Abfall im gemeinschaftlichen Umweltrecht: Eine dogmatische Untersuchung ausgewählter Rechtsprobleme [1 ed.] 9783428490004, 9783428090006

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Abfall im gemeinschaftlichen Umweltrecht: Eine dogmatische Untersuchung ausgewählter Rechtsprobleme [1 ed.]
 9783428490004, 9783428090006

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CHRISTIAN ZACKER

Abfall im gemeinschaftlichen Umweltrecht

Schriften zum Umweltrecht Herausgegeben von Prof. Dr. M Ich a e I Klo e p fe r , Berlln

Band 7S

Abfall im gemeinschaftlichen Umweltrecht Eine dogmatische Untersuchung ausgewählter Rechtsprobleme

Von

Christian Zacker

Duncker & Humblot · Berlin

Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme Zacker, Christian: Abfall im gemeinschaftlichen Umweltrecht : eine dogmatische Untersuchung ausgewählter Rechtsprobleme I von Christian Zacker. Berlin : Duncker und Humblot, 1997 (Schriften zum Umweltrecht ; Bd. 75) Zugl.: Berlin, Freie Univ., Diss., 1996 ISBN 3-428-09000-4

Alle Rechte vorbehalten © 1997 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Fotoprint: Berliner Buchdruckerei Union GmbH, Berlin Printed in Germany ISSN 0935-4247 ISBN 3-428-09000-4 Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706

9

Für

Uli und Thomas

Geleitwort Die vorliegende Dissertation fertigte ich im Rahmen meiner Tätigkeit als wissenschaftlicher Mitarbeiter an den Instituten fiir Völkerrecht, Europarecht und ausländisches öffentliches ReCht sowie fiir Innenpolitik und Systemvergleich der Freien Universität Berlin. Die Grundkonzeption entstand noch unter Anleitung meines ursprünglichen, leider viel zu früh verstorbenen Doktorvaters, Herrn Univ.-Prof. Dr. Eberhard Grabitz. Insbesondere seine Fähigkeit, Forschungsergebnisse klar, präzis und effektiv in Wort und Schrift umzusetzen, war und wird mir immer Vorbild sein. Nach seinem Tod übernahm Herr Univ.-Prof. Dr. Philip Kunig die weitere Betreuung meiner Dissertation. Ihm möchte ich nicht nur fiir diese Bereitschaft und fiir zahlreiche kritische, fruchtbare Anmerkungen herzlich danken, sondern auch fiir die schnelle Korrektur und das Vorantreiben des Prüfungsverfahrens am Fachbereich Rechtswissenschaft der Freien Universität Berlin. Dort wurde das Promotionsverfahren im August 1996 abgeschlossen. Weiterer Dank gilt dem Zweitkorrektor, Herrn Univ.-Prof. Dr. Albrecht Randelzhofer, der mir unter anderem während der Vakanz des Lehrstuhles Nf. Grabitz die Benutzung meines ursprünglichen Büros und aller Sachmittel ermöglichte und durch die umgehende Zweitkorrektur nicht unerheblich zu einem schnellen Ende des Prüfungsverfahrens beitrug. Schließlich möchte ich nicht versäumen, vor allem Frau Assessorin Katharina Vierlich-Jürcke, LL.M., und den Herren Assessoren Ulrich Purmann, Dr. Oliver Dörr, LL.M., und Dr. Alexander Schmitt Glaeser, LL.M., fiir tatkräftige Hilfe beim Korrekturlesen und der formalen Umsetzung der Dissertation in das druckfertige Manuskript (im Computer-Zeitalter sollte man die Bedeutung dieses - zwar eher handwerklichen - Beitrages fiir die Wissenschaft nicht unterschätzen) zu danken.

Berlin, im Dezember 1996

Christian Zacker

Inhaltsübersicht Einleitwlg .........................................................................................................

23

A. Die EntwicklWlg der EG-Umweltpolitik ........................................................

27

1. Rückblick.................................................................................................

27

1I. Gegenwart................................................................................................

42

B. Das Abfallrecht als Teil des EG-Umweltrechtes.......... .............. .....................

50

I. Gnmdzüge.................................................................................................

50

1I. Das SekWldärrecht Wld weitere Gemeinschaftsakte .................... .... ..........

56

C. Gemeinsame Strukturprinzipien im EG-Abfallrecht .......................................

92

1. Die Begriffe ,,Regel" Wld ,,Prinzip" ..........................................................

92

1I. Ableitwlg Wld Rang von Rechtsprinzipien ................................................

95

IlI. BindWlgswirkWlg.....................................................................................

104

IV. Prinzipien des EG-Abfallrechtes ..............................................................

106

D. Einzelne rechtliche Probleme der EG-Abfallpolitik .......... ..............................

137

1. Der Abfallbegriff......................................................................................

138

1I. AnwendWlg der Gnmdfreiheiten und weiterer Politikbereiche auf Abtalle

159

IlI. Primärrechtliche Kompetenznormen zum Erlaß von Abfallrecht Wld ver-

bleibende mitgliedstaatliche Kompetenzen zur Rechtsetzung ............ .. .....

202

E. ZusammenfassWlg der wichtigsten Ergebnisse...............................................

269

Literaturverzeichnis. ......................... ..... ...... ................. ............................... .. .....

285

Sachregister.... ......... ............... ... ........... ................. .............. .......... ........... ........ .

302

Inhaltsveneichnis

1.

Einleitung

23

A. Die Entwicklung der EG-Umweltpolitik

27

Rückblick............... .............................................. ............... .......................... l. Die Umwe1tproblematik in den EG-Mitgliedstaaten..... ... ................... ....... 2. Erste umweltpolitische Aktivitäten der EG-Organe ........................ ........... a) im Rahmen des EAG-Vertrages............................................................ b) im Rahmen des EKGS-Vertrages....................................... .................. c) im Rahmen des EWG-Vertrages........................................................... 3. Intensivierungsphase................................................................................. a) Die vier Aktionsprogramme filr den Umweltschutz als Ecksteine einer EG-Umweltpolitik...... ............. .... ...... .... ........ ..... ............. .......... ........ ... b) Weitere flankierende Maßnahmen ....................................................... c) Rechtliche Gnmdlagen......................................................................... 4. Die Umweltpolitik seit Inkrafttreten der EEA............................................

27 27 30 30 31· 31 32

II. Gegenwart ..................................................................................................... 1. Die Verllnderungen durch den Maastrichter Vertrag über die Europäische Union (EU) ........... .... ......................... .............. ................ .............. ...... .... 2. Das ftlnfte Umwelt-Aktionsprogramm....................................................... 3. Weitere aktuelle Entwicklungen................................................................

42

B. Das Abfallrecht als Teil des EG-Umweltrechtes I.

32 34 37 39

42 44 46

50

Gnmdzüge .. ... ................ ....... .......... ... .... ............... ........... ... .......................... l. Die Berücksichtigung in den ersten vier Aktionsprogrammen.................... 2. Die Weiterentwicklung in den '90er Jahren............................................... 3. Vorliegen einer einheitlichen Konzeption? ................................................

50 50 52 54

II. Das Sekundärrecht und weitere Gemeinschaftsakte ......................... ........... .... 1. Stationäre Regelungen.............................................................................. a) Allgemeine Abfallrege1ungen...............................................................

56 56 56

12

Inhaltsverzeichnis aa) Die Ralunen-RL 75/442/EWG vom 15. Juli 1975 über Abfälle Wld ihre wichtigsten Änderungen........................................................ bb) Beschluß der Kommission 76/431/EWG über den Ausschuß ftlr Abfallwirtschaft........................................................................... ce) EntschließWlg zu Abfallwirtschaft Wld Altlasten..................... ...... dd) ForschWlgsabkommen ................................................................. ee) VerbrennWlgsanlagen ftlr Sied1Wlgsmüll...................................... tl) Sondervorschriften ftlr das Gebiet der ehemaligen DDR............... gg) Rats-EntschließWlg über die Abfallpolitik vom 7. Mai 1990......... hh) Zivilrechtliche HaftWlg ftlr durch Abfälle verursachte Schäden.... ii) Abfalldeponien............................................................................. jj) WeiterentwicklWlg der gemeinschaftlichen Abfallstrategie (1994) b) Sonderabfälle. ...... ................. ........ .... ... .............................. .................. aa) Die Altö1-RL 75/439/EWG vom 16. Juni 1975............................. bb) Die PCBIPCT-RL 76/403/EWG................................................... cc) AbOOle aus der Titandioxidproduktion ......................................... dd) Altpapier..................................................................................... ee) VerpackWlgen flüssiger Lebensmittel........................................... tl) Klärschlamm-RL.......................................................................... gg) EP-EntschließWlg zu einer Politik ftlr kommWlale KWlststoffabfälle............................................................................................. hh) Tierische Abfälle................................................................ ......... ii) Deponien ftlr gefährliche Abfälle........................ .......................... jj) Gefährliche Stoffe in Batterien Wld Akkumulatoren...................... kk) RL des Rates über gefährliche Abfälle ......................................... 11) VerbrennWlg gefährlicher Abfälle ................................................ mm) VerpackWlgen Wld VerpackWlgsabOOle ....................................... c) Atomare Abfälle................................................................................... aa) Festlegoog der Grundnonnen ftlr den GeSWldheitsschutz.............. bb) Umweltschutz-Programm ftlr die BewirtschaftWlg Wld Lagerung radioaktiver AbOOle............... ...... ................................................ cc) Euratom-SicherWlgsmaßnalunen................................................... dd) Beschluß Wld EntschließWlgen des Rates vom 18. Februar 1980.. ee) Kommissions-EmpfehlWlg 82/74/Euratom.................................... tl) EmpfehlWlg zur AnwendWlg des Art. 37 EAGV........................... gg) ForschWlgs- Wld EntwicklWlgsprogramme zur EntsorgWlg radioaktiver Abfälle............................................................................. ii) EntschließWlg zum Atommüll Wld zur Umweltverschmutzung auf See ..............................................................................................

56 59 59 60 60 61 62 62 63 64 65 65 66 66 67 68 68 69 69 70 70 70 71 72 74 74 75 75 76 78 78 80 81

Inhaltsverzeichnis

13

2. Das Recht des Transportes......................................................................... a) Regelungen zu den allgemeinen und den Sonderabtallen ....................... aa) Abfallverbringung ins Meer .......................................................... bb) Rats-Entschließung vom 21. Dezember 1988 ................................ ce) Basler Konvention vom 22. März 1989.......................................... dd) Regelungen im Vierten AKP-EWG-Abkommen............................ ee) Abfallverbringungs-VO (EWG) Nr. 259/93................................... ft) Kommissions-Vorschlag zum Export grüner Abfälle...... .... ............ b) Atomare Abtalle ..................................................... ............ .. ...... ........ .. aa) Wiener Übereinkommen über den Objektschutz von Kernmaterial bb) Untersuchungsausschuß zur Behandlung und zum Transport von Nuklearmaterial............................................................................ cc) Beförderung von Nuklearabtallen mit Fährschiffen........................ dd) RL 92/3/Euratom zur Verbringung radioaktiver Abfälle.... ............ ee) EP-Entschließung vom 16. Juli 1993............................ ................. ft) EP-Entschließung vom 27. März 1996...........................................

81 81 82 82 82 85 85 87 88 88

C. Gemeinsame Strukturprinzipien im EG-Abfallrecht

92

88 89 89 91 91

I.

Die Begriffe ,,Regel" und ,,Prinzip" ................................................................

92

n.

Ableitung und Rang von Rechtsprinzipien....................................................... I. Ableitung...................... ............................................................................. a) Der EuGH als Auslegungsorgan ...... .............. ................ ........................ b) Quellen ft1r die Auslegung.................................................................. .. aa) Allgemeine Rechtsgrundsätze, die den Rechtsordnungen der MS gemeinsam sind............................................................................ bb) EG-Vertragsrecht.......................................................................... cc) EG-Sekundärrecht ............... .................. ........ ................................ dd) Internationale Verträge ................................................................. ee) Soft law........................................................................................ 2. Rang ..........................................................................................................

95 96 96 97 98 99 100 100 100 102

III. Bindungswirkung ............................................................................................ 104 IV. Prinzipien des EG-Abfallrechtes ..................................................................... 1. Ausdrücklich in den Verträgen formulierte Prinzipien................................ a) Vorsorgeprinzip .............................................................. ...................... b) Vorbeugeprinzip.................................................................................... c) Prinzip der Bekämpfung von Umweltbeeinträchtigungen mit Vorrang an an ihrem Ursprung (oder auch Quellenprinzip), Art. 130 r Abs. 2 Uabs.l

106 107 107 108

14

Inhaltsverzeichnis S. 2 EGV .................................................................................................. 110 d) Verursacherprinzip.... ....... .................... ......................................... ........... 114 e) Subsidiaritätsprinzip mit den Unterfllllen des Prinzips der Entsorgungsautarkie und des Prinzips der nationalen Planerstellung.......... ... .... f) Grundsatz des nachhaltigen Wachstums ......... ...... ....... ...... .... ........... ........ 2. Durch Auslegung und Rechtsfortbildung gefundene Prinzipien ................... a) Prinzip der Kontrolle und Überwachung gefährlicher Tätigkeiten........... b) Prinzip der Unterrichtung..... ........... ...... ...... ....... ......................... .......... ... c) Prinzip der Berichtspflicht der Kommission ............................................ d) Prinzip der offenen Grenzen rur die Abfallverbringung innerhalb des

117 121 124 124 126 129

Gemeinschaftsgebietes? ... ...... ..... ........ ......................... ............. ............ .... 130

I.

e) Prinzip der Verfolgung des bestmöglichen Umweltschutzes?.................

133

D. Einzelne rechtliche Probleme der EG-Abfallpolitik

137

Der Abfallbegriff................................................................................................. 1. Definition gemäß der Abfall-Rahmen-RL 75/442/EWG ............................... a) Erstes Tatbestandsmerkmal: Stoffe oder Gegenstände, die vom EWC erfaßt werden ....... ...... ............ ..... .................... .............. .............. .............. b) Zweites Tatbestandsmerkmal: Entledigung ............................................. 2. Definitionen in Rechtsakten über SonderabflUle .. ............ ............... ....... .......

138 138 140 142 145

a) RL des Rates über gefährliche AbflUle..................................................... 146 b) Titandioxid-RL 78/176/EWG .................................................................. 148 c) Batterie-RL des Rates............................................................................... 149 d) e) f) g) h) i)

Verpackungen rur flüssige LebensmitteL............................................... Altöl-RL des Rates................................................................................... PCBIPCT-RL des Rates........................................................................... Verwendung von Klärschlamm in der Landwirtschaft. ............... ......... .... TierabflUle ................................................................................................ Gefährliche Abfälle gemäß der Basler Konvention vom 22. März 1989

150 151 151 152 153

und dem Vierten AKP-EWG-Abkommen............................................... j) Ergebnis rur die SonderabflUle................................................................. 3. Definitionen in Rechtsakten über atomare AbflUle........................................ a) Viertes AKP-EWG-Abkommen ..................:............................................ b) RL 92/3/Euratom...................................................................................... c) Gemeinschaftsstrategie rur die Entsorgung radioaktiver AbflUle ............. 4. Gängige Untergruppen-Definitionen .............................................................

154 155 156 156 157 157 158

11. Anwendung der Grundfreiheiten und weiterer Politikbereiche auf AbflUle ....... 159 1. Problemstellung............................................................................................. 159

Inhaltsverzeiclmis 2. Konkurrenzverhältnis zwischen dem EG-, dem EAG- Wld dem EGKSRecht ........................................................................................................ a) Die funktionelle Integration der EGen ............................................... ... b) Die Kollisionsnonn des Art. 232 EGV ................................................. aa) Konkurrenzverhältnis im Falle von EAGV- oder EGKSV-Nonnen, die eine vollständige, abschließende Rege1Wlg darstellen ............. bb) Konkurrenzverhältnis im Falle von EAGV- oder EGKSV-Nonnen, die einen Bereich nicht abschließend oder gar nicht regeln........... c) Ergebnis.............................................................................................. 3. Anwendbarkeit der Art. 9 tT. EGV? ........................................................... a) Definition der Ware i.S.d. Art. 9 ff. EGV............................................. b) Die RechtsprechWlg des EuGH zum Warencharakter von Abfällen....... c) Weitere MeinWlgen zur rechtlichen Qualifikation von Abfall ............... aa) Abfall als Ware .......................... __ ................................................ bb) Abfall als Objekt der DienstleistWlgsfreiheit... ~.................... ........ ce) Abfall als Objekt der Waren verkehrs- oder der DienstleistWlgsfreiheit.............................................................................................. d) LöSWlgsvorschlag................................................................................ e) StellWlgnalune zum Wallonien-Urteil des EuGH.................................. 4. Anwendbarkeit der Art. 59 fI. EGY...................................................... ..... a) Definition der DienstleistWlg i.S.d. Art. 59 ff. EGV............................. b) InländergleichbehandlWlg Wld Abschaffimg aller Beschränkungen........ c) Einschränkbarkeit der DienstleistWlgsfreiheit durch die MS ................. aa) Tatbestandsimmanente Einschränkungen ...................................... bb) Einschränkbarkeit durch Art. 66 i. V.m. 55 Uabs. 1 EGV .............. cc) Einschränkbarkeit durch Art. 66 i. V.m. 56 Abs. I EGV.................

15

161 161 162 165 166 169 169 170 171 173 173 176 176 178 184 190 190 192 193 193 195 197

dd) Einschränkbarkeit durch Art. 90 EGV........................................... 198

m.

Primärrechtliche Kompetenznonnen zum Erlaß von Abfallrecht Wld verbleibende mitgliedstaatliche Kompetenzen zur Rechtsetzung............................... . I. Horizontale Kompetenzkonflikte..................... ........................................... a) ProblemstellWlg .............................................................................. ...... b) Bisher herangezogene Kompetenzen............................................... ...... c) KompetenzabgreßZWlg.......................................................................... aa) Allgemeine Kompetenzabgrenzung durch den EuGH............ ......... bb) LösWlgsvorschläge der Literatur zur allgemeinen Kompetenzab-

202 202 202 203 205 206

greßZWlg ....................................................................................... 212 cc) Kriterien der Literatur zur AbgreßZWlg von Art. 100 a Wld 130 s EGV ............................................................................................. 215

16

Inhaltsverzeichnis aaa) Wirkung der Maßnahme ........................................................ 215 bbb) Schwerpunkt der Maßnahme.................................. ......... ..... 216 ccc) Intensität ............................................................................... 216 ddd) Sachnähe.............................................................................. 217 dd) Lösungsvorschlag bezüglich des Verhältnisses von Art. 100al100 EGV zu Art. 130 s EGV ............................................................... 221 aaa) Genereller Vorrang der wirtschaftspolitischen Kompetenzen

im EG-Vertrag (insbesondere Art. 100 a EGV) vor den wnweltpolitischen Kompetenzen (insbesondere Art. 130 s EGV)? ................................................................................. bbb) Materielles Abgrenzungskriteriwn ........................................ Cl) Produktbezogene Umweltvorschriften .............................. 13 ) Produktionsbezogene Umweltvorschriften ................... ..... X) Anlagenbezogene Umweltvorschriften. ....................... ...... d) Anwendung auf das Abfallrecht ............................................. ............... aa) Allgemeine Anwendung ................................................................ bb) Überprüfung der Vorschläge und Rechtsakte seit Inkrafttreten der EEA (1. Juli 1987)................................................................. 2. Vertikale Kompetenzkonflikte .................................................................... a) Grundsätzliche Verteilung der Kompetenzen zwischen den EGen und denMS ................................................................................................ b) Abfallrechtliche Kompetenzen der MS.................................................. aa) Primärrechtliche Normen, die ein konkurrierendes Tätigwerden der MS regeln oder zulassen......................................................... aaa) Übergangsvorschriften .......................................................... bbb) Art. 130 t EGV. ...... ....... .................................... ................... Cl) Anwendungsbereich ........................................................ 13) Schutzmaßnahmen der MS .............................................. X) Verstärkte.................................................... ............ ........ Ii) Vereinbarkeit mit dem EG-Vertrag ................................... &) NotifIzierung .................................................................... ccc) Art. 130 r Abs. 4 EGV .......................................................... Cl) Konkurrierende Kompetenzen gemäß dem Wortlaut ........ 13) Bedeutung der Erklärung zu Art. 130 r Abs. 4 Uabs. 2 EGV ................................................................................ X) Ergebnis...................... .......................... .......................... ddd) Art. 100 a Abs. 4 und Art. 100 b Abs. 2 EGV .............. ........ eee) Art. 100 und 99 EGV ........................................................... tll) Art. 130 g und h EGV.......... .................................. ..............

221 226 226 231 232 233 233 236 240 241 243 245 245 245 245 247 248 248 249 250 250 253 255 256 257 258

Inhaltsverzeichnis ggg) Art. 130 m EGV .. ...... ........ ............ ............. ........ ......... ........ hhh) Art. 4 fI EAGV ................................................................... iii) Art. 101 ff.; 29 EAGV .......................................................... bb) Primärrechtliche Abfallkompetenzen, die kein mitgliedstaatliches Handeln mehr zulassen. ...... .. ............. .......... ............... ........ .. cc) Vom Primärrecht vorgesehene sekundärrechtliche Derogationsklauseln ............................... ...... .................................................. aaa) Art. 130 r Abs. 2 Uabs. 2 EGV ............................................. bbb) Art. 130 s Abs. 5 EGY. ........................................................ ccc) Art. 100 a Abs. 5 EGV ........................................................

2 Zacker

17 258 259 260 262 263 264 266 268

E. Zusammenfassung der wichtigsten Ergebnisse

269

Literaturveneichnis

285

Sachregister

302

Abkürzungsverzeichnis a.A.

anderer Ansicht

a.a.O. a.E.

am angegebenen Ort am Ende

a.F.

alte Fassung

ABI.

Amtsblatt

Abs. AgrarR

Absatz Agrarrecht

AöR ArchVR

Archiv des öffentlichen Rechts Archiv filr Völkerrecht

Art. BayVBI.

Artikel Bayerische Verwaltungsblätter

BB Bd(e).

Betriebs-Berater

BM Bull. BVerfG

Band, Bände Binnenmarkt, Binnenmarktes Bulletin Bundesverfassungsgericht

BVerwG

Bundesverwaltungsgericht

CMLR

Common Market Law Review

ders.

derselbe Die Öffentliche Verwaltung

DOv DVBI. E EA EAG EAGV EEA EG(en) EGKS EGKSV EGV

Deutsches Verwaltungsblatt Entscheidungssammlung Europa-Archiv Europäische(n) Atomgemeinschaft Vertrag zur Gründung der Europäischen Atomgemeinschaft Einheitliche(n) Europäische(n) Akte Europäische(n) Gemeinschaft( en) Europäische(n) Gemeinschaft filr Kohle und Stahl Vertrag zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft filr Kohle und Stahl Vertrag zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft

)\b~gsverzeicb[ris

ELRev.

European Law Review

EMRK

Europäische Menschenrechtskonvention

19

endg.

endgültig

EP

Europäisches Parlament

Erglief.

Ergänzungsliefenmg

EU EuGH

Europäische(n) Union Europäischer Gerichtshof, Europäischen Gerichts-

EuGHE

Entscheidungssammlung des Europäischen Gerichts-

EuGRZ

hofes Europäische Grundrechte-Zeitschrift

hof(es)

EU! EuR

European University Institute Europarecht

EUV

Vertrag über die Europäische Union

EuZW EWG

Europäische Zeitschrift für Wirtschaftsrecht

EWGV

Europäische(n) Wirtschaftsgemeinschaft Vertrag zur Gründung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft

EWS

Europäisches Wirtschafts & Steuerrecht

EZB Fn. G)\

Europäische Zentralbank

GJ\P G)\TT

GM

Fußnote, Fußnoten Generalanwalt, Generalanwaltes Gemeinsame(n) )\grarpolitik Migemeines Zoll- und Handelsabkommen Gemeinsamer Markt, Gemeinsamen Marktes, Gemeinsamen Markt

GTE

GroebenfThiesinglEhlermann (Hrsg.), Kommentar

zum EWG-Vertrag GYIL

German Yearbook ofInternational Law

GZT

Gemeinsamer Zolltarif

HER

GroebenfThiesinglEhlermann (Hrsg.), Handbuch des Europäischen Rechts

h.M. Hrsg.

herrschende Meinung, herrschender Meinung Herausgeber( in)

lJ\EO

International )\tomic Energy Organization

ibid.

ibidem

I.C.J.

i.d.F.

International Court of Justice in der Fassung

i.V.m.

in Verbindung mit

20 JA JIR JöRn.F. Jura JuS JZ KOM KSV LIEI lit. m.w.N. MS n.F. NJW

NuR NVwZ o.J. RabelsZ RevMC RevTrimDrEur RivItalDirPubblCom

RIW RL(en) Rn.

Rs. S. Spstr. Uabs. UPR

UVP verb. Verf. Vgl. VO(en) WiVerw WSA WuR

Juristische Arbeitsblätter Jahrbuch ftlr Internationales Recht Jahrbuch des öffentlichen Rechts neue Folge Juristische Ausbildung Juristische Schulung Juristenzeitung Dokwnente der Kommission der Europäischen Gemeinschaften Kunig/SchwermerNersteyl, Abfallgesetz -AbtuLegal issues ofEuropean integration litera mit weiteren Nachweisen, mit weiterem Nachweis Mitgliedstaat, Mitgliedstaaten neue Fassung Neue Juristische Wochenschrift Natur und Recht Neue Zeitschrift filr Verwaltungsrecht ohne Jahresangabe Rabels Zeitschrift ftlr ausländisches und internationales Privatrecht Revue de Marche Commun Revue Trimestrielle de Droit Europeen Rivista Italiana di Diritto Pubblico Comunitario Recht der internationalen Wirtschaft Richtlinie(n) Randnummer, Randnummern Rechtssache(n) Satz; Seite Spiegelstrich Unterabsatz Umwelt- und Planungsrecht Umweltverträglichkeitsprüfung verbundene Verfasser vergleiche Verordnung( en) Wirtschaft und Verwaltung Wirtschafts- und Sozialausschuß Wirtschaftsverwaltungs- und Umweltrecht

Abkürzungsverzeichnis WVRK

Wiener Vertragsrechtskonvention

ZaöRV

Zeitschrift ft1r ausländisches öffentliches Recht und

ZAU

Zeitschrift ft1r angewandte Umweltforschung

21

Völkerrecht z.B.

zum Beipiel

ZfU

Zeitschrift ft1r Umweltpolitik und Umweltrecht

ZHR

Zeitschrift ft1r das gesamte Handelsrecht und Wirtschaftsrecht

Ziff.

Ziffer

zit.

zitiert

ZUR

Zeitschrift ft1r Umweltrecht

Allgemein geläufige Abkürzungen werden nicht aufgeschlüsselt; vergleiche im übrigen Kirclmer, Hildebert, Abkürzungsverzeichnis der Rechtssprache, 4. A., 1993.

Einleitung Abfallvenneidung, -verwertung und -beseitigung gehören zu den zentralen Problemen der heutigen Umweltpolitik, die nicht nur in den Industriestaaten nach wirtschaftspolitischen und rechtlichen Lösungen verlangen. Auch die Europäischen Gemeinschaften haben die Bedeutung der Abfallproblematik erkannt und mittlerweile zahlreiche Rechtsakte und andere Maßnahmen erlassen, die den Untersuchungsgegenstand der vorliegenden Arbeit ausmachen. Dabei ist die Entwicklung des Abfallrechtes von der des allgemeinen Umweltrechtes nicht zu trennen. So wie die Bedeutung des Umweltrechtes auf EG-Ebene immer mehr zugenommen hat, wurde auch das Abfallrecht weiter entwickelt und konkreter ausgefonnt. Deshalb bildet das allgemeine EG-Umweltrecht den zweiten Schwerpunkt der Untersuchung. Teil A gibt einen historischen Überblick über den Gang der Verrechtlichung der EG-Umweltpolitik von den Anfängen der drei Europäischen Gemeinschaften bis heute. Es soll gezeigt werden, in welchem Maße umweltpolitische Fragestellungen die übrigen gemeinschaftsrechtlichen Politikbereiche durchdringen, welche Kompetenzen den EG-Organen zur Verfiigung stehen und inwieweit insbesondere das Gesicht der EG-Wirtschaftspolitik durch das EG-Umweltrecht verändert wird. Für die spätere Analyse der rechtlichen Strukturen und der Zentralprobleme des Abfallrechtes der Europäischen Gemeinschaften wird in Teil B die spezifisch abfallrechtliche Entwicklung deskriptiv-normativ dargestellt. Neben politischen Initiativen und rechtlich unverbindlichen Akten werden das Sekundärrecht und weitere Gemeinschaftsakte der E(W)G zu allgemeinen und SonderabfiUlen sowie der EAG zu NuklearabfiUlen beschrieben. Der Schwerpunkt liegt dabei im Bereich der Betätigung der E(W)G, weil es für Nuklearabfalle immer noch lediglich ein rudimentäres Regelwerk gibt. Die Beschreibung des derzeitigen Zustandes und der geplanten weiteren Vorhaben wird unter anderem zeigen, daß sich das Konzept der gemeinschaftlichen Abfallpolitik in fast dreißig Jahren grundlegend geändert hat. Ferner bildet sie die Grundlage dafür, danach zu fragen, ob bereits übergreifende Gemeinschaftsregelungen und -grundsätze existieren, die beispielsweise zu bedeuten-

24

Einleitwlg

den Beschränkungen der abfallrechtlichen Handlungsspielräume der Mitgliedstaaten führen können. Mit dieser Fragestellung sollen die deskriptiven Teile der Arbeit abgeschlossen und die analytischen Teile (C und D) eröffnet werden, indem zunächst die das heutige gemeinschaftliche Abfallrecht überlagernden bzw. bestimmenden Rechtsprinzipien entwickelt werden, die unter anderem das Fehlen ausdrücklicher Vorschriften kompensieren können. Das erfordert eine grundsätzliche Klärung des Begriffes des Rechtsprinzips ebenso wie die Untersuchung ihrer Ableitung im Europarecht, ihres Ranges und ihrer Bindungswirkung. Auf diese Weise ist auch das Zusammenspiel der rnitgliedstaatlichen Rechtsordnungen und des Europarechtes für die Setzung und Fortbildung des Rechtes zu verdeutlichen. Im Ergebnis lassen sich für das gemeinschaftliche Abfallrecht mehrere Prinzipien herausarbeiten, die teilweise ausdrücklich in den Verträgen genannt, teilweise erst durch Auslegung des Sekundärrechtes und des soft law zu konkretisieren sind; andere in der Literatur postulierte Prinzipien wie das Prinzip der offenen Grenzen für die Abfallverbringung innerhalb des Gemeinschafisgebietes oder das Prinzip der Verfolgung des bestmöglichen Umweltschutzes halten einer kritischen Überprüfung hingegen nicht stand. Teil D ist dann Einzelproblemen des Abfallrechtes gewidmet. Die Untersuchung beschränkt sich dabei auf Aspekte, die sich nicht lediglich als Spezialfragen 1 darstellen, sondern darüber hinaus allgemeine Bedeutung für die Gesamtheit des gemeinschaftlichen Abfallrechtes besitzen. Zuallererst zählt dazu die Definition des EG-Abfallbegriffes. Von seiner Klärung hängt nicht nur die Anwendbarkeit des EG-Abfallregimes im Einzelfall ab, sondern ebenso, welche allgemeinen primärrechtlichen Gemeinschaftsvorschriften zu beachten sind. Zu prüfen ist dabei zunächst, ob es trotz der Unterschiedlichkeit der einzelnen sekundärrechtlichen Akte eine einzige Abfall-Definition für alle Abfälle - also die allgemeinen, Sonder- und Nuklearabfälle - gibt und ob diese, ihre Existenz vorausgesetzt, eine originär europarechtliche oder eine auf rnitgliedstaatliche Regelungen verweisende Definition ist.

1 Hinsichtlich einzelner abfallrechtlicher Komplexe wie des Planungsrechtes, der grenzüberchreitenden Abfallverbringung, der Haftungsfragen und der Auswirkungen des gemeinschaftlichen Abfallrechtes auf das bundesdeutsche Abfallrecht sei auf die im Literaturverzeichnis genannten ausführlichen Monographien von von Wilmowsky (Abfallwirtschaft), Dieckmann (Abfallrecht), Schreier und Pappel verwiesen.

Einleitung

25

Während die primärrechtlichen Grundfreiheiten und Politiken teilweise die Handlungsspielräume der Mitgliedstaaten beschränken, eröffnen sie den Marktbürgerinnen und -bürgern über ihre häufig unmittelbare Wirksamkeit neue Chancen und Möglichkeiten, grenzüberschreitend aktiv zu werden. Daher gilt es, im Anschluß an die Klärung des Abfallbegriffes die auf Abfalle anwendbaren primärrechtlichen Vorschriften der E(W)G zu ermitteln, aber auch zu fragen, ob ihre Vorschriften über Grundfreiheiten auf die Verträge der EAG und der EGKS, die solche Regelungen weitgehend nicht enthalten, anwendbar sind. Das kann zum Beispiel relevant werden, wenn es um Dienstleistungen hinsichtlich von Nuklearabfallen geht. Nur diese erweiterte Untersuchung ermöglicht eine umfassende Erfassung aller Abfalle. Materiell wird sich die Erörterung im wesentlichen der Abgrenzung und Konkretisierung von Warenverkehrs- und Dienstleistungsfreiheit widmen, da Abfalle insgesamt oder einzelne Abfallarten (beispielsweise Altpapier) häufig als Waren oder Objekt von Dienstleistungen angesehen werden. Schließlich werden in diesem Abschnitt die den Mitgliedstaaten bei der Anwendung einzelner Grundfreiheiten auf Abfalle und ihre Behandlung verbleibenden Handlungsspielräume beleuchtet, vor allem auch im Lichte der Argumentation des Europäischen Gerichtshofes im sogenannten Wallonien-Urteil. Wie jeder Rechtsakt der EG-Organe bedürfen auch abfallrechtliche Sekundärrechtsakte einer Kompetenznorm. Von deren richtigen Bestimmung hängen zum Beispiel Mitwirkungsrechte, Mehrheitsanfordernungen und die mögliche Wahl der Rechtsaktsform ab. Es sind daher die allgemeinen und speziell umweltrechtlichen Kompetenzabgrenzungen durch den Gerichtshof und das Schrifttum zu beleuchten, damit hinreichend konkrete Abgrenzungskriterien speziell rur die umweltrechtliche Sondermaterie des Abfallrechtes herausgearbeitet werden können. Dabei stehen die Abgrenzung der Art. 100; 100 a und 130 s EGV zueinander sowie die generelle Bedeutung der wirtschaftspolitischen Kompetenzen des EG-Vertrages im Vordergrund. Anband der bereits bestehenden wie der derzeit geplanten sekundärrechtlichen Akte und der von ihnen genannten Kompetenznormen ist anschließend zu untersuchen, ob die gefundenen Kriterien der Einzelfallprüfung standhalten. Den vierten und letzten wichtigen Problemkreis bilden die vertikalen Kompetenzkonflikte. Nicht erst seit der Einfügung des Art. 3 b in den EG-Vertrag ist die Abgrenzung der Zuständigkeiten zwischen den Gemeinschaften und den Mitgliedstaaten in das Rampenlicht der europarechtlichen Diskusssion gerückt. Von ihr hängen Legitimität und Akzeptanz der Europäischen Gemeinschaften nicht unerheblich ab. Auch rur das Abfallrecht ist daher zu be-

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Einleitung

stimmen, wann die Gemeinschaften und wann die Mitgliedstaaten rechtsetzend tätig werden können, welche Kompetenzen den EG-Organen abschließende Befugnisse verleihen und ob und wie die Staaten selbst dann noch handeln dürfen, wenn die Gemeinschaftsorgane bereits tätig geworden sind. Im abschließenden Teil E werden die wichtigsten Ergebnisse der Arbeit zusammengefaßt, um dem Leser einen komprimierten Überblick über die zu den aufgeworfenen Fragen vorgeschlagenen Antworten zu ermöglichen.

A. Die Entwicklung der EG-Umweltpolitik I. Rückblick 1. Die Umweltproblematik in den EG-Mitgliedstaaten

In den letzten vierzig Jahren haben die Umweltprobleme in den Mitgliedstaaten (MS) der Europäischen Gemeinschaften (EGen) erheblich zugenommen. Die Gründe dafür sind vor allem die fortschreitende Industrialisierung, ein höherer Lebensstandard und das daraus resultierende veränderte Konsumverhalten der Bevölkerung, das den Stoffiunsatz und die damit verbundenen Emissionsmengen erheblich anwachsen läßt. Am Beispiel des Hausmülls sieht man, daß durch aufwendige Verpackungen, die häufig zudem nur einmal verwendet werden können, und den verstärkten Einsatz von Kunststoffen die Abfallberge wachsen, ohne daß adäquate Wiederverwertungsmöglichkeiten bestehen. So werden etwa 50-70 % des Haus- und Industriemülls der westeuropäischen OECD-Staaten auf Deponien abgelagert, wofür immer neue Landressourcen benötigt werden. Dagegen werden lediglich ca. 10 % der genannten Abfalle wiederverwertet. 1 Nach und nach sind die Umweltprobleme in das öffentliche Bewußtsein gerückt. Dazu beigetragen haben die "grünen Bewegungen" in den einzelnen MS, die Ökologieforschung mit verschiedenen Vorhaben und Gutachten (z.B. des Club of Rome), nicht zuletzt die etablierten Parteien und insbesondere Umweltkatastrophen von Seveso (1976) über Tschernobyl (1987) bis zur Exxon Valdez (1989). Auf der anderen Seite entdeckt die Industrie mehr und mehr die Bedeutung umweltfreundlicher Produkte. So betrugen zum Beispiel die Ausgaben für Umweltschutz des produzierenden Gewerbes und des Staates in den alten Bundes1 Angaben nach Stanners, D./Bourdeaux, P. (Hrsg.), S. 344, 346, 506. Allerdings Wlterscheiden sich die Daten der einzelnen Staaten erheblich voneinander. So recycelt zwn Beispiel die BWldesrepublik Deutschland nicht nur 10 %, sondern ca. 25 % des Haus- Wld Industriemülls (Der Tagesspiegel v. 26. Januar 1996, S. 13).

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A. Die Entwickhmg der EG-Umweltpolitik

ländern der Bundesrepublik Deutschland im Jahre 1991 bereits 40,6 Mrd. DM. Die deutschen Ausgaben für den Umweltschutz machten damit einen Anteil von 1,7 % des BSP aus. 2 Die EGen befaßten sich ebenfalls immer häufiger und intensiver3 mit der Umweltpolitik, obwohl weder der EWG-Vertrag noch der EAG-Vertrag oder der EGKS-Vertrag Vorschriften für ein eigenes umweltpolitisches Tätigwerden der Gemeinschaften enthielten. Da im Schrifttum nicht immer eindeutig unterschieden wird, ob die Bezeichnung "EGen" lediglich die drei internationalen Organisationen der Europäischen Gemeinschaft (EG, vormals EWG), der Europäischen Atomgemeinschaft (EAG) und der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl (EGKS) oder zusätzlich die Europäische Union (EU) urnfaßt, soll an dieser Stelle für die gesamte Arbeit kurz terminologische Klarheit geschaffen werden: Mit dem Maastrichter Vertrag über die EU4 ist die EU als eine selbständige vierte europäische Gemeinschaft mit eigener VÖlkerrechtspersönlichkeit5 neben die bisherigen und weiter bestehenden drei europäischen Gemeinschaften E(W)G, EAG und EGKS getreten6 . Für das Bestehen von nunmehr vier

2 Statistisches Bundesamt (Hrsg.), S. 395; Walter, N., S. 60. 3 Die Kommission schätzt die Gesamtausgaben ft1r die Umwelt ab 1989 im Jahresdurchschnitt auf ca. 650 Mio. ECU, vgI. ABI. der EGen v. 23. September 1992, C 245, S. 1,3. 4 Am 7. Februar 1992 unterzeichnet, am l. November 1993 in Kraft getreten.

5 Ress, G., S. 34 ff. m.w.N.; Dörr, 0., EU, S. 338 ff., der allerdings hinsichtlich der Völkerrechtspersönlichkeit nach außen bisher nur eine rudimentäre Völkerrechtssubjektivität bejaht, s. S. 344; Bleckmann, A., Rechtsquellen, S. 824 ohne nähere Begrilndung im Gegensatz zu seinem ein Jahr zuvor erschienenen Artikel (Vertrag, S. 335), in dem er - ebenfalls ohne nähere Begrilndung - die Völkerrechtssubjektivität der EU verneint.

6 Dagegen gibt es Stimmen, welche die EU als bloße Form der intergouvernementalen Zusammenarbeit betrachten und ihr eine eigene Völkerrechtspersönlichkeit absprechen, da sie vor allem über keine eigenen Kompetenzen verft1ge und ihr eine dauerhafte und zusammenhängende Ausübung eines einheitlichen Unionswillens fehle (Streinz, R., Rn. 121 a f.; vgI. Seidel, M., Verfassung, S. 126; Everling, U., Überlegungen, S. 941; Huber, P., S. 358; Lecheler, H., EU, S. 389 ff. m.w.N.; von Simson, W.lSchwarze, J., S. 43; Blanke, H-J., S. 416 und ferner die Nachweise bei Dörr, 0., a.a.O., S. 338 Fn. 25). Das BVerfG (E 89, S. 155, 181, 182 f., 190) bejaht dagegen einerseits eigene Kompetenzen der als Staatenverbund (S. 181 und passim) bezeichneten EU, verneint aber andererseits ebenfalls die Rechtspersönlichkeit, da nicht die EU

I. Rückblick

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selbständigen, mit Völkerrechtspersönlichkeit ausgestatteten europäischen Gemeinschaften lassen sich folgende Argumente anführen: Die EU verfügt, ohne auf eine Organleihe angewiesen zu sein7, über eigene Organe8, die sich teilweise von denen der E(W)G, EAG und EGKS unterscheiden (Art. E a.E. und Art. D EUV), i.e. die bisherigen Gemeinschaftsorgane ohne den Europäischen Rechnungshof plus den Europäischen Rat9 . Diese Organe besitzen eigene originäre Kompetenzen (s. z.B. Art. L lit. c EUV für den EuGH; J.7 Uabs. 2 EUV für das EP; 1.8 Abs. 1 EUV für den Europäischen Rat; 1.2 Abs. 2; 1.8 Abs. 2 EUV für den Rat; J.8 Abs. 3; K.4 Abs. 2 EUV für die Kommission). Je nachdem, welche Kompetenzen aufgrund welcher der vier Verträge wahrgenommen werden, variiert auch die Firmierung im ABI. der EGen 10 . In dieser unterschiedlichen Firmierung wird deutlich, daß die drei bisherigen EGen und die EU Zweckverbände zur Verfolgung jeweils unterschiedlicher Ziele darstellen. Daß weitere Staaten gemäß Art. 0 EUV lediglich noch Mitglieder der EU und nicht mehr separat der anderen drei EGen werden können, spricht nicht gegen die hier vertretene Meinung; denn die MS vermeiden aus Praktikabilitäts- und Integrationsgründen auf diese Weise, daß es zu einer zersplitterten Mitgliedschaft in den einzelnen Organisationen (wie in bezug auf das Sozialrecht durch das Vereinigte Königreich) kommt. Die Völkerrechtspersönlichkeit der EU ergibt sich insbesondere aus Art. 0 Uabs. 1; 1.4 Abs. 2; 1.5 Abs. 1 und 2 EUV, worin die Ausübung eines einTräger dieser Kompetenzen sei (s. S. 190 und 195), sondern die gemeinsam handelnden MS Zurechnungsobjekt seien (so auch Koenig, C.lPechstein, M., Kap. 1 Rn. 10 m.w.N.). Einig sind sich diese Meinungen darin, daß die bisherigen drei EGen nicht in der EU aufgegangen sind - wie es von BogdandylNettesheim (S. 2325 ff.) behaupten -, sondern daß die EU als besondere Form der intergouvernementalen Zusammenarbeit neben sie getreten ist. Dagegen, daß nur noch eine einheitliche Organisation "EU" existiere, sprechen vor allem die Art. Mund A Uabs. 3 EUV, wonach der EUV die drei EG-Verträge grundsätzlich unberührt läßt (s. auch das Protokoll zum Vertrag über die EU und zu den Verträgen zur Gründung der EGen, das die vier Verträge gleichberechtigt nebeneinander nennt) und diese zugleich zu den Grundlagen der Union zu rechnen sind. Eine Identität ist demnach ausgeschlossen. 7 A.A. Dörr, 0., a.a.O., S. 337.

8 AA Huber, P., a.a.O.

9 So auch Bleckmann, A, a.a.O. 10 S. z.B. den Rats-Beschluß 93/5911EU, Euratom, EGKS, EG vom 8. November 1993 (ABI. der EGen v. 20. November 1993, L 285, S. 41) oder die Rats-Entscheidung 93/609/EG vom 22. November 1993 (ABI. der EGen v. 26. November 1993, L 292, S. 51) (Hervorhebungen durch den Verfasser).

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A. Die Entwickhmg der EG-Umweltpolitik

heitlichen Willens der internationalen Organisation II "EU" sichtbar wird l2 . Dieser Wille wurde auch bereits im Sekundärrecht zum Ausdruck gebracht 13 . Somit umfaßt die Bezeichnung "EGen" im folgenden weiterhin die drei ursprünglichen europäischen Gemeinschaften, neben die als vierte und deutlich von ihnen zu unterscheidende die EU getreten ist. 2. Erste umweltpolitische Aktivitäten der EG-Organe

a) im Rahmen des EAG-Vertrages In der Literatur 14 werden als erste umweltpolitische Maßnahmen der EGen Akte aus den 50er und 60er Jahren genannt, die bei näherer Betrachtung aber nicht vornehmlich dem Umweltschutz dienten, wenn man "Umweltschutz" so versteht wie die EG-Komrnission, als sie der Regierungskonferenz zur Schaffung der Einheitlichen Europäischen Akte (EEA) entsprechende Textvorschläge unterbreitet hat. 15 Danach bezweckt der gemeinschaftliche Umweltschutz den Schutz der natürlichen und vom Menschen geschaffenen Umwelt, d.h. der Umweltrnedien Luft, Boden und Wasser sowie der Organismen. So erließ der Rat der EAG am 2. Februar 1959 Richtlinien zur Festlegung der Grundnormen für den Gesundheitsschutz der Bevölkerung und der Arbeitskräfte gegen die Gefahren ionisierender Strahlungen l6 , die insbesondere auf die Art. 30 f. EAGV gestützt waren. Diese Artikel dienen dem Gesundheitsschutz und erwähnen an keiner Stelle den Umweltschutz. Sie stehen im "Kapitel III. Der Gesundheitsschutz" des zweiten Titels des Vertrages. Der einzige Artikel dieses Kapitels, der ein Organ der EAG, nämlich die Kommission, zur verbindlichen Rechtsetzung im Umweltbereich ermächtigt, ist

11 Pechstein, M., S. 250, verneint schon den Status der internationalen Organisation, weil er diese an die - seiner MeinWlg nach der EU mangelnden -Völkerrechtspersönlichkeit knüpft. Zu dieser Frage s. Dörr, 0., a.a.O., S. 335 ff. 12 Zweifelnd bezüglich der beiden letztgenannten Normen Dörr, 0 ., a.a.O., S. 342. 13 S. 3. Erwägungsgnmd VO (EG) Nr. 3381194v. 19. Dezember 1994 über eine GemeinschaftsregelWlg der Ausfuhrkontrolle von Gütern mit doppeltem VerwendWlgszweck, ABI. der EGen v. 3l. Dezember 1994, L 367, S. l.

14 S. z.B. Behrens, F., S. 25. 15 Vgl. Krämer, L., in GTE, Bd. 3, Rn. 12 zu Art. 130 r. 16 ABI. der EGen v. 20. Februar 1959, S. 221 ff.

I. Rückblick

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Art. 38 Uabs. 2 EAGV. Er bezieht sich auf die Überwachung der Radioaktivität von Luft, Wasser und Boden sowie der Einhaltung der Grundnonnen (Art. 35 ff. EAGV). In den frühen Jahren des Bestehens der EAG wurde von dieser Ennächtigungsnonn jedoch kein Gebrauch gemacht. Bis zum 1. Juni 1970 konsultierten dagegen die MS 67 Mal die Kommission gemäß Art. 37 EAGV, um Pläne zur Ableitung radioaktiver Stoffe zu überprüfen. 17 b) im Rahmen des EGKS-Vertrages Ebenso unterfallen die zum Umweltschutz gezählten Maßnahmen der EGKS dem Gesundheitsschutz. Seit 1965 forderte die EGKS mehrere Forschungsprogramme und Einzelforschungen auf der Grundlage des Art. 55 EGKSV, die sich überwiegend mit der techirischen Bekämpfung der Luftverunreinigung zum Schutz der Arbeitskräfte gegen die Gefahren von Staub- und Gasemissionen befaßten. 18 c) im Rahmen des EWG-Vertrages Die mitunter von der Literatur als solche bezeichnete erste umweltpolitische Maßnahme der EWG war die Richtlinie des Rates 67/548/EWG vom 27. Juni 1967 zur Angleichung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften fiir die Einstufung, Verpackung und Kennzeichnung gefährlicher Stoffe 19. Auch diese RL diente vornehmlich dem Gesundheitsschutz und dem Abbau von Handeishindernissen, da unterschiedliche Vorschriften über die Einstufung, Verpackung und Kennzeichnung gefährlicher Stoffe und Zubereitungen sich unmittelbar auf die Errichtung und das Funktionieren des Gemeinsamen Marktes (GM) auswirken können. Dagegen erging die erste "echte" Umwelt-RL der EWG am 20. März 1970 (RL 70/220/EWG) zur Angleichung der Rechtsvorschriften der MS über Maßnahmen gegen die Verunreinigung der Luft durch Abgase von Kraftfahrzeug-

17 BR-Ds. 463/71, Anlage A zur I. Mitteilung der Kommission über die Politik der Gemeinschaft auf dem Gebiete des Umweltschutzes, S. 16, 17.

18 Idem, S. 16. 19 ABI. der EGen v. 16. August 1967, Nr. 196, S. I ff.

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A. Die Entwickhmg der EG-Umweltpo1itik

motoren mit Fremdzündung2o . Diese RL nennt in ihren Erwägungsgründen zwar ebenfalls wettbewerbsrechtliche Ziele (Funktionieren des GM), schützt aber zugleich erstmals unmittelbar ein Umweltmedium, nämlich die Luft. 3. Intensivierungsphase

Nach und nach äußerten das Europäische Parlament (EP), die Kommission und die Staats- bzw. Regierungschefs der MS EGen ihre Besorgnis über die wachsende Umweltverschmutzung. In der Entschließung zur Reinhaltung der Binnengewässer unter besonderer Berücksichtigung der Verunreinigung des Rheins vom 19. November 197021 verlieh das EP seiner tiefen Besorgnis über die wachsende Bedrohung der natürlichen Umwelt des Menschen Ausdruck. Die Kommission gab dann am 22. Juli 1971 eine Erste Mitteilung über die Politik der Gemeinschaft auf dem Gebiet des Umweltschutzes ab 22 , worin sie den Kampf gegen Umweltverschmutzung und -zerstörung als eine der wichtigsten Aufgaben der Gemeinschaft und der MS bezeichnet. Mit Hilfe von Gemeinschaftsaktionen sollte zur Erhaltung bzw. Wiederherstellung einer gesunden Umwelt beigetragen werden. Auf der Pariser Gipfelkonferenz der Staats- bzw. Regierungschefs der MS der EGen betonten sie am 20. Oktober 1972 die Bedeutung einer gemeinschaftlichen Umweltpolitik und forderten die Gemeinschaftsorgane auf, bis zum 31. Juli 1973 ein Aktionsprogramm mit genauem Zeitplan für die Ausgestaltung der Umweltpolitik auszuarbeiten. 23 Diese Gipfelkonferenz stellte den Beginn einer konzentrierten Umweltpolitik der EWG dar und war der Auslöser für die Schaffung der ersten vier Aktionsprogramme für den Umweltschutz, die zu den Ecksteinen der europäischen Umweltpolitik zu zählen sind: a} Die vier Aktionsprogramme für den Umweltschutz als Ecksteine einer EG-Umweltpolitik Das erste Aktionsprogramm für den Umweltschutz erging als Erklärung des Rates der EGen und der im Rat vereinigten Vertreter der Regierungen der MS

20 ABI. der EGen v. 6. April 1970, L 76, S. I ff 21 ABI. der EGen v. 3. Dezember 1970, C 143, S. 30 f. 22 Dok. SEK (71) 2616 endg. 23 Bulletin der EGen 10/1972, S. 9,2l.

1. Rückblick

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vom 22. November 1973. 24 Es nennt die Ziele und Grundsätze der gemeinschaftlichen Umweltpolitik, legt drei Aktionsrichtungen (Verringerung der Umweltbelastungen, Verbesserung der Umwelt, internationales Vorgehen) fest und zählt die Maßnahmen auf, die vorrangig durchgeführt werden müssen. Außerdem werden die Forschungsprogramme erwähnt, die erforderlich sind, um die geplanten Aktionen der EGen zu ermöglichen. Da ohne finanzielle Mittel keine Umweltschutzpolitik betrieben werden kann, wurden erstmals im Haushaltsplan von 1975 Mittel für umweltpolitische Gemeinschaftsaktionen in spezifische Rubriken des Eingliederungsplans der Gemeinschaften eingesetzt. 25 Am 17. Mai 1977 verabschiedeten der Rat der EGen und die im Rat vereinigten Vertreter der Regierungen der MS in der Form der Entschließung das fünfjährige zweite Aktionsprogramm zur Fortschreibung und Durchführung der Umweltpolitik26 . Bei der Ausarbeitung dieses Programmes ging man von fünf Orientierungsgrundsätzen aus: Kontinuität der seit November 1973 verfolgten Umweltpolitik, Betonung des Präventionsgedankens, besondere Beachtung des Schutzes und der rationellen Nutzung des Lebensraumes sowie der natürlichen Hilfsquellen, Vorrang der Maßnahmen zum Schutz der Binnengewässer und des Meeres sowie zur Bekämpfung der Luftverschmutzung, Berücksichtigung der Umweltaspekte bei der Zusammenarbeit mit den sogenannten Entwicklungsländern. 27 Diese Grundsätze beherrschen die Titel 11 bis V, die teilweise sehr detailliert die Umweltvorhaben der nächsten Jahre beschreiben. Die wachsende Bedeutung der Umweltpolitik in jenen Jahren ist unter anderem daran abzulesen, daß 1981 die für Umweltfragen und Verbraucherschutz zuständigen Dienststellen der Kommission in Generaldirektionen umgewandelt wurden.

Das dritte Aktionsprogramm vom 7. Februar 1983, das in der gleichen Form wie sein Vorgänger erging und ebenfalls für fünf Jahre galt28 , betont

24 ABI. der EGen v. 20. Dezember 1973, C 112, S. 1 ff. 25 VgI. Gesamthaushaltsplan der EGen fiir das Haushaltsjahr 1975 751136/Euratom, EGKS, EWG v. 12. Dezember 1975 (ABI. der EGen v. 28. Februar 1975, L 54, S. 294,295).

26 ABI. der EGen v. 13. Juni 1977, C 139, S. 1 ff.

27 Ibid., S. 5 f. 28 Entschließung des Rates der EGen und der im Rat vereinigten Vertreter der Regierungen der MS (1982-1986) (ABI. der EGen v. 17. Februar 1983, C 46, S. 1 ff.). 3 Zacker

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A. Die Entwickhmg der EG-Umweltpolitik

neben den bisherigen Zielen die Bedeutung der Umweltpolitik fiir die Schaffung neuer Arbeitsplätze sowie das Einsparen und die optimale Zuordnung der Ressourcen. 29 Der Grundsatz der Vorbeugung (prävention) rückt in den Mittelpunkt: Bei allen wirtschaftlichen und sozialen Planungen sollen die möglichen Auswirkungen auf die Umwelt in Betracht gezogen werden, um Umweltschäden gar nicht erst entstehen zu lassen. An dieses Programm schloß das vierte Aktionsprogramm vom 19. Oktober 1987 fiir die Zeit von 1987 bis 1992 an30 . Es macht deutlich, daß strenge Umweltvorschriften sowohl fiir ein hohes Maß an Umweltschutz und eine verbesserte Lebensqualität als auch aus wirtschaftlichen Gründen notwendig sind. Waren und Dienstleistungen, die einem hohen Umweltschutzniveau entsprechen, stärken die zukünftige Wettbewerbsfähigkeit der Gemeinschaftsindustrie auf den Weltmärkten. 31

b) Weitere flankierende Maßnahmen Zu diesen vier umweltpolitischen Ecksteinen kommen weitere Maßnahmen der EWG hinzu, die fiir den gemeinschaftlichen Umweltschutz von großer Bedeutung waren. Dabei spielen, insbesondere fiir einen effizienten mitgliedstaatlichen Vollzug des EG-Umweltrechtes, die Parameter "Information" und "Öffentlichkeitsbeteiligung" eine wichtige Rolle, weil sie wirksame Kontrollinstrumente bezüglich der Umsetzung des EG-Rechtes darstellen. So ist eine effiziente Umweltpolitik unter anderem von der Verfügbarkeit geeigneter Informationen abhängig. Die im Rat vereinigten Regierungsvertreter der MS trafen am 5. März 1973 ein Gentleman's Agreement32 über die Unterrichtung der Kommission und der MS im Hinblick auf die etwaige Harmonisieriung von Dringlichkeitsmaßnahmen im Bereich des Umweltschutzes fiir das gesamte Gebiet der Gemeinschaft. 33 Danach haben die MS die Kommission so früh wie möglich über jeden Entwurf von Rechts- und Verwal-

29 Ibid., S. 4.

30 EntschließWlg des Rates der EGen Wld der im Rat vereinigten Vertreter der RegieTWlgen der MS (ABI. der EGen v. 7. Dezember 1987, C 328, S. 1 ff.). 31 Vgl. ibid., S. 40. 32 S. Jankowski, H., S. 19 f.; Weinstock, U., S. 309 f. 33 ABI. der EGen v. 15. März 1973, C 9, S. 1 f.

I. Rückblick

35

tungsvorschriften sowie über jede internationale Initiative zum Umweltschutz oder zur Umweltverbesserung zu unterrichten, wenn die Vorhaben das Funktionieren des GM und die Verwirklichung der Umwelt-Aktionsprogramme beeinträchtigen können. Die Kommission ihrerseits unterrichtet die übrigen MS über eingegangene Informationen. Die nationalen Vorschriften können nur dann erlassen werden, wenn die Kommission nicht innerhalb von zwei Monaten nach der Unterrichtung den entsprechenden Regierungen mitteilt, daß sie dem Rat korrespondierende Vorschläge für Gemeinschaftsmaßnahmen zu unterbreiten beabsichtigt. Von diesem Verfahren hat die Kommission mehrfach, z.B. auf den Gebieten des Gewässerschutzes und der Abfallbeseitigung Gebrauch gemacht, so daß diese Gemeinschaftsakte durch die Notifizierung einzel staatlicher Entwürfe initiiert wurden. 34 Durch die Rats-Entscheidung 76/161/EWG vom 8. Dezember 197535 wurde ein gemeinsames Verfahren für die Anlage und Fortschreibung eines Bestandsverzeichnisses der Informationsquellen auf dem Gebiet des Umweltschutzes in der Gemeinschaft eingeführt. Es umfaßt für jeden MS eine Aufstellung der wissenschaftlich-technischen Informations- und DokumentationssteIlen und -dienste, der Fachzentren und unabhängigen Sachverständigen sowie der laufenden und geplanten Forschungsvorhaben. Dadurch soll insbesondere den für die Überwachung, den Schutz und die Pflege der Umwelt Verantwortlichen der Zugang zu vorhandenen Informationen erleichtert werden. Zur Verbesserung der Datenverfügbarkeit rief der Rat 1985 ein ursprünglich vierjähriges Versuchsvorhaben ins Leben für die Zusammenstellung, Koordinierung und Abstimmung der Informationen über den Zustand der Umwelt und der natürlichen Ressourcen in der Gemeinschaft (CORINE)36, das später bis zur Arbeitsaufnahme der neu gegründeten Umweltagentur37 verlängert wurde3 8 . Es soll die Zeichnung eines zuverlässigen Bildes der Umweltsi-

34 Grabitz, E.,

in: EWGV-Kommentar, 4. Erglief., Rn. 11 vor Art. 130 r.

35 ABI. der EGen v. 5. Februar 1976, L 31, S. 8 ff.

36 Entscheidtmg des Rates 85/338/EWG v. 27. Jtmi 1985 (ABI. der EGen v. 6. Juli 1985, L 176, S. 14 fI). 37 S.u. A, I, 4.

38 Entscheidtmg des Rates 901150/EWG v. 22. März 1990 (ABI. der EGen v. 28. März 1990, L 81, S. 38). Die Europäische Umweltagentur hat die Ergebnisse des CORINE-Informationssystems ihrer Arbeit zugrtmdegelegt. Die gemeinsamen Me3·

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A. Die EntwicklWlg der EG-Umwe1tpolitik

tuation in der Gemeinschaft ermöglichen, indem die in den MS und auf internationaler Ebene erfaßten Umweltdaten vergleichbar und nach ausgewählten Methoden analysiert werden. Um nicht nur die Informationen der:für den Schutz und die Pflege der Umwelt Verantwortlichen zu verbessern, sondern auch die Öffentlichkeit :für Umweltthemen zu sensibilisieren, rief der Rat :für die Zeit vom 21. März 1987 bis zum 20. März 1988 das Europäische Umweltjahr aus39 , in dem folgende Maßnahmen durchgeführt wurden: allgemeine Sensibilisierungsmaßnahmen (Informationskampagnen, z.B. Vorträge UIid Werbeaktionen), beispielgebende Modellvorhaben :für den Umweltschutz und Modellvorhaben zur Verbesserung der Überwachung der Umweltqualität. Zur Finanzierung von insbesondere umweltpolitischen Demonstrationsvorhaben erließ der Rat am 28. Juni 1984 die VO (EWG) Nr. 1872/84 über gemeinschaftliche Umweltaktionen40 , die 1987 durch die VO (EWG) Nr. 2242/ 87/EWG41 ersetzt wurde. 42 Als ein Element zur Verwirklichung des Vorbeugeprinzips verabschiedete der Rat am 27. Juni 1985 die RL 85/337/EWG über die Umweltverträglichkeitsprüfung (UVP) bei bestimmten öffentlichen und privaten Projekten43 , um bei allen technischen Planungs- und Entscheidungsprozessen hinsichtlich Anlagen, die erhebliche Auswirkungen auf die Umwelt haben können, diese thoden, Nomenklaturen, Datenbanken Wld Sachverständigennetze werden weiterverwendet Wld ausgebaut, s. Antwort von Herrn Paleokrassas im Namen der Kommission v. 8. April 1994 auf die schriftliche Anfrage E-232/94 v. 24. Februar 1994, ABI. der EGen v. 30. November 1994, C 336, S. 36, Wld Antwort von Frau Bjerregaard im Namen der Kommission v. 9. Februar 1995 auf die schriftliche Anfrage E-2769/94 v. 21. Dezember 1994, ABI. der EGen v. 24. April 1995, C 103, S. 35.

39 S. EntschließWlg v. 6. März 1986 über ein Aktionsprogramm für das Europäische Umweltjahr (1987) (ABI. der EGen v. 18. März 1986, C 63, S. I f.); EntschließWlg des Rates v. 3. Mai 1988 über das Ende des Europäischen Umwe1tjahres (ABI. der EGen v. 18. Mai 1988, C 129, S. 1). 40 ABI. der EGen v. 3. Juli 1984, L 176, S. 1 ff. 41 ABI. der EGen v. 29. Juli 1987, L 207, S. 8 ff. 42 In ihrem Rahmen konnten Wlter anderem Demonstrationsvorhaben zur EntwickIWlg von Techniken für die AutbereitWlg Wld Wiedervertung von Abfällen einschließlich der Abwässer Wld Vorhaben zur EntwicklWlg von Technicken zur ErrnittlWlg Wld SanieTWlg von Standorten, die durch Abfälle Wldloder gefährliche Stoffe verseucht waren, gefördert werden, Wld zwar bis zu 30 % ihrer Kosten [s. Art. 1 Abs. 1 S. 1 lit. b Wld c VO (EWG) Nr. 2242/87IEWG]. 43 ABI. der EGen v. 5. Juli 1985, L 175, S. 40 ff., eine ausfuhrliche KommentieTWlg fmdet sich bei Cupei, J., S. 106 ff.

I. Rückblick

37

Auswirkungen so früh wie möglich abschätzen und gegebenenfalls gegensteuern zu können. 44 Trotz fehlender umweltrechtlicher Kompetenznormen ist die EWG also bis 1987 umweltpolitisch vielfaltig tätig geworden. Dabei hat sie sich unterschiedlicher rechtlicher Grundlagen und Instrumentarien bedient. c) Rechtliche Grundlagen Auf Vorschlag der Kommission hat der Rat überwiegend RLen erlassen. Daneben ergingen aber auch VOen, Entschließungen, Beschlüsse, Empfehlungen und Akte sui generis. Einen Überblick bieten die von der Kommission vorgelegten Berichte über den jeweiligen Stand der Umweltschutzarbeiten. 45 Diese Maßnahmen wurden auf verschiedene Vorschriften des EWG-Vertrages, auf den EWG-Vertrag als Ganzen oder sogar auf alle drei EG-Verträge gestützt. 46 Als Beispiele seien genannt: die Rats-RL 80151IEWG vom 20. Dezember 1979 zur Verringerung der Schallemissionen von Unterschalluftfahrzeugen47 wurde vornehmlich auf Art. 84 Abs. 2 EWGV gestützt. Für die an die MS gerichtete Mitteilung vom 6. November 1974 über den Gemeinschaftsrahmen für staatliche Umweltschutzbeihilfen48 zog die Kommission die Art. 92 ff. EWGV heran. Die Rats-Entscheidung 811971IEWG vom 3. Dezember 1981 zur Errichtung eines gemeinschaftlichen Informationssystems zur Über-

44 Inwieweit die RL durch den Kommissionsvorschlag KOM (93) 423 endg. v. 30. September 1993 ftIr eine Rats-RL über die integrierte Vermeidung und Verminderung der Umweltverschmutzung (ABI. der EGen v. 17. November 1993, C 311, S. 6 tT.), geändert durch KOM (95) 88 endg. - SYN 526 (ABI. der EGen v. 1. Juli 1995, C 165, S. 9 tT.; s.u. 11, 3) teilweise verdrängt wird, ist noch nicht geklärt (vgI. SeHner, D./Schnutenhaus, J., S. 830 und 833). Der RL-Vorschlag bezweckt die Vermeidung und Verminderung der Umweltverschmutzung durch Industrieanlagen - vor allem der Emissionen in Luft, Wasser und Boden -, um ein dauerhaftes und umweltgerechtes Gleichgewicht zwischen menschlicher Tätigkeit und sozioökonomischer Entwicklung, den Ressourcen und der Regenerationsfli.higkeit der Natur herzustellen. Insbesondere sind die Vorschriften über die Anlagenzulassung zwischen den beiden Rechtsakten abzustimmen.

45 Kommission der Europäischen Gemeinschaften (Hrsg.), Die Lage der Umwelt 1977; Die Lage der Umwelt 1979; Die Lage der Umwelt 1986, insbesondere S. 131 ff.

46 S. OtTermann-Clas, C., Kompetenzen, S. 55 tT.; Grabitz, E./Sasse, C., S. 111 tT. 47 ABI. der EGen v. 24. Januar 1980, L 18, S. 26 tT. 48 S. Kommission der EGen, 4. Wettbewerbsbericht, NT. 180 tT.

38

A. Die EntwicklWlg der EG-Umwe1tpolitik

wachung und Verringerung der Ölverschmutzung des Meeres49 bezog sich hauptsächlich auf die Art. 213 und 235 EWGY. Alle drei EG-Verträge dienten als Grundlage fiir die Empfehlung des Rates 75/436/Euratom, EGKS, EWG vom 3. März 1975 über die Kostenzurechnung und die Intervention der öffentlichen Hand bei Umweltschutzmaßnahmen50 . Dagegen nennt die RatsEntschließung vom 3. März 1975 über Energie und Umweltschutz51 gar keine primärrechtliche Kompetenznorm. Die große Mehrzahl der Maßnahmen ist allerdings auf Art. 100 oder 235 EWGV oder auf beide Artikel gemeinsam gestützt52 . Die Praxis, Rechtsakte der Umweltpolitik ohne eindeutige Kompetenznorm zu erlassen, warf einige Probleme auf. Insbesondere die Kommission konnte durch die Wahl der Rechtsgrundlage bestimmen, welche Verfahrens- und Formvorschriften beachtet werden sollten. So verlangte beispielsweise Art. 100 EWGV eine einstimmige Entscheidung des Rates, nach Art. 43 Abs. 3 EWGV konnte der Rat schon bei qualifizierter Mehrheit tätig werden. Gemäß Art. 84 Abs. 2; 75 EWGV war neben dem EP auch der Wirtschaftsund Sozialausschuß (WSA) vor einem Tätigwerden des Rates zu hören. Art. 235 EWGV forderte dagegen nur die Anhörung des EP. Aufgrund des Art. 100 EWGV konnten ausschließlich RLen erlassen werden, Art. 235 EWGV entllielt keine Beschränkung der Rechtsform; es karnen alle Rechtshandlungen des Art. 189 EWGV sowie alle anderen verbindlichen und unverbindlichen Rechtsakte in Betracht. 53 Die Handlungen der Gemeinschaft müssen sich, um dem Begründungserfordernis des Art. 190 EWGV zu genügen, auf einzelne Vertragsbestimmungen als Rechtsgrundlage beziehen. Ein Verstoß gegen dieses Erfordernis macht den Rechtsakt nichtig, wenn die fehlende Bezugnahme die Betroffenen und den EuGH über die genaue Rechtsgrundlage im unklaren lassen würde. Der Mangel ist nur dann unwesentlich, wenn die Grundlage des Rechtsaktes

49 ABI. der EGen v. 10. Dezember 1981, L 355, S. 52 ff. 50 ABI. der EGen v. 25. Juli 1975, L 194, S. I ff. 51 ABI. derEGen v. 25. Juli 1975, C 168, S. 2 f. 52 S. dazu kritisch Böhm, R., S. 351 ff. 53 Grabitz, E., in Grabitz-Kommentar,

Rn. 83 zu Art. 235.

I. Rückblick

39

anband anderer Anhaltspunkte der Maßnahme bestimmt werden kann. 54 Demnach ist es unzulässig, einen Rechtsakt auf den EWG-Vertrag als Ganzen ohne Rückgriff auf eine besondere Norm, auf alle drei Verträge oder lediglich auf Sekundärvorschriften zu stützen. Zu begrüßen ist daher, daß die EEA55 mit Wirkung vom l. Juli 1987 ausdrückliche Kompetenzen :für eine gemeinschaftliche Umweltpolitik in den EWG-Vertrag eingefiigt hat. 4. Die Umweltpolitik seit Inkrafttreten der EEA

Der durch die EEA geänderte EWG-Vertrag erwähnte den Umweltschutz bzw. die Umwelt an drei Stellen, und zwar als "Titel VII. Umwelt" mit den Art. 130 r-t EWGV, in Art. 100 a Abs. 3 und 4 EWGV sowie in Art. 118 a Abs.l EWGV. Die Art. 130 r-t EWGV gaben der gemeinschaftlichen Umweltpolitik eine eigene Rechtsgrundlage und enthielten die ausdrückliche Kompetenz zur Schaffung von Sekundärrecht. Damit wurde die Umweltpolitik in den Rang einer Gemeinschaftspolitik gehoben. Sie steht nunmehr gleichberechtigt neben den bisherigen Politiken der EWG, da die Erfordernisse des Umweltschutzes gemäß Art. 130 r Abs. 2 S. 2 EWGV (sogenannte Querschnittsklausel) Bestandteil aller anderen Gemeinschaftspolitiken wurden. 56 Art. 130 r EWGV nannte die umweltpolitischen Ziele und Grundsätze, die bei der Erarbeitung der Maßnahmen zu beachtenden Abwägungskriterien, die Aufgabenverteilung zwischen MS und Gemeinschaft, Vorschriften zur Finanzierung und Durchfiihrung der Aufgaben sowie Regelungen zur internationalen Kooperation. Art. 130 s EWGV enthielt die Rechtsetzungskompetenz und Art. 130 t EWGV die Befugnisfür die MS, unter bestimmten Voraussetzungen verstärkte umweltpolitische Schutzmaßnahmen beizubehalten oder zu ergreifen, selbst wenn die EWG auf dem entsprechenden Gebiet schon tätig geworden war. Art. 100 a EWGV stellte die Rechtsgrundlage :für die Harmonisierung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften der MS dar, die einen Bezug zur Errich-

54 EuGHE 1987, Rs. 45/86 - Rechtsgrundlage -, S. 1493, 1519 f. 55 S. Erklänmg des Rates lUld der im Rat vereinigten Vertreter der RegieTWlgen der MS v. 17. Februar 1986 (ABI. der EGen v. 29. Juni 1987, L 169, S. 29 fI). 56 VgI. Grabitz, E./Zacker, C., Umweltkompetenzen, S. 300; Breier, S., BedeutWlg, S. 180; s. auch dazu lUlten D, III, I, c, aa.

40

A. Die Entwickhmg der EG-Umweltpolitik

tung und zum Funktionieren des Binnenmarktes (BM) aufweisen. Die Kommission wurde gemäß Abs. 3 verpflichtet, bei ihren Harmonisierungsvorschlägen im Bereich des Umweltschutzes von einem hohen Schutzniveau auszugehen. Der Umweltschutz diente den MS auch als ein Rechtfertigungsgrund i.S.d. Abs. 4, wonach sie strengere als die aufgrund des Art. 100 a Abs. 1 EWGV ergangenen Umweltmaßnahmen anwenden konnten, selbst wenn eine vollständige Harmonisierung auf Gemeinschaftsebene erfolgt war. In Abgrenzung zum Umweltbegriff der Art. 130 r-t EWGV, der alle Umweltmedien und Organismen57 erfaßte, beschränkte und beschränkt sich der im Rahmen des Art. 118 a EWGV verwendete Begriff "Umwelt" auf den sehr speziellen Anwendungsbereich der Arbeitsumwelt, d.h. auf die Lebens- und Arbeitsbedingungen der Arbeitskräfte. Ziel war, die Sicherheit und Gesundheit der Arbeitnehmer zu schützen. 58 Neben diesen primärrechtlichen Ausgestaltungen des Umweltschutzes unternahm die EWG seit Schaffung der EEA weitere Anstrengungen, ihre Umweltpolitik zu intensivieren und die EG-weite Bedeutung des Umweltschutzes besonders der Öffentlichkeit bewußt zu machen. So errichtete die VO (EWG) des Rates Nr. 1210/90 vom 7. Mai 1990 eine Europäische Umweltagentur und ein Europäisches Umweltinformations- und Umweltbeobachtungsnetz59 , um verläßliche und vergleichbare Informationen über den Zustand und die Empfindlichkeit der Umwelt zu erfassen und aufzuarbeiten. Sie steht auch Drittstaaten offen und soll insbesondere die Kommission mit den technischen, wissenschaftlichen und wirtschaftlichen Informationen versorgen, die für die Vorbereitung umweltrechtlicher Vorschriften und zur Überprüfung bereits erfolgter Maßnahmen gebraucht werden. Da der Rat sich anfangs nicht über den Sitz der Agentur einigen konnte, wurde eine Task Force bestellt, die wichtige Vorarbeiten leistete, damit die Agentur nach der Sitz-Entscheidung ihre Arbeit unverzüglich aufnehmen konnte. Ferner sollte nicht nur den für den Schutz und die Pflege der Umwelt Verantwortlichen der Zugang zu vorhandenen Informationen erleichtert werden 60 , sondern die Beteiligung der Bürger und BÜTgerinnen an den Verfahren zur Kontrolle der Umweltverschmutzung und zur Verhütung von Umweltbeeinträchtigungen sollte eben-

57 S.o. 2, a. 58 Vgl. Langenfe1d, C./Jansen, B., in Grabitz-Kommentar, Rn. 4 tT. zu Art. 118 a.

59 ABI. der EGen v. 11. Mai 1990, L 120, S. 1 tT. 60 S.o. Rats-Entscheidung 7611611EWG, Fn. 35.

1. Rückblick

41

falls verstärkt werden. Deshalb gewährt die RL des Rates 90/313IEWG vom 7. Juni 199061 , bei deren Umsetzung es allerdings erhebliche Schwierigkeiten62 gibt, allen natürlichen und juristischen EG-Personen - selbst ohne Nachweis eines besonderen Rechtsschutzinteresses - den freien Zugang zu Umweltinformationen gegenüber den mitgliedstaatlichen Verwaltungen. 63 Die traditionellen staatlichen Kontrollinstrumente im Umweltrecht werden somit institutionell durch die "Kontrollinstanz Öffentlichkeit" erweitert, welche die ursprüngliche mitgliedstaatliche Gewaltentrias sprengt, indem sie zusätzlich zur Judikative die Exekutive kontrolliert. Außerdem will die RL eine regelmäßige Veröffentlichung einer Gesamtdarstellung der nationalen Lage der Umwelt in den MS erreichen. Damit die Kommission die Anwendung des Umweltrechtes in den MS, die oftmals zu wünschen übrig läßt64, besser überwachen kann, haben die MS Z.B. gemäß der Rats-RL 911692IEWG zur Vereinheitlichung und zweckmäßigen Gestaltung der Berichte über die Durchführung bestimmter UmweltschutzRLen65 die Kommission regelmäßig über den Stand der nationalen Umsetzung ausgewählter RLen zu informieren. Jedoch sieht die geltende Rechtslage im 61 ABI. der EGen v. 23. JWli 1990, L 158, S. 56 ff. 62 Vgl. Erichsen, H-U./Scherzberg, A., S. 13 ff.; Regele, D., S. 104 ff.; s. auch die

Urteile zur unmittelbaren Wirkung der RL: VG Stade ZUR 1993, S. 225 ff.; OVG Münster ZUR 1994, S. 253; VG Minden ZUR 1993, S. 284 ff.; und das Urteil zum deutschen Umweltinformationsgesetz (BGBI. I 1994, 1490 ff.) OVG Nordrhein-Westfalen UPR 1995, S. 272 f; BVerwG. 63 Vgl. Jans, J., Law, S. 286 ff. S. zum Umweltinformationsgesetz, das die RL in deutsches Recht umgesetzt hat, die Kommentare von Schomerus, T./Schrader, C./Wegener, B.; Fluck, J.fTheuer, A., UIG; Röger, R.; Kramer, R., S. 15 ff. sowie die Monographien von Engel, R., S. 178 ff.; Turiaux, A., S. 125 ff. Darüber hinaus gewähren Kommission und Rat der Öffentlichkeit auch den allgemeinen Zugang zu bei den Gemeinschaftsorganen vorhandenen Informationen und Dokumenten, s. die Mitteilungen der Kommission an den Rat, das EP und den WSA in ABL. der EGen v. 5. März 1993, C 63, S. 8; v. 8 JWli 1993, C 156, S. 5; v. 17. JWli 1993, C 166, S. 4 ff.; den Beschluß der Kommission 94/90IEGKS, EG, Euratom in ABI. der EGen v. 18. Februar 1994, L 46, S. 58 f; den Verhaltenskodex für den Zugang der Öffentlichkeit zu Ratsund Kommissionsdokumenten 931730lEWG in ABI. der EGen v. 31. Dezember 1993, L 340, S. 41 f; den Beschluß des Rates über den Zugang der Öffentlichkeit zu Ratsdokumenten 93173 lIEG in ABI. der EGen v. 31. Dezember 1993, L 340, S. 43 ff.; vgl. Fluck, J.fTheuer, A., Zugang, S. 154 ff. 64 Vgl. z.B. für das Abfallrecht den Achten Jahresbericht der Kommission an das EP über die Kontrolle der Anwendung des Gemeinschaftsrechts - 1990 -, KOM (91) 321 endg. (ABI. der EGen v. 31. Dezember 1991, C 338, S. 1,44 f, 218 f).

65 ABI. der EGen v. 31. Dezember 1991, L 377, S. 48 ff.

42

A Die Entwicklung der EG-Umweltpolitik

Umweltrecht noch keine unmittelbaren Kontrollbefugnisse der Kommission vor, wie sie sie bereits im Wettbewerbs-, Beihilfen-, Zollrecht sowie im Veterinärwesen und auf dem Gebiet der Fischerei besitzt. Die von Krämet'6 in die Diskussion eingeführten Kontrollinspektoren, die beim Verdacht von Umweltvergehen in den MS Beweise sammeln könnten, stellen eine Möglichkeit im Rahmen des Art. 20 VO (EWG) Nr. 1210/90 dar, zukünftig die Anwendung der gemeinschaftsrechtlichen Umweltvorschriften besser zu garantieren.

11. Gegenwart 1. Die Veränderungen durch den Maastrichter Vertrag über die Europäische Union (EU)

Die Tendenz, dem Umweltschutz mehr und mehr Bedeutung beizumessen, setzte sich im EU-Vertrag fort, indem er den Umweltschutz bzw. die Umweltpolitik als Aufgabe und Vertragsziel in die Art. 2 und 3 lit. k EGV aufgenommen hat. Der Wegfall des "W" bei der Umbenennung der EWG in die EG zeigt exemplarisch für den Umweltschutz, daß insbesondere die EG nicht mehr - wie ursprünglich gedacht - eine reine Wirtschaftsgemeinschaft ist, sondern sich unter anderem zu einer Umweltgemeinschaft fortentwickelt. Art. 2 EWGV bezeichnete als eine Gemeinschaftsaufgabe noch die "beständige und ausgewogene Wirtschaftsausweitung". Dieser Gedanke der ökonomischen Optimierung wird heute durch Maastricht ökologisch relativiert: Art. 2 EGV nennt jetzt ein "umwe/tvertrtigliches Wachstum" (Hervorhebung durch Verf.). Der Umweltschutz hat also das Gesicht der Gemeinschaft verändert. So wurden auch die bisherigen Vorschriften der Art. 130 r-t EWGV teilweise neugefaßt und ergänzt67, was allerdings nicht bedeutet, daß der durch Sekundärrecht und EuGH-Rechtsprechung bisher erreichte Standard im Umweltschutz in Frage gestellt wird. Wie für die übrigen Vertragsvorschriften auch, gilt gemäß Art. B Uabs. I Spstr. 5; C Uabs. I EUV, daß der erreichte

66 Schutz, S. 21 f. 67 S. ausfilhrlich dazu Epiney, A/Furrer, A, S. 369 tT.

II. Gegenwart

43

acquis communautaire der drei Gemeinschaftsverträge im Rahmen des EUV anwendbar bleibt. Die Ziele, die durch die EG-Umweltpolitik verfolgt werden, wurden um die "Förderung von Maßnahmen auf internationaler Ebene zur Bewältigung regionaler oder globaler Umweltprobleme" (Art. 130 r Abs. 1 Spstr. 4 EGV) und um "Maßnahmen, welche die Wahl eines Mitgliedstaats zwischen verschiedenen Energiequellen und die allgemeine Struktur seiner Energieversorgung erheblich berühren" (Art. 130 s Abs. 2 Uabs. 1 Spstr. 3 EGy68), ergänzt. Bei der Verfolgung ihrer umweltpolitischen Ziele hat die Gemeinschaft gemäß Art. 130 r Abs. 2 Uabs. 1 S. 1 EGV ein hohes Umweltschutzniveau anzustreben69 , allerdings unter Berücksichtigung der regionalen Gegebenheiten. Was die in der Umweltpolitik zu beachtenden Grundsätze anbelangt (s. Art. 130 r Abs. 2 EGV), hat Maastricht dem Vorbeuge-, dem Verursacherprinzip und dem Prinzip der Bekämpfung der Umweltbeeinträchtigungen an der Quelle noch das Vorsorgeprinzip hinzugefiigt. Da das Subsidiaritätsprinzip nunmehr ausdrücklich in Art. 3 b Uabs. 2 EGV und Art. B Uabs. 2 EUV genannt ist, wurde die Subsidiaritätsklausel des Art. 130 r Abs. 4 S. 1 EWGV, die auch als Ausprägung des Grundsatzes der geeigneten Aktionsebene bezeichnet wurde7o, gestrichen. Ebenfalls gibt es bezüglich des Verfahrens Änderungen: Art. 130 s Abs. 1 EGV verweist grundstäzlich auf das Verfahren der Zusammenarbeit des Art. 189 c EGV, so daß fiir eine Maßnahme des Rates die qualifizierte Mehrheit ausreicht. Für die Sachgebiete, die von den MS als politisch besonders wichtig angesehen werden (das sind Umweltvorschriften überwiegend steuerlicher Art; im Bereich der Raumordnung, der allgemeinen Bodennutzung, der Bewirtschaftung der Wasserresourcen; der Energieversorgung), macht Abs. 2 Uabs. 1 eine doppelte Ausnahme: er fordert eine einstimmige Rats-Entscheidung und sieht lediglich die Anhörung des EP vor. Allerdings besteht laut Abs. 2 Uabs. 2 die Möglichkeit, daß der Rat - wiederum einstimmig - festlegt, daß fiir die einzelnen Sachgebiete des Uabs. 1 die qualifizierte Mehrheit fiir eine Beschlußfassung ausreichen soll. Schließlich ist nach Abs. 3 die Gemeinschaft erstmals ausdrücklich zum Erlaß allgemeiner Aktionsprogramme berufen. Für die Festlegung der vorrangigen Ziele der

68 Für die EG-Energiepolitik allgemein s. auch Art. 3 lit. t EGV i.V.m. der ersten Erklärung zu den Bereichen Katastrophenschutz, Energie und Fremdenverkehr im Rahmen der Maastrichter Schlußakte. 69 Vgl. Art. 100 a Abs. 3 EGV und unten C, IV, 2, e.

70 Grabitz, E./Zacker, C., Umwe1tkompetenzen, S. 299.

A. Die Entwickhmg der EG-Urnweltpolitik

44

Aktionsprogramme ist das Mitentscheidungsverfahren des Art. 189 b EGV einzuhalten, so daß das EP ein entscheidendes Mitspracherecht besitzt, welche neuen umweltpolitischen Zielsetzungen die EG verfolgen soll. Selbst wenn die EG-Organe umweltpolitische Maßnahmen aufgrund des

Art. 130 s EGV oder andere Harmonisierungsmaßnahmen, welche die umweltpolitischen Erfordernisse des Art. 130 r Abs. 1-3 EGV beachten, erlassen

haben, können die MS in drei Fällen weiterhin abweichend tätig werden: Neben dem bereits oben erwähnten Art. 130 t EGV71 gewährt Art. 130 r Abs. 2 Uabs. 2 EGy72 die Möglichkeit, daß harmonisierendes EG-Sekundärrecht die MS mittels einer Schutzklausel ermächtigt, aus nicht-wirtschaftlich bedingten umweltpolitischen Gründen von den Vorgaben der EG vorläufig abzuweichen, was allerdings einem gemeinschaftlichen Kontrollverfahren unterliegt. Dagegen sieht Art. 130 s Abs. 5 Spstr. 1 EGV vor, daß ausschließlich auf Art. 130 s Abs. 1 EGV gestütztes Sekundärrecht eine Derogationsklausel enthalten kann, wenn MS aus wirtschaftlichen Gründen hohe Umweltschutzstandards nicht einhalten können73. Somit kann man im Rahmen der Umweltpolitik von einem "Europa der drei Geschwindigkeiten" sprechen: fortschrittlichere MS können schneller als die den EG-Vorgaben folgenden Staaten vorangehen, während andere "hinterherhinken" dürfen74 . Ferner ist ein Kohäsionsfonds eingerichtet worden, der unter anderem im Bereich Umwelt Vorhaben in den ärmeren MS Irland, Griechenland, Spanien und Portugal finanzieren soll.75 2. Das fünfte Umwelt-Aktionsprogramm

Das fünfte Umwelt-Aktionsprogramm, das seit 1993 gilt und bis zum Jahre 2000 ausgerichtet ist, nennt sich "Gemeinschaftsprogramm fiir Umweltpolitik

71 S. ausfiihrlieh unten unter D,

72 S.u. D, m, 2, b, ce, aaa.

m, 2, b, aa, ß.

73 S.u. D, m, 2, b, ce, bbb; vgl. Epiney, A/Furrer, A., S. 403 ff. 74 Eidern, S. 407. 75 Vgl. Art. 130 d Uabs. 2; 129 c Abs. 1 Uabs. 1 Spstr. 3 EGV und VO (EG) Nr. 1164/94 des Rates v. 16. Mai 1994 zur Errichtung des Kohäsisonsfonds (ABI. der EGen v. 25. Mai 1994, L 130, S. 1 ff.).

II. Gegenwart

45

und Maßnahmen im Hinblick auf eine dauerhafte und umweltgerechte Entwicklung"76. Durch die in den Titel aufgenommene Wendung "dauerhafte und umweltgerechte Entwicklung" wird betont, daß die Bedürfnisse der Gegenwart befriedigt werden sollen, ohne die Fähigkeit künftiger Generationen, ihre Bedürfnisse zu erfüllen, zu beeinträchtigen. 77 Herausgestellt werden unter anderem sechs Tätigkeitsfelder (dauerhafte und umweltgerechte Bewirtschaftung der natürlichen Ressourcen; integrierter Umweltschutz und Vermeidung von Abfallen; Verringerung des Verbrauches nichterneuerbarer Energien; effizientere Verkehrs- und Transportplanung; Verbesserungen der Qualität der städtischen Umwelt; Verbesserung von Gesundheit und Sicherheit) in fünf Schwerpunktbereichen (Industrie, Energie Verkehr, Landwirtschaft und Tourismus). Insgesamt soll das Verhalten der Gesellschaft zur Umwelt verändert werden, indem das Programm nicht nur ein Arbeitsprogramm für die EG darstellen soll, sondern alle Akteure von den MS und ihren politischen Untergliederungen über die Industriebetriebe bis zu verantwortlichen Bürgerinnen und Bürgern angesprochen werden sollen. 78 Es wird eine Verknüpfung zum Subsidiaritätsprinzip (Art. 3 b Uabs. 2 EGV) hergestellt, indem auf die Teilung der Verantwortung zwischen den verschiedenen Ebenen und Personen Wert gelegt wird. 79 Das bisherige Instrumentarium der EG soll unter anderem durch Gemeinschaftsvorschriften über die Umwelthaftung und über eine COrSteuer ergänzt werden.

76 S. EntschließWlg des Rates Wld der im Rat vereinigten Vertreter der RegiefWlgen der MS v. 1. Februar 1993 (ABI. der EGen v. 17. Mai 1993, C 138, S. 1 ff.). 77 S. ibid., S. 12; vgI. Binswanger, C./Meiners, H., S. 143 f. 78 S. auch den Konunissions-Vorschlag für einen Beschluß des EP Wld des Rates über die Überprüfung des Programms der EG für Umweltpolitik Wld Maßnahmen im Hinblick auf eine dauerhafte Wld umweltgerechte EntwicklWlg - ,,Für eine dauerhafte Wld umweltgerechte EntwicklWlg" - v. 29. Februar 1996, KOM (95) 647 endg., ABI. der EGen v. 1l. Mai 1996, C 140, S. 5 ff. 79 Auf informeller Ebene gibt es ein sogenanntes Netz zur DurchfUhrung der Umweltvorschriften, das dem Informations- Wld Erfaluungsaustausch zwischen der Kommission Wld den MS dienen soll (s. Anwort von Frau Bjerregaard im Namen der Konunission v. 1. März 1995 auf die schriftliche Anfrage E-80/95 v. 8. Februar 1995, ABI. der EGen v. 5. Juni 1995, C 139, S. 57). Auf den zwei jährlichen SitzWlgen werden die Berichte von filnf Arbeitsgruppen (technische Aspekte der Genehmigoog von Industrieanlagen; UmsetzWlg der RLen über die industrielle VerschrnutzWlg; Inspektionen; Austausch von Inspektoren zwischen den MS; Kontrolle der grenzüberschreitenden Verbringoog von Abtallen) sowie allgemeine Fragen zur Organisation des Netzes Wld zur UmsetzWlg der EG-Rechtsakte diskutiert.

46

A. Die Entwicklung der EG-Umweltpolitik

Außerdem soll ein Allgemeines Beratendes Forum für Umweltfragen als Stätte der Konsultation und des Dialoges zwischen wichtigen gesellschaftlichen Gruppen und der Kommission zu allen Problemen der EG-Umweltpolitik eingerichtet werden. 80 Zu den 32 Mitgliedern zählen Vertreter der Unternehmen, der Geschäftswelt, der Verbraucher, der Berufsverbände und Gewerkschaften, der nicht-staatlichen Organisationen sowie der ärztlichen und regionalen Behörden. 3. Weitere aktuelle Entwicklungen

Am 29. Oktober 1993 fiel die Entscheidung über den Sitz der Europäischen

Umweltagentur (~ Kopenhagen), so daß die Rats-VO (EWG) Nr. 1210/9081 in Kraft treten konnte. 82 Über die Organisation der Agentur entscheidet ein Verwaltungsrat, der aus je einem Vertreter der MS, zwei Vertretern der Kommission und zwei vom EP benannten Mitgliedern besteht. Zu den Materien, mit denen sich die Agentur im ersten Arbeitsjahr vorrangig beschäftigt hat, zählt auch die Abfallbehandlung83 . Die im Rahmen des CORINE-Programmes geschaffenen Instrumente (spezielle Verfahen, Datenbanken, Netze), werden von Kopenhagen weiterhin eingesetzt und ausgebaut. 84 Um die Entwicklung und Durchführung der EG-Umweltpolitik und des Umweltschutzes teilweise selbst zu finanzieren, erließ der Rat - anknüpfend an die VO (EWG) Nr. 2242/87 85 - am 2l. Mai 1992 die VO (EWG) Nr. 1973/92 zur Schaffung eines Finanzierungsinstruments für die Umwelt (LIFE)86. Für

80 Umgesetzt durch den Beschluß 93/70 lIEG der Kommission v. 7. Dezember 1993

(ABI. der EGen v. 29. Dezember 1993, L 328, S. 53 f); s. auch den Kommissionsbeschluß 961160lEG v. 8. Februar 1996 zur Ernennung von Mitgliedern des Allgemeinen Beratenden Forums ftlr Umweltfragen (ABI. der EGen v. 15. Februar 1996, L 37, S. 33).

81 S.o. Fn. 59. 82 S. EuZW 1993, S. 714.

83 Business LawEurope v. 18. April1994, S. 4, 5. 84 S. Antwort von Herrn Paleokrassas im Namen'der Kommission v. 8. April 1994 auf die schriftliche Anfrage E-232/94 v. 24. Februar 1994, ABL. der EGen v. 30. November 1994, C 336, S. 36. 85 S.o. Fn. 4l.

86 ABI. der EGen v. 22. Juli 1992, L 206, S. 1 tI., s. auch Grabitz, E./Nettesheim, M., in Grabitz-Kommentar, Rn. 125 zu Art. 130 s.

II. Gegenwart

47

die erste Phase (bis 3l. Dezember 1995) stellte die Gemeinschaft 400 Mio. ECU zur Verfügung, bei deren Vergabe insbesondere das Verursacher-, das Subsidiaritäts- und das Kohärenzprinzip zu beachten waren. Als Finanzierungsinstrumente kamen die Kofinanzierung von Maßnahmen und Zinszuschüsse in Betracht. Zur Fortführung der LIFE-VO über die erste Phase hinaus erging am 15. Juli 1996 die VO (EG) Nr. 1404/96 des Rates zur Änderung der LIFE-VO.87 Darin wird bezüglich der Effektivierung der EG-Umweltpolitik unter anderem geregelt, die finanziell zu unterstützenden Maßnahmenbereiche zu verringern, Verwaltungsverfahren zu vereinfachen sowie die Auswahl- und Bewertungskriterien zu präzisieren. Die VO gilt nunmehr bis 31. Dezember 1999 und stellt 450 Mio. ECU zur Verfügung. Betrachteten die EGen bisher meist weitgehend isoliert nur die Regulierung eines Umweltmediums, setzt sich in den letzten Jahren mehr und mehr die Überzeugung durch, die Qualität der Umwelt als G~er zu verbessern. 88 Dafiir stehen die uvp_RL89, die Rats-VO über Umweltzeichen (oder auch Öko-Label genannt)90 und die Rats-VO zum Umwelt-Audit91 . Oftmals sind Umweltschadstoffe nicht an ein Medium gebunden, sondern greifen von einem zum anderen über, so daß monomediale Maßnahmen lediglich die Probleme in andere Umweltmedien verlagern. 92 Deshalb ist ein alle Medien umfassendes Umweltkonzept erforderlich, das die Kommission mit ihrem Vorschlag fiir

87 ABI. der EGen v. 20. Juli 1996, L 181, S. I tT. 88 In dieselbe Richtung ging schon eirunal die 1983 im dritten Umwelt-Aktionsprogramm angesprochene Entwicklung einer sogenannten "umfassenden Strategie", s. ABI. der EGen v. 17. November 1983, C 46, S. 1,5 ff, die sich aber nicht durchsetzen ließ. 89 Rats-RL 85/337/EWG v. 27. Juni 1985 über die Umweltverträglichkeitsprüfung bei bestimmten öffentlichen und privaten Projekten (ABI. der EGen v. 5. Juli 1985, L 175, S. 40 ff.). 90 Rats-Va (EWG) Nr. 880/92 v. 23. März 1992 betreffend ein gemeinschaftliches System zur Vergabe eines Umweltzeichens (ABI. der EGen v. 11. April 1992, L 99, S. I ff.). 91 Rats-Va (EWG) Nr. 1836/93 v. 29. Juni 1993 über die freiwillige Beteiligung gewerblicher Unternehmen an einem Gemeinschaftssystem ft1r das Umweltmanagement und die Umweltbetriebsprüfung (ABI. der EGen v. 10. Juli 1993, L 168, S. I ff); s. auch die Antwort von Herrn Paleokrassas im Namen der Kommission v. 8. April 1994 auf die schriftliche Anfrage E-3695/93 v. 3. Januar 1994, ABI. der EGen v. 5. Dezember 1994, C 340, S. 49 f 92 Vgl. Sellner, D./Schnutenhaus, J., S. 829.

48

A. Die Entwicklung der EG-Umweltpolitik

eine RL des Rates über die integrierte Venneidung und Venninderung der Umweltverschmutzung93 zu verwirklichen sucht. Dadurch sollen Emissionen von bestehenden und neu zu errichtenden industriellen Anlagen so gut wie möglich vennieden bzw. vennindert werden. Angestrebt wird, grundsätzlich die jeweils beste verfügbare Anlagentechnik einzusetzen. 94 Der Rat weist in seinen Schlußfolgerungen zu den Umweltaspekten des Weißbuches der Kommission "Wachstum, Wettbewerbsfähigkeit, Beschäftigung - Herausforderungen der Gegenwart und Wege ins 21. Jahrhundert"95 auf die besondere Bedeutung des Umweltschutzes für Wachstum und Beschäftigung hin. Da unsere Beschäftigungs- und Umweltprobleme auf Wachstumspolitik, Produktionsverfahren und Verbrauchsverhalten zurückzuführen sind, könnten sie nur gelöst werden, wenn die Marktteilnehmer ihren Entscheidungen andere Prioritäten als bisher zugrunde legten. Wichtig sei vor allem die Intensivierung der beschäftigungs- und umweltwirksamen steuerpolitischen Instrumente, der Verfahren zur Umweltrechnungslegung sowie der dem Stand der Umwelt angepaßten Kosten-Nutzen-Analysen. 96 Das EP fordert in diesem Zusammenhang die "ökologische Buchführung", d.h. die Berücksichtigung von Umweltkosten (z.B. Ressourcenverlust, Umweltbelastungen) bei der Berechnung des Bruttosozialproduktes, so daß nachhaltiges Wirtschaften, umweltehrliche Preise, die Kosten des Ressourcenverbrauches und Indikatoren der Umweltbelastung eine aussagenkräftige Kostenkalkulation der zukünftigen Politik ennöglichen. 97 In diesem Zusammenhang plant die Kommission für eine integrierte umweltökonomische Gesamtrechnung die Einrichtung von Umweltkonten zur

93 ABi. der EGen v. 17. November 1993, C 311, S. 6 ff.; s. dazu ausführlich eosdem, S. 829 ff. 94 Dabei ist möglichst abfallarme Technologie zu verwenden, s. Anhang IV des RLVorschlages, a.a.O., S. 17. 95 KOM (93) 700 endg. v. 5. Dezember 1993. 96 Vgi. Kommission der EGen, Bulletin der Europäischen Union 6/1994, S. 81, Nr. 1.2.169.

97 Vgi. EP-Entschließung zu der Einbeziehung des Faktors Umwelt in die Berechnung des Bruttosozialproduktes v. 22. April 1994 (ABi. der EGen v. 9. Mai 1994, C 128, S. 473 ff.); s. auch die EP-Entschließung zu der Mitteilung der Kommission an das EP und den Rat über "Wirtschaftswachsturn und Umwelt": Einige Konsequenzen filr die Wirtschaftspolitik" v. 11. Oktober 1995 (ABi. der EGen v. 30. Oktober 1995, C 287, S. 118 ff.).

II. Gegenwart

49

Erfassung wertwoller natürlicher Ressourcen und zur Erstellung möglichst genauer Umweltstatistiken für die gesamte EU (gemeinsamer Bezugsrahmen, europäisches System von Umweltbelastungsindizes, Bericht über die Integration von Umwelt- und Wirtschaftsstatistik, Entwicklung von Methoden zur Ermittlung der Kosten von Umweltschäden).98 So erging die Entscheidung des Rates vom 15. Dezember 1994 über die Annahme eines Entwicklungsprogramms mit vierjähriger Laufzeit (1994-1997) für die Umweltkomponente in den gemeinschaftlichen Statistiken99 . Auf der Grundlage der von Eurostat zusammengetragenen Daten sollen dann die EG-Politikbereiche Verkehr, Energie und Landwirtschaft neu ausgerichtet werden.

