Zum algebraischen Gleichheitsverständnis von Grundschulkindern: Konstruktive und rekonstruktive Erforschung von Lernchancen [1. Aufl.] 978-3-658-23661-8;978-3-658-23662-5

Carolin Mayer zeigt, dass Gleichungen im Arithmetikunterricht der Grundschule für das weitere Lernen in der Primar- und

571 69 8MB

German Pages XIX, 203 [211] Year 2019

Report DMCA / Copyright

DOWNLOAD FILE

Polecaj historie

Zum algebraischen Gleichheitsverständnis von Grundschulkindern: Konstruktive und rekonstruktive Erforschung von Lernchancen [1. Aufl.]
 978-3-658-23661-8;978-3-658-23662-5

Table of contents :
Front Matter ....Pages I-XXIII
Gleichheiten im Mathematikunterricht der Grundschule (Carolin Mayer)....Pages 5-39
Argumentationsprozesse im Mathematikunterricht der Grundschule (Carolin Mayer)....Pages 41-67
Methode und Design der Untersuchung (Carolin Mayer)....Pages 69-99
Ergebnisse der Design-Experimente (Carolin Mayer)....Pages 101-121
Argumentationsanalysen zur Charakterisierung eines algebraischen Gleichheitsverständnisses (Carolin Mayer)....Pages 123-159
Interpretative Analysen zur Charakterisierung der Lernumgebungen (Carolin Mayer)....Pages 161-183
Fazit und Ausblick (Carolin Mayer)....Pages 185-193
Back Matter ....Pages 195-203

Citation preview

Dortmunder Beiträge zur Entwicklung und Erforschung des Mathematikunterrichts

Carolin Mayer

Zum algebraischen Gleichheitsverständnis von Grundschulkindern Konstruktive und rekonstruktive Erforschung von Lernchancen

Dortmunder Beiträge zur Entwicklung und Erforschung des Mathematikunterrichts Band 38 Reihe herausgegeben von S. Hußmann M. Nührenbörger S. Prediger C. Selter Dortmund, Deutschland

Eines der zentralen Anliegen der Entwicklung und Erforschung des Mathematikunterrichts stellt die Verbindung von konstruktiven Entwicklungsarbeiten und rekonstruktiven empirischen Analysen der Besonderheiten, Voraussetzungen und Strukturen von Lehr- und Lernprozessen dar. Dieses Wechselspiel findet Ausdruck in der sorgsamen Konzeption von mathematischen Aufgabenformaten und Unterrichtsszenarien und der genauen Analyse dadurch initiierter Lernprozesse. Die Reihe „Dortmunder Beiträge zur Entwicklung und Erforschung des Mathematikunterrichts“ trägt dazu bei, ausgewählte Themen und Charakteristika des Lehrens und Lernens von Mathematik – von der Kita bis zur Hochschule – unter theoretisch vielfältigen Perspektiven besser zu verstehen. Reihe herausgegeben von Prof. Dr. Stephan Hußmann, Prof. Dr. Marcus Nührenbörger, Prof. Dr. Susanne Prediger, Prof. Dr. Christoph Selter, Technische Universität Dortmund, Deutschland

Weitere Bände in der Reihe http://www.springer.com/series/12458

Carolin Mayer

Zum algebraischen Gleichheitsverständnis von Grundschulkindern Konstruktive und rekonstruktive Erforschung von Lernchancen Mit einem Geleitwort von Prof. Dr. Marcus Nührenbörger

Carolin Mayer Fakultät für Mathematik, IEEM Technische Universität Dortmund Dortmund, Deutschland Dissertation Technische Universität Dortmund, Fakultät für Mathematik, 2018 Erstgutachter: Prof. Dr. Marcus Nührenbörger Zweitgutachter: Prof. Dr. Ralph Schwarzkopf Tag der Disputation: 26.02.2018

Dortmunder Beiträge zur Entwicklung und Erforschung des Mathematikunterrichts ISBN 978-3-658-23661-8 ISBN 978-3-658-23662-5 (eBook) https://doi.org/10.1007/978-3-658-23662-5 Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. Springer Spektrum © Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2019 Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung, die nicht ausdrücklich vom Urheberrechtsgesetz zugelassen ist, bedarf der vorherigen Zustimmung des Verlags. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Bearbeitungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen, Handelsnamen, Warenbezeichnungen usw. in diesem Werk berechtigt auch ohne besondere Kennzeichnung nicht zu der Annahme, dass solche Namen im Sinne der Warenzeichen- und Markenschutz-Gesetzgebung als frei zu betrachten wären und daher von jedermann benutzt werden dürften. Der Verlag, die Autoren und die Herausgeber gehen davon aus, dass die Angaben und Informationen in diesem Werk zum Zeitpunkt der Veröffentlichung vollständig und korrekt sind. Weder der Verlag noch die Autoren oder die Herausgeber übernehmen, ausdrücklich oder implizit, Gewähr für den Inhalt des Werkes, etwaige Fehler oder Äußerungen. Der Verlag bleibt im Hinblick auf geografische Zuordnungen und Gebietsbezeichnungen in veröffentlichten Karten und Institutionsadressen neutral. Springer Spektrum ist ein Imprint der eingetragenen Gesellschaft Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH und ist ein Teil von Springer Nature Die Anschrift der Gesellschaft ist: Abraham-Lincoln-Str. 46, 65189 Wiesbaden, Germany

Geleitwort In den letzten Jahren gewinnt im internationalen und nationalen Raum die Frage nach der „algebraischen Qualität“ des Arithmetikunterrichts in der Grundschule an Bedeutung. Ansätze wie „Early Algebra“ oder „Prä-Algebra“ heben hervor, dass bereits in der Grundschule algebraische Denkprozesse eine hohe Bedeutung für mathematische Lernprozesse besitzen. Hierbei geht es nicht um eine frühe Auseinandersetzung mit Buchstaben oder die Kenntnis des formalen Symbolsystems im Mathematikunterricht der Grundschule. Es rücken vielmehr arithmetische Muster und Strukturen in den Vordergrund, die von den Kindern erforscht und hinterfragt werden sollen. Frühe Algebra zielt somit auf ein strukturell nachhaltiges Verständnis elementarer arithmetischer Gesetzmäßigkeiten und Zusammenhänge, das einerseits an Zahlen und Termen gebunden ist, andererseits deren Verallgemeinerbarkeit exemplarisch aufgezeigt. Frau Mayer konzentriert sich hierzu auf das Gleichheitsverständnis von Kindern, das sich beim Vergleichen von Termen und beim Erkennen, Beschreiben und Begründen der Gleichheit bzw. Ungleichheit von Termen zeigt. In der vorliegenden Arbeit arbeitet sie diverse Charakteristika des Verstehens von Gleichheiten bei Grundschulkindern heraus und zeigt Bezüge zwischen dem argumentierenden Verallgemeinern und der Entwicklung algebraischen Denkens, die schließlich zur Weiterentwicklung von Lernumgebungen für Kinder genutzt werden. Im theoretischen Teil der Arbeit werden spezifische Bezüge hergestellt zwischen Ansätzen der elementaren Algebra in der Sekundarstufe und der Entwicklung eines algebraischen Denkens in der Grundschule. Frau Mayer stellt deutlich heraus, wie die Algebraisierung des Arithmetikunterrichts den Blick der Kinder auf allgemeine Rechenstrategien und auf Beziehungen zwischen einzelnen Objekten und Operationen öffnen kann. Hierzu verknüpft sie geschickt algebraisches Denken mit den von Winter entwickelten Gleichheitskonzepten, um das algebraische Gleichheitsverständnis von Grundschulkindern begrifflich und empirisch zu erfassen. Darüber hinaus hebt Frau Mayer die Bedeutung einer argumentativ geprägten und die mathematischen Strukturen fokussierenden Sichtweise auf arithmetische Phänomene für die Entwicklung eines algebraisch geprägten Gleichheitsverständnisses heraus. Die Verzahnung des algebraischen Denkens im Kontext von Gleichheiten mit argumentationstheoretischen Perspektiven auf mathematisches Lernen mündet theoriegenerierend in ein Modell zur Charakterisierung des algebraischen Gleichheitsverständnisses bei Kindern, das in den argumentationstheoretischen Analysen aufgegriffen und geschärft wird.

VI

Geleitwort

Das theoretische Konstrukt des algebraischen Gleichheitsverständnisses gewinnt im Weiteren an empirischer Relevanz: Frau Mayer konstruiert hierzu zwei substanzielle Lernumgebungen (Rechenketten und Malkreuze) und erprobt diese in 88 Partnerinterviews mit insgesamt 34 Kindern der vierten Klasse. Die Lernumgebungen gründen auf vier Design-Prinzipien zur Entwicklung von algebraisch ausgerichteten Aufgabenstellungen in der Grundschule: „Gleichheiten ohne Gleichheitszeichen“, „interaktives und kooperatives Lernen“, „Balance zwischen empirischer Situiertheit und relationaler Allgemeinheit“ sowie „produktive Irritationen“ als fachlich-soziale Anlässe für strukturelle Argumentationen. Die Arbeit ist methodologisch in die interpretative Unterrichtsforschung und in die qualitative Argumentationstheorie nach Toulmin eingebettet. Anhand der Vielzahl an Daten arbeitet Frau Mayer unterschiedliche Charakteristika eines algebraischen Gleichheitsverständnisses heraus und konkretisiert diese exemplarisch anhand einzelner Fallanalysen. Die sorgsamen und spannend lesbaren Fallanalysen bieten den Leserinnen und Lesern fundierte Einblicke in die verschiedenen Perspektiven auf das algebraische Gleichheitsverständnis von Grundschulkindern und auf deren relationalen und funktionalen Gleichheitsdeutungen. Zugleich bietet die Arbeit aber auch fachdidaktisch fundierte Hinweise für das Design von Aufgabenstellungen, mit denen sowohl mündliche als auch schriftliche Formen eines algebraischen Gleichheitsverständnisses von Kindern in der Grundschule angeregt werden können.

Marcus Nührenbörger

Danksagung Mein größter Dank gilt Prof. Dr. Marcus Nührenbörger, der mir zunächst das Vertrauen zur Anfertigung dieser Arbeit entgegenbrachte und mich auf dem Weg dorthin durch seine kontinuierliche Begleitung und zielführende Beratung unterstützte. Prof. Dr. Ralph Schwarzkopf danke ich ganz herzlich, da er sich nicht nur als Zweitgutachter dieser Arbeit bereit erklärte, sondern meine Arbeit ebenso durch intensive Gespräche sowie kritische Fragen und Anmerkungen inhaltlich begleitete und so die Arbeit immer wieder konstruktiv bereicherte. Der AG Nührenbörger danke ich ganz herzlich für die gemeinsamen AGSitzungen, den produktiven inhaltlichen Austausch, das Aufwerfen von Fragen und Diskussionen sowie insbesondere das intensive gemeinsame Analysieren der Transkriptausschnitte. Dorothea Tubach, Sabrina Transchel und Annika Pott danke ich für eine wunderbare Bürogemeinschaft. Sie halfen mir während des Entstehens der Dissertation nicht nur durch inhaltliche Diskussionen weiter, sondern waren insbesondere ständige Begleiterinnen in allen Höhen und Tiefen des Promovierens. Monika London danke ich für die unzähligen intensiven Gespräche, die die vorliegende Arbeit auf besondere Weise bereicherten und gleichsam den Blick auf weitere Forschungslücken und Ideen zur Weiterarbeit eröffneten. Dem Funken-Programm danke ich insbesondere für den produktiven interdisziplinären Austausch, der dieser Arbeit immer wieder einen neuen Blickwinkel gab. Den Lehrern, Kindern und Eltern danke ich ganz besonders für ihr Interesse und die Mitarbeit an den empirischen Erprobungen, ohne die die Arbeit nicht hätte entstehen können. Mein besonderer Dank gilt meiner Familie, die sowohl durch Korrekturlesen als auch durch ihr stetiges Begleiten, Motivieren und ihr Interesse an der Arbeit maßgeblich zum Entstehen dieser Dissertation beitrugen.

Inhaltsverzeichnis Geleitwort .......................................................................................................... V Danksagung ....................................................................................................VII Abbildungsverzeichnis ................................................................................. XIII Tabellenverzeichnis ..................................................................................... XVII Transkriptionsregeln .................................................................................... XXI Einleitung ............................................................................................................1 1

Gleichheiten im Mathematikunterricht der Grundschule .......................5 1.1 Die Verwendung des Gleichheitszeichens ........................................... 6 1.1.1 Empirische Erkenntnisse zur Interpretation des Gleichheitszeichens................................................................. 7 1.1.2 Zur Problematik bei der Verwendung des Gleichheitszeichens................................................................11 1.2 Early Algebra ..................................................................................... 12 1.2.1 Elementare Algebra in der Sekundarstufe ............................. 12 1.2.2 Algebraisches Denken in der Grundschule ........................... 13 1.2.3 Algebraisches Denken als Teil eines umfassenden arithmetischen Verständnisses ............................................... 17 1.2.4 Empirische Erkenntnisse zum algebraischen Denken von Grundschulkindern ................................................................ 19 1.3 Die Entwicklung eines algebraischen Gleichheitsverständnisses ...... 23 1.3.1 Gleichheitskonzepte nach Winter (1982) .............................. 23 1.3.2 Komponenten aus der Early Algebra im Kontext von Gleichheiten .......................................................................... 26 1.3.3 Empirische Erkenntnisse zur Entwicklung eines algebraischen Gleichheitsverständnisses von Grundschulkindern .... 31 1.4 Gleichungen in der Sekundarstufe ..................................................... 32 1.4.1 Vorstellungen von Lernenden zur Gleichwertigkeit von Termen in der Sekundarstufe ................................................ 33 1.4.2 Konsequenzen für die Grundschule ...................................... 36 1.5 Zusammenfassung und Forschungsfragen ......................................... 38

X

Inhaltsverzeichnis

2

Argumentationsprozesse im Mathematikunterricht der Grundschule 41 2.1 Lernen und Interaktion....................................................................... 41 2.1.1 Lehr-Lern-Theorien .............................................................. 41 2.1.2 Aktiv-entdeckendes Lernen im Mathematikunterricht.......... 44 2.1.3 Formen des Lernens nach Miller........................................... 46 2.1.4 Die Entwicklung mathematischen Wissens in der Interaktion ............................................................................. 49 2.2 Mathematische Argumentationsprozesse ........................................... 53 2.2.1 Argumente: Mathematische Begründungen .......................... 55 2.2.2 Argumentationen: Soziale Prozesse ...................................... 57 2.2.3 Produktive Irritationen als Argumentationsanlass ................. 59 2.3 Gleichheiten und Argumentationsprozesse ........................................ 64 2.4 Zusammenfassung ............................................................................ 66

3

Methode und Design der Untersuchung ..................................................69 3.1 Fachdidaktische Entwicklungsforschung im Dortmunder Modell..... 69 3.2 Forschungsfragen ............................................................................... 73 3.3 Designentwicklung ............................................................................ 74 3.3.1 Der Einsatz substanzieller Lernumgebungen ........................ 75 3.3.2 Design-Prinzipien ................................................................. 78 3.3.3 Lernumgebung Rechenketten: Stofflicher Hintergrund und methodische Spezifizierung .................................................. 80 3.3.4 Lernumgebung Malkreuze: Stofflicher Hintergrund und methodische Spezifizierung .................................................. 89 3.4 Aufbau und Ablauf der empirischen Untersuchung ............................ 92 3.5 Analysemethoden ............................................................................... 93 3.5.1 Interpretative Unterrichtsforschung ...................................... 94 3.5.2 Argumentationsanalyse nach Toulmin .................................. 96

4

Ergebnisse der Design-Experimente ......................................................101 4.1 Charakteristika eines algebraischen Gleichheitsverständnisses ....... 102 4.1.1 Gemeinsame Gegenstandszuweisung: Gleichheitskonzept Endzustand .......................................................................... 103 4.1.2 Gemeinsame Gegenstandszuweisung: Qualitative und quantitative Vergleiche ........................................................ 104 4.1.3 Gemeinsame Gegenstandszuweisung: Relationale und funktionale Vermittlerterme ................................................ 106 4.1.4 Gemeinsame Gegenstandszuweisung: Zahlvorstellung ...... 109 4.1.5 Verallgemeinerung ............................................................... 111 4.1.6 Deutung von Operationen und Objekten ..............................112 4.2 Charakterisierung der Lernumgebungen zur Entwicklung eines algebraischen Gleichheitsverständnisses .........................................115 4.2.1 Balance zwischen Irritation und Erkenntnis.........................116

Inhaltsverzeichnis

XI

4.2.2 Balance zwischen empirischer Situiertheit und relationaler Allgemeinheit .......................................................................118 5 Argumentationsanalysen zur Charakterisierung eines algebraischen Gleichheitsverständnisses ........................................................................123 5.1 Relationale Gleichheitsdeutungen ................................................... 124 5.1.1 Ordinal-qualitative Vorstellungen ....................................... 124 5.1.2 Kardinal-qualitative Vorstellungen...................................... 129 5.1.3 Ordinal-quantitative Vorstellungen ..................................... 131 5.1.4 Kardinal-quantitative Vorstellungen.................................... 138 5.2 Funktionale Gleichheitsdeutungen................................................... 146 5.2.1 Quantitative-Rechenzahl-Vorstellungen .............................. 147 5.2.2 Ordinal-quantitative Vorstellungen ..................................... 153 6 Interpretative Analysen zur Charakterisierung der Lernumgebungen ......................................................................................161 6.1 Balance zwischen Irritation und Erkenntnis .................................... 161 6.1.1 Aufzählung isolierter Vergleiche ......................................... 161 6.1.2 Entwicklung von Zusammenhängen zwischen Vergleichen 164 6.1.3 Diskrepanz zwischen exemplarischen und allgemeingültigen Erklärungen ........................................................... 165 6.2 Balance zwischen empirischer Situiertheit und relationaler Allgemeinheit ................................................................................. 169 6.2.1 Notationsform in der Lernumgebung „Rechenketten“ ........ 169 6.2.2 Notationsform in der Lernumgebung „Malkreuze“ ............ 175 7

Fazit und Ausblick ...................................................................................185 7.1 Fazit und Ausblick zum algebraischen Gleichheitsverständnis von Grundschulkindern .................................................................. 186 7.1.1 Zusammenfassung der Ergebnisse ...................................... 186 7.1.2 Folgerungen für die Unterrichtspraxis ................................ 187 7.1.3 Weiterführende Fragen für die Erforschung von Lernprozessen ..................................................................... 188 7.2 Fazit und Ausblick zu den Lernumgebungen zur Entwicklung eines algebraischen Gleichheitsverständnisses ............................... 190 7.2.1 Zusammenfassung der Ergebnisse ...................................... 190 7.2.2 Folgerungen für die Unterrichtspraxis ................................ 191 7.2.3 Weiterführende Fragen für die Erforschung von Lernprozessen ..................................................................... 192

Literaturverzeichnis .......................................................................................195

Abbildungsverzeichnis Abbildung 0.1 Abbildung 0.2 Abbildung 1.1 Abbildung 1.2 Abbildung 1.3 Abbildung 1.4 Abbildung 2.1 Abbildung 2.2 Abbildung 2.3 Abbildung 2.4 Abbildung 3.1 Abbildung 3.2 Abbildung 3.3 Abbildung 3.4 Abbildung 3.5 Abbildung 3.6 Abbildung 3.7 Abbildung 3.8 Abbildung 3.9 Abbildung 3.10 Abbildung 3.11 Abbildung 3.12 Abbildung 3.13 Abbildung 3.14 Abbildung 3.15 Abbildung 3.16

Kettennotation mit dem Gleichheitszeichen von Amelie......... 1 Rechenketten aus der vorliegenden Arbeit .............................. 2 Bewertete Gleichungen der Form a±b=c±d (Borromeo Ferri & Blum 2011, S. 129f.) .............................. 10 Handlungs- und Beziehungsaspekt in der elementaren Algebra (Malle 1993, S.144)................................................. 13 Das Zusammenspiel von Arithmetik und Algebra und ihren Denkweisen (in Anlehnung an Malle 1993, S. 144).............. 19 Flächeninhalt des Rechtecks (a+b)·c = a·c + b·c................... 34 Argumentationskette nach Bezold 2009, S. 37 ...................... 58 Produktive Irritation .............................................................. 63 Aufgabenbeispiel aus der vorliegenden Arbeit ..................... 64 Zahlenmauern mit gleichem Zielstein (Nührenbörger & Schwarzkopf 2015a) ............................................................. 65 Zyklus der fachdidaktischen Entwicklungsforschung im Dortmunder Modell (Prediger et al. 2012, S. 453) ................ 72 Lehr-Lern-Arrangement der vorliegenden Arbeit.................. 77 Rechenketten im Zahlenbuch 2 und 3 (Wittmann & Müller 2012b, S. 57, 2012c, S.19) .................................................... 81 Aufgabenstellungen im Kontext von Rechenketten (Wittmann & Müller 2012b, S. 57, 2012c, S.19) .................. 81 Rechenkette aus der vorliegenden Arbeit .............................. 83 Aufgabe „30er-Ketten vergleichen“ ...................................... 84 Aufgabe „Rechenketten mit Zielzahl 2450 erkennen“ .......... 85 Aufgabe „Rechenketten mit gleicher Zielzahl finden“ .......... 86 Aufgabe „Zweite Pfeilzahl finden“ ....................................... 87 Aufgabe „Rechenketten verlängern“ ..................................... 88 Malkreuz-Aufgabe im Zahlenbuch 4 (Wittmann & Müller 2013, S. 19) ............................................................... 89 Aufgabe im Aufgabenformat Malkreuze aus der vorliegenden Arbeit ............................................................... 91 12·12-Malkreuz zur Aufgabe 13·12 ...................................... 92 Iterativer Erprobungszyklus der vorliegenden Arbeit ............ 93 Argumentationsschema nach Toulmin ................................... 98 Argumentationsschema zu 5+5=6+4 ..................................... 99

XIV

Abbildung 4.1 Abbildung 4.2 Abbildung 4.3 Abbildung 4.4 Abbildung 4.5 Abbildung 4.6 Abbildung 4.7 Abbildung 4.8 Abbildung 4.9 Abbildung 4.10 Abbildung 4.11 Abbildung 4.12 Abbildung 4.13 Abbildung 5.1 Abbildung 5.2 Abbildung 5.3 Abbildung 5.4 Abbildung 5.5 Abbildung 5.6 Abbildung 5.7 Abbildung 5.8 Abbildung 5.9 Abbildung 5.10 Abbildung 5.11 Abbildung 5.12 Abbildung 5.13 Abbildung 5.14 Abbildung 5.15 Abbildung 5.16 Abbildung 5.17

Abbildungsverzeichnis

Charakteristika eines algebraischen Gleichheitsverständnisses ................................................... 102 Zwei Terme zum Begründen der Gleichheit miteinander vergleichen .......................................................................... 105 Relationaler Vermittlerterm ................................................. 107 Vermittlerterm x·30+60-30 .................................................. 107 Funktionaler Vermittlerterm ................................................ 108 Vermittlerterm 7·350 ........................................................... 109 Balance zwischen empirischer Situiertheit und relationaler Allgemeinheit ....................................................................... 111 Operationen und Objekte der Terme 4·30 und 6·30 .............113 Operationen und Objekte der Terme 327·30 und (19620/2)·2 ..........................................................................114 Operationen als Objekte denken ...........................................114 Punktefeld und Malkreuz zur Aufgabe 14·15 .......................119 Deutung der Lernenden der Aufgabe 14·15 ........................ 120 Individuelle Notation im Malkreuz ..................................... 120 Charakteristika eines algebraischen Gleichheitsverständnisses ..................................................................... 123 Charakterisierung des algebraischen Gleichheitsverständnisses: relational-ordinal-qualitative Vorstellungen .... 125 Jens und Noahs Arbeitsblatt der 30er-Rechenketten ............ 125 Argumentationsschema Noah .............................................. 128 Charakterisierung des algebraischen Gleichheitsverständnisses: relational-kardinal-qualitative Vorstellungen ...................................................................... 129 30er-Rechenketten von Melissa und Lena ...........................130 Argumentationsschema Melissa .......................................... 131 Charakterisierung des algebraischen Gleichheitsverständnisses: relational-ordinal-quantitative Vorstellungen ...................................................................... 132 Argumentationsschema Jens................................................ 134 Lineare Darstellung der Gleichheit...................................... 135 Lineare Darstellung der Gleichheit 2 ................................... 137 Argumentationsschema Melissa und Lena .......................... 138 Charakterisierung des algebraischen Gleichheitsverständnisses: relational-kardinal-quantitative Vorstellungen ...................................................................... 139 Rechenketten mit Startzahlen 8 und 7 ................................. 139 Argumentationsschema Nils und Dilay ............................... 142 Rechenketten 7·70 und 6·70+70.......................................... 142 Rechenkette 10·70±x=490................................................... 142

Abbildungsverzeichnis

Abbildung 5.18 Abbildung 5.19 Abbildung 5.20 Abbildung 5.21 Abbildung 5.22 Abbildung 5.23 Abbildung 5.24 Abbildung 5.25 Abbildung 5.26 Abbildung 5.27 Abbildung 5.28 Abbildung 5.29 Abbildung 5.30 Abbildung 5.31 Abbildung 5.32 Abbildung 5.33 Abbildung 6.1 Abbildung 6.2 Abbildung 6.3 Abbildung 6.4 Abbildung 6.5 Abbildung 7.1

XV

Argumentationsschema Felix und Julian ............................. 144 Verlängerte Rechenkette ...................................................... 145 Argumentationsschema Jens................................................ 146 Charakterisierung des algebraischen Gleichheitsverständnisses: Funktional-quantitativeRechenzahl-Vorstellungen................................................... 147 Rechenketten mit gleicher Zielzahl ..................................... 148 Argumentationsschema Amelie und Jule 1 .......................... 149 Argumentationsschema Amelie und Jule 2 .......................... 150 350er-Rechenketten ............................................................. 151 Argumentationsschema Jens................................................ 152 Charakterisierung des algebraischen Gleichheitsverständnisses: funktional-ordinal-quantitative Vorstellungen. 153 15·15 und 14·14 Malkreuz Jens und Noah .......................... 154 Argumentationsschema Jens, Z.198 .................................... 155 13·13- und 16·16-Malkreuz................................................. 156 Erweiterte Malkreuze .......................................................... 156 Neu ausgefülltes Malkreuz von Till (links) und Philipp (rechts) .................................................................... 157 Argumentationsschema Till & Philipp ................................ 159 Rechenketten mit den Startzahlen 10 und 20....................... 166 Rechenketten-Notation ........................................................ 170 Julians und Felix Lösung zur Aufgabe „Rechenketten verlängern“.......................................................................... 172 Schülerlösungen zur Aufgabe „Verlängern von Rechenketten“ .......................................... 174 Notationen im Malkreuz ......................................................182 Rechenketten-Aufgabe („Das Zahlenbuch 2“, Arbeitsheft S. 37)192 ...........................................................192

Tabellenverzeichnis Tabelle 1.1 Tabelle 1.2 Tabelle 2.1 Tabelle 3.1 Tabelle 3.2 Tabelle 4.1 Tabelle 4.2 Tabelle 7.1

Prozentualer Anteil der Lösungen zur Gleichung 8+4=c+5 (Falkner et al. 1999, S. 233) ................................................... 9 Gleichheitskonzepte nach Winter (1982)............................... 26 Drei unterschiedliche Formen des Lernens (Miller 1986, S. 140) ............................................................. 49 Forschungsfragen der vorliegenden Arbeit ............................ 74 Übersicht über die vier Design-Prinzipien der vorliegenden Arbeit ............................................................... 80 Forschungsfragen der vorliegenden Arbeit auf Forschungsebene ........................................................... 101 Struktur der Rechenketten und Deutung der Lernenden.......119 Inhaltsbezogene Kompetenzen im Kontext eines algebraischen Gleichheitsverständnisses (Kultusministerkonferenz 2004) .......................................... 188

Transkriptionsregeln 35

Die einzelnen Wortbeiträge sind durchnummeriert

I

Interviewern

J

Jens Die Namen der Kinder sind anonymisiert. Im Transkript ist immer der Anfangsbuchstabe des Pseudonyms angegeben. Jedes Pseudonym wurde nur einmal vergeben

,

Kurzes Absetzen innerhalb einer Äußerung

(.)

Pause von ca. 1 Sekunde

(..)

Pause von ca. 2 Sekunden

(...)

Pause von ca. 3 Sekunden

(8 sec) mehr

Bei längeren Pausen ist deren Dauer angegeben Besonders betonte Wörter

eigentlich

Besonders lang gezogene Wörter

(zeigt auf Noahs Handlungen, nonverbale Ausdrücke Startzahlen) #

Ein Sprecher fällt dem anderen ins Wort. Gibt es mehrere Unterbrechungen, werden die Rauten durchnummeriert.

Mhm

eindeutige Bejahung

Einleitung

Abbildung 0.1

Kettennotation mit dem Gleichheitszeichen von Amelie

Derweilen vielfach erforscht und diskutiert ist die Problematik bei der Verwendung des Gleichheitszeichens in der Primar- und Sekundarstufe. Die meisten Lernenden verstehen das Gleichheitszeichen als Handlungsaufforderung, eine Ergebniszahl zu berechnen oder, wie auch Amelies Aufzeichnung in Abbildung 0.1. zeigt, als Symbol, welches den nächsten Rechenschritt ankündigt. Sie verstehen das Gleichheitszeichen in der Regel nicht als Zeichen für die Gleichwertigkeit zweier Terme (Winter 1982). Insbesondere diese Sichtweise auf Gleichungen ist jedoch für erfolgreiches mathematisches Lernen sowohl in der Grundschule als auch danach von besonderer Bedeutung, da viele Variablengleichungen erst mit einem derartigen Verständnis gelöst werden können und in der Grundschule erst eine auf die Gleichwertigkeit von Termen bedachte Sichtweise strategisches Rechnen ermöglicht. Die Erforschung eines derartigen algebraischen Gleichheitsverständnisses steht im Mittelpunkt der vorliegenden Arbeit. In bisherigen Untersuchungen wurde ein einseitiges, auf die Ergebnisbestimmung fokussiertes Verständnis von Lernenden im Kontext der Verwendung des Gleichheitszeichens vielfach analysiert. Ob und wie Lernende jedoch ein algebraisches Gleichheitsverständnis losgelöst von dem formalen Symbol des Gleichheitszeichens zeigen, ist bislang wenig erforscht. Die vorliegende Arbeit möchte anhand der beiden entwickelten Lernumgebungen „Rechenketten“ und „Malkreuze“ 1 einen Beitrag für diese Forschungslücke leisten. Bei der Entwicklung der Lernumgebungen wurde bewusst auf die Verwendung des Gleichheitszeichens verzichtet, um den Blick der Lernenden nicht auf die Ergebnisermittlung zu lenken, sondern auf die Gleichheitsbeziehung zwischen Termen.

1

Die beiden Lernumgebungen wurden auf Grundlage der Aufgabenformate aus dem Schulbuch „Das Zahlenbuch“ entwickelt (Wittmann & Müller 2012a, 2012b, 2012c, 2013).

2

Abbildung 0.2

Einleitung

Rechenketten aus der vorliegenden Arbeit

Der Fokus der entwickelten und in der empirischen Untersuchung eingesetzten Aufgaben liegt, wie obige Abbildung zeigt, auf der Entdeckung, Erkundung und Begründung von Gleichheitsbeziehungen in der Grundschule. Die Lernenden werden, anders als in vielen bisherigen Untersuchungen, nicht mit Gleichungen konfrontiert, welche sie bewerten, vervollständigen oder verbessern sollen. Vielmehr beschäftigen sie sich im Kontext der beiden substanziellen Lernumgebungen auf kindgerechte Weise mit Beziehungen zwischen Termen und denken über Gleichheitsbeziehungen nach. Dabei sollen sie Begründungen entwickeln, welche die zugrundeliegende mathematische Struktur der gleichwertigen Terme in den Blick nehmen. Amelie, die obige Kettennotation vornahm und im Zuge des Umgangs mit dem Gleichheitszeichen scheinbar ein Verständnis zeigt, welches die Gleichwertigkeit von Termen unberücksichtigt lässt, erklärt ihrer Partnerin wie folgt die Gleichheitsbeziehung der Terme aus Abbildung 0.2: Guck mal. Das hat ja hier alles mit der 7 zu tun ne? Und die 14 ist doch in der Siebenerreihe ne? (zeigt auf die Rechenkette 10·70-140) Und zwei mal sieben sind 14 und wenn ich jetzt die 10 hab‘ (zeigt auf die Rechenkette 10·70-140), dann könnte ich quasi minus zwei, dann passt das zur acht (zeigt auf die Startzahl 8) und hier einmal plus eins quasi (zeigt erst auf die zweite Pfeilzahl, dann auf die Startzahl der Rechenkette 7·70+70) dann hab ich, dann passt das auch zur acht. [...] Dann würd‘ das quasi das gleiche Ergebnis ergeben wie hier (zeigt erst auf die Zielzahl der Rechenkette 10·70-140, dann auf die Zielzahl der Rechenkette 8·70)

Der kurze Transkriptausschnitt zeigt, dass Amelie hier Terme zueinander in Beziehung setzt, eine strukturelle Sichtweise auf die Aufgaben einnimmt und die Gleichheit begründet. Während sie bei der formalen Gleichungsnotation die Gleichwertigkeit der Terme scheinbar unberücksichtigt lässt, scheint sie bei der Begründung der Rechenketten-Terme durchaus ein algebraisches Gleichheitsverständnis zu zeigen. Wie Amelie und andere Lernende bei der Ermittlung und Begründung der Gleichheit vorgehen, welche Vorstellungen sie einnehmen und wie sich somit ein algebraisches Gleichheitsverständnis charakterisieren lässt, möchte die vorliegende Arbeit nachgehen und beantworten. Gleichsam interessiert das Potenzial der Lernumgebungen, welche auf eine formale Gleichungsnotation verzich-

Einleitung

3

ten, im Hinblick auf die Entwicklung eines algebraischen Gleichheitsverständnisses. Aufbau der Arbeit Das erste Kapitel der Arbeit stellt fachdidaktische Grundlagen zum Lerngegenstand der arithmetischen Gleichheiten dar. Dafür wird zunächst die Problematik um die Verwendung des Gleichheitszeichens theoretisch und empirisch erläutert, ehe darauffolgend ebenso theoretische und empirische, für den vorliegenden Lerngegenstand relevante Ausgangspunkte der Early Algebra aufgeführt werden. Anschließend wird die Entwicklung eines algebraischen Gleichheitsverständnisses aus theoretischer Perspektive dargelegt und mit Überlegungen zu Gleichungen in der Sekundarstufe abgeglichen. Nach der theoretischen Fundierung des Lerngegenstands werden in Kapitel 2 die für die vorliegende Arbeit relevanten lerntheoretischen Grundlagen vorgestellt und erläutert. Dabei wird zum einen der Fokus auf Lernen im Kontext von Interaktionsprozessen gelegt und zum anderen im Besonderen der Zusammenhang zu Argumentationsprozessen im Mathematikunterricht. Abschließend werden diese Überlegungen mit denen zum Lerngegenstand der arithmetischen Gleichheiten vereint. Kapitel 3 zeigt den forschungsmethodischen Rahmen der Arbeit auf. Nach einem theoretischen Überblick über das Forschungsprogramm der fachdidaktischen Entwicklungsforschung im Dortmunder Modell, in dessen Rahmen die vorliegende Arbeit angesiedelt ist, werden die Forschungsfragen sowie die Designentwicklung des verwendeten Lehr-Lern-Arrangements vorgestellt und der Aufbau und Ablauf der empirischen Untersuchung dargelegt. Die beiden Analysemethoden der interpretativen Unterrichtsforschung sowie der Argumentationsanalysen nach Toulmin, welche für die Auswertung der empirischen Untersuchung leitend sind, werden abschließend erläutert. Im vierten Kapitel werden die gewonnenen Ergebnisse der empirischen Untersuchung zusammenfassend dargestellt. Die Ergebnisse zu den Charakteristika eines algebraischen Gleichheitsverständnisses (Kap. 4.1) wurden aus den Argumentationsanalysen nach Toulmin generiert, welche in Kapitel 5 nachzulesen sind. Die Ergebnisse zur Charakterisierung der Lernumgebungen (Kap. 4.2) wurden aus den interpretativen Analysen gewonnen, welche Kapitel 6 darlegt. Abschließend wird in Kapitel 7 die vorliegende Arbeit mit ihren Forschungsergebnissen zusammengefasst, Folgerungen für die Unterrichtspraxis sowie weiterführende Fragen für die Erforschung von Lernprozessen aufgezeigt.

1 Gleichheiten im Mathematikunterricht der Grundschule „Du hast den gleichen Stift wie ich“, „Wir beide sind gleich groß“, „In jeder Mannschaft müssen gleich viele Kinder sein“ – Den Begriff der Gleichheit kennen wir aus unserem alltäglichen Sprachgebrauch. Im Alltag weisen wir mit dem Begriff der Gleichheit häufig auf äußerliche Gemeinsamkeiten hin. Stimmen unsere Stifte in ihren Charakteristiken wie Farbton und Marke überein, können wir feststellen, dass sie gleich sind. Aber auch im Sinne eines Relationsausdrucks ist der Begriff der Gleichheit im Alltag bekannt. Ist ein Kind weder größer noch kleiner als ein anderes, sind beide Kinder gleich groß. Ihre Größe kann durch eine Gleichheitsbeziehung beschrieben werden. Ebenso sind in zwei Mannschaften mit gleich vielen Kindern nicht in einer Mannschaft mehr oder weniger Kinder. Stellen wir im Alltag eine Gleichheit fest, sind wir in der Regel erstaunt, halten es für kommunikationsbedürftig, für ein besonderes Phänomen. Auch im Mathematikunterricht in der Schule stellt die Gleichheit ein besonderes Phänomen dar und ist für das weitere Lernen bedeutsam. Während Gleichheiten in geometrischen Kontexten in Form von kongruenten Abbildungen auftauchen, spielen sie im arithmetischen Anfangsunterricht zunächst bei der Ausbildung von Grundvorstellungen eine zentrale Rolle. Es sollen „tragfähige mentale Modelle für mathematische Begriffe“ (vom Hofe 2003, S. 5) entwickelt werden, die, neben einem flexiblen Verständnis von Zahlen, Operationsvorstellungen betreffen. Ein erstes Verständnis von Gleichheit entwickeln die Lernenden hier zunächst beim Aufbau additiver (und subtraktiver) Vorstellungen. Zwei Mengen, wie 4 und 3, werden zusammengefügt und es entsteht eine neue Menge, 7. Die Mächtigkeit der neuen Menge entspricht dabei stets der Mächtigkeit beider zusammengefügten Einzelmengen. Die zusammengefügten Mengen und die so entstandene Menge sind gleich groß: 4+3=7. Neben dieser ersten Grundvorstellung der Addition reihen sich, basierend auf einem TeilGanzes-Verständnis, weitere additive und subtraktive Vorstellungen, ebenso wie Grundvorstellungen zur Multiplikation und Division, hinzu. Die Gleichheit wird hier stets durch das Verhältnis von einer Gesamtmenge zu zwei (oder mehreren) Teilmengen angezeigt. Für die wichtige Ausbildung von grundlegenden Fertigkeiten wie dem ‚Einspluseins’ oder ‚Einmaleins’ ist ein derartiges Verständnis von Gleichheit unerlässlich. Neben dem Verständnis von Gleichheit, das auf der Einsicht in das Verhältnis zweier (oder mehrerer) Teilmengen zu einer Gesamtmenge beruht, tritt bereits im Anfangsunterricht ein Gleichheitsverständnis, welches das Verhältnis von mehreren, unterschiedlichen Teilmengen zueinander betrifft. Es gilt nicht © Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2019 C. Mayer, Zum algebraischen Gleichheitsverständnis von Grundschulkindern, Dortmunder Beiträge zur Entwicklung und Erforschung des Mathematikunterrichts 38, https://doi.org/10.1007/978-3-658-23662-5_1

6

1 Gleichheiten im Mathematikunterricht der Grundschule

nur 4+3=7, sondern ebenso 4+3=5+2=2·3+1=... Die strukturelle Einsicht in diese Gleichheitsbeziehungen auf Grundlage der algebraischen Rechengesetze ist Voraussetzung für flexibles Rechnen. Dabei sollen Lernende unterschiedliche Rechenstrategien kennen und situationsangemessen nutzen (Ministerium für Schule und Weiterbildung NRW 2008). Die vermeintliche Eindeutigkeit der Gleichheit im Sinne eines Faktenwissens wird durch das Erkennen und Nutzen struktureller Beziehungen zur Mehrdeutigkeit. Ähnlich wie beim Gebrauch des Gleichheitsbegriffs im Alltag kann auch die mathematische Gleichheit aufgrund äußerlicher Gemeinsamkeiten festgestellt werden. Während im Geometrieunterricht Kongruenzabbildungen durch ihren deckungsgleichen Charakter festgestellt werden können, können arithmetische Gleichheiten stets durch das Ausrechnen und Prüfen gleicher Ergebnisse verstanden werden. Während im Alltag ein oberflächliches Erfassen von Gleichheit oftmals zufriedenstellend ist, reicht dies für das komplexe Verstehen mathematischer Gleichheiten nicht aus. Hierfür ist die Einsicht in Operationsvorstellungen sowie strukturelle Zusammenhänge grundlegend. Neben der Entwicklung von inhaltlichen Vorstellungen zur arithmetischen Gleichheit werden die Schülerinnen und Schüler auf symbolischer Ebene mit einem neuen, für sie in der Regel bislang unbekannten Zeichen konfrontiert: dem Gleichheitszeichen. Das Gleichheitszeichen zeigt die Gleichwertigkeit zweier (bzw. mehrerer) Terme an. Diese Tatsache sowohl inhaltlich zu verstehen als auch entsprechend zu notieren, stellt die Lernenden vor eine Herausforderung. Im Folgenden wird daher zunächst die Problematik bei der Verwendung dieses besonderen mathematischen Zeichens erläutert, bevor im Anschluss detailliert auf die inhaltlichen Vorstellungen zur Gleichwertigkeit von Termen eingegangen wird.

1.1 Die Verwendung des Gleichheitszeichens Die folgende Szene stammt aus einem Gespräch der Autorin mit zwei Schülerinnen der vierten Klasse, Amelie und Jule, über die Bedeutung des Gleichheitszeichens. Sie zeigt exemplarisch verbreitete Vorstellungen über das Gleichheitszeichen von Lernenden auf. I A I A I J

Was bedeutet denn das Gleichheitszeichen? Das Ergebnis Wie meinst du das? Das Ergebnis von einer Aufgabe Mhm. Und Jule, wie verstehst du das Gleichheitszeichen? Dass das ähm voraussagt, welches Ergebnis (.) das eine Aufgabe ist

Amelie (A) und Jule (J) assoziieren das Gleichheitszeichen mit dem Ergebnis einer Aufgabe. Amelie scheint das Gleichheitszeichen mit dem Ergebnis einer

1.1 Die Verwendung des Gleichheitszeichens

7

Aufgabe gleichzusetzen: Das Gleichheitszeichen „bedeutet“ das Ergebnis. Jule führt an, dass das Gleichheitszeichen das Ergebnis einer Aufgabe voraussagt: Das Gleichheitszeichen, welches nach einer Rechenaufgabe steht, weist den Lernenden darauf hin, dass im Folgenden das Ergebnis angeführt wird. Denkt man an die Funktion des Gleichheitszeichens auf dem Taschenrechner, sagt es bei entsprechender Betätigung das Ergebnis voraus. Auf dem Papier muss das Ausführen der Operationen noch von den Lernenden durchgeführt werden. Das Gleichheitszeichen kann als Signal verstanden werden, diese Operationen auszuführen. Die Interpretation des Gleichheitszeichens, so wie sie Amelie und Jule in dem obigen Beispiel zeigen, ist typisch für viele Lernende, wie zahlreiche nationale und internationale Studien belegen. Winter wies bereits 1982 darauf hin, dass Lernende das Gleichheitszeichen zumeist operational auffassen, d.h. sie verstehen es als Aufforderung eine Rechnung, notiert auf der linken Seite des Zeichens auszuführen und das Ergebnis im Anschluss auf der rechten Seite zu notieren (Winter 1982). Eine derartige Aufgabe-Ergebnis-Deutung, wie Winter sie benennt, zeigen auch die beiden Schülerinnen im oben angeführten Beispiel. Amelie macht dies sprachlich explizit, indem sie die Termini „Aufgabe“ und „Ergebnis“ mit dem Gleichheitszeichen in Verbindung bringt. Im Folgenden werden die Ergebnisse aus nationalen und internationalen Studien zur Interpretation und Verwendung des Gleichheitszeichens zusammengefasst. 1.1.1 Empirische Erkenntnisse zur Interpretation des Gleichheitszeichens Bereits seit den 70er Jahren wurden empirische Untersuchungen zum Verständnis des Gleichheitszeichens bei Lernenden durchgeführt. Eine Auswahl von Ergebnissen wird im Folgenden dargestellt. Diese werden hinsichtlich der verschiedenen Aufgabenstellungen, wie sie in vielen Studien zu finden sind, unterteilt: die Interpretation des Gleichheitszeichens, die Verwendung dessen beim Lösen von unkonventionellen Gleichungen sowie die Verwendung beim Bewerten von unkonventionellen Gleichungen. Verschiedene Studien zeigen, dass Lernende das Gleichheitszeichen auf ähnlich rechnerische Sicht interpretieren wie Amelie und Jule im obigen Beispiel. Werden die Lernenden nach der Bedeutung des Gleichheitszeichens gefragt, führen sie das Ausführen einer Rechnung oder das Ergebnis dieser an. Folgende Antworten von Lernenden zur Bedeutung des Gleichheitszeichens können verschiedenen nationalen und internationalen Studien entnommen werden: „when two numbers are added, that’s what it turns out to be“ (Behr, Erlwanger & Nichols 1980, S. 13) „what the problem’s answer is“ (Knuth, Stephens, McNeil & Alibali 2006, S. 303) „immer nach einem = Zeichen steht das Ergebnis“ (Steinweg 2013, S. 75)

8

1 Gleichheiten im Mathematikunterricht der Grundschule

Während Behr et al. (1980) und Steinweg (2013) Grundschulkinder befragten, zeigt die Untersuchung von Knuth et al., dass auch Lernende der weiterführenden Schulen das Gleichheitszeichen mit einer Aufgabe und einem Ergebnis assoziieren. Die meisten Lernenden zeigen bei der Bearbeitung einer Gleichung der konventionellen Form a±b=c mit Blick auf das Gleichheitszeichen keine Schwierigkeiten (Behr et al. 1980). Diese Gleichung kann mit einer Aufgabe-ErgebnisDeutung erfolgreich aufgefasst und gelöst werden. Die Interpretation des Gleichheitszeichens als Handlungsaufforderung, als „do something signal“ (ebd., S.15) führt in diesem Fall zum Erfolg. Gleichungen unkonventioneller Formen hingegen, wie zum Beispiel c=a±b oder a±b=c±d, lösen Lernende oftmals fehlerhaft (Behr et al. 1980; Falkner, Levi & Carpenter 1999, Molina, Ambrose & Castro 2004; Steinweg 2004, 2013). Behr et al. (1980) beobachteten, dass Lernende Gleichungen der Form c=a+b zunächst in eine bekannte Form a+b=c oder c+a=b veränderten, ehe sie eine Lösung bestimmten. Auch in der Studie von Molina et al. (2004) lösten 80% der Drittklässler die Gleichung der Form __=b-c fehlerhaft. Viele Lernende zeigen ebenso Schwierigkeiten beim Lösen von Gleichungen, die auf beiden Seiten des Gleichheitszeichens eine Operation darstellen, wie in a±b=b±a und a±b=c±d (Falkner et al. 1999; Steinweg 2004, 2013). Steinweg führte ein Algebra-Projekt zur Förderung algebraischen Denkens in der Grundschule durch und konnte in einem ihrer Pre-Tests herausstellen, dass zwei Drittel der befragten Zweit- und Drittklässler die Gleichung 25+4=__+25 fehlerhaft lösten. Statt der korrekten Lösung 4, lösten die meisten Lernenden die Gleichung mit 29 (Steinweg 2004, 2013). Hier zeigt sich die rechnerische Sicht auf das Gleichheitszeichen, welches zur Notation eines Ergebnisses auffordert. Beim Lösen der Gleichung 8+4=c+5 gaben Lernende der ersten bis sechsten Klassen in einer Untersuchung von Falkner et al. neben der korrekten Lösung 7, die falschen Lösungen 12, 17, 12 und 17 oder etwas anderes an (Falkner et al. 1999). Die folgende Tabelle zeigt die verschiedenen Lösungen und ihren jeweils prozentualen Anteil unter den Lernenden.

1.1 Die Verwendung des Gleichheitszeichens

9

Tabelle 1.1 Prozentualer Anteil der Lösungen zur Gleichung 8+4=c+5 (Falkner et al. 1999, S. 233) Percent of children offering various solutions to 8+4=__+5 Answers given Grade 7 12 17 12 and 17 1 1 and 2 2 3 4 5 6

0 6 6 10 7 7 0

79 54 55 60 9 48 84

7 20 10 20 44 45 14

0 0 14 5 30 0 2

Other 14 20 15 5 11 0 0

Number of children 42 84 174 208 57 42 145

Die korrekte Lösung 7 wurde in allen Klassenstufen nur von einer Minderheit oder keinem der Lernenden angegeben. Die meisten Schülerinnen und Schüler gaben, anlog zur Aufgabe in der Untersuchung von Steinweg, die mathematisch falschen Lösungen 12, 17 oder 12 und 17 an. Wird das Gleichheitszeichen als Handlungsaufforderung betrachtet und die Aufgabe im Sinne einer AufgabeErgebnis-Deutung interpretiert, findet sich auf der rechten Seite des Gleichheitszeichens das Ergebnis der Aufgabe wieder. Dabei erhält man 12, wenn nur die linke Seite berechnet wird, 17 wenn auch noch die 5 der rechten Seite addiert wird. Die Interpretation des Gleichheitszeichens und die damit verbundene Anzahl korrekter Lösungen verändern sich im Laufe der Jahrgangsstufen nur wenig. Ältere Lernende zeigen häufig keine flexiblere Interpretation des Gleichheitszeichens als Kinder zu Beginn der Schulzeit und lösen somit Gleichungen wie im obigen Beispiel ebenfalls fehlerhaft (Falkner et al. 1999, s. auch Borromeo-Ferri & Blum 2011; Kieran 1981; Knuth et al. 2006). Wie auch Grundschulkinder interpretieren die meisten Lernenden der Sekundarstufe das Gleichheitszeichen operational, indem sie es als Handlungsaufforderung ansehen. Das Gleichheitszeichen gibt den Impuls, eine Rechnung auszuführen und das ermittelte Ergebnis zu notieren. Auch beim Bewerten von Gleichungen zeigen Lernende häufig eine rechnerische Sichtweise auf das Gleichheitszeichen. Sie beurteilen den Wahrheitsgehalt einer wahren Gleichung als falsch oder verändern die Gleichung dahingehend, dass eine Gleichung der Form a±b=c erkennbar ist (Behr et al. 1980; Borromeo-Ferri & Blum 2011). Einige Lernende akzeptieren beispielsweise Gleichungen der Form a=a und a=b nicht und verändern diese so, dass Gleichungen der Form a+0=a oder a±b=c entstehen (Behr et al 1980). Korrekte Gleichungen der Form a±b=c±d werden von den Lernenden als fehlerhaft aufgefasst oder weiter verändert (Abb. 1.1).

10

Abbildung 1.1

1 Gleichheiten im Mathematikunterricht der Grundschule

Bewertete Gleichungen der Form a±b=c±d (Borromeo Ferri & Blum 2011, S. 129f.)

Analog zu den obigen Ergebnissen deuten Lernende auch bei Aufgabenstellungen, die auf die Bewertung des Wahrheitsgehalts einer Gleichung abzielen, Gleichungen aus einer rechnerischen Sicht, bei der auf die Aufgabe ein Ergebnis folgt. So ist in der ersten Gleichung aus Abbildung 1.1 das Ergebnis der Aufgabe 5-4 nicht 3, sodass die Gleichung als fehlerhaft markiert wurde. Die zweite Gleichung wurde so verändert, dass sie mit einem Ergebnis abschließt. Seo und Ginsburg (2003) untersuchten u.a. den Einfluss verschiedener Kontexte auf die Interpretation von Gleichungen und dem Gleichheitszeichen. Den Lernenden wurden fünf verschiedene Kontexte geboten, die das Gleichheitszeichen und Gleichungen beinhalteten: das Gleichheitszeichen als einzelnes Symbol („=“), die bekannte Gleichungsform a±b=__, nicht bekannte Gleichungsformen wie __=a+b, a=a, Cuisenaire Stäbe (2 weiße Stäbe = 1 roter Stab) sowie ein Geld-Kontext (1 Dollar = 100 Pennies) (Seo & Ginsburg 2003). Seo und Ginsburg stellten heraus, dass die Lernenden in den beiden letztgenannten, nicht-arithmetischen Kontexten seltener dazu geneigt waren, das Gleichheitszeichen rein rechnerisch zu betrachten. Dies liegt möglicherweise daran, dass in diesen beiden Kontexten keine Operatorsymbole wie „+“ und „–“ auftauchen und die Lernenden keinen Zusammenhang zu Rechenaufgaben herstellten und somit das Gleichheitszeichen als Relationszeichen verstehen konnten (Seo & Ginsburg 2003). Die obigen Ergebnisse machen deutlich, dass Lernende sowohl in der Primar- als auch in der Sekundarstufe das Gleichheitszeichen zumeist im Sinne einer Aufgabe-Ergebnis-Deutung verstehen: Auf der linken Seite steht eine Aufgabe, auf der rechten das Ergebnis. Das Gleichheitszeichen gilt als Handlungsaufforderung, die Rechenhandlungen auf der linken Seite auszuführen und das Ergebnis zu ermitteln (Winter 1982). Vor diesem Hintergrund erscheint die Verwendung des Gleichheitszeichens als visuelles Signal für den nächsten Rechenschritt kaum verwunderlich und sogenannte „Ketten-Notationen“ werden von Lernenden häufig verwendet (Hagemeister 2013). Folgendes Beispiel zeigt exemplarisch eine derartige Kettennotation: 12+3=15+7=22+4=26. Mathematisch ist diese Gleichung falsch: 12+3 ist nicht gleich 15+7. Interpretiert man das Gleichheitszeichen aber lediglich als Symbol, welches den nächsten Schritt des Berechnungsvorgangs anzeigt, führt eine derartige Notation zu keinen Irritationen. Ebenso nutzen einige Lernende der Sekundarstufe beim Gleichungslösen

1.1 Die Verwendung des Gleichheitszeichens

11

das Gleichheitszeichen im Sinne eines Doppelpunktes, das den folgenden Handlungsschritt signalisiert (ebd.). 1.1.2 Zur Problematik bei der Verwendung des Gleichheitszeichens Die vorgestellten Studien zeigen auf, dass Lernende sowohl in der Grundschule als auch in der Sekundarstufe ein Verständnis des Gleichheitszeichens aufweisen, welches stets den Aspekt des Ausrechnens fokussiert. Sie betrachten das Gleichheitszeichen auf dynamische, operationale Weise, indem sie es als reine Aufforderung für die Ausführung einer Rechenhandlung ansehen. Die Gleichung wird in Form einer Aufgabe-Ergebnis-Deutung betrachtet, die „den zeitlichen Weg des Denkens und auch des damit verbundenen praktischen Handelns Stück für Stück räumlich nachzeichnet.“ (Winter 1982, S. 186). Winter spricht hier auch von einer funktionalen Sichtweise, da die Schülerinnen und Schüler zu einer vorgegebenen Funktionsvorschrift in Form einer Rechenvorschrift auf der linken Seite des Gleichheitszeichens den entsprechenden Funktionswert auf der rechten Seite ermitteln (Winter 1982, S. 186). Diese Sichtweise auf das Gleichheitszeichen und damit auf Gleichungen ist keinesfalls falsch oder unwichtig. So sollen Lernende durchaus Routinen wie Kopfrechnen mit Hilfe der AufgabeErgebnis-Deutung einüben. Wie zu Beginn ausgeführt, stellt die funktionale Sicht auf Gleichungen gerade für den Anfangsunterricht einen wichtigen Lerninhalt im Lernprozess dar. Problematisch wird diese Sichtweise, wenn sie einseitig und damit unflexibel verwendet wird: Innerhalb des Algebraunterrichts der Sekundarstufe können Gleichungen in Variablenform mit einer rein funktionalen Sichtweise nicht mehr erfolgreich aufgefasst werden, da es nicht immer möglich ist, eine Seite der Gleichung zu berechnen und das Ergebnis in Form einer spezifischen Ergebniszahl zu notieren. Vielmehr müssen hier Umformungsprozesse vorgenommen werden, um das Ergebnis zu ermitteln (Malle 1993). Aber nicht erst in der Sekundarstufe können bei einer funktionalen Sichtweise auf Gleichungen Schwierigkeiten auftreten. Auch im Arithmetikunterricht der Grundschule können bestimmte Gleichungstypen, die keiner Aufgabe-Ergebnis-Deutung entsprechen, nicht erfolgreich aufgefasst werden, wie die obigen Ergebnisse der empirischen Untersuchungen belegen. Somit hat ein einseitiges Verständnis des Gleichheitszeichens eine „reduzierende[] Auswirkung auf das gesamte arithmetische Programm“ (Winter 1982, S. 191). Um dem entgegen zu wirken und die Sichtweise auf das Gleichheitszeichen und Gleichungen nicht einseitig rein funktional zu belassen, plädiert Winter für eine „Algebraisierung des Rechnens“ (Winter 1982, S. 191). Neben einer funktionalen Sichtweise auf das Gleichheitszeichen und Gleichungen steht dann ein relationales Verständnis. Dabei wird das Gleichheitszeichen als Relationszeichen verstanden, welches die „Gleichheit, Gleichwertigkeit und wechselseitige Austauschbarkeit“ von Termen ausdrückt (Winter 1982, S. 192).

12

1 Gleichheiten im Mathematikunterricht der Grundschule

Es gilt jedoch keinesfalls, zwei verschiedene, voneinander losgelöste Sichtweisen aufzubauen. Die funktionale und damit handlungsorientierte und die relationale und damit beziehungsorientierte Sichtweise können und sollen in Zusammenhang stehen. „Beziehungen werden durch Handlungen entdeckt bzw. konstruiert, Handlungen werden durch Beziehungen angeregt und gesteuert. Handlungen und Beziehungen ergänzen und bedürfen also einander“ (Malle 1993, S. 144)

Das folgende Kapitel zeigt auf, was unter einer Algebraisierung des Rechnens im Allgemeinen („Early Algebra“) verstanden wird, indem theoretische und empirische Einblicke in algebraische Denkweisen von Grundschulkindern gegeben werden.

1.2 Early Algebra Terme zu berechnen und in diesem Kontext Gleichheiten im Sinne einer Aufgabe-Ergebnis-Deutung zu verstehen ist ein wichtiges Lernziel in der Grundschule. Darüber hinaus sollen Lernende ein relationales Verständnis über die Gleichwertigkeit von Termen entwickeln. Ein relationales Verständnis kann nach Winter durch eine „Algebraisierung des Rechnens“ (Winter 1982, S. 191) stattfinden, in der Grundschule als „Early Algebra“ bezeichnet. Im Folgenden wird zunächst ein kurzer Einblick in das Themenfeld der elementaren Algebra gegeben, ehe im Anschluss theoretische Überlegungen zu algebraischen Denkweisen in der Grundschule dargelegt werden. Zuletzt werden diesbezüglich Erkenntnisse aus der empirischen Forschung vorgestellt. 1.2.1 Elementare Algebra in der Sekundarstufe Die Charakteristika Algebraischen Denkens erwachsen aus den Inhalten und Aktivitäten der elementaren Algebra. Algebra wird häufig als die Lehre von den Termen und Gleichungen bzw. vom Lösen der Gleichungen beschrieben (Kieran 2004a; Vollrath & Weigand 2007). Bereits die alten Ägypter (ca. 2000 v. Chr.) lösten lineare und quadratische Gleichungen, womit sie einen Grundstein der heutigen Algebra legten (Alten et al. 2014). Vollrath und Wiegand (2007) zeichnen die Bereiche „Zahlen“, „Terme“, „Funktionen“ und „Gleichungen“ als zentrale Themenstränge der Algebra aus. Darüber hinaus wird immer wieder darauf verwiesen, dass sich die Algebra mit den Beziehungen zwischen Größen, Zahlen und Objekten beschäftigt (Kieran 1996; Kilpatrick, Swafford & Findell 2001; Steinweg 2013 u.v.m.). Malle formuliert die Fähigkeit der Lernenden, „über die Vorstellung einer Formel als Rechenhandlung hinauszukommen und sie auch als eine Beziehung zwischen Zahlen auffassen zu können“ als ein wichtiges Lernziel der Algebra (Malle 1993, S. 145). In der elementaren Algebra geht es darum, neben der

1.2 Early Algebra

13

Handlungsauffassung von Termen ebenso einen Beziehungsaspekt aufzubauen (Abb. 1.2). Notation

Handlungen Abbildung 1.2

Beziehungen Handlungs- und Beziehungsaspekt in der elementaren Algebra (Malle 1993, S.144)

Dafür wird auf eine bestimmte Notationsform zurückgegriffen: die Variablenform. Freudenthal (1973) verweist explizit auf diese Notationsform als ein spezielles Charakteristikum der Algebra. So erkenne man die Algebra an den „formal-symbolischen Methoden“ (Freudenthal 1973, S. 287). Malle führt zudem aus, dass es im Lernprozess der Algebra darum geht, mit einer bestimmten Notationsform verständlich umzugehen (Malle 1993). Die Variablenform ermöglicht es, mathematische Sachverhalte in allgemeiner Form darzustellen, ein weiteres typisches Charakteristikum der Algebra (Kilpatrick et al. 2001; Malle 1993 uvm.). „Die Möglichkeit, mit Variablen Sachverhalte allgemein darzustellen, läßt sich einsetzen zu allgemeinem Problemlösen, allgemeinem Kommunizieren (Mitteilen), allgemeinem Argumentieren (Begründen, Beweisen) und allgemeinem Explorieren.“ (Malle 1993, S. 10)

Malle führt vier Ziele einer Variablendarstellung auf, welche in der Grundschule als prozessbezogene Kompetenzen bekannt sind. Variablenterme und -gleichungen können über den konkreten Einzelfall hinaus allgemeine Erkenntnisse im Zuge von Problemlöse-, Kommunikations-, Argumentations- sowie Explorationsaufgaben ermöglichen. 1.2.2 Algebraisches Denken in der Grundschule Freudenthal (1973) verweist mit Blick auf die Algebra explizit darauf, dass man sie an ihren formal-symbolischen Methoden erkenne. Bell (1996) weist die Variablenform ebenso als Grundlage für algebraisches Denken aus (Bell 1996). Winter (1982) hingegen fordert mit einer „Algebraisierung des Standardrechnens“ jedoch keine Einführung von Variablengleichungen für die Grundschule, um allgemeine Beziehungen ausdrücken zu können. In Anlehnung an Winter (1982) und weitere Autoren werden in der vorliegenden Arbeit algebraische Denkweisen nicht an die Notationsform der Variablendarstellung geknüpft. Algebraische Denkweisen können unabhängig von der symbolischen Notation erworben werden: „Algebraic thinking is not about using or not using notations

14

1 Gleichheiten im Mathematikunterricht der Grundschule

but about reasoning in certain ways“ (Radford 2011, S. 310). Algebraisches Denken kann schon weit vor der Einführung der elementaren Algebra, im Arithmetikunterricht der Grundschule angebahnt werden. Es bedarf dafür keinen formalen Lehrgang (Kilpatrick et al. 2001). Die Algebraisierung des Standardrechnens zielt auf das Erlernen allgemeiner Rechenstrategien und nicht nur lokaler Fertigkeiten ab und damit auf die Anbahnung bestimmter Denkweisen (Winter 1982). „Alle Zahlen und Operationszeichen müssen als Gesamtbeziehung betrachtet werden. Das direkt handelnde Tun muss zu einem Nachdenken werden. Das Zusammenspiel wird so zum neuen Objekt der Betrachtung.“ (Steinweg 2016, S. 6).

