Theater und Internet: Zum Verhältnis von Kultur und Technologie im Übergang zum 21. Jahrhundert [1. Aufl.] 9783839403891

Theater unter der »net_condition« findet ohne die physische Kopräsenz der Teilnehmer statt. Ausgehend von dieser These d

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Theater und Internet: Zum Verhältnis von Kultur und Technologie im Übergang zum 21. Jahrhundert [1. Aufl.]
 9783839403891

Table of contents :
Inhalt
Dank
1. Einleitung
1.1 Zielsetzung und Argumentationsgang der Arbeit
1.2 Zum Forschungsstand
Zum Forschungsstand textbasierter Internet Performances
Zum Forschungsstand telematischer Internet Performances
1.3 Methodisches Vorgehen
2. Kulturgeschichtliche Konvergenzen
2.1 Wissenschaftstheoretische Bestimmung des Konvergenz-Begriffs
2.2 Internet Performances als Konvergenz kulturgeschichtlicher Einflüsse
2.2.1 Ebene der Technologiegeschichte
2.2.2 Ebene der Theater- und Kunstgeschichte
2.2.3 Ebene der Wissenschaftsgeschichte
3. Systematik der Produktionen
3.1 Technologische Struktur des Internets
3.2 Internet Performances als besondere Form der Distributed Performances
3.3 Textbasierte Internet Performances
3.3.1 IRC Theatre (Produktion der Hamnet Players, Hamnet)
3.3.2 MOO Theatre (Produktionen der Plaintext Players, Gutter City, Produktionen im ATHEMOO, Charles Deemer: The Bridge of Edgefield, Stephen Schrum: NetSeduction, Rick Sacks: MetaMOOphosis)
3.3.3 Web-basierte Chat Performances (Gob Squad: The Finalists)
3.4 Palace Performances
Technologische Grundlagen
Produktionen von Desktop Theater
3.5 Telematische Performances
Technologische Grundlagen
Electronic Café: Hole in Space
Paul Sermons telematische Installationen
The Gertrude Stein Repertory Theatre: Ubu Roi
3.6 Telematische Internet Performances
Technologische Grundlagen
Stelarc: Fractal Flesh, Ping Body, ParaSite
Eduardo Kac/Ed Bennett: Ornitorrinco in Eden und Rara Avis
Isabelle Jenniches: J-B-2Z und AFK
Web Dance
Sarah Morrison: Leaping into the Net
Laura Knott: World Wide Simultaneous Dance
Cassandra Project
4. Methodisch-theoretischer Rahmen
4.1 Internet Performances und Medialität
4.1.1 Das methodische Ausgangsproblem
4.1.2 Theater/Medien/Internet
4.2 Internet Performances in Zeit und Raum
4.2.1 Kommunikationsprozesse in Internet Performances
4.2.2 Szenographische Strukturen in Internet Performances
4.2.3 Interaktivität in Internet Performances
4.3 Internet Performances zwischen Schriftlichkeit, Körperlichkeit und Bildlichkeit
4.3.1 Vom Körper zur Schrift, von Körperlichkeit zu Bildlichkeit
4.3.2 Liveness, Telematik und Telepräsenz in Internet Performances
4.3.3 Körper, Technologie und Wahrnehmung
5. Drama und Internet
5.1 Medialität textbasierter Internet Performances
5.1.1 Das Internet als Produktions- und Rezeptionsort
5.1.2 ›Verschriftlichung‹ der Sprache
5.1.3 Semiotisierung des Körperlichen
5.1.4 Konvergenz von Textproduktion und Performance
5.1.5 Dramatische Formgebung
5.1.6 The Finalists: ›Tissue of quotation‹
5.1.7 Desktop Theater: Zwischen Text und bewegtem Bild
5.1.8 ›Präsenz des Vorgestellten‹
5.2 Szenographische Strukturen textbasierter Internet Performances
5.2.1 Metaphorisierung des Raumes
5.2.2 Implizite Raumvorstellungen
5.3 Kulturtheoretische Dimensionen
Theatralisierung einer Kultur des Spiels
Identität im Internet
Inszenierung ›medialer Masturbation‹
6. Performance Art und Internet
6.1 Medialität telematischer Internet Performances
6.1.1 Digitalisierbarkeit als mediale Bedingung
6.1.2 Das Internet zwischen Datenübertragung und Handlungsraum
6.1.3 Interaktivität als Basis der Konvergenz von Produktion und Rezeption
6.1.4 Semiotik technischer Störungen
6.1.5 Intermedialität als Konvergenz von Wahrnehmungskonventionen
6.1.6 Web Dance: Choreographie als dramaturgische Strategie
6.1.7 Telepräsenz: Vision versus (The Representation of) Touch
6.2 Szenographische Strukturen in telematischen Internet Performances
6.2.1 Referenzpunkt Netzmetapher
6.2.2 Variationen der Connected Spaces
6.2.3 [CTRL] Space: Kontrolle des telematischen Raumes
6.3 Connecting Bodies: Körperkonzepte und ihre Inszenierungen
6.3.1 Der Diskurs des Post-Humanen
6.3.2 Internet Performances als Inszenierungen des Post-Humanen
6.3.3 Stelarc: Interface Körper
6.3.4 Stelarcs Versuch, die ›prometheische Scham‹ zu überwinden
6.4 Kulturtheoretische Dimensionen
6.4.1 Telematische Internet Performances als Forschung
6.4.2 Performative Science Fiction: »Man stelle sich einen Körper vor …«
7. Theater in der Ambivalenz des Technischen
7.1 Internet Performances als Konvergenz von Kultur und Technologie
7.1.1 Agens und Beispiel kultureller Transformationen
7.1.2 Internet Performancesund ihre gesellschaftliche Relevanz
7.2 Anthropologische Dimensionen von Internet Performances
7.2.1 Inszenierung der ›Exzentrizität des Menschen‹ unter der net_condition
7.2.2 Generation@: Zugang als neue Form der conditio humana
7.2.3 Theatrale Öffentlichkeit in Internet Performances
7.2.4 Erfahrungen des Körperlichen im Angesicht der Technologie
7.3 Internet Performances als distanzgewährendes Modell
7.3.1 Formen der Distanzierung in Internet Performances
7.3.2 Reflexion ethischer Dimensionen in Internet Performances
7.4 Internet Performances zwischen Tradition und Innovation
7.4.1 Zum Begriff des Neuen
7.4.2 Traditionelles in Internet Performances 320 |
7.4.3 Innovatives in Internet Performances
7.5 Anforderungen an eine Kritik von Internet Performances
7.5.1 Kriterien für eine Kritik von Internet Performances
7.5.2 Versuch einer Kritik von Internet Performances
8. Schlussbemerkungen
Literatur

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Theater und Internet

2005-09-20 13-18-44 --- Projekt: T389.kumedi.glesner.theater-internet / Dokument: FAX ID 023295210563518|(S.

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) T00_01 schmutztitel.p 95210563590

Julia Glesner (Dr. phil.) hat in Mainz und Paris studiert. Forschungsarbeiten führten sie an die Universität von Brisbane und die City University of New York. Ihre Promotionsarbeit entstand am Graduiertenkolleg »Bild-Körper-Medium. Eine anthropologische Perspektive« der Hochschule für Gestaltung und dem Zentrum für Kunst und Medientechnologie in Karlsruhe. Seit 2003 ist sie am Theater Erfurt tätig, wo sie seit 2004 die Öffentlichkeitsarbeit leitet. An der Universität Erfurt unterrichtet sie als Lehrbeauftragte im Bereich »Kulturmanagement«. 2002 erschien von ihr »Theater für Touristen«.

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Julia Glesner Theater und Internet. Zum Verhältnis von Kultur und Technologie im Übergang zum 21. Jahrhundert

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) T00_03 innentitel.p 95210563678

Die vorliegende Studie wurde vom Fachbereich 13 Philologie I der Johannes Gutenberg-Universität Mainz im Jahr 2003 als Dissertation zur Erlangung des akademischen Grades eines Doktors der Philosophie (Dr. phil.) angenommen.

Bibliografische Information der Deutschen Bibliothek Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.ddb.de abrufbar.

© 2005 transcript Verlag, Bielefeld Die Verwertung der Texte und Bilder ist ohne Zustimmung des Verlages urheberrechtswidrig und strafbar. Das gilt auch für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und für die Verarbeitung mit elektronischen Systemen. Umschlaggestaltung und Innenlayout: Kordula Röckenhaus, Bielefeld Umschlagabbildung: Desktop Theater, waitingforgodot.com Projektmanagement: Andreas Hüllinghorst, Bielefeld Druck: Majuskel Medienproduktion GmbH, Wetzlar ISBN 3-89942-389-5 Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier mit chlorfrei gebleichtem Zellstoff. Besuchen Sie uns im Internet: http://www.transcript-verlag.de Bitte fordern Sie unser Gesamtverzeichnis und andere Broschüren an unter: [email protected]

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) T00_04 impressum.p 95210563742

Inhalt Dank 9 1. Einleitung 11 1.1 Zielsetzung und Argumentationsgang der Arbeit 15 1.2 Zum Forschungsstand 17 Zum Forschungsstand textbasierter Internet Performances 19 | Zum Forschungsstand telematischer Internet Performances 22 1.3 Methodisches Vorgehen 22 2. Kulturgeschichtliche Konvergenzen 31 2.1 Wissenschaftstheoretische Bestimmung des Konvergenz-Begriffs 32 2.2 Internet Performances als Konvergenz kulturgeschichtlicher Einflüsse 35 2.2.1 Ebene der Technologiegeschichte 35 | 2.2.2 Ebene der Theater- und Kunstgeschichte 40 | 2.2.3 Ebene der Wissenschaftsgeschichte 48

3. Systematik der Produktionen 55 3.1 Technologische Struktur des Internets 56 3.2 Internet Performances als besondere Form der Distributed Performances 60

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3.3 Textbasierte Internet Performances 64 3.3.1 IRC Theatre (Produktion der Hamnet Players, Hamnet) 65 | 3.3.2 MOO Theatre (Produktionen der Plaintext Players, Gutter City, Produktionen im ATHEMOO, Charles Deemer: The Bridge of Edgefield, Stephen Schrum: NetSeduction, Rick Sacks: MetaMOOphosis) 75 | 3.3.3 Web-basierte Chat Performances (Gob Squad: The Finalists) 95 3.4 Palace Performances 103 Technologische Grundlagen 104 | Produktionen von Desktop Theater 106 3.5 Telematische Performances 108 Technologische Grundlagen 108 | Electronic Café: Hole in Space 108 | Paul Sermons telematische Installationen 110 | The Gertrude Stein Repertory Theatre: Ubu Roi 111 3.6 Telematische Internet Performances 112 Technologische Grundlagen 112 | Stelarc: Fractal Flesh, Ping Body, ParaSite 116 | Eduardo Kac/Ed Bennett: Ornitorrinco in Eden und Rara Avis 120 | Isabelle Jenniches: J-B-2Z und AFK 123 | Web Dance 124 | Sarah Morrison: Leaping into the Net 125 | Laura Knott: World Wide Simultaneous Dance 125 | Cassandra Project 128

4. Methodisch-theoretischer Rahmen 131 4.1 Internet Performances und Medialität 131 4.1.1 Das methodische Ausgangsproblem 132 | 4.1.2 Theater/Medien/Internet 137 4.2 Internet Performances in Zeit und Raum 149 4.2.1 Kommunikationsprozesse in Internet Performances 150 | 4.2.2 Szenographische Strukturen in Internet Performances 155 | 4.2.3 Interaktivität in Internet Performances 162 4.3 Internet Performances zwischen Schriftlichkeit, Körperlichkeit und Bildlichkeit 166 4.3.1 Vom Körper zur Schrift, von Körperlichkeit zu Bildlichkeit 167 | 4.3.2 Liveness, Telematik und Telepräsenz in Internet Performances 180 | 4.3.3 Körper, Technologie und Wahrnehmung 189

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5. Drama und Internet 195 5.1 Medialität textbasierter Internet Performances 195 5.1.1 Das Internet als Produktions- und Rezeptionsort 196 | 5.1.2 ›Verschriftlichung‹ der Sprache 197 | 5.1.3 Semiotisierung des Körperlichen 200 | 5.1.4 Konvergenz von Textproduktion und Performance 204 | 5.1.5 Dramatische Formgebung 207 | 5.1.6 The Finalists: ›Tissue of quotation‹ 215 | 5.1.7 Desktop Theater: Zwischen Text und bewegtem Bild 219 | 5.1.8 ›Präsenz des Vorgestellten‹ 225 5.2 Szenographische Strukturen textbasierter Internet Performances 228 5.2.1 Metaphorisierung des Raumes 228 | 5.2.2 Implizite Raumvorstellungen 230 5.3 Kulturtheoretische Dimensionen 233 Theatralisierung einer Kultur des Spiels 234 | Identität im Internet 238 | Inszenierung ›medialer Masturbation‹ 239 6. Performance Art und Internet 243 6.1 Medialität telematischer Internet Performances 244 6.1.1 Digitalisierbarkeit als mediale Bedingung 244 | 6.1.2 Das Internet zwischen Datenübertragung und Handlungsraum 245 | 6.1.3 Interaktivität als Basis der Konvergenz von Produktion und Rezeption 250 | 6.1.4 Semiotik technischer Störungen 251 | 6.1.5 Intermedialität als Konvergenz von Wahrnehmungskonventionen 252 | 6.1.6 Web Dance: Choreographie als dramaturgische Strategie 253 | 6.1.7 Telepräsenz: Vision versus (The Representation of ) Touch 255 6.2 Szenographische Strukturen in telematischen Internet Performances 258 6.2.1 Referenzpunkt Netzmetapher 259 | 6.2.2 Variationen der Connected Spaces 263 | 6.2.3 [CTRL] Space: Kontrolle des telematischen Raumes 266 6.3 Connecting Bodies: Körperkonzepte und ihre Inszenierungen 268 6.3.1 Der Diskurs des Post-Humanen 270 | 6.3.2 Internet Performances als Inszenierungen des Post-Humanen 272 | 6.3.3 Stelarc: Interface Körper 279 | 6.3.4 Stelarcs Versuch, die ›prometheische Scham‹ zu überwinden 282

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6.4 Kulturtheoretische Dimensionen 285 6.4.1 Telematische Internet Performances als Forschung 285 | 6.4.2 Performative Science Fiction: »Man stelle sich einen Körper vor …« 291 7. Theater in der Ambivalenz des Technischen 297 7.1 Internet Performances als Konvergenz von Kultur und Technologie 298 7.1.1 Agens und Beispiel kultureller Transformationen 298 | 7.1.2 Internet Performances und ihre gesellschaftliche Relevanz 303 7.2 Anthropologische Dimensionen von Internet Performances 305 7.2.1 Inszenierung der ›Exzentrizität des Menschen‹ unter der net_condition 306 | 7.2.2 Generation@: Zugang als neue Form der conditio humana 308 | 7.2.3 Theatrale Öffentlichkeit in Internet Performances 311 | 7.2.4 Erfahrungen des Körperlichen im Angesicht der Technologie 312 7.3 Internet Performances als distanzgewährendes Modell 315 7.3.1 Formen der Distanzierung in Internet Performances 315 | 7.3.2 Reflexion ethischer Dimensionen in Internet Performances 317 7.4 Internet Performances zwischen Tradition und Innovation 319 7.4.1 Zum Begriff des Neuen 319 | 7.4.2 Traditionelles in Internet Performances 320 | 7.4.3 Innovatives in Internet Performances 326 7.5 Anforderungen an eine Kritik von Internet Performances 330 7.5.1 Kriterien für eine Kritik von Internet Performances 331 | 7.5.2 Versuch einer Kritik von Internet Performances 335 8. Schlussbemerkungen 341 Literatur 347

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DANK

Dank Herzlich bedanken möchte ich mich bei meinem Doktorvater Prof. Dr. Christopher Balme. Seine Offenheit gegenüber diesem Thema und seine Unterstützung in allen Fragen des akademischen Lebens haben mich während meiner Arbeit sehr bestärkt. Ebenfalls herzlich danken möchte ich Dr. phil. habil. Josef Rauscher für die Übernahme des Korreferats. Mein Dank richtet sich auch an die Deutsche Forschungsgemeinschaft für das Promotionsstipendium am Graduiertenkolleg BildKörper-Medium. Eine anthropologische Perspektive an der Staatlichen Hochschule für Gestaltung in Karlsruhe. Gleichermaßen möchte ich dem Deutschen Akademischen Austauschdienst danken, durch den mir ein Aufenthalt als Segal Research Fellow am Center for Advanced Studies in Theatre Arts der City University of New York möglich wurde. Immer wieder haben mir die Künstler mit ihrer Zeit und ihrem Interesse zur Verfügung gestanden. Ich danke Jeffrey Bary, Charles Deemer, Liz Dreyer, Dinu Ghezzo, Isabelle Jenniches, Laura Knott, Sarah Morrison, Lisa Marie Naugle, Rick Sacks, Yacov Sharir und Monika Wunderer. In Liebe und Dankbarkeit widme ich diese Arbeit meinen Eltern. Mainz, im Juli 2003

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1. EINLEITUNG

1. Einleitung »The Net is beginning to happen to everything«,1 schrieb Sheldon Renan im Jahre 1996 und charakterisierte mit dieser Aussage treffend die alltäglichen Erfahrungen vieler Menschen mit dem Internet und seiner beginnenden Allgegenwärtigkeit. Die Aussage unterstellt jedoch auch eine passive Haltung gegenüber dem Internet, die für die aktive Auseinandersetzung, die Künstler seit seiner Entstehung geführt haben, nicht zutrifft. Während die so genannte Netzkunst durch verschiedene Festivals in der öffentlichen Wahrnehmung bekannter als Experimente im Bereich von Drama und Performance wurde, so begannen auch hier Künstler, die Möglichkeiten des Internets für ihre eigenen Arbeiten zu erforschen. Bereits seit Dezember 1993 finden theatrale Aufführungen im Internet statt. Solche Aufführungen lösen bei simultaner Produktion und Rezeption die uns von anderen Theaterformen vertraute physische Kopräsenz von Darstellern und Zuschauern auf. Damit brechen Internet Performances, wie sie im Folgenden genannt werden sollen, mit dem Parameter der Theatergeschichte schlechthin. Innerhalb der Theatergeschichte standen jedoch immer wieder als übergreifend gültig gesetzte Parameter zur Disposition. Indem Internet Performances in einer Gesellschaft, deren Kommunikation in zunehmendem Maße von den Möglichkeiten der Telekommunikation und des Internets bestimmt wird, mit der physischen Kopräsenz von Darstellern und Zuschauern brechen, stehen auch sie wieder innerhalb einer theatergeschichtlichen Tradition; der Tradition, mit einer Tradition zu brechen. Internet Performances setzen das Internet und seine Dienste2

1. Renan, Sheldon: The Net and the Future of Being Fictive. In: Leeson, Lynn Hershman (Hrsg.): Clicking In. Hot Links to a Digital Culture. Seattle: Bay Press, 1996, S. 61-69: S. 61. – Anmerkung: Die vorliegende Arbeit wurde im Juli 2003 als Dissertation an der Universität Mainz eingereicht. Sie repräsentiert den Literatur- und Forschungsstand zu diesem Zeitpunkt. 2. Als Dienst bezeichnet man in der Telekommunikation eine standardisierte Form der Übermittlung mit definierten technischen Eigenschaften und Schnittstellen für Endgeräte. Für Internet Performances ist vor allem die Unterscheidung des Internets von seinem bekanntestem Dienst, dem WWW, von Bedeutung (vgl. Kap. 3.1). 11

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THEATER UND INTERNET

auf höchst unterschiedliche Art und Weise ein. Auf einer ersten Ebene können textbasierte von so genannten telematischen Internet Performances unterschieden werden. Textbasierte Internet Performances verwenden ausschließlich Text, während telematische Internet Performances auch audiovisuelle Elemente über das World Wide Web (WWW) integrieren. Abhängig von der Technologie, die sie einsetzen, und der Wahrnehmung, die sie bei den Teilnehmern erzeugen, können neben textbasierten und telematischen Internet Performances noch weitere Unterkategorien differenziert werden (vgl. Kap. 3.2). Ihnen allen ist jedoch gemeinsam, die Teilnehmer während eines klar definierten Zeitraumes räumlich getrennt über verschiedene Dienste des Internets in einem theatralen Kontext miteinander zu verbinden.3 Obwohl Internet Performances bereits seit 1993 stattfinden, wurden sie sowohl innerhalb der Wissenschaft als auch des Feuilleton bisher kaum wahrgenommen. Unberücksichtigt bleibt hier sowohl das Internet bei der Frage, wie sich das ›Medienzeitalter‹ auf die Theaterformen unserer Gesellschaft auswirkt,4 als auch das Theater bei der Frage nach den kulturellen Auswirkungen des Internets.5 Während

3. Neben Internet Performances können noch eine Reihe anderer Phänomene dem Bereich Theater und Internet zugeordnet werden, beispielsweise Internet-Auftritte von Theatern, die Speicherung von Theaterdokumenten im WWW, Formen des Lernens oder der Kooperation auf Distanz (distant learning/cooperation) oder auch Produktionen, die Themen der Internet-Kultur aufnehmen (z.B. Tilman Sacks Konzeption des Chat-Theaters oder Igor Bauersimas Drama norway.today). Sie alle werden im Rahmen dieser Arbeit nicht behandelt werden, da sie nicht dem Kriterium der simultanen Produktion und Rezeption entsprechen. Vgl. Converse, Terry John: Not So Distant Learning: Using Interactive Technology to Enhance the Traditional, Discussion Based Course. In: Schrum, Stephen (Hrsg.): Theatre in Cyberspace. Issues of Teaching, Acting, and Directing. New York: Peter Lang, 1999 (= Artists and Issues in the Theatre; Vol. 10), S. 85-104. – Sack, Tilman: Theater und Internet. Überlegungen zu einem Konzept »Chattheater«. http://www.dichtung-digital.de/Interscene/Sack/index 2.html (Zugriff am 27.07.2003) – http://www.webbedfeats.org (Zugriff am 25.02. 2001) – http://brainopera.mit. edu (Zugriff am 10.02.2002) 4. »Wie immer man das Theater des ausgehenden 20. Jahrhunderts beschreiben und deuten will, es ist in jedem Fall auch als Theater im Medienzeitalter zu bestimmen. Denn es ist wohl kaum zu bezweifeln, daß Entstehung und Verbreitung der neuen Medien – Film, Rundfunk, Fernsehen, Video – Struktur und Funktion des Theaters wesentlich berührt haben.« Fischer-Lichte, Erika: Die Verklärung des Körpers. Theater im Medienzeitalter. In: dies.: Die Entdeckung des Zuschauers. Paradigmenwechsel auf dem Theater des 20. Jahrhunderts. Tübingen: Francke, 1997, S. 205-220: S. 205. – Vgl. Schanze, Helmut: Integrale Mediengeschichte. In: ders. (Hrsg.): Handbuch der Mediengeschichte. Stuttgart: Kröner, 2001, S. 207-280: S. 270f. 5. Beispielsweise bei Sandbothe, der nach dem Gesamtmediensystem fragt, zu dem 12

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1. EINLEITUNG

dies angesichts des geringen Verbreitungsgrades von Internet Performances noch verständlich sind, ändert sich der Grad ihrer Bekanntheit auch dann nicht, wenn explizit nach den Möglichkeiten von Theater und Internet gefragt wird.6 Bei den feuilletonistischen Auseinandersetzungen wiederum fällt häufig ein mangelndes Bewusstsein um die historische und kulturelle Kontingenz des Begriffs Theater auf, beispielsweise bei Gisela Müller: »Um es gleich zu sagen: so etwas wie Netztheater oder Theater im Netz – im wahren Sinne des Wortes – nicht vorstellbar. Die wenigen Projekte, die es in dieser Richtung gab, sind an ihrem eigenen utopischen Anspruch gescheitert.« 7 Nicht mehr nachvollziehbar ist es, wenn der erste Artikel zum Thema Theater im Internet in einer so renommierten Fachzeitung wie Theater heute sachliche Fehler und falsche Zitate mit einer unverhohlen und kaum begründeten negativen Haltung paart. Vornehmste Aufgabe der Kunstkritik ist es, zwischen Publikum und Werk zu vermitteln. Doch obwohl Esther Slevogt keine einzige der Produktionen selbst erlebt hat,8

sich »Presse, Radio, Fernsehen und Video mit dem Internet verflechten.« Sandbothe, Mike: Pragmatische Medientheorie des Internet. In: Gendolla, Peter/Schmitz, Norbert/Schneider, Irmela/Spangenberg, Peter (Hrsg.): Formen interaktiver Medienkunst. Frankfurt: Suhrkamp, 2001, S. 183-201. – Vgl. Broeckmann, Andreas: Konnektive entwerfen! Minoritäre Medien und vernetzte Kunstpraxis. In: Münker, Stefan/ Roesler, Alexander (Hrsg.): Praxis Internet. Frankfurt: Suhrkamp, 2002, S. 232-248. 6. So formuliert Hans-Thies Lehmann noch im Jahre 1999: »Die Frage nach einem Theater, in dem die Internet-Kontakte zum Bestandteil und vielleicht vorherrschend werden, wird nur die Zukunft beantworten.« Lehmann, Hans-Thies: Postdramatisches Theater: Essay. Frankfurt: Verlag der Autoren, 1999, S. 430. – Ähnlich mangelnde Kenntnis (wohl auch im Umgang mit Suchmaschinen im Internet) finden sich auch bei Silvia Stammen. In einem Artikel beschreibt sie, wie ihre Suche nach Internet Performances im Internet verlief und dass sie auf nur 13 Resultate für Internettheater gekommen sei. Ihre Ergebnisse hatten jedoch nur wenig mit dem gesuchten Gegenstand gemeinsam. Vgl. Stammen, Silvia: Das ganze Netz ist eine Bühne. Der »webscene«-Wettbewerb zum SPIELART-Festival lockt Theatermacher ins Netz. In: Süddeutsche Zeitung vom 23.07.2001, S. 17. 7. Müller, Gisela: Die utopischen Räume. Oder: Theatralität als open source. 23.07. 2001. http://www.morgenwelt.de/kultur/010723-opensource-theater.htm (Zugriff am 13.02.2002) Ohne Seitenangabe. 8. Unklar bleibt auch, weshalb Slevogt zwar die Gewinnerproduktion des websceneFestivals der SPIELART 2001, München, erwähnt, jedoch ohne Titel, ohne Beschreibung oder Bewertung, und stattdessen auf eine andere Produktion der Gewinner eingeht. Vgl. Slevogt, Esther: Das Cyber-Gerücht. Eine Expedition in die Labyrinthe des world wide webs auf der Suche nach dem Theater im Internet. In: Theater heute, Nr. 13

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THEATER UND INTERNET

kommt sie zu dem Schluss, die Aufführungen »existieren in der Regel nur als Gerücht.«9 Dementsprechend gelingt es ihrem Artikel auch nicht zu vermitteln, wie diese Produktionen für die Teilnehmer funktionieren.10 Angesichts dieser Rezeption steht die vorliegende Arbeit vor einem Forschungsdefizit auf mehreren Ebenen. Wenn Künstler in ihrer Sensibilität und ihrem Mut den Theoretikern vorauseilen und das Theater neue Ausdrucksmöglichkeiten sucht, dann ist es Aufgabe der Theaterwissenschaft, ihm zu folgen, wie Christopher Balme formuliert hat.11 Oder in den Worten Philip Auslanders: »The description of the

12 (2001), S. 30-33: S. 32. Ebenfalls zugänglich unter http://www.theater heute.de/ galerie/12-01/internet.html (Zugriff am 24.07.2003) – Zur Produktion The Finalists vgl. Kap. 3.3.3, 5.1.7, zur SPIELART 2001 vgl. Kap. 7.1.2. Grundsätzlich liegt den von Slevogt ausgewählten Produktionen keine einheitliche Definition zugrunde. 9. Slevogt, Esther: Das Cyber-Gerücht, a.a.O., S. 31.- Angesichts dieser Tatsache liegt es nahe, die von ihr bemängelten technischen Probleme auf mangelnde Medienkompetenz zu hinterfragen. Grundsätzlich darf die Frage nach den Anforderungen an die technische Infrastruktur und Medienkompetenz der Teilnehmer jedoch nicht vernachlässigt werden. Vgl. Kap. 3.2, 6.1.4. 10. Offensichtlich dient ihr als Material ihres Artikels hauptsächlich die Magisterarbeit von Andreas Horbelt, da sie neben Experimenten wie Herbert Fritschs Hamlet_X nur auf textbasierte Internet Performances eingeht und telematische Internet Performances nicht einmal erwähnt. Vgl. Horbelt, Andreas: Theater und Theatralität im Internet. Magisterarbeit, LMU München, 2001. Im WWW gespeichert unter: http:// www.netz wissenschaft.de/media/thea.pdf (Zugriff am 20.03.2003) – Vgl. Ihmels, Tjark: »Hamlet_X« im Internet. In: Theater der Zeit (Januar 2002), S. 67f. Und: Siemons, Mark: Die Chance, sich im Labyrinth zu verlieren. In: FAZ (21.06.2003), S. 40. – Daneben zitiert sie verfälschend Gisela Müller mit: »Zu aller Kunst, die es im Internet nicht geben kann, gesellt sich nun auch das Theater.« (Slevogt, Esther: Das Cyber-Gerücht, a.a.O., S. 32) Müller hatte damit jedoch Olaf Arndt zitiert. Vgl. Müller, Gisela: Die utopischen Räume, a.a.O., Ohne Seitenangabe. – In Slevogts Linksammlung, die nach nicht nachvollziehbaren Kriterien zusammengestellt wurde, führt sie auch Oudeis an, ein Projekt, das nie realisiert wurde. Vgl. Slevogt, Esther: Das Cyber-Gerücht, a.a.O., S. 33. – Sie schreibt auch Schrums Namen mehrfach falsch, obwohl von diesem sogar ein Sammelband zu textbasierten Internet Performances herausgegeben wurde, den sie jedoch nicht als Literaturhinweis anführt. 11. Vgl. Balme, Christopher: Theater zwischen den Medien: Perspektiven theaterwissenschaftlicher Intermedialitätsforschung. In: ders./Moninger, Markus (Hrsg.): Crossing Media: Theater, Film, Fotografie und Bildende Kunst. München: epodium, 2004, S. 13-31: S. 31. – Oder: »Zögern muss im Zweifelsfall immer als Mangel an Medienkompetenz interpretiert werden.« Hentschläger, Ursula/Wiener, Zelko: Webdramaturgie. Das audio-visuelle Gesamtereignis. 3D – Streaming – Flash. München: Markt*Technik, 2002, S. 19. 14

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1. EINLEITUNG

contemporary is a daunting yet necessary task.«12 Im Folgenden soll nun zuerst die Zielsetzung und der Argumentationsgang der Arbeit dargelegt werden, bevor der Forschungsstand und das methodische Vorgehen beschrieben werden.

1.1 Zielsetzung und Argumentationsgang der Arbeit Internet Performances stellen zur Zeit in zentralen Fragestellungen einen unerforschten Gegenstand dar. Die vorliegende Arbeit setzt sich zum Ziel, den Untersuchungsgegenstand Internet Performances in seinen verschiedenen Kategorien theoretisch zu diskutieren. Dies soll aus der Perspektive einer sich kulturwissenschaftlich begreifenden Theaterwissenschaft erfolgen, die Theaterformen gleichermaßen als Kunstwerk, als Medium und als cultural performance (im Sinne Milton Singers13) in einem Gefüge anderer cultural performances versteht. Die Theoriebildung soll dabei in Kooperation mit benachbarten Disziplinen erfolgen. Hypothese hierbei ist, dass sich die Methoden und Instrumentarien einer sich in dieser Weise integrativ verstehenden Theaterwissenschaft insbesondere anbieten, um interdisziplinär ausgewählte Facetten der verschiedenen Kategorien von Internet Performances zu untersuchen. Dies betrifft vornehmlich die Medien-, Kunst- und Bildwissenschaft. Die Arbeit geht weiterhin von der These aus, dass über das Verhältnis, das Theater und Internet in den verschiedenen Kategorien von Internet Performances eingehen, eine Aussage zum Verhältnis von Kultur und Technologie im Übergang zum 21. Jahrhundert möglich werden kann. Aus diesem Grund bindet die Arbeit den Untersuchungsgegenstand aus kulturhistorischer Perspektive in die beginnende Annäherung von Kunst, Technologie und Wissenschaft insbesondere seit der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts ein und reflektiert die wissenschaftstheoretischen und -historischen Grundlagen, die unsere Wahrnehmung von Internet Performances beeinflussen (vgl. Kap. 2). Von zentraler Bedeutung im Argumentationsgang der Arbeit wird der Begriff der Konvergenz sein, der als wissenschaftstheoretischer Begriff definiert wird. Er bietet sich in besonderer Weise an, um die Annähe-

12. Auslander, Philip: Presence and Resistance. Postmodernism and Cultural Politics in Contemporary American Performance. Ann Arbor: University of Michigan Press, 1992, S. 5. 13. Vgl. Singer, Milton: The Cultural Pattern of Indian Civilization. A Preliminary Report of a Methodological Field Study. In: The Far Eastern Quarterly XV (1955), S. 23-36: S. 26, vgl. ebenfalls ders.: Traditional India: Structure and Change. Philadelphia: American Folklore Society, 1959, S. xii-xiii. 15

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rung von Kultur und Technologie seit der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts zu deuten, als deren Kulminationspunkt Internet Performances verstanden werden können. Ansatz hierbei ist, »die Geschichte des Theaters als Medium als eine relationelle Geschichte zu beschreiben«,14 wie Balme vorgeschlagen hat. In diesem Sinne formuliert auch Müller-Funk, die Kulturwissenschaften müssten, um gesellschaftlich relevant zu sein, relational bedenken, »was in den Medien der heutigen Zeit – von der Television bis zum Internet – strukturell zusammengefügt ist.«15 Auf die kulturhistorische Positionierung des Untersuchungsgegenstandes folgt eine Systematik des Untersuchungsgegenstandes, die induktiv-beschreibend vorgeht. Nach definierten Kriterien werden einzelne Kategorien von Internet Performances unterschieden und exemplarische Produktionen aus diesen Kategorien, ihre technische Infrastruktur und die für eine Teilnahme notwendige Medienkompetenz beschrieben (vgl. Kap. 3).16 Auf dieser Grundlage kann der methodisch-theoretische Rahmen bestimmt werden, mit dem übergreifend die verschiedenen Kategorien von Internet Performances in den folgenden Kapiteln untersucht werden sollen (vgl. Kap. 4). Im Fokus steht hier die medientheoretische Perspektive und der relational definierte Begriff der Medialität. Weitere Schwerpunkte bilden die zeitlichen und räumlichen Dimensionen von Internet Performances, insbesondere ihre szenographischen Strukturen, die Perspektive der sitespecific art sowie ihr Status zwischen Schriftlichkeit, Bildlichkeit und Körperlichkeit. Mit dem so definierten Rahmen werden im Weiteren textbasierte Internet Performances aus der Perspektive des Dramas (vgl. Kap. 5) sowie telematische Internet Performances aus der Perspektive der Performance Art diskutiert (vgl. Kap. 6). Innerhalb der telematischen Internet Performances werden die den Produktionen zugrunde liegenden Körperkonzepte sowie die konkreten Inszenierungen dieser Konzepte gesondert betrachtet. Die Arbeit setzt also mit der kulturhistorischen Perspektive auf

14. Balme, Christopher: Hellerauer Gespräche: Theater als Medienästhetik oder Ästhetik mit Medien und Theater? In: Leeker, Martina (Hrsg.): Maschinen, Medien, Performances. Theater an der Schnittstelle zu digitalen Welten. Berlin: Alexander, 2001, S. 405-433: S. 407. 15. Müller-Funk, Wolfgang: Inszenierte Imagination. Eine Einleitung. In: ders./Reck, Hans Ulrich (Hrsg.): Inszenierte Imagination: Beiträge zu einer historischen Anthropologie der Medien. Wien: Springer, 1996 (= Ästhetik und Naturwissenschaften: Medienkultur), S. 1-3: S. 3. 16. Zeitlich reichen die ausgewählten Produktionen von Dezember 1993 bis Mai 2002. Geographisch konzentrieren sie sich auf Europa und die USA, obwohl Teilnehmer beispielsweise auch aus Indien stammten (vgl. World Wide Simultaneous Dance, Kap. 3.6). 16

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1. EINLEITUNG

die beginnenden Konvergenzen von Kultur und Technologie im 20. Jahrhundert an, um daran anschließend die konkreten Relationen von Theater und Internet in den einzelnen Produktionen zu bestimmen. Diese Untersuchungen bilden die Basis, um Internet Performances erneut kulturwissenschaftlich zu betrachten und auf ihre Aussage zum Verhältnis von Kultur und Technologie im Übergang zum 21. Jahrhundert zu befragen (vgl. Kap. 7). Aus dieser Perspektive zeigen sich Internet Performances als Konvergenzpunkt der Annäherung von Kultur und Technologie. Die verschiedenen Kategorien von Internet Performances spielen auf je verschiedene Art und Weise mögliche Relationen von Kultur und Technologie durch. Mit diesen Relationen korrespondieren verschiedene Formen, wie Theater in einer Gesellschaft, die als Netzwerkgesellschaft (Manuel Castells) oder eine Gesellschaft des Zugangs (Jeremy Rifkin) beschrieben werden kann. Internet Performances positionieren sich so innerhalb der Ambivalenz des Technischen, auf die sie unterschiedliche Antworten geben. Die Schlussbemerkungen fassen die Ergebnisse der Arbeit knapp zusammen und geben einen Ausblick auf mögliche weitere Entwicklungslinien von Theater und Internet (vgl. Kap. 8).

1.2 Zum Forschungsstand Während in kooperierenden Disziplinen wie der Medientheorie bereits reichlich zum Computer und dem Internet als Medium gearbeitet wurde, existiert bisher keine eigenständige theaterwissenschaftliche Monographie zum Thema Internet Performances. Vereinzelt wurden Aufsätze zu Fragen des Theaters im Feld der Neuen Medien veröffentlicht, beispielsweise von Matthew Causey, der Fragen der Postorganic Performance untersucht. Als solche bezeichnet er Aufführungen in virtuellen Räumen, zu denen er auch das WWW zählt. Causey fokussiert dabei vor allem Fragen der Mediatisierung des Körpers und seiner Bildwerdung im Televisuellen.17 Auch Thomas Dreher widmet in seiner Geschichte der Performance Art nach 1945 ein Kapitel der Frage nach dem Computer und der Telekommunikation. Hier erwähnt er zwar die Plaintext Players, konzentriert sich jedoch primär auf die Performances von Stelarc.18 In Arbeiten zum Theater im Medienzeitalter wird viel-

17. Vgl. Causey, Matthew: Postorganic Performance. The Appearance of Theater in Virtual Spaces. In: Ryan, Marie-Laure (Hrsg.): Cyberspace Textuality. Computer Technology and Literary Theory. Bloomington: Indiana University Press, 1999, S. 182-202. 18. Vgl. Dreher, Thomas: Performance Art nach 1945. Aktionstheater und Intermedia. 17

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fach Brenda Laurels Computers as Theatre angeführt, das mittlerweile als ›Kultbuch‹ gehandelt wird.19 Ausgehend von der aristotelischen Dramentheorie zielt ihre Argumentation darauf, die Metapher des Theaters auf die Konstruktion von Interfaces anwenden zu können, »as a way to conceptualize human-computer interaction itself«,20 allerdings aus einer defensiven Haltung heraus. Den Einsatz von vernetzten Computern für Theateraufführungen thematisiert Laurel jedoch nicht. Obwohl in medientheoretischen Arbeiten zum Theater oftmals Internet Performances nicht explizit behandelt werden, sind einige dieser Arbeiten für eine theoretische Annäherung an den Untersuchungsgegenstand dennoch zentral.21 In diesem Kontext finden sich jedoch auch auffallend häufig Publikationen mit ideologischen Aussagen, die von naivem Optimismus bis zu unmotiviertem Pessimismus reichen.22 Dabei scheinen alle gegeneinander anzugehen, sich beispielsweise als »Produzenten von Sprachblasen«23 zu bezeichnen, was sie nicht im geringsten davon abhält, knapp zehn Seiten später ein geradezu bestes

19.

20. 21.

22.

23.

München: Fink, 2001 (Das Problempotential der Nachkriegsavantgarden; Bd. 3), S. 379-393. Vgl. Laurel, Brenda: Computers as Theatre. Reading, Mass.: Addison-Wesley, 1993. (OV: 1991) – Vgl. Matussek, Peter: Computer als Gedächtnistheater. In: Darsow, Götz-Lothar (Hrsg.): Metamorphosen. Gedächtnismedien im Computerzeitalter. Frommann-holzboog, 2000 (= ästhetik 1), S. 81-100: S. 84. Laurel, Brenda: Computers as Theatre, a.a.O., S. 20, vgl. ebd., S. 28. Beispielsweise Leeker, Martina (Hrsg.): Maschinen, Medien, Performances, a.a.O. Darin findet sich ein Aufsatz von Kerstin Evert und Christoph Rodatz, die Fragen der Telepräsenz in Arbeiten Cunninghams und Stelarcs nutzen, um daran zwei eigene Produktionen (Join Medusa und Cyberstaging Parsifal) zu diskutieren. Vgl. dies.: Tele-Präsenz: Theater als Hyperraum. In: Leeker, Martina (Hrsg.): Maschinen, Medien, Performances, a.a.O., S. 112-125. – Meyer, Petra Maria: Theaterwissenschaft als Medienwissenschaft. In: Forum Modernes Theater. Bd. 12/2 (1997), S. 115-131. U.v.a. Bei Norbert Bolz beispielsweise kann die Tendenz beobachtet werden, Medien zu personalisieren, ohne dabei jedoch zu berücksichtigen, dass diese von Menschen gestaltet werden, was ihn dazu verleitet, die theoretische Perspektive der Wissenschaftler auf diese neuen Phänomene den Gegenständen selbst zuzuschreiben. »Bei der Evolution neuer Medien ist immer zu beobachten, daß sie sich zunächst an älteren Medien orientieren, bevor sie sich am Maßstab der eigenen Möglichkeiten messen.« Bolz, Norbert: Am Ende der Gutenberg-Galaxis. Die neuen Kommunikationsverhältnisse. München: Fink, 1993, S. 111. Rötzer, Florian: Ästhetische Herausforderungen von Cyberspace. In: Huber, Jörg/ Müller, Alois Martin (Hrsg.): Raum und Verfahren. Interventionen. Basel: Stroemfeld/Roter Stern, 1993 (= Interventionen; Bd. 2), S. 29-42: S. 29. »Es geht ja um Ästhetisierung, also etwa um Bilder.« Ebd., S. 38. 18

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1. EINLEITUNG

Beispiel hierfür abzugeben. Solche Argumentationen liefern dann die Basis für schlichtweg haltlose Thesen und eine Rhetorik der PseudoWissenschaftlichkeit.24 Im Sinne Dietmar Kampers, »Widerlegung als kleinkarierte Art geistiger Bewegung«25 zu verstehen, werden solche Thesen im Weiteren nicht diskutiert werden.

Zum Forschungsstand textbasierter Internet Performances Bei allen Kategorien von Internet Performances fällt auf, wie häufig Künstler und Produzenten selbst über ihre eigenen Produktionen reflektiert haben und diese Arbeiten damit erst einer weiteren Öffentlichkeit bekannt gemacht haben.26 Hierbei liegt der Fokus oft auf der Dokumentation der Produktionen. Übergreifende Arbeiten wurden ausschließlich im Bereich der textbasierten Internet Performances geschrieben. Hier sind insbesondere zwei deutschsprachige Abschlussarbeiten hervorzuheben, die von Monika Wunderer und Andreas Horbelt verfasst wurden. Wunderer, die ihre Diplomarbeit bereits im April 1997 schrieb, thematisierte neben den Hamnet Players und MOO Theatre (u.a. mit NetSeduction und MetaMOOphosis) auch The Renaissance Man, eine telematische Internet Performance von Matthew Saunders.27

24. Beispielsweise: »Unter Bedingungen der neuen Medien und Computertechnologien hat das sprechende Sein, das man Mensch nennt, Abschied genommen von einer Welt, die durch Repräsentationen geordnet war – und das heißt eben auch: Abschied genommen von einem Denken, das sich selbst als Repräsentation der Außenwelt verstand.« Bolz, Norbert: Die Welt als Chaos und Simulation. München: Fink, 1992, S. 130. 25. Kamper, Dietmar: Originalzitat im Rahmen eines Vortrags zum Thema »Die Geschossbahn der Frage: Was ist der Mensch? Michel Foucaults Lektüre der pragmatischen Anthropologie Immanuel Kants« gehalten am 7. Februar 2001 an der HfG in Karlsruhe. 26. Für textbasierte Internet Performances beispielsweise LaFarge, Antoinette: A World Exhilarating And Wrong: Theatrical Improvisation on the Internet. In: Leonardo Vol. 28, No. 5 (1995), S. 415-422. Oder Jenik, Adriene: Desktop Theater. Keyboard Catharsis and the Masking of Roundheads. In: The Drama Review 45,3 (T171) Fall 2001, S. 95-112, für telematische Internet Performances Knott, Laura: World Wide Simultaneous Dance: Dancing the Connection between ›Cyberplace‹ and the Global Landscape. In: Leonardo, Vol. 34, No. 1 (2001), S. 11-16. Oder Kac, Eduardo: Telepresence Art. In: Kriesche, Richard (Hrsg.): Teleskulptur. Graz: Kulturdata, 1993, S. 48-72. Oder: http://www.ekac.org/Telepresence.art_94.html (Zugriff am 25.02.2002) 27. Vgl. Wunderer, Monika: Die virtuellen Bretter der Welt. Theater in Public Space. Diplomarbeit, Universität Wien, 1997. – Zu den Gruppennamen und den ausgewählten Produktionen vgl. Kap. 3.3 bis 3.6. 19

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Wunderer stellte Informationen zu den Produktionen zusammen und diskutierte Aspekte der Verschriftlichung theatraler Interaktion, der Rollenverteilung sowie der Implementierung einer textbasierten Internet Performance. Horbelt schrieb seine Magisterarbeit 2001 zum Thema Theater und Theatralität im Internet.28 Dabei behandelte er ausschließlich textbasierte Produktionen (inklusive MOO Theatre im ATHEMOO, den Plaintext Players und Desktop Theater) und legte hierbei seinen Schwerpunkt auf die Hamnet Players und ihre Hamnet-Produktion. Er griff eine bereits früher formulierte These von Burk auf: »The theatricality of these objects distinguishes the environment from the literal enactment of daily life and establishes them as the stage set upon which the players interact and the play, as such, occurs.«29 Obwohl Horbelt die Theatralitätsdebatte als historische bezeichnete,30 diskutierte er die Frage, inwieweit der Begriff der Theatralität auf synchrone, computergestützte Kommunikation angewendet werden kann, inwieweit also das Internet als theatrales Medium aufgefasst werden kann. Horbelt vergleicht die textbasierten Internet Performances mit Theater unter den Bedingungen der Kopräsenz und stellt die Frage, ob es sich dabei um Theater handelt.31 »Fraglich bleibt aber, ob nicht a) andere Bezugspunkte für die beschriebenen Projekte eine größere Rolle spielen oder b) eine andere Definition von Theater, die solche Projekte ausschließt, angebrachter erscheint.«32 Als solche Bezugspunkte führt er zum einen die Literatur und Wolfgang Isers Formulierung der »Freiheit der Konstruktion«, mit der Iser die Bildhaftigkeit des Lektüreprozesses beschreibt, und zum anderen das Phänomen der Virtuellen Realität an.33 Außer einem von der Gründerin Adriene Jenik selbst verfassten Artikel stammt die bisher einzige externe Auseinandersetzung mit Desktop Theater von Horbelt.34

28. Vgl. Horbelt, Andreas: Theater und Theatralität im Internet, a.a.O. 29. Burk, Juli: The Play’s The Thing. Theatricality and the MOO Environment. In: Haynes, Cynthia/Holmevik, Jan Rune (Hrsg.): High Wired. On the Design, Use, and Theory of Educational MOOs. Ann Arbor: The University of Michigan Press, 1998, S. 232-245: S. 235. 30. Vgl. Horbelt, Andreas: Theater und Theatralität im Internet, a.a.O., S. 13. 31. Vgl. ebd., S. 5, 24. 32. Ebd., S. 93. 33. Vgl. ebd., S. 93. 34. Vgl. Jenik, Adriene: Desktop Theater, a.a.O. – http://www.desktoptheater.org (Zugriff am 01.02.2002) 20

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1. EINLEITUNG

In seinem Band Theatre in Cyberspace versammelte Stephen Schrum zentrale Aufsätze von Produzenten hauptsächlich des MOO Theatre, beispielsweise Deemer, Jake Stevenson, Kenneth Schweller, Sacks, Nina LeNoir und Wunderer.35 Neben einer Einführung in die Entstehungsgeschichte des ATHEMOO von Burk36 finden sich dort auch Darstellungen von Produktionen wie MetaMOOphosis37 sowie Aufsätze zu Fragen der Darstellung in textbasierten Internet Performances.38 Zu den Hamnet Players existieren noch Arbeiten von Brenda Danet et al., die stilistische Aspekte der Hamnet-Produktion, die Logik dieser Produktion, seinen improvisatorischen Charakter39 sowie die Bedeutung des Spielparadigmas behandeln.40 Ragnhild Tronstad ergänzt die Diskussion um die Theatralität von MOO Kommunikation aus der semiotischen Perspektive,41 während Deemer über die von ihm entwickelte Konzeption des Hyperdramas reflektiert, die er u.a. auch im ATHEMOO erprobte.42

35. Vgl. Schrum, Stephen (Hrsg.): Theatre in Cyberspace, a.a.O. 36. Vgl. Burk, Juli: ATHEMOO and the Future Present. In: Schrum, Stephen (Hrsg.): Theatre in Cyberspace, a.a.O., S. 109-134. 37. Vgl. Sacks, Rick: The MetaMOOphosis: A Visit to the Kafka House – A Report on the Permanent Installation of an Interactive Theatre Work Based on Franz Kafka’s Metamorphosis. In: Schrum, Stephen (Hrsg.): Theatre in Cyberspace, a.a.O., S. 159174. 38. Vgl. LeNoir, Nina: Acting in Cyberspace: The Player in the World of Digital Technology. In: Schrum, Stephen (Hrsg.): Theatre in Cyberspace, a.a.O., S. 175-200. 39. Vgl. Danet, Brenda: Curtain Time 20:00 GMT: Experiments with Virtual Theater on Internet Relay Chat. In: Journal of Computer Mediated Communication, 1(2) 1995. http://www.ascusc.org/jcmc/vol1/issue2/contents.html (Zugriff am 26.02.2001) 40. Vgl. Danet, Brenda/Ruedenberg, Lucia/Rosenbaum-Tamari, Yehudit: Hmmm … Where’s that Smoke Coming From? Writing, Play and Performance on Internet Relay Chat. In: Sudweeks, Fay/McLaughlin, Margaret/Rafaeli, Sheizaf (Hrsg.): Network& Netplay. Virtual Groups on the Internet. Cambridge, Mass.: MIT Press, 1998, S. 3776. Über das WWW erreichbar unter: http://www.ascusc.org/jcmc/vol2/issue4/danet. html (Zugriff am 28.01.2002) 41. Vgl. Tronstad, Ragnhild: Semiotic and nonsemiotic MUD performance. http: // www.kinonet.com/conferences/cosign2001/pdfs/Tronstad.pdf (Zugriff am 14.05. 2002) 42. Vgl. Deemer, Charles: The Last Song of Violeta Parra. A Hyperdrama in one Act. http://www.teleport.com/~cdeemer/chile/chile-m.html (Zugriff am 18.01.2000) – Ders.: The New Hyperdrama. How Hypertext Scripts are Changing the Parameters of Dramatic Storytelling. http://www.teleport.com/~cdeemer/new-hyperdrama.html (Zugriff am 18.01.2000) 21

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Zum Forschungsstand telematischer Internet Performances Im Bereich der telematischen Internet Performances gibt es bisher keine eigenständige Monographie. Viele der Aufsätze wurden von den Künstlern selbst geschrieben, meist als Dokumentation der eigenen Forschungen.43 Die Performances von Stelarc tauchen als Referenzpunkt in zahlreichen Aufsätzen auf und waren bereits Gegenstand eigener Monographien, die jedoch nicht seine telematischen Arbeiten fokussierten.44 Auch zu den Produktionen von Paul Sermon finden sich zahlreiche Beschreibungen und einige interpretative Ansätze.45 Eine Ausnahme stellt die Dissertation von Kerstin Evert dar. Sie fragt nach den Auswirkungen verschiedener Technologien auf die choreographische Inszenierung des Körpers und gibt in diesem Kontext einen Ausblick auf Produktionen im Bereich des Web Dance, ohne dass diese jedoch im Zentrum ihres Erkenntnisinteresses stünden.46 Im Rahmen ihrer Fragestellung thematisiert sie auch Internet Performances von Stelarc und befragt sie neben ihrer choreographischen Konzeption auf das Verhältnis von Körperkonzept und -bild hin.47

1.3 Methodisches Vorgehen Internet Performances sind in einem kulturellen Kontext angesiedelt, der rein disziplinäre Perspektiven von vorne herein als aussichtslos erscheinen lässt. Mit Marvin Carlson, der sich vehement gegen ein Be-

43. Vgl. Kac, Eduardo: Ornitorrinco and Rara Avis. In: Leonardo Vol. 29, No. 5(1996) S. 389-400. (with a technical appendix by Ed Bennett) oder seine Aufsätze unter http://www.ekac.org – Knott, Laura: World Wide Simultaneous Dance, a.a.O. – Naugle, Lisa: Digital Dancing. In: IEEE Multimedia. Oct.-Dec. (1998), S. 8-12. Vgl. Kap. 6.1.6. – Ansonsten existieren noch Rezensionen beispielsweise zu Produktionen von Sarah Morrison, Isabelle Jenniches, Gob Squad (vgl. Kap. 3.6) sowie ein Überblick über die New Yorker Szene von Jessica Chalmers: The Screens. All the World’s a Cyber Stage: The State of Online Theater. In: Village Voice 2.-8.12.1998. 44. Z.B. Paffrath, James D. (Hrsg.): Stelarc: Obsolete Body. Davis: J.P. Pabus Publications, 1984. 45. Beispielsweise Kozel, Susan: Spacemaking: Experiences of a Virtual Body. In: Carter, Alexandra (Hrsg.): The Routledge Dance Studies Reader. London: Routledge, 1998, S. 81-88. Und: Birringer, Johannes: Media&Performance. Along the Border. Baltimore: The Johns Hopkins University, 1998, S. 122-126. 46. Vgl. Evert, Kerstin: DanceLab. Zeitgenössischer Tanz und Neue Technologien. Würzburg: Königshausen&Neumann, 2003 (= Zugl. Berlin, Univ. Diss., 2001), S. 33-38, 237, 242f. 47. Vgl. ebd., S. 191-236. 22

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1. EINLEITUNG

harren auf Disziplinarität ausspricht, das oftmals doch nur die eigene Disziplin (wohl auch wissenschaftspolitisch) abgrenzen und stabilisieren soll, wäre nach Forschungsstrategien zu fragen, die es ermöglichen, die produktivsten Fragestellungen an ein Projekt zu stellen. »Moreover, this freedom in the choice of subject matter needs to be matched with a similar freedom in methodology.«48 Allein die Frage, »whether a tool seems promising to develop interesting new insights«49 ist hierbei entscheidend.50 Die kulturwissenschaftliche bzw. -geschichtliche Perspektive erlaubt es, Internet Performances als eines der jüngsten Kapitel der Performance Art und in diesem Sinne auch als Teil einer zukünftigen Theater- und Kulturgeschichte zu diskutieren. Die Kulturwissenschaft befasst sich mit Kultur als Objekt und Rahmen ihres Faches; sie begreift Kultur als die Bedingung menschlichen Lebens. Die Kulturwissenschaft ist »selbstreflexiv, denn sie bezeichnet ein Verfahren, durch das die kulturellen Praktiken beobachtet, analysiert, interpretiert, verglichen und reflektiert werden.« 51 Die kulturtheoretische Analyse beispielsweise der cultural studies aber auch der Frankfurter Schule ist dabei stets mit einer kulturkritischen und gesellschaftlich-politischen Dimension verbunden, indem »sie die Abhängigkeit kultureller Phänomene von variablen und veränderbaren Bedingungen offenlegt«52 und nach der Funktion von Theater im kulturell-politischen System fragt. Im Zentrum der kulturwissenschaftlichen Perspektive steht ihr Kulturverständnis, jene Kategorie, die sich nach Terry Eagleton »ambivalent zwischen dem Anthropologischen und dem Ästhetischen bewegt«.53 Eagleton geht davon aus,

48. »At a time when the interpenetration of fields has become an accepted fact of intellectual life, it seems both timewasting and futile to spend energy in the defending of disciplinary turf on the protection of the presumed purity of any particular area of academic pursuit.« Carlson, Marvin: Theatre History, Methodology and Distinctive Features. In: Theatre Research International Vol. 20, No. 2 (1999), S. 9096: S. 96. 49. Ebd. 50. Vgl. Winko, Simone: Methode. In: Fricke, Harald (Hrsg.): Reallexikon der deutschen Literaturgeschichte. Bd. 2. Berlin: de Gruyter, 2000, S. 581-585: S. 581, 583. 51. Böhme, Hartmut: Kulturwissenschaft. In: Fricke, Harald (Hrsg.): Reallexikon der deutschen Literaturwissenschaft, Bd. 2, a.a.O., S. 356-359: S. 356. 52. Ebd. 53. Eagleton, Terry: Was ist Kultur? Eine Einführung. München: Beck, 2001. (OV: The Notion of Culture, Oxford 2000) S. 48. 23

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»daß wir im Augenblick zwischen einem entmutigend weiten und einem quälend engen Kulturbegriff gefangen sind und es unser vordringlichstes Ziel auf diesem Gebiet sein muß, über beide hinauszugelangen.«54 Die Herausforderung einer kulturwissenschaftlichen Annäherung an Internet Performances besteht nun darin, den sich im Wandel befindlichen Kulturbegriff zu bestimmen, der sich u.a. in einem ebenfalls gewandelten Verständnis von Theater zeigt. Befragt man kulturelle Ausdrucksformen wie Internet Performances auch auf ihre anthropologische Bedeutung und Funktion hin, so wird die zentrale Position des menschlichen Körpers in seinem »merkwürdigen dualen Status als etwas Universales und zugleich Individuelles«55 (Eagleton) und in der Dialektik von Körper als Repräsentation und »lived experience«56 (Csordas) für den zugrundeliegenden Kulturbegriff deutlich (vgl. Kap. 7.1). Die anthropologische Perspektive wird im Folgenden durch die Philosophische Anthropologie und die Historische Anthropologie vertreten sein. Neben der Frage nach der anthropologischen Funktion von Internet Performances (vgl. Kap. 7.2.1) wird sich die anthropologische Frage vornehmlich als Positionierung gegen technizistische Medientheorien zeigen. Als technizistisch werden hier Ansätze bezeichnet, die ein (medien-)technisches Apriori kultureller Prozesse postulieren57 und die sozialen und gesellschaftlichen Kontexte, aus denen Medien entstehen und in denen sie benutzt werden, ignorieren.58 Entgegen einer Polarisierung soll hier sowohl der Eigendynamik in der Entwicklung neuer Medien als auch ihrer gesellschaftlichen Konstruktion, insbesondere auf der pragmatischen Ebene, Rechnung getragen werden.59

54. Ebd. 55. Ebd., S. 155, vgl. S. 137, 156. 56. Csordas, Thomas: Introduction: The Body as Representation and Being-in-theworld. In: ders. (Hrsg.): Embodiment and Experience. The Existential Ground of Culture and Self. Cambridge: Cambridge University Press, 1994, S. 1-24: S. 10. 57. Beispielsweise bei Bolz, Norbert: Computer als Medium – Einleitung. In: Bolz, Norbert/Kittler, Friedrich/Tholen, Christoph (Hrsg.): Computer als Medium. München: Fink, 1994 (= Literatur- und Medienanalysen: 4), S. 9-16: S. 16. 58. Vgl. Winkler, Hartmut: Die prekäre Rolle der Technik. Technikzentrierte versus ›anthropologische‹ Mediengeschichtsschreibung. In: Heller, Heinz-B./Kraus, Matthias/ Meder, Thomas/Prümm, Karl/Winkler, Hartmut (Hrsg.): Über Bilder sprechen. Positionen und Perspektiven der Medienwissenschaft. Marburg: Schüren, 2000 (= Schriftenreihe der Gesellschaft für Film- und Fernsehwissenschaft [GFF] 8), S. 9-22: S. 12. – Reck, Hans-Ulrich: »Inszenierte Imagination« – Zur Programmatik und Perspektive einer historischen Anthropologie der Medien. In: Müller-Funk, Wolfgang/Reck, Hans-Ulrich (Hrsg.): Inszenierte Imagination, a.a.O., S. 231-244. 59. Mehr als verwunderlich erscheint, dass eine dezidiert technikzentrierte Perspektive 24

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1. EINLEITUNG

Im Sinne der kulturkritischen Perspektive muss innerhalb der medientheoretischen Perspektive auch nach der politischen Dimension gefragt werden. Medientheorie wäre so auch als Theorie der Repräsentation zu verstehen, die die Repräsentationen auf ihre politischen und ideologischen Implikationen hin befragt.60 Innerhalb der medientheoretischen Kooperation soll vor allem medienpragmatisch argumentiert werden. Als Medienverbunde stellen Internet Performances bereits in ihrer spezifischen Konstellation das Ergebnis einer konkreten Anwendung dar, bei der beispielsweise der Einsatz vernetzter Computer sich je nach Gebrauch auf einem Kontinuum zwischen einer instrumentalen, also rein übertragenden, und einer medialen, also auch die Wahrnehmung strukturierenden, Nutzung bewegen kann (vgl. Kap. 4.1). Von daher kann die pragmatische Perspektive bereits als Forderung des Untersuchungsgegenstandes angesehen werden; nur aus der pragmatischen Perspektive heraus können die jeweils spezifischen Verhältnisse bestimmt werden, die Theater und Internet in den verschiedenen Kategorien eingehen. Dieser Ansatz, der den je konkreten Mediengebrauch im Sinne einer »Nutzungsgeschichte«61 fokussiert, kann auf bereits entwickelte medientheoretische Arbeiten zurückgreifen.62 Als Verbindung zwischen der Medien-

auf Neue Medien wie die von Norbert Bolz in das Handbuch Historische Anthropologie aufgenommen wurde. Vgl. Bolz, Norbert: Neue Medien. In: Wulf, Christoph (Hrsg.): Vom Menschen. Handbuch Historische Anthropologie. Weinheim: Beltz, 1997, S. 661-678. 60. Vgl. Mitchell, William J.T.: Picture Theory. Essays on Verbal and Visual Representation. Chicago: University of Chicago Press, 1994, S. 6. – Die Verbindung von Medientheorie und Anthropologie soll jedoch bewusst nicht im Sinne der media anthropology verstanden werden. Diese Bezeichnung kann seit 1969 nachgewiesen werden und verbindet Anthropologie und Journalismus in Form einer angewandten Anthropologie. Mit K. Ludwig Pfeiffer wäre hier vor allem die methodologische Bestimmung über die »Kumulierung der Anthropologien verschiedener Einzelmedien« zu kritisieren. Allen, Susan: A Brief History of Media Anthropology. In: dies. (Hrsg.): Media Anthropology. Informing Global Citizens. Westport: Bergin&Garvey, 1994, S. 1-14: S. 2. – Dies.: What is Media Anthropology? A Personal View and a Suggested Structure. In: ebd., S. 15-32: S. 15. Vgl. Pfeiffer, K. Ludwig: Das Mediale und das Imaginäre. Dimensionen kulturanthropologischer Medientheorie. Frankfurt: Suhrkamp, 1999, S. 56f. 61. Faßler, Manfred/Halbach, Wulf: Vorwort. In: dies. (Hrsg.): Geschichte der Medien. München: Fink, 1998 (= UTB), S. 7-15: S. 13. 62. Vgl. Sandbothe, Mike: Grundpositionen zeitgenössischer Medienphilosophie und die Pragmatisierung unseres Mediengebrauchs im Internet. In: Leeker, Martina (Hrsg.): Maschinen, Medien, Performances, a.a.O., S. 451-470. Sandbothe, Mike: Pragmatische Medientheorie des Internet, a.a.O., S. 183-201. – Auch Hans Belting 25

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und der Wahrnehmungstheorie sollen für die verschiedenen Kategorien von Internet Performances die Produktions- und Rezeptionsseite gleichermaßen betrachtet werden. Im Mittelpunkt steht die Frage, wie sich die Medialität der verschiedenen Aufführungen auf die Wahrnehmung der Teilnehmer, verstanden als medial konstituierte, auswirkt. Da die einzelnen Kategorien von Internet Performances zum einen auf Diskurse und Traditionen anderer (ästhetischer) Ausdrucksformen und deren kultureller Ikonographie referieren und zum anderen in diskursivem Zusammenhang mit anderen Formen der Medienkünste stehen, werden aus ästhetiktheoretischer Perspektive kunstwissenschaftliche Ansätze relevant. Betrachtet man Internet Performances aus einer mediengeschichtlichen Sicht, werden auch bildwissenschaftliche Argumentationen relevant, aus deren Perspektive Körper- und Bildwahrnehmung in direktem Zusammenhang stehen. Eine Kulturgeschichte des Körpers, wie sie in Internet Performances fortgeschrieben wird, impliziert gleichzeitig auch eine Geschichte ihrer Bildlichkeit.63 Indem sich die Arbeit methodisch-theoretisch zwischen Theoriebildung und Kritik bewegt, verfolgt sie ein zweifaches Ziel: Zum einen soll ein methodisch-theoretischer Rahmen entwickelt werden, über den die verschiedenen Kategorien von Internet Performances in ihren zentralen Charakteristika diskutiert werden können. Die theoretische Diskussion zielt dabei immer darauf, die Produktionen ideologiekritisch auf ihre gesellschaftlich-politischen Implikationen, insbesondere Machtstrukturen in der Kommunikation, zu diskutieren. Zum anderen sollen über den methodisch-theoretischen Rahmen auch Kriterien vorgeschlagen werden, die sich zur Beurteilung der Qualität dieser Produktionen anbieten könnten. Internet Performances sind ein ausgesprochen junges Phänomen, dessen beispielsweise als kommunikativ, ästhetisch oder gesellschaftskritisch definierte Qualität einer Diskussion zugänglich gemacht werden muss. Bei einer solchen Unternehmung könnte – zu Recht – der Vorwurf einer subjektiven Beurteilung des Gegenstandes erhoben werden. Dies soll erstens dadurch vermieden werden, dass die Anforderungen an eine Kritik von Internet Performances erst den Abschluss der Arbeit bilden (vgl. Kap. 7.5). Zweitens sollen die Kriterien und ihre Genese offen gelegt werden. So werden Internet Performances beispielsweise nicht als rein oder hauptsächlich ästhetische Phänomene diskutiert. Ihre ästhetiktheoreti-

und Gernot Böhme plädieren dafür, aus der anthropologischen Perspektive heraus die konkrete Verwendung von Bildern zu untersuchen. Vgl. Belting, Hans: Bild-Anthropologie. Entwürfe für eine Bildwissenschaft. München: Fink, 2000, S. 14. – Böhme, Gernot: Theorie des Bildes. München: Fink, 1999, S. 10, 133. 63. Vgl. Belting, Hans: Bild-Anthropologie, a.a.O., S. 23. 26

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1. EINLEITUNG

sche Betrachtung stellt eine Möglichkeit innerhalb einer Vielzahl weiterer und ebenfalls kontingenter Perspektiven dar. Da sich Internet Performances jedoch innerhalb eines dominant technischen Umfeldes bewegen, wird eine Positionierung innerhalb der Ambivalenz, die vom Technischen ausgeht, unumgänglich. Mit dieser doppelten Zielsetzung stellt die Arbeit letztlich auch zur Diskussion, ob die als sich ausschließend gesetzten Methoden der ideologiekritischen cultural studies britischer Provenienz und der philosophisch orientierten Ästhetiktheorie nicht in ausgewählten Fragestellungen und für bestimmte Untersuchungsgegenstände kombiniert werden können. Letztlich können die ästhetischen Systeme, die Vertreter der cultural studies als theoretischen Referenzpunkt ablehnen, auch als organisierte und kontingente Symbolsysteme verstanden werden, die ideologiekritisch betrachtet werden können. Was jedoch nicht im Fokus dieser Untersuchungen stehen soll, ist die Frage, auf Basis welcher Definition Internet Performances als Theater akzeptiert werden könnten. Traditionelle Definitionen bestimmen Theater als den »Zeitort der klassischen Öffentlichkeit«64 und sind oftmals mit einem Plädoyer zur Verteidigung sowohl der körperlichen Präsenz der Darsteller als Grundlage einer als ›energetisch‹ verstandenen Kommunikation zwischen Darstellern und Publikum als auch der kollektiven Rezeptionssituation in einem öffentlich zugänglichen Gebäude verbunden. So betrachtet Werner Faulstich das raumzeitlich präsente Publikum als Medienspezifik des Theaters.65 Nach diesem Verständnis definiert neben anderen Anne Ubersfeld Theater als »un espace où ces êtres vivants sont présents«.66 Auch Lehmann versteht »Präsenz in der Kommunikation« als »unabdingbare Kopräsenz«,67 und Erika Fischer-Lichte setzt die »physische Präsenz der

64. Kluge, Alexander: Zitiert nach: Heinze, Thomas: Medienanalyse. Ansätze zur Kultur- und Gesellschaftskritik. Opladen: Westdeutscher Verlag, 1990, S. 128. 65. Vgl. Faulstich, Werner: Spiel, Bildung, Macht, Profit. Über die gesellschaftlichen Interessen an den Medien und ihren Wissenschaften. In: Bohn, Rainer (Hrsg.): Ansichten einer künftigen Medienwissenschaft. Berlin: Ed. Sigma Bohn, 1988 (= Sigma Medienwissenschaft; Bd. 1), S. 223-237: S. 225. 66. Ubersfeld, Anne: Lire le Théâtre. Paris: Éditions Sociales, 1978, S. 152. 67. Lehmann, Hans-Thies: TheaterGeister/MedienBilder. In: Schade, Sigrid/Tholen, Georg Christoph (Hrsg.): Konfigurationen. Zwischen Kunst und Medien. München: Fink, 1999, S. 137-145: S. 140. Oder: »Präsenz und Spiel der Darsteller, Präsenz und Rolle des Publikums, die reale Dauer und Situierung der Aufführungszeit, das schiere Faktum der Versammlung in einem für die Dauer der Aufführung gemeinsamen Zeit-Raum des Theaters – all die waren immer gegebene, aber als solche implizit bleibende Voraussetzungen von Theater.« Ders.: Zeitstrukturen/Zeitskultpuren. 27

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Menschen« als die »conditio sine qua non«68 für Theater: »In theatre, production and reception are concurrent processes: while the physically present actors execute certain actions and present signs, the physically present spectators react directly by receiving the actions in one way or another and interpreting the signs in whatever way they choose. The performance is always realized in this sense as a process of faceto-face interaction between actors and spectators.«69 Diese Position soll im Folgenden als ›das traditionelle Verständnis von Theater‹, als ›Theater unter den Bedingungen physischer Kopräsenz‹ verstanden werden. Doch genauso wie auch Lehmann die Bedeutung der mentalen Präsenz der Darsteller im Bewusstsein der Zuschauer hervorhebt – »Die berühmte Präsenz des Schauspielers […] ist überhaupt nicht wesentlich im Faktum der sinnlichen Wahrnehmung in raumzeitlicher Körperlichkeit allein verankert, sondern ebenso – und das ist entscheidend – in der mentalen Gewißheit, im Wissen und im Bewußtsein der Anwesenheit. Erst diese mentale Präsenz, nicht schon die sinnliche wahrgenommene, macht die Schauspieler zum entscheidenden Motiv der theatralen Kommunikation.«70 – treffen auch die Faktoren, die nach Fischer-Lichte den Begriff des Performativen definieren,71 auf Internet Performances zu, in denen »Körper als die Bedingung der Möglichkeit des Theaters«72 auf eine spezifische Weise inszeniert werden. Im Unterschied zu Experimenten »mit Anfang und Ende als schließenden Rahmen der Theaterfiktion«73 scheint die Auflösung der physischen Kopräsenz weitaus

68.

69.

70. 71.

72. 73.

Zu einigen Theaterformen am Ende des 20. Jahrhunderts. In: Theaterschrift 12/97, S. 28-46: S. 34. Fischer-Lichte, Erika: Die Verklärung des Körpers. Theater im Medienzeitalter. In: dies.: Die Entdeckung des Zuschauers. Paradigmenwechsel auf dem Theater des 20. Jahrhunderts. Tübingen: Francke, 1997, S. 205-220: S. 207. Dies.: The Aesthetics of Disruption. German Theatre in the Age of the Media. In: dies.: The Show and the Gaze of Theatre: A European Perspective. Iowa: University of Iowa Press, 1997 (= Studies in Theatre History and Culture), S. 91-112: S. 95. Lehmann, Hans-Thies: TheaterGeister/MedienBilder, a.a.O., S. 140. Als solche nennt Fischer-Lichte »eine spezifische Art der Raumwahrnehmung, ein besonderes Körperempfinden, eine bestimmte Form von Zeiterlebnis sowie eine neue Wertigkeit von Materialien und Gegenständen«. Fischer-Lichte, Erika: Auf dem Wege zu einer performativen Kultur. In: dies./Kolesch, Doris (Hrsg.): Kulturen des Performativen. Paragrana Bd. 7, Heft 1 (1998), S. 13-29: S. 22. Ebd. – Die These vom ›Verschwinden des Körpers‹ im Kontext neuer Medien erweist sich dabei als unzulässige Verkürzung (vgl. Kap. 6.4.1). Lehmann, Hans-Thies: Postdramatisches Theater, a.a.O., S. 327. 28

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1. EINLEITUNG

schwieriger aufgenommen zu werden.74 Dass Internet Performances durch die Auflösung der physischen Kopräsenz mit einem über Kulturen und Epochen reichenden Parameter der Theatergeschichte brechen, steht außer Frage. Dass sie dennoch zentrale Strukturen, Prozesse und Materialien verschiedener Theaterformen in die verschiedenen Dienste des Internets einführen, steht seinerseits wiederum außer Frage. Indem sie mit einer der großen Traditionen des Theaters brechen, stehen Internet Performances wiederum in einer Traditionslinie des Theaters. Und so soll im Folgenden die Frage im Vordergrund stehen, was eine Aufführung im Kontext des Internets konstituiert; also nicht die ontologisch argumentierende Frage: Was ist Theater?, sondern: Woran erkennt man Theater (im Kontext des Internets)? Und an dieser Stelle seien die Worte von Jens Roselts ausgeborgt, der so treffend bemerkt hat: »Das Harakiri des Theaters ist sein lustvollster Auftritt – seine aufregendste Performance.«75 Obwohl auch er auf der »Präsenz von Darstellern und Zuschauern«76 beharrt, geht für ihn das Theater weiter, auch wenn seine Konventionen zerstört werden. Die Frage, ob das Theater (noch) sei, könne inzwischen als »Gütesiegel der Avantgarde«77 begriffen werden, so Roselt.

74. Lehmann berichtet beispielsweise von Experimenten Karlheinz Stockhausens und Robert Wilsons mit der zeitlichen Rahmung von Theater; vgl. ebd. 75. Roselt, Jens: »Kulturen des Performativen« als Denkfigur zur Analyse von Theater und Kultur im ausgehenden 20. Jahrhundert. In: Leeker, Martina (Hrsg.): Maschinen, Medien, Performances, a.a.O., S. 623-637: S. 637. 76. Ebd. 77. Ebd., S. 636. 29

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2. KULTURGESCHICHTLICHE KONVERGENZEN

2. Kulturgeschichtliche Konvergenzen Wie Fischer-Lichte unterstrichen hat, beruht jede theatertheoretische Argumentation neben einem spezifischen Konzept von Theater und Performance auch auf einem spezifischen Forschungsinteresse, das die Perspektive und Methodik der Arbeit bestimmt.1 Neben diesen theoretischen Prämissen wird unsere Wahrnehmung von Internet Performances jedoch auch von spezifischen Traditionslinien beeinflusst. Insbesondere seit der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts können eine Reihe kulturgeschichtlicher Konvergenzen zwischen Entwicklungen der Kunst- bzw. Theatergeschichte sowie der Technologie- und Wissenschaftsgeschichte festgestellt werden. Die Reflexion dieser komplexen historischen Entstehungsbedingungen von Internet Performances stellt die Basis dar, auf der aufbauend eine theoretische Diskussion dieser Produktionen geführt werden kann, die neben den Parametern ihrer subjektiven Konstruktion, also ihrem Verständnis von Theater und Performance, auch das ihr zugrundeliegende spezifische Forschungsinteresse offen legt. Erst durch diese kulturgeschichtliche Einordnung wird eine qualitative Beurteilung des Verhältnisses möglich, das Theater und Internet in den einzelnen Produktionen eingehen und das auf seine Aussagefähigkeit für das Verhältnis von Kultur und Technologie im Übergang zum 21. Jahrhundert überprüft werden soll. Die kulturgeschichtliche Verortung des Untersuchungsgegenstandes Internet Performances geht im Folgenden von zwei Beobachtungen aus: erstens einer Beobachtung auf der Ebene der theoretischen Auseinandersetzung und zweitens auf der Ebene der künstlerischen Praxis. Auf der theoretischen Ebene ist bemerkenswert, wie auffallend häufig medienwissenschaftlich orientierte Autoren den Begriff der Konvergenz einsetzen, um Kunstwerke im Bereich der Neuen Medien zu diskutieren, ohne jedoch seine wissenschaftstheoretische Grundlage zu thematisieren. Da der Begriff der Konvergenz sich in besonderer Weise eignet, um Entwicklungen und Konstellationen im Be-

1. Vgl. Fischer-Lichte, Erika: Theatre Historiography and Performance Analysis. Different Fields, Common Approaches? In: dies.: The Show and the Gaze of Theatre, a.a.O., S. 338-352: S. 343f. 31

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reich der Neuen Medien im Allgemeinen und hinsichtlich der Begegnung von Theater und Internet in Internet Performances im Besonderen zu diskutieren, stellt die wissenschaftstheoretische Diskussion dieses Begriffs die Grundlage der folgenden Argumentation dar (vgl. Kap. 2.1). Neben dieser Tendenz auf Seiten der Theorie fällt auf der Ebene der konkreten künstlerischen Praxis eine zweite Entwicklung auf. Hier können die verschiedenen Kategorien von Internet Performances nicht mehr eindeutig tradierten Gattungen zugeordnet werden. Sie fordern zu einer Reflexion kulturell und historisch kontingenter Kategorisierungen auf, insbesondere der seit der Renaissance gültigen Vorstellung, Kunstformen getrennt zu betrachten. Betrachtet man Internet Performances als Konvergenz kulturgeschichtlicher Einflüsse, wird die interdisziplinäre Perspektive zwingend (vgl. Kap. 2.3). Beeinflusst von technologiegeschichtlichen Entwicklungen (vgl. Kap. 2.3.1) nehmen diese Produktionen in ihren Konzeptionen, Strukturen und Prozessen Bezug auf unterschiedliche Traditionen der Theater- und Kunstgeschichte (vgl. Kap. 2.3.2). Diese Traditionen und daraus entstandene Kategorisierungen der Wissenschaftsgeschichte, beispielsweise in der Gattungstheorie oder in essentialistischen Bestimmungen von Theater, beeinflussen die oftmals unreflektierten wissenschaftstheoretischen Grundlagen, mit denen aktuelle Phänomene der ›Medienkünste‹ untersucht werden (vgl. Kap. 2.3.3).

2.1 Wissenschaftstheoretische Bestimmung des Konvergenz-Begriffs Auffallend häufig und in verschiedenen Kontexten verwenden Autoren den Begriff der Konvergenz. Scott de Lahunta beispielsweise betitelt einen seiner Aufsätze »Sampling … Convergences between Dance and Technology.«2 Während dieser Aufsatz einen ausgezeichneten Überblick zu Tanzprojekten gibt, die neue Technologien einsetzen, verwendet de Lahunta den Begriff der Konvergenz, ohne ihn weiter zu thematisieren. Seine Beispiele decken dabei ein enormes Spektrum an Produktionen ab. So nennt er beispielsweise mit Stephan Koplowitz’ Performance Webbed Feats, in der das Internet ausschließlich vor und nach der eigentlichen Aufführung eingesetzt wurde, eine Produktion also, die nicht den hier angelegten Kriterien einer Internet Perfor-

2. de Lahunta, Scott: Sampling… Convergences between Dance and Technology. http: //art.net/dtz/scott2.html (Zugriff am 08.03.2000) – So trägt auch das Journal of Research into New Media Technologies den Haupttitel Convergences. Vgl. http://www. luton.ac.uk/Convergence/ (Zugriff am 26.02.2003) 32

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2. KULTURGESCHICHTLICHE KONVERGENZEN

mance entspricht,3 als auch Amanda Steggells Internet Performance M@ggie’s Love Bytes, in der sie Videokonferenztechnologien im WWW während der Aufführung verwendete.4 Entschließt man sich jedoch, das Verhältnis von Tanz/Performance und Technologie(n) allein für diese beiden so unterschiedlichen Produktionen unter dem Begriff der Konvergenz zusammenzufassen, so verliert er sein analytisches Potential. Ähnliches gilt sowohl für Jeffrey Shaw, der in dem Sammelband Art@Science die Konvergenz zwischen Kunst, Wissenschaft und Technologie zu befragen sucht, ohne dass seine Argumentation das Verhältnis dieser drei Felder explizit über den Begriff der Konvergenz bestimmen könnte,5 als auch für Timothy Druckrey, der die Konvergenz zwischen Technologie und Fiktion untersucht und als These formuliert: »As representation and technology converge, a crisis emerges.«6 So präzisierte de Lahunta in einer späteren Veröffentlichung, die Annäherung von Tanz und Computer ließe sich am angemessensten als eine periodische oder episodische Entwicklung charakterisieren.7 Hier differenziert er auch verschiedene Bedeutungen von Konvergenz und Themen für eine Annäherung von Tanz und Technologie.8 Ihm und vielen anderen Autoren gemeinsam ist die Verwendung des Begriffs zur Verhältnisbestimmung zwischen mindestens zwei Faktoren oder Größen. So differenziert beispielsweise George Landow weitere Möglichkeiten der Verhältnisbestimmung mit seiner als Frage formulierten Überschrift »Cause or Convergence, Influence or Confluence?«, ohne die Differenzen der Begriffe zu definieren.9 Gerade hinsichtlich convergence (›Annäherung‹) und confluence (›Zusammenlaufen‹) wäre eine Differenzierung äußerst aufschlussreich.

3. Vgl. http://www.webbedfeats.org (Zugriff am 25.02.2001) 4. Vgl. http://www.notam.uio.no/~amandajs/mainpage.html (Zugriff am 25.02.2001) 5. Vgl. Shaw, Jeffrey: Convergence of Art, Science and Technology? In: Sommerer, Christa/Mignonneau, Laurent (Hrsg.): Art@Science. Wien 1998, S. 162-166. 6. Druckrey, Timothy: Introduction. In: Bender, Gretchen/Druckrey, Timothy (Hrsg.): Culture on the Brink. Ideologies of Technologies. Dia Center for the Arts: Seattle, 1994, S. 1-12. – Vgl. auch Howard Rheingold, der den Begriff in Bezug auf die Entstehung des Internets verwendet: Rheingold, Howard: Visionaries and Convergences: The Accidential History of the Net. In: ders.: The Virtual Community. Homesteading on the Electronic Frontier. Reading, Mass.: Addison-Wesley, 1993, S. 65-109. 7. Vgl. de Lahunta, Scott: Periodische Konvergenzen: Tanz und Computer. In: Dinkla, Söke/Leeker, Martina (Hrsg.): Tanz und Technologie. Auf dem Weg zu medialen Inszenierungen. Berlin: Alexander, 2002, S. 66-87: S. 67. 8. Vgl. ebd., S. 81. 9. Vgl. Landow, George: Hypertext. The Convergence of Contemporary Critical Theory and Technology. Baltimore: The Johns Hopkins University Press, 1992, S. 27. Vgl. Kap. 4.1.2. 33

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Ähnlich geht Steven Chaffee vor, der neben einer Konvergenz die Möglichkeiten des Wettbewerbs beziehungsweise der Rivalität und Komplementarität in Betracht zieht.10 Etymologisch stammt konvergieren vom spätlateinischen convergere, was mit sich zueinander neigen oder sich hinneigen übersetzt werden kann.11 Kann man ›Annäherung‹ nach dem Oxford Dictionary als Übersetzung für convergence in der alltagssprachlichen Verwendung akzeptieren, so muss der Ausdruck spezifiziert beziehungsweise kontextualisiert werden, um als wissenschaftstheoretischer Begriff innerhalb einer kulturgeschichtlich und medientheoretisch orientierten Perspektive qualitativ eingesetzt werden zu können. Für kulturwissenschaftliche Zusammenhänge sind besonders zwei Bedeutungsdimensionen des Begriffs relevant: Konvergenz im Sinne eines Treffens zweier Faktoren oder Größen in einem Punkt (bei möglicherweise anschließendem erneutem Auseinandergehen) ohne Auswirkungen auf die beiden Faktoren oder Größen und Konvergenz im Sinne des englischen Begriffs confluence als Zusammenfließen zweier Faktoren oder Größen, durch das etwas Neues entsteht, das die beiden Faktoren oder Größen verändert. Die reine Konstatierung einer Konvergenz, ohne qualitativ zu erklären, welche Form von Zusammenspiel von beispielsweise Theater und Internet vorliegt, bliebe irrelevant.12 Eine solche exakte Verhältnisbestimmung zwischen theatralen und technologischen Faktoren, Strukturen und Prozessen wird erst auf der Ebene einzelner Internet Performances möglich. Sie dient als Grundlage, um übergreifende Aussagen zum Verhältnis von Kultur und Technologie treffen zu können. Die kulturgeschichtlichen Konvergenzen, auf denen die verschiedenen Kategorien von Internet Performances beruhen, verstanden sowohl als einmalige Begegnung als auch als Entstehen neuer kultureller Formen, sollen im Folgenden aufgezeigt werden.

10. Vgl. Chaffee, Steven: Mass Media and Interpersonal Channels: Competitive, Convergent, or Complementary? In: Gumpert, Gary/Cathcart, Robert (Hrsg.): Intermedia. Interpersonal Communication in a Media World. New York: Oxford University Press, 19863, S. 62-80. 11. Vgl. Barnhart, Robert (Hrsg.): The Barnhart Dictionary of Etymology. New York: The H.W. Wilson Company, 1988, S. 216. 12. In verschiedenen Bereichen und Disziplinen meint Konvergenz das Treffen mehrerer Faktoren, beispielsweise von Elektronenstrahlen in einer Bildröhre oder bezeichnet wie in der Meereskunde die Stromgrenze, an der Oberflächenströmungen zusammenkommen. Diese präzise Bestimmung fehlt innerhalb der Kulturwissenschaften. Vgl. Konvergenz. In: Der große Brockhaus in zwölf Bänden. Bd. 6. JASLAO. Wiesbaden: Brockhaus, 1979. (18. Auflage) S. 430. 34

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2. KULTURGESCHICHTLICHE KONVERGENZEN

2.2 Internet Performances als Konvergenz kulturgeschichtlicher Einflüsse Betrachtet man in einer kulturhistorischen Betrachtung die Entwicklung von Internet Performances und berücksichtigt gleichzeitig interdisziplinäre Zusammenhänge, kann folgende These formuliert werden: In Internet Performances konvergieren Entwicklungen auf drei Ebenen, erstens der Ebene der Technologiegeschichte, zweitens der Ebene der Theater- beziehungsweise Kunstgeschichte und drittens der Ebene der Wissenschaftsgeschichte. Die Trennung dieser drei Ebenen ist dabei als heuristisch anzusehen. Die folgende Argumentation erhebt keinen monographischen Anspruch. Vielmehr liegt der Fokus auf den Schnittstellen zwischen den Ebenen und der Frage, wie sich diese Schnittstellen auf die Produktion und Rezeption von Internet Performances auswirken.

2.2.1 Ebene der Technologiegeschichte Die technologischen Innovationen, die besonders in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts entstanden, bilden zum einen die materielle Basis für die Entstehung von Internet Performances. Ein Verständnis ihrer Entstehungskontexte und ihrer Funktionsweisen ist unerlässlich, um ihre Verwendung im ästhetischen Kontext erfassen zu können. Dies gilt vor allem, wenn sich das Forschungsinteresse auf die Relation zwischen eingesetzter Technologie und der spezifischen Bedeutungskonstitution in den Aufführungen richtet. In diesem Zusammenhang sollen Technologien einerseits als kulturelle Produkte begriffen und andererseits in ihren Auswirkungen auf die Gesellschaft untersucht werden. Wie alle historisch orientierten Disziplinen steht auch die Historiographie der Technologie im allgemeinen und der Netzwerk-Technologien im Besonderen vor dem methodologischen Problem der auszuwählenden Perspektive. Manuel Castells charakterisiert die Entstehung des Internets als »unique blending of military strategy, big science cooperation, technological entrepreneurship, and countercultural innovation«,13 das qualitative und logisch nicht nachvollziehbare Sprünge aufweist.14 James Gillies und Robert Cailliau vom Schweizer Forschungszentrum CERN15 weisen auf folgenden Zusammenhang hin:

13. Castells, Manuel: The Information Age. Economy, Society and Culture. Vol. 1. The Rise of the Network Society. Oxford: Blackwell, 22000, S. 45. 14. Vgl. Weber, Stefan: Medien-Systeme-Netze. Elemente einer Theorie der CyberNetzwerke. Bielefeld: transcript, 2001, S. 34. 15. Die Abkürzung CERN steht für Conseil Européen pour la Recherche Nucléaire. 35

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»The development of the Internet and the World Wide Web involved scores of people over several decades. There are probably as many histories of the Internet as there are people involved.«16 Aufgrund dieser komplexen Kooperation verschiedenster Personen und Strukturen erscheint es gerechtfertigt, Michael Friedewalds Vorschlag einer pragmatisch orientierten Historiographie des Computers, einer »Geschichte der Computernutzung«,17 zu folgen, die sich gerade für Grenzbereiche zwischen Technologie und Kunst/Theater anbietet. Seit der »mikroelektronischen Wende« wurde der Computer zum »potentiellen Integrator aller vorherigen Medien«18 und gleichzeitig in sie integrierbar. Die Möglichkeit digitaler Konvergenz legt hierfür die Grundlage. Als solche wird die Kompatibilität digitalisierter Informationen mit verschiedenen Medien bezeichnet.19 Die technologiegeschichtlichen Entwicklungen, die zur Konvergenz mit theater-/ kunst- und wissenschaftsgeschichtlichen Entwicklungen in Internet Performances führen, betreffen vor allem uns sehr vertraute Produkte, allen voran den Personal Computer beziehungsweise Mac und ihre Vernetzung im Internet.20 Die Infrastruktur des Internets mit seinen verschiedenen Diensten stellt dabei die wichtigste Komponente und seinerseits selbst eine Konvergenz von Computer und Telekommunikationstechnologien dar.21 Sie wurde durch die weltpolitische Lage

16. Gillies, James/Cailliau, Robert: How the Web was Born. The Story of the World Wide Web. Oxford: Oxford University Press, 2000, S. vi. 17. Friedewald, Michael: Der Computer als Werkzeug und Medium. Die geistigen und technischen Wurzeln des Personal Computers. Berlin: Diepholz, 1999 (= Aachener Beiträge zur Wissenschafts- und Technikgeschichte des 20. Jahrhunderts; Bd. 3), S. 25. 18. Coy, Wolfgang: Aus der Vorgeschichte des Mediums Computer. In: Bolz, Norbert/ Kittler, Friedrich/Tholen, Christoph (Hrsg): Computer als Medium, a.a.O., S. 30. 19. Vgl. Negroponte, Nicholas: Total Digital. Die Welt zwischen 0 und 1. Die Zukunft der Kommunikation. München: Bertelsmann, 1995, S. 72. – Dieser Konvergenzprozess war Anlass zur Gründung des MIT Media Lab. Vgl. Brand, Stewart: The Media Lab: Inventing the Future at MIT. New York: Viking 1987. Rowohlt, 1990, S. 9. 20. Der Begriff des Personal Computer wurde durch die Einführung des Computers IBM-XT 1983 geprägt. Vgl. Kammer, Manfred: Geschichte der Digitalmedien. In: Schanze, Helmut (Hrsg.): Handbuch der Mediengeschichte, a.a.O., S. 519-554: S. 519. – Zur Vorgeschichte des Computers vgl. ebd., S. 520-531. Und: Heintz, Bettina: Die Herrschaft der Regel. Zur Grundlagengeschichte des Computers. Frankfurt: Campus, 1993. (Zugl.: Zürich, Univ., Diss., 1991/92) und Künzel, Werner/Bexte, Peter: Allwissen und Absturz. Der Ursprung des Computers. Frankfurt: Insel, 1993. 21. Vgl. Manovich, Lev: The Language of New Media. Cambridge: MIT Press, 2001, S. 20. 36

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und eine besondere Strukturierung der Forschungslandschaft geprägt.22 Die Geschichte dieser Forschungen ist zum einen direkt an die USamerikanische Militärforschung gebunden, an das ARPA-Projekt (Advanced Research Project Agency), das im Januar 1958 von Präsident Eisenhower beantragt wurde, sowie eine seiner wichtigsten Agenturen, das IPTO (Information Processing Techniques Office), und zum anderen an die internationalen politischen Rahmenbedingungen während der Zeit des Kalten Krieges.23 Paul Baran von der Rand Corporation wurde in den Jahren 1960 bis 1964 beauftragt, ein Kommunikationssystem zu entwickeln, das auch im Falle eines Nuklearangriffs funktionierte. So veröffentlichte Baran 1964 einen Aufsatz, in dem er das Prinzip des packet-switching als elementarer Funktionsweise des Internets einführte.24 Das ARPANET als Vorform des Internets ging am 1. September 1969 online und verband zu diesem Zeitpunkt vier US-amerikanische Universitäten als Knotenpunkte miteinander.25 Nachdem das ARPANET abhängig nach der Nutzungsform in die Teilnetze MILNET, CSNET und BITNET aufgeteilt worden war, wurde es am 28. Februar 1990 geschlossen. Es war technologisch obsolet geworden. Die Struktur dieser Forschungslandschaft charakterisiert Castells als »a networked millieu of innovation.«26 Entscheidend dabei war das Zusammenspiel zwischen Institutionen wie dem Defense Department und der National Science Foundation, Universitäten wie dem MIT, der University of Stanford u.a. sowie technologischen think-tanks wie beispielsweise dem MIT Lincoln Laboratory und der Rand Corporation, aber vor allem den in diesen Institutionen tätigen Pionieren. Als Beispiele für solche Personen mit Schlüsselfunktionen sollen hier neben dem bereits erwähnten Paul Baran noch folgende Personen genannt sein: Vannevar Bush, der mit seinem 1945 veröffentlichten Artikel As

22. Vgl. Hauben, Ronda: Die Entstehung des Internet und die Rolle der Regierung. In: Maresch, Rudolf/Rötzer, Florian (Hrsg.): Cyberhypes. Möglichkeiten und Grenzen des Internet. Frankfurt: Suhrkamp, 2001, S. 27-52. Und: Ahlert, Christian: The Party is Over. Vom sich selbst regierenden Internet zu globalen Wahlen für den Cyberspace. Ein paar Wahrheiten über das Netz. In: Maresch, Rudolf/Rötzer, Florian (Hrsg.): Cyberhypes, a.a.O., S. 138-154. 23. Vgl. Hafner, Katie/Lyon, Matthew: Arpa Kadabra oder die Geschichte des Internet. Heidelberg: dpunkt-Verlag, 22000, S. 25f., 105. – Die ARPA startete nach Hafner/ Lyon mit einer finanziellen Erstausstattung von 520 Mio. US$ und einem Jahresetat von 2 Mio.US$, das kurze Zeit später auf 250 Mio.US$ gesteigert wurde, bis es 1969 wieder gekürzt wurde. 24. Vgl. Gillies, James/Cailliau, Robert: How the Web was Born, a.a.O., S. 313. – Für die zentralen Datierungen im Folgenden vgl. ebd., Timeline, S. 310-321. 25. Vgl. Castells, Manuel: The Information Age. Vol. 1, a.a.O., S. 45. 26. Ebd., S. 48. 37

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We May Think und der Idee des Wissenssystems Memex, aus dem sich schließlich das Hypertext-System entwickelte, Forschungsgeschichte schrieb;27 Ivan Sutherland, der 1963 in seiner Dissertation das Sketchpad-System als erste interaktive Computergraphik entwarf;28 Doug Englebart, der 1968 in seinem Augmentation Reserach Center die Maus erfand;29 und Vinton Cerf, der gemeinsam mit Danny Cohen 1978 die TCP/IP-Protokolle entwickelte, die 1980 zum Standard erklärt wurden.30 Zu dieser Zeit war bereits eine »computer counterculture«31 entstanden, in der Studenten wie beispielsweise Ward Christensen und Randy Suess 1978 angeblich allein deshalb, weil ihnen der Chicagoer Winter für Fußwege zu kalt war, das Modem erfanden.32 Nach Söke Dinkla können in der Mentalität der Computer-Subkultur und ihrer Opposition gegenüber der als Konkurrenz empfundenen Position von Technologie und (Massen-)Medien Parallelen zu zeitgleichen Bewegungen innerhalb der Kunstgeschichte aufgezeigt werden (vgl. Kap. 2.3.2).33 Viele einzelne Stationen auf dem Weg zur heutigen Struktur des Internets wären es noch wert, angeführt zu werden.34 Von entschei-

27. Vgl. Bush, Vannevar: As We May Think. In: The Atlantic Monthly Vol. 176, No. 1 (July 1945) S. 101-108. 28. Vgl. Baecker, Ronald/Buxton, William (Hrsg.): Readings in Human-Computer Interaction: A Multisidisciplinary Approach. San Mateo: Morgan Kauffmann Publishers, 1987, S. 44. – Vgl. Dinkla, Söke: Pioniere Interaktiver Kunst. Ostfildern: Cantz, 1997 (= Edition ZKM) (Zugl.: Hamburg, Univ., Diss., 1995), S. 58. 29. Vgl. http://sloan.stanford.edu/mousesite/1968Demo.html (Zugriff am 09. 10.2002) 30. Vgl. http://www.ieee.org/organizations/history_center/comsoc/chapter4.html (Zugriff am 07.10.2002) – Zur Definition des Internets über das TCP/IP-Protokoll vgl. http://www.rfc-editor.org oder http://www.ietf.org/rfc.html (Zugriff am 11.10.2002) 31. Castells, Manuel: The Information Age. Vol. 1, a.a.O., S. 49. – Mandel/van der Leun unterscheiden drei verschieden geprägte Kulturen des ARPANET das Militär, Wissenschaftler und Freaks. Vgl. Mandel, Thomas/van der Leun, Gerard: Barmherzig untechnische Einführung. In: Bollmann, Stefan/Heibach, Christine (Hrsg.): Kursbuch Internet. Anschlüsse an Wirtschaft und Politik, Wissenschaft und Kultur. Mannheim: Bollmann, 1996, S. 13-28: S. 13. 32. Vgl. Castells, Manuel: The Information Age. Vol. 1, a.a.O., S. 49. – So berichten auch Hafner/Lyon von unerlaubten Alleingängen einzelner Forscher beispielsweise im Bereich der computergestützten Choreographie. Stephen Lukasik, von 1971 bis 1975 Leiter der ARPA, soll bei einem seiner Rundgänge einen Ordner mit Berichten gefunden haben, wie mittels Computergraphik menschliche Bewegungen dargestellt werden könnten. Vgl.: Hafner, Katie/Lyon, Matthew: Arpa Kadabra, a.a.O., S. 228. 33. Vgl. Dinkla, Söke: Pioniere Interaktiver Kunst, a.a.O., S. 54. 34. Beispielsweise Joseph Licklider vom Lincoln Lab, der bereits 1960 in seinem Artikel 38

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2. KULTURGESCHICHTLICHE KONVERGENZEN

dendster Bedeutung waren jedoch die Arbeiten von Tim Berners-Lee und Robert Cailliau am CERN. Hier entwickelten die beiden seit 1989 das WWW. Berners-Lee charakterisiert die Forschungen, die zur Entwicklung des Internets in seiner heutigen Form geführt haben, als »Anlagerungsprozeß«, nicht als »lineare Lösung wohldefinierter Probleme.«35 Er begreift das Web eher als gesellschaftliches denn technisches Produkt.36 In diesem Sinne schreibt er ihm grenzenloses Potential zu und formuliert fast utopische Ansprüche (vgl. Kap. 7.1.1). Das WWW lief erstmals am Weihnachtstag 1990 auf den Computern von Berners-Lee und Caillau, die über den Server info.cern.ch verbunden waren. Darauf folgten die Entwicklung von HTML, HTTP und das System der URLs, womit das Internet erstmals einer breiten Öffentlichkeit zugänglich wurde.37 Marc Andreessen entwickelte 1992 Mosaic, den ersten Browser, bevor er in der neu gegründeten Firma Netscape den ersten stabilen Browser namens Netscape Navigator entwickelte, der ab Oktober 1994 im Umlauf war.38 Waren die im WWW zur Verfügung gestellten Informationen anfänglich auf Texte und Graphiken beschränkt, konnte das Angebot rasch um Töne und bewegte Bilder ergänzt werden. Dieser Prozeß wird auch als »Multimedialisierung des Netzes«39 bezeichnet. Konnten die textbasierten Produktionen der Hamnet Players und MOO Theatre bereits vor der Einführung des WWW realisiert werden, so sind die telematischen Internet Performances direkt an die Möglichkeit, multimediale Inhalte ins WWW integrieren zu können, gebunden. Shaw bezeichnet die net_condition nicht nur als ›contingency and predicament‹ unserer Gesellschaft, sondern betont auch die Folgen dieser Disposition: »It has made our screens into lattices that hide and expose the terrains of newly formed intelligent information spaces. The often trivial technological convergences that are being heralded here are just the tip of a much more interesting iceberg – the synaesthetic

35.

36. 37. 38. 39.

Man-Computer Symbiosis die »Orientierung der Computertechnologie an den Bedürfnissen ihrer Nutzer« forderte. Vgl. Kammer, Manfred: Geschichte der Digitalmedien, a.a.O., S. 531. Vgl. ebenfalls: Waldrop, M. Mitchell: The Dream Machine. J.C.R. Licklider and the Revolution That Made Computing Personal. New York: Viking, 2001. Berners-Lee, Tim: Der Web-Report. Der Schöpfer des World Wide Webs über das grenzenlose Potential des Internet. München: Econ, 1999. (OV: Waeving the Web. San Francisco: Harper, 1999) S. 14. Vgl. ebd., S. 181. Vgl. ebd., S. 55. – Vgl. Kammer, Manfred: Geschichte der Digitalmedien, a.a.O., S. 519, 537. Vgl. Castells, Manuel: The Information Age. Vol. 1, a.a.O., S. 51. Kammer, Manfred: Geschichte der Digitalmedien, a.a.O., S. 547, 519. 39

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convergence of all our modalities of perception in the conjuncted space time of morphed real, surrogate and virtual formations.«40 Die technologischen Innovationen – mag man sie auch nicht als trivial bezeichnen – bilden die materielle Grundlage für kunst- und theatergeschichtliche Entwicklungen, die in direktem Zusammenhang mit der Entstehung von Internet Performances gesehen werden müssen.

2.2.2 Ebene der Theater- und Kunstgeschichte Internet Performances sind in zentralen Parametern von theater- und kunstgeschichtlichen Entwicklungen beeinflusst, die gerade in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts in einem engen Verhältnis gegenseitiger Inspiration und Kooperation standen. Dies betrifft sowohl die konkrete künstlerische Praxis als auch die theoretische Auseinandersetzung verschiedener Disziplinen mit diesen Entwicklungen. Die folgende Argumentation geht von den theoretischen Parametern aus, die für Internet Performances von Bedeutung sind, um sie dann an historischen Beispielen zu konkretisieren. Der Fokus liegt hierbei auf der Schnittstelle zwischen Theater, Kunst und Technologie. Im Zentrum des gewandelten Verständnisses von Kunst steht der Werkbegriff und das Verhältnis des Werkes zum Rezipienten. Dinkla führt neben der »Pluralität der künstlerischen Ansätze« die Veränderungen des »auktorialen Künstlerbegriffs« und des »traditionell finiten Werkcharakters«41 an. Lineare narrative Strukturen und die Vorstellung von kohärenten Figuren verlieren ebenso wie der statische Bildbegriff an Bedeutung. Der »Wandel in der Rolle des Rezipienten«42 dreht sich um die Interaktion zwischen Publikum, Künstler und Werk, also um die Aktivierung des Publikums, die über den rein imaginierenden Akt hinaus reicht und die Benutzer auch physisch teilnehmen lässt. Die »Option der Zuschauerbeteiligung«43 soll den Rezipienten aufwerten, ihn als Material integrieren oder als unvorbereiteten Besucher zum Handelnden werden lassen.44 All diese Versuche zielen darauf, die »Kluft zwischen Massenpublikum und Kunstpublikum«,45 letztlich den Abstand zwischen Kunst und Leben, zu verringern. Im Zuge dieser Entwicklungen zeigt sich auch die Tendenz zu

40. Shaw, Jeffrey: Radical Software. In: Weibel, Peter/Druckrey, Timothy (Hrsg.): net_ condition. Art and Global Media. Boston: MIT, 2001, S. 172-174: S. 174. 41. Dinkla, Söke: Pioniere Interaktiver Kunst, a.a.O., S. 7, 12. 42. Ebd., S. 12. 43. Ebd., S. 25. 44. Ebd., S. 27, 29, 40. 45. Ebd., S. 25. 40

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2. KULTURGESCHICHTLICHE KONVERGENZEN

semantischer Ambiguität, die mit Veränderungen in der Wahrnehmung von Kunstwerken korrespondiert. In der »Durchbrechung habitualisierter Wahrnehmungsformen«46 wird der Akt des Sehens als kreativer Prozeß verstanden;47 Wahrnehmung wird in ihrer interpretativen Dimension begriffen, der Wahrnehmungsprozeß radikal subjektiviert.48 Getragen werden diese Bestrebungen durch das Ideal von kulturellen Ausdrucksformen, die sich jenseits etablierter Gattungen, Kategorien und Institutionen (u.a. auch der Galerie) bewegen. Aus der bereits von den Futuristen und Suprematisten vertretenen Vorstellung, Raum und Zeit mittels Technologien überwinden zu können,49 entwickelte sich ein neues Wahrnehmungsdispositiv, dessen Kennzeichen Beschleunigung, Entmaterialisierung und Vernetzung sind; Stichworte, die letztlich bis zu Baudelaires Bestimmung »La modernité, c’est le transitoire, le fugitif, le contingent« zurückreichen. Die Temporalität und Ephemeralität50 der Kunstformen betonend wenden sich die Künstler gegen die Kommerzialisierung ihrer Arbeiten.51 Es sind drei historische Felder – Happenings, Intermedia und Fluxus – in denen sich diese Parameter in herausragender Weise manifestierten. Allan Kaprow gilt als Kopf der Happening-Bewegung, in der sich hauptsächlich Maler und Bildhauer versammelten, um ihre »Kritik an etablierten Kunstinstitutionen«52 zu äußern. Er stellte strenge Regeln auf, was er als Happening gelten lassen wollte und was er ausschloss.53 Happenings waren für Kaprow moralische Handlungen, »a

46. Schröter, Jens: Intermedialität. http://www.theorie-der-medien.de/JD/texte/Intermedia/intermedia.htm (Zugriff am 25.02.2002) Ohne Seitenangabe. 47. Vgl. Fischer-Lichte, Erika: Probleme der Aufführungsanalyse. In: dies.: Ästhetische Erfahrung: Das Semiotische und das Performative. Tübingen: Francke, 2001, S. 233265: S. 235f. 48. Vgl. Schröter, Jens: Intermedialität, a.a.O. Ohne Seitenangabe. 49. Vgl. Baumgärtel, Tilman: [net.art]. Materialien zur Netzkunst. Nürnberg: Verlag für moderne Kunst, 1999, S. 11f. 50. Zur kunsttheoretischen Diskussion des Begriffs des Ephemeren vgl. Krausse, Joachim: Ephemer. In: Barck, Karlheinz (Hrsg.): Ästhetische Grundbegriffe: Historisches Wörterbuch in sieben Bänden. Bd. 2. Stuttgart: Metzler, 2001, S. 240-260, insbesondere S. 241, 244. 51. Vgl. Rush, Michael: New Media in Late 20th Century Art. New York: Thames&Hudson, 1999, S. 12. 52. Dinkla, Söke: Pioniere Interaktiver Kunst, a.a.O., S. 42. 53. Vgl. Kaprow, Allan: The Happenings are Dead: Long live the Happenings! (1966). In: ders. (Edited by Jeff Kelley): Essays on the Blurring of Art and Life. Berkeley: University of California Press, 1993, S. 59-65, besonders S. 62-64. Vgl. ebenfalls ders.: Just Doing. In: TDR 41,3(T155) (Fall 1997), S. 101-106. 41

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human stand of great urgency.«54 Während Claes Oldenburg sie als »method of using objects in motion«55 charakterisiert, verwendet die Fachliteratur häufig Michael Kirbys Definition, Happenings als »purposefully composed form of theatre in which diverse alogical elements, including nonmatrixed performing, are organized in a compartmented structure« 56 zu bestimmen. Obwohl der Begriff Intermedia bereits 1812 bei Samuel Tylor Coleridge nachgewiesen kann,57 geht seine Verwendung in der Kunst der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts auf Dick Higgins und das Jahr 1966 zurück.58 Higgins bemerkte erst später, dass Coleridge den Begriff bereits verwendet hatte.59 Mit Intermedia bezeichnet Higgins Arbeiten, in denen die einzelnen Medien nicht mehr getrennt wahrgenommen werden können und grenzt ihn so vom Begriff der mixed media ab.60 Eng verbunden mit utopischen Gesellschaftsvorstellungen ist das Happening primäre Erscheinungsform des Gedankens der Intermedia. »[T]he happening developed as an intermedium, an uncharted land that lies between collage, music and the theater.«61

54. Ders.: Happenings in the New York Scene (1961). In: ders. (Edited by Jeff Kelley): Essays on the Blurring of Art and Life, a.a.O., S. 15-26: S. 21. – Zur Erläuterung der verwendeten Begriffe in der Definition vgl. ebd., S. 13. 55. Oldenburg, Claes: Ohne Titel. In: Kirby, Michael (Hrsg.): Happenings. An Anthology. New York: Dutton, 1965, S. 200-288: S. 200. 56. Kirby, Michael: Introduction. In: ders. (Hrsg.): Happenings, a.a.O., S. 9-42: S. 21. – Für Foto-Dokumentationen vgl. Kultermann, Udo: Art-Events and Happenings. London: Mathews Miller Dunbar, 1971. 57. Vgl. Müller, Jürgen: Intermedialität als poetologisches und medientheoretisches Konzept. Einige Reflexionen zu dessen Geschichte. In: Helbig, Jörg (Hrsg.): Intermedialität. Theorie und Praxis eines interdisziplinären Forschungsgebiets. Berlin: Schmidt, 1998, S. 31-40: S. 31. 58. Vgl. Higgins, Dick: Horizons. The Poetics and Theory of Intermedia. Carbondale: Southern Illinois University Press, 1984. (OV: the something else newsletter. Vol.1, No. 1 [Februar 1966]). Ohne Seitenangabe. 59. Vgl. Kostelanetz, Richard: Intermedia (1966). In: ders.: Dictionary of the AvantGardes. Chicago: a cappella books, 1993, S. 108. – Vgl. Dinkla, Söke: Pioniere Interaktiver Kunst, a.a.O., S. 40ff. 60. Vgl. Higgins, Dick: Horizons, a.a.O., S. 24. 61. Ebd., S. 22. – Vgl. ebenfalls Frank, Peter: Intermedia. Die Verschmelzung der Künste. Bern: Benteli, 1987. – Zur Abgrenzung gegenüber den historischen Inter42

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2. KULTURGESCHICHTLICHE KONVERGENZEN

Der Gedanke der Intermedia breitete sich beispielsweise durch Elaine Summer und ihre ab 1968 in New York gehaltenen Workshops und das 1968 von Hans Breder an der Iowa University gegründete erste Intermedia Arts Program aus. Wird der Gedanke der Intermedia später im Diskurs des Hybriden aufgegriffen, wo er in metaphorischer Verwendung das Zusammenkommen ursprünglich getrennter Einheiten beziehungsweise Strukturen meint (vgl. Kap. 4.1.2),62 greift zuerst noch die Fluxus-Bewegung auf den Gedanken der Intermedia zurück. Fluxus war zuerst der Name einer Zeitschrift, bevor er zum Namen der Bewegung wurde,63 die geprägt durch eine ambivalente Haltung gegenüber dem Modernismus sich weniger als eine ästhetische, denn vielmehr soziale Bewegung verstand.64 George Macunias nimmt in ihr als führender Kopf eine mit Kaprow für das Happening vergleichbare Stellung ein. Nach Ken Friedman sind für die Fluxus Performance der späten 50er Jahre einzig Flexibilität und Offenheit als definierende Kriterien möglich.65 An anderer Stelle nennt er jedoch u.a. die Einheit von Kunst und Leben, Intermedia, Experimentalismus, Zufall, Verspieltheit, Einfachheit und Musikalität als Kriterien der Fluxus-Bewegung.66 Ebenso wie die Happenings wurde auch die Fluxus-Bewegung extrem schnell theoretisiert und historisiert.67 Die Option auf Beteiligung der Rezipienten versuchte unter Rückgriff auf das Diktum der Avantgarde, jeder sei ein Künstler, die Differenz zwischen Kunst und Leben aufzuheben. Im Zuge der techno-

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medien vgl. von Wilpert, Gero: Intermezzo. In: ders.: Sachwörterbuch der Literatur. Stuttgart: Kröner, 1989, S. 415. Vgl. Schneider, Irmela: Von der Vielsprachigkeit zur ›Kunst der Hybridation‹. Diskurse des Hybriden. In: dies./Thomsen, Christian (Hrsg.): Hybridkultur: Medien, Netze, Künste. Köln: Wienand, 1997, S. 13-66: S. 13. Vgl. Kellein, Thomas: I make jokes! Fluxus aus der Sicht des ›Chairman‹ George Macunias. In: ders. (Hrsg.): Fluxus. Basel: Edition Hansjörg Mayer, 1994, S. 7-26: S. 10. Vgl. Saper, Craig: Fluxus as Laboratory. In: Friedman, Ken (Hrsg.): The Fluxus Reader. West Sussex: Academy Editions, 1998, S. 136-151: S. 137. Vgl. Friedman, Ken: Fluxus Performance. In: Battcock, Gregory/Nickas, Robert (Hrsg.): The Art of Performance. A Critical Anthology. New York: E.P. Dutoon, 1984, S. 56-70. Vgl. Friedman, Ken: Die Geburt des Fluxus, a.a.O., S. 3. Vgl. Stiles, Kristin: Tuna and Other Fishy Thoughts on Fluxus Events. In: Lauf, Cornelia/Hapgood, Susan (Hrsg.): Flux Attitudes. Gent: Hallwalls Contemporary Art Center, 1991, S. 25-33: S. 30. – Letztlich führte diese rasche Theoretisierung zu einer z.T. mythisierenden Betrachtung in der Forschung. 43

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logischen Innovationen bildete sich jetzt ein neuer Topos aus: Die Technologie tritt als dritter Faktor in das Verhältnis von Kunst und Leben.68 Durch den Faktor Technologie wandelt sich letztlich auch das Verhältnis von Kunst und Wissenschaft, die seit dem beginnenden Modernismus als Dualismus im Sinne »[A]rt invented, science discovered.«69 betrachtet wurden. Betont wurde hier die Differenz ihrer Produkte, nicht die Analogien wissenschaftlicher und ästhetischer Methoden.70 Um eine Aufhebung des »current chasm between technology and art«,71 wie es Myron Krueger, selbst einer der Pioniere an der Schnittstelle zwischen Technologie und Kunst, 1983 formulierte, bemühten sich bereits seit dem Beginn des 20. Jahrhunderts u.a. die Futuristen, die Konstruktivisten und das Dessauer Bauhaus.72 Kunst und Technik »durch die Avantgarde der sechziger Jahre als Einheit prophezeit, fusionieren wie selbstverständlich, als handele es sich um einen evolutionären Prozeß«,73 so Kai-Uwe Hemken,74 der die »Anleihen der Künste bei den Naturwissenschaften, bei der Technikinnovation« als Beispiele eines »Strebens nach der Relevanz der Künste im Zuge gesellschaftlicher Entwicklungen«75 interpretiert. Damit tritt der Typus des an einer wissenschaftlichen Institution beschäftigten Künstlers auf, der seine eigenen

68. Vgl. Goldberg, RoseLee: Performance Art. From Futurism to the Present. New York: Thames&Hudson, 20013, S. 138. 69. Jones, Caroline/Galison, Peter: Picturing Science, Producing Art. Introduction. In: dies. (Hrsg.): Picturing Science, Producing Art. New York: Routledge, 1998, S. 1-23: S. 2. 70. Vgl. ebd., S. 1f. – Zum Verhältnis von Kunst und Wissenschaft vgl. weiterhin: Sommerer, Christa/Mignonneau (Hrsg.): Art@Science, a.a.O. 71. Krueger, Myron: Artificial Reality II. Reading: Addison-Wesley, 21991, (OV: 1983), S. xii. 72. Vgl. Goldberg, RoseLee: Performance Art, a.a.O., S. 11-120. 73. Hemken, Kai-Uwe: Die kategorische Interaktion. Von Sehnsüchten der Teilhabe und Mythen der Interesselosigkeit. In: ders. (Hrsg.): Bilder in Bewegung. Traditionen digitaler Ästhetik. Köln: DuMont, 2000, S. 53-76: S. 54. 74. Damit wird die Kunstgeschichte wieder an die Technik- beziehungsweise Industriegeschichte zurückgebunden, die, wie Klaus Mainzer feststellt, seit »der Web-, Bauund Goldschmiedekunst der Antike über die Künstler-Wissenschaftler der Renaissance wie Dürer und da Vinci bis zum Bauhaus der Moderne« verbunden war. Vgl. Mainzer, Klaus: Computer- Neue Flügel des Geistes? Die Evolution computergestützter Technik, Wissenschaft, Kultur und Philosophie. Berlin: de Gruyter, 1994, S. 554. 75. Hemken, Kai-Uwe: Die kategorische Interaktion, a.a.O., S. 56. 44

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2. KULTURGESCHICHTLICHE KONVERGENZEN

Arbeiten zeitgleich zur künstlerischen Produktion theoretisch reflektiert oder der in seiner künstlerischen Praxis bereits durch aktuelle theoretische Tendenzen beeinflusst wurde (vgl. Kap. 2.3.3, 6.4.1).76 Zwei Beispiele dieser Kooperation zwischen Kunst, Technologie und Wissenschaft – die Cyborg Art und der Diskurs des Post-Humanen – sollen im Folgenden vorgestellt werden. Für beide können Einflüsse auf die Konzeption von Internet Performances nachgewiesen werden. Die Cyborg Art wurde durch Norbert Wieners populäre Darstellung der Kybernetik initiiert und versucht, einen Dialog zwischen Technik und Umwelt herzustellen.77 Innerhalb der kulturwissenschaftlichen Diskussion wurde der Cyborg durch Donna Haraways Publikation »Simians, Cyborgs, and Women: The Reinvention of Nature«78 bekannt. Der Begriff des Cyborg bezeichnet einen kybernetischen Organismus, eine sich selbst regulierende Maschine, die einem Menschen ähnelt. »It is in effect a human-machine hybrid in which the machine parts become replacements, which are integrated or act as supplements to the organism to enhance the body’s power potential.«79 Ansätze der Cyborg Art finden sich in den Internet Performances von Stelarc, der eine Fusion von Körper und Maschine anstrebt (vgl. Kap. 6.3.3). Innerhalb der Tradition der Kybernetik sind es insbesondere junge Disziplinen, die ein neues Verständnis von Subjektivität und Identität entstehen lassen. Dies betrifft vor allem die Kognitionswissenschaften, die Künstliche Intelligenz-Forschung und die Robotik, wie Katherine Hayles nachweist.80 Hayles bezeichnet dieses neue Modell von Subjektivität als posthuman, eine Subjektivität »constituted by the crossing of the materiality of informatics with the immateriality of in-

76. Michael Rush führt Sergej Eisenstein als Paradigma des technologischen Künstlers an. Vgl. Rush, Michael: New Media, a.a.O., S. 18. 77. Der Begriff der Kybernetik entstand 1947. Vgl. Wiener, Norbert: Kybernetik. Regelung und Nachrichtenübertragung in Lebewesen und Maschinen. Reinbek: Rowohlt, 1968. (OV: 1948) – Vgl. Dinkla, Söke: Pioniere Interaktiver Kunst, a.a.O., S. 30-33. 78. Haraway, Donna: Simians, Cyborgs, and Women: The Reinvention of Nature. New York: Routledge, 1991. 79. Featherstone, Mike/Burrows, Roger: Cultures of Techological Emodiment: An Introduction In: dies. (Hrsg.): Cyberspace/Cyberbodies/Cyberpunk. Cultures of Technological Embodiment. London: Sage, 1995, S. 1-19: S. 2. 80. Vgl. Hayles, N. Katherine: How We Became Posthuman: Virtual Bodies in Cybernetics, Literature, and Informatics. Chicago: University of Chicago Press, 1999, S. 4. 45

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formation«,81 die sie gegen die Vorstellung des »liberalist human subject«82 positioniert. »[T]he posthuman’s collective heterogeneous quality implies a distributed cognition located in disparate parts that may be in only tenuous communication with one another.«83 Aus dem Begriff einer distribuierten Kognition entwickelt sie die Vorstellung eines »distributed cognitive system«, »a cybernetic circuit that splices your will, desire, and perception into a distributed cognitive system in which represented bodies are joined with enacted bodies through mutating and flexible machine interfaces.«84 Auf dieses Modell einer distribuierten Kognition greifen telematische Internet Performances in ihrer szenographischen Struktur und anthropologischen Funktion zurück (vgl. Kap. 6.3, 7.2.2). Geradezu paradigmatische Bedeutung kann einer Bewegung zugesprochen werden, die sich Experiments in Art & Technology (EAT) nannte und 1967 in New York gegründet wurde.85 Die an ihr beteiligten Künstler und Ingenieure vertraten ebenfalls die »Auffassung, dass eine Kunst, die moderne Technologien ausklammert, an sozialer Relevanz verliert«86 (vgl. Kap. 7.1.2). Zentrale Personen in dieser Kooperationen waren der Ingenieur Billy Klüver,87 der u.a. für die Bell Laboratories arbeitete, und Robert Rauschenberg. Neben weiteren Gebieten, u.a. der Videokunst,88 sind die (Tele-)Kommunikationskünste, in denen der kommunikative Prozeß wichtiger als das Resultat angesehen wurde, für Internet Performances von besonderer Bedeutung.89 Dieses

81. 82. 83. 84. 85. 86. 87.