98 Mitteihmg der Kommission an den Rat IUld das EP KOM (94) 670 endg. v. 21. Dezember 1994, Leitlinien der EU über Umwe1tindikatoren IUld ein "grünes" RechnlUlgssystem, S. 2 ff. 99 ABI. der EGen v. 20. Dezember 1994, L 328, S. 58 ff. 4 Zacker

B. Das Abfallrecht als Teil des EG-Umweltrechtes I. Grundzüge 1. Die Berücksichtigung in den ersten vier Aktionsprogrammen

Seit den Anfängen einer konkreten EG-Umweltpolitik, also seit den fiiihen 70er Jahren, verfolgt die Gemeinschaft auch die Abfallpolitik als eine ihrer hervorgehobenen umweltpolitischen Aufgaben. Zuvor stellte sich das Problem auf EG-Ebenen nicht, weil lange Zeit die Aufgabe der Abfallbeseitigung den MS und dort den untersten staatlichen Handlungsebenen überantwortet war. In der Bundesrepublik Deutschland zum Beispiel hatte das Abfallrecht einen wesentlichen Ursprung im Kommunalrecht (kommunale Daseinsvorsorge), wurde dann Materie der Gesetzgebung verschiedener Bundesländer und schließlich durch die Einfiigung der Nr. 24 in Art. 74 (nunmehr Abs. 1) GGI Gegenstand der konkurrierenden Gesetzgebung. 2 Das erste EG-Umweit-Aktionsprogramm3 befaßte sich unter anderem in seinem siebten Kapitel mit der Beseitigung (=Unschädlichmachen von Abfällen, ohne neue Rohstoffe oder Energie zu gewinnen) von Industrieabfällen (darunter versteht man die Abfälle, die bei der Fabrikation von Produkten entstehen, dies im Gegensatz zu Haushalts- und ähnlichen Abfällen, die bei und nach dem Gebrauch der Produkte anfallen) und VerbrauchsTÜckständen sowie der Behandlung und Lagerung radioaktiver Abfälle. Antriebsfeder war damals wohlgemerkt noch das Funktionieren des GM und des internationalen

1 Strittig ist, ob dadurch wirklich eine neue Kompetenz begründet wurde oder die Einfilgung lediglich der KlarsteIlung diente, s. z.B. Maunz, T. in Maunz, T.lDürig, G. u.a. (Hrsg.), Bd. IlI, Rn. 249 zu Art. 74; Versteyl, L.-A. in Kunig, P.lSchwermer, G.Nersteyl, L.-A., Rn. 8 zur Einleitung; s. auch Klages, C., S. 21 ff. m.w.N. 2

VgI. Bothe, M., Spielräume, S. 939 f.

3 ABI. der EGen v. 20. Dezember 1973, C 112, S. 1,28 ff.

I. Grundzüge

51

Handels. 4 Generell war Abfall-"Politik" ursprünglich lediglich daran interessiert, Abfälle wegen der von ihnen ausgehenden Gesundheitsgefälrrdungen und -belästigungen zu beseitigen. s So sorgte man sich beispielsweise im Bereich der Atompolitik um die Sicherheit und den Schutz von Bevölkerung und Umwelt, die durch radioaktive Abfälle bedroht sind6 . Dabei kümmerte man sich allein um Entsorgungsfragen. Das Problem aber, schon die Entstehung von Abfällen einzudämmen - zum Beispiel durch Drosselung des Elektrizitätsbedarfes der Gemeinschaft oder Nutzung anderer Energiequellen -, stand dagegen nicht auf der Tagesordnung. Das änderte sich jedoch schon im zweiten Aktionsprogramm, in dem die Verhinderung des Entstehens von Abfällen sowie die Verwertung (=Abfall wird als Substitut von Rohstoffen genutzt) und Wiederverwendung angesprochen wurden, um unter anderem kostbare Ressourcen zu sparen und die Abhängigkeit der Gemeinschaft von Rohstoffeinfuhren zu verringern. 7 Die Erfahrungen aus der Ölkrise von 1973 spielten in diesem Zusammenhang sicherlich eine wesentliche Rolle. Die Kommission wird seitdem in ihrer Arbeit aufgrund des Beschlusses 76/431/EWG vom 21. April 1976 von einem Ausschuß für Abfallwirtschaft8 unterstützt. Hinsichtlich atomarer Abfälle ging es allerdings weiterhin vorwiegend um ihre gefahrlose Beseitigung. Die im dritten Aktionsprogramm betonten Prinzipien der Vorbeugung und der Verringerung der Umweltbelastungen an der Quelle bedeuteten für die Abfallwirtschaft, sich von drei Zielsetzungen leiten zu lassen: Verhinderung des Entstehens und Verringerung des nicht-verwertbaren Abfallaufkommens; Verwertung, Recycling und Wiederverwendung von Abfällen als Rohstoff oder Energiequelle; unschädliche Beseitigung und Bewirtschaftung nicht verwerteter Abfälle9 . Schwerpunktmäßig sollten dabei die landwirtschaftliche und die energetische Nutzung der Abfälle im Vordergrund stehen. Auch wurden ausdrücklich saubere, ressourcensparende Technologien erwähnt, hingegen nicht die Abfälle der Atomanlagen.

4lbid., S. 28. 5 VgI. Cairncross, F., S. 5.

6lbid., S. 30. 7 ABI. derEGen v. 13. Juni 1977, C 139, S. 1,31 ff. 8 S. ABI. der EGen v. 1.

Mai 1976, L 115, S. 73 f.; s. Wlten n, 1, a, bb.

9 ABI. der EGen v. 17. Februar 1983, C 46, S. 1,14. 4·

52

B. Das Abfallrecht als Teil des EG-Umweltrechtes

Das vierte Aktionsprogramm lO betonte beispielsweise die Notwendigkeit der Entwicklung und Förderung sauberer Technologien und sogenannter umweltverträglicher Erzeugnisse. 2. Die Weiterentwicklung in den '90er Jahren

Während das Programm lief, verabschiedete der Rat am 7. Mai 1990 eine Entschließung über die Abfallpolitikli, gestützt aUf die von der Kommission erarbeitete sogenannte Gemeinschaftsstrategie fiir die Abfallwirtschaft l2 , aus der sich eine Hierarchie der Abfallbewirtschaftung 13 ergibt: Höchste Priorität soll die Abfallvermeidung bzw. -verringerung (mittels sauberer Technologien und umweltverträglicher Produkte) genießen. Dann folgen die Förderung der Wiederverwertung und Wiederverwendung 14 sowie letztendlich die Optimierung der umweltverträglichen Beseitigung von nicht-wiederverwendbaren Abfallen. Daneben sollen der Transport von Abfällen so weit wie möglich reduziert und kontrolliert sowie bestehende Deponien saniert werden. Auf Regional- und Gebietsebene sind qualitativ und quantitativ genügend Entsorgungsanlagen, dem Stand optimaler Technik entsprechend, zu errichten, um Abfall auf kürzestem Wege zu beseitigen (Ziel der Entsorgungsautarkie, das allerdings nicht fiir die Wiederverwertung gilt I5 ). Nur im Ausnahmefall sollen EG-Abfälle in Drittstaaten exportiert werden. Zu atomaren Abfällen wird keine Stellung bezogen, weil ihr besonderer Charakter eine andere Herangehensweise erfordere l6 . Anknüpfend an diese Gemeinschaftsstrategie hat das EP am 19. Februar 1991 17 ebenfalls eine Entschließung zu einer gemeinschaftlichen Strategie fiir

10 ABI. der EGen v. 7. Dezember 1987, C 328, S. 1,32 f. 11 ABI. der EGen v. 18. Mai 1990, C 122, S. 2 ff. 12

Kommission der EGen, Gemeinschaftsstrategie, S. 1 ff.

13 Zu den Aufgaben im einzelnen s. Dieckmann, M., Abfallrecht, S. 122 f. 14 ln diesem Zusammenhang ist z.B. das REWARD-Programm zu nennen, mit dem der Rat fiIr die Jahre 1990-92 sechs Mio. ECU fiIr Forschungen insbesondere über Rückftlhrungstechnologien sowie über Energieerzeugung aus Abfall zur Verfügung stellte, s. ABI. der EGen v. 30. Dezember 1989, C 326, S. 3. 15 S.u. C, IV, I, e. 16 Kommission der EGen, Gemeinschaftsstrategie, S. 3. 17 ABI. der EGen v. 18. März 1991, C 72, S. 34 ff.

53

I. Gnmdzüge

die Abfallbewirtschaftung gefaßt, welche dieselben Ziele wie die Veröffentlichungen von Kommission und Rat verfolgt. 18 Darüberhinaus fordert es unter anderem die Ausarbeitung nationaler und regionaler Abfallbewirtschaftungspläne, die Anwendung der UVP bei der Erstellung von Abfallbeseitigungsanlagen, ein "Öko-Etikett" und strenge Deponievorschriften. Zur Notwendigkeit der Weiterentwicklung der gemeinschaftlichen Abfallstrategie hat das EP dann noch am 22. April 1994 eine erneute Entschließung gefaßt, in der es die Kommission auffordert, Vorschläge zur Weiterentwicklung der EG-Abfallpolitik vorzulegen und insbesondere die Steigerung der Vermeidung und Verwertung von Abfällen, den Einsatz wirtschaftlicher Instrumente sowie die Problematik der Vereinbarkeit von abfallwirtschaftlichen Maßnahmen mit dem BM zu beriicksichtigen. 19 Diesen Forderungen versucht es Nachdruck zu verleihen, indem es bei der Wahrnehmung seiner Kompetenzen im Rahmen des Art. 189 b EGV entsprechende Änderungen an sekundärrechtlichen Vorschlägen der Kommission vornimmt. 20 Dieses von Rat, Kommission und EP verfolgte Konzept, das häufig als "Philosophie der integrierten Abfallwirtschaft" bezeichnet wird21 , verläßt sich nicht mehr ausschließlich auf Marktkräfte, sondern stützt sich überwiegend auf Rechtsakte. Im fünften Aktionsprogramm schließlich wird konstatiert, daß trotz der seit

1975 betriebenen Abfallpolitik22 die Bewältigung der abfallwirtschaftlichen

Probleme immer "noch in den Kinderschuhen" stecke23 . Der Rat dringt deshalb insbesondere auf die Abfallvermeidung, fordert unter anderem die Durch-

18 Vgl. Vohrer, M., S. 313 ff. 19 ABl. der EGen v. 9. Mai 1994, C 128, S. 471

tT., s. auch Wlten II, 1, a, jj.

fiIr eine RL des EP Wld des Rates über Verpackungen und Verpackungsabtalle v. 4. Mai 1994 (ABl. der EGen v. 25. Juli 1994, C 205, S. 163, 164) mit dem Wortlaut: "Die Verringerung der Abfallmengen ist eine unabdingbare Voraussetzung für das ausdrücklich im Vertrag über die Europäische Union genannte beständige Wachstum". 20 S. beispielsweise die Einfilgung der Erwägung 2 a in den Vorschlag

21 S. z.B. Antwort von Frau Bjerregaard im Namen der Konunission v. 15. Mai 1995 auf die schriftliche Anfrage E-938/95 v. 31. März 1995, ABl. der EGen v. 28. August 1995, C 222, S. 23. 22 Im einzelnen s.u. II. 23 ABl. der EGen v. 17. Mai 1993, C 138, S. 1, 23; so gibt es in den letzten fünf Jahren beispielsweise eine Zunahme der Siedlungsabfälle in den EGen wn 13 % trotz ZWlehmenden Recyclings, s. a.a.O., S. 24.

54

B. Das Abfallrecht als Teil des EG-Umweltrechtes

fiihrung einer Abfallzyklus-Analyse unter Einbeziehung aller Betroffenen und stellt Zielvorgaben bis zum Jahr 2000 getrennt nach Siedlungsabfällen und gefährlichen Abfällen auf. 24 Im Bereich der Kernenergie (der Anteil an der Gesamtenergieerzeugung beträgt derzeit 34 % in der Gemeinschaft) gibt es weiterhin keine Änderung der politischen und wirtschaftlichen Ziele; die Kernenergie soll auf absehbare Zeit eine wichtige Energiequelle bleiben. 25 Anders als bei nicht-atomaren Abfällen ist allerdings bei radioaktiven Abfällen das Recyclen zur Verringerung des Abfallvolumens nicht immer die beste Abfallstrategie, da unterschiedlich aktiver atomarer Abfall zum Beispiel verschiedene Wärmepotentiale bietet, so daß die Wiederaufbereitung nicht durchweg die optimale Entsorgungsmöglichkeit darstellt. 26 3. Vorliegen einer einheitlichen Konzeption?

Nach Betrachtung dieser allgemeinen Grundsätze des Abfallrechtes und der Abfallpolitik der EGen läßt sich schon an dieser Stelle sagen, daß sich die Konzeption, die Aufgaben und Ziele der Abfallpolitik bedeutend geändert haben: Beschäftigte man sich in den 70er Jahren vornehmlich mit der Abfal/beseitigung aus Gründen namentlich der von den Abfällen ausgehenden Gesundheitsgefährdungen, so erkannte man nach und nach die Ziele der Verhinderung des Entstehens, der VerWertung und der Wiederverwendung der Abfälle an, um Ressourcen zu sparen (Güterknappheit). Die genannten Ziele wurden dann in der gegebenen Reihenfolge hierarchisiert, so daß jetzt die Verhinderung der Entstehung von Abfällen programmatisch oberste Priorität genießt. Volkswirtschaftliche und stoffokologische Forschungen haben nämlich gezeigt, daß sogenannte end-of-pipe-Maßnahmen (z.B. Abwasserklärung,

24lbid., S. 57 und 59. 25 lbid., S. 63 ff. 26 VgI. die Antwort von Herrn Paleokrassas im Namen der Kommission v. 24. Februar 1994 auf die schriftliche Anfrage E-3728/93 v. 3. Januar 1994, ABI. der EGen v. 14. November 1994, C 317, S. 44. Darin wird unter anderem auf den Bericht über die dritte Konferenz der Europäischen Gemeinschaft über die Entsorgung radioaktiver Abfalle verwiesen, die im September 1990 in Luxemburg stattfand. Dort wie auch von der Kommission wird darauf hingewiesen, daß ftlr die Frage der Wiederaufarbeitung radioaktiven Abfalles zwischen hochaktivem langlebigem und schwach aktivem oder rnitte1aktivem kurzlebigem Abfall zu unterscheiden ist. So produziert auch die Wiederaufarbeitung fast ftlnfzehnrnal mehr kurzlebigen radioaktiven Abfall, als bei der direkten Entsorgung des abgebrannten Brennstoffes anfallen würde. Das heißt, daß bei der Diskussion um die Entsorgung nuklearer Abfälle sehr genau zwischen den einzelnen Abfallkategorien zu differenzieren ist.

I. Grundzüge

55

Luftreinhaltung mittels Stoffabscheidung) zwar einerseits Schadstoffemissionen verringern, andererseits aber lediglich zu Problemveriagerungen fiihren, weil wachsende Mengen von end-of-pipe-Produkten wie Klärschlämme und Filterstäube entstehen, die selbst wiederum weitere abfallwirtschaftliche Probleme verursachen27 Hinzu trat die Betonung der Verwendung ressourcensparender Technologien und umweltverträglicher Erzeugnisse. Ferner wird die Entsorgungsautarkie der Gemeinschaften und der einzelnen MS angestrebt. Schließlich zeigen Forderungen nach Abfallzyklus-Analysen und nationalen Abfallbewirtschaftungsplänen, daß man heute von einem Recht und einer Politik der Ab/al/wirtschaft (=Bewirtschaftung der Abfälle und der Entsorgungskapazitäten, als terminus technicus in Art. 130 s Abs. 2 Uabs. 1 Spstr. 2 EGV genannt)28 sprechen kann. Fraglich ist, inwieweit diese Elemente und Grundzüge ein umfassendes EG-Abfallrecht als "europäisches Abfallrecht" definieren, inwieweit also bereits etwa abschließende übergreifende gemeinschaftsrechtliche Regelungen existieren, die den nationalen abfallrechtlichen Handlungsspielraum der MS einschränken. Um Antworten auf diese Frage zu finden, ist zuerst erforderlich, die Gemeinschaftsakte darzustellen, die sich spezifisch mit der Abfallproblematik beschäftigen (deskriptiv-normatives Vorgehen). Zum Primärrecht ist vorweg zu sagen, daß der EG-Vertrag mit Ausnahme des Begriffes der "Abfallbewirtschaftung" in Art. 130 s Abs. 2 Uabs. 1 Spstr. 2 EGV an keiner weiteren Stelle explizit Abfallpolitik oder abfallrechtliche Probleme erwähnt. Das gilt auch für den EGKS-Vertrag. Der EAG-Vertrag enthält ebenfalls keine ausdrücklichen Vorschriften in bezug auf atomare Abfälle, sondern erwähnt radioaktive Abfälle nur an drei Stellen in den Anhängen des EAG-Vertrages29 . Hinsichtlich der Entsorgung von nuklearem Material wird im Vertragstext selbst lediglich die Aufgabe des Gesundheitsschutzes der Bevölkerung - Schutz vor Radioaktivität - angesprochen. Vorschriften über ihre Ausgestaltung finden sich in der vierten Erwägung der Präambel und den Art. 2 lit. b; 30 ff. EAGY. Daruberhinaus sind noch die Art. 92 ff. EAGV zu er-

27 Vgl. Schenkel, W./Reiche, 1., S. 74 f. 28 S. zu den noch weitergehenden Überlegungen eines "Stoffstromrechtes" in einer Kreislaufwirtschaft Kunig, P., Wegwerfgesellschaft, S. 281 ff. 29 Anhang I Ziff. IV, 5: "Konzentrienmg und Aufbewahrung der unbrauchbaren radioaktiven Abfälle"; Anhang II Nr. 12: "Anlagen fiIr die industrielle Aufbereitung radioaktiver Abtalle, ... "; Anhang IV Liste A 2 Uabs. 7 Hauptspstr. 2: "Geräte fiIr die Behandlung der Abtalle".

56

B. Das Abfallrecht als Teil des EG-Umweltrechtes

wähnen, da sie die Verwirklichung des GM im Nuklearsektor regeln. Sie umfassen die Beseitigung aller Ein- und Ausfuhrzölle, Abgaben gleicher Wirkung sowie alle mengenmäßigen Beschränkungen der Ein- und Ausfuhr für alle Erzeugnisse, welche die Listen des Anhanges IV nennen. Dazu zählen unter anderem radioaktive Rohstoffe und Abfälle. Ansonsten findet man ausschließlich Vorschriften, welche die Möglichkeit zur Schaffung von Sekundärrecht geben. Deshalb werden im folgenden sogleich das Sekundärrecht und weitere Gemeinschafsakte den Untersuchungsgegenstand bilden.

11. Das Sekundärrecht und weitere Gemeinschaftsaktel° Die EGen haben zahlreiche rechtlich verbindliche und unverbindliche Akte zu den unterschiedlichen Abfallarten und der Behandlung des Abfalles erlassen. Zur Gliederung kann man dabei einerseits an die Abfallobjekte ("stationäre" Regelungen), andererseits an den Transport der Abfälle anknüpfen: 1. Stationäre Regelungen

Es existieren sowohl Regelungen zum allgemeinen Abfallrecht, die grundsätzlich für alle Abfälle gelten, als auch für besondere Abfallarten, die im folgenden als Sonderabfälle bezeichnet werden. a) Allgemeine Abfallregelungen aa) Die Rahmen-RL 75/442/EWG vom 15. Juli 1975 über Abfälle und ihre wichtigsten Änderungen

Die grundlegende Norm, die das gesamte EWG-Abfallrecht als Rahmen-RL bestimmt, ist die RL des Rates 75/442/EWG vom 15. Juli 1975 über Abfälle31 . 30 Dabei werden im folgenden fast ausschließlich geltendes Recht und Akte, die für die Gegenwart noch Wirkungen zeitigen, sowie Vorschläge für neue Rechtsakte berücksichtigt. 31 ABI. der EGen v. 25. Juli 1975, L 194, S. 47 ff.; geändert bzw. ergänzt durch ABI. der EGen v. 17. Dezember 1990, L 353, S. 59 ff.; v. 26. März 1991, L 78, S. 32 ff.; v. 31. Dezember 1991, L 377, S. 48 ff.; v. 7. Januar 1994, L 5, S. 15 ff.; v. 17. November 1994, L 296, S. 42 ff. Dieckmann, M., AbfalIrecht, S. 116 f. m.w.N., weist

II. Das Sekundärrecht und weitere Gemeinschaftsakte

57

Sie wird inzwischen durch mehrere Einzel-RLen ausgefüllt. Die RL, deren Ziel ein wirksames und zusammenhängendes System der Abfallbeseitigung auf EG-Ebene ist, um ungleiche Wettbewerbsbedingungen und dadurch verursachte Störungen des Funktionierens des GM zu verhindern, definiert erstmals im EG-Umweltrecht die Begriffe Abfall und Abfallbeseitigung. Sie erstreckt sich auf alle Abfälle, ausgenommen radioaktive Abfälle, Abfälle aus Landwirtschaft und Bergbau, Tierkörper und -teile, Abwässer mit Ausnahme flüssiger Abfälle, gasförmige Ableitungen in die Atmosphäre sowie Abfälle, für die eine besondere Gemeinschaftsregelung existiert. Anlagen und Unternehmen, in denen Abfälle für andere aufbereitet, gelagert oder abgelagert werden, unterliegen einer Genehmigungspflicht. Die MS müssen diese Unternehmen und solche, die ihre Abfälle selbst befördern, sammeln, aufbereiten, lagern, ablagern, sowie die Unternehmen, die fremde Abfälle sammeln oder befördern, überwachen. Ferner sind von den MS Abfallbeseitigungspläne zu erstellen, die unter anderem geeignete Flächen für Deponien ausweisen sollen. Jeder Besitzer von Abfällen muß diese entweder einem privaten oder öffentlichen Sammel- oder Abfallbeseitigungsunternehmen übergeben oder selbst für die Abfallbeseitigung sorgen, ohne die menschliche Gesundheit zu gefahrden oder die Umwelt zu schädigen. Die Abfallbeseitigungskosten haben gemäß dem Verursacherprinzip die Abfallbesitzer und/oder die Hersteller der Erzeugnisse zu tragen, von denen die Abfälle herrühren. Schließlich unterliegen die MS mehreren Unterrichtungspflichten: einerseits haben sie die Kommission von allen Regelungsentwürfen in Kenntnis zu setzen, welche die Abfallbildung einschränken, Abfälle verwerten und umwandeln, Rohstoffe und Energie sowie alle anderen Verfahren zur Wiederverwendung von Abfällen lördern sollen; andererseits müssen sie der Kommission alle drei Jahre einen Abfallbeseitigungsbericht übermitteln. Die Kommission muß wiederum den Rat und das EP über die Anwendung der RL unterrichten. Wesentliche Änderungen und Erweiterungen der genannten Vorschriften brachte die RL des Rates 911156IEWG vom 18. März 1991 zur Änderung der

nach, daß die Rahmen-RL - anders als teilweise behauptet (so behauptet z.B. Kersting, A, S. 346, daß das deutsche Abfallbeseitigungsgesetz von 1972 Vorbild für die Rahmen-RL gewesen sei) - nicht aufgrund der Vorgabe einer MS-Rechtsordnung entstanden, sondern ein eigenständiger Gemeinschaftsrechtsakt ist. Das hat insbesondere Bedeutung für die Auslegung, weil somit eine historische Auslegung in Anlehnung an eine einzige mitgliedstaatliche Rechtsordnung von vornherein ausscheidet.

58

B. Das Abfallrecht als Teil des EG-Umwe1trechtes

RL 75/442/EWG über Abfälle32 . Sie orientiert sich an den Vorgaben der RatsEntschließung vom 7. Mai 1990 über die Abfallpolitik33 , insbesondere was die Hierarchie der Ziele der Abfallpolitik anbelangt. Im einzelnen sind folgende Änderungen erwähnenswert: So werden die Begriffe Abfall34 und Abfallbeseitigung mit eigenen Anhängen35 teilweise neu definiert sowie weitere Legaldefinitionen ("Erzeuger", "Besitzer", "Bewirtschaftung", "Verwertung", "Einsammeln") aufgenommen. Die MS werden zur Venneidung, Verwertung und/oder Beseitigung der Abfälle verpflichtet36 : In erster Linie müssen37 sie Maßnahmen treffen, um die Verhütung oder Verringerung der Erzeugung von Abfällen und ihrer Gefährlichkeit zu fördern. Erst in zweiter Linie sollen sie ihre Bemühungen der Verwertung der Abfälle, der Wiederverwendung, dem Wiedereinsatz oder anderen Verwertungsvorgängen im Hinblick auf die Gewinnung von sekundären Rohstoffen oder Energie widmen. Ferner sollen die MS, gegebenenfalls in Kooperation mit anderen MS, ein integriertes und angemessenes Netz von Abfallbeseitigungsanlagen38 errichten, damit die Gemeinschaft Entsorgungsautarkie erreicht und jeder MS befähigt wird, diese Autarkie anzustreben. Das Entsorgungsnetz muß so gestaltet sein, daß Abfälle

32 ABI. der EGen v. 26. März 1991, L 78, S. 32 ff

33 ABI. der EGen v. 18. Mai 1990, C 122, S. 2 t1; s.o. B, I Wld Wlten gg. 34 S. dazu ausfilhrlich Wlten D, I, 1.

35 Die Wlter die Abfallgruppen in Anhang I fallenden Abflille werden jetzt in der EntscheidWlg der Kommission 94/31EG v. 20. Dezember 1993 über ein Abfallverzeichnis gemäß Artikell Buchstabe a) der RL 75/442IEWG des Rates über Abflille (ABI. der EGen v. 7. Januar 1994, L 5, S. 15 ff.) einzeln -'aber nicht abschließend - genannt. Das Verzeichnis wird gemeinhin als Europäischer Abfallkatalog (EWC) bezeichnet. Die dort genannten Stoffe sind jedoch nur dann Abflille, wenn sie die übrigen Tatbestandsmerkmale des Art. 1 lit. a RL 75/442IEWG erft1llen, s. u. D, I, 1. 36 Sowohl UmsetzWlg als auch AnwendWlg der RL bereiten immer noch beträchtliche Schwierigkeiten. So haben Italien, Spanien, Griechenland, Irland Wld die BWldesrepublik Deutschland der Kommission bisher keine UmsetzWlgsmaßnahmen mitgeteilt (s. Kommission der EGen, Zwölfter Jahresbericht, S. 49). 37 AA Schreier, A, S. 33 Wld 53 f., der eine rechtliche Verpflichtung ablehnt Wld lediglich von einem politischen Leitsatz spricht.

38 Sollte der Vorschlag der Kommission v. 30. September 1993 fiir eine Rats-RL über die integrierte VermeidWlg Wld VerminderWlg der UmweltverschmutzWlg (ABI. der EGen v. 17. November 1993, C 311, S. 6 ff.) verwirklicht werden, ist zu beachten, daß die ursprüngliche Genehmigungsfreiheit bestimmter Abfallbeseitigungsanlagen nach Art. 11 RL 9111 56IEWG gemäß dem Anhang I Ziff 5 RL-Vorschlag (ibid., S. 14) modifiziert wird.

TI. Das Sekundärrecht Wld weitere Gemeinschaftsakte

59

in einer der am nächsten gelegenen geeigneten Anlagen, die am besten ein hohes Niveau des Gesundheits- und Umweltschutzes gewährleistet, entsorgt werden. Außerdem führte die RL einen speziellen, die Kommission beratenden Ausschuß ein, der aus Vertretern der MS und einem Vertreter der Kommission besteht. 39 bb) Beschluß der Kommission 76/431/EWG aber den Ausschuß jUr Abfal/wirtschaft

Um sich den Sachverstand von Experten fruchtbar zu machen, beschloß die Kommission am 21. April 1976, sich zukünftig in allen Fragen der Abfallwirtschaftspolitik von einem Ausschuß 40 beraten zu lassen, der pro MS aus zwei hohen Regierungssachverständigen sowie aus zwei Mitgliedern der Kommission besteht. Zweimal jährlich tritt er zusammen. Beispiele seiner Arbeit aus der jüngeren Vergangenheit sind: die Weiterentwicklung des Rechtes des grenzüberschreitenden Transportes giftiger und gefährlicher Abfälle, das Aufstellen von Prinzipien zur Altölbeseitigung und die Errichtung einer Datenbank über sämtliche nützliche Informationen betreffend Abfälle. 41 cc) Entschließung zu Ab/al/wirtschaft und Altlasten

Am 19. Juni 1987 forderte das EP die Kommission in seiner Entschließung Dok. A 2-31/87 42 unter anderem auf, Vorschläge zur Einsetzung von Gemeinschaftsinspektoren zu unterbreiten, welche die ordnungsgemäße Anwendung des gemeinschaftlichen Umweltrechtes in der Praxis überwachen sollten. Dieser Gedanke, der die Effizienz des Abfallrechtes zweifelsohne vergrößern würde, ist allerdings bis heute nicht in die Tat umgesetzt worden.

39 Der Ausschuß tagte das erste Mal im Oktober 1991, s. Morgan de Rivery, E.lNote-Pinte, L., S. 416 Fn. 15. 40 S. ABI. der EGen v. 1. Mai 1976, L 115, S. 73 f. Er besteht neben dem Ausschuß aufgTWld der Abfall-Rahmen-RL weiter. 41 Vgl. Morgan de Rivery, E.lNote-Pinte, L., S. 416. 42

ABI. der EGen v. 20. Juli 1987, C 190, S. 154 ff.

B. Das Abfallrecht als Teil des EG-Umweltrechtes

60

dd) Forschungsabkommen

Als Beispiel von Forschungskooperationen mit Drittstaaten im Bereich der Abfallpolitik sei hier der Rats-Beschluß 88/511IEWG vom 26. September 1988 über den Abschluß des Kooperationsabkommens zwischen der EWG und dem Königreich Schweden über Forschungsarbeiten auf dem Gebiet der Rückfiihrung und Verwertung von Abfällen43 erwähnt. Diese Art der Verträge soll für beide Partner die Forschung effizienter gestalten und unnötige Doppelarbeit vermeiden. Ein Ziel ist dabei, gegenseitigen Nutzen in Fragen der Recycling-Technologien und der Energieerzeugung aus Abfall zu ziehen. ee) Verbrennungsanlagen .fi1r Siedlungsmüll

Obwohl die Rats-RLen 89/369IEWG vom 8. Juni 1989 über die Verhütung der Luftverunreinigung durch neue Verbrennungsanlagen für Siedlungsmüll44 und 89/4291EWG vom 21. Juni 1989 über die Verringerung der Luftverunreinigung durch bestehende Verbrennungsanlagen für Siedlungsmüll45 hauptsächlich den Schutz des Umweltmediums Luft durch FestIegung von Emissionsgrenzwerten und Verbrennungsbedingungen bezwecken, unterfallen sie auch den abfallpolitischen Akten. Sie dienen nämlich dem Ziel, Abfälle möglichst ohne jede Gefährdung der menschlichen Gesundheit und ohne Umweltschädigungen zu beseitigen. Zu beachten ist, daß die Emissionsgrenzwerte und QuaIitätsnormen beider RLen modifiziert werden, sollte der Rat die RL über die integrierte Vermeidung und Verminderung der Umweltverschmutzung gemäß dem Kommissionsvorschlag vom 30. September 1993 46 erlassen.

43 ABI. der EGen v. 7. Oktober 1988, L 276, S. 11 ff.; s. auch Rats-Beschluß 92/413/EWG v. 29. Juni 1992 über den Abschluß eines Kooperationsabkommens zwischen der EWG und dem Königreich Schweden über Forschung und technologische Entwicklung auf den Gebieten der erneuerbaren Rohstoffe: Forstwirtschaft und Holzprodukte (einschließlich Kork) (FOREST) und der Rückftlhrung von Abfall (REWARD)(ABI. der EGen v. 1l. August 1992, L 228, S. 40 ff.). 44

ABI. der EGen v. 14. Juni 1989, L 163, S. 32 ff.

45 ABI. der EGen v. 15. Juli 1989, L 203, S. 50 ff. 46 ABI. der EGen v. 17. November 1993, C 311, S. 6, 15 f.; vgI. auch oben A, II, 3.

II. Das Sekundärrecht und weitere Gemeinschaftsakte

61

.tJ) Sondervorschriften for das Gebiet der ehemaligen DDR Die RL des Rates 90/656/EWG vom 4. Dezember 1990 über die in Deutschland geltenden Übergangsmaßnahmen für bestimmte Gemeinschaftsvorschriften über den Umweltschutz47 gewährt der Bundesrepublik Deutschland Fristen zur Anpassung der Umweltvorschriften im Gebiet der ehemaligen DDR an die EG-Normen. Für den Abfallsektor sind Art. 13 (Altölbeseitigung) und Art. 16 (Abfalle) relevant. Danach müssen die Altölbeseitigungs-Untemehmen ihren RL-Verpflichtungen bis spätestens 3. Oktober 1997 nachkommen. Die Fristverlängerung für Abfälle im Anwendungsbereich der Abfall-Rahmen-RL 75/442/EWG und der RL über giftige und gefährliche Abfälle 78/319/EWG48 lief am 31. Dezember 1995 aus. Gestützt auf die am selben Tag ergangene Rats-RL 90/660/EWG über die in Deutschland geltenden Übergangsmaßnahmen für bestimmte Gemeinschaftsvorschriften über den Umweltschutz im Zusammenhang mit dem BM49 erließ· die Kommission am 9. Dezember 1991 die Entscheidung 92/3/EWG zur Festlegung der Bedingungen für die Notifikation der zum 18. September 1981 in der früheren Demokratischen Republik (sie!) im Verkehr befindlichen Chemikalien, die nicht im Verzeichnis nach Art. 13 der RL des Rates 67/548/EWG vom 27. Juni 1967 zur Angleichung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften für die Einstufung, Verpackung und Kennzeichnung gefährlicher Stoffe50 stehen51 . Danach dürfen bestimmte Stoffe auf dem Hoheitsgebiet der Gemeinschaften außerhalb des Hoheitsgebietes der ehemaligen DDR nicht in den Verkehr gebracht werden und müssen ein besonderes Notifikationsverfahren durchlaufen. Solange sie nicht vorläufig notifiziert worden sind, dürfen sie auch auf dem Gebiet der ehemaligen DDR nicht in den Verkehr gebracht werden.

47 ABI. der EGen v. 17. Dezember 1990, L 353, S. 59 ff. 48 S.u. b, kk. 49 ABI. der EGen v. 11. Dezember 1990, L 353, S. 79 ff. 50 ABI. 51

der EGen Nr. 196 v. 16. August 1967, S. 1 fI.

ABI. der EGen v. 8. Januar 1992, L 3, S. 26 ff.

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B. Das Abfallrecht als Teil des EG-Umweltrechtes

gg) Rats-Entschließung aber die Abfal/politik vom 7. Mai 1990

Die schon oben52 kurz erwähnte Entschließung vom 7. Mai 199053 zielt darauf ab, die Abfallentstehung so weit wie möglich zu vermeiden. Der dennoch anfallende Abfall soll auf möglichst umweltverträgliche Weise wiederverwertet oder wiederverwendet werden. Der Rat fordert eine geeignete Entsorgungsinfrastruktur, die auf Regional- oder Gebietsebene ein angemessenes, integriertes Netz von Entsorgungsanlagen umfassen soll, das die besten verfügbaren und keine übermäßigen Kosten verursachenden Technologien berücksichtigt sowie zu einer Reduzierung der Abfalltransporte beiträgt. Nicht nur die Gemeinschaft in ihrer Gesamtheit, sondern auch die einzelnen MS sollen entsorgungsautark werden (Konzept der integrierten Abfallwirtschaft). Ferner sollen insbesondere Deponieabfälle verringert sowie für bestimmte Abfallarten Aktionsprogramme aufgestellt werden. Um die Verbraucher über den Umwelteinfluß eines Produktes während dessen gesamter Lebensdauer besser aufzuklären, ersucht der Rat die Kommission, ein gemeinschaftsweites ÖkoKennzeichnungssystem vorzulegen. Außerdem soll die Kommission spezielle Vorschläge über Verpackungen unterbreiten. Das EP hat sich in seiner Entschließung zu einer gemeinschaftlichen Strategie für die Abfallbewirtschaftung vom 19. Februar 1991 diesen Forderungen angeschlossen54 . hh) Zivi/rechtliche Haftung jUr durch Abfälle verursachte Schäden Seit 1989 versucht die Kommission, eine Regelung zur Abfallhaftung zu initiieren. 55 Nach Änderungsvorschlägen des Ep56 sieht der gegenwärtige Vorschlag57 für die RL58 wie folgt aus: Damit unterschiedliche abfallrechtli-

52 S.o. I, 2. 53 ABI. derEGen v. 18. Mai 1990, C 122, S. 2 tT. 54 ABI. derEGen v. 18. März 1991, C 72, S. 34 ff. 55 S. KOM (89) 282 endg. - SYN 217, ABI. der EGen v. 4. Oktober 1989, C 251, S.

3 ff.

56 Das EP fordert darüberhinaus auch einen allgemeinen RL-Entwurf zur Regelung der Haftung filr (künftige) Umweltschäden, s. Entschließung zur Verhütung und Behebung von Umweltschäden v. 20. April 1994 (ABI. der EGen v. 9. Mai 1994, C 128, S. 165, 166). 57 S. ausführlich Pappel, R., S. 71 ff. 58 ABI. derEGen v. 23. Juli 1991, C 192, S. 6 ff.

II. Das Sekundärrecht und weitere Gemeinschaftsakte

63

che Haftungsvorschriften der MS nicht zu künstlichen Investitions- und Abfallströmen und dadurch zu Wettbewerbsverfälschungen und verschiedenen Schutzniveaus führen, soll der Rat eine Harmonisierungs-RL schaffen, die dem Verursacher- und dem Vorbeugeprinzip Rechnung trägt. Abfallerzeuger sowie in bestimmten Fällen Abfallbeseitiger sollen fiir alle Schäden und Umweltbeeinträchtigungen haften, die durch bei einer industriellen oder gewerblichen Tätigkeit erzeugte Abfälle (außer bei bestimmten radioaktiven Abfällen und einigen ÖlabflUlen von Seeschiffen) verursacht werden. Der RL-Vorschlag erfaßt den Schadenersatz fiir Körperschäden, Todesfälle, Sach- und Umweltschäden, behält aber den Ersatz sonstiger immaterieller Schäden und Schmerzensgeldansprüche den mitgliedstaatlichen Rechtsordnungen vor. Die Haftungsart ist eine verschuldensunabhängige Haftung, die durch eine Versicherung oder sonstige finanzielle Sicherheit abzudecken ist. Erwogen wird auch die Errichtung eines "Europäischen Entschädigungsfonds fiir durch Abfälle verursachte Schäden und Umweltbeeinträchtigungen". Mögliche Verursacher desselben Schadens oder derselben Umweltbeeinträchtigung sollen gesamtschuldnerisch haften. Umweltschutz-Interessenvereinigungen und -verbänden wird eine begrenzte Klagebefugnis eingeräumt. ii) Ab/al/deponien

Ebenfalls ist es im Bereich der Abfalldeponien noch zu keiner Einigung gekommen. Hier ist die Kommission seit 1991 tätig. 59 Infolge verschiedener Änderungen durch das EP existiert mittlerweile der geänderte Vorschlag fiir eine RL des Rates über Abfalldeponien KOM (93) 275 endg. - SYN 335 vom 10. Juni 1993 60 , der vom Rat am 6. Oktober 1995 angenommen61 , vom EP allerdings am 22. Mai 1996 abgelehnt worden62 ist. Der Vorschlag verfolgt eine geordnete und kontrollierte Ablagerung aller Abfälle in Deponien, fiir die gemeinschaftsweit dieselben technischen Normen und Umweltschutzauflagen gelten sollen, so daß vor allem Kostenunterschiede fiir die Abfallbeseitigung

59 S. KOM (91) 102 endg. - SYN 335 v. 23. April 1991 (ABI. der EGen v. 22. Juli 1991,C 190,S.1 f1). 60 ABI. der EGen v. 5. August 1993, C 212, S. 33 t1; s. auch ABI. der EGen v. 19. Juni 1995, C 151, S. 378. 61 S. EuZW 1995, S. 750. 62 S. EuZW 1996, S. 452; das bedeutet, daß der Rat die RL nunmehr nur noch mit einstimmiger Mehrheit annehmen kann.

B. Das Abfallrecht als Teil des EG-Umweltrechtes

64

und daraus resultierend unangemessene Entsorgungspraktiken und Umweltgefahrdungen vermieden werden. Die RL soll fiir alle Abfälle i.S.d. RL 75/442/EWG63 als auch fiir gefährliche Abfälle i.S.d. RL 78/319/EWG (jetzt: RL 91/689/EWG64) Anwendung finden. Sie teilt die Deponien je nach Art zu lagernder Abfälle in folgende Kategorien ein: Deponien für gefahrliche Abfälle; Deponien fiir Siedlungsabfälle; Deponien fiir Inertabfälle65 . Alle Deponien müssen allgemeine Anforderungen erfüllen und unterliegen der Genehmigungspflicht. Deponiebetreiber haben ein bestimmtes Abfallannahmeverfahren zu beachten und dürfen einige Abfälle (z.B. flüssige und explosionsgefahrliche) nicht annehmen. Um das Abfallaufkommen und -recycling zu verringern, sollen die Abfallbeseitigungsgebühren zumindest die Kosten fiir die Errichtung und den Betrieb der jeweiligen Deponie decken. Außerdem regelt der Vorschlag die Kontrollverfahren während des Betriebes und in der Nachsorgephase, die zivilrechtliche Haftung der Betreiber und das Stillegungsverfahren. Weiterhin haben die MS fiir die Errichtung eines oder mehrerer Nachsorgefonds zu sorgen, die unter anderem die normalen Nachsorgekosten für stillgelegte Deponien decken sollen. jj) Weiterentwicklung der gemeinschaftlichen Ab/al/strategie (1994)

An den Konsens, der zwischen Rat, Kommission und EP über das Erfordernis einer gemeinschaftlichen Abfallpolitik besteht, knüpft das EP mit seiner Entschließung zur Notwendigkeit der Weiterentwicklung der gemeinschaftlichen Abfallstrategie vom 22. April 1994 an. 66 Da es die bisher ergriffenen Maßnahmen zur Abfallvermeidung und -verwertung fiir nicht ausreichend hält, um eine nennenswerte Reduzierung der Abfallmengen zu erreichen, fordert es insbesondere den Einsatz wirtschaftlicher Instrumente wie Steuern und Abfallwirtschaftspläne, die Förderung der Entwicklung von Märkten fiir Sekundärrohstoffe und eine EG-Abfallstatistik67 sowie der Pilotprojekte zu prioritären Abfallströmen.

63 S.o. aa. 64 S.u. b, kk. 65 Zur DefInition dieser AbfiUle s. unten D, I, 4. 66 ABI. der EGen v. 9. Mai 1994, C 128, S. 471 ff. 67 In seiner Entschließung zu der Einbeziehung des Faktors Umwelt in die Berechnung des Bruttosozialproduktes v. 22. April 1994 (ABI. der EGen v. 9. Mai 1994, C

II. Das Sekundärrecht und weitere Gemeinschaftsakte

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b) Sonderabfälle

aa) Die Altöl-RL 75/439/EWG vom 16. Juni 1975 Die RL des Rates 75/439/EWG vom 16. Juni 1975 über die Altölbeseitigung68 verpflichtet die MS, die erforderlichen Maßnahmen zur schadlosen Sammlung und Beseitigung von Altölen zu ergreifen und dafür zu sorgen, daß die Beseitigung soweit möglich durch Wiederverwendung (Aufbereitung und/oder Verbrennung zu anderen Zwecken als dem der Vernichtung) erfolgt. Vorrang soll die Aufbereitung von Altölen genießen, gefolgt vom Verbrennen und schließlich der schadlosen Vernichtung oder kontrollierten Lagerung oder Ablagerung. Verboten sind das Einleiten von Altölen in Oberflächen-, Küstengewässer, Grundwasser und Kanalisationen; das Lagern und/oder Ableiten von Altölen, die schädliche Auswirkungen auf den Boden haben, sowie das unkontrollierte Einleiten von Rückständen aus der Altöl-Aufarbeitung; die Altölbehandlung, die eine Luftverunreinigung hervorruft, die über das in den geltenden Vorschriften festgelegte Niveau hinausgeht. Die MS können Unternehmen eine Genehmigung fiir die Sammlung und/oder die Beseitigung der Altöle - gegebenenfalls nach Bezirken - erteilen und ihnen fiir die erbrachten Dienstleistungen Zuschüsse zahlen (die Zuschüsse können durch Abgaben auf Erzeugnisse, durch deren Verwendung Altöle entstehen, oder auf Altöle finanziert werden). Dem steht eine Ablieferungspflicht fiir Alt- ölbesitzer gegenüber, die Altöl nicht selbst ordnungsgemäß beseitigen können. Die eingesammelten, beseitigten und besessenen Altölmengen müssen in ein Nachweisbuch eingetragen und/oder der zuständigen Behörde auf Verlangen mitgeteilt werden.

128, S. 473,474), weist es daraufhin, daß das Fehlen solcher Statistiken den Aufbau eines "Green Accounting" ernsthaft behindere. 68 ABI. der EGen v. 25. Juli 1975, L 194, S. 31 tT.: geändert bzw. ergänzt durch ABI. der EGen v. 12. Februar 1987, L 42, S. 43 tT.; v. 31. Dezember 1991, L 377, S. 48 tT.; v. 17. November 1994, L 296, S. 42 tT. 5 Zacker

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B. Das Abfallrecht als Teil des EG-Umweltrechtes

bb) Die PCB/PCT-RL 76/403/EWG

Gemäß der Rats-RL 76/403IEWG vom 6. April 1976 über die Beseitigung polychlorierter Biphenyle und Terphenyle69 dürfen PCB oder PCT enthaltende Gegenstände und Geräte nicht unkontrolliert beseitigt, deponiert oder herrenlos liegengelassen werden. Die Beseitigung der PCB und PCT in hierfür zugelassenen Anlagen, Einrichtungen oder Unternehmen muß ohne Gesundheitsgefährdungen und ohne Umweltschädigung erfolgen, sofern eine Regenerierung nicht möglich ist. Besitzer von PCB und PCT müssen diese an die genannten Anlagen, Einrichtungen oder Unternehmen abliefern und gemäß dem Verursacherprinzip die Beseitigungskosten tragen (kostenpflichtig können auch die früheren Besitzer oder die Hersteller von PCB und PCT enthaltenden Stoffen sein). Obwohl sich seit 1976 der Stand der Technik verändert hat und die Beseitigungsmethoden sich verbessert haben, ist der Kommissionsvorschlag für eine neue, veränderte PCBIPCT-RL70 vom Rat bis heute noch nicht umgesetzt worden. Insbesondere will der Vorschlag das Inverkehrbringen und die Regenerierung von PCB und PCT künftig ganz untersagen.

ce) Abfälle aus der Titandioxidproduktion

Da Abfälle aus der Titandioxidproduktion die menschliche Gesundheit und die Umwelt erheblich gefährden, erließ der Rat am 20. Februar 1978 die RL 7811761EWG71. Die MS sind verpflichtet, die Abfallbildung einzuschränken sowie die Verwertung und Umwandlung der Abfälle, die Gewinnung von Rohstoffen und alle anderen Verfahren zur Wiederverwendung der Abfälle zu för-

69 ABI. der EGen v. 26. April 1976, L 108, S. 41 f.~ geändert durch ABI. der EGen v. 31. Dezember 1991, L 377, S. 48 tT.

70 KOM (88) 559 endg. - SYN 161 v. 3. November 1988 (ABI. der EGen v. 12. Dezember 1988, C 319, S. 57 tT.)~ geändert durch ABI. der EGen v. 20. November 1991, C 299, S. 9 tT. 71 ABI. der EGen v. 25. Februar 1978, L 54, S. 19 tT.~ geändert bzw. ergänzt durch ABI. der EGen v. 31. Dezember 1982, L 378, S. 1 ff~ v. 3. Februar 1983, L 32, S. 28; v. 14. Juli 1989, L 201, S. 56 tT. (diese RL 89/428/EWG wurde allerdings vom EuGH durch Urteil v. 11. Juni 1991, Rs. C-300/89, E 1991, S. 2867 tT. wegen Zugnmdelegung einer falschen Rechtsgnmdlage aufgehoben~ bis zum Inkrafttreten der neuen RL 92/l12/EWG hielten die MS jedoch die annulierten Bestirrunungen auf freiwilliger Basis, gestützt auf ein gentleman's agreement, ein); v. 31. Dezember 1992, L 409, S. 11 tT.

II. Das Selamdärrecht und weitere Gemeinschaftsakte

67

dem. Vor allem sind die Einleitung, das Versenken, die Lagerung, Ablagerung und das Einbringen von Abfällen aus der Titandioxidproduktion genehmigungsbedürftig. Je nach Art der Abfallbehandlung gelten unterschiedliche Parameter für die erforderliche Überwachung und Kontrolle ihrer Auswirkungen. 72 Außerdem regelt die RL 92/112IEWG des Rates vom 15. Dezember 199273 die Modalitäten zur Vereinheitlichung der von Art. 9 Abs. 3 RL 78/176IEWG geforderten Programme zur Verringerung und späteren Unterbindung der Verschrnutzung durch Abfälle der Titandioxidindustrie. Darin wird grundsätzlich die Einbringung (=jeder Vorgang, bei dem Stoffe und Material durch Wasser- oder Luftfahrzeuge bzw. von diesen aus absichtlich in oberirdische Binnen-, innere Küstengewässer, das Küstenmeer oder die Hohe See eingeleitet werden) und Einleitung fast aller Abfälle der Titandioxid-Produktion in oberirdische Binnen-, innere Küstengewässer, das Küstenmeer und die Hohe See ab 15. Juni 1993 verboten. Ferner müssen bestehende Industrieanlagen ihre Emissionen von Staub, sax und Chlor auf bestimmte Höchstmengen reduzieren. Neue Industrieanlagen bekommen die entsprechenden Genehmigungen nur, wenn sie sich verpflichten, ausschließlich die auf dem Markt verfügbaren Materialien, Verfahren und Technologien zu verwenden, die am wenigsten umweltschädlich sind. dd) Altpapier

Um Rohstoffe, Energie und Frischwasser einzusparen, die Abwässerbelastung und Luftverunreinigung zu verringern und die Abfallbeseitigung zu entlasten, hat der Rat die Empfehlung 81/972IEWG vom 3. Dezember 1981 über die Wiederverwendung von Altpapier und die Verwendung von Recyclingpapier74 erlassen. Danach sollen die MS und die Gemeinschaftsorgane vermehrt Recyclingpapier, -pappe, wiederverwendbares Altpapier und wiederverwendbare Altpappe benutzen und ebenfalls die Verbraucher und Hersteller zu einer intensiveren Verwendung anhalten. Ferner sollen Verwertungsmöglichkeiten für Altpapier in anderen Bereichen als der Papier- und Pappeherstellung gesucht und unterstützt werden.

72 S. ABI. der EGen v. 31. Dezember 1992, L 378, S. 1,2 ff. 73 ABI. derEGen v. 3l. Dezember 1992, L409, S. 11 ff. 74 ABI. der EGen v. 10. Dezember 1981, L 355, S. 56 f.



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B. Das Abfallrecht als Teil des EG-Umweltrechtes

ee) Verpackungen jlilssiger Lebensmittel

Die RL des Rates 85/339IEWG vom 27. Juni 1985 über Verpackungen fiir flüssige Lebensmittet75 will ebenfalls den Energie- und Rohstoffverbrauch senken und die Umweltbelastung durch Abflille der genannten Verpackungen verringern. Die MS sollen unter anderem die Verbraucher über den Nutzen von Mehrwegverpackungen aufklären, Mehrwegverpackungen und bei Pfandsystemendie Höhe des Pfandbetrages deutlich kenntlich machen, die Wiederverwendung und/oder Verwertung der Verpackungen fiir flüssige Lebensmittel erleichtern, Einwegverpakkungen getrennt sammeln lassen und ihren Anteil so weit wie möglich senken sowie umweltgerechte Verpackungstypen fordern. 76 Die dazu von den MS aufzustellenden Programme (s. Art. 3 RL77) sind mindestens alle vier Jahre zu überprüfen und zu aktualisieren. 78 Infolge des Erlasses der RL 94/62IEG des EP und des Rates vom 20. Dezember 1994 über Verpackungen und Verpackungsabfälle tritt die RL 85/3391 EWG spätestens zum 30. Juni 1996 außer Kraft (s. Art. 23 i.Y.m. 22 RL 94/62IEG79).

ff) Klärschlamm-RL Mit der RL des Rates 861278IEWG vom 12. Juni 1986 über den Schutz der Umwelt und insbesondere der Böden bei der Verwendung von Klärschlamm in der Landwirtscha:ft80 wird bezweckt, die Verwendung so zu regeln, daß insbesondere die Konzentration von Schwermetallen die Qualität der Böden und der landwirtschaftlichen Erzeugnisse nicht beeinträchtigt und Tiere und Menschen nicht geschädigt werden. Die RL setzt deshalb Grenzwerte fiir Schwer-

75 ABI. der EGen v. 6. Juli 1985, L 176, S. 18 ff.; geändert durch ABI. der EGen v. 31. Dezember 1991, L 377, S. 48 f1

76 In bezug auf allgemeine Verpackungen s.u. mm. 77 ABI. der EGen v. 6. Juli 1985, L 176, S. 19. 78 Frankreich wurde beispielsweise unter anderem wegen Verletzung dieser Vorschrift vom EuGH am 5. Oktober 1994 verurteilt, s. Rs. C-255/93, Business Law Europe v. 12. Dezember 1994, S. 6. 79 ABI. der EGen v. 31. Dezember 1994, L 365, S. 10, 17 f., s. auch unten mm. 80 ABI. der EGen v. 4. Juli 1986, L 181, S. 6 ff.; geändert bzw. ergänzt durch ABI. derEGen v. 31. Dezember 1991, L 377, S. 48 ff. und v. 17. November 1994, L 296, S. 42 ff.

TI. Das Sekundärrecht IUld weitere Gemeinschaftsakte

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metalle fest, stellt Regeln fiir die Verwendung der Schlämme auf und fordert Probenahmen sowie Analyseverfahren. gg) EP-Entschließung zu einer Politikfor kommunale Kunststoffabfälle

In seiner Entschließung vom 7. Juli 198881 fordert das EP die Kommission unter anderem dazu auf, geleitet vom Vorbeugegrundsatz eine besondere Strategie fiir KunststoffabflUle festzulegen und HaushaitsabflUle optimal zu entsorgen (unter Berücksichtigung von Stoffrecyclings- und Energieverwertungsalternativen). Ferner soll sie die Entwicklung verläßlicher, globaler ÖkobilanzBeurteilungssysteme fiir Verpackungen veranlassen und umweltverträgliche Verpackungssysteme fordern. Empfohlen werden außerdem die getrennte Sammlung und Regenerierung des Kunststoffabfalles sowie die Verpflichtung, allen Kunststoffilaschen Pfand aufzuerlegen. hh) Tierische Abfälle

Die Rats-RL 90/667/EWG vom 27. November 1990 zum Erlaß veterinärrechtlicher Vorschriften fiir die Beseitigung, Verarbeitung und Vermarktung tierischer Abfälle und zum Schutz von Futtermitteln tierischen Ursprunges, auch aus Fisch, gegen Krankheitserreger sowie zur Änderung der RL 90/425/EWG82 enthält Hygienevorschriften fiir die Sammlung, die Beforderung und die Verarbeitungsbetriebe tierischer AbflUle, Regeln fiir die Verarbeitung und Vermarktung tierischer Abfälle sowie Vorschriften über die Kontrollen von Verarbeitungsbetrieben. Um Gesundheitsgefahren vorzubeugen, sind tierische AbflUle grundsätzlich in einem genehmigten und überwachten Betrieb zu verarbeiten. Wegen der Bedeutung des traditionellen Abdeckereigewerbes in Irland und im Vereinigten Königreich erließ der Rat am 22. Juni 1995 die die RL konkretisierende Entscheidung 95/348/EG über die im Vereinigten Königreich und in Irland anwendbaren veterinär- und tierseuchenrechtlichen Vorschriften fiir die Behandlung bestimmter Abfälle, die zur lokalen Vermarktung als Futtermittel fiir bestimmte Tierkategorien bestimmt sind83 . Die Entscheidung ist am l. Januar 1996 in Kraft getreten. 81 ABl. der EGen v. 12. September 1988, C 235, S. 147 ff. 82 ABl. der EGen v. 27. Dezember 1990, L 363, S. 51 ff.; geändert durch ABl. der EGen v. 15. März 1993, L 62, S. 49 ff. 83 ABl. der EGen v. 26. August 1995, L 202, S. 8 f.

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B. Das Abfa1lrecht als Teil des EG-Umwe1trechtes ii) Deponien filr gefährliche Abfälle

Siehe oben unter a, ii). jj) Gefährliche Stoffe in Batterien und Akkumulatoren

Am 18. März 1991 erließ der Rat die RL 91/157/EWG über gefährliche Stoffe enthaltende Batterien und Akkumulatoren84, durch die das Inverkehlbringen bestimmter Alkali-Mangan-Batterien, der dauerhafte Einbau von Batterien und Akkumulatoren in Geräte verboten und die zur Verwertung oder Beseitigung getrennte Sammlung von Altbatterien und -akkumulatoren geboten wird. Darüberhinaus besteht eine Kennzeichnungspflicht, und die MS können gegebenenfalls ein Pfandsystem organisieren. So sollen Rohstoffe gespart und Umweltschäden durch die enthaltenen gefährlichen Stoffe Quecksilber, Cadmium und Blei vermieden werden. Obwohl die RL bis zum 18. September 1995 umzusetzen war, haben die Kommission bisher nur Dänemark, Luxemburg und die Niederlande über Umsetzungsmaßnahmen informiert. 8S

kk) RL des Rates über gefährliche Abfälle

Der Rat erließ am 12. Dezember 1991 die RL 91/689/EWG86, welche die Vorgänger-RL 78/319/EWG über giftige und gefährliche Abfälle87 ersetzt88 , um eine wirksame Bewirtschaftung gefährlicher Abfälle zu erreichen, so daß insbesondere weder die menschliche Gesundheit gefährdet noch die Umwelt geschädigt wird. Soweit die RL 91/689/EWG keine speziellen Vorschriften

84 ABI. derEGen v. 26. März 1991, L 78, S. 38 ff.; ergänzt durch ABI. der EGen v. 23. Oktober 1993, L 264, S. 51 f. 8S Kommission der EGen, Zwölfter Jahresbericht, S. 49 Ziff. 2.5.

86 ABI. derEGen v. 31. Dezember 1991, L 377, S. 20 ff. 87 ABI. der EGen v. 31. März 1978, L 84, S. 43 ff. 88 S. dazu RL 94/31fEG des Rates vom 27. JWJ.i 1994 zur Änderung der RL 911689fEWG, ABI. der EGen v. 2. Juli 1994, L 168, S. 28, wonach die Wirkung der RL 78/319fEWG zum 27. JWJ.i 1995 aufgehoben wurde. Diese Verlängerung der Wirkung war erforderlich geworden, weil sich die Begriffsbestimmung gefährlicher Abfiille verzögert hatte.

ll. Das Sekundärrecht und weitere Gemeinschaftsakte

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enthält, gilt die Rahmen-RL 75/442/EWG89 - mit der dort genannten Hierarchie der abfallpolitischen Ziele: l. Verhütung und Verringerung der Abfallentstehung, 2. Verwertung und Wiederverwendung der Abfälle, 3. Entsorgung - auch für gefahrliche Abfälle. Diese werden durch in verschiedenen Anhängen genannte Eigenschaften und Bestandteile charakterisiert. Ausgenommen ist Hausmüll. Für die Begriffsbestimmung gefährlicher Abfälle erließ der Rat am 22. Dezember 1994 die Entscheidung 94/904/EG über ein Verzeichnis gefahrlicher Abfälle i.S.v. Art. 1 Abs. 4 RL 91/689/EWG90. Bezüglich der Ablagerung und Verkippung gefahrlicher Abfälle besteht eine Registrier- und Identifizierungspflicht. Anlagen und Unternehmen, die gefahrliche Abfälle beseitigen, verwerten, einsammeln oder befördern, benötigen grundsätzlich91 eine Genehmigung. Dadurch soll eine umfassende Kontrolle jeder Bewegung gefahrlicher Abfälle erreicht werden. Die Kommission erließ am 17. April 1996 eine Entscheidung über die Erstellung eines Formulars zur Informationsübermittlung nach Art. 8 Abs. 3 RL 91/689/EWG92 11) Verbrennung geftihrlicher Abftille

Mit der RL 94/67/EG vom 16. Dezember 1994 über die Verbrennung gefahrlicher AbflUle93 bezweckt der Rat, Maßnahmen und Verfahren zur Verhütung oder zumindest größtmöglichen Beschränkung von Umweltbelastungen (insbesondere Luft-, Boden-, Oberflächenwasser- und Grundwasserverschmutzungen) sowie der Gefahren für die menschliche Gesundheit durch die Verbrennung gefahrlicher Abfälle i.S.d. Art. lAbs. 4 RL 91/689/EWG einzuführen. Der noch im geänderten Kommissionsvorschlag vom 22. Juni 1993 94 enthaltene Erwägungsgrund 9a ist allerdings nicht in die endgültige Version

89 S.o. a, aa. 90 ABI. der EGen v. 3l. Dezember 1994, L 356, S. 14 fI. 91 Eine Ausnahme ist z.B. Art. 3 Abs. 2 RL filr bestimmte Abfallverwertungsanlagen. Sollte allerdings der Vorschlag der Kommission v. 30. September 1993 filr eine Rats-RL über die integrierte Venneidung und Venninderung der Umweltverschmutzung (ABI. derEGen v. 17. November 1993, C 311, S. 6 fI.) verwirklicht werden, wird die Genehmigungsfreiheit dieser Anlagen gemäß dem Anhang I, ZifI. 5 RL-Vorschlag (a.a.O., S. 14) modifiziert werden. 92 ABI. der EGen v. 1l. Mai 1996, L 116, S. 26 f. 93 ABI. der EGen v. 31. Dezember 1994, L 365, S. 34 fI. 94 ABI. derEGen v. 14. Juli 1993, C 190, S. 5 fI.

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B. Das Abfallrecht als Teil des EG-Umweltrechtes

aufgenommen worden. Dort hieß es noch, daß Abfall nur dann verbrannt werden soll, wenn Abfallvermeidung und stoffliche Verwertung unmöglich sind. Das damit angesprochene Vorsorgeprinzip 9S findet sich also jetzt nicht mehr im RL-Text. Die RL sieht die Genehmigungspflicht für alle Anlagen, Betriebsstätten oder Unternehmen zum Betrieb von technischen Anlagen vor, die zur Verbrennung gefährlicher Abfälle durch Oxidation mit oder ohne Rückgewinnung der erzeugten Verbrennungswärme eingesetzt werden, stellt verschiedene Emissionsgrenzwerte, -richtwerte und Betriebsbedingungen auf und nennt Anforderungen an die Meßtechniken sowie an die Überwachung der Emissionen. Alle bestehenden Anlagen müssen grundsätzlich bis zum 1. Juli 2000 so umgerüstet werden, daß sie die für Neuanlagen geltenden Anforderungen erfüllen. Maxime ist, Anlagen so zu betreiben, daß eine vollständige Verbrennung stattfindet, und bei Überschreitung der Grenzwerte den Betrieb der Anlage sofort und so lange einzustellen, wie die Emissionsnormen nicht eingehalten werden. Um die Emissionsvorgaben des Fünften Umwelt-Aktionsprogrammes, die teilweise weiter als die RL 94/67/EG gehen, zu erfüllen, bereitet die Kommission derzeit einen RL-Vorschlag über die Verbrennung aller Abfallarten vor. 96 mm) Verpackungen und Verpackungsabfälle Nach den Regelungen über Verpackungen für flüssige Lebensmittel97 haben der Rat und das Ep98 am 20. Dezember 1994 die lang diskutierte RL 94/62/EG über Verpackungen und Verpackungsabfälle99 erlassen, die nunmehr sämtliche Typen von Verpackungen (=aus beliebigen Stoffen hergestellte Produkte zur Aufnahme, zum Schutz, zur Handhabung, zur Lieferung sowie zur Darbietung von Waren, die vom Rohstoffbis zum Verarbeitungserzeugnis reichen können und vom Hersteller an den Benutzer oder Verbraucher weiter-

95 S.u. C, IV, I, a. 96 S. Antwort von Frau Bjerregaard im Namen der Kommission v. 27. Juli 1995 auf die schriftliche Anfrage E-I869/95 v. 3. Juli 1995 an die Kommission, ABI. der EGen v. 2. Oktober 1995, C 257, S. 82 f

97 S.o. ee. 98 Höchst zweifelhaft ist, ob aus Art. 189 b Abs. 5 EGV überhaupt eine RechtsetZWlgskompetenz des EP folgt. Auf dieses Problem kann hier allerdings nicht näher eingegangen werden. 99

ABI. der EGen v. 31. Dezember 1994, L 365, S. 10 ff.

1I.Das Sekundärrecht und weitere Gemeinschaftsakte

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gegeben werden, einschließlich aller zum selben Zweck verwendeter Einwegartikel) und bis auf Produktionsrückstände alle Verpackungsabfälle i.S.d. RL 75/442/EWG i.d.F. der RL 91/156/EWG erfaßt. Die MS müssen sie spätestens zum 30. Juni 1996 umgesetzt haben (an diesem Tag tritt die RL 85/339/EWG über Verpackungen fiir flüssige Lebensmittel lOO außer Kraft). Um ein hohes Umweltschutzniveau und das Funktionieren des BM sicherzustellen, strebt die RL zuvörderst die Venneidung von Verpackungsabfall und hilfsweise - in abgestufter Prioritätenfolge - die Wiederverwendung, die stofiliche Verwertung sowie die energetische und organische Verwertung der Verpackungsabfälle an. Spätestens fünf Jahre nach der Umsetzung der RL sollen grundsätzlich zwischen 50 und 65 Gewichtsprozent aller Verpackungsabfälle aus dem Abfallaufkommen ausgesondert sein und verwertet werden. Die Verwertung von insgesamt 25 bis 45 Gewichtsprozent des gesamten und mindestens 15 Gewichtsprozent jedes einzelnen Verpackungsmaterials soll in Form des Recycling passieren. Nach spätestens zehn Jahren sollen die entsprechenden Anteile vom Rat erheblich erhöht worden sein. 101 Die MS müssen Rückgabeund Entsorgungssysteme einführen, die alle gebrauchten Verpackungen und/oder VerpackungsabfiUle vom Konsumenten oder Endverbraucher oder aus dem Abfallaufkommen erfassen. Der Rat wird spätestens zwei Jahre nach Inkrafttreten der RL über die einheitliche Kennzeichnung der wiederverwendbaren und verwertbaren Verpackungen entscheiden. Ferner müssen alle in den Verkehr gebrachten Verpackungen bestimmten Anforderungen bezüglich Herstellung und Zusammensetzung, Wiederverwendbarkeit und Verwertbarkeit genügen und Datenbanken über Verpackungen und VerpackungsabfiUle eingerichtet werden.

100 S.O. ee.

101 Damit kOlll1te sich die Kommission mit ihrem Vorschlag, schon heute die Anteile auf 90 bzw. 60 Gewichtsprozent festzulegen - s. ABI. der EGen v. 21. Oktober 1993, C 285, S. 1,9 - nicht durchsetzen.

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B. Das Abfallrecht als Teil des EG-Umweltrechtes

c) Atomare Abfälle aa) Festlegung der Grundnormen for den Gesundheitsschutz

Aufgrund der Art. 30 f EAGV erließ der Rat am 2. Februar 1959 sogenannte Richtlinien zur Festlegung der Grundnonnen fiir den Gesundheitsschutz der Bevölkerung und der Arbeitskräfte gegen die Gefahren ionisierender Strahlungen 102 . Angesichts der Weiterentwicklung der wissenschaftlichen Kenntnisse im Strahlenschutz sowie aufgrund der praktischen Erfahrungen, die mit der Anwendung dieser Richtlinien gesammelt worden sind, wurden die Grundnonnen 1976 103 , 1980 104 und 1984 105 überarbeitet und durch zahlreiche Rechtsakte ergänzt. Aufgrund mehrerer Empfehlungen der Internationalen Kommission fiir Strahlenschutz hat der Rat nunmehr keine erneute Änderung der Richtlinien mehr vorgenommen, sondern am 13. Mai 1996 einen neuen Rechtsakt geschaffen, nämlich die RL 96/29/Euratom zur Festlegung der grundlegenden Sicherheitsnonnen fiir den Schutz der Gesundheit der Arbeitskräfte und der Bevölkerung gegen die Gefahren durch ionisierende Strahlungen 106 Die Grundnonnen 107 bilden die Basis fiir eine umfassende Gemeinschaftspolitik im Bereich Strahlenschutz; denn sie gelten fiir fast alle Tätigkeiten, mit denen eine Gefährdung der Bevölkerung, der Arbeitskräfte oder der Umwelt durch Verstrahlung oder Kontamination verbunden sein könnte. Ihre Anwendung erstreckt sich auch auf die Lagerung, Beförderung, Beseitigung und den Besitz natürlicher und künstlicher radioaktiver Stoffe. Damit werden also grundsätzlich alle Bereiche der Entsorgung nuklearer Abfälle erfaßt. Für die Herstellung, Bearbeitung, Handhabung, Verwendung, Lagerung, Beförderung, Beseitigung und den Besitz natürlicher und künstlicher radioaktiver Stoffe

102 ABI. der EGen Nr. 11 v. 20. Februar 1959, S. 221 tf.; geändert durch ABI. der EGen Nr. 57 v. 9. Juli 1962, S. 1633 tf.; ABI. der EGen Nr. 216 v. 26. November 1966, S. 3693 tf. 103 S. ABI. der EGen v. 12. Juli 1976, L 187, S. 1 ff.; geändert durch ABI. der EGen v. 3. April 1979, L 83, S. 18. 104 S. ABI. der EGen v. 17. September 1980, L 246, S. 1 tr. 105 S. ABI. der EGen v. 5. Oktober 1984, L 265, S. 4 tr. 106 ABI. der EGen v. 29. Juni 1996, L 159, S. I tr. 107 S. ausführlich Roßnagel, A./GÜIldling, L., S. 66 ff.

ll. Das Sekundärrecht und weitere Gemeinschaftsalcte

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sowie für jede andere Tätigkeit, die eine Gefährdung durch ionisierende Strahlungen bewirken kann, bestehen eine Anmelde- und Genehmigungspflicht. Bestehende Anlagen und Geräte sind ständig zu überwachen, und bezüglich der Abfallbeseitigung sind Formeln und Vorkehrungen für Messungen aufzustellen und anzuwenden.

bb) Umweltschutz-Programmfor die Bewirtschaftung und Lagerung radioaktiver Abfälle Der Rats-Beschluß 75/406/Euratom vom 26. Juni 1975 über ein Programm für die Bewirtschaftung und Lagerung radioaktiver Abfälle 108 (bezeichnet als indirekte Aktion), gemäß Art. 7 Uabs. 2 EAGV befristet bis l. Januar 1980, enthielt die allgemeine Aufforderung zur gemeinsamen Entwicklung und Ausarbeitung der Bewirtschaftung der radioaktiven Abfälle bei gleichzeitiger Gewährleistung des bestmöglichen Schutzes der Bevölkerung und der Umwelt.· Unter anderem sollte ein allgemeiner rechtlicher, administrativer und finanzieller Rahmen für Aktionen zur Lagerung und Endlagerung radioaktiver Abfälle festgelegt werden. Am selben Tag bestimmte eine Entschließung des Rates, die Zuständigkeit des bereits bestehenden Beratenden Programmauschusses für die direkte Aktion "Behandlung und Lagerung radioaktiver Abfälle"109 auf die indirekte Aktion auszudehnen 110.

ce) Euratom-Sicherungsmaßnahmen Die VO (Euratom) Nr. 3227/76 der Kommission vom 19. Oktober 1976 zur Anwendung der Bestimmungen der Euratom-Sicherungsmaßnahmen 111 ist auch im Zusammenhang Init nuklearen Abfällen zu nennen, weil sie unter anderem Anlagen zur Aufarbeitung bestrahlten Kembrennmaterials erfaßt. So verpflichtet sie nicht nur generell jeden Errichter und Betreiber von Kemanla-

108 ABI. der EGen v. 9. Juli 1975, L 178, S. 38 f. 109 Entschließung des Rates v. 19. November 1973, ohne Fundstelle im ABI. der EGen. 110 ABI. derEGen v. 9. Juli 1975, C 153, S. 10. 111 ABI. der EGen v. 31. Dezember 1976, L 363, S. 1 ff.; geändert durch ABI. der EGen v. 27. Januar 1990, L 22, S. 56; v. 31. Juli 1993, L 191, S. 75.

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B. Das Abfallrecht als Teil des EG-Umweltrechtes

gen, der Kommission die grundlegenden technischen Merkmale der Anlage mitzuteilen, ein bestimmtes Durchführungs- und Kontrollsystem für Kernmaterial anzuwenden sowie weitere Kontrollbestimmungen zu beachten, sondern verlangt darüber hinaus die genaue Beschreibung der Lager für abgebranntes Brenrunaterial, der Abfallstufe nebst der Abfallmethode, der Dauer der Lagerung, der Art der Beseitigung und des Mengenbereiches oder der erwarteten Höchstmengen für jede Kategorie von festem und flüssigem Abfall. dd) Beschluß und Entschließungen des Rates vom J8. Februar J980

Im Anschluß an das Umweltschutz-Programm für die Bewirtschaftung und Lagerung radioaktiver Abfälle von 1975 112 erließ der Rat am 18. Februar 1980 eine Entschließung zur Durchführung eines Aktionsplanes der Gemeinschaft auf dem Gebiet der radioaktiven Abfallstoffe 1l3 für die Zeit 1980 bis 1992. Angesichts des geplanten Ausbaus der Kernenergie zur Deckung eines zunehmenden Teiles des Bedarfes an elektrischer Energie erkannte der Rat den Handlungsbedarf bezüglich der Probleme, die mit den notwendigerweise anfallenden atomaren Abfällen verbunden sind. Der Aktionsplan sieht deshalb für die Handhabung und Lagerung hochaktiver und/oder langlebiger Abfallstoffe folgende fünf Punkte vor: eine ständige Lageanalyse, um die erforderlichen Lösungen zu entwickeln und festzulegen (z.B. durch genaue Bestandsaufnahmen); die Prüfung von Maßnahmen zur Gewährleistung der langfristigen oder endgültigen Lagerung radioaktiver Abfallstoffe unter optimalen Bedingungen; die Konsultation über die Praktiken bezüglich der Handhabung der Abfallstoffe, der Qualität und Eigenschaften der konditionierten Abfallstoffe sowie der Entsorgungsbedingungen; kontinuierliche Forschung und Entwicklung l14 ; die regelmäßige Unterrichtung der Öffentlichkeit l15 .

112 S.o. bb.

113 ABI. der EGen v. 29. Februar 1980, C 51, S. I ff. 114 Indirekte Aktion, s. z.B. Beschluß des Rates 84/60/Euratom v. 31. Januar 1984 zum Forschungsprogramm über die Stillegung kerntechnischer Anlagen fiir die Zeit v. 1. Januar 1984 bis l. Januar 1989 (ABI. der EGen v. 8. Februar 1984, L 36, S. 23 f.), s. auch Grabitz, E. in EWGV-Kommentar, 4. Erglief., Rn. 210 zu Art. 130 s; Beschluß des Rates 851199/Euratom v. 12. März 1985 zum Forschungs- und Entwicklungsprogramm zur Bewirtschaftung und Lagerung radioaktiver AbflUle fllr die Zeit v. I. Januar 1985 bis 1. Januar 1990 (ABI. der EGen v. 25. März 1985, L 83, S. 20 ff.), s. auch Grabitz, E., ibid., Rn. 214 zu Art. 130 s; fortgesetzt durch die Rats-Entscheidung 89/664/Euratom v. 15. Dezember 1989 zur Genehmigung eines spezifischen Forschungs- und technologischen Entwicklungsprogrammes fllr die Europäische Atomge-

11. Das Sekundärrecht Wld weitere Gemeinschaftsakte

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Am 15. Juni 1992 wurde der Aktionsplan durch eine Rats-Entschließung 116 erneuert und auf den Zeitraum bis 1999 ausgedehnt. Insbesondere wird jetzt auf eine verstärkte Zusammenarbeit zwischen der EAG und den mittel- und osteuropäischen Ländern einschließlich der Republiken der ehemaligen UdSSR im Bereich der Handhabung und Lagerung radioaktiver Abfalle hingewiesen. In der ebenfalls am 18. Februar 1980 ergangenen Rats-Entschließung betreffend den Beratenden Programmausschuß im Bereich der Forschung "Bewirtschaftung und Lagerung radioaktiver Abfalle"117 wird der Kommission dieser Ausschuß bei der Ausfiihrung des Aktionsplanes zur Seite gestellt. Außerdem hat der Rat in der Entschließung betreffend die Aufarbeitung bestrahlter Kernbrennstoffe 118 und in der Entschließung betreffend Schnelle Brüter119 dem gemeinschaftlichen und mitgliedstaatlichen Interesse zugestimmt, aus Kernreaktoren entladene gebrauchte Brennstoffe zurückzugewinnen und wiederzuverwenden sowie verstärkt Schnelle Brüter zu verwenden. Schließlich bestimmte der Rat durch den Beschluß 80/237/Euratom vom 18. Februar 1980 die Einsetzung eines Beratenden Ad-hoc-Ausschusses für die Aufarbeitung bestrahlter Kernbrennstoffe 120. Der Ausschuß soll unter anderem die Situation der Aufarbeitung hinsichtlich der Entwicklung des Bedarfs sowie der vorhandenen Kapazitäten analysieren; eine erschöpfende Bilanz erstellen; Informationen über die vorübergehenden, bis zu einer mittelfristigen Aufarbeitung der Brennstoffelemente erforderlichen Lagerungskapazitäten zusammentragen und eine Problemanalyse erstellen.

meinschaft auf dem Gebiet der Entsorgung radioaktiver Abfälle (1990-1994) (ABI. der EGen v. 30. Dezember 1989, L 395, S. 28 f). 115 S. dazu die drei Berichte der Kommission über die derzeitige Lage Wld Aussichten der Entsorgung radioaktiver Abfälle in der EG KOM (83) 262 endg. v. 16. Mai 1983, KOM (87) 312 endg. v. 29 Juli 1987 Wld KOM (93) 88 endg. v. 1. April 1993. 116 ABI. derEGen v. 25. Juni 1992, C 158, S. 3 ff. 117 ABI. der EGen v. 29. Februar 1980, C 51, S. 4. 118 ABI. der EGen v. 29. Februar 1980, C 51, S. 4 f 119 ABI. der EGen v. 29. Februar 1980, C 51, S. 5 f 120 ABI. der EGen v. 26. Februar 1980, L 52, S. 9 f

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B. Das Abfallrecht als Teil des EG-Umweltrechtes ee) Kommissions-Empfehlung 82/74/Euratom

Die Empfehlung der Kommission 82/74/Euratom vom 3. Februar 1982 auf dem Gebiet der Lagerung und Wiederaufarbeitung bestrahlter Kernbrennstoffe 12l geht davon aus, daß die Wiederaufarbeitung bestrahlter Kernbrennstoffe und das System der Schnellen Brüter zu einer geringeren Abhängigkeit der Gemeinschaft von auswärtigen Uranlieferungen beitragen. Sie bezweckt die rechtzeitige Schaffung der notwendigen Kapazitäten für die Zwischenlagerung bestrahlter Brennstoffe im Rahmen entsprechender Bauprogramme, die Erforschung aller Wege, die zur Gründung von Wiederaufarbeitungsunternehmen fUhren können, und die Förderung einer möglichst offenen Haltung bezüglich des Technologietransfers und Erfahrungsaustausches, um die industrielle Zusammenarbeit innerhalb der Gemeinschaft zu f6rdern. jJ) Empfehlung zur Anwendung des Art. 37 EAGV Die Empfehlung der Kommission 82/181/Euratom vom 3. Februar 1982 betreffend die Anwendung von Artikel 37 des Euratom-Vertrags I22 , welche die gleichlautende Empfehlung vom 16. November 1960 123 ersetzt hatte, beruht unter anderem auf den Erwägungen, daß Pläne zur Ableitung radioaktiver Abfallstoffe aus Kernreaktoren und Wiederaufarbeitungsanlagen für bestrahlten Kernbrennstoff schon vor Beginn der Bauarbeiten besondere Aufmerksamkeit im Rahmen des Art. 37 EAGV erfordern und daß die radiologischen Auswirkungen der zunehmenden Ableitungen einer genauen Überprüfung bedürfen. Angepaßt an die wissenschaftliche und technische Entwicklung im Nuklearbereich wurden deshalb Begriffe wie die "Ableitung radioaktiver Stoffe" und die "allgemeinen Angaben" i.S.d. Art. 37 EAGV neu definiert und vielfältige Unterrichtungspflichten der MS aufgestellt. Infolge des EuGH-Urteils in der Rs. Cattenom 124 wurde die Empfehlung 82/181/Euratom am 7. Dezember 1990 durch die neue Empfehlung 91/4/Euratom 125 ersetzt. Insbesondere hatte der EuGH entschieden, daß gemäß Art. 37

121 ABI. der EGen v. 10. Februar 1982, L 37, S. 36.

122 ABI. der EGen v. 29. März 1982, L 83, S. 15 tT. 123 ABI. der EGen Nr. 81

v. 21. Dezember 1960, S. 1893 tT.

124 EuGHE 1988, Rs. 187/87, S. 5013 tT. 125 ABI. der EGen v. 9. Januar 1991, L 6, S. 16 tT.

II. Das Sekundärreeht und weitere Gemeinsehaftsakte

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EAGV ein MS eine von ihm geforderte endgültige Genehmigung zur Ableitung radioaktiver Stoffe erst erteilen darf, wenn der Plan zuvor der Kommission zur Stellungnahme mitgeteilt und ihre Stellungnahme abgewartet worden ist. Solche Stellungnahmen hat die Kommission - praktisch als Gutachterin mehrmals bezüglich der Fragen abgegeben, ob die Pläne zur Ableitung radioaktiver Abfallstoffe aus Kernkraftwerken bzw. Wiederaufarbeitungsanlagen eine in gesundheitlicher Hinsicht nennenswerte radioaktive Verseuchung des Bodens, Wassers oder Luftraumes eines anderen MS bewirken können. Folgende Anlagen standen bisher unter Begutachtung: Heysham 11 126 , Tomess l27, Belleville l28 , Nogent-sur-Seine I29 , lsar 11 130 , Emsland 13l , Vandellos 11 132 , Neckar 11133, Niederaichbach 134, Trillo 1135 und La Hague 136 .

126 Stellungnahme der Konunission 87/l70/Euratom v. 26. Februar 1987 (ABI. der EGen v. 12. März 1987, L 68, S. 33). 127 Stellungnahme der Konunission 87/350/Euratom v. 12. Juni 1987 (ABI. der EGen v. 9. Juli 1987, L 189, S. 42). 128 Stellungnahme der Konunission 87/427/Euratom v. 20. Juli 1987 (ABI. der EGen v. 15. August 1987, L 228, S. 47). 129 Stellungnahme der Konunission 87/434/Euratom v. 28. Juli 1987 (ABI. der EGen v. 21. August 1987, L 238, S. 30). 130 Stellungnahme der Konunission 88/104/EWG (sie!) v. 26. Januar 1988 (ABI. der EGen v. 3. März 1988, L 57, S. 35). 131 Stellungnahme der Konunission 88/l05/EWG (sie!) (ABI. der EGen v. 3. März 1988, L 57, S. 36). 132 Stellungnahme der Konunission 88/394/Euratom v. 14. Juni 1988 (ABI. der EGen v. 19. Juli 1988, L 188, S. 44 tT.). 133 Stellungnahme der Konunission 88/428/Euratom v. 1. Juli 1988 (ABI. der EGen v. 2. August 1988, L 208, S. 33). 134 Stellungnahme der Konunission 88/431/Euratom v. 7. Juli 1988 (ABI. der EGen v. 2. August 1988, L 208, S. 38). 135 Stellungnahme der Konunission 89/82/Euratom v. 16. Dezember 1988 (ABI. der EGen v. 3. Februar 1989, L 32, S. 28). 136 Stellungnahme der Konunission 89/475/Euratom v. 20. Juli 1989 (ABI. der EGen v. 10. August 1989, L 233, S. 36).

B. Das Abfa1lrecht als Teil des EG-Umweltrechtes

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gg) Forschungs- und Entwicklungsprogramme zur Entsorgung radioaktiver Abfälle

Mit der Entscheidung 89/664IEuratom vom 15. Dezember 1989 zur Genehmigung eines spezifischen Forschungs- und technologischen Entwicklungsprogramms für die EAG auf dem Gebiet der Entsorgung radioaktiver Abfälle (1990-1994)137 verfolgte der Rat das Ziel, die Sicherheit und den Schutz des Menschen und der Umwelt vor den potentiellen Risiken der Entsorgung radioaktiver Abfälle zu gewährleisten. 138 Das Programm bezog sich unter anderem auf Studien von Entsorgungssystemen, Abfallbehandlung sowie die Sicherheit des Systems geologischer Endlagerung mit Mehrfachbarriere. Außerdem wurden Mittel zum Bau und Betrieb unterirdischer Anlagen, die für gemeinsame Aktionen der Gemeinschaft zur Verfügung stehen, bereitgestellt. Um ein Anschlußprogramm zu schaffen, erging die umfassendere Rats-Entscheidung 94/920lEuratom vom 15. Dezember 1994 über ein spezifisches Programm für Forschung und Ausbildung im Bereich der Sicherheit der Kernspaltung (Reaktorsicherheit, Entsorgung und Strahlenschutz) (1994-1998)139. Eines der Hauptziele lautet. die Gemeinschaft und die MS enger bei der technischen Klärung wissenschaftlicher Fragen der Entsorgung langlebiger radioaktiver Abfälle zusammenzuführen. Da radioaktive Abfälle wegen ihrer spezifischen Probleme teilweise ein eigenes Lösungskonzept verlangen, hat die Kommission nach der 1990er Gemeinschaftsstrategie für die (allgemeine) Abfallwirtschaft 140 nunmehr am 2. März 1994 eine spezielle Gemeinschaftsstrategie für die Entsorgung radioaktiver Abfälle in Form einer Mitteilung an den Rat, das EP und den WSA erarbeitet l41 . Ihr Ziel ist eine gemeinschaftsweite Harmonisierung der Grundsätze für die Entsorgung radioaktiver Abfälle zur Gewährleistung eines EG-weiten äquivalenten Sicherheitsniveaus. Die Schwerpunkte lauten Definition und Ein-

137 ABi. der EGen v. 30. Dezember 1989, L 395, S. 28 tT. 138 Es wird an den Rats-Beschluß 851199/Euratom v. 12. März 1985 zur Festlegung eines Forschungs- und Entwicklungsprogramms zur Bewirtschaftung und Lagerung radioaktiver Abfälle (1985-1989) (ABi. der EGen v. 25. März 1985, L 83, S. 20 f.) angeknüpft. 139 ABi. derEGen v. 31. Dezember 1994, L 361, S. 143 tT. 140 S.o. 1,2. 141 KOM (94) 66 endg.

II. Das Sekundärrecht und weitere Gemeinschaftsakte

81

teilung, Volumenminimierung, Transport, Aufbereitung und Entsorgung radioaktiver Abfalle sowie Öffentlichkeitsarbeit und Finanzierung der Abfallentsorgung. Beachtet werden sollen unter anderem das von der Kommission so bezeichnete Nahbereichsprinzip bezüglich des Abfall- und Entsorgungsortes auf mitgliedstaatlicher Ebene sowie das Autarkieprinzip auf Gemeinschaftsebene l42 . Die Finanzierung der Entsorgung radioaktiver Abfälle soll gemäß dem Verursacherprinzip 143 erfolgen. Der Rat hat die Kommissionsmitteilung durch seine Entschließung vom 19. Dezember 1994 über radioaktive Abfälle angenommen. 144 ii) Entschließung zum Atommüll und zur Umweltverschmutzung auf See

Das EP fordert in seiner Entschließung vom 16. November 1995 145 die Betriebe aller Nuklear- und Wiederaufarbeitungsanlagen auf, jede Kontaminierung der Umwelt zu vermeiden und der Kommission darüber Rechenschaft abzulegen, welche chemischen und nuklearen Abfälle ins Meer eingeleitet worden sind. Ferner verlangt es von den Regierungen der MS, auf der bevorstehenden Regierungskonferenz die Befürchtungen im Zusammenhang mit der nuklearen Sicherheit zu erörtern und insbesondere zu klären, welche Rechtsgrundlagen Maßnahmen zur Ausräumung dieser Befürchtungen erlauben. Es ist der Auffassung, daß die abfallerzeugenden Länder für die Beseitigung der Nuklearabfälle selbst verantwortlich sind, und fordert die MS auf, eine Politik auf der Grundlage des Verursacherprinzips zu betreiben. 2. Das Recht des Transportes

a) Regelungen zu den allgemeinen und den Sonderabfällen Die Zunahme der grenzüberschreitenden Verbringung von - insbesondere gefährlichen Abfällen über große Entfernungen in andere MS oder in

142 S.u. C, IV, I, e. 143 S.u. C, IV, I, d. 144 ABI. derEGen v. 31. Dezember 1994, C 379, S. I f. 145 ABI. derEGen v. 4. Dezember 1995, C 323, S. 113. 6 Zacker

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B. Das Abfallrecht als Teil des EG-Umweltrechtes

Drittstaaten (man spricht heute inzwischen von einem regelrechten Abfalltourismus in die Staaten mit dem niedrigsten Schutzniveau) und vor allem die Vorfalle um die Seveso-Abfalle fiihrten in den 80er Jahren erstmals dazu, den Abfalltransport in umfassenden Rechtsakten zu regeln l46 :

aa) Abjal/verbringung ins Meer Am 13. August 1985 schlug die Kommission dem Rat eine RL über das Einbringen von Abfallen ins Meer vor l47 , mit der die Abfallverbringung in das Meer und die Abfallverbrennung auf dem Meer geregelt werden sollen. Das EP hat sich in einer Entschließung vom 19. Juni 1987 148 dem Anliegen der Kommission angeschlossen.

bb) Rats-Entschließung vom 21. Dezember 1988 Gestützt auf die RL 84/631/EWG betont der Rat in seiner Entschließung vom 21. Dezember 1988 zur grenzüberschreitenden Verbringung gefahrlicher Abfalle in Drittländer 149 unter anderem die Dringlichkeit einer internationalen wirkungsvollen Kontrolle, erkennt das von mehreren Drittstaaten verhängte Einfuhrverbot für gefahrliche Abfalle an und fordert die Entsorgungsautarkie der MS.

cc) Basler Konvention vom 22. März 1989 Seit 1987 wurde unter der Leitung des Umweltsekretariates der Vereinten Nationen (UNEP) an einem weltweiten Übereinkommen über die Kontrolle der grenzüberschreitenden Verbringung von gefahrlichen Abfallen und ihrer

146 Der erste dieser Rechtsakte war die seit 1993 nicht mehr geltende Rats-RL 84/6311EWG v. 6. Dezember 1984 über die Überwachung und Kontrolle - in der Gemeinschaft - der grenzüberschreitenden Verbringung gefährlicher Abfälle (ABI. der EGen v. 13. Dezember 1984, L 326, S. 31 ff.); s. dazu ausführlich Wilmowsky, P. von, Abfallwirtschaft, S. II ff.

147 KOM (85) 373 endg. (ABI. der EGen v. 26. September 1985, C 245, S. 23 ff.); geändert durch KOM (88) 8 endg. (ABI. der EGen v. 18. März 1988, C 72, S. 8 ff.); s. zum Gesamtkomplex der Abfallverbringung ins Meer Krämer, L., Mer, S. 331 ff.; Mensbrugghe, Y. van der, S. 360 ff. 148 Dok. A 2-19/87, ABI. der EGen v. 20. Juli 1987, C 190, S. 161 ff.

149 ABI. der EGen v. 12. Januar 1989, C 9, S. I.

11. Das Sekundärrecht und weitere Gemeinschaftsakte

83

Entsorgung gearbeitet, das schließlich als OECD-Abkonunen in Basel am 22. März 1989 von zahlreichen OECD-Mitgliedern und EG-MS unterzeichnet wurde l50 . Diese Basler Konvention trat allgemein am 5. Mai 1992 in Kraft 151 und wurde mittlerweile von über 60 Vertragsparteien ratifiziert l52 . Für die EWG erging der Genehmigungsbeschluß des Rates 93/98/EWG am 1. Februar 1993 153 , nachdem der Rat schon in seiner Entschließung vom 21. Dezember 1988 zur grenzüberschreitenden Verbringung gefährlicher Abfälle in Drittländer 154 die Verhandlungen über internationale Kontrollsysteme im Rahmen der OECD und des UNEP begrüßt hatte. In Kraft trat die Konvention für die EG am 7. Mai 1994 155 . Geregelt werden Fragen zum Abfallexport, zu Abfallvermeidungsmaßnahmen, Haftungsproblemen, zum Technologietransfer, zur Notifizierungspflicht und zur Re-Importverpflichtung. Grundsätzlich gilt, daß die Signatare keine nicht-wiederverwendbaren gefährlichen Abfälle in einen anderen Vertragsstaat exportieren dürfen, wenn dieser Staat den Import verbietet. 156 Außerdem besteht die Verpflichtung, die Ausfuhr von nicht-wiederverwertbaren Abfällen in Nichtvertragsstaaten zu verbieten und Transporte in Gebiete südlich des 60. Breitengrades zu unterlassen. Können darüberhinaus Abmachungen für die Durchführung der Abfallablagerung in einem Empfangerstaat nicht wie vereinbart eingehalten werden, muß der Abfalltransporteur seine Ladung zurücknehmen. Als Aufsichts- und Verwaltungsbehörde dient das durch Art. 16 Konvention eingesetzte Sekretariat.

150 Zur Basler Konvention s. ausfilhrlich Rublack, S., Waste, S. 370 ff.; dies., Transfer, S. 41 ff. m.w.n., 132 ff. passim; Kummer, K., S. 538 ff.; Villeneuve, C. de, S. 572 ff. 151 Vgl. Kummer, K. S. 534; der Originaltext ist abgedruckt in Environmental Policy and Law 1989, S. 68 ff. 152 S. Bacon, S., S. 262 Fn. 37. Deutschland ist seit dem 20. Juli 1995 Vertragsstaat, s. Wendenburg, H., S. 838 Fn. 66 a. 153 ABI. der EGen v. 16. Februar 1993, L 39, S. 1 ff.; berichtigt durch ABI. der EGen v. 17. März 1994, L 74, S. 52. 154 ABI. der EGen v. 12. Januar 1989, C 9, S. I. 155 ABI. derEGen v. 2. August 1994, C 211, S. 1. 156 S. dazu schon den Rats-Beschluß 901l70lEWG v. 2. April 1990 über die Annahme seitens der EWG einer Entscheidung-Empfehlung der OECD über die Überwachung der grenzüberschreitenden Verbringung gefährlicher Abfälle (ABI. der EGen v. 7. April 1990, L 92, S. 52 f.). 6·

B. Das Abfallrecht als Teil des EG-Umwe1trechtes

84

Die Zweite Vertragsstaatenkonferenz zum Basler Übereinkommen vom März 1994 in Genf diskutierte sehr kontrovers darüber, die Exportverbote auf sämtliche, also auch verwertbare gefährliche Abfalle auszudehnen (Schlagwort "totales Giftmüll-Exportverbot"). Um die Basler Konvention zu umgehen, versuchen nämlich insbesondere die westlichen Industriestaaten, beispielsweise schwermetall- und arsenvergiftete Schlämme, hochtoxische Filterstäube oder Zinkaschen - als "Sekundärrohstoffe" deklariert - weiterhin in NichtOECD-Staaten zu exportieren. 157 Ohne Schlußabstimmung faßte die Konferenz deshalb die nicht-bindende, aber einstimmige Entscheidung ("Entscheidung 11112"), alle Exporte von zur Beseitigung bestimmten gefahrlichen Abfällen von OECD-Ländern in Nicht-OECD-Staaten sofort und alle Exporte von zur Verwertung bestimmten gefährlichen Abfällen von OECD-Ländern in Nicht-OECD-Staaten bis spätestens zum 31. Dezember 1997 zu verbieten i58 . Das EP unterstützte in seiner Entschließung zur Verbringung gefahrlicher, zur Verwertung bestimmter Abfälle in Nicht-OECD-Länderl59 das Postulat dieses Ausfuhrverbotes. Es verwies auf die Forderungen zahlreicher weniger entwickelter Länder, nicht mit gefahrlichen Abfällen aus entwickelteren Ländern überflutet zu werden, und verlangte von Rat und Kommission Überlegungen, wie die durch jetzige oder frühere Ausfuhren entstehenden oder entstandenen Schäden behoben oder wiedergutgemacht werden können. Schließlich einigte sich die Dritte Vertragsstaatenkonferenz im Herbst 1995 auf ein derartiges Ausfuhrverbot, das spätestens bis zum 1. Januar 1998 in Kraft treten soll.160 Das bedeutet fiir das Europarecht, daß die Abfallverbringungs-VO (EWG) Nr. 259/93 161 geändert werden muß. Die Kommission hat diesbezüglich schon am 26. April 1995 einen Vorschlag fiir eine VO (EG) des Rates zur Änderung der VO (EWG) Nr. 259/93 des Rates zur Überwachung und Kontrolle der Verbringung von Abfällen in der, in die und aus der EG vorgelegtl62. Danach soll die Verbringung von zur Verwemmg bestimmten nicht gefahrlichen Abfällen der sogenannten grünen Liste in Drittländer nach dem Verfahren der soge157 S. z.B. Bernstorff, AlPuckett, J., S. 2 ff.; Rispens, J./Leonard, A, S. 2 ff.; Bernstorff, AfTargulian, 0., u.a., S. 8 f., 23 ff. 158 S. Umwelt 1994, S. 194. 159 ABI. derEGen v. 1. Mai 1995, C 109, S. 38 f. 160 S. EuZW 1996, S. 2. 161 S. sogleich unten unter ee. 162 KOM (95) 143 endg. - 95/0107(SYN), ABI. der EGen v. 30. Juni 1995, C 164,

S. 8 f.

11. Das Sekundärrecht und weitere Gemeinschaftsakte

85

nannten roten Liste gestaltet werden, d.h., die Verbringung ist grundsätzlich verboten und kann nur dann erlaubt werden, wenn das Empfangerland der Verbringung ausdrücklich zustimmt. Dieser Vorschlag ist nunmehr an das Ergebnis der Dritten Vertragsstaatenkonferenz anzupassen. Das EP hat zusätzlich am 16. November 1995 dafür plädiert, den in der VO verwendeten Begriff "gefährliche Abfälle" zukünftig weiter zu fassen und auch die in den Anhängen I und 11 des Basler Übereinkommens genannten Abfälle dazuzuzählen. 163 dd) Regelungen im Vierten AKP-EWG-Abkommen Für die Verbringung von Abfällen insbesondere in AKP-Staaten ist das Vierte AKP-EWG-Abkommen 164 zu beachten, das am l. September 1991 in Kraft getreten ist. Gemäß seinem Art. 39 Abs. 1 Uabs. 1 und 2 sind beide Vertragsparteien verpflichtet, alles zu unternehmen, um den internationalen Verkehr mit gefährlichen Abfällen (dazu zählen laut Abs. 3 Uabs. 1 die in den Anhängen 1 und 2 des Basler Übereinkommens genannten Abfallkategorien) und radioaktiven Abfällen (gemäß den Definitionen und Schwellen, die künftig im Rahmen der lAEO festgelegt werden werden; bis dahin ist die gemeinsame Erklärung zu Art. 39 über den Verkehr mit gefährlichen Abfällen und mit radioaktiven Abfällen in Anhang vm 165 einschlägig) unter Kontrolle zu bringen, und jegliche direkte und indirekte Ausfuhr in die AKP-Staaten bzw. Einfuhr aus der EG und Drittstaaten zu untersagen. ee) Abfallverbringungs-VO (EWG) Nr. 259/93 Um das gemeinschaftliche System zur Überwachung und Kontrolle der Abfallverbringung mit den Anforderungen des Basler Übereinkommens, des Vierten AKP-EWG-Abkommens und verschiedener Vorschriften der OECD in Einklang zu bringen, erließ der Rat am 1. Februar 1993 die VO (EWG) Nr. 259/93 zur Überwachung und Kontrolle der Verbringung von Abfällen in der,

163 S. EuZW 1996, S. 2. 164 S. Beschluß des Rates und der Kommission 9114001EGKS, EWG v. 25. Februar 1991 über den Abschluß des Vierten AKP-EWG-Abkommens (ABI. der EGen v. 17. August 1991, L 229, S. 1 ff.). 165 S. ABI. der EGen, a.a.O., S. 250.

