anläßlich eines Vortrages im Leo Baeck Institute in London 1959 unter dem Titel „Wissenschaft vom Judentum einst und jetzt“ die Wissenschaft des Judentums, ihre Geschichte und ihre Ziele charakterisiert und kritisiert.

I. „Mitoch hirhurim al Chochmat Jisrael“ (1944) Der erste, hebräisch verfasste Text „Mitoch hirhurim al Chochmat Jisrael“ oder wörtlich deutsch übersetzt „Aus dem Nachsinnen über die Weisheit Israels“, deutsch publiziert unter dem Titel „Überlegungen zur Wissenschaft vom Judentum“,12 trägt den Untertitel „Vorwort für eine Jubiläumsrede, die nicht gehalten wird“ und ist in einem sehr gewählten, beinahe pompösen Hebräisch geschrieben, voller Anspielungen und Zitate aus Hebräischer Bibel, rabbinischer und zionistischer Literatur. Scholems Text ist ein Manifest und beinahe als Stilübung in kulturzionistischer Meliza zu charakterisieren. Der Text beginnt mit der unstrittigen Feststellung, anfänglich sei die Wissenschaft des Judentums in Deutschland der Romantik verhaftet gewesen. Das stürzte sie in drei Widersprüche, die Scholem wie folgt kennzeichnet: (1) Erstens den Widerspruch zwischen dem Anspruch reiner Wissenschaftlichkeit um ihrer selbst willen und dem Streben, aus der jun12 Gershom Scholem, „Überlegungen zur Wissenschaft vom Judentum“, in Gershom Scholem, Judaica 6: Wissenschaft vom Judentum, hrsg. und übersetzt von Peter Schäfer (Frankfurt am Main: Suhrkamp, 1997), 7–52. Peter Schäfers Übersetzung des Titels trifft zwar die Sache, nicht aber Stil und Wortlaut von Scholems Original. „Chochmat Jisrael“ wird von Schäfer durchweg mit „Wissenschaft vom Judentum“ übersetzt, aber der Text lässt keinen Zweifel, dass hier die historische „Wissenschaft des Judentums“ des neunzehnten und frühen zwanzigsten Jahrhunderts gemeint ist, unter deren Namen und in deren Kontext Leopold Zunz, Moritz Steinschneider und Abraham Geiger gewirkt haben. Deshalb wird hier abweichend von der irreführenden Übersetzung Schäfers stets von der „Wissenschaft des Judentums“ gesprochen. Scholem selbst spricht in deutschen Texten mal von „Wissenschaft vom Judentum“, mal von „Wissenschaft des Judentums“.

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gen Wissenschaft eine Waffe im Kampf um die jüdische Emanzipation zu schmieden. Aus diesem Widerspruch resultiert die innere Unaufrichtigkeit der Wissenschaft des Judentums. (2) Zweitens den Widerspruch zwischen dem Anspruch der Gelehrten als aufgeklärte Wissenschaftler und ihrer romantischen Hinwendung zur jüdischen Vergangenheit, zu jüdischem Volk und Nation. Daraus resultiert die Doppelgesichtigkeit dieses Unterfangens, das Judentum wissenschaftlich zu erforschen. Denn welchem Bestreben sollte die Wissenschaft dienen – der Erinnerung an die jüdische Geschichte und dem Aufbau der jüdischen Nation oder vielmehr ihrer Auflösung in die deutsche oder französische Nation? (3) Drittens den Widerspruch zwischen Konstruktions- und Destruktionstendenzen in der Wissenschaft des Judentums selbst: Beide Tendenzen wohnen der historisch-kritischen Methode, der sich die Wissenschaft des Judentums bei der Erforschung des Judentums von Anfang an bediente, ohnehin inne. Historische Kritik entreißt der Vergangenheit die Fakten, destruiert, profaniert und relativiert die Vergangenheit dabei, aber sie konstruiert zugleich auch ein neues, oft museales Bild der jüdischen Geschichte. So erscheinen Scholem die romantische Wissenschaft des Judentums und ihre Historisierung der lebendigen jüdischen Vergangenheit als „erschreckende Beerdigungszeremonie“.13 Die Tendenzen zum historischen Selbstmord, zur „Liquidation“ und Auflösung des Judentums in Geschichte, waren schon in der Haskala wirksam, so Scholem, aber in der romantischen Wissenschaft des Judentums werden sie Ereignis. Hier spricht Scholem in seiner Kritik an der Wissenschaft des Judentums ganz von zionistischer Warte aus: Für ihn als Zionisten war die Emanzipation der Juden in Deutschland und Europa, sowie die Selbstdefinition von Juden als deutsche oder französische oder englische Staatsbürger jüdischen Glaubens, eine falsche Hoffnung und ein Irrweg, der angesichts der Fortdauer des Antisemitismus die Juden in Deutschland und Europa 1944 in die Shoah geführt hat. Für den Zionisten Scholem war das Streben nach Emanzipation seit der Haskala, die Auflösung des jüdischen Volkes in deutsche, französische, englische oder amerikanische Staatsbürger jüdischen Glaubens ein tödlicher Irrweg, den er als Selbst-Liquidation der jüdischen Nation durch ihre Selbstauflösung kennzeichnete. Die Begründer der Wissenschaft des Judentums befanden sich, so Scholems Sicht, in der zwiespältigen Situation, dass 13 Scholem, ebd., 20.

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sie das Erbe und die Traditionen des rabbinischen Judentums erforschen wollten, zugleich aber durch Emanzipation und Akkulturation an die europäischen Nationen dessen Auflösung als historisches Kollektiv forderten und förderten. „Der Jude will sich von sich selbst befreien und die Wissenschaft vom Judentum ist die Beerdigungszeremonie für ihn.“14 Deshalb schreibt Scholem der Wissenschaft des Judentums eine Mitverantwortung an den Liquidationsbestrebungen zu: Insbesondere Moritz Steinschneider habe darauf hingearbeitet. Aber auch Abraham Geiger habe, als Vertreter der Wissenschaft des Judentums, an diesen Bestrebungen teilgehabt. Er habe die Geschichte Israels spiritualisiert, indem er die Geschichte der Juden in die Geschichte des Judentums verkehrte. Die abgründige, begräbnishafte, „chtonische“ Seite der Wissenschaft des Judentums tritt für Scholem bei Zunz, Steinschneider und Geiger besonders deutlich hervor: Alle drei waren große Gelehrte und suchen in der Wissenschaft des Judentums ihresgleichen.15 Doch Zunz und Steinschneider waren sogar „dämonische Gestalten“, völlig kalt und unsentimental in ihrem Zugang zur jüdischen Vergangenheit: Diese beiden Wissenschaftler haben etwas an sich, was sich weder bei anderen zeitgenössischen Gelehrten findet noch bei den nachfolgenden: sie sind wahrhaft dämonische Gestalten. In ihrer Nüchternheit waren sie die einzigen in ihrer Generation, deren Zugang zur Vergangenheit nicht die geringste Sentimentalität aufwies. Sie gießen nicht die Soße leerer oder nur sehr mittelmäßiger Begeisterung über all ihre Entdeckungen; sie sprechen zur Sache, und zwar nur zur Sache, und ihre fanatische „Sachlichkeit“ ist in unseren Augen stupend, manchmal ärgerlich und beklagenswert, manchmal erfrischend und anspornend. […] Welch ein Haß, der nicht von dieser Welt ist, welch ein grandioser Zynismus. Die Szene wandelt sich, und Du siehst Riesen vor dir, die aus nur ihnen bekannten Gründen sich selbst zu Totengräbern, Einbalsamierern und sogar Leichenrednern gemacht haben, die sich als Zwerge verkleiden, die Gräser auf den Feldern der Vergangenheit sammeln und sie trocknen, auf daß keine Lebensessenz in ihnen bleibe, und die sie in etwas legen, von dem zweifelhaft ist, ob es ein Buch oder ein Grab ist. Zeile um Zeile erstrecken sich die Gräber der einbalsamierten Tatsachen, versehen mit einer Friedhofsnummer, als ob sie nichts anderes als Anmerkungen wären. […] Ihre Bücher, die klassischen Bücher der Wissenschaft vom Judentum für Generationen, sind so etwas wie Leichenprozessionen.16

14 Ebd., 24. 15 Ebd. 16 Ebd., 26f.

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Zunz und Steinschneider werden von Scholem in seiner rasenden Polemik ferner des „verborgenen Nihilismus“ und der „kreativen Verzweiflung“ geziehen.17 Nur die Anpassung an die Bourgeoisie könne man beiden nicht vorwerfen, so Scholem. Anders Abraham Geiger: Bei ihm sieht Scholem pfäffische Heuchelei und pfäffischen Dünkel, denn anders als die beiden Anti-Theologen und Skeptiker Zunz und Steinschneider habe Geiger die Wissenschaft des Judentums zum Gewand und zum Zweck jüdischer Theologie machen wollen: Aus gröberem Holz ist Abraham Geiger geschnitzt – ohne Zweifel der begabteste unter all den gelehrten Liquidatoren, und zwar so sehr, daß seine Begabung Maßstäbe setzt. Er ist derjenige, der es verstand, in einer Welt des Wandels ein mächtiges Gebäude der Verwirrung zu errichten und die Demontage zu einer wissenschaftlichen Konstruktion zu machen, der die Lüge der „reinen Geistigkeit“ wie eine Art Widerschein der Wirklichkeit entspricht. Aber hier spielt sich alles zehn Stufen unterhalb von Zunz und Steinschneider ab, trotz des herausragenden Erfolges […]. Diese beiden haben die liquidatorische Tendenz ganz verinnerlicht, ihr verborgener Nihilismus hat etwas Vornehmes, und sie wirkt bei ihnen in Form einer kreativen Verzweiflung […]. Auf welch anderem Niveau befindet sich Geiger! Hier tanzen Geister, die aus einem ganz anderen Bereich der Finsternis kommen. Von seinen Worten geht der Geruch pfäffischer Heuchelei und pfäffischen Dünkels aus, der Ehrgeiz eines Kirchenfürsten. Seine Begabung zu kompilieren, ist glänzend, und es steckt in ihr jene souveräne Kraft, die den großen Historiker ausmacht, im Namen der Konstruktion die Tatsachen zu vergewaltigen und die Zusammenhänge aus einer historischen Intuition heraus zu erklären, eine gefährliche und schöpferische Kraft, die auch Graetz besaß – und die Zunz und Steinschneider völlig abging, von denen keiner je seine Seele um den Preis einer historischen These verkaufte, die weder Hand noch Fuß hat. Doch von welch niedriger, der Materie verhafteten Sphäre kommt diese Intuition, wie vulgär ist dieser Liberalismus, der überhaupt nicht liberal ist, sondern eine Art deistische Päpstlichkeit, und wehe der Geschichte Israels vor der Beleidigung dieser pfäffischliberalen Historiosophie.18

Alle drei „Liquidatoren“ und „Totengräber“, Zunz, Steinschneider und Geiger, hatten nichts für das Christentum übrig, so Scholem, aber es wäre ihnen in ihrem Liberalismus niemals in den Sinn gekommen, dass ihr Werk zum Samenkorn für die Begeisterung über jüdisch-nationale Werte, sprich: den Zionismus, werden könnte. Hier geht wieder die eigene zionistische Ideologie mit Scholem durch: Nicht nur wirft er 17 Ebd., 28. 18 Ebd., 27–29.

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Zunz und Steinschneider ihre von keiner Ideologie oder Weltanschauung oder persönlichen Ambition getrübte „Sachlichkeit“ vor, welche die Wissenschaft des Judentums um ihrer selbst willen betreiben möchte – historische Erkenntnis um ihrer selbst willen und ohne jede andere Zielsetzung charakterisiert Scholem hier als „Nihilismus“. Geiger hingegen wirft Scholem seine theologischen Ambitionen vor und denunziert sie als „deistische Päpstlichkeit“; alle drei indessen stempelt er zu Liquidatoren und Totengräbern des Judentums, weil sie die Wissenschaft nicht als Vehikel für die Erweckung und Begeisterung von jüdisch-nationalen Werten genutzt haben, wie dies Scholem für eine zionistische Wissenschaft vom Judentum fordert. Kurz: Er wirft ihnen im Jahr 1944, als gleichzeitig in der Shoah das europäische Judentum tatsächlich vernichtet wurde, vor, intellektuelle „Liquidatoren“ des Judentums gewesen zu sein, statt als Proto- oder Präzionisten agiert zu haben – das ist 1944 eine ebenso maßlose wie geschmacklose Polemik. Aber damit nicht genug. Diesen drei „Riesen“ der Wissenschaft des Judentums – diesen Titel immerhin gesteht Scholem Zunz, Steinschneider und Geiger zu – folgte später eine „Orgie der Mittelmäßigkeit“, die „Breslauer Schule“. Gemeint ist das 1854 unter anderem von Zacharias Frankel19 gegründete Breslauer Jüdisch-Theologische Seminar, an dem die Wissenschaft des Judentums als historische und positive Wissenschaft Teil der Rabbiner-Ausbildung wurde.20 An diesem Seminar lehrte Heinrich Graetz, der wirkungsmächtigste jüdische Historiker des neunzehnten Jahrhunderts,21 den Scholem bezeichnenderweise nicht zu den „Riesen“ der Wissenschaft des Judentums zählte. Dieses Seminar, so Scholem, beschritt einen „Mittelweg“ zwischen der Reform-Theologie Geigers und dem wissenschaftlichen „Nihilismus“ von Zunz und Steinschneider. Dieser Mittelweg allerdings endete auf halbem Weg zwischen den Zielen des Aufbaus und der Liquidation in einer Kleinbürgerlichkeit, die sich zwischen Sentimentalisierung und Spiritualisierung des Judentums bewegte. Die Spannung zwischen den konstruktiven und destruktiven Kräften in Breslau wurde aufgehoben in jene Indifferenz, die das Antlitz der Wissenschaft des Judentums bis vor einer Generation, das heißt bis zum Ersten Weltkrieg, prägte. 19 Andreas Brämer, Rabbiner Zacharias Frankel. Wissenschaft des Judentums und konservative Reform im 19. Jahrhundert (Hildesheim et al.: Olms, 2000). 20 Vgl. Guido Kisch (Hrsg.), Das Breslauer Seminar. Jüdisch-Theologisches Seminar (Fraenckelscher Stiftung in Breslau, 1854–1938. Gedächtnisschrift) (Tübingen: Mohr Siebeck, 1963). 21 Vgl. Michael Brenner, Propheten des Vergangenen. Jüdische Geschichtsschreibung im 19. und 20. Jahrhundert (München: C. H. Beck, 2006).

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Aber auch die Wissenschaft des Judentums, wie sie Bialik gefordert hatte22 und wie sie bei den russischen Maskilim Programm war, hatte das gleiche kleinbürgerliche, angepasste Antlitz. Das Sündenregister dieser gemäßigten, unideologischen Wissenschaft des Judentums der „Mitte“, des Mittelwegs und der Anpassung, ist lang und enthält folgende Punkte: (1) Übertriebene Theologisierung und Spiritualisierung – die jüdische Geschichte mit ihrer Mischung aus Vitalität, Bosheit und Vollkommenheit, dieser dräuende Riese, wird verharmlost und verniedlicht zum heilsgeschichtlichen „Zeugnis“ und zur religiösen Lehre. (2) Verfälschung der Vergangenheit durch Verfälschung der aufrührerischen und sprengenden Momente in der jüdischen Geschichte zur Idylle. (3) Weinerliche und triefende Sentimentalität. (4) Verständnis der jüdischen Geschichte als Martyriologie – Juden werde immer als Opfer dargestellt. (5) Einübung von Apologetik – nur die postiven Seiten und die intellektuellen Helden des Judentums werden dargestellt, die jüdischen Gauner dagegen verheimlicht. (6) Verheimlichung historischer Phänomene, die nicht dem Fortschrittsoptimismus des neunzehnten und zwanzigsten Jahrhunderts entsprachen.23 Unfruchtbar seien auch die Untersuchungen zur jüdischen Religionsgeschichte geblieben: „Diese historische Kritik, die lebendige Seele der Wissenschaft des Judentums, konnte ihre Mission nur aus einer säkularen, eigentlich antitheologischen Geisteshaltung heraus erfüllen“.24 Zu großen Bereichen der jüdischen Religionsgeschichte wie der Halacha oder Kabbala kamen jahrzehntelang aus der Wissenschaft des Judentums der Rabbinerseminare nur leere oder apologetische, akkomodierende Untersuchungen – zumeist ignorierte man sie einfach. Das Wort vom Erzvater Jacob als dem Vorbild eines Stadtverordneten, so Scholem, brachte das Geheimnis der Wissenschaft des Judentums im 22 Chajim Nachman Bialik, „Al Chochmat Jisrael“, in Kol Kitve Ch. N. Bialik (Tel Aviv: Dvir, 1938, 2. Aufl. Tel Aviv; Dvir, 1962), 237–240. Scholems Äußerungen gegenüber und über Bialik waren vor dessen Tod 1934 weit ehrerbietiger gewesen; vgl. den Brief Scholems an Bialik aus dem Jahre 1925 in Scholem, „Überlegungen zur Wissenschaft vom Judentum“ (wie Anm. 12), 53–67. 23 Ebd., 36ff. 24 Ebd., 39.