88.

89.

Ebd., S. 193. Ebd., S. 4. Ebd., S. 4f. Ebd., S. xiv. Vgl. Dinkla, Söke: Pioniere Interaktiver Kunst, a.a.O., S. 33-36. Und: Goldberg, RoseLee: Performance Art, a.a.O., S. 134-138. Ebd., S. 34. Vgl. Miller, Paul: The Engineer as Catalyst: Billy Klüver on Working with Artists. In: IEEE Spectrum July 1998, S. 20-29. – Vgl. ebenfalls ders.: Technology for Art’s Sake, a.a.O., S. 30-37. Vgl. Hall, Doug/Fifer, Jo (Hrsg.): Illuminating Video. An Essential Guide to Video Art. New York: Aperture Foundation, 1990. Und: Hanhardt, John: Dé-collage/Collage: Notes Toward a Reexamination of the Origina of Video Art. In: Hall, Doug/Fifer, Jo (Hrsg.): Illuminating Video, a.a.O., S. 71-79. Vgl. die Verwendung des Begriffs Telekommunikationskünste bei Baumgärtel, Til46

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2. KULTURGESCHICHTLICHE KONVERGENZEN

Gebiet reichte von der Mail Art, die Strukturen für die Interaktion zwischen Personen verschiedener Kulturen bereitstellte, bis hin zu den ersten telematischen Performances über Satelliten (vgl. Kap. 3.5).90 Der Einsatz des Computers und der Telekommunikationstechnologien veränderte nicht nur das Verhältnis zwischen Kunst und Wissenschaft, sondern auch das Verhältnis zwischen live performances und Aufführungen, die mediatisierte Komponenten enthalten.91 Die Einsatzgebiete des Computers reichen von stereoskopischen Projektionen, Computer-Holographien über interaktive Installationen bis hin zur computergestützten Choreographie.92 Indem sich die Bewertung des Computers für die Kunst wandelt, beginnt sich eine digitale Ästhetik zu entwickeln. Mit der Elektra-Ausstellung 1983/84 in Paris und der Ars Electronica 1984 setzen sich die Begriffe der digitalen Kunst und des digitalen Bildes durch.93 Als traditionsreichstes Medien-Kunst-Festival Europas94 wandelt die Ars Electronica 1995 die Kategorie Computergraphik in Netzkunst um, was Lev Manovich als Signal für »a new stage in the evolution of modern culture and media«95 bewertet. Der Neologismus ›Netzkunst‹ wird von seinen Vertretern bewusst als ironische Instrumentalisierung aufgefasst.96 Selbst in der Tradition

90. 91. 92. 93.

94. 95.

96.

man: Net.Art. On the History of Artistic Work with Telecommunications Media. In: Weibel, Peter/Druckrey, Timothy (Hrsg.): net_condition, a.a.O., S. 152-161: S. 153. Vgl. Held, John: Mail Art: An Annotated Bibliography. London: The Scarecrow Press, 1991. Vgl. Auslander, Philip: Presence and Resistance, a.a.O., S. 169. Vgl. Noll, A. Michael: The Beginnings of Computer Art in the United States: A Memoir. In: Leonardo, Vol.27, No.1(1994), S. 39-44. Vgl. Claus, Jürgen: ChippppKunst, a.a.O., S. 26. – Vgl. zur Elektra-Ausstellung Popper, Frank: Künstlerische Bilder und die Technowissenschaft. In: Rötzer, Florian (Hrsg.): Kunstforum International. Ästhetik des Immateriellen. Bd. 97 (Nov./Dez. 1988), S. 97-109. Vgl. Schwarz, Hans-Peter: Medien-Kunst-Geschichte. Medienmuseum ZKM. München: Prestel, 1997, S. 37. Manovich, Lev: The Language of New Media, a.a.O., S. 4. – Das Guggenheim Museum in New York z.B. präsentiert erst 1998 das erste Netzkunst-Projekt. Vgl. Rush, Michael: New Media in Late 20th Century Art, a.a.O., S. 193. Vgl. Baumgärtel, Tilman: Net.Art. On the History of Artistic Work with Telecommunications Media, a.a.O., S. 158. – Angeblich entstand der Begriff Net.Art nur zufällig, indem er als zufällige Zeichenkombination J8~g#|\;Net. Art{-^s1 in einer Mail gefunden wurde, die nicht konvertiert worden war. Vgl. Arns, Inke: »Unformatierter ASCII-Text sieht ziemlich gut aus« – Die Geburt der Netzkunst aus dem Geiste des Unfalls. In: Wulffen, Thomas (Hrsg.): Kunstforum International. Der gerissene Faden. Nichtlineare Techniken der Kunst. Bd. 155 (Juni/Juli 2001), S. 236-241: S. 236. 47

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des 20. Jahrhunderts stehend, setzt sich die Netzkunst mit den genuinen Eigenschaften des Internets auseinander und hinterfragt die Konventionen und Protokolle des Netzes.97 All diese Entwicklungen wirken an der Entstehung eines neues Kunst-, Theater- und letztlich auch Kulturbegriffs mit, auf den die Wissenschaftstheorie ihrerseits mit gewandelten Paradigmen und methodisch-theoretischen Ansätzen reagiert.

2.2.3 Ebene der Wissenschaftsgeschichte Wandlungen im Verständnis von Kunst, Theater und Kultur wirken sich auch auf das Selbstverständnis der Theaterwissenschaft als Kommunikations-, Kunst- und Kulturwissenschaft aus. Bei der ›Umrüstung‹ der traditionellen Geisteswissenschaften auf eine solchermaßen kulturwissenschaftliche Perspektive spielen nach Aleida Assmann die Medien eine ›Hauptrolle‹.98 Die medienwissenschaftliche Orientierung der Theaterwissenschaft richtet sich dabei gegen die von den Sozialwissenschaften vertretene rein empirisch orientierte Beschäftigung mit den Massenmedien und betont die »Gestaltung von Stoffen und Inhalten sowie die Ästhetik im weitesten Sinne«99 (vgl. Kap. 4.1). Wurden

97. Vgl. Baumgärtel, Tilman: [net.art], a.a.O., S. 6, 14. – Zur Geschichte der Netzkunst und ihrer theoretischen Auseinandersetzung vgl. http://www.hgb-lepizig.de/ARTNINE/netzkunst (Zugriff am 11.04.2001) und Herzog, Samuel: Netzkunst – Eine Annäherung. http://www.xcult.ch/texte/herzog/netzkunst.html (Zugriff am 11.04. 2001); http://www.netzwissenschaft.de (Zugriff in 2002) – Zahlreiche andere Ansätze und Experimente wären es noch wert, als Referenzpunkt für die Wahrnehmung von Internet Performances genannt zu werden. Beispielsweise die Situationisten mit ihrer Praxis des ›Umherschweifens‹, des dérivement, die Wooster Group, die als »outgrowth of the off-Off-Broadway movement« wie das Open Theatre und Living Theatre auch die Theaterszene Amerikas neu belebte, der Body Art oder aber die Richtungen des Regietheaters, des ›Theaters der Körper‹ oder des ›Theaters der Bilder‹, letzerer ein Begriff, der von Bonnie Marranca geprägt wurde, so Goldberg. Vgl. Goldberg, RoseLee: Performance Art, a.a.O., S. 121ff., 185. Vgl. Erickson, Jon: The Spectacle of the Anti-Spectacle. Happenings and the Situationist International. In: Discourse Vol. 14 Nr. 2 (Spring 1992), S. 36-58. Vgl. Savran, David: Breaking The Rules. The Wooster Group. New York: Theatre Communications Group, 1988. Vgl. Jones, Amelie: Body Art/Performing the Subject. Minneapolis: University of Minnesota Press, 1998. 98. Vgl. Assmann, Aleida: Schrift und Autorschaft im Spiegel der Mediengeschichte. In: Müller-Funk, Wolfgang/Reck, Hans Ulrich (Hrsg.): Inszenierte Imagination, a.a.O., S. 13-24: S. 13. 99. Hickethier, Knut: Das ›Medium‹ und die Medienwissenschaft. In: Bohn, Rainer (Hrsg.): Ansichten einer künftigen Medienwissenschaft, a.a.O., S. 51-74: S. 60. 48

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2. KULTURGESCHICHTLICHE KONVERGENZEN

anfänglich medienspezifische sowie -komparative Fragen fokussiert und explizit medientheoretische Fragen erst in den 80er Jahren fester Bestandteil des Lehrangebots,100 so spiegeln die Doppelbenennungen von deutschsprachigen Instituten diese auch wissenschaftspolitische Tendenz.101 Ihr entsprechend wurden medienwissenschaftliche Kunsthochschulen wie die Kunsthochschule für Medien (KHM) in Köln und das Zentrum für Kunst und Medientechnologie (ZKM) in Karlsruhe, gegründet, die auch international bedeutende Medienfestivals ausrichten. Diese Institutionalisierung stellt die Basis für den Typus des Wissenschaftler/Künstlers dar, der gleichermaßen über technologische Kompetenz verfügend die eigene künstlerische Praxis direkt reflektiert und interpretiert (vgl. Kap. 6.4.1). Nach Balme steht »das Theater und seine Wissenschaft« am Beginn des 21. Jahrhunderts nun vor einem »Paradigmenwechsel von medialer Spezifität zum Modell der Intermedialität«,102 der sich auch in interdiziplinären Kooperationen niederschlägt. Neben der Medienwissenschaft wird die Kunstgeschichte beziehungsweise -wissenschaft, gerade durch ihre beginnende Öffnung zu einer bildwissenschaftlichen Perspektive hin, wichtiger Partner in einer interdisziplinären Kooperation sein. Kunstgeschichte und Theaterwissenschaft werden durch die Netzkunst und Internet Performances mit einem ähnlichen Problem konfrontiert. Ebenso wie die Netzkunst lassen sich auch Internet Performances nicht mehr mit der herkömmlichen Gattungstheorie vereinbaren. Obwohl beide Ausdrucksformen in spezifischen ästhetischen Traditionslinien stehen, erfordern sie neue methodische und theoretische Ansätze. Genauso wie für Internet Performances müssen die impliziten Bewertungsgrundlagen auch für die Netzkunst unbedingt reflektiert werden, um ideologische Positionen zu vermeiden.103 Die

100. Vgl. ebd., S. 57. – Vgl. Leschke, Rainer: Medientheorie. In: Schanze, Helmut (Hrsg.): Handbuch der Mediengeschichte, a.a.O., S. 14-40. 101. Insgesamt zwei von fünfzehn theaterwissenschaftlichen Instituten tragen den Begriff Medienwissenschaft, weitere drei Institute Filmwissenschaft als Bezeichnung im Titel. 102. Balme, Christopher: Einführung in die Theaterwissenschaft. Berlin: Schmidt, 1999, S. 148. 103. Zu ersten kunsthistorischen Versuchen, Netzkunst zu kategorisieren vgl. u.a. Baumgärtel, Tilman: [net.art]. Materialien zur Netzkunst a.a.O. Und: Huber, Hans Dieter: Digging the Net – Materialien zu einer Geschichte der Kunst im Netz. In: Hemken, Kai Uwe (Hrsg.): Bilder in Bewegung, a.a.O., S. 158-174. Und: ders.: ../ mehrwert/links. Netzkunst-Formen künstlerischer Praxis im Internet. Ausgewählte Literatur. http://dubistdrin.kulturserver.de/mehr01.html (Zugriff am 13.06.2001) – Ansätze zu Bewertungskriterien finden sich auch bei Freyermuth, Gundolf: Von A nach D. Zwischen Hype und Utopie. Am Horizont der Digitalisierung von Kunst und 49

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bildwissenschaftlich orientierte Kunstwissenschaft betont die Differenz zwischen Bild und Kunstprodukt;104 eine für die Überwindung des Dualismus zwischen high und low culture fundamentale Unterscheidung. Über ein von der Fixierung auf Kunst befreites Verständnis von Bild eröffnen sich auch Anschlussmöglichkeiten an andere Forschungsfelder, beispielsweise über die Analogie in den Bildgebungsverfahren der Kunst und der Naturwissenschaften mit ihren »nonart images«,105 wie James Elkins sie nennt. Erst in einer Erweiterung der Kunst- zur Bildwissenschaft, so Dieter Daniels, werde es möglich zu untersuchen, »inwieweit Kunst nicht nur von den Medien geprägt ist, sondern Kunstwerke zugleich eine Analyse des Potentials und der Auswirkungen von Medien liefern.«106 Eine solche Position würde auch verhindern, dass sich der Kunst-im Medienbegriff auflöst (vgl. Kap. 4.1.1). Als Effekt der erhöhten Aufmerksamkeit für die visuelle Dimension von Kultur lässt sich eine ebenfalls erhöhte Akzeptanz von Bildern in der Wissenschaftssprache beobachten. »Nicht Sätze, sondern Bilder, nicht Aussagen, sondern Metaphern dominieren den größten Teil unserer philosophischen Überzeugungen«,107 stellte Richard Rorty fest und führte den Begriff des turns, der Wende, in die Wissenschaftstheorie ein, um damit das Auftauchen und Verschwinden philosophie-geschichtlicher Probleme zu diskutieren. Mit dem linguistic turn bezeichnete Rorty eine Perspektive, die alle Probleme der Philosophie als Probleme der Sprache auffasste und in der Erklärungsmetapher von ›Kultur als Text‹ mündete, die sich auch heute noch in der Fachdiskussion fortsetzt.108

104. 105.

106. 107. 108.

Unterhaltung lockt das Holodeck. In: Maresch, Rudolf/Rötzer, Florian (Hrsg.): Cyberhypes, a.a.O., S. 213-232: S. 214, 222. Vgl. Belting, Hans: Bild-Anthropologie, a.a.O., S. 7. Elkins, James: The Domain of Images. Ithaka: Cornell University Press, 1999. Kap. »Art History and Images That Are Not Art« und »Interpreting Nonart Images«, S. 52-67. Vgl. ebenfalls ders.: Art History and the Criticism of Computer-Generated Images. In: Leonardo Vol. 27, No.4 (1994), S. 335-342. Vgl. Mandelbrojt, Jacques: In Search of the Specificity of Art. In: Leonardo Vol.27, No.3 (1994), S. 185-187. Daniels, Daniel: Inter (-disziplinarität, -media, -aktivität, -net). In: Hemken, KaiUwe (Hrsg.): Bilder in Bewegung, a.a.O., S. 135-157: S. 135. Rorty, Richard: Der Spiegel der Natur. Eine Kritik der Philosophie. Frankfurt: Suhrkamp, 1994 (OV: 1979), S. 22. Vgl. ders. (Hrsg.): The Linguistic Turn. Essays in Philosophical Method. With Two Retrospective Essays. Chicago: University of Chicago Press, 21992. (OV: 1967)-Alternativ wird für diese Tendenz auch der Begriff der semiotischen Wende bei Hem50

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2. KULTURGESCHICHTLICHE KONVERGENZEN

»Linguistik, Semiotik, Rhetorik und verschiedene Modelle von ›Textualität‹ sind so zur lingua franca für kritische Betrachtungen der Künste, Medien und anderer kultureller Formen geworden. Die Gesellschaft ist ein Text.«109 Aufgabe der Kulturwissenschaften im linguistic turn, so Fischer-Lichte, sei es gewesen, »Texte […] auf ihre Struktur hin zu analysieren, zu entziffern, zu deuten und – vor allem seit den achtziger Jahren – bekannte Texte auf mögliche Subtexte hin zu lesen und sie im Lektüreprozess zu dekonstruieren.«110 Wird Kultur als Text vorgestellt und alle kulturellen Phänomene als strukturierter Zusammenhang von Zeichen gedeutet, kommt den Textwissenschaften der Status von Leitwissenschaften zu.111 The Linguistic Turn löste eine bis heute andauernde Konjunktur dieser Metapher aus, die nach W.J.T. Mitchell für »Verschiebungen im intellektuellen und akademischen Diskurs«,112 für propagierte Paradigmenwechsel in den kulturwissenschaftlichen Disziplinen generell steht. In den 90er Jahren machte sich dann ein Wechsel der Forschungsperspektiven bemerkbar, der die Tätigkeiten des Herstellens, Produzierens, der Materialität, Medialität und Prozesshaftigkeit von Kultur, ihre Performativität, betonte und die Metapher der »Kultur als Performance«113 gebraucht. Hinter dem Interesse am performativen Aushandeln und Herstellen von Kultur steht wiederum ein gewandeltes Verständnis von Kultur, das »auch entsprechend eine modifizierte Auffassung von der Verfasstheit und den Zielen kulturwissenschaftlicher Forschung«114 anzeigt. Diese Entwicklung führt Fischer-Lichte auf »Performativierungsschübe«115 zurück, die an den Übergängen zwi-

109. 110.

111. 112. 113. 114. 115.

ken oder des semiotic turn bei Fischer-Lichte verwendet. Vgl. Hemken, Kai-Uwe: Die kategorische Interaktion, a.a.O., S. 58. Und: Fischer-Lichte, Erika: Zwischen »Text« und »Performance«. Von der semiotischen zur performativen Welt . In: dies.: Ästhetische Erfahrung, a.a.O., S. 9-23: S. 9. Mitchell, William J.T.: Der Pictorial Turn. In: Kravagna, Christian (Hrsg.): Privileg Blick. Kritik der visuellen Kultur. Mannheim: Moehrke, 1997, S. 15-40: S. 15. Fischer-Lichte, Erika: Vom »Text« zur »Performance«. Der »performative turn« in den Kulturwissenschaften. In: Bianchi, Paolo (Hrsg.): Kunstforum International. Kunst ohne Werk/Ästhetik ohne Absicht. Bd. 152 (Okt.-Dez. 2000), S. 61-63: S. 61. Vgl. dies.: Zwischen »Text« und »Performance«, a.a.O., S. 9. Und dies.: Vom »Text« zur »Performance«, a.a.O., S. 61. Mitchell, W.J.T.: Der Pictorial Turn, a.a.O., S. 15. Fischer-Lichte, Erika: Zwischen »Text« und »Performance«, a.a.O., S. 9. Dies.: Vom »Text« zur »Performance«, a.a.O., S. 62. Dies.: Zwischen »Text« und »Performance«, a.a.O., S. 19. 51

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schen Theater und verschiedenen Künsten beobachtbar würden (vgl. Kap. 2.3.2). Der performative turn, wie diese Orientierung insbesondere von Fischer-Lichte bezeichnet wird, »gilt also nicht nur für die Kulturwissenschaften, sondern auch für unsere zeitgenössische Kunst und Kultur.«116 Beide Paradigmen sollten sich nach Fischer-Lichte jedoch nicht nahtlos ablösen, sondern die Aufmerksamkeit auf das »Spannungs- und Oszillationsverhältnis« zwischen beiden Perspektiven, die »Dominantenverschiebungen« mit ihrem neuen, jeweils spezifischen »Spannungsverhältnis zwischen Performativität und Textualität«117 richten. Ein solcher »Wechsel der Forschungsgegenstände und -perspektiven« bringt auch eine »Veränderung der Forschungsstrategien« mit sich, so Fischer-Lichte. Theaterwissenschaft und Ethnologie komme nun die Rolle der Leitwissenschaften zu.118 Gleichzeitig stellt die Betonung des Performativen die Schnittstelle zwischen den Diskursen über Medien und Theater dar, wie Martina Leeker hervorhebt.119 Ausgehend von der Beobachtung einer »Transformation der anderen Humanwissenschaften und der Sphäre der öffentlichen Kultur«120 formulierte W.J.T. Mitchell die These vom pictorial turn. Das Modell der Sprache sei nicht paradigmatisch für die Analyse von Bedeutung, so seine These. Im Zentrum seiner Reflexionen steht das Bild mit seinem ambivalenten Status zwischen Paradigma und Anomalie.121 So begreift er den pictorial turn als »postlinguistische, postsemiotische Wiederentdeckung des Bildes als komplexes Wechselspiel von Visualität, Apparat, Institutionen, Diskurs, Körpern und Figurativität. Er ist die Erkenntnis, dass die Formen des Betrachtens […] ebenso tiefgreifende Probleme wie die verschiedenen Formen der Lektüre […] darstellen.« 122 Im Sinne der Bildwissenschaft sieht auch Mitchell im pictorial turn für die Kunstgeschichte die Möglichkeit, sich von ihrer Position theoretischer Marginalität in ein intellektuelles Zentrum zu wandeln.123

116. 117. 118. 119.

120. 121. 122. 123.

Dies.: Vom »Text« zur »Performance«, a.a.O., S. 63. Ebd., S. 62f. Vgl. ebd., S. 62f. Vgl. Leeker, Martina: Theater und Medien. Eine (un-)mögliche Verbindung? Zur Einleitung. In: dies. (Hrsg.): Maschinen, Medien, Performances, a.a.O., S. 10-33: S. 12. – Zu »Archäologien des Performativen« vgl. Mersch, Dieter: Ereignis und Aura. Untersuchungen zu einer Ästhetik des Performativen. Frankfurt: Suhrkamp, 2002, S. 251-266. Mitchell, W.J.T.: Der Pictorial Turn, a.a.O., S. 15-40: S. 15. Vgl. ebd., S. 16f. Ebd., S. 19. Vgl. ebd., S. 17. – Einen ähnlichen Ansatz vertritt Gottfried Boehm mit dem Begriff 52

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2. KULTURGESCHICHTLICHE KONVERGENZEN

Sind die drei Perspektiven des linguistic, performative und pictorial turn für die theoretische Annäherung an Internet Performances zentral, so scheint angesichts immer beliebiger werdender Thesen von neuen Wenden in den Kulturwissenschaften Katharina Sykoras Kritik an dieser »Form der Wissenschaftsgeschichte, die es durchaus kritisch zu hinterfragen gilt«124 mehr als berechtigt. So spricht man u.a. von einem mediatic/medial125 – wahlweise auch intermedial126 – oder einem anthropological, spatial oder somatic turn;127 das Karussell der Wenden dreht sich endlos. Im »Zeichen einer rapiden Akzelleration der wissenschaftlichen ›Wendepolitiken‹ von Terms und Turns«128 sollten jedoch weniger forschungspolitische Motivationen, über die neue Forschungstendenzen propagiert werden können, im Vordergrund stehen, sondern vielmehr die Frage, was die Untersuchungsgegenstände von der Theorie erfordern. Nicht das Konstatieren neuer Paradigmen, sondern die phänomensensible Anwendung theoretischer Positionen auf konkrete Untersuchungsgegenstände ist heute in dem ideologisch so umkämpften Bereich von Theater, Kunst und Neuen Medien gefordert. Internet Performances können als Konvergenzpunkt der Paradigmenwechsel dieser Erkenntnisstrukturen mit künstlerisch-techno-

124.

125.

126. 127.

128.

des iconic turn. Als solchen bezeichnet er die »Rückkehr der Bilder« »auf verschiedenen Ebenen seit dem 19. Jahrhundert«, die »Wendung zum Bild als unvermeidlicher Figur der philosophischen Selbstbegründung.« Boehm, Gottfried: Die Wiederkehr der Bilder. In: ders. (Hrsg.): Was ist ein Bild? München: Fink, 1994 (= Bild und Text), S. 11-38: S. 13. Mitchell hingegen betont das Verhältnis von Diskurs und Bild, und obwohl er mit dem englischen Sprachgebrauch zwischen image und picture unterscheidet, blendet er die mediale Frage aus, die im Sinne einer integrativen Theaterwissenschaft jedoch berücksichtigt werden muss. Sykora, Katharina: Verlorene Form – Sprung im Bild. Gender Studies als Bildwissenschaft. In: Kritische Berichte. Zeitschrift für Kunst- und Kulturwissenschaften. 4/2001, S. 13-19: S. 13. Für ›mediatic turn‹ vgl. Sonesson, Göran: The Multimediation of the Lifeworld. In: Nöth, Winfried (Hrsg.): Semiotics of the Media. State of the Art, Projects and Perspectives. Berlin: Mouton de Gruyter, 1997 (= Approaches to Semiotics; 127), S. 61-77. Für ›medial turn‹ vgl. Münker, Stefan: After the Medial Turn. Sieben Thesen zur Medienphilosophie. In: Münker, Stefan/Roesler, Alexander/Sandbothe, Mike (Hrsg.): Medienphilosophie. Beiträge zur Klärung eines Begriffs. Frankfurt: Fischer, 2003, S. 16-25. Vgl. Wolf, Werner: The Musicalization of Fiction. A Study in the Theory and History of Intermediality. Amsterdam: Atlanta, 1999, S. 2. Vgl. Sykora, Katharina: Verlorene Form – Sprung im Bild, a.a.O., S. 13. – Die gesamte Ausgabe der Kritischen Berichte ist mit »The Anthropological Turn- Gender Studies als Kunstgeschichte« betitelt. Ebd., S. 13. 53

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logischen Aktivitäten angesehen werden. Jede der drei genannten wissenschaftstheoretischen Paradigmen – linguistic, performative und pictorial turn – ermöglicht es, Spezifika einzelner Kategorien von Internet Performances hervorzuheben. Die künstlerisch-technologischen Entwicklungen konvergieren also mit dem Übergang von einer dominant textorientierten bzw. textsemiotischen Betrachtung kultureller Praktiken zu einer Perspektive, die die Visualität beziehungsweise die Performativität kultureller Praktiken fokussiert. Die Perspektive des linguistic turn in seinem Verständnis von Kultur als Text hebt bei der Analyse von textbasierten Internet Performances die Funktion der schriftlichen Repräsentation und der Hypertextstrukturen hervor. Die Betonung der Visualität kultureller Praktiken des pictorial turn verweist auf die ausschließliche Repräsentation von Körperlichkeit, Raum und Handlung in textbasierten Internet Performances. Aus beiden Perspektiven müssen die Konsequenzen für das Funktionieren des dramatischen Dialoges und der dramatischen Handlung in textbasierten Internet Performances untersucht werden. Aus der Perspektive des performative turn betrachtet transformieren textbasierte Internet Performances kulturelle Praktiken computermediatisierter Kommunikation, die ursprünglich nicht in einem ästhetischen beziehungsweise theatralen Kontext standen, und setzen diese in ihrer performativen Dimension für den theatralen Kontext ein. Betrachtet man telematische Internet Performances aus der Perspektive des pictorial turn, so tritt die Visualität dieser Kategorie als zentrales Charakteristikum ihrer Medialität hervor. Telematische Internet Performances transformieren die Dreidimensionalität von Körper und Raum in zweidimensionale Bildlichkeit. Von der Perspektive des performative turn betrachtet tritt zum einen das Spannungsverhältnis von Körperlichkeit und Textualität hervor, zum anderen ergibt sich jedoch unter Bezugnahme auf die ästhetische Tradition der site-specific performances ein vielversprechender Ansatz zur Analyse von Internet Performances (vgl. Kap. 4.2.2, 5.1.1, 6.1.2). Auf Basis der Reflexion dieser historischen Entstehungsbedingungen von Internet Performances soll nun eine Systematik des Untersuchungsgegenstandes entwickelt werden, die induktiv-beschreibend vorgeht, nach definierten Kriterien einzelne Kategorien von Internet Performances bildet und exemplarische Produktionen aus diesen Kategorien inklusive ihrer technischen Infrastruktur und der für eine Teilnahme notwendigen Medienkompetenz beschreibt.

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3. SYSTEMATIK DER PRODUKTIONEN

3. Systematik der Produktionen Internet Performances setzen das Internet und seine verschiedenen Dienste auf höchst unterschiedliche Art und Weise ein. Je nach verwendeter Technologie1 und Konzeption unterscheidet sich so zum einen der Modus, mit dem die Teilnehmer die Aufführung wahrnehmen, und zum anderen die Rolle, die sie innerhalb der Aufführung einnehmen. Die verschiedenen Kategorien von Internet Performances besitzen somit Potentiale und unterliegen Grenzen, die sich aus den verschiedenen Diensten des Internets ergeben. Für eine Beurteilung der Medialität von Internet Performances, ihrer Kommunikationsstrukturen und ihres Wahrnehmungsmodus ist eine präzise Kenntnis dieser Potentiale und Grenzen von großer Bedeutung. Dies soll das folgende Kapitel durch einen Überblick über die verschiedenen Kategorien von Internet Performances leisten. Eine theoretische Annäherung und Interpretation wird erst an späterer Stelle erfolgen (vgl. Kap. 4-6). Grundlage für das Verständnis der verschiedenen Kategorien von Internet Performances ist die technologische Struktur des Internets und seiner verschiedenen Dienste, die in einem ersten Schritt knapp dargestellt werden sollen (vgl. Kap. 3.1). Dieser Überblick soll keine informationstheoretischen Einführungen ersetzen. Als Verständnis für die nachfolgende Darstellung der Kategorien sind diese Informationen jedoch unerlässlich, da die technischen Voraussetzungen die künstlerischen Möglichkeiten von Internet Performances direkt bedingen. Die technologischen Erklärungen richten sich dabei primär an Leser, die zwar mit dem Theater, nicht jedoch unbedingt den Telekommunikationstechnologien vertraut sind. Aspekte, die für ein Verständnis der Funktionsweise von Internet Performances nicht zwingend erforderlich sind, werden hier nicht thematisiert.

1. Die Begriffe Technik und Technologie können nicht eindeutig voneinander abgegrenzt werden. Während der Begriff der Technik die Verfahren bezeichnet, die für ein bestimmtes Resultat notwendig sind, benennt der Begriff der Technologie zum einen die Diskursebene, behält jedoch als direkte Übersetzung aus dem Englischen auch die Bedeutung des Begriffs Technik. Vgl. Conley, Andermatt Verena: Preface. In: dies. (Hrsg.): Rethinking Technologies. Minneapolis, London: University of Minnesota Press, 1993, S. ix-xiv: S. xf. 55

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Die Beschreibung der einzelnen Kategorien ist entlang der in Kap. 2.2 vorgeschlagenen Systematik von Internet Performances strukturiert (vgl. Abb. 1). Diese Systematik positioniert den Untersuchungsgegenstand in Bezug zur übergreifenden Ebene der Distributed Performances und definiert die für diese Arbeit maßgeblichen Kategorien von Internet Performances. Darauf aufbauend werden entlang der vorgeschlagenen Kategorien die ihnen zu Grunde liegenden technologischen Grundlagen und Funktionsweisen der verschiedenen Anwendungen des Internets betrachtet. Hierbei liegt der Fokus nicht auf ihrem primären Gebrauchskontext, sondern ihrer Anwendung im theatralen Kontext (vgl. Kap. 3.3-3.6). Bei der Darstellung der ausgewählten Produktionen werden insbesondere drei Aspekte berücksichtigt: Neben der Frage, welche Anforderungen die verschiedenen Produktionen an die technische Infrastruktur und Medienkompetenz sowohl auf Seiten der Produzenten als auch Teilnehmer erfordert, sollen zum einen die Wahrnehmungseffekte der technologischen Infrastruktur auf alle Beteiligten berücksichtigt und zum anderen die wissenschaftstheoretischen Grundlagen der verschiedenen Kategorien reflektiert werden. Grundsätzlich werden die verwendeten Technologien nur insoweit thematisiert, als sie die ästhetische Form der Produktionen und die Wahrnehmung der Teilnehmer beeinflussen können.

3.1 Technologische Struktur des Internets Zentral für das Verständnis der Kategorien von Internet Performances ist der Begriff des Dienstes im Internet. Hintergrund hierfür ist die häufig vorkommende Verwechslung und Gleichsetzung des Internets mit seinem am meisten verbreiteten Dienst, der graphischen Anwenderoberfläche des WWW.2 Diese Unterscheidung ist nicht nur für das Funktionieren des Internets, sondern auch für diese Arbeit fundamental. »Als Dienst bezeichnet man in der Telekommunikation eine standardisierte Form der Übermittlung mit definierten technischen Eigenschaften und Schnittstellen für Endgeräte sowie in der Regel infrastrukturellen Zusatzleistungen wie Adressierungssystem.«3

2. Beispielsweise bei Boenisch, Peter: körPERformance 1.0 – Theorie und Analyse von Körper- und Bewegungsdarstellungen im zeitgenössischen Theater. München: ePODIUM, 2002 (= Intervisionen Bd. 4) (= Zugl., Univ. Diss., München 2000), S. 60. 3. Kubicek, Herbert: Das Internet 1995-2005. Zwingende Konsequenzen aus unsicheren Analysen. In: Leggewie, Claus/Maar, Christa (Hrsg.): Internet & Politik. Von der Zuschauer- zur Beteiligungsdemokratie. Köln: Bollmann, 1998, S. 55-69: S. 58. – Technologischer Hintergrund ist die Definition des Internets über die TCP/IP-Proto56

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3. SYSTEMATIK DER PRODUKTIONEN

Neben dem file transfer protocol (FTP) und Telnet, die bei textbasierten Internet Performances wichtig sind, können das WWW, das insbesondere bei telematischen Internet Performances von Bedeutung ist, und beispielsweise noch der E-Mail-Dienst und Gopher4 unterschieden werden.5 Das WWW als graphische Anwenderoberfläche des Internets ist ein Informationssystem, dessen Bestandteile auf Rechner in der ganzen Welt verteilt sind, und das Dokumente enthält, in denen bestimmte Stellen aktive Links sind, die als Abzweigungen zu anderen Dokumenten führen. Medien mit solchen Ordnungsstrukturen werden als Hypermedien bezeichnet.6 Das hypertext transfer/transmission protocol (HTTP) übertragt und verknüpft Web-Seiten. Web-Adressen musste früher formal die Kennzeichnung ›http://‹ vorangestellt werden, damit der Browser7 das Protokoll für die Übertragung erkennen konnte.8 Mit dem Begriff uniform resource locator (URL) wird die gesamte Adresse einer Internet-Seite bezeichnet, bestehend aus einem Dienstpräfix (z.B. http:// oder ftp://) und einem Server-Namen inklusive seiner Domain (z.B. www.wwsd.org).9 Die Seiten des WWW können z.B.

4.

5. 6.

7.

8. 9.

kolle. Vgl. http://www.rfc-editor.org oder http://www.ietf.org/rfc.html (Zugriff am 11.10.2002) Als Vorläufer des WWW war Gopher der erste Dienst, der auch Computerlaien zugänglich war. Gopher nahm wichtige Aspekte des WWW vorweg; im Unterschied zum WWW fehlte Gopher jedoch HTML, die Hypertext-Auszeichnungssprache, und HTTP, das Hypertext-Übertragungsprotokoll. Mit dem WWW wurde Gopher obsolet. Vgl. Gumm, Heinz-Peter/Sommer, Manfred: Einführung in die Informatik. München: Oldenbourg, 2002, S. 567. Und: Krol, Ed: The Whole Internet. User’s Guide & Catalog. Sebastopol: O’Reilly & Associates Inc., 21994, S. 233-264. Vgl. Gumm, Heinz-Peter/Sommer, Manfred: Einführung in die Informatik, a.a.O., S. 560-565. – Zu ftp und Telnet vgl. ebd., S. 548. Vgl. ebd., S. 567f. – Die Idee eines Hypertextes oder -mediums greift auf frühere Ideen im Entstehungsprozess des Internets zurück, beispielsweise Vannevar Bushs MEMEX-System (vgl. Kap. 2.3.1). Als Browser wird das Darstellungs- und Navigationsprogramms bezeichnet, mit dem das Datensystem des WWW durchsucht werden kann. Handelsüblich sind der Internet Explorer oder Netscape Navigator. Vgl. Langenscheidt-Redaktion/Süddeutsche Zeitung (Hrsg.): Langenscheidts Internet-Wörterbuch Englisch-Deutsch. Berlin: Langenscheidt, 22000, S. 97, 33. (Im Folgenden als ›Langenscheidt Internet-Wörterbuch‹ abgekürzt). Vgl. ebd., S. 87. Angehängt werden kann noch der Name des Dokuments, der durch eine Pfadangabe ergänzt sein kann, vgl. ebd., S. 168. Vgl. Gumm, Heinz-Peter/Sommer, Manfred: Einführung in die Informatik, a.a.O., S. 549, 566f., 659f. 57

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THEATER UND INTERNET

mit HTML, der hypertext markup language, erstellt werden. Mit zunehmender Komplexität des Web-Designs wird HTML durch andere Sprachen ergänzt, beispielsweise der extensible markup language (XML), einer erweiterbaren Auszeichnungssprache, oder der virtual reality modeling language (VRML), die dreidimensionale Objekte mit integrierbaren Hyperlinks ermöglicht.10 Die entsprechende Infrastruktur an Netzzugängen stellt die Bedingung für die Popularisierung des Internets dar.11 Neben herkömmlichen Telefonverbindungen spielt das integrated services digital network (ISDN) und vor allem Telekom Digital Subscriber Line (TDSL) eine zunehmend wichtigere Rolle. ISDN überträgt im Unterschied zu herkömmlichen Telefonverbindungen nicht mehr analoge Tonfrequenzen, sondern digitale Signale.12 TDSL ist die digitale Anschlussleitung für Kunden der Deutschen Telekom, das seit Mitte 1999 in den ersten bundesdeutschen Ballungsgebieten zur Verfügung gestellt wurde.13 Oftmals treten Irritationen bei den Begriffen Internet 2, Next Generation Internet (NGI) und dem very high-performance Backbone Network Service (vBNS) auf, da sie z.T. von denselben Institutionen getragen werden und identische Zielsetzungen verfolgen, nämlich die entscheidenden Forschungs- und Ausbildungsstätten der USA mit »high-performance networking« zu versorgen und den »state of the art in networking technologies«14 weiterzuentwickeln. So ist Internet 2 ein gemeinsames Forschungsprojekt von rund 120 US-amerikanischen Universitäten, das von der University Corporation for Advanced Internet Development finanziert wird. »Its aim is to facilitate the development and deployment of advanced, network-based applications and network services in order to support the research and education missions of the higher-education community.«15 Das Internet 2 wird beispielsweise vom Produktionsteam des Cassandra Projects eingesetzt (vgl. Kap. 3.6).

10. Vgl. ebd., S. 570-72. Und: Langenscheidt Internet-Wörterbuch: a.a.O., S. 86f., 183, 175f. 11. Vgl. Döring, Nicola: Sozialpsychologie des Internet: Die Bedeutung des Internet für Kommunikationsprozesse, Identitäten, soziale Beziehungen und Gruppen. Göttingen: Hogrefe, Verlag für Psychologie, 1999 (Internet und Psychologie; Bd. 2) (= zugl. Berlin, Freie Univ., Diss., 1998), S. 22. 12. Vgl. Langenscheidt Internet-Wörterbuch: a.a.O., S. 98. 13. Vgl. ebd., S. 161. 14. Jamison, John et al.: vBNS: Not your Father’s Internet. In: IEEE Spetrum. July 1998, S. 38-46: S. 40. 15. Ebd. 58

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3. SYSTEMATIK DER PRODUKTIONEN

Ziel des NGI, das Bill Clinton 1997 ankündigte, ist es, ein Netzwerk zu entwickeln, »that will deliver at least a hundred times the performance of the current Internet on an end-to-end basis to at least a hundred interconnected NGI participating entities.« 16 Das vBNS ist eine Kooperation zwischen Regierung, Wissenschaft und Industrie. Es verband ursprünglich fünf supercomputer centers und vier Zugangspunkte zum Netzwerk. Mittlerweile weitete das High-Performance Connections Program der National Science Foundation das Netzwerk aus und beteiligte mehr als hundert Institutionen.17 Alle Teilnehmer an Internet Performances benötigen neben einem internetfähigen Computer mit Modem18 und einem Provider, der den Zugang zum Internet bereitstellt, die entsprechenden Kenntnisse, um den Computer und die angewendeten Dienste des Internets benutzen zu können. Dies betrifft insbesondere Grundkenntnisse der Kommunikation in einem Internet Relay Chat (vgl. Kap. 3.3.1) oder der Navigation in einem MOO (vgl. Kap. 3.3.2). Hinzu kommen die für die einzelne Produktion spezifische Hard- und Software. So benötigen beispielsweise alle telematischen Internet Performances oder die web-basierten Chat Performances nicht nur einen Browser, sondern auch andere Komponenten wie Videokonferenztechnologien, Media Player, webcameras, Flash und Shockwave. Alle diese Bestandteile werden bei telematischen Internet Performances in die Oberfläche des WWW integriert (vgl. Kap. 3.3.3-3.6). Auf Seiten der Produzenten verlangen die verschiedenen Kategorien von Internet Performances ungleich höhere Medienkompetenz. So programmierten fast alle Initiatoren von Produktionen im ATHEMOO die Bereiche der Datenbank, auf denen die Aufführung basierte, selbst (vgl. Kap. 3.3.2). Bei telematischen Internet Performances müssen Entscheidungen wie beispielsweise die Auswahl der Videokonferenztechnologie getroffen werden. Im Cassandra Project arbeiten verschiedene Mitglieder sogar ausschließlich an den technischen Aspekten der Aufführungen (vgl. Kap. 3.6., 6.4.1).

16. Ebd. – NGI wird von der Defense Advanced Research Projects Agency, der National Aeronautics and Space Administration, dem U.S. Department of Energy und dem National Institute of Standards and Technology finanziert, vgl. ebd. 17. »The vBNS is an environment in which new Internet technologies and services can be introduced and evaluated prior to deployment on the large-scale, heavily loaded commercial backbones.« Ebd. 18. Das Modem, zusammengesetzt aus Modulator und Demodulator, transformiert die digitalen Informationen und überträgt sie über ein Telefonnetz. Vgl. Kreuzberger, Thomas: Internet. Geschichte und Begriffe eines neuen Mediums. Wien: Böhlau, 1997, S. 21. 59

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THEATER UND INTERNET

In der Kombination wahrnehmungstheoretischer und technologischer Parameter können Internet Performances als besondere Form der Distributed Performances begriffen und verschiedene Kategorien unterschieden werden.

3.2 Internet Performances als besondere Form der Distributed Performances Die hier vorgeschlagene Systematik von Internet Performances beruht auf einer Kombination technologischer und wahrnehmungstheoretischer Parameter. Sie setzt auf der übergeordneten Ebene der Distributed Performances an, um so den umfassenderen Rahmen der Medienbzw. Telekommunikationskunst zu berücksichtigen. Ginge die Systematik nur entlang technologischer Parameter vor, also entlang der verschiedenen Dienste des Internets, würden Produktionen unterschieden, die ähnliche Effekte auf die Wahrnehmung der Zuschauer erzeugen und bei denen aufgrund dieser wahrnehmungstheoretischen Analogie auch analoge theoretische Instrumentarien gerechtfertigt wären. Als Distributed Performances werden Aufführungen bezeichnet, die bei definiertem Beginn und Ende der Aufführungen die physische Kopräsenz von Darstellern und Zuschauern durch den Einsatz von Telekommunikationstechnologien auflösen. In diesem Verständnis können Distributed Performances auch als telematische Performances bezeichnet werden.19 Der Ursprung des Begriffs lässt sich nicht exakt datieren. Yacov Sharir verwendete ihn bereits 1995 für seine gemeinsam mit Diane Gromola entwickelte Performance Dancing With The Virtual Dervish Virtual Bodies, die er »a distributed virtual performance/event«20 nannte. Sharir setzte hierfür interaktive Medien und Virtual RealityTechnologien (VR) ein, die auf Immersion der Teilnehmer in eine nur als visuelle Repräsentation existierende Umwelt zielten. Seine Konzeption entspricht also nicht der oben genannten Definition.21 Ebenso wie

19. »In a telematic performance, images and sound from different places are simultaneously transmitted (and often projected onto a screen or wall) to locations around the world.« Naugle, Lisa Marie: A Study of Collaborative Choreography Using Lifeforms and Internet Communication. Submitted in partial fulfillment of the requirements for the degree of Doctor of Philosophy in the School of Education New York University 2002. UMI Number: 3031310, S. 39. 20. Sharir, Yacov: E-Mail Korrespondenz mit der Verfasserin vom 22. Februar 2002. 21. Vgl. Gromala, Diane/Sharir, Yacov: Dancing with the Virtual Dervish: Virtual Bodies. In: Moser, Mary Anne (Hrsg.): Immersed in Technology. Art and Virtual Environments. Cambridge: MIT Press, 1996, S. 281-285: S. 283. Vgl. ebenfalls Sharir, Yacov: Virtually Dancing. http://art.net/tz/sharir1.html (Zugriff am 13.03.2000) 60

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3. SYSTEMATIK DER PRODUKTIONEN

andere Formen theatraler Aufführungen kann auch eine Distributed Performance als Ereignis begriffen werden, das »auf alle Beteiligten in je besonderer Weise Wirkungen ausübt, und zugleich von den Zuschauern als ein theatraler Text rezipiert werden kann, dem sie Bedeutungen beizulegen versuchen.«22 Damit entspricht eine Distributed Performance nicht mehr der Definition für eine Aufführung im Verständnis von Theater unter den Bedinungen physischer Kopräsenz. Da jedoch Distributed Performances, und damit auch Internet Performances, auf Materialien, Strukturen und Verfahren des ›Theaters unter den Bedingungen der physischen Kopräsenz‹, wie es im Folgenden genannt werden soll, zurückgreifen, werden sie hier weiterhin als Aufführungen bezeichnet.23 Abbildung 1: Systematik der Internet Performance-Produktionen24

Distributed Performances Internet Performances Textbasierte Internet Performances

Nicht-textbasierte Internet Performances

MOO / IRC Theatre

Telematische Internet Performances

Web-basierte Chat Performances

Telematische Performances

u.a. Web Dance

Palace Performances

22. Fischer-Lichte, Erika: Zwischen »Text« und »Performance«, a.a.O., S. 23. 23. Naugle unterscheidet noch »Web-site performances«, die auf eine »greater exposure for the performing arts by creating new audiences, incorporating both known and unknown participants in asynchronous events« abzielen. Hier finden Produktion und Rezeption nicht simultan statt. Dazu zählt Naugle fälschlicherweise auch Leaping into the Net. Als Beispiel führt sie auch Telematic Dreaming, obwohl es in keiner Verbindung zum Internet steht, und »Bytes of Bryant Park« an, eine Produktion, die tatsächlich Webbedfeats hieß. Vgl. http://www.webbedfeats.org (Zugriff am 25.02.2001) Vgl. Naugle, Lisa Marie: A Study of Collaborative Choreography Using Lifeforms and Internet Communication, a.a.O., S. 39f. 24. Die Größe der Flächen geben keine quantitativen Verhältnisse wieder. Abhängig von zukünftigen Produktionen von Internet Performances muss diese Kategorisierung überprüft werden. 61

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Krueger, der mit seiner Arbeit Videoplace selbst zu den Pionieren im Grenzbereich zwischen Computern und Kunst gehört, führte bereits 1983 den Begriff eines ›distributed theater‹ ein und stellte sich vor, wie Künstliche Intelligenz und interaktive Technologien das Theater veränden könnten. »Future theater could be designed to lift an audience out of its seats, to involve people physically in the performance. The action could occur in a number of different rooms simultaneously, requiring the audience to wander through the physical space to try to learn as much as possible about what was happening.«25 Lisa Naugle verwendet den Begriff der distributed choreography in einem 1998 erschienenen Artikel, um das choreographische Prinzip zu kennzeichnen, das sie u.a. im Cassandra Project der New York University erprobt hatte.26 Sie beschrieb das Prinzip an anderer Stelle als »synchronous, Internet-based communication that spans different geographical locations«27 (vgl. Kap. 3.6.2, 6.1.6). Mittlerweile hat sich der Begriff der Distributed Performance insbesondere im US-amerikanischen Diskurs etabliert, beispielsweise in den Arbeiten der seit November 2000 zusammenarbeitenden Forschergruppe ADaPT, der Association for Dance and Performance Telematics. ADaPT ist eine interdisziplinäre Forschergruppe aus Künstlern, Technologen und Wissenschaftlern von fünf verschiedenen US-amerikanischen Universitäten »dedicated to research and critial dialog on performance and media in telematic space.«28 (vgl. Kap. 6.4.1). Die Gruppe hat sich dabei mehrere Ziele gesetzt. So sucht sie u.a., neue Modelle für »networked dance and performance«, insbesondere in der »Internet 2 culture«,29 zu entwickeln. Ihre Forschungen siedelt sie dabei im umfassenderen kulturellen und politischen Kontext an, um die Verbindungen zwischen mediatisierten Per-

25. Krueger, Myron: Artificial Reality II, a.a.O., S. 221f. 26. Vgl. Naugle, Lisa: Digital Dancing, a.a.O. 27. Naugle, Lisa: Re: Who coined the term ›distributed performance‹? Dance-Tech List Archive. 22. Februar 2002. – Frühere Traditionslinien dieses choreographischen Prinzips finden sich u.a. bei Remy Charlips Air Mail Dances, der seine choreographischen Zeichnungen per Mail versandte.Vgl. http://www.remycharlip.com/about.html (Zugriff am 10.06.2002) und de Lahunta, Scott: Sampling… Convergences between Dance and Technology. http://art.net/dtz/scott2.html (Zugriff am 08.03.2000) 28. Naugle, Lisa Marie: A Study of Collaborative Choreography Using Lifeforms and Internet Communication, a.a.O., S. 33f. – Vgl. http://isa.hc.asu.edu/adapt (Zugriff am 13.03.2002). – In der ADaPT arbeiten die Arizona State University, University of California at Irvine, Ohio State University, University of Utah, University of Wisconsin zusammen. 29. http://www.dance.ohio-state.edu/workshops/ips3.html (Zugriff am 09.10. 2002) 62

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3. SYSTEMATIK DER PRODUKTIONEN

formances und Themen wie Identität, Privilegierung und Zugang zu berücksichtigen.30 Im Bereich der Neuen Medien wird in jüngster Zeit auch der Begriff der distributed media verwendet, beispielsweise bei Lev Manovich, der das Internet als eine »huge distributed media database« bezeichnet, in deren Struktur sich die Grundbedingung unserer Informationsgesellschaft kristallisiere, die »overabundance of information of all kinds.«31 Auch das WWW kann nach Manovich als eine »particular implementation of hypermedia«32 begriffen werden, deren Elemente im Netz verteilt seien. Allen diesen Ansätzen ist gemeinsam, die Konnektivität geographisch verteilter Kommunikationsnetze zu betonen. Über den Begriff der Distributed Performance hinaus besteht hinsichtlich einer Bezeichnung der Produktionen, die das Internet für theatrale Konzeptionen einsetzen, wenig Übereinstimmung. Die Begriffe reichen von »Internet Performance«33 oder »Internet Theatre«34 über »Net Theatre«35 bis hin zu »Virtual Theatre«.36 Als Internet Performances sollen im Kontext dieser Arbeit übergreifend alle theatralen Produktionen bezeichnet werden, in denen die Teilnehmer während eines klar definierten Zeitraumes räumlich getrennt über verschiedene Dienste des Internets in einem theatralen Kontext miteinander kommunizieren. Internet Performances stellen also eine besondere Form

30. Die Arizona State University besitzt u.a. die Intelligent Stage, eine »Interactive and Telematic Performance Research Facility«, die von John Mitchell geleitet wird. Dieses Bühnenstudio besitzt die technische Ausrüstung, um Elemente wie Musik, Beleuchtung und Video in Abhängigkeit von den Aktionen der Darsteller zu steuern, die das Bühnensystem u.a. über Videokameras empfängt. So wurde hier am 27./28. Juli 2000 die Produktion Cellybytes realisiert. Zur Intelligent Stage am Institute for Studies in the Arts vgl. http://mythos.fa asu.edu (Zugriff am 26.12.1999); zu Cellbytes vgl. http://isa. hc.asu.edu/cellbytes/scott/present.html (Zugriff am 14.05. 2002) – Der åR-Space am Center for Advanced Visualisation and Interaction der Universität von Århus in Dänemark besitzt eine ähnliche Ausstattung. Zu beiden Bühnen vgl. Lovell, Robb: Entwurf zur Verwendung eines interaktiven Performanceraumes. In: Dinkla, Söke/Leeker, Martina (Hrsg.): Tanz und Technologie, a.a.O., S. 88-103: S. 89. 31. Manovich, Lev: The Language of New Media, a.a.O., S. 35. 32. Ebd., S. 38. 33. Naugle, Lisa: Digital Dancing, a.a.O., S. 12. Oder: Stelarc: Parasite Visions: Alternate, Intimate and Involuntary Experiences. http://www.stelarc.va.com.au/articles/ index.html (Zugriff am 25.02.2002) 34. Harris, Stuart: About Internet Theatre & the Hamnet Players. In: http://www.ham bule.co.uk/hamnet/about.htm (Zugriff am 28.01.2002) 35. Sacks, Rick: The MetaMOOphsis: A Visit to the Kafka House, a.a.O., S. 149. 36. Ders.: http://www.vex.net/rikscafe/Kafka.html (Zugriff am 16.04.2001) 63

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THEATER UND INTERNET

der Distributed Performances bzw. telematischen Performances dar. Sie können hinsichtlich ihrer Repräsentationsformen weiter differenziert werden. Auf einer ersten Ebene bietet es sich an, ausschließlich textbasierte Internet Performances von telematischen Internet Performances zu unterscheiden. In textbasierten Internet Performances wird die theatrale Aktion – also Körper, Raum und Handlung – in Diensten des Internets repräsentiert, die ausschließlich über Text funktionierten. Dies betrifft den Internet Relay Chat (IRC) als Chat, der nicht in das WWW integriert ist, die Multi User Dungeons (MOOs), die früher nur über Telnet, heute jedoch auch über das WWW erreicht werden können, oder andere, webbasierte Chat-Räume (vgl. Kap. 3.3).37 Im Übergang zwischen den textbasierten und den telematischen Internet Performances können die Palace Performances positioniert werden, die mittels des Chat-Systems Palace, bei dem die Teilnehmer über zweidimensionale Graphiken repräsentiert werden, Aspekte der theatralen Aktion visualisieren (vgl. Kap. 3.4). Telematische Internet Performances unterscheiden sich von Distributed Performances darin, dass sie Telekommunikationstechnologien – beispielsweise die Media Player, die Videodateien übertragen, Videokonferenztechnologien oder webcameras – in das Internet bzw. das WWW integrieren. Bereits quantitativ, besonders jedoch in theoretischer Hinsicht, kann im Bereich der telematischen Internet Performances noch die Kategorie des Web Dance unterschieden werden (vgl. Kap. 3.6). Im Folgenden werden die verschiedenen Kategorien von Internet Performances zuerst in ihrer historischen und technologischen Dimension vorgestellt, bevor die Produktionen beschrieben werden, die innerhalb dieser Arbeit behandelt werden.

3.3 Textbasierte Internet Performances Textbasierte Internet Performances wurden bisher in drei Umgebungen des Internets durchgeführt, in den Internet Relay Chats, den Multi User Dimensions Object-Oriented und verschiedenen web-basierten Chat-Räumen.38 Diese Dienste sind ausschließlich textbasiert, d.h. visuelle Repräsentationen sind nur beschränkt möglich.39 IRCs wur-

37. Zu den technischen Erläuterungen der verschiedenen Dienste vgl. Kap. 3.3-3.6. 38. Die objektorientierte Variante der Multi User Dungeons/Dimensions (MUD) wird als Multi User Dungeon Object-Oriented (MOO) bezeichnet. Auf ihnen basieren die MOO Theatre-Produktionen. Zu ihrer Unterscheidung vgl. Kap. 3.3.2. 39. Zur Diskusskion begrenzter Formen visueller Repräsentation in IRCs und MOOs, wie 64

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3. SYSTEMATIK DER PRODUKTIONEN

den in den Jahren 1993 bis 1995 von der Gruppe Hamnet Players eingesetzt; MOO Theatre hingegen wurden sowohl von der Gruppe Plaintext Players, die Antoinette LaFarge 1994 gründete, als auch auch von einem bestimmten MOO aus produziert. Von diesem MOO, dem ATHEMOO, arbeiteten verschiedene Gruppen. Er wurde 1995 von der Association of Theatre in Higher Education40 installiert (vgl. Kap. 3.3.2). Die Performance-Gruppe Gob Squad (gemeinsam mit Anette Schäfer und Miles Chalcraft) wiederum hat für ihre Produktion The Finalists einen web-basierten Chat-Raum verwendet (vgl. Kap. 3.3.3). In textbasierten Internet Performances entfalten sich dramatische Dialoge zwischen den Teilnehmern, wobei die Grenzen zwischen aktiven Teilnehmern, die Rollen übernehmen, und passiv(er)en Teilnehmern oftmals fließend sind. Teilnehmer an einer textbasierten Internet Performance können Rollen durchaus erst kurz vor dem Beginn einer Aufführung übernehmen. Oft geht die gesamte dramatische Handlung von einem vorgegebenen Szenario aus, das die Teilnehmer während der Aufführung improvisierend entfalten. Solche Aufführungen sehen keine passiven Teilnehmer vor, sondern ausschließlich verschiedene Formen aktiver Teilnahme. Für alle Teilnehmer erscheint eine textbasierte Internet Performance als fließender dramatischer Dialog, der sowohl Haupt- als auch Nebentext beinhaltet. Der Wahrnehmungsvorgang entspricht einer besonderen Form des Lesens. Textbasierte Internet Performances können deshalb aus der Perspektive ›Drama und Internet‹ diskutiert werden (vgl. Kap. 5). Im Folgenden sollen ausgewählte technologische Aspekte, die für die Anwendung dieser Dienste des Internets im theatralen Kontext von Bedeutung sind, diskutiert werden, um daran anschließend die Produktionen der Hamnet Players vorzustellen.

3.3.1 IRC Theatre Das ursprüngliche IRC-Programm entwickelte der finnische Student Jarkko Oikarinen 1988, also bereits sechs Jahre vor der Entwicklung der Anwenderoberfläche des WWW. Obwohl er es nur für den privaten Gebrauch entwickelt hatte, verbreitete es sich erfolgreich von Finnland und den USA über die gesamte Welt.41

beispielsweise die ASCII-Graphiken, Fotodateien im jpeg-Format und Verbindungen von MOOs zum WWW vgl. Kap. 3.3.1 und 3.3.2. 40. Für Informationen zur ATHE vgl. http://www.hawaii.edu/athe (Zugriff am 13.03. 2002). 41. Obwohl Chats an Großrechenanlagen schon immer möglich waren, haben sie sich erst durch den IRC etabliert. Vgl. Kreuzberger, Thomas: Internet, a.a.O., S. 69. – Rheingold, Howard: The Virtual Community, a.a.O., S. 176-196. 65

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Technologische Grundlagen Unter einem IRC versteht man heute ein nicht web-basiertes Programm, das mittels des Internets eine zeitgleiche Kommunikation zwischen einer unbegrenzten Anzahl an Teilnehmern ermöglicht. Diese Teilnehmer sind untereinander über ihre Spitznamen, die nick names, bekannt. Alle Nachrichten, die ein Teilnehmer während der Kommunikation eingibt, erscheinen für alle anderen Teilnehmer sichtbar unter diesem Spitznamen. Die Teilnehmer kommunizieren über die Kanäle, channels genannt, die den IRC strukturieren. Die Bezeichnung eines Kanals (z.B. #linux) startet mit dem Doppelkreuz # und gibt dann meist das Thema des Kanals an. Die Standardsprache im IRC ist Englisch, obwohl auch Kanäle existieren, in denen Landessprachen geschrieben werden und andere nationale Charakteristika gepflegt werden.42 Der IRC funktioniert nach dem Client/Server-Prinzip, das die Aufgabenteilung in allen Netzwerken regelt. Zentral gibt es einen Rechner, den Server, der den IRC als Dienst anbietet. Um diesen Dienst nutzen zu können, benötigen die Teilnehmer ein Programm, den Client, das in ausschließlich vermittelnder Funktion dem Teilnehmer Zugang zum IRC ermöglicht.43 Der IRC setzt sich aus einem weltumspannenden Netzwerk von Servern zusammen, die mit Client-Programmen auf einzelnen Computern in Verbindung stehen, zusammen. Nach der Installation des Client muss der Teilnehmer den Server auswählen, von dem aus die Kommunikation stattfinden soll.44 Für die Teilnahme am IRC ist also ein Computer mit Internet-Verbindung und das Client-Programm notwendig, das die Benutzer von Windows beispielsweise bei www.mirc.com, entwickelt von Khaled Mardam-Bey, kostenlos und in nur wenigen Minuten laden können.45

42. So wird der IRC im deutschsprachigen Kulturraum oft ›irk‹ ausgesprochen und ein Teilnehmer im IRC als ›irker‹ bezeichnet. Vgl. Seidler, Kai Oswald: Internet Relay Chat – Eine möglichst kurze Einführung. http://irc.fu-berlin.de/einfuehrung.html (Zugriff am 27.1.2002) 43. IRC-Clients gibt es für Betriebssysteme wie Unix, Apple Macintosh, MS Windows, Amiga, X Window System u.v.a. Vgl. Seidler, Kai: Internet Relay Chat, a.a.O. Vgl. ebenfalls Langenscheidt Internet-Wörterbuch: a.a.O., S. 43. 44. Für eine schnellere und geschützte Kommunikation sollte er einen geographisch möglichst nah gelegener Server auswählen. Dies kann jedoch bei jedem Neustart wieder geändert werden, und alle Kanäle sind auch von allen Servern erreichbar. 45. Nach Renée Schauecker werden unter den Apple-Benutzern die Clients ircle und Homer gleichermaßen benutzt. Vgl. Schauecker, Renée: Unbarmherzig technischer Ausklang. Anschlüsse, Provider, Dienste. In: Bollmann, Stefan/Heibach, Christiane (Hrsg.): Kursbuch Internet, a.a.O., S. 481-510: S. 508. – In seiner IRC-Einführung geht Seidler schrittweise die Anmeldung in einem IRC, auch mit dem Client von www.mirc.com, durch. Vgl. Seidler, Kai: Internet Relay Chat, a.a.O. und Husmann, 66

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3. SYSTEMATIK DER PRODUKTIONEN

Das Interface, also das Programmfenster des Bildschirms als Schnittstelle zwischen Benutzer, Computer und anderen Benutzern, ist in drei Felder aufgeteilt. Eine Spalte am rechten Rand des Bildschirms zeigt die Spitznamen aller Teilnehmer an, die sich momentan in demselben Kanal aufhalten; das Fenster, das den Hauptteil des Bildschirms ausmacht, gibt die aktuelle Kommunikation wieder, wobei neu eingegebene Nachrichten von unten her auf dem Bildschirm erscheinen und damit die oberen Zeilen des Bildschirms verdrängen. Die kleine Zeile am unteren Bildrand zeigt nur für den Benutzer vor dem Bildschirm die selbst eingegebenen Nachrichten und Befehle an. Abbildung 2: Auszug aus einerm IRC-Chat

Nachrichten und Befehle zur Kommunikation und Navigation im IRC beruhen auf einer bestimmten Syntax. Die geben Inhalte an, die nicht wörtlich, sondern mit dem jeweils spezifischen Wert ersetzt werden müssen. Die [eckigen Klammern] geben optionale Inhalte an, die nicht zwangsläufig eingegeben werden müssen. Für die Kommunikation im theatralen Kontext ist insbesondere ein Befehl von Bedeutung, mit dem die Teilnehmer ihre imaginierten Handlungen im IRC beschreiben, der Befehl ›/ME ‹. Um einen vollständigen Satz zu erzeugen, muss ›/ME‹ als Subjekt des Satzes gedacht werden (beispielsweise ›/ME schwingt das Schwert‹).46 Häufig werden in IRCs und anderen Chat-Programmen auf-

Heike: Chatten im Internet Relay Chat (IRC): Einführung und erste Analyse. München: KoPäd Verlag, 1998, S. 20-23. 46. Erklärungen zu weiteren Befehlen, ihrem Gebrauch (z.B. ›/MSG‹, ›/DESCRIBE‹ etc.) sowie andere Spezifika des IRC finden sich ebenfalls bei Seidler, Kai: Internet Relay Chat, a.a.O. 67

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grund der Schnelligkeit der Kommunikation, die auch zu Überlagerungen von Kommunikationssträngen führen kann, Abkürzungen verwendet, die Akronyme. Sie setzen sich aus den Anfangsbuchstaben der Wörter eines Satzes oder einer Wendung zusammen, beispielsweise ›ASAP‹ für ›as soon as possible‹ oder CU für ›See you‹.47 Für die Anwendung im theatralen Kontext spielen die Emoticons eine wichtige Rolle. Emoticons bestehen aus einer Kombination von Zeichen der Standardtastatur und sind als konventionell festgelegte Symbole für bestimmte Stimmungen (:-t für ›ärgerlich‹), Gefühlsäußerungen (;-) für ›zwinkernd‹), Personentypen (5:-) für ›Elvis‹), aber auch Aussehen (:-)> für ›bärtig‹) und Attribute der äußerlichen Erscheinung (:-)x für ›Fliege‹) zu lesen. Meistens sind Emoticons auch visuell lesbar, wenn man den Kopf nach links seitlich hält und dann die Grundzüge eines Gesichtes erkennt. Dadurch ist das Beschreibungspotential der Emoticons weitgehend auf mimische und gestische Zeichen beschränkt. Emoticons basieren auf den ASCII-Zeichen. ASCII steht für American Standard Code for Information Interchange und bezeichnet den Code, den fast alle Computerhersteller unterstützen können, um Buchstaben, Zahlen und Sonderzeichen darzustellen. In den Anfängen der Netzkunst, noch vor der Erfindung des WWW, haben ihn Künstler bereits eingesetzt, um Graphiken oder Zeichnungen herzustellen.48 Solche Graphiken können auch in IRCs erzeugt werden; sie stellen eine der Formen visueller Repräsentation dar. Die Hamnet Players haben sie verwendet, um die räumliche Situierung ihrer Produktionen auch visuell anzudeuten.

Die Produktionen der Hamnet Players Die Hamnet Players wurden von Stuart Harris gegründet, einem in Großbritannien geborenen Schauspieler, der jetzt in den USA lebt. Harris begeisterte sich für die Kommunikationskultur im IRC, bemängelte jedoch das inhaltliche Niveau in vielen Kanälen.49 Daraus entwickelte er die Idee, den IRC für die Aufführung von Dramen im Internet zu nutzen. Mit der Welt-Uraufführung ihrer ersten Produktion Hamnet, einer Adaption von Shakespeares Hamlet, am 12. Dezember 1993, begann die Geschichte der Internet Performances.50 Berücksichtigt man

47. Vgl. Langenscheidt Internet-Wörterbuch: a.a.O., S. 10. 48. Vgl. Gumm, Heinz-Peter/Sommer, Manfred: Einführung in die Informatik, a.a.O., S. 10ff. Und: http://vuk.org/ascii/aae.html (Zugriff im November 2000) http://www1. zkm.de/~wvdc/ascii/frames.html – Bachmann, Dieter (Hrsg.): Net.Art. Rebellen im Internet. In: du. Die Zeitschrift der Kultur. Nr. 711, Nov. 2000. 49. Vgl. Horbelt, Andreas: Theater und Theatralität im Internet, a.a.O., S. 60. 50. Eigentlich war die Welt-Uraufführung von Hamnet für den 14. November 1993 geplant, hätte nicht ein Stromausfall in Kalifornien diesem historischen Ereignis die energetische Grundlage entzogen. Harris nannte diese Situation »an unmitigated 68

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die frühe Entwicklungsphase des Internets und das Stadium seiner Verbreitung im Jahre 1993, wird die Leistung der Hamnet Players in den Jahren 1993 bis 1995 erkennbar. Wie Andreas Horbelt bereits herausgestellt hat, ignorieren Ansätze, eine Geschichte der Netzkunst zu schreiben, weitgehend ihre performative Formen. So setzt beispielsweise Dieter Huber den Beginn »künstlerischer Arbeiten im WWW«51 erst mit der Entwicklung des Browsers Mosaic52 zum Jahresbeginn 1994 an. Auch Tilman Baumgärtels historische Perspektive auf die Netzkunst ignoriert performative Formen der Netzkunst.53 Die Faszination für zwei grundverschiedene Formen von Kultur – der Kultur des Dramentheaters sowie der sich gerade entwickelnden Netzkultur – motivierte Harris, die Hamnet Players zu gründen und ihre drei Produktionen durchzuführen, für die er den Begriff des »Internet Theatre«, »a participatory art forum«,54 verwendete. Diese beiden Formen von Kultur bilden auch die Eckpfeiler, innerhalb derer sich die spezifischen Kommunikationsformen der IRC-basierten Internet Performances entfalten. Je mehr man die ursprünglichen Dramentexte Shakespeares und das Theater seiner Zeit kennt und je mehr man gleichermaßen mit der Kommunikationskultur im IRC vertraut ist, desto besser kann man die Produktionen der Hamnet Players – Hamnet, PCBeth: An IBM Clone of Macbeth und An IRC Chanel Named Desire – gerade in ihrer ironischen Dimension rezipieren. Jede der drei Produktionen wurde zweimal aufgeführt.55 Wie auch für alle anderen historisch kontingenten Formen von Theater, so stellen sich auch für Internet Performances spezifisch wissenschaftstheoretische Probleme. Die Aufführungen der Hamnet Play-

51. 52.

53.

54. 55.

disaster«. Vgl. http://www.hambule.co.uk/hamnet (Zugriff am 28.01.2002) und Danet, Brenda et al.: Curtain Time 20:00 GMT, a.a.O. Huber, Hans Dieter: digging the net, a.a.O. Der Browser Mosaic funktioniert auf verschiedenen Plattformen (u.a. Windows, Amiga, X-Windows, Macintosh) und stellt die Ausgangsform für viele der heute gängigen Browser wie dem Netscape Navigator oder dem Internet Explorer dar. Vgl. Langenscheidt Internet-Wörterbuch: a.a.O., S. 33. Vgl. Baumgärtel, Tilman: [Net.Art 2.0]: Neue Materialien der Netzkunst. (Hrsg. v. Institut für Moderne Kunst Nürnberg) Nürnberg: Verlag für Moderne Kunst, 2001. Und: ders.: The Net. The Art. Vorgeschichte. In: Bachmann, Dieter (Hrsg.): Net. Art. Rebellen im Internet, a.a.O., S. 54-61. Harris, Stuart: About Internet Theatre & the Hamnet Players. In: http://www.ham bule.co.uk/hamnet/about.htm (Zugriff am 28.01.2002) Hamnet wurde am 12. Dezember 1993 20:00 GMT und am 6. Februar 1994 20:00 GMT, PCBeth: An IBM Clone of Macbeth am 23. April 1994 17:00 GMT und am 10. Juli 1994 19:00 GMT und An IRC Channel Named #Desire 30. Oktober 1994 17:00 GMT 12. Februar 1995 17:00 GMT aufgeführt. 69

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ers – und auch aller anderen Internet Performances – sind ephemer; ein aus theaterwissenschaftlicher Perspektive nur allzu bekanntes Problem. Konkret können für die Produktionen der Hamnet Players, stellvertretend für die Quellenlage anderer textbasierter Internet Performances, folgende Quellen mit unterschiedlichem erkenntnistheoretischem Status unterschieden werden: die Textvorlage, Besetzungslisten und die logfiles der Aufführungen. Die Textvorlagen, die Harris als Skript bezeichnet, sind Dramenadaptionen für die IRC-Umgebung.56 Sie sind nicht mit dem tatsächlichen Textkorpus, also allen während der Aufführung als Nachrichten eingegebenen Zeichen, identisch. Letztere werden gesondert gespeichert und als logfile (siehe unten) bezeichnet. In Anlehnung an die Systematisierung Dietrich Steinbecks können die Textvorlagen als mittelbare Quellen in Objektsprache begriffen werden.57 Analog zum Status des Dramentextes in traditionellen Theaterformen muss auch das Skript als dramatische Textgrundlage der Hamnet Players im Sinne Andreas Höfeles als »aufzuführende[r] Text«58 begriffen werden. Die Textvorlage ist durch die Nummerierung der Zeilen strukturiert. Das Skript als Ganzes war vor den Aufführungen nur dem Produktionsteam bekannt. Jeder Darsteller erhielt vor der Aufführung nur die seine Rolle betreffenden Zeilen. Die einzelnen Darsteller wussten jedoch, nach welcher Zeilennummer sie einzusetzen hatten. Um die Narration der Textvorlage einzuhalten, war diese Regel Grundlage für das Gelingen einer Aufführung der Hamnet Players. Wie in Abbildung 3 zu sehen ist, sind hinter bestimmten Repliken Zahlen verzeichnet. Jedem Darsteller wurden vor Beginn der Aufführung die Zahlen mitgeteilt, nach denen die nächste, nämlich die mit der darauffolgenden Ziffer gekennzeichnete Replik, abzuschicken war. So lange die entscheidende Ziffer im Dialog noch nicht aufgetaucht und die Reihenfolge der Einsätze eingehalten war, durften alle Darsteller improvisatorisch die Handlung gestalten, d.h. eigene Repliken und Beschreibungen ergänzen. Proben wurden für die drei Produktionen der Hamnet Players nicht durchgeführt; stattdessen wurde der Fokus bewusst auf Improvisationen gelegt. Die Besetzungslisten geben neben den Aufführungsdaten und

56. Die Textvorlage für alle drei Produktionen der Hamnet Players finden sich unter http://www.hambule.co.uk/hamnet/hscript.htm, http://www.hambule.co.uk/ham net/pscript.htm und http://www.hambule.co.uk/hamnet/dscript.htm. 57. Vgl. Steinbeck, Dietrich: Einleitung in die Theorie und Systematik der Theaterwissenschaft. Berlin: de Gruyter, 1970, S. 157-159. 58. Höfele, Andreas: Drama und Theater: Einige Anmerkungen zur Geschichte und gegenwärtigen Diskussion eines umstrittenen Verhältnisses. In: Forum Modernes Theater Bd. 6/1 (1991), S. 3-24: S. 11. 70

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Kontaktadressen auch die Namen des Produktionsteams sowie die Namen, E-Mail-Adressen und – soweit bekannt – Herkunftsorte der Darsteller an. Die Besetzungslisten können mit Steinbeck als unmittelbare Quellen in Objektsprache begriffen werden. Sie geben insbesondere Auskunft über die Teilnehmer und möglicherweise auch über die geographische Reichweite der Produktionen. Als logfile wird die Datei bezeichnet, in der alle Aktivitäten während einer Internet-Sitzung gespeichert werden.59 Die logfiles von textbasierten Internet Performances geben also alle Eingaben, Aktionen und technischen Probleme wieder, die während einer Aufführung auftraten. Sie stellen damit die wichtigste Quelle für eine wissenschaftliche Untersuchung von textbasierten Internet Performances dar. Logfiles können nach Steinbeck als unmittelbare Quelle in Metasprache begriffen werden. Ähnlich dem wissenschaftstheoretischen Status der Videoaufzeichnung einer Theateraufführung, bei der sich Darsteller und Zuschauer in ein und demselben physischen Raum aufhalten, stellen logfiles kein Äquivalent für die Teilnahme an einer textbasierten Internet Performances dar. Abbildung 3: Auszug aus dem »logfile« der »Hamnet«-Aufführung vom 6. Februar 199460

* _Enter Ophelia [21] Here’s your crap back, babe: your Mac, your WP 51.a, amd your dirty +mags [22] Not mine, love. Hehehehehe ;-D [23] *** SkinnyPup ([email protected]) has joined channel #hamnet Oh Heavely powers!! Restore his manhood andletr him do bad things +to me! [24] -> *ophelia* GREAT!!!! * Ophelia thinks Hamlet is a fucking goober. Make that "sanity-deprived", purleez…. [26] Oph: suggest u /JOIN #nunnery [27] :o *** Signoff: Prologue (Error 0) *** SkinnyPup is now known as SP :( :( :( [28] -> *ophelia* drown, baby, drfown * Ophelia is drowing in a sea of her archelogy of the soul…amnd the damn +water. SHIT!

59. Vgl. Langenscheidt Internet-Wörterbuch, a.a.O., S. 106. 60. Ein Screenshot aus einer der Aufführungen der Hamnet Players existiert nicht. Rechtschreibfehler in einem logfile entstanden während der Aufführung. 71

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Dem logfile fehlt im Gegensatz zur Aufführung das zeitliche Moment; außerdem bleibt der Lesende während der Lektüre des logfiles Außenstehender, während man im Prozess der Aufführung einer textbasierten Internet Performance am dramatischen Text selbst mitschreibt.61 Weiterhin sind sie nicht mehr in der visuellen Struktur des Interface, wie die Teilnehmer es während der Aufführung wahrnehmen, gespeichert. Über die Differenzen zwischen der Textvorlage und den logfiles der verschiedenen Aufführungen ließe sich das Spezifische der jeweiligen Aufführung, der Grad an Improvisation und letztlich auch das Gelingen der Interaktion zwischen den einzelnen Teilnehmergruppen, bestimmen. Der in Abb. 3 zitierte Ausschnitt aus einem logfile lief während der Aufführung im Hauptteil des Bildschirms von unten nach oben. Die Teilnehmer nahmen also innerhalb der spezifischen visuellen Struktur des IRC-Interfaces einen bewegten Text wahr, der auf dramatischen Strukturen beruht, jedoch vom zeilenorientierten Kommunikationssystem als charakteristischer Kommunikationsweise im IRC durchzogen ist.62 Wie bei allen anderen Formen von Theater existieren auch für Internet Performances mittelbare metasprachliche Quellen wie Rezensionen und verschiedene Forschungsarbeiten, auf die an entsprechender Stelle während der Beschreibung dieser Produktionen als auch während ihrer Interpretation eingegangen werden soll (vgl. Kap. 1.2, 5). Im Folgenden soll die Produktion Hamnet vorgestellt werden.63

Hamnet Für die Produktion Hamnet, die am 12. Dezember 1993 und am 6. Februar 1994 aufgeführt wurde, erstellte Stuart Harris aus Shakespeares Hamlet eine 80-zeilige Adaption64, in die Harris mit Rollen wie ›PROLOGUE‹, ›SCENE‹ ›Audience‹, ›_Enter‹, ›_Exit‹, ›Prompter‹, ›Drum‹, ›Colours‹ und ›Attndts‹ (sic) weitere Handlungsträger einbaute.65 Die

61. Vgl. Horbelt, Andreas: Theater und Theatralität im Internet, a.a.O., S. 48. 62. Als zeilenorientiertes Kommunikationssystem wird die in Echtzeit stattfindende Kommunikation in Textzeilen bezeichnet. Vgl. Schauecker, Renée: Unbarmherzig technischer Ausklang, a.a.O., S. 507. 63. Informationen zur dritten Produktion der Hamnet Players An IRC Channel Named #Desire finden sich unter http://www.hambule.co.uk/hamnet/dscript.htm und http: //www.hambule.co.uk/hamnet/d1cast.htm sowie http://www.hambule.co.uk/hamnet/d2cast.htm (Zugriff am 28.01.2002). 64. Vgl. http://www.hambule.co.uk/hamnet/hscript.htm (Zugriff am 28.01. 2002) 65. Die Liste der Darsteller und ihrer E-Mail-Adressen findet sich für die Aufführung am 12. Dezember 1993 unter http://www.hambule.co.uk/hamnet/h1cast.htm, für die Aufführung am 6. Februar 1994 unter http://www.hambule.co.uk/hamnet/ 72

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Darsteller und alle weiteren Teilnehmer, die keine Rollen übernahmen, rekrutierte Harris über Werbung in verschiedenen IRC-Kanälen und über klassische Werbekanäle in Printmedien. In der Textvorlage können strukturelle Analogien zum Ablauf einer Theater- beziehungsweise Filmvorführung festgestellt werden: Das Skript beginnt mit Basisinformationen zu Aufführungszeit sowie -ort und zu den Rechten am Text. Danach folgt eine Replik für den Darsteller des Publikums sowie die Handlungsangabe, dass sich nun der Vorhang öffne. Auf diese Angabe folgt eine ASCII-Graphik. Sie wird von einem Darsteller namens ›_Set‹ eingespielt und stellt das Schloss Elsinore dar (vgl. Abb. 4). Horbelt bezeichnet die Graphik als ASCII-›Bühnenbild‹. Abbildung 4: ASCII-Graphik des Schlosses Elsinore aus dem »Hamnet«-Skript

Der Absicht Harris’, internetspezifische Äquivalente für die herkömmliche Produktionsform von Theater zu finden,66 entspricht diese Formulierung sicherlich; im Sinne einer präziseren Betrachtung, wie IRCbasierte Internet Performances funktionieren, soll diese Bezeichnung hier jedoch nicht verwendet werden. Stattdessen soll rein deskriptiv von ASCII-Graphiken und den Inhalten, die sie repräsentieren sollen, gesprochen werden. In der zweiten Aufführung des Hamnet löste diese

h2cast.htm (Zugriff jeweils am 28.01.2002) Die Darstellern, deren Herkunftsort sich feststellen lässt, kommen vorwiegend aus den USA und Europa. 66. Vgl. http://www.hambule.co.uk/hamnet/about.htm (Zugriff am 28.02. 2002) 73

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Graphik unabsichtlich einen ›bot‹ aus.67 Dieser Fehler schloss den Darsteller des Hamlet, der in dieser zweiten Aufführung von Ian Taylor, Mitglied der Royal Shakespeare Company gespielt wurde, während der laufenden Aufführung aus dem Kanal aus.68 Nach dem Einspielen der ASCII-Graphik folgt die Beschreibung, dass das Publikum applaudiere; der Prolog beginnt und kündigt unter Adaption der berühmten Verse Shakespeares die Welt-Uraufführung des »Hamlet_in_Progress«69 an: » All the world’s a Unix term …[3] … and all the men & women merely irc addicts ….[4]«70 Im Weiteren gliedert sich die Textvorlage in fünf Szenen, die Harris mit ›The Battlements‹, ›After Hamlet’s Chem Lab‹, ›Interior‹, ›The Queen’s Closet‹ und ›Gruesome Finale‹ betitelte. Für die Produktionen der Hamnet Players lassen sich drei Formen der Teilnahme unterscheiden: Neben dem Produktionsteam mit seinen speziellen Einblicken in die Aufführung gibt es zum einen die Teilnehmer, die als Darsteller auch Rollen übernehmen, und zum anderen die Teilnehmer, die der Aufführung im IRC beiwohnen und eigene Texte eingeben. Für alle Teilnehmer gleichermaßen erscheint eine Aufführung im IRC als ein dramatischer Dialog, der sowohl Hauptals auch Nebentext umfasst und der als bewegter Text auf dem Interface der IRC-Oberfläche von unten im Bildschirm auftaucht und durch neu eingegebene Repliken zum oberen Bildschirmende verschoben wird. Mehr als Bewegungen der Hände und Augen sind für alle Teilnehmer nicht nötig, um der Aufführung – wie bei allen im Folgenden thematisierten Formen von textbasierten Internet Performances – zu folgen. Die Darsteller müssen während der Aufführung auf ihre Einsätze achten und ihre nächste Replik über die copy/paste-Funktion möglichst schnell eingeben. Ansonsten sind sie dazu aufgefordert, die theatrale Aktion improvisierend voranzutreiben. Die Teilnehmer hingegen, die keine eigene Rolle übernommen haben, können ihre selbst erfundenen Improvisationen einspielen, wann immer es ihnen gefällt. Eine Aufführung der Hamnet Players zu erleben, bedeutete also, einen dramatischen Dialog, den man selbst mitgestalten konnte, zu lesen. Dieser

67. ›Bots‹ als Abkürzung für ›robot‹ bezeichnen einen programmierten Automatismus, der ohne weiteres Zutun durchgeführt wird. Vgl. Langenscheidt Internet-Wörterbuch, a.a.O., S. 31. – Oder: Mandel, Thomas/Van der Leun, Gerard: Barmherzig untechnische Einführung, a.a.O., S. 23f. 68. Vgl. http://www.hambule.co.uk/hamnet/about.htm (Zugriff am 28.02. 2002) 69. http://www.hambule.co.uk/hamnet/hscript.htm (Zugriff am 28.01.2002) 70. Ebd. 74

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Lesevorgang unterscheidet sich jedoch radikal vom Lesen eines Dramentextes in Buchvorlage, da die einzelnen Repliken nur für eine begrenzte Zeit auf dem Bildschirm erschienen und dann gemäß der Transitorik aller theatralen Zeichen verschwanden, bis sie in ihrer wissenschaftsthoeretischen Aufbereitung als logfiles wieder zugänglich wurden. An einer Aufführung der Hamnet Players teilzunehmen, heißt, als Individualperson vor einem mit dem Internet über IRC verbundenen Rechner an einem dramatischen Text mitzuschreiben, der im Moment seines Entstehens bereits aufgeführt wird und direkt wieder in einen nicht-performativen Modus zurückfällt.

3.3.2 MOO Theatre Die zweite textbasierte Umgebung des Internets, in der Internet Performances durchgeführt wurden, sind die objektorientierten Multi User Dimensions. Ihr Name stammt von den Multi User Dungeons, was wörtlich etwa mit »(dunkles) Gewölbe für viele oder mehrere User (Spieler)«71 übersetzt werden könnte und mit MUD abgekürzt wird. MUDs sind textbasierte Rollen- und Abenteuerspiele für mehrere Teilnehmer, die in synchroner Kommunikation über das Internet laufen. Die Abkürzung MOO ergibt sich aus der englischen Schreibweise ›Multi User Dimension Object-Oriented‹, wobei der adjektivische Zusatz ›objektorientiert‹ innerhalb der Informatik ein besonderes Paradigma des Programmierens bezeichnet. MOOs stellen also eine besondere Form der MUDs dar.72 MUDs entstanden in einer frühen Entwicklungsphase des Internets. Roy Trubshaw und Richard Bartle schrieben bereits 1979 an der Universität von Essex das Programm, das den MUDs zu Grunde liegt.73

71. Langenscheidt Internet-Wörterbuch: a.a.O., S. 117. 72. Vgl. ebd., S. 115. – In der für die Netzkultur so typischen, hochgradig komprimierten Sprache werden MUDs folgendermaßen definiert: »A MUD (Multi-User Dungeon or, sometimes, Multi-User Dimension) is a network-accessible, multi-participant, user-extensible virtual reality whose user interface is entirely textual.« Curtis, Pavel: Mudding: Social Phenomena in Text-Based Virtual Realities. http://www.eff.org/ Net_culture/MOO_MUD_IRC/curtis_mudding.article (Zugriff am 27.1.2002) – Nach Andersen kennt die Informatik eben dem objektorientierten Programmieren noch das funktionale und logische Programmieren als Paradigmen. Vgl. Andersen, Peter Bogh: Introduction. In: ders./Holmqvist, Berit/Jensen, Jens (Hrsg.): The Computer as Medium. Cambridge: Cambridge University Press, 1993, S. 9-15: S. 9. 73. Trubshaw experimentierte an einem Spiel, das auf dem Programm Colossal Caves basierte. Aufgrund von Grenzen in der Kapazität schrieb es Bartle in der Programmiersprache BCPL neu. Vgl. Harrison, Roger: Multi User Dungeons. Versuch einer 75

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Es entstand aus dem Kontext der ersten interaktiven und computerbasierten (Rollen-)Spiele, wie beispielsweise Dungeon&Dragons, Spacewar oder Advent und orientierte sich thematisch u.a. an Tolkiens Herr der Ringe.74 In diesen Spielen bewegen sich die Teilnehmer in fiktionalen Welten mit dem Ziel, ›Dämonen‹ zu besiegen und dadurch mehr ›Macht‹ als die anderen Teilnehmer zu erlangen.75 Nach Burk werden solche Anwendungen des Internets als »hack and slash environments« bezeichnet, »indicating the prominence of weapons and the violence inherent in defeating enemies in physical battle.«76 Mit der Programmierung des TinyMUD gab Jim Aspnes von der Carnegie Mellon Universität 1989 der Entwicklung der MUDs eine neue Ausrichtung. Er lenkte den Fokus der Spiele vom Wettbewerb unter den Teilnehmern weg und auf die kreative Erweiterung der fiktionalen Welt und die soziale Interaktion in dieser Welt hin.77 In den frühen 90er Jahren wurden dann mehrere weitere TinyMUDs entwickelt, die von den Spielern selbst programmiert werden konnten.78 Solche Erweiterungen durch die Spieler selbst siedelt Sherry Turkle als eine hybride Aktivität zwischen Programmieren und fiktionalem Schreiben an.79 Auf der Basis des TinyMud schrieb Steven White 1990 das Programm für einen objektorientierten MUD, also einen MOO.80 Dieses Programm legte Pavel Curtis vom Xerox Palo Alto Research Center (PARC) zu Grunde, um daraus den LambdaMOO zu entwickeln.81 Seit-

74. 75. 76. 77. 78. 79.

80.

81.

Definition und Standortbestimmung. In: Bollmann, Stefan/Heibach, Christiane (Hrsg.): Kursbuch Internet, a.a.O., S. 299-314: S. 299. Vgl. Burk, Juli: ATHEMOO and the Future Present, a.a.O., S. 34. Vgl. ebd., S. 110. Ebd. Vgl. ebd. Vgl. Haynes, Cynthia/Holmevik, Jan Rune: Introduction: »From the Faraway Nearby«. In: dies. (Hrsg.): High Wired, a.a.O., S. 1-12: S. 2. Vgl. Turkle, Sherry: Foreword: All MOOs are Educational – The Experience of ›Walking through the Self‹. In: Haynes, Cynthia/Holmevik, Jan Rune (Hrsg.): High Wired, a.a.O., S. ix-xix: S. ix. Zur Objektorientierung in MOOs vgl. Kap. 4.1 »General information on building things« und Kap. 4.3 »Construction with @create«. In: http://tecfa.unige.ch/moo/ book2/node9.html (Zugriff am 05.03.2002) Vgl. ebenfalls Barrios, Jorge/WilkesGibbs, Deanna: How to MOO without Making a Sound. A Guide to the Virtual Communities Known as MOOs. In: Haynes, Cynthia/Holmevik, Jan Rune (Hrsg.): High Wired, a.a.O., S. 45-87: S. 68ff. – Als weitere Kategorien von MUDs werden noch MUSHes und MUSes unterschieden. Vgl. Harrison, Roger: Multi User Dungeons, a.a.O., S. 299-314: S. 301f. Der LambdaMOO kann über Telnet mittels der Adresse telnet://lambda. moo.mud. org:8888 erreicht werden. Vgl. Malloy, Judy: Public Literature: Narratives and Narra76

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dem wurde der Code, auf dem solche Programme basieren, immer wieder erweitert und neuen Bedürfnissen angepasst, wie z.B. für den Typus des Educational MOO. »The history of educational MOOs is essentially a story about adaption and reconception of gaming technology for professional and educational use«,82 urteilen Cynthia Haynes und Jan Rune Holmevik. Burk bewertet Aspnes’ Abwendung von der auf Macht ausgerichteten Struktur der Abenteuer-MUDs und Curtis’ Bruch mit narrativen Strukturen als wichtige, wenn gleich nicht zwangsläufig intentionale »moves away from the patriarchal foundations of early online environments.«83 Referenzpunkt ist jedoch immer noch Pavel Curtis Programmer’s Manual.84 Jeder dieser Educational MOOs ist durch spezifische pragmatische Aspekte, wie beispielsweise Interaktionsformen, und daraus resultierende Verhaltensregeln gekennzeichnet. Im Vergleich zur Kommunikation in IRCs sind sie weitaus stärker ausgeprägt. Auch diese Regeln werden im theatralen Kontext reflektiert. Educational MOOs werden oftmals im Bereich des distance learning eingesetzt. Der erste Educational MOO, der MediaMOO, wurde von Amy Bruckman 1992 entwickelt. In seinem Aufbau bildet er die Struktur des Media Lab des Massachusetts Institute of Technology (MIT) ab und richtet sich von daher auch primär an Medienwissenschaftler.85 »It demonstrated that a technology that had predominantly been used for gaming and online chat purposes could be put to serious and productive use.«86 Zum Typus des Educational MOOs gehören auch der Postmodern Cul-

82. 83. 84. 85.

86.

tives Structures in LambdaMoo. In: Harris, Craig (Hrsg.): Art and Innovation. The Xerox PARC Artist-in-Residence Program. Cambridge: MIT Press, 1999, S. 102-117. Haynes, Cynthia/Holmevik, Jan Rune: Introduction: »From the Faraway Nearby«, a.a.O., S. 2. Burk, Juli: The Play’s The Thing, a.a.O., S. 232-249: S. 233. Vgl. Curtis, Pavel: The LambdaMOO Programmer’s Manual. http://ftp. lambda.moo. mud.org/pub/MOO (Zugriff in 2001) Der MediaMOO kann über Telnet mittels der Adresse telnet://mediamoo.cc. gatech. edu:8888 erreicht werden. Weitere Information sind erhältlich unter: http://www. cc.gatech.edu/fac/Amy.Bruckman/MediaMOO (Zugriff am 27.02.2002) – Zum MediaMOO und LambdaMOO vgl. Rheingold, Howard: The Virtual Community, a.a.O., S. 145-175. Haynes, Cynthia/Holmevik, Jan Rune: Introduction: »From the Faraway Nearby«, a.a.O., S. 3. 77

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ture MOO sowie der ATHEMOO, in denen die verschiedenen MOO Theatre-Produktionen aufgeführt wurden.87 Im wissenschaftlichen Diskurs konnte sich eine Einteilung durchsetzen, die den auf Abenteuerspiele hin orientierten Typus von den im weitesten Sinne sozial orientierten MOOs unterscheidet.88 Über die Frage, wie der zweite Typus im Weiteren unterschieden werden könnte, bestehen verschiedene Auffassungen.89 Für ein Verständnis, wie MOOs im theatralen Rahmen eingesetzt wurden, sind jedoch weniger die kontingenten Möglichkeiten, sie zu kategorisieren, von Bedeutung, sondern vielmehr die Auswirkungen ihrer technologischen Parameter auf die theatrale Kommunikationssituation. Sie sollen im Folgenden betrachtet werden.

Technologische Grundlagen Ein MOO basiert auf zwei Standardkomponenten, einem Server »that handles input and output as well as the multiple connections with logged-in users« und einer Datenbank »which is the MOO itself, containing the digital representation of the virtual world.«90 Heute können MOOs meistens über die Oberfläche des WWW erreicht werden, seltener noch ausschließlich über Telnet. Zur Einwahl in einen MOO muss sowohl über Telnet als auch das WWW die Server-Adresse des MOO (oder einer äquivalenten numerischen Zeichenkombination, die auch als IP-Nummer bezeichnet wird) mit einer port number eingegeben

87. Der Postmodern Culture MOO kann über Telnet mittels der Adresse telnet: //hero. village.virginia.edu:7777, der ATHEMOO über Telnet mittels der Adresse telnet: // moo.hawaii.edu:9999 oder über die Oberfläche des WWW unter http://www2.hawaii. edu/athe/ATHEMOO.html erreicht werden. (Zugriff am 10.03.2002) – Andere Beispiele sind der BioMOO von Gustavo Glusman und Jaime Prilusky oder die Diversity University von Jeanne MacWhorter, »the largest multidisciplinary MOO on the Internet«, so Haynes/Holmevik. Vgl. Haynes, Cynthia/Holmevik, Jan Rune: Introduction: »From the Faraway Nearby«, a.a.O., S. 3. – Eine Übersicht zu MOOs findet sich auf http://ww.english. upenn.edu/PennMOO/mooinfo.html (Zugriff am 05.03.2002) oder bei Galin, Jeffrey: Appendix. MOO Central. Educational, Professional, and Experimental MOOs on the Internet. In: Haynes, Cynthia/Holmevik, Jan Rune (Hrsg.): High Wired, a.a.O., S. 325-338. 88. Vgl. Turkle, Sherry: Foreword: All MOOs are Educational, a.a.O., S. ix-xix: S. ix. 89. Jeffrey Galin beispielsweise differenziert in seiner Zusammenstellung zwischen ›General Educational MOOs‹, zu denen er auch den ATHEMOO rechnet, ›UniversitySpecific MOOs‹, ›Professional MOOs‹, ›Experimental and Programming MOOs‹ sowie ›Foreign-Language MOOs‹, worin er nur nicht-englischsprachige MOOs anführt. Für die vollständige Liste vgl. Galin, Jeffrey: Appendix. MOO Central, a.a.O. 90. Haynes, Cynthia/Holmevik, Jan Rune: Introduction: »From he Faraway Nearby«, a.a.O., S. 4. 78

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werden. Nachdem der erste Bildschirm, meistens mit einem Begrüßungstext, erschienen ist, kann man sich mit dem ›connect guest‹-Befehl anmelden. Nicht alle MOOs sehen Verbindungen für Gäste vor. In solchen Fällen muss erst eine Benutzeridentität erworben werden, beispielsweise über den ›@request for ‹-Befehl.91 Für MOOs können drei Textebenen unterschieden werden: erstens die Datenbank mit den Objekten und ihren Verknüpfungen, zweitens die herkömmlichen Texte zur Beschreibung von ›Gegenständen‹, denen die Teilnehmer während ihrer Navigation durch die Bereiche der Datenbank begegnen, sowie der während einer Kommunikation eingegebene Text.92 Dabei sind MOOs über die Metapher des Raumes organisiert.93 Hat man sich angemeldet, kann man über bestimmte Befehle einzelne Bereiche im MOO – im ATHEMOO beispielsweise die Lobby – erreichen. Diese Abschnitte der Datenbank werden umgangssprachlich als ›Räume‹ und in der Sprache der Informatik als Objekte bezeichnet. Grundsätzlich ähneln die Befehlsstrukturen in MOOs den IRCBefehlen, die auch für MOOs hinsichtlich Kommunikation und Navigation unterschieden werden können.94 Insbesondere der Aussage- und der Ausdrucksbefehl werden in MOOs häufig für die Kommunikation eingesetzt. Der Aussagebefehl – ›say command‹ genannt und als ›say Hi all!‹ eingegeben – erscheint für den Benutzer als ›You say »Hi all!«‹, für die übrigen Teilnehmer als ›John says, »Hi all!«‹ Der Ausdrucksbefehl – ›emote command‹ genannt und als ›emote ‹ eingegeben – erscheint für alle als ›John ‹. Da diese beiden Befehle so oft benutzt werden, existieren für beide abgekürzte Formen der Eingabe über die doppelten Anführungszeichen und den Doppelpunkt: ›Hi all!‹ und ›:smiles‹. Nach diesem Prinzip bauen sich die meisten Befehle auf, so auch der Befehl, der das Betrachten von Objekten, also Teilen der Datenbank, oder das Aufrufen der Beschreibungen anderer Teilnehmer ermöglicht, der ›look command‹. Wird dieser Befehl eingegeben, erscheint die Beschreibung eines Objektes, beispielsweise von Requisi-

91. Vgl. http://tecfa.unige.ch/moo/book2/node9.html (Zugriff am 05.03. 2002) – Befehle wie beispielsweise »@join« oder »@go« sind Gästen in einigen MOOs nicht erlaubt. 92. Vgl. Harrison, Roger: Multi User Dungeons, a.a.O., S. 301. 93. »Object-oriented databases store complex data structures, called ›objects‹, which are organized into hierarchical classes that may inherit properties from classes higher in chain.« Manovich, Lev: The Language of New Media, a.a.O., S. 218. 94. Im Folgenden vgl. Barrios, Jorge/Wilkes-Gibbs, Deanna: How to MOO without Making a Sound, a.a.O. – Curtis, Pavel: Mudding, a.a.O. Ohne Seitenangabe. Und: http: //tecfa.unige.ch/moo/book2/node9.html (Zugriff am 05.03.2002) 79

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ten in den theatralen Anwendungen von MOOs. Ein Beispiel ist die Objektbeschreibung des Kostümschranks in Rick Sacks’ MetaMOOphosis. Abbildung 5: Objektbeschreibung des Kostümschranks in MetaMOOphosis

This is the costume closet. Taking a costume will give you that character’s name. You will then be able to ’describe as ’ to tailor your character. The costumes also have built-in scripts that can be used to generate a moo theatre Metamorphosis. Type ’look in closet’ for a brief description and a help text. Type ’take from closet’ (don’t type the word ’Costume’) to wear one. – Important – Once you have a costume, type look or help to see what you can do. Contents: An observer (Costume) a journalist (Costume) Mr. Samsa (Costume) Gregor (Costume) Grete (Costume) Mrs. Samsa (Costume)

Beschreibungen von ›Räumen‹ erscheinen meist automatisch, sobald ein neuer ›Raum‹ mit dem ›@go ‹-Befehl betreten wird. Automatisch erscheinen auch Informationen, wenn andere Teilnehmer neu in den ›Raum‹ eintreten oder ihn verlassen. Der ›@who‹-Befehl ruft eine Liste aller Teilnehmer auf, die momentan gerade mit dem MOO verbunden sind und gibt deren Spitznamen, ihren ›Aufenthaltsort‹, die Zeit, seit der sie mit dem MOO verbunden sind, sowie die Zeitspanne, seit der sie nichts mehr eingegeben haben, an. Mit dem Befehl ›@quit‹ schließt man die Sitzung im MOO ab. Obwohl die zentralen Funktionen der meisten MOOs über ähnliche Kommunikationsstrukturen gesteuert werden, treten doch immer wieder Besonderheiten einzelner MOOs auf, die meist mit dem Befehl ›page help‹ eingesehen werden können.95 Im Folgenden sollen zuerst die Produktionen einer

95. Als Ergänzung sei hier auf Richard Lord, Choreograph der Big Room Dance Company, verwiesen, der versuchte, Tanz und die Kommunikation in einem MOO zu verbinden. Seine Arbeit Lifeblood von 1997 beispielsweise bestand aus einem Text, der in einem MOO jederzeit gelesen werden konnte und so Lords Idee von einem Tanz umsetzte, »which doesn’t exist and never has existed outside of people’s minds«. Diese Konzeption entspricht jedoch nicht dem innerhalb de vorliegenden Arbeit für Inter80

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Gruppe, der Plaintext Players, und daran anschließend die Produktionen vorgestellt werden, die im ATHEMOO stattfanden.

Produktionen der Plaintext Players Die Plaintext Players wurden 1993 von Antoinette LaFarge gegründet. Die Künstlerin und Schriftstellerin arbeitet als Assistant Professor of Studio Art an der University of California at Irvine (UCI). Schwerpunktmäßig beschäftigen sich die Plaintext Players (u.a. mit Marlena Corcoran96) an der Schnittstelle zwischen Performances, Rollenspiel und Narration. »We’re an online performance group forging a unique hybrid of theater, fiction, poetry, and vaudeville using network technology.«97 Die Plaintext Players binden dabei ihre Internet Performances in andere künstlerische Ausdrucksformen ein, z.B. bei der Documenta X, der Biennale in Venedig, in der Postmasters Gallery in New York oder 1995 beim European Media Arts Festival.98 Der Produktionsprozess ihrer Performances beginnt mit Szenarios, die LaFarge vorgibt und die im Verlauf der Aufführung improvisierend und kollektiv fortgeschrieben werden. LaFarge wählt auch die Darsteller aus. »Her goal in guiding the ensemble work is to provide the combination of elements – a workable structure, a space of mutual trust, clear direction, compelling storylines – that will set the performers free to improvise at a high level of inventiveness. It is the performers who really make this medium work.«99 Erste Aufführungen fanden 1994 statt, darunter viele im PostmodernMOO oder YINMOO, u.a. Christmas (1994-95), Little Hamlet (1995), Gutter City (1995), The Candide Campaign (1996), The White Whale (1997),

96.

97. 98. 99.

net Performances angelegte Definiens der Simultaneität von Produktion und Rezeption. Vgl. Lord, Richard: I Nomi di una Rosa… I Come e i perché di Web Dances (237-245). In: Menicacci, Armando/Quinz, Emanuele (Hrsg.): La Scena Digitale. Nuovi Media Per la Danza. Venedig: Marsilio, 2001, S. 237-245. – In englischer Sprache als »A Rose By Any Other Name… The Hows and Whys of Web Dances« gespeichert unter: http://www.webdances. com/index2.php (Zugriff am 25.10.2002) Corcoran führte auch die Worst Case Scenarios im PostModernCultureMOO durch. Vgl. Corcoran, Marlena: »Worst Case Scenarios«. The Fiction of the Internet. In: Leonardo Vol. 30, No. 5 (1997), S. 343-348. http://yin.arts.uci.edu/~players/faq.html (Zugriff am 21.05.2001) Vgl. ebd. Ebd. 81

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Orpheus (1997), The Roman Forum (2000).100 Die Textvorlage zu Gutter City ist im Internet gespeichert und bietet sich deshalb für eine Analyse an.101 LaFarge begreift die Vorlagen als aufzuführende Texte,102 deren Status zwischen Literatur und Performance angesiedelt ist. »The resulting performance texts are artistically rich both as literature and as performance, and they defy any simple classification.«103 LaFarge selbst hat sich theoretisch über die Produktionen der Plaintext Players geäußert und mit »Why call it theater if it’s really text?«104 eine der zentralen Fragen gestellt. Im Prozess der Aufführung erlangt die dramatische Textvorlage den Status eines aufgeführten, statt ausschließlich geschriebenen Textes. So charakterisiert LaFarge die Aufführungen der Plaintext Players als »unique hybrid of drama, fiction, playscript, poetry, oral storytelling, and psychotherapy«,105 in denen dem Internet spezifische Eigenschaften eingesetzt werden (vgl. Kap. 5.1.1). Die Aufführungen der Plaintext Players knüpfen damit gleichermaßen an performative als auch schriftgebundene Traditionen an. Die Teilnehmer entwickeln die dramatischen Szenarios im Verlauf der Aufführung fort, sind also gleichermaßen Produzenten und Teilnehmer. Wenn sich verschiedene Teilnehmer fast identische Rollennamen gaben, konnten sie gemeinsam an einer Rolle schreiben.106 Analog zur Wahrnehmungssituation bei den Produktionen der Hamnet Players schreiben auch bei den Plaintext Players Individualpersonen vor einem mit dem Internet verbundenen Rechner an einem dramatischen Text mit, der im Moment seines Entstehens bereits aufgeführt wird und direkt wieder in einen nicht-performativen Modus zurückfällt. Sie schreiben an einem Text mit, der im Moment seiner Entstehung bereits als aufgeführter wahrgenommen wird, diesen Sta-

100. Für Beschreibungen einzelner Produktionen vgl. Corcoran, Marlena: Life and Death in the Digital World of the Plaintext Players. In: Leonardo Vol. 32, No. 5 (1999), S. 359-364. 101. http://yin.arts.uci.edu/~players/GC/GCTrans/GC501.html (Zugriff am 27. 06.2003) – LaFarge bezeichnet die Textvorlage als ›full transcript‹ der Aufführung; logfiles wie bei den Hamnet Players existieren hier nicht. Vgl. http://yin.arts.uci.edu/~pla yers/faq.html#5 (Zugriff am 27.06.2003) – Eine detaillierte Beschreibung und Analyse von Orpheus findet sich bei Horbelt, Andreas: Theater und Theatralität im Internet, a.a.O., S. 74-78. 102. Vgl. Höfele, Andreas: Drama und Theater, a.a.O., S. 11. 103. http://yin.arts.uci.edu/~players/faq.html (Zugriff am 21.05.2001) 104. LaFarge, Antoinette: A World Exhilarating And Wrong, a.a.O., S. 419. 105. http://yin.arts.uci.edu/~players/faq.html (Zugriff am 21.05.2001) 106. Vgl. La Farge, Antoinette: A World Exhilarating And Wrong, a.a.O., S. 419. 82

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3. SYSTEMATIK DER PRODUKTIONEN

tus jedoch in dem Moment, in dem die entsprechende Replik von den Bildschirmen verschwindet, wieder verliert. Der Körper der Teilnehmer bleibt wie bei allen textbasierten Internet Performances während der Aufführung bewegungslos, ausgenommen Bewegungen mit den Augen und den Händen zur Bedienung der Tastatur und der Maus.

Gutter City Verschiedene Aufführungen der Serie Gutter City, die auf der Handlung von Herman Mevilles Roman Moby Dick basieren, fanden im November 1995 sowohl im ID MOO als auch im New York Digital Salon statt. »Set both in the present and the Civil War, this serial drama followed the adventures of Ishmael after his rescue from the shipwreck at the end of Moby Dick. Haunted by the ghost of the white whale, Ishmael strove to make sense of life on land in the midst of our most terrible war and, more immediately, to avoid becoming cannon fodder at the hands of the Monkey-General.«107 Das Skript in dreizehn Szenen sah sieben Rollen vor, neben Ishmael »a sailor, the defendant«, noch »flunky (a court flunky), Monkey-General (a demon; the prosecutor), bystander (a reporter), fate (acting as justice), howweird (a horse)«108 noch eine stumme weiße Ratte. Erzählt wird die Geschichte von Ishmael, der am Ende der Handlung von Moby Dick auf dem Schiffswrack überlebt hat. In der Bibel taucht Ishmael als der Prototyp des von der Gemeinschaft Ausgeschlossenen auf; Melville zeigt ihn als frei entscheidendes Individuum ohne Vorgeschichte.109 Diese Assoziationen prägen auch die Figur des Ishmael in Gutter City. An den Aufführungen unter der Leitung von LaFarge waren Cathy Caplan, Joe Ferrari und Richard Foerstl beteiligt.110 Drei Formen der Teilnahme können hierbei unterschieden werden: Erstens die Personen, die aktiv Rollen im ID MOO übernahmen, zweitens Personen, die zwar im ID MOO teilnahmen und eigene Repliken beisteuern konnten, jedoch ohne vorher definierte Rolle, und drittens Zuschauer im Digital

107. http://yin.arts.uci.edu/~players/faq.html (Zugriff am 28.08.2002) – Der ID MOO wurde von der New Yorker School of Visual Arts betrieben. 108. Ebd. 109. Vgl. Ensslen, Klaus: Herman Melville. In: Jens, Walter (Hrsg.): Kindlers Neues Literaturlexikon. Bd. 11. München: Kindler, 1990, S. 488-510: S. 500-504. – Zu Ismael als biblischer Person vgl. Bocian, Martin: Lexikon der biblischen Personen. Stuttgart: Kröner, 1989, S. 183-185. 110. Von der fünften Aufführung am 21. November 1995 ist das Transkript der Aufführung zugänglich. Vgl. http://yin.arts.uci.edu/~players/GC/GC.html (Zugriff am 28. 08.2002) 83

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Salon, die der Aufführung über eine Vergrößerung des Interface ohne Interaktionsmöglichkeiten folgten. Diese Projektion sollte die Arbeit einem größeren Publikum bekannt machen; sie stellt kein zentrales Kriterium ihrer Medialität dar.

Produktionen im ATHEMOO Neben den Produktionen, die von den Plaintext Players als Gruppe ausgingen, können noch die Produktionen, die von einem bestimmten MOO, dem ATHEMOO, ausgingen, unterschieden werden. Sie stehen in direktem Zusammenhang mit der besonderen Geschichte und Struktur dieses MOOs.

Geschichte und Struktur des ATHEMOO Die Programmierung und Verwaltung des ATHEMOO liegt wie bei allen MOOs in den Händen einer Person, die in Anlehnung an die frühen Rollenspiele archwizard, also Ober-Hexenmeister oder -Zauberer, genannt wird.111 Für den ATHEMOO übernahm Burk diese Rolle, war sie doch bei der Konferenz der ATHE 1993 zur Vizepräsidentin der Organisation gewählt und mit der Organisation der nächsten Konferenz im Jahre 1995 beauftragt worden. Ein wesentlicher Teil der ATHE-Mitglieder wäre jedoch nicht in der Lage gewesen, die Reisekosten für die Konferenz aufzubringen. Ein MOO erschien Burk als hervorragende Lösung, solchen Mitgliedern, aber auch anderen Wissenschaftlern und Künstlern, eine besondere Form der Teilnahme zu ermöglichen.112 »MOO, with its simple commands for expression and opportunity to converse in real time with people around the world, was the perfect mechanism for expanding access to the ATHE conference.«113 Um diesen Bedürfnissen gerecht zu werden, orientierte sich die Struktur des ATHEMOO, als er am 1. Juni 1995 eröffnet wurde, an dem Grundriss eines Hotels als dem typischen Ort, an dem eine Konferenz stattfindet. Beim Aufbau eines MOO beginnen die Programmierer mit

111. Der ATHEMOO kann über Telnet mittels der Adresse moo.hawaii.edu:9999 oder über die Oberfläche des WWW unter http://www2.hawaii.edu/athe/ATHEMOO.html erreicht werden. Zu Besonderheiten der Kommunikation im ATHEMOO vgl. die »Frequently Asked Questions«-Seite des ATHEMOO. http://moo.hawaii.edu/faq. html (Zugriff am 05.03.2002) – Für MOO Produktionen wurden neben dem ATHEMOO auch der MediaMOO, CollegeTown MOO und die Diversity University verwendet. Vgl. Schweller, Kenneth: Staging a Play in the MOO Theater. In: Schrum, Stephen (Hrsg.): Theatre in Cyberspace, a.a.O., S. 147-157: S. 148. 112. Vgl. http://moo.hawaii.edu/about.html (Zugriff am 08.03.2002) 113. Burk, Juli: ATHEMOO and the Future Present, a.a.O., S. 112f. 84

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3. SYSTEMATIK DER PRODUKTIONEN

einer solchen ›Räumlichkeit‹,114 von dem aus sich die weitere Struktur des MOO als meist kollektiver Prozess entwickelt. Beim ATHEMOO, der als Eduactional MOO geplant war,115 bevor er für Internet Performances genutzt wurde, wurde zuerst die ›Lobby‹ programmiert, also der Bereich, den man auch heute noch zuerst ›betritt‹. Die weitere Programmierung des ATHEMOO gelang in einem gemeinschaftlichen Prozess. So stammt der ›Improv Room‹ von Zot O’Connor, ein ›Theater‹ von Kenneth Schweller und zahlreiche Unterrichtsräume von Lee-Ellen Marvin.116 Abbildung 6: Übersichtsplan des ATHEMOO

ATHEMOO MAP SCHWELLER THEATRE

GREEN ROOM

IMPROV ROOM

REHEARSAL HALL APHRA BEHN THEATRE COMPLEX

north KAFKA HOUSE

west

east south

KAOS CAFE

SCENESHOP MEETING ROOMS Oahu, Kauai, Hawaii, Molokai ATHEMOO SCRABBLE ROOM ATCA BOARD ROOM

LIBRARY

COURTYARD

HALL

MEETING ROOMS Niihau, Kahoolawe, Maui, ATHE BOG

CRITIC'S CORNER DANCER'S BARRE AND GRILLE

GNA FORUM

JAN'S FABULOUS AUDITORIUM

LOBBY

REGISTRATION DESK

NEWS STAND

STAIR WELL

up

ATHEMOO MEMBER'S OFFICES

up

CLASS ROOMS

up

ROOF TOP RUIN

KAOS SEMINAR ROOM TO GET TO ATHEMOO Telnet to moo.hawaii.edu 9999 OR use MOO button on ATHE's homepage http://www2.hawaii.edu/athe

FRONT OFFICE Drafted 3 March 1997 by Juli Burk

Wie andere MOOs auch kann der ATHEMOO sowohl über Telnet als dem Protokoll für direkte Verbindungen zwischen Computern als auch über das WWW erreicht werden. Die Benutzer müssen sich entweder unter ihren Benutzernamen oder als Gäste einloggen und können den ATHEMOO nun ›betreten‹.117 Wie bei vielen anderen Educational

114. Um die Metaphorik dieser Begriffe zu verdeutlichen, werden sie in Anführungszeichen gesetzt. 115. Zum ATHEMOO als Educational MOO vgl. Burk, Juli: MOO-ving Online: A New Venue for Making and Teaching Theatre. http://leahi.kcc.hawaii.edu/org/tcon98/paper/ burk.html (Zugriff am 28.01.2002) 116. Vgl. dies.: The Play’s The Thing, a.a.O., S. 239-242. 117. Seit 2001 lassen sich vermehrt Probleme feststellen, wenn man sich im ATHEMOO 85

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THEATER UND INTERNET

MOOs sind der volle Name als auch die Email-Adresse im ATHEMOO für alle Teilnehmer einsehbar. Nachdem sich der ATHEMOO für die Konferenz der Organisation bewährt hatte, begannen im Jahre 1996 verschiedene Wissenschaftler und Künstler, ihn für Internet Performances zu verwenden. Hierfür hat sich der Begriff des MOO Theatre durchgesetzt.118 Im ATHEMOO wurden dafür vier verschiedene generische Objekte, sprich: ›Räume‹, verwendet. Den »cornerstone to performance spaces in ATHEMOO«119 bildet der Aphra Behn Theatre Complex, an den sich nicht nur die drei weiteren ›Räume‹, die für Internet Performances eingesetzt wurden (der Improv Room, das Schweller Theatre und das Kafka House ), sondern auch ein Green Room, eine Rehearsal Hall und ein »scene Shop where players can find generic objects to use in creating tools for their particular needs«120 anschließen. Innerhalb dieser Arbeit sollen die Produktionen The Bridge of Edgefield von Charles Deemer, NetSeduction von Stephen Schrum und MetaMOOphosis von Rick Sacks analysiert und interpretiert werden. Sie wurden ausgewählt, da sie nicht nur in unterschiedlichen Bereichen des ATHEMOO produziert wurden, sondern auch grundsätzlich unterschiedliche Konzeptionsformen von MOO Theatre demonstrieren. Die Konzeptionen variieren maßgeblich in der Funktion, die sie den Zuschauern beziehungsweise Teilnehmern zuweisen, und damit direkt verbunden, welche Formen von Interaktivität sie in der theatralen Kommunikation ermöglichen.