Das im Arithmetikunterricht bislang dominierende „handelnde Tun“ soll um einen Beziehungsaspekt erweitert werden, welcher im Fokus der mathematischen Auseinandersetzung steht: „Entdeckung und Beschreibung von Strukturen sind ein Wesensmerkmal algebraischen Denkens.“ (Steinweg 2016, S. 7). Kieran, Pang, Schifter und Ng (2016) fassen den Kern algebraischen Denkens als Auseinandersetzung mit „mathematical relations, patterns and arithmetical structures“ zusammen (Kieran et al. 2016, S. 10). Im Folgenden wird der Frage nachgegangen, wie sich algebraische Denkweisen genauer beschreiben lassen. In der Literatur finden sich vielfache Auflistungen von Charakteristika algebraischer Denkweisen, welche diese Form des Denkens spezifizieren (Bell 1996; Dekker & Dolk 2011; Drijvers, Goddijn, Kindt 2011; Kieran 2004a, 2004b, 2011). Im Folgenden werden die Charakteristika am Beispiel der Ausführungen von Kieran (2011) erläutert, welche sich auf Grundlage der Artikel in dem erschienenen Sammelband zu „Early Algebraization“ ergeben. Ferner findet sich hier eine Synthese der Überlegungen anderer Autoren wieder, auf welche im Folgenden ebenso verwiesen wird. Nach Kieran (2011) beinhaltet das algebraische Denken hauptsächlich folgende Themen:  „thinking about the general in the particular  thinking rule-wise about patterns  thinking relationally about quantity, number and numerical operations  thinking representationally about relations in problem situations  thinking conceptually about the procedural” (Kieran 2011, S. 581) Des Weiteren fördern folgende Wege die Anbahnung algebraischer Denkweisen:  “anticipating, conjecturing and justifying  gesturing, visualizing and languaging“ (Kieran 2011, S. 581) Das erste und vielfach genannte Thema im Kontext algebraischer Denkweisen ist der Prozess der Verallgemeinerung. „Das Allgemeine im Speziellen zu sehen“ wird von vielen Autoren als zentrale Komponente algebraischen Denkens ausgewiesen (Bell 1996; Dekker & Dolk 2011; Drijvers, Goddijn & Kindt 2011; Kieran et al. 2016). Der Prozess der Verallgemeinerung kann als ein Weg zur

1.2 Early Algebra

15

Anbahnung algebraischer Denkweisen angesehen werden, bei dem es gilt „[d]as Gemeinsame [zu] erfassen und beschreiben, welches vielen einzelnen Fällen oder Objekten zugrunde liegt und dadurch eine mathematische Regelmäßigkeit, ein Muster, eine Struktur oder eine Beziehung bildet.“ (Akinwunmi 2012, S. 116). Steinbring (2000) verweist auf den alltäglichen Charakter des Verallgemeinerns im Mathematikunterricht: „Schülerinnen und Schüler stehen also im Mathematikunterricht vor dem besonderen Deutungsproblem, sich bei mathematischen Zeichen und zugehörigen Referenzkontexten immer von der Konkretheit der Situation zum Teil zu distanzieren und darin etwas „anderes“, eine andere Struktur zu sehen, zu deuten oder zu erkennen. Diese Problematik wird in der didaktischen Literatur unter der Leitidee diskutiert: „Im Besonderen das Allgemeine erkennen“ (Cobb 1986; Mason & Pimm 1984)“ (Steinbring 2000, S. 48)

Wie Akinwunmi (2012) aufzeigt, wird im Prozess der Verallgemeinerung eine Regelmäßigkeit, ein Muster, eine Struktur oder eine Beziehung erfasst und genutzt. Muster in ihren Regelmäßigkeiten zu erkennen ist nach Kieran (2011) eine weitere Komponente algebraischen Denkens (s. auch Dekker & Dolk 2011; Drijvers et al. 2011; Steinweg 2013). Hier zeigt sich bereits die enge Verflechtung der einzelnen Themen algebraischer Denkweisen. Muster zu erkennen, beschreiben, fortzusetzen oder zu erfinden sind zentrale Aktivitäten algebraischen Denkens (Steinweg 2016). Dabei können sowohl geometrische Musterfolgen als auch Zahlen- oder Aufgabenfolgen als Objekte der Auseinandersetzung dienen. Charakteristisch für algebraisches Denken sind dabei die Aktivitäten des Nachdenkens und Beschreibens, die über ein handelndes Tun hinausgehen (ebd.). Radford (2011) versteht unter dem Punkt „Muster“ allerdings nicht nur das Erkennen einer Gemeinsamkeit und das darauffolgende Übertragen auf weitere Beispiele, wie es Kinder zum Teil mit einem vertikalen Blick auf operative Aufgabenserien machen. Vielmehr verweist er darauf, eine Regel zu entwickeln, die allgemeine Aussagen über das Muster beinhaltet und eine beliebige Zahl bestimmen lässt (Radford 2011 in Kieran 2011, S. 582). Im Grundschulunterricht wäre somit nicht nur von Interesse, wie das nächste Objekt der Reihe lautet, sondern wie beispielsweise das 50. Objekt der Reihe aussieht. Die Durchdringung des Musters auf algebraische Weise ist hierfür unerlässlich. Als weitere zentrale Komponente algebraischen Denkens wird das relationale Verstehen von Menge, Anzahl und Operation angesehen (s. auch Kieran 2004a, 2004b; Steinweg 2013). Im Gegensatz zur traditionellen Sichtweise auf Arithmetik als algorithmisches Ermitteln von Ergebnissen, beinhaltet eine algebraische Denkweise, Zahlen und Operationen in ihren zugrundeliegenden strukturellen Beziehungen zu betrachten. „Students who come to see number and its operations in terms of their inherent structural relations, that is, as objects that can be compared relationally in terms of their components, and who can use the fundamental properties of operations and equality [...] could be said to be seeing their arithmetic with ‚algebra eyes’.“ (Kieran 2011, S. 584)

16

1 Gleichheiten im Mathematikunterricht der Grundschule

Erkennen Lernende Objekte und Operationen in ihren Bestandteilen, (er)kennen sie ihre Eigenschaften und nutzen diese bei der Lösung mathematischer Probleme, kommt eine algebraische Denkweise zum Tragen. Menge, Anzahl und Operation relational zu verstehen zielt dabei mitunter auf das additive oder multiplikative Zerlegen von Zahlen und Operationen ab, die auf diese Weise in ihren Eigenschaften erfasst werden können und für den weiteren Lösungsprozess nutzbar gemacht werden (Kieran 2011). Steinweg (2016) spricht an dieser Stelle von den „Eigenschaftsstrukturen“ mathematischer Objekte (Steinweg 2016, S. 7). So kann die Zahl 20 beispielsweise als 10+10 gedeutet werden und damit in ihrer Eigenschaft als gerade Zahl. Gleichsam stellt sie 4·5 dar und deklariert damit 4 und 5 als ihre Teiler, genauso wie 1 und 20 sowie 2 und 10. 20 als 19+1 verstanden zeigt auf, dass es sich um den Nachfolger von 19 handelt, 21-1 analog als Vorgänger von 21. So lässt sich die Liste der Eigenschaften von 20 weiter fortführen. Je nach mathematischem Problem bedarf es der Deutung der entsprechenden Eigenschaften. Als weiteres zentrales Thema algebraischen Denkens erklärt Kieran, Bilder und Sprache zu nutzen, um über die Beziehungen in Problemlöseaufgaben nachzudenken (s. auch Bell 1996; Dekker & Dolk 2011; Drijvers et al. 2011; Kieran 2004a, 2004b). Kieran bezieht sich dabei auf Textaufgaben („word problems“). Lernende nutzen algebraische Denkweisen, wenn sie passende Bilder und Sprache nutzen, um eine Textaufgabe und die damit verbundenen mathematischen Beziehungen darzustellen. Dabei können sowohl Bilder helfen, welche ein mathematisches Problem visuell darstellen, als auch Bilder, die als Platzhalter dienen, und somit ein algebraisches Vorgehen unterstützen. Das Prozedurale konzeptionell zu denken ist eine weitere Komponente algebraischen Denkens nach Kieran (s. auch Drijvers et al. 2011; Sfard 1991; Steinweg 2013). In algebraischer Denkweise werden Aufgaben nicht rein prozedural angesehen, die als Rechenhandlung ein konkretes Ergebnis bestimmen, sondern sie werden konzeptionell in ihren zugrundeliegenden Strukturen betrachtet. In der Literatur findet sich häufig eine Gegenüberstellung eines prozeduralen und eines konzeptionellen Verständnisses mathematischer Begriffe wieder (Kieran 2011). Sfard (1991) hingegen weist auf die „Doppelnatur mathematischer Begriffsbildung“ hin, die sich zwischen einem operationalen und einem strukturellen Verständnis vollzieht. Zunächst wird ein Prozess auf ein bereits bekanntes Objekt ausgeübt. Anschließend wird dieser Prozess zunehmend als eigenständige Einheit betrachtet und schließlich als unabhängiges, neues Objekt, losgelöst von seinem Entstehungsprozess (Sfard 1991). Neben der oben genannten fünf Themen zum algebraischen Denken weist Kieran (2011) auf zwei Wege hin, die algebraisches Denken fördern. Zum einen verweist sie als Ergänzung des Verallgemeinerns auf die Aktivitäten des Antizipierens, Vermutens und Begründens. Für alle (formalen und informellen) Transformationsprozesse bedarf es der Fähigkeit des Antizipierens, um zielgerichtet

1.2 Early Algebra

17

arbeiten zu können. Das Ziel wird im Hinblick auf die Zwischenschritte, die es zum Erreichen des Ziels bedarf, koordiniert (Empson, Levi & Carpenter 2011). Indem Lernende Lösungsverfahren nicht nur nachvollziehen, sondern Vermutungen über mathematische Phänomene anstellen und diese begründen, lösen sie sich von einem rein prozesshaften Vorgehen der Ermittlung einer Ergebniszahl hin zu konzeptionellen Betrachtungen von Aufgaben. Einen weiteren Weg zur Anbahnung algebraischer Denkweisen kennzeichnet Kieran durch das Gestikulieren, Visualisieren und Verbalisieren. Mathematische Probleme zu gestikulieren, visualisieren und verbalisieren hilft Lernenden, allgemeine Aussagen über das Phänomen machen zu können. 1.2.3 Algebraisches Denken als Teil eines umfassenden arithmetischen Verständnisses In der Schule vollzieht sich der Algebraunterricht in der Sekundarstufe, der Arithmetikunterricht in der Grundschule. Ein zentraler Unterschied von Arithmetik und Algebra liegt in der Notationsform. Während wie oben aufgeführt die Variablennotation ein zentrales Charakteristikum der elementaren Algebra ist, stellen im Arithmetikunterricht Zahlen die Objekte der Auseinandersetzung dar. Darüber hinaus können jedoch zwei Denkweisen unterschieden werden, welche als charakteristisch für arithmetische bzw. algebraische Tätigkeiten angesehen werden, jedoch nicht dem jeweiligen Unterricht vorbehalten sind. Sowohl im Arithmetikunterricht als auch im Algebraunterricht können mit der jeweiligen Notationsform Handlungs- als auch Beziehungsaspekte ausgedrückt werden. „Man kann also sagen, dass die algebraische (wie auch manche andere mathematische) Notation sowohl Handlungen als auch Beziehungen ausdrückt“ (Malle 1993, S. 144, Hervorh. im Orig.). Malle weist bereits darauf hin, dass auch andere mathematische Notationen sowohl Handlungen als auch Beziehungen ausdrücken. Während dem Beziehungsaspekt eine algebraische (relationale) Denkweise zugrunde liegt, entspricht der Handlungsaspekt einer Denkweise, die bislang charakterisierend für den Arithmetikunterricht ist. Analog zu einer algebraischen Denkweise wird in der vorliegenden Arbeit daher von einer arithmetischen Denkweise gesprochen (s. auch Warren, Mollinson & Oestrich 2009). Arithmetische Denkweisen zielen auf die Berechnung einer Aufgabe und Ermittlung eines Ergebnisses ab, algebraische Denkweisen hingegen auf das Erkennen und Nutzen der zugrunde liegenden Strukturen und Beziehungen. „Arithmetic thinking focuses on product (a focus on arithmetic as a computational tool) and algebraic thinking focuses on process (a focus on the structure of arithmetic)“ (Warren et al. 2009)

Algebraische Denkweisen nehmen, anders als arithmetische Denkweisen, Beziehungen zwischen Zahlen und Termen in den Blick (Kieran 2004a; Steinweg 2013). Während arithmetische Denkweisen am prozesshaften Vorgehen des

18

1 Gleichheiten im Mathematikunterricht der Grundschule

Ausrechnens und der Ermittlung einer konkreten Ergebniszahl interessiert sind, nutzen algebraische Denkweisen die zugrunde liegenden mathematischen Strukturen, um Beziehungen zwischen Zahlen und Termen beschreiben, begründen und für vorteilhaftes Rechnen nutzen zu können (Dekker & Dolk 2011; Kieran 2004a). Berechnen Lernende Aufgaben wie 7+9 und ermitteln das Ergebnis 16, kommen zunächst einmal arithmetische Denkweisen zum Tragen. Nutzen sie dabei die Eigenschaften der Zahlen und stellen Beziehungen zwischen Aufgaben auf Grundlage der algebraischen Rechengesetze her, wie zum Beispiel 7+9=8+8, weil 7+9=7+(1+8)=(7+1)+8=8+8, nutzen Lernende algebraische Denkweisen. Gleichsam können arithmetische Denkweise im Kontext von Variablen genutzt werden, beispielsweise bei einem algorithmischen Vorgehen des Zusammenfassens von Termen: 7x+9x=16x. Mason betont die Wichtigkeit algebraischen Denkens auch schon in der Grundschule: „Algebraic thinking is required in order to make sense of arithmetic, rather than just performing arithmetic instrumentally“ (Mason 2008, S. 58). Um den der Arithmetik zugrunde liegenden (algebraischen) Strukturen eine Bedeutung zu geben, müssen algebraische Denkweisen angebahnt werden. „Arithmetic needs to be viewed with algebra eyes“ (Kieran 2011, S. 580). Steinweg (2016) benennt neben der Stärkung arithmetischer Kompetenzen auch die Entwicklung kommunikativer und argumentativer Fähigkeiten als Gründe für die Anbahnung algebraischer Denkweisen bereits in der Grundschule (Steinweg 2016). Wie oben beschrieben stellen die prozessbezogenen Kompetenzen einen wichtigen Weg zur Entwicklung algebraischer Denkweisen dar, welcher bereits in der Grundschule angeregt werden kann. Wird unter arithmetischem Verständnis, wie in der vorliegenden Arbeit, nicht nur das prozedurale Ausführen von Rechenoperationen verstanden, sondern ebenso das Entwickeln und Nutzen eines beziehungshaltigen Netzes von Aufgaben, kann algebraisches Denken als Teil eines umfassenden arithmetischen Verständnisses angesehen werden (London & Mayer 2015). Arithmetik zu verstehen, und nicht nur auszuführen, bedeutet, relational über Arithmetik zu denken, was wiederum Denkweisen beinhaltet, die in der Algebra gebraucht werden (Empson et al. 2011). Abbildung 1.4 fasst die Beziehung von Arithmetik, Algebra, arithmetischem Denken und algebraischem Denken zusammen.

1.2 Early Algebra

Abbildung 1.3

19

Das Zusammenspiel von Arithmetik und Algebra und ihren Denkweisen (in Anlehnung an Malle 1993, S. 144)

Für die Entwicklung algebraischen Denkens ist es also nicht Ziel, den Algebraunterricht aus der Sekundarstufe in die Grundschule vorzuverlegen. Vielmehr soll im Kontext der Arithmetik neben arithmetisches Denken, das auf das Ausführen von Rechenhandlungen abzielt, eine Form des Denkens treten, der Beziehungen zwischen Zahlen und Termen zugrunde liegen. „In der Grundschule soll ja die algebraische Komponente im Dienst der Arithmetik und des Sachrechnen stehen, sie soll das arithmetische Prozessieren zu mehr Durchsichtigkeit und größerer Reichhaltigkeit führen. Wir betreiben also in der Grundschule keine Algebra an sich, wir wollen zum algebraischen Prozessieren mehr und mehr hinführen.“ (Winter 1982, S. 196)

Algebraisches Denken bietet einen Mehrwert gegenüber allein arithmetischem Denken. Daher kann das sich gegenseitig bedingende und ergänzende Zusammenspiel beider Denkweisen als Gewinn für ein umfassendes arithmetisches Verständnis aufgefasst werden (Warren et al. 2009). 1.2.4 Empirische Erkenntnisse zum algebraischen Denken von Grundschulkindern Nach Steinweg (2016) lassen sich die Charakteristika algebraischen Denkens zu folgenden vier Grundideen zusammenfassen: Muster (und Strukturen), Eigenschaftsstrukturen, Äquivalenz-Strukturen und Funktionale Strukturen. Gemäß weiterer Ausführungen lässt sich ferner die Idee der Verallgemeinerung hinzufügen (Steinweg 2013). Entsprechend dieser Grundideen werden im Folgenden exemplarisch empirische Erkenntnisse zum algebraischen Denken von Grundschulkindern vorgestellt. Auf Forschungsergebnisse zu den Äquivalenz-

20

1 Gleichheiten im Mathematikunterricht der Grundschule

Strukturen wird an dieser Stelle verzichtet, da eine ausführliche Darstellung in Kapitel 1.3.3 erfolgt. Muster und Strukturen stellen in den Bildungsstandards und den Lehrplänen einen fundamentalen Inhaltbereich des Mathematikunterrichts in der Grundschule dar, welcher gleichsam von zentraler Bedeutung für die Entwicklung algebraischer Denkweisen ist. In diversen nationalen und internationalen Untersuchungen, insbesondere zur mathematischen Frühförderung, wurden der Umgang mit Formen- und Farbenmustern sowie mit Zahlenmustern analysiert (Steinweg 2013). Steinweg (2001) zeigt auf, dass Grundschulkinder einen intuitiven Zugang zu Zahlenmustern entwickeln, wenngleich derartige Aufgabenformate ihnen aus dem alltäglichen Unterricht nicht bekannt sind. Die Lernenden beschrieben Muster in strukturierten Übungen und setzten diese fort. Dabei stellte sich heraus, dass die meisten Lernenden das nahe liegende Muster vollständig oder zumindest in Teilen berücksichtigten. Nur wenige Kinder nahmen keinen Bezug zum Muster vor. Zu ähnlichen Ergebnissen gelang auch Link (2012) in seiner Voruntersuchung zur schriftlichen Beschreibung von Mustern in operativ strukturierten Übungen. Auch hier zeigten viele Kinder ein „intuitives Bewusstsein“ für die strukturbildenden Merkmale eines Musters (Link 2012, S. 288). Deutscher (2012) analysierte die arithmetischen und geometrischen Fähigkeiten von Schulanfängern und richtete dabei neben der Erfassung der Lernstände zu arithmetischen und geometrischen Grundideen einen besonderen Fokus auf den Bereich der arithmetischen und geometrischen Muster. Im Zuge einer qualitativen Detailanalyse zu den Aufgaben „Plättchenmuster fortsetzen“, „Muster zeichnen“ und „Punktefelder bestimmen“ wurde der Umgang mit Mustern und Strukturen bei Schulanfängern hinsichtlich der drei Komponenten „Teilmusterwahrnehmung“, „Teilmusterstrukturierung“ sowie „Musteranwendung“ analysiert. Dabei stellte sich heraus, dass die Identifikation von Teilmustern sowohl bei arithmetischen als auch bei geometrischen Mustern mit Blick auf die Zahlenwerte bzw. Form und Lage der Elemente den meisten Lernenden problemlos gelingt. Eine Teilmusterstrukturierung hingegen erfolgte individuell unterschiedlich. Wenngleich die meisten Lernenden Einzelelemente oder größere Struktureinheiten des Musters erkannten und entsprechend musterwiederholende oder –erweiternde Deutungen vornahmen, gab es auch einzelne Lernende, die keinen oder nur einen sehr geringen Bezug zur Struktur des Musters herstellen konnten. Die erfolgreiche Musteranwendung zeigte sich in der Untersuchung von Deutscher (2012) im Zuge des Wiedergebens, des Fortsetzens und des Nutzens von Mustern und Strukturen. Eine erfolgreiche Musteranwendung hing stark von den jeweiligen Aufgaben und den entsprechenden Mustern ab und erwies sich somit individuell sehr unterschiedlich. Im Lehrplan explizit verankert ist das Entdecken, Beschreiben und Nutzen von Zahlbeziehungen sowie das Ausnutzen von Rechengesetzen für vorteilhaf-

1.2 Early Algebra

21

tes Rechnen (Ministerium für Schule und Weiterbildung NRW 2012). Damit nehmen Lernende eine algebraische Sichtweise auf Aufgaben ein. Flexibles Rechnen unter Ausnutzung der algebraischen Rechengesetze lässt sich der Grundidee der Eigenschaftsstrukturen nach Steinweg (2016) zuordnen. Unter dem Schwerpunkt „Flexibles Rechnen“ wird für das Ende der Klasse 4 zum einen die Auswahl eines geeigneten Verfahrens verstanden (Kopfrechnen/ halbschriftliche Strategie, schriftliches Verfahren, Taschenrechner). Gleichzeitig stellt die Auswahl einer geeigneten Kopfrechen- bzw. halbschriftlichen Strategie eine weitere Form flexiblen Rechnens dar, die für die vorliegende Arbeit von besonderem Interesse ist.2 Insbesondere bei den Strategien „Vereinfachen“ und „Hilfsaufgabe“ kommen algebraische Denkweisen zum Tragen. Die Lernenden nutzen dabei assoziative Verknüpfungen. Ebenso die Ausnutzung kommutativer oder distributiver Zusammenhänge ermöglicht flexibles Rechnen und damit die Anbahnung algebraischer Denkweisen. Im Folgenden werden exemplarisch zwei Studien und deren Ergebnisse im Kontext flexiblen Rechnens vorgestellt. In einer Untersuchung von Selter (2003) zeigte sich, dass Lernende dazu neigen, nach Einführung des schriftlichen Normalverfahrens auf dieses zurückzugreifen, auch wenn die Aufgaben eine Strategie unter Ausnutzung von operativen Beziehungen nahe legen. Die Schülerinnen und Schüler verlassen sich auf den einmal gelernten, scheinbar sicheren Algorithmus des Normalverfahrens, sodass die Lernenden es nicht für erforderlich halten, algebraische Denkweisen zu nutzen. Dass diese sich für eine effiziente Bearbeitung bestimmter Aufgaben jedoch anbieten, lassen die Lernenden häufig außer Acht. Da sich eine algebraische Sicht auf Aufgaben nicht von alleine entwickelt (Winter 1982) und in der Grundschule eine starke Betonung der Normalverfahren stattfindet (Selter 2003), verwundert es nicht, dass Lernende, Aufgaben nicht auf algebraische Weise unter Ausnutzung von Beziehungen betrachten. Den Schülerinnen und Schülern wurden in der vorgestellten Studie daher Lerngelegenheiten geboten, die den Blick für Aufgabenmerkmale förderten. Es wurde die Strategie der „Hilfsaufgabe“ in Form eines Rechentricks thematisiert und die Kinder wurden aufgefordert Aufgaben hinsichtlich ihrer Tauglichkeit, sie mit diesem Rechentrick zu berechnen, zu überprüfen. Ferner erfanden sie selbst Aufgaben, die gut bzw. weniger gut mit einer Hilfsaufgabe gelöst werden konnten (Selter 2003). Im Sinne einer Anbahnung algebraischer Denkweisen wurde der Blick der Lernenden auf diese Weise im Kontext des halbschriftlichen Rechnens auf das Sehen und Nutzen von Beziehungen zwischen Aufgaben gefördert. In einem weiteren Projekt zum flexiblen Rechnen stellte Rechtsteiner-Merz (2013) heraus, dass Lernende mit Schwierigkeiten beim Rechenlernen durch die Schulung des Zahlenblicks flexible Rechenkompetenzen entwickeln können. Dafür untersuchte sie über ein Jahr Lernende mit Schwierigkeiten beim Rech2

zur Unterscheidung flexiblen Rechnens auf zwei Ebenen siehe auch RechtsteinerMerz 2013

22

1 Gleichheiten im Mathematikunterricht der Grundschule

nenlernen in acht ersten Schuljahren, von denen fünf gezielt den Zahlenblick der Kinder, d.h. „das augenblickliche Sehen und Nutzen von Beziehungen“ schulten (Rechtsteiner-Merz 2014, S. 951 nach Schütte 2004). Während die Lernenden ohne Zahlenblickschulung fast ausnahmslos im zählenden Rechnen verblieben, entwickelten sich die meisten Kinder mit Zahlenblickschulung zu Rechnern, die strategische Werkzeuge oder Faktenwissen zum Lösen von Rechenaufgaben nutzten und Zahl- und Aufgabenbeziehungen erkennen, nutzen und verbalisieren konnten. Aktivitäten zur Zahlenblickschulung tragen somit wesentlich zur Förderung flexibler Rechenkompetenzen und damit zur Ablösung des zählenden Rechnens bei (Rechtsteiner-Merz 2013). Als weitere Grundidee algebraischen Denkens weist Steinweg „funktionale Strukturen“ aus. Folgende exemplarische empirische Erkenntnisse zum algebraischen Denken von Grundschülern beruhen auf Untersuchungen zum funktionalen Denken. Warren & Cooper (2006) ließen beispielsweise 9-Jährige sich wiederholende Muster, „repeating patterns“, zur Anbahnung funktionalen Denkens untersuchen. Die Lernenden untersuchten zunächst geometrische, sich wiederholende Muster, führten diese fort und erfanden weitere Muster. Anschließend wurden die Elemente der Muster in Tabellenform festgehalten, um sie dann auf verschiedene (vertikale und horizontale) Zusammenhänge hin untersuchen zu können. Die Schülerinnen und Schüler stellten funktionale Zusammenhänge zwischen den einzelnen Elementen des Musters sowie den Elementen und dem Muster als Ganzes her. Auch Steinweg (2013) fand heraus, dass Grundschüler anhand des Aufgabenformats „Zahl und Partnerzahl“ funktionale Zusammenhänge entdecken können. Das Aufgabenformat besteht aus mehreren Kärtchen, welche aus zwei Quadraten zusammengesetzt sind. In dem ersten Quadrat steht eine Zahl, in dem zweiten Quadrat steht ihre Partnerzahl. Alle Zahlen sind durch eine bestimmte mathematische Beziehung mit ihren Partnerzahlen verbunden. Die Lernenden untersuchten Zahlen und ihre Partnerzahlen auf ihre Regel (Funktionsvorschrift) hin, notierten diese, fanden eigene ‚Zahl & Partnerzahl-Funktionen’ und trugen diese in ein Koordinatensystem ein (graphische Repräsentation). Dabei zeigte sich, dass einige Lernende rekursiv bei der Entdeckung der Funktionsvorschrift vorgingen, indem sie die neuen Werte unter Ausnutzung der VorgängerBeziehung ermittelten. Andere Kinder wählten ein explizites Vorgehen, welches sich auf die direkte Beziehung zwischen Zahl und Partnerzahl konzentriert (Steinweg 2013). Beide Vorgehensweisen dienen der Anbahnung algebraischer Denkweisen, sofern die Regel nicht nur als Rechenvorschrift verstanden wird, sondern selbst als Objekt der Auseinandersetzung, welches sich auf beliebige Zahlen beziehen kann (ebd.). Schon hier tritt der nachfolgende Aspekt der Verallgemeinerung in den Vordergrund. Auch wenn die Entwicklung eines Variablenbegriffs in der Grundschule noch nicht im Lehrplan vorgesehen ist, wurden bereits verschiedene Lerngele-

1.3 Die Entwicklung eines algebraischen Gleichheitsverständnisses

23

genheiten, die das Verallgemeinern von Strukturen und die Entwicklung eines Variablenbegriffs fördern, sowie die Verstehensprozesse von Lernenden erforscht. Es zeigt sich, dass Grundschulkinder mathematische Muster verallgemeinern können (Akinwunmi 2012) und erste Ideen eines Variablenbegriffs entwickeln (Akinwunmi 2012; Steinweg 2013). Mit Hilfe dreier Aufgabenformate (Plättchenmuster, Partnerzahlen, Zaubertrick) stellte Akinwunmi (2012) heraus, dass Grundschulkinder sowohl eine allgemeine mathematische Struktur in vorgegebene Zeichen deuten als auch bereits bekannte Zeichen nutzen können, um eine allgemeine Struktur zu beschreiben. Die Wechselbeziehung zwischen allgemeinen Strukturen und mathematischen Zeichen führte zur Anbahnung eines Variablenbegriffs, indem die in der Kommunikation verwendeten Zeichen die Rolle von Variablen einnahmen. Steinweg (2013) weist darauf hin, dass Lernende in der Grundschule, angeregt durch verschiedene Lernumgebungen, wie zum Beispiel (unlösbare) Zahlenrätsel, eine erste Idee von der Variablen als Unbekannte entwickeln können. Zur Anbahnung algebraischer Denkweisen gehört die Entwicklung dieser Grundvorstellung, wenngleich sie (noch) nicht in Form von Buchstabenvariablen eingeführt werden muss.

1.3 Die Entwicklung eines algebraischen Gleichheitsverständnisses Nachdem in Kapitel 1.1 bereits die Forderung nach einer flexiblen Sichtweise auf das Gleichheitszeichen, die sowohl einen funktionalen Aspekt (im Sinne Winters) als auch einen relationalen beinhaltet, erläutert wurde und anschließend in Kapitel 1.2 allgemeine Überlegungen zum algebraischen Denken von Grundschulkindern angeführt wurden, werden diese Überlegungen im Folgenden zusammengebracht. Dabei wird insbesondere der Frage nachgegangen, wie arithmetische Gleichheiten algebraisch verstanden werden können und welche Anforderungen dabei an die Lernenden gestellt werden. 1.3.1 Gleichheitskonzepte nach Winter (1982) Wird das Gleichheitszeichen in algebraischer Sicht als Zeichen für „Gleichheit, Gleichwertigkeit und wechselseitige Austauschbarkeit“ angesehen (Winter 1982, S. 192), so werden die Terme links und rechts des Zeichens auf relationale Weise betrachtet. Eine Gleichung wie 5+3=8 wird nicht als Aufgabe-ErgebnisDeutung aufgefasst, in der der Term links vom Gleichheitszeichen die Aufgabe darstellt, die mit einer konkreten Rechenhandlung verbunden ist, und der Term rechts vom Gleichheitszeichen das Ergebnis dazu angibt. Vielmehr sollen einer flexiblen Gleichheitsauffassung entsprechend beide Terme zueinander in Beziehung gesetzt werden. Dazu können die Terme nicht mehr als Aufgaben gedeutet

24

1 Gleichheiten im Mathematikunterricht der Grundschule

werden, sondern vielmehr als Zahlennamen (Winter 1982). Die Terme 5+3 und 8 geben beide einen Namen für eine Zahl an. Durch das Gleichheitszeichen in der Gleichung 5+3=8 wird die Relation der beiden Namen deutlich: Die Terme drücken mit verschiedenen Namen die gleiche Zahl aus. Während 8 als Standardname charakterisiert werden kann, gibt es unendlich viele weitere Terme, die der Zahl einen anderen Namen geben können: 8=5+3=2·4=10-2=... Die Umdeutung einer Aufgabe in eine Zahl lässt Lernende Gleichungen anderer Form als a+b=c vermeintlich erfolgreicher auffassen. Während Gleichungen wie 8=5+3 oder 5+3=2·4 von vielen Lernenden aufgrund einer Aufgabe-ErgebnisDeutung fehl interpretiert werden (s. Kapitel 1.1), kann ein Verständnis über die Verwendung verschiedener Namen für eine Zahl ein erfolgreiches Auffassen dieser Gleichungen bedeuten. Winter formuliert dafür folgendes algebraisches Gleichheitskonzept: Dieselbe Zahl, dieselbe Größe wird auf verschiedene Weisen ausgedrückt.3 Eine Gleichheitsdeutung in diesem Sinne lässt Terme nicht mehr operational, sondern konzeptionell als Ganzes verstehen. Es geht hier nicht mehr darum, den Term 5+3 in seinen zugrundeliegenden Grundvorstellungen zu verstehen, sondern vielmehr ihn als Gesamtausdruck, als Name einer Zahl aufzufassen. Dafür muss die Rechenhandlung nicht vollzogen werden, ein wesentliches Merkmal algebraischen Denkens. Die Frage nach der Existenz einer Gleichheit zwischen verschiedenen Termen lässt das Gleichheitskonzept Zahl erfolgreich beantworten, die Frage nach den Gründen für eine (Un)Gleichheit bleiben für den Lernenden an dieser Stelle hingegen unbeantwortet. Warum gilt 5+3=2·4? Eine Gleichheitsauffassung im Sinne des Gleichheitskonzepts „Zahl“ verbleibt auf syntaktischer Ebene und damit an der Oberfläche. Da Rechnen eine „inhaltliche Tätigkeit, eine geistige Auseinandersetzung“ ist (Winter 1982, S. 198), reicht es nicht aus, Terme nur als Namen aufzufassen. Vielmehr geht es dabei um die diesen Namen zugrunde liegenden Informationen, die sich aus den Termen ablesen lassen und die Grundlage für ein Verständnis über die Beziehungen zwischen Zahlen bilden. Warum gilt 5+3=2·4? Auf Grundlage eines Wissens um Zahlbeziehungen können die Summanden des ersten Terms gegensinnig verändert werden, was die Gleichheitsbeziehung zum zweiten Term begründet, mathematisch ausgedrückt: 5+3=(5-1)+(3+1)=4+4=2·4. Beide Terme werden durch einen weiteren verbindenden Term explizit zueinander in Beziehung gesetzt. Winter formuliert allgemeiner: „Eine Gleichung zu verstehen bedeutet also: von zwei Darstellungen auf die gemeinsame Gegenstandszuweisung abstrahieren“ (Winter 1982, S. 199). Von den beiden Darstellungen 5+3 und 2·4 wird auf die gemeinsame Gegenstandszuweisung 4+4 abstrahiert. Diese Abstraktion ist kei3

Im Folgenden als Gleichheitskonzept „Zahl“ abgekürzt.

1.3 Die Entwicklung eines algebraischen Gleichheitsverständnisses

25

nesfalls eindeutig, sondern durch eine gewisse Mehrdeutigkeit geprägt (Nührenbörger & Schwarzkopf 2013). So weist im oben genannten Beispiel auch der Term (4+1)+(4-1) auf die gemeinsame Gegenstandszuweisung hin. Es kann also in der algebraischen Gleichheitsauffassung zwischen einer Gleichwertigkeit von „Zahlennamen“ und einer Gleichwertigkeit von Rechenhandlungen unterschieden werden. Da ersteres, wie oben beschrieben, zwar eine relationale Betrachtung beider Seiten links und rechts vom Gleichheitszeichen ermöglicht, aber nicht erklärt, muss das Gleichheitskonzept „Zahl“ um den Aspekt der gleichwertigen Rechenhandlungen erweitert werden. Das kann zum einen bedeuten, dass zwei unterschiedliche Terme wie 5+3 und 2·4 zum selben Endzustand führen. In beiden Termen gibt es einen Anfangszustand (5 bzw. 4), auf den eine Operation einwirkt (Vermehren um 3 bzw. Verdoppeln). Die Wirkung auf den Anfangszustand resultiert in einem Endzustand. Der Endzustand kann durch einen konkreten Wert, in diesem Fall 8, aber auch durch einen gemeinsam abstrahierten weiteren Term, in diesem Fall 4+4, angegeben werden. Wie vorher erläutert, bildet das Nutzen von operativen Beziehungen die Grundlage für das Verständnis. Das zweite Gleichheitskonzept lässt sich demnach formulieren als: Derselbe Endzustand wird auf verschiedene Weisen erreicht.4 Zum anderen können die Terme 5+3 und 2·4 auch eine Rechenhandlung anzeigen, die die Wirkung auf einen vorhandenen Zustand ausdrückt: Ob man eine Größe zuerst um 5 und dann um 3 oder um das Doppelte von 4 vermehrt ist gleichgültig. Die Wirkung bleibt die gleiche: 5+3=2·4, die Größe wird um 8 vermehrt. 5 Die Zahlen der Terme werden als Operatoren aufgefasst, die eine Wirkung erzielen. Dieses Phänomen beschreibt Steinweg (2013) als das Nutzen funktionaler Beziehungen, welches Teil algebraischer Denkweise ist. Zwei oder mehr Funktionsschritte können auf verschiedene Weise ausgedrückt oder zu einem zusammengefasst werden und in Form einer Gleichung, eines Terms oder einer verbalen Regel beschrieben werden. In einem dritten Gleichheitskonzept zur algebraischen Gleichheitsauffassung heißt es nach Winter daher: Dieselbe Wirkung wird auf verschiedene Weisen erzielt.6 Das Gleichheitskonzept „Zahl“ wird um die beiden Gleichheitskonzepte „Endzustand“ und „Wirkung“ ergänzt, die die Gleichwertigkeit von Rechenhandlungen in den Blick nehmen. Für die Entwicklung eines algebraischen Gleichheits4 5 6

Im Folgenden als Gleichheitskonzept „Endzustand“ abgekürzt. Der Begriff „Wirkung“ beschreibt hier einen anderen Zusammenhang als im Zuge des operativen Prinzips nach Wittmann, siehe dazu Wittmann 1985. Im Folgenden als Gleichheitskonzept „Wirkung“ abgekürzt.

26

1 Gleichheiten im Mathematikunterricht der Grundschule

verständnisses sind alle drei Gleichheitskonzepte von zentraler Bedeutung. Während eine Gleichheitsdeutung im Sinne des Gleichheitskonzepts „Zahl“ den Term als Ganzes in seiner konzeptionellen Betrachtung in den Blick nimmt, werden gleichwertige Terme im Sinne der Gleichheitskonzepte „Endzustand“ und „Wirkung“ im Zuge ihrer operativen Beziehungen zueinander verstanden. Die Konzepte und die damit verbundenen Termdeutungen hängen miteinander zusammen, ergänzen sich und können daher in einer Gleichheitsdeutung zusammenfließen (Winter 1982). Verschiedene Termdeutungen lassen sich im Sinne Winters (mindestens) in drei verschiedenen Gleichheitskonzepten ausdrücken. Die folgende Tabelle fasst die Gleichheitskonzepte zusammen. Tabelle 1.2 Gleichheitskonzepte nach Winter (1982) Gleichwertigkeit von ... Zahlen(namen)

Rechenhandlungen

Gleichheitskonzepte „Zahl“ Dieselbe Zahl, dieselbe Größe wird auf verschiedene Weisen ausgedrückt. „Endzustand“ Derselbe Endzustand wird auf verschiedene Weisen erreicht. „Wirkung“ Dieselbe Wirkung wird auf verschiedene Weisen erzielt.

Mit den Gleichheitskonzepten gehen verschiedene Anforderungen an die Lernenden einher, die im Folgenden unter Rückbezug auf die Komponenten algebraischen Denkens nach Kieran (s. Kapitel 1.2.2) aufgeführt und erläutert werden. 1.3.2 Komponenten aus der Early Algebra im Kontext von Gleichheiten Ein Term kann ebenso wie eine Gleichung semantisch gesehen extern und intern betrachtet werden (Steinweg 2013). Bei anwendungsorientierten Zugängen zu Gleichheiten ist insbesondere die externe Semantik von Interesse, indem außermathematische Kontexte in den Term hineingedeutet werden bzw. ein Term im Hinblick darauf konstruiert wird. Dahingegen beziehen sich strukturorientierte Zugänge, wie sie in der vorliegenden Arbeit verwendet werden, vor allem auf die interne Semantik eines Terms, d.h. auf die dem Term innewohnenden mathematischen Strukturen. „Eine Gleichung bzw. ein Term kann [...] aus verschiedenen Objekten bzw. Bausteinen bestehend betrachtet werden“ (Steinweg 2013, S. 82). Diese Bausteine sind nicht immer eindeutig bestimmbar und für viele Schülerinnen und Schüler oftmals schwer zu erkennen (Hoch & Dreyfus 2010; Malle 1993). Der oben genannte Term (4+1)+(4-1) kann als Ganzes aufgefasst werden, aber auch bestehend aus zwei Objekten aufgefasst werden:

1.3 Die Entwicklung eines algebraischen Gleichheitsverständnisses

27

(4+1) und (4-1). Erkennt der Lernende diese Termstruktur, ist die Gleichheit von (4+1)+(4-1) und 5+5 leichter nachzuvollziehen und zu verstehen. Die beiden Termbausteine in Form einer Summe und einer Differenz können im Sinne des Gleichheitskonzeptes „Zahl“ als zwei weitere Ausdrücke für die Zahl 5 im zweiten Term aufgefasst werden und somit erscheint die Gleichheit plausibel. Während das Erkennen von Termbausteinen in diesem Beispiel eher simpel erscheint und bei Lernenden zu keinen Schwierigkeiten führt, gestaltet sich das Identifizieren von Termbausteinen in Termen anderer Form (ohne Klammern) deutlich schwieriger. Terme wie 2+2·4 in ihren Bausteinen 2 und 2·4 und damit in diesem Fall als Summe zu sehen, ist nicht mehr offensichtlich und für Lernende keineswegs eindeutig (Hoch & Dreyfus 2010, S. 178). Um die Gleichheit von 2+2·4 und zum Beispiel 2+8 zu verstehen, ist gerade das aber von enormer Bedeutung. Das Erkennen von Termbausteinen und das Wissen um allgemeingültige Termstrukturen ist für ein algebraisches Verstehen von Gleichheiten unerlässlich. „Das Erkennen von Termstrukturen lernt man nicht so, daß man Term für Term analysieren lernt und nach und nach immer mehr Terme analysieren kann, sondern so, daß man eine allgemeine Einsicht erwirbt; es muß einem sozusagen „der Knopf aufgehen“ und das kann ziemlich plötzlich erfolgen.“ (Malle 1993, S. 197)

Malle betont die Wichtigkeit allgemeiner Einsichten in Termstrukturen im Gegensatz zu punktuellen Erkenntnissen zu einzelnen Terme und weist damit auf die Fähigkeit „das Allgemeine im Speziellen zu sehen“ als wichtige Komponente algebraischen Denkens hin. Es kann nicht Ziel sein, den Lernenden eine Fülle an Termen zu überlassen, für die sie im Einzelfall die Termbausteine identifizieren. Jedoch können durch die Bearbeitung mehrerer Einzelfälle nach und nach Muster erkannt werden, die dann wiederum zu allgemeineren Einsichten führen. Hier zeigt sich wiederum die Wichtigkeit der algebraischen Komponente „Muster in ihren Regelmäßigkeiten erkennen“ (Kieran 2011). Terme nicht nur prozedural aufzufassen, sondern sie im Sinne des operativen Prinzips in Beziehung zueinander zu setzen und dadurch die Gleichheit zu verstehen, wird als weitere wichtige Komponente algebraischen Denkens angesehen („Relationales Verstehen von Menge, Anzahl & Operation“). Werden Terme lediglich isoliert voneinander betrachtet (die Gleichheit kann in diesem Fall nur durch ein ausrechnendes Vorgehen herausgefunden oder be- bzw. widerlegt werden), können sie zwar oberflächlich, nicht aber in ihren zugrundeliegenden Strukturen verstanden werden. „Eine wirkliche Erfassung einzelner Teile eines Komplexes ohne gleichzeitige Erfassung der sie verbindenden Zusammenhänge ist überhaupt nicht möglich“ (Fricke 1970, S. 89). Terme und damit Gleichheiten zu erfassen, bedeutet demnach, sie auch in ihren verbindenden Zusammenhängen gemäß ihrer operativen Beziehungen zu sehen. Algebraisches Denken kann und muss daher bereits in der Grundschule angebahnt werden, da eine vollständige Erfassung von Termen und Gleichheiten anderweitig nicht möglich

28

1 Gleichheiten im Mathematikunterricht der Grundschule

ist (s. Kapitel 1.3.1). Was es genau bedeutet, die „einzelnen Teile eines Komplexes“ zu erfassen, wird im Folgenden weiter erläutert. „Objekte erfassen bedeutet, zu erforschen, wie sie konstruiert sind und wie sie sich verhalten, wenn auf sie Operationen (Transformationen, Handlungen,...) ausgeübt werden.“ (Wittmann 1985, S. 9). Die Zahl 6 als Objekt zu erfassen, bedeutet nach Wittmann zum einen, Aussagen über ihre Konstruktion zu tätigen. Die Zahl 6 ist Nachbarzahl der Zahlen 5 (6-1) und 7 (6+1), sie ist das Doppelte von 3 (2·3) und die Hälfte von 12 (12:2). Zahlbeziehungen lassen so auf eine Vielzahl von (weiteren) Konstruktionseigenschaften schließen. Diesen Überlegungen liegt das algebraische Gleichheitskonzept „Zahl“ zugrunde. Eine Zahl kann abhängig von ihrer Konstruktion auf verschiedene Weisen ausgedrückt werden. Neben Zahlen können auch ganze Terme als Objekt aufgefasst werden. So kann das Objekt 6+1 auch in seinen Konstruktionseigenschaften betrachtet werden. Es handelt sich beispielsweise um eine ungerade Anzahl (2·3+1) und um eine Anzahl, die um 2 größer ist als 5 (5+1+1=5+2). Auch hier können auf Grundlage der Zahlbeziehungen verschiedene Aussagen über die Konstruktion des Objektes 6+1 gemacht werden. Auch hier kommt das Gleichheitskonzept „Zahl“ zum Ausdruck, lediglich der „Standardname“ der Zahl (in diesem Fall 7) bleibt verborgen. Nach Wittmann reicht es aber für die Erfassung eines Objektes nicht aus, etwas über ihre Konstruktion herauszufinden. Darüber hinaus muss erforscht werden, wie Objekte sich verhalten, wenn auf sie eingewirkt wird, wenn Operationen ausgeübt werden. Dies kann zum einen zunächst die Einsicht in Operationsvorstellungen bedeuten, die sowohl handelnd am Material als auch mental erschlossen werden können. Später kann auch die Wirkung mehrerer und verschiedener Operationen untersucht werden. Dabei scheinen im Zuge der Anbahnung eines flexiblen Gleichheitsverständnisses insbesondere die Operationen interessant, die dieselbe Wirkung auf ein Objekt erzielen. Die Operationen +2 und +1+1 erzielen auf das Objekt 6 dieselbe Wirkung: Das Objekt vergrößert sich um zwei auf 8. Ebenso bewirken die Operationen ·3 und ·2+6 das gleiche: das Objekt 6 wird verdreifacht. Während Operationen wie im ersten Beispiel allerdings unabhängig vom Objekt stets die gleiche Wirkung mit sich bringen, gilt dies für das zweite Beispiel nicht. Angewandt auf ein anderes Objekt verhalten sich die Operationen anders, sie erzielen dann nicht die gleiche Wirkung. Auch diese Beobachtung und Erkenntnis gehört zu einer ganzheitlichen Erfassung von Objekten und ihren Eigenschaften dazu. Die Operationen, die angewandt auf bestimmte Objekte dieselbe Wirkung erzielen, werden im Gleichheitskonzept „Wirkung“ beschrieben. Wie oben beschrieben können nicht nur Zahlen ein Objekt darstellen, sondern auch Terme. Auch auf diese können Operationen ausgeübt werden. Das Objekt 6+1 kann ebenso vergrößert, verkleinert, vervielfacht oder geteilt werden. Im Zuge der Anbahnung eines flexiblen Gleichheitsverständnisses erschei-

1.3 Die Entwicklung eines algebraischen Gleichheitsverständnisses

29

nen auch an dieser Stelle wieder insbesondere die Operationen interessant, die entweder dieselbe Wirkung erzielen oder einen anders aussehenden, aber gleichwertigen Term entstehen lassen. Das Objekt 6+1 kann durch gegensinniges Verändern der Summanden in den Term 5+2 überführt werden. Die Operation des gegensinnigen Veränderns bewirkt die Gleichheit. Dies wird im Sinne Winters durch das Gleichheitskonzept „Endzustand“ zum Ausdruck gebracht. Im Interesse eines algebraischen Gleichheitsverständnisses erscheinen neben den oben angeführten Aktivitäten weitere Überlegungen im Sinne des operativen Prinzips interessant. So können auch unterschiedliche Objekte, auf die gleiche oder auch unterschiedliche Operationen ausgeübt werden, von Interesse sein, nämlich dann, wenn diese Konstellation in einer Gleichheit resultiert. Wird auf die unterschiedlichen Objekte 7 und 6+1 die gleiche Operation ·3 oder auch jeweils eine andere Operation (+7+7 und ·3) ausgeübt, bewirkt dies eine Gleichheit der neu entstandenen Objekte (Gleichheitskonzept „Endzustand“). Für das Verstehen dieser Gleichheit sind dann wieder die Konstruktion der einzelnen Objekte sowie die Operationen und ihr Zusammenhang von Bedeutung. „Relationales Verstehen von Menge, Anzahl & Operation“ als Komponente algebraischen Denkens bedeutet im Hinblick auf die Anbahnung eines algebraischen Gleichheitsverständnisses, die Konstruktion von Objekten und ihren operativen Beziehungen zueinander, die zu Gleichheitsbeziehungen führen, zu betrachten. Mit den Ausführungen zu den beiden angeführten Anforderungen an die Lernenden, Termbausteine zu erkennen und operative Beziehungen zu erkennen und zu nutzen, ist bereits eine weitere Anforderung einhergegangen: Terme sollen nicht mehr allein prozedural aufgefasst werden, in denen eine Rechenhandlung beschrieben wird, sondern ganzheitlich, konzeptionell. Kieran beschreibt dies mit der Komponente des algebraischen Denkens „Das Prozedurale konzeptionell denken“. Operationen zeigen zunächst einmal einen dynamischen Prozess an, der durch eine Abfolge von Aktionen entsteht (Sfard 1991). Den Operationen stehen Objekte entgegen, die sich durch eine statische Struktur auszeichnen und dadurch im Ganzen erfasst werden können. Während 5 als Menge konkret vorstellbar, erfassbar und statisch darstellbar ist, ist die Operation ·5 abstrakter und zunächst einmal als Prozess des Verfünffachens zu verstehen. Diese Prozesse lernen die Lernenden bei der Entwicklung von Grundvorstellungen kennen. Neben die Prozesse tritt jedoch bereits hier die Entwicklung einer statischen Deutung der Operationen. So wird ·5 nicht nur als der Prozess des Verfünffachens einer Zahl aufgefasst, sondern ebenso als statisches Bild mit x 5er-Reihen. Jedoch liegt auch diesem eine dynamische Deutung zugrunde. Auch andere Prozesse wie das Hinzu- oder Zusammenfügen von Mengen als Grundvorstellungen der Addition werden bereits im Anfangsunterricht durch statische Deutungen wie Zahlzerlegungen unterstützt. Während im Anfangsunterricht insbesondere auch das Erlernen von Rechen-

30

1 Gleichheiten im Mathematikunterricht der Grundschule

fertigkeiten und somit das Durchlaufen von Prozessen von zentraler Bedeutung ist, treten nach und nach immer mehr konzeptionelle Betrachtungen in den Vordergrund. Mit zunehmender Komplexität der auszuführenden Operationen steigt auch die Schwierigkeit, diese Prozesse zu durchlaufen. In kleinen Zahlenräumen mit nur wenigen Operationen erscheint dies noch vergleichsweise einfach. Je größer und komplexer der Zahlenraum und die Operationen allerdings werden, desto höher wird die beanspruchte Denkleistung. Steinweg verweist daher darauf, dass „der Perspektivwechsel von den Zahlobjekten hin zu den mathematischen Operationen als Objekten nicht nur möglich, sondern auch von großem Wert für kompetentes mathematisches Verständnis“ ist (Steinweg 2013, S. 124). Operationen und damit die zunächst einmal dynamischen Prozesse als Objekte und damit statisch zu betrachten, ist nicht nur möglich und von großem Wert für kompetentes mathematisches Verständnis, sondern gerade für dieses Verständnis unverzichtbar. So erscheint auch die zuvor angeführte Gegenüberstellung von Operationen und Objekten fehl: Neben einer dynamischen Deutung von Operationen tritt eine statische Deutung, sie werden als Objekte gedacht. Keinesfalls soll eine statische Deutung anstelle einer dynamischen Deutung treten. Beide Deutungen müssen gleichermaßen von den Lernenden entwickelt werden. Sfard weist darauf hin, dass das Deuten einer Operation als Objekt erst dann erfolgen kann, wenn sie als Prozess mental erfolgreich und sicher beherrscht wird (Sfard 1991). Für die Entwicklung eines flexiblen Gleichheitsverständnisses ist das Denken von Operationen als Objekten in der Hinsicht bedeutsam, als dass sich dadurch die anderen Anforderungen, Termbausteine zu erkennen und operative Beziehungen zu erkennen und zu nutzen, (einfacher) vollziehen lassen. Um Termbausteine erkennen zu können und sie gemäß des operativen Prinzips zueinander in Beziehung zu setzen, dürfen sie nicht mehr nur operational verstanden werden, sondern müssen als Objekte aufgefasst werden, deren statischer Charakter einen Vergleich vereinfacht. Denken die Lernenden Operationen als Objekte und können so Termbausteine und operative Beziehungen erkennen, zeigen sie zwar im oben aufgeführten Sinne algebraische Denkweisen, für das algebraische Verstehen von arithmetischen Gleichheiten fehlt allerdings noch ein weiterer Schritt. Um Gleichheiten algebraisch zu verstehen, muss „ von zwei Darstellungen auf die gemeinsame Gegenstandszuweisung abstrahier[t]“ werden (Winter 1982, S. 199). Dies geschieht auf formaler Ebene durch strukturelles Umrechnen, wodurch ein Term in den anderen bzw. beide Terme in einen gemeinsamen durch operative Variationen überführt werden (Nührenbörger & Schwarzkopf 2013b). Strukturelle Umrechnungsprozesse finden auf Grundlage der algebraischen Rechengesetze statt. Kommutative, assoziative und distributive Eigenschaften der Rechenoperationen erlauben ein operatives Variieren der Terme und somit ein Feststellen der Gleichheit von Termen durch strukturelle Umrechnungsprozesse.

1.3 Die Entwicklung eines algebraischen Gleichheitsverständnisses

31

1.3.3 Empirische Erkenntnisse zur Entwicklung eines algebraischen Gleichheitsverständnisses von Grundschulkindern Dass Lernende das Gleichheitszeichen selten als Relationszeichen und stattdessen als Handlungsaufforderung für das Ausführen einer Rechnung betrachten und damit Gleichungen in Form einer Aufgabe-Ergebnis-Deutung verstehen, ist in zahlreichen Studien erforscht (s. Kapitel 1.1). Dass es für ein flexibles Gleichheitsverständnis unabkömmlich ist, neben einer operationalen Perspektive auch eine relationale, algebraische anzubahnen, ist ebenso unumstritten. Konkrete Lerngelegenheiten, die ein flexibles Gleichheitsverständnis und damit auch die Entwicklung einer algebraischen Perspektive in der Grundschule fördern, sind hingegen wenig erforscht. Exemplarisch werden im Folgenden zwei Ansätze zur Förderung eines algebraischen Gleichheitsverständnisses vorgestellt. Steinweg (2013) hat in einem Forschungsprojekt (‚Kinder auf dem Weg zur Algebra’) über zehn Monate Zweit- und Drittklässler bei der Bearbeitung algebraischer Aktivitäten beobachtet. Eine Auswertung konnte durch schriftliche Dokumentationen und in Einzelfällen durch Interviews erfolgen. Mit einem PrePosttest-Design wurde die Feststellung einer Entwicklung der Denk- und Handlungsweisen der Lernenden aufgezeigt. Zur Förderung eines algebraischen Gleichheitsverständnisses haben die Lernende verschiedene Aufgabenstellungen bearbeitet, die auf das Lösen, Erfinden, Beurteilen oder Korrigieren von Gleichungen abzielten. In allen Aufgabentypen zeigten die Lernenden im Post-Test Lösungen von mehr algebraischer Qualität als noch im Pre-Test. Gleichungen wurden mit einem relationalen Verständnis des Gleichheitszeichens gelöst, sie wurden nicht nur in Form einer Aufgabe-Ergebnis-Deutung erfunden, algebraische Eigenschaften der Rechenoperationen wurden im Gegensatz zu prozeduralen Vorgehensweisen zur Beurteilung und Korrektur von Gleichungen herangezogen (Steinweg 2013). Es konnte somit aufgezeigt werden, dass Lernende bereits in der Grundschule durch die Bearbeitung algebraischer Aktivitäten ein zunehmend algebraisches Gleichheitsverständnis entwickeln konnten. In ihrem Projekt „Deutungs- und Argumentationsprozesse bei der Behandlung substanzieller Aufgabenformate im Mathematikunterricht der Grundschule“ (DaruM) erforschten Nührenbörger und Schwarzkopf substanzielle Lernumgebungen, die Lernende zum gemeinsamen Argumentieren über arithmetische Gleichheiten anregen sollten (Nührenbörger & Schwarzkopf 2013a, 2013b, 2014, 2015a, 2015b). Im Kontext des Aufgabenformats „Pluspfeile“ zeigte sich, dass substanzielle Aufgabenformate den Lernenden einen authentischen Anlass zur Auseinandersetzung mit arithmetischen Gleichheiten bieten, indem die Lernenden ins Gespräch über Beziehungen zwischen gleichwertigen Termen kommen. Das Aufgabenformat „Pluspfeile“ bietet den Lernenden dabei durch die Bereitstellung von festgelegten Begriffen zur Beschreibung der einzelnen Objekte und Operationen einen Wortschatz (z.B. Start, Plus- und Zielzahl, Partner-

32

1 Gleichheiten im Mathematikunterricht der Grundschule

pfeil) und damit eine Möglichkeit über strukturelle Beziehungen von arithmetische Gleichheiten sprechen zu können (Nührenbörger & Schwarzkopf 2013a). Ferner konnte festgestellt werden, dass die Lernenden, angeregt durch die Aufgabenstellungen, ihre anfängliche Aufgabe-Ergebnis-Deutung der Gleichheiten weiter zu einer flexiblen, theoretischen Deutung über die Beziehungen der Zahlen entwickelten. So wurden im Kontext des Aufgabenformats „Zahlenmauern“ die Zahlen in den einzelnen Steinen der Zahlenmauern nicht mehr nur als Additionsergebnis der darunterliegenden Steine betrachtet, sondern zunehmend als Objekte, welche die Beziehung der darunterliegenden Steine angeben. Somit konnten operative Veränderungen der Steine auf algebraische Weise erklärt werden. Auch hier zeigt sich, dass Lernende, angeregt durch substanzielle Aufgabenformate, Gleichheiten zunehmend relational verstehen lernen (Nührenbörger & Schwarzkopf 2015a).

1.4 Gleichungen in der Sekundarstufe Ein flexibles Gleichheitsverständnis ist für ein umfassendes arithmetisches Verständnis in der Grundschule unerlässlich. Wie in Kapitel 1.2 erläutert wurde, stammt die Idee eines umfassenden arithmetischen Verständnisses, welches neben Rechenvorgängen ebenso algebraische Denkweisen berücksichtigt, aus den Ideen der elementaren Algebra. In der Sekundarstufe, spätestens nach der Einführung der Variablen, sollten Lernende Gleichheiten nicht mehr im Sinne einer Aufgabe-Ergebnis-Deutung verstehen, sondern sie müssen sie auf relationale Weise deuten. Nur so können sie einen flexiblen Umgang mit Gleichungen und dem Lösen von Gleichungen erlangen. Anders als in den vorherigen Kapiteln wird in diesem Kapitel von „Gleichungen“ anstelle von „Gleichheiten gesprochen, da in der Sekundarstufe die formale Auseinandersetzung mit Gleichungen im Fokus des Lernprozesses steht. Der Einsatz von Variablen und damit der Wechsel von Aussagen hin zu Aussageformen führt dazu, dass die Gleichwertigkeit zweier bzw. mehrerer Terme nicht mehr, wie in der Arithmetik, durch Ausrechnen nachvollzogen werden kann. Während eine Aussage wahr oder falsch sein kann und damit die Gleichheit unmittelbar bestimmbar ist, enthält eine Aussageform keinen Wahrheitsgehalt. Sie ist dann interessant, wenn sie entweder zur Aussage wird, d.h. wenn man Zahlen für die Variablen einsetzt bzw. ermittelt, die die Gleichwertigkeit der Terme garantieren oder wenn die Gleichwertigkeit für alle Zahlen gilt, wenn die Lösungsmenge der Gleichung den gesamten Zahlbereich umfasst. Im Folgenden werden zunächst die Vorstellungen von Lernenden der Sekundarstufe zur Feststellung der Gleichwertigkeit von Termen erläutert, ehe im Anschluss Konsequenzen für den Mathematikunterricht der Grundschule abgeleitet werden. Formale Lösungsverfahren für Gleichungen zur Bestimmung

1.4 Gleichungen in der Sekundarstufe

33

einer Variablen werden aufgrund der geringen Relevanz für die Grundschule nicht weiter ausgeführt.7 1.4.1 Vorstellungen von Lernenden zur Gleichwertigkeit von Termen in der Sekundarstufe Die Gleichwertigkeit von Termen soll in der Sekundarstufe nach dem Prinzip „Inhaltliches Denken vor Kalkül“ gelernt werden. Es sollen zunächst tragfähige inhaltliche Vorstellungen zur Gleichwertigkeit von Termen entwickelt werden, die dann zunehmend schematisiert werden und nach und nach zu einem kalkülhaften Umgang mit gleichwertigen Termen führen (Prediger 2009). Nachdem zunächst kurz das allgemeine Prinzip „Inhaltliches Denken vor Kalkül“ eingeführt wird, wird es im Anschluss auf den Lernprozess zur Gleichwertigkeit von Termen übertragen. Mathematiklernen wird schon lange nicht mehr als „Auswendiglernen“ und „Abarbeiten“ von Formeln verstanden. Vielmehr sollen die Schüler und Schülerinnen mathematisches Verständnis entwickeln, indem sie die zugrundeliegenden mathematischen Inhalte konzeptionell durchdringen und anschließend zunehmend schematisieren. Schematische Abkürzungen durch ein Kalkül sollen erst dann vom Lernenden vollzogen werden, wenn Lernende inhaltliche Vorstellungen aufgebaut und gefestigt haben und sie „selbst ein Bedürfnis nach denkentlastenden Abkürzungen empfinden“ (Prediger 2009, S. 226). Der Lernweg „Inhaltliches Denken vor Kalkül“ meint also zum einen den chronologischen Ablauf des Lernprozesse: Die Schülerinnen und Schüler sollen erst ein tragfähiges inhaltliches Verständnis aufgebaut haben, ehe sie einen kalkülhaften Umgang erlernen. Zum anderen zeigt der Lernweg aber auch noch einmal die Priorität auf, die in der Schule gesetzt werden soll: Es soll in erster Linie ein inhaltliches Verständnis erworben werden, ohne welches ein kalkülhafter Umgang bedeutungslos ist (Prediger 2009). Zunächst stellt sich daher die Frage, wie Lernende in der Sekundarstufe inhaltliche Vorstellungen zur Gleichwertigkeit von Termen entwickeln können.8 Dabei ist folgende Überlegung, die Winter 1982 bereits auch für die Grundschule formuliert hat, zentral: Terme sind dann gleichwertig, wenn es eine andere Einheit, ein bestimmtes Objekt gibt, das durch die Terme repräsentiert wird (Kieran & Sfard 1999). Pilet unterscheidet den Sinn zweier Terme, d.h. ihre Herkunft und somit ihr Aussehen, und ihre Bedeutung, d.h. ihre Referenz. Dabei können Terme ganz unterschiedlich aussehen, aber dieselbe Bedeutung haben, da sie sich auf dasselbe Objekt beziehen (Pilet 2013). Die Terme (a+b)·c und 7

8

Lösungsverfahren für Gleichungen werden bei Malle (1993) und Vollrath (1994) erläutert und diskutiert. Für ausführlichere konstruktive sowie rekonstruktive Überlegungen zum Lerngegenstand „Gleichwertigkeit von Termen“ siehe Zwetzschler 2014.

34

1 Gleichheiten im Mathematikunterricht der Grundschule

a·c+b·c haben einen unterschiedlichen Sinn, sie sehen phänomenologisch unterschiedlich aus, sind aber in ihrer Bedeutung gleich, da sie sich auf dasselbe Objekt beziehen. Sie beschreiben beide den Flächeninhalt eines Rechtecks (für a,b,c >0, Abb. 1.4).

Abbildung 1.4

Flächeninhalt des Rechtecks (a+b)·c = a·c + b·c

Der Term (a+b)·c beschreibt den Flächeninhalt des Rechtecks direkt, der Term a·c+b·c beschreibt den Flächeninhalt des Rechtecks, indem die beiden TeilRechtecke addiert werden. Die Lernenden müssen für ein tragfähiges inhaltliches Verständnis von Gleichwertigkeit die Beziehung zweier (bzw. mehrerer) Terme zu einem Objekt, welches als Referenzobjekt dient, verstanden haben (Zwetzschler 2014). Basierend auf dieser Vorstellung können zwei zentrale inhaltliche Interpretationen unterschieden werden, über die Lernende zunächst verfügen sollten, bevor ein kalkülhafter Umgang mit gleichwertigen Termen angestrebt werden kann. Im Sinne einer Beschreibungsgleichheit 9 „gelten zwei Terme dann als gleichwertig, wenn sie denselben Sachzusammenhang oder dasselbe Bild auf unterschiedliche Weise beschreiben“ (Prediger 2009, S. 229). So beschreiben die beiden oben angeführten Terme (a+b)·c und a·c+b·c dasselbe Bild, und zwar das Rechteck in Abbildung 1.4. Im Sinne einer Einsetzungsgleichheit10 „gelten zwei Terme dann als gleichwertig, wenn sie für jede Kombination eingesetzter Zahlen denselben Wert ergeben“ (ebd., S. 229). Setzt man die Zahlen a=b=c=1 in die Terme ein, ergibt sich für beide Terme der Wert 2, setzt man a=1, b=2 und c=3 ein, ergibt sich für beide Terme der Wert 9. So kann man für jede beliebige Zahlenkombination die Werte der Terme ermitteln und man stellt fest, dass sie für die Grundmenge der reellen Zahlen stets denselben Wert haben. Die zwei Terme sind demnach gleichwertig. Lernende können so durch das Erkunden der Beschreibungs- und Einsetzungsgleichheit ein inhaltliches Verständnis von der Gleichwertigkeit von Termen aufbauen, bevor sie kalkülgeleitete Umformungen durchführen. Durch Umrechnungsprozesse werden die unterschiedlichen Sinne eines Terms sichtbar 9 10

basierend auf dem Gegenstandsaspekt der Variablen (Malle 1993) basierend auf dem Einsetzungsaspekt der Variablen (Malle 1993) 

1.4 Gleichungen in der Sekundarstufe

35

zu derselben Bedeutung überführt. Aus (a+b)·c wird unter Anwendung des Distributivgesetzes a·c+b·c und die gleiche Bedeutung mit dem oberen zweiten Term ist ersichtlich. Bevor Schülerinnen und Schüler derartige Umrechnungen durchführen, ist es wichtig, dass sie vorher durch die Beschreibungs- und Einsetzungsgleichheit ein inhaltliches Verständnis der Gleichwertigkeit von Termen aufgebaut haben. Erst dann sollte die dritte Interpretation gleichwertiger Termen, die Umformungsgleichheit, eingeführt werden (Prediger 2009; Zwetzschler 2014). Wenn die oben beschriebenen inhaltlichen Vorstellungen der Gleichwertigkeit von Termen von den Lernenden entwickelt wurden, „[w]enn man semantisch anspruchsvolle, aber wiederkehrende Denkschritte durch feste Regeln schematisieren kann“, kann ein kalkülhafter Umgang mit Gleichungen angestrebt werden (Fischer, Hefendehel-Hebeker & Prediger 2010, S. 5). Es wird also „möglich, Denkoperationen mit Zahlen und Termen durch rein syntaktische Denkoperationen zu ersetzen, die unabhängig von Interpretationen der Zeichen durch ausschließliche Beachtung festgelegter Regeln vollzogen werden können“ (ebd.). Der Übergang zum Kalkül hat eine stark denkentlastende Wirkung für die Lernenden und stellt daher im Sinne der fortschreitenden Schematisierung, nach dem Aufbau entsprechender tragfähiger inhaltlicher Vorstellungen, einen wichtigen Schritt im Lernprozess zur Gleichwertigkeit von Termen dar. Neben den beiden inhaltlichen Interpretationen gleichwertiger Terme gilt es demnach die Umformungsgleichheit 11 als Kalkül-Interpretation einzuführen. „[Z]wei Terme [gelten] als gleichwertig, wenn sie sich durch Termumformungsregeln ineinander überführen lassen.“ (Prediger 2009, S. 229). Die Umformungsregeln können und sollen von den Lernenden selbst aktiv entdeckt werden, indem sie geeignete Beispiele nutzen, um ihre inhaltlichen Überlegungen zu gleichwertigen Termen zunehmend zu schematisieren (Prediger 2009). Die Umformungsregeln, die für das Erkennen gleichwertiger Terme zentral sind, und die Schwierigkeiten und Fehler, die damit verbunden sind, werden im Folgenden aufgezeigt. Sind tragfähige inhaltliche Vorstellungen zur Gleichwertigkeit von Termen aufgebaut, kann ein zunehmend kalkülhafter Umgang mit diesen erfolgen. Im Sinne der Umformungsgleichheit werden die Terme so umgeformt, dass sie sich ineinander überführen lassen. Aus (a+b)·c wird unter Ausnutzung der distributiven Eigenschaft a·c+b·c. Dabei können Lernende der Sekundarstufe, anders als in der Grundschule, auf einen bekannten Regelvorrat zu Termumformungen zurückgreifen. Dazu gehört das Zusammenfassen einzelner Termbausteine, u.a. auf Grundlage der Reihenfolge der Rechenoperationen (Punkt- vor Strichrechnung, von links nach rechts) sowie das Umformen von Termen aufgrund der Rechengesetze (Kommutativ-, Assoziativ- und Distributivgesetz). Die Regeln werden im Verlauf der Sekundarstufe in allgemeiner 11

basierend auf dem Kalkülaspekt der Variablen (Malle 1993)

36

1 Gleichheiten im Mathematikunterricht der Grundschule

Form bekannt und müssen zur Feststellung der Gleichwertigkeit von Termen aktiviert werden. Der kalkülhafte Umgang ist für die Lernenden kräfteschonender als ein stets inhaltlich basiertes Vorgehen. „[Wird] der Kalkül als Kunst für sich, abgehoben von jeglicher inhaltlicher Bedeutung behandelt“ (Malle 1993, S. 15), kann es fehleranfällig werden, was der folgende empirische Einblick deutlich macht. Lee & Wheeler (1989) fanden heraus, dass einige Lernende Fehler, die sie bei Termumformungen machten, nicht bemerkten, da sie keine inhaltlichen Vorstellungen zur Gleichwertigkeit von Termen entwickelt haben. Die Lernenden formten den Term 5·(c+2) fälschlich zu 5·c·2 um. Als sie dann die Zahl 4 für c in die zwei Terme einsetzten, erhielten sie unterschiedliche Werte. Im Sinne der Einsetzungsgleichheit kann es sich daher nicht um gleichwertige Terme handeln. Das fiel den Lernenden allerdings nicht auf, da sie das Kalkül des Umformens losgelöst von einer inhaltlichen Bedeutung anwandten. Auch Lernenden, die Terme korrekt umformten, kann es an inhaltlichem Verständnis zur Gleichwertigkeit von Termen fehlen (Demby 1997). Viele Lernende konnten in der Untersuchung von Demby die Frage, ob beide Terme beim Einsetzen des gleichen Wertes das gleiche Ergebnis liefern würden, nicht beantworten. 1.4.2 Konsequenzen für die Grundschule Die drei Interpretationsmöglichkeiten zur Gleichwertigkeit von Termen (Beschreibungs-, Einsetzungs-, Umformungsgleichheit) beziehen sich auf Variablenterme und somit auf Lernende der Sekundarstufe. Im Folgenden werden, basierend auf den drei oben angeführten Gleichwertigkeitsinterpretationen, Konsequenzen für die Grundschule abgeleitet. Die erste inhaltliche Interpretation von gleichwertigen Termen, die Beschreibungsgleichheit, gilt auch für Terme in der Grundschule. Analog zu den oben angeführten Termen (a+b)·c und a·c+b·c beschreiben auch die Zahlenterme (3+4)·5 und 3·5+4·5 das gleiche Bild, den Flächeninhalt eines Rechtecks. Während die Variablenterme den Flächeninhalt eines Rechtecks allgemein beschreiben, beschreiben die Zahlenterme den Flächeninhalt eines bestimmten Rechtecks. Die Gleichwertigkeit der Terme kann aber, ebenso wie in der Sekundarstufe, durch das Beschreiben des gleichen Bildes interpretiert werden. Eine weitere Anwendung der Beschreibungsgleichheit findet sich in der Beschreibung des gleichen Sachzusammenhangs durch verschiedene Terme. Folgendes Beispiel zeigt eine im Mathematikunterricht der Grundschule alltägliche Sachsituation, welche durch verschiedene Terme angegeben werden kann: Im Café stehen 7 große Tische. An 5 Tischen sind 6 Stühle und an 2 Tischen 5 Stühle (Wittmann & Müller 2012c). Die Anzahl aller Stühle im Cafè kann durch den Term 5·6+2·5 beschrieben werden. Derselbe Sachzusammenhang kann aber auch, je nach individueller Deutung, durch andere Terme wie zum Beispiel 6·5+5·2, 6+6+6+6+6+5+5 oder 7·5+5 beschrieben werden. Hier zeigt sich die

1.4 Gleichungen in der Sekundarstufe

37

Forderung Winters (1982) für ein algebraisches Verständnis von Gleichheiten, von zwei Darstellungen auf die gemeinsame Gegenstandszuweisung zu abstrahieren. Die Beschreibungsgleichheit stellt somit im Zuge Winters Ausführungen auch für die Lernenden in der Grundschule eine inhaltliche Interpretationsmöglichkeit für die Gleichwertigkeit von Termen dar. Die zweite inhaltliche Interpretation in der Sekundarstufe ist die Einsetzungsgleichheit. Da in der Grundschule keine Variablenterme auftreten, können auch keine Zahlen für Variablen eingesetzt werden und somit kann diese Interpretation, anders als die Beschreibungsgleichheit, nicht direkt übernommen werden. Die Einsetzungsgleichheit besagt, dass Terme dann gleichwertig sind, wenn sie für jede Kombination eingesetzter Zahlen denselben Wert ergeben. Zwar können in Zahlenterme keine Zahlen mehr eingesetzt werden, der Wert der Terme kann aber direkt durch Ausrechnen ermittelt werden. So können die Terme 5·6+2·5 und 6+6+6+6+6+5+5 als gleichwertig interpretiert werden, da sie beide den Wert 40 ergeben. In Anlehnung an die Einsetzungsgleichheit in der Sekundarstufe (Zwetzschler 2014) kann hier von einer Ergebnisgleichheit oder den Ausführungen Winters (1982) entsprechend von einer Aufgabe-ErgebnisDeutung gesprochen werden (s. Kapitel 1.1). Im Zuge der Anbahnung algebraischer Denkweisen ist eine einseitige Interpretation in diesem Sinne jedoch, wie oben ausgeführt, nicht erstrebenswert. Die Ergebnisgleichheit sollte in der Grundschule hingegen durch die Umformungsgleichheit angereichert werden. Diese, hier noch nicht als Kalkül verstanden, lässt die Lernenden strukturelle Vorstellungen zur Ergebnisgleichheit entwickeln. Nicht nur Variablenterme können durch Umformungen ineinander überführt werden, auch Zahlenterme können unter Ausnutzung der Rechengesetze umgeformt werden (s. Kapitel 1.3.2). Da die Rechengesetze Grundschülern noch nicht als formale Regeln zur Verfügung stehen, sondern vielmehr während der Auseinandersetzung mit einer Aufgabe selbst erschlossen werden müssen, kann die Umformungsgleichheit in der Grundschule nicht als KalkülInterpretation betrachtet werden. Daher wird, in Anlehnung an die Begrifflichkeit aus Kapitel 1.3.2, für die Grundschule von einer Umrechnungsgleichheit gesprochen. Die Bezeichnungen der Begriffe zum Verstehen gleichwertiger Terme in der Sekundarstufe lassen sich in leicht abgeänderter Form auf die Vorstellungen von Lernenden in der Grundschule übertragen. Die Begriffe finden sich unter anderen Bezeichnungen insbesondere in den Ausführungen Winters (1982) wieder und wurden in den vorherigen Kapiteln erläutert. Somit knüpfen die Vorstellungen der Lernenden in der Sekundarstufe an die fachdidaktischen Überlegungen zur Gleichheit von Termen in der Grundschule an. Für die vorliegende Arbeit ergeben sich an dieser Stelle keine weiteren Konsequenzen für die Theoriearbeit sowie für die Entwicklung des Lehr-Lern-Arrangement (s. Kapitel 3).