86

B. Das Abfa1lrecht als Teil des EG-Umwe1trechtes

in die und aus der EG166. Sie mußte in den MS bis spätestens 6. Mai 1994, dem Tag, an dem die zuvor geltende Verbringungs-RL 84/631/EWGI67 aufgehoben wurde, angewendet werden. Erfaßt werden grundsätzlich alle AbfaIle 168 i.S.d. Art. 1 lit a RL 75/442/EWGI69. Je nach Art der in den Anhängen lI-IV der VO genannten Abfälle l70 , ihrem Bestimmungsort und der Frage, ob sie verwertet oder beseitigt werden sollen, müssen unterschiedliche Verfahren beachtet werden. Im Grundsatz gilt, daß jede Abfallverbringung - soweit sie nicht gemäß den Gedanken des Prinzips der Nähe, des Vorranges für die Verwertung und des Grundsatzes der Entsorgungsautarkie l7l auf gemeinschaftlicher und einzelstaatlicher Ebene von vornherein verboten ist (z.B. bezüglich der AKP-Staaten) - vorher den zuständigen Behörden l72 am Bestimmungsort, Versandort und gegebenenfalls im Transitland notifiziert werden muß, damit diese über Art, Beförderung, BeseitigunglVerwertung etc. der Abfälle informiert sind und alle für den Gesundheits- und Umweltschutz erforderlichen Maßnahmen ergreifen können.

166 ABI. der EGen v. 6. Februar 1993, L 30, S. 1 ff.; geändert durch die Entscheidung 94/7211EG der Kommission v. 21. Oktober 1994 zur Anpassung der Anhänge n, m und IV der VO (EWG) Nr. 259/93 nach Art. 42 Ziff. 3 dieser VO (ABI. der EGen v. 9. November 1994, L 288, S. 36 ff.; berichtigt durch ABI. der EGen v. 26. Januar 1995, L 18, S. 38 ff.); s. auch die Änderungsvorschläge der Kommission KOM (95) 143 endg. v. 26. April 1995 und KOM (96) 62 endg. v. 20. Februar 1996, ABI. der EGen v. 30. Juni 1995, C 164, S. 8 f. und v. 13. Apri11996, C 107, S. 6 f.s. ausfiihrlich Köller, H. vonlKlett, W./Konzak, 0., S. 34 ff., 51 ff.; Sommer, J., S. 247 ff.; Winter, S., S. 161 ff. 167 S. dazu ausfiihrlich Wilmowsky, P. von, Abfallwirtschaft, S. 11 ff.; Eisberg, J., S. 32 ff.; Schreier, A., S. 230 ff., 275 ff., alle mit zahlreichen Nachweisen. 168 Hinsichtlich der Sonderbestimmungen für Österreich s. Antwort von Frau Bjerregaard im Namen der Kommission v. 26. Oktober 1995 auf die schriftliche Anfrage P2818/95 v. 5. Oktober 1995 an die Kommission (ABI. der EGen v. 12. Februar 1996, C 40, S. 52 f.). 169 S.o. 1, a, aa. 170 Für die von Art. 17 Abs. 1-3 i. V.m. Anhang n VO (EWG) Nr. 259/93 erfaßten Abfalle s. die Entscheidung der Kommission 94/5751EG v. 20. Juli 1994 zur Festlegung des Kontrollverfahrens gemäß der VO (EWG) Nr. 259/93 des Rates betreffend die Verbringung bestimmter Abfälle in bestimmte nicht der OECD angehörende Länder (ABI. der EGen v. 25. August 1994, L 220, S. 15 ff.). 171 S. im einzelnen unten C, IV, I, a und e. 172 Eine Liste der konkreten Adressen aller in der EG zuständigen Behörden fmdet sich in ABI. derEGen v. 31. Oktober 1996, C 327, S. I ff.

II. Das Sekundärrecht und weitere Gemeinschaftsakte

87

In der Regel muß der Abfallverbringer mit dem Empfanger einen Vertrag über die Beseitigung oder Verwertung schließen, worin unter anderem die Verpflichtung enthalten ist, daß er alle Abfälle auf eigene Kosten zurücknehmen muß, falls die Verbringung nicht in der vorgesehenen Weise abgeschlossen oder bei der Verbringung gegen die VO (z.B. hinsichtlich der Anforderungen für die Angaben im Begleitschein) verstoßen wurde. Kann der Exporteur nicht zur Verantwortung gezogen werden, sind die zuständigen Behörden verantwortlich. In jedem Fall einer Abfallverbringung muß der Exporteur Sicherheit leisten oder eine entsprechende Versicherung nachweisen, so daß die Kosten der Beförderung einschließlich einer eventuellen Rücksendung sowie der Beseitigung oder Verwertung gedeckt sind. Eine Verbringung ist immer erst dann möglich, wenn die zuständige Behörde am Bestimmungsort die Genehmigung dazu erteilt hat. Erforderlich ist die Verwendung eines einheitlichen Begleitscheines 173 . ff) Kommissions-Vorschlag zum Export grüner Abfälle

Die Konunission legte dem Rat einen Vorschlag vom 8. Februar 1995 für eine VO vor, der unter anderem vorsieht, gemeinsame Regeln und Verfahren für diejenigen Länder festzulegen, welche die Verbringung von zur Verwertung bestimmten Abfällen der "grünen Liste" der VO (EWG) Nr. 259/93 (= z.B. Abfälle von Textilien, Eisen, Stahl, Papier, Pappe, Kautschuk, Leder, nicht behandeltem Holz und Kork) aus der Gemeinschaft nicht WÜDschen l74 . So sollen insbesondere arme Länder davor geschützt werden, von den Staaten der sogenannten Ersten und Zweiten Welt als Abfalldeponie benutzt zu werden.

173 S. Kommissions-Entscheidung 94/774/EG v. 24. November 1994 über den einheitlichen Begleitschein gemäß der VO (EWG) Nr. 259/93 (ABI. der EGen v. 3. Dezember 1994, L 310, S. 70 ff.). 174 KOM 94 (678) endg. v. 8. Februar 1995, S. 6

ff.

88

B. Das Abfallrecht als Teil des EG-Umweltrechtes

b) Atomare Abfälle aa) Wiener Übereinkommen über den Objektschutz von Kernmaterial Am 9. Juni 1980 genehmigte der Rat mit dem Beschluß 80/565/Euratom I75

den Abschluß des Internationalen Übereinkommens über den Objektschutz von Kernmaterial vom 3. März 1980 durch die Kommission l76 . Die Konvention, die am 8. Februar 1987 in Kraft trat 177, regelt erstmals auf internationaler Ebene den Transport von Kernmaterial (darunter können auch atomare Abfälle fallen), das zu friedlichen Zwecken gebraucht wird, indem sie je nach Art des transportierten Materials unterschiedliche Objektschutzmaßnahmen vorschreibt. Außerdem sollen die Vertragspartner bestimmte Taten der rechtswidrigen Aneignung und des rechtswidrigen Gebrauches von Kernmaterial unter Strafe stellen. bb) Untersuchungsausschuß zur Behandlung und zum Transport von Nuklearmaterial

Nachdem der EP-Untersuchungsausschuß über die Behandlung und den Transport von Nuklearmaterial unter anderem erhebliche, größtenteils auf wirtschaftliche Erwägungen zurückzufiihrende Mängel bei der Kontrolle, Inventarisierung und Identifizierung von radioaktiven Abfällen festgestellt hatte, forderte das EP in seiner Entschließung vom 6. Juli 1988 178 die weitestgehende Konditionierung nuklearer Abfälle am Entstehungsort, die Reduzierung von Transporten auf ein Minimum, eine klare Trennung der Verantwortlichkeiten in der Abfallbewirtschaftung zwischen dem Betrieb kerntechnischer Anlagen, der Beförderung und der Konditionierung sowie eine umfassende Gemeinschaftsregelung für den grenzüberschreitenden Transport nuklearer Abfälle samt eines Systems strenger Kontrollen und Genehmigungen hin-

175 ABI. der EGen v. 17. Juni 1980, L 149, S. 41.

176 Der Text des in einer der authentischen Sprachen lautenden "Convention on the Physical Protection ofNuc1ear Material" Übereinkommens fmdet sich in International Atomic Energy Agency, S. 386 fT. 177

Nach Auskunft der Behörde hatte sie am 1. September 1995 53 Mitglieder.

178 ABI. der EGen v. 12. September 1988, C 235, S. 70 ff.

ll. Das Sekundärrecht und weitere Gemeinschaftsakte

89

sichtlich ihrer Entstehung bis zu ihrer Lagerung. Diese Regelung findet sich nunmehr in der RL 92/3/Euratom I79 . ce) Beförderung von Nuklearabfällen mit Fährschiffen

Anknüpfend an das Kentern des roll-on-roll-off-Fährschiffes "Herald of Free Enterprise" erließ das EP am 25. Oktober 1990 eine Entschließung zur Beförderung von Nuklearabfallen mit Fährschiffen und der Lagerung und Verarbeitung nuklearer Abfalle l80 , in der es beispielsweise das Verbot der Beförderung verbrauchter Kernbrennelemente aus einem MS in einen anderen und die Beendigung der Ein- und Ausfuhr in die bzw. aus der EG fordert (Ziff. 3). Kommission und Rat sollen RLen erarbeiten zur Abfallagerung in der Erzeugerregion, zu einem Verbot von Abfalltransporten aus Kernkraftanlagen durch Fährschiffe, Schiffe oder Flugzeuge, um die Abfallverbringung über regionale Grenzen zu unterbinden, und zu Abfallagerung an den Orten, wo sie produziert werden (Ziff. 4). dd) RL 92/3/Euratom zur Verbringung radioaktiver Abfälle

Da die RL 84/631/EWG über die Überwachung und Kontrolle - in der Gemeinschaft - der grenzüberschreitenden Verbringung gefährlicher Abfalle 181 nicht für radioaktive Abfalle galt, wurde diese Lücke am 3. Februar 1992 durch die Rats-RL 92/3/Euratom zur Überwachung und Kontrolle 182 der Verbringungen radioaktiver Abfalle von einem MS in einen anderen, in die Gemeinschaft und aus der Gemeinschaft 183 geschlossen. Die RL führt ein umfassendes Genehmigungssystem bezüglich der Transporte radioaktiver Abfalle ein. Für die Verbringung von einem MS in einen anderen muß der Besitzer nuklearer Abfalle vor der Verbringung bei der zuständigen Behörde des Ausgangslandes einen Antrag auf Genehmigung stellen. Neben dieser Behörde

179 S. sogleich unten dd. 180 ABI. der EGen v. 26. November 1990, C 295, S. 202 f. 181 S.o. Fn. 146 und a, ee. 182 Hinsichtlich der Strahlenschutzkontrolle fiir radioaktive Abfälle galt in der Zeit v. 9. Juli 1993 bis 1. Januar 1994 zusätzlich die VO (Euratom) Nr. 1493/93 des Rates v. 8. Juni 1993 über die Verbringung radioaktiver Stoffe zwischen den MS (ABI. der EGen v. 19. Juni 1993, L 148, S. 1 tf.). 183 ABI. der EGen v. 12. Februar 1992, L 35, S. 24 ff.

90

B. Das Abfallrecht als Teil des EG-Umwe1trechtes

müssen auch die Behörden des Bestimmungslandes und gegebenenfalls die der Durchfuhrländer der Verbringung zustimmen. Die Genehmigung darf mit Auflagen versehen oder verweigert werden; dabei darf allerdings kein strengerer Maßstab angelegt werden als jener der nationalen Vorschriften, die für Verbringungen innerhalb der MS gelten, und als jener der bestehenden internationalen Übereinkünfte. Für nukleare Abfälle aus Drittstaaten nennt die RL drei absolute Versagungsgriinde für die Genehmigung, und zwar für Verbringungen l. an einen Bestimmungsort südlich des 60. Grades südlicher Breite, 2. in einen Vertragsstaat des Vierten AKP-EWG-Abkommens, der nicht der Gemeinschaft angehört l84, und 3. in einen Drittstaat, der nicht über die technischen, rechtlichen oder administrativen Mittel verfUgt, um die betreffenden Abfälle sicher zu bewirtschaften. Ferner besitzen alle MS und Unternehmen in MS, in die Abfälle zur Behandlung ausgeliefert werden sollen, jederzeit das Recht, die aufbereiteten Abfälle in das Ausgangsland zurückzusenden. Kann eine Verbringung radioaktiver Abfälle nicht zu Ende geführt oder können die Verbringungsbedingungen nicht erfiillt werden, so müssen die Abfälle von ihrem Besitzer zurückgenommen werden. Hinsichtlich der Einfiihrung eines einheitlichen Begleitscheines für Verbringungen radioaktiver Abfälle. hat die Kommission am 1. Oktober 1993 die Entscheidung 93/552IEuratom l85 erlassen. Außerdem ist eine RL geplant, wonach die Grundnormen zum Strahlenschutz auf den Transport radioaktiver Abfälle erweitert werden sollen, so daß sämtliche Bewegungen von Nuklearabfällen von der Quelle bis zum endgülti-

184 Das Abkommen (s.o. 2, a, cc) sieht in Art. 39 Abs. 1 Uabs. 2 vor, daß die EWG jegliche direkte oder indirekte Ausfuhr radioaktiver Abfälle in die AKP-Staaten untersagt, während die AKP-Staaten gleichzeitig die direkte oder indirekte Einfuhr aus der Gemeinschaft oder aus anderen Ländern untersagen. Die RL 92/3/Euratom erfüllt somit die Verpflichtung aus Art. 39 Abs. 1 Uabs. 4 zur Umsetzung des Uabs. 2 des Abkommens. 185 ABI. der EGen v. 29. Oktober 1993, L 268, S. 83 ff.

II. Das Sekundärrecht und weitere Gemeinschaftsakte

91

gen Bestimmungsort einem strengen Genehmigungs- und Kontrollsystem unterliegen sollen. 186 ee) EP-Entschließung vom 16. Juli 1993

Über den Inhalt der RL 92/3/Euratom hinausgehend fordert das EP in seiner Entschließung vom 16. Juli 1993 zu umwelt- und gesundheitspolitischen Aspekten der Lagerung, Verbringung und Wiederaufbereitung abgebrannter Kernbrennstoffe l87, daß kein MS radioaktive Abfälle oder abgebrannte bestrahlte Kernbrennstoffe, die zu radioaktiven Abfällen und zu zusätzlichen radioaktiven Belastungen fuhren, im Zuge des Nettoexportes in einen anderen MS transportiert. Bezüglich des Plutoniumtransportes empfiehlt es unter anderem die Harmonisierung der nationalen Vorschriften fiir den sicheren Transport und effektive Maßnahmen sowie ausreichende Notfallpläne gegen Unfälle. Die Kommission wird aufgefordert, fiir die Einfiihrung einer angemessenen - bisher nicht bestehenden - Haftung fiir Transportunfälle und Unfälle in Anlagen fiir die Behandlung, Handhabung oder Entsorgung radioaktiver Abfälle zu sorgen. ff) EP-Entschließung vom 27. März 1996

In dieser Entschließung zu radioaktiven Abfallstoffen 188 befaßt sich das EP vorwiegend mit sogenannten MOX-Brennstoffen und den Gefahren, die bei ihrer Verwendung und ihrem Transport auftreten können. Es fordert die Kommission auf, die Fragen zur Produktion nuklearer Energie und zur Wiederaufbereitung von nuklearen Abfällen und Brennelementen auf europäischer Ebene vollständig in die Diskussion über eine EG-Energiepolitik einzubeziehen und das Umweltdumping unter den MS entschieden zu verurteilen. Ferner soll sie umgehend den angekündigten Aktionsplan zum gesamten Bereich des Umganges mit radioaktiven Abfällen und zur Problematik der Endlagerung dieser Abfälle einschließlich des Plutoniums entwickeln.

186 VgI. Fünftes Umwelt-Aktionsprogramm, ABI. der EGen v. 17. Mai 1993, C 138, S. 1, 65.

187 ABI. der EGen v. 20. September 1993, C 255, S. 255 fI 188 ABI. derEGen v.22. April 1996, C 117, S. 12

f.

c. Gemeinsame Strukturprinzipien im EG-Abfallrecht Nach der Darstellung des abfallrechtlichen Sekundärrechtes und der wichtigsten weiteren abfallpolitischen Gemeinschaftsakte soll nunmehr der Versuch unternommen werden, gemeinsame Prinzipien in diesen Akten zu fmden, um eventuell eine abstrakte Struktur - losgelöst nämlich von singulären Abfallregelungen - des heutigen EG-Abfallrechtes auszumachen. Außerdem ist darüber nachzudenken, welche allgemeinen Prinzipien des EG-Rechtes - diesmal quasi von außen - die Gestaltung des Abfallrechtes beeinflussen. Diese Fragen stellen sich deshalb, weil die so herausgearbeiteten Prinzipien, sofern sie normativen Charakter haben, einerseits die Gemeinschaftsorgane bei der Schaffung neuen Abfallrechtes oder der Auslegung bestehenden Rechtes binden und andererseits auch die MS und ihre Organe bei der Rechtsetzung und Rechtsanwendung beeinflussen könnten. Dieser Versuch erfordert zuerst herauszufmden, ob aus dem allgemeinen Abfallrecht, dem Recht der Sonderabflille, weiteren Akten und dem Primärrecht Prinzipien abzuleiten sind, die über die leges latae hinaus möglicherweise als Strukturprinzipien das EG-Abfallrecht als Ganzes bestimmen. Solcher Art herausgearbeitete Prinzipien können beispielsweise hilfreich sein bei der Frage, auf welche Kompetenznorm ein sekundärrechtlicher Akt zu stützen ist, sofern es zwischen nebeneinander anwendbaren Kompetenznormen keine klaren Abgrenzungsregeln gibt und eine Folgenbetrachtung möglicher Entscheidungen zur Unvereinbarkeit einer Folge mit einem EG-Rechtsprinzip führt. 1

I. Die Begriffe "Regel" und "Prinzip" Geht man auf die Suche nach Rechtsprinzipien, ist als erstes erforderlich, das häufig benutzte Begriffspaar "Regel" und "Prinzip" zu defmieren und die beiden Begriffe voneinander abzugrenzen. Im folgenden wird dabei insbeson-

1 Vgl. Nettesheim, M., Kompetenzkonflikte, S. 254 f.

I. Die Begriffe "Regel" und "Prinzip"

93

dere der Terminologie Alexys gefolgt, der diese rechtstheoretischen Fragen in Anlehnung an Dworkin eingehend bearbeitet hat2 . Danach stellen Regeln und Prinzipien Unterfalle der Rechtsnorm dar3. Eine Rechtsnorm ist jeder Satz, der ausdrückt, was gesollt ist. Normen gebieten, verbieten oder erlauben den Rechtsunterworfenen ein bestimmtes Verhalten. 4 Ein großer Teil der traditionellen deutschen Rechtstheorie faßt dagegen die "Norm" nicht als Oberbegriff auf. Sie stellt den verbindlichen, konkreten Rechtsnormen (= Regeln), die typischerweise Ge- und Verbote enthalten 5, die erst noch zu konkretisierenden Prinzipien gegenüber. Prinzipien sollen danach keinen Normencharakter besitzen. Esser hat als erster auf den Unterschied zwischen einem Prinzip und einer der Anwendung fähigen Norm hingewiesen. Prinzipien seien keine Rechtssätze, weil sie keine verbindlichen Weisungen unmittelbarer Art rur einen bestimmten Fragenbereich enthielten, sondern lediglich Grund, Kriterium und Rechtfertigung der Weisung seien. 6 Dem Prinzip fehle eine deduktiv auswertbare Eigenbedeutung. 7 Erst die judizielle oder legislative Ausprägung mache es zu einer verbindlichen Weisung.B Normen dagegen zeichneten sich durch die Bestimmbarkeit der Anwendungsfiille aus. 9 Danach sind Prinzipien unabhängig vom Gesetz wirksam und rechtfertigen sich "aus der Natur der Sache oder der betreffenden Institution" I 0. Man könnte von vorpositivem Recht sprechen, das noch der Entdeckung und Konkretisierung harrt.

2 S. Alexy, R, Rechtsprinzip, S. 59 ff.; ders., Theorie, S. 71 ff. jeweils mit vielfältigen w.N.; vgl. darUberhinaus vor allem Dworkin, R, S. 22 ff., 71 ff. Auf die intensive Diskussion über das Verhältnis von Regel und Prinzip wird im folgenden nur sehr kurz eingegangen, weil dieses Problem zu einer befriedigenden Darstellung eines breiten Raumes bedürfte, der die Dimension der Arbeit sprengen würde. 3 Alexy, R, Rechtsprinzip, S. 63, 65. 4 Alexy, R, Theorie, S. 72; vgl. auch Koch, H.-J.lRüßmann, H., S. 45. 5 S. z.B. Stern, K., Bd. III/1, S. 479 f. m.w.N. 6 Esser, J., S. 50 ff. 7 Id., S. 267. 8 Id., S. 50.

9 Id., S. 51. lO Id., S. 5.

94

C. Gemeinsame Strukturprinzipien im EG-Abfallrecht

In ähnlicher Weise betrachtet Canaris Prinzipien lediglich als "Wertungseinheit(en) des Rechts" 11 , die Bausteine für eine rechtliche Systembildung darstellen sollen und keiner unmittelbaren Anwendung fiihig seien. 12 Normen definiert er hingegen als widerspruchsfrei und vollständig. 13 Auch Larenz verneint den rechtsatzförmigen Charakter von Prinzipien, weil ihnen die Verknüpfung eines Tatbestandes mit einer bestimmten Rechtsfolge fehlten. Sie seien noch keine der Anwendung fiihigen Regeln, sondern eine Quelle zur Gewinnung von Regeln. 14 Sie sollen, um zu Normen zu werden, der Konkretisierung bedürfen, die ihrerseits ein zusätzliches Werturteil erfordere. 15 Die hier angewendete Terminologie versteht hingegen unter "Regel" einen Rechtssatz, der ein Handeln oder Unterlassen gebietet, verbietet oder erlaubt und entweder erfilllt oder nicht erfilllt werden kann 16. Dworkin spricht vom Charakter des Alles-oder-Nichts 17 , d.h., wenn eine gültige Regel anwendbar ist, kann man sie entweder befolgen oder gegen sie verstoßen. Liegen die Tatbestandsvoraussetzungen einer Regel vor, ist die Regel einschlägig und damit anzuwenden. Auf der anderen Seite stellen auch Prinzipien Rechtssätze dar, die ein Gebot, ein Verbot oder eine Erlaubnis enthalten. Sind jedoch die Voraussetzungen des Tatbestandes eines Prinzips erfüllt, folgt daraus keine zwingende Entscheidung. Vielmehr enthalten Prinzipien Gründe, welche die eine oder die andere Entscheidung nahelegen. Sie stellen Optimierungsgebote dar: abhängig von den rechtlichen und tatsächlichen Möglichkeiten im Einzelfall können sie mehr oder weniger erfilllt werden. 18 Ein Prinzip kann einem anderen vorgehen. Je nach Fallkonstellation kann eines der kollidierenden Prinzipien relativ größeres oder geringeres Gewicht haben 19 ; beide bleiben jedoch gültig. Der Rechtsan-

11 Canaris, C.-W., S. 50. 12 Id., S. 48, 51, 57 f. 13 Id., S. 26.

14 Larenz, K., Recht, S. 23. 15 Id., S. 24. 16 Alexy, R., Rechtsprinzip, S. 63; ders., Theorie, S. 76. 17 Dworkin, R. S. 25. 18 Vgl. Wiegand, B., S. 156. 19 Dworkin, R., a.a.O.; Alexy, R., Rechtsprinzip, a.a.O.; ders., Theorie, S. 74 ff.; vgl. beispielsweise EuGHE 1961, verb. Rs. 42 und 49/59 - SNUPAT -, S. 111, 172 f.

11. Ableitung und Rang von Rechtsprinzipien

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wender muß also eine Abwägung vornehmen. Bei zwei kollidierenden Regeln ist hingegen eine immer ungültig (welche das ist, ergibt sich z.B. aus Kollisionsregeln wie "lex specialis derogat leg i generali''). Die normtheoretische Unterscheidung zwischen "Regel" und "Prinzip" ist insbesondere wichtig rur die Anwendung von Rechtssätzen, weil das "Abweichen" von einer Regel einer anderen Begründung (Vorliegen einer Ausnahme oder Verdrängung durch eine andere Regel infolge der Anwendung einer Kollisionsregel) als das "Abweichen" von einem Prinzip (Abwägungsvorgang) bedarf und dementsprechend dazu fiihrt, daß es zu unterschiedlichen normlogischen Konsequenzen kommt. Insgesamt läßt sich sagen, daß Regeln einen eher konservierenden Charakter haben, wohingegen Prinzipien dafiir geschaffen sind, sich auf ändernde Gegebenheiten einzustellen. 20 Gemäß Alexys Prinzipienmode1l21 bedeutet das, daß die Rechtsunterworfenen das von einem Prinzip angestrebte Ziel so gut wie möglich zu verwirklichen haben.

ll. Ableitung und Rang von Rechtsprinzipien Als nächstes ist zu untersuchen, wie sich Rechtsprinzipien, die nicht ausdrücklich schon als solche im Gemeinschaftsrecht von den "Herren der Verträge", den MS, bei der Schaffung der drei EG-Verträge oder späteren Änderungen formuliert wurden (wie beispielsweise die in Art. 130 r Abs. 2 Uabs. 1 EGV genannten Prinzipien der Vorsorge, der Vorbeugung, der Bekämpfung von Umweltbeeinträchtigungen vorrangig am Ursprung, das Verursacherprinzip und das Subsidiaritätsprinzip in Art. 3 b Uabs. 2 EGV), ableiten lassen und welchen Rang sie in der Normenhierarchie einnehmen. 22

20 So fonnuliert Roessler, F., S. 59, daß "(r)ules serve the purpose of stability, principles the cause of change"; Alexy, R., Rechtsprinzip, S. 79 Fn. 90, ordnet Regeln dem Gedanken der Sicherheit, Prinzipien dem der Flexibilität zu. 21 Alexy, R., a.a.O., S. 82 ff. 22 Auf eine detaillierte Untersuchung muß an dieser Stelle und zum gesamten Komplex verzichtet werden, weil sie den Rahmen der vorliegenden Arbeit sprengen würde.

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C. Gemeinsame Strukturprinzipien im EG-Abfallrecht

1. Ableitung

a) Der EuGH als Auslegungsorgan Gemäß den Art. 164; 177 EGV sichert der EuGH die Wahrung des Rechtes bei der Auslegung und Anwendung des EG-Vertrages und entscheidet über die Auslegung der Handlungen der Organe und der Europäischen Zentralbank (EZB) sowie über die Auslegung der Satzungen der durch den Rat geschaffenen Einrichtungen, soweit diese Satzungen es vorsehen. Analoge Vorschriften enthalten die Art. 31; 41 EGKSV und 136; 150 EAGV. Dabei meint "Recht" LS.d. Art. 164 EGV nach h.M. neben dem Primär- und Sekundärrecht auch internationale Verträge, an denen die EGen als (Quasi-)Rechtsnachfolger der MS beteiligt (hierzu zählt das GATT) oder die von ihnen selbst geschlossen worden sind.23 Unter "Wahrung des Rechts" wird dabei nicht nur die Überwachung der im EG-Recht festgelegten Pflichten verstanden, sondern auch die Möglichkeit, daß der EuGH zur Verwirklichung der Vertragsziele Recht konkretisiert und fortbildet, so Z.B. durch rechtschöpferische Lückenschließung24 . Das heißt, daß der EuGH über die Auslegung des Rechtes hinaus, also über die durch den möglichen Wortsinn beschränkte Interpretation eines gesetzlichen Ausdruckes25 , teilweise - als pouvoir normatif - auch Recht setzt26 und somit sich nicht auf die konkrete Einzelfallentscheidung beschränkt, sondern eine Befugnis zur Abstraktion wahrnimmt. 27 Auf diese Art und Weise können die Entscheidungen neben der regelmäßigen inter-partes-Wirkung auch originäre generell-abstrakte "Rechts-Sätze" schaffen. 28 Obwohl es seit Bestehen des EuGH immer wieder Stimmen gibt, die solch eine Abstraktionsbefugnis des EuGH mit dem Verweis auf die Postulate der Gewaltenteilung und der Legiti-

23 Pernice, I. in Grabitz-Kommentar, Rn. 7, 10 zu Art. 164; Krück, H. in GTE, Bd. 3, Rn. 7 ff. zu Art. 164, jeweils m.w.N.; Oppermann, T., S. 133. 24 Vgl. Pernice, 1., a.a.O., Rn. 13 zu Art. 164; Krück, H. , a.a.O., Rn. 39 zu Art. 177; Schwarze, J., S. 188. 25 So Larenz, K., Methodenlehre, S. 324. 26 Vgl. Dänzer-Vanotti, W., S. 734, 738 ff. 27 Vgl. Schwarze, J., S. 13, 153 ff.; Chiti, M., S. 661 ff. 28 Vgl. Bebr, G., S. 449 ff.

II. Ableitung und Rang von Rechtsprinzipien

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mation verneinen29 , bildet das Gericht das Gemeinschaftsrecht weiterhin fort. Allerdings nennt es auch diese Art der "Rechtswahrung" zurückhaltend Auslegung. 30 Im Rahmen dieser Art der Auslegung kommt es dann zur Bildung und Ableitung von Rechtsprinzipien, was rur den EuGH methodologisch eine Möglichkeit bedeutet, die Wahrung des EG-Rechtes zu sichern, indem er z.B. das von ihm herausgearbeitete Prinzip als Gültigkeitskriterium rur EG-Rechtsakte betrachtet. 31 Bezüglich der Ableitung besteht ein grundsätzliches Problem darin, ob es zulässig ist, de legibus latis und de iure lato ihnen gemeinsame Elemente zu einem Prinzip zu verdichten, das dann wiederum Quelle rur Schlüsse ist, die aus den vorhandenen Sätzen nicht unmittelbar ableitbar wären. Folgt man der Methodik der Rechtsanwendung des EuGH, kommt man jedenfalls zum Ergebnis, daß auf diese Weise Recht konkretisiert und fortgebildet werden kann. Das bedeutet einerseits rur die Rechtsprechung, ein "non liquet" zu vermeiden32 , andererseits rur das Rechtsetzungsorgan eine mögliche Beschneidung seiner Kompetenzen. Allerdings darf bei dieser Diskussion nicht vergessen werden, daß dem Rechtsetzer jederzeit die Möglichkeit bleibt, der Rechtsfortbildung durch neue entgegengesetzte Akte Einhalt zu gebieten. Bejaht man also die Ableitung von Rechtsprinzipien, ist nunmehr zu klären, auf welche Quellen der EuGH sich dabei stützen kann. b) Quellen fiir die Auslegung Als Materialien rur den Auslegungsvorgang, die Ableitung von EGRechtsprinzipien, kommen Primär- und Sekundärrecht, nationales und Völkerrecht in Betracht:

29 S. z.B. Steindorff, E., Nichtigkeitsklage, S. 116 f., 134-136; Lecheier, H., Rechtsgrundsätze, S. 196 ff.; Dänzer-Vanotti, W., S. 736, der lediglich von einer "Gesetzgebungs-Notkompetenz" spricht. 30 Nettesheim, M., Auslegung, S. 265 f. 31 Pemice, I. in Grabitz-Kommentar, Rn. 46 zu Art. 164; kritisch zu diesem Gesamtverständnis der Prinzipien im EG-Recht Nettesheim, M., Wirksamkeit, S. 464 f. 32 Vgl. Karl, W., S. 22 m.w.N. 7 Zacker

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C. Gemeinsame Strukturprinzipien im EG-AbfalIrecht

aa) Allgemeine Rechtsgrundsätze, die den Rechtsordnungen der MS gemeinsam sind

Die Art. 215 Uabs. 2 EGV; 188 Uabs. 2 EAGV (außervertragliche Haftung33 ) sind die einzigen Nonnen im EG-Recht, die dem EuGH eine ausdrückliche Befugnis zur Abstraktion verleihen. Im Wege des Vergleiches der mitgliedstaatlichen Rechtsordnungen34 und teilweise der von ihnen abgeschlossenen internationalen Verträge35 sowie insbesondere ihrer elementaren Vorstellungen von Recht und Gerechtigkeit, die sich vor allem in den mitgliedstaatlichen Verfassungen fmden 36 , schöpft der EuGH Recht, um Lücken in den EG-Verträgen zu schließen. Dabei beschränkt er sich nicht auf das EGHaftungsrecht37 , sondern wendet diese Methode der Rechtsvergleichung auch auf anderen Rechtsgebieten an, wenn das geschriebene EG-Recht schweigt.38 Zu den so gefundenen "allgemeinen Rechtsprinzipien"39, die das EG-Recht bestimmen, zählen insbesondere die EG-Grundrechte40 und verschiedene Ausprägungen des Rechtsstaatsprinzips41. Da die MS durch ihre Rechtssysteme und Rechtsüberzeugungen indire~2 die Grundsätze bestimmen, an die der

33 S. ausfilhrlich Grabitz, E., in Grabitz-Kommentar, Rn. 10 ff. zu Art. 215 m.w.N. 34 S. Meesen, K., S. 310 f. m.w.N. 35 Vgl. EuGHE 1974, Rs. 4/73 - Nold -, S. 491, 507; seitdem ständige Rechtsprechung. 36 S. z.B. Zuleeg, M., Demokratie, S. 25. 37 Vgl. Schwarze, J., S. 221 ff.; zur konkreten Rechtsfindung s. Grabitz, E., a.a.O., Rn. 14 zu Art. 215; Krück, H. in GTE, Bd. 3, Rn. 25 zu Art. 164; Kutscher, H., Auslegung, S. I, 30 f.; Schlußantrag des GA Lagrange, M. in EuGHE 1962, Rs. 14/61, S. 557, 570 f.

38 S. das grundlegende Urteil EuGHE 1957, verb. Rs. 7/56 und 3-7/57 - Algera -, S. 83, 118 f.; Schwarze, J., S. 224 f.; zur Frage der Befugnis des EuGH zur Anwendung dieser Grundsätze s. insbesondere Lecheier, H., Rechtsgrundsätze, S. 181 ff. 39 Zum Begriff der alIgemeinen Rechtsgrundsätze s. Rengeling, H.-W., S. 184 ff. 40 S. Pernice, I. in Grabitz-Kommentar, Rn. 42 ff. zu Art. 164; ders., Grundrechtsschutz, S. 2409 ff. 41 S. Pemice, 1., in Grabitz-Kommentar, Rn. 80 ff. zu Art. 164 m. vielfältigen N. 42 Indirekt deshalb, weil das EG-Recht gemäß der EuGH- und BVerfG-Rechtsprechung (EuGHE 1963, Rs. 26/62 - van Gend & Loos -, S. I ff.; E 1964, Rs. 6/64 - Costa/E.N.E.L. -, S. 1251 ff.; BVerfGE 22, 293, 296) sowie der h.L. eine gegenüber den mitgliedstaatlichen Rechtsordnungen autonome originäre RechtsquelIe darstelIt, vgl. Rengeling, H.-W., S. 200 f. Dieses Verständnis zugrunde gelegt, sind Lechelers Ausfilh-

11. Ableitung und Rang von Rechtsprinzipien

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EuGH die EG-Organe bindet, kann man diese EG-Rechtsprinzipien als derivative Prinzipien bezeichnen. bb) EG-Vertragsrecht

Im Gegensatz dazu leiten sich die Prinzipien, die teilweise als allgemeine Grundsätze des Gemeinschaftsrechtes (im Unterschied zu den eben erörterten allgemeinen Rechtsgrundsätzen der MS) bezeichnet werden43 , nicht aus anderen Rechtsordnungen, sondern aus dem autonomen Rechtssystem des EGRechtes ab. 44 Sie sollen im folgenden originäre EG-Rechtsprinzipien45 genannt werden. Diese originären Prinzipien eruiert der EuGH einerseits aus konkreten Vorschriften des Primärrechtes46 , andererseits aus "Geist und System,,47 der Verträge, aus dem "Wesen der Gemeinschaft"48 oder dem gesamten Vertragssystem49 . Sie wohnen den Zielsetzungen der Verträge inne und werden durch den EuGH konkretisiert50 , wobei eine Verfeinerung der Prinzipien auch durch den Rückgriff auf frühere eigene Urteile und ihre Fortentwicklung stattfmdet. 51 rungen (Rechtsgrundsätze, S. 186 f.), daß die nationalen Rechtsordnungen die Rechtsquelle für das EG-Recht und damit für die gemeinschaftlichen allgemeinen Rechtsgrundsätze darstellen, unzutreffend. Zum Geltungsgrund allgemeiner Rechtsgrundsätze s. ausführlich Meesen, K., S. 287 ff

43 S. beispielsweise Krück, H., a.a.O., Rn. 22 zu Art. 164. 44 S. Chiti, M., S. 663 f m.w.N. 45 Vgl. Kahl, W., S. 76. 46 Vgl. z.B. EuGHE 1964, Rs. 6/64 - CostalE.N.E.L. -, S. 1251, 1269 f. 47 Krück, H. ibid.; vgl. EuGHE 1963, Rs. 26/62 - van Gend & Loos -, S. 1,24 ff. 48 Schwarze, J., S. 191. 49 Donner, A., S 382. 50 Dieser Gedankengang zeigt, daß man anstelle von Prinzipienbildung auch von teleologischer Auslegung sprechen könnte, weil Ableitungen gemäß dem Geist und damit den Zielen der Verträge vorgenommen werden. Dann wäre die Figur des Rechtsprinzips von vornherein überflüssig. Da der EuGH sich aber gerade nicht mehr im Rahmen der Auslegung bewegt, obwohl er es so nennt, sondern die Konkretisierung der Vertragsziele Rechtsfortbildung bedeutet, ist das Prinzipien-Konzept das rechtstheoretisch angemessene. Allerdings darf nicht verkannt werden, daß für diese rechtstheoretische Abgrenzungsfrage noch erheblicher Diskussionsbedarfbesteht. 51 Vgl. Donner, A., S. 385 f; s. auch Nettesheim, M., Kompetenzkonflikte, S. 255 Fn. 83, der von einer "Argumentation mit Präjudizien" spricht. Als jüngstes und gleichzeitig sehr bemerkenswertes Beispiel ist die Entwicklung des Staatshaftungsanspruches bei Verstößen gegen unmittelbar wirkendes EG-Recht zu nennen, s. EuGH Urteil v. 5. 7*

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C. Gemeinsame Strukturprinzipien im EG-Abfallrecht

ce) EG-Sekundärrecht

Mitunter zieht der Gerichtshof auch das Sekundärrecht heran, um mit dessen Normen die Existenz von originären EG-Rechtsprinzipien zu belegen 52 . dd) Internationale Verträge

Internationale Vertäge werden nicht nur für die Ableitung derivativer Prinzipien53 , sondern auch originärer Prinzipien herangezogen. Ein Beispiel im Abfallrecht sind die Prinzipien der Entsorgungsautarkie und der Entsorgungsnähe 54 , die der EuGH55 unter anderem auf das von der EWG unterzeichnete Basler Übereinkommen vom 22. März 1989 über die Kontrolle der grenzüberschreitenden Verbringung und der Beseitigung gefiihrlicher Abfälle 56 stützt. Dadurch, daß die EWG durch Rechtsakt beruhend auf dem autonomen EGRecht Partei des Übereinkommens geworden ist, liegt in diesem Fall ein originäres Rechtsprinzip vor. ee) Soft law

Schließlich kommt neben dem "hard law" auch "soft law"57 als Quelle für Rechtsprinzipien in Betracht. Obwohl "soft law" der rechtlichen Verbindlichkeit im Sinne unmittelbarer Rechtswirksamkeit gegenüber Dritten 58 entbehrt, weist Zuleeg darauf hin, daß es einen "Kristallisationskern für eine Weiterent-

März 1996, verb. Rs. C-46 und 48/93 - Brasserie du Pecheur -, Rn. 25 ff., 39 f., in der amtlichen Sammlung noch nicht veröffentlicht. 52 Vgl. beispielsweise EuGHE 1972, Rs. 1/72 - Frilli -, S. 457, 467; E 1974, Rs. 36/74 - Walrave -, S. 1405, 1419 f. 53 S.o. unter aa; insbesondere zur Bestimmung der den Rechtsordnungen der MS gemeinsamen allgemeinen Rechtsgrundsätze auf dem Gebiet des Grundrechtsschutzes, z.B. die EMRK.

54 S.u. IV, 1, e und c. 55 EuGHE 1992, Rs. C-2/90 - Wallonien -, S. 4431 ff.

56 S.o. B, 11, 2, a, cc. 57 Zu den verschiedenen Arten des EG-soft law s. Klabbers, 1., S. 999 ff. 58 S. Oppermann, T., S. 157, Rn. 403; Bothe, M., Soft law, S. 761 ff.; Everling, U., Wirkung, S. 133 ff.; Wellens, K./Borchardt, G., S. 267 ff.; teilweise a.A. Kutscher, H., Grundrechtsschutz, S. 43; von Simson, S. 40 f.

ll. Ableitung und Rang von Rechtsprinzipicn

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wicklung des geltenden Rechts,,59 enthalten könne. Er nennt beispielweise die Kopenhagener Erklärung vom 7./8. April 1978 zur Demokratie der im Europäischen Rat vereinigten Staats- und Regierungschefs der MS der EGen60 als mögliche Quelle für das Demokratieprinzip der EGen. Für den Bereich des Abfallrechtes ist insbesondere an die fünf Umwelt-Aktionsprogramme zu denken. Es könnte zwar argumentiert werden, daß die Quellen der Rechtsprinzipien wenigstens einen rechtlich verbindlichen Kern besitzen müssen, der dem soft law gerade fehlt. Doch ist dagegen einzuwenden, daß politische Erklärungen wie die Kopenhagener Erklärung und die Umwelt-Aktionsprogramme unter bestimmten Voraussetzungen (vorangegangene ausführliche Diskussion, Einstimmigkeit der Ergebnisse, Bewußtsein über die politische Bedeutung der Erklärung in der Öffentlichkeit) eine faktisch vergleichbare Bindungswirkung entwickeln können, insbesondere wenn die Mitglieder einer internationalen Organisation und ihre Organe diese Erklärungen als Ausgangspunkt für ihre weitere Arbeit auffassen. Insofern ist der Begriff "Kristallisationskern" treffend. Festzuhalten bleibt, daß die MS als Verfassungsgeber der Verträge und der EuGH EG-Rechtsprinzipien geschaffen haben bzw. schaffen: einerseits expressis verbis in den Verträgen, andererseits im Wege der Auslegung und Rechtsfortbildung gestützt auf allgemeine Rechtsgrundsätze der MS, auf EG-Primärund -Sekundärrecht und eventuell auf EG-soft law sowie auf internationale Verträge. Weiterhin zu klären bleibt, welcher Rang in der Rechtsquellenhierarchie diesen Prinzipien zukommt.

59 Zuleeg, M., Demokratie, S. 25 m.w.N. 60 S. EA 1978, D 284.

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C. Gemeinsame Strukturprinzipien im EG-Abfallrecht

2. Rang

Die in den EG-Verträgen expressis verbis genannten Prinzipien nehmen denselben Rang wie die sonstigen Vertragsnonnen, nämlich primärrechtlichen Rang ein. 61 Fraglich ist hingegen, ob die sonstigen Prinzipien, vor allem die derivativen Prinzipien, unabhängig von ihrer Quelle ebenfalls als Primärrecht anzusehen sind oder ob eine Rangordnung unter den verschiedenen Prinzipien besteht. Nach h.M.62 besitzen die derivativen Prinzipien primärrechtlichen Rang, d.h., der EuGH sieht in ihnen in ständiger Rechtsprechung einen Rechtmäßigkeitsmaßstab für die Handlungen und Rechtsakte der EG-Organe, an dem er diese mißt63 . Einen über-primärrechtlichen Rang der derivativen Rechtsgrundsätze lehnt der EuGH dagegen ab 64 . Daß aus dem EG-Primärrecht abgeleitete originäre Rechtsprinzipien primärrechtlichen Rang einnehmen, wird nicht angezweifelt; problematisch ist vielmehr, ob sie nicht sogar einen über-primärrechtlichen Rang genießen65 . Damit ist die der deutschen verfassungsrechtswissenschaftlichen Diskussion66 nachgebildete Streitfrage des schlichten und höherrangigen Primärrechtes angesprochen. 67 Ohne auf diese Diskussion näher eingehen zu können, sei hier nur soviel bemerkt, daß aus dem telos des EuGH, den Geist und das Wesen der Verträge im Wege der Lückenschließung durch Benenung von Prinzipien zu konkretisieren, folgt, daß die im Vertragstext und -system angelegten originären Prinzipien keinen höheren Rang als die Verträge selbst einnehmen kön-

61 S. beispielsweise Grabitz, E./Nettesheim, M. in Grabitz-Kommentar, Rn. 31 f. zu Art. 130 r. 62 Grabitz, E. in Grabitz-Kommentar, Rn. 16,20 zu Art. 189; Daig, H.-W./Schmidt, G. in GTE, Bd. 4, Rn. 21 zu Art. 189; Oppermann, T., S. 158 Rn. 404; Meesen, K., S. 294 m.w.N.; s. auch Rengeling, H.-W., S. 215 mit Hinweisen auf die EuGH-Rechtsprechung; a.A. dagegen Joliet, R., S. 214, und Bleckmann, A. in Bleckmann, Europarecht, Rn. 315, die ihnen eine RangsteIlung zwischen Primär- und Sekundärrecht einräumen. 63 S. z.B. EuGHE 1973, Rs. 81/72, S. 575, 584 ff.; vgl. auch Pernice, I. in GrabitzKommentar, Rn. 30,42 zu Art. 164; s. auch Art. F Abs. 2 EUV. 64 EuGHE 1965, Rs. 40/64 - Sgarlata -, S. 295, 312.

65 S. z.B. Streil, J. in BBPS, S. 242; vgl. Kahl, W., S. 86. 66 Nimmt Art. 79 Abs. 3 GG selbst an der "Ewigkeitsgarantie" teil?, s. z.B. Stern, K., Bd. I, S. 115 f. m.w.N.

67 S. z.B. Bieber, R., S. 343 ff.; Cruz Vila~a, J.lPi~arra, N., S. 3 ff.; Heintzen, M., S. 35 ff., 40 f.; Rengeling, H.-W., S. 216; jeweils m.w.N.

11. Ableitung und Rang von Rechtsprinzipien

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nen. Da die Vertragsnonnen eine bloße Ausprägung der schon existierenden, aber noch nicht expressis verbis ausgesprochenen und defmierten Prinzipien darstellen, gilt fiir die Prinzipien als Teil des primärrechtlichen Nonnengefiiges rangmäßig nichts anderes als fiir die expressis verbis genannten Prinzipien68 . Ein Vergleich mit dem Naturrecht, der sich an dieser Stelle aufdrängen könnte, ist allerdings zu verneinen, weil die Quellen bereits in irgendeiner Fonn vorhanden sind und die Benennung des sich darin ausdrückenden Prinzips lediglich die Verallgemeinerung punktueller Aussagen bedeutet. Hinsichtlich der fiir die Ableitung von Prinzipien oben gefundenen Quellen des Sekundärrechtes, der internationalen Verträge und des soft law ist ebenfalls davon auszugehen, daß diese Quellen durch die wesentlichen Strukturen des EG-Rechtes, den - wie Fuss69 sie nennt - immanenten ungeschriebenen Konstitutionsprinzipien geprägt werden. Diese wesentlichen Strukturen spiegeln sich lediglich in den genannten Quellen wider, so daß die dort ausgeprägten Grundsätze denselben primärrechtlichen Rang wie der "Geist der Verträge" einnehmen, den sie aktualisieren. Denn da die EG-Vertragsbestimmungen auch den Gemeinschaftsgesetzgeber und die weiteren Organe insofern binden, als sie bei ihren Maßnahmen die Vertragsziele beachten müssen, ist bis zu einer entgegenstehenden Entscheidung des EuGH davon auszugehen, daß sekundärrechtliche Akte, internationale Verpflichtungen der Gemeinschaften und soft law, obwohl selbst ohne rechtliche Bindungswirkung, den primärrechtlichen Vorgaben70 entsprechen. Sämtliches Handeln der Gemeinschaftsorgane hat sich am Primärrecht auszurichten. Das bedeutet, daß sämtliche EG-rechtlichen Prinzipien einen Teil des Primärrechtes bilden. Auf die mitunter gefiihrte Diskussion über eine mögliche Prinzipien-Hierarchie innerhalb des Primärrechtes muß an dieser Stelle schon aus der Erwägung heraus nicht näher eingegangen werden, daß Prinzipien relative Optimierungsgebote - ausgerichtet am rechtlich und tatsächlich Möglichen des Einzelfalles - darstellen, die je nach Fallkonstellation größeres oder

68 Teilweise a.A. Rengeling, H.-W., ibid., m.w.N.; vgl. Streil. 1., ibid.; Cruz Vila~a, N., S. 14 ff., 24 ff. m.w.N.; Heintzen, M., S. 36; Oppermann, T., S. 160.

J.lPi~arra,

69 Fuss, E.-W., S. 62 m.w.N. 70 Diesen wird teilweise Verfassungscharakter eingeräumt, vgl. Wilmowsky, P. von, Abfallwirtschaft, S. 95 f. m.w.N.; Matthies, H., S. 115 f.; EuGHE 1983, Rs. 218/82, S. 4063, 4075 und die Nachweise oben in Fn. 349.

104

c. Gemeinsame Strukturprinzipien im EG-Abfallrecht

geringeres Gewicht als gegenläufige Prinzipien haben können 71. Diese Eigenschaft widerspricht eo ipso einer festgefügten Hierarchie.

In. Bindungswirkung Als Teil des Primärrechtes binden Strukturprinzipien die EG-Organe bei der Setzung von Sekundärrecht72 , sind gleichzeitig Auslegungshilfe für das Sekundärrecht (z.B. für den EuGH73) und für alle weiteren Handlungen der Organe Orientierungsmaßstab . Auch der "Rat als Gemeinschaftsgesetzgeber" kann sich über die Rechtsprinzipien nicht hinwegsetzen 74 . Lediglich die MS können im Rahmen des Vertragsänderungsverfahrens einstimmig gemäß Art. N Abs. 1 Uabs. 3 EUV den Prinzipien entgegengesetztes Recht schaffen; 75 denn die Rechtsprinzipien existieren nicht eo ipso, sondern sind - gemäß den vorhandenen Quellen - Ausdruck des von den MS geschaffenen und gewollten Rechtes. Dieser Wille autonomer Akteure kann sich ändern, so daß auch die Prinzipien verändert oder völlig aufgehoben werden können. Insoweit sind lediglich die nationalen Rechtsordnungen (insbesondere das Verfassungsrecht) Meßlatte für das europarechtlich Machbare. Fraglich ist jedoch, ob gemeinschaftsrechtliche Prinzipien über die EG-Organe hinaus auch die MS (Behörden, Gebietskörperschaften u.ä.) binden. 76 Für die derivativen Prinzipien galt nach h.M. lange Zeit, daß sie lediglich die EG-

71 S.o. I. 72 S. z.B. Grabitz, E./Nettesheim, M. in Grabitz-Kommentar, Rn. 33 zu Art. 130 r; Zuleeg, M., Kompetenzen, S. 283 f., der zwischen "Handlungsanweisung" und "Rechtsnorm" unterscheidet, die Bedeutung des Unterschiedes aber nicht klar macht; a.A z.B. Krämer, L. in GBT, Bd. 3, Rn. 25 f. zu Art. 130 r, der Prinzipien einerseits nicht als rechtlich zwingende Regeln, andererseits jedoch als "rechtlich nicht völlig unbeachtlich" ansieht.

73 Vgl. Pemice, I. in Grabitz-Kommentar, Rn. 30 zu Art. 164 mit zahlreichen Beispielen; Bleckmann, A, Auslegungsmethoden, S. 1179 m.w.N. 74 AA Schwarze, J., S. 189, der dem Rat die Befugnis zur Nichtbeachtung bei Einstimmigkeit ohne nähere Begründung einräumt; Steindorff, E., Nichtigkeitsklage, S. 117, wendet dagegen zu Recht den Vorrang des Primär- vor dem Sekundärrecht an. 75 Vgl. Heintzen, M., S. 36,39 ff. m.w.N. 76 So - allerdings ohne jede Begründung - Zuleeg, M., Kompetenzen, S. 285.

III. Bindungswirkung

105

Organe verpflichten 77 . Allerdings erkennt der EuGH seit Mitte der '80er Jahre auch die Bindung der MS an, sofern sie EG-Recht umsetzen oder administrativ vollziehen 78 . Bleckmann79 begründet das mit dem effet utile und dem Prinzip der einheitlichen Geltung des Europarechtes, Zuleeg80 rekurriert auf den Grundsatz der Gemeinschaftstreue. Auch bezüglich der originären Prinzipien hat der EuGH in seiner WallonienEntscheidung 81 konstatiert, daß das Prinzip, Umweltbeeinträchtigungen an ihrem Ursprung zu bekämpfen82, ebenfalls von den MS und ihren Gebietskörperschaften zu beachten ist. 83 Diese Bindung gilt somit also nicht nur für die nationalen Gerichte, sondern ferner für alle Verwaltungsbehörden 84 . Wie bei den derivativen Prinzipien ist allerdings davon auszugehen, daß die Gemeinschaftsprinzipien nicht absolut die MS binden, sondern immer nur dann, wenn eine vom EG-Recht geregelte Materie in Rede steht. Jenseits der bloßen Bindung der MS ist schließlich noch kurz auf die von Nettesheim 85 anläßlich der Factortame-Entscheidung des EuGH86 aufgeworfene Frage einer möglichen Verpflichtung der MS zur prinzipienorientierten Rechtsfortbildung des nationalen Verfassungs- und Prozeßrechtes einzugehen. Diese Fragestellung ist nicht typisch für das Verfassungs- und Prozeßrecht,

77 EuGHE 1985, verb. Rs. 60 und 61/84 - Cinetheque -, S. 2605, 2627; Pernice, I. in Grabitz-Kommentar, Rn. 42 zu Art. 164. 78 EuGHE 1986, verb. Rs. 201 und 202/85 - Klensch -, S. 3477, 3507 f.; E 1987, Rs. 12/86 - Demirel -, S. 3719, 3754; E 1989, Rs. 5/88 - Wachauf -, S. 2609, 2639 f.; E 1991, Rs. C-260/89 - ERT -, S. 2925, 2964; s. schon GA Trabucchi, A, in EuGHE

1976, Rs. 118/75 - Watson und Be1mann -, S. 1185, 1207, und GA Jacobs, M., Schlußantrag zur Rs. C-168/91 - Konstantinidis -, v. 9. Dezember 1992, Rn. 46; Heintzen, M., S. 35 ohne nähere Begründung; Streil, 1. in BBPS, S. 242; Nettesheim, M., Auslegung, S. 273 f., der auf die Möglichkeit eines "tiefgreifenden Verfassungswandels" in den MS hinweist; Chiti, M., S. 667 ff.

79 Bleckmann, A in Bleckmann, A, Europarecht, Rn. 320 ff. 80 Zuleeg, M., Demokratie, S. 29. 81 EuGHE 1992, Rs. C-2/90, S. 4431,4480. 82 S.u. IV, I, c. 83 S. auch Zuleeg, M., Umweltschutz, S. 34. 84 Vgl. Nettesheim, M., a.a.O., S. 277 m.w.N. 85 Ibid., S. 289 ff. 86 EuGHE 1990, Rs. C-213/89, S. 2431 ff.

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C. Gemeinsame Strukturprinzipien im EG-Abfallrecht

sondern betrim jedwede Verpflichtung zur Rechtsfortbildung durch nationale Gerichte. Abgesehen von rechtspolitischen Problemen der Anerkennung der Stellung des EuGH als eines Organes, das als ein nicht originäres Rechtsetzungsorgan die Befugnis zur Rechtsfortbildung besitzt, ist grundsätzlich zu bezweifeln, ob ihrerseits durch Auslegung und Rechtsfortbildung gewonnene EGPrinzipien mitgliedstaatliche Gerichte zur nationalen Rechtsfortbildung verpflichten können. Diese doppelte Durchbrechung der Gewaltenteilung (ein Gemeinschaftsorgan der Jurisdiktion scham Recht, das wiederum die Rechtsprechung, nicht aber die Legislative der MS verpflichtet, neues Recht zu setzen) kann jedenfalls mit Art. 5 EGV oder dem Prinzip der Gemeinschaftstreue nicht mehr gerechtfertigt werden, da das gegenläufige Prinzip der Rechtssicherheit in der nationalen Rechtsordnung nicht mehr gewahrt wäre. 87 Zwar kann, wie gesehen, ein Prinzip einem anderen vorgehen; doch darf die Anwendung eines Prinzips nicht dazu filhren, daß ein anderes völlig leerläuft und damit seinerseits der Grundsatz der praktischen Konkordanz hinsichtlich der Anwendung auf zwei oder mehrere gemeinschaftsrechtliche Prinzipien verletzt wird.

IV. Prinzipien des EG-Abfallrechtes Das Gemeinschaftsrecht kennt, wie schon erwähnt, einige spezifisch das Abfallrecht betreffende Rechtsprinzipien, die expressis verbis in den Verträgen formuliert sind und nachfolgend unter aa) aufgefilhrt werden. Daneben kann man, folgt man der Methode des EuGH, aufgrund der oben genannten Quellen mittels Auslegung und Rechtsfortbildung Rechtsprinzipien zu konkretisieren, weitere Prinzipien des Abfallrechtes formulieren (bb). Die nachfolgenden Ausfiihrungen bedeuten allerdings nicht, daß die Prinzipien ausschließlich im EGAbfallrecht zu fmden sind (s. z.B. das Prinzip der Unterrichtung, das zahlreiche EG-Politikbereiche bestimmt).

87 Vgl. Nettesheim, M., a.a.O., S. 291.

IV. Prinzipien des EG-Abfallrechtes

107

1. Ausdrücklich in den Verträgen formulierte Prinzipien

a) Vorsorgeprinzip Das durch den Maastrichter Unionsvertrag in Art. 130 r Abs. 2 Uabs. 1 S. 2 EGV eingefUhrte Vorsorgeprinzip88 postuliert eine vorausschauende Fürsorge, womit gemeint ist, daß selbst Tätigkeiten, deren umweltschädlicher Charakter lediglich möglich, nicht aber hinreichend wahrscheinlich erscheint, zu unterlassen oder zu unterbinden sind. 89 Es umfaßt insbesondere auch das inzwischen im nationalen und internationalen Rahmen anerkannte Postulat des möglichst schonenden Umganges mit der Umwelt und ihren Ressourcen90 . Dabei strebt die EG eine dauerhafte und umweltgerechte Entwicklung an, die - zum Wohle künftiger Generationen 91 - die gegenwärtigen Bedürfnisse befriedigt, ohne die Grundlagen fUr die Bedürfnisbefriedigung der nach uns Kommenden zu beeinträchtigen. Ein vorausschauendes Verhalten soll dabei helfen, daß weltweit eine sogenannte "nachhaltige Entwicklung" (im anglo-amerikanischen Sprachraum als sustainable development bezeichnet92 ) eintritt. Für das Abfallrecht bedeutet das beispielsweise, daß zum Schutz der Umwelt und zur Schonung der Umweltressourcen Abfiille vorrangig zu vermeiden bzw. zu verwerten sind93 , so daß zukünftig gar keine oder lediglich minimale Umweltbelastungen auftreten. 94 Beispiele fUr die Konkretisierung des Vorsorgeprinzips und der speziellen Ausprägung95 als Grundsatz des Vorranges der Vermeidung und Verwertung von Abfilllen fmden sich an zahlreichen Stellen im EG-soft law und Sekundärrecht: Schon dem Zweiten Umwelt-Aktionsprogramm kann man die Priorität

88 S. Epiney, A.lFurrer, A., S. 384 f1 89 Eidern, S. 385 und 386 Fn. 116. 90 Vgl. Fünftes Umwelt-Aktionsprogramm, ABI. der EGen v. 17. Mai 1993, C 138, S. I, 12; Bundesministerium rur Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit, S. 60, 70. 91 Vgl. z.B. Lersner, H. von, S. 9; Beyerlin, U., S. 139 f., 143 ff. 92 S. z.B. Schenkel, W./Reiche, J., S. 84 ff. 93 Vgl. Dieckmann, M., Abfallrecht, S. 134 ff. 94 Vgl. Offermann-Clas, 95 Klages, C., S. 18 ff.

c., Abfallrecht, S. 1132 f.

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C. Gemeinsame Strukturprinzipien im EG-Abfallrecht

der Venneidung und Verwertung entnehmen96, die dann ausdrücklich in den drei folgenden Programmen97 sowie der Rats-Entschließung über die Abfallpolitik vom 7. Mai 199098 fonnuliert ist und beispielsweise Niederschlag fand in Art. 3 Altöl-RL 76/439/EWG99, in den Erwägungsgründen 2 und 4 f. und in Art. 3 RL 85/339/EWG über Verpackungen für flüssige Lebensmittel lOO , im Erwägungsgrund 7 und in Art. 4 Vorschlag für eine Rats-RL zur Beseitigung der PCB und PCTI01, in Art. 3 Abs. 1 lit. a und b Abfall-Rahmen-RL 911156/EWGI02, in den Erwägungsgründen 5 ff. und in Art. 3 ff. TitandioxidRL 92/112/EWG103 sowie in den Art. 1; 4 ff. RL 94/62/EG des EP und des Rates über Verpackungen und Verpackungsabflille l04 . b) Vorbeugeprinzip Obwohl es keine klaren Grenzen zum Vorsorgeprinzip gibt, kann man zum ebenfalls präventiv angelegten und im Art. 130 r Abs. 2 Uabs. 1 S. 2 EGV genannten Vorbeugeprinzip doch soviel sagen, daß es sich hinsichtlich der Kausalitätsanforderungen vom Vorsorgeprinzip unterscheidet, da es eine gewisse Wahrscheinlichkeit bezüglich der Gefährdungslage sowie ihrer Beseitigung oder Verringerung durch die entsprechend zu ergreifende Maßnahme erfordert. 10S

96 ABI. derEGen v. 13. Juni 1977, C 139, S. 1,31.

97 ABI. der EGen v. 17. Februar 1982, C 46, S. 1, 14; v. 17. Dezember 1987, C 328, S. 1,32,34; v. 17. Mai 1993, C 138, S. 1,57. 98 ABI. der EGen v. 18. Mai 1990, C 122, S. 2; s.o. B, 11, 1, a, gg. 99 ABI. der EGen v. 25. Juli 1975, L 194, S. 31 ff. i.d.F. der RL 87/101IEWG, ABI. der EGen v. 12. Februar 1987, L 42, S. 43 ff.

100 ABI. der EGen v. 6. Juli 1985, L 176, S. 18, 19. 101 ABI. der EGen v. 12. Dezember 1988, C 319, S. 57, 58; insofern ist der Einwand Schröders (Schröder, M., Abfallrecht, S. 122 LV.m. Fn. 37), daß die PCB-RL gegen den klaren, durchgängigen Vorrang der Abfallverhütung und -verwertung im EGAbfallrecht spricht, nunmehr widerlegt. 102 ABI. derEGen v. 26. März 1991, L 78, S. 32, 33. 103 ABI. der EGen v. 31. Dezember 1992, L 409, S. 11, 13 f.; auch diese Neufassung zeigt, daß Schröders Argument (ibid., S. 122 LV.m. Fn. 36), die Abfallbeseitigung stehe mitunter an erster Stelle der Zieltrias, nicht mehr zutrifft. 104 ABI. der EGen v. 31. Dezember 1994, L 365, S. 10, 12 ff. 105 Epiney, A./Furrer, A., S. 385 f. m.w.N.

IV. Prinzipien des EG-Abfallrechtes

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Gemäß dem Grundsatz der Schonung sollen Beeinträchtigungen der Umwelt vermieden bzw. minimiert werden. Bei allen fachlichen Planungs- und Entscheidungsprozessen - aufregionaler, nationaler und internationaler Ebene l06 müssen die Auswirkungen auf die Umwelt so früh wie möglich bedacht werden. Sind sie nicht vorhersehbar, ist Zurückhaltung geboten. Bei allen Maßnahmen muß die Umwelt als Ganze im Auge behalten werden. 107 Es muß demzufolge beispielsweise die Übertragung der Verschmutzung von einem Umweltmedium in ein anderes verhütet werden lO8 . Ferner ist die Entwicklung neuer technischer Verfahren und ihre Einführung in die Wirtschaft geboten, damit heute noch übliche, besonders durch Schadstoffeinleitung in Wasser, Luft und Boden verursachte Umweltbelastungen deutlich verringert werden. 109 Bereits das Zweite Umwelt-Aktionsprogramm 110 verfolgte den Grundsatz der Schonung der Umwelt, das Dritte und Vierte Aktionsprogramm 111 betonten darüberhinaus die Notwendigkeit der Entwicklung und Förderung sauberer, ressourcensparender Technologien und umweltverträglicher Erzeugnisse. 112 Außerdem erwähnen das Vorbeugeprinzip die EP-Entschließung vom 7. Juli 1988 zu einer Politik rur kommunale Kunststoffabfälle (Ziff. 1)113, der Geänderte Vorschlag rur eine RL des Rates über die zivilrechtliche Haftung filr die durch Abfälle verursachten Schäden vom 28. Juni 1991 (10. Erwägungs-

106 Hinsichtlich letzterer plant die Gemeinschaft beispielsweise, ein Übereinkommen über die Umweltverträglichkeitsprüfung für Europa abzuschließen, s. Bulletin der EGen 3/1992, S. 52. 107 Vgl. insgesamt Grabitz, E./Zacker, C., Umweltkompetenzen, S. 299; Grabitz, E./Nettesheim, M. in Grabitz-Kommentar, Rn. 37 ff. zu Art. 130 r. 108 S. Viertes Umwelt-Aktionsprogramm, ABI. der EGen v. 17. Dezember 1987, C 328 S. 1,3. 109 Vgl. Erbguth, W., S. 93. 110 ABI. derEGen v. 13. Juni 1977, C 139, S. 1,31. 111 ABI. der EGen v. 17. Februar 1983, C 46, S. 1, 14 f.; v. 7. Dezember 1987, C 328, S. 1,32 f. 112 Roelants du Vivier, F./Hannequart, J.-P., S. 226, ordnen diese Forderungen dagegen dem Quellenprinzip (s.u. c) zu. Das ist insofern unzutreffend, als saubere Technologien und umweltverträgliche Produkte qua definitionibus gerade zu überhaupt keiner Umweltbeeinträchtigung führen sollen, das Quellenprinzip aber bereits aufgetretene Beeinträchtigungen zu minimieren fordert. 113 ABI. der EGen v. 12. September 1988, C 235, S. 147, 149.

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C. Gemeinsame Strukturprinzipien im EG-Abfallrecht

grund)1I4 sowie die RL 94/67/EG vom 16. Dezember 1994 über die Verbrennung gefiihrlicher Abflille (4. Erwägungsgrund)1I5. Ein wichtiges Verfahrenselement zur Verwirklichung des Vorbeugeprinzips ist die UVpll6 rur bestimmte öffentliche und private Vorhaben, die erhebliche Auswirkungen auf die Umwelt haben können. Der Rat erließ deshalb die RL 85/337/EWG vom 27. Juni 1985 117, durch die gleichzeitig Wettbewerbsverzerrungen im GM vermieden werden sollen. c) Prinzip der Bekämpfung von Umweltbeeinträchtigungen mit Vorrang an ihrem Ursprung (oder auch Quellenprinzip), Art. 130 r Abs. 2 Uabs. 1 S. 2 EGV Dieser zum ersten Mal im Dritten Umwelt-Aktionsprogramm ll8 genannte Grundsatz besagt, daß Umweltbeeinträchtigungen so früh wie möglich bekämpft werden sollen. Eine wenn auch nicht völlig vermeidbare Umweltbeeinträchtigung soll so gering wie möglich gehalten werden, so daß ihre Ausbreitung vermieden wird. Im Unterschied zu den Prinzipien der Vorsorge und Vorbeugung erfaßt das Quellenprinzip bereits existierende Beeinträchtigungen, was sich schon mittels systematischer Auslegung aus der Reihenfolge der in Art. 130 r Abs. 2 Uabs. 1 S. 2 EGV aufgezählten Grundsätze ergibt. Sie orientiert sich am Verwirklichungsgrad der Umweltstörungen: von der beim Vorsorgeprinzip noch nicht existenten Beeinträchtigung bis zur nicht mehr zu beeinflussenden Störung beim Verursacherprinzip (,das allerdings schon im Stadium der Vermeidung zur Anwendung kommen kann, s. sogleich i). Ein abfallrechtliches Beispiel ist die Rats-Entschließung vom 7. Mai 1990 über die Abfallpolitik ll9 (3. Erwägungsgrund, Ziff. 1,4, Nr. 11), die das Quellenprinzip in der Form nennt, daß die Abfallentstehung möglichst an ihrem Ursprung zu vermeiden ist.

114 ABI. derEGen v. 23. Juli 1991, C 192, S. 6, 8. 115 ABI. derEGen v. 31. Dezember 1994, L 365, S. 34. 116 Kritisch zum BegriffStorm, P.-C., S. 179. 117 ABI. der EGen v. 5. Juli 1985, L 175, S. 40 ff.; eine ausführliche Kommentierung findet sich bei Cupei, J., S. 103-207; zur Umsetzung in das deutsche Recht s. Peters, H.-J., S. 42 ff. 118 ABI. der EGen v. 17. Februar 1983, C 46, S. 1,2. 119 ABI. der EGen v. 18. Mai 1990, C 122, S. 2 ff.

IV. Prinzipien des EG-Abfallrechtes

111

Der EuGH120 greift diesen Gedanken in seiner Wallonien-Entscheidung auf, wenn er aus dem Quellenprinzip ableitet, daß jede Region, Gemeinde oder andere Gebietskörperschaft geeignete Maßnahmen treffen muß, um die Aufnahme, Behandlung und Beseitigung ihrer eigenen Abfiille sicherzustellen, und zwar möglichst nah am Ort ihrer Erzeugung. So wird dieser unter Beachtung insbesondere des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes aus dem Quellenprinzip 121 konkretisierte Grundsatz als Grundsatz der Entsorgungsnähe (hier besteht eine sehr enge Verwandtschaft zum aus dem Subsidiaritätsprinzip abgeleiteten Grundsatz der Enstorgungsautarkie, s.u. ee) bezeichnet. In der Literatur wird erörtert, ob der EuGH bei der Verwendung des Begriffes "Beseitigung" ausschließlich die Beseitigung i.e.S. 122 oder auch Verwertungsmaßnahmen 123 meint, so daß man von einem Grundsatz der Beseitigungsund der Verwertungsnähe 124 sprechen könnte. Zu den Begriffen Beseitigung und Verwertung ist zu bemerken, daß beide Begriffe in. Art. 1 lit. e und f RL 75/4421EWG i.d.F. der RL 911156IEWG legal defmiert sind und Unterformen der Abfallbewirtschaftung (s. Art. 1 lit. d) oder der Abfallentsorgung - eines Begriffes, der nicht mehr legal defmiert und kaum noch verwendet wird 125 sind. In der alten Fassung der RL 75/4421EWG (s. Art. 1 lit. b) stellte die Abfallbeseitigung noch den Oberbegriff dar, dem auch die Verwertung unterfiel. Nunmehr umfaßt "Beseitigung" alle Formen der Abfallentsorgung, die nicht der Wiedergewinnung von Rohstoffen oder Energie dienen, also z.B. Ablagerungen, Verpressungen, Einleitung in Gewässer, Verbrennung, Vermengungen. Hingegen meint "Verwertung" die Gewinnung von Rohstoffen und Energie aus Abfiillen, so beispielsweise durch Regenerierung, Raffmation, Verwendung als Brennstoff. Dieckmanns Argumente, daß der EuGH gerade nicht zwischen wiederverwertbaren und nicht-wiederverwertbaren Abfallen unterscheide sowie sich beim Gebrauch des Begriffes der "Beseitigung" auf die weite Defmition

120 EuGHE 1992, Rs. C-2/90 - Wallonien -, S. 4431, 4480. 121 Dieckmann, M., Abfallrecht, S. 138, leitet den Grundsatz aus Art. 5 Abs. 2 Rahmen-RL 911156IEWG (ABI. der EGen v. 26. März 1991, L 78, S. 32, 34) ab. Normenhierarchisch ist das insoweit inkorrekt, als sich die RL selbst auf Art. 130 s EWGV und damit auch auf die Prinzipien des Art. 130 r EGV stützt. 122 Wilmowsky, P. von, Bestandsaufnahme, S. 425 f. 123 Dieckmann, M., a.a.O., S. 139 f. 124 Idem, S. 140. 125 Z.B. in Art. 5 Abs. 1 S. 2; s. Dieckmann, M., S. 175 f.

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C. Gemeinsame Strukturprinzipien im EG-Abfallrecht

der Abfall-Rahmen-RL 75/442/EWG a.F. beziehe, sind unzutreffend. Die Ausführungen zum Abfallbegriff traf der EuGH lediglich, um zu prüfen, ob der Anwendungsbereich der Art. 30 ff. EWGV im vorliegenden Fall eröffnet war. Was die Erörterungen zum Grundsatz der Entsorgungsnähe und der Abfallbeseitigung anbelangt, so finden sich diese unter den Randnummern 22 ff., die als Prüfungsmaßstab nicht mehr die Abfall-Rahmen-RL, sondern die Art. 30 und 36 EWGV haben. In der Rn. 31 bezieht sich der EuGH zudem ausdrücklich auf die Ablagerung von Abfallen, nicht auf Verwertungsvorgänge. Außerdem weist von Wilmowsky zurecht darauf hin, daß der EuGH schon vorher in den Urteilen Inter-Huiles l26 und Nertsvoederfabriek l27 nationale Ausfuhrverbote für zur Verwertung bestimmte Abfalle als gegen Art. 34 EWGV verstoßend erklärt hatte und sich in der Wallonien-Entscheidung auf die Basler Konvention vom 22. März 1989 bezieht. Diese defmiert im authentischen offiziellen englischen Text "disposal operations" als "(o)perations which do not lead to the possibility of resource recovery, recycling, reclamation, direct reuse or alternative uses"128. Ferner belegen Akte des soft law l29 und des Sekundärrechtes, daß Abfallverwertung nicht dem Näheprinzip und dem Prinzip der Entsorgungsautarkie unterfällt: Die Entschließung des Rates vom 7. Mai 1990 über die Abfallpolitik l3O nimmt die Wiederverwendung des Abfalles vom Ziel der "Entsorgungsautarkie" aus; die Verbringungs- va (EWG) Nr. 259/93 131 definiert nunmehr die Abfallbeseitigung enger als die RL 84/631/EWG, die von der va abgelöst wurde. Hatte sich die RL 84/631/EWG in ihrem Art. 2 Abs. 1 lit. f auf den Beseitigungs-Begriff des Art. 1 lit. c RL 78/319/EWG über giftige und gefiihrliche Abfalle 132 bezogen, der unter Beseitigung auch "die erforderlichen Umwandlungsvorgänge zur Wiederverwertung, Rückgewinnung oder Verwertung" verstand, so nimmt Art. 2 lit. i va (EWG) Nr. 259/93 jetzt auf Art. 1 lit. e i.V.m. Anhang 11 a RL 75/442/EWG Ld.F. der RL 911156/EWG133 Bezug,

126 EuGHE 1983, Rs. 172/82, S. 555 tI. 127 EuGHE 1987, Rs. 118/86, S. 3883 ff. 128 S. Anhang IV, A, vgl. ABI. der EGen v. 16. Februar 1993, L 39, S. 1,39. 129 Vgl. Wilmowsky, P. von, ibid. 130 ABI. der EGen v. 18. Mai 1990, C 122, S. 2 Fn. 6. 131 ABI. der EGen v. 6. Februar 1993, L 30, S. I ff. 132 ABI. der EGen v. 31. März 1978, L 84, S. 43, 44. 133 ABI. der EGen v. 26. März 1991, L 78, S. 32, 33; vgl. z.B. Dieckmann, M., Abfallrecht, S. 173 f.

IV. Prinzipien des EG-Abfallrechtes

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wonach ja Verwertungsvorgänge nicht mehr der "Beseitigung" subsumiert werden können. Auch das EuGH-Urteil zum deutschen Abfallgesetz 134 spricht in seinen Passagen zum deutschen Grundsatz der Inlandsentsorgung (Rn. 26-42) nicht von Abfallverwertung, sondern mehrmals von Beseitigung (Rn. 32, 38, 41). Die Kommission griff § 13 Abs. 1 Ziff. 1 AbfG an, der lediglich die "Beförderung, Behandlung, Lagerung oder Ablagerung der Abfiille" nennt, Tatbestandsmerkmale also, die gerade nicht der Legaldefmition der Abfallverwertung in § 1 Abs. 2 AbfG unterfallen. Denn dieser Begriff der Abfallverwertung meint nur die Rückgewinnung von Stoffen sowie die energetische Verwertung durch Verbrennung. 135 So ist ebenfalls von der deutschen Rechtslage her klär, daß auch dieses EuGH-Urteil den Grundsatz der Entsorgungsnähe lediglich auf die Abfallbeseitigung anwendet.

Für die Einbeziehung der Verwertungsvorgänge in den Grundsatz der Entsorgungsnähe spricht einzig Dieckmanns Argument l36 , daß die Umwelt nicht nur durch Abfalldeponierung, sondern auch durch Abfallverwertung gefiihrdet wird. Dem kann allerdings mit von Wilmowsky137 entgegengehalten werden, daß die Erstreckung der Entsorgungsautarkie auf die Verwertung dazu fUhren könnte, daß mehr Abfall deponiert wird, weil die Regionen in ihren Abfallverwertungsmöglichkeiten begrenzt und auf gebietsübergreifende Arbeitsteilung angewiesen sind. Zudem dürfte es zutreffen, daß Abfallverwertungsanlagen eher als -beseitigungsanlagen von der Öffentlichkeit akzeptiert werden. Insgesamt läßt sich demnach feststellen, daß das Prinzip der Entsorgungsnähe sich bisher ausschließlich auf die Abfallbeseitigung erstreckt. Die Abfallverwertung ist begrifflich strikt davon zu trennen. 138 Der Begriff der Entsorgung ist dagegen nicht eindeutig defmiert, sondern wird teilweise synonym filr Beseitigung oder als Oberbegriff für Beseitigung und Verwertung verwendet. Der so entwickelte Grundsatz der Entsorgungsnähe kann bisher nur für allgemeine und Sonderabfälle als gefestigt angesehen werden. Bezüglich der

134 Urteil v. 10. Mai 1995, Rs. C-422/92, EWS 1995, S. 233 ff. 135 Vgl. Schwermer, G. in KSV, Rn. 39 zu § 1. 136 A.a.O., S. 140. 137 A.a.O., S. 426. 138 Vgl. Art. Ilit. f i.V.m. Anhang II B Abfall-Rahmen-RL 75/442/EWG i.d.F. der RL 91/1 56/EWG; dazu Dieckmann, M., a.a.O., S. 174 f. 8 Zacket

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C. Gemeinsame Strukturprinzipien im EG-Abfallrecht

Nuklearabfiille will die Kommission allerdings seit kurzem ebenfalls zumindest Leitlinien zur Anwendung des Grundsatzes der Entsorgungsnähe bei der Optimierung radioaktiver Abfallentsorgungssysteme 139 entwickeln, obwohl sie konstatiert, daß aus wirtschaftlichen, Sicherheits- und Umweltschutzgründen vielfach Zentralanlagen konzipiert werden müssen und eine Optimierung der Nutzung radioaktiver Abfallanlagen sowohl auf nationaler als auch auf Gemeinschaftebene möglich ist. d) Verursacherprinzip Als weiteren Grundsatz nennt Art. 130 r Abs. 2 Uabs. I S. 2 EGV schließlich das Verursacherprinzip 140, das seit dem Ersten Aktionsprogramm 141 zu den grundlegenden Prinzipien des EG-Umweltrechtes gehört. Danach treffen die Kosten 142 der Vermeidung, Beseitigung und des Ausgleiches von Umweltverschmutzungen grundsätzlich den, der sie verursacht hat. Es ist bisher überwiegend ein reines Kostenzurechnungsprinzip, begründet also noch keine Schadenersatz- oder Haftungspflichten. Die nähere Ausgestaltung fmdet sich in der Empfehlung des Rates 75/436/Euratom, EGKS, EWG vom 3. März 1975 über die Kostenzurechnung und die Intervention der öffentlichen Hand bei Umweltschutzmaßnahmen 143 , die sich nicht nur an die EG-Organe fUr die Gemeinschaftsebene, sondern gleichfalls an die MS hinsichtlich ihrer nationa-

139 Mitteilung der Kommission an den Rat, das EP und den WSA KOM (94) 66 endg. v. 2. März 1994 - Eine Gemeinschaftsstrategie für die Entsorgung radioaktiver Abflllle, S. 11. 140 Zum Begriffs. Krämer, L., Verursacherprinzip, S. 354, der nachweist, daß außer Deutsch alle anderen Vertragssprachen anstelle von "Verursacher" von "Verschmutzer" sprechen, so daß man vom "Verschmutzerprinzip reden sollte. 141 ABI. der EGen v. 20. Dezember 1973, C 112, S. 1,6. 142 Sie sind nicht unerheblich; denn die MS wenden jährlich durchschnittlich drei bis fünf Prozent ihres Bruttoinlandsproduktes für die Beseitigung von Umweltschäden auf, vgl. Kommission der EGen, EG und Umweltschutz, S. 27. Der Rat erließ die Empfehlung 79/3/EWG v. 19. Dezember 1978 an die MS betreffend Verfahren zur Berechnung der Umweltschutzkosten der Industrie (ABI. der EGen v. 9. Januar 1979, L 5, S. 28 ff.), wonach die MS möglichst ähnliche Berechnungsverfahren anwenden und gemeinsame Grundsätze für künftige Untersuchungen über die industriellen Umweltschutzkosten aufstellen sollen. 143 ABI. der EGen v. 25. Juli 1975, L 194, S. 1 ff.; vgl. auch Purps, T., S. 23 Fn. 1.

IV. Prinzipien des EG-Abfallrechtes

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len Rechtsvorschriften wendet l44 . Danach ist Verursacher, wer die Umwelt direkt oder indirekt belastet oder eine Bedingung ft1r die Umweltbelastung setzt. Bei Summationsschäden oder Verursacherketten sollen die Kosten an den Stellen der kumulativen Umweltbelastung oder der Verursacherkette und mit den rechtlichen und administrativen Mitteln internalisiert werden, die verwaltungstechnisch und wirtschaftlich optimal sind sowie am effektivsten zur Umweltverbesserung beitragen. 145 Die Verschmutzer sollen so dazu veraniaßt werden, die Verschmutzung zu verringern oder weniger umweltbelastende Erzeugnisse bzw. Technologien zu entwickeln, um eine rationellere Nutzung der naturlichen Ressourcen zu ermöglichen. Zu beachten ist allerdings, daß das EG-Recht so lange Emissionen in die Umweltmedien Luft, Wasser und Boden zuläßt, wie geschützte Rechtspositionen anderer nicht beeinträchtigt werden. Denn Verschmutzungen liegen erst dann vor, wenn die zuständigen EG-Organe Vorschriften zur Begrenzung der Emissionen erlassen haben und der Emittent diese Grenzwerte überschreitet l46 . Nichtsdestotrotz sind auch Abgabenregelungen denkbar bezüglich Umweltemissionen, welche die Grenzwerte nicht überschreiten, weil der Gesetzgeber auch Null-Werte ft1r Emissionen festsetzen könnte 147. Die wichtigsten Instrumente der öffentlichen Hand bei der Anwendung des Verursacherprinzips sind Normen (z.B. Umweltqualitäts-, Produkt-, Verfahrensnormen) und Abgaben l48 . Neben Ge- und Verboten sollen insbesondere finanzielle Anreize positiver Art oder die Auferlegung von Lasten zu einem effizienten Wirtschaften und einer Lasten- und Verteilungsgerechtigkeit fiihren l49 . In diesem Sinne ist gemäß dem Vierten Umwelt-Aktionsprogramm die Entwicklung "wirksamer wirtschaftlicher Instrumente wie Abgaben, Gebühren, staatliche Beihilfen oder handelbare Deponiegenehmigungen"150 vorgesehen.

144 Vgl. zum Problem grenzüberschreitender Umweltbelastungen Grabitz, E., Umwelthaftung, S. 86 f. 145 ABI. der EGen v. 25. Juli 1975, L 194, S. 2. 146 Krämer, L., a.a.O., S. 354 f. 147 Idem, S. 359. 148 S. Grabitz, E., Handlungsspielräume, S. 633 ff. 149 Vgl. Grabitz, E./Nettesheim, M. in Grabitz-Kommentar, Rn. 47 zu Art. 130 r; zum Problem der Bemessung der sozialen Zusatzkosten s. Purps, T., S. 80 ff. m.w.N. 150 ABI. der EGen v. 7. Dezember 1987, C 328, S. 4. 8·

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c. Gemeinsame Strukturprinzipien im EG-Abfallrecht

Gerade im Abfallrecht fmden sich die Grundsätze des Verursacherprinzips an vielen Stellen: Gemäß Art. 15 Abfall-Rahmen-RL 75/4421EWG Ld.F. der RL 911156IEWG vom 18. März 1991 151 sind die Abfallbeseitigungskosten vom Abfallbesitzer, der seine Abfalle einem Sammelunternehmen oder einem anderen genehmigten Unternehmen übergibt, und/oder den früheren Besitzern oder dem Hersteller des Erzeugnisses, von dem die Abfalle stammen, zu tragen. In Nr. 10 Rats-Entschließung über die Abfallpolitik vom 7. Mai 1990 152 wird die volle Verwirklichung des Verursacherprinzips gefordert. Ferner sind zu nennen Art. 15 Altöl-RL 75/4391EWG i.d.F. der RL 8711011EWG153, Art. 8 PCB-RL 76/403IEWGI54, der 10. und 15. Erwägungsgrund sowie Art. 3 Geänderter Vorschlag für eine Rats-RL über die zivilrechtliche Haftung für die durch Abfiille verursachten Schäden vom 28. Juni 1991 155 sowie der 15. und 16. Erwägungsgrund Geänderter Vorschlag für eine Rats-RL über Abfalldeponien vom 10. Juni 1993 156, der 29. Erwägungsgrund und Art. 15 RL 94/621EG über Verpackungen und Verpackungsabfalle 157 sowie Kapitel VIII der Gemeinschaftsstrategie für die Entsorgung radioaktiver Abfalle gl58 . Schließlich fmden sich Konkretisierungen und Ausweitungen des Verursacherprinzips auch im Transportrecht für allgemeine Abfalle 159 und für Nuklearabfiille l60 , wonach die ursprünglichen Abfallbesitzer in bestimmten Konstel-

151 ABI. der EGen v. 26. März 1991, L 78, S. 32, 35. 152 ABI. der EGen v. 18. Mai 1990, C 122, S. 2, 3. 153 ABI. der EGen v. 12. Februar 1987, L 42, S. 43, 45. 154 ABI. der EGen v. 26. April 1976, L 108, S. 41, 42. 155 ABI. der EGen v. 23. Juli 1991, C 192, S. 6, 7 f., 12. 156 ABI. der EGen v. 5. August 1993, C 212, S. 33, 34. 157 ABI. derEGen v. 31. Dezember 1994, L 365, S. 10, 12, 16. 158 KOM (94) 66 endg. v. 2. März 1994, S. 14 f. 159 17. und 18. Erwägungsgrund; Art. 3 Abs. 6; 6 Abs. 6; 25 Abs. 3; 27; 33 Verbringungs-VO (EWG) Nr. 259/93 des Rates v. I. Februar 1993 (ABI. der EGen v. 6. Februar 1993, L 30, S. 1,2,4 f., 7,16 f., 18). 160 Art. 14 f. Verbringungs-RL 92/3/Euratom des Rates v. 3. Februar 1992 (ABI. der EGen v. 12. Februar 1992, L 35, S. 24, 27); vgl. auch die Forderungen des EP nach voller und unbeschränkter zivilrechtlicher Haftung der Betreiber von Kernkraftwerken und des Betriebspersonals im gesamten Kernkraftsektor für alle von ihnen verursachten Personen-, Sach und Umweltschäden (Nr. 19 der Entschließung A 3-125/91 des EP zu Energie und Umwelt v. 13. Juni 1991, ABI. der EGen v. 15. Juli 1991, C 183, S. 303,

IV. Prinzipien des EG-Abfallrechtes

117

lationen verpflichtet werden, die exportierten Abfälle zurückzunehmen und lege artis wiederzuverwerten bzw. zu entsorgen. Es handelt sich dabei um ein erweitertes Verständnis des Verursacherprinzips, weil Pflichten über die reine Kostenrechnung hinaus konstatiert werden. In der Literatur wird nämlich teilweise schon gefordert, daß das Verursacherprinzip dem Verursacher auch die Venneidung, Venninderung oder nachträgliche Beseitigung der Umweltbelastungen abverlangen soll. 161 e) Subsidiaritätsprinzip mit den Untertallen des Prinzips der Entsorgungsautarkie und des Prinzips der nationalen PlanersteIlung Maastricht hat durch die Einführung des Art. 3 b in den EG-Vertrag und des Art. B Uabs. 2 EUV die langanhaltende Diskussion über die Geltung des Subsidiariätsprinzips im EG-Recht - wenn auch nicht über seinen Inhalt - beendet l62 . Es bedeutet jedenfalls soviel, daß die Gemeinschaft ihre nicht-ausschließlichen Kompetenzen lediglich dann ausübt, wenn die Ziele der in Betracht gezogenen Maßnahmen auf nationaler Ebene nicht ausreichend erfüllt und deshalb wegen ihres Umfanges oder ihrer Wirkungen besser aufEG-Ebene verwirklicht werden können. EU- und EG-Maßnahmen sollen möglichst bürgernah unter Wahrung der nationalen Identität der MS getroffen werden. Der Europäische Rat hat zur Konkretisierung am 12. Dezember 1992 ein Gesamtkonzept rur die Anwendung von Art. 3 b EGV durch den Rat beschlossen l63 . Darin fmden sich sogenannte Grundprinzipien, materielle Leitlinien und Verfahrensregeln. Lechelers Frage 164, ob Art. 3 b EGV ein objektiver Auftrag an den Gemeinschaftsgesetzgeber entnommen werden kann, das Subsidiariätsprinzip im EGRecht weiter zu konkretisieren, kann insofern beantwortet werden, als sich diese Frage insbesondere fiir das Umweltrecht gar nicht mehr stellt. Unabhängig von der dogmatischen Bedeutung des Art. B Uabs. 2 EUV, auf die in diesem Rahmen nicht eingegangen werden kann, fmdet sich die Konkretisierung 307; Nr. 21 f. der Entschließung A 3-124/91 des EP zu Energie und Umwelt v. 13. Juni 1991, ABI. der EGen v. 15. Juli 1991, C 183, S. 308, 310). 161 Vgl. z.B. Wilmowsky, P. von, Ressourcenkonflikt, S. 6. 162 Vgl. zur historischen Entwicklung Lecheier, H., Subsidiaritätsprinzip, S. 431 ff. 163 S. Europe, Nr. 5878 und 5878a/1992 v. 13./14. Dezember 1992. 164 A.a.O., S. 444.

118

c. Gemeinsame Strukturprinzipien im EG-Abfallrecht

des Subsidiariätsprinzips bereits seit langem im EG-Umweltrecht: Das Erste Umwelt-Aktionsprogramm l65 enthält den Grundsatz der geeigneten Aktionsebene, wonach bei allen Umweltbelastungen die Aktionsebene (örtlich, regional, national, gemeinschaftsweit, international) festzustellen ist, die der Art der Belastung sowie der zu schützenden geographischen Zone am besten angepaßt ist. Dabei müssen die Aktionen auf Gemeinschaftsebene konzentriert werden, die auf dieser Ebene am wirksamsten sein können, wobei die Prioritäten mit besonderer Sorgfalt festzulegen sind. Dieser Grundsatz fand mit der EEA Eingang in Art. 130 r Abs. 4 S. 1 EWGV.166 In der umweltrechtlichen Spezialmaterie des Abfallrechtes erwähnt der 5. Erwägungsgrund RL 92/3/Euratom über die Verbringung radioaktiver Abfälle 167 das Subsidiariätsprinzip ausdrücklich, er betont nämlich die mitgliedstaatliche Genehmigungspflicht für jede Verbringung radioaktiver Abfälle. Darüberhinaus fmdet das vertraglich verankerte Subsidiaritätsprinzip eine besondere abfallrechtliche Ausprägung als Prinzip der Entsorgungsautarkie 168 im Sekundärrecht, soft law und in der EuGH-Rechtsprechung: Unter Berücksichtigung geographischer Gegebenheiten und des Bedarfes an besonderen Anlagen fUr bestimmte Abfallarten sollen die MS - gegebenfalls in Zusammenarbeit mit anderen MS und der Kommission - auf Regional- oder Gebietsebene ein integriertes und angemessenes Netz von Beseitigungsanlagen errichten, welche die modernsten, keine übermäßig hohen Kosten verursachenden Technologien berücksichtigen. Die mitgliedstaatliche Ebene ist hierfilr grundsätzlich besser geeignet, weil der Abfalltransport selbst wieder Umweltgüter (z.B. Energie, Luft) in Anspruch nimmt, dabei Kosten verursacht und teilweise insbesondere hinsichtlich der Nuklearabfälle - gefährlich ist. Die Gemeinschaft soll insgesamt entsorgungsautark werden, und die MS sollen Entsorgungsaut-

165 ABI. der EGen v. 20. Dezember 1973, C 112, S. 1, 7. 166 S. Grabitz, E., in Grabitz-Kommentar, 4. Erglief., Rn. 69 ff. zu Art. 130 r; s. ferner die Entschließung A 3-0380/92 des EP vom 19. Januar 1993 zur Anwendung des Subsidiaritätsprinzips auf die Umwelt- und die Verbraucherschutzpolitik (ABI. der EGen v. 15. Februar 1993, C 42, S. 40 ff.); vgl. Kahl, W., S. 27 ff. 167 ABI. der EGen v. 12. Februar 1992, L 35, S. 24. 168 Betrachtete man dieses Prinzip nicht als Unterfall des Subsidiaritätsprinzips, sondern als originäres Prinzip - was methodologisch ebenfalls möglich ist -, so müßte es systematisch unten unter b) abgehandelt werden.

IV. Prinzipien des EG-Abfallrechtes

119

arkie anstreben. 169 Das gilt auch filr atomare Abfälle l70 . Der EuGH orientiert sich

ebenfalls

in

ständiger

Rechtsprechung.

am

Grundsatz

der

Ent-

sorgungsautarkie. 171 Die Beispiele zeigen allerdings, daß ein absolutes Verbot

filr Abfallexporte und -importe noch nicht besteht; denn es gibt weiterhin Regelungsbereiche, in denen die Staatsgrenzen filr Abfalltransporte offen sind. In In Anlehnung an die obigen Erörterungen über das Prinzip der Entsorgungs-

nähe bzw. der Beseitigungsnähe 173 kann daran gedacht werden, eher vom Prinzip der Beseitigungsautarkie 174 zu sprechen, weil wiederum wie beim Prinzip der Entsorgungsnähe Verwertungsvorgänge ausgenommen sind: So spricht die

169 4. Erwägungsgrund, Ziff. 8 Rats-Entschließung v. 21. Dezember 1988 zur grenzüberschreitenden Verbringung gefährlicher Abfälle in Drittländer (ABI. der EGen v. 12. Januar 1989, C 9, S. 1); Art. 4 Basler Konvention v. 22. März 1989 (ABI. der EGen v. 16. Februar 1993, L 39, S. 1,25 ff. LV.m. ABI. der EGen v. 2. August 1994, C 211, S. 1); 5. Erwägungsgrund, Ziff. 7 Rats-Entschließung zur Abfallpolitik v. 7. Mai 1990 (ABI. der EGen v. 18. Mai 1990, C 122, S. 2, 3); 7. Erwägungsgrund, Art. 5; 7 Abs. 3 Abfall-Rahmen-RL 75/4421EWG i.d.F. der Rats-RL 911156IEWG (ABI. der EGen v. 26. März 1991, L 78, S. 32,34); 7. und 10. Erwägungsgrund, Art. 4 Abs. 3 ali Verbringungs-VO (EWG) Nr. 259/93 (ABI. der EGen v. 6. Februar 1993, L 30, S. 1,2,5). 170 Ziff. 3 f EP-Entschließung v. 25. Oktober 1990 zur Beförderung von Nuklearabfällen (ABI. der EGen v. 26. November 1990, C 295, S. 202 f); Ziff. 2 und Nr. 15 EP-Entschließung v. 16. Juli 1993 zu umwelt- und gesundheitspolitischen Aspekten der Lagerung, Verbringung und Wiederaufbereitung abgebrannter Kernbrennstoffe (ABI. der EGen v. 20 September 1993, C 255, S. 255 f, 258); Art. 39 Viertes AKP-EWGAbkommen 9114001EGKS, EWG (ABI. der EGen v. 17. August 1991, L 229, S. 1,26); s. außerdem die Antwort des Rates v. 20. Dezember 1994 auf die schriftliche Anfrage E-1901l94 v. 1. September 1994 (ABI. der EGen v. 20. Februar 1995, C 42 S. 9 f); dagegen hält die Kommission ein offenes Vorgehen in der Entsorgunsgfrage für angebracht, s. die Antwort des Herrn Oreja v. 14. Dezember 1994 auf die schriftliche Anfrage E-1888/94 v. 6. September 1994 (ABI. der EGen v. 6. März 1995, C 55, S. 12). Sie argumentiert damit, daß der Wunsch nach Minimierung des Abfalltransportes an standortferne Entsorgungsorte gegen die Notwendigkeit, an den Entsorgungsorten einen befriedigenden langfristigen Einschluß zu gewährleisten, abzuwägen ist (s. Mitteilung der Kommission an den Rat, das EP und den WSA KOM (94) 66 endg. v. 2. März 1994 Eine Gemeinschaftsstrategie flir die Entsorgung radioaktiver Abfälle, S. 10). Deshalb erkennt sie das Prinzip der Entsorgungsautarkie bisher nur für die Gemeinschaftsebene gegenüber Drittstaaten, nicht aber für die einzelnen MS an (ibid., S. 12 f). 171 EuGHE 1992, Rs. C-2/90 - Wallonien -, S, 4431, 4480, Urteil v. 17. März 1993, Rs. C-155/91 - RL 911156IEWG -, EuZW 1993, S. 290, 291; EuGHE 1994, Rs. C187/93 - VO (EWG) Nr. 259/93 -, S. 2857, 2881 f; Urteil v. 10. Mai 1995, Rs. C422/92 - Dt. AbfallG -, EWS 1995, S. 233, 236.

In S.ausführlich zum Problem der offenen Grenzen unten 2, d. 173 S.o. c. 174 Vgl. Wendenburg, H., S. 837.

120

C. Gemeinsame Strukturprinzipien im EG-Abfallrecht

Fußnote 6 der Rats-Entschließung zur Abfallpolitik vom 7.Mai 1990 175 davon, daß das Ziel der Entsorgungsautarkie nicht rur die Wiederverwertung gelten soll. Der 10. Erwägungsgrund der Verbringungs-Va (EWG) Nr. 259/93 176 erwähnt die Beseitigung von Abfällen, nachdem zuvor der 8. Erwägungsgrund zwischen Beseitigung und Verwertung unterschieden hat. Art. 2 lit. i va definiert zudem "Beseitigung" durch den Verweis auf Art. 1 lit. e Abfall-RahmenRL 75/442/EWG i.d.F. der RL 911l56/EWG; in Verbindung mit dem Anhang 11 ader Abfall-Rahmen-RL wird deutlich, daß jegliche Verwertungsvorgänge nicht der "Beseitigung" subsumiert werden. Aus den Art. 7 Abs. 4; 8 Verbringungs-Va (EWG) Nr. 259/93 folgt schließllich, daß die Verbringung von Abfällen, die verwertet werden sollen, nicht generell, sondern lediglich aus den dort genannten Gründen untersagt werden darf. Auch gilt die Zustimmungsfiktion bei Schweigen der Behörde des Empfängerstaates nicht rur zu beseitigende Abfälle. Es ist auch Aufgabe der MS, Abfallbewirtschaftungspläne 177 zu erstellen. Sie sollen die Prinzipien der Entsorgungsautarkie und der -nähe verwirklichen helfen. Haben alle MS flächendeckende Abfallbewirtschaftspläne aufgestellt und die entsprechenden Anlagen dazu geschaffen, besteht kein Bedarf der grenzüberschreitenden Abfallverbringung mehr. 178 Die Abfallverbringung, die diesen Pänen widerspricht, kann verboten werden. Dementsprechend läßt sich vor allem im Sekundärrecht als spezielle Ausformung des Subsidiaritätsprinzips auch ein Prinzip der nationalen Planerstellung fmden. Die von den MS geforderten Pläne reichen von allgemeinen Abfallwirtschaftsplänen (z.B. bezüglich der Art und Menge der zu beseitigenden Abfälle, technischer Vorschriften, Deponieflächen, Vorkehrungen rur bestimmte Abfälle, Abfallbeseitigungskosten, Maßnahmen zur Förderung der Rationalisierung der Sammlung, des Sortierens und der Behandlung von Abfällen l79 ) über Entsorgungspläne 180

175 ABI. der EGen v. 18. Mai 1990, C 122, S. 2. 176 ABI. der EGen v. 6. Februar 1993, L 30, S. 1, 2. ff.

177 S. hierzu ausfiihrIich Dieckmann, M., Abfallrecht, S. 191 ff.; Schreier, A., S. 124 178 Vgl. kritisch dazu Schröder, M., Konflikte, S. 913 f.

179 S. 7. Erwägungsgrund, Art. 6 Abfall-Rahmen-RL 75/4421EWG (ABI. der EGen v. 25. Juli 1975, L 194, S. 47, 48); 8. Erwägungsgrund Abfall-Rahmen-RL 911156IEWG (ABI. der EGen v. 26. März 1991, L 78, S. 32).