Charles Deemer: The Bridge of Edgefield Mit Charles Deemers The Bridge of Edgefield fand im März 1996 die erste Aufführung im ATHEMOO statt. Inspiriert durch die Möglichkeiten eines Hypertextes, verschiedene Textstränge über Knotenpunkte miteinander zu verbinden, entwickelte der Dramatiker Charles Deemer, der screenwriting an der Portland State University unterrichtet, seine Konzeption des Hyperdramas (vgl. Kap. 5.1.5). Diese neue Version des Environmental Theatre wendet sich u.a. gegen die vom traditionellen Dramentheater bekannte lineare Narrativik. Ein Hyperdrama

anmelden möchte. Auch Juli Burk antwortet in ihrer Aufgabe als archwizard nicht auf Anfragen nach einem Benutzernamen. 118. Vgl. die Verwendung des Begriffs in den Aufsätzen von Jake Stevenson und Kenneth Schweller: Stevenson, Jake: MOO Theatre: More Than Just Words? In: Schrum, Stephen (Hrsg.): Theatre in Cyberspace, a.a.O., S. 135-146. – Schweller, Kenneth: Staging a Play in the MOO Theater. In: Schrum, Stephen (Hrsg.): Theatre in Cyberspace, a.a.O., S. 147-157. 119. Burk, Juli: ATHEMOO and the Future Present, a.a.O., S. 119. 120. Ebd., S. 119. 86

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3. SYSTEMATIK DER PRODUKTIONEN

wird in einer Örtlichkeit aufgeführt, die mehrere simultane Bühnenvorgänge ermöglicht. Die Szenen eines Hyperdramas laufen in diesen Bühnenräumen ab. Die Zuschauer müssen zuerst eigenständig die Entscheidung treffen, welche Szene sie weiter verfolgen möchten, und dann den Schauspielern zu diesem Bühnenraum folgen. Das szenische Geschehen läuft also simultan an verschiedenen Orten ab. Seine Struktur und die Bedeutung der räumlichen Metapher für die Organisation von Kommunikation machte den ATHEMOO für Deemer besonders geeignet, ein Hyperdrama zu inszenieren.121 »The opportunity to create multiple rooms in ATHEMOO allowed him to evaluate the text in performance and to experiment with performance in the environment most closely related to the hypertext in which he had written the script.« 122 The Bridge of Edgefield ist eine Adaption von Bateau de Mort, das wiederum eine Fortsetzung von Deemers Chateau de Mort war.123 Die Handlung von The Bridge of Edgefield beginnt kurz vor einer beabsichtigen Hochzeitszeremonie an vier Orten. Die Darsteller mischen sich unter das anwesende Publikum und gehen nach einem Dialog in andere Teile des Aufführungskomplexes ab. Aus dieser Situation entwickelt sich das Drama um eine Hochzeit, deren Zeremonie von den Brautleuten selbst entworfen wurde, um eine Tochter, die den Mord an ihrer Mutter veranlasst haben soll, um einen Rechtsanwalt, der selbst in einen Erbstreit verwickelt ist und um Leihmutterschaft im Schutze einer obskuren Religionsgemeinschaft. Jede Szene enthüllt entscheidende neue Informationen, so dass jeder Zuschauer nur eine Auswahl der notwendigen Informationen bekommen kann. Für die Produktion im ATHEMOO programmierte Deemer mehrere Räume. Um den Zuschauern in einer Stunde Aufführungszeit die Möglichkeit zu geben, alle Handlungsstränge mitzuverfolgen, wurden nur die ersten fünfzehn Minuten des Dramas gespielt; diese jedoch viermal in Folge. Auch Deemers Internet Performance lief nicht ohne technische Schwierigkeiten ab. 124 Um im Verlauf der Aufführung ihre eigenen Entscheidungen auch erfolgreich umsetzen zu können, mussten die Teilnehmer an The

121. Vgl. ebd., S. 243. 122. Ebd. 123. Der Text das Dramas ist unter http://www.ibiblio.org/cdeemer/BrBegin.htm gespeichert und ist die einzige mittelbare und in Objektsprache überlieferte Quelle. (Zugriff am 14.06.2002) 124. Kurz vor dem Abschluss der vierten Szene brach der Server des ATHEMOO zusammen, so dass auch die geplante Diskussion im Anschluss an die Aufführung nicht stattfand. Vgl. Burk, Juli: The Play’s The Thing, a.a.O., S. 244. 87

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THEATER UND INTERNET

Bridge of Edgefield mit den Navigationsbefehlen im ATHEMOO vertraut sein. Der gemeinsam zugängliche Daten- und Erlebnisraum präsentierte sich den als Individuen vor ihren Computern sitzenden Teilnehmern also nicht wie bei den IRC-Produktionen der Hamnet Players als kontinuierlich fließender und wieder verschwindender Dramentext auf ihrem Bildschirm. Durch ihre eigenen Aktivitäten und vor allem den Entscheidungen, in welche ›Räume‹ sie der Aufführung folgten, bestimmten sie ihre eigene Wahrnehmung. Die Möglichkeit, den dramatischen Dialog mitzugestalten, sah Deemers Produktion nicht vor. Nach Angaben Deemers habe die größte Schwierigkeit darin bestanden, seine Darsteller soweit mit der Technologie vertraut zu machen, dass sie frei improvisieren konnten. So hätten einige Darsteller auch nur sehr selten die emote-Funktion zur Erweiterung ihres Ausdrucksrepertoires verwendet.125 Deemer produzierte The Bridge of Edgefield 1996 auch in einem Resort in Portland, Oregon. Momentan arbeitet Deemer an einer Fassung von Tschechows Seagull als Hyperdrama, die er jedoch nicht als Internet Performance plant.126

Stephen Schrum: NetSeduction Die Produktion NetSeduction. An Interactive Theatrical Production wurde am 11. und 12. Oktober 1996 (7pm und 12am EST) im Raum NetSeduction des ATHEMOO aufgeführt.127 Stephen Schrum, der an der University of Charleston in West Virginia unterrichtet, schrieb die Textvorlage, die als die erste speziell für einen MOO geschriebene gilt, und leitete auch die Produktion. NetSeduction trägt als weiteren Untertitel ›Or Sex Is In Your Head, AND In Your Hand, Or, What Is The Sound of One Hand Typing?‹ und stammte aus einer Serie von Dramen, die Schrum unter dem Titel Aliens and the Internet geschrieben hatte.128 Der Raum NetSeduction bildet einen ›Club für Singles‹ mit ›Bar und Tischen‹ nach. Die Teilnehmer werden mit der Nachricht eines chat daemons begrüßt. »Chat Daemon: You have entered the chat room NetSeduction. Heads everywhere in the room towards you, to see who just walked in. Join the Fun!

125. Vgl. ebd., S. 243f. 126. Vgl. http://www.ibiblio.org/cdeemer (Zugriff am 20.07.2002) – Deemer, Charles: E-Mail Korrespondenz mit der Verfasserin vom 12.07.2002. 127. Logfiles sind gespeichert unter: http://socks.ntu.ac.uk/archive/netsedmoo txt.html (Zugriff am 16.05.2001) – Diese Aufführungszeiten berücksichtigten im Unterschied zu zahlreichen anderen Internet Performances auch Zuschauer in Europa und Australien. 128. Vgl. Burk, Juli: The Play’s The Thing, a.a.O., S. 246. 88

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3. SYSTEMATIK DER PRODUKTIONEN

NetSeduction is an Internet chat room and meeting place. There is a bar, dance floor, mirrored hall and disco lights … Most importantly there are people: people to meet, to talk with – perhaps – to seduce …«129 In diesem Chat-Raum treffen Allan, Jane und Laura sowie Dick und John, die beide mehrere Rollen übernehmen, aufeinander. Zwischen ihnen beginnen Unterhaltungen, hauptsächlich erotischer Art, in die die übrigen Teilnehmer jederzeit eingreifen können. Schrum programmierte noch weitere fünf Räume für private Konversationen, die er Women Only Chat, The Men’s Room, Bestiality Chat, The Dungeon und Private_Room_Generator nannte.130 Bots traten als Charaktere auf und äußerten auf Schlüsselwörter in den Dialogen der Teilnehmer hin vorgegebene Nachrichten. Schrum versuchte damit, die Handlung zu dynamisieren. Die erste Aufführung dauerte insgesamt zweieinhalb Stunden. Wichtige Quellen für diese Produktion sind die Textvorlage, das logfile der ersten Aufführung sowie die Diskussion nach der ersten Aufführung, das logfile der zweiten Aufführung und ein logfile einer »private room conversation from the second NetSeduction performance«.131 Für NetSeduction gab es drei Möglichkeiten der Teilnahme: 1. »Lurkers, audience members who hang out and watch; 2. Supers, audience members who participate in the chat room talking to each other or the: 3. Players, ›lead actors‹ who play the roles in the linear script and improv/interact with supers.«132 Die Hauptfunktion kam den Players zu, die die sechs Rollen der Textvorlage repräsentierten und die für das Einspielen des vorgegebenen Textes verantwortlich waren. Vor den Aufführungen traf sich Schrum mit den Darstellern im ATHEMOO, um sie mit den spezifischen Ansprüchen, die das Darstellen in einem MOO erfordert, vertraut zu machen. Die Textvorlage stellte nur eine grobe Struktur bereit, innerhalb der das Geschehen improvisierend vorangetrieben werden soll: »moving forward to a conclusion«, wie Burk formuliert.133 Der Ablauf der Handlung war somit direkt von der Teilnahme der Supers abhängig, die sich in demselben ›Aufführungsraum‹ wie die Players und Lurkers auf-

129. http://socks.ntu.ac.uk/archive/netseduction.html (Zugriff am 16.05.2001) 130. Vgl. ebd. 131. Alle Quellen sind in Schrums Archiv zugänglich unter http://socks.ntu.ac. uk/ archive/net/netsedarchive.html (Zugriff am 16.05.2001) 132. http://socks.ntu.ac.uk/archive/netseduction.html (Zugriff am 16.05.2001) 133. Vgl. Burk, Juli: The Play’s The Thing, a.a.O., S. 246. 89

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hielten. Diese Auflösung der Trennung zwischen Darstellern und Zuschauern wirkte auf einige Zuschauer so irritierend, dass diese den Beginn der Aufführung nicht erkannten, wie Wunderer beschreibt.134 Während der gesamten Aufführungen konnten die Teilnehmer und Zuschauer erkennen, welche Rolle von welcher Person übernommen wurde. Weiterführende Hilfestellungen wären jedoch nach Wunderer sehr hilfreich gewesen, um gerade Zuschauer, denen die Kommunikation in einem MOO fremd ist, zu unterstützen.135

Rick Sacks: MetaMOOphosis Der kanadische Komponist, Musiker und Autor Rick Sacks hatte bereits zahlreiche Theatererfahrungen in verschiedenen Truppen gesammelt, bevor er im ATHEMOO das Kafka House programmierte und dort mehrere Aufführungen von MetaMOOphosis ab Januar 1997 produzierte.136 Sacks entschied sich zur Programmierung in einem MOO, da ein solcher es ihm ermöglichte, beispielsweise zufallsgesteuerte Programmierelemente zu integrieren.137 Ursprünglich wollte Sacks Franz Kafkas Die Verwandlung ins ausgehende 20. Jahrhundert versetzen »where Gregor would be a computer programmer and his sister a hacker. The ›bug‹ would be the bug in the machine that criples Gregor’s online activities.« 138 Erste Diskussionen über das Projekt begannen auf dem COLLAB-L Listserver von Stephen Schrum und im MediaMOO.139 Doch Sacks war mit den ersten Ergebnissen nicht zufrieden. »[T]he truth was the discussion was more exciting than the actual theatre piece. It was a quirky adaptation, one that brought the subject matter into focus on the net but was superficial in contrast to the darkly comic, mundane horror of the original novel.« 140 Er entschloss sich zu einer zweiten, weitaus komplexer angelegten Version des Kafka Houses, die über die Produktion einer Internet Performance hinausging und es auch für pädagogische Zwecke einsetzen wollte.

134. Vgl. Stevenson, Jake: More Than Just Words? a.a.O., S. 143. 135. Vgl. Wunderer, Monika: Presence in Front of the Fourth Wall of Cyberspace. In: Schrum, Stephen (Hrsg.): Theatre in Cyberspace, a.a.O., S. 203-220: S. 213. 136. Vgl. Sacks, Rick: The MetaMOOphosis: A Visit to the Kafka House, a.a.O., S. 170. 137. Vgl. ebd., S. 168. – Vgl. Sacks, Rick: E-Mail Korrespondenz mit der Verfasserin vom 21.07.2003. 138. Ebd., S. 166. 139. Vgl. ebd., S. 163-166. 140. Ebd., S. 167. 90

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3. SYSTEMATIK DER PRODUKTIONEN

»The MetaMOOphosis exists as an artwork, a teaching device, and an exercise in improvisation – or simply as an entertaining theatre piece.« 141 Neben den Diskussionstranskripten aus dem COLLAB-L Listserver als mittelbaren Quellen in Metasprache, den dramatischen Textvorlagen als mittelbaren Quellen in Objektsprache und den logfiles als unmittelbaren Quellen in Metasprache können noch die Sets an Charakteren als Quellen verwendet werden. Diese Charaktere (in der Sprache der Informatik: Objekte) stellen ein besonderes Charakteristikum von MetaMOOphosis dar (vgl. Abb. 5). Die Darsteller und Zuschauer konnten bei MetaMOOphosis eine begrenzte Anzahl vorgegebener Charaktere darstellen. Waren bereits alle Rollen vergeben, beispielsweise weil ein Teilnehmer sich erst spät in den ATHEMOO einwählte, so war er auf die passive Rolle eines Zuschauers beschränkt. Daneben sah Sacks eine Anzahl von Objekten, also Programmelementen, vor, die die Funktion von Requisiten übernahmen. Diese Objekte enthielten vorgeschriebene Texte (built-in script), die mittels des ›read‹-Befehls abgerufen werden konnten. Sie generierten Text und steuerten zur ablaufenden Improvisation weitere Informationen bei, die ihrerseits die Handlung vorantreiben konnten. Beispielsweise erschien, sobald man von der Räumlichkeit aus, die den Vorgarten repräsentierte, aus das Kafka House betrat, ein programmierter usher (›Platzanweiser‹), der den Teilnehmer zur Improvisation aufforderte und dann wieder ›forteilte‹.142 Von allen Textangaben, die Sacks in den Objekten der Charaktere eingebaut hatte, konnten während einer Aufführung rund dreißig Zeilen wiedergegeben werden. Die Auswahl erfolgte zufallsgesteuert. Sacks nahm keine bewusste Auswahl der Repliken vor, die er, wie er erklärte, »in the style of Kafka«143 geschrieben hatte. Da sie Bestandteile der dramatischen Textvorlage sind, können die Texte der built-in scripts als mittelbare Quellen in Objektsprache begriffen werden, die in einer Aufführung jedoch nur potentiell zum Einsatz kamen. Die Handlung von MetaMOOphosis gestaltete sich linear und setzte sich zusammen »from ongoing, at times completely separate, improvisations.«144 Abweichungen vom zeitlichen Rahmen und den Charakteren der Novelle sollten Improvisationsmöglichkeiten für die Dar-

141. Ebd., S. 149. 142. Vgl. Sacks, Rick: The MetaMOOphosis Brings Kafka Into The Net. http://www.oudeis. org/status/stjan.html#kafka (Zugriff am 28.05.2002) Ohne Seitenangabe. 143. Sacks, Rick: The MetaMOOphosis: A Visit to the Kafka House, a.a.O., S. 168. 144. Ebd., S. 168. – »The MetaMOOphosis is designed to initiate improvisation around the characters and situations of the novella, facilitated by the use of costumes and pre-scripted dialogue that can be activated.« Vgl. Burk, Juli: ATHEMOO and the Future Present, a.a.O., S. 119. 91

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THEATER UND INTERNET

steller erzeugen.145 Zentrales dramaturgisches Mittel waren für Sacks die Improvisationen der Darsteller, die er neben den built-in scripts noch durch bots in seiner Programmierung versuchte, größtmöglich zu unterstützten.146 Diese bots waren in den Objekten programmiert, die die chairwoman und die drei lodgers (Untermieter) repräsentierten. Sie enthielten weitere Texte, die die Aktionen anregen sollten und ohne Befehl als Auslöser immer wieder die vorporgrammierten Texte innerhalb der theatralen Aktion wiedergaben.147 Den bot chairwoman zu programmieren, war für Sacks eine der schwierigsten Komponenten des Kafka House. Er kontrollierte permanent, ob alle Kostüme auch einen Träger besaßen und falls nicht, brachte er die Kostüme wieder zurück ins closet. Die Programmierung des Kafka House war in elf Einheiten eingeteilt.148 Jede dieser Einheiten repräsentierte einen ›Raum‹. Abbildung 7: Interface aus MetaMOOphosis: Zugang zu Gregor’s Room

Betrat ein Teilnehmer einen ›Raum‹, wurde er sofort darüber informiert, dass eine ›Kamera‹ die theatrale Aktion – also alle in der Kommunikation verwendeten Zeichen – aufnimmt. Diese ›Kamera‹ jedoch

145. Vgl. Sacks, Rick: The MetaMOOphosis: A Visit to … House, a.a.O., S. 167. 146. Vgl. ebd., S. 168. 147. Vgl. ders.: The MetaMOOphosis Brings Kafka Into The Net, a.a.O. Ohne Seitenangabe. 148. Vgl. Burk, Juli: ATHEMOO and the Future Present, a.a.O., S. 119. 92

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3. SYSTEMATIK DER PRODUKTIONEN

verbarg Sacks hinter dem Namen eines normalerweise vorkommenden Objekts, so dass sie für die Besucher nicht eindeutig identifizierbar war. Damit suchte Sacks die in seiner Interpretation paranoide Atmosphäre der Novelle wiederzugeben. Gleichzeitig entstanden so die für eine analytische Perspektive zentralen logfiles. Beim ersten Eintritt in das Kafka House wurden alle Teilnehmer mit folgendem Text begrüßt: Abbildung 8: Begrüßungstext der MetaMOOphosis-Aufführung149 The MetaMOOphosis A Visit to the Samsa House Part 1 The meeting of the cast on the front yard@go Samsa ---------------------------------------------------------------------The Samsa front yard You stand outside the home of Gregor Samsa. He woke up a few mornings ago to find that he had been transformed, during the night, into a giant insect. It looks like rain. There is a hospital looming behind the house. Type ’enter’ or ’in’ to visit the house. Perhaps you can find a script and costume that will transform you as well. There is a closet in the foyer that may contain these items. If you’re new to mooing and want some help type @tutorial and hit enter. This will work anyplace in the moo, as well as simply typing ’help say’ or ’help go’ or ’help look’ or just ’help’. Typing ’l’ or ’look’ will always tell you where you are. (try ’look plaque’) NOTICE: Upon entering the house you won’t be able to say or emote unless you get a costume from the closet. (You can use page instead of say commands Syntax: page ) You see a Bronze Plaque, The Samsa House, a security camera, and a Gold Plaque here. Obvious exits: Front_Door to The Foyer and south to a small pathway You teleport into The Samsa front yard… look camera ---------------------------------------------------------------------The security camera is fastened to the side of the house just above the first floor. The presence of the camera gives you the idea that further surveillance may exist IN THE HOUSE. It records onto yardtape(#1603). a security camera is turned off.

Im ›Erdgeschoss‹ befanden sich drei Räume, das ›Foyer‹, die ›Küche‹ und das ›Wohnzimmer‹. Im ersten Stock waren die ›Schlafzimmer‹ von

149. http://www.vex.net/~rixax/KAFKA/yard.html (Zugriff am 08.03.2002) 93

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Gregor, Grete, den Eltern und den drei Untermietern sowie die ›Stufen zum Dachboden‹. Für jeden dieser ›Räume‹ programmierte Sacks von der Novelle Kafkas inspiriert Objekte, mit denen die Teilnehmer zusätzlich zu ihren spontanen Äußerungen den Fortgang der Handlung entwickeln konnten. Wurde beispielsweise ein ›Apfel‹ als Objekt in ›Gregors Zimmer‹ mitgenommen und auf ihn geworfen, so setzte sich dieser ›Apfel‹ zwischen Gregros Schultern fest und änderte daraufhin die vorprogrammierten Repliken Gregors. Zusätzlich zu den für einen MOO üblichen Ein- und Ausgang zu einem Raum programmierte Sacks besondere Objekte, durch die Teilnehmer hindurch schauen oder sprechen konnten.150 Sacks nannte diese zuerst ›Fenster‹, danach ›Schlüsselloch‹ beziehungsweise eine ›Spalte in der Tür‹ (›crack in the door‹).151 Durch seine Programmierung konnte Sacks auch bestimmte Handlungen unterbinden. Nur der Darsteller der ›Grete‹ konnte das Objekt, das die Violine repräsentierte, benutzen. Falls ein anderer Darsteller dies versuchen wollte, erschien das built-in script: »That’s Grete’s Violin. You decide not to tamper with it.«152 Für MetaMOOphosis können zwei Formen der Teilnahme unterschieden werden. Die Gruppe der Darsteller, die während der Aufführung mittels eines Kostüms einen Charakter repräsentierten, erhielten die Möglichkeit, den say-Befehl einzusetzen und aktiv an der theatralen Handlung teilzunehmen. Die zweite Gruppe hingegen konnte sich wie die erste Gruppe auch beliebig in allen ›Räumen‹ aufhalten und das Geschehen beobachten, jedoch vollkommen passiv und ohne Möglichkeit, das Geschehen zu beeinflussen. Anhand der Benutzernamen in den logfiles können einige der Teilnehmer an den Aufführungen von MetaMOOphosis identifiziert werden. Sie gehören fast ausschließlich zum Kreis der aktiv im Bereich der Internet Performances arbeitenden Künstler und Wissenschaftler, so z.B. Nina LeNoir, Wunderer, Burk, Twyla Mitchell-Shiner und Michael Young. Als »by-product« entstanden während der Aufführungen Texte, die Sacks für Aufführungen außerhalb des Internets verwendete. Dies bezeichnet er als einen »circle back to traditional theatre«.153

150. 151. 152. 153.

Vgl. Burk, Juli: ATHEMOO and the Future Present, a.a.O., S. 119. Vgl. ebd. Sacks, Rick: The MetaMOOphosis: A Visit to the Kafka House, a.a.O., S. 169. Ebd., S. 161. – Für MetaMOOphosis verwendete Sacks neben dem Begriff des »net theatre« und des »Internet theatre« auch die Bezeichnung »virtual theatre«, vgl. ebd., S. 159, 168, 162. 94

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3. SYSTEMATIK DER PRODUKTIONEN

3.3.3 Web-basierte Chat Performances Obowhl auch IRC und MOOs Formen von Chats im Internet darstellen, ist es sinnvoll die Kategorie der web-basierten Chat Performances gesondert zu unterscheiden. Zum einen ergeben sich hier andere Zugangsvoraussetzungen und damit auch unterschiedliche Anforderungen an die Medienkompetenz der Teilnehmer, zum anderen können die Chats mit anderen, auch nicht-performativen Elementen wie Homepages kombiniert werden.

Technologische Grundlagen Im Unterschied zu den Hamnet Players, die für ihre Produktionen den IRC verwendeten, der nicht über das WWW erreicht werden kann, nutzen verschiedene Gruppen web-basierte Chats für ihre Produktionen. Hierfür ist die übliche Infrastruktur aus einem internetfähigen Computer und ein Browser notwendig. Je nach Konzeption kommen verschiedene web-basierte Anwendungen, beispielsweise die Media Player für bereits vorproduzierte Video-Dateien oder der Flash und Shockwave Player, hinzu. Letztere sind Produkte der Firma Macromedia. Flash, eine Autoren-Software zum Erstellen interaktiver Multimedia-Animationen für das WWW, ist seit 1999 auf dem Markt. »Die Ähnlichkeit der beiden Player in der Wiedergabe sorgt immer wieder für Verwirrung, zu der Flash MX noch weiter beiträgt. Die zusätzlichen Features dieses Programms erzeugen zwar [Shockwave], sie benötigen zum Abspielen aber den Flash Player 6; dies aus dem einfachen Grund, weil die Vorversion sowohl des Programms wie des Players Flash 5 hieß.«154 Wichtige Programmiersprachen für multimediale und interaktive Inhalte im WWW sind Lingo und ActionScript, die von verschiedenen Programmen interpretiert werden können. So wird beispielsweise eines der ältesten Multimediaprogramme, der Macromedia Director, von Lingo bestimmt. Die beiden Programme Macromedia Flash und Adobe Live Motion hingegen bauen auf ActionScript auf.155 Die objektorientierte Programmiersprache Java von Sun Microsystems erweitert nochmals die Möglichkeiten des WWW, da solche Anwendungen direkt von der Web-Seite und nicht von der eigenen Festplatte aus gestartet werden. Zusätzlich besitzt Java als erste Sprache Sicherungsmechanismen für die Ausführung von Programmen im Internet. Als Beispiel soll im Fol-

154. Hentschläger, Ursula/Wiener, Zelko: Webdramaturgie, a.a.O., S. 39, vgl. ebd., S. 62. 155. Vgl. ebd., S. 38. 95

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genden die Produktion The Finalists von Gob Squad vorgestellt werden.156

Gob Squad: The Finalists Mit dem Arbeitstitel Missing hatte die deutsch-britische PerformanceGruppe Gob Squad gemeinsam mit den Medienkünstlern Anette Schäfer und Miles Chalcraft bei der webscene-Ausschreibung des Theaterfestivals SPIELART 2001 in München gewonnen.157 Der Wettbewerb forderte Künstler auf, Produktionen im Internet zu entwickeln. Seit 1988 wurde die SPIELART ebenso wie die Münchener Biennale vom 1979 gegründeten Spielmotor e.V. mitgetragen. Der Spielmotor war ein »absolutes Novum«158 als Kooperation zwischen einem privaten (der BMW AG) und einem öffentlichen Partner (der Landeshauptstadt München), also das, was heute als private public partnership bezeichnet wird. Die Idee der SPIELART entstand 1994; durchgeführt wurde das Festival erstmals 1995. Nach eigenen Angaben war es von Beginn an Ziel gewesen, »genre-übergreifende Theaterformen und Projekte im Grenzbereich des Theaters zu erforschen«.159 In dieser Tradition stehend, wurde für die SPIELART 2001 webscene als internationaler Wettbewerb ausgeschrieben. Die SPIELART kooperierte dabei mit dem Kulturreferat der Stadt München, der Ars Electronica, Linz, dem Stadtforum München und dem Medienforum, München. Der Wettbewerb verfolgte zwei Ziele:

156. Vgl. Gumm, Heinz-Peter/Sommer, Manfred: Einführung in die Informatik, a.a.O., S. 80f., 195-258. Und: Spalter, Anne Morgan: The Computer in the Visual Arts. Reading: Addison-Wesley, 1999, S. 420f. – Neben der Produktion The Finalists ist auch das Pixeltheatre von Lizanne Gosselin ein Beispiel, web-basierte Chats für Internet Performances zu nutzen. Am 7./8. Mai 2002 (6pm EST und 5pm EST) führte Gosselin ihre Produktion Artistic Types gemeinsam mit Aaron Fowler und Ken Farr auf. Vgl. http://www. pixeltheatre.net/chat.html (Zugriff am 05.05.2002) 157. Gob Squad war mit Produktionen wie 15 Minutes to Comply, Calling Laika und SAFE bekannt geworden. Anette Schäfer ist u.a. Mitglied der Gruppe trampoline und Mitbegründerin des Festivals Radiator, dem ersten Festvial der digitalen Künste in Nottingham. Der Name Gob Squad ist ein Wortspiel aus gob für Schleimklumpen bzw. der Blaujacke eines Matrosen und squad für Rotte oder Trupp. Vgl. http:// www.gobsquad.com (Zugriff am 12.06.2002) und http://www.aec.at/festival2001/ timetable/personen.asp?^dstid=2699 (Zugriff am 21.11. 2001) 158. Gaul, Richard/Nida-Rümelin, Julian: Zwanzig Jahre Spielmotor. In: Hanko, Helmut (für Spielmotor e.V.): Annalen einer Initiative. Zwanzig Jahre Spielmotor. Berlin: Königsdruck, 1999, S. 3. 159. http://www.spielart.org/webscene/projekt.html (Zugriff am 20.11.2000) 96

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3. SYSTEMATIK DER PRODUKTIONEN

»Als Anregung für die Theater- und Performance-Szene, sich mit dem Medium Internet als Medium und Gestaltungsmittel zu beschäftigen, und als Angebot, eine ›Netz‹produktion im Rahmen des Theaterfestivals SPIELART in München im November 2001 zu realisieren.«160 Die Initiatoren gingen von der zunehmenden Bedeutung des Mediums im Allgemeinen und für die Kunst im Besonderen aus. Und obwohl die Verantwortlichen für die Definition des Theaters als »Zusammensein von Schauspieler und Zuschauer in einem Raum zur selben Zeit«161 keine substantiellen Änderungen erwarteten, wollten sie »›das Theater‹ als Institution«162 konkreten Fragen aussetzen, u.a.: »Kann die künstlerische Intention und der Gestaltungswille von Theatermachern auf der Bühne des Internet eine Fortsetzung finden? Kann der Begriff ›Theater‹ in den spezifischen Möglichkeiten des Internet neu gedacht werden? Wie würden sich die Rollen von Akteuren und Zuschauern verändern?«163 So ergab sich die Aufgabenstellung, »theatrale Netz-Performances« zu entwickeln und »im globalen Datenraum aufzuführen«. Die Projekte sollten dabei »keine(n) inhaltlichen Beschränkungen« unterworfen sein; »bestenfalls« sollte »natürlich eine netzimmanente, offene Struktur« entwickelt werden, »in der sich ein Eigenleben mit Beiträgen mehrerer/vieler Mitwirkenden (sic) mit neuer Rollenverteilung entwickeln kann und in der die besonderen Kommunikations- und Gestaltungsmöglichkeiten des Internet zur Anwendung kommen.«164 Das geforderte Kriterium, die Aufführung ausschließlich im Internet stattfinden zu lassen, empfanden Gob Squad/Schäfer/Chalcraft nach eigenen Angaben als Einschränkung. Sie hätten die Kombination verschiedener Ausdrucksformen bevorzugt.165 Beim Preview während der Ars Electronica 2001 in Linz startete die »online-Performance«166, wie die Produzenten ihre Arbeit nannten, unter ihrem endgültigen Titel The Finalists. Ihre Intention beschrieb die Gruppe folgendermaßen:

160. 161. 162. 163. 164. 165.

http://www.spielart.org/webscene/webscene.htm (Zugriff am 20.11.2000) http://www.spielart.org/webscene/projekt.htm (Zugriff am 20.11.2000) Ebd. Ebd. http://www.spielart.org/webscene/projekt.html (Zugriff am 20.11.2000) Vgl. Schäfer, Anette: Mitschrift der Diskussion im Goethe-Forum, München, am 24.11.2001. 166. Gob Squad (mit Miles Chalcraft und Anette Schäfer): Projekt-CD-ROM. Berlin 2002. 97

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THEATER UND INTERNET

»We wanted to make a piece which is based on what the internet as a new phenomenon entails, wanted to base it on something very internet-specific, wanted to reflect on the entire new reality that has been created through the Internet, the new ways of human contact, remote communication, world wide audiences for little Jo’s own homepage […] Also a reflection about a less adventurous every day world on the one hand, people’s loss of sense, and their new found lives online.«167 Neben der grundlegenden Infrastruktur eines internetfähigen Computers mit einem Browser benötigten die Teilnehmer Real Player 8, Flashplayer 5 und Shockwave 8.5, die alle als plug-ins direkt von den Projektseiten geladen werden konnten. Hatten die Teilnehmer sie erfolgreich installiert, so wurden sie mit folgender Nachricht begrüßt: »Welcome to the Finalists. Selected from thousands of hopefuls on the World Wide Web, the last four nobodies are spending 10 days locked in a room with a computer, a fridge and a toilet. It’s enough to make you lose your mind (or find it). Their mission: to reinvent themselves as the most believable, charismatic, far fetched, down to earth personalities on the net. Nobody knows where they are going, and a friend online is a friend for never, so come join The Finalists as they compete for your attention. Keep coming back to watch them grow.«168 Nach der Begrüßungsseite, die auch den Ablauf der Performance erklärte, erhielten die Teilnehmer Zugang zu den Homepages der vier Finalists, die sich Faith, Peter Jones, Skimmer Williams und Kathrine (Cassy) Winter nannten.169 Im Verlauf der Performance vom 17. November bis zum 2. Dezember 2001 (mit der Präsentation von vorproduzierten Videoaufnahmen und Chats zu den Themen ›I am a Finalist‹. ›Look at me Now‹, ›Now or Never‹ und ›I was a Finalist‹ am 17., 18., 24. und 26. November) wurden jedesmal für jeden Finalist eine neue Version der Homepage freigeschaltet. Diese Homepages sollten als Ausdruck der Charaktere dieser nur im Internet existierenden Identitäten verstanden werden. Jeder Finalist ›durchlebte‹ also fünf Stadien, repräsentiert durch fünf Stadien der Homepages, »die sich dem User über einen Zeitraum von zehn Tagen schrittweise«170 erschlossen. Im Kampf um die Aufmerksamkeit der Zuschauer verwendeten die vier Finalists dabei Materialien und Anregungen der Teilnehmer. Die URLs

167. Gob Squad with Miles Chalcraft and Anette Schäfer: The Finalists. In: Broszat, Tilmann/Hattinger, Georg (Hrsg.): Theater etcetera. München: Spielmotor e.V. Verlag, 2001, S. 161. 168. http://thefinalists.aec.at (Zugriff am 21.11.2001) 169. Dahinter stehen Sean Patten, Liane Sommers, Sarah Thom und Simon Will. 170. Gob Squad (mit Miles Chalcraft und Anette Schäfer): Projekt-CD-ROM. Berlin 2002. 98

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3. SYSTEMATIK DER PRODUKTIONEN

der einzelnen Homepages verrieten jedoch als zweite Ebene, welcher der Mitglieder von Gob Squad sich hinter diesen Identitäten verbarg. Interessierte konnten auf mehreren Wegen in Interaktion mit den Finalists treten: Alle Finalists hatten ihre E-Mail-Adressen angegeben und warteten auf Kommentare, Anregungen und Fragen. Im Rahmen eines Spiels griff die Gruppe charakteristische Merkmale der Internet-Kultur auf: zum einen den Personality-Kult, der sich in den zahllosen Personal Homepages im WWW niederschlägt; zum anderen die Grundregel aller synchronen Kommunikation im Internet, nämlich die Konkurrenz um die größte Aufmerksamkeit anderer Benutzer. Ziel ihres Spiels mit dem Charakter eines Wettkampfes war es, zum »beliebtesten, attraktivsten und meist besuchten Finalist«171 zu werden. So begrüßte z.B. Sean Patten, der als Finalist mit dem Namen Peter Jones auftrat, auf der ersten Version seiner Homepage alle Besucher mit: »I Am Peter Jones! Welcome to my homepage! I AM PETER JONES: WE ARE PETER JONES: Sorry. This page is currently UNDER CONSTRUCTION. Sorry. There can and will be only 1 Peter Jones.«172 Im Anschluss waren vierzehn Fotografien von Männern unterschiedlichen Alters, Statur etc. zu sehen. Fuhr man mit der Maus über die Fotografien, so erschienen Kommentare zu den Männern; der eine sei zu alt, der andere zu intellektuell. Mit einem Doppelklick auf einer der Fotografien wurde man zu der ursprünglichen Homepage geleitet, auf der Patten das Foto gefunden hatte. Alle Fotografien stammten von Personal Homepages real existierender Menschen, die Peter Jones heißen.173 Wie aber soll jemand, der wie Hunderte andere auch, Peter Jones heißt, eine authentische und attraktive Homepage aufbauen? »A boring name I know, but Peter is and Everyman, a Nobody. A ›Kalashnikov Loganwurzel‹ homepage just wouldn’t be authentic.«174

171. Ebd. 172. http://thefinalists.aec.at/sean/sean1/seanhome1.htm (Zugriff am 22.11. 2001) 173. Beispielsweise http://www.ucl.ac.uk/%7Eucfwepej/ (Zugriff am 22.11. 2001) – Auf dem Message Board meldete sich auch einer der vielen Peter Jones und bekundete sein Interesse an der Produktion. Oder: http://www.aylesburylibdems.org.uk/page 3.html (Zugriff am 22.11.2001) 174. http://theFinalists.aec.at/sean/sean2/seanpopup21.htm (Zugriff am 22. 11.2001) 99

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THEATER UND INTERNET

In den folgenden Versionen seiner Homepage gestaltete Peter Jones steckbriefartige Schilderungen seiner Persönlichkeit (»Peter Jones, Joan, PJ, Pee Wee, male, 30, 27/1/71, 5’9’’, brown, brown/blue«) und erlaubte den Teilnehmern, seinen Tagesablauf über seine soundpage akustisch zu verfolgen. Unter dem Motto »My Life in Sound« waren Audio-Dateien mit den Themen »Me eating toast«, »Me making a cup of tea«, »Me changing a lightbulb«, »Me watching MTV« und »Me reading a book«175 zugänglich. Um allen zu beweisen, wie beliebt er ist, betont er in der dritten Fassung seiner Homepage auch, angesichts der Hunderten von E-Mails, die er erhalten habe, sei er populärer als Napster je war. Doch Peter Jones gibt auf.; seine letzte Fassung beginnt mit »I was Peter Jones.« »Sex: none Age: immortal Birthday: deathday«176 Sarah Thoms Inszenierung folgt einer linearen Entwicklung der Persönlichkeit von Finalist Faith Listens. Zu Beginn stellt sich Faith Listens auf ihrer Homepage vor. »So here I am, Faith Listens, I’m trying to learn about how to be.«177 Vier Emotionen scheinen ihre Gemütsverfassung auszumachen – happy, sad, freightened und angry.178 Von ihrer Homepage aus legt sie Links zu den URLs, die Emotionen thematisieren, beispielsweise der WebSeite »Why are you angry?«179 Danach lernt Faith, Freundschaften zu schließen, beliebt zu sein, zu gewinnen und erfolgreich zu sein; immer unterschreibt sie ihre Briefe an die Besucher ihrer Web-Seite mit einem schwungvollen ›Faith‹. Hinter Buchstaben oder Bildern auf ihrer Homepage stehen Kommentare. So erscheinen hinter dem riesig geschriebenen »Win« in der vierten Fassung ihrer Homepage Fotografien von Gwyneth Paltrow; die Web-Seite, auf der sie unter der Fotografie einer Sportskulptur über Ausgewogenheit schreibt, führt zu einem Trophy Shop, der Pokale zum Kauf anbietet.180 In der letzten Fassung

175. 176. 177. 178.

http://thefinalists.aec.at/sean/sean2/seansound2.htm (Zugriff am 22.11. 2001) http://thefinialistsaec.at/sean/sean5/seanmain5.htm (Zugriff am 30.11. 2001) http://theFinalists.aec.at/sarah/sarah1/sarahhome1.htm (Zugriff am 21. 11.2001) Vgl. http://theFinalists.aec.at/sarah/sarah2/sarahhome2.htm (Zugriff am 21.11. 2001) 179. http://www.whyareyouangry.com (Zugriff am 21.11.2001) 180. http://trophyshopinc.com/Trophies/trophies.html (Zugriff am 28.11.2001) 100

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3. SYSTEMATIK DER PRODUKTIONEN

ihrer Homepage lernt Faith »to leave.«181 Hinter ihrem Namenszug erscheint eine verschwommene Portraitfotografie von ihr selbst, etwas darunter gesetzt erkennt man in einer verschwommenen Fotografie einen Krankenwagen. Sie hat ihre Mission vollendet. Auch Cassy Winters, alias Liane Sommers, Existenz endet in einem Zusammenbruch. Dabei hatte ihre erste Homepage so naiv und klar begonnen, mit Blumenranken, Herzen und einem adretten Portraitfoto stellt sich Cassy vor, ungebrochen und unhinterfragt. »Hi, nice to meet you! I’m the first person in my family to have my own homepage and I still can’t believe it! […] I’m not saying I’m brillant, but I think I’ve got a lot to offer the world wide web […]«182 Ihr Message Board füllt sich zusehends mit sexuellen und brutalen Anspielungen. Unbeirrt gibt sie »Beauty Tips«183 oder »Top Tips for Developing your Charisma«184 und zeigt das Foto des sonnenumfluteten Familienhauses, in dem sie wohnt, bis ihre Identitätskonstruktion umschlägt. »My Story I was born, bla bla bla, I was definitely here. I still am. I AM A FINALIST, I am now, I’ve wished myself up and I am changing the story. You’ve been reading me wrong, so I’m rewriting myself.«185 Ihre eigene Fotografie verliert an Konturen, nur noch ihre Augen und Reste ihres Kleides sind zu erkennen, ihr Haus ist jetzt eine brüchige Holzbude, bis sie in der letzten Homepage aufgibt. Ihr Portrait ist jetzt eine wirre Scharz/Weiß-Zeichnung. »That’s it now … finished … you can go now. I don’t need you anymore, the party’s over. GOODBYE. […] WASTE OF TIME, WASTE OF SPACE, WASTE OF ELECTRICITY […] I SAID GOODBYE«186 Ihre Top Tips raten jetzt,

181. 182. 183. 184. 185.

http://theFinalists.aec.at/sarah/sarah5/sarahhome5.htm (Zugriff am 21. 11.2001) http://theFinalists.aec.at/liane/liane1/lianehome1.htm (Zugriff am 22. 11.2001) http://theFinalists.aec.at/liane/liane1/lianebeauty1.htm (Zugriff am 22. 11.2001) http://theFinalists.aec.at/liane/liane2/lianebeauty2.htm (Zugriff am 22. 11.2001) http://theFinalists.aec.at/cgi-bin/lianesdiary/diary4/diary.pl (Zugriff am 28.11. 2001) – Rechtschreibfehler sind vom Original übernommen. 186. http://theFinalists.aec.at/liane/liane5/lianehome5.htm (Zugriff am 28. 11.2001) 101

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»get a life do whatever amuses you take whatever you want from the web while you can don’t worry about other people’s feelings be a law unto yourself.«187 Eine grundlegend andere Konzeption legte Simon Will als Skimmer Williams seinen Homepages zugrunde. Als Flusstext organisiert begann die erste Fassung seiner Homepage mit einem wirren Zusammenspiel aus Zeichen, Worten und Satzteilen, die sich verteilt über den Bildschirm zogen und dabei an die graphische Anordnung des Gedichts Un Coup de Dés von Stéphane Mallarmé erinnern. »#############I can#t rem#mbr switching on ##########-: to u its just A COM’’PTER (*worth living)-----2 ME----it is WANT MA’’KES LIFE«188 Wenn Skimmer Williams anbietet, »Click here to feel frustrated«, so führt der Link zur Nachricht »Not Found The Requested URL /simon/ simon1/bla.exe was not found on this server.«189 Seine Ankündigen sind depressiv, Links führen beispielsweise zu einem »Practical Guide to Suicide.«190 Der Kampf um die Aufmerksamkeit anderer Teilnehmer war während der Chats, die die Gruppe als dramaturgische Höhepunkte ihrer Performance begriff, am intensivsten. Diese Chats folgten einer Dramaturgie, die der Moderator, verkörpert im Administrator des Chats Miles Chalcraft, vorgab. Loggte man sich als Festival-Besucher über die Internet-Seite der Finalists in den Chat ein und hatte man für sich selbst einen Spitznamen festgelegt, so konnte man an der Spielsituation, die der Administrator mit kurzen Repliken charakterisierte (beispielsweise durch »around this freezing graveyard«), teilnehmen und diese durch eigene Repliken umgestalten und so die imaginierte Handlung vorantreiben. In den Chats griffen die Finalists die Obsessionen und exzentrischen Eigenschaften, die sie in ihren Homepages bereits angelegt hatten, auf und verstärkten sie. Während der Chats waren knappe Szenarios vom Administrator vorgegeben; jeder Teilnehmer konnte dem Chat lesend folgen oder aktiv das Szenario weiterentwickeln und die Finalists direkt ansprechen. Die bewegungslosen Teilnehmer vor ihren Computern erlebten »the piece«, wie es Schäfer auch nannte, als Lesen eines dramatischen Dialogs, den sie selbst mitgestal-

187. http://theFinalists.aec.at/liane/liane5/lianebeauty5.htm (Zugriff am 28. 11.2001) 188. http://theFinalists.aec.at/simon/simon1/simonhome1htm (Zugriff am 22.11. 2001) 189. http://theFinalists.aec.at/simon/simon1/bla.exe (Zugriff am 22.11.2001) 190. http://www.satanservice.org/coe/suicide/guide/ (Zugriff am 22.11.2001) 102

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3. SYSTEMATIK DER PRODUKTIONEN

teten, der jedoch im Moment seiner Entstehung wieder in einen nichtperformativen Modus zurückfällt. Im Festivalzentrum Muffathalle, München, standen zusätzlich Computer für die Festival-Besucher bereit. Die Interaktion zwischen den Finalists und den Teilnehmern fand jedoch ausschließlich über das Internet statt. Als Quelle liegt eine CD-ROM vor, auf der die wesentlichen Web-Seiten des Projektes und die Video-Dateien der Streamings gespeichert sind. Von den Chats existieren logfiles.

3.4 Palace Performances Zwischen den textbasierten und den telematischen Internet Performances nehmen die Palace Performances in ihrer Kombination von schriftlicher und piktorialer Kommunikation eine besondere Stellung ein. Als The Palace wird eine Software der Time Warners Group bezeichnet, die synchrone, computergestützte Kommunikation ermöglicht, und zusätzlich zur in Chats üblichen schriftlichen Kommunikation eine graphische, zweidimensionale Repräsentationsebene bereitstellt. Innerhalb der Gruppe der Graphical Multi-User Konversations (GMUK) gilt Palace als das bei den Benutzern beliebteste Programm.191 Die Gruppe Desktop Theater von Adrienne Jenik und Lisa Brenneis setzt The Palace seit 1997 für ihre Produktionen ein.192 Nach einer Erläuterung der technologischen Grundlagen von The Palace für theatrale Anwendungen soll Desktop Theater und ihre erste Produktion waitingforgodot.com von 1997 vorgestellt werden.

191. Vgl. Vesna, Victoria: Avatare im World Wide Web: Die Vermarktung der ›Herabkunft‹. In: Stocker, Gerfried/Schöpf, Christine (Hrsg.): Fleshfactor. Informationsmaschine Mensch. Ars Electronica ’97. Wien: Springer, 1997. S. 168-180. S. 176. 192. Nach Horbelt verwendete von 1996-99 auch eine zweite Gruppe von Benutzern The Palace für theatrale Anwendungen. Einige Dokumente fänden sich dazu noch in einem Bereich des Palace, das House of Media genannt wird. Vgl. Horbelt, Andreas: Theater und Theatralität im Internet. a.a.O., S. 86. Zur Verwendung von The Palace für theatrale Produktionen vgl. ebd., S. 85-90. – Fiktive 3D-Szenarios, allerdings nicht in theatraler Rahmung, basierend auf blaxxun contact (http://www.blaxxun. com) entwarf die finnische Gruppe meetfactory mit ihrem Projekt Conversations with Angels (seit 1999). http://angels.kiasma.fng.fi/index.html (Zugriff am 25.8. 2001) Vgl. Heibach, Christiane: Schreiben im World Wide Web – eine neue literarische Praxis? In: Münker, Stefan/Roesler, Alexander (Hrsg.): Praxis Internet. Kulturtechniken der vernetzten Welt. Frankfurt: Suhrkamp, 2002. S. 182-207. S. 199f. 103

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THEATER UND INTERNET

Technologische Grundlagen The Palace wurde von Jim Bumgardner und Mark Jeffrey für die Time Warners Group entwickelt. The Palace Main Site, die auch mansion genannt wird, wurde im November 1995 öffentlich zugänglich.193 »The first to arrive tended to be immigrants and explorers from other virtual communities, such as the AOL chat rooms, WorldsChat, and Echo. […] When they first arrived at Palace, they often felt a bit disoriented, or experienced culture shock, since they found themselves coming from much large [sic], usually text-only chat environments into this very small, intimate, and GRAPHICAL world. The visuals were quite overwhelming for some people. They also had a whole new set of keyboard commands to master.«194 Die Gemeinschaft der Palace-Nutzer wuchs bereits 1996 auf 100 bis 200 Nutzer, so John Suler.195 Bis 1997 wurden nach Angaben von Vesna über 300.000 Client-Versionen von Benutzern heruntergeladen.196 Im Vergleich zu anderen Kommunikationsformen im Internet kommt der Palace-Gemeinschaft jedoch keine herausragende Rolle zu. Die Kommunizierenden werden graphisch über die Avatare repräsentiert, die vorher produziert oder ausgewählt werden müssen.197 Der Begriff Avatar stammt aus dem Hinduismus, wo er die Verkörperung eines Gottes bezeichnet; in der Internet-Kultur hingegen bezeichnet er die (manchmal auch dreidimensionale) Repräsentation von Personen.198 Eine Sektion von The Palace kann in ihrer standard avatar library bis zu 103 Avatare enthalten, die als GIF-Dateien (graphics interchange format) gespeichert sind und wie smileys aussehen.199 Die eingegebenen

193. Vgl. Johnson, Steven: Interface Culture. Wie neue Technologien Kreativität und Kommunikation verändern. Stuttgart: Klett-Cotta, 1999. S. 79. 194. Suler, John: From Conception to Toddlerhood. A History of the First Year (or so) of The Palace. http://www.rider.eu/users/suler/psycyber/palhistory.html (Zugriff am 26.08.2002) 195. Vgl. ebd. 196. Vgl. Vesna, Victoria: Avatare im World Wide Web. a.a.O., S. 177. 197. Vgl. http://leda.ucsd.edu/%7Eajenik/archive/plays/Godot/images/igal/gallery/index.htm (Zugriff am 01.08.2005) 198. Vgl. Langenscheidt Internet-Wörterbuch: a.a.O., S. 23. – Die maximale Größe der Avatare ist eine Pixelzahl von 132x132, obwohl die meisten Avatare diese Grenze nicht erreichen. Die maximale Größe des Hintergrundbildes enthält eine Pixelzahl von 512x384. Vgl. Jenik, Adriene: Desktop Theater. a.a.O., S. 98. 199. Zur Herstellung von GIF-Dateien für eigene Avatare vgl. »Set Up Custom Avatars for Java Clients«: Ohne Autorenangabe: Windows 95/98. Palace Server Guide. Version 4.4. S. 29. http://www.thepalace.com (Zugriff am 21.08.2002) – Eigene Ava104

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3. SYSTEMATIK DER PRODUKTIONEN

Repliken erscheinen als Sprechblasen über den Avataren, die über Bewegungen der Maus navigiert werden können. Gedanken werden in der Textbox durch »:« angegeben; Ausrufe durch ein Ausrufezeichen.200 Durch die zusätzlich zur schriftlichen Kommunikation eingeführte visuelle Darstellungsebene ergibt sich für theatrale Anwendungen eine szenographische Ebene, die die theatralen Parameter entscheidend erweitert (vgl. Kap. 5.1.6).201 The Palace kann sowohl als standalone application als auch als web-basierte Anwendung betrieben werden.202 Drei Gruppen von Benutzern können hierbei unterschieden werden. Unterschieden werden die owners, die einzelen Palace-Sektionen konstruieren, in Stand halten und weiterentwickeln, und den operators, die spezifische Rechte und Verantwortlichkeiten besitzen, die user, die Palace-Software in verschiedenen kommunikativen Kontexten benutzen.203 Teilnehmer an Aufführungen im Palace müssen das entsprechende Programm für ihr Computersystem geladen haben. Danach erfolgen die Registrierung und die Zuweisung eines Codes.204 Um aktiv teilnehmen zu können, müssen die grundlegenden Kommunikationsregeln im Palace bekannt sein; dies kann beispielsweise über eines der zahlreich angebotenen Handbücher, die im Internet angeboten werden, erfolgen. Die Regeln folgen ähnlichen Mustern wie die Kommunikation im IRC (vgl. Kap. 3.3.1).205 Betreiber eigener Palace-Seiten können über die Palace Authoring Tool und die Palace User Software Räume verändern und hinzufügen. Auch auditive Komponenten sind möglich.206 Über Iptscrae, eine built-in programming language, können interaktive Elemente in das Interface eingebaut werden.207

200.

201. 202.

203. 204. 205. 206. 207.

tare konstruieren kann nur, wer auch die Registrierungsgebühr bezahlt hat. Vgl. Vesna, Victoria: Avatare im World Wide Web. a.a.O., S. 177. Für weitere Informationen zur Kommunikation und zur Produktion von PalaceRäumen bzw. von Requisiten von Desktop Theater vgl. http://leda.ucsd.edu/%7 Eajenik/howto/files/h_cont.htm (Zugriff am 22.05.2001) oder »How to Make Desktop Theater« http://leda.ucsd.edu/%7Eajenik/howto/files/h_cont.htm (Zugriff am 22.05. 2001) Vgl. Horbelt, Andreas: Theater und Theatralität nim Internet. a.a.O., S. 85. Windows 95/98. Palace Server Guide. a.a.O., S. 10. – Die Autoren des Palace Server Guides empfehlen eine Einbindung in Web-Auftritte, um ein größeres Publikum erreichen zu können. Vgl. ebd., S. 28. Vgl. Windows 95/98. Palace Server Guide. a.a.O., S. 9. Zu den Downloads, der Registrierung und den Manuals vgl. http://www. thepalace. com (Zugriff am 25.08.2002) Vgl. Windows 95/98. Palace Server Guide. a.a.O., S. 57f. Vgl. ebd., S. 12, 22f. Vgl. ebd., S. 51. – Dort befindet sich auch eine entsprechende Einführung. 105

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THEATER UND INTERNET

Produktionen von Desktop Theater Die Produktionen von Desktop Theater werden seit 1997 von Jenik und Brenneis konzipiert und durchgeführt. Jenik beschreibt sich als telecommunications media artist und arbeitet als Assistant Professor of Computer and Media Arts am Visual Arts Department der University of California, San Diego. Brenneis arbeitet im Bereich der digitalen, interaktiven Medien. Ihre Arbeiten reichen nach eigenen Angaben von Nintendo-Spielen bis hin zu Kunst-Ausstellungen. Sie unterrichtet am American Film Institute, Cal Arts, UCLA, und dem Banff Center for the Arts, Kanada. Beide betonen, Desktop Theater sei nicht die Bezeichnung einer Gruppe, sondern: »Desktop Theater is an ongoing series of live theatrical inventions. Desktop Theater is made whenever intentional theater-like activity wafts through the layers of unintentional drama and surreal banality encountered in online visual chat rooms.« 208 Ihre Produktionen beschreiben sie als »virtuosic triggering of quick key expressions and the cutting and pasting of text from a word processing program in well-paced intervals«209 und sehen sie im Kontext von »poetry, symbolism and play«, angetrieben durch »discussions of online performativity, identity and ethics«.210 Neben waitingforgodot. com (1997), das im Folgenden besprochen werden soll, hat Desktop Theater noch Santaman’s Harvest (1999)211, Spectacled Society (2000) und World of Park (2000) produziert.212

waitingforgodot.com waitingforgodot.com war die erste Produktion der Plaintext Players in einem eigens dafür programmierten Raum im Palace, dem Waiting Room. Nach Jenik war es die »rhetorical power of Beckett’s text«,213 die sie zur Adaption von Becketts Drama veranlasste.

208. Jenik, Adriene: Desktop Theater. a.a.O S. 95. – Hier erklärt Jenik auch, wie Desktop Theater entstand. 209. http://lead.ucsd.edu/%7Eajenik/archive/files/archbeg.htm (Zugriff am 22. 05. 2001) 210. http://lead.ucsd.edu/%7Eajenik/archive/files/archbeg.htm (Zugriff am 22. 05. 2001) 211. Zur Entstehung und zum Ablauf von Santaman’s Harvest vgl. Jenik, Adriene: Desktop Theater. a.a.O., S. 100-107. 212. Vgl. Horbelt, Andreas: Theater und Theatralität im Internet. a.a.O., S. 85-90. 213. Jenik, Adriene: Desktop Theater. a.a.O., S. 100. 106

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3. SYSTEMATIK DER PRODUKTIONEN

»Thinking that introducing an external narrative or drama might provoke more interesting exchange, we began to develop our version of Beckett’s Waiting for Godot.«214 Jenik und Brenneis präsentierten ihre Produktion beim Third Annual Digital Storytelling Festival im September 1997.215 Estragon, hier auch gogo genannt, wurde von Brenneis, Vladimir, didi genannt, von Jenik und der Junge von Jonathan Delacour dargestellt. Die Avatare der Rollen Estragon und Vladimir waren hellgrüne Kugeln mit Strichgesichtern und kegelförmigen Hüten in Rot und Grün. Neben der Textvorlage sind mehrere Beispiele des Interface während der Aufführung archiviert worden und können als unmittelbare und in Metasprache überlieferte Quellen verwendet werden.216 Mit waitingfordogot.com begannen Jenik und Brenneis eine Serie von Ereignissen, die sie als »doubly-live« beschreiben. Sie führten die Produktion (ebenso wie die Plaintext Players) »live in an immersive chat space«217 auf, während zeitgleich ein Publikum einer Projektion der Aufführung zuschauen konnte. So wurde die Aufführung von waitingforgodot.com im Waiting Room des Palace zeitgleich für die Besucher des Festivals auf eine Projektionsfläche vergrößert. Diese Teilnehmergruppe konnte jedoch lediglich zuschauen, nicht aktiv durch Eingabe von Repliken im Waiting Room teilnehmen. Der dramatische Dialog erscheint hier nicht in der Kontinuität eines von unten auf den Bildschirm kommenden und nach oben verschwindenden Textes, sondern diskontinuierlich in Form von Sprechblasen. Über die plug-ins »Macintalk digital voice synthesis«218 und PC Beta text-speech konnten die Charaktere auch mit roboterartigen Lauten sprechen in Santaman’s Harvest waren sprachliche Differenzierungen zwischen den Charakteren und ersten paralinguistischen Variationen (z.B. Wispern) möglich.219 Zwischen diesem dramatischen Dialog, dem szenischen Hintergrund und der figuralen Repräsentation über die Avatare traten Wechselwirkungen auf, die es erlauben, die Wahrnehmung von waitingforgodot. com mit einem bewegten Comic zu vergleichen.

214. Ebd., S. 99. 215. Vgl. http://www.dstory.com/dsf6/highlights.htm (Zugriff am 26.08.2002) 216. Vgl. http://leda.ucsd.edu/%7Eajenik/archive/plays/Godot/images/igal/gallery/ index.htm (Zugriff am 28.08.2002) – Die Textvorlage ist unter http://leda.ucsd. edu/%7Eajenik/archive/plays/Godot/script/ps_gd_01.htm (Zugriff am 08.10.2002) gespeichert. 217. Jenik, Adriene: Desktop Theater. a.a.O., S. 99. 218. Rosenberg, Scott: Clicking for Godot. http://archive.salon.com/21st/feature/1997/ 10/02godot.html (Zugriff am 27.08.2002) 219. Vgl. Jenik, Adriene: Desktop Theater. a.a.O., S. 102, 104. 107

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THEATER UND INTERNET

3.5 Telematische Performances Technologische Grundlagen Telematische Performances setzen verschiedene Telekommunikationstechnologien für die Kommunikation zwischen mindestens zwei geographisch entfernten Orten ein. Bereits in den ersten telematischen Performances des Electronic Café wurden beispielsweise Satelliten eingesetzt. Andere Künstler, wie Robert Adrian X, wiederum verwendeten Telefone und Fax-Geräte. Für die Verbindung zwischen telematischen Performances und telematischen Internet Performances sind vor allem Videokonferenztechnologien, die über ISDN laufen, von Bedeutung. »Video conferencing in its most basic form is the transmission of image (video) and speech (audio) back and forth between two or more physically separate locations. This is accomplished through the use of cameras (to capture and send video from your local endpoint), video displays (to display video received from remote endpoints), microphones (to capture and send audio from your local endpoint), and speakers (to play audio received from remote endpoints).«220 Für eine Anwendung von Videokonferenztechnologien in telematischen Performances ergeben sich zahlreiche Anwendungsmöglichkeiten. Die folgenden Beispiele – Hole in Space von Electronic Café, Paul Sermons telematische Installationen und das Roi Ubu-Projekt des Gertrude Stein Repertory Theatre – sollen mögliche Ansätze verdeutlichen.

Electronic Cafe: Hole in Space Seit 1975 versuchen Kit Galloway und Sherrie Rabinowitz, die späteren Gründer des Electronic Café International (ECI) in Santa Monica, die darstellenden Künste mit interaktiven Telekommunikationsstrukturen zu kombinieren und die Öffentlichkeit daran zu beteiligen.221 Den Ar-

220. Agnew, Grace et al.: Videoconferencing Cookbook. http://www.vide.gatech.edu/ cookbook2.0 (Zugriff am 20.09.2002) – Grace Agnew et al. datieren die erste Videokonferenz auf das Jahr 1930. »The first public videoconference was held in April 1930, between AT&T headquarters and their Bell Laboratory in New York City. Microphones and loudspeakers transmitted the audio while, under a blue light, their images were captured and transmitted as they looked into photoelectric cells. An article in the April 10 edition of the New York Daily Mirror described the audio as clear and the image as inoffensive (a term commonly used for driver’s license photos but not often heard today for videoconferencing).« Für eine Darstellung der Geschichte der Videokonferenztechnologie vgl. ebd. 221. Vgl. Mattei, Maria Grazia: Telematic Art. In: Sommerer, Christa/Mignonneau, Laurent (Hrsg.): Art@Science. a.a.O., S. 33-37. S. 34. 108

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3. SYSTEMATIK DER PRODUKTIONEN

beiten von Galloway und Rabinowitz liegt der Gedanke zu Grunde, nur Kommunikationsstrukturen bereitzustellen, ohne Inhalte zu bestimmen. Im »Orwellian year« gründeten beide das heute noch bestehende Electronic Café International und verkündeten ihr Programm in dem Manifest »The Challenge: We must create at the same scale as we can destroy«.222 In ihrer telematischen Performance Hole in Space im Jahre 1980 verbanden Galloway und Rabinowitz Los Angeles und New York über einen Satelliten.223 »Cameras and monitors were placed on the inside of the show windows of two stores chosen in the respective cities in such a way that the public that casually passed could communicate live with images and sound without being prewarned. The event lasted for three evenings and people in great number, evening after evening, crowded around the windows on the street.«224 Filmaufnahmen dieser telematischen Performance von der New Yorker Avery Fisher Hall zeigen nicht nur die erstaunlich hohe Qualität der übertragenen Bilder, sondern auch die zahlreichen Reaktionen der Passanten, von brüskem Unglauben (»They are kidding!«) über Tränenausbrüche, wenn die Verwandten und Freunde, mit denen man sich verabredet hatte, auch wirklich erschienen, zu gemeinsamen Rateund Bewegungsspielen. Hole in Space ist nach dem Wissen der Verfasserin die erste telematische Performance überhaupt. Neben den Filmaufnahmen als unmittelbare Quellen in Metasprache können noch Beschreibungen der Performances als mittelbare, in Metasprache überlieferte Quellen für eine Analyse verwendet werden.225

222. http://www.ecafe.com/84manifesto.html (Zugriff am 21.08.2002) 223. Vgl. Hünnekens, Annette: Der bewegte Betrachter. Theorien der interaktiven Medienkunst. Köln: Wienand, 1997. S. 64ff. 224. Mattei, Maria Grazia: Telematic Art. a.a.O., S. 35. 225. Fotographische Abbildungen finden sich u.a. in: Idensen, Heiko: Kollaborative Schreibweisen – virtuelle Text- und Theorie-Arbeit: Schnittstellen für Interaktionen mit Texten im Netzwerk. In: Gendolla, Peter/Schmitz, Norbert/Schneider, Irmela/Spangenberg, Peter (Hrsg.): Formen interaktiver Medienkunst. a.a.O., S. 218-264. S. 247-253. – Weitere Beschreibungen finden sich bei Youngblood, Gene: Metadesign. Die neue Allianz und die Avantgarde. In: Rötzer, Florian (Hrsg.): Digitaler Schein. Ästhetik der elektronischen Medien. Frankfurt: Suhrkamp, 1991. S. 305-322. S. 312f. Und: Idensen, Heiko/Krohn, Matthias: Kunst-Netzwerke: Ideen als Objekte. In: Rötzer, Florian (Hrsg.): Digitaler Schein. a.a.O., S. 371-396. S. 389-391. 109

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THEATER UND INTERNET

Paul Sermons telematische Installationen Als prominentes Beispiel für eine telematische Performance wird häufig Paul Sermons Telematic Dreaming angeführt, mit der er 1992 seine Serie von ›telematischen Installationen‹ begann. In der Installation Telematic Dreaming waren zwei Räume, der eine die Kajaani Art Gallery, der zweite die Telegalleria in Helsinki, in denen je ein Doppelbett stand, über eine ISDN-Videokonferenzschaltung miteinander verbunden.226 Die Videokonferenz übertrug die Aufnahmen der Doppelbetten über Kameras, die über den Betten angebracht waren. Dadurch konnten die Teilnehmer im ersten Raum mit den Projektionen der Teilnehmer auf dem Doppelbett im zweiten Raum in Interaktion treten. Die Besucher im ersten verdunkelten Raum lagen auf dem Bett, während neben ihnen die Projektion einer Person übertragen wurde, die auf dem Bett im zweiten, erhellten Raum lag.227 Diese Person war von Sermon im Unterschied zu den Personen im ersten Raum vorbestimmt worden. Sie konnte auf einem Monitor das Zusammenspiel ihrer Projektion im öffentlich zugänglichen Raum mit dem Körper des Besuchers mitverfolgen. In mehreren Versionen von Telematic Dreaming übernahm Susan Kozel diese Funktion. In einem Aufsatz berichtet sie detailliert über ihre Erfahrungen und Deutungen. Neben diesem Bericht als mittelbarer, in Metasprache überlieferter Quelle können noch Fotografien als unmittelbare, in Metasprache überlieferte Quellen und die Dokumentationen der technischen Infrastruktur als unmittelbare, in Objektsprache überlieferte Quellen verwendet werden.228 Ähnliche Konzeptionen, jedoch mit unterschiedlicher inhaltlicher Schwerpunktsetzung, verwandte Sermon beispielsweise Telematic Séance von 1993 und Telematic Encounter von 1996.229 In Telematic Séance, das er beim Muu Media Festival zwischen der OTSO Gallery und der Telegalleria in Helsinki installierte, trat Sermon über das Interface eines Séance-Tisches mit dem Publikum in Interaktion und setzte spiritistische Praktiken des 19. Jahrhunderts mit telematischen Medien im

226. Vgl. http://www.paulsermon.org, http://creativetechnology.salford.ac.uk/paulsermon/dream/ und http://www.hgb-leipzig.de/~sermon/dream (Zugriff am 12.06. 2002) – Telematic Dreaming entstand als Auftragsarbeit für das Sommerfestival in Kajaani, Finnland, das unter dem Titel Kotti, finnisch für Zuhause, stattfand. Vgl. Sermon, Paul/Leeker, Martina: Interview mit Paul Sermon. In: Dinkla, Söke/Leeker, Martina (Hrsg.): Tanz und Technologie. a.a.O., S. 244-267. S. 247. 227. Die Besucher der Galerie bezeichnet Sermon als user. Vgl. http://www.hgb-leipzig. de/~sermon/seance (Zugriff am 02.04.2002) 228. Vgl. Kozel, Susan: Spacemaking. a.a.O. 229. Für Informationen zu weiteren telematischen Installationen von Paul Sermon vgl. http://www.hgb-leipzig.de/~sermon (Zugriff am 12.06.2002) 110

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3. SYSTEMATIK DER PRODUKTIONEN

ausgehenden 20. Jahrhunderts in Verbindung. In der Telegalleria saß Sermon an einem runden Tisch, auf dem eine Decke in der Farbe chroma-keyed blue lag. Direkt über dem Tisch war eine Videokamera angebracht, deren Zoom Sermon per Hand steuern konnte. Ein weiterer runder Tisch mit weißer Tischdecke und sechs Stühlen stand in der OTSO Galerie. Auch über diesem Tisch war eine Kamera an der Decke angebracht. Die Aufnahmen von Sermon wurden über eine ISDNSchaltung auf den weißen Tisch übertragen. Die blauen Elemente verschwinden in einer solchen Übertragung.230 Sermon konnte auf einem Monitor die Überlagerung seiner Projektion mit den usern in der OTSO Galerie, für die der Eindruck einer virtuell anwesenden Person entstand, mitverfolgen. In Telematic Encounter traten user zwischen zwei gleich aufgebauten Räumen über zwei ISDN-Schaltungen in Interaktion. Im Unterschied zu den anderen Installationen interagieren die user hier direkt, ohne Vermittlung Sermons: Ein Tisch mit Schubladen und einem Stuhl stand auf einem Teppich. Eines der Tisch-Arrangements trägt die Farbe chroma-keyed blue. Die Schubladen sind in den beiden Räumen jedoch nur entgegengesetzt zu öffnen. Videokameras nehmen die Bewegungen der user auf und fügen sie auf insgesamt drei Monitoren, die neben den Tisch-Arrangements stehen, zusammen. Die blauen Elemente verschwinden wiederum. Dadurch entsteht für die user der Eindruck eines einzigen gemeinsamen Raumes, in dem sie mit weiteren Menschen an einem Tisch sitzen.231

The Gertrude Stein Repertory Theatre: Roi Ubu Auch das 1990 gegründete und in New York ansässige Gertrude Stein Repertory Theatre (TGSRT) hat mit dem Roi Ubu-Projekt seit 1998 an einer telematischen Performance gearbeitet. Die Bezeichnung ›Projekt‹ ist der Gruppe dabei besonders wichtig, da sie die öffentlichen Vorführungen in New York City nicht als Aufführung, sondern als Demonstration eines work-in-progress verstanden wissen wollen. »Workshops, research and development are a huge part of what we do. We are a processbased organization; workshopping is a manifestation of that mission.«232

230. Sermon verwendete hier das Blue Box-Verfahren, bei dem Bilder aus entfernten Räumen gemischt werden und zu neuem Bild kombiniert werden können. In der Variante des Chromakeying entscheidet die ausgewählte Farbe, wie die Bilder überlagert werden können, beim Lumakeying hingegen die Helligkeit. Vgl. Glossar in: Dinkla, Söke/Leeker, Martina (Hrsg.): Tanz und Technologie. a.a.O., S. 427. 231. Vgl. http://www.artdes.salford.ac.uk/sermon (Zugriff am 13.03.2002) und http:// www.hgb-leipzig.de/~sermon/encounter.html (Zugriff am 12.06.2002) 232. Vgl. Dreyer, Liz: Interview-Notizen vom 29. August 2001, New York City. – Nach 111

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Der Hintergrund hierfür war ein juristischer: Aufführungen mit gewerkschaftlich organisierten Schauspielern (union actors) dürfen nicht aufgezeichnet werden. »The beginning idea for the project was to create characters by projecting images of a physically distant performers on another performer.«233 Während eines Workshops wurde das Studio des TGSRT über eine ISDN-Videokonferenzschaltung mit einer Bühne in Sankt Petersburg verbunden. Die Bildprojektionen der russischen Darsteller wurden auf die Körper der amerikanischen Darsteller projiziert, so dass sich verschiedene Bildschichten in der Wahrnehmung der Zuschauer in New York überlagerten. Auf Monitoren konnten die Schauspieler in New York das Zusammenspiel ihrer eigenen Bewegungen mit den eingespielten Bewegungen aus Sankt Petersburg verfolgen. Der Text der Aufführung wurde elektronisch verstärkt von einem weiteren Teilnehmer vorgelesen. Dreyer berichtet, dass die Zuschauer die Projektion von Körperteilen auf die Schauspieler in New York als »disturbing« empfanden. Zwischen den New Yorker Zuschauern und der Aufführung war keine Interaktion vorgesehen.234

3.6 Telematische Internet Performances Im Unterschied zu textbasierten Internet Performances verwenden telematische Internet Performances auch audiovisuelle Elemente während der Aufführungen. Die telematischen Medien sind dabei meist in das WWW als Anwenderoberfläche des Internets und Interface dieser Aufführungen integriert. Je nach verwendeten Technologien und der Konzeption der Produktionen variieren der Grad und die Art der Beteiligung für die verschiedenen Teilnehmergruppen.

Technologische Grundlagen Telematische Internet Performances nutzen die hypertextuelle Struktur der graphischen Oberfläche WWW und integrieren verschiedene

Angaben von Dreyer ist das Roi Ubu-Projekt zur Zeit jedoch »on hold«. – http:// www.gertstein.org/details/pro_ubu.htm (Zugriff am 21.05.2001) 233. Ebd. – Neben Fotografien und Filmaufnahmen können auch noch Aufführungsberichte der workshop -Demonstrationen als Quellen verwendet werden. 234. Für weitere Beispiele telematischer Performances vgl. Dreher, Thomas: Performance Art nach 1945. a.a.O., S. 379f. 112

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3. SYSTEMATIK DER PRODUKTIONEN

(Kombinationen von) Telekommunikationstechnologien. Von Bedeutung für die in dieser Arbeit ausgewählten Produktionen sind insbesondere die Media Player, webcameras und verschiedene Videokonferenztechnologien (iVisit, CUSeeMe). Sie sollen im Folgenden in ihrem Aufbau und ihren Anwendungsmöglichkeiten erläutert werden. Als Media Player werden Anwendungen bezeichnet, die die Übertragung von sowohl vorproduzierter als auch mit nur geringer Übertragungsverzögerung aufgenommener Bild- und Audioinformationen ermöglichen. Für Internet Performances müssen die übertragenen Informationen als streaming media bereitgestellt werden. »Streaming media means that multimedia content stored on a server is delivered to a client computer without significant delay in starting. The streaming file starts to play before it has all downloaded to the client computer. Non-streaming files such as most .wav, .avi and .mov files download completely to the client computer before they begin to play.«235 Verschiedene Firmen bieten solche Produkte an; beispielsweise Apple den Media Player Quicktime, Microsoft den Windows Media Player und Real Networks, Inc., den Real Player.236 Diese Media Player können unterschiedliche Bild- und Audioformate abspielen, teilweise kann Quicktime zusätzlich Shockwave darstellen.237 Werden Media Player in Internet Performances eingesetzt, so müssen interessierte Zuschauer und Teilnehmer vor dem Beginn der Aufführung die entsprechende Software auf ihrem Rechner geladen haben. Beginnt die Aufführung, muss nur noch der entsprechende Link auf der Homepage der Produzenten aktiviert werden. Webcameras können in zwei Modi für Internet Performances eingesetzt werden. Entweder können die Zuschauer/Teilnehmer während einer Aufführung Aktionen in geographisch entfernten Orten über eine solche Kamera wahrnehmen, oder sie steuern eigene Inhalte vor einer webcameras zur Aufführung bei. Im ersten Fall müssen die Zuschauer lediglich den Link auf der entsprechenden Web-Seite aktivieren. Die Produzenten verwenden dabei entweder eigene webcameras oder bereits für andere Zwecke installierte (vgl. Kap. 3.6 Isabelle

235. http://illinois.online.uillinois.edu/Presentations/Real/introduction.html (Zugriff am 22.02.2002) 236. Vgl. http://www.apple.com/quicktime/download – http://www.microsoft. com – http://www.real.com (Zugriff jeweils am 28.08.2002) – Trotz ihrer Übertragung in Echtzeit benötigen auch Live Streamings eine Anbindung an zugehörige Files auf Servern. Dies macht Live Streamings technisch aufwendig. Vgl. Hentschläger, Ursula/Wiener, Zelko: Webdramaturgie. a.a.O., S. 34. 237. Vgl. ebd., S. 39. 113

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Jenniches’ J-B-2Z).238 Im zweiten Fall müssen die Zuschauer und Teilnehmer eine eigene digitale Videokamera haben, von der aus Videodateien ins Internet übertragen werden können.239 Zahlreiche Internet Performances integrieren Videokonferenztechnologien in das WWW und ermöglichen so den gegenseitigen Austausch von Bild- und Toninformationen. Die Teilnehmer benötigen als Infrastruktur entsprechende Videokameras, einen Computer mit Videokarte, der Videosignale empfangen kann, die Software des Videokonferenz-Programms und eine verlässliche Internet-Verbindung. Die Qualität der Übertragung ergibt sich aus einer Kombination verschiedener Funktionen, u.a. video frame size und der Bandbreite.240 Videokonferenzen, die von einem Arbeitsplatz aus geführt werden können, werden als Desktop-Konferenzen bezeichnet.241 Über das Internet finden sie meist als multi-point-Konferenzen statt, bei denen mehrere Teilnehmer gleichzeitig miteinander kommunizieren können, während bei einer point-to-point-Konferenz zwei Teilnehmer direkt miteinander über Dialogfenster verbunden sind. Teilnehmer einer Videokonferenz ohne eigene Kamera werden in der Sprache des Internets als lurker (Lauerer) bezeichnet (vgl. Kap. 3.3.2 NetSeduction, Kap. 3.6. Cassandra Project). Beispielhaft sollen hier die für die ausgwählten Produktionen wichtigsten internetfähigen Videokonferenztechnologien, CUSeeMee und iVisit, vorgestellt werden. Benutzer benötigen für beide Anwendungen neben einem internetfähigen Rechner und der entsprechenden Software eine Kamera. iVisit wurde vom Pionier der Videokonferenztechnologien, Tim Dorcey, erfunden, einem früheren Software-Entwickler an der Carnegie Mellon University, »whom the Wall Street Journal credited with gi-

238. Vgl. http://www.camcentral.com (Zugriff am 22.08.2002) 239. Vgl. Breeden John/Byrne, Jason: Guide to Webcams. Delmer Learning 2000. – Wand, Wally/Wang, Wallace/Karow, Bill: Webcams for Dummies. John Wiley & Sons 2001. 240. Als Bandbreite wird die Maßeinheit »of the amount of data that can fit on a network. Measured in Hertz or bits per second. For example, a regular Ethernet line has a bandwidth of 10 Mbps (10 million bits per second).« Vgl. http://www.vide. gatech. edu/cookbook2.0/ (Zugriff am 20.09.2002) Zu geringe Bandbreiten sind zur Zeit die Grenze zahlreicher Internet-Anwendungen. – Die Standardrate einer ISDN-Verbindung mit 128kps gibt Bewegungen noch ruckartig wieder Erst ab 384kps, also rund dem Zehnfachen einer normalen Modem-Verbindung werden Videosignale in Fernsehqualität übertragen. Vgl. Kreuzberger, Thomas: Internet. a.a.O., S. 70f. 241. Vgl. Dutta-Roy, Amitava: Virtual Meetings with Desktop Conferencing. In: IEEE Spectrum July 1998. S. 47-56. 114

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ving the Internet its eyes and ears.«242 Heute wird iVisit von der Firma Eyematic Interface Inc.243, gegründet 1998, vertrieben, deren Produkt für »multi-party video, voice and text chat over intranets and the Internet«244 genutzt wird. Besonderes Merkmal von iVisit ist seine peer-topeer-Architektur. Damit wird ein nicht-hierarchischen Netzwerk von Computern bezeichnet, »in dem die verbundenen Rechner stets gleichberechtigt Zugriff auf die anderen Rechner des Netzes haben.«245 Im Gegensatz zum client/server-Prinzip haben hier alle Teilnehmer gleiche Rechte. Bei weltweiten Anwendungen treten bei iVisit aufgrund seiner peer-to-peer-Architektur die geringsten technischen Schwierigkeiten auf. Dies war für Laura Knott ein entscheidender Grund, iVisit für World Wide Simultaneous Dance einzusetzen. »The software is free, easy to use, widely available, scalable, and usable on a variety of computer platforms and configurations. Further, iVisit is browser-independent, that is, the application can stand alone on the user’s desktop, outside the browser environment. […] The video signal is transmitted directly from one desktop to another, without passing through the server.«246 Die Videokonferenztechnologie CUSeeMe wurde an der Cornell University, ebenfalls unter Beteiligung von Tim Dorcey ursprünglich nur für den Macintosh mitentwickelt.247 Im Gegensatz zu iVisit treten bei CUSeeMe, die über eine IP-Network-Verbindung läuft, im internationalen Gebrauch häufig Kompatibilitätsprobleme auf. »Cu-SeeMe provides a one-to-one conference, or by use of a reflector, a one-to-many, a several-to-several, or a several-to-many conference depending on user needs and hardware capabilities.«248 Seit 1993 unterstützt die National Science Foundation die Forschungen an der Weiterentwicklung von CUSeeMe. Kommerziell vertrieben wird

242. http://www.iVisit.com (Zugriff am 24.08.2002) 243. Vgl. http://www.eyematic.com (Zugriff am 22.08.2002) 244. http://www.iVisit.com/about.htm – Für eine Demonstration von iVisit vgl. http:// www.iVisit.com/quicktour.htm (Zugriff am 22.08.2002) 245. Langenscheidt Internet-Wörterbuch: a.a.O., S. 131. 246. Knott, Laura: World Wide Simultaneous Dance. a.a.O., S. 13. 247. »So far as we know, CU-SeeMe was the first software available for the Macintosh to support real-time multi-party videoconferencing on the Internet.« Tim Dorcey wurde unterstützt von Richard Cogger, Cornell University, dem Medical College, Scott Brim und John Lynn. Vgl. http://www.agocg.ac.uk/reports/mmedia/apple/ app1.htm (Zugriff am 24.08.2002) 248. Ebd. 115

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CUSeeMe mittlerweile auch mit Farbübertragung u.a. von First Virtual Communications.249 CUSeeMe wurde u.a. von Eduardo Kac eingesetzt (vgl. Kap. 3.6). Ein neuer Impuls für Internet Performances auf der Basis von Videokonferenztechnologie kommt von den vBricks. vBricks sind eine Netzwerkanwendung für Video- und Audioübertragung in Fernsehqualität, die geringere Anforderungen an die Bandbreite stellt.250 VBricks sind im Wortsinn Kästen und bisher vor allem im institutionellen Kontext gebräuchlich. Bereits 2002 hat sich die Qualität der Übertragung zu »DVD-quality video and CD-quality audio«251 hin verbessert. Das Cassandra Project setzte vBricks beispielsweise bei ihrer Aufführung im November 2001 über Internet 2 ein. Als telematische Internet Performances sollen im Folgenden die Arbeiten Fractal Flesh, Ping Body und ParaSite von Stelarc, Ornitorrinco in Eden und Rara Avis von Kac und Ed Bennett sowie J-B-2Z und AFK von Isabelle Jenniches vorgestellt werden. Aus dem Bereich des Web Dance wurden Leaping into the Net von Sarah Morrison, World Wide Simultaneous Dance von Laura Knott und das Cassandra Project (New York University) ausgewählt. Sie alle wurden ausgesucht, weil sie sich in zentralen Parametern – ihrer Medialität, ihrer szenographischen Struktur und der Art der Teilnehmerbeteiligung – unterscheiden und so die Bandbreite von telematischen Internet Performances aufzeigen können.

Stelarc: Fractal Flesh, Ping Body, ParaSite Der in Australien aufgewachsene Stelarc wurde unter dem Namen Stelios Arcadiou 1946 in Griechenland geboren. Er sorgte bereits 1973 für Aufsehen, als er mit Mikrofilmen das Innere seines Magens während einer Performance aufnahm. Neben anderen Auszeichnungen wurde er zum Honorary Professor for Art and Robotics an der Carnegie Mellon University und zum Senior Research Scholar an der Nottingham Trent University ernannt. Seine Arbeiten reichen vom Tanz, experimentellen Performances mit medizinischen Instrumenten und Prothesen über die Robotik bis hin zu VR-Systemen und Internet Performances. Auch in zahlreichen Aufsätze, Interviews und manifestartigen Texten hat sich Stelarc zu seinen Performances, der künftigen Bedeutung des Körpers, der Funktion der Technologie in der gesellschaftlichen Entwicklung und anderen Fragen geäußert. Seine Performances und seine Texte

249. Vgl. http://www.cuseeme.com/ und http://www.cu-seeme.com (Zugriff am 24.10. 2001) 250. Vgl. http://www.vbrick.com (Zugriff am 24.10.2001) 251. http://www.vbrick.com/compinfo.asp (Zugriff am 25.5.2002) 116

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3. SYSTEMATIK DER PRODUKTIONEN

stehen in einem Wechselverhältnis, wobei – wie auch bei den Manifesten anderer künstlerischer Bewegungen – die Äußerungen Stelarcs dabei nicht wörtlich auf seine Performances übertragen werden sollten, stehen sie doch auch in der Tradition der Manifeste mit dem Ziel, das eigene Selbstverständnis zu artikulieren, den Erwartungshorizont abzustecken und oftmals auch utopische Zukunftsprojektionen zu entwerfen.252 In seiner zentralen und häufig wiederholten These geht Stelarc von der Obsoletheit des menschlichen Körpers aus. Gegenüber der Technologie hat der Körper für Stelarc seine Bedeutung verloren. So spricht er auch von seinem eigenen Körper immer nur als ›the body‹. »If I referred to myself all the time it would personalize the experience too much. It’s not important that it’s me. It’s important that a physical body suspended in space has these experiences.«253 In einigen seiner jüngeren Arbeiten forderte er Teilnehmer auf, über das Internet und von ihm selbst entworfene Instrumente seinen Körper fernzusteuern. ›The Body‹ begreift Stelarc hier als ›host‹ sowohl für Technologien als auch die Teilnehmer an seinen Performances, die er als remote agents bezeichnet.254 In seinen Internet Performances, wie er diese Arbeiten selbst nennt, verfolgt er das Ziel, »to explore alternate, intimate and involuntary interfaces with the body.«255 Das Internet sieht er als Technologie, die »new collective physical couplings and a telematic scaling of subjectivity«256 erlaubt. Als Beispiele seiner Internet Performances sollen hier Fractal Flesh, Ping Body und ParaSite beschrieben werden. Sie setzen in verschiedenen Infrastrukturen ein System zur Stimulierung der Muskeln ein, das Stimbod heißt. Die Stimulierung der Muskeln erfolgt entweder, indem auf einem Computerbildschirm die verschiedenen Körperpartien eines Modells berührt werden, oder indem verschiedene ikonische Darstellungen von Gesten zu einer Abfolge zusammengestellt werden. Auf dem berührungssensitiven Bildschirm zeigen die orangenen Körperteile potentiell zu stimu-

252. Vgl. von Wilpert, Gero: Manifest. In: ders.: Sachwörterbuch der Literatur. a.a.O., S. 555. S. 555. Und: Evert, Kerstin: Dance Lab. a.a.O., S. 192. 253. Stelarc: Zitiert nach Carr, Cynthia: On Edge. Performance at the End of the Twentieth Century. Hanover: Wesleyan University Press, 1993. S. 13. 254. »The body has been augmented, invaded and now becomes a host – not only for technology, but also for remote agents.« http://www.stelarc.va.com.au/articles/ index.html (Zugriff am 25.02.2002) 255. http://www.stelarc.va.com.au/articles/index.html (Zugriff am 25.02.2002) Ohne Seitenangabe. 256. Ebd. 117

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lierende Bereiche an, während rotes Bereich bereits aktivierte Muskulatur angibt.257 Wird Stimbod über das Internet eingesetzt, sieht Stelarc über Videobildschirme, die von den verschiedenen remote sites übertragen, das Gesicht des Teilnehmers, der momentan das System bedient; eine Konstellation, die für Stelarc ›Intimität ohne Nähe‹ erzeugt.258 Im November 1995 verband Stelarc in seiner Performance Fractal Flesh von seinem Aufführungsort in Luxembourg aus über seine performance web-site drei weitere remote sites.259 An Stelarcs Körper war neben Stimbod auch seine ›dritte Hand‹ (third hand) angebracht. Vom rechten Unterarm, wo die dritte Hand befestigt war, gingen Elektroden zu den Bauch- und Oberschenkelmuskeln, über die Stelarc die dritte Hand öffnen, schließen und drehen konnte.260 Dies waren die einzigen Bewegungen, die Stelarc selbst steuern konnte. Alle anderen Bewegungen wurden von den Teilnehmern in Paris, Helsinki und Amsterdam über den berührungssensitiven Bildschirm als Interface gesteuert. Die Berührungen der abgebildeten Körperteile setzten elektrische Ströme frei, die über das Internet geleitet wurden und über den Muskelstimulator, der über Elektroden mit Stelarcs Körper verbunden war, Kontraktionen der Muskeln bei Stelarc auslösten.261 Daten der Gehirn- und Herzströme von Stelarc, seiner Muskelsignale und aktuellen Positionen seiner Körperteile wurden gespeichert. Zum einen steuerten sie die Akustik der Performance; zum anderen wurden so die ins Internet übertragenen Kamerapositionen und Videobilder ausgewählt. Während in Fractal Flesh die Berührungen der anderen Teil-

257. »Stimbod is connected to the 6-channel muscle stimulation system sending 0-60 volts to the muscle sites (deltoids, biceps, flexors, thigh and calf muscles).« Stelarc hatte Stimbod mit Gary Zebington, Dmitro Aronov und Troy Innocent entwickelt. Ebd. 258. Vgl. ebd. 259. Dies waren das Centre Georges-Pompidou in Paris, das Media Lab in Helsinki und die Doors of Perception Conference in Amsterdam. 260. »The Third Hand is a human-like manipulator attached to the right arm as an extra hand. It is made to the dimensions of the real right hand and has a grasp-release, a pinch-release, and a 290-degree wrist rotation […]. It is controlled by EMG signals from the abdominal and leg muscles. […] By contracting the appropriate muscles you can activate the desired mechanical hand motion.« http://www.ste larc.va.com.au/articles/index.html (Zugriff am 25.05.2002) 261. http://www.stelarc.va.com.au/pingbody/index.html (Zugriff am 13.05. 2002) – Stelarc zeigte Fractal Flesh erstmals im August 1995 in Melbourne. Für weitere Beschreibungen dieser Performance vgl. Dreher, Thomas: Performance Art nach 1945. a.a.O., S. 381-383. – Zum System zur Muskelstimulierung vgl. Vgl. http:// www.stelarc.va. com.au/pingbody/index.html (Zugriff am 13.05.2002) 118

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3. SYSTEMATIK DER PRODUKTIONEN

nehmer die Muskelkontraktionen auslösten, bewegten in Ping Body, die Stelarc für die Digital Aesthetics Conference in Sydney (April 1996) entwickelte, Internetdaten Stelarcs Körper. Die Daten wurden von einem Server zufällig zusammengestellt worden. Dabei wurden ihre räumlichen Distanzen und ihre Übertragungszeit gemessen.262 »By random pinging (or measuring the echo times) to Internet domains it is possible to map spatial distance and transmission time to body motion. Ping values from 0-2000 milliseconds (indicative of both distance and density levels of Internet activity) are used to activate a multiple muscle stimulator directing 0-60 volts to the body.« 263 Die gemessenen Datenströme wurden in Simulationen von Körperbewegungen übertragen und lösten Bewegungen von Stelarcs Körper aus. Die Zuschauer seine Performance können auf diese Vorgänge keinen Einfluß nehmen. Die erste Aufführung von ParaSite fand im April 1997 während des Virtual World Orchestra in Glasgow statt. Wie in Ping Body ging auch in ParaSite die Steuerung der Bewegungen vom Internet aus und wurde durch Stimbod übertragen. Die Muskelkontraktionen wurden durch jpeg-Dateien ausgelöst, die über eine Suchmaschine im Internet zufällig zusammengestellt wurden. Zusätzlich transportiert ParaSite die Daten jeodch in einer Rückkopplungsschleife zurück ins Internet. Die Rückkopplungsschleife setzte Stelarcs Bewegungen in eine VRMLDarstellung um, die von den online-Teilnehmern beobachtet werden konnte.264 »The resulting motion is mirrored in a VRML space at the performance site, and also uploaded to a website as potential (and recursive) source images for body actuation.« 265

262. Vgl. Dreher, Thomas: Performance Art nach 1945. a.a.O., S. 383-385. – Für Ping Body stehen neben einer Zeichnung der technischen Infrastruktur verschiedene Fotografien zur Verfügung, deren wissenschaftstheoretischer Wert aufgrund offensichtlicher Nachbearbeitung eingeschränkt werden muss. Vgl. ebd. 263. http://www.stelarc.va.com.au/pingbody/index.html (Zugriff am 13.05. 2002) 264. VRML steht für Virtual Reality Modeling Language und bezeichnet eine Sprache, die unabhängig von Plattformen betrieben werden kann und die Repräsentation dreidimensionaler Objekte mit integrierten Hyperlinks ermöglicht. VRML-Erweiterungen können in einem Browser nur betrachtet werden, wenn der entsprechende plug-in geladen wurde. Vgl. Langenscheidt Internet-Wörterbuch: a.a.O., S. 175f. 265. http://www.stelarc.va.com.au/parasite/index.html (Zugriff am 13.05.2002) – Neben Fotografien, deren wissenschaftstheoretischer Wert erneut eingeschränkt werden muss, ist auf Stelarcs ParaSite-Homepage eine Visualisierung der Performance gespeichert, die Shockwave benötigt. 119

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Eine seiner jüngsten Ideen ist das Extra Ear, ein chirurgisch konstruiertes Ohr als zusätzlicher Bestandteil seines Gesichtes, das mit einem Modem und einem tragbaren Computer verbunden ist und als »internet antennae«268 funktionieren soll. Bis jetzt hat Stelarc jedoch noch keinen Arzt gefunden, der ihm bei der Umsetzung dieser Idee helfen würde. Im Unterschied zu Stelarc treten Eduardo Kac und Ed Bennett in ihren Arbeiten nicht selbst als Performer auf, sondern ermöglichen den Teilnehmern die Erfahrung von Telerobotik.

Eduardo Kac/Ed Bennett: Ornitorrinco in Eden und Rara Avis Bereits vor der Entwicklung des WWW arbeitete Kac, der den Lehrstuhl für Kunst und Technologie am School of the Art Institute of Chicago innehat, mit Telekommunikationstechnologien. Seit 1989 kooperiert er mit Bennett. Ihre Projekte bezeichnen sie als Telepresence Art. Je nachdem, ob sie dabei das Internet einsetzen oder nicht, fallen ihre Arbeiten, die sich im Grenzbereich zwischen interaktiven Installtionen und performativer Medienkunst bewegen, in die Kategorie der telematischen Internet Performances.269 Ihre Arbeiten verbinden in interaktiven Strukturen Telekommunikation mit Robotik. Dabei greifen Kac und Bennett auf das Konzept der Telepräsenz in seinem originären Sinn, wie es von Marvin Minsky geprägt wurde, zurück. Danach bezeichnet Telepräsenz eine telekommunikative Struktur, in der Menschen mittels Fernsteuerung einen Teleroboter in einem physisch entfernten Raum steuern können (vgl. Kap. 4.3.2).270 Während ihrer Kooperation haben Kac und Bennett immer wieder an einem Projekt gearbeitet, dessen verschiedenen Versionen sie Titel mit der Namenskomponente Ornitorrinco – die portugiesische Bezeichnung für Schnabeltier – gaben. Alle Versionen des OrnitorrincoProjektes schließen mindestens zwei geographisch entfernte Räume ein. An einer der remote locations navigiert mindestens ein Teilnehmer durch die Installation, indem er ein Telefon als Interface bedient und visuelles Feedback erhält. Ornitorrinco in Eden vom Oktober 1994 beispielsweise verband in besonderer Weise die Elemente einer Ästhetik der Telepräsenz. Für Kac sind dies: »coexistence in virtual and real spaces, telerobotic navigation, synchronicity of actions,

268. Ebd. 269. So bezeichnet Kac seine Arbeiten auch als »interactive networked telepresence installation«. In: Kac, Eduardo: Ornitorrinco and installation«. In: Kac, Eduardo: Ornitorrinco and Rara Avis. a.a.O., S. 392. 270. Vgl. ders.: Telepresence Art. a.a.O., S. 53. 120

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real-time remote control, bodysharing of telerobots, and collaboration through networks«.271 Via Internet verband Ornitorrinco in Eden Chicago, Seattle und Lexington, als die drei über CUSeeMe verbundenen Knotenpunkte der in Chicago aufgebauten Installation. Online-Teilnehmer (u.a. aus Finnland, Kanada und Deutschland) sahen durch die Augen des Ornitorrinco in Chicago, dessen Bewegungen von Seattle und Lexington aus über die Tastatur eines Telefons gesteuert wurden. Die Zahlentasten standen für verschiedene Bewegungsrichtungen des Teleroboters. Drückte man beispielsweise die Zahl 4, drehte sich der Roboter um neunzig Grad nach links. Abbildung 9: Telefon als Interface in Orintorrinco in Eden272 TELEPHONE KEYPAD MOTION CONTROL CODE

FORWARD

15° LEFT

15° RIGHT

1 90° LEFT

180° LEFT

2

3

STOP

4 7

5

6

8

9

STOP

90° RIGHT

180° RIGHT

BACKWARD

Alle Teilnehmer, die sich zu einem bestimmten Zeitpunkt während der rund fünfstündigen Performance eingewählt hatten, teilten sich – entweder durch ihre aktive Steuerung oder ihre Wahrnehmung – den

271. Ders.: Ornitorrinco and Rara Avis.a.a.O., S. 391. 272. Abgedruckt in ders.: Ornitorrinco and Rara Avis.a.a.O., S. 391. – »The Ornitorinco project used standard DTMF signals (touchtone sounds) produced by a regular phone to control the telerobot’s body wirelessly from afar in real time. It also used DTMF signals to retrieve video stills through the same phone line from the telerobot’s point of view.« Vgl. ders.: Dialogical Telepresence and Net Ecology. In: Goldberg, Ken (Hrsg.): The Robot in the Garden. Telerobotics and Telepistemology in the Age of the Internet. Cambridge: MIT, 2000. S. 180-196. S. 184. 121

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Körper des Ornitorrinco.273 Parallel zu den drei verschiedenen Formen der Teilnahme ergeben sich auch drei Formen von Wahrnehmung und Körperlichkeit für diese Installation. Die Teilnehmer in Chicago waren eigens für diese Installation gekommen und sahen den Roboter selbst und wie er durch andere Teilnehmer bewegt wurde. Diese Wahrnehmung wurde nicht elektronisch vermittelt, die Teilnehmer waren körperlich anwesend und konnten sich um die Installation herum bewegen. Die Teilnehmer in Seattle und Lexington saßen weitgehend bewegungslos vor den Computern, konnten jedoch die Bewegungen des Roboters über die Tastatur eines Telefons steuern und die Umgebung der Installation elektronisch vermittelt über die Fenster von CUSeeMe sehen. Die übrigen online-Teilnehmer sahen lediglich diese Übertragungen, ohne die Möglichkeit der Steuerung zu erhalten.274 Eine in ihrer Anlage ähnliche, doch von der räumlichen Wahrnehmung her verschiedene Struktur verwendete Kac für Rara Avis (Juni/August 1996) die im Nexus Contemporary Art Center in Atlanta. Besucher der Ausstellung betraten einen Raum mit einem Vogelkäfig, in dem neben rund dreißig lebendigen Zebrafinken ein Teleroboter in Form eines tropischen Vogels saß, der nur seinen Kopf bewegen konnte. Aufgrund der auffälligen Augen, hinter denen sich zwei Kameras verbargen, nannte Kac ihn mit einem Wortspiel aus Mac und Eule macowl. Abbildung 10: Konstruktion des macowl in Rara Avis

273. Vgl. ders.: Ornitorrinco and Rara Avis.a.a.O., S. 391f. 274. Vgl. technische Infrastruktur von Ornitorrinco in Eden abgedruckt in ders.: Ornitorrinco and Rara Avis.a.a.O., S. 391. – Neben der Dokumentation der technischen Infrastruktur dienen Fotografien und Berichte von Kac und sowie der technische Appendix von Bennett als wichtige Quelle für eine Analyse. Dort finden sich auch weitere, detailliertere Informationen sowohl zu Ornitorrinco in Eden als auch zu Rara Avis. Vgl. ebd. 122

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3. SYSTEMATIK DER PRODUKTIONEN

Sobald ein Besucher das bereitgestellte headset aufsetzte und somit zum Teilnehmer wurde, sah er den Vogelkäfig aus der Perspektive des macowl und konnte dessen Kopf durch die eigenen Kopfbewegungen steuern. Über das Internet konnten Teilnehmer ebenfalls diese Perspektive wahrnehmen und durch Mikrophone zur Geräuschkulisse im Vogelkäfig beitragen. Diese Geräuschkulisse was eine Kombination aus Vogelzwitschern und menschlicher Sprache und wurde wieder zu den online-Teilnehmern übertragen.275 Während Kac und Bennett für ihre Arbeiten eine aufwendige Infrastruktur installieren, verwendet Isabelle Jenniches bereits existierende Telekommunikationstechnologien.

Isabelle Jenniches: J-B-2Z und AFK Die Szenographin Isabelle Jenniches experimentierte bereits während ihres Studiums in Amsterdam, Wien und Groningen mit der immateriellen Gestaltung des Raumes beispielsweise durch Licht. Daran knüpft die Verwendung des Internets in ihren drei onsite/online performances unter dem Titel J-B-2Z an, die von den Fonds voor beeldende kunsten, vormgeving en bouwkunst (Amsterdam) im Rahmen der Ausstellung Commitment in Rotterdam im Mai 2002 unterstützt wurden.276 J-B-2Z steht als Abkürzung für Julianaplasje, Blaas und Twee Zwaantjes, den drei Titeln der einzelnen Performances, die auf die spezifische Terminologie Rotterdamer Hafenarbeiter zurückgehen.277 Julianaplasje wird beispielsweise als spöttischer Ausdruck für ein Glas Orangensaft verwendet, das in Anerkennung langjähriger, harter Arbeit an Hafenarbeiter ausgeschenkt wird. In J-B-2Z arbeitet Jenniches mit dem Paradigma der site-specificity aus einer doppelten Perspektive heraus.278 Zum einen gestaltete sie eine site-specific performance im Hafen Rottdermans, dem größten Hafen der Welt; zum anderen wurde diese Performance durch webcameras der Hafenbetreiber aufgenommen und konnte von online-Zuschauern verfolgt werden.279 Auf diese

275. Vgl. ebd., S. 392f. 276. http://www.fondskbvb.nl (Zugriff am 25.08.2002) – Fonds KBVB kann mit The Netherlands Foundation for Visual Arts, Design and Architecture übersetzt werden. – Die Performances fanden am 4., 11. und 18. Mai 2002 zu unterschiedlichen Zeiten (15-17.30 Uhr, 11-13 Uhr, 19.30-21.30 Uhr MEZ) statt. 277. Vgl. »Haventerminologie uit de Rotterdamse haven, opgetekend in het begin van de tweede helft van de 20e eeuw door Kobus de Tallyman« [Maritiem Buitenmuseum] http://www.9nerds.com/isabelle/JB2Z/ (Zugriff am 08.10.2002) 278. Site-specific performances und Installationen werden für einen ganz bestimmten Ort konzipiert und können nicht von ihm entfernt werden, ohne dass sich die Bedeutung der Arbeit verändert. Vgl. Kap. 4.4.2. 279. Vgl. http://www.9nerds.com/isabelle/JB2Z – Die Bilder der webcamera sind gespei123

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Art setzte Jenniches auch das Internet als eine spezifische site für ihre Arbeit ein. Besucher der Ausstellung in der Galerie Las Palmas konnten die Performance zunächst online (via Computer mit Internetzugang im Ausstellungsraum) verfolgen. Nach einer Stunde hatten sie Gelegenheit, mit einem Schnellboot ins Hafengebiet zu fahren und so die Performance vor Ort mit ihrer Übertragung im Internet zu vergleichen. Normalerweise waren diese Bereiche des Hafens nicht öffentlich zugänglich. Jenniches jedoch hatte die Erlaubnis der Verantwortlichen erhalten. Waren die Gäste angekommen, wurden sie von Jenniches umhergeführt, während die Darsteller die Performance fortsetzten. Die Gäste aßen u.a. beim Picknick mit, das einige Performer auf einem Anlegeplatz für Tanker begonnen hatten. Damit wurden die Besucher auch von den webcameras aufgenommen und ins Internet übertragen. Sie wurden zu Mit-Spielern. J-B-2Z zielte im Unterschied zur einer ihrer früheren Arbeiten unter dem Titel AFK (das Akronym steht für Away from Keyboard), die sie Anfang 2002 gemeinsam mit ihrer Partnerin Michelle Teran durchführte, nicht auf eine explizite Thematisierung von gesellschaftlichen Überwachungstechnologien.280 Eine der Aufführungen von AFK setzte die webcamera eines Unternehmens in Toronto ein. Vor der Performance hatte Jenniches über E-Mail-Verteiler den Zeitpunkt der Performance und die URL, über die man die webcamera erreichen konnte, bekanntgegeben. Beobachtet von dieser webcamera zog Teran durch ihre Körperbewegungen Linien in den Schnee, bis sie von Beamten aufgefordert wurde, das Gelände zu verlassen und ein Schneepflug ihre Spuren wieder verwischte.

Web Dance Obwohl auch in anderen telematischen Internet Performances die Kommunikation qua Körper abläuft, ist es sinnvoll, innerhalb der telematischen Internet Performance den Web Dance als Unterkategorie zu unterscheiden, versuchen diese Produktionen doch, die Spezifika des Tanzens mit dem Internet zu verbinden.

chert unter: http://www.9nerds.com/isabelle/JB2Z/watch.html; die webcamera des Hafens ist erreichbar unter: http://www.port.rotterdam.nl/webcam/wcvcb/index. html (Zugriff am 21.08.2002) 280. Die Kanadierin Michelle Teran hatte u.a. Ménage à Trois produziert. In dieser Performance saß Teran mit ihrem ins Internet verbundenen Laptop in einer Galerie und wirkte als Interface für einen Chat zwischen den Besuchern der Galerie und Amanda Steggell. Gemeinsam mit ihrem Partner Per Platou führte Steggell weitere Internet Performances wie beispielsweise M@ggie’s Love Bytes durch. Vgl. http:/ /www.notam. uio.no/motherboard/in.html (Zugriff am 08.03.2000) 124

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3. SYSTEMATIK DER PRODUKTIONEN

Sarah Morrison: Leaping into the Net Sarah Morrisons Produktion Leaping into the Net bestand aus zwei Komponenten. Neben einer, wie sie es nannte, »live physical performance« im Cleveland Public Theatre fand am 4. September 1997 ein »live Internet broadcast« ihrer Choreographien statt.281 Unter dem Motto »Look what happens when art and technology come together« wurden vier einzelne Choreographien aufgeführt: »Within the Order of Chaos«, »VCL.BLIEB.1725«, »Sketches of Rodin« und »Metamorphosis« (letztere in der Choreographie von Susan Edwards).282 Zum Teil wurden aus dem Internet reproduzierte Web-Seiten auf die Bühne des Cleveland Public Theatre projiziert. Die Aufführung der Choreographien wurde in Anwesenheit des Publikums von Kameras aufgenommen und über den Real Player von Progressive Networks283, der zu diesem Zeitpunkt gerade erst neu im Handel war, zeitgleich ins Internet übertragen. Der Zuschauer im Cleveland Public Theatre erlebte die Aufführung wie gewohnt. Die online-Zuschauer nahmen die Aufführung von Leaping into the Net auf Morrisons Web-Seite gleich einer Filmvorführung auf ihren Bildschirmen, eingebunden in das Interface ihres Browsers, wahr. Im Unterschied zu Leaping into the Net, dessen Interface keine Interaktion (auch als einfache Reaktion) zuließ,284 forderte Laura Knott in World Wide Simultaneous Dance alle Interessierten zur aktiven Teilnahme auf.

Laura Knott: World Wide Simultaneous Dance World Wide Simultaneous Dance wurde von Laura Knott, einer in Boston lebenden Choreographin, während ihrer Zeit als artist-in-residence am Do While Studio in Boston, USA, initiiert und nach zwei Jahren Vorbereitungszeit am 7. Juni 1998 um 12 Uhr GMT realisiert. »The project consisted of two components: live dance performances happening at the same time in 12 countries around the world and a live Internet video conference that linked participants and allowed audiences to interact with the event.« 285

281. 282. 283. 284.

Vgl. http://www.MorrisonDance.com (Zugriff am 4.9.1997) Vgl. Pressematerialien – ›VCL.BLIEB.1725‹ ist der Name eines Computervirus. Vgl. http://www.real.com (Zugriff am 20.1.2001) Ähnliche Konzeptionen benutzten auch Anatoly Antohin in seiner Aufführung der Drei Schwestern oder die Rolling Stones, die eines ihrer Konzerte über das WWW übertrugen. Zu Antohins Three Sisters vgl. http://afronord.tripod.com/vtheatre.html (Zugriff am 05.06.2002) 285. Knott, Laura: World Wide Simultaneous Dance. a.a.O., S. 11. 125

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Laura Knott suchte für World Wide Simultaneous Dance nach einer Videokonferenztechnologie, die »as inclusionist and non-proprietary as possible«286 war; einer Videokonferenztechnologie also, die es einer möglichst großen Zahl an Teilnehmern ohne größere technische Schwierigkeiten erlaubte, »the exquisite details of human motion«,287 wie Knott schreibt, simultan zu verfolgen. Laura Knott wählte iVisit aus.288 Knott verfolgte die Idee, »a community of dancers and viewers« zusammenzubringen, »who thought it was important and beautiful to know that at some point in our lives, there were people dancing all over the world.«289 Sie forderte die rund sechzig aktiven Teilnehmer auf, »in locations that were meaningful in their own cultures« zu tanzen oder »to dance movement that carried cultural meaning for them.«290 Während beispielsweise Laura Knott und Pam Raff im Do While Studio in Boston tanzten, führte Prakriti Kashyap den traditionellen indischen ›Seraikella Chau Dance‹ in Mumbai auf. Andrea Baker Domenici wiederum improvisierte in ihrer Küche in Rom und Mateja Bucar tanzte gemeinsam mit Vadim Fishkin in der Kapelica Gallery in Ljubljana, Slowenien.291 Je nach den Wünschen und technischen Möglichkeiten der Teilnehmer wurden nicht alle diese Tänze im Internet übertragen. So tanzten z.B. Gus Garmel in Stanford und Jan Bufkin in Maryland, ohne diesen Tanz aufzunehmen oder andere Tänze im Internet zu verfolgen, während Zuschauer von der Muthesius Kunsthochschule in Kiel dem Ereignis ohne eigenen Tanz folgten.292 Nach Angaben von Knott haben insgesamt rund zweihundert Menschen, die Tänzer und Zuschauer an den Aufenthaltsorten der Tänzer sowie Zuschauer über das Internet, an World Wide Simultaneous Dance teilgenommen. Die visuelle Struktur des Interface ermöglichte es den Tänzern und Zuschauern, mehrere Tänze gleichzeitig zu verfolgen. Die Videoinformationen wurden z.T. in Schwarz/Weiß übertragen, z.B. aus Boston, da durch die verringerten Datenmengen die Übertragung schneller war; aufgrund der zu hohen Datenmengen brach die Übertragung der Audioinformationen während des Ereignisses z.T. bei einigen Teilnehmern kurzzeitig ab. Je mehr Fenster die Teilnehmer öffneten, desto langsamer erfolgte die Übertragung.293

286. 287. 288. 289. 290. 291. 292. 293.

Ebd., S. 13. Ebd., S. 12. Vgl. http://www.iVisit.com (Zugriff im Oktober 2001) http://www.wwsd.org (Zugriff im Oktober 2001) Ebd., S. 11. Vgl. http://www.wwsd.org/prtcpnt.html (Zugriff am 20.07.2002) Vgl. http://wwsd.org/artifacts/chat.html (Zugriff am 06.03.2002) Vgl. folgendes Interface: http://www.wwsd.org/artifacts/artifacts.html (Zugriff am 21.11.2001) – Zum Zeitpunkt, als dieses Interface aufgenommen wurde, bestan126

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3. SYSTEMATIK DER PRODUKTIONEN

Alle verschiedenen Teilnehmergruppen an World Wide Simultaneous Dance nahmen die Einspielungen der Tänze also als unterbrochene, fragmentarisierte und stark pixeliert filmische Übertragungen wahr, wobei die simultane Übertragung mehrerer Tänze von verschiedenen Orten nicht mit Erlebnissen im Fernsehen vergleichbar ist. Während der eineinhalb Stunden des ›Ereignisses‹, wie Knott World Wide Simultaneous Dance auch nennt, konnten die Teilnehmer und Zuschauer über einen Chat-Raum miteinander kommunizieren.294 Wie Knott betont, beruhte World Wide Simultaneous Dance stark auf der Imagination aller Beteiligten und dem Willen, die Leerstellen der Aufführung auszufüllen. Laura Knott begann ihre universitäre Ausbildung mit Tanz und Politologie. Während dieser Zeit wurde sie stark vom beginnenden Videotanz und der Bewegung der site-specific art beeinflusst und schloss ihr Studium 1987 mit einem Master of Science in Visual Arts am renommierten Center for Advanced Visual Studies (CAVS) des MIT in Boston ab.295 Diese berühmte Referenz auf das 1968 von Gyorgy Kepes gegründete und später von Otto Piene geleitete CAVS habe ihr bei der Vorbereitung und Finanzierung von World Wide Simultaneous Dance sehr geholfen, so Knott. Als artist-in-residence am Do While Studio konnte Knott die insgesamt 5.000$ zur Finanzierung von World Wide Simultaneous Dance organisieren.296 Diese Summe setzte sich hauptsächlich aus privaten Spenden zwischen 20$ und 35$ zusammen. Sie beinhaltet nicht die Arbeitszeit der Teilnehmer, sondern ausschließlich Materialien. Die Firma Connectix Corporation spendete die relativ preiswerten QuickCams, die kostenfrei zu den Teilnehmern gesendet wurden. Innerhalb der doch hauptsächlich in den Vereinigten Staaten realisierten Internet Performances stellt World Wide Simultaneous Dance eine der wirklichen low tech/low cost-Produktionen, die ohne universitäre Verankerung durchgeführt wurden. Im Gegensatz zur World Wide Simultaneous Dance basiert das Cassandra Project auf einer

den Verbindungen mit dem Do While Studio in Boston, der Kapelica Gallery in Ljubljana, Robyn Orlins Tänzern in Johannesburg und der Vintage Dance Gruppe in Wethersfield. Die Zahlenangaben über den verschiedenen Fenstern geben die Übertragungsrate der einkommenden Bilder an, die während der Aufführung sehr niedrig war. 294. Vgl. http://www.wwsd.org/artifacts/chat.html (Zugriff am 06.03.2002) 295. Vgl. Knott, Laura: Interview-Notizen vom 17. September 2001, Boston. – Vgl. http: //cavs.mit.edu (Zugriff am 06.03.2002) 296. »Without Do While Studio’s support and their facilities, World Wide Simultaneous Dance would not have been possible.« Knott, Laura: Interview-Notizen vom 17. September 2001, Boston. 127

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Kooperation verschiedener US-amerikanischer Universitäten, denen ein hoher Etat für ihre Produktionen zur Verfügung steht.

Cassandra Project Innerhalb der telematischen Internet Performances nimmt das Cassandra Project eine besondere Position ein. Viele der Produzenten von Internet Performances sind im universitären Bereich verankert, doch in nur wenigen Produktionen arbeiteten künstlerische Praxis und Forschung so eng miteinander und in keinem anderen Projekt standen über Jahre hinweg ausreichend personelle, aber vor allem auch finanzielle Mittel zur Verfügung, um die in dieser Zeit neu entstandenen Technologien direkt anzuwenden. Das Cassandra Project ist also keine einmalige Produktion, sondern eine Vielzahl von einzelnen Aufführungen seit 1996, in der meist verschiedene technologische Konzeptionen zum Einsatz kamen. Für die spätere theoretische Betrachtung soll hauptsächlich eine der letzten Produktionen, »Songs of Sorrow … Songs of Hope …« vom 29. November 2001, betrachtet werden.297 Das Cassandra Project wurde von John Gilbert und Dinu Ghezzo am Department of Music and Performing Arts Profession der New York University (NYU) 1996 im Rahmen des Projektes Navigating Global Cultures initiiert.298 Ursprünglich verband das Cassandra Project simultan Musik und Dichtung zuerst über ISDN-Leitungen, dann auch über das Internet. Lisa Naugle, zu diesem Zeitpunkt Tänzerin und Choreographin an der Simon Fraser University, British Columbia, und heute Assistant Professor an der UCI und ständiger Kooperationspartner der NYU, führte Tanz in das Projekt ein.299 Mit ihren Erfahrungen trägt sie auch zu den Forschungen von ADaPT bei (vgl. Kap. 3.2). Seit 1996 produziert das Team jährlich mehrere Performances, zum Teil auch mit anderen Partnern und erprobt dabei unterschiedliche Telekommunikationstechnologien. 1996 basierte das Cassandra Project auf CUSeeMe. Lisa Naugle beschreibt die technische Infrastruktur wie folgt: »Computer networks connecting performers in real time with other performers and audiences at remote sites allow for text, dance, and music to serve as improvisational material during the performance. The physical space in which the performers are actually loc-

297. Außer wenn es gesondert gekennzeichnet ist, ist im Folgenden immer die Aufführung des Cassandra Projects vom November 2001 gemeint. 298. http://www.nyu.edu/pages/ngc (Zugriff am 21.11.2001). Vgl. http://pages.nyu. edu/pg12/cass.html (Zugriff am 21.11.2001) 299. Naugle war noch an weiteren telematischen Produktionen beteiligt, u.a. Janus/ Ghost Stories, die zwischen Arizona und Californien während der International Dance and Technology Conference 1999 stattfand. 128

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3. SYSTEMATIK DER PRODUKTIONEN

ated is a specifically designed area equipped with at least one projecting screen, controllable lighting, and enough clear space for approximately three to five dancers and, in some cases, musicians. Video cameras, placed at all locations to capture the performers, feed the live images into an Internet-connected computer running Cornell University’s CU-SeeMe software. Monitors display the incoming images so that the dancers and technicians can view all other performers at the remote sites. A video projector enlarges the images during the performance.«300 Neben zwei autarken Bühnen, die sich gegenseitig in ihrer Aktion bedingen, konnte die Performance auch über das Internet verfolgt werden, so dass im Grunde von drei verschiedenen Aufführungen gesprochen werden kann. Über einen Chat-Raum oder Web-Seiten, auf denen Nachrichten platziert werden können (message boards), konnten Zuschauer in Kommunikation mit den Tänzern treten, wobei es jedoch abhängig vom Moment der Aufführung war, ob diese antworteten oder nicht. Nach Angaben von Naugle führte CUSeeMe in den Aufführungen des Jahres 1996 zu einem Bild mit starker Pixelstruktur. Bereits diese frühen Konzeptionen des Cassandra Projects veränderten das zugrundeliegende Konzept von Choreographie, für das Lisa Naugle den Begriff der distributed choreography verwendet (vgl. Kap. 3.2, 6.1.6). Da mit der Videokonferenztechnologie CUSeeMe im internationalen Gebrauch häufig Kompatibilitätsprobleme aufgetreten sind, setzte das Team des Cassandra Projects in seinen jüngsten Produktionen die vBricks ein, die sowohl im Dance Studio der UCI als auch im Loewe Theatre der NYU vorhanden waren.301 Beide Bühnen waren über Internet 2 miteinander verbunden (vgl. Kap. 3.1). VBricks sind dabei u.a. mit dem Windows Media Player kompatibel und erlauben so einen leichten Zugang für das Online-Publikum. Nach Angaben von Jeffrey Bary, der für die technische Infrastruktur des Cassandra Projects verantwortlich ist, befindet sich die CUSeeMe-Technologie immer noch in ihrer experimentellen Phase. Da sie spezielles technisches Wissen erfordere, sei sie gerade in der künstlerischen Anwendung fehleranfällig. VBricks hingegen erzeugten ein »decent picture« und seien damit nach Barys Ansicht ein »great compromise«302 (vgl. Kap. 3.6). Nach den Ereignissen des 11. September 2001 entfernte sich das Team von der inhaltlichen Vorgabe des Kassandra-Mythos und nannte ihre nächste Aufführung »Songs of Sorrow … Songs of Hope …« Sie wurde im Dance Tech-Listserver als »innovative melding of dance, mu-

300. Naugle, Lisa: Digital Dancing, a.a.O., S. 9. 301. Eine Skizze des Loewe Theatre findet sich unter http://www.nyu.edu/education/ music/internet2/loewe.html (Zugriff am 30.11.2001) 302. Bary, Jeffrey: Interview-Notizen vom 6. September 2002, New York University, New York City. 129

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sic, and video commemorating the September 11th tragedy« und »structured improvisational mix«303 angekündigt. Während der Proben waren insbesondere die Platzierung der Kameras und ihre Reichweite diskutiert worden, Faktoren, die entscheidend die Wahrnehmung an der Partnerbühne beziehungsweise im Internet beeinflussen. Die Zusammenarbeit der Darsteller zwischen New York und Irvine sah verschiedene Präsentations- und Interaktionsmodi vor. Das vorstrukturierte Konzept teilte die Aufführung in eine einleitende Sequenz, die Einspielung des Titels und vierzehn Szenen unter genauen Zeitangaben für insgesamt 60:45 min ein. Die Einteilung sah Szenen vor, in denen die Darsteller Improvisationen gestalteten, die durch die Vorgaben der anderen Bühne bedingt waren. So improvisierten die Tänzer des Dance and Digital Performance Ensemble, Irvine, unter der Leitung von Lisa Naugle zu improvisierter Musik aus New York. Die Zuschauer in Irvine sahen den Tanz im selben Raum und hörten die übertragene Musik aus Lautsprecher; die Zuschauer in New York hörten die Musik und sahen die übertragenen Bilder der Tänze aus Irvine und die online-Zuschauer nahmen beide Elemente elektronisch übertragen wahr. Die Auswahl der Bilder unterlag der Entscheidung des Bildmischers. Vereinbarte Handlungen signalisierten Übergänge zwischen den Szenen (z.B. das Ende einer Flötenmusik; ein Darsteller verlässt die Bühne etc.). Weitere Aufführungen können vom Cassandra Project erwartet werden. Die Konzeption der Aufführung vom November 2001 betont jedoch die physisch anwesenden Zuschauer in New York und Irivine und damit die Zusammenarbeit zwischen beiden Orten, nicht den individuellen Zuschauer vor dem Bildschirm, der die Produktion als Filmübertragung im Internet wahrnimmt und keine Möglichkeit der Rückmeldung besitzt. Das Cassandra Project-Team bezeichnet seine Arbeit als transkontinentale Aufführung, in der globalen Wahrnehmung zeigen sich jedoch in den Zeitzonen Grenzen der Rezeption.304

303. Naugle, Lisa: Internet 2 Performance: UCI and NYU. Tue, 27 Nov 2001. (E-Mail im DanceTech-Listserver) 304. Vgl. ebd. – So begann die für 9:00 p.m. EST angesetzte Aufführung mit einer dreiviertel Stunde Verspätung; für Zuschauer in Europa bedeutete dies: Warten von vier bis fünf Uhr morgens. 130

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4. METHODISCH-THEORETISCHER RAHMEN

4. Methodisch-theoretischer Rahmen Im folgenden Kapitel soll der methodisch-theoretische Rahmen bestimmt werden, mit dem die verschiedenen Kategorien von Internet Performances und ihre beispielhaften Produktionen untersucht werden. Im Textfluß der Arbeit ist der methodisch-theoretische Rahmen der eigentlichen Diskussion der Produktionen zwar vorangestellt; er wurde jedoch in direkter Auseinandersetzung mit ihnen entwickelt.1 Jede der vorab unterschiedenen Kategorien von Internet Performances wird in den folgenden Kapiteln aus dieser Perspektive betrachtet werden (vgl. Kap. 5, 6). Im Zentrum steht der Begriff der Medialität, über den die verschiedenen Kategorien von Internet Performances und das je besondere Verhältnis von Theater und Internet in den verschiedenen Produktionen untersucht werden sollen (vgl. Kap. 4.1). Daran schließt sich die Diskussion von Internet Performances in den Dimensionen von Zeit und Raum an (vgl. Kap. 4.2). Die verschiedenen Kategorien von Internet Performances bewegen sich dabei zwischen besonderen Formen von Schrift-, Körper- und Bildlichkeit (vgl. Kap. 4.3).

