Von Pfeil und Bogen zum »Digitalen Bogen«: Die Indigenen Brasiliens und das Internet [1. Aufl.] 9783839410493

Seit den 1980er Jahren setzt sich die indigene Bevölkerung Brasiliens verstärkt für ihre Rechte in der Gesellschaft ein.

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Von Pfeil und Bogen zum »Digitalen Bogen«: Die Indigenen Brasiliens und das Internet [1. Aufl.]
 9783839410493

Table of contents :
INHALT
Vorwort
Die Indigenen Brasiliens und das Internet
Aufbau der Arbeit
Schwerpunkt der Untersuchung
Zielsetzung und Verlauf der Untersuchung
Die Indigenen Brasiliens und ihre soziale und politische Lage
Brasilien und seine Indigene
Die Indigenen Brasiliens und ethnische Diskriminierung
Die Indigenen Brasiliens und die Alphabetisierung
Der ungleiche Zugang zum Internet
Demokratisierung des Internet gleich Zugang für alle?
Die Nutzung des Internet durch Indigene auf der ganzen Welt
Nutzung von Medien durch brasilianische Indigene
Die Entdeckung des Internet
Brasilianische Indigene im WWW
Indigene Websites und Weblogs, die meine Arbeit prägten
Brasilianische indigene Gemeinschaften und Organisationen im Internet
Indigene Websites
Indigene Organisationen im Internet
Private indigene Websites
Brasilianische Internetprojekte für Indigene
Das Projekt Rede Povos da Floresta, ein Netzwerk für Regenwaldvölker
Die Ziele von Rede Povos da Floresta
Ein Projekt zur Demokratisierung des Internet
Virginia Gandres – ein »menschlicher Informationskanal«
Ailton Krenak: »Alles braucht seine Zeit«
Ein Treffen zur Diskussion über die Zukunft des Projektes
Die Erweiterung des Projektes Rede Povos da Floresta
Die NGO THYDÊWÁ und das Projekt Índios On Line
Die Kosten des Projektes und finanzielle Schwierigkeiten
Die Bedeutung des Internet für indigene Gemeinschaften im Nordosten Brasiliens
Ein Kommunikationsmittel, das kulturelle Barrieren abbaut
Online-Projekt Arco Digital: e-@rco
Das Projekt BAY – Von der virtuellen zur realen indigenen Universitätsausbildung
Ein Traum wurde wahr
Interview mit der Professorin Maria Inês de Almeida
Digitale Inklusion ja, aber richtig
Die Nutzung des Internet durch Indigene im Bundesstaat Acre
Die Arbeit von CPI/AC
Der Internetzugang im Ausbildungszentrum der CPI/AC
Meine Feldforschung im Ausbildungszentrum des CPI/AC
Die Computerkenntnisse der Indigenen im Ausbildungszentrum
Die Huni Kui und das Internet
Arbeit am Computer mit den indigenen Forsttechnikern
Emanzipation und Selbstbestimmung
Technische Schwierigkeiten
Das Verhältnis der Yawanawa und Ashaninka zum Internet
Die Yawanawa – ein kurzer ethnographischer Einblick
Die Aneignung des Internet durch die Yawanawa und Ashaninka
Das Internet als Kultur stärkendes Medium
Die Nutzung des Internet im Ashaninka-Dorf Apiwtxa
Die Ashaninka – ein ethnographischer Einblick
Die Ashaninka in Brasilien und die Gemeinschaft Apiwtxa
Der Kontakt mit Nicht-Indigenen in den 1970ern
Kulturelle Veränderungen der Ashaninka am Fluss Amônia
Familie Piyãko
Die jungen Anführer und ihre Rolle in der Ashaninka-Gemeinschaft am Fluss Amônia
Die Aneignung des Internet durch die Ashaninka am Fluss Amônia
Probleme bei der Aneignung des Internet: Technologische Barrieren
Interview mit Francisco Piyãko
Die Bedrohung jenseits der Grenze
Die Bedeutung fremder Kulturelemente bei den Ashaninka am Fluss Amônia
Die Nutzung des Internet durch Indigene in Nordamerika
bernahme fremder Kulturelemente durch die Indigenen
Indigene Identität in Zeiten der Globalisierung
Die Schwierigkeit »indigen« zu sein
Der Authentizitätsdiskurs
Als die kulturelle Anthropophagie den Hybriditätsdiskurs verspeiste
Die kulturelle Anthropophagie
Die Modernismus-Bewegung in Brasilien
Eine moderne »Anthropophagische Bewegung« durch die Indigenen
Überlegter kultureller Wandel
The politics of Internet oder Diskurse um die Internetaneignung durch Indigene
Ausblick
Literatur
Anhang
Abkürzungen
Liste der Internetseiten
Abbildungsverzeichnis

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Eliane Fernandes Ferreira Von Pfeil und Bogen zum »Digitalen Bogen«

m e d i e n · w e l t e n | herausgegeben von Dorle Dracklé | Band 3

2009-01-26 10-13-13 --- Projekt: transcript.titeleien / Dokument: FAX ID 02b4200863289672|(S.

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) T00_01 schmutztitel - 1049.p 200863289680

Eliane Fernandes Ferreira (Dr. phil.) forscht an der Universität Bremen. Ihre Arbeitsschwerpunkte sind empirische Kulturforschung, transkulturelle Prozesse, Medien und Indigene in Brasilien.