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neunzehnten Jahrhundert genau auf den Punkt: Jakob, der Engelfürst des Volkes Israel, als Abklatsch des Kleinbürgertums. Indem er dann betont, durch den Zionismus sei nunmehr ein Perspektivenwechsel erreicht worden, macht Scholem seine eigene ideologische Parteinahme deutlich: Die Wissenschaft des Judentums erhielt im Jischuv ein neues Zentrum, wo die Gegenstände der Wissenschaft weder unter dem Aspekt der Liquidation noch dem der frömmelnden Bewahrung oder der apologetischen Kleingeisterei betrachtet werden. Nun endlich kann das ganze Gebäude der Wissenschaft des Judentums neu erbaut werden mit der historischen Erfahrung des Juden, der inmitten seines Volkes sitzt und die Probleme und Ereignisse der jüdischen Geschichte „im Rahmen ihrer historischen Funktion in der Nation“ betrachtet.25 „Die kastrierte Idylle, die aufgeklärte Engstirnigkeit und die Zauberkunststücke der Illusion sind nun überflüssig.“26 Eine „Generation der Wiedergeburt“ der Wissenschaft des Judentums, wie Scholem in Anspielung auf die Gründung der Hebräischen Universität in Jerusalem im Jahr 1925 und ihre neu berufenen Dozenten und Professoren formuliert, ist im Zeichen des Zionismus angetreten. Neue Begriffe und Kategorien werden notwendig, die „Liquidation der Liquidation“ ist angesagt, denn das Verhältnis zwischen Israel und den Völkern kann nunmehr ohne Weinerlichkeit und Prahlerei neu ausgemessen werden: „Wir wollten zur Wissenschaft in ihrer ganzen Strenge und ohne Kompromißbereitschaft zurückkehren, wie wir sie in den Worten von Zunz und Steinschneider gefunden haben, doch wollten wir sie ausrichten auf den Ausbau und die Bejahung.“ Allerdings sei man, räumte Scholem ein, auf diesem Wege steckengeblieben: „Wir traten als Rebellen an, als Nachfolger finden wir uns wieder“. Die rhetorische Frage, ob die Sentimentalität und Idylle wirklich zerstört und abgelegt worden sei, muss er verneinen. Die Erneuerung der Wissenschaft des Judentums im Jischuv sei gescheitert, so sein bitteres Fazit über die zionistische Variante der Wissenschaft des Judentums: Alle diese Plagen haben jetzt ein nationales Gewand angezogen. Vom Regen in die Traufe: Nach der Leere der Assimilation kommt eine andere, die der großsprecherischen nationalen Phrase. Statt des religiösen Predigtstils 25 Ebd., 42. Diese national-funktionalistische Betrachtungsweise der jüdischen Geschichte ist methodisch fragwürdig und reduktionistisch, weil sie unterstellt, alle historischen Ereignisse und Persönlichkeiten der jüdischen Geschichte sollten überhaupt nur in Hinsicht auf ihre Funktion in der Nation untersucht werden; Einstein hat aber seine Relativitätstheorie nun einmal nicht wegen oder hinsichtlich einer Funktion in der jüdischen Nation entwickelt. 26 Ebd., 43.

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und der religiösen Rhetorik haben wir einen nationalen Predigtstil und eine nationale Rhetorik in der Wissenschaft kultiviert. In beiden Fällen bleiben die wirklichen Kräfte, die in unserer Welt wirksam sind, das wahrhaft „Dämonische“ außerhalb des Bildes, das wir geschaffen haben.27

Deshalb braucht die Wissenschaft des Judentums gegenwärtig einen „Tikkun“, eine erlösende Reform und Reparatur an Haupt und Gliedern. Denn durch die Shoah ist auch der wissenschaftliche Nachwuchs aus Europa ausgeblieben. „Vielleicht wissen wir noch gar nicht“, so beendet Scholem seine Polemik von 1944, „wie verwaist und einsam wir bei unserer Aufgabe sind“. Ein Jahr vor Ende des Zweiten Weltkriegs ist Scholem, was die Zukunft der Wissenschaft des Judentums betrifft, fast hoffnungslos: Aus Europa ist sie – nach ihrer von Scholem als solche gekennzeichneten Selbst-„Liquidation“ durch Assimilation und Apologetik im neunzehnten Jahrhundert – 1944 physisch durch Shoah und Krieg vertrieben, im Jischuw dagegen Opfer zionistischnationalistischer Phrase geworden. Die USA als neuer Fluchtpunkt der Wissenschaft des Judentums kommt dem Zionisten Scholem erst gar nicht in den Blick. Sich selbst stilisiert er als Rufer am Rande der Wüste, als zionistischer Nachfolger der strengen Wissenschaft von Zunz und Steinschneider, die er unter seinen Jerusalemer Kollegen schmerzlich vermisst.28

II. Wissenschaft vom Judentum einst und jetzt (1959) Gershom Scholem hat sich in seinem Leben noch ein zweites Mal ausführlich und kritisch zur Wissenschaft des Judentums im Allgemeinen zu Wort gemeldet. Er tat dies im September 1959 im Leo Baeck Institute in London, wohl wissend, dass dieses der Erforschung der deutschjüdischen Geschichte gewidmet war, dass viele seiner Mitglieder in den Institutionen der Wissenschaft des Judentums ausgebildet waren oder gar an ihnen gelehrt hatten und dass sie sich der Tradition der Wissenschaft des Judentums verbunden fühlten. Denn die Wissenschaft des Judentums hatte sich nicht nur in Deutschland entwickelt und war damit Gegenstand und Bestandteil der deutsch-jüdischen Geschichte, sondern 27 Zitate ebd., 47, 49, 50. 28 Vgl. Peter Schäfers Nachwort in Scholem, Judaica 6 (wie Anm. 12), 80f.; 92ff., das auf Scholems Feindschaft zu Joseph Klausner verweist. Zu den Spannungen und Auseinandersetzungen an der neu gegründeten Hebräischen Universität vgl. bes. David N. Myers, Re-inventing the Jewish Past: European Jewish Intellectuals and the Zionist Return to History (New York und Oxford: Oxford University Press, 1995).

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sie wurde, nicht nur am Leo Baeck Institut, mit Recht als eine der größten intellektuellen Leistungen der deutschen Judenheit betrachtet – als eine Wissenschaft, die zwar außerhalb des regulären staatlichen deutschen Universitätsbetriebs entstanden war, sich aber dennoch – in ständiger Auseinandersetzung mit der deutschen Universität – als akademische Disziplin auf Augenhöhe mit der europäischen Wissenschaft zu etablieren vermocht hatte.29 Insofern war Scholems Vortrag vom September 1959 eine bewusste Provokation. Scholems Vortrag trägt den Titel Wissenschaft vom Judentum einst und jetzt. Scholem spricht dort, ohne jede Begründung, stets von „Wissenschaft vom Judentum“ statt von „Wissenschaft des Judentums“, meint aber zweifellos die historische Wissenschaft des Judentums. Er beginnt den Vortrag mit der allgemeinen Feststellung, die Wissenschaft des Judentums sei von Deutschland ausgegangen und gehöre zum Erbe des deutschen Judentums. Es gehe ihr um „Erkenntnis unserer eigenen Wesensart und Geschichte“, um die Selbsterkenntnis der Juden und der jüdischen Geschichte.30 Verfolge man ihre historischen Wandlungen, so entdecke man in ihr antiquarische, idealisierende und romantische Vorstellungen von Judentum – diese aber hätten zur Idealisierung und Spiritualisierung des Jüdischen geführt, zu einer beschönigenden Zensur der jüdischen Vergangenheit, die deren Lebendigstes gerade verfehlte. Scholem führt diesen Irrweg darauf zurück, dass fast alle Gelehrten der Wissenschaft des Judentums jüdische „Theologen“ gewesen und der Tendenz unterlegen seien, den „rabbinischen Anteil“ im Judentum zu betonen. Ferner hätten sie, mit den berühmten Ausnahmen von Zunz und Steinschneider, dazu geneigt, das Judentum theologischessentialistisch als ein ewig feststehendes Phänomen zu definieren. Das Judentum ist aber, so Scholem, nicht eine so oder so definierte Idee oder ein für immer feststehendes Phänomen, sondern ein lebendiger, veränderlicher Organismus in Zeit und Geschichte.31 Zwei übergreifende Tendenzen sieht Scholem in der Wissenschaft vom Judentum miteinander im Streit liegen: erstens die Tendenz der „Liquidation des Judentums als eines lebendigen Organismus“, eine

29 Vgl. Christian Wiese, Wissenschaft des Judentums und protestantische Theologie im wilhelminischen Deutschland. Ein Schrei ins Leere? (Tübingen: Mohr Siebeck, 1999). 30 Gershom Scholem, „Wissenschaft vom Judentum einst und jetzt“, in Gershom Scholem, Judaica 1 (Frankfurt am Main: Suhrkamp, 1963), 147–164, hier 148. Erstveröffentlicht wurde Scholems Vortrag in Bulletin der Freunde des Leo Baeck Instituts 9 (1960), 2–12. 31 Ebd., 151.

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Tendenz der „Entjudung“ in der Gegenwart32 (so Salman Rubaschoff33 ) durch Musealisierung der jüdischen Vergangenheit, die der Disziplin insgesamt den „Hauch des Begräbnishaften“ verleihe.34 Hier wiederholt Scholem seine Polemik von 1944: Steinschneider habe – nach der Emanzipation und Akkulturation der Juden unter den europäischen Nationen – der alten rabbinischen Literatur und Kultur der Juden durch die Wissenschaft ein ehrenvolles Begräbnis verschaffen wollen, statt dem zeitgenössischen Judentum die Vergangenheit in ihrer Lebendigkeit vor Augen zu führen. Dazu kam zweitens die Tendenz zur Apologetik durch Zensur und Säuberung der jüdischen Geschichte, welche sowohl die negativen Elemente und Phänomene in der lebendigen und organischen jüdischen Geschichte zum Verschwinden bringe als auch die jüdische Geschichtsschreibung durch Weglassen des Alltags und des „Untergeschosses“ entsinnliche: „Man behandelte grundsätzlich nicht, was im Keller vorging“,35 etwa das jüdische Gaunertum und Räuberwesen des achtzehnten und neunzehnten Jahrhunderts. „Die Unfähigkeit, Dinge wahrzunehmen, Fakten des Geistigen darzustellen, die jenseits einer geläuterten Theologie liegen, die es auch den Nichtjuden rechtmachen könnte, soweit sie vernünftig und rational dachten – all das führte dazu, daß solche Dinge draußen blieben.“36 Mit Blick auf die Gegenwart im zwanzigsten Jahrhundert konstatiert Scholem eine Wandlung der Wissenschaft vom Judentum durch drei maßgebliche Momente: den Zionismus, die Shoah, und die Staatsgründung Israels. Der Zionismus bewirkte einen Paradigmenwechsel, denn er zwang die Gelehrten, das Judentum nicht als feste religiöse oder theologische Idee, sondern als lebendigen Organismus im Prozess seiner politischen und historischen Entwicklung zu betrachten. Er setzte damit neue Wertakzente und wissenschaftliche Perspektiven frei. Gelehrte ohne rabbinische oder theologische Interessen und Fragestellungen eroberten sich neue Wissensbereiche gerade im Bereich der Auseinandersetzung der jüdischen und der nichtjüdischen Welt. In der Hebräischen Universität in Jerusalem fand die Wissenschaft vom Judentum erstmals eine Heimat in einer säkularen Institution mit säkularen Gelehrten und totaler Wissenschaftsfreiheit. Sie löste sich damit, ohne wie früher Rücksicht nehmen zu müssen, sowohl aus dem Milieu der 32 Ebd., 152. 33 Salman Rubaschoff, „Erstlinge der Entjudung“, Der Jüdische Wille 1 (1918/19), 30– 42, 108–121, 193–203. 34 Scholem, „Wissenschaft vom Judentum einst und jetzt“ (wie Anm. 30), 153. 35 Ebd., 157. 36 Ebd., 156.

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Rabbiner-Seminare und religiösen Lehranstalten als auch von den dort vorherrschenden oder vorgeschriebenen Wissenschaftsfragen, -zwecke und -felder. Ein zweites prägendes Moment ist die Shoah, für Scholem „die Katastrophe“ der versuchten Vernichtung des gesamten europäischen Judentums. Sie zwingt die Forschung, die Judenheit, ungeachtet aller nationalen Einzelfälle und Vereinzelung, als soziales Ganzes zu betrachten, als Subjekt und als Objekt der jüdischen Geschichte und der Wissenschaft des Judentums. Zugleich ist der Verlust an gelehrtem Nachwuchs, an neuen Ideen und neuer wissenschaftlicher Produktivität durch die Shoah unermesslich. Ein drittes Moment, das zum Wandel der Wissenschaft des Judentums beitrug, war die Gründung des Staates Israel. In einem jüdischen Staat mit einer jüdischen Mehrheitsgesellschaft kann Wissenschaft endlich ohne apologetische Rücksichtnahme auf die nichtjüdische Mehrheit – ihre Gesetze, Werte und Normen – betrieben werden, das heißt ohne Zensur und äußeren Druck, mit staatlich garantierter Wissenschaftsfreiheit und staatlicher Finanzierung. Wissenschaft vom Judentum im eigenen jüdischen Staat birgt jedoch auch Gefahren: Eine nur unter zionistischen Gesichtspunkten verfasste, teleologisch ausgerichtete jüdische Geschichtsschreibung bedroht die historische Wahrheit ebenso wie einst die traditionelle Apologetik. Vielleicht am wichtigsten ist aber der durch die Rückkehr des jüdischen Volkes in die staatliche Existenz vollzogene Perspektivwechsel, der eine säkularisierte, profan historische Betrachtung alles Jüdischen, sogar der Religion ermöglicht. Denn das lebendige Judentum hat mit der Staatsgründung wieder wesentlich eine historisch-politische und nicht, wie jahrtausendelang, nur eine religiöse Existenz. Die neuen Zentren der Wissenschaft des Judentums in der Nachkriegsordnung der Welt sind Israel und die USA, während Europa aus Scholems Sicht wissenschaftlich nur noch eine marginale Rolle spielt. Dennoch bleibt die Wissenschaft des Judentums ein internationales Projekt mit gemeinsamen Methoden und Arbeitsweisen. Sie soll nunmehr das Lebendige im Judentum, in Religion, Geschichte und Gegenwart, ergründen. Eine phänomenologisch durchdringende, sachliche Betrachtung soll die antiquarische, rückwärts gewandte, oft rein literaturwissenschaftliche Betrachtungsweise der jüdisch-rabbinischen Literatur ablösen. Dabei steht zum Beispiel eine Ästhetik der jüdischen Literaturen noch völlig aus. In dieser Situation der Wende und des Neuanfangs befindet sich die Wissenschaft des Judentums in der Gegenwart, und diese Wende muss auch ein Erbe des deutschen Judentums vollziehen.

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III. Zusammenschau In der Zusammenschau der beiden Texte Scholems zur Wissenschaft des Judentums, der wild-poetischen hebräischen Polemik von 1944 und dem deutschen Vortrag von 1959, wird die Stoßrichtung von Scholems Aussagen deutlicher, auch was seine Äußerungen zu Abraham Geiger betrifft. 1959 wiederholte Scholem den Vorwurf an die Väter der Wissenschaft des Judentums, sie seien Liquidatoren des Judentums. In einem ganz allgemeinen Sinne bedeutet das für Scholem zunächst: Alle emanzipierten Juden des neunzehnten Jahrhunderts, die ihre Gleichberechtigung als deutsche, englische oder französische Staatsbürger forderten und die erreichte Staatsbürgerschaft als die Befreiung aus dem Status der jüdischen Nation als unterdrückte Minderheit feierten, zerstören eo ipso das Judentum als politische Entität. Der stolze deutsche Staatsbürger jüdischen Glaubens, für den Judesein religiöse Privatsache ist und der die Auflösung und das Verschwinden der Judenheit oder der jüdischen Nation als politisches Kollektiv durch die Emanzipation nicht bedauert, trägt aus Sicht des überzeugten Zionisten Scholem zu dieser Liquidation bei. Dieses Urteil wird durch Wiederholung jedoch weder richtiger noch plausibler. Es ist in erster Linie ideologisch bedingt und besitzt kaum Aussagekraft hinsichtlich der wissenschaftlichen Qualität der betroffenen Gelehrten und ihres Werks: Dass Zunz37 und Steinschneider das Verschwinden der rabbinischen Literatur im Modernisierungs- und Wandlungsprozess des europäischen Judentums fürchteten und diese Furcht ihre wissenschaftliche Arbeit beflügelte, entwertet weder ihre Forschung noch macht es sie zu Liquidatoren. Scholems denunziatorische Attacke schließt daher Hochachtung für das Werk dieser „Riesen“ keineswegs aus. Sie speist sich aus einer Mischung von krudem Kultur-Zionismus und Nietzsche. Nietzsche hatte in seiner Zweiten Unzeitgemäßen Betrachtung mit dem Titel Vom Nutzen und Nachteil der Historie für das Leben (1876) der Historisierung und Musealisierung alter Kulturen den Kampf angesagt. Historie sollte dem Leben und seiner Fortentwicklung dienen und nutzen. Der Zionist Scholem überträgt diese Forderung Nietzsches auf die Wissenschaft des Judentums: Sie soll das Leben und die Fortentwicklung der jüdischen Nation, ihre Erneuerung und Vitalisierung als lebendiger Organismus fördern – die vitalistische Metapher vom Judentum als „lebendiger Organismus“ gebraucht Scholem bezeichnenderweise in beiden Texten. Die Wissenschaft des Judentums soll, ganz im Sinne Nietzsches, nicht dazu dienen, 37 Leopold Zunz, Etwas über die rabbinische Litteratur (Berlin: Maurer, 1818).