4.1 Internet Performances und Medialität »What is at stake is not the story being told but the telling of the story.« 2 Richard Schechner

1. Das Verhältnis von Untersuchungsgegenstand und Methode entspricht damit dem Ansatz der cultural studies: »Cultural studies rejects the application of a theory known in advance as much as it rejects the possibility of an empiricism without theory.« Grossberg, Lawrence: Can Cultural Studies Find True Happiness in Communication? In: Levy, Mark/Gurevitch, Michael (Hrsg.): Defining Media Studies. Reflections on the Future of the Field. New York u.a.: Oxford University Press, 1994, S. 331-339: S. 331. 2. Schechner, Richard: Environmental Theater. New York: Applause, 1994 (OV: 1973), S. 79. 131

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Die medientheoretische Argumentation setzt bei dem methodischen Ausgangsproblem an, dem jede medientheoretisch ausgerichtete Argumentation der Theaterwissenschaft gegenübersteht (vgl. Kap. 4.1.1). Es besteht erstens in der Frage, wie der Begriff des Mediums zu definieren ist, zweitens wie zwischen Medien und Kunstformen und drittens wie zwischen Medien und Technologien unterschieden werden kann. Angesichts dieser Problemstellung ergibt sich die Notwendigkeit, im Weiteren problemorientiert vorzugehen. Dabei bietet sich der Begriff der Medialität an, mit dem die je konkreten Verbunde zwischen Theater, Medien, Computer und Internet in den verschiedenen Kategorien von Internet Performances (beispielsweise über den Diskurs des Hybriden und der Intermedialtät) theoretisch erfasst werden können (vgl. Kap. 4.1.2).

4.1.1 Das methodische Ausgangsproblem Das methodische Ausgangsproblem für – im Grunde jede – medientheoretische Diskussion aus theaterwissenschaftlicher Perspektive betrifft Forschungsdesiderate, die sich in drei Hauptfeldern zusammenfassen lassen: Erstens existiert keine einheitliche Definition des Medienbegriffs, zweitens werden Medien und Technologie oftmals unreflektiert gleichgesetzt und drittens fehlt diese Abgrenzung auch für Medien und Kunstformen. Die theoretische Diskussion dieser Themen soll im Folgenden kurz referiert werden, bevor ihre Ergebnisse in die Formulierung spezifischer Problemfelder einfließt, aus denen sich dann die Begründung ergibt, weshalb im Weiteren mit dem Begriff der Medialität argumentiert werden soll (vgl. Kap. 4.1.2).

Zur Definition des Medienbegriffs Der Begriff des Mediums kann oftmals bereits nicht disziplinär, geschweige denn interdisziplinär einheitlich definiert werden, so dass er sich als Basiskategorie der Medienwissenschaft nur begrenzt eignet.3 So wird der Begriff des Mediums je nach Erkenntnisinteresse und (inter-)disziplinären Bedürfnissen »entsprechend funktionalistisch, informationstheoretisch, semiotisch, strukturalistisch, dekonstruktivistisch oder materiell bestimmt«,4 wie Dieter Mersch feststellt. Insbe-

3. So beispielsweise formuliert von Hickethier, Knut: Das ›Medium‹, die ›Medien‹ und die Medienwissenschaft. In: Bohn, Rainer (Hrsg.): Ansichten einer künftigen Medienwissenschaft, a.a.O., S. 51-74: S. 71. – Vgl. ebenfalls: Faulstich, Werner: Medium. In: ders. (Hrsg.): Grundwissen Medien. München: Fink, 1995 (= UTB 1773), S. 19-25: S. 19. Oder: Schanze, Helmut: Medienkunde für Literaturwissenschaftler. Einführung und Bibliographie. München: Fink, 1974, S. 21-37. 4. Mersch, Dieter: Ereignis und Aura, a.a.O., S. 55. – Hier sollte man noch die onto132

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4. METHODISCH-THEORETISCHER RAHMEN

sondere Bestimmungen, die ausschließlich die Vermittlungs- und Bezeichnungsfunktion von Medien betonen, orientieren sich tendenziell an dominant technischen Medien und der Massenkommunikation und sind damit den kommunikationswissenschaftlich-publizistischen Disziplinen und ihren empirischen Richtgrößen verpflichtet.5 Solche Medienbegriffe schließen oftmals den für Fragen des Theaters unerlässlichen Körperbezug im Medium aus.6 Übereinstimmung besteht darin, Ansätze zu hinterfragen, die Medien generell und insbesondere den Computer anthropomorph zu denken versuchen. Krämer sieht in solchen Ansätzen den Versuch, »die konstitutionelle Andersartigkeit des Technischen«7 zu bannen. Für kulturwissenschaftliche Fragen bietet es sich an, nicht nur die Speicherung, Übertragung und Verarbeitung von Informationen durch Medien, sondern auch die Strukturierung spezifischer Kommunikations- und Wahrnehmungsverhältnisse zu fokussieren, wie beispielsweise von Mike Sandbothe formuliert.8 Aus einer solchen Perspektive richtet sich der Fokus auf die Konstitution von Sinngehalten und bei neu entstandenen Medienkonstellationen auf ihre epistemologische Dimension. Die mediale »Kopplung von Kognition und Kommunikation«9 wird aus der Perspektive eines moderaten Konstruktivis-

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logische Definition des Medienbegriffs anführen, die sich besonders mit intermedialen Fragestellungen als inkompatibel erweist. Z.B. bei Knilli, Friedrich: Medium. In: Faulstich, Werner (Hrsg.): Kritische Stichwörter zur Medienwissenschaft. München: Fink, 1979, S. 230-251: S. 233-243. Und: Hallenberger, Gerd: Medien. In: Fricke, Harald (Hrsg.): Reallexikon der deutschen Literaturgeschichte. Bd. 2, a.a.O., S. 551-554. Vgl. ebenfalls Krämer, Sybille: Erfüllen Medien eine Konstitutionsleistung? Thesen über die Rolle medientheoretischer Erwägungen beim Philosophieren. In: Münker, Stefan/Roesler, Alexander/Sandbothe, Mike (Hrsg.): Medienphilosophie, a.a.O., S. 78-90: S. 79. Beispielsweise bei Janowski, Hans Norbert/Schmidt, Wolf-Rüdiger: Medien. In: Müller, Herhard (Hrsg.): Theologische Realenzyklopädie. Berlin: de Gruyter, 1992, S. 318-328: S. 318. Krämer, Sybille: Vom Mythos ›Künstliche Intelligenz‹ zum Mythos ›Künstliche Kommunikation‹ oder: Ist eine nicht-antropomorphe Beschreibung von Internet-Interaktionen möglich? In: Münker, Stefan/Roesler, Alexander (Hrsg.): Mythos Internet. Frankfurt: Suhrkamp, 1997, S. 83-107: S. 86. Vgl. Sandbothe, Mike: Interaktive Netze in Schule und Universität. Philosophische und diaktische Aspekte. In: Bollmann, Stefan/Heibach, Christiane (Hrsg.): Kursbuch Internet, a.a.O., S. 424-433: S. 426. Reck, Hans-Ulrich: »Inszenierte Imagination«, a.a.O., S. 238, vgl. S. 238ff.

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mus auch von Hans-Ulrich Reck betont, der damit einen dynamischen Medienbegriff vertritt. Medien- und Erkenntnistheorie verbindend fordert Sybille Krämer, Medien als symbolische Systeme zu verstehen, die nicht nur eine Ordnung übertragen, sondern diese auch erzeugen.10 »Medien übertragen nicht einfach Botschaften, sondern entfalten eine Wirkraft, welche die Modalitäten unseres Denkens, Wahrnehmens, Erfahrens, Erinnerns und Kommunizierens prägt.«11 In diesem Sinne soll der Medienbegriff verstanden sein, wenn er – meist heuristisch – im Folgenden verwendet wird. Aus dieser Verbindung erkenntnis- und medientheoretischer Aspekte ergeben sich zwei Konsequenzen für theaterwissenschaftliche Fragen: Zum einen können mit Hans Belting, der Medien als symbolische Techniken begreift, die die Wahrnehmung von Bildern modellieren, medien- und bildtheoretische Fragen verbunden werden. Diese Perspektive, Medien als »Agenten der Wahrnehmung«,12 als Agenten für überzeitliche Welterfahrungen wie Raum, Zeit, Körper, Tod, für Welt- und Selbsterfahrungen generell zu verstehen, fokussiert den doppelten Bezug des Mediums zur technischen Herstellung eines Bildes einerseits und zur Wahrnehmung eines betrachtenden Körpers andererseits (vgl. Kap. 4.3.1). Zum anderen ermöglicht die Verbindung von Erkenntnis- und Medientheorie die Frage nach dem Medium auch als Frage nach der »Beziehung zwischen Technologie und menschlichem Körper bzw. menschlichem Wahrnehmungsvermögen«13 zu verstehen, wie Balme vorschlägt. Dieser Aspekt erweist sich gerade im Bereich der Neuen Medien als unverzichtbar. In ihrer Revision der Medientheorie von Niklas Luhmann schlägt Krämer vor, Form nicht mehr als »zu aktualisierende Struktur oder ein zu implementierendes Regelwerk«14, sondern als Vollzug,

10. Vgl. Krämer, Sybille: Zentralperspektive, Kalkül, Virtuelle Realität. Sieben Thesen über die Weltbildimplikationen symbolischer Formen. In: Vattimo, Gianni/Welsch, Wolfgang (Hrsg.): Medien – Welten – Wirklichkeiten. München: Fink, 1998, S. 2737: S. 27. 11. Dies.: Was haben die Medien, der Computer und die Realität miteinander zu tun? Zur Einleitung in diesen Band. In: dies. (Hrsg.): Medien Computer Realität. Wirklichkeitsvorstellungen und Neue Medien. Frankfurt: Suhrkamp, 1998, S. 9-26: S. 14. Vgl. dies.: Erfüllen Medien eine Konstitutionsleistung? a.a.O., S. 84f. 12. Belting, Hans: Bild-Anthropologie, a.a.O., S. 13f. Vgl. ebenfalls ders.: Vorwort. Zu einer Anthropologie des Bildes. In: ders./Kamper, Dietmar (Hrsg.): Der zweite Blick. Bildgeschichte und Bildreflexion. München: Fink, 2000, S. 7-10: S. 9. 13. Balme, Christopher: Einführung in die Theaterwissenschaft, a.a.O., S. 148. 14. Ebd., S. 565. 134

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4. METHODISCH-THEORETISCHER RAHMEN

also performativ, zu denken. Darin sieht Krämer eine Möglichkeit, Luhmanns Medientheorie für kulturwissenschaftliche Fragen anzuwenden, die so auch für die Untersuchung der Kommunikationsprozesse in Internet Performances relevant wird.15 Ebenfalls im Sinne eines dynamischen Medienbegriffs bilden Medien für Sandbothe keine fixen Strukturen aus, sondern hängen von technologischen und institutionellen Entwicklungen ab.16 In konkreten Medienkonstellationen verflechten sich nach Sandbothe Medien im weiten Sinn, worunter er Medien der Wahrnehmung und des Erkennens sowie Anschauungsformen von Raum und Zeit versteht, zum einen mit Medien im engen Sinn – also Bild, Sprache und Schrift – und zum anderen mit Medien im engsten Sinn, worunter er technische Verarbeitungsmedien versteht.17

Zur Differenz zwischen Medien und Kunstformen Besondere Anforderungen stellen sich im Bereich der ästhetischen Medientheorie, vor allem, wenn Medien und einzelne Kunstformen nicht unreflektiert gleichgesetzt werden sollen, wie beispielsweise bei

15. In seiner Medientheorie formulierte Niklas Luhmann die Differenz und wechselseitige Bedingtheit von Medium und Form, die Krämer folgendermaßen erklärt: »Die Form setzt sich durch, dafür aber braucht sie Zeit und wird auch selber dabei verbraucht. Das Medium dagegen bleibt passiv, es ist ein Potential, welches durch Formgebung nicht verbaucht, vielmehr erneuert wird.« Krämer, Sybille: Form als Vollzug oder: Was gewinnen wir mit Niklas Luhmanns Unterscheidung von Medium und Form? In: Simon, Dieter (Hrsg.): Rechtshistorisches Journal 17 (1998). Frankfurt: Löwenklau Gesellschaft e.V., S. 558-573: S. 560. Zu Luhmanns Medientheorie vgl. ebenfalls: Hallenberger, Gerd: Medien, a.a.O., S. 551f. 16. Vgl. Sandbothe, Mike: Interaktive Netze, a.a.O., S. 146. Vgl. ebenfalls ders.: Interaktivität-Hypertextualität-Tramsversalität. Eine medienphilosophische Analyse des Internet. In: Münker, Stefan/Roesler, Alexander: Mythos Internet, a.a.O., S. 56-82: S. 56f. 17. Vgl. ders.: Interaktive Netze, a.a.O., S. 145f. – Ähnliche Trennungen von verschiedenen Ebenen, auf denen Medien eingeordnet werden können, finden sich auch bei anderen Autoren, beispielsweise bei Gerd Hallenberger und Faulstich, die primäre Medien, für deren Produktion keine technischen Hilfsmittel notwendig sind, von sekundären Medien, die nun bei ihrer Produktion diese Mittel benötigen, von tertiären Medien trennen, welche sowohl bei Produktion als auch Rezeption technische Hilfsmittel benötigen. Vgl. Hallenberger, Gerd: Medien, a.a.O., S. 552f. Eine andere Unterteilung, die jedoch nicht trennscharf ist, schlägt Seel mit der Unterscheidung von Wahrnehmungs-, Handlungs- und Darstellungsmedien vor. Vgl. Seel, Martin: Eine vorübergehende Sache. In: Münker, Stefan/Roesler, Alexander/Sandbothe, Mike (Hrsg.): Medienphilosophie, a.a.O., S. 10-15: S. 12. – Für eine weitere Zuordnung vgl. Boehm, Gottfried: Vom Medium zum Bild. In: Spielmann, Yvonne/Winter, Gundolf (Hrsg.): Bild-Medium-Kunst. München: Fink, 1999, S. 165-177. 135

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Pfeiffer.18 Der Zusammenhang zwischen technischen und ästhetischen Dimensionen der Medienproduktion kann, wie u.a. Knut Hicket hier herausgestellt hat, immer noch als Forschungsdesiderat angesehen werden.19 Hans-Ulrich Reck betrachtet die Medien der Künste, auf deren Definition er bewusst ›verzichtet‹, als seltene Fälle des aistethischen Prozesses.20 Sie sind bestimmt vom Rahmen der Kunstgeschichte, ihren Theorien, Dispositionen und den konventionell anerkannten Regeln der Kunstrezeption, also einer besonderen Form der Diskursgeschichte.21 Aus bildwissenschaftlicher Perspektive betont Belting die Unterscheidung von Bild und Medium. Danach benötigen Bilder Medien, um sich verkörpern zu können. In der Kunst wirke dann die »Ambivalenz, die zwischen Bild und Medium besteht, einen starken Reiz auf unsere Wahrnehmung aus.«22 Dabei stellt sich auch die Frage, welche zusätzlichen Erkenntnisse eine explizit ästhetisch orientierte Medientheorie für den Untersuchungsgegenstand Internet Performances bietet. Gerade einige jüngere Produktionen im Bereich der Neuen Medien versuchen, sich dem Diskurs der Kunst zu entziehen, bzw. ihre Spezifika scheinen sich nicht mit diesem Diskurs erfassen zu lassen.23 Aus einem mediengeschichtlichen Interesse heraus kann es sinnvoll sein, die ästhetische Argumentation in der Frage nach der Position von Internet Performances innerhalb einer Kulturgeschichte des Körpers zu historisieren.

Zur Differenz zwischen Medien und Technologien Ein ähnliches Problem stellt sich für die Abgrenzung zwischen Medien und Technologien, die bei zahlreichen Autoren, beispielsweise Michael

18. Z.B. bei Pfeiffer, K. Ludwig: Das Mediale und das Imaginäre, a.a.O., S. 22, 53. 19. Vgl. Hickethier, Knut: Das ›Medium‹, die ›Medien‹ und die Medienwissenschaft, a.a.O., S. 66. 20. Vgl. Reck, Hans-Ulrich: »Inszenierte Imagination«, a.a.O., S. 47. 21. Vgl. ebd., S. 45. – So formuliert auch Norbert Schmitz, die Kunst sei nicht mehr von der Rede über sie zu trennen. Schmitz, Norbert: Medialität als ästhetische Strategie der Moderne. Zur Diskursgeschichte der Medienkunst. In: Gendolla, Peter/ Schmitz, Norbert/Schneider, Irmela/Spangenberg, Peter (Hrsg.): Formen interaktiver Medienkunst, a.a.O., S. 95-139: S. 97. Vgl. Kap. 7.5. 22. Belting, Hans: Bild-Anthropologie, a.a.O., S. 33. 23. Zu Fragen der Medienästhetik vgl. auch: Kloepfer, Rolf: Medienästhetik. Polysensitivität – Semiotik und Ästhetik. Ein Versuch. In: Bohn, Rainer (Hrsg.): Ansichten einer künftigen Medienwissenschaft, a.a.O., S. 75-89. – Schnell, Rudolf: Medienästhetik. In: Schanze, Helmut (Hrsg.): Handbuch der Mediengeschichte, a.a.O., S. 72-95. – Faulstich, Werner: Medienästhetik. In: ders. (Hrsg.): Grundwissen Medien, a.a.O., S. 91-95. 136

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Rush, unklar bleibt.24 Die bereits erwähnte Fokussierung auf die apparativen, elektronischen und/oder digitalen Kommunikationsmedien und ihre Prozesse der Speicherung, Übertragung und Verarbeitung von Information verengt die medientheoretische Perspektive auf die informations- und produktionstechnischen Bedingungen von Medien, führt damit einerseits zur Dominanz des technologischen Diskurses innerhalb der Medientheorie und bindet andererseits den Medienbegriff zu eng an Fragen der Gegenwart. Zu Recht warnt Mersch vor einem »Apriori des Medialen«,25 durch den Kultur zum Medieneffekt herabgesetzt wird. Aus methodischer Perspektive wird ihre Abgrenzung möglich: Wird der Begriff der Technologie verwendet, so stehen die kommunikationstechnischen Bedingungen im Vordergrund; wird hingegen von Medien gesprochen, so steht die Fähigkeit der Medien, Modalitäten menschlicher Kognition, Wahrnehmung und Kommunikation zu prägen, im Vordergrund.

4.1.2 Theater/Medien/Internet Angesichts dieses, für den Untersuchungsgegenstand Internet Performances dreifach bestimmten methodischen Ausgangsproblems soll hier ein problemorientiertes Vorgehen verfolgt werden.

Für ein problemorientiertes Vorgehen Um Internet Performances in ihrer medientheoretischen Dimension zu diskutieren, sollten folgende Fragestellungen beantwortet sein. 1. Welches Erkenntnisinteresse kann durch eine medientheoretische Diskussion umgesetzt werden? Welche Aspekte einer Theaterform werden durch diese Perspektive fokussiert, die ansonsten unberücksichtigt blieben? 2. Was kennzeichnet eine bestimmte, historisch und kulturell kontingente Theaterform aus medientheoretischer Perspektive? 3. Auf welche medientheoretischen Entwürfe kann für die Diskussion der verschiedenen Kategorien von Internet Performances zurückgegriffen werden? Inwieweit bieten sich verschiedene Theorien von Intermedialität an, um den Medienverbund in den einzelnen Kategorien von Internet Performances zu analysieren?26

24. Vgl. Rush, Michael: New Media in Late 20th Century Art, a.a.O., S. 8f. 25. Vgl. Mersch, Dieter: Ereignis und Aura, a.a.O., S. 59. 26. Zu den beiden ersten Fragen vgl. den folgenden Text; zur dritten Frage vgl. Kap. 4.1.2 (ab ›Der Computer als Medium‹) bis 4.3. 137

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Die medientheoretische Perspektive auf einzelne Theaterformen richtet das Erkenntnisinteresse auf die Frage nach den Modalitäten, über die Kommunikation in einer Aufführung gelingen kann. Im Zentrum stehen hier die Parameter von Körper, Raum, Blick und Stimme sowie ihre Funktion in der Interaktion zwischen Darstellern und Zuschauern. Über das Verhältnis von Medialem und Inhaltlichem, und insbesondere durch die performative Struktur des Mediums selbst, ergibt sich eine weitere bedeutungserzeugende Dimension der Aufführungen, die eine medientheoretische Befragung berücksichtigt. Technologische Innovationen, die in den verschiedensten historischen Epochen immer wieder das Theater beeinflusst haben, sind aus medientheoretischer Perspektive als Medienwechsel und -schübe zu bezeichnen. Die sich daraus ergebenden Veränderungen und Austauschprozesse stehen ebenfalls im Fokus des medientheoretischen Erkenntnisinteresses.27 Bezogen auf westliche Gesellschaften im Übergang zum 21. Jahrhundert bietet die medientheoretische Perspektive die Möglichkeit, die Omnipräsenz der Medien in ihren kulturell-gesellschaftlichen Auswirkungen, insbesondere den durch Medien evozierten und medial artikulierten Problemen,28 zu fokussieren. In einer kulturwissenschaftlichen Ausrichtung erlaubt die medientheoretische Diskussion einer Theaterform ebenfalls, diese innerhalb weiterer kultureller Systeme zu positionieren. Ein solches Vorgehen bedeutet, das traditionell geisteswissenschaftlich bestimmte Feld der ästhetischen Repräsentation verlassen und kulturkritisch nach der Bedeutung einer Theaterform für die Gesellschaft, »als Möglichkeit und Verpflichtung des Einwirkens auf die Medienproduktion«,29 fragen zu können. Als kontingente Theaterform sind Internet Performances vorrangig durch die Auflösung der physischen Kopräsenz von Darstellern und Zuschauern gekennzeichnet, die in den verschiedenen Kategorien zu jeweils spezifischen Relationen zwischen darstellenden und wahrnehmenden Körpern, ihren Blicken und Stimmen führt. Basis dieser Relation ist ihre Vernetzung über das Internet und weitere Telekommunikationstechnologien, die zu jeweils spezifischen schriftlichen und/ oder visuellen Repräsentationen führen. Ist nun solchermaßen sowohl das medientheoretische Erkenntnisinteresse als auch die Kennzeichen von Internet Performances aus dieser Perspektive bestimmt, stellt sich die Frage, über welche Instru-

27. Vgl. Balme, Christopher: Einführung in die Theaterwissenschaft, a.a.O., S. 147. 28. Als solche nennt Münker beispielsweise Veränderungen in unserem Selbst- und Weltverständnis. Vgl. Münker, Stefan: After the Medial Turn, a.a.O., S. 18. 29. Hickethier, Knut: Das ›Medium‹, die ›Medien‹ und die Medienwissenschaft, a.a.O., S. 61. – Vgl. ebenfalls: Müller-Funk, Wolfgang: Inszenierte Imagination, a.a.O., S. 3. 138

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mentarien die verschiedenen Kategorien untersucht werden sollen. Wäre ein einheitlicher Medienbegriff für Internet Performances nur unter hohen Einbußen in der Präzision zu finden, so stellt sich die Frage, wie in den verschiedenen Kategorien ursprünglich getrennte Medien – hier sei der Medienbegriff heuristisch verwendet – miteinander in Verbindung stehen. Genauso wie eine hierarchische Anordnung der konventionell getrennten Medien Theater und Internet wäre ihre gleichberechtigte Anordnung zu einem gemeinsamen Neuen denkbar. Das beiden gemeinsame Potential zur Integration anderer Medien ist dabei als mediale Bedingung für Internet Performances anzusehen. Verstanden als relationeller Begriff bietet sich hier der Begriff der Medialität an, um die Medienverbunde von Theater und Internet in den verschiedenen Kategorien von Internet Performances zu untersuchen.

Der Begriff der Medialität Begreift man den Begriff der Medialität als Relationsverhältnis verschiedener, auf unterschiedlichen Ebenen konzeptionalisierten Medien, so bietet er sich gerade für Internet Performances als neue Theaterform an, da hier die verschiedenen Medien doch unter unterschiedlichen pragmatischen Bedingungen kombiniert werden. »›Medialität‹ drückt aus, daß unser Weltverhältnis und damit alle unsere Aktivitäten und Erfahrungen mit welterschließender – und nicht einfach weltkonstruierender – Funktion geprägt sind von den Unterscheidungsmöglichkeiten, die Medien eröffnen, und den Beschränkungen, die sie dabei auferlegen.«30 Innovativ ist an Internet Performances gerade ihre Verbindung ursprünglich getrennter Medien zu einer neuen Form von Medialität. Internet Performances werden hier also als genuin neue Kommunikationsform verstanden, in der die einzelnen Elemente ein Ganzes bilden, eine neue Form theatraler Medialität ausbilden, die nicht alleine über die Summe ihrer Einzelelemente zu greifen ist. Die Medialität einer Theaterform sei im Folgenden verstanden als die spezifische Disposition von Technologie, darstellenden und wahrnehmenden Körpern sowie der symbolischen Formen und Imaginationen, die aus ihnen – auch auf der Prozessebene gedacht – resultieren. Zusätzlich zur reinen Speicherung, Übertragung und Verarbeitung von Information soll diese Definition auch die Strukturierung von Wahrnehmungsmodi durch diese spezifische Relation zwischen darstellenden Körpern und Technologie beinhalten. Unter Berücksichtigung dieser Relation wird der Fokus ebenfalls auf die spezifische Form der Bedeutungserzeugung durch das

30. Krämer, Sybille: Was haben die Medien, der Computer und die Realität miteinander zu tun? a.a.O., S. 15. 139

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Verhältnis von Körpern und Technologie gelenkt. Angewendet auf verschiedene kontingente Theaterformen ergeben sich dabei beispielsweise die Repräsentation und Präsenz der Darsteller, ihr Verhältnis zu den Zuschauern/Teilnehmern, die szenographische Anordnung, ihre Visualität und die Verwendung von Technologien als zu untersuchende Parameter. Wenn nun das Theater, seine Materialien, Strukturen und Prozesse auf die Dienste des Internets und seiner Anwendungsmöglichkeiten treffen: Auf welche medientheoretischen Ansätze kann nun in der Diskussion der verschiedenen Kategorien von Internet Performances zurückgegriffen werden? Welche Ergebnisse von medientheoretischen Diskussionen zum Computer, dem Internet und dem Theater können übernommen werden?

Computer als Medium Je nach Perspektive und Erkenntnisinteresse variieren die Bestimmungen des Computers.31 Manovich beschreibt ihn beispielsweise als »media processor«,32 Mainzer hingegen als Kulturtechnik.33 Innerhalb der Medientheorie des Computers dominieren semiotische Ansätze, die den Computer als symbolisches System bestimmen.34 Die Analyse digitaler Informationen könne nach Simon Biggs sogar am besten von Linguisten und Semiotikern durchgeführt werden, nicht von Ingenieuren und Physikern.35 Der Computer wird in dieser Perspektive als zeichenproduzierendes System bestimmt, als symbolische Maschine also, die über Zeichen konstruiert ist und durch Zeichen kontrolliert wird.36 Aus der Perspektive einer semiotischen Medientheorie muß zwischen den Zeichensystemen der Medien (beispielsweise der Schrift auf einem

31. Der Ursprung des Begriffs Computer liegt im England und den USA der 30er Jahre, wo mathematisch ausgebildete Frauen, die ‹computer‹ genannt wurden, tabellarische Formelrechnungen anfertigten. Vgl.: Hagen, Wolfgang: Computerpolitik. In: Bolz, Norbert/Kittler, Friedrich/Tholen, Christoph (Hrsg.): Computer als Medium, a.a.O., S. 139-160: S. 139. 32. Manovich, Lev: The Language of New Media, a.a.O., S. 26. 33. Vgl. Mainzer, Klaus: Computer – Neue Flügel des Geistes? Die Evolution computergestützter Technik, Wissenschaft, Kunst und Philosophie, a.a.O., S. 3. 34. Vgl. Johnson, Steven: Interface Culture, a.a.O., S. 25. 35. Vgl. Biggs, Simon: Multimedia, CD-Rom, and the Net. In: Leeson, Lynn Hershman (Hrsg.): Clicking in, a.a.O., S. 318-324: S. 318. 36. Vgl. Andersen, Peter Bogh/Holmqvist, Berit/Jensen, Jens: Preface. In: dies. (Hrsg.): The Computer as Medium. Cambridge: Cambridge University Press, 1993, S. 1-4: S. 2. – Ihre Zeichenart müsse jedoch basierend auf dem triadischen Zeichenmodell anders bestimmt werden, da der Computer sowohl als Representamen als auch Interpretant verwendet würde, vgl. ebd., S. 3. 140

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Computerbildschirm) und den Medien als Zeichensystemen in Medienverbunden (beispielsweise der Rolle des Bildschirms in einer Internet Performance) sowie den daraus resultierenden Prozessen der Bedeutungserzeugung unterschieden werden.37 Als »Prothese der Sinne und des Denkens«38 wird der Computer von Wolfgang Coy beschrieben, der damit das McLuhan’sche Diktum weiterführt, Medien als Extensionen des menschlichen Körpers und seiner Sinnesorgane zu begreifen.39 Implizit ist der Computer in dieser anthropomorphisierenden Bestimmung jedoch bereits als Medium definiert, ein Paradigmawechsel, der zwischen den Jahren 1983 und 1993 stattfand. Zentral ist hierbei die Frage, welche Rolle der Computer konkret übernimmt. Grundsätzlich können nach Frieder Nake die instrumentale und die mediale Funktion des Computers voneinander unterschieden werden, die als auf einem Kontinuum liegend gedacht werden sollen. So könne die mediale Funktion des Computers je nach Anwendung wieder in die instrumentale umschlagen.40 Auch Coy bezeichnet den Computer sowohl als »instrumentales Medium« wie auch als »mediales Instrument«.41 Die Möglichkeit zur Vernetzung gilt dabei als Voraussetzung, um dem Computer diese mediale Qualitäten zuschreiben zu können.42

37. Vgl. Nöth, Winfried (Hrsg.): Semiotics of the Media. State of the Art, Projects, and Perspectives. Berlin: Mouton de Gruyter, 1997. 38. Coy, Wolfgang: Aus der Vorgeschichte des Mediums Computer. In: Bolz, Norbert/ Kittler, Friedrich/Tholen, Christoph (Hrsg.): Computer als Medium, a.a.O., S. 19-37: S. 32. Eine ähnliche Position vertritt auch Kerckhove, Derrick de: Schriftgeburten. Vom Alphabet zum Computer. München: Fink, 1995, S. 195. 39. Vgl. McLuhan, Marshall: Die Gutenberg-Galaxis. Am Ende Buchzeitalters. Bonn: Addison-Wesley, 1995 (OV: The Gutenberg Galaxy. Toronto University Press, 1962), S. 5. 40. Vgl. Nake, Frieder: Von der Interaktion. Über den instrumentalen und den medialen Charakter des Computers. In: ders. (Hrsg.): Die erträgliche Leichtigkeit der Zeichen. Ästhetik Semiotik Imformatik. Baden-Baden: Agis, 1983 (= Internat. Reihe Kybernetik und Information; Bd. 18), S. 165-189: S. 185. – Heidi Schelhowe unterscheidet neben dem Computer als Medium und Instrument noch den Computer als Maschine. Vgl. Schelhowe, Heidi: Das Medium aus der Maschine. Zur Metamorphose des Computers. Frankfurt: Campus, 1997, S. 112. 41. Coy, Wolfgang: Zitiert nach Ellrich, Lutz: Neues über das ›neue Medium‹ Computer. Ein Literaturbericht. In: Rammert, Werner/Bechmann, Gotthard (Hrsg.): Technik und Gesellschaft. Jahrbuch 9. New York: Campus, 1997, S. 195-223: S. 197. 42. Vgl. Höflich, Joachim: Zwischen massenmedialer und technisch vermittelter interpersonaler Kommunikation – der Computer als Hybridmedium und was die Menschen damit machen. In: Beck, Klaus/Vowe, Gerhard (Hrsg.): Computernetze – Ein 141

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Ebenso wie das Theater potentiell alle anderen Medien thematisieren und zur Darstellung bringen kann, kommt auch dem Computer das Potential zu, andere Medien zu digitalisieren und zu integrieren. Dieses dem Theater wie auch dem Computer gemeinsame Potential zur Integration anderer Medien stellt die Bedingung der Möglichkeit von Internet Performances dar. In der konkreten Analyse wird dabei nach dem je konkreten Verhältnis zwischen den Materialien, Strukturen und Prozessen des Theaters und dem Computer in seiner Vernetzung über das Internet zu fragen sein.

Internet als Medium Medientheoretische Äußerungen zum Internet heben häufig Aspekte hervor, die bereits frühere Medien realisieren konnten. Wie beim Computer wird auch das Internet wahlweise als Informations-, Lehr-, Lern- oder auch demokratieförderndes Medium bestimmt.43 Außer in explizit kunsttheoretischen Schriften werden ästhetisch-kulturelle Fragen – von theatralen Anwendungen nicht zu reden – nicht diskutiert. Streitfrage vieler Ansätze ist, welcher Grad an Innovation dem Internet gegenüber früheren Medien zugesprochen werden kann. Im Folgenden soll das Internet mit Sandbothe nicht als »radikal neues Medium«, sondern als »Hybridbildung aus bereits bekannten Medien«44 begriffen werden. Dabei ist es jedoch nicht als Summation eventuell abgrenzbarer Einzelmedien zu verstehen, sondern als »hochkomplexes und äußerst sensibel organisiertes Transmedium, in dem sich eine Vielzahl von kleinen Neuerungen zum Gesamteindruck eines ›neuen Mediums‹ verdichtet haben.«45 Sandbothe stellt in diesem Zusammenhang die These der signifikanten Verflechtungsverhältnisse auf, die für die Kommunikationsprozesse

Medium öffentlicher Kommunikation? Berlin: Wiss.-Verl. Spiess, 1997, S. 85-104: S. 86. Oder: Nake, Frieder: Von der Interaktion, a.a.O., S. 183. 43. Vgl. Schierl, Thomas: Das Internet auf dem Weg zum Massenmedium? Möglichkeiten und Gefahren. In: Beck, Klaus/Vowe, Gerhard (Hrsg.): Computernetze, a.a.O., S. 63-81: S. 65-67. – Diese Liste könnte sehr lange fortgesetzt werden. 44. Sandbothe, Mike: Digitale Verflechtungen. Eine medienphilosophische Analyse von Bild, Sprache und Schrift. In: Beck, Klaus/Vowe, Gerhard (Hrsg.): Computernetze, a.a.O., S. 145-157: S. 146. – So urteilt auch Friedrich Krotz: Das Neue am Internet liege im »Zusammenwachsen bekannter und vertrauter medialer und kommunikativer Dienstleistungen.« Vgl. Krotz, Friedrich: Hundert Jahre Verschwinden von Raum und Zeit? Kommunikation in den Datennetzen in der Perspektive der Nutzer. In: Beck, Klaus/Vowe, Gerhard (Hrsg.): Computernetze, a.a.O., S. 105-126: S. 112. 45. Sandbothe, Mike: Digitale Verflechtungen, a.a.O., S. 146. 142

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insbesondere in den textbasierten Internet Performances von Bedeutung sein werden (vgl. Kap. 5.1.2): »Das Transmedium Internet läßt sich semiotisch als ein digitales Geflecht der bisher distinkt voneinander geschiedenen Zeichensorten Bild, Sprache und Schrift beschreiben, die unter Hypertextbedingungen präzise beschreibbare Verflechtungen eingehen und ihre Spezifika auf wissenschaftlich rekonstruierbare Weise verändern.«46 In der online-Kommunikation des Internets verflechten sich also Merkmale, die bisher als Differenzkriterien zur Unterscheidung von Sprache und Schrift dienten.47 Funktionales Zentrum hierbei ist die Anwenderoberfläche des Internets, das WWW.48

46. Ebd. – Während Sandbothe mit den angeführten Thesen einen wertvollen Beitrag für eine Medientheorie des Internets liefert, lässt er sich in seinem Versuch, über Wolfgang Welschs Konzept der transversalen Vernunft das Internet als »genuines Medium transversaler Vernunft« zu bestimmen, weniger von den Gegebenheiten dieses Mediums, sondern vielmehr von der Intention leiten, bereits bestehende Theorien auf konkrete Gegenstände der Praxis zu übertragen. So stellt er die Frage, wie sich die Grundgedanken Welschs auf die »medialen Transformation unseres Wirklichkeitsverständnisses […] beziehen« ließen. Sandbothe, Mike: InteraktivitätHypertextualität-Transversalität. Eine medienphilosophische Analyse des Internet. In: Münker, Stefan/Roesler, Alexander (Hrsg.): Mythos Internet, a.a.O., S. 56-82: S. 82, 77. Letztlich korrespondiert mit dieser Haltung Sandbothes Verständnis von Wissenschaft, das antizipativ Theorien für künftige Entwicklungen generieren soll. Vgl. ders.: Digitale Verflechtungen, a.a.O., S. 157. 47. Vgl. ebd., S. 149. 48. Aus semiotischer Perspektive stellt Sandbothe die These auf, im WWW vollziehe sich »eine Theatralisierung der klassischen Monumentalmedien Bild und Schrift«. Diese Theatralisierung betrifft also nicht Formen der synchronen, computer-mediatisierten Kommunikation, sondern die »Tiefentheatralisierung der symbolischen Formen menschlicher Kommunikation.« Das semiotische Basisgefüge von Bild, Sprache und Schrift unter Internetbedingungen steuere auf eine Konstellation zu, die sich als »theatrale Textualität« beschreiben ließe. Die hypertextuelle Verfassung des WWW eröffne einen vernetzten Raum des Schreibens und Denkens, »für den charakteristisch ist, daß er auf der semiotischen Basisebene zu einer Revalidierung bildhaft-dramatischer und aphoristisch-inszenatorischer Darstellungsformen führt.« Horbelt bewertet diesen Argumentationsgang als »relativ bemüht«. Dem kann vollkommen zugestimmt werden. Allerdings besitzt die online-Kommunikation in einem IRC oder MOO, beispielsweise durch die Spitznamen, bereits theatrale Qualität. Auf dieser Theatralität der online-Kommunikation bauen die textbasierten Internet Performances auf (vgl. Kap. 5.3). Sandbothe, Mike: Theatrale Aspekte des Internet. Prolegomena zu einer zeichentheoretischen Analyse theatraler Textualität. In: Göttlich, Udo/Nieland, Jörg-Uwe/Schatz, Heribert (Hrsg.): Kommunikation im Wandel. 143

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Das WWW wird häufig als Verkörperung hypertextueller Strukturen beschrieben, da es nicht sequentiell aufgebaut ist, bei Entscheidungen Alternativen anbietet und über Knotenpunkte miteinander verbunden ist.49 Aus der Perspektive der poststrukturalistischen Literaturtheorie wird das Internet aufgrund seiner hypertetxtuellen Struktur als Konvergenz der eigenen Theorie mit dem Internet, als nachträgliche Bestätigung der Theorie durch die technologische Entwicklung angesehen.50 Seine hypertextuelle Struktur macht es auch zum herausragenden Beispiel für die Anwendung der Netzmetapher (vgl. Kap. 6.2.1). In einem abstrakt gedachten Medienverbund von darstellenden und wahrnehmenden Körpern, Computer, Interface und Netzwerk lassen sich zahlreiche konkrete Konstellationen denken. Beispielsweise könnte kein Medium sich als dominant bestimmen lassen oder ein Medium alle anderen integrieren.51 Der Begriff der Rahmung ermöglicht hierbei, die Position der ursprünglich getrennten Medien zu bestim-

Zur Theatralität der Medien. Köln: Halem, 1998 (= Fiktion und Fiktionalisierung; Bd. 1), S. 209-226: S. 214, 217. (Seine Thesen hat Sandbothe in zahlreichen Aufsätzen z.T. identisch wiederholt. Als Überblick und Einstieg bietet sich der hier zitierte Aufsatz an.) – Horbelt, Andreas: Theater und Theatralität, a.a.O., S. 29. 49. Vgl. Nielsen, Jakob: Multimedia, Hypertext und Internet. Grundlagen und Praxis des elektronischen Publizierens. Braunschweig: Vieweg, 1996, S. 1-3. – Theodor Nelson führte 1965 den Begriff Hypertext ein und veröffentlichte 1974 Computer Lib mit der Idee des Hypertext-Systems Xanadu. Vgl. Nelson, Theodor Holm: Computer Lib. Dream Machines. Washington: Tempus Books of Microsoft Press, 1974. Revised Edition 1987. Und: ders.: Literary Machines. Edition 87.1. South Bend: The Distributors, 1987. (OV: 1981) Zu den historischen Ursprüngen des Hypertextmodells vgl. Jonassen, David: Hypertext/Hypermedia. Englewood Cliffs: Educational Technology Publications, 1989, ab S. 63. – Eine Auflistung möglicher Definition von Hypertext bietet Bardini, Thierry: Bridging the Gulfs: From Hypertext to Cyberspace. In: JCMC 3(2) Sept. 1997. http://www. ascusc.org/jcmc/vol3/issue2/bardini.html (Zugriff am 26.02. 2001) Ohne Seitenangabe. 50. Vgl. Landow, George: Hypertext, a.a.O, beispielsweise S. 72. Und: Landow, George (Hrsg.): Hyper/Text/Theory. Baltimore: Johns Hopkins University, 1994. – Als Beispiel für die nur zu berechtigte Kritik an einer solchen posthumen Bestätigung der Theorie soll Ute Volknants Rezension von ›Mythos Internet‹ angeführt sein. Dort schrieb sie zu einem Artikel: »So räsonniert der Leser des Buches noch lange mit Uwe Wirth: ›Im Internet bekommt Derrida uneingeschränkt recht‹, und fragt sich doch verblüfft: ›Und? Wollte er es haben?‹«, Volknant, Ute: Subjekt in Einzelteilen. Zwischen Texttheorie und Netzphilosophie: der Mythos Internet. In: Süddeutsche Zeitung vom 10.01.1998. 51. Vgl. Halbach, Wulf: Netzwerke. In: Faßler, Manfred/Halbach, Wulf (Hrsg.): Geschichte der Medien, a.a.O., S. 269-307: S. 269. 144

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men. Seinen Ursprung hat der Begriff bei Erving Goffman, der die Rahmensetzung als soziokulturell bedingte kognitive Aktivität zur Organisation von Erfahrungen verstand.52 Die Idee der Rahmung als »wahrnehmungsstrukturierende Kategorie«53 wendete beispielsweise Balme in der Theaterwissenschaft an. Erst die Rahmung konzipiert einen Raum als theatral. Ebenfalls aus diesem wahrnehmungstheoretischen Gedanken heraus führte Joachim Höflich den Begriff des Medienrahmens in die Medientheorie ein. Als Hybridmedium könne der Computer zwischen Medienrahmen wechseln.54 Bereits Sandbothe hatte das Internet als ›Hybridbildung‹ aus bereits bekannten Medien bezeichnet. Inwieweit ist jedoch der Diskurs des Hybriden für die Diskussion von Internet Performances geeignet?

Zum Diskurs des Hybriden und der Intermedialität Stammte der Diskurs des Hybriden ursprünglich aus der Molekularbiologie, so wird das Hybride mittlerweile vielfach als Charakteristikum der postmodernen Gesellschaft, als »Kulturphänomen« und »Signatur der Zeit«55 begriffen. Der Diskurs des Hybriden wird heute in den verschiedensten Diskursen verwendet, meist jedoch ausschließlich metaphorisch. Die implizite Grundlage dieser Metaphorisierung besteht darin, ›reine‹ Einheiten unterscheiden zu können. In diesem Sinne kann der Diskurs des Hybriden als Ideologie mit essentialisierenden Tendenzen bezeichnet werden. Er behandelt beispielsweise die »Kombination von Materialien oder Energien« sowie die »Vereinigung unterschiedlicher technischer Systeme auf einem Träger«,56 wäre aber auch in zeitlicher Dimension zu denken. Aus methodologischer Perspektive bezieht sich die Metaphorik des Hybriden innerhalb von Medientheorien auf »Prozesse der Theoriebildung«,57 deren eklektische Struktur nur über ihre Angemessenheit gegenüber den zu beantwortenden Fragen begründet werden kann. Im Folgenden soll die Metapher des Hy-

52. Vgl. Goffman, Erving: Rahmen-Analyse: Ein Versuch über die Organisation von Alltagserfahrungen. Frankfurt: Suhrkamp, 1993. 53. Balme, Christopher: Pierrot encadré. Zur Kategorie der Rahmung als Bestimmungsfaktor medialer Reflexivität. In: Leeker, Martina (Hrsg.): Maschinen, Medien, Performances, a.a.O., S. 480-492: S. 481. 54. Vgl. Höflich, Joachim: Zwischen massenmedialer und technisch vermittelter interpersonaler Kommunikation, a.a.O., S. 103f. 55. Schneider, Irmela: Von der Vielsprachigkeit zur ›Kunst der Hybridation‹. Diskurse des Hybriden. In: Schneider, Irmela/Thomsen, Christian (Hrsg.): Hybridkultur: Medien, Netze, Künste. Köln: Wienand, 1997, S. 13-66: S. 13, 56. 56. Ebd., S. 19. 57. Ebd., S. 56. 145

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briden nur verwendet werden, um Interferenzen kulturgeschichtlicher (Medien-)Konventionen zu bezeichnen.58 Diese historisierende Perspektive, die die Kontingenz von Medienkonventionen betont, ist auch bei der Bestimmung dessen, was als Intermedialität verstanden werden soll, unerlässlich. Theorien der Intermedialität sind als Forderungen der Praxis anzusehen. Im Internet genauso wie in interaktiven Installationen, innerhalb wie außerhalb des Kunstkontextes werden konventionell getrennte Medien kombiniert und in Medienverbunden zusammengeführt. In solchen Kontexten begegnen sich Medien, die auf unterschiedlichen Ebenen konzeptionalisiert werden müßten. Spätestens hier stoßen Versuche, Medien ontologisch zu bestimmen, an ihre Grenzen. »Substanzlogische Bestimmungen« eines Mediums mißachten seine historische Gewordenheit durch die »Aufhebung hinter die scheinbare Objektivität des Materials«,59 so Norbert Schmitz. Die Wesensbestimmung variiert dabei in Abhängigkeit von dem gewählten wissenschaftlichen Bezugssystem und den involvierten Paradigmen, wie Leschke herausstellt.60 Mit der ontologischen Bestimmung der Medien korrespondiert oftmals das Diktum der Medienspezifität, das nach Noël Carroll als Legitimationsstrategie für neu entstehende Kunstformen eingesetzt wird. Es ist einer essentialistischen Argumentation verpflichtet. »[E]ssentialists […] regard the medium as an essence in the sense that it, the medium/ essence, has teleological ramifications. That is, the medium qua essence dictates what is suitable to do with the medium.«61 Die Medien-Essentialisten, wie Carroll sie nennt, gehen davon aus, jeder Kunstform ein Medium zuordnen zu können, das klar von anderen Medien abgetrennt werden könne, und über die materielle Grundlage dieses Mediums wiederum sein Wesen bestimmen zu können.62 So

58. So verweist Philip Auslander beispielsweise darauf, dass auch das Fernsehen in seiner frühen Phase als Hybrid aus bereits bestehenden Formen beschrieben wurde. Vgl. Auslander, Philip: Liveness, a.a.O., S. 15. 59. Schmitz, Norbert: Medialität als ästhetische Strategie der Moderne, a.a.O., S. 124. 60. Vgl. Leschke, Rainer: Medientheorie. In: Schanze, Helmut (Hrsg.): Handbuch der Mediengeschichte, a.a.O., S. 14-40: S. 19. – Auch Reck schreibt der Kunst einer Erkenntnisqualität zu, die nicht an eine spezielle Ontologie gebunden ist. Vgl. Reck, Hans-Ulrich: »Inszenierte Imagination«, a.a.O., S. 51. 61. Carroll, Noël: Defining the Moving Image. In: ders.: Theorizing the Moving Image. Cambridge: University of Cambridge Press, 1996, S. 49-74: S. 49f. 62. Als Beispiel für eine solche essentialistische Medientheorie vgl. Linden, George: Reflections on the Screen. Belmont: Wadworth Publishing Company, 1970. 146

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könne jeder Kunstform und dem dazugehörigen Medium klare Kriterien hinsichtlich Stil, Inhalt etc. zugeordnet werden.63 Im Anschluß an Carroll betrachtet Balme den Diskurs der medialen Spezifität als wissenschaftliches Konstrukt, das die ästhetischen Mechanismen der Medienproduktion unberücksichtigt lässt.64 Trotz dieser Kritik wird der theaterwissenschaftliche Diskurs auch heute noch von einer ontologischen Perspektive auf Theater als Medium bestimmt, die von einem transkulturell und -historisch bestimmbaren Wesen des Theaters ausgeht.65 Das disziplinäre Beharren auf ontologischen Bestimmungen einzelner Medien mag durchaus auch über wissenschaftspolitische Gründe zu erklären sein, ermöglichen doch solche theoretischen Ansätze immer auch eine Erweiterung des Objektbereichs bestehender Wissenschaften.66 Obwohl zur Zeit Theorien der Intermedialität (oder zumindest theoretische Annäherungen) zu entwickeln, ein beliebtes Forschungsvorhaben ist, steht eine übergeifende Theorie noch aus. So spricht Irina Rajewsky von dem »Desiderat einer terminologischen, konzeptionellen und theoretischen Präzisierung.«67 Fraglich bleibt jedoch, ob eine deduktiv, vom Modell zur Praxis denkende Theorie der Heterogenität des Untersuchungsgegenstandes überhaupt gerecht werden könnte.68 Die zahllosen Definitionsversuche von Intermedialität sollen

63. Vgl. ebd., S. 50. – Vgl. ebenfalls Hansen-Löve, Aage: Intermedialität und Intertextualität. Probleme der Korrelation von Wort- und Bildkunst – Am Beispiel der russischen Moderne (1983). In: Mertens, Mathias (Hrsg.): Forschungsüberblick ›Intermedialität‹. Kommentierungen und Bibliographie. Hannover: Revonnah, 2000, S. 27-83: S. 31. 64. Vgl. Balme, Christopher: Robert Lepage und die Zukunft des Theaters im Medienzeitalter. In: Leeker, Martina (Hrsg.): Maschinen, Medien, Performances, a.a.O., S. 668-683: S. 670. 65. Beispielsweise spricht auch Leeker noch von der »Spezifität des Theaters als Medium«. Vgl. Leeker, Martina: Die Zukunft des Theaters im Zeitalter technologisch implementerieter Interaktivität. In: Erdmann, Johannes Werner (Hrsg.): Kunst, Kultur und Bildung im Computerzeitalter. Berlin: Hochschule der Künste, 1996 (= Verständigungen; 3), S. 85-103: S. 86. 66. Vgl. Leschke, Rainer: Medientheorie, a.a.O., S. 19. 67. Rajewsky, Irina: Intermedialität. Tübingen: Francke, 2002 (= UTB; 2261), S. 201f., 3. – Bedauerlicherweise geht auch Rajewsky von einer »Spezifik der jeweils involvierten Medien« aus. Ebd., S. 4. 68. Dieses Vorgehen deutet Rajewsky mit ihrem Plädoyer an, den »Drang nach Grenzüberschreitungen, nach gegenseitiger Befruchtung und Hybridisierung der Diskurse« zu beachten. (Ebd., S. 5.) Theorien der Intermedialität sollten entwickelt werden, um aus der Praxis entstehende Fragen zu klären, nicht um Diskurse zu bereichern. Und obwohl ihre Untersuchung eine der jüngsten Publikationen zum Thema 147

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hier im einzelnen nicht diskutiert werden.69 In seiner intermedialen Ausrichtung wird Theater von Balme als Hypermedium beschrieben, »das in der Lage ist, alle anderen Medien zur Darstellung zu bringen, sie zu thematisieren und zu realisieren.«70 Dieser Gedanke findet sich, verbunden mit dem Performanz-Begriff, bereits in einer Veröffentlichung von Aage Hansen-Löve aus dem Jahre 1983: »Entgegen einem verbreiteten ›naiven‹ Kunstverständnis ist die multimediale Performanz nicht die Ausnahme, sondern eher die Regel im System der Kunstformen und Gattungen gleich welcher Epoche. Durch die Kanonisierung und Automatisierung […] einer bestimmten Performanz […] entsteht beim Publikum der Eindruck, als würde es sich jeweils um festgefügte (wenn auch bei näherer Betrachtung hybride) Medientypen handeln.« 71 Intermedialität kann also, wie Krämer formuliert, als »epistemische Bedingung der Medienerkenntnis«72 gesehen werden. Die Annahme, es gäbe Einzelmedien, offenbart sich als Resultat einer Abstraktion.73 Für die intermedialen Fragestellungen des Theaters definiert Balme Intermedialität als »Versuch, in einem Medium die ästhetischen Konventionen und/oder Seh- und Hörgewohnheiten eines anderen Mediums zu realisieren«.74

69.

70. 71. 72. 73. 74.

Intermedialität darstellt, ignoriert sie bedauerlicherweise die Ergebnisse der theaterwissenschaftlichen Intermedialitätsforschung völlig. Vgl. beispielsweise Spielmann, Yvonne: Aspekte einer ästhetischen Theorie der Intermedialität. In: Heller, Heinz-B. et al. (Hrsg.): Über Bilder Sprechen. Positionen und Perspektiven der Medienwissenschaft. Marburg: Schüren, 2000 (= Schriftenreihe der Gesellschaft für Film- und Fernsehwissenschaft [GFF] 8), S. 57-67: S. 63, 66. – Füger, Wilhelm: Wo beginnt Intermedialität? Latente Prämissen und Dimensionen eines klärungsbedürftigen Begriffs. In: Helbig, Jörg (Hrsg.): Intermedialität. Theorien und Praxis eines interdisziplinären Forschungsgebiets. Berlin: Schmidt, 1998, S. 41-57: S. 55. – Paech, Joachim: Paradoxien der Auflösung und Intermedialität. In: Warnke, Martin/Coy, Wolfgang/Tholen, Georg Christoph (Hrsg.): HyperKult. Geschichte, Theorie und Kontext digitaler Medien. Basel u.a.: Stroemfeld, 1997 (= Nexus; Bd. 41), S. 331-367. – Müller, Jürgen E.: Intermedialität. Formen moderner kultureller Kommunikation. Münster: Nodus Publikationen, 1996 (= Film und Medien in der Diskussion; Bd. 8), S. 83. Balme, Christopher: Theater zwischen den Medien, a.a.O., S. 29f. Hansen-Löve, Aage: Intermedialität und Intertextualität, a.a.O., S. 64. Krämer, Sybille: Erfüllen Medien eine Konstitutionsleistung? a.a.O., S. 82. Vgl. ebd., S. 85. Balme, Christopher: Robert Lepage und die Zukunft des Theaters im Medienzeitalter, a.a.O., S. 670. 148

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4. METHODISCH-THEORETISCHER RAHMEN

Dieser Ansatz trägt sowohl Medienkonventionen als auch der Medienkompetenz der Rezipienten Rechnung und ist damit insbesondere für Medienverbunde um das Internet geeignet, das, wie erläutert, als Hybridbildung bekannter Medien und ihrer Konventionen begriffen werden kann. Seine Definition von Intermedialität grenzt Balme gleichzeitig von zwei weiteren Konstellationen ab, erstens dem Medienwechsel oder der Medientransformation, womit er die Transposition von Stoffen oder Textsegmenten zwischen Medien bezeichnet,75 und zweitens der Intertextualität, womit er in Anschluß an Karl Prümm »mediale Verzweigungen«76 in der Bedeutungskonstitution benannt werden, die mittlerweile jedoch allgemein als Konstituens (literarischer) Textproduktion aufgefaßt werden. Die Anwendbarkeit des Begriffs, so Balme, steht damit wieder in Frage. Für die Theaterwissenschaft spricht Balme von einem Paradigmenwechsel von medialer Spezifität hin zur Intermedialität, da die Intermedialität des Theaters als ihr Charakteristikum gelten kann.77 So bezeichnet auch Petra Maria Meyer das »Theater als Modell-Medium der Intermedialität.«78 Für die Untersuchung konkreter Medienverbunde in Internet Performances wäre jeweils zu untersuchen, welche dieser drei Konstellationen – Intermedialität nach der Definition Balmes, Medienwechsel oder ›Intertextualität‹ – vorliegt. Indem sich Internet Performances an den Grenzen etablierter Disziplinen und Gattungen bewegen, inszenieren die verschiedenen Kategorien jedoch auch neue Formen von Intermedialität, die dieser ästhetischen Praxis entsprechend eine neue medientheoretische Positionierung erfordern (vgl. Kap. 5.1.8, 6.1.5).

4.2 Internet Performances in Zeit und Raum Theater kann nach Fischer-Lichte als die »performative Kunst par excellence«79 verstanden werden. Die Faktoren, die den Begriff des Performativen als Schlüsselbegriff erscheinen lassen – »eine spezifische Art der Raumwahrnehmung, ein besonderes Körperempfinden, eine

75. Vgl. Balme, Christopher: Robert Lepage und die Zukunft des Theaters im Medienzeitalter, a.a.O., S. 670. 76. Prümm, Karl: Zitiert nach Balme, Christopher: Robert Lepage und die Zukunft des Theaters im Medienzeitalter, a.a.O., S. 671. Vgl. ebenfalls Mertens, Mathias: Vorwort. In: ders. (Hrsg.): Forschungsüberblick ›Intermedialität‹, a.a.O., S. 8-10: S. 8. 77. Vgl. Balme, Christopher: Theater zwischen den Medien, a.a.O., S. 14. 78. Meyer, Petra Maria: Intermedialität des Theaters. Entwurf einer Semiotik der Überraschung. Düsseldorf: Parerga, 2001 (= Zugl.: Mainz Univ., Habil.-Schr., 1998), S. 52. 79. Fischer-Lichte, Erika: Auf dem Wege zu einer performativen Kultur, a.a.O., S. 22. 149

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THEATER UND INTERNET

bestimmte Form von Zeiterlebnis sowie eine neue Wertigkeit von Materialien und Gegenständen«80 –, kennzeichnen auf eine spezifische Art und Weise auch Internet Performances. Ihre Konstitution in Zeit und Raum stellt neben ihrer Medialität und ihrer spezifischen Ausprägung über Schrift-, Körper- und Bildlichkeit die zentralen Parameter der theatralen Kommunikation dar. Das folgende Kapitel untersucht nun diese Konstitution von Internet Performances in Zeit und Raum. Es beginnt mit den Kommunikationsprozessen in Internet Performances (vgl. Kap. 4.2.1), die zum einen über ihre temporale Wahrnehmung und zum anderen über die Konstruktionen des Interface bestimmt sind. Daran anschließend wird das Konzept szenographischer Strukturen in Internet Performances entwickelt, das die räumliche Struktur von Formen der Internet-Kommunikation innerhalb der Geschichte kontingenter Raumkonzeptionen einordnet (vgl. Kap. 4.2.2). Diese Perspektive erlaubt es, die den einzelnen Produktionen zugrundliegende szenographische Struktur als Signifikant und damit stellvertretend beispielsweise für gesellschaftlich-politische Kommunikationsformen zu verstehen. Weiter soll vorgeschlagen werden, Internet Performances als Form der site-specific performances, also als Performances, die speziell für eine bestimmte räumliche Umgebung, von der sie nicht getrennt werden können, zu betrachten. Den letzten Aspekt der Diskussion von Internet Performances in Zeit und Raum soll der Frage nachgehen, welche Bedeutung dem Konzept der Interaktivität in Internet Performances zukommt (vgl. Kap. 4.2.3). Dabei wird in einem ersten Schritt der Begriff der Interaktivität definiert, um in einem zweiten Schritt Interaktivität als ein mögliches kulturelles Modell zu begreifen.

4.2.1 Kommunikationsprozesse in Internet Performances Die theatralen Kommunikationsprozesse funktionieren in den verschiedenen Kategorien von Internet Performances auf unterschiedliche Art und Weise, werden sie doch elementar von der Zeitlichkeit der beteiligten Medien als Kennzeichen ihrer Medialität beeinflusst. Gleichzeitig kommen in ihnen Zeit und Raum auf jeweils spezifische Weise zur Darstellung und Reflexion. Hierbei spielt besonders die Konstruktion des Interface als Schnittstelle zwischen Teilnehmern und Netzwerk eine besondere Rolle. Über diese Parameter lässt sich das Werkverständnis bestimmen, das Internet Performances zugrunde liegt.

Temporale Wahrnehmung der Aufführungen In der Zeitlichkeit von Aufführungen liegt eine der Bedingungen theatraler Repräsentation begründet. So unterscheidet Hans-Thies Leh-

80. Ebd. 150

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mann die »erlebte Zeit« als das »Zeiterleben, das Akteure und Zuschauer miteinander teilen«,81 als »abgebildete Zeit«, aber auch Zeit als »Medium der Darstellung.«82 Diese Ebenen und ihre Relationen kennzeichnen die Theatersituation als »Ganzheit aus evidenten und verborgenen kommunikativen Prozessen.«83 Die Ästhetik der Theaterzeit bedingt direkt die temporale Wahrnehmung einer Aufführung. Zeit jedoch kann als vierte Dimension der relativistischen Physik nur über die Dimension des Raumes wahrgenommen werden, und so lässt sich über die Frage nach der Raum-Zeit innerhalb einer »Ästhetik der Kommunikation«84 die diegetische Struktur in den einzelnen Kategorien von Internet Performances bestimmen. Entgegen anderer Ansätze der Netzkunst, für die Dieter Daniels behauptet, im Digitalen sei der »Kult des Originals obsolet geworden durch die identische Reproduzierbarkeit des binären Codes«,85 beruht das Werkverständnis von Internet Performances auf der Transitorik ihrer Zeichen. Damit gilt für Internet Performances, was Peggy Phelan für Performances generell formuliert hat: »Performance occurs over a time which itself marks it as ›different‹. The document of a performance then is only a spur to memory, an encouragement of memory to become present.«86 Jede Aufführung einer Internet Performance ist ein einmaliges Erlebnis in Zeit und Raum, das in dieser Form nicht wiederholt werden kann.87

81. 82. 83. 84.

Lehmann, Hans-Thies: Postdramatisches Theater, a.a.O., S. 309. Dies.: Zeitstrukturen/Zeitskulpturen, a.a.O., S. 32, 34. Dies.: Postdramatisches Theater, a.a.O., S. 13. Forest, Fred: Die Ästhetik der Kommunikation. Thematisierung der Raum-Zeit oder der Kommunikation als einer schönen Kunst. In: Rötzer, Florian (Hrsg.): Digitaler Schein, a.a.O., S. 323-333: S. 323. 85. Daniels, Dieter: Inter (-disziplinarität, -media, -aktivität, -net), a.a.O., S. 145. – Auch Wirth behauptet im Zusammenhang von Theater und (Neuen) Medien ausgesprochen phänomenunsensibel: »Statt mit der sakrosankten Kurzlebigkeit der ephemeren Kunst der Performance haben wir es nunmehr mit der Wiederholbarkeit des Ereignisses zu tun.« Wirth, Andrzej: Theater und Medien. In: Leeker, Martina (Hrsg.): Maschinen, Medien, Performances, a.a.O., S. 305-309: S. 306. 86. Phelan, Peggy: Unmarked. The Politics of Performance. London: Routledge, 1993, S. 146. 87. Vgl. Manovich, Lev: The Language of New Media, a.a.O., S. 163f. »The concept of an aesthetic object as an object, that is, a self-contained structure limited in space and/or time, is fundamental to all modern thinking about aesthetics.« – »[T]he Internet asks us to reconsider the very paradigm of an aestehtic object.« – Vgl. ders.: 151

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Bei der Frage nach den Kommunikationsprozessen in den einzelnen Kategorien von Internet Performances sollte der Begriff der Kommunikation beispielsweise nicht im Sinne der Lasswell-Formel aus einer primär technischen Perspektive verstanden werden,88 sondern auch die Relation zwischen dem Einfluß der Technologie auf die darstellenden und wahrnehmenden Körper sowie der Sinnkonstitution im Prozess der ästhetischen Wahrnehmung beinhalten. Aus kommunikationswissenschaftlicher Perspektive bietet sich für Internet Performances der Begriff der computer-mediatisierten Kommunikation, genauer: der telematischen Kommunikation, an (vgl. Kap. 4.5.2). Diese technologisch induzierte Form der Mediatisierung ist hier sowohl explizit als auch implizit innerhalb des live experience verankert.89 Damit ändert sich die Materialität der Kommunikation, die vor allem durch die »Materialität ihrer Medien«90 bestimmt ist. Für die neu entstandene »media epistemology«91 ist jedoch nicht nur die verwendete Technologie, sondern gerade auch der wahrnehmungsstrukturierende Rahmen von Bedeutung (vgl. Kap. 4.3.2). Obwohl Kommunikationsprozesse im Internet nur selten ohne Metaphern des Raumes (beispielsweise die Datenautobahn) beschrieben werden, kommt in unseren Erfahrungen mit dieser Kommunikationsform gerade der »time online«92 besondere Bedeutung zu. Das »Kunstwerk als Kommunikationsrahmen«93 setzt die Rahmenbedingungen der theatralen Kommunikation, innerhalb dessen die verschiedenen Gruppen an Teilnehmern aktiv werden können. Der Kommuni-

88.

89. 90.

91. 92.

93.

Nuovi Media: Istruzioni per l’Uso Come i Media Sono Diventuti Nuovi. In: Menicacci, Armando/Quinz, Emanuele (Hrsg.): La Scena Digitale, a.a.O., S. 23-36. Vgl. Schulz, Winfried: Kommunikationsprozeß. In: Noelle-Neumann, Elisabeth/ Schulz, Winfried/Wilke, Jüren (Hrsg.): Fischer Lexikon Publizistik Massenkommunikation. Frankfurt: Fischer, 1994, S. 140-171: S. 144f. Vgl. Auslander, Philip: Liveness, a.a.O., S. 31. Schulte-Sasse, Jochen: Von der schriftlichen zur elektronischen Kultur: Über neuere Wechselbeziehungen zwischen Mediengeschichte und Kulturgeschichte. In: Gumbrecht, Hans Ulrich/Pfeiffer, K. Ludwig (Hrsg.): Materialität der Kommunikation. Frankfurt: Suhrkamp, 1995, S. 429-453: S. 433. Ebd., S. 32. Corcoran, Marlene: Digital Transformations of Time. The Aesthetics of the Internet. In: Leonardo Vol. 29 No. 5 (1995), S. 375-378: S. 375. – Corcoran weist hier auch auf nationale Differenzen in der Preisstruktur hin und macht damit auf die unterschiedlichen Bedingungen, sich auf längere Netzereignisse einzulassen, aufmerksam, vgl. ebd., S. 376. Dreher, Thomas: Vernetzungskünst(l)e(r). The Arts and Artist of Networking. In: Gerbel, Karl/Weibel, Peter (Hrsg.): Mythos Information. Welcome to the Wired World. Ars Electronica ’95. Wien: Springer, 1995, S. 63. 152

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kationsrahmen sieht in den einzelnen Kategorien grundsätzlich unterschiedlich aus. Während in den textbasierten Internet Performances die temporale Wahrnehmung der Aufführungen durch den Textfluß bestimmt ist, so kann für die telematischen Internet Performances keine übergreifende Aussage getroffen werden. Die temporalen Erfahrungen, die durch die verschiedenen Dienste des Internets ermöglicht werden, beeinflussen unser Zeitbewusstsein und werden in Internet Performances reflektiert. Die Zeiterfahrungen, die durch jede Kunstform ermöglicht werden, übernehmen, wie Lehmann herausstellt, in erster Instanz zwar eine ästhetische Funktion ein, gehen jedoch in eine politische und auch ethische Funktion über.94

Interface-Konstruktionen Übergreifend für alle Kategorien von Internet Performances ist die Gestaltung des Interface von zentraler Bedeutung. In der Situation des »face to interface«,95 dort »wo sich Menschen und Bits begegnen«,96 treffen Materialien, Strukturen und Konventionen aufeinander. »Der Begriff Schnittstelle – oder englisch Interface – bezeichnet grundsätzlich den Punkt einer Begegnung oder einer Kopplung zwischen zwei oder mehr Systemen und/oder deren Grenzen zueinander. Als technische Einrichtung übernimmt eine Schnittstelle die Übersetzung- und Vermittlungsfunktion zwischen gekoppelten Systemen.«97 Obwohl der Begriff des Interface im aktuellen Diskurs meist nur auf den Einsatz von digitaler Technologie bezogen wird, macht gerade diese Definiton deutlich, dass Schnittstellen zwischen Mensch und Maschine auch jenseits digitaler Technologie vorliegen. Die Kopplung der Systeme kann grundsätzlich Menschen mit Maschinen, wie bei der Netzkunst, aber auch über vernetzte Computer Menschen miteinander verbinden, wie dies bei Internet Performances der Fall ist. Obwohl einige der telematischen Internet Performances auch auf räumlichen Anordnungen beruhen, in denen Zuschauer/Teilnehmer mit den Darstellern denselben Raum teilen, ist der Computerbildschirm das dominante Medium, in dem Internet Performances in ihrer Schrift-, Körper- und Bildlichkeit zur Erscheinung kommen. Das Computer-Interface geht auf George W. Hoover, der für die United States Air Force Flugsimulatoren entwickelte.

94. Vgl. Lehmann, Hans-Thies: Zeitstrukturen/Zeitskulpturen, a.a.O., S. 30. 95. Holmqvist, Berit: Face to Interface. In: Andersen, Peter Bogh/Holmqvist, Berit/ Jensen, Jens (Hrsg.): The Computer as Medium, a.a.O., S. 222-235. 96. Negroponte, Nicholas: Total Digital, a.a.O., S. 111. 97. Halbach, Wulf: Interfaces. Medien- und kommunikationstheoretische Elemente einer Interface-Theorie. München: Fink, 1994, S. 168. 153

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»Hoover pioneered the merging of the real-time imaging capabilities of the digital computer with the previously largely mechanical flight simulators (or ›trainors‹) in the 1960s.«98 Für den Bildschirm als kutureller Kategorie geht Manovich von einer konstanten Grundsituation aus: »As was the case centuries ago, we are still looking at a flat, rectangular surface, existing in the space of our body and acting as a window into another space.« 99 Er definiert den Bildschirm als »rectangular surface that frames a virtual world and that exists within the physical world of a viewer without completely blocking her visual field.«100 Das Interface formt sowohl die Art und Weise, in der der Benutzer den Computer selbst wahrnimmt, als auch wie der Benutzer den Zugang zu anderen Medien durch den Computer denkt. Bei dieser Konvergenz (im Sinne von confluence) verschiedener Medien über den Computer überträgt das Interface seine eigene Logik auf diese Medien.101 Jenseits technischer Konstruktionsprinzipien betont Steven Johnson die semantische Dimension von Interfaces.102 Die Metapher des virtuellen Schreibtisches sei das »KernIdiom der heutigen grafischen Benutzeroberfläche«,103 so Johnson. Die Web-Seite, »a rectangular surface containing a limited amount of information, designed to be accessed in some order, and having a particular relationship to other pages«, 104 betrachtet Manovich nicht nur das Organisationsprinzip für Texte im WWW, sondern sieht in ihr auch eine neue kulturelle Konvention. »As distribution of all forms of culture becomes computer-based, we are increasingly ›interfacing‹ to predominantly cultural data – texts, photographs, films, music, virtual

98. Huhtamo, Erkki: Time Traveling in the Gallery: An Archeological Approach in Media Art. In: Moser, Mary Anne (Hrsg.): Immersed in Technology, a.a.O., S. 233-268: S. 262. 99. Manovich, Lev: The Language of New Media, a.a.O., S. 115, vgl. S. 98ff. 100. Ebd., S. 169, vgl. ebd., S. 195. Vgl. ebenfalls ders.: Eine Archäologie des Computerbildschirms. In: Rötzer, Florian (Hrsg.): Kunstforum International. Die Zukunft des Körpers I. Bd. 132 (Nov.-Jan. 1996), S. 124-135. 101. Vgl. ders.: The Language of New Media, a.a.O., S. 64f. 102. Johnson, Steven: Interface Culture, a.a.O., S. 24. 103. Ebd., S. 25, vgl. ebd., S. 24. 104. Manovich, Lev: The Language of New Media, a.a.O., S. 74, vgl. ebd., S. 76. 154

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environments. In short, we are no longer interfacing to a computer but to culture encoded in digital form.«105 Während der Erfolg einer Schnittstelle nach Jeffrey Shaw nur auf ihrer Leistung als Mechanismus der Verbindung beruht, »begründet sich die künstlerische Qualität einer Schnittstelle auf dem Ausmaß, in dem diese Verbindung neue kulturelle Werte verkörpert.«106 Auf diese Dimension hin werden die verschiedenen Kategorien von Internet Performances zu befragen sein. Für die Diskussion von Interface-Konstellationen in Internet Performances wird auch die Fragen, wie das Interface die Kommunikation strukturiert und ob das Interface Wahrnehmungsformen reflektiert, von Bedeutung sein. Dabei steht die Diskussion der Interface-Strukturen in Verbindung sowohl zu ihrer szenographischen als auch interaktiven Strukturierung, da beide über das Interface organisiert werden.

4.2.2 Szenographische Strukturen in Internet Performances Raum übernimmt nach Gay McAuley im Theater nicht nur die Funktion, die Darstellung der Akteure hervorzuheben, sondern ist zugleich auch Bedingung, um die simultane Anwesenheit von Darstellern und Zuschauern zu ermöglichen.107 Während die physische Kopräsenz von Darstellern und Zuschauern oftmals als Definiens des Theaters angesehen wird, werden Experimente mit dem »Verlust des Zeit-Rahmens«108 durchaus positiv beurteilt: »An die Stelle einer Ganzheit tritt die Erfahrung einer Prozessualität, die strukturell weder Anfang noch Mitte noch Ende hat […]« 109 Solche Versuche schärften den Blick für das »Konzept der geteilten Zeit«, die »Dimension der hic et nunc von Akteuren und Publikum.«110

105. Ebd., S. 69f. – Vgl. auch »In semiotic terms, the computer interface acts as a code that carries cultural messages in a variety of media.« Ebd., S. 64. 106. Shaw, Jeffrey: Der entkörperte und wiederverkörperte Leib. In: Rötzer, Florian (Hrsg.): Die Zukunft des Körpers I, a.a.O., S. 168-171: S. 170. – Zu Fragen der Gestaltung des Interface vgl. ebenfalls: Bonsiepe, Guy: Interface. Design neu begreifen. Mannheim: Bollmann, 21996. 107. Vgl. McAuley, Gay: Space in Performance: Making Meaning in the Theatre. Michigan: University of Michigan Press, 1999, S. 3. 108. Lehmann, Hans-Thies: Zeitstrukturen/Zeitskulpturen, a.a.O., S. 38. 109. Ebd. 110. Ebd. 155

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Wanda Golonka hingegen hatte in ihrer Arbeit ›Leitz, dem Nachlaß verfallen‹ (1988, gemeinsam mit Neuer Tanz) ihre Tänzer in einem verdunkelten Raum spielen lassen. »Nur ein Fenster öffnete und schloß sich. Besucher sagten, sie hätten nichts gesehen, doch es war immer etwas zu erkennen, wenn auch verschwommen – die Bewegung existierte trotzdem, und sie war nicht schlechter, nur weil sie im Dunkeln passierte.« 111 Solche Reaktionen verdeutlichen, welches Irritationspotential im Hinterfragen der räumlich-visuellen Bedingungen von Theater, mithin ihrer Kontingenz, liegt.

Das Internet und die Kontingenz von Raumkonzeptionen Internet Performances bestimmen die Rolle des Raumes im Theater (des Medienzeitalters) neu. Dabei handelt es sich nur in einigen Produktionen um eine mediale Erweiterung des Raumes.112 Vielmehr wird durch das Verbunden-Sein der Teilnehmer über vernetzte Computer eine neue Materialität des Raumes eingeführt, die seine Repräsentationsmöglichkeiten verändert. Befragt man Ordnungen des Raumes, wie sie über Anwendungen des Internets ermöglicht werden, aus der historischen Perspektive, so fällt zum einen die Kontingenz aller historischen und kulturellen Raumkonzeptionen, zum anderen ihre ideologische Instrumentalisierung auf.113 Eine Philosophie des Raumes steht dabei vor dem Problem, zwischen intelligiblem und nicht-intelligiblem Raum, zwischen einem transzendent und einem sinnhaft bestimmten Raum trennen zu müssen.114 Hinter dieser Unterscheidung stehen die theoretischen Gegensätze der philosophsichen Erkenntnistheorie mit der Frage ›Was ist Raum als Möglichkeit der Erfahrung?‹ und der konstruktivistischen Raumtheorie mit der Annahme, Raum sei immer diskursiv erzeugt. Stellt man die Frage, wie Raum erfahren wird, muß dieser der Erfahrung bereits vorgängig gedacht werden. Raum isoliert betrachtet, ist nach Henri Lefebvre, jedoch eine leere Abstraktion.115 In Anlehnung

111. Golonka, Wanda: Trau Dich, sei leise! Wanda Golonka über Serie An Antigone, die Bedeutung des Raumes und ein Theater ohne Text. In: schauspiel frankfurt zeitung 02 (Spielzeit 02/03) S. 1f., S. 1. 112. Dies gilt beispielsweise für Leaping into the Net! (vgl. Kap. 6.1.2). 113. Vgl. Jammer, Max: Concepts of Space. The History of Theories of Space in Physics. Mineola: Dover, 19933. (Erste Auflage: Cambridge: Harvard University Press, 1954) 114. Vgl. Lefebvre, Henri: The Production of Space. Oxford: Blackwell, 1996. (6. Auflage) (OV: La production de l’espace; 1974), S. 404. 115. Vgl. ebd., S. 12. 156

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an Michel de Certeaus »[S]pace is a practiced place«116 fokussiert Lefebvre Formen des sozialen Raumes, – »(Social) space is a (social) product«117 – worunter auch das Theater als besondere Form eines sozialen Raumes zu fassen ist. Lefebvre fragt nach der semantischen Dimension von Räumen und ihrer ideologischen Instrumentalisierung.118 Historisch und kulturell kontingente Konzeptionen von Raum korrespondieren immer auch mit unterschiedlichen Konzeptionen des Selbst, von Identität und Subjektivität, wie Margaret Wertheim herausgestellt hat. »What is universal is that conceptions of space and conceptions of self mirror one another. In a very real sense, we are the products of our spatial schemes.« 119 Auffällig ist die von Lefebvre kritisierte inflationäre Verwendung des Raumbegriffs vom molecular bis zum data space;120 Begriffe, die oftmals als Metaphern aus pragmatischer Perspektive rekonstruieren, wie Benutzern mit den kommunikativen Angeboten des Internets umgehen.121 Auch der Begriff des Cyberspace, der etymologisch vom Griechischen kybernan für steuern stammt,122 wird ohne einheitliche Definition auf eine Reihe unterschiedlicher Phänomene angewendet. Geprägt wurde der Begriff 1984 von William Gibson in dessen Roman-Trilogie Neuromancer; populär wurde der Begriff jedoch erst, nachdem ihn der Journalist John Perry Barlow mit Referenz auf Gibsons Roman verwendet hatte.123 Gibson hatte den Cyberspace folgendermaßen beschrieben:

116. Certeau, Michel de: The Practice of Everyday Life. Berkeley: University of California Press, 1984, S. 117. 117. Lefebvre, Henri: The Production of Space, a.a.O., S. 26. 118. Vgl. ebd., S. 44. 119. Wertheim, Margaret: The Pearly Gates of Cyberspace: A History of Space from Dante to the Internet. London: Norton&Comp., 1999, S. 41. – Vgl. »[O]ur conception of ourselves is indelibly linked to our conception of space.« Ebd., S. 308. 120. Vgl. Lefebvre, Henri: The Production of Space, a.a.O., S. 231. 121. Vgl. Krotz, Friedrich: Hundert Jahre Verschwinden von Raum und Zeit? a.a.O., S. 114. 122. Vgl. Benedikt, Michael: Cyberspace: Some Proposals. In: ders. (Hrsg.): Cyberspace. First Steps. Cambridge, MA: MIT Press, 21992, S. 119-224: S. 130. 123. Vgl. Neverla, Irene: Das Medium denken. Zur sozialen Konstruktion des Netz-Mediums. In: dies. (Hrsg.): Das Netz-Medium. Kommunikationswissenschaftliche Aspekte eines Mediums in Entwicklung. Opladen: Westdeutscher Verlag, 1998, S. 17-35: S. 20. 157

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THEATER UND INTERNET

»Cyberspace. Eine Konsens-Halluzination, tagtäglich erlebt von Milliarden zugriffsberechtigter Nutzer in allen Ländern, von Kindern, denen man mathematische Begriffe erklärt […]. Eine grafische Wiedergabe von Daten aus den Banken sämtlicher Computer im menschlichen System. Unvorstellbare Komplexität. Lichtzeilen im Nicht-Raum des Verstands, Datencluster und -konstellationen. Wie die zurückweichenden Lichter einer Stadt […].«124 Als Wortschöpfung der Science Fiction-Literatur mit starker Wirkung auf die Cyberpunk-Bewegung125 muß der Begriff Cyberspace unbedingt von Virtual Reality als wissenschaftlichem Forschungsgebiet abgegrenzt werden.126 Gleichzeitig seien hier auch erste Versuche erwähnt, Virtual Reality-Technologien (VR) für Aufführungen zu verwenden.127 Im Folgenden soll der Begriff Cyberspace nur noch im Kontext der Science Fiction-Literatur und ihrer z.T. utopischen Aufladung technologischer Innovationen verwendet werden.128 Internet Performances als Form einer qualitativen Raumordnung können jedoch (utopische) Attribute, die dem Cyberspace zugeschrieben werden, aufnehmen und (kritisch oder ideologisch beeinflußt) reflektieren. In ihnen korrespon-

124. Gibson, William: Neuromancer. In: ders.: Die Neuromancer-Trilogie. München: Heyne, 2000, S. 25-330: S. 87. – Für weitere Ansätze, Cyberspace zu definieren vgl. Benedikt, Michael (Hrsg.): Cyberspace, a.a.O. 125. Vgl. Featherstone, Mike/Burrows, Roger (Hrsg.): Cyberspace/Cyberbodies/Cyberpunk, a.a.O. 126. Vgl. Rheingold, Howard: Virtuelle Welten, a.a.O., S. 14ff. – Auch beim Begriff der Virtual Reality bevorzugen die Wissenschaftler vom MIT, von virtual environments zu sprechen, um Definitionsprobleme zu umgehen. Vgl. Hein, Michael: The Design of Virtual Reality. In: Featherstone, Mike/Burrows, Roger (Hrsg.): Cyberspace/Cyberbodies/Cyberpunk, a.a.O., S. 65-77: S. 65. Zur Geschichte der VR-Technologie vgl. Kalawsky, Roy: The Science of Virtual Reality and Virtual Environments. Reading, Mass.: Addison-Wesley, 1993. 127. Vgl. beispielsweise zum Projekt The Adding Machine der University of Kansas. Vgl. Unruh, Delbert: Virtual Reality in the Theatre. New Questions about Time and Space. In: Theatre Design and Technology Vol. 32, No. I (Winter 1996), S. 44-47. Und: Reaney, Mark: Virtual Scenography: The Actor/Audience/Computer Interface. In: Theatre Design and Technology Vol. 32, No. I (Winter 1996), S. 36-43. – Für theoretische Ansätze hierzu vgl. Walser, Randal: Elements of a Cyberspace Playhouse. In: Helsel, Sandra/Roth, Judith Paris: Virtual Reality: Theory, Practice, and Promise. London: Meckler, 1991, S. 51-64. 128. So können auch Fehler vermieden werden wie bei Lévy, der den Begriff Cyberspace nicht nur mit dem Internet gleichsetzt, sondern auch utopisch auflädt, indem er ›Cyberspace‹ »als legitime[n] Nachfolger des Projekts der Aufklärung« bezeichnet. Vgl. Lévy, Pierre: Cyberkultur. Universalität ohne Totalität. In: Bollmann, Stefan/ Heibach, Christiane (Hrsg.): Kursbuch Internet, a.a.O., S. 56-82: S. 69, vgl. S. 59. 158

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diert die neue räumliche Anordnung der Teilnehmer mit einem neuen Verständnis von Identität, das Hayles ›posthuman‹ (vgl. Kap. 3.3.2), Causey hingegen ›postorganic‹129 nennt und die in der Befragung der verschiedenen Internet Performances herauszustellen sein wird (vgl. Kap. 6.3, 7.2.4).

Struktur als Signifikant Eine Strategie, die neu entstandenen räumlichen Ordnungen in den verschiedenen Kategorien von Internet Performances zu bestimmen, kann darin liegen, sie auf ihre szenographische Struktur hin zu untersuchen. Die szenographische Struktur einer Produktion zeigt sich, wenn man die Anordnung der einzelnen remote sites, ihre Verbindung untereinander und mit dem Internet strukturell und von der konkreten Infrastruktur vor Ort abstrahierend bestimmt. Die szenographische Struktur als strukturelle Konzeption von Internet Performances kann dabei als Signifikant betrachtet werden.130 Über ihre szenographische Struktur überprüfen Internet Performances experimentell telematische Kommunikationsbedingungen und übernehmen so Modellfunktion für potentielle Machtverhältnisse telematischer Kommunikation. Die konkreten Machtpotentiale können dabei über die szenographischen Strukturen bestimmt werden. Die szenographische Struktur von Leaping into the Net verdeutlicht besonders die passive Position der onlineZuschauer. Abbildung 11: Szenographische Struktur von Leaping into the Net

Kamera

Bühne

Kamera

Internet

OnlineZuschauer

Kamera

Proszeniumsbühne

Publikum

129. Vgl. Causey, Matthew: Postorganic Performance, a.a.O., S. 185. 130. Vgl. Esslin, Martin: Die Zeichen des Dramas. Theater, Film, Fernsehen. Reinbek: Rowohlt, 1989. S. 109. 159

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Die für Theaterformen unter den Bedingungen der physischen Kopräsenz entwickelten Kategorien von Räumen im Theater – beispielsweise die Unterscheidung zwischen theatralem Raum als architektonischer Umgebung, szenischem Raum als Spielfeld der Akteure, dramatischem Raum als Raumsemantik des Theatertextes und ortsspezifischem Raum als Lebensraum der Zuschauer131 – können bei dieser Untersuchung der szenographischen Strukturen in Internet Performances hilfreich sein. Gerade wenn der von Pavis als ›espace du public‹ bezeichnete Bereich diversifiziert und individualisiert wird und die Relationen zwischen den räumlich verteilten ›espaces ludiques‹ im Zentrum der theatralen Interaktion stehen, können sowohl traditionelle als auch innovative Formen szenographischer Strukturen in Internet Performances festgestellt werden (vgl. Kap. 5.2, 6.2).132

Internet Performances als site-specific art Um die Funktion des Internets und seiner Dienste in den verschiedenen Kategorien von Internet Performances bestimmen zu können, sollen Internet Performances hier als site-specific performances betrachtet werden.133 Dieser Ansatz verortet Internet Performances in der Tradition der Experimente zwischen den darstellenden Künsten und neuen Technologien (vgl. Kap. 3.3). Site-specific art wird definiert als für eine spezifische räumliche Umgebung konzipiert, von der sie nicht getrennt werden kann, ohne dass sich ihre Wahrnehmung und Bedeutung veränderte. Mit Verweis auf den Ursprung der site-specific art in der minimalistischen Skulptur der 60er Jahre betont Nick Kaye die Verbindungen zur Bewegung der Performance Art.134 Der Minimalismus arbeitete mit theatralen Mitteln, »emphasising the transitory and ephe-

131. Vgl. Balme, Christopher : Einführung in die Theaterwissenschaft. a.a.O., S. 136. – McAuley weist darauf hin, dass solche Kategorisierungen von Räumen des Theaters dynamisch gedacht werden müssen, da sie oftmals ineinander greifen. Vgl. McAuley, Gay: Space in Performance. a.a.O., S. 33. 132. Zu den Bezeichnungen der Räume des Theaters vgl. Pavis, Patrice: Espace (au Théâtre) In: ders.: Dictionnaire du Théâtre. Paris: Dunod, 1997. S. 146. S. 146. – Der Begriff der Szenographie kann bei dieser Perspektive weiterhin als »science et l’art de l’organisation de la scène et de l’espace théâtral« verstanden werden. Vgl. ders.: Scénographie. In: ders.: Dictionnaire du Théâtre. S. 347-350. S. 347. 133. Vgl. Knott, Laura: World Wide Simultaneous Dance, a.a.O., S. 14f. Und: Baumgärtel, Tilman: [net.art], a.a.O., S. 014. (Hinweis: Die Benennung der Seitenzahl entspricht dem Original.) 134. Vgl. Kaye, Nick: Site-specific art. Performance, place and documentation. London: Routledge, 2000, S. 2. – Vgl. ebenfalls Suderberg, Erika (Hrsg.): Space, Site, Intervention. Situating Installation Art. Minneapolis: University of Minneapolis, 2000. 160

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meral act of viewing in the gallery.«135 »[M]inimalism enters into the theatrical and performative.«136 Kaye betont: »[I]t is performance which returns to define site-specificity, not only as a set of critical terms and as a mode of work, but as a way of characterising the place these various sitespecific practices reflect upon.«137 Diese Perspektive auf Internet Performances zu übertragen, bedeutet, das Internet als site zu begreifen, das als solches über seine Performativität bestimmt wird, und danach zu fragen, wie die Charakteristika des Internets und seiner Dienste in den verschiedenen Produktionen eingesetzt werden. Der »Bühnenraum als Raum mit eigenem semiotischen Code«138 und performativer Qualität: McAuley betont zu Recht nicht nur die »centrality of the spatial function in the construction of meaning«,139 sondern auch die hinter szenographischen Strukturen stehenden Machtstrukturen.140 Räumliche Strukturen in Aufführungen sind gleichermaßen, wie Fischer-Lichte formuliert, »political and anthropological, interpersonal and introspective, mythical and historical, grammatical, syntactic, or semantical: indeed, relations of all kind can be wholly externalized in the performance area as spatial relations.«141 In Internet Performances können die szenographischen Strukturen als »modellhafte Neubestimmung eines gewandelten gesellschaftlichen Raumes«142 angesehen werden, die das Öffentliche ins Private holen und so ein neues Verständnis theatraler Öffentlichkeit bestimmen (vgl. Kap. 5.4.3 und Kap. 6.3.4).

135. 136. 137. 138. 139. 140. 141. 142.

Kaye, Nick: Site-specific art, a.a.O., S. 3. Ebd. Ebd., S. 12. Lösch, Matthias: Bühne, Bühnenform. In: Weimar, Klaus (Hrsg.): Reallexikon der deutschen Literaturgeschichte. Bd. I. Berlin: de Gruyter, 1997, S. 269-274: S. 269. McAuley, Gay: Space in Performance, a.a.O., S. 32. Vgl. ebd., S. 28. Fischer-Lichte, Erika: The Aesthetics of Disruption, a.a.O., S. 100. Dinkla, Söke: Das flottierende Werk. Zum Entstehen einer neuen künstlerischen Organisationsform. In: Gendolla, Peter/Schmitz, Norbert/Schneider, Irmela/Spangenberg, Peter (Hrsg.): Formen interaktiver Medienkunst, a.a.O., S. 64-91: S. 6671, S. 73. 161

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4.2.3 Interaktivität in Internet Performances Im Bereich der Medienkünste kommt dem Paradigma der Interaktivität ein zentraler Stellenwert zu. Und obwohl Internet Performances nicht zwangsläufig interaktiv konzipiert sein müssen, so ist die Frage, inwiefern sich bei Internet Performances von Interaktivität sprechen lässt, durchaus sinnvoll, bestimmen doch in vielen Fällen interaktive Strukturen das Verhältnis zwischen Darstellern und den ehemaligen Zuschauern neu. Welche Rolle also spielt das für die Medienkunst zentrale Paradigma der Interaktivität in Internet Performances? Was unterscheidet interaktive Strukturen in Theaterformen der physischen Kopräsenz und Internet Performances? Gibt es ein Mehr? Um diese Fragen zu beantworten, soll zuerst der Begriff der Interaktivität definiert werden, bevor seine Bedeutung für die Bestimmung eines neuen kulturellen Modells erläutert werden soll.

Definitionen von Interaktivität Im Unterschied zur Interaktivität in Theaterformen der physischen Kopräsenz bezeichnet Leeker technologisch implementierte Interaktivität als Paradigmenwechsel.143 »Die Interaktivität, die im Theater stattfindet, ist kein wirkliches Tun, sondern ein Reflektieren, ein Aushandeln, ein Verhandeln, ein Behandeln von Kommunikation, von interaktiven Strukturen, aber nie das Ausüben dieser.«144 Während Interaktivität in Theaterformen der physischen Kopräsenz also meistens einen eigenständigen Imaginations- und Konstruktionsprozess beim Zuschauer meint, wäre nach der Funktion und Qualität technologisch vermittelter Interaktivität in den verschiedenen Kategorien von Internet Performances zu fragen (vgl. Kap. 5.1.1, 5.1.8, 6.1.3). Die Bezeichnung ›interaktive Kunst‹ wird von Dinkla als »terminus technicus für solche Werke zu verwenden, die die operationalen Qualitäten der digitalen Medien nutzen, um Erfahrungsräume zu schaffen, die sich durch Handlungen und Interventionen der Rezipienten ändern.« 145 Ein solchermaßen technisch bestimmter Begriff sage jedoch wenig über die künstlerischen Qualitäten des Werks aus,146 auch wenn sich Internet Performances über ihren Aufführungscharakter von interakti-

143. 144. 145. 146.

Vgl. Leeker, Martina: Die Zukunft des Theaters, a.a.O., S. 95, vgl. ebd., S. 94. Ebd., S. 93. Dinkla, Söke: Das flottierende Werk, a.a.O., S. 68. Vgl. ebd., S. 68. 162

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ver Kunst im Sinne Dinklas unterscheiden.147 Im Modell der »Kultur als Interaktion«148 imaginiere der Teilnehmer die Welt nicht mehr nur, sondern stelle sie selbst her. Der Begriff der performativen Interaktion bezeichne dabei eine neue Poetik, in deren Zentrum die Benutzer stünden, die über ihre eigenen Aktionen Modelle zur Orientierung in einer rhizomartig organisierten Wirklichkeit schaffen könnten.149 »Die Poetik der performativen Interaktion beruht im wesentlichen auf einer verteilten Subjektivität.«150 Im Unterschied zu einigen Installationen im Bereich der Medienkunst handelt es sich bei Internet Performances immer um Interaktionen zwischen Menschen, die sich mit und durch einem Medienverbund vollzieht (human-computer-human interaction).151 Andy Lippman definiert Interaktivität als eine »common, simultaneous activity from two parties that can lead to an objective, but not necessarily.«152 Im Sinne seiner Definition muß die schlichte Möglichkeit einer Reaktion und des alternierenden Agierens der Teilnehmer von der Möglichkeit unterschieden werden, die Struktur der Performance dauerhaft ändern zu können. Implizit geht diese Definition von Interaktivität, wie viele andere Definitionen auch, von einer graduellen Bestimmung des Begriffs aus. So verwendet Höflich den Begriff des Interaktivitätspotentials und differenziert unter Verweis auf Carrie Heeter zwischen der Komplexität verfügbarer Wahlmöglichkeiten, dem vom Nutzer zu erbringenden Aufwand, potentiellen Rückantworten auf Nutzeraktivitäten, der Möglichkeit, dem Geschehen etwas hinzuzufügen und der Er-

147. Der Ansatz des symbolischen Interaktionsmus, der den Menschen als homo symbolicus begriff, hatte seit den 50er Jahren die theaterwissenschaftliche Theoriebildung beeinflusst, die aus dieser Perspektive Theater vorrangig als soziales Phänomen betrachtete. Dieser Diskurs knüpft jedoch nur bedingt an die Frage nach technologisch implementierter Interaktivität an. Vgl. Balme, Christopher: Einführung in die Theaterwissenschaft, a.a.O., S. 55. 148. Dinkla, Söke: Auf dem Weg zu einer performativen Interaktion. In: Leeker, Martina (Hrsg.): Maschinen, Medien, Performances, a.a.O., S. 126-140: S. 128, vgl. S. 134. 149. Vgl. ebd., S. 135. 150. Ebd., S. 137. 151. Vgl. Höflich, Joachim: Zwischen massenmedialer und technisch vermittelter interpersonaler Kommunikation, a.a.O., S. 98. 152. Lippman, Andy: Zitiert nach Brand, Stewart: The Media Lab, a.a.O., S. 71f. 163

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möglichung interpersonaler Kommunikation.153 Laurel schlägt vor, Interaktivität auf einem Kontinuum zu denken, das durch drei Variablen – Frequenz der Interaktionen, range als Anzahl der Interaktionsmöglichkeiten, Signifikanz der Optionen – charakterisiert sei.154 Während Zuschauer in Theaterformen der physischen Kopräsenz häufig das theatrale Geschehen imaginativ ergänzen, lehnt es Manovich ab, hierfür den Begriff der Interaktivität zu verwenden.155 Die Rolle der Imagination betont jedoch Negroponte, der kritisiert, wie wenig Raum interaktive Medien der Phantasie ließen.156 Imagination bestimmt auch die ›Präsenz des Vorgestellten‹ in textbasierten Internet Performances (vgl. Kap. 5.1.8).

Interaktivität als kulturelles Modell Der Begriff der Imagination dürfe nicht auf simple »Täuschungsmanöver« reduziert werden, fordert auch Hemken und kritisiert, dass neuere Modelle der Interaktion von technischen, nicht kulturellen Fragestellungen ausgehen.157 »Die Fixierung auf die digitale Technik im ›Fortschritt‹ der Künste hat eine Reduktion der Komplexität zur Folge, denn die Möglichkeiten der Technik eröffnen zwar eine multisensorische Partizipation des Betrachters, jedoch werden auf formalästhetischer Ebene die Wechselwirkungen zwischen Material, Medium und Inhalt, wie sie in den traditionellen Gattungen aufgeworfen werden, vereinfacht.«158 Letztlich komme in Konzepten künstlerischer Interaktivität »der Wunsch zum Ausdruck, an dem komplexen kulturellen Fortgang der

153. Vgl. Höflich, Joachim: Zwischen massenmedialer und technisch vermittelter interpersonaler Kommunikation, a.a.O., S. 95, vgl. S. 96-98. 154. Vgl. Laurel, Brenda: Computers as Theatre, a.a.O., S. 20. Vgl. ebenfalls Riehm, Ulrich/Wingert, Bernd (Hrsg.): Multimedia. Mythen, Chancen und Herausforderungen. Mannheim: Bollmann, 1996, S. 67. – Zur Rolle des Programms für die Realisierung interaktiver Strukturen vgl. Campbell, Jim: Delusions of Dialogue: Control and Choice in Inteactive Art. In: Leonardo Vol. 33, No. 2(2000), S. 133-136. 155. Vgl. Manovich, Lev: The Language of New Media, a.a.O., S. 55. – Sein Hinweis, dass moderne human-computer interfaces (HCI) per definitionem interaktiv seien (S. 55), scheint auf den ersten Blick nicht von Bedeutung, gäbe es nicht noch Autoren, die hier elementare Denkfehler begehen. Vgl. »Interaktive Medien, zumal wenn sie Schnittstellen benötigen […]« Rötzer, Florian: Interaktion – das Ende der herkömmlichen Massenmedien. In: Bollmann, Stefan (Hrsg.): Kursbuch Neue Medien, a.a.O., S. 57-78: S. 61. 156. Vgl. Negroponte, Nicholas: Total Digital, a.a.O., S. 15. 157. Vgl. Hemken, Kai-Uwe: Die kategorische Interaktion, a.a.O., S. 73, 70. 158. Ebd., S. 72. 164

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Gesellschaft aktiv teilzuhaben.«159 In diesem Sinne stehen sie metaphorisch für sich wandelnde gesellschaftliche Prozesse. So betrachtet auch Sandbothe interaktive Netz als »Modi der Konstruktion neuer Kommunikationsverhältnisse«.160 Teilnahme ist für diese Netze nicht Option, sondern Bedingung; allein, um als anwesend bemerkt zu werden.161 Doch auch diese neuen Kommunikationsmodi müssen auf implizite Machtstrukturen befragt werden, die über interaktive Strukturen etabliert werden können. Den Grad an Transparenz zu bestimmen, kann hierbei hilfreich sein. Sheizaf Rafaeli definiert diese Kategorie folgendermaßen: »Transparency, the degree to which the user or interactant is aware of the presence of a mediating entity, could be understood as a gauge of the salience of the medium’s intervention in the communicating process. […] Transparency thus communicates an inadequacy that is not under the communicator’s control.« 162 Interaktive Strukturen in Internet Performances stehen metaphorisch nicht nur für ein Kulturmodell der Teilhabe aller an Kommunikation, sondern in der Nähe der telematischen Internet Performances zum interaktiven Fernsehen163 auch für eine Kommerzialisierung dieses Modells von Kultur. »Interaktivität verlässt das Experimentierlabor des Künstlers oder Ingenieurs und wird zur Zukunftsmelodie der Medienindustrie«,164 wie Daniels treffend bemerkt.

159. Ebd., S. 74. 160. Sandbothe, Mike: Interaktive Netz, a.a.O., S. 427. 161. So bezeichnet Peter Spangenberg Interaktivität als »Erfahrung von Anwesenheit in der Abwesenheit.« Vgl. Spangenberg, Peter: Produktive Irritationen: Zum Verhältnis von Medienkunst, Medientheorie und gesellschaftlichem Wandel. In: Gendolla, Peter/Schmitz, Norbert/Schneider, Irmela/Spangenberg, Peter (Hrsg.): Formen interaktiver Medienkunst, a.a.O., S. 140-165: S. 149. 162. Vgl. Rafaeli, Sheizaf: Interactivity: From New Media to Communiation. In: Hawkins, Robert/Wiemann, John/Pingree, Suzanne (Hrsg.): Advancing Communication Science: Merging Mass and Interpersonal Processes. Newbury Park: Sage Publications, 1988 (= Sage Annual Review of Communication Research; 16), S. 110-134: S. 116. 163. Vgl. Negroponte, Nicholas: Total Digital, a.a.O., S. 57ff. 164. Daniels, Dieter: Über Interaktivität. http://www.hgb-leipzig.de/theorie/interact. htm (Zugriff am 10.01.2002) Ohne Seitenangabe. 165

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4.3 Internet Performances zwischen Schriftlichkeit, Körperlichkeit und Bildlichkeit Theater kann als Medium bestimmt werden, das Bilder ermöglicht, als Medium, das vor allem den Körper der Darsteller als Bild in Erscheinung treten lässt.165 In den verschiedenen Kategorien von Internet Performances tritt der Körper jedoch in besonderen Modalitäten auf, die sich von seiner Erscheinung im Theater unter den Bedingungen physischer Kopräsenz unterscheiden. In der Kommunikation textbasierter Internet Performances werden alle Zeichen des Körpers und seine Materialität verschriftlicht; ähnliches gilt auch für die Palace Performances, bei denen die Verschriftlichung sich unter den visuellen Bedingungen der Avatare und der Hintergrundfläche des Chat-Programms Palace vollzieht. In telematischen Internet Performances hingegen wird die Dreidimensionalität der Körper und des Raumes in die Zweidimensionalität einer digitalisierten, bewegten Bildfolge transformiert. Differenzierungen müssen für Produktionen wie das Cassandra Project, World Wide Simultaneous Dance und J-B-2Z getroffen werden, bei denen einzelne Teilnehmergruppen mit den Darstellern denselben physischen Raum teilen. In diesem Prozess vom Körper zur Schrift, von Körperlichkeit zu Bildlichkeit stellen sich nun Fragen nach der Rolle und Funktion, die der Körper in den verschiedenen Kategorien von Internet Performances übernimmt. Ausgehend von den grundlegenden Transformationen, die textbasierten und telematischen Internet Performances zugrunde liegen – die Transformation vom Körper zur Schrift sowie von der Körper- zur Bildlichkeit – werden die aktuellen Diskurse um Schrift, Körper und (das theatrale) Bild in ihrer Relevanz für Internet Performances diskutiert (vgl. Kap. 4.3.1). Bedingt durch die Auflösung der physischen Kopräsenz von Darstellern und Zuschauer wird für die telematische Kommunikation relevant, inwiefern Internet Performances als ›live‹ begriffen werden können, was Telematik als Kommunikationsform kennzeichnet und welche Relevanz das Konzept der Telepräsenz für die einzelnen Aufführungen hat (vgl. Kap. 4.3.2). Darauf aufbauend stellt sich dann die Frage, wie sich die telematische Kommunikation, die Auflösung der physischen Kopräsenz, die Verschriftlichung und Verbildlichung der Körper auf die Wahrnehmung der Rezipienten auswirkt (vgl. Kap. 4.3.3).

165. Vgl. Balme, Christopher: Stages of Vision: Bild, Körper und Medium im Theater. In: Belting, Hans/Kamper, Dietmar/Schulz, Martin (Hrsg.): Quel Corps? Eine Frage der Repräsentation. München: Fink, 2002, S. 349-363: S. 351. 166

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4.3.1 Vom Körper zur Schrift, von Körperlichkeit zu Bildlichkeit In den verschiedenen Kategorien von Internet Performances übernimmt der Körper unterschiedliche Rollen und Funktionen. Diese veränderten Darstellungsmodi über Schriftlichkeit, Körperlichkeit und Bildlichkeit in den einzelnen Kategorien können über Ansätze in aktuellen theoretischen Positionen bestimmt werden. Die folgende Argumentation nimmt ihren Ausgang in der veränderten Funktion von Schriftlichkeit in der online-Kommunikation, die für die Kommunikationsprozesse der textbasierten Internet Performances von Bedeutung ist. Anschließend sollen die Modelle des ›semiotischen‹ und ›phänomenalen‹ Körpers und damit verbunden die Konzepte von Präsenz und Repräsentation in der theatralen Kommunikation diskutiert werden. Hintergrund dieser beiden Modelle ist eine methodologische Diskussion, die sich nicht primär zwischen Semiotik und Phänomenologie bewegt, sondern vielmehr zwischen der Semiotik, dem Diskurs des Performativen, der nicht mit der phänomenologischen Perspektive gleichgesetzt werden kann, und der Anwendung beider Perspektiven innerhalb der Theaterwissenschaft. Diese methodologischen Fragen stellen sich auch für bildtheoretische Fragen im Theater generell und für die Frage nach der Bildlichkeit von Internet Performances im Besonderen, die im letzten Schritt diskutiert werden sollen.

Schrift im aktuellen theoretischen Diskurs Der Computer und das elektronische Schreiben können kulturgeschichtlich innerhalb der Technologien des Schreibens eingeordnet werden.166 Alle Prozesse, die in einem Computer ablaufen, begreift Jay David Bolter als Vorgänge des Lesens, des Chiffrierens und erneuten Dechiffrierens. Als neue Technologie des Schreibens produziert der Computer Texte, die durch »impermanence and changeability«, durch eine »fluidity and an interacitve relationship between writer and reader«167 charakterisiert sind. Der Computer als »visual writing space«168 ermöglicht es, hierarchisches und assoziatives Denken beim elektronischen Schreiben zu verbinden.

166. Vgl. Bolter, Jay David: Das Internet in der Geschichte der Technologien des Schreibens. In: Münker, Stefan/Roesler, Alexander (Hrsg.): Mythos Internet, a.a.O., S. 37-55: S. 37ff. 167. Bolter, Jay David: Writing Space. The Computer, Hypertext, and the History of Writing. Hillsdale: Lawrence Erlbaum, 1991, S. 3, vgl. S. 10f. 168. Ebd., S. 15, vgl. S. 10, 25. 167

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»Electronic text is the first text in which the elements of meaning, of structure, and of visual display are fundamentally unstable.«169 In seinen Anwendungsmöglichkeiten und seinen Qualitäten verändert der Computer letztlich auch unsere Haltung gegenüber den »technologies for ephemeral writing.«170 Als eine solche Form des ephemeren Schreibens kann die Kommunikation der textbasierten Internet Performances begriffen werden. Sie kann mit dem Schreiben in hypertextuellen Systemen wie dem WWW zusammenfallen, muß es jedoch nicht. Durch kollektive Produktionsmodi und Formen automatisierter Textgenerierung ermöglicht das Internet nach Christiane Heibach eine Veränderung der »literarischen Kulturtechnik des Schreibens«.171 Da auch Programme als Texte auf einer höheren Abstraktionsebene als Texte angesehen werden können, differenziert die gemeinsame Arbeit vieler Internetbenutzer an den Quellcodes als Form des vernetzten Schreibens sowohl den Begriff des Autors als auch die Frage nach dem Urheberrecht.172 Diese Form, die Konventionen des Internets einzusetzen, finden in Internet Performances jedoch keine Anwendung. Die traditionellen Grenzziehungen zwischen Schrift, Sprache und Bild werden durch die semiotischen Praktiken, die sich im Internet entwickeln, tiefgreifend verändert.173 Wie Sandbothe herausgestellt hat, verflechten sich ihre bisherigen Differenzkriterien. Schrift übernimmt im vernetzten Mediensystem des Internets zentrale Funktionen der Sprache; Schreiben und Lesen nehmen bildhafte Vollzüge an.174 Seine Thesen können direkt auf die Prozesse der Verschriftlichung theatraler Interaktion, die Funktion der Schrift und ihrer Verbildlichung in textbasierten Internet Performances übertragen werden (vgl. Kap. 5.1.2). Wie Bolter herausstellt, sind Veränderungen in den Technologien des Schreibens eng

169. 170. 171. 172. 173.

Ebd., S. 31. Ebd., S. 55. Heibach, Christiane: Schreiben im World Wide Web, a.a.O., S. 182-207: S. 204. Vgl. ebd., S. 205f. Vgl. Sandbothe, Mike: Bild, Sprache und Schrift im Zeitalter des Internet. http:// www.uni-jena.de/ms/bild.html (Zugriff am 02.05.2001) Ebenfalls erschienen in: Hubig, Christoph/Poser, Hans (Hrsg.): Cognitio Humana. Dynamik des Wissens und der Werte. Akten des XVII. Deutschen Kongresses für Philosophie. Workshopbeiträge Bd. 1. Berlin: Akad.-Verl., 1997, S. 421-428. 174. Vgl. ders.: Theatrale Aspekte des Internet, a.a.O., S. 218, 220. 168

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»mit Veränderungen der Art und Weise der Selbstbestimmung verknüpft, da wir uns selber in und durch Akte der Repräsentation und der Kommunikation verstehen.« 175 Diese Veränderungen auf kultureller Ebene reflektieren textbasierte Internet Performances durch die Art und Weise, in der sie qua Schrift Fragen der Repräsentation des Körperlichen und seiner Inszenierung kommentieren.

Körper im aktuellen theoretischen Diskurs Wie in anderen Theaterformen nimmt auch in Internet Performances der Körper eine zentrale Position ein. Dies gilt auch für textbasierte Internet Performances, in denen sich durch seine Abwesenheit – man könnte geradezu von seiner Negation sprechen – umzu fordernder die Frage nach dem Körperlichen stellt. Bewertungen jüngerer Formen der Medienkünste werden jedoch oftmals auf der Basis unreflektierter ideologischer Wertungen vorgenommen. Gerade in der Art, wie die Transformationen des Körperlichen beschrieben werden, wird bereits die Grundlage für die spätere Bewertung von Internet Performances gelegt. So wird beispielsweise allein, weil Darsteller und ehemalige Zuschauer nicht mehr ein und denselben Raum teilen, die Kommunikation weder zwangsläufig körperlos noch stellen Internet Performances damit die Existenzberechtigung anderer Theaterformen in Frage. Besonders um den Körper und seine Präsenz kreist momentan ein Diskurs, der die Kommunikation in Internet Performances aufgrund ihrer Auflösung der physischen Kopräsenz ablehnen muß. Umgekehrt kann jedoch genau die Auflösung der physischen Kopräsenz und die Etablierung bisher weitgehend unbekannter Formen einer telepräsentischen Kommunikation das Bewusstsein um die spezifischen Qualitäten der einzelnen Formen von (Tele-)Präsenz erhöhen. Die Basis für eine solche, in alle Deutungsrichtungen sich offen haltende Bewertung liegt insbesondere in der theoretischen Perspektive auf den Körper und seiner kulturellen Bedeutung (vgl. Kap. 6.3.2, 7.2.4). Eine paradigmatische Funktion für unser Verständnis von Kultur kommt dem Körper in der Argumentation von Thomas Csordas zu. Kultur werde im menschlichen Körper begründet, Verkörperung sei ihr existentieller Grund.176 Wird der Körper radikal ins Zentrum kultureller Fragen gestellt, ändert sich nicht nur der Kulturbegriff als solcher, sondern auch die damit verbundenen Vorstellungen von Identität und

175. Bolter, Jay David: Das Internet in der Geschichte der Technologien des Schreibens, a.a.O., S. 52. 176. Vgl. Csordas, Thomas: Introduction: The Body as Representation and Being-in-theworld, a.a.O., S. 6, 12. 169

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Erfahrung.177 Im Sinne der von Helmuth Plessner geprägten Dialektik von Körper-Haben und Leib-Sein spricht Csordas vom Körper als Repräsentation und being-in-the-world. Diese Unterscheidung zwischen Kultur als »objectified abstraction and existential immediacy« birgt eine methodologisch kritische Unterscheidung. »Representation is fundamentally nominal, and hence we can speak of ›a representation.‹ Being-in-the-world is fundamentally conditional, and hence we must speak of ›existence‹ and ›lived experience‹.«178 Fragen der Repräsentation und Textualität ordnet Csordas der Semiotik zu, Fragen der Verkörperung hingegen der Phänomneologie. Beide Paare – Semiotik/textuality und Phänomenologie/embodiment – sieht er als dialektische Partner.179 Wurden Semiotik und Phänomenologie aus wissenschaftshistorischen Gründen180 lange Zeit immer wieder gegeneinander ausgespielt,181 so repräsentiert die beide Methoden verbindende Haltung von Csordas weitgehend den momentanen Status Quo im wissenschaftlichen Diskurs.182 Von Bedeutung muß hier vor allem sein, die Methode nach der zu beantwortenden Fragestellung auszuwählen. Die Frage nach der phänomenologischen Methode in der Theaterwissenschaft darf jedoch nicht mit Diskurs des Perfomativen gleich-

177. Vgl. ebd., S. 4. 178. Ebd., S. 10. 179. Vgl. ebd., S. 12. – Vgl. Sampson, Philip: Die Repräsentation des Körpers. In: Rötzer, Florian (Hrsg.): Die Zukunft des Körpers I, a.a.O., S. 94-111. 180. So hält Stanton Garner die rigide Opposition zwischen Zeichen und Phänomen nicht nur für unnötig, sondern begreift sie auch als »theoretically untenable, the product of philosophical and theoretical traditions that have forced themselves onto mutually divergent paths.« Garner, Stanton: Bodied Spaces. Phenomenology and Performance in Contemporary Drama. Ithaca: Cornell University Press, 1994, S. 16. 181. Beispielsweise bei John Harrop: »So the semioticians attempted to play God, halt the passing moment of theatre in its tracks, frame it and from the concrete signs thus produced, create a vocabulary of signs by which that moment, and all the interrelated moments of the theatrical event, could be analysed and made to reveal how they produced their mysteries.« Harrop, John: Acting. London: Routledge, 1992, S. 11. 182. So fordert auch Anne Fleig, semiotische und performative Körperkonzepte sollten einander ergänzen. Vgl. Fleig, Anne: Körper-Inszenierungen: Begriff, Geschichte, kulturelle Praxis. In: Fischer-Lichte, Erika/Fleig, Anne (Hrsg.): Körper-Inszenierungen. Präsenz und kultureller Wandel. Tübingen: Attempto, 2000, S. 7-17: S. 8. Vgl. ebd., S. 11. 170

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gesetzt werden. Dieser Diskurs greift mit der Frage nach der Sinnlichkeit der Materialitäten und seiner Argumentation über den als ›phänomenal‹ bezeichneten Körper lediglich Aspekte der phänomenologischen Methode auf.183 Theoretischer Referenzpunkt ist vor allem Maurice Merleau-Pontys Bestimmung des Leibes als grundlegendes Medium der Teilhabe an der Welt. Der Bezug von Wahrnehmung und Leib wird zur Bedingung der Erkenntnis von Welt. In der Beziehung zwischen Körper und Geist gibt es für Merleau-Ponty nichts Primäres oder Sekundäres.184 Jeder menschliche Zugriff auf die Welt erfolgt mit dem Körper, kann nur als verkörperter erfolgen. Fischer-Lichte fasst diese Position wie folgt zusammen: »Der Körper wird hier nicht nur als Objekt oder Ursprungsort und Medium von Symbolisierungsprozessen betrachtet, nicht nur als Oberfläche für und Produkt von kulturellen Einschreibungen, sondern auch und vor allem als leibliches In-der-Welt-Sein.«185 In Anlehnung an Csordas begreift Fischer-Lichte den Körper als »Agent produktiver Körper-Inszenierungen.«186 Der phänomenale Körper stellt erst die Bedingung der Möglichkeit dar, den Körper als »Objekt, Thema, Quelle von Symbolbildungen, Produkt kultureller Einschreibungen u.ä.«187 zu verstehen. Er geht jedoch nie ganz im Konzept des semiotischen Körpers auf.188 Diese Perspektive soll mit dem Begriff der Verkörperung bezeichnet sein, der auf das von Merleau-Ponty als chair beschriebene surplus zielt und nach Ficher-Lichte zu einer kulturwissenschaftlichen Leitkategorie avanciert.189 Während die Semiotik nach den Bedingungen der Möglichkeit für die Entstehung von Bedeutung fragt und unterschiedliche Semiosen in den Blick nimmt, so stehen nach Fischer-Lichte beim Performativen seine Fähigkeit der Wirk-

183. Zu den historischen Ursprüngen des Diskurses sowie den Begriffsschichten vgl. Fischer-Lichte, Erika/Kolesch, Doris: Vorwort.In: dies. (Hrsg.): Kulturen des Performativen, a.a.O., S. 9. 184. Vgl. Merleau-Ponty, Maurice: Das mittelbare Sprechen und die Stimmen des Schweigens. In: ders.: Das Auge und der Geist: Philosophische Essays. Hamburg: Meiner, 1984, S. 69-114: S. 113. 185. Fischer-Lichte, Erika: Verkörperung/Embodiment. Zum Wandel einer alten theaterwissenschaftlichen in eine neue kulturwissenschaftliche Kategorie. In: dies.: Ästhetische Erfahrung: Das Semiotische und das Performative. Tübingen, S. 301-309: S. 307. 186. Ebd., S. 307. – Vgl. Csordas, Thomas: Introduction, a.a.O., S. 3. 187. Fischer-Lichte, Erika: Verkörperung/Embodiment, a.a.O., S. 308. 188. Vgl. ebd., S. 305. 189. Vgl. ebd., S. 306f., 309. 171

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lichkeitskonstitution, seine Selbstreferentialität, seine Ereignishaftigkeit und die Wirkung, die es ausübt, im Vordergrund. »Das Semiotische ist auf das Performative bezogen, insofern dieses eine wesentliche Bedingung für die Möglichkeit von Bedeutungserzeugung darstellt. Und das Performative kann des Semiotischen nicht entraten, insofern seine wirklichkeitskonstituierenden Akte und die Wirkung, die sie bei den Beteiligten hervorrufen, wenigstens zum Teil auf spezifische Prozesse der Bedeutungserzeugung […] zurückgehen.«190 Aufführungen repräsentieren also zuallererst ihre eigene Performativität und Ereignishaftigkeit. Reflexivität ist nach Roselt die Grundbedingung, um von Performanz sprechen zu können.191 »[D]ie Aufführung vermag nur als Repräsentation zu fungieren, indem sie performative Prozesse vollzieht, aus denen Ereignisse entstehen. Der Begriff der Repräsentation ist in diesem Sinne im Hinblick auf Aufführungen immer auf Performativität und Ereignis bezogen.«192 Auf dieser Basis erlaubt die Perspektive des Performativen nicht nur eine »Aufwertung des Visuellen und Akustischen«,193 sondern verabschiedet sich auch vom Modell einer finiten Bedeutungserzeugung. Für die Frage nach der Körperlichkeit in den verschiedenen Kategorien von Internet Performances ermöglicht die Perspektive des Performativen, die sinnlichen Qualitäten des Körperlichen und ihrer Transformationsprozesse kritisch zu hinterfragen. Dies betrifft insbesondere neu entstehende Formen von körperlicher Anwesenheit in den verschiedenen Kategorien. Trotz der dominanten Position von Technologie in Internet Performances bleibt diese Theaterform als humancomputer-human-interaction weiterhin an die Körperlichkeit der Produzenten gebunden. Hierin liegt ihre Differenz zur Netzkunst begründet. In der »Betonung des Wechselverhältnisses zwischen vorsprachlicher Aisthesis und kultureller Konstruktion«194 kann der Körper nicht mehr als eine »fixed, material entity«195 angesehen werden, die unabhängig

190. Dies.: Zwischen »Text« und »Performance«, a.a.O., S. 20. 191. Vgl. Roselt, Jens: Hellerauer Gespräche: Maschinen, Medien, Performances. Interaktion von Mensch und Maschine zwischen Anthropomorphisierung und technologischer Evolution. In: Leeker, Martina (Hrsg.): Maschinen, Medien, Performances, a.a.O., S. 759-771: S. 762. 192. Fischer-Lichte, Erika: Performativität und Ereignis. In: dies.: Ästhetische Erfahrung, a.a.O., S. 323-343: S. 342. 193. Roselt, Jens: ›Kulturen des Performativen‹, a.a.O., S. 625. 194. Fleig, Anne: Körper-Inszenierungen, a.a.O., S. 11f. 195. Csordas, Thomas: Introduction, a.a.O., S. 1. 172

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von kulturellem Wandel existiert. In dieser Position bietet sich die Möglichkeit, kontingente Körper- und Identitätskonzepte und ihre Verkörperung sowie kritische Reflexion in Internet Performances zu untersuchen. Das Modell des Posthumanen beispielsweise begreift nach Hayles den Körper als Teil eines »integrated information/material circuit that includes human and nonhuman components.« Der virtuelle Körper habe hier sowohl an der »ephemerality of information« als auch der »solidity of physicality«196 teil. Diese Vorstellung liegt beispielsweise den Performances von Kac und Stelarc zugrunde (vgl. Kap. 6.3). Die Diskussion von Körperlichkeit in den verschiedenen Kategorien von Internet Performances kann zur Modelldiskussion der Konzepte des semiotischen und des phänomenalen Körpers werden.