2009-01-26 10-13-13 --- Projekt: transcript.titeleien / Dokument: FAX ID 02b4200863289672|(S.

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) T00_02 seite 2 - 1049.p 200863289688

Eliane Fernandes Ferreira Von Pfeil und Bogen zum »Digitalen Bogen«. Die Indigenen Brasiliens und das Internet

2009-01-26 10-13-13 --- Projekt: transcript.titeleien / Dokument: FAX ID 02b4200863289672|(S.

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) T00_03 titel - 1049.p 200863289696

Diese Veröffentlichung lag dem Promotionsausschuss Dr. Phil. der Universität Bremen als Dissertation vor. Das Kolloquium fand am 11.12.2007 statt.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

© 2009 transcript Verlag, Bielefeld Die Verwertung der Texte und Bilder ist ohne Zustimmung des Verlages urheberrechtswidrig und strafbar. Das gilt auch für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und für die Verarbeitung mit elektronischen Systemen. Umschlaggestaltung: Kordula Röckenhaus, Bielefeld Umschlagabbildung: © Thydêwá Lektorat & Satz: Eliane Fernandes Ferreira Druck: Majuskel Medienproduktion GmbH, Wetzlar ISBN 978-3-8376-1049-9 Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier mit chlorfrei gebleichtem Zellstoff. Besuchen Sie uns im Internet: http://www.transcript-verlag.de Bitte fordern Sie unser Gesamtverzeichnis und andere Broschüren an unter: [email protected]

2009-01-26 10-13-13 --- Projekt: transcript.titeleien / Dokument: FAX ID 02b4200863289672|(S.

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) T00_04 impressum - 1049.p 200863289704

INHALT Vorwort 11

Die Indigenen Brasiliens und das Internet 15

Aufbau der Arbeit 18

Schwerpunkt der Untersuchung 20

Zielsetzung und Verlauf der Untersuchung 21

Die Indigenen Brasiliens und ihre soziale und politische Lage 39

Brasilien und seine Indigene 39

Die Indigenen Brasiliens und ethnische Diskriminierung 42

Die Indigenen Brasiliens und die Alphabetisierung 43

Der ungleiche Zugang zum Internet 46

Demokratisierung des Internet gleich Zugang für alle? 48

Die Nutzung des Internet durch Indigene auf der ganzen Welt 49

Nutzung von Medien durch brasilianische Indigene 51

Die Entdeckung des Internet 54

Brasilianische Indigene im WWW 54

Indigene Websites und Weblogs, die meine Arbeit prägten 56

Brasilianische indigene Gemeinschaften und Organisationen im Internet 57

Indigene Websites 58

Indigene Organisationen im Internet 69

Private indigene Websites 72

Brasilianische Internetprojekte für Indigene 77

Das Projekt Rede Povos da Floresta, ein Netzwerk für Regenwaldvölker 79

Die Ziele von Rede Povos da Floresta 81

Ein Projekt zur Demokratisierung des Internet 83

Virginia Gandres – ein »menschlicher Informationskanal« 85

Ailton Krenak: »Alles braucht seine Zeit« 87

Ein Treffen zur Diskussion über die Zukunft des Projektes 88

Die Erweiterung des Projektes Rede Povos da Floresta 92

Die NGO THYDÊWÁ und das Projekt Índios On Line 93

Die Kosten des Projektes und finanzielle Schwierigkeiten 95

Die Bedeutung des Internet für indigene Gemeinschaften im Nordosten Brasiliens 96

Ein Kommunikationsmittel, das kulturelle Barrieren abbaut 98

Online-Projekt Arco Digital: e-@rco 100

Das Projekt BAY – Von der virtuellen zur realen indigenen Universitätsausbildung 102

Ein Traum wurde wahr 106

Interview mit der Professorin Maria Inês de Almeida 107

Digitale Inklusion ja, aber richtig 108

Die Nutzung des Internet durch Indigene im Bundesstaat Acre 111

Die Arbeit von CPI/AC 114

Der Internetzugang im Ausbildungszentrum der CPI/AC 115

Meine Feldforschung im Ausbildungszentrum des CPI/AC 116

Die Computerkenntnisse der Indigenen im Ausbildungszentrum 117

Die Huni Kuĩ und das Internet 121

Arbeit am Computer mit den indigenen Forsttechnikern 122

Emanzipation und Selbstbestimmung 125

Technische Schwierigkeiten 126

Das Verhältnis der Yawanawa und Ashaninka zum Internet 129

Die Yawanawa – ein kurzer ethnographischer Einblick 129

Die Aneignung des Internet durch die Yawanawa und Ashaninka 130

Das Internet als Kultur stärkendes Medium 137

Die Nutzung des Internet im Ashaninka-Dorf Apiwtxa 139

Die Ashaninka – ein ethnographischer Einblick 143

Die Ashaninka in Brasilien und die Gemeinschaft Apiwtxa 145

Der Kontakt mit Nicht-Indigenen in den 1970ern 146

Kulturelle Veränderungen der Ashaninka am Fluss Amônia 151

Familie Piyãko 154

Die jungen Anführer und ihre Rolle in der Ashaninka-Gemeinschaft am Fluss Amônia 158