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die jüdische Geschichte und Literatur zu musealisieren, in Bibliotheken, Fußnoten und Archiven zu begraben und damit zu „liquidieren“. Aber Abraham Geiger ein „Liquidator“, gar der begabteste Liquidator? Geiger hat sich zeitlebens bemüht, das religiöse Judentum und die rabbinische Tradition im Zeitalter der staatsbürgerlichen Emanzipation der Juden durch Reformen zu retten und fortzuentwickeln; seine Absicht, und auch seine Wirkung und sein Wirken, waren also so ziemlich das Gegenteil von Liquidation. Eher könnte Scholem Geiger schon vorwerfen, die Wissenschaft allzu einseitig in den Dienst der Reform und religiösen Erneuerung des Judentums gestellt zu haben. Schwerer als Scholems Vorwurf der Liquidation wiegt da schon jener der Spiritualisierung und Theologisierung ihres Gegenstandes durch die Wissenschaft des Judentums im neunzehnten Jahrhundert. Dieser Vorwurf impliziert und enthält drei bedenkenswerte Elemente und Gründe: (1) Die institutionelle Anbindung der Wissenschaft des Judentums an Rabbiner-Seminare oder jüdisch-theologische Lehranstalten. (2) Die Ausrichtung der Wissenschaft des Judentums auf die Rabbinerausbildung anstatt auf die Forschung um ihrer selbst willen. (3) Die Reduktion der Wissenschaft des Judentums auf die wissenschaftliche Erforschung der jüdischen Religion und Religionsgeschichte durch die Orientierung an Interessen und Horizont der jüdischen Theologie anstatt profaner Historiographie der Geschichte der Juden und der jüdischen Kulturen in den Ländern und Zeiten des Exils. Scholems Verdikt der „Spiritualisierung“ und „Theologisierung“ der Wissenschaft des Judentums zielt darauf, dass das säkulare Judentum und Judesein in dieser Disziplin zugunsten der jüdischen Theologie und Rabbinerausbildung vernachlässigt oder gänzlich preisgegeben worden sei. Dadurch seien der nichtreligiöse Alltag und die säkulare jüdische Kultur im Gegensatz zur dominierenden religiös-intellektualistischen Forschung zu jüdischem Messianismus, Halacha oder religiösem rabbinischem Schrifttum viel zu kurz gekommen. Dieses Urteil betrifft Abraham Geigers Stellung in der Wissenschaft des Judentums in doppelter Weise: Erstens plädierte Geiger mit seiner Forderung nach Errichtung einer jüdisch-theologischen Fakultät an einer deutschen Universität 1836 und später für eine Verankerung der Wissenschaft des Judentums in einer theologisch ausgerichteten Institution, während Zunz und Steinschneider sich diesem Ansinnen strikt widersetzten. Zunz wollte die Wissenschaft des Judentums in einer Phi-

Christoph Schulte

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losophischen, nicht in einer Theologischen Fakultät angesiedelt wissen und hat 1848 an der Berliner Universität einen entsprechenden Antrag auf Einrichtung eines Lehrstuhls für jüdische Literatur gestellt, der allerdings von den preußischen Behörden abgelehnt wurde.38 Steinschneider lehnte jede Zusammenarbeit mit der 1870 gegründeten und seit 1872 von Geiger geleiteten Hochschule für die Wissenschaft des Judentums in Berlin ab, weil dort alle Professuren einseitig auf die Erforschung der jüdischen Religion ausgerichtet seien39 und weil eine Inanspruchnahme der Wissenschaft des Judentums als Magd der jüdischen Theologie für ihn undenkbar war.40 Zweitens ist Geigers eigenes Œuvre tatsächlich recht einseitig auf die Religionsgeschichte des Judentums ausgerichtet. Scholems Vorwurf, etwa Geigers Das Judenthum und seine Geschichte von der Zerstörung des Zweiten Tempels bis zum Ende des 12. Jahrhunderts (Breslau 1865) sei im Kern jüdische Religionsgeschichte, ist, wie der Beitrag von Marc Saperstein in diesem Band belegt, vollkommen berechtigt. Seine Kritik an Geiger und am Breslauer Rabbinerseminar lässt keinen Zweifel daran, dass er eine der jüdischen Theologie und der Rabbiner-Ausbildung unterworfene Wissenschaft des Judentums für einen Irrweg mit gravierenden Konsequenzen hielt: eine verfehlte Ausrichtung der Forschungen allein auf religiöse Phänomene, falsche Zielsetzungen in der Lehre und im Praxisbezug sowie Unfreiheit in der Methodik und in den wissenschaftlichen Fragestellungen. Im Gegensatz dazu hielt Scholem, trotz seines Streits mit Joseph Klausner und anderen Professoren in Jerusalem, die dortige Hebräische Universität für ideal: Hier konnte die Wissenschaft vom Judentum in einem jüdischen Staat mit jüdischer Mehrheitsbevölkerung, frei von wissenschaftsfremden politischen oder theologisch-normativen Vorgaben, frei von apologetischen Zwängen und Zensur, historisch und kritisch forschen und lehren, nur hier wurde sie vom Gemeinwesen finanziert und konnte sich in eigener Verantwortung für die reine Wissenschaftlichkeit entfalten. Mit Blick auf die Wissenschaft des Judentums erfüllte sich das Humboldtsche UniversitätsIdeal von freier Forschung und Lehre erst im Jischuv und später im Staat Israel. 38 Céline Trautmann-Waller, Philologie allemande et tradition juive. Le parcours intellectuel de Leopold Zunz (Paris: Cerf, 1998). 39 Vgl. Marianne Awerbuch, „Die Hochschule für die Wissenschaft des Judentums“, in Reimer Hansen und Wolfgang Ribbe (Hrsg.), Geschichtswissenschaft in Berlin im 19. und 20. Jahrhundert. Persönlichkeiten und Institutionen (Berlin und New York: de Gruyter, 1992), 518–551. 40 Moritz Steinschneider, „Die Zukunft der jüdischen Wissenschaft“, Hebräische Bibliographie 9 (1869), 76–78.

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Scholems Kritik der Wissenschaft des Judentums und Abraham Geiger

Dabei war Scholem gegenüber einer Wissenschaft des Judentums als zionistischer Wissenschaft, wie sie seine Jerusalemer Kollegen Benzion Dinur oder Joseph Klausner vertraten,41 sehr kritisch. Er warnte ausdrücklich davor, die Historiographie ganz einseitig und teleologisch auf die Errichtung eines jüdischen Staates und eine Renaissance des jüdischen Volkes und der jüdischen Kultur hin auszurichten und nun eine zionistisch-teleologische an die Stelle der jüdisch-theologischen Geschichtsschreibung zu setzen. Seinen Vortrag von 1959 schloss Scholem mit der Aussage, nach der Shoah seien die USA und Israel, nicht mehr Deutschland und Mitteleuropa das Zentrum der Wissenschaft des Judentums und der Jewish Studies. Dabei betonte er noch einmal, dass diese Wissenschaft von Deutschland ausgegangen, über ein Jahrhundert lang von deutschen Juden dominiert worden und eine der größten Leistungen des deutschen Judentums sei. Dass sich in den 50 Jahren seit seinem Londoner Vortrag die Jüdischen Studien in verschiedenen Ländern Europas wieder etablieren würden, seit 1989 auch wieder in Osteuropa, konnte Scholem nicht ahnen. Dass heute an einem Abraham Geiger Kolleg in Deutschland liberale Rabbiner ausgebildet werden, kann Scholems Urteil über Geiger als großen jüdischen Theologen, Rabbiner und „Papst“ des liberalen Judentums im neunzehnten Jahrhundert im Nachhinein nur noch einmal bekräftigen. Dass die Jüdischen Studien und die Judaistik dagegen zumeist an Philosophischen Fakultäten beheimatet sind, wie Zunz und Steinschneider einst gefordert hatten, hätte vermutlich Scholems Zustimmung gefunden. Und dass die Jüdischen Studien in Europa heute der akademische Ort sind, an dem das jüdische Erbe Europas zumindest partiell erinnert und durch Erforschung – von Juden und vielen Nichtjuden – vergegenwärtigt wird, hätte Scholem vermutlich sehr überrascht, genauso wie das Wiedererwachen von jüdischem Leben in Deutschland, das aus seiner Sicht durch die Shoah für immer zu Ende war. In diesem neuen Kontext, so scheint deutlich, sind seine ideologischen und polemischen Überlegungen zur Wissenschaft des Judentums, einschließlich ihrer großen Protagonisten Zunz, Steinschneider und Geiger, selbst nur noch als historische Problemanzeige von Bedeutung.

41 Vgl. Brenner, Propheten des Vergangenen (wie Anm. 21), 209–244.

Abkürzungsverzeichnis

AJA AJS-Review AZJ CAHJP CCAR HHStA IdnJ JHI JJGL JJS JZWL LBIYB MGWJ PAAJR RÉJ WZJT ZDMG ZGJD ZRGG ZRIJ

American Jewish Archives Association for Jewish Studies Review Allgemeine Zeitung des Judentums Central Archives for the History of the Jewish People Central Conference of American Rabbis Hessisches Hauptstaatsarchiv Israelit des neunzehnten Jahrhunderts Jüdisches Historisches Institut Warschau Jahrbuch für Jüdische Geschichte und Literatur Journal of Jewish Studies Jüdische Zeitschrift für Wissenschaft und Leben Leo Baeck Institute Yearbook Monatsschrift für Geschichte und Wissenschaft des Judenthums Proceedings of the American Academy for Jewish Research Revue des Études Juives Wissenschaftliche Zeitschrift für jüdische Theologie Zeitschrift der Deutschen Morgenländischen Gesellschaft Zeitschrift für die Geschichte der Juden in Deutschland Zeitschrift für Religions- und Geistesgeschichte Zeitschrift für die religiösen Interessen des Judenthums

Auswahlbibliographie1

Ausgewählte Schriften von Abraham Geiger „Einiges über jüdisches Rabbiner- und Schulwesen und deren innige Verbindung“, Allgemeine Monatsschrift für Erziehung und Unterricht 8 (1831), 369–373. „Sollen die Juden ihre Kinder in christliche Schulen schicken oder eigene Schulen errichten?“, Allgemeine Monatsschrift für Erziehung und Unterricht 8 (1831), 545–550, 616–623. „Über die Bildung zur Sittlichkeit und zum Glauben“, Allgemeine Monatsschrift für Erziehung und Unterricht 8 (1831), 625–630. Was hat Mohammed aus dem Judenthume aufgenommen? Eine von der Königl. Preussischen Rheinuniversität gekrönte Preisschrift (Bonn: Selbstverlag, 1833; ND Leipzig: M. W. Kaufmann, 1902; Osnabrück: Biblio Verlag, 1971; Berlin: Parergas, 2005). „Das Judenthum unserer Zeit und die Bestrebungen in ihm“, WZJT 1 (1835), 1–12. „Die wissenschaftliche Ausbildung des Judenthums in den zwei ersten Jahrhunderten des zweiten Jahrtausends bis zum Auftreten des Maimonides“, WZJT 1 (1835), 13–38, 151–168, 307–326. „Der Kampf christlicher Theologen gegen die bürgerliche Gleichstellung der Juden, namentlich mit Bezug auf Anton Theodor Hartmann“, WZJT 1 (1835), 52–67, 340–357.

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Die Auswahlbibliographie verzeichnet neben den in diesem Band erwähnten Schriften Abraham Geigers die Mehrheit seiner weiteren selbständigen Schriften und Zeitschriftenaufsätze. Verzichtet wurde auf die zahlreichen hebräischen Publikationen sowie auf Rezensionen und kleinere Notizen. Für ein umfassendes, teilweise annotiertes Verzeichnis der Schriften Abraham Geigers vgl. Abraham Geigers Leben in Briefen, hrsg. von Ludwig Geiger (Berlin: Reimer, 1878), ND unter dem Titel Abraham Geiger. Leben und Werk für ein Judentum in der Moderne. Mit einem Nachwort von Oberrabbiner Walter Jacob (Berlin: Jüdische Verlagsanstalt, 2001), 418–470. Die in die Bibliographie aufgenommene Sekundärliteratur beschränkt sich auf die wesentlichen Publikationen zu Abraham Geiger seit dem 19. Jahrhundert. Eine Vollständigkeit mit Blick auf die Geschichte der Wissenschaft des Judentums oder der Reformbewegung ist nicht angestrebt.

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Auswahlbibliographie

„Der Mangel an Glaubensinnigkeit in der jetzigen Judenheit. Bedenken eines Laien“, WZJT 1 (1835), 141–150. „Die jüdische Geschichte“, WZJT 1 (1835), 169–192. „Heuchelei, die erste Anforderung an den jungen Rabbiner unserer Zeit“, WZJT 1 (1835), 285–306. „Die Gründung einer jüdisch-theologischen Facultät, ein dringendes Bedürfniß unserer Zeit“, WZJT 2 (1836), 1–21. „Der Kampf christlicher Theologen gegen die bürgerliche Gleichstellung der Juden, namentlich mit Bezug auf Anton Theodor Hartmann“, WZJT 2 (1836), 78–92, 446–473. „Neues Stadium des Kampfes in dem Judenthume unserer Zeit“, WZJT 2 (1836), 209–225. „Gottesdienstliche Einrichtung des Maimonides“, WZJT 2 (1836), 246–254. „Einiges über Plan und Anordnung der Mischna“, WZJT 2 (1836), 474–492. „Erste Preisaufgabe jüdisch-theologischen Inhalts“, WZJT 2 (1836), 569–574. „Die Confirmation unter den Juden in Preußen“, Unparteiische UniversalKirchenzeitung für die Geistlichkeit und die gebildete Weltklasse des protestantischen, katholischen, und israelitischen Deutschland’s Nr. 8, 26. Januar 1837, 8–10. „Die Stellung des weiblichen Geschlechts in dem Judenthume unserer Zeit“, WZJT 3 (1837), 1–14. „Neunzehn Briefe über Judenthum … von Ben Usiel“, in WZJT 3 (1837), 74–91. „Die Judenheit und das Judentum. Bedenken eines Laien“, WZJT 3 (1837), 161– 171. „Über die jüdischen Trauergebräuche“, WZJT 3 (1837), 214–233. „Die Rabbinerzusammenkunft. Sendschreiben an einen befreundeten jüdischen Geistlichen“, WZJT 3 (1837), 313–332. Über die Errichtung einer jüdisch-theologischen Facultät (Wiesbaden: Riedel, 1838). Gottesdienstlicher Vortrag, gehalten in der großen Synagoge zu Breslau am Sabbathe Mattot Maß’e 5598 (21. Juli 1838) (Breslau: Friedländer, 1838). „Der Formglaube in seinem Unwerthe und in seinen Folgen“, WZJT 4 (1839), 1–12. „Christlich-theologische Zeitschriften“, WZJT 4 (1839), 141–155, 292–297. „Poesie, Prosa, Verlegenheit“, WZJT 4 (1839), 161–165. „Jüdische Zeitschriften“, WZJT 4 (1839), 286–292, 459–471. „Emanzipation“, WZJT 4 (1839), 297–303. „Die Errichtung einer jüdisch-theologischen Facultät“, WZJT 4 (1839), 309– 312. „Die zwei verschiedenen Betrachtungsweisen. Der Schriftsteller und der Rabbiner“, WZJT 4 (1839), 321–333. „Schlußwort über die Trauergebräuche“, WZJT 4 (1839), 353f.

Auswahlbibliographie

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Die letzten zwei Jahre. Sendschreiben an einen befreundeten Rabbiner (Breslau: Friedländer, 1840). Melo Chofnajim, deutscher Theil: Biographie Josef Salomo del Medigo’s, dessen Brief an Serach ben Nathan, enthält einen kurzen Leitfaden der hebräisch-jüdischen Litteraturgeschichte (Berlin: Fernbach, 1840). Die Aufnahme Israels in den Bürgerverband. Gottesdienstlicher Vortrag zur Erinnerung an das Königliche Edikt vom 11. März 1812, gehalten am Sabbate Pekude, 2. Adar scheni 5600, den 7. März 1840 (Breslau: Friedländer, 1840). Festvortrag am Geburts- und Huldigungstage Sr. Majestät des Königs Friedrich Wilhelm IV, gehalten in der großen Synagoge zu Breslau am 15. Oktober 1840 (Breslau: Friedländer, 1840). „Ansprache an den König Friedrich Wilhelm II, bei seinem Aufenthalte in Breslau, 13. September 1841“, Leipziger Allgemeine Zeitung, Nr. 262 (19. September 1841), 3037. Ansprache an meine Gemeinde (Breslau: o. V., 1842), wiederabgedruckt in Abraham Geiger’s Nachgelassene Schriften, hrsg. von Ludwig Geiger, Bd. 1 (Berlin: Louis Gerschel, 1875), 52–112. Der Hamburger Tempelstreit: eine Zeitfrage (Breslau: Leuckart, 1842), wiederabgedruckt in Abraham Geiger’s Nachgelassene Schriften, hrsg. von Ludwig Geiger, Bd. 1 (Berlin: Louis Gerschel, 1875), 113–196. Rabbinisches Gutachten über Militärpflichtigkeit der Juden (Breslau: Friedländer, 1842). Das Vaterland. Die würdige Vorbereitung zum Pessachfeste. Zwei Predigten gehalten in der großen Synagoge zu Breslau, am Sabbate a`t yk und lhqyw, den 26. Februar und 5. März 1842. Auf besondere Veranlassung niedergeschrieben und herausgegeben (Breslau: Leuckart, 1842). Erster Bericht über das Wirken des jüdischen Lehr- und Lese-Vereins in Breslau (Breslau: L. Freund, 1843). Zweiter Bericht über das Wirken des jüdischen Lehr- und Lese-Vereins in Breslau (Breslau: L. Freund, 1844). Amtsbrüderliches Sendschreiben an die in Braunschweig versammelten Rabbiner (Breslau: o.V., 1844). „Die Aufgabe der Gegenwart“, WZJT 5 (1844), 1–35. „Das Verhältnis des natürlichen Schriftsinnes zur thalmudischen Schriftdeutung“, WZJT 5 (1844), 53–81, 243–259. „Neue Beiträge zur Geschichte des Streites über das Studium der Philosophie in den Jahren 1232 bis 1306“, WZJT 5 (1844), 82–123. „Ist der Streit in der Synagoge ein Zeichen von ihrem Zerfalle oder von ihrem neuerwachten Leben?“, WZJT 5 (1844), 139–152. „Bruno Bauer und die Juden. Mit Bezug auf dessen Aufsatz: Die Judenfrage“, WZJT 5 (1844), 199–234, 325–371.