IV. Prinzipien des EG-Abfallrechtes

121

bis zu speziellen Abfallbewirtschaftungsplänen fiir allgemeine und gefiihrliche Abfiille l81 . Diese Pläne sollen Zielvorgaben und Rahmen setzen, um mit verknappten Ressourcen und Entsorgungskapazitäten möglichst effektiv wirtschaften zu können. Wegen des sich ändernden Standes der Technik müssen die MS die Pläne in regelmäßigen Abständen (meist alle vier Jahre) überprüfen und aktualisieren. 182 Alle Abfallwirtschaftspläne i.w.S. stellen auch ein wichtiges Instrument des Abfallrechtes und der Abfallpolitik dar. Eine flächendeckende Planung in allen MS und eine Koordinierung sowie eine eventuelle Harmonisierung der Pläne auf EG-Ebene könnten - obzwar das in absehbarer Zukunft nicht sehr wahrscheinlich ist - zu einer Transparenz der Abfallmärkte fUhren, die insbesondere im Recycling Massenproduktionsvorteile (Stichwort: economies of scale) nach sich zöge. Bessere Rentabilitäten von Anlagen stellen einen bedeutenden wirtschaftlichen Ameiz dar, umweltschonende Aktivitäten auszubauen. Außerdem kann durch die Umsetzung des Prinzips der nationalen Planerstellung dem freerider-Problem bezüglich des Baus von Entsorgungsanlagen begegnet werden. MS und kleinere organisatorische Einheiten, die sich aus Kostengründen oder anderen Gründen auf die Entsorgungskapazitäten anderer Staaten verlassen und deshalb an einer ernsthaften Abfallvermeidungspolitik nicht interessiert sind, werden nunmehr verpflichtet, ihre free-rider-Mentalität aufzugeben. f) Grundsatz des nachhaltigen Wachstums

Die Erklärung Nr. 20 der Konferenz der Vertreter der Regierungen der MS zur Schlußakte von Maastricht über die Beurteilung der Umweltverträglichkeit der Gemeinschaftsmaßnahmen stellt fest, daß sowohl die Kommission bei ihren

180 6. Erwägungsgrund Rats-Entschließung über die Abfallpolitik v. 7. Mai 1990 (ABI. der EGen v. 18. Mai 1990, C 122, S. 2); Art. 14 RL 94/62/EG über Verpackungen und Verpackungsabfälle (ABI. der EGen v. 31. Dezember 1994, L 365, S. 10, 16). 181 Art. 3 Verpackungs-RL für flüssige Lebensmittel 85/339/EWG (ABI. der EGen v. 6. Juli 1985, L 176, S. 18, 19); Art. 9 f. Titandioxid-RL 78/176/EWG (ABI. der EGen v. 25. Februar 1978, L 54, S. 19,21 f.); Art. 6 RL 911689/EWG über gefährliche Abfälle (ABI. der EGen v. 31. Dezember 1991, L 377, S. 20, 22); Art. 6 Batterie-RL 911157/EWG (ABI. der EGen v. 26. März 1991, L 78, S. 38, 39); 5. und 6. Erwägungsgrund sowie passim Titandioxid-Programm-RL 92/112/EWG (ABI. der EGen v. 31. Dezember 1992, L 409, S. 11 ff.). 182 Vgl. EuGH-Urteii v. 10. Mai 1995, Rs. C-422/92 - Dt. AbfallG -, EWS 1995, S. 233,236 f.

122

C. Gemeinsame Strukturprinzipien im EG-Abfallrecht

Vorschlägen zu Gemeinschaftsmaßnahmen als auch die MS bei deren DurchfUhrung den Grundsatz des nachhaltigen Wachstums beachten. Fraglich ist, ob es sich dabei um ein expressis verbis formuliertes primärrechtliches Prinzip handelt, da es nicht im Vertragstext selbst steht. Gemäß Ziff. 2 Schlußakte haben alle MS die aufgefiihrten Erklärungen 1-33 bei der Unterzeichnung des EU-Vertrages und der dazugehörigen Protokolle angenommen. Zwar gibt es keine den Art. 239 EGV; 207 EAGV; 84 EGKSV entsprechende Bestimmung, wonach die dem EU-Vertrag beigefiigte Schlußakte Bestandteil des Vertrages würde, so daß Erklärung Nr. 20 kein Vertragsbestandteil geworden ist. Doch kann die Erklärung als gemeinsame Äußerung aller MS jedenfalls mindestens Zur Auslegung des EU-Vertrages und der EG-Verträge herangezogen werden. Zwar haben sich nicht alle EU-Staaten der Wiener Vertragsrechtskonvention von 1969 angeschlossen 183, die in ihrem Art. 31 Ziff. 2 lit. a bestimmt, daß die auf einen Vertrag sich beziehenden Übereinkünfte, die zwischen allen Vertragsparteien anläßlich des Vertragsabschlusses getroffen wurden, filr die Auslegung des Vertrages zu beachten sind. Jedoch können die in Art. 31 WVRK genannten Grundsätze als kodifiziertes oder zumindest in Folge der Kodifizierung anerkanntes 184 Völkergewohnheitsrecht 185 auch filr die EG-Staaten herangezogen werden, welche die WVRK nicht ratifiziert haben. Da der Wortlaut der Erklärung Nr. 20 von "Verpflichtungen" spricht, kann man eine deutliche Konkretisierung der gemeinschaftlichen sowie der nationalen Umweltpolitik konstatieren. Dadurch, daß bei allen Maßnahmen "den Umweltauswirkungen ... Rechnung zu tragen" ist, erfährt die Erklärung einen engen Bezug zu Art. 130 r Abs. 2 Uabs. 1 S. 3 EGV, wonach die Umweltschutzerfordemisse bei der Festlegung und Durchfiihrung der anderen Gemeinschaftspolitiken einbezogen werden müssen. Außerdem besteht eine terminologische Verwandtschaft zwischen "nachhaltige(m) Wachstum" und dem "beständige(n) ... und umweltverträgliche(n) Wachstum" in Art. 2 EGV. Diese Verknüpfungen lassen es legitim

183 Der Stand vom 31. Dezember 1995 besagt, daß Frankreich, Luxemburg, Irland und Portugal noch keine Vertragspartner geworden sind (BGB!. 11 v. 23. Januar 1996, FundsteIlennachweis B, S. 460). Das übersieht Grabitz (in Grabitz-Kommentar, Rn. 27 zur EEA), wenn er zur vergleichbaren Rechtslage der EEA Art. 31 Ziff. 2 Iit. a WVRK direkt heranzieht. 184 Vg!. die grundlegende IGH-Entscheidung zu den "North-Sea-continental-shelf'Fällen, I.C.J. Reports 1969, S. 1,41. 185 S. Verdross, A./Simma, B., §§ 581, 775 mit Fn. 5; Sinclair, 1., S. 22 ff.; Jennings, RlWatts, A, §§ 632 ff. m.w.N.; Akehurst, M., S. 123; nunmehr auch durch den IGH expressis verbis anerkannt seit I.C.J. Reports 1994 - Case conceming the territorial dispute Libya/Chad -, S. 6, 21.

IV. Prinzipien des EG-Abfallrechtes

123

erscheinen, dem Grundsatz des nachhaltigen Wachstums eine quasi-primärrechtliche Verankerung beizumessen. Eine endgültige Klärung des Problems ist aber nicht erforderlich, da oben 186 gezeigt wurde, daß allen EG-rechtlichen Prinzipien - unabhängig von ihren Quellen - primärrechtlicher Rang zukommt. Inhaltlich meint der Grundsatz, daß die Maßnahmen der EGen und der MS auf eine stetige wirtschaftliche und soziale Entwicklung ausgerichtet sein müssen, ohne daß die Umwelt und vor allem die natürlichen Ressourcen (z.B. durch nicht ausreichende Abfallwiederverwertung) geschädigt werden l87 . Es besteht also eine enge Verwandtschaft zum Vorsorgeprinzip l88. Hinsichtlich der internationalen Zusammenarbeit 189 und der möglichen verheerenden Folgen, die unkontrollierter Handel filr die Umwelt haben kann, hat das EP die Entschließung A 3-0329/92 zu Umwelt und Handel am 22. Januar 1993 190 angenommen. Es hält eine Neuordnung des Handels nach umweltverträglichen Gesichtspunkten insbesondere im Rahmen des GATI/der WTO, aber auch in allen anderen internationalen Institutionen für geboten. Einer seiner Vorschläge lautet auf die Schaffung eines WTO-Umweltrates, der zur Untersuchung der ökologischen Auswirkungen aller künftigen Entscheidungen der WTO befugt sein soll. Bezüglich der Einsparung von Ressourcen zeichnet sich mittlerweile als Konkretisierung des Prinzips des nachhaltigen Wachstums ein Grundsatz ab, den man als "Prinzip, mit Rohstoffen Maß zu halten" bezeichnen kann. Als Antwort auf die Verknappung bestimmter Rohstoffe nennt schon Art. 130 r Abs. 1 Spstr. 3 EGV die umsichtige und rationelle Verwendung der natürlichen Ressourcen als ein Ziel der Umweltpolitik. Darunter ist eine schonende Nutzung zu verstehen, die Verschwendung und kurzfristige Bedarfsdeckung vermeidet und die Regenerierbarkeit erneuerbarer Ressourcen schützt. Wiederver-

186 S.o. 11, 2. 187 Vgl. Fünftes Umwelt-Aktionsprogramm, ABI. der EGen v. 17. Mai 1993, C 138, S. 1, 12. 188 S.o. a. 189 S. z.B. den Kommissionsvorschlag v. 28. Juni 1995 für eine VO (EG) des Rates über Umweitmaßnahmen in den Entwicklungsländern vor dem Hintergrund der nachhaltigen Entwicklung (ABI. der EGen v. 24. Januar 1996, C 20, S. 4 ff.). 190 ABI. der EGen v. 15. Februar 1993, C 42, S. 246 ff.

124

c. Gemeinsame Strukturprinzipien im EG-Abfallrecht

wertung soll vor Neuausbeutung stehen. 191 Für den Abfallsektor bedeutet das beispielsweise einen möglichst geringen Landschaftsverbrauch für Deponien 192 . Daruberhinaus soll die gemeinschaftliche Energiepolitik auch die Energiewünsche und -probleme der sogenannten Entwicklungs- und Schwellenländer beachten. 193 Im Sekundärrecht fmden sich zahlreiche Erwägungen, die Erhaltung der natürlichen Rohstoffquellen zu llirdem und Energie einzusparen. Zu nennen sind beispielsweise: 4. Erwägungsgrund Abfall-Rahmen-RL 75/442/EWGI94; 6. Erwägungsgrund Abfall-RL 911156/EWGI95; 2. Erwägungsgrund Altöl-RL 87/IOI/EWGI96; 6. Erwägungsgrund Altpapier-Empfehlung 811972/EWGI97; 4. Erwägungsgrund, Art. 1,3 Abs. 4 und 4 Abs. llit. d RL 85/339/EWG über Verpackungen für flüssige Lebensmittel 198 ; 6. Erwägungsgrund Batterie-RL 911157/EWGI99; 4. und 11. Erwägungsgrund RL 94/62/EG über Verpackungen und Verpackungsabfalle 200 . 2. Durch Auslegung und Rechtsfortbildung gefundene Prinzipien

a) Prinzip der Kontrolle und Überwachung gefiihrlicher Tätigkeiten Die Durchsicht des Abfall-Sekundärrechtes und des soft law zeigt, daß im Wege der Auslegung ein grundlegendes Prinzip der Kontrolle und Überwachung gefiihrlicher Tätigkeiten festzustellen ist. Im Gegensatz zur Politik des freien Warenverkehrs (Art. 3 lit. a und c EGV), die durch weitestgehende Liberalisierung bestimmt ist, werden Abfälle nicht dem freien Spiel der Markt-

191 Vgl. Grabitz, E.INettesheim, M. in Grabitz-Kommentar, Rn. 26 zu Art. 130 r; Krämer, L. in GTE, Bd. 3, Rn. 19 f. zu Art. 130 r. 192 Vgl. Brinkhorst, L./Delbeke, J., S. 233. 193 S. z.B. Ziff. 2 Entschließung A 3-125/91 des EP zu Energie und Umwelt v. 13. Juni 1991, ABI. der EGen v. 15. Juli 1991, C 183, S. 303, 304. 194 ABI. der EGen v. 25. Juli 1975, L 194, S. 47. 195 ABI. der EGen v. 26. März 1991, L 78, S. 32. 196 ABI. derEGen v. 12. Februar 1987, L 42, S. 43. 197 ABI. der EGen v. 10. Dezember 1981, L 355, S. 56. 198 ABI. der EGen v. 6. Juli 1985, L 176, S. 18, 19. 199 ABI. der EGen v. 26. März 1991, L 78, S. 38. 200 ABI. der EGen v. 31. Dezember 1994, L 365, S. 10 f.

IV. Prinzipien des EG-Abfallrechtes

125

kräfte überlassen. Wegen der von ihnen ausgehenden Gefährdungen der menschlichen Gesundheit und der Umwelt existieren vielfältige Vorschriften der nationalen und EG-weiten Kontrolle. Gemäß ihrem Verpflichtungsgrad sind folgende Maßnahmen zu unterscheiden: 1. Nicht näher spezifizierte Kontrollpflichten201 ; 2. Pflicht zur Auskunftserteilung auf Verlangen der nationalen Behörden202 ; 3. Informationspflichten der Marktbürgerinnen und -bürger gegenüber nationalen Behörden203 ; 4. Informationspflichten der Marktbürgerinnen und -bürger direkt gegenüber EG-Behörden. Da ein Ziel des Euratom-Vertrages die Aufstellung EAG-weiter einheitlicher Sicherheitsnormen ist (Art. 2 lit. b EAGV), bestehen im Bereich der Nuklearmaterialien nicht nur Unterrichtungspflichten gegenüber nationalen Behörden, sondern direkt gegenüber EG-Behörden204 ; 5. Pflichten zur Registerführung205 ; 6. Kennzeichnungspflichten206 ; 7. Notifizierungspflichten207 ;

201 S. Art. 39 Viertes AKP-EWG-Abkommen (ABI. der EGen v. 17. August 1991, L 229, S. 1,26). 202 S. Art. 14 Abfall-Rahmen-RL 75/442/EWG Ld.F. der RL 911156IEWG (ABI. der EGen v. 26. März 1991, L 78, S. 32, 35); Art. 12 Altöl-RL 75/4391EWG i.d.F. der RL 87/IOIIEWG (ABI. der EGen v. 12. Februar 1987, L 42, S. 43,46). 203 S. Art. 10 Uabs. 1 S. 2 i.V.m. Art. 6 PCB-RL 76/4031EWG (ABI. der EGen v. 26. April 1976, L 108, S. 41, 42); Art. 12 Abs. 6 RL 94/621EG über Verpackungen und Verpackungsabfälle (ABI. der EGen v. 31. Dezember 1994, L 365, S. 10, 16). 204 S. z.B. Art. 1 ff. Euratom-Sicherungsmaßnahmen-VO Nr. 3227/76 (ABI. der EGen v. 31. Dezember 1976, L 363, S. 1 ff.). 205 S. z.B. Art. 14 RL 75/4421EWG Ld.F. der RL 911156IEWG (ABI. der EGen v. 26. März 1991, L 78, S. 32, 35); Art. 10 Klärschlamm-RL 86/2781EWG (ABI. der EGen v. 4. Juli 1986, L 181, S. 6, 8); Art. 2 Abs. 1; 3 Abs. 3; 4 RL 91/6891EWG über gefährliche Abfälle (ABI. der EGen v. 31. Dezember 1991, L 377, S. 20, 21). 206 S. Art. 4 Batterie-RL 911157IEWG hinsichtlich der Kennzeichnung der Geeignetheit von Batterien, Akkumulatoren und Geräten, in die sie auf Dauer eingebaut sind, zur Verwertung oder Beseitigung (ABI. der EGen v. 26. März 1991, L 78, S. 38, 39); Art. 8 RL 94/621EG über Verpackungen und Verpackungsabfälle bezüglich der Kennzeichnung von Verpackungen (ABI. der EGen v. 31. Dezember 1994, L 365, S. 10, 14 f.).

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C. Gemeinsame Strukturprinzipien im EG-Abfallrecht

8. Notifizierungspflichten mit teilweiser Genehmigungspflicht208 ; 9. Überwachungspflichten209 ; 10. Genehmigungspflichten: Hier gibt es unterschiedliche Verfahren, je nachdem ob es um die Abfallaufbereitung, -lagerung, -ablagerung oder -verbringung geht210 oder um Abfallsammlung211 , Abfallbeseitigung212 oder Abfallemissionen213 . b) Prinzip der Unterrichtung Der hier als Prinzip der Unterrichtung bezeichnete Grundsatz umfaßt die generelle Pflicht der MS, die Kommission - und teilweise auch andere MS - über Maßnahmen, Vorschriften und Entwicklungen zu informieren, die gemeinschaftliche Politiken, hier: das Abfallrecht und die Abfallpolitik, betreffen. Zur Harmonisierung der nationalen Vorschriften und Schaffung eines GM benötigt

207 S. Verbringungs-VO (EWG) Nr. 259/93 passim bezüglich der Abfalltransporte (ABI. der EGen v. 6. Februar 1993, L 30, S. I ff.). 208 S. Art. 3; 5; 7 ff. Grundnorm-RL 80/836/Euratom (ABI. der EGen v. 17. September 1980, L 246, S. 1,5 ff.). 209 S. Art. 13 RL 75/442/EWG i.d.F. der RL 9l/156/EWG (ABI. der EGen v. 26. März 1991, L 78, S. 32, 35); Art. 13 Altöl-RL 75/439/EWG i.d.F. der RL 87/101/EWG (ABI. der EGen v. 12. Februar 1987, L 42, S. 43, 46); Titandioxid-Kontroll-RL 82/883/EWG passim (ABI. der EGen v. 31. Dezember 1982, L 378, S. I ff.); Art. 9 Abs. 3 LV.m. Anhang; 10 Titandioxid-Programm-RL 92/112/EWG in bezug auf die Emissionswerte der Abflille aus der Titandioxid-Industrie (ABI. der EGen v. 31. Dezember 1992, L 409, S. 11, 15 f); s. auch Schreier, A., S. 307 ff 210 S. z.B. 7. Erwägungsgrund, Art. 8 ff. Abfall-Rahmen-RL 75/442/EWG (ABI. der EGen v. 25. Juli 1975, L 194, S. 47, 49); Art. 4 ff.; 11 Titandioxid-RL 78/176/EWG (ABI. der EGen v. 25. Februar 1978, L 54, S. 19,20 ff); Art. 6 ff. Geänderter Vorschlag Abfalldeponie-RL v. 10. Juni 1993 (ABI. der EGen v. 5. August 1993, C 212, S. 33, 37 f); Art. 2 f. RL 9l/689/EWG über geflihrliche Abflille (ABI. der EGen v. 31. Dezember 1991, L 377, S. 20, 21); RL 92/3/Euratom zur Verbringung radioaktiver Abflille passim (ABI. der EGen v. 12. Februar 1992, L 35, S. 24 ff.). 211 S. Art. 5 f.; 8; 11; 13 Altöl-RL 75/439/EWGi.d.F. der RL 871l01/EWG (ABI. der EGen v. 12. Februar 1987, L 42, S. 43, 44 ff.). 212 S. Art. 6 f. PCB-RL 76/403/EWG (ABI. der EGen v. 26. April 1976, L 108, S. 41,42); Tierabfall-RL 90/667/EWG passim (ABI. der EGen v. 27. Dezember 1990, L 363, S. 51 ff.).

213 S. Art. 3 ff. RL 94/67/EG über die Verbrennung geflihrlicher Abflille (ABI. der EGen v. 31. Dezember 1994, L 365, S. 34, 36 f.).

IV. Prinzipien des EG-Abfallrechtes

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die Kommission als Motor und Hüterin der Gemeinschaftsverträge Informationen aus den MS, wie weit die dortigen Rechtsentwicklungen vorangeschritten sind, welches EG-Recht wie umgesetzt worden ist und was die MS in einzelnen Bereichen fUr die Zukunft planen. Darüberhinaus dienen die Mitteilungen auch dem Zweck, Gesamtberichte einzelner Wirtschaftszweige zu erstellen. Das Prinzip der Unterrichtung kann über die Auslegung des Sekundärrechtes hinaus als Konkretisierung der Art. 5 Uabs. 1 EGV und Art. 192 Uabs. 1 EAGV abgeleitet werden, da danach die MS verpflichtet sind, alles zu tun, was die Gemeinschaftsinteressen unterstützt und fördert sowie die Funktionsfähigkeit der Gemeinschaft sichert214 . Ferner gibt es im Umweltrecht einige spezielle Akte, die eigens Informationspflichten der MS regeln215 . Im Bereich des Abfallrechtes kann man folgende Informationspflichten unterscheiden: 1. Berichtspflichten der MS gegenüber der Kommission über Entwürfe von Abfallmaßnahmen: Teilweise will die Kommission schon im Vorfeld einer mitgliedstaatlichen Maßnahme über einschlägige Planungen unterrichtet werden, damit sie eventuell noch auf den MS Einfluß nehmen kann. Auf diese Weise können die Staaten rechtzeitig auf mögliche Verstöße gegen EG-Recht oder auf bereits konkrete EG-Harmonisierungsvorhaben hingewiesen werden. Mitunter leitet die Kommission die Entwürfe auch den anderen MS zur Stellungnahme zu oder berät sie in gemeinsamen Ausschüssen. 216 Allerdings fUhrt

214 Vgl. Bogdandy, A. von in Grabitz-Kommentar, Rn. 25 ff. zu Art. 5. 215 S. z.B. das Gentleman's Agreement v. 5. März 1973 über die Unterrichtung der Kommission und der MS im Hinblid. auf die etwaige Harrnonisierung von Dringlichkeitsmaßnahmen im Bereich des Umweltschutzes für das gesamte Gebiet der Gemeinschaft (ABI. der EGen v. 15. März 1973, C 9, S. 1 f.); die Rats-Entscheidung 76/161/EWG v. 8. Dezember 1975 über ein gemeinsames Verfahren für die Anlage und Fortschreibung eines Bestandsverzeichnisses der Informationsquellen auf dem Gebiet des Umweltschutzes in der Gemeinschaft (ABI. der EGen v. 5. Februar 1976, L 31, S. 8 ff.); die Rats-Entscheidung 85/338/EWG v. 27. Juni 1985 (CORINE) (ABI. der EGen v. 6. Juli 1985, L 176, S. 14 ff.); die Rats-Entscheidung 81/971/EWG v. 3. Dezember 1981 zur Errichtung eines gemeinschaftlichen Informationssystems zur Überwachung und Verringerung der Ölverschmutzung des Meeres (ABI. der EGen v. 10. Dezember 1981, L 355, S. 52 ff). 216 S. Art. 3 Abs. 2; 7 Abs. 2 Abfall-Rahmen-RL 75/442/EWG i.d.F. der RL 91/156/EWG (ABI. der EGen v. 26. März 1991, L 78, S. 32, 33 f); Art. 8 Abs. 2 Titandioxid-Programm-RL 92/112/EWG (ABI. der EGen v. 15. Dezember 1992, L 409, S. 11, 14); Art. 3; 7 Abs. 2 RL 85/339/EWG über Verpackungen für flüssige Lebensmittel (ABI. der EGen v. 6. Juli 1985, L 176, S. 18, 19 f); Art. 6 Batterie-RL 91/157/EWG (ABI. der EGen v. 26. März 1991, L 78, S. 38,39); Art. 3 Abs. 4 RL 91/689/EWG über

128

C. Gemeinsame Strukturprinzipien im EG-Abfallrecht

die Nichteinhaltung der den MS obliegenden Infonnationspflicht über geplante abfallrechtliche Maßnahmen nicht zur Rechtswidrigkeit derselben; denn die genannten Vorschriften machen das Inkrafttreten der nationalen Regelungen nicht von einem konstitutiven Einverständnis oder einem fehlenden Widerspruch der Kommission abhängig217 . 2. Pflicht der MS, der Kommission rückschauende (sektorale) Berichte, Statistiken u.ä. mitzuteilen: Es handelt sich hierbei um eine Übennittlung von Erfahrungen und Daten, die retrospektiv die Entwicklung wiedergeben. 218 3. Pflichten zur Mitteilung des Wortlautes der nationalen Regelungen, welche die erlassenen EG-RLen umsetzen, und übriger Umsetzungsmaßnahmen: Um die einheitliche Anwendung und Umsetzung des EG-Rechtes besser überprüfen und eventuell Vertragsverletzungsverfahren anstrengen zu können,

gefährliche Abfälle (ABI. der EGen v. 31. Dezember 1991, L 377, S. 20, 21); Art. 16 RL 94/62/EG über Verpackungen und Verpackungsabfälle (ABI. der EGen v. 31. Dezember 1994, L 365, S. 10, 16); Ziff. 4; 9 Empfehlung 91/4/Euratom i.V.m. Art. 37 EAGV (ABI. der EGen v. 9. Januar 1991, L 6, S. 16, 17). 217 Vgl. EuGHE 1989, Rs. 380/87 - Enichem Base -, S. 2491, 2517 f. 218 S. Art. 16 Abs. I Abfall-Rahmen-RL 75/442/EWG i.d.F. der RL 91/156/EWG (ABI. der EGen v. 26. März 1991, L 78, S. 32, 35); Vereinheitlichungs-RL 91/692/EWG passim (ABI. der EGen v. 31. Dezember 1991, L 377, S. 48 ff.); Art. 17 Dt.Übergangsmaßnahmen-RL 90/656/EWG (ABI. der EGen v. 17. Dezember 1990, L 353, S. 59, 63); Art. 7 f.; 17 A1töl-RL 75/439/EWG i.d.F. der RL 871101lEWG (ABI. der EGen v. 12. Februar 1987, L 42, S. 43, 44 f., 46); Art. 10 PCB-RL 76/403/EWG (ABI. der EGen v. 26. April 1976, L 108, S. 41, 42); Art. 13 f. Titandioxid-RL 78/176/EWG (ABI. der EGen v. 25. Februar 1978, L 54, S. 19,22); Art. 7 TitandioxidProduktions-RL 82/8831EWG (ABI. der EGen v. 31. Dezember 1992, L 378, S. 1,3); Art. 6 RL 85/339/EWG über Verpackungen für flüssige Lebensmittel (ABI. der EGen v. 6. Juli 1985, L 176, S. 18, 20); Art. 17 Klärschlamm-RL 86/278/EWG (ABI. der EGen v. 4. Juli 1986, L 181, S. 6, 9); Art. 11; 21 Tierabfall-RL 90/667/EWG (ABI. der EGen v. 27. Dezember 1990, L 363, S. 51, 55, 57); Art. 19 Abs. 1, 1 a Geänderter Vorschlag Abfalldeponie-RL v. 10. Juni 1993 (ABI. der EGen v. 5. August 1993, C 212, S. 33, 45); Art. 6 Abs. 4 Uabs. 2 RL 94/67/EG über die Verbrennung gefährlicher Abfälle (ABI. der EGen v. 31. Dezember 1994, L 365, S. 34, 38); Art. 12 Abs. 3 und 5; 17 RL 94/62/EG über Verpackungen und Verpackungsabfälle (ABI. der EGen v. 31. Dezember 1994, L 365, S. 10, 16 f.); Ziff. 8 und Nr. 10 Empfehlung 91/4/Euratom i.V.m. Art. 37 EAGV (ABI. der EGen v. 9. Januar 1991, L 6, S. 16, 17); Art. 38 Abs. 1; 41 Verbringungs-VO (EWG) Nr. 259/93 (ABI. der EGen v. 6. Februar 1993, L 30, S. I, 18, 19); Art. 17 f. RL 92/3/Euratom über die Verbringung radioaktiver Abfälle (ABI. der EGen v. 12. Februar 1992, L 35, S. 24, 28).

IV. Prinzipien des EG-Abfallrechtes

129

haben die MS insbesondere die Vorschriften mitzuteilen, welche die von den RLen aufgestellten Ziele verfolgen. 219 4. Berichtspflicht der MS direkt gegenüber anderen MS: Dadurch soll eine bessere Abstimmung zwischen den MS erreicht werden, so daß eventuelle spätere Harrnonisierungen aufEG-Ebene erleichtert werden. 220 c) Prinzip der Berichtspflicht der Kommission Dieses Prinzip umfaßt die Pflicht der Kommission, den Rat, das EP, andere MS und/oder besondere Ausschüsse über die einzelnen Vorhaben und Rechtsakte der MS zu unterrichten. Auch diese Berichtspflicht dient der Schaffung gemeinsamer Standards und der schrittweisen Harrnonisierung des Abfallrechtes, da bei Kenntnis gegenseitiger Vorhaben eine EG-weite Planungssi-

219 S. Art. 20 Abfall-Rahmen-RL 75/4421EWG i.d.F. der RL 911156IEWG (ABI. der EGen v. 26. März 1991, L 78, S. 32, 36); Art. 2 Abs. 2 RL 911156IEWG (A.a.O., S. 37; s. dazu die Antworten von Frau Bjerregaard im Namen der Kommission v. 6. und 10. Oktober 1995 auf die schriftlichen Anfragen E-2414/95 und E-2415/95 an die Kommission v. 1 September 1995, ABI. der EGen v. 15. Januar 1996, C 9, S. 40 f. und 41); Art. 2; 4 Vereinheitlichungs-RL 911692IEWG (ABI. der EGen v. 3l. Dezember 1991, L 377, S. 48, 49); Art. 12 PCB-RL 76/4031EWG (ABI. der EGen v. 26. April 1976, L 108, S. 41, 42); Art. 15 Titandioxid-RL 78/1761EWG (ABI. der EGen v. 25. Februar 1978, L 54, S. 19,22; Art. 14 Titandioxid-Produktions-RL 82/8831EWG (ABI. der EGen v. 3l. Dezember 1982, L 378, S. 1,4); Art. 12 Titandioxid-Programm-RL 92/112IEWG (ABI. der EGen v. 31. Dezember 1992, L 409, S. 11, 15); Art. 7 RL 85/3391EWG über Verpackungen rur flüssige Lebensmittel (ABI. der EGen v. 6. Juli 1985, L 176, S. 18,20); Art. 12; 16 Klärschlamm-RL 86/2781EWG (ABI. der EGen v. 4. Juli 1986, L 181, S. 6, 9); Art. 7 Abs. 2; 11 Batterie-RL 911157IEWG (ABI. der EGen v. 26. März 1991, L 78, S. 38,40); Art. 7 Batterie-RL 93/861EWG (ABI. der EGen v. 23. Oktober 1993, L 264, S. 51, 52); Art. 6 ff.; 10 RL 911689IEWG über gefährliche Abfälle (ABI. der EGen v. 31. Dezember 1991, L 377, S. 20, 22); Art. 17 f. RL 94/671EG über die Verbrennung gefährlicher Abfälle (ABI. der EGen v. 31. Dezember 1994, L 365, S. 34,42); Art. 9 Abs. 3, 4; 22 Abs. 1,3 RL 94/621EG über Verpackungen und Verpackungsabfälle (ABI. der EGen v. 31. Dezember 1994, L 365, S. 10, 15, 17); Art. 5 ff. DDR-Entscheidung 92/3IEWG (ABI. der EGen v. 8. Januar 1992, L 3, S. 26, 27); Art. 27 Abs. 3 Verbringungs-VO (EWG) Nr. 259/93 (ABI. der EGen v. 6. Februar 1993, L 30, S. 1, 17); Art. 21 RL 92/3lEuratom über die Verbringung radioaktiver Abfälle (ABI. der EGen v. 12. Februar 1992, L 35, S. 24, 28). 220 S. Art. 7 Abs. 3 Abfall-Rahmen-RL 75/4421EWG i.d.F. der RL 911156IEWG (ABI. der EGen v. 26. März 1991, L 78, S. 32, 34); Art. 11 Tierabfall-RL 90/6671EWG (ABI. der EGen v. 27. Dezember 1990, L 363, S. 51, 55). 9 Zacker

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C. Gemeinsame Strukturprinzipien im EG-Abfallrecht

cherheit schneller erreichbar ist. Im Sekundärrecht fmden sich deshalb viel-

fltltige Konkretisierungen des Prinzips der Berichtspflicht221 .

d) Prinzip der offenen Grenzen fUr die Abfallverbringung innerhalb des Gemeinschaftsgebietes?222 Aus der Konzeption des Gemeinschaftsrechtes223 heraus, die Volkswirtschaften der MS zu integrieren und alle Wirtschaftsgrenzen nach und nach abzubauen, um einen GM im Sinne eines Wirtschaftsgebietes mit binnenmarktähnlichen Verhältnissen zu schaffen224, lassen sich insbesondere die Warenverkehrs- (Art. 9 ff. EGV) und die Dienstleistungsfreiheit (Art. 59 ff. EGV)225 sowie die Wettbewerbsregeln (Art. 85 ff. EGV) als Gebote verstehen, wirtschaftliche Betätigungen innerhalb der Gemeinschaft nicht durch nationale

221 S. z.B. Art. 3 Abs. 2 Abfall-Rahmen-RL 75/4421EWG Ld.F. der RL 91/156/ EWG (ABI. der EGen v. 26. März 1991, L 78, S. 32, 33 f.); Art. 17 Dt. Übergangsmaßnahmen-RL 90/6561EWG (ABI. der EGen v. 17. Dezember 1990, L 353, S. 59, 63); Art. 7 f.; 17 Altöl-RL 75/4391EWG Ld.F. der RL 871101IEWG (ABI. der EGen v. 25. Juli 1975, L 194, S. 31, 33 und v. 12. Februar 1987, L 42, S. 43, 44 f., 46); Art. 10 PCB-RL 76/4031EWG (ABI. der EGen v. 26. April 1976, L 108, S. 41, 42); Art. 14 Titandioxid-RL 78/1761EWG (ABI. der EGen v. 25. Februar 1978, L 54, S. 19,22); Art. 8 Abs. 2 Titandioxid-Programm-RL 92/1121EWG (ABI. der EGen v. 31. Dezember 1991, L 377, S. 20, 22); Art. 14 RL 94/671EG über die Verbrennung gefährlicher Abflllle (ABI. der EGen v. 31. Dezember 1994, L 365, S. 34,41); Art. 6 Abs. 3 a; 9 Abs. 3, 4 RL 94/621EG über Verpackungen und Verpackungsabflllie (ABI. der EGen v. 31. Dezember 1994, L 365, S. 10, 14 f.); Art. 5 DDR-Entscheidung 92/3IEWG (ABI. der EGen v. 8. Januar 1992, L 3, S. 26, 27); Art. 27 Abs. 3; 38 Verbringungs-VO (EWG) Nr. 259/93 (ABI. der EGen v. 6. Februar 1993, L 30, S. 1, 17, 18 f.) Art. 17 f. RL 92/3lEuratom über die Verbringung radioaktiver Abflllie (ABI. der EGen v. 12. Februar 1992, L 35, S. 24, 28). 222 Schröder, M., Abfallrecht, S. 130 ff., grenzt das Prinzip ungenauerweise nicht auf die Abfallverbringung innerhalb des Gemeinschaftsgebietes ein, sondern spricht allgemein von Abfallverbringung. Betrachtet man jedoch die internationalen Verträge, an welche die EGen gebunden sind, und das einschlägige Sekundärrecht und soft law zur Abfallverbringung in Drittstaaten (s.o. B, 11, 2, a, ce, dd, ee sowie b, bb, ce, dd), ist offensichtlich, daß ein solches Prinzip jedenfalls bezüglich von Drittstaaten nicht existiert. 223 Vgl. Grabitz, E., Gemeinschaftsrecht, S. 77 ff. 224 Zur Abgrenzung der Begriffe GM, BM und binnenmarktähnliche Verhältnisse s. Zacker, C., S. 489 f. m.w.N. 225 Die Kommission sieht beide Freiheiten als eng verwandt an, weil zwischen dem freien Warenverkehr und dem freien Verkehr von Produktionsergebnissen keine grundsätzlichen Unterschiede bestehen, s. Business Law Europe v. 10. Januar 1994, S. 2 f.

IV. Prinzipien des EG-Abfallrechtes

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Grenzen zu erschweren oder gar zu verhindern. Unabhängig von der EGprimärrechtlichen Einordnung des Abfallhandels und der Abfallbeseitigung und -verwertung im weitesten Sinne226 , ist zu fragen, ob dieses Postulat der offenen Wirtschaftsgrenzen auch fUr die EG-interne Abfallverbringung gilt und daraus ein Rechtsprinzip ableitbar ist. Zwar wurde oben227 bereits das Prinzip der Entsorgungsautarkie anerkannt, wonach die MS auf Regional- oder Gebietsebene ein integriertes Netz von Abfallbeseitigungsanlagen errichten sollen, so daß möglichst Abfallimporte und -exporte wegen der mit ihnen zusammenhängenden Belästigungen, Gefahren und Kosten vermieden werden. Doch gilt dieses Prinzip nicht uneingeschränkt. Schon allein die Existenz der Abfallverbringungs-va (EWG) Nr. 259/93 228 und der RL 92/3/Euratom zur Verbringung radioaktiver AbfiUle229 zeigt, daß die Verbringung von Abfiillen i.S.d. Abfall-Rahmen-RL sowie von radioaktiven Abfiillen zwischen den MS grundsätzlich möglich ist, selbst wenn Notifizierungs-, Kontroll und Genehmigungsverfahren beachtet werden müssen. 230 Die BM-Gedanken des EG-Vertrages fmden vor allem auf die Abfallverbringung zu Verwertungszwecken Anwendung [so Art. 7 Abs. 4; 8 va (EWG) Nr. 259/93 231 ]. Allerdings verdichtet die bloße Existenz der Abfallverbringungs-Va (EWG) Nr. 259/93 und der RL 92/3/Euratom den Gedanken der offenen Grenzen fUr die Abfallverbringung innerhalb der Gemeinschaft noch nicht zu einem Rechtsprinzip, zumal die RL-Vorschriften teilweise die MS sogar ermächtigen, Abfalltransporte generell oder im Einzelfall zu untersagen. Über die beim Prinzip der Entsorgungsautarkie genannten Rechtsakte hinaus beweisen das EG-Sekundärrecht und die internationalen Verträge, die oben als "Recht des Transpor-

226 S. dazu unten D, I, 11. 227 S. I, e. 228 ABI. der EGen v. 6. Februar 1993, L 30, S. I ff.; s.o. B, 11, 2, a, ee; zur früheren Rechtslage unter der RL 84/631IEWG s. insbesondere Wilmowsky, P. von, Abfallwirtschaft, S. II ff., 73 ff.; Schreier, A., S. 230 ff.; Eisberg, 1., S. 31 ff. 229 ABI. der EGen v. 12. Februar 1992, L 35, S. 24 ff.; s.o. B, 11, 2, b, dd. 230 Vgl. auch die EP-Entschließung zu einer gemeinschaftlichen Strategie für die Abfallbewirtschaftung v. 19. Februar 1991 (ABI. der EGen v. 18. März 1991, C 72, S. 34, 35, Ziff. 4). 231 Vgl. auch 5. Erwägungsgrund Fn. 6 Rats-Entschließung zur Abfallpolitik v. 7. Mai 1990, ABI. der EGen v. 18. Mai 1990, C 122, S. 2.

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C. Gemeinsame Strukturprinzipien im EG-Abfallrecht

tes"232 besprochen wurden, sowie insbesondere die Rechtsprechung des EuGH seit 1992, daß der freie Verkehr von Abfällen gerade kein wünschenswertes Ziel der Gemeinschaften ist. Schon in der Sache ADBHU233 entschied der EuGH, daß der gemeinschaftliche Grundsatz der Handelsfreiheit nicht absolut gilt, sondern durch im Allgemeininteresse liegende Ziele wie den Umweltschutz eingeschränkt werden kann. 234 Obwohl der Gerichtshof im WallonienUrteil unter der Rn. 28 235 konstatierte, daß der Abfallverkehr "gem. Art. 30 EWGV grundsätzlich nicht verhindert werden darf', fUgte er im selben Urteil hinzu, daß Abfälle "möglichst nah am Ort ihrer Erzeugung zu beseitigen (sind), um ihre Verbringung so weit wie möglich einzuschränken"236. Daß der grenzüberschreitende Austausch von Waren (so der EuGH, s.u. C, 11, 3, b) und Dienstleistungen auf dem Abfallsektor weitestgehend verhindert werden sollen, belegen ferner die Urteile zur Abfall-Rahmen-RL 91/1 56/EWG237 und zur Abfallverbringungs-VO (EWG) Nr. 259/93 238 , in denen der EuGH entschied, daß die MS generell die Abfallverbringung vermindern müssen und die gegen Abfallbewirtschaftungspläne verstoßende Verbringung zu unterbinden haben239 , damit der Umweltschutz gesichert wird240 . Im Urteil zum deutschen Abfallgesetz241 geht der Gerichtshof sogar noch einen Schritt weiter. Er billigt das Verbot der grenzüberschreitenden Abfallverbringung nicht nur aus den allgemeinen Gründen des Gesundheits- und Umweltschutzes, sondern bejaht die Versagungsmöglichkeit auch, wenn die Abfallbeseitigung in einem angrenzenden MS schwerwiegende Folgen fUr die Umwelt des Export-MS hätte. Wie durch den OECD-Beschluß C (86) 64 242 und Art. 16 Abs. 3 lit. b, Abs. 4 Ab232 S.o. B, 11, 2. 233 EuGHE 1985, Rs. 240/83, S. 531, 549. 234 Zur Rechtfertigung der Einschränkung der Warenverkehrsfreiheit durch kollidierendes EG-Vertragsrecht im Wege der Herstellung praktischer Konkordanz s. Jarass, H., Grundfreiheiten, S. 608. 235 EuGHE 1992, Rs. C-2/90, S. 4431, 4479. 236 Aa.O., S. 4480, Rn. 34; vgl. Schreier, A, S. 259 ff. 237 EuGH Urteil v. 17. März 1993, Rs. C-155/91, EuZW 1993, S. 290 ff. 238 EuGHE 1994, Rs. C-187/93, S. 2857 ff. 239 Rs. C-155/91, Rn. 8,9, 13-15. 240 EuGHE 1994, Rs. C-187/93, S. 2882 f. 241 EuGH Urteil v. 10. Mai 1995, Rs. C-422/92, EWS 1995, S. 233, 236. 242 S. Wilmowsky, P. von, Abfallwirtschaft, S. 50 f.

IV. Prinzipien des EG-Abfallrechtes

133

fallverbringungs- va (EWG) Nr. 259/93 sind die Exportstaaten also sogar gehalten, die technischen Möglichkeiten des Bestimmungslandes auf die Umweltverträglichkeit der Abfallentsorgung zu überprüfen. 243 Wegen des völkerrechtlichen Grundsatzes der Gebietshoheit244 sind sie allerdings auf Auskünfte und Berichte der Nachbarstaaten angewiesen, die diese jedoch den um Auskunft bittenden Staaten gemäß dem europarechtlichen Prinzip der Unterrichtung245 zu erteilen verpflichtet sind. Auch der Rat vertritt in seiner Entschließung vom 19. Dezember 1994 über radioaktive Abflille246 die Ansicht, möglichst zu einer Minimierung des Transportes von radioaktiven Abflillen zu kommen (Ziff. 6 Uabs. 2), obwohl er zuvor die Möglichkeit einer zwischenstaatlichen Zusammenarbeit billigt (Ziff. 2). Daraus folgt insgesamt, daß ein Rechtsprinzip der offenen Grenzen filr die Abfallverbringung innerhalb des Gemeinschaftsgebietes nicht existiert. 247 e) Prinzip der Verfolgung des bestmöglichen Umweltschutzes? Mitunter liest man in der Literatur, es gebe auch das EG-Prinzip des bestmöglichen Umweltschutzes 248 . Darunter versteht man, daß der Umweltschutz optimiert werden soll, also die höchstmöglichen Umweltstandards auf EGEbene zu erreichen sind. Dieser Grundatz ist aber, so bedauerlich das sein mag,

243 Vgl. Kunig, P., Umweltschutz, S. 222 ff. 244 Zur Spannungslage zwischen der Gebietshoheit und dem völkerrechtlichen Nachbarrecht s. Randelzhofer, A, Umweltschutz, S. 3 f. m.w.N. 245 S.o. unter b, insbesondere 4. 246 ABI. der EGen v. 31. Dezember 1994, C 379, S. 1 f. 247 AA Schröder, M., Abfallrecht, S. 131 ff.; Schreier, A, S. 304 f., trotz seiner vorausgegangenen Ausführungen, die sein konstatiertes Regel-Ausnahme-Verhältnis (Regel=Prinzip der offenen Grenzen, Ausnahme=Einschränkung der Verbringung) auf den Kopf stellen. 248 S. z.B. Zuleeg, M., Kompetenzen, S. 283 f., der es aus der EWGV-Präambel und den Art. 2; 36; 100 a Abs. 3-5; 130 r Abs. 2 S. 2, Abs. 4; 130 t EWGV ableitet; ders., Umweltschutz, S. 34; Kahl, W., passim, allerdings erklärt er z.B. nicht, wie MS im Rahmen des Art. 100 a Abs. 4 EGV (s.S. 48 f.) noch höhere als optimale Umweltschutzstandards sollen anwenden können; Wiegand, B., S. 155, 164 ff.; Epiney, A, Einbeziehung, S. 96; Scheuing, D., S. 178 f.; Hailbronner, K., S. 104; nicht eindeutig Pemice, 1., Auswirkungen, S. 52 f.; Schröer, T., S. 368 m.w.N.; Jahns-Böhm, J./Breier, S., S. 50 ohne nähere Begründung.

134

c. Gemeinsame Strukturprinzipien im EG-Abfallrecht

aus dem EG-Recht nicht abzuleiten: weder fmden sich Hinweise auf einen "bestmöglichen" Umweltschutz noch auf die Qualität als Rechtsprinzip. Was das erste Gegenargument betrim, ist vor allem der Wortlaut der Art. 100 a Abs. 3 und 130 r Abs. 2 Uabs. 1 S. 1 EGV249 anzuführen. Die Kommission soll bei ihren Vorschlägen zu Harmonisierungsmaßnahmen i.S.d. Art. 100 a Abs. 1 EGV unter anderem im Bereich des Umweltschutzes von einem "hohen Schutzniveau" ausgehen, und die EG-Umweltpolitik allgemein zielt auf ein "hohes Schutzniveau" ab, wobei sie allerdings die unterschiedlichen regionalen Gegebenheiten zu berücksichtigen hat. Beide Artikel zeigen, daß insbesondere die Kommision bei Vorschlägen für umweltpolitische Produktstandards nicht von der strengsten Norm, die in einem MS bereits gilt, oder sogar von dem höchsten denkbaren Niveau, dem Stand der Wissenschaft, ausgehen muß. 250 Ein "hohes" Schutzniveau ist kein "höchstes" oder "bestmögliches". Vielmehr hat die Kommission ein weites Ermessen bei der Auswahl ihrer Vorschläge. Gemäß Art. 7 c EGV, der auch auf Art. 100 a EGV Anwendung fmdet, sind differenzierende Regelungen zur Verwirklichung des BM möglich, was in Einzelfällen sogar geringere Schutzstandards rechtfertigt. Auch Sinn und Zweck des Art. 100 a EGV sprechen gegen höchste Anforderungen, weil eine Harmonisierung auf dieser Stufe sehr selten zu erreichen sein dürfte, da es schwer ist, für höchste Standards die nötige qualifizierte Mehrheit der Stimmen der MS zu bekommen, und die Kommission sich von der wirtschaftlichen und politischen Durchsetzbarkeit ihrer Vorschläge leiten läßt. 251 Ein Beleg dafür sind die Leitlinien rur ein neues Rechtsetzungsmodell, das die Erfordernisse des Umweltschutzes mit denen des BM im Rahmen des Art. 100 a EGV in Einklang bringen will und das von der Kommission am 26. März 1991 genehmigt wurde252 . Danach sollen umweltrelevante BM-Vorschriften gemäß Art. 100 a Abs. 3 EGV auf einer ersten Stufe von der Kommission so festgelegt werden, daß die zur Zeit des Inkrafttretens verfUgbare Technologie verwirklicht wird. Daneben bestimmt der Rat auf einer zweiten Stufe eine Zielnorm, die den größten Schutz gewährleistet, der angesichts der neuesten wissenschaftlichen und technologischen Entwicklungen vernünftigerweise in der

249 Nur letzteren konnte Zuleeg z.Z. seiner o.g. Veröffentlichung noch nicht kennen. 250 Vgl. Beyer, T., S. 966. 251 Vgl. Langeheine, B., in Grabitz-Kommentar, Rn. 53, 55 zu Art. 100 a; Pipkom, 1., in GTE, Bd. 2, Rn. 72 zu Art. 100 a. 252 Bulletin der EGen 3/1991, Rn. 1.2.156 (S. 49).

IV. Prinzipien des EG-Abfallrechtes

135

Zukunft erreichbar sein wird, so daß insbesondere die Industrie langfristig planen kann. Dieses bisher noch nicht verwirklichte Modell unterstreicht auch das Bemühen um die Wahrung der Einheitlichkeit des BM, da die Realisierbarkeit technischer und technologischer Anforderungen in allen MS deutlich im Vordergrund steht. Im Rahmen des Art. 130 r EGV zeigt sich anband des Abs. 2 Uabs. I S. 1, daß keine absoluten Umweltschutzniveaus in Rede stehen, sondern die unterschiedlichen Gegebenheiten in den einzelnen EG-Regionen von den EG-Organen das regional Machbare fordern. Das kann dann teils höhere, teils geringere als durchschnittliche Standards bedeuten und doch jeweils ein "hohes Schutzniveau" i.S. einer relativen Optimierung darstellen. 253 Das vom EG-Primärrecht lediglich verlangte "hohe" Umweltschutzniveau fmdet sich auch an verschiedenen Stellen im Sekundärrecht und im soft law wieder254 . Ein gutes Beispiel bietet der Kommissions-Vorschlag vom 30. September 1993 fllr eine RL des Rates über die integrierte Vermeidung und Verminderung der Umweltverschmutzung. Er fordert unter anderem den Einsatz der besten verfilgbaren Techniken zur Verringerung von Emissionen, defmiert aber das Tatbestandsmerkmal "beste" Techniken als die Techniken, die am wirksamsten zur Erreichung eines hohen, nicht höchsten Umweltschutzniveaus sind255 . Bezüglich des Rechtsnormcharakters von Art. 130 r Abs. 2 Uabs. 1 S. 1 EGV ist festzustellen, daß er eine Zielvorschrift enthält, die eine Rechtsregel ist. Bei der Verfolgung der in Abs. 1 genannten Ziele muß die Gemeinschaft regionalbezogen - ein bestimmtes Schutzniveau anstreben. Die Anwendung

253 Vgl. Epiney, A.lFurrer, A., S. 383 f. 254 S. 1. und 10. Erwägungsgrund, Art. 5 Abs. 2 Abfall-Rahmen-RL 75/442/EWG Ld.F. der RL 911156/EWG (ABI. der EGen v. 26. März 1991, L 78, S. 32, 33, 34); Ziff. 7 Uabs. 3 Rats-Entschließung über die Abfallpolitik (ABI. der EGen v. 18. Mai 1990, C 122, S. 2, 3); 5. Erwägungsgrund Geänderter Vorschlag Haftungs-RL (ABI. der EGen v. 23. Juli 1991, C 192, S. 6, 7); Zusammenfassung Ziff. 2 des 5. UmweltAktionsprogrammes (ABI. der EGen v. 17. Mai 1993, C 138, S. 1, 11); 1. Erwägungsgrund; Art. 1, Abs. 1; 6 Abs. 6 RL 94/62/EG über Verpackungen und VerpackungsabflUle (ABI. der EGen v. 31. Dezember 1994, L 365, S. 10, 12, 14). 255 Art. 2 Nr. 10 Uabs. 4 (ABI. der EGen v. 17. November 1993, C 311, S. 6, 9).

136

C. Gemeinsame Strukturprinzipien im EG-Abfallrecht

dieser Regel filhrt zu einer relativen Optimierung des Umweltschutzes. 256 Grabitz und Nettesheim weisen zu Recht darauf hin, daß das Ergebnis der Anwendung eines Gesetzes nicht mit einem dem Gesetz vorgeschalteten Prinzip zu verwechseln ist257 .

256 Grabitz, E./Nettesheim, M., in Grabitz-Kommentar, Rn. 56, zu Art. 130 r; Epiney, A.lFurrer, A., S. 383 Fn. 102. 257 Ibid.

D. Einzelne rechtliche Probleme der EG-Abfallpolitik Das EG-Abfallrecht wird insbesondere durch die zahlreichen, oben genannten! Sekundärrechtsakte geprägt, die ein kompliziertes EG-Abfallregime bedingen. Um den rnannigfaltigenden Überwachungs-, Kontroll-, Genehmigungspflichten etc. zu entgehen, ist es nur allzu verständlich, daß manche Abfallbesitzer und -erzeuger versuchen, Gegenstände nicht als Abfälle deklariert zu sehen, sondern sie mit anderen Begriffen zu bezeichnen, so daß das EG-Abfallrecht (und auch das nationale Abfallrecht) keine Anwendung findet. Beispiele sind Bezeichnungen wie Wirtschaftsgut, Sekundärrohstoff, Rohstoff, Reststoff, Recyclat-Rohware, Altstoff, Ersatzbrennstoff Und Altöl 2 . Ein weiterer Grund ist, daß aus politischen Erwägungen bestimmte Anlagen nicht als "Abfall"-Anlagen bezeichnet werden sollen, damit eine größere Akzeptanz in der Bevölkerung für die Errichtung dieser Anlagen erzielt werden kann3 . Es ist deshalb sehr wichtig, zu klären, was dem Abfallbegriff des EG-Rechtes, der von den nationalen Abfallbegriffen teilweise abweicht, unterflUlt (I); denn die Definition des Abfalles öffnet auch das Tor zur Anwendung der bereits erörterten Regeln und Prinzipien4 . Ferner ist danach zu erörtern, welchen EGPolitikbereichen der sodann geklärte Abfallbegriff unterfällt, d.h., welchen primärrechtlichen Gemeinschaftsvorschriften er subsumiert werden kann, wenn spezielle, abschließende sekundärrechtliche Vorschriften der Abfallpolitik nicht existieren5 (11). Außerdem stellen Fragen der horizontalen und verti-

!

S. B, II.

2

Vgl. Versteyl, L.-A., S. 962.

3

Vgl. Bickel, C., S. 361.

4 Ein weiteres Beispiel für die Bedeutung der definitorischen Klärung ist die Verpflichtung, Statistiken über Abfallaufkommen und -ströme zu fuhren.

5 Hat die Gemeinschaft Harmonisierungs-RLen (z.B. gemäß Art. 100; 100 a EGV) erlassen, so sind mitgliedstaatliehe Maßnahmen auf diesem Gebiet nur noch anhand der jeweiligen RL, nicht mehr anhand des einschlägigen Primärrechtes (z.B. Art. 36 EGV) zu messen (vgl. die ständige Rspr. des EuGH seit EuGHE 1977, Rs. 5/77 TedeschilDenkavit -, S. 1555, 1576; Langeheine, B., in Grabitz-Kommentar, Rn. 69 f. zu Art. 100 m.w.N.); vgl. aber auch GA Rozes, S., in EuGHE 1983, Rs. 172/82 - mterHui1es -, S. 568, 571 f.

138

D. Einzelne rechtliche Probleme der EG-Abfallpolitik

kalen Kompetenzabgrenzung im Abfallrecht ein bedeutendes Problem dar (III).

I. Der Abfallbegriff 1. Definition gemäß der Abfall-Rahmen-RL 75/442IEWG

Definitionen des Abfallbegriffes finden sich in verschiedenen sekundärrechtlichen Akten. Dabei sieht die geltende Rechtslage6 wie folgt aus: Die Abfall-Rahmen-RL i.d.F. der RL 91/156/EWG vom 18. März 1991 definiert in den Art. 1 und 2 Abfälle als alle Stoffe oder Gegenstände, die unter die in Anhang I der RL aufgeführten Gruppen fallen und deren sich ihr Besitzer entledigt, entledigen will oder muß 7. Ausgenommen werden gasförmige Ableitungen in die Atmosphäre8 und folgende Abfälle, soweit fiir sie bereits andere Rechtsvorschriften (damit sind nur EG-Normen, keine MS-Vorschriften gemeint9) gelten: radioaktive Abfälle 10; Abfälle, die beim Aufsuchen, Gewinnen, Aufbereiten und Lagern von BodenschätzenIl sowie beim Betrieb von Steinbrüchen entstehen l2 ; Tierkörper l3 ; Fäkalien und sonstige natürliche, ungefährliche Stoffe, die innerhalb der Landwirtschaft verwendet werden l4 ; Abwässer mit Ausnahme flüssiger Abfälle l5 ; ausgesonderte Sprengstoffe 16. Au-

6 Zum früheren, inzwischen abgeänderten Recht, insbesondere der Rahmen-RL 75/442IEWG, s. z.B. Offennann-Clas, C., S. 1129 f; Seibert, M.-J., S. 229 f.; Kersting, A, S. 344 ff 7 ABI. der EGen v. 26. März 1991, L 78, S. 32,33.

8 Sie Wlterliegen dem EG-Luftreinhalterecht, s. insbesondere Koch, H-J., S. 124 ff

9 VgI. Schreier, A, S. 80 f. 10 S.o. B, 11,

11

1, c Wld 2 b.

zUm Begriff der Bodenschätze vgI. Schreier, A, S. 81 f

12 Vgl. Dieckmann, M., Abfallrecht, S. 165. 13 S.o. B, 11, 1, b, hh.

14 S.o. B, 11, 1, b, ff Dieckmann, M., Abfallrecht, S. 166 bejaht allerdings die grWldsätzliche GeliW1g der Rahmen-RL auch filr Klärschlämme, s.u. 2 g. 15 S. Dieckmann, M., Abfallrecht, S. 166 f; Schreier, A, S. 82 ff m.w.N.

16 VgI. idem, S. 167.

I. Der AbfallbegritT

139

ßerdem können spezielle oder ergänzende RLen für einzelne Abfallgruppen der Abfall-Rahrnen-RL vorgehen (Art. 2 Abs. 2 RL). Unterstützt von einem nach Art. 18 RL eingerichteten Ausschuß, der sich aus Vertretern der MS zusammensetzt und in dem der Vertreter der Kommission den Vorsitz führt, hat die Kommission am 20. Dezember 1993 ein Verzeichnis der unter die Abfallgruppen in Anhang I der RL fallenden Abfalle (allerdings losgelöst von der dortigen Kategorisierung) erstellt l7, das zusammen mit dem Verzeichnis gefahrlicher Abfalle 18 auch als Europäischer Abfallkatalog (EWC) bezeichnet wird l9 . Aus der Definition ergibt sich, daß das "Tatbestandsmerkmal " Abfall erfiillt ist, wenn zwei Elemente kumulativ gegeben sind: '''"--

1. es muß sich um Stoffe oder Gegenstände handeln, die vom EWe erfaßt werden, 2. ihr Besitzer muß sich ihrer entledigen (=objektive Bedingung) oder will sich ihrer entledigen bzw. entledigt sich ihrer tatsächlich (=subjektive Bedingung). Der Wortlaut bezüglich der kumulativen Bedingung ist eindeutig, so daß es für die Abfalleigenschaft allein nicht ausreicht, daß ein Stoff in das Abfallverzeichnis aufgenommen wurde2°. Der EWe stellt lediglich eine Kategorisierung der Abfälle dar. Die Entledigung muß als zweites Tatbestandsmerkmal

17 Entscheidung 94/3/EG v. 20. Dezember 1993 über ein Abfallverzeichnis gemäß Art. 1 Buchstabe a) der RL 75/442/EWG des Rates über Abflille (ABI. der EGen v. 7. Januar 1994, L 5, S. 15 tT.). 18 VgI. oben B,

n, I, b, kk.

19 S. Antwort von Herrn Paleokrassas im Namen der Kommission v. 14. Januar 1994 auf die schriftliche Anfrage E-3494/93 v. 7. Dezember 1993 (ABI. der EGen v. 5. Dezember 1994, C 340, S. 370; Fluck, J., AbfallbegritT, S. 591. Allerdings bezieht der Anhang, Einleitung ZitI 2 der Entscheidung der Kommission 94/3/EG (a.a.O., S. 16) die Bezeichnung ausschließlich aufdas erstgenannte Verzeichnis. Das kann jedoch damit erklärt werden, daß eine Einigung über das Verzeichnis zur RL 911689/EWG zum Zeitpunkt der Antwort noch nicht existierte.

20 S. Anhang, Einleitung ZitT. 3 Uabs. 2 Entscheidung 94/3/EG, a.a.O., S. 16; vgI. Paleokrassas, a.a.O., S. 38; Bickel, C., S. 369; Konzak, 0., S. 133; Krings, M., S. 104 f.; Fluck, J. a.a.O.; Dieckmann, M., Abfallrecht, S. 149 tT. m.w.N.; Wendenburg, H., S. 835; a.A. Kersting, A, S. 346, 349; Seibert, M.-J., S. 230 f., der z.B. verkennt, daß der EWC verbindlich sein kann und zusätzlich das Tatbestandsmerkmal der Entledigung gegeben sein muß; Helmig, E./Allkemper, L., S. 231.

140

D. Einzelne rechtliche Probleme der EG-Abfallpolitik

immer dazukommen. 21 Anders als Art. 1 lit. a RL 75/442/EWG a.F. enthält die objektive Bedingung jedoch keinen Verweis mehr auf die jeweils geltenden nationalen Vorschriften (dort hieß es: Abfalle sind alle "Stoffe oder Gegenstände, deren sich der Besitzer entledigt oder gemäß den geltenden einzelstaatlichen Vorschriften zu entledigen hat"), sondern ist rein gemeinschaftsrechtlich auszulegen. a) Erstes Tatbestandsmerkmal: Stoffe oder Gegenstände, die vom EWe erfaßt werden Unter "Stoffe" und "Gegenstände" kann man die "körperlichen Gegenstände" i.S.d. deutschen Terminologie des § 90 BGB verstehen22 mit der Einschränkung, daß nur bewegliche Sachen erfaßt werden23 . Unbeweglicher Sachen (Grundstücke und deren Bestandteile) kann man sich nämlich nicht entledigen (beseitigen oder verwerten), ohne sie durch· Trennung, Aushub des Erdreiches24 o.ä. zu beweglichen zu machen25 . Was die EG-terminologische Unterscheidung zwischen Stoffen und Gegenständen zu bedeuten hat, ist ungeklärt, zumal die Anhänge der RL 75/442/EWG i.d.F. der RL 91/156/EWG und der EWe weitere nicht definierte Begriffe wie "Produkte" oder "Materialien" nennen. 26 Darauf muß allerdings auch nicht näher eingegangen werden, denn der Anhang I RL 91/156/EWG und der EWe gehen von einem denkbar weiten Abfallbegriff aus [so nennen beispielsweise die Abfallgruppen Q 1 und Q 16 des Anhanges I RL 91/156/EWG "(n)achstehend nicht näher beschriebene Produktions- oder Verbrauchsrückstände" und "Stoffe oder Produkte aller Art, die nicht einer der obenerwähnten Gruppen angehören" und

21 Das wird auch durch die EntstehWlgsgeschichte der Norm belegt, s. Dieckmann, M., Abfallbegriff, S. 408; Konzak, 0., S. 133. 22 Weiland, R., S. 114 f, ordnet dem Abfallbegriff neben den körperlichen Gegenständen auch die von ilun so bezeichneten immateriellen Abfälle zu, d.h. Abwänne, Länn Wld radioaktiven Abfall in Form von Strahlen. Auf diese in der Diskussion nicht gängigen Bestandteile geht die vorliegende Arbeit nicht ein. 23 Vgl. Bianchi, P./Cordini, G., S. 299; Konzak, 0., S. 132 m.w.N.; Bickel, C., S. 370; Pernice, I., Vollzug, S. 415; im Text Seiberts, M.-J., S. 232, der von "Wlbewegliche(n) Sachen" spricht, handelt es sich offensichtlich um ein Redaktionsversehen; a.A Kersting, A, S. 344. 24 S.a. Bickel, C., S. 364 f; Dieckmann, M., Abfallrecht, S. 152 f 25 AA Kersting, A, S. 348. 26 Vgl. Helrnig, E./Allkemper, 1., S. 230 f; Dieckmann, M., Abfallrecht, S. l5l.

I. Der Abfallbegriff

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die Codices des EWC häufig die Kategorie "Abfälle a.n.g".27]. Die Einleitung Ziff. 3 Uabs. 1 des EWC besagt, daß das Verzeichnis nicht erschöpfend ist und jederzeit geändert werden kann28 . Stoffe oder Gegenstände, die nicht im EWC genannt sind, haben die Vermutung für sich, keine Abfälle i.S.d. Gemeinschaftsrechtes zu sein29 Der Abfallbegriff der Rahmen-RL erfaßt sowohl verwertbare als auch nichtverwertbare, also zu beseitigende, bewegliche Sachen. Das ergibt sich schon unmittelbar aus Art. 4 i.Y.m. Anhang 11 A und 11 B RL 75/442/EWG i.d.F. der RL 91/156/EWG, wonach Abfälle entweder zu verwerten oder zu beseitigen sind. Zuvor hatte der EuGH bereits am 28. März 1990 entschieden, daß der Abfallbegriff der Rahmen-RL auch Stoffe und Gegenstände erfaßt, die zur wirtschaftlichen Wiederverwendung geeignet sind, und nicht voraussetzt, daß der Besitzer, der sich der Sache entledigt, deren wirtschaftliche Wiederverwendung durch andere ausschließen will. Begründet wird das damit, daß die RL auch die Abfallverwertung regeln will und die Ziele des Umwelt- und Gesundheitsschutzes gefährdet würden, wenn der Abfallbesitzer die Anwendung der RL davon abhängig machen könnte, ob er die wirtschaftliche Wiederverwendung der zu entledigenden Sache ausschließen will oder nicht30 . Wirtschafts güter wie Altpapier oder Altglas unterfallen somit auch dem Abfallbegriff der Rahmen-RL31. Dieser Entscheidung des EuGH ist zuzustimmen, da Verwertungstätigkeiten ebenfalls die Umwelt gefährden können und deshalb überwachungsbedürftig sind32 . Damit ist jedoch die Frage angesprochen, ob der EG-Abfallbegriff so weit ist, daß er jede Weggabe von beweglichen Sachen - ungeachtet des verfolgten Zweckes - erfaßt, also zum Beispiel auch die Übergabe von alten Kleidungs-

27 Vgl. auch die Rspr. zur ursprünglichen Fassung der RL 75/442/EWG: EuGHE 1987, verb. Rs. 372-374/85 - Traen -, S. 2141,2156. 28 Vgl. Konzak, 0., S. 133 f 29 Fluck, 1., Abfallrecht, S. 74; Paetow, S., S. 95 f 30 EuGHE 1990, verb. Rs. C-206 und 207/88 - Vessoso und Zanetti -, S. 1461, 1477 f.; a.A. jedoch Kersting, A, S. 347 f; Birn, H., S. 420 f., der zwischen wiederverwendbaren Stoffen und damit Abfall und Stoffen, die wiederverwendet werden sollen, und damit kein Abfall unterscheidet. 31 Vgl. Pernice, I., Vollzug, S. 415 f; Wilmowsky, P. von, Haftung, S. 254 f; Dieckmann, M. Abfallrecht, S. 155; Winter, S., S. 161. 32 AA Kersting, A, a.a.O.

142

D. Einzelne rechtliche Probleme der EG-Abfallpolitik

stücken an wohltätige Organisationen, die sie an Obdachlose zum weiteren Gebrauch verteilen. Weiterhin könnte es sich auch dann um Abfall handeln, wenn der Besitzer selbst die Sache nicht mehr gemäß ihrem ursprünglichen Zweck verwendet, sondern eine "Umwidmung" vornimmt (Beispiel: eine leere Flache wird als Gefäß für eine Tropfkerze verwendet). Es ist folglich eine Abgrenzung zwischen gebrauchten Sachen und Abfällen nötig. Diese Abgrenzung war unter anderem Gegenstand des Vertragsverletzungsverfahrens der Kommission gegen die Bundesrepublik Deutschland in der Rs. C-422/9233 , in dem der Bundesrepublik vorgeworfen wurde, § 1 Abs. 3 Ziff. 7 AbfG verstoße gegen die RLen 75/442/EWG und 78/319/EWG. Die entsprechende Ziffer lautet, daß das AbfG nicht für die Stoffe - ausgenommen gefahrliche Abfälle LS.d. § 2 Abs. 2 AbfG, Autowracks, Altöle, Abwasser, Klärschlamm, Fäkalien und ähnliche Stoffe - gilt, "die durch gewerbliche Sammlung einer ordnungsgemäßen Verwertung zugeführt werden, sofern dies den entsorgungspflichtigen Körperschaften nachgewiesen wird und nicht überwiegende öffentliche Interessen entgegenstehen". 34 Die Kommission meinte, daß diese in der deutschen Terminologie als "Reststoffe" bezeichneten Stoffe, die gewerblichen Sammlungen unterfallen, ebenfalls dem weiten EG-Abfallbegriff subsumierbar seien, weil er gemäß den Urteilen Vessoso und Zanetti35 sowie Zanetti u.a. 36 auch wiederverwendbare Stoffe und Gegenstände erfaßt. Der EuGH gab der Kommission allein mit dem Hinweis auf das Urteil Zanetti Recht und verurteilte Bonn. Dem kann nicht gefolgt werden37 . Klärung für diese Fälle bringt nämlich das weitere Tatbestandsmerkmal der Entledigung, das auch schon Art. 1 lit. a RL 75/442/EWG nannte, allerdings nicht näher definierte. b) Zweites Tatbestandsmerkmal: Entledigung Auch die RL 91/156/EWG enthält keine Definition des Tatbestandsmerkmales der Entledigung. Die Anhänge 11 A und 11 B machen aber deutlich, daß "Entledigen" der Oberbegriff zu den Alternativen der "Beseitigung" und der

33

EuGH Urteil v. 10. Mai 1995 - Dt. AbfallG -, EWS 1995, S. 233 ff.

34 Vergleichbar ist die Ziff. 6, welche dieselben Stoffe vom AnwendWlgsbereich des AbfG ausnimmt, sofern sie durch eine gemeinnützige SammlWlg einer ordnWlgsgemäßen VerwertWlg zugeftlhrt werden. 35

EuGHE 1990, verb. Rs. C-206 Wld207/88, S. 1461 ff.

36

EuGHE 1990, Rs. C-359/88, S. 1509 ff.

37 Kritisch dazu auch Weidemann,

C., UmsetzWlg, S. 867.

I. Der Abfallbegriff

143

"Verwertung" ist. 38 Geht man vom reinen Wortlaut des Urteils Vessoso und Zanetti aus, müßte man die Abfalldgenschaft der genannten Altkleider3 9 und der Flasche bejahen; denn ihr Gebrauch durch andere Personen als die ursprünglichen Eigentümer bzw. zu einem anderen Zweck stellt im weitesten Sinne eine "wirtschaftliche Wiederverwendung" dar. 40 Aus dem telos der Rahmen-RL und den beiden Anhängen 11 A und 11 B ist jedoch ableitbar, daß Abfallbewirtschaftungsmaßnahmen vornehmlich dazu dienen, Menschen und Umwelt vor den Gefahren zu schützen, die von Abfällen ausgehen können. Der bestimmungsgemäße Gebrauch von Gegenständen unterfällt nicht diesem Gefahrenbegriff; denn das Abfallrecht ist gerade Spezialmaterie fiir Vorgänge, die sich auf die Behandlung von Stoffen und Gegenständen beziehen, die nicht mehr zum bestimmungsgemäßen oder einem anderen Gebrauch, sondern zur Entledigung zu zählen sind. Solange der einer Sache innewohnende oder ein weiterer möglicher Gebrauchszweck noch nicht erschöpft ist bzw. als noch nicht erschöpft angesehen wird, handelt es sich nicht um Abfall41 . Selbst wenn Maßnahmen notwendig sind, gebrauchte Gegenstände fiir den weiteren Gebrauch herzurichten (z.B. das Waschen der Altkleider oder die Reinigung von Pfandflaschen), handelt es sich noch nicht um Abfälle. Angelehnt an Dieckmann42 , läßt sich sagen, daß der weitere Gebrauch einer Sache durch den bisherigen Besitzer oder einen Dritten der Abfallvermeidung, nicht aber der Verwertung43 oder Beseitigung von Abfällen und damit nicht dem Entledigungsbegriff zuzuordnen ist. Auch die RL 9l/156/EWG unterscheidet in ihrem 4. Erwägungsgrund wiederverwertbare und wiederverwendbare Erzeugnisse von verwertbaren Abfällen. Erstere sollen nämlich verstärkt produziert werden, um das Entstehen von Abfällen zu begrenzen44 . Erst wenn eine Sache zum alten Zweck oder zu einem neuen Zweck nicht ohne vorhergehende

38 S. ausftlhrlich Fluck, 1., Abfallbegriff, S. 591 f; Krieger, S., AnwendWlgsbereich, S. 170 f 39 S. z.B. Schreier, A, S. 73 ff.

40 Ebenso ist es z.B. beim privaten Weiterverkauf von Möbeln oder KFZen. 41 Vgl. Birn, H., S. 421; Konzak, 0., S. 131, 135; Dieckmann, M., Abfallbegriff, S. 410 f; Fluck, 1., ibid., der von EntwidmWlg, ohne der Sache tmmittelbar einen neuen Nutzungszweck zu geben, spricht; a.A. GA Jacobs, F., in seiner StellWlgnalune v. 16. März 1995 zur Rs. C-442/92, Faksimile S. 10. 42

Abfallrecht, S. 160.

43 Dazu im einzelnen Krieger, S. Inhalt, S. 343 f

44 Vgl. Konzak, 0., S. 134.

144

D. Einzelne rechtliche Probleme der EG-Abfallpolitik

Aufarbeitung oder ein sonstiges Verwertungsverfahren (beispielsweise Nutzung von Abfällen zur Energiegewinnung) genutzt werden kann, ist von "Entledigen" zu sprechen45 . Vorher ist eine potentielle Gefährdung abfallrechtlich relevanter Schutzgüter ausgeschlossen46 , und die entsprechenden Gegenstände sind nicht als Abfälle, sondern als Produkte zu behandeln. Demnach unterscheiden sich die karitativen und gewerblichen Sammlungen zur Abfallvermeidung von Altglas- und Altpapiersammlungen. Das Tatbestandsmerkmal der Entledigung ist im ersteren Fall nicht gegeben, so daß die Bundesrepublik zu Unrecht in bezug auf § 1 Abs. 3 Ziff. 7 AbfG verurteilt wurde. Die Entledigung kann den Besitzer als Verpflichtung treffen oder von ihm aus welchen Gründen auch immer - gewollt sein. Wann es sich um eine Verpflichtung handelt, sagt Art. 1 Ziff. 1 lit. a RL 75/442/EWG i.d.F. der RL 91/156/EWG nicht. Auch der EWe trifft darüber keine Aussage, sondern kann allenfalls darauf hinweisen, welche Stoffe und Gegenstände potentielle Gefährdungen für die Umwelt bedeuten. Da die RL nicht mehr - wie in ihrer ursprünglichen Fassung - auf Vorschriften der nationalen Rechtsordnungen verweist, ist auf die Ziele des EG-Primär- sowie insbesondere des jeweiligen Sekundärrechtes abzustellen. Es muß also zwischen einerseits dem Interesse der Allgemeinheit am Schutz der Umwelt sowie der menschlichen Gesundheit

45 Fluck, J., a.a.O., S. 592; s. dazu auch Uabs. 2 des Deftnitionsvorschlages der Union oflndustrial and Employers' Confederations ofEurope (zitiert nach Konzak, 0., S. 135): "Ein Material wird nicht als Abfall betrachtet - einzig aufgrund der Tatsache, daß es in eine Kategorie der in Annex I der Rahmenrichtlinie aufgeführten Abfallgruppen fällt, - einzig aufgrund der Tatsache, daß es für eine Verwertung entsprechend des Annex 11 B der Rahmenrichtlinie bestimmt ist, - wenn das Material unabhängig, ob es verkauft oder abgegeben wird, entweder in seiner vorliegenden Form direkt gebraucht wird oder nach einer Vorbehandlung oder Reparatur als Einsatzstoff oder Rohmaterial einem Herstellungsprozeß zugeführt wird oder in der gleichen Weise wie jedes andere Rohmaterial gebraucht wird, wenn es zu einem Zweck hergestellt wird und/oder für einen bestimmten Gebrauch besonders hergestellt wird, - wenn es nicht mehr die Anforderungen des Nutzers erftlllt und entweder ZUIÜckgegeben oder für einen anderen Gebrauch verkauft wird.

Ein Material wird als Abfall betrachtet, wenn es in eine der in Annex I der Rahmenrichtlinie aufgeführten Kategorien fällt und - für eine Beseitigung gemäß des Annex 11 der Rahmenrichtlinie vorgesehen, - es erst nach Behandlung in einer speziellen Verwertungsanlage verarbeitet werden kann". 46 AA Seibert, M.-J., S. 234, der eine Umweltgefährdung durch die Weiterverwendung einer Sache in gleicher Weise bejaht. Eine Begründung bleibt er schuldig; sie ist auch nicht erkennbar, denn sonst wären alle beweglichen Sachen, die zweckentsprechend verwendet werden, Abfälle. Daß sie irgendwann zu Abfällen werden können, hat aber nichts mit jenem Zeitpunkt zu tun.

1. Der Abfallbegriff

145

und andererseits den Einzelinteressen der Erzeuger oder Besitzer bestimmter Sachen an ihrem Erhalt bzw. Weitergebrauch abgewogen werden47 . 2. Definitionen in Rechtsakten über Sonderabfälle

Grund für die Neufassung der Abfall-Rahmen-RL 75/442/EWG war unter anderem, eine gemeinsame Terminologie und Abfalldefinition einzufügen, um eine effizientere Abfallbewirtschaftung in der Gemeinschaft zu erreichen48 . Die ursprüngliche Fassung des Art. 1 a hatte dagegen noch auf die einzelstaatlichen Vorschriften verwiesen, so daß der gemeinschaftsrechtliche Abfallbegriff nur begrenzt harmonisiert war. Nunmehr soll also grundsätzlich ein Abfallbegriff für die Gemeinschaften und die MS geschaffen werden49 . Im Ausnahmefall können Einzel-RLen besondere oder ergänzende Vorschriften für bestimmte Abfalle vorsehen (Art. 2 Abs. 2 RL 75/442/EWG i.d.F. der RL 911156/EWG). Diese Spezial-RLen ergänzen damit die Rahmen-RL50. Es handelt sich dabei zumeist um besonders gefahrliche Abfalle, die objektbezogen nach naturwissenschaftlich-technischen Kriterien definiert 51 und speziellen Überwachungs- und Entsorgungs- bzw. Verwertungspflichten unterworfen werden. Dartiberhinaus verweist der EG-"Gesetzgeber" nach dem Erlaß der RL 911156/EWG (18. März 1991) mitunter in anderem Sekundärrecht, wo das Gefahrdungspotential der erfaßten Stoffe geringer ist, aber dennoch zusätzliche Vorschriften erforderlich sind, auf die Abfall-Definition der RahmenRL52. Diese Verweistechnik macht das allgemeine Streben der EG-Organe

47 Vgl. Dieckmann, M., S. 162 f. 48 3. Erwäg\lllgsgnmd RL 91/156/EWG; Anhang Einleitung Ziff. 5 der Entscheid\lllg 94/3/EG, ABI. der EGen v. 7. Januar 1994, L 5, S. 15, 16. 49 So auch die KOll\lllission, wonach sämtliche Abfälle der RL 911156/EWG \lllterliegen, s. Antwort von Herrn Van Miert im Namen der Konlllision v. 4. November 1992 auf die schriftliche Anfrage Nr. 1962/92 v. 1. September 1992 (ABI. der EGen v. 18. Februar 1993, C 47, S. 7).

50 Vgl. Krieger, S., Reststoffe, S. 206. 51 S. Offermann-C1as, C., Abfallrecht, S. 1129. 52 Das ist der Fall bei Art. 2 Abs. 1 lit. b Geänderter Konlllissionsvorschlag v. 28. Juni 1991 für eine RL des Rates über die zivilrechtliche Haftung für die durch Abfälle verursachten Schäden (ABI. der EGen v. 23. Juli 1991, C 192, S. 6, 10); Art. 1 Abs. 13 Rats-RL 91/156/EWG v. 12. Dezember 1991 über gefährliche Abfalle (ABI. der EGen v. 31. Dezember 1991, L 377, S. 20 - s. dazu näher \lllten \lllter a); Art. 2 lit. a Abfallverbring\lllgs-VO (EWG) Nr. 259/93 v. 1. Februar 1993 (ABI. der EGen v. 6. 10 Zacker

146

D. Einzelne rechtliche Probleme der EG-Abfallpolitik

deutlich, möglichst eine gemeinsame Terminologie fiir das Abfallrecht der gesamten Gemeinschaft zu erstellen. Nur soweit kann auch die Äußerung der Kommission verstanden werden, daß "(s)ämtliche Abfälle ... der Rahmenrichtlinie 9111561EWG" unterliegen53 ; denn es gibt weiterhin objektbezogene Abfallbegriffe, die von der Definition der Rahmen-RL abweichen54, als da sind: a) RL des Rates über gefährliche Abfälle

Am 20. März 1978 erließ der Rat die RL 78/319IEWG über giftige und gefährliche Abfälle 55 , um den Anfall dieser Abfälle einzuschränken sowie ihre Verwertung und Umwandlung, die Gewinnung von Rohstoffen und gegebenenfalls von Energie sowie alle anderen Verfahren zur Wiederverwendung vorrangig zu fördern. In Anbetracht der gesammelten Erfahrungen ersetzt nunmehr die Rats-RL 911689IEWG vom 12. Dezember 1991 über gefährliche Abfälle56 jene RL. Beide RLen verweisen hinsichtlich der allgemeinen AbfallDefinition auf die entsprechenden Definitionen der jeweiligen Fassungen der Abfall-Rahmen-RL. Das heißt, daß der Abfall-Begriff der RL 911689IEWG (Art. 1 Abs. 3 RL) dem Abfall-Begriff des Art. 1 lit. a RL 75/442IEWG i.d.F. der RL 911156IEWG57 identisch ist. Um aus diesen Abfällen gefährliche Abfälle i.S.d. RL 911689IEWG zu machen, müssen sie zusätzlich gemäß Art. 1 Abs. 4 in dem auf den Anhängen I ("durch ihre Beschaffenheit oder den Entstehungsvorgang charakterisierte Gruppen oder Arten gefährlicher Abfälle") Februar 1993, L 30, S. 1,3); Art. 2 Uabs. 1 Geänderter Kommissionsvorschlag v. 10. JWli 1993 für eine RL des Rates über Abfalldeponien (ABI. der EGen v. 5. August 1993, C 212, S. 33, 35); Art. 3 Ziff. 2 RL 94/621EG vom 20. Dezember 1994 über Verpackungen und VerpackungsabfiUle (ABI. der EGen v. 31. Dezember 1994, L 365, S. 10, 13).

53 Antwort von Herrn Van Miert v. 4. November 1992 auf die scluiftliche Anfrage Nr. 1962/92 v. 1. September 1992 (ABI. derEGen v. 18. Februar 1993, C 47, S. 7). 54 Insofern ist in bezug auf die derzeitige Rechtslage die Äußerung von Grabitz (Abfall, S. 449) zutreffend, daß gemeinschaftsrechtlich noch kein einheitlicher Abfallbegriff existiert; a.A. Krieger, S:, Reststoffe, S. 206, der jetzt schon eine Einheitlichkeit bejaht; vgI. auch Helmig, E./Allkemper, L., S. 231. 55 ABI. der EGen v. 31. März 1978, L 84, S. 43 ff. 56 ABI. der EGen v. 31. Dezember 1991, L 377, S. 20 ff.; geändert durch die RatsRL 94/311EG v. 27. JWli 1994 (ABI. der EGen v. 2. Juli 1994, L 168, S. 28); ergänzt durch die Entscheidung des Rates 94/9041EG v. 22. Dezember 1994 (ABI. der EGen v. 31. Dezember 1994, L 356, S. 14 ff.). 57 S.o. unter 1.

I. Der AbfallbegrifI

147

und 11 ("Bestandteile, die die Abfälle des Anhangs LB zu gefährlichen Abfällen machen, sofern diese Abfälle die in Anhang III genannten Eigenschaften aufweisen") der RL beruhenden Abfallverzeichnis58 aufgeführt sein sowie eine oder mehrere der in Anhang III ("gefahrrelevante Eigenschaften") genannten Eigenschaften aufweisen 59 oder sonstige Abfälle sein, die nach Auffassung eines MS eine der in Anhang III aufgezählten Eigenschaften besitzen und von der Kommission und dem Abfall-Ausschuß 60 in das Abfallverzeichnis aufgenommen werden. 61 Die Definition des gefährlichen Abfalles erfordert also drei kumulative Bestandteile: Es muß sich dabei handeln um Stoffe oder Gegenstände - außer Hausmüll-, 1. die in dem Verzeichnis gefährlicher Abfälle aufgeführt sind oder auf Betreiben eines MS wegen einer gefahrrelevanten Eigenschaft des Anhanges III der RL 91/689/EWG in die Liste aufgenommen werden; 2. die eine Eigenschaft des Anhanges III der RL 91/689/EWG aufweisen und 3. deren sich ihr Besitzer entledigt, entledigen will oder muß. Ein Stoff oder Gegenstand wird also nicht allein dadurch zum gefährlichen Abfall, daß er in die Liste der gefährlichen Abfälle aufgenommen wird62 . Zusätzlich muß er eine gefahrenrelevante Eigenschaft besitzen und entledigt werden. Die Definition der gefährlichen Abfälle in Art. 1 Abs. 4 RL 91/689/EWG verweist nämlich über Art. 1 Abs. 3 RL 91/689/EWG auf die

58 Entscheidung des Rates 94/904/EG v. 22. Dezember 1994 über ein Verzeichnis gefährlicher Abfälle i.S.v. Art. lAbs. 4 RL 911689/EWG über gefährliche Abfälle (ABI. der EGen v. 31. Dezember 1994, L 356, S. 14 fI.). 59 Hausmüll, der ebenfalls wie industrielle und gewerbliche Abfälle gefährliche Eigenschaften besitzen kann, ist allerdings vom Anwendungsbereich der RL gemäß Art. lAbs. 5 ausgenommen, weil der Rat filr hausmüll besondere Vorschriften bis zum 31. Dezember 1992 erarbeiten sollte. Da das nicht erfolgt ist, unterfällt Hausmüll dem übrigen Sekundärrecht, insbesondere der Abfall-Rahmen-RL. 60 S. Art. 18 RL 75/442/EWG i.d.F. der RL 911156/EWG. 61 VgI. Schreier, A., S. 77 f. 62 S. Anhang, Einleitung ZifI. 2 Entscheidung des Rates 94/904/EG, a.a.O., S. 15; a.A. zu Unrecht EG-Kommission, vgI. Antwort von Herrn Paleokrassas v. 14. Januar 1994 auf die schriftliche Anfrage E-3494/93 v. 7. Dezember 1993 (ABI. der EGen, v. 5. Dezember 1994, C 340, S. 37,38) und Seibert, M.-J., S. 232. 10'

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D. Einzelne rechtliche Probleme der EG-Abfallpolitik

Abfall-Definition der Rahmen-RL und ihr Tatbestandsmerkmal der Entledigung. Danach sind gefährliche Abfälle "Abfälle, die ... ".63 So ist es zum Beispiel ohne weiteres vorstellbar, daß ein Schlamm (Nr. 27 Anhang I RL 91/689/EWG), der eine Zinnverbindung aufweist (Gruppe C 12 Anhang 11 RL 91/689/EWG), keine gefahrrelevanten Eigenschaften des Anhanges III RL 91/689/EWG besitzt und deshalb nicht in das Verzeichnis gefährlicher Abfälle aufgenommen wird. Der Rat geht andererseits gemäß Art. 1 Uabs. 2 Entscheidung 94/904/EG davon aus, daß alle Stoffe, die in das Verzeichnis gefährlicher Abfälle aufgenommen wurden, eine gefährliche Eigenschaft LS.d. Anhanges III RL 91/689/EWG aufweisen. Da es sich hierbei um eine Annahme handelt, kann diese im Einzelfall widerlegt werden, indem der MS Vorschriften erläßt, wonach durch ausreichenden Nachweis seitens des Abfallbesitzers festgelegt werden kann, daß Stoffe des Abfallverzeichnisses keine gefährlichen Eigenschaften besitzen (2. Erwägungsgrund Entscheidung 94/904/EG). Ferner ist die Definition der gefährlichen Abfälle in Art. 1 Abs. 4 RL 91/689/EWG auch für die Verbrennung gefährlicher Abfälle maßgebend, da Art. 2 Ziff. 1 RL 94/67/EG64 darauf verweist. b) Titandioxid-RL 78/176/EWG Wie die RL über gefährliche Abfälle enthält auch die Abfall-Definition der Rats-RL 78/176/EWG vom 20. Februar 1978 über Abfälle aus der TitandioxidProduktion65 ein objektbezogenes Tatbestandsmerkmal und das Tatbestandsmerkmal der Entledigung. Gemäß Art. 1 Abs. 2 lit. b RL 78/176/EWG sind Abfall alle Rückstände aus der Titandioxid-Produktion, deren sich der Besitzer entledigt oder gemäß den geltenden einzelstaatlichen Vorschriften zu entledigen hat, sowie alle Rückstände aus einer Behandlung der zuvor genannten Rückstände. Der Verweis auf die mitgliedstaatlichen Vorschriften, der den Vereinheitlichungstendenzen der neuen Abfall-Rahmen-RL und der RL 91/689/EWG (s.o.) entgegenläuft, ist mit dem Entstehungsjahr 1978 zu erklä-

63 Vgl. Fluck, J., Abfallrecht, S. 591. 64 ABI. der EGen v. 31. Dezember 1994, L 365, S. 34, 35. 65 ABI. derEGen v. 25. Februar 1978, L 54, S. 19 tT.; geändert bzw. ergänzt durch ABI. der EGen v. 31. Dezember 1982, L 378, S. 1 tT.; v. 3. Februar 1983, L 32, S. 28; v. 31. Dezember 1992, L 409, S. II tT.

I. Der Abfallbegriff

149

ren. Zu jener Zeit verwies ja auch die RL 75/442/EWG noch auf das Recht der MS. Daran knüpfte die Titandioxid-RL an. Dem Widerspruch zur heutigen Rechtslage kann man auf zweierlei Art begegnen: erstens mit Hilfe der Kollisionsnorm "lex posterior derogat legi priori". Danach gilt grundsätzlich der neue Abfallbegriff des Art. 1 lit. a RL 75/442/EWG i.d.F. der RL 91/156/EWG, der den alten Abfallbegriff der ursprünglichen Rahmen-RL ersetzt hat, auch für die Sonderrichtlinien, soweit nicht ausdrücklich andere Vorschriften existieren (vgl. Art. 2 Abs. 2 RL 75/442/EWG i.d.F. der RL 911156/EWG). Es ist kein Grund ersichtlich, daß bei Titandioxid-Abfällen entgegen der Überzeugung, den Abfallbegriff gemeinschaftsweit gemeinschaftsrechtlich zu definieren, weiterhin nationale Definitionen angewendet werden sollen. 66 Dieser Gedanke wird auch durch das zweite Argument gestützt: Die in Ausfiihrung zu Art. 9 RL 78/176/EWG ergangene RL des Rates 92/112/EWG vom 15. Dezember 1992 über die Modalitäten zur Vereinheitlichung der Programme zur Verringerung und späteren Unterbindung der Verschmutzung durch Abfälle der Titandioxid-Industrie67, wonach die einzelstaatlichen Vorschriften über die Produktionsbedingungen für Titandioxid angeglichen werden sollen, enthält in Art. 2 eine Vielzahl weiterer Definitionen für spezifische Abfälle (z.B. feste, stark saure, neutralisierte Abfälle), welche die allgemeine Abfalldefinition des Art. lAbs. 2 lit. b RL 78/176/EWG konkretisieren und an keiner Stelle mehr einen Verweis auf die mitgliedstaatlichen Rechtsordnungen enthalten. c) Batterie-RL des Rates Die dritte Abfall-Definition, die objektbezogen den Entledigungsbegriff enthält, findet sich in der Rats-RL 911157/EWG vom 18. März 1991 über gefährliche Stoffe enthaltende Batterien und Akkumulatoren68 . Die dort erfaßten Abfallgegensmnde sind Alt-Batterien und Alt-Akkumulatoren i.S.d. Art. 2 lit. b i. Y.m. lit. a RL, d.h. Batterien und Akkumulatoren, die nicht wiederverwendet werden können und verwertet oder beseitigt werden sollen (gemäß der

66 AA wohl Schreier, A, S. 79. 67 ABi. der EGen v. 31. Dezember 1992, L 409, S. 11 ff. 68 ABi. der EGen v. 26. März 1991, L 78, S. 38 ff.; ergänzt durch ABi. der EGen v. 23. Oktober 1993, L 264, S. 51 f.

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D. Einzelne rechtliche Probleme der EG-Abfallpolitik

obigen Abfalldefinition der Rahmen-RL stellt der Schluß des Relativsatzes die objektive Bedingung der Entledigung dar). Batterien und Akkumulatoren sind danach aus einer oder mehreren (nicht wiederaufladbaren) Primärzellen oder (wiederaufladbaren) Sekundärzellen bestehende Quellen elektrischer Energie, die durch unmittelbare Umwandlung chemischer Energie gewonnen wird, wenn diese Quellen ab dem 18. September 1992 in den Verkehr gebracht worden sind und Quecksilber, Cadmium sowie Blei in bestimmten Konzentrationen enthalten. Da die Batterie-RL am selben Tag wie die Rahmen-RL 911156/EWG erlassen wurde, findet sich dementsprechend kein Verweis mehr auf nationale Entledigungspflichten. d) Verpackungen für flüssige Lebensmittel Gemäß Art. 1 RL des Rates 85/339/EWG vom 27. Juni 1985 über Verpakkungen für flüssige Lebensmittel69 sollen unter anderem Umweltbelastungen durch die Abfälle der Verpackungen flüssiger Lebensmittel verringert werden. Jedoch wird der Abfallbegriff hier nicht definiert. Art. 2 RL nennt lediglich Definitonen für flüssige Lebensmittel (im Zusammenhang mit Anhang I, Beispiele: Milch, Speiseöl, Bier, Wein, Gärungsessig), Verpackungen (=Flaschen, Dosen, Gläser, Kartons oder jede Art geschlossener Verpackungen - außer Fässer - aus Glas, Metall, Kunststoff, Papier oder anderem Material, die ein flüssiges Lebensmittel enthalten) und Mehrwegverpackungen (=Verpackungen, die dazu bestimmt sind, nach ihrer Benutzung zurückgegeben und erneut gefüllt zu werden). Die objektbezogenen Tatbestandsmerkmale beziehen sich hier also auf die Art der Gegenstände, die das Abfallobjekt bilden. Da nicht gesagt ist. daß diese Gegenstände zu jeder Zeit Abfälle darstellen70 , kann eine Parallele zu Art. 3 Ziff. 2 Rats-RL 94/62/EG über Verpackungen und Verpakkungsabfälle71 gezogen werden, in der sich die Definition für Verpackungsabfälle nicht in der Aufzählung "alle Verpackungen oder Verpackungsmaterialien" erschöpft, sondern zusätzlich auf den Abfallbegriff der Rahmen-RL 75/442/EWG i.d.F. der RL 911156/EWG verwiesen wird. Das heißt, daß Verpackungen rur flüssige Lebensmittel dann Abfall sind, wenn sich der Besitzer

69 ABI. der EGen v. 6. Juli 1985, L 176, S. 18 f1; geändert durch ABI. der EGen v. 31. Dezember 1991, L 377, S. 48 f1 70 VgI. Dieckmann, M., Abfallrecht, S. 172. 71 ABI. der EGen v. 31. Dezember 1994, L 365, S. 10, 13.

1. Der Abfallbegriff

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ihrer entledigt, entledigen will oder muß. Diese Auslegung entspricht wiederum der Tendenz zur Vereinheitlichung des EG-Abfallbegriffes. Die im folgenden zu behandelnden objektbezogenen Abfallbegriffe enthalten dagegen das Entledigungs-Tatbestandsmerkmal nur indirekt oder gar nicht: e) Altöl-RL des Rates Die RL des Rates 75/439/EWG vom 16. Juni 1975 über die Altölbeseitigung i.d.F. der RL 87/101/EWG72 definiert Altöl in ihrem Art. 1 als jedes mineralische Schmier- oder Industrieöl (insbesondere gebrauchte Verbrennungsmotoren- und Getriebeöle, mineralische Maschinen-, Turbinen- und Hydrauliköle), das fiir den ursprünglichen Verwendungszweck ungeeignet geworden ist. Eine nähere Konkretisierung findet nicht statt. Allerdings ergibt sich aus Art. 9 RL eine Beseitigungspflicht fiir alle Altölbesitzer: wer die Beseitigung nämlich selbst nicht vornehmen kann, muß die Altöle Unternehmen i.S.d. Art. 5 RL andienen. Demnach sind also alle Stoffe des Art. 1 RL zu beseitigen, was der objektiven Bedingung der Entledigung sonstiger Abfälle gleichkommt. Außerdem wurde bereits oben gezeigt, daß mit Hilfe der Kollisionsnorm "lex posterior derogat legi priori" die allgemeine Abfalldefinition des Art. llit. a RL 75/442/EWG i.d.F. der RL 91/156/EWG über Art. 2 Abs. 2 RL 75/442/EWG i.d.F. der RL 91/156/EWG auf Sonderabfälle anzuwenden ist. Das hat auch fiir Altöle zu gelten. t) PCB/PCT-RL des Rates

Dasselbe gilt fiir die Abfälle i.S.d. RL des Rates 76/403/EWG vom 6. April 1976 über die Beseitigung polychlorierter Bi- und Terphenyle73 . Art. 1 lit. a RL sagt lediglich, daß PCB polychlorierte Bi- und Terphenyle sowie Gemische, die einen dieser beiden oder beide Stoffe enthalen, sind. Gemäß Art. 3 RL müssen gebrauchte PCB sowie in nicht mehr benutzten Gegenständen oder Geräten enthaltene PCB beseitigt werden. Für die Beseitigung ist eine Zulas-

72 ABI. der EGen v. 25. Juli 1975, L 194, S. 31 ff.; geändert bzw. ergänzt durch ABI. der EGen v. 12. Februar 1987, L 42, S. 43 ff.; v. 31. Dezember 1991, L 377, S. 48 ff.; v. 17. November 1994, L 296, S. 42 ff. 73 ABI. der EGen v. 20. April 1976, L 108, S. 41 f.; geändert durch ABI. der EGen v. 31. Dezember 1991, L 377, S. 48 ff.

152

D. Einzelne rechtliche Probleme der EG-Abfallpolitik

sung erforderlich (Art. 6 RL). Das Tatbestandsmerkmal der Entledigung ist darüberhinaus aus Art. 2 Abs. 2 LV.m. Art. llit. a RL 75/442/EWG Ld.F. der RL 91/156/EWG zu entnehmen. g) Verwendung von Klärschlamm in der Landwirtschaft Zu den Sonderabfällen gehören auch Klärschlämme, da von ihnen schädliche Auswirkungen auf Böden, Vegetation, Tiere und Menschen ausgehen können. In ihrem Art. 2 lit. a bezeichnet die Rats-RL 86/278/EWG vom 12. Juni 1986 über den Schutz der Umwelt und insbesondere der Böden bei der Verwendung von Klärschlamm in der Landwirtschaft74 als Schlämme i.S.d. RL alle Schlämme, die aus Kläranlagen zur Behandlung von Haushalts- oder städtischen Abwässern bzw. aus anderen Kläranlagen zur Behandlung von Abwässern in entsprechender Zusammensetzung, die aus Klärgruben und anderen ähnlichen Anlagen zur Behandlung von Abwässern oder aus anderen als den eben genannten Kläranlagen stammen. Diese Klärschlämme dürfen in der Landwirtschaft eingeschränkt oder gar nicht verwendet werden. Umstritten ist, ob auf diese Klärschlämme neben der RL 86/278/EWG auch die Abfall-Rahmen-RL und damit die allgemeine Abfall-Definition anzuwenden sind. Der Rat verneint das in seinem dritten Erwägungsgrund zur RL 86/278/EWG, obwohl Art. 3 Abs. 2 RL später die Partizipialkonstruktion "Unbeschadet der Richtlinien 75/442/EWG und 78/319/EWG ... " enthält. Dieckmann75 weist zu Recht daraufhin, daß "Abfälle aus der Landwirtschaft"76 nicht mit Abfällen gleichzusetzen sind, die "in" der Landwirtschaft verwendet werden. Klärschlämme entstehen zumeist aus der Behandlung von Haushalts- und städtischen Abwässern, also nicht als landwirtschaftliches Nebenprodukt. Da sie teilweise Nähr- und Humusstoffe enthalten, können sie unter bestimmten Voraussetzungen als Düngemittel verwendet werden. In diesem Fall werden in der Landwirtschaft Abfälle anderer Provenienz verwertet. Insoweit finden die allgemeinen Vorschriften der Abfall-Rahmen-RL Anwendung.

74 ABI. der EGen v. 4. Juli 1986, L 181, S. 6 ff.; geändert bzw. ergänzt durch ABI. derEGen v. 31. Dezember 1991, L 377, S. 48 ff. und v. 17. November 1994, L 296, S. 42 ff. 75 Abfallrecht, S. 166. 76 S. Art. 2lit. b iii) RL 75/442/EWG i.d.F. der RL 911156/EWG.