Die Aneignung des Internet durch die Ashaninka am Fluss Amônia 160

Probleme bei der Aneignung des Internet: Technologische Barrieren 165

Interview mit Francisco Piyãko 172

Die Bedrohung jenseits der Grenze 177

Die Bedeutung fremder Kulturelemente bei den Ashaninka am Fluss Amônia 185

Die Nutzung des Internet durch Indigene in Nordamerika 189

Die Übernahme fremder Kulturelemente durch die Indigenen 193

Indigene Identität in Zeiten der Globalisierung 199

Die Schwierigkeit »indigen« zu sein 200

Der Authentizitätsdiskurs 201

Als die kulturelle Anthropophagie den Hybriditätsdiskurs verspeiste 205

Die kulturelle Anthropophagie 207

Die Modernismus-Bewegung in Brasilien 209

Eine moderne »Anthropophagische Bewegung« durch die Indigenen 215

Überlegter kultureller Wandel 217

The politics of Internet oder Diskurse um die Internetaneignung durch Indigene 220

Ausblick 225

Literatur 231

Anhang 245

Abkürzungen 247

Liste der Internetseiten 249

Abbildungsverzeichnis 252

VORWORT Das Internet als Informations- und Kommunikationsmittel bietet ein reichhaltiges Forschungsfeld, um soziale, politische, kulturelle und ökonomische Aspekte zu untersuchen. Es war äußerst aufschlussreich zu beobachten, wie das Internet als eine Art virtueller Raum unsichtbare Netzwerke entstehen lässt, Machtverhältnisse ausgleicht sowie soziale und politische Prozesse beeinflussen kann. In der Forschung selbst konnte ich in der Zusammenarbeit mit verschiedenen Kollegen in Brasilien und in Deutschland die Kraft und Möglichkeiten dieser Kommunikationsform erleben, die geographische Distanzen abbaut und eine Nähe schafft, die auf den ersten Blick surreal erscheint. Dadurch lernte ich nicht nur virtuell sondern auch persönlich wunderbare Menschen kennen, die mich während der gesamten Forschung begleiteten und unterstützten. In Brasilien danke ich vor allem der Comissão Pró-Índio do Acre (CPI/AC) im Bundesstaat Acre, dem Comitê para a Democratização da Informática (CDI) in Rio de Janeiro, der NGO THYDÊWÁ aus Salvador in Bahia, Professorin Maria Inês de Almeida vom Projekt Literaterras von der Universidade Federal de Minas Gerais (UFMG) in Belo Horizonte und dem Professor Rinaldo Sérgio Vieira Arruda aus der Pontifícia Universidade Católica de São Paulo (PUC-SP), die mir während der Feldforschung mit Rat und Tat zur Seite standen. Besonders dankbar bin ich zudem den Yawanawa des indigenen Gebietes am Fluss Gregório, den Ashaninka der Gemeinschaft Apiwtxa am Fluss Amônia und meinen Informanten und ihren Familien für ihre Mitwirkung an dieser Arbeit. Ohne ihre freundliche Unterstützung und ihr Verständnis für die Untersuchung ihrer Gemeinschaften wäre die Gewinnung von Daten und damit die Realisierung meiner Arbeit nicht möglich gewesen. Danke, Obrigada, Xarakapa und Pasõki!!! Weit über die Betreuung eines Dissertationsprojekts hinaus danke ich Professorin Dr. Dorle Dracklé, die mich in die Wissenschaft/Welt der Ethnologie einführte und mich während meines gesamten ethnologischen Studiums unterstützte und ermutigte. Ich danke ebenfalls Professor Dr. Mark Münzel für die wichtigen Hinweise und Kommentare als Zweitbetreuer. Für die bedeutende finanzielle Unterstützung danke ich der Uni-

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DIE INDIGENEN BRASILIENS UND DAS INTERNET

versität Bremen, die mir ein Doktoranden-Stipendium gewährte. Für Kritik, Anregungen und lebendige Diskussionen danke ich zudem dem Doktorandenkolleg »Prozessualität in transkulturellen Kontexten: Dynamik und Resistenz« der Universität Bremen. Die vorliegende Arbeit wäre nicht möglich gewesen ohne die Hilfe von Ligia Braz, Angela Möhl, Cecília Horwitz-Meise und Roland Meise, Cristina Hime, Isabela Cordeiro, Jürgen und Anita Becker, die mich während der Dissertation in jeglicher Form unterstützten und mich immer wieder in den schwierigsten Momenten aufmunterten. Großen Dank auch an Brita Ambrosio und Felix van Hove für ihre Korrekturarbeiten sowie Monika Rulfs und Jens Schneider für die konstruktiv-kritische Lektüre und Diskussion. Nicht zuletzt danke ich Cristian Alvarado Leyton für die wichtigen Diskussionen und Denkanstöße für diese Arbeit und die motivierenden Worte. Meine tiefste Dankbarkeit geht an meinen Mann Peter Becker und meine Töchter Anna und Julia für die Geduld, Unterstützung, Verständnis und Liebe während der ganzen Zeit.

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»Como todos sabem, as nossas culturas vão se adequando, se atualizando. Vê-se isso até numa borboleta, numa formiga. Quando a roça está com uma folha bonita nova, os grilos colocam uma folha no lugar de suas asas para se protegerem, se camuflarem dentro do ambiente em que eles vivem. A nossa cultura faz isso. Permanentemente, ela vai agregando conhecimentos. É o ambiente em que vivemos que vai apontando as adequações que têm que ser feitas«.