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Auswahlbibliographie

„Zur Entwickelungsgeschichte der hebräischen Sprachkunde, biblischen Exegese und hebräischen Dichtkunst unter den arabischen Juden im zehnten, elften und zwölften Jahrhundert. Erster Artikel: Saadia ben Josef Gaon“, WZJT 5(1844), 261–324. „Schimson, ein Lexikograph in Deutschland“, WZJT 5 (1844), 413–430. „Jüdische Zeitschriften“, WZJT 5 (1844), 372–390, 446–477. „Breslauer Zustände. Erster Artikel: Geschichtliches“, Der Israelit des neunzehnten Jahrhunderts 5 (1844), 137–142, 145–150, 155–161. Lehrbuch zur Sprache der Mischnah (Breslau: Leuckart, 1845). Lesestücke aus der Mischnah, mit Anmerkungen und einem Glossare versehen (Breslau: Leuckart, 1845). „Ein Blick auf christlich-theologische Zeitschriften“, Literaturblatt: Beilage zum Israeliten 5 (1845), 13–20. „Wie man gelehrte Rezensionen schreibt“, Literaturblatt: Beilage zum Israeliten 5 (1845), 21–24. „Über selbständige Mischnaherklärung“, Literaturblatt: Beilage zum Israeliten 5 (1845), 25–31. „Einige Ansichten über die nächste Rabbinerversammlung“, AZJ 9 (1845), 321– 324, 339–343, 384–389, 397–405. „Die rabulistischen Orthodoxaster“, Der Israelit des neunzehnten Jahrhunderts 6 (1845), 71f., 79f. Treuer Bericht über die letzten Ereignisse in der hiesigen jüdischen Gemeinde (Breslau: Leuckart, 1846). Vor neun Jahren und heute. Ein Wort aus jener Zeit zur Verständigung für die Gegenwart (Breslau: Leuckart, 1846). Vorläufiger Bericht über die Tätigkeit der dritten Versammlung deutscher Rabbiner (Breslau: Leuckart, 1846). Die dritte Versammlung deutscher Rabbiner. Ein vorläufiges Wort zur Verständigung (Breslau: Leuckart, 1846). Dritter Bericht über das Wirken des jüdischen Lehr- und Lesevereins in Breslau (Breslau: Freund, 1846). „Vortrag, gehalten in der Schlesischen Gesellschaft für vaterländische Kultur am 3. Februar 1846“, Der Israelit des neunzehnten Jahrhunderts 7 (1846), 73–77, 81–85. „Die religiösen Thaten der Gegenwart im Judenthume“, WZJT 6 (1847), 1–16. „Zur Würdigung des wissenschaftlichen Standpunktes in Palästina vom 7. bis zum 10. Jahrhundert. 1) Aboth und 49 Middoth des R. Nathan“, WZJT 6 (1847), 19–30. „Die Reform-Zeitung“, WZJT 6 (1847), 31–34. „Nachschrift: Die Speisegesetze“, WZJT 6 (1847), 63–75. „Literarisch-kritische Übersicht. Geschichte, Talmud, Bibel“, WZJT 6 (1847), 91–115. Grundzüge und Plan zu einem neuen Gebetbuch (Breslau: L. Freund, 1849).

Auswahlbibliographie

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„Einleitung in das Studium der jüdischen Theologie. Vorlesungen, gehalten in Breslau vor Studierenden der jüdischen Theologie“ (1849), in Abraham Geiger’s Nachgelassene Schriften, hrsg. von Ludwig Geiger, Bd. 2 (Berlin: Louis Gerschel, 1875), 1–31. „Moses ben Maimon“ (1850), in Abraham Geiger’s Nachgelassene Schriften, hrsg. von Ludwig Geiger, Bd. 3 (Berlin: Louis Gerschel, 1876), 34–96. „Proben jüdischer Vertheidigung gegen christliche Angriffe im Mittelalter I“, Deutscher Volkskalender und Jahrbuch, insbesondere zum Gebrauch für Israeliten, auf das Jahr 5611, hrsg. v. M. Breslauer 1 (1850–1851), 35–66. Divan des Castiliers Abu’l Hassan Juda ha-Levi. Nebst Biographie und Anmerkungen (Breslau: J. U. Kern, 1851). „Proben jüdischer Vertheidigung gegen christliche Angriffe im Mittelalter II“, Deutscher Volkskalender und Jahrbuch, insbesondere zum Gebrauch für Israeliten, auf das Jahr 5612, hrsg. v. M. Breslauer 2 (1851–1852), 29–52. Worte der Weihe, gesprochen bei Eröffnung des Fränckelschen Zufluchtshauses 6. April 1852 (Breslau: Sulzbach, 1852). Isaak Troki. Ein Apologet des Judenthums am Ende des sechzehnten Jahrhunderts (Breslau: J. U. Kern, 1853). „Proben jüdischer Vertheidigung gegen christliche Angriffe im Mittelalter III“, Deutscher Volkskalender und Jahrbuch, insbesondere zum Gebrauch für Israeliten, auf das Jahr 1854, hrsg. v. H. Liebermann (1853), 5–58. „Isaac Samuel Reggio“, Deutscher Volkskalender und Jahrbuch, insbesondere zum Gebrauch für Israeliten, auf das Jahr 1854, hrsg. v. H. Liebermann (1853), 128–132. Fest-Vortrag zur Feier der silbernen Hochzeit Ihrer Königl. Hoheiten des Prinzen und der Prinzessin von Preußen, gehalten in der großen Synagoge (Breslau: L. Freund, 1854). Israelitisches Gebetbuch für den öffentlichen Gottesdienst im ganzen Jahre mit Einschluss der Sabbathe und sämmtlicher Feier- und Festtage (Breslau: Julius Hainauer, 1854). „Proben jüdischer Vertheidigung gegen christliche Angriffe im Mittelalter IV“, Deutscher Volkskalender und Jahrbuch, insbesondere zum Gebrauch für Israeliten, auf das Jahr 1855, hrsg. v. H. Liebermann (1854), 89–100. Parschandatha. Die nordfranzösische Exegetenschule. Ein Beitrag zur Geschichte der Bibel-Exegese und der jüdischen Literatur (Leipzig: Schnauss, 1855). „Proben jüdischer Vertheidigung gegen christliche Angriffe im Mittelalter V“, Deutscher Volkskalender und Jahrbuch, insbesondere zum Gebrauch für Israeliten, auf das Jahr 1856, hrsg. v. H. Liebermann (1855), 103–117. Leon da Modena. Rabbiner zu Venedig 1571–1648, und seine Stellung zur Kabbalah, zum Thalmud, und zum Christenthume (Breslau: J. U. Kern, 1856).

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Auswahlbibliographie

Tsitsim u-Ferahim. Me-Shirei Sefarad ve-Italya Nilkahim. Jüdische Dichtungen der spanischen und italienischen Schule (Leipzig: Leiner, 1856). Predigt zur Friedensfeier am 4. Mai 1856 (Breslau: L. Freund, 1856). „Jüdische Dichter Spaniens im zehnten Jahrhundert (Einleitung zu dem nächstens erscheinenden Gabirol). 1. Die hebräische Sprache als Dichtungssprache in Spanien. 2. Ältere Dichter“, Deutscher Volkskalender und Jahrbuch, insbesondere zum Gebrauch für Israeliten, auf das Jahr 1857, hrsg. v. H. Liebermann (1856), 3–23. Urschrift und Übersetzungen der Bibel in ihrer Abhängigkeit von der innern Entwickelung des Judenthums (Breslau: Julius Hainauer, 1857; ND Frankfurt am Main: Verlag Madda, 1928). Ueber den Austritt aus dem Judenthume: Ein aufgefundener Briefwechsel (Leipzig: Wigand, 1858). „Proben jüdischer Vertheidigung gegen christliche Angriffe im Mittelalter VI“, Deutscher Volkskalender und Jahrbuch, insbesondere zum Gebrauch für Israeliten, auf das Jahr 1859, hrsg. v. H. Liebermann (1858), 74–78. „Zur Theologie und Schrifterklärung der Samaritaner“, ZDMG 12 (1858), 132– 142. „Zur Geschichte der talmudischen Lexikographie. Einige unbekannte Vorgänger und Nachfolger des Aruch“, ZDMG 12 (1858), 142–149. „Warum gehört das Buch Sirach zu den Apokryphen?“, ZDMG 12 (1858), 536– 543. „Zu Curetons Corpus Ignatianum (London 1849) und Spicilegium (London 1855)“, ZDMG 12 (1858), 543f. „Eine mittelalterliche jüdischeMedaille“, ZDMG 12 (1858), 680–693. „Gedichte“, Deutscher Volkskalender und Jahrbuch, insbesondere zum Gebrauch für Israeliten, auf das Jahr 1860, hrsg. v. H. Liebermann (1859), 69–72. „Immanuel, der Freund Dantes“, Deutscher Volkskalender und Jahrbuch, insbesondere zum Gebrauch für Israeliten, auf das Jahr 1861, hrsg. v. H. Liebermann (1860), 111–119. „Berichtigung einiger neuer Bemerkungen“, Hebräische Bibliographie 3 (1860), 1–4. „Das Studium der nachbiblischen Literatur unter den Christen I–II“, Hebräische Bibliographie 3 (1860), 37–41, 77ff. „Der Jude Manoello, der Freund Dantes“, Hebräische Bibliographie 3 (1860), 59f. „Über Moses ben Nachman“, Hebräische Bibliographie 3 (1860), 74ff. Notwendigkeit und Maß einer Reform des jüdischen Gottesdienstes (Breslau: Julius Hainauer, 1861). Worte der Trauer, gesprochen am Grabe des verewigten Herrn David Immerwahr, den 24. Februar 1861 (Purim 5621) (Breslau: Heinrich Lindner, 1861).

Auswahlbibliographie

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„Moses Kohen (Gikatilla) bei den Karäern“, Hebräische Bibliographie 4 (1861), 43ff. „Das Studium der nachbiblischen Literatur unter den Christen III–IV“, Hebräische Bibliographie 4 (1861), 81–84, 129ff. „Neuere Mitteilungen über die Samaritaner“, ZDMG 16 (1862), 714–728. „Der Baal in den hebräischen Eigennamen“, ZDMG 16 (1862), 728–732. „Der Boden zur Aussaat“, JZWL 1 (1862), 1–9. „Der 11. März 1862“, JZWL 1 (1862), 10–18. „Die Leviratsehe, ihre Entstehung und Entwickelung“, JZWL 1 (1862), 19–39. „Symmachus, der Übersetzer der Bibel“, JZWL 1 (1862), 39–64. „Die protestantische Kirchenzeitung und der Fortschritt im Judentum“, JZWL 1 (1862), 75–82. „Die Revue des deux mondes und die kritisch-historische Theologie“, JZWL 1 (1862), 82ff. „Zum Lessing-Denkmal“, JZWL 1 (1862), 85–88. „Die Begleitung des gottesdienstlichen Gesanges durch die Orgel“, JZWL 1 (1862), 89–98. „Die Lebensjahre der zwei ältesten Geschlechtsreihen. Nach den drei verschiedenen Textes-Rezensionen“, JZWL 1 (1862), 98–121, 174–185. „Chronik und Koheleth“, JZWL 1 (1862), 146–160. „Die Rabbiner der Gegenwart“, JZWL 1 (1862), 165–174. „Recension zu Aloys Sprenger, Das Leben und die Lehre Mohammads“, JZWL 1 (1862), 185–191. „War Hai Gaon ein Feind philosophischer Studien?“, JZWL 1 (1862), 206–217. „Isaak da Costa“, JZWL 1 (1862), 223–232. „Alte Romantik, neue Reaktion“, JZWL 1 (1862), 245–252. „Jüdische Philosophie“, JZWL 1 (1862), 276–282. „Theologische Studien und Kritiken“, JZWL 1 (1862), 282–287. „Alte jüdische Grammatiker und Lexikographen“, JZWL 1 (1862), 288–299. „Die wissenschaftliche Orthodoxie im Protestantismus“, JZWL 1 (1862), 299– 303. „Sadducäer und Pharisäer“, JZWL 2 (1863), 11–54. „Nordamerikanische Zeitschriften“, JZWL 2 (1863), 66ff. „Alte jüdische mathematische Schriften“, JZWL 2 (1863), 68f. „Das physisch Charakteristische der Juden“, JZWL 2 (1863), 72f. „Die Ratlosigkeit über Lessing“, JZWL 2 (1863), 73–76. „Die protestantische Kirchenzeitung und der Fortschritt im Judenthume II“, JZWL 2 (1863), 81–88. „Dispensation von der Schwagerehe und Weigerung der Unmündigen (Chalizah und Mëun)“, JZWL 2 (1863), 88–112. „Gotthold Salomon und Gabriel Riesser. Ein Andenken“, JZWL 2 (1863), 125– 137. „Alte jüdische Grammatiker und Lexikographen II“, JZWL 2 (1863), 148–154.

434

Auswahlbibliographie

„Bibelkritisches“, JZWL 2 (1863), 155ff. „Predigt zum 50. Gedenktag der Schlacht bei Leipzig, 18. Oktober 1863“, in Abraham Geiger’s Nachgelassene Schriften, hrsg. von Ludwig Geiger, Bd. 1 (Berlin: Louis Gerschel, 1875), 398–400. „Zu Leon da Modena“, Hebräische Bibliographie 6 (1863), 23f. „Die hebräische Grammatik bei den Samaritanern“, ZDMG 17 (1863), 718–725. „Syrisches“, ZDMG 17 (1863), 725–729. Eine Erinnerung an frühere Zeiten. Glückwunschschreiben an Herrn Dr. Leopold Zunz in Berlin zur Vollendung des siebzigsten Jahres am 10. August 1864 (Frankfurt am Main: Franz Benjamin Auffahrt, 1864). „Neuere Mitteilungen über die Samaritaner II–III“, ZDMG 18 (1864), 590–597. „Abraxas und Elxai, eine Vermutung“, ZDMG 18 (1864), 824f. „Vorlesungen über Judentum“, JZWL 2 (1864), 161–229. „Proben neuerer hebräischer Sprachgelehrsamkeit“, JZWL 2 (1864), 229–238. „Biblische und talmudische Miszellen“, JZWL 2 (1864), 254–263. „Michael Sachs“, JZWL 2 (1864), 263–267. „Der Sturm der Neu-Orthodoxie gegen Mannheimer und Horwitz“, JZWL 2 (1864), 267–270. „Christliche Gelehrsamkeit in Beziehung auf Judentum“, JZWL 2 (1864), 292– 297. „Vorlesungen über Judentum“, JZWL 3 (1864/65), 1–78. „Zur Geschichte der Maßorah“, JZWL 3 (1864/65), 78–119, 250. „Ein Stückchen Mittelalter“, JZWL 3 (1864/65), 119–128. „Grabinschriften. 1. Die von Firkowitz gefundenen jüdischen Grabsteine in der Krim. 2. Lateinische und griechische Grabinschriften in Rom“, JZWL 3 (1864/65), 128–136. „Das Mosesbild in einem Synagogenfenster“, JZWL 3 (1864/65), 136–141. „Das entblößte Haupt“, JZWL 3 (1864/65), 141ff. „Die Schulen im Orient“, JZWL 3 (1864/65), 143–149. „Einige Worte über das Buch Henoch,“ JZWL 3 (1864/65), 196–203. „Was thut Noth?“, JZWL 3 (1864/65), 251–258. Das Judenthum und seine Geschichte. In zwölf Vorlesungen. Nebst einem Anhange: Ein Blick auf die neuesten Bearbeitungen des Lebens Jesu (Breslau: Schlettersche Buchhandlung, 1864). Das Judenthum und seine Geschichte, 1. Abth.: Bis zur Zerstörung des zweiten Tempels (Breslau: Schlettersche Buchhandlung, 1865). Das Judenthum und seine Geschichte, 2. Abth.: Von der Zerstörung des zweiten Tempels bis zum Ende des zwölften Jahrhunderts (Breslau: Schlettersche Buchhandlung, 1865). „Legarde [Paul de Lagarde] über die talmudische Literatur“, Ben Chananja 8 (1865), 450. „Neue Studien über die Hexapla“, Ben Chananja 8 (1865), 450f.