38

1 Gleichheiten im Mathematikunterricht der Grundschule

1.5 Zusammenfassung und Forschungsfragen In diesem Kapitel wurde die Relevanz und die Entwicklung eines algebraischen Gleichheitsverständnisses in der Grundschule erörtert. Viele Lernende weisen, nicht nur in der Grundschule, ein sehr einseitiges Gleichheitsverständnis im Sinne einer Aufgabe-Ergebnis-Deutung auf. Diese Sichtweise ist keinesfalls falsch, führt aber alleine zu einem unflexiblen Gleichheitsverständnis (Kapitel 1.1). Neben diese funktionale Sichtweise muss bereits in der Grundschule eine algebraische Sichtweise auf Gleichheiten treten, bei der die Lernenden Gleichheiten nicht nur als Zuordnung einer Ergebniszahl zu einer Aufgabe verstehen, sondern Beziehungen zwischen Aufgaben in den Blick nehmen. Algebraisches Denken ist Teil eines umfassenden arithmetischen Verständnisses und sollte somit bereits in der Grundschule entwickelt werden (Kapitel 1.2). Zahlreiche Studien zeigen, dass Lernende angeregt durch geeignete Lerngelegenheiten, auf verschiedene Weisen algebraische Denkweisen entwickeln können, auch im Hinblick auf arithmetische Gleichheiten. Winter formuliert drei Gleichheitskonzepte, die Lernende Gleichheiten algebraisch verstehen lassen. Einhergehend damit wurden Anforderungen an die Lernenden aufgeführt, die es beim algebraischen Verstehen von Gleichheiten zu bewältigen gilt (Kapitel 1.3). Das Kapitel schließt mit einem Blick in die Sekundarstufe, in der Terme auf inhaltliche und kalkülhafte Weise als gleichwertig anerkannt werden können (Kapitel 1.4). Während zahlreiche Studien ein fehlendes algebraisches Gleichheitsverständnis bei Lernenden festgestellt haben, gibt es bislang jedoch nur wenige Überlegungen zur Entwicklung eines derartigen Verständnisses. Kaum sind bisher konkrete Lernumgebungen entwickelt und erforscht, die ein algebraisches Gleichheitsverständnis bei Grundschulkindern anregen, sodass sich für die vorliegende Arbeit folgende Forschungsfrage auf konstruktiver Ebene ergibt: Wie können Lernumgebungen gestaltet sein, die die Entwicklung eines algebraischen Gleichheitsverständnisses bei Grundschulkindern anregen? Für die Gestaltung der Lerngelegenheiten erscheinen die Überlegungen zu den Gleichheitskonzepten nach Winter, die Anforderungen, die dabei an die Lernenden gestellt werden und die Interpretationsmöglichkeiten gleichwertiger Terme zentral. Ferner haben einige Untersuchungen zwar gezeigt, dass Lernende in der Grundschule in der Lage sind, ein algebraisches Gleichheitsverständnis zu entwickeln, aber nicht, wie dieser Lernprozess vollzogen wird. Um dieser Frage nachgehen und Lernschritte sowie Hürden und Schwierigkeiten aufzeigen zu können, erscheint zuvor in erster Linie eine weitere Ausschärfung des Begriffes eines algebraischen Gleichheitsverständnisses von Bedeutung. Auf rekonstruktiver Ebene ergibt sich daher weitere folgende Forschungsfrage:

1.5 Zusammenfassung und Forschungsfragen

39

Wie lässt sich ein algebraisches Gleichheitsverständnis charakterisieren? Im Folgenden werden die beiden Forschungsfragen im Zuge theoretischer und methodischer Überlegungen weiter ausgeschärft.

2 Argumentationsprozesse im Mathematikunterricht der Grundschule Im vorangegangenen Kapitel wurde der mathematische Lerngegenstand, die arithmetischen Gleichheiten sowie das Lernziel, die Entwicklung eines algebraischen Gleichheitsverständnisses erläutert. Im Folgenden wird auf Grundlage der obigen Erkenntnisse zu der Frage, was gelernt werden soll, der Frage, wie dies gelernt werden soll, nachgegangen. Dazu werden zunächst einige lerntheoretische Grundlagen dargelegt (Kapitel 2.1), ehe im Anschluss daran theoretische Überlegungen zur mathematischen Argumentation vorgestellt werden (Kapitel 2.2). Am Ende des Kapitels wird der Bezug und die Bedeutung der vorherigen Ausführungen zum Lerngegenstand der vorliegenden Arbeit erörtert (Kapitel 2.3).

2.1 Lernen und Interaktion Lernen bezeichnet im allgemeinen Sprachgebrauch den Prozess der Wissensaneignung und des Erwerbs unterschiedlicher Fähig- und Fertigkeiten, welcher Änderungen im individuellen Verhalten erzeugt (Dudenredaktion 2011; s. auch Lefrançois 2006; Miller 2006). Mathematiklernen bezeichnet folglich mathematische Wissensaneignung und die Erlangung mathematischer Fähig- und Fertigkeiten, um mathematische Aufgaben- und Problemstellungen bewältigen zu können. Aber wie können Kinder mathematisches Wissen sowie Fähig- und Fertigkeiten erwerben? Wie lernen Kinder (im Mathematikunterricht)? In Kapitel 2.1.1 werden die drei bekanntesten Lehr-Lern-Theorien, Behaviorismus, Kognitivismus und Konstruktivismus, vorgestellt. Ausgehend von einer konstruktivistischen Perspektive auf Lernen wird in Kapitel 2.1.2 das didaktische Prinzip des aktiv-entdeckenden Lernens im Mathematikunterricht erläutert. Daran anschließend gibt Kapitel 2.1.3 einen Überblick über unterschiedliche Lernformen nach dem Soziologen Miller, ehe daraufhin die besondere Bedeutung der Interaktion im Zuge von Lernprozessen herausgearbeitet wird (Kapitel 2.1.4). 2.1.1 Lehr-Lern-Theorien Lernen kann auf unterschiedliche Weise beschrieben und erklärt werden. Die drei einflussreichsten Auffassungen über Lernen lassen sich in folgende Lerntheorien unterteilen: Behaviorismus, Kognitivismus und Konstruktivismus. Während der Behaviorismus sich stark von den anderen beiden Theorien unter© Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2019 C. Mayer, Zum algebraischen Gleichheitsverständnis von Grundschulkindern, Dortmunder Beiträge zur Entwicklung und Erforschung des Mathematikunterrichts 38, https://doi.org/10.1007/978-3-658-23662-5_2

42

2 Argumentationsprozesse im Mathematikunterricht der Grundschule

scheidet, sind kognitive und konstruktivistische Lerntheorien eng miteinander verwoben. Unter Behaviorismus wird die Wissenschaft von menschlichem Verhalten verstanden (engl. "behaviour“=Verhalten). Dabei wird sich auf die beobachtbaren Aspekte menschlichen Verhaltens beschränkt, mentale Prozesse und Strukturen wie Gedanken und Emotionen werden nicht berücksichtigt (Friedrich 1979; Lefrançois 2006). Zu den einflussreichsten Vertretern des Behaviorismus zählen unter anderem I.P. Pawlow, B.F. Skinner und J.B. Watson (Lefrançois 2006; Mietzel 2007). In ihren zahlreichen Forschungsbeiträgen stellen sie heraus, dass Lernen im behavioristischen Sinne als Verbindung eines Reizes mit einer bestimmten Reaktion verstanden wird. Ein Reiz, auch Stimulus genannt, wird als Auslöser einer bestimmten Verhaltensweise betrachtet. Die vom Individuum darauf folgende Verhaltensweise stellt die Reaktion auf den zuvor stattgefundenen Reiz dar. Im Behaviorismus wird versucht, Regeln zu finden, welche die Beziehung zwischen Reiz und Reaktion beschreiben und dadurch Lernen erklären. Das Ziel einer behavioristischen Lerntheorie ist demnach die Vorhersage und damit einhergehende Kontrolle menschlichen Verhaltens. Es soll vorausgesagt werden, welche Reaktion auf einen bestimmten Reiz folgt bzw. welcher Reiz einer bestimmten Reaktion vorausgeht (Friedrich 1979; Lefrançois 2006; Mietzel 2007). Für institutionelles Lernen bedeutet dies, dass der Lernende eher als passives Objekt gesehen wird. Der Lehrer gibt einen Reiz aus und erwartet eine bestimmte Reaktion der Schülerinnen und Schüler. Auf diese Weise kann ein fragend-entwickelnder Unterricht entstehen, in dem der Lehrer ein kleinschrittiges Vorgehen nutzt, um die Lernenden sukzessiv zu einem bestimmten Lernziel heranzuführen. Lernen findet dann fast ausschließlich durch Belehrung statt. Der Lehrer erklärt, bietet den Stoff dar, vermittelt Wissen (Mietzel 2007; Wittmann & Müller 1994a). Eine andere Auffassung von Lernen als der Behaviorismus stellt der Kognitivismus dar. Gemäß dieser Lerntheorie werden Individuen als Wesen verstanden, die Informationen verarbeiten. Lernen wird damit als „Wechselspiel zwischen personeninternen und umweltbezogenen Elementen“ angesehen (Konrad 2014, S. 15f.). Die Informationsverarbeitung erfolgt durch die individuelle Kognition, worunter alle mentalen Prozesse und Strukturen eines Individuums, wie z.B. Gedanken und Meinungen, verstanden werden können (ebd.). Anders als im Behaviorismus fasst die kognitive Lerntheorie den Lerner nicht als „Black Box“ auf, der auf einen Reiz eine Reaktion zeigt. Stattdessen wird davon ausgegangen, dass der Lernende äußere Einwirkungen aktiv verarbeitet und auf diese Weise lernt. Eng angelehnt an die kognitive Perspektive auf das Lernen lässt sich die konstruktivistische Lerntheorie beschreiben. Lernen wird im Konstruktivismus als ein „konstruktiver und selbstgesteuerter Prozess“ verstanden, „der vom Ler-

2.1 Lernen und Interaktion

43

nenden eine aktive Wissenskonstruktion fordert“ (Konrad 2014, S. 18). Wissen wird stets als vom Lernenden konstruiert betrachtet. „Erkenntnis und Wissen beruhen auf keiner Abbildung einer »gegebenen« ontologischen Wirklichkeit, sondern auf der verknüpfenden und deutenden Aktivität bedeutungsbildender Subjekte.“ (Reusser 2006, S. 152) „Individuen reagieren nicht auf die objektive Welt, sondern bilden eine subjektive Realität ab, die auf individuellen Konstruktionen und Interpretationen der Welt basiert.“ (Konrad 2014, S. 16)

Das Individuum nimmt Informationen aus seiner Umwelt auf und verarbeitet diese unter Inanspruchnahme seines individuellen Vorwissens auf sinnvolle Weise. Eine Konstruktion neuen Wissens erfolgt somit immer in Abhängigkeit von bereits erworbenem Wissen (Konrad 2014; Mietzel 2007). Lernen ist zudem ein selbstgesteuerter Prozess. Der Lernende beeinflusst seinen individuellen Lernprozess, da er das zu erwerbende Wissen selbst konstruiert. Ferner fordert ein Lernprozess eine aktive Beteiligung des Lernenden. Da dieser, anders als im behavioristischen Verständnis von Lernen, das zu erwerbende Wissen nicht durch eine bestimmte Reiz-Reaktions-Verbindung auferlegt bekommt, sondern eigenständig konstruiert, bedarf es einer aktiven (statt einer passiven) Einbindung des Lernenden. Lernmotivation und Interesse stellen daher eine wichtige Komponente für den Lernerfolg dar (Konrad 2014). Piaget (1975) differenziert zwei Prozesse, durch die das Individuum aktiv neues Wissen konstruiert: die Assimilation und die Akkomodation. Unter Assimilation wird die „Einverleibung einer aktuellen Gegebenheit in ein vorliegendes Schema“ verstanden (Piaget 1975, S. 53). Das Individuum integriert neue Informationen in bereits bestehende Schemata12 und erweitert diese im Hinblick auf die neuen Informationen (Mietzel 2007; Sodian 2008). Lernen im Sinne der Entstehung neuer Verhaltensschemata findet somit statt, indem alte Schemata durch die Aufnahme neuer Informationen ausgebaut werden (Piaget 1975). Unter einer Akkomodation hingegen wird der Prozess verstanden, in dem „[d]ie Verhaltensschemata [...] in Abhängigkeit vom Gegenstand differenziert [werden]“ (ebd., S. 181). Das Individuum verändert die bestehende Wissensstruktur, um neue Informationen integrierbar und nutzbar zu machen. Vorhandene Strukturen werden als Reaktion auf Umweltanforderungen angepasst (Sodian 2008). Während bei der Assimilation die neuen Informationen kompatibel mit den bereits bestehenden Schemata sind und nur noch integriert werden müssen, werden bei der Akkomodation diese Schemata umstrukturiert, um eine Integration neuer Informationen möglich zu machen. Eine Akkomodation findet demnach bei erfolgloser Assimilation und damit häufig einhergehend dem Auftreten eines kognitiven Konfliktes statt (Spiegel, Ernst & Schmelter 1999; s. Kapitel 12

Bei einem Schema „handelt es sich um eine grundlegende Wissenseinheit, die das Ergebnis von Erfahrungen durch bestimmte Aktivitäten oder mit bestimmten Objekten in geordneter Weise zusammenfasst“ (Mietzel 2007, S. 84)

44

2 Argumentationsprozesse im Mathematikunterricht der Grundschule

2.2.3). Das gleichgewichtige Wechselspiel der beiden Prozesse Assimilation und Akkomodation nennt Piaget Äquilibration. Es ermöglicht eine Veränderung im Denken des Individuums. Auf diese Weise kann Lernen im Sinne des Konstruktivismus stattfinden (Lefrançois 2006; Mietzel 2007). Für institutionelles Lernen bedeutet dies, anders als einer behavioristischen Lerntheorie zufolge, dass der Lernende als aktives Subjekt aufgefasst wird, dem Gelegenheiten geboten werden müssen, den Lerninhalt zu erkunden und zu entdecken. Reusser (2006) fasst die Vorteile einer konstruktivistisch ausgerichteten Lehr-Lernauffassung in der Schule wie folgt zusammen: „Je aktiver und selbstmotivierter, je problemlösender und dialogischer, aber auch je bewusster und reflexiver Wissen erworben resp. (ko-)konstruiert wird, desto besser wird es verstanden und behalten (Transparenz, Stabilität), desto beweglicher kann es beim Denken und Handeln genutzt werden (Transfer, Mobilität) und als desto bedeutsamer werden die mit dessen Erwerb verbundenen Lernerträge erfahren (Motivationsgewinn, Zugewinn an Lernstrategien, Selbstwirksamkeit)“ (Reusser 2006, S. 159)

Wird Lernen als aktiver Prozess verstanden, in dem der Lerner sein Wissen selbstständig konstruiert, so wird schnell deutlich, dass Lernprozesse individuell unterschiedlich verlaufen. Folglich nimmt der Austausch mit anderen Lernenden eine wichtige Rolle ein, da auf diese Weise die individuell unterschiedlichen Konstruktionsprozesse weiterentwickelt werden können (Mietzel 2007). Diese besondere Bedeutung einer sozial-konstruktivistischen Sichtweise wird in Kapitel 2.1.4 detaillierter herausgestellt. Im folgenden Kapitel wird auf das institutionelle Lernen im Mathematikunterricht im Sinne des Konstruktivismus näher eingegangen. 2.1.2 Aktiv-entdeckendes Lernen im Mathematikunterricht Die konstruktivistische Sichtweise ist auch im Mathematikunterricht der Primarund Sekundarstufe das zentrale Leitbild mathematischen Lehrens und Lernens (z.B. Winter 1989). Ausgehend von diesem Verständnis von Lernen entwickelte sich vor einigen Jahrzenten eine Grundposition, die Mathematiklernen als aktiventdeckenden Prozess beschreibt und als eben dieser ist es seit 1985 auch im Lehrplan verankert: „Den Aufgaben und Zielen des Mathematikunterrichts und dem Wesen der Mathematik wird in besonderer Weise eine Konzeption gerecht, in der das Mathematiklernen durchgängig als konstruktiver, entdeckender Prozess verstanden wird.“ (Ministerium für Schule und Weiterbildung NRW 2012, S. 55)

Das aktiv-entdeckende Lernen wird neben allgemeinen lernpsychologischen Grundlagen (s. Kapitel 2.1.1) sowie gesellschaftspolitischen Anforderungen, insbesondere dem Wesen der Mathematik gerecht und ist somit vor allem für den Mathematikunterricht vom Fach aus begründet (Wittmann 1995). „Mathematik ist keine Menge von Wissen. Mathematik ist eine Tätigkeit, eine Verhaltensweise, eine Geistesverfassung [...] Eine Geisteshaltung lernt man aber nicht, indem einer einem schnell erzählt,

2.1 Lernen und Interaktion

45

wie er sich zu benehmen hat. Man lernt sie im Tätigsein, indem man Probleme löst, allein oder in seiner Gruppe – Probleme, in denen Mathematik steckt.“ (Freudenthal 1982, S. 140f.)

Da Mathematik, wie Freudenthal formuliert, nicht als Summe einer Anzahl von Wissenselementen verstanden werden kann, sondern als Tätigkeit, als Aktivität, so erfordert das Erlernen dieser entsprechend auch eine aktive Auseinandersetzung des Lernenden mit ihr. Der Lernende muss Mathematik selber ausüben, aktiv entdecken, um sie zu lernen. Als mathematische Tätigkeit kann im Allgemeinen die „mathematische Beschreibung von problemhaltigen Situationen“, das „Entdecken und Begründen von Beziehungen“ sowie die „mündliche und schriftliche Mitteilung der Lösungswege und Ergebnisse“ verstanden werden (Wittmann 1995, S. 13). Mathematik als Wissenschaft von den Mustern (Devlin 1998) gilt hierbei als Leitmotiv, welches aus dem Fach heraus zu derartigen Tätigkeiten anregt. Mathematische Muster können erforscht, beschrieben, dargestellt, begründet, fortgesetzt oder erzeugt werden und auf viele verschiedene weitere Weisen zur aktiven Auseinandersetzung des Lernenden mit Mathematik beitragen. Entgegen der traditionellen Sichtweise auf Mathematiklehren und -lernen erarbeiten sich die Schülerinnen und Schüler im aktiv-entdeckenden Mathematikunterricht selbstständig bestimmte Fertigkeiten, Wissenselemente und Lösungsstrategien statt vorgeformtes, fertiges Wissen zu übernehmen. Dies geschieht im Sinne des Spiralprinzips, welches eine stufenübergreifende Perspektive auf Mathematik und den Mathematikunterricht einnimmt. Lerngegenstände, Fertigkeiten und Strategien werden auf verschiedenen Entwicklungsstufen (erneut) aufgegriffen, umstrukturiert und immer wieder neu interpretiert. Damit ist Mathematiklernen kein streng gestufter und linearer Prozess, der nach dem Prinzip der „kleinen und kleinsten Schritte“ verläuft, sondern ein komplexer und herausfordernder Prozess, der sich in großzügige Lernabschnitte gliedern lässt. Diese ermöglichen dem Lernenden Sinnzusammenhänge zu erkennen und zu nutzen und bieten gleichzeitig die Möglichkeiten, verschiedene Aufgaben auf unterschiedlichen Schwierigkeitsniveaus zu bearbeiten (Spiegel & Selter 2003; Wittmann & Müller 1994a; Wittmann 1995, 2003). Einhergehend mit einer Auffassung von Mathematiklernen als aktiventdeckender Prozess verändert sich auch die Sichtweise auf Mathematiklehren. Der Lehrende bietet den Stoff nicht mehr nur dar, vermittelt ihn oder bringt ihn den Schülerinnen und Schülern bei, sondern regt zur aktiven Auseinandersetzung mit dem Stoff an, organisiert die Schüleraktivitäten und schafft entsprechende Voraussetzungen sowohl im Zuge der äußeren als auch der inhaltlichen Rahmenbedingungen. Lehren bedeutet in diesem Zusammenhang, „Lernprozesse zielbewusst anzuregen“ (Spiegel & Selter 2003, S. 54). Aktiv-entdeckendes Lernen beinhaltet unweigerlich die Tatsache, Fehler zu machen, da die Lernenden bei einer selbstständigen Auseinandersetzung mit

46

2 Argumentationsprozesse im Mathematikunterricht der Grundschule

dem Stoff nicht ausschließlich fehlerfreie Wege einschlagen. Ein konstruktiver Umgang mit Fehlern ist daher auch im Lehrplan verankert: „Fehler gehören zum Lernen. Sie sind häufig Konstruktionsversuche auf der Basis vernünftiger Überlegungen und liefern wertvolle Einsichten in die Denkweisen der Schülerinnen und Schüler.“ (Ministerium für Schule und Weiterbildung NRW 2008, S. 55)

Lehrende sollen falsche Lösungswege der Lernenden nicht versuchen zu vermeiden, sondern bewusst thematisieren, um sie für den weiteren Lernprozess konstruktiv nutzbar zu machen. Folgerungen für die vorliegende Arbeit Der vorliegenden Arbeit liegt eine konstruktivistische Perspektive auf Lernen zugrunde, die davon ausgeht, dass Mathematiklernen als aktiv-entdeckender Prozess verstanden wird. Die Mathematik als Wissenschaft von Mustern und Strukturen bietet aus dem Fach heraus die aktive Auseinandersetzung des Lernenden mit der Sache. So bieten auch die zugrundeliegenden mathematischen Strukturen im Kontext von arithmetischen Gleichheiten den Lernenden Ausgangspunkte für aktive Entdeckungsprozesse. Da die Lernenden Wissen nicht nur additiv erwerben sollen, sondern dieses auch verstehen, behalten und insbesondere vernetzen sollen, ist nach Reusser (2006) eine konstruktivistische Sichtweise auf Lernen grundlegend. 2.1.3 Formen des Lernens nach Miller In Kapitel 2.1.1 wurde beschrieben, dass neues Wissen immer in Abhängigkeit von bereits vorhandenem Wissen konstruiert wird. Im Folgenden wird dieses Abhängigkeitsverhältnis aufgegriffen und im Zuge der soziologischen Lerntheorie nach Miller (1986, 2006) ausdifferenziert, um das für die vorliegende Arbeit anzustrebende Lernmedium zu spezifizieren. Lernen ist stets an den individuellen Wissensbestand des Lernenden gebunden. Neues Wissen knüpft an das bereits Bekannte an. Zum einen kann durch das neue Wissen der bereits bestehende Wissensvorrat um zusätzliche Informationen erweitert werden. Somit erhöht sich der Wissensvorrat des Einzelnen, er kumuliert, sodass der Lernende ein zunehmend größer werdendes Repertoire an Informationen besitzt, mit Hilfe derer er agieren kann. Das Individuum kann dann „relativ zu einem in der Entwicklung jeweils erreichten Wissenssystem im Hinblick auf eine potenziell infinite Anzahl von einzelnen Problemfällen erfolgreiches Problemlöseverhalten praktizier[en]“ (Miller 1986, S. 141). Lernen, bei dem das neue Wissen den alten Wissensbestand erweitert, wird daher als kumulatives oder relatives Lernen bezeichnet (Miller 2006, 1986)13. Neues Wissen 13

In der mathematikdidaktischen Forschung wird häufig der Begriff „relatives Lernen“ verwendet (z.B. Nührenbörger & Schwarzkopf 2010b; Nührenbörger 2015; Schwarzkopf 2000, 2003, 2015).

2.1 Lernen und Interaktion

47

kann das Alte jedoch nicht nur erweitern, es kann ebenso dazu führen, dass der bereits bestehende Wissensvorrat sowohl ausgebaut als auch umstrukturiert wird. Die Konstruktion neuen Wissens führt dann zu einer „Veränderung der gesamten Methodologie“, zu einer „Reorganisation von Wissenssystemen“ (Miller 1986, S. 141). Diese Lernform bezeichnet Miller als strukturelles Lernen (Miller 2006). Das neue Wissen lässt sich ebenso durch die Art der Anknüpfung an bereits bekanntes Wissen und die damit verbundenen Lernformen, relatives oder strukturelles Lernen, differenzieren: Relatives Lernen zielt auf die Aneignung von „anwendungsbezogenem Wissen“, strukturelles Lernen auf die Aneignung von „Basistheorien“ (Miller 1986, S. 140). Diese Differenzierung soll im Folgenden exemplarisch anhand des mathematischen Lerngegenstandes der arithmetischen Gleichheiten erläutert werden. Lernende können sich im Kontext von Gleichheiten empirisches Wissen aneignen, indem sie einzelne gleichwertige Aufgaben erlernen. Relatives Lernen findet dann statt, wenn sie zu bisher gelernten Aufgaben weitere gleichwertige Aufgaben erlernen, die dann in ihrem Wissensvorrat gespeichert sind, die sie abrufen und erfolgreich lösen können. So können die Lernenden beispielsweise die Aufgaben 10+10=20 und 15+5=20 als gleichwertige Aufgaben erlernt haben, da sie wissen, dass das Ergebnis beider Aufgaben 20 ist. Die Lernenden eignen sich so anwendungsbezogenes Wissen an, da sie eine zunehmende Anzahl an Aufgaben korrekt anwenden können (Miller 1986). So können sie hier viele verschiedene Aufgaben mit dem Ergebnis 20 erlernen. Lernen zielt hingegen auf die Aneignung von Basistheorien ab, wenn neue gleichwertige Aufgaben nicht nur zu einer Zunahme an korrekt gelösten Einzelfällen führen, sondern in Beziehung zu den bereites bekannten Aufgaben betrachtet werden. Als sogenannte Basistheorien werden „grundlegende theoretische Prämissen eines Wissenssystems“ bezeichnet (ebd., S. 141). Im Kontext der arithmetischen Gleichheiten sind derartige theoretische Prämissen beispielsweise die algebraischen Rechengesetze, auf Grundlage derer sich Aufgaben in andere gleichwertige Aufgaben überführen lassen und somit in Beziehung zueinander stehen. Werden die Aufgaben 10+10=20 und 15+5=20 gelernt, sodass das korrekte Ergebnis bestimmt werden kann, wurde anwendungsbezogenes Wissen angeeignet und damit relativ gelernt. Werden die Aufgaben zueinander in Beziehung gesetzt, 10+10=10+(5+5)=(10+5)+5=15+5, werden Basistheorien, wie das im Beispiel inhärente Gesetz der Assoziativität, angewendet und somit implizit angeeignet und dabei strukturell erlernt. Während sich die bisherigen Ausführungen darauf beziehen, was gelernt werden soll, kann ferner, in Abhängigkeit davon, differenziert werden, wie gelernt werden soll. Soll relativ gelernt werden, so braucht der Lernende Informationen, um sein bisheriges empirisches Wissen um neue Fakten zu ergänzen. Die Informationen erwachsen aus der natürlichen und sozialen Umwelt des Lernen-

48

2 Argumentationsprozesse im Mathematikunterricht der Grundschule

den und stehen diesem daher nahezu unbegrenzt zur Verfügung (Miller 2006). Die Informationsbeschaffung kann in einem monologischen Lernprozess erfolgen, in dem die Interaktion mit anderen nicht zwingend erforderlich sein muss. Lediglich das Vorhandensein bestimmter grundlegender Wissensstrukturen ist bei einem relativen Lernprozess Voraussetzung für erfolgreiches Lernen. So muss der Lernende im obigen Beispiel eine Vorstellung der Addition entwickelt haben, um entsprechende Additionsaufgaben als eben diese zu erkennen. Das Berechnen der Aufgaben kann dann in einem monologischen, d.h. alleinigen Lernprozess erfolgen. Anderes erfordert ein struktureller Lernprozess, welcher weitaus schwieriger zu realisieren ist als ein relativer Lernprozess (Schwarzkopf 2003). Soll strukturell gelernt werden, muss das neue Wissen ebenso wie bei einem relativen Lernprozess an das bereits bekannte Wissen anknüpfen und es erweitern, es jedoch gleichzeitig strukturell überschreiten, sodass das bisherige Wissen umstrukturiert wird, indem grundlegende Erkenntnisse, sogenannte „Basistheorien“, hinterfragt und neu geschaffen werden. Dieses Paradoxon wirft die Frage auf, wie ein struktureller Lernprozess von einem Individuum vollzogen werden kann. „Wie kann ein lernendes Subjekt aufgrund von Erfahrungen von seinem alten Wissen zu einem neuen Wissen gelangen, welches auf seinem alten Wissen basiert, es aber dennoch auf einer strukturell fortgeschritteneren Stufe transzendiert?“ (Miller 2006, S. 213)

Um seine grundlegenden theoretischen Prämissen zu hinterfragen und so sein bisheriges Wissen umzustrukturieren, bedarf es offenbar eines Umstandes, in dem der Lernende seine individuellen Überlegungen um weitere externe, möglicherweise widersprüchliche Gedanken ergänzt. Es bedarf einen „Kontext der Entdeckung neuer Überzeugungen“ (Miller 2006, S. 216). Neue Überzeugungen können dazu führen, dass das Individuum das bisher Bekannte auf neue Weise betrachtet. Miller charakterisiert das autonome Lernen als Subform des strukturellen Lernens, bei dem es dem Lernenden gelingt, in monologischer Form neue Überzeugungen zu generieren und somit Basistheorien zu hinterfragen, zu modifizieren oder zu entwickeln (Miller 1986). Autonomes Lernen stellt sich als anspruchsvolles und in der Entwicklung eines Individuums erst zu einem späteren Zeitpunkt erreichtes Ziel dar (ebd.). Insbesondere Kinder haben die Fähigkeit, ihre eigenen Erkenntnisse zu reflektieren und auf theoretische Weise nach neuen Überzeugungen zu suchen, häufig noch nicht entwickelt. Hier bedarf es explizit der Interaktion mit Anderen, um neue Überzeugungen nicht nur hypothetisch, sondern konkret zu fassen. Daraufhin kann das Individuum sein bisheriges Wissen (mit Blick auf neue Überzeugungen) umstrukturieren und zu einem strukturell fortgeschritteneren Wissen gelangen. Hier erfordert es demnach „diskursive Kontexte der Entdeckung neuer Überzeugungen“ (Miller 2006, S. 216). In Gesprächen mit anderen Kindern oder Erwachsenen kann sich ein „Netzwerk möglicher Gedanken oder Teilargumente [entwickeln], die zwischen entgegengesetzten Ansichten, zwischen

2.1 Lernen und Interaktion

49

These und Antithese, vermitteln und sie eventuell sogar in Einklang bringen“ (ebd., S. 216). Strukturelles Lernen, das in dialogischer Form, d.h. in der Interaktion mit Anderen, vollzogen wird, bezeichnet Miller als fundamentales Lernen (Miller 1986). Die oben ausgeführten Lernformen lassen sich in Hinblick auf den zu lernenden Inhalt sowie die benötigte Gesprächsform zusammenfassend wie folgt darstellen: Tabelle 2.1 Drei unterschiedliche Formen des Lernens (Miller 1986, S. 140)

Aneignung von Basistheorien Aneignung von anwendungsbezogenem Wissen

monologisch

dialogisch

autonomes Lernen

fundamentales Lernen

relatives Lernen

Folgerungen für die vorliegende Arbeit Mit Blick auf die obigen Ausführungen steht in der vorliegenden Arbeit die Anregung fundamentaler Lernprozesse im Fokus. Die Schülerinnen und Schüler sollen ein algebraisches Gleichheitsverständnis entwickeln, indem sie Terme in ihrer Beziehung zueinander betrachten (s. Kapitel 1). Dazu gehört die Entwicklung von Basistheorien wie beispielsweise die Einsicht in die algebraischen Rechengesetze. Relative Lernprozesse reichen nicht aus, um das angestrebte Lernziel zu erreichen. Die Lernenden sollen nicht nur eine zunehmende Anzahl gleichwertiger Terme erlernen, sondern insbesondere die zugrundeliegende mathematische Struktur als Grund der Gleichwertigkeit erkunden und verstehen. Ferner ist davon auszugehen, dass strukturelle Lernprozesse von den an der Arbeit beteiligten Grundschulkindern noch nicht autonom vollzogen werden können. Es bedarf daher der Interaktion mit anderen, um strukturell fortgeschrittenere Einsichten zu erlangen. 2.1.4 Die Entwicklung mathematischen Wissens in der Interaktion „Nur in der sozialen Gruppe und aufgrund der sozialen Interaktionsprozesse zwischen den Mitgliedern einer Gruppe kann das einzelne Individuum jene Erfahrungen machen, die fundamentale Lernschritte ermöglichen.“ (Miller 1986, S. 21)

Fundamentale Lernprozesse entstehen durch die Interaktion mit Anderen. Daher wird zunächst eine interaktionstheoretische Perspektive auf mathematisches Lernen eröffnet, die dann mit Blick auf mathematische Argumentationen spezifiziert wird.

50

2 Argumentationsprozesse im Mathematikunterricht der Grundschule

Anknüpfend an die erweiterten lerntheoretischen Überlegungen dieser Arbeit kann Lernen nicht nur als konstruktiver Prozess verstanden werden, sondern darüber hinaus auch als soziales Geschehen (z.B. Miller 1986; Steinbring 2000). Aus einer sozial-konstruktivistischen Sichtweise, welche dieser Arbeit zugrunde liegt, wird Lernen als Prozess gemeinsamer Wissenskonstruktion verstanden. Diese Sichtweise knüpft damit gleichzeitig an die Überlegungen nach Miller an (s. Kapitel 2.1.3), der für eine bestimmte Lernform, das fundamentale Lernen, Interaktionen als unerlässlich einschätzt. Einem konstruktivistischen Lernverständnis entsprechend konstruiert der Lernende sein Wissen selbstständig. Da dieser Konstruktionsprozess ein individueller Vorgang ist, sind auch Lernprozesse individuell unterschiedlich. „Was der eine Schüler lernt, unterscheidet sich höchstwahrscheinlich von dem, was ein anderer Schüler lernt, auch wenn beide die gleiche Aktivität ausführen, weil Lernende vor dem Hintergrund ihres Vorwissens die Informationen verändern, die auf sie einwirken. Deshalb ist es wichtig, dass sie sich gegenseitig darüber informieren, was sie jeweils auf der Grundlage ihrer Erfahrungen konstruiert haben.“ (Mietzel 2007, S. 47)

Erst in der Interaktion mit anderen erhält ein Schüler oder eine Schülerin die Möglichkeit, weitere und weiterführende Deutungen einer Situation zu erfahren und somit seine individuelle Wissenskonstruktion zu reflektieren und ggf. zu modifizieren. Durch die Konfrontation mit fremden Sichtweisen der anderen Interaktionsteilnehmer kann der Schüler bzw. die Schülerin die eigene Sichtweise ausdifferenzieren (Nührenbörger & Schwarzkopf 2010b). Dadurch kann der Einzelne sein Wissen nicht nur erweitern, sondern – im Sinne Millers – strukturell überschreiten. „Der Austausch unterschiedlicher individueller Sichtweisen gestattet es Lernenden, sich gemeinsam ein tieferes Verständnis zu erarbeiten, zu dem sie wahrscheinlich allein nicht vorgedrungen wären“ (Mietzel 2007, S. 48 nach Greeno et al. 1996)

Die Erarbeitung eines „tieferen Verständnisses“ ist - sofern der Lernende noch kein autonomer Lernender ist (Miller 1986) - nur im interaktiven Austausch möglich. Für strukturelle Lernprozesse bei nicht-autonomen Lernenden – i.d.R. zählen Grundschulkinder zu diesen – bedarf es der Interaktion mit anderen. Nach Miller (1986, 2006) können so fundamentale Lernprozesse stattfinden. Während bisher herausgestellt wurde, dass sich ein fundamentaler Lernprozess nur im Zuge der Interaktion entwickelt, sollen folgende Ausführungen nun eine Antwort auf die Frage geben, wie in der Interaktion gemeinsam Wissen konstruiert wird. Dazu wird zunächst eine interaktionstheoretische Perspektive nach Krummheuer (1984) und Krummheuer & Voigt (1991) in Anlehnung an den symbolischen Interaktionismus eingenommen. Dieser basiert, wie bereits oben angesprochen, auf der Annahme, dass jedes Individuum die Wirklichkeit um sich herum anders wahrnimmt. Sie ist demnach nicht gesetzt, sondern wird individuell und subjektiv gedeutet (Krummheuer & Fetzer 2005). Dieser „subjektive Prozess des Deutens“ (Krummheuer 1984, S. 286) wird als Situationsde-

2.1 Lernen und Interaktion

51

finition beschrieben. Jeder Einzelne - in der Schule jeder Schüler, jede Schülerin und jeder Lehrer, jede Lehrerin - deutet und interpretiert (mathematische) Geschehnisse auf eine andere Art und Weise. Es erfolgt eine Sinnzuschreibung der Situation, welche stets subjektiv ist. Die jeweilige Situationsdefinition erfolgt aufgrund individueller Deutungsmuster, die jeder Lernende im Laufe der Zeit und im Zuge unterschiedlicher Erfahrungen entwickelt. Der Erfahrungsreichtum eines Lernenden legt die Rahmung fest, unter welcher eine aktuelle Situation gedeutet wird (Krummheuer 1984). Unterschiedliche Situationsdefinitionen entstehen, da sich erstens die Beteiligten die Bedeutung der Situation individuell konstruieren und diese Konstruktion aufgrund ihrer individuellen Rahmung vollziehen und zweitens die zu deutenden Objekte nicht nur eine Interpretation zulassen, sondern Spielraum für verschiedene Deutungen bereitstellen. Jedes Objekt und jedes Geschehnis in der Interaktion ist dabei zunächst mehrdeutig (Voigt 1994). So können mathematische Objekte wie Bilder (Voigt 1990), Diagramme (Steinbring 1994), figurierte Darstellungen (Nührenbörger & Schwarzkopf 2010c) oder die Gleichheit von Termen (Nührenbörger & Schwarzkopf 2013b) per se nicht nur auf eine bestimmte Weise gedeutet und interpretiert werden. Sie bieten stets die Möglichkeit, unterschiedliche Interpretationen zuzulassen, sodass es dann zu einer Aushandlung der mathematischen Bedeutung der Objekte kommen kann. Die Mehrdeutigkeit der Objekte kann dabei als „Chance“ betrachtet werden, gemeinsam „ins Gespräch zu kommen“ (Nührenbörger 2009b, S. 98). Sie bietet das Potenzial für einen wechselseitigen Austausch und somit für individuelle Um- und Neudeutungen und kann zur Anregung mathematischer Gespräche genutzt werden (Nührenbörger 2009b, Nührenbörger & Schwarzkopf 2010c). In einer Interaktion kommt es zu einem wechselseitigen Austausch der Situationsdefinitionen. Jeder Beteiligte macht deutlich, wie er das Geschehen interpretiert und erfährt von den anderen Beteiligten mitunter auch andere Deutungsmöglichkeiten (Krummheuer 1984). Diese können ähnlich zu der eigenen Deutung sein, sie erweitern, ergänzen oder aber (zunächst) konträr dazu stehen. Insbesondere konträre Deutungen führen zu einer Reflexion der eigenen Deutung und ermöglichen individuelle Um- und Neudeutungen des mathematischen Wissens und damit fundamentale Lernchancen (Brandt & Nührenbörger 2009) Im Zuge der Bedeutungsaushandlung der an der Interaktion Beteiligten kann ein Arbeitsinterim hergestellt werden. Die individuellen Rahmungen werden moduliert und die Rahmungsdifferenzen dahingehend verringert, dass eine Fortführung der Interaktion ermöglicht wird. Es entsteht eine „vorläufige und brüchige Übereinkunft“ (Krummheuer & Voigt 1991, S. 17), indem eine „als geteilt geltende Deutung“ zwischen den Interaktionsteilnehmern entwickelt wird (Krummheuer & Fetzer 2005, S. 18). Auch hier deuten die Lernenden und Lehrenden die Situation nicht gleich, es besteht jedoch ein Konsens, eine gemeinsame Grundlage, die dafür sorgt, dass die Interaktion nicht abbricht. Merkmale

52

2 Argumentationsprozesse im Mathematikunterricht der Grundschule

eines Arbeitsinterims sind die „gemeinsame Ausdrucksweise, [die] äußere Übereinstimmung der Handlungsschritte, [die] Einigung auf Erfahrungsbereiche, [die] jederzeitige Auflösbarkeit oder Kündbarkeit der bis auf weiteres geltenden Übereinkunft [sowie die] leichte Herstellbarkeit der Übereinkunft“ (Krummheuer 1984, S. 289f.). Die Herstellung eines Arbeitsinterims ermöglicht eine weitere Interaktion. Findet keine erfolgreiche Bedeutungsaushandlung statt und kann somit kein Arbeitsinterim hergestellt werden, ist es möglich, dass die Interaktion aufgrund von fehlender Grundlage nicht fortgeführt werden kann (Krummheuer & Fetzer 2005). Im Folgenden werden die obigen Ausführungen um eine epistemologische Perspektive erweitert. Während sich die bisherigen Überlegungen insbesondere auf die Analyse der sozialen (Kommunikations-) Prozesse bezogen, wird der Fokus unter epistemologischer Perspektive auf die Besonderheiten mathematischen Wissens und ihrer Entwicklung in der Interaktion gerichtet14. Mathematisches Wissen ist nicht fertig aufbereitet, sondern wird während der Interaktion gemeinsam konstruiert und entwickelt (Steinbring 2000). Es entsteht, indem Schülerinnen und Schüler mathematischen Zeichen und Symbolen eine Bedeutung zuschreiben und sie auf ihr bereits vorhandenes Wissen hin reflektieren und einordnen. Mathematische Zeichen und Symbole sind konkret erkennbare Einheiten zur Erfassung und Kodierung des Wissens und haben per se keine Bedeutung. Es muss ihnen von den Beteiligten eine solche zugeschrieben werden (Steinbring 2000). Dazu deutet der Lernende sie mit Blick auf einen Referenzkontext (Steinbring 2000, 2005). Dieser kann von Person zu Person unterschiedlich sein, sodass Zeichen auch unterschiedlich gedeutet werden. Wie bereits oben beschrieben differenziert der Lernende in der Interaktion seine eigene Sichtweise durch die Auseinandersetzung mit anderen Sichtweisen aus. Dabei werden die mathematischen Zeichen und die zunächst herangezogenen Referenzkontexte zur Deutung dieser modifiziert und weiterentwickelt, sodass der Lernende zunehmend zu einem strukturellen Verständnis mathematischen Wissens gelangt (Nührenbörger 2009a; Nührenbörger & Schwarzkopf 2010a; Steinbring 2000). „Hier steht die Spannung zwischen einer anfänglich empirischen Deutung elementarer mathematischer Begriffe und einem Verständnis, daß [sic] mathematische Begriffe Beziehungen und Strukturen in symbolisierter und operativer Weise verkörpern, im Mittelpunkt.“ (Steinbring 2000, S. 45)

Die zunächst rein empirisch, an der konkreten Situation gedeuteten Zeichen können in der Interaktion zunehmend verallgemeinert werden, sodass der individuelle Lernende strukturelle Schlüsse ziehen kann. „Schülerinnen und Schüler stehen also im Mathematikunterricht vor dem besonderen Deutungsproblem, sich bei mathematischen Zeichen und zugehörigen Referenzkontexten immer von der Konkret14

Eine ausführliche Darstellung der Konstruktion mathematischen Wissens in der Interaktion unter epistemologischen Perspektive findet sich in Steinbring (2005).

2.2 Mathematische Argumentationsprozesse

53

heit der Situation zum Teil zu distanzieren und darin etwas ‚anderes’, eine andere Struktur zu sehen, zu deuten oder zu erkennen.“ (Steinbring 2000, S. 48)

Die Spannung zwischen einer empirisch situierten Deutung von mathematischen Zeichen und einer relational allgemeinen Deutung dieser ist nach Steinbring ein typisches Charakteristikum mathematischen Lernens. So bewegen sich Schülerinnen und Schüler im Mathematikunterricht bei ihren Deutungsaushandlungen stets in dieser Spanne. Für fundamentale Lernprozesse gilt es, eine Balance zwischen beiden Polen auszuhandeln. Eine rein empirisch situierte Deutung ermöglicht über relative Lernprozesse heraus keine weiteren Lernchancen. Von der konkreten Situation vollkommen losgelöste, relational allgemeine Deutungen hingegen würden Kinder in der Grundschule überfordern und führen damit ebenso zu keinen fundamentalen Lernprozessen. Eine Lernchance besteht demnach darin, im Besonderen das Allgemeine zu sehen. Anhand konkreter Situationen kann der Lernende allgemeingültige Strukturen erkennen. Diese Forderung findet sich bereits als Charakteristikum frühen algebraischen Denkens wieder (s. Kapitel 1.2.2) Folgerungen für die vorliegende Arbeit Ein tieferes Verständnis mathematischen Wissens erfordert die Interaktion mit anderen. Dort kann es zur Bedeutungsaushandlung zwischen den Beteiligten kommen, wodurch sie ihre individuellen subjektiven Situationsdefinitionen hinterfragen, erweitern oder ausdifferenzieren und so von einer empirischen Deutung zunehmend zu strukturellen Erkenntnissen gelangen. Strukturelle Erkenntnisse sind für die Entwicklung eines algebraischen Gleichheitsverständnisses notwendig, sodass das Lehr-Lern-Arrangement der vorliegenden Arbeit auf eine Gruppensituation mit mindestens zwei Lernenden zurückgreift.

2.2 Mathematische Argumentationsprozesse Für Lernprozesse allgemein und damit auch mathematische im Besonderen, die über die bloße Faktenanreicherung hinaus gehen und strukturelle Erkenntnisse konstituieren, bedarf es insbesondere bei jungen Lernenden der Interaktion mit Anderen (Miller 2006). In der Interaktion kann das gemeinsam hervorgebrachte Wissen das Wissen des Einzelnen systematisch überschreiten, sodass sich neues Wissen entwickeln kann. Nicht jede Interaktion führt jedoch gleichermaßen zu einer Weiterentwicklung und systematischen Überschreitung individuellen Wissens. „Nur von solchen sozialen bzw. kommunikativen Handlungen, deren primäres Handlungsziel und deren Funktionsweise genau darin besteht, kollektive Lösungen für interindividuelle Koordinationsprobleme zu entwickeln, kann (wenn überhaupt) sinnvollerweise angenommen werden, daß [sic] durch sie grundlegende Lernprozesse ausgelöst werden können. Nur ein sozialer bzw. kommunikativer Handlungstyp scheint diese Bedingung zu erfüllen, und dies ist der kollektive Diskurs oder, um einen etwas genaueren Terminus zu verwenden, die kollektive Argumentation.“ (Miller 1986, S. 23)

54

2 Argumentationsprozesse im Mathematikunterricht der Grundschule

In Argumentationen15 werden Lösungen für „interindividuelle Koordinationsprobleme“ entwickelt, indem zunächst konträr erscheinendes Wissen ausdifferenziert und weiterentwickelt wird, sodass die an der Argumentation Beteiligten es schließlich als gemeinsam geltend anerkennen (Miller 1986). In Argumentationen wird – kurz gesagt - die Bedeutungsaushandlung in der Interaktion besonders intensiv geführt und es kann so zu fundamentalen Lernprozessen des Einzelnen kommen (Schwarzkopf 2000). Das Argumentieren als Lernmedium für fundamentale Lernprozesse ist als prozessbezogene Kompetenz in den Bildungsstandards und Lehrplänen verankert. In den Bildungsstandards (KMK 2004) wird unter der Kompetenz des Argumentierens die Teilkompetenzen des Hinterfragens und Prüfens mathematischer Aussagen, des Erkennens mathematischer Zusammenhänge, des Vermutens über ihr Zustandekommen sowie des Suchens und Nachvollziehens von Begründungen subsummiert. Insbesondere die Teilkompetenz des Begründens ist für die vorliegende Arbeit, die sich an dem Argumentationsbegriff nach Schwarzkopf (2000) orientiert, von zentraler Bedeutung. Nach Schwarzkopf wird unter einer Argumentation „eine Kommunikation verstanden, in der ein explizit angezeigter Begründungsbedarf von den Beteiligten zu befriedigen versucht wird“ (Schwarzkopf 2000, S. 237; s. auch Schwarzkopf 2001, 2003). Dabei fasst Schwarzkopf die Argumentation als besonderen Interaktionsprozess auf, der sich – im Gegensatz zu anderen Interaktionsprozessen – dadurch auszeichnet, dass von den Argumentationsteilnehmern explizit eine Begründung eingefordert und diese im Anschluss entwickelt wird (ebd.). Ein Argumentationsprozess kann hinsichtlich seiner sozialen und inhaltlichen Momente differenziert werden: der soziale Prozess, der die Rollenverteilung der Beteiligten, das Zustandekommen des Prozesses sowie die Funktion für das Lernen betrifft, wird als Argumentation bezeichnet, die in diesen Prozessen entwickelten Begründungen im Sinne inhaltlicher Zusammenhänge werden als Argumente benannt (Schwarzkopf 2000, 2003 in Anlehnung an Miller 1986; Klein 1980). Im Folgenden werden die beiden Aspekte des Argumentationsprozesses, Argumente und Argumentationen, näher erläutert (Kapitel 2.2.1 und 2.2.2), ehe im Anschluss auf die Anregung eines Argumentationsprozesses eingegangen wird (2.2.3).

15

Da in der vorliegenden Arbeit unter einer Argumentation per se ein sozialer Prozess zwischen mindestens zwei Beteiligten verstanden wird (nach Schwarzkopf 2000), werden die Begriffe „kollektive Argumentation“ und „Argumentation“ synonym verwendet.

2.2 Mathematische Argumentationsprozesse

55

2.2.1 Argumente: Mathematische Begründungen Unter einem Argument wird eine Folge von Aussagen verstanden, die in einem kausalen Zusammenhang zueinander stehen (Klein 1980; Miller 2006). Die an der Argumentation Beteiligten versuchen „etwas kollektiv Fragliches mit Hilfe von kollektiv Geltendem in etwas kollektiv Geltendes zu überführen.“ (Schwarzkopf 2000, S. 234). Besteht in der Gruppe etwas „kollektiv Fragliches“, d.h. eine Behauptung, die (noch) nicht von allen Beteiligten als wahr anerkannt wird, kann ein Argument entwickelt werden. Dabei wird auf „kollektiv Geltendes“ zurückgegriffen, d.h. auf unbestrittene Tatsachen, die von allen Beteiligten als wahr akzeptiert werden. Durch die Herstellung kausaler Zusammenhänge von kollektiv Fraglichem und kollektiv Geltendem kann das anfänglich Fragliche in einem Argument in kollektiv Geltendes überführt werden (Schwarzkopf 2000 nach Klein 1980). Entsprechend dieser Überlegungen lässt sich ein Argument in fünf funktionale Komponenten einteilen (Toulmin 1975, 2003).16 Die Beteiligten greifen zur Überführung von kollektiv Fraglichem in kollektiv Geltendes auf unbezweifelte Fakten zurück, die von der Gruppe akzeptiert werden, sogenannte Daten. Aus diesen Daten wird mit Hilfe einer Argumentationsregel ein kausaler Zusammenhang zwischen dem anfänglich Fraglichen, der zu begründenden Behauptung und dem kollektiv Geltenden hergestellt. Das anfänglich Fragliche lässt sich somit als Konklusion herleiten. Die Argumentationsregel, die den Übergang von den Daten zur Konklusion konstituiert, wird von weiteren Begründungen gestützt. Dieser Stützung bedarf es, um die Zulässig- und Geläufigkeit der Argumentationsregel zu versichern (ebd.).17 Ein Argument ist somit eine Folge von Aussagen, die in einem kausalen Zusammenhang stehen und am Ende eine Antwort auf das anfänglich kollektiv Fragliche, die zu begründende Behauptung liefern (Toulmin 1975, 2003; Schwarzkopf 2000, 2001). Während Toulmin den Aufbau eines Arguments betrachtet, unterscheidet Malle (2002) zwei Funktionen von Begründungen: eine sozial motivierte Funktion, die „Überzeugungsfunktion“, nach der „jemand von der Richtigkeit einer Behauptung überzeugt werden“ soll, und eine inhaltlich motivierte Funktion, die „Zusammenhang stiftende Funktion“, nach der erkannt werden soll, „dass etwas aus etwas Anderem hergeleitet werden kann“ (Malle 2002, S. 4; s. auch de Villiers 1990). Im obigen Sinne wird insbesondere der zweiten Funktion, die Winter bereits 1983 im Zuge des Beweisens herausstellte, hier eine besondere Bedeutung zugeschrieben. Durch Argumente bzw. Begründungen, die auch aus einer Reihe von Argumenten bestehen können, werden mathematische Zusammen-

16 17

Toulmin verwendet hier den Begriff der „Argumentation“, welcher nicht synonym zum selbigen Begriff der vorliegenden Arbeit verstanden wird. Eine weitere Ausführung findet sich im Zuge der Analysemethode in Kapitel 3.5.2.

56

2 Argumentationsprozesse im Mathematikunterricht der Grundschule

hänge in ihrer Kausalität expliziert. Somit sind sie für ein mathematisches Verständnis im Sinne eines fundamentalen Lernprozesses unerlässlich. „Das Begründen und Beweisen verbindet die neuen Erkenntnisse mit bereits gesichertem Wissen und überwindet so den hypothetischen Status der Vermutungen.“ (Marx & Huhmann 2011, S. 8)

Erst durch die Entwicklung von Begründungen werden anfängliche Vermutungen auf bereits bekanntes Wissen zurückgeführt - im Sinne Toulmins wird aus Daten eine Konklusion generiert – und es kann ein nachhaltiger Lernprozess durch die tiefere Einsicht in strukturelle Zusammenhänge stattfinden (Marx & Huhmann 2011). Begründungen, insbesondere die von jungen Lernenden, liefern nicht immer unmittelbar Einsichten in allgemeine, strukturelle Zusammenhänge (Schwarzkopf 2003). So können anfänglich auch Begründungen entwickelt werden, die sich an konkreten Beispielen orientieren und erst allmählich allgemeinere Strukturen in den Blick nehmen. Argumente befinden sich somit stets in einer Spannung „[…] zwischen einer anfänglich empirischen Deutung elementarer mathematischer Begriffe und einem Verständnis, dass mathematische Begriffe Beziehungen und Strukturen in symbolisierter und operativer Weise verkörpern“ (Steinbring 2000, S. 45). Argumente lassen sich nach Schwarzkopf (2003) in diesem Sinne auf drei verschiedene Weisen charakterisieren: Lernende können ein empirisches Argument hervorbringen, welches Fakten liefert, die als Begründung dienen sollen. Eine Behauptung wird anhand von einer für den Argumentierenden angemessenen Anzahl an Beispielen überprüft und somit belegt. Es werden keinerlei strukturelle Zusammenhänge betrachtet. Ein empirischkonstruktives Argument führt zwar „auf den richtigen Weg“ (Schwarzkopf 2003, S. 226), deckt aber immer noch keine strukturellen Zusammenhänge auf. Im Gegensatz zum empirischen Argument wird beim empirisch-konstruktiven Argument die Vorgehensweise schon auf andere Beispiele übertragen, es werden ähnliche Sachverhalte konstruiert. Auch wenn die ersten beiden Arten von Argumenten keinesfalls als „unmathematisch“ gelten sollen, stellt nur die letzte Argumentart eine „strukturelle[] Änderung des (alten) Wissens“ dar (ebd., S. 232). Bei einem strukturell-mathematischen Argument wird der strukturelle Zusammenhang zwischen den Aufgaben erkannt und ausgehend davon werden allgemeine Regeln entwickelt. Argumentationsgrundlage sind nicht mehr die Beispiele an sich, sondern die zugrundeliegende mathematische Struktur der Aufgabenbeispiele (Schwarzkopf 2003). Neben der qualitativen Art der Argumente können ferner verschiedene Begründungsformen unterschieden werden. Eine Behauptung kann anhand verschiedener Argumentationsbasen begründet werden (Büchter & Leuders 2005; Malle 2002). Begründungen können sowohl symbolisch, als auch verbal formuliert werden. Sie können operativ strukturiert oder „induktiv“ sein, sie können zeichnerisch erfolgen oder unter Einbezug eines Kontextes (Büchter & Leuders 2005). Im Toulminschen Sinne der funktionalen Komponenten eines Arguments

2.2 Mathematische Argumentationsprozesse

57

findet man verschiedene Argumentationsbasen in den Daten oder der Stützung wieder. 2.2.2 Argumentationen: Soziale Prozesse Die soziale Komponente eines Argumentationsprozesses wird als Argumentation bezeichnet (Schwarzkopf 2000, 2003). In der vorliegenden Arbeit wird im Sinne Schwarzkopfs unter einer Argumentation ein besonderer Interaktionsprozess verstanden, in dem ein Begründungsbedarf angezeigt und zu befriedigen versucht wird. Krummheuer (1997) verweist im Zuge einer Argumentation ebenso auf einen Interaktionsprozess, fasst den Argumentationsbegriff jedoch weiter (s. auch Krummheuer & Fetzer 2005). Krummheuer und Fetzer verstehen unter einer Argumentation eine „spezifische Praxis des Miteinanderumgehens“ und finden sie damit in jeder unterrichtlichen Interaktion wieder, denn den Interaktionsteilnehmern kann eine Rationalisierungspraxis unterstellt werden (Krummheuer & Fetzer 2005, S. 31). Sie bemühen sich stets rational bzw. vernünftig zu handeln. Durch das Anzeigen der Rationalität wird die Bedeutungsaushandlung zwischen den Teilnehmern transparenter und ein Arbeitskonsens kann leichter hergestellt werden (s. Kapitel 2.1.4). Interaktion, die „von vorn herein auf Zustimmung und wechselseitiges Verständnis ausgerichtet“ ist, wird somit hier als Argumentation verstanden (Krummheuer & Naujok 2005, S. 31). Krummheuer und Fetzer sprechen an dieser Stelle von einer „reflexiven Rationalisierungspraxis“ (Krummheuer & Fetzer 2005, S.31). Demgegenüber steht die für die vorliegende Arbeit zutreffendere „diskursive Rationalisierungspraxis“ (Krummheuer & Fetzer 2005, S.30). Eine Argumentation wird hier als eigenständige Interaktionsform verstanden, die durch das explizite Auftreten einer Strittigkeit gekennzeichnet ist. Im Folgenden wird der Ablauf einer Argumentation nach Bezold (2009) dargestellt und anschließend mit Blick auf den vorliegenden Argumentationsbegriff eingeordnet. Argumentationen lassen sich analog zu den Subkompetenzen in Lehrplänen und Bildungsstandards in verschiedene Bausteine untergliedern, die nacheinander durchlaufen werden. Bezold (2009) identifiziert vier Bausteine einer Argumentation, beginnend bei der Entdeckung mathematischer Besonderheiten, über das Beschreiben und Hinterfragen dieser hin zum Finden von Begründungen (Abb. 2.1).

58

2 Argumentationsprozesse im Mathematikunterricht der Grundschule

Entdecken von mathematischen Besonderheiten (Voraussetzung) Beschreiben von Entdeckungen (Schritt 1) Hinterfragen von Entdeckungen (Schritt 2) Finden von Begründungen bzw. Begründungsideen (Schritt 3) Abbildung 2.1

Argumentationskette nach Bezold 2009, S. 37

Bevor eine Argumentation stattfinden kann, bedarf es nach Bezold (2009, 2010) zunächst der Entdeckung mathematischer Phänomene. Dieser Schritt muss von den Lernenden nicht unweigerlich selbst getätigt werden, eine Argumentation kann ebenso stattfinden, wenn den Lernenden die Entdeckungen bereits mit dem Ziel diese zu begründen präsentiert werden (Bezold 2009). Unvermeidbar erscheint jedoch die Tatsache, auf die Steinweg (2005) im Zuge der Unterstützung der prozessbezogenen Kompetenz des Argumentierens hinweist: „[es muss] einen Zusammenhang, d.h. Beziehungen zwischen den Zahlen bzw. zwischen den Operationen geben, der entdeckt, erforscht und diskutiert werden kann.“ (Steinweg 2005, S. 43). Erst wenn Lernende mathematische Besonderheiten entdecken oder gezielt vorgestellt bekommen, wird die Voraussetzung für eine Argumentation geschaffen und stellt somit den ersten Baustein der Argumentationskette nach Bezold dar. Haben die Lernenden ein mathematisches Phänomen entdeckt, wird dieses im zweiten Baustein und ersten Schritt der Argumentation zunächst beschrieben. Dabei stellen die Lernenden Vermutungen über mathematische Auffälligkeiten, die sie in der Regel auf Grundlage einzelner Beispiele treffen, auf (Bezold 2010). Anschließend erfolgt das Hinterfragen einer Entdeckung. Nachdem diese beschrieben wurde, kann von den Kindern eine Begründungsnotwendigkeit erkannt werden, sodass sie in einem nächsten Schritt eine Begründung für das entdeckte mathematische Phänomen (versuchen zu) entwickeln (ebd.).18 Bezold weist darauf hin, dass je nach Aufgabenstellung die Bausteine der Argumentationskette vollständig oder nur teilweise durchlaufen werden. So können Aufgaben Lernende zunächst dazu anregen, mathematische Besonderheiten zu entdecken und anschließend zu beschreiben, hinterfragen und begründen und somit die Argumentationskette vollständig zu durchlaufen. Gleichwohl 18

Eine Umsetzung im Unterricht stellt Bezold in einem Vier-Phasen-Modell dar (Bezold 2009, 2010).

2.2 Mathematische Argumentationsprozesse

59

können Entdeckungen aber auch bereits vorweg genommen werden und der Fokus der Kinder auf das Entwickeln einer Begründung gerichtet werden (Bezold 2009). Somit kann ein späterer Einstieg in die Argumentationskette erfolgen. Gleichsam wird es ebenso Lernende geben, bei denen ein früherer Ausstieg aus dem beschriebenen Handlungsmuster erfolgt. Lernende verspüren häufig von sich aus zunächst kein Bedürfnis eine mathematische Entdeckung zu hinterfragen und zu begründen (Winter 1983). Ein Ausstieg aus der obigen Argumentationskette nach dem zweiten Baustein (Beschreiben von Entdeckungen) erscheint dementsprechend häufig denkbar. Entdeckt ein Schüler bzw. eine Schülerin mathematische Phänomene und beschreibt diese werden nach Bezold bereits argumentative Tätigkeiten gezeigt. Analog zu den Bildungsstandards und Lehrplänen wird Argumentieren hier weiter gefasst, als der Argumentationsbegriff der vorliegenden Arbeit. In Anlehnung an den Argumentationsbegriff nach Schwarzkopf (2000) wird erst dann von einer Argumentation gesprochen, wenn die Lernenden Schritt 2 und 3 (bzw. Baustein 3 und 4) der obigen Argumentationskette durchlaufen, d.h. Entdeckungen hinterfragen und begründen. Daher wird im Folgenden der Frage nach der Möglichkeit zur Initiierung des Hinterfragens und Begründens von Entdeckungen nachgegangen. 2.2.3 Produktive Irritationen als Argumentationsanlass Nachdem Lernende mathematische Phänomene entdeckt und beschrieben haben, klingt der Lernprozess häufig ab, da sie ihre Entdeckungen nicht weiter hinterfragen und nach Begründungen suchen. Schülerinnen und Schüler zeigen von sich aus zumeist kein Beweisbedürfnis (Winter 1983). Vielfach wird jedoch gerade dieses Beweisbedürfnis - in der Grundschule handelt es sich eher um ein Begründungsbedürfnis – von den Lernenden gefordert. Die Initiierung einer Argumentation im Zuge der Interaktion allein mit der Lehrperson wird als nicht erstrebenswert angesehen (Nührenbörger 2015). Warum jedoch sollen Lernende nicht erst nach Aufforderung der Lehrperson mathematische Entdeckungen hinterfragen und begründen, sondern selbstständig einen Bedarf erkennen, nach Argumenten zu suchen? Ein Beweis- bzw. Begründungsbedürfnis kann bei den Lernenden durch die „Einsicht des Schülers in die Notwendigkeit, daß eine mathematische Aussage [...] bewiesen werden muß“ hervorgerufen werden (Winter 1983, S. 64). Dieses Begründungsbedürfnis kennzeichnet Winter als objektiv, da die Aussage oder das mathematische Phänomen das Objekt ist, welches eines Beweises oder einer Begründung bedarf. Ähnlich formuliert Krauthausen (2001) aus einer normativen Perspektive die Forderung eines objektiven Beweisbedürfnisses.19 19

Krauthausen fasst seine Überlegungen als „subjektives Beweisbedürfnis“ zusammen (Krauthausen 2001, S. 104). Im Sinne Winters lassen sich Krauthausens Ausführungen jedoch als objektives Beweisbedürfnis charakterisieren.