»Wie wir alle wissen, passen sich unsere Kulturen den Zeiten an, sie aktualisieren sich. Man kann dies sogar bei einem Schmetterling oder bei einer Ameise beobachten. Wenn auf dem Feld ein schönes neues Blatt wächst, legen die Grillen ein Blatt auf ihre Flügel, um sich zu schützen und sich innerhalb der Umgebung, in der sie leben, zu tarnen. Unsere Kultur macht das Gleiche. Ständig fügt sie Kenntnisse hinzu. Es ist die Umgebung, in der wir leben, die zeigt, welche Anpassungen durchzuführen sind«. Francisco Piyãko – Anführer der AshaninkaGemeinschaft Apiwtxa am Fluss Amônia.

DIE INDIGENEN BRASILIENS

UND DAS INTERNET

Die heutige Entwicklung der Informations- und Kommunikationstechnologien findet in einem rasenden Tempo statt. Wer keinen Zugang zu ihnen hat, verpasst nicht nur den Einstieg in die globale Entwicklung, sondern auch die Chance, an diesem Prozess teilzunehmen. Die so genannte »Digitale Kluft« droht immer größer zu werden. Der von der UN organisierte World Summit on the Information Society plädiert für den weltweit gleichberechtigten Zugang zu Informationen und zu neuen Technologien. Dieser wird als ein Entwicklungsziel auf weltpolitischer Ebene zur Konfliktvermeidung angesehen und auch als Mittel, um bestehende Spannungen gerechter lösen zu können. An dem technologischen Entwicklungsprozess wollen viele Gruppen aus unterprivilegierten Klassen und Ethnien teilnehmen. Unter ihnen befinden sich ethnische Minderheiten aus der ganzen Welt, wie die brasilianischen Indigenen, die immer stärker versuchen, den Zugang zu den neuen Medien zu erwerben, um ihrem Informations- und Kommunikationsdefizit ein Ende zu setzen. Für die Indigenen Brasiliens geht es dabei vor allem um die Möglichkeit der Kommunikation und der Darstellung ihrer Kulturen und ihres Alltags in der Öffentlichkeit. Es handelt sich um einen kulturellen Anpassungsprozess, den sie selbst wünschen und der ihnen in ihrem Kampf gegen eine dominierende Gesellschaft, die ihnen viele Rechte abzusprechen versucht, unterstützt. Dabei eignen sie sich die neue Technologie selektiv an, ohne die eigene ethnische Identität aufgeben zu müssen, wie es der Ashaninka-Anführer Francisco Piyãko während eines Seminars über die Zukunft des Internetprojektes Rede Povos da Floresta im Juni 2005, Rio de Janeiro, berichtete (siehe S. 13).1 In meiner Arbeit untersuche ich die Aneignung der neuen Medien durch die brasilianischen Indigenen in einem »transkulturellen Kontext«. Dabei erläutere ich, wie die Indigenen Brasiliens das Internet benutzen und zu welchen Zwecken, wie staatenübergreifende Netzwerke entste1

Die als Motto verwendete Aussage des Ashaninka-Anführers Francisco Piyãko habe ich der Website Rede Povos da Floresta (2005g) entnommen. Hier wie im Folgenden stammen alle Übersetzungen aus dem Portugiesischen von mir, sofern nicht anders gekennzeichnet. 15

DIE INDIGENEN BRASILIENS UND DAS INTERNET

hen, welche Folgen die Begegnung mit den modernen medialen Technologien und welche Bedeutung dieses Medium für indigene Gemeinschaften und Bewegungen hat. Ebenso untersuche ich, welche Individuen aus der jeweiligen indigenen Gemeinschaft sich mit den neuen Medien auseinandersetzen und inwiefern die gesamte Gruppe an diesem kulturellen Prozess teilnimmt und teilhat. Ein bedeutsamer Punkt meiner Forschung ist ebenfalls das Bedürfnis der Indigenen Brasiliens nach Möglichkeiten zur Information und Kommunikation, insbesondere bei den Indigenen in den entfernten Gegenden der Amazonasregion im Bundesstaat Acre. Diese Untersuchung dient zunächst dazu, einen Überblick über die Präsenz des Mediums Internet im Leben brasilianischer indigener Gemeinschaften zu geben. Dabei werde ich die Entwicklung dieses kulturellen Prozesses darstellen und auf die Dynamik des kulturellen Austausches sowie auf den Widerstand auf indigener oder nicht-indigener Seite bei der kulturellen Einverleibung des neuen technologischen Mittels Internet eingehen. Es wird sich gerade hier die Flexibilität von Kulturformen verdeutlichen, anhand von Theorie und empirischen Beispielen. Ein Vergleich zwischen Internetprojekten in Brasilien ermöglicht es zu sehen, wie diese Projekte arbeiten und mit welchen Zielen sie ins Leben gerufen wurden. Dadurch werden Einblicke in diese Projekte, die mit indigenen Gemeinschaften arbeiten, möglich und auch Probleme in ihrer Durchführung thematisiert. Weil in Nordamerika die Nutzung des Internet durch indigene Gemeinschaften bereits weiter entwickelt ist als in Brasilien, entschied ich mich, einen interkulturellen Vergleich zwischen der Nutzung des Internet durch Indigene in Nordamerika und Brasilien in meine Untersuchung einzubeziehen. Dieser Vergleich zeigt nicht nur die Parallelen in der Nutzung dieses Informations- und Kommunikationsmittel, sondern auch die Bedeutung des Internet für indigene Gemeinschaften über die brasilianische Grenze hinaus. Meine Arbeit ist weder Rezept noch Handlungsanweisung, um indigene Gruppen in das Zeitalter des Internet einzuführen. Sie ist vielmehr eine Studie über die Bedeutung des Internet für die brasilianischen Indigenen, ihre Schwierigkeiten, Wünsche und Nutzungsformen sowie über kulturelle Prozesse in einem transkulturellen Kontext. Diese Arbeit soll ein Bild über die Entwicklung der Nutzung und Aneignung dieses neuen Kulturelements in indigenen Kulturen wiedergeben aber auch als wissenschaftlicher Impuls betrachtet werden, damit kulturelle Prozesse nicht nur einer Kultur zugeschrieben und damit anderen aufgrund kultureller Vorurteile oder ethnozentrisch festsitzender Ansichten vorenthalten werden. Dabei sehe ich die Aufgabe der Ethnologie bei der Analyse des »kulturellen Wandels« darin, den emanzipatorischen und politischen Ge-