Auswahlbibliographie

435

„An alle Freunde des Judentums. Im Juli 1865“, Ben Chananja 8 (1865), 529– 532. „Salomo Gabirol. Eine Skizze“, Illustrierte Monatshefte für die gesamten Interessen des Judentums 1 (1865), 1–6. „Neuere Mitteilungen über die Samaritaner IV“, ZDMG 19 (1865), 601–615. „Assaf“, ZDMG 19 (1865), 615ff. „Aus einem Briefe an Professor Fleischer“, ZDMG 19 (1865), 617f. „Die Reihen lichten sich“, JZWL 3 (1864/65), 163–174. „Ein Kuriosum“, JZWL 3 (1864/65), 174–178. „Das Arbeitsverbot an den Festtagen. Eine bibelkritische Studie“, JZWL 3 (1865), 178–184. „Munk’s Antrittsrede“, JZWL 3 (1864/65), 184–189. „Einige Worte über das Buch Henoch“, JZWL 3 (1864/65), 196–204. „Alte jüdische Grammatiker und Lexikographen III“, JZWL 3 (1864/65), 238– 241. „Die nordfranzösische Exegetenschule“, JZWL 3 (1864/65), 242f. „Jakob ben Ascher“, JZWL 3 (1864/65), 244ff. „Aus der Nachtseite des jüdischen Lebens“, JZWL 3 (1864/65), 246ff. „Alte jüdische mathematische Schriften“, JZWL 3 (1864/65), 248f. Die zweimalige Auflösung des jüdischen Staates. Eine Zeitpredigt, gehalten am Sabbat den 17. Thammus, den 30. Juni 1866 (Frankfurt am Main: Reinhold Baist, 1866). „Der Gottesname !`h“, Ben Chananja 9 (1866), 668f. „Samuel der Kleine (@fqh lawm`)“, Forschungen des wissenschaftlich-talmudischen Vereins 1866 Nr. 5, Beilage zu Ben Chananja 9 (1866), 69–73. „Neuere Mitteilungen über die Samaritaner V“, ZDMG 20 (1866), 143–170. „Die gesetzlichen Differenzen zwischen Samaritanern und Juden“, ZDMG 20 (1866), 527–573. „Was tut Not?“, JZWL 3 (1864/65) [1866], 251–258. „Englische jüdische Flugblätter“, JZWL 3 (1864/65) [1866], 298f. „Zur Raschi-Literatur“, JZWL 3 (1864/65) [1866], 299. „Christliche Gelehrsamkeit und Judentum“, JZWL 3 (1864/65) [1866], 299–303. „Die Firkowitz’schen Sammlungen“, JZWL 3 (1864/65) [1866], 303ff. „Samuel David Luzzatto“, JZWL 4 (1866), 1–22. „Bibelkritische Miszellen“, JZWL 4 (1866), 22–43. „Erinnerung an einen vergessenen Schriftsteller“, JZWL 4 (1866), 44–51. „Berührungen der Bibel und des Judentums mit dem klassischen Altertume und dessen Ausläufern“, JZWL 4 (1866), 51–67. „Zur gegenwärtigen Lage“, JZWL 4 (1866), 81–96. „Mechiltha und Sifre. Mit Rücksicht auf die Ausgaben von Weiß und Friedmann“, JZWL 4 (1866), 96–126. „Aus einem Briefwechsel. Antwort“, JZWL 4 (1866), 145–150. „Alte Erinnerungen“, JZWL 4 (1866), 161–165.

436

Auswahlbibliographie

„Der Talmud als bibelkritisches Hülfswerk“, JZWL 4 (1866), 165–171. „Der Arzt Benjamin ben Eliahu Beër“, JZWL 4 (1866), 171–174. „Die hebräischen Handschriften der Pariser Bibliothek“, JZWL 4 (1866), 174– 189. „Zu Salomon Maimons Entwicklungsgeschichte“, JZWL 4 (1866), 189–199. „Zur Geschichte der hebräischen Sprachwissenschaft unter den Juden. Dunasch, David Kimchi, Abraham Bedarschi, Profiat Duran“, JZWL 4 (1866), 187–190. „Weiteres über die Grabinschriften in der Krim“, JZWL 4 (1866), 214–232. „Über die Anzahl der Verse im Pentateuch nach der Maßorah“, JZWL 4 (1866), 265f. „Zwei jüdische Zeitschriften“, JZWL 4 (1866), 266–274. „Die Inschriften auf dem Sarge einer Königin und an der Synagoge zu Kefr Bereim“, JZWL 4 (1866), 274ff. „Die Schriften der ,Mekize Nirdamim“‘, JZWL 4 (1866), 278–280. „Die neuen Firkowitsch’schen Handschriften“, JZWL 4 (1866), 282f. „Berichtigungen aus Handschriften zu Aben Esras Shefath jether“, JZWL 4 (1866), 292–296. „Ein Brief Salomos aus Dubno“, JZWL 4 (1866), 309f. Salomo Gabirol und seine Dichtungen (Leipzig: O. Leiner, 1867). Worte liebenden Andenkens, gesprochen am Grabe seiner Schwägerin, der Frau Johanna Geiger, den 17. Februar 1867 (Frankfurt am Main: o.V., 1867). „Neuere Mitteilungen über die Samaritaner VI“, ZDMG 21 (1867), 169–182. „Nachträgliche Bemerkungen zu Bd. XX dieser Zeitschrift“, ZDMG 21 (1867), 279ff. „Eine aramäische Inschrift auf einem babylonisch-assyrischen Gewichte“, ZDMG 21 (1867), 466ff. „Alphabetische und akrostichontische Lieder bei Ephräm“, ZDMG 21 (1867), 469–476. „Jüdische Begriffe und Worte innerhalb der syrischen Literatur“, ZDMG 21 (1867), 487–492. „Salomon Munk“, JZWL 5 (1867), 1–16. „Sachariah ben Ha-Kazaw und Joseph ha-Kohen“, JZWL 5 (1867), 75–80. „Biblische und talmudische Miszellen“, JZWL 5 (1867), 98–117, 282–286. „Gabirol“, JZWL 5 (1867), 120–134. „Ein althochdeutsches Schlummerlied aus heidnischer Zeit in jüdischen Kreisen“, JZWL 5 (1867), 134–141. „Zwei neue jüdische Zeitschriften“, JZWL 5 (1867), 177–182. „Der Katalog der hebräischen Druckschriften im British Museum“, JZWL 5 (1867), 182f. „Leon da Modena und Joseph del Medigo“, JZWL 5 (1867), 183–186. „Eduard Kley und Salomon Löb Rapoport“, JZWL 5 (1867), 241–251.

Auswahlbibliographie

437

„Die neuesten Fortschritte in der Erkenntnis der Entwickelungsgeschichte des Judenthums und der Entstehung des Christenthums“, JZWL 5 (1867), 252–282. „Der Dichter Immanuel, der Freund Dantes“, JZWL 5 (1867), 286–301. Gedächtnisrede zum Andenken des verewigten Herrn Baron James von Rothschild, gehalten am 29. November 1868 in der großen Synagoge seiner Vaterstadt (Frankfurt am Main: o.V., 1868). Unser Gottesdienst. Eine Frage, die dringend Lösung verlangt (Breslau: Schlettersche Buchhandlung, 1868). „Neuere Mitteilungen über die Samaritaner VII“, ZDMG 22 (1868), 528–538. „Bileam und Jesus“, JZWL 6 (1868), 31–37. „Apokryphische Apokalypsen und Essäer“, JZWL 6 (1868), 41–47. „Ein Gradmesser der Bildung“, JZWL 6 (1868), 55ff. „Ferdinand Christian Bauer und die hebräische Bibel“, JZWL 6 (1868), 60. „Michael Sachs, ein Rätsel“, JZWL 6 (1868), 60–67. „Rumänien, eine offene Anklage“, JZWL 6 (1868), 81–86. „Maleachi und der jüngere Jesaias“, JZWL 6 (1868), 86–101. „Das Salböl bei den Pharisäern und bei den Evangelisten“, JZWL 6 (1868), 105– 121. „Jochanan ben Sakkai und Elieser ben Hyrkan“, JZWL 6 (1868), 131–136. „Feststellung der jüdischen Kalenderberechnung, eine Geschichtsbetrachtung“, JZWL 6 (1868), 141–151. „Daniel ha-Babli und Abraham, Sohn des Moses Maimonides“, JZWL 6 (1868), 155f. „Ein nochmaliger Blick auf Rumänien“, JZWL 6 (1868), 160. „Die gegenwärtige Lage. Die wiedererstehende Rabbiner-Versammlung“, JZWL 6 (1868), 161–171. „Elieser und Lazarus bei Lukas und Johannes“, JZWL 6 (1868), 196–201. „Ein Manuskript des jerusalemischen Thalmud und andere Erfurter Handschriften“, JZWL 6 (1868), 226f. „Die Ratlosigkeit über Lessing“, JZWL 6 (1868), 227f. „Die Versammlung von Rabbinern in Kassel“, JZWL 6 (1868), 241–247. „Innere Geschichte der zweiten Tempelperiode und deren Behandlung“, JZWL 6 (1868), 247–277. „Die Krankenpflege bei den Juden“, JZWL 6 (1868), 277ff. „Israel’s Geistesleben. Predigt in Wiesbaden 1869“, in Abraham Geiger’s Nachgelassene Schriften, hrsg. von Ludwig Geiger, Bd. 1 (Berlin: Louis Gerschel, 1875), 433–444. „Etwas über Glauben und Beten. Zu Schutz und Trutz,“ JZWL 7 (1869) 1–59. „Geographisches in Talmud und Midraschim“, JZWL 7 (1869), 62–68. „Der Dichter Immanuel als Schrifterklärer“, JZWL 7 (1869), 68f. „Christlich-theologische Zeitschriften“, JZWL 7 (1869), 74–78.

438

Auswahlbibliographie

„Kritische Behandlung der biblischen Schriften, namentlich ihres historischen Teiles“, JZWL 7 (1869), 96–111. „Apokryphen zweiter Ordnung“, JZWL 7 (1869), 111–135. „Der Talmud über den Kanon“, JZWL 7 (1869), 136–141. „Lewi ben Gerson kommt bei Hengstenberg zu Ehren“, JZWL 7 (1869), 159f. „Thesen für die am 29. d. [M.] in Leipzig zusammentretende Versammlung“, JZWL 7 (1869), 161–167. „Wissenschaftliche Miszellen“, JZWL 7 (1869), 167–183. „Die letzten 40 Jahre im zweiten judäischen Staate“, JZWL 7 (1869), 183–187. „Die Pessiktha“, JZWL 7 (1869), 187–195. „Zum Mendelssohn-Jakobi Streite“, JZWL 7 (1869), 200–209. „Die Kolonisation Palästinas und die Juden“, JZWL 7 (1869), 209f. „Zum Andenken Jacobsons“, JZWL 7 (1869), 210f. „Die Schleiermacher-Feier und die Juden“, JZWL 7 (1869), 211–214. „Rahmer und Hieronymus zu Hosea 10, 14“, JZWL 7 (1869), 215f. „Die Schulfrage im preußischen Abgeordnetenhause“, JZWL 7 (1869), 216–219. „Ein Schreiben Mendelssohns an Jakob Emden“, JZWL 7 (1869), 219–222. „Weitere Urteile über Isaak da Costa“, JZWL 7 (1869), 222f. „A. Bernstein“, JZWL 7 (1869), 223–226. „Die Szekler Sabbatharier“, JZWL 7 (1869), 227–230. „Ägypten und die Bücher Moses“, JZWL 7 (1869), 233–239. „Plan zu einem neuen Gebetbuch“, JZWL 7 (1869), 241–280. „Der Stamm Benjamin“, JZWL 7 (1869), 284–292. Plan zu einem neuen Gebetbuche nebst Begründungen (Breslau: Schlettersche Buchhandlung, 1870). Worte der Erinnerung, gesprochen am Grabe des verewigten Herrn Joseph Bendon am 28. September 1870 (Berlin: Straußberg, 1870). „Die Säule des Mesa I–III“, ZDMG 24 (1870), 212–226. „Weiteres über die Säule des Mesa“, ZDMG 24 (1870), 433–436. „Die Versammlung zu Leipzig und die zu Philadelphia“, JZWL 8 (1870), 1–27. „Menachem, der Messias, der Paraklet, der heilige Geist“, JZWL 8 (1870), 35–43. „Von der Synode zur vertagten Synode“, JZWL 8 (1870), 81–84. „Synodalarbeiten über die das Ehegebiet betreffenden Vorschläge“, JZWL 8 (1870), 84–100. „Die Säule des Mesa“, JZWL 8 (1870), 104–118. „Die Wiederholung in Genesis Kap. 24“, JZWL 8 (1870), 123–135. „Noch ein Wort über den Hebräerbrief“, JZWL 8 (1870), 163–168. „Reuchlin und das Judentum“, JZWL 8 (1870), 241–263. „Der Apostel Pauls von Renan“, JZWL 8 (1870), 204–207. „Zur Geschichte der Bibel-Exegese“, JZWL 8 (1870), 217–222. „Jair Chajim Bacharach“, JZWL 8 (1870), 222–225. „Der jerusalemitische Talmud und der Karäismus“, JZWL 8 (1870), 227–233. „Zur Gottesdienst-Angelegenheit I–II“, JZWL 8 (1870), 236f., 308–311.

Auswahlbibliographie

439

„Die jerusalemische Gemara im Gesammtorganismus der thalmudischen Literatur“, JZWL 8 (1870), 278–306. Das Judenthum und seine Geschichte, 3. Abth.: Von dem Anfange des dreizehnten bis zum Ende des sechzehnten Jahrhunderts (Breslau: Schlettersche Buchhandlung, 1871). Die Stellung des Judenthums zum Christenthum im dreizehnten und vierzehnten Jahrhundert: Offenes Sendschreiben an den evangelischen Oberkirchenrath in Berlin (Breslau: Schlettersche Buchhandlung, 1871). „Predigt zur zweiten Säkularfeier der jüdischen Gemeinde Berlin am 10. September 1871, gehalten in der neuen Synagoge“, in Festpredigten zur Säkularfeier der jüdischen Gemeinde in Berlin am 10. September 1871 von den Rabbinern Dr. L. Aub und Dr. Abr. Geiger (Berlin: Julius Levit, 1871), 12–23. „Der Humanismus im Judentume der neueren und neuesten Zeit“, JZWL 9 (1871), 1–7. „Zur Geschichte der hebräischen Sprachwissenschaft unter den Juden II“, JZWL 9 (1871), 56–72. „Der wiederauferstandene Bibelkommentar Parchons“, JZWL 9 (1871), 73–76. „Der paraphrastische Charakter alter Übersetzungen“, JZWL 9 (1871), 76ff. „Die Zersetzung“, JZWL 9 (1871), 81–84. „Das nach Onkelos benannte babylonische Targum zum Pentateuch“, JZWL 9 (1871), 85–104. „Jüdisch-theologische Lehranstalten“, JZWL 9 (1871), 127–129. „Man treibt zum Extreme hin“, JZWL 9 (1871), 161–172. „Die jüdische Gemeinde in Berlin“, JZWL 9 (1871), 241–255. „Ein theologischer Briefwechsel“, JZWL 9 (1871), 255–275. „Ein hebräisches Buch aus Calcutta“, JZWL 9 (1871), 275–282, 320. „Meir halevi und sein Kampf wider Maimonides“, JZWL 9 (1871), 282–298. „Die hebräische Zeitschrift Haschachar“, JZWL 9 (1871), 298–316. „Ein weltgeschichtlicher Wendepunkt“, JZWL 10 (1872), 1–4. „Zur Nakdanim-Literatur“, JZWL 10 (1872), 10–26. „Ohrgehänge (!ymwn) als götzendienerisches Gerät“, JZWL 10 (1871), 45–48. „Parsismus im Verhältnisse zu Bibel, Talmud und Midraschim“, JZWL 10 (1872), 113–118. „Eine Gesellschaft zur Verbreitung der Bekanntschaft mit der jüdischen Literatur in Nordamerika“, JZWL 10 (1872), 118–121. „Der Kommentar des Abraham ben David zu Sifre und Abraham Bukrat“, JZWL 10 (1872), 129–133. „Akrosticha in den Psalmen“, JZWL 10 (1872), 133–136. „Unsere jüdischen Abgeordneten“, JZWL 10 (1872), 139f. „Zur Gottesdienst-Angelegenheit IV“, JZWL 10 (1872), 143–149. „Geist oder Geld“, JZWL 10 (1872), 161–165.

440

Auswahlbibliographie

„Erbsünde und Versöhnungstod, deren Versuch, in das Judentum einzudringen“, JZWL 10 (1872), 166–171. „David ben Sakkhai gegen Saadias“, JZWL 10 (1872), 172–178. „Das arabische Original der ,Herzenspflichten‘ von Bachja“, JZWL 10 (1872), 207f. „Die Stellung der hebräischen Bibel in der gegenwärtigen christlichen Theologie“, JZWL 10 (1872), 208f. „Die Zeitrechnung nach der Weltschöpfung unter den Juden“, JZWL 10 (1872), 209f. „Neueste Tatsachen des offiziellen preußischen Kirchentums“, JZWL 10 (1872), 210f. „Die hebräischen Handschriften im Trinity College zu Cambridge“, JZWL 10 (1872), 212. „Inschriftenfälschung in Jerusalem“, JZWL 10 (1872), 213–216. „Die Berichte der ,Allianz‘“, JZWL 10 (1872), 216–221. „Stille Gedanken“, JZWL 10 (1872), 241–250. „Geld oder Geist? Zweiter Artikel“, JZWL 10 (1872), 250–254. „Die Vorreden Saadias zum Agron und zum Galuj“, JZWL 10 (1872), 255–266. „Lagardes Emendationen“, JZWL 10 (1872), 271ff. „Die jüdischen Reichsboten bei der Jesuitenfrage “, JZWL 10 (1872), 278–281. „Mittelalterliche Siegel“, JZWL 10 (1872), 281–285. „Salomon Ludwig Steinheim“, JZWL 10 (1872), 285–292. „Das Selbstgericht der Alliance Israélite universelle“, JZWL 10 (1872), 292f. „Zur Geschichte des jüdischen Rechts“, JZWL 10 (1872), 293–300. „Massorah bei den Syrern“, ZDMG 27 (1873), 148f. „Einige neuere Entdeckungen auf dem Gebiete der syrischen Literatur“, ZDMG 27 (1873), 150ff. „Allgemeine Einleitung in die Wissenschaft des Judentums“ (Vorlesungen, gehalten an der Hochschule für die Wissenschaft des Judentums, Berlin 1872–74), in Abraham Geiger’s Nachgelassene Schriften, hrsg. von Ludwig Geiger, Bd. 2 (Berlin: Louis Gerschel, 1875), 33–245. „Einleitung in die biblischen Schriften (Vorlesungen, gehalten an der Hochschule für die Wissenschaft des Judentums in Berlin, Sommer 1872 bis Sommer 1874)“, in Abraham Geiger’s Nachgelassene Schriften, hrsg. von Ludwig Geiger, Bd. 4 (Berlin: Louis Gerschel, 1876), 1–279. „Pirke Aboth (Vorlesungen, gehalten an der Hochschule für die Wissenschaft des Judentums in Berlin, Wintersemester 1873–74 und Sommersemester 1874)“, in Abraham Geiger’s Nachgelassene Schriften, hrsg. von Ludwig Geiger, Bd. 4 (Berlin: Louis Gerschel, 1876), 281–344. „Die von Strack zu erwartende Ausgabe des babylonischen Prophetentextes betreffend“, ZDMG 28 (1874), 148ff. „Der babylonische Kodex in Petersburg“, ZDMG 28 (1874), 487ff.