I. Der Abfallbegriff

153

Andererseits können Klärschlämme aber auch - je nach Abwasserart und Behandlungsverfahren - umwelt- und/oder gesundheitsgefahrdende Stoffe wie Krankheitskeime und Schwermetalle enthalten, so daß eine landwirtschaftliche Verwertung sehr schädlich ist und deshalb verboten wird. Das gilt in der Bundesrepublik Deutschland fiir ca. 10 % der anfallenden Klärschlämme, die dann in Klärschlammverbrennungsanlagen verbrannt werden77 Für diese Konstellation ist die RL 861278fEWG neben der Abfall-Rahmen-RL als Spezial-RL i.S.d. Art. 2 Abs. 2 RL 75/442fEWG i.d.F. der RL 91/156fEWG einschlägig. In beiden Fällen muß zusätzlich das Tatbestandsmerkmal der Entledigung erfiillt sein, um von Abfällen sprechen zu können. h) Tierabfälle Nach Art. 2 Ziff. 1 RL des Rates 90/667fEWG vom 27. November 1990 zum Erlaß veterinärrechtlicher Vorschriften fiir die Beseitigung, Verarbeitung und Vermarktung tierischer Abfälle und zum Schutz von Futtermitteln tierischen Ursprungs, auch aus Fisch, gegen Krankheitserreger sowie zur Änderung der RL 90/425fEWG78 sind tierische Abfälle Körper oder Teile von Tieren, auch von Fischen, oder nicht unmittelbar fiir den Verzehr bestimmte Erzeugnisse tierischen Ursprunges, mit Ausnahme von tierischen Exkrementen und von Küchen- und Speiseabfällen. Wie aus dem Titel der RL hervorgeht, sind diese Abfälle zu beseitigen, zu verarbeiten oder zu vermarkten; der Abfall-Definition selbst in Art. 2 Ziff. 1 RL ist aber das Entledigungstatbestandsmerkmal nicht immanent, denn Art. 1 lit. a RL 75/442fEWG i.d.F. der RL 91/156fEWG ist hier nicht über Art. 2 Abs. 2 RL 75/442fEWG i.d.F. der RL 91/156fEWG anwendbar, weil Art. 2 Abs. 1 lit. b iii) Tierkörper ausdrücklich vom Anwendungsbereich der Rahmen-RL ausnimmt. Über den RL-Titel hinaus ergibt sich eine Entledigungspflicht lediglich aus den Art. 3 und 5 RL. Die dort genannten gefahrlichen Stoffe und wenig gefährlichen Stoffe - das sind Untergliederungen tierischer Abfälle gemäß Art. 2 Ziff. 2 und 3 RL - müssen nämlich in besonderen Betrieben verarbeitet bzw. verbrannt oder vergraben werden. Für sonstige tierische Abfälle bestehen nur

77 S. Umwe1tbundesamt, S. 467. 78 ABI. der EGen v. 27. Dezember 1990, L 363, S. 51 ff.; geändert durch ABI. der EGen v. 15. März 1993, L 62, S. 49 ff.

154

D. Einzelne rechtliche Probleme der EG-Abfallpolitik

die aufgrund des Art. 8 i. Y.m. Anhang I RL geltenden Pflichten der Sammlung, Beförderung und Kennzeichnung. An dieser Definitionslücke hat auch die Rats-Entscheidung 95/348/EG vom 22. Juni 1995 über die im Vereinigten Königreich und in Irland anwendbaren veterinär- und tierseuchenrechtlichen Vorschriften fiir die Behandlung bestimmter Abfälle, die zur lokalen Vermarktung als Futtermittel fiir bestimmte Tierkategorien bestimmt sind79 , nichts geändert. Ihre Definition der tierischen Abfälle in Art. 2 Ziff. 1 erfaßt wiederum lediglich bestimmte Stoffe, nämlich die Stoffe gemäß Art. 3 Abs. llit. a, b und e RL 90/667/EWG, sofern sie nicht von Tieren stammen, die im Rahmen von Seuchenbekämpfungsmaßnahmen getötet worden sind, sowie die Stoffe gemäß Art. 5 derselben RL, die lokal als Futtermittel fiir Tiere vermarktet werden sollen, deren Fleisch nicht zum menschlichen Verzehr bestimmt sind. i) Gefährliche Abfälle gemäß der Basler Konvention vom 22. März 1989 und dem Vierten AKP-EWG-Abkommen Im Bereich der internationalen Verträge der Basler Konvention 80 und des Vierten Lome-Abkommens81 tritt die Schwierigkeit auf, daß es sich hierbei um gemischte Abkommen handelt, deren Vertragspartner sowohl die MS als auch die EG bzw. die EG und die EGKS sind. Daraus folgt, daß grundsätzlich auch die nationalen Abfalldefinitionen Anwendung finden. So definiert denn auch Art. 1 Abs. 1 Basler Konvention als gefährliche Abfälle alle Abfälle des Anhanges I (vergleichbar den Anhängen I und 11 der RL 911689/EWG), die eine Eigenschaft des Anhanges III (vergleichbar dem Anhang III der RL 911689/EWG) aufweisen sowie alle sonstigen AbflUle, die im nationalen Recht der Vertragsparteien als gefährliche Abfälle definiert sind. Hier wäre also ein Auseinanderfallen von mitgliedstaatlichen Abfallbegriffen und EG-Abfallbegriff möglich. Da der Rat aber, um das gemeinschaftliche System zur Überwachung und Kontrolle der Abfallverbringung u.a. mit den Anforderungen der Basler Konvention in Einklang zu bringen, die VO (EWG) Nr. 259/93 zur Überwachung und Kontrolle der Verbringung von AbflUlen in der, in die und

79 ABI.

der EGen v. 26. August 1995, L 202, S. 8 f.

80 ABI. der EGen v. 16. Februar 1993, L 39, S. 1 ff.; berichtigt durch ABI. der EGen v. 17. März 1994, L 74, S. 52; s.o. B, 11, 2 a, cc. 81

ABI. der EGen v. 17. August 1991, L 229, S. 1 ff.; s.o. B, 11, 2, a, dd.

I. Der Abfallbegriff

155

aus der EG erlassen hat und dort, wie oben gezeigt, durch den Verweis des Art. 2 lit. a va (EWG) Nr. 259/93 auf die Abfall-Definition der Rahmen-RL 75/442/EWG i.d.F. der RL 91/156/EWG Bezug nimmt, ist grundsätzlich der Wille erkennbar, auch im internationalen Bereich der Basler Konvention die MS auf den gemeinschaftrechtlichen Abfallbegriff festzulegen. Dem möglichen Argument, daß die va (EWG) Nr. 259/93 für den Transport nichtgefährlicher Abfalle geschaffen wurde, kann jedenfalls Art. 1 Abs. 3 lit. c va (EWG) Nr. 259/93 entgegengehalten werden, wonach bestimmte Abfalle des Anhanges 11, die eine gefährliche Eigenschaft des Anhanges III der Rats-RL 91/689/EWG aufweisen, gemäß der va (EWG) Nr. 259/93 überwacht werden können. Wie gesehen, orientiert sich der Abfallbegriff der RL 91/689/EWG am Abfallbegriff der Rahmen-RL. Somit bleibt für die Abfallbegriffe der EG-MS im Anwendungsbereich der Basler Konvention nur sehr eingeschränkter Raum. Für das Vierte Lome-Abkommen gestaltet sich die Sachlage einfacher, weil sein Art. 39 Abs. 3 Uabs. 1 für die Definition der gefährlichen Abfälle lediglich auf die Anhänge I und II der Basler Konvention verweist, die einen objektiven Katalog der entsprechenden Abfalle enthalten, ohne wie Art. 1 Abs. 1 lit. b Basler Konvention auf die Rechtsordnungen der Vertragsparteien zu rekurrieren. j) Ergebnis für die Sonderabfälle Bis auf die Ausnahme der Tierabfalle-RL 90/667/EWG (die aber - soweit ersichtlich - auch fast flächendeckend für alle Tierabfalle eine bestimmte Entledigung verlangt) definiert das existierende Sekundärrecht über Sonderabfälle - wie die Rahmen-RL - Abfalle als Stoffe, die bestimmte Eigenschaften aufweisen und deren Besitzer sich ihrer entledigen müssen, wollen oder tatsächlich entledigen. Damit kann man in bezug auf allgemeine und Sonderabfalle von einem im Grundsatz fast einheitlichen gemeinschaftsrechtlichen Abfallbegriff sprechen. Lediglich die unterschiedlichen objektbezogenen Merkmale verhindern noch die Einheitlichkeit, was aber in der Natur der Sache liegt. Die Aufnahme all dieser objektbezogenen Merkmale in eine einzige Abfalldefinition um der Einheitlichkeit willen bedeutete dagegen lediglich die Aufblähung der Definition, was nicht wünschenswert erscheint.

156

D. Einzelne rechtliche Probleme der EG-Abfallpolitik 3. Definitionen in Rechtsakten über atomare Abfälle

Anders als im Sekundärrecht der allgemeinen und der Sonderabfalle gibt es im Bereich der atomaren Abfälle nur selten Abfalldefinitionen. So enthält beispielsweise Art. 1 der grundlegenden, vom Rat am 2. Februar 1959 erlassenen RLen zur Festlegung der Grundnormen fiir den Gesundheitsschutz der Bevölkerung und der Arbeitskräfte gegen die Gefahren ionisierender Strahlungen82 vielfältige Definitionen zu physikalichen und radiologischen Begriffen, Einheiten, Symbolen, Aktivität und Dosen, doch keine Abfalldefinition. Das änderte sich auch nicht durch die Überarbeitungen der RL 80/836/Euratom83 und der RL 84/467/Euratom84 . Die EAG-MS haben sich zwar zur Einhaltung des im Rahmen der Internationalen Atomenergie-Organisation (IAEO) eingeftihrten Verhaltenskodex fiir die internationale grenzüberschreitende Verbringung radioaktiver Abfälle verpflichtet, doch hat das keine Auswirkungen auf das EAG-Recht. Bisher gibt es drei positive Definitionen: a) Viertes AKP-EWG-Abkommen Gemäß Art. 39 Abs. 3 Uabs. 2 Viertes AKP-EWG-Abkommen85 gelten fiir radioaktive Abfalle i.S.d. Abkommens grundsätzlich die Definitionen und Schwellen, die künftig im Rahmen der IAEO festgelegt werden. Solange das nicht geschehen ist, definiert Abs. 2 Anhang VIII des Abkommens (=Gemeinsame Erklärung zu Art. 39 über den Verkehr mit gefährlichen und mit radioaktiven Abfällen) radioaktvie Abfälle als alle Stoffe, für die keine spätere Verwendung vorgesehen ist und die Radionuklide enthalten oder durch Radionuklide kontaminiert sind, deren Radioaktivität und Konzentration die Grenzwerte der EAG gemäß der RL 80/836/Euratom i.d.F. der RL 84/467/Euratom übersteigen86 . Es folgen dann spezielle Grenzwerte für die Radioaktivität und die Konzentration.

aa.

82

ABI. der EGen Nr. 11 v. 20. Februar 1959, S. 221,222 tT., vgl. oben B, 11, 1, c,

83

ABI. der EGen v. 17.September 1980, L 246, S. 1 ff.

84 ABI.

der EGen v. 5. Oktober 1984, L 265, S. 4 ff.

85

ABI. der EGen v. 17. August 1991, L 229, S. 1,26.

86

A.a.o., S. 250.

1. Der Abfallbegriff

157

b) RL 92/3/Euratom Die einzige originär sekundärrechtliche Definition radioaktiver Abfalle findet sich nunmetrr8 7 in Art. 2 Spstr. 1 Rats-RL 92/3/Euratom vom 3. Februar 1992 zur Überwachung und Kontrolle der Verbringungen radioaktiver Abfalle von einem MS in einen anderen, in die und aus der Gemeinschaft88 , wonach radioaktive Abfalle Material bezeichnen, das Radionuklide enthält bzw. hierdurch kontaminiert ist und fiir das kein Verwendungszweck vorgesehen ist. c) Gemeinschaftsstrategie fiir die Entsorgung radioaktiver Abfalle Die Kommission erwähnt in ihrer Mitteilung vom 2. März 199489 , daß die EAG im AKP-EWG-Abkommen, in der RL 92/3/Euratom und dem Rats-Beschluß 91/482/EWG vom 25. Juli 1991 über die Assoziation der überseeischen Länder und Gebiete mit der EWa9° eine von der lAEO entwickelte Definition radioaktiver Abfalle benutze, deren Quelle sie allerdings nicht angibt. Diese soll lauten: "Jedes Material, das Radionuklide in Konzentrationen oder Aktivitätspegeln oberhalb der vorgeschriebenen Grenzwerte enthält oder durch sie kontaminiert ist und für das kein Verwendungszweck vorgesehen ist." Die oben besprochenen Gemeinschaftsakte entsprechen dieser Definition. Sie ist ferner für die Gemeinschaftsstrategie ausschlaggebend. Festzustellen bleibt insgesamt, daß auch im Atomrecht ein gemeinschaftlicher Rechtsbegriff der Abfalle gilt, der nicht auf mitgliedstaatliche Definitionen verweist.

87 Die VO (Euratom) Nr. 1493/93 des Rates v. 8. JWli 1993 über die Verbringung radioaktiver Stoffe zwischen den MS (ABI. der EGen v. 19. JWli 1993, L 148, S. 1 ff.) verwies in ihrem Art. 2 Spstr. 6 auf die DefInition der RL 92/3/Euratom. Sie ist aber zum 1. Januar 1994 außer Kraft getreten. 88 ABI. der EGen v. 12. Februar 1992, L 35, S. 24,25. 89 KOM (94) 66 endg., S. 5.

90 ABI. der EGen v. 19. September 1991, L 263, S. 1, 152; die hier genannte DefInition ist fast identisch mit der des Abs. 2 Anhang VIll Viertes AKP-EWG-Abkommen, a.a.O.

158

D. Einzelne rechtliche Probleme der EG-Abfallpolitik

4. Gängige Untergruppen-Definitionen

Neben den Definitionen fiir allgemeine, Sonder- und atomare AbfaUe finden sich noch Definitionen fiir häufig verwendete Untergruppen der Abfalle. So untergruppiert man Abfalle landläufig nach ihrer Herkunft (Siedlungs-, Industrieabfalle) und ihren Eigenschaften (gewerbliche, ungefahrliche, Inertabfalle). Die entsprechenden Definitionen finden sich in Art. 3 Kommissions-Vorschlag fiir eine Rats-RL über Abfalldeponien vom 23. April 199191 . Danach sind - Siedlungsabfalle: Hausmüll sowie Büro, Gewerbe- und anderer Müll, der gemäß seiner Beschaffenheit oder Zusammensetzung dem Hausmüll zugerechnet werden kann (dazu sind z.B. zu zählen: Speisereste, Küchenabfälle, Papierreste, Kartons, Beutel, Tüten, Heizungsruckstände, Gläser, Dosen, kleine Gebrauchsgegenstände, Textilien, Wegwerfwindeln, Verpackungsmaterialien, Holz-, Kunststoff- und Metallreste, Gartenabfälle); - Industrieabfalle: Abfalle aus Herstellungsprozessen oder Industrietätigkeiten bzw. -prozessen (beispielsweise Abfälle aus dem Bergbau, Baugewerbe, verarbeitenden Gewerbe); - gefährliche Abfalle: alle Abfalle nunmehr i.S.d. RL des Rates 91/689/ EWG über gefahrliche Abfälle92 ; - Inertabfälle: auf einer Deponie abgelagerte Abfalle, die ihre physikalischen, chemischen oder biologischen Eigenschaften nicht wesentlich ändern und bestimmten Kriterien entsprechen, die im Anhang III des RL-Vorschlages genannt werden (z.B. Bauschutt, Bodenaushub, Abbruchmaterial, Glas- und Porzellanabfalle).

91 ABi. derEGen v. 22. Juli 1991, C 190, S. 1,2. 92 ABi. der EGen v. 31. Dezember 1991, L 377, S. 20 ff.; s.o. B, TI, 1, b, kk.

n. Anwendung der Grundfreiheiten und Politiken auf Abfälle

159

11. Anwendung der Grundfreiheiten und weiterer Politikbereiche auf Abfälle 1. Problemstellung

Nachdem der Abfallbegriff, der hauptsächlich vom Sekundärrecht bestimmt wird, geklärt worden ist, ist zu erörtern, welche primärrechtlichen Vorschriften Abfälle "regieren". Das ist deutlich von der Frage zu unterscheiden, welche primärrechtlichen Normen Kompetenzvorschriften zum Erlaß von AbfallSekundärrecht darstellen93 . Hier interessiert somit insbesondere das Problem, welche primärrechtlichen Vorschriften auf Abfall anwendbar sind, wenn abschließendes Sekundärrecht nicht existiert. Werden die MS also zum Beispiel durch die EG-Verträge in Betätigungen, die Abfälle zum Objekt haben, eingeschränkt? Da die EG-Grundfreiheiten unmittelbar in den MS wirken94 , müssen sowohl die staatlichen Organe als auch die Marktbürgerinnen und -bürger ihr Handeln am Primärrecht ausrichten. Wie bereits oben95 gezeigt, hat der EuGH mehrmals Abfälle und Abfallbewirtschaftung dem EG-Primärrecht unterworfen96 , so daß es unzweifelhaft ist, daß Abfallentsorgung und -bewirtschaftung einen Teil des Wirtschaftslebens i.S.d. Art. 2 ff. EGVausmachen mit der Folge der grundsätzlichen Geltung des Gemeinschaftsrechtes und vor allem der Grundfreiheiten. 97 In Betracht kommen dabei insbesondere die Vorschriften über den freien Waren-

93 S. dazu unten

m.

94 Zu Art. 12 und 30 EGV s. EuGHE 1963, Rs. 26/62 - van Gend & Loos -, S. 1 ff.; E 1968, Rs. 13/68 - Salgoil-, S. 679 ff.; zu Art. 48 EGV s. EuGHE 1974, Rs. 167/73, S. 359 ff.; zu Art. 52 und 59 f. EGV s. EuGHE 1974, Rs. 2/74 - Reyners -, S. 631 ff.; E 1974, Rs. 33/74 - van Binsbergen -, S. 1299 ff.; zur Kapitalverkehrsfreiheit s. jetzt Art. 1 Abs. I i. V.m. Anhang I RL 88/3611EWG zur Durchftlhrung von Art. 67 EWGV (ABI. der EGen v. 8. Juli 1988, L 178, S. 5 ff.), dem nach den Grundsätzen des EG-Rechtes unmittelbare Anwendung zukommt (EuGHE 1995, verb. Rs. C-358/93 und C416/93 Bordessa -, S. 361 ff.). 95 Passim. 96 S. z.B. EuGHE 1983, Rs. 172/82 - Inter-Huiles -, S. 555 ff.; E 1984, Rs. 295/82 Rhöne-Alpes-Huiles -, S. 575 ff.; E 1992, Rs. C-2/90 - Wallonien -, S. 4431 ff. 97 Vgl. Wilmowsky, P. von, Abfallwirtschaft, S. 73 ff.; a.A Töpfer, K., Abfallwirtschaft, S. 360.

160

D. Einzelne rechtliche Probleme der EG-Abfallpolitik

verkehr und über den Dienstleistungsverkehr, auf die sich die Erörterung im folgenden konzentrieren wird; denn es kann daran gedacht werden, Abfalle als handelbare Waren und die Abfallbehandlung, -beseitigung etc. als Dienstleistungen einzustufen. Zwar ist es heute weitgehend anerkannt98 , daß sowohl die Art. 30 ff. EGV als auch die Art. 59 ff. EGV nicht nur das Gebot der Inländergleichbehandlung, sondern auch das Verbot jedweder Beschränkungen enthalten, damit absoluten Charakter entfalten und somit die Grundsätze der EuGH-Rechtsprechung zum freien Warenverkehr (z.B. Cassis-de-Dijon, Ursprungslandprinzip, gegenseitige Anerkennung) auf die Dienstleistungsfreiheit übertragen werden können. 99 Dennoch gibt es zwischen beiden Grundfreiheiten dogmatische Unterschiede, die eine deutliche Abgrenzung erforderlich machen: 100 - Die Frage der Staatsangehörigkeit ist für Dienstleistende relevant, da sie Gemeinschaftsangehörige sein müssen, um sich auf die Art. 59 ff. EGV berufen zu können, wohingegen die Warenverkehrsfreiheit unabhängig von der Staatsangehörigkeit der am freien Warenverkehr Teilnehmenden ist. - Gemäß Art. 37 EGV sind die MS zur Umformung iher staatlichen HandeIsmonopole verpflichtet. Dieser Artikel erfaßt nach h.M.I0l keine Dienstleistungsmonopole. - Im Bereich der Abgaben finden sich für Waren die Spezialvorschriften der Art. 9; 12 ff.; 95 EGY. Dagegen fehlen Sondervorschriften für Abgaben auf Dienstleistungen, so daß die allgemeinen Regeln der Art. 59 ff. EGV anwendbar bleiben. - Schließlich finden die Art. 55 bis 58 EGV über Art. 66 EGV nur auf die Dienstleistungsfreiheit, nicht auf die Warenverkehrsfreiheit Anwendung .. Insbesondere besteht neben der Harmonisierung nach Art. 100 a EGV auch die

98 S. Claasen, C., S. 98 und 101 m.w.N. 99 In ihrer Mitteilung vom 1. Dezember 1993, s. Business Law Europe v. 10. Januar 1994, S. 2 f, betont die Kommission, daß die Art. 30 und 59 EGV nicht vornehmlich die möglichst unbegrenzte Mobilität des Faktors Arbeit verfolgen (wie es Art. 48 und 52 EGV bezwecken), sondern den freien Verkehr von Waren und Produktionsergebnissen. 100 A.a.O., S. 77 f 101 S. EuGHE 1974, Rs. 155/73 - Sacchi -, S. 409,429; E 1983, Rs. 271/81 - Mialocq -, S. 2057,2072; Hochbaum, I., in GTE, Bd. 1, Rn. 22 zu Art. 37; Matthies, H., in Grabitz-Komrnentar, Rn. 11 zu Art. 37 EGY.

II. Anwendung der Gnmdfreiheiten und Politiken auf Abflllle

161

Möglichkeit des Erlasses von Anerkennungs- und Koordinierungs-RLen (Art. 57 EGV). Obwohl es in diesem Zusammenhang hauptsächlich um den EG-Vertrag geht, ist die Abfallproblematik auch für den Nuklearsektor, der dem EAGRecht untersteht, wichtig. Dagegen ist der Anwendungsbereich des EGKSVertrages insoweit eher unbedeutend. Dennoch ist zuerst zu erörtern, in welchem Konkurrenzverhältnis die drei Verträge stehen. Die Klärung dieser Frage ennöglicht dann die Aussage, ob und inwieweit eventuell die eingehend geregelten Grundfreiheiten des EG-Vertrages auf unter die anderen beiden Verträge fallende Abfalle ebenfalls anwendbar sind: 2. Konkurrenzverbältnis zwiscben dem EG-, dem EAG- und dem EGKS-Recbt

a) Die funktionelle Integration der EGen Die Gemeinschaftsverträge der EGKS, EWG und EAG stellen die Rechtsgrundlage der Europäischen Gemeinschaft im politischen Sinne dar, der auch in der Gründung der EU gemäß den Maastrichter Verträgen vom 7. Februar 1992 zum Ausdruck kommt. Einerseits bilden sie ein integriertes, zusammenhängendes Vertragswerk 102 , andererseits sind es drei rechtlich selbständige Verträge, die den drei EGen jeweils eine eigene Rechtspersönlichkeit zuerkennen 103 . Die funktionelle Integration der drei Teilgemeinschaften 104 begann bereits am 25. März 1957, als gleichzeitig mit dem EAG- und EWG-Vertrag das Abkommen über gemeinsame Organe für die Europäischen Gemeinschaften geschlossen wurde, das einen Gemeinsamen Gerichtshof und eine gemeinsame Versammlung einsetzte. Ferner wurden gemeinsame Dienststellen und interexekutive Arbeitsgruppen gebildet. Der Fusionsvertrag von 1965 führte zur Fusionierung des Besonderen Ministerrates (EGKS) und des Rates (EWG und EAG) in den "Rat", zur Fusionierung der Hohen Behörde (EKGS) und der Kommission (EWG und EAG) in die "Kommission", zu einem gemeinsamen

102 Vgl. Vedder, C., in Grabitz-Konunentar, Rn. 7 zu Art. 232. 103 Vgl. Petersmann, E.-u., in GTE, Bd. 4, Rn. 7 zu Art. 232. 104 S. dazu ausführlich Vedder, C., a.a.O., Rn. 3 ff. zu Art. 232 m.w.N.; Petersmann, E.-U., a.a.O., Rn. 5 f. zu Art. 232; Ipsen, H., S. 82. 11 Zacker

162

D. Einzelne rechtliche Probleme der EG-Abfallpolitik

Haushaltsplan sowie einem gemeinsamen Kontrollausschuß und Beamten- und Personalstatut. Eine materielle Fusion der drei Gemeinschaftsverträge unterblieb jedoch (vgl. Art. 32 Abs. 1 Fusionsvertrag) und ist bis heute trotz der Anstrengungen, die politische Integration der EGen voranzubringen (Gipfelkonferenz von Paris 1974, EEA, Maastrichter Verträge), nicht erfolgt. b) Die Kollisionsnonn des Art. 232 EGV Aus Art. 232 EGV folgt, daß das primäre und sekundäre EG-Recht grundsätzlich auch auf die EAG und die EGKS anwendbar ist, soweit der EAGVertrag und der EGKS-Vertrag als vorrangige leges speciales keine abschließenden Regelungen oder Sonderregelungen enthalten 105. Das gilt auch in bezug auf das entsprechende Sekundärrecht, weil sonst das Erreichen der Ziele des EAG-Vertrages und des EGKS-Vertrages gefahrdet wäre und auch die Kompetenzvorschriften leerliefen. Da eine lex specialis nicht immer automatisch eine lex generalis ausschließt, muß wie folgt unterschieden werden: Erfassen unterschiedliche Nonnensysteme denselben Sachverhalt und sind ihre Rechtsfolgen miteinander verträglich, ist entscheidend, ob die Rechtsfolgen der spezielleren Nonn die der allgemeineren Nonn ergänzen, ändern oder an ihre Stelle treten sollen. Das ist im Wege der Auslegung fiir jeden Einzelfall zu ermitteln. Nur wenn sich die Rechtsfolgen ausschließen, fiihrt das logische Verhältnis der Spezialität notwendigerweise zur Verdrängung der allgemeineren Nonn 106 . Gemäß dem Wortlaut sowie dem Sinn und Zweck des Art. 232 EGV sollen EAG-Vertrag und EGKS-Vertrag den EG-Vertrag nicht lediglich ändern oder ergänzen, sondern an seine Stelle treten. Aus Art. 232 EGV läßt sich ableiten, daß die sechs Gründungs-MS die Spezialbereiche Kohle und Stahl sowie Kernenergie von den allgemeinen Vorschriften des EWG-Vertrages getrennt regeln wollten. Es handelt sich grundsätzlich um unterschiedliche Regelwerke 107 , die spezifische Vorschriften fiir verschiedene Wirtschaftssektoren enthalten und integrationstheoretisch unterschiedliche Verdichtungsstufen anstreben. Wegen dieser Spezialität ist die Abgrenzung zwischen den drei

105 Vedder, C., a.a.O., Rn. 8 zu Art. 232 m.w.N.; Bleckmann, A., in Bleckmann, A., Europarecht, Rn. 13 ff.; Oppermann, T., S. 88; Lukes, R., Rechtsfragen, S. 590. 106 Larenz, K., Methodenlehre, S. 267 f. 107 Vgl. Lukes, R., Verhältnis, S. 745 f.

II. Anwendung der Gnmdfreiheiten und Politiken auf Abfälle

163

Verträgen vom EAG-Vertrag und EGKS-Vertrag her vorzunehmen 108 . So konstatierte der EuGH, daß sich im Zusammenhang mit dem EWG-Vertrag die EAGV-Normen als "Ausformung der Rechtsvorstellungen, von denen das Gefiige des allgemeinen Gemeinsamen Marktes getragen wird, auf einem hoch spezialisierten Gebiet,,109 darstellen können. Das ist auf den EGKS-Vertrag übertragbar, der wie der EAG-Vertrag einen GM fiir einen speziellen Wirtschaftssektor schaffen will. Keine Probleme der unmittelbaren Konkurrenz stellen sich, wenn EAGVertrag und EGKS-Vertrag spezielle Regeln enthalten, denen keine entsprechenden allgemeinen Vorschriften des EG-Vertrages gegenüberstehen (s. z.B. im Falle der Art. 67 ff. EAGV und des Art. 66 EGKSV). Doch muß in diesen Fällen geprüft werden, ob fiir die speziellen Tatbestände nicht auch die im EG-Vertrag enthaltenen oder auf der Grundlage dieses Vertrages entwickelten allgemeinen Rechtsgrundsätze relevant sind. Man spricht dabei von gemeinschaftsübergreifendem Gemeinschaftsrecht, das gegebenenfalls das Verhältnis lex generalisnex specialis überiagert 110 . Die vom EuGH entwickelten gemeinsamen Rechtsgrundsätze (z.B. hinsichtlich des Verhältnisses des Gemeinschaftsrechtes zum nationalen Recht, der unmittelbaren Anwendbarkeit des Gemeinschaftsrechtes auf die Marktbürger, der gemeinsamen Handelspolitik und gemeinsamer Auslegungsregeln des Gemeinschaftsrechtes) gelten fiir alle EGen 111. Gestützt auf den Gedanken einer funktionellen Einheit innerhalb der EGen 112 zieht der EuGH bei der Auslegung der Gemeinschaftsverträge die den Verträgen zugrundeliegenden gemeinsamen Rechtsgrundsätze heran. Außerdem wendet er Bestimmungen der anderen Verträge als Auslegungshilfe an 113 . Dogmatisch zu begründen ist diese Vorgehensweise mit den den Verträgen der EG, EAG und EGKS ge-

108 Vgl. Gnmwald, 1., S. 154. 109 EuGHE 1978, Beschluß 1/78 - Übereinkorrunen über den Objektschutz -, S.

2151,2173.

110 Vedder, C., a.a.O., Rn. 6 zu Art. 232 m.w.N., Pipkorn, J., in BBPS, 6.2.2.2. 111 Vgl. Lukes, R., Rechtsfragen, S. 591 f. 112 EuGHE 1960, verb. Rs. 27 und 39/59 - Campolongo -, S. 819,849. 113 EuGHE 1958, Rs. 15/57 - Compagnie des Hauts Fourneaux de Chasse -, S. 159, 191; E 1960, Rs. 6/60 - Humblet -, S. 1163,1194; E 1965, Rs. 108/63 - Merlini -, S. 1, 14; E 1984, Rs. 266/82 - Turner -, S. 1,11. 11·

164

D. Einzelne rechtliche Probleme der EG-Abfallpolitik

meinsamen und konvergierenden Elementen, die ein geschlossenes System bilden: - Die den drei Gemeinschaften gemeinsamen Ziele (insbesondere Hebung des Lebensstandards, Entwicklung der Beziehungen mit anderen Ländern und Ausweitung der Wirtschaft) richten sich auf die Verwirklichung eines einheitlichen Wirtschaftsraumes und in die Zukunft blickend durch weitere Schritte der Integration auf die Entwicklung einer Europäischen Union (Art. 1 EEA). Die Errichtung des GM, wenn auch jeweils auf einem speziellen Gebiet, wird als ein Instrument zu Erreichung dieses Gemeinschaftszieles genannt l14 . - Die Organe und organisatorischen Strukturen sind allen drei EGen gemeinsam. Diese funktionelle Einheit 115 bildet den Grundstein für die materielle Einheit einer EU. - Der Maastrichter Vertrag über die EU will eine Kohärenz zwischen den MS herstellen, welche die drei Verträge zur Grundlage hat (Art. A Uabs. 3 EUV).

Aufgrund dieser konvergierenden und gemeinsamen Elemente, der einheitlichen Wertordnung sowie der organisatorischen und materiellen Verbindungen ist grundsätzlich die Anwendung der Regeln des EG-Vertrages im Bereich des EAG-Vertrages und des EGKS-Vertrages zulässig. Auch hat der EuGH Rechtsprechung, die zu einem Vertrag ergangen ist, auf die Auslegung eines anderen Vertrages übertragen. So hat er beispielsweise bezüglich der AElRRechtsprechung, die für den EG-Vertrag entwickelt wurde 116, entschieden, daß sie analog auf die beiden anderen EG-Verträge anwendbar ist: Die rur den Vorrang und die unmittelbare Anwendbarkeit des EG-Rechtes im innerstaatlichen Rechtsbereich und für die grundsätzliche Kongruenz der gemeinschaftsrechtlichen Innen- und Außenkompetenzen entwickelten Rechts- und Auslegungsgrundsätze stellen einen fiir alle drei Gemeinschaften geltenden acquis communautaire dar 117 .

114 Vgl. EuGHE 1978, Beschluß 1/78 - Übereinkommen über den Objektschutz -, S. 2151, 2173.

115 Urteil Campolongo, a.a.O. 116 S. EuGHE 1971, Rs. 22/70, S. 263ff.; vgl. auch Bleckmann, A., a.a.O., Rn. 16. 117 Beschluß 1/78 - Übereinkommen über den Objektschutz -, a.a.O., S. 2181; Petersmann, E.-U., a.a.O., Rn. 9 zu Art. 232.

n. AnwendWlg der Gnmdfreiheiten Wld Politiken auf Abfälle

165

Eine unmittelbare Anwendung der Vorschriften des EG-Vertrages und des EG-Sekundärrechtes 118 auf die Regelungsbereiche des EAG-Vertrages und des EGKS-Vertrages ist somit grundsätzlich zulässig. Unter Beachtung der oben herausgearbeiteten Grundsätze ist allerdings zu klären, wann im Einzelfall die Voraussetzungenfür diese unmittelbare Anwendbarkeit vorliegen. Dabei sind die folgenden Fallgestaltungen zu unterscheiden: EAG-Vertrag und EGKS-Vertrag enthalten Vorschriften, die einen bestimmten Bereich vollständig regeln, oder sie regeln einen Bereich nur unvollständig oder überhaupt nicht.

aa) Konkurrenzverhältnis im Falle von EAGV- oder EGKSV-Normen, die eine vollständige, abschließende Regelung darstellen Soweit EAG-Vertrag und EGKS-Vertrag eine abschließende konkurrierende Regelung oder eine spezielle Sonderregelung enthalten, der keine denselben Gegenstand betreffende Vorschrift im EG-Vertrag gegenübersteht, verneint die Literatur die Anwendbarkeit des EG-Vertrages und des EG-Sekundärrechtes 119 . Ebenso äußert sich der EuGHI20, der die Verdrängung der EG-Regeln aus dem aus Art. 232 EWGV abgeleiteten Grundsatz lex specialis derogat legi generali ableitet. Jedoch haben weder Rechtsprechung noch Literatur bisher allgemeine Kriterien :für die Beantwortung der Frage entwickelt, was unter einer abschließenden oder einer speziellen Regelung zu verstehen ist. Gewisse Rückschlüsse bezüglich des Ausschlusses der Anwendbarkeit des EG-Rechtes im Geltungsbereich des EAG-Vertrages und des EGKS-Vertrages lassen sich aus dem Urteil des EuGH zur Transparenzrichtlinie 121 ziehen. Danach ist das EGRecht dann nicht anwendbar, sofern in den anderen beiden Verträgen Vorschriften aufgenommen sind, die für einen bestimmten Sachbereich einen von den entsprechenden Vorschriften des EG-Vertrages oder des EG-Sekundär-

118

Vgl. z.B. EuGHE 1987, Rs. 328/85 - Deutsche Babcock -, S. 5119,5139.

119 S. Vedder, C., a.a.O., Rn. 8 zu Art. 232 m.w.N.; Beutler, B., in BBPS, a.a.O., 2.2.1.1.; Bleckmann, A., a.a.O., Rn. 15.

120 EuGHE 1982, verb. Rs. 188-190/80 - Transparenzrichtlinie -, S. 2545, 2580; Urteil Deutsche Babcock, a.a.O., S. 5139 f. 121 Urteil Transparenzrichtlinie, a.a.O.

166

D. Einzelne rechtliche Probleme der EG-Abfallpolitik

rechtes abweichenden Regelungsinhalt haben oder die einen Sachverhalt betreffen, der im EG-Vertrag so nicht geregelt ist. 122 bb) Konkurrenzverhtiltnis im Falle von EAGV- oder EGKSV-Normen, die einen Bereich nicht abschließend oder gar nicht regeln

Wird gemäß den vorstehend entwickelten Kriterien festgestellt, daß eine Vorschrift im EAG-Vertrag oder EGKS-Vertrag einen Bereich nur teilweise, also nicht abschließend, regelt, muß geklärt werden, ob und gegebenenfalls durch welche Vorschriften des EG-Rechtes diese Regelungslücken ausgeftillt werden können. Rechtsprechung und Literatur folgen wiederunI dem Grundsatz, daß das EG-Recht zur Ausftillung dieser "Lücken" herangezogen werden kann, wenn der EAG-Vertrag und der EGKS-Vertrag keine abschließenden Regelungen enthalten l23 . Bei der Anwendung dieses Grundsatzes können jedoch schwierige Auslegungs- und Abgrenzungsprobleme auftauchen. So ist z.B. der in Betracht kommende Art. 4 EGKSV über die Errichtung eines gemeinsamen Kohle- und Stahlmarktes nicht ein den Sachbereich abdeckendes Regelungswerk. Art. 4 lit. c EGKSV sieht lediglich die Beseitigung mengenmäßiger Beschränkungen, nicht aber wie Art. 30 EGV auch die der Maßnahmen gleicher Wirkung vor. 124 Somit ist eine Lücke gegeben, die durch die Anwendung des EG-Vertrages geschlossen werden kann; denn es ist kein sachlicher Grund ersichtlich, anders als beim GM im Rahmen des EG-Vertrages die Verwirklichung eines gemeinsamen Kohle- und Stahlmarktes durch

122 Zwn Beispiel betreffen die Bestinunungen über die gemeinsamen Untemelunen (Art. 45 ff. EAGV) einen Gegenstand, der im EG-Vertrag nicht geregelt ist. Können also bei Gewährung von Vergünstigungen nach Art. 48 EAGV die Beihilferegelungen der Art. 92 ff. EGV Anwendung fmden? Nach den vorn EuGH entwickelten Auslegungsregeln (vgl. Streil, J., in BBPS, 7.2.4. m.w.N.) kommt man zwn Ergebnis, daß die Anwendung des EG-Rechtes ausgeschlossen ist. Beihilfevorschriften können auf die gemeinsamen Untemelunen i.S.v. Art. 45 ff. EAGV nicht angewendet werden, weil anderenfalls dadurch die Zielsetzung des EAGV beeinträchtigt und damit das funktionelle Verhältnis zwischen EAG und EG in Frage gestellt würde. 123 Urteil Transparenzrichtlinie, a.a.O.; Vedder, C., a.a.O., Rn. 8, 10 zu Art. 232; Petersmann, E.-U., a.a.O., Rn. 19 zu Art. 232; Bauer, R.lMosthaf, HlMenges, N., in von der Groeben, HfThiesing, l/Ehlerrnann, C.-D., HER, Anrn. 3 a vor Art. 92-100 EAGV; Mortelsrnans, K./Frid, R., in Srnit, H./Herzog, P. , Art. 232.05.

124 Vgl. Matthies, H., in Grabitz-Kommentar,

Rn. 46 zu Art. 30.

11. AnwendWlg der Gnmdfreiheiten Wld Politiken auf Abtalle

167

die Möglichkeit der Schaffung von Maßnahmen gleicher Wirkung wie mengenmäßige Beschränkungen zu gefährden l2S . Bezüglich der Bestimmungen des EAG-Vertrages über den GM auf dem Nuklearsektor ist festzustellen, daß sie nach dem Willen der Gründungsmitglieder nur Übergangscharakter haben sollten. Im Gegensatz zum EG-Vertrag (Art. 7 EGV) kannte der EAG-Vertrag keine Übergangszeit zur schrittweisen Verwirklichung des GM. So sieht Art. 93 EAGV vor, daß die MS ein Jahr nach Inkrafttreten des Vertrages alle Zölle, Abgaben gleicher Wirkungen und mengenmäßigen Beschränkungen der Ein- und Ausfuhr beseitigen sollten. Grund fiir die Aufnahme der Vorschriften über den GM in den EAG-Vertrag war lediglich, ihre im Verhältnis zum EWG-Vertrag vorzeitige Anwendung sicherzustellen 126. Man kann feststellen, daß der vom EuGH entwickelte Grundsatz der funktionellen Einheit zwischen den EGen die Schaffung eines einheitlichen gemeinsamen Nuklearmarktes (Art. 2 lit. g EAGV) gebietet. Diese Zielsetzung ist durch die Einfiigung des Art. 8 a EWGV (jetzt Art. 7 a EGV), der das Konzept des GM als solches besonders betont, noch verstärkt worden. Demnach können das EG-Recht und seine Auslegung bezüglich des freien Warenverkehrs im Rahmen des EAG-Vertrages zur Lückenschließung herangezogen werden l27 . Das gleiche muß gelten, wenn der EAG-Vertrag überhaupt keine Vorschriften hinsichtlich des zu regelnden Sachverhaltes enthält. 128 Zum Beispiel findet sich bezüglich des Dienstleistungsverkehrs kein eigenes abgeschlossenes Kapitel. Die wenigen spezifischen Bestimmungen über Dienstleistungen im Nuklearbereich umfassen weder Normen über die Entsorgung im allgemeinen noch über die Beseitigung radioaktiver Abfälle im besonderen. Art. 74 EAGV erwähnt die Wiederaufarbeitung nur im Zusammenhang mit den Befugnissen und dem Funktionieren der Versorgungsagentur. Art. 97

125 Vgl. zu Art. 92 f. EAGV Bauer, RlMosthaf, H.lMenges, N., a.a.O., Rn. 3 zu Art. 93; Lukes, R, Verhältnis, S. 751. fI., will dagegen in der Auslegung des Art. 93 EAGV auch die Gnmdsätze zu den Maßnahmen gleicher Wirkung wie mengenmäßige Beschränkungen i.S.d. Art. 30 ff. EGV berücksichtigen. hn Ergebnis Wlterscheiden sich beide Methoden nicht. 126 S. Bauer, RlMosthaf, H.lMenges, N., a.a.O., Anm. 3 b vor Art. 92-100 m.w.N.

127 Beschluß 1/78 - Übereinkommen über den Objektschutz -, a.a.O., S. 2172 f.; Matthies, H., a.a.O., Rn. 47 zu Art. 30. 128 Vgl. hinsichtlich des EGKS-Vertrages Mortelmans, K./Frid, R, a.a.O., Art. 232.04 m.w.N.

168

D. Einzelne rechtliche Probleme der EG-Abfallpolitik

EAGV untersagt Beschränkungen aufgrund der Staatsangehörigkeit gegenüber natürlichen und juristischen Personen, die beim Bau von Atomanlagen wissenschaftlicher oder gewerblicher Art mitwirken wollen. Es besteht somit eine Lücke im EAG-Vertrag, insbesondere im Bereich der Behandlung radioaktiver Abfälle. Lukes ist dagegen der Meinung, daß die Tatbestandsmerkmale "Freiheit der Beschäftigung" bzw. "Beschäftigungen" in Art. 2 lit. g und 96 Uabs. 1 EAGV neben der Freizügigkeit der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer auch die Dienstleistungsfreiheit erfassen. 129 Dem ist entgegenzuhalten, daß der parallele Wortgebrauch in Art. 48 Abs. 2 EGV darauf hindeutet, daß unter "Beschäftigung" gemeinschaftsrechtlich ausschließlich Tätigkeiten in einem Abhängigkeitsverhältnis gemeint sind. 130 Allerdings gibt es fiir eine bewußte Lücke, ein sogenanntes nicht ausfüllungsbedürftiges beredtes Schweigen 131, keinen Anhaltspunkt. Das Prinzip der funktionellen Einheit der EGen gebietet damit auch hier die Anwendung des EG-Rechtes zur Liberalisierung des Dienstleistungsverkehrs auf dem Nukleargebiet 132 . Diese Grundsätze können auf die Anwendung des EG-Rechtes im Bereich des EGKS-Vertrages übertragen werden, weil zwischen dem Verhältnis EAGVertraglEG-Vertrag und EGKS-VertraglEG-Vertrag keine strukturellen Unterschiede bestehen. Zu beachten bleibt aber immer, ob eine EG-Vorschrift vom Sinn und Zweck her überhaupt auf die Regelungsbereiche des EAG-Vertrages oder EGKS-Vertrages anwendbar ist. Denn die MS können sich bewußt dafiir entschieden haben, einen bestimmten Sachbereich nicht der Zuständigkeit von EAG oder EGKS zu unterstellen, sondern ihn weiterhin nationalstaatlich regeln zu lassen. Es darf nämlich nicht vergessen werden, daß - anders als der EWG-Vertrag - der EAG-Vertrag und der EGKS-Vertrag nur jeweils eine Teilintegration bewirken wollten 133. Außerdem ist fraglich, ob auch Nationalstaatsvorbehalte wie Art. 36 EGV auf den EGKS-Vertrag und den EAG-Vertrag zur Lückenschließung herangezogen werden können, wenn die grundsätzliche Lückenschließung durch das EG-Recht bejaht wurde. Da die beiden Spezial-

129 Lukes, R., Verhältnis, S. 754 ff. 130 Vgl. Randelzhofer, A.,

in Grabitz-Kommentar, Rn. 2 zu Art. 48 EGV.

131 Vgl. Larenz, Methodenlehre, K., S. 370. 132 Vgl. Roßnagel, A./GÜDdling, L., S. 75. 133 S. EuGHE 1960, verb. Rs. 27-29/58, S. 517,540.

II. Anwendung der Grundfreiheiten und Politiken auf Abfalle

169

verträge die Errichtung und das Funktionieren des gemeinsamen Nuklearmarktes und des gemeinsamen Kohle- und Stahlmarktes weitgehend nicht durch mitgliedstaatliehe Vorbehaltsklauseln einschränken, ist davon auszugehen, daß Vorschriften wie Art. 36; 55; 56; 66 EGV nicht auf sie anwendbar sind 134 , sondern die Kompetenzen der Gemeinschaftsorgane in diesen Wirtschaftsbereichen weitgehender und eher exklusiv sind.

c) Ergebnis In den Fällen, in denen der EAG-Vertrag und der EGKS-Vertrag keine speziellen abschließenden Vorschriften enthalten, können das EG-Recht und seine Auslegung auf das EAG- und EGKS-Recht Anwendung finden. Zu beachten ist der Grundsatz der funktionellen Einheit innerhalb der EGen. Insbesondere bezüglich des Importes sowie der Sammlung, Lagerung und Verwertung nuklearer Abfälle und Reststoffe kommen nicht nur primäres und sekundäres EAG-Recht, sondern auch die Grundfreiheiten des EG-Rechtes (vor allem Warenverkehrs- und Dienstleistungsfreiheit) in Betracht. Welche Vorschriften im einzelnen anwendbar sind, ist nunmehr im folgenden näher zu untersuchen. 3. Anwendbarkeit der Art. 9 ff. EGV?

Gemäß Art. 3 lit. a EGV urnfaßt die - im einzelnen in den Art. 9 ff. EGV geregelte - Freiheit des Warenverkehrs die Abschaffung der Zölle und mengenmäßigen Beschränkungen bei der Ein- und Ausfuhr von Waren sowie aller sonstigen Maßnahmen gleicher Wirkung zwischen den MS. Der freie Warenverkehr stellt einen wichtigen Teilbereich des BM-Konzeptes (Art. 7 a EGV) dar. Der gesamte Warenaustausch soll frei von sämtlichen nationalen Diskriminierungen und Beschränkungen stattfinden. Erfaßt werden grundsätzlich alle Waren aus den MS und Drittstaaten, die sich in den MS im freien Verkehr befinden (s. Art. 9 Abs. 2; 10 Abs. 1 EGV135). Da der EG-Vertrag allerdings

134 Vgl. ausfiihrlieh zu Art. 36 EGV Lukes, R., Verhältnis, S. 758 ff.; Schröder, M., Grundsatzfragen, S. 757 f., 773 ff.; a.A. Grunwald, J., S. 217. 135 S. Voß, R.,

in Grabitz-Kommentar, Rn. 9 ff. zu Art. 9.

170

D. Einzelne rechtliche Probleme der EG-Abfallpolitik

den gemeinschaftsrechtlichen Begriff "Ware" nicht definiert, gab es bislang eine sehr intensive Diskussion, ob Abfälle Waren sind oder nicht. 136 a) Definition der Ware i.S.d. Art. 9 ff. EGV Der EuGH versteht unter Waren "Erzeugnisse... , die einen Geldwert haben und deshalb Gegenstand von Handelsgeschäften sein können" 137. Wertlose Gegenstände sind keine Waren. Auch die Kommission geht von diesem Waren-Begriff aus. In den Einleitungserwägungen der RL 70/501EWG vom 22. Dezember 1969 über die Beseitigung von Maßnahmen gleicher Wirkung wie mengenmäßige Einfuhrbeschränkungen, die nicht unter andere auf Grund des EWG-Vertrags erlassene Vorschriften fallen 138, macht sie deutlich, daß alle handelbaren Waren, die Gegenstand des grenzüberschreitenden Warenverkehrs sein können, unter die Art. 30 ff. EWGV fallen. Nicht zu den Waren gehören deshalb die Gegenstände, die ihrer Natur nach in keinem MS in den Verkehr gebracht werden dürfen und die nach ihrer Entdeckung zu beschlagnahmen und aus dem Verkehr zu ziehen sind. Entscheidend ist die behördlich kontrollierte Handelbarkeit 139 . Neben den Tatbestandsmerkrnalen "Geldwert" und "Gegenstand von Handelsgeschäften" ist weiterhin anerkannt, daß es sich um bewegliche körperliche Gegenstände (was einen weitergehenden Anwendungsbereich als der Begriff "Erzeugnis" bedeutet) handeln muß 140. Dazu zählt auch elektrischer Strom 141 .

136 Schrott als Abfall wird zwar von den Anlagen I und II des EGKS-Vertrages als Erzeugnis bezeichnet, doch kann daraus nichts filr die Defmition der Ware i.S.d. EGVertrages abgeleitet werden, weil insofern der EGKS-Vertrag Spezialmaterie filr die Verteilung von Kohle und Stahl (wozu laut Anlage I auch Schrott gehört) ist. 137 EuGHE 1968, Rs. 7/68 - Kunstschätze -, S. 633,642. 138 ABI. der EGen v. 19. Januar 1970, L 13, S. 29. 139 VgI. auch EuGHE 1981, Rs. 50/80 - Betäubungsmittel -, S. 385, 397 f.; E 1990, Rs. C-343/89 - Falschgeld -, S. 4477, 4495 f.; bezüglich Feten s. Antwort von Lord Cockfield v. 30. Juli 1985 auf die schriftliche Anfrage Nr. 442/85 v. 9. Mai 1985, ABI. derEGen v. 14. Oktober 1985, C 263, S. 19. 140 VgI. EuGHE 1985, verb. Rs. 60 und 61/84 - Cinetheque -, S. 2605,2623; Skordas, A., S. 45 f.; Müller-Graff, P.-C., in GTE, Bd. I, Rn. 112 zu Art. 30; Becker, u., S. 46; Voß, R., in Grabitz-Kommentar, Rn. 10 zu Art. 30. 141 Voß, R., a.a.O.

II. Anwendoog der Grundfreiheiten ood Politiken auf Abfälle

171

b) Die Rechtsprechung des EuGH zum Warencharakter von Abfällen In mehreren Urteilen hat der EuGH anfangs Abfälle den Art. 30 ff. EWGV subsumiert, ohne jedoch ausdrücklich die oben herausgearbeitete Definition der Ware als Prüfungsmaßstab anzulegen. In den sogenannten Altölfällen 142 war zu prüfen, ob implizite französische Verbote, Altöle in andere MS oder in Drittstaaten auszufiihren, eine rechtswidrige Marktabschottung bewirken können. Ohne nähere Prüfung bejahte der EuGH einen Verstoß gegen Art. 34 EWGV, woraus zu schließen ist, daß nach Ansicht des EuGH die Verbringung von Altölen dem Warenverkehr unterfällt. Das gleiche hat der Gerichtshof fiir Geflügelschlachtabfälle angenommen 143. In diesem Fall hat er nach Art. 34 EWGV geprüft, ob eine Rechtfertigung der niederländischen Handelsbeschränkung gemäß Art. 36 EWGV gegeben war. Im dänischen Getränkeverpackungsfall l44 ging es um die Wiederverwendung von Getränkeverpackungen. Die Hersteller von Bier und Erfrischungsgetränken durften grundsätzlich nur bestimmte Mehrwegverpackungen verwenden und mußten ein Pfand- und Rücknahmesystem fiir Leergut garantieren. Der EuGH ging weder auf die Abfalleigenschaft der in Rede stehenden Getränkeverpackungen ein 145 , noch nahm er zur Eigenschaft als Ware Stellung, sondern prüfte sofort eine mögliche Beschränkung des freien Warenverkehrs i.S.d. Art. 30 EWGY. Im Wallonien-Fall 146 mußte der EuGH entscheiden, ob das wallonische Verbot, Abfälle aus anderen MS oder einer anderen belgischen Region als der Region Wallonien in Wallonien zwischenzulagern, abzulagern oder abzuleiten bzw. zwischenlagern, ablagern oder ableiten zu lassen, gegen die Art. 30 und 36 EWGV verstieß. Das Gericht fiihrte einerseits aus, es sei unstreitig, "daß rückführbare und wiederverwendbare Abfälle - gegebenenfalls nach einer Be-

142 EuGHE 1983, Rs. 172/82 - futer-Hui1es -, S. 555, 564 ff.; E 1984, Rs. 295/82 • Rhöne-Alpes-Hui1es -, S. 575,583 f.; E 1985, Rs. 173/83, S. 491, 507; E 1985, Rs. 240/83· ADBHU·, S. 531,549. 143 EuGHE 1987, Rs. 118/86 - Nertsvoederfabriek -, S. 3883,3907 f. 144 EuGHE 1988, Rs. 302/86, S. 4607 ff. 145 VgI. die RL des Rates 85/339/EWG v. 27. Juni 1985 über Verpackilllgen fiIr flüssige Lebensmittel (ABI. der EGen v. 6. Juli 1985, L 176, S. 18 ff.); s. auch die Prob1ematisier\Ulg bei Becker, u., S. 47 f. 146 EuGHE 1992, Rs. C-2/90, S. 4431 ff.

172

D. Einzelne rechtliche Probleme der EG-Abfallpolitik

handlung - einen eigenen Handelswert haben und Waren sind, auf die der Vertrag Anwendung findet, und daß sie daher in den Anwendungsbereich der Art. 30 ff. EWG-Vertrag fallen" 147. Andererseits fügte es hinzu, daß die Unterscheidung zwischen riickführbaren und nicht riickführbaren Abfällen praktisch sehr schwierig ist. Deshalb entschied er, daß alle Abfälle, "seien sie riickfiihrbar oder nicht"148, Erzeugnisse sind, die Art. 30 EWGV unterfallen; denn Gegenstände, die im Hinblick auf Handelsgeschäfte eine Grenze überschreiten, unterliegen unabhängig von der Natur dieser Geschäfte der Warenverkehrsfreiheit. Im übrigen soll die Abfall-Rahmen-RL 75/442/EWG den freien Verkehr mit Abfällen unter Bedingungen sicherstellen, die weder der Umwelt noch der menschlichen Gesundheit schadeten. Die ausdrückliche Anwendbarkeit des Art. 30 EGV auf alle Abfälle unterstrich der EuGH noch in einem späteren Urteil 149. Hier relativiert der Gerichtshof jedoch schon die Warenverkehrsfreiheit, indem er auf die Einschränkung der Abfallverbringung aus Umweltschutzgriinden hinweist und erkennt, daß die Abfall-Rahmen-RL 91/156/EWG nicht den freien Abfallverkehr innerhalb der Gemeinschaft verwirklichen soll. 150 Dieser Hinweis wird noch im Urteil zur Rs. C-187/93 durch die Relativierung des Wallonien-Urteils verstärkt, wenn der EuGH ausführt, daß das Ziel der RL 91/156/EWG die Bewirtschaftung von Industrie- und Haushaltsabfällen im Einklang mit den Umweltschutzerfordernissen und nicht die Verwirklichung des freien Verkehrs von Abfällen sei. 151 Im folgenden soll gezeigt werden, daß es keinesfalls unstreitig ist, daß Abfälle Waren i.S.d. Art. 30 EGV sind lmd daß die Ausführungen des EuGH mit guten Gründen angefochten werden können.

147 Aa.O., S. 4478. 148 Aa.O., S. 4479. 149 EuGH Urteil v. 17. März 1993, Rs. C-155/91 • RL 91/156/EWG -, EuZW 1993, S. 290,291. 150 lbid. 151 EuGHE 1994, S. 2857, 2881.

II. AnwendWlg der Gnmdfreiheiten Wld Politiken auf Abfälle

173

c) Weitere Meinungen zur rechtlichen Qualifikation von Abfall 152 Es lassen sich drei Kategroien der Subsumtion bilden: die Betrachtungsweise, daß aa) Abfall eine Ware ist, bb) Abfall keine Ware ist, sondern der Dienstleistungsfreiheit unterfällt, und cc) Abfall sowohl von den Art. 30 ff. EGV als auch von den Art. 59 ff. EGV erfaßt wird. aa) Abfall als Ware Diejenigen, die Abfall als Ware bezeichnen, kommen mit unterschiedlichen Argumenten dazu, entweder nur wiederverwertbare oder sämtliche Abfälle den Art. 9 ff. EGV zu subsumieren. Angelehnt an die Waren-Definition im Kunstschätzeurteil des EuGH lautet ein häufig zu findendes Argument, daß Abfälle, die einen positiven Geldwert besitzen können (das sind wiederverwendbare Abfälle 153 wie Papier, Glas, Aluminiumdosen), Waren sind, da mit ihnen gehandelt wird, um Ressourcen und somit Geld :fiir die Produktion neuer Güter zu sparen. 154 Da Abfallhandel eine wirtschaftliche Transaktion ist, soll es unerheblich sein, ob der Abfallbesitzer oder der -abnehmer ein Entgelt :fiir die Abnahme des Abfalles entrichtet. 155 Bezahlt der Abfallbesitzer, so hat der Abfall aus seiner Sicht keinen positiven, sondern einen negativen Wert. So meint 152 Da anderweitig bereits sehr ausfilhrlich auf das Subsumtionsproblem eingegangen worden ist (s. insbesondere bei Wilmowsky, P. von, Abfallwirtschaft, S. 76 ff. m.w.N.; Becker, u., S. 48 ff. m.w.N.; Skordas, A., S. 48 ff. m.w.N.; Grabitz, E., Abfall, S. 449 ff.), werden die bisher geäußerten MeinWlgen im folgenden nur knapp zusammengefaßt. 153 Schon der Begriff der wiederverwendbaren Abfälle ist problematisch: Beispielsweise schätzt der Rat, daß etwa 80 % der jährlich über 2 Milliarden Tonnen EG-Abfalle wiederverwendbar oder für neue Rohstoffe oder Energie rückfilhrbar sind (s. Viertes Umwelt-Aktionsprogramm der EGen, ABI. der EGen v. 7. Dezember 1987, C 328, S. 1,32). Was wiederverwendbarer bzw. -verwertbarer Abfall ist, ist aber - insbesondere in den deutschen BWldesländern - umstritten. So spricht man Z.B. in der VerbrennWlgsanlage Coburg dann von wiederverwertbarem Abfall, wenn ein Anteil von 51 % des angelieferten Abfalles nutzbar gemacht werden kann; andererseits wird Bauschutt insgesamt als nicht wiederverwendbar angesehen, sofern lediglich ein Anteil von 10 % nicht nutzbar ist (die Angaben sind der Diskussion zur 13. Jahrestagoog der Gesellschaft für Umweltrecht am 3./4. November 1989 in Berlin entnommen). 154 S. Pernice, 1., Vollzug, S. 416; Grabitz, E., Abfall, S. 449; vgI. Vandermeersch, D., Verkeer, S. 332 f.; Jans, J., avfalstoffen, S. 337; so auch der deutsche BWldesrat, s. BR-DS 432/88 v. 25. November 1988, S. 2. 155 Pernice, 1., ibid.; Grabitz, E., ibid., S. 450; Krämer, L., Protection, S. 116; Oliver, P., S. 8, § 2.04; Villeneuve, C. de, S. 576.

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D. Einzelne rechtliche Probleme der EG-Abfallpolitik

Pernice, es sei objektiv nicht bestimmbar, ob eine Sache einen Wert hat oder nicht; allein der Abnehmer entscheide, was mit dem Abfall geschieht. Grabitz weist unter anderem darauf hin, daß das vom Abfallbesitzer zu zahlende Entgelt mitunter geringer als die normalerweise für die Abfallentsorgung anfallende Gebühr sein kann. 156 Ferner komme es allein auf den Grenzübertritt eines Gegenstandes an, unabhängig von der Art der späteren Behandlung; denn Dienstleistungen seien sowohl für die Wiederverwertung als auch für die Beseitigung von Abfällen erforderlich. Entscheiden soll somit der Zweck der Herstellung neuer handelbarer Waren, so daß die Dienstleistung als untergeordnet zurücktritt. 157 Es wird dabei der Auffangcharakter der Dienstleistungsfreiheit (s. Art. 60 Uabs. 1 a.E. EGV) ins Feld geführt l58 . Noch einen Schritt weiter gehen Pernice 159 und Krämer l60 , die, wie der EuGH, auch nicht-wiederverwertbare Abfälle als Waren bezeichnen und die Art. 30 ff. EGV auf sie anwenden wollen, denn von beiden Abfallarten gingen im Wege des "Abfalltourismus" Gefahren aus, die aus Gründen des Umweltund Gesundheitsschutzes eingedämmt werden sollten. 161 Dieckmann 162 stimmt dieser Klassifizierung mit dem Argument zu, daß die Warenverkehrsfreiheit gerade den Abbau von Beschränkungen der Verbringung körperlicher

156 Vgl. Tostmann, S., S. 579; Reindl. A, Grenzen, S. 7/54. 157 Vgl. Grabitz, E., ibid.; Becker, U., S. 51; Pernice, I., a.a.O., S. 416 f.; s. auch Dieckrnann, M., Abfallrecht, S. 81. 158 Friedrich, H., S. 9; Tostmann, S., S. 579; so wohl auch Epiney, A, Einbeziehung, S. 95; diese Residualfunktion bedeutet aber nicht automatisch, daß die Dienstleistungsfreiheit immer hinter die anderen Vertragsfreiheiten ZUIÜcktreten muß. Troberg, P., in GTE, Bd. I, Rn. 17 zu Art. 60, macht beispielsweise deutlich, daß bei wirtschaftlichen Vorgängen mit starker Dienstleistungskomponente umgekehrt die anderen Freiheiten ZUIÜcktreten können. SteindorfI, E., DLF, S. 832 bezweifelt die Residualfunktion sogar völlig und bezeichnet die Dienstleistungsfreiheit als eigenständig und gleichbedeutend den anderen drei Grundfreiheiten. Er verweist auf die wichtige gesamtwirtschaftliche Bedeutung des Dienstleistungssektors mit der Folge, daß die Dienstleistungs- wie die Warenverkehrsfreiheit unabhängig von der Niederlassungsfreiheit zu entfalten und zu interpretieren sein soll, und betont, daß die Dienstleistungsfreiheit zudem über das Gleichbehandlungsgebot der Niederlassungsfreiheit hinausgeht. . 159 Aa.O. 160 Aa.O. 161 Dann wäre es allerdings einfacher, Art. 30 EGV gerade nicht anzuwenden. 162 Aa.O., S. 80 f.

II. AnwendWlg der Grundfreiheiten Wld Politiken auf Abfälle

175

Gegenstände zwischen den MS regelt, während die Dienstleistungsfreiheit den Abbau personenbezogener Beschränkungen bezweckt. 163 Ähnlich argumentiert Lueder l64 , fiir den es nicht auf das schuldrechtliche Austauschgeschäft (das sowohl einem Warenkauf- als auch einem Warenentsorgungsvertrag zugrunde liegt), sondern auf das dingliche Verbringen eines Gegenstandes über eine innergemeinschaftliche Grenze ankommen soll. 165 Neben dem EuGW66 klassifizieren auch die anderen EG-Organe Abfälle als Waren: Rat und Kommission haben in den Gemeinsamen Zolltarif (GZn und der Kombinierten Nomenklatur l67 , die fiir die zollrechtliehe Erfassung von Waren gelten, zahlreiche AbfaIle 168 aufgenommen. Da Zölle Abgaben sind, mit denen Waren belastet werden l69 , finden auf alle im GZT genannten Gegenstände die Art. 9 ff. EGV Anwendung. Allerdings ist einschränkend zu bemerken, daß der Rat in der va (EWG) Nr. 802/68 vom 27. Juni 1968 über die gemeinsame Begriffsbestimmung fiir den Warenurspnmg 170 in Art. 4 Abs. 2 lit. i nur die Abfälle als Waren bezeichnet, die bei einer Produktionstätigkeit anfallen oder die zur Gewinnung von Rohstoffen verwendet werden können.

163 VgI. Pernice, I., a.a.O., S. 416. 164 S. 168. 165 Sein Verweis auf Bleckmann, A, in B1eckmann, A, Europarecht, Rn. 1000, geht allerdings fehl, weil Bleckmann bezüglich des Grenzübertrittes von Waren gerade nicht zwischen Kaufverträgen Wld Dienstverträgen abgrenzt, sondern lediglich feststellt, daß filr die Warenverkehrsfreiheit die Existenz eines Vertrages nicht erforderlich ist. Zudem ist nicht ersichtlich, wann Lueder überhaupt einen Dienstvertrag i.S.d. Art. 59 ff. EGV annelunen will. 166 Ohne die RechtsprechWlg des EuGH kritisch zu Wltersuchen, folgt Schreier, A, S. 256 f. dieser MeinWlg gemäß dem Gedanken "Luxemburgo locuto, causa fInita". 167 S. VO (EWG) Nr. 2658/87 des Rates v. 23. Juli 1987 über die Zolltarifliche Wld statistische Nomenklatur sowie den Gemeinsamen Zolltarif (ABI. der EGen v. 7. September 1987, L 256, S. 1 ff.); VO (EG) Nr. 1359/95 der Kommission v. 13. Juni 1995 zur ÄndeTWlg der Anhänge I Wld II der VO (EWG) Nr. 2658/87 (ABI. der EGen v. 26. Juni 1995, L 142, S. 1 ff.); VO (EG) Nr. 3009/95 der Kommission v. 22. Dezember 1995 zur Änder\U1g des Anhangs I der VO (EWG) Nr. 2658/87 (ABI. der EGen v. 30. Dezember 1995, L 319, S. 1 ff.); Er1äuter\U1gen der Kommission zur Kombinierten Nomenklatur der EGen (ABI. der EGen v. 5. Dezember 1994, C 342, S. 1 ff.). 168 Z.B. Abfälle der Lebensmittelindustrie (Kapitel 23), Papier- Wld Pappabfälle (KN-Code 4707), VerpackWlgen (s. Allgemeine Vorschrift 5 b). 169 Voß, R., in Grabitz-Kommentar, Rn. 7 zu Art. 12. 170 ABI. der EGen v. 28. Juni 1968, L 148, S. 1 ff.

176

D. Einzelne rechtliche Probleme der EG-Abfallpolitik

Auch das EP bejaht den Warencharakter, schränkt aber ein, daß Abfall wegen seiner Gefahrlichkeit fiir die Gesundheit und Umwelt keine "normale" Ware sei 171. Dieser Einschränkung folgt im übrigen auch der EuGH, der im Wallonien-Urteil Abfälle als "Gegenstände besonderer Art" bezeichnet hat l72 .

bb) Abfall als Objekt der Dienstleistungsfreiheit Die Befiirworter der Ansicht, Abfälle unterfielen der Dienstleistungsfreiheit, führen als Hauptargument ins Feld, Abfälle besäßen einen negativen Wert, fiir ihre Beseitigung sei ein Entgelt zu zahlen, und sie seien Objekt fiir unterschiedliche Dienstleistungen der Entsorgung.173 Teilweise wird darauf abgestellt, daß fiir Abfälle kein Markt besteht, sondern staatliche Normen ihre Beseitigung verlangen l74 . Ohne einen Markt stellen Abfälle somit keine Handelsware dar 175 . Von Wilmowsky176 weist außerdem noch daraufhin, daß das Völkerrecht die Verbringung von Abfällen in Dienstleistungsabkommen regelt 177.

ce) Abfall als Objekt der Warenverkehrs- oder der Dienstleistungsfreiheit Einige Autoren sind der Meinung, daß Abfälle sowohl der Warenverkehrsals auch der Dienstleistungsfreiheit unterfallen können. Sie bejahen eine "Entweder-oder-Kategorisierung", indem sie zwei sich ähnelnde Argumentationslinien verfolgen: So wird einerseits danach unterschieden, ob Abfälle verwertbar oder nichtverwertbar sind. Erstere sollen Waren sein, weil durch ihre Aufbereitung oder

171 3. Erwägungsgrund EntschließlUlg v. 19. Februar 1991 zu einer gemeinschaftlichen Strategie filr die AbfallbewirtschafilUlg, ABI. der EGen v. 18. März 1991, C 72, S.34 172 EuGHE 1992, Rs. C-2/90, S. 4431,4479. 173 Bickel, C., S. 362, 366; Kempis, K. von, S. 354, 356 f; Skordas, A, S. 53 f; Hösel, G./Lersner, H. von, Rn. 2 zu § 13 c AbfG; Eisberg, J., S. 76 ff.; 89 ff. 174 VgI. Wilmowsky, P. von, Abfallwirtschaft, S. 80,85. 175 VgI. BlUldesminister filr Umwelt, Naturschutz lUld Reaktorsicherheit, S. 4 f; Töpfer, K., PressemitteillUlg 93/89, S. 5; Wilmowsky, P. von, a.a.O., S. 80. 176 Aa.O., S. 86. 177 Inwieweit das aber auch filr die AbfallverwertlUlg zutrifft, wird nicht deutlich.

II. Anwendung der Gnmdfreiheiten und Politiken auf Abfalle

177

Wiederverwertung ein industrielles Interesse in bezug auf Handelsgeschäfte befriedigt, nämlich der ihnen innewohnende Wert genutzt wird. Es soll dabei für den Warencharakter unbeachtlich sein, daß für die Nutzung dieses Wertes auch Dienstleistungen zur Wiederverwertung erforderlich sind. Diese Dienstleistungen werden als bloße Zwischenstufen bei der Herstellung neuer handelbarer Waren angesehen. Endlagerungen und Vernichtung von Abfallen werden dagegen als bloße Dienstleistungen betrachtet, ebenso alle Wirtschaftsvorgänge bezüglich wiederverwertbarer Abfalle, die lediglich Zwischenstufen im Prozeß der Abfallverwertung darstellen und von Personen durchgeführt werden, die an der Verarbeitung der Abfalle kein Interesse 178 haben (z.B. Sammlung, Transport l79 , Zwischenlagerung). 180 Die zweite Argumentationslinie wird von von Wilmowsky vertreten, der auf Abfalle, wie oben gesehen, grundsätzlich die Art. 59 ff. EGV anwendet. Er stellt bei der Abfallverwertung darauf ab, ob sie aufgrund einer gesetzlichen Entsorgungspflicht (dann Art. 59 ff. EGV) oder wegen des Vorhandenseins eines "Absatzmarkt(es) für ... Rohstoffe"181 verwertet werden. Für den letzteren Fall sollen ausnahmsweise die Art. 30 ff. EGV Anwendung finden. Auch diese Unterscheidung ist kaum nachvollziehbar, weil ebenso für Abfalle, für die ein Absatzmarkt existiert, eine gesetzliche Entsorgungspflicht besteht. Der Gebrauch des nationalen Begriffes der "Reststoffe" im EG-Abfallrecht verwirrt zudem nur, weil er nicht der bereits dargestellten Systematik des EG-AbfallBegriffes entspricht.

178 Als Beispiel sind die Abfallbörsen der Industrie- und Handelskammern zu nennen, welche die Weitervermittlung von Abfällen an Industrieunternehmen betreiben. Sie profitieren als "Quasi-Makler" von der reinen Vermittlungstätigkeit. 179 Becker, u., S. 53, subsumiert den Abfalltransport dann den Art. 59 ff. EGV, wenn Abfalle einer Weiterbehandlung zugefiilut werden sollen, weil erst durch diese weitere Dienstleistung der Geldwert des Abfalles aktualisiert wird (hier besteht jedoch ein Widerspruch zu S. 51, wo er beim Transport von Altölen Art. 30 EGV anwendet). Erfolgt der Transport, um Abfalle zu verkaufen, soll die Warenverkehrsfreiheit einschlägig sein. Diese Unterscheidung ist aber wenig einsichtig, weil auch Altöle, papier und -glas olme weitere Dienstleitstungen nicht brauchbar sind.

180 S. Grabitz, E., Abfall, S. 449 ff.; vgl. auch Schröder, M., Abfallrecht, S. l31; Sommer, J., S. 255; Rudischhauser, K., S. 2; Müller-Graff, P.-C., in GTE, Bd. I, Rn. 113 zu Art. 30, der allerdings danach unterscheidet, ob ein geldwertes Gut vorliegt, ob also der Abfallieferant oder der -abnehmer ein Entgelt entrichtet. Auf die Fragwürdigkeit dieses Kriteriums wird unten unter d) eingegangen. 181 Aa.O., S. 87 f. 12 Zacker

178

D. Einzelne rechtliche Probleme der EG-Abfallpolitik

d) Lösungsvorschlag Die Grundlage für die Gemeinsamen Märkte der EG, der EAG und der EGKS bildet jeweils eine Zollunion (s. Art. 9; 19 ff.; EGV; 93 ff. EAGV; 4 lit. a; 72 EGKSV) mit dem Ziel, den Wohlstand der einzelnen Volkswirtschaften zu erhöhen. Die Zollunion wird charakterisiert durch eine die jeweiligen MS umfassende Freihandelszone und einen gemeinsamen Außenzoll gegenüber Drittstaaten. Der Handel auf nationalen, gemeinschaftlichen und internationalen Märkten steht dabei im Vordergrund. Das entscheidende Kriterium des Handels ist ein Austauschvorgang l82 . Märkte können als Orte des Tausches definiert werden, wobei in entwickelten Gesellschaften Geld das anerkannte Tauschmittel darstellt. Objekte des Tausches können Waren und Dienstleistungen sein. Abfall kann als solcher keine Dienstleistung, sondern allenfalls eine Ware sein. Wie gesehen gibt es keine primärrechtliche Definition des Begriffes "Ware". Eine Wortlautinterpretation ist wegen der Verbindlichkeit aller Vertragssprachen (Art. 248 EGV; 225 EAGV; die einzige authentische Vertragssprache des EGKS-Vertrages ist Französisch) sehr schwierig. Allerdings verwenden die meisten Vertragssprachen Äquivalente für Waren (Art. 9 Abs. 1 EGV) und Produkte (Art. 9 Abs. 2 EGV), nämlich beispielsweise im Englischen goodslproducts; im Portugiesischen mercadoriaslprodutos; im Dänischen vare/varer; im Niederländischen goederenlprodukten; im Spanischen mercancias/productos; im Französischen marchandises/produits. Der lateinische Begriff für Ware, der den romanischen Sprachen zugrunde liegt, lautet merx. Die enge etymologische Verwandtschaft zu mercatus (=Markt) ist offensichtlich und verdeutlicht, daß die Begriffe Ware, Handel und Markt eng ~engehören.

Der Austauschvorgang bei einem Handelsgeschäft mit Waren sieht typischerweise so aus, daß ein Gegenstand gegen das Tauschmittel Geld "getauscht" wird (meist in Form von Kaufverträgen). Das Geld gibt dabei den Wert der Ware wider. Abfälle, selbst wiederverwertbare, besitzen dagegen den vom EuGH geforderten Geldwert häufig nicht. In Deponien oder durch Verbrennung zu entsorgende Abfälle bringen ihren Besitzern kein Geld ein, sondern kosten Geld. Wiederverwertbare Abfälle können einen Geldwert haben, was allerdings von verschiedenen Umständen abhängt: Ihr Einsatz als Sekundärrohstoffe (z.B. Altpapier, -textilien, -glas) kann mitunter die Kosten der Herstellung eines neuen Produktes im Vergleich zur Verwendung von Primär-

182 Vedder, C., in Grabitz-Kommentar, Rn. 33 zu Art. 113 m.w.N.

II. AnwendWlg der Grundfreiheiten Wld Politiken auf Abfälle

179

rohstoffen senken, so daß der entsprechende Produzent Geld für die AbfiUle entrichtet. Entscheidend sind dabei aber die Preisentwicklung der Primärroh.stoffe, die Angebotsmenge der als Sekundärrohstoffe dienenden Abfane und die Akzeptanz der Konsumenten bezüglich recycelter Produkte (s. beispielsweise Umweltpapier). Zu berucksichtigen sind ferner die alternativen Deponierungskosten, die geringer als die Kosten für die Abfallverwertung sein können l83 . Ein treffendes Beispiel für den Wechsel zwischen Wert und Un-Wert eines Sekundärrohstoffes bietet Altpapier. In den letzten zehn Jahren schwankten die Marktgegebenheiten in der Weise, daß es sowohl vorkam, daß Altpapierbesitzer (Händler) in Deutschland 20,- DM pro Tonne für die Abnahme zahlen mußten, als auch bis zu über 200,- DM pro Tonne von den Papierfabriken erhielten l84 . Abfalle sind somit der einzige Gegenstand, für dessen Abnahme man je nach wirtschaftlichen Gegebenheiten Geld bekommt oder Geld bezahlen muß. 18S Ein ständiger positiver Wert ist nicht gegeben, so daß das Tatbestandsmerkmal "Geldwert" aus dem EuGH-Kunstschätze-Urteil 186 nicht erfüllt ist. Eine saubere Subsumtion unter den Begriff der Ware in den Art. 9 ff. EGV kann nicht von wechselnden wirtschaftlichen Bedingungen abhängen und dementsprechend variieren. Auch zieht das Argument nicht, daß Gegenstände mit negativem Geldwert Waren sein können. AbfiUle, für deren Abnahme die Besitzer ein Entgelt oder eine Gebühr entrichten müssen, sind nicht Objekt eines Handelsgeschäftes, sondern Objekt entgeltlicher Abfallbeseitigung.187 Das gesamte oben beschriebene Abfall-Sekundärrecht und die weiteren Gemeinschaftsakte 188 be-

183 VgI. insgesamt Weiland, R., S. 122 ff. 184 S. Kremer, G., S. 13; Der Tagesspiege1 v. 2l. Juli 1994, S. 21, v. 13. November 1994, S. 27, v. 20. Februar 1995, S. 20; vgI. auch Antwort von Herrn Van den Broek im Namen der Kommission v. 2l. April 1994 auf die schriftliche Anfrage E-4089/93 v. 2l. Dezember 1993, ABI. der EGen v. 5. Dezember 1994, C 340, S. 67; The Economist v. 29. Mai 1993, S. 11, 17,23. 185 Ein weiteres Beipie1 neben Altpapier bilden die tierischen Abfalle. Je nach Marktlage stellen die Tierkörperbeseitigoogsanstalten den Landwirten die AbholWlg der Abfälle in RechnWlg oder bezahlen fil.r sie, s. Antwort von Herrn Fischler im Namen der Kommission v. 14. Juli 1995 auf die schriftliche Anfrage E-1781195 v. 28. Juni 1995 an die Kommission, ABI. der EGen v. 16. Oktober 1995, C 270, S. 54. 186 EuGHE 1968, Rs. 7/68, S. 633,642. 187 VgI. Eisberg, J., S. 78. 188 S.o. B, II. 12'

180

D. Einzelne rechtliche Probleme der EG-Abfallpolitik

stimmen, daß die MS alle angefallenen Abfälle wegen der von ihnen ausgehenden Gefahren für Gesundheit und Umwelt verwerten oder beseitigen müssen. 189 Die MS können bestimmte Beseitigungsverfahren wie Verwertungsoder Deponierungsgebote vorschreiben. Wie zuvor gezeigt worden ist l90 , ist ein konstituierendes Element des Abfallbegriffes das Entledigen, das ein Entnehmen aus dem Wirtschaftskreislauf bedeutet (im Bereich der atomaren Abfälle die mangelnde weitere Verwendbarkeit). Es widerspricht dem Gedanken des Austausches beim Warenverkehr. Bei der Abfallbeseitigung geht es nicht um den Gebrauch und die Nutzung von Gegenständen, sondern um den Verbleib der Produkte nach ihrer Nutzung bzw. den Verbleib von sogenannten Kuppelprodukten. Kuppelprodukte sind negativ bewertete Güter, die als Nebenprodukt bei der Herstellung oder beim Konsum eines anderen, positiv bewerteten Gutes anfallen. Sie können nicht vermieden werden, ohne daß gleichzeitig auf das positiv bewertete Primärgut verzichtet wird l91 . Waren werden wegen ihres positiven Geldwertes und ihrer daraus folgenden Handelbarkeit auf Märkten produziert; Abfälle hingegen werden nicht wegen ihrer Handelbarkeit hergestellt oder (als Primärrohstoffe) gefördert, sondern sind die notwendige Folge von Produktion l92 und Konsum. Dementsprechend

189 S. z.B. Art. 4 Abfall-Rahmen-RL 75/4421EWG i.d.F. der RL 911156IEWG (ABI. der EGen v. 26. März 1991, L 78, S. 32, 34); Art. 1 Abs. 1 RL des Rates 91/6891EWG über gefährliche Abfälle (ABI. der EGen v. 31. Dezember 1991, L 377, S.20). 190 S.o. I, 1; 2, j; 3. 191 Vgl. Weiland, R., S. 124 f. 192 In bezug auf Recycling spricht man interessanterweise beispielsweise von "Produktion rückwärts", s. Weidemann, C., Abfallrecht, S. 632. Auch der deutsche Gesetzgeber hat mittlerweile eingesehen, daß es sich bei Kuppelprodukten um Abfälle und nicht um eine eigene Kategorie der "Reststoffe" [sie werden im deutschen Recht als Stoffe defIniert, die bei der Energieumwandlung oder bei der Herstellung, Bearbeitung oder Verarbeitung von Stoffen entstehen, ohne daß der Zweck des Anlagenbetreibers darauf gerichtet ist, s. Musterverwaltungsvorschrift des Länderausschusses filr Immissionsschutz zu § 5 I Nr. (sie!) 3 BImSehG, NVwZ 1989, S. 130, und § 2 Ziff. 4 17. BImSchV] handelt: Mußten nach der altenFassung des § 5 Abs. 1 Ziff. 3 BImSchG genehmigungsbedürftige Anlagen so errichtet und betrieben werden, daß "Reststoffe (zu vermeiden waren), es sei denn, sie (wurden) ordnungsgemäß und schadlos verwertet oder, soweit Vermeidung und Verwertung technisch nicht möglich oder unzumutbar (waren), als Abfälle ohne Beeinträchtigung des Wohls der Allgemeinheit beseitigt", so ist der Begriff der Reststoffe durch den der Abfälle seit dem 7. Oktober 1996 durch das in Kraft getretene Kreislaufwirtschafts- und Abfallgesetz v. 27. September 1994 (BGBl. I, 2705 ff.) ersetzt worden. Die Dreiteilung Produkte, Reststoffe, Abfälle reduziert sich nunmehr also auf eine Zweiteilung (s. dazu Rebentisch, M., S. 640).

11. Anwendung der Grundfreiheiten und Politiken auf Abfälle

181

kann man in diesem Zusammenhang nicht von einem negativen Geldwert sprechen, denn beim Vorliegen von Abfällen ist der ursprünglich intendierte Wert der Waren bereits verbraucht. Außerdem widerspricht die Argumentation des negativen Wertes der Grundkonzeption von GM und BM, die beide von einer Philosophie des Wachstums ausgehen, fiir die nur der positive Wert einer Ware marktrelevant ist. Der wegen des positiven Wertes von Waren typische Austausch vollzieht sich in einem Vertragsverhältnis 193 , das durch ein Gegenläufigkeits-Element gekennzeichnet ist: Geld und Ware bewegen sich gegenläufig:

Verkäufer --------~ Käufer Ware

+--------Geld

Entgeltliche Wirtschaftsbeziehungen bezüglich nicht-wiederverwendbarer Abfälle und eines Teiles der verwertbaren Abfälle sind gleichläufig, Geld und Abfall laufen parallel:

193 Zwar ist für die Anwendung der Art. 9 ff. EGV ein entgeltliches Vertragsverhältnis nicht erforderlich, weil es unbeachtlich ist, warum Waren über rnitgliedstaatliche Grenzen innerhalb der EG transportiert werden (die Warenverkehrsfreiheit erstreckt sich auch auf das Mitfilhren von körperlichen Gegenständen zum eigenen Gebrauch beim Passieren von Binnengrenzen und auf Schenkungen). Indes wird der Blick im folgenden auf entgeltliche Vertragsverhältnisse gerichtet, weil die Abfallbeseitigung - wie der Warenhandel - herkönunlicherweise nicht durch entgeltliche Rechtsbeziehungen gekennzeichnet ist.

182

D. Einzelne rechtliche Probleme der EG-Abfallpolitik

Abfallbesitzer --------------~ Abfallabnehmer Abfall --------------~

Geld

f---------------Dienstleistung Hier kommt allerdings als gegenläufiges Element eine Dienstleistung des Abnehmers hinzu. Der Abnehmer (das kann der Staat in jeder denkbaren Form - z.B. als Betreiber von Kläranlagen erhält er aufgunrd eines Anschlußzwanges Abwässer - oder ein Privater - z.B. ein Deponiebetreiber - sein) übernimmt in Form seiner Dienstleistung die - in eigener Regie nicht immer zu erfiillende - Verpflichtung des ursprünglichen Abfallbesitzers, den Abfall zu beseitigen. Das kann durch Verwertung, Verbrennung, Deponierung etc. geschehen. Hinsichtlich der verwertbaren Abfalle mit positivem Geldwert könnte man auf den ersten Blick wegen der Gegenläufigkeit zwischen Abfall und Geld, beispielsweise:

Altpapierbesitzer -------------~ Altpapierabnehmer Altpapier

f---------------Geld

f---------------Dienstleistung an ein den Warenverkehr kennzeichnendes Vertragsverhältnis (Kaufvertrag) denken. Doch auch in diesem Fall kommt eine Dienstleistung hinzu, welche die Geldzahlung wegen der gesetzlichen Beseitigungspflicht überlagert. Die Geldzahlung ist lediglich ein inzentives Instrument, Abfallbeseitigung wirk-

11. Anwendung der Grundfreiheiten und Politiken auf Abfälle

183

sam durchzufiihren. Denkbar ist ohne weiteres, daß eine Regierung staatliche Stellen einrichtet, welche die Sammlung und Verwertung von Altpapier ohne die Zahlung von Geld durch die Abliefernden oder den Staat durchführen:

Altpapierbesitzer -------------~ Staat Altpapier

+--------------Dienstleistung194

Die Abfallbeseitigungspflicht fiir die Abfallbesitzer ändert sich dadurch nicht. Ausschlaggebend ist also der Beseitigungszwang, der notwendigerweise zu Dienstleistungen und nicht zu Kaufverträgen führt. Die Dienstleistungen werden dabei unabhängig vom Wert der Abfälle verrichtet. Im Rahmen der Abfallverwertung können durch verschiedene Umwandlungsvorgänge neue handelbare Gegenstände (z.B. Umweltpapier) oder Primärrohstoffe (beispielsweise kann das Aluminium aus Dosen wieder als Rohstoff fiir die Herstellung neuer Produkte gewonnen werden) entstehen. Abfälle stellen damit Sekundärrohstoffe dar, die erst mit Hilfe von Dienstleistungen zu Waren werden, und sind das Objekt von Dienstleistungen. Der Zweck der Herstellung neuer handelbarer Waren tritt dahinter zurück und führt nicht dazu, daß Sekundärrohstoffe als solche schon Waren sind. 195 Die Waren-Definition des EuGH (Erzeugnisse, die einen Geldwert haben und deshalb Gegenstand von Handelsgeschäften sein können) verlangt aber, daß der Gegenstand seines Geldwertes wegen gehandelt wird. Anders als bei

194 Das geschieht bereits im Falle der konununalen Sanunlungen von Altglas und Verpackungsabfällen. 195 Das Beispiel des aktiven und passiven Veredelungsverkehrs [so va (EWG) Nr. 1999/85 des Rates v. 16. Juli 1985 über den aktiven Veredelungsverkehr (ABI. der EGen v. 20. Juli 1985, L 188,S. 1 ff.), va (EWG) Nr. 2473/86 des Rates v. 24. Juli 1986 über den passiven Veredelungsverkehr und den Standard-Austausch-Verkehr (ABI. der EGen v. 2. August 1986, L 212, S. I ff)], das teilweise mit Abfall als Sekundärrohstoff verglichen wird (s. Wilmowsky, P. von, Abfallwirtschaft, S. 89) zieht nicht, weil die Vaen lediglich Spezialvorschriften filr die Inanspruchnahme des Zollverfahrens liefern, nicht aber materiell über die Anwendung der Grundfreiheiten auf bestinunte zu veredelne Gegenstände Auskunft geben.

184

D. Einzelne rechtliche Probleme der EG-Abfallpo1itik

Primärrohstoffen, die anerkanntermaßen Waren sind und deren energetische Nutzung den einzigen Zweck ihrer Behandlung darstellt, ist bei Abf"allen immer die Beseitigung der eigentliche Zweck der Behandlung. 196 Abfalle sind also in keinem Fall Waren, sondern ihre Behandlung im weitesten Sinne kann als Dienstleistung der Dienstleistungsfreiheit der Art. 59 ff. EGV unterfallen, sofern sie die dort genannten Tatbestandsmerkmale 197 erMIt. Dessenungeachtet können aber Rücknahmepflichten, die nach dem Gebrauch von Waren bestehen (z.B. bezüglich Altautos I98 ), gegen die Art. 30 ff. EGV oder auch gegen Art. 52 EGV verstoßen, weil sie als Kostensteigerungen den ursprünglichen Warenverkehr oder die Niederlassungsfreiheit beeinträchtigen können. Die Definition der Ware i.S.d. Art. 9 ff. EGV kann somit wie folgt präzisiert werden: Waren sind alle beweglichen körperlichen Gegenstände, die ihres Geldwertes wegen behördlich zugelassen gehandelt werden und deren in ihnen steckender originärer Gebrauchszweck sich ein Käufer oder ein Dritter nutzbar macht. Für die Nutzbarmachung ist - mit Ausnahme der Primärrohstoffe - keine Dienstleistung erforderlich. e) Stellungnahme zum Wallonien-Urteil des EuGH Obwohl die Subsumtion der Abfalle als Waren i.S.d. Art. 9 ff. EGV durch den EuGH unzutreffend ist, soll noch kurz auf das Wallonien-Urteil 199 eingegangen werden, weil in der Literatur200 teilweise geäußert wurde, daß der EuGH die wallonische Regelung zu Unrecht als nicht-diskriminierende Maßnahme, gemessen an Art. 30 EGV, angesehen habe, um zwingende Erfordernisse i.S.d. Cassis-de-Dijon-Rechtsprechung (hier: Umweltschutz) zur Rechtfertigung der staatlichen Vorschrift heranziehen zu können.

196 Vgl. Skordas, A, S. 53 f. 197 S.u. 4. 198 S. dazu Mösche1, W., S. 289 ff. 199 EuGHE 1992, Rs. C-2/90, S. 4431 ff. 200 Epiney, A, Einbeziehung, S. 98 L Dieckmann, M., Abfallrecht, S. 89 ff.; Wi1mowsky, P. von, Bestandsaufnahme, S. 415 f.; Reind1, A, Entsorgung, S. 231; ders.; Grenzen, S. 755; Somsen, H S. 113; Gerardin, D., S. 148; Hancher, L./Sevenster, H, S. 361 ff.; Schreier, A, S. 261.

II. AnwendWlg der Grundfreiheiten Wld Politiken auf Abfälle

185

Nach der ständigen Rechtsprechung des EuGIf20l sind nämlich nationale Schutzmaßnahmen im Rahmen des Art. 30 EGV lediglich dann zulässig, wenn sie - bei Fehlen einer Gemeinschaftsregelung - einheimische und importierte Waren gleich behandeln und notwendig sind, den dem freien Warenverkehr vorgehenden zwingenden Erfordernissen des Verbraucherschutzes, Umweltschutzes, der wirksamen steuerlichen Kontrolle oder der Lauterkeit des Handelsverkehrs gerecht zu werden. 202 Diese Maßnahmen unterfallen nicht dem Art. 36 EGV, sondern bilden eine Tatbestandsreduktion des Art. 30 EGV bzw. werden als Rechtfertigungsgründe bezeichnet203 . Art. 36 EGV bietet dagegen eine Rechtfertigung staatlicher Maßnahmen, die ausländische Waren diskriminieren (oder gleichbehandeln, sofern die Tatbestandsreduktion des Art. 30 EGV nicht anwendbar ist), wenn eines der abschließend genannten Schutzgüter des Art. 36 S. 1 EGV einschlägig ist und weder willkürlich diskriminiert wird noch eine verschleierte Beschränkung des Handels zwischen den MS erfolgt. In beiden Fällen der Einschränkung der Warenverkehrsfreiheit muß der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz204 gewahrt sein. Die Besprechungen des Wallonien-Urteils haben allerdings bisher übersehen bzw. nicht problematisiert, daß die aus dem Cassis-de-Dijon-Urteil folgende Einschränkbarkeit der Warenverkehrsfreiheit entwickelt wurde, um die Dassonville-Formel205 - danach ist eine Maßnahme gleicher Wirkung wie eine mengenmäßige Einfuhrbeschränkung jede mitgliedstaatliche Handelsregelung, die geeignet ist, den innergemeinschaftlichen Handel unmittelbar oder mittelbar, tatsächlich oder potentiell zu behindern - zu begrenzen. Diese Formel hat der EuGH jedoch noch nie fiir das Tatbestandsmerkmal der mengenmäßigen Einfuhrbeschränkung angewandt206 , so daß in diesem Zusammenhang auch das Cassis-de-Dijon-Urteil gar nicht herangezogen werden kann. Der EuGH ist auf diese dogmatische Unsauberkeit im Wallonien-Fall mit keinem Wort eingegangen, obwohl das wallonische Verbot die Einfuhr sämtlicher Abfalle

201 S. EuGHE 1979, Rs. 120/78 - Cassis-de-Dijon -, S. 639,662; aus neuerer Zeit neben dem Wallonien-Urteil zuletzt EuGHE 1991, verb. Rs. C-1 Wld 176/90 - Aragonesa de Publicidad Exterior -, S. 4151,4184. 202 Vgl. Matthies, H., in Grabitz-Kommentar, Rn. 18 ff. zu Art. 30. 203 S. Schilling, T., S. 52 ff.; Jarass, H., Grundfreiheiten, S. 603 ff. 204 Vgl. Jarass, H., ibid., S. 605 ff. 205 EuGHE 1974, Rs. 8/74, S. 837,852. 206 S. Müller-Graff, P.-C., in G1E, Bd. 1, Rn. 12 zu Art. 30.

186

D. Einzelne rechtliche Probleme der EG-Abfallpolitik

aus anderen belgischen Regionen und aus anderen EG-MS, also ein vollständiges Einfuhrverbot, betraf. Der Gerichtshof argumentierte sogleich im Rahmen der Cassis-de-Dijon-Rechtsprechung. In diesem Zusammenhang wirkt das Verbot auf den ersten Blick wie eine diskriminierende, die Anwendbarkeit des Art. 30 EGV ausschließende Maßnahme, weil wallonische Abfalle anscheinend in bezug auf den Zugang zu wallonischen Abfallagern und Abfalldeponien prädestiniert werden. Um dennoch zu einer Gleichbehandlung der lokal verschiedenen Abfalle zu kommen, wandte der EuGH die Rechtsprinzipien der Bekämpfung von UmweItbeeinträchtigungen mit Vorrang an ihrem Ursprung (Quellenprinzip, Art. 130 r Abs. 2 Uabs. 1 S. 2 EGV) sowie der Entsorgungsnähe und Entsorgungsautarkie207 an. Er kam so dazu, daß alle Abfalle gleichermaßen möglichst nah am Ort ihres Anfalles zu beseitigen sind. Damit behandelte er alle Abfälle gleich, weil er eine grundsätzliche Verbindung zwischen Anfalls- und Entsorgungsort herstellte. 208

Art. 30 EGV ist eine Ausprägung des allgemeinen Gleichheitssatzes209 , wonach vergleichbare Sachverhalte gleich und verschieden gelagerte Sachverhalte ungleich zu behandeln sind, falls eine Differenzierung nicht objektiv gerechtfertigt, also willkürlich ist210 . Auf das Problem der objektiven Rechtfertigung für eine Differenzierung mußte der EuGH nicht mehr eingehen, da er schon eine Ungleichbehandlung der lokal verschiedenen Abfalle verneinte211 . Das wallonische Dekret - gerechtfertigt aus Umweltschutzgründen, die im Rahmen einer Verhältnismäßigkeitsprüfung212 wegen der von Abfällen ausgehenden grundsätzlichen Gefahrlichkeit213 Bestand haben - verstieß deshalb nicht gegen Art. 30 EGV. Diese dogmatische Konstruktion war allerdings gar nicht erforderlich. Mittels der bereits vorhandenen Rechtsprechung und angesichts der Existenz des

207 S.o. C, IV, I, c und e. 208 Vgl. Reindl, A., Grenzen, S. 755. 209 Vgl. Pernice, I., in Grabitz-Komrnentar, Rn. 51,53 zu Art. 164. 210 EuGHE 1963, Rs. 13/63, S. 357,384; E 1973, Rs. 43/72 - Merkur -, S. 1055, 1074; E 1977, verb. Rs. 117/76 und 16/77 - Ruckdeschel-, S. 1753,1770.

211 EuGHE 1992, Rs. C-2/90 - Wallonien -, S. 4431,4480; a.A. Epiney, A., Einbeziehung, S. 99. 212 Darauf ist der EuGH im Urteil allerdings nicht eingegangen. 213 S. dazu Epiney, A., Einbeziehung , S. 97 f.

II. Anwend\U1g der Gnmdfreiheiten \U1d Politiken auf AbflUle

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damaligen Art. 130 r Abs. 2 S. 2 EWGV (="Die Erfordernisse des Umweltschutzes sind Bestandteil der anderen Politiken der Gemeinschaft") konnte ein Verstoß gegen Art. 30 EWGV verneint werden, weil Art. 30 E(W)GV auf den vorliegenden Fall überhaupt nicht anwendbar ist: Im Urteil Edah entschied der EuGH, daß Art. 30 EWGV nicht in allen Fällen eine Gleichbehandlung eingeführter und nationaler Waren, sondern lediglich die Beseitigung von Einfuhrhindernissen verfolgt214. Ein Verstoß gegen Art. 30 EWGV wurde in den 80er Jahren auch dann verneint, wenn die mitgliedstaatliche Maßnahme keine Beziehung zur Einfuhr aufwies, sondern bestimmte Verwendungs- oder Absatzmodalitäten betraf und dabei nicht unverhältnismäßig war215 . Eine Präzisierung dieser Rechtsprechung erfolgte schließlich in der Rechtssache Keck216 . Danach gilt, daß nationale Bestimmungen, die bestimmte Verkaufsmodalitäten beschränken oder verbieten, nicht geeignet sind, den Handel unmittelbar oder mittelbar, tatsächlich oder potentiell zu behindern, sofern sie für alle betroffenen Wirtschaftsteilnehmer gelten, die ihre Tätigkeit im Inland ausüben, und sofern sie den Absatz der inländischen Erzeugnisse und der Erzeugnisse aus anderen MS rechtlich wie tatsächlich in der gleichen Weise berühren. Da solche Regelungen nicht geeignet sind, den Marktzugang für ausländische Waren zu versperren oder stärker zu behindern, als dies für inländische Waren der Fall ist, scheidet schon die Anwendbarkeit des Art. 30 EGVaus. 217 Diese Fälle zeigen, daß es mitgliedstaatliche Maßnahmen gibt, die zwar den Warenverkehr einschränken können, aber dennoch nicht Art. 30 EGV unterfallen und den europarechtlichen Vorgaben nicht entsprechen müssen. Das bedeutet beispielsweise, daß keine Abwägung zwischen den Belangen des freien Warenverkehrs und den mitgliedstaatlichen Schutzzielen zu erfolgen hat. 218

214 E 1986, verb. Rs. 80 \U1d 159/85, S. 3359, 3382. 215 EuGHE 1981, Rs. 155/80· Oebel ., S. 1993 ff.; E 1989, Rs. C-145/88 - B&Q PLC ., S. 3885 ff., s. zu beiden Urteilen Dörr, 0., Warenverkehrsfreiheit, S. 683 tI., 688 f 216 EuGH Urteil v. 24. November 1993, verb. Rs. C-267 \U1d 268/91 - Keck \U1d Mithouard -, EuZW 1993, S. 770 f; s. ferner EuGH Urteil v. 15. Dezember 1993, Rs. C-292/92 - Hünerrn\U1d -, EuZW 1994, S. 119 f; EuGHE 1994, Rs. C-315/92 - Clinique -, S. 317 tI. 217 Vgl. Schilling, T., S. 57 tI. 218 Vgl. Epiney, A, Maßstabsfimktion, S. 25.