Bild im aktuellen theoretischen Diskurs Die methodologische Gretchen-Frage nach der Semiotik und der Phänomenologie bestimmt teilweise auch den bildtheoretischen Diskurs. Seit den 60er Jahren haben nach Oliver Scholz Erörterungen des Bildbegriffs exponentiell zugenommen. Durch diese transdiziplinären Bemühungen wurden differenzierte Bildtheorien entworfen, bei denen sich die Phänomenologie/Psychologie und die Semiotik gegenüberstehen.197 Ähnlich ihrer Polarisierung in anderen Disziplinen beruht ihre Differenz auch in der Bildtheorie hauptsächlich auf unterschiedlichen Fragestellungen danach, was die Erfahrung von Bildern kennzeichnet, wann Bilder als Zeichen begriffen werden können und worin sie sich dann von anderen Zeichen unterscheiden.198 »Vermeidet man beide Extreme, dann verhalten sich Einsichten über die Phänomenologie der Bilderfahrung und Beschreibungen der Strukturen und Funktionen bildhafter Zeichensysteme offenbar komplementär zueinander.«199 Über die Frage ›Was heißt es, Bilder zu verstehen?‹ könnten nach

196. Hayles, N. Katherine: Embodied Virtualities: Or How to Put Bodies Back into the Picture. In: Mary Anne Moser (Hrsg.): Immersed in Technology, a.a.O., S. 1-28: S. 12. 197. Vgl. Scholz, Oliver: Bild. In: Barck, Karlheinz (Hrsg.): Ästhetische Grundbegriffe: Historisches Wörterbuch in sieben Bänden. Stuttgart: Metzler, 2000, S. 618-669: S. 667f. 198. Vgl. ebd. – Als Beispiel für die unnötig polarisierende Diskussion, der letztlich ein mangelndes methodologisches Bewusstsein zugrundeliegt, das die Grenzen jeder Methode mit den Grenzen der Semiotik verwechselt, kann James Elkins gelten. Vgl. Elkins, James: On Pictures and the Words That Fail Them. Cambridge: Cambridge University Press, 1998. Beispielsweise S. xi, 5. 199. Scholz, Oliver: Bild, a.a.O., S. 668. 173

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Scholz beide Ansätze miteinander verbunden werden.200 Im Unterschied zur ontologisch orientierten Frage ›Was ist ein Bild?‹201 soll im Folgenden davon ausgegangen werden, dass die Frage nach dem Bild nicht unabhängig von seiner medialen Existenzweise beantwortet werden kann.202 In dieser Notwendigkeit findet sich auch die auffällige rhetorische Häufung im bildtheoretischen Diskurs begründet, nach dem ›Bild als etwas‹ zu fragen.203 Für eine transdisziplinär akzeptable Definition des Bildbegriffs stellen sich ähnliche Schwierigkeiten wie bei der Definition des Medienbegriffs. Beim Bildbegriff liegt die Schwierigkeit bereits in der Doppeltheit innerer und äußerer Bilder, den die englische Sprache über image und picture zu unterscheiden vermag, und die Belting als anthropologische Fundierung der Bildfrage begreift.204 Dem Prozess des Bildverstehens liegt dabei eine Negation als elementarer Akt zugrunde.205 Im Folgenden soll die Position von

200. Vgl. ders.: Was heißt es, ein Bild zu verstehen? In: Sachs-Hombach, Klaus/Rehkämper, Klaus (Hrsg.): Bild-Bildwahrnehmung-Bildverarbeitung. Interdisziplinäre Beiträge zur Bildwissenschaft. Wiesbaden: DUV, 1998, S. 105-117. 201. Vgl. Boehm, Gottfried (Hrsg.): Was ist ein Bild? München: Fink, 21995. – Zum Ursprung ontologischer Definitionen des Bildes als Nicht-Seiendem bei Platon vgl. Böhme, Gernot: Theorie des Bildes, a.a.O., S. 14ff. 202. Vgl. »L’image en général n’existe pas.« Stiegler, Bernard: L’Image Discrète. In: Derrida, Jacques/Stiegler, Bernard: Échographies de la Télévision. Entretiens filmés. Paris: Éditions Galilée, 1996, S. 161-183: S. 165. – Vgl. Böhme, Gernot: Theorie des Bildes, a.a.O., S. 27. 203. Vgl. beispielsweise Wiesing, Lambert: Die Sichtbarkeit des Bildes. Geschichte und Perspektive der formalen Ästhetik. Reinbek: Rowohlt, 1997 (= re 579), S. 18f., 23, 160, 170, 175. Oder Boehm, Gottfried: Die Wiederkehr der Bilder, a.a.O., S. 12, 18. Abhängig von der metaphorischen, poetischen etc. Leistung von kontingenten Bildformen könne die Geschichte der Erkenntnistheorie nach Blasius »als Variation von Antworten auf die Frage, wie sich das Bild konstituiert«, geschrieben werden. Blasius, Jürgen: Einleitung. In: Bohn, Volker (Hrsg.): Bildlichkeit. Frankfurt: Suhrkamp, 1990 (= Internationale Beiträge zur Poetik; Bd. 3), S. 7-14: S. 7. Vgl. ebenfalls: Hogrebe, Wolfram: Bild (Abschnitt II) In: Ritter, Joachim (Hrsg.): Historisches Wörterbuch der Philosophie. Bd. 1: A-C. Basel: Schwabe, 1971, S. 915-919. 204. Vgl. Belting, Hans: Bild-Anthropologie, a.a.O., S. 11. – So unterscheidet auch Stiegler das image-mentale vom image-objet, wobei sich ersteres immer nur in Interaktion mit einer spezifischen Wahrnehmungsform verkörper. Vgl. Stiegler, Bernard: L’Image Discrète, a.a.O., S. 165. – Vgl. ebenfalls Aumont, Jacques: L’Image. Paris: Éditions Nathan, 1990, S. 3. 205. »Die Entstehung von Bildlichkeit besteht aus einem Isolationsvorgang; die Sichtbarkeit einer Sache wird von der substantiellen Anwesenheit dieser Sache getrennt, abgekoppelt und isoliert präsentiert.« Wiesing, Lambert: Die Sichtbarkeit des Bildes, a.a.O., S. 161. Vgl. auch Brandt, Reinhard: Die Wirklichkeit des Bildes. 174

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Hans Ulrich Reck eingenommen werden, der den Bildbegriff folgendermaßen charakterisiert: »Bilder sind biologisch weder vererb- noch speicherbar. Sie sind künstliche Produkte einer absichtsvollen Herstellung und werden in unterschiedlichen Vorgängen im Gehirn zu Gegenständen der Wahrnehmung, zuweilen auch zu Anreizen der Vorstellung. Sie eröffnen sich im lebendigen Vollzug oder bewähren sich in Automatismen, bleiben in diesem Falle also unbewußt. Aus solchen einfachen, naturgeschichtlichen Tatsachen leitet sich ab, daß Bilder nur kulturell gespeichert werden können. Kulturelle Speicher sind immer technisch geformt […].«206 Bilder im Unterschied zur kulturellen Speicherung als biologisch nicht vererb- und speicherbar zu begreifen, schließt beispielsweise die Position von Karlheinz Lüdeking aus, der Bilder auch als Resultat von Naturprozessen begreift.207 Nach Reck existieren Bilder nicht ohne Materialisierungen. Diese jedoch sind immer an bestimmte Medialitäten gebunden.208 Bilder dürfen nicht mit dem technischen Aspekt, unter dem sie sich verkörpern, verwechselt werden, wie Belting betont. »Da das Bild keinen Körper hat, braucht es ein Medium, in dem es sich verkörpert.« 209 Sie besitzen eine historische Zeitform, obwohl sie überhistorische Themen verdeutlichen. So kommt dem Bild immer eine mentale, dem Medium immer eine materiale Eigenschaft zu, »auch wenn sich beides für uns im sinnlichen Eindruck zur Einheit verbindet«210 und gerade

206.

207.

208. 209.

210.

Sehen und Erkennen. Vom Spiegel zum Kunstbild. München: Hanser, 1999, S. 14, 105. Reck, Hans Ulrich: Bildende Künste. Eine Mediengeschichte. In: Faßler, Manfred/ Halbach, Wulf (Hrsg.): Geschichte der Medien, a.a.O., S. 141-185: S. 141. – Für alternative Ansätze, den Bildbegriff zu definieren, vgl. beispielsweise Seel, Martin: Dreizehn Sätze über das Bild. In: ders.: Ästhetik des Erscheinens. München Fink, Hanser 2000, S. 255-293. Vgl. Lüdeking, Karlheinz: Pixelmalerei und virtuelle Fotografie: Zwölf Thesen zum ontologischen Status von digital codierten Bildern. In: Spielmann, Yvonne/Winter, Gundolf (Hrsg.): Bild-Medium-Kunst. München: Fink, 1999, S. 143-148: S. 143. Seine Position geht auch von einem engen Bildbegriff aus, indem er hergestellte Bilder als »markierte Flächen« bestimmt, vgl. ebd., S. 143. Vgl. Reck, Hans Ulrich: Kunst durch Medien, a.a.O., S. 49. Belting, Hans: Bild-Anthropologie, a.a.O., S. 17. Vgl. ders.: Vorwort. Zu einer Anthropologie des Bildes. In: ders./Kamper, Dietmar (Hrsg.): Der zweite Blick, a.a.O., S. 7-10, S. 17. Vgl. ebd., S. 20f., 23. Ders.: Bild-Anthropologie, a.a.O., S. 29, vgl. S. 33. 175

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die Ambivalenz zwischen dem bildlichen und dem medialen Aspekt in der Kunst als besonderer Reiz auf die Wahrnehmung eingesetzt werde (vgl. Kap. 7.5). Die Bildproduktion kann also als symbolische Handlung, die Bildwahrnehmung als Akt einer Animation und das Bild schließlich als Resultat dieses Wechselspiels zwischen Symbolisierung, Bildtechnik und Medialität angesehen werden.211

Die Frage des Bildes im Theater Im Theater und seinen historischen und kulturellen Formen steht die Frage nach dem Bild in direkter Verbindung zur Frage nach dem Körper. »Der Wechsel der Bilderfahrung drückt auch einen Wechsel der Körpererfahrung aus, weshalb sich die Kulturgeschichte des Bildes in einer analogen Kulturgeschichte des Körpers spiegelt.«212 Die fehlende Diskussion bildtheoretischer Fragen in der Theaterwissenschaft nennt Balme einer ihrer »merkwürdigen fachgeschichtlichen Entwicklungen.«213 Vom ›theatralen Bild‹ zu sprechen, bietet sich nicht zwangsläufig an, da eine solche Bezeichnung gegenüber anderen, wie dem ›bewegten Bild‹, dem ›televisuellen Bild‹, dem ›digitalen Bild‹ etc., nicht immer trennscharf ist und gleichzeitig implizit von einem generellen Konzept ausgeht. Neben der Szenographie stellt für eine bildtheoretisch interessierte Theaterwissenschaft vor allem der Schauspieler »als Mittler zwischen Wort und Bild und Fokalpunkt des spektatorischen Blicks«214 im Zentrum des Erkenntnisinteresses, so Balme. »Ob als phänomenologischer Garant des liveness oder als semiotischer Kreuzungspunkt unterschiedlichster Zeichensysteme, der Schauspieler, oder besser sein Körper, ist Bildmedium und Bild zugleich, materielle Eigenschaft und Signifikantenpraxis. Der Schauspieler ist Bild-Körper-Medium in einem […].«215 Die Frage der bildlichen Repräsentation im Theater lässt sich nach Balme, adäquat nur »mediengeschichtlich oder vielleicht sogar inter-

211. Vgl. ebd., S. 11, 13, 19f., 30. 212. Ebd., S. 23. 213. Balme, Christopher: Stages of Vision, a.a.O., S. 349. – So wird die grundsätzliche Frage nach dem theatralen Bild zwar, wenn auch nur in einem Titel, genannt, jedoch nicht diskutiert. Vgl. Clay, James H./Krempel, Daniel: The Theatrical Image. Toronto: McGraw-Hill, 1967. 214. Balme, Christopher: Stages of Vision, a.a.O., S. 351. 215. Ebd. 176

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medial erfassen.«216 Es gebe keine medienspezifische Bilddimension im Theater außer in einer besonderen historisch bedingten intermedialen Verknüpfung. »Die Bildfrage im Theater ist immer in einer Dialektik von belebtem und unbelebten Dimensionen befangen. Der Körper des Darstellers ist, als Kostümträger, durchaus Bildmedium, als lebender Mensch jedoch entzieht er sich jedoch [sic] der Bebilderbarkeit.« 217 Dabei betrifft die Frage nach dem Bild den gesamten Bereich der Diegese. Alle Ansätze, die von einem engen, auf das klassische Tafelbild begrenzten Bildbegriff ausgehen, wie beispielsweise Thomas Kirchner, greifen für die Frage nach der Bildlichkeit des Theaters zu kurz.218 Wenig fruchtbar ist auch Peter Simhandls Ansatz, tautologisch von einem »Bildertheater« oder einem »Theater der Bilder«219 zu sprechen. Seine Untersuchung nimmt ihren Ausgang zwar vollkommen richtig in der gewandelten Funktion und Bedeutung, die der Szenographie im Laufe des 20. Jahrhunderts zukommt und nun zum integralen Bestandteil der Inszenierung wird.220 In seinem Versuch, den Begriff ›Theater der Bilder‹ zu bestimmen, formuliert Simhandl jedoch erstens Kriterien, die nicht trennscharf sind, und geht hierbei zweitens ex negativo vor. Der Begriff des ›Bildertheaters‹ oder des ›Theaters der Bilder‹ weist damit zwar auf ein Forschungsdefizit hin, kann aber allenfalls als idealtypische Kategorie verstanden werden.221 Von Bild im Singular auszugehen, impliziert immer auch die Vorstellung, einzelne Bilder voneinander abgrenzen zu können. Bis auf

216. Ebd. 217. Ebd. 218. Diese Haltung vertritt Kirchner, indem er behauptet, der Anwendung des Bildbegriffs auf theatrale Formen seien Grenzen gesetzt. »Das Bild ist ein ›Gegenstand‹, Theater ein aktuell sich vollziehendes Spiel. Das Bild dauert, Theater ist ein dynamischer Vollzug.« Vgl. Kirchner, Thomas: Loca und Platea. Zur Bildlichkeit des mittelalterlichen Spiels. In: TZS 20, No. 2 (1987), S. 33-42: S. 33. – Tendenziell vertritt auch Lehmann einen engen Bildbegriff, indem er ›Bild‹ ›Theater‹ gegenüberstellt. Vgl. Lehmann, Hans-Thies: Postdramatisches Theater, a.a.O., S. 365, 401. 219. Simhandl, Peter: Bildertheater: Bildende Künstler des 20. Jahrhunderts als Theaterreformer. Berlin: Gadegast, 1993, S. 6, 9. 220. An anderer Stelle weist Lehmann zurecht auf den Zusammenhang zwischen bildender und darstellender Kunst hin: »Mit der Autonomisierung der Bilderfahrung in der Moderne war die Voraussetzung dafür gegeben, daß die Szene sich konzeptionell der Bildlogik annäherte und sich folglich die dem Bild eigentümliche Rezeptionsweise in gewissen Grenzen zueignete.« Lehmann, Hans-Thies: Postdramatisches Theater, a.a.O., S. 294. 221. Vgl. ebd., S. 8f. 177

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einige Theaterfomen, in denen dies über szenographische Elemente gelingen könnte, bietet sich dieser Ansatz für die bildtheoretisch fragende Theaterwissenschaft nicht an.222 Stattdessen soll im Folgenden von der Bildlichkeit bestimmter Theaterformen gesprochen werden. Hierfür können übergreifend nur einzelne Kriterien definiert werden: Theatrale Bildlichkeit erstreckt sich in der Zeit, kann sowohl zwei- als auch dreidimensionale visuelle Komponenten enthalten und ist – insbesondere aus medientheoretischer Perspektive – heterogen zusammengesetzt. Die Frage nach der Bildlichkeit von Internet Performances kann von ihrer Medialität ausgehen, um darauf aufbauend die intermediale Mischung von Bildmedien mit formalen und inhaltlichen Funktionen zu bestimmen.223 Aus dieser Perspektive werden dann Fragen danach relevant, wie eine bestimmte Form von Bildlichkeit überhaupt erst möglich wird, wie sie charakterisiert werden kann und wie sie Wirkung erzeugt.224 In den einzelnen Kategorien von Internet Performances lassen sich dabei je andere Verhältnisse zwischen inneren und äußeren Bildern erkennen. Bildtheoretisch zu arbeiten, bedeutet dabei immer auch, Fragen des Bildes sprachlich meistern zu können. Der Körper der Darsteller als Bildträger und -produzent im Verhältnis zum Raum steht im Zentrum der Frage, wie die Bildlichkeit bestimmter Theaterformen charakterisiert ist. Die Körperlichkeit der Darsteller kann dabei phänomenal oder semiotisch begriffen werden. »Der Körper einer Schauspielerin oder eines Tänzers produzieren und sind Zeichen, sie sind Zeichen-Körper, semiotische Körper. Sie sind aber zugleich Medium, Materialität und Leibhaftigkeit, Signifikanten, die niemals ganz im Zeichen aufgehen bzw. ihre Zeichenfunktion immer schon überschritten haben.«225 Aus semiotischer Perspektive kann also nach der Art der Zeichenverwendung in den verschiedenen Kategorien von Internet Performances – ob also beispielsweise die performative oder referentielle Funktion dominiert, nach dem Verhältnis zwischen einzelnen Zeichenformen, nach semiotischen Prozessen innerhalb kultureller Systeme (beispielsweise der Sprache, Schrift etc.), ihren Verhältnissen untereinan-

222. Eine Ausnahme stellt die theaterwissenschaftliche Ikonographieforschung dar. Vgl. beispielsweise Balme, Christopher: Interpreting the Pictorial Record: Theatre Iconography and the Referential Dilemma. In: Theatre Research International Vol. 22, No. 3 (Autumn 1997), S. 190-201. 223. Vgl. Balme, Christopher: Stages of Vision, a.a.O., S. 360. 224. Die Bedeutung der Wirkung von Bilder wird besonders von Mitchell betont. Vgl. Mitchell, William J.T.: Iconology, Image, Text, Ideology. Chicago: University of Chicago Press, 1986, S. 1. 225. Fleig, Anne: Körper-Inszenierungen, a.a.O., S. 12. 178

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der sowie möglicher Restrukturierungen sowie den Auswirkungen dieser Re-/Strukturierungen auf Wahrnehmung und Erkenntnis (beispielsweise Dominanzverschiebungen zwischen der pragmatischen und semantischen Ebene) – gefragt werden.226 In der Spannung zwischen dem semiotischen und dem phänomenalen Körper thematisiert das Theater den präsenten und repräsentierten Körper im Verhältnis zur Leiblichkeit der Zuschauer. Methodologisch steht hinter diesen beiden Fluchtlinien das Verhältnis von Phänomenologie und Theaterwissenschaft. Angesichts einer Disziplin mit einer großen historischen Tradition verwendet Bert States als prominentester Vertreter der Theaterphänomenologie den Begriff ›phänomenologisch‹ nicht im Sinne einer philosophischen Disziplin, sondern als »mode of thought and expression the mind naturally adopts when questions relating to our awareness of being and appearance arise.«227 Hinter dieser Einschränkung verbirgt sich das Wissen um die Unmöglichkeit, die Vielfalt des Wahrzunehmenden im Theater und seiner zahlreichen Formen, die ungleich komplexer als bei anderen kulturellen Ausdrucksformen, beispielsweise beim Tafelbild, ist, phänomenologisch zu erfassen.228 Auch States spricht sich vehement für eine komplementäre Behandlung von Semiotik und Phänomenologie aus. So plädiert er für eine ›binocular vision‹, die methodisch jedoch nur sukzessiv funktionalisierbar ist.229 Verbindet man in einer medienwissenschaftlich ausgerichteten Theaterwissenschaft zeichentheoretische und performative Körperkonzepte, so eröffnet sich die Möglichkeit, eine Ästhetik für Internet Performances als eine Ästhetik des Performativen innerhalb einer Kulturgeschichte des Theaters zu schreiben. Eine solche Ästhetik des Per-

226. Vgl. Fischer-Lichte, Erika: From Theatre to Theatricality. How to Construct Reality. In: dies.: The Show and the Gaze of Theatre, a.a.O., S. 61-72: S. 69f. 227. States, Bert: The Phenomenological Attitude. In: Janelle Reinelt/Joseph Roach (Hrsg.): Critical Theory and Performance. Ann Arbor: The University of Michigan Press, 1992, S. 369-379: S. 378. 228. Garner spricht deshalb im Plural von Theaterphänomenologien. Vgl. Garner Jr., Stanton: Bodied Spaces, a.a.O., S. 2. 229. Vgl. States, Bert O.: The Phenomenological Attitude, a.a.O., S. 374. Und: ders.: Great Reckonings in Little Rooms. On the Phenomenology of Theatre. Berkeley: University of California, 1985, S. 8. – Eine Darlegung und Kritik der phänomenologischen Methode innerhalb der Theaterwissenschaft kann im Rahmen dieser Arbeit nicht geleistet werden. Es sei lediglich darauf hingewiesen, dass sich bei Sates bereits Probleme hinsichtlich seiner Abgrenzung von Zeichen und Bild ergeben, die er einander gegenüberstellt: »Unlike the sign, the image is unique and unreproducible (except as facsimile); whereas the sign is of no value unless it repeats itself […]« Vgl. ders.: Great Reckonings in Little Rooms, a.a.O., S. 25. 179

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formativen basiert auf dem Begriff der Körper-Inszenierung und markiert nach Fischer-Lichte/Fleig eine »neue Stufe der Reflexion«, die das »Spannungsverhältnis zwischen der leiblichen Materialität auf der einen und der Konstruktion des Körpers auf der anderen Seite«230 im aktuellen wissenschaftlichen Diskurs um den Körper bewusst aufgreift und die Prozesshaftigkeit künstlerischer und kultureller Praxis in ihrer leibgebundenen Gegenwärtigkeit fokussiert. Bezieht man in eine medienwissenschaftlich ausgerichtete Theaterwissenschaft zusätzlich zu dieser Verbindung zeichentheoretischer und performativer Körperkonzepte die bildtheoretische Perspektive mit ihrer Unterscheidung zwischen Bild und Kunstprodukt ein, so eröffnet sich die anthropologische Perspektive auf den von Belting herausgestellten Zusammenhang zwischen einem Wechsel der (theatralen) Bilderfahrung und der (theatralen) Körpererfahrung.231 In dieser Kombination der medienanthropologischen und ästhetiktheoretischen Perspektive auf Internet Performances könnte sich eine Möglichkeit bieten, die Rolle dieses Phänomens im Verhältnis von Kultur und Technologie im Übergang zum 21. Jahrhundert zu bestimmen.

4.3.2 Liveness, Telematik und Telepräsenz in Internet Performances »Sich mit dem leiblich erschließbaren Raum nicht zufrieden zu geben, dürfte ein generelles Kennzeichen menschlicher Kulturen sein«,232 formuliert Martin Seel für die Frage nach den erträumten wie realisierten Vorläufern heutiger Telepräsenz-Technologien. Ideengeschichtlich beginnt ihre Tradition nicht erst mit den okkulten Vorläufern der Telekommunikation und Erfindungen wie dem Cinéma Telegraphique (1900), dem Telephonoscope (1879) und der Sehenden Maschine von Christian Ries (1916), wie Oliver Grau herausstellt, sondern bereits mit der kunsthistorischen Tradition, Illusionsräume wie den Großen Kalvarienberg von Gaudenzio Ferrari in Varallo (1518-22) zu schaffen.233

230. Fleig, Anne: Körper-Inszenierungen, a.a.O., S. 11, vgl. S. 14. 231. Vgl. Belting, Hans: Bild-Anthropologie, a.a.O., S. 23. 232. Seel, Martin: Medien der Realität und Realität der Medien. In: Krämer, Sybille (Hrsg.): Medien, Computer, Realität, a.a.O., S. 244-268: S. 260. – Vgl. Grau, Oliver: Telepräsenz. Zur Genealogie und Epistemologie von Interaktion und Simulation. In: Gendolla, Peter et al. (Hrsg.): Formen interaktiver Medienkunst, a.a.O., S. 39-62. 233. Vgl. Grau, Oliver: Telepräenz. Zu Genealogie und Epistemologie von Interaktion und Simulation. In: Gendolla, Peter (Hrsg.): Formen interaktiver Medienkunst, a.a.O., S. 39-63: S. 46, 50ff. Vgl. ebenfalls ders.: Telepräsenz. Ferne erspüren, erfahren – körperlos, ein Traum. In: Simmen, Jeannot (Hrsg.): Telematik. NetzModerneNavigatoren. Köln: Buchhandlung Walter König, 2002, S. 41-51. 180

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Auch in theologischen Lehren lassen sich Vorläufer der Vergegenwärtigung auf Distanz finden.234 So kannte die mittelalterliche Scholastik das Paradigma der actio in distans, der Wirkung auf Distanz als göttlich-übermächtliche Handlung. Sowohl der Pfeile schleudernde Zeus in der Antike als auch der allmächtige Gott des Alten Testaments stehen hierfür als Urbilder.235 Die Frage der ›Fernanwesenheit‹ stellt sich für Internet Performances jedoch nicht erst bei der Möglichkeit, Situationen ferngesteuert zu verändern, wie in den Arbeiten von Kac und Stelarc, sondern bereits dann, wenn über das Internet Formen der Telekommunikation entstehen, in denen die einzelnen Teilnehmer visuell und akustisch repräsentiert werden. Was also kann unter ›live‹ verstanden werden, und inwieweit ist dieser Begriff für Internet Performances von Bedeutung? Was wird unter Telematik verstanden, was unter Telepräsenz? Und wie beeinflussen diese neuen Kommunikationsformen die Aufführungen? Um diese Fragen zu beantworten, soll im Folgenden zuerst der Begriff der Liveness diskutiert werden, um daran anschließend ein Verständnis von Präsenz zu entwickeln, das innerhalb telematischer Kommunikationsformen und deren Verständnis von Telepräsenz angewendet werden kann.

Zum Begriff der Liveness Im aktuellen Diskurs wird der Begriff der Liveness sowohl deskriptiv als auch normativ und ideologisch eingesetzt, wie Fischer-Lichte darstellt.236 Während das Collins Concise English Dictionary ›live‹ für Radio und Fernsehen als »transmitted or present at the time of performance, rather than being a recording«237 definiert, charakterisiert FischerLichte ›live‹ als

234. Vgl. Reck, Hans Ulrich: Kunst durch Medien, a.a.O., S. 56. 235. Vgl. Simmen, Jeannot: Actio in distans. Vom göttlichen Befehl zum telematischen Dialog. In: ders. (Hrsg.): Telematik, a.a.O., S. 27-39: S. 29. – Als Beispiele für Tafelbilder, die die actio in distans darstellen vgl. bei Simmen abgedruckten Werke Michelangelo, Die Bekehrung des Paulus (1542-1545), Vatikan, Cappella Paolina (30) oder Michelangelo, Die Erschaffung von Sonne und Mond, Vatikan, Decke der Cappella Sistina, 1511. 236. Vgl. Fischer-Lichte, Erika: Wahrnehmung und Medialität. In: dies. (Hrsg.): Wahrnehmung und Medialität. Tübingen: Francke, 2001 (Theatralität; Bd. 3), S. 11-28: S. 16. 237. Vgl. Hanks, Peter (Hrsg.): The Collins Concise Dictionary of the English Language. London: Collins, 21988, S. 663. – Der Begriff wird für Theater hier nicht eigens spezifiziert. 181

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»gleichzeitige leibliche Anwesenheit von Akteuren und Zuschauern im selben Raum, als geteilte Situation und Lebenszeit, die Theater konstituiert und es von allen Formen mediatisierter Performances allen Austauschprozessen zum Trotz fundamental unterscheidet.«238 ›Liveness‹, wie in jüngster Zeit die Nominalisierung genannt wird, ist damit konstitutiv für die traditionelle Definition von Theater (vgl. Kap. 1.3).239 Fischer-Lichte führt für solchermaßen als ›live‹ definierte Situationen zwei Differenzkriterien an: zum einen die Möglichkeit des Blickwechsels, zum anderen eine bestimmte Atmosphäre, die durch die »Vermittlung von Präsenz« und »energetische Felder«240 charakterisiert sind. Im Unterschied zu der, dem Theater spezifischen Art von Liveness, die an Präsenz als »spezifische Ausstrahlung eines Darstellers, die er durch seine bloße physische Gegenwart im Raum vermittelt«,241 gebunden ist, können nach Fischer-Lichte auch andere Medien wie der Film oder das Fernsehen einen Eindruck von Präsenz erzeugen, der nicht durch »bloße körperliche Anwesenheit«242 entsteht. Während aber bei Film und Fernsehen die Reaktionen der Zuschauer nie das Geschehen ändern können, ist dies bei als ›live‹ bezeichneten Aufführungen möglich. Dieses Differenzkriterium, das Fischer-Lichte als konstitutiv für Live-Performances ansieht,243 greift jedoch bei Internet Performances nicht mehr. Eng mit der Definition von Liveness ist auch der Begriff der Präsenz verbunden, den Fischer-Lichte für das Theater im Zusammenspiel mit anderen Medien als spezifischen Modus von Anwesenheit versteht, der es den übrigen Anwesenden unmöglich macht, die so Anwesenden nicht wahrzunehmen.244 Bei Präsenz handelt es sich hier um »eine spezifische Erfahrung von Intensität, d.h. um einen Eindruck bzw. eine Wirkung, die durch die unterschiedlichsten Medien unter je besonderen Bedingungen erzeugt werden kann.«245 Präsenz setzt die Möglichkeit von Absenz voraus; im Denken von Prä-

238. Fischer-Lichte, Erika: Wahrnehmung und Medialität, a.a.O., S. 18. 239. Vgl. ebd., S. 20. 240. Ebd., S. 22, vgl. S. 19. – Die Frage, wie der Grad an Energie dieser Felder zu bestimmen, bleibt dabei offen. 241. Dies.: Performativität und Ereignis, a.a.O., S. 341f. 242. Dies.: Wahrnehmung und Medialität, a.a.O., S. 23. 243. Vgl. dies.: Live-Performance und mediatisierte Performance. In: Theater der Zeit. Theaterwissenschaftliche Beiträge 2000. Heft 10/2000, S. 10-13: S. 12. 244. Vgl. dies.: Probleme der Aufführungsanalyse, a.a.O., S. 233-265: S. 262. 245. Dies.: Wahrnehmung und Medialität, a.a.O., S. 23. 182

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senz ist seine Negation bereits enthalten. Präsenz wird so zum Modell oder Inbegriff von einem Ereignis,246 der auch auf Internet Performances anwendbar ist. Präsenz als Effekt mediatisierter Repräsentationen zu verstehen, führt kulturgeschichtlich ins beginnende 20. Jahrhundert, als der Begriff ›live‹ in Abgrenzung zu Film und Fernsehen auch auf das Theater angewendet wurde.247 In der Anfangsphase des Fernsehens wurden alle Beiträge zeitgleich produziert und gesendet, waren also ›live‹ im Sinne der Definition des Collins Concise Dictionary. Das, was auch heute noch als ›live‹ begriffen wird, ist also bereits durch die Möglichkeiten technologischer Mediatisierung definiert. So bezeichnet Philip Auslander ›liveness‹ als »secondary effect of mediating technologies«248 und geht von einem historischen Muster zwischen dem Mediatisierten und dem, was als ›live‹ begriffen wird, beispielsweise zwischen Theater und Fernsehen, aus. »Initially, the mediatized form is modeled on the live form, but it eventually usurps the live form’s position in cultural economy. The live form then starts to replicate the mediatized form.«249 In seinen Anfängen versuchte das Fernsehen, die visuelle Erfahrung des Theaterzuschauers zu imitieren. Seit den späten 40er Jahren versuchte nun das Theater, die visuellen Erfahrungen mediatisierter Formen zu imitieren. »To the extent that live performances now emulate mediatized representations, they have become second-hand recreations of themselves as refratced through mediatization.«250 Nach Auslander ist das Verhältnis von Liveness und Mediatisierung durch gegenseitige Abhängigkeit und Überlagerung, nicht durch eine Opposition gekennzeichnet.251

246. Vgl. dies.: Performativität und Ereignis, S. 242. 247. Vgl. Waller, Gregory: Film and Theater. In: Edgerton, Gary (Hg.): Film and the Arts in Symbiosis. A Resource Guide. New York: Greenwood Press, 1988, S. 135-163. 248. Auslander, Philip: Liveness: Performance and the Anxiety of Simulation. In: Diamond, Elin (Hrsg.): Performance and Cultural Politics. London: Routledge, 1996, S. 196-213: S. 198, vgl. S. 211. – Der Begriff der Mediatisierung bei Auslander bezieht sich auf Technologien, die eine Reproduktion ermöglichen. Vgl. ders.: Liveness. Performance in a Mediatized Culture. Routledge: London, 1999, S. 3. 249. Auslander, Philip: Liveness, a.a.O., S. 158. 250. Ebd. 251. Vgl. ebd., S. 52. 183

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»[T]he very concept of live performance presupposes that of reproduction – that the live can exist only within an economy of reproduction.«252 Dieses historische Muster setzt sich nach Auslander auch im Verhältnis von Liveness und dem Televisuellen generell fort, wobei sich mit avancierterer Technologie der Diskurs dem Cinematischen annähere.253 Nicht nur in theoretischer, sondern gerade auch in historischer Hinsicht liegt es also nahe, die Konventionen, die mit dem Gebrauch von Medien verbunden sind, zu fokussieren. Liveness ist kein globales, undifferenziertes Phänomen, wie Auslander formuliert, sondern es existiert innerhalb spezifischer kultureller und sozialer Kontexte.254 Mit den verschiedenen Definitionen von Liveness sind häufig Diskussionen um den Wert verschiedener Formen von cultural performances verbunden, die als Legitimationsstrategie live-Performances einen höheren kulturellen Wert zusprechen. Demnach können livePerformances innerhalb einer Kultur der Massenmedien gerade durch die Tatsache »of their not being mass media, in their ability to engage audiences in ways not available to mediatized representations, in their possibly serving as alternatives to – even critiques of – those representations.«255 Die Produktionen von Spalding Gray und Laurie Anderson wertet Auslander als dekonstruktivistische Strategien, die das Konzept der Präsenz in Performances in Frage stellten.256 Diese Infragestellung der Funktion verschiedener Formen von Präsenz betreiben Internet Performances in noch weitaus radikalerer Weise.

Telematik als Kommunikationsform Die Kommunikationsformen, auf denen die einzelnen Kategorien von Internet Performances beruhen, werden mit dem Begriff der Telematik

252. Ebd., S. 54. – Auch Arno Paul weist darauf hin, dass der live-Begriff ursprünglich nicht zur Sprache des Theaters gehörte. Gleichzeitig kritisiert Paul, dass vielen Theaterformen ihr eigener Live-Charakter bestenfalls als Utopie bewusst sei. Vgl. Paul, Arno: Ist Theater immer live? In: Zacharias, Wolfgang (Hrsg.): Interaktiv. Im Labyrinth der Wirklichkeiten. Über Multimedia, Kindheit und Bildung. Über reale und virtuelle Interaktionen und Welten. Bonn: Kulturpolitische Gesellschaft; Essen: Klartext-Verl., 1996 (= Edition Umbruch; Bd. 9), S. 347-355: S. 347f. 253. Vgl. Auslander, Philip: Liveness, a.a.O., S. 23. 254. Vgl. ebd., S. 3. 255. Ders.: Liveness: Performance and the Anxiety of Simulation, a.a.O., S. 196. 256. Vgl. ders.: Presence and Resistence, a.a.O., S. 171. 184

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bezeichnet.257 Innerhalb der Medientheorie wurde Telematik insbesondere durch seine Verwendung bei Flusser bekannt.258 Der Begriff geht jedoch Simon Nora und Alain Minc zurück, die 1978 ihren Bericht »L’Informatisation de la Société« an den französischen Präsidenten publizierten, in dem Telematik zusammengesetzt aus Telekommunikation und Informatik erstmals auftaucht.259 »Die wachsende Verflechtung von Rechnern und Telekommunikationsmitteln, die wir ›Telematik‹ nennen, eröffnet einen völlig neuen Horizont. […] Die Telematik bewegt – im Gegensatz zur Elektrizität – nicht einen trägen Strom, sondern Information, d.h. Macht. […] Die Telematik wird nicht nur ein weiteres Netz darstellen, sondern vielmehr ein Netz neuer Art, das Bild, Ton und Informationsinhalte in eine vielschichtige Wechselbeziehung treten lässt. Sie wird unser Kulturmodell verändern.«260 Die verschiedenen Formen telematischer Kommunikation haben die Grundlagen traditioneller Möglichkeiten von Raum-Zeit-Erfahrung gewandelt. Nach Peter Weibel sei diese jetzt nicht mehr anthropomorph definiert. Das Zentrum der Erfahrung des Raumes stehe in Formen telematischer Kommunikation nicht mehr im Körper, sondern in einer Maschine.261 An der Frage, ob diese Aussage und daraus resultierende Konsequenzen, wie beispielsweise Weibels These der Entkörperlichung im Sinne einer »körperlose[n] und immaterielle[n] Überwindung von Raum und Zeit«,262 die in seiner Darstellung zum Verschwinden von Raum und Zeit führen, scheiden sich die Bewertungen

257. Baumgärtel bezeichnet sie auch als Telemedien. Vgl. Baumgärtel, Tilman: Immaterialien. Aus der Vor- und Frühgeschichte der Netzkunst. In: Telepolis Nr. 3(Sept. 1997), S. 135-151: S. 136. 258. Vgl. beispielsweise Flusser, Vilém: Verbündelung oder Vernetzung? In: Simmen, Jeannot (Hrsg.): Telematik, a.a.O., S. 98-101. Zur weiteren Information vgl. Kühn, Isabel: Telematik: Ein neuer bürokratisch-industrieller Komplex? Freiburg i.Br.: EURES, 1996. Und: Würth, Markus: Telematik und räumliche Arbeitsteilung. Zürich: Verl. d. Fachvereine, 1989. 259. Vgl. Popper, Frank: High Technology Art. In: Rötzer, Florian (Hrsg.): Digitaler Schein, a.a.O., S. 249-266: S. 255. 260. Minc, Alain/Nora, Simon: Zitiert in Bollmann, Stefan: Ergänzung im Aufsatz von Vilém Flusser. In: Bollmann, Stefan (Hrsg.): Kursbuch Neue Medien, a.a.O., S. 17. – Vgl. ebenfalls Lengyel, Stefan/Simmen, Jeannot: Telematik – Ursprung und Aktualität. In: Simmen, Jeannot (Hrsg.): Telematik, a.a.O., S. 6. – Weitere Auszüge aus dem Bericht finden sich bei Rheingold, Howard: The Virtual Community. a.a.O., S. 226f. 261. Vgl. Weibel, Peter: Techno-Transformation und terminale Identität. In: Simmen, Jeannot (Hrsg.): Telematik, a.a.O., S. 9-15: S. 10. 262. Ebd., S. 12, vgl. ebd., S. 11. 185

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telematischer Kommunikationsformen.263 Eine präzise Betrachtung dessen, was in den verschiedenen Kategorien von Internet Performances unter Telepräsenz verstanden werden kann und welche Rolle Körperlichkeit darin einnimmt, lässt Bewertungen jedoch nachvollziehbar werden. Den Begriff der Telepräsenz hat Marvin Minsky, Leiter des Artificial Intelligence-Labors am MIT, geprägt. Innerhalb seiner Forschungen zu VR-Technologien arbeitete er u.a. an dialogfähigen Simulatoren und Head Mounted Displays.264 »To convey the idea of these remote-control tools, scientists often use the word teleoperators or telefactors. I prefer to call them telepresences, a name suggested by my futurist friend Pat Gunkel.«265 Im Bewusstsein um die potentiell tiefgreifenden Auswirkungen dieser Technologien auf den menschlichen Alltag und die Weltwirtschaft schrieb er: »Wir können viele die Energieversorgung, Gesundheit, Produktivität und Umwelt betreffenden Probleme lösen, indem wir die Technik der Fernsteuerung verbessern. […] Dazu müssen wir unsere ›Telepräsenz-Instrumente‹ – so möchte ich sie nennen – verbessern, damit wir mit ihnen fühlen und arbeiten können wie mit unseren eigenen Händen!« 266 Im Konzept der Telepräsenz, wie beispielsweise von Wissenschaftlern wie Thomas Sheridan vertreten, kommen nach Grau drei technologische Prinzipien zusammen: Robotik, Telekommunikation und VR.267 Die entsprechenden Forschungen verfolgen die Idee der supervisory

263. Vgl. beispielsweise auch Flussers Formulierung: »Telematik ist jene Technik, welche das Errichten einer Gesellschaft zum Verwirklichen des einen im anderen aus dem Utopischen ins Machbare überträgt […]« Flusser, Vilém: Verbündelung oder Vernetzung? a.a.O., S. 100. 264. Vgl. Rheingold, Howard: Virtuelle Welten, a.a.O., S. 262f. 265. Minsky, Marvin: Zitiert nach: Canny, John/Paulos, Eric: Tele-Embodiment and Shattered Presence. Reconstructing the Body for Online Interaction. In: Goldberg, Ken (Hrsg.): The Robot in the Garden, a.a.O., S. 276-294: S. 281. (OV: Vgl. Minsky, Marvin: Telepresence. In: Omni [June 1980], S. 45-51.) – Vgl. Sheridan, Thomas/ Furness, T.A. (Hrsg.): Presence: Teleoperators and Virtual Environments. Cambridge, MA: MIT Press, 1992, S. 37. 266. Rheingold, Howard: Virtuelle Welten, a.a.O., S. 263. – Rheingold weist jedoch darauf hin, Minsky habe zwar den Begriff Telepräsenz erfunden, doch die Idee der Teleoperatoren gehe auf den Science-Fiction-Autor Robert Heinlein zurück, vgl. ebd., S. 264. 267. Vgl. Grau, Oliver: Telepräsenz, a.a.O., S. 39. 186

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control, also der Möglichkeit, physisch entfernte Räumlichkeiten kontrollieren und verändern zu können.268 In diesem Zusammenhang wird ein Roboter von Sheridan definiert als ein »automatic apparatus or device that performs functions ordinarily ascribed to human beings, or operates with what appears to be almost human intelligence […].« 269 Als Teleoperator hingegen wird eine Maschine bezeichnet, die die sinnlichen Möglichkeiten einer Person erweitert oder ihr die Möglichkeit gibt, eine entfernte Räumlichkeit zu verändern. Ein Teleroboter ist dann eine erweiterte Form des Teleoperators, der von einer Person überwacht wird. Wenn ein Teleroboter mit menschlichen Formen ausgestattet ist, beispielsweise wenn der Roboter sich in seiner Umwelt über Sensoren zurechtfindet, die Augen ähneln, wird er als antropomorpher Teleroboter bezeichnet. Der menschliche Operator funktioniert dann als physisches alter ego.270 Als teleproprioception bezeichnet Sheridan die durch den Teleoperator strukturierte Wahrnehmung des menschlichen Operators; von telekinesthesis hingegen, um die Fähigkeit des Operators zu bezeichnen, mit der dieser die Bewegungen des Teleoperators identifizieren kann.271 In dieses Begriffsspektrum gehört auch der von Paul Virilio geprägte Begriff der Teletaktilität, mit der Virilio die Möglichkeit bezeichnet, auf Distanz hin zu fühlen und zu berühren. Virilio geht hier von einer Verdopplung der Wahrnehmung aus.272 Im Sinne dieser Forschungen spricht man also nur dann von Telepräsenz, wenn über geographische Distanzen entfernte Räumlichkeiten mit Hilfe von Telerobotern verändert werden können. »Telepresence provides the ability to manipulate remotely physical reality in real time through its image«,273

268. Vgl. Sheridan, Thomas: Telerobotics, Automation, and Human Supervisory Control, a.a.O., S. 7-12. 269. Ebd., S. 3. 270. Vgl. ebd., S. 4f. – »A teleoperator necessarily includes artificial sensors of the environment, a vehicle for moving these in the remote environment, and communication channels to and from the human operator.« S. 4. Zur Geschichte der Teleoperator vgl. ebd., S. 99-108. 271. Vgl. ebd., S. 6. 272. Vgl. Virilio, Paul: Vom Sehen, Wahrnehmen, Tasten, Fühlen, Erkennen, was wirklich ist – im Zeitalter des Audiovisuellen. Teil 1. Ein Gespräch mit Bion Steinborn. In: Filmfaust Heft 89/90(1994), S. 22-49: S. 31. 273. Manovich, Lev: The Language of New Media, a.a.O., S. 166. 187

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wie Manovich formuliert. Ähnlich wie im Falle interaktiver Strukturen können auch Formen von Telepräsenz graduell unterschieden werden. So formuliert Sheridan: »Telepresence means that the operator receives sufficient information about the teleoperator and the task environment, displayed in a sufficiently natural way, that the operator feels physically present at the remote site.«274 Im Verständnis dieser Disziplin ist es also nicht gerechtfertigt, von Telepräsenz zu sprechen, wenn geographisch entfernte Personen visuell repräsentiert werden. Auch für die Kommunikation in textbasierten Diensten des Internets kann dieses Verständnis von Telepräsenz nicht angewendet werden.275 Wie Manovich herausstellt, hat sich im Sprachgebrauch jedoch ein zweites grundlegendes Verständnis von Telepräsenz entwickelt, das auch diese Kommunikationsformen miteinschließt. In diesem Verständnis meint Telepräsenz »real-time communication with a physically remote location.«276 Den Begriff der Telepräsenz auf Internet Performances anzuwenden, bietet die Möglichkeit, nicht generalisierend Telepräsenz als »neue theatrale Aufführungsform«277 anzusehen, sondern die verschiedenen Kommunikationsmodi und ihre damit verbundenen Repräsentationen von Körperlichkeit in Relation zur eingesetzten Technologie zu präzisieren. Die Anwendung des Begriffs für Internet Performances wird auch über die kulturgeschichtliche Tradition des Phänomens gerechtfertigt, wie sie Grau beispielsweise für die telepräsentische Qualität des Kultbildes aufzeigt.278 In Internet Performances reicht Telepräsenz von der Repräsentation des Körpers qua Schriftlichkeit über die

274. Sheridan, Thomas: Telerobotics, Automation, and Human Supervisory Control, a.a.O., S. 6. – In diesem Sinne spricht auch Manovich von »true telepresence«. Vgl. Manovich, Lev: The Language of New Media, a.a.O., S. 164, vgl. ebd., S. 165. – In seiner Diskussion potentieller Anwendungen von Telepräsenz-Technologien denkt Sheridan auch über Theater und Tanz nach. Hier vergleicht er die Marionette als frühe Form des Teleoperators. Vgl. Sheridan, Thomas: Telerobotics, Automation, and Human Supervisory Control, a.a.O., S. 121, vgl. ebd., S. 108-121. 275. So verwendet beispielsweise Adamowsky unkommentiert den Begriff der Telepräsenz in ihrer Diskussion von Kommunikationsformen in MUDs. Vgl. Adamowsky, Natascha: Spielfiguren in virtuellen Welten. Frankfurt: Campus, 2000, S. 191. 276. Manovich, Lev: The Language of New Media, a.a.O., S. 171. – Vgl. Steuer, Jonathan: Defining Virtual Reality: Dimensions Determining Telepresence. In: Biocca, Frank/Levy, Mark (Hrsg.): Communication in the Age of Virtual Reality. Hillsdale, NJ: Lawrence Erlbaum, 1995, S. 33-56. 277. Evert, Kerstin/Rodatz, Christoph: Tele-Präsenz, a.a.O., S. 120. 278. Vgl. Grau, Oliver: Telepräsenz, a.a.O., S. 51. 188

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Repräsentation darstellender Körper in einer Bildprojektion oder -übertragung bis zur Möglichkeit, über Teleroboter aktiv an einem räumlichen entfernten Aufführungsort mitzuwirken (vgl. Kap. 5.1.8, 6.1.7). In allen Kategorien jedoch wird die physische von der bildlichen Gegenwart des Körpers getrennt. Die Transformation der klassischen Raumerfahrung, die an primär körperliches Erleben gebunden war, führt jedoch auch einen »Wandel des ortsgebundenen Konzepts vom Menschen«279 nach sich. Im Verständnis des telematischen als metaphorischen Raumes wird Medientechnik als »Projektionsfläche unserer Utopievorstellungen«280 reflektiert. »Televisual or virtual performance […] acts as an agent of transformation, altering the manner in which we construct and perceive narrativity, subjectivity, spatial and temporal images.«281 Internet Performances kommt damit das Potential zu, die mit Telekommunikationstechnologien verbundene »ability to mobilize and manipulate resources across space and time«282 zu verkörpern und kritisch zu kommentieren. Inwieweit die einzelnen Produktionen dieses Potential einsetzen, wird zu untersuchen sein.

4.3.3 Körper, Technologie und Wahrnehmung »Like language, technology can be an instrument of perception.« John Cage Die Medialität der einzelnen Kategorien von Internet Performances wird maßgeblich von der verwendeten Technologie bestimmt und beeinflusst dadurch auch die Wahrnehmung der verschiedenen Teilnehmergruppen. Die Auflösung der physischen Kopräsenz zwischen Darstellern und Teilnehmern vollzieht sich dabei jedoch abhängig von der telematischen Kommunikationsform auf jeweils spezifische Art und Weise, und so soll im Folgenden danach gefragt werden, wie diese Auswirkungen auf die Wahrnehmung der verschiedenen Teilnehmergruppen theoretisch erfasst werden können. Wird Wahrnehmung wie bei Mersch ausgehend von Leiblichkeit als ihrer Möglichkeitsbedingung »nicht vom Verhältnis zwischen Sinnlichkeit und Signifikanz her […], sondern aus der ursprünglichen Er-

279. 280. 281. 282.

Grau, Oliver: Telepräsenz, a.a.O., S. 59. Ebd., S. 63. Causey, Matthew: Postorganic Performance, a.a.O., S. 187. Manovich, Lev: The Language of New Media, a.a.O., S. 167. 189

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THEATER UND INTERNET

fahrung eines ›Entzugs‹«283 verstanden, so heißt Wahrnehmen vor allem »›etwas‹ gewahren, wie ›etwas‹ erst durch die Wahrnehmung hervortritt, um ›als etwas‹ zu erscheinen. Die Formulierung birgt allerdings die grundlegende Schwierigkeit, daß sie nur Sinn hat, wenn ›etwas‹ bereits als dieses markiert, d.h. deiktisch ausgezeichnet werden kann.«284 Mediales erfordert also eine Wahrnehmung, die ihm ›zuvorkommt‹. Aus dieser Perspektive ist die Medialität der Wahrnehmung bereits mit Zeichen durchsetzt; Spuren von Störendem werden als amediale Erfahrung wahrgenommen.285 Die Wahrnehmungspsychologie unterscheidet zwei Dimensionen der Wahrnehmung, die in Wechselbeziehung zueinander stehen. Zum einen impliziert Wahrnehmung kognitive Prozesse, zum anderen »physiologische Reaktionen, welche der sinnliche Akt der Wahrnehmung auszulösen vermag.«286 Gerade für den sinnlichen Akt der Wahrnehmung ist die zeitliche Dimension von Bedeutung. Trotz des sich im Gegenwärtigen Vollziehenden beinhaltet Wahrnehmung auch eine Vergangenheits- und Zukunftsdimension.287 Das Gedächtnis ist damit nicht nur als »Organon des Verstehens«, sondern auch als »Organon der Wahrnehmung«288 anzusehen, wie Meyer herausstellt. Ästhetische Erfahrung kann so als Wahrnehmungsvollzug mit dem Ziel beschrieben werden, Wahrnehmung als Erkenntnis bewusst werden zu lassen.289 Im Theater ist die Wahrnehmung des Zuschauers als eigenständiger Konstruktionsprozess anzusehen, wobei die Medialität der Theaterform die grundlegenden Parameter bestimmt. Werden Neue Medien in Theaterformen eingesetzt, so entstehen nicht nur neue Optionen auf Wahrnehmung, sondern auch auf Erkenntnis. »Umgekehrt können aber auch neue Wahrnehmungen und neue philosophische Einsich-

283. Mersch, Dieter: Ereignis und Aura, a.a.O., S. 27. 284. Ebd., S. 273, vgl. ebd., S. 280. 285. Vgl. ders.: Aisthetik und Responsivität. In: Fischer-Lichte, Erika (Hrsg.): Wahrnehmung und Medialität, a.a.O., S. 273-299: S. 273, 277. Vgl. ders.: Ereignis und Aura, a.a.O., S. 54. 286. Dies.: Wahrnehmung und Medialität, a.a.O., S. 13. Vgl. dies.: Probleme der Aufführungsanalyse, a.a.O., S. 235f. 287. Vgl. dies.: Probleme der Aufführungsanalyse, a.a.O., S. 237. 288. Meyer, Petra Maria: Theaterwissenschaft als Medienwissenschaft, a.a.O., S.79. 289. Vgl. Meyer, Petra Maria: Intermedialität des Theaters, a.a.O., S. 80. 190

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ten zur Umarbeitung/Bedeutungsverschiebung von Medienbegriffen und zu einer veränderten Medienpraxis führen.«290 In den verschiedenen Kategorien von Internet Performances jedoch gehen Theater und Internet Verbindungen ein, die nicht nur die Wahrnehmungsspezifika des Internets und weiterer Telekommunikationstechnologien, sondern auch das Ephemere des Theaters »als Medium der Nicht-Wiederholung bei jeder Wiederholung«291 miteinander verbinden. Gerade die Ebene der Rezeption, des konkreten Umgangs der verschiedenen Teilnehmergruppen mit den kommunikativen Angeboten der Produktionen ist dabei am schwierigsten zu bestimmen.292 Manovich bezeichnet die Frage, wie Benutzer mit interaktiven Strukturen umgehen und wie sich die neuartigen kognitiven und physischen Ansprüche dieser Medienkonstellation auf die Benutzer auswirken, als »one of the most difficult theoretical questions raised by new media.«293 In Internet Performances verschärft sich diese Problematik noch durch die Wahrnehmungsdifferenzen der verschiedenen Teilnehmergruppen. Um diese zu bestimmen, bietet es sich an, in einem ersten Schritt nach dem Verhältnis zwischen den physischen Aufenthaltsorten der einzelnen Teilnehmergruppen, der Art und Qualität ihrer Verbindung und dem, was Manovich »screen space«294 nennt zu fragen, also dem spezifischen Bildraum, den der Computerbildschirm ermöglicht. Wie verhält sich der Körper der Teilnehmer dazu? Welche Rolle spielt die visuelle, die akustische Wahrnehmung? Welche Funktion übernimmt die Maus bzw. die Schnittstelle Hand als »Vermittler zwischen Denken und Handeln«?295 Begegnen sich Blick und Stimme, und welche Rolle spielen sie? Weibel spricht im Kontext der Medienkunst von der »Digitalisierung der Erfahrung.«296 Auch wenn diese Formulierung eher provoka-

290. Fischer-Lichte, Erika: Wahrnehmung und Medialität, a.a.O., S. 24. Vgl. dies.: The Aesthetics of Disruption, a.a.O., S. 98. 291. Meyer, Petra Maria: Intermedialität des Theaters, a.a.O., S. 55. 292. Dies umso mehr, da nur für einzelne Produktionen, beispielsweise World Wide Simultaneous Dance, überhaupt Zahlen zu den beteiligten Zuschauern vorliegen. Bei textbasierten Internet Performances existieren zwar z.T. noch die E-Mail-Adressen der Teilnehmer, die jedoch in den meisten Fällen nicht mehr in Benutzung sind. 293. Manovich, Lev: The Language of New Media, a.a.O., S. 56. 294. Ebd., S. 94f. 295. Hegedüs, Agnes: Die Hand als Schnittstelle. In: Rötzer, Florian (Hrsg.): Die Zukunft des Körpers I, a.a.O., S. 176f.: S. 176. 296. Weibel, Peter: Zitiert nach: Hünnekens, Annette: Der bewegte Betrachter, a.a.O., S. 84. 191

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tiv gemeint scheint, stellt sich doch die Frage, wie sich die Wahrnehmung der Teilnehmer durch die jeweils verwendeten Medienverbunde verändert. Ist es noch sinnvoll, nach der Sinnlichkeit von körperlichen Repräsentationen zu fragen, die digitalisiert wurden? Wenn ja, wie kann die Sinnlichkeit dieser Wahrnehmung, die in den meisten Fällen dominant visuell ist, charakterisiert werden? Und auf welche Weise erzeugen Internet Performances Emotionen? Erstaunt über die Heftigkeit, mit der die Menschen in bestimmten Epochen und Kulturen auf bestimmte Bildphänomene reagiert haben, schlug David Freedberg eine Klassifikation dieser Phänomene vor, die nach den Reaktionen unterscheidet, die diese Bildphänomene ausgelöst haben.297 Angesichts durchaus heftiger Reaktionen insbesondere von Theaterschaffenden in traditionellen Institutionen, deren Kritik mit der Angst verbunden ist, das Theater unter den Bedingungen der Kopräsenz stünde zur Disposition, scheint eine solche ›theory of response‹ mit ihrem Hinweis, dass »[m]uch of our sophisticated talk about art is simply an evasion«,298 nicht von der Hand zu weisen. Doch auch wenn die heftigen, sowohl negativen als auch positiven Reaktionen gegenüber Internet Performances bereits als »evidence for the effectiveness and provocativeness«299 dieses Untersuchungsgegenstandes aufgefasst werden können, sind sie aus methodischer Perspektive jedoch nur prototypisch thematisierbar. ›Mit dem Auge zu denken‹ bezeichnet die kognitive Dimension der visuellen Wahrnehmung.300 Über die Dimensionen der Wahrnehmungspsychologie hinausgehend betont Norman Bryson jedoch, die Grundlage des Sehens bestünde nicht in der Retina, sondern in sozialen Machtstrukturen; er spricht von der »visuelle[n] Subjektivität als kollektiv geformte[n] Raum, in dem zahllose Kodes zusammenstoßen und sich mischen.«301 Wie noch vor kurzem die Autorschaft steht nun

297. Vgl. Freedberg, David: The Power of Images. Studies in the History and Theory of Response. Chicago: The University of Chicago Press, 1989, S. xx. 298. Ebd., S. 429. 299. Ebd., S. 26. 300. »[D]as Auge ist selbst bildend, es aktiviert ein Vermögen, das darin besteht, anschauliche Entsprechungen auszukundschaften.« Boehm, Gottfried: Zwischen Auge und Hand. Bilder als Instrumente der Erkenntnis. In: Huber, Jörg/Heller, Martin (Hrsg.): Konstruktionen. Sichtbarkeiten. Wien: Springer, 1999 (= Interventionen 8), S. 215-227: S. 219. – Vgl. auch die Unterscheidung zweier Formen des Sehens bei Merleau-Ponty, Maurice: Das Auge und der Geist, a.a.O., S. 29. 301. Bryson, Norman: Das Sehen und die Malerei. Die Logik des Blicks. München: Fink, 2001, S. 9. 192

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4. METHODISCH-THEORETISCHER RAHMEN

die Rolle des ehemaligen Betrachters zur Disposition.302 Dieser Punkt betrifft nicht allein das Potential, Wahrnehmungskonventionen und (medien-)kulturell induzierte Erwartungen303 zu reflektieren. Indem einige der Produktionen die aktive Gestaltung aller Teilnehmer zwingend benötigen, kommentieren diese Produktionen auch ethisch-kulturelle Dimensionen der Machtteilhabe und ihres Ausschlusses. Nachdem in diesem Kapitel der methodisch-theoretische Rahmen bestimmt wurde, mit dem die verschiedenen Kategorien von Internet Performances betrachtet werden sollen, kann die konkrete Untersuchung nun mit den textbasierten Internet Performances beginnen.

302. Vgl. Dinkla, Söke: Das flottierende Werk, a.a.O., S. 82. 303. Vgl. Stiegler: »[R]egarder une image, la synthétiser comme image mentale aussie bien, c’est savoir quelque chose des conditions techniques, synthétiques at artefactuelles de sa production.« Stiegler, Bernard: L’Image Discréte, a.a.O., S. 177. 193

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) vak 194.p 95210564510

5. DRAMA UND INTERNET

5. Drama und Internet Textbasierte Internet Performances stellen eine Form dar, mit der das dramatische Schreiben auf die medialen Innovationen des 20. Jahrhunderts reagiert hat.1 Für die jüngsten Experimente im Umfeld digitaler und vernetzter Technologien hat Janet Murray den Begriff des Cyberdrama geprägt. Sie versteht ihn als »umbrella term«, als »placeholder for whatever is around the corner.« »The human urge for representation, for storytelling, and for the transformational use of the imagination is an immutable part of our makeup, and the narrative potential of the new digital medium is dazzling.«2 In textbasierten Internet Performances wird nun die »Kompatibilität von Drama und Theater«3 auf neue Weise zum Kernpunkt der Auseinandersetzung. Textbasierte Internet Performances stellen die Frage nach dem Verhältnis von Drama und Theater auf eine neue Art und Weise. Im Zentrum der Diskussion dieser historisch neuen Relation steht die Frage nach der Medialität textbasierter Internet Performances (vgl. Kap. 5.1). Darauf folgt die Untersuchung ihrer szenographischen Strukturen (vgl. Kap. 5.2). Abschließend soll nach den kulturtheoretischen Dimensionen in textbasierten Internet Performances gefragt werden (vgl. Kap. 5.3).

5.1 Medialität textbasierter Internet Performances Die Medialität textbasierter Internet Performances basiert auf dem Einsatz des Internets als Produktions- und Rezeptionsort gleicherma-

1. Vgl. beispielsweise Pavis, Patrice: Die zeitgenössische Dramatik und die neuen Medien. In: Früchtl, Josef/Zimmermann, Jörg (Hrsg.): Ästhetik der Inszenierung. Dimensionen eines künstlerischen, kulturellen und gesellschaftlichen Phänomens. Frankfurt: Suhrkamp, 2001 (= Aesthetica), S. 240-259. 2. Murray, Janet: Hamlet on the Holodeck: The Future of Narrative in Cyberspace. New York: Free Press, 1997, S. 271. 3. Höfele, Andreas: Drama und Theater, a.a.O., S. 3. 195

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THEATER UND INTERNET

ßen (vgl. Kap. 5.1.1). Sie wird durch die besondere Rolle der Schrift charakterisiert, die Funktionen der Sprache in der face-to-face-Kommunikation übernimmt. Diese Verschiebung kann als ›Verschriftlichung der Sprache‹ bezeichnet werden (vgl. Kap. 5.1.2). Ebenfalls als direkte Folge der Verschriftlichung der theatralen Interaktion vollzieht sich ein Prozess, der die Körperlichkeit der Teilnehmer semiotisiert und das ekphrastische Problem der Theaterwissenschaft, also die Frage, wie die sinnliche Wahrnehmung von Aufführungen beim wissenschaftlichen Arbeiten in Sprache überführt werden kann, modifiziert (vgl. Kap. 5.1.3). Da die meisten textbasierten Internet Performances von einer Textvorlage ausgehen, die im Verlauf der Aufführung improvisierend ausgearbeitet wird, konvergiert hier die Produktion des Textes mit seiner Aufführung (vgl. Kap. 5.1.4). Innerhalb der dramatischen Formgebung stellen die Hyperdramen Deemers als ›web of possibilities‹ eine Ausnahme dar. In mehr oder weniger starker Ausprägung stehen alle textbasierten Internet Performances in der Tradition der Rollenkonzeption (vgl. Kap. 5.1.5). Eine Sonderstellung nehmen hier The Finalists, deren Medialität als ›tissue of quotation‹ charakterisiert werden kann (vgl. Kap. 5.1.6), und die Produktionen von Desktop Theater ein, die hinsichtlich ihrer Medialität zwischen Text und bewegtem Bild einzuordnen sind (vgl. Kap. 5.1.7). Allen textbasierten Internet Performances gemeinsam ist ihr Wahrnehmungsmodus, der auf der ›Präsenz des Vorgestellten‹ basiert (vgl. Kap. 5.1.8).

5.1.1 Das Internet als Produktions- und Rezeptionsort Die verschiedenen Dienste des Internets werden in textbasierten Internet Performances als Produktions- und Rezeptionsort gleichermaßen eingesetzt. Das Potential dieser Dienste, geographische verteilte Teilnehmer über eine schriftliche Form der Kommunikation miteinander zu verbinden, stellt die Ausgangsbedingung der Produktionen dar. Keine andere Form der Technologie könnte diese für textbasierte Internet Performances kennzeichnende Form der Medialität ermöglichen. Das Internet wird hier in seiner site-specificity eingesetzt, da die Funktion seiner Dienste die Kommunikationsbedingungen dieser Produktionen maßgeblich bestimmt. Die geographisch verteilten Teilnehmer bilden trotz ihrer räumlichen Individualisierung ein kollektives System, in denen sie in unterschiedlicher Ausprägung das Geschehen der Performance über die Aktivität des Schreibens mitbestimmen. Das »Prinzip der verteilten Autorschaft«4 trifft auf alle textbasierten Internet Performances mit der Ausnahme der bereits fixierten Hyper-

4. Simanowski, Roberto: Interfictions. Frankfurt: Suhrkamp, 2002, S. 117. 196

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dramen Deemers zu. Bei den Hamnet Players konnten die Teilnehmer die Textvorlage improvisierend ergänzen. Die Zeitlichkeit textbasierter Internet Performances wird maßgeblich durch die Vorgaben der Technologie bestimmt. Flusstext sowie Rhythmus der Repliken schwanken zwischen der verzögerten Übertragung der Repliken und dem individuellen Tempo der Teilnehmer in einer Kommunikationssituation, die generell auf Geschwindigkeit zielt. Die technischen Rahmenbedingungen erzeugen einen »punctuated rhythm«, einen »rhythm of call and response«,5 in der die eine Replik zufällig zur Antwort auf eine andere Replik wird. Die Wahrnehmung dieser zeitlichen Dimension der Aufführung tritt in Wechselwirkung mit dem zeitlichen Bezugssystem möglicher Rahmungen. Für textbasierte Internet Performances sind dies vor allem die Rahmungen der Kommunikationssituationen in ihren primären kulturellen Kontexten, also der Situation des Chat und seiner Organisation als Flusstext. So sind die Produktionen der Hamnet Players nur in Kenntnis der IRCKommunikation verständlich; NetSeduction hingegen baut auf die in vielen Chats vorherrschenden sexuellen Themen auf (vgl. Kap. 5.3). Weiter bestimmen die Konnotationen, die mit den Textvorlagen, also Shakespeares Hamlet, Kafkas Novelle Die Verwandlung oder dem Roman Moby Dick verbunden sind, die Wahrnehmung der Aufführungen. So bestimmten die deiktischen Bezugssysteme dieser dramatisch vermittelten Handlungen im Wechselspiel mit der Zeitlichkeit der Aufführungen die Wahrnehmung des einzelnen Teilnehmers.

5.1.2 ›Verschriftlichung‹ der Sprache In textbasierten Internet Performances werden darstellende und wahrnehmende Körper ausschließlich über die Schriftzeichen der Standardtastatur eines Computers repräsentiert. Alle Komponenten der theatralen Interaktion werden verschriftlicht, so dass die Wahrnehmung der Aufführung einem Vorgang des Lesens entspricht. Die dramatische Handlung, »the enactment of the text«6 wie LaFarge formuliert, beruht letztlich auf der Imagination der Teilnehmer. Entgegen unserer traditionellen Verwendung von Schriftlichkeit in asynchronen Kommunikationsformen, wie beispielsweise dem Brief, unterliegen die Kommunikationsmodi von Sprache, Bild und Schrift im Mediensystem des Internets jedoch transformierten pragmatischen Bedingungen,

5. LaFarge, Antoinette: A World Exhilarating and Wrong, a.a.O., S. 418. – Zum Beispiel des Wortspiels von ›word‹ und ›sword‹ in Gutter City vgl. Kap. 5.1.5. 6. LaFarge, Antoinette: A World Exhilarating and Wrong: Theatrical Improvisation on the Internet, a.a.O., S. 418. 197

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»Transformationen, die sich aus dem Wechselspiel zwischen technischen Verbreitungsmedien, semiotischen Kommunikationsmedien und raumzeitlichen Wahrnehmungsmedien ergeben«,7 wie Sandbothe herausgestellt hat. Unter den Bedingungen des Internets übernimmt die Schrift zentrale Funktionen der Sprache.8 Der Gebrauch von geschriebenen Zeichen im Kontext der digitalen Verflechtungen des Mediensystems Internet führt nach Sandbothe zu einer Veränderung im System der Zeichen insgesamt.9 Die Zeichenverwendungen im Internet sind dabei nicht unbedingt radikal neu, sondern lassen Zusammenhänge explizit bewusst werden; der Zeichengebrauch im Internet erfährt eine »performativ nachvollziehbare Evidenz.«10 Diese medienpragmatischen Veränderungen beschreibt Sandbothe in drei Transformationstendenzen. Die erste dieser Transformationstendenzen bezeichnet Sandbothe als ›Verschriftlichung der Sprache‹. In synchroner, computergestützer Kommunikation verflechten sich Merkmale, die bisher als Differenzkriterien zur Unterscheidung von Sprache und Schrift dienten. Schrift übernimmt im vernetzten Mediensystem des Internets zentrale Funktionen der Sprache. Die traditionelle Auszeichnung der gesprochenen Sprache als »Medium der Präsenz« wird »durch die ›appräsente Präsenz‹ der Teilnehmer im geschriebenen Gespräch in Frage gestellt.«11 »Im Online-Chat fungiert Sprache als Schrift, d.h. das gesprochene bzw. zu sprechende Wort realisiert sich im Schreiben als Zeichen von Zeichen. Dieses performative Schreiben eines Gesprächs, in dem Sprache interaktiv geschrieben statt gesprochen wird, läßt sich als ›Verschriftlichung der Sprache‹ beschreiben. Zugleich fungiert Schrift im Online-Chat als interaktiv modellierbares und kontextuell situiertes Schreiben von Sprache.« 12 Als ein solches performatives Schreiben eines dramatischen Dialogs, in dem Sprache interaktiv geschrieben wird, ist der Aufführungsmodus

7. Sandbothe, Mike: Pragmatische Medientheorie des Internets, a.a.O., S. 200. 8. Vgl. ders.: Theatrale Aspekte des Internets, a.a.O., S. 218. 9. Vgl. ders.: Interaktivität-Hypertextualität-Transversalität, a.a.O., S. 71. Vgl. ders.: Grundpositionen zeitgenössischer Medienphilosophie, a.a.O., S. 457ff. 10. Ders.: Pragmatische Medientheorie des Internets, a.a.O., S. 197. 11. Ders.: Theatrale Aspekte des Internets, a.a.O., S. 219. 12. Ders.: Pragmatische Medientheorie des Internets, a.a.O., S. 196. – Identisch ebenfalls zitiert in: ders.: Grundpositionen zeitgenössischer Medienphilosophie, a.a.O., S. 462. 198

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textbasierter Internet Performances, die »quasi-oral arena of online theater«13 in den Worten LaFarges, zu charakterisieren.14 Textbasierte Online-Dienste beruhen einerseits auf der »logic of spatial arrangement associated with a print medium«, andererseits jedoch arbeitet die Adaption auf den Bildschirm mit der »spatial logic of a visual medium.«15 Diese Beobachtung kann mit der zweiten, umgekehrten Transformationstendenz beschrieben werden, die Sandbothe unter Bezugnahme auf Bolter als ›Verbildlichung der Schrift‹ beschreibt. Sie charakterisiert das Wahrnehmen einzelner Web-Seiten, wenn sie durch Links etc. komplex strukturiert sind. Der Vollzug der Lektüre wird hier unterbrochen; es entsteht eine Wahrnehmungsform, die Sandbothe mit der Rezeption von Bildern vergleicht, da diese eine »translineare Rezeption und damit unterschiedliche Formen der Lektüre und der Konstruktion des Bildes als sinnhafter Einheit«16 erlauben. »Unter Hypertextbedingungen werden Schreiben und Lesen zu bildhaften Vollzügen. Der Schreibende entwickelt ein netzartiges Gefüge, ein rhizomatisches Bild seiner Gedanken.«17 Die Tendenz zur ›Verbildlichung der Schrift‹ betrifft jedoch hauptsächlich textbasierte Internet Performances, die auf hypertextuellen Strukturen beruhen, also Deemers The Bridge of Edgefield und The Finalists, weniger IRC- oder MOO-basierte Produktionen, die über ihre Organisation als Flusstext eine weitgehend lineare Rezeption erfordern.18

13. LaFarge, Antoinette: A World Exhilarating and Wrong, a.a.O., S. 417. 14. Eine weitere, für Internet Performances jedoch weniger wichtige Dimension der Verschriftlichung der Sprache findet sich beispielsweise in der ›Internettelefonie‹, bei der die technische Ebene des digitalen Codes sichtbar wird, indem Editorprogramme akustisches Material visualisieren. Vgl. Sandbothe, Mike: Pragmatische Medientheorie des Internets, a.a.O., S. 183-201: S. 194. 15. Barbatsis, Gretchen/Fegan, Michael/Hansen, Kenneth: The Performance of Cyberspace: An Exploration Into Computer-Mediated Reality. http://www.ascusc.org/ jcmc/vol5/issue1/barbatsis.html (Zugriff am 28.01.2002) Kap. Space and Metaphor. Ohne Seitenangabe. 16. Sandbothe, Mike: Pragmatische Medientheorie des Internets, a.a.O., S. 198. – Sandbothe kennzeichnet noch eine dritte Transformationstendenz, die ›Verschriftlichung des Bildes‹, womit er die diachrone Bewegung von Link zu Link in der Wahrnehmung von Web-Seiten bezeichnet. Vgl. ders.: Grundpositionen zeitgenössischer Medienphilosophie, a.a.O., S. 464f. 17. Ders.: Interaktivität-Hypertextualität-Transversalität, a.a.O., S. 73. 18. Auch die ASCII-›Bühnenbilder‹ der Hamnet Players können als Form einer der Verbildlichung der Schrift aufgefasst werden, die jedoch nicht der Definition Sandbothes entspricht (vgl. Abb. 4). 199

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THEATER UND INTERNET

5.1.3 Semiotisierung des Körperlichen Konnte Theater unter den Bedingungen physischer Kopräsenz als Medium bestimmt werden, »das Zeichen nicht von der Materialität und Medialität der Zeichenmittel ablöst und durch eine spezifische ›Mobilität der Zeichen‹ zwischen verschiedenen Zeichensystemen und Medien gekennzeichnet ist«,19 so tritt in textbasierten Internet Performances ein neuer Modus des theatralen Zeichengebrauchs auf: Schrift als zentrales Zeichensystem übernimmt die Funktionen anderer Zeichensysteme. In Kommunikationssituationen, in denen die Körper der Teilnehmer leiblich anwesend sind, produzieren sie nicht nur Zeichen, sie sind selbst auch Zeichen. Diese leiblich-visuellen und auditiven Signifikanten werden in der Kommunikation textbasierter Internet Performances durch schriftlich-textuelle Signifikanten ersetzt. Der Schauspieler verkörpert seine Rollen über den Prozess des Schreibens; er kann nicht mehr als »das ikonische Zeichen par excellence«20 bezeichnet werden. Die Kommunikation in textbasierten Internet Performances ist körperlos in dem Sinne, dass »Gesten und der interpretierte eigene Körper« als »kommunikative Symbole« keine Bedeutung tragen.21 Interaktion und Körper entkoppeln sich unter technisch induzierten Bedingungen. In der Online-Kommunikation von textbasierten InternetDiensten ist eine Gefährdung des Leibes ausgeschlossen.22 Indem die Dialogpartner hier ihre Selbstpräsentation durch Kommunikationsbeiträge konstruieren, kann diesen Kommunikationsdiensten performativer Charakter zugeschrieben werden,23 der durch besondere Schreibstrategien, die beispielsweise auf Schnelligkeit abzielen, noch verstärkt werden.24 Auch die »Stimme als exemplarisch performatives Phänomen«25 wird in textbasierten Internet-Diensten zur Leerstelle. Bestimmte Funktionen der Stimme können zwar von Schriftzeichen

19. Meyer, Petra Maria: Intermedialität des Theaters, a.a.O., S. 77. 20. Esslin, Martin: Die Zeichen des Dramas, a.a.O., S. 57. 21. Vgl. Krotz, Friedrich: Hundert Jahre Verschwinden von Raum und Zeit? a.a.O., S. 124, vgl. S. 125. 22. Vgl. Krämer, Sybille: Zentralperspektive, Kalkül, Virtuelle Realität, a.a.O., S. 36. 23. Vgl. Burk, Juli: The Play’s The Thing, a.a.O., S. 234, 238. Vgl. ebenfalls Adamowsky, Natascha: Spielfiguren in virtuellen Welten, a.a.O., S. 194. 24. Vgl. Kirshenblatt-Gimblett, Barbara: The Electronic Vernacular, a.a.O., S. 47. 25. Kolesch, Doris: Ästhetik der Präsenz: Theater-Stimmen. In: Früchtl, Josef/Zimmermann, Jörg (Hrsg.): Ästhetik der Inszenierung, a.a.O., S. 260-275: S. 260. 200

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übernommen werden; die Stimme als »Spur des Körpers im Sprechen«,26 als Medium, über das sich – ebenso wie über das Angeschaut-Werden – Alterität manifestiert, ist jedoch nicht mehr Träger und Garant von Präsenz-Erfahrungen.27 Kinesische, (para-)linguistische und nonverbale akustische Zeichen genauso wie Zeichen, die den Schauspieler als Erscheinung betreffen (Maske, Frisur und Kostüm) und die Zeichen des Raumes werden in textbasierten Internet Performances zu Subkategorien der schriftgebundenen Zeichen.28 Die leibgebundene Erfahrung wird in Zeichenprozesse transformiert, in denen Schrift ausschließlich referentielle Funktion übernimmt. Die Kombination von Schriftzeichen zu Emoticons erzeugt neue Kontexte für die weggefallenen Zeichensysteme. Emoticons wie ;-( für ›weinend‹ oder |-O für ›gähnend‹ zitieren organische Reaktionen und vegetative Prozesse. Oftmals enthält die beschriebenen oder angedeuteten Emotionen bereits die intendierten Effekte, beispielsweise in MetaMOOphosis: »Gregor opens his mouth. A disgusting ooze dribbles out, ›Screeeeeeeeeee!‹«29 Orthographische Strategien, wie beispielsweise die Abkürzung von ›your‹ zu ›yr‹, sind notwendig, um das Tempo der Kommunikation einzuhalten; andere Strategien sollen gleich der Sprache in Comics auditive und paralinguistische Zeichen ersetzen. So stirbt beispielsweise der König in Hamnet mit »Aaaaaarrrrrrhhhhh!!!!«.30 Punkte zeigen Pausen an, wiederholte Buchstaben und Großschreibung betonen. Sie stellen schriftlich-textuelle Substitute dar, mit denen die gewünschten Effekte erzeugt werden. Christopher Werry spricht hier von einer »almost manic tendency to produce auditory and visual effects in writing.«31

26. Krämer, Sybille: Erfüllen Medien eine Konstitutionsleistung? a.a.O., S. 87. 27. Vgl. Mersch, Dieter: Ereignis und Aura, a.a.O., S. 103. Vgl. Kolesch, Doris: Ästhetik der Präsenz, a.a.O., S. 262. 28. Zur Definition dieser Zeichensysteme vgl. Fischer-Lichte, Erika: Semiotik des Theaters: Eine Einführung. Das System der theatralischen Zeichen. Bd. 1. Tübingen: Narr, 21988. 29. Sacks, Rick: The Foyer Downstairs. In: ders.: The MetaMOOphosis. http://www. vex.net/~rixax/Preview.html (Zugriff am 15.03.2002) Ohne Seitenangabe. 30. Harris, Stuart: Hamnet. http://www.hambule.co.uk/hamnet/hscript.htm (Zugriff am 28.01.2002) – Zu weiteren stilistischen Besonderheiten vgl. Danet, Brenda et al.: Curtain Time 20:00 GMT, a.a.O. Ohne Seitenangabe. 31. Werry, Christopher: Linguistic and Interactional Features of Internet Relay Chat. In: Herring, Susan (Hrsg.): Computer-Mediated Communication. Linguistic, Social and Cross-Cultural Perspectives. Amsterdam: John Benjamins Publ., 1996, S. 47-63: S. 58, vgl. S. 57. – Vgl. Reid, Elizabeth: Cultural Formations in Text-Based Virtual Realities. Master Thesis, Melbourne, 1994. http://home.earthlink.net/~aluluei/cult_ form.htm (Zugriff am 27.01.2002) Ohne Seitenangabe. 201

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Dieser nur für textbasierte Internet Performances charakteristische Modus des Zeichengebrauchs verändert auch das ekphrastische Problem der Theaterwissenschaft auf grundlegende Weise. Das ekphrastische Problem ist der Theaterwissenschaft inhärent und tritt immer auf, sobald im Prozess der ästhetischen Wahrnehmung und ihrer Erinnerung Sprache eingesetzt wird. Dieser Prozess der Verschriftlichung ist notwendig, um die ästhetische Erfahrung der wissenschaftlichen Auseinandersetzung zugänglich zu machen. Dabei entsteht immer auch ein sinnliches Defizit.32 Mit den zentralen Zeichensystemen anderer Theaterformen fällt auch das ekphrastische Problem weg. In textbasierten Internet Performances wird nur der Text als solcher wahrgenommen. Das logfile – wenngleich ohne die performative Ebene – »literally documents the performance«.33 Der Umgang mit Zeichen in synchronen Kommunikationsdiensten des Internets kann als »konstruktives Handeln in und durch Zeichen«34 beschrieben werden. Indem die Sprache dort die Kommunikation unter den Bedingungen physischer Kopräsenz simuliert, reflektiert sie diese auf einer Metaebene. Charakteristische Interaktionsmomente der face-to-face-Kommunikation werden im Modus der Schrift auf eine medial entfremdete Weise neu inszeniert.35 »Durch die anästhetische Reduktion der Kommunikation auf das Medium einer interaktiv funktionierenden Schrift werden die visuellen, akustischen und taktilen Evidenzen, die wir in der face-to-face Kommunikation unbewusst voraussetzen, selbst zum Gegenstand einer bewussten Konstruktion im Medium der Schrift.«36 Es ist gerade die »Abwesenheit des realen Körpers«, durch die sich die »Möglichkeit seiner adäquaten Thematisierung«37 ergibt, wie Barbara

32. Vgl. Fischer-Lichte, Erika: Probleme der Aufführungsanalyse, a.a.O., S. 243. – Der reflektierte Gebrauch von Metaphern und anderen bildlichen Ausdrücken stellt eine Form des produktiven Umgangs mit dem ekphrastischen Problem dar. Obwohl diese Haltung dem bildhaften Charakter der meisten Theaterformen entspricht, wird sie aus einer szientistischen Haltung oftmals immer noch abgelehnt. Zu dieser Frage und seinen historischen Ursprüngen u.a. in der Theaterfeindlichkeit der Romantik vgl. Krieger, Murray: Ekphrasis. The Illusion of the Natural Sign. Baltimore: Johns Hopkins University Press, 1992. U.a, S. 10. 33. LaFarge, Antoinette: A World Exhilarating and Wrong, a.a.O., S. 419. 34. Sandbothe, Mike: Mediale Temporalitäten im Internet, a.a.O. Ohne Seitenangabe. 35. Vgl. ders.: Theatrale Aspekte des Internets, a.a.O., S. 219. 36. Ders.: Mediale Temporalitäten im Internet, a.a.O. Ohne Seitenangabe. 37. Becker, Barbara: Die Inszenierung von Identität in Virtuellen Räumen: Körper, Texte, Imaginäres. In: Margarete Jahrmann/Christa Schneebauer (Hrsg.): Intertwinedness. Reflecting the Structure of the Net. Überlegungen zur Netzkultur. Kla202

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Becker zurecht betont. Körperlichkeit konstruiert sich in diesen Aufführungen »durch die mediale Substitution seiner Materialität«38, über ein Spiel mit Leerstellen, Andeutungen und Abwesenheit. »Das Fehlen genauerer Information über das jeweilige Gegenüber ermöglicht nämlich gerade die Eröffnung eines imaginären Raumes durch Absenz jener Korrektive, die üblicherweise den Phantasmen Beschränkungen auferlegen.«39 Das Denken des Leiblichen als Fremdes im Eigenen sieht Becker in einer langen philosophischen Tradition. Der Leib verweise auf eine Dimension, die sich der symbolischen Fixierung entziehe. Der Leib sei nur als »Abwesender, als letztlich nie vollständig Verfügbarer thematisierbar«,40 da die leibliche Welteinbindung reflexiv niemals vollständig eingeholt werden könne. Online ist der Leib abwesend, »replaced both as subject and object by the activity of imagination«41 (vgl. Kap. 5.1.8). Textbasierte Dienste des Internets können als Felder experimenteller Selbstkonstruktion beschrieben werden; das Subjekt schreibt sich in ihnen und stellt sich der Imagination anderer Kommunikationsteilnehmer. Wie Christiane Funken aus kommunikationssoziologischer Perspektive aufzeigen kann, wird mit dem Potential, den Körper zu repräsentieren, in textbasierten Internet-Umgebungen nicht experimentiert.42 Nach Becker tritt der Körper hier nur als »symbolisches und diskursives Konstrukt oder als stereotypisierte graphische Repräsentation«43 auf. Dieser eingeschränkte Umgang mit den Möglichkeiten der (Selbst-)Konstruktion ändert sich mit der Theatralisierung dieser Kommunikationsformen. Auch im theatralen Rahmen der textbasierten

38. 39. 40. 41.

42. 43.

genfurt: Ritter, 2000, S. 43-63: S. 59. – Auch Sandbothe zieht die Möglichkeit in Betracht, der Körper des Anderen könne nach online-Erfahrungen intensiver wahrgenommen werden. Vgl. Sandbothe, Mike: Hellerauer Gespräche: Theater als Medienästhetik oder Ästhetik mit Medien und Theater? a.a.O., S. 431. Becker, Barbara: Die Inszenierung von Identität in Virtuellen Räumen, a.a.O., S. 61. Ebd., S. 49. Ebd., S. 60. LaFarge, Antoinette: A World Exhilarating and Wrong, a.a.O., S. 420. – Horbelt geht von der Konstruktion eines »virtuellen Körpers« in textbasierten Internet Performances aus. Sprachlich präzise muss jedoch von der Imagination eines (virtuellen) Körpers gesprochen werden. Vgl. Horbelt, Andreas: Theater und Theatralität im Internet, a.a.O., S. 45. Vgl. Funken, Christiane: Körper-Inszenierungen im Internet. Vortrag an der Hochschule für Gestaltung, Karlsruhe, 17.01.2002. Becker, Barbara: Die Inszenierung von Identität in Virtuellen Räumen, a.a.O., S. 59. 203

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Internet Performances wird diese Möglichkeit zur Selbstkonstruktion nur eingeschränkt reflektiert und kritisch kommentiert (vgl. Kap. 5.3).

5.1.4 Konvergenz von Textproduktion und Performance Der Aufführungsmodus von textbasierten Internet Performances kann als performatives Schreiben eines Dialogs, eines Dialoges, in dem Sprache interaktiv geschrieben statt gesprochen wird, bestimmt werden. Mit Ausnahme der Hyperdramen Deemers, bei denen der dramatische Text bereits vor der Aufführung feststeht, lösen textbasierte Internet Performances die »Dichotomie von Literatur und szenischer Präsentation«,44 von Ereignis und Text auf. Das Schreiben der dramatischen Dialoge mit ihren internetspezifischen Formen von Haupt- und Nebentext ist identisch mit seiner Aufführung. Die Entstehung des dramatischen Textes ist seine Performance. Produktion des dramatischen Textes bzw. die improvisierende Ausgestaltung der Textvorlage und die Aufführung des Textes konvergieren in textbasierten Internet Performances im Sinne des Begriffs confluence. Die Textproduktion und ihre Performance fließen hier zur Ausgestaltung eines neuen Aufführungsmodus zusammen. So spricht auch Julian Dibbel von einer »conflation of speech and act.«45 Der neu entstandene Aufführungsmodus textbasierter Internet Performances bewegt sich dabei zwischen Performance und Literatur und kann nicht eindeutig in bestehende Klassifikationen eingeordnet werden. Grundlage für diese Konvergenz ist die Aufforderung zur Improvisation, die vielfach auf interaktiven Strukturen beruht. Die Option, den dramatischen Dialog improvisierend mitzuschreiben, verändert Status und Funktion der ehemaligen Zuschauer. Sie werden zu Teilnehmern, zu Mit-Schreibenden. Interaktivität bedeutet in textbasierten Internet Performances immer auch einen mentalen Vorgang, der Bereitschaft zur imaginierenden Kooperation. Die Bedingungen und der Charakter der Interaktion variieren dabei stark. So war bei den Produktionen der Hamnet Players im IRC keine weitere Programmierung notwendig, um die Improvisation zwischen den einzelnen Teilnehmergruppen zu ermöglichen. Indem Harris die Repliken nummerierte und vereinbarte, die eigene Replik erst dann abzuschicken, wenn die Replik mit der kleineren Ziffer bereits auf dem Bildschirm zu sehen war, sorgte er für die notwendige Struktur innerhalb des gemeinsamen Weiterschreibens an der Aufführung. Die Teilnehmer ohne vorgegebene Rollen konnten zwar zum Verlauf des Dramas beitragen, seine Struktur oder sein Ende jedoch nicht ändern. Die Optionen zur Inter-

44. Höfele, Andreas: Drama und Theater, a.a.O., S. 7, vgl. S. 5. 45. Dibbel, Julian: zitiert in LeNoir, Nina: Acting in Cyberspace, a.a.O., S. 185. 204

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aktion bei den Produktionen von Desktop Theater entsprechen der Konzeption der Hamnet Players, forderten jedoch eine größere Vorbereitung der Teilnehmer, da sie einen Avatar einsetzen mussten. Ähnliches gilt auch für die Plaintext Players, für die LaFarge als Digital.Director das Ausgangsszenario festlegte und damit die Aufführung strukturierte. LaFarge sieht Improvisation als das wichtigste Element der Aufführung. »The improvisational element dominates, and so it is the performance that generates the script.«46 So begreift sie die Produktionen der Plaintext Players nicht zielorientiert, sondern evolutionär.47 Während interaktive Strukturen bei zahlreichen anderen Produktionen die Improvisation zwischen aktiveren und passiveren Teilnehmergruppen (beispielsweise den Rollenträgern und den nur Lesenden bei MetaMOOphosis) ermöglichen sollten, traten die Darsteller bei den Plaintext Players auch in der Rolle eines anderen auf. Dies wurde über den announce-Befehl möglich, wie Corcoran darstellt. Gibt ein Darsteller folgende Replik ein: an Digital.Director says, »You can continue in your role as monkey«, dann erscheint diese Zeile für alle sichtbar als Digital.Director says, »You can continue in your role as monkey«, also so, als ob diese Anweisung direkt von Digital.Director käme.48 Deemers The Bridge of Edgefield wiederum erlaubte den passiven Teilnehmern, frei zu entscheiden, welchen Handlungsstrang sie weiter verfolgen wollten, sah jedoch keine weitere Option zur Interaktion oder Improvisation vor. Grundsätzlich andere Handlungs- und Entscheidungsmöglichkeiten haben die Teilnehmer beispielsweise in MetaMOOphosis, dessen komplexe Programmierung die technologische Grundlage für die Interaktion zwischen den verschiedenen Teilnehmergruppen legte. Die Stärke von MetaMOOphosis liegt in der ausgewogenen Programmierung der verschiedenen Elemente, die gleichzeitig sowohl einen klaren Rahmen vorgeben als auch die Improvisation der Teilnehmer verstärkten. Unterstützend wirkten die zufallsgesteuerten Programmelemente, bots wie der ›Platzanweiser‹ und vor allem

46. LaFarge, Antoinette: A World Exhilarating and Wrong, a.a.O., S. 419. 47. »The intention is in the whole, but the whole was built without intention.« Und: »The life of a collective system is centered in the system itself rather than in its members.« LaFarge, Antoinette: Did Anyone Bring a Word or an Ax? a.a.O. Ohne Seitenangabe. 48. Vgl. Corcoran, Marlena: Life and Death in the Digital World, a.a.O., S. 363. – Die Beispiel-Replik stammt aus dem Transkript von Gutter City. 205

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die Übernahme der Rollen durch unvorbereitete Teilnehmer.49 So entstanden interaktive Strukturen sowohl als Möglichkeit alternierender Reaktionen als auch als Möglichkeit, den Handlungsverlauf zu verändern. Im gleichen Maße hängt die erfolgreiche Aufführung auch davon ab, die Teilnehmer zu motivieren, diese Freiheit auszunutzen. Die Interaktion der Teilnehmer ist die conditio sine qua non; ohne sie hätten die Aufführungen nicht stattfinden können. So entstanden bei MetaMOOphosis innerhalb der linear ablaufenden Handlung durch Improvisationen auch vollkommen losgelöste Handlungsstränge.50 MetaMOOphosis initiierte Improvisation jedoch nicht nur, sondern kontrollierte sie auch. Elemente wie das built-in script von Gretes Violine oder die Einschränkung, nur Rollendarsteller den say-Befehl zu erlauben, schränkten die Freiheit der Teilnehmer ein. Die passiven Teilnehmer konnten sich jedoch in den ›Räumen‹ des Kafka Houses frei bewegen. Die einzelnen Formen der Teilnahme stehen dabei in direktem Zusammenhang mit den impliziten Raumvorstellungen (vgl. Kap. 5.2.2). Während der Beginn einer Aufführung von NetSeduction für die vorbereiteten Rollendarsteller eindeutig war, blieben die anderen Teilnehmer – supers und lurkers, wie Schrum sie nannte51 – darüber im Unklaren. Für sie war auch nicht erkennbar, welche Repliken vorbereitet waren. Dies erleichterte es den supers, in Interaktion mit den Rollendarstellern zu treten. Schrum programmierte ein Element, das er bouncer nannte. Seine Funktion war, Teilnehmer, die destruktiv kommunizierten, zurechtzuweisen und andere, denen die sexuell explizite Sprache unangenehm war, daran zu erinnern, dass sie den MOO jederzeit verlassen könnten.52 Dabei löste NetSeduction die Trennung zwischen Darstellern und unvorbereiteten Teilnehmern erfolgreich auf.

49. »[A]s you quickly discover, the most interesting and provocative thing about a MUD is its constitution – the programmed-in rules specifying the sorts of interactions that can take place and shaping the culture that evolves.« Vgl. Mitchell, William J.: City of Bits. Space, Place, and the Infobahn. Cambridge, MA: MIT Press, 1995, S. 119. 50. »[L]inear action is pieced together from ongoing, at times completely separate, improvisations.« Sacks, Rick: The MetaMOOphosis, a.a.O., S. 168. 51. Als supers bezeichnete Schrum Mitglieder des Publikums, die aktiv Repliken beisteuerten, als lurkers hingegen Mitglieder des Publikums, die ohne eigene Repliken nur die der anderen lasen (vgl. Kap. 3.3.2). 52. Vgl. Burk, Juli: The Play’s The Thing, a.a.O., S. 246. – »The Kafka Project allows audience members to wander through the performance areas without speaking directly within the space. NetSeduction went further by encouraging audience members to speak and participate in the performance, and with the small audience it had this worked quite well for it.« Stevenson, Jake: MOO Theatre, a.a.O., S. 143. 206

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»The performance showed how to eliminate the gulf between actor and spectator«,53 so Wunderer, die eine der Rollen übernahm.

5.1.5 Dramatische Formgebung Die »Bedingungen, unter denen Drama [im Internet] gezeigt wird«,54 lösen die »Dichotomie von Literatur und szenischer Präsentation«55, von Ereignis und Text auf, die in der Geschichte der Gattung Drama entstand. Doch auch in textbasierten Internet Performances, die den Gattungsbegriff Drama offensichtlich erweitern, lassen sich Stilmerkmale finden, die sie als dramatische Texte kennzeichnen. Drama kann in textbasierten Internet Performances zwar immer noch als ›aufzuführender Text‹ (Höfele), jedoch nicht mehr als plurimediale Darstellungsform im Sinne Manfred Pfisters bestimmt werden.56 Hier präsentiert sich der dramatische Text auch im Moment seiner Aufführung ausschließlich im Zeichensystem der Schrift. Auch die über ASCII gebildeten Zeichenformationen in den Produktionen der Hamnet Players überschreiten diese Grenze nicht. Das Charakteristikum des theatralen Dialogs, der nicht nur eine Situation direkter Kommunikation bedeutet, sondern sie zugleich auch darstellt,57 trifft auf den dramatischen Dialog textbasierter Internet Performances nicht zu. Hier ist der Dialog nicht die Mimesis direkter Rede, sondern bereits durchzogen von den Besonderheiten in der online-Kommunikation, beispielsweise durch Akronyme, Emoticons (» 2b or not 2b … [17]«) oder Anspielungen auf die Technologie selbst, beispielsweise beim Prolog der Textvorlage für Hamnet.58 » All the world’s a Unix term … [3] … and all the men & women merely irc addicts … [4]« 59 Auch das Verhältnis von Haupt- und Nebentext unterscheidet sich in textbasierten Internet Performances von Dramentexten, die unter den Bedingungen physischer Kopräsenz zur Aufführung kommen. Im Pro-

53. Wunderer, Monika: Presence in Front of the Fourth Wall of Cyberspace, a.a.O., S. 213. 54. Vgl. Esslin, Martin: Die Zeichen des Dramas, a.a.O., S. 22. 55. Höfele, Andreas: Drama und Theater, a.a.O., S. 7. 56. Vgl. Pfister, Manfred: Das Drama. Theorie und Analyse. München: Fink, 1994. (8. Auflage) S. 24. 57. Vgl. Fischer-Lichte, Erika: Der dramatische Dialog. Theater zwischen Schriftlichkeit und Mündlichkeit. In: dies.: Ästhetische Erfahrung, a.a.O., S. 193-217, S. 203. 58. Vgl. ebd., S. 193. 59. http://www.hambule.co.uk/hamnet/hscript.htm (Zugriff am 28.01.2002) 207

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zess des Aufgeführt-Werdens unterliegen die Informationen des Nebentextes keinem Medienwechsel; sie werden nicht in andere Zeichensysteme transformiert, sondern über weitere Beiträge anderer Teilnehmer ergänzt und als Text rezipiert. Die sowohl im Haupt- als auch Nebentext enthaltenen Beschreibungen von Objekten und Charakteren wirken über die Mittel des Narrativen. Die von Pfister herausgestellte Unterscheidung zwischen dem inszenierten plurimedialen Aufführungstext und seinem literarischen Textsubstrat wandelt sich hier in eine Unterscheidung der dramatischen Textvorlage von ihrer Ausgestaltung im Prozess der Aufführung.60 Im Falle von The Finalists, die ihre Chats ohne Textvorlage starteten, entfällt die Unterscheidung ganz. Während dort alle Teilnehmer in den Chat einbezogen waren, trennte MetaMOOphosis und The Bridge of Edgefield die Teilnehmer durch seine Unterscheidung aktiver Rollenübernahme und passiven Verfolgens in ein internes und ein externes Kommunikationssystem, die miteinander nicht in Interaktion treten konnten. Die Gestaltung des dramatischen Dialogs auf der sprachlichen Ebene unterscheidet sich bei jeder Produktion. Für die Produktionen der Hamnet Players, die gleichermaßen auf Traditionen des elisabethanischen Dramentheaters, der zeitgenössischen Shakespeare-Rezeption und der IRC-Kultur referieren, verwendet Harris den Begriff des »pastiche«,61 als »playfully irreverent juxtaposition of Shakespearean plot, characters and language with materials from Net and IRC culture«,62 in den Worten Danets, die das Spiel der Hamnet Players um Wiederholung und Differenz unter Bezug auf Maurice Charney als »parody of the most virtuoso sort«63 bestimmt. Der Bezugsrahmen der synchronen online-Kommunikation wird in den Aufführungen der Plaintext Players, bei MetaMOOphosis, The Bridge of Edgefield und bei den Chats der Finalists hingegen kaum thematisiert.64 In ihrer »juxtaposition of canonical Shakespearian characters, plots and language with computer jargon and other components of contemporary popular culture«65 kön-

60. Vgl. Pfister, Manfred: Das Drama, a.a.O., S. 29. 61. Harris, Stuart: About Internet theatre & the Hamnet Players, a.a.O. Ohne Seitenangabe. 62. Danet, Brenda et al.: Curtain Time 20:00 GMT, a.a.O. Ohne Seitenangabe. – Vgl. Danet, Brenda: Cyberpl@y: Communicating Online. Oxford: Berg, 2001. 63. Charney, Maurice: zitiert nach: Danet, Brenda et al.: Curtain Time 20:00 GMT, a.a. O. Ohne Seitenangabe. 64. Vgl. Horbelt, Andreas: Theater und Theatralität im Internet, a.a.O., S. 76. 65. Danet, Brenda et al.: Curtain Time 20:00 GMT, a.a.O. Ohne Seitenangabe. 208

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nen die Hamnet Players nach Danet zwischen Parodie und Satire eingeordnet werden.66 Ihre Sprache transformiert die »hallowed Renaissance poetry into late 20th century colloquial prose and even lowly slang.«67 Wie Horbelt betont, müssen die Teilnehmer das Drama Shakespeares kennen, um den Witz der Transformation in der Textvorlage von Harris erkennen zu können, die auch die Sprache des IRC ironisiert.68 Der Dialog von Szene 2 (»After Hamlet’s Chem Lab«) zwischen Hamlet und Orphelia, der im Original in der ersten Szene des dritten Aktes stattfindet, kann dies verdeutlichen. »****:_Enter Ophelia [21] Here’s yr stuff back [22] Not mine, love. Heheheheheh ;-D [23] o heavenly powers: restore him! [24] **** Ophelia thinks Hamlet’s nuts [25] Make that ›sanity-deprived‹, pls … [26] Oph: suggest u/JOIN #nunnery [27] :-( [28] **Signoff: Ophelia (drowning) [29]«69 Während Ophelia Hamlet im Original mit den Worten »My lord, I have remembrances of yours That I have longed long to re-deliver. I pray you, now receive them«70 bittet, so verkürzt Harris diese Hochsprache in »Here’s yr stuff back«. Hamlets im Original mehrfach wiederholte Aufforderung an Ophelia, in ein Kloster (nunnery) zu gehen, erscheint bei Harris als » Oph: suggest u/JOIN #nunnery [27]«. Der Befehl ›/JOIN‹ leitet einen Wechsel des Kanals im IRC ein, hinter ›#‹ folgt dann der Name des Kanals, der betreten werden soll. Hamlet fordert Ophelia also auf, den

66. Vgl. ebd. 67. Ebd. 68. Vgl. Horbelt, Andreas: Theater und Theatralität im Internet, a.a.O., S. 63f. – Ein Beispiels für die obszöne Sprache der Textvorlage ist die Replik der Queen: » … Oh, right … Yr dad’s pissed at u [48]« http://www.hambule.co.uk/ham net/hscript.htm (Zugriff am 28.01.2002) 69. http://www.hambule.co.uk/hamnet/hscript.htm (Zugriff am 28.01.2002) – Vgl. Abb. 3 in Kap. 3.3.1 für die Unterschiede zwischen dieser Textvorlage und seiner Ausgestaltung in der Aufführung. 70. Shakespeare, William: Hamlet. Zweisprachige Ausgabe. Hrsg. v. Holger M. Klein. Stuttgart, Reclam, 1984. III.1, Z. 93-103. 209

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IRC-Kanal Hamnet, in dem die Aufführung stattfindet, zu verlassen und den Kanal nunnery zu betreten.71 Die Produktion Hamnet parodiert nicht nur das Originaldrama Hamlet, »es kommentiert auch auf ironische Weise die Sprache, Technik und Inhalte des IRC«,72 so Horbelt. Die Plaintext Players vergleichen ihre Texte mit »products of today’s sound-bite culture.«73 Als »event-driven entities«74 ist der Prozess ihres Geschriebenwerdens von den Ausgangsszenarien abhängig, die der Digital.Director (alias LaFarge) vorgibt.75 Indem sich durch Verschiebungen der Repliken oftmals Subtexte ergeben, die die Semantik der imaginierten Handlung verändern, sperren sich die Texte eindeutigen Bedeutungszuweisungen.76 Da von den Aufführungen keine Original-logfiles einsehbar sind, können diese Thesen nur an von LaFarge selbst ausgewählten Belegen, beispielsweise einem Dialog aus Gutter City, bestätigt werden. Der Dialog zwischen den Figuren Moby Dick und bystander war nicht vorgegeben, sondern entwickelte sich improvisierend aus der Situation, oder präziser: einem Schreibfehler, heraus: Moby-Dick: »Someone cut my head off right now and I’ll show you.« bystander: »What?« Moby-Dick: »Right here … does anyone have a word or an ax? Sword, I meant.« bystander: »Words are much more lethal.«77

71. Vgl. Horbelt, Andreas: Theater und Theatralität im Internet, a.a.O., S. 63f. – Horbelt führt noch weitere Beispiele an, um Bezüge der Textvorlage auf die Kultur des IRC zu verdeutlichen, vgl. ebd., S. 65f. 72. Ebd., S. 64. – Diese Qualität hebt sie unter allen anderen textbasierten Internet Performances, auch ihrer anderen Produktionen, wie beispielsweise PCBeth: An IBM Clone of Macbeth, heraus, für die solche Anspielungen nicht gefunden werden können (vgl. Kap. 7.5). 73. LaFarge, Antoinette: Did Anyone Bring a Word or an Ax? a.a.O. Ohne Seitenangabe. 74. Ebd. Ohne Seitenangabe. 75. Vgl. LaFarge, Antoinette: A World Exhilarating and Wrong, a.a.O., S. 419. Und: Corcoran, Marlena: internet-performance als netz.kunst. http://www.artechok.de/ kunst/magazin/re/netzku4.html (Zugriff am 28.01.2002) 76. »[O]nline theater shows a strong resistance to endings, to catharsis, to any kind of closure, and an equally strong resistance to external control.« LaFarge, Antoinette: Did Anyone Bring a Word or an Ax? a.a.O. Ohne Seitenangabe. 77. Plaintext Players: Gutter City. http://yin.arts.uci.edu/~players/GC/GC.html (Zugriff am 28.08.2002) 210

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In unbeabsichtigt ironischer Weise spielt er auf die Macht, die Worten nicht nur in textbasierten Internet Performances zukommt. Entschließt sich hier ein Darsteller, den anderen beispielsweise ›umzubringen‹, kann dies nur durch geschickt und schnell umgesetzte Fantasien der Mitspieler umgeleitet werden. »Words may not be lightly revoked, for a word is indeed the equivalent of an ax.« 78 Andererseits spielt gerade das Kommentar von bystander auch auf die Macht an, die Worte in der face-to-face-Kommunikation ausüben können. Im Unterschied zu den textbasierten Internet Performances, die ihren Fokus auf das gemeinsame Fortschreiben des dramatischen Dialoges richten, setzt Deemer mit der Struktur des Hyperdramas den Schwerpunkt auf der Simultaneität der Handlungsstränge, unter denen die Teilnehmer ihre eigene Wahrnehmung konstruieren müssen.

Hyperdrama: ›A web of possibilities‹ »May God us keep from Single vision and Newton’s Sleep!« William Blake79 In Hyperdramen sind die dramatischen Dialoge in hypertextueller Form geschrieben, das heißt, die einzelnen Dialoge sind nicht linear, sondern netzartig miteinander verbunden. Um Hyperdramen aufzuführen, ist ein besonderer Aufführungsraum, beispielsweise ein Haus, notwendig, in dem die verschiedenen Handlungsstränge parallel ablaufen können und die Zuschauer den Schauspielern in die verschiedenen Räume folgen können. Neben MOOs bietet sich auch das WWW in besonderer Weise für Hyperdramen an; die Knotenpunkte zu anderen Handlungssträngen können hier über Links zu anderen Web-Seiten gebildet werden.80 Die Entscheidungsformen in Hyperdramen imitieren dabei das normale Leben – gleichgültig, ob sie unter den Bedingun-

78. LaFarge, Antoinette: Did Anyone Bring a Word or an Ax? Towards and Id Theater. http://yin.arts.uci.edu/~players/caa/id.html (Zugriff am 21.05.2001) Ohne Seitenangabe. 79. Blake, William: Zitiert nach Deemer, Charles: The New Hyperdrama. http: //www. teleport.com/~cdeemer/new-hyperdrama.html (Zugriff am 18.01.2000) Ohne Seitenangabe. 80. Vgl. Jonassen, David: Hypertext/Hypermedia, a.a.O., S. 7 und Kap. 4.1.2. 211

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gen physischer Kopräsenz oder in einem MOO aufgeführt werden.81 Ihre Strukturen sind Optionen, ein »web of possibilities, a web of reading experiences«,82 wie Deemer formuliert. Im Unterschied zu anderen textbasierten Internet Performances laufen die dramatischen Dialoge in The Bridge of Edgefield nicht mehr kontinuierlich über den Bildschirm, sondern sind über Knotenpunkte miteinander verbunden. »Hyperdrama departs radically from linear narrative because instead of presenting a single story line with a beginning, middle, and end, different lines of the story happen simultaneously, and the audience must choose which to follow.«83 Indem sich Hyperdramen gegen eine lineare Narration richten, verwehren sie eine eindeutige Perspektive auf das Drama. »Hyperdrama challenges Single Vision«,84 so Deemer, der das traditionelle Drama vom Hyperdrama durch eine Reihe von Oppositionen zu unterscheiden versucht, die jedoch nicht trennscharf sind. So kann es auch im traditionellen Drama mehrere szenische Spielorte und multiple Handlungsstränge geben, ohne dass bereits ein Hyperdrama vorliegen müsste. In einem solchen Fall wären die Zuschauer auch beim traditionellen Drama mobil. Auch wenn der Spielort eines Hauses wie bei The Bridge of Edgefield im realen Leben als Haus genutzt wird, nehmen die Zuschauer ihn während einer Aufführung unter den Bedingungen physischer Kopräsenz als Zeichen eines Hauses, mithin also in einem fiktiven Rahmen wahr. In diesem Sinne ist auch die Unterscheidung unpräzise, das traditionelle Drama spiele in einem fiktiven, das Hyperdrama jedoch in einem realen Spielort.85 Landow hatte 1994 den Begriff des wreader, des schreibenden Lesers geprägt, der für Hypertexte charakteristisch sei.86 Diese Be-

81. Vgl. Deemer, Charles: What is Hypertext? http://www.teleport.com/~cdeemer/ essay.html (Zugriff am 18.01.2000) Ohne Seitenangabe. 82. Deemer, Charles: What is Hypertext? a.a.O. Ohne Seitenangabe. – The Bridge of Edgefield war bisher Deemers einziges Hyperdrama, das in einem MOO aufgeführt wurde; seine anderen Hyperdramen kamen bisher unter den Bedingungen physischer Kopräsenz zur Aufführung. 83. Burk, Juli: The Play’s The Thing, a.a.O., S. 243. 84. Deemer, Charles: The New Hyperdrama. How Hypertext Scripts are challenging the Parameters of Dramatic Storytelling. In: Schrum, Stephen (Hrsg.): Theatre in Cyberspace, a.a.O., S. 39-49: S. 40. – Kapitalschreibung entspricht dem Original. 85. Vgl. Deemer, Charles: The New Hyperdrama, a.a.O. Ohne Seitenangabe. 86. Vgl. Landow: George: zitiert nach Heibach, Christiane: Schreiben im World Wide Web, a.a.O., S. 182-207: S. 185. – Zu weiteren Experimenten nicht-linearer Literatur vgl. Idensen, Heiko: Kollaborative Schreibweisen – virtuelle Text- und Theorie212

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stimmung trifft auf die Hyperdramen Deemers nicht zu. Für die lesenden Teilnehmer war keine Möglichkeit der Interaktion vorgesehen, auch nicht als Reaktion. Innerhalb der navigierbaren Strukturen besaßen sie lediglich die Möglichkeit, ihren eigenen Lektüreprozess auszuwählen. Abhängig von der Komplexität der verschiedenen Handlungsstränge und ihrer räumlichen Verknüpfung können diese Prozesse die Teilnehmer auch überfordern. Deshalb führte Deemer einen Ausschnitt aus The Bridge of Edgefield auch mehrfach im ATHEMOO auf; er wollte seinen Teilnehmer-Lesern die Chance bieten, alle Handlungsstränge kennen zu lernen. Verbindendes Element dieser Handlungsstränge waren die klar definierten Rollen seines Dramas. Wie The Bridge of Edgefield stehen auch die meisten anderen textbasierten Internet Performances in der Tradition der Rollenkonzeption.

In der Tradition der Rollenkonzeption Während im Schauspiel des ausgehenden 20. Jahrhunderts die Rolle als feststehende Größe immer mehr an Bedeutung verlor, bilden sie in textbasierten Internet Performances weiterhin das zentrale Parameter.87 Die Tendenz zur Rollenkonzeption ergibt sich zum einen aus den Textvorlagen in der klassischen Dramenliteratur, zum anderen aus dem Ursprung insbesondere der MOOs in den Abenteuerspielen. Die Hamnet Players haben auf Hamlet und Macbeth zurückgegriffen, die Plaintext Players für Gutter City auf den Roman Moby Dick, für andere Produktionen ebenfalls auf Hamlet und die Orpheus-Sage; MetaMOOphosis wiederum auf eine Novelle Kafkas, watingforgodot. com auf ein Beckett-Drama. Durch ihre besondere Auswahl von Dramenvorlagen positionieren sich textbasierte Internet Performances innerhalb des kulturellen Gedächtnisses unserer Gesellschaft, setzen die Auswahl der Dramen jedoch auch als legitimierende Strategie ein. »Klassiker-Inszenierungen haben in unserer Kultur seit dem 19. Jahrhundert einen besonderen Status inne. Mit ihnen hat das Theater eine neue Funktion übernommen – die Funktion, kulturelles Gedächtnis zu sein.«88 Als nicht nur vollkommen neue, sondern auch mit einem zentralen Parameter brechende Theaterform greifen textbasierte Internet Perfor-

Arbeit: Schnittstellen für Interaktionen mit Texten im Netzwerk. In: Gendolla, Peter et al. (Hrsg.): Formen interaktiver Medienkunst, a.a.O., S. 218-264. 87. Vgl. Horbelt, Andreas: Theater und Theatralität im Internet, a.a.O., S. 91. 88. Fischer-Lichte, Erika: Das theatralische Opfer. Zum Funktionswandel von Theater im 20. Jahrhundert. In: dies.: Theater im Prozeß der Zivilisation. Tübingen: Francke, 2000, S. 137-153: S. 150. 213

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mances über ihre Dramenvorlage auf das kulturelle Gedächtnis des Abendlandes zurück. Handlung und Charaktere dürfen weitgehend als bekannt vorausgesetzt werden; das gemeinsame Improvisieren wird erleichtert. »The thrill is in recognizing the story as it is reenacted in a new medium.« 89 Auffällig ist die Häufung von Dramen Shakespeares, denen Peter Brook eine Modellfunktion zuschreibt. »[I]f our language is too spezial we will lose part of the spectator’s belief. The model, as always, is Shakespeare.«90 Die »continuing centrality of Shakespeare in contemporary Englishspeaking culture«91 bestätigt auch Danet; bei einer Umfrage der New York Times von 1995 wurde Hamlet als das wichtigste Drama der westlichen Kultur ermittelt.92 Für die Hamlet-Produktion der Plaintext Players formuliert Corcoran: »The Collective Unconscious plays Hamlet«.93 Der theatrale Charakter des Rollenspiels in MOOs spiegelt sich direkt in der Konzeption textbasierter Internet Performances. Wie die Teilnehmer ihre Rollen verkörpern, »the enactment of the text, not the text in and of itself«,94 wie LaFarge formuliert, ist dabei entscheidend für die Qualität der Aufführungen. Oftmals tendieren die Teilnehmer ihrer Beobachtung nach dazu, »to inhabit the situation more than the roles.«95 In den Produktionen der Hamnet Players lehnen sich die Rollen direkt an das Originaldrama an. Zwar wird das Personal reduziert und

89. Corcoran, Marlena: Life and Death ind the Digital World, a.a.O., S. 361. 90. Brook, Peter: The Empty Space. New York: Simon&Schuster/Touchstone, 1996, S. 61f., vgl. S. 85f., 95. 91. Danet, Brenda et al.: Curtain Time 20:00 GMT, a.a.O. Ohne Seitenangabe. 92. Vgl. ebd. – Hinsichtlich der Auswahl der Dramenvorlagen könnten auch Fragen der Medientransformation und der Intertextualität thematisiert werden. Zu Harris’ Umgang mit Konventionen des Drehbuch-Schreibens beispielsweise vgl. ebd. 93. Corcoran, Marlena: Life and Death ind the Digital World, a.a.O., S. 360. – Shakespeare-Parodien waren sehr beliebt im Amerika des 19. Jahrhunderts; die Wahl von Shakespeare-Dramen für textbasierte Internet Performances damit zu begründen, die textbasierten online-Dienste glichen dem Amerika des 19. Jahrhunderts, geht jedoch zu weit. Vgl. Danet, Brenda et al.: Curtain Time 20:00 GMT, a.a.O. Ohne Seitenangabe. 94. LaFarge, Antoinette: A World Exhilarating and Wrong, a.a.O., S. 418. 95. Ebd., S. 420. 214

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die Sprechweise der Figuren an den IRC angepasst, aufgrund des kollektiven Wissens um Rollennamen wie Hamlet, Macbeth, Estragon und Wladimir verbinden die Teilnehmer bei Hamnet, PCBeth, MetaMOOphosis und waitingforgodot.com mit den Rollen eindeutige Identitäten oder Themen. Dies gilt auch im Falle von Dramatisierungen bei Rollen wie Gregor in MetaMOOphosis und Ishmael bzw. Moby Dick in Gutter City. Festgelegte Charaktere stehen auch hinter den Rollen in The Bridge of Edgefield und NetSeduction, auch wenn die Teilnehmer sie erst im Verlauf der Aufführung kennen lernen. Im Unterschied zu The Bridge of Edgefield, die keine Interaktion mit den Darstellern erlaubte, waren die bereits vorher festgelegten Darsteller für die Teilnehmer zum Teil nicht erkennbar. Wie die logfiles demonstrieren, setzte dies die Hemmschwelle, um direkt mit den Darstellern zu kommunizieren, ausreichend niedrig; möglicherweise trug das Thema von NetSeduction das seine dazu bei (vgl. Kap. 5.3). Mit dem Risiko der Inkongruenz teilten sich bei den Plaintext Players mehrere Teilnehmer dieselbe Rolle. Mehrere Teilnehmer schrieben so an der Identität einer einzigen Rolle und ihrem Verhalten mit.96 Eine ähnliche Ausgangslage findet sich auch bei The Finalists, da hier die Teilnehmer dazu aufgefordert waren, die Identitäten der Finalists im Verlauf der Produktion mitzuerfinden.