60

2 Argumentationsprozesse im Mathematikunterricht der Grundschule

„Ziel des Mathematikunterrichts sollte es sein, dass die Lernenden (zunehmend) einen impliziten Begründungsansporn verinnerlichen und aus der Sache heraus eine Selbstverständlichkeit empfinden, gewonnene Einsichten sich selbst oder Anderen gegenüber zu begründen – und nicht erst nach Aufforderung durch Lehrende in einer künstlich geschaffenen Begründungssituation.“ (Krauthausen 2001, S. 104)

Lernende sollen aus der Sache heraus eine Selbstverständlichkeit empfinden, Entdeckungen zu hinterfragen und zu begründen. Krauthausen spricht an dieser Stelle von einer besonderen „Haltung“, die die Lernenden entwickeln müssen, eine Haltung des Hinterfragens und Begründens. Dabei dient der Lehrende als Vorbild-Funktion: Wenn dieser sich immer wieder die Frage nach dem „Warum?“ stellt, werden die Lernenden diese Haltung übernehmen und ebenfalls zunehmend nach Beweisen und Begründungen suchen (Krauthausen 2001). Eine andere Form des Beweisbedürfnisses sieht Winter in einem subjektiven Beweisbedürfnis, bei dem „[d]er Schüler den persönlichen Drang [hat], den Beweis für eine Aussage zu erfahren“ (Winter 1983, S. 78). Anders als bei dem oben beschriebenen objektiven Beweisbedürfnis, erfolgt der Bedarf, ein mathematisches Phänomen zu begründen, aus der Neugierde und dem theoretischen Interesse des Lernenden an dem Phänomen. Als theoretisches Interesse lässt sich der Bedarf, Neues einzuordnen und zu verstehen, beschreiben. So ergibt sich auch hier das Begründungsbedürfnis aus der Sache heraus, jedoch nicht weil Schülerinnen und Schüler prinzipiell um die Notwendigkeit des Begründens und Beweisens wissen und somit eine an sie gestellte Erwartung erfüllen möchten, sondern weil die Mathematik als Wissenschaft der Muster und Strukturen ihre Neugierde weckt, sich über grundlegende Zusammenhänge Gedanken zu machen. Den beiden Arten des Beweisbedürfnisses liegen unterschiedliche Ausrichtungen der Motivation zugrunde. Während das objektive Beweisbedürfnis extrinsisch motiviert ist, fußt das subjektive Beweisbedürfnis auf der intrinsischen Motivation der Lernenden. Eine extrinsisch motivierte Handlung wird aufgrund der zu erwartenden bzw. erhofften Konsequenzen ausgeführt. Der Anreiz zur Widmung der Tätigkeit liegt dabei im Ergebnis der Tätigkeit (Klauer & Leutner 2012; Rheinberg 2010; Ryan & Deci 2000; Schlag 2013 u.v.m.). Ein objektives Beweisbedürfnis ist dementsprechend extrinsisch motiviert, da die Schülerinnen und Schüler die Tätigkeit des Begründens oder Beweisens aufgrund der daraus entstehenden Konsequenz durchführen: Sie erfüllen eine Erwartung, die der Lehrende bzw. das Curriculum an sie stellt und erhoffen sich eine entsprechende Belohnung, wie z.B. eine gute Bewertung. Mit Blick auf die Art der Motivation unterscheidet sich somit ein objektives Beweisbedürfnis der Lernenden nicht grundlegend von einem eingeforderten Beweis durch die Lehrperson. Büchter und Leuders (2005) weisen darauf hin, dass der „Vergewisserungsauftrag (des Lehrers, Anm. C.M.) oft nicht dem Selbstvergewisserungsbedürfnis der Schüler [entspricht]“ (Büchter & Leuders 2005, S. 56). Die Lernenden verspüren somit kein tatsächliches Bedürfnis, ein Phänomen zu begründen,

2.2 Mathematische Argumentationsprozesse

61

sondern erfüllen lediglich eine an sie gestellte Erwartung. Im Gegensatz dazu differiert die zugrundeliegende Haltung der Lernenden, wenn sie nach Begründungen aufgrund ihres persönlichen Interesses suchen. Ein subjektives Beweisbedürfnis ist intrinsisch motiviert, da sich die Lernenden der Tätigkeit aufgrund ihres Interesses an der Tätigkeit widmen. Der Anreiz liegt, anders als bei extrinsisch motivierten Tätigkeiten, im Tätigkeitsvollzug selbst, im Prozess und nicht im Produkt. Die Lernenden setzen sich mit einer Tätigkeit auseinander, suchen nach Begründungen und Beweisen, weil der (mathematische) Gegenstand von Natur aus interessant erscheint und sie eine Herausforderung in der Sache selbst sehen (Ryan & Deci 2000; Klauer & Leutner 2012; Rheinberg 2010; Schlag 2013 u.v.m.). Die Unterstützung intrinsischer Motivation ist Ziel schulischen Unterrichts. Das Interesse der Lernenden an dem Lernstoff soll stets geweckt werden, um ein positives Erleben während des Lernens zu ermöglichen (Schiefele & Streblow 2006). Insbesondere intrinsisch motivierte Tätigkeiten führen (langfristig) zu einem höheren Lernerfolg (Klauer & Leutner 2012; Schiefele & Schreyer 1994; Schlag 2013). Es konnte empirisch eine positive Korrelation zwischen intrinsischer Motivation und Lernen nachgewiesen werden (z.B. Schiefele & Schreyer 1994). Schlag (2013) verweist auf die häufigere und ausdauernde Zuwendung zum Lerngegenstand, die intrinsisch motivierten Tätigkeiten innewohnt und daher zu einem größeren Lernerfolg führen. Im Folgenden wird nun der Frage nachgegangen, wie ein subjektives Beweisbedürfnis angeregt werden kann, oder wie Winter formuliert: „Wie aber kann man das Neugierverhalten so beeinflussen, daß ein theoretisches Interesse speziell an mathematischen Fragen und damit auch ein subjektives Beweisbedürfnis entsteht?“ (Winter 1983, S. 80). Im Sinne Piagets und seines Äquilibrationsmodells (s. Kapitel 2.1.1) kann bei dem Prozess der Informationsverarbeitung und Wissensanreicherung ein kognitiver Konflikt beim Lernenden auftreten, indem er einen Widerspruch zwischen zwei Dingen feststellt, die er zunächst beide als richtig akzeptiert. Eine Assimilation nach Piaget kann somit nicht stattfinden, da der neue Sachverhalt nicht problemlos in die bereits bestehenden kognitiven Strukturen integriert werden kann. Um den Widerspruch aufzulösen, müssen die kognitiven Strukturen des Lernenden angepasst werden. Es kommt zu einer Akkomodation (Spiegel et al. 1999). Während Piaget sich natürlichen Lernprozessen zuwandte und diese mit seinem Modell erklärte, wurde die Idee des kognitiven Konfliktes bereits für konstruktive didaktische Überlegungen weiterentwickelt (Selter & Spiegel 1997; Spiegel et al. 1999). Um Lernprozesse anzuregen, werden Aufgaben an die Lernenden so gestellt, dass sie einen kognitiven Konflikt hervorrufen können. Im Zuge des Auftretens eines kognitiven Konfliktes kann das „Neugierverhalten“ der Lernenden, d.h. der Wunsch, etwas Bestimmtes bzw. Neues zu erfahren, somit beeinflusst werden, sodass sie sich einem mathematischen Phänomen näher zuwenden, es hin-

62

2 Argumentationsprozesse im Mathematikunterricht der Grundschule

terfragen und begründen. Das oben geforderte Begründungsbedürfnis kann somit auf diese Weise entstehen.20 Nührenbörger und Schwarzkopf weisen darauf hin, dass Kinder „gerade dann eine Notwendigkeit sehen, mathematische Argumente zu suchen und mit anderen auszuhandeln, wenn sie sich aus dem Fach ergeben; oder anders formuliert, wenn produktive Irritationen entstehen.“ (Nührenbörger & Schwarzkopf 2013b, S. 718f.). Unter einer produktiven Irritation wird eine „klärungsbedürftige Abweichung von der eingenommenen Erwartung“ verstanden (Schwarzkopf 2015, S. 39). Ähnlich zum Konstrukt des kognitiven Konfliktes taucht bei den Lernenden ein Widerspruch auf zwischen dem erwarteten und dem tatsächlichen Ergebnis, sodass die Lernenden versuchen, diesen Widerspruch zu klären, indem sie Argumente für das Auftreten des unerwarteten Ergebnisses suchen. Anders als der kognitive Konflikt ist das Konstrukt der produktiven Irritation interaktionistisch gedacht und somit für die vorliegende Arbeit von besonderer Bedeutung (Nührenbörger & Schwarzkopf 2015b). Ausgehend von der Überzeugung, dass Lernen ein interaktiver Prozess ist und Argumente somit gemeinsam entwickelt werden, führt eine produktive Irritation der Lernenden zu gerade diesen Interaktionsprozessen. Die Voraussetzung für die Entstehung einer Irritation ist die Einnahme einer Erwartungshaltung, welche im Verlauf des Lernprozesses irritiert werden kann (Nührenbörger & Schwarzkopf 2013b, 2015a, 2015b; Nührenbörger 2015). „The tasks or problems, for example, provide phenomena that were not expected by the children so that they have to reflect on the given structures and see the need to re-interpret the experienced mathematics behind the problem. […] To initiate productive learning opportunities in this sense, one of the main difficulties is that an observation of a pattern or a surprising discovery is not enough to create the need of argumentation [...] Moreover, it is necessary that the observation becomes an amazing phenomenon for the pupils.“ (Nührenbörger & Schwarzkopf 2015a, S. 319)

Die Aufgaben, deren mathematische Struktur hinterher erforscht werden soll, müssen mathematische Phänomene enthalten, die von den Kindern zunächst nicht erwartet werden. Die bisherigen „Ansichten, Zugangsweisen, Vorstellungen oder Erwartungen“ dürfen nicht ausreichend sein, sodass es für die Lernenden eine Notwendigkeit gibt, neue Ideen zu entwickeln (Nührenbörger & Schwarzkopf 2013b, S. 719). Das neue Phänomen darf jedoch nicht nur überraschend sein, es muss gleichermaßen für die Lernenden interessant oder verblüffend erscheinen, sodass sie nicht nur eine Notwendigkeit zum Weiterdenken sehen, sondern ebenso daran interessiert sind, neue Zugangsweisen auch tatsächlich zu entwickeln. Die Irritationen führen zu einer Neuinterpretation und Weiterentwicklung des bisherigen Wissens und können dadurch fundamentale 20

Weitere Auslegungen und Fortführungen des kognitiven Konfliktes finden sich u.a. bei folgenden Autoren: Selter & Spiegel 1997 („sozio-kognitiver Konflikt“), Büchter & Leuders 2005 („produktive Verunsicherung“), Brandt & Nührenbörger 2009 („konstruktive Irritation“).

2.2 Mathematische Argumentationsprozesse

63

Lernprozesse anregen (Nührenbörger & Schwarzkopf 2010c). Dafür bedarf es jedoch noch der Produktivität der Irritation. Die Lernenden müssen im Zuge der Bearbeitung der Aufgabe Möglichkeiten entwickeln können, alternative bzw. neue Ideen zu konstruieren. Nührenbörger und Schwarzkopf verweisen auf die „Aufklärung der Spanne zwischen Erwartung und Enttäuschung“ (Nührenbörger & Schwarzkopf 2013b, S. 719). Eine produktive Irritation ist demnach dann erfolgreich, wenn die Erwartung der Kinder versagt, sobald eine weitere Aufgabe bearbeitet wird und daraus eine Notwendigkeit entsteht, interaktiv Begründungen für das anfängliche Versagen der Erwartungen zu entwickeln (Nührenbörger & Schwarzkopf 2015a, 2015b). Abbildung 2.2 fasst die Aspekte einer produktiven Irritation unter Beachtung der chronologischen Reihenfolge zusammen:

Einnahme einer Erwartungshaltung

Abbildung 2.2

Irritation durch Versagen der Erwartungshaltung

(subjektiver ) Begründungsbedarf

Hervorbringung von Argumenten

Produktive Irritation

Nührenbörger und Schwarzkopf (2013b) erklären im Zuge der theoretischen Ausführung produktiver Irritationen, diese ebenso als Design-Element bei der Konstruktion von Lernumgebungen zu nutzen. Es bedarf spezifischer Aufgabenformate, in denen die Kinder eine fachliche Notwendigkeit sehen, mathematische Phänomene zu hinterfragen (Nührenbörger & Schwarzkopf 2013b). Die Bedeutung der produktiven Irritationen im Zuge eines konstruktiven Elements wird in Kapitel 3 näher erläutert. Folgerungen für die vorliegende Arbeit Die Lernenden sollen in der Interaktion miteinander Argumente, d.h. mathematische Begründungen entwickeln. Dafür müssen sie mathematische Phänomene entdecken und diese Entdeckungen hinterfragen. Um die Lernenden dazu zu veranlassen, Entdeckungen zu hinterfragen, werden produktive Irritationen initiiert. Durch die Initiierung produktiver Irritationen sollen intrinsisch motivierte Begründungen der Lernenden angeregt werden, von denen angenommen wird, dass sie zu einem besseren Verständnis und Behalten der mathematischen Zusammenhänge führen als extrinsisch motivierte Begründungen. Die Motivation der Lernenden wird in der rekonstruktiven Perspektive der vorliegenden Arbeit nicht erforscht. Sie dient der Berechtigung der konstruktiven Überlegungen zur Initiierung produktiver Irritationen.

64

2 Argumentationsprozesse im Mathematikunterricht der Grundschule

2.3 Gleichheiten und Argumentationsprozesse In Kapitel 2.1.2 wurde die Legitimation aktiv-entdeckenden Lernens aus dem Fach heraus aufgezeigt (Freudenthal 1982; Wittmann 1995). Daran anlehnend wurde in Kapitel 2.2.3 die Entwicklung von Begründungen ebenso auf die fachliche Notwendigkeit zurückgeführt. Im Folgenden wird daher der Lerngegenstand der vorliegenden Arbeit mit Blick auf das angestrebte Lernziel im Kontext der obigen Überlegungen reflektiert, um folgende Frage auf theoretischer Ebene zu beantworten: Wie können Aufgabenstellungen zu arithmetischen Gleichheiten mit Blick auf die Entwicklung eines algebraischen Gleichheitsverständnisses zum aktiventdeckenden Lernen und dabei insbesondere zum Argumentieren anregen? Unter der Entwicklung eines algebraischen Gleichheitsverständnisses kann die Erkundung und Nutzung von strukturellen Beziehungen zwischen Termen verstanden werden. Es wird nicht nur die Berechnung eines Ergebnisses angestrebt, sondern darüber hinaus soll der Blick auf die zugrundeliegenden Strukturen gerichtet werden (s. Kapitel 1). Lernende sollen demnach nicht nur erkennen, dass zwei Terme gleichwertig sind, sondern vielmehr verstehen, warum sie gleichwertig sind. Hier zeigt sich unmittelbar die Notwendigkeit des Begründens im Zuge der Erlangung des angestrebten Lernziels. Um ein algebraisches Gleichheitsverständnis zu entwickeln, müssen die Lernenden die Gleichwertigkeit von Termen begründen, d.h. die zugrundeliegenden mathematischen Strukturen in den Blick nehmen. Anhand eines Aufgabenbeispiels aus der vorliegenden Arbeit wird der Zusammenhang des Lerngegenstandes der arithmetischen Gleichheiten - mit Blick auf das Lernziel der Entwicklung eines algebraischen Gleichheitsverständnisses und der Tätigkeit des Begründens konkretisiert.

Abbildung 2.3

Aufgabenbeispiel aus der vorliegenden Arbeit

Die Lernenden können zunächst feststellen, dass die beiden Terme 4·30+30 und 6·30-30 gleichwertig sind, da sie dasselbe Ergebnis, 150, erzeugen. Aus mathematischer Perspektive könnte dementsprechend die Gleichung 4·30+30=6·3030 formuliert werden. Die Entdeckung der Gleichwertigkeit ist jedoch für ein algebraisches Gleichheitsverständnis nicht ausreichend. Es muss, wie oben beschrieben, weiter erläutert werden, warum diese beiden Terme gleichwertig

2.3 Gleichheiten und Argumentationsprozesse

65

sind bzw. warum diese Terme beide in dem Ergebnis 150 resultieren. Während man die erste Frage noch mit dem simplen Verweis auf dasselbe Ergebnis beantworten könnte (die Terme sind gleichwertig, weil sie dasselbe Ergebnis und damit denselben Wert haben), muss der Blick spätestens bei der zweiten Frage aber auf die strukturelle Beziehung der Terme gerichtet werden. Unter Ausnutzung des Distributivgesetzes ist folgende Gleichheitsbeziehung zu erkennen: 4·30+30=4·30+(1·30)=(4+1)·30=5·30=(6-1)·30=6·30-(1·30)=6·30-30. Kinder im Grundschulalter, wie die Lernenden in der vorliegenden Arbeit, greifen selbstverständlich bei der Erläuterung der strukturellen Beziehung der Terme nicht auf derartige formale Notationsweisen zurück. Gleichwohl können auch Kinder in der Grundschule bereits über einen Zahl- und Operationsvergleich die strukturelle Beziehung zwischen den Termen herausarbeiten. Die grundsätzliche Mehrdeutigkeit mathematischer Objekte (s. Kapitel 2.1.4) ermöglicht auch im Kontext von Gleichheiten den wechselseitigen Austausch der Interaktionsteilnehmer und das Hervorbringen verschiedener Argumente und liefert dadurch einen wertvollen Mehrwert im Sinne individueller Um- und Neudeutungen. Mit Blick auf arithmetische Gleichheiten bedeutet die „prinzipielle Möglichkeit, verschiedene operative Variationen anzuwenden, [...] eine fruchtbare Mehrdeutigkeit des Gleichheitsverständnisses“ (Nührenbörger & Schwarzkopf 2013b, S. 718). So kann die Gleichheit im obigen Beispiel ebenso durch folgende Beziehung beschrieben werden: 4·30+30=4·30+30+(2·30-2·30)=4·30+2·30+(302·30)=6·30-30, eine ebenso mögliche und gleichzeitig andere Deutung der Gleichheit. Auch diese Gleichheitsbeziehung können Lernende in der Grundschule sicher nicht formal, dennoch aber verbal beschreiben. Die Tätigkeit, Beziehungen in den Blick zu nehmen, ergibt sich aus der Frage nach dem Grund der Gleichwertigkeit, gleichzeitig ist die Frage nach dem Grund Voraussetzung für die Erforschung struktureller Zusammenhänge und damit für die Entwicklung eines algebraischen Gleichheitsverständnisses. Die Tätigkeit des Begründens zeigt sich demnach noch einmal deutlich als eine aus dem Fach heraus motivierte Notwendigkeit. Nührenbörger & Schwarzkopf (2015a) konnten diesen Zusammenhang bereits empirisch zeigen. In einem Klassengespräch im Kontext von Zahlenmauern diskutierten Kinder und Lehrperson über die Gleichheit von Zahlenmauern, die aus unterschiedlichen Grundsteinen bestanden (Abb. 2.4).

380

80

Abbildung 2.4

110

365

95

95

Zahlenmauern mit gleichem Zielstein (Nührenbörger & Schwarzkopf 2015a)

66

2 Argumentationsprozesse im Mathematikunterricht der Grundschule

Angeregt durch eine produktive Irritation (s. Kapitel 2.2.3) - die Beziehung, die die Kinder bei den zuvor berechneten Zahlenmauern erkundeten, ist in diesem Beispiel nicht länger tragfähig – sammelten die Lernenden neue Argumente für die Gleichheit der Zahlenmauern. Sie begründeten die Gleichheit der Zielsteine mit Hilfe der strukturellen Beziehung der Grundsteine. Der mittlere Grundstein findet sich zweimal im Zielstein wieder, die äußeren Grundsteine jeweils einmal, sodass die gegensinnige Veränderung der beiden äußeren Steine und des mittleren Steines die Summe unverändert lässt. Im Zuge der Argumentation lösten die Lernenden sich von einer empirischen, am Ergebnis orientierten Sichtweise hin zu einem flexiblen, auf Strukturen gerichteten Blick (Nührenbörger & Schwarzkopf 2015a).

2.4 Zusammenfassung In diesem Kapitel wurde die Entwicklung von Argumentationen erläutert, indem zunächst theoretische Überlegungen zu Grundbedingungen und –charakteristika von Lernprozessen dargelegt wurden (Kapitel 2.1). Im Sinne einer konstruktivistischen Perspektive auf Lernen sollen den Lernenden in der vorliegenden Arbeit Möglichkeiten zum aktiv-entdeckenden Lernen im Kontext von arithmetischen Gleichheiten gegeben werden. So sollen fundamentale Lernprozesse ermöglicht werden, in denen die Lernenden ihr Wissen über Gleichheiten vernetzen und durch die Gewinnung struktureller Einsichten umstrukturieren. Hierfür bedarf es der Interaktion mit Anderen, um die individuellen Deutungen im Zuge der Bedeutungsaushandlung zu hinterfragen, zu erweitern oder umzustrukturieren. Die Interaktionsform, in der die Lernenden insbesondere zum Hinterfragen und Begründen ihrer individuellen Deutungen angeregt werden, ist die Argumentation (Kapitel 2.2). Diese nimmt in der vorliegenden Arbeit vorrangig die Rolle des Lernmediums und nicht die eines weiteren Lerngegenstandes ein. Indem die Lernenden im Kontext von Gleichheiten argumentieren und dabei die Gleichwertigkeit von Termen begründen, können sie ein algebraisches Gleichheitsverständnis entwickeln (Kapitel 2.3). Wenngleich die Lernenden sich sicherlich auch im Argumentieren üben, indem sie dies tun, liegt der Fokus der vorliegenden Arbeit auf dem mathematischen Lerngegenstand der arithmetischen Gleichheiten. Die theoretischen Überlegungen in diesem Kapitel sind insbesondere für die konstruktiven Überlegungen zur Designentwicklung zentral, welche im folgenden Kapitel dargestellt werden. Die Lernumgebungen sollen die Kinder zum Einen zum Argumentieren anregen, um eine Chance für fundamentale Lernprozesse im Kontext von arithmetischen Gleichheiten zu eröffnen. Dafür werden in den Lernumgebungen produktive Irritationen initiiert, die die Lernenden ihre individuellen Deutungen hinterfragen lässt. Ferner werden die Lernumgebungen

2.4 Zusammenfassung

67

so gestaltet, dass sie kindliche Argumente in der Balance von empirischer Situiertheit und relationaler Allgemeinheit ermöglichen. In der Interaktion, die hier in besonderer Weise im Zuge einer Argumentation stattfindet, können die Lernenden durch die Bedeutungsaushandlung mit den anderen Interaktionsteilnehmern zunehmend relationale, allgemeingültige Begründungen entwickeln.

3 Methode und Design der Untersuchung Die vorliegende Arbeit wurde im Rahmen eines Modells fachdidaktischer Entwicklungsforschung entwickelt, welche die Rekonstruktion von Lehr- und Lernprozessen mit der Konstruktion neuer Unterrichtsdesigns verbindet. Während der fachliche Inhalt sowie der soziale Zugang bereits in den Kapiteln 1 und 2 dargelegt wurden, gibt Kapitel 3 neben methodischen Überlegungen zu Aufbau, Ablauf und Auswertung der empirischen Untersuchung einen Überblick über die Designentwicklung.

3.1 Fachdidaktische Entwicklungsforschung im Dortmunder Modell Das der Arbeit zugrunde liegende Forschungsprogramm der fachdidaktischen Entwicklungsforschung im Dortmunder Modell knüpft an bereits bestehende, im englischsprachigen Raum unter verschiedenen Namen bekannte Forschungsprogramme der Entwicklungsforschung an, wie z.B. Design Based Research, Developmental Research, Engineering Research oder Design Science (Zwetzschler 2014; s. auch Hußmann, Thiele, Hinz, Prediger & Ralle 2013; van den Akker, Gravemeijer, McKenney & Nieveen 2006). Die Programme unterscheiden sich hinsichtlich ihrer jeweiligen Schwerpunktsetzung. Auf eine Differenzierung der verschiedenen Programme wird an dieser Stelle verzichtet (s. z.B. Link 2012). Stattdessen werden im Folgenden grundlegende Ziele und Charakteristika, die all den Forschungsprogrammen der Entwicklungsforschung gemein sind und im englischsprachigen Raum von van den Akker et al. zusammenfassend als „Design Research“ bezeichnet werden, dargelegt. Im Anschluss daran wird auf die Besonderheiten im Dortmunder Modell eingegangen. Design Research ist ein Forschungsansatz, welcher Entwicklung und Erforschung miteinander verbindet. Plomp (2013) beschreibt diese Verbindung wie folgt: „to design and develop an intervention (such as programs, teaching learning strategies and materials, products and systems) as a solution to a complex educational problem as well as to advance our knowledge about the characteristics of these interventions and the processes to design and develop them, or alternatively to design and develop educational interventions (about for example, learning processes, learning environments and the like) with the purpose to develop or validate theories.“

(Plomp 2013, S. 15)

Design Research hat das Ziel, neue Unterrichtsgestaltungen zu entwickeln. Diese können als Lösung für eine herausgearbeitete (fach)didaktische Schwierigkeit dienen, als Forschungsobjekt zur Weiterarbeit fungieren oder die Erar© Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2019 C. Mayer, Zum algebraischen Gleichheitsverständnis von Grundschulkindern, Dortmunder Beiträge zur Entwicklung und Erforschung des Mathematikunterrichts 38, https://doi.org/10.1007/978-3-658-23662-5_3

70

3 Methode und Design der Untersuchung

beitung von Theorien über beispielsweise Lernprozesse ermöglichen (Gravemeijer & Cobb 2006; van den Akker et al. 2006). Design Research versucht durch das Zusammenspiel von Design-Entwicklung und -Erforschung die oftmals beklagte Lücke zwischen Theorie und Praxis zu schließen. Design Research kann als interventionistisch charakterisiert werden, da ein Eingriff in die reale Welt geplant und durchgeführt wird. Das zyklische Vorgehen zwischen Entwickeln der Unterrichtsinnovationen und Evaluieren dieser zeigt den iterativen Charakter von Design Research. Sie ist ferner prozessorientiert, da sie nicht nur Output-Produkte hervorbringen möchte, sondern stets versucht, die Intervention zu verstehen und zu verbessern und gleichzeitig am Nutzen orientiert, da das Design an der Anwendbarkeit und Zweckmäßigkeit für den Nutzer in der Praxis gemessen wird. Design Research ist theorieorientiert, da die Design Entwicklung auf den bisherigen theoretischen Erkenntnissen basiert und die Auswertung und Analyse der Design Experimente gleichsam selbst zur Theoriebildung beiträgt (van den Akker et al. 2006; Cobb, Confrey, diSessa, Lehrer & Schauble 2003). Wird ein Forschungsvorhaben im Zuge von Design Research realisiert, kommen drei Arbeitsschritte zum Tragen: 1) Die Vorbereitung eines Design Experiments, 2) die Durchführung des Design-Experiments und 3) die anschließende retrospektive Analyse. Im ersten Arbeitsschritt werden zunächst die Lernausgangslage sowie die angestrebten Lernziele geklärt und im Zuge der Literaturrecherche spezifiziert. Je nach Forschungsvorhaben kann das Designexperiment als Einzel-Experiment oder als Klassen-Experiment durchgeführt werden. Darüber hinaus können ebenso die Schule oder der Schulbezirk, Lehrende oder Lehramtsanwärter Zielgruppe des Design Experiments sein (Cobb et al. 2003). Vorbereitend auf das Experiment werden ferner Vermutungen über die entstehenden Theorien formuliert (Cobb et al. 2003; Gravemeijer & Cobb 2006). Darauf basierend kann das Design des Experiments entworfen werden (Cobb et al. 2003). Ist das Design-Experiment theoretisch fundiert vorbereitet, wird es durchgeführt. Bei der Durchführung des Experiments handelt es sich um ein zyklisches Vorgehen, bei dem der Forschende immer wieder auf den ersten Arbeitsschritt der Vorbereitung zurückgreift. Der Forschende spielt zunächst gedanklich den Ablauf sowie Lernerfolg der Beteiligten durch, ehe er ihn tatsächlich testet. Es entsteht ein Zyklus zwischen gedanklichem Experiment und tatsächlichem, unterrichtlichen Experiment. Während des Unterrichtsexperiments und danach analysiert der Forschende den Lernprozess und evaluiert und verbessert das Design sowie die vermuteten Theorien. Auf Grundlage der neuen Erkenntnisse wird das Experiment erneut durchgeführt. Es entsteht ein iterativer Prozess (Cobb et al. 2003; Gravemeijer & Cobb 2006). Nach erfolgreicher Durchführung der Design-Experimente werden diese retrospektiv analysiert. Einerseits wird das Design analysiert, um es weiter verbes-

3.1 Fachdidaktische Entwicklungsforschung im Dortmunder Modell

71

sern zu können. Andererseits werden Lernprozesse sowie die Wirkung bestimmter Maßnahmen auf diese analysiert. Dabei kann die Frage „Was funktioniert wann, wie und warum?“ leitend sein. Die rückblickende Analyse sollte stets von mehreren Forschern betrieben werden, da es sich hierbei um einen interpretativen Akt handelt und so möglichst viele Deutungen hervorgebracht werden können (s. dazu die Ausführungen zur interpretativen Unterrichtsforschung in Kapitel 3.5.1). In Folge der Analyse kann so ein Beitrag zur Entwicklung lokaler Theorien erfolgen (Cobb et al. 2003; Gravemeijer & Cobb 2006). Die generierten Theorien sind stets lokal, da sie Aussagen für einen bestimmten inhaltlichen Bereich sowie einen speziellen organisatorischen Rahmen machen. Die der vorliegenden Arbeit zugrundeliegende Fachdidaktische Entwicklungsforschung im Dortmunder Modell21, nachfolgend Funken-Programm genannt, basiert auf den obigen Zielen, Inhalten und Charakteristika von Design Research. Das Ziel aller im Funken-Programm entwickelten Forschungsprojekte ist die „Entwicklung von Lehr-Lernarrangements auf der Basis einer stofflich-epistemologischen Analyse des jeweiligen in den Blick genommenen Lerngegenstands und die Erforschung der durch die LehrLernarrangements initiierten Lernprozesse im Zyklus von iterativen, eng miteinander vernetzten Schritten“ (Prediger, Link, Hinz, Hußmann, Ralle & Thiele 2012, S. 453)

Für das Funken-Programm als Design-Research Ansatz sind folgende vier Charakteristika leitend (Hußmann et al. 2013): Das Funken Programm zeichnet sich durch eine starke Gegenstands- und Prozessorientierung sowie ein iteratives und vernetztes Vorgehen aus. Im Gegensatz zur erziehungswissenschaftlichen Entwicklungsforschung, bei welcher der Fokus auch auf allgemein didaktische und methodische Fragestellungen gelegt wird, kennzeichnet das Funken-Programm eine Fokussierung des fachlichen Lerngegenstandes. Des Weiteren ist insbesondere die Erforschung der Lehr- und Lernprozesse und nicht etwa die der Lernstände von besonderem Interesse. Charakteristisch für Forschungsprojekte im Funken-Programm ist außerdem das im Design Research typische iterative Vorgehen. Es werden mehrere Zyklen der Erprobung durchgeführt, sodass das Design und die Theorie stets weiterentwickelt werden. Die verschiedenen Arbeitsbereiche der Forschungsprojekte sind somit eng miteinander vernetzt und beeinflussen sich gegenseitig (Prediger et al. 2012). Im Funken-Programm werden vier Arbeitsbereiche differenziert: die Spezifizierung und Strukturierung der Lerngegenstände, die (Weiter)entwicklung des Designs, die Durchführung und Auswertung der Design-Experimente sowie die (Weiter)entwicklung lokaler Theorien (s. Abb. 3.1). 21

Das Forschungsprogramm der Fachdidaktischen Entwicklungsforschung liegt dem Forschungs- und Nachwuchskolleg FUNKEN („Forschungs- und Nachwuchskolleg fachdidaktischer Entwicklungsforschung zu diagnosegeleiteten Lehr-Lernprozessen“) zugrunde, in dessen Rahmen die vorliegende Arbeit entstanden ist

72

3 Methode und Design der Untersuchung

"(%! %"

"(%! *!!

 !" !**  %!" %"%  

** "% !" %"%  "  !"

! .(" /"(

 #! "(%! !%  !"! # "  # "

*!!  " #'

 "*"

   .(" /"(

!-) " % &  %%!( "

!- *    "!

  *% !"!!*!   *!!& 

 %%&      *%!"!!*!    *!!&   %% %!(!

 !%! %"

Abbildung 3.1

Zyklus der fachdidaktischen Entwicklungsforschung im Dortmunder Modell (Prediger et al. 2012, S. 453)

Die vier Arbeitsbereiche lassen sich nicht als lineare Abfolge von Arbeitsschritten klassifizieren, sondern werden im Zuge des iterativen und vernetzten Vorgehens zyklisch verstanden. Ausgangspunkt eines Forschungsprojektes ist der erste Arbeitsbereich „Lerngegenstände spezifizieren und strukturieren“. Mit Hilfe bereits vorhandener theoretischer Erkenntnisse wird eine Analyse des jeweiligen Lerngegenstandes vorgenommen, um diesen anschließend mit Blick auf den entsprechenden fachlichen sowie stoffdidaktischen Hintergrund zu spezifizieren und zu strukturieren. Ferner sind dabei Erkenntnisse über Lernendenperspektiven sowie gegenstands-übergreifende und –spezifische Bildungs- und Lernziele leitend (Prediger et al. 2012). Im Gegensatz zu den oben beschriebenen Phasen im Design Research zeichnet das Funken-Programm die Spezifizierung und Strukturierung des Lerngegenstandes im Sinne der besonderen Fokussierung der Gegenstandsorientierung als alleinigen Arbeitsbereich aus. Nachdem der Lerngegenstand so aufbereitet wurde, dass er spezifiziert und strukturiert ist, kann das konkrete Design des Lehr-Lern-Arrangements entwickelt werden. Neben weiteren empirischen und theoretischen Einsichten zu Lehrmitteln, ihren Bedingungen und Wirkungsweisen sowie Lernverläufen und typischen Hürden basiert die Entwicklung des Designs auf fachspezifischen oder fachübergreifenden Design-Prinzipien, wie z.B. der Auswahl eines kooperativen Settings (ebd.). Ist das Design entwickelt und das Lehr-Lern-Arrangement konstruiert, wird ein Design-Experiment durchgeführt und anschließend ausgewertet. Dabei können verschiedene Forschungsmethoden und –methodologien herangezogen

3.2 Forschungsfragen

73

werden. Das Design-Experiment findet im Funken-Programm meistens in einer Kleingruppensituation in einem Laborsetting statt, um so die Lernprozesse des Einzelnen genauer rekonstruieren und analysieren zu können. Die Auswertung erfolgt zumeist qualitativ (ebd.). Nach der Durchführung und Auswertung der Design-Experimente werden lokale Theorien zu gegenstandsspezifischen Lehr- und Lernprozessen entwickelt. Dabei gilt es, beobachtete Phänomene durch Fallvergleiche vom konkreten Einzelfall zu lösen und als allgemeingültige Theorie zu generieren. Diese wird im Laufe des iterativen Vorgehens weiter verändert, ausdifferenziert und abgesichert, indem der Lerngegenstand restrukturiert, das Design weiter entwickelt und erneut erprobt und ausgewertet wird. Der Zyklus wird somit stets erneut durchlaufen (ebd.). Die Fachdidaktische Entwicklungsforschung im Dortmunder Modell lässt sich in einen Entwicklungs- sowie einen Forschungsprozess teilen, welche, wie oben beschrieben, eng miteinander vernetzt sind und verschiedene Endprodukte erzeugen. Auf Entwicklungsebene bilden der final spezifizierte und strukturierte Lerngegenstand sowie die Design-Prinzipien und das Lehr-Lern-Arrangement die Erzeugnisse (s. Arbeitsbereich 1 und 2), auf Forschungsebene sind dies die lokalen Theorien zu gegenstandsspezifischen Lehr- und Lernprozessen (s. Arbeitsbereich 3 und 4) (ebd.).

3.2 Forschungsfragen Auf Grundlage der theoretischen Überlegungen in den Kapiteln 1 und 2 sowie der obigen methodischen Ausführungen kann das Forschungsinteresse der vorliegenden Arbeit in folgende drei zentrale Forschungsfragen gegliedert werden (Tabelle 3.1). Der fachdidaktischen Entwicklungsforschung im Dortmunder Modell folgend werden die Forschungsfragen der vorliegenden Arbeit sowohl auf Entwicklungs- als auch auf Forschungsebene formuliert. Auf Entwicklungsebene interessiert die Gestaltung des Lehr-Lern-Arrangements. In Kapitel 3.3 werden die Designentwicklung vorgestellt und die diesbezüglich getroffenen DesignEntscheidungen dargelegt. Die Forschungsfrage auf Entwicklungsebene (FF1) wird somit beantwortet werden. Auf Forschungsebene sind die Lehr- und Lernprozesse von Interesse. Zum einen werden die Lernprozesse der Grundschulkinder analysiert, um den Lerngegenstand der Arbeit, ein algebraisches Gleichheitsverständnis, charakterisieren und damit spezifizieren zu können. Zum anderen wird die Wirkungsweise der Lehrprozesse untersucht, indem das Lehr-Lern-Arrangement evaluiert wird. Dabei interessiert sowohl das Potenzial eines bestimmten Design-Prinzips als auch das der eingesetzten Lernumgebungen. Hier wird die in der fachdidaktischen Entwicklungsforschung geforderte enge Vernetzung von Theorie und

74

3 Methode und Design der Untersuchung

Empirie deutlich. Das Lehr-Lern-Arrangement wird zunächst aufgrund konstruktiver, theoretisch fundierter Überlegungen entwickelt, anschließend wird dieses sowie die stattgefundenen Lehr- und Lernprozesse analysiert, um lokale Theorien für beide Bereiche aufstellen zu können.

FORSCHUNGSEBENE

ENTWICKLUNGSEBENE

Tabelle 3.1 Forschungsfragen der vorliegenden Arbeit

FF1: Wie kann ein Lehr-Lern-Arrangement gestaltet sein, welches die Entwicklung eines algebraischen Gleichheitsverständnisses bei Grundschulkindern der vierten Klasse anregt?

FF2: Wie lässt sich ein algebraisches Gleichheitsverständnis bei Viertklässlern charakterisieren? FF3: Wie wirkt sich die Gestaltung des Lehr-Lern-Arrangements auf die Entwicklung eines algebraischen Gleichheitsverständnisses bei Viertklässlern aus? FF3.1: Welches Potenzial bietet das Design-Prinzip „produktive Irritation“, um die Lernenden zur Entwicklung eines algebraischen Gleichheitsverständnisses anzuregen? FF3.2: Welches Potenzial bieten die Lernumgebungen „Rechenketten“ und „Malkreuze“, um die Lernenden zur Entwicklung eines algebraischen Gleichheitsverständnisses anzuregen?

3.3 Designentwicklung „Wie auch immer man agiert, man kann Lernerfolge der Kinder nicht erzwingen, auch noch so ausgefeilte Lernarrangements können nicht garantieren, dass Lernen stattfindet. Aber man kann Wahrscheinlichkeiten dafür erhöhen, dass sich Lernen ereignet, wenn man sich an der Konstruktivität menschlichen Lernens orientiert.“ (Spiegel & Selter 2003, S. 55)

In Folge der Konstruktivität menschlichen Lernens wurde in Kapitel 2 die Relevanz des interaktiven und dabei insbesondere argumentativen Lernens herausgestellt. In diesem Rahmen werden in der vorliegenden Arbeit Aufgaben entwickelt, welche die Lernenden zur Entwicklung eines algebraischen Gleichheits-

3.3 Designentwicklung

75

verständnisses anregen. Dabei sind die Aufgaben so konstruiert, dass sie den Lernenden über die Berechnung von Ergebnissen hinaus Möglichkeiten zum Sehen und Nutzen struktureller Beziehungen bieten (s. Kapitel 1), die Lernenden jedoch weder unter- noch überfordern, sondern sich stets in der Balance zwischen empirischer Situiertheit und relationaler Allgemeinheit befinden. 3.3.1 Der Einsatz substanzieller Lernumgebungen Im Zuge der Entwicklung eines aktiv-entdeckenden Mathematikunterrichts (s. Kapitel 2.1.2) erhielt auch die Gestaltung und Bereitstellung substanzieller Lernumgebungen eine zunehmende Bedeutung. Während der Begriff „Lernumgebung“ pädagogisch verstanden auf die Gestaltung der Lernatmosphäre abzielt und methodisch aufgefasst das organisatorische Arrangement im Klassenzimmer meint, zielt der Begriff in der vorliegenden Arbeit im Sinne Wittmanns (1995) auf ein inhaltliches Verständnis von Lernumgebungen ab (Krauthausen & Scherer 2008). In diesem Sinne sind Lernumgebungen inhaltlich gehaltvolle und fachdidaktisch fundierte Unterrichtsarrangements, welche die Lehrperson im Zuge ihrer Unterrichtsplanung schafft. Eine solche Lernumgebung ist dann substanziell, wenn sie den wesentlichen Inhalt einer Sache betrifft. Substanzielle Lernumgebungen verzichten auf eine äußere, künstliche Verpackung des mathematischen Inhalts. Sie konzentrieren sich ausschließlich auf zugrundeliegende mathematische Muster und Strukturen. Eine substanzielle Lernumgebung lässt sich durch folgende vier allgemeine Merkmale charakterisieren: „(1) It represents central objectives, contents and principles of teaching mathematics at a certain level. (2) It is related to significant mathematical contents, processes and procedures beyond this level, and is a rich source of mathematical activities. (3) It is flexible and can be adapted to the special conditions of a classroom. (4) It integrates mathematical, psychological and pedagogical aspects of teaching mathematics, and so it forms a rich field for empirical research.“ (Wittmann 2001, S.2; s. auch Wittmann 1995b; Krauthausen & Scherer 2008)

(1) Eine substanzielle Lernumgebung repräsentiert zentrale Ziele, Inhalte und Prinzipien des Mathematiklehrens auf einer bestimmten Stufe. Dabei geht es im Zuge fundamentaler Ideen nicht darum, einen bestimmten Inhalt auf eine bestimmte Stufe zu beschränken. Eine substanzielle Lernumgebung bietet die Möglichkeit einen mathematischen Inhalt auf einer bestimmten Stufe und gleichsam darüber hinaus zu thematisieren (Krauthausen & Scherer 2008). (2) So stellt die Bezugnahme zu zentralen mathematischen Inhalten, Prozessen und Prozeduren über eine bestimmte Stufe hinaus ein weiteres Merkmal substanzieller Lernumgebungen dar. Sie ermöglichen anschlussfähige Lernprozesse, da im Sinne des Spiralprinzips Inhalte, Prozesse und Prozeduren wieder-

76

3 Methode und Design der Untersuchung

kehrend auf einer neuen Stufe aufgegriffen und unter neuer Perspektive verstanden werden können (Krauthausen & Scherer 2008). Viele substanzielle Lernumgebungen bieten eine Thematisierungsmöglichkeit über alle Schulstufen der Primarstufe hinweg, oftmals bis in die Sekundarstufe hinein (Verboom 2002). (3) Substanzielle Lernumgebungen sind flexibel und können so den besonderen Bedingungen einer Lerngruppe angepasst werden. Sie ermöglichen eine natürliche Differenzierung, deren Relevanz sich im Zuge zunehmend heterogener Lerngruppen verstärkt zeigt (Krauthausen & Scherer 2008). (4) Zuletzt vereinen substanzielle Lernumgebungen stets mathematische, psychologische und pädagogische Aspekte des Mathematiklehrens und bieten damit Potenzial für die empirische Forschung. Substanzielle Lernumgebungen sind beispielsweise in der Regel auf einen interaktiven Austausch der Lernenden ausgerichtet. Die Eignung substanzieller Lernumgebungen zur empirischen (Be-)Forschung findet auch in der vorliegenden Arbeit Verwendung (Krauthausen & Scherer 2008). Substanzielle Lernumgebungen können unterschiedlicher Gestalt und unterschiedlichen Ausmaßes sein. Sie können sich von einigen Minuten bis hin über mehrere Unterrichtsstunden erstrecken und können von der ganzen Klasse, aber auch nur von einzelnen Gruppen bearbeitet werden (Krauthausen & Scherer 2008). Sie können ausgehend von bestimmten beispielsweise geometrischen Inhalten losgelöst von konkreten Aufgabenformaten gestaltet sein, sie können sich aber insbesondere bei arithmetischen Inhalten auch auf gerade diese, sogenannte substanzielle Aufgabenformate beziehen. Ein substanzielles Aufgabenformat ist somit eine Form einer substanziellen Lernumgebung (Krauthausen & Scherer 2008). Substanzielle Aufgabenformate beziehen sich auf „sogenannte Formate, also vorgegebene formatierte Gefäße [...], in denen Aufgaben angeboten werden können und innerhalb derer dann vielfältige Aufgaben oder Problemstellungen möglich sind“ (Krauthausen & Scherer 2008, S. 197). Einige Beispiele für substanzielle Aufgabenformate sind Zahlenmauern (Krauthausen 1995; Steinweg 2005; Wittmann & Müller 1994a u.v.m.), Streichquadrate (Steinbring 2000), Pluspfeile (Nührenbörger & Schwarzkopf 2013a), Rechendreiecke (Scherer 2006), Mal-Plus-Häuser (Valls-Busch 2004; Verboom 2002), Zahlenketten (Scherer & Selter 1996) oder die in der vorliegenden Arbeit verwendeten Rechenketten (Mayer & Nührenbörger 2016) und Malkreuze. Allen Aufgabenformaten gemein ist, dass sie sich mit Hilfe komplexer, problem- und beziehungshaltiger Aufgabenstellungen als produktive Übungsformate verwenden lassen. In substanziellen Aufgabenformaten erfolgt eine sequentielle Durchführung mehrerer Operationen, wobei einzelne Zahlen in der Regel mehrfach in das Ergebnis einfließen. Dadurch ergibt sich ein komplexes Beziehungsnetzwerk von Zahlen und Operationen, das ausgiebige mathematische Aktivitäten ermöglicht (Verboom 2001, 2002). Dabei können die Lernenden von der speziellen Konstruktion substanzieller Aufgabenformate profitieren.

3.3 Designentwicklung

77

„Die Anordnung des sukzessiv zu verknüpfenden Zahlenmaterials in bildhaften Figuren oder geometrischen Formen, wie es bei vielen Formaten der Fall ist, erleichtert dabei das Verweisen auf bestimmte Zahlen und Aufgaben sowie das Versprachlichen ihrer Eigenschaften, Veränderungen und Beziehungen.“ (Verboom 2002, S. 14)

Die besondere äußere strukturelle Gestaltung substanzieller Aufgabenformate vereinfacht Lernenden somit den strukturorientieren Zugang, der substanziellen Aufgabenformaten innewohnt. Im Gegensatz zu einem anwendungsorientierten Zugang von Aufgaben, bei dem Lernende ihre alltäglichen Vorerfahrungen aufgreifen und nutzen sowie erweitern und vertiefen können, bietet ein strukturorientierter Zugang die Möglichkeit mathematische Gesetze und Beziehungen zu erkunden, indem Muster gefunden, beschrieben und begründet werden. Empirisch konnte bereits gezeigt werden, dass Lernende versuchen, mathematische Strukturen zu erkunden und begründen, auch wenn es keine Anlehnung an die Lebenswirklichkeit der Kinder in den Aufgaben gibt (Steinweg 2005; s. auch „subjektives Beweisbedürfnis“ in Kapitel 2.2.3). Im Zuge der Diskussion über gute Aufgaben verweisen Krauthausen und Scherer darauf, „dass gute Aufgaben nicht zwingend Anwendungsaufgaben sein müssen, die aus dem unmittelbaren physischen Erfahrungsbereich oder der Umwelt der Kinder entnommen werden [...]“ (Krauthausen & Scherer 2008, S.199) und verweisen ebenfalls auf strukturorientierte Ansätze: „Und nicht zuletzt sind auch rein innermathematische Phänomene [...] durchaus in der Lage, Grundschulkinder anhaltend zu faszinieren und zu ausdauernder Aktivität anzuregen“ (Krauthausen & Scherer 2008, S.200). Abbildung 3.2 fasst das Lehr-Lern-Arrangement der vorliegenden Arbeit mit Blick auf die verwendeten Aufgabenformate und die daraus entwickelten Lernumgebungen zusammen.

Abbildung 3.2

Lehr-Lern-Arrangement der vorliegenden Arbeit

78

3 Methode und Design der Untersuchung

In der vorliegenden Arbeit wurden die beiden substanziellen Aufgabenformate Rechenketten und Malkreuze ausgewählt, auf Grundlage derer zwei Lernumgebungen und so das Lehr-Lern-Arrangement entwickelt wurde. Die Lernenden sollen bei der Arbeit in dem Lehr-Lern-Arrangement zum Argumentieren über arithmetische Gleichheiten angeregt werden, um so ein algebraisches Gleichheitsverständnis zu entwickeln. Für die Wahl der beiden substanziellen Aufgabenformate waren insbesondere folgende zwei Kriterien leitend: 1) Es handelt sich um Aufgabenformate, die empirisch noch nicht erforscht sind, da die Erforschung der Entwicklungsprodukte, d.h. der Lernumgebungen, ebenfalls Anliegen der vorliegenden Arbeit ist. 2) Die beiden Aufgabenformate unterscheiden sich konzeptionell, sodass eine facettenreiche Evaluation beider Formate mit Blick auf das vorliegende Lernziel möglich ist. Die Konzeption beider Aufgabenformate wird in Kapitel 3.3.3 und 3.3.4 vorgestellt. 3.3.2 Design-Prinzipien Wie oben beschrieben ist das Lehr-Lern-Arrangement der vorliegenden Arbeit in Form von zwei substanziellen Lernumgebungen angelegt. Im Zuge dieser sind ferner folgende vier Design-Prinzipien bei der Entwicklung des Lehr-LernArrangements leitend: Design-Prinzip 1: Gleichheiten ohne Gleichheitszeichen Wie in Kapitel 1 erläutert, kann das Gleichheitszeichen bei vielen Lernenden eine Aufgabe-Ergebnis-Deutung der Gleichung hervorrufen. Da die Lernumgebungen in der vorliegenden Arbeit so konstruiert werden, dass sie den Blick der Kinder auf die strukturellen Zusammenhänge zwischen den Termen richten, wird auf die Verwendung des Gleichheitszeichens verzichtet. Die Lernenden sollen zunächst einen beziehungsreichen Umgang mit Termen kennen lernen, sodass der Forschungsfrage der vorliegenden Arbeit nach Charakteristika eines algebraischen Gleichheitsverständnisses nachgegangen werden kann. Das Gleichheitszeichen lenkt den Blick der Kinder stets auf das Ermitteln eines Ergebnisses einer Aufgabe, sodass der Fokus auf Beziehungen zwischen den Termen möglicherweise verloren geht. Während andere Forschungsansätze explizit einen relationalen und damit algebraischen Umgang mit dem Gleichheitszeichen thematisieren (z.B. Steinweg 2013), wird in der vorliegenden Arbeit zunächst ein algebraisches Verständnis von Gleichheiten betrachtet (Nührenbörger & Schwarzkopf 2013b). Design-Prinzip 2: Interaktives & kooperatives Setting Den theoretischen Überlegungen aus Kapitel 2 folgend ist das Lehr-LernArrangement der vorliegenden Arbeit in Form eines interaktiven und kooperati-

3.3 Designentwicklung

79

ven Settings angelegt. Die empirische Untersuchung ist daher in Form von Partnerinterviews gestaltet. Insbesondere Kinder vollziehen gerade dann fundamentale Lernprozesse, wenn sie sich in der Interaktion mit anderen befinden (Miller 1986, 2006). Im Austausch mit anderen Lernenden oder Lehrenden können sie ihr bisheriges Wissen überschreiten, indem neue und möglicherweise konträr erscheinende Deutungen diskutiert und zueinander in Beziehung gesetzt werden müssen. Die Lernenden werden in den Lehr-Lern-Arrangements zur kooperativen Auseinandersetzung mit dem mathematischen Gegenstand angeregt, indem neben einzelnen Phasen der individuellen Bearbeitung viele Phasen des wechselseitigen Austauschs sowie des gemeinsamen Arbeitens existieren. Die kooperative Methode der „Weggabelung“ findet dabei mehrfach ihre Anwendung (Häsel-Weide, Nührenbörger, Moser Opitz & Wittich 2013, S. 41). Die Lernenden arbeiten zunächst in Einzelarbeit an strukturell gleichen Problemstellungen. Im Anschluss an diese individuelle Bearbeitungsphase, tauschen sie ihre Lösungen aus, vergleichen und diskutieren sie und können anschließend gemeinsam eine weitere, daran anknüpfende Aufgabenstellung bearbeiten (ebd.). Design-Prinzip 3: Balance zwischen empirischer Situiertheit und relationaler Allgemeinheit Das Lehr-Lern-Arrangement stellt Aufgaben bereit, die Lernende Deutungen in der Balance zwischen empirischer Situiertheit und relationaler Allgemeinheit ermöglichen. Die Aufgaben sind so angelegt, dass die Lernenden über eine rein empirische Deutung im Sinne ausgerechneter Ergebnisse hinausgehen und allgemeine Beziehungen zwischen Aufgaben erkennen und nutzen sollen. Gleichsam arbeiten sie nicht vollkommen losgelöst von dem konkreten Zahlenmaterial, sodass allgemeine Erkenntnisse nicht zur Überforderung führen, sondern stets angeknüpft an das bereits vorhandene Wissen sukzessiv zu fundamentalen Lernprozessen führen. Design-Prinzip 4: Produktive Irritationen Um Lernende aus der Sache heraus zum Argumentieren anzuregen, bedarf es, den Ausführungen in Kapitel 2.2.3 entsprechend, der Initiierung produktiver Irritationen (Nührenbörger & Schwarzkopf 2013b, 2015a, 2015b; Nührenbörger 2015; Schwarzkopf 2015). Die konstruktiven Überlegungen zur Initiierung derartiger Irritationen stellen somit das vierte Design-Prinzip zur Entwicklung der Lehr-Lern-Arrangements dar. Die Aufgaben müssen so gestaltet sein, dass die Kinder bei der Bearbeitung dieser zunächst irritiert sind, da ihre Erwartungen, beispielsweise das Ergebnis der Aufgabe betreffend, nicht erfüllt werden und sie somit vorerst erstaunt oder gar irritiert sind. Gleichsam müssen die Aufgaben den Lernenden die Möglichkeit bieten, anknüpfend an ihre zuvor enttäuschten Erwartungen, neue Deutungen der Situation entwickeln zu können. Im

80

3 Methode und Design der Untersuchung

Kontext der Entwicklung eines algebraischen Gleichheitsverständnisses kann für die Lernenden eine irritierende Entdeckung die Tatsache sein, dass scheinbar unterschiedlich aussehende Aufgaben zu demselben Ergebnis führen (oder andersherum können gleich erscheinende Aufgaben zu unterschiedlichen Ergebnissen führen). Im Zuge des zweiten Design-Prinzips kann die kooperative Methode der Weggabelung genutzt werden, um die Lernenden in individuellen Arbeitsphasen scheinbar unterschiedliche Aufgaben bearbeiten zu lassen, die sie anschließend miteinander vergleichen und die Gleichheit der Aufgaben begründen können. Die Initiierung einer produktiven Irritation im obigen Sinne ist sicherlich nicht bei jeder Aufgabe sinnvoll. So zeigen sich die Kinder womöglich anfangs noch irritiert über die Tatsache, dass unterschiedliche Aufgaben zu gleichem Ergebnis führen können. Haben sie jedoch die strukturellen Beziehungen zwischen den Aufgaben erkannt, so wundern sie sich wahrscheinlich über zukünftige, ähnliche „Irritationen“ nicht mehr. Der Einsatz einer derartigen Irritation erscheint daher insbesondere zu Beginn der Arbeit in dem Lehr-LernArrangement sinnvoll. Die folgende Tabelle fasst die vier Design-Prinzipien zusammen. DesignPrinzip 1 und 3 beziehen sich auf den strukturellen Aufbau der Lernumgebungen, Design-Prinzip 2 und 4 hingegen auf den sozialen Rahmen. Tabelle 3.2 Übersicht über die vier Design-Prinzipien der vorliegenden Arbeit

Struktureller Aufbau der Lernumgebungen

Sozialer Rahmen der Lernumgebungen

Design-Prinzip 1: Gleichheiten ohne Gleichheitszeichen

Design-Prinzip 2: Interaktives und kooperatives Setting

Design-Prinzip 3: Balance zwischen empirischer Situiertheit und relationaler Allgemeinheit

Design-Prinzip 4: Produktive Irritationen

3.3.3 Lernumgebung Rechenketten: Stofflicher Hintergrund und methodische Spezifizierung Die substanzielle Lernumgebung Rechenketten bildet eine von zwei Lernumgebungen des Lehr-Lern-Arrangements. Im Folgenden wird zunächst der stoffliche Hintergrund des Aufgabenformats erläutert, ehe die Umsetzung dessen in der vorliegenden Arbeit vorgestellt wird.

3.3 Designentwicklung

81

Stofflicher Hintergrund Die substanzielle Lernumgebung Rechenketten beruht auf dem gleichnamigen substanziellen Aufgabenformat, welches aus der Schulbuchreihe „Das Zahlenbuch“ entnommen wurde (Wittmann & Müller 2012a, 2012b, 2012c, 2013)22. Folgende Abbildung zeigt die dortige Darstellung.

Abbildung 3.3

Rechenketten im Zahlenbuch 2 und 3 (Wittmann & Müller 2012b, S. 57, 2012c, S.19)

Rechenketten bestehen aus einer Startzahl, die auf der linken Seite notiert wird und einer Zielzahl, die sich auf der rechten Seite befindet. Dazwischen zeigen Pfeile den Übergang von der Startzahl zur Zielzahl an. Über den Pfeilen werden Operationen notiert, die den Übergang von der Start- zur Zielzahl mathematisch erkenntlich machen. Durch die lineare Darstellung von links nach rechts und die Nutzung der Pfeile erwecken die Rechenketten eine dynamische Sichtweise auf die Aufgabe. Der Lernende startet auf der linken Seite und wird mit Hilfe der Darstellung durch den Rechenprozess geleitet. Typische Aufgabenstellungen im Kontext von Rechenketten fokussieren im Sinne des operativen Prinzips die Auswirkungen der durchzuführenden Operationen. Die Lernenden werden dazu aufgefordert, Start- und Zielzahlen der Rechenketten miteinander zu vergleichen und ihre Entdeckungen zu begründen (Abb. 3.4).

Abbildung 3.4

22

Aufgabenstellungen im Kontext von Rechenketten (Wittmann & Müller 2012b, S. 57, 2012c, S.19)

Verboom (2001) beschreibt mit dem Begriff Rechenketten ein anderes Aufgabenformat.

82

3 Methode und Design der Untersuchung

Auf die Startzahlen wirken unterschiedliche Operationen ein, die eine bestimmte Auswirkung erzeugen. So verändern sich die Startzahlen in den obigen Beispielen aufgrund der durchzuführenden Operationen um +10 im linken Beispiel und um +1, +2 und -1 im rechten Beispiel. Die Lernenden werden aufgefordert, die Veränderungen zu begründen und somit die Ein- und Auswirkungen in einem kausalen Zusammenhang zu sehen. Mit Blick auf den vorliegenden Lerngegenstand der arithmetischen Gleichheiten bieten Rechenketten die Möglichkeit einer „Kettennotation“, welche in einer Gleichung dargestellt mathematisch falsch wäre und daher zu vermeiden gilt. So stellen die oben aufgeführten Aufgaben folgende Kettennotationen dar: 5+8=13+2=15 und 3·7=21+7=28:7=4 Die Gleichheitszeichen zeigen hier keine Gleichwertigkeit der Terme an (5+8≠13+2 und 3·7≠21+7, 21+7≠28:7) und dürfen daher auf diese Weise nicht verwendet werden (s. Kapitel 1). Die Rechenkette zeichnet sich somit als spezielles Darstellungsmittel der Grundschule aus, indem durch den Verzicht auf die formale Gleichungsnotation den Lernenden die Möglichkeit der Kettennotation gegeben wird, ohne dabei mathematische Normen zu verletzen. Die Alternative einer mathematisch korrekten Kettennotation in Form einer Gleichung verzichtet auf die Darstellung der Zwischenergebnisse und sehe für obige Beispiele wie folgt aus: (5+8)+2=15 und [(3·7)+7]:7=4. Eine Besonderheit der Rechenkette im Gegensatz zur formalen Gleichungsnotation stellt demnach die explizite Notation der Zwischenergebnisse dar (Mayer & Nührenbörger 2016). Wittmann und Müller (2007) verweisen ferner auf die Möglichkeit zur Förderung prozessbezogener Kompetenzen im Kontext von Rechenketten. „Rechenketten bilden einen besonders ergiebigen Kontext für die Förderung allgemeiner Kompetenzen. Sie bieten viele Möglichkeiten zur Variation, was wiederum den Vorteil hat, dass Prozesse des Problemlösens, Entdeckens, Beschreibens und Begründens in ähnlicher Form vielfach wiederholt werden.“ (Witmann & Müller 2007, S.60)

Insbesondere die Anregung zum Begründen spielt für die vorliegende Arbeit eine besondere Rolle (s. Kapitel 2.2). Können Kinder durch das Aufgabenformat Rechenketten zum Begründen angeregt werden, eröffnet sich eine Lernchance zur Entwicklung eines algebraischen Gleichheitsverständnisses. Methodische Spezifizierung in der vorliegenden Arbeit Basierend auf dem Aufgabenformat Rechenketten wurde in der vorliegenden Arbeit eine Interviewreihe bestehend aus drei Interviewstunden entwickelt. Die Darstellung der Rechenketten wurde im Vergleich zu der Darstellung im Schulbuch leicht verändert. Folgende Abbildung zeigt ein Rechenketten-Beispiel aus einer Interviewstunde.

3.3 Designentwicklung

Abbildung 3.5

83

Rechenkette aus der vorliegenden Arbeit

In den Rechenketten der vorliegenden Arbeit wurden die Startzahlen, die Mittelbzw. Zwischenzahlen sowie die Zielzahlen in einem Kasten dargestellt. Die Pfeile wurden so vergrößert, dass die Operationen innerhalb der Pfeile notiert werden können. Dies schafft eine deutliche optische Trennung der Objekte (Start-, Mittel-, Zielzahlen) und Operationen (Pfeilzahlen). Die zunehmende Verknüpfung von Objekten und Operationen hin zu einer Gesamtdarstellung stellt ein wesentliches Charakteristikum algebraischen Denkens dar (s. Kapitel 1.2.2) und kann möglicherweise mit einer bewussten Hervorhebung beider Aspekte unterstützt werden. Wie bereits oben erläutert, legt die Rechenketten-Darstellung eine dynamische Sichtweise auf die Aufgaben nahe. Um der oftmals damit einhergehenden Aufgabe-Ergebnis-Deutung von Rechenaufgaben vorzubeugen, wurden die Aufgaben in der Interviewreihe so konstruiert, dass sie einen Vergleich von mindestens 2 Rechenketten fordern. Es besteht weiterhin die Möglichkeit, die einzelnen Rechenketten im Sinne einer Aufgabe-Ergebnis-Deutung zu verstehen, jedoch bieten die Aufgaben durch einen Vergleich der Ketten die Möglichkeit, darüber hinaus Strukturen in den Blick zu nehmen. Des Weiteren wurden die Zahlen in den Rechenketten zum Teil im Zahlenraum bis 1000 gewählt, in dem sich die Lernenden Anfang des vierten Schuljahres bewegen, zum Teil jedoch auch darüber hinaus, um explizit eine Notwendigkeit zu schaffen, Strukturen zwischen den Aufgaben auszunutzen (s. auch Steinweg 2013). Im Folgenden werden fünf exemplarische Aufgaben aus der Interviewreihe „Rechenketten“ vorgestellt, welche sich in den Analysen wiederfinden.23

23

Eine Darstellung aller Aufgaben befindet sich im Anhang.

84

3 Methode und Design der Untersuchung

1) Vergleichen von 30er-Rechenketten

Abbildung 3.6

Aufgabe „30er-Ketten vergleichen“

Bei dieser Aufgabe arbeiten die Lernenden zunächst in Einzelarbeit. Dabei wird einem Kind der linke Rechenketten-Block (beginnend bei Startzahl 4) vorgelegt und dem anderen Kind der rechte Block (beginnend bei Startzahl 6). Die Kinder berechnen zunächst ihre Rechenketten und versuchen, ein Muster zu entdecken und dieses anschließend fortzusetzen. Sie können die operative Veränderung der jeweiligen Startzahlen feststellen und die daraus resultierende Wirkung auf Mittel- und Zielzahl. Algebraisch kann die Veränderung wie folgt beschrieben werden: ·a ±a x x·a x·a± a x +1 (x +1)+1 (x +1+1)+1

·a ·a ·a

(x+1)·a [(x +1)+1]·a [(x +1+1)+1]·a

±a ±a ±a

(x·a± a)+a (x·a± a+a)+a (x·a± a+a+a)+a

Die Startzahlen erhöhen sich immer um 1. Die Operatoren in den Pfeilen bleiben unverändert. Die Zielzahl erhöht sich in Folge dessen stets um a, in dem obigen Beispiel stets um 30. An die Einzelarbeitsphase schließt sich eine Partnerarbeitsphase an, in der die Kinder dazu aufgefordert werden, ihre Rechenketten miteinander zu vergleichen. Im Sinne einer „Weggabelung“ (s. Design-Prinzip 2, Kapitel 3.3.2) bearbeiten die Kinder zunächst eigenständig eine Aufgabe und machen individuelle Entdeckungen, ehe sie ihre Entdeckungen anschließend miteinander vergleichen und gemeinsam zu weiteren Erkenntnissen gelangen können. Die individuellen

3.3 Designentwicklung

85

Entdeckungen, z.B. die konstante Erhöhung der Zielzahl um 30, können die Lernenden austauschen und vergleichen, ehe sie dann gemeinsam die Gleichheit von jeweils zwei nebeneinander liegenden Rechenketten in den Blick nehmen. Algebraisch lässt sich die Gleichheit auf folgende Weise beschreiben: x

·a

x·a

+a

x·a+a

·a

x+2

(x+2)·a

-a

x·a+2·a-a =x·a+a

Die Startzahlen des rechten Rechenkettenblocks sind um 2 größer als die des linken (Abb. 3.6). Der erste Operator ist der gleiche, der zweite Operator ist auf der rechten Seite subtraktiv, auf der linken Seite additiv. Die Zielzahlen sind bei beiden Blöcken gleich. Die Gleichheit der Zielzahlen trotz unterschiedlicher Aufgaben, die sich aufgrund der distributiven Verknüpfung ergibt, bietet die Möglichkeit einer produktiven Irritation, über die die Lernenden zum Argumentieren über Gleichheiten angeregt werden können. 2) Zuordnen der Rechenketten zur Zielzahl 2450

2450 2450

Abbildung 3.7

2450

2450

2450

Aufgabe „Rechenketten mit Zielzahl 2450 erkennen“

Den Lernenden werden die oben abgebildeten Rechenketten sowie einzelne Zahlenkärtchen vorgelegt. Sie sollen gemeinsam herausfinden, welche der langen Rechenketten ebenfalls in der Zielzahl 2450 resultiert. Die entsprechenden Rechenketten markieren sie anschließend durch das Aufkleben des Zahlkärtchens. Durch die Wahl von Zahlen, die den bisher in der Schule thematisierten Zahlenraum überschreitet, sollen die Kinder dazu angeregt werden, auf die Berechnung der Mittelzahl zu verzichten und sich auf einen strukturellen Vergleich zu konzentrieren. Die Rechenkette mit Zielzahl 2450 bietet ihnen dabei durch die kurze Form einen möglichen Ausgangspunkt für den Vergleich. Alle gleich-

86

3 Methode und Design der Untersuchung

wertigen Rechenketten, d.h. alle Rechenketten mit Zielzahl 2450 lassen sich aufgrund des Distributivgesetzes in die kurze Rechenkette bzw. ineinander überführen: ·a x

x·a ·a

x±b

±b·a (x±b)·a

x·a±b·a±b·a

Werden die beiden Operationen zu Beginn und im zweiten Pfeil gegensinnig gewählt, neutralisieren sie sich und es entsteht eine zur kurzen Rechenkette gleichwertige Kette, da gilt +b·a-b·a=0 bzw. –b·a+b·a=0. Diese algebraische Beziehung liegt neben dieser Aufgabe ebenso den folgenden beiden Aufgaben zugrunde. 3) Finden von Rechenketten mit gleicher Zielzahl

Abbildung 3.8

Aufgabe „Rechenketten mit gleicher Zielzahl finden“

In dieser Aufgabe sollen die Lernenden, ähnlich wie in der Aufgabe „Zuordnen der Rechenketten zur Zielzahl 2450“, Rechenketten mit gleicher Zielzahl finden. Anders als in der obigen Aufgabe ist hier jedoch keine Zielzahl vorgegeben. Den Kindern stehen die beiden kurzen Rechenketten zur Verfügung, mit Hilfe derer sie gleichwertige lange Rechenketten herausfinden können. Die Kinder sollen über einen Vergleich der Strukturen gleichwertige Ketten und damit gleiche Zielzahlen identifizieren. Analog zur obigen Aufgabe sind alle langen Rechenketten in der Form (x±b)·a±b·a vorzufinden, welche sich stets aufgrund ihrer distributiven Verknüpfung in eine der beiden kurzen Rechenket-

3.3 Designentwicklung

87

ten überführen lassen. Auch hier müssen dafür die Startzahlen sowie die Operationen miteinander verglichen und in Beziehung gesetzt werden. Der geschwärzte Kasten deutet auf den Verzicht der Berechnung der Mittelzahl hin. Die Operationen im zweiten Pfeil sind in Form eines Operationszeichens verknüpft mit einer Zahl dargestellt oder aber auch als Verknüpfung zweier Operationen (z.B. von Addition und Multiplikation). Die Verknüpfung zweier Operationen erleichtert möglicherweise den Lernenden den Vergleich der Ketten, da die Operation im zweiten Pfeil nicht erst als Ergebnis einer zuvor durchgeführten Operation umgedeutet werden muss. 4) Finden des zweiten Operators

Abbildung 3.9

Aufgabe „Zweite Pfeilzahl finden“

Anders als in den obigen Aufgaben wird in dieser Aufgabe der Fokus nicht auf die Ermittlung oder den Vergleich der Zielzahlen gelegt, sondern auf die Bestimmung des zweiten Operators. Analog zur vorherigen Aufgabe ist der Kasten für die Mittelzahl geschwärzt, um die Kinder dazu anzuregen, diese nicht zu berechnen, sondern stattdessen die Struktur der Aufgaben miteinander zu vergleichen. Die zweite Pfeilzahl kann, ähnlich zur Aufgabe „Finden von Rechenketten mit gleicher Zielzahl“, sowohl als Operation in Form eines Operationszeichens verknüpft mit einer Zahl dargestellt werden oder aber auch als Verknüpfung zweier Operationen. Anders als in den obigen Aufgaben ist die Gleichheit der Rechenketten durch die gleichen Zielzahlen vorgegeben, sodass die Lernenden diese nicht erkennen, sondern durch die Wahl der passenden Operation herstellen sollen.

88

3 Methode und Design der Untersuchung

5) Verlängern der Rechenketten

Abbildung 3.10 Aufgabe „Rechenketten verlängern“

In der Aufgabe „Verlängern der Rechenketten“ wird den Lernenden eine kurze Rechenkette, 327·60=19620, vorgegeben. Diese sollen sie so verändern, dass die Anzahl der Operatoren zunimmt, Start- und Zielzahl jedoch erhalten bleiben. Die Kinder können die Kette sukzessiv um einen Pfeil verlängern, indem sie einen Pfeil multiplikativ zerlegen. Der assoziativen Eigenschaft der Multiplikation entsprechend bleibt das Produkt gleich. Die Lernenden erzielen so auf unterschiedliche Weise hier stets dieselbe Wirkung. Algebraisch kann die Verlängerung der Rechenketten auf folgende Weise beschrieben werden: ·a x

x·a ·

·b

x

x· ·

x

x·a

/

·c x

/

·b x·

x·a

Ein Operator wird multiplikativ zerlegt, sodass in der darauffolgenden Rechenkette ein weiterer Operator hinzukommt. Anzunehmen ist, dass Grundschulkin-

3.3 Designentwicklung

89

/

, usw. natürliche Zahlen wählen, da sie wahrscheinlich eine posider für , tive ganzzählige Zerlegung der jeweiligen Operatoren suchen. Jedoch sind auch Dezimalzahlen denkbar und werden insbesondere im Zuge einer halbierenden Strategie möglicherweise auch genutzt. Die Kinder bearbeiten zunächst eine analoge Aufgabe in einem den Kindern bekannten Zahlenraum, ehe sie sich anschließend mit dieser Aufgabe beschäftigen. Die Zahlen überschreiten hier erneut den Zahlenraum, um ein strukturelles Vorgehen der Kinder anzuregen, indem die Entdeckungen aus dem kleineren Zahlenraum genutzt werden können. Die Verlängerung der Pfeile endet mit der Primfaktorzerlegung (327·2·2·3·5) und somit bei der vorletzten Rechenkette. 3.3.4 Lernumgebung Malkreuze: Stofflicher Hintergrund und methodische Spezifizierung Die zweite substanzielle Lernumgebung, die in dem Lehr-Lern-Arrangement der Arbeit verwendet wird, ist die Lernumgebung Malkreuze. Analog zu den obigen Ausführungen wird im Folgenden zunächst der stoffliche Hintergrund dieses Aufgabenformats dargelegt, ehe die Umsetzung in der Interviewreihe vorgestellt wird. Stofflicher Hintergrund Ebenso wie das Aufgabenformat Rechenketten stammt auch das Aufgabenformat Malkreuze aus der Schulbuchreihe „Zahlenbuch“ (Wittmann & Müller 2012c, 2013). Die folgende Abbildung zeigt die Darstellung und Nutzung dieses Aufgabenformats im Schulbuch.