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D. Einzelne rechtliche Probleme der EG-Abfallpolitik

Ebenso schränkte Art. 130 r Abs. 2 S. 2 EWGV (jetzt: Art. 130 r Abs. 2 Uabs.1 S. 3 EGV) die Anwendbarkeit des Art. 30 E(W)GV ein. Der Umweltschutz ist nicht isoliert eine Aufgabe neben den anderen Aufgaben des E(W)GV, sondern seine Ziele sind im Rahmen aller anderen Politiken und Tätigkeiten der Gemeinschaft wie der Verwirklichung der Grundfreiheiten zu beachten und zu integrieren. Der Vertrag nannte bis zu den Erweiterungen von Maastricht219 den Umweltschutz als einziges Ziel, das ausnahmslos bei allen anderen Gemeinschaftspolitiken zu berücksichtigen ist; daran erkennt man seine herausragende Bedeutung. Er steht demnach auf derselben Stufe wie die übrigen EG-Politikbereiche220 . Nicht nur die Gemeinschaftsorgane, sondern auch die MS sind aus Art. 5 EGV verpflichtet, den Umweltschutz und seine besonderen Ausprägungen in Art. 130 r EGV und dem ergangenen Sekundärrecht zu beachten221 . Die Umweltschutzziele sind also auch im Rahmen der Warenverkehrsfreiheit relevant, so daß der freie Warenverkehr die Umweltschutzziele nicht mißachten darf. Die Auslegung der Art. 30 ff. EGV hat im Gesamtgefüge des Vertrages zu erfolgen222 . Dazu zählen auch die Art. 2 ("umweltverträgliches Wachstum"); 3 lit. k und 130 r ff. EGV, was bedeutet, daß nicht jedweder freie Warenverkehr, der deklarierten Umweltschutzzielen entgegenläuft, von der Gemeinschaft gewollt und verwirklicht wird. Der Zugang mitgliedstaatlicher Waren und Drittwaren i.S.d. Art. 10 EGV zu allen anderen MS-Märkten soll ungehindert möglich sein, damit die Produzenten gleiche Absatzmöglichkeiten haben und die Konsumenten die bestmögliche Produktvielfalt genießen. Bei einem Großteil der Abfalle geht es aber gerade nicht um Absatz und Konsum, sondern um Entsorgung in Form der Verbrennung und Deponierung. Gemäß dem das EG-Abfallrecht regierenden Quellenprinzip, dem Verursacherprinzip und den Prinzipien der Entsorgungsnähe und

219 Nwunehr sind auch der Gesundheitsschutz und die entwicklungspolitischen Ziele Bestandteil aller übrigen Gemeinschaftspolitiken, s. Art. 129 Abs. 1 Uabs. 3 und 130 vEGV. 220 Grabitz, E./Zacker, C., Umweltkompetenzen, S. 300; Epiney, A., Einbeziehung, S.96m.w.N. 221 Vgl. EuGHE 1977, Rs. 71/76 - ThietTry -, S. 765,776 f.; E 1988, Rs. 216/84, S. 793,814; Zuleeg, M., in GlE, Bd. 1, Rn. 2, 5 zu Art. 5; Bogdandy, A. von, in GrabitzKonunentar, Rn. 10,26 zu Art. 5; Wilmowsky, P. von, Bestandsaufuahme, S. 414. 222 EuGHE 1991, Rs. C-202/88 - Telekonununikations-Endgeräte -, S. 1223, 1269; Matthies, H., Grabitz-Konunentar, Rn. 8 zu Art. 30; s. auch Jarass, H., Grundfreiheiten, S. 608.

11. AnwendWlg der Grundfreiheiten Wld Politiken auf Abfälle

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-autarkie sollen Abfälle als "Gegenstände besonderer Art "223 möglichst nah am Ort ihrer Erzeugung von ihren Verursachern beseitigt werden, um ihre Verbringung so weit wie möglich einzuschränken. Ein treffendes Beispiel bildet die Abfallverbringungs-VO (EWG) Nr. 259/93, die den Abfalltransport weitgehend einschränkt. Wäre diese Einschränkung nicht gemäß den Gedanken des Prinzips der Nähe, des Vorranges fiir die Verwertung und des Grundsatzes der Entsorgungsautarkie aus Art. 130 r Abs. 2 Uabs. 1 S. 3 EGV gerechtfertigt, läge ein Verstoß des Sekundärrechtes gegen das Primärrecht vor. Der Rat hat sich aber gerade wohlüberlegt - seine weiten Ermessensgrenzen nicht überschreitend224 - fiir diese VO entschieden. Der EuGH hätte demnach den Abfallhandel generell vom Anwendungsbereich des Art. 30 EGV ausnehmen können, da Abfall seiner Meinung nach zwar eine Ware, aber keine Ware i.S.d. Art. 30 ff. EGV darstellt. Die Fragen der Nicht-Diskriminierung einzelner Abfalle und der Rechtfertigung durch ein zwingendes Erfordernis hätten sich somit nicht gestellt, und der EuGH wäre nicht gezwungen gewesen, alle nicht-wallonischen Abfalle mit den wallonischen gleichzusetzen. Die tatbestandliehe Heranziehung der Cassis-de-Dijon-Formel war lediglich so lange erforderlich, wie die Art. 130 r ff. EWGV nicht existierten225 : um einen Verstoß gegen Art. 30 EWGV verneinen zu können, brauchte man in vergleichbaren Fällen das zwingende Erfordernis des Umweltschutzes, der den freien Warenverkehr einschränken kann226 , vorausgesetzt jedoch, inländische und importierte Waren wurden gleichbehandelt. Insbesondere Art. 130 r Abs. 2 Uabs. I S. 3 EGV macht diese Konstruktion überflüssig und fiihrt zur NichtAnwendbarkeit des Art. 30 EGV.

223 EuGHE 1992, Rs. C-2/90 - Wallonien -, S. 4431, 4479. 224 Vgl. Sommer, 1., S. 255 f. 225 Epiney, A, a.a.O., S. 99 spricht davon, daß der Gerichtshof eine teleologische ErweitefWlg der Cassis-de-Dijon-Fonne1 vorgenommen bzw. die "inunanente(n) Grenzen der Anwendbarkeit des Art. 30 EWGV" ausfonnuliert hat. Sie kommt damit zum gleichen Ergebnis wie der Autor, bleibt aber innerhalb des AnwendWlgsbereiches des Art. 30 EGV. 226 EuGHE 1988, Rs. 302/86 - GetränkeverpackWlgsfall-, S. 4607,4630.

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D. Einzelne rechtliche Probleme der EG-Abfallpolitik 4. Anwendbarkeit der Art. 59 ff. EGV

Die Dienstleistungsfreiheit der Art. 59 ff. EGV erstreckt sich grundsätzlich auf alle Dienstleistungen, welche die Definiton des Art. 60 Uabs. 1 EGV erfullen: a) Definition der Dienstleistung i.S.d. Art. 59 ff. EGV Zu den Dienstleistungen gemäß Art. 60 Uabs. 1 EGV sind alle Leistungen zu rechnen, die in der Regel gegen Entgelt227 erbracht werden, soweit sie nicht den Vorschriften zur Warenverkehrs-, zur Kapitalverkehrsfreiheit und zur Freizügigkeit unterliegen. Alle zeitlich beschränkten grenzüberschreitenden Leistungen, insbesondere gewerblicher, kaufmännischer, handwerklicher und freiberuflicher Natur werden davon erfaßt. Eine Gewinnerzielungsabsicht ist nicht erforderlich. Der Begünstigte muß in einem MS ansässig sein. Der Begriff der Dienstleistung wird dabei vom EuGH weit ausgelegt.228 Für das Tatbestandsmerkmal der Grenzüberschreitung gibt es vier mögliche Konstellationen:

l. der Leistungserbringer überschreitet die Grenze (s. z. B. die RL des Rates 771249fEWG vom 22. März 1977 zur Erleichterung der tatsächlichen Ausübung des freien Dienstleistungsverkehrs der Rechtsanwälte229 ); 2. der Leistungsempfanger verläßt sein Land (z.B. Touristen230);

3. beide bleiben in ihren jeweiligen Heimatstaaten, die Dienstleistung überschreitet die Grenze (beispielsweise Hörfunk- und Femsehsendungen231 ); 4. beide verlassen ihre Heimatstaaten und erbringen bzw. empfangen die Dienstleistung in einem dritten MS232.

227 S. dazu kritisch Borries, R. von, S. 474 f. 228 VgI. Randelzhofer, A., in Grabitz-Kommentar, Rn. 1 ff. zu Art. 60 ff; Troberg, P. in GTE, Bd. 1, Rn. 1 ff. zu Art. 60. 229 ABI. der EGen v. 26. März 1977, L 78, S. 17 f. 230 VgI. EuGHE 1984, verb. Rs. 286/82 und 26/83 - Luisi und Carbone -, S. 377 ff. 231 EuGHE 1974, Rs. 155/73 - Sacchi -, S. 409 ff.; E 1980, Rs. 52/79 - Debauve -, S. 833 ff.; E 1988, Rs. 352/85 - Bond van Adverteerders -, S. 2085 ff. 232 EuGHE 1991, Rs. C-154/89, S. 659 ff.; E 1991, Rs. C-180/89, S. 709 ff.

II. Anwendung der Gnmdfreiheiten und Politiken auf Abfälle

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Sammlung, Verwertung, Lagerung, Verbrennung etc. von Abfällen sind Wirtschaftsvorgänge, die im allgemeinen gegen Entgelt vorgenommen werden. Die europarechtlich einschlägigen Dienstleistungen unterfallen typischerweise der dritten genannten Konstellation (z.B. Verbringung von Altpapier von einem MS in einen anderen; Deponierung, Verbrennung, Konditionierung und Zwischenlagerung nuklearer Abfälle im EG-Ausland), weil die im Inland vorzunehmende Dienstleistung im Ausland erfolgt, nachdem die Abfälle die Grenze überschritten haben. Man kann auch von exportierten Dienstleistungen sprechen, was der umgekehrten Niederlassungsfreiheit entspricht (im letzteren Fall erbringt ein EG-Ausländer ständig Dienstleistungen in einem EG-MS, z.B. betreibt ein Niederländer eine Abfallverbrennungsanlage in Deutschland; im ersten Fall bleibt der Dienstleistende beispielsweise in seinem Heimatstaat und deponiert Abfälle aus einem anderen MS). Handelt es sich bei den Dienstleistungen allerdings um bloße Beförderungen des Abfalles, hat also das Transportunternehmen, dessen Dienstleistungen lediglich Zwischenstufen im Prozeß der Abfallbeseitigung darstellen, keinerlei eigenes Interesse an der Abfallverwertung oder -entsorgung, so scheidet die Anwendbarkeit der Art. 59 ff. EGV aus, weil für diesen Fall die Art. 74 ff. EGV als leges speciales gemäß Art. 61 Abs. 1 EGV die Dienstleistungsvorschriften vollständig verdrängen233 .

233 Vgl. EuGHE 1989, Rs. C-49/89 - Corsica Ferries France -, S. 4441,4456. Bezüglich der Abfallbeseitigung sind die Art. 74 ff. EGV von untergeordneter Bedeutung, so daß nur kurz einige wesentliche Bemerkungen erfolgen sollen. Dadurch, daß die Verkehrspolitik eine Gemeinschaftsaufgabe darstellt, verlieren die MS ihre Regelungskompetenz, sobald die EG tätig wird (s. EuGHE 1971, Rs. 22170 - AE1R -, S. 263 ff.; E 1976, verb. Rs. 3,4 und 6176 - Kramer -, S. 1279 ff.). Die allgemeine Kompetenznorm ftJ.r den Rat in Art. 75 EGV umfaßt eine sehr weite Rechtsetzungsermächtigung, da der Rat nach Abs. I lit. d ermächtigt ist, "alle ... zweckdienlichen Vorschriften" zu erlassen. Sie wird durch die besondere Kompetenz des Art. 79 EGV ergänzt, der als Ausfluß des Art. 6 EGV einen Sonderfall der Preisdiskriminierung auf dem Gebiet des Verkehrs regelt. Die Gemeinschaftsorgane müssen allerdings hinsichtlich Maßnalunen auf dem Gebiet der BefOrderungsentgelte und -bedingungen gemäß Art. 78 EGV die wirtschaftliche Lage der MS-Verkehrsunternehmen beachten, d.h., neben den gemeinschaftlichen Belangen müssen die eigenwirtschaftlichen Interessen der Unternehmen berücksichtigt werden. Rentabilitätsgefährdende Eingriffe zugunsten der EG-Wirtschaftsinteressen sind demnach nicht möglich (Schweitzer, M./Hummer, W., S. 424, Rn. 1396). Solange noch keine gemeinschaftlichen Vorschriften nach Art. 75 Abs. I EGV erlassen wurden, sind die MS gemäß der Stillhalteverpflichtung des Art. 76 EGV verpflichtet, die Verkehrsunternehmer anderer MS im Vergleich zu den inländischen Verkehrsunternehmen aufgrund einer Änderung bestehender bzw. des Erlasses neuer Vorschriften nicht schlechter zu stellen. Eine SchlechtersteIlung liegt vor, wenn eine neue innerstaatliche Vorschrift die Stellung des fremden Unternehmens weiter von der

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D. Einzelne rechtliche Probleme der EG-Abfallpolitik b) Inländergleichbehandlung und Abschaffung aller Beschränkungen

Nach ständiger Rechtsprechung des EuGIf234 enthält Art. 59 EGV - vergleichbar dem Art. 30 EGV - nicht nur das Gebot der Inländergleichbehandlung, sondern darüber hinaus ein allgemeines Beschränkungsverbot für Behinderungen im grenzüberschreitenden Dienstleistungsverkehr. Das Inländergleichbehandlungsgebot bedeutet, daß ausländische Dienstleistende wie inländische behandelt werden müssen. Jeder, der in einem MS befugt tätig ist, soll seine Tägikeiten auch auf die anderen MS erstrecken können235 . Dabei werden unmittelbare und mittelbare Diskriminierungen gleichermaßen erfaßt. Eine unmittelbare Diskriminierung ist gegeben, wenn eine MS-Maßnahme einen EG-Ausländer wegen seiner Staatsangehörigkeit benachteiligt. Im Bereich der Abfallpolitik ist das beispielsweise denkbar, wenn ein MS bestimmt, daß die Abfallbesitzer ihren Abfall den zuständigen kommunalen Entsorgungskörperschaften des öffentlichen Rechtes andienen müssen (s. z.B. § 9 a Abs. 2, 3 AtomG), weil dann ausländische Entsorgungsunternehmen an einem Tätigwerden gehindert werden, da die Ablieferungspflicht einen protektionistischen Effekt zugunsten der einheimischen Dienstleistenden zur Folge hat. Bei mittelbaren Diskriminierungen stellt der MS dagegen auf scheinbar neutrale und unterschiedslos für In- und Ausländer Geltung beanspruchende Kriterien wie Wohnsitzerfordernisse oder Sprachkenntnisse ab. 236 Da Inländer diese Anforderungen automatisch erfiillen, werden ausschließlich EG-Ausländer betroffen und benachteiligt.

InländergleichbehandlWlg entfernt als dies nach den bei Inkrafttreten des EWG-Vertrages geltenden Vorschriften der Fall war (vgl. Erdmenger, J., in GTE, Bd. I, Rn. 9 zu Art. 76; EuGHE 1992, Rs. C-195/90 - Schwerverkehrsabgabe -, S. 3141 fI). Daraus folgt jedoch, daß mitgliedstaatliche Maßnahmen, die sich gleich Wlgüllstig auf einheimische wie auf VerkehrsWlternehmen aus anderen MS auswirken, erlaubt sind. Da der Rat nach dem ermahnenden Urteil zur Verkehrspolitik von 1985 (EuGHE 1985, Rs. 13/83, S. 1513 fT.) mehrere Rechtsakte zur NeuordnWlg des europäischen Güterkraftverkehrs erlassen hat, ist die BedeutWlg der stand-stilI-Klausel des Art. 76 EGV relativ gering geworden. 234 EuGHE 1974, Rs. 33/74 - van Binsbergen -, S. 1299, 1309; E 1975, Rs. 39/75Coenen -, S. 1547, 1554; E 1982, verb. Rs. 62 Wld 63/81 - SecolEvi -, S. 223,235; E 1986, Rs. 205/84 - VersicheTWlgsaufsichtsgesetz -, S. 3755, 3802. 235 Vgl. Troberg, P., in GTE, Bd. I, Rn. 5 f. vor Art. 59-66. 236 Vgl. Urteil Coenen, a.a.O.

II. Anwendung der Grundfreiheiten und Politiken auf Abtalle

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Das Beschränkungsverbot entwickelt absoluten Charakter und wird vom EuGH extensiv ausgelegt.237 Das bedeutet, daß jegliche den freien Dienstleistungsverkehr ungerechtfertigt behindernden, hemmenden oder beschränkenden nationalen Maßnahmen verboten sind. 238 Dazu zählen alle Reglementierungen wie absolute Verbote, Verbote mit Befreiungsvorbehalt, Verbote mit Erlaubnisvorbehalt u.ä. Von der Ausnahmevorschrift des Art. 55 Uabs. 2 EGy239 hat der Rat bisher noch keinen Gebrauch gemacht. c) Einschränkbarkeit der Dienstleistungsfreiheit durch die MS Trotz dieser extensiven Auslegung des Art. 59 EGV besitzen die MS die Möglichkeit, einschränkende Maßnahmen zu erlassen, was auch im Bereich der Abfallbeseitigung von großer Bedeutung ist.

aa) Tatbestandsimmanente Einschränkungen Das Beschränkungsverbot ist dann nicht verletzt, wenn eine tatbestandsmäßige Einschränkung einschlägig ist, d.h., wenn mitgliedstaatliche Regelungen gegeben sind, die in bezug auf die betreffende Tätigkeit zwingende Gründe des Allgemeinwohles verfolgen, das in Rede stehende Interesse nicht bereits durch Vorschriften des MS, in dem der Dienstleistungserbringer niedergelassen ist, gewahrt wird, die Regelung sachlich geboten ist und es fiir die Erreichung des Zieles kein milderes Mittel gibt. 240 Die Regelungen müssen dabei unterschiedslos auf alle Dienstleistungen ohne Rücksicht auf ihren Ursprung angewendet werden241 . Der EuGH hat bisher folgende Gründe als "zwingende Gründe" anerkannt: Berufsregeln zum Schutz der Dienstleistungsempfanger; Schutz des geistigen Eigentums; Arbeitnehmer- und Ver-

237 S. Urteil Versicherungsaufsichtsgesetz, a.a.O. 238 Seidel, M., DLF, S. 126 tT.; Streil, J., in BBPS, 9.6.3. 239 S. Randelzhofer, A., in Grabitz-Kommentar, Rn. 12 ff zu Art. 55; Wilmowsky, P. von, Abfallwirtschaft, S. 96 f m.w.N. 240 Urteil Versicherungsaufsichtsgesetz, a.a.O., S. 3803; EuGHE 1991, Rs. C-154, 180 und 198/89 - Fremdenführerfälle -, S. 659,686; 709, 722 f; 727, 740 f; E 1991, Rs. C-76/90 - Säger -, S. 4221,4244. 241 Vgl. Urteil Säger, a.a.O., S. 4243 f 13 Zacker

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D. Einzelne rechtliche Probleme der EG-Abfa11politik

braucherschutz; Erhaltung des nationalen, historischen und künstlerischen Erbes; Aufwertung der archäologischen, historischen und künstlerischen Reichtümer und die bestmögliche Verbreitung von Kenntnissen über das künstlerische und kulturelle Erbe eines Landes242 ; Schutz der gesellschaftlichen Ordnung243 ; sozialpolitische Erwägungen und Schutz vor Betrug244 sowie Sicherung eines pluralistischen und nicht-kommerziellen Hörfunk- und Fernsehprogrammes245 . Wegen der sehr ähnlichen Fonnulierung im Cassisde-Dijon-Urteil, der darauf bezugnehmenden Rechtsprechung und der Vergleichbarkeit von Dienstleistungen und Waren246 ist Troberg247 und Martin248 zu folgen, welche die dort zusätzlich genannten "zwingenden Gründe", also Umweltschutz, wirksame steuerliche Kontrolle und Lauterkeit des Handeisverkehrs, ebenso im Rahmen der Dienstleistungsfreiheit berücksichtigt wissen wollen. Im Bereich des Abfallsektors kommen insbesondere die bereits oben249 ausfiihrlich erörterten Umweltschutzgründe zur Einschränkung der Dienstleistungsfreiheit in Betracht; sie sind gemäß Art. 130 r Abs. 2 Uabs. 1 S. 3 EGV ausdrücklich im Rahmen aller Gemeinschaftspolitiken zu beachten250 . Ferner ist denkbar, daß Gründe des Gesundheitsschutzes weitere Einschränkungen bedingen können. Die vom EuGH im Wallonien-Urteil 251 und im Urteil zur Abfallverbringungs-V0252 angeführten Erwägungen, die Warenverkehrsfreiheit aus Gründen des Umwelt-, des Gesundheitsschutzes sowie der öffentlichen Sicherheit und Ordnung einzuschränken, sind nämlich auf die Beschränkung der Dienstleistungsfreiheit als vergleichbarer Grundfreiheit übertragbar. Im dortigen Rahmen hat der Gerichtshof darauf hingewiesen, daß

242 Zu a11 diesen Gründen s. exemplarisch EuGHE 1991, Rs. C-288/89 - Gouda-,

S. 4007,4041 m.w.N.

243 EuGHE 1978, Rs. 15/78 - Koestler -, S. 1971,1980. 244 EuGHE 1994, Rs. C-275/92 - Süddeutsche Klassenlotterie -, S. 1039, 1096 f 245 EuGHE 1994, Rs. C-23/93 - TV 10 -, S. 4795, 4832 f 246 S. Kommision der EGen, Business Law Europe v. 10. Januar 1994, S. 2 f 247 In GTE, Bd. 1, Rn. 21 ff. zu Art. 59. 248 S. 576 Fn. 86. 249 S.o. 3, e. 250 Vgl. Schröder, M., Abfallrecht, S. 131 f.; Jahns-Böhm, J/Breier, S., S. 50 f 251 EuGHE 1992, Rs. C-2/90, S. 4431,4477. 252 EuGHE 1994, Rs. C-187/93, S. 2857,2881 f.

II. AnwendWlg der Gnmdfreiheiten Wld Politiken auf Abfälle

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die Prinzipien der Nähe, des Vorranges fiir die Verwertung und der Entsorgungsautarkie bereits im Abfallsekundärrecht Ausdruck gefunden haben, was insoweit ein zusätzliches Argument fiir die Tatbestandsreduktion der Art. 59 f. EGV ist. So hat der EuGH im Urteil zum deutschen Abfallgesetz253 - ohne auf die Art. 30 und 59 EGV einzugehen, weil abschließendes Sekundärrecht vorlag - anerkannt, daß der Grundsatz der Inlandsentsorgung dem europarechtliehen Quellenprinzip und dem Prinzip der Entsorgungsnähe (Art. 130 r Abs. 2 Uabs. 1 S. 2 EGV) entspricht, wenn die Genehmigung der grenzüberschreitenden Abfallverbringung aus folgenden Gründen versagt wird: mögliche Beeinträchtigung des Allgemeinwohles, Bedenken gegen die Zuverlässigkeit der Beförderer, entgegenstehende Abfallentsorgungspläne, Existenz geeigneter innerstaatlicher Abfallentsorgungsanlagen, schwerwiegende Folgen fiir die Umwelt im eigenen Staat durch die Beseitigung im Aufnahmestaat254 . Entsprechen diese Einschränkungen dem Sekundärrecht, so besteht kein Grund, sie nicht auch als mögliche Fälle einer Tatbestandsreduktion der Art. 59 f. EGV anzusehen. bb) Einschränkbarkeit durch Art. 66 i. v.m. 55 Uabs. 1 EGV

Die Art. 66 i. V.m. 55 Uabs. 1 EGV versagen die Anwendbarkeit der Dienstleistungsfreiheit auf Tätigkeiten, die in einem MS dauernd oder zeitweise mit der Ausübung öffentlicher Gewalt verbunden sind. Die Abfallbeseitigung beispielsweise in der Bundesrepublik Deutschland zählt generell zur öffentlichen Daseinsvorsorge255 (Beispiel: im Atomrecht gibt es ein staatliches Monopol für die End- und Zwischenlagerung, das durch die Ablieferungspflicht des § 9 a Abs. 2 AtomG abgesichert wird), so daß die Dienstleistungsfreiheit keine Anwendung finden könnte, falls bei der Abfallbeseitigung öffentliche Gewalt ausgeübt würde. Das Tatbestandsmerkmal "Ausübung öffentlicher Gewalt" ist im EG-Vertrag nicht definiert. Es findet sich lediglich ein ähnlicher Begriff in Art. 48 Abs. 4 EGV, der von der "Beschäftigung in der öffentlichen Verwaltung" spricht. Die Rechtsprechung des EuGH zu Art. 55 EGV, die ebenfalls nicht

253 Urteil v. 10. Mai 1995, Rs. C-422/92, EWS 1995, S. 233,236. 254 S. zum letzten Gnmd schon Schreier, A., S. 263. 255 Vgl. z.B. BVerwGE 85, S. 44, 47 m.w.N., s. auch Kempis, K. von, S., 357 m.w.N.; Dieckmann, M., Abfallrecht, S. 183 ff.; s. auch Wilmowsky, P. von, Abfallwirtschaft, S. 105 f. m.w.N. 13·

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D. Einzelne rechtliche Probleme der EG-Abfallpolitik

klar definiert, was unter öffentlicher Gewalt zu verstehen ist, stellt darauf ab, ob im Einzelfall eine Tätigkeit "unmittelbare und spezifische Teilnahme an der Ausübung öffentlicher Gewalt" aufweist256 . Dabei überläßt der EuGH zwar den MS bei der Ausgestaltung der Tätigkeiten die Wahl zwischen Ausübung öffentlicher Gewalt und privatrechtlichem Handeln, legt bei der individuellen Prüfung dann aber gemeinschaftsrechtliche Schranken an, die verhindern sollen, daß der Vertrag durch einseitige Maßnahmen der MS seiner Wirksamkeit beraubt wird257 . GA Mayras präzisierte das, indem er die Ausübung öffentlicher Gewalt durch ein Über-lUnterordnungsverhältnis gekennzeichnet sah, wobei der Staat den Bürgerinnen und Bürgern gegenüber von Sonderrechten, Hoheitsprivilegien und Zwangsbefugnissen Gebrauch macht258 . Etwas konkreter ist dagegen die Rechtsprechung zu Art. 48 Abs. 4 EGV, die dafiir, ob eine Tätigkeit eine Beschäftigung in der öffentlichen Verwaltung darstellt, eine zweistufige Prüfung verlangt, weil es sich bei dem Tatbestandsmerkmal wie im Rahmen des Art. 55 Uabs. 1 EGV um einen Gemeinschaftsbegriff handelt259 : Auf der ersten Stufe muß geprüft werden, ob eine Beschäftigung nach dem Recht des einzelnen MS überhaupt zur öffentlichen Verwaltung zählt und den Bürgerinnen und Bürgern gegenüber die Befugnis zur Wahrnehmung von Sonderrechten, Hoheitsprivilegien oder gar Zwangsbefugnissen enthält. Ist das nicht der Fall, so ist Art. 48 Abs. 4 EGV von vornherein unanwendbar. Anderenfalls stellt sich auf der zweiten Stufe die gemeinschaftsrechtliche Frage, ob die Beschäftigung einen Zusammenhang mit den spezifischen Tätigkeiten der öffentlichen Verwaltung aufweist und diese mit der Ausübung hoheitlicher Befugnisse und/oder mit der Verantwortung fiir die Wahrung der allgemeinen Belange des Staates befaßt sind, so daß der jeweilige Stelleninhaber besonders dem Staat verbunden sein muß und die dem Staatsangehörigkeitsband zugrunde liegende Gegenseitigkeit von Rechten und Pflichten gegeben ist. 260 256 EuGHE 1974, Rs. 2/74 - Reyners -, S. 631, 654. 257 Urteil Reyners, a.a.O., S. 655. 258 Ibid., S. 665. 259 H.M., s. z.B. Randelzhofer, A., in Grabitz-Kommentar, Rn. 59 f zu Art. 48; a.A. z.B. Lecheier, H., Integration, S. 23 f. und passim. 260 Vgl. EuGHE 1980, Rs. 149/79 - SNCB -, S. 3881, 3901, 3903; E 1987, Rs. 225/85 - CNR -, S. 2625,2638 f; E 1989, Rs. 33/88 - Allue -, S. 1591, 1609; Grabitz, E., Abfall, S. 455 f

II. AnwendWlg der Grundfreiheiten Wld Politiken auf Abfälle

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Diese Zweistufigkeit der Auslegung kann auf Art. 55 EGV übertragen werden. Im Zusammenhang mit Art. 52 EGV hat der EuGH zusätzlich entschieden, daß die Einschränkung des Art. 55 Uabs. 1 EGV nicht greift, wenn eine Tätigkeit zwar auch mit der Ausübung öffentlicher Gewalt befaßt ist, das aber nicht den Schwerpunkt der Beschäftigung bildet. 261 Für die Abfallbeseitigung bedeutet das, daß Art. 55 Uabs. 1 EGV nicht einschlägig ist. Ein MS kann zwar einzelne Abfallmaßnahmen hoheitlich regeln (s. z.B. in der Bundesrepublik Deutschland die Zulassung von Abfallentsorgungsanlagen, § 7 AbfG2 62 ; die Entsorgungsüberwachung, § 11 AbfG2 63 ; die Genehmigung des Einsammelns und der Beförderung der Abfalle, § 12 Abfa2 64 ; die Ablieferungs-/Annahmepflichten nach §§ 9 a Abs. 2, 3 Atoma2 65 ; 81 ff. StrahienschutzV0266), doch handelt es sich beim faktischen Vollzug der Maßnahmen um eine rechtlich neutrale Realhandlung, bei der keine öffentliche Gewalt den Bürgerinnen und Bürgern gegenüber ausgeübt wird. Einsammeln, Transport, Deponierung, Verbrennung von Abfallen etc. unterscheiden sich nicht von sonstigen privatrechtlich erbrachten Dienstleistungen. Das Staatsangehörigkeitsband kommt nicht zum Tragen; denn die besagten Dienstleistungen können von EG-Ausländern genau so gut wie von Inländern erbracht werden. 267

ce) Einschränkbarkeit durch Art. 66 i. Vm. 56 Abs. I EGV Die Dienstleistungsfreiheit kann ferner gemäß Art. 66 i. Y.m. 56 Abs. 1 EGV durch Sonderregelungen fiir Ausländer aus Gründen der öffentlichen Ordnung, Sicherheit oder Gesundheit eingeschränkt oder ganz ausgeschlossen werden, wobei die getroffenen staatlichen Maßnahmen nicht in einem Mißverhältnis zum angestrebten Ziel stehen dürfen, also sich darauf beschränken

261 Urteil Reyners, a.a.O., S. 655. 262 S. ausfilhrlich Schreier, A., S. 170 ff.

263 Kunig, P., in KSV, Rn. 8 tr zu § 11 m.w.N.

264 Versteyl, L.-A., in KSV, Rn. 6 f., 18 tr zu § 12 m.w.N. 265 Haedrich, H., Rn. 31 zu § 9 a. 266 Kramer, R./Zerlett, G., ErläutefWlgen 1 ff. zu § 81; 1 ff. zu § 82; 3 zu § 84. 267 Vgl. Grabitz, E., a.a.O., S. 456, Dieckmann, M., a.a.O., S. 83; Wilmowsky, P. von, a.a.O., S. 109 ff.; Schröder, M., Abfallrecht, S. 132; a.A. Kempis, K. von, S. 357; Höse1, G./Lersner, H. von, Rn. 2 zu § 13 c.

198

D. Einzelne rechtliche Probleme der EG-Abfallpolitik

müssen, was zum Schutz der nationalen Interessen notwendig ist. 268 Außer der allgemeinen Störung der öffentlichen Ordnung, die schon jede Gesetzesverletzung darstellt, ist eine tatsächliche und hinreichend schwere Gefährdung, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt, nötig269 . Bei den Sonderregelungen fiir Ausländer darf es sich nur um personenbezogene Vorschriften handeln, d.h. um Einschränkungen der Dienstleistungsfreiheit aufgrund der Ausländereigenschaft (z.B. Vorschriften über die Einund Ausreise, das Meldewesen, die Ausweisung). Sachbezogene Vorschriften, die beispielsweise wirtschaftliche Ziele270 verfolgen, sind als Anknüpfungspunkt ausgeschlossen. 271 Vorschriften wie der deutsche Anschluß- und Benutzungszwang272 , die gleichbedeutend mit einem Abfall-Exportverbot fiir deutsche Gewerbetreibende sind, können also gemäß Art. 56 EGV nicht gerechtfertigt werden, weil der Anknüpfungspunkt "Ausländereigenschaft" nicht gegeben ist. Aber auch das sonstige Abfallregime knüpft grundsätzlich an die Umwelt- und Gesundheitsgefahren an, die vom Objekt Abfall selbst ausgehen, und nicht an die Person der ausländischen Dienstleistenden. Schließlich sind die Schutzgüter öffentliche Sicherheit, Ordnung und Gesundheit dann nicht einschlägig, wenn nicht zu besorgen ist, daß EG-Ausländer die entsprechenden Dienstleistungen schlechter als Inländer erbringen. Solange Abfälle sachgemäß behandelt werden, können die MS Art. 56 EGV nicht fruchtbar machen. 273

dd) Einschränkbarkeit durch Art. 90 EGV Gemäß Art. 90 Abs. I EGV können die MS öffentliche Unternehmen und Unternehmen mit besonderen oder ausschließlichen Rechten zulassen, sind jedoch wegen ihres besonderen Einflusses auf das Verhalten dieser Unternehmen verpflichtet, jedwede Wettbewerbsverzerrung durch sie zu vermeiden. Es

268 EuGHE 1988, Rs. 352/85 - Bond van Adverteerders -, S. 2085, 2134 f. 269 EuGHE 1977, Rs. 30/77 - Bouchereau -, S. 1999,2013. 270 S. Urteil Bond van Adverteerders, a.a.O., S. 2135. 271 Randelzhofer, A.,

357 f.

in Grabitz-Kommentar, Rn. 1 zu Art. 56; vgl. Roth, W.-H., S.

272 S. dazu Wilmowsky, P. von, Abfallwirtschaft, S. 302 ff.; Schreier, A., S. 262 ff. 273 Vgl. Grabitz, E., Abfall, S. 456 f.

n. Anwendung der Gnmdfreiheiten und Politiken auf Abfhlle

199

soll damit - unabhängig von den nationalen Eigentumsordnungen - sichergestellt werden, daß öffentliche, Monopol- und private Unternehmen gleichbehandelt werden. Denkbar wäre zum Beispiel eine mitgliedstaatliche Vorschrift, die nur öffentlichen Unternehmen den Abfallexport erlaubt. Nach Art. 2 Abs. 1 Spstr. 2 RL der Kommission 80/7231EWG über die Transparenz der finanziellen Beziehungen zwischen den MS und den öffentlichen Unternehmen274 sind "öffentliche Unternehmen" die Unternehmen, auf welche die öffentliche Hand aufgrund Eigentums, finanzieller Beteiligung, Satzung oder sonstiger Bestimmungen, welche die Tätigkeit der Unternehmen regeln, unmittelbar oder mittelbar einen beherrschenden Einfluß ausüben kann. Diese fallen jedenfalls unter den Begriff in Art. 90 Abs. 1 EGV. Gemäß der Vermutung des Abs. 2 wird ein "beherrschender Einfluß" ausgeübt, wenn die öffentliche Hand unmittelbar oder mittelbar die Mehrheit des gezeichneten Unternehmenskapitals besitzt, über die Mehrheit der Stimmrechte verfUgt oder mehr als die Hälfte der Mitglieder des Verwaltungs-, Leitungs- oder Aufsichtsorgans bestellen kann. Das typische Merkmal solcher Unternehmen ist also das Fehlen ihrer wirtschaftlichen Autonomie gegenüber der öffentlichen Hand. 275 Zu den mit besonderen oder ausschließlichen Rechten ausgestatteten Unternehmen zählen im wesentlichen beliehene und konzessionierte Unternehmen (z.B. TÜV) sowie Monopolisierungen ganzer Wirtschaftszweige (z.B. Telekommunikation). Der EuGH276 hat klargestellt, daß die MS auch im öffentlichen Sektor sämtliche Vorschriften des EG-Vertrages beachten müssen und ihre öffentlichen Unternehmen nicht bevorzugen dürfen. Obwohl der Vertragswortlaut bereits das Bestehen von Unternehmen mit besonderen oder ausschließlichen Rechten voraussetzt und lediglich die Ausübung dieser Rechte gewissen Regeln unterwirft, hat der EuGH in jüngster Zeit entschieden, daß sogar schon die Einräumung ausschließlicher Rechte gegen die Art. 86 und 90 Abs. 1 EGV

274 ABI. der EGen v. 29. Juli 1980, L 195, S. 35,36. 275 Vgl. Pernice, 1., in Grabitz-Kommentar, Rn. 17 zu Art. 90; Beispiele in Deutschland: Eigenbetriebe, Sondervennögen, Körperschaften, Anstalten und Stiftungen des öffentlichen Rechtes, Privatuntemelunen wie RWE. 276 EuGHE 1982, verb. Rs. 188-190/80 - Transparenz-RL -, S. 2545, 2575.

200

D. Einzelne rechtliche Probleme der EG-Abfallpolitik

verstoßen kann. Das ist der Fall, wenn die Rechtsübertragung eine Lage schaffen könnte, in der das Unternehmen seine Stellung mißbräuchlich ausnutzt. 277 Spezielle Ausnahmen sind gemäß Abs. 2 für sogenannte betraute Unternehmen und Finanzmonopole zulässig. Dieser Absatz will die Interessen der MS am Einsatz bestimmter Unternehmen (insbesondere des öffentlichen Sektors) als Instrument der Wirtschafts- oder Fiskalpolitik und das Gemeinschaftsinteresse an der Einhaltung der Wettbewerbsregeln und der Wahrung der Einheit des GM in Einklang bringen278 . Für diese Unternehmen gelten die Vertragsvorschriften279 nur soweit, wie sie nicht die Erfüllung der den Unternehmen übertragenen besonderen Aufgaben rechtlich oder tatsächlich verhindern. Insbesondere für die Nichtbeachtung der Wettbewerbsvorschriften führt die Kommission280 aus, daß eine eventuelle Einschränkung der Einhaltung dieser Vorschriften lediglich dann zu erwägen ist, wenn das Unternehmen keine anderen technisch möglichen und wirtschaftlich realisierbaren Mittel besitzt, um seine Aufgaben zu erfüllen. Die Aufgabenwahrnehmung darf nicht nur erschwert werden, sondern müßte ausgeschlossen sein. Ist das der Fall, darf jedoch nie die Entwicklung des Handelsverkehrs in einem mit dem Interesse der Gemeinschaft unvereinbaren Ausmaß beeinträchtigt werden. Eine Beeinträchtigung ist gegeben, wenn "die fragliche Abweichung vom Vertrag die Grundsätze des freien Warenaustauschs in vom Wettbewerb bestimmten binnenmarktähnlichen Verhältnissen insgesamt und nicht nur für einzelne Produkte beeinflußt"281. Die spürbare Begrenzung oder Um-

277 EuGHE 1991, Rs. C- 179/90 - Porto di Genova -, S. 5889,5928. 278 EuGHE 1991, Rs. C-202/88 - Endgeräte -, S. 1223,1263. 279 Wie das EuGH-Urteil zur Transparenz-RL zeigt, können sämtliche Vorschriften des EG-Vertrages und nicht nur die Wettbewerbsregeln eingeschränkt werden, soweit nicht die Gemeinschaftsinteressen am Handelsverkehr verletzt sind (vgl. Pernice, I., in Grabitz-Kommentar, Rn. 58 zu Art. 90; Matthies, H., in Grabitz-Kommentar, Rn. 4 zu Art. 37; Randelzhofer, A, in Grabitz-Kommentar, Rn. 57 zu Art. 59). Das dagegen von von Wilmowsky (Abfallwirtschaft, S. 115 f.) ins Feld gefilhrte Campus-Oil-Urtei1 (EuGHE 1984, Rs. 72/83, S. 2727, 2747) steht dieser Aussage nicht entgegen, da es sich nicht auf Unternelunen, sondern auf mitgliedstaatliches Handeln bezieht (Pernice, 1., a.a.O., Rn. 59 zu Art. 90). AA auch Hochbaum (in GTE, Bd. 2, Rn. 54, 58 zu Art. 90), der allerdings in Rn. 62 Fn. 242 die Warenverkehrs- und Dienstleistungsfreiheit ebenfalls zu den nicht einschränkbaren Vorschriften zählt. 280 Entscheidung 82/371IEWG v. 17. Dezember 1981, NAWENA-ANSEAU (ABI. der EGen v. 15. Juni 1982, L 167, S. 39,48). 281 Pernice, 1., a.a.O., Rn. 55 zu Art. 90.

II. Anwendung der Gnmdfreiheiten und Politiken auf Abfälle

201

lenkung bestimmter grenzüberschreitender Warenströme reicht nicht aus. In jedem Einzelfall ist eine Interessenabwägung zwischen dem allgemeinen Wirtschaftsinteresse des MS und dem Gemeinschaftsinteresse vorzunehmen. Im Rahmen des Abs. 3 achtet die Kommission darauf, daß die MS durch die Einräumung besonderer Rechte Unternehmen nicht der Anwendbarkeit der Vertragsregelungen entziehen. Zu den Unternehmen i.S.d. Abs. 2 können öffentliche und private Unternehmen zählen, unabhängig davon, ob sie Abs. 1 unterfallen, da es hier allein auf die Aufgabenübertragung ankommt. 282 Die Unternehmen müssen mit Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse betraut sein, d.h., ihnen müssen Aufgaben durch Hoheitsakt der öffentlichen Gewalt oder einen vergleichbaren Akt übertragen worden sein. 283 Unter den genannten Dienstleistungen versteht man Versorgungsleistungen i.w.S., also wirtschaftliche Aktivitäten zur Sicherung von Infrastruktur und Daseinsvorsorge (ein typischer Fall ist die Abfallbeseitigung, s. z.B. Art. 5 Abs. 2 Altöl-RL 75/439/EWG i.d.F. der RL 87/101/EWG: Abnahmeverpflichtung für Altöle284). Der Begriff ist nicht auf die Dienstleistungen i.S.d. Art. 60 EGV begrenzt28 .5. Unternehmen, die den Charakter eines Finanzmonopoles besitzen, wurde vom Staat eine Monopolstellung eingeräumt mit dem Zweck, dem öffentlichen Haushalt eine besondere Einnahmequelle zu verschaffen. 286 Als Folge der genannten Voraussetzungen ist festzustellen, daß Art. 90 Abs. 2 EGV als Ausnahmevorschrift eng auszulegen ist. Bezüglich der Abfallpolitik sind kaum Fälle denkbar, in denen MS bzw. ihre Unternehmen Aufgaben nicht wahrnehmen können, ohne sich über insbesondere wettbewerbsrechtliche Gemeinschaftsnormen hinwegzusetzen. Art. 59 f. EGV käme nur dann nicht zur Anwendung, wenn die Dienstleistungsfreiheit die Durchführung der Abfallentsorgung rechtlich oder tatsächlich verhinderte und das In282 Idem, Rn. 31

zu Art. 90.

283 VgI. Hochbaum, 1., in GTE, Bd. 2, Rn. 19 fI.

zu Art. 90.

284 ABI. der EGen v. 12. Februar 1987, L 42, S. 43,44. 285 Pernice, I., a.a.O., Rn. 35 zu Art. 90; Wilmowsky, P. von, Abfallwirtschaft, S.

118.

286 Hochbaum, 1., a.a.O., Rn. 50 zu Art. 90; Beispiele: Branntwein-, Zündwaren-, Sprengstoffinonopole. Sie sind gleichzeitig meist Handelsmonopole und unterfallen deIlUlach auch Art. 37 EGV.

202

D. Einzelne rechtliche Probleme der EG-Abfallpolitik:

teresse der Gemeinschaft am Funktionieren des GM durch abfallrechtliche Maßnahmen - beispielsweise mitgliedstaatliche Verbote der Auslandsverbringung von Abfällen oder des Betriebes von Abfallentsorgungsanlagen im Inland durch EG-Ausländer - in einem unvereinbaren Maße beeinträchtigt würde. Im Falle der genannten Beispiele sind die inländischen Abfallentsorger allerdings weder rechtlich noch tatsächlich an der Durchführung ihrer eigenen Dienstleistungen gehindert. Da Rentabilitätsbefürchtungen (z.B. hinsichtlich mangelnder Auslastung von Deponie- oder Verbrennungsanlagen) allein nicht ausreichen. die übrigen Gemeinschaftsvorschriften außer Kraft zu setzen, scheidet eine Rechtfertigung der Einschränkung der Dienstleistungsfreiheit aufgrund Art. 90 Abs. 2 EGV grundsätzlich aus. 287

III. Primärrechtliche Kompetenznormen zum Erlaß von Abfallrecht und verbleibende mitgliedstaatliehe Kompetenzen zur Rechtsetzung Neben dem Problem, welche Grundfreiheiten auf das Abfallrecht anwendbar sind, ist ferner umstritten, aufgrund welcher gemeinschaftsrechtlicher Kompetenznormen die EGen Abfall-Sekundärrecht erlassen können und welche Kompetenzen die MS im Bereich der Abfallproblematik weiterhin besitz 1. Horizontale Kompetenzkonflikte

a) Problemstellung Das nunmehr in Art. 3 b Uabs. I und Art. 4 Abs. I EGV niedergelegte Prinzip der begrenzten Ermächtigung288 verlangt, daß die Gemeinschaftsorgane nur aufgrund von Normen tätig werden. die ihnen konkrete Befugnisse zuweisen. Die Befugnisse müssen allerdings nicht so detailliert bestimmt sein, daß neben einzelnen Kompetenznormen nicht auch subsidiäre (s. Art. 235 EGV; 203 EAGV; 95 Abs. I EGKSV) und implizite (s. implied-power-Doktrin) Kompetenzen bestehen könnten. Jede Befugnis muß die inhaltlichen

287 Vgl. Grabitz, E., Abfall, S. 454; Kempis, K. von, S. 358; Dieckmann, M., Abfallrecht, S. 84 f 288 Vgl. insbesondere Bogdandy, A. vonlNettesheirn, M., in Grabitz-Kommentar,

Rn. 3 ff. zu Art. 3 b.

ill. Horizontale Wld vertikale Kompetenzkonflikte

203

Anforderungen und Grenzen des Organhandeins erkennen lassen. Da die EGen keine Kompetenz-Kompetenz besitzen, sondern allein die MS durch Kompetenzzuweisung bestimmen, auf welchen Gebieten die Gemeinschaftsorgane wie handeln können, sind die Vorgaben der einzelnen Befugnisnorm von allen Gemeinschaftsorganen genau zu beachten. Das bedeutet zum Beispiel, daß in Fällen, in denen mehrere Kompetenznormen inhaltlich einschlägig sind, eine exakte Kompetenzabgrenzung zu erfolgen hat, um es beispielsweise zu keinen verfahrensmäßigen Überschneidungen kommen zu lassen. Im Bereich des Abfallrechtes als eines Teiles des Umweltrechtes zeigt sich hinsichtlich der in Betracht kommenden Befugnisnormen die Notwendigkeit einer klaren Kompetenzabgrenzung über die "Wahrung des Eigenwertes finaler Kompetenznormen,,289 hinaus an vier Erwägungen: - die Beschlußfassung des Rates kann einstimmig (Art. 100; 130 s Abs. 2 EGV; 7 Uabs. 1 EAGV) oder mit qualifizierter Mehrheit (Art. 43 Abs. 3; 100 a EGV; 31 Uabs. 2; 101 Uabs. 2 EAGV) erfolgen; - die Beteiligung der Organe gestaltet sich unterschiedlich: so verlangt Art. 31 Uabs. 2 EAGV die bloße Anhörung des EP, wohingegen Art. 130 s EGV das Verfahren der Zusammenarbeit (Art. 189 c EGV) und Art. 100 a EGV das Kodezisionsverfahren (Art. 189 b EGV) gebietet; - hinsichtlich der Rechtsetzung erlauben die einzelnen Normen unterschiedliche Arten von Rechtsakten (nach Art. 100 EGV können ausschließlich RLen, gemäß Art. 130 s und 235 EGV alle Arten von Rechtsakten erlassen werden); - wollen MS abweichend vom erlassenen Sekundärrecht strengere Schutzmaßnahmen anwenden, so unterscheiden sich die zu beachtenden Anforderungen: beispielsweise müssen Schutzmaßnahmen gemäß Art. 130 t EGV mit dem gesamten EG-Vertrag vereinbar sein; Art. 100 a Abs. 4 EGV kennt diese Voraussetzung jedoch nicht. b) Bisher herangezogene Kompetenzen Die verfahrensmäßig unterschiedliche Ausgestaltung und das differenzierte Schrankensystem der Befugnisnormen haben zur Folge, daß die Gemeinschaftsorgane - trotz entgegenstehender häufiger Übung - einen Rechtsakt

289 Nettesheim, M., Kompetenzkonflikte, S. 257.

204

D. Einzelne rechtliche Probleme der EG-Abfallpolitik

nicht auf den EG-Vertrag290 oder den EAG-Vertrag291 als Ganzen stützen können292 . Betrachtet man das bisherige Abfallsekundärrecht und das abfallpolitische soft law293 , so erkennt man, daß unterschiedliche Kompetenznormen herangezogen wurden. Stützten sich die Gemeinschaftsorgane im Bereich des EWGVertrages bis zum Erlaß der EEA neben dem gesamten EWG-Vertrag entweder auf die Art. 100 und 235 EWGy294 oder ausschließlich auf Art. 235 EWGy295, so werden seit Einfiihrung der BM-Vorschriften und des Titels zur Umweltpolitik die Art. 43 296 ; 100 a 297 ; l30 q Abs. 2 298 ; l30 s E(W)Gy299 oder wiederum der EWG/EG-Vertrag als Ganzer3° o herangezogen.

290 So aber z.B. die RL 93/861EWG der Konumssion v. 4. Oktober 1993 zur Anpassung der RL 91/1 57IEWG des Rates über gefährliche Stoffe enthaltende Batterien und Akkumulatoren an den technischen Fortschritt (ABI. der EGen v. 23. Oktober 1993, L 264, S. 51 f). 291 So aber z.B. die Entscheidung 93/5521Euratom der Konumssion v. 1. Oktober 1993 zur Einfilhrung des einheitlichen Begleitscheins filr Verbringungen radioaktiver Abflille gemäß der RL 92/3lEuratom des Rates (ABI. der EGen v. 29. Oktober 1993, L 268, S. 83 ff.). 292 Grabitz, E., in EWGV-Kommentar, 3. Erglief, Rn. 8 vor Art. 130 r; der EuGH geht allerdings nicht so weit, sondern läßt es - vor allem mit Bezug auf Art. 190 EGV ausreichen, daß die fehlende Bezugnahme auf eine einzelne Vertragskompetenznorm durch Anhaltspunkte im Rechtsakt auf die zugrunde liegende Rechtsgrundlage "geheilt" wird, s. EuGHE 1987, Rs. 45/86 - APS -, S. 1493, 1519 f 293 S.o. B, II. 294 Vgl. Offermann-Clas, C., Abfallrecht, S. 1127; s. auch Behrens, F., S. 237 ff.; 281 ff. 295 Beispiele sind die Rats-Empfehlung 81/972IEWG v. 3. Dezember 1981 über die Wiederverwendung von Altpapier und die Verwendung von Recyclingpapier (ABI. der EGen v. 10. Dezember 1981, L 355, S. 56 f) und die Rats-RL 85/3391EWG v. 27. Juni 1985 über Verpackungen filr flüssige Lebensmittel (ABI. der EGen v. 6. Juli 1985, L 176, S. 18 ff.). 296 S. RL des Rates 90/6671EWG v. 27. November 1990 zum Erlaß veterinärrechtlicher Vorschriften filr die Beseitigung, Verarbeitung und Vermarktung tierischer Abfälle und zum Schutz von Futtermitteln tierischenVrsprungs, auch aus Fisch, gegen Krankheitserreger sowie zur Änderung der RL 90/4251EWG (ABI. der EGen v. 27. Dezember 1990., L 363, S. 51 ff.). 297 S. Z.B. Rats-RL 9 I/I 57IEWG v. 18. März 1991 über gefährliche Stoffe enthaltende Batterien und Akkumulatoren (ABI. der EGen v. 26. März 1991, L 78, S. 38 ff.). 298 Nunmehr Art. 130 0 Abs. 2 EGV; s. Rats-Beschluß 92/413IEWG v. 29. Juni 1992 über den Abschluß eines Kooperationsabkommens zwischen der EWG und dem

III. Horizontale und vertikale Kompetenzkonflikte

205

Im Bereich der atomaren Abfälle gibt es diesen Schnitt nicht, sondern es wurden und werden insgesamt folgende Befugnisnormen zitiert: Art. 7 301 ; 30 f.302; 31 f. 303 ; 37 und 124304 ; 77 bis 79 und 81 305 ; 101 Uabs. 2 306 ; 124 EAGV307. Für die Sektoren Kohle und Stahl gibt es bisher keine abfallspezifischen Vorschriften. c)Kompetenzabgre~g

Bei der Fülle der genannten Normen ist es geboten, die einzelnen Kompetenzen voneinander abzugrenzen. Dabei stellt sich die Abgrenzung zwischen

Königreich Schweden über Forschung und technologische Entwicklung auf den Gebieten der erneuerbaren Rohstoffe: Forstwirtschaft und Holzprodukte (einschließlich Kork) (FOREST) und der Rückfilhrung von Abfall (REWARD) (ABi. der EGen v. 11. August 1992, L 228, S. 40 fI). 299 S. z.B. RL des Rates 911156IEWG v. 18. März 1991 zur Änderung der RL 75/4421EWG über Abfitlle (ABi. der EGen v. 26. März 1991, L 78, S. 32 ff.).

300 S. z.B. Kommissions-Entscheidung 94/3IEG v. 20. Dezember 1993 über ein Abfallverzeichnis gemäß Art. 1 lit. a) der RL 75/442IEWG des Rates über Abtalle (ABi. derEGen v. 7. Januar 1994, L 5, S. 15 ff.). 301 S. z.B. Rats-Beschluß 75/406IEuratom v. 26. Juni 1975 über ein Programm fiir die Bewirtschaftung und Lagerung radioaktiver Abfälle (ABi. der EGen v. 9. Juli 1975, L 178, S. 28 f.). 302 S. RLen v. 2. Februar 1959 zur Festlegung der Grundnormen fiir den Gesundheitsschutz der Bevölkerung und der Arbeitskräfte gegen die Gefahren ionisierender Strahlungen (ABi. der EGen Nr. 11 v. 20. Februar 1959, S. 221 ff.). 303 S. Rats-VO (Euratom) Nr. 1493/93 v. 8. Juni 1993 über die Verbringung radioaktiver Stoffe zwischen den MS (ABi. der EGen v. 19. Juni 1993, L 148, S. 1 ff.). 304 S. Empfehlung der Kommission 9114IEuratom v. 7. Dezember 1990 betreffend die Anwendung von Art. 37 EAGV (ABi. der EGen v. 9. Januar 1991, L 6, S. 16 ff.). 305 S. VO (Euratom) Nr. 3227/76 der Kommission v. 19. Oktober 1976 zur Anwendung der Bestimmungen der Euratom-Sicherungsmaßnahmen (ABi. der EGen v. 31. Dezember 1976, L 363, S. 1 ff.). 306 S. Beschluß des Rates 80/565IEuratom v. 9. Juni 1980 zur Genehmigung des Wiener Übereinkommens über den Objektschutz von Kemmaterial (ABi. der EGen v. 17. Juni 1980, L 149, S. 41). 307 S. Kommissions-Empfehlung 82/74lEuratom v. 3. Februar 1982 auf dem Gebiet der Lagerung und Wiederaufarbeitung bestrahlter Kernbrennstoffe (ABi. der EGen v. 10. Februar 1982, L 37, S. 36).

206

D. Einzelne rechtliche Probleme der EG-Abfallpolitik

E(W)G-Vertrag und EAG-Vertrag als unproblematisch dar, weil letzterer immer dann einschlägig ist, sobald Regelungen der Kernenergie, -brennstoffe und -anlagen betroffen sind. Enthält der EAG-Vertrag spezielle Befugnisnormen, so verdrängen diese gemäß Art. 232 EGV den EG-Vertrag308 . Die eigentlichen Schwierigkeiten stellen die intra-kontraktlichen Abgrenzungen dar. Die Arbeit konzentriert sich im folgenden auf den EG-Vertrag; die dabei zu gewinnenden Erkenntnisse können dann auf den EAG-Vertrag und den EGKS-Vertrag übertragen werden, da diese Verträge in bezug auf die Gestaltung von Befugnisnormen keine wesentlichen strukturellen und konzeptionellen Unterschiede gegenüber dem EG-Vertrag aufweisen.

aa) Allgemeine Kompetenzabgrenzung durch den EuGH Der EuGH hat 1987 allgemein bezüglich der Kompetenzabgrenzung entschieden, daß die Wahl der Rechtsgrundlage zum Erlaß eines Rechtsaktes nicht allein davon abhängen kann, "welches nach der Überzeugung eines Organs das angestrebte Ziel ist, sondern... sich auf objektive, gerichtlich nachprüfbare Umstände gründen,,309 muß. In der Tschernobyl-I-Entscheidung, die sich - chronologisch folgend als erste - auf dieses Urteil beruft, werden aus der zitierten Formel nur noch die "objektive(n), gerichtlich nachprüfbare(n) Umstände"310 wiederholt. Allerdings werden etwas später Ziel und Inhalt des Rechtsaktes als Kriterien genannt, die offenbar zu den gerichtlich nachprüfbaren Umständen zählen und für die Wahl der Rechtsgrundlage entscheidend sein sollen. Das bestätigt der EuGH in seinem Titandioxid-Urteil311 , in dem er wieder die vollständige Formel des APS-Urteiles zitiert312 . Da die Ziele eines Rechtsaktes nicht losgelöst von den Vorstellungen des ihn erlassenden Organs sind, also subjektive Merkmale aufweisen - Rechtsakte besitzen kein verselbständigtes Innenleben -, ist die ursprüngliche Einschränkung des EuGH hin-

308 S.o. 11, 2, b; Hancher, L., S. 512, nennt den EAG-Vertrag insgesamt eine lex specialis. 309 EuGHE 1987, Rs. 45/86 - APS -, S. 1493, 1520. 310 EuGHE 1990, Rs. C-62/88, S. 1527,1549. 311 EuGHE 1991, Rs. C-300/89, S. 2867, 2898.

312 Ebenso EuGHE 1991, Rs. C-70/88 - Tschernobyl-lI -, S. 4529,4564; vgl. außerdem E 1992, Rs. C-295190 - Aufenthalts-RL der Studierenden -, S. 4193,4234; Urteil v. 17. März 1993, Rs. C-155191 - Abfall-RL -, EuZW 1993, S. 290,291; kritisch zur Wahl der Rechtsgrundlage nach objektiven Kriterien Breier, S., Streit, S. 52.

ill. Horizontale Wld vertikale Kompetenzkonflikte

207

sichtlich der von den Organen verfolgten Ziele dahin zu verstehen, daß sie lediglich dann fiir die Wahl der Rechtsgrundlage entscheidend sein können, wenn sie sich über die Vorstellung der Organe hinaus nach außen im Text des Rechtsaktes manifestieren. Der Wortlaut der Maßnahme (Erwägungsgründe und normative Regelungen) ist also das entscheidende Hilfsmittel, Ziel und Inhalt zu eruieren. Sind tatbestandlich mehrere Kompetenznormen gleichermaßen einschlägig, ist das Rechtsetzungsorgan grundsätzlich verpflichtet, den Rechtsakt auf diese Normen gemeinsam zu stützen313 . Das gilt jedoch dann nicht, wenn sich die Formalien des Rechtsetzungsverfahrens (Abstimmungsmodus, Beteiligung der verschiedenen Organe und Hilfsorgane) der betroffenen Befugnisnormen voneinander unterscheiden. Sie können nämlich nicht einander angepaßt werden, da sie weder zur Disposition der MS noch der Gemeinschaftsorgane stehen. 314

In so einem Fall muß sich das Rechtsetzungsorgan - g~nau wie im Fall, daß ein Rechtsakt verschiedene Ziele aus unterschiedlichen Kompetenzbereichen315 verfolgt - fiir eine der tatbestandlich einschlägigen Kompetenzen entscheiden.

Die Entscheidung fallt leicht, wenn die Verträge das Konkurrenzverhältnis selbst durch ausdrückliche Subsidiaritäts- oder Spezialitätsregeln bestimmen (s. Z.B. Art. 38 Abs. 2; 61 Abs. 1; 100 a Abs. 1 S. 1; 232; 235 EGV)316. Anderenfalls sind andere materielle Abgrenzungskriterien anzulegen, die sich aber der Rechtsprechung des EuGH kaum eindeutig und konsequent entnehmen lassen. Beispielsweise hat Nettesheim317 nach Analyse dieser Rechtsprechung die Begriffe "sachlich-gegenständliche Kompetenzen" und "finale Kompetenzen" in die Diskussion eingefiihrt. Erstere sollen einen "Teilbereich menschli-

313 Vgl. EuGHE 1988, Rs. 165/87, S. 5545,5561. 314 Für den AbstimmWlgsmodus s. ausdrücklich EuGHE 1988, Rs. 68/86 - Hormone -, S. 855, 900; hinsichtlich der BeteiligWlg der Wlterschiedlichen Organe Wld Hilfsorgane s. ausdrücklich E 1991, Rs. C-300/89 - Titandioxid -, S. 2867, 2900; a.A. Schröer, T., S. 359 m.w.N. Unschädlich ist es nur, wenn ein Organ über die vertragliche VerpflichtWlg hinaus zustitzlich beteiligt wird, s. E 1988, Rs. 165/87, S. 5545, 5562.

315 S. das obige Beispiel zu Umweltschutz- Wld Verkehrspolitikzielen. 316 S. Nettesheim, M., Kompetenzkonflikte, S. 245 ff.; die Subsidiaritätsklausel des Art. 100 a Abs. I S. I EGV erkennt der EuGH allerdings im Verhältnis zu Art. 130 s EGV im Titandioxid-Urteil nicht an. 317 A.a.O., S. 248 f.

208

D. Einzelne rechtliche Probleme der EG-Abfallpolitik

cher Betätigungsformen" regeln, letztere den gesamten vertraglichen Anwendungsbereich unter einer bestimmten normativen Zielsetzung durchwirken. Zu den sachlich-gegenständlichen zählt er zum Beispiel Art. 43; 49; 57; 75; 113 EGV; 31 EAGV, zu den finalen Art. 6 Uabs. 2; 100 a; 130 s; 235 EGV. Dieser Unterscheidung kann man mit zwei Einschränkungen folgen: Der Begriff der finalen Kompetenznormen ist etwas unglücklich gewählt; denn sämtliche Befugnisnormen verfolgen ein bestimmtes Ziel, einen bestimmten Zweck (z.B. die Verfolgung einer gemeinsamen Agrarpolitik, die Rechtsharmonisierung in einem bestimmten Politikbereich). Ferner ist nicht ersichtlich, warum Art. 130 s EGV, anders als beispielsweise Art. 31 EAGV oder Art. 75 EGV zu den finalen Kompetenzen zählen soll. Die Querschnittsklausel des Art. 130 r Abs. 2 S. 3 EGV ändert nichts daran, daß in Art. 130 r Abs. 1 EGV konkrete Aufgaben der Umweltpolitik genannt sind, die einen "Teilbereich menschlicher Betätigungsformen " ausmachen. Das sich daraus ergebende abgegrenzte Ziel des Umweltschutzes ist dann im Rahmen der anderen Vertragsnormen mitzuberücksichtigen. Dagegen erstrecken sich die Art. 100; 100 a; 235 EGVauf zahlreiche unterschiedliche Politikbereiche und Aufgaben, die jeweils von den Rechtsbegriffen GM und BM umfaßt werden. Zur klareren terminologischen Unterscheidung wird deshalb vorgeschlagen, von singulär-materiellen und transversal-materiellen Kompetenzen zu sprechen. Art. 130 s EGV gehört danach zu den singulär-materiellen Befugnisnormen. Stehen sich bei einer horizontalen Kompetenzabgrenzung einerseits singulär-materielle und andererseits transversal-materielle Normen gegenüber, so läßt sich aus der EuGH-Rechtsprechung generell ableiten, daß - in Form einer Spezialitätenregel - die singulär-materiellen Kompetenzen die transversalmateriellen verdrängen318 . Eine Ausnahme macht aber das Titandioxid-Urteil 319 , in dem der Gerichtshof Art. 100 a EGV den Art. 130 s EGV verdrängen läßt: Anfangs erkennt er an, daß die RL 89/428/EWG untrennbar sowohl die Umweltverschmutzung durch Abfalle der Titandioxidproduktion verhindern als auch einheitlichere Produktions- und damit Wettbewerbsbedingungen

318 Als Beispiele dienen EuGHE 1987, Rs. 45/86 - APS -, S. 1493, 1520 ff. (Art. 113 gegenüber 235 EGV); E 1988, Rs. 68/86 - Hormone -, S. 855, 894 ff. (Art. 43 gegenüber 100 EGV); E 1988, Rs. 165/87, S. 5545,5559 ff. (Art. 28 und 113 gegenüber 235 EGV); E 1991, Rs. C-70/88 - Tschernobyl-TI -, S. 4529, 4563 ff. (Art. 31 EAGV gegenüber 100 a EGV); Urteil v. 17. März 1993, Rs. C-155/91 - Abfall-RL -, EuZW 1993, S. 290,291 f. (Art. 130 s gegenüber 100 a EGV); E 1994, Rs. C-187/93 Abfallverbringungs-VO -, S. 2857,2880 fT. (Art. 130 s gegenüber 100 a EGV). 319

EuGHE 1991, Rs. C-300/89, S. 2867,2896.

III. Horizontale und vertikale Kompetenzkonflikte

209

schaffen will. Er meint, damit seien Art. 130 s und 100 a Abs. 1 EWGV gleichermaßen einschlägige Kompetenzgrundlagen. Um dann aber die Beteiligung des EP im Rahmen des Kodezisionsverfahrens, das nur bei Art. 100 a EWGV zur Anwendung gelangt, zu sichern (der EuGH320 spricht von einem grundlegenden demokratischen Prinzip) und wegen der Art. 130 r Abs. 2 S. 2; 100 a Abs. 3 EWGV, wonach die Umweltschutzziele auch bei der BM-Harmonisierung zu beachten sind321 , entscheidet sich der Gerichtshof für Art. 100 a EWGV als vorrangige Norm. Betrachtet man die nachfolgenden Urteile in den Rs. C-70/88, 155/91 und 187/93 322 , blieb das Titandioxid-Urteil hinsichtlich der Kompetenzabgrenzung singulär. Ein Erklärungsansatz, warum gerade in diesem Urteil das Demokratieprinzip die ausschlaggebende Rolle gespielt hat, könnten die damaligen politischen Verhältnisse bieten: Die Kommission erhob ihre Klage im September 1989, das Urteil erging nach dem Schlußantrag des GA Tesauro vom 13. März 1991 - im Juni 1991. Das heißt, die entsprechenden Beratungen und Diskussionen haben Ende 1990/Anfang 1991 stattgefunden, zu einer Zeit, in der die öffentliche Debatte um die Reformen der Maastrichter Verträge (unterzeichnet am 7. Februar 1992) langsam ihrem Höhepunkt zusteuerten. Nach der EEA, der Verabschiedung des "Delors-Pakets" über die Reform des Finanzierungssystems, der GAP und die Verdopplung der Strukturfonds der EG (11./12. Februar 1988), dem Cecchini-Bericht (29. März 1988), der Einsetzung einer Regierungskonferenz entsprechend dem "Delors-Plan" zur Schaffung der dreistufigen WWU (26./27. Juni 1989), dem Zusammenbruch der kommunistischen Systeme in der DDR und Mittel- und Osteuropa, der Einberufung einer zweiten Regierungskonferenz zur Politischen Union (25./26. Juni 1990) sowie der Erklärung des Europäischen Rates in Rom, die Ergebnisse der beiden Regierungskonferenzen zusammen ratifizieren zu lassen und die Vertragsänderungen und Weiterentwicklung der europäischen Integration bis Ende 1992 abzuschließen (14./15. Dezember 1990), war die Verwirklichung der EU in denkbare Nähe geruckt. Das bedeutete aber zugleich, daß neben der WWU auch die Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik (GASP) und die Zusammenarbeit in den Bereichen Justiz und Inneres (ZBn) Konturen annahmen. Gegner der Vertie-

320 A.a.O., S. 2900. 321 S. dazu die ausführliche Kritik von Schröer, T., S. 360 ff. 322 A.a.O. 14 Zacker

210

D. Einzelne rechtliche Probleme der EG-Abfallpolitik

fung der Europäischen Integration (wie Z.B. das Vereinigte Königreich) warnten eindringlich vor der Vergrößerung des sogenannten demokratischen Defizits323 . Um die Gunst der Stunde - insbesondere bezüglich der WWU zu nutzen (schon Anfang 1992 hörte man aus hohen Regierungskreisen Deutschlands und Frankreichs, daß die Projekte der WWU und der EU zu dieser Zeit nicht mehr hätten initiiert werden können), einigten sich die MS auf den Ausbau der Kompetenzen des EP324. Diese Bestrebungen, die Kompetenzen des EP zu stärken, waren sehr wichtig fiir die Ratifizierung des EU-Vertrages in allen MS, zumal in mehreren MS Volksbefragungen durchgeführt werden sollten. Es ist gut denkbar und nicht unwahrscheinlich, daß auch das EG-Organ EuGH ein Zeichen fiir den "Demokratisierungsprozeß" setzen wollte und deshalb die Bedeutung des Kodezisionsverfahrens im Rahmen des Art. 100 a EGV betonte. Falls der Gerichtshof nicht ausdrücklich mit dem Vorrang besonderer vor allgemeiner Vorschriften argumentiert (wie bespielsweise im Honnon-Urteil 325 ), nennt er so gut wie nie klare Kriterien, wonach eine saubere Kompetenzabgrenzung zu erfolgen hat. Die grundsätzliche Prävalenz der singulärmateriellen gegenüber den transversal-materiellen Nonnen ist lediglich das Ergebnis der Auswertung der konkreten Entscheidungen. In der Masse der Fälle prüft der EuGH nur, ob Inhalt und Zweck des Rechtsaktes materiell den Zielen einer vertraglichen Befugnisnonn subsumiert werden können. Ist das der Fall, wird diese Nonn als zulässige Kompetenzgrundlage bejaht, selbst wenn weitere Nonnen in Betracht kämen, und zwar ohne dazu Stellung zu beziehen, warum gerade diese und nicht jene Befugnisnonn angewendet wird.

323 Nach Meimmg des Autors geht dieser Vorwurf fehl, weil an supranationale Organisationen wie die der EGen die auf den Staat bezogene Kategorie der Demokratie unabhängig von deren Definition - nicht angelegt werden kann, sondern durch Kategorien wie Transparenz und Partizipation zu ersetzen ist. Bezüglich der Frage, ob eine demokratische Struktur der EGen überhaupt rechtlich - und nicht nur rechtspolitisch geboten ist, sei insbesondere aufRandelzhofer, A, DemokratiedefIzit, S. 40 fI. verwiesen. Er belegt mit vielflHtigen Nachweisen, daß sich ein solches Gebot weder aus dem Völkerrecht noch aus dem Gemeinschaftsrecht ableiten läßt und Art. 23 GG, der zwar das Gebot eines Demokratieprinzips für die EU enthält, lediglich den deutschen Gesetzgeber bei der Übertragung von Hoheitsrechten auf die EU, nicht aber die EU selbst binden kann. 324 S. Art. 158 Abs. 2 Uabs. 3 (Zustimmung des EP zur Ernennung der Kommission); 138 c (Untersuchungsausschüsse); 138 d (Petitionen); 138 e (Bürgerbeauftragte); 189 b i.V.m. 100 a; 129 a und d; 130 s Abs. 3 EGV (Kodezisionsverfahren). 325 EuGHE 1988, Rs. 68/86 - Hormone -, S. 855, 896.

ill. Horizontale lUld vertikale Kompetenzkonflikte

211·

Im Ausnahmefall stellt der EuGH auf den Hauptzweck oder/und die Nebenwirkung des entsprechenden Rechtsaktes ab: Im Tschemobyl-II-Urteil326 meinte er, daß die VO (Euratom) Nr. 3954/87 des Rates vom 22. Dezember 1987 zur Festlegung von Höchstwerten an Radioaktivität in Nahrungs- und Futtermitteln im Falle eines nuklearen Unfalles oder einer anderen radiologischen Notstandssituation327 ausschließlich auf Art. 31 EAGV und nicht auch auf Art. 100 a EWGV zu stützen war, weil die VO "nur nebenbei" eine Harmonisierung der Bedingungen für den freien Warenverkehr innerhalb der Gemeinschaft bewirkt. Vielmehr zielt die VO seiner Meinung nach darauf ab, einen lückenlosen und wirksamen Gesundheitsschutz der Bevölkerung gegen Gefahren durch ionisierende Strahlungen sicherzustellen. Die EG-Kommission machte im Streit um die Rechtsgrundlage der AbfallRahmen-RL 911156/EWG328 geltend, daß der Rat Art. 100 a EWGV anstelle von Art. 130 s EWGV hätte heranziehen müssen. Auch hier führte der Gerichtshof aus, daß Art. 100 a EWGV dann nicht anwendbar ist, wenn der Rechtsakt lediglich nebenbei eine Hannonisierung der Marktbedingungen bewirkt. Seiner Ansicht nach bildet die effiziente Bewirtschaftung von Abfällen den "Hauptzweck" der vorgesehen Hannonisierung329 . Ebenso schlossen die EuGH-Richter die Anwendbarkeit des Art. 100 a EWGV im Abfallverbringungs-VO-Urteil aus330 , weil durch die VO die Errichtung oder das Funktionieren des BM nur "betroffen" sind. Abgesehen von diesen wenigen Ausnahmen hat der EuGH bisher auch keine Kriterien für Kompetenzabgrenzungen zwischen zwei singulär-materiellen oder zwei transversal-materiellen Befugnisnormen erarbeitet. Außerdem ist zu kritisieren, daß die Kriterien "Hauptzweck" und "Nebenwirkung" in den oben genannten Ausnahmefällen wenig hilfreich sind, da auf einer gedachten bipolaren Zweck- oder Wirkungsskala die Einordnung auf der Skala vollkommen von der Wertung des entscheidenden Organs und damit von einem subjektiven, nicht aber dem geforderten objektiven Element abhängig wird, zumal es gleichgewichtige Ziele geben kann, die kaum in ihrer Bedeutung zu trennen 326 EuGHE 1991, Rs. C-70/88, S. 4529,4566 f. 327 ABI. der EGen v. 30. Dezember 1987, L 371, S. II t1, geändert durch ABI. der EGen v. 22. Juli 1989, L 211, S. 1 t1 328 EuGH Urteil v. 17. März 1993, Rs. C-155/91, EuZW 1993, S. 290 tT. 329 A.a.O., S. 291 f. 330 EuGHE 1994, Rs. C-187/93, S. 2857, 2882. 14*

212

D. Einzelne rechtliche Probleme der EG-Abfallpolitik

sind. 331 Ein treffendes Beispiel sind die Vorbringen des EP und des Rates im Abfallverbringungs-Verfahren332 : das EP bezeichnete den Zweck der streitigen VO als Regelung des Abfallumlaufes innerhalb der Gemeinschaft sowie des Außenhandels mit Abfällen und sah die Umweltschutzerfordernisse als nur mitberührt, wohingegen der Rat das Umweltschutzziel betonte und lediglich eine Nebenwirkung auf die Wettbewerbsbedingungen annahm. Da wirtschaftspolitische Rechtsakte der EGen in den seltensten Fällen monofinal sind, können durch entsprechende Argumentation immer unterschiedliche "Hauptzwecke" begründet werden. Somit bietet der EuGH keine allgemein anwendbare Lösung fiir inter-kontraktliche Abgrenzungsprobleme und insbesondere nicht fiir die Frage, wie die Kompetenzabgrenzung im EG-Abfallrecht vorzunehmen ist. bb) L6sungsvorschläge der Literatur zur allgemeinen Kompetenzabgrenzung

In der Literatur finden sich zahlreiche Argumentationsvarianten bezüglich der Kompetenzabgrenzung, die sich teilweise nur minimal voneinander unterscheiden. So wird der EuGH in seinem Ausgangspunkt unterstützt, daß sowohl das Ziel als auch der Inhalt eines Rechtsaktes über die heranzuziehende Rechtsgrundlage entscheiden sollen, da beide Elemente für die Einordnung in einen bestimmten Politikbereich von Bedeutung sein könnten und sich gegenseitig bedingten. 333 Einige Autoren stellen auch lediglich auf das (politische) Ziel, das sogenannte Hauptziel oder das vorrangige Ziel der Maßnahme ab 334 und übersehen bei diesem subjektiven Kriterium die schon oben bemängelte Abhängigkeit von der Wertung des Rechtsetzenden. Bezüglich der Frage, ob bei mehreren einschlägigen Kompetenznormen diese gemeinsam als Rechtsgrundlage herangezogen werden können, gibt es 331 Ebenso Bradley, K., S. 614 f; vgl. Nettesheim, M., Kompetenzkonflikte, S.

251.

332 Aa.O., S. 2879. 333 Epiney, AlFlUTer, A, S. 396; Middeke, A, S. 775. 334 Z.B. Schweitzer, M./Hummer, S. 479 Rn. 1567; Lietzmann, K., S. 178; Glaesner, H.-J., EEA, S. 131; Pernice, 1., Kompetenzordmmg, S. 15 f; Montag, F., S. 941, insbesondere hinsichtlich der Abgre11ZlU1g Art. 100 a/130 s EGV; Grabitz, E., in EWGV-Kommentar, 3. Erglief., Rn. 20 zu Art. 130 s.

III. Horizontale lUld vertikale Kompetenzkonflikte

213'

Stimmen, die selbst Art. 100 a und 130 s EGV trotz der unterschiedlichen Verfahrensvorschriften nebeneinander anwenden wollen. Everling335 und Lietzmann336 wollen in diesem Fall das strengere Verfahren, das heißt das Kodezisionsverfahren, anwenden337 und verkennen dabei, daß auf diese Weise entgegen dem Prinzip der begrenzten Ermächtigung338 eine neue Kompetenz geschaffen würde, die das Kodezisionsverfahren mit den unterschiedlichen, den MS verbleibenden Handlungsmöglichkeiten (Art. 100 a Abs. 4 oder 130 t EGV) vereinte. 339 Diese Kombination zweier unterschiedliche Formalien verlangender Kompetenzen läßt sich auch nicht mit dem Argument rechtfertigen, daß das Demokratiegebot bei Kompetenzkonkurrenz die weitestgehende Beteiligung des EP gebiete. 340 Folgte man diesem Argument, so würde das EP so oft wie möglich auf die Anwendung des Art. 100 a EGV drängen, um seine Beteiligungsrechte zu optimieren. Das könnte im Konflikt mit Art. 130 s EGV Nachteile für die Umwelt zur Folge haben, da das opting-out-Recht der MS gemäß Art. 130 t EGV weiter geht als in Art. 100 a Abs. 4 EGV341. Für die Wahl einer Rechtsgrundlage können aber nicht Verfahrensfragen im Vordergrund stehen, sondern materielle Gesichtspunkte sind allein entscheidend, ob ein Rechtsakt von einer bestimmten Kompetenz abgedeckt ist. Die Vertragsparteien haben im Wege der vertikalen Kompetenzverteilung entschieden, wann und unter welchen Bedingungen die Gemeinschaften und nicht die MS zuständig sind. Die Kompetenzabtretung ist so in Einzelfällen unter der Bedingung erfolgt, daß bestimmte Verfahrensmodalitäten einzuhalten sind; an-

335 Abgrenzung, S. 181. 336 S. 179 f. 337 Vgl. Breier, S., Probleme, S. 585. 338 S. insbesondere das Hormon-Urteil EuGHE 1988, Rs. 68/86, S. 855, 900, wonach die Befugnis, Kompetenzen zu schaffen, ausschließlich den Vertragsparteien zusteht. 339 Vgl. Middeke, A., S. 770 f., der allerdings - wie auch andere - auf die Kombination des Kodezisionsverfahrens mit dem Einstimmigkeitserfordernis hinwies, was fur die alte Rechtslage zutreffend war. Seit Maastricht läßt Art. 130 s Abs. 1 EGV infolge seines Verweises auf Art. 189 c EGV ebenso wie die BM-HarmonisieflUlg nach Art. 100 a Abs. 1 EGV die qualifizierte Mehrheit ausreichen, so daß sich lediglich die Einflußmöglichkeiten des EP in den Art. 189 b lUld c EGV lUlterscheiden. Einstimmigkeit ist nur noch lUlter den engen Voraussetzungen des Art. 130 s Abs. 2 EGV erforderlich. 340 Vgl. Breier, S., Probleme, S. 585 f. 341 S.u. 2, b, aa, ß.

214

D. Einzelne rechtliche Probleme der EG-Abfallpolitik

derenfalls wäre es nicht zu der Abtretung gekommen. Vor allem das Erfordernis der Einstimmigkeit im Rat ist Ausfluß des Subsidiaritätsprinzips (Art. 3 b EGV). Ohne dieses Erfordernis lägen die entsprechenden Kompetenzen mangels Abtretung weiterhin bei den MS. Die Gemeischaft ist also überhaupt nur unter diesen strikten Verfahrensanforderungen zuständig. Im Falle der Konkurrenz mehrerer einschlägiger Kompetenzen fragt auch die Literatur zuerst nach der Möglichkeit eines Spezialitäts- oder Subsidiaritätsverhältnisses. Sie ist überwiegend der Meinung, daß die speziellen Vorschriften zur Verwirklichung des BM (z.B. Art. 49; 54; 56; 57; 66; 69; 70; 99 EGV) und die Vorschriften über die gemeinsamen Politiken (Art. 43; 75; 84; 113 EGV) den Art. 100 a EGV ats leges speciales verdrängten342 . Anwendbar bleibe Art. 100 a EGV lediglich dann, wenn die genannten Vorschriften im Einzelfall keine befriedigende Harmonisierung bewirken würden, weil beispielsweise anstelle einer RL eine VO erforderlich ist. 343 Herrschende Meinung ist ferner, daß die Art. 100 und 235 EGV ihrerseits wegen des Grundsatzes der Subsidiarität hinter Art. 100 a EGV zurücktreten sollen344 . Die sich demnach ergebende Pyramide der Anwendungshierarchie

Spezielle Vorschriften zur Verwirklichung des BM Vorschriften über die gemeinsamen Politiken

I

I

Art.100aEGV Art. 6; 100; 235 EGV

I

I

342 Vertreter dieser MeinWlg sind Langeheine, B., in Grabitz-Kommentar, Rn. 15 zu Art. 100 a; Pipkom, J., in GTE, Bd. 2, Rn. 14,40 tT. zu Art. 100 a m.w.N.; Oppermann, T., Rn. 1077 Wld 1080 tT.; Müller-GratT, P.-C., S. 132; Pemice, I., KompetenzordnWlg, S. 32; a.A. SteindortT, E., GM, S. 700 f; Epiney, A/Furrer, A, S. 379, die zwn Beleg für ihre MeinWlg in Fn. 74 zu Unrecht Autoren wie Pernice, GrabitzlZacker, Pipkom anfuhren, die gerade die h.M. vertreten. 343

S. z.B. Pipkom, J., a.a.O., Rn. 14 zu Art. 100 a.

344 Langeheine, B.,

100 a.

a.a.O., Rn. 93 zu Art. 100 a; Pipkom, J., a.a.O., Rn. 49 zu Art.

Ill. Horizontale und vertikale Kompetenzkonflikte

215

entspricht der oben herausgearbeiteten Regel, daß transversal-materielle von singulär-materiellen Kompetenzen verdrängt werden. Warum das - bei Nichtvorliegen ausdrücklicher Spezialitäts- oder Subsidiaritätsvorschriften - so ist und was beispielsweise bei einem Konflikt zweier singulär-materieller Kompetenzen zu gelten hat, ist auch von der Literatur bislang nicht eindeutig gelöst. Eine h.M. hinsichtlich eines generellen Abgrenzungskriteriums existiert nicht. Da die vorliegende Arbeit nicht sämtliche Lösungsansätze zur Klärung von Kompetenzkonflikten behandeln kann, soll der Fokus auf die angebotenen Kriterien bezüglich der Abgrenzung von Art. 100 a und 130 s EGV gerichtet werden, zumal besonders diese Normen fiir das EG-Abfallrecht von Bedeutung sind. ce) Kriterien der Literatur zur Abgrenzung von Art. 100 a und 130 s EGV Neben den vom EuGH herangezogenen Kriterien "Hauptzweck" oder "Hauptziel" und "Nebenwirkung"345 hat die Wissenschaft weitere Kriterien aufgestellt, die dem EuGH-Postuiat entsprechen sollen, daß es sich dabei um objektive, gerichtlich nachprüfbare Umstände handelt: aaa) Wirkung der Maßnahme Dieses Kriterium stellt auf die objektive Wirkung eines Rechtsaktes ab, ohne nach seinem Zweck zu fragen. Wirkt sich die Maßnahme auf die BMElemente (die, wie oben erörtert, bei weitem nicht unumstritten sind) aus, soll ausschließlich Art. 100 a Abs. 1 EGV die anzuwendende Kompetenzvorschrift sein. Nur wenn keine Auswirkungen auf den BM in Betracht kommen, sei Art. 130 s EGV anwendbar. 346 Da heutzutage umweltpolitische Maßnahmen sehr häufig Auswirkungen auf die Rechtsangleichung der BM-Materien haben, liefe Art. 130 s EGV fast vollständig leer, so daß auch Art. 130 t und 130 r Abs. 4 EGV fast nie anwendbar wären. Damit wäre die Bedeutung der EG-

345 S.o. aa. 346 Epiney, A., Umweltschutz, S. 568; Schröer, T., Demokratie, S. 366; Scheuing, D., S. 185.

216

D. Einzelne rechtliche Probleme der EG-Abfallpolitik

Umweltpolitik geradezu ins Gegenteil zu den Intentionen der EEA verkehrt. 347 bbb) Schwerpunkt der Maßnahme Ähnlich wie das Kriterium der "Wirkung" fragt das Kriterium "Schwerpunkt der Maßnahme" danach, ob der Regelungsschwerpunkt im BMBereich oder in der Umweltpolitik liegt348. Auch dieses Kriterium ist abhängig von der Wertung des Betrachters und damit ungeeignet, einen objektiven Anhaltspunkt zu bieten. ccc) Intensität Ein weiteres wertungsabhänigiges und somit unkalkulierbares Kriterium ist das der Intensität, wonach die Intensität der Beziehung einer Regelung zu den Aufgaben und Zielen eines Politikbereiches die entsprechende Kompetenznorm zur Anwendung kommen lasse (also beispielsweise bewirke die intensive Beziehung eines Rechtsaktes zu Art. 130 r Abs. 1 EGV die Heranziehung des Art. 130 s EGV oder im Falle des Art. 39 EGV die Anwendung des Art. 43 Abs. 2 Uabs. 3 EGV)349. Diese als Intensitätsmethode350 oder gar als Intensitäts-"Theorie"351 bezeichnete Vorgehensweise findet zwei Abwandlungen in den von Middeke352 als "modifizierte Intensitätstheorie" und als "Bilanzierungstheorie" titulierten Lösungsvorschlägen Schröers und Kahls. Ersterer, von Schröer entwickelte Ansatz will die Nivellierung ökologischer Belange vermeiden353 . Da das Gemeinschaftsziel Umweltschutz grundsätzlich den BM-Vorschriften vorrangig sei354, bewirke der - wie oben gezeigt nicht-exi-

347 Vgl. z.B. Everling, U., AbgrellZWlg, s. 181; Schröer, T., a.a.O., S. 366. 348 Langeheine, B., in Grabitz-Kommentar, Rn. 94 zu Art. 100 a; Lietzmann, K., S. 178; Breuer, S., S. 89; Mögele, R., S. 136; Reich, N., S. 300; Klein, E./Haratsch, A., S. 136. 349 S. insgesamt Ehlermann, C.-D., Grenzen, S. 94 ff., 111. 350 Pemice, I., Kompetenzordnung, S. 31. 351 Middeke, A., S. 775. 3521bid. 353 Schröer, T., Demokratie, S. 367 f.; ders., Kompetenzverteilung, S. 125 ff. 354 Ders., Kompetenzverteilung, S. 49 ff.

m. Horizontale Wld vertikale Kompetenzkonflikte

217

stente - Grundsatz des bestmöglichen Umweltschutzes, daß die Befugnisnorm bevorzugt herangezogen werden müsse, welche die ökologischen Erfordernisse optimal berücksichtige. Danach gelange Art. 130 s EGV in Form einer im Einzelfall widerlegbaren Vermutung selbst dann zur Anwendung, wenn Umweltschutz "zwar nicht das Hauptziel, aber doch erkennbar einbezogen und im Verhältnis zu anderen Regelungszwecken nicht völlig untergeordnet sei"355. Art. 130 s EGV soll zugunsten anderer Kompetenzen lediglich im Falle von Maßnahmen mit geringen umweltschützenden Auswirkungen zurücktreten. Abgesehen davon, daß hier auch die Kriterien Hauptziel und Wirkung vermengt werden, scheint es gerade auf die Intensität einer Regelungsbeziehung nicht mehr anzukommen, weil allein die Prämisse, Umweltschutz sei gegenüber Art. 100 a EGV das prinzipiell vorrangige Gemeinschaftsziel, die Wahl der Befugnisnorm von vornherein vorgibt. Kahls Bilanzierungsansatz356 betrachtet bei mehrereQ einschlägigen Zielen und Kompetenzvorschriften, welche Norm unter Abwägung sämtlicher materiell- und verfahrensrechtlicher Vor- und Nachteile dem Umweltschutz am effektivsten dient. Da materiell- und verfahrensrechtliche Kriterien nicht vergleichbar sind und sich die Vor- und Nachteile der Kriterien innerhalb der beiden Gruppen unterschiedlich verteilen können, hilft auch der Bilanzierungsansatz über den Einzelfall hinaus nicht weiter. ddd) Sachnähe Dieses Kriterium soll darauf abstellen, ob der Inhalt der beabsichtigten Regelung eine größere objektive Sachnähe zum Komplex "Vollendung des BM", d.h. zum Abbau von Handelshemmnissen (z.B. Regelungen des Waren- und Dienstleistungsverkehrs), oder zum Komplex "Umweltschutz im eigenen, engeren Sinne" aufweist, wobei der jeweils andere Regelungsbereich akzessorisch mitberührt sein kann. 357 Ebenso wie die Kriterien Wirkung, Schwerpunkt und Intensität handelt es sich bei der "Sachnähe" zwar um einen objek-

355 Ders., Demokratie, S. 368. 356 Kahl, W., S. 283 f1 357 Vgl. Krämer, 1., in GIE, Bd. 3, Rn. 85 vor Art. 130 r-t; Grabitz, E.lNettesheirn, M., in Grabitz-Kommentar, Rn. 28, 38 zu Art. 130 s fiir generelle ZuordnWlgen; Hailbronner, K., S. 104 C Palme, C., S. 379; Molkenbur, G., S. 682; Pieper, S., in Bleckmann, A., Europarecht, Rn. 1926; Middeke, A., S. 776,777; Müller, C., S. 323,326 f; Helmig, E.lAllkemper, 1., S. 235 f

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D. Einzelne rechtliche Probleme der EG-Abfallpolitik

tiven Gesichtspunkt, da er sich auf den materiell vorgegebenen Inhalt der Kompetenznormen bezieht; dennoch verbleibt bei multifinalen Rechtsakten, die verschiedene Politikbereiche und Aufgaben berühren, letztendlich wieder dem Rechtsetzer die subjektive Entscheidung, ob die Maßnahme eher der BMHarmonisierung oder dem Umweltschutz "sachnäher" ist. Um diese Entscheidung zu "objektivieren" und damit dem vom EuGH vorgegebenen Maßstab zu entsprechen, hat die Literatur die Maßnahmen, welche sowohl den Bereich BM als auch den Umweltschutz betreffen, in drei Kategorien eingeteilt, die dann den Sachmaterien der Art. 100 a und 130 r EGV zugeordnet werden: produkt-, produktions- und anlagenbezogene Umweltvorschriften358 . Unter produktbezogenen Umweltvorschriften359 versteht man landläufig Normen, die bestimmte Anforderungen an die Beschaffenheit von Erzeugnissen (technische Eigenschaften, Qualitätsziele, Zusammensetzungen oder Standards) aus Gründen des Umweltschutzes stellen (z.B. Grenzwertefür gasformige Emissionen von KFZ, Bleigehalt des Benzins, Öko-Label, Lärmschutzvorschriften). Unterschiedliche Vorschriften in den einzelnen MS können Handelshemmnisse darstellen und somit die Verwirklichung des BM behindern. Um das zu vermeiden, sollen alle vergleichbaren Produkte grundsätzlich denselben Vorschriften entsprechen, damit sie ungehinderten Zugang zu allen mitgliedstaatlichen Märkten finden. In diesem Zusammenhang wird deutlich, wie wichtig die oben vorgenommene primärrechtliche Einordnung der Abfalle und Abfallverbringung ist: betrachtet man Abfalle als Waren, handelt es sich bei den entsprechenden Regelungen um produktbezogene Vorschriften.

358 S. z.B. Grabitz, E./Zacker, C., a.a.O., S. 301 f.; Hailbronner, K., a.a.O., S. 105; Palme, C., S. 380 f.; Molkenbur, G., ibid.; Middeke, A, S. 773; Hwruner, w., S. 207; Pernice, 1., Kompetenzordnung, S. 5 f., 19. 359 Eine Legaldefmition der "Produktnormen" als Unterfall von Umweltschutznormen fmdet sich im ersten Umweltschutz-Aktionspogramm (ABI. der EGen v. 20. Dezember 1973, C 112, S. I, 50). Danach gilt: Produktnormen

"- legen die Grenzwerte hinsichtlich der Menge an Schadstoffen oder des Grades der Belästigungen fest, der in der Zusammensetzung oder bei den Emissionen eines Produkts nicht überschritten werden darf, - spezifizieren die Eigenschaften oder Konzeptionsmerkmale eines Produkts - oder betreffen die Verwendungsmodalitäten ... eines Produkts". VgI. auch die Verursacheq>rinzip-Empfehlung 7514361Euratom, EGKS, EWG (ABI. der EGen v. 25. Juli 1975, L 194, S. 1,2).

ill. Horizontale Wld vertikale Kompetenzkonflikte

219

Produktionsbezogene Umweltvorschriften unterstellen den Herstellungsprozeß einer Ware bestimmten Anforderungen (beispielsweise Überwachungspflichten, eingeschränkte Produktionszeiten), anlagenbezogene Umweltvorschriften reglementieren die Beschaffenheit von Industrieanlagen (z.B. Emissionsgrenzwerte, Materialvorschriften für atomare Wiederverwertungsanlagen oder Untertagedeponien). Beide Kategorien können sich nicht nur (infolge unterschiedlicher Produktionskosten) auf die Wettbewerbsverhältnisse im GM360 auswirken, sondern auch die Produktpalette und -gestaltung bestimmen, indem einzelne Auflagen die Herstellung bestimmter Produkte unrentabel machen. Dennoch besteht ein Unterschied zu den produktbezogenen Umweltvorschriften. Unterschiedliche Umweltbedingungen in den einzelnen MS und Regionen ermöglichen normative Differenzierungen bezüglich der Produktionsvorgänge, ohne daß die Verwirklichung des BM gefährdet wäre. 361 Die Vertreter der Literatur, die mit diesen drei Kategorien der BM-bezogenen Umweltvorschriften arbeiten, sind überwiegend der Meinung, daß produktbezogene Umweltvorschriften wegen ihres BM-Charakters - sie betreffen insbesondere den freien Warenverkehr - ausschließlich oder in aller Regel Art. 100 a EGV unterfallen362 . Dem kann entgegengehalten werden, daß das Verbot eines Stoffes in bestimmten oder allen Produkten auch allein Umweltschutzcharakter haben kann363 . Zu denken ist hier beispielsweise an die VO (EWG) Nr. 3322/88 des Rates vom 14. Oktober 1988 über bestimmte FCKW und Halone, die zu einem Abbau der Ozonschicht führen 364, wonach die Einfuhr, Ausfuhr, Produktion und der Verbrauch von FCKW und Halonen aus Gründen des Klimaschutzes und der Luftreinhaltung durch eine Angebotskontrolle geregelt werden sollen, oder an die Rats-RL 87/217/EWG vom 19. März 1987 zur Verhütung und Verringerung der Umweltverschmutzung durch As-

360 Beide Kategorien sollen nach h.M. als wettbewerbsrelevant nicht nur dem GM, sondern auch dem BM Wlterfallen; s. dazu sogleich lUlten dd, aaa. 361 VgI. Pernice, 1., KompetenzordnlUlg, S. 19. 362 Grabitz, E., in EWGV-Kommentar, 3. Erglief, Rn. 21 zu Art. 130 s; Langeheine, B., in Grabitz-Kommentar, Rn. 94 zu Art. 100 a; Krämer, L., in GlE, Bd. 3, Rn. 85 vor Art. 130 r-t; Pernice, 1., a.a.O., S. 7 f; Palme, C., S. 381; Hailbronner, K., S. 105; Scheuing, D., S. 186; Beutler, B., in BBPS, 15.6.1.3., S. 511 f; Hummer, W., ibid.; Middeke, A., ibid. 363 So Jarass, H., Binnenmarkt-RL, S. 531 f 364 ABI. der EGen v. 31. Oktober 1988, L 297, S. 1 ff.; die VO ist auf Art. 130 s EWGV gestützt!

220

D. Einzelne rechtliche Probleme der EG-Abfallpolitik

best365 , die vor allem den Schutz der menschlichen Gesundheit und der Umwelt verfolgt. Bezüglich der produktions- und anlagenbezogenen Umweltvorschriften sind die Meinungen in drei Lager geteilt: Eine Meinung stützt auch diese auf Art. 100 a EGV, weil industrielle Anlagen zwar nicht selbst am Wirtschaftsverkehr teilnähmen, wohl aber die in ihnen produzierten oder verarbeiteten Güter366 . Außerdem verweist diese Ansicht darauf, daß produktions- und anlagenbezogene Vorschriften die Wettbewerbsbedingungen, die zu den Elementen des BM-Begriffes zählen sollen367, verzerren können, was den Anwendungsbereich des Art. 100 a EGV eröffne. Dem entgegengesetzt, aber mit dem gleichen Argument der im BM nicht zirkulierenden industriellen Anlagen argumentierend, subsumiert Palme368 alle produktions- und anlagenbezogenen Umweltnormen Art. 130 s EGV, soweit es keine Spezialvorschriften gibt. Eine dritte Meinung369 läßt grundsätzlich sowohl Art. 100 a EGV als auch Art. 130 s EGV anwendbar sein und unterscheidet danach, inwieweit der grenzüberschreitende Warenverkehr durch die EG-Maßnahmen eingeschränkt oder erleichtert wird370 oder ob "Umweltschutzaspekte im Vordergrund stehen" 371 . Alle vorgetragenen Kriterien, sowohl der Rechtsprechung als auch der Literatur, leisten eine eindeutige, objektive Kompetenzabgrenzung nur annäherungsweise. Mehr oder weniger hängt die Entscheidung fiir Art. 100 a EGV oder fiir Art. 130 s EGV jeweils von der Wertung des Rechtsetzenden ab, ob der (Haupt-)Zweck, das (Haupt-)Ziel, der Schwerpunkt o.ä. der Maßnahme eher der Umweltschutzpolitik oder der Errichtung und dem Funktionieren des

365 ABI. der EGen v. 28. März 1987, L 85, S. 40 ff.; die RL ist auf Art. 100 und 235 EWGV gestützt, allerdings war Art. 130 s EWGV zu dieser Zeit noch nicht in Kraft. 366 Middeke, A, S. 773; Heinz, K.lKörte, A, S. 45; Ehlermann, C., Market, S. 383; Scheuing, D., S. 186, ohne nähere Begründung. 367 Zur Klärung des Begriffes s.u. unter dd, aaa. 368 S. 381. 369 Nettesheim, M., Kompetenzkonflikte, S. 259; Langeheine, B., ibid. 370 S. zu diesem Kriterium näher unter dd, bbb. 371 Langeheine, B., ibid.

ill. Horizontale und vertikale Kompetenzkonflikte

221

BM dient. Deshalb soll im folgenden versucht werden, unter Fortentwicklung des Kriteriums der objektiven Sachnähe eine Lösung des Problems zu finden: dd) Lösungsvorschlag bezüglich des Verhältnisses von Art. 100 all 00 EGV zu Art. 130 s EGV

Möglich ist, daß schon aus der Stellung und Bedeutung der beiden Kompetenzvorschriften im EG-Vertrag ein allgemeines Abgrenzungskriterium deduziert werden kann: aaa) Genereller Vorrang der wirtschaftspolitischen Kompetenzen im EGVertrag (insbesondere Art. 100 a EGV) vor den umweltpolitischen Kompetenzen (insbesondere Art. 130 s EGV)? Für die Kompetenzabgrenzung zwischen Art. 100 a und 130 s EGV ist vor allem auf das Verhältnis der Wirtschaftspolitik zur Umweltpolitik einzugehen. Die Stellung dieser beiden bedeutenden Politikbereiche zueinander könnte nämlich wichtige Weichen für die Kompetenzabgrenzung des Abfallrechtes im Einzelfall stellen. Beide Politiken werden nunmehr - in einer Aufgabe verknüpft - in Art. 2 EGV genannt, indem ein "umweltverträgliches Wachstum" 372 angestrebt wird. Die EWG war ursprünglich und ist heute in Fonn der EG noch überwiegend eine Wirtschaftsgemeinschaft, die sich zum Ziel die Errichtung eines GM und somit den Abbau aller Diskriminierungen und Handeishemmnisse sowie eine zukünftige koordinierte Wirtschaftspolitik gesetzt hatte. Die EEA brachte eine Intensivierung des GM-Konzeptes, indem das Modell des BM mit den zentralen Vorschriften der Art. 8 a (jetzt: 7 a EGV) und 100 a EWGV aufgenommen wurde. Es könnte daran gedacht werden, den wirtschaftspolitischen Fragen i.w.S. durch die Betonung des BM-Konzeptes eine solche herausragende Stellung einzuräumen, daß alle anderen EG-Politikbereiche in ihrer Bedeutung dahinter zurückstehen und die Kompetenznonn des Art. 100 a EGV alle anderen Kompetenzvorschriften verdrängt. Diese Meinung hinsichtlich eines absoluten Vorranges des Art. 100 a EGV wird vereinzelt in der Literatur vertreten. 373 Häufiger wird das hierarchische Argument der Spezialität bzw. Subsidiarität von Stimmen in der Literatur verwendet, die lediglich zum Verhältnis des 372 Vgl. zum Rechtsprinzip des nachhaltigen Wachstums oben C, IV, I, f. 373 Gündling, L., S. 162.