5.1.6 The Finalists: ›Tissue of quotation‹ »The facility to re-invent yourself, that’s what The Finalists is about.« Simon Will The Finalists folgen einer Dramaturgie, die sich sowohl von der Konzeption anderer textbasierter Internet Performances als auch von Netzkunst-Projekten unterscheidet. Über seine Medialität reflektiert The Finalists die Bedingungen der Kommunikation im Internet. Das »piece«, wie es Schäfer nannte, erstreckte sich über einen Zeitraum von mehreren Wochen, in denen die verschiedenen Fassungen der Homepages freigeschaltet wurden und die Live-Streamings und Chats Höhepunkte markieren. Die theatrale Kommunikation während der Chats entspricht damit der Konzeption anderer textbasierter Internet Performances, doch die Regeln des ›Wettkampfs‹, der beliebteste Finalist zu werden, erweitern den Rahmen der Aufführung. Im Unterschied zu Netzkunst-Projekten, die jederzeit erreicht werden können, führen The Finalists wie alle Internet Performances das Ephemere in die internetbasierte Kunst ein. In ihrer Konzeption überlagern sich nicht nur verschiedene Wahrnehmungsrahmen; die Wahrnehmungsrahmen des Theaters und des Spiels wer-

96. Vgl. ebd., S. 419. 215

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den auch erweitert. Diese Ausdehnung der Rahmen kann als kreativer Prozess begriffen werden, der von den Teilnehmern eine veränderte Wahrnehmung erfordert. Wer die vier Finalists auf ihre Mission geschickt hat und von wem die impliziten Werte der Zielsetzung stammen, – »to reinvent themselves as the most believable, charismatic far fetched, down to earth personalities on the net.«97 – bleibt unklar. Thema der Finalists ist die experimentelle Konstruktion eines Selbst, einer virtuellen Persönlichkeit in Interaktion mit fremden Teilnehmern. »Ihr Ziel ist es, die größte Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen und zum beliebtesten, attraktivsten und meist besuchten ›Finalist‹ zu werden.«98 In ihrem Kampf um Aufmerksamkeit als »knappste[n] und kostbarste[n] Rohstoff der Mediengesellschaft«99 werden die Finalists zu direkten Konkurrenten. Um sich »auf auffälligste Art hervorzuheben« entwickeln sie sich von zuerst noch nahezu abstrakten Entitäten »zu exzentrischen Persönlichkeiten, deren extreme Eigenheiten sich bis zum Grotesken steigern.«100 Ihre inszenierten Eigenschaften werden zu »Obsessionen, an denen die Figuren letzten Endes zugrunde gehen.«101 »Der Zuschauer wird somit Zeuge der Formierung, extremen Entwicklung und schließlich ultimativen Zerstörung dieser Internetpersönlichkeiten.« 102 Die Finalists inszenieren im Rahmen einer theatralen Wahrnehmung die Art und Weise, mit der Menschen versuchen, Identitäten im Internet zu inszenieren. Der Zuschauer wird Zeuge einer doppelten Inszenierung, nimmt er doch die Strategien der Finalists als Zeichen der Semiosen wahr, in denen die Konstruktionen von Identität im Internet ablaufen können. In einer bewusst offen gehaltenen Struktur, einer Verschmelzung von Spiel und realer Selbstpräsentation im WWW, oszillieren die Homepages der Finalists zwischen eigens für die Perfor-

97. http://theFinalists.aec.at (Zugriff am 21.11.2001) 98. Gob Squad/Schäfer, Anette/Chalcraft, Miles: The Finalists. An Online Performance. CD-Rom Dokumentation. Berlin 2002. 99. Stammen, Silvia: Das ganze Netz ist eine Bühne, a.a.O., S. 18. 100. Gob Squad/Schäfer, Anette/Chalcraft, Miles: The Finalists. An Online Performance. CD-Rom Dokumentation. Berlin 2002. 101. Ebd. 102. Ebd. 216

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mance gestalteten Seiten und bereits vorher im WWW existierenden Seiten. Die Homepages der Finalists konstruieren eine hypertextuelle Verweisungsstruktur zwischen ihren eigenen, fiktionalen und nichtfiktionalen Web-Seiten. Folgen die Teilnehmer diesen Verweisungsstrukturen, werden sie mit der Kontingenz von Identitätskonstruktionen im WWW konfrontiert. Im System eines Hypertextes treten sie in unmittelbare Interaktion mit dem Denken und Schreiben anderer Menschen.103 Indem die Web-Seiten der Finalists auf weitere Web-Seiten verweisen, übernehmen sie eine metonymische Funktion.104 Der Hyperlink als reflexive Struktur »visibly displays the performative or productive notion of a text.«105 Er übernimmt eine dreifache Funktion: erstens als Teil des Text/Bild/Audio-Arrangements der Web-Seite, zweitens als Index einer anderen Web-Seite und drittens als Absprung zu diesem anderen Web-Seiten. Der Link ist gleichzeitig »Zeichen, Verweis und Aktion«,106 so Roberto Simanowski. Verlinkung wird zum Konzept, die Links als Schnittstellen unterbrechen den linearen Zeichenfluss und bieten sich statt dessen als gedankliche Knotenpunkte an, »die dem Leser die Möglichkeit geben, im Vollzug der Lektüre die individuelle Konstellation des Textes […] aktiv mitzugestalten.«107 »New media objects« werden nach Manovich selten vollkommen neu geschaffen, sondern vielmehr aus »ready-made parts«108 zusammengesetzt. »The World Wide Web takes this process to the next level: it encourages the creation of texts that consist entirely of pointers to other texts that are already on the Web.« 109 So nennt auch Silvia Stammen in ihrer Rezension die »Netzpiraterie, das Entern privater Homepages, das Verlinken mit obskuren Chat-

103. Diese These wird in Ansätzen auch von Julia Hilton formuliert. Vgl. Hilton, Julia: The Three-Dimensional Text: Computers, Writing and Performances. In: Haken, Hermann/Karlqvist, Anders/Svedin, Uno (Hrsg.): The Machine as Metapher and Tool. Berlin: Springer, 1993, S. 67-75: S. 72. 104. Vgl. ebd., S. 73. 105. Barbatsis, Gretchen/Fegan, Michael/Hansen, Kenneth: The Performance of Cyberspace, a.a.O., Kap. Space and Ideational Realities. Ohne Seitenangabe. 106. Simanowski, Roberto: Interfictions, a.a.O., S. 75, vgl. ebd., S. 72. 107. Sandbothe, Mike: Theatrale Aspekte des Internets, a.a.O., S. 222. 108. Manovich, Lev: The Language of New Media, a.a.O., S. 124. 109. Ebd., S. 127. 217

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rooms oder das parasitäre Eindringen in Online-Dienste aller Art«110 als Charakteristika der Finalists. In seiner Struktur spiegelt The Finalists die Struktur des WWW als »tissue of quotation«,111 wie es Manovich beschreibt. Der Prozess, in dem dieses tissue of quotation gesponnen wird, verweist auf die Performativität der Konstruktionen, innerhalb derer die »Patchwork-Identität«112 der Finalists entsteht. In den Verweisungsstrukturen findet sich deutlich die von Sandbothe sowohl als ›Verbildlichung der Schrift‹ bezeichnete Tendenz, Web-Seiten bildhaft wahrzunehmen (vgl. Kap. 5.1.2), als auch die als ›Verschriftlichung des Bildes‹ bezeichnete Tendenz, ein Bild auf einer Web-Seite als ein Zeichen zu lesen, »das uns nicht nur semantisch, sondern auch und vor allem pragmatisch, d.h. durch einen einfachen Mausklick, auf andere Zeichen verweist.«113 The Finalists kombiniert die individuelle Navigationserfahrung im Netz mit kollektiven Formen wie dem Chat; die Teilnehmer an diesem piece sind gleichzeitig explorer und flaneur. Während der Chats kommt The Finalists einer ›theatralen Situation am nächsten‹, wie die Gob Squads formulieren. Sie begreifen die Chats als Höhepunkte, schaffen sie doch eine soziale Situation mit großer Intensität. Zwischen zwanzig und dreißig Teilnehmern nahmen im Schnitt teil. Die Chats folgten einer geplanten Dramaturgie, die vom Administrator des Chats (Miles Chalcraft) vorgegeben wurde. Der Administrator übernahm die Funktion, die Szenerie zu setzen, die Kommunikation zu regulieren, aber auch mitzuspielen. Durch seine Repliken setzte der Administrator sowohl die zu imaginierende Umgebung (»We are standing on a mistry moor in the ruins of an old church before me four freshly dug graves.«) als auch mögliche Handlungen (»I think you got the picture, folks, we’re gathered here today to call up the spirits of the 4 Finalists.«) Er stellte auch gezielte Fragen, beispielsweise bei der Simulation einer Pressekonferenz (»How would you make the world a better place?« oder »What mind blowing revelation have you got for me?«) Als der Darsteller eines Journalisten vom Guardian sich beteiligte, wies ihn der Administrator zurück (»Could the Guardian journalist please ask questions and not answer them«). Er trat sogar restriktiv auf und hob Imaginationen der Teilnehmer wieder auf, indem er behauptete, es seien nur Traumbilder gewesen. Dies steht im

110. Stammen, Silvia: Das ganze Netz ist eine Bühne, a.a.O., S. 18. 111. Manovich, Lev: The Language of New Media, a.a.O., S. 127. 112. Gob Squad/Schäfer, Anette/Chalcraft, Miles: The Finalists. An Online Performance. CD-Rom Dokumentation. 113. Sandbothe, Mike: Theatrale Aspekte des Internets, a.a.O., S. 222. 218

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Widerspruch zu einer Aussage Chalcrafts, der während einer Diskussion im Goethe-Forum formuliert hatte, die Schaffung des Stückes liege allein bei den Teilnehmer.114 Die konkrete Funktion des Administrators verwirrte auch einige Teilnehmer. So fragte der Teilnehmer mit dem Spitznamen turtle, wer sich eigentlich hinter ›Admin‹ verberge und bekam von Faith Listens die Antwort: »Oh turtle, so new and so brave to ask the question we all wanted to know.«115 Doch auch hinsichtlich der Sprache entstanden Schwierigkeiten. So beschwerte sich ein/e deutschsprachige/r Teilnehmer/in, die/der mit dem englischen Sprachwitz der Gob Squads nicht mithalten konnte, während des letzten Chats vehement, weil ihre/seine Beiträge nicht ernst genommen würden. Aufgrund ihrer visuellen und auch akustischen Elemente nehmen auch die Produktionen von Desktop Theater innerhalb der Medialität textbasierter Internet Performances eine besondere Stellung ein.

5.1.7 Desktop Theater: Zwischen Text und bewegtem Bild Die Medialität der Produktionen von Desktop Theater wird durch die zusätzliche visuelle Ebene der Palace-Umgebung und daraus entstehender Interaktionen zwischen Bild und Schrift entscheidend geprägt. Die Projektion der online-Kommunikation in einen zweidimensional konzipierten, jedoch auf dreidimensionale Wirkung ausgerichteten Raum bezeichnet Manovich als Bewegung hin zur »spatialization of the Internet«, die nicht nur eine »spatialization of narrative«, sondern – indem diese Verräumlichung des Erzählten die Basis für temporale Erfahrungen stellt – auch eine »spatialization of time«116 bewirke. Die Bildlichkeit der Palace-Performances bewegt sich zwischen digitalisierten und digitalem, statischen und animierten Bildern. Im Unterschied zur Bildlichkeit anderer textbasierter und telematischer Internet Performances kann die Bildlichkeit der Palace-Performances über den Diskurs des digitalen Bildes bestimmt werden. Im Folgenden soll zuerst die Position von Desktop Theater zwischen digitalisierter und digitaler Bildlichkeit bestimmt werden, um dann die Interaktion von Schrift, Bild und Akustik in waitingforgodot.com zu diskutieren.

Zwischen digitalisierter und digitaler Bildlichkeit Die Bildlichkeit der Produktionen von Desktop Theater wird durch die Struktur des Interface bestimmt. Das Interface des Palace-Programms

114. Vgl. Chalcraft, Miles: Mitschrift der Diskussion im Goethe-Forum vom 24.11.2001. 115. Mitschrift des Chats vom 18.11.2001. 116. Manovich, Lev: The Aesthetics of Virtual Worlds: Report from Los Angeles. http:// jupiter.ucsd.edu/~manovich/virt-space.txt (Zugriff am 14.01.1997) Ohne Seitenangabe. 219

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setzt sich aus einem szenischem Hintergrund, den Avataren, die sich ruckartig bewegen, und den Sprechblasen mit den Dialogen der Teilnehmer zusammen. Eingebettet in den Bildschirm des Computers rahmt das Interface des Palace-Programms die Wahrnehmung der Teilnehmer. Während der Hintergrund von waitingforgodot.com beispielsweise digital produziert wurde, verwendeten Teilnehmer auch digitalisierte Fotografien als Avatare. In ihrer Kombination digitalisierter und digitaler Materialien kann die Bildlichkeit der Produktionen von Desktop Theater als hybride bezeichnet werden.117 Bei digitalen Bildern können Speicher- und Trägermedium getrennt werden. Der Speicher des digitalen Bildes ist, wie beispielweise beim Tafelbild, nicht mehr exklusiv dem Bild vorbehalten. Weibel bestimmt digitale Bilder als »künstlich erzeugte Bilder, deren Basis die Zahl ist.«118 Sie sind quantifizierbare, diskontinuierliche Einheiten, die auf Algorithmen beruhen. Diese Algorithmen werden erst durch den Prozess einer Codierung zu Zeichen. Die Ebene des digitalen Codes, der in den seltensten Fällen von den Rezipienten verstanden werden kann, stellt eine »zusätzliche, bisher unbekannte Textebene«119 dar. Drei Kriterien kennzeichnen nach Weibel das digitale Bild: Virtualität, Viabilität und Variabilität. Virtualität bezeichnet den Modus, in dem die Informationen gespeichert werden, Variabilität die freie Auswahl von Objekten, in denen sich das Bild verkörpern kann, und Viabilität als Möglichkeit des Bildes, Bewegung und Bewegtheit zu imitieren.120 Das digitale Bild besteht aus linear angeordneten Bildpunkten; es imitiert damit den geschlossenen Bildraum des Tafelbildes, ist jedoch genauso wenig immateriell wie dieses, benötigen seine Informationen doch ebenfalls Speicherkapazität. Die interne Datenstruktur digitaler, aber auch digitalisierter Bilder aus Pixeln verleiht ihnen einen Schriftcharakter, »dessen Semiotik sich intern aus der Relation der Pixel und extern durch hypertextuelle Verweisung auf andere Dokumente ergibt.«121 Durch ihren binären Code werden digitale und digitalisierte Bilder als »temporäres Ereignis, das auf dem Bildschirm sichtbar

117. Vgl. Fabo, Sabine: Bild/Text/Sound – Hybride des Digitalen? In: Schneider, Irmela/Thomsen, Christian: Hybridkultur, a.a.O., S. 177-192: S. 179ff. 118. Weibel, Peter: Zur Geschichte und Ästhetik der digitalen Kunst. In: Hemken, KaiUwe (Hrsg.): Bilder in Bewegung, a.a.O., S. 206-221: S. 208. – Vgl. ebenfalls Hünnekens, Annette: Der bewegte Betrachter, a.a.O., S. 60-62. 119. Simanowski, Roberto: Interfictions, a.a.O., S. 111, vgl. ebd., S. 150. 120. Vgl. Weibel, Peter: The Unreasonable Effectiveness of the Methodological Convergence of Art and Science. In: Sommerer, Christa/Mignonneau, Laurent (Hrsg.): Art& Science, S. 167-180: S. 178. 121. Sandbothe, Mike: Interaktivität-Hypertextualität-Transversalität.a.a .O., S. 75f. – Identisch formuliert in: ders.: Digitale Verflechtungen, a.a.O., S. 155f. 220

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wird«,122 reproduziert. Über ihre Materialität kommt digitalen Bildern ein neuer semiotischer Status zu, der in begrenzten Maße auch für digitalisierte Bilder gilt. Digitale Bilder sind ohne Referenz auf real existierende Objekte sichtbar; digitalisierte Bilder hingegen besitzen zwar einen Referenten, zu dem sich die Verbindung in den Produktionen jedoch weitgehend gelöst hat. Die Bildlichkeit von Desktop Theater bewegt sich so zwischen einem Status als »Zeichen für Gegenstände und zum anderen als Zeichen für Sichtweisen.« Als konstruktives Handeln in und durch Zeichen reflektiert sie »die unsichtbaren Sichtweisen, mit denen der Mensch die gesehene Wirklichkeit strukturiert.«123 Im Unterschied zu seiner etymologischen Herkunft bezeichnet der Begriff Avatar im Kontext von Internet-Diensten die Identität, die ein Kommunikationsteilnehmer angenommen hat.124 Nach Victoria Vesna wird der Begriff in dieser Verwendung erstmals bei Randy Farmers und Chip Morningstars Lucasfilm’s Habitat gebraucht.125 Avatare können die Körperlichkeit der Benutzer auf graphischer Ebene reproduzieren.126 In ihrer Improvisation Barnstorming the Palace von 2000 griff Desktop Theater den US-amerikanischen Wahlkampf zwischen Al Gore und George W. Bush auf. Mit Fotografien der beiden Kandidaten entwickelte Desktop Theater Avatare, die gemeinsam mit Ausschnitten aus aktuellen Wahlkampfreden gezeigt wurden. Nachfragen einiger

122. Spohn, Annette: What you see is what you want. Paradigmenwechsel in der visuellen Kultur. In: Münker, Stefan/Roesler, Alexander (Hrsg.): Praxis Internet, a.a.O., S. 249-275: S. 267. – Vgl. ebenfalls Simons, Jan: What’s a digital image? In: Spielmann, Yvonne/Winter, Gundolf (Hrsg.): Bild-Medium-Kunst, a.a.O., S. 107-122: S. 109. 123. Wiesing, Lambert: Verstärker der Imagination. Über Verwendungsweisen von Bildern. In: Schweppenhäuser, Gerhard/Gleiter, Jörg (Hrsg.): Kultur-philosophische Spurensuche. Weimar: Universitätsverlag, 2000, S. 152-169: S. 161, 159. 124. Vgl. Vesna, Victoria: Avatare im World Wide Web: Die Vermarktung der *Herabkunft*. In: Stocker, Gerfried/Schöpf, Christine (Hrsg.): Fleshfactor. Informationsmaschine Mensch. Ars Electronica ’97. Wien: Springer, 1997, S. 168-180: S. 170. – Nach dem Dictionary of Hinduism bedeutet ›Avatara‹ eine »›Herabkunft‹, insbesondere das Herabsteigen eines Gottes vom Himmel zur Erde. […] Der Begriff des Avatara stellt wahrscheinlich eine Weiterentwicklung des alten Mythos dar, demzufolge ein Gott durch die schöpferische Kraft seiner Maya nach seinem eigenen Willen jede Gestalt annehmen kann […]« Ebd., S. 171. 125. Vgl. ebd., S. 171. 126. Deshalb vergleichen Steve Tillis und Corcoran sie als Fortsetzung des Puppentheaters. Tillis, Steve: The Art of Puppetry in the Age of Media Production. In: TDR 43, 3(T163) Fall 1999, S. 182-195. Marlena Corcoran vergleicht die Avatare mit den japanischen Joruri-Puppen. Vgl. Corcoran, Marlena: internet-performance als netz. kunst, a.a.O. Ohne Seitenangabe. 221

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Teilnehmer zeigten, dass diese Teilnehmer es nicht für unmöglich hielten, dass Gore und Bush auch im Palace versuchten, weitere Stimmen zu gewinnen. Horbelt argumentiert mit dem Begriff der Authentizität, den fotografische Avatare seiner Ansicht nach vermitteln.127 »Avatare […] verliehen den Auftritten zusätzliche Authentizität, die Authentizität der Fotografie.«128 Betrachtet man jedoch die Interpretation der Künstler selbst, die ihre Arbeit gegen die »mainstream/commercial exploitation of media«129 verstanden wissen wollen, so erscheint es angebracht, diesen Zusammenhang differenzierter als bewusste Inszenierung kultureller Konventionen in Bezug auf das Medium der Fotografie (und seiner Integration in das Medium Internet) zu bezeichnen. Das dem Medium der Fotografie zugesprochene Potential authentischer Repräsentation wird gerade in bezug auf massenmediale Repräsentationen oftmals nicht hinterfragt; die Gestaltung der Avatare über Fotografien von Gore und Bush initiierten eine kritische Überprüfung von Formen der Identitätszuweisung im Internet, eine »passionate discussion of online performativity, identity and ethics«,130 wie Desktop Theater formuliert. Desktop Theater bringt hier das Medium der Fotografie auf der Ebene der Repräsentation und der Thematisierung zur Darstellung.131 Im Folgenden soll die Interaktion dieser verschiedenen Ebenen, die die Medialität von Desktop Theater kennzeichnen, anhand der Produktion waitingforgodot.com untersucht werden.

Interaktionen zwischen Bild, Schrift und Akustik in waitingforgodot.com Die Repliken der Teilnehmer, die neben den Avataren in Sprechblasen erscheinen, sind einerseits Elemente dieser Bildlichkeit, bewirken aber andererseits auch eine besondere Interaktion zwischen Bildlichkeit,

127. Vgl. Horbelt, Andreas: Theater und Theatralität im Internet, a.a.O., S. 89. – Zur Improvisation bei Desktop Theater vgl. Jenik, Adriene: Desktop Theater, a.a.O., S. 109. »In the improvisations, an initial idea is born and followed quickly by a highspeed production session that culminates in an ›outing‹ in the public area, an analysis of what occurred, and often a second documented outing.« 128. Vgl. Horbelt, Andreas: Theater und Theatralität im Internet, a.a.O., S. 89. 129. Jenik, Adriene: The Early Years of Desktop Theater. In: http://www.heel stone.com/meridian/jenik/jenik.html 6. (24.10.2001) 130. Desktop Theater Archive. http://leda.ucsd.edu/%7Eajenik/archive/files/a_fr_01. htm (Ohne Autorenangabe) (Zugriff am 24.10.2001) 131. Zum Ansatz, medientheoretisch zwischen der Ebene der Repräsentation und der Ebene der Darstellung zu fragen vgl. Balme, Christopher: Robert Lepage und die Zukunft des Theaters im Medienzeitalter, a.a.O., S. 672-677. 222

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dramatischem Dialog und seiner visuellen Präsentation. Im Verhältnis von dramatischem Dialog, Avataren und Hintergrund führen die verbal-sprachlichen Elemente; die Bildlichkeit hingegen ergänzt die Bedeutung des Textes. Das Comic leitet qua Konvention die Wahrnehmung. Avatare und Hintergrund sind variable Bildobjekte, die gemeinsam die visuelle Umgebung formen. Die Überdeckung einzelner Bildelemente, beispielsweise die Position Didis vor der Horizontlinie, kann dabei eine Tiefenwirkung erzeugen.132 Weitere Kriterien in der Konstruktion von Bildlichkeit sind das Verhältnis von Formen, Farben und Flächen, die bei waitingforgodot. com weitgehend durch die Schwarz/Grau-Tönung des Hintergrundbildes bestimmt wird, sowie die Anordnung der Bildebenen und der Bewegungen der verschiedenen Avatare. Die Teilnehmer müssen die imaginierten körperlichen Aktionen nicht nur in Texten beschreiben, sondern auch die Maus so bewegen, dass sie die gewünschten Bewegungen der Avatare auslöst. Die Textvorlage von waitingforgodot.com legte die wesentlichen ›Gänge‹ für Didi und Gogo fest; so soll sich laut Nebentext im ersten Akt (»> Gogo- Edge left.«) Gogo in die linke Ecke des Hintergrundes bewegen; Didi hingegen soll seine Position wenig später von links nach rechts (»> Didi- Cross right.«) ändern. Diese ruckartigen Bewegungen positionieren Desktop Theater zwischen statischer und animierter Bildlichkeit. Animation spielt mit ihrem künstlichen Charakter, so Manovich, »openly admitting that its images are mere representations. Its visual language is more aligned to the graphic than to the photographic. It is discrete and self-consciously discontinuous […].«133 Die auditive Ebene, also die roboterartigen Übertragungen der Repliken in Töne, gehört dabei zur Animation und fügt gemeinsam mit der visuellen Ebene von Desktop Theater der Semiotisierung des Körperlichen zwei weitere Ebenen hinzu. Damit erhöhen sich nicht nur die medialen Darstellungsmöglichkeiten, sondern auch die Bedingungen einer gelingenden Kommunikation in diesen Produktionen. Zum Zeichensystem der Schrift mit ihrer Funktion in dieser online-Umgebung als Sprache tritt die Bildlichkeit zur Repräsentation von Körperlichkeit und Räumlichkeit hinzu. Im Unterschied zu IRC- und MOO Theatre Produktionen ist die Interaktion hier, wenngleich nicht an den Körper, so doch an die Repräsentation von Körperlichkeit durch die Avatare und damit über eine Form proxemischer Zeichen gebunden. Die Ver-

132. Vgl. Bild »i_gd_002«: http://leda.ucsd.edu/%7Eajenik/archive/plays/Godot/ima ges/igal/gallery/index. htm (Zugriff am 01.08.2005) 133. Manovich, Lev: The Language of New Media. a.a.O., S. 298. 223

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tonung der Repliken inszeniert die Stimme als Spur dieser Repräsentation. Die visuelle und die auditive Ebene als Elemente der Animation verändern auch den Wahrnehmungsmodus des Lesens, der für die anderen textbasierten Internet Performances charakteristisch ist (vgl. Kap. 5.1.8). Die Medialität von Desktop Theater erscheint wie ein interaktives, bewegtes Comic zum Mitmachen.134 An das Computerspiel Sim City erinnernd, das Versatzstücke zum Bauen einer Stadt bereitstellt, bewegt sich die Dramaturgie von waitingforgodot.com zwischen Fortgang der geschriebenen dramatischen Handlung und dem Erproben interaktiver Strukturen.135 Basieren Produktionen wie waitingforgodot.com auf der Interaktion verschiedener Teilnehmergruppen, so hängt das Gelingen der Produktion in hohem Maße von dem Verhalten der unvorbereiteten Teilnehmer ab.136 In waitingforgodot.com verursachte der Auftritt des muscleman »who […] crashed the performance and interjected some ad libs«137 einen solchen unkontrollierbaren Moment. Muscleman trat auf, als Didi und Gogo den Waiting Room verließen, um in einen anderen Raum zu gehen, der Pit (für Parterre oder Box) genannt wurde. »The improvisatory interruptions came full circle when Muscleman, getting into the spirit of the event, changed his avatar’s name to Godot. That made this ›Godot‹ a first: one in which Godot finally shows up.«138 Solche Probleme hatte MetaMOOphosis durch Elemente wie das built-

134. Auch Johnson sieht die Metapher des Comics als angemessenen Vergleich für die Bildlichkeit von Palace-Umgebungen. Vgl. Johnson, Steven: Interface Culture. a.a.O., S. 251. 135. Zu Sim City vgl. http://www.sims.de (Zugriff am 31.03.2003) – Vgl. Furtwängler, Frank: »A crossword at war with a narrative« Narrativität versus Interaktivität in Computerspielen. In: Gendolla, Peter et al. (Hrsg.): Formen interaktiver Medienkunt. a.a.O., S. 369-400. S. 374. 136. Aus diesem Grund vergleicht der Kritiker Rosenberg Palace mit der Umgebung einer Straße. »[T]he Palace chat system offered an unruly public environment for a theatrical experiment – a space for online street theater in which bystanders could stagger onto the ›stage‹ at any moment.« Rosenberg, Scott: Clicking for Godot. http://archive.salon.com/21st/feature/1997/10/02godot.html (Zugriff am 27.08. 2002) Ohne Seitenangabe. 137. Ebd. 138. Ebd. – Mit seiner Beurteilung, waitingforgodot.com sei auch darin eine Premiere, »to bring the structure of drama and the weight of a classic text into the crude, ephemeral environment of online chat«, hat Rosenberg jedoch in Unkenntnis der Hamnet Player-Produktionen Unrecht. Vgl. ebd. 224

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in script von Gretes Violine (»That’s Grete’s Violin. You decide not to tamper with it.«139), das klare Grenzen für das Verhalten der Teilnehmer setzte, verhindert. Dennoch wurde gerade die Möglichkeit des »ever-present threat of street-theater-style disruption«,140 wie Rosenberg von der Diskussion im Anschluss an eine Aufführung berichtet, als besondere Qualität der Produktion angesehen. Jenik gibt vor allem assoziative Parallelen an, weshalb sie gerade Becketts Waiting for Godot als Dramengrundlage auswählten.141 Gleichzeitig war die Metaphorik des lebenslangen Wartens und ihre Inszenierung als Warten online für die Produzenten ein »perfect commentary on the world of online chat«,142 der nach Jenik bei den Teilnehmern ein großes Echo hervorrief.143

5.1.8 ›Präsenz des Vorgestellten‹ Indem textbasierte Internet Performances die theatrale Aktion mit all ihren Komponenten verschriftlichen und die Wahrnehmung der Aufführung einem Vorgang des Lesens entspricht, ist das Gelingen solcher Aufführungen auf die Imagination der dramatischen Handlung durch die Teilnehmer, mithin auf die Produktion innerer Bilder angewiesen. Ebenso wie die Verbindung der Teilnehmer über das Internet als technische Komponente unabdingbar für das Gelingen der Aufführung ist, so ist es auch die Imagination der dramatischen Handlung als wirkungsästhetische Komponente. Um für andere Teilnehmer präsent zu sein, muss man die Vorstellung der anderen über eigene Repliken beeinflussen können. Die Möglichkeit zur Interaktion ist also die conditio sine qua non für die Vermittlung der eigenen Präsenz in textbasierten Internet Performances.144 Oder wie es LaFarge formuliert: »Online theater demands imagination simply to exist.«145 Charakteristisch für die mentale Kooperation textbasierter Internet Performances ist eine

139. Sacks, Rick: The MetaMOOphosis. a.a.O., S. 169. 140. Rosenberg, Scott: Clicking for Godot. a.a.O. Ohne Seitenangabe. 141. So habe erstens »the anticipation of the characters Vladimir and Estragon« mit dem »anticipatory space of the chatroom«übereingestimmt. Zweitens habe der Dialog zwischen zwei Partnern die Kommunikation via zwei Tastaturen gespiegelt, und drittens habe »the spareness of the country road in evening« den bereits existierenden »somewhat gloomy graphical background of one of our favorite public rooms, ›The Moor‹« getroffen. Vgl. Jenik, Adriene: Desktop Theater. a.a.O., S. 99. 142. Rosenberg, Scott: Clicking for Godot. a.a.O. Ohne Seitenangabe. 143. »The pace and tone of waitingforgodot.com compounded with the primary online acticity of waiting provoked a deeply empathetic response in its viewers.« Jenik, Adriene: Desktop Theater. a.a.O., S. 100. 145. LaFarge, Antoinette: A World Exhilarating and Wrong, a.a.O., S. 421. 225

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Form von Präsenz, die mit einer Formulierung Isers als »Präsenz des Vorgestellten«146 charakterisiert werden kann. Sie entsteht beim Lesen als Wahrnehmungsmodus textbasierter Internet Performances; Imagination und die Produktion innerer Bilder spielen hierbei eine zentrale Rolle. Nach Iser ist ein Text als Wirkungspotential anzusehen, das im Lesevorgang aktualisiert wird. Die ästhetische Wirkung eines Textes beschreibt er in einem dialektischen Dreischritt von Text und Leser sowie der sich zwischen ihnen ereignenden Interaktion.147 Seine Argumentation erfolgt aus der Perspektive der literarischen Anthropologie, die nach Erkenntnissen über den Menschen im Medium der Literatur sucht.148 Obwohl Iser fiktionale Texte unter den Bedingungen des Buchdrucks behandelt, und damit Situationen des Lesens, in denen ein bereits abgeschlossener Text auf einen einzigen Leser trifft und nicht – wie im Falle der textbasierten Internet Performances – ein zwar strukturell und zum Teil auch inhaltlich vorgegebener, jedoch sich durch Improvisationen noch zu schreibender Text auf eine unbestimmte Zahl an Lesern trifft, so kann mit seinen theoretischen Ansätzen der Wahrnehmungsmodus textbasierter Internet Performances bestimmt werden. Iser weist fiktionalen – und damit auch dramatischen – Texten einen Bildcharakter zu.149 Dabei spricht er nur von ›dem Bild‹. Im Sinne der von der Bildwissenschaft nahe gelegten Unterscheidung innerer und äußerer Bilder muss jedoch für die von Iser bezeichneten Bilder, die als Produkt aus dem Zeichenkomplex des Textes und dem Erfassungsakt des Lesens im Leser produziert werden, der Begriff des inneren Bildes verwendet werden.150 Im synthetisierenden Akt des Lesens stellt das innere Bild den zentralen Modus dar. Dies bezeichnet Iser den »Bildcharakter der Vorstellung.«151 Dabei setzt die Bildhaftigkeit des imaginativen Erfahrungsaktes »die faktische Abwesenheit dessen voraus, was in den Bildern zur Anschauung gelangt.«152 So betont auch LaFarge,

146. Iser, Wolfgang: Der Akt des Lesens. Theorie ästhetischer Wirkung. München: Fink, 1994 (4. Auflage), S. 225. 147. Vgl. ders.: Der Akt des Lesens: Perspektiven literarischer Anthropologie. Frankfurt: Suhrkamp, 1993, S. 7f. 148. Vgl. Riedel, Wolfgang: Literarische Anthropologie. In: Fricke, Harald (Hrsg.): Reallexikon der deutschen Literaturgeschichte. Bd. 2, a.a.O., S. 432-434: S. 432. 149. Vgl. Iser, Wolfgang: Der Akt des Lesens. Theorie ästhetischer Wirkung, a.a.O., S. 21. 150. Vgl. ebd., S. 22. 151. Ebd., S. 222. 152. Ebd. 226

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»a text-only world speaks to the imagination in a completely different way from a world grounded in explicit imagery.«153 Im Prozess der Imagination des Gelesenen produzieren die Teilnehmer von textbasierten Internet Performances innere Bilder der theatralen Handlung. Indem sich die Teilnehmer diese theatrale Handlung vorstellen, sind sie gleichzeitig »in der Präsenz des Vorgestellten.«154 Hier kommt der Negation eine herausragende Rolle zu, die Iser als die unbestimmten Stellen des Textes, als das Leergelassene versteht, das von den Vorstellungen des Leser besetzt wird. Die Negativität fiktionaler Texte, die »Leerstelle als ausgesparte Anschließbarkeit«,155 ist die Bedingung ihrer Wirkung. Im Unterschied zur Lektüre bereits fixierter Texte, die Iser als asymmetrische Kontingenz beschreibt, da hier der Leser durch den Text ›vereinnahmt‹ würde, kann bei der Wahrnehmung textbasierter Internet Performances von einer wechselseitigen Kontingenz gesprochen werden.156 Als ›Katalysator‹, wie Iser formuliert, nimmt dabei das Zeitmoment – der Rhythmus des Lesens und die zeitliche Dimension der Imagination – eine zentrale Rolle ein.157 »[W]o Text und Leser zur Konvergenz kommen, liegt der Ort des literarischen Werkes.«158 Textbasierte Internet Performances treten vom Selbstverständnis her im Bezugsrahmen des Performativen und des Theaters auf, vom Wahrnehmungsmodus jedoch im Bezugsrahmen der Literatur. Dieses Changieren zwischen Theater und Literatur kennzeichnet nicht nur ihren intermedialen Status, sondern kann auch innerhalb der Tradition der Lesedramen gesehen werden. Als Lesedramen werden seit dem 18. Jahrhundert Dramen bezeichnet, die für eine Inszenierung entweder nicht bestimmt oder geeignet sind. Martin Ottmers bezeichnet Bühnen- und Lesedramen als »Ausdifferenzierung zweier medialer Dimensionen der Gattung Dra-

153. LaFarge, Antoinette: A World Exhilarating and Wrong, a.a.O., S. 416. 154. Iser, Wolfgang: Der Akt des Lesens. Theorie ästhetischer Wirkung, a.a.O., S. 225. – Iser spricht auch vom »Text als Prozeß.« Vgl. ebd., S. VII. 155. Ebd., S. 284, vgl. S. 348. – Vgl. Horbelt, Andreas: Theater und Theatralität im Internet, a.a.O., S. 93. – Da die Produktionen von Desktop Theater und The Finalist Chats mit visuellen Elementen kombinieren, treffen die folgenden Aussagen auf sie nicht zu. 156. Vgl. die Ausführungen Furtwänglers zur Interaktion bei Computerspielen. Furtwängler, Frank: »A Crossword at War with a Narrative«, a.a.O., S. 369-400: S. 376. 157. Vgl. Iser, Wolfgang: Der Akt des Lesens. Theorie ästhetischer Wirkung, a.a.O., S. 241ff. 158. Ebd., S. 38. 227

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ma.«159 Die Präferenz für eine der beiden Varianten sei »Ausdruck epocheneigener Medieninteressen und Autorenintentionen.«160 Im System koexistierender Theaterformen unserer Epoche stellen textbasierte Internet Performances keine Präferenz dar; sie sind jedoch Ausdruck ihrer Produzenten, die textbasierten Kommunikationsformen des Internets im theatralen Kontext zu reflektieren. Metaphorisch kann Lesen als Verstehen von Welt verstanden werden, als »schriftspezifische Verstehensleistung«,161 wie Hugo Aust formuliert. Gerade die Kommunikationsbedingungen des Internets, in denen sich diese Verstehensleistung in der Verschriftlichung der Sprache zeigt, erfordern nicht nur eine technische Grundausstattung, sondern auch eine besondere Medienkompetenz. Sowohl die Fähigkeit zum Lesen als auch die Tätigkeit des Lesens selbst sind in diesem Sinne eine »Autoritätsausübung.«162

5.2 Szenographische Strukturen textbasierter Internet Performances Textbasierte Internet Performances beruhen auf einer besonderen diegetischen Struktur, sind die Teilnehmer doch geographisch verteilt und über Internet-Dienste miteinander verbunden, die metaphorisch als ›Räume‹ verstanden werden (vgl. Kap. 5.2.1). Die ›Präsenz des Vorgestellten‹ beruht dabei auf impliziten Raumvorstellungen, die sich an szenographische Strukturen der abendländischen Theatergeschichte anlehnen, vor allem an die Proszeniumsbühne und die Konzeption des Environmental Theatre (vgl. Kap. 5.2.2).

5.2.1 Metaphorisierung des Raumes Der im dramatischen Dialog textbasierter Internet Performances repräsentierte Raum kann außerhalb der Imagination seiner Leser nicht

159. »Von Goethe selbst als ›antitheatralisch‹ […] beschrieben, entwickelt das ›Drama zum Lesen‹ (Wieland in: Teutscher Merkur 1774, 325) gerade mit seiner Ablehnung wirkungsorientierter und bühnenbezogener Normen […] ein beachtliches Innovationspotential.« Ottmers, Martin: Lesedrama: In: Fricke, Harald (Hrsg.): Reallexikon der deutschen Literaturgeschichte. Bd. 2, a.a.O., S. 404-406: S. 404. 160. Ebd., S. 406. – Zur Tradition des Lesedramas vgl. ebenfalls Höfele, Andreas: Drama und Theater, a.a.O., S. 4. Und: Kühnel, Jürgen: Mediengeschichte des Theaters. In: Schanze, Helmut (Hrsg.): Handbuch der Mediengeschichte, a.a.O., S. 316-346: S. 317. 161. Aust, Hugo: Lesen. In: Fricke, Harald (Hrsg.): Reallexikon der deutschen Literaturgeschichte. Bd. 2, a.a.O., S. 406-410: S. 407, vgl. S. 408. 162. Ebd., S. 407. 228

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existieren. Wenn beispielsweise bei MetaMOOphosis von den ›Räumen‹ des Kafka Houses gesprochen wird, so wird der Begriff des Raumes hier metaphorisch verwendet, entsprechen die ›Räume‹ des Kafka Houses doch Teilen der Datenbank, die dem MOO zugrunde liegt. Der Raum, der die Teilnehmer verbindet und ihnen die Möglichkeit einer spezifischen Erfahrung und Interaktion bietet, kann als »narrative space«163 oder »imagined space«164 bezeichnet werden. Elektronische Verbunden-Sein wird hier als Raum gedacht. ›Raum‹ kann in diesem Sinne »als die allgemeine Form einer vorgestellten Welt«165 verstanden werden, wie Alf Mentzer formuliert, der die Bedeutung des Körpers in der erzählerischen Vermittlung von Raum betont. »Hinsichtlich des Raums ist die Wahrnehmung als bezeichnete, erzählerisch vermittelte Wahrnehmung nämlich weniger ein Bestimmen der Gegenstände als vielmehr ein Bestimmtwerden des Rezipienten hinsichtlich seines Im-Raum-Seins. Dabei kommt dem Körper die Rolle des vermittelnden Zwischenraums zu, der eine Verbindung zwischen der Bezeichnung des Raums und seinem Erlebnis stiftet.«166 Der semantisch konstituierte Raum und das Erlebnis des Raumes sind während der Aufführung nicht miteinander kommensurabel.167 Beide Ebenen zusammen konstituieren jedoch den Raum der Aufführung. Martin Esslin betont: »Der Raum der Aufführung – sei es die Bühne des Theaters oder die Filmleinwand oder der Bildschirm – hat einen entscheidenden und wirklich wesentlich Aspekt: Durch seine bloße Existenz ruft er Bedeutung hervor.«168 Ebenso wie in Theaterformen unter den Bedingungen physischer Kopräsenz jeder Raum metaphorisch einen anderen Raum bedeuten kann, weist auch der Monitor diese semantische Flexibilität auf. Der ›espace scénographique‹, von Pavis definiert als »espace à l’interieur

163. Andersen, Peter Bogh/Holmqvist, Berit: Interactive Fiction: Artificial Intelligence as a Mode of Sign Production. In: dies./Jensen, Jens (Hrsg.): The Computer as Medium, a.a.O., S. 169-185: S. 170. 164. Reid, Elizabeth: Cultural Formations in Text-Based Virtual Realities, a.a.O. Ohne Seitenangabe. 165. Mentzer, Alf: Die Blindheit der Texte. Studien zur literarischen Raumerfahrung. Heidelberg: Universitätsverlag Winter, 2001 (zugl.: Frankfurt/Main, Univ., Diss., 2000), S. 8. 166. Ebd., S. 35. 167. Vgl. ebd., S. 36, 38. 168. Esslin, Martin: Die Zeichen des Dramas, a.a.O., S. 38. 229

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duquel se situent le public et les acteurs au cours de la représentation«,169 existiert in dieser Form nicht mehr; die Einheit des ›espace du public‹ wiederum löst sich auf, er verteilt sich und wird individualisiert.170 Gemeinsam sind die Teilnehmer in einem ›Raum‹, der als espace télématique bezeichnet werden kann. Diesem espace télématique liegen implizit Raumvorstellungen zugrunde.

5.2.2 Implizite Raumvorstellungen Abbildung 12: Szenographische Struktur einer textbasierten Internet Performances

Online-Dienst

Bei allen textbasierten Internet Performances sitzen einzelne Teilnehmer vor ihren mit dem Internet verbundenen Computern und nehmen auf verschiedene Art und Weise an diesen Aufführungen teil. Dadurch entsteht eine räumliche Verteilung die graphisch folgendermaßen dargestellt werden kann. Die Pfeile visualisieren den Zugriff der einzelnen Teilnehmer auf den Kommunikationsraum der Aufführung: Mit graduellen Unterschieden setzen alle textbasierten Internet Performances die online-Dienste nicht nur zur Übertragung des dramatischen Dialoges ein. Vielmehr stellen die online-Dienste die Bedin-

169. Pavis, Patrice: Espace (au Théâtre) a.a.O., S. 146. 170. Vgl. ebd., S. 148. 230

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gung der Möglichkeit dar, um diese Form des »writing as interactive performance«171 überhaupt zu ermöglichen. Textbasierte Internet Performances sind jedoch auch in dem Sinne site-specific performances, als sie in ihrer Form der Darstellung – »enacted through typed text«172 – sowohl einen neuen Aufführungs- als auch Wahrnehmungsmodus für das Drama ermöglichen. Im Folgenden sollen jedoch die impliziten Raumvorstellungen betrachtet werden, die der imaginierten Handlung der Aufführungen zugrunde liegen. Dabei kann neben der Restauration der Proszeniumsbühne die Digitalisierung des Environmental Theatre als weitere Tendenz unterschieden werden.

Restauration der Proszeniumsbühne Ebenso wie für andere technologisch induzierte Kommunikationsräume bestimmen spezifische Konventionen aus dem physischen Raum auch die ›Präsenz des Vorgestellten‹ in textbasierten Internet Performances.173 So liegen auch der Imagination des espace télématique qualitative Raumordnungen der abendländischen Theatergeschichte zugrunde. Dies betrifft insbesondere das Proszenium als »einer der wichtigsten das Medium Theater konstituierenden Definitions- und Demarkationsgrenzen«174 (vgl. Kap. 6.2). Als implizite szenographische Struktur liegt das Proszenium den Produktionen der Hamnet Players zugrunde. Im Unterschied zu MetaMOOphosis, wo mehrere ›szenische Räume‹ parallel existierten, wechselte die Teilnehmer nicht vom Kanal #hamlet in einen anderen, sondern die Szene änderte sich im Kanal selbst. Nach eigenen Angaben versuchte Harris, internetspezifische Äquivalente wie beispielsweise die auf dem ASCII-Code basierten ›Bühnenbilder‹ für seine Produktionen zu finden.175 Dabei lässt sich ein Paradox im Umgang mit den Konventionen der Theatergeschichte feststellen: In ihrer szenographischen Struktur lösen die Hamnet Players die traditionelle Raumstruktur des Proszeniumstheaters auf, um sie in der ›Präsenz des Vorgestellten‹ wieder zu etablieren. Dies gilt auch, obwohl die Auflösung der physischen Kopräsenz einen gewissen Grad an Interaktion mit den Darstellern ermöglichte, denn die Raumordnung, die sich die passiven Teilnehmer vorstellen, ist die Proszeniumsbühne. Diese szenographische Struktur kann, muss aber nicht zwangsläufig als restaurativ bewertet werden. Horbelt beispielsweise deutet den Rekurs der Hamnet Players auf traditionelle Bühnenräume als Per-

171. Danet, Brenda et al.: Curtain Time 20:00 GMT. a.a.O. Ohne Seitenangabe. 172. LaFarge, Antoinette: A World Exhilarating and Wrong. a.a.O., S. 416. 173. Vgl. Benedikt, Michael: Cyberspace. Some Proposals, a.a.O., S. 132. – Ein Beispiel ist die Vorstellung einer (Daten-)Autobahn. 174. Balme, Christopher: Pierrot encadré, a.a.O., S. 480. 175. Vgl. http://www.hambule.co.uk/hamnet/about.htm (Zugriff am 28.02. 2002) 231

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siflage, da Harris generell mit den Erwartungen seiner Teilnehmer an Theater spiele.176

Digitalisierung des Environmental Theatre Der Begriff des Environmental Theater wurde 1968 von Schechner vor allem in Abgrenzung zur frontalen Perspektive der Proszeniumsbühne geprägt.177 Das Environmental Theatre zielt darauf, das Verhältnis zwischen Darstellern und Zuschauern grundlegend zu ändern. »Environmental performance places the spectator at the center of the event, often with no boundary between performer and spectator.«178 Ähnlich wie bei den site-specific performances soll dieses Ziel über Änderungen in der Konzeption des Raumes erreicht werden. Diesen Ansatz verfolgen auch die meisten textbasierten Internet Performances. So beruht die ›Präsenz des Vorgestellten‹ in MetaMOOphosis und Gutter City auf immersiven Vorstellungen: Der dramatische Dialog konstituiert einen neuen Raum, in dem der MOO als Kommunikationsdienst im Unterschied zu den Produktionen der Hamnet Players, die ironisch auf den IRC verweisen, nicht thematisiert wird. Die implizite szenographische Struktur von MetaMOOphosis ergibt sich zum einen aus der Konzeption des Kafka Houses mit elf parallel existierenden ›Räumen‹ und den zwei Formen der Teilnahme. Wenn die Teilnehmer eine Rolle übernahmen und damit den say-Befehl verwenden konnten, waren sie aktiv am Schreiben des dramatischen Dialogs beteiligt. In ihrer Vorstellung waren sie eingebunden in die theatrale Aktion, die in ihrer Imagination um sie herum stattfand. Die Teilnehmer jedoch, die durch die ›Räume gehend‹ das Schreiben des Dialogs verfolgten, waren von der theatralen Aktion getrennt. Beide Gruppen teilten denselben zwar espace scénographique, während der espace scénique und der espace du public weiterhin getrennt blieben. Bei mentaler Kopräsenz in denselben ›Räumen‹ des Kafka Houses blieben die Teilnehmergruppen funktional getrennt. Letzteres gilt auch für die szenographische Struktur von The Bridge of Edgefield. Beide Produktionen entsprachen jedoch der von Pavis als »ouvrir l’espace et multiplier les points de vue pour relativiser la perception unitaire et figée«179 beschriebenen szenographischen Tendenz (vgl. Kap. 6.2).180

176. Vgl. Horbelt, Andreas: Theater und Theatralität im Internet, a.a.O., S. 66. 177. Vgl. Aronson, Arnold: The History and Theory of Environmental Scenography. Ann Arbor: University of Michigan Press, 21981, S. 1. 178. Ebd., S. 13. 179. Pavis, Patrice: Scénographie, a.a.O., S. 348. 180. Beide Produktionen betrifft auch das von Wunderer beschriebene Risiko, »daß 232

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Ebenso wie The Finalists in ihren Chats sah auch NetSeduction in der Imagination der Handlung keine räumliche Trennung zwischen den drei Formen der Teilnahme vor. Im Unterschied zu MetaMOOphosis entschieden sich hier die lurker, also diejenigen, die keine Repliken beisteuerten, freiwillig dazu, während bei MetaMOOphosis der say-Befehl ohne Rollenübernahme verwehrt war. NetSeduction inszenierte dabei den ATHEMOO bewusst als Chat-Raum für sexuelle Themen. Die ›Präsenz des Vorgestellten‹ war die bewusste Inszenierung sexueller Phantasien, wie sie in Chats ausgelebt werden, der Wahrnehmungsmodus von NetSeduction die Imagination imaginierter Sexualität.

5.3 Kulturtheoretische Dimensionen Textbasierte Internet Performances etablieren eine Form des Schreibens und Lesens innerhalb eines über Visualität geprägten medialen Kontextes. Als ›Mimesis des wirklichen Lebens‹181 (Esslin) greifen textbasierte Internet Performances kulturelle Leistungen der InternetDienste in ihren primären kulturellen Kontexten auf und setzen sie modifiziert im theatralen Kontext ein. Vernetzte Computerspiele und Chats beispielsweise können als cultural performances im Sinne Milton Singers begriffen werden. Nach Singer haben cultural performances »a definitively limited time span – at least a beginning and an end, an organized programm of activity, a set of performers, an audience, and a place and occasion of performance.«182 In ihren primären Systemen erfüllen sie spezifische kulturelle Leistungen, die in textbasierten Internet Performances in einen theatralen Kontext transformiert werden. Im theatralen Kontext greifen sie auf ihre Funktion und Bedeutung im primären Kontext zurück, verändern aber mit ihrer Rahmung auch den Wahrnehmungsmodus. In cultural performances wie Chats drückt sich ein Aspekt des Selbstverständnisses einer Gesellschaft unter der net_condition aus. Ihre Theatralisie-

man als Zuschauer oft das Gefühl hat, sich neben dem Geschehen zu befinden, oder vielleicht von einer gewissen Unruhe getrieben von Zimmer zu Zimmer ›läuft‹, um keinen Teil des Geschehens zu versäumen.« Wunderer, Monika: Die virtuellen Bretter der Welt, a.a.O., Kap. 2b3. Ohne Seitenangabe. 181. Vgl. Esslin, Martin: Die Zeichen des Dramas, a.a.O., S. 180. 182. Singer, Milton: The Cultural Pattern of Indian Civilization, a.a.O., S. 26. Vgl. ebenfalls der.: Traditional India, a.a.O., S. xii-xiii. 233

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THEATER UND INTERNET

rung in textbasierten Internet Performances stellt eine Form des Austausches zwischen beiden Bereichen dar, die das traditionelle Konzept von Theater hinterfragt.183 Textbasierte Internet Performances transformieren die für diese Kommunikationsform spezifischen Praktiken öffentlicher Kommunikation in einen theatralen Kontext. Bei diesen Transformationen von cultural performances kann die Theatralisierung des Spiels, die Frage nach der Konstruktion von Identität im Internet und die mögliche Inszenierung ›medialer Masturbation‹ (Paul Virilio) unterschieden werden.

Theatralisierung einer Kultur des Spiels In textbasierten Internet Performances fallen Merkmale auf, die aus dem Kontext des Spiels bekannt sind. Das betrifft nicht nur den Ursprung der MOOs in der Tradition der Abenteuerspiele und die visuelle Ähnlichkeit von Palace zu Computerspielen, gerade auch die Tendenz zur aktiven Beteiligung aller am Geschehen, ein Kriterium, das Schechner in Abgrenzung zum Theater dem Ritual zuschreibt, das aber auch für das Spiel gilt.184 Textbasierte Internet Performances bewegen sich zwischen den tradierten Kategorien von Theater, Spiel, Kunst und Unterhaltung. Sie nur aus dem Kunstdiskurs heraus zu verstehen, verfehlt gerade ihren spielerischen Charakter, der für die Mentalität der Teilnehmer und ein Verständnis ihrer Wahrnehmung und Erfahrungen unerlässlich ist. Textbasierte Internet Performances können als Modell von Theater als Spiel angesehen werden, »in dem die Interaktion der verschiedenen Systemelemente zum eigentlichen Inhalt wird, Bedeutung also erst in der Interaktion des Systems entsteht und Interaktionsprozesse als symbolische Handlungen in den Vordergrund treten.«185 wie Caroline Weber in einem anderen Zusammenhang formuliert hat. Verschiedene Autoren schlagen eine spieltheoretische Perspektive auf unseren grundsätzlichen Umgang mit Technologien vor, der Natascha

183. Vgl. Fischer-Lichte, Erika: Introduction: Theatre Studies from a European Perspective. In: dies.: The Show and the Gaze of the Theatre, a.a.O., S. 1-22: S. 12. – Fischer-Lichte stellt dabei folgenden Zusammenhang fest: »The growing self-reflection of theatre and its questioning of theatre aesthetics were accordinngly carried out in deliberate confrontation with the culture of the media.« Fischer-Lichte, Erika: The Aesthetics of Disruption, a.a.O., S. 94. 184. Vgl. Schechner, Richard: Theater-Anthropologie. Spiel und Ritual im Kulturvergleich. Reinbek: rowohlt, 1990, S. 68f. 185. Weber, Caroline: Theater und Medialität. Präsens/z: Körper-Inszenierungen. In: Schade, Sigrid/Tholen, Georg Christoph (Hrsg.): Konfigurationen, a.a.O., S. 146159: S. 148. 234

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5. DRAMA UND INTERNET

Adamowsky sogar paradigmatische Bedeutung zuschreibt.186 Auch Krämer sieht in der Kategorie des Spiels einen theoretischen Ansatz, um Interaktionen zwischen Mensch und Technologie untersuchen zu können.187 Ihre Argumentation zielt dabei auf eine Rehabilitierung des Spiels als handlungstheoretischer Kategorie, mit der sie sich gegen die Dichotomie von zweckrationalem und wertrationalem Tun wendet und den Gedanken eines instrumentenbezogener Typus des Handelns entwirft.188 So läge auch bei Musikinstrumenten die Funktion nicht in einer Steigerung der Leistung, sondern in Welterzeugung als produktivem Sinn.189 Online-Kommunikation kann so unter einen Begriff von Spiel als einem »Handlungsrahmen, der gewährleistet, daß das, was in diesem Rahmen geschieht, den Regeln lebensweltlicher Handlungsverstärkung entzogen ist.«190 Ein Spielbegriff, der auf textbasierte Internet Performances anwendbar wäre, könnte über den Ansatz von Uri Rapp entwickelt werden, der davon ausgeht, Spiel nur durch eine Aufzählung von Kriterien umschreiben zu können.191 Rapp unterscheidet zwischen dem Spielgeist als der Intention des Spielenden und der Spielstruktur, die objektiv einsehbar wäre. Für beide Dimensionen legt Rapp je zwei Merkmale fest. Entscheidend für den Spielgeist sei, das Spiel intentional erfolge, »oft auch anstrengend« sei, »aber ohne Ziel und Zweck außerhalb der Tätigkeit

186. Vgl. Adamowsky, Natascha: Spielfiguren in virtuellen Welten, a.a.O., S. 19. 187. Vgl. Krämer, Sybille: Spielerische Interaktion. Überlegungen zu unserem Umgang mit Instrumenten. In: Rötzer, Florian (Hrsg.): Schöne neue Welten? Auf dem Weg zu einer neuen Spielkultur. München: Boer, 1995, S. 225-236: S. 233. – Vgl. dies.: Computer: Werkzeug oder Medium? In: Böhm, Hans-Peter/Gebauer, Helmut/Irrgang, Bernhard (Hrsg.): Nachhaltigkeit als Leitbild für Technikgestaltung. Dettelbach: Forum für Interdisziplinäre Forschung, 14, 1996, S. 107-116: S. 114f. 188. Vgl. Krämer, Sybille: Computer: Werkzeug oder Medium? a.a.O., S. 114f. – Vgl. dies.: Zentralperspektive, Kalkül, Virtuelle Realität. Sieben Thesen über die Weltbildimplikationen symbolischer Formen. In: Vattimo, Gianni/Welsch, Wolfgang (Hrsg.): Medien – Welten – Wirklichkeiten, a.a.O., S. 27-37: S. 35. 189. Vgl. dies.: Spielerische Interaktion, a.a.O., S. 226. 190. Dies.: Das Medium als Spur und als Apparat. In: dies. (Hrsg.): Medien, Computer, Realität, a.a.O., S. 73-94: S. 89. 191. Vgl. Rapp, Uri: Rolle-Interaktion-Spiel. Eine Einführung in die Theatersoziologie. Wien: Böhlau, 1993 (= Edition Mimesis; Bd. 3), S. 95. – Damit sollen im folgenden Ansätze ausgeschlossen wie beispielsweise der von Adamowsky, die alle Ansätze ablehnt, Spiel über Rahmenstrukturen zu bestimmen. Vgl. Adamowsky, Natascha: Spielen im Netz. Barocke Formen – ludische performances im Netz. In: Münker, Stefan/Roesler, Alexander (Hrsg.): Praxis Internet, a.a.O., S. 140-157, S. 35, 145. 235

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selbst.« Es sei »ausgerichtete Zwecklosigkeit«.192 Weiterhin sei Spiel »vergnüglich, oft auch aufregend«, ohne jedoch »die Befriedigung physiologischer Bedürfnisse oder die Erleichterung nervöser Spannungen (außer den von ihm selbst konstruierten)« zu erreichen. Spiel sei »unentgeltliche Freude.«193 Die Dimension der Spielstruktur hingegen sei bestimmt dadurch, dass Spiel auf andere Aktivitäten bezogen sei, »ihnen ähnlich und doch im Wesen von ihnen verschieden« sei. Es sei Spiel von etwas, das nicht selbst Spiel ist und das Rapp als »übertragene Angleichung« bezeichnet. Weiterhin sei Spiel »durch Regeln und Rahmen bestimmt und zugleich variabel und offen für Wahl und Verhaltenswechsel: eingegrenzte Variabilität.«194 Auf dieser Grundlage beruhe die Möglichkeit zur Metaphorisierung des Spiels. Die Dimension des Spielgeistes benötigt die Dimension der Spielstruktur zur Realisierung des Spiels.195 Spiel ist damit bei Rapp bestimmt als »Erprobung von Möglichkeiten«, die es erlaubt, die »Komplexität einer Wirklichkeit nach Maßstäben der Relevanz«196 zu reduzieren. In der symbolischen Interaktion des Proszeniumstheaters beispielsweise spielen die Zuschauer für Rapp »ein mimetisches Spiel, in dem die Darsteller als ihre Stellvertreter fungieren.«197 Die Darsteller erhalten die Spielstruktur, die Zuschauer hingegen spielten ein mimetisches Spiel im Sinne des Spielgeistes.198 In der Frage nach der symbolischen Interaktion zwischen Darstellern und Zuschauern konvergieren Spiel- und Theatertheorie. Für die verschiedenen Kategorien von Internet Performances und ihr »medienästhetische[s] Spielpotential«199 ist also zu fragen, ob die Komponenten des Spielgeistes und der Spielstruktur im Sinne Rapps hier identifiziert werden können und in welchem Verhältnis sie zueinander stehen. Die verschiedenen Produktionen weisen hierbei jeweils spezifische Ausprägungen von Spielgeist und -struktur auf. Allen textbasierten Internet Performances sind die »ausgerichtete Zwecklosigkeit« und »unentgeltliche Freude«200 gemeinsam. Die Teilnehmer wählen sich in den online-Dienst mit Intention der gemeinsamen Kommunikation ein,

192. 193. 194. 195. 196. 197.

Rapp, Uri: Rolle-Interaktion-Spiel, a.a.O., S. 97. Ebd. Ebd. Vgl. ebd., S. 98. Ebd., S. 98, 100. Ebd., S. 102. – Rapp grenzt seine Übertragung auf das Theater nicht auf die Inszenierung von Dramen in Poszeniumskonstruktionen ein, aber diese Theaterform liegt seinen Ausführungen implizit zugrunde. 198. Vgl. ebd., S. 103. 199. Balme, Christopher: Pierrot encadré, a.a.O., S. 482. 200. Rapp, Uri: Rolle. Interaktion. Spiel, a.a.O., S. 97. 236

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5. DRAMA UND INTERNET

wollen jedoch keine Vereinbarungen etc. treffen, die außerhalb dieser Kommunikation lägen. Im Fokus steht die gemeinsame Unterhaltung. Dieser Spielgeist realisiert sich je nach Produktion in unterschiedlichen Strukturen, die von den vereinbarten Regeln, ihrer ›eingegrenzten Variabilität‹ – beispielsweise der Nummerierung der Repliken bei den Hamnet Players und der Programmierung der MOOs – abhängen. Als »übertragene Angleichung«201 werden sowohl Konventionen der Theatergeschichte als auch der online-Kommunikation übernommen. IRCs stammen nicht aus einer Tradition des Spiels, besitzen jedoch Aspekte, die den Kriterien sowohl für einen Spielgeist als auch eine Spielstruktur entsprechen. Meist verläuft die Kommunikation in einem IRC zwar intentional, jedoch ohne besonderes Ziel. Begründet ist die Kommunikation über das Interesse ihrer Teilnehmer. Die Kommunikation im IRC unterliegt dabei klaren Regeln. Danet et al. bezeichnen den IRC als »inherently playful medium.«202 Allein über die Spitznamen drückt sich nach Hayar Bechar-Israeli bereits der Wille zum Spiel aus.203 Exzessive MOO-Spieler können z.T. die Grenzen zwischen dem eigenen Leben und der Rolle nicht mehr unterscheiden, so Sherry Turkle. Nach ihren Untersuchungen besitzen diese Rollen das Potential, zu parallelen Identitäten für die Spieler zu werden.204 Turkle vergleicht die Spiele auch mit dem Psychodrama. Nach ihren Erkenntnissen besitzen MOO-Spiele psychotherapeutisches Potential.205 Grundlage hierfür genauso wie für textbasierte Internet Performances ist die Eigenschaft von MOOs, dramatische Medien simulieren zu können. Palace wurde von der Time Warners Group bereits für Unterhaltungszwecke entworfen. Mehrfach weist auch Jenik auf den »non-rational discourse of verbal playfulness«206 in den »drama-play activities«207 von Desktop Theater hin.

201. Ebd. 202. Danet, Brenda/Ruedenberg, Lucia/Rosenbaum-Tamari, Yehudit: Hmmm … Where’s that Smoke Coming From? a.a.O., S. 44. 203. Vgl. Bechar-Israeli, Haya: From to : Nicknames, Play, and Identity on Internet Relay Chat. http://www.ascusc.org/jcmc/vol1/issue2/ bechar.html (Zugriff am 28.01.2002) Kap. Summary and Discussion. Ohne Seitenangabe. – Vgl. ebenfalls Daisley, Margaret: The Game of Literacy: The Meaning of Play in Computer-Mediated Communication. In: Computers and Composition 11 (1994), S. 107-119. 204. Vgl. Turkle, Sherry: Life on the Screen: Identity on the Age of the Internet. New York: Simon&Schuster, 1995, S. 186. 205. Vgl. ebd., S. 196ff. 206. LaFarge, Antoinette: A World Exhilarating and Wrong, a.a.O., S. 418. 207. Jenik, Adriene: Desktop Theater, a.a.O., S. 108. 237

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THEATER UND INTERNET

Identität im Internet Spielen bedeutet nach Schechner »to act in-between identities.«208 In diesem Sinne wird persönliches Auftreten im Internet, das die Kombination verschiedener sozialer Rollen erlaubt, als spielerisch verstanden.209 Gerade MUDs und MOOs gelten als Experimentierfeld für Selbstentwürfe, als soziale Laboratorien, die auf Konsens beruhen.210 In ihrem als ob-Modus erlauben sie, Schwächen zu überspielen, neue Identitäten zu entwerfen und das Selbstwertgefühl generell zu stärken, so ein gängiger Argumentationsstrang.211 Rheingold betrachtet MUDs als »living laboratories for studying the first-level impacts of virtual communities – the impacts on our psyches, on our thoughts and feelings as individuals.«212 Die Entscheidung, sich online zu präsentieren, sieht Beth Kolko als eine politische; die Konstruktion eines MOO-Charakters und sein Verhalten in dieser Umgebung als Form einer ›autoethnography‹, durch die der Spieler »both real and imaginary relations of power and culture«213 erforscht. Aus dieser Perspektive können MOOs als »political space with transformative potential«214 verstanden werden. »Foregrounding the performative nature of identity on the cyberstage, part of the play’s message is that ›in the cyberworld you can be whatever you successfully pretend to be‹.«215

Indem textbasierte Internet Performances diese Kommunikationsformen in einen theatralen Kontext stellen, werden ihre Konventionen und die sonst unhinterfragte Konstruktion von Identität im Internet zur Diskussion gestellt. Paradigmatisch spielte The Finalists diesen Prozess durch: Die Grundanlage der vier Finalists war von Gob Squad/Schäfer/ Chalcraft vorgegeben worden. Aufgabe der Zuschauer war es, nicht

208. Schechner, Richard: Performers and Spectators – Transported and Transformed. In: Kenyon Review Vol. 81, No. 4 (1981), S. 83-113: S. 88. 209. Vgl. Sandbothe, Mike: Interaktivität-Hypertextualität-Transversalität, a.a.O., S. 68. 210. Vgl. Kirshenblatt-Gimblett, Barbara: The Electronic Vernacular, a.a.O., S. 49. 211. Vgl. beispielsweise Turkle, Sherry: Life on the Screen, a.a.O., insbes. S. 180-209. 212. Rheingold, Howard: The Virtual Community, a.a.O., S. 146. – Vgl. ebenfalls Turkle, Sherry: Life on the Screen, a.a.O., S. 14. 213. Kolko, Beth: Bodies in Place: Real Politics, Real Pedagogy, and Virtual Space. In: Haynes, Cynthia/Holmevik, Jan Rune (Hrsg.): High Wired, a.a.O., S. 253-265: S. 254f. 214. Ebd., S. 255. 215. Schrum, Stephen: zitiert nach: Burk, Juli: The Play’s The Thing, a.a.O., S. 246. 238

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5. DRAMA UND INTERNET

nur bei der Entwicklung dieser Charaktere zu helfen, sondern auch deren Erfolg zu bewerten. Im Verlauf des Projekts wurden die Zuschauer so zu Urteilenden über die Art und Weise, wie Identitäten im Internet entworfen werden.

Inszenierung ›medialer Masturbation‹216? NetSeduction greift mit Sex eines der häufigsten Themen der Netzkultur auf. Die Anonymität der Kommunikation im Internet ermöglicht nicht nur den Schutz, dieses Thema in Chats zu diskutieren, sondern fördert auch jede Form der Kommerzialisierung von Sex. Internet-basierte Videokonferenztechnologien werden nicht allein für Geschäftsbesprechungen weiterentwickelt; telematische Kommunikation ist gerade auch für die Sexindustrie ein lukratives Geschäftsfeld. Innerhalb der gender-orientierten Medientheorie wird häufig argumentiert, durch die Möglichkeit, sich eine gegengeschlechtliche Identität zu entwerfen (gender swapping), werde die Kategorie des Geschlechts (sex) als Ordnungsprinzip in textbasierten Internet-Umgebungen entwertet.217 Waren die Bereiche der technologischen Entwicklung und auch der MOO-Spiele lange Zeit eine men’s world,218 so fällt beispielsweise Burk die hohe Zahl an Frauen besonders in Educational MOOs auf.219 Sie schreibt der Kommunikation in diesen Umgebungen das Potential zu, patriarchalische Definitionen von Weiblichkeit zurückzuweisen.220 Für das weibliche Subjekt ergeben sich dadurch neue Möglichkeiten: »a multiplicity of subject positions, and an opportunity for agency on the part of the audience.«221 John Suler jedoch behauptet, hauptsächlich Männer seien an dieser Option interessiert. Gründe sieht er u.a. in der Befreiung von kulturellen Stereotypen und erhöhter Aufmerksamkeit für weibliche Chat-Identitäten;222 ein Argument, das

216. Virilio, Paul: Von der Perversion zur sexuellen Diversion. In: Rötzer, Florian (Hrsg.): Die Zukunft des Körpers I, a.a.O., S. 194-196: S. 196. 217. Vgl. z.B. Funken, Christiane: Digital Doing Gender. In: Münker, Stefan/Roesler, Alexander (Hrsg.): Praxis Internet, a.a.O., S. 158-181: S. 162f, 178. 218. »Most players are middle-class. A large majority are male.« Turkle, Sherry: Life on the Screen, a.a.O., S. 11. 219. Vgl. Burk, Juli: The Play’s The Thing, a.a.O., S. 240. – Auch in den Produktionen von Internet Performances, textbasierten wie telematischen, fällt die hohe Zahl von Frauen auf, die die Projekte initiieren oder maßgebliche Aufgaben übernehmen. 220. Vgl. ebd., S. 239. 221. Ebd., S. 247. – Diese Position wird beispielsweise auch von Danet bestätigt. Vgl. Danet, Brenda et al.: Curtain Time 20:00 GMT, a.a.O. Ohne Seitenangabe. – Vgl. dies. et al.: Hmmm … Where’s that Smoke Coming From? a.a.O., S. 49f. 222. Vgl. Suler, John: Do Boys (and Girls) Just Wanna Have Fun? Gender-Switching in 239

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auch Bruckman bestätigt, nach deren Beobachtungen ansonsten auch in MOOs dieselben männlichen Verhaltensweisen wie im real life auftreten.223 Eine Produktion wie NetSeduction wäre die ideale Gelegenheit gewesen, nicht nur die Konventionen um sex-orientierte Unterhaltungen und den damit verbundenen Voyeurismus im Netz als Inszenierung ›medialer Masturbation‹ gemäß dem Untertitel der Produktion (»What is the sound of one hand typing?«224) zu thematisieren, sondern gender swapping bereits bei der Rollenvergabe zu erproben und auf seine Akzeptanz hin zu untersuchen. Doch genauso wie Funken in ihrer empirisch angelegten Untersuchung für MOOs generell festgestellt hat, werden diese Optionen auch bei ihrer Theatralisierung nicht ausgeschöpft.225 So entsprachen sich in NetSeduction die Geschlechter der Rollen und ihrer Darsteller. Allerdings führte Schrum beispielsweise in der Figur des Dick, der von den anderen Figuren aufgrund seines obszönen Verhaltens (»DICK say So which of you nice ladies wants to sick my duck?«226) abgelehnt wird, auch kritische Elemente in die Produktion ein. Dick zieht sich erst nach einer direkten homosexuellen Avance von John, der sich als Rollenspieler präsentiert, aus dem Chat zurück. Mit der Figur der Laura kommt in NetSeduction auch lesbische Sexualität vor. In der Diskussion im Anschluss an eine Aufführung äußert sich Schrum positiv über die Beteiligung der aktiven Teilnehmer (supers), die mit den Rollendarstellern in Dialog getreten waren. Allerdings sei die Option auf private, sowohl sexuelle als auch nicht-sexuelle Konversationen zwischen zwei Teilnehmern nicht genutzt worden. Auch während der Szenen zwischen Jane und Allen und Jane und Laura, in der die Darsteller auch Orgasmen markierten, schaltete sich kein weiterer Teilnehmer ein. Die Szenen liefen quasi wie im Skript vorgesehen ab. Lediglich Kommentare wie »LeeG exclaims ›The Eagle has landed‹, nach dem Höhepunkt der Sexszene zwischen Jane und Allen

223.

224.

225. 226.

Cyberspace. http://www.ruder.edu/uler/psycyber/genderswap.html (Zugriff am 21. 06.2003) Ohne Seitenangabe. Vgl. Bruckman, Amy: Gender Swapping on the Internet. Proc. INET’93. http://www. mith2.umd.edu/WomensStudies/Computing/Articles+ReserachPapers/gend er-swap ping (Zugriff am 24.06.2003) S. EFC-3. – Bruckman konstatiert nüchtern: »A gift always incurs an obligation.« S. EFC-3. Schrum, Stephen: NetSeduction. Transkript der Produktion. http://socks. netu.ac. uk/archive/net/netseduction/netsedmootxt.html (Zugriff am 16.05.2001) Ohne Seitenangabe. Vgl. Funken, Christiane: Körper im Internet, a.a.O. Ohne Seitenangabe. Schrum, Stephen: NetSeduction, a.a.O. Ohne Seitenangabe. 240

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5. DRAMA UND INTERNET

oder »JakeS giggles« oder »LeeG Marvels at the sight of an exploding pussy«227 während der Szene zwischen Jane und Laura kamen vor.

227. Recording of the Post-Performance Discussion. Vgl. http://socks.ntu.ac.uk/archive/ net/netseddicuss1.html (Zugriff am 16.05.2001) Ohne Seitenangabe. – Recording of the first NetSeduction performance. http://socks.ntu.ac.uk/archive/net/1stperf. html (Zugriff am 16.05.2001) Ohne Seitenangabe. 144. Vgl. Kirshenblatt-Gimblett, Barbara: The Electronic Vernacular. In: Marcus, George (Hrsg.): Connected. Engagements with Media. Chicago: University of Chicago Press, 1996 (= Late Editions, Cultural Studies for the End of the Century, 3), S. 21-65: S. 45. 241

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) vak 242.p 95210564646

6. PERFORMANCE ART UND INTERNET

6. Performance Art und Internet »Performance art today reflects the fast-paced sensibility of the communications industry, but it is also an essential antidote to the distancing effects of technology.«1 Roselee Goldberg Telematische Internet Performances eröffnen ein neues Kapitel innerhalb der Geschichte der Performance Art. Sie stellen sich der Frage, wie Theater unter den Bedingungen Internet-basierter Kommunikation fortgeführt werden kann, genauso aber auch der Frage, wie sich die jüngsten technologischen Entwicklung auf unser Verständnis von Kultur auswirken. »The appearance of theater in virtual space of the computer establishes a unique aesthetic object, a paraperformative teletheatrical phenomenon wherein the immediacy of performance and the digital alterability of time, space, and subjectivity overlap and are combined«,2 so Causey. Entsprechend dem methodisch-theoretischen Rahmen dieser Arbeit soll in einem ersten Schritt die Medialität telematischer Internet Performances diskutiert werden (vgl. Kap. 6.1). Daran schließt sich die Diskussion der szenographischen Strukturen an (vgl. Kap. 6.2), die in enger Verbindung mit den Körperkonzepten stehen (vgl. Kap. 6.3). Diese Aspekte bilden die Grundlage, um abschließend kulturtheoretische Dimensionen telematischer Internet Performances erörtern zu können (vgl. Kap. 6.4). Aufgrund ihres Modellcharakters werden neben den Produktionen Kacs besonders die Arbeiten von Stelarc im Zentrum der Untersuchung stehen.

1. Goldberg, Roselee: Performance Art, a.a.O., S. 226. 2. Causey, Matthew: Postorganic Performance, a.a.O., S. 185. 243

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THEATER UND INTERNET

6.1 Medialität telematischer Internet Performances Während die Verschriftlichung der Sprache in textbasierten Internet Performances zentrales Kennzeichen ihrer Medialität war, wird die Medialität telematischer Internet Performances durch das jeweils spezifische Verhältnis analoger, digitalisierter und digitaler Materialien bestimmt. So stehen beispielsweise im Cassandra Project die leiblich präsenten Körper der Darsteller in den Bühnenräumen von New York und Irvine den digitalisierten Projektion der Darstellerkörper der jeweils anderen Bühne gegenüber. Um das theatrale Geschehen in geographisch entfernte Bühnenräume übertragen zu können, müssen die Materialien digitalisierbar sein. Ihre Digitalisierbarkeit stellt die mediale Bedingung von telematischen Internet Performances dar (vgl. Kap. 6.1.1). Die Medialität telematischer Internet Performances wird weiterhin zentral von der Funktion des Internets und seiner Dienste in den einzelnen Produktionen bestimmt. Die Funktionen reichen von dem Einsatz des Internets zur reinen Datenübertragung bis hin zur Konstitution eines neuen Handlungsraumes (vgl. Kap. 6.1.2). Wenn die Teilnehmer über interaktive Strukturen die Aufführung aktiv mitkonstituieren, kann von einer Konvergenz von Produktion und Rezeption gesprochen werden (vgl. Kap. 6.1.3). Aufgrund der dominanten technologischen Infrastruktur sind telematische Internet Performances anfällig für technische Störungen. Diese technischen Störungen werden jedoch positiv in die Produktion integriert. So entwickelt sich eine eigene Semiotik technischer Störungen (vgl. Kap. 6.1.4). Während Intermedialität aus der theaterwissenschaftlicher Perspektive bisher als Realisierung der Wahrnehmungskonventionen eines Mediums in einem anderen definiert werden konnte, bilden telematische Internet Performances eine neue Form von Intermedialität aus, die als Konvergenz solcher Wahrnehmungskonventionen bezeichnet werden kann (vgl. Kap. 6.1.5). Die Medialität der Produktion des Web Dance wird auch von der jeweiligen choreographischen Konzeption – beispielsweise der Frage, ob und wie ehemalige Zuschauer in die Choreographie einbezogen werden – beeinflusst. Die choreographische Konzeption übernimmt hier die Funktion einer dramaturgischen Strategie (vgl. Kap. 6.1.6). Die Formen von Telepräsenz in telematischen Internet Performances reichen dabei von der Anwesenheit des Anderen als Projektion oder Übertragung bis zur telematischen Repräsentation einer Berührung (vgl. Kap. 6.1.7).

6.1.1 Digitalisierbarkeit als mediale Bedingung Die Medialität telematischer Internet Performances ist durch ein spezifisches Verhältnis analoger, digitalisierter und digitaler Materialien gekennzeichnet, die über Interface-Konstruktionen die geographisch ver244

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6. PERFORMANCE ART UND INTERNET

teilten Teilnehmer miteinander verbinden. Dominierender Rahmen ist das WWW, das die verschiedenen Materialien und Technologien integriert. Die Digitalisierbarkeit der Materialien stellt die mediale Bedingung telematischer Internet Performances dar. In den Arbeiten Stelarcs und Kacs beispielsweise findet eine direkte Konfrontation der Körper mit verschiedenen Technologien statt. Während Stelarc seinen eigenen Körper einsetzt und die leibliche Konfrontation hauptsächlich nur für ihn erfahrbar wird, ermöglicht Kac in Rara Avis seinen Teilnehmern in Atlanta eine technologisch mediatisierte Form der Wahrnehmung. Jenniches wiederum bietet in J-B-2Z ihren Teilnehmern die Möglichkeit an, beide Wahrnehmungsformen der Performance – online die digitalisierte Wahrnehmung der darstellenden Körper mit ihrer technologisch nicht-mediatisierten Wahrnehmung im Hafen von Rotterdam – zu vergleichen. Ähnliches ermöglicht auch World Wide Simultaneous Dance, wobei das WWW hier eigentlicher Handlungsraum der Aufführung ist. Andere Produktionen wiederum setzen das rahmende Medium in Bezug zu einem Binnenmedium.3 So reflektiert Jenniches in AFK im Rahmen des WWW die Funktion und Verwendung von webcameras, Kac hingegen ermöglicht den Teilnehmern sowohl in Ornitorrinco in Eden als auch in Rara Avis Erfahrungen mit Telerobotern und führt sie zu der Frage, welche Form von (gesicherter) Erkenntnis dieser weitgehend unbekannte Repräsentationsmodus generiert. Gemeinsam mit der Konstellation analoger, digitalisierter und digitaler Materialien bestimmt auch die Funktion des Internets in den Produktionen die Medialität telematischer Internet Performances wesentlich mit.

6.1.2 Das Internet zwischen Datenübertragung und Handlungsraum Der Hauptunterschied zwischen telematischen Performances und telematischen Internet Performances liegt vor allem in der Möglichkeit, über das Internet vorher nicht notwendigerweise definierte Zuschauer geographisch distribuiert an einer Aufführung teilnehmen lassen zu können. So kann potentiell jeder einzelne zum aktiv Teilhabenden und die Aufführung Mit-Konstituierenden werden. Die Funktionen des Internets sind je nach telematischer Internet Performance unterschiedlich. In Leaping into the Net, Ornitorrinco in Eden und für die onlineZuschauer des Cassandra Projects wird das Internet ausschließlich in

3. Zum Ansatz, medientheoretisch zwischen der Ebene der Repräsentation und der Ebene der Darstellung zu fragen vgl. Balme, Christopher: Robert Lepage und die Zukunft des Theaters im Medienzeitalter, a.a.O., S. 672-677 Vgl. Kap. 5.1.7. 245

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übertragender Funktion (ohne interaktive Strukturen o.ä.) eingesetzt.4 Weder durch die verwendete Technologie noch durch die entstandene Kommunikationssituation, sondern einzig durch den Inhalt Tanz lässt sich Leaping into the Net von anderen Broadcasting-Situationen im Internet abgrenzen.5 Die zeitgleich zur ihrer Aufführung stattfindende Übertragung der Choreographien ermöglichte keine neue Wahrnehmungsform von Tanz. Während beim traditionellen broadcasting einige wenige entscheiden, was und in welcher Form der Rest der Teilnehmer dies wahrnimmt, liegt dem networking ein komplexes System zugrunde »in which one’s action directly affects everybody else«,6 wie Kac erläutert. Diesem Gedanken entsprechend übernimmt das Internet in Ornitorrinco in Eden eine mediale Funktion.7 Es setzt die multidirektionale Struktur des Internets als Basis für die Verbindung von Robotik und dem »merger of telecommunications, real-time computing, and worldwide networking.«8 ein. Für die Teilnehmer in Seattle und Lexington, die die Bewegungen des Roboters steuerten, ermöglichte die Produktion eine neue Wahrnehmungsform, in der sie ein geographisch entferntes Objekt steuern konnten. Für alle anderen online-Teilnehmer übertrug das Internet nur audiovisuelle Dateien über das WWW.9 Im Unterschied zu Ornitorrinco in Eden nutzte erst Rara Avis die multidirektionale Struktur des Internets im Sinne der site-specific art, um allen online-Zuschauer die Möglichkeit zu geben, gemeinsam den Körper des Vogels zu teilen.10

4. So ist es auch eine unzulässige Verkürzung zu behaupten, im Internet würden alle Zuschauer zu Agierenden. Vgl. Leeker, Martina: Theater und Medien. Eine (un-) mögliche Verbindung?, a.a.O., S. 10-33: S. 11. – Auch der Untertitel An Original Internet & Dance Experience, den Morrison für ihre Arbeit wählte, macht die Konzeption deutlich: Tanz plus Internet. http://www.MorrisonDance.com (Zugr.: 4.9.1997) 5. »[T]he Internet is beginning to function as an alternate broadcasting system.« Vgl. Murray, Janet: Hamlet on the Holodeck, a.a.O., S. 253. 6. Kac, Eduardo: Ornitorrinco and Rara Avis, a.a.O., S. 394. 7. Zur Unterscheidung der instrumentalen und der medialen Funktion des Internets vgl. Kap. 4.1.2. 8. Kac, Eduardo: Ornitorrinco and Rara Avis, a.a.O., S. 390. Vgl. Goldberg, Ken: Introduction: The Unique Phenomenon of a Distance. In: ders. (Hrsg.): The Robot in the Garden, a.a.O., S. 2-20: S. 3. 9. So bezeichnete Kac Ornitorrinco in Eden selbst auch als »worldwide networked telepresence installations presented publicly over the Internet.« Kac, Eduardo: Ornitorrinco and Rara Avis, a.a.O., S. 389. 10. Sie steuerten hier auch die auditiven Komponenten der Installation in Atlanta bei. Vgl. ders.: Dialogical Telepresence and Net Ecology, a.a.O., S. 187. – Zum Konzept eines geteilten Körpers vgl. Kap. 6.3.2. 246

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Auch für das Cassandra Project muss die Wahrnehmungssituation der verschiedenen Teilnehmergruppen differenziert werden. Die online-Zuschauer hatten hier, wie in Leaping into the Net, keine Option auf Interaktion, da die Bildmischung bereits vor der Übertragung vorgegeben war. Für die Zuschauer in New York und Irvine war die Internet 2-Übertragung die technologische Bedingung, um zwei Bühnenräume miteinander zu kombinieren und in einen neuen Bild- als Aufführungsraum zu transformieren. »Each performing site was, in essence, self-sufficient, and interactions took place during scheduled interludes.«11 So kann beim Cassandra Project auch von drei verschiedenen Teil-Aufführungen gesprochen werden. Für die Zuschauergruppen in New York und Irvine war die Übertragung ins WWW nicht notwendig. Der Einsatz von ISDN-Leitungen hätte denselben Effekt auf die Zuschauer gehabt. Für die online-Zuschauer hingegen war das Verbunden-Sein über das Internet die Bedingung der Möglichkeit, die Aufführung zeitgleich verfolgen zu können. Bei Fractal Flesh konnten nur ausgewählte Teilnehmer in Paris, Helsinki und Amsterdam den Körper des Performers über das WWW elektronisch stimulieren. Diese Organisation des Zugriffs auf Stelarcs Körper privilegiert (ebenso wie für die online-Teilnehmer von Ornitorrinco in Eden aus Seattle und Lexington) ausgewählte Zuschauer, setzt also die multidirektionale Struktur des Internets nicht zur größtmöglichen Beteiligung aller ein. Zur Steuerung von Stelarcs Körper war das Internet nicht zwingend notwendig; die Steuerung hätte prinzipiell auch über andere telematische Technologien erfolgen können. Evert deutet Fractal Flesh als Versuch Stelarcs, »die Verbindung zum Internet als real existierendem Netzwerk physisch zu vollziehen.«12 In diesem physischen Vollzug interpretiert Stelarc seinen Körper als Wirt für Technologien, beispielsweise für ferngesteuerte Agenten, hinter denen andere Menschen stehen. Das Internet dient ihm dazu, Möglichkeiten zu schaffen, über die auf seinen Körper zugegriffen, Körperpräsenz projiziert und sein eigenes Körperbewusstsein ausgelagert werden kann.13

11. Naugle, Lisa: Digital Dancing, a.a.O., S. 10. 12. Evert, Kerstin: DanceLab, a.a.O., S. 193. 13. Dabei muss zwischen Anspruch und Realisierung unterschieden werden. Vgl. Stelarc: ParasitenVisionen. Split body zwischen ferngesteuerter und selbstbestimmter Erfahrung. In: Leeker, Martina (Hrsg.): Maschinen, Medien, Performances, a.a.O., S. 706-717: S. 706. 247

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»The body is telematically scaled-up, stimulated and stretched by reverberating signal of an inflated spatial and electrical system. The usual relationship with the Internet is flipped – instead of the Internet being constructed by the input from people, the Internet constructs the activity of one body. The body becomes a nexus for Internet activity – its activity a statistical construct of computer networks […].«14 Seine Körperpräsenz sucht Stelarc in Fractal Flesh ins Internet zu projizieren, indem Informationen über physiologische Zustände seines Körpers (Muskelsignale, Gehirn- und Herzströme) ins Internet übertragen wurden und dort akustische Signale auslösten, die für alle online-Zuschauer wahrnehmbar waren. Im Unterschied zur Konzeption von Fractal Flesh wurde das Internet in Ping Body in den Worten Stelarcs nicht mehr nur als »a mode of information transmission«, sondern als ein »transducer, effecting physical action«15 eingesetzt. Strukturmerkmale des Internets, beispielsweise Datenströme, wurden hier verwendet, um an Stelarcs Körper Muskelkontraktionen auszulösen.16 Stelarc versucht so, das Internet als Agens in seiner Performance einzusetzen. »Die normale Beziehung zum Internet ist außer Kraft gesetzt. Das Internet wird nicht mehr durch die Inputs von Menschen konstruiert, sondern es selbst konstruiert und stimuliert die Aktivität eines Körpers. Der Körper wird zum Nexus für Internetaktivität, seine Aktivität zum statistischen Konstrukt von Computernetzwerken […].« 17 Diese Aufwertung des Internets korreliert mit einer Abwertung der Möglichkeiten des Körpers. Der Körper ordnet sich den Grenzen des Technischen unter, seine Bewegungskapazität und -qualität verringert sich, wie Evert festgestellt hat.18 In ParaSite wird Stelarcs Körper wie in Ping Body durch Strukturmerkmale des Internets aktiviert, und wie in Fractal Flesh visualisiert Stelarc die ausgelösten Muskelkontraktionen wiederum im Internet. Stelarc interpretiert seinen Körper und dessen Nervensystem hier als Teil eines Netzwerks von Informationssystemen und deren Exten-

14. Stelarc: Ping Body/Proto-Parasite. In: http://www.stelarc.va.com.au/articles/ index.html (Zugriff am 25.02.2002). 15. Ebd. 16. Vgl. Evert, Kerstin: DanceLab, a.a.O., S. 232. 17. Stelarc: ParasitenVisionen, a.a.O., S. 713. Oder: »[T]he body’s proprioception and musculature stimulated not by its internal nervous system but by the external ebb and flow of data.« In: http://www.stelarc.va.com.au/pingbody/index.html (Zugriff am 13.05.2002) – Die drei Punkte am Ende des Zitats stammen aus dem Original. Stelarc verwendet sie häufig in seinen Texten. 18. Vgl. Evert, Kerstin: DanceLab, a.a.O., S. 211. 248

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sionen. Integriert in diesen Stromkreis wird der Körper für Stelarc zu einem Parasiten, »der von einem erweiterten, externen und virtuellen Nervensystem unterhalten wird.«19 »Performances such as PING BODY and PARASITE probe notions of telematic scaling and the engineering of external, extended and virtual nervous systems for the body using the Internet.«20 Ping Body und ParaSite können beide als site-specific performances bezeichnet werden, da in ihnen der Einsatz des Internets unverzichtbarer Bestandteil ist. Darüber hinaus wird das Internet in diesen Arbeiten als Technologie und auf sein utopisches Potential hin befragt. Das Internet dient Stelarc als bevorzugter Ort, um Körperkonzepte zu inszenieren, die ihrerseits ideologisch beeinflusst sind (vgl. Kap. 6.3). Auch in World Wide Simultaneous Dance übernahm das WWW durch die Integration der Videokonferenztechnologie iVisit primär übertragende Funktion. Im Unterschied zu Leaping into the Net nutzte World Wide Simultaneous Dance jedoch die Möglichkeit der simultanen multidirektionalen Übertragung. Indem es die verschiedenen Übertragungen auf einer Web-Seite zusammenführte, wurde das Internet zum Zentrum der Aufführung, zu einem eigenen Aufführungsraum innerhalb der vielen geographisch verteilten Teil-Aufführungsräume (vgl. Kap. 6.2.2). Knott bezeichnet diesen neu entstandenen Handlungsraum mit dem Begriff des ›cyberplace‹, »a performance venue with characteristics equally as challegning and interesting as any theatrical or nontraditional performance venue«.21 Knott verortet sich mit ihren Aufführungen in Parks, Instituten, Schwimmbädern und Museen explizit in der Tradition der site-specific art. Aufgefordert »to state their place«22 führten die Tanzenden in World Wide Simultaneous Dance während der Aufführungsdauer für ihre Kulturen bedeutsame Orte und mit diesen Orten verbundene Bedeutungen in die transkulturell konstruierte Architektur des Internets ein. Mit der grundsätzlichen Frage der site-specific art – »What can be done here that cannot be done anywhere else?«23 – gilt für Knott die »primacy of the artist’s relationship to the site it-

19. Stelarc: ParasitenVisionen, a.a.O., S. 714. Vgl. »Das Internet fungiert als ein etwas krudes, externes Nervensystem, und der Körper verschmilzt mit den Internetbildern.« Stelarc: [Stelarc]. In: Baumgärtel, Tilman: [net.art], a.a.O., S. 086-091: S. 087. 20. Stelarc: Biographical Notes. In: http://www.stelarc.va.com.au/articles/index.html (Zugriff am 25.02.2002) 21. Knott, Laura: World Wide Simultaneous Dance, a.a.O., S. 14. 22. Dies.: Interview Notes vom 17.09.2001, Boston. 23. Dies.: World Wide Simultaneous Dance, a.a.O., S. 15. 249

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self.«24 Gerade die Konzeption von World Wide Simultaneous Dance macht deutlich, dass es bei der Bestimmung der Medialität einer Theaterform zentral ist, neben den symbolischen Formen auch die inneren Bilder der Teilnehmer, ihre Vorstellungen während der Aufführung zu berücksichtigen. Die Zuschauer, die ihre Tänze nicht auf die Web-Seite übertrugen, stellen eine wichtige Komponente der Produktion dar, die nicht vernachlässigt werden darf. Besonders wichtig war für Knott eine Vorstellung, die sie mit »the imagined image: the planet turning while dancers are dancing«25 beschreibt. Interaktivität in World Wide Simultaneous Dance realisierte sich vor allem als imaginative Interaktion.26 Auch AFK und J-B-2Z können als site-specific performances bezeichnet werden. Im Unterschied zu World Wide Simultaneous Dance befragen sie vor allem die Integration von webcameras in das WWW als eine der Nutzungsformen des Internets. J-B-2Z lag dabei eine doppelte site-specificity zugrunde. Zum einen war die Performance im Sinne der site-specificity speziell für den Rotterdamer Hafen, zum anderen für das Internet entwickelt worden.

6.1.3 Interaktivität als Basis der Konvergenz von Produktion und Rezeption Während bei textbasierten Internet Performances, beispielsweise bei den Plaintext Players, von einer Konvergenz zwischen der Produktion des dramatischen Textes und seiner Aufführung gesprochen werden kann, konvergieren auch in telematischen Internet Performances Produktion und Rezeption auf eine spezifische Art und Weise. Sie konvergieren nicht in dem Sinne, dass jede Aufführung erst gleichzeitig mit dem Prozess ihrer Rezeption entsteht. Vielmehr kann diese Konvergenz dann festgestellt werden, wenn die verschiedenen Teilnehmergruppen in interaktiven Strukturen miteinander kommunizieren. Die Interaktivität stellt dann die Basis der Konvergenz von Produktion und Rezeption dar. Der Grad an Interaktivität, den diese Produktionen erlauben, korreliert direkt mit der Konvergenz von Produktion und Rezeption. Konvergenz wird hier im Sinne des confluence als Entstehung einer besonderen Produktionsform verstanden, in der die Aufführung erst durch die gleichberechtigte Teilhabe aller – durch das handelnde Erschließen aller – entsteht. So benötigen Produktionen wie World Wide Simultaneous Dance (oder bei den telematischen Performances

24. Ebd., S. 14. 25. Ebd., S. 15. 26. Vgl. dies.: Interview Notes vom 17.09.2001, Boston. – »After all, we were sitting in front of a silly screen with a mouse in hand, which was somewhat frustrating. But we knew what was going on. We imagined something that you could not see.« Ebd. 250

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auch Hole in Space und Telematic Dreaming) im Unterschied zu beispielsweise dem Cassandra Project oder Leaping into the Net die aktive Partizipation aller Teilnehmer, um zur Aufführung gelangen zu können. In geringerer Ausprägung trifft diese Konvergenz auch auf die Arbeiten Kacs und Stelarcs zu. Die immense technische Vorarbeit steht bei Stelarc jedoch geringeren Handlungsoptionen für die Teilnehmer gegenüber. World Wide Simultaneous Dance und das Cassandra Project beispielsweise stellen »options for participation«27 bereit. Bei der Aufführung des Cassandra Project im November 2001 erstellten die beiden Produktionsteams eine zeitliche Struktur für die Aufführung und bestimmten damit, welche remote site zu welchem Zeitpunkt welche Beiträge (Tanz, Musik oder Videos) beisteuert. Innerhalb dieses Rahmens konnten die beiden Teams frei improvisieren. Wie der Komponist Ghezzo betont, liegt der Schwerpunkt innerhalb der Produktion auf der Zusammenarbeit beider räumlich getrennten Produktionsteams. Alternierende Beiträge wechseln sich mit Phasen ab, in denen beispielsweise New York die Musik, Irvine den Tanz überträgt und sich aus beidem gemeinsam die Szene entwickelt.28 Im Unterschied zu dieser Konzeption, die strikt zwischen Darstellern und Zuschauern trennte, etablierte World Wide Simultaneous Dance grundlegend andere Bedingungen der Interaktion, die auf die größtmögliche Aktivität aller Interessierten abzielte.

6.1.4 Semiotik technischer Störungen Aus semiotischer Perspektive wird im Theater jeder Vorgang als intentionale Herstellung einer Wirkung gedeutet. Dieser ›semiotische Normalfall‹29 gilt auch für Internet Performances. Innerhalb der Aufführungen rekurrieren die verschiedenen Technologien und Prozesse auf deren Verwendung in ihren primären kulturellen Systemen. Sie können wie viele andere Formen theatraler Zeichen als ›Zeichen von Zeichen‹ (Fischer-Lichte) verstanden werden. So denotieren normale Aspekte der Kommunikation im Internet, beispielsweise Wartezeiten beim Laden von Daten, aber auch zeitliche Verschiebungen in der Übertragung – letztlich alle technischen Störungen – diese nicht-intentionalen Vorfälle oder Vorgänge aus ihrem primären Verwendungskontext. In ihrer positiv konnotierten Integration in den Prozess der Auf-

27. Naugle, Lisa: Digital Dancing, a.a.O., S. 10. 28. Vgl. Ghezzo, Dinu: Interview Notes. NYU, New York City. 23.10.2001. 29. Vgl. Roselt, Jens: Die Ironie des Theaters. Wien: Passagen, 1999 (= Passagen, Literaturtheorie), S. 19. 251

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führung formen die Übertragungspausen und Lücken einen unbestimmten Raum, der von den Produzenten auch wider den Perfektionsdrang der Unterhaltungsindustrie gedeutet wird. Oder wie Naugle formuliert: »It’s not a bug, it’s a feature.«30 Auch für Jenniches steht dieses Thema steht im Zentrum ihrer Arbeit. »The vulnerability of live performance, the risk of failure, as old as theater itself, is at the center of my fascination.«31 Produktionen wie World Wide Simultaneous Dance oder J-B-2Z wollen bewusst wenig Technologie einsetzen, die auch nicht den state of the art an Übertragungsqualität darstellen, während die Arbeiten von Stelarc und Kacs vom Funktionieren der Technologie abhängig sind. Würde hier eine der Steuerungskomponenten ausfallen, wäre die Wahrnehmung für alle gestört, während eine unterbrochene Leitung in World Wide Simultaneous Dance nur diesen einen Teilnehmer betrifft.

6.1.5 Intermedialität als Konvergenz von Wahrnehmungskonventionen Der intermediale Status textbasierter Internet Performances ist durch das Changieren zwischen ihrem Selbstverständnis, dem Performativen zugehörig zu sein, und ihrem Wahrnehmungsmodus gekennzeichnet, der sie als Form von Literatur präsentiert. Auch telematische Internet Performances greifen auf bestehende Wahrnehmungskonventionen, u.a. des Televisuellen und der Netzkunst, zurück und inszenieren ihrerseits eine neue Form der Intermedialität. Intermedialität tritt hier nicht als Umsetzung der Wahrnehmungskonventionen des einen Mediums in einem anderen auf, sondern als Konvergenz dieser Wahrnehmungskonventionen, als performative Konfrontation der transmedialen Architektur des Internets mit den Wahrnehmungskonventionen anderer Medien. Das Cassandra Project beispielsweise kombinierte die physische Kopräsenz von Darstellern und Zuschauern als konventionellem Definiens der meisten Theaterformen mit der Projektion überdimensionaler, bewegter Bilder, die am ehesten mit der Wahrnehmungssituation in einem Kino vergleichbar sind, obwohl sie dort nicht simultan produziert werden. Diese Projektion entkoppelte die Übertragung im Inter-

30. Naugle, Lisa: Kommentar während der Probe am 24.10.2001 in einer Internet2-Videokonferenzschaltung zwischen der UCI und der NYU. 31. Jenniches, Isabelle: The Light Cast. Telepresent Characters as New Dramatis Personae. MA Thesis in New Media, Arts, and Communication. Media-GN Groningen 1999. In: http://www.9nerds.com/isabelle/thesis/index.html (Zugriff am 14.05.2002) Kap. I.1 »Forces of attraction«. Ohne Seitenangabe. 252

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net von der Rahmung des Computerbildschirms, die nur individualisierte Zuschauer erlaubt, konstruierte damit allerdings eine Kommunikationssituation, die das Internet als technologische Grundlage nicht zwangsläufig benötigt.32 Bei World Wide Simultaneous Dance war die Kombination der Konventionen Prinzip der Produktion. In der Web-Seite als Aufführungsort wurden die lokalen Aufführungen gekoppelt. Die indische Tänzerin Prakriti Kashyap betont ihr Erstaunen, gemeinsam mit ihrem eigenen Tanz andere, zeitgleich stattfindende Tänze wahrnehmen zu können: »It was almost unbelievable when I could see other dancers dancing with me at the same time irrespective of the spatial distances. In fact that too was reduced by just a few centimeters as we were sharing the same screen.«33 Marc Casslar von der Polite Society of Vintage Dance, Conneticut, USA, wiederum betont die Unwissenheit darum, wer zum Publikum dazugehört: »On the one hand, there was no visible audience and that was weird […]. But on the other hand, it was kind of exciting, knowing that almost anyone, anywhere in the world could be watching.«34 Indem die Arbeiten von Jenniches auf webcameras basierten, fokussierten sie vor allem die pragmatische Ebene des Internets, also die Konventionen seiner Benutzung und die Frage, welche gesellschaftliche Konnotationen damit verbunden sind.

6.1.6 Web Dance: Choreographie als dramaturgische Strategie Im Unterschied zu Tanzformen, in deren Zentrum der Topos des Virtuosen, also die technische Meisterschaft in einem Tanzstil, steht, fokussieren die Produktionen im Web Dance unterschiedliche Konzeptio-

32. Aus diesem Grund kann auch nicht Naugle zugestimmt werden, die unberechtigt hervorhebt, die Konzeption des Cassandra Projects sei nicht mehr and die »notion of the Internet being tied to a two-dimensional screen« gebunden. Vgl. Naugle, Lisa Marie: A Study of Collaborative Choreography Using Lifeforms and Internet Communication, a.a.O., S. 2. 33. Kashyap, Prakriti: Zitiert nach: Knott, Laura: World Wide Simultaneous Dance, a.a.O., S. 12. 34. Casslar, Marc: Zitiert nach: Knott, Laura: World Wide Simultaneous Dance, a.a.O., S. 12. 253

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nen von Choreographie.35 So legte Knott als Choreographin von World Wide Simultaneous Dance lediglich die Struktur der Aufführung fest und stellte die Infrastruktur bereit. Hinsichtlich Stil oder Trainingslevel setzte sie keine Einschränkungen. Jeder Teilnehmer war für seinen eigenen Beitrag verantwortlich, es gab »no centralized headquarter stating terms or conditions.«36 Während der Vorbereitungen wurde Knott vorgeworfen, »that I appropriated other people’s work for my own work.«37 Ihre Intention jedoch war es, »to set up an environment for other people’s work«.38 Erst in der Kooperation mit allen Beteiligten konnte World Wide Simultaneous Dance realisiert werden. Knott betrachtet World Wide Simultaneous Dance nicht als allein ›ihre‹ Arbeit. Ein vollkommen anderes Konzept von Choreographie liegt dem Cassandra Project zugrunde. Wie bei World Wide Simultaneous Dance steht auch das Cassandra Project nicht unter der Dominanz des Konzeptionellen. Als dramaturgische Strategie folgt das Cassandra Project dem Prinzip der distributed choreography, eine »area of artistic vision which includes the collective intelligence of people working collaboratively, alongside the peculiar idiosyncrasies of telecommunication tools, and that uncertainty regarding networked performance (dynamics between dance and technology)«.39 Die Verantwortung für die Choreographie verteilt sich hierbei auf die verschiedenen remote sites, deren Aktionen zeitlich festgelegt und inhaltlich strukturiert wurde. Das Prinzip der distributed choreography erprobte Naugle in ihrem tanzpädagogisch und empirisch orientierten Dissertationsprojekt. Sie wählte Choreographen aus, die über mehrere Wochen hinweg online das Programm LifeForms verwendeten.40 Ihr Ziel war es

35. Zur Bezeichnung von Choregraphie als dramaturgischer Strategie vgl. Jeschke, Claudia: Körper/Bühne/Bewegung. Dramaturgie und Choreographie als theatrale Strategien. In: Forum Modernes Theater Bd. 11/2(1996), S. 197-213: S. 197. – Einzige Ausnahme ist Leaping into the Net, das auf einem traditionellen Verständnis von Choreographie beruht, und deshalb hier nicht behandelt wird. 36. Knott, Laura: World Wide Simultaneous Dance, a.a.O., S. 14. 37. Dies.: Interview Notes vom 17.09.2001, Boston. 38. Ebd. 39. Naugle, Lisa: Re: Connected Spaces. Dance.Tech List Archive 2000. 07/03/2000. Ohne Seitenangabe. 40. Vgl. dies.: A Study of Collaborative Choreography Using LifeForms and Internet Communication, a.a.O., S. 2. – ›Dancing in Cyberspace‹-Kurse zum online-Choreographieren hatte Naugle bereits an der Simon Fraser University gegeben, vgl. ebd., S. 21f. 254

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»to gain insight into the efficacy of Internet-based communication for the process of creating choreography and to provide evidence that there are advantages to be had (sic) from using computer-based technology.«41 Sie verfolgte dabei Fragen nach den Auswirkungen von kollaborativem online-Choreographieren auf die Kreativität dieses Vorgangs. Die online-Kommunikation der Choreographen wertete Naugle aus der Perspektive der Diskursanalyse sowohl quantitativ als auch qualitativ aus.42 Im Zentrum ihrer Ergebnisse steht der Begriff der collaborative performance. In Anwendung des Prinzips der distributed choreography werden telematische Performances zu einer collaborative art. »Artistic collaboration essentially breaks down to successful communication where individuals work on steps and procedures that are small portions of larger accomplishments.«43 Diese Form der Zusammenarbeit erfordert, Wissen, Ideen und Erfahrungen zu teilen. Der Effekt dieses choreographischen Prinzips liegt für Naugle nicht in einem ästhetischen Surplus, sondern einer neuen Erfahrung für die Choreographen: »Collaborative on-line projects are becoming a compelling force in dance and fill the gap for artists’ need for critical discourse and interaction with others of similar or related interests, as they enable one another toward new discovery through peer-feedback and reflective analysis.«44 Dennoch benötigt das Cassandra Project einen Hauptverantwortlichen. Diese Funktion übernahm Naugle, ein »intermediary, a modern Cassandra figure«45, die Kopfhörer trägt und umdisponiert, wenn technische Probleme auftreten.

6.1.7 Telepräsenz: Vision versus (The Representation of) Touch 46 Die Formen von Telepräsenz in Internet Performances reichen von der Anwesenheit darstellender Körper in einer Bildprojektion oder -über-

41. 42. 43. 44. 45. 46.

Ebd., S. 7f. Vgl. ebd., S. 48-50, 64, 109. Ebd., S. 52. Ebd., S. 126. Dies.: Digital Dancing, a.a.O., S. 10. Die Überschrift lehnt sich an eine Formulierung Manovichs an. Vgl. Manovich, Lev: The Language of New Media, a.a.O., S. 175. 255

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tragung bis zur Möglichkeit, Situationen an geographisch entfernten Orten zu beeinflussen. Entsprechend dieser Formen wird die sinnliche Wahrnehmung der Zuschauer und Teilnehmer in unterschiedlicher Art und Weise angesprochen. Während sich bei Produktionen, die den menschlichen Körper als Bild repräsentieren, die sinnliche auf die visuelle Wahrnehmung begrenzt, ermöglichen Produktionen, die mit der Idee der Tele-Taktilität arbeiten, auch eine leibliche Erfahrung für die Teilnehmer, die durch die Auflösung der physischen Kopräsenz jedoch keine leibliche Berührung, sondern nur die Repräsentation einer Berührung gestattet. Bei Leaping into the Net beschränkt sich die Anwesenheit der Tänzer auf eine audiovisuelle Übertragung ohne Möglichkeit, die eigene Anwesenheit als Zuschauer den anderen Teilnehmern mitzuteilen. Dies gilt auch für die online-Zuschauer des Cassandra Projects. Für die Zuschauer in New York City und Irvine jedoch waren die Performer der jeweils anderen remote site als Bildprojektion anwesend. Sie erzeugten Szenen in und mit einem Bildraum und experimentierten mit der »Möglichkeit, gemeinsam die Bedingungen der Präsenz selbst neu zu gestalten.«47 In AFK und J-B-2Z bewirkten die webcameras für die online-Zuschauer zusätzlich zu dieser Verdopplung eine besondere Raumerfahrung, die Jenniches mit »We travel in our mind, we are not only *there*, but there *now*!«48 umschreibt. Trisha Browns Ausspruch, den Zustand, »all of the person’s person arriving at the same time«49 zu erreichen, inspirierte Knott bei ihrer Arbeit an World Wide Simultaneous Dance. In diesem Sinne versteht Laura Knott Telepräsenz für World Wide Simultaneous Dance als »projecting one’s self to another place.«50 In Fractal Flesh war Stelarcs Körper für die Teilnehmer als eine schematische Darstellung präsent, die eine Fernsteuerung im Sinne der Robotik auslöste. Die schematische Repräsentation seines Körpers konnte von den Teilnehmern als ein Zeichen interpretiert werden, das für die Option auf eine Tele-Aktion stand.51 Diese Konstruktion ist eine Form der Desktop-VR, da sie Bilder als Reaktion auf Befehle in

47. Sandbothe, Mike: Mediale Temporalitäten im Internet. Zeit- und Medienphilosphie nach Derrida und Rorty. In: http://www.uni-jena.de/ms/temporal/index.html (Zugriff am 02.05.2001) Ohne Seitenangabe. 48. Jenniches, Isabelle: The Light Cast, a.a.O. Ohne Seitenangabe. 49. Knott, Laura: Interview Notes vom 17.09.2001, Boston. 50. Ebd. 51. In diesem Sinne formuliert Manovich: »A sign is something which can be used to teleact.« Manovich verwendet für solche Aktionen auch die Formulierung ›to teleport somebody‹. Vgl Manovich, Lev: The Language of New Media, a.a.O., S. 170, 116. 256

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Echtzeit ermöglicht.52 In Ping Body und ParaSite war Stelarcs Körper für die online-Zuschauer entweder als Bildübertragung oder wiederum schematisch, in einer Abstraktion kodiert, als VRML-Darstellung telepräsent. Neben Fractal Flesh entsprechen nur die Arbeiten von Kac dem ursprünglichen Verständnis von Telepräsenz, den darstellenden Körpern in der remote site A die Möglichkeit zu bieten, Zustände in der remote site B zu ändern oder Vorgänge dort aktiv zu steuern (vgl. Kap. 4.3.2).53 In Ornitorrinco in Eden und Rara Avis kann Telepräsenz als Erweiterung des Körpers über seine Kinesphäre hinaus, als »neue Form der performativen Körperlichkeit des zwar zeitlich, jedoch nicht räumlich kopräsenten Körpers«54 verstanden werden. Als Resultat der Verbindung von Telekommunikation und Robotik versteht Kac Telepräsenz vor allem als »Space for Action«.55 »With Ornitorrinco, we transform electronic space from a representation medium into an actuation medium.«56 Mittels dieser image-instruments57 können die Teilnehmer die remote site steuern. Diese Änderungen wiederum verändern die Wahrnehmung anderer Teilnehmer. So entstehen in den Installationen Kacs »dialogical telepresence experiences«,58 die durch eine »notion of disembodied presence«59 gekennzeichnet sind. Die teleproprioception, also die Wahrnehmung der Situation durch den Benutzer, erfolgt jedoch weitgehend visuell. Die Extension der menschlichen Organe, die gleichzeitig als Verdopplung im Teleroboter beschrieben werden kann, erzeugt jedoch keine Berührung, sondern lediglich die Repräsentation einer Berührung. »Telepresence virtualizes what in actuality has physical, tangible existence.«60

52. Vgl. Sherman, Barrie/Judkins, Phil: Virtual Reality. Cyberspace – Computer kreieren synthetische Welten. München: Knaur, 1995, S. 21. 53. Vgl. z.B. Kac, Eduardo: Ornitorrinco and Rara Avis, a.a.O., S. 389. 54. Evert, Kerstin: DanceLab, a.a.O., S. 244f. 55. Kac, Eduardo: Ornitorrinco and Rara Avis, a.a.O., S. 392. 56. Ebd. 57. Vgl. Manovich, Lev: To Lie and to Act: Potemkin’s Villages, Cinema, and Telepresence. In: Goldberg, Ken (Hrsg.): The Robot in the Garden, a.a.O., S. 164-178: S. 175. 58. Kac, Eduardo: Dialogical Telepresence and Net Ecology, a.a.O., S. 194. 59. Kusahara, Machiko: Presence, Absence, and Knowledge in Telerobotic Art. In: Goldberg, Ken (Hrsg.): The Robot in the Garden, a.a.O., S. 198-212: S. 200. 60. Kac, Eduardo: Ornitorrinco and Rara Avis, a.a.O., S. 389. 257

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Die Wahrnehmung der Installationsbesucher von Rara Avis, die in Atlanta über den headset den Vogelkäfig aus der Perspektive des Teleroboters wahrnahmen, reicht an die Erfahrung von VR-Umgebungen heran.61 Mit ihrer auf Inklusion beruhenden Wahrnehmung, die sich interaktiv und in Echtzeit vollzieht, entspricht sie den wesentlichen Komponenten, die nach Barrie Sherman und Phil Judkins die Erfahrung von VR ausmachen.62

6.2 Szenographische Strukturen in telematischen Internet Performances Telematische Internet Performances lösen mit der physischen Kopräsenz auch den espace scénographique auf;63 nur in Produktionen wie dem Cassandra Project, die mindestens zwei autarke Bühnen koppeln, finden sich noch Variationen davon. Der espace scénique, definiert als »l’espace réel de la scène où évoluent les acteurs«,64 wird durch den Bildschirm als Interface mediatisiert.65 In der Art und Weise, wie die einzelnen remote sites verbunden werden und welche gesellschaftliche-soziale Funktion sie übernehmen, spielt die Metapher des Netzes als Referenzpunkt eine wichtige Rolle (vgl. Kap. 6.2.1). Aus dieser Perspektive sollen die Arbeiten Stelarcs als Inszenierung eines ›KörperNetz-Werks‹ und weitere telematische Internet Performances auf die Frage hin, welche Funktion das WWW als Verkörperung der Netzmetapher übernimmt, kritisch diskutiert werden. Telematische Internet Performances basieren auf weiteren szenographischen Strukturen, die als Variationen der Connected Spaces bezeichnet werden können (vgl. Kap. 6.2.2). Hier soll die Hybridisierung der Räumlichkeiten, die Multiplizierung des szenischen Raumes sowie die Synchronisierung der szenischen Räume unterschieden werden. Aus ideologiekritischer Perspektive stehen diese impliziten szenographischen Strukturen auch für

61. Vgl. Hillis, Ken: Digital Sensations. Space, Identity, and Embodiment in Virtual Reality. Minneapolis: University of Minnesota Press, 1999 (= Electronic Mediations, Vol. 1) 62. Vgl. Sherman, Barrie/Judkins, Phil: Virtual Reality, a.a.O., S. 12. 63. Pavis definiert den espace scénographique als »espace à l’interieur duquel se situent le public et les acteurs au cours de la représentation.« Pavis, Patrice: Espace (au Théâtre), a.a.O., S. 146. 64. Ebd. 65. Die so erzeugte Frontalität der Übertragung sollte jedoch vom Aufgreifen der Proszeniumsbühne als szenographischer Struktur unterschieden werden, wie sie beispielsweise Leaping into the Net kennzeichnet. 258

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Machtverhältnisse in der Kommunikation, für Strategien, mit denen der telematische Raum kontrolliert wird (vgl. Kap. 6.2.3).