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DIE INDIGENEN BRASILIENS UND DAS INTERNET

halt solcher kulturellen Praktiken und ihre Bedeutung in Bezug auf gesamtgesellschaftliche Verhältnisse zu verstehen. Abbildung 1: Feldforschung in Brasilien

 Stationen meiner Feldforschung in Brasilien: Ashaninka-Dorf Apiwtxa am Fluss Amônia und in Rio Branco (Bundesstaat Acre). Rio de Janeiro (Rio de Janeiro), Belo Horizonte (Minas Gerais), Salvador (Bahia), São Paulo (São Paulo) und Brasília (D.F.).2

Drei Jahre lang beobachtete ich die Entwicklung der Internetnutzung durch die Indigenen Brasiliens, besonders im Bundesstaat Acre. Wiederholt forschte ich vor Ort, um Interviews mit Organisationen, Indigenen und Nicht-Indigenen durchzuführen und um die Art der Internetnutzung durch Indigene in Brasilien zu untersuchen. Jede Reise zeigte die schnellen Veränderungen im Umgang mit dem Internet und in der Entwicklung seiner Nutzung. Einige Projekte wurden in diesen drei Jahren erweitert und bekamen Unterstützung von Regierungsprogrammen. Festzustellen

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Mehr Informationen über die Stationen und den Verlauf der Feldforschung auf S. 31. 17

DIE INDIGENEN BRASILIENS UND DAS INTERNET

war eine ständige, wenn auch langsame Zunahme der Zahl indigener Gruppen in Brasilien, die das Internet nutzen.

Aufbau der Arbeit Der erste Teil der Arbeit erläutert den ethnographischen Schwerpunkt meiner Untersuchung sowie ihre Zielsetzung. Ich erkläre die von mir ausgewählten Methoden, erörtere die Begriffe, die in meiner Arbeit eine wichtige Rolle spielen und gebe einen genaueren Einblick in die Durchführung meiner Forschung. Anschließend folgt ein Überblick über die aktuelle soziale und politische Lage der indigenen Gemeinschaften in Brasilien. Hier behandle ich Themen wie die Diskriminierung der indigenen Bevölkerung, aber auch Alphabetisierung und lege einen Schwerpunkt auf das Thema Zugang zum Internet, die Rolle des Internet in Brasilien und die Perspektiven für eine mögliche Demokratisierung dieses Informations- und Kommunikationsmittels. Ferner stelle ich ausgewählte indigene Weblogs und Websites sowie ihre Rolle für die jeweiligen Gruppen vor. Die Frage der sozialen und kulturellen »Unsichtbarkeit« indigener Gruppen in der brasilianischen Gesellschaft, und was das Internet daran möglicherweise ändern kann, schließt diesen Teil der Arbeit ab. Im Abschnitt »Brasilianische Internetprojekte für Indigene« befasse ich mich mit drei ausgewählten brasilianischen Internetprojekten, die an die indigene Bevölkerung gerichtet sind. Nach einer kurzen gemeinsamen Einleitung über die drei Projekte stelle ich zunächst das Projekt Rede Povos da Floresta vor, das den Yawanawa am Fluss Gregório, den Ashaninka am Fluss Amônia und im Ausbildungszentrum der Nichtregierungsorganisation Comissão Pró-Índio do Acre (CPI/AC) im Bundesstaat Acre und einigen anderen Gemeinschaften in anderen Teilen Brasiliens den Zugang zum Internet ermöglichte. Ich erkläre die Geschichte und die Ziele des Projektes und behandle die Debatten, die Projektmitarbeiter und Indigene verschiedener Ethnien über das Projekt geführt haben. Danach präsentiere ich das Projekt Índios On Line der Nichtregierungsorganisation THYDÊWÁ aus dem Bundesstaat Bahia und deren Arbeit mit indigenen Gemeinschaften im Nordosten Brasiliens. Wichtige Aspekte dabei sind die finanziellen Schwierigkeiten, die das Projekt fast scheitern ließen sowie die generelle Bedeutung des Internets für Indigene im Nordosten Brasiliens. Vorgestellt wird schließlich noch das Internetprojekt Arco Digital (»Digitaler Bogen«), das ebenfalls von THYDÊWÁ im Jahr 2006 ins Leben gerufen wurde, um den Dialog unter den brasilianischen indigenen Gemeinschaften zu fördern. Das Projekt BAY – Uni-