222

D. Einzehte rechtliche Probleme der EG-Abfallpolitik

Art. 100 a EGV gegenüber Art. 130 s EGV Stellung nehmen und ersteren als lex specialis bezeichnen374 . Argumentiert wird dabei mit der Existenz des Art. 130 s Abs. 2 Uabs. 1 EGV (=" unbeschadet des Artikels 100 a")375 sowie mit der Querschnittsklausel des Art. 130 r Abs. 2 S. 3 EGV, der inzwischen gestrichenen Subsidiaritätsfonnel des Art. 130 r Abs. 4 S. 1 EWGV und Art. 100 a Abs. 3 und 4 EGV: Umweltbelange könnten und müßten im Rahmen des Art. 100 a Abs. 1 EGV ohnehin beachtet werden, der als Spezialvorschrift über das Tätigwerden der Gemeinschaft die vertikale Kompetenz fiir die EG-Organe vorgebe, so daß die Frage der subsidiären Kompetenz des Art. 130 r Abs. 4 S. 1 EWGV überhaupt nicht mehr zu stellen sei. 376 Die Meinung zur Spezialität des Art. 100 a EGV ist genau so unzutreffend wie die Ansicht, die Umweltpolitik genieße Vorrang vor der BM-Politik, so daß Art. 130 s EGV die speziellere Nonn sei377 . Vielmehr stehen die Wirtschaftspolitik in Fonn der BM-Politik und die Umweltschutzpolitik gleichrangig auf einer Ebene nebeneinander; eine Abwägung der in Rede stehenden Ziele hat im Einzelfall stattzufinden. 378 Dafiir sprechen vor allen Dingen zwei Argumente: die sogenannte umweltrechtliche

374 S. Lietzmann, K., S. 178 f; Kloepfer, M., Rn. 12 zu § 6 (, der allerdings ausdrücklich auf die EEA-Rechtslage Bezug nimmt); Haneklaus, W., S. 1136; Middeke, A, S. 771; Heinz, K./Körte, A, S. 45; Meyer, S./Rath, C., S. 48; Eisberg, J., S. 152 f; Schwartze, A, S. 568. 375 Epiney, A/Furrer, A, S. 397. 376 Pernice, 1., Kompetenzordnung, S. 32 f.; Scheuing, D., S. 186; beide bezeichnen zudem Art. 130 s EGV als Auffangnorm, s. Pernice, I., a.a.O., S. 30; Scheuing, D., ibid.; vgl. auch Pahne, C., S. 378. 377 Vandermeersch, D., SEA, S. 419, der auf den temporären Charakter des Art. 100 a EGV abstellt; Glaesner, H.-U., EEA, S. 140; Krämer, L., Gnmdrecht, S. 288; Helmig, E./Allkemper, L., S. 236; Pieper, S., in Bleckmann, A, Europarecht, Rn. 1945; s. auch Schröer, T., Demokratie, S. 363 f, 368; ders., Kompetenzverteilung, S. 128 ff., der den Umweltschutz allen anderen Politiken im Kompetenzgefllge - auch

unter anderem wegen der zu Unrecht bejahten Existenz eines Prinzips der Verfolgung des bestmöglichen Umweltschutzes (s.o. C, IV, 2, e) vorgehen läßt, was aber nicht gegenüber Art. 100 a EGV wegen dessen Absatz 3 gelten soll; s. ferner zweideutig Scheuing, D., der einerseits einen grundsätzlichen Vorrang bejaht (S. 176 f), dann hingegen Art. 130 s EGV eine Auffangnorm nennt, der Art. 100 a EGV vorgehe (S. 186).

378 Vgl. Jahns-Böhm, J./Breier, S., S. 51 f; Grabitz, E./Nettesheim, M., in GrabitzKommentar, Rn. 59 zu Art. 130 r; Grabitz, E./Zacker,C., Umweltkompetenzen, S. 300; Beyer, T., S. 966; Crosby, S., S. 464 f; wohl auch Rengeling, H.-W./Heinz, K., S. 617.

ill. Horizontale Wld vertikale Kompetenzkonflikte

223

Querschnittsklausel des Art. 130 r Abs. 2 Uabs. 1 S. 3 EGV läßt die Erfordernisse des Umweltschutzes Bestandteil aller3 79 anderen Gemeinschaftspolitiken sein, d.h., die Umweltschutzziele und -grundsätze des Art. 130 r Abs. 1 und 2 EGV müssen im Rahmen sämtlicher Gemeinschaftsaufgaben beachtet und integriert werden. 380 Schon auf den Planungs- und Entwicklungsstufen der Entscheidungsfindung ist die umweltpolitische Dimension zu berücksichtigen. Ferner erfordert Art. 130 r Abs. 2 Uabs. 1 S. 3 i.V.m. Art. 190 EGV, daß die Begründung eines Rechtsaktes beispielsweise die Erwägungen enthält, die fiir eine bestimmte Entscheidung bei einem Zielkonflikt zwischen Umweltpolitik und einem anderen EG-Politikbereich gesprochen haben. 381 Trotz dieser herausragenden Stellung des Umweltschutzes im Gefiige des EG-Vertrages382 kann dem Vertrag keine grundsätzliche Höherrangigkeit der Umweltpolitik gegenüber den anderen Aufgaben entnommen werden. Angelegt ist lediglich eine Kollision gleichwertiger Ziele, die im konkreten Fall durch Abwägung zu lösen ist383 . Ziele des Umweltschutzes können und müSsen auch im Rahmen anderer Kompetenzvorschriften verfolgt werden, die zur Verwirklichung anderer Vertragsziele dienen (Beispiel: verkehrspolitische Maßnahmen, welche die Verkehrsbedingungen durch Umgehung von Großstädten verbessern sollen und gleichzeitig dem Umweltschutz zugute kommen). Die Querschnittsklausel zeigt gerade, daß Art. 130 s EGV nicht ausschließliche Kompetenznorm ist, wenn umweltpolitische Maßnahmen in Rede stehen. Nur in AusnahmefaIlen kann der Umweltschutz gegenüber anderen EG-Politiken Priorität erlangen, nämlich dann, wenn eine Maßnahme zur Erreichung eines Zieles eines anderen Politikbereiches die Umwelt erheblich beeinträchtigen würde. In einem solchen Fall muß die beabsichtigte Maßnahme abgeändert oder ganz unterlas-

379 Allerdings verneint Schröer, T., Demokratie, S. 364, die Anwendbarkeit der Querschnittsklausel bei allen Vorschriften, die gemeinsam mit Art. 130 r Abs. 2 S. 2 EWGV durch die EEA in den EWG-Vertrag gelangt sind Wld zusätzlich abweichende RegelWlgen zum Umweltschutz enthalten, also z.B. bei Art. 100 a E(W)GV. Für diese Einschränkung ist kein GrWld ersichtlich; denn der Wortlaut des Art. 130 r Abs. 2 S. 2 EWGV hätte diese Ausnahme ohne weiteres ausdrükken können.

380 Vgl. Kahl, W., S. 168 fI 381 S. insgesamt Jahns-Böhm, l/Breier, S., S. 52 fI 382 Der Umweltschutz ist derzeit neben dem GesWldheitsschutz (s. Art. 129 Abs. I Uabs. 3 EGV) Wld der Aufgabe der EntwicklWlgszusarnmenarbeit (s. Art. 130 v EGV) das einzige Ziel, das ausnahmslos bei allen anderen EG-Politiken zu berücksichtigen ist. 383 Grabitz, E.lNettesheim, M., a.a.O., Rn. 59 f. zu Art. 130 r.

224

D. Einzelne rechtliche Probleme der EG-Abfallpolitik

sen werden. 384 Eine zweite Ausnahme fiir ein umweltpolitisches Übergewicht ist dann anzunehmen, wenn zwei gleichzeitig verfolgte Gemeinschaftsziele gleichgewichtig sind. In dieser Konstellation bewirkt die Querschnittsklausel wegen ihrer besonderen Stellung im Vertragsgefüge als in-dubio-Regel die Prävalenz des Umweltschutzes385 . Das zweite Argument macht sich die Stellung und Bedeutung des Art. 100 a EGV im EG-Vertrag zunutze. Der BM-Begriff des Art. 7 a EGV, der im Zentrum der Harmonisierungsvorschrift des Art. 100 a EGV steht, erfaßt nur einen Teilbereich des Anwendungsspektrums des GM, vor allem aber nicht wie der EuGH in seinem Titandioxidurteil386 behauptet - die Schaffung unverfaIschter Wettbewerbsbedingungen. 387 Neben Argumenten der wörtlichen, systematischen und historischen Auslegung388 sprechen insbesondere die Stellung und der Wortlaut des Art. 100 a Abs. 1 EGV dafiir, daß der BM ausschließlich die Materien des Art. 7 a Uabs. 2 EGV umfaßt und der rein formale Anwendungsbereich des GM weit größer ist, da er sich zusätzlich auf den einheitlichen Außenzoll, die Außenhandels-, Landwirtschaft-, Verkehrspolitik, das System des unverfaIschten Wettbewerbes (Kartell-, Subventions-, Steuerrecht) und die koordinierte Wirtschaftspolitik erstreckt. Die Verwirklichung des BM ist neben diesen genannten und anderen Politikbereichen und Aufgaben ein Ziel, das die Gemeinschaft gemäß Art. 3 lit. c EGV zu verfolgen hat. Der BM bildet ein Element inter alia, das fiir die Schaffung des GM erforderlich ist, stellt aber keinen kategorisch vergleichbaren Begriff dar (die drei neben dem GM existierenden wirtschaftsrechtlichen Begriffe, welche die Kategorie "Wirtschaftsgemeinschaft" beschreiben, lauten gemäß dem Grade ihrer Integrations-Hierarchie: Freihandelszone, Zollunion und Wirtschaftsunion).

384 Vgl. Glaesner, H.-J., EEA, S. 140. 385 Grabitz, E.lNettesheim, M., a.a.O, Rn. 59 zu Art. 130 r. 386 EuGHE 1991, Rs. C-300/89, S. 2867, 2899. 387 Zu dieser engen Auslegung des BM-Begriffes s. Zacker, C., BM und GM, S. 489 f; Kupfer, D., S. 59; Pescatore, P., S. 157; Ritter, W., S. 80; GA Tesauro, G., in EuGHE 1991, Rs. C-300/89 - Titandioxid -, S. 2867, 2888 f hinsichtlich der Anwendungs-"Breite"; Palme, C., S. 381; Epiney, A, Umweltschutz, S. 567; Epiney, A/Furrer, A, S. 394 f; Epiney, A/Möllers, T., S. 10; Breier, S., Schicksal, S. 316; Steindorff, E., Binnenmarkt, S. 160, der den BM-Begriff als Marktfreiheitsbegriff auffaßt. 388 S. Zacker, C., a.a.O., m.w.N.

Ill. Horizontale und vertikale Kompetenzkonflikte

225

Art. 100 a Abs. 1 EGV steht nämlich unter einer dreifachen Relativierung gegenüber den anderen Vertragsvorschriften: l. Der Halbsatz "Soweit in diesem Vertrag nichts anderes bestimmt ist" bedeutet, daß Art. 100 a EGV subsidiär gegenüber den Vertragsvorschriften ist, die als Spezialvorschriften Kompetenzen für die Angleichung mitgliedstaatlicher Rechts- und Verwaltungsvorschriften in einzelnen Politikbereichen (z.B. Art. 43 EGV für die Landwirtschaft; Art. 75; 84 EGV für die Verkehrspolitik; Art. 99 EGV für die indirekten Steuern; Art. 113 EGV für die Handelspolitik) gewähren. 389

2. Die Klausel "gilt abweichend von Art. 100 rur die Verwirklichung der Ziele des Artikels 7 a die nachstehende Regelung" zeigt, daß die Elemente des BM (=die vier Grundfreiheiten) vom GM mitumfaßt werden; anderenfalls käme man gar nicht auf die Idee, Art. 100 EGV anzuwenden. Das bedeutet, daß ohne die Existenz des Art. 100 a EGV die Grundfreiheiten, soweit sie keine speziellen Harmonisierungskompetenzen enthalten, Art. 100 EGV unterfielen, wie es der Fall vor Schaffung der EEA war. Damit für den 1987 ausdrücklich revidierten und neben Art. 100 a EGV fortbestehenden390 Art. 100 EGV weiterhin Anwendungsmöglichkeiten bleiben, muß der GM folglich über den BM hinaus weitere Tatbestandselemente umfassen. 391 Art. 100 a EGV ist demnach bezüglich des BM eine den Art. 100 EGV verdrängende Sondervorschrift (von Spezialität kann man nicht sprechen, da Art. 100 a Abs. 1 EGV nicht sämtliche Tatbestandsmerkmale des Art. 100 EGV und darüber hinaus mindestens ein weiteres enthält,392 sondern sich schon die Verfahrensund Beteiligungsvorschriften voneinander unterscheiden). 3. Art. 100 a Abs. I EGV verweist auf Art. 7 a EGV, der seinerseits die Subsidiaritätsklausel "unbeschadet der sonstigen Bestimmungen dieses Vertrags" enthält und damit deutlich macht, daß alle spezielleren Vorschriften weiterhin zu beachten sind. Der Hinweis von Epiney und Furrer393 , daß gerade wegen der Subsidiaritätsklausel "unbeschadet des Artikels 100 a " in Art.

389 Vgl. Langeheine, B., in Grabitz-Kommentar, Rn. 15 f. zu Art. 100 a m.w.N.; Rat der EGen in EuGHE 1991, Rs. C-300/89 -Titandioxid -, S. 2867, 2876. 390 Vgl. Steindorff, E., GM, S. 701. 391 AA beispielsweise Debroux, x., S. 386. 392 Vgl. Larenz, K., Methodenlehre, S. 267 f.; Schröer, T., S. 364 Fn. 76.

393 Aa.O., S. 397. 15 Zacker

226

D. Einzelne rechtliche Probleme der EG-Abfallpolitik

130 s Abs. 2 Uabs. 1 EGV die umweltrechtliche Kompetenznorm ihrerseits von der BM-Kompetenz als lex specialis verdrängt werde, verkennt den engen Anwendungsbereich des Art. 130 s Abs. 2 EGV Er stellt nämlich die Ausnahme von der allgemeinen Umweltkompetenz des Art. 130 s Abs. 1 EGV dar, der eine lex specialis i.S.d. Art. 7 a EGV und somit des Art. 100 a EGV ist. Insgesamt läßt sich sagen, daß die Befugnisnorm des Art. 100 a EGV zwar Art. 100 EGV bezüglich der BM-Materien vorgeht, von Spezialvorschriften des Vertrages und von Art. 100 EGV im Falle der nicht unter Art. 7 a EGV fallenden GM-Materien aber verdrängt wird. bbb) Materielles Abgrenzungskriterium Nehmen die Art. 100 a und 130 s EGV also grundsätzlich denselben Rang ein und können nach der oben herausgearbeiteten Terminologie394 Art. 100 a EGV als transversal-materielle Kompetenz und Art. 130 s EGV als singulärmaterielle Kompetenz bezeichnet werden, so würde die vom EuGH inzidenter angewendete Spezialitätsregel dazu führen, daß Art. 130 s EGV dem Art. 100 a EGV vorgeht und alle umweltpolitischen Rechtsakte mit Auswirkungen auf die Rechtsangleichung im BM auf den Umwelt-Titel im EG-Vertrag zu stützen sind. Bei Nichtanwendung dieser Regel (s. Titandioxid-Urteil) müssen materielle Abgrenzungskriterien angelegt werden. Ausgangspunkt soll das bereits oben vorgestellte Kriterium der Sachnähe395 sein. a) Produktbezogene Umweltvorschriften

Wie erörtert, können sich umweltpolitische Maßnahmen in vielfaltiger Weise auf die Verwirklichung des BM auswirken. Die Aufnahme des BMKonzeptes in den EWG-Vertrag sollte den Abbau aller Handelshemmnisse zwischen den MS beschleunigen, so daß insbesondere flir Waren und Dienstleistungen freier Zugang zu allen mitgliedstaatlichen Märkten besteht396 und das volkswirtschaftliche Bruttosozialprodukt einen Schub erhält. BM-relevante Umweltmaßnahmen sind deshalb darauf zu untersuchen, ob sie das Ziel des

394 S.o. aa.

395 S. cc,

ddd.

396 Vgl. Grabitz, E./Zacker, C., Umweltkompetenzen, S. 301.

ill. Horizontale und vertikale Kompetenzkonflikte

227·

Art. 7 a EGV, den grenzüberschreitenden Verkehr von Waren und Dienstleistungen, Personen und Kapital zu erleichtern - also den Abbau von HandeIshemmnissen -, verfolgen. 397 In diesem Fall kann man die objektive Sachnähe der fraglichen Regelung zum BM und dementsprechend die Anwendung des Art. 100 a Abs. I EGV bejahen. GrabitzlNettesheim398 haben zu Recht darauf hingewiesen, daß dieses Kriterium der Erleichterung des grenzüberschreitenden Verkehrs nicht pauschal auf alle produktbezogenen Umweltvorschriften zutrifft und damit Art. 100 a EGV nicht automatisch die anwendbare Kompetenzvorschrift ist. 399 Produktbezogene Umweltmaßnahmen können nämlich den grenzüberschreitenden Verkehr nicht nur erleichtern400 , sondern auch aus Umweltschutzgründen einschränken oder völlig verhindern401 . Zielt ein Rechtsakt auf die Zuriickdrängung eines Produktes, wird der Verwirklichung des BM gerade nicht gedient; solche Vorschriften402 sind vielmehr auf Art. 130 s EGV zu stützen403 .

Problematisch ist allerdings die von GrabitzlNettesheim verwendete Tenninologie "Einschränkung der Verwendung ... eines Produkts", die einen der Fälle der Anwendung des Art. 130 s EGV beschreiben soll. Betrachtet man das auch an anderen Stellen in der Literatur4° 4 zitierte Beispiel der auf Art. 130 s EGV gestützten Rats-RL 87/416/EWG vom 21. Juli 1987 zur Änderung der RL 85/210/EWG zur Angleichung der Rechtsvorschriften der MS über den Bleigehalt von Benzin405 , so fällt auf, daß einige Stimmen für die Anwendung 397 Eidern, ibid. 398 In Grabitz-Kommentar, Rn. 39 zu Art. 130 s. 399

Anders die h.M., s.o. Fn. 863 vorher.

400 Grabitz, E.lNettesheim, M., ibid., sprechen in diesem Zusammenhang - etwas

unglücklich - von "Binnenmarktproduktnormen", wobei der Umweltbezug völlig verloren geht.

401 S. z.B. die oben auf S. 155 erwähnten FCKW-VO (EWG) Nr. 3322/88 und die Asbest-RL 871217/EWG. 402 Grabitz, E.lNettesheim, M., a.a.O., Rn. 40 zu Art. 130 s nennen diese produktbezogenen Umweltvorschriften "Umweltproduktnormen". 403 A.A. Scheuing, D., S. 188, der es ausreichen läßt, daß auch Produkteinschränkungen und -verbote typische BM-Regeln seien. 404 Neben Grabitz, E.lNettesheim, M., a.a.O., Rn. 39 zu Art. 130 s, s. Scheuing, D., ibid.; Pernice, 1., Kompetenzordnung, S. 8; Krämer, L., in GTE, Bd. 3, Rn. 86 f. vor Art. 130 r-t. 405 ABI. der EGen v. 13. August 1987, L 225, S. 33 f. 15"

228

D. Einzelne rechtliche Probleme der EG-Abfallpolitik

des Art. 100 a EGV406, andere fiir Art. 130 S EGV407 plädieren. Das erklärt sich damit, daß die RL einerseits das mitgliedstaatliche Verbot des Inverkehrbringens von verbleitem Normalbenzin ermöglicht408 , andererseits die Verfiigbarkeit unverbleiten Benzins sicherstellen wi1l409 . Die Befiirworter des Art. 100 a EGV können sich also auf das zweitgenannte, die des Art. 130 s EGV auf das erstgenannte Ziel stützen. Da hilft auch das Argument Krämers, der Art. 130 s EGV anwendet, nicht, daß die Umweltkompetenz immer dann einschlägig sei, wenn die EG-Regelung zu unterschiedlichen mitgliedstaatlichen Normen führt oder führen kann410 , wohingegen produktbezogene Umweltvorschriften mit einheitlicher Regelung fiir den BM auf Art. 100 a EGV zu stützen seien411 . Das von ihm selbst genannte Beispiel einer BM-einheitlichen Regelung des Handels mit bedrohten Tier- und Pflanzenarten412 müßte seiner Argumentation nach gemäß Art. 100 a EGV erlassen werden, weil alle MS dieselben Verbote und Einschränkungen zu beachten hätten. Krämer plädiert hier aber fiir Art. 130 s EGV, da Tiere und Pflanzen keine Sachen im eigentlichen Sinne seien. 413 Ebenso zeigt sein Beispiel der FCKW-VO (EWG) Nr. 3322/88, daß fiir die Wahl der Befugnisnorm nicht das formale Kritereium der Einführung gemeinschaftsweit einheitlicher Bestimmungen ausschlaggebend ist; denn das Ziel der Zurückdrängung bzw. des völligen Verbotes von FCKW und Halonen verlangt lediglich die einheitliche Nicht-Handelbarkeit der besagten Stoffe.

406 Grabitz, E.lNettesheirn, M., ibid.; Pernice, 1., ibid., Scheuing, D. ibid. 407 Krämer, 1., ibid. 408 2. Erwägungsgnmd, Art. 1 RL, a.a.O., S. 33 f. 409 1. Erwägungsgnmd, Art. 1 RL, a.a.O. S. 33 f. 410 VgI. Jarass, H., Binnenrnarkt-RL, S. 532 Fn. 22, der fi1r die Verschärfung von Umweltstandards auf Art. 130 s EG V rekurriert. 411 VgI. Middeke, A., S. 776. 412 Krämer, 1., a.a.O., Rn. 91 vor Art. 130 r-t. 413 Tatsächlich wurde die VO (EWG) Nr. 3626/82 des Rates v. 3. Dezember 1982 zur Anwendung des Übereinkommens über den internationalen Handel mit gefährdeten Arten freilebender Tiere und Pflanzen in der Gemeinschaft (ABI. der EGen v. 31. Dezember 1982, L 384, S. 1 fT.) nicht auf Art. 100 EWGV, sondern auf Art. 235 EWGV gestützt, obwohl ein gemeinschaftliches Verfahren zur Erteilung und Vorlage von Handelsgenehmigungen eingefuhrt wurde. Die Wahl der Rechtsgnmdlage war zutreffend (heute würde anstelle von Art. 235 EWGV der Art. 130 s EGV herangezogen werden müssen), da der Handel zu einern großen Teil unterbunden wird.

III. Horizontale und vertikale Kompetenzkonflikte

229'

Anders als beim Verbot eines Produktes aus Umweltschutzgründen, für das immer Art. 130 s EGV heranzuziehen ist, sofern keine ausdrücklich spezielleren Vorschriften wie z.B. Art. 43 Abs. 2 Uabs. 3 i.V.m. 38 Abs. 2 EGV greifen, ist bei der Einschränkung der Verwendung eines Produktes zu differenzieren: Bezweckt der gemeinschaftliche Rechtsakt, das Produkt, das weiterhin in gleichem Maße handelbar sein soll, umweltfreundlicher zu machen, und stellt die Vorschrift deshalb besondere Anforderungen an seine Zusammensetzung, Eigenschaften, Konzeptionsmerkmale, Verwendungsmodalitäten oder ähnliches, so ist Art. 100 a Abs. 1 EGV die richtige Rechtsgrundlage. Die Umweltschutzbelange zu beachten, folgt hier aus Art. 100 a Abs. 3 EGV. Ein Beispiel sind Regelungen über Höchstgrenzen von Emissionen. Verlangt man den Einbau von Katalysatoren in KFZ, damit die Luft weniger belastet wird, und verbietet man ab einem bestimmten Zeitpunkt den Vertrieb katalysatorloser KFZ, so wird die Produktion bestimmter KFZ eingeschränkt und schließlich ganz unterbunden, ohne aber den KFZ-Handel insgesamt zurückdrängen zu wollen. Es findet lediglich eine Produktveränderung statt. 414 Wird dagegen die Verbreitung eines Produktes wegen seiner grundsätzlichen Umweltschädlichkeit eingeschränkt oder unterbunden, was zu einer Handelsbeschränkung ftihrt, ist Art. 130 s EGV die passende Befugnisnorm. Beispiele liefern Verwendungsbeschränkungen von Chemikalien (s. das FCKW-Verbot) und der Schutz von Fauna und Flora, der ausdrücklich in Form der Bodennutzung und der Bewirtschaftung der Wasserressourcen als Regelungsmaterie in Art. 130 s Abs. 2 EGV genannt ist. Legt man diese Maßstäbe an das oben angesprochene Beispiel der BenzinRL 87/416/EWG an, ist zu fragen, ob die RL das Produkt "Benzin" allgemein umweltfreundlicher gestalten und die Verfiigbarkeit auch zukünftig garantieren will (dafür sprechen die Erwägungen über die Sicherstellung der Verfiigbarkeit unverbleiten Benzins) oder ob das Produkt "verbleites Benzin" aus dem Markt gedrängt werden soll (dafür spricht die Ermächtigung an die MS, das Inverkehrbringen von verbleitern Benzin zu verbieten). Entscheidend ist, daß die RL nicht nur ein Regelungsobjekt, Benzin allgemein, sondern zwei unter-

414 S. beispielweise die auf Art. 100 a EWGV gestützte Rats-RL 88/76/EWG v. 3. Dezember 1987 zur Änderung der RL 70/220fEWG über die Angleichung der Rechtsvorschriften der MS über Maßnahmen gegen die Verunreinigung der Luft durch Abgase von Kraftfahrzeugmotoren (ABI. der EGen v. 9. Februar 1988, L 36, S. 1 f1).

230

D. Einzelne rechtliche Probleme der EG-Abfallpolitik

schiedliche Produkte erfaßte. 415 Ob es sich um zwei verschiedene Produkte handelt, kann mit Hilfe der Entlehnung des Tatbestandsmerkmales "sachlich relevanter Markt" aus der Rechtsprechung zu den Art. 85 f. E(W)GV geklärt werden: 416 Es liegt ein einzelnes Produkt vor, wenn es da:fiir einen eigenen Markt gibt. Der sachlich relevante Markt umfaßt somit alle Erzeugnisse, die einander ganz oder zu einem erheblichen Teil ersetzen können (sogenannte Substitutionsprodukte). Zwei oder mehr sachlich relevante Märkte existieren für Erzeugnisse, deren Austauschbarkeit gering oder ganz ausgeschlossen ist (sogenannte Komplementärprodukte417). Danach sind verbleites und unverbleites Benzin Komplementärprodukte; denn ihre Austauschbarkeit ist wegen der unterschiedlichen Beschaffenheit von KFZ-Motoren gerade nicht gegeben. Das heißt, daß die Benzin-RL zwei unterschiedliche Produkte erfaßt hat, wovon das verbleite Benzin aus Umweltschutzgründen nach und nach vom Markt gedrängt werden sollte, so daß Art. 130 s EGV die zutreffende Kompetenz war. Demnach kann für produktbezogene Umweltvorschriften folgende Kompetenzabgrenzungsregel zusammengefaßt werden: l. Verbietet eine Regelung aus umweltpolitischen Gründen die Verwendung eines Produktes, ist Art. 130 s EGV die richtige Kompetenznorm.

2. Ermöglichen und/oder erleichtern produktbezogene Umweltvorschriften den grenzüberschreitenden Warenverkehr, greift Art. 100 a EGY. 3. Wird die Verwendung eines Produktes eingeschränkt, muß der EGRechtsakt auf Art. 100 a EGV gestützt werden, sofern das Produkt umweltfreundlicher gestaltet werden und weiterhin handelbar sein soll; Art. 130 s EGV ist einschlägig, wenn Produktion und Handelbarkeit der Ware wegen ihrer Umweltschädlichkeit reduziert werden sollen. Damit wird bei der Einschränkung nicht nur auf die Belastung abgestellt, sondern auch nach dem Grund gefragt, so daß die Vorgaben des EuGH, Inhalt und Ziel des Rechtsaktes zu beachten, erfiillt werden.

415 AA Scheuing, D. S. 188. 416 S. Koch, N., in Grabitz-Kommentar,

Rn. 107 ff. zu Art. 85.

417 Dabei ist die Kreuzpreiselastizität der Nachfrage Gradmesser ft1r die Austauschbarkeit zweier Erzeugnisse, s. anschaulich EuGHE 1978, Rs. 27/76 - United Brands -, S. 207, 282 f.

III. Horizontale und vertikale Kompetenzkonflikte

231

ß) Produktionsbezogene Umweltvorschriften Da produktionsbezogene Umweltvorschriften erheblichen Einfluß auf die Wettbewerbsverhältnisse haben können, die Wettbewerbsverhältnisse aber dem Anwendungsbereich des GM (Art. 100 EGV), nicht des BM (Art. 100 a EGV) unterfallen418 , ist die Kompetenzabgrenzung zwischen Art. l30 s EGV und Art. 100 EGV vorzunehmen. Faßt man die Wettbewerbsverhältnisse als ein Element des GM a~19, ist eine kategorische Ablehnung der weiteren Anwendung des Art. 100 EGV auf umweltrechtliche Vorschriften, wie sie einzelne Stimmen in der Literatur420 vertreten, unzutreffend, da Art. l30 s EGV genau so wenig im Spezialitätsverhältnis zu Art. 100 EGV wie zu Art. 100 a EGV steht. Vielmehr sind ähnliche Kriterien wie gegenüber Art. 100 a EGV anzulegen. Als Beispiel diene die RL des Rates 86/1131EWG vom 25. März 1986 zur Festsetzung von Mindestanforderungen zum Schutz von Legehennen in Käfigbatteriehaltung421. Ihre Vorschriften verfolgten einerseits den Tierschutz (ausreichender Bewegungsspielraum fiir Legehennen422 ), der spätestens seit dem zweiten Umwelt-Aktionsprogramm (Titel III, Kapitel 2423 ) zur EG-Umweltschutzpolitik zu zählen ist, andererseits vereinheitlichte sie die Produktionsbedingungen, um gleiche Wettbewerbsbedingungen in der gemeinsamen Marktorganisation fiir Eier zu schaffen. Somit stehen sich Umweltschutzziele und Rechtsharmonisierung im GM gegenüber. Gäbe es Art. 38; 42 f. EWGV nicht424, so hätte der Rechtsakt

418 S.o. aaa. 419 So auch Breier, S.Nygen, H., in Lenz, C., Rn. 14 zu Art. 130 s. 420 Glaesner, H.-J., Umwelt, S. 7; Palme, C., S. 378 Fn. 17 m.w.N.; heide lehnen auch zu Unrecht die weitere Anwendbarkeit von Art. 235 EGV (zu dieser Konkurrenz ebenso Cerexhe, E., S. 57) in Umweltfragen ab; ftlr eine generell weitere Anwendbarkeit beider Vorschriften dagegen Grabitz, E., in EWGV-Kommentar, Rn. 22 f., 26 zu Art. 130 s; Molkenbur, G., S. 683. In bezug auf Art. 235 EGV ist an dieser Stelle noch einmal auf die ausdti1ckliche Subsidiaritätklausel hinzuweisen. 421 ABI. der EGen v. 10. April 1986, L 95, S. 45 ff.; sie wurde vom EuGH durch Urteil v. 23. Februar 1988 (E 1988, Rs. 13l/86, S. 905 ff.) wegen verspäteter redaktioneller Änderungen aufgehoben. 422 Bei näherer Betrachtung erweist sich die RL allerdings als völlig unzureichend, weil eine artgerechte Tierhaltung in keiner Weise garantiert ist. 423 S. ABI. derEGen v. 13. Juni 1977, C 139, S. 25 ff. 424 In der Tat wurde die RL auf die Spezialvorschriften der Art. 42 f. EWGV gestützt.

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D. Einzelne rechtliche Probleme der EG-Abfallpolitik

auf Art. 100 EWGV gestützt werden müssen. Denn die Vorschriften betreffen den Herstellungsprozeß einer Ware, die EG-zwischenstaatlich gehandelt wird. 425 Der grenzüberschreitende Warenverkehr soll durch die RL nicht wegen einer eventuellen Umweltschädlichkeit des Produktionsprozesses eingeschränkt werden, sondern die Produktion selbst soll umweltfreundlicher gestaltet werden. Im Rahmen der Rechtsetzung aufgrund Art. 100 EGV müssen die Umweltschutzerfordernisse gemäß Art. 130 r Abs. 2 Uabs. 1 S. 3 EGV beachtet werden. Produktionsbezogene Umweltvorschriften, die dagegen Herstellungsprozesse verbieten oder so einschränken, daß der Absatz bestimmter Waren reduziert oder völlig unterbunden wird, unterfallen Art. 130 s EGV.

xJ Anlagenbezogene Umweltvorschriften Auch anlagenbezogene Umweltvorschriften betreffen die Schnittmenge der Anwendungsbereiche von Art. 100 und 130 s EGV. Zwar besteht bei diesen Maßnahmen überhaupt kein Produktbezug mehr, denn nach der obigen Definition unterfallen ihnen Regelungen über die Beschaffenheit der Anlagen. Das bedeutet, daß die Normen nicht die Gleichheit der Wettbewerbsbedingungen für EG-BÜfger auf anderen MS-Märkten, sondern lediglich die Gleichheit der Wettbewerbsbedingungen im Vergleich der einzelnen MS zueinander betreffen. Dennoch können anlagenbezogene Umweltvorschriften Auswirkungen auf die Absatzchancen im EG-Ausland oder sogar im eigenen Land haben, so daß insoweit das von Art. 100 EGV erfaßte System eines unverfaIschten Wettbewerbes gestört wäre426 . Daher muß man zwei Kategorien von anlagenbezogenen Umweltvorschriften unterscheiden: Umweltvorschriften, die Anlagen zur Warenherstellung betreffen, sind wegen ihres Wettbewerbsbezuges auf Art. 100 EGV zu stützen. Dazu würde zum Beispiel die RL des Rates 84/3601EWG vom 28. Juni 1984 zur Bekämpfung der Luftverunreinigung durch Industrie-

425 AA Krämer, L., in GTE, Bd. 3, Rn. 91 vor Art. 130 rot, der nicht das Produkt "Ei" betrachtet, sondern den "natürlichen Produzenten", die Henne, als Lebewesen schützen will. 426 Für den Fall, daß ein MS seinen Unternelunen so strenge anlagenbezogene Umweltnormen auferlegt, daß die produzierten Güter wegen der daraus resultierenden Verteuerung keine Absatzchancen mehr im EG-Ausland (vereitelter Zugang zu ausländischen Märkten) oder sogar im eigenen Land haben, konunt auch ein Verstoß gegen Art. 34 EGV in Betracht, solange noch keine Vollharrnonisierung vorgenonunen worden ist.

III. Horizontale und vertikale Kompetenzkonflikte

233

anlagen427 zählen, die damals auf die Art. 100 und 235 EWGV zurückgriff. Sie erfaßt überwiegend Anlagen, die Güter produzieren. Hingegen sind Umweltvorschriften, die Anlagen, die nicht der Warenproduktion dienen, reglementieren, Art. 130 s EGV zu subsumieren. Hierunter fällt beispielsweise die Rats-RL 88/609/EWG vom 24. November 1988 zur Begrenzung von Schadstoffemissionen von Großfeuerungsanlagen in die Luft428 , die ausschließlich Anlagen zur WärIneerzeugung erfaßt. Es ist demnach unzutreffend, Vorschriften, welche die Verschmutzung der Umweltmedien Luft und Wasser durch Anlagen eindämmen oder verringern wollen (Emissionsgrenzwerte), generell Art. 130 s EGV unterfallen zu lassen. 429 Vielmehr ist im Einzelfall zu prüfen, ob der reglementierte Anlagentyp der Güterproduktion dient und die EG-Maßnahmen zu Wettbewerbsverzerrungen führen können. d) Anwendung auf das Abfallrecht aa) Allgemeine Anwendung Wendet man die herausgearbeitetn Kriterien zur Kompetenzabgrenzung auf das EG-Abfallrecht an, so ergibt sich allgemein folgendes: Da Abfälle nach Auffassung des Verfassers keine Waren sind, sondern die Abfallentsorgung der Dienstleistungsfreiheit unterfällt430 , sind die oben angestellten Ausfiihrungen zu den produktbezogenen Umweltvorschriften, die sich auf den grenzüberschreitenden Warenverkehr auswirken, im Abfallrecht nicht fruchtbar zu machen. Die Abfallregelungen betreffen gerade nicht die Verwendung von Produkten. Allerdings umfassen der BM und damit Art. 100 a EGV auch die Dienstleistungsfreiheit. Sammlung, Verwertung, Lagerung, Verbrennung von Abfallen und ähliche Wirtschaftsvorgänge mit grenzüberschreitendem Charakter stellen Dienstleistungen dar, die vom Abbau der Handelshemmnisse

427 ABI. der EGen v. 16. Juli 1984, L 188, S. 20. 428 ABI. der EGen v. 7. Dezember 1988, S. I ff. 429 So Grabitz, E., in EWGV-Kommentar, 3. Erglief., Rn. 23 zu Art. 130 s; Grabitz, E.lNettesheim, M., in Grabitz-Kommentar, Rn. 46 zu Art. 130 s (die dortigen Verweise auf Krämer und Scheuing sind allerdings nicht einschlägig). 430 S.o. II, 3, d und 4, a.

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D. Einzelne rechtliche Probleme der EG-Abfallpolitik

zwischen den MS betroffen sein könnten. Insofern kann man anstelle von produktbezogenen von dienstleistungsbezogenen abfallrechtlichen Umweltvorschriften sprechen. Würden abfallrechtliche Vorschriften die Erleichterung oder sogar Ermöglichung der grenzüberschreitenden Dienstleistungen bezwecken, könnte wiederum an Art. 100 a EGV431 als Kompetenzgrundlage gedacht werden. Das ist aber im Abfallbereich nicht der Fall. Wie bereits ausführlich erörtert432 , verfolgt die EG-Abfallpolitik die Ziele, die Abfallentstehung so weit wie möglich zu vermeiden, den dennoch anfallenden Abfall auf möglichst umweltverträgliche Weise wiederzuverwenden oder notfalls zu beseitigen und dabei jeweils die Transportwege und den Abfallumlauf insgesamt einzuschränken. Aus Umweltschutz-, Gesundheitsgründen und Gründen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung fordern das Quellen-, das Verursacherprinzip, das Prinzip der Entsorgungsnähe und das Prinzip der Entsorgungsautarkie, daß alle Abfalle möglichst nah am Ort ihrer Erzeugung von ihren Verursachern beseitigt werden. Ein Rechtsprinzip der offenen Grenzenfür die Abfallverbringung existiert hingegen nicht. Die vom EuGH vor allem im Wallonien-Urteil 433 , im Urteil zur Abfallverbringungs-V0434 und zum deutschen Abfallgesetz435 ausgesprochenen Grundsätze machen deutlich, daß die mitgliedstaatlichen Grenzen :für Abfälle nicht unbeschränkt durchlässig sein, sondern eher geschlossen werden sollen. Eine Harmonisierung mitgliedstaatlieher Rechtsordnungen soll zu einem System von Verfahren führen, das den Umlauf der Abfälle begrenzt436 . Demnach können EG-Akte, die Dienstleistungen auf dem Abfallsektor betreffen, nicht auf Art. 100 a EGV gestützt werden. Soweit keine Spezialnormen (z.B. Art. 75; 84 EGV) einschlägig sind, ist die richtige Befugnisnorm Art. 130 s EGV, da der Abfall-Dienstleistungsverkehr wegen seiner Umweltschädlichkeit eingeschränkt oder ganz unterbunden werden soll.

431 Im Außenhandelsbereich, zu dem auch der Handel mit DienstleistwJ.gen zu rechnen ist, wäre Art. 113 EGV einschlägig, vgl. ausfilhrlich Schröer, T., Kompetenzverteilung, S. 286 tT. m. vie1fliltigen Nachweisen. 432 S.o. B, 11, I, a, gg; c, hh; C, IV, I c-e; 2, d. 433 EuGHE 1992, Rs. C-2/90, S. 4431,4477. 434 EuGHE 1994, Rs. C-187/93, S. 2857,2881 ff. 435 Urteil v. 10. Mai 1995, Rs. C-422/92, EWS 1995, S. 233,236. 436 Urteil zur Abfallverbringungs-VO, a.a.O., S. 2882 f

ill. Horizontale und vertikale Kompetenzkonflikte

235

Produktionsbezogene abfallrechtliche Umweltvorschriften sind ex definitione nicht denkbar, weil Abfälle als Ware nicht zielgerichtet hergestellt werden, sondern allenfalls Kuppelprodukte sind437 . Anderes gilt für anlagenbezogene abfallrechtliche Umweltvorschriften. Hier stehen sich - wie im allgemeinen Umweltrecht - die Art. 100 und 130 s EGV gegenüber; denn die Beschaffenheit von Anlagen kann in der Weise geregelt werden, daß möglichst wenig oder keine Abfälle als Kuppelprodukte bei der Güterproduktion anfallen oder Abfallanlagen als solche (z.B. Deponien, Verbrennungsanlagen, Verwertungsanlagen) umweltfreundlich arbeiten. Vorschriften für die erstgenannten Anlagen unterfallen der Kategorie der Umweltvorschriften, welche die Absatzchance von Produkten beeinflussen können und deshalb einen deutlichen Wettbewerbsbezug aufweisen. Trotz des Zieles, die Umwelt bei der Güterproduktion vor Abfällen zu schützen, ist Art. 100 EGV die zutreffende Kompetenznorm. Folgerichtig, aber mit falscher Begründung, hob der EuGH in seinem Titandioxid-Urteil438 die RL 89/428/EWG auf, weil sie auf Art. 130 s EWGV gestützt worden war439 . Die daraufhin verabschiedete RL des Rates 92/112/EWG vom 15. Dezember 1992 über die Modalitäten zur Vereinheitlichung der Programme zur Verringerung und späteren Unterbindung der Verschmutzung durch Abfälle der Titandioxid-Industrie440 hätte anstelle von Art. 100 a EWGV aufgrund Art. 100 EWGV erlassen werden müssen: Regelungsgegenstand sind die vom GM und daher von Art. 100 EGVerfaßten Wettbewerbsverhältnisse. Dabei soll die Titandioxid-Produktion nicht beschränkt, sondern lediglich die umweltgefahrdenden Emissionen der Industrieanlagen geregelt werden. Dagegen sind abfallrechtliche Umweltvorschriften, die nicht-güterproduzierende Anlagen betreffen, auf Art. 130 s EGV zu stützen. Als Beispiele sind die Rats-RL 89/369/EWG vom 8. Juni 1989 über die Verhütung der Luftverunrei-

437 S.o. 11, 3, d. 438 EuGHE 1991, Rs. C-300/89, S. 2867

t1

439 Das gegen Art. 130 s EWGV ausfallende Ergebnis vorwegneiunend s. Krämer, L., in GTE, Bd. 3, Rn. 94 vor Art. 130r-t; a.A. Grabitz, E.lNettesheim, M., a.a.O., Rn. 43 f. zu Art. 130 s. 440 ABI. der EGen v. 31. Dezember 1992, L 409, S. 11

tT.

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D. Einzelne rechtliche Probleme der EG-Abfallpolitik

nigung durch neue Verbrennungsanlagen fiir Siedlungsmüll441 sowie die RatsRL 94/67/EG vom 16. Dezember 1994 über die Verbrennung gefährlicher Abfälle442 zu nennen. Die betroffenen Anlagen produzieren keine Güter, sondern vernichten die Überreste ehemaliger Produkte. Die dabei entstehenden Emissionen können gesundheits- und umweltschädlich sein, so daß entsprechende Grenzwerte einzuhalten sind. bb) Überprüfung der Vorschläge und Rechtsakte seit Inkrafttreten der EEA (1. Juli 1987)

Überprüft man die konstatierten Abgrenzungskriterien anband der übrigen Kommissionvorschläge und der in Kraft getretenen Abfall-Rechtsakte seit Geltung der EEA, wird deutlich, daß eine klare Entscheidung jeweils fiir eine Befugnisnorm ohne Probleme möglich ist. Die von Rechtsprechung und herrschender Lehre vertretene Meinung, daß die Vorschriften des EAG-Vertrages und des EGKS-Vertrages die Kompetenznormen des EG-Vertrages gemäß Art. 232 EGV verdrängen so wie die speziellen EG-Vorschriften zur Verwirklichung des BM und die EG-VertragsVorschriften über die gemeinsamen Politiken dem Art. 100 a EGV vorgehen, vertreten offenbar auch Rat und Kommission. So haben sie sämtliche Maßnahmen bezüglich radioaktiver Abfälle auf Normen des EAG-Vertrages gestützt, ohne irgendwelche Ausführungen über Art. 100 a oder 130 s EGV anzustellen. 443 441 ABI. der EGen v. 14. Juni 1989, L 163, S. 32 ff. 442 ABI. der EGen v. 3l. Dezember 1994, L 365, S. 34 ff. 443 Innerhalb des EAG-Vertragssystemes sind - wie auch sonst - die einzelnen Politikbereiche ftIr die Auswahl der Kompetenzvorschrift entscheidend: Geht es um Forschungsprogramme [wie im Fall der Rats-Entscheidung 89/664/Euratom v. 15. Dezember 1989 zur Genehmigung eines spezifischen Forschungs- und technologischen Entwicklungsprogrammes filr die EAG auf dem Gebiet der Entsorgung radioaktiver AbflUle - 1990-1994 - (ABL. der EGen v. 30. Dezember 1989, L 395, S. 28 f) und der Rats-Entscheidung 94/920/Euratom v. 15. Dezember 1994 über ein spezifisches Programm ftIr Forschung und Ausbildung im Bereich der Sicherheit der Kernspaltung 1994-1998 - (ABI. der EGen v. 3l. Dezember 1994, L 361, S. 143 ft), s.o. B, TI, 1, c, gg], so wählte der Rat Art. 7 EAGV. hn Falle des Gesundheitsschutzes der Bevölkerung und der Arbeitskräfte vor den Gefahren ionisierender Strahlungen wurden zutreffenderweise die Art. 31 f EAGV herangezogen [so RL des Rates 92/3/Euratom v. 3. Februar 1992 zur Überwachung und Kontrolle der Verbringungen radioaktiver Abfälle von einern MS in einen anderen, in die Gemeinschaft und aus der Gemeinschaft (ABI. der EGen v. 12. Februar 1992, L 35, S. 24 tT.) und Rats-VO (Euratom) Nr. 1493/93 v.

III. Horizontale lUld vertikale Kompetenzkonflikte

237

Für die abfallrechtlichen Rechtsakte, die ausschließlich Materien des EGVertrages betreffen, ist nach dienstleistungs- und anlagenbezogenen Umweltvorschriften zu unterscheiden. Zu den dienstleistungsbezogenen Akten sind die folgenden zu zählen: die Rats-RL 90/667IEWG über tierische AbfaIle444 aus dem Bereich der Gemeinsamen Landwirtschaftpolitik und die Rats-Beschlüsse 88/511IEWG und 92/413IEWG zu REWARD445 hinsichtlich der gemeinschaftlichen Forschungspolitik sind auf die speziellen Kompetenzen der Art. 43 und 130 0 EGV (vormals Art. 130 q Abs. 2 EWGV) zu stützen, da sie den eigens geregelten Titeln "Landwirtschaft" und "Forschung und technologische Entwicklung" zuzuordnen sind446 . Da der Abfall-Dienstleistungsverkehr eingeschränkt wird, käme als Befugnisnorm nur Art. 130 s EGV in Betracht, der allerdings hinter die genannten spezifischen Vorschriften zurück-

8. Juni 1993 über die VerbringlUlg radioaktiver Stoffe zwischen den MS (ABI. der EGen v. 19. Juni 1993, L 148, S. 1 ff.), s.o. B, II, 2, b, dd]. Vorschriften zur Umsetzung des Art. 37 EAGV [so Kommissions-EmpfehllUlg 9114IEuratom V. 7. Dezember 1990 betreffend die AnwendlUlg von Art. 37 EAGV (ABI. der EGen V. 9. Januar 1991, L 6 S. 16 ff.), s.o. B, II, 1, c, fl] nennen diesen Artikel auch als KompetenzgflUldlage lUld die VO (Euratom) Nr. 2130/93 der Kommission V. 27. Juli 1993 zur Änder\Ulg der VO (Euratom) Nr. 3227/76 zur AnwendlUlg der BestimmlUlgen der Euratom-SicheflUlgsmaßnahmen (ABI. der EGen V. 31. Juli 1993, L 191, S. 75; s.o. B, II, 1, c, cc) war auf Art. 79 EAGV zu stützen, da sie die nationalen Vorschriften zur ÜberwachlUlg spaltbarer Stoffe regelt. 444 RL v. 27. November 1990 zum Erlaß veterinärrechtlicher Vorschriften für die BeseitiglUlg, VerarbeitlUlg lUld Vermarktung tierischer Abfälle lUld zum Schutz von Futtermitteln tierischen UrspflUlgs, auch aus Fisch, gegen Krankheitserreger sowie zur ÄndeflUlg der RL 90/4251EWG (ABI. der EGen v. 27. Dezember 1990, L 363, S. 51 ff.), s.o. B, II, I, b, hh.

445 Beschluß v. 26. September 1988 über den Abschluß des Kooperationsabkommens zwischen der EWG lUld dem Königreich Schweden über ForschlUlgsarbeiten auf dem Gebiet der Rückftlhnmg lUld VerwertlUlg von Abfällen (ABI. der EGen v. 7. Oktober 1988, L 276, S. II ff.), Beschluß v. 29. Juni 1992 über den Abschluß eines Kooperationsabkommens zwischen der EWG lUld dem Königreich Schweden über ForschlUlg lUld technologische EntwickllUlg auf den Gebieten der erneuerbaren Rohstoffe: Forstwirtschaft lUld Holzprodukte (einschließlich Kork) (FOREST) lUld der RückfühflUlg von Abfall (REWARD) (ABI. der EGen v. 11. August 1992, L 228, S. 40 ff.), s.o. B,II,I,a,dd. 446 Der vom Rat im Falle des Beschlusses 88/511IEWG herangezogene Art. 235 EWGV hätte allerdings wegen seiner Subsidiarität gegenüber den übrigen Vertragskompetenzen nicht angewendet werden dürfen.

238

D. Einzelne rechtliche Probleme der EG-Abfallpolitik

tritt. Den Vorschlag fur eine PCB-RL 447 stützte die Kommission ursprünglich auf Art. 100 a EWGV, später dann auf Art. 100 a und 113 EWGV448, obwohl das Inverkehrbringen von PCB künftig untersagt sein und die Beseitigung von PCB und PCB-Abfiillen streng kontrolliert werden soll. Schon die Erwägungen zur allgemeinen Abgrenzung von Art. 130 s und 100 a EGV zeigen, daß allein Art. 130 s EGV die richtige Befugnisnonn sein kann; denn auch die Ware PCB soll weder im Binnenhandel noch im Handel mit Drittstaaten zirkulieren. Eine ähnliche Verquickung von produktbezogenen Umweltvorschriften und dienstleistungsbezogenen abfallrechtlichen Nonnen enthält die Batterie-RL449. Auch sie nennt fälschlicherweise Art. 100 a EWGV als Grundlage, obwohl bestimmte Batterien als Ware verboten und die Abfälle gesondert eingesammelt werden sollen. Beide Teilbereiche unterfallen Art. 130 s EGV, der unter anderem den begrenzten Güter- und Abfallumlauf aus Umweltschutzgründen regeln will. Die falsche Wahl - Art. 100 a E(W)GV - haben Kommission, Rat und EP auch in den Bereichen der Abfallhaftung450 und der Verpackungsabfälle451 getroffen, denn im Mittelpunkt der Regelungen stehen Abfalldienstleistungen, die das Abfallaufkommen und die Gefährlichkeit des Abfalles verringern bzw. dennoch entstandene Schäden regulieren sollen.

447 RL zur Beseitigwtg der polychlorierten Biphenyle und polychlorierten Terphenyle, KOM (88) 559 endg. - SYN 161 v. 3. November 1988 (ABI. der EGen v. 12. Dezember 1988, C 319, S. 57 ff.), s.o. B, Il, 1, b, bb. 448 S. Geänderter Vorschlag filr eine RL des Rates zur Beseitigung von PCB, KOM (91) 373 endg. - SYN 161 v. 22. Oktober 1991 (ABI. der EGen v. 20. November 1991, C 299, S. 9). 449 RL des Rates 911157IEWG v. 18. März 1991 über geflihrliche Stoffe enthaltende Batterien und Akkwnulatoren (ABI. der EGen v. 26. März 1991, L 78, S. 38 ff.), s.o. B, Il, 1, b,jj. 450 Kommissions-Vorschlag filr eine Rats-RL über die zivilrechtliche Haftung filr die durch Abtalle verursachten Schäden, KOM (89) 282 endg. - SYN 217 v. 1. September 1989 (ABI. derEGen v. 4. Oktober 1989, C 251, S. 3 ff.) und Geänderter Vorschlag filr eine ebensolche RL, KOM (91) 219 endg.- SYN 217 v. 28. Juni 1991 (ABI. der EGen v. 23. Juli 1991, C 192, S. 6 ff.), s.o. B, Il, 1, a, hh; die Nennung des Art. 100 EWGV muß in beiden Fällen ein redaktionelles Versehen sein, da aus dem 4. Erwägwtgsgrund klar hervorgeht, daß die Kommission Art. 100 a EWGV meinte. 451 RL 94/621EG des EP und des Rates v. 20. Dezember 1994 über Verpackungen und Verpackungsabtalle (ABI. der EGen v. 31. Dezember 1994, L 365, S. 10 ff.), s.o. B, Il, 1, b, mm.

III. Horizontale Wld vertikale Kompetenzkonflikte

239

Hingegen wurden die Beschlüsse 90/179/EWG452 und 93/98/EWG453 sowie die Abfallverbringungs-VO (EWG) Nr. 259/93 454 zu Recht auf Art. 130 s EWGV gestützt. Alle drei Rechtsakte bezwecken die Venninderung und Kontrolle der grenzüberschreitenden Abfallverbringung und schränken damit den Dienstleistungsverkehr entsprechend ein. Ebenfalls hat der Rat für die veränderte Abfall-Rahmen-RL 91/156/ EWG455 und die RL 911689/EWG456. Art. 130 s EWGV herangezogen. Soweit sie dienstleistungsbezogene abfallrechtliche Umweltvorschriften (z.B. zur Abfallverwertung und -beseitigung) enthalten, wird die Umweltkompetenznorm vor allem durch das Ziel der Entsorgungsautarkie gerechtfertigt. Darüberhinaus enthalten beide Rechtsakte aber auch anlagenbezogene abfallrechtliche Umweltvorschriften wie beispielsweise die Art. 5 Abs. 2; 9 ff. RL 91/156/ EWGV und Art. 2 ff. RL 91/689/EWG. Diese beziehen sich auf nicht-güterproduzierende Anlagen, so daß ebenfalls ausschließlich Art. 130 s EGV einschlägig ist. Zu den rein anlagenbezogenen abfallrechtlichen Umweltvorschriften seit Inkrafttreten der EEA ist der Vorschlag für eine Abfalldeponie-RL457 zu rech-

452 Rats-Beschluß 90/1701EWG v. 2. April 1990 über die Annahme seitens der EWG einer EntscheidWlg - EmpfehlWlg der OECD über die ÜbetwachWlg der grenzüberschreitenden Verbringmg gefährlicher Abtalle (ABi. der EGen v. 7. April 1990, L 92, S. 52 f.). 453 Rats-Beschluß 93/981EWG v. 1. Februar 1993 zwn Abschluß - im Namen der Gemeinschaft - des Übereinkommens über die Kontrolle der grenzüberschreitenden Verbringmg von gefährlichen Abfällen Wld ihrer Entsorgmg (Basler Übereinkommen) (ABi. der EGen v. 16. Februar 1993, L 39, S. 1 fT.), s.o. B, 11, 2, a, cc. 454 Rats-VO (EWG) Nr. 259/93 v. 1. Februar 1993 zur ÜberwachWlg Wld Kontrolle der Verbringmg von Abtallen in der, in die Wld aus der EG (ABi. der EGen v. 6. Februar 1993, L 30, S. 1 tT.), s.o. B, 11, 2, a, ee. 455 Rats-RL 911156IEWG v. 18. März 1991 zur ÄndefWlg der RL 75/4421EWG über AbtaUe (ABi. der EGen v. 26. März 1991, L 78, S. 32 tT.), s.o. B, 11, 1, a, aa. 456 Rats-RL 911689IEWG v. 12. Dezember 1991 über gefährliche Abfälle (ABi. der EGen v. 31. Dezember 1991, L 377, S. 20 tT.); s. auch Rats-RL 94/311EG v. 27. JWli 1994 zur ÄndefWlg der RL 91/6891EWG (ABi. der EGen v. 2. Juli 1994, L 168, S. 28), s.o. B, 11, 1, b, kk. 457 Geändeter Vorschlag für eine Rats-RL über AbfaUdeponien KOM (93) 275 endg. - SYN 335 v. 10. JWli 1993 (ABi. der EGen v. 5. August 1993, C 212, S. 23 tT.), s.o. B, 11, 1, a, ii.

240

D. Einzelne rechtliche Probleme der EG-Abfallpolitik

nen. Er wurde fälschlichenveise auf Art. 100 a EWGV gestützt, obwohl die RL keinerlei Produktionsstätten von Gütern betreffen wird. Der Rat hat allerdings mittlenveile seinen Vorschlag geändert und stützt sich nunmehr wie die Rats-RL 94/67/EG458 vom 16. Dezember 1994 über die Verbrennung gefahrlicher Abfälle auf Art. l30 s EGV. 459 2. Vertikale Kompetenzkonflikte Ob die MS unabhängig von den EGen abfallrechtlich tätig werden können, richtet sich nach der vertikalen Kompetenzverteilung. Abgesehen von den bereits erörterten, den MS zur Verfügung stehenden immanenten Einschränkungen des Tatbestandes der Art. 59 f. EGV460 ist hierbei von den allgemeinen Grundsätzen des EG-Rechtes und im vorliegenden Bereich umweltrechtlicher Normsetzung insbesondere von Art. l30 r Abs. 4, Abs. 2 Uabs. 2; l30 s Abs. 5; l30 t; 100 a Abs. 4 und 5 EGVauszugehen. 461

458 ABI. derEGen v. 31. Dezember 1994, L 365, S. 34 ff., s.o. B, II, 1, b, 11. 459 Das EP hat diese Rechtsgrundlage bereits gebilligt, s. ABI. der EGen v. 19. Jtmi 1995, C 151, S. 378. 460 S.o. II, 4, c, aa. 461 Auf Art. 118 a Abs. 3 EGV soll im folgenden wegen seines begrenzten Anwendungsbereiches und nicht erkennbarer abfallrechtlicher Relevanz nicht näher eingegangen werden. Der Artikel, der insbesondere die Verbesserung der Arbeitsumwelt zum Ziel hat, erfaßt - anders als Art. 130 r EGV mit seinem Postulat des umfassenden Umweltschutzes [vgl. Krämer, L., in GTE, Bd. 3, Rn. 2 ff. zu Art. 130 r; a.A. Grabitz, E./Nettesheim, M., in Grabitz-Kommentar, Rn. 2 ff. zu Art. 130 r, die verkennen, daß das sozio-ökonomische Umfeld der Menschen wesentliche Bedeutung filr die natürliche Umwelt entwickeln kann, denn wirtschaftliche und soziale Beeinträchtigungen können sich auf Menschen, Fauna lind Flora negativ auswirken; s. z.B. 2. Erwägungsgrund des Kommissions-Vorschlages filr eine Rats-RL über die integrierte Vermeidung und Verminderung der Umweltverschmutzung KOM (93) 423 endg. v. 30. September 1993 (ABI. der EGen v. 17. November 1993, C 311, S. 6); vgl. Erbguth, W., S. 44 ff.; eine Zwischenmenge annehmend Schröer, T., Kompetenzverteilung, S. 42 ff] - einen sehr speziellen Anwendungsbereich filr umweltpolitische Fragen, nämlich den Schutz der Arbeitnehmer hinsichtlich ihrer Gesundheit und Sicherheit am Arbeitsplatz, ergonomische Maßnahmen bezüglich der Organisation der Arbeitsabläufe, des Umganges mit Werkstoffen und Werkzeugen sowie die Beziehungen zu anderen Arbeitnehmern (Pipkorn, J., in GTE, Bd. 3, Rn. 9 f., 23 zu Art. 118 a m.w.N.) Hat der Rat aufgrund des Art. 118 a Abs. 2 EGV gehandelt, verbleibt den MS die Möglichkeit, einschlägige Maßnahmen zum verstärkten Schutz der Arbeitsbedingungen beizubehalten oder neu zu treffen (idem, Rn. 42 ff. zu Art. 118 a).

Ill. Horizontale und vertikale Kompetenzkonflikte

241

a) Grundsätzliche Verteilung der Kompetenzen zwischen den EGen und den MS Für die von den EGen ausgeübte Hoheitsgewalt gibt es keine KompetenzKompetenz, also keine Befugnis zur autonomen Begründung eigener Kompetenzen, d. h., sie können in den Bereichen der Legislative, Exekutive und Jurisdiktion nur auf den Gebieten tätig werden, welche die MS für sie bestimmt haben. Dieser Grundsatz ergibt sich aus Art. 4 Abs. 1 EGV; 3 EGKSV; 3 Abs. 1 EAGV; E EUV, wonach die jeweiligen Gemeinschaftsorgane nach Maßgabe der ihnen zugewiesenen Kompetenzen tätig werden. Es gilt das Prinzip der begrenzten Ennächtigung (principe de competence d'attribution, vgl. Art. 3 b Uabs. 1 EGV). Fehlen Handlungsbefugnisse in den Verträgen, so sind ausschließlich die MS zuständig. Damit zeigt sich der in den Verträgen angelegte Grundsatz der grundlegenden Ausgewogenheit462 . Für die EGen hat der EuGH bisher ausschließliche Kompetenzen in den Bereichen Fischereipolitik463 und Handelspolitik464 angenommen und ihnen im Rahmen der Wettbewerbs-, Agrar- und Verkehrspolitik ausschließliche Befugnisse eingeräumt, sobald sie Rechtsakte erlassen haben465 . Zwar können die MS auf diesen Gebieten faktisch ebenfalls noch nationales Recht setzen, doch bedeutet der Anwendungsvorrang des Gemeinschaftsrechtes vor dem nationalen Recht466 , daß das EG-Recht jedem nationalen Recht vorgeht, also stärker als früheres nationales Recht ist und eine Sperrwirkung bezüglich der Anwendung später gesetzten Rechtes der MS entfaltet. 467 Ferner gibt es Materien (beispielsweise den Umweltschutz und die BMHarmonisierung), für die weder die MS noch die EGen ausschließlich kompetent sind, sondern eine kumulative Kompetenz gegeben ist. Nach dem in den

462 EuGHE 1981, Rs. 269/80 - Tymen -, S. 3079,3092. 463 EuGHE 1981, Rs. 804/79, S. 1045 tT. 464 EuGHE 1975, Gutachten 1/75, S. 1355 ff.; E 1979, Gutachten 1/78, S. 2871 tT. 465 Vgl. EuGHE 1971, Rs. 22/70 - AETR -, S. 263,275,281; E 1975, Rs. 51/74 Blumenzwiebeln -, S. 79, 94; E 1984, Rs. 16/83 - Prantl -, S. 1299, 1324 f; EuGH Gutachten 2/91 - ILO -, ABI. der EGen v. 19. April 1993, C 109, S. 1,7. 466 Ständige EuGH-Rechtsprechung seit EuGHE 1964, Rs. 6/64 - Costa/ENEL -, S. 1251 fT. 467 Vgl. anstelle vieler Grabitz, E., Gemeinschaftsrecht, S. 113 fT.; Zuleeg, M., Recht, S. 136 fT. 16 Zacker

242

D. Einzelne rechtliche Probleme der EG-Abfallpolitik

Art. 3 b Uabs. 2 EGY; B Uabs. 2 EUV nunmehr verankerten Subsidiaritätsprinzip468 (, das in den EWG-Yertrag erstmals durch die EEA in den Art. 130 r Abs. 4 S. I EWGy469 aufgenommen worden war,) sollen die Gemeinschaften in diesen Fällen nur tätig werden, sofern und soweit die Ziele der in Betracht gezogenen Maßnahmen durch die MS nicht ausreichend erreicht und deshalb wegen ihres Umfanges oder ihrer Wirkungen besser auf der Gemeinschaftsebene verfolgt werden können. So soll gewährleistet werden, daß die Gemeinschaftsmaßnahmen möglichst bürgernah unter Wahrung der nationalen Identität der MS erlassen werden. Häberles Konzept des nationalen kooperativen Yerfassungsstaates470 kann auch auf die Kompetenz- und Aufgabenverteilung zwischen den EGen und den MS übertragen werden: eine möglichst sachgerechte Aufgabenwahrnehmung und eine effektive Verteilung der Lasten sollen die Erreichung der Gemeinschaftsziele, die zugleich Ziele der MS sind, lordern und ermöglichen471 . Nur wenn die Gemeinschaften abschließende Rechtsakte (z.B. im Fall der Totalharmonisierung nach Art. 100 EGy472 oder aufgrund der Art. 235 EGY; 95 EGKSY; 203 EAGV) gesetzt haben, bleibt für die MS - wegen des Grundsatzes des Anwendungsvorranges - kein effektiver Handlungsspielraum. Eine Ausnahme besteht lediglich für die NotstandsIälle des Art. 224 EGy473 und im Rahmen von Sekundärrechtsakten, die sogenannte Derogationsklauseln enthalten, wonach die MS strengere Normen oder andersartige Schutzmaßnahmen als die von den EG-Akten vorgesehenen erlassen dürfen474 .

468 Der Europäische Rat hat zur Konkretisierung am 12. Dezember 1992 ein Gesamtkonzept filr die AnwendWlg von Art. 3 b EGV durch den Rat beschlossen, s. Europe, Nr. 5878 Wld 5878 al1992 v. 13./14. Dezember 1992, worin sich sogenannte Grundprinzipien, materielle Leitlinien Wld Verfahrensregeln fmden. Aus der Fülle der Literatur s. exemplarisch Toth, A., Subsidiarity, S. 1080 ff.; Lecheier, H., Subsidiaritätsprinzip, S. 432 ff. 469 S. dazu ausftlhrlich Schröer, T., KompetenzverteilWlg, S. 71 ff. 470 S. S. 407 ff. 471 Das ist vor allem im Umweltrecht wegen der grenzüberschreitenden Bezüge von größter Wichtigkeit. 472 S. Langeheine, B., in Grabitz-Konunentar, Rn. 62,69 f. zu Art. 100. 473 S. Hununer, W., in Grabitz-Konunentar, Rn. 1 zu Art. 224; filr den Umweltschutz s. Schröer, T., KompetenzverteilWlg, S. 250 f. 474 S. z.B. Art. 9 Rats-RL 87/217/EWG v. 19. März 1987 zur VerhütWlg Wld Verringerung der UmweltverschmutzWlg durch Asbest (ABI. der EGen v. 28. März 1987, L 85, S. 40, 42); filr weitere Beispiele s. Zuleeg, M., Kompetenzen, S. 285.

ffi. Horizontale und vertikale Kompetenzkonflikte

243

Schließlich unterliegen die MS auch verschiedenen Stillhalteverpflichtungen, selbst wenn noch kein geltendes Gemeinschaftsrecht gesetzt ist: Gemäß Art. 102 i.V.m. 101 EGV muß ein MS Kontakt mit der Kommission aufnehmen, bevor er Rechts- und Verwaltungsvorschriften erläßt oder ändert, sofern das zu einer Verzerrung der Wettbewerbsbedingungen auf dem GM führen kann. 475 Ausreichend ist schon eine entfernte Gefahr der Verzerrung476. Während der Kooperation mit der Kommission ist der MS dann zum "standstill" verpflichtet477 . Ähnliche Kooperations- und Stillhalteverpflichtungen können sich aus Art. 5 EGV; 192 EAGV; 86 EGKSV, aus dem Grundsatz der Gemeinschaftstreue478 und aus Sekundärrechtsakten479 ergeben. b) Abfallrechtliche Kompetenzen der MS Für das Abfallrecht existieren keine abschließenden Gemeinschaftskompetenzen, so daß grundsätzlich die MS kraft ihrer originären Kompetenzen und die Gemeinschaftsorgane nebeneinander handlungsbefugt sind. Das Subsidiaritätsprinzip verbietet den EGen allerdings, abfallrechtlich tätig zu werden, wenn die MS die erforderlichen Maßnahmen selbst effizient ergreifen können. Somit lassen auch die oben besprochenen nicht-ausschließlichen Kompetenznormen von EG (Art. 100 a; 130 0 Uabs. 2; 130 s EGV) und EAG (Art. 7; 3032; 77-79; 81; 101 Uabs. 2 EAGV) den MS grundsätzlich die Möglichkeit, aktiv zu werden. Der seit dem ersten Umwelt-Aktionsprogramm von 1973 480 im Gemeinschaftrecht geltende Grundsatz der geeigneten Aktionsebene besagt - exemplifizierend für das Umweltrecht -, daß bei jeder Umweltbelastung die

475 VgI. im einzelnen Langeheine, B., in Grabitz-Kommentar, Rn. 1 tT. zu Art. 102. 476 EuGHE 1964, Rs. 6/64 - CostalENEL -, S. 1251,1271. 477 S. Grabitz, E., Stillhalte-Verpflichtungen, S. 17. 478 Idem, a.a.O., S. 19 tT., 40 tT.; zum Verhältnis der einzelnen Pflichten zueinander s. S. 18 m.w.N., 52; a.A. Schröer, T., Kompetenzverteilung, S. 212. 479 S. beispielsweise Art. 8 f. Rats-RL 83/189/EWG v. 28. März 1983 über ein Informationsverfahren auf dem Gebiet der Normen und technischen Vorschriften (ABI. der EGen v. 26. April 1983, L 109, S. 8, 11); vgI. Langeheine, B., a.a.O., Rn. 63 zu Art. 100; Pernice, 1., Kompetenzordnung, S. 43 f.; für ein Anwendungsbeispiel s. Krämer, L., Protection, S. 125. 480 ABI. der EGen v. 20. Dezember 1973, C 112, S. 1, 7; s. ferner Schröer, T., Kompetenzverteilung, S. 74 Fn. 16. 16'

244

D. Einzelne rechtliche Probleme der EG-Abfallpolitik

Aktionsebene (örtlich, regional, national, gemeinschaftsweit, international) zu bestimmen ist, die der Art der Belastung sowie der zu schützenden geographischen Zone am besten angepaßt ist. 481 Auf Gemeinschaftsebene sollten die Aktionen konzentriert werden, die auf dieser Ebene am wirksamsten sein können. Das bedeutet keine eindeutige a-priori-Festsetzung von Kompetenzen, sondern eine jeweilige Einzelfallentscheidung, ausgerichtet am Effektivitätsprinzip, das die Geeignetheit und Erforderlichkeit einer abfallrechtlichen Maßnahme auf mitgliedstaatlicher oder gemeinschaftsweiter Ebene als Maßstab anlegt. Da Abfälle häufig grenzüberschreitende Umweltprobleme nach sich ziehen (z.B. Maßnahmen gegen die Luftverschmutzung durch Verbrennungsanlagen, Sicherung nuklearer Abfälle), sind in vielen Abfallpolitikbereichen die Gemeinschaften handlungsbefugt. Jedenfalls ist aus diesen Erwägungen heraus eine strenge Subsidiarität in dem Sinne, daß die EGen nur tätig werden drüften, wenn eine Maßnahme auf der mitgliedstaatlichen Ebene einen schlechteren Erfolg als eine Gemeinschaftsmaßnahrne erzielte482 , abzulehnen. Setzen die MS Abfallrecht, so sind sie andererseits an das vorrangige gemeinschaftliche Primär- und Sekundärrecht gebunden. Das bedeutet, daß sie auf der einen Seite Vorschriften wie Art. 92 EGV beachten müssen, auf der anderen Seite aber die europarechtlichen Normen teilweise den MS Kompetenzen belassen483 , selbst wenn die Gemeinschaftsorgane bereits abfallrechtlich gehandelt haben. Diese Durchbrechung der Sperrwirkung eines Gemeinschaftsaktes kann sowohl primär- als auch sekundärrechtlich ermöglicht werden; das bedeutet, es gibt Primärrecht, das ausdrücklich ein konkurrierendes Tätigwerden der MS zuläßt, und Sekundärrecht, das Derogationsklauseln fiir bestimmte Umstände enthält. 484

481 S. zu diesem Grundsatz \Uld seinem Subsidiaritätsgehalt Grabitz, E., Handl\Ulgsspielräume, S. 623; Binswanger, H.lMeiners, H., S. 411; Donkers, R., S. 216 ff.; Hey, C., S. 282. 482 Vgl. zum früheren Art. 130 r Abs. 4 S. 1 EWGV Glaesner, H.-J., Umwelt, S. 8 f.; Jacque, l-P., S. 606; Lietzmann, K., S. 172 ff. 483 Es ist zu betonen, daß Gemeinschaftsnormen niemals den MS Kompetenzen verleihen können, da die Staaten über diese bereits kraft originärer Staatsgewalt verfilgen. Das Gemeinschaftsrecht kann lediglich die Einschränkung der nationalen Kompetenzen \Ulterschiedlich ausgestalten. Demnach ist es z.B. zumindest verwirrend, wie Zuleeg, M., EGen, S. 36, von "ErmächtigWlgen" zu sprechen. 484 Scheuing, D., S. 169, weist daraufhin, daß die MS von den zahlreichen Derogationsklauseln, die insbesondere in EG-Umweltschutz-RLen enthalten sind, noch nie Gebrauch gemacht haben. Als mögliche Erklär\Ulg nennt er die politische WirkWlg

III. Horizontale und vertikale Kompetenzkonflikte

245

aa) Primärrechtliche Normen, die ein konkurrierendes Tätigwerden der MS regeln oder zulassen aaa) Übergangsvorschriften Insbesondere in den Verträgen über den Beitritt neuer MS finden sich häufig Regelungen, die Übergangsfristen fiir die Anwendung oder den Erlaß von von Gemeinschaftsvorschriften abweichenden einzelstaatlichen Normen vorsehen. So gibt es beispielsweise fiir den Beitritt Schwedens und Österreichs eine vierjährige Übergangszeit, die sich unter anderem auf die Beibehaltung der nationalen Regelungen über Batterien bezieht485 . Auch in Zusammenhang mit der Herstellung der deutschen Einheit gab es solche Übergangsvorschriften in Art. 13 (Altölbeseitigung) und 16 (allgemeine und gefährliche Abfalle) Rats-RL 90/656IEWG vorn 4. Dezember 1990 über die in Deutschland geltenden Übergangsrnaßnahrnen fiir bestimmte Gemeinschaftsvorschriften über den U mweltschutz486 . bbb) Art. 130 t EGV a) Anwendungsbereich

Der wie Art. 100 a Abs. 4 EGV häufig als Schutzverstärkungsklausel487 bezeichnete Art. 130 t EGV sieht vor, daß die MS bereits bestehende stärkere abfallrechtliche Schutzmaßnahrnen als die VOn der EG erlassenen, selbst wenn diese abschließend sind, beibehalten oder neue ergreifen können, sofern sie mit dem EG-Vertrag vereinbar sind und der Kommission notifiziert werden. Hat also die Gemeinschaft aufgrund des Art. 130 s EGV gehandelt, tritt den-

solcher Klauseln, welche die nationale Akzeptanz für abweichendes Gemeinschaftsrecht eher ermöglichen und in dem sensiblen Politikbereich des Umweltschutzes der fortbestehenden mitgliedstaatlichen Souveränität Ausdruck verleihen. 485 Art. 69 i.V.m. Ziff. 7 Anhang VIII; Art. 112 i.V.m. Ziff. 5 Anhang XII der Akte über die Bedingungen des Beitritts des Königreichs Norwegen, der Republik Österreich, der Republik Finnland und des Königreichs Schweden und die Anpassungen der die Europäische Union begründenden Verträge, ABI. der EGen v. 29. August 1994, C 241, S. 35,41,305,316. 486 ABI. derEGen v. 17. Dezember 1990, L 353, S. 59 ff., s.o. B, 11,1, a, ff. 487 S. z.

B. Scheuing, D., S. 167.

246

D. Einzelne rechtliche Probleme der EG-Abfallpolitik

noch keine Sperrwirkung fiir ein Tätigwerden der MS ein (anders als im Fall der Harmonisierungsmaßnahmen nach Art. 99; 100 EGV). Die Berufung auf Art. 130 t EGV ist andererseits aber auch nur möglich, wenn sich die Gemeinschaftsorgane auf Art. 130 s EGV gestützt haben; ein Handeln gemäß Art. 99; 100; 100 a Abs. 1; 118 a Abs. 2 EGV reicht nicht aus. 488 Eine Ausnahme gilt fiir Abfall-Rechtsakte, die vor Erlaß der EEA auf die Art. 100 und/oder 235 EWGV gestützt worden sind und heute aufgrund des Art. 130 s EGV ergehen müßten. Es ist dabei unerheblich, ob die ursprünglichen Vorschriften nach dem 1. Juli 1987 schon einmal gemäß Art. 130 s E(W)GV geändert worden sind oder nicht489 . Hat die EG den Rechtsakt - systemwidrig - neben Art. 130 s EGV auf eine weitere Kompetenznorm gestützt, so ist zu unterscheiden, ob sich die Regelungsbereiche der Maßnahme klar den einzelnen Kompetenzen getrennt zuordnen lassen. Ist das der Fall, können die MS von Art. 130 t EGV bezüglich der von Art. 130 s EGV erfaßten Teile Gebrauch machen. Kann keine deutliche Abgrenzung erfolgen, ist daran zu denken, aus dem Subsidiaritätsprinzip eine Regel "in dubio pro natione" abzuleiten, was den MS den Zugriff auf Art. 130 t EGV fiir den gesamten Rechtsakt ermöglichte. 490 Ferner ist zu beachten, daß die MS von EG-Regelungen aufgrund des Art. 130 s EGV lediglich gemäß Art. 130 t EGV abweichen dürfen, nicht dagegen die Art. 100 a Abs. 4; 118 a Abs. 3 EGV heranziehen können. Ist die Gemeinschaft auf einem Gebiet der Abfallpolitik noch nicht tätig geworden oder hat sie gemäß Art. 130 s EGV nur eine Teilregelung erlassen, so können Schutzklausein der MS nach Art. 130 t EGV nicht zur Anwendung gelangen. Die MS können dann nationale Maßnahmen ergreifen, die aber alle übrigen Gemeinschaftsvorschriften beachten müssen. Im Bereich der Außenkompetenzen491 ist Art. 130 t EGV ebenfalls anwendbar. Scheuings Hinweis492 auf die Vorschläge der luxemburgischen Präsidentschaft vom 11. November 1985 zur späteren EEA, wonach die Formel "external Community competences apart" in Art. 130 t EWGV aufgenommen

488 AA Kahl, W., S.

287.

489 Grabitz, E.lNettesheim, M., in Grabitz-Kommentar, Rn. 8 zu Art. 130 t; a.A. Schröer, T., S. 218 f. 490 Vgl. Schröer, T., Kompetenzverteihmg, S. 219, der sich allerdings auf das nicht existierende Prinzip des bestmöglichen Umweltschutzes stützt, s.o. C, IV, 2, e. 491 S.u. ccc. 492 S. S. 173 Fn. 127 m.w.N.

III. Horizontale und vertikale Kompetenzkonflikte

247

werden sollte, und der Umstand, daß das dann nicht geschah, sprechen dafiir, daß die Schutzverstärkungsbefugnis der MS auch im Bereich der umweltpolitischen EG-Außenkompetenzen gilt. 493 ß) Schutzmaßnahmen der MS

Das Tatbestandsmerkmal ISchutzmaßnahmen" meint keine besonderen Schutzklauseln, sondern bezieht sich wegen des Verweises auf Art. 130 s EGV auf alle möglichen Handlungsformen der EG, die dort durch den Begriff "Tätigwerden" umschrieben sind. Dieser - auch in Art. 235 EGV - verwendete, sehr weite und unbestimmte Begriff bezeichnet die umfassendste Handlungsform der Gemeinschaft im EG-Vertrag. Er grenzt die Handlungen der Gemeinschaftsorgane nicht nur nicht auf bestimmte Rechtsakte ein, sondern läßt auch alle anderen Handlungsformen zu. Demnach unterfallen dem Begriff Tätigwerden alle Rechtsakte i.S.d. Art. 189 EGV, alle anderen verbindlichen und unverbindlichen Rechtshandlungen494 sowie alle Maßnahmen ohne Rechtscharakter. Ebensowenig wird etwas über die Bestimmtheit und Detailliertheit der Maßnahmen ausgesagt. Die Handlungspalette des Rates reicht also von ganz unbestimmten, allgemein gehaltenen Maßnahmen bis zu Regelungen, die eine Handlung der EG-Organe oder der MS sehr genau in allen Einzelheiten vorschreiben. Dieselben Gestaltungsformen stehen auch den MS zur Verfügung. Unabhängig vom Abstimmungsverhalten der MS und von der Art der erforderlichen Mehrheit können die MS jederzeit tätig werden, d.h. selbst dann, wenn sie einer Maßnahme nach Art. 130 s EGV zugestimmt haben. Art. 130 t EGV käme kaum zur Anwendung, wenn man seinen Anwendungsbereich den überstimmten MS vorbehielte495 . Es wäre dem Umweltschutz abträglich, wenn MS lediglich deshalb gegen einen Vorschlag stimmten, um sich die Möglichkeit des Art. 130 t EGV offenzuhalten. Vielmehr sollten sie auch deshalb Gemeinschaftsmaßnahmen, die zwar ein niedrigeres Umweltschutzni-

493 Vgl. Lietzmann, K., S. 177; Grabitz, E.lNettesheim, M., a.a.O., Rn. 120 zu Art.

BOr.

494 S. Grabitz, E., in Grabitz-Kommentar, Rn. 30 ff. zu Art. 189 EGV; a.A. Montag, F., S. 941, der ausschließlich die Rechtsakte i.S.d. Art. 189 EGV erfaßt sieht. 495 Vgl. die ständige Rechtsprechung des EuGH seit E 1979, Rs. 166/78 - Kartoffelstärke -, S. 2575,2596, zur Klagebefugnis, wonach MS auch dann gegen den Rat klagen können, wenn sie dem fraglichen Rechtsakt zugestimmt haben.

248

D. Einzelne rechtliche Probleme der EG-Abfallpolitik

veau als im nationalen Bereich anstreben, zustimmen, um wenigstens im Vergleich zum status quo eine Verbesserung der Standards EG-weit zu erreichen. z) VersUirkte

Bei den Schutzmaßnahmen der MS muß es sich - verglichen mit den EGMaßnahmen - um "verstärkte" handeln, Das bedeutet, daß das gemeinschaftliche Schutzniveau nicht unterlaufen werden darf. 496 Außerdem müssen die Regelungen gleichartig sein, also dieselben Ziele mit denselben Mitteln verfolgen497 . Gänzlich andere Maßnahmen bleiben verboten498 . Hat beispielsweise der Rat die Verwendung bestimmter Verpackungen flüssiger Lebensmittel mengenmäßig eingeschränkt, um Abfälle zu vermeiden, könnten die MS bei Vorliegen der weiteren Tatbestandsvoraussetzungen die Verwendung der Verpakkungen völlig verbieten, nicht jedoch die Produktion der entprechenden flüssigen Lebensmittel einschränken oder verbieten, um damit keinen Anreiz mehr fiir die Herstellung der passenden Verpackungen zu bieten. b) Vereinbarkeit mit dem EG-Vertrag

Die von den MS beibehaltenen oder neu ergriffenen verstärkten Schutzmaßnahmen müssen zudem mit den übrigen Vorschriften des EG-Vertrages vereinbar sein, Art. 130 t S. 2 EGY. Für das Abfallrecht bedeutet das vor allem die Beachtung der Art. 59 ff. 499 ; 90 500 ; 95; 5 und 6 EGY.

496 Montag, F., ibid. 497 Vgl. Krämer, L., in GTE, Bd. 3, Rn. 10 zu Art. 130

t.

498 Vgl Schröer, T., ibid., S. 222 f. 499 Folgt man dagegen der vom EuGH und teilweise in der Literatur vertretenen Meinung, daß Abfall als Ware den Art. 9 f1 EGV unterfällt, so sind insbesondere alle Maßnalunen der MS verboten, die diskriminierende und unzulässige Handelshemmnisse i.S.d. Art. 30 f1 EGV darstellen und die Verwirklichung und das Funktionieren des BM verhindern, also im wesentlichen produktbezogene Vorschriften (a.A Epiney, A/Furrer, A, S. 402, die bei der Kompetenzabgrenzung zwischen Art. IOD a und 130 s EGV das Kriterium der Handelbarkeit - s.o. I, c, dd, bbb, Cl - übersehen), welche die Industrie der MS zu schützen beabsichtigen. Abfallregelungen, die dennoch den Handeisverkehr beschränken, sind lediglich unter den Voraussetzungen des Art. 36 EGV und der Cassis-de-Dijon-Rechtsprechung des EuGH möglich. Auf jeden Fall ist die Rechtsprechung des EuGH zu Art. 36 S. 2 EGV (Verbot der willkürlichen Diskriminierung und der verschleierten Beschränkung des Handels zwischen den MS) wegen

ill. Horizontale Wld vertikale Kompetenzkonflikte

249

Umstritten ist, ob sich das Vereinbarkeitserfordernis auch auf das sekundäre Gemeinschaftsrecht erstreckt. GrabitzlNettesheim50l und Krämer502 bejahen das mit der Begründung, daß ansonsten das gesamte EG-Rechtssystem - insbesondere in den Bereichen des BM und der GAP - gefährdet sei und die Gemeinschaft keine Maßnahmen nach Art. 130 s EGV treffe, welche die MS schon in einem anderen Sekundärrechtsakt verpflichte. Sollte das doch einmal der Fall sein, könnte die Maßnahme aufgrund des Art. 130 s EGV die frühere eventuell ersetzen. Dem sind der eindeutige Wortlaut des Art. 130 t EGV und der Umstand, daß die Vorschrift wegen der Vielzahl der erlassenen sekundärrechtlichen Akte sonst kaum noch anwendbar wäre, entgegenzuhalten. 503 Gerade bei abschließenden EG-Rechtsakten gemäß Art. 130 s EGV kann von den MS nicht verlangt werden zu überprüfen, ob das bisherige Sekundärrecht vom Rat in die Rechtsetzungserwägungen eingeflossen ist. s) Notijizierung

Gemäß Art. 130 t S. 3 EGV müssen die MS ihre verstärkten Schutzmaßnahmen der Kommission notifizieren. Anders als nach Art. 100 a Abs. 4 Uabs. 2 und Art. 93 Abs. 3 EGV ist fiir die Durchfiihrbarkeit der Maßnahme nicht die Bestätigung der Kommission (=Genehmigungsvorbehalt) erforderlich, sondern es handelt sich um eine bloße Meldepflicht504 . Sollten die Kommission und/oder andere MS der Auffassung sein, daß ein MS gegen den EGVertrag verstößt, so sind sie auf die üblichen Rechtsbehelfe (Art. 169 f. EGV) verwiesen.

der vergleichbaren Problematik auf die Vereinbarkeitsklausel des Art. 130 t EGV analog anwendbar (vgl. Krämer, L., a.a.O., Rn. 11 zu Art. 130 t). 500 S.o. II, 4. 501 In Grabitz-Kommentar, Rn. 14 zu Art. 130 t. 502 Aa.O., Rn. 12 f zu Art. 130

t.

503 Vgl. Zuleeg, M., Kompetenzen, S. 284; Hailbronner, K., S. 112; Schröer, T., KompetenzverteilWlg, S. 224; Binswanger, H./Meiners, H., S. 412; wohl auch Haagsma, A, S. 348 f. 504 Epiney, A/Furrer, A, S. 402; Dieckmann, M., Abfallrecht, S. 72.

250

D. Einzelne rechtliche Probleme der EG-Abfallpolitik

ccc) Art. 130 r Abs. 4 EGV a) Konkurrierende Kompetenzen gemäß dem Wortlaut

Gemäß Art. 130 r Abs. 4 S. 1 EGV sind die EG und die MS berechtigt und gleichzeitig verpflichtet (vgl. den imperativen Indikativ), zur Durchführung der Umweltpolitik und damit auch der Abfallpolitik mit Drittstaaten und den zuständigen internationalen Organisationen zusammenzuarbeiten. 505 Da das "im Rahmen ihrer jeweiligen Befugnisse" zu geschehen hat, begründet die Vorschrift keine neuen Kompetenzen (die EG verfUgt darüber gemäß Art. 130 s EGV, der einzelne MS kraft originärer Staatsgewalt506), sondern regelt lediglich die Art der Kompetenzwahrnehmung. Umstritten ist, ob die genannten internationalen Befugnisse der EG und der MS kumulativ-konkurrierend oder alternativ-konkurrierend sind507 . Dieses Problem stellt sich, weil einerseits Art. 130 r Abs. 4 Uabs. I S. 2 EGV die EG als zum Abschluß internationaler Verträge zuständig erklärt, andererseits Art. 130 r Abs. 4 Uabs. 2 EGV statuiert, daß die mitgliedstaatliche Vertragsschlußzuständigkeit davon unberührt bleibt. Ebenso verhält es sich mit der Erklärung der EWG gemäß Art. 22 Abs. 3 Basler Übereinkommen über die Kontrolle der grenzüberschreitenden Verbringung gefährlicher Abfalle und ihrer Entsorgung über die Zuständigkeitsbereiche, die sich im Anhang des Genehmigungsbeschlusses 93/98IEWG508 findet und die lautet: " Gemäß dem EWGVertrag und dem Gemeinschaftsrecht in dem vom Basler Übereinkommen und im besonderen von der Verordnung (EWG) Nr. 259/93 des Rates und der Richtlinie 84/6311EWG des Rates über die Überwachung und Kontrolle - in der Gemeinschaft - der grenzüberschreitenden Verbringung gefährlicher Abfalle (in der geänderten Fassung) abgedeckten Bereich ist die Gemeinschaft in diesem Bereich auf internationaler Ebene zuständig. Die Mitgliedstaaten der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft sind auf internationaler Ebene, ein-

SOS Bezüglich dieser generellen Außenkompetenzen s. Krämer, 1., in GTE, Bd. 3, Rn. 86 f zu Art. 130 r.

506 VgI. Grabitz, E./Nettesheim, M., in Grabitz-Kommentar, Rn. 103, 108 zu Art. 130 r; Lietzmann, K., S. 177; Schröer, T., Kompetenzverteihmg, S. 276; a.A. Pieper, S., in Bleckmann, A., Europarecht, Rn. 1940; Kloepfer, M., Umwe1trecht, § 6 Rn. 19. 507 Grabitz, E./Nettesheim, M., a.a.O., Rn. 112, 114 tr. zu Art. 130 r m.w.N. 508 ABI. der EGen v. 16. Februar 1993, L 39, S. 1 ff.

III. Horizontale Wld vertikale Kompetenzkonflikte

251

schließlich bestimmter Bereiche des Basler Übereinkommens, ebenfalls zuständig" .509 Können die MS also selbst dann international abfallrechtlich tätig werden, wenn die EG schon entgegenstehendes Vertragsrecht geschaffen hat (=kumulative Konkurrenz), was folglich nach einer Lösung über den Anwendungsvorrang des Gemeinschaftsrechtes verlangte? Die Frage müßte bejaht werden, hielte man sich eng an den Wortlaut der Vorschrift. Dagegen sprechen Äußerungen der MS, die im Rat und auf Regierungskonferenzen zu konkurrierenden Kompetenzen abgegeben wurden: die Ziff. 5 der als Gentleman's Agreement510 bezeichneten Vereinbarung der im Rat vereinigten Vertreter der Regierungen der MS vom 5. März 1973 über die Unterrichtung der Kommission und der MS im Hinblick auf die etwaige Harmonisierung von Dringlichkeitsmaßnahmen im Bereich des Umweltschutzes flir das gesamte Gebiet der Gemeinschaft511 sieht vor, daß die Regierungen der MS sich unbeschadet der Bestimmungen der Verträge, besonders der Art. 113 und 116 EWGV, bei bestimmten internationalen umweltrechtlichen Initiativen, die das Funktionieren des GM beeinträchtigen oder die Durchführung derjenigen Teile des Programmes zur Verminderung der Umweltbelastungen und zur Erhaltung der natürlichen Umwelt berühren könnte, untereinander abstimmen. Dieserart Konkretisierung der aus Art. 5 E(W)GV folgenden mitgliedstaatlichen Kooperations- und Unterlassungspflichten512 findet sich auch in den Erklärungen der Konferenzen der Vertreter der Regierungen der MS zu Art. 130 r Abs. 5 Uabs. 2 EWGV (Erklärung Ziff. 9 zur EEA) und zu Art. 130 r Abs. 4 Uabs. 2 EGV (Erklärung Nr. 10 zum EU-Vertrag), wonach die genannten Vorschriften nicht die Grundsätze berühren, die sich aus dem Urteil des EuGH in der AETR-Rechtssache ergeben. Bevor diese Grundsätze kurz darzustellen sind, muß die Rechtsnatur der Erklärung beleuchtet werden, um überhaupt eine rechtliche Relevanz ihres Inhaltes bejahen zu können. Als gemeinsame Äußerungen aller MS zur EEA bzw. zum EU-Vertrag sind sie weder Bestandteile der EENdes EU-Vertrages noch Vertrags-"Vorbehalte"

509 ABI. der EGen v. 17. März 1994, L 74, S. 52. 510 S. Fn. 1 aufS. 1 des ABI. (s. nachfolgende Fn.); die Fußnote ist Teil der VereinbarWlg, vgI. Jankowski, H., S. 20. 511 ABI. derEGen v. 15. März 1973, C 9, S. 1,2. 512 VgI. auch EuGH Gutachten 2/91 - ILO -, ABI. der EGen v. 19. April 1993, C 109, S. 1,7.

252

D. Einzelne rechtliche Probleme der EG-Abfallpolitik

i.S.d. Art. 2 Abs. 1 lit.a; 19 ff. WVRK.513 Toth514 ist der Ansicht, daß die Erklärung rechtlich unverbindlich sei und der EuGH sie nicht einmal bei der Interpretation der EEA berücksichtigen könne, weil der EuGH gemäß Art. 31 EEA nicht für die Erklärungen im Anhang "zuständig" ist. 515 Er verkennt dabei, daß es nicht um die Frage der Jurisdiktion des Gerichtshofes über die Erklärungen selbst geht, sondern um ihre Berücksichtigung als Auslegungskriterium für die EEA-Vorschriften. 516 Schröer517 bemängelt die demokratische "Legitimität (sic!)518 ... der Zusatzerklärungen", da sie nicht ratifiziert wurden. Die von Art. 31 Abs. 2 und 3 WVRK anerkannten Auslegungshilfen für völkerrechtliche Verträge verlangen jedoch keine formelle Ratifikation von Übereinkünften, Übungen und dergleichen. Vielmehr ist der überwiegenden Meinung in der Literatur zu folgen, daß die Erklärungen allgemein bei der Auslegung der EEA (und jetzt des EGVertrages) - auch vom EuGH nach Art. 164 EGV; 136 EAGV;31 EGKSV gemäß Art. 31 Abs. 2 lit. a WVRK heranzuziehen sind519 . Über den Umfang der Berücksichtigung herrschte anfangs aber noch Ungewißheit. Die Erklärungen wurden als "0rientierungshilfe,,520, als "allenfalls... allgemeine Auslegungsregeln"521, als für die Auslegung "maßgeblich" 522 bezeichnet oder sollten allgemein für die "Interpretation" der EEA523 beachtet werden. Der Wortlaut der Erklärungen ist jedoch eindeutig, da er sich konkret auf die Rechtsprechung des EuGH im AETR-Urteil bezieht. Wie Glaesner beschreibt, war der Grund für die Regierungserklärung, daß eine Redaktionsänderung der

513 S. Toth, A., Status, S. 804 f.

514 Idem, ibid., S. 806 ff. 515 Idem, S. 810. 516 S.O. C, N, 1, f. 517 Kompetenzverteihmg, S. 89 m.w.N. 518 Gemeint ist wohl "Legitimation". 519 Glaesner, H.-J., EEA, S. 122; Grabitz, E., EEA, S. 99; Haagsma, A., S. 338; Hailbronner, K., S. 111 f.; vgl. Vandermeersch, D., EEA , S. 414; Langeheine, B., in Grabitz-Kommentar, Rn. 13 zu Art. 100 a. . 520 Langeheine, B., ibid. 521 Grabitz, E., in EWGV-Kommentar, 3. Erglief., Rn. 28 zur EEA. 522 Idem, EEA, S. 99. 523 Glaesner, H.-J., ibid.

III. Horizontale und vertikale Kompetenzkonflikte

253

EEA nicht mehr möglich war524 . Da die Erklärung wortgleich fiinf Jahre später zwn EU-Vertrag wiederholt wurde, kann davon ausgegangen werden, daß ihr Wortsinn die ambivalente Regelung in Art. 130 r Abs. 4 EGV klarstellt. ß) Bedeutung der Erklärung zu Art. 130 r Abs. 4 Uabs. 2 EGV

Das in den Erklärungen in Bezug genommene AETR-Urteil 525 enthält folgende Grundsätze: Eine Außenkompetenz der Gemeinschaft besteht im genannten Bereich der vom Vertrag aufgestellten Ziele. Diese Zuständigkeit ergibt sich nicht nur aus einer ausdrücklichen Verleihung durch den E(W)GV, sondern kann auch stillschweigend aus anderen Vertragsbestimmungen und aus in ihrem Rahmen ergangenen Sekundärrecht fließen. Demnach existiert eine Außenkompetenz der Gemeinschaft, wenn sie eine Innenkompetenz besitzt und von dieser bereits Gebrauch gemacht hat. Ob diese Außenkompetenz dann ausschließlich ist, richtet sich akzessorisch nach der entsprechenden internen Kompetenzverteilung 526 zwischen Gemeinschaft und MS527. Im Falle einer ausschließlichen Innenkompetenz der Gemeinschaft (z.B. wenn eine Materie, für die ursprünglich konkurrierende Kompetenzen bestanden, innergemeinschaftlich abschließend geregelt ist528) können die MS wegen des Gedankens der Gemeinschaftstreue (Art. 5 EGV) nicht mehr international tätig werden. Ist die Gemeinschaft intern lediglich auf einem Teilgebiet tätig geworden, bleibt im übrigen auch extern die konkurrierende Befugnis der MS bestehen. Da nicht ersichtlich ist, daß die EEA hinter dem 1986 erreichten acquis communautaire zurückbleiben wollte (für den Maastrichter Vertrag ist das ausdrücklich in Art. B Uabs. 1 Spstr. 5; C EUV geregelt), ist auch die Weiterentwicklung der AETR-Rechtsprechung hinsichtlich der Außenkompeten-

524 Idem, ibid., S. 141. 525 EuGHE 1971, Rs. 22/70, S. 263 ff. 526 S.o. a. 527 EuGH Gutachten 2/91· ILO·, ABI. derEGen v. 19. April 1993, C 109, S. 1,7. 528 Vgl. Amold, R., S. 423.

254

D. Einzelne rechtliche Probleme der EG-Abfallpolitik

zen nach 1971 für die Erklärungen der Regierungskonferenz zu beachten529 : Das Gutachten des EuGH zum europäischen Stillegungsfonds für die Binnenschiffahrt530 führte unter anderem aus, daß die Gemeinschaft auch dann Außenkompetenzen besitzen kann, wenn sie von internen Zuständigkeiten noch keinen Gebrauch gemacht hat. Es reicht vielmehr aus, wenn die internen Maßnahmen erst anläßlich des Abschlusses und der Inkraftsetzung der völkerrechtlichen Vereinbarung ergriffen werden, sofern die Beteiligung der EG an der völkerrechtlichen Vereinbarung zwingend notwendig ist, um eines der Gemeinschaftsziele innergemeinschaftlich zu verwirklichen. 531 Eine Konkretisierung dieser Ausfiihrungen findet sich schließlich im WTO-Gutachten532 . Ist zur Erreichung eines innergemeinschaftlichen Zieles nicht notwendigerweise die Regelung eines Drittstaatensachverhaltes erforderlich, ist keine ausschließliche EG-Außenkompetenz gegeben, weil das interne Sekundärrecht durch das internationale Auftreten der MS nicht gefährdet oder beeinträchtigt wird. Anders ist es lediglich in den Fällen, in denen die Gemeinschaft in das interne Sekundärrecht Klauseln über die Behandlung von Angehörigen aus Drittstaaten aufgenommen oder ihren Organen ausdrücklich eine Zuständigkeit zu Verhandlungen mit Drittstaaten übertragen hat. Sie erwirbt dann eine ausschließliche externe Zuständigkeit in bezug auf den von diesen Rechtsakten erfaßten Bereich. 533 Ohne ausdrückliche Verhandlungsklauseln ist die ausschließliche Gemeinschaftskompetenz wiederum nur gegeben, falls die EG eine vollständige Harmonisierung vorgenommen hat. Aber selbst dann ist ein weiteres paralleles Tätigwerden der MS möglich, wenn der Rechtsakt eine Derogationsklausel enthält534 oder die MS eigenständig nach Art. 130 t EGV handeln. Wie oben unter ß) gezeigt, findet Art. 130 t EGV auch im Bereich der Außenkompetenzen Anwendung, so daß die MS die von der Gemeinschaft international vereinbarten Schutzstandards "überbieten" können 535 .