6.2.1 Referenzpunkt Netzmetapher Die Netzmetapher erfährt zur Zeit in verschiedenen Diskursen eine rege Konjunktur.66 Bevorzugtes Objekt für seine Anwendung ist das Internet, obwohl die hypertextuelle Struktur des WWW, nicht des Internets, als tertium comparationis für Vergleiche gesetzt werden müsste. Auf dieser Diskursebene wird oftmals nicht mehr reflektiert, welche Kriterien erfüllt sein sollten, um von einem Netz sprechen zu können. Damit werden jedoch auch beispielsweise politisch-gesellschaftliche Schlussfolgerungen, die sich aus diesem Befund ergeben, hinfällig. Im Folgenden soll einer möglichen Definition des Netz-Begriffes nachgegangen werden, bevor die Relevanz dieser Metapher für gesellschaftlich-politische Fragen aufgezeigt wird. Diese beiden Aspekte bilden die Grundlage, um zum einen zu bestimmen, inwieweit sich die szenographische Struktur einer telematischen Internet Performance nach der Struktur eines Netzes ausrichtet und welche gesellschaftlich-politischen Dimensionen damit potentiell reflektiert werden können. Manuel Castells beschreibt ein Netzwerk als »set of interconnected nodes.«67 Als Knoten können viele gesellschaftliche Erscheinungen, u.a. Börsen, Kommissionen oder Labore verstanden werden, wenn sie abstrakt als »point at which a curve intersects itself«68 definiert werden. Netzwerke sind für Castells offene Strukturen, die ohne

66. Beispielsweise spricht Boenisch aus tanzsemiotischer Perspektive von einem »semantischen Netz«. Vgl. Boenisch, Peter: Tanztheorie und Sprechtheater. Perspektiven der Analyse von Körperzeichen im zeitgenössischen Theater. In: Jeschke, Claudia/Bayerdörfer, Hans-Peter (Hrsg.): Bewegung im Blick: Beiträge zu einer theaterwissenschaftlichen Bewegungsforschung. Berlin: Vorwerk 8, 2000 (= Documenta Choreologica), S. 16-29: S. 17. – Neben der Ausstellung ›Das Netz – Sinn und Sinnlichkeit vernetzter Systeme‹ im Museum für Kommunikation in Berlin 2002 demonstriert auch die Zeitschrift ›Netzkultur‹ die Konjunktur dieser Metapher. Vgl. Beyrer, Klaus/Andritzky, Michael (Hrsg.): Das Netz. Sinn und Sinnlichkeit vernetzter Systeme. Berlin: Edition Braus, 2002. Und: Wesemann, Arnd: Netzkultur? Das am besten überwachte Medium der Welt ist das Internet. In: Frankfurter Rundschau vom 30. 11.1996, S. 26. – Nach Hartmut Winkler dient die Netzmetapher auch dazu, den Abgrund zwischen der Sprache und dem Computer zu überbrücken. Vgl. Winkler, Hartmut: Docuverse. Zur Medientheorie der Computer. Regensburg: Boer, 1997, S. 14ff, vgl. Kap. 4.1.2 67. Castells, Manuel: The Information Age. Vol. 1. The Rise of the Network Society, a.a.O., S. 501. 68. Ebd. 259

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Grenzen expandieren können und dabei neue Knotenpunkte integrieren, so lange diese fähig sind, innerhalb des Netzwerks zu kommunizieren. »A network-based social structure is a highly dynamic, open system, susceptible to innovating without threatening the balance.«69 Die Bedeutung der Netzmetapher für soziale und damit auch künstlerische Organisationsformen erschließt sich aus kulturtheoretischer Perspektive. Mit dem Informationszeitalter entsteht nach Castells auch die Netzwerkgesellschaft, in der wichtige Funktionen und Prozesse um Netzwerke organisiert sind. »Networks constitute the new social morphology of our societies, and the diffusion of networking logic substantially modifies the operation and outcomes in processes of production, experience, power, and culture.«70 Sandbothe koppelt den Begriff der Interaktivität und des Netzes. Interaktive Netze bieten für ihn das Potential, neue Kommunikationsverhältnisse zu konstruieren. »Mehr noch: Die Netze eröffnen in einem genuin philosophischen Sinn neue Weisen unseres Selbst- und Weltverständnisses.«71 Sich in einem Medium realisierend, dessen Bezeichnung bereits die Metapher des Netzes verwendet, richten einige telematische Internet Performances ihre szenographischen Strukturen nach der Netzmetapher aus und erlauben es, ihre Kommunikationsstrukturen stellvertretend für Formen der Vernetzung auf gesellschaftlicher Ebene zu verstehen. Begreift man die szenographische Struktur einer telematischen Internet Performances als Signifikant, so wird das WWW als Dienst des Internets und seine innere Struktur zum Inhalt der Aufführung. Während die Simultaneität der Vernetzung beim Gebrauch der Netzmetapher häufig keine Rolle spielt, werden in telematischen Internet Performances jedoch simultan vernetzte Strukturen zwischen den Teil-

69. Ebd., S. 501f. 70. Ebd., S. 500. – Esposito bezeichnet das Netz »als ideales Bild eines nicht-hierarchischen Modells, das seine Knoten auf der Basis ihrer Verknüpfungen und nicht auf der Basis ihrer Ausrichtung zusammenhält.« Die Verbreitung des Internets und der Netzmetapher habe sich dabei gleichzeitig vollzogen. In: Esposito, Elena: Soziales Vergessen. Formen und Medien des Gedächtnisses der Gesellschaft. Frankfurt: Suhrkamp, 2002, S. 340, vgl. ebd., S. 342. 71. Sandbothe, Mike: Interaktive Netz, a.a.O., S. 427. 260

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nehmern möglich. Wie die Arbeiten Stelarcs demonstrieren können hinter vermeintlichen Netzstrukturen jedoch auch Strukturen stehen, für die sich die Metapher des Netzes nur eingeschränkt rechtfertigen lässt.72

Stelarc: Inszenierung eines ›Körper-Netz-Werks‹? Evert beispielsweise nimmt ihre Interpretation der Manifeste und Performances Stelarcs von der Metapher des Netzes aus vor. Nach ihrer These versuche Stelarc, »die im Zuge der computertechnologischen Entwicklung paradigmatisch gewordene Metapher der Vernetzung aller öffentlichen und individuellen Lebensbereiche an und mit seinem Körper wörtlich umzusetzen und das Bild des kulturellen und sprachlichen sowie hyperstrukturellen Netzwerks physisch zu realisieren.«73 Im Vollzug der Netz-Metapher durch seine Performances verfolge Stelarc auch die Utopie, das »Konzept eines global vernetzten Gesamtkörpers« zu realisieren, »in dem organischer Körper und Technologie zu einem System vereinigt sind«.74 Evert fokussiert vor allem die Auswirkungen der technischen Infrastruktur auf die Choreographie seiner Performances und stellt hier »Diskrepanzen zwischen Manifesten und Aktionen«75 fest: Stelarcs Körper werde in seiner Bewegungsfreiheit eingeschränkt; Bewegung reduziere sich auf die elektrische Stimulation der Muskeln. Textlicher Körperentwurf und performative Inszenierung fallen im Werk Stelarcs jedoch nicht nur auf dieser Ebene auseinander.76

72. Evert/Rodatz schreiben, der konkrete Aufführungsort werde in solchen Produktionen zu einem Knotenpunkt in einer netzwerkartigen Struktur. Solche szenographischen Strukturen implizieren jedoch nicht zwangsläufig, dass er auch »n-dimensional« wird, wie Evert/Rodatz behaupten. Vgl. Evert, Kerstin/Rodatz, Christoph: TelePräsenz, a.a.O., S. 121. 73. Evert, Kerstin: DanceLab, a.a.O., S. 193. 74. Ebd. – Dabei weist Evert die Ursprünge dieser Utopie u.a. in medientheoretischen, anthropologische, Robotik- und KI-Diskursen nach, vgl. ebd., S. 194f. 75. Ebd., S. 193. 76. Vgl. ebd., S. 233. – Aus diesem Grund ist fundamental, seine eigenen Aussagen immer an den Performances zu überprüfen. Bei manchen Autoren lassen sich jedoch direkte Übernahmen von Stelarcs Formulierungen nachweisen. Leeker beispielsweise postuliert, Stelarcs jüngere Performances lösen sich vom Topos des Cyborg und folgten nun dem Modell des ›Klon-in-mir‹. Unbenommen von der Frage, inwieweit dieser Befund zentrale Aspekte der Arbeiten Stelarcs trifft, ist die Aussage einer Formulierung Stelarcs aus dessen Text ›ParasitenVisionen‹ verblüffend ähnlich: »Die Physikalität des Körpers liefert Feedbackschleifen von interaktiven Neuronen, Nervenenden, Muskeln, Messwertwandlern und der Dritten Hand. Das System erweitert 261

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Wie Evert formuliert, versucht Stelarc den »textlich[n] Entwurf eines Körper-Netz-Werks«77 in seinen Performances in einer wörtlich genommenen Lesart »real zu implementieren«.78 Doch weder für Fractal Flesh noch Ping Body und ParaSite kann von der Implementierung eines solchen Netzwerks gesprochen werden. Zwar ist in allen drei Performances Stelarcs Körper mit dem Internet verbunden, das er selbst als Fortsetzung des menschlichen Nervensystems ansieht.79 Es fehlen jedoch wesentliche Kriterien, die Castells für ein Netz definiert hatte: Die szenographische Struktur, die Stelarc, das Internet und die Teilnehmer miteinander verbindet, ist zum einen kein ›set of interconnected nodes‹. Nur in Fractal Flesh können die Zuschauer die Muskelkontraktionen auslösen; in den beiden anderen Arbeiten sind die Teilnehmer von der Kommunikation ausgeschlossen. Zum anderen sind alle drei Arbeiten keine offenen Strukturen, die beliebig wachsen können.

Das WWW: Verkörperung der Netzmetapher Im Vergleich zu Stelarcs Arbeiten realisieren die Arbeiten Kacs und World Wide Simultaneous Dance in einem höheren Grad die szenographische Struktur eines Netzes. Zentraler Unterschied zwischen den Konzepten Stelarcs, Kacs und World Wide Simultaneous Dance ist die Funktion, die das WWW in den Produktionen übernimmt. Während das WWW nur in Fractal Flesh als Interface eingesetzt, das den Teilnehmern erlaubt, Aspekte der Performance zu steuern, und bei Ping Body und ParaSite zur Visualisierung von physiologischen Zuständen im Körper Stelarcs dient, übernimmt es in World Wide Simultaneous Dance die Funktion, die verschiedenen remote sites und die Zuschauer an Orten, an denen nicht getanzt wird, in einem Zentrum zu verbinden. World Wide Simultaneous Dance liegt die Struktur eines zentral organisierten, strahlenförmigen Netzes zugrunde, wobei die Verbindungen

also auf elektronischer Basis optische und operationelle Parameter des Körpers und geht damit über dessen Existenz als Cyborg-Erweiterung hinaus.« Vgl. Leeker, Martina: Theater, Performance und technische Interaktion, a.a.O., S. 266. – Stelarc: ParasitenVisionen, a.a.O., S. 714. 77. Evert, Kerstin: DanceLab, a.a.O., S. 212. 78. Ebd., S. 226. 79. Damit folgt Stelarc eine der gängigen, von der Künstlichen Intelligenz-Forschung ideologisch beeinflussten Thesen, das Internet als Externalisierung des Gehirns (de Kerckhove) oder aber auch den Computer als »Ausstülpung unseres menschlichen Gehirns« (van den Boom) anzusehen. Vgl. de Kerckhove, Derrick: Eine Mediengeschichte des Theaters. Vom Schrifttheater zum globalen Theater. In: Leeker, Martina (Hrsg.): Maschinen, Medien, Performances, a.a.O., S. 501-525: S. 522. – van den Boom, Holger: Digitale Ästhetik: Zu einer Bildungstheorie des Computers. Stuttgart: Metzler, 1987, S. 6. 262

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zwischen den Knotenpunkten schwach ausgeprägt sind und sich wiederum über das Zentrum ergeben. Bei den Arbeiten Kacs bilden die einzelnen remote sites mit den Installationsorten als Zentren eine offene Struktur, die, ebenso wie die szenographische Struktur, prinzipiell weiter wachsen kann. Die remote sites sind über das WWW miteinander und mit dem Installationsort verbunden; das WWW und der Ort der Installation bilden das ›kopräsente‹ und das ›virtuelle‹ Zentrum der Produktion. Für die szenographische Struktur anderer telematischer Internet Performances, beispielsweise von J-B-2Z oder des Cassandra Projects, bietet sich die Netzmetapher als Referenzpunkt hingegen nicht an. Würde man für J-B-2Z formulieren, die online-Zuschauer seien mit den Darstellern im Hafen von Rotterdam ›vernetzt‹, so reduzierten sich die Dimensionen im Begriff des Netzes ohne weitere Spezifikation auf die Bedeutung des Verbunden-Seins. Für die Art und Weise, wie dieses Verbunden-Sein der verschiedenen remote sites gestaltet ist, lassen sich jedoch verschiedene Variationen feststellen.

6.2.2 Variationen der Connected Spaces80 Allen Internet Performances gemeinsam ist die Idee, geographisch entfernte Räume miteinander zu verbinden. Betrachtet man das Verhältnis von theatralem, szenischen und ortsspezifischen Raum zu den verschiedenen Teilnehmergruppen, so lassen sich verschiedene Variationen der Art und Weise feststellen, die Räume miteinander zu verbinden. Hinter diesen Variationen der Connected Spaces als Raummodelle stehen entsprechende Körperkonzepte (vgl. Kap. 6.3). Im Folgenden können neben der Hybridisierung der Räumlichkeiten die Tendenzen zur Multiplizierung des szenischen Raumes und zur Synchronisierung der szenischen Räume unterschieden werden.

Hybridisierung der Räumlichkeiten Die Kombination geographisch entfernter Räume und ihr telematisches Verbunden-Sein untereinander kann zu einer Hybridisierung der Räumlichkeiten führen. Immer dann, wenn das Internet als Aufführungs- und Handlungsraum eingesetzt und mit szenischen Räumen kombiniert wird, in denen physisch präsente Teilnehmer agieren, ist es angebracht, auf den Diskurs des Hybriden zurückzugreifen (vgl. Kap. 4.1.2). Für die Kombination von szenischen Räumen, in denen Teilnehmer physisch präsent sind, und virtuellen ›Räumen‹ wie einer

80. Diskussionsthema der Dance-Tech Liste. Vgl. Dance-Tech List Archive 2000. Mail von Lisa Naugle vom 03.07.2000. 263

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Web-Seite hat Kac den Begriff des mediascape geprägt.81 Auch World Wide Simultaneous Dance, das Cassandra Project und die Arbeiten Stelarcs bestehen aus hybriden Räumlichkeiten. Ornitorrinco in Eden und Rara Avis können jedoch als paradigmatische Beispiele dieser Tendenz angesehen werden, da sie ihre Hybridität auf einer symbolischen Ebene reflektieren. Die Besucher von Ornitorrinco in Eden in Chicago sahen technisch nicht-mediatisiert einen Teleroboter, dessen Bewegungen von Lexington und Seattler aus gesteuert wurden und durch dessen Augen, in denen Kameras installiert waren, online-Zuschauer aus aller Welt den Ausstellungsort und die Besucher in Chicago beobachten konnte. Kac hatte die Bezeichnung ›Ornitorrinco‹ für Schnabeltier ausgewählt, das dieses selbst ein Hybrid aus einem Vogel und einem Säugetier ist.82 Rara Avis geht einen Schritt weiter, indem es für die Besucher vor Ort die technisch nicht-mediatisierte Wahrnehmung der Installation mit der Wahrnehmung zusammenführt, die nur durch und in Handhabung der Technologie möglich ist: Wenn die Besucher den angebotenen headset aufsetzten, nahmen sie die Umgebung aus den Augen des Vogels wahr; ihre akustische Wahrnehmung wurde durch die onlineTeilnehmer bestimmt. Beide Arbeiten kombinieren die Kopräsenz am Ort der Installation mit seiner gemeinschaftlich geteilten Fernsteuerung und der Wahrnehmung des Ausstellungsortes aus den Augen des Teleroboters. Kac, der seine Arbeiten selbst als hybrid bezeichnet,83 betont, beide Formen des Raumes – physische Kopräsenz und Telepräsenz – als äquivalent anzusehen. »Mischereignisse im Internet entlarven die Schwäche von eingleisigen und hoch zentralisierten Formen der Verteilung, wie sie das Fernsehen darstellt, und tragen gleichzeitig dazu bei, die Kommunikationsmöglichkeiten zu erweitern, die absolut einmalig für diese immaterielle, telematische Form künstlerischer Aktion sind.«84 Seine Arbeiten zielen darauf, den Teilnehmern die Erfahrung zu vermitteln, gemeinsam einen ihnen fremden Körper zu teilen und zu steuern. Sie fordern eine Wahrnehmung, die permanent bereit ist, die eigene Perspektive zu wechseln oder durch fremde Personen steuern zu

81. Vgl. Kac, Eduardo: Ornitorrinco and Rara Avis, a.a.O., S. 390. 82. Vgl. ders.: Das Internet und die Zukunft der Kunst: Immaterialität, Telematik, Videokonferenzen, Hypermedia, Networking, VRML, Interaktivität, Bildtelefone, Software für Künstler, Telerobotik, Mbone und darüber hinaus. In: Münker, Stefan/ Roesler, Alexander (Hrsg.): Mythos Internet, a.a.O., S. 291-318: S. 310. 83. Vgl. ebd., S. 392. 84. Ebd., S. 309. 264

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lassen (vgl. Kap. 6.3.2). Bedingung dieser Erfahrung ist die Hybridität der Raumkonstruktion.

Multiplizierung des szenischen Raumes In einigen Fällen, beispielsweise bei World Wide Simultaneous Dance und dem Cassandra Project, geht die Auflösung der physischen Kopräsenz mit einer Multiplizierung des szenischen Raumes einher. Weder konnte ein Teilnehmer alle Details von World Wide Simultaneous Dance wahrnehmen, noch war es mehreren Teilnehmern möglich, die Aufführung identisch wahrzunehmen. Auch die Zuschauer, die, ohne selbst zu tanzen, World Wide Simultaneous Dance verfolgten, konnten frei entscheiden, welche Fenster sie zur Übertragung öffnen wollten. Durch diese Tendenz, die Pavis umschrieb als »ouvrir l’espace et multiplier les points de vue pour relativiser la perception unitaire et figée«85 richtet sich der Fokus auf die Interrelationen der szenischen Räume, die Pavis als »l’espace crée par l’acteur, par sa présence et ses déplacements«86 definiert. Durch das Verbunden-Sein der einzelnen szenischen Räume konstituieren diese Produktionen eine bisher unbekannte Form des Aufführungsraumes.87 Im Zentrum von World Wide Simultaneous Dance stand die Idee des ›Dancing the Connection‹, das Bild der Welt, auf der überall Menschen tanzen. »Connectivity gave visual clues to what could only be imagined: the planet turning, little blips of people dancing.«88 In dem Versuch, eine ›Architektur der Verbindung‹89 zu etablieren, standen die Aufführungen auch untereinander in Wechselwirkung. Der Herzschlag von Mateja Bucar wurde ins Centre Cultural des Belem in Lissabon übertragen und steuerte dort das Licht der Choreographie von Paula Massano.90 Auch die verschiedenen Fassungen des Cassandra Project kreisen um das Thema des Verbunden-Seins. »The whole Cassandra project is about inter-connection«,91 so Ghezzo. Im Rahmen einer Aufführung unter den Bedingungen physischer Kopräsenz gibt das Cassandra Project nur die Struktur vor. Ebenso wie bei World Wide Simultaneous Dance werden so alle aktiv Beteiligten gemeinsam für das Gelingen der

85. 86. 87. 88. 89. 90. 91.

Pavis, Patrice: Scénographie, a.a.O., S. 348. Ders.: Espace (au Théâtre), a.a.O., S. 146. Vgl. Broeckmann, Andreas: Konnektive entwerfen! a.a.O., S. 233. Knott, Laura: World Wide Simultaneous Dance, a.a.O., S. 12. Vgl. ebd., S. 13. Vgl. ebd., S. 12. Ghezzo, Dinu: Interview Notes. New York University, New York City. 23.10. 2001. 265

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Aufführung verantwortlich (vgl. das Prinzip der distributed choreography Kap. 6.1.6). Während jedoch bei World Wide Simultaneous Dance nur die Konzeption der Aufführung vorgegeben war, verbindet das Cassandra Project die szenischen Räume auch inhaltlich. Bei jeder Szene war definiert, welche Inhalte in welchem Medium von welcher remote site kommen würden.

Synchronisierung der szenischen Räume Allen telematischen Internet Performances liegt das Prinzip zugrunde, Objekte, die sich an einem bestimmten Ort befinden, an einem anderen Ort sichtbar werden zu lassen. Jedoch nur bei den Arbeiten Kacs und bei World Wide Simultaneous Dance werden die szenischen Räume auch visuell synchronisiert. Dies wurde durch die Möglichkeit, webcameras und Telekonferenztechnologien in das WWW zu integrieren, möglich.92 Den Effekt, als Tänzerin kurz vorm nächsten Einsatz anderen Tanzenden auf ihrer Web-Seite zusehen zu können, verglich Knott mit der Situation, im Seitenflügel einer Proszeniumsbühne zu stehen und das Bühnengeschehen zu beobachten.93 Die hier vorgestellten Variationen der Connected Spaces stellen keine trennscharfen Kategorien dar und können, wie im Falle der Arbeiten Kacs und von World Wide Simultaneous Dance, auch gekoppelt auftreten. Mit den Variationen der Connected Spaces als szenographischen Strukturen von telematischen Internet Performances sind auch gesellschaftlich-politische Dimensionen, beispielsweise Formen der Kontrolle, verbunden.

6.2.3 [CTRL] Space: Kontrolle des telematischen Raumes Verlässt nun die Ebene der Untersuchung szenographischer Strukturen und befragt sie aus ideologiekritischer Perspektive, können die szenographischen Strukturen als Strategien verstanden werden, mit denen die Produzenten das Internet als Kommunikations- und Handlungsraum besetzen. Auf symbolischer Ebene stehen diese Strategien potentiell für Formen der Kontrolle, des Überwachen, für Macht schlechthin und die ethisch-politische Verantwortung, die daraus erwächst. Ein Indikator für das Ausmaß, mit dem solche Themen die symbolische Ebene der Produktionen beeinflussen, kann die Art und Weise sein, mit der Kameras eingesetzt werden und wie sie eine Kontrollfunktion ausüben. Grundsätzlich können hier zwei Formen des Einsatzes unterschieden werden: Entweder erfolgt die Aufnahme der Aktion nur an

92. Vgl. http://www.ekac.org/raraavis.html (Zugriff am 01.08.2005) 93. Vgl. Knott, Laura: Interview Notes vom 17.09.2001, Boston. 266

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einem Ort und wird dann über einen Media Player oder webcameras übertragen (beispielsweise bei Leaping into the Net, J-B-2Z oder AFK) oder aber die Übertragungen erfolgen multidirektional (World Wide Simultaneous Dance, Cassandra Project). Die Kamera übernimmt im Unterschied zu ihrer Funktion im Film, wo sich über ihre Führung ein Erzählprinzip etabliert, in telematischen Internet Performances weniger eine deiktische Funktion,94 sondern steht einerseits für die Rahmung der Wahrnehmung, für die Auswahl des Blickfeldes und dessen, was es ausschließt. »Das Bild der Kamera gibt nicht nur ein Wahrnehmungsobjekt wieder, es schließt mich auch von jener Welt aus, die ich sehe und anderen Zustandekommen ich selbst nicht beteiligt bin.«95 Andererseits erzeugt der Blick der Kamera auch ein Verhältnis der Nähe, das die Basis für die Wahrnehmung von Präsenz trotz räumlicher Trennung liefert.96 In Leaping into the Net rahmte der Blick der Kamera auch die Wahrnehmung der online-Zuschauer. Als eindimensionale Übertragung sah diese Struktur im Unterschied zu World Wide Simultaneous Dance keine Reaktion vor. Die Rahmung der Kamera wurde hier, ebenso wie die Zahl und die Herkunft der Übertragungen auf der Web-Seite individuell von den Teilnehmern bestimmt. Während Leaping into the Net – genauso wie das Cassandra Project für die online-Zuschauer – hierarchische Kommunikationsstrukturen, über die die Wahrnehmung der online-Zuschauer definiert wurde, umsetzte, basiert World Wide Simultaneous Dance auf einer offenen, kooperativen Kommunikationsstruktur, die von Knott als Initiatorin bestimmt, im Verlauf der Aufführung jedoch nicht kontrolliert wurde. Innerhalb dieser Struktur übernimmt jeder Teilnehmer eine äquivalente Funktion. In den Arbeiten Stelarcs spielt die Kamera eine geringere Rolle, wird das Internet doch ausschließlich in Fractal Flesh als Handlungsraum eingesetzt. Dort übernimmt die Kamera die Funktion, den Teilnehmern an den remote sites die Reaktionen Stelarcs zu übermitteln. Einzig in den Arbeiten Kacs war die Kamera als Augen der Teleroboter auch inhaltlich in die

94. Vgl. Esslin, Martin: Die Zeichen des Dramas, a.a.O., S. 98f. – Dadurch bieten sich auch Instrumente der Filmanalyse wie die Unterscheidung von erstens Zeichensystemen, die sich aus der Arbeit der Kamera ergeben, zweitens Zeichensystemen, die sich aus der Verbindung der Einstellungen herleiten und drittens Zeichensystemen des Filmschnitts im Zusammenhang von telematischen Internet Performances nicht an, vgl. ebd., S. 107. 95. Iser, Wolfgang: Der Akt des Lesens, a.a.O., S. 225. 96. Vgl. Hickethier, Knut: Film- und Fernsehanalyse. Stuttgart: Metzler, 1993, S. 126f. 267

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Produktionen eingebunden. Sie diente hier weniger der Kontrolle fremder Bereiche – dies erfolgte hauptsächlich durch die Steuerung der Roboterbewegungen –, denn der Erfahrung, in der eigenen Wahrnehmung fremdgesteuert zu sein. War der ursprüngliche Zweck von webcameras die Kontrolle entfernter Räume und hing eng mit dem Topos der Kontrollgesellschaft eingeht, so bewegt sich ihr Gebrauch heute im Spannungsfeld von Überwachen und Voyeurismus. Den panoptischen Blick suggerierend erlauben webcameras die Lust an der unbeobachteten Beobachtung, die voyeuristische Identifikation mit Macht. Für ihre Arbeiten entfremdet Jenniches webcameras von ihren ursprünglichen Zwecken. Diese DeKontextualisierung der Technologie hinterfragt ihre Bedeutung in ihrem primären Kontext. In AFK zielte Jenniches explizit darauf, den gesellschaftlichen Gebrauch von Überwachungstechnologie zu thematisieren. Allein, dass ihre Partnerin Spuren in den frisch gefallenen Schnee zog, irritierte die Betreiber der Kameras derartig, dass sie Michelle Terain aufforderten, das Gelände zu verlassen. Ihre online-Zuschauer konnten beobachten, wie ein Schneepflug gerufen wurde und die als störend empfundenen Spuren der Performerin beseitigte.97 Die Variationen der Connected Spaces stehen in direkter Verbindung zu Körperkonzepten und ihren Inszenierungen, die unter dem Motto der ›Connecting Bodies‹ stehen.

6.3 Connecting Bodies98 : Körperkonzepte und ihre Inszenierungen Aufgrund ihrer Medialität vermitteln telematische Internet Performances spezifische Vorstellungen vom Körper und reflektieren über den Einfluss, den Telekommunikationstechnologien auf die Erfahrung von Leiblichkeit ausüben. Im Zentrum steht dabei die Frage nach den Auswirkungen telematischer Repräsentation auf die Inszenierung der Körper. Als symbolische Repräsentationen des Körpers kommt den in und durch Telekommunikationstechnologien entworfenen Körperbil-

97. Auch innerhalb der textbasierten Internet Performances thematisierte MetaMOOphosis Formen sozialer Kontrolle: Sacks erklärte seinen Teilnehmern, eine Kamera nähme alle eingegebenen Repliken auf. So instrumentalisierte er die Erstellung des logfiles und verstärkte die für die Geschichte notwendige, paranoide Stimmung des Überwacht-Werdens (vgl. Kap. 3.3.2). 98. ›Connecting Bodies‹ war der Titel eines Symposiums an der School for New Dance Development, Amsterdam, 1996. Vgl.: Theodores, Diana: Connecting Bodies Symposium. http://art.net/~dtz/diana.html (Zugriff am 13.03.2000) 268

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dern99 exemplarische Bedeutung zu. Der von Evert untersuchte Zusammenhang zwischen dem »Wandel des in künstlerischen Produktionen inszenierten Körperbildes und dem damit verbundenen Verhältnis von Körper und Technologie«,100 bestätigt sich auch für telematische Internet Performances. Wie andere historische Theaterformen auch artikulieren und reflektieren sie kontingente, gesellschaftliche Vorstellungen über den Körper. Langdon Winner beschreibt dabei folgenden Zusammenhang: »A recurring pattern in modern technological and cultural transformation is that, as new technologies are invented, the kinds of people who will be using them are also invented.«101 Von einer ›Erfindung‹ oder Konstruktion neuer Menschenbilder zu sprechen, bedeutet, Subjektivität als ›symbolisch-mediales Konstrukt‹ zu begreifen; ein nach Becker historisch bekannter Zusammenhang. »Subjektivität ist stets das Produkt individueller wie kollektiver Einbildungskraft und damit ein Prozeß unaufhörlicher Transformationen.«102 Die von Belting beobachtete Korrelation zwischen den historischen Transformationen in der Erfahrung des Körperlichen und des Bildlichen103 wurde in telematischen Internet Performances durch spezifische technologische und technologiegeschichtliche Transformationen (in der Entstehung) der Netzwerkgesellschaft induziert. Die Körperkonzepte, die telematische Internet Performances als Konfrontation von Theater und Internet reflektieren, basieren auf dem Konzept des Post-Humanen, das als Diskursphänomen mehrere Disziplinen verbindet. Innerhalb dieses Diskurses wird vor allem die Vorstellung einer distributed subjectivity bzw. einer distribuierten Kognition relevant, die aus natur- und ingenieurwissenschaftlichen Disziplinen, insbesondere

99. Als Körperbild soll im Sinne Everts »das durch die Inszenierung im Zusammenwirken der körperbezogenen Inszenierungsparameter vermittelte Konstrukt, das Vorstellungen von und Umgangsweisen mit dem Körper reflektiert«, verstanden werden. Vgl. Evert, Kerstin: DanceLab, a.a.O., S. 11. 100. Dies.: Zur Auseinandersetzung von Tanz und Technologie an den Jahrhundertwenden. In: Dinkla, Söke/Leeker, Martina (Hrsg.): Tanz und Technologie, a.a.O., S. 30-65: S. 57. 101. Winner, Langdon: Three Paradoxes of the Information Age. In: Bender, Gretchen/Druckrey, Timothy (Hrsg.): Culture on the Brink, a.a.O., S. 191-197: S. 193. 102. Becker, Barbara: Die Inszenierung von Identität in Virtuellen Räumen, a.a.O., S. 52. 103. Vgl. Belting, Hans: Bild-Anthropologie, a.a.O., S. 23. 269

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der Künstlichen Intelligenz-Forschung, entstanden ist. Innerhalb der Kulturwissenschaften wurde der Diskurs des Post-Humanen und seine Variationen vor allem durch N. Katherine Hayles bekannt (vgl. Kap. 6.3.1). Im Folgenden sollen telematische Internet Performances als Inszenierungen des Post-Humanen, als Bestandteil dieses Diskurses diskutiert werden. Als Variationen können die Pictured Bodies und ihre Sensibilisierung des Leibes und die Distributed Bodies und die Erfahrung der Alterität, die sie ermöglichen, unterschieden werden (vgl. Kap. 6.3.2). Einen besonderen Aspekt distribuierter Subjektivität stellen die Arbeiten Stelarcs dar, der seinen eigenen Körper als Interface inszeniert (vgl. Kap. 6.3.3). Der menschliche Körper gilt ihm immer als defizitär; einzig seine technologische Bearbeitung kann für ihn diesen Mangel ausgleichen. Dieses Bemühen kann aus ideologiekritischer Perspektive als Versuch gedeutet werden, das, was Günther Anders als ›prometheische Scham‹ des Menschen im Angesicht einer als perfekt gesetzten Technologie bezeichnet hat, zu überwinden (vgl. Kap. 6.3.4).

6.3.1 Der Diskurs des Post-Humanen Ursprünglich aus der Künstlichen Intelligenz- und Robotik-Forschung stammend kann der Diskurs des Post-Humanen als eine Form der Ideenwanderung von den Natur- zu den Geisteswissenschaften gesehen werden.104 Als Referenzpunkt genauso wie zur Abgrenzung steht der Vorstellung des Post-Humanen das »liberalist human subject«105 gegenüber. Hayles sieht beide als historische Konstruktionen, die aus einem besonderen Verhältnis von Kultur, Technologie und Verkörperung entstanden sind. »[T]he posthuman appears when computation rather than possessive individualism is taken as the ground of being, a move that allows the posthuman to be seamlessly articulated with intelligent machines.«106 Der Diskurs des Post-Humanen geht von der Dissoziation kognitiver

104. Vgl. Penny, Simon: Consumer Culture and the Technological Imperative: The Artist in Dataspace. In: ders. (Hrsg.): Critial Issues in Electronic Media. New York: State University of New York Press, 1995 (= SUNY Series in Film History and Theory), S. 47-73: S. 57. – Ein anderes Beispiel hierfür ist der Diskurs um den Begriff des Ubiquitären. Vgl. Kap. 6.3.3. 105. Hayles, N. Katherine: How We Became Posthuman, a.a.O., S. 4. 106. Ebd., S. 34. – Z.T. ist der Begriff des Post-Humanen mit dem Begriff des Post-Organischen identisch. Vgl. Causey, Matthew: Postorganic Performance, a.a.O., S. 187. 270

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Prozesse und ihrer materiellen Realisierung aus. Nach Becker bezeichnet er die »Vorstellung, dass im Zuge der Entwicklung von autonomen, intelligenten Systemen der Mensch und insbesondere sein Körper zunehmend überflüssig würden.«107 Das Post-Humane setzt keine wesentlichen Unterschiede oder absoluten Demarkationen zwischen der »bodily existence and computer simulation, cybernetic mechanism and biological organism, robot teleology and human goals.«108 In dem Maße, in dem das Post-Humane dies als Verkörperungen von Informationen ansieht, führt der Diskurs die Tradition des Liberalismus eher fort, als sie zu unterbrechen.109 Der Körper gilt als Prothese, die der Mensch zu manipulieren lernt. Ihn auszuweiten oder durch andere Prothesen zu ersetzen, bedeutet nach diesem Gedanken nur, einen Prozess fortzuführen, der bereits vor der Geburt des Menschen begann.110 Ein zentraler Gedanke im Diskurs des PostHumanen ist die kybernetisch beeinflusste Vorstellung, Identität als distribuiertes kognitives System zu verstehen. Aus dieser Perspektive ist ein distribuiertes kognitives System »a cybernetic circuit that splices your will, desire, and perception into a distributed cognitive system in which represented bodies are joined with enacted bodies through mutating and flexible machine interfaces.«111 Während diese Grundgedanken weitgehend allen Vertretern dieses Diskurses gemeinsam sind, können die Konsequenzen bzw. Bewertungen stark variieren. Grundsätzlich lässt sich – ähnlich der Technologieund Medienkritik – extrem euphorische von apokalyptisch orientierten Positionen unterscheiden.112 Auch ohne explizit auf den Diskurs des

107. Becker, Barbara: Philosophie und Medienwissenschaft im Dialog. In: Münker, Stefan/Roesler, Alexander/Sandbothe, Mike (Hrsg.): Medienphilosophie, a.a.O., S. 91-106: S. 94, vgl. ebd., S. 95. – »[E]mbodiment in a biological substrate is seen as an accident of history rather than an inevitability of life.« Hayles, N. Katherine: How We Became Posthuman, a.a.O., S. 3. 108. Hayles, N. Katherine: How We Became Posthuman, a.a.O., S. 3. 109. Vgl. ebd., S. 5. – Auch Causey betont, dass der »material body« auch die Grundlage des Post-Humanen darstellt. Vgl. Causey, Matthew: Postorganic Performance, a.a.O., S. 187. 110. Vgl. Hayles, N. Katherine: How We Became Posthuman, a.a.O., S. 5. 111. Ebd., S. xiv. – »[T]he posthuman’s collective heterogeneous quality implies a distributed cognition located in disparate parts that may be in only tenuous communication with one another.« Vgl. ebd., S. 4. 112. Vgl. ebd., S. 291. 271

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Post-Humanen zu verweisen, finden sich bei zahlreichen Autoren Variationen auf den Grundgedanken der distributed subjectivity. So spricht Grau vom »Wandel des ortsgebundenen Konzepts vom Menschen«113 oder Weibel vom positionalen Subjekt, das sich im Rahmen von Optionen konstruiert.114 Aufgrund seiner distribuierten Struktur wird das Internet zum bevorzugten Medium, Konzepte des Post-Humanen umzusetzen.

6.3.2 Internet Performances als Inszenierungen des Post-Humanen Indem telematische Internet Performances die raumzeitliche Kopräsenz auflösen und geographisch verteilen, inszenieren sie die sowohl historisch als auch kulturell kontingente Konstruktion von Identität als distributed subjectivity. Telematische Internet Performances können als modellhafte Verkörperung, als probehaftes Inszenieren dieser neuen Form von Subjektivität angesehen werden.115 Die Produktionen basieren dabei auf einer Form von Körperlichkeit, die als der telematische Körper bezeichnet werden kann. Er konstituiert sich durch die Trennung von physischer und bildlicher Gegenwart einem jeweils spezifischen »Verhältnis von Telematik und Physis«116 und kann als Verkörperung kommunikativer Erfahrungen angesehen werden, als Metapher für diese Erfahrungen. Der telematische Körper steht zum einen für die Möglichkeit, den Körper und seine Aktionen als Bilder zu verdoppeln. »Die Verdopplung des natürlichen Körpers durch teletechnische Prothesenkörper ist eine weitere Station der Raum- und Zeiterfahrung, des Verhältnisses der Sinnesorgane zueinander und der Subjektkonstruktion.«117

113. Grau, Oliver: Telepräsenz, a.a.O., S. 59. 114. Vgl. Weibel, Peter: Techno-Transformation und terminale Identität, a.a.O., S. 15. Vgl. ebenfalls Featherstone, Mike/Burrows, Roger: Cultures of Technological Embodiment: An Introduction. In: dies. (Hrsg.): Cyberspace/Cyberbodies/Cyberpunk, a.a.O., S. 1-19: S. 2. 115. In eingeschränktem Maße gilt dieser Befund auch für textbasierte Internet Performances, insbesondere die Plaintext Players. Hier verwenden die Teilnehmer fast identische Rollennamen, so dass mehrere Personen gemeinsam (und erkennbar für die anderen Teilnehmer) an einer Rolle schreiben können. 116. Leeker, Martina: Vom »Geist« der Maschinen. Für eine Kultur der technologischen Manipulation des Körpers. In: Kunstforum International 133 Die Zukunft des Körpers II, S. 130-138: S. 135. – Vgl. dies.: Like Angels.: Wohl bekomm’s dem Körper in den S(t)imulatoren vom Flug bis zum Sex. In: Erdmann, Johannes Werner (Hrsg.): Kunst, Kultur und Bildung im Computerzeitalter, a.a.O., S. 267-282: S. 269. 117. Weibel, Peter: Techno-Transformation und terminale Identität, a.a.O., S. 12. 272

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Zum anderen wird der telematische Körper im Sinne McLuhans unter dem Topos der Extension betrachtet. So argumentiert Naugle für das Cassandra Project: »The technology becomes an extension of the dancers, musicians and actors, the same way that a violin becomes an extension of the violonist.«118 Die Behauptung einer Extension des menschlichen Körpers bleibt jedoch inhaltsleer, so lange die Anschluss-, die Schnittstellen und ihre kommunikative wie sinnliche Dimension unberücksichtigt bleiben. Während die Konstruktionen des Interface in Ornitorrinco in Eden oder bei Fractal Flesh als Extensionen des Körperlichen verstanden werden können, trifft diese Aussage auf die Interaktion der remote sites im Cassandra Project, die über eine zeitliche wie inhaltliche Rahmung funktioniert, nicht zu. Neben den Distributed Bodies und der Erfahrung von Alterität, die sie ermöglichen, soll zuerst eine andere Form der telematischen Körperlichkeit, die Pictured Bodies, diskutiert werden. Sie stehen nicht in direktem Zusammenhang mit dem Diskurs des Post-Humanen. Da sie jedoch die Grundlage für die Inszenierung der Distributed Bodies bilden, sollen sie hier erörtert werden.

Pictured Bodies und die Sensibilisierung des Leibes Die Verdopplung der Aktion in der Bildwerdung des Körperlichen betrifft alle telematischen Internet Performances gleichermaßen. Die Dreidimensionalität von Körper und Raum wird in zweidimensionale Bildlichkeit transformiert. Telematische Internet Performances bewegen sich dabei zwischen den medialen Konventionen des Theaters und des Televisuellen. Während das televisuelle Bild in Leaping into the Net durch seinen eindimensionalen Kommunikationsweg im Wahrnehmungsrahmen des Fernsehens oder Filmes auftrat, ergibt sich aus der Interaktion zwischen Projektion und Bühnengeschehen im Cassandra Project eine Form intermedialer Wahrnehmung. Das New Yorker Publikum könnte die eigene Wahrnehmung auch mit der Wahrnehmungssituation eines Stummfilms vergleichen: Televisuelle Bilder mit Tänzern, die von physisch kopräsenten Musikern begleitet werden. Einige telematische Internet Performances wie World Wide Simultaneous Dance, das Cassandra Project und die Arbeiten von Jenniches verfolgen dabei die Strategie, den bildgewordenen, weil digitalisierten Körper als semiotischen Körper in Konfrontation zum ›phäno-

118. Campbell, June: Lights, Camera, Modem! Internet Performance Artists Lisa Naugle. In: http://www.geocities.com/Welleslesy/3321/win6e.htm (Zugriff am 25.12. 1999) 273

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menalen‹ Körper zu stellen (vgl. Kap. 4.3.1). Dem bildgewordenen wird im Unterschied zum phänomenalen, also technisch nicht mediatisierten Körper von der Theorie vielfach das Vermögen abgesprochen, die »kinetische Energie von Schwerkraft, Muskelkraft und -kontrolle«119 direkt erlebbar werden zu lassen. An solche Argumente knüpfen meistens Thesen von der Auflösung des Körperlichen in seiner technologischen Mediatisierung an.120 Prinzipiell ist jedoch auch ein alternativer Argumentationsgang möglich, wie ihn beispielsweise Leeker ausgeführt hat: »Nicht die Körper als solche verschwinden, sondern vielmehr ist es eine bestimmte Vorstellung und Erfahrung vom Körper, die sich auflösen.«121 In die Konfrontation des semiotischen und des phänomenalen Körpers tritt in telematischen Internet Performances »der durch die Abstraktion des telematischen Körpers aktivierte Leib«122 der ehemaligen Zuschauer als dritte Komponente hinzu. Die radikale Trennung des Körpers von seinem telematisch repräsentierten Bild kann auch zu einer »erhöhten Sensibilität des Organismus und damit zu einer Rückbesinnung auf den Leib«123 führen. Die zahllosen Kassandra-Rufe wider den Verlust des Leibes lassen sich so als Symptom für eine Angst lesen, als »Widerstand des Leibes, der aus seiner Differenz zum telematischen Körper entsteht«.124 So können einige der telematischen Internet Performances trotz der viel beschworenen Auflösung und Immaterialisierung des Körper die leibliche Wahrnehmung aller Teilnehmer sensibilisieren. Die Trennung von physischer und bildlicher Gegenwart im telematischen Körper wertet Leeker sogar als »Garant für die Bewußtwerdung des Körpers«125 (vgl. Kap. 7.2.4).

119. Rosiny, Claudia: Tanz im oder fürs Fernsehen? Tanzspezifische Probleme der Intermedialität. In: Lemke, Inga (Hrsg.): Theaterbühne – Fernsehbilder. Sprech-, Musik- und Tanztheater im und fürs Fernsehen. Anif/Salzburg: Müller-Speiser, 1998, S. 207-239: S. 210. 120. Beispielsweise bei Dietmar Kamper: »Eines der wirksamsten Verfahren zur Eliminierung des Körpers ist nämlich die Transformation von Körpern in Bilder von Körpern, in Körperzeichen, nach denen die Körper gemodelt werden.« Kamper, Dietmar: Die Entfernung der Körper. Ein Menetekel. In: Rötzer, Florian (Hrsg.): Die Zukunft des Körpers II, a.a.O., S. 150-152: S. 152. – Oder: Belting, Hans: Bild-Anthropologie, a.a.O., S. 14. 121. Leeker, Martina: Vom »Geist« der Maschinen, a.a.O., S. 130-138: S. 135. 122. Dies.: Like Angels, a.a.O., S. 275. 123. Dies.: Vom »Geist« der Maschinen, a.a.O., S. 136. 124. Ebd. – Vgl. ebenfalls dies.: Like Angels, a.a.O., S. 274. 125. Dies.: Like Angels, a.a.O., S. 269. 274

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Distributed Bodies und die Erfahrung von Alterität Der Begriff der Distributed Bodies soll eine Variation des telematischen Körpers bezeichnen, die einen Körper über mehrere remote sites verteilt und damit die Idee einer distributed subjectivity verkörpert.126 Hinter dieser Strategie steht das Konzept, Medien als körperliche Extensionen zu inszenieren und für die Teilnehmer erfahrbar werden zu lassen. Die Produktionen unterscheiden sich darin, in welcher Art und Weise sie den verteilten Körper für alle Beteiligten erfahrbar werden lassen. In der avancierten Form der verteilten als geteilte ›Körper‹ erproben die Produktionen nicht nur Formen der kollektiv erlebbaren Medialität des Körperlichen, sondern stellen auch die Frage nach den Auswirkungen des Telematischen auf die Erfahrung von Alterität. Im Modus der Telepräsenz wird realräumliche Nähe durch das Bild von Nähe ersetzt; beim Einsatz von Telerobotern beispielsweise können die Grenzen zwischen Innen- und Außenraum der einzelnen remote sites nicht mehr klar gezogen werden.127 Erlauben die Möglichkeiten telematischer Repräsentationen einerseits neue Formen der Überwindung geographischer Distanzen, so führen sie andererseits neue Arten des Getrennt-Seins ein. Erst in der Distanz wird es möglich, den Anderen als Objekt zu behandeln; die Bildwerdung des Körperlichen kann auch die Grundlage seiner Objektivierung sein.128 »[A]n die Stelle der Kraft der physischen Unmittelbarkeit des Körpers als Wahrheitsträgers tritt das Modell der multiplen Wahrheiten und Identitäten, die sich ständig neu konstituieren können.«129 Mit den in telematischen Internet Performances inszenierten Formen der Distributed Bodies sind auch unterschiedliche Erfahrungen von Alterität verbunden, die so metaphorisch für soziale Interaktionsformen

126. Mit der Auflösung der physischen Kopräsenz verteilen sich auch die an einer Internet Performance beteiligten Körper. In diesem Sinn übertragen Internet Performances die Idee der räumlichen Verteilung bei telematischer Konnektivität auf verschiedenste Fragen des Theaters, beispielsweise auch das Prinzip der distributed choreography (vgl. Kap. 6.1.6). Der Begriff der Distributed Bodies soll diesen Prozess jedoch nicht mit einschließen. 127. Vgl. Meurer, Bernd: Die Zukunft des Raumes/The Future of Space. In: ders. (Hrsg.): Die Zukunft des Raumes. The Future of Space. Frankfurt: Campus, 1994 (= Schriftenreihe des Werkbundes der Zivilisation – Akademie Deutscher Werkbund; Bd. 1), S. 13-36. 128. Vgl. Manovich, Lev: The Language of New Media, a.a.O., S. 174. 129. Dinkla, Söke: Zur Rhetorik und Didaktik des digitalen Tanzes. In: dies./Leeker, Martina (Hrsg.): Tanz und Technologie, a.a.O., S. 14-29: S. 27. 275

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stehen.130 So inszeniert Stelarc seinen eigenen Körper als steuerbaren, während in Kacs Arbeiten ein Teleroboter nicht nur gemeinsam gesteuert, sondern das Wahrnehmungsfeld des Teleroboters von allen Teilnehmern geteilt wird. Hinter Fractal Flesh stehe das »Konzept eines geteilten Körpers, von fraktalem Fleisch«,131 wie Stelarc selbst formuliert. Diese Interpretation deckt sich nicht mit der Kommunikationsstruktur der Aufführung. Die Zuschauer teilen sich zwar die Steuerung seiner Muskelkontraktionen, aber sie teilen sich weder mit Stelarc noch untereinander einen Körper.132 Machiko Kusahara war einer der Teilnehmer von Fractal Flesh. Er spricht von einem distanzierenden Effekt der Technologie, der Hemmschwellen herabsetzt und beschreibt seine Wahrnehmung als: »[I]t was like manipulating a machine or a robot. […] The technology furthers the sense of remoteness of unreality of the pain.«133 Angeschlossen an das System zur Muskelstimulierung wird der Körper des Performers zum Objekt, zum manipulierbaren Anderen; als Arrangeur der Aufführung verpflichtet Stelarc seine Teilnehmer jedoch zu dieser Rolle. Ping Body interpretiert Kusahara folgendermaßen: »[T]he ›master‹ was the Internet itself, Stelarc’s body became a slave of information on the Net – the invisible distillation of the desires of people across the globe.«134 Gleichgültig, ob der Zuschauer den Körper Stelarcs hier als Extension des Internets oder das Internet als Extension des Körpers wahrnimmt, immer inszeniert Stelarc seinen Körper als von der Technik begrenzten, in seiner Bewegungsfähigkeit eingeschränkten.135 Es ist jedoch

130. Auch Knott, die hier Miwon Kwon zitiert, zielte mit World Wide Simultaneous Dance auf die »mutual acknowledgement of of difference« und die »relational specificity« der Teilnehmer untereinander. Vgl. Knott, Laura: Dancing the Connection, a.a.O., S. 11, 14. 131. Stelarc: [Stelarc], a.a.O., S. 089. 132. Stelarc stellt in dieser Arbeit die Frage: »Kann ein Körper mit der Erfahrung radikaler Abwesenheit und Fremdsteuerung fertig werden, ohne von aus der Mode gekommenen Ängsten und metaphysischen Obsessionen von Individualität und freiem Willen überwältigt werden?« Stelarc: ParasitenVisionen, a.a.O., S. 712. 133. Kusahara, Machiko: Presence, Absence, and Knowledge in Telerobotic Art, a.a.O., S. 211, vgl. ebd., S. 212. 134. Ebd., S. 211. 135. Vgl. Evert, Kerstin: DanceLab, a.a.O., S. 212. – Vgl. »The body is now suspended between the inward pull of gravity and the outward thrust of information.« Stel276

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nicht die »Auflösung der gemeinsam geteilten Zeit in einem gemeinsam geteilten Raum einer Performance- oder Theatersituation« mit ihrem Effekt einer »entpersonalisierende[n] Distanz, durch die der menschliche Körper zum Teil einer technologischen Versuchsanordnung wird«,136 wie Evert urteilt, sondern die mit dieser Anordnung verbundenen Machtverhältnisse, durch die der Performer-Körper zum Versuchsobjekt wird. Dass die Auflösung der physischen Kopräsenz nicht zwangsläufig zu dieser entpersonalisierenden Distanz führen muss, demonstrieren die Arbeiten Kacs, die Kac als elektronische Verkörperungen der »enigmatic idea of telekinesis«, die für die Telekommunikationskünste neue Wege »beyond the exchange of ideas«137 aufzeigen. Beide Arbeiten konstruieren einen Kontext, in dem füreinander anonyme Teilnehmer nur durch das Zusammenspiel ihrer Aktionen eine neue Form der Wahrnehmung erfahren können. »The body of the Macowl was shared in real time by local participants and Internet participants worldwide. Sounds in the space, usually a combination of human and bird voices, traveled back to remote participants on the Internet.« 138 Nach Kac ist die Zusammenarbeit der verschiedenen Teilnehmer eine nicht-hierarchische. Das Privileg, das visuelle Wahrnehmungsfeld des Ornitorrinco zu bestimmen, besaßen jedoch nur die Teilnehmer in Seattle und Lexington; das visuelle Wahrnehmungsfeld des macowl wiederum wurde von einem einzigen Besucher der Installation in Atlanta vorgegeben, der sie über das headset im Sinne der VR als immersiv erlebte.139 Sie bestimmte die Wahrnehmung aller online-Zuschauer. Da die visuelle Wahrnehmung, insbesondere für die online-Zuschauer der Videokonferenzschaltung dominierte, kann auch bei Ornitorrinco in Eden und Rara Avis nicht von vollkommen gleichberechtigten Kommunikationsstrukturen gesprochen werden. Kac interpretiert Rara Avis als »a self-organizing system of mutual dependence, in which local participants, animals, a telerobot, and remote participants interacted without direct guidance, control, or external intervention.«140

136. 137. 138. 139. 140.

arc: Redesigning the Body. In: Whole Earth Review 63, 18/5 (1989), S. 18-22: S. 18. Evert, Kerstin: DanceLab, a.a.O., S. 231. Kac, Eduardo: Ornitorrinco: Exploring Telepresence and Remote Sensing. In: http: //www.ekac.org/ornitorrinco.abstract.html (Zugriff am 25.04.2003) Ders.: Dialogical Telepresence and Net Ecology, a.a.O., S. 187. Vgl. ders.: Ornitorrinco and Rara Avis, a.a.O., S. 389. Ebd., S. 393. 277

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Als seltener Vogel und der einzige seiner Art im Vogelkäfig verkörpert der macowl das Andere. Rara Avis dramatisiert die Erfahrung des Anderen, indem die Teilnehmer – durch die Augen eines Anderen – zeitweise die Wahrnehmung des macowl übernahmen.141 Insbesondere für die Teilnehmer in Atlanta, die sowohl »vicariously inside and physically outside« des Käfig sein konnten, konnte Rara Avis als Metapher dafür verstanden werden, »how new communications technology enables the effacement of boundaries at the same time that it reaffirms them.«142 In einem konstruierten telematischen Raum, den alle Beteiligten gemeinsam konstituieren, nehmen die einzelnen Teilnehmer Perspektiven ein, die ursprünglich nicht ihre eigenen sind.143 Im gegenseitigen Bewusstsein um den Einfluss aller anderen liegt die soziale und politische Relevanz dieser Arbeiten. »[T]elepresence works have the power to contribute to a relativistic view of contemporary experience and at the same time create a new domain of action and interaction for the human body.«144 Ob die Arbeiten wirklich in der Lage sind, »den Boden von Identität, geographischem Ort, physischer Anwesenheit und kulturellem Vorurteil ins Wanken«145 zu bringen, wie Kac behauptet, scheint jedoch fraglich. Auch werden raum-zeitliche Distanzen in diesen Arbeiten weniger irrelevant, wie er formuliert, sondern in ihren Spezifika gerade erst deutlich.146

141. Vgl. ebd. – Kac interpretiert Rara Avis deshalb auch als Kommentar auf die Idee des Exotismus. Vgl. ders.: Dialogical Telepresence and Net Ecology, a.a.O., S. 188. – Kusahara, Machiko: Presence, Absence, and Knowledge in Telerobotic Art, a.a.O., S. 211. 142. Kac, Eduardo: Ornitorrinco and Rara Avis, a.a.O., S. 393. – Bei Ornitorrinco in Eden versuchte Kac, die Reflexion auf die Identität des Anderen durch weitere Objekte im Bereich der Installation zu verstärken, beispielsweise Globen und einen Spiegel, in dem sich die Teilnehmer als Teleroboter sehen konnten, vgl. ebd., S. 391f. 143. Vgl. ders: Telepresence Art on the Internet, a.a.O., S. 210-219: S. 217. – »Unable to fully control the body in their own terms, they must cooperate for any navigation to be realized.« Ders.: Ornitorrinco and Rara Avis, a.a.O., S. 392. 144. Ders.: Dialogical Telepresence and Net Ecology, a.a.O., S. 196. – Vgl. Hannaford, Balke: Feeling is Believing: History of Telerobotics Technology. In: Goldberg, Ken (Hrsg.): The Robot in the Garden, a.a.O., S. 246-274: S. 251. 145. Kac, Eduardo: Das Internet und die Zukunft der Kunst, a.a.O., S. 312. 146. Vgl. »In dieser neuen Realität waren raum-zeitliche Distanzen irrelevant, virtuelle 278

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Für seine Arbeiten verwendet Kac den Begriff der Telepresence Art, die sich in seinem Verständnis gegen eindimensionale Kommunikationsstrukturen richtet, »challenging the teleological nature of technology.«147 »A new aesthetic is emerging as a result of the synergy of new nonformal elements, such as coexistence in virtual and real spaces, telerobotics navigation, synchronicity of actions, real-time remote control, body-sharing of telerobots, and collaboration through networks.«148 Aus ästhetiktheoretischer Perspektive verschiebt sich der Fokus der Telepresence Art für Kac von der »pictorial representation« hin zum »communicational experience.«149 Dazu gehört für Kac, allen Teilnehmern dieselben Kodes und Manipulationsmittel zur Verfügung zu stellen, wie sie der Produzent auch hat.150 Dieser Gedanke unterscheidet die Arbeiten Kacs fundamental von Produktionen wie Ping Body und ParaSite, die den Körper des Performers als Interface ins Zentrum stellen.

6.3.3 Stelarc: Interface Körper »The body does a data dance; it becomes a parameter of Internet activity.« Stelarc Angesichts einer ständig wachsenden Zahl von kulturellen Formen, die über den Computer erreicht werden können, konstatiert Manovich, »we are no longer interfacing to a computer but to culture encoded in digital form.«151 Stelarc vollzieht diesen Prozess an seinem eigenen Körper, indem er ihn in seinen Performances als Interface zum Internet einsetzt. In seinen Texten schreibt Stelarc dem Internet hohes Potential in der Genese neuer Formen von Subjektivität zu. Diese Ideen basieren auf einem besonderen Verständnis des Körpers, den Stelarc als in between-Existenz152 begreift, als »impersonal, evolutionary, objective

147. 148. 149. 150. 151. 152.

und reale Räume wurden gleichwertig und sprachliche Barrieren wurden zeitweise zugunsten einer geteilten Erfahrung aufgehoben.« Ebd., S. 313. Ders.: Telepresence Art, a.a.O., S. 48-72. http://www.ekac.org/Telepre sence.art._ 94.html (Zugriff am 25.04.2003) Ohne Seitenangabe. Ders.: Ornitorrinco and Rara Avis, a.a.O., S. 391. Ebd., S. 29. Vgl. ebd., S. 32. Manovich, Lev: The Language of New Media, a.a.O., S. 69f. Vgl. Stelarc: ParasitenVisionen. Split body zwischen ferngesteuerter und selbstbestimmter Erfahrung, a.a.O., S. 712. 279

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structure«,153 der nicht mehr zum Bereich des Biologischen gehört.154 Stelarc nimmt dabei McLuhans Diktum, Medien als Extensionen des menschlichen Körpers und seiner Sinnesorgane anzusehen, wörtlich.155 In seinen Performances tritt ein Körperkonzept hervor, das sein Außen nicht mehr durch die Haut abgeschlossen sieht. Die Kinesphäre erweitert sich über die Reichweite der menschlichen Sinnesorgane hinaus.156 Stelarc postuliert die prinzipielle Anschließbarkeit des Körpers an seine Umwelt. »Wir handeln meist als abwesende Körper, weil EIN KÖRPER DAZU ENTWORFEN IST, EINE SCHNITTSTELLE MIT SEINER UMGEBUNG ZU SEIN.«157 Die Interface-Konstruktion von Fractal Flesh koppelt den Körper Stelarcs, das Internet und die Teilnehmer in einer hierarchischen Struktur aneinander. Stelarc weist den Teilnehmern eine entweder/oder-Option zu und zwingt sie damit zur Teilnahme. Er selbst lehnt master/slave-Interpretationen seiner Arbeiten ab.158 Vielmehr will er sie als »feedback loops of alternate awareness, agency and split awareness«159 verstanden wissen. Von der Perspektive, die in der aktiven Teilhabe aller als Mit-Konstituierende einer Aufführung ein Qualitätskriterium ansieht, werden die Teilnehmer in Fractal Flesh von Stelarc für eigene Zwecke instrumentalisiert. Vordergründig liegt die Macht, den Verlauf der Performance zu beeinflussen, bei den Teilnehmern; eigentlich jedoch werden die Teilnehmer zu Handlungen gezwungen, die mit negativen Konnotationen verbunden sind. Die vordergründigen Machtverhältnisse, bei der die Entscheidung über die Gestaltung der Performance bei den Teilnehmern liegt, kehren sich so um. Hier interessiert Stelarc nach seiner eigenen Darstellung, in der Kopplung verschiedener Körper und Materialien Möglichkeiten »of accessing, interfacing and up-

153. Stelarc: Extended Body: Interview with Stelarc. In: http://www.ctheory. com/a29extended_body.html (Zugriff am 7.3.2000) 154. Vgl. Benthien, Claudia: Die Epidermis der Haut. Stelarcs Phantasmen. In: Gendolla, Peter et al. (Hrsg.): Formen interaktiver Medienkunst, a.a.O., S. 319-339: S. 329. 155. Vgl. McLuhan, Marshall: Die Gutenberg-Galaxis, a.a.O., S. 5. – Vgl. ebenfalls Leeker, Martina: Die Zukunft des Theaters, a.a.O., S. 277. Und: Kusahara, Machiko: Presence, Absence, and Knowledge in Telerobotic Art, a.a.O., S. 210. 156. Vgl. Evert, Kerstin/Rodatz, Christoph: Tele-Präsenz, a.a.O., S. 119. – Vgl. Lehmann, Hans-Thies: Postdramatisches Theater, a.a.O., S. 411. 157. Stelarc: Von Psycho- zu Cyberstrategien, a.a.O., S. 74. 158. Vgl. Baumgärtel, Tilman: [net.art], a.a.O., S. 090. 159. Stelarc: Stelarc Articles. Parasite Visions: Alternate, Intimate and Involuntary Experiences. http://www.stelarc.va.com.au/articles/index.html (Zugriff am 25.02. 2002) 280

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loading the body itself« zu finden und das Internet »for projecting body presence and extruding body awareness«160 einzusetzen. »What becomes important is not merely the body’s identity, but its connectivity – not its mobility or location, but its interface […].«161 In Ping Body wurden die Muskelkontraktionen in Stelarcs Körper nicht mehr durch die Berührungen der Teilnehmer, sondern durch Internetdaten ausgelöst. Auch in ParaSite wurden die Kontraktionen auch in ParaSite von den Datenbewegungen des Internets initiiert, hier jedoch in einer Rückkopplungsschleife als VRML-Darstellung wieder zurück ins Internet übertragen. In Ping Body inszeniert Stelarc das Körperkonzept einer »split physiology«,162 bei der eine Körperseite außengeleitet wird und die andere darauf reagiert. Dem Internet schreibt Stelarc dabei die Funktion zu, über die Bewegung der Internetdaten die Choreographie der Performance zu bestimmen. Das Internet wird hier nicht mehr von den Teilnehmern bestimmt, sondern bestimmt selbst die Aktivität eines Körpers. »The body becomes a nexus for Internet activity – its activity a statistical construct of computer networks […].«163 Aus der Perspektive der Zuschauer vermitteln sich Ping Body und ParaSite vor allem als Experimente, Stelarcs utopische Entwürfe umzusetzen. Indem Stelarcs Performances seine eigene Leiblichkeit in den Mittelpunkt stellen, erwartet er von seinen Zuschauer, die Medialität

160. Ders.: Paravisions. http://www.stelarc.va.com.au/parasite/paravisions.htm (Zugriff am 01.07.2003) Ohne Seitenangabe. 161. Ebd. ohne Seitenangabe. 162. Dreher, Thomas: Performance Art nach 1945, a.a.O., S. 384. – Nach Dreher wird Stelarcs Körper »zum Funktionsteil einer technischen Installation, die auf bestimmte Außendaten reagieren kann und somit selektiv umweltsensibel ist.« So charakterisiert er ParaSite als »Modell für die Organisation von Schnittstellen zur multilokalen Erweiterung des Sensorenbereichs des menschlichen Körpers über die eigenen örtlich gebundenen Möglichkeiten hinaus.« In seinem Versuch, die systemtheoretische Perspektive auf die Performance Art anzuwenden, charakterisiert Dreher Stelarc als einen Selbstperformer, der »zum verletzbaren organischen Bestandteil von reaktiven, ›Beobachterpositionen‹ integrierenden, in allen weiteren Komponenten anorganischen Installationen« wird. Vgl. Dreher, Thomas: Performance Art nach 1945, a.a.O., S. 371, 384, 387. 163. Stelarc: Paravisions, a.a.O. Ohne Seitenangabe. – Diese Aussage gilt auch für ParaSite, wo die Physiologie Stelarcs zusätzlich noch im Internet visualisiert wird. 281

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der Produktionen abstrahierend auf einer Meta-Ebene zu reflektieren.164 Die körperliche Wahrnehmung der Zuschauer bleibt von dieser Erfahrung ausgeschlossen. Stelarc Performances genauso wie seine Texte zwingen die Zuschauer und Leser zu einer Positionierung gegenüber seinen provokanten und extremen Thesen. Zentraler Punkt dieser Auseinandersetzung ist die Frage, welche Rolle der Körper im Verhältnis zu Technologie einnimmt. Befragt man Stelarcs Performance auf diese Fragen hin aus einer kulturhistorisch-diskurstheoretischen Perspektive, können seine Arbeiten als Versuch gedeutet zu werden, die ›prometheische Scham‹ zu überwinden, die der Mensch angesichts der Technologie empfindet.

6.3.4 Stelarcs Versuch, die ›prometheische Scham‹ zu überwinden »Hier sitz’ ich, forme Menschen Nach meinem Bilde, Ein Geschlecht, das mir gleich sei, Zu leiden, weinen, Genießen und zu freuen sich, Und dein nicht zu achten, Wie ich.« Johann W. von Goethe Als prometheisch bezeichnet Günther Anders die Scham des Menschen »vor der ›beschämend‹ hohen Qualität der selbstgemachten Dinge«165. Die Leistungsfähigkeit des menschlichen Körpers wird durch präzisest arbeitende und vom Menschen selbst konstruierte Maschinen bei wei-

164. Im Unterschied zu Stelarcs sonst eher utopistisch geschriebenen Texten äußert er sich in einem italienischen Aufsatz auffällig sachlich zu seinen eigenen Arbeiten: »Interagire con la technologia accresce la consapevolezza del corpo fisico che si muove nello spazio. Non è soltanto accelerazione e potenziamento del movimento. Essere mossi dalla stimolazione involontaria dei muscoli attraverso l’azionamento a distanza, genera un senso di assenza e di alienazione, che costringe il corpo a concentrarsi sulla sua fisiologia e a riesperire cosa costituisce il sé e l’identità. […] Il corpo e le macchine non interagiscono con un ambiente sonoro, ma creano piuttosto un proprio paesaggio sonoro attraverso le proprie operazioni e il proprio movimento.« Stelarc: L’involontario, L’alieno e l’Automatizzato. Coreografie per corpi, Robot e Fantasmi. In: Menicacci, Armando/Quinz, Emanuele (Hrsg.): La Scena Digitale, a.a.O., S. 261-270: S. 269f. 165. Anders, Günther: Über prometheische Scham. In: ders.: Die Antiquiertheit des Menschen. Erster Band. Über die Seele im Zeitalter der zweiten industriellen Revolution. München: Beck, 1985, S. 21-95: S. 23. 282

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tem übertroffen. Angesichts der ›mit Akkuratesse und Raffinement funktionierenden Apparate‹ wird dem Menschen seine antiquierte Herkunft bewusst: Im Gegensatz zur Technik entsteht er im Prozess der Zeugung und der Geburt. Er empfindet Scham darüber, »geworden, statt gemacht zu sein«.166 Angesichts dieser Erkenntnis entsteht eine neue Scham, er schämt sich wegen dieser Scham. Doch statt des Makels selbst, wird die Scham verborgen.167 Um sein organisches Vorleben zu verleugnen, legt der Mensch die Qualitäten des Homo Faber nun auch an seinen eigenen Körper an.168 Als nackt gilt nicht mehr »der unbekleidete Leib, sondern der unbearbeitete«.169 Diese Kennzeichen prometheischer Scham durchziehen das performative wie schriftliche Werk Stelarcs. Der ›Mensch als Mängelwesen‹ (Gehlen) ist sowohl in Stelarcs Schriften als auch seinen Inszenierungen allgegenwärtig.170 Haut gilt ihm als manifester Ort eines Mangels an Technologie.171 Seine Nacktheit verweist auf die »ontische Entblößtheit des Menschen«,172 so Claudia Benthien. Die Extension seiner Haut qua Technologie interpretiert sie als narzißtische Phantasie, hinter der sich der Wunsch verbirgt, den »verschlossenen Körperbehälters«173 zu überwinden. Dieses Bestreben, den Körper transzendieren zu wollen, deutet Evert innerhalb der abendländisch-christli-

166. Vgl. Anders, Günther: Über prometheische Scham, a.a.O., S. 24, vgl. ebd., S. 23. 167. Vgl. ebd., S. 28f. 168. Vgl. ebd., S. 23, 31. – Auch Anders verwendet wie Stelarc das Adjektiv obsolet, um den menschlichen Körper und seine Organe zu beschreiben, vgl. ebd., S. 23, 26. 169. Ebd., S. 31. 170. Vgl. Gehlen, Arnold: Der Mensch. Seine Natur und seine Stellung in der Welt (= Arnold-Gehlen-Gesamtausgabe Bd. 3), hrsg. v. Rehberg, Karl-Siegbert. Frankfurt: Vittorio Klostermann, 1993, S. 763. 171. Stelarc bezeichnet Haut auch als »Zwischenfläche zur Welt«. Vgl. Stelarc: Auf dem Weg zum Postmenschlichen. Vom biologischen Selbst zum Cyber-System. In: Wagner, Frank/Neue Gesellschaft für Bildende Kunst (Hrsg.): Erzeugte Realitäten II: Der Körper und der Computer. Stelarc, Orlan, Louis Bec. Berlin: Decker, 1994 (= Realismusstudio 94), S. 11. 172. Benthien, Claudia: Die Epidermis der Haut, a.a.O., S. 320. – Stelarc postuliert, Haut sei »nicht mehr die glatte sinnliche Oberfläche eines Ortes oder einer Zwischenwand. Das Selbst befindet sich nun jenseits der Haut –, aber dies ist weder eine Trennung noch eine Spaltung, sondern ein Auspressen von Bewusstsein. Haut bedeutet nicht länger Umschließung. Der Bruch zwischen Oberfläche und Haut verheißt das Ausradieren von Innen und Außen. Als Zwischenfläche zur Welt ist die Haut nicht hinreichend…« Stelarc: Auf dem Weg zum Postmenschlichen, a.a.O., S. 11. 173. Benthien, Claudia: Die Epidermis der Haut, a.a.O., S. 335. – Zur weiteren Diskussion dieser These vgl. ebd. 283

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chen Tradition. Entkörperung tritt hier als neues Körperkonzept auf.174 Wider die Sturheit und Verderblichkeit des menschlichen Leibes verfolgt Stelarc in seinem Bemühen, »das Mensch-Sein hinter sich [zu] bringen«,175 wie Anders formuliert, und damit eine Strategie der Überhöhung durch Technologie. In der Transformation des Körper in ein Netzwerk aus Körper und Technologie sieht Stelarc das Potential, nicht nur den Menschen und seine Rolle neu zu erfinden, sondern auch unbekannte evolutionäre Wege einzuschlagen.176 »Technology has alsways been coupled with the evolutionary development of the body. Technology is what defines being human. […] My attitude is that technology is, and always has been, an appendage of the body.«177 In seinen Performances richtet sich Stelarc nach der Technologie als Modell für seine Selbstverwandlung aus. Er lehnt das humanistische Menschenbild ab, also muss er es als Modell fallen lassen.178 Indem sich der Körper mit der Technologie symbiotisch vereinen soll, schränkt Stelarc auch seine Freiheit ein. Der Entwurf seines Körperkonzepts und dessen Inszenierungen stehen sich bei Stelarc unvereinbar gegenüber.179 Einerseits in die Evolution einzugreifen, sich aber andererseits der Technologie unterzuordnen, offenbart zudem eine Haltung, die mit Anders als »angemaßte Selbsterniedrigung«180 bezeichnet werden kann. In ihr vermischen sich Symptome von Selbstdemütigung und Anmaßung. Seinen prominenten Ausdruck findet diese Haltung in der Rolle, die physische Schmerzen in Stelarcs Performances spielen.181 Die Negation der Schmerzerfahrung ist für die von Stelarc intendierte Überwindung menschlicher Konditionen zentral.182

174. Vgl. Evert, Kerstin: DanceLab, a.a.O., S. 194. 175. Anders, Günther: Über prometheische Scham, a.a.O., S. 41. 176. »The body reproduces, but has no replacable parts. REDEFINING THE BODY MEANS REDEFINING OUR ROLE.« – »The body must burst from its biological, cultural and planetary containment. De-synchronize and depart. Once the body attain planetary escape velocity it will be launched into new evolutionary trajectories.« Stelarc: Redesigning the Body, a.a.O., S. 20. 177. Ders.: Extended Body, a.a.O. Ohne Seitenangabe. 178. »Was aus dem Leib werden soll, ist also jeweils durch das Gerät festgelegt; durch das, was das Gerät verlangt.« Anders, Günther: Über prometheische Scham, a.a.O., S. 39. 179. Vgl. Evert, Kerstin: DanceLab, a.a.O., S. 15. 180. Anders, Günther: Über prometheische Scham, a.a.O., S. 47. 181. Stelarc selbst spricht davon, seine »Ideen haben physische Konsequenzen.« Stelarc: [Stelarc], a.a.O., S. 089. 182. Vgl. Evert, Kerstin: DanceLab, a.a.O., S. 194. 284

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Der Widerspruch zwischen seiner Selbstdemütigung und Anmaßung ist möglicherweise der Grund für die anhaltend ambivalente Deutung seiner Arbeiten.183

6.4 Kulturtheoretische Dimensionen In ihren kulturtheoretischen Dimensionen positionieren sich telematische Internet Performances auf verschiedene Weise im Kontext der Forschung. Infrastrukturell sind die meisten Produktionen an Universitäten verankert; in ihnen arbeiten Künstler und Ingenieure in einer historisch neuen Form miteinander. Sie stellen aber auch die erkenntnistheoretische Frage nach der Verlässlichkeit telematischer Repräsentationen, nach der Form des Wissens, das sie ermöglichen (vgl. Kap. 6.4.1). Indem sie Körperkonzepte nicht nur entwerfen, sondern auch ihre Inszenierung erproben, kommt ihnen das Potential zu, gesellschaftliche Utopien zu erproben. Dies betrifft insbesondere die Arbeiten Stelarcs, die als Form einer ›performativen Science Fiction‹ interpretiert werden können (vgl. Kap. 6.4.2).

6.4.1 Telematische Internet Performances als Forschung In telematischen Internet Performances tritt Kunst im Kontext der Forschung, in einem »weave of theory and practice«184 auf. Zahlreiche Workshops, Konferenzen und Symposien sind der Rahmen, in denen die Arbeiten präsentiert werden.185 Viele Web Dance-Produktionen wurden beispielsweise 1999 während der International Dance and Technology Conference an der Arizona State University aufgeführt.186 Im universitären Kontext können einerseits die technischen Grundlagen

183. Hier soll die Position vertreten sein, die bereits von Leeker formuliert worden ist: »Indem Stelarc die Medien absorbiert, sich ihnen scheinbar ganz hingibt, setzt er den physischen Körper wieder in seinen Wert ein. Denn sowohl sein eigener als auch der Körper des Zuschauers rebellieren gegen seine Zurichtung in der Apparatur.« Leeker, Martina: Die Zukunft des Theaters, a.a.O., S. 277. Vgl. Kap. 7.2.4. 184. de Lahunta, Scott: Periodische Konvergenzen, a.a.O., S. 72. 185. Vgl. ebd., S. 83, Anmerkung 22, 87. 186. Ähnlich wie bei der Entstehung des ATHEMOO, der gebaut wurde, um Mitglieder, die nicht anreisen konnten, eine Form der Teilnahme zu ermöglichen, wurden auch bei der International Dance and Technology Conference oder der Dance for the Camera Conference, die 2000 an der University of Wisconsin-Madison stattfand, zur Dokumentation der Konferenz webcameras eingesetzt. Vgl. Naugle, Lisa Marie: A Study of Collaborative Choreography Using Lifeforms and Internet Communication, a.a.O., S. 34. 285

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erforscht werden; die Infrastruktur bietet sich dafür besonders an. Andererseits existieren kaum alternative Formen der Finanzierung. Zur Sicherung des eigenen Lebensunterhalts können für einige Künstler US-amerikanische Universitäten »a protected haven«187 darstellen, wie Sally Banes formuliert. Bereits für die Avantgarde-Bewegungen um die 1918 in New York gegründete New School for Social Research oder um das Black Mountain College, das 1933 in North Carolina gegründet wurde, kann Banes die Rolle instituioneller Verankerung als »congenial grounds for artistic experimentation«188 nachweisen. Die Rolle der Universitäten für die Produktion von telematischen (Internet) Performances kann innerhalb der »increasing role universities play in supporting the arts, and the avant-garde arts in particular«189 gesehen werden, die auch de Lahunta betont. Choreographen haben sich nach seiner Darstellung gerade dann früh mit Technologien auseinandergesetzt, wenn sie Zugang zu computerwissenschaftlichen Fachbereichen hatten (vgl. Kap. 7.4.2).190 Auch Festivals spielen für telematische Internet Performances eine wichtige Rolle. So wurde The Finalists für die SPIELART 2001 entwickelt. Die webscene-Ausschreibung der SPIELART 2001 sah vor, zwei erste Projekte mit Preisgeldern in Höhe von insgesamt 25.000.DM zu prämieren. Laut Ausschreibung sollten die beiden Gewinnerprojekte nach einem Preview während der Ars Electronica im Rahmen der SPIELART 2001 produziert werden.191 Im Gegensatz zu den Finalists wurde Fluchten, das zweite Gewinnerprojekt, jedoch nie als Performance, sondern nur als Demonstration mit einigen Web-Seiten realisiert. Ihr Projekt beschrieb das zweite Gewinner-Team, bestehend aus Kerstin Evert, Regina Wenig und Michael Wolters, als ›InternetRoadmovie‹. Es sollte auf einer narrativen Struktur, die im Realraum der Stadt München spielte, basieren und gesellschaftliche Kameraund Überwachungstechnologie thematisieren. Die Interaktion mit den Zuschauer und Teilnehmern sollte wie bei den Finalists über webba-

187. Banes, Sally: Institutionalizing Avant-Garde Performances: A Hidden History of University Patronage in the United States. In: Harding, James (Hrsg.): Contours of the Theatrical Avant-Garde. Performance and Textuality. Ann Arbor: The University of Michigan Press, 2000, S. 217-238: S. 235. – An anderer Stelle schreibt Banes: »As the economy shrank in the late 1980s and early 1990s, many avant-garde artists who had not previously been affiliated with academia began to seek the economic security – including not only salaries, but health insurance and retirement plans – of university teaching positions.« Ebd., S. 232. 188. Ebd., S. 225. 189. Ebd., S. 224. 190. Vgl. de Lahunta, Scott: Periodische Konvergenzen, a.a.O., S. 73. 191. Vgl. http://www.spielart.org/webscene/ausschreibung.htm (Zugriff am 20.11.2000) 286

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sierte Chats stattfinden. Die Gründe, weshalb nur The Finalists realisiert werden konnte, wurden nie offiziell erklärt; dass es hauptsächlich finanzielle waren, scheint offensichtlich zu sein. Verbunden mit einem hohen Kompetenz- und Logistikaufwand, gerade im Bereich der Technologie, liegt hier die Schwäche der webscene-Ausschreibung, die ansonsten als innovative und avantgardistische Entscheidung ganz in der Tradition dieses Festivals gesehen werden kann. Auch ein weiteres ambitioniertes Projekt, Oudeis, konnte – obwohl in der Vorbereitung bereits weit fortgeschritten – aufgrund der Grenzen nationaler Kunstförderung nie realisiert werden.192 Wie Wunderer erklärt, lehnten österreichische Behörden die finanzielle Unterstützung des Projekts ab, da nicht nur Österreicher, sondern Teilnehmer anderer Nationen beteiligt waren.193 Jenniches hingegen lobt die offene funding-Struktur der Niederlande, die ihre Produktionsformen unterstützt.194 Innerhalb der telematischen Internet Performances stellt die Finanzierung von World Wide Simultaneous Dance eine Ausnahme dar. Während ihrer Vorbereitungszeit arbeitete Knott als artist-in-residence am Do While Studio in Boston. »Without DoWhile Studio’s support and their facilities, World Wide Simultaneous Dance would not have been possible«,195 betont Knott. Hier übernimmt also ein Tanzstudio die absichernde Funktion der Universität. Abgesehen von den Kosten ihres Lebensunterhalts brachte Knott insgesamt 5000US$ durch private Spenden, meist im Rahmen von 20-30US$, auf. Die Kameras wurden von der Connectix Corporations finanziert, und eine Freundin programmierte

192. Obwohl es nie aufgeführt wurde, führen sowohl Esther Slevogt (vgl. Kap. 1) und Michael Rush Oudeis als Beispiel für Theaterprojekte im Internet auf. In seiner Auseinandersetzung mit Neuen Medien in der Kunst des späten 20. Jahrhunderts ist Rushs einzige Aussage zu Internet Performances: »Live performances are also taking place on the Web where space and time are not separated by geographical distance.« Rush, Michael: New Media in Late 20th Century Art, a.a.O., S. 198. 193. Vgl. http://www.oudeis.org (Zugriff am 27.12.2000) – Durch ihre eigenen Erfahrungen mit fehlenden internationalen Subventionsmöglichkeiten angeregt schrieb Wunderer folgende Arbeit: Dies.: Global Thinking. The Performing Arts Sector Online. The Use of the Internet as Telecommunication Medium and Space by Nonprofit Theater Companies in Europe and the United States. Submitted for the partial fulfillment of the requirements for the degree of Master of Arts in the Faculty of Teachers College, Columbia University, 1999. http://st1hobel.phl.univie.ac.at/ ~wunderer/bretter (Zugriff am 25.02. 2001) 194. Vgl. Jenniches, Isabelle: Interview Notes vom 14.08.2002 (per Telefon). 195. Knott, Laura: Interview Notes vom 17.09.2001, Boston. 287

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die Web-Seite. Knotts Verbindungen zum MIT, wo sie einen Teil ihrer Ausbildung absolviert hatte, waren nach ihrer Ansicht wichtig, um finanzielle Unterstützung zu finden.

Zur Kooperation zwischen Künstlern und Ingenieuren »When artists and engineers work together, the result is something neither can expect.« Billy Klüver In Internet Performances kommt »[the] artists’ positive desire to be engaged in the physical and social environment around them«196 zum Ausdruck. Billy Klüver, der mit Jean Tinguely an dessen Hommage à New York von 1960 oder mit Robert Rauschenberg an dessen Oracle von 1965 arbeitete, sieht in der Zusammenarbeit zwischen Künstlern und Ingenieuren ein »viable model for how we can actively confront and shape new technology.«197 Internet Performances benötigen ein hohes Maß an informationstechnischem Wissen, gerade hinsichtlich der Netzwerk-Architektur. Ideal wäre der »Künstler-Ingenieur«,198 der über beide Kompetenzen gleichermaßen verfügen kann. In der Delegation der Verantwortlichkeit sieht Christof Siemens das zentrale Problem der Zusammenarbeit zwischen Künstlern und Ingenieuren: »Der Künstler verfügt nicht einmal mehr theoretisch über seine Mittel; was Aussageabsicht und was Tribut an die Unkenntnis ist, bleibt ununterscheidbar.«199 Als Vorteil der Künstler, die mit neuester Technologie arbeiten wollen, sieht Klüver ihre Freiheit gegenüber dem ursprünglichen Zweck, dem Grund ihrer Entwicklung. »The artists deal with with materials and physical situations in a straightforward manner without the limits of generally accepted functions of an object or situation, and without assigning any value hierarchy to any material. […] The artists makes the most efficient use of materials, and achieves the maximum effect with minimum means. Surplus of material leads to decorative work.«200

196. Klüver, Billy: Artists, Engineers, and Collaboration. In: Bender, Gretchen/Druckrey, Timothy (Hrsg.): Culture on the Brink, a.a.O., S. 207-219: S. 207. 197. Ebd., S. 219. 198. Leeker, Martina: Theater und Technikgeschichte. Evaluation der Sommerakademie und Ausblick auf die Weiterbildung im Bereich Theater und Medien. In: dies. (Hrsg.): Maschinen, Medien, Performances, a.a.O., S. 355-372: S. 363. 199. Siemes, Christof: Der schöne Schein von Null und Eins, a.a.O., S. 347. 200. Klüver, Billy: Artists, Engineers, and Collaboration, a.a.O., S. 218. 288

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Beispielhaft kann die Zusammenarbeit von Künstlern und Ingenieuren am Cassandra Project verdeutlicht werden. Seit 1999 ist Jeffrey Bary, der als Senior Arts Technologist im Bereich der Academic Computing Services an der New York University arbeitet, für die technologische und infrastrukturelle Seite der Produktionen verantwortlich. In der Zusammenarbeit mit den künstlerisch Verantwortlichen habe er immer wieder »some knowledge that they didn’t have« vermißt, das die Zusammenarbeit ausgesprochen erleichtert hätte. Dabei seien die Zuständigkeitsbereiche jedoch strikt getrennt gewesen. Seine persönliche Meinung zum Projekt hielt Bary strikt zurück. Die Kooperation interessiere ihn, da sie »technically demanding« sei, jedoch besonders, da er an einer »evolving new artform«201 beteiligt sei. Doch auch Naugle als Verantwortliche für die distributed choreography des Cassandra Projects verfügt über die entscheidenden Kompetenzen, um mit einem »bird’s-eye view of all activities«202 als Performer, Choreograph und Videograph die Aufführung zu steuern.203

Telepistemology: Über die Verlässlichkeit des Wissens im Netz Wenn Telekommunikationstechnologien und Robotik remote sites miteinander verbinden, entsteht ein neuer Modus der Repräsentation, der im Englischen als telerobotics bezeichnet wird.204 Dabei stellt sich die Frage, welche Form von Wissen dieser Repräsentationsmodus ermöglicht und inwieweit die Telerobotik neue Fragen für die Erkenntnistheorie generiert. Für die Beschäftigung mit »knowledge acquired at a distance«205 hat Ken Goldberg den Begriff der telepistemology geprägt. »Access, agency, authority, and authenticity«206 sind ihre zentralen Themen, so Goldberg. Aus politisch-ethischer Perspektive sieht sich die Telepistemologie mit der Frage konfrontiert, wie Menschen in telerobotisch mediatisierten Umgebungen miteinander umgehen sollten.207

201. Bary, Jeffrey: Interview Notes. 06.09.2001, New York University, New York City. 202. Naugle, Lisa: Digital Dancing, a.a.O., S. 9. 203. Vgl. ebd. – Liz Dreyer, General Manager des Gertrude Stein Repertory Theatre (TGSRT) beschreibt die Zusammenarbeit zwischen Künstlern und Ingenieuren als »one of the best«, da TGSRT die technisch Verantwortlichen bereits ausgesprochen früh in den Produktionsprozess einbezieht. Nach Aussage Dreyers steuern sie ästhetisch ebenso viel bei wie die künstlerisch Verantwortlichen. Dreyer, Liz: Interview-Notizen. New York City, 29.08.2001. 204. Vgl. Goldberg, Ken: Introduction: The Unique Phenomenon of a Distance, a.a.O., S. 4. 205. Ebd., S. 3. – Vgl. ebd., S. 4. 206. Ebd., S. 3. 207. Vgl. ebd., S. 29. – »[T]he threat to values posed by technologically mediated remote experience and remote agency actually derives less from the defective nature 289

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»Experiencing correlations and gaps between the proximal and the remote makes us think about the nature of the media society in which we live – and the mediation of knowledge and experience that is its hallmark.«208 Diese Thematik greifen telematische Internet Performances, die Telerobotik einsetzen, auf verschiedene Weise auf. In Stelarcs Arbeiten sieht Kusahara eines der zentralen telepistemologischen Probleme formuliert, »a telerobotic version of philosophy’s problem of other minds«.209 Aufgrund der Diskrepanz zwischen dem Anspruch seiner Performances und ihrer ästhetisch-sinnlichen Umsetzung sind gegensätzliche Deutungen seiner Arbeiten möglich. Genauso wie die aufwendige technologische Ausstattung der Arbeiten zu einer »reduzierte[n] Bewegungskapazität« führt, die den Körper des Performers »nicht als erweiterten, sondern in seinen Funktionen eingeschränkten Körper«210 zeigt, demonstriert gerade Fractal Flesh die negativen Folgen der Telerobotik. Wie Evert demonstriert hat, setzt Stelarc hier seinen Willen und seine Bewegungsfreiheit dem Zugriff anderer Personen aus.211 Charakteristisch für Kacs Arbeiten ist die ambivalente Rolle, die geographische Distanz für sie spielt. Einerseits ist sie unwichtig, da sie durch Teleaktion überwunden werden kann, andererseits wird sie aber gerade durch diese Technologien bestätigt.212 »Actions in a virtual space bringing about changes in the real world. This juxtaposition of the virtual and the real plays an important role in telerobotics art, both aesthetically and epistemologically.«213 Die von Kac propagierten Transformationen unserer kulturellen Wahrnehmungen und die Auswirkungen von Handlungen in virtuellen Umgebungen auf reale Umgebungen werden im Unterschied zu den Arbeiten Stelarcs für den einzelnen Teilnehmer als »being-in-the-

208. 209. 210. 211. 212. 213.

or lower status of mediated experience than from the opportunities it presents for immersion and engagement of a disturbing sort.« Wilson, Catherine: Vicarousness and Authenticity. In: Goldberg, Ken (Hrsg.): The Robot in the Garden, a.a.O., S. 64-88: S. 66. Kusahara, Machiko: Presence, Absence, and Knowledge in Telerobotic Art, a.a.O., S. 212. Ebd., S. 211. Evert, Kerstin: DanceLab, a.a.O., S. 230. Vgl. ebd. Vgl. Kac, Eduardo: Dialogical Telepresence and Net Ecology, a.a.O., S. 181. Kusahara, Machiko: Presence, Absence, and Knowledge in Telerobotic Art, a.a.O., S. 203. 290

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world through lived experience (not through representation)«214 erfahrbar.

6.4.2 Performative Science Fiction: »Man stelle sich einen Körper vor …« 215 Als Science Fiction wird Literatur bezeichnet, die mögliche oder phantasierte Folgen des naturwissenschaftlich-technischen Fortschritts behandelt und über die Überwindung von Raum und Zeit genauso wie über neue Erscheinungsformen des Menschlichen, beispielsweise als Roboter, Androide oder in der Figur des Superman, spekuliert.216 Ebenso wie sich in der literarischen Science Fiction wissenschaftliche mit fiktiv-utopischen Elementen vermischen, kann diese Konvergenz auch telematische Internet Performances charakterisieren. Sie tragen Züge einer performativen Science Fiction, wenn sie zukünftige Menschenbilder und gesellschaftlich-soziale Fragen antizipieren und in ihrer Inszenierung zur Diskussion stellen. In dieser Möglichkeit, kulturelle Utopien oder Vorstellungen von Körperlichkeit aufzugreifen oder zu entwerfen, liegt ihr Potential, gesellschaftlich relevant zu sein (vgl. Kap. 7.1.2). Innerhalb der hier behandelten telematischen Internet Performances verfolgen vor allem die Arbeiten Stelarcs die Strategie einer performativen Science Fiction. Stelarc selbst verwendet mit ›arti fantasma‹ eine ähnliche Beschreibung, um seine Arbeiten zu charakterisieren: »Fantasmi non come in una fantasmagoria, ma nel senso di arti fantasma. Fantasmi che non sono il risultato di una perdita fisica, a piuttosto dell’aggiunta di un nuovo circuito. In questo caso il ›fantasma‹ rappresenta un altro modo di definire il virtuale.« 217 Stelarcs utopische Entwürfe ziehen sich durch seine gesamte künstlerische Praxis – Performances, Lecture-Performances und schriftliche Äußerungen – gleichermaßen. Seine manifestartigen Texte – »Textkonglomerate«,218 wie Evert sie auch nennt – treten dabei mit einer enormen Selbstverständlichkeit, aber auch einer auf Wissenschaftlichkeit bedachten Attitüde auf. Sein Aufruf »Imagine« und die abschließenden

214. Kac, Eduardo: Dialogical Telepresence and Net Ecology, a.a.O., S. 182. 215. Stelarc: ParasitenVisionen. Split body zwischen ferngesteuerter und selbstbestimmter Erfahrung, a.a.O., S. 709. 216. Vgl. von Wilpert, Gero: Science Fiction. In: ders.: Sachwörterbuch der Literatur. Stuttgart: Kröner, 1989, S. 840-842: S. 840. 217. Stelarc: L’involontario, L’alieno e l’Automatizzato, a.a.O., S. 261. 218. Evert, Kerstin: DanceLab, a.a.O., S. 194, vgl. S. 189. – Zur Diskussion des Manifest-Charakters in den Texten Stelarcs vgl. ebd., S. 194-205. 291

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drei Punkte am Ende eines Textes signalisieren ihren utopischen Charakter. Sie kreisen vor allem um die Wahrnehmung des menschlichen Körpers in seinem Verhältnis zu Technologie und sind Variationen auf den angesichts der Perfektion des Technologischen defizitären Körper.219 Stelarc sieht den Körper nicht als »SITE for the psyche or the social, but as a STRUCTURE which is inadequately designed for both its technologial and extraterrestrial terrains.«220 Seine Bearbeitung und Anpassung an die Erfordernisse der Technologie formuliert Stelarc als zentrale Aufgabe. Wenn er über seine Performances spricht, lehnt er es ab, von sich selbst als Person zu sprechen und spricht ausschließlich von ›the body‹.221 Innerhalb seiner utopischen Entwürfe können im weiteren drei Ebenen unterschieden werden: die Konservierung des Körpers, die Varianten des distributed body, bei denen der Körper zum Medium entfernter Agenten wird und die Ubiquität des Technologischen in seiner intendierten Verschmelzung mit dem Körper. Grundlage seiner Argumentation ist der Gedanke, den Körper »aus dem physischen Bereich des Biologischen in die Cyberzone der Schnittstelle und der Erweiterung« zu holen, so dass die bisherige »acute absence of physical presence […] on the Internet«222 endlich behoben wird. Dazu müsste die Endlichkeit des menschlichen Körpers

219. Elisabeth List beispielsweise sieht in den Performances von Stelarc die »Manifestationen eines neuen Technoimaginären als Traum von der Selbstverwirklichung durch das Durchbrechen der Grenzen, die die natürliche Ausstattung des menschlichen Körpers setzt.« Vgl. List, Elisabeth: Vom Enigma des Leibes zum Simulakrum der Maschine. Das Verschwinden des Lebendigen aus der telematischen Kultur. In: dies./Fiala, Erwin (Hrsg.): Leib Maschine Bild. Körperdiskurse der Moderne und Postmoderne. Wien: Passagen, 1997, S. 121-137: S. 124. 220. Stelarc: Redesigning the Body, a.a.O., S. 22. – Großschreibung im Original. – »The act of technology returning to the body far surpasses the significance of its information gathering capabilities. The role of technology becomes one of an evolutionary energizer. The human species has created its complimentary aspect in technology and these are now coming together.« Stelarc: Triggering an Evolutionary Dialectic. In: Paffrath, James/Stelarc (Hrsg.): Obsolete Body/Suspensions/Stelarc. Davis 1984, S. 52. 221. »If I referred to myself all the time it would personalize the experience too much. It’s not important that it’s me. It’s important that a physical body suspended in space has these experiences.« Stelarc: Zitiert in Carr, Cynthia: On Edge. Performance at the End of the Twentieth Century. Hanover (sic): Wesleyan University Press, 1993, S. 13. 222. Ders.: Zitiert nach Benthien, Claudia: Haut, a.a.O., S. 266. 292

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überwunden, der menschliche Körper muss konserviert werden.223 Auf diesem Gedanken bauen die Varianten des Distributed Body auf: die Verschmelzung des organischen Körper mit der Technologie, der Einsatz des Internets zur Steuerung verteilter Körper und der Transfer des eigenen Bewusstseins in andere Körper. In ihrer Verschmelzung sucht Stelarc den Unterschied zwischen dem organischem Körper und der Technologie aufzuheben.224 Stelarc sieht im Internet einen besonders geeignetern elektronischen Raum, um Intelligenz räumlich zu verteilten und solchermaßen verteilte Körper zu steuern. »Das Internet ist nicht mehr nur ein Mittel zur Informationsübermittlung, sondern es wird zu einer Form der Meßwertumwandlung, die Einfluß auf das physische Agieren zwischen den Körpern nimmt.«225 Dabei will Stelarc das Ziel verfolgen, das eigene Bewusstsein in andere Körper zu transferieren. Die Externalisierung des Körperinneren durch Sensoren stellt einen Schritt auf diesem Weg dar.226 »Consider a body that can extrude its awareness and action into other bodies or bits of bodies in other places. […] A shifting, sliding awareness that is neither ›all-here‹ in this body nor ›all-there‹ in those bodies. This is not about a fragmented body but a multiplicity of bodies and parts of bodies prompting and remotely guiding each other.« 227 Obwohl Internet Performances wie Fractal Flesh diese Dimension noch nicht verfolgen, dient auch hier bereits der Körper als Medium entfernter Agenten. Seine Bewegungen führt der ferngesteuerte Körper ohne Intention und Emotionalität aus.228

223. Vgl. Stelarc: Auf dem Weg zum Postmenschlichen, a.a.O., S. 11. 224. »Once only a container of the body, technology can now become a component. EVOLUTION ENDS WHEN TECHNOLOGY INVADES THE BODY, SPLITTING THE SPECIES.« – »The body must burst from its biological, cultural, and planetary containment.« Stelarc: Redesigning the Body, a.a.O., S. 19. 225. Stelarc: ParasitenVisionen, a.a.O., S. 716. 226. Vgl. Benthien, Claudia: Haut, a.a.O., S. 277. 227. Stelarc: Fractal Flesh. In: http://www.stelarc.va.com.au/articles/index.html (Zugriff am 25.02.2002) 228. »The body not as site of inscription but as a medium for the manifestation of remote agents. […] A body capable of incorporating movement that from moment ot moment would be a pure mechnaic motion performed with neither memory or desire…« Stelarc: Fractal Flesh. In: http://www.stelarc.va.com.au/articles/index. html (Zugriff am 25.02.2002) – Vgl. Stelarc: ParasitenVisionen. Split body zwischen ferngesteuerter und selbstbestimmter Erfahrung. In: Leeker, Martina (Hrsg.): Maschinen, Medien, Performances, a.a.O., S. 706-717: S. 710. 293

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»Es geht um einen Körper, der in der Lage ist, Bewegungen zu verkörpern, die in jedem Augenblick rein maschineller Natur sind, ausgeführt ohne Erinnerung und ohne Begehren […].«229 Wie Evert jedoch aufzeigt, bleibt die Verschmelzung des organischen mit dem technischen Körper in den konkreten Inszenierungen »oberflächlich und aufwendig.«230 Auch wenn Internetdaten in Ping Body und ParaSite Muskelkontraktionen auslösen, kann diesen Daten weder Intelligenz zugesprochen werden noch würde diese sich verteilen. Die Kontraktionen werden in der Tat ohne Intention und Emotion ferngesteuert, sind jedoch lediglich Kontraktionen, keine komplexen Bewegungen. Auch der Begriff der Externalisierung ist irreführend, denn nur Aspekte des Körperinneren sind äußerlich bemerkbar. Doch genauso wie die literarische Science Fiction versucht auch Stelarc, seine Zukunftsentwürfe plausibel zu begründen und an die Veränderungsphantasie seiner Zuschauer zu appellieren.231 Die letzte Dimension, auf der Stelarcs Entwurf kultureller Utopien unterschieden werden kann, greift auf ein aktuelles Forschungsthema, das Ubiquitous Computing, zurück. Das Ubiquitous Computing versucht, die Größe der Interfaces zu minimieren und kaum sichtbar in den menschlichen Alltag, beispielsweise in Haut, Kleidung oder Häuser zu integrieren.232 Auch Stelarc prognostiziert: »Die Technologie wird in Zukunft unsichtbar sein, weil sie sich vollständig im Körper befinden wird.«233 Als eigenständiger Diskurs greift die Rede von der Ubiquität des Technologischen auf den kulturgeschichtlichen Topos der Ubiquität Gottes zurück. In seiner Ubiquität liegt, favorisiert bei Pseudo-Dionysius und Johannes Scottus-Eriugena, die besondere Qualität des Göttlichen. Gott ist »deus absconditus«, ihn kennzeichnet seine »anwesende Abwesenheit«.234 Wenn nun von der Ubiquität des Technologischen die Rede ist,

229. 230. 231. 232.

Ebd. Evert, Kerstin: DanceLab, a.a.O., S. 233. Vgl. von Wilpert, Gero: Science Fiction, a.a.O., S. 840-842. Vgl. beispielsweise Gibbs, W. Wayt: As We May Live. Computer scientists build a dream house to test their vision of our future. In: Scientific American Nov. 2000, S. 36f. Oder: Weiser, Mark: The Computer for the 21st Century. In: Scientific American. Vol. 265 No. 3 (1991), S. 78-89. 233. Stelarc: Auf dem Weg zum Postmenschlichen, a.a.O., S. 11. 234. Böhme, Hartmut: Zur Theologie der Telepräsenz. In: Hager, Frithjof (Hrsg.): KörperDenken. Aufgaben der Historischen Anthropologie. Berlin: Reimer, 1996, (= Reihe Historische Anthropologie; Bd. 27), S. 237-248: S. 240. – »Gott ist ubiqui294

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wird die Ubiquität implizit zum tertium comparationis, über das die Technologie mit Gott gleichgesetzt wird. Für Hartmut Böhme mischen sich in solchen Deutungsfiguren »soziologisch-ökologische Befunde mit apokalyptischen Topoi«.235 Der elektronische Raum des Internets wird zur »technische[n] Form Gottes – nämlich seiner Ubiquität und seiner Fähigkeit, alles zu prozessieren – also das Non-Aliquid der Dinge zu sein, und dennoch in jeder Form des Erscheinens zugleich der Entzug des Erscheinens zu sein: Cyberspace ist ubiquitäre Gegenwart in der Form abwesender Anwesenheit.«236 In solchen, implizit bleibenden Gleichsetzungen kann auch der Grund vermutet werden, weshalb zahlreiche medientheoretische Schriften entweder zu euphorisch-positiven oder endzeitlich-pessimistisch Aussagen und Zukunftsprognosen neigen.237

tär, also in seiner Präsenz ortsunabhängig; er ist instantiell, also zeitüberspringend gegenwärtig; […] er ist mithin infinites Leben.« Vgl. ebd., S. 240. 235. Ebd., S. 241. 236. Ebd. 237. In geringerem Maße können Ansätze einer performativen Science Fiction auch bei Kac gefunden werden, beispielsweise in folgenden Aussagen: »Digital or synthetic worlds may become equivalent to tangible realities, since both telepresence and virtual reality technologies can project human action beyond its ordinary, immediated grasp.« Oder: »Technology will continue to migrate towards the body, reconfiguring, expanding, and transporting it to remote sites.« Kac, Eduardo: Ornitorrinco and Rara Avis, a.a.O., S. 390. 295

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7. THEATER IN DER AMBIVALENZ DES TECHNISCHEN

7. Theater in der Ambivalenz des Technischen »Es ist Gesetz, daß im Letzten die Menschen nicht wissen, was sie tun, sondern es erst durch die Geschichte erfahren.« Helmuth Plessner Unsere Gesellschaft wird in zunehmendem Maße von technologischen Entwicklungen und Parametern bestimmt. Es ist die Rede von der Technisierung, Informatisierung und Globalisierung unserer Kultur. In der Frage, wie diese Entwicklungen zu bewerten sind, gehen die Meinungen weit auseinander. Technische Innovationen können sich sowohl negativ als auch positiv auf unsere Gesellschaft auswirken. Ihr Einfluss ist ambivalent. Das Ausmaß, in dem jedoch über diese Frage diskutiert wird, macht ihre Bedeutung deutlich. Mit der Entstehung von Internet Performances reagiert auch das Theater auf diese Entwicklungen. Internet Performances positionieren sich bewusst in der Ambivalenz des Technischen. Sie greifen diese Ambivalenz auf und spielen exemplarisch die Begegnung von Theater und Internet durch. Aus kulturgeschichtlicher Perspektive können sie als Konvergenzpunkt von Kultur und Technologie angesehen werden. Sie schließen eine Reihe von Konvergenzen, die insbesondere in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts begannen, und eröffnen neue Traditionslinien für kulturelle Ausdrucksformen der Netzwerkgesellschaft des 21. Jahrhunderts (vgl. Kap. 7.1, 8). Wie andere historische Theaterformen übernehmen auch Internet Performances spezifische anthropologische Funktionen (vgl. Kap. 7.2), insbesondere die Funktion, die ›Abständigkeit, des Menschen zu sich selbst‹, verstanden als den reflexiven Abstand des Menschen zu sich selbst, unter der net_condition zu reflektieren. In diesem Sinne steht hinter Internet Performances ein distanzgewährendes Modell (vgl. Kap. 7.3). Indem Internet Performances die physische Kopräsenz auflösen, sich jedoch gleichzeitig in theatergeschichtliche Traditionslinien einordnen, bewegen sie sich in einem komplexen Verhältnis zwischen Tradition und Innovation (vgl. Kap. 7.4). Wenn Technologie so dominant in einem kulturellen System wie

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dem Theater auftritt, einem kulturellen System, das historisch zwar immer wieder Allianzen mit dem technischen Fortschritt eingegangen ist, nie jedoch bis zu diesem Grad: Dann bleibt in einer solchen Situation die Notwendigkeit nicht aus, Position zu beziehen und die Frage nach dem Wert und der Qualität der Produktionen zu stellen. In diesem Zusammenhang ist es notwendig, Kriterien für die Beurteilung von Internet Performances zu entwickeln. Dies soll in einem letzten Schritt geschehen und an den hier diskutierten Produktionen konkret angewendet werden (vgl. Kap. 7.5).

7.1 Internet Performances als Konvergenz von Kultur und Technologie Kulturgeschichtlich können Internet Performances als Konvergenzpunkt von Kultur und Technologie im Übergang zum 21. Jahrhundert gesehen werden. Sie stehen in der Tradition kulturgeschichtlicher Konvergenzen des 20. Jahrhunderts und eröffnen neue Linien für mögliche zukünftige Entwicklungen. Als Theaterform im Übergang zum 21. Jahrhundert formen Internet Performances unsere Kultur, sind jedoch im gleichen Maße auch von ihr geprägt. Sie deuten Transformationen auf kulturell-gesellschaftlicher Ebene an, sind aber auch Beispiele dieser Transformationen (vgl. Kap. 7.1.1). Indem Internet Performances die technologische Orientierung unserer Gesellschaft in ihre Verkörperung – metaphorisch wie Wortsinn – aufnehmen und die Ambivalenz des Technischen ins Zentrum ihrer Reflexion stellen, können sie gesellschaftlich relevant werden (vgl. Kap. 7.1.2).

7.1.1 Agens und Beispiel kultureller Transformationen Internet Performances sind gleichermaßen Agens und Beispiel kultureller Transformationen. Als Produkt und gleichzeitig formendes Element unserer Gesellschaft sind Internet Performances mit Transformationen auf mehreren Ebenen verbunden. Sie stehen für einen Wandel im Begriff von Theater, der seinerseits sowohl mit einem gewandelten Begriff von Inszenierung als auch von Kultur korreliert. Während im Sprechtheater des ausgehenden 20. Jahrhunderts vor allem die Konzeption der Figur hinterfragt wurde, reflektieren Internet Performances die Bedeutung der physischen Kopräsenz von Darstellern und Zuschauern. Ihre Auflösung wirkt sich vor allem auf die Unmittelbarkeit des Theaters, verstanden als technische Nicht-Mediatisierung, und die Rezeption von Aufführungen als Kollektiv im öffentlichen Raum aus. Um die verschiedenen Transformationen nachzuvollziehen, ist es sinnvoll, beim Begriff der Kultur zu beginnen. Inflationär verwendet scheint sich der Kulturbegriff seiner Defi298

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7. THEATER IN DER AMBIVALENZ DES TECHNISCHEN

nition zu entziehen.1 Grundsätzlich kann jedoch eine empirische und eine ästhetische Dimension des Kulturbegriffs unterschieden werden, die den Zielen von Beschreibung versus Aufklärung und Kritik entsprechen.2 Dieser Unterscheidung entsprechend kann nach Eagleton diskustheoretisch ein gesellschaftsbezogener von einem spezialisierteren Sinn von Kultur im Sinne der Künste unterschieden werden. »Kultur (im Sinne der Künste) definiert eine Eigenschaft der feinen Lebensart (Kulturals-Zivilität), und Aufgabe der Politik ist es, diese Kultur in der Kultur als Ganzer (im Sinne des sozialen Lebens) zu verwirklichen. So kommen Ästhetisches und Anthropologisches wieder zusammen.«3 Nach Eagleton sind sowohl eine ausschließlich inhaltliche Definition, die Kultur als Komplex von Werten, Sitten und Gebräuchen, Überzeugungen und Praktiken bestimmt, der die Lebensweise einer Gruppe ausmacht, als auch eine ausschließlich funktionale Definition, die Kultur als implizites Wissen von der Welt, durch das Menschen ermitteln, wie sie in einem spezifischen Kontext auf angemessene Weise zu handeln haben, defizitär.4 Im gleichen Maße sowohl zu eng als auch zu weit gefasst, »um besonders nützlich zu sein«,5 erbt der Begriff der Kultur im Sinne der Künste auch die normative Komponente von Kultur als Zivilisation.6 Eagleton kommt zu folgendem Schluss: »Die Kultur ist nicht mehr Teil der Lösung, sondern ein Teil des Problems.«7 Zum ›Teil des Problems‹ wird Kultur auch in der Art und Weise, wie sie sich in Internet Performances zeigt. In der sich zum beginnenden 21. Jahrhundert durchsetzenden Vorstellung einer Netzwerkgesellschaft scheint der Begriff der Kultur erstens mit der Medienkultur und zweitens einer technologisch bestimmten Kultur identisch zu werden.8

1. So konnten Kroeber und Kluckhohn beispielsweise mehr als 160 Definitionen des Kulturbegriffs zusammentragen. Vgl. Kroeber, Alfred/Kluckhohn, Clyde: Culture. A Critical Review of Concepts and Definitions. New York: Vintage Books, 1963. Und: Vgl. Baecker, Dirk: Kultur. In: Barck, Karlheinz (Hrsg.): Ästhetische Grundbegriffe. Bd. 3. Stuttgart: Metzler, 2001, S. 510-556: S. 555. 2. Vgl. Baecker, Dirk: Kultur, a.a.O., S. 510. 3. Eagleton, Terry: Versionen der Kultur. In: ders.: Was ist Kultur? Eine Einführung. München: Beck, 2001, S. 7-47: S. 32. 4. Vgl. ebd., S. 51, 53f. 5. Ders.: Kultur in der Krise. In: ders.: Was ist Kultur? a.a.O., S. 48-73: S. 48. 6. »Die Künste mögen die vornehme Lebensweise zwar widerspiegeln, sie sind aber auch deren Maßstab. Sie verkörpern Kultur, aber bewerten sie auch.« Ders.: Versionen der Kultur, a.a.O., S. 34. 7. Ders.: Kultur in der Krise, a.a.O., S. 48-73: S. 56. 8. Wie bereits in Kap. 4.1.1 diskutiert sind die Begriffe Technologie und Medien teil299

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Für die Frage nach den Transformationen auf gesellschaftlich-kultureller Ebene wird die von Faulstich unterschiedene integrative bzw. holistische Bestimmung des Begriffs der Medienkultur innerhalb seiner möglichen Bedeutungsdimensionen relevant. Nach diesem Verständnis von Medienkultur wird unsere Gesellschaft von Massenmedien, vor allem dem Fernsehen, bestimmt, so Faulstich im Jahre 1995.9 Mittlerweile kann das Internet als zweites bestimmendes Medium neben das Fernsehen, oder präziser: die Medien des Televisuellen, gestellt werden. Als Integrationsmedium für andere, insbesondere telematische Technologien, wird das Internet zum bevorzugten Schauplatz eines gewandelten Kulturbegriffs. Für dieses gewandelte Verständnis hat Castells die Metapher der Netzwerkgesellschaft geprägt. Mit seiner Rede vom ›Aufstieg der Netzwerkgesellschaft‹ weist Castells nicht nur auf die Entstehung von etwas grundlegend Neuem, sondern auch den damit verbundenen widersprüchlichen Entwicklungen unserer Zeit hin.10 Fundamental neu ist nach seiner Darstellung die »convergence of social evolution and information technologies«.11 Wissen und Information sind die wichtigsten Produktionskräfte der Netzwerkgesellschaft. Die Unsicherheit informationeller Wertschöpfung kennzeichnet die Netzwerkgesellschaft als eine ›Kultur des Ephemeren‹ und führt zu einer qualitativen Veränderung menschlicher Erfahrung. »Because of the convergence of historical evolution and technological change we have entered a purely cultural pattern of social interaction and social organization.« 12 Castells weist »beyond the metaphorical value«13 seiner Begriffsfin-

9.

10. 11. 12. 13.

weise gegenstandsgleich und können vor allem methodisch unterschieden werden. Der Begriff der Technologie fokussiert die kommunikationstechnischen Bedingungen, der Begriff der Medien hingegen die Möglichkeit, Modalitäten menschlicher Kognition, Wahrnehmung und Kommunikation zu prägen. Vgl. Faulstich, Werner: Medienkultur. In: ders. (Hrsg.): Grundwissen Medien. München: Fink, 1995, (= UTB 1773), S. 96-100: S. 98. – Im Weiteren unterscheidet Faulstich noch erstens Medien im Sinne von Müller-Sachse als ›Kulturanbieter‹, zweitens eine kritische Dimension des Medienkultur-Begriffs, die ihn in Gegensatz zum Verständnis von Hochkultur setzt, drittens einen deskriptiv-komparatistische Dimension und viertens eine medienökologische und -ethische Dimension des Begriffs, vgl. ebd., S. 96f. Vgl. Castells, Manuel: The Information Age. Vol. 1, a.a.O., S. 501. Ebd., S. 502. Ebd., S. 508. Ebd., S. 507. 300

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dung hinaus auch auf tiefergreifende Auswirkungen wie die sozialen Bruchlinien, die ›Abwärtsspirale der sozialen Exklusion‹ hin, die durch Machtstrukturen in den Beziehungen von Netzwerken entstehen.14 Nicht immer wird die Netzwerkgesellschaft von ihren Bewohnern als Ordnungssystem wahrgenommen. »The new social order, the network society, increasingly appears to most people as a meta-social disorder.«15 Internet Performances sind eine der kulturellen Antworten auf die gesellschaftlichen Veränderungen im Übergang zum 21. Jahrhundert. Sie können als Theaterform gesehen werden, in der sich ein Grundmodell unserer Gesellschaft – das Netzwerk – ausdrücken und reflektiert werden kann. Internet Performances stehen aus dieser Perspektive neben anderen institutionalisierten Formen der Netzwerkgesellschaft, beispielsweise Netzwerken von Managern, globalen Unternehmen oder Alumnis etc. Ihr abweichender, ungewöhnlicher Gebrauch von Technologie fordert zur Reflexion des Internets als »Modell dezentralen Wissens und dezentraler Machtstrukturen«16 heraus. Die Transformationen im Verständnis von Kultur stehen auch in Verbindung mit Transformationen im (institutionalisierten) System der Kunst. Internet Performances positionieren sich hier im Zwischenbereich von Medienkunst und Theater. Gegenüber dem tautologischen Begriff der Medienkunst wurde von Armin Medosch – man möchte hinzufügen: zu Recht – ein ›Unbehagen‹ formuliert. Mit seinen »Kollateralschäden fehlender Definitionen«, »wie Kartenhäuser einstürzenden Kategorien« und »gehypten Themen«17 scheint dieser Diskurs gewisse Grenzen erreicht zu haben, erweist sich jedoch für die Frage nach den Auswirkungen des Internets auf das Kunstverständnis der Netzwerkgesellschaft als hilfreich. Zum einen wird aus der Perspektive der Medienkunst, wie Heinrich Klotz dargelegt hat, deutlich, dass Phasen künstlerischer Innovation immer wieder mit Zweifeln am Kunstcharakter eines Werks verbunden sind.18 In diesem Sinne steht der Diskurs der Medienkunst in der Tradition der historischen Avantgarde. Zum anderen öffnet er den Blick für die Bedeutung von Medientechnik als

14. 15. 16. 17.

Vgl. ebd., S. 502, 507. Ebd., S. 508. Kac, Eduardo: Das Internet und die Zukunft der Kunst, a.a.O., S. 314. Medosch, Armin: Das Unbehagen am Medienkunstbegriff. In: http://www.telepo lis.de/deutsch/inhalt/sa/9827/1.html (Zugriff am 15.05.2002) 18. Vgl. Klotz, Heinrich: Ästhetik der elektronischen Kunst. In: Fundació Joan Miró/ ZKM (Hrsg.): Moving Image. Electronic Art. München-Stuttgart: ZKM und Octagon Verlag, 1992, S. 20-21: S. 20. 301

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Projektionsfläche gesellschaftlicher Utopievorstellungen (vgl. Kap. 6.3.1, 6.4.2).19 Der für die Kulturwissenschaften konstatierte performative turn betrifft nicht nur den Übergang vom Theater zu anderen Künsten, sondern auch vom Theater zur Technologie.20 Wie Patrick Litchy betont, ist es dabei fundamental, zwischen der performativen Funktion von Medienkunst und eigentlichen Performances mit Neuen Medien zu unterscheiden.21 In einer Kultur, die sich in jüngster Zeit künstlerisch nach dem Ideal der »handelnden Teilhabe«22 ausrichtet, erfordern Internet Performances, den Begriff des Theaters zu überdenken.23 Diskutiert man den Theaterbegriff von Internet Performances und ihre Auflösung der physischen Kopräsenz aus begriffsgeschichtlicher Perspektive, so steht die Ausweitung des Theaterbegriffs aus kulturgeschichtlicher Perspektive in einer langen Tradition. Während im Europa des 17. Jahrhundert der Begriff des theatrum in vielfacher Verwendung auftrat (beispielsweise als Theatrum Vitae Humanum, Theatrum Chemicum, Theatrum Orbis Terrarum), engte sich seine Verwendung zum Ende des 18. Jahrhunderts auf die allgemein als prototypisch für ›Theater‹ geltende Form der Dramenaufführung im Proszeniumstheater ein. Diese Entwicklung kehrten die Experimente der Avantgarde im 20. Jahrhundert

19. Vgl. Grau, Oliver: Telepräsenz, a.a.O., S. 63. – Prominentes Beispiel für die utopische Aufladung von Medientechnik ist Berners-Lee, der Erfinder des WWW. Für Berners-Lee steht das Web für eine neue Gesellschaftsform. Technische und soziale Prinzipien hätten sich in seiner Entstehungsgeschichten wiederholt: »Das Web und das Web of Trust werden dasselbe sein – ein Netz von Dokumenten, einige davon mit digitaler Signatur, alle miteinander verknüpft und völlig dezentralisiert. […] Das Web of Trust ist ein Grundmodell dafür, wie wir als Menschen wirklich funktionieren. Jeder von uns bildet sich sein eigenes Netz des Vertrauens, während er heranwächst. […] Das Web of Trust muß sich entwickeln, bevor das Web als echtes Medium zur Zusammenarbeit eingesetzt werden kann.« Kurze Zeit später gibt er in seinem Text seine Nähe zu den Universal Unitarists zu erkennen. Vgl. Berners-Lee, Tim: Der Web-Report, a.a.O., S. 228, vgl. ebd., S. 303f. 20. Vgl. Fischer-Lichte, Erika: Zwischen ›Text‹ und ›Performance‹, a.a.O., S. 19. 21. Vgl. Litchy, Patrick: The Cybernetics of Performance and New Media Art. In: Leonardo Vol. 33, No. 5 (2000), S. 351-354: S. 351. – Bei gewissen Theoretikern der Medienkunst fällt auf, dass sie glauben, die performative Dimension von Medien neu zu entdecken und in Unkenntnis benachbarter Disziplinen annehmen, es gäbe hierfür keine theoretischen Instrumentarien. Vgl. Weibel, Peter: Transformationen der Techno-Ästhetik. In: Rötzer, Florian (Hrsg.): Digitaler Schein, a.a.O., S. 205246. 22. Dinkla, Söke: Zur Rhetorik und Didaktik des digitalen Tanzes, a.a.O., S. 14. 23. »[T]he Internet asks us to reconsider the very paradigm of an aesthetic object.« Manovich, Lev: The Language of New Media, a.a.O., S. 163f. 302

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wieder um.24 Der Begriff von Theater, der Internet Performances zugrunde liegt, kann innerhalb dieser Öffnungsbewegung gesehen werden. Als Produkt der Gesellschaft und sie gleichzeitig konstruierendes Element drückt das Theater einer Epoche die eigene Gesellschaft aus; in und durch Internet Performances vollziehen sich Aspekte unserer Gesellschaft.25 Dieser kulturelle Wandel betrifft eine Gesellschaft unter der net_condition, eine Gesellschaft, die sich angesichts der Dominanz des Technischen mit seiner Ambivalenz auseinandersetzen muss, die Zugang als neue Form der conditio humana bestimmt und die trotz aller kulturell-gesellschaftlichen Transformationen Theater immer noch in seiner anthropologischen Funktion, die Abständigkeit des Menschen zu sich selbst zu verkörpern, einsetzt (vgl. Kap. 7.2). In dem Moment, in dem das Theater – verstanden als alle Formen von Theater in einer Epoche und Kultur – sich entschließen sollte, technologische Innovationen vollkommen auszuschließen, würde es seine soziale Bedeutung verlieren. Indem jedoch Internet Performances die Mittel und Verfahren des Theaters mit dem Internet und seinen Möglichkeiten konfrontieren, legen sie die Bedingung, gesellschaftlich relevant zu werden.

7.1.2 Internet Performances und ihre gesellschaftliche Relevanz Eine Theaterform kann gesellschaftlich relevant sein, wenn sie aktuelle Bedingungen oder Probleme der sie umgebenden Gesellschaft thematisiert. Indem Internet Performances die Bedeutung des Internets als Kommunikations- und ökonomische Plattform der Konsumgesellschaft reflektieren, können sie diese Bedingung erfüllen. Angesichts der zunehmenden Bedeutung des Internets im Alltag unserer Gesellschaft greifen Internet Performances den Topos der Fusion von Leben und Kunst auf und führen Technologie als dritte Komponente ein. In Internet Performances werden Aspekte der Technikgeschichte des Menschen performativ erprobt.26 Nach Daniels kann technischer Fortschritt jedoch nur insoweit ›Motor der Künste‹ sein, als sich das utopische Potential dieses Fortschritts in den Künsten entfalten kann.