Auswahlbibliographie

441

„Ein drittes Specimen aus dem babylonischen Prophetenkodex“, ZDMG 28 (1874), 675ff. „Zwiespalt im Denken, Streit um die Herrschaft“, JZWL 11 (1874), 1–8. „Entstehung des Christentums“, JZWL 11 (1874), 8–18. „Meine Wirksamkeit an der Hochschule für die Wissenschaft des Judentums. 1. Von Ostern 1872 bis dahin 1873, ein Bericht, 24. Februar 1873. 2. Von Ostern 1873 bis dahin 1874“, JZWL 11 (1874), 18–42. „Der Islam“, JZWL 11 (1874), 43–50. „Sifra“, JZWL 11 (1874), 50–60. „Die hebräische Sprache eine treue Ausprägung jüdischer Lebensanschauung“, JZWL 11 (1874), 60–67. „Ein eherechtliches Gutachten“, JZWL 11 (1874), 91–94. „Abraham Firkowitsch“, JZWL 11 (1874), 142–155. „Massorah bei den Syrern“, JZWL 11 (1874), 157ff. „Übersehenes aus der früheren Literatur“, JZWL 11 (1874), 166ff. „Herodes und seine Nachfolger“, JZWL 11 (1874), 168f. „Rationalistische Regungen im Islam“, JZWL 11 (1874), 177ff. „Heinrich Heine und Fanny Lewald über Juden“, JZWL 11 (1874), 180f. „Zum einleitenden Gedichte in dem Briefe Chasdai Schapruts an den Chazarenkönig“, JZWL 11 (1874), 185ff. „Scartazzini über den Einfluß des Christentums auf die gesamte Kulturentwicklung“, JZWL 11 (1874), 190–195. „Essenismus und Buddhaismus“, JZWL 11 (1874), 197f. „Professor Dr. Felix Adler“, JZWL 11 (1874), 225f. „Jakob ben Elasar“, JZWL 11 (1874), 232–235. „Zur Geschichte der französischen Rabbiner des Mittelalters nach Handschriften“, JZWL 11 (1874), 243ff. „Das grammatische Buch Sekhel tob“, JZWL 11 (1874), 245ff. „Zunz’ Bibelkritisches“, JZWL 11 (1874), 247–250. Abraham Geiger’s Nachgelassene Schriften, 5 Bde., hrsg. von Ludwig Geiger (Berlin: Louis Gerschel, 1875–1878). „Bernhard Beer“, in Allgemeine Deutsche Biographie, Bd. 2 (1875), 246f. Juda ha-Levi (Berlin: G. Bernstein, 1875). Qevutsat Ma’amarim. Gesammelte Abhandlungen in hebräischer Sprache (Berlin: Louis Gerschel, 1877). Abraham Geigers Leben in Briefen, hrsg. von Ludwig Geiger (Berlin: Reimer, 1878). „Abraham Geigers Briefe an J. Dérenbourg (1833–42)“, hrsg. von Ludwig Geiger, AZJ 60 (1896), Nr. 6–12, 14, 16, 18, 20, 22, 24, 27, 20, 31f. Das Judenthum und seine Geschichte. In vierunddreißig Vorlesungen (Breslau: Wilhelm Jacobsohn & Co, 1910). Judaism and Its History: In Two Parts, übersetzt von Charles Newburgh (New York: Bloch, 1911).

442

Auswahlbibliographie

Schriften zu Abraham Geiger Bomhof, Hartmut, Abraham Geiger. Durch Wissen zum Glauben (Berlin: Hentrich & Hentrich, 2006). Dérenbourg, Joseph, Dr. Geiger und sein Abgang von hier nach Frankfurt am Main. Ein Wort zur Orientirung für die Mitglieder der Breslauer Israeliten-Gemeinde (Breslau: A. Neumann, 1853). –, Abraham Geiger. Esquisse de sa vie (Paris: o.V., 1875). Einhorn, David, „Dr. Geiger und die Philadelphier Rabbiner-Conferenz“, The Jewish Times 2 (1870/71), 107, 123f., 139, 171, 187f. –, „Abraham Geiger“, The Jewish Times 6 (1874/75), 621f. –, „Gedächtnisrede, gehalten am 21. November 1874 zu Ehren Abraham Geigers im Tempel der Beth-El-Gemeinde zu New York“, in David Einhorn Memorial Volume: Selected Sermons, hrsg. von Kaufmann Kohler (New York: Bloch Publishing Company, 1911), 190–193. Elbogen, Ismar, „Abraham Geiger. 1810–1910“, JJGL 14 (1911), 71–83. Ellenson, David H., „The Israelitische Gebetbücher of Abraham Geiger and Manuel Joël: A Study in Nineteenth-Century German-Jewish Communal Liturgy and Religion”, in David H. Ellenson, After Emancipation: Jewish Religious Responses to Modernity (Cincinnati: Hebrew Union College Press, 2004), 193–222. Fraisse, Ottfried, „Abraham Geiger als kultureller Denker des 19. Jahrhunderts: Wie aktuell ist seine historisch-philologische Kritik am islamischen Stereotyp?“, Frankfurter Judaistische Beiträge 36 (2010), 113–137. Friesel, Evyatar, „Abraham Geiger in 1848: His Views on the Revolution, German Culture, and the Jews“, LBIYB 56 (2011), 163–173. Geiger, Ludwig, Abraham Geiger. Leben und Lebenswerk (Berlin: Georg Reimer, 1910). Gotzmann, Andreas, „Der Geiger-Tiktin-Streit. Trennungskrise und Publizität“, in Manfred Hettling, Andreas Reinke und Norbert Conrads (Hrsg.), In Breslau zu Hause? Juden in einer mitteleuropäischen Metropole der Neuzeit (Hamburg: Dölling & Galitz, 2003), 81–99. –, „Jüdische Theologie im Taumel der Geschichte. Religion und historisches Denken in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts“, in Ulrich Wyrwa (Hrsg.), Judentum und Historismus. Zur Entstehung der jüdischen Geschichtswissenschaft in Europa (Frankfurt am Main: Campus, 2003), 173– 202. Heschel, Susannah, Abraham Geiger and the Jewish Jesus (Chicago: University of Chicago Press, 1998). –, „Revolt of the Colonized: Abraham Geiger’s Wissenschaft des Judentums as a Challenge to Christian Hegemony in the Academy“, New German Critique 77 (1999), 61–85.

Auswahlbibliographie

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–, Der jüdische Jesus und das Christentum. Abraham Geigers Herausforderung an die christliche Theologie, übersetzt v. Christian Wiese (Berlin: Jüdische Verlagsanstalt, 2001). Hill, Harvey, „The Science of Reform: Abraham Geiger and the Wissenschaft des Judentum“, Modern Judaism 27 (2007), 329–349. Kaatz, Saul, Abraham Geigers religiöser Charakter, 1. Teil (Frankfurt am Main: Israelit, 1911). Kohler, Kaufmann, „Dr. Abraham Geiger. Gedächtnisrede“, The Jewish Times 6 (1874/75), 637–639. –, „Abraham Geiger – The Master Builder of Modern Judaism“, in Kaufmann Kohler, Hebrew Union College and other Addresses (Cincinnati: Ark Publishers & Co, 1916), 84–97. Koltun-Fromm, Ken, Abraham Geiger’s Liberal Judaism: Personal Meaning and Religious Authority (Bloomington und Indianapolis, IN: Indiana University Press, 2006). Krone, Kerstin von der, Wissenschaft in Öffentlichkeit. Die Wissenschaft des Judentums und ihre Zeitschriften (Berlin und New York: de Gruyter, 2011). Lassner, Jacob, „Abraham Geiger: A Nineteenth-Century Jewish Reformer on the Origins of Islam“, in Martin S. Kramer (Hrsg.), The Jewish Discovery of Islam: Studies in Honor of Bernard Lewis (Tel Aviv: Tel Aviv University, 1999), 103–136. Liebeschütz, Hans, „For and against Emancipation: The Bruno Bauer Controversy“, LBIYB 4 (1959), 81–91. –, „Historismus und Wissenschaft des Judentums: Abraham Geiger und Heinrich Graetz“, in Hans Liebeschütz, Das Judentum im deutschen Geschichtsbild von Hegel bis Max Weber (Tübingen: Mohr Siebeck, 1967), 113–157. Meyer, Michael A., „Jewish Religious Reform and Wissenschaft des Judentums. The Positions of Zunz, Geiger and Frankel“, LBIYB 16 (1971), 19–41. –, „Universalism and Jewish Unity in the Thought of Abraham Geiger“, in Jacob Katz (Hrsg.), The Role of Religion in Modern Jewish History (Cambridge, MA: Association for Jewish Studies, 1975), 91–107. –, Response to Modernity: A History of the Reform Movement in Judaism (New York und Oxford: Oxford University Press, 1988) [dt.: Antwort auf die Moderne. Geschichte der Reformbewegung im Judentum (Wien, Köln und Weimar: Böhlau, 2000)]. –, Von Moses Mendelssohn zu Leopold Zunz. Jüdische Identität in Deutschland 1749–1824, übersetzt v. Ernst-Peter Wieckenberg (München: C. H. Beck, 1994). Petuchowski, Jakob J. (Hrsg.), New Perspectives on Abraham Geiger: An HUC-JIR Symposium (Cincinnati: Hebrew Union College Press, 1975).

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Auswahlbibliographie

–, „Abraham Geiger and Samuel Holdheim: Differences in Germany and Repercussions in America“, LBIYB 22 (1977), 139–159 [wiederabgedruckt in Jakob J. Petuchowski, Studies in Modern Theology and Prayer (Philadelphia: Jewish Publication Society, 1998), 257–282]. Philippson, Ludwig, „Dr. Abraham Geiger“, AZJ (1874), 765–768. Philipson, David, The Reform Movement in Judaism (London: Macmillan & Co, 1907). –, „Abraham Geiger“ (1910), in David Philipson, Centenary Papers and Others (Cincinnati: Ark Publishing Co, 1919), 99–147. Scheliha, Arnulf von, „Schleiermachers Deutung von Judentum und Christentum in der fünften Rede ,Über die Religion‘ und ihre Rezeption bei Abraham Geiger“, in Roderich Barth, Ulrich Barth und Claus-Dieter Osthövener (Hrsg.), Christentum und Judentum. Akten des Internationalen Kongresses der Schleiermacher-Gesellschaft in Halle, März 2009 (Berlin: de Gruyter, 2012), 213–227. Schreiber, Emanuel, Abraham Geiger als Reformator des Judenthums (Loebau: R. Skzerczek, 1879). –, Abraham Geiger: The Greatest Reform Rabbi of the Nineteenth Century (Spokane, WA: Spokane Printing Co, 1892). Sinai, Nicolai, „Orientalism, Authorship, and the Onset of Revelation: Abraham Geiger and Theodor Nöldeke on Muhammad and the Qur’an“, in Dirk Hartwig, Walter Homolka, Michael J. Marx und Angelika Neuwirth (Hrsg.), „Im vollen Licht der Geschichte“. Die Wissenschaft des Judentums und die Anfänge der kritischen Koranforschung (Würzburg: Ergon Verlag, 2008), 145–154. Surall, Frank, „Abraham Geigers Aufruf zur Gründung eines ,Maimonidesvereins“‘, in Görge K. Hasselhoff (Hrsg.), Moses Maimonides (1138–1204): His Religious, Scientific and Philosophical Wirkungsgeschichte in Different Cultural Contexts (Würzburg: Ergon Verlag, 2004), 397–425. Tal, Uriel, Christians and Jews in Germany: Religion, Politics, and Ideology in the Second Reich, 1870–1914, übersetzt v. Noah Jonathan Jacobs (Ithaca, NY: Cornell University Press, 1975). Thon, Osias, „Abraham Geiger: Zu seinem 100. Geburtstag“, Die Welt 14 (1910), 536–538. Wiener, Max, Jüdische Religion im Zeitalter der Emanzipation (Berlin: PhiloVerlag, 1933). –, (Hrsg.), Abraham Geiger and Liberal Judaism: The Challenge of the Nineteenth Century (Philadelphia: The Jewish Publication Society, 1962). Wiese, Christian, Wissenschaft des Judentums und protestantische Theologie im Wilhelminischen Deutschland. Ein „Schrei ins Leere“? (Tübingen: Mohr Siebeck, 1999).

Autorinnen und Autoren

Asher D. Biemann ist Associate Professor of Modern Jewish Thought and Intellectual History an der University of Virginia. Nach seinem Studium an der Karl-Franzens-Universität in Graz, der Universität Wien und der Hebräischen Universität in Jerusalem lehrte er u. a. an der Washington and Lee University und an der Harvard University sowie als Gastprofessor an der Goethe-Universität Frankfurt am Main und den Universitäten Graz und Wien. Zahlreiche Publikationen, u. a. David Aronson: Paintings, Drawings, Sculpture (2004); Inventing New Beginnings: On the Idea of Renaissance in Modern Judaism (2009); Dreaming of Michelangelo: Jewish Variations on a Modern Theme (2012) sowie – als Herausgeber – The Martin Buber Reader (2001); Martin Buber, Sprachphilosophische Schriften (Martin-Buber-Werkausgabe, Band 6, 2003). Andreas Brämer ist stellvertretender Direktor des Instituts für die Geschichte der deutschen Juden in Hamburg und Privatdozent an der Universität Hamburg. Zahlreiche Publikationen, u. a. Rabbiner und Vorstand. Zur Geschichte der jüdischen Gemeinde in Deutschland und Österreich 1809–1871 (1999); Rabbiner Zacharias Frankel. Wissenschaft des Judentums und konservative Reform im 19. Jahrhundert (2000); Judentum und religiöse Reform. Der Hamburger Tempel 1817–1938 (2000); Leistung und Gegenleistung. Jüdische Religions- und Elementarlehrer in Preußen 1823/24 bis 1872 (2006); Joseph Carlebach (2007) sowie – als Mitherausgeber – Das Jüdische Hamburg (2006). Thomas Brechenmacher ist Professor für Neuere Geschichte mit Schwerpunkt deutsch-jüdische Geschichte an der Universität Potsdam. Zahlreiche Publikationen, u.a. Der Vatikan und die Juden. Geschichte einer unheiligen Beziehung vom 16. Jahrhundert bis zur Gegenwart (2005); Deutschland, jüdisch Heimatland. Die Geschichte der deutschen Juden vom Kaiserreich bis heute (mit Michael Wolffsohn, 2008) sowie – als Herausgeber – Identität und Erinnerung. Schlüsselthemen deutsch-

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Autorinnen und Autoren

jüdischer Geschichte und Gegenwart (2009); Die Kirchen und die Verbrechen im nationalsozialistischen Staat (2011). Adam S. Ferziger ist Senior Lecturer und stellvertretender Vorsitzender des Graduate Program in Contemporary Jewry an der Bar Ilan University, Ramat-Gan. Er war Gastprofessor an der University of Shandong im chinesischen Jinan (2005) und an der University of Sydney (2012). 2013 wird er als Gastprofessor an der University of Oxford lehren und ein Forschungsseminar zur Orthodoxie leiten. Zahlreiche Publikationen, u. a. Exclusion and Hierarchy: Orthodoxy, Nonobservance and the Emergence of Modern Jewish Identity (2005); Jewish Denominations – Addressing the Challenges of Modernity (2012) sowie – als Mitherausgeber – Orthodox Judaism – New Perspectives (2006). David J. Fine ist Rabbiner am Temple Israel and Jewish Community Center in Ridgewood, New Jersey, und lehrt Jüdisches Recht am Abraham Geiger Kolleg an der Universität Potsdam. Seine Ordination als Rabbiner erhielt er 1999 vom Jewish Theological Seminary of America, New York. 2010 promovierte er an der City University of New York. 2012 erschien sein Buch Jewish Integration in the German Army in the First World War. Judith Frishman ist Professorin für Jüdische Studien an der Universität Leiden. Zuvor war sie Professorin für Geschichte und Kultur des rabbinischen Judentums an der Fakultät für Katholische Theologie der Universität Tilburg. Von 1995 bis 2005 hatte sie zudem den Lehrstuhl für die Geschichte jüdisch-christlicher Beziehungen an der Theologischen Fakultät der Universität Leiden inne. Zahlreiche Publikationen, u. a. The Ways and Means of the Divine Economy: An Edition, Translation and Study of Six Biblical Homilies by Narsai (1992) sowie – als Herausgeberin – Expectation and Confirmation: Two Hundred Years of Jewish Emancipation in the Netherlands (1996); The Book of Genesis in Jewish and Oriental Christian Interpretation (1997); Religious Identity and the Problem of Historical Foundation (2004); Dutch Jewry in a Cultural Maelstrom, 1880–1940 (mit Hetty Berg, 2007); Borders and Boundaries in and around Dutch Jewish History (2011). Andreas Gotzmann hat seit 1999 als Gründungsprofessor den Lehrstuhl für Judaistik und Religionswissenschaft an der Universität Erfurt inne. 2010 wurde er mit dem Arnsberg-Preis für Jüdische Geschichte ausgezeichnet. Zahlreiche Publikationen, u. a. Jüdisches Recht im kulturellen Prozeß. Die Wahrnehmung der Halacha im Deutschland des