Abbildung 3.11 Malkreuz-Aufgabe im Zahlenbuch 4 (Wittmann & Müller 2013, S. 19)

Das Malkreuz stellt auf symbolischer Ebene eine Multiplikationsaufgabe dar und ist analog zur ikonischen Darstellung des Punktefeldes aufgebaut. Entsprechend des Distributivgesetzes werden die Faktoren zerlegt und einzelne Teilpro-

90

3 Methode und Design der Untersuchung

dukte bestimmt, ehe diese anschließend zu einem Gesamtergebnis addiert werden. In der oberen Zeile sowie der rechten Spalte werden Zahlen notiert, welche – analog zum Punktefeld – die Zerlegungen der Faktoren angeben. Diese werden miteinander multipliziert und die Ergebnisse werden in die Innenfelder eingetragen. Ein Malkreuz kann dabei, wie im obigen Beispiel, aus vier Innenfelder bestehen, sofern sowohl der erste als auch der zweite Faktor in jeweils zwei Teile zerlegt wird. Eine Zerlegung von jeweils nur einem Faktor und ein daraus resultierendes kleineres Malkreuz mit beispielsweise lediglich zwei Innenfeldern ist auch möglich und insbesondere in Jahrgangsstufe 3 vorzufinden (Wittmann & Müller 2012c). Unten rechts befindet sich ein Kasten, in den das Gesamtergebnis eingetragen wird (Abb. 3.11). Im Schulbuch wird das Malkreuz häufig im Kontext der Zerlegung von Einmaleins Aufgaben verwendet. Dabei wird die Zerlegung zunächst am Punktefeld vorgenommen und anschließend von dem ikonischen Repräsentationsmodus in den symbolischen, in das Malkreuz, übertragen (Wittmann & Müller 1994a, 1994b, 2012c, 2013). Die Zerlegung von Einmaleins-Aufgaben im Malkreuz ermöglicht die relativ unkomplizierte Berechnung von EinmaleinsAufgaben mit großen Zahlen, da diese auf Grundlage ihrer distributiven Eigenschaft in kleinere Teile zerlegt werden können. Daher eignet sich das Malkreuz als halbschriftliche Rechenstrategie, mit der Ergebnisse großer EinmaleinsAufgaben ermittelt werden können (Wittmann & Müller 1994a). So wird es u.a. auch zur Durchführung der Probe bei Divisionsaufgaben verwendet (Wittmann & Müller 1994a). Im Schulbuch und den dazugehörigen Unterrichtsvorschlägen wird dem Malkreuz stets eine eher funktionale Komponente im Sinne eines „Rechenwerkzeugs“ zugeschrieben. Die folgende methodische Spezifizierung zeigt die davon abweichende Verwendung in der vorliegenden Arbeit. Methodische Spezifizierung in der vorliegenden Arbeit Ergänzend zu dem zuvor dargestellten Aufgabenformat Rechenketten wurde in der vorliegenden Arbeit eine weitere Interviewreihe bestehend aus zwei Interviewstunden entwickelt, die auf dem Aufgabenformat „Malkreuze“ basiert. Im letzten Zyklus der iterativen Erprobung wurden Kinderpaare ausgewählt, die das Aufgabenformat Malkreuze bereits kannten, sodass es keine Einführung in das Aufgabenformat mehr bedurfte. Anders als bei den Rechenketten stellte sich in den vorherigen Erprobungszyklen heraus, dass eine Einführung des Aufgabenformats Malkreuze verbunden mit Aufgaben zur Entwicklung eines algebraischen Gleichheitsverständnisses in nur 2 bis 3 Interviewstunden zur Überforderung der Lernenden führte. Daher wurde im letzten Zyklus auf eine Einführung des Aufgabenformats verzichtet und lediglich zwei Interviewstunden durchgeführt, in der die Kinder Aufgaben zur Entwicklung eines algebraischen Gleichheitsverständnisses bearbeiten.

3.3 Designentwicklung

91

Die folgende Aufgabe stammt aus der zweiten Interviewstunde und findet ebenso wie die in Kapitel 3.3.3 dargestellten Rechenketten-Aufgaben in den Analysen Verwendung. Anders als bei den obigen Aufgaben handelt es sich hier um eine größere Aufgabe, welche in einzelne Unteraufgaben gegliedert ist. In den Analysen werden mehrere dieser Unteraufgaben thematisiert. Quadratzahlen nutzen

Abbildung 3.12 Aufgabe im Aufgabenformat Malkreuze aus der vorliegenden Arbeit

Bei der Aufgabe sollen die Lernenden vorgegebene Multiplikationsaufgaben mit Hilfe von Quadratzahlaufgaben lösen. Dafür bekommen sie eine „QuadratzahlListe“, auf der die Quadratzahlen von 11·11 bis 20·20 vorzufinden sind. Ferner erhalten sie zahlreiche Malkreuze, in denen die Quadratzahl-Aufgaben jeweils notiert sind (in der obigen Abbildung sind lediglich die 11·11 und 12·12 Quadratzahl-Karten abgedruckt, die restlichen Malkreuze sind analog aufgebaut). Die Lernenden bekommen verschiedene Multiplikationsaufgaben vorgelegt (13·12, 14·15, 17·19, 16·13) und sollen diese im Malkreuz berechnen. Dabei sollen sie eine Quadratzahl-Aufgabe auswählen und diese bzw. das entsprechende Malkreuz so erweitern, dass das Ergebnis der vorgelegten Aufgabe berechnet werden kann. Anders als in den Schulbüchern wird das Malkreuz hier nicht für die Zerlegung von Einmaleins Aufgaben genutzt, sondern für das Zusammenfügen

92

3 Methode und Design der Untersuchung

dieser. Den Aufgaben liegt somit eine andere additive Grundvorstellung zugrunde. Bei der Aufgabe 13·12 kann zum Beispiel das 12·12 Malkreuz ausgewählt werden und um 1·12 ergänzt werden (s. Abb. 3.13).

Abbildung 3.13 12·12-Malkreuz zur Aufgabe 13·12

Die Lernenden nutzen bei der Bearbeitung der Aufgabe eine QuadratzahlAufgabe, x·x=x2, und verändern diese. Dabei kann ein Faktor beibehalten werden und der andere verändert werden: (x±a)·x=x2±a·x oder der Kommutativität entsprechend x·(x±a)= x2±a·x. Gleichsam können auch beide Faktoren einer Quadratzahl-Aufgabe verändert werden: (x±a)·(x±b)=x2±b·x±a·x±a·b. So könnte für die obige Aufgabe ebenso die Quadratzahl-Aufgabe 11·11 genutzt werden, indem der erste Faktor um 2 und der zweite Faktor um 1 vergrößert wird: 13·12=(11+2)·(11+1)= 11·11+11·1+2·11+2·1. Ähnlich wie bei der Rechenketten-Aufgabe „Finden des zweiten Operators“ wird eine Aufgabe hier so erweitert, dass die Gleichwertigkeit mit einer zweiten Aufgabe hergestellt wird. Anders als bei der Rechenketten-Aufgabe müssen die Lernenden hier jedoch die zu verändernde Aufgabe zunächst mit Blick auf geschickte Rechenstrategien auswählen. Die auszuwählenden Aufgaben sind Quadratzahl-Aufgaben. Analog zu den Kernaufgaben des Einmaleins sollen die Lernenden diese „besonderen“ Aufgaben nutzen und weitere Aufgaben in Beziehung dazu deuten, um so geschickt Ergebnisse bestimmen zu können. Im Zuge flexiblen Rechnens ist dies eine immer wiederkehrende Strategie.

3.4 Aufbau und Ablauf der empirischen Untersuchung Die empirische Untersuchung findet den Grundsätzen der fachdidaktischen Entwicklungsforschung entsprechend in einem iterativen Vorgehen statt (s. Kapitel 3.1). Zwischen Oktober 2013 und Oktober 2014 wurden drei Erprobungszyklen an vier verschiedenen Grundschulen durchgeführt (s. Abb. 3.14). Da die Schülerinnen und Schüler, die an der Erprobung teilnahmen, von den zuständigen Lehrpersonen als eher leistungsstärkere Lernende im Fach Mathematik eingestuft werden sollten, wurden verschiedene Schulen für die Erprobung ausgewählt. So konnten mehrere Kinderpaare mit dieser Voraussetzung gefunden werden.

3.5 Analysemethoden

93

Abbildung 3.14 Iterativer Erprobungszyklus der vorliegenden Arbeit

Bei der Erprobung wird hauptsächlich in einem Interviewsetting gearbeitet. Dabei werden je Erprobungszyklus beide Lernumgebungen mit verschiedenen Kinderpaaren der vierten Klasse erprobt. Bei den Lernenden handelt es sich um eher leistungsstarke Viertklässler im Fach Mathematik, da angenommen wird, dass diese die vier Grundrechenarten weitestgehend sicher beherrschen und der Fokus somit auf die Beziehungen zwischen gleichwertigen Termen gelegt werden kann. An der Untersuchung nehmen insgesamt 34 Kinder in Form der Partnerinterviews teil sowie zwei Schulklassen in Form von Klassenunterricht. Es werden 88 Interviews durchgeführt und per Videokamera aufgezeichnet. Von den acht durchgeführten Unterrichtsstunden werden vier Stunden gefilmt. Die Länge der Interviews variiert zwischen 20 und 50 Minuten, bei den Unterrichtsstunden handelt es sich um 45minütige Einheiten.

3.5 Analysemethoden Die Daten werden im Sinne der fachdidaktischen Entwicklungsforschung im Dortmunder Modell im iterativen Prozess ausgewertet, sodass daraus folgend das Design überarbeitet werden kann. Nach Beenden der Erprobung wird eine detaillierte Feinanalyse ausgewählter Daten vorgenommen. Dabei werden die Daten der interpretativen Unterrichtsforschung entsprechend qualitativ analysiert und einige Daten darüber hinaus mit der Argumentationsanalyse nach

94

3 Methode und Design der Untersuchung

Toulmin weiter untersucht. Beide Analysemethoden werden im Folgenden vorgestellt. 3.5.1 Interpretative Unterrichtsforschung Bei der interpretativen Unterrichtsforschung in der Mathematikdidaktik werden (in der Regel alltägliche) Unterrichtsprozesse rekonstruiert und daraus allgemeine Theorien über Vorstellungen und Sichtweisen von und auf Mathematik und Mathematikunterricht sowie über Lehr-Lernprozesse generiert (Jungwirth 2003; Krummheuer 2004). Die interpretative Unterrichtsforschung hat sich Ende der 70er Jahre im deutschsprachigen Raum etabliert und distanziert sich bewusst von der Implementationsforschung (Jungwirth 2003; Krummheuer 2004). Während diese auf die Erforschung der Umsetzung von theoretisch ausgearbeiteten Unterrichtskonzeptionen in der Praxis abzielt, versucht die interpretative Unterrichtsforschung, ähnlich wie die in Kapitel 3.1 beschriebene Forschungsrichtung der Fachdidaktischen Entwicklungsforschung im Dortmunder Modell, bestimmte Merkmale und Situationen im Unterricht aufzudecken, zu beschreiben und auf sie hinzuweisen sowie bestimmte Deutungs- und Handlungsmuster der Lernen- und Lehrenden zu identifizieren und zu beurteilen (Krummheuer & Naujok 1999). Die interpretative Unterrichtsforschung zielt ebenso auf die Verbesserung von Unterricht ab, legt ihren Fokus jedoch auf das vorherige Beschreiben und Verstehen von Unterricht und den dort ablaufenden Lehr-Lern-Prozessen (Krummheuer & Naujok 1999; Krummheuer 2004). Durch die daraus gewonnenen theoretischen Einsichten können wiederum Bedingungen zur Veränderbarkeit von Unterricht identifiziert werden und es kann so zu einer Verbesserung von Unterricht kommen (Krummheuer & Naujok 1999). Krummheuer und Naujok (1999) beschreiben fünf Charakteristika interpretativer Unterrichtsforschung, wovon die ersten zwei Unterrichtsforschung im Allgemeinen charakterisieren und die anderen spezifisch für die interpretative Unterrichtsforschung sind. Arbeiten in der Unterrichtsforschung möchten den jeweiligen Untersuchungsgegenstand erforschen und ferner im Kontext dessen Vorschläge zur Verbesserung von Unterricht machen, der dann zu einer Verbesserung der Fähigkeiten und Fertigkeiten der Lernenden führt (ebd.). Charakteristisch für Unterrichtsforschung ist daher zum einen der hohe Erwartungsdruck der Öffentlichkeit, dass die Forschungsergebnisse eine positive Entwicklung der Lernerfolge der Schülerinnen und Schüler bewirken. Zum anderen werden in der Unterrichtsforschung, anders als in anderen Forschungsrichtungen, die Beteiligten, d.h. die Lehrenden, in den Adressatenkreis integriert, da sie die gewonnenen theoretischen Erkenntnisse wiederum aufgreifen und nutzen sollen (ebd.). Interpretative Unterrichtsforschung im Besonderen zeichnet sich ferner durch die Fokussierung auf alltägliche Unterrichtsprozesse, ein rekonstruktives Vorgehen sowie eine konstruktivistische Grundposition aus (ebd.). Die Fokussierung auf alltägliche Unterrichtsprozesse spielt in anderen Ausführungen eine

3.5 Analysemethoden

95

eher untergeordnete Rolle (Jungwirth 2003) oder wird kritisch betrachtet (Voigt 1995) und ist auch für die vorliegende Arbeit nicht zentral, da es sich dem Forschungsprogramm fachdidaktischer Entwicklungsforschung im Dortmunder Modell entsprechend in der Arbeit um die Beforschung von Kleingruppenprozessen in Laborsituationen handelt. Die konstruktivistische Grundposition wurde bereits in Kapitel 2.1.1 dargestellt, sodass im Folgenden das Augenmerk auf das methodische Vorgehen der Rekonstruktion gelegt wird. In der interpretativen Unterrichtsforschung werden Unterrichtsprozesse mit Hilfe geeigneter Datengewinnung und –aufbereitung rekonstruiert. Zur Datengewinnung dienen sowohl Ton- als auch Kameraaufzeichnungen, um verbale, paraverbale und nonverbale Informationen festzuhalten. Neben Klassenunterricht können auch Interviews mit einzelnen Schülern oder Schülerpaaren sowie Gruppenarbeiten aufgezeichnet werden. Ferner können zur Datengewinnung die Arbeitsmaterialien der Lernenden eingesammelt bzw. kopiert werden (Jungwirth 2003; Krummheuer & Naujok 1999). Die interpretative Unterrichtsforschung ist an dem „überdauernden Sinngehalt“ der Äußerungen im Unterrichtsprozess interessiert (Jungwirth 2003, S. 193) und versucht daher, diese auf verschiedene Weise zu interpretieren, um am Ende eine allgemeingültige Theorie zu generieren. Dafür ist die Verschriftlichung der Daten von zentraler Bedeutung. Neben allgemeinen Situationsbeschreibungen werden insbesondere Transkripte der zu analysierenden Episoden angefertigt. Häufig wird zunächst ein Grobtranskript erstellt, welches zunehmend verfeinert wird. Wenngleich das Anfertigen des Transkriptes selbst schon ein interpretativer Akt ist, da der Forschende die Transkripteinheit auswählt, soll beim Erstellen des Transkriptes auf eine Interpretation so gut wie möglich verzichtet werden (Krummheuer & Naujok 1999). Nachdem die Transkripte erstellt wurden, wird eine Interaktionsanalyse durchgeführt. Dabei wird der Frage nachgegangen, wie die Beteiligten in der Interaktion eine „als gemeinsam geteilt geltende Deutung“ hervorbringen (Krummheuer & Naujok 1999, S. 68; s. Kapitel 2.1.4). Zunächst wird die Interaktionseinheit gegliedert und allgemein beschrieben. Darauf folgt eine ausführliche Analyse der Einzeläußerungen, ehe diese anschließend in einer Turn-byTurn-Analyse mit Blick auf die vorherigen Aussagen interpretiert werden. Zum Abschluss findet eine alle Äußerungen einschließende zusammenfassende Interpretation statt (ebd.). In der Analyse geht es stets darum, verschiedene mögliche Interpretationen zu erfassen und Begründungen für die Gültigkeit einzelner Interpretationen zu suchen. Dabei können das Transkript, der Kontext der Analyseeinheit oder theoretische Annahmen als Begründungsgrundlage dienen (Voigt 1995). Während der Interaktionsanalyse oder darüber hinaus ist der Vergleich verschiedener Einzelfälle eine wesentliche Bedingung für die Generierung allgemeingültiger theoretischer Erkenntnisse in der interpretativen Unterrichtsforschung (Jungwirth 2003; Krummheuer & Naujok 1999). Das Prinzip der Kom-

96

3 Methode und Design der Untersuchung

paration ermöglicht „dichtere und empirisch gehaltvollere“ theoretische Ergebnisse, da es über den Status von einzelnen Fallanalysen hinaus geht und Phänomene über eine Reihe von Analysen hinweg belegt (ebd.). Krummheuer und Naujok (1999) betrachten das Prinzip der Komparation nicht als einzelnen analytischen Arbeitsschritt, sondern als methodischen Ansatz zur Generierung von Theorien in der interpretativen Unterrichtsforschung (ebd,). Das methodische Vorgehen in der interpretativen Unterrichtsforschung ist den obigen Ausführungen zufolge aufwändig, zeitintensiv und komplex und kann daher in Forschungsarbeiten nicht getreu abgebildet werden. Als wichtige Kriterien für die Darstellung des Forschungsprozesses gelten Transparenz sowie Nachvollziehbarkeit der Forschungsarbeit und der Ergebnisse. Im Folgenden wird die Argumentationsanalyse nach Toulmin vorgestellt, welche das obige Analysevorgehen in der vorliegenden Arbeit ergänzt. 3.5.2 Argumentationsanalyse nach Toulmin In der interpretativen Unterrichtsforschung werden im Allgemeinen Unterrichtsprozesse analysiert. Im Rahmen der vorliegenden Arbeit handelt es sich um Kleingruppenprozesse im Interviewsetting. Hier sind für das Forschungsinteresse der Arbeit insbesondere die Analyse der in der Interaktion zwischen den Beteiligten hervorgebrachten Argumente von besonderer Bedeutung (s. Kapitel 2). Dafür wird auf die von Toulmin (1974, 2003) entwickelte und in der mathematikdidaktischen Forschung vielfach angewandten Analysemethode der funktionalen Argumentationsanalyse24 zurückgegriffen (Krummheuer 2003; Meyer 2007; Schwarzkopf 2000, 2001). In der Argumentationsanalyse nach Toulmin werden die einzelnen Sätze in einem Argument hinsichtlich ihrer dortigen Funktion analysiert. Auf diese Weise kann die Gültig- bzw. Ungültigkeit eines Arguments, die diesem in der Interaktion zugeschrieben wird, in Abhängigkeit der Strukturierung des Arguments betrachtet werden. Nach Toulmin können fünf funktionale Komponenten eines Arguments ausgemacht werden, welche mit Hilfe einer systematischen Darstellung zu Analysezwecken veranschaulicht werden können. Im Folgenden werden diese fünf Komponenten beschrieben und anhand eines fiktiven Arguments im Kontext von arithmetischen Gleichheiten erläutert. Am Anfang eines Arguments steht zunächst eine Behauptung. Von einem Argument kann dann gesprochen werden, wenn diese Behauptung anschließend in Frage gestellt wird. Die Gültigkeit der aufgestellten Behauptung muss daraufhin gerechtfertigt werden. Wird eine Behauptung von den Interaktionsteilnehmern nicht angezweifelt und werden dadurch keine weiteren Belege hervor24

Der Begriff der „funktionalen“ Argumentationsanalyse stammt von J. Kopperschmidt (1989, S. 123) und basiert auf der Differenzierung der fünf funktionalen Komponenten eines Arguments.

3.5 Analysemethoden

97

gebracht, wird nicht von einem Argument gesprochen (Toulmin 2003). Im Sinne Schwarzkopfs (2000) bedarf es für eine Argumentation einen explizit hervorgebrachten Begründungsbedarf, der von den Beteiligten zu befriedigen versucht wird. Eine Aussage in Form einer Behauptung alleine reicht somit nicht aus. Wird eine Behauptung nun angezweifelt, wird versucht, sie zu begründen. Sie bildet dann als Konklusion die erste Komponente des Argumentationsschemas.25 Dafür werden Fakten präsentiert, auf deren Grundlage die Behauptung basiert. Toulmin (2003) bezeichnet diese Fakten als „ground which we produce for the original assertion“ (Toulmin 2003, S. 90). Die angeführten Fakten zur Begründung der Behauptung werden im Argumentationsschema als Datum benannt. Im Gegensatz zur Konklusion ist das Datum eine unangezweifelte, von allen Teilnehmern akzeptierte Aussage, von der auf die Behauptung konkludiert werden kann. Die Beziehung von Datum und Konklusion ist auf zwei Weisen interpretierbar: Entweder wird aus dem Datum eine Konklusion geschlussfolgert, kurz gesagt: „Datum, deshalb Konklusion“, oder die Konklusion erhält ihre Gültigkeit aufgrund des Datums, kurz gesagt: „Konklusion, weil Datum“ (Toulmin 2003, S. 99). Die nächste Komponente in der Analyse eines Arguments ist die Argumentationsregel (engl. „warrant“, deutsche Übersetzung nach Schwarzkopf 200126). Sie liefert keine weiteren Fakten, sondern legitimiert den Schritt von dem Datum zur Konklusion und erhält damit eine „verknüpfende Funktion“ (Toulmin 2003, S. 91; s. auch Schwarzkopf 2000). Argumentationsregeln sind allgemeine, hypothetische Aussagen und verbleiben im Gegensatz zu Datum und Konklusion in einer Argumentation oft implizit. Argumentationsregeln werden oft als „wenn – dann“ Aussage getätigt: Wenn das Datum gilt, dann gilt auch die Konklusion (Toulmin 2003). Den bisherigen Ausführungen zufolge besteht ein Argument aus einer Konklusion, einem Datum und einer Argumentationsregel. Die Argumentationsregel stellt die hypothetische Möglichkeit her, aus der Akzeptanz des Datums auf die Gültigkeit der Konklusion zu schließen. Es besteht jedoch die Möglichkeit, dass dieser Schritt für bestimmte Umstände nicht gilt. Muss die allgemeine Berechtigung der Argumentationsregel aufgehoben werden, wird die Argumentationsregel durch „modale Operatoren“, wie „wahrscheinlich“ oder „voraussichtlich“ spezifiziert (Toulmin 2003, S.94). Es besteht kein Zweifel an der Allgemeingültigkeit der Argumentationsregel, lediglich die Anwendbarkeit auf das vorliegende Datum wird relativiert. Eine derartige Relativierung wird in der Argumentationsanalyse durch eine Ausnahmebedingung erkenntlich gemacht. Die 25 26

Deutschsprachige Bezeichnungen der Komponenten nach Toulmin (1975) In der deutschsprachigen Literatur finden sich verschiedene Übersetzungen: Kopperschmidt (1989) nutzt für den engl. Begriff „warrant“ die deutschsprachige Übersetzung „Schlussregel“, bei Krummheuer (2005) findet sich hierfür der Begriff „Garant“.

98

3 Methode und Design der Untersuchung

Ausnahmebedingung bildet die vierte Komponente des Argumentationsschemas (Toulmin 2003). Die Argumentationsregel beinhaltet allgemeine Aussagen, die u.a. den kausalen Zusammenhang von Datum und Konklusion legitimieren. Da sie aber nicht nur diesen Zusammenhang rechtfertigt, sondern im Zuge ihres allgemeingültigen Anspruchs die Zulässigkeit einer Reihe von Argumenten garantieren kann, bedarf es in einem Argument ferner einer Stützung der Argumentationsregel (Toulmin 2003). Die Stützung geht der Frage nach, warum die Argumentationsregel immer gilt und besteht aus kategorischen Aussagen, die, ebenso wie das Datum, in ihrer Gültigkeit nicht bezweifelt werden dürfen, sofern die Argumentation erfolgreich geführt werden soll. Die Stützung ist bereichsabhängig. Wann welche Stützung akzeptiert wird, hängt von dem jeweiligen Kontext ab (Toulmin 2003). So werden in mathematischen Kontexten andere Stützungen akzeptiert als beispielsweise in psychologischen Kontexten. Anders als das Datum und ähnlich wie die Argumentationsregel selbst verbleibt die Stützung in der Argumentation oft implizit (Toulmin 2003). Argumentationsregeln und Stützungen werden von den Beteiligten einer Argumentation zumeist vorläufig akzeptiert und nicht direkt angezweifelt, da ansonsten keine Argumentation zustande käme. So könnte permanent nach der Gültigkeit der Argumentationsregel gefragt werden. Wird diese begründet, könnte das neue Argument erneut in seiner Gültigkeit hinterfragt werden. Auf diese Weise würde ein Argument nie abgeschlossen werden (ebd.). Die folgende Abbildung stellt die fünf Komponenten eines Arguments schematisch dar. Auch in den Analysen der vorliegenden Arbeit werden Argumente auf diese Weise visuell dargestellt.

Datum

Konklusion

Argumentationsregel

Ausnahmebedingung

Stützung Abbildung 3.15 Argumentationsschema nach Toulmin

Im Folgenden werden die einzelnen Komponenten anhand eines fiktiven Beispiels im Kontext von arithmetischen Gleichheiten verdeutlicht. Ein Argument

3.5 Analysemethoden

99

kann zum Beispiel mit der Behauptung über die Gleichwertigkeit zweier Terme beginnen. Der Lernende A stellt die Behauptung auf, dass 5+5 und 6+4 gleichwertig sind, mathematisch ausgedrückt 5+5=6+4. Der Lernende B stellt das in Frage, sodass Lernender A begründen muss, wie er zu dieser Behauptung kommt. Dieser verweist auf seine zuvor ausgerechneten Aufgaben, aus denen hervor geht, dass 5+5=10 und 6+4=10. Die ausgerechneten Aufgaben zweifelt auch Lernender B nicht an, sodass diese als Datum in dem Argument fungieren. Um den Schritt vom Datum, den beiden ausgerechneten Aufgaben, zur Konklusion, der Gleichwertigkeit dieser Aufgaben zu legitimieren, bedarf es einer Argumentationsregel. Diese formuliert Lernender A möglicherweise nicht explizit, solange auch für Lernenden B eindeutig ist, dass wenn bei zwei Aufgaben dieselben Ergebnisse berechnet werden, diese Aufgaben dann gleichwertig sind. Diese Regel greift jedoch nur dann, wenn die Aufgaben korrekt berechnet wurden. Bei einer fehlerhaften Berechnung könnten fälschlich zwei Terme als gleichwertig anerkannt werden, die diese Eigenschaft jedoch nicht teilen. Eine Ausnahmebedingung, die die Korrektheit der Berechnung fokussiert, könnte somit ergänzt werden. Zuletzt bedarf es einer Stützung der Argumentationsregel. Auch die verbleibt wahrscheinlich implizit. Im vorliegenden Argument könnte hierbei auf die Aufgabe-Ergebnis-Deutung von Termen verwiesen werden. Jedem Term kann ein Ergebnis in Form einer spezifischen Ergebniszahl zugeordnet werden. Die Idee der Ergebnisbestimmung beweist die Gültigkeit der Argumentationsregel. Unabhängig von den konkreten Aufgaben kann stets von zwei gleichwertigen Termen gesprochen werden, wenn durch Ausrechnen dasselbe Ergebnis erzielt wird. Abschließend können die einzelnen Komponenten in dem Argumentationsschema zusammengefasst werden (Abb. 3.16). 5+5=10 6+4=10

5+5=6+4

Wenn bei zwei Aufgaben dieselben Ergebnisse berechnet werden, dann sind die Aufgaben gleichwertig.

Es sei denn, es wurde sich verrechnet

Aufgabe-ErgebnisDeutung Abbildung 3.16 Argumentationsschema zu 5+5=6+4

4 Ergebnisse der Design-Experimente Die im Folgenden dargestellten Ergebnisse der vorliegenden Arbeit werden in den Unterkapiteln den zwei Forschungsfragen der Forschungsebene zugeordnet. Während die Forschungsfrage auf Entwicklungsebene bereits im konstruktiven Teil dieser Arbeit beantwortet wurde (Kapitel 3.3), werden die beiden Forschungsfragen auf Forschungseben im folgenden rekonstruktiven Teil der vorliegenden Arbeit Beantwortung finden.

FORSCHUNGSEBENE

Tabelle 4.1 Forschungsfragen der vorliegenden Arbeit auf Forschungsebene

FF2: Wie lässt sich ein algebraisches Gleichheitsverständnis bei Viertklässlern charakterisieren? FF3: Wie wirkt sich die Gestaltung der Lehr-Lern-Arrangements auf die Entwicklung eines algebraischen Gleichheitsverständnisses bei Viertklässlern aus? FF3.1: Welches Potenzial bietet das Design-Prinzip „produktive Irritation“, um die Lernenden zur Entwicklung eines algebraischen Gleichheitsverständnisses anzuregen? FF3.2: Welches Potenzial bieten die Lernumgebungen „Rechenketten“ und „Malkreuze“, um die Lernenden zur Entwicklung eines algebraischen Gleichheitsverständnisses anzuregen?

In Kapitel 4.1 werden die Ergebnisse im Sinne der Forschungsprodukte zur Charakterisierung eines algebraischen Gleichheitsverständnisses vorgestellt (Forschungsfrage 2). In Kapitel 1 und 2 wurden theoretische Überlegungen zur Entwicklung eines algebraischen Gleichheitsverständnisses dargelegt. Diese Überlegungen wurden auf der Grundlage transkribierter Szenenausschnitte belegt, präzisiert und erweitert, indem Argumentationsanalysen nach Toulmin vorgenommen wurden. Die ausführliche Herleitung der Ergebnisse am Beispiel ausgewählter Argumentationsanalysen ist in Kapitel 5 nachzulesen. Im Folgenden werden Beispiele lediglich exemplarisch genutzt. Im Anschluss daran werden in Kapitel 4.2 die Ergebnisse im Sinne der Entwicklungsprodukte zur Charakterisierung der beiden Lernumgebungen dargelegt (Forschungsfrage 3). Entsprechend der beiden untergeordneten Forschungs© Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2019 C. Mayer, Zum algebraischen Gleichheitsverständnis von Grundschulkindern, Dortmunder Beiträge zur Entwicklung und Erforschung des Mathematikunterrichts 38, https://doi.org/10.1007/978-3-658-23662-5_4

102

4 Ergebnisse der Design-Experimente

fragen werden die jeweiligen Ergebnisse in Kapitel 4.2.1 und 4.2.2 aufgeführt. Die hierfür durchgeführten Interaktionsanalysen können in Kapitel 6 nachgelesen werden. Zur Darstellung der Ergebnisse werden auch in Kapitel 4.2 einzelne Szenenausschnitte lediglich exemplarisch genutzt.

4.1 Charakteristika eines algebraischen Gleichheitsverständnisses Um aus Forschungssicht von einem algebraischen Gleichheitsverständnis sprechen zu können, muss es den Lernenden gelingen, von zwei Darstellungen auf die gemeinsame Gegenstandszuweisung zu abstrahieren (Winter 1982). Diese gemeinsame Gegenstandszuweisung wird in der vorliegenden Arbeit im Hinblick auf die Gleichheitskonzepte nach Winter (1982), Vergleiche, Vermittlerterme und Zahlvorstellungen weiter präzisiert. Anschließend an diese Ergebnisse werden die Ergebnisse zu den Aspekten „Verallgemeinern“ sowie „Deutung von Operationen und Objekten“ zusammengefasst. Die letztgenannten Ergebnisaspekte stellen, anders als die ersten, kein ausschließliches Charakteristikum eines algebraischen Gleichheits-verständnisses dar, sondern allgemein algebraischen Denkens. Die gewonnenen Ergebnisse zur Charakterisierung eines algebraischen Gleichheitsverständnisses sind in Abbildung 4.1 zusammengefasst.

Charakteristika eines algebraischen Gleichheitsverständnisses

Verallgemeinerung

Aspekt

Auspräägungg

Gleichheitskonzept nach Winter (1982)

derrselbe Enndzustaand

Vergleich

qualitativv

quantitativ

Vermittlerterm

relationall

funktional

Zahlaspekt

Abbildung 4.1

kardinal

ordinnal

Rechenzahl

Deutung von Operationen und Objekten

Gemeinsame Gegenstandszuweisung

Charakteristika eines algebraischen Gleichheitsverständnisses

4.1 Charakteristika eines algebraischen Gleichheitsverständnisses

103

Das Charakteristikum der gemeinsamen Gegenstandszuweisung wurde hinsichtlich der Aspekte „Gleichheitskonzept“, „Vergleich“, „Vermittlerterm“ sowie „Zahlaspekt“ im Zuge der gewonnenen Ergebnisse differenziert und präzisiert (s. Tabelle aus Abbildung 4.1). Die Ergebnisse zu den einzelnen Aspekten werden in den Unterkapiteln 4.1.1 bis 4.1.4 vorgestellt. Im Anschluss daran erfolgt in den Kapiteln 4.1.5 und 4.1.6 die Darstellung der Ergebnisse zu den Charakteristika „Verallgemeinerung“ und „Deutung von Operationen und Objekten“ (s. linke und rechte Säule in der obigen Abbildung). Aus leserfreundlichen Gründen werden die Ergebnisse im Folgenden nacheinander genannt und erläutert. Tatsächlich sind sie in den Äußerungen der Schülerinnen und Schüler eng miteinander verwoben und lassen sich z.T. nur schwer trennen. 4.1.1 Gemeinsame Gegenstandszuweisung: Gleichheitskonzept Endzustand Um Gleichheiten zu verstehen, müssen die Lernenden nach Winter (1982) von zwei Darstellungen auf eine gemeinsame Gegenstandszuweisung abstrahieren. Winter nennt dafür die Möglichkeiten, dieselbe Zahl in zwei Darstellungen zu lesen, denselben Endzustand in zwei Darstellungen zu erkennen oder dieselbe Wirkung aus zwei Darstellungen zu folgern. Die Gleichheitskonzepte nach Winter stellen demnach einen Aspekt des Charakteristikums der gemeinsamen Gegenstandszuweisung dar. Die Lernenden in der vorliegenden Arbeit abstrahieren im Zuge der Arbeit in den konstruierten Lernumgebungen auf eine gemeinsame Gegenstandszuweisung über denselben Endzustand. Die Ausprägung der Gleichheitskonzepte zeigt sich somit stets in der Deutung über denselben Endzustand. Folgender Ausschnitt zeigt exemplarisch eine derartige Deutung auf. Die ausführliche Interaktionsanalyse findet sich in Kapitel 5.1.3 wieder. 17

J

# Ich krieg’ zwei mal mehr, also mehr, und damit am Ende das bei uns beiden gleich ist, muss ich ab, 30 abziehen und er 30 plus rechnen, weil wir hierbei glaube ich (.) ja, 60 mehr in der Mitte haben, ich 60 mehr als der Noah, und ich muss dann minus 30 rechnen, dann ist der Noah nur noch 30 von mir weg, von meiner Zahl und er rechnet plus 30, dann sind wir auf derselben Zahl. [...]

Der Lernende betrachtet hier zwei Rechenhandlungen und durchläuft die Operationen, die schließlich in gleichen Ergebnissen resultieren. Die gemeinsame Gegenstandszuweisung wird somit über denselben Endzustand beider Terme vorgenommen. Die Gleichheitskonzepte „Zahl“ und „Wirkung“ nach Winter werden in der vorliegenden Untersuchung von den Lernenden nicht zur Deutung der gemeinsamen Gegenstandszuweisung herangezogen. Auch bei Termen, die diese Deutung nahezulegen scheinen, deuten die Lernenden die Gleichheit über denselben Endzustand. So sollten die Lernenden in der Lernumgebung Rechenketten mul-

104

4 Ergebnisse der Design-Experimente

tiplikative Ketten verlängern, sodass sie im Sinne des Gleichheitskonzeptes nach Winter dieselbe Wirkung auf unterschiedliche Weise erzielen. Der folgende Ausschnitt zeigt, dass trotz dieser konstruktiven Überlegungen zum Design der Aufgaben die Lernenden die gemeinsame Gegenstandszuweisung über denselben Endzustand vornehmen. Die ausführliche Analyse ist in Kapitel 5.1.4 nachzulesen. 1 2

I J

Warum habt ihr mal 30 und mal 2 gewählt? Ähm, weil man erst das mal 30 rechnet (zeigt auf die Startzahl 327), dann ist man bei der Hälfte von ein von 19620 (zeigt auf die Zielzahl 19620 der kurzen Rechenkette) und die Hälfte von 19620 haben wir verdoppelt und dann sind es 19620 (lacht)

Die Lernenden verlängern eine ·60 Kette, indem sie die Pfeilzahlen ·30 und ·2 nutzen. Die Begründung der Lernenden zielt dann jedoch nicht auf dieselbe Wirkung, das Vervielfachen, ab, sondern auf denselben Endzustand in Form des Ergebnisses 19620. Die gemeinsame Gegenstandszuweisung wird im Kontext dieser Arbeit von den Lernenden im Kontext der Gleichheitskonzepte nach Winter (1982) stets über denselben Endzustand vorgenommen. Das Erreichen desselben Endzustandes wird von den Kindern über den Vergleich der Terme begründet, was das folgende Kapitel aufzeigt. 4.1.2 Gemeinsame Gegenstandszuweisung: Qualitative und quantitative Vergleiche Die Lernumgebungen wurden so konstruiert, dass die Lernenden die gemeinsame Gegenstandszuweisung nicht nur über denselben Endzustand vornehmen, sondern diesen aufgrund der Termstrukturen auch begründen sollen. Dafür vergleichen sie die Terme miteinander. Der Vergleich der Terme ist der zweite Aspekt des Charakteristikums der gemeinsamen Gegenstandszuweisung, welcher mit den Ausprägungen „qualitativer Vergleich“ und „quantitativer Vergleich“ vorzufinden ist. Die Lernenden setzen in beiden Fällen zunächst einzelne Termbausteine in Beziehung zueinander, ehe sie dann diese Beziehung wiederum in Beziehung zueinander betrachten, um so die Gleichheit zweier Terme zu begründen. Sie stellen einen Zusammenhang zwischen den Objekten und Operationen her, welcher über einen isolierten Vergleich von Fakten hinausgeht (Abb. 4.2 am Beispiel 4·30+30=6·30-30).

4.1 Charakteristika eines algebraischen Gleichheitsverständnisses

Abbildung 4.2

105

Zwei Terme zum Begründen der Gleichheit miteinander vergleichen

Diese Idee der Begründung soll an der folgenden Schüleräußerung, die bereits aus dem vorherigen Kapitel bekannt ist, illustriert werden. 17

J

# Ich krieg’ zwei mal mehr, also mehr, und damit am Ende das bei uns beiden gleich ist, muss ich ab, 30 abziehen und er 30 plus rechnen, weil wir hierbei glaube ich (.) ja, 60 mehr in der Mitte haben, ich 60 mehr als der Noah, und ich muss dann minus 30 rechnen, dann ist der Noah nur noch 30 von mir weg, von meiner Zahl und er rechnet plus 30, dann sind wir auf derselben Zahl. [...]

Der Lernende nimmt die gemeinsame Gegenstandszuweisung über denselben Endzustand vor und begründet diesen durch einen Vergleich der Terme x·30+30 und (2+x)·30-30. Er vergleicht die beiden Termbausteine x·30 und (x+2)·30 sowie die Bausteine +30 und -30. Die beiden Beziehungen werden wiederum zueinander in Beziehung gesetzt und der Lernende folgert daraus eine Gleichheitsbeziehung. Viele der untersuchten Lernenden27, so wie in dem obigen Beispiel gezeigt, stellen im Zuge der Begründung der Gleichheit unmittelbar einen quantitativen Vergleich der Zahlen und Operationen an. Eine Ausprägung des Aspektes „Vergleich“ im Zuge der gemeinsamen Gegenstandszuweisung ist somit der „quantitative Vergleich“. Die Lernenden präzisieren die Beziehung zwischen Zahlen bzw. Operationen mit konkreten Werten und können so die Gleichheit zwischen Termen begründen. Der Lernende im obigen Beispiel benennt den Unterschied der ersten beiden Termbausteine mit 60 und begründet dann im Sinne einer Ausgleichsvorstellung die unterschiedlichen Operationen der zweiten Termbausteine. Einige Lernende hingegen nähern sich über einen qualitativen Vergleich der Zahlen und Operationen an eine Begründung der Gleichheit an und präzisieren diese im Laufe der Interaktion durch einen quantitativen Vergleich. Dies zeigt 27

In der Auswertung der Untersuchung wurden keine Aussagen zu quantifizierbaren Ergebnissen getätigt. „Viele Lernende“ bezieht sich lediglich auf mehr als die Hälfte aller Lernenden, „einige Lernende“ hingegen auf weniger als die Hälfte aller Lernenden.

106

4 Ergebnisse der Design-Experimente

sich beispielhaft in der folgenden Schüleräußerung, welche aus der Argumentationsanalyse aus Kapitel 5.1.1. stammt. 14

N

#5Weil du da minus hast (zeigt auf Jens zweite Pfeilzahlen), da musst du ja höhere haben #6, damit das Ergebnis gleich bleibt

Der Lernende vergleicht hier ebenso wie im vorherigen Beispiel die beiden Terme miteinander, jedoch verbleibt sein Vergleich auf qualitativer Ebene. Auch der „qualitative Vergleich“ kann somit eine Ausprägung des Aspekts „Vergleich“ darstellen. Der Schüler benennt keine konkreten Zahlenwerte und präzisiert den Vergleich in dieser Hinsicht nicht. Entwicklungspsychologisch kann das Phänomen, dass einige Lernende einen quantitativen Vergleich, andere einen qualitativen Vergleich nutzen, durch die vier Stufen der Wissensrepräsentation im Arbeitsspeicher erklärt werden (Halford 1992, angelehnt an Piaget). Die Repräsentation der Beziehung zwischen zwei Objekten (qualitativer Vergleich) erfolgt in der Kindesentwicklung vor der näheren Spezifizierung der Beziehung zwischen zwei Objekten (quantitativer Vergleich). Für einen quantitativen Vergleich bedarf es eine höhere zu einem bestimmten Zeitpunkt aktivierte Informationsmenge als für einen qualitativen Vergleich (Halford 1992 in Stern 1998). Auch wenn die Lernenden durchaus bereits das Entwicklungsstadium der näheren Spezifizierung der Beziehung zwischen zwei Objekten erreicht haben, ist die kognitive Anstrengung hierfür aufwändiger als für das bloße Herausstellen der Beziehung. So kann erklärt werden, dass die Lernenden zum Teil zunächst auf den kognitiv weniger anstrengenden qualitativen Vergleich zurückgreifen. 4.1.3 Gemeinsame Gegenstandszuweisung: Relationale und funktionale Vermittlerterme Die Lernenden begründen, wie oben beschrieben, über einen qualitativen oder quantitativen Vergleich der Terme die Gleichheit dieser. Wenn sie einen quantitativen Vergleich vornehmen, stellen sie nach Nührenbörger und Schwarzkopf (2013) einen sogenannten Vermittlerterm auf. Der Vermittlerterm stellt somit einen weiteren Aspekt des Charakteristikums der gemeinsamen Gegenstandszuweisung dar. Die Autorin der vorliegenden Arbeit unterscheidet die Ausprägungen „relationaler Vermittlerterm“ und „funktionaler Vermittlerterm“. Der relationale Vermittlerterm überführt den einen Term auf Grundlage der algebraischen Rechengesetze in den anderen (Abb. 4.3).

4.1 Charakteristika eines algebraischen Gleichheitsverständnisses

relationaler Vermittlerterm

Term 1

Abbildung 4.3

107

Term 2

Relationaler Vermittlerterm

In der vorliegenden Untersuchung konnte beobachtet werden, dass die Lernenden den relationalen Vermittlerterm in der Regel nicht explizit benennen, er lässt sich daher nur aus ihren Äußerungen rekonstruieren. Folgendes aus den vorherigen Kapiteln bekannte Beispiel soll die Herstellung und Nutzung eines relationalen Vermittlerterms zwischen den beiden Ausgangstermen x·30+30 und (x+2)·30-30 verdeutlichen: 17

J

# Ich krieg’ zwei mal mehr, also mehr, und damit am Ende das bei uns beiden gleich ist, muss ich ab, 30 abziehen und er 30 plus rechnen, weil wir hierbei glaube ich (.) ja, 60 mehr in der Mitte haben, ich 60 mehr als der Noah, und ich muss dann minus 30 rechnen, dann ist der Noah nur noch 30 von mir weg, von meiner Zahl und er rechnet plus 30, dann sind wir auf derselben Zahl. [...]

Wie im vorherigen Kapitel beschrieben, werden die einzelnen Termbausteine von dem Lernenden miteinander verglichen. Um die Gleichheit zu begründen, setzt er die Beziehungen zwischen den einzelnen Termbausteinen zueinander in Beziehung und stellt somit einen Vermittlerterm zwischen den beiden Ausgangstermen her: x·30+30 = x·30+60-30 = (x+2)·30-30 (Abb. 4.4). Der zwischen den beiden Ausgangstermen vermittelnde Term lässt im Zuge seiner assoziativen Eigenschaft eine Überführung des einen Terms in den anderen zu: x·30+30 = x·30+(60-30) = (x·30+60)-30 = (x+2)·30-30.

x·30+30 Abbildung 4.4

x·30+60-30

(x+2)·30-30

Vermittlerterm x·30+60-30

Nicht immer setzen Lernende zwei Terme zueinander in Beziehung, indem sie einen relationalen Vermittlerterm konstruieren, der die Gleichheit der Terme begründet. Teilweise nehmen Lernende auch eine funktionale Perspektive auf die Gleichheit ein, um diese so zu begründen. Dabei ordnen sie den Ausgangstermen jeweils einen funktionalen Vermittlerterm zu und erkennen die Gleichheit über die Identität dieser Vermittlerterme (Abb. 4.5). Ein funktionaler Ver-

108

4 Ergebnisse der Design-Experimente

mittlerterm kann somit als weitere Ausprägung des Aspektes „Vermittlerterm“ angesehen werden. Term 1

Term 2

Funktionaler Vermittlerterm

Funktionaler Vermittlerterm

Abbildung 4.5

Funktionaler Vermittlerterm

Ein funktionaler Vermittlerterm kann in der Form eines Rechenergebnisses bestehen. Werden zwei Terme ausgerechnet und ihnen so Ergebnisse zugeordnet, können diese miteinander verglichen werden und bei Übereinstimmung die Gleichheit der Terme begründet werden. Unter einem Rechenergebnis wird an dieser Stelle der von Winter (1982) angeführte „Standardname“ einer Zahl verstanden. Viele Lernende rechnen Terme im Zuge der Aufgabenbearbeitung zunächst aus und erkennen die Gleichheit von jeweils zwei Termen aufgrund der gleichen Ergebnisse. Anschließend deuten sie die gleichwertigen Terme mit Hilfe eines relationalen Vermittlerterms. Zwar werden die Lernenden in den weiteren Aufgaben der Interviewreihen stets dazu angehalten, die Terme nicht auszurechnen, sondern einen relationalen Blick einzunehmen, jedoch ist es den Lernenden aufgrund des Operierens in der Arithmetik durchweg möglich, durch die Ergebnisbestimmung die Gleichheit zu erkennen oder zu begründen. Ebenso funktional gedacht wie das Rechenergebnis einer Aufgabe kann ein funktionaler Vermittlerterm jedoch auch in Form eines mehrgliederigen Terms auftreten. Die Lernenden ordnen den beiden Ausgangstermen denselben mehrgliederigen Term zu und erkennen die Gleichheit der beiden Ausgangsterme über die Identität dieses mehrgliedrigen Terms. In dem folgenden Beispiel nutzt ein Lernender den funktionalen Vermittlerterm 7·350, um die Gleichheit der beiden Terme 6·350+350 und 8·350-350 zu begründen. Die entsprechende Interaktionsanalyse findet sich in Kapitel 5.2.1. 30

J

weil, hierbei, (zeigt auf die RK mit Startzahl 6) da rechnet man mal 350 (..) und plus 350 (..) ähm, kommt, man auf, sieben mal 350 und hierbei (zeigt auf die RK mit Startzahl 8) rechnet man acht mal 350 minus 350 da kommen auch auf sieben ähm mal 350 raus

4.1 Charakteristika eines algebraischen Gleichheitsverständnisses

109

Der Lernende überführt den ersten Ausgangsterm 6·350-350 in den Term 7·350. Anschließend überführt er den zweiten Ausgangsterm 8·350-350 ebenso in den Term 7·350 (Abb. 4.6). Die Identität der beiden Terme 7·350, sprachlich hier durch den Partikel „auch“ kenntlich gemacht, erklärt für ihn die Gleichwertigkeit der Ausgangsterme, nach der im Zuge der Aufgabenstellung gefragt wurde.

6·350+350

8·350-350

7·350

7·350

Abbildung 4.6

Vermittlerterm 7·350

Die Beziehung zwischen den einzelnen Ausgangstermen und dem funktionalen Vermittlerterm lässt sich darüberhinaus über einen relationalen Vermittlerterm beschreiben. Dieser überführt auch hier auf Grundlage der algebraischen Rechengesetze die Ausgangsterme in den funktionalen Vermittlerterm. Im obigen Beispiel kann der relationale Vermittlerterm 6·350+1·350 den Ausgangsterm 6·350+350 aufgrund der Eigenschaft der Distributivität in den funktionalen Vermittlerterm 7·350 überführen: 6·350+350=6·350+1·350=7·350. 4.1.4 Gemeinsame Gegenstandszuweisung: Zahlvorstellung Das Charakteristikum der gemeinsamen Gegenstandszuweisung lässt sich ferner hinsichtlich des Aspekts der zugrundeliegenden Zahlvorstellungen präzisieren. Die Gleichheitsdeutung wird von den Lernenden der vorliegenden Untersuchung unter Ausnutzung kardinaler oder ordinaler Zahlaspekte vollzogen. Insbesondere beim Operieren mit funktionalen Vermittlertermen nutzen die Lernenden auch den Rechenzahlaspekt. Der „kardinale“ und „ordinale Zahlaspekt“ sowie der „Rechenzahlaspekt“ stellen somit die drei Ausprägungen des Aspekts „Zahlvorstellungen“ dar. Lernende stellen sich die Gleichheitsrelation kardinal, d.h. als Mengen vor, die so verändert werden, dass die Gleichheit garantiert wird. Folgendes Beispiel, welches der Argumentationsanalyse aus Kapitel 5.1.4 entnommen ist, zeigt eine Gleichheitsdeutung der Terme 7·40+40 und 8·40 aus kardinaler Perspektive.

110

4 Ergebnisse der Design-Experimente

8 10

N N

Hm (..) Ja (.) Ich glaub, da ist eine mehr (...) (zeigt auf die kurze Rechenkette) # Dafür kommt noch eine Vierzig (zeigt auf den zweiten Pfeil der Rechenkette), weil das sind sieben und acht, das wären ja auch 320, aber weil sieben (..) weil das äh äh ein ein weniger ist, muss ja noch einer da, ein Vierziger dazu (.) deswegen plus vierzig

Die Beschreibung der Relation durch die Begriffe „mehr“ und „weniger“ sowie der sprachliche Verweis auf die additive Grundvorstellung „Dazufügen“ lässt darauf schließen, dass der Lernende sich die beiden Aufgaben 7·40+40 und 8·40 als Mengen vorstellt und somit kardinal deutet. Durch die Veränderung der Mengen begründet er die Gleichheit der Terme. Neben einer kardinalen Vorstellung zeigen Lernende ebenso eine ordinale Vorstellung bei der Gleichheitsdeutung. Die Lernenden stellen sich Terme als aufeinander folgende Punkte (auf einem Zahlenstrahl) vor, die nach rechts oder links bewegt werden. Durch eine bestimmte Beziehung dieser Bewegungen können sie die Gleichheit begründen. Der folgende Ausschnitt zeigt ein ordinales Verständnis der Gleichwertigkeit von x·30+30 und (x+2)·30-30. 17

J

[...] ja, 60 mehr in der Mitte haben, ich 60 mehr als der Noah, und ich muss dann minus 30 rechnen, dann ist der Noah nur noch 30 von mir weg, von meiner Zahl und er rechnet plus 30, dann sind wir auf derselben Zahl. [...]

Die Formulierung „von mir weg“ und „auf derselben Zahl“ lässt darauf schließen, dass der Lernende sich die Gleichheitsrelation linear vorstellt. Durch Bewegungen auf einem (imaginären) Zahlenstrahl, die zueinander in einer bestimmten Beziehung stehen, kann die Gleichheit zweier Terme begründet werden. Einige Lernende zeigen weder eine kardinale noch eine ordinale Vorstellung bei der Begründung der Gleichheit, sondern operieren auf mathematischsymbolischer Ebene. Insbesondere wenn ein funktionaler Vermittlerterm aufgestellt wird, findet die Begründung der Gleichheit im Zuge des Rechenzahlaspekts statt. Das folgende Beispiel, welches aus den obigen Ergebnissen zum funktionalen Vermittlerterm bekannt ist, zeigt die Nutzung des Rechenzahlaspekts. 30

J

weil, hierbei, (zeigt auf die RK mit Startzahl 6) da rechnet man mal 350 (..) und plus 350 (..) ähm, kommt, man auf, sieben mal 350 und hierbei (zeigt auf die RK mit Startzahl 8) rechnet man acht mal 350 minus 350 da kommen auch auf sieben ähm mal 350 raus

Der Lernende beschreibt seine Rechnung auf mathematisch-symbolischer Ebene und stellt dadurch die Gleichheitsrelation auf. Ob hier ebenso wie in den obigen Beispielen noch eine kardinale oder ordinale Vorstellung zugrunde liegt, lässt sich aufgrund der Äußerung des Lernenden nicht sagen. Für die Begründung der Gleichheit greift er an dieser Stelle, zumindest explizit, auf keine andere Vorstellung zurück.

4.1 Charakteristika eines algebraischen Gleichheitsverständnisses

111

4.1.5 Verallgemeinerung Die Verallgemeinerung von Begründungen über die Gleichwertigkeit von Termen stellt ein weiteres Charakteristikum des algebraischen Gleichheitsverständnisses dar. Wie in der Einleitung dieses Kapitels erwähnt und in Kapitel 1.2.2 erläutert, handelt es sich bei dem Prozess des Verallgemeinerns grundsätzlich um eine Tätigkeit, welche algebraischen Denkweisen zugeordnet wird. Die algebraischen Begründungen der Lernenden zur Gleichwertigkeit von Termen lassen sich mit Blick auf den Verallgemeinerungsprozess in der Balance zwischen empirischer Situiertheit und relationaler Allgemeinheit verorten (Steinbring 2000, s. Kapitel 1.2.2 und 2.1.4). Empirisch situierte Begründungen der Lernenden fokussieren die Berechnung und den Vergleich von Ergebnissen und werden in der vorliegenden Arbeit daher nicht als algebraische Begründungen der Gleichheit aufgefasst. Eine relational allgemeine Begründung der Gleichheit nutzt algebraische Äquivalenzumformungen. Da diese Mittel den Lernenden der Grundschule noch nicht zur Verfügung stehen, führen relational allgemeine Begründungen an dieser Stelle zur Überforderung der Lernenden und sind daher auch in der vorliegenden Untersuchung nicht vorzufinden. Algebraische Begründungen der Gleichheit von Viertklässlern lassen sich in der Balance zwischen den beiden Polen und damit auf dem Weg der Verallgemeinerung verorten. Durch die genutzten Vermittlerterme (Kapitel 4.1.3) stellen die Lernenden eine Beziehung zwischen zwei gleichwertigen Termen her, die zwar entgegen algebraischer Äquivalenzumformungen an konkreten Zahlenwerten verhaftet bleiben, aufgrund der zugrundeliegenden genutzten algebraischen Rechengesetzen aber die Chance zum Transfer auf weitere Einzelfälle bieten (Abb. 4.7). empirische Situiertheit

Balance

relationale Allgemeinheit

Gleichheitsdeutung durch...

... Berechnung und Vergleich von Ergebnissen Abbildung 4.7

... Vermittlerterme

... algebraische Äquivalenzumformungen

Balance zwischen empirischer Situiertheit und relationaler Allgemeinheit

112

4 Ergebnisse der Design-Experimente

An folgendem Beispiel aus dem vorherigen Kapitel zur Gleichwertigkeit von 7·40+40 und 8·40 wird die oben angesprochene Balance exemplarisch aufgezeigt (für die Argumentationsanalyse s. Kapitel 5.1.4): 8 10

N N

Hm (..) Ja (.) Ich glaub, da ist eine mehr (...) (zeigt auf die kurze Rechenkette) # Dafür kommt noch eine Vierzig (zeigt auf den zweiten Pfeil der Rechenkette), weil das sind sieben und acht, das wären ja auch 320, aber weil sieben (..) weil das äh äh ein ein weniger ist, muss ja noch einer da, ein Vierziger dazu (.) deswegen plus vierzig

Der Lernende vergleicht die beiden Terme und stellt den relationalen Vermittlerterm 7·40+1·40 auf. Er bezieht sich hier auf die ihm vorliegende Aufgabe. Die Herstellung des Vermittlerterms unter Ausnutzung der Distributivität ist hingegen allgemeingültig und auf weitere Terme übertragbar. Der Lernende bezieht sich zunächst auf keine konkreten Werte. Seine Begründung würde erst einmal für jedes Rechenketten-Paar mit der Startzahl Differenz 1 gelten. Anschließend nimmt er jedoch noch einmal speziell Bezug auf die vorliegenden Startzahlen 7 und 8 und formuliert seine Begründung für die vorliegenden Ketten. Er scheint seine Begründung noch einmal durch empirische Fakten abzusichern. Die anfängliche Unsicherheit („Ich glaube“) kann scheinbar so überwunden werden. Hier zeigt sich die Verortung der Begründung in der Balance zwischen den beiden Polen „empirischer Situiertheit“ und „relationaler Allgemeinheit“: Der Lernende begründet die Gleichheit anhand empirischer Fakten, ermöglicht sich aber durch die Aufstellung eines relationalen Vermittlerterms die Übertragung auf weitere Beispiele. 4.1.6 Deutung von Operationen und Objekten Das Prozedurale zunehmend konzeptionell denken zu können ist ein wichtiger Schritt algebraischen Denkens (z.B. Kieran 2011; Steinweg 2013). Die Deutung von Operationen und Objekten stellt damit ein weiteres Charakteristikum eines algebraischen Gleichheitsverständnisses dar. Die Ergebnisse der vorliegenden Untersuchung beziehen sich dabei zum Einen auf die Reihenfolge der Deutung von Operation und Objekt und zum Anderen auf die Deutung von Operation und Objekt als ein Gesamtobjekt. Die Ergebnisse werden im Folgenden entsprechend dieser beiden Aspekte aufgezeigt. Die Lernenden der vorliegenden Untersuchung deuten Operationen und Objekte in multiplikativen Termen in der Regel der Leserichtung entsprechend von links nach rechts. Der erste Faktor des Produktes stellt somit die Operation dar, der zweite Faktor das Objekt, auf den diese Operation einwirkt. Dem operativen Prinzip nach Wittmann (1985) zufolge kann die Operation in dem Produkt x·y als ·y bezeichnet werden. Es ist ein Objekt x vorhanden, auf das eine Operation ·y einwirkt. Auf die vermeintlich statischen Objekte wirken dynamische Prozesse ein und erzielen eine Wirkung. Das Objekt x wird ver-y-facht. Die

4.1 Charakteristika eines algebraischen Gleichheitsverständnisses

113

meisten Lernenden deuten multiplikative Terme in ihren Gleichheitsdeutungen in der Regel jedoch andersherum, d.h. von links nach rechts. Sie deuten das Produkt x·y als ver-x-fachen eines Objektes y. x· wird zur Operation, y zum Objekt. Folgender Ausschnitt, entnommen aus der Argumentationsanalyse in Kapitel 5.1.3, zeigt diese Deutung der Terme 4·30+30 und 6·30-30: 17

J

# Ich krieg’ zwei mal mehr, also mehr, und damit am Ende das bei uns beiden gleich ist, muss ich ab, 30 abziehen und er 30 plus rechnen [...]

Der Lernende deutet in den Termen 4·30 und 6·30 die ersten Faktoren 4 und 6 als Operationen 4· und 6·. Diese Operationen wirken auf das Objekt 30 ein und bewirken eine Vervier- bzw. Versechsfachung dessen (Abb. 4.8). Folglich schlussfolgert der Lernende, dass der Term 6·30 2·30 mehr als der Term 4·30 ist, 6·30=4·30+2·30. Wird das Objekt 30 versechsfacht, liegt es nach seiner Aussage genau zwei mal mehr vor als wenn es vervierfacht wird. Operation

Objekt

4 · 30 6 · 30 Abbildung 4.8

Operationen und Objekte der Terme 4·30 und 6·30

In der Regel deuten die Lernenden Operationen und Objekte in multiplikativen Termen der Leserichtung entsprechend von links nach rechts. Teilweise deuten sie Operationen und Objekte jedoch auch flexibel um, sodass der erste Faktor als Objekt, der zweite als Operation verstanden wird. Der Lernende in folgen·2 eine derartige Umdeudem Beispiel nimmt für die Terme 327·30 und tung vor. Die Argumentationsanalyse ist in Kapitel 5.1.4 nachzulesen. 1 2

I J

Warum habt ihr mal 30 und mal 2 gewählt? Ähm, weil man erst das mal 30 rechnet (zeigt auf die Startzahl 327), dann ist man bei der Hälfte von ein von 19620 (zeigt auf die Zielzahl 19629 der kurzen Rechenkette) und die Hälfte von 19620 haben wir verdoppelt und dann sind es 19620 (lacht)

Der Lernende fasst den ersten Faktor 327 als Objekt auf, auf das eingewirkt wird, indem „mal 30 gerechnet“ wird. Der zweite Faktor ist dementsprechend für ihn die Operation. Ebenso stellt im nächsten Schritt das Ergebnis der ersten Aufgabe als erster Faktor des Terms ·2 das Objekt dar, mit dem auf eine bestimmte Weise operiert wird. In diesem Fall wird es verdoppelt (Abb. 4.9). Entgegen der regulären Deutung der Lernenden werden hier multiplikative

114

4 Ergebnisse der Design-Experimente

Terme als Verknüpfung aus dem Objekt und der Operation gedeutet, wobei das Objekt den ersten Teilterm darstellt und die Operation den zweiten Teilterm. Objekt

Operation

327 · 30 · 2 Abbildung 4.9

Operationen und Objekte der Terme 327·30 und (19620/2)·2

Über die Deutung der einzelnen Objekte und Operationen hinaus deuten Lernende im Zuge distributiver Verknüpfungen die Operation und das Objekt auch als ein Gesamtobjekt. Die Terme in dem Lehr-Lernarrangement der Form a·b±c·b=(a±c)·b werden bei der Gleichheitsdeutung von den Lernenden in Teilterme zerlegt. Dabei deuten sie die Operationen und Objekte in den Teiltermen a·b und c·b als jeweils ein Gesamtobjekt, auf das dann eine weitere (additive oder subtraktive) Operation einwirkt (Abb. 4.10). Term

𝑎 𝑏 Teilterm Objekt

𝑐 𝑏 Teilterm Objekt

Operation Operation a·

Objekt b

Operation c·

Objekt b

Abbildung 4.10 Operationen als Objekte denken

Die Teilterme a·b und c·b bestehen aus einer Operation und einem Objekt. Hierbei kann im Zuge der Mehrdeutigkeit der Multiplikation sowohl der erste Faktor als Operation und der zweite Faktor als Objekt verstanden werden als auch andersherum. Wie die obigen Ausführungen darlegen deuten Lernende Operation und Objekt zumeist in dieser Reihenfolge. Die beiden zunächst eigenständigen Funktionen der Faktoren werden von den Lernenden über eine

4.2 Charakterisierung der Lernumgebungen

115

Gesamtdarstellung als Objekt verstanden, sodass sie mit diesen neuen Objekten weiter operieren und Umrechnungsprozesse durchführen können. Die Deutung von Operation und Objekt als ein Gesamtobjekt wird im folgenden Absatz mit Hilfe des folgenden Beispiels aus Kapitel 5.1.4 zu den gleichwertigen Termen 7·40+40 und 8·40 konkretisiert: 8 10

N N

Hm (..) Ja (.) Ich glaub, da ist eine mehr (...) (zeigt auf die kurze Rechenkette) # Dafür kommt noch eine Vierzig (zeigt auf den zweiten Pfeil der Rechenkette), weil das sind sieben und acht, das wären ja auch 320, aber weil sieben (..) weil das äh äh ein ein weniger ist, muss ja noch einer da, ein Vierziger dazu (.) deswegen plus vierzig

Der Lernende deutet den ersten Teilterm 7·40 des Terms 7·40+40 als eine gewisse Menge von Vierzigern. Diese Menge ist um einen Vierziger geringer als die Menge 8·40, sodass noch ein Vierziger hinzugefügt werden muss, um einen gleichwertigen Term zu erhalten. Der Lernende bezieht sich hier bei der Deutung des ersten Teilterms nicht mehr auf eine dynamische Vorstellung des Operierens, hier des Vervielfachens, sondern betrachtet die Verknüpfung aus Operation und Objekt als ein eigenständiges Gesamtobjekt mit einer bestimmten Eigenschaft. Auf dieses Gesamtobjekt wirkt dann eine neue Operation ein. Einige Lernende wie im obigen Beispiel explizieren die Gesamtdarstellung als ein Objekt verbal, indem sie einem Faktor eine Einheitsstruktur verleihen. Andere Lernende nutzen die Gesamtdarstellung in ihren Umrechnungsprozessen, ohne sie explizit zu verbalisieren.