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DIE INDIGENEN BRASILIENS UND DAS INTERNET

versidade Indígena der Sprachwissenschaftlichen Fakultät der Bundesuniversität von Minas Gerais (UFMG) wird ebenfalls vorgestellt. Insbesondere erkläre ich den Versuch des Projektes, das Internet als Plattform für den virtuellen akademischen Austausch unter Indigenen und NichtIndigenen aufzubauen und thematisiere in diesem Abschnitt die Ansicht der Professorin Regina Helena da Silva von der UFMG zum Thema »Digitale Inklusion« und was dabei beachtet werden sollte. Nach der Vorstellung der von mir untersuchten Internetprojekte wende ich mich den Ergebnissen meiner Forschung über die Bedeutung und Nutzung des Internet für Indigene im Bundesstaat Acre zu. Dabei erläutere ich zunächst die Arbeit der Nichtregierungsorganisation CPI/AC sowie die Präsenz des Internet in deren Ausbildungszentrum für indigene Lehrer und Forsttechniker. Der emanzipatorische Gesichtspunkt des Internet, der hier durch den Zugang der Indigenen zu diesem Kommunikationsmittel entsteht sowie die technischen Probleme mit den Geräten, die während der Nutzung auftauchen können, schließen diesen Abschnitt ab. Im Anschluss illustriere ich das Verhältnis der Yawanawa und Ashaninka zum Internet. Erst berichte ich über die Bedeutung des Mediums für die beiden Gemeinschaften und wie sie das Internet einsetzen, um dann auf die Rolle des Internets für die Yawanawa einzugehen. Im Zentrum steht dabei der junge Yawanawa-Anführer Joaquim Tashka, der mit seiner indigenen Identität und seinen Kenntnissen über das Medium Internet zum Vermittler zwischen der indigenen und der nicht-indigenen Welt wird. Anschließend analysiere ich die Präsenz des Internet in der Ashaninka-Gemeinschaft Apiwtxa, wo ich einen Teil meiner Feldforschung verbrachte. Nach einem ethnographischen Einblick in die Ashaninka-Gemeinschaft Apiwtxa und der Darstellung der Geschichte ihres Kontaktes mit der nicht-indigenen Gesellschaft thematisiere ich die kulturellen Veränderungen der Ashaninka im Laufe der Vergangenheit. Außerdem berichte ich über die zentrale Rolle der Piyãko-Familie in der Gemeinschaft Apiwtxa, über die Aneignung des Internet durch diese Gemeinschaft, ihre Erfahrungen mit diesem neuen Medium und seine heutige Bedeutung für die Gruppe. Der Abschnitt »Die Nutzung des Internet durch Indigene in Nordamerika« erweitert die Perspektive der Nutzung des Internet in indigenen Gemeinschaften, indem die Bedeutung des Internet für nordamerikanische indigene Gemeinschaften erläutert wird, um einen interkulturellen Vergleich zwischen der Internetnutzung durch indigene Gemeinschaften in Brasilien und Nordamerika zu geben. Ich behandele die Präsenz des Internet in indigenen Gemeinschaften Kanadas, das U.S.-amerikanische Projekt 4Directions und die Debatte um die Aneignung fremder Kulturelemente wie dem Internet durch indigene Kulturen.

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DIE INDIGENEN BRASILIENS UND DAS INTERNET

Im letzten Teil der Arbeit durchleuchte ich den theoretischen Aspekt der Aneignung des Internet durch brasilianische indigene Gemeinschaften und befasse mich mit der für mein Forschungsthema besonders wichtigen Frage der indigenen Identität in Zeiten der Globalisierung. Zunächst diskutiere ich über die Schwierigkeit »indigen« zu sein und die Vorurteile in Bezug auf kulturelle Veränderungen seitens der nichtindigenen Gesellschaft, mit denen Indigene noch zu kämpfen haben. Dazu gehört auch eine Analyse des von der nicht-indigenen Gesellschaft aufgestellten Authentizitätsdiskurses und den darin vorhandenen kulturellen Stereotypen zum angeblichen »Konflikt zwischen Moderne und Tradition«. Danach beschäftige ich mich mit der Frage, wie man den Aneignungsprozess des Internet durch indigene Gemeinschaften in Brasilien theoretisch adäquater fassen kann. Hier erörtere ich den in Europa weniger bekannten Begriff der kulturellen Anthropophagie, der in Brasilien seit der Modernismus-Bewegung der 1920er Jahre wiederholt in Verbindung mit dem Aneignungsprozess fremder Kulturelemente gebracht wird und seinen Zusammenhang mit meinem Forschungsthema, der Aneignung des Internet durch die Indigenen Brasiliens – die Einverleibung eines fremden Kulturelements, das von der Gruppe selbst in etwas Eigenes transformiert wird, um die Bedürfnisse der Gruppe zu decken. Abschließend analysiere ich den Charakter der Internetaneignung durch indigene Gruppen, indem ich die nicht-indigene Debatte darüber und die damit verbundenen Ängste erörtere. Mit einer zusammenfassenden Interpretation über die Bedeutung des Internet und die damit verbundenen Chancen für die Indigenen Brasiliens schließe ich meine Arbeit ab.