Autorinnen und Autoren

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19. Jahrhunderts (1997); Eigenheit und Einheit. Modernisierungsdiskurse des deutschen Judentums der Emanzipationszeit (2002); Jüdische Autonomie in der Frühen Neuzeit. Recht und Gemeinschaft im deutschen Judentum (2008) sowie – als Herausgeber – Kehilat Friedberg (2 Bde., 2002); Juden – Bürger – Deutsche. Zu Vielfalt und Grenzen in Deutschland (mit Rainer Liedtke und Till van Rahden, 2001); Modern Judaism and Historical Consciousness: Identities – Encounters – Perspectives (mit Christian Wiese, 2007); Germans – Jews – Czechs. The Case of the Czech Lands (2005); Juden im Recht. Neue Zugänge zur Rechtsgeschichte der Juden im Alten Reich (mit Stephan Wendehorst, 2007); Jews in a MultiEthnic Network (mit Michael Brenner und Yfaat Weiss, 2007); Kaiser und Reich in der jüdischen Lokalgeschichte (mit Stephan Ehrenpreis und Stephan Wendehorst, 2012). Karl E. Grözinger ist Professor emeritus für Religionswissenschaft und Jüdische Studien an der Universität Potsdam. Von 1994 bis 2007 war er Direktor des Instituts für Religionswissenschaft und mehrfach Direktor des dortigen Kollegiums Jüdische Studien. Von 1985 bis 1994 lehrte er als Professor für Judaistik in Frankfurt am Main, von 1989 bis 1991 als Gründungsordinarius für Judaistik im schwedischen Lund. Gastprofessuren und Forschungsaufenthalte führten ihn an das Institute for Advanced Studies in Jerusalem sowie nach Chicago und Krakau. Zahlreiche Publikationen, u.a. Musik und Gesang in der Theologie der frühen jüdischen Literatur (1982); Kafka und die Kabbala (1992/1994, erweitert 2003); Die Geschichten vom Ba’al Schem Tov (Hebräisch, Jiddisch, Deutsch, 1997); Jüdisches Denken. Theologie, Philosophie und Mystik, Bd. I: Vom Gott Abrahams zum Gott des Aristoteles (2004); Jüdisches Denken. Theologie, Philosophie und Mystik, Bd. II: Von der mittelalterlichen Kabbala zum Hasidismus, (2005); Jüdisches Denken. Theologie, Philosophie und Mystik, Bd. III: Von der Religionskritik der Renaissance zu Orthodoxie und Reform im 19. Jahrhundert (2009); Der Ba‘al Schem von Michelstadt. Ein deutsch-jüdisches Heiligenleben zwischen Legende und Wirklichkeit (2010). Dirk Hartwig studierte Judaistik, Arabistik und Iranistik in Berlin, Jerusalem, Kairo und New York und bearbeitet derzeit als Wissenschaftlicher Mitarbeiter ein von der DFG gefördertes Projekt an der Freien Universität Berlin mit dem Titel „Die Wissenschaft des Judentums und die Anfänge der kritischen Koran- und Frühislamforschung. Ein Beitrag zur deutsch-jüdischen Wissenschaftsgeschichte“. Am Skirball Department of Hebrew and Judaic Studies, New York University, promoviert er zum Thema „Maimonides’ ‘Passionate Love of God’ and the

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Autorinnen und Autoren

Emergence of Jewish Sufism“. Er ist Mitherausgeber des Sammelbandes „Im vollen Licht der Geschichte“. Die Wissenschaft des Judentums und die Anfänge der kritischen Koranforschung (mit Walter Homolka, Michael J. Marx und Angelika Neuwirth, 2008). Klaus Herrmann ist akademischer Rat am Institut für Judaistik an der Freien Universität Berlin. Zuvor war er Forschungsassistent im Rahmen des Projektes zur systematischen Erforschung der frühen jüdischen Mystik (Hekhalot-Literatur) an den Universitäten Köln und Berlin sowie 1993/1994 Humboldt-Stipendiat an der Hebräischen Universität in Jerusalem. Zahlreiche Publikationen, u. a. Massekhet Hekhalot. Traktat von den himmlischen Palästen (1994); Sefer Jezira – Buch von der Schöpfung (2008) sowie – als Mitherausgeber – Übersetzung der HekhalotLiteratur (1995) und Studies in Jewish Manuscripts (1998). Susannah Heschel ist Eli Black Professor of Jewish Studies am Dartmouth College in Hanover, N.H. Sie hatte zahlreiche Gastprofessuren inne, u. a. an der Princeton University, der University of Cape Town, der Goethe-Universität Frankfurt am Main und am Wissenschaftskolleg in Berlin. 2005 und 2008 lehrte sie an der University of Edinburgh. Von 1999 bis 2008 war sie Mitglied des Academic Advisory Committee of the Research Center of the U. S. Holocaust Memorial Museum in Washington, D. C. Zahlreiche Publikationen, u. a. Abraham Geiger and the Jewish Jesus (1998, National Jewish Book Award); The Aryan Jesus: Christian Theologians and the Bible in Nazi Germany (2008) sowie – als Herausgeberin – Insider/Outsider: American Jews and Multiculturalism (mit David Biale und Michael Galchinsky, 1998); Betrayal: German Churches and the Holocaust (mit Robert P. Ericksen, 1999) und Moral Grandeur and Spiritual Audacity: Essays of Abraham Joshua Heschel (2001). Walter Homolka ist Rabbiner und Rektor des Abraham Geiger Kollegs an der Universität Potsdam zur Ausbildung von Rabbinern und Kantoren. Der frühere Landesrabbiner des Landesverbandes der Israelitischen Kultusgemeinden von Niedersachsen lehrt als Honorarprofessor Jüdisches Recht und Religionsphilosophie der Neuzeit. Er ist Leiter des Ernst Ludwig Ehrlich Studienwerks, Mitglied des Vorstands des Jüdischen Versorgungswerks, Chairman der Leo Baeck Foundation und Vice President der European Union for Progressive Judaism. Zahlreiche Publikationen, u. a. Jüdische Identität in der modernen Welt. Leo Baeck und der deutsche Protestantismus (1994); Das Jüdische Eherecht (2009); How to Do Good and Avoid Evil – A Global Ethic from the Sources

Autorinnen und Autoren

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of Judaism (mit Hans Küng, 2009); Jesus von Nazareth im Spiegel jüdischer Forschung (2009, 2. Aufl. 2010) sowie – als Herausgeber – Not by Birth Alone: Conversion to Judaism (1997); Das Judentum hat viele Gesichter. Die religiösen Strömungen der Gegenwart (mit Gilbert S. Rosenthal, 1999); Leo Baeck: Philosophical and Rabbinical Approaches (2007); Ernst Ludwig Ehrlich, Von Hiob zu Horkheimer. Gesammelte Schriften zum Judentum und seiner Umwelt (2009). Walter Jacob ist Präsident des Abraham Geiger Kollegs an der Universität Potsdam, Senior Scholar der Rodef Shalom Congregation in Pittsburgh, Pennsylvania, und Vorsitzender des Freehof Institute of Progressive Halakhah sowie der Associated American Jewish Museums. Zahlreiche Publikationen, u. a. Christianity through Jewish Eyes (1974); Contemporary American Reform Responsa (1987); Benno Jacob – Kämpfer und Gelehrter (2011) sowie – als Herausgeber – American Reform Responsa (1983); Liberal Judaism and Halakhah (1988); The Second Book of the Bible: Exodus Interpreted by Benno Jacob (1992); Crime and Punishment in Jewish Law (mit Moshe Zemer, 1999); Die Exegese hat das erste Wort. Beiträge zu Leben und Werk Benno Jacobs (mit Almuth Jürgensen; 2002); The Environment in Jewish Law (mit Moshe Zemer, 2003); Pursuing Peace Across the Alleghenies (2005); Hesed and Tzedakah – From Bible to Modernity (mit Walter Homolka, 2006); Only in America – The Open Society and Jewish Law (mit Moshe Zemer, 2009); War and Terrorism in Jewish Law (2010); Medical Frontiers in Jewish Law: Essays and Responsa (2012). George Y. Kohler ist Lecturer für jüdische Geistesgeschichte und Philosophie an der Bar Ilan University, Ramat Gan. 2010/2011 war er Minerva-Fellow an der Goethe-Universität Frankfurt am Main und 2011/2012 Mitarbeiter eines von der Thyssen-Stiftung geförderten Forschungsprojekts an der Ben Gurion University of the Negev in Beer Sheva. 2012 erschien sein Buch Reading Maimonides in 19th Century Germany – A Guide to Religious Reform. Ken Koltun-Fromm ist Professor of Religion am Haverford College, wo er seit 1997 lehrt. Zahlreiche Publikationen, u. a. Moses Hess and Modern Jewish Identity (2001); Abraham Geiger’s Liberal Judaism: Personal Meaning and Religious Authority (2006); Material Culture and Jewish Thought in America (2010). Michael A. Meyer ist Adolph S. Ochs Professor of Jewish History Emeritus am Hebrew Union College-Jewish Institute of Religion in Cincin-

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Autorinnen und Autoren

nati und Internationaler Präsident des Leo Baeck Institute. Von 2000 bis 2008 war er Gastprofessor an der Hebräischen Universität in Jerusalem, 2001 am Aby Warburg Haus in Hamburg. Er wurde dreimal mit dem National Jewish Book Award ausgezeichnet. Zahlreiche Publikationen, u. a. Jüdische Identität in der Moderne (1992); The Origins of the Modern Jew: Jewish Identity and European Culture in Germany, 1749–1824 (1967, dt. 1994); Response to Modernity: A History of the Reform Movement in Judaism (1988, dt. 2000); Judaism within Modernity: Essays on Jewish History and Religion (2001) – sowie als Herausgeber – Ideas of Jewish History (1974); Deutsch-jüdische Geschichte in der Neuzeit (4 Bde., 1996–1997); Leo Baeck, Werke, Bd. 6: Briefe, Reden, Aufsätze (2004); Joachim Prinz, Rebellious Rabbi: An Autobiography (2007). Marc Saperstein lehrt seit 2011 als Professor für Jüdische Geschichte und Homiletik am Leo Baeck College, das er fünf Jahre lang als Direktor geleitet hat, sowie als Professor für Jüdische Studien am Kings College London. Vorher hatte er bedeutende Positionen in den USA inne – zunächst an der Harvard Divinity School (1977–1986), als Gloria M. Goldstein Professor of Jewish History and Thought an der Washington University in St. Louis (1986–1997) sowie als Charles E. Smith Professor of Jewish History an der George Washington University in Washington D. C. (1997–2006). Zahlreiche Publikationen, u.a. Decoding the Rabbis: A Thirteenth-Century Commentary on the Aggadah (1980); Jewish Preaching 1200–1800 (1989); Moments of Crisis in Jewish-Christian Relations (1989); “Your Voice Like a Ram’s Horn”: Themes and Texts in Traditional Jewish Preaching (1996); Exile in Amsterdam: Saul Levi Morteira’s Sermons to a Congregation of “New Jews” (2005); Jewish Preaching in Times of War 1800–2001 (2008) sowie – als Herausgeber – Essential Papers on Messianic Movements and Personalities in Jewish History (1992); Harold I. Saperstein, Witness from the Pulpit: Topical Sermons, 1933–1980 (2000). Christoph Schulte ist Professor für Philosophie und Jüdische Studien an der Universität Potsdam und geschäftsführender Direktor des dortigen Instituts für Jüdische Studien. Gastprofessuren und Forschungsstipendien führten ihn nach Jerusalem (1988–1991), Montreal (1991), Paris (EHESS 1992), Chicago (1995), Aix-en-Provence (1997/1998), Paris (EPHE 2003) und Philadelphia (Katz Center for Advanced Judaic Studies an der University of Pennsylvania, 2009/2010). Zahlreiche Publikationen, u. a. Radikal böse. Die Karriere des Bösen von Kant bis Nietzsche (1988, 1991); Psychopathologie des Fin de siècle. Der Kul-

Autorinnen und Autoren

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turkritiker, Arzt und Zionist Max Nordau (1997); Die jüdische Aufklärung. Philosophie Religion Geschichte (2002; ausgezeichnet mit dem Gleim-Literaturpreis 2003) sowie – als Herausgeber – Um Kopf und Krieg (1987); Deutschtum und Judentum (1993); Kabbala und Romantik (1994); Kabbala und die Literatur der Romantik. Zwischen Magie und Trope (mit Eveline Goodman-Thau und Gert Mattenklott, 1999); Hebräische Poesie und jüdischer Volksgeist. Die Wirkungsgeschichte von Johann Gottfried Herder im Judentum Mittel- und Osteuropas (2003); Leibniz und das Judentum (mit Daniel Cook und Hartmut Rudolph, 2008); Moses Mendelssohn. Ausgewählte Werke. Studienausgabe, 2 Bde. (2009); Isaac Euchel. Der Kulturrevolutionär der jüdischen Aufklärung (mit Marion Aptroot und Andreas Kennecke, 2010). Er ist seit 2004 Mitherausgeber der Mendelssohn-Studien. Christian Wiese ist Martin-Buber-Professor für Jüdische Religionsphilosophie an der Goethe-Universität Frankfurt am Main. Von 2006 bis 2010 war er Direktor des Centre for German-Jewish Studies und Professor für jüdische Geschichte an der University of Sussex, davor Gastprofessor an der McGill University Montreal, am Dartmouth College und am Trinity College, Dublin. Zahlreiche Publikationen, u. a. Challenging Colonial Discourse: Jewish Studies and Protestant Theology in Wilhelmine Germany (2005); The Life and Thought of Hans Jonas: Jewish Dimensions (2007) sowie – als Herausgeber – Hans Jonas, Erinnerungen (2003); Janusfiguren: „Jüdische Heimstätte”, Exil und Nation im deutschen Zionismus (mit Andrea Schatz, 2006); Redefining Judaism in an Age of Emancipation: Comparative Perspectives on Samuel Holdheim (1806–1860) (2007); Modern Judaism and Historical Consciousness: Identities – Encounters – Perspectives (mit Andreas Gotzmann, 2007); Judaism and the Phenomenon of Life: The Legacy of Hans Jonas: Historical and Philosophical Studies (mit Hava Tirosh-Samuelson, 2008); Years of Persecution, Years of Extermination: Saul Friedländer and the Future of Holocaust Studies (mit Paul Betts, 2010); GermanJewish Thought Between Religion and Politics: Festschrift in Honor of Paul Mendes-Flohr on the Occasion of his Seventieth Birthday (mit Martina Urban, 2012). Carsten L. Wilke ist seit 2009 Professor für jüdische Geistes- und Kulturgeschichte an der Central European University in Budapest. Zuvor war er wissenschaftlicher Mitarbeiter am Salomon Ludwig SteinheimInstitut für deutsch-jüdische Geschichte in Duisburg und hatte Gastdozenturen an der Hochschule für Jüdische Studien Heidelberg, der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf und der Freien Universität

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Autorinnen und Autoren

Brüssel inne. Zahlreiche Publikationen, u. a. Jüdisch-christliches Doppelleben im Barock (1994); Den Talmud und den Kant: Rabbinerausbildung an der Schwelle zur Moderne (2003); Histoire des juifs portugais (2007); Bearbeiter des ersten Teils des Biographischen Handbuchs der Rabbiner (2 Bde., 2004) und Herausgeber der Sittenlehre des Judenthums von Elias Grünebaum (2010).