4.2 Charakterisierung der Lernumgebungen zur Entwicklung eines algebraischen Gleichheitsverständnisses Das folgende Kapitel fasst die Analyseergebnisse der vorliegenden Arbeit zur Charakterisierung der beiden Lernumgebungen „Rechenketten“ und „Malkreuze“ zusammen. Dabei steht stets die dritte Forschungsfrage nach dem Potenzial des Lehr-Lern-Arrangements zur Entwicklung eines algebraischen Gleichheitsverständnisses im Fokus. Für die folgende Charakterisierung der Lernumgebungen sind die beiden Design-Prinzipien 3 und 4, „Balance zwischen empirischer Situiertheit und relationaler Allgemeinheit“ und „produktive Irritationen“, leitend. Das DesignPrinzip 1 „Gleichheiten ohne Gleichheitszeichen“ wird im Zuge des dritten Design-Prinzips berücksichtigt, das Design-Prinzip 2 „Interaktives & kooperatives Setting“ im Zuge des vierten Design-Prinzips (s. Kapitel 3.3.2). Folgende Forschungsfragen sollen im Folgenden beantwortet werden:

116

4 Ergebnisse der Design-Experimente

FF3.1: Welches Potenzial bietet das Design-Prinzip „produktive Irritation“, um die Lernenden zur Entwicklung eines algebraischen Gleichheitsverständnisses anzuregen? FF3.2: Welches Potenzial bieten die Lernumgebungen „Rechenketten“ und „Malkreuze“, um die Lernenden zur Entwicklung eines algebraischen Gleichheitsverständnisses anzuregen? Zunächst werden die „produktiven Irritationen“ zur Charakterisierung der Lernumgebungen evaluiert und dessen Beitrag zur Anregung eines algebraischen Gleichheitsverständnisses herausgestellt (Kapitel 4.2.1). Im Anschluss daran werden die Ergebnisse zum Prinzip „Balance zwischen empirischer Situiertheit und relationaler Allgemeinheit“ vorgestellt und Besonderheiten der beiden Lernumgebungen festgehalten (4.2.2). 4.2.1 Balance zwischen Irritation und Erkenntnis Das Lehr-Lern-Arrangement wurde mit Blick auf die Initiierung produktiver Irritationen konstruiert, die für die Lernenden einen Anlass bieten sollen, über arithmetische Gleichheiten ins Gespräch zu kommen und mathematische Begründungen zu entwickeln (s. Kapitel 3.3.2, Design-Prinzip 4). Die Überlegungen aus Kapitel 2.2.3 stellen die theoretische Grundlage für das Design-Prinzip 4 und somit die in diesem Kapitel dargestellten Ergebnisse dar. Es wurde angenommen, dass das Arrangement Folgendes bei den Lernenden bewirkt: Die mathematische Entdeckung „gleiche Ergebnisse trotz unterschiedlicher Aufgaben“ stellt für die Lernenden inhaltlich eine Irritation dar und dadurch auf Prozessebene einen Begründungsbedarf. Die Lernenden bearbeiten Aufgaben mit einer bestimmten Erwartungshaltung.. So erwarten die Lernenden in der Regel, dass gleiche Aufgaben in gleichen Ergebnissen resultieren und analog ungleiche Aufgaben zu ungleichen Ergebnissen führen. Die Erwartungshaltung der Lernenden wird durch die Entdeckung „Gleiche Ergebnisse trotz unterschiedlicher Aufgaben“ irritiert. Dieses unerwartete mathematische Phänomen veranlasst die Lernenden, eine mathematische Begründung zu suchen. Viele Lernende zeigen in der Untersuchung explizit einen Begründungsbedarf an und versuchen diesen daraufhin durch die Entwicklung einer Begründung für das Auftreten der gleichen Ergebnisse zu befriedigen. Hier entwickelt sich eine Lernchance zur Entwicklung eines strukturellen Verständnisses arithmetischer Gleichheiten. Die Evaluation der Lernumgebungen zeigt auf, dass das implementierte Designprinzip in der vorliegenden Untersuchung zu funktionieren scheint. Lernende, wie in dem folgenden Beispiel aus Kapitel 6.1.2, werden im Zuge der Aufgabenbearbeitung produktiv irritiert und entwickeln daraufhin auf Grundlage algebraischer Rechengesetze Begründungen für die Gleichheit unterschiedlicher Terme. Sie berechneten folgende Terme in der Lernumgebung „Rechenketten“:

4.2 Charakterisierung der Lernumgebungen

4 5 6 7 11

I

12 13

J J

14

N

30 30 30 30

30 30 30 30

150 180 210 240

6 7 8 9

30 30 30 30

117

30 30 30 30

150 180 210 240

Ich schieb’ die mal in die Mitte zusammen (schiebt die Arbeitsblätter in die Mitte des Tisches) #4Wenn ihr die jetzt vergleicht, fällt euch da was auf? #4Achso. 4 mal, 5 mal Oh. Du hast tiefere Zahlen. Du hast 4 mal, 5 mal, 6 mal, #57 mal, 8 mal (zeigt auf Noahs Startzahlen) #5Weil du da minus hast (zeigt auf Jens zweite Pfeilzahlen), da musst du ja höhere haben #6, damit das Ergebnis gleich bleibt

Der Lernende macht eine für ihn scheinbar zunächst irritierende Entdeckung: Die Startzahlen seines Partners sind tiefer als seine. Der andere Lernende fühlt sich aufgefordert, eine Begründung für das Phänomen „gleiche Ergebnisse trotz unterschiedlicher Aufgaben“ zu entwickeln. Hierfür setzt er die zuvor entdeckten Unterschiede strukturell zueinander in Beziehung und entwickelt so eine mathematisch tragfähige Begründung der Gleichheit. Die anfängliche Irritation wurde hier produktiv zum Weiterdenken genutzt. Nicht immer entwickeln die Lernenden wie in dem obigen Beispiel unmittelbar aufgrund einer produktiven Irritation eine mathematisch tragfähige Begründung der Gleichheit, wie das folgende Beispiel aus Kapitel 6.1.3 zeigt. Begründungen können für die Lernenden in diesem Moment plausibel sein, ohne dass sie den fachlichen Ansprüchen genügen. Gleichwohl eröffnet sich auch für diese Lernende durch die produktive Irritation eine Lernchance, über arithmetische Gleichheiten zu sprechen. Die beiden Lernenden im nächsten Beispiel bearbeiteten die folgenden Aufgaben: 10 4 10 8 10 12 3

J

4

A

5

J

40 80 120

20 2 20 4 20 6

40 80 120

[...] (..) Die Ergebnisse sind gleich, die Ergebnisse sind gleich und die Ergebnisse sind gleich (schiebt die Rechenketten mit gleicher Zielzahl nebeneinander) (5 sec) Achso, guck mal, zwei, vier (zeigt auf die Pfeilzahlen ·2 und ·4) das sind ja immer die Hälfte, das ist die Hälfte weniger und dadurch dass das einer mehr ist (zeigt gleichzeitig auf die beiden Startzahlen 10 und 20)# (unverständlich) # Hast recht, hier auch (..) Ok, jetzt haben wir’s (dreht sich zur Interviewerin)

Die beiden Lernenden stellen die gleichen Ergebnisse der Aufgaben fest und entwickeln für diese Entdeckung eine Begründung. Eine Erklärung hierfür könnte sein, dass ihre Entdeckung nicht zu ihren ursprünglichen Erwartungen

118

4 Ergebnisse der Design-Experimente

passte. Auch hier ergibt sich eine Irritation, die die Lernenden versuchen aufzuklären. Die daraufhin entwickelte Begründung trifft auf die vorliegenden Beispiele zu, ist jedoch nicht allgemeingültig und damit mathematisch nicht tragfähig. Hier wird die Bedeutsamkeit der Gestaltung des Lehr-Lernarrangements deutlich, die neben der Initiierung einer Argumentation durch eine Irritation ebenso die fachlichen Anknüpfungspunkte der Lernenden berücksichtigen und aufgreifen muss, um eine Weiterentwicklung des fachlichen Wissens zu ermöglichen. Insbesondere die Intervention einer Lernbegleitung erscheint an dieser Stelle in der gleichen Weise notwendig, die gezielt intervenieren kann und weitere situationsspezifische Anlässe zum Nachdenken bieten kann. Gleichwohl eröffnet auch hier eine produktive Irritation Lernchancen zur Entwicklung eines algebraischen Gleichheitsverständnisses, sofern den Lernenden Möglichkeiten zum Weiterdenken geboten werden. 4.2.2 Balance zwischen empirischer Situiertheit und relationaler Allgemeinheit Das Lehr-Lern-Arrangement wurde theoriegeleitet so entwickelt, dass es den Lernenden Gleichheitsdeutungen in der Balance zwischen empirischer Situiertheit und relationaler Allgemeinheit ermöglicht (s. Kap. 3.3.2, Design-Prinzip 3). In der Lernumgebung „Rechenketten“ fanden die Lernenden die Voraussetzungen für eine derartige Gleichheitsdeutung vor. Die Lernumgebung „Malkreuze“ hingegen stellt teils eine Überforderung der Lernenden dar. Im Folgenden wird der Umgang der Lernenden mit beiden Aufgabenformaten der jeweiligen Lernumgebung herausgestellt und mit Blick auf die obigen Ergebnisse verortet. Viele Lernende zeigen bei der Arbeit in der Lernumgebung Rechenketten ein algebraisches Gleichheitsverständnis. Dabei nutzen sie den strukturellen Aufbau der Rechenketten, um Terme zueinander in Beziehung zu setzen und so die Gleichheit dieser zu begründen. Design-Prinzip 1 entsprechend wurde auf die formale Notation von Gleichungen verzichtet und den Schülerinnen und Schüler eine grundschulgemäße Notationsform angeboten. Die Schülerinnen und Schüler nutzen in ihren Überlegungen zwar verbal nicht die Bezeichnungen der Rechenketten-Komponenten (Start-, Pfeil-, Mittel- und Zielzahl), sie dienen ihnen jedoch in ihren Funktionen. Die Deutung der Lernenden der gemeinsamen Gegenstandszuweisung über denselben Endzustand korreliert mit der Struktur der Rechenketten (Tab. 4.2). Die Lernenden deuten die Gleichheit der Rechenketten als gleichwertige Rechenhandlungen, bei denen ein Anfangszustand in denselben Endzustand überführt wird. Diese dynamische Perspektive wird im Zuge der Pfeile ebenso in den Rechenketten abgebildet.

4.2 Charakterisierung der Lernumgebungen Tabelle 4.2

119

Struktur der Rechenketten und Deutung der Lernenden

Struktur der Rechenketten

Deutung im Gleichheitskonzept Endzustand

1.Pfeilzahl Startzahl

2.Pfeilzahl Mittelzahl

Anfangszustand

Zielzahl

Endzustand

Wenngleich die Lernenden auch bei der Arbeit in der Lernumgebung „Malkreuze“ ein algebraisches Gleichheitsverständnis zeigen, indem sie Terme miteinander vergleichen und durch Vermittlerterme zueinander in Beziehung setzen, scheint die Notation im Malkreuz zur Überforderung der Lernenden zu führen. Sie nutzen eine von den Konventionen abweichende Notation im Malkreuz. Kinder betrachten Gleichheiten zumeist im Zuge des Gleichheitskonzeptes Endzustand (Kap. 4.1.1). Sie interpretieren somit Terme als Rechenhandlungen, die in dem gleichen Zustand enden. Für eine Interpretation des Aufgabenformats „Malkreuze“ im konventionellen Sinne und die damit einhergehende Notation in diesem müsste hingegen eine statische Deutung der Gleichheit vorliegen. Das Malkreuz zeigt auf symbolischer Ebene, analog zum Hunderterfeld auf ikonischer Ebene, Zerlegungen an (Abb. 4.11).

Abbildung 4.11 Punktefeld und Malkreuz zur Aufgabe 14·15

Im Beispiel wird die Aufgabe 14·15 in die Aufgaben 14·14 und 14·1 zerlegt, auf der linken Seite im Punktefeld dargestellt, auf der rechten Seite im Malkreuz. Die Gleichung, die die Gleichheit dieser Terme anzeigt, kann wie folgt beschrieben werden: 14·15=14·(14+1)=14·14+14·1. Diese statische Interpretation weicht von der dynamischen Interpretation der Lernenden ab, die diese im Zuge

120

4 Ergebnisse der Design-Experimente

der Entwicklung eines algebraischen Gleichheitsverständnisses vornehmen. Sie deuten die Aufgabe 14·15, wie oben beschrieben, als Endzustand einer Rechenhandlung und nicht als Ausgangszustand, der zerlegt wird. Im Zuge der Betrachtung der Aufgabe als Endzustand überlegen die Lernenden, wie dieser aus dem vorhandenen Anfangszustand, der Quadratzahl-Aufgabe, geschlossen werden kann. Es muss, je nach Aufgabe, etwas hinzugefügt oder weggenommen werden, um den angestrebten Endzustand zu erhalten. Im Beispiel muss zur Aufgabe 14·14 noch 1·14 hinzugefügt werden, um die Aufgabe 14·15 zu erhalten. Abbildung 4.12 zeigt die Interpretation der Lernenden am Beispiel des Punktefeldes und des Malkreuzes zur Aufgabe 14·15.

Abbildung 4.12 Deutung der Lernenden der Aufgabe 14·15

Anders als im ursprünglichen Gebrauch werden hier keine Zerlegungen genutzt, sondern den Grundvorstellungen der Addition und Subtraktion entsprechend dynamische Vorstellungen. Die Gleichung, die die Gleichheit der Aufgaben in dieser dynamischen Deutung aufzeigt, kann daher wie folgt beschrieben werden: 14·14+14·1=14·(14+1)=14·15. Die Aufgabe 14·15 fungiert als Endzustand, der durch die Veränderung des Anfangszustandes erreicht wird. Die Diskrepanz zwischen den Deutungen der Lernenden und dem ursprünglichen Gebrauch des Malkreuzes führt dazu, dass die Lernenden alternative Notationen wie die Folgende im Malkreuz entwickeln, auch wenn sie mit der konventionellen Notation im Malkreuz aus dem Unterrichtsalltag vertraut sind (Abb. 4.13).

Abbildung 4.13 Individuelle Notation im Malkreuz

4.2 Charakterisierung der Lernumgebungen

121

Notationen dieser Art erscheinen für die Lernenden im Zuge ihrer Deutung der Gleichheit sinnvoll und schlüssig. Während die Notation in der Lernumgebung Rechenketten den Gleichheitsdeutungen der Lernenden entspricht, stellt sich in der Lernumgebung Malkreuze eine Diskrepanz zwischen Notation und Deutung dar.

5 Argumentationsanalysen zur Charakterisierung eines algebraischen Gleichheitsverständnisses Die in Kapitel 4.1 dargestellten Ergebnisse zur Charakterisierung eines algebraischen Gleichheitsverständnisses von Grundschulkindern wurden aus den Argumentationsanalysen nach Toulmin gewonnen, welche in diesem Kapitel nachzulesen sind. Die folgende Abbildung zeigt die Ergebnisse.

Charakteristika eines algebraischen Gleichheitsverständnisses

Verallgemeinerung

Ausprägung

Aspekt Gleichheitskonzept nach Winter (1982)

derselbe Endzustand

Vergleich

qualitativ

Vermittlerterm

relational

Zahlaspekt

Abbildung 5.1

kardinal

quantitativ

funktional

ordinal

Rechenzahl

Deutung von Operationen und Objekten

Gemeinsame Gegenstandszuweisung

Charakteristika eines algebraischen Gleichheitsverständnisses

Die obigen Ausprägungen lassen sich theoretisch zu zwölf Möglichkeiten der Charakterisierung kombinieren. Die folgenden Analysen zeigen sechs dieser Möglichkeiten auf. Die vorliegende Arbeit erhebt dabei keinen Anspruch auf Vollständigkeit, sondern stellt einzelne, mögliche Ausprägungen zur Charakterisierung eines algebraischen Gleichheitsverständnisses vor.

© Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2019 C. Mayer, Zum algebraischen Gleichheitsverständnis von Grundschulkindern, Dortmunder Beiträge zur Entwicklung und Erforschung des Mathematikunterrichts 38, https://doi.org/10.1007/978-3-658-23662-5_5

124

5 Argumentationsanalysen zu einem algebraischen Gleichheitsverständnis

In allen Analysen wurde „derselbe Endzustand“ im Zuge der Betrachtung der Gleichheitskonzepte nach Winter ausgemacht. Ebenso wurden in allen Analysen Verallgemeinerungen bei der Begründung der Gleichheit festgestellt. Die Deutung von Operationen und Objekten wurde ebenso in allen Analysen untersucht. Hinsichtlich der aufgestellten Vermittlerterme wurden folgende Unterschiede gemacht: Während Kapitel 5.1 Analysen aufzeigt, in denen die Lernenden einen relationalen Vermittlerterm aufstellen, stellt Kapitel 5.2 funktionale Deutungen der Gleichheit vor. Die weiteren Unterkapitel stellen verschiedene Charakterisierungen eines algebraischen Gleichheitsverständnisses hinsichtlich der Art des Vergleichs und der Zahlvorstellung vor. Dafür werden verschiedene Feinanalysen vorgenommen. Die Feinanalysen unterscheiden sich hinsichtlich der teilnehmenden Lernenden, der Lernumgebungen „Rechenketten“ und „Malkreuze“ sowie der bearbeiteten Aufgaben.

5.1 Relationale Gleichheitsdeutungen Viele Lernende stellen, wenn auch nicht explizit, einen relationalen Vermittlerterm auf, um die Gleichheit zwischen zwei Termen zu begründen. Der relationale Vermittlerterm überführt einen Term auf Grundlage der algebraischen Rechengesetze in einen anderen. Die folgenden Analysen zeigen derartige Begründungen. Die weitere Gliederung richtet sich nach den Aspekten „Vergleich“ und „Zahlaspekt“. 5.1.1 Ordinal-qualitative Vorstellungen Die folgende Analyse zeigt ein Kinderpaar bei der Bearbeitung der Aufgabe „Vergleich von 30er-Rechenketten“ aus der Interviewreihe „Rechenketten“. Die Szene findet in der zweiten Interviewstunde statt. In der ersten Interviewstunde bearbeiten die Lernenden Rechenketten mit assoziativer Verknüpfung, in der zweiten (und dritten) Interviewstunde werden insbesondere distributive Zusammenhänge betrachtet. Das algebraische Gleichheitsverständnis der Lernenden lässt sich wie folgt zusammenfassen (Abb. 5.2):

5.1 Relationale Gleichheitsdeutungen

Abbildung 5.2

125

Charakterisierung des algebraischen Gleichheitsverständnisses: relational-ordinal-qualitative Vorstellungen

Feinanalyse Jens und Noah Den Kindern, Jens und Noah, wird jeweils ein Aufgabenblatt mit Rechenketten vorgelegt, welches sie berechnen und fortführen sollen (Abb. 5.3).

Abbildung 5.3

Jens (links) und Noahs (rechts) Arbeitsblatt der 30erRechenketten

126

5 Argumentationsanalysen zu einem algebraischen Gleichheitsverständnis

Noah bearbeitet die links dargestellten Rechenketten und Jens die auf der rechten Seite. Beide berechnen ihre Rechenketten zunächst alleine und finden jeweils zwei weitere Rechenketten, die sie unter die anderen positionieren. Anschließend tauschen sie sich aus. Jens und Noah beschreiben im Folgenden zunächst unaufgefordert Auffälligkeiten auf ihren jeweiligen Arbeitsblättern. 1

J

2 3

I J

Das hier ist immer das, was hierhin kommt (zeigt nacheinander auf die 240 in der dritten und vierten Zeile seines Arbeitsblattes) (..) Das in der Mitte ist immer das, was bei der nächsten Aufgabe an die rechte Seite kommt (.) und links wird immer nur einen größer Mhm. Mehr ist nicht (...) Mehr ist es nicht (..) Und es wird in der Mitte immer um 30 höher

Jens beschreibt zunächst eine äußerliche Gemeinsamkeit auf seinem Arbeitsblatt. Es gibt Zahlen, die mehrmals vorkommen, sowohl in der Mitte einer Rechenkette als auch am Ende der darauffolgenden. Jens betrachtet die Rechenketten an dieser Stelle noch nicht unter struktureller Perspektive und begründet das mehrmalige Auftreten der gleichen Zahl hier nicht. Der Gedanke wird im Folgenden nicht mehr aufgegriffen, stattdessen stellt er zusätzlich fest, dass die Startzahlen seiner Rechenketten sich um eins erhöhen. Er betont, dass sie sich „nur“ um eins erhöhen. Möglicherweise weist er damit darauf hin, dass es sich um eine unbedeutende Auffälligkeit handelt. Er fügt hinzu, dass es keine weiteren Auffälligkeiten gibt (Z. 3). Gleichwohl stellt er dann fest, dass sich die Zahlen in der Mitte der Rechenketten um 30 erhöhen. Möglicherweise setzt er das Erhöhen der Startzahl „nur“ um eins in Beziehung mit der Erhöhung der Mittelzahl um 30. Nachdem Jens verschiedene Auffälligkeiten auf seinem Arbeitsblatt beschrieben hat, beginnt Noah, sein Arbeitsblatt zu beschreiben. 4 5

N J

6

N

7 8 9 10

J J N J

Bei mir wird die erste Zahl immer einen mehr #1 die dritte #1 Ja die zweite Zahl (.) drei dreißig mehr und die letzte #2(.) dreißig mehr (guckt abwechselnd auf sein und Noahs Arbeitsblatt) #2 Bei mir, die zweite wird bei mir immer also die im Pfeil bleibt immer dreißig, also mal dreißig, das Ergebnis in der Mitte verändert sich immer (.) wird immer dreißig #3 mehr und dann #3 mehr, genau Minus 30 und das sind dann auch immer 30 mehr bei denen Bei mir ist das Ergebnis immer 30 mehr Ja (..) Ich glaub’, wir haben das ziemlich gleich (lacht)

Noah stellt ebenso wie Jens zuvor fest, dass die Startzahlen seiner Rechenketten sich um eins erhöhen. Diese Entdeckung bleibt allerdings an dieser Stelle isoliert von Jens gleicher Beobachtung stehen. Angeregt durch Noahs vertikalen Vergleich der Startzahlen, nimmt Jens die Veränderung der Mittel- und Zielzahlen weiter in den Blick und stellt fest, dass sich beide um 30 erhöhen. Jens

5.1 Relationale Gleichheitsdeutungen

127

scheint die Gleichheit der Veränderungen auf beiden Arbeitsblättern zu erkennen. Noah hingegen fokussiert sein Arbeitsblatt (Z. 4, 6, 9). Er setzt, nachdem er von Jens unterbrochen wurde, seinen vertikalen Vergleich der Zahlen auf seinem Arbeitsblatt fort und erkennt, dass die zweite Zahl, unter der Noah den Faktor ‚·30’ im ersten Pfeil versteht, wohingegen Jens die Mittelzahl meint, gleich bleibt. Nachdem Noah die Startzahlen und die erste Pfeilzahl verglich, betrachtet er die Mittelzahl. Er durchläuft in seiner Beschreibung von Auffälligkeiten die Rechenkette von links nach rechts. Jens scheint Noahs Gedankengang folgen zu können und setzt dessen Beschreibung fort (Z. 7/8), indem er die zweite Pfeilzahl von, in seinem Fall, ‚-30’ miteinander vergleicht und die Erhöhung der Zielzahlen um 30 feststellt. Jens beschreibt, dass es „auch immer 30 mehr“ (Z. 8) sind. Möglicherweise hat er hier wieder die Gemeinsamkeit der gleichen Veränderungen sowohl auf Noahs Arbeitsblatt als auch auf seinem im Blick. Da er Noahs Idee verfolgt und in Zeile 7 explizit die Zunahme der Mittelzahl um 30 betont, setzt er womöglich die Vermehrung der Zielzahl um 30 dazu in Beziehung. Noah beschreibt zum Schluss noch einmal, dass sich seine Zielzahlen um 30 erhöhen. Ob er, so wie Jens, die Gleichheit der Veränderungen auf beiden Arbeitsblättern bereits erkannt hat, lässt sich an dieser Stelle nicht sagen. Jens bestärkt seine Beobachtung der gleichen Veränderungen noch einmal, indem er abschließend feststellt, dass Noah und er es „ziemlich gleich haben“ (Z. 10). Angeregt durch die vorherigen Arbeitsphasen des Berechnens der eigenen Rechenketten sowie des Findens und Fortsetzens eines Musters, fokussieren Jens und Noah zunächst die Beschreibung ihrer eigenen Rechenketten und verbalisieren so noch einmal ihre Überlegungen. Während sich Noah stark auf seine eigenen Entdeckungen konzentriert, stellt Jens, angeregt durch Noahs Beschreibungen, erste Vergleiche zwischen den vertikalen Veränderungen auf den Arbeitsblättern beider Kinder an. Er stellt fest, dass diese sich gleichen. Die Interviewerin fordert die Kinder nun, anders als zuvor, explizit dazu auf, ihre Rechenketten miteinander zu vergleichen. 11

I

12 13

J J

14

N

15 16

J J

Ich schieb’ die mal in die Mitte zusammen (schiebt die Aufgabenblätter in die Mitte des Tisches) #4Wenn ihr die jetzt vergleicht, fällt euch da was auf? #4Achso. 4 mal, 5 mal Oh. Du hast tiefere Zahlen. Du hast 4 mal, 5 mal, 6 mal, #57 mal, 8 mal (zeigt auf Noahs Startzahlen) #5Weil du da minus hast (zeigt auf Jens zweite Pfeilzahlen), da musst du ja höhere haben #6, damit das Ergebnis gleich bleibt #6 Ja Ja

Nachdem die Interviewerin die Arbeitsblätter der Kinder nebeneinander in die Mitte des Tisches schiebt, macht Jens eine weitere Entdeckung. Er vergleicht jetzt nicht mehr die vertikalen Differenzen der Rechenketten, sondern fokussiert die nebeneinanderliegenden Aufgaben. Erstaunt äußert er sich über die Tatsache,

128

5 Argumentationsanalysen zu einem algebraischen Gleichheitsverständnis

dass Noahs Startzahlen tiefer sind als seine Startzahlen. Angeregt durch Jens Entdeckung und möglicherweise auch durch sein Erstaunen fühlt sich Noah dazu aufgefordert, eine Begründung für Jens Entdeckung zu liefern (Z. 14). Er verweist auf Jens zweite Pfeilzahl, einen Subtrahenden und folgert daraus, dass Jens Startzahlen, bei gleichbleibendem Ergebnis, höher als seine sein müssen. Folgendes Argumentationsschema fasst Noahs Begründung zusammen (Abb. 5.4): Datum

Konklusion

Jens subtrahiert etwas, Noah addiert etwas

ZJ = ZN

SJ > SN Argumentationsregel Wenn Jens etwas subtrahiert während Noah etwas addiert und die Zielzahlen beider Kinder gleich sind, dann hat Jens höhere Startzahlen.

Stützung Gegensinnige Veränderung Abbildung 5.4

Argumentationsschema Noah

Noah stellt einen qualitativen Vergleich seiner und Jens Aufgaben an und begründet so die unterschiedlich hohen Startzahlen bei gleichem Ergebnis. Er argumentiert nicht an einem konkreten Beispiel, sondern formuliert eine allgemeine Begründung, die für alle vorliegenden Rechenketten gilt. Die unterschiedlichen Operationen in den zweiten Pfeilen der Rechenketten lässt Noah die Größenrelation der Startzahl in Zusammenhang mit der Gleichheit der Zielzahlen folgern. Die Gleichheit der Rechenketten ist für die Lernenden in derselben Zielzahl sichtbar und ist alleine nicht begründungsbedürftig. Betrachtet man sie allerdings in Zusammenhang mit der Ungleichheit der Startzahlen scheint dies eine irritierende Entdeckung zu sein, für die Noah eine Begründung entwickelt. Noah setzt seine und Jens Aufgaben zueinander in Beziehung, um zu begründen, dass sie denselben Endzustand darstellen.

5.1 Relationale Gleichheitsdeutungen

129

5.1.2 Kardinal-qualitative Vorstellungen Die folgende Szene zeigt das Kinderpaar Melissa und Lena bei der Bearbeitung der obigen Aufgabe. Wie auch Jens und Noah zuvor stellen die beiden Lernenden einen qualitativen Vergleich zur Begründung der Gleichheit an, nutzen dabei jedoch keine ordinale, sondern eine kardinale Vorstellung. Das algebraische Gleichheitsverständnis lässt sich wie folgt charakterisieren:

Abbildung 5.5

Charakterisierung des algebraischen Gleichheitsverständnisses: relational-kardinal-qualitative Vorstellungen

Feinanalyse Melissa und Lena Auch die beiden Lernenden Melissa und Lena berechneten zunächst ihre jeweiligen 30er-Rechenketten (Abb. 5.6), ehe sie diese miteinander vergleichen. 1 3 5 8

M M M M

9 10

L M

Aber das sind doch ganz andere Zettel (.) sie hat ja viermal, 30 Und hier (zeigt auf Lenas zweite Pfeile) am Ende plus und ich minus (.) Aber sie hat am Ende trotzdem 150 raus, genauso wie ich Ah, ich glaub, ich weiß, woran das liegt. Sie hat zwei weniger, Dasselbe aber mal 30 halt, dadurch ergibt das halt 30 weniger immer Ja Und sie muss ja plus rechnen und ich # minus und dadurch ähm, sind die Ergebnisse auf einmal gleich

130

Abbildung 5.6

5 Argumentationsanalysen zu einem algebraischen Gleichheitsverständnis

30er-Rechenketten von Melissa und Lena

Melissa stellt zunächst fest, dass sich die nebeneinanderliegenden Rechenketten einerseits unterscheiden, da sie unterschiedliche Startzahlen sowie zweite Pfeilzahlen haben. Andererseits zeigen die Rechenketten jedoch gleiche Zielzahlen. Für die Entdeckung der Gleichwertigkeit der Aufgaben entwickelt Melissa in Zeile 8 eine Begründung. Die gemeinsame Gegenstandszuweisung nimmt sie hier, ebenso wie Jens und Noah zuvor an dieser Stelle, über den gemeinsamen Endzustand vor. Sie vergleicht die Zahlen und Operationen in den Rechenketten miteinander und stellt fest, dass nach dem Durchlaufen der Rechenhandlung die Ergebnisse gleich sind. Die Rechenhandlungen resultieren in demselben Endzustand. Um dieses Phänomen zu begründen, setzt sie die Zahlen und Operationen in den Ketten zueinander in Beziehung. Melissa erklärt, dass Lenas Startzahlen „zwei weniger“ seien, beide Startzahlen aber mal 30 genommen werden. Durch die unterschiedlichen zweiten Pfeilzahlen, Lena addiert etwas, Melissa subtrahiert etwas, erhalten sie gleiche Ergebnisse (Z. 8&10). Der Unterschied zu Beginn der Rechenketten wird durch die gegensinnige Veränderung am Ende ausgeglichen, sodass beide Aufgaben in der gleichen Zielzahl resultieren. Melissa scheint die Gleichheitsbeziehung hier, zumindest zu Beginn, kardinal zu denken. Lenas Menge beinhaltet zu Beginn zwei Elemente weniger als Melissas Menge. Diese Differenz der Mengen wird durch die unterschiedlichen Operationen am Ende ausgeglichen. Hierbei verbalisiert Melissa die symbolische Ebene („sie muss ja plus rechnen und ich minus“). Möglicherweise stellt sich Melissa das Addieren und Subtrahieren an dieser Stelle im Zuge ihrer anfänglichen kardinalen Deutung als Hinzufügen und Wegnehmen einer Menge vor, die die Differenz von Beginn ausgleicht. Möglicherweise handelt sie hier aber auch abstrakt auf der symbolischen Ebene, so wie sie es äußert. Sie verbleibt dabei in einem qualitativen Vergleich, indem sie auf die Ungleichheit der Operationen

5.1 Relationale Gleichheitsdeutungen

131

hinweist. Welche Menge addiert bzw. subtrahiert werden muss, gibt Melissa nicht an. Ferner erklärt sie, dass die Ungleichheit der Operationen im zweiten Pfeil die Ungleichheit der Startzahlen ausgleichen und daraus die Gleichheit resultiert, sie präzisiert diese „Beziehung der Beziehung“ aber an dieser Stelle nicht weiter. Melissas Argument lässt sich in folgendem Argumentationsschema zusammenfassend darstellen (Abb. 5.7). Datum

Konklusion

SL = SM-2

ZM = ZL

Lena addiert etwas, Melissa subtrahiert etwas

Argumentationsregel Wenn Lenas Startzahl um 2 kleiner ist als Melissas und Lena am Ende etwas addiert und Lena etwas subtrahiert, dann sind die Zielzahlen gleich.

Stützung Gegensinnige Veränderung

Abbildung 5.7

Argumentationsschema Melissa

5.1.3 Ordinal-quantitative Vorstellungen Die folgenden beiden Analysen zeigen die zwei Kinderpaare Jens und Noah sowie Melissa und Lena bei der weiteren Bearbeitung der obigen Aufgabe. Das algebraische Gleichheitsverständnis der Lernenden lässt sich hier wie folgt zusammenfassen (Abb. 5.8):

132

5 Argumentationsanalysen zu einem algebraischen Gleichheitsverständnis

Abbildung 5.8

Charakterisierung des algebraischen Gleichheitsverständnisses: relational-ordinal-quantitative Vorstellungen

Feinanalyse Jens und Noah Nachdem Jens und Noah ihre Aufgaben miteinander verglichen, stellten sie fest, dass ihre Zielzahlen gleich sind. Noah entwickelte eine erste Begründung für die Gleichheit und stellte dabei einen qualitativen Vergleich auf (s. Kap. 5.1.1). Die Interviewerin fordert im Folgenden eine erneute Begründung der Lernenden zur entdeckten Gleichwertigkeit der Aufgaben ein28. 4 5 6 7 8 9 17 18 19

28

I N J

30 30 30 30 30 30

30 30 30 30 30 30

150 180 210 240 270 300

6 7 8 9 10 11

30 30 30 30 30 30

30 30 30 30 30 30

150 180 210 240 270 300

Wie meint ihr das? Also (.) # # Ich krieg’ zwei mal mehr, also mehr, und damit am Ende das bei uns beiden gleich ist, muss ich ab, 30 abziehen und er 30 plus rechnen, weil wir hierbei glaube ich (.) ja, 60 mehr in der Mitte haben, ich 60 mehr als der Noah, und ich muss dann minus 30 rechnen, dann ist der Noah nur noch 30 von mir weg, von meiner Zahl und er rechnet plus 30, dann sind wir auf derselben Zahl. [...]

Eine Abbildung der Arbeitsblätter findet sich auf S.125.

5.1 Relationale Gleichheitsdeutungen

133

Noah setzt zur Begründung an. Er wird jedoch von Jens unterbrochen, der Noahs vorherige Begründung aufgreift und präzisiert. Er entwickelt Noahs qualitativen Vergleich der Aufgaben zu einem quantitativen Vergleich weiter. Analog zu Noah zuvor setzt Jens den Beginn der Rechenketten, die Zielzahlen sowie die Operationen im zweiten Pfeil zueinander in Beziehung. Im Gegensatz zu Noah präzisiert Jens Datum und Konklusion hier quantitativ: Er bekommt am Anfang jeweils 2 mal (30) mehr und die Zielzahlen sind gleich, deswegen muss er 30 abziehen und Noah 30 dazu rechnen. Mathematisch ausgedrückt stellt Jens folgende Gleichheitsrelation auf: (x·30+2·30)-30=x·30+30. Jens betont hier, ebenso wie bereits zuvor in Zeile 13, neben der Startzahl auch stets die darauffolgende Operation. In Zeile 13 beschreibt Jens zunächst „Du hast 4 mal, 5 mal, 6 mal, 7 mal, 8 mal“. Hier setzt er nun seinen Beginn der Aufgabe und Noahs Beginn zueinander in Beziehung und stellt fest, er „kriege zwei mal mehr“ (Z. 19). Es scheint, als betrachte Jens die Terme 4·30, 5·30, 6·30 usw. in Noahs Rechenketten und 6·30, 7·30, 8·30 usw. in seinen Rechenketten und nicht nur die Startzahlen. Würde er nur die Startzahlen betrachten, wäre es ausreichend davon zu sprechen, dass er „zwei mehr“ bekommt. Da er aber davon spricht, dass er „zwei mal mehr“ bekommt, bezieht er sich vermutlich auf den gesamten Term. Er deutet somit die Operation und das Objekt als ein Gesamtobjekt. Des Weiteren führt Jens im Folgenden die gegensinnigen Operationen +30 und -30 aus und setzt diese in einen kausalen Zusammenhang zu seiner Entdeckung über den Beginn der Rechenketten. Weil die Zielzahlen gleich sind und er zwei mal mehr bekommt, muss er 30 subtrahieren und Noah 30 addieren. Die Operationen -30 und +30 können nicht aus dem Unterschied der Startzahlen, jedoch aus dem Unterschied der Startzahlen in Kombination mit der Operation ·30 geschlossen werden. Mathematisch ausgedrückt bezieht sich Jens somit nicht auf (x+2)·30, er vergleicht nicht nur die Startzahlen, sondern, wie oben angegeben, auf x·30+2·30. Dieser Interpretation zufolge deutet Jens die Startzahlen als Operationen und die Pfeilzahlen als Objekte. Er nimmt einen Tausch der ursprünglichen Rollen vor. In den Aufgaben x·30 (Noahs Rechenketten) und (x+2)·30 (Jens Rechenketten) ist die Operation ursprünglich ·30, das Verdreißigfachen einer bestimmten Menge, in diesem Fall x bzw. x+2. Diese stellen hingegen die Objekte dar. In Jens Deutung hingegen ist 30 das Objekt und x bzw. (x+2) die Operation, es wird ver-x-facht bzw. ver-(x+2)-facht. Inwieweit Jens hier eine bewusste Umdeutung der Rollen vornimmt oder diese der Leserichtung entsprechend bestimmt, bleibt nicht zu sagen. In jedem Fall kann Jens so ausdrücken, dass er von dem Objekt 30 „2 mal mehr“ bekomme als Noah: x·30+2·30. Jens benennt die konkrete Operation ·30 an dieser Stelle nicht. Das ist nicht nötig, da auf beiden Arbeitsblättern die gleiche Operation zu finden ist, sodass lediglich der Vergleich der Startzahlen sowie der Unterschied von Bedeutung sind.

134

5 Argumentationsanalysen zu einem algebraischen Gleichheitsverständnis

Nachdem Jens Noahs Begründung zu einem qualitativen Vergleich präzisiert hat, entwickelt er seine Begründung noch einmal weiter: „weil wir hierbei glaube ich (.) ja, 60 mehr in der Mitte haben, ich 60 mehr als der Noah, und ich muss dann minus 30 rechnen, dann ist der Noah nur noch 30 von mir weg, von meiner Zahl und er rechnet plus 30, dann sind wir auf derselben Zahl.“

Es scheint, als suche Jens hier selbstständig nach einem weiteren Argument, das die Zulässigkeit seines vorherigen Arguments erneut garantiert. Er fokussiert nun die Mittelzahlen und stellt fest, er habe bei den Mittelzahlen 60 mehr als Noah. Jens scheint zunächst nur den Verdacht zu haben, dass die Differenz der Mittelzahlen 60 beträgt („weil wir hierbei glaube ich“), ehe er diesen anschließend bestätigt („ja, 60 mehr in der Mitte“). Möglicherweise rechnet er den Unterschied von 60 noch einmal an einem Beispiel nach und überprüft ihn so empirisch. Jens Argumentation kann in folgendem Argumentationsschema zusammengefasst werden (Abb. 5.9). Datum

Konklusion

x·30+60=(x+2)·30 60=|-30|+|+30|

x·30+30=(x+2)·30-30 Argumentationsregel Wenn Jens Mittelzahl um 60 größer ist als Noahs Mittelzahl und Jens 30 subtrahiert während Noah 30 addiert, dann sind die Terme x·30+30 und (x+2)·30-30 gleichwertig. Stützung Gegensinnige Veränderung

Abbildung 5.9

Argumentationsschema Jens

Jens begründet die Gleichheit der Terme, welche durch die Gleichheit der Zielzahlen in den Rechenketten eindeutig und sichtbar gemacht sind. Dafür setzt er den Unterschied 60 der Mittelzahlen sowie die unterschiedlichen Operationen +30 und -30 als unbezweifelte Tatsachen voraus und schlussfolgert auf Grundlage der gegensinnigen Veränderung die Gleichwertigkeit der Terme daraus. Es

5.1 Relationale Gleichheitsdeutungen

135

scheint, als versuche Jens, die verschiedenen mathematischen Entdeckungen auf unterschiedliche Weise in einen kausalen Zusammenhang zu bringen. Er stützt sich dabei stets auf eine quantitative Ausgleichsvorstellung. Jens äußert sich hier im Sinne einer linearen Darstellung der Operationen. Dies lässt nun, so wie bei Noah zu Beginn, auf eine ordinale Vorstellung schließen. Jens betrachtet den Unterschied 60 im Sinne eines Abstandes zweier Zahlen auf dem Zahlenstrahl. Subtrahiert Jens 30 von seiner Mittelzahl („ich muss dann minus 30 rechnen“) und erhält somit seine Zielzahl, geht er auf dem Zahlenstrahl 30 Einheiten nach links, sodass Noahs Mittelzahl nur noch 30 Einheiten von seiner Zielzahl entfernt ist („dann ist der Noah nur noch 30 von mir weg, von meiner Zahl“). Addiert Noah nun 30, geht er auf dem Zahlenstrahl 30 Einheiten nach rechts, sodass sie auf derselben (Ziel)zahl landen (Abb. 5.10).

Abbildung 5.10 Lineare Darstellung der Gleichheit

Jens Argument zeigt, dass er eine Gleichheitsbeziehung zwischen seinen und Noahs Rechenketten aufstellt, mathematisch ausgedrückt: (x·30+2·30)30=x·30+30. Beide Kinder erhalten dieselbe Zielzahl, Jens hat zunächst „zwei mal mehr“, er subtrahiert dann 30, Noah addiert 30. Mit Blick auf die Mittelzahlen versucht Jens dann, diese Gleichheitsbeziehung weiter zu begründen. Dabei nutzt er folgende Beziehung: (x·30+2·30)-30=(x·30+60)-30=x·30+(6030)=x·30+30. Der Term x·30+60-30 vermittelt im Zuge des Assoziativgesetzes zwischen den Aufgaben der Lernenden (Jens Aufgaben (x·30+2·30)-30, Noahs Aufgaben x·30+30) und kann somit als relationaler Vermittlerterm betrachtet werden. Jens scheint die Differenz des Beginns der Rechenketten und die gegensinnigen Operationen im zweiten Pfeil zueinander in Beziehung zu setzen, vermittelt über die Differenz 60 der Mittelzahlen, und daraus die Gleichheit der Zielzahlen zu schlussfolgern. So wie Noah zuvor sieht Jens die Gleichheit der Aufgaben in demselben Endzustand (Winter 1982). Er durchläuft in seiner Argumentation die Rechenhandlung aus den Rechenketten von vorne, setzt diese zueinander in Beziehung

136

5 Argumentationsanalysen zu einem algebraischen Gleichheitsverständnis

und begründet so denselben Zustand am Ende. Jens habe zunächst zwei mal mehr. Dieser Unterschied wird durch das Addieren bzw. Subtrahieren von 30 ausgeglichen, sodass beide Aufgaben in demselben Zustand enden. Feinanalyse Melissa und Lena Die folgende Analyse zeigt die Lernenden Melissa und Lena ebenfalls bei der Fortführung der Bearbeitung der obigen Aufgabe „Vergleichen von 30erRechenketten“. Im Folgenden begründen Melissa und Lena die Gleichheit der Zielzahlen noch einmal. 71

M

77

L

89

M

91

L

94

M

# Weil, weil ja hier zwei der Unterschied hier ist und mal dreißig genommen wird beide [...] Ja weil hier so, weil hier (zeigt auf die Startzahlen) der Unterschied zwei ist und zweimal 30 sind 60 [...] Und weil ich minus 30 gerechnet habe und du plus 30, 30 plus 30 sind 60, also kommen wir dann auf das Ergebnis 60, dadurch hast du eigentlich fast plus 60 gerechnet, weil ich bin ja 30 dir runtergegangen und du bist dreißig hochgegangen, dann sind ja wieder die Ergebnisse gleich [...] Sind uns entgegen gekommen [...] Jeder ist die Hälfte hoch oder runtergegangen

Melissa und Lena begründen hier, anders als zu Beginn, die Gleichheitsrelation quantitativ, d.h. unter Berücksichtigung der exakten Zahlen. Sie stellen den Unterschied der Startzahlen von 2 heraus (Z. 71 & 77). Da die ersten Pfeilzahlen bei beiden Kindern ·30 lauten, ergibt sich ein Unterschied der Mittelzahlen von 2·30=60, mathematisch mit dem Distributivgesetz ausgedrückt: (x+2)·30=x·30+2·30=x·30+60. Dieser Unterschied kann durch die zweiten Pfeilzahlen gegensinnig verändert und damit ausgeglichen werden. Hier greift Melissa, anders als noch zu Beginn, auf eine ordinale Zahlvorstellung zurück (Z. 89). Ähnlich wie Jens in der zuvor analysierten Szene scheint Melissa an einen (horizontalen oder vertikalen) Zahlenstrahl zu denken, auf dem sie sich 30 Einheiten nach unten bzw. nach links bewegt und Lena 30 Einheiten nach oben bzw. nach rechts (Z. 89). Melissa gibt an, der gleiche Endzustand hätte auch durch das Addieren von 60 seitens Lisa erfolgen können. Die Differenz von 60 zugunsten von Melissas Rechenketten kann sowohl durch das Addieren bzw. Subtrahieren von jeweils 30 ausgeglichen werden als auch durch das alleinige Addieren von 60 in Lisas Rechenkette: |+30|+|-30|=|+60|. Abb. 5.11 zeigt diese Überlegung.

5.1 Relationale Gleichheitsdeutungen

137

30+30=60

Lenas Mittelzahl

- 30

+ 30

Melissas Mittelzahl

Gleiche Ergebnisse + 60

Gleiche Ergebnisse

Abbildung 5.11 Lineare Darstellung der Gleichheit 2

Auch Lisa äußert sich im Sinne einer ordinalen Vorstellung (Z. 91). Sie scheint sich das Ausgleichen des Unterschiedes 60 durch das beidseitige Entgegenkommen vorzustellen. Dabei starteten beide Mädchen an unterschiedlichen Ausgangspunkten, die 60 Einheiten voneinander entfernt liegen. Melissa ergänzt, dass jeder „die Hälfte hoch oder runtergegangen“ ist (Z. 94). Sie erkennt, dass 60: 2 30, sodass jedes der beiden Lernenden den halben Weg (auf dem Zahlenstrahl) zurückgelegt hat. Möglicherweise setzt sie diese Erkenntnis auch in Beziehung zu der Differenz zu Beginn der Rechenketten, 2·30. Die Differenz 2·30 kann ausgeglichen werden, indem jedes Kind die Hälfte dieser Differenz, (2·30):2=30 vorwärts bzw. rückwärts läuft. Der Vermittlerterm x·30+2·30(2·30):2 begründet in diesem Fall die Gleichheit der Rechenketten: x·30+30=x·30+[2·30-(2·30):2]=(x·30+2·30)-(2·30):2=(x+2)·30-30. Melissas und Lenas Argumentation lässt sich in folgendem Argumentationsschema zusammenfassen (Abb. 5.12). Auch in dieser Begründung nimmt Melissa die gemeinsame Gegenstandszuweisung über den gleichen Endzustand vor. Ähnlich wie bei Jens und Noah nutzen die Lernenden auch hier einen Term, der zwischen den beiden gleichwertigen Rechenketten-Aufgaben vermittelt.

138

5 Argumentationsanalysen zu einem algebraischen Gleichheitsverständnis

Datum

Datum/ Konklusion

Konklusion

SM = SL+2

(x·30)+60=(x+2)·30 ML+30=ZL MM-30=ZM

x·30+30=(x+2)·30-30

SM·30=MM SL·30=ML

Argumentationsregel Argumentationsregel Wenn der Unterschied der Starzahlen 2 ist und beide Startzahlen mit 30 multipliziert werden, dann ist der Unterschied der Mittelzahlen 60.

Wenn der Unterschied der Mittelzahlen 60 ist und Lena 30 addiert und Melissa 30 subtrahiert, dann sind die Zielzahlen gleich.

Stützung

Stützung

Distributivgesetz

Gegensinnige Veränderung

Abbildung 5.12 Argumentationsschema Melissa und Lena

In der analysierten Szene verbleiben Melissa und Lena bei ihren Begründungen an den ihnen vorliegenden konkreten Rechenketten. Sie beziehen sich jedoch nicht auf eine spezielle Rechenkette, sondern betrachten stets das komplette Aufgabenblatt. Ihre Begründungen gelten daher für alle Rechenketten dieser Art. 5.1.4 Kardinal-quantitative Vorstellungen Die folgenden Analysen zeigen drei Kinderpaare bei der Bearbeitung unterschiedlicher Aufgaben aus der Lernumgebung Rechenketten. Das algebraische Gleichheitsverständnis der Lernenden lässt sich wie folgt zusammenfassen (Abb. 5.13):

5.1 Relationale Gleichheitsdeutungen

139

Abbildung 5.13 Charakterisierung des algebraischen Gleichheitsverständnisses: relational-kardinal-quantitative Vorstellungen

Feinanalyse Nils und Dilay In der folgenden Aufgabe sollten die Lernenden die zweite Pfeilzahl einer Rechenkette bestimmen, ohne dabei die Mittelzahl zu berechnen. Das Kästchen der Mittelzahl wurde daher geschwärzt. Um strukturelle Überlegungen zur Findung der zweiten Pfeilzahl zu ermöglichen, wurde den Lernenden zunächst eine kurze Rechenkette vorgelegt, die sie ausfüllten. Nachdem Nils und Dilay die Startzahl 8 für die kurze Rechenkette notierten, legt die Interviewerin den Kindern eine lange Rechenkette mit Startzahl 7 vor, für die sie die zweite Pfeilzahl bestimmen sollen (Abb. 5.14).

Abbildung 5.14 Rechenketten mit Startzahlen 8 und 7 1 2 3 4

I D I D

Was kommt in den Pfeil? (zeigt auf den zweiten Pfeil) Habt ihr ’ne Idee? Ich hab‘s. (schreibt +40 in den Pfeil) Hier kommt plus 40 hin. Warum? Weil hier ist ja acht mal 40 (zeigt auf die kurze Rechenkette) und hier ist sieben mal 40.

140

5 Argumentationsanalysen zu einem algebraischen Gleichheitsverständnis Und wenn wir das hier nicht ausrechnen (hält mit zwei Fingern die Mittelzahl der Rechenkette zu) dann muss man ja nur nochmal 40 schreiben # weil das ergibt dann erst 320 # Mhm. Super.

5 I

Dilay findet schnell die richtige Lösung +40, notiert diese im zweiten Pfeil und begründet sie auf Nachfragen der Interviewerin. Dafür zieht sie die zuvor ausgefüllte kurze Rechenkette mit Startzahl 8 heran. Sie vergleicht die kurze Rechenkette, 8·40, und den Beginn der langen Rechenkette, 7·40, und schlussfolgert daraus, dass die zweite Pfeilzahl +40 lauten müsste. Sie ergänzt, dass man „nur nochmal 40 schreiben“ müsse. Da Dilay die unterschiedlichen Startzahlen der beiden Rechenketten betont, könnte vermutet werden, dass sie die Differenz von eins bemerkt und daraus im Sinne des Distributivgesetzes schlussfolgert, dass nur noch einmal 40 hinzugefügt werden muss. Mathematisch ausgedrückt nutzt sie die Gleichheitsbeziehung 8·40=(7+1)·40=7·40+1·40. Möglich ist jedoch auch, dass Dilay zwar betont, die Mittelzahl nicht auszurechnen, dies aber im Kopf erledigt und durch die Bestimmung der Differenz von 320 und 280 auf das Ergebnis 40 kommt, 7·40=280=320-40. Vielleicht stellt sie dann anschließend fest, dass auch im zweiten Pfeil eine Operation mit der Zahl 40 vollzogen wird, dass „nochmal 40 geschrieben“ wird. Nachdem Dilay die Lösung gefunden und begründet hat, betrachtet Nils diese noch einmal kritisch. 6 7 8 9 10

N I N D N

Ist das überhaupt richtig? (guckt auf die Rechenketten) (..) Ja ne? Nils, weißt du, wie Dilay das meinte? Hm (..) Ja (.) Ich glaub, da ist eine mehr (...) (zeigt auf die kurze Rechenkette) Dafür # kommt da (zeigt auf den zweiten Pfeil der Rechenkette) # Dafür kommt noch eine Vierzig (zeigt auf den zweiten Pfeil der Rechenkette), weil das sind sieben und acht, das wären ja auch 320, aber weil sieben (..) weil das äh äh ein ein weniger ist, muss ja noch einer da, ein Vierziger dazu (.) deswegen plus vierzig

Nils fragt (sich selbst), ob diese Lösung richtig sei. Schnell bejaht er seine Frage, sucht aber dennoch eine Bestätigung der anderen Interaktionsteilnehmer (Z. 6). Er scheint immer noch verunsichert zu sein. Statt einer Rückmeldung auf Nils Frage, fragt die Interviewerin, ob Nils Dilays zuvor angeführte Erläuterung verstanden habe (Z. 6). Nils antwortet in Zeile 8 mit „Ja“. Möglicherweise gibt er an, Dilays Ausführungen verstanden zu haben, möglicherweise beantwortet er seine noch offene Frage aus Zeile 5 hier auch noch einmal selbst. In seinen weiteren Ausführungen bezieht er sich dann aber auf Dilays Idee. Nils betrachtet, so wie Dilay zuvor, die kurze Rechenkette und stellt zudem heraus, dass dort „eine mehr“ ist. Vielleicht vergleicht er hier die Startzahlen und stellt heraus, dass die Zahl 8 „eine“ Zahl (der Mächtigkeit eins) mehr ist als die Zahl 7. Möglicherweise vergleicht er aber nicht nur die Startzahlen miteinander, sondern

5.1 Relationale Gleichheitsdeutungen

141

betrachtet ebenso die dazugehörige Operation ·40 und stellt daher heraus, dass die kurze Rechenkette „eine“ Vierzig mehr beinhaltet als der Beginn der langen Rechenkette. Nils weitere Ausführungen lassen diese Interpretation vermuten. Dilay möchte anschließend Nils Erklärung fortführen. Sie wird jedoch von Nils unterbrochen, der seine Erklärung selbst zuende führen möchte. Während er zu Beginn seiner Ausführungen in Zeile 8 immer noch unsicher wirkte („Ich glaub’,...“), scheint er die Lösung sowie den Lösungsweg nun nicht mehr in Frage zu stellen und führt ihn daher weiter fort (Z. 10). Er gibt an, dass im zweiten Pfeil der Rechenkette mit Startzahl 7 noch eine Vierzig dazu kommt. Wahrscheinlich vergleicht er in Zeile 8 daher auch nicht nur die Startzahlen 7 und 8 miteinander, sondern die Anzahl der Vierzig, das Objekt gekoppelt mit der Operation, als ein Gesamtobjekt. Nils verleiht dem einen Faktor eine Einheitsstruktur, „Vierziger“, und betrachtet eine gewisse Menge, hier 7 bzw. 8, als ein Gesamtobjekt. Nils nimmt hier eine kardinale Vorstellung der Gleichheitsrelation ein, indem er sich die Aufgaben als Mengen denkt. Während der strukturorientierte Zugang der Rechenketten in den Pfeilen eine Operation, in diesem Fall ·40 suggeriert und 8·40 entsprechend als das Vervierzigfachen von 8 verstehen lässt, deutet Nils Objekt und Operation entsprechend der Leserichtung. Er sieht keine Menge der Mächtigkeit 8 als Objekt, die vervierzigfacht wird. Stattdessen sieht er eine Menge der Mächtigkeit 40 als Objekt, das in der kurzen Rechenkette verachtfacht, in dem Beginn der langen Rechenkette versiebenfacht wird. Diese Deutung ermöglicht Nils einen Vergleich gleichartiger Objekte, bei dem er feststellt, dass die kurze Rechenkette ein Objekt mehr enthält als der Beginn der langen Rechenkette (Z. 8) bzw. andersherum, dass der Beginn der langen Rechenkette ein Objekt weniger beinhaltet als die kurze Rechenkette (Z. 10). Im Sinne des Ausgleichens durch gegensinniges Verändern erklärt Nils, dass daher „noch eine Vierzig“ bzw. „ein Vierziger“ zu der Menge hinzukommt, die zunächst ein Objekt weniger beinhaltete. Abb. 5.15 fasst Nils und Dilays Argument noch einmal zusammen. Nils verbalisiert einen relationalen Term, der zwischen den Aufgaben 8·40 und 7·40+40 vermittelt. Nils begründet die Gleichheit der Terme wie folgt: „aber weil sieben (..) ein ein weniger ist, muss ja noch einer, ein Vierziger dazu“. Als Vermittlerterm bezieht er sich hier auf 8·40-1·40+1·40. Dieser Term garantiert die Gleichheit zwischen 8·40 und 7·40+40, da gilt 8·40=8·40+(1·40+1·40)=(8·40-1·40)+1·40=7·40+40.

142

5 Argumentationsanalysen zu einem algebraischen Gleichheitsverständnis

Datum

Konklusion

7=8-1

8·40=7·40+40

Zkurze Kette = Zlange Kette

Argumentationsregel Wenn 7 einer weniger als 8 ist und die Startzahle gleich sind, dann lautet die zweite Pfeilzahl +40.

Stützung Gegensinnige Veränderung Abbildung 5.15 Argumentationsschema Nils und Dilay

Feinanalyse Julian und Felix Die folgende Analyse zeigt Julian und Felix bei der Bearbeitung der analogen Aufgabe zu Nils und Dilay. Die Lernenden füllten bereits die Startzahl der kurzen Rechenkette aus und fanden zur Rechenkette mit Startzahl 6 die zweite Pfeilzahl (Abb. 5.16).

Abbildung 5.16 Rechenketten 7·70 und 6·70+70

Im Folgenden legt die Interviewerin den Lernenden die Rechenkette mit Startzahl 10 vor (Abb. 5.17). Julian und Felix finden schnell eine Lösung für die zweite Pfeilzahl.

Abbildung 5.17 Rechenkette 10·70±x=490

5.1 Relationale Gleichheitsdeutungen 31 32 33 34

I J F J

143

Kriegt ihr dann jetzt auch den hin? Zehn mal (pfeift) da muss minus hin (...) minus (..) minus 210 Nee minus minus zweihundertzehn Ja, sagte ich doch (schreibt -210 in den zweiten Pfeil, wendet sich dann zur Interviewerin) minus 210

Julian fällt zunächst die Startzahl der Rechenkette auf (Z. 32). Durch sein PfeifGeräusch macht er womöglich darauf aufmerksam, dass es sich dieses Mal um eine höhere, größere, vielleicht sogar schwierigere Startzahl handelt als in den Rechenketten zuvor. In jedem Fall kommentiert Julian die Startzahl. So wie Nils in der vorherigen Szene stellt auch für Julian die Startzahl nicht das Objekt, sondern die Operation dar. Eine gewisse Menge, in diesem Fall der Mächtigkeit 70, wird zehn mal genommen. Julian betont die Operation. Auch er deutet Operation und Objekt von links nach rechts. Anschließend bemerkt er, dass im zweiten Pfeil minus gerechnet werden muss. Er überlegt einige Sekunden und präzisiert die zweite Pfeilzahl dann zu „-210“. Julian nimmt hier zunächst auf qualitative Weise einen Vergleich vor, ehe er diesen anschließend quantitativ präzisiert. Worauf er sich in seinem Vergleich bezieht, bleibt an dieser Stelle nur spekulativ zu sagen. Möglicherweise bezieht er sich auf die kurze Rechenkette und schließt aus dem Vergleich von 10·70 und 7·70, dass in der langen Rechenkette 210 abgezogen werden muss, um die anfängliche Differenz auszugleichen. Möglicherweise berechnet Julian aber auch die Mittelzahl, 10·70=700, und schließt aus dem Vergleich der Mittel- und Zielzahl, dass 210 abgezogen werden muss. Auch Felix kommt zu demselben Ergebnis, verrät aber hier nicht weiter, welche Idee sich hinter seiner Überlegung befindet (Z. 33). Die Lernenden scheinen sich ihrer Lösung sicher, notieren diese und präsentieren der Interviewerin ihr Ergebnis (Z. 34). Die Interviewerin möchte wissen, warum diese Lösung die Richtige sei. 35 36 37

I F J

Mhm. Warum? Weil # # Wenn man halt sieben mal 70 ist 490, deswegen, und es soll ja gerade 490 ergeben, und das ist drei mal 70 zu viel (zeigt auf Startzahl 10) und drei mal (.) sieben sind ähm 21 und dann noch ’ne Null hinter sind 210.

Felix möchte zur Begründung der Lösung ansetzen, Julian unterbricht ihn jedoch und führt eine Begründung aus (Z. 37). Er bezieht sich dabei auf die kurze Rechenkette 7·70=490. Die Zielzahlen 490 in beiden Rechenketten zeigen Julian die Gleichheit dieser an. Er weiß zum Einen, dass 7·70=490 gilt und zum Anderen dass die lange Rechenkette ebenfalls in 490 resultieren soll. Daher kann er eine Gleichheitsbeziehung zwischen den beiden Rechenketten aufstellen: Bei der langen Rechenkette sind zu Beginn 10·70, d.h. „3·70 zu viel“ im Vergleich zu der kurzen Rechenkette 7·70. Julian betrachtet hier die Operation und das Objekt vermutlich als ein Gesamtobjekt 3 70, das den Unterschied

144

5 Argumentationsanalysen zu einem algebraischen Gleichheitsverständnis

zwischen den beiden Rechenketten angibt. Dieses Objekt muss in der langen Rechenkette wieder abgezogen werden und da (3·7)·10=21·10=210 gilt, lautet die zweite Pfeilzahl -210. Mathematisch ausgedrückt nutzt er unter Ausnutzung des Distributivgesetzes folgende Gleichheitsbeziehung: 7·70=7·70+3·703·70=10·70-210 (Abb. 5.18). Datum

Konklusion

10·70=7·70+3·70

10·70-210=7·70

Zkurze Kette = Zlange Kette

Argumentationsregel Wenn 10·70 3·70 zu viel sind und die Zielzahlen der beiden Rechenketten gleich sind, dann muss 3·70=210 subtrahiert werden.

Stützung Gegensinnige Veränderung Abbildung 5.18 Argumentationsschema Felix und Julian

Julian scheint die Gleichheitsbeziehung hier kardinal zu denken. Er scheint sich 70 als Menge vorzustellen, von der er in der langen Rechenkette „drei mal zu viel“ hat und daraus durch eine gegensinnige Veränderung die zweite Pfeilzahl -210 folgert. Die gemeinsame Gegenstandszuweisung nimmt Julian über denselben Endzustand vor: Es ist egal, ob 7·70 oder 10·70-210 gerechnet wird, der Endzustand ist in beiden Fällen 490. Julian begründet denselben Endzustand aber nicht nur über das gleiche Ergebnis 490, sondern er setzt die beiden Terme quantitativ zueinander in Beziehung und stellt einen relationalen Vermittlerterm, 7·70+3·70-3·70, auf. Feinanalyse Jens und Noah Jens und Noah bearbeiten in der nachfolgenden Szene eine Aufgabe aus der ersten Interviewstunde der Rechenketten. Den Lernenden werden kurze Rechenketten vorgelegt, die sie verlängern sollen. Dabei bleiben Start- und Zielzahl erhalten, lediglich die Pfeilzahlen sollen verändert werden. Die Mittelzahlen müssen nicht ausgerechnet werden. Nachdem Jens und Noah bereits zwei

5.1 Relationale Gleichheitsdeutungen

145

längere Ketten zur Ausgangskette 50·20=1000 fanden, verlängern sie nun die Rechenkette 327·60=19620 (Abb. 5.19).

Abbildung 5.19 Verlängerte Rechenkette

Jens und Noah verlängern die Kette mit den Pfeilen ·30 und ·2. Anschließend möchten sie die Mittelzahl berechnen. Sie versuchen dafür die Hälfte von 19620 zu bilden, indem sie bei den Einern beginnend die einzelnen Stellen halbieren. Sie brechen diese Vorgehensweise jedoch bei der Tausenderstelle angekommen ab und verweisen auf die Aufgabenstellung, lediglich die beiden Pfeilzahlen auszufüllen. Daraufhin fordert die Interviewerin eine Begründung für die gefundenen Zahlen ein. 1 2

I J

Warum habt ihr mal 30 und mal 2 gewählt? Ähm, weil man erst das mal 30 rechnet (zeigt auf die Startzahl 327), dann ist man bei der Hälfte von ein von 19620 (zeigt auf die Zielzahl 19629 der kurzen Rechenkette) und die Hälfte von 19620 haben wir verdoppelt und dann sind es 19620 (lacht)

Jens begründet die Wahl der beiden Pfeilzahlen. Als gemeinsame Gegenstandszuweisung der beiden Rechenketten bezieht er sich auf denselben Endzustand dieser. Der anzustrebende Endzustand ist 19620. Wird die Startzahl zunächst mit 30 multipliziert ist die Hälfte des Endzustandes erlangt, 327 30 . Wird dieser Zwischenzustand anschließend verdoppelt, erreicht man den 2 19620. Jens stützt sein Argument auf eine gewünschten Endzustand, Vorstellung des gegensinnigen Veränderns. Wird eine Menge halbiert, muss sie anschließend wieder verdoppelt werden, um die Ausgangsmenge zu erhalten, (327·60):2·2. Dieser Term dient Jens als relationaler Vermittlerterm zwischen der kurzen und der verlängerten Rechenkette. Der Vermittlerterm begründet die Gleichheit der Rechenketten, indem er mathematisch die kurze Rechenkette in die lange überführen lässt. Jens Argument lässt sich wie folgt darstellen (Abb. 5.20):

146

5 Argumentationsanalysen zu einem algebraischen Gleichheitsverständnis

Datum 327·60=

Konklusion 327·30·2=19620

·2 Argumentationsregel

Wenn man durch Halbieren von 327·60 und anschließendes Verdoppeln die Zielzahl 19620 erhält, lauten die Operatoren für die verlängerte Rechenkette ·30 und ·2. Stützung Distributivgesetz Abbildung 5.20 Argumentationsschema Jens

Jens sieht die gemeinsame Gegenstandszuweisung der beiden Aufgaben in demselben Endzustand, gleichwohl die Aufgabenkonstruktion danach strebt, die gemeinsame Gegenstandszuweisung über dieselbe Wirkung vorzunehmen. Mit der langen Rechenkette kann dieselbe Wirkung wie mit der kurzen Rechenkette erzielt werden, nämlich das Versechzigfachen einer Menge: 327·30·2=327·(30·2)=327·60. Diese Deutung nimmt Jens jedoch nicht vor. Er betrachtet das Erzielen desselben Endzustandes. Dafür deutet er die Operation und das Objekt zu Beginn als Gesamtobjekt, 327·30. Dieser Term stellt das Objekt „die Hälfte des Endzustandes“ dar. Wirkt nun eine weitere Operation, das Verdoppeln (·2), auf dieses Objekt ein, kann der Endzustand erreicht werden. Im Zuge des Gleichheitskonzeptes „Wirkung“ würde der Term zu Beginn nicht als Gesamtobjekt darstellbar sein, sondern die Operationen ·30 und ·2 müssen als eben diese verstanden werden und dann als Gesamtoperation zusammengefasst werden. Insbesondere die Festlegung auf ·30 und ·2 als Operation scheint für die Lernenden keine zugängliche Deutung zu sein. Die Lernenden deuteten die Operationen stets der Leserichtung entsprechend als Objekte und andersherum die Objekte als Operationen.

5.2 Funktionale Gleichheitsdeutungen Anstelle von relationalen Vermittlertermen nutzen einige Lernende funktionale Vermittlerterme zur Begründung der Gleichheit. Dabei ordnen sie den Ausgangstermen jeweils einen funktionalen Vermittlerterm zu und erkennen die Gleichheit über die Identität dieser Vermittlerterme Die folgenden Analysen

5.2 Funktionale Gleichheitsdeutungen

147

zeigen derartige funktionale Deutungen der Gleichheit. Die weitere Gliederung richtet sich ebenso wie oben nach den Aspekten „Vergleich“ und „Zahlvorstellung“. 5.2.1 Quantitative-Rechenzahl-Vorstellungen Die beiden folgenden Analysen zeigen zwei Kinderpaare bei der Bearbeitung zweier Aufgaben aus der Lernumgebung Rechenketten. Die funktionale Gleichheitsdeutung kann darüberhinaus wie folgt charakterisiert werden (Abb. 5.21):

Abbildung 5.21 Charakterisierung des algebraischen Gleichheitsverständnisses: funktional-quantitative-Rechenzahl-Vorstellungen

Feinanalyse Amelie und Jule In der folgenden Szene wählen Amelie und Jule aus sechs Rechenketten jeweils drei gleichwertige Rechenketten aus. Die Szene entstammt einer zweiten Interviewstunde. Die Lernenden sollen gleichwertige Rechenketten herausfinden, ohne die Zielzahlen zu berechnen. Amelie ordnet die Rechenketten in zwei Blöcke ein (Abb. 5.22).

148

5 Argumentationsanalysen zu einem algebraischen Gleichheitsverständnis

Abbildung 5.22 Rechenketten mit gleicher Zielzahl

Es ergibt sich folgendes Gespräch zur Auswahl der Rechenketten im linken Rechenkettenblock: 71

A

72 73

J A

74

J

75 76 77 78 79

I J A J A

80 81 82

J A J

Guck mal. Das hat ja hier alles mit der 7 zu tun ne? Und die 14 ist doch in der Siebenerreihe ne? (zeigt auf die Rechenkette 10·70-140) Ja Und zwei mal sieben sind 14 und wenn ich jetzt die 10 hab‘ (zeigt auf die Rechenkette 10·70-140), dann könnte ich quasi minus zwei, dann passt das zur acht (zeigt auf die die Startzahl 8) und hier einmal plus eins quasi (zeigt erst auf die zweite Pfeilzahl, dann auf die Startzahl der Rechenkette 7·70+70) dann hab ich, dann passt das auch zur acht. Hä? (.) Achs (13sec) (betrachtet den linken Block der Rechenketten) Ich versteh’s irgendwie nicht (5 sec) Jule, was genau verstehst du denn nicht? Ja, ich verstehe alles nicht (grinst) (.) nur, dass das zur 7 passt, die 14 Zwei mal Ja Mal zwei, dann guck mal die zwei (tippt mehrmals mit ihrem Finger auf die Startzahl 10) du musst die einfach nur minus machen und dann passt das zu der acht. Dann würd‘ das quasi das gleiche Ergebnis ergeben wie hier (zeigt erst auf die Zielzahl der Rechenkette 10·70-140, dann auf die Zielzahl der Rechenkette 8·70) Hast recht. Verstehst du jetzt? Bisschen (.) bisschen

Amelie begründet die Gleichwertigkeit der drei Rechenketten 10·70-140, 8·70 und 7·70+70 und damit die entsprechende Anordnung der Rechenketten (Abb. 5.22). Hierzu nimmt sie eine funktionale Perspektive ein. Der Term 8·70 fungiert dabei als funktionaler Vermittlerterm. Amelie stellt heraus, dass sowohl der Term 10·70-140 als auch der Term 7·70+70 zu dem Term 8·70 „passen“ (Z. 73). Davon ausgehend vermutet sie der Transitivitätseigenschaft der Gleichheit zufolge bei diesen drei Termen die gleiche Zielzahl (Abb. 5.23).

5.2 Funktionale Gleichheitsdeutungen

149

Datum

Konklusion

10·70-140=8·70 7·70+70=8·70

10·70-140=8·70=7·70+70

Argumentationsregel Wenn gilt 10·70-140=8·70 und 7·70+70=8·70, dann sind die drei Terme 10·70-140, 8·70 und 7·70+70 gleichwertig. Stützung Transitivitätseigenschaft Abbildung 5.23 Argumentationsschema Amelie und Jule 1

Ferner begründet Amelie ebenso jeweils die Gleichheit einer langen Rechenkette und der kurzen Rechenkette mit Hilfe eines relationalen Vermittlerterms. Nachdem sie also eine funktionale Perspektive eingenommen hat, stellt sie zur weiteren Begründung einen relationalen Vermittlerterm auf. Dabei gibt sie verbal keinen Hinweis auf ihre zugrundeliegende Vorstellung der Gleichheit. Sie verbalisiert hier das Operieren auf der symbolischen Ebene. Amelie erklärt für die Gleichheit der Rechenketten 10·70-140 und 8·40, dass 2 mal 7 14 sind und 10 minus 2 gerechnet werden muss (Z. 73 und 79). Vermutlich interpretiert sie 140 als -2·70 und erkennt im Zuge des Distributivgesetzes, dass sich diese Operation aus der Verringerung der Startzahl um 2 ergibt, mathematisch ausgedrückt: 8·70=(10-2)·70=10·70-2·70=10·70-140. Analog begründet sie für die Gleichheit von 7·70+70 und 8·70, dass von 7 einer bis zur 8 addiert werden muss: 8·70=(7+1)·70=7·70+1·70=7·70+70. Amelie vergleicht die Rechenketten quantitativ miteinander und stellt jeweils einen relationalen Vermittlerterm auf, (10-2)·70 bzw. (7+1)·70, der als gemeinsame Gegenstandszuweisung die Gleichheit garantiert. Zusammenfassend lässt sich folgendes Argumentationsschema festhalten (Abb. 5.24).

150

5 Argumentationsanalysen zu einem algebraischen Gleichheitsverständnis

Datum

Konklusion

8=10-2 8=7+1

10·70-140=8·70 7·70+70=8·70

(2·7)·10=14·10=140 (1·7)·10=7·10=70

Argumentationsregel Wenn die Rechenketten mit Startzahl 10 und 7 durch Subtraktion von 2 bzw. Addition von 1 in die Startzahl der kurzen Rechenkette überführt werden können und das entsprechende Vielfache von 70 hinterher subtrahiert bzw. addiert wird, dann sind die langen Ketten und die kurze Kette gleichwertig.