24. Vgl. Fischer-Lichte, Erika: Theatralität und Inszenierung. In: Fischer-Lichte, Erika/ Pflug, Isabel (Hrsg.): Inszenierung von Authentizität. Tübingen: Francke, 2001, S. 11-27: S. 12, Fußnote 2, S. 13. 25. Vgl. Katti, Christian: Projektionsverhältnisse des Performativen zwischen Kunst und Kultur. In: Frohne, Ursula (Hrsg.): video cult/ures. multimediale installation der 90er jahre. Köln: DuMont, 1999, S. 94-108: S. 99. – Vgl. Fischer-Lichte, Erika: Theatralität und Inszenierung, a.a.O., S. 11. 26. Vgl. Leeker, Martina: Theater und Medien. Eine (un-)mögliche Verbindung? a.a.O., S. 27. 303

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»Wenn Kunst sich der Medieninnovation verweigert, verliert sie ihren Anspruch auf einen Entwurf der Zukunft. Aber wenn Kunst an ihre eigenen Utopien glaubt, bestraft sie die Kunstgeschichte.«27 Indem also beispielsweise Stelarc versucht, Aspekte aus dem Diskurs des Post-Humanen als eine performative Science Fiction zu inszenieren (vgl. Kap. 6.4.2), wird seine Arbeit gesellschaftlich relevant. Würden Stelarc oder seine Zuschauer jedoch die von Stelarc inszenierten utopischen Ansprüche absolut setzen, hätten diese ihre kritisches Potential verloren. Vor einer solchen »Anverwandlung von Kultur an Technik«28 warnt auch Mersch. Es ist die Spannung zwischen dem kritischen Potential in der Inszenierung kultureller Utopien und der gleichzeitigen Gefahr ihres Scheiterns, die Internet Performances, wie andere Theaterformen auch, zum »Ort des Trainings«29 werden lässt, in dem das Zusammenwirken von Individuum, Medien und Gesellschaft erprobt werden kann (vgl. Kap. 7.3). Nach Spangenberg liegt die Leistung der Medienkunst darin, alternative Erfahrungen der Selbst- und Fremdwahrnehmung zu ermöglichen und ein »kreatives Irritationspotential alternativer Sinnbildungsstrategien«30 zu bewirken. Wenn beispielsweise die Teilnehmer in Kacs Produktionen die sinnlichen Auswirkungen von Telematik ›am eigenen Leib‹ erfahren, bietet ihnen dies auch die Möglichkeit, ihre Wahrnehmung an den Erfordernissen dieser Medien zu schulen. Die bei Stelarc zu beobachtende utopische Aufladung der Technologien findet ihre Entsprechung in einer starken Emotionalität. So fällt immer wieder und graduell variierend die ablehnende Haltung von Seiten des traditionellen Theaters gegenüber theatralen Experimenten mit telematischen Medien auf.31 So lehnten einige der im Rahmen der SPIELART im November 2000 ins Goethe-Forum, München, eingeladenen Künstler jede Auseinandersetzung des Theaters mit dem Internet, also auch The Finalists, rundweg ab (vgl. Kap. 3.3.3). Auch innerhalb des wissenschaftlichen Diskurses sind ideologisch gefärbte Aussagen hinsichtlich telematischer Medien keine Seltenheit. Kamper formuliert beispielsweise, das Telematische sei »der Inbegriff des Den-

27. 28. 29. 30. 31.

Daniels, Dieter: Inter (-disziplinarität, -media, -aktivität, -net), a.a.O., S. 146. Mersch, Dieter: Ereignis und Aura, a.a.O., S. 59. Lehmann, Hans-Thies: Postdramatisches Theater, a.a.O., S. 431. Spangenberg, Peter: Produktive Irritationen, a.a.O., S. 165, vgl. S. 150. Beispielhaft kann hierfür die defensive Haltung von Twyla Mitchells Aufsatz stehen, der versucht, Theaterpraktiker behutsam mit möglichen positiven Effekten der Telekommunikationstechnologie vertraut zu machen. Vgl. Mitchell, Twyla: Terror at the Terminal: How Some Artists View Computers. In: Schrum, Stephen (Hrsg.): Theatre in Cyberspace, a.a.O., S. 9-18: S. 16. 304

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kens des Immateriellen, d.h. einer Entrealisierung durch Symbolisierung, einer Dematerialisierung durch Repräsentation.«32 Unklar bleibt dabei, für welche konkreten Anwendungen telematischer Medien diese Aussage gelten soll.33 Wie Elena Esposito formuliert, scheint das Internet »zum neuralgischen Zentrum der Projektionen von Zukunft zu werden, die wir unmöglich steuern können.«34 Die meist ungeprüfte Ablehnung und damit implizit geäußerte Angst vor einer Begegnung von Theater und Internet könnte auch als Symptom des Wirkungspotentials von Internet Performances gedeutet werden.35 Die heftige Ablehnung verkennt dabei, dass eine Gesellschaft sich im Theater beim Handeln zusieht und das Bild reflektiert, das sie damit von sich selbst entwirft.36 Wären Internet Performances ohne kulturelle oder gesellschaftliche Relevanz, würden sie nicht diese extremen Reaktionen hervorrufen. Auch ihre anthropologischen Dimensionen gehören zu den Faktoren, die Internet Performances kulturell relevant werden lassen.

7.2 Anthropologische Dimensionen von Internet Performances Als eine »Randerscheinung« der Gesellschaft, »die eben durch ihre Marginalität ihre Bestimmung erfüllt«, bezeichnet Rapp das Theaters. Trotz dieser Position ist das Theater jedoch »mehr als andere Künste«

32. Kamper, Dietmar: Maschinen sind sterblich wie Leute. Versuch, das Telematische wegzudenken. In: Müller-Funk, Wolfgang/Reck, Hans-Ulrich (Hrsg.): Inszenierte Imagination, a.a.O., S. 223-229: S. 224. 33. Bei vielen Theoretikern ist auch auffallend, wie wenig (vor allem ästhetische) Erfahrung sie mit telematischen Technologien und dem Internet aufweisen können. Medienpessimistische Thesen bleiben so unbegründet im Raum stehen, beispielsweise: »Internet ist die Verallgemeinerung des Subjektiven, kein Feld für Kommunikationsakte, die das Subjekt im Feld verantworteter und verantwortlicher Stellungnahmen situieren.« Lehmann, Hans-Thies: Postdramatisches Theater, a.a.O., S. 404, vgl. S. 401-409. – Bei solchen Argumentationsgängen ist es letztlich nur stimmig, wenn Lehmann völlig unkritisch einen selbst so ideologisch argumentierenden Theoretiker wie Marvin Minsky als Beleg für seine eigenen ideologischen Argumentationen heranzieht, vgl. ebd., S. 411. 34. Esposito, Elena: Soziales Vergessen, a.a.O., S. 10. 35. Zur Frage, wie Äußerungen von Angst gegenüber Technologie gedeutet werden können vgl. Schubert, Rainer: Zur Möglichkeit von Technikphilosophie. Versuch einer modernen Kritik der Urteilskraft. Wien: Passagen, 1989 (= Passagen Philosophie), S. 30. 36. Vgl. Fischer-Lichte, Erika: Theater. In: Wulf, Christoph (Hrsg.): Vom Menschen, a.a.O., S. 985-996: S. 993. 305

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»die prägnanteste Form der Auseinandersetzung urbaner Gesellschaften mit ihren Problemen oder mit den Weisen ihrer Vorstellung von ihren existentiellen Problemen.« 37 Die Bedingung der Möglichkeit, solche existentiellen menschlichen Fragen zu behandeln, liegt in der anthropologischen Funktion historisch und kulturell kontingenter Theaterformen, die ›Exzentrizität des Menschen‹ (Plessner), verstanden als seinen reflexiven Abstand zu sich selbst, zu inszenieren. Auch Internet Performances übernehmen diese anthropologische Funktion. Sie inszenieren die ›Abständigkeit des Menschen zu sich selbst‹ (Fischer-Lichte) unter den Bedingungen der Netzwerkgesellschaft (vgl. Kap. 7.2.1). Als weitere anthropologische Dimension reflektieren sie Formen des Zugangs (beispielsweise den Zugang zum Internet oder zu kulturellen Ausdrucksformen im Internet) als neue Form der conditio humana (vgl. Kap. 7.2.2). Der Einsatz telematischer Medien löst die Kopräsenz von Darstellern und Teilnehmern auf, etabliert jedoch über das telematische Verbunden-Sein eine neue Form theatraler Öffentlichkeit (vgl. Kap. 7.2.3). Aus dieser medialen Konstellation ergeben sich verschiedene Erfahrungen des Körperlichen im Angesicht der Technologie (vgl. Kap. 7.2.4).

7.2.1 Inszenierung der ›Exzentrizität des Menschen‹ unter der net_condition In ihrer spezifischen Medialität übernehmen Internet Performances die anthropologische Funktion, die ›Exzentrizität des Menschen‹ in einer durch die verteilende Infrastruktur des Internets bestimmten Gesellschaft, einer Gesellschaft unter den Bedingungen der net_condition, zu inszenieren. Der Begriff der Exzentrizität des Menschen stammt aus der philosophischen Anthropologie Helmuth Plessners. Seine Argumentation nimmt ihren Ausgang in der Frage nach der Differenz zwischen Mensch und Tier und versucht, die Identität des Menschen zu bestimmen. Im Unterschied zum Tier sieht Plessner die Beziehung des Menschen zu seiner eigenen Person bereits als äußerliche an und darin gleichzeitig die Grundlage für zwischenmenschliches Verstehen. Der Mensch steht nach dieser Bestimmung zu sich selbst in einem dialogischen, einem exzentrischen Verhältnis: Er kann zu seinem eigenen Zentrum in eine äußerliche Position treten und über Fragen der eigenen Person reflektieren.38 Die Exzentrizität des Menschen, verstanden als seine ›ex-zentrische Positionalität‹, ist nach Plessner eine anthro-

37. Rapp, Uri: Rolle-Interaktion-Spiel, a.a.O., S. 102. 38. Vgl. Plessner, Helmuth: Die Stufen des Organischen und der Mensch. Einleitung in die philosophische Anthropologie. Berlin: de Gruyter, 1975 (OV: 1928), S. 290-308. 306

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pologische Kategorie und legt die Bedingung für die Möglichkeit von Erkenntnis und Nachahmung. Nur weil der Mensch zu sich selbst in eine exzentrische Position treten kann, ist er auch in der Lage, Rollen zu verkörpern, sowohl im Theater als auch im Spiel. Damit bildet die Exzentrizität des Menschen nicht nur die anthropologische Basis jeder Theaterform, sondern auch des Spiels.39 Theater hat sein »Fundament und die Bedingung seiner Möglichkeit in der conditio humana, die es zugleich symbolisiert«,40 wie Fischer-Lichte formuliert. »Der Mensch tritt sich selbst – oder einem anderen – gegenüber, um ein Bild von sich als einem anderen zu entwerfen und zur Erscheinung zu bringen, das er mit den Augen eines anderen wahrnimmt bzw. in den Augen eines anderen reflektiert sieht.« 41 Aus dieser Perspektive übernehmen alle Theaterformen die anthropologische Funktion, die Exzentrizität des Menschen unter den jeweils konkreten gesellschaftlich-kulturellen Bedingungen zu verkörpern. Auch Internet Performances als Theaterform der Netzwerkgesellschaft im beginnenden 21. Jahrhundert übernehmen diese anthropologische Funktion. Sie inszenieren und reflektieren nicht nur ausgewählte Bedingungen, Potentiale und Utopien internetbasierter Kommunikation und der darüber konstituierten Gemeinschaften, sondern auch grundlegende anthropologische Fragen. Dabei setzen textbasierte und telematische Internet Performances jeweils andere Schwerpunkte. Textbasierte Internet Performances stellen Imagination als wahrnehmende Tätigkeit des Lesens in den Vordergrund. Im Prozess des Lesens ist Imagination die Grundlage literarischen Fingierens. Nach Iser drückt das Fingieren (in) der Literatur die menschliche Fiktionsbedürftigkeit und damit ein anthropologisches Grundmuster aus. Um etwas fingieren zu können, muss ein gewisser Grad an ›Ekstase‹ erreicht sein, ein Zustand, der die Außenperspektive auf sich selbst erlaubt, mithin die Positionalität der Exzentrizität.42 In telematischen Internet Performances hingegen steht aus anthropologischer Perspektive die Transformation dreidimensionaler Körperlichkeit in zweidimensionale Bildlichkeit im Vordergrund. Diese Transformation wird oftmals als »Bedrohung des anthropologischen Selbst«43 durch die

39. Vgl. ebd., S. 321-341. 40. Fischer-Lichte, Erika: Theater, a.a.O., S. 985. 41. Dies.: Theatralität und Inszenierung, a.a.O., S. 21. – Auch Iser bestimmt im Sinne Plessners Inszenierung als das »Sich-nicht-haben-Können als solches zu haben«. Iser, Wolfgang: Das Fiktive und das Imaginäre, a.a.O., S. 505, vgl. ebd., S. 515. 42. Vgl. Iser, Wolfgang: Fingieren als anthropologische Dimension der Literatur. Konstanzer Universitätsreden. Konstanz: Universitätsverlag, 1990, S. 7f., 23. 43. Leeker, Martina: Like Angels, a.a.O., S. 268, vgl. S. 269. 307

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Neuen Medien gedeutet, obwohl nur eine bestimmte Vorstellung vom Körper abgelöst wird (vgl. Kap. 7.2.4). Gemeinsam ist textbasierten und telematischen Internet Performances jedoch das Interesse an einer weiteren anthropologischen Dimension der Netzwerkgesellschaft, nämlich der Tendenz, Zugang als neue Form der conditio humana zu setzen.

7.2.2 Generation@: Zugang als neue Form der conditio humana Als Bild für die Konvergenz der sozialen und informationstechnischen Entwicklung im späten 20. Jahrhundert gehört zur Metapher der Netzwerkgesellschaft auch die Vorstellung von den Rändern des Netzwerks, von seinem Außen. Einer der machtvollsten Mechanismen, um Menschen von Netzwerken auszuschließen, ist es, den Knotenpunkt, von dem aus sie Zugang zum Netzwerk bekommen könnten, zu kontrollieren. So bezeichnet Jeremy Rifkin Zugang als das »Zauberwort des Jahrhunderts«44; der neue Dualismus von Vernetzten versus Unvernetzten bringt die politische Bedeutung des Begriffs zum Ausdruck.45 Rifkin wertet Zugang als »Metapher des kommenden Zeitalters«, über die wir die Transformationen in unserer »Wahrnehmung von Welt und Wirtschaftsgeschehen«46 nachvollziehen können. Das 21. Jahrhundert sieht Rifkin von ökonomischen Grundlagen bestimmt, die im Gegensatz zur klassischen Marktwirtschaft stehen. »Netzwerke treten an die Stelle der Märkte, Verkäufer und Käufer werden zu Anbietern und Nutzern, und was bislang käuflich war, wird ›zugänglich‹. Zugang, Zugriff, ›Access‹ sind die Schlüsselbegriffe des anbrechenden Zeitalters. Der Wandel von einem Regime des Besitzens, das auf der Vorstellung von weit gestreutem Eigentum basiert, zu einem des Zugangs, das die kurzfristige und begrenzte Nutzung von Vermögenswerten sichert, die von Anbieternetzwerken zur Verfügung gestellt werden – dieser Wandel wird das Wesen ökonomischer Macht in den kommenden Jahren radikal verändern.« 47 Die Vorstellung eines Zugriffs auf Netzwerke wird die Dynamik gesellschaftlicher Entwicklungen ebenso verändern wie es die Vorstellungen

44. Rifkin, Jeremy: Die Teilung der Menschheit. In: FAZ 12. August 2000. Tiefdruckbeilage S. If: S. I. – Die Formulierung einer »Politics of Access« war von Landow bereits 1992 formuliert worden. Vgl. Landow, George: Hypertext, a.a.O., S. 185. 45. Vgl. Rifkin, Jeremy: Access. Das Verschwinden des Eigentums. Warum wir weniger besitzen und mehr ausgeben werden. Frankfurt: Campus, 2000, S. 294, 25. – »Der Graben zwischen Besitzenden und Nichtbesitzenden ist tief, der zwischen Vernetzten und den Nichtvernetzten ist allerdings noch tiefer.« Ebd., S. 23. 46. Ebd., S. 25. 47. Ebd., S. 13. 308

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von Eigentum und Markt zum Beginn der Neuzeit getan haben, prognostiziert Rifkin.48 »Nicht vernetzt zu sein, bedeutet das Ende der sozialen Existenz.«49 Die Notwendigkeit, eine Zugangsberechtigung zu den Kommunikations- und ökonomischen Gemeinschaften der Netzwerkgesellschaft zu besitzen, prägt auch Internet Performances. Um an Internet Performances teilnehmen zu können, muss man vernetzt sein; um die technische Infrastruktur sinnvoll einsetzen zu können, die entsprechende Medienkompetenz besitzen.50 Zwar forderten auch andere historische Theaterformen von ihren Zuschauern medienspezifische Kompetenzen, diese betrafen jedoch fast immer Wahrnehmungsmodi oder die Bereitschaft, neue Wahrnehmungsmodi einzuüben, jedoch nicht die Bedienung einer technisch derart anspruchsvollen Infrastruktur. Mit den technisch-gesellschaftlichen Entwicklungen der Netzwerkgesellschaft entsteht auch ein neues Menschenbild: »Das Zeitalter des Zugangs bringt nicht nur neue Mittel hervor, mit der die menschliche Existenz strukturiert wird, sondern auch neue Definitionen der conditio humana.«51 Für dieses Menschenbild verwendet Rifkin in Anlehnung an Robert Lifton den Begriff des proteischen Menschen. Die »jungen Menschen der neuen, ›proteischen‹ Generation« können die kommunikativen und ökonomischen Kennzeichen der Netzwerkgesellschaft problemlos akzeptieren. »Sie bilden ›multiple Persönlichkeiten‹ aus.«52 Alternativ verwendet Rifkin auch den Begriff der ›dramatischen‹ oder ›relationalen‹ Persönlichkeit.53 Sie sind »fließend und transitorisch wie die Netzwerke, an denen die Menschen teilhaben.«54 Im Unterschied zum

48. Vgl. ebd., S. 24. 49. Ebd., S. 251f. 50. Nur wenige Produktionen bilden hier eine Ausnahme. Dazu gehörten die Plaintext Players, die den dramatischen Dialog zusätzlich zur Kommunikation im MOO auf eine Leinwand projizierten, und The Finalists, deren Videoübertragung im Rahmen des Festivals SPIELART ebenfalls auf Fernsehbildschirmen vergrößert übertragen wurden. 51. Rifkin, Jeremy: Access, a.a.O., S. 317. 52. Ebd., S. 21, vgl. ebd., S. 250f. 53. Rifikin wählt den Begriff der dramatischen Persönlichkeit, da er auch den Begriff des Theaters metaphorisch verwendet und die den Netzwerken zugrundeliegende Organisation als theatralisch bezeichnet. »Auftreten und sich immer wieder verwandeln zu können, wird zur conditio sine qua non ihrer Existenz.« Ebd., S. 293, vgl. ebd., S. 287. 54. Ebd., S. 283. 309

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Dikurs des Post-Humanen geht Rifkin jedoch nicht von einer Angleichung des Menschen an Technologie aus. Einige Internet Performances inszenieren dieses hinter »Zugang als Lebensform«55 stehende Körperkonzept. So kann in den Produktionen von Stelarc von den verschiedenen remote sites aus auf seinen Körper zugegriffen werden, der sich als eigentlicher Schauplatz der Performance zeigt. Die Teilnehmer der Arbeiten Kacs bilden zusammen einen Körper, zu dem die verschiedenen Teilnehmergruppen verschiedenen Formen des Zugangs besitzen. Sie erleben die Steuerung ihrer eigenen Wahrnehmung, wenn andere Teilnehmer auf das Netzwerk in den Produktionen zugreifen. Im Fokus steht die Beziehung zwischen den Teilnehmern, sie bilden »temporäre Netzwerke«56 aus, die stellvertretend für die Charakteristika der ›vernetzten Ökonomie‹ stehen: »die stetige Entmaterialisierung der Waren, die schwindende Bedeutung von Sachkapital, de[n] Bedeutungszuwachs von immateriellem Vermögen, die Metamorphose von Gütern in reine Dienstleistungen«.57 Während in der vernetzten Wirtschaft immer mehr Erfahrungen und Erlebnisse des Menschen zur Ware werden und der Zugang zur Kultur von globalen Konzernen vermarktet wird,58 stehen Internet Performances in einem widersprüchlichen Verhältnis zwischen Ware und Ereignis. Einerseits müssen Teilnehmer die technische Infrastruktur einer Produktion oder zumindest eine Zugangsmöglichkeit zu ihr besitzen. Andererseits ist die Aufführung selbst kostenlos; sie ist ein potentiell nur schwer vermarktbares, ephemeres Kulturerlebnis. »Zugang hat vor allem damit zu tun, welche Ebenen und Arten der Teilnahme wir wollen: Es geht nicht nur darum, wer Zugang bekommt, sondern auch welche Erfahrungen und

55. Ebd., S. 154. – Allerdings trifft nicht zu, was Evert/Rodatz für Körper- und RaumRepräsentationen unter den Bedingungen von Telepräsenz formuliert haben. Diese entwerfen zwar ein »über die Grenzen der Haut und des Individuums hinausweichendes Körperkonzept«, allerdings keines, in dem »auf Mensch und Welt jederzeit zugegriffen werden kann.« Vgl. Evert, Kerstin/Rodatz, Christoph: Tele-Präsenz, S. 122f. 56. Rifkin, Jeremy: Access, a.a.O., S. 180. 57. Ebd., S. 154, vgl. ebd., S. 12. 58. Vgl. ebd., S. 20, 130, 252, 315. – Zu den Zugangsbedingungen ins Internet vgl. National Telecommunications and Information Administration Falling Through the Net: Defining the Digital Divide. http://ntia.doc.gov/ntiahome/digitaldivide (Zugriff am 24.3.2002) 310

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Welten der Beteiligung des Zugangs wert sind. Mit der Antwort auf diese Frage entscheiden wir über die Gesellschaft, in der wir im 21. Jahrhundert leben werden.« 59 Die Art des Zugangs bestimmt dabei auch die Form von theatraler Öffentlichkeit in den verschiedenen Produktionen, die stellvertretend für gesellschaftliche Organisationsformen der Netzwerkgesellschaft gesehen werden können.

7.2.3 Theatrale Öffentlichkeit in Internet Performances Begreift man den sozialen Raum als gleichermaßen performativ wie diskursiv erzeugten, kann man das Theater als eine spezielle Form des sozialen Raumes verstehen, die sich in zahlreichen historischen Theaterformen auch in einer spezifischen Architektur manifestiert hat. In Internet Performances verliert das Theatergebäude als eines der »most persistent architectural objects in the history of Western culture«60 seine Bedeutung. Doch obwohl Internet Performances nicht mehr auf dieser Architektur beruhen, entstehen »equally powerful constraints«.61 Wie Lefebvre betont, etablieren historisch und kulturell kontingente Konzeptionen des Raumes immer auch Macht- und Kontrollmechanismen, die sich direkt auf die Konstruktion und Wahrnehmung kultureller Repräsentationen auswirken.62 Auch die Vorstellung des telematischen Raumes als eines nicht-physischen, metaphorisch verstandenen Raumes wird mit Utopien und ideologischen Vorstellungen aufgeladen.63 Wertheim betont die Qualität des telematischen Raumes, Netzwerk zu sein. »[I]t epitomizes qualities that are fundamental to the creation and sustenance of strong community.«64

59. Rifkin, Jeremy: Access, a.a.O., S. 359. 60. Carlson, Marvin: Places of Performance. The Semiotics of Theatre Architecture. Ithaca: Cornell University Press, 1989, S. 6. 61. McAuley, Gay: Space in Performance, a.a.O., S. 58. 62. Vgl. Lefebvre, Henri: The Production of Space. Oxford: Blackwell 1996. 63. Vgl. Wertheim, Margaret: The Pearly Gates of Cyberspace, a.a.O., S. 40. – So formuliert beispielsweise Ascott, die Vernetzung des Computers antworte auf »unser tiefes psychologisches Verlangen nach Transzendenz – das Immaterielle, das Spirituelle zu erreichen –, den Wunsch, außerhalb des Körpers zu sein, des Geistes, die Grenzen von Zeit und Raum zu überwinden, eine Art bio-theologischer Theologie.« Ascott, Roy: Gesamtdatenwerk. Konnektivität, Transformation und Transzendenz. In: Weibel, Peter/Lischka, Gerhard (Hrsg.): Im Netz der Systeme Kunstforum International. Bd. 103. Sept.-Okt. 1989, S. 100-107: S. 103. 64. Wertheim, Margaret: The Pearly Gates of Cyberspace, a.a.O., S. 301. 311

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Die eingesetzten Technologien, beispielsweise der IRC, können dabei selbst als Zeichen gesehen werden, über die sich die Gruppen definieren. Die durch das telematische Verbunden-Sein in Internet Performances entstehende Form theatraler Öffentlichkeit lässt sich nicht mit der üblichen Dichotomie von Privatem und Öffentlichem beschreiben.65 Internet Performances individualisieren und verteilen die vom Theater unter den Bedingungen physischer Kopräsenz bekannte Form von Öffentlichkeit. Die szenographischen Strukturen von Internet Performances stehen für eine »modellhafte Neubestimmung eines gewandelten gesellschaftlichen Raumes«,66 für die weiterhin das »primacy of the social«67 gilt. Die Erfahrung des Sozialen in Internet Performances wird dabei maßgeblich von den Erfahrungen des Körperlichen bestimmt.

7.2.4 Erfahrungen des Körperlichen im Angesicht der Technologie »Die Rhetorik einer Verabschiedung des Körperlichen oder seiner technischen Exteriorisierung«, so Krämer, sei in digitalen Welten »nahezu allgegenwärtig.«68 Sie wird durch die Trennung von physischer und bildlicher Gegenwart im telematischen Körper provoziert, die auch für die verschiedenen Kategorien von Internet Performances kennzeichnend ist. Dieser Position, die von einer ›Verabschiedung des Körperlichen‹ ausgeht, gilt Theater im Zeitalter der Technologie als »Reservat authentischer Kunst und höherer Kultur«.69 Zusammenfassend können hierbei zwei Argumentationsstränge unterschieden werden. Der eine geht von der Dominanz des Technologischen aus, die den Körper zur Anpassung an die Gegebenheiten der Technologie zwingt,70 und steht in der Tradition der Kritischen Theorie, die von einem

65. Vgl. Höflich, Joachim: Zwischen massenmedialer und technisch vermittelter interpersonaler Kommunikation, a.a.O., S. 93. Vgl. ebenfalls Poster, Mark: Postmodern Virtualities. In: Featherstone, Mike/Burrows, Roger (Hrsg.): Cyberspace/Cyberbodies/Cyberpunk, a.a.O., S. 79-95: S. 89. 66. Dinkla, Söke: Das flottierende Werk, a.a.O., S. 73. 67. McAuley, Gay: Space in Performance, a.a.O., S. 248. 68. Krämer, Sybille: Medien-Körper-Performance, a.a.O., S. 471-479: S. 471. – So spricht beispielsweise auch Fischer-Lichte vom »Verschwinden des Körpers«. Vgl. Fischer-Lichte, Erika: Die Verklärung des Körpers, a.a.O., S. 205. 69. Heinze, Thomas: Medienanalyse, a.a.O., S. 127. 70. So formulierte beispielsweise Leeker in ihrer Dissertation von 1995 noch folgende These: »Der Körper ist gezwungen, sich die neuen Formen medialer Kommunikation und Wahrnehmung anzueignen. Der Mensch beginnt im Umgang mit Medien seine eigene Physis unter der Vorgabe des Fremden zu simulieren.« Leeker, Martina: Mime, Mimesis und Technologie. München: Fink, 1995 (= Diss.), S. 296. 312

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grundsätzlichen Erfahrungsverlust und dem herrschaftsstabilisierenden Potential von Medien ausgeht. Der andere Argumentationsstrang schreibt Aufführungen unter den Bedingungen physischer Kopräsenz einen höheren kulturellen Wert zu.71 Begründet wird diese These mit dem ›magischen Potential‹, das Live Performances zugeordnet wird.72 Diese Argumentation steht mediengeschichtlich in der Tradition, den Wert älterer Medien »als Träger authentischer Wahrnehmung und Erfahrung«73 gegenüber neu entstandenen Medien höher anzusetzen. Zwischen diesen Positionen lässt sich vermittelnd formulieren, dass mit Gernot Böhme in der Tat eine »Tendenz zur Leibfreiheit unserer Zivilisation«74 zu beobachten ist. Andererseits funktioniert theatrale Kommunikation immer über spezifische Mediationsprozesse, wie Leeker betont. »Theater ist ein Medium. Es gibt nicht das Authentische, Unmittelbare auf der Bühne.«75 Indem Internet Performances das »Abstandsphänomen Körper«76 als »Instanz kontinuierlicher Grenzverschiebungen«77 inszenieren, kann potentiell auch eine Sensibilisierung körperlichen Erlebens erreicht werden (vgl. Kap. 6.4.2). Hierin liegen die »Chancen für (eine) Wiederentdeckung und eine Neubestimmung des Anthropologischen«.78 These soll im Folgenden sein, dass eine solche Neubestimmung des Anthropologischen erfolgen

71. Beispielsweise bei Phelan, die folgende These aufstellt: »Performance’s independence from mass production, technologically, economically, and linguistically, is its greatest strength.« Phelan, Peggy: Unmarked, a.a.O., S. 149. – Vgl. ebenfalls Fischer-Lichte, Erika: Performance Art and Ritual: Bodies in Performance. In: Theatre Research International Vol. 22, No. 1(1997), S. 22-37: S. 34. 72. So ist das Theater für Fischer-Lichte einer der »very rare places where bodies can unfold their aura or even magic potential.« Fischer-Lichte, Erika: Introduction. Theatre Studies from a European Perspective, a.a.O., S. 22. Vgl. ebenfalls Brandenburg, Detlef: Einflüsse der Informationsgesellschaft auf die Darstellenden Künste. In: Zimmermann, Olaf/Schulz, Gabriele/Deutscher Kulturrat (Hrsg.): Kulturpolitik für das 21. Jahrhundert – Anforderungen an die Informationsgesellschaft. Bonn: Deutscher Kulturrat, 1999, S. 51-68: S. 55. 73. Schanze, Helmut: Integrale Mediengeschichte. In: ders. (Hrsg.): Handbuch der Mediengeschichte, a.a.O., S. 207-248: S. 217. 74. Böhme, Gernot: Anthropologie in pragmatischer Hinsicht. Darmstädter Vorlesungen. Frankfurt: Suhrkamp, 1985, S. 126. 75. Leeker, Martina: Die Zukunft des Theaters im Zeitalter technologisch implementierter Interaktivität, a.a.O., S. 99. 76. Faßler, Manfred: Umgebungen postheroischer Körper. In: Hager, Frithjof (Hrsg.): KörperDenken. Aufgaben der Historischen Anthropologie. Berlin: Reimer, 1996 (= Reihe Historische Anthropologie; Bd. 27), S. 222-231: S. 222. 77. Becker, Barbara: Philosophie und Medienwissenschaft im Dialog, a.a.O., S. 98. 78. Leeker, Martina: Like Angels, a.a.O., S. 270. 313

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kann, wenn eine Produktion die eigene Medialität ins Zentrum der Reflexion stellt. In dieser Strategie liegt die Möglichkeit, den Einfluss von Technologien in medialen Konstellationen auf die Erfahrung des Körperlichen nachzuvollziehen. Mehr noch: Wie Böhme betont, können leibliche Möglichkeiten nur im Vollzug wirklich verstanden werden.79 Demnach ist der Vollzug des telematischen Körpers eine der Möglichkeiten, die Auswirkungen von Telekommunikationstechnologien auf unsere Kultur nachvollziehen und Weisen des Umgangs mit diesen Auswirkungen erproben zu können. Internet Performances als Theaterform der Netzwerkgesellschaft stehen mit diesem Ansatz in der Tradition des Theaters, gesellschaftliche Vorstellungen vom Körper zu artikulieren. Theaterformen, die auf der leiblichen Kopräsenz aller Teilnehmer basieren, stellen nur eine der möglichen Antworten des Theaters auf die Telematisierung unserer Kultur dar; Internet Performances hingegen gehen vom Telematischen als bestimmender kultureller Größe aus. Je nach Konzeption positionieren sich die Arbeiten mehr oder weniger kritisch gegenüber den Auswirkungen der Telematik auf unsere Kultur sowie den damit verbundenen gesellschaftlichen und ideologischen Implikationen. Obwohl auch textbasierte Internet Performances den Fokus auf die kommunikative Bedeutung an den Körper gebundener Zeichen lenken (vgl. Kap. 5.1.3), betrifft die polarisierende Diskussion um die Erfahrungen des Körperlichen vor allem die telematischen Internet Performances. Abhängig von der Art und Weise, wie diese Körperlichkeit verbildlichen, positionieren sie sich gegenüber dem Telematischen als Kulturmodell entweder affirmativ oder kritisch. Paradigmatisch können diese ambivalenten Positionen an den Arbeiten Stelarcs durchgespielt werden. Als die Dominanz des Technischen affirmierend können seine Arbeiten gedeutet werden, wenn die Interpretation primär über seine Manifeste erfolgt und in direkter Übertragung der Körper als obsolet, als Funktionsbestandteil der Maschine und Element in einem globalen Netzwerk verstanden wird. Als die Dominanz des Technischen hingegen kritisch reflektierend können Stelarcs Arbeiten verstanden werden, wenn bereits seine Texte in der literarischen Tradition der Manifeste eingeordnet werden und die Diskrepanz zwischen seiner literarischen Selbstinszenierung und der Inszenierung seines Körpers innerhalb der Medialität seiner Produktionen fokussiert wird. Aus dieser Perspektive wird zum einen die eingeschränkte Bewegungsfreiheit seines Körpers deutlich.80 Zum anderen zeigt sich jedoch auch, dass Stelarcs Körper lediglich in einer Feedback-Schleife an ein Netzwerk angeschlossen wird, jedoch nicht vollständig in dieses integriert wird (vgl.

79. Vgl. Böhme, Gernot: Anthropologie in pragmatischer Hinsicht, a.a.O., S. 128. 80. Vgl. Evert, Kerstin: DanceLab, a.a.O., S. 233. 314

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Kap. 6.2.1). Kombiniert man beide Perspektiven, wird es möglich, Stelarcs Arbeiten als Inszenierung der Ambivalenz des Technischen zu deuten. Bedingung dieses Potentials, das Stelarcs Arbeiten vor allen anderen hier ausgewählten Produktionen prototypisch realisieren, ist die Möglichkeit, in Internet Performances existentielle Aspekte der conditio humana genauso wie zeitbedingte Entwicklungen aus einer Distanz zu reflektieren.

7.3 Internet Performances als distanzgewährendes Modell Aus anthropologischer Perspektive realisiert sich Theater »stets als modellhafte Gestaltung spezifischer Wahrnehmungsbedingungen«,81 die für die jeweilige Kultur von Bedeutung sind. Über die Ebenen der Inszenierung, Wahrnehmung und Aufführung bzw. Performanz zeigt sich die jeweilige Theaterform als kulturelles Modell, das die Bedeutung dieser Faktoren und ihr Verhältnis untereinander auf ihre kulturtheoretische Relevanz hin befragt.82 Internet Performances zeigen sich hier primär als distanzgewährendes Modell, über das zentrale Aspekte der Netzwerkgesellschaft hinterfragt und Antworten darauf entwickelt werden können (vgl. Kap. 7.3.1). Zudem ermöglichen Internet Performances den Teilnehmern, die ethischen Dimensionen der Telekommunikation, textbasiert wie telematisch, zu hinterfragen und im konkreten Verhalten zu erproben (vgl. Kap. 7.3.2).

7.3.1 Formen der Distanzierung in Internet Performances Indem Theaterformen einen Diskurs über aktuelle kulturell-gesellschaftliche Transformationsprozesse erzeugen, übernehmen sie die Funktion, diesen kulturellen Wandel modellhaft nachzuvollziehen. Einer Theaterform solchermaßen Modellcharakter zuzusprechen, bedeutet nach Fischer-Lichte, die Fähigkeit des Theaters »to serve as a field of experimentation where each spectator can experience and test her/his possibilities of constructing reality«,83 zu fokussieren. Bereits die als-Struktur in der Aussage, Internet Performances als Reflexion, Befragung und Experiment gleichermaßen bezeichnen zu können, deutet auf deren Potential hin, Distanz zu aktu-

81. Fischer-Lichte, Erika: Theater, a.a.O., S. 992. 82. Vgl. dies.: Zwischen ›Text‹ und ›Performance‹, a.a.O., S. 23. 83. Dies.: From Theatre to Theatricality – How to Construct Reality. In: Theatre Research International Vol. 20, No. 2(1995), S. 97-105: S. 104, vgl. S. 103. 315

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ellem Geschehen gewähren zu können. Aus einer Meta-Perspektive thematisieren Internet Performances zentrale Aspekte westlicher Gesellschaften im Übergang zum 21. Jahrhundert, so zum Beispiel: – – – – – –

Netzwerke als gesellschaftliche Organisationsformen, Formen der Subjektkonstruktion im Internet, das Internet als gesellschaftlichen Raum, Entwürfe für ein Menschenbild der telematischen Gesellschaft, den Einfluss des Technischen auf menschliche Erfahrung und Wahrnehmung und weitere Transformationen durch die und innerhalb der Netzwerkgesellschaft.

Internet Performances begegnen dabei der Herausforderung, Orientierung in einer abstrakter werdenden Wirklichkeit zu ermöglichen. In ihrer modellhaften Neubestimmung eines gewandelten gesellschaftlichen Raumes greifen Internet Performances auf Verfahren und Mittel des Theaters als Formen der Repräsentation zurück. Internet Performances sind so Spiegel der Gesellschaft, zeigen gleichzeitig jedoch auch humane Bedürfnisse angesichts der zunehmenden Informatisierung der Kultur auf. So wie sich das heutige Verständnis des Begriffs ›live‹ erst durch das Aufkommen televisueller Medien herausbildete, steht auch die kulturelle Bedeutung des Leiblichen und leiblicher Erfahrung erst seit dem Aufkommen televisueller und telematischer Medien im Zentrum der Aufmerksamkeit. Wie Lehmann betont, verwandelt sich politisches Theater unter den Bedingungen der Informationsgesellschaft radikal. Im Fokus stehen nicht mehr Themen, sondern Wahrnehmungsformen.84 In der Tatsache, dass Internet Performances die Frage nach der kulturellen Bedeutung des Leiblichen durch die Auflösung der physischen Kopräsenz zum impliziten Thema aller Produktionen machen, liegt eine der politischen Dimensionen dieser Theaterform. Oder wie Lehmann formuliert: »Politik des Theaters ist Wahrnehmungspolitik.«85 Die verschiedenen Kategorien von Internet Performances weisen dabei jeweils spezifische Verfahren der Distanzgewährung auf. In textbasierten Internet Performances wird Distanz hauptsächlich mittels der Kategorie des Spiels etabliert (vgl. Kap. 5.3). Textbasierte Internet Performances inszenieren die spielerische Interaktion Internet-basierter Kommunikationsdienste in einem theatralen Rahmen. Mit ihrer kostenlosen Teilnahme und einer im Verhältnis zu anderen Internet-Anwendungen relativ einfachen technischen Infra-

84. Vgl. Lehmann, Hans-Thies: Postdramatisches Theater, a.a.O., S. 456. 85. Ebd., S. 469. 316

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struktur positioniert sich der Spielcharakter textbasierter Internet Performances vor allem gegenüber der Kulturindustrie und ihren web-basierten Spielen, deren Lebenszyklen immer kürzer werden. Telematische Internet Performances hingegen zeigen sich aus kulturkritischer Perspektive als Konfrontation verschiedener Kulturmodelle. Wie Mersch darlegt, galt »das Kulturelle noch bis ins späte 19. Jahrhundert als Reservoir eines Protestes gegen ungebremste Technisierungsschübe«.86 Die Informatisierung des Technischen lasse nun jegliche Differenz obsolet erscheinen. Abgesehen vom Begriff des obsolet Werdens, der, wie z.B. bei Stelarc, in Abhandlungen über den Einfluss des Technologischen immer häufiger verwendet wird, fällt in dieser Aussage vor allem der Anspruch auf Allgemeingültigkeit auf. Als Konvergenzpunkt von Kultur und Technologie gelingt es jedoch telematischen Internet Performances wie World Wide Simultaneous Dance, Ornitorrinco in Eden, Rara Avis und J-B-2Z, die Technisierung des Kulturellen nicht nur performativ und am Körper nachzuvollziehen, sondern diesen Prozess gleichzeitig auch zu reflektieren.87 Innerhalb der Fragen, die Internet Performances potentiell reflektieren können, nimmt die ethische Dimension eine besondere Stellung ein.

7.3.2 Reflexion ethischer Dimensionen in Internet Performances Telematisch mediatisierte Kommunikation präsentiert sich in einer ambivalenten Form: Zwar spielt die räumliche Entfernung bei geographisch weitesten Distanzen keine Rolle mehr; gleichzeitig werden jedoch unvermittelte und körpergebundene Reaktionen unmöglich. Wie Mersch argumentiert, besteht ethisches Verhalten vor allem in der Einübung von Resonanz und Empfänglichkeit, die unter solchen Bedingungen nicht möglich zu sein scheint.88 Doch auch in textbasierten und telematischen Internet Performances finden sich dieser Kommunikation entsprechende Formen von Resonanz und Empfänglichkeit, die eine Reflexion der ethischen Dimensionen ermöglichen. Gemeinsam ist beiden Kategorien, die Erfahrung und Reflexion ethischer Dimensionen im Vollzug zu ermöglichen. In textbasierten Internet Performances, in denen die Produktio-

86. Mersch, Dieter: Ereignis und Aura, a.a.O., S. 60. 87. Vgl. Leeker, Martina: Der Körper des Schauspielers/Performers als ein Medium. Oder: Von der Ambivalenz des Theatralen. In: http://userpage.fu-berlin.de/~syb kram/medium/leeker.html (Zugriff am 17.04.2001) 88. »Die Spezifik des Antwortens bedeutet daher immer schon eine ethische Tat. […] Jede reactio ist schon eine actio: Darin enthüllt sich die genuin moralische Dimension der Ästhetik des Performativen.« Mersch, Dieter: Ereignis und Aura, a.a.O., S. 239, vgl. ebd., S. 295. 317

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nen des Textes und seine Aufführung konvergieren, sind die Teilnehmer verantwortlich für das Gelingen der Aufführung, »die den Leser aktiv in das Geschehen nicht nur der interpretativen Sinnkonstitution, sondern auch der materiellen Textkonstruktion miteinbezieht.« 89 Die Teilnehmer werden hier nicht mit vorgegebenen diegetischen Strukturen konfrontiert, sondern »erfahren Raum und Zeit als kreativ gestaltbare Konstrukte ihrer narrativen und kooperativen Imagination.«90 Dies expliziert und radikalisiert nicht nur den aktiven Verstehenscharakter dieses Aufführungsmodus als Form gemeinsamen Schreibens mit der Funktion des Sprechens,91 sondern trägt aufgrund ihrer sozialen Implikationen auch ethische Dimensionen in sich. So lässt die Anonymität in vielen textbasierten Online-Diensten einige Teilnehmer die Regeln menschlichen Miteinanders vergessen. Als Beispiel für ethische Verantwortung in der online-Kommunikation wird oft der Fall einer ›schriftlichen‹ Vergewaltigung (»cyber-rape«92) in einem MOO angeführt.93 Aufgrund dieser Erfahrung ist die Offenlegung der eigenen Identität im ATHEMOO auch Voraussetzung, teilnehmen zu dürfen. In telematischen Internet Performances werden Resonanz und Empfänglichkeit insbesondere über die Interface-Strukturen und ihren Modus an Interaktivität beeinflusst.94 Eine erfolgreiche Kommunikation hängt in Produktionen wie World Wide Simultaneous Dance und dem Cassandra Project fundamental von übergreifendem und kooperativem Handeln ab. Ein besonderer Fall tritt mit der Integration von Telerobotern ins WWW auf, über die remote sites gesteuert werden können. Hier stellt sich nicht nur die erkenntnistheoretische Frage, welche Form von Wissen in telematischen Situationen möglich werden kann (vgl. Kap. 6.4.1). Vielmehr wird den Teilnehmern in Fractal Flesh und den Produktionen Kacs die Macht übertragen, die Wahrnehmung anderer Teilnehmer bis zu einem gewissen Grad zu kontrollieren.

89. 90. 91. 92.

Sandbothe, Mike: Theatrale Aspekte des Internets, a.a.O., S. 222. Ders.: Interaktivität-Hypertextualität-Transversalität, a.a.O., S. 66. Vgl. ders.: Theatrale Aspekte des Internets, a.a.O., S. 223. Stevenson, Jake: MOO Theatre: More Than Just Words? In: Schrum, Stephen (Hrsg.): Theatre in Cyberspace, a.a.O., S. 135-146: S. 137. 93. Vgl. Dibbel, Julian: A Rape in Cyberspace or How and Evil Clown, a Haitian Trickster Spirit, Two Wizards, and a Cast of Dozens Turned a Database Into a Society. In: The Village Voice. 21.12.1993, S. 36-42. 94. So sind unidirektionale Strukturen wie in Leaping into the Net zur Diskussion ethischer Fragestellungen eher ungeeignet. 318

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7.4 Internet Performances zwischen Tradition und Innovation »Wirklicher Fortschritt ist nicht Fortgeschrittensein, sondern Fortschreiten.« Bertolt Brecht Als Konvergenzpunkt einer langen Annäherungsbewegung von Kultur und Technologie nehmen Internet Performances eine ambivalente Position zwischen Tradition und Innovation ein. Wie Boris Groys argumentiert, definiert sich das Neue im Verhältnis zum Alten; das Innovative ist nur neu im Verhältnis zur Tradition.95 Auf Basis einer kulturtheoretischen Betrachtung des Begriffs des Neuen, der als ›Umwertung der Werte‹ bestimmt werden kann (vgl. Kap. 7.4.1), sollen im Folgenden die traditionellen und innovativen Dimensionen textbasierter und telematischer Internet Performances diskutiert werden (vgl. Kap. 7.4.2, 7.4.3).

7.4.1 Zum Begriff des Neuen Eine Innovation ist nach Groys ein »Akt der negativen Anpassung an die kulturelle Tradition.«96 Eine Relation bestimmend bewegt sich der Begriff des Innovativen innerhalb kultureller Hierarchien und deren Werten. Eine Innovation entsteht nach Groys, wenn sich der Kontext einer kulturellen Haltung oder Handlung verändert. So wertet der innovative Gestus bestehende kulturelle Werte ab. Diesen Vorgang bezeichnet Groys als ökonomische Logik der »Umwertung der Werte«.97 »Jedes Ereignis des Neuen ist im Grunde der Vollzug eines neuen Vergleichs von etwas, das bis dahin noch nicht verglichen wurde, weil niemandem dieser Vergleich früher in den Sinn kam. Das kulturelle Gedächtnis ist die Erinnerung an diese Vergleiche, und das Neue findet nur dann Eingang ins kulturelle Gedächtnis, wenn es seinerseits ein neuer derartiger Vergleich ist.«98 Das Neue ist »das wertvolle Andere«99 einer Kultur; es ist der Wert einer Innovation, durch den das Neue für eine Kultur relevant wird.100 Somit stehen für Groys die Fragen, »Was hat das Neue für einen

95. Vgl. Groys, Boris: Über das Neue. Versuch einer Kulturökonomie. Frankfurt: Fischer, 1999, S. 11. 96. Ebd., S. 19. 97. Ebd., S. 14, vgl. ebd., S. 13f., 50, 63. 98. Ebd., S. 49. 99. Ebd., S. 43. 100. Vgl. ebd., S. 64. 319

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Sinn?«101 und »Woher bezieht ein kulturelles Werk seinen Wert?«102 im Zentrum. Die ›Umwertung der Werte‹, die Internet Performances vollziehen, betrifft vor allem die physische Kopräsenz. Ihr innovativer Gestus wertet physische Kopräsenz als Wert ab und etabliert stattdessen neue, für die Netzwerkgesellschaft relevante Werte. In diesem Sinne stehen Internet Performances in der Tradition innovativer Theaterformen, bestehende Werte kultureller Epochen abzuwerten; der Bruch mit einer Tradition, hier der physischen Kopräsenz, ist seinerseits eine Tradition.

7.4.2 Traditionelles in Internet Performances »Tradition ist bereits Innovation.« Wolfgang Rihm

Textbasierte Internet Performances Textbasierte Internet Performances stehen in einem komplexen Verhältnis zwischen Tradition und Innovation. In ihnen finden sich sowohl Neuerungen als auch »extensions and transcriptions of historically established theatre forms«.103 Die »drama derivates (post-theatrical drama)«104 der Massenmedien greifen auf das »Konzept Drama« als »latent normative[r] Idee des Theaters«105 zurück. Im Unterschied zu anderen medialen Formen der Drameninszenierung werden die Leser in textbasierten Internet Performances zu Autoren; sie übernehmen Verantwortung für das Gelingen der Aufführung.106 »This new kind of adult narrative pleasure involves the sustained collaborative writing of stories that are mixtures of the narrated and the dramatized and that are not meant to be watched or listened to but shared by the players as an alternate reality they all live in together.«107 Textbasierte Internet Performances stehen dabei in einer Tradition von Projekten, die den Prozess des Schreibens mit den Neuen Medien

101. 102. 103. 104.

Ebd., S. 13. Ebd., S. 16. LeNoir, Nina: Acting in Cyberspace, a.a.O., S. 176, vgl. ebd., S. 195. Voigts-Virchow, Eckart: Introduction: Post-Theatrical Drama/Post-Dramatic Theatre. In: ders. (Hrsg.): Mediated Drama/Dramatized Media. Trier: WVT, 2000 (= Contemporary Drama in English; 7), S. 7-11: S. 7. 105. Lehmann, Hans-Thies: Postdramatisches Theater, a.a.O., S. 49. 106. Vgl. Simanowski, Roberto: Interfictions, a.a.O., S. 59. 107. Murray, Janet: Hamlet on the Holodeck, a.a.O., S. 44. 320

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zu verbinden versuchen.108 Die theoretische Aufarbeitung dieser Experimente fokussiert vor allem die Transformationen im Verhältnis von Produktion und Rezeption.109 Simanowski hat für digitale Literatur, die bestimmten Kriterien (u.a. der Interaktivität, Intermedialität, Inszenierung, Multilinearität) entspricht, den Begriff der Interfictions geprägt.110 Projekte, in denen nicht nur kollaborativ, sondern auch simultan geschrieben wird, thematisiert er jedoch nie; ebenfalls erwähnt er keine einzige textbasierte Internet Performance. Dies betrifft auch den Ansatz von Heibach, die partizipative, kollaborative und kommunikative Projekte unterscheidet. Im Unterschied zu kollaborativen Projekten bleiben die einzelnen Autoren in partizipativen Projekten identifizierbar. Kommunikative Projekte basieren in ihrer Definition auf einer simultanen Kommunikation. Sie vermerkt in ihrer Veröffentlichung von 2002: »Wirklich kommunikative künstlerische Projekte sind jedoch im Netz noch ausgesprochen selten.«111 Bei ihren Recherchen sind ihr sämtliche textbasierten Internet Performances entgangen. Dieses Defizit gleicht Heibach auch in ihrer jüngsten, 2003 erschienen Veröffentlichung zur ›Literatur im elektronischen Raum‹ nicht aus.112 Das intermediale Changieren zwischen Theater und Literatur ist allen textbasierten Internet Performances gemeinsam. Vom Selbstverständnis her treten sie im Rahmen des Performativen, vom Wahrnehmungsmodus her im Rahmen der Literatur auf (vgl. Kap. 5.1.8.). Zwischen den Gruppen jedoch bestehen graduelle Unterschiede. Nach Horbelt weisen die Hamnet Players und die Plaintext Players den stärksten Bezug zum Theater auf; bei den Hamnet Players bestehe sogar eher die Tendenz zur Literatur. Für Desktop Theater hingegen konstatiert er ungerechtfertigterweise den schwächsten Bezugspunkt zur Literatur; gerade waitingforgodot.com wird jedoch von der literarischen Tradition beeinflusst. Innerhalb dieser Produktionen bildet The Finalists eine Ausnahme. Von den Produzenten als ›piece‹ bezeichnet

108. Als eines der ersten Beispiele gilt Roy Ascotts La Plissure du Texte; über ein E-MailProgramm verbunden wurde in elf Städten an Märchen geschrieben. Vgl. Hünnekens, Annette: Der bewegte Betrachter, a.a.O., S. 150. Und: Vgl. Heibach, Christiane: Schreiben im World Wide Web, a.a.O., S. 182-207: S. 189f. 109. Vgl. beispielsweise Idensen, Heiko: Kollaborative Schreibweisen, a.a.O., S. 223. 110. Vgl. Simanowski, Roberto: Interfictions, a.a.O., S. 18, 22f. 111. Heibach, Christiane: Schreiben im World Wide Web, a.a.O., S. 182-207: S. 198. 112. Vgl. dies.: Literatur im elektronischen Raum. Frankfurt: Suhrkamp, 2003. Beispielsweise S. 60ff., 147ff. 321

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verweigert sich The Finalists jeder Kategorisierung. Es weist mit den Rollen der vier Finalists und der Kommunikationssituation während der Chats theatrale Elemente auf, steht jedoch im Unterschied zu allen anderen textbasierten Internet Performances am stärksten im Rahmen der Netzkunst. In ihnen spielt das Drama als ordnendes Element eine untergeordnete Rolle und rückt sie in die Nähe der Performance Art. Für die Hamnet Players suchte Harris explizit nach Analogien zu Theater- und Filmaufführungen.113 So lassen sich einige Parallelen zur historischen Aufführungspraxis des Elisabethanischen Theaters finden. Ebenso wie zu dieser Zeit fanden auch bei den Hamnet Players keine Proben statt; die Dramenvorlage war nur dem Produktionsteam bekannt. Die Rollenbezeichnung ›_exeunt‹ geht direkt auf die damalige Bezeichnung für einen Abgang zurück.114 Seine Parodisierung verweist ebenfalls auf die lange Tradition von Shakespeare-Parodien gerade in den USA. Treffend bemerkt Danet, dass trotz ihrer Vermischung von Elementen der Hoch- und der Populärkultur und Teilnehmern aus nicht englischsprachigen Ländern die Hamnet Players »elitist Western, English-speaking culture on the Net«115 übertragen. In die Tradition der »comic, satirical, and surreal fiction«116 ordnen sich neben den Hamnet auch die Plaintext Players ein, die ihre Produktionen auch als »live hypertext, jazz fiction, consensual narrative«117 oder »hybrid of hypertext, comedy, and fiction«118 bezeichnen.119

Telematische Internet Performances Wie die textbasierten stehen auch die telematischen Internet Performances in einem komplexen Verhältnis von Tradition und Innovation.

113. Harris suchte nach »Internet equivalents of every phase of theatrical production: casting calls, auditions, call-backs, rehearsals, promotion, performance and, finally, critical review.« – »Most of those phases have been replicated in a playful way.« Vgl. http://www.hambule.co.uk/hamnet/about.htm (Zugriff am 28.02.2002) 114. Vgl. Horbelt, Andreas: Theater und Theatralität im Internet, a.a.O., S. 67, 69. 115. Danet, Brenda et al.: Curtain Time 20:00 GMT, a.a.O. Ohne Seitenangabe. 116. LaFarge, Antoinette: A World Exhilarating and Wrong, a.a.O., S. 416. 117. Ebd., S. 418. 118. Ebd., S. 416. 119. LaFarge interpretiert die Plaintext Players vor allem von einer psychoanalytischen Perspektive aus. In Anlehnung an Freuds Theorie des Witzes begreift sie die Produktionen der Plaintext Players als Rebellion gegen Logik und Kontrolle. Sie geht soweit, die Szenerie ihrer Produktionen mit der Unterwelt zu vergleichen. Die Unterwelt steht für sie als »master world from which all virtual worlds draw their psychic resonance.« Dieser Ansatz überschätzt die Wirkung der Produktionen der Plaintext Players. Dies.: Did Anyone Bring a Word or an Ax? a.a.O. Ohne Seitenangabe. Vgl. dies.: A World Exhilarating and Wrong, a.a.O., S. 418. 322

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Neben den bereits erwähnten Traditionslinien, die die Konzeption telematischer Internet Performances beeinflussen (vgl. Kap. 2), sollen im Folgenden der Einfluss des Environmental Theater und des Dance on the Screen auf die Entwicklung des Web Dance betrachtet werden. Das Environmental Theatre versuchte, über veränderte Räumlichkeiten das Verhältnis zwischen Darstellern und Zuschauern zu verändern (vgl. Kap. 5.2.2). In den 60er Jahren favorisierte beispielsweise Arthur Sainer die Straße, um das fiktive Element der Inszenierung mit der Realität menschlichen Erlebens zu konfrontieren.120 In Internet Performances als Theaterform der Netzwerkgesellschaft wird diese Funktion nun vom telematischen als öffentlichen Raum übernommen. Der telematische Raum wird hier selbst zum Ereignis und zur Umgebung, in der die Aufführung stattfindet. Damit steht die Reflexion der Medialität dieses Raumes in Internet Performances oftmals auch vor der Reflexion anderer Aspekte. In ähnlicher Weise steht die Reflexion von Medialität auch beim Web Dance im Zentrum, der damit in der Tradition des Dance on the Screen gesehen werden kann. Allianzen zwischen Tanz und neuen Medien wurden lange Zeit als ›unheimlich‹121 betrachtet; der ›phänomenale Körper‹ im Tanz und die Medien standen dabei als Synonyme für den Antagonismus von Natur und Technik, wie Gabriele Klein feststellt. Verfolgten die Choreographen, Tänzer, Pädagogen und Wissenschaftler lange Zeit eine »Strategie des Widerstands durch Ausgrenzung«,122 so kann Jenn Shreve 2002 feststellen: »Slowly but surely, the ancient art of dance has gone digital.«123 Die Impulse dieser Bewegung gehen oftmals von tanzwissenschaftlichen (US-amerikanischen) Instituten aus (vgl. Kap. 6.4.1). Eine der maßgeblichen Wissenschaftlerinnen, die Choreographin und Pädagogin Lisa Marie Naugle, beobachtet die Entwicklung einer Tanzgemeinschaft im ›Cyberspace‹. »The emergence of the World Wide Web has led to an upsurge of creative exploration by dance artists as they discover, in ever-increasing numbers, this new technology’s poten-

120. »The street ultimately enriches and endangers theatre as the symbol collides with the concrete world. […] The collision of symbol with literal event means that the participant-spectator in the symbolic action can no longer be assured of safety, of immunity.« Sainer, Arthur: The New Radical Theatre Note Book. New York: Applaude, 21997, S. 52. 121. Vgl. den Titel von Klein, Gabriele: Tanz&Medien: Un/Heimliche Allianzen. Eine Einleitung. In: dies. (Hrsg.): Tanz – Bild – Medien. Münster: LIT, 2000 (= Jahrbuch Tanzforschung; 10), S. 7-17: S. 11. 122. Dinkla, Söke: Zur Rhetorik und Didaktik des digitalen Tanzes, a.a.O., S. 14. 123. Shreve, Jenn: Zitiert nach: ebd., S. 15. 323

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tial. The pervasiveness of information and communications (sic) technologies has produced new levels of thought, new concepts, and new types of human interaction.« 124 Anfänglich schien der sich bewegende und seiner Digitalisierung sperrende Körper der Grund für die geringe Akzeptanz neuer Technologien innerhalb des Tanzes zu sein.125 Die Notation war der Bereich, der bereits in den 70er Jahren den Nutzen digitaler Technologien für Belange des Tanzes erkannte.126 Heute sind es vor allem Produktionen mit Motion Capturing-Systemen,127 die neue Körpermodelle entwerfen und als Inszenierung erproben.128 Die Frage nach dem, was die Bewegung im Tanz sei und in welcher Weise sie konstituiert sei, wird in den Medien und ihren medialen Transformationen immer wieder neu gestellt. »[D]ance is not absolute […] rather a changing background [which] makes it relative (to media, culture, motivation, perception, etc.)«129 Mit seinem Potential, Intermedialität als Konvergenz tradierter Wahrnehmungskonventionen erlebbar werden zu lassen (vgl. Kap. 6.1.5), steht der Web Dance in der Tradition der verschiedenen Formen des Dance on Screen, allen voran dem Videotanz.130 Die Ursprünge des Vi-

124. Naugle, Lisa: Digital Dancing, a.a.O., S. 8. 125. Vgl. de Lahunta, Scott: Periodische Konvergenzen, a.a.O., S. 67. 126. Vgl. Lansdown, R. John: Computer Art for Theatrical Performance. In: Proceedings, Association for Computing Machinery Internationl, Computer Symposium (Bonn 1970), S. 709-719. Oder: Politis, George: A Survey of Computers in Dance. Technical Report 311. Basser Department of Computer Science. University of Sydney, Australia. October 1987, S. 7-32. Für eine Bibliographie vgl.: Hutchinson, Ann/ Miller, G.: Partial Bibliography of Computer Articles. In: Dance Notation Journal Vol 4, No. 2 (Fall 1986), S. 49-52. 127. Motion Capturing-Systeme übertragen mit Hilfe von Kameras und Sensoren reale Bewegungen identisch auf virtuelle Umgebungen. Vgl. Stichwort Motion Capturing in: Dinkla, Söke/Leeker, Martina (Hrsg.): Tanz und Technologie, a.a.O., S. 431. – Motion Capturing wird oft mit Programmen wie LifeForms kombiniert. LifeForms wurde in den Graphic Labs der Simon Fraser University entwickelt und erlaubt die Simulation choreographischer Elemente, vgl. ebd. 128. Vgl. Leeker, Martina: Das Theater der Zukunft: Vom ›Gaffer‹ zum ›Macher‹. In: Zacharias, Wolfgang (Hrsg.): Interaktiv, a.a.O., S. 372-381: S. 375. Oder: Dinkla, Söke: Zur Rhetorik und Didaktik des digitalen Tanzes, a.a.O., S. 19. 129. Naugle, Lisa: Re: connected spaces. Dance-Tech List. Mail vom 03.07. 2000. – Die drei Punkte entsprechen dem Original. 130. Vgl. Dodds, Sherril: Dance on Screen. Genres and Media from Hollywood to Experimental Art. New York: Palgrave 2001, S. 4-16, 36-67. – Vgl. ebenfalls Jordan, 324

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deotanz bzw. Tanzfilms gehen mindestens bis 1894/95 und Thomas Edisons Film Annabelle the dancer zurück.131 Aufgrund seiner distinktiven Position sieht Sherril Dodds im Videotanz eine eigenständige Erscheinungsform des Tanzes. »First, it transgresses the concept of dance as defined by live performance: the televisual apparatus constructs dancing bodies that transcend the capabilities of the stage body; video dance employs movement styles that are enhanced by, and compatible with, the television context; and it facilitates spectator positions that could not be achieved on stage. Second, video dance resists and disrupts many of the codes and conventions of established television texts: it challenges realist practices, narrative structures and psychologically motivated characters […].«132 Nach Claudia Rosiny lässt sich die Dichotomie von ›Bühne versus Bildschirm‹, von lived body und screened body nicht mehr halten, sind doch beide Ausdrucksformen des Tanzes über spezifische Bewegungsqualitäten sowie Raum- und Zeitmustern verbunden.133 Wie im Videotanz kommen auch im Web Dance verschiedene Ebenen medialer Repräsentation des Körpers zusammen.134 Im Web Dance vollzieht sich der nächste Schritt dieser Entwicklung. Als Konvergenzpunkt verschiedener Traditionen kann der Videotanz, ebenso wie der Web Dance, etablierte Gattungsgrenzen und ästhetische Konzeptionen hinterfragen.135

131. 132. 133.

134.

135.

Stephanie Jordan/Allen, Dave: Parallel Lines. Media Representations of Dance. London: Libbey, 1993. Insbes. Allen, Dave: Screening Dance, S. 1-35. Rosenberg, Doug: Video Space: A Site for Choreography. In: Leonardo Vol. 33, No. 4(2000), S. 275-280: S. 275. Dodds, Sherril: Dance on Screen, a.a.O., S. 125, vgl. ebd., S. 22, 68-94. Vgl. Rosiny, Claudia: Videotanz. Analyse einer intermedialen Kunstform anhand einer Auswertung der Filmbeiträge zum Dance Screen von 1990-1994. Diss., Univ. Bern, 1997, S. 29. Vgl. ebenfalls dies.: Videotanz – Ansätze intermedialer Kunst. In: Klein, Gabriele (Hrsg.): Tanz – Bild – Medien. Münster: LIT, 2000 (= Jahrbuch Tanzforschung; 10), S. 176-186. Vgl. Rosiny, Claudia: Videotanz, a.a.O., S. 245. – Die Parameter, die Rosiny für eine Befragung des Videotanzes entwickelt, sind jedoch nur in begrenztem Maße auf die bisherigen Produktionen von Web Dance anwendbar, liegt hier doch der Schwerpunkt in der improvisierenden Interaktion verschiedener Bühnenräume. Kriterien wie beispielsweise die Wahl der Einstellungsgröße eines Bildes oder der Wirkung von Diagonalen auf die Kamera zu, sind für die bisherigen Produktionen im Web Dance nicht von Bedeutung. Vgl. Rosiny, Claudia: Tanz im oder fürs Fernsehen? a.a.O., S. 229, 211. Vgl. Dodds, Sherril: Dance on Screen, a.a.O., S. 125. – Vgl. »Videotanz stellt für sich keine genuin neue Kunstform dar, sondern seine ästhetischen Merkmale und Wahrnehmungsmechanismen lassen sich auf historische Vorläufer anderer Kunst325

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Auch ihre Orientierung am Paradigma der site-specificity ist dem Videotanz und dem Web Dance gemeinsam.

7.4.3 Innovatives in Internet Performances Um die Frage nach der Innovationskraft von Internet Performances beantworten zu können, stellt sich zuerst die Frage, unter welchen Bedingungen die Auflösung der physischen Kopräsenz in Internet Performances als kulturell wertvoll wahrgenommen werden kann. Im Sinne der site-specificity wäre der Einsatz des Internets und seine Auflösung der physischen Kopräsenz dann begründet, wenn er für die Bedeutungserzeugung und den Wahrnehmungsmodus der Produktion unabdingbar ist. Dadurch alleine würde eine Internet Performance jedoch noch nicht kulturell wertvoll werden. Neben subjektiven Gründen wird dies wird vor allem durch die Art und Weise bestimmt, mit der die einzelnen Produktionen weitere innovative und traditionelle Aspekte miteinander verbinden. Wie bereits ausgeführt stehen textbasierte Internet Performances insbesondere durch ihre szenographischen Strukturen, ihre Rollenkonzeption sowie der Auswahl der Dramen und Textvorlagen in spezifischen theatergeschichtlichen Traditionen (vgl. Kap. 5.1.5, 5.2.2). Mit diesen Verweisen scheinen textbasierte Internet Performances auf den ersten Blick weitaus stärker als telematische Internet Performances in der Tradition verankert zu sein. Im Unterschied zu telematischen setzen textbasierte Internet Performances das Internet und seine Dienste jedoch durchgängig in der Funktion eines Produktions- und Rezeptionsortes ein und ermöglichen so einen für dramatische Texte bisher unbekannten und innovativen Aufführungsmodus. Bei telematischen Internet Performances hängt die Funktion des Internets als Aufführungsraum eng mit der szenographischen Struktur zusammen und ist oftmals nicht eindeutig bestimmbar. Im Unterschied zu textbasierten Internet Performances, die zahlreiche traditionelle Aspekte des Dramas beibehalten, ändern sich in telematischen Internet Performances weitaus mehr Faktoren. Diese sollen im Folgenden im betrachtet werden. So gehen telematische Internet Performances einen Schritt weiter als zahlreiche Arbeiten im Bereich der Medien- und digitalen Kunst, als deren Hauptkriterium die vielfach konstatierte Reproduzierbarkeit gilt.136 Im Unterschied zu diesen Arbeiten führen telematische

richtungen zurückführen; ausserdem ist der Videotanz Teil einer breiteren Entwicklung hin zur Intermedialität und Vermischung künstlerischer Ausdrucksformen, wie sie sich seit der Wende zum 20. Jahrhundert verstärkt abzeichnet.« Rosiny, Claudia: Videotanz, a.a.O., S. 11. 136. Vgl. Daniels, Dieter: Inter (-disziplinarität, -media, -aktivität, -net), a.a.O., S. 145. 326

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Internet Performances die Transitorik jeder Theateraufführung in die Medienkunst ein. Auch in ihrem Potential, Körperkonzepte des PostHumanen in ihrer Bedeutung für die Netzwerkgesellschaft zu inszenieren, können telematische Internet Performances als innovativ bezeichnet werden (vgl. Kap. 6.3).137 Zwar ist die Innovationskraft von Technologien relativ einfach zu bestimmen, eine direkte Korrelation von technologischen und kulturellen bzw. ästhetischen Innovationen jedoch auszuschließen. Während die Verwendung von Technologien, die gesellschaftlich aktuell sind, eine der Möglichkeiten für Theaterformen darstellt, sozial relevant zu sein, birgt dieser Ansatz aus kulturkritischer Perspektive die Gefahr, technisch korrumpierbar zu werden. »Das technische Equipment wird zum Repräsentanten des Ökonomischen, wobei die traditionellen Sparten ihre industriellen Voraussetzungen geflissentlich verdängen, ohne die sie mittlerweile ebenfalls undenkbar geworden wären.«138 In der Argumentation Leschkes korrumpiert technischer Fortschritt das ästhetische Gegenprojekt. Dabei darf jedoch nicht übersehen werden, dass sich telematische Internet Performances trotz ihrer aufwendigen technischen Infrastruktur immer noch die »klassischen Merkmale des Ästhetischen – Originalität und Subjektivität«139 aufweisen. Im Unterschied zu web-basierten Anwendungen bewegen sie sich außerhalb der bzw. in Abgrenzung zur Kulturindustrie. Auch hinsichtlich ihrer Produktionsstruktur lässt sich bei telematischen Internet Performances ein innovativer Gestus feststellen. Die kulturkritische Perspektive betont die außerästhetischen Bedingungen, denen alle Kunstwerke unterliegen und in denen sich gesellschaftliche und politische Parameter ihrer Zeit spiegeln. In diesem Sinne wurde für die hier untersuchten Projekte bewusst der Begriff der Produktion verwendet. Nach Bruce McConachie tauchte der Begriff, der aus sozialgeschichtlicher Perspektive die Verbindung künstlerischer und ökonomischer Aktivitäten betont, zum Ende des 19. Jahrhunderts im englischen Sprachraum auf und löste Begriffe wie show und presentation ab.140 Für Internet Performances zeigt sich hier ein

137. Das Prinzip als solches wäre nicht innovativ zu nennen. Erst die Inszenierung von Körperkonzepten, die für eine Kultur relevant sind, macht dieses Prinzip innovativ. 138. Leschke, Rainer: Rekonstruktion des Ökonomischen in der Ästhetik. Oder: »Wozu Dichter in dürftiger Zeit?« In: Wermke, Jutta (Hrsg.): Ästhetik und Ökonomie. Beiträge zur interdisziplinären Diskussion von Medien-Kultur. Opladen: Westdeutscher Verlag, 2000, S. 231-248: S. 235f. 139. Ebd., S. 237. 140. Vgl. McConachie, Bruce: Historicizing the Relations of Theatrical Production. In: 327

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besonderer und innovativ zu bewertender Zusammenhang: Während die Produktionsmethoden des Ästhetischen in seinen klassischen Sparten nach Leschke »weitgehend anachronistisch«141 sind, korrelieren in Internet Performances theatrale und gesellschaftliche Produktionsstrukturen. Hintergrund dieser Argumentation ist die Differenz zwischen Ästhetik und Ökonomie, die sich als manifeste Opposition vor allem diskursiv durch die philosophische Ästhetik gebildet hat. In dieser Argumentation erlangt Kultur ihren wertvoll erachteten Status erst in ökonomischer Askese, als »Versuch einer normativen Umkehrung faktischer Machtverhältnisse«,142 so Leschke. »Die Ausklammerung dieses Wissens in der theoretischen Reflexion des Schönen macht deutlich, daß das Ästhetische von Anfang an als Gegenprojekt gefaßt wurde.«143 Telematischen Internet Performances jedoch das Ziel einer Wiederbelebung des ästhetischen Gegenprojektes zuzuordnen, ginge zu weit, da hier die Wahl der technischen Mittel auch durch pragmatische Gründe, wie beispielsweise möglichst große Kompatibilität, bestimmt ist. Dazu gehört auch die Ausrichtung der Produktionen auf vorinstallierte Anwendungen wie den Internet Explorer oder Windows Media. »[D]iese Loyalität gegenüber dem Rezipienten ist allerdings auch Loyalität gegenüber dem Softwaregiganten«,144 wie Simanwoski betont, und damit ein Stück weit Anpassung zwar nicht an die Kultur-, so doch an die Softwareindustrie. Ihre Position zwischen etablierten Kategorien und Gattungen, ihre Abstand zu Dramenaufführungen in kunstvoll trainierter Sprache, ihre Nähe zu Computerspielen und die Dominanz des Technischen generell lassen es kaum zu, Internet Performances ausschließlich im System der Ästhetik zu sehen. Ästhetik zeigt sich hier vielmehr im beschreibenden Sinn des Wortes als Ideologie, mit dem die historische und kulturelle Begrenztheit bzw. Interessengebundenheit eines Ideensystems bezeichnet sein soll.145 In diesem Sinne spricht

141. 142.

143. 144. 145.

Reinelt, Janelle/Roach, Joseph (Hrsg.): Critical Theory and Performance. Ann Arbor: The University of Michigan Press, 1992, S. 168-178: S. 168f. Leschke, Rainer: Rekonstruktion des Ökonomischen in der Ästhetik, a.a.O., S. 235. Ebd., S. 231. – Leschke belegt die Erzeugung der Differenz von Ästhetik und Ökonomie Bereits Kant habe unter Absehung seines Wissens um die Bedingungen der ökonomischen Literaturproduktion seiner Zeit an seiner ästhetischen Philosophie gearbeitet, vgl. ebd., S. 231f. Ebd., S. 232. Simanowski, Roberto: Interfictions, a.a.O., S. 153. Vgl. Schöttker, Detlev: Ideologie. In: Fricke, Harald (Hrsg.): Reallexikon der deutschen Literaturgeschichte. Bd. 2, a.a.O., S. 118-121: S. 119. – »Ideology comprises the categories and judgments that connect utterances and practices to domi328

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auch Eagleton von der »ideology of the aesthetic«.146 Bei der Bewertung von Traditionellem und Innovativem in Internet Performances, sollte jedoch immer berücksichtigt bleiben, dass Internet Performances eine zeitgenössische Erscheinungsform von Theater unter einer Vielzahl von anderen sind und dass diese anderen Theaterformen – vom klassischen Dramentheater, postdramatischen Aufführungen, der Performance Art bis hin zum Musiktheater – jeweils spezifische Funktionen in unserer Gesellschaft erfüllen. Internet Performances erhalten ihren kulturellen Wert als innovative Theaterform vor allem im Gefüge anderer zeitgenössischer Theaterformen. Aus mediengeschichtlicher Perspektive führt dies zu Verschiebungen innerhalb der verschiedenen Theaterformen und damit auch im gesamten kulturellen System der Netzwerkgesellschaft. Während innerhalb medialer Neuerungen Funktionsbereiche älterer Medien oftmals von historisch jüngeren übernommen wurden,147 treten Internet Performances im Gefüge anderer zeitgenössischer Theaterformen, die einem massiven Innovationsdruck ausgesetzt sind,148 vor allem als Ergänzung und Korrektiv auf. Mainzer geht sogar so weit zu behaupten, nur wenn sich kulturelle Ausdruckformen nicht verdrängen, sondern ergänzen, bestünde die »Chance für mehr Humanität im Sinne größerer Erfahrung und Erlebnismöglichkeiten mit den neuen computergestützten Kulturtechniken.« 149 Indem Internet Performances spezifische Erfahrungen des Körperlichen unter den Bedingungen telematischer Kommunikation erlauben, die zum einen ein Training technisch induzierter Wahrnehmungsformen ermöglichen und die zum anderen einen Reflexionsprozess auslösen können, der die Bedeutung leiblicher Erfahrungen trotz viel beschworener Kassandra-Rufe wieder ins Blickfeld rücken lässt, bieten sie eine solche Chance für Erfahrungen des Humanen in der Ambivalenz des Technischen.150 Bedingung dieser Möglichkeit ist die anthro-

146. 147.

148. 149. 150.

nant structures and powers. Cultural studies reveal the material specificity of such connections.« Roach, Joseph: Theatre History and The Ideology of the Aesthetic. In: Theatre Journal Vol. 41, No. 2 (1989), S. 155-168: S. 157. Eagleton, Terry: Zitiert nach: Roach, Joseph: Theatre History and The Ideology of the Aesthetic, a.a.O., S. 156. Vgl. Hallenberger, Gerd: Medien, a.a.O., S. 553. – »A new medium is never an addition to an old one, nor does it leave the old one on peace. It never ceases to oppress the older media until it finds new shapes and positions for them.« McLuhan, Marshall: Zitiert nach: Auslander, Philip: Liveness, a.a.O., S. 6f. Vgl. Weber, Caroline: Theater und Medialität, a.a.O., S. 146. Mainzer, Klaus: Computer – Neue Flügel des Geistes? a.a.O., S. 521. »Indem das Theater seine mediale Eigenart bezeugt und auf sensible Weise neu 329

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pologische Funktion von Internet Performances, die Abständigkeit des Menschen zu sich selbst unter den Bedingungen der Netzwerkgesellschaft zu inszenieren. Dadurch, und nicht nur durch explizite Verweise auf theatergeschichtliche Traditionen, führen Internet Performances die Tradition des Theaters fort, ein Element im kulturellen Gedächtnis einer Gesellschaft zu sein. In diesem Sinne können Internet Performances als eine der Möglichkeiten des kulturellen Gedächtnisses gesehen werden, in der Netzwerkgesellschaft Ausdruck zu finden.151

7.5 Anforderungen an eine Kritik von Internet Performances Nachdem nun Internet Performances kategorisiert, in eine kulturgeschichtliche Perspektive eingeordnet, nach einem definierten methodisch-theoretischen Rahmen untersucht und schließlich hinsichtlich ihrer Aussage für das Verhältnis von Kultur und Technologie im Übergang zum 21. Jahrhundert befragt worden sind, stellt sich als abschließender Schritt dieser Untersuchung die Frage nach der Qualität der Produktionen. Das Problem, wie zeitgenössische Werke der Medienoder Netzkunst beurteilt werden könnten, ist Juroren-Kreisen wie beispielsweise der Ars Electronica bekannt; insbesondere, wenn die Wettbewerbskategorien immer wieder den jüngsten Entwicklungen der Medienszene angepasst werden müssen.152 Auch für Internet Performances stellt sich die Frage, wie die Qualität der Produktionen beurteilt werden könnte oder welchen Produktionen Pioniercharakter zugesprochen werden könnte. Eine Kritik von Internet Performances unterliegt dabei ähnlichen Anforderungen wie beispielsweise die Literaturkritik. Künstlerische Kritik verfolgt das Ziel, zeitgenössische Werke

entdeckt und experimentell weiterentwickelt, wertet es die Erfahrungen aus, die im Netz gemacht werden können und zugleich (revalidierend) über das Netz hinausweisen.« Sandbothe, Mike: Hellerauer Gespräche: Theater als Medienästhetik oder Ästhetik mit Medien und Theater? a.a.O., S. 431. 151. Die historischen Kulturwissenschaften denken das Gehirn nicht als reines Innenphänomen, sondern gehen davon aus, dass gesellschaftliche und kulturelle Rahmenbedingungen bestimmen, was das Gehirn inhaltlich aufnimmt, wie es die Inhalte organisiert und bewahrt. Als Verbindung individueller und kollektiver Erinnerung stellt das Theater eine der Möglichkeiten zur Institutionalisierung des kulturellen Gedächtnisses dar. Vgl. Assmann, Jan: Das kulturelle Gedächtnis. Schrift, Erinnerung und politische Identität in frühen Hochkulturen. München: Beck, 1999, S. 19f., 24. 152. So beklagt Simanowski, Juroren kämen kaum über bloße Gefallensbekundungen hinaus und könnten selten Kriterien nennen, um das eigene Urteil nachvollziehbar werden zu lassen. Vgl. Simanowski, Roberto: Interfictions, a.a.O., S. 171. 330

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über rein subjektive Setzungen hinaus beurteilen zu können, um die Werte, Schwächen und Wirkungsweisen des Werkes dem Publikum zu vermitteln. In diesem Sinne bewegt sich Kritik dem Künstler und dem Publikum gegenüber in einer doppelten Verantwortung.153 Im Sinne des eingangs formulierten Anspruchs dieser Arbeit, sich zwischen Theoriebildung und Kritik zu bewegen, soll im Folgenden der Versuch unternommen werden, Kriterien zu entwickeln, die den Anforderungen an eine Kritik von Internet Performances genügen könnten. Diese Kriterien verstehen sich als ein erster Entwurf, der durch die konkrete Entwicklung von Internet Performances ergänzt, erweitert und kritisiert wird.

7.5.1 Kriterien für eine Kritik von Internet Performances Im momentanen Standardwerk zur Netzkunst nennt Tilman Baumgärtel mehrere Kriterien, die für Netzkunst kennzeichnend sind. Dazu zählt er u.a. ihre Selbstreferentialität, das dezidierte Arbeiten mit den Eigenschaften des Internets (also Protokollen, Quellcodes und Konventionen), Konnektivität, Globalität, Multimedialität, Immaterialität und Interaktivität.154 Samuel Herzog wiederum betont die Ortlosigkeit der Netzkunst, ihre prinzipielle Veränderbarkeit und Offenheit.155 Hinter diesen Kriterien steht ein heterogenes Feld an Projekten, die alle der Netzkunst zuzurechnen sind, so dass bereits jetzt eher von einer Vielzahl von Geschichten der Netzkunst zu sprechen wäre, denn von einer Geschichte im Singular.156 Internet Performances sind Teil dieser Geschichten, würden jedoch von Medienkünstlern, die mit den technischen Grundlagen der Netzwerkstruktur des Internets arbeiten, als zu wenig radikal beurteilt werden. Bei Internet Performances stehen andere Aspekte im Vordergrund. Für sie könnte gelten, was Lehmann in einem anderen Zusammenhang als das »Recht auf performative Setzung ohne Begründung in einem Darzustellenden«157 genannt hat. »Die performative Setzung mißt sich nicht an vorgängigen Kriterien, sondern vor allem an ihrem Kommunikationserfolg.«158

153. Vgl. von Wilpert, Gero: Kritik. In: ders.: Sachwörterbuch der Literatur, a.a.O., S. 484-487. 154. Vgl. Baumgärtel, Tilman: [net.art] a.a.O., S. 014, 018, 023, 107. (Die Bezeichnung der Seitenzahlen entspricht dem Original.) 155. Vgl. Herzog, Samuel: Netzkunst, a.a.O. Ohne Seitenangabe. 156. Vgl. Huber, Hans Dieter: Digging the Net, a.a.O., S. 158-174. 157. Lehmann, Hans-Thies: Postdramatisches Theater, a.a.O., S. 244. 158. Ebd., S. 245. 331

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So stellt sich im Folgenden die Frage, wie der kommunikative Erfolg von Internet Performances bestimmt werden könnte. Ansatzpunkte für eine Beurteilung der so definierten Qualität von Internet Performances könnten folgende Kriterien sein:

Site-specificity Als zentrales Kriterium für die Qualität von Internet Performances kann ihre site-specificity gelten, also das Ausmaß, in dem sie für das Internet und seine medialen Besonderheiten konzipiert wurden. Im Sinne der site-specific art können die Produktionen nicht ohne das Internet stattfinden. So spricht auch Derrick de Kerckhove im Rahmen seiner Tätigkeit als Juror der Ars Electronica für Kunst im WWW von der Webtauglichkeit der Arbeiten, die er dann gewährleistet sieht, wenn »die Anwendung ihre Stärke und ihre Qualitäten aus den Verbindungen und der Verbundenheit des Netzwerkes bezieht«.159 Direkt mit dem Kriterium der site-specificity sind die Kriterien der Konnektivität und medialen Reflexivität von Internet Performances verbunden.

Konnektivität Bei Internet Performances ergibt sich die Qualität der Produktionen nicht primär aus der Qualität der technischen Übertragung, sondern vielmehr aus dem Modus, wie die Teilnehmer miteinander in Verbindung treten. Die Art und Weise, wie dieses Verbunden-Sein (connectivity) inszeniert wird und welche kommunikativen Hierarchien es etabliert, kann als Kriterium zur Beurteilung der Qualität von Internet Performances gelten.160 Den Kontext für diese ›interconnectedness‹ liefert das Internet als Medium. So spricht Joichi Ito vom Paradigma des »context instead of content«.161 Konnektivität ist hier nicht nur eine technische Kategorie, sondern dient auch als »Gradmesser der Intensi-

159. de Kerckhove, Derrick: Kunst im World Wide Web. In: Leopoldseder, Hannes/ Schöpf, Christine (Hrsg.): Prix Ars Electronica ’95. Wien: Springer, 1995, S. 37-49: S. 39, vgl. ebd., S. 42f. 160. Der Begriff des Konnektionismus stammt aus der Künstlichen Intelligenz-Forschung und bezeichnet eine »Methode zur Stimulierung der Intelligenz in Maschinen«. Vgl. Leeker, Martina: Anmerkung. In: dies. (Hrsg.): Maschinen, Medien, Performances, a.a.O., S. 525. 161. »A good context-oriented system causes the network of living connections to converge, interact and grow. It adds value to the network and attracts users and connections.« Ito, Joichi: The Aesthetics of the Internet – Context as a Medium. Die Ästhetik des Internet – Kontext als Medium. In: Leopoldseder, Hannes/Schöpf, Christine (Hrsg.): CyberArts. International Compendium Prix Ars Electronica ’97. Wien: Springer, 1997, S. 16-21: S. 16, vgl. ebd., S. 18, 19. 332

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tät«.162 Aus dieser Perspektive können mit Kac Ansätze kritisiert werden, die konventionelle Formen des Fernsehens, Rundfunks und Verlagswesens etc. direkt auf das Internet übertragen und damit sein Potential verkennen, den Rahmen für »konnektive Handlungsfelder«163 und eine »Ästhetik von Netzwerken«164 zu entwerfen.

Mediale Reflexivität Die Medialität der Produktionen zu reflektieren, bedeutet, eine Wahrnehmung zweiten Grades zu etablieren. Aus dieser Meta-Perspektive können Konnektivität und andere Charakteristika der Internet-basierten Kommunikation, beispielsweise die Semiotisierung des Körperlichen in textbasierten Umgebungen, im performativen Vollzug auf ihre Konsequenzen für die Kommunikation überprüft werden. Die Reflexion der Medialität wird innerhalb der Medienästhetik mittlerweile auch als eigene Strategie beschrieben.165 Leeker spricht bereits vom Topos der ›Medialität als Reflexivität‹.166 Kunsthistorisch reicht dieser Ansatz weit über die Medienkunst hinaus. Bereits John Dewey bezeichnet die »[s]ensitivity to a medium as a medium« als »the very heart of all artistic creation and esthetic perception.«167

Modellcharakter Ebenfalls kann der Modellcharakter von Internet Performances, in denen die Bedingungen telematischer Kommunikation sichtbar werden, als Kriterium für ihren kommunikativen Erfolg bezeichnet werden. Im Sinne der medialen Reflexivität steht hierbei die Netzmetapher in ihrer metaphorischen Verbildlichung durch die szenographischen Strukturen einer Produktion im Zentrum. Über sie kann es gelingen, abstrakte technische Ordnungen sinnlich zu organisieren und damit dem Begriff der Imagination in der Ambivalenz des Technischen eine neue Inter-

162. Broeckmann, Andreas: Konnektive entwerfen! a.a.O., S. 240. 163. Ebd., S. 241. 164. Vgl. Forest, Fred: Für eine Kunst im Virtuellen Raum. In: Bollmann, Stefan (Hrsg.): Kursbuch Neue Medien, a.a.O., S. 338-343: S. 339. – So spricht auch Youngblood in Bezug auf Hole in Space von der »Kunst des In-Beziehung-Setzens«. Youngblood, Gene: Metadesign. Die neue Allianz und die Avantgarde. In: Rötzer, Florian (Hrsg.): Digitaler Schein, a.a.O., S. 305-322: S. 312. 165. Vgl. Schmitz, Norbert: Medialität als ästhetische Strategie der Moderne, a.a.O., S. 122. Oder: Belting, Hans: Bild-Anthropologie, a.a.O., S. 28. 166. Vgl. Leeker, Martina: Medientheater/Theatermedien. In: dies. (Hrsg.): Maschinen, Medien, Performances, a.a.O., S. 374-403: S. 379. – Auch Simanowski setzt Reflexivität als Maßstab einer Poetologie digitaler Kunst. Vgl. Simanowski, Roberto: Interfictions, a.a.O., S. 164. 167. Dewey, John: Art as Experience. New York: Perigee Books, 1934, S. 199. 333

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pretation zu geben.168 So könnten Internet Performances auch als »Meta-Theater« bezeichnet werden.169 Als solche bezeichnet Meyer Produktionen, mit denen wir darüber reflektieren können, wie wir zeitgenössische Phänomene sensorisch und kognitiv verarbeiten, und sie dadurch Infrage stellen können.170

Interaktivität Ein weiteres Kriterium für die Qualität von Internet Performances besteht in der Form von Interaktivität, die sie dem ehemaligen Zuschauer bzw. den unvorbereiteten, passiveren Teilnehmern ermöglichen. Interaktive Strukturen in Internet Performances scheinen dabei die fehlende physische Kopräsenz auszugleichen, indem sie den Teilnehmern die Möglichkeit geben, ihre eigene Anwesenheit den anderen Kommunikationspartnern mitzuteilen. Die Korrelation zwischen steigendem Grad an Interaktivität und Qualität der Produktion sollte jedoch immer in Verbindung mit den Intentionen der Produzenten gesehen werden. So könnte man J-B-2Z den Vorwurf machen, lediglich »interpassiv«171 zu sein, da den online-Teilnehmer bei der Auswahl der Kameraperspektiven nur entweder/oder-Optionen zur Verfügung stehen. So berechtigt dieser Befund ist, wenn man die Arbeit auf ihre Interaktivität hin befragt, so wenig trifft er jedoch die Absicht Jenniches, die technisch mediatisierte Form der Wahrnehmung mit ihrer nicht-technisch mediatisierten zu vergleichen.

Angemessenheit des Technischen Bei einigen Produktionen kann auch das Ausmaß des Technischen in seiner Relation zu anderen Kriterien wie beispielsweise der site-specificity oder dem Modellcharakter Einfluss auf die Qualität der Produktion nehmen. Ein Aspekt kann hierbei sein, Technik entgegen seiner ursprünglicher Verwendung zu benutzen.

Wahrnehmungserfahrungen Eng verbunden mit dem Ansatz, Technik entgegen ihrer ursprünglichen Verwendung einzusetzen, ist das Potential, neue Formen der Wahrnehmung und Erkenntnis zu ermöglichen. Hierbei ist weniger der

168. Vgl. Dinkla, Söke: Das flottierende Werk, a.a.O., S. 82. 169. Dieser Begriff wurde von Meyer für Arbeiten der Wooster Group verwendet. Vgl. Meyer, Petra Maria: Ästhetik des Gegenwartstheaters im technischen Zeitalter. In: Forum Modernes Theater Bd. 11/1 (1996), S. 3-14: S. 7. 170. Vgl. ebd., S. 13. 171. Weibel, Peter: Zitiert in: Kraut, Peter: »Das Wunder des Prozeduralen«. Krisen und Chancen einer interaktiven Kunst. In: Neue Zürcher Zeitung, Internationale Ausgabe. 09.04.2003, S. 35. 334

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Vergleich mit Aufführungen unter den Bedingungen physischer Kopräsenz, sondern vielmehr mit den Wahrnehmungskonventionen der Medien- und Netzkünste, insbesondere hinsichtlich der performativen Dimension der Produktionen, von Bedeutung.

7.5.2 Versuch einer Kritik von Internet Performances Im Folgenden sollen diese Kriterien auf die innerhalb dieser Arbeit diskutierten Produktionen angewendet werden.

Textbasierte Internet Performances Alle hier diskutierten textbasierten Internet Performances entsprechen dem Kriterium der site-specificity, indem sie das Internet gleichermaßen als Produktions- und Rezeptionsort einsetzen und damit einen neuen Wahrnehmungsmodus des Dramas ermöglichen. Ebenfalls erfüllen alle Produktionen das Kriterium der Konnektivität. Diese Aussage muss lediglich für Deemers The Bridge of Edgefield eingeschränkt werden, da dieses Hyperdrama keine interaktiven Strukturen zwischen Darstellern und Zuschauern vorsah. Damit wird die Aufführung von Hyperdramen unter den Bedingungen physischer Kopräsenz, beispielsweise in einem Haus, für Zuschauer interessanter. Differenziert man weiter nach der Art und Weise, wie beispielsweise der IRC die Aufführung eines Dramas ermöglicht, kommt man, wie Horbelt, zu folgendem Urteil: »Legt man den Fokus auf das Drama und seine Vermittlung, dann scheint der IRC ein sehr problematischer Aufführungsort […]. Sieht man dagegen das Drama als Ausgangspunkt einer sozialen Interaktion […], dann scheint der IRC – abgesehen von technischen Problemen – ein idealer Aufführungsort zu sein.«172 Auch im Palace steht die soziale Interaktivität vor der Vermittlung des Dramas. Beide Umgebungen erfordern von den Teilnehmer größtmögliche Vorkenntnisse des Dramas. Dieser Punkt gilt auch für die Vermittlung von Dramen in einem MOO, obgleich hier differenziertere szenographische Strukturen möglich sind, die auch die Vermittlung des Dramas unterstützen. Die Charakteristika der Produktionen bewertet Burk folgendermaßen. »While Schrum’s project is based on prescripted text presented in one location online, it is designed to incorporate exchanges of dialogue with the online audience as part of the presentation. Deemer’s hyperdrama departs from traditional plot structure in its presentation of synchronous scenes in multiple environments, allowing the spectator to choose

172. Horbelt, Andreas: Theater und Theatralität, a.a.O., S. 71. 335

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what to view and in what order. Like Schrum’s NetSeduction, its premise includes potential interaction with the audience. Sack’s creation of an environment in which participants may take on a character to enact or simply watch as the action unfolds illustrates the greatest departure from traditional Western theater presentation while still maintaining links to aspects of it such as character, set, and dialogue.«173 Vollkommen berechtigt hebt sie MetaMOOphosis als die Produktion hervor, der es gelingt, »to maximize the theatrical potential of the MOO environment.«174 Auch Stevenson betont die Qualität von MetaMOOphosis, »some of the powers of MOO theatre, including its ability to allow the user to feel as if they are sharing the same space as the actors«175 zu illustrieren. Aus diesen Gründen kann MetaMOOphosis innerhalb der textbasierten Internet Performances Modellcharakter zugesprochen werden. Den IRC in seiner Medialität reflektierend verbinden die Hamnet Players als einzige Gruppe in ironischer Weise die Kultur des Theaters und des Netzes miteinander. Danet et al. sehen in den Produktionen der Hamnet Players zu Recht »pinoeering achievements«.176 Harris schreibt, »[t]he Hamnet Players would like to get just a little bit more serious […].«177 Der Grund dieser Aussage wird nicht recht klar, liegt doch die Qualität ihrer Produktionen auf dem ironischen Element. Auch Danet et al. bezeichnen die Hamnet Players als »quintessentially postmodern in their irreverent, playful hijinks.«178 In seinem Grenzgang zwischen der Netzkultur und Anspielungen auf das Elisabethanische Theater ragt Hamnet innerhalb der drei Produktionen der Hamnet Players hervor; keine der beiden anderen Produktionen hat dieses Niveau erreicht.179 Auch NetSeduction nimmt ihr Thema direkt aus der Netzkultur und reflektiert damit Aspekte des Mediums, in dem die Produktion stattfindet. Darin liegt die Stärke der Produktion, wobei die Erfahrungen, sexuelle Fantasien in einer telematischen Kommunikation zu teilen, wohl eher auf Seiten der Darsteller gemacht wurden.180

173. Burk, Juli: The Play’s The Thing, a.a.O., S. 247. 174. Burk, Juli: ATHEMOO and the Future Present, a.a.O., S. 119. 175. Stevenson, Jake: MOO Theatre, a.a.O., S. 140. – »It also demonstrates the possibilities of the audience’s control over their own view of the performance.« Ebd. 176. Danet, Brenda et al.: Curtain Time 20:00 GMT, a.a.O. Ohne Seitenangabe. 177. Harris, Stuart: About Internet theatre & the Hamnet Players, a.a.O. Ohne Seitenangabe. 178. Ebd. Ohne Seitenangabe. 179. Hamnet ist auch die einzige textbasierte Internet Performance, die eine Kritik erhalten hat. Vgl. OldBear: Shakespeare Quarto Unearthed in Binary Form. http: // www.hambule.co.uk/hamnet/h2crit.htm (Zugriff am 28.01.2002) 180. So bekundete Wunderer, wie schwer es ihr gefallen sei, in der Szene mit Allen ›zu 336

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Eine weitere Qualität aller textbasierten Internet Performances wird deutlich, wenn man sie vom Aufwand der technologischen Infrastruktur her beispielsweise mit telematischen Internet Performances vergleicht. Hier zeigt sich, wie die Plaintext Players betonen, »the fact that what is perceived as the lowest of low tech in the computer world (text) is paradoxically an enormously high-bandwidth medium for ideas, for personal adventure, for imaginal experience generally.«181 So spielt die technische Infrastruktur bei den telematischen Internet Performances eine wesentlich größere Rolle als bei den textbasierten Internet Performances.

Telematische Internet Performances Unter allen hier diskutierten telematischen Internet Performances kann vor allem World Wide Simultaneous Dance Pioniercharakter zugesprochen werden. Bei ausgesprochen geringer technischer Infrastruktur gelingt es dieser Produktion, das Internet nicht nur im Sinne der site-specificity einzusetzen, sondern – indem die Produktion das Verbunden-Sein aller Teilnehmer betont – auch in seiner Medialität zu reflektieren. In ähnlicher Weise halten auch die Arbeiten von Jenniches die Technologie gering und reflektieren gleichzeitig das Internet in seiner pragmatischen Dimension. Hier fällt vor allem die Einfachheit der Konzeption bei gleichzeitiger Stärke der Thematik auf. Obwohl das Cassandra Project von 2001 nur in geringen Maß den hier entwickelten Qualitätskriterien entspricht, ist es eine der maßgeblichen Produktionen, da es über die Jahre hinweg die verschiedensten Infrastrukturen erprobt hat. Momentan tendiert das Projekt stärker in die Richtung telematischer Performances. Oder wie Naugle formuliert: »[I]t may be best understood in terms of its achievement as an ongoing artistic collaboration«.182 Der Modellcharakter der Arbeiten von Stelarc und Kac hebt sie aus allen anderen telematischen Internet Performances hervor. Die technische Infrastruktur der Arbeiten Stelarcs steht jedoch in keinem Verhältnis zu den Auswirkungen auf die Wahrnehmung der Zuschauer. Auch inwieweit die Arbeiten die Medialität des Internets reflektieren, kann – wie bereits dargelegt – je nach Perspektive unterschiedlich beurteilt werden. Die Stärke der Arbeiten Stelarcs liegt da-

kommen‹. Vgl. Wunderer, Monika: Recording of the Post-Performance Discussion, a.a.O. Ohne Seitenangabe. 181. http://yin.arts.uci.edu/~players/faq.html (Ohne Angabe des Verfassers) (Zugriff am 21.05.2001) 182. Naugle, Lisa: Digital Dancing, a.a.O., S. 12. 337

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rin, die Ambivalenz des Technischen zu inszenieren. Indem Kacs Arbeiten zeigen, »how telecommunications technology enables the effacement of boundaries at the same time that it reaffirms them«,183 bewegen auch sie sich bewusst in dieser Ambivalenz. In der Konstruktion seiner Interfaces verfolgt Kac dabei das Ideal, die Kommunikationsstrukturen demokratisch und dialogisch einzusetzen.184 Aufgrund technischer Restriktionen erlauben Kacs Arbeiten nicht die gleichen Wahrnehmungpotentiale für alle Teilnehmer. Befragt man jedoch andere telematische Internet Performances, inwieweit sie demokratische oder dialogische Kommunikationsstrukturen realisieren, so gelingt dies Kac am meisten. Unter allen telematischen Internet Performances scheint Leaping into the Net auf den ersten Blick am wenigsten Kriterien für eine qualitativ wertvolle Internet Performance zu erfüllen. So setzt die Produktion das Internet weder im Sinne der site-specificity ein, noch verbindet sie die Teilnehmer in einer besonderen Art und Weise; auch reflektiert Leaping into the Net das Internet nicht in seiner Medialität. Für eine Kritik von Internet Performances muss allerdings immer auch die technologiegeschichtliche Dimension berücksichtigt und die Frage gestellt werden, was zu welchem Zeitpunkt möglich war. So setzte Leaping into the Net den Real Player in einer ausgesprochen frühen Phase ein, in der zahlreiche andere Choreographen nur zögerlich darüber nachdachten, Tanz und Performance mit dem Internet zu verbinden. So gab auch Martha Wilson von Franklin Furnace in New York ihrem Erstaunen über diese nur zögerliche Annäherung Ausdruck: »I was struck by how artists (often dancers) were unwilling (perhaps because they view their bodies as their instruments) to make the leap from the human body to the body of the net, with its parallel circulatory system and interactivity. The netcasting experience was sometimes viewed as means of broadcasting existing work, rather than a new art medium to be explored.«185 Morrison selbst erklärte, grundsätzlich neugierig auf diese Möglichkeiten gewesen zu sein:186

183. Kac, Eduardo: Dialogical Telepresence and Net Ecology, a.a.O., S. 188. 184. Vgl. ders.: Ornitorrinco and Rara Avis, a.a.O., S. 392. Vgl. ders.: Telepresence Art on the Internet, a.a.O., S. 219. 185. Wilson, Martha: Martha Wilson, Franklin Furnace. In: Hill, Leslie/Paris, Helen: Guerilla Performance and Multimedia. London: Continuum, 2001, S. 147-155: S. 154. 186. Vgl. Morrison, Sarah: Interview Notes vom 05.11.2001 (per Mail). Ohne Seitenangabe. 338

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»I created the work as a metaphoric vehicle to connect seemingly disparate themes and moods revealed throught modern dance arrangements.« 187 »I want to get people interested who otherwise might not got to a dance event.« 188 Dieser Mut, die Materialien und Verfahren des Theaters, das bisher als Medium physischer Kopräsenz verstanden wurde, mit dem Internet zu verbinden, zeichnet alle Internet Performances aus. Die Bereitschaft, Theater als bevorzugten Ort des Anthropologischen mit dem Internet als definierendem Medium unserer Gesellschaft im Übergang zum 21. Jahrhundert zu verbinden, macht Internet Performances so interessant.

187. Dies.: Zitiert in: DeBroassard, Jules: Leaping into the Net. Cleveland Public Theatre Breaks New Ground. In: Downtwon Tab. 25.8.-7.9.1997, S. 19. 188. Dies.: Zitiert nach: Johnson, Elsa/Lucas, Victor: A Leap into New Media. In: Free Times. Cleveland’s Award-Winning News&Art Weekly. Vol. 5, Issue 50 (Sept. 3-9, 1997), S. 29. Vgl. ebenfalls DeMarco, Laura: A Leap of Faith: Art meets technology in a new dance performance. http://www.cleveland.com/ultrafolder/thearts/dance/ leap.html (Zugriff am 03.09.1997) 339

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8. SCHLUSSBEMERKUNGEN

8. Schlussbemerkungen Aus der Perspektive einer sich kulturwissenschaftlich und integrativ begreifenden Theaterwissenschaft wurde der Untersuchungsgegenstand Internet Performances und seine verschiedenen Kategorien in einer interdisziplinären Kooperation mit der Medien-, Kunst- und Bildwissenschaft untersucht. Anspruch der Arbeit war es, die Produktionen zu dokumentieren, sie ausgehend von einem eigens dafür entwickelten methodisch-theoretischen Rahmen anhand bestimmter Fragestellungen zu untersuchen und Kriterien für ihre Kritik zu entwickeln. Dabei wurde die Arbeit von dem Ansatz geleitet, die Geschichte des Theater als eine relationelle Geschichte zu schreiben.1 In diesem Sinne wurden Internet Performances zuerst aus der Perspektive kulturgeschichtlicher Konvergenzen im 20. Jahrhundert betrachtet, um nach einer Untersuchung der einzelnen Kategorien von Internet Performances und ihrer Produktionen nach ihrer kulturgeschichtlichen Position im Übergang zum 21. Jahrhundert zu fragen. Dieses Vorgehen ermöglichte es, Internet Performances als Theaterform der Netzwerkgesellschaft zu bestimmen. Dabei war insbesondere die Perspektive der site-specific art mit ihrer Frage von Bedeutung, weshalb gerade das Internet und keine andere Technologie für diese Produktionen notwendig war. So konnte die Funktion des Internets für jede einzelne Produktion bestimmt und in Verhältnis zu ihren anderen Charakteristika gesetzt werden. Ebenfalls hilfreich war die Frage nach den szenographischen Strukturen der Produktionen, die als Signifikant, beispielsweise für Machtverhältnisse in der Kommunikation, interpretiert werden konnten. Hierbei zeigte sich, dass nur wenige Produktionen ihre szenographische Struktur nach der Metapher des Netzes ausrichten, obwohl Vernetzung ihr leitendes Thema ist. Aufgrund ihrer besonderen Medialität mussten bei den textbasierten Internet Performances sowohl The Finalists als auch die Produktionen von Desktop Theater getrennt untersucht werden. Im Bereich der telematischen Internet Performances wurde die Kategorie des Web Dance gesondert diskutiert,

1. Vgl. Balme, Christopher: Hellerauer Gespräche: Theater als Medienästhetik oder Ästhetik mit Medien und Theater? a.a.O., S. 407. Vgl. Kap. 1.1. 341

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da hier der choreographische Ansatz als dramaturgische Strategie bestimmt werden kann. Telematische Internet Performances legen einen Schwerpunkt auf die Inszenierung technisch beeinflusster Körperbilder, die vom Diskurs des Post-Humanen beeinflusst sind. Auf verschiedene Art und Weise entwickeln die einzelnen Kategorien von Internet Performances neue Formen von Telepräsenz, die jeweils spezifische Erfahrungen von Intensität ermöglichen. Während textbasierte Internet Performances kulturtheoretisch vor allem als Theatralisierung spezifischer cultural performances im Bereich des Spiels betrachtet werden können, begreifen viele Produzenten ihre Arbeit an telematischen Internet Performances als Forschung oder, wie bei Stelarc, als Entwurf einer performativen Science Fiction. Internet Performances stehen in einem komplexen Verhältnis zwischen Tradition und Innovation. Gemeinsam sind textbasierten und telematischen Internet Performances das Strukturprinzip der Proszeniumsbühne und die Konzeption des Environmental Theatre als Referenzpunkte; textbasierte Internet Performances orientierten sich zusätzlich noch an der Tradition der Rollenkonzeption und an Parallelen zur historischen Aufführungspraxis, während telematische Internet Performances mit der Kategorie des Web Dance in der Tradition des Dance on the Screen stehen. Innovativ ist beiden Kategorien von Internet Performances, einen neuen Aufführungsmodus zu entwickeln, der das Internet als zentrale Technologie der Netzwerkgesellschaft integriert. Damit entsprechen in telematischen Internet Performances die theatralen Produktionsstrukturen dem Niveau der gesellschaftlichen Produktion. Indem sich Internet Performances mit der Ambivalenz des Technischen, also den positiven wie negativen Auswirkungen von technischen Innovationen, auseinandersetzen, besitzen sie trotz ihres geringen Bekanntheitsgrads soziale Relevanz.2 Diese ist auch darin begründet, dass Internet Performances, wie andere Theaterformen auch, die anthropologische Funktion übernehmen, die ›Exzentrizität des Menschen‹ (Plessner), verstanden als den reflexiven Abstand des Menschen zu sich selbst, unter der net_condition zu inszenieren. Sie etablieren neue Formen theatraler Öffentlichkeit und hinterfragen als distanzgewährendes Modell die ethischen Dimensionen und Machtstrukturen, die Zugang zu Ressourcen als neue Form der conditio humana im Übergang zum 21. Jahrhundert definieren. Die zukünftige Entwicklung von Internet Performances wird nicht nur darüber bestimmen, ob sich die hier entwickelte Kategorisie-

2. Möglicherweise können Internet Performances mit den Happenings verglichen werden, die mit nur sehr geringen Zuschauerzahlen und entsprechend oftmals nur weitergegebenen Aufführungsberichten einen enormen Bekanntheitsgrad und Einfluss erlangt haben. 342

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8. SCHLUSSBEMERKUNGEN

rung des Untersuchungsgegenstandes weiterhin als sinnvoll erweist, sondern auch inwieweit der methodisch-theoretische Rahmen und die Anforderungen an eine Kritik von Internet Performances modifiziert oder erweitert werden müssen. Dabei zeichnen sich drei mögliche Entwicklungslinien des Untersuchungs-gegenstandes ab. Sie können als Fortsetzung der Traditionslinien des 20. Jahrhunderts betrachtet werden (vgl. Kap. 2): Erstens kann die Entwicklung von telematischen Internet Performances durch technische Verbesserungen, besonders bei der Übertragung audiovisueller Informationen, beeinflusst werden. Dies ist beispielsweise mit den Content Distribution Networks möglich.3 Mit ihrer verbesserten Übertragungsqualität ergeben sich auch neue ästhetische Möglichkeiten.4 Zweitens könnte die Robotik, insbesondere die Forschungen an online-Robotern,5 die Entwicklung von Internet Performances beeinflussen. Wie bereits die Produktionen von Stelarc und Kacs demonstrierten, bietet die Robotik für Internet Performances besondere Möglichkeiten, den über das Internet verbundenen Teilnehmern körperliche Erfahrungen zu ermöglichen. Ihre Entwicklung ist ein besonders ideologisch beeinflusstes Forschungsgebiet. So prognostiziert beispielsweise Rodney Brooks, der Direktor des Artificial Intelligence Laboratory am MIT, einen »merger between flesh and machine«.6 »My thesis is that in just twenty years the boundary between fantasy and reality will be rent asunder. Just five years from now that boundary will be reached in ways that are as unimaginable to most people today as daily use of the World Wide Web was ten years ago.«7

3. »A content distribution network employs many geographically dsitributed sites to improve the scalability and client response time of applications. Content distribution networks offer certain advantages over alternative approaches to managing performance of networked applications, and hold a lot of promise to improve their performance.« Verma, Dinesh: Content Distribution Networks. An Engineering Approach. New York: John Wiles&Sons, Inc., 2002, S. xi. 4. Ebenfalls könnte die Entwicklung von Internet Performances von VR-Technologien und dem Bereich des Ubiquitous Computing, in dem die Größe der Interface minimiert wird, um sie in möglichst viele Bereiche des menschlichen Lebens zu integrieren (vgl. Kap. 6.4.2), beeinflusst werden. Vgl. Weiser, Mark: The Computer for the 21st Century, a.a.O., S. 89. 5. Vgl. Goldberg, Ken/Siegwart, Roland: Beyond Webcams: An Introduction to Online Robots. Cambridge: MIT Press, 2001. 6. Brooks, Rodney: Robot. The Future of Flesh and Machines. London: Penguin, 2002, S. x. 7. Ebd., S. 5. 343

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Seine Vision einer »robotics revolution«8 geht davon aus, dass sich Mensch und Maschine einander angleichen. »Resistance is futile«,9 so Brooks. Die Integration von online-Robotern ermöglicht Internet Performances, die ideologischen Implikationen dieses Forschungsgebietes mit seinen Auswirkungen auf unsere Gesellschaft zu reflektieren. Als dritter Bereich zeichnen sich Ansätze ab, die unabhängig von technischen Verbesserungen Machtstrukturen der Internet-Kultur attackieren. Prominentestes Beispiels ist das Critical Art Ensemble (CAE), das sich als Ziel gesetzt hat, sich bestimmten ökonomischen und technologischen Entwicklungen des Kapitalismus zu widersetzen. Sie gehen von einer Virtualisierung der Machtbeziehungen aus; kultureller Widerstand müsse deshalb jetzt im Virtuellen stattfinden.10 Electronic Civil Disobedience gilt ihnen als neues Paradigma. Als, wie sie sich nennen, hacktivists, cultural worker oder artists-activists11 verfolgen sie ihr Konzept des recombinant theater und der performative matrix12. »No conclusions, no certainty; only theoretical frames, performative matrices, and practical wagers.«13 Bevorzugte Taktiken sind neben dem Hacking als unerlaubten Zugriff auf Datenbanken die Blockade von WebSeiten und öffentlichen Orten, vorzugsweise von touristischen Sehenswürdigkeiten.14 »Consider the following scenario: A hacker is placed on stage with a computer and a modem. Working under no fixed time limit, the hacker breaks into data bases, calls up h/er files, and proceeds to erase or manipulate them in accordance with h/er own desires. The performance ends when the computer is shut down.«15 »The performance of the politicized hacker should be the ultimate in performative resistance.«16

8. Ebd., S. 10. 9. Ebd., S. 175, vgl. ebd., S. 11. 10. Vgl. Critical Art Ensemble: The Electronic Disturbance. New York: Autonomedia, 1994, S. 3, 25. Vgl. http://www.thing.net/~rdom//ecd/ecd.html und http://the hacktivist.com (Zugriff am 25.07.2002) 11. Vgl. Critical Art Ensemble: The Electronic Disturbance, a.a.O., S. 26. 12. Vgl. ebd., S. 57-79. 13. Ebd., S. 143. – Vgl. Samuel, Alexandra: Digital Disobedience. http://news letter. thing.net/index.php (Zugriff am 12.04.2002) 14. Vgl. Critical Art Ensemble: Electronic Civil Disobedience and Other Unpopular Ideas. New York: Autonomedia, 1996, S. 64, 52. – Im Bewusstsein um die Ineffizienz ihrer Aktionen grenzt sich das CAE dabei bewusst gegenüber kriminellen Aktivitäten ab, vgl. ebd., S. 15, 17. 15. Dies.: The Electronic Disturbance, a.a.O., S. 62. 16. Ebd., S. 78. 344

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8. SCHLUSSBEMERKUNGEN

Das CAE verwendet die Begrifflichkeiten des Theaters vor allem, weil sie ihre eigenen Arbeiten performativ auffassen.17 Ihre Aktionen als Theater zu begreifen, bedeutet, den Theaterbegriff ein weiteres Mal auszuweiten. »Poststructuralist theory identified performance and technology as two of the most powerful forces that have structured society and our sense of the world in the twentieth century«,18 wie Burk formulierte. Internet Performances führen diese beide Stränge nicht nur zusammen, sondern auch ins 21. Jahrhundert. Mit Internet Performances als Theaterform der Netzwerkgesellschaft im Übergang zum 21. Jahrhundert, die die Ambivalenz des Technischen reflektiert, bleibt das Theater auch weiterhin der bevorzugte Ort des Anthropologischen.

17. In ähnlicher Weise ging auch eine andere Gruppe vor, die sich etoy nannte. Dieses Projekt trat als Unternehmen mit einer Marke, einem Logo, einem Chief Executive Officer, Aktien und einer Web-Seite auf. Als Spiegel des boomenden e-commerce ironisierte etoy die Gepflogenheiten des Corporate Amercia, bis eine andere dot. com-Firma, eToys, die gerade auf dem Weg, der größte Spielwarenhändler der Welt zu werden, gegen sie Anklage wegen unlauteren Wettbewerbs erhob. Was folgte, ging als Toywar in die Annalen ein. Gewonnen hat den Kampf letztlich etoy, da eToys Pleite ging. Vgl. Wishart, Adam/Bochsler, Regula: Leaving Reality Behind. The Battle for the Soul of the Internet. London: Fourth Estate, 2002. 18. Burk, Juli: The Play’s The Thing, a.a.O., S. 248. 345

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Die Neuerscheinungen dieser Reihe:

Christina Bartz, Jens Ruchatz (Hg.) Mit Telemann durch die deutsche Fernsehgeschichte Kommentare und Glossen des Fernsehkritikers Martin Morlock Oktober 2005, ca. 220 Seiten, kart., ca. 25,80 €, ISBN: 3-89942-327-5

Heide Volkening Am Rand der Autobiographie Ghostwriting – Signatur – Geschlecht Oktober 2005, ca. 300 Seiten, kart., ca. 27,80 €, ISBN: 3-89942-375-5

Julia Glesner Theater und Internet Zum Verhältnis von Kultur und Technologie im Übergang zum 21. Jahrhundert

Christa Brüstle, Nadia Ghattas, Clemens Risi, Sabine Schouten (Hg.) Aus dem Takt Rhythmus in Kunst, Kultur und Natur Oktober 2005, 338 Seiten, kart., mit DVD, 27,80 €, ISBN: 3-89942-292-9

Christian Schuldt Selbstbeobachtung und die Evolution des Kunstsystems Literaturwissenschaftliche Analysen zu Laurence Sternes »Tristram Shandy« und den frühen Romanen Flann O’Briens Oktober 2005, 152 Seiten, kart., 16,80 €, ISBN: 3-89942-402-6

Joanna Barck, Petra Löffler Gesichter des Films

Oktober 2005, 386 Seiten, kart., 27,80 €, ISBN: 3-89942-389-5

Oktober 2005, 388 Seiten, kart., zahlr. Abb., 28,80 €, ISBN: 3-89942-416-6

Andreas Becker, Saskia Reither, Christian Spies (Hg.) Reste Umgang mit einem Randphänomen

Henry Keazor, Thorsten Wübbena Video Thrills the Radio Star Musikvideos: Geschichte, Themen, Analysen

Oktober 2005, 292 Seiten, kart., 27,80 €, ISBN: 3-89942-307-0

Oktober 2005, ca. 500 Seiten, kart., ca. 250 Abb., ca. 31,80 €, ISBN: 3-89942-383-6

Leseproben und weitere Informationen finden Sie unter: www.transcript-verlag.de

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Die Neuerscheinungen dieser Reihe: Christoph Ernst Essayistische Medienreflexion Die Idee des Essayismus und die Frage nach den Medien

Markus Buschhaus Über den Körper im Bilde sein Eine Medienarchäologie anatomischen Wissens

September 2005, 508 Seiten, kart., 29,80 €, ISBN: 3-89942-376-3

August 2005, 356 Seiten, kart., zahlr. Abb., 28,80 €, ISBN: 3-89942-370-4

Elke Bippus, Andrea Sick (Hg.) IndustrialisierungTechnologisierung von Kunst und Wissenschaft

Veit Sprenger Despoten auf der Bühne Die Inszenierung von Macht und ihre Abstürze

September 2005, 322 Seiten, kart., ca. 50 Abb., 27,80 €, ISBN: 3-89942-317-8

August 2005, 356 Seiten, kart., 39 Abb., 28,80 €, ISBN: 3-89942-355-0

Natascha Adamowsky (Hg.) »Die Vernunft ist mir noch nicht begegnet« Zum konstitutiven Verhältnis von Spiel und Erkenntnis

Horst Fleig Wim Wenders Hermetische Filmsprache und Fortschreiben antiker Mythologie

September 2005, 288 Seiten, kart., 26,80 €, ISBN: 3-89942-352-6

August 2005, 304 Seiten, kart., zahlr. z.T. farb. Abb., 27,80 €, ISBN: 3-89942-385-2

Andreas Sombroek Eine Poetik des Dazwischen Zur Intermedialität und Intertextualität bei Alexander Kluge

F.T. Meyer Filme über sich selbst Strategien der Selbstreflexion im dokumentarischen Film

August 2005, 320 Seiten, kart., 27,80 €, ISBN: 3-89942-412-3

Juli 2005, 224 Seiten, kart., zahlr. Abb., 25,80 €, ISBN: 3-89942-359-3

Leseproben und weitere Informationen finden Sie unter: www.transcript-verlag.de

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Die Neuerscheinungen dieser Reihe: Michael Manfé Otakismus Mediale Subkultur und neue Lebensform – eine Spurensuche Juli 2005, 234 Seiten, kart., ca. 10 Abb., 27,80 €, ISBN: 3-89942-313-5

Georg Mein, Franziska Schößler (Hg.) Tauschprozesse Kulturwissenschaftliche Verhandlungen des Ökonomischen Juli 2005, 320 Seiten, kart., 28,00 €, ISBN: 3-89942-283-X

Leseproben und weitere Informationen finden Sie unter: www.transcript-verlag.de

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