Personenregister

A

B

Abdalqadir, Ali Hasan 334 Abravanel 28546 Achad Ha’am (Ascher Ginsberg) xxix Adler, Felix 200, 209–212 Adler, Liebmann 64, 109123 , 22142 Adler, Samuel 193, 199ff., 208f., 22142 , 225, 243, 26546 Ahlstrom, Sydney 190 Al-Kumisi, Daniel ben Moses 28029 Al-Sibai, Mustafa 334 Al Tantawi, Mohammed 333 Albertus Magnus 282 Alharizi, Judah 291 Amnon, Friedrich Wilhelm von 322 Aptowitzer, Victor 330 Arendt, Hannah 408 Arnold, Theodor 300 Asarja de Rossi 19, 28, 127 Ascher, Saul xvi, 20f., 26854 Aub, Joseph 108, 12011 , 154, 164, 188, 37553 Auerbach, Berthold 8559 , 1176 Auerbach, Isaac Levin xvii Auerbach, Isaak 164 Auerbach, Jakob 591 , 6921 , 9278 , 9992 , 1165 Averroes (Ibn Rushd) 329

Bacher, Wilhelm 333 Baeck, Leo 285, 393 Baneth, Eduard 333 Baron, Salo W. xxxiv54 , 398ff. Barth, Jacob 304 Bauer, Bruno 216f., 352f., 355 Baur, Ferdinand Christian 336, 339 Becker, Carl Heinrich 334 Beer, Adler 623 Beer, Bernhard 1152 , 12521 , 25929 Beer, Jacob Herz 149, 347 Beer, Peter 251, 25929 Bendavid, Lazarus xvi, xvii Benet, Stephen Vincent 55 Benjamin, Walter 408 Bernays, Isaak 118, 163–168 Bernfeld, Simon 392 Bialik, Chaim N. xxix, 415 Bing, Abraham 659 Birnbaum, Nathan xxviii Bobzin, Hartmut 297 Börne, Ludwig 347 Boysen, Friedrich Eberhard 301 Brann, Markus xxxiiif., 107116 , 25827 Bresselau, Meyer Israel 14737 Breuer, Mordechai 184, 369 Brown, Bill 53 Buber, Martin 156, 394, 396, 403 Bukofzer, J. 25723

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Personenregister

C Carmoly, Eliakim 257, 285 Chorin, Aaron 164 Chronik, Isaac 20025 Chwolson, Daniel 333 Cohen, Hermann 26752 , 27063 , 337 Creizenach, Michael 134 Creizenach, Theodor 216 Crone, Patricia 335 D D’Alembert, Jean Baptiste le Rond 300 Dante Alighieri 282f., 291 Da Costa, Uriel 19, 28, 287 Darwin, Charles 195 David ben Zakkai 279 De Sacy, Antoine Silvestre 301, 30634 , 313, 329f., 332f. Delitzsch, Friedrich 302 Delmedigo, Eljahu 17 Delmedigo, Josef Schlomo 17f., 28, 220, 288f. Dérenbourg, Hartwig 329 Dérenbourg, Joseph 3, 5, 8, 14, 43, 6922 , 1153 , 255, 322, 329f., 36415 Deutsch, James S. 20025 Diderot, Denis 300 Dilthey, Wilhelm 397, 403 Dinur, Benzion 426 Donolo, Sabbato 281 Dozy, Reinhard 330 Dubnow, Simon 394 Dukes, Leopold 285 Du Ryer, André 299 E Efron, John M. 308, 315f. Eger, Akiwa 8560 Ehrenberg, Samuel Meyer 137 Ehrenberg, Philip 12010

Eichmann, Adolf 408 Einhorn, David xl, 180f., 189, 195, 198, 200f., 208f., 212–222, 223ff., 227–238, 240–245, 35760 Eisler, Moritz 26854 Elbogen, Ismar xxvff., xxxiiif., xli, 107 Ellenson, David 177, 184, 197 Ephodi, s. Profiat Duran Ettlinger, Jakob 16719 , 377 Euchel, Isaac Abraham 249, 369 Ewald, Heinrich Georg August 302, 330 F Falk, Johannes Daniel 141 Fassel, Benjamin Hirsch 108 Felsenthal, Bernhard 109123 , 199, 20025 , 201, 22142 , 225, 228, 243 Feuerbach, Ludwig 20025 , 35243 , 354 Fichte, Johann Gottlieb 35, 361 Fink, Alice 158 Fink, Anna 158 Finkelstein, Louis 196 Fishman, Talya 288 Fleischer, Ezra 291 Fleischer, Heinrich Leberecht 301f., 330, 332f. Flügel, Gustav Leberecht 301 Formstecher, Salomon 12315 Foucault, Michel 389 Fraenckel, Jonas 10, 127f., 377, 379, 382 Fränkel, Seckel Isaac 14737 Frankel, Zacharias xxxii, xxxiv, 10, 99, 110, 113–120, 121–131, 164–168, 173f., 176f., 181, 323, 378, 382ff., 396, 414 Frankfurter, Naphtali 164 Frensdorff, Salomon 9379 , 125f., 255, 329 Freudenthal, Gad 284

Personenregister

Freudenthal, Max xxxiii Freund, Wilhelm 105, 117 Freytag, Georg Friedrich Wilhelm 301f., 305, 329f., 332 Friedländer, David xvii, 106 Friedländer, Joseph 164 Friedländer, Michael 25723 Friedrich Wilhelm III 145 Friedrich Wilhelm IV 14432 Fries, Jakob Friedrich 365 Fürst, Julius 286, 36415 , 390 G Gadamer, Hans-Georg 402 Gans, Eduard xvii, 398 Gastfreund, Isaac 330 Geiger, Emilie, s. Oppenheim, Emilie Geiger, Ludwig xli, 3, 13, 392 , 40f., 44, 135, 139f., 14428 , 151, 154, 156, 200, 307 Geiger, Salomon 40, 9173 , 183 George, Stefan 403 Gersonides (Levi ben Gerson) 255 Gesenius, Wilhelm 323 Goethe, Johann Wolfgang von 300 Goldmann, Karla 239 Goldziher, Ignaz 302, 304, 308, 330, 333–337 Gosen, Moses 65 Gotzmann, Andreas 216 Graetz, Heinrich xii, xxviii, xxxiif., xxxvii, 106f., 124f., 196, 256, 258ff., 265, 273, 279, 393, 395, 400ff., 413f. Graetz, Michael 392 Graser, Johann Baptist 368, 36928 Grün(e)baum, Elias 14, 7126 , 7230 , 7435 , 9379 , 255 Gundolf, Friedrich 403 Gutheim, James K. 20025

455

Gutmann, Moses 164 Guttmacher, Elias 8560 Guttmann, Julius 295 H HaLevi, Jehuda xli, 250, 255, 259ff., 264, 273, 280, 291, 295 Hammer-Purgstall, Joseph von 333 Harvey, Warren 284 Heine, Heinrich xvii, 347 Hegel, Georg Wilhelm Friedrich 21, 35, 258, 264, 348, 34930 , 384, 389, 392, 397f., 400 Herder, Johann Gottfried 2, 21, 35, 384, 389 Herrmann, Klaus 309 Herxheimer, Salomon 148 Herz, Henriette 149 Herz, Max 333 Herzfeld, Levi 12315 Heschel, Susannah xii, xxxviiif., 41, 275, 308, 315, 341f., 347, 395 Hess, Moses 34, 393 Hildesheimer, Esriel 8560 , 168, 1823 ,184, 189 Hilgenfeld, Adolf 323 Hinckelmann, Abraham 307 Hirsch, Emil G. 181, 200, 202, 208 Hirsch, Samson Raphael xxxiv54 , 6, 34, 91, 182ff., 187ff., 191, 251, 254, 260, 329, 393 Hirsch, Samuel xli, 200, 208, 224f., 241, 243, 341f., 350–360 Hirschfeld, Hartwig 304, 330 Hobbes, Thomas 20 Hochheimer, Henry 197 Holdheim, Samuel xxxiv, xxxv54 , 8, 51, 92, 106, 117, 120f., 139f., 15146 , 153, 155, 164, 179ff., 189, 194, 19818 , 213f., 216, 219, 222, 224f., 236, 240, 242, 267, 35760 , 364

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Personenregister

Holtzmann, Heinrich Julius 27371 Honigmann, David 12213 Horovitz, Josef 304, 330, 333 Horowitz, Markus 184, 188 Hull, Isabel V. 45 Humboldt, Wilhelm von 361, 373, 388 Husik, Isaac 295 I Ibn Adret, Salomo ben Abraham 283 Ibn Ezra, Abraham 280 Ibn Gabirol, Salomo xli, 220, 260, 280, 292, 295 Ibn Nagrela, Samuel 280 Ibn Pakuda, Bachya 280 Ibn Shaprut, Hasdai 280 Ibn Tibbon, Samuel 249 Immanuel Schlomo ha-Romi 282, 291f. Isaak (ben Abraham) Troki 293 Isler, Meyer 376 Israel ben Abraham 249 J Jacob ben David 28546 Jacobson, Israel 106, 137, 141, 149, 171, 347 Japhet, Saemy 182f. Jastrow, Marcus 197 Jastrow, Morris 333 Joël, Manuel 129, 344 Johannes von Damaskus 298 Johlson, Josef 134 Jolowicz, Heymann 103106 , 25620 Jost, Isaak Markus xvii, 12011 , 12315 , 134, 251, 256f., 399f. Judah He-Hasid 281

K Kaatz, Saul xxxff. Kahle, Paul 328 Kant, Immanuel 6, 22, 249, 28, 264, 35247 Kaplan, Judith 157 Kaplan, Mordecai Menachem 38, 54ff., 157 Kara, Joseph 290 Karo, Joseph 171 Katsch, Abraham 330 Katz, Jacob 186, 391 Kautzsch, Emil 302 Kaye, Ilse 159 Kellermann, Benzion 26854 Ketenensis, Robert 298 Klausner, Joseph 41728 , 423f. Klein, Gottlieb xli, 21220 Kley, Eduard 149, 347 Kohler, Kaufmann xxvii, xl, 109123 , 181, 196, 199, 20025 , 201, 205ff., 221ff., 239, 243, 246, 38069 Kohn, Abraham 164 Koltun-Fromm, Ken xii, xxxviii, 392 Kosegarten, Johann Gottfried Ludwig 301 Kreisel, Howard 284 Kremer, Alfred von 333 Krochmal, Nachman 21, 397 L Lachmann, Karl 322 Lagarde, Paul de 327f., 338 Lammens, Henri 33736 Landau, Wolf 392f. Landsberger, Max 200 Lauterbach, Jacob Z. 196 Lazarus, Moritz 109 Leeser, Isaac 194 Lehmann, Joseph 12830 Lessing, Gotthold Ephraim 195, 288, 347, 403

Personenregister

457

Levi ben Abraham aus Villefranche 283ff., 294 Lewandowski, Louis 141 Lewis, Bernhard 313 Lewy, Israel 110 Liberles, Robert 188 Liebeschütz, Hans xxxvii Lilienthal, Max 20025 , 201 Löw, Immanuel xli, 21220 , 333 Löwengard, Max 164 Löwi, Isaak 364, 368, 375 Löwith, Karl 395 Luther, Martin 299, 396 Luzzatto, Samuel David 364

Miron, Guy 131 Mirsky, Aharon 291 Modena, Leon (Leone da Modena) xli, 19, 28, 285–289, 295 Montesquieu 300 Moser, Moses xvii Moses Narbonni 249 Moses Almosnino 28546 Müller, Friedrich August 302 Muhr, Joseph 1176 Munk, Salomon 255f., 259, 329, 36415 Myers, David N. 391

M

Nachmanides (Moses ben Nachman) 262, 27269 Napoleon Bonaparte 133 Nathan von Rom 281 Nerreter, David 300 Neuwirth, Angelika 313, 317, 340 Nietzsche, Friedrich 403, 421 Nöldeke, Theodor 304, 312, 314, 328, 330 Noll, Chaim 308

Maaß, Martin 269 Maier, Joseph von 139f., 144, 164 Maimon, Salomon xv, 249f. Maimonides (Moses ben Maimon) 141, 155, 249–274, 277, 27810 , 281, 285, 295, 329 Malbim, Meyer Löbusch 8560 Mannheimer, Isaak Noah xxxiv, 7126 , 121, 164, 347 Marchand, Suzanne 339 Margoliouth, David S. 33736 Marraci, Ludovico 299f. Maybaum, Sigmund 14020 Mayer, Lippman 20025 Mayer, Maurice 195 Mecklenburg, Jakob Hirsch 8560 Megerlin, David Friedrich 300 Meister Eckhart 249 Menahem ben Helbo 290 Mendelssohn, Moses 17, 19–31, 34, 206, 221, 229, 250, 337, 347, 35244 , 367, 395, 404 Merzbacher, Leo 198 Meyer, Michael A. xxiii, xxxvii, 190, 267, 275f., 361, 382 Meyerbeer, Giacomo 149 Mielziner, Moses 20025

N

O Oppenheim, Emilie, s. Geiger, Emilie 8ff., 14, 41, 43ff., 53, 85, 211 P Pagis, Dan 291 Pappenheimer, Israel Hirsch 368 Paulus, Heinrich E. G. 322, 365 Perles, Felix xli, 21220 Petrus Venerabilis 331 Petuchowski, Jakob J. xxxvii, xl, xlii, 162, 176, 179ff., 183, 185ff., 189, 191 Philippson, Ludwig 124, 164, 246, 265, 269, 363, 365f., 371, 37345 , 375, 377, 381, 388

458

Personenregister

Philippson, Phöbus 375 Philipson, David xxvii, 200, 208 Plaut, Gunther W. 275 Poznanski, Samuel xli, 21220 Profiat Duran (Isaak ben Moses ha-Levi), s. Ephodi 292, 29372 R Rabbenu Gershom (Gershom ben Jehuda) 278, 281 Rabbi Akiba 346 Ranke, Leopold von 400 Rapoport, Salomo Jehuda 12011 , 12213 Raschi (Salomo ben Isaak) 277, 281, 289 Reckendorf, Hermann (Zvi-Chaim) 312f. Reckendorf, Hermann Salomon 312 Reggio, Isaac Samuel 286f. Reiske, Johann Jacob 301 Renan, Ernest 322, 336f., 340 Ricœur, Paul 397 Rivkin, Ellis 287f. Rodwell, J. M. 312 Rosenzweig, Franz 156, 291, 31773 , 394, 396, 401, 402–405 Rothschild, Willy von 187 Rubaschoff, Salman 419 Rubin, Jacob H. 54 S Saadia Gaon xli, 255, 279f., 290, 329 Sachs, Michael 42, 7126 , 7537 , 120, 12011 , 12112 , 122, 291, 380 Sänger, Jacob Hirsch 159 Sale, George 300 Salle, Samuel 20232 Salomo ben Abraham aus Montpellier 269

Salomo ben Ruben Bonafed aus Saragossa 293 Salomon, Gotthold 7126 , 103106 , 12315 , 164, 173ff., 250f., 25620 , 347 Samuel ben Meir (Rashbam) 290 Samuel Ha-Nagid 280, 292 Saperstein, Marc 423 Sarna, Jonathan 190, 277 Savigny, Friedrich Carl von 114 Schacht, Joseph 33736 Schapiro, Israel 330 Scheftelowitz, Isidor 304 Schelling, Friedrich Wilhelm Joseph 230 Scheyer, Simon B. 253 Schirman, Hayim 291 Schleiermacher, Friedrich 33, 322, 361, 370, 372, 380, 389 Schlesinger, Max 20025 Schnaber-Levison, Mordechai Gumpel 20 Scholem, Gershom xxix, xxxviii, 281, 394f., 397f., 403ff., 407–424 Scholz, Johann M. A. 301 Schorr, Joshua Heschel 28444 Schorsch, Ismar 50, 131, 275f., 295f., 363, 398, 400 Schott, Leopold 377 Schreiber, Emanuel xxvii, 207 Schreiner, Martin xv Schubert, Ferdinand 368 Schwally, Friedrich 314 Schweiger, Salomon 300 Seligmann, Cäsar xxiv Shor, Joseph Bekhor 290 Sidersky, David 330 Sirat, Colette 284 Sonnenschein, Solomon H. 20025 Sorkin, David 250 Speyer, Heinrich 304 Spielberg, Steven 158 Spinoza, Baruch 19f., 28, 249

459

Personenregister

Sprenger, Aloys 304, 309, 331, 333 Stein, Leopold 97, 122f., 164, 187 Steinhardt, Menachem Mendel 8560 Steinheim, Salomon Ludwig 12011 Steinschneider, Moritz xii, xxviii, 282, 41012 , 412ff., 416–419, 421ff. Steinthal, Heymann 109, 211 Stern, Anselm 184 Stern, Moritz Abraham xli, 11, 623 , 7230 , 8664 , 9072 , 9481 , 9686 , 104, 106113 Stern Sigismund 38069 Stickel, Johann Gustav 301 Strack, Hermann L. 328 Strauss, Leo 263, 27270 , 338, 395 Strauss, David Friedrich 4, 322, 336 Sulzer, Salomon 141 Sutro, Abraham 145ff. Swarsensky, Manfred 158 T Tal, Uriel 337 Tastekin, Emel 339 Tepper, Joseph 55f. Theodor Bibliander 298 Thomas von Aquin 249, 282 Thon, Osias xxviiiff., 395f., 400 Tiktin, Abraham 8252 Tiktin, Gedalja 7741 , 83, 100, 102, 107, 108120 , 129, 181, 185f., 214 Tiktin, Salomon Abraham 7024 , 82f.; 8458 , 9995 , 100, 102, 116, 129, 147f., 181, 185f. Trier, Salomon Salman 64f. Twain, Mark 53 Twain, Suzy 53 Twersky, Isadore 29270

U Ullmann, Ludwig (Lion Baruch) 302, 311–314, 318, 329 Umbreit, Friedrich W. C. 322, 365 V Van Ess, Josef 334f. Varnhagen (Levin), Rahel 149 Vogelstein, Hermann 157ff., 21220 W Wagner, Hayum 26546 , 375 Wahl, Samuel Friedrich 301 Wechsler, Bernhard 1328 , 7741 , 8663 , 153, 37553 Weidner, Stefan 297, 318, 333 Weil, Gustav 301, 313–318, 329f., 36415 Weis, Richard 328 Weiß, Adolf 2503 Wellhausen, Julius 196, 327f., 334f. Weiss-Halivni, David 277 Wiener, Max xxxvif., 177, 185, 191 Wiener, Meir 125f. Winter, Ludwig Georg von 374 Wise, Isaac M. xl, 180f., 189f., 194ff., 198f., 20025 , 202, 22654 , 245 Wolf (Wohlwill), Immanuel xviiif., 303 Wormser, Samuel Salomon 73 Y Yerushalmi, Yosef H.

397, 401

460

Personenregister

Z Zedler, Heinrich 300 Zerah ben Nathan aus Troki 288 Zunz, Leopold xii, xviif., xx, xx11 , xxviiif., 11, 37, 48–52, 54, 591 ,

7435 , 7945 , 8458 , 96, 1176 , 119f., 1345 , 1369 , 137f., 169, 171, 187, 206, 255, 285, 303, 353, 363, 379, 38069 , 393, 39729 , 398, 400, 403, 409, 41012 , 413f., 416, 418, 421f.