Stützung Distributivgesetz Abbildung 5.24 Argumentationsschema Amelie und Jule 2

Jule äußert während Amelies Argumentationen mehrfach ihr Unverständnis: „Hä?“ (Z. 74), „Ich versteh’s irgendwie nicht“ (Z. 74), „Ja, ich verstehe alles nicht“ (Z. 76). Am Ende gibt sie an, Amelie ein „bisschen“ (Z. 82) verstanden zu haben. Jule erklärt, verstanden zu haben, dass „zur 7 die 14 [passt]“ (Z. 76). Amelies Formulierung „Und zwei mal sieben sind 14“ (Z. 73) scheint Jule eine Bedeutung geben zu können. Womöglich ordnet sie hier die passende und ihr bekannte Aufgabe 2·7=14 zu. Durch ihre Angabe, Amelies Erklärung ein „bisschen“ verstanden zu haben, bleibt unklar, inwieweit Jule Amelies weiteren Umrechnungsschritten hier folgen kann. Feinanalyse Jens und Noah Die folgende Analyse zeigt Jens und Noah bei der Bearbeitung einer weiteren Aufgabe aus der Interviewreihe der Rechenketten. Den Lernenden wurde die kurze Rechenkette 7·350=2450 vorgelegt sowie fünf weitere 350erRechenketten, bei denen die Zielzahl noch nicht ermittelt wurde. Die Lernenden sollten die Rechenketten auswählen, die ebenfalls die Zielzahl 2450 erhalten würden. Jens und Noah wählen schnell die Rechenketten mit Startzahl 6 und 8 aus (Abb. 5.25).

5.2 Funktionale Gleichheitsdeutungen

151

Abbildung 5.25 350er-Rechenketten

Jens begründet die Auswahl der beiden Ketten im Folgenden: 30

J

31

N

weil, hierbei, (zeigt auf die RK mit Startzahl 6) da rechnet man mal 350 (..) und plus 350 (..) ähm, kommt, man auf, sieben mal 350 und hierbei (zeigt auf die RK mit Startzahl 8) rechnet man acht mal 350 minus 350 da kommen auch auf sieben ähm mal 350 raus Mmh.

Jens bezieht sich in seiner Begründung der gleichen Zielzahlen auf den Term 7·350 der kurzen Rechenkette (Z. 30). Die gemeinsame Gegenstandszuweisung nimmt Jens über denselben Endzustand vor, den er hier in Form des Terms 7·350 darstellt. Er erklärt, dass man beide Rechenketten-Aufgaben in den Term der kurzen Rechenkette überführen kann: 6·350+350=7·350 und 8·350350=7·350. Jens operiert mit dem gemeinsamen Term wie er es vermutlich auch mit einem „Standardergebnis“ von einer bestimmten Zahl tun würde. Er ermittelt den Term 7·350 als „Ergebnis“ der beiden Rechenketten-Aufgaben und drückt sich sprachlich entsprechend aus: „kommt, man auf, sieben mal 350“ und „da kommen auch auf sieben ähm mal 350 raus“. Die sprachliche Verwendung „etwas kommt raus“ ist Jens vermutlich von der konventionellen Ergebnisbestimmung in Form einer Zahl bekannt. Er nutzt diese hier und überträgt sie auf die Ergebnisbestimmung in Form eines Terms. Jens hantiert mit der Operation 7 350 so, wie er es vermutlich auch mit einem Objekt, zum Beispiel dem Ergebnis 2450, tun würde. Die ursprüngliche Operation 7·350 wird strukturell als zusammengesetzte Einheit betrachtet und scheint somit für Jens ein neues Objekt darzustellen. Jens vergleicht die Terme nicht miteinander, stellt keine Differenzen heraus und nutzt keine Ausgleichsvorstellung, um die Gleichheit zu ermitteln. Er betrachtet die Terme hier auf funktionale Weise: Den Termen 6·350+350 und 8·350-350 kann jeweils der Term 7·350 zugeordnet werden. Ähnlich wie bei der empirischen Vorgehensweise des Ausrechnens, bestimmt auch Jens hier ein gemeinsames Ergebnis der Aufgaben. Durch die Gleichheit

152

5 Argumentationsanalysen zu einem algebraischen Gleichheitsverständnis

der überführten Terme 7·350 kann Jens die Gleichheit der drei Rechenketten bestimmen. Abbildung 5.26 fasst Jens Argumentation zusammen. Datum

Konklusion

6·350+350=7·350 8·350-350=7·350

6·350+350=7·350=8·350-350

Argumentationsregel Wenn gilt 6·350+350=7·350 und 8·350350=7·350, dann sind die drei Terme 6·350+350, 7·350 und 8·350-350 gleichwertig. Stützung Transitivitätseigenschaft Abbildung 5.26 Argumentationsschema Jens

Seine Begründung weist eine Verbalisierung des Operierens auf symbolischer Ebene auf. Auch wenn Jens das Distributivgesetz noch nicht auf symbolischer Ebene kennt, scheint er es hier auf diese Weise zu nutzen: 6·350+350=6·350+1·350=(6+1)·350=7·350 und analog 8·350-350=8·3501·350=(8-1)·350=7·350. Womöglich ist Jens in der Lage, aus den repräsentativen Vorstellungen zu abstrahieren und das Distributivgesetz zur Begründung der Gleichheit auf symbolischer Ebene anzuwenden. Im weiteren Verlauf betrachtet Jens noch einmal die drei übrig gebliebenen Rechenketten. 32

J

33 34 35 36

N I N I

Hierbei (zeigt auf die RK mit Startzahl 9) kommt man auf ähm acht mal 350 (..) hierbei (zeigt auf die RK mit Startzahl 10) auf acht mal 350 und hierbei (zeigt auf die RK mit Startzahl 5) auf sechs mal äh 350 Also (..) das stimmt (4 sec) also seid ihr euch sicher? # [ja] # Die beiden haben die gleiche Zielzahl (zeigt auf die Rechenketten mit Startzahl 6 und 8) und die haben andere (zeigt auf die Rechenketten mit Startzahl 9, 10 und 5)

Seine vorherigen distributiven Überlegungen wendet Jens auch auf die übrigen Rechenketten an (Z. 32). Den Ketten mit Startzahl 9 und 10 lässt sich der Term 8·350 zuordnen, der Kette mit Startzahl 5 der Term 6·350. Demzufolge haben sie eine andere Zielzahl als die Ketten mit Startzahl 6 und 8, denen sich der

5.2 Funktionale Gleichheitsdeutungen

153

Term 7·350 zuordnen lässt (Z. 36). Jens scheint hier die distributive Verknüpfung nicht nur in einem speziellen Fall anzuwenden, sondern nutzt diese über mehrere verschiedene Fälle hinaus. Es kann angenommen werden, dass Jens eine Regel der Art „Um den zugeordneten Term zu ermitteln, müssen die Anzahlen der 350 von Beginn und dem zweiten Pfeil addiert bzw. subtrahiert werden“ generiert, mathematisch ausgedrückt x·350+y·350=(x+y)·350. Dabei deutet er die Operationen im zweiten Pfeil um. Er deutet sie nicht als Addition bzw. Subtraktion einer beliebigen Menge, sondern als Addition bzw. Subtraktion eines Vielfachen von 350. So betrachtet er beispielsweise +350 als +1·350 und entsprechend +700 als +2·350. Mit diesen Erkenntnissen fällt es Jens scheinbar leicht, die Rechenketten mit gleicher Zielzahl von denen mit einer anderen Zielzahl zu unterscheiden. 5.2.2 Ordinal-quantitative Vorstellungen Die beiden folgenden Analysen zeigen zwei Kinderpaare bei der Bearbeitung zweier Aufgaben aus der Lernumgebung Malkreuze. Das algebraische Gleichheitsverständnis lässt sich neben der Einnahme einer funktionalen Perspektive des Weiteren wie folgt charakterisieren:

Abbildung 5.27 Charakterisierung des algebraischen Gleichheitsverständnisses: funktional-ordinal-quantitative Vorstellungen

154

5 Argumentationsanalysen zu einem algebraischen Gleichheitsverständnis

Feinanalyse Jens und Noah Die folgende Analyse zeigt einen Ausschnitt aus der zweiten Stunde der Interviewreihe der Malkreuze. Die Lernenden haben, neben einem Blatt mit den ausgerechneten Quadratzahlen von 11·11 bis 20·20, Malkreuze mit diesen Quadratzahlen und den zugehörigen Ergebnissen vor sich liegen. Die Lernenden sollen vorgegebene Aufgaben mit Hilfe der Quadratzahl-Malkreuze berechnen. Zur Zeit des unten stattfindenden Transkriptausschnitts bearbeiten Jens und Noah die Aufgabe 14·15. Sie entschieden sich schnell, die Malkreuze mit den Quadratzahlen 14·14 und 15·15 zu nutzen, um die Aufgabe 14·15 zu berechnen (Abb. 5.28).

Abbildung 5.28 15·15 und 14·14 Malkreuz Jens und Noah

Nachdem die Lernenden die Malkreuze ausfüllten, begründet Jens noch einmal ihre Wahl der Malkreuze. 198

J

Dann würde das ja so aussehen (.) hier von 15 mal 15 (.) (zeichnet den rechten Strich und schreibt 15·15) komm und 14 mal 14 kommt hier dann, wär der Strich von denen hier (..) (schreibt 14·14 und zeichnet den linken Strich) und der hier (zeichnet den rechten Strich noch einmal nach) und die müssen sich ja treffen ja und ähm, genau, das, ähm minus 15 weil man einmal 15 mehr nimmt, und plus 14, da treffen die sich ja hier in der Mitte (zeichnet den mittleren Strich)

Jens fertigt eine Skizze an, auf der er die drei Aufgaben 14·14, 14·15 und 15·15 platziert. Er nutzt eine lineare Darstellung, bei der der erste Strich die Aufgabe 14·14 symbolisiert, der mittlere Strich (vermutlich) die Aufgabe 14·15 und der rechte Strich die Aufgabe 15·15. Dies lässt auf eine ordinale Vorstellung der Gleichheitsrelation schließen. Werden die Aufgaben von klein nach groß geordnet, liegt 14·14 links von 14·15, 15·15 rechts davon. Jens scheint sich die Terme als Punkte auf einem Zahlenstrahl vorzustellen. Die Orte auf dem Zahlenstrahl geben Auskunft über die Beziehung zwischen den Termen.

5.2 Funktionale Gleichheitsdeutungen

155

Jens scheint die gemeinsame Gegenstandszuweisung der Aufgaben 14·14+14 und 15·15-15 in dem gemeinsamen Endzustand zu sehen, der durch die vorgegebene Aufgabe 14·15 und den diese Aufgabe symbolisierenden mittleren Strich dargestellt wird („die müssen sich ja treffen“). Jens nimmt dieser Interpretation zufolge eine funktionale Perspektive ein, die das „Ergebnis“ in Form des Terms 14·15 den beiden Termen 14·14+14 und 15·15-15 zuordnet. Der Term 14·15 kann somit als funktionaler Vermittlerterm betrachtet werden. Anschließend betrachtet Jens die Aufgaben 14·15 und 15·15 noch einmal genauer und erklärt, dass 15 von 15·15 subtrahiert werden müssen, da 15·15 1·15 mehr ist als 14·15. Analog addieren die Lernenden vermutlich 14 zu 14·14, da 14·14 um 1·14 geringer ist als 14·15. Die gemeinsame Gegenstandszuweisung von 14·15 und 15·15-15 nimmt Jens hier explizit über den relationalen Vermittlerterm 14·15+1·15-1·15 vor. Jens erklärt, man rechnet „minus 15 weil man einmal 15 mehr nimmt“: 14·15=14·15+(1·15-1·15)=(14·15+1·15)1·15=15·15-15. Ebenso wie Amelie und Jule in der obigen Szene (Kap. 5.2.1) stellt auch Jens noch einen relationalen Vermittlerterm auf, nachdem er zunächst eine funktionale Perspektive eingenommen hat, um die Gleichheit weiter zu begründen. Folgendes Argumentationsschema fasst Jens Begründung zusammen (Abb. 5.29). Datum

Konklusion

15·15=14·15+15 14·14=14·15-14

14·14+14=15·15-15

Argumentationsregel Wenn zu 14·15 15 dazu addiert bzw. 14 subtrahiert werden um die Terme 15·15 bzw. 14·14 zu erhalten, dann sind die Terme 14·14+14 und 15·15-15 gleichwertig. Stützung Gegensinnige Veränderung Abbildung 5.29 Argumentationsschema Jens, Z.198

Feinanalyse Till und Philipp Die folgende Analyse zeigt die Lernenden Till und Philipp bei der Bearbeitung der Quadratzahl-Aufgabe in der Interviewreihe „Malkreuze“. Die Lernenden sollen Malkreuze mit Quadratzahlen finden und so erweitern, dass sie die Lö-

156

5 Argumentationsanalysen zu einem algebraischen Gleichheitsverständnis

sung der Aufgabe 16 13 ermitteln können. Till und Philipp wählen das 13·13sowie das 16·16-Malkreuz aus (Abb. 5.30).

Abbildung 5.30 13·13- und 16·16-Malkreuz

Philipp äußert eine Idee zur Erweiterung der Malkreuze: 9 P

Du musst plus ein #1(..) plus zwei Dreizehner und ich muss minus zwei Sechzehner #2) (..) weil da zwei zwischen sind (6 sec) minus (8sec) 32

Nachdem Till sich das 13·13-Malkeuz und Philipp sich das 16·16-Malkreuz nahm, schlug Philipp eine Idee zur Veränderung der Malkreuze vor. Till müsse zwei Dreizehner addieren, er selber zwei Sechzehner subtrahieren. Philipp verleiht dem jeweils zweiten Faktor der Aufgaben eine Einheitsstruktur. Er schlägt nicht vor, 2·13 zu addieren (und 2·16 zu subtrahieren), sondern betrachtet die Operationen ·13 und ·16 als Einheiten. Damit wird die Operation ·13 bzw. ·16 zum Objekt Dreizehner bzw. Sechzehner. Möglicherweise dadurch ermöglicht kann Philipp die vorhandenen Aufgabe 13·13 und 16·16 mit der zu erreichenden Aufgabe 16·13 vergleichen und die Rechnung + 2 Dreizehner/ - 2 Sechzehner durchführen. Philipp hält die Transformation der Operationen als Objekte nicht für begründungsbedürftig, wohl aber die Anzahl der hinzuzufügenden bzw. wegzunehmenden Objekte. Da zwischen 13 und 16 zwei (natürliche) Zahlen liegen, müssen diese beiden fehlenden Einheiten hinzugefügt bzw. weggenommen werden. Philipps Idee liegt eine ordinale Zahlvorstellung zugrunde. Er betrachtet die Anzahl der zwischen 13 und 16 liegenden natürlichen Zahlen, nicht aber die Differenz von 13 und 16. Nachdem Philipp seine Idee zur Erweiterung des Malkreuzes darlegte, füllt Till das 13·13-Malkreuz und Philipp das 16·16-Malkreuz aus (Abb. 5.31).

Abbildung 5.31 Erweiterte Malkreuze

5.2 Funktionale Gleichheitsdeutungen

157

Während Till sein Malkreuz zuende ausfüllt, bricht Philipp seine Notation der Ergebniszahl ab und betrachtet die beiden Malkreuze. 12 P 13 T 14 P

(12 sec) Da kommt ein ganz anderes Ergebnis raus (...) wenn du noch ’ne 13 dazurechnest? (..) (schaut Till an) und ich noch ne Minus nehme Aber das sind doch nur zwei Unterschied (zeigt auf die rechte Seite seines Malkreuzes, dann auf das Aufgabenkärtchen 16·13) das sind Vierze # achso da muss noch ein (streicht 26 und 2 in seinem Malkreuz durch) # ja aber die Zahl muss ja gleich sein

Philipp stellt nach Notation der 2, welche er vermutlich an die Hunderterstelle im Ergebnisfeld schrieb, fest, dass die Endergebnisse in beiden Malkreuzen unterschiedlich sind (Z. 12). Philipp hat eine Erwartungshaltung eingenommen, dass beide Malkreuze im gleichen Ergebnis resultieren müssen. Die Gleichheit der Endzustände ist Philipp bewusst. Da Philipp merkt, dass diese bei unterschiedlicher Anzahl von Hundertern nicht mehr erreicht werden kann, macht er einen Vorschlag zur weiteren Veränderung der Malkreuze. Er schlägt Till vor, einen weiteren Dreizehner zu addieren, er selbst würde einen weiteren Sechzehner subtrahieren. Die Differenz der beiden unterschiedlichen Endergebnisse ist anscheinend zu groß, als dass man sie nur durch die Veränderung eines Malkreuzes nivellieren könnte. Anstatt ein Malkreuz jedoch weiter zu verändern (zum Beispiel durch mehrmaliges Dazurechnen von 13), verfolgt Philipp die Idee des Ausgleichens durch gegensinniges Verändern beider Malkreuze. Um gleiche Ergebnisse zu erzielen, muss zur Veränderung + 2 Dreizehner ein weiterer Dreizehner hinzukommen und zur Veränderung -2 Sechzehner muss ein weiterer Sechzehner abgezogen werden. Till weist Philipp noch einmal auf die Tatsache hin, dass die zwischen 13 und 16 liegende Anzahl an Einheiten lediglich 2 beträgt (Z. 13). Daher scheint für Till Philipps neuer Vorschlag, eine weitere Einheit zu addieren bzw. subtrahieren, nicht korrekt zu sein. Philipp bejaht Tills Einwand (Z. 14), verweist daraufhin jedoch auf die zu erzielende Gleichheit der Ergebnisse. Nachdem die Lernenden festgestellt haben, dass ihre anfängliche Idee nicht zum Ziel in Form gleicher Ergebnisse führt, füllen sie jeder ein neues 13·13 bzw. 16·16- Malkreuz aus (Abb. 5.32). Anschließend fordert die Interviewerin Till und Philipp dazu auf, die neu ausgefüllten Malkreuze zu begründen.

Abbildung 5.32 Neu ausgefülltes Malkreuz von Till (links) und Philipp (rechts)

158 29 T 30 P 31 P

5 Argumentationsanalysen zu einem algebraischen Gleichheitsverständnis # Ja, ja weil hier muss, zwischen der 16 und der 13 sind, muss man von der 13 dreimal plus rechnen, damit man auf die 16 kommt (zeigt auf das Aufgabenkärtchen 16·13) und dann # muss man # Ja # und ich dreimal minus (.) dass man auf die 13 kommt

Till beginnt seine neue Erweiterung des Malkreuzes zu begründen (Z. 29). Zunächst fokussiert er erneut die Anzahl der zwischen 13 und 16 liegenden natürlichen Zahlen - eine Idee, die Philipp zu Beginn äußerte und Till aufgriff (Z. 9 & 13). Hier führt Till diesen Begründungsansatz jedoch nicht weiter fort, sondern begründet im Folgenden die Erweiterung auf andere Weise. Er gibt an, dass man von der 13 drei mal plus rechnen müsse, um auf die 16 zu kommen. Im Gegensatz zu der vorherigen statischen Deutung des „Dazwischen-Liegens“ deutet Till den Unterschied von 13 und 16 durch fortgesetzte Addition nun dynamisch. Sprachlich macht Till die Veränderung der statischen zur dynamischen Deutung deutlich, indem er nun eine Veränderung („von der 13 ... auf die 16“) statt einen Zustand („zwischen der 16 und der 13 sind“) beschreibt. Till nutzt die Gleichheitsbeziehung 13·13+3·(+13)=16·13, um die Aufgaben 13·13 und 16·13 zueinander in Beziehung zu setzen. Analog erklärt Philipp, dreimal minus rechnen zu müssen, um die Aufgabe 16·13 zu erhalten. Philipps anfängliche Überlegung zur Korrektur des Malkreuzes aus Zeile 12 spielt für die Lernenden keine Rolle mehr. Philipp schlug vor, die vorhandene Veränderung um +13 bzw. -16 zu erweitern. Die Lernenden nutzten jedoch ein neues Malkreuz und veränderten die vorhandenen Aufgaben direkt um drei mal +13 bzw. drei mal -16. Ob ihnen dieselbe Wirkung von +2·13+13=+3·13 bzw. -2·16-16=-3·16 bewusst ist und sie bezüglich dieses Wissens die Notation im Malkreuz entsprechend vornahmen, bleibt an dieser Stelle spekulativ. Das Argument der Lernenden, welches sie im Laufe der Interaktion entwickeln, lässt sich zusammenfassend in folgendem Schema darstellen (Abb. 5.33).

5.2 Funktionale Gleichheitsdeutungen

159

Datum

Konklusion

13·13+3·(+13)=16·13 16·16+3·(-16)=16·13

13·13+3·13=16·16-3·16

Argumentationsregel Wenn zu 13·13 3 ·13 addiert wird und von 16 ·16 3·16 subtrahiert wird, dann sind die Terme 13·13+3·13 und 16·16-3·16 gleichwertig. Stützung Gegensinnige Veränderung Abbildung 5.33 Argumentationsschema Till & Philipp

Die Lernenden nutzen zur Erweiterung des Malkreuzes eine funktionale Perspektive auf die Gleichheit. Durch die Aufgabenstellung wurden sie dazu angeregt, die beiden Terme 13·13 bzw. 16·16 so zu verändern, dass der Term 16·13 berechnet werden kann. Sie ordneten demnach den Term 16·13 sowohl dem Term 13·13 als auch dem Term 16·16 mit entsprechender Erweiterung zu. In ihren Begründungen beziehen sie sich stets auf den Term 16·13: Till erklärt, die entsprechende Veränderung vorzunehmen, „damit man auf die 16 kommt“ (Z. 29). Philipp gibt an, das Malkreuz so zu erweitern, „dass man auf die 13 kommt“ (Philipp, Z. 31). Wenn ihnen dies gelingt, erhalten sie gleiche Ergebnisse. Der Term 16·13 scheint für die Lernenden denselben Endzustand der Terme 13·13+3·13 und 16·16-3·16 zu repräsentieren und dabei als funktionaler Vermittlerterm zu fungieren.

6 Interpretative Analysen zur Charakterisierung der Lernumgebungen Das obige Analysekapitel setzt sich mit der begrifflichen Klärung eines algebraischen Gleichheitsverständnisses auseinander und beantwortet die Frage, wie ein solches Verständnis charakterisiert werden kann. Im Folgenden werden interpretative Analysen zur Anregung des oben spezifizierten Verständnisses aufgeführt. Die Ergebnisse hierzu sind in Kapitel 4.2 nachzulesen. Mit Hilfe der folgenden Analysen sollen die Forschungsfragen auf Entwicklungsebene Beantwortung finden. Im Kern steht hierbei folgende Frage: Wie wirkt sich die Gestaltung des Lehr-Lern-Arrangements auf die Entwicklung eines algebraischen Gleichheitsverständnisses bei Viertklässlern aus? Die Frage nach der Gestaltung des Lehr-Lern-Arrangements lässt sich mit Blick auf das Design-Prinzip der produktiven Irritationen und die Wahl der substanziellen Aufgabenformate in die beiden folgenden Forschungsfragen untergliedern: Welches Potenzial bietet das Design-Prinzip „produktive Irritation“, um die Lernenden zur Entwicklung eines algebraischen Gleichheitsverständnisses anzuregen? Welches Potenzial bieten die Lernumgebungen „Rechenketten“ und „Malkreuze“, um die Lernenden zur Entwicklung eines algebraischen Gleichheitsverständnisses anzuregen?

6.1 Balance zwischen Irritation und Erkenntnis In Kapitel 2 wurden theoretische Überlegungen zur Initiierung produktiver Irritationen vorgestellt. Die Lernenden sollen produktiv irritiert werden, indem ihre bisherigen Vorstellungen zunächst versagen, sie jedoch im Zuge der Aufgabenkonstruktion Möglichkeiten zur produktiven und mathematisch reichhaltigen Weiterarbeit finden (Nührenbörger & Schwarzkopf 2013). Die folgenden drei Analysen zeigen das Auftreten einer produktiven Irritation und die daraufhin entstehende (mathematische) Kommunikation zwischen zwei Lernenden. 6.1.1 Aufzählung isolierter Vergleiche Die folgende Analyse zeigt eine Szene des Kinderpaares Melissa und Lena im Kontext in der Lernumgebung „Rechenketten“. Die Lernenden berechneten in Einzelarbeit die ihnen vorgelegten Rechenketten und verglichen anschließend ihre Arbeitsblätter. Die dazugehörige Argumentationsanalyse ist in Kapitel 5.1.2

© Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2019 C. Mayer, Zum algebraischen Gleichheitsverständnis von Grundschulkindern, Dortmunder Beiträge zur Entwicklung und Erforschung des Mathematikunterrichts 38, https://doi.org/10.1007/978-3-658-23662-5_6

162

6 Interpretative Analysen zur Charakterisierung der Lernumgebungen

nachzulesen. Die Chance zur Entstehung einer produktiven Irritation liegt hier in der Entdeckung der gleichen Ergebnisse trotz unterschiedlicher Aufgaben.29 4 5 6 7

30 30 30 30

30 30 30 30

150 180 210 240

6 7 8 9

30 30 30 30

30 30 30 30

150 180 210 240

Melissa und Lena berechneten die Mittel- und Zielzahlen ihrer jeweiligen Rechenketten. Während Lena noch mit dem Ausfüllen der letzten Rechenkette beschäftigt ist, betrachtet Melissa beide Arbeitsblätter und äußert sich wie folgt: 1 2 3 4 5 6 7 8

M I M I M L I M

9 10

L M

11

L

Aber das sind doch ganz andere Zettel (.) sie hat ja viermal, 30 Mhm Und hier (zeigt auf Lenas zweite Pfeile) am Ende plus und ich minus Mhm (.) Aber sie hat am Ende trotzdem 150 raus, genauso wie ich Ja (.) Mhm Ah, ich glaub, ich weiß, woran das liegt. Sie hat zwei weniger, Dasselbe aber mal 30 halt, dadurch ergibt das halt 30 weniger immer Ja Und sie muss ja plus rechnen und ich # minus und dadurch ähm, sind die Ergebnisse auf einmal gleich # und du minus

Melissa fällt zunächst auf, dass ihre und Lenas Rechenketten nicht identisch sind. Dies scheint sie jedoch erwartet zu haben. Möglicherweise baute sie diese Erwartung im Zuge der Arbeitsanweisung der Interviewerin und ihrer routinierten Erwartung im Zuge einer Klassensituation auf: Wenn etwas verglichen werden soll, werden die Ergebnisse auf ihre Korrektheit überprüft und müssen, wenn sie korrekt sind, übereinstimmen. Melissa scheint den Arbeitsauftrag des Vergleichens im Sinne des Abgleichens zu interpretieren. Diese unerwartete Entdeckung der ungleichen Aufgaben führt Melissa in Zeile 1 und 3 weiter fort. Sie beschreibt, dass Lenas erste Rechenkette mit 4·30 beginnt. Da Melissas erste Rechenkette mit 6·40 beginnt, führt sie hier vermutlich exemplarisch eine Aufgabe an, um die zuvor entdeckte Ungleichheit der Aufgaben zu belegen. Ferner betrachtet Melissa die unterschiedlichen zweiten Pfeilzahlen in ihren und Lenas Rechenketten. Lenas Rechenketten beinhalten immer einen Pluspfeil, ihre hingegen einen Minuspfeil (Z. 3), ein weiterer Unterschied zwischen den Aufgaben. Melissa scheint ihre und Lenas Rechenketten von links nach rechts zu vergleichen. Zuerst betrachtete sie die Startzahlen und die ersten Pfeilzahlen, anschließend die zweiten Pfeilzahlen. Nun vergleicht sie die Zielzahlen (Z. 5). Sie 29

Eine Abbildung der Arbeitsblätter findet sich auf S.130.

6.1 Balance zwischen Irritation und Erkenntnis

163

stellt fest, dass diese – scheinbar hingegen ihrer Erwartung - gleich sind. Während Melissa zuvor feststellte, dass ihre und Lenas Rechenketten entgegen ihrer Annahme nicht identisch sind und sie die Unterschiede beschrieb, scheint sie nun irritiert zu sein, dass die Zielzahlen hingegen gleich sind. Sie stellt deutlich heraus, dass Lenas Zielzahl „genauso“ (Z. 5) wie ihre Zielzahl lautet. Ihre Verwunderung macht sie sprachlich durch die Konjunktion „aber“ sowie das Adverb „trotzdem“ deutlich. Melissa scheint bei unterschiedlichen Aufgaben in den Rechenketten auch unterschiedliche Zielzahlen erwartet zu haben. Dass diese nun trotz der unterschiedlichen Aufgaben gleich sind, irritiert sie. Veranlasst durch die unerwarteten, irritierenden Entdeckungen, die nicht ihren Annahmen entsprachen, fühlt sich Melissa bemüßigt, diese zu hinterfragen. Melissa glaubt zu wissen, woran „das“ liege und deutet damit an, über die zugrundeliegenden mathematischen Strukturen nachgedacht zu haben (Z. 8). Im Folgenden führt sie eine Begründung für die Gleichheit der Zielzahlen aus (Z. 8 & 10). Sie setzt die unterschiedlichen Startzahlen zueinander in Beziehung und stellt die Differenz 2 heraus. Lena habe „zwei weniger“. Melissa ergänzt daraufhin „Dasselbe aber mal 30 halt“. Unklar bleibt an dieser Stelle, worauf Melissa „Dasselbe“ bezieht. Da sie zuvor den Unterschied der Startzahlen benannt hat, spricht sie diese hier vermutlich nicht an. Womöglich bezieht sie sich hier auf dieselben zweiten Pfeilzahlen, die die beiden Rechenketten aufweisen. Ihre Äußerung kann dahingehend im Sinne von „darauf folgt Dasselbe, nämlich mal 30“ verstanden werden. Melissa führt daraufhin fort, dass „das halt 30 weniger [ergibt]“. Auch hier bleibt ihre Aussage mehrdeutig. Möglicherweise verspricht sie sich und meint „60 weniger“. Damit würde sie wohl den Unterschied zwischen den Mittelzahlen ansprechen, der sich aus der Differenz von 2 30 ergibt. Da sie anfänglich auf die Differenz der Startzahlen 2 hinwies, wäre dies eine naheliegende Folgerung. Möglicherweise verspricht sich Melissa aber auch nicht und meint tatsächlich den Unterschied 30. In diesem Fall kann vermutet werden, dass sie Lenas Mittelzahl in Beziehung zu der Zielzahl setzt. Da Lenas Startzahlen anfänglich geringer waren, ist ihre Mittelzahl auch geringer als die Zielzahlen. Hierbei würde Melissa eher eine qualitative Beziehung zwischen den Start-, Mittel- und Zielzahlen betrachten als einen quantitativen Vergleich, der die Differenz 2 berücksichtigt. Eine sichere Interpretation ihrer Begründung bleibt jedoch an dieser Stelle offen. Zuletzt ergänzt Melissa, dass Lena plus und sie minus rechnen müsse und dass dadurch die Ergebnisse gleich seien. Melissa setzt hier die Ungleichheit der Operationen am Ende der Rechenketten in Beziehung zu ihrer anfänglich erkannten Ungleichheit von Start- und Mittelzahlen. Lena hat zu Beginn zwei weniger und dadurch auch eine geringere Mittelzahl. Da Lena aber dann etwas addiert und Melissa etwas subtrahiert, sind die Zielzahlen gleich. Melissas Begründung verbleibt an dieser Stelle vage und ist mathematisch noch nicht allumfassend. Sie berücksichtigt zum Beispiel die konkrete Addition

164

6 Interpretative Analysen zur Charakterisierung der Lernumgebungen

bzw. Subtraktion von +30 bzw. -30 nicht und setzt diese nicht in Beziehung zu der anfänglichen Differenz von 2 30. Melissas Begründung kann daher hier zunächst als Aufzählung isolierter Vergleiche betrachtet werden. Gleichwohl fühlt sich Melissa durch die anfängliche Irritation der Entdeckungen entgegen ihrer Annahme dazu aufgefordert, die mathematische Struktur der Rechenketten zu hinterfragen und eine erste Begründung für die anfänglich irritierenden Entdeckungen zu liefern. 6.1.2 Entwicklung von Zusammenhängen zwischen Vergleichen Die folgende Analyse greift die obige Aufgabe noch einmal auf und legt eine Bearbeitung eines weiteren Kinderpaares, Jens und Noah, dar. Die dazugehörige Argumentationsanalyse ist in Kapitel 5.1.1 nachzulesen.30 4 5 6 7 8 9

30 30 30 30 30 30

30 30 30 30 30 30

150 180 210 240 270 300

6 7 8 9 10 11

30 30 30 30 30 30

30 30 30 30 30 30

150 180 210 240 270 300

Jens und Noah berechneten ihre Rechenketten und beschrieben bereits Auffälligkeiten innerhalb ihrer Rechenketten. Jens verglich einige seiner Erkenntnisse bereits mit Noahs Rechenketten und stellte fest, dass die beiden Arbeitsblätter „ziemlich gleich“ seien. Daraufhin setzt folgende Szene ein: 11

I

12 13

J J

14

N

Ich schieb’ die mal in die Mitte zusammen (schiebt die Arbeitsblätter in die Mitte des Tisches) #4Wenn ihr die jetzt vergleicht, fällt euch da was auf? #4Achso. 4 mal, 5 mal Oh. Du hast tiefere Zahlen. Du hast 4 mal, 5 mal, 6 mal, #57 mal, 8 mal (zeigt auf Noahs Startzahlen) #5Weil du da minus hast (zeigt auf Jens zweite Pfeilzahlen), da musst du ja höhere haben #6, damit das Ergebnis gleich bleibt

Die Interviewerin fordert nun Jens und Noah noch einmal explizit dazu auf, ihre Arbeitsblätter miteinander zu vergleichen und Auffälligkeiten zu beschreiben. Jens fokussiert schon während der Erteilung des Arbeitsauftrages die Startzahlen in Noahs Rechenketten (Z. 12). Nachdem er sein Erstaunen über seine womöglich neue Entdeckung ausgedrückt hat („Oh“ Z. 13), äußert er diese: Noah hat tiefere Startzahlen als er. Jens führt daraufhin explizit alle Startzahlen Noahs 30

Eine Abbildung der Arbeitsblätter findet sich auf S.125.

6.1 Balance zwischen Irritation und Erkenntnis

165

inklusive der darauffolgenden multiplikativen Operation an. Jens und Noah haben zuvor bereits ihre jeweiligen Rechenketten beschrieben und haben dabei ausschließlich die Beziehung zwischen den Rechenketten fokussiert: Die Startzahlen in beiden Rechenketten-Blöcken erhöhen sich um eins, die Mittel- und Zielzahlen erhöhen sich um 30 und die Pfeilzahlen bleiben unverändert. Jens stellte daher abschließend fest, dass sie „es ziemlich gleich“ haben. Entgegen der zuvor festgestellten Gleichheit der Veränderungen, äußert sich Jens nun erstaunt über die Ungleichheit der Startzahlen seiner und Noahs Rechenketten. Jens scheint angenommen zu haben, dass die Startzahlen, ebenso wie die Veränderungen zwischen den Rechenketten gleich seien. Angeregt durch Jens Irritation bezüglich der Ungleichheit der Startzahlen fühlt sich Noah dazu aufgefordert, eine Begründung hierfür zu entwickeln (Z. 14). Er verweist auf Jens zweite Pfeilzahl, eine Subtraktion, aufgrund dessen Jens Startzahlen zu Beginn höher als seine sein müssen, um das gleiche Ergebnis, die gleiche Zielzahl, zu erhalten. Noah äußert hier eine Idee des Ausgleichens im Zuge einer gegensinnigen Veränderung. Auch wenn Noah selbst nicht sichtbar irritiert von der Ungleichheit der Startzahlen ist, fühlt er sich im Zuge der Interaktion mit Jens dazu aufgefordert, die für die irritierende Entdeckung zugrundeliegende mathematische Struktur zu hinterfragen und zu begründen. Die anfängliche Irritation wird an dieser Stelle produktiv genutzt, indem eine mathematische Begründung für die Ungleichheit der Startzahlen entwickelt wird. Dabei setzt Noah die einzelnen Vergleiche der Zahlen und Operationen in einen kausalen Zusammenhang. 6.1.3 Diskrepanz zwischen exemplarischen und allgemeingültigen Erklärungen Der nächste Ausschnitt zeigt Amelies und Jules Bearbeitung der Einstiegsaufgabe der Interviewreihe Rechenketten. Die Mädchen berechneten die jeweils drei ihnen vorliegenden Rechenketten. Dabei bearbeitete Jule die Rechenketten mit Startzahl 10, Amelie die Rechenketten mit Startzahl 20 (Abb. 6.1).

166

6 Interpretative Analysen zur Charakterisierung der Lernumgebungen

Abbildung 6.1

Rechenketten mit den Startzahlen 10 und 20

Die Interviewerin forderte die Lernenden dazu auf, nach der Berechnung der Ketten, diese miteinander zu vergleichen. Folgendes Gespräch findet zwischen den Lernenden statt, nachdem beide Mädchen die Ergebnisse ihrer Rechenketten notierten. J A J

A J

Auf jeden Fall sind die gleich (schiebt die Rechenketten 10·4 und 20·4 nebeneinander) Die haben aber nicht das gleiche Ergebnis, nur die Hälfte Hast (.) recht (..) Die Ergebnisse sind gleich (schiebt die Rechenketten 10·12 und 20·6 nebeneinander), die Ergebnisse sind gleich (tauscht die Rechenkette 10·4 mit der Rechenkette 10·8) und die Ergebnisse sind gleich (schiebt die Rechenketten 10·4 und 20·2 nebeneinander) (5 sec) Achso, guck mal, zwei, vier (zeigt auf die Pfeilzahlen ·2 und ·4) das sind ja immer die Hälfte, das ist die Hälfte weniger und dadurch dass das einer mehr ist (zeigt gleichzeitig auf die beiden Startzahlen 10 und 20)# (unverständlich) # Hast recht, hier auch (..) Ok, jetzt haben wir’s (dreht sich zur Interviewerin)

6.1 Balance zwischen Irritation und Erkenntnis

167

Jule stellt zunächst eine vermeintliche Gleichheit der Rechenketten 10·4 und 20·4 fest (Z.1). Vermutlich bezieht sich ihre Formulierung „sind die gleich“ auf die gleichen Pfeilzahlen der beiden Rechenketten, die ·4 lauten. Amelie merkt daraufhin an, dass die Ergebnisse der Rechenketten 10·4 und 20·4 nicht gleich seien und präzisiert die Beziehung der Ergebnisse weiter (Z. 2). Es scheint, als stelle Amelie fest, dass das Ergebnis der Rechenkette 10·4 die Hälfte des Ergebnisses der Rechenkette 20·4 beträgt. In der Interaktion zwischen Amelie und Jule ergibt sich ein Fokus auf die Ergebnisse der Rechenketten. Da Jule von gleichen Rechenketten sprach, betrachtet Amelie die Ergebnisse der Rechenketten und stellt fest, dass diese nicht gleich sind. Daraufhin fühlt Jule sich aufgefordert, gleiche Ergebnisse der Rechenketten herauszustellen (Z. 3). Sie legt jeweils zwei Rechenketten mit gleichem Ergebnis nebeneinander (Abb. 6.1). Nach einer kurzen Pause beginnt Amelie, eine Begründung für die Gleichheit der Ergebnisse zu entwickeln (Z. 4). Sie scheint die Gleichheit von jeweils zwei Rechenketten als begründungsbedürftig anzusehen, vermutlich da diese nicht ihrer Erwartung entsprachen. Während Jule zunächst die Rechenketten mit gleichen Operationen als gleich benannte, bemerkte Amelie deren ungleiche Ergebnisse. Die Rechenketten, die die Lernenden daraufhin aufgrund ihrer gleichen Ergebnisse als gleich erkennen, weisen auf phänomenologischer Ebene, anders als die gleichen Operationen, keine Gleichheit auf. Möglicherweise dadurch irritiert sieht sich Amelie veranlasst, eine Begründung für das unerwartete Phänomen zu entwickeln. Sie bezieht sich dabei auf das Rechenketten-Paar 10·4 und 20·2. Amelie vergleicht zunächst die Operationen ·4 und ·2 und stellt fest „das sind ja immer die Hälfte, das ist die Hälfte weniger“. Sie bezeichnet die Beziehung von 2 und 4 zunächst mit der „Hälfte“. Diese multiplikative Be4: 2 entwickelt Amelie dann jedoch zu einer additiven ziehung, 2 4 4 4 4: 2 . Anschließend betrachtet Beziehung weiter 2 4 sie die Startzahlen 10 und 20, vergleicht diese und stellt fest, „dass das einer mehr ist“ (Z. 4). Vermutlich bezieht sie sich hierbei auf die Startzahl 20, die ein Zehner mehr ist als die Startzahl 10: 20=10+10=1Zehner+1Zehner. Amelie macht sprachlich den kausalen Zusammenhang ihrer Erkenntnisse deutlich: Die eine Operation im Pfeil ist die Hälfte weniger als die andere und „dadurch“ dass die Startzahlen sich um einen Zehner unterscheiden, sind die Ergebnisse gleich. Mathematisch ist der kausale Zusammenhang, den sie hier äußert, jedoch nicht tragfähig. Die von Amelie aufgestellte Gleichheitsbeziehung 10 4 20 2 scheint für sie die Gleichheit von 10·4 und 20·2 10 10 4 zu begründen, sie besitzt jedoch keine Allgemeingültigkeit. Werden die Faktoren in den Produkten additiv zueinander in Beziehung gesetzt (so wie es Amelie vornimmt), kann die Gleichheit nicht allgemeingültig auf Grundlage der algebraischen Rechengesetze begründet werden. Setzt man die Aufgaben 20·4 und 30·2 auf gleiche Weise zueinander in Beziehung, würden Amelies Begründung

168

6 Interpretative Analysen zur Charakterisierung der Lernumgebungen

entsprechend die beiden Produkte gleiche Ergebnisse aufweisen, welches nicht der Fall ist: 20·4=80, 30·2=60, 80≠60. Eine mathematisch tragfähige Begründung der Gleichheit stützt sich auf das Assoziativ- bzw. das Konstanzgesetz der Multiplikation: 10·4=10·(2·2)=(10·2)·2=20·2 (Assoziativgesetz) bzw. 10·4=10·4·2:2=(10·2)·(4:2)=20·2 (Konstanzgesetz). Amelie scheint sich in ihrer Begründung auf das Konstanzgesetz beziehen zu wollen, sie nutzt allerdings das der Addition und beachtet dabei nicht das neutrale Element 0 der Addition. Nachdem Amelie ihre Begründung der Gleichheit ausführte, stimmt Jule ihr zu. Jule signalisiert der Interviewerin, dass das Gespräch zwischen den Lernenden beendet ist. Daraufhin fragt die Interviewerin noch einmal nach. I J I A

I

(...) Was habt ihr rausgefunden? Dass es immer die Hälfte ist (zeigt auf die Pfeilzahl ·2), zum Beispiel bei ähm (.) bei der zwei, von der vier ist ja die Hälfte die zwei und hier ist das die ganze Zeit so (zeigt auf die anderen Rechenketten) und immer die gleichen Ergebnisse (...) Mhm (...) und wieso waren die Ergebnisse jetzt nochmal gleich? Weil 20 (zeigt auf die Startzahl der Rechenkette 20·2) und 40 (zeigt auf die Startzahl der Rechenkette 10·4), also das hier sind weniger (zeigt auf die Pfeilzahl ·4), das ist quasi mehr (zeigt auf die Pfeilzahl ·4) und das ist weniger (zeigt auf die Startzahl 10) und hier ist das (..) weniger (zeigt auf die Pfeilzahl ·2) und mehr (zeigt auf die Startzahl 20) Mhm (..) ok.

Die Interviewerin fragt die Mädchen, was sie herausgefunden haben. Jule erklärt, dass die Pfeilzahlen der Rechenketten mit Startzahl 20 jeweils die Hälfte der Pfeilzahlen der Rechenketten mit Startzahl 10 betragen. Ferner haben sie festgestellt, dass die Ergebnisse (von jeweils zwei Rechenketten) gleich sind. Anders als Amelie zuvor bringt Jule diese beiden Erkenntnisse nicht in einen kausalen Zusammenhang und liefert somit auch keine Begründung für die Gleichheit. Diese fokussiert die Interviewerin in ihrer darauffolgenden Nachfrage (Z. 8) Sie fordert explizit eine Begründung der Gleichheit ein. Amelie legt eine Begründung dar. Anders als zuvor betrachtet sie die Pfeilzahlen nun nicht mehr in einem multiplikativen Verhältnis und die Startzahlen in einem quantitativ additiven. Sie nimmt einen additiven Vergleich sowohl der Startzahlen als auch der Pfeilzahlen vor und verbleibt dabei auf qualitativer Ebene. Dadurch dass in jeder Rechenkette entweder die Startzahl größer ist als in der anderen (und die Pfeilzahl geringer) oder die Pfeilzahl größer ist (und die Startzahl geringer), sind die Ergebnisse in beiden Ketten gleich. Auf qualitativer Ebene ist Amelies Begründung korrekt. Wenn in einem Produkt beide Faktoren größer wären als in einem anderen, könnte niemals das gleiche Ergebnis erzielt werden. Denkt Amelie jedoch auf quantitativer Ebene an einen additiven Vergleich der Faktoren, wie in zuvor in Zeile 4, kann keine tragfähige algebraische Begründung der Gleichheit entwickelt werden. Ihre Begründung ist für den ihr vorliegenden Einzelfall nachvollziehbar, jedoch nicht mathematisch tragfähig und somit nicht allgemeingültig.

6.2 Balance zwischen empirischer Situiertheit und relationaler Allgemeinheit

169

6.2 Balance zwischen empirischer Situiertheit und relationaler Allgemeinheit Die Lernumgebungen sind so angelegt, dass sie den Lernenden Deutungen in der Balance zwischen empirischer Situiertheit und relationaler Allgemeinheit ermöglichen sollen. Die Lernenden sollen im Zuge der Entwicklung eines algebraischen Gleichheitsverständnisses über empirische, am Ergebnis verhaftete Deutungen hinausgehen und allgemeine Beziehungen in den Blick nehmen und gleichsam am konkreten Zahlenmaterial arbeiten, damit es nicht zu einer Überforderung kommt. Die Lernumgebungen verzichten dabei auf die Notation von Gleichungen. Im Folgenden werden die in den beiden Lernumgebungen genutzten Notationsformen, welche ohne die Verwendung des Gleichheitszeichens auskommen, untersucht und mit Blick auf die Entwicklung eines algebraischen Gleichheitsverständnisses analysiert. 6.2.1 Notationsform in der Lernumgebung „Rechenketten“ Wie bereits in den Argumentationsanalysen in Kapitel 5 und den dortigen Abbildungen der Rechenketten zu erkennen ist, stellt der Umgang mit der Notationsform der Rechenketten für die Lernenden grundsätzlich keine Schwierigkeiten dar. Sie tragen die Zahlen an die dafür vorgesehenen Stellen ein und nutzen sie zur Begründung der Gleichheitsbeziehungen. Anhand des folgenden Beispiels, welches sowohl aus Kapitel 5.1.1 und 5.1.3 als auch aus Kapitel 6.1.2 bekannt ist, wird das Nutzen der Rechenketten-Notation exemplarisch verdeutlicht. Analoge Aussagen lassen sich zu den Argumentationsanalysen aus Kapitel 5.1 und 5.2.1 tätigen. Im Anschluss an die folgende Analyse wird eine weitere Analyse vorgestellt. Während die erste Analyse gelungene Elemente der Rechenketten-Notation aufzeigt, weist die zweite Analyse auch auf Herausforderungen im Kontext der Rechenketten-Notation hin.

170

6 Interpretative Analysen zur Charakterisierung der Lernumgebungen

Analyse Jens und Noah

Abbildung 6.2

Rechenketten-Notation

Die Rechenketten in dem obigen Beispiel bestehen jeweils aus einer Startzahl, zwei Pfeilzahlen, einer Mittelzahl und einer Zielzahl. Die Anzahl der Pfeil- und Mittelzahlen kann grundsätzlich variieren (zum stofflichen Hintergrund und zur methodischen Spezifizierung der Lernumgebung s. Kap. 3.3.3). Der folgende Transkriptausschnitt von Jens und Noah zeigt erneut deren Bearbeitung der Aufgabe. 11 12 13

I J J

14 15 16 17 18 19

N J J I N J

[...] Wenn ihr die jetzt vergleicht, fällt euch da was auf? #Achso. 4 mal, 5 mal Oh. Du hast tiefere Zahlen. Du hast 4 mal, 5 mal, 6 mal, # 7 mal, 8 mal (zeigt auf Noahs Startzahlen) # Weil du da minus hast, da musst du ja höhere haben #, damit das Ergebnis gleich bleibt # Ja Ja Wie meint ihr das? Also # # Ich krieg’ zwei mal mehr, also mehr, und damit am Ende das bei uns beiden gleich ist, muss ich ab, 30 abziehen und er 30 plus rechnen (.) weil wir hierbei glaube ich (.) ja, 60 mehr in der Mitte haben, ich 60 mehr als der Noah, und ich muss dann minus 30 rechnen, dann ist der Noah nur noch 30 von mir weg, von meiner Zahl und er rechnet plus 30, dann sind wir auf derselben Zahl.

Im Zuge der Arbeit in der Lernumgebung Rechenketten zeigen die Lernenden Jens und Noah, so wie viele andere Lernende, ein algebraisches Gleichheitsverständnis. Dabei vergleichen die Lernenden ihre Rechenketten, indem sie einzel-

6.2 Balance zwischen empirischer Situiertheit und relationaler Allgemeinheit

171

ne Teile zueinander in Beziehung setzen. So fokussieren Jens und Noah beispielsweise die Startzahlen und stellen fest, dass Noah tiefere Startzahlen hat (Z. 12-14). Ebenso vergleichen sie die zweiten Pfeilzahlen („weil du da minus hast“, Z. 14) und die Zielzahlen („damit das Ergebnis gleich bleibt“, Z. 14). Ob der strukturelle Aufbau der Rechenketten die Ausführung derartiger Vergleiche begünstigt, bleibt an dieser Stelle aufgrund der fehlenden Vergleichbarkeit mit anderen Notationsformen, wie zum Beispiel der formalen Gleichungsnotation, spekulativ. In der Lernumgebung Malkreuze wurden keine analogen Aufgaben gestellt, sodass ein direkter Vergleich der Notationsformen nicht möglich ist. Möglicherweise trägt der Aufbau der Rechenketten zur Entwicklung struktureller Begründungen bei, indem er den Lernenden eine strukturelle Übersicht verschafft und damit gleichartige Objekte vergleichbar macht. In jedem Fall ermöglicht die Darstellung der Rechenketten die Entwicklung struktureller Begründungen und damit eines algebraischen Gleichheitsverständnisses. Die Lernenden, wie auch Jens und Noah in obigem Beispiel, nutzen zwar kaum die Namen der Rechenketten-Komponenten, wie „Startzahl“, „Pfeilzahl“, „Mittelzahl“ und „Zielzahl“, beziehen sich jedoch in ihren Überlegungen auf diese Elemente. Die Mittelzahl nimmt in Jens obiger Begründung eine besondere Rolle ein. Im Gegensatz zu der Notation einer formalen Gleichung gibt es in den Rechenketten eine Mittelzahl, die als Zwischenergebnis fungiert. Auf dieses bezieht sich Jens in seiner Begründung („weil wir hierbei glaube ich (.) ja, 60 mehr in der Mitte haben“, Z. 19). Er vergleicht seine und Noahs Mittelzahl und stellt den Unterschied 60 heraus. Diesen Vergleich benötigt er für die weitere Ausführung seiner Begründung der Gleichheit. Ferner bieten die ausgerechneten Rechenketten den Lernenden generell die Möglichkeit, ihre Überlegungen empirisch abzusichern. So wird beispielsweise die Gleichheit der Rechenketten unmittelbar durch die Gleichheit der Zielzahlen sichtbar. Sie wird von Jens und Noah unverzüglich in ihren Überlegungen berücksichtigt (Z. 14). Es scheint an dieser Stelle, als biete die Lernumgebung Rechenketten den Lernenden die Möglichkeit Gleichheitsdeutungen in der Balance zwischen relational allgemeinen Begründungen und empirisch situierten Begründungen vorzunehmen: Sie können ihre Begründungen durch die Berechnung konkreter Ergebnisse empirisch absichern, stellen aber durch den Vergleich zwischen den Ketten und ihren einzelnen Elementen allgemeingültige, strukturelle Begründungen an. Während die meisten Aufgaben der vorliegenden Untersuchung distributive Verknüpfungen thematisierten, gab es in der jeweils ersten Interviewstunde auch assoziative Verknüpfungen. Das Lösen derartiger Aufgaben stellte die Lernenden oftmals vor eine Herausforderung, was folgende Ausführungen aufzeigen. Analyse Julian und Felix In Kapitel 5.1.4 wurde ein Ausschnitt von Jens und Noahs Bearbeitung der Aufgabe „Rechenketten verlängern“ analysiert. Den Lernenden wurde eine kurze,

172

6 Interpretative Analysen zur Charakterisierung der Lernumgebungen

ausgerechnete Rechenkette vorgelegt, die sie verlängern sollten, indem sie bei gleichbleibender Start- und Zielzahl passende Pfeilzahlen finden. Im Zuge struktureller Vergleiche kam hier das Assoziativgesetz der Multiplikation zum Tragen. Es konnte herausgestellt werden, dass Jens und Noah die Rechenketten, anders als seitens der Aufgabenstellung intendiert, im Zuge des Gleichheitskonzeptes Endzustand und nicht im Zuge derselben Wirkung deuten. Es gelingt den Lernenden die Gleichheit diesbezüglich zu interpretieren und somit die Pfeilzahlen in den Rechenketten auszufüllen. Anders als Jens und Noah fällt es vielen anderen Lernenden schwer, die obige Aufgabe mit Hilfe struktureller Überlegungen zu lösen. Die meisten Lernenden zerlegen den zweiten Faktor, die Pfeilzahl, zumindest zunächst einmal additiv in zwei (oder mehrere) Faktoren, um die Rechenkette zu verlängern. Häufig nutzen sie den empirischen Weg des Ausrechnens. Folgendes Analysebeispiel zeigt die beiden Lernenden Julian und Felix bei der Bearbeitung der Aufgabe „Rechenkette verlängern“. Zu Beginn der Interviewstunde verlängerten die Lernenden die Rechenkette 50·20. Dabei stellten sie hinterher fest, dass die Pfeilzahlen in den einzelnen Ketten multiplikativ betrachtet stets die Pfeilzahl in der kurzen Rechenkette ergeben. Nun versuchen sie die Rechenkette 327·60 zu verlängern (Abb. 6.3).

Abbildung 6.3

Julians und Felix Lösung zur Aufgabe „Rechenketten verlängern“

Die Lernenden schreiben zunächst ·30 in den ersten Pfeil und berechnen, trotz Hinweis der Interviewerin, die Mittelzahl nicht ausrechnen zu müssen, das Ergebnis der so entstandenen Aufgabe 327·30. Dabei rechnen sie die analoge Aufgabe 327·3 und hängen an das Ergebnis 981 eine 0 an, sodass sie die Mittelzahl 9810 notieren können. Folgendes Gespräch setzt an dieser Stelle zwischen den Lernenden ein: 1 2 3 4 5

J F J I F

6

J

Jetzt stimmt’s Ja, aber jetzt hier nochmal mal 30 (notiert ·30 in den zweiten Pfeil) (lacht, fasst sich an den Kopf) Oh Felix, warum hast du vorgeschlagen, nochmal mal 30? (zeigt auf den zweiten Pfeil) Weil#1 hier ja mal 60 ist und dann 30 [das] ah nee, mal (...) zwei, mal zwei, muss dann hierhin, das mal zwei sind nicht#2 das, das mal zwei ist aber nicht das (zeigt erst auf die Mittelzahl, dann auf den zweiten Pfeil, dann auf die Zielzahl) (.) glaube ich #1weil das hier ja mal 60 ist

6.2 Balance zwischen empirischer Situiertheit und relationaler Allgemeinheit 7 8

J J

9 10 11 12 13 14 15 16

F J F J F J I F

17

J

173

#2Ja, aber das Aber du musst ja auch bedenken, wenn du hier `ne 20 hinpackst (zeigt auf den zweiten Pfeil), dann wär’ 20 (..) dann ähm und die 0 wegnimmst Doch, das passt Ja? Ja, hier mal 2 (zeigt auf den zweiten Pfeil) (schreibt über die 10 eine 2 im zweiten Pfeil) Ah, jetzt steht da mal 20 (streicht die 0 im zweiten Pfeil durch) Mal# #Felix, wieso hattest du mal zwei jetzt vorgeschlagen? Weil zwei mal 30 hier das wieder # ergibt (zeigt auf den ·60 Pfeil der kurzen Rechenkette) # Ja, es passt besser

Julian und Felix wählen zunächst ·30 als zweite Pfeilzahl aus (Z.2-5). Sie begründen ihre Wahl mit der Pfeilzahl der kurzen Rechenkette ·60. Da sie in den ersten Pfeil bereits ·30 notierten, kann davon ausgegangen werden, dass sie den Faktor 60 additiv in 30 und 30 zerlegten. Die Lernenden scheinen eine Übergeneralisierung vorzunehmen, indem sie die ihnen bekannten additiven Zerlegungen auf andere Operationen, hier auf die Multiplikation, übertragen. Diese Vorgehensweise konnte ebenso bei vielen anderen Kinderpaaren beobachtet werden (s. auch Abb. 6.4). Die Interviewerin fragt Felix nach einer Begründung für die Wahl der zweiten Pfeilzahl. Während er eine Begründung entwickelt, scheint er den Fehler bei der Wahl der zweiten Pfeilzahl zu entdecken und verbessert diesen. Er erklärt, dass „mal zwei“ die richtige Operation sei (Z. 5). Nachdem Felix den Fehler erkannte, betont er zunächst die Operation „mal“, sodass er womöglich hier festgestellt hat, dass er den Faktor ·60 nicht additiv, sondern multiplikativ zerlegen muss, da es sich um eine „Mal“-Aufgabe handelt. Es scheint hier, als basiere Felix Idee rein auf den äußerlichen Gegebenheiten der Aufgabe: Da es sich bei der kurzen Rechenkette um eine Multiplikationsaufgabe handelt, muss auch in der langen Rechenkette multipliziert werden. Felix Begründung am Ende des Gesprächs lässt dies ebenso vermuten (Z. 16). Anschließend stellt Felix fest, dass die zweite Pfeilzahl somit „mal zwei“ lauten muss. Vermutlich zerlegt er 60 nun multiplikativ in 30·2. Felix könnte den Faktor „mal zwei“ auch mit Hilfe der Mittel- und Zielzahl berechnet haben. Neben den hohen Werten der Zahlen spricht jedoch ebenso gegen diese Hypothese, dass er im Folgenden seine Überlegungen anhand der Berechnung der Zielzahl durch Mittel- und zweiter Pfeilzahl, 9810·2=19620, zu überprüfen scheint. Diese Berechnung zeigt er an der Rechenkette an (Z. 5). Felix ist skeptisch, ob die gefundene Lösung „mal zwei“ korrekt ist, da diese seiner Meinung nach nicht zur gewünschten Zielzahl führt (Z.5). Er ist sich seiner Überlegung nicht sicher (Z. 5) und überprüft vermutlich im Kopf erneut die Rechnung. Schließlich stellt er fest, dass der Faktor ·2 „passt“ (Z. 9). Vermutlich bezieht er sich nun auf die Berechnung der Mittelund Pfeilzahl und scheint das korrekte Ergebnis der Zielzahl bestimmt zu haben.

174

6 Interpretative Analysen zur Charakterisierung der Lernumgebungen

Felix und Julian zerlegten zunächst den Faktor ·60 additiv, um die kurze Rechenkette zu verlängern. Felix fällt auf, dass es sich um eine Multiplikationsaufgabe handelt und zerlegt den Faktor ·60 daraufhin multiplikativ. Die neue Lösung überprüft er empirisch durch die Berechnung der Zielzahl. Nachdem er sich auf empirischer Ebene sicher ist, dass die neue Wahl der zweiten Pfeilzahl zum gewünschten Ergebnis führt, notiert er diese. Ob die Lernenden hier strukturelle Erkenntnisse im Kontext der Gleichheitsbeziehung zwischen den Rechenketten erlangen, bleibt im weiteren Verlauf der Szene unklar. Zunächst erscheinen die Überlegungen auf phänomenologischer Ebene, indem sich auf die vorhandene Operation der Multiplikation gestützt wird. Anschließend erfolgt eine empirische Überprüfung durch die Berechnung der Zielzahl. Weitere Schülerlösungen Die folgende Abbildung zeigt weitere Schülerlösungen, deren Bearbeitung ähnliche Überlegungen wie die obigen zugrunde liegen.

·10 Abbildung 6.4

500

·2 ·10

·10

500 20

·2 10

Schülerlösungen zur Aufgabe „Verlängern von Rechenketten“

Die beiden Kinderpaare, die die Rechenketten zur Verlängerung der Aufgabe 50·20 ausfüllten, zerlegen den Faktor ·20 additiv, sodass sie in beiden Pfeilen der längeren Rechenkette zunächst ·10 notieren. Sie unterstellen damit fälschlich die Gleichheitsbeziehung 50·20=50·10·10. Anschließend korrigieren die Lernenden die jeweils zweite Pfeilzahl, sodass eine mathematisch korrekte Lösung entsteht. Die Korrektur nehmen die meisten Lernenden vor, indem sie ihr zuvor gefundenes Ergebnis empirisch durch die Berechnung mit Hilfe der Mittel- und Zielzahl absichern. Die Lernenden deuten die Rechenketten fälschlich im Zuge des Assoziativgesetzes der Addition. Sie operieren mit den Faktoren wie mit Summanden. Ihrer Gleichheitsdeutung scheint dieselbe Wirkung als gemeinsame Gegenstandszuweisung zugrunde zu liegen, die sie unter Ausnutzung des Assoziativgesetzes der Addition erzielen möchten. Um die Gleichheit im Zuge des Gleichheitskonzeptes Wirkung mathematisch korrekt zu deuten, bedarf es dem Assoziativgesetz der Multiplikation: 50·20=50·(2·10). In diesem Sinne werden den Faktoren ihre Funktionen Objekt und Operation vorgegeben: Der erste Faktor, 50, ist das Objekt, der zweite Faktor, ·20, bzw. die weiteren Faktoren, ·2·10, die Operationen. Die Lernenden deuten jedoch Operation und Objekt konsequent

6.2 Balance zwischen empirischer Situiertheit und relationaler Allgemeinheit

175

der Leserichtung entsprechend von links nach rechts. So stellt für sie der erste Faktor die Operation und der zweite Faktor das Objekt dar. Die Deutung der Lernenden ist damit konträr zur nötigen fachlichen Deutung, um die Gleichheit im Zuge des Gleichheitskonzeptes Wirkung mathematisch korrekt zu interpretieren. Die Lernenden nehmen die gemeinsame Gegenstandzuweisung in der vorliegenden Arbeit über denselben Endzustand vor (s. Argumentationsanalysen Kap. 5). Doch auch diese Deutung erscheint in obigem Beispiel schwierig. Zwar kann im Zuge des Gleichheitskonzeptes Endzustand eine Deutung von Operation und Objekt von links nach rechts vorgenommen werden, jedoch muss aufgrund der assoziativen Verknüpfung dann eine Deutung von Operation und Objekt als Gesamtobjekt erfolgen. Dies stellt ein Charakteristikum eines algebraischen Gleichheitsverständnisses dar, das zwar einige Lernende, jedoch noch nicht alle zeigen. Es scheint demnach die Gleichheitsdeutung multiplikativer Aufgaben im Aufgabenformat Rechenketten für die Lernenden teils noch unzugänglich. Es scheint, als ermögliche die Lernumgebung Rechenketten den Lernenden im Zuge der Beschäftigung mit distributiven Termen Gleichheitsdeutungen in der Balance zwischen empirischer Situiertheit und relationaler Allgemeinheit. Im Kontext von multiplikativ-assoziativen Termen hingegen ermöglicht die Rechenketten-Notation lediglich empirisch situierte, d.h. an Berechnungen oder phänomenologischen Auffälligkeiten verhaftete Begründungen. Relational allgemeingültige Begründungen scheinen hier im Zuge der Rechenketten-Notation für die Lernenden nicht zugänglich zu sein. 6.2.2 Notationsform in der Lernumgebung „Malkreuze“ Analog zum obigen Kapitel wird im Folgenden die Notationsform in der Lernumgebung Malkreuze mit Blick auf die Anregung eines algebraischen Gleichheitsverständnisses analysiert. Dafür wird zunächst die Bearbeitung einer Aufgabe aus der Lernumgebung Malkreuze ausführlich analysiert, um die Entwicklung der Notation im Malkreuz aufzuzeigen und auszuwerten. Im Anschluss daran werden weitere Notationen anderer Kinderpaare vorgestellt (zum stofflichen Hintergrund und zur methodischen Spezifizierung der Lernumgebung s. Kap. 3.3.4) Analyse Jens und Noah Jens und Noah berechnen in der zweiten Interviewstunde Aufgaben im Malkreuz, indem sie Quadratzahlaufgaben nutzen. Im Sinne algebraischen Denkens sollen sie Beziehungen zwischen den Quadratzahlaufgaben und den vorgegeben Aufgaben herstellen und dadurch das Ergebnis der Aufgaben ermitteln. Nach-

176

6 Interpretative Analysen zur Charakterisierung der Lernumgebungen

dem die Lernenden bereits die Aufgaben 13·12 und 14·15 berechneten, zeigt die folgende Szene die Bearbeitung der Aufgabe 16·13. Die Interviewerin fordert Jens und Noah auf, die Quadratzahl-Malkreuze herauszusuchen, die bei der Berechnung von 16·13 hilfreich sein können. Die Jungen entscheiden sich schnell für das 13·13-Malkreuz sowie das 16·16Malkreuz. Die Interviewerin bittet die Kinder, jeweils ein Malkreuz auszufüllen. Noah nimmt sich das 16·16-Malkreuz, Jens daraufhin das 13·13-Malkreuz. J

Ach shit # (15 sec) warte (trägt 3 in das erste Feld der dritten Zeile und „+“ in das dritte Feld der ersten Zeile ein) (20 sec) (trägt 13 in das dritte Feld der ersten Zeile ein) Ich hab’s.

N

#(7 sec) (notiert -3 in das dritte Feld der ersten Zeile, schaut auf Jens Malkreuz, streicht -3 wieder durch) (18 sec)

N

Ich nicht

Nachdem Jens zunächst einige Zeit überlegt, signalisiert er, die Lösung zur Erweiterung seines Malkreuzes gefunden zu haben. Jens notiert zunächst 3 in das erste Feld der dritten Zeile, eine den Konventionen des Malkreuzes entsprechende zu erwartende Notation. Der erste Faktor wird um 3 erweitert, sodass aus der Aufgabe 13·13 die Aufgabe (13+3)·13=16·13 wird. Nun hätte Jens gemäß des Distributivgesetzes das zweite Teilprodukt 3·13=39 in das dafür vorgesehene Feld rechts neben die eben notierte 3 eintragen können, die Teilprodukte addieren und die Summe als Endergebnis notieren können. Jens wählt jedoch einen anderen Weg zur Lösungsnotation. Nachdem er die 3 notierte, schrieb er ein Pluszeichen in das dritte Feld der ersten Zeile, neben dem vorhandenen zweiten Faktor. Jens scheint sich zu überlegen, dass zu der vorhandenen Aufgabe 13·13 eine gewisse Menge dreimal hinzukommen muss. Diese Menge muss eine Mächtigkeit von 13 haben, was er anschließend neben das Pluszeichen notierte. Jens scheint die Aufgabe 13·13 hier durch eine fortgesetzte Addition zur Aufgabe 16·13 zu erweitern. Weder die Notation des Pluszeichens noch die Notation der 13 als erneutem zweiten Faktor entsprechen den ursprünglichen Konventionen der Notation im Malkreuz. Für Jens Überlegungen sind sie je-

6.2 Balance zwischen empirischer Situiertheit und relationaler Allgemeinheit

177

doch unerlässlich: Er deutet die Erweiterung der Aufgabe 13·13 zur Aufgabe 16·13 dynamisch, indem er überlegt, welche Menge im Sinne einer fortgesetzten Addition zur vorhandenen Menge hinzukommen muss. Eine statische Deutung, welche das Malkreuz ursprünglich suggeriert, würde von der zu erreichenden Aufgabe 16·13 ausgehen und die Zerlegung in Teilprodukte, von denen eines bereits bekannt ist, erzielen. Da Jens eine dynamische Deutung vornimmt, muss er den zweiten Faktor erneut notieren, da dieser dreimal hinzukommt. Der zweite Faktor der Ausgangsaufgabe 13·13 ist bereits vorhanden und kann somit nicht noch einmal hinzukommen. Jens trennt die beiden Teilaufgaben 13·13 und 3·(+13), sodass seine Notation eher an eine Multiplikationstabelle als an ein Malkreuz erinnert. Gleichwohl erscheint diese Notation für Jens Deutung angemessen. Noah findet ebenso wie Jens einen Lösungsansatz. Er notiert -3 in das dritte Feld der ersten Zeile, rechts neben dem zweiten Faktor. Möglicherweise nutzt er hier die Struktur des Malkreuzes. Während die Addition der Zahlen in den ersten Feldern jeder Zeile den ersten Faktor bestimmt, setzt sich der zweite Faktor aus der Addition der Zahlen in der obersten Zeile zusammen. Die Aufgabe 16·13 kann er somit durch das Verringern des zweiten Faktors um 3 erzielen: 16·13=16·(16-3). Noah verfolgt diese Idee jedoch nicht weiter. Möglicherweise ist er irritiert durch Jens andere Vorgehensart, sodass er seine Idee verwirft und nach einem neuen Lösungsansatz sucht. Nachdem Jens signalisiert, dass er fertig sei, bzw. einen Lösungsansatz gefunden habe, zeigt Noah an, dass er noch keine Lösung gefunden hat. Daraufhin wendet Jens sich Noahs Malkreuz zu. J

Bei dir kommt dann noch hin (nimmt Noahs Malkreuz) Ähm 3 oder keine Ahnung, ähm auch vielleicht 3, was ich nicht vermute, ähm 3 mal minus (.) 16, 3, 3 (notiert 3 im ersten Feld der dritten Zeile) mal (zeigt auf den Malpunkt im ersten Feld der ersten Zeile) minus (..) 16 notiert -16 im dritten Feld der ersten Zeile) Ja wir beide haben’s (...)