Schwerpunkt der Untersuchung Als ich meine Magisterarbeit im Jahr 2002 über die soziale, kulturelle und politische Lage der Indigenen Brasiliens verfasste, existierten nur wenige brasilianische indigene Websites. Ein deutlicher Anstieg der Nutzung des Internet durch die Indigenen Brasiliens ist in den letzten fünf Jahren festzustellen. Dies hat unterschiedliche Ursachen, wie zum Beispiel die Entstehung von Regierungs- und NGO-Projekten, wie der CDI (Comitê para a Democratização da Informática),3 mit dem Ziel, den Zugang zum Internet zu demokratisieren und unterprivilegierten Gruppen zugänglich zu machen, zu denen auch indigene Gemeinschaften zählen. 3

CDI – Comitê para a Democratização da Informática (Ausschuss für die Demokratisierung von Informationstechnologien). Nach einer ersten Übersetzung verwende ich nur noch die Abkürzungen (siehe S. 247). 20

DIE INDIGENEN BRASILIENS UND DAS INTERNET

Diese Entwicklung führte mich zur Untersuchung der Aneignung des Internet durch die brasilianischen Indigenen und seine Bedeutung in diesem kulturellen Wandel, in der ich mich besonders auf folgende Fragestellungen konzentrierte: • Welche Bedeutung hat das Internet für indigene Kulturen und die jeweiligen Gruppen? • Wie sehen die kulturellen Austauschprozesse aus und in welchen Kategorien könnten sie klassifiziert werden? • Trifft die Aneignung des Internet durch indigene Gemeinschaften auf Resistenz und welcher Art ist diese? Wie reagiert die nicht-indigene Gesellschaft auf die Aufnahme solcher Technologien durch indigene Gruppen? Zunächst werde ich im folgenden Abschnitt den Verlauf der Untersuchung sowie die von mir angewendeten Forschungsmethoden darlegen.

Zielsetzung und Verlauf der Untersuchung Die politische und soziale Entwicklung der Lage der brasilianischen Indigenen ist ein Thema, mit dem ich mich seit 1998 beschäftige. Die Möglichkeit zur Promotion über die Nutzung von Medien durch die brasilianischen Indigenen war eine interessante Herausforderung, vor allem, da ich mich im Studium bereits mit Medienethnologie und der Nutzung von Medien durch indigene Gruppen beschäftigt hatte. Nachdem ich mit meiner Betreuerin, Frau Professorin Dorle Dracklé, die Untersuchungsziele besprochen hatte, begann ich sofort, über die Mediennutzung durch brasilianische Indigene zu recherchieren. In einem Interview mit Rinaldo Sérgio Vieira Arruda, Ethnologie-Professor an der Pontifícia Universidade Católica de São Paulo (PUC-SP – Päpstliche Universität von São Paulo), berichtete dieser mir, dass nach seinen Kenntnissen bis zu diesem Zeitpunkt keine Untersuchung über die Nutzung des Internet durch Indigene in Brasilien existierte. Aus diesem Grund orientierte ich mich zuerst an Arbeiten über die Mediennutzung von Indigenen in Brasilien, die sich vor allem mit der Nutzung des Videos beschäftigten. Als erstes wurde ich auf Texte über die indigene Produktion von Filmmaterial durch brasilianische Gruppen, wie zum Beispiel von Dominique Gallois und Vincent Carelli (1995) über das brasilianische Videoprojekt Video nas Aldeias oder von Terence Turner (1991, 2002) über die Nutzung von Video bei den Kayapo aufmerksam. Ein wichtiger Impuls kam dann durch einen in der Zeitschrift »Der Spiegel« erschienenen kurzen Artikel über das brasilianische Internetprojekt Rede 21

DIE INDIGENEN BRASILIENS UND DAS INTERNET

Povos da Floresta,4 dessen Untersuchung zu einem wesentlichen Teil meiner Arbeit wurde (siehe S. 79). Im Verlauf der Forschung kontaktierte ich weitere brasilianische Internetprojekte. Jedoch konzentrierten sich dann meine Beobachtungen, durch die Feldforschungsreisen zwischen den Jahren 2004 und 2006, mehr und mehr auf die Nutzung des Internet durch die Ashaninka am Fluss Amônia und auf die Präsenz des Internet im Ausbildungszentrum der NGO Comissão Pró-Índio do Acre (CPI/AC)5 im Bundesstaat Acre im Nordwesten Brasiliens. Die Untersuchung über die Nutzung des Internet und des Computers an diesen beiden Orten (bei den Ashaninka und beim Ausbildungszentrum der CPI/AC) führte zu einer intensiven Befassung mit der Bedeutung des Internet für indigene Gruppen in dieser Region Brasiliens. Die Beobachtung fand durch die Begleitung der Internetprojekte sowohl durch Onlinerecherche als auch durch die Feldforschung vor Ort statt und auch durch den Kontakt zu Mitgliedern der entsprechenden Organisationen oder indigenen Gruppen.