529 Vgl. de Ruyt, J., S. 216; Schröer, T., Kornpetenzverteilung, S. 277 ff.; Jacque, J.-P., S. 607; Nollkaernper, A, S. 65. 530 EuGHE 1977, Gutachten 1176, S. 741 ff. 531 EuGH, ibid., S. 756. 532 EuGHE 1994, Gutachten 1/94, S. 5267 ff. 533 EuGH, ibid., S. 5414 und 5418. 534 Vgl. Grabitz, E.lNettesheim, M., a.a.O., 535 Eidern,

Rn. 121 f. zu Art. 130 r rn.w.N.

Rn. 119 zu Art. 130 r.

III. Horizontale Wld vertikale Kompetenzkonflikte

255

xJ Ergebnis Demzufolge bestehen im internationalen Umweltrecht alternativ-konkurrierende Kompetenzen. So wie die MS innerstaatlich kein gemeinschaftswidriges Recht setzen dürfen, ist ihnen auch auf internationaler Ebene das Handeln versagt, sofern die Gemeinschaftsinteressen beeinträchtigt werden könnten. 536 Krämer dagegen spricht sich fiir eine kumulativ-konkurrierende Kompetenz aus, weil die Staatenpraxis (=Verhandlung und Ratifizierung von internationalen Umweltabkommen durch MS und Gemeinschaft trotz Vorliegens eindeutigen Sekundärrechtes537) von der geschilderten EuGH-Rechtsprechung oft abweicht. Dieses Argument geht allerdings ins Leere, weil allein eine rechtswidrige Praxis die rechtlichen Vorgaben nicht obsolet werden läßt. Werden die MS trotzdem auf internationaler Ebene aktiv, ohne daß ein zulässiger Derogationsfall vorliegt, so handeln sie EG-rechtswidrig, da ein Verstoß gegen die Rechtsprechung des EuGH zu bejahen ist. 538 Zwar gilt vor allem fiir völkerrechtliche Verträge, daß eine spätere Praxis nicht nur fiir die Auslegung des Vertrages (vgl. Art. 31 Ziff. 3 lit. b WVRK) von Belang sein kann, sondern auch eine Vertragsänderung darstellen kann. 539 Jedoch muß das Verhalten der Vertragsstaaten einen Vertragsänderungswillen deutlich zum Ausdruck bringen540 ; ohne diese Manifestation ist eine Vertragsänderung grundsätzlich abzulehnen. 541 Das hat im Europarecht insbesondere fiir die Fälle zu gelten, in denen eine eindeutige Rechtsprechung des EuGH existiert. Zusammenfassend läßt sich fiir die mitgliedstaatlichen abfallrechtlichen Außenkompetenzen im Rahmen des Art. 130 s i. V.m. 130 r EGV folgendes sagen: Da die umweltrechtlichen Abfallprobleme ausnahmslos dem weiten Umwelt-Begriff der Art. 130 r-t EGV unterfallen, gibt es keine ausschließlichen Außenkompetenzen der MS in diesem Bereich. Die Staaten können von

536 Vgl. eidern, Rn. 116 zu Art. 130 r. 537 Krämer, L., in GTE, Bd. 3, Rn. 88,91. 538 Grabitz, E.lNettesheim, M., a.a.O., Rn. 117 zu Art. 130 r, de Ruyt, S. 215 f.; Pernice, I., KompetenzordnWlg, S. 35. 539 S. Karl, W., S. 9 f.; ein Beispiel mag die dem Luxemburger Kompromiß von 1966 folgende Praxis der einstimmigen Beschlüsse zu Themen, die vitale Interessen eines MS berühren, sein. 540 Vgl. BVerfGE 90, S. 286, 359 ff. 541 BVerfG, a.a.O., S. 360 f., 362 f.

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D. Einzelne rechtliche Probleme der EG-Abfallpolitik

den bestehenden internationalen alternativ-konkurrierenden Befugnissen Gebrauch machen, wenn - das Subsidiaritätsprinzip kein abfallrechtliches Abkommen durch die Gemeinschaft erfordert. Das wird im internationalen Bereich aber der Ausnahmefall sein, da internationale Abfallproblerne meist wirkungsvoller von der Gemeinschaft als Ganzer geregelt werden können. Etwas anderes ist lediglich denkbar, wenn ein Abfallproblem nur das Gebiet eines MS und eines Drittstaates oder mehrerer Drittstaaten betrifft und die Gemeinschaft kein länderubergreifendes Abkommen abzuschließen plant; - die EG noch kein abschließendes internes Abfallrecht gesetzt hat, das bestehende Abfall-Sekundärrecht nicht durch das internationale Auftreten eines MS gefährdet oder beeinträchtigt wird und die Gemeinschaft kein externes Abfallrecht plant. Dabei müssen die MS aber die primärrechtlichen Vorgaben beachten. Das gilt ebenso fiir den folgenden Fall, - wenn ihnen eine Derogationsklausel in einem abschließenden Abfall-Sekundärrechtsakt nationales oder internationales Tätigwerden erlaubt; - wenn sie aufgrund des Art. 130 t EGV international vereinbarte Schutzstandards der Gemeinschaft verstärken wollen. 542 ddd) Art. 100 a Abs. 4 und Art. 100 b Abs. 2 EGV Wie oben543 gezeigt, ist Art. 100 a Abs. 1 EGV keine mögliche Kompetenznorm zum Erlaß abfallrechtlicher EG-Akte, da die dienstleistungsbezogenen abfallrechtlichen Umweltvorschriften auf Art. 130 s EGV oder Spezialvorschriften, die anlagenbezogenen abfallrechtlichen Umweltnormen auf Art. 100 oder 130 s EGV zu stützen sind. Die MS können folglich nicht auf Art. 100 a Abs. 4 (und gegebenenfalls auf Art. 100 b Abs. 2 EGV) rekurrieren, denn die Anwendung dieser Normen ist nur möglich, wenn die Gemeinschaft gemäß Art. 100 a Abs. 1 EGV (oder gegebenenfalls Art. 100 b Abs. 1 EGV) tätig geworden ist. 544

542 Vgl. Schröer, T., ibid., S. 284 f. 543 S.o. I, c, dd, bbb und d, aa. 544 Langeheine, B., in Grabitz-Kommentar, Rn. 59 zu Art. 100 a.

m. Horizontale und vertikale Kompetenzkonflikte

257

eee) Art. 100 und 99 EGV Würde die EG sich im Abfallrecht auf Art. 100 EGV (und nicht wie teilweise auf Art. 100 a EGV) stützen, ist daran zu denken, ob daneben die MS ähnlich wie im Rahmen des Art. 100 a EGV - noch Handlungsspielräume besitzen. Es kommen hierfiir abfallrechtliche EG-Umweltvorschriften in Betracht, die sich auf güterproduzierende Anlagen beziehen und bezwecken, wenig oder keine Abfälle als Kuppelprodukte bei der Güterproduktion anfallen zu lassen. 545 Soweit eine Harmonisierungs-RL nach Art. 100 EGV ergangen ist, dürfen die MS auf dem angeglichenen Rechtsgebiet nur Rechtsvorschriften erlassen, die ihr Recht an die EG-Vorgaben anpassen. Gemäß Art. 189 Uabs. 3 EGV bleibt ihnen zwar die Wahl der Form und der Mittel546 überlassen, doch materiell sind sie an den Inhalt der RL gebunden, die insoweit Sperrwirkung entfaltet. Das heißt gleichzeitig, daß sie grundsätzlich ihr zur Anpassung gesetztes Recht auch später nicht mehr autonom ändern dürfen 547 . Weitere Handlungsspielräume für die MS verbleiben lediglich in den Fällen, in denen die RL die Materie nicht abschließend regelt, eine optionelle Harmonisierung oder bloße Mindeststandards vorgibt. In der letztgenannten Variante könnten die MS dann verstärkte Standards setzen, die jedoch den übrigen EG-rechtlichen Vorgaben ensprechen müssen. Gleiches gilt insgesamt im Rahmen des Art. 99 EGV, der für abfallrechtliche indirekte Steuern anwendbar ist. 548 Auch hier verbleiben den MS nur enge Handlungsspielräume, sobald die Gemeinschaft eine Harmonisierungsmaßnahme erlassen hat.

545 Ein tatsächlicher Anwendungsfall wäre die RL 921l12IEWG des Rates vom 15. Dezember 1992 über die Modalitäten zur Vereinheitlichung der Progranune zur Verringerung und späteren Unterbindung der Verschrnutzung durch Abfälle der Titandioxid-Industrie (ABI. der EGen v. 31. Dezember 1992, L 409, S. II f1), wenn sie anstelle von Art. 100 a EGV zutreffenderweise aufgrund Art. 100 EGV erlassen worden wäre. 546 S. Grabitz, E., in Grabitz-Kommentar, Rn. 59 zu Art. 189 m.w.N. 547 Langeheine, B., in Grabitz-Kommentar, Rn. 69 zu Art. 100; Taschner, H., in GTE, Bd. 2, Rn. 20 f. zu Art. 100; Ipsen, H., S. 701 f. 548 Als spezielle Norm verdrängt er Art. 130 s EGV, vgL Grabitz, E./Nettesheim, M., in Grabitz-Kommentar, Rn. 34 zu Art. 130 s; Grabitz, E./Zacker, C., Scope, S. 445; a.A Pernice, 1., Kompetenzordnung, S. 37; Schröer, T., Kompetenzverteilung, S. 164 f. Zu beachten bleibt allerdings, daß fur Gebühren, Abgaben und Beiträge im Abfallbereich Art. 130 s EGV anzuwenden ist, vgl. Art. 130 s Abs. 2 Uabs.l Spstr. 1 EGV. 17 Zacker

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D. Einzelne rechtliche Probleme der EG-Abfallpolitik

ftl) Art. 130 g und h EGV

Wollen die MS für den Abfallsektor im Binnenbereich Forschungs- und Entwicklungsprograrrune erstellen oder auf diesen Gebieten Abkommen mit Drittstaaten schließen, so sind sie dazu genau so wie die EG befugt, da die Art. 130 flf. EGV der Gemeinschaft weder ausschließliche noch alternativ-konkurrierende Kompetenzen verleihen. Vielmehr verdeutlichen vor allem die Art. 130 g und h EGV, daß sich die Tätigkeiten der EG und der MS komplementär ergänzen549 ; es bestehen folglich kumulativ-konkurrierende Kompetenzen. Selbst wenn die EG auf einem Gebiet gehandelt hat, können die MS daneben noch aktiv werden. Unabhängig von den (praktischen) Fragen der Ergänzung und Koordinierung der Tätigkeiten der beiden Handlungssubjekte besteht kein Ausschließlichkeits-, Sperrwirkungs- oder Subsidiaritätsverhältnis. 550 Die Art. 130 g und h EGV bestimmen nämlich, daß die Gemeinschaft lediglich die Maßnahmen der MS ergänzt und eine Koordination sicherzustellen ist. Es ist außerdem eine wechselseitige Beteiligung möglich: die MS können sich gemäß Art. 130 k EGV an den Zusatzprograrrunen zur Durchführung des mehrjährigen Rahmenprograrrunes (Art. 130 i EGV) beteiligen, die Gemeinschaft an nationalen Forschungs- und Entwicklungsprograrrunen gemäß Art. 130 I EGV. ggg) Art. 130 m EGV Ferner besteht im internationalen Bereich dieselbe konkurrierende Zuständigkeit: die MS sind aufgrund ihrer staatlichen Souveränität, die EG ist gemäß Art. 130 m EGV handlungsbefugt. m Allerdings obliegt den MS gemäß Art. 1 Abs. 1 Spstr. 1 und 2 Rats-Entscheidung 74/393IEWG vom 22. Juli 1974 über die Einfiihrung eines Konsultationsverfahrens für Kooperationsabkommen der MS mit dritten Ländern552 gegenüber den übrigen MS und der Kommission eine Unterrichtungspflicht bezüglich Abkommen über wirtschaftliche und industrielle Zusarrunenarbeit, die sie mit Drittstaaten auszuhandeln oder zu verlängern beabsichtigen sowie bezüglich der im Rahmen der Abkommen in

549 VgI. Glaesner, H.-J., in Grabitz-Kommentar, Rn. I zu Art. 130 h; Gnmwald, J., in GTE, Bd. 3, Rn. 2 zu Art. 130 g. 550 VgI. Glaesner, H.-J., a.a.O., Rn. I zu Art. 130 g. 551 VgI. Gnmwald, J., a.a.O., Rn. 20 zu Art. 130 n (sie!). 552 ABI. der EGen v. 30. Juli 1974, L 208, S. 23 f

III. Horizontale und vertikale Kompetenzkonflikte

259

Aussicht genommenen Verpflichtungen und Maßnahmen, sofern sie Auswirkungen auf gemeinsame Politiken (z.B. die Forschungs- und Entwicklungspolitik) haben können. Die möglicherweise darauf folgenden Konsultationen zwischen den MS und der Kommission (Art. 2 ff. Entscheidung 74/393/EWG) sollen hauptsächlich bewirken, daß nicht gegen EG-Recht verstoßen wird. Für den Abfallbereich bedeutet das beispielsweise, daß ein MS trotz des REWARD-Abkommens zwischen der EG und Schweden553 ein eigenes Abkommen mit Schweden vor dessen Mitgliedschaft in der EG über die Rückfiihrung von Abfall abschließen konnte, sofern die Unterrichtungspflicht erfüllt war, nicht gegen EG-Recht verstoßen wurde und die REWARD-Pflichten der Gemeinschaft nicht beeinträchtigt wurden (Art. 5 EGV). hhh) Art. 4 ff. EAGV Für den Bereich der Forschung bezüglich NuklearabfaIle sind die Art. 4 ff. EAGV einschlägig, die unter anderem als Vorbild fiir die Art. 130 f ff. EGV gedient haben554 . Auch hier sind die MS kraft ihrer Souveränität antonom handlungsbefugt, was deklaratorisch von den Art. 4 und 5 EAGV bestätigt wird. Danach Iordert, koordiniert und ergänzt die Kommission lediglich die nationale Kernforschung auf den Gebieten, die in Anhang I des EAG-Vertrages genannt sind. Für das Abfallrecht ist insbesondere die Forschung über Konzentrierung und Aufbewahrung unbrauchbarer radioaktiver Abfalle (Punkt IV, 5 Anhang I) zu nennen. Forschungsvorhaben außerhalb des Anhanges I und militärische Forschung unterfallen nicht dem EAG-Vertrag und liegen deshalb in der ausschließlichen Zuständigkeit der MS555. Somit bestehen kumulativ-konkurrierende Kompetenzen. Die Eigenforschung der EAG ist in den Art. 7 ff. EAGV geregelt. Auch sie schließt ein paralleles Tätigwerden der MS nicht aus. Die Staaten müssen allerdings die übrigen Vorschriften des Gemeinschaftsrechtes (z.B. Art. 30 ff.;

553 S.o. B, 11, I, a, dd. 554 Vgl. Gnmwald, 1., a.a.O., Rn. I f., 49 vor Art. 130 f-q. 555 S. idem, ibid., Rn. 33 vor Art. 130 f-q; hätte beispielsweise Frankreich die gegenwärtigen Versuche im Moruroa-Atoll als ausschließlich militärische Versuche deklariert, wäre die Kommission im Rahmen der EAG von vornherein unzuständig gewesen. 17'

260

D. Einzelne rechtliche Probleme der EG-Abfallpolitik

52 ff. EAGV)556 beachten und dürfen die EAG-Forschung nicht behindern (Art. 192 EAGV). So konnten die MS beispielsweise trotz des Bestehens des EAG-Forschungs- und technologischen Entwicklungsprogrammes auf dem Gebiet der Entsorgung radioaktiver Abfälle (1990-1994)557 eigene Forschungen auf dem Entsorgungssektor durchführen. Außerdem können die MS selbst bestimmte Teile der EAG-Forschungsprogramme durchführen, weil Art. 10 EAGV die Kommission zu vertraglicher Delegation befugt. iii) Art. 101 ff.; 29 EAGV Anders als in Art. 130 r Abs. 4 EGV gibt es im EAG-Vertrag keine Vorschrift, die zugleich die EAG und die MS zu einer internationalen atomaren Abfallpolitik berechtigt und verpflichtet. Gemäß Art. 101 EAGV kann die Gemeinschaft Abkommen und Vereinbarungen mi~ einem Drittstaat, einer zwischenstaatlichen Einrichtung oder Angehörigen eines Drittstaates schließen. Da das nach Uabs. 1 "im Rahmen ihrer Zuständigkeit" geschieht, ist Art. 10 1 EAGV genau wie Art. 130 r Abs. 4 EGV keine Kompetenzbegriindungsnorm, sondern lediglich eine Regelung der Art der Kompetenzwahrnehmung. In Anlehnung an das AETR-Urteil558 hat der EuGH festgestllt, daß das Prinzip der Kohärenz zwischen der internationalen Tätigkeit der Gemeinschaften und der Verteilung der internen Zuständigkeiten und Befugnisse auch für den EAG-Vertrag gilt559 . Demnach folgen die Außenkompetenzen der EAG den vorhandenen Binnenkompetenzen, unabhängig davon, ob die EAG von den Binnenkompetenzen schon Gebrauch gemacht hat560 . Sie kann international also immer dann tätig werden, wenn der EAG-Vertrag entsprechend dem Grundsatz der begrenzten Ermächtigung eine ausdrückliche Binnenkompetenz ausweist oder ein Tätigwerden aufgrund des Art. 203 EAGV bzw. in Anwendung der implied-powers-Theorie erforderlich ist. 561 556 Idem, ibid., Rn. 34 tT. vor Art. 130 f-q. 557 Rats-EntschließWlg 89/664/Euratom v. 15. Dezember 1989 (ABI. der EGen v. 30. Dezember 1989, L 395, S. 28 f.), s.o. B, II, 1, c, gg. 558 S.o. ccc, ß. 559 EuGHE 1978, Beschluß 1/78 - Übereinkommen über Objektschutz von Kernmaterial-, S. 2151,2181. 560 EuGH, ibid., S. 2179. 561 Inwieweit das Subsidiaritätsprinzip bereits auch im Rahmen des EAG-Vertrages gilt, kann an dieser Stelle nicht näher Wltersucht werden.

ill. Horizontale und vertikale Kompetenzkonflikte

261

Wie oben562 gezeigt, besitzt die EAG auf dem Gebiet der Forschungsförderung eine doppelte Zuständigkeit, nämlich bezüglich der Förderung, Koordinierung und Ergänzung der nationalen Forschung (Art. 4-6 EAGV) sowie der Eigenforschung (Art. 7-11 EAGV). Folglich kann sie internationale Verträge in Koordinierungsfragen (gegebenenfalls in Form gemischter Abkommen nach Art. 102 EAGV) und auf Gebieten der Eigenforschung (Art. 101 EAGV) schließen. 563 Die internationalen Abkommen und Vereinbarungen werden entweder von Kommission und Rat gemeinsam (Art. 101 Uabs. 2 EAGV) oder von der Kommission allein (Art. 10 1 Uabs. 3 EAGV) geschlossen. Eine Beteiligung der MS ist gemäß Art. 102 EAGV möglich auf Gebieten, die nicht in die ausschließliche Zuständigkeit der EAG fallen. Eigenständige abfallrechtliche Nuklearabkommen und Vereinbarungen können die MS nur schließen, wenn die Kommission nach einer Prüfung der Entwürfe keine Bedenken hat, daß die Bestimmungen die Anwendung des EAG-Vertrages beeinträchtigen können (Art. 103 EAGV). Da gemäß Art. 124 EAGV zu den Aufgaben der Kommission nicht nur die Überwachung und der Schutz der Anwendung der Vertragsvorschriften, sondern des gesamten EAGRechtes 564 gehören, kann und muß die Kommission ebenfalls die Vereinbarkeit der geplanten mitgliedstaatlichen Verträge mit den bereits durch die EAG geschlossenen internationalen Abkommen prüfen, denn diese Abkommen binden ebenso die MS. Das Tatbestandsmerkmal "Anwendungsbereich dieses Vertrags" in Art. 103 Uabs. 1 EAGV ist insofern weit auzulegen. Für diese weite Auslegung sprechen auch die mitgliedstaatlichen Loyalitätspflichten gemäß Art. 192 EAGV. Über mögliche Bedenken der Kommission kann sich ein MS nur hinwegsetzen, wenn er in einem Dringlichkeitsverfahren (Art. 105 VerfO des EuGH) einen positiven Beschluß des EuGH herbeiführt. Liegt keine Beeinträchtigung des EAG-Rechtes vor, können die MS weiterhin von ihrer konkurrierenden Vertragsschlußkompetenz Gebrauch machen. Da die Kommission lediglich die "Beeinträchtigung" des EAG-Rechtes prüft, ist gemäß

562 S. hhh. 563 Grunwald, J., a.a.O., Rn. 7, 9 zu Art. 130 n. 564 Wie im EG-Recht (s. EuGHE 1974, Rs. 181/73 - Haegemann -, S. 449,460) ist davon auszugehen, daß die Abkommen und Vereinbarungen nach Art. 101 EAGV in der Normenhierarchie zwischen EAG-Primärrecht und Sekundärrecht stehen, arg. e Prinzip der Einheit des Gemeinschaftsrechtes und Art. 104 Uabs. I EAGV.

262

D. Einzelne rechtliche Probleme der EG-Abfallpolitik

dem Rechtsgedanken des Art. 130 t EGV565 davon auszugehen, daß die MS nicht gehindert sind, strengere als bestehende Gemeinschaftsabkommen abzuschließen, solange diese die volle Anwendbarkeit der Gemeinschaftsabkommen bestehen lassen. Als Beispielsfall ist denkbar, daß ein EAG-MS, der nicht zusätzlich als souveräner Staat Vertragspartner des von der EAG geschlossenen und aufgrund des Art. 10 1 Uabs. 2 EAGV genehmigten Wiener Übereinkommens über den Objektschutz von Kernmaterial geworden ist, bilateral mit einem anderen EAG-Staat stärkere als im Wiener Übereinkommen vorgesehene Objektschutzmaßnahmen für den Transport von atomaren Abfällen beschließen will. Da diese Vorschriften weder das Übereinkommen noch den EAG-Vertrag beeinträchtigen würden, kann die Kommission keine Einwendungen nach Art. 103 EAGV erheben, so daß der EAG-MS den bilateralen Vertrag schließen kann. Ausgeschlossen ist autonomes mitgliedstaatliches Handeln auf internationaler Ebene allerdings grundsätzlich im Bereich des Art. 29 EAGV, der Abkommen oder Verträge über den Austausch von wissenschaftlichen oder gewerblichen Kenntnissen auf dem Kemgebiet betrifft. Will ein MS ein solches Abkommen mit einem Drittstaat, einer zwischenstaatlichen Einrichtung oder einem Angehörigen eines Drittstaates schließen, tritt die Kommission an die Stelle des MS. Damit soll gewährleistet werden, daß die EAG über dieselben Kenntnisse wie ihre MS verfUgt. Besteht keine Beeinträchtigung des Gemeinschaftsrechtes befürchten, kann die Kommission von ihrer Eintrittbefugnis gemäß Art. 29 Uabs. 2 EAGV absehen. Insgesamt bedeutet das, daß die MS im Bereich der internationalen abfallrechtlichen Nuklearabkommen ähnliche Kompetenzen wie im EG-Recht besitzen. bb) Primärrechtliche Ab/allkompetenzen, die kein mitgliedstaatliches Handeln mehr zulassen

Es gibt ferner primärrechtliche Kompetenzen, die zwar keine ausschließlichen Gemeinschaftskompetenzen verleihen, aber dennoch ein mitgliedstaatliches Handeln ausschließen, sofern die Gemeinschaft auf ihrer Grundlage tätig geworden ist. Als für das Abfallrecht relevant sind folgende Artikel zu nennen:

565 S.o. bbb.

Ill. Horizontale und vertikale Kompetenzkonflikte

263

- Auf dem Gebiet der Agrarpolitik ist Art. 43 EGY die entsprechende Gemeinschaftskompetenz566 . Die MS dürfen zum Beispiel im Bereich der Tierabfälle nicht mehr tätig werden, da die EWG die RL 90/667IEWG567 erlassen hat. 568 Mögliche Handlungsspielräume sind lediglich wie im Fall des Art. 100 EGy569 gegeben. - Die Grundnormen für den Gesundheitsschutz der Bevölkerung und der Arbeitskräfte gegen die Gefahren ionisierender Strahlungen werden abschließend570 vom Rat gemäß Art. 31 Uabs. 2 EAGY beschlossen571 . Die MS können danach nur noch eine Überprüfung und Ergänzung gemäß Art. 32 EAGY verlangen, im übrigen können (und müssen) die MS lediglich die Durchführungsbestimmungen und mögliche zusätzliche Vorkehrungen nach Art. 33 fI. EAGy572 erlassen.

ce) Vom Primärrecht vorgesehene sekundärrechtliche Derogationsklauseln Neben der Möglichkeit, daß ein abfallrechtlicher Gemeinschaftsakt den MS ohne primärrechtliche Vorgaben die Befugnis einräumt, von den sekundärrechtlichen Anforderungen - beispielsweise zur Erhöhung des Umweltschutz566 S. Gilsdorf, P./Booß, D., in Grabitz-Kommentar, Rn. 37 zu Art. 43. 567 Rats-RL 90/6671EWG v. 27. November 1990 zum Erlaß veterinärrechtlicher Vorschriften filr die Beseitigung, Verarbeitung und Vermarktung tierischer Abfillle und zum Schutz von Futtermitteln tierischen Ursprunges, auch aus Fisch, gegen Krankheitserreger sowie zur Änderung der RL 90/4251EWG (ABI. der EGen v. 27. Dezember 1990, L 363, S. 51 ff.; geändert durch ABI. der EGen v. 15. März 1993, L 62, S. 49 ff.), s.o. B, TI, 1, b, hh. 568 Sollen in diesem Fall besondere Vorschriften filr einzelne MS festgelegt werden, so ist ein erneutes Tätigwerden der Gemeinschaft erforderlich, wie es filr das Vereinigte Königreich und Irland durch die Entscheidung 95/3481EG (s.o. B, TI, 1, b, hh) geschehen ist. 569 S.o. aa, eee. 570 Pernice, I., Kompetenzordnung, S. 17. 571 S. z.B. die RLen v. 2. Februar 1959 zur Festlegung der Grundnormen (ABI. der EGen Nr. 11 v. 20. Februar 1959, S. 221 ff.), s.o. B, TI, I, c, aa und die Rats-VO (Euratom) Nr. 1493/93 v. 8. Juni 1993 über die Verbringung radioaktiver Stoffe zwischen den MS (ABI. der EGen v. 19. Juni 1993, L 148, S. I ff., die inzwischen außer Kraft ist). 572 S. z.B. die Antwort von Frau Bjerregaard im Namen der Kommission v. 19. Januar 1996 auf die schriftliche Anfrage E-3063/95 v. 15. November 1995 an die Kommission, ABI. der EGen v. 17. April 1996, C 112/19 f.

264

D. Einzelne rechtliche Probleme der EG-Abfallpolitik

niveaus - national abzuweichen573 , enthalten auch vereinzelt primärrechtliche Vorschriften entsprechende Derogationsmöglichkeiten. In beiden Varianten kommt der jetzt in Art. 3 b Uabs. 3 EGV genannte Verhältnismäßigkeitsgrundsatz zum Tragen, wonach die EGen unter anderem in die Belange der MS nur soweit eingreifen dürfen, wie es zur Erreichung der gemeinschaftlichen Ziele erforderlich ist. 574 Im Rahmen der Rechtsetzung bedeutet das, daß die Gemeinschaftsorgane die Interessen und Möglichkeiten der MS gegenüber den Gemeinschaftsinteressen abwägen müssen. 575 aaa) Art. 130 r Abs. 2 Uabs. 2 EGV Art. 130 r Abs. 2 Uabs. 2 EGV knüpft an die Querschnittsklausel des Art. 130 r Abs. 2 Uabs. 1 S. 3 EGV an, wonach die Umweltschutzerfordernisse des Art. 130 r Abs. 1-3 EGV bei der Festlegung und Durchfiihrung anderer Gemeinschaftspolitiken einbezogen werden müssen. Das heißt, die Gemeinschaftsorgane müssen bei allen Maßnahmen die umweltpolitischen Ziele, Prinzipien und Abwägungskriterien berücksichtigen. Um Harmonisierungsmaßnahmen, deren Umsetzung einzelnen MS aus nicht-wirtschaftlich bedingten umweltpolitischen Gründen Schwierigkeiten bereiten würden oder denen die Berücksichtigung der umweltpolitischen Postulate nicht weit genug geht, im Bereich anderer Gemeinschaftspolitiken gemäß den Anforderungen der Querschnittsklausel verabschieden zu können, sieht Art. 130 r Abs. 2 Uabs. 2 EGV eine ausdrückliche Derogationsmöglichkeit vor. Aus der Verknüpfung zwischen der Derogationsvorschrift und der Querschnittsklausel ("1m Hinblick hierauf') folgt, daß den genannten Harmonisierungsmaßnahmen gerade nicht Art. 130 s EGV, sondern irgend eine andere Kompetenznorm zugrundeliegen muß 576 . Für rein umweltpolitische Maßnahmen aufgrund des Art. 130 s EGV stehen die Derogationsmöglichkeiten der

573 S. z.B. Art. 6 Abs. 6 RL 94/62/EG des EP und des Rates v. 20. Dezember 1994 über Verpackungen und Verpackungsabfälle (ABI. der EGen v. 31. Dezember 1994, L 365, S. 10, 14), der Art. 100 a Abs. 4 EGV nachgebildet, jedoch kein Beispielsfall für Art. 100 a Abs. 5 EGV ist, weil dieser lediglich vorläufige Maßnahmen erfaßt und den Umweltschutz neben Art. 36 EGV nicht als Rechtfertigungsgrund nennt. 574 VgI. Bogdandy, A vonlNettesheim, M., in Grabitz-Kommentar, Rn. 48 tI. zu Art. 3 b. 575 VgI. Grabitz, E./lliopoulos, C., S. 34 fI. 576 VgI. Kahl,

w., S. 60; aA Epiney, A/Furrer, A, S. 389 und 390.

III. Horizontale Wld vertikale Kompetenzkonflikte

265

Art. 130 s Abs. 5 und 130 t EGV zur Verfügung, die aber auf andere Politikbereiche nicht übertragbar sind.

Ein mitgliedstaatliches Abweichen von einem abfallrelevanten EG-Harmonisierungsakt kommt lediglich aus nicht-wirtschaftlich bedingten umweltpolitischen Gründen in Betracht. Da Schutzklauseln auf Ausnahmesituationen reagieren577 , ist Art. 130 r Abs. 2 Uabs. 2 EGV als Ausnahmevorschrift eng auszulegen578 . Dem wird dadurch Nachdruck verliehen, daß die nationalen Maßnahmen ausschließlich vorläufigen579 Charakter haben dürfen. Anders als beispielsweise in Art. 130 t oder 118 a Abs. 3 EGV können die MS im Vergleich zu den EG-Maßnahmen nicht nur verstärkte Maßnahmen treffen, sondern auch unter dem EG-Niveau mit schwächeren Anforderungen bleiben580 . Dadurch, daß die Schutzmaßnahmen ausschließlich vorläufigen Charakter haben dürfen, wird das von Art. 130 r Abs. 2 Uabs. 1 S. 1 EGV geforderte hohe Umweltschutzniveau nicht gefährdet. Denkt man z.B. an eine Harmonisierungsmaßnahme, die der Rat im Bereich der Verkehrspolitik gemäß Art. 75 EGV erläßt und die bestimmte Umweltstandards erfiillen soll, so ist es vorstellbar, daß ein MS - möglicherweise wegen regionaler Umweltprobleme den Rechtsakt (z.B. eine RL) nur umsetzen kann, wenn die Umweltstandards :für ihn vorübergehend gesenkt werden. Außerdem gibt es keinen Grund, in umweltpolitischen Sekundärrechtsakten nationale Abweichungen nach unten zu erlauben, auf dem Gebiet anderer Gemeinschaftspolitiken aber eine solche Abweichung aus Umweltschutzgründen nicht zuzulassen. Schließlich spricht der offene Wortlaut des Art. 130 r Abs. 2 Uabs. 2 EGV dafür, daß die in Art. 118 a Abs. 3; 130 t EGV vorgenommene Einschränkung nicht gilt. Das bedeutet andererseits nicht, daß die MS das Gemeinschaftsrecht nach Belieben mißachten können. Sie müssen vielmehr die Vorgaben der Harmonisierungsmaßnahmen einhalten und das übrige Gemeinschaftsrecht beachten. Ein Abweichen über das vom Gemeinschaftsrecht erlaubte Maß hinaus ist

577 Vgl. Weber, A, S. 405 ff. 578 Vgl. EuGHE 1985, Rs. 11/82 - Piraiki-Patraiki -, S. 207, 245; Epiney, AlFurrer, A, S. 391. 579 Zur Wlterschiedlichen Auslegoog des Tatbestandsmerkmales "vorläufig" vgl. die KommentiefWlgen zu Art. 8 c EWGV von Grabitz, E., in Grabitz-Kommentar, Rn. 6 ff. Wld Pipkom, 1., in GTE, Bd. I, Rn. 17 f. 580 AA Grabitz, E./Nettesheim, M., a.a.O., Rn. 16 vor Art. 130 r; Epiney, AlFurrer, A, S. 391, die jeweils lediglich strengere Maßnahmen zulassen wollen.

266

D. Einzelne rechtliche Probleme der EG-Abfallpolitik

nicht zulässig. Die von Epiney und Furrer581 für akzeptabel gehaltene Verletzung übriger "gemeinschaftsrechtliche(r) Grundsätze" würde einen Verstoß gegen das Gemeinschaftsrecht darstellen. Um die Rechtmäßigkeit der nationalen Derogationsakte zu prüfen und zu garantieren, verlangt Art. 130 r Abs. 2 Uabs. 2 EGV, daß die nationalen Maßnahmen einem noch näher auszugestaltenden gemeinschaftlichen Kontrollverfahren, das bisher nicht festgelegt worden ist, zu unterwerfen sind. Ob dieses Kontrollverfahren dann eher einem Notifizierungsverfahren i.S.d. Art. 130 t EGV, einem Konsultationsverfahren i.S.d. Art. 1 ff. Entscheidung 74/393/EWG582 oder eher einer Art Genehmigungsverfahren i.S.d. Art. 103 EAGV; 100 a Abs. 4 Uabs. 2 und 93 Abs. 3 EGV entsprechen wird, ist bislang nicht geklärt. Wortlaut und Ausnahmecharakter der Vorschrift sprechen für die beiden letzteren Verfahrensarten. bbb) Art. 130 s Abs. 5 EGV Im Unterschied zu Art. 130 r Abs. 2 Uabs. 2 EGV gewährt Art. 130 s Abs. 5 Spstr. 1 EGV eine Derogationsmöglichkeit in Form vorübergehender Ausnahmeregelungen, wenn MS aus wirtschaftlichen Gründen hohe Umweltschutzstandards, die von Maßnahmen aufgrund des Art. 130 s Abs. 1 EGV gefordert werden, nicht einhalten können. Die Möglichkeit des Abweichens bezieht sich ausschließlich auf Gemeinschaftsmaßnahmen gemäß Art. 130 s Abs. 1 EGV, nicht auf die Materien, die aufgrund Art. 130 s Abs. 2 und 3 EGV geregelt werden können. Gemäß Art. 130 s Abs. 4 EGV müssen grundsätzlich583 die MS das umweltpolitische Gemeinschaftsrecht mit ihren eigenen Verwaltungsapparaten

581 S. 392. 582 S.o. ggg. 583 Ausnahmsweise fmanziert die Gemeinschaft selbst teilweise oder vollständig Umweltschutzprojekte. Dazu zählen beispielsweise Forschungs- und Pilotprojekte, zinsverbilligte Industriedarlehen in Zusammenhang mit Art. 54 EGKSV, Umweltschutzbeihilfen und fmanzielle Unterstützungen bestimmter Demonstrationsvorhaben oder von Vorhaben mit Anstoßcharakter [so z.B. die Rats-VO (EWG) Nr. 2242/87/EWG v. 23. Juli 1987 über gemeinschaftliche Umweltaktionen, ABI. der EGen v. 29. Juli 1987, L 207, S. 8 ff. und die Rats-VO (EWG) Nr. 1973/92 v. 21. Mai 1992 zur Schaffung eines Finanzierungsinstrumentes fi1r die Umwelt (LIFE), ABI. der EGen v. 22. Juli 1992, L 206, S. 1 ff., vgl. oben A, n, 3]. Auch der aufgrund des Art. 130 d Uabs. 2 EGV i.V.m. Rats-VO (EG) Nr. 1164/94 v. 16. Mai 1994 (ABI. der EGen v. 16. Mai 1994, L 130, S. I ff.) neu errichtete Kohäsionsfonds betreibt unter

rn. Horizontale Wld vertikale Kompetenzkonflikte

267

durchführen (sogenannter indirekter Vollzug) und die entsprechenden finanziellen Lasten tragen. Um die gleiche Anwendung des EG-Rechtes im Gemeinschaftsgebiet wegen unverhältnismäßiger Kosten für die Behörden einzelner MS nicht zu gefährden, kann der Gemeinschaftsakt sogar vorübergehende 584 mitgliedstaatIiche Ausnahmeregelungen zulassen, die vom in Art. 130 r Abs. 2 Uabs. 1 S. 2 EGV und auch in zahlreichen Abfall-Sekundärrechtsakten sowie in der LIFE-VO (EWG) Nr. 1973/92585 niedergelegten Verursacherprinzip 586 abweichen. Das übrige Gemeinschaftsrecht muß allerdings beachtet werden. Obwohl Art. 130 s Abs. 5 EGV vom Wortlaut eine Derogation "nach oben" und "nach unten" ermöglichen würde, kommen nur nationale Maßnahmen in Betracht, die schwächere Anforderungen als der EG-Akt vorsehen, weil der wirtschaftliche Grund der finanziellen Belastung zeigt, daß höhere Standards oder strengere Anforderungen wegen der Höhe der Kosten nicht realisierbar sind. Wegen des Ausnahmecharakters der Vorschrift ist wiederum eine restriktive Auslegung erforderlich587 . Es reicht deshalb nicht, daß der Staat lediglich unter indirekt anfallenden Kosten zu leiden hat 588 , sondern bestimmte Behörden müssen bei der konkreten Durchführung der Gemeinschaftsmaßnahmen finanziell überfordert sein. Ein irgendwie geartetes Kontrollverfahren ist prirnärrechtIich nicht vorgesehen. In Anlehnung an die Art. 130 r Abs. 2 Uabs. 2; 130 t; 100 a Abs. 4 und 5; 93 Abs. 3; 130 h EGV; 103 EAGV kann jedoch daran gedacht werden, in die Gemeinschaftsmaßnahme entsprechende Anforderungen aufzunehmen, wie es beispielsweise in Art. 6 Abs. 6 RL 94/62/EG des EP und des Rates vom

anderem die fmanzielle FörderWlg von Umweltvorhaben in Irland, Griechenland, Portugal Wld Spanien sowie in der Fällen des Art. 130 s Abs. 5 Spstr. 2 EGV. 584 Vgl. oben Fn. 579. 585 S.o. Fn. 583. 586 S.o. C, IV, 1, d. 587 Vgl. EuGHE 1985, Rs., 11182 - Piraiki-Patraiki -, S. 207, 245; Epiney, A.lFurrer, A., S. 404 m.w.N. 588 So aber eidern, S. 403, die schon verminderte Steuereinnalunen oder Arbeitslosigkeit für die Möglichkeit der Derogation ausreichen lassen wollen.

268

D. Einzelne rechtliche Probleme der EG-Abfallpolitik

20. Dezember 1994 über Verpackungen und Verpackungsabfälle589 der Fall ist. Dort müssen die MS die Kommission unterrichten, die dann in Zusammenarbeit mit den übrigen MS prüft, ob die Derogationsmaßnahme den gemeinschaftsrechtlichen Vorgaben entspricht und weder zu einer willkürlichen Diskriminierung noch zu einer verschleierten Beschränkung des Handels zwischen den MS fuhrt. Die Derogationsmöglichkeit nach Art. 130 s Abs. 5 Spstr. 1 EGV kommt im Abfallrecht insbesondere im Bereich der Abfallanlagen (Deponien, Verbrennungsanlagen etc.) in Betracht, da diese häufig von staatlichen Einrichtungen betrieben werden, die bei der Finanzierung bestimmter Umweltstandards mitunter Probleme haben. ccc) Art. 100 a Abs. 5 EGV Da Art. 100 a Abs. 1 EGV keine mögliche Kompetenznorm zum Erlaß abfallrechtlicher EG-Akte ist590 und ein entsprechendes Handeln gemäß Art. 100 a Abs. 1 EGV Voraussetzung für die Anwendbarkeit des Art. 100 a Abs. 5 EGV ist591 , können sich die MS im Abfallrecht nicht auf Art. 100 a Abs. 5 EGV berufen.

589 ABI. der EGen v. 31. Dezember 1994, L 365, S. 10, 14; die RL ist allerdings auf Art. 100 a EGV gestützt worden. 590 VgI. 1, c, dd, bbb und d, aa. 591 VgI. Pipkom, 1., in GlE, Bd. 2, Rn. 78 zu Art. 100 a.

E. Zusammenfassung der wichtigsten Ergebnisse Die wichtigsten Ergebnisse der vorliegenden Untersuchung lassen sich in folgenden Aussagen zusammenfassen: I. Auf der Pariser Gipfelkonferenz der Staats- und Regierungschefs der MS der EGen im Oktober 1972 wurde der Beginn einer konzentrierten Umweltpolitik auf EWG-Ebene beschlossen. Seitdem konkretisieren fünf Umwelt-Aktionsprogramme und zahlreiche weitere Maßnahmen die umweltpolitischen Ziele der Gemeinschaften und der MS. Die MS und die EG-Organe stimmen das entsprechende Vorgehen in enger Zusammenarbeit ab. Maßnahmen, wel-. ehe die Parameter Information, Öffentlichkeitsbeteiligung, Umsetzung der EG-Vorgaben und Datenanalyse regeln, streben einen effizienten mitgliedstaatlichen Vollzug des EG-Umweltrechtes an. Die Europäische Umweltagentur sowie das Europäische Umweltinformations- und Umweltbeobachtungsnetz sollen eine verläßliche Analyse über den Zustand und die Empfindlichkeit der Umwelt erstellen. Ein zukünftiges Ziel ist die integrierte umweltökonomische Gesamtrechnung. Sie entspricht der Erkenntnis, daß der monomediale Umweltschutz nach und nach durch ein alle Medien umfassendes, multifunktionales Umweltkonzept abzulösen ist. 2. Zur rechtlichen Umsetzung dieser Politik stützten die Organe der EGen umweltpolitische Rechtsakte anfangs, solange keine speziellen Umweltvorschriften in den EG-Verträgen existierten, auf verschiedene Vertragsvorschriften (zumeist auf Art. 100 und/oder 235 EWGV), den EWG-Vertrag als Ganzen oder alle drei EG-Verträge gemeinsam. Erst mit der EEA wurde der Umweltschutz expressis verbis in den Art. 130 r-t; 100 a Abs. 3 und 4; 118 a Abs. 1 EWGV genannt, und zum Erlaß von Sekundärrechtsakten wurden eigene Kompetenzgrundlagen eingefiihrt. Die Umweltpolitik besitzt seit diesem Zeitpunkt den Rang einer Gemeinschaftspolitik, deren Ziele und Erfordernisse im Rahmen aller anderen Gemeinschaftspolitiken zu beachten sind (Art. 130 r Abs. 2 Uabs.1 S. 3 EGV). Eine Weiterentwicklung brachte der Maastrichter Unionsvertrag, der für die Zukunft ein umweltverträgliches Wachstum der Volkswirtschaften betont.

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E. Zusammenfassung der wichtigsten Ergebnisse

3. Auch die Konzeption der gemeinschaftsrechtlichen Ab/al/politik - soweit sie nicht-nukleare AbflUle betrifft - hat eingehende Veränderungen erfahren: In den 70er Jahren war Antriebsfeder für den Erlaß abfall politischer Rechtsakte der EGen das Funktionieren des GM, insbesondere des internationalen Handels. Abfall-"Politik" war grundsätzlich lediglich daran interessiert, Abfälle wegen der von ihnen ausgehenden Gesundheitsgefährdungen und -belästigungen zu beseitigen. Die Abhängigkeit von Rohstoffeinfuhren und der verstärkte Anfall von AbflUlen fiihrten dazu, sich nicht mehr ausschließlich nur mit Abfallbeseitigung als Lösung der Abfallproblernatik zu beschäftigen, sondern als weitere Ziele die Verhinderung des Entstehens sowie die Verwertung und Wiederverwendung der AbflUle zu verfolgen. Diese Zieltrias wurde dann von den EGen hierarchisiert: An oberster Stelle stehen die Verhinderung des Entstehens von AbflUlen und die Verringerung des nicht-verwertbaren Abfallaufkommens, es folgen die Verwertung, das Recycling und die Wiederverwendung von Abfällen als Rohstoff oder Energiequelle. An letzter Stelle stehen die unschädliche Beseitigung und die Bewirtschaftung nicht verwerteter Abfälle. Diese von den EG-Organen in den 90er Jahren verfolgte sogenannte Gemeinschaftsstrategie löst das Konzept der Ab/al/beseitigung durch eine Politik der Ab/al/wirtschaft ab. Hinsichtlich nuklearer Abfälle hat sich die Strategie allerdings nicht geändert: Da Kernenergie weiterhin als wichtige Energiequelle angesehen wird, geht es unverändert um die ge/ahrlose Beseitigung atomarer Ab/äl/e. Es ist allerdings zu konstatieren, daß das Recycling zur Verringerung des Abfallvolumens bei radioaktiven Abfällen nicht immer die beste Methode darstellt, so daß die Deponierung eine gleichrangige Behandlungsmöglichkeit bedeutet. 4. Die auf die nicht-nuklearen Abfälle bezogene "Philosophie der integrierten Ab/al/wirtschaft" erfordert - da man sich nicht allein auf Marktkräfte verlassen kann - vielfältige Rechtsakte des Sekundärrechtes und weitere Gemeinschaftsakte bezüglich der verschiedenen Abfallarten, der Abfallbehandlung (=stationäre Regelungen) und des Abfalltransportes: a) Die wichtigste stationäre Regelung, die für grundsätzlich alle Abfallarten gilt, ist die Rahmen-RL des Rates 75/442/EWG vorn 15. Juli 1975 über AbflUle, die gegenwärtig in der Fassung der RL 911156IEWG Anwendung findet. Sie definiert unter anderem die Begriffe Abfall und Abfallbeseitigung und verpflichtet die MS, gegebenenfalls in Kooperation mit anderen MS ein integriertes und angemessenes Netz von Abfallbeseitigungsanlagen zu errichten, damit

E. Zusammenfassung der wichtigsten Ergebnisse

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die Gemeinschaft Entsorgungsautarkie erreicht und jeder MS befähigt wird, diese Autarkie anzustreben. b) Die wichtigste stationäre Regelung für den Bereich der Sonderabfälle ist die RL 91/689/EWG über ge/dhrliche Ab/dlle, welche die Zieltrias der Gemeinschaftsstrategie übernimmt und, soweit sie keine SondervorschrifteIi enthält, auf die Normen der Abfall-Rahmen-RL 75/442fEWG i.d.F. der RL 91/156fEWG verweist. c) Für den nuklearen Sektor erstellte die Kommission 1994 eine spezielle Gemeinschaftsstrategie for die Entsorgung radioaktiver Ab/dlle. Ihr Ziel ist eine gemeinschaftsweite Harmonisierung der Entsorgungsgrundsätze zur Gewährleistung eines EG-weiten äquivalenten Sicherheitsniveaus. Die Schwerpunkte lauten Definition und Einteilung, Volumenminimierung, Transport, Aufbereitung und Entsorgung radioaktiver Abfälle sowie Öffentlichkeitsarbeit und Finanzierung der Abfallentsorgung. Betont werden unter anderem das Nahbereichsprinzip bezüglich des Abfall- und Entsorgungsortes auf mitgliedstaatlicher Ebene sowie das Autarkieprinzip auf Gemeinschaftsebene. d) Seit den 80er Jahren werden Ab/al/transporte rechtlich normiert: Hinsichtlich des Transportes gefährlicher Abfälle ist insbesondere die Basler Konvention vom 22. Mdrz 1989 zu nennen. Sie bestimmt, daß die Signatare grundsätzlich keine nicht-wiederverwendbaren gefährlichen Abfälle in einen anderen Vertragsstaat exportieren dürfen, wenn dieser Staat den Import verbietet. Außerdem besteht die Verpflichtung, die Ausfuhr von nicht-wiederverwendbaren Abfällen in Nicht-Vertragsstaaten zu verbieten und Transporte in Gebiete südlich des 60. Breitengrades zu unterlassen. Ferner soll ein generelles Verbot der Ausfuhr gefahrlicher Abfälle aus OECD-Ländern in NichtOECD-Länder zum 1. Januar 1998 in Kraft treten. Für die Verbringung von Abfällen in AKP-Staaten gilt zusätzlich Art. 39 Viertes AKP-EWG-Abkommen vom 1. September 1991, wonach die Vertragsparteien alles unternehmen müssen, um den internationalen Verkehr mit gefahrlichen und radioaktiven AbflUlen unter Kontrolle zu bringen und jegliche direkte und indirekte Ausfuhr in die AKP-Staaten bzw. Einfuhr aus der EG und Drittstaaten zu untersagen. Zur Umsetzung dieser Verpflichtungen und weiterer Vorschriften der OECD erließ der Rat am 1. Februar 1993 die (EWG) Nr. 259/93 zur Überwachung und Kontrolle der Verbringung von Ab/dllen in der, in die und aus der EG, die grundsätzlich alle Abfälle i.S.d. Abfall-Rahmen-RL erfaßt. Im Grundsatz gilt, daß jede Abfallverbringung - soweit sie nicht gemäß den Ge-

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E. Zusammenfassung der wichtigsten Ergebnisse

danken des Prinzips der Nähe, des Vorranges fur die Verwertung und der Entsorgungsautarkie auf gemeinschaftlicher und einzelstaatlicher Ebene von vornherein verboten ist - vorher den zuständigen Behörden am Bestimmungsort, Versandort und gegebenenfalls im Transitland notifiziert werden muß, damit diese über Art, BefOrderung, BeseitigunglVerwertung etc. der Abfalle informiert sind und alle fiir den Gesundheits- und Umweltschutz erforderlichen Maßnahmen ergreifen können. Der Transport radioaktiver Abfälle wird von der RL 92/3/Euratom zur Überwachung und Kontrolle der Verbringungen radioaktiver Abfalle von einem MS in einen anderen, in die Gemeinschaft und aus der Gemeinschaft geregelt, und zwar durch ein umfassendes Genehmigungssystem. Bezüglich nuklearer Abfalle aus Drittstaaten gelten drei absolute Versagungsgründe fiir eine Genehmigung, nämlich fiir Verbringungen an einen Bestimmungsort südlich des 60. Breitengrades; in einen Vertragsstaat des Vierten AKP-EWGAbkommens, der nicht der Gemeinschaft angehört; und in einen Drittstaat, der nicht über die technischen, rechtlichen oder administrativen Mittel verfugt, um die betreffenden Abfalle sicher zu bewirtschaften. Darüber hinaus besitzen alle MS und Unternehmen in MS, in die Abfalle zur Behandlung geliefert werden sollen, jederzeit das Recht, die aufbereiteten Abfalle in das Ausgangsland zurückzusenden. 5. In den abfallpolitischen Gemeinschaftsakten kommen mehrere Rechtsprinzipien zum Ausdruck. Prinzipien unterfallen wie Regeln dem rechtstheoretischen Oberbegriff der Rechtsnorm. Rechtsnormen gebieten, verbieten oder erlauben den Rechtsunterworfenen ein bestimmtes Verhalten. Eine Regel kann erfiillt oder nicht erfiillt werden, man befolgt sie oder verstößt gegen sie. Prinzipien hingegen bedingen kein zwingendes Verhalten; sie enthalten Gründe, welche die eine oder andere Entscheidung nahelegen, und stellen Optimierungsgebote dar, die abhängig von den rechtlichen und tatsächlichen Möglichkeiten des Einzelfalles mehr oder weniger erfiillt werden können. Prinzipien, die sich aus den den MS gemeinsamen allgemeinen Rechtsgrundsätzen ableiten lassen, können derivative EG-Rechtsprinzipien genannt werden. Dagegen sind die originären EG-Rechtsprinzipien aus den konkreten Vorschriften des Primärrechtes, aus "Geist und System" der Verträge, aus dem "Wesen der Gemeinschaft" oder dem gesamten Vertragssystem abzuleiten. Sowohl die originären als auch die derivativen Rechtsprinzipien nehmen den Rang des EG-Primärrechtes ein. Sie binden die EG-Organe bei der Setzung von Sekundärrecht, sind Auslegungshilfe fiir das Sekundärrecht und Ori-

E. ZusamrnenfassWlg der wichtigsten Ergebnisse

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entierungsmaßstab fiir alle weiteren Handlungen der Organe. Gegenüber den MS besteht eine Bindung immer dann, wenn sie EG-Recht umsetzen, administrativ vollziehen oder allgemein eine vom Gemeinschaftsrecht geregelte Materie in Rede steht. 6. Es existieren folgende Rechtsprinzipien, die spezifische Auswirkungen auf das Abfallrecht haben: a) Das Vorsorgeprinzip postuliert eine vorausschauende Fürsorge, wonach selbst Tätigkeiten, deren umweltschädlicher Charakter lediglich möglich, nicht aber hinreichend wahrscheinlich erscheint, zu unterlassen oder zu unterbinden sind. Zum Schutz der Umwelt und zur Schonung der Umweltressourcen sind Abfälle vorrangig zu vermeiden bzw. zu verwerten, so daß zukünftig gar keine oder lediglich minimale Umweltbelastungen auftreten. b) Auch das Vorbeugeprinzip bezweckt die Vermeidung bzw. Minimierung von Umweltbeeinträchtigungen, knüpft aber an eine gewisse Wahrscheinlichkeit der Gefährdungslage an. Es verlangt die Entwicklung und Förderung sauberer, ressourcensparender Technologien und umweltverträglicher Erzeugnisse. c) Gemäß dem Prinzip der Bekämpfung von Umweltbeeinträchtigungen mit Vorrang an ihrem Ursprung (Quellenprinzip) sollen nicht völlig vermeidbare Umweltbeeinträchtigungen so gering wie möglich gehalten werden, so daß ihre Ausbreitung vermieden wird. Abfallentstehung soll möglichst an ihrem Ursprung vermieden werden. Deshalb muß jede Region, Gemeinde oder andere Gebietskörperschaft geeignete Maßnahmen treffen, um die Aufnahme, Behandlung und Beseitigung ihrer eigenen allgemeinen uM Sonderabfälle sicherzustellen, und zwar möglichst nah am Ort ihrer Erzeugung (Grundsatz der Entsorgungsnähe). Für die Abfallverwertung und die Nuklearabfälle gilt das Prinzip der Entsorgungsnähe allerdings noch nicht. Für letztere will die Kommission jedoch zumindest Leitlinien zur Anwendung des Grundsatzes der Entsorgungsnähe bei der Optimierung radioaktiver Abfallentsorgungssysteme entwickeln, obwohl aus wirtschaftlichen, Sicherheits- und Umweltschutzgründen vielfach Zentralanlagen konzipiert werden sollen. d) Gemäß dem Verursacherprinzip treffen die Kosten der Vermeidung, Beseitigung und des Ausgleiches von Umweltverschmutzungen grundsätzlich den, der sie verursacht hat. Es ist überwiegend ein reines Kostenzurechnungsprinzip, das bisher keine Schadenersatz- oder Haftungspflichten begründet. Im Abfallrecht sind die Abfallbeseitigungskosten vom Abfallbesitzer, der seine Abfälle einem Sarnmeluntemehmen oder einem anderen genehmigten Unter18 Zacker

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E. Zusammenfass\U1g der wichtigsten Ergebnisse

nehmen übergibt, und/oder den früheren Besitzern oder dem Hersteller des Erzeugnisses, von dem die Abfälle stammen, zu tragen. Das Transportrecht für allgemeine und Nuklearabfalle verlangt in bestimmten Konstellationen, daß die ursprünglichen Abfallbesitzer die exportierten Abfalle zurücknehmen und lege artis wiederverwenden bzw. entsorgen. e) Das Subsidiaritätsprinzip findet besondere abfallrechtliche Ausprägungen als Prinzip der Entsorgungsautarkie und als Prinzip der nationalen Planerstellung. Das Prinzip der Entsorgungsautarkie verpflichtet die MS, unter Berücksichtigung geographischer Gegebenheiten und des Bedarfes an besonderen Anlagen für bestimmte Abfallarten - gegebenenfalls in Zusammenarbeit mit anderen MS und der Kommission - auf Regional- oder Gebietsebene ein integriertes und angemessenes Netz von Beseitigungsanlagen zu errichten, welche die modernsten, keine übermäßig hohen Kosten verursachenden Technologien berücksichtigen. Die Gemeinschaft soll insgesamt entsorgungsautark werden, und die MS sollen Entsorgungsautarkie anstreben. So sollen Transporte zur Abfallbeseitigung an standortferne Entsorgungsorte minimiert werden. Das Gesagte gilt auch für atomare Abfalle. Allerdings sind Verwertungsvorgänge wiederum von dem Prinzip ausgenommen. Das Prinzip der nationalen PlanersteIlung verlangt, daß die MS Abfallbewirtschaftungspläne aufstellen, damit flächendeckende Pläne und die entsprechenden Anlagen dazu geschaffen werden, so daß dann kein Bedarf der grenzüberschreitenden Abfallverbringung mehr besteht. Die Pläne sollen Zielvorgaben und Rahmen setzen, um mit verknappten Ressourcen und Entsorgungskapazitäten möglichst effektiv wirtschaften zu können. f) Gemäß dem Grundsatz des nachhaltigen Wachstums sollen die Maßnah-

men der EGen und der MS auf eine stetige wirtschaftliche und soziale Entwicklung ausgerichtet sein, ohne daß die Umwelt und vor allem die natürlichen Ressourcen geschädigt werden. Als Antwort auf die Verknappung bestimmter Rohstoffe verlangt das abgeleitete Prinzip, mit Rohstoffen Maß zu halten, die umsichtige und rationelle Verwendung der natürlichen Ressourcen. Eine schonende Nutzung soll die Verschwendung und kurzfristige Bedarfsdeckung venneiden und die Regenerierbarkeit erneuerbarer Ressourcen schützen. Wiederverwertung geht vor Neuausbeutung. Für den Abfallsektor bedeutet das beispielsweise einen möglichst geringen Landschaftsverbrauch für Deponien.

E. Zusammenfassung der wichtigsten Ergebnisse

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g) Um Abfalle nicht dem freien Spiel der Marktkräfte zu überlassen, folgen aus dem Prinzip der Kontrolle und Überwachung gefährlicher Tätigkeiten vielfaltige Kontroll-, Informations-, Kennzeichnungs-, Notifizierungs- und Genehmigungspflichten. h) Ein Prinzip der offenen Grenzen for die Abfallverbringung innerhalb des Gemeinschaftsgebietes existiert nicht. Insbesondere die Rechtsprechung des EuGH seit 1992 belegt deutlich, daß der freie Verkehr von Abfällen gerade kein wünschenswertes Ziel der EGen ist. Die MS sollen die Abfallverbringung vermindern und die gegen Abfallbewirtschaftungspläne verstoßende Verbringung unterbinden, damit der Umweltschutz gesichert wird. Das Verbot der grenzüberschreitenden Abfallverbringung kann nicht nur aus Gründen des Gesundheits- und Umweltschutzes gerechtfertigt werden, sondern auch wenn die Abfallbeseitigung in einem angrenzenden MS schwerwiegende Folgen für die Umwelt des Export-MS hätte. i) Ebensowenig gibt es ein Prinzip der Veifolgung des bestmöglichen Umweltschutzes. Es ist lediglich ein hohes Umweltschutzniveau anzustreben. Die EG-Organe müssen immer die unterschiedlichen Gegebenheiten in den einzelnen EG-Regionen berücksichtigen. 7. Der EG-rechtliche Abfallbegriff wird in unterschiedlichen Rechtsakten definiert. Für die allgemeinen Abfälle sind die Abfall-Rahmen-RL 75/442IEWG i.d.F. der RL 911156IEWG und der Europäische Abfallkatalog (EWC), der Verzeichnisse der allgemeinen sowie der gefährlichen Abfälle i.S.d. RL 911689IEWG über gefährliche Abfälle enthält, heranzuziehen. Danach müssen zwei Tatbestandsmerkmale kumulativ erfüllt werden: Es muß sich um Stoffe oder Gegenstände handeln, die vom EWe erfaßt werden, und ihr Besitzer muß oder will sich ihrer entledigen bzw. entledigt sich ihrer tatsächlich. Es ist nicht ausreichend, daß ein Stoff in das Abfallverzeichnis aufgenommen wurde, weil der EWe lediglich eine Kategorisierung der Abfalle darstellt. Ferner sind keine mitgliedstaatlichen Vorschriften heranzuziehen, weil der EG-Abfallbegriff ein rein gemeinschaftsrechtlicher Begriff ist. Das erste Tatbestandsmerkmal erfaßt grundsätzlich alle verwertbaren und nicht-verwertbaren beweglichen Sachen. Von den verwertbaren und wiederverwendbaren Sachen sind allerdings diejenigen auszunehmen, die weiterhin zum bestimmungsgemäßen oder einem anderen Gebrauch benutzt werden sollen, selbst wenn Maßnahmen notwendig sind, gebrauchte Gegenstände (z.B. Altkleider in Second-Hand-Geschäften) für den weiteren Gebrauch zu säubern oder anderweitig herzurichten. Das folgt aus dem zweiten Tatbestandsmerk1S*

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E. ZusammenfasSWlg der wichtigsten Ergebnisse

mal der Entledigung, worunter die Verwertung oder Beseitigung von Sachen zu verstehen ist. Der weitere Gebrauch einer Sache durch den bisherigen Besitzer oder einen Dritten, ohne daß eine Aufarbeitung oder ein sonstiges Verwertungsverfahren erforderlich sind, dient nämlich der Abfallvermeidung und stellt keine potentielle Gefährdung abfallrechtlich relevanter Schutzgüter dar.

Im Bestreben um eine gemeinsame Tenninologie für das gesamte Abfallrecht der EGen verweisen mehrere Rechtsakte über Sonderabftille auf die oben genannte Definition in der Abfall-Rahmen-RL. Es gibt aber auch SpezialRLen, die über die genannten Tatbestandsmerkmale hinaus objektbezogene Definitionen enthalten, die wegen der besonderen Gefährlichkeit der Abfälle erforderlich sind. So ist der Abfallbegriff der RL 911689IEWG über gefährliche AbflUle dem der Abfall-Rahmen-RL identisch; um diese AbflUle als gefahrlich zu qualifizieren, müssen sie zusätzlich im Verzeichnis gefahrlicher Abfälle des EWe aufgeführt sein sowie eine oder mehrere der in Anhang III der RL genannten gefahrrelevanten Eigenschaften aufweisen oder sonstige AbflUle sein, die nach Auffassung eines MS eine der in Anhang III aufgezählten Eigenschaften besitzen und von der Kommission und dem Abfall-Ausschuß in den EWe aufgenommen werden. Auch hier reicht die alleinige Auflistung im EWe nicht, sondern es müssen weitere Voraussetzungen erfüllt sein. Mit Ausnahme der TierabflUIe-RL 90/6671EWG definiert das existierende Sekundärrecht über Sonderabfälle AbflUle als Stoffe, die bestimmte Eigenschaften aufweisen und deren Besitzer sich ihrer entledigen müssen, wollen oder tatsächlich entledigen. Eine ausformulierte Definition radioaktiver AbflUle findet sich bisher ausschließlich in der Rats-RL 92/3lEuratom zur Überwachung und Kontrolle der Verbringungen radioaktiver AbflUle von einem MS in einen anderen, in die und aus der Gemeinschaft, wonach radioaktive Abfalle Materialien sind, die Radionuklide enthalten bzw. hierdurch kontaminiert sind und für die kein Verwendungszweck vorgesehen ist. 8. Das gemeinschaftliche Abfallrecht ist an den Vorgaben verschiedener primärrechtlicher Normen zu messen. Dabei ist grundsätzlich eine unmittelbare Anwendung der Vorschriften des EG-Vertrages und der entsprechenden Rechtsprechung auf Sachverhalte möglich, die den Bereichen des EAG- oder EGKS-Vertrages unterfallen. Zwei Fallgestaltungen sind zu unterscheiden: Soweit der EAG- oder der EGKS-Vertrag eine abschließende konkurrierende Regelung oder eine spezielle Sonderregelung enthalten, der keine den-

E. ZusammenfasSWlg der wichtigsten Ergebnisse

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selben Gegenstand betreffende EG-Vorschrift gegenübersteht, ist das EGRecht unanwendbar. Im Falle von EAGV- oder EGKSV-Normen, die einen Bereich nicht abschließend oder gar nicht regeln, können das EG-Recht und seine Auslegung gemäß dem Grundsatz der funktionellen Einheit der drei Gemeinschaften zur Lükkenschließung herangezogen werden. Insbesondere bezüglich des Importes sowie der Sammlung, Lagerung und Verwertung nuklearer Abfälle und Reststoffe sind nicht nur primäres und sekundäres EAG-Recht, sondern auch die Grundfreiheiten des EG-Rechtes anwendbar. Allerdings muß die entsprechende EG-Vorschrift vom Sinn und Zweck her überhaupt auf die Regelungsbereiche des EAG- oder EGKS-Vertrages übertragbar sein. Denn die MS können sich bewußt dafür entschieden haben, einen bestimmten Sachbereich nicht der Zuständigkeit von EAG oder EGKS zu unterstellen, sondern ihn weiterhin nationalstaatlich regeln zu lassen. Anders als der EG-Vertrag verfolgen der EAG- und der EGKS-Vertrag nämlich nur Teilintegrationen bestimmter Wirtschaftsbereiche. 9. Der EuGH subsumiert sowohl verwertbare als auch nicht-verwertbare Abfälle der Warenverkehrsfreiheit der Art. 9 ff. EGV. Auch Rat, Kommission und EP bejahen den Warencharakter des Abfalles. Das Schrifttum betrachtet Abfall teilweise als Ware, wendet teilweise die Dienstleistungsvorschriften der Art. 59 ff . EGV an oder bejaht die Anwendbarkeit sowohl der Warenverkehrs- als auch der Dienstleistungsfreiheit. Zutreffend ist hingegen, daß AbfCille keine Waren i.S.d. Art. 9 ff. EGV sind, da sie nicht der dortigen Waren-Definition unterfallen. Diese ist wie folgt zu fassen: Waren sind alle beweglichen körperlichen Gegenstände, die ihres Geldwertes wegen behördlich zugelassen gehandelt werden und deren in ihnen steckender originärer Gebrauchszweck sich ein Käufer oder ein Dritter nutzbar macht. Für die Nutzbarmachung ist - mit Ausnahme der Primärrohstoffe keine Dienstleistung erforderlich.

AbfCille dagegen sind kein Gegenstand des den Handel ausmachenden Tausches. Sie können zwar einen Geldwert besitzen, doch ist dieser von wechselnden wirtschaftlichen Bedingungen abhängig und variiert dementsprechend. Das den AbfallbegrifI konstituierende Element der Entledigung, die eine Entnahme aus dem Wirtschaftskreislaufbedeutet, widerspricht dem Gedanken des Austausches beim Warenverkehr. Abfallbeseitigung befaßt sich nicht mit dem Gebrauch und der Nutzung von Gegenständen, sondern mit dem Verbleib der Produkte nach ihrer Nutzung bzw. mit dem Verbleib von Nebenprodukten, die

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E. Zusanunenfassung der wichtigsten Ergebnisse

bei der Herstellung oder beim Konsum eines anderen Gutes anfallen (=Kuppelprodukte). So werden Abfälle nicht wegen ihrer Handelbarkeit hergestellt oder (als Primärrohstoffe) gefOrdert, sondern sind die notwendige Folge von Produktion und Konsum. Der dem Abfallrecht immanente Beseitigungszwang bedingt unterschiedliche Dienstleistungen, die durch Geldzahlungen überlagert werden können. Die Geldzahlungen sind aber lediglich ein inzentives Instrument, Abfallbeseitigung wirksam durchzuführen. Selbst wenn Abfälle Sekundärrohstoffe darstellen, werden sie erst mit Hilfe von Dienstleistungen zu Waren. 10. Im Ergebnis ist vielmehr grundsätzlich die Dienstleistungsfreiheit der Art. 59 ff. EGV auf abfal/wirtschaftliche grenzilberschreitende Vorgänge anwendbar, da die Sammlung, Verwertung, Lagerung, Verbrennung etc. von Abfällen Wirtschaftsvorgänge sind, die im allgemeinen gegen Entgelt erbracht werden. Auszunehmen sind bloße Abfallbeförderungen, sofern das Transportunternehmen keinerlei eigenes Interesse an der Abfallverwertung oder -entsorgung hat; hier finden die Art. 74 ff. EGV Anwendung. 11. Trotz der Dienstleistungsfreiheit können die MS abfallwirtschaftliche Leistungen beschränken. So stellt eine mitgliedstaatliche Regelung eine zulässige tatbestandsimmanente Beschränkung des Art. 59 EGV dar, wenn die Regelung zwingende Gründe des Allgemeinwohles verfolgt, das in Rede stehende Interesse nicht bereits durch Vorschriften des MS, in dem der Dienstleistungserbringer niedergelassen ist, gewahrt wird, die Regelung sachlich geboten ist und es fiir das Erreichen des Zieles kein milderes Mittel gibt. Die mitgliedstaatliche Regelung muß dabei unterschiedslos auf alle Dienstleistungen ohne Rücksicht auf ihren Ursprung angewende~ werden. Im Abfallsektor kommen insbesondere der Umwelt- und der Gesundheitsschutz als anerkannte Gründe des Allgemeinwohles in Betracht, die ein Verbot der grenzüberschreitenden Abfallverbringung rechtfertigen können. Als weitere Konkretisierungen können beispielsweise Bedenken gegen die Zuverlässigkeit der Beförderer, entgegenstehende Abfallentsorgungspläne, Existenz geeigneter innerstaatlicher Abfallentsorgungsanlagen Und schwerwiegende Folgen fiir die Umwelt im eigenen Staat durch die Beseitigung im Aufnahmestaat genannt werden. Eine Einschränkbarkeit der Dienstleistungsfreiheit durch Art. 66 i. v.m. 55 Uabs. 1 EGV ist im Rahmen der Abfallbehandlung und -beseitigung, selbst wenn sie öffentlich-rechtlich organisiert sind, nicht möglich, weil beim faktischen Vollzug keine öffentliche Gewalt ausgeübt wird.

E. Zusanunenfassung der wichtigsten Ergebnisse

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Da das Abfallregime grundsätzlich an die Umwelt- und Gesundheitsgefahren anknüpft, die vom Objekt Abfall selbst ausgehen, nicht aber an die Person eines ausländischen Dienstleistenden, besteht eine Einschränkungsmöglichkeit gemäß Art. 66 i. v.m. 56 Abs. J EGV nur im Ausnahmefall, wenn zu besorgen ist, daß EG-Ausländer entsprechende Dienstleistungen schlechter als Inländer erbringen. Eine Einschränkung der Art. 59 f. EGV gemäß Art. 90 Abs. 2 EGV wäre lediglich dann denkbar, wenn die Dienstleistungsfreiheit die Durchfiihrung der Abfallentsorgung rechtlich oder tatsächlich verhinderte und das Interesse der Gemeinschaft am Funktionieren des GM durch abfallrechtliche Maßnahmen in einem unvertretbaren Maß beeinträchtigt würde. So reichen insbesondere Rentabilitätsbefiirchtungen von Anlagenbetreibern nicht fiir eine Rechtfertigung der Einschränkung der Dienstleistungsfreiheit aus. 12. Zum Erlaß ab/al/rechtlicher Gemeinschaftsmaßnahmen kommen unterschiedliche Gemeinschaftsvorschriften in Betracht, so daß eine Kompetenzabgrenzung erforderlich ist. Zur horizontalen Kompetenzabgrenzung will sich der EuGH auf objektive, gerichtlich nachprüfbare Umstände stützen. Als Beispiele nennt er Ziele und Inhalt des in Rede stehenden Rechtsaktes. Bei mehreren gleichermaßen einschlägigen Befugnisnormen zieht der Gerichtshof teilweise ausdrückliche Subsidiaritäts- oder Spezialitätsregeln wie die der Art. 38 Abs. 2; 61 Abs. 1; 100 a Abs. 1 S. 1; 232; 235 EGV heran. In allen übrigen Fällen werden die materiellen Abgrenzungskriterien des EuGH nicht deutlich; nur in wenigen Fällen stützt er sich auf den "Hauptzweck" und/oder die "Nebenwirkung" des Rechtsaktes. Um die Abgrenzung zu erleichtern, können Kompetenzvorschriften in singultir-materiel/e (=sie geben die Befugnis zur Regelung eines Teilbereiches menschlicher Betätigungsformen, s. z.B. die Art. 43; 57; 75; 113; 130 s EGV) und transversal-materielle Kompetenzen (=Befugnisse, die unterschiedliche Politikbereiche und Aufgaben betreffen, s. z.B. Art. 100; 100 a; 235 EGV) unterteilt werden. Stehen sich bei einer Kompetenzabgrenzung eine singulär-materielle und eine transversal-materielle Norm gegenüber, so läßt sich aus der nicht näher begründeten EuGH-Rechtsprechung ableiten, daß grundsätzlich die singulär-materielle Norm vorgehen soll. Eine Ausnahme macht der EuGH jedoch, wenn er Art. 100 a EGV den Art. 130 s EGV verdrängen läßt. Die Kriterien Hauptzweck und Nebenwirkung sind ebenso wie die von der Literatur herangezogenen Maßstäbe Schwerpunkt, Intensität, Sachnähe u.ä. als materielle Abgrenzungsgesichtspunkte wenig hilfreich, da die Entschei-

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E. Zusammenfassung der wichtigsten Ergebnisse

dung für die eine oder andere Befugnisnorm letztendlich von einer subjektiven Wertung des Rechtsetzenden abhängt. 13. Das Abfallrecht wird insbesondere durch die Abgrenzung der Art. 100 al100 EGV von Art. 130 s EGV berührt. Da BM-Politik, GM-Politiken und Umweltschutzpolitik gleichrangig auf einer Ebene nebeneinander stehen und keine Politik der anderen automatisch vorgeht, hat eine Kompetenzabgrenzung im Einzelfall stattzufinden. Trotz der Bedeutung des BM-Konzeptes kommt Art. 100 a EGV vor allem keine Sonderstellung im Vertragsgeftlge zu; denn er wird sowohl von speziellen singulär-materiellen Kompetenzen als auch von Art. 100 EGV im Falle der nicht unter Art. 7 a EGV fallenden GMMaterien verdrängt. Zur übersichtlicheren Abgrenzung sollte man die Maßnahmen, die den GM, den BM und den Umweltschutz betreffen, in drei Kategorien einteilen: Produktbezogene Umweltvorschriften stellen bestimmte Anforderungen an die Beschaffenheit von Erzeugnissen aus Gründen des Umweltschutzes. Unterschiedliche Vorschriften in den einzelnen MS können Handelshemmnisse darstellen und somit den ungehinderten Produktzugang zu allen mitgliedstaatlichen Märkten behindern. Produktionsbezogene Umweltvorschriften unterstellen den Herstellungsprozeß einer Ware bestimmten Anforderungen. Anlagenbezogene Umweltvorschriften reglementieren die Beschaffenheit von Industrieanlagen. 14. Für produktbezogene Umweltvorschriften lassen sich folgende Kompetenzabgrenzungsregeln aufstellen: Verbietet eine Regelung aus umweltpolitischen Gründen die Verwendung eines Produktes, ist Art. 130 s EGV die richtige Kompetenznorm. Ermöglichen und/oder erleichtern die Maßnahmen den grenzüberschreitenden Warenverkehr, greift Art. 100 a EGV. Wird die Verwendung eines Produktes eingeschränkt, ist der EG-Rechtsakt auf Art. 100 a EGV zu stützen, sofern das Produkt umweltfreundlicher gestaltet werden und weiterhin handelbar sein soll; Art. 130 s EGV ist anzuwenden, wenn Produktion und Handelbarkeit der Ware wegen ihrer Umweltschädlichkeit reduziert oder abgeschafft werden sollen. 15. Da produktionsbezogene Umweltvorschriften die Gleichheit der Wettbewerbsbedingungen, die ein Element des GM sind, betreffen, sind Art. 100 und 130 s EGV voneinander abzugrenzen. Vorschriften, die den Produktionsprozeß einer Ware, die EG-zwischenstaatlich gehandelt wird, umwelt-

E. Zusammenfassung der wichtigsten Ergebnisse

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freundlicher gestalten sollen, sind auf Art. 100 EGV zu stützen. Produktionsbezogene Umweltvorschriften, die dagegen Herstellungsprozesse verbieten oder so einschränken, daß der Absatz der Waren reduziert oder völlig unterbunden wird, unterfallen Art. 130 s EGV. 16. Für anlagenbezogene Umweltvorschriften, die Anlagen zur Warenherstellung betreffen, ist wegen ihres Wettbewerbsbezuges Art. 100 EGV heranzuziehen. Hingegen sind Umweltvorschriften, die Anlagen reglementieren, die nicht der Warenproduktion dienen, Art. 130 s EGV zu subsumieren. 17. Im Ab/al/recht gibt es keine produktbezogenen Umweltvorschriften, weil Abfalle keine Waren sind. Allerdings gibt es dienstleistungsbezogene ab/al/rechtliche Normen. Da der Abfall-Dienstleistungsverkehr wegen seiner Umweltschädlichkeit eingeschränkt oder ganz unterbunden werden soll, können die entsprechenden Vorschriften nicht auf Art. 100 a EGV, der den Abbau der Binnengrenzen fiir die Grundfreiheiten im BM verfolgt, sondern auf Art. 130 s EGV gestützt werden, soweit keine Spezialvorschriften einschlägig sind.

Produktionsbezogene ab/al/rechtliche Umweltvorschriften sind ex definitione nicht denkbar, weil AbflUle als Ware nicht zielgerichtet hergestellt werden, sondern allenfalls Kuppelprodukte sind. Für anlagenbezogene ab/al/rechtliche Umweltvorschriften ist Art. 100 EGV die richtige Befugnisnorm, wenn Regelungsobjekt Anlagen der Güterproduktion sind. Diese Vorschriften können die Absatzchance von Produkten beeinflussen und weisen daher einen deutlichen Wettbewerbsbezug auf. Dagegen sind abfallrechtliche Umweltvorschriften, die nicht-güterproduzierende Anlagen betreffen, auf Art. 130 s EGV zu stützen. 18. Bezüglich der vertikalen Kompetenzabgrenzung gilt im Abfallrecht, daß grundsätzlich die MS kraft ihrer originären Kompetenzen und die Gemeinschaftsorgane nebeneinander handlungsbefugt sind, weil keine abschließenden Gemeinschajtskompetenzen existieren. Je nach Aktionsebene (örtlich, regional, national, gemeinschaftsweit, international) ist im Einzelfall - ausgerichtet am Effektivitätsprinzip - zu entscheiden, ob eine abfallrechtliche Maßnahme von den MS oder den Gemeinschaften zu ergreifen ist. Trotz Vorliegens eines Gemeinschaftsaktes können das Primär- oder das Sekundärrecht den MS die weitere Rechtsetzung einräumen. 19. Im Primärrecht finden sich fiir den Abfallsektor folgende nationale Derogationsmöglichkeiten:

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E. Zusammenfassung der wichtigsten Ergebnisse

a) In den Verträgen über den Beitritt neuer MS existieren häufig Regelungen, die Übergangsfristen fiir die Anwendung oder den Erlaß von von Gemeinschaftsvorschriften abweichenden einzelstaatlichen Normen vorsehen. b) Gemäß Art. 130 t EGVkönnen die MS bereits bestehende stärkere abfallrechtliche Schutzmaßnahmen als die von der EG aufgrund des Art. 130 s EGV erlassenen, selbst wenn diese abschließend sind, beibehalten oder neue ergreifen, sofern sie mit dem EG-Vertrag vereinbar sind (insbesondere mit den Art. 59 ff.; 90; 95; 5 und 6 EGV) und der Kommission notifiziert werden. Sollte die EG den Rechtsakt neben Art. 130 s EGV auf eine weitere Kompetenznorm gestützt haben, ist zu unterscheiden, ob sich die Regelungsbereiche der Maßnahme klar den einzelnen Kompetenzen getrennt zuordnen lassen. Ist das der Fall, können die MS von Art. 130 t EGV bezüglich der von Art. 130 s EGV erfaßten Teile Gebrauch machen. Kann eine deutliche Abgrenzung nicht erfolgen, kann sich der MS gemäß der aus dem Subsidiaritätsprinzip abzuleitenden Regel "in dubio pro natione" fiir den gesamten Rechtsakt auf Art. 130 t EGV berufen. Diese Berufung ist unabhängig vom Abstimmungsverhalten der MS und von der Art der erforderlichen Mehrheit fiir das Zustandekommen des Gemeinschaftsaktes. Auf Kompetenzen im internationalen Bereich ist Art. 130 t EGV ebenfalls anwendbar. c) Für die vertikale Kompetenzabgrenzung im internationalen Ab/al/recht sind der Art. 130 r Abs. 4 EGV und die EuGH-Rechtsprechung relevant. Danach bestehen alternativ-konkurrierende Kompetenzen, so daß die MS international tätig werden können, wenn - das Subsidiaritätsprinzip kein abfallrechtliches Abkommen durch die Gemeinschaft erfordert; - die EG noch kein abschließendes internes Abfallrecht gesetzt hat, das bestehende Abfall-Sekundärrecht nicht durch das internationale Auftreten eines MS gefährdet oder beeinträchtigt wird und die Gemeinschaft kein externes Abfallrecht plant. Dabei müssen die MS aber die primärrechtlichen Vorgaben beachten, was ebenso gilt, - wenn ihnen eine Derogationsklausel in einem abschließenden Abfall-Sekundärrechtsakt nationales oder internationales Tätigwerden erlaubt; - wenn sie aufgrund des Art. 130 t EGV international vereinbarte Schutzstandards der Gemeinschaft verstärken wollen. d) Im Bereich der Art. 99 und 100 EGV können die MS lediglich in den Fällen tätig werden, in denen die Gemeinschaftsvorschrift die Materie nicht

E. Zusanunenfassung der wichtigsten Ergebnisse

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abschließend regelt oder nur eine optionelle Harmonisierung bzw. bloße Mindeststandards vorgibt. e) Abfallrechtliche Forschungs- und Entwicklungsprogramme sowie auf diesen Gebieten Abkommen mit Drittstaaten können die MS jederzeit erstellen bzw. schließen, da die Art. 130 f ff. EGV lediglich kumulativ-konkurrierende Kompetenzen enthalten. Allerdings müssen die MS die übrigen Staaten und die Kommission über die entsprechenden internationalen Abkommen unterrichten. t) Für Binnenforschungen über nukleare Abfälle bestehen grundsätzlich ebenfalls kumulativ-konkurrierende Kompetenzen. Eine Ausnahme stellen lediglich die Forschungsvorhaben auf den Gebieten, die nicht von Anhang I des EAG-Vertrages erfaßt werden, und jegliche militärische Nuklearforschungen dar, da sie in der ausschließlichen Zuständigkeit der MS liegen.

g) Für die internationale atomare Abfallpolitik gibt es im EAG-Vertrag kein ausdrückliches Pendant zu Art. 130 r Abs. 4 EGV. Gemäß der Rechtsprechung des EuGH gilt das Prinzip der Kohärenz zwischen der internationalen Tätigkeit der Gemeinschaften und der Verteilung der internen Zuständigkeiten und Befugnisse auch fiir den EAG-Vertrag. Demnach folgen die Außenkompetenzen der EAG den vorhandenen Binnenkompetenzen, unabhängig davon, ob die EAG von den Binnenkompetenzen schon Gebrauch gemacht hat. Sie kann international immer dann tätig werden, wenn der EAG-Vertrag entsprechend dem Grundsatz der begrenzten Ermächtigung eine ausdrückliche Binnenkompetenz ausweist oder ein Tätigwerden aufgrund des Art. 203 EAGV bzw. in Anwendung der implied-powers-Theorie erforderlich ist. Zur Forschungsförderung kann die EAG internationale Verträge bezüglich der Förderung und Koordinierung der nationalen Forschung (gegebenenfalls als gemischte Abkommen) und auf Gebieten der Eigenforschung schließen. Die MS können eigenständige abfallrechtliche Nuklearabkommen und Vereinbarungen nur schließen, wenn die Kommission keine Einwände hinsichtlich der Vereinbarkeit mit dem EAG-Vertrag und der durch die EAG bereits geschlossenen internationalen Verträge hat. Über mögliche Bedenken der Kommission kann sich ein MS lediglich hinwegsetzen, wenn er in einem Dringlichkeitsverfahren (Art. 105 VerfO EuGH) einen positiven Beschluß des EuGH herbeiführt. Solange das EAG-Recht nicht beeinträchtigt wird, ist gemäß dem Rechtsgedanken des Art. 130 t EGV davon auszugehen, daß die MS nicht gehindert sind, strengere als bestehende Gemeinschaftsabkommen abzuschließen. Ausgeschlossen ist autonomes mitgliedstaatliches Handeln auf in-

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E. Zusammenfassung der wichtigsten Ergebnisse

ternationaler Ebene allerdings grundsätzlich im Bereich des Art. 29 EAGV, der Abkommen oder Verträge über den Austausch von wissenschaftlichen oder gewerblichen Kenntnissen auf dem Kerngebiet betrifR. Will ein MS ein solches Abkommen mit einem Drittstaat, einer zwischenstaatlichen Einrichtung oder einem Angehörigen eines Drittstaates schließen, tritt die Kommission an die Stelle des MS. 20. Außerdem enthält das Primärrecht einige Vorschriften, wonach sekundtirrechtliche Derogationsklauseln möglich sind: a) Art. 130 r Abs. 2 Uabs. 2 EGV sieht eine Derogationsmöglichkeit vor, um Harmonisierungsmaßnahmen, deren Umsetzung einzelnen MS aus nichtwirtschaftlich bedingten umweltpolitischen Gründen Schwierigkeiten bereiten würde oder denen die Berücksichtigwlg der umweltpolitischen Postulate nicht weit genug geht, im Bereich anderer, nicht von Art. 130 s EGV erfaßter Gemeinschaftspolitiken gemäß den Anforderungen der Querschnittsklausel des Art. 130 r Abs. 2 Uabs.l S. 3 EGV verabschieden zu können. Da SchutzklauseIn auf Ausnahmesituationen reagieren, ist Art. 130 r Abs. 2 Uabs. 2 EGV als Ausnahmevorschrift eng auszulegen. Die nationalen Maßnahmen dürfen nur vorläufigen Charakter haben, können aber Anforderungen sowohl unter als auch über dem EG-Niveau liegend enthalten. Sie sind einem noch näher auszugestaltenden gemeinschaftlichen Kontrollverfahren zu unterwerfen, das einem Konsultations- oder Genehmigungsverfahren entsprechen wird. b) Im Unterschied zu Art. 130 r Abs. 2 Uabs. 2 EGV gewährt Art. 130 s Abs. 5 Spstr. 1 EGV eine Derogationsmöglichkeit in Form vorübergehender Ausnahmeregelungen, wenn MS aus wirtschaftlichen Gründen hohe Umweltschutzstandards, die von Maßnahmen aufgrund des Art. 130 s Abs. 1 EGV (nicht aufgrund des Art. 130 s Abs. 2 und 3 EGV!) gefordert werden, nicht einhalten können. Dabei kann ausdrücklich vom Verursacherprinzip abgewichen werden. Auch diese Ausnahmevorschrift ist restriktiv auszulegen. Es reicht beispielsweise nicht aus, daß der MS lediglich unter indirekt anfallenden Kosten zu leiden hat, sondern bestimmte Behörden müssen bei der konkreten Durchführung der Gemeinschaftsmaßnahmen finanziell überfordert sein. Art. 130 s Abs. 5 Spstr. 1 EGV kommt im Abfallrecht insbesondere im Bereich der Abfallanlagen in Betracht.

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im

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Sachregister Abfall - - aus Titandioxidproduktion 66 f. - -deponien 63 f. - -tourismus 82 - -transport 81 ff. - -verhindenmg 51, 54 - -verwertung 51, 54, 111 ff., 141, 143 - -wiederverwend\U1g 51, 54,173 (Fn. 153) - Abfltlle, die beim Aufsuchen, Gewinnen, Aufbereiten \U1d Lagern von Bodenschätzen sowie beim Betrieb von Steinbrüchen entstehen 138 - allgemeine Abfltlle 56 ff., 114 - als Objekt der DLF 176 ff. - als Ware 173 ff. - atomare (=nukleare) Abfltlle 50 f., 74 ff., 88 ff., 114, 119, 138, 156 ff., 259 ff. - Begriff 138 ff., 145 ff., 156 ff. - BeseitigWlg 50,54,111 ff., 141 ff. - dienstleistWlgsbezogene abfallrechtliehe Umweltnonnen 233 f., 237 ff. - EntledigWlg 142 ff., 179 f. - EntsorgWlg 113 f. - Forsch\U1gsabkommen 60, 258 f., 261 - geflthrliche Abfltlle 70 f., 71 f., 81 f., 144 ff., 158 - grenzüberschreitende VerbringWlg, s. Abfalltransport - grüne Abfltlle 87 - Haftung 62 f., 64, 90, 110 - Haushaltsabfltlle 50 - im Primärrecht 55 f.

- im SekWldärrecht 56 ff. - Industrieabfltlle 50, 158 - Inertabfltlle 158 - kommWlale KWlStstoffabfltlle 69 - Siedl\U1gsabfltlle 158 - Sonderabfltlle 64 ff., 114, 145 ff. - stationäre Rege1\U1gen 56 ff. - tierische Abfltlle 69, 153 f, 179 (Fn. 185) - VerpackWlgsabfltlle 68, 72 f., 150 f. Abfall-Rahmen-RL 56 ff., 71, 73, 86, 111 ff., 138 ff., 145 ff. AbfallverbringWlgs-VO 84, 85 f. Abfallbewirtschafumgspläne 120 f. Abwässer 138 acquis communautaire 42 f. Akkumulatoren 70,149 f. Aktionsprogramm ftIr den Umweltschutz - erstes - 32, 50 - zweites - 33, 51 - drittes - 33 f., 51 - viertes - 34, 52 - filnftes - 44 f., 53, 72, 91 (Fn. 186), 107 (Fn. 90) allgemeine RechtsgrWldsätze 98 f. allgemeiner Gleichheitssatz 186 f. Allgemeines Beratendes Forum ftlr Umwe1tfragen 46 Altö165, 142, 151 Altpapier 67, 141, 179 anlagenbezogene abfallrechtliche Umweltvorschriften 219 ff., 232 f. Arbeitsumwe1t 40, 240 (Fn. 461) Ausschuß ftIr Abfallwirtschaft 51,59, 139,147

Sachregister Basler Konvention 82 ff., 112, 154 f., 250 f. Batterie 70, 149 f. Belleville 79 Beschränkwtgsverbot 192 f. Binnengewässer 32 Binnenmarkt (BM) 39 f., 224, 226 ff. Bodenschätze 138 C02-Steuer 45 CORINE 35 f., 46 dauerhafte und wnwe1tgerechte Entwicklung 44 f., 107 Demokratiedeflzit 210 Derogationsldausel44,244 ff., 263 ff. dienstleistungsbezogene abfallrechtliche Umwe1tnonnen 233 f., 237 ff. DLF 160, 176 ff., 190 ff. EAG-Grundnonnen 30 f. economies of sca1e 121 EEA 39 f. effet utile 105 Ems1and 79 end-of-pipe-Maßnahmen 54 f. Energiepolitik 43 Entsorgungsautarkie 52, 55, 58, 62, 81,82,86, 111 ff., 131, 132, 186, 195 Erdreich 140 EuGH96 f. Europa der drei Geschwindigkeiten 44 Europäische Umwe1tagentur 40 f. Europäische Union - Begriff 28 f. - Völkerrechtspersönlichkeit 29 f. Europäischer Abfallkatalog (EWC) 58 (Fn. 35), 139 ff. Europäisches Umweltjahr 36 Eurostat 49 Finanzmonopole 200 f.

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free-rider-Prob1em 121 f. freier Warenverkehr 159 f., 169 ff. fimktionelle Integration der Gemeinschaften 161 f., 163 f. gasmrmige Ableitungen in die Atmosphäre 138 gefllhrliche Stoffe 31 Gemeinschaftsinspektoren 59 Gemeinschaftsstrategie ftlr die Abfallwirtschaft 52, 64 Gemeinschaftsstrategie ftlr die Entsorgung radioaktiver AbOO1e 80 f., 157 Gesundheitsschutz 30 f. green accounting 64 f. (Fn. 67) Grundsatz der begrenzten Ermächtigung 202 f., 241, 260 Grundsatz der Bekämpfung der Umweltbeeinträchtigungen an der Quelle 43,51,105, 110 ff., 186, 188, 195,234 Grundsatz der Berichtspflicht der Kommission 130 Grundsatz der Beseitigungsautarkie 120 Grundsatz der Beseitigungs- und Verwertungsnähe 111, 120 Grundsatz der einheitlichen Geltung des Europarechtes 105 Grundsatz der Entsorgungsautarkie 86, 111 ff., 118 ff., 131 f., 186, 189, 195,234 Grundsatz der Entsorgungsnähe 81, 86, 111 ff., 120, 186, 188, 195, 234 Grundsatz der Gebietshoheit 133 Grundsatz der geeigneten Aktionsebene 43, 118,243 Grundsatz der Gemeinschaftstreue 105, 106,243,253 Grundsatz der Kontrolle und Überwachung gefllhrlicher Tätigkeiten 125 f. Grundsatz der nationalen P1anerste11ung 121

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Sachregister

Grundsatz der offenen Grenzen ftlr die Abfallverbringung innerhalb des Gemeinschaftsgebietes 131 ff. Grundsatz der Rechtssicherheit 106 Grundsatz der Unterrichtung 106, 127 ff., 133 Grundsatz der Verfolgung des bestmöglichen Umweltschutzes 134 ff. Grundsatz der Vorbeugung 34, 36,43, 51,63,69, 108 ff. Grundsatz der Vorsorge 43, 107 f., 110,123 Grundsatz des nachhaltigen Wachstums 122 ff. Grundsatz des Vorranges der Abfallverwertung 86,107,189,195 Grundsatz, mit Rohstoffen Maß zu halten 124 f. Grundsätze des Abfallrechtes der EGen 106 ff. HaushaltsabflUle 50 Hausmüll 27, 147 (Fn. 59) HeyshamII79 hohes Umweltschutzniveau 34, 39,43, 134 ff. horizontale Kompetenzabgrenzung in den EG-Verträgen 202 ff. Information 34 ff., 40 f. Inländergleichbehandlung 192 f. Integrierte Vermeidung und Verminderung der Umweltverschmutzung 37 (Fn. 44),47 f., 58 (Fn. 38), 71 (Fn.91) Isarll 79 KFZ-Motoren 31 f. Klärschlamm 68 f., 138, 152 f. Kodezisionsverfahren 44 Kohärenzprinzip 47 Kohäsionsfonds 44 kommunale KunststoffabflUle 69

Kompetenz-Kompetenz 241 Komplementärprodukte 230 Konkurrenz der Gemeinschaftsverträge 161 ff. Kontrollinspektoren 42 Kooperationsverfahren 43 Kuppelprodukte 180 (Fn., 192),235, 257 LaHague79 LIFE 46 f., 267 MOX-Brennstoffe 91 nachhaltige Entwicklung (nachhaltiges Wachstum) 107, 122 ff. Nahbereichsprinzip 81, 86 Neckarll79 Netz zur Durchftlhrung der Umweltvorschriften 45 (Fn. 79) Niederaichbach 79 Nogent-sur-Seine 79 öffentliche Gewalt 195 ff. öffentliche Ordnung 197 f. öffentliche Unternehmen 198 f. ÖffentIichkeitsbeteiligung 34, 36, 40 f. Ökö-Etikett (-Label) 47,53 ökologische Buchftlhrung 48 Ölkrise 51 Pariser Gipfelkonferenz (20. Oktober 1972) 32 PCBIPCT 66, 151 f. Philosophie der integrierten Abfallwirtschaft 53, 62 Politik der Abfallwirtschaft 55 Prinzip - Ableitung 96 ff. - Begriff 93 ff. - Bindungswirkung 104 ff. - derivative Prinzipien 99

Sachregister - originäre Prinzipien 99 -Rang102ff. Prinzip der begrenzten Ennächtigung 202 f., 241, 260 Prinzip der Bekämpfung der Umweltbeeinträchtigungen an der Quelle 43,51, 105, 110 ff., 186, 188, 195,234 Prinzip der Berichtspflicht der Kommission 130 Prinzip der Beseitigungsautarkie 120 Prinzip der Beseitigungs- und Verwertungsnähe 111, 120 Prinzip der einheitlichen Geltung des Europarechtes 105 Prinzip der Entsorgungsautarkie 86, 111 ff., 118 ff., 131 f., 186, 189, 195,234 Prinzip der Entsorgungsnähe 81, 86, 111 ff., 120, 186, 188, 195,234 prinzip der Gebietshoheit 133 Prinzip der geeigneten Aktionsebene 43,118,243 Prinzip der Gemeinschaftstreue 105, 106,243,253 prinzip der Kontrolle und Überwachung geflihrlicher Tätigkeiten 125 f. prinzip der nationalen Planerstellung 121 prinzip der offenen Grenzen filr die Abfallverbringung innerhalb des Gemeinschaftsgebietes 131 ff. Prinzip der Rechtssicherheit 106 Prinzip der Unterrichtung 106, 127 ff., 133 Prinzip der Verfolgung des bestmöglichen Umweltschutzes 134 ff. Prinzip der Vorbeugung 34, 36,43, 51,63,69, 108 ff. Prinzip der Vorsorge 43, 107 f., 110, 123 prinzip des nachhaltigen Wachstums 122 ff. 20 Zacker

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Prinzip des Vorranges der Abfallverwertung 86, 107, 189, 195 Prinzip, mit Rohstoffen Maß zu halten 124 f. Prinzipien des gemeinschaftlichen Abfallrechtes 106 ff. produktbezogene Umwe1tvorschriften 218 ff., 226 ff. produktionsbezogene Umweltvorschriften 219 ff., 231 ff. Querschnittsklausel 39, 222 ff., 264 Rechtsnonn (Begrifl) 93 Regel (Begrifl) 93 REWARD-Programm 52 (Fn. 14),259. sachlich-relevanter Markt 230 saubere, ressourcensparende Technologien 51 f., 55 Schnelle Brüter 77 f. Schrott 170 (Fn. 136) Schutzverstärkungsklause144, 245 ff., 264 ff. Siedlungsmüll 60 singulär-materielle Kompetenzen 208, 226 Sprengstoffe 138 Staub- und Gasemissionen 31 Steinbrüche 138 Stillhalteverpflichtungen 243 Strukturprinzipien im gemeinschaftlichen Abfallrecht 92 ff. Subsidiaritätsprinzip 43 ff., 47, 117 ff., 242, 256 sustainable deve10pment (nachhaltige Entwicklung) 107, 122 ff. Tierkörper 69, 138, 179 (Fn. 185) Titandioxidproduktion 66 f., 148 f. Tomess 79 transversal-materielle Kompetenzen 208,226

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Sachregister

Trillo I 79

vertikale Kompetenzabgrenzung in den EG-Vertragen 240 ff. Verursacherprinzip 43, 47,57,63,66, 81, 1l0, 114 ff., 188,234,267 Viertes AKP-Abkommen 85,154 f., 156 Vorbeugung 34, 36,43,51,63,69, 108ff. Vorsorge 43, 107 f., 110, 123

Umwelt-Audit 47 Umweltgemeinschaft 42 Umwelthafumg 45 Umweltinfonnationsgesetz 41 (Fn. 63) Umweltkonten 48 f. Umweltschutz - Außenkompetenzen 250 ff. - Begriff 30, 40 - bestmöglicher - 134 ff. - Finanzienmg 36, 46 f. - Kosten 114 f. - Rechtsgnmdlagen 37 ff. umweltverträgliches Wachstum 42 UmweltverträglichkeitspTÜfung (UVP) 36,47,53, 110 Umweltzeichen 47,53 Unterrichtungspflichten 57

Warenverkehrsfreiheit 159 f., 170 ff. Weißbuch der Kommission "Wachstum, Wettbewerbsfähigkeit, Beschäftigung - Herausforderungen der Gegenwart und Wege ins 21. Jahrhundert" 48 Wiener Übereinkommen über den Objektschutz von Kernmaterial 88 Wirtschaftspolitik 221 ff.

Vandellos 11 79 Veredelungsverkehr 183 (Fn. 195)

zwingende Gründe des Allgemeinwohles 193 ff.