Jens erweitert Noahs Malkreuz auf dieselbe Art und Weise, wie er zuvor sein Malkreuz verändert hat: Von der vorhandenen Menge 16·16 muss dreimal etwas, in diesem Fall, weggenommen werden. Die Mächtigkeit der wegzunehmenden Menge beträgt in diesem Malkreuz 16. Dies trägt Jens in das dritte Feld der ersten Zeile ein, analog zu seiner Notation von +13. Auch hier scheint er die vorhandene Aufgabe durch fortgesetzte Subtraktion so zu verändern, dass die Aufgabe 16·13 berechnet werden kann. Jens äußerte schnell die Vermutung, dass auch in Noahs Malkreuz 3 notiert werden muss. Vermutlich hat er hier bereits das dreimalige Subtrahieren einer Zahl im Kopf. Diese Idee verwirft er

178

6 Interpretative Analysen zur Charakterisierung der Lernumgebungen

vorläufig wieder („was ich nicht vermute“), greift sie dann aber direkt wieder auf. Möglicherweise irritiert ihn die Gleichheit der Notationen in beiden Malkreuzen, da es sich um unterschiedliche Ausgangsaufgaben handelt oder die von Noah zu Beginn notierte -3 und er ist sich daher seiner Idee zunächst nicht ganz sicher. Dies ändert sich jedoch schnell. Er notiert 3 und -16 und signalisiert, dass nun auch Noahs Malkreuz zur Lösung der Aufgabe 16·13 erweitert wurde. Die Interviewerin fordert die Kinder schließlich auf, das Malkreuz zu Ende zu berechnen und das Ergebnis der Aufgabe 16·13 zu notieren. J

N J

Können wir machen, plus 3 mal 13, 26, 39 (notiert 39 in das dritte Feld der zweiten Zeile, anschließend davor ein Pluszeichen) und ähm hierbei sind dann (schaut sich das 16·16 Malkreuz an) Noah, mach du das doch (schiebt Noah das Malkreuz zu) ehrlich (..) ich mach hier alles. Mhm Ach nee Spaß, 78, 208 (notiert 208 als Ergebnis) glaub ich (..)

Jens verfolgt bei seiner Berechnung die bereits zuvor vermutete Strategie der fortgesetzten Addition. Er nimmt keine distributive Zerlegung in Zehner und Einer vor (3·13=3·(10+3)=3·10+3·3=30+9=39), sondern addiert nacheinander drei mal 13 (3·13=13+13+13=26+13=39), so wie seine Notation im Malkreuz zuvor bereits vermuten ließ. Nachdem er das zweite Teilprodukt ausgerechnet und notiert hat, addiert er beide Teilprodukte. Den Hinweis zur Addition notierte Jens bereits in Form des Pluszeichens neben das zweite Teilprodukt. Er addiert beide Teilprodukte, indem er schrittweise vorgeht. Zunächst addiert er die Einer des zweiten Teilproduktes zum ersten Teilprodukt, 169+9=178, anschließend die Zehner, 178+30=208, und notiert das Endergebnis in das für das Malkreuz typische Ergebnisfeld. Jens beschäftigt sich zuerst mit dem 13·13-Malkreuz, ehe er anschließend das 16·16-Malkreuz betrachten möchte. Er fordert dann jedoch Noah dazu auf, die Aufgabe im 16·16-Malkreuz zu berechnen. Noah stimmt zwar zu, führt dann aber keine Rechnungen durch. Ob er nicht weiß, wie er das Ergebnis nun berechnen soll, ob er Schwierigkeiten bei der Subtraktion der Zahlen in seinem Malkreuz hat oder ob er keine Lust hat, die Aufgabe zu berechnen, bleibt an dieser Stelle nicht zu sagen. Noah notiert zumindest keine Zahl, sodass sich Jens aufgefordert fühlt, dies zu übernehmen.

6.2 Balance zwischen empirischer Situiertheit und relationaler Allgemeinheit J N J N J

N J

179

Und bei dir sind es (.) dann 3 mal minus 16 (zieht Noahs Malkreuz zu sich), was sind 3 mal 16? (…) was? Ich glaub 52 Nein das sch, das kann ja schon mal nicht sein, wenn überhaupt 53 und das ist auch falsch, also, 30 mh # 32 2 mal sind 32 sind 2 mal, 48 # müsste das sein, minus 48 (notiert -48 im dritten Feld der zweiten Zeile) # Nee doch nicht (...) Ja 48 Minus 48, und 256 minus 48 sind ähm warte, warte mal warte warte warte warte, 48 (..) 208 (notiert 208 als Ergebnis)

Guck, du machst alles Ja, und bei mir sind auch 208 rausgekommen

Jens möchte das zweite Teilprodukt 3·(-16) in dem 16·16-Malkreuz berechnen und fordert Noah dafür auf, die Aufgabe 3·16 zu berechnen. Noah schlägt 52 als Lösung vor, welche Jens zu 53 korrigiert, dann aber direkt anmerkt, dass auch diese Lösung nicht korrekt sei. Daraufhin ermittelt Jens die Lösung nach dem ihm bekannten Weg der fortgesetzten Addition. Er addiert zunächst zwei mal 16, ehe er anschließend die dritte 16 hinzufügt. Mathematisch ausgedrückt vollzieht Jens folgende Rechnung: 3·(-16)=-(3·16)=-(2·16+16)=-(32+16)=-48. Noah zeigt sich einverstanden, ehe Jens das Ergebnis 208, anders als in dem 13·13Malkreuz, in das vierte Feld der zweiten Zeile notiert. Jens weist schließlich darauf hin, dass das Ergebnis in dem vorherigen 13·13-Malkreuz ebenfalls 208 war. Ist ihm die Gleichheit der Aufgaben bewusst, bestätigt er möglicherweise mit dieser Aussage die Richtigkeit des Ergebnisses 208 im 16·16-Malkreuz. Da jedoch zuvor angenommen werden konnte, dass ihm die Gleichheit der Aufgaben nicht bewusst ist (Z. 15), weist er möglicherweise an dieser Stelle gerade deshalb auf die Feststellung der Gleichheit im Sinne einer neu gewonnenen Erkenntnis hin. Die Notation der Endergebnisse im Malkreuz ermöglicht Jens an dieser Stelle einen direkten Vergleich der beiden Aufgaben und die damit verbundene Erkenntnis der Gleichheit. Da Noah im Gegensatz zu Jens nur selten aktiv an dem Lösungsprozess beteiligt war, fragt die Interviewerin nach, ob Noah Jens Vorgehensweise folgen konnte. Als er dies bejaht, bittet sie ihn, Jens Vorgehen noch einmal auszuführen.

180

6 Interpretative Analysen zur Charakterisierung der Lernumgebungen I N I N

Was hat er denn gemacht? Er hat (.) wenn wenn man so sieht hat er, einfach von der 2, 256 48 abgezogen Mhm Und dann wenn man, wenn hier ein Gleichzeichen hinkommen würde, hätte man schon gleich das Ergebnis (fügt ein Gleichheitszeichen hinzu)

I N

Mhm (..) Warum ähm, hat der Jens denn vorgeschlagen 48 abzuziehen? (4 sec) Ja weil, 3 mal 16 ist 48

Noah bezieht sich bei seiner Erläuterung von Jens Vorgehensweise auf den letzten Teil des Lösungsprozesses, auf die Ermittlung des Endergebnisses. Jens habe von 256 48 subtrahiert. Noah ergänzt ein Gleichheitszeichen zwischen dem zweiten Teilprodukt -48 und dem Ergebnis 208. Er betrachtet somit die beiden Teilprodukte 256 und -48 nicht als solche, sondern als einen Term 256 48, bei dem das Minuszeichen nicht im Sinne eines Vorzeichens, sondern eines Rechenzeichens verstanden wird. Durch das Einfügen des Gleichheitszeichens wird aus den Termen 256 48 und 208 eine Gleichung. Noah führt an, dass man somit „schon gleich das Ergebnis hätte“. Noah versteht die entstandene Gleichung im Sinne einer Aufgabe-Ergebnis-Deutung. Das Gleichheitszeichen erzeugt für Noah das Ergebnis der Aufgabe, gleichwohl es unabhängig vom Zeichen bereits zuvor notiert war. Die für das Malkreuz typische Notation wird hier von Noah, ebenso wie von Jens zuvor, durchbrochen und verändert. Er ergänzt das Gleichheitszeichen im Malkreuz, auf welches ursprünglich bewusst verzichtet wurde. Für Noahs Deutung des Malkreuzes scheint er das Zeichen jedoch zu benötigen. Die Interviewerin möchte nicht nur Jens letzten Schritt seines Lösungsprozesses erläutert haben, sondern ebenso das Vorgehen zuvor, sodass sie Noah noch einmal auffordert, die Entstehung des zweiten Teilproduktes (-48) zu begründen (Z. 41). Noah erläutert das Teilergebnis 48, indem er die dazugehörige Rechnung 3·16, die zum Ergebnis 48 führte, benennt. Auch hier interpretiert Noah die Vorgehensweise von Jens in Form einer AufgabeErgebnis-Deutung. Noah führt zur Beschreibung von Jens Vorgehensweise die jeweilige Rechnung an, die zu den (Zwischen)ergebnissen geführt hat. Die hier analysierte Szene zeigt eine bei der Bearbeitung entstandene Notation der Lernenden im Malkreuz. So wie viele andere Lernende nutzen Jens und Noah eine individuelle Notation im Malkreuz, die von der konventionellen Notation abweicht und in ihrem Fall eher an die Notation in einer EinmaleinsTabelle erinnert, bei der die Aufgaben isoliert voneinander betrachtet werden. Insbesondere Jens Ausführungen deuten darauf hin, dass der Grund der abweichenden Notation in der Diskrepanz zwischen der im Malkreuz suggerierten

6.2 Balance zwischen empirischer Situiertheit und relationaler Allgemeinheit

181

statischen Deutung und der von den Kindern verwendeten dynamischen Deutung der Gleichheit der Aufgaben liegt. Diese Deutung scheint bei den Kindern so präsent zu sein, dass eine konventionelle Notation nicht in Frage kommt, wie der folgende Ausschnitt zu einem früheren Zeitpunkt der Stunde zeigt: 60

I

Ein anderes Kind hat so notiert.

67 68 69

J N J

71 72 73 74 75

I N J N J

Einmal zwölf gleich (.) zwölf ja und was bringt das? # So rechnen wir überhaupt nicht # Plus zwölf genau und dann müsste man, ja so rechnen wir eigentlich überhaupt nicht und ähm eigentlich und da muss man ja einfach nur plus die Zwölf rechnen. Aber so rechnen wir schon mal überhaupt nicht, wir müssen dann immer noch plus rechnen oder so, also so rechnen wir schon mal gar nicht Aber ist das richtig # was die gemacht haben? #Ja eigentlich # Ja das ist ja richtig aber Irgendwie nicht so Ja, aber es ist ja richtig (..) aber (.) So rechnen wir hier nicht

Auch wenn die Kinder die konventionelle Notation durch den alltäglichen Mathematikunterricht kennen und zu verstehen scheinen, lehnen sie diese vehement ab und machen deutlich, dass diese Notationsweise nicht ihren Konventionen entspricht. Die Arbeit mit dem Malkreuz ist in Jens und Noahs Klasse bekannt und präsent, dennoch scheint das Malkreuz in seiner konventionellen Notationsform an dieser Stelle im Hinblick auf diese Aufgaben nicht zu der Deutung der beiden Lernenden zu passen. Weitere Schülerlösungen Nicht nur bei Jens und Noah, sondern bei vielen Lernenden weicht die Quadratzahlen-Notation im Malkreuz von der konventionellen Notation im Malkreuz ab. Abbildung 6.5 zeigt exemplarisch einige weitere Notationen der Lernenden.

Till & Philipp, MK 14·15

Julian & Felix, MK 13·12

182

6 Interpretative Analysen zur Charakterisierung der Lernumgebungen

Melissa & Lena, MK 14·15 Abbildung 6.5

Sharleen & Stella, MK 14·15

Notationen im Malkreuz

Till und Philipp verbleiben mit ihrer Notation eng an der konventionellen Notation im Malkreuz. Sie erweitern diese lediglich um die benötigten Rechenzeichen. Ähnlich wie bei Jens und Noah scheint auch hier eine dynamische Deutung vorzuliegen, die den Aspekt der Rechenhandlung berücksichtigt. Im Gegensatz zu Tills und Philipps Notation weichen andere Lernende stärker von der konventionellen Notation ab. Sowohl Melissa und Lena als auch Sharleen und Stella greifen die vorhandene Strukturierung zur distributiven Zerlegung des Malkreuzes nicht auf. Sie scheinen sich die Erweiterung der Quadratzahl-Aufgabe überlegt zu haben und notieren diese Überlegung nun auf dem Zettel des Malkreuzes. Melissa & Lena halten den Subtraktionsschritt „15“ im dritten Feld der oberen Zeile fest. In konventioneller Interpretation würde nun die Aufgabe 15·0 dargestellt werden, da gilt (15-15)·15=0·15. Diese Interpretation ist vermutlich nicht Melissas und Lenas. Für sie stellt „-15“ den Rechenschritt dar, den sie ausführen und so das korrekte Ergebnis 210 für die Aufgabe 14·15 ermitteln. Sharleen und Stella nutzen eine ähnliche Notation. Auch sie halten den Rechenschritt, in ihrem Fall „+14“, auf dem Malkreuz-Zettel fest und ermitteln das Ergebnis. Anders als Melissa und Lena notieren sie auch ein Gleichheitszeichen vor dem Ergebnis. Das Additionszeichen, den zweiten Summanden, das Gleichheitszeichen und das Ergebnis notieren Sharleen und Stella jeweils in ein Feld des Malkreuzes, sodass ihre Notation stark an die schulische Arbeit in einem Kästchen-Heft erinnert. Die beiden Lernenden Julian und Felix zeigen nochmals eine andere Notation. Sie schreiben die Rechnung der erweiterten Malkreuz-Aufgabe als Gleichung unter die bereits vorhandene Notation im Malkreuz. Das Ergebnis notieren sie dann noch einmal neben das Ergebnis der Quadratzahl-Aufgabe. In die obere Spalte schreiben sie 12 in das noch freie Feld. Vermutlich tragen sie damit die auszurechnenden Aufgabe 13·12 mit dem ermittelten Ergebnis noch einmal im Malkreuz ein. Die analysierten Schülerdokumente sowie die obige Szene zeigen, dass die konventionelle Notation im Malkreuz mit Blick auf die Quadratzahlen für die

6.2 Balance zwischen empirischer Situiertheit und relationaler Allgemeinheit

183

Lernenden nicht zugänglich ist. Sie zeigen ein algebraisches Gleichheitsverständnis, indem sie Aufgaben zueinander in Beziehung setzen und aus der Gleichheit nötige Rechenschritte ableiten (s. Kap.5.2.2). Die Aufgabenstellung im Zuge der Quadratzahlen in der Lernumgebung Rechenketten ermöglicht den Lernenden Gleichheitsdeutungen, die sich in der Balance zwischen empirisch situierten und relational allgemeinen Begründungen befinden. Für ihre Begründungen nutzen sie jedoch eigene Notationen, die konventionelle Notation im Malkreuz nutzen sie in der Regel nicht. Möglicherweise aufgrund der Diskrepanz zwischen der vom Malkreuz intendierten statischen Deutung von Termen und der von den Lernenden zumeist vorgenommenen dynamischen Deutung bietet die konventionelle Notation im Malkreuz keinen Zugang für die strukturelle Begründungen der Lernenden.

7 Fazit und Ausblick Die vorliegende Arbeit beschäftigt sich mit der Frage nach der Entwicklung eines algebraischen Gleichheitsverständnisses und stellt auf Grundlage empirischer Erkenntnisse Charakterisierungen eines algebraischen Gleichheitsverständnisses sowie potenzielle Lernumgebungen zur Entwicklung dieses Verständnisses vor. In Kapitel 1 wurde dafür zunächst ein theoretischer Überblick über Gleichheiten im Mathematikunterricht der Grundschule gegeben. Lernende in der Grundschule deuten das Gleichheitszeichen zumeist als eine Handlungsaufforderung, ein Ergebnis für eine Aufgabe zu berechnen (Winter 1982). Für ein umfassendes arithmetisches Verständnis in der Grundschule und tragfähige Anknüpfungspunkte in der Sekundarstufe bedarf es jedoch neben dieser Aufgabe-Ergebnis-Deutung von Gleichungen einer algebraischen Sicht auf Gleichungen, welche Zahl- und Aufgabenbeziehungen in den Blick nimmt. Um den Blick der Lernenden auf diese Beziehungen und nicht das Ergebnis einer Aufgabe zu lenken und gleichsam ein somit angeregtes algebraisches Gleichheitsverständnis analysieren zu können, wurden die Lernumgebungen der vorliegenden Arbeit unter Verzicht auf eine formale Gleichungsnotation entwickelt. Dabei wurden ferner lerntheoretische Grundlagen bedacht, welche fundamentale Lernprozesse anregen (Kapitel 2). Insbesondere Argumentationsprozesse führen dazu, dass die Lernenden in der Interaktion miteinander neues Wissen nicht nur im Sinne eines relativen Faktenzuwachses erweitern, sondern neues und altes Wissen zu einem netzartigen Wissensgefüge umstrukturieren und verknüpfen (Miller 1986). Unter Berücksichtigung der theoretischen Überlegungen zur Entwicklung eines algebraischen Gleichheitsverständnisses sowie den lerntheoretischen Grundlagen, insbesondere der Anregung von Argumentationen, wurden in der vorliegenden Arbeit zwei Lernumgebungen entwickelt und mit Grundschulkindern der vierten Klasse in einem Interviewsetting erprobt (Kapitel 3). Die Arbeit ist im Forschungsprogramm der fachdidaktischen Entwicklungsforschung im Dortmunder Modell angesiedelt und bringt im Zuge dessen neben Forschungsprodukten ebenso Entwicklungsprodukte hervor. In Kapitel 3.3 wurden die Entwicklungsprodukte der vorliegenden Arbeit, die beiden Lernumgebungen „Rechenketten“ und „Malkreuze“, vorgestellt und damit Forschungsfrage 1 beantwortet.

© Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2019 C. Mayer, Zum algebraischen Gleichheitsverständnis von Grundschulkindern, Dortmunder Beiträge zur Entwicklung und Erforschung des Mathematikunterrichts 38, https://doi.org/10.1007/978-3-658-23662-5_7

186

7 Fazit und Ausblick

Folgende Forschungsfragen standen daraufhin im Fokus der empirischen Untersuchung: FF2: Wie lässt sich ein algebraisches Gleichheitsverständnis bei Viertklässlern charakterisieren? FF3: Wie wirkt sich die Gestaltung des Lehr-Lern-Arrangements auf die Entwicklung eines algebraischen Gleichheitsverständnisses bei Viertklässlern aus? FF3.1: Welches Potenzial bietet das Design-Prinzip „produktive Irritation“, um die Lernenden zur Entwicklung eines algebraischen Gleichheitsverständnisses anzuregen? FF3.2: Welches Potenzial bieten die Lernumgebungen „Rechenketten“ und „Malkreuze“, um die Lernenden zur Entwicklung eines algebraischen Gleichheitsverständnisses anzuregen? In Kapitel 4 wurden die Ergebnisse der empirischen Untersuchung vorgestellt. Die Analysen, aus denen die Ergebnisse generiert wurden, sind in Kapitel 5 und 6 nachzulesen. Während Argumentationsanalysen nach Toulmin (1974) zur Charakterisierung eines algebraischen Gleichheitsverständnisses und damit zur Beantwortung der Forschungsfrage genutzt wurden, halfen interpretative Analysen die Entwicklungsfrage zu beantworten. Die Ergebnisse werden im Folgenden zusammengefasst und Konsequenzen für Forschung und Praxis sowie Perspektiven zur Weiterarbeit aufgezeigt.

7.1 Fazit und Ausblick zum algebraischen Gleichheitsverständnis von Grundschulkindern Die Analysen zur Entwicklung eines algebraischen Gleichheitsverständnisses zeigten auf, dass viele Lernende im Kontext der in der Untersuchung angewandten Lernumgebungen Gleichheiten unter struktureller Perspektive betrachteten. Die Begründungen der Lernenden gestalteten sich dabei unterschiedlich, sodass verschiedene Charakterisierungen eines algebraischen Gleichheitsverständnisses herausgearbeitet werden konnten. 7.1.1 Zusammenfassung der Ergebnisse Folgende zentrale Ergebnisse zur Charakterisierung eines algebraischen Gleichheitsverständnisses konnten anhand der verschiedenen Fallanalysen herausgestellt werden31: Bei einer algebraischen Begründung der Gleichheit nehmen die 31

Eine zusammenfassende Abbildung findet sich in Kapitel 4.1 und in Kapitel 5.

7.1 Fazit und Ausblick zum algebraischen Gleichheitsverständnis

187

Lernenden eine gemeinsame Gegenstandszuweisung vor. Diese erfolgt über denselben Endzustand zweier (oder mehrerer) Aufgaben. Die Lernenden deuten zwei Terme dann als gleich, wenn sie in demselben Endzustand resultieren. Zur Begründung desselben Endzustandes nutzen die Lernenden einen qualitativen Vergleich, bei dem sie nicht näher bestimmte Größenrelationen zueinander in Beziehung setzen, oder einen quantitativen Vergleich, bei welchem die Größenrelationen numerisch bestimmt und verglichen werden. Mit Hilfe eines Vermittlerterms kann dann die Gleichheit zweier Terme begründet werden. Die Lernenden nutzen entweder einen (rekonstruierbaren) relationalen Vermittlerterm, der die Gleichheit zwischen zwei Termen garantiert, indem er die beiden Terme ineinander überführt, oder sie ordnen den Termen im Sinne eines funktionalen Vermittlerterms jeweils einen weiteren Term zu und begründen über dessen Identität die Gleichheit. Anders als bei einer Aufgabe-Ergebnis-Deutung (Winter 1982) wird hier der zugeordnete Term als Beweis für die Gleichheit der Terme betrachtet. Dieser wird neben dem „Standardnamen“ der Zahl auch als mehrgliedriger Term dargestellt. Die gemeinsame Gegenstandszuweisung wird mit Hilfe verschiedener Zahlvorstellungen gedeutet. Diese können sowohl kardinal als auch ordinal oder rein symbolisch sein. Bei der algebraischen Begründung der Gleichheit verallgemeinern die Lernenden ihre mathematischen Erkenntnisse. Dabei bewegen sie sich in der Balance zwischen empirischer Situiertheit und relationaler Allgemeinheit. Einige Lernende lösen sich vermehrt von den konkreten Zahlenwerten, andere stützen ihre Begründungen noch auf solche. Allen gemein ist jedoch die Ablösung von einer rein empirisch situierten Deutung. Bei der Entwicklung eines algebraischen Gleichheitsverständnisses deuten die Lernenden Operationen und Objekte zunehmend als ein Gesamtobjekt. Die beiden Funktionen werden zusammengeführt und es entsteht ein neues Objekt. Einige Lernende nutzen diese Erkenntnis implizit für ihre algebraischen Begründungen der Gleichheit, andere verbalisieren die Terme bereits derartig, dass ein Verständnis von Operation und Objekt als Gesamtobjekt explizit angezeigt wird. 7.1.2 Folgerungen für die Unterrichtspraxis Die vorliegende Arbeit zeigt theoretisch auf, dass die Entwicklung eines algebraischen Gleichheitsverständnisses sowohl für ein umfassendes arithmetisches Verständnis in der Grundschule als auch für den weiteren Lernprozess im Algebra-Unterricht der Sekundarstufe unerlässlich ist. Ebenso stellt sie empirisch heraus, dass Viertklässler in bestimmten Lernsituationen ein algebraisches Gleichheitsverständnis zeigen. Dieses ist in den Lehrplänen und den Bildungsstandards nicht explizit gefordert, findet dort jedoch im Kontext einzelner inhaltsbezogenen Kompetenzen Beachtung. Die folgende Tabelle zeigt exemplarisch einzelne Kompetenzen aus den Bildungsstandards, die für die Entwicklung eines algebraischen Gleichheitsverständnisses ebenso von Nöten sind (s. Kapitel 1).

188

7 Fazit und Ausblick

Muster und Strukturen

Zahlen und Operationen

Tabelle 7.1 Inhaltsbezogene Kompetenzen im Kontext eines algebraischen Gleichheitsverständnisses (Kultusministerkonferenz 2004)

Rechenoperationen verstehen und beherrschen  Mündliche und halbschriftliche Rechenstrategien verstehen und bei geeigneten Aufgaben anwenden  Rechengesetze erkennen, erklären und benutzen Gesetzmäßigkeiten erkennen, beschreiben und darstellen  Gesetzmäßigkeiten in geometrischen und arithmetischen Mustern (z.B. in Zahlenfolgen oder strukturierten Aufgabenfolgen) erkennen, beschreiben und fortsetzen  Arithmetische und geometrische Muster selbst entwickeln, systematisch verändern und beschreiben funktionale Beziehungen erkennen, beschreiben und darstellen  Funktionale Beziehungen in Sachsituationen erkennen, sprachlich beschreiben (z.B. Menge-Preis) und entsprechende Aufgaben lösen

Rasch und Schütte (2007) weisen bereits auf die Vernetzung der Kompetenzbereiche „Zahlen und Operationen“ und „Muster und Strukturen“ in den Bildungsstandards hin und erläutern in diesem Kontext Aufgabenbeispiele zur Gleichwertigkeit von Termen (Rasch & Schütte 2007). In den Lehrplänen der Bundesländer hingegen finden diese keine ausdrückliche Erwähnung. Um den Blick der Lehrenden sowie anschließend auch der Lernenden auf die Gleichheit von Termen zu richten und deren Bedeutung für mathematisches Lernen zu erfassen, wäre eine explizite Benennung in den Lehrplänen sinnvoll. So könnte eine frühzeitige und insbesondere bewusste Entwicklung eines algebraischen Gleichheitsverständnisses angeregt werden. Im Kontext der Untersuchungen der vorliegenden Arbeit wurde herausgestellt, dass sich die Begründungen vieler Lernenden zur Gleichheit von Termen ausschließlich oder mitunter auf ordinale Zahlvorstellungen stützen. In vielen verbreiteten Lehrwerken steht die Förderung kardinaler Zahlvorstellungen im Vordergrund. Möglicherweise erweist es sich für die Entwicklung eines algebraischen Gleichheitsverständnisses als förderlich, ordinale Zahlvorstellungen stärker zu beachten, um den Lernenden eine Chance für individuelle Deutungsprozesse im Kontext von Gleichheiten zu bieten. 7.1.3 Weiterführende Fragen für die Erforschung von Lernprozessen Auf Grundlage der obigen Ergebnisse ergeben sich einige Folgerungen und weiterführende Fragen für die Erforschung von Lernprozessen im Kontext von arithmetischen Gleichheiten. Während sich die vorliegende Arbeit auf die punk-

7.1 Fazit und Ausblick zum algebraischen Gleichheitsverständnis

189

tuelle Analyse von Lernprozessen fokussiert, um einzelne Merkmale für eine Charakterisierung des algebraischen Gleichheitsverständnisses herauszuarbeiten, bleiben individuelle Verläufe bei der Entwicklung eines algebraischen Gleichheitsverständnisses unbeachtet. Folgende Fragen zur Herausarbeitung von Entwicklungsverläufen sind daher von weiterführendem Interesse:  Wie zeichnen sich individuelle Entwicklungsverläufe im Zuge der Anbahnung eines algebraischen Gleichheitsverständnisses aus?  Wie zeichnen sich Entwicklungsverläufe über verschiedene Klassenstufen hinweg aus?  In welchem Verhältnis stehen die Ausprägungen einzelner Charakteristika zueinander? Ferner wurden in der vorliegenden Arbeit hauptsächlich gelungene algebraische Gleichheitsdeutungen analysiert. Für eine weitere Ausarbeitung von Fördermaßnahmen für die Praxis ist eine Analyse der Hürden im Lernprozess unabdingbar. Es stellt sich folgende Frage:  Warum entwickeln einige Lernende keine algebraische Begründung der Gleichheit? In den Analysen der vorliegenden Arbeit konnte herausgestellt werden, dass Lernende im Zuge der Entwicklung eines algebraischen Gleichheitsverständnisses Verallgemeinerungsprozesse vollziehen. Akinwunmi (2012) weist im Kontext des Verallgemeinerns darauf hin, dass Lernende der Grundschule besondere sprachliche Mittel zur Verallgemeinerung von mathematischen Mustern nutzen und dabei bereits Variablenkonzepte entwickeln. Anknüpfend an diese Erkenntnisse könnte nun folgenden Fragen nachgegangen werden:  Nutzen Lernende die von Akinwunmi (2012) herausgestellten sprachlichen Mittel im Kontext von Gleichheiten ebenso zur Verallgemeinerung und wie können diese die Entwicklung eines algebraischen Gleichheitsverständnisses weiter unterstützen?  Wie vollziehen sich mögliche Lernwege im Zuge der Entwicklung von Variablenkonzepten von einer arithmetischen Gleichheitsnotation hin zu einer formalen algebraischen Gleichungsnotation? In der vorliegenden Arbeit wurde des Weiteren die Deutung der Lernenden von Operationen und Objekten untersucht. Hierbei konnte herausgestellt werden, dass Lernende (teilweise explizit) die Operation und das Objekt in einem (Teil)term zu einem neuen Gesamtobjekt deuten. Mit Blick auf mögliche Entwicklungsverläufe könnte weiterer Frage nachgegangen werden:  Wann deuten Lernende Operation und Objekt als Gesamtobjekt?  Inwiefern hilft diese Deutung zur Entwicklung eines algebraischen Gleichheitsverständnisses?

190

7 Fazit und Ausblick

7.2 Fazit und Ausblick zu den Lernumgebungen zur Entwicklung eines algebraischen Gleichheitsverständnisses Basierend auf den vier Design-Prinzipien „Gleichheiten ohne Gleichheitszeichen“, „Interaktives & kooperatives Setting“, „Balance zwischen empirischer Situiertheit und relationaler Allgemeinheit“ und „produktive Irritationen“ wurden zwei Lernumgebungen entwickelt, die die Lernenden zur Entwicklung algebraischer Begründungen über arithmetische Gleichheiten anregen sollten. Während die Design-Prinzipien „Gleichheiten ohne Gleichheitszeichen“ und „Balance zwischen empirischer Situiertheit und relationaler Allgemeinheit“ auf den strukturellen Charakter der beiden verwendeten Aufgabenformate abzielen, fokussieren die beiden Design-Prinzipien „Interaktives & kooperatives Setting“ und „produktive Irritationen“ den sozialen Rahmen der Lernumgebungen. Die Design-Prinzipien „Balance zwischen empirischer Situiertheit und relationaler Allgemeinheit“ und „produktive Irritationen“ waren für die Analysen leitend und berücksichtigen die beiden anderen Prinzipien. Die beiden folgenden Kapitel fassen die Ergebnisse in diesem Kontext zusammen und zeigen Folgerungen für die Unterrichtspraxis sowie Forschungsideen zur Weiterarbeit auf. 7.2.1 Zusammenfassung der Ergebnisse Anhand von interpretativen Analysen im Kontext der Design-Prinzipien „produktive Irritationen“ und „Balance zwischen empirischer Situiertheit und relationaler Allgemeinheit“ konnten die nachfolgenden Ergebnisse herausgearbeitet werden. Das Design Prinzip „produktive Irritationen“ stellt in der vorliegenden Untersuchung eine Lernchance dar, indem es die Erwartungshaltung der meisten Lernenden irritiert, welche sich dadurch aufgefordert fühlen, über arithmetische Gleichheiten ins Gespräch zu kommen und Begründungen für die Gleichheit zu entwickeln. Viele Lernende entwickeln daraufhin mathematisch tragfähige Begründungen der Gleichheit, indem sie die gleichwertigen Terme unter struktureller Perspektive betrachten. Einige Kinder entwickeln Begründungen, welche für den vorliegenden Einzelfall zu gelten scheinen, jedoch nicht auf der Grundlage algebraischer Rechengesetze beruhen und damit allgemeingültig sind. Insbesondere in diesen Kontexten zeigt sich die Bedeutsamkeit der Berücksichtigung fachlicher Anknüpfungspunkte, welche mitunter durch eine Lernbegleitung gegeben sein kann. Die Lernumgebung „Rechenketten“ ermöglicht Lernenden eine Gleichheitsdeutung in der Balance zwischen empirischer Situiertheit und relationaler Allgemeinheit und stellt damit eine Chance für die Entwicklung eines algebraischen Gleichheitsverständnisses dar. Die Lernumgebung „Malkreuze“ hingegen scheint teilweise zu einer Überforderung der Lernenden im Zuge der Gleichheitsdeutungen zu führen. Die Lernenden deuten die Gleichheit zumeist über

7.2 Fazit und Ausblick zu den Lernumgebungen

191

denselben Endzustand (s. Kap. 4.1.1 und Kap. 5). Der strukturelle Aufbau der Rechenketten korreliert mit einer derartigen dynamischen Deutung. Der Aufbau der Malkreuze hingegen entspricht einer statischen Deutung, welche jedoch von den Lernenden nicht vorgenommen wird. Somit entwickeln die Lernenden bei der Bearbeitung von Aufgaben in der Lernumgebung Malkreuze eigene Notationsformen, die zum Teil stark von der konventionellen Notation abweichen. Wenngleich den meisten Lernenden die konventionelle Notation im Malkreuz durch den alltäglichen Gebrauch im Unterricht bekannt ist, greifen sie in der vorliegenden Untersuchung im Zuge der Gleichheitsdeutung nicht auf diese bekannte Notationsform zurück. 7.2.2 Folgerungen für die Unterrichtspraxis Der Einsatz produktiver Irritationen erwies sich in der vorliegenden Untersuchung als gewinnbringend für die Eröffnung von Lernchancen zur Entwicklung eines algebraischen Gleichheitsverständnisses. Dabei zeigte sich u.a. die Notwendigkeit der fachlichen Anknüpfungspunkte für die Lernenden. Nur dann, wenn die Aufgabe selbst oder geeignete Impulse der Lernbegleitung eine fachliche Anknüpfung an das vorhandene Wissen der Schülerinnen und Schüler ermöglichen, können mathematisch tragfähige Begründungen der Gleichheit auf Grundlage der algebraischen Rechengesetze entwickelt werden. Eine für den Einsatz produktiver Irritationen und die Anknüpfung an individuelles Vorwissen sensibilisierte Lehrperson kann Lernenden im alltäglichen Unterricht Lernchancen zur Entwicklung eines algebraischen Gleichheitsverständnisses ermöglichen. Die Lernumgebung „Rechenketten“ ermöglichte Lernsituationen, in denen die Schülerinnen und Schüler ein algebraisches Gleichheitsverständnis entwickelten. Wenngleich die Lernenden in der Untersuchung das Aufgabenformat nicht kannten, gelang es ihnen algebraische Gleichheitsdeutungen vorzunehmen. Durch den einfachen und strukturellen Aufbau der Rechenketten ergibt sich auch für den alltäglichen Unterricht ein niederschwelliger Einstieg, welcher die Arbeit mit dem Aufgabenformat praxistauglich macht und den Fokus unmittelbar auf strukturelle Beziehungen und Gleichheitsdeutungen legen lässt. Die Lernumgebung wurde auf Grundlage des Aufgabenformats „Rechenketten“ aus dem Schulbuch „Das Zahlenbuch“ entwickelt, welches bereits Vorschläge zur Thematisierung der Gleichheit enthält (Abb. 7.1).

192

Start 36

7 Fazit und Ausblick

+9

Ziel 45

Start 36

37

37

48

48

Ziel +10

46

-1

45

Vergleiche Start- und Zielzahl von a) und b). Was fällt dir auf? Begründe.

Abbildung 7.1 Rechenketten-Aufgabe („Das Zahlenbuch 2“, Arbeitsheft S. 37)

Die Schülerinnen und Schüler berechnen die Rechenketten und erkunden dieselbe Wirkung der Operationen +9 und +10-1. Der Fokus der Lernenden wird mit Hilfe der Aufgabenstellung unmittelbar auf die Gleichheit der Rechenketten gelenkt. Durch die Aufforderung, ihre Entdeckung zu begründen werden sie zur Einnahme einer strukturellen Sichtweise auf die Gleichheitsbeziehung angeregt. Ähnliche Aufgaben können in den alltäglichen Unterricht integriert werden und Lernchancen für die Entwicklung eines algebraischen Gleichheitsverständnisses bieten. 7.2.3 Weiterführende Fragen für die Erforschung von Lernprozessen Die vorliegende Arbeit untersuchte die beiden Lernumgebungen „Rechenketten“ und „Malkreuze“ mit Blick auf ihr Potenzial, ein algebraisches Gleichheitsverständnis anzuregen. Beide Lernumgebungen zeichneten sich, DesignPrinzip 1 entsprechend, dadurch aus, dass sie auf den Einsatz formaler Gleichungsnotationen verzichten. Das Forschungsprojekt beruht auf der Überlegung, zuerst ein inhaltliches Verständnis von Gleichheiten aufzubauen, ehe formale Gleichungen notiert werden (Nührenbörger & Schwarzkopf 2013). Haben die Lernenden nun ein algebraisches Gleichheitsverständnis entwickelt, stellt sich die Frage, wie im Folgenden mit einer formalen Gleichungsnotation verfahren werden kann:  Wie kann der Übergang von „Gleichheiten ohne Gleichheitszeichen“ im Kontext der hier vorgestellten Lernumgebungen hin zu „Gleichheiten mit Gleichheitszeichen“ in formalen Gleichungsnotationen gestaltet werden?

7.2 Fazit und Ausblick zu den Lernumgebungen

193

Längerfristig stellt sich sicherlich die Frage, die Entwicklung eines algebraischen Gleichheitsverständnisses gebunden an die Einführung und den Umgang mit dem Gleichheitszeichen anzuregen. So erscheint es wenig ökonomisch und gleichsam für die Lernenden verwirrend, das Gleichheitszeichen in der Schule weiterhin im Sinne der bisher verbreiteten „Aufgabe-Ergebnis-Deutung“ einzuführen und zu nutzen, um anschließend nach der Entwicklung eines inhaltlichen Verständnisses von Gleichheiten, welches unabhängig vom Gleichheitszeichen erworben wurde, auch im Kontext des Gleichheitszeichens ein strukturelles Verständnis von Gleichungen zu entwickeln. Wie kann zukünftig in der Schule das Gleichheitszeichen bzw. Gleichungen direkt verbunden mit einem inhaltlichen Verständnis eingeführt und behandelt werden?

Literaturverzeichnis Akinwunmi, K. (2012). Zur Entwicklung von Variablenkonzepten beim Verallgemeinern mathematischer Muster. Wiesbaden: Vieweg+Teubner. Alten, H.-W., Djafari Naini, A., Eick, B., Folkerts, M., Schlosser, H., Schlote, K.-H., Wesemüller-Kock, H., Wußing, H. (2014). 4000 Jahre Algebra. Geschichte-KulturenMenschen. Berlin: Springer Spektrum. Behr, M., Erlwanger, S., & Nichols, E. (1980). How Children View the Equals Sign. Mathematics Teaching, 92, 13-15. Bell, A. (1996). Algebraic thought and the role of a manipulable symbolic language. In N. Bednarz, C. Kieran & L. Lee (Hrsg.), Approaches to Algebra. Perspectives for Research and Teaching (S. 151-154). Dordrecht: Kluwer Academic Publishers. Bezold, A. (2009). Förderung von Argumentationskompetenzen durch selbstdifferenzierende Lernangebote. Eine Studie im Mathematikunterricht der Grundschule. Hamburg: Verlag Dr. Kovac. Bezold, A. (2010). Mathematisches Argumentieren in der Grundschule fördern – was Lehrkräfte dazu beitragen können. In IPN, Publikationen des IPN für SINUS an Grundschulen. Kiel: IPN. Borromeo Ferri, R., & Blum, W. (2011). Vorstellungen von Lernenden bei der Verwendung des Gleichheitszeichens an der Schnittstelle von Primar- und Sekundarstufe. In R. Haug & L. Holzäpfel (Hrsg.), Beiträge zum Mathematikunterricht (S. 127-130). Münster: WTM-Verlag. Brandt, B. & Nührenbörger, M. (2009). Kinder im Gespräch über Mathematik. Die Grundschulzeitschrift 23 (222/223), 28-33. Büchter, A. & Leuders, T. (2005). Mathematikaufgaben selbst entwickeln. Lernen fördern – Leistung überprüfen. Berlin: Cornelsen. Cobb, P., Confrey, J., diSessa, A., Lehrer, R. & Schauble, L. (2003). Design Experiments in Educational Research. Educational Researcher 32 (1), 9-13. Dekker, T. & Dolk, M. (2011). From Arithmetic to Algebra. In P. Drijvers (Hrsg.), Secondary Algebra Education: Revisting Topics and Themes and Exploring the Unknown (S. 69-87). Rooterdam: Sense Publishers. Demby, A. (1997). Algebraic procedures used by 13- to 15-year-olds. Educational Studies in Mathematics, 33, 45-70. Deutscher, T. (2012). Arithmetische und geometrische Fähigkeiten von Schulanfängern. Eine empirische Untersuchung unter besonderer Berücksichtigung des Bereichs Muster und Strukturen. Wiesbaden: Vieweg + Teubner Verlag Devlin, K. (1998). Muster der Mathematik – Ordnungsgesetze des Geistes und der Natur. Heidelberg, Berlin: Spektrum-Verlag. Drijvers, P., Goddijn, A. & Kindt, M. (2011). Algebra Education: Exploring topics and themes. In P. Drijvers (Hrsg.), Secondary Algebra Education: Revisting Topics and Themes and Exploring the Unknown (S. 5-26). Rotterdam: Sense Publishers. © Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2019 C. Mayer, Zum algebraischen Gleichheitsverständnis von Grundschulkindern, Dortmunder Beiträge zur Entwicklung und Erforschung des Mathematikunterrichts 38, https://doi.org/10.1007/978-3-658-23662-5

196

Literaturverzeichnis

Empson, S. B., Levi, L. & Carpenter, T. P. (2011). The Algebraic Nature of Fractions: Developing Relational Thinking in Elementary School. In J. Cai & E. Knuth (Hrsg.), Early Algebraization. A Global Dialogue from Multiple Perspectives (S. 409-427). Berlin, Heidelberg: Springer. Falkner, K. P., Levi, L., & Carpenter, T. P. (1999). Children’s Understanding of Equality: A Foundation for Algebra. Teaching Children Mathematics, 6 (4), 232-236. Fischer, A., Hefendehl-Hebeker, L. & Prediger, S. (2010). Mehr als Umformen: Reichhaltige algebraische Denkhandlungen im Lernprozess sichtbar machen. Praxis der Mathematik in der Schule, 52 (33), 1-7. Freudenthal, H. (1973). Mathematics as an educational task. Dordrecht: D. Reidel. Freudenthal, H. (1982). Mathematik – eine Geisteshaltung. Grundschule 14 (4), 140-142. Fricke, A. (1970). Operative Lernprinzipien im Mathematikunterricht der Grundschule. In A. Fricke & H. Besuden, Mathematik. Elemente einer Didaktik und Methodik. (S. 79-116) Stuttgart: Klett-Cotta. Friedrich, W. (1979). Zur Kritik des Behaviorismus. Köln: Pahl-Rugenstein Verlag. Gravemeijer, K. & Cobb, P. (2006). Design research from the learning design perspective. In J. van den Akker, K. Gravemeijer, S. McKenney & N. Nieveen (Hrsg), Educational Design research: The design, development and evaluation of programs, processes and products (S.45-85). London: Routledge. Greeno, J., Collins, A. & Resnick, L. (1996). Cognition and Learning. In D. Berliner & R. Calfee (Hrsg.), Handbook of Educational Psychology (S. 15-46). New York: Macmillan. Hagemeister, V. (2013). Grundschulprobleme mit dem Gleichheitszeichen. MNU, 66 (7), 393398. Häsel-Weide, U., Nührenbörger, M., Moser Opitz, E. & Wittich, C. (2013). Ablösung vom zählenden Rechnen. Fördereinheiten für heterogene Lerngruppen. Seelze: Kallmeyer. Hoch, M. & Dreyfus, T. (2010). Nicht nur umformen, auch Strukturen erkennen und identifizieren – Ansätze zur Entwicklung algebraischen Struktursinns, Praxis der Mathematik in der Schule 52 (33), 25-29. Hußmann, S., Thiele, J., Hinz, R., Prediger, S. & Ralle, B. (2013). Gegenstandsorientierte Unterrichtsdesigns entwickeln und erforschen. Fachdidaktische Entwicklungsforschung im Dortmunder Modell. In M. Komorek & S. Prediger (Hrsg.): Der lange Weg zum Unterrichtsdesign - Zur Begründung und Umsetzung fachdidaktischer Entwicklungsprogramme (S. 25-42). Münster u.a.: Waxmann. Jungwirth, H. (2003). Interpretative Forschung in der Mathematikdidaktik – ein Überblick für Irrgäste, Teilzieher und Standvögel. Zentralblatt für Didaktik der Mathematik 35 (5), 189-200. Kieran, C. (1981). Concepts associated with the equality symbol. Educational Studies in Mathematics, 12, 317-326. Kieran, C. (1996). The changing face of school algebra. In C. Alsina, J. Alvarez, B. Hodgson, C. Laborde & A. Pérez (Hrsg.), Eight International Conference on Mathematics Education: Selected Lectures (S. 271-290). Seville: S.A.E.M. Thales. Kieran, C. (2004a). The core of algebra: Reflections on its main activities. In K. Stacey, H. Chick & M. Kendal (Hrsg.), The future of the teaching and learning of algebra: The 12th ICMI study (S. 21-33). Boston. Kluwer. Kieran, C. (2004b). Algebraic thinking in the early grades. What is it? The Mathematics Educator, 8 (1), 139-151.

Literaturverzeichnis

197

Kieran, C. (2011). Overall Commentary on Early Algebraization: Perspectives for Research and Teaching. In J. Cai & E. Knuth (Hrsg.), Early Algebraization. A Global Dialogue from Multiple Perspectives (S. 579-593). Berlin, Heidelberg: Springer. Kieran, C. & Sfard, A. (1999). Seeing through symbols. The case of equivalent expressions. Focus on Learning Problems in Mathematics 21 (1), 1-17. Kieran, C., Pang, J., Schifter, D., Ng, S. (2016). Early Algebra. Research into its Nature, its Learning, its Teaching. ICME-13 Topical Surveys. Cham: Springer International Publishing. Kilpatrick, J., Swafford, J. & Findell, B. (2001). Adding it up. Helping children learn mathematics. Washington DC: National Academy Press. Klauer, K. J. & Leutner, D. (2012). Lehren und Lernen. Einführung in die Instruktionspsychologie. Weinheim u.a.: Beltz. Klein, W. (1989). Argumentation und Argument. Zeitschrift für Literaturwissenschaft und Linguistik 38/39, 9-57. Klosa, A. & Auberle, A. (2011). Duden. Deutsches Universalwörterbuch. Mannheim, Zürich: Dudenverlag. Knuth, E. J., Stephens, A. C., McNeil, N. M., & Alibali, M. W. (2006). Does Understanding the Equal Sign Matter? Evidence from Solving Equations. Journal for Research in Mathematics Education, 37 (4), 297-312. Konrad, K. (2014). Lernen lernen – allein und mit anderen: Konzepte, Lösungen, Beispiele. Wiesbaden: Springer. Kopperschmidt, J. (1989). Methodik der Argumentationsanalyse. Stuttgart - Bad Cannstadt: Formmann-Holzboog. Krauthausen, G. (1995). Zahlenmauern im zweiten Schuljahr – ein substantielles Übungsformat. Grundschulunterricht 42 (10), 5-9. Krauthausen, G. (2001). “Wann fängt das Beweisen an? Jedenfalls, ehe es einen Namen hat.“ Zum Image einer fundamentalen Tätigkeit. In W. Weiser & B. Wollring, Beiträge zur Didaktik der Mathematik für die Primarstufe. Festschrift für Siegbert Schmidt (S. 99113). Hamburg: Dr. Kovac. Krauthausen, G. & Scherer, P. (2008). Einführung in die Mathematikdidaktik. Heidelberg: Springer Spektrum. Krummheuer, G. (1984). Zur unterrichtsmethodischen Dimension von Rahmungsprozessen. Journal für Mathematikdidaktik 5 (4), 285-306. Krummheuer, G. (1997). Zum Begriff der „Argumentation“ im Rahmen einer Interaktionstheorie des Lernens und Lehrens von Mathematik. Zentralblatt für Didaktik der Mathematik 29 (1), 1-11 Krummheuer, G. (2003). Argumentationsanalyse in der mathematikdidaktischen Unterrichtsforschung. Zentralblatt für Didaktik der Mathematik 35 (6), 247- 256. Krummheuer, G. (2004). Wie kann man Mathematikunterricht verändern? Innovation von Unterricht aus Sicht eines Ansatzes der Interpretativen Unterrichtsforschung. Journal für Mathematikdidaktik 25 (2), 112-129. Krummheuer, G. & Voigt, J. (1991). Interaktionsanalysen von Mathematikunterricht. Ein Überblick über einige Bielefelder Arbeiten. In H. Maier & J. Voigt (Hrsg.), Interpretative Unterrichtsforschung (S.13-32). Köln: Aulis. Krummheuer, G. & Naujok, N. (1999). Grundlagen und Beispiele interpretativer Unterrichtsforschung. Opladen: Leske+Budrich.

198

Literaturverzeichnis

Krummheuer, G. & Fetzer, M. (2005). Der Alltag im Mathematikunterricht: Beobachten – Verstehen – Gestalten. München: Elsevier. Kultusministerkonferenz (2004). Beschlüsse der Kultusministerkonferenz. Bildungsstandards im Fach Mathematik für den Primarbereich. Beschluss vom 15.10.2004. www.kmk.org/fileadmin/veroeffentlichungen_beschluesse/2004/2004_10_15Bildungsstandards-Mathe-Primar.pdf. Abruf am 02.11.2017. Lee, L. & Wheeler, D. (1989). The arithmetic connection. Educational Studies in Mathematics, 20, 41-54. Lefrançois, G.R. (2006). Psychologie des Lernens. Heidelberg: Springer. Link, M. (2012). Grundschulkinder beschreiben operative Zahlenmuster : Entwurf, Erprobung und Überarbeitung von Unterrichtsaktivitäten als ein Beispiel für Entwicklungsforschung. Wiesbaden: Vieweg+Teubner Verlag. London, M. & Mayer, C. (2015). Argumentierend Arithmetik lernen. In: A. Budke, M. Kuckuck, M. Meyer, F. Schäbitz, K. Schlüter & G. Weiss (Hrsg.), Fachlich argumentieren lernen. Tagungsband (S. 230-247). Münster: Waxmann. Malle, G. (1993). Didaktische Probleme der elementaren Algebra. Braunschweig, Wiesbaden: Vieweg. Malle, G. (2002). Begründen. Eine vernachlässigte Tätigkeit im Mathematikunterricht. Mathematik Lehren 110, 4-8. Marx, A. & Huhmann, T. (2011). Mathematik: Entdeckend üben – übend entdecken. Die Bedeutung des Begründens und Beweisens für den Übungsprozess. Grundschulmagazin 6, 7-12. Mason, J. (2008). Making Use of Children’s Powers to Produce Algebraic Thinking. In J. Kaput, D. Carraher & M. Blanton (Hrsg.), Algebra in the Early Grades (S. 57-94). Lawrence Erlbaum. New York. Mayer, C. & Nührenbörger, M. (2016). Gleichheiten ohne Gleichheitszeichen. Mathematik differenziert 4, 24-29. Meyer, M. (2007). Entdecken und Begründen im Mathematikunterricht — Zur Rolle der Abduktion und des Arguments. Journal für Mathematikdidaktik 28 (3), 286-310. Mietzel, G. (2007). Pädagogische Psychologie des Lernens und Lehrens. Göttingen u.a.: Hogrefe Miller, M. (1986). Kollektive Lernprozesse. Studien zur Grundlegung einer soziologischen Lerntheorie. Frankfurt a.M.: Suhrkamp. Miller, M. (2006). Dissens. Zur Theorie diskursiven und systemischen Lernens. Bielefeld: transcript Verlag. Ministerium für Schule und Weiterbildung des Landes Nordrhein-Westfalen (2012). Richtlinien und Lehrpläne für die Grundschule in Nordrhein-Westfalen. Düsseldorf: Ritterbach Verlag. Molina, M., Ambrose, R. & Castro, E. (2004). In the transition from arithmetic to algebra: misconceptions of the equal sign. Presented at the 28th International Group for Psychology of Mathematics Education, Bergen, July 14-18. http://funes.uniandes.edu.co/552/1/MolinaM04-2889.PDF Abruf am 02.11.17. Nührenbörger, M. (2009a). Interaktive Konstruktionen mathematischen Wissens – Epistemologische Analysen zum Diskurs von Kindern im jahrgangsgemischten Anfangsunterricht. Journal für Mathematikdidaktik 30 (2), 147-172.

Literaturverzeichnis

199

Nührenbörger, M. (2009b). Das meine ich aber anders. Mathematische Deutungsweisen im Anfangsunterricht. MNU Primar 1/3, 96-99. Nührenbörger, M. (2015). Mathematical argumentation processes of children between calculation and conversion. In J. Novotná & H. Moraová (Hrsg.), Developing mathematical language and reasoning. Proceedings of SEMT`15 (International Symposium Elementary Maths Teaching) (S.18-29). Prag: Charles University Prag. Nührenbörger, M. & Schwarzkopf, R. (2010a). Mathematische Denkprozesse von Kindern. In C. Böttinger, K. Bräuning, M. Nührenbörger, R. Schwarzkopf & E. Söbbeke (Hrsg.), Mathematik im Denken der Kinder. Anregungen zur mathematikdidaktischen Reflexion (S. 8-16). Seelze: Klett-Kallmeyer. Nührenbörger, M., & Schwarzkopf, R. (2010b). Die Entwicklung mathematischen Wissens in sozial-interaktiven Kontexten. In C. Böttinger, K. Bräuning, M. Nührenbörger, R. Schwarzkopf & E. Söbbeke (Hrsg.), Mathematik im Denken der Kinder. Anregungen zur mathematikdidaktischen Reflexion (S. 73-81). Seelze: Klett-Kallmeyer. Nührenbörger, M. & Schwarzkopf, R. (2010c). Diskurse über mathematische Zusammenhänge. In C. Böttinger, K. Bräuning, M. Nührenbörger, R. Schwarzkopf & E. Söbbeke (Hrsg.), Mathematik im Denken der Kinder. Anregungen zur mathematikdidaktischen Reflexion (S. 169-215). Seelze: Klett-Kallmeyer. Nührenbörger, M. & Schwarzkopf, R. (2013a). Gleichheiten in operativen Übungen. Entdeckungen an Pluspfeilen. Mathematik differenziert, 4 (1), 23-28. Nührenbörger, M., & Schwarzkopf, R. (2013b). Gleichungen zwischen „Ausrechnen“ und „Umrechnen“. In G. Greefrath, F. Käpnick & M. Stein (Hrsg), Beiträge zum Mathematikunterricht (S. 716-719). Münster: WTM-Verlag. Nührenbörger, M., & Schwarzkopf, R. (2014). Vermittleraufgaben. Wechselspiele zwischen Symbolik und Veranschaulichung. Mathematik differenziert, 5 (4), 20-26. Nührenbörger, M. & Schwarzkopf, R. (2015a). Processes of Mathematical Reasoning of Equations in Primary Mathematics Lessons. In N. Vondrová (Hrsg.), Proceedings of the 9th Congress of the European Society for Research in Mathematics Education (CERME 9) (S. 316-323). Prag, ERME. Nührenbörger, M. & Schwarzkopf, R. (2015b). Mathematical argumentation processes of children between calculation and conversion. In J. Novotmà & H. Moraova (Hrsg.), Developing mathematical language and reasoning. Proceedings of SEMT ’15 (International Symposium Elementary Maths Teaching) (S. 18-29). Prag: Charles University Prag. Piaget, J. (1975). Das Erwachen der Intelligenz beim Kinde. Stuttgart: Klett. Pilet, J. (2013). Implicit learning in the teaching of algebra: Designing a task to address the equivalence of expressions. Paper presented at the Eighth Congress of the European Society for Research in Mathematics Education (CERME 8), Working Group 3: „Algebraic Thinking“. Antalya, Turkey http://www.cerme8.metu.edu.tr/wgpapers/WG3/WG3_Pilet.pdf Abruf am 02.11.17 Plomp, T. (2013). Educational Design Research. An Introduction. In T. Plomp & N. Nieveen (Hrsg.), Education Design Research – Part A: An Introduction (S. 10-51). Enschede: SLO Prediger, S. (2009). Inhaltliches Denken vor Kalkül – Ein didaktischesPrinzip zur Vorbeugung und Förderung bei Rechenschwierigkeiten. In A. Fritz & S. Schmidt (Hrsg.), Fördernder Mathematikunterricht in der Sek.I. Rechenschwierigkeiten erkennen und überwinden (S. 213-234). Weinheim: Beltz.

200

Literaturverzeichnis

Prediger, S., Link, M., Hinz, R., Hußmann, S., Ralle, B. & Thiele, J. (2012). LehrLernprozesse initiieren und erforschen. Fachdidaktische Entwicklungsforschung im Dortmunder Modell. Der mathematische und naturwissenschaftliche Unterricht 65 (8), 452-456. Radford, L. (2011). Grade 2 students’ non-symbolic algebraic thinking. In J. Cai & E. Knuth (Hrsg.), Early Algebraization. A Global Dialogue from Multiple Perspectives (S. 303322). Berlin, Heidelberg: Springer. Rechtsteiner-Merz, C. (2013). Flexibles Rechnen und Zahlenblickschulung. Entwicklung und Förderung von Rechenkompetenzen bei Erstklässlern, die Schwierigkeiten beim Rechnenlernen zeigen. Münster [u.a.]: Waxmann Rechtsteiner-Merz, C. (2014). Flexibles Rechnen und Zahlenblickschulung – Entwicklung und Förderung von Rechenkompetenzen bei schwachen Kindern. In J. Roth & J. Ames (Hrsg.), Beiträge zum Mathematikunterricht (S. 951-954). Münster: WTM-Verlag. Reusser, K. (2006). Konstruktivismus – vom epistemologischen Leitbegriff zur Erneuerung der didaktischen Kultur. In M. Baer, M. Fuchs, P. Füglister, K. Reusser & H. Wyss (Hrsg.), Didaktik auf psychologischer Grundlage. Von Hans Aeblis kognitionspsychologischer Didaktik zur modernen Lehr- und Lernforschung (S. 151-168). Bern: h.e.p Verlag. Rheinberg, F. (2010). Intrinsische Motivation und Flow-Erleben. In J. Heckhausen & H. Heckhausen (Hrsg.), Motivation und Handeln (S. 365-385). Berlin u.a.: Springer. Ryan, R. & Deci, E.L. (2000). Intrinsic and Extrinsic Motivations: Classic Definitions and New Directions. Contemporary Educational Psychology 25, 54-67. Scherer, P. (2006). Rechendreiecke – Vertiefende Übungen zum Einmaleins. Grundschule, 38 (1), 40-43. Scherer, P. & Selter, C. (1996). »Zahlenketten« – ein Unterrichtsbeispiel für natürliche Differenzierung. Mathematische Unterrichtspraxis 2, 21-28. Schiefele, U. & Schreyer, I. (1994). Intrinsische Lernmotivation und Lernen. Ein Überblick zu Ergebnissen der Forschung. Zeitschrift für Pädagogische Psychologie 8 (1), 1-13. Schiefele, U. & Streblow, L. (2006). Motivation aktivieren. In H. Mandl & H.F. Friedrich (Hrsg.), Handbuch Lernstrategien (S. 232-247). Göttingen u.a.: Hogrefe. Schlag, B. (2013). Lern-und Leistungsmotivation. Wiesbaden: Springer Schwarzkopf, R. (2000). Argumentationsprozesse im Mathematikunterricht. Theoretische Grundlagen und Fallstudien. Hildesheim/Berlin: Franzbecker. Schwarzkopf, R. (2001). Argumentationsanalysen im Unterricht der frühen Jahrgangsstufen — eigenständiges Schließen mit Ausnahmen. Journal für Mathematikdidaktik 22 (3), 253-276. Schwarzkopf, R. (2003). Begründungen und neues Wissen: Die Spanne zwischen empirischen und strukturellen Argumenten in mathematischen Lernprozessen der Grundschule. Journal für Mathematikdidaktik 24 (3/4), 211-235. Schwarzkopf, R. (2015). Argumentationsprozesse im Mathematikunterricht der Grundschule: Ein Einblick. In A. Budke, M. Kuckuck, M. Meyer, F. Schäbitz, K. Schlüter & G. Weiss (Hrsg.), Fachlich argumentieren lernen. Didaktische Forschungen zur Argumentation in den Unterrichtsfächern (S. 31-45). Münster, New York: Waxmann. Selter, C. (2003). Flexibles Rechnen- Forschungsergebnisse, Leitideen, Unterrichtsbeispiele. Sache-Wort-Zahl 31 (57), 45-50. Selter, C. & Spiegel, H. (1997). Wie Kinder rechnen. Leipzig u.a.: Klett.

 

Literaturverzeichnis

201

Seo, K.-H. & Ginsburg, H. (2003). “You’ve got to carefully read the math sentence…”: Classroom Context and Children’s Interpretations of the Equals Sign. In A.J. Baroody & A. Dowker, Arithmetic Concepts and Skills (S. 161-187). London: LEA. Sfard, A. (1991). On the dual nature of mathematical conceptions: reflections on processes and objects as different sides of the same coin. Educational Studies in Mathematics, 22 (1), 1-36. Sodian, B. (2008). Entwicklung des Denkens. In R. Oerter und L. Montada (Hrsg.), Entwicklungspsychologie (S. 436-479). Weinheim, Basel: Beltz Verlag. Spiegel, H. & Ernst, A. & Schmelter, A. (1999). Wenn die Rechnung nicht den Tatsachen entspricht: Kognitive Konflikte beim Rechnen mit Nummern am Fallbeispiel „Felix“. In C. Selter & G. Walther (Hrsg.), Mathematikdidaktik als design science. Festschrift für Erich Wittmann (S. 217-225). Leipzig: Klett. Spiegel, H. & Selter, C. (2003). Wie Kinder Mathematik lernen. In M. Baum und H. Wielpütz, Mathematik in der Grundschule - Ein Arbeitsbuch (S.47-65). Seelze: Kallmeyer. Steinbring, H. (1994). Die Verwendung strukturierter Diagramme im Arithmetikunterricht der Grundschule. Zum Unterschied zwischen empirischer und theoretischer Mehrdeutigkeit mathematischer Zeichen. Mathematische Unterrichtspraxis 5, 7-19. Steinbring, H. (2000). Mathematische Bedeutung als eine soziale Konstruktion – Grundzüge der epistemologisch orientierten mathematischen Interaktionsforschung. Journal für Mathematik–Didaktik 21 (1), 28 – 49. Steinbring, H. (2005). The Construction of New Mathematical Knowledge in Classroom Interaction – An Epistemological perspective. Mathematics Education Library 38, Springer, Berlin, New York. Steinweg, A. S. (2001). Zur Entwicklung des Zahlenmusterverständnisses bei Kindern: epistemologisch-pädagogische Grundlegung. Münster u.a.: LIT. Steinweg, A. S. (2004). Vom Reiz des Ausrechnen-Wollens oder Warum 25+4 auch 54 sein kann. In A. Heinze & S. Kuntze (Hrsg.), Beiträge zum Mathematikunterricht (S. 573576). Hildesheim: Franzbecker. Steinweg, A. S. (2005). Über Mathematik sprechen. Rechenaufgaben, die zum Argumentieren einladen. Sache-Wort-Zahl, 33 (69), 42-45. Steinweg, A. S. (2013). Algebra in der Grundschule: Muster und Strukturen – Gleichungen funktionale Beziehungen. Berlin Heidelberg: Springer Spektrum. Steinweg, A. S. (2016). Was ist algebraisches Denken? Zur Beziehung von Denken und Tun bei Aufgaben mit Zahlen und Operationen. Mathematik differenziert, 7 (4), 6-8. Toulmin, S. (1975). Der Gebrauch von Argumenten. Kronberg/Ts: Scriptor Verlag. Toulmin, S. (2003). The Uses of Arguments. Cambridge, New York: Cambridge University Press. Valls-Busch, B. (2004). Rechnen und Entdecken am Mal-Plus-Haus. Die Grundschulzeitschrift 318 (177), 22-23. Van den Akker, J., Gravemeijer, K., McKenney, S. & Nieveen, N. (2006). Introducing educational design research. In J. van den Akker, K. Gravemeijer, S. McKenney & N. Nieveen (Hrsg.), Educational Design Research: The design, development and evaluation of programs, processes and products (S. 3-7). London: Routledge. Verboom, L. (2001). Rechenketten – eine Übungsform zum beziehungshaltigen Üben des Einmaleins. Grundschulunterricht 11, 9-14.

202

Literaturverzeichnis

Verboom, L. (2002). Aufgabenformate zum multiplikativen Rechnen. Entdecken und Beschreiben von Auffälligkeiten und Lösungsstrategien. Praxis Grundschule 2, 14-25. Villiers, M. de (1990). The role and function of proof in mathematics. Pythagoras 24, 17–24. Voigt, J. (1990). Mehrdeutigkeit als ein wesentliches Moment der Unterrichtskultur. In Bundestagung für Didaktik der Mathematik (Hrsg.), Beiträge zum Mathematikunterricht (S.305-308). Hildesheim: Franzbecker. Voigt, J. (1994). Entwicklung mathematischer Themen und Normen im Unterricht. In H. Maier & J. Voigt (Hrsg.), Verstehen und Verständnis (S. 77-111). Köln: Aulis. Voigt, J. (1995). Empirische Unterrichtsforschung in der Mathematikdidaktik. In W. Dörfler (Hrsg), Trends und Perspektiven der Mathematikdidaktik (S.1-17). Wien: Hölder-PichlerTempsky. Vollrath, H.-J. & Weigand, H.-G. (2007). Algebra in der Sekundarstufe. Heidelberg: Spektrum. Vom Hofe, R. (2003). Grundbildung durch Grundvorstellungen. Mathematik lehren, 118, 4-8. Rasch, R. & Schütte, S. (2007). Zahlen und Operationen. In G. Walther, M. van den HeuvelPanhuizen, D. Grazer & O. Köller (Hrsg.), Bildungsstandards für die Grundschule: Mathematik konkret (S. 66-88). Berlin: Cornelsen Scriptor. Warren, E. & Cooper, T. (2006). Using repeating patterns to explore functional thinking. Australian Primary Mathematics Classroom, 11 (1), 9-14. Warren, E., Mollinson, A., & Oestrich, K. (2009). Equivalence and Equations in Early Years Classrooms. Australian Primary Mathematics Classroom, 14 (1), 10-15. Winter, H. (1982). Das Gleichheitszeichen im Mathematikunterricht der Primarstufe. Mathematica Didacta, 5, 185-211. Winter, H. (1983). Zur Problematik des Beweisbedürfnisses. Journal für Mathematikdidaktik 1, 59-95. Winter, H. (1989). Entdeckendes Lernen im Mathematikunterricht. Einblicke in die Ideengeschichte und ihre Bedeutung für die Pädagogik. Braunschweig: Vieweg. Wittmann, E.Ch. (1985). Objekte-Operationen-Wirkungen. Das operative Prinzip in der Mathematikdidaktik. Mathematik lehren 11, 7-11. Wittmann, E.Ch (1995). Aktiv-entdeckendes und soziales Lernen im Rechenunterricht – vom Kind und vom Fach aus. In E. Ch Wittmann & G. N. Müller, Mit Kindern rechnen, Beiträge zur Reform der Grundschule (S. 10-41). Frankfurt/M.: Arbeitskreis Grundschule. Wittmann, E.Ch (1995). Mathematics Education as a Design Science. Educational Studies in Mathematics 29, 355-374. Wittmann, E.Ch. (2001). Developing Mathematics Education in a Systemic Process. Educational Studies in Mathematics, 1, 1-20. Wittmann, E.Ch (2003). Was ist Mathematik und welche pädagogische Bedeutung hat das wohlverstandene Fach auch für den Mathematikunterricht der Grundschule? In M. Baum & H. Wielpütz, Mathematik in der Grundschule - Ein Arbeitsbuch (S. 18-46). Seelze: Kallmeyer. Wittmann, E.Ch. & Müller, G. (1994a). Handpuch produktiver Rechenübungen. Band 1. Vom Einspluseins zum Einmaleins. Stuttgart u.a.: Klett. Wittmann, E.Ch. & Müller, G. (1994b). Handpuch produktiver Rechenübungen. Band 2. Vom halbschriftlichen zum schriftlichen Rechnen. Stuttgart u.a.:Klett. Wittmann, E.Ch. & Müller, G. (2007). „Muster und Strukturen“ als fachliches Grundkonzept des Mathematikunterrichts der Grundschule. In G. Walther, M. van den Heuvel-

Literaturverzeichnis

203

Panhuizen, D. Grazer & O. Köller (Hrsg.), Bildungsstandards für die Grundschule: Mathematik konkret (S. 42-65). Berlin: Cornelsen Scriptor. Wittmann, E.Ch. & Müller, G. (2012a). Das Zahlenbuch 1. Stuttgart, Leipzig: Klett. Wittmann, E.Ch. & Müller, G. (2012b). Das Zahlenbuch 2. Stuttgart, Leipzig: Klett. Wittmann, E.Ch. & Müller, G. (2012c). Das Zahlenbuch 3. Stuttgart, Leipzig: Klett. Wittmann, E.Ch. & Müller, G. (2013). Das Zahlenbuch 4. Stuttgart, Leipzig: Klett. Zwetzschler, L. (2014). Gleichwertigkeit von Termen - Entwicklung und Beforschung eines diagnosegeleiteten Lehr-Lernarrangements im Mathematikunterricht der 8. Klasse. Wiesbaden: Springer.