Meine Vorgehensweise In meiner Arbeit untersuche ich die Nutzung des Internet durch brasilianische indigene Gemeinschaften oder durch einzelne Indigene dieser Gemeinschaften, die das Internet und den Computer im Interesse ihrer Gruppe einsetzen. Regional und bei jeder Gruppe sieht diese Begegnung mit dem Computer und dem Internet anders aus und überwiegend spiegelt meine Arbeit diese Beobachtungen und Interviews mit Indigenen und Nicht-Indigenen wieder, denen ich während der Feldforschungen begegnet bin, vor allem in den Bundesstaaten Acre, São Paulo, Bahia, Rio de Janeiro und Minas Gerais.6 Durch meine wiederholten Feldforschungen besonders im Bundesstaat Acre konnte ich das Verhältnis der Indigenen zu dem Computer und dem Internet untersuchen. Dort konnte ich beobachten, wie der Umgang mit dem Internet konkret und vor Ort stattfindet, was dieses neue Kommunikations- und Informationsmittel für die indigenen Gruppen bedeutet und wie es von den einzelnen Gruppen wahrgenommen und akzeptiert wird. Es wurden von mir überwiegend indigene Gemeinschaften aufgesucht, die an einem Internetprojekt teilnehmen sowie solche Indigene, die den Computer und das Internet benutzen, um ihre jeweilige Gemein4 5 6

Der Spiegel: »Índios online«, Nr. 40 vom 29.9.03, S. 116. CPI/AC: Kommission zur Unterstützung der Indigenen des Bundesstaates Acre. Für eine detaillierte Liste der Organisationen und indigenen Gruppen, mit denen ich in meiner Feldforschung arbeitete, siehe S. 78. 22

DIE INDIGENEN BRASILIENS UND DAS INTERNET

schaft in einem indigenen Gebiet zu unterstützen. Vor allem die indigenen Lehrer und Lehrerinnen sowie indigene Forsttechniker7 verschiedener Ethnien, die nach Rio Branco reisten, um an Fortbildungskursen im Ausbildungszentrum der CPI/AC teilzunehmen, wurden bezüglich der Frage interviewt und beobachtet, wie sie das Internet und den Computer benutzen. Im Ashaninka-Dorf Apiwtxa hatte ich ebenfalls die Möglichkeit zu untersuchen, mit welcher Zielsetzung und auf welche Weise das Internet in dieser Gemeinschaft eingesetzt wird. Vor allem die ersten Schritte der Begegnung, zu einer Zeit, als der Computer und das Internet noch etwas Neues für die Benutzer und ihre Gruppe waren und der Umgang mit dieser für die Indigenen neuen Technologie ungewohnt war, hatten für meine Untersuchung große Bedeutung, weil ich den Aneignungsprozess von Anfang an beobachten konnte.

Angewandte Methoden Die Forschungsvorbereitung begann Ende 2003 mit der Suche nach einschlägiger Literatur und Informationen über die verschiedenen Internetprojekte in Brasilien. Die im Spiegel erwähnte Nichtregierungsorganisation CDI führte mich in den Nordwesten Brasiliens, in den Bundesstaat Acre, wo der CDI, zusammen mit der Organisation CPI/AC, das Projekt Rede Povos da Floresta bei zwei indigenen Gruppen dieser Region einführte: nämlich bei den Yawanawa und den Ashaninka (siehe S. 79). Im Oktober 2003 rief ich beim CDI in Rio de Janeiro an und fragte nach, wie ich die indigenen Gemeinschaften in Acre kontaktieren könnte. Sie gaben mir die Telefonnummer von der CPI/AC, die mich daraufhin mit dem Yawanawa-Anführer Joaquim Tashka Yawanawa in Verbindung setzte. Sofort begann ich, meine Feldforschung zu planen, um die Arbeit des Projektes Rede Povos da Floresta näher kennen zu lernen. Durch weitere Recherchen im Internet stieß ich auf Internetprojekte anderer brasilianischer Organisationen und nahm Kontakt mit den Projektzuständigen auf, um Informationen über die verschiedenen Internetvorhaben zu sammeln. Dabei ermöglichte die Onlinerecherche einen Blick auf die Websites, die von brasilianischen Indigenen, indigenen Organisationen oder Institutionen, die indigene Gruppen unterstützen, produziert wurden. Einige für meine Forschung nützliche brasilianische Websites waren unter anderem: • Associação Guarani »Nhe’e Porã«: http://www.culturaguarani.hpg.ig.com.br/index.html

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Nur Männer besuchten den Kurs für indigene Forsttechniker im Ausbildungszentrum der CPI/AC. 23

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Comissão Pró-Índio do Acre (CPI/AC): http://www.cpiacre.org.br/ Comitê para a Democratização da Informática (CDI): http://www.cdi.org.br/ GRUMIN/ Rede de Comunicação Indígena: http://blog.elianepotiguara.org.br/ Instituto Socioambiental (ISA): http://www.socioambiental.org.br Projekt Índios On Line: http://www.indiosonline.org.br Rede Povos da Floresta: http://www.redepovosdafloresta.org.br/

Parallel dazu untersuchte ich einige indigene Websites anderer Länder, wie den USA, Australien und Kanada, um einen Überblick über die Art der Nutzung, Unterschiede und Ähnlichkeiten der Internetpräsenz von indigenen Gruppen zu gewinnen. Unter den ausländischen Websites zum Thema »indigenes Internet« befanden sich: • International Development Research Centre (IDRC): http://www.crdi.ca/index_en.html • Aboriginal Canada Portal: http://www.aboriginalcanada.gc.ca/ • World Summit on the Information Society (WSIS): http://www.itu.int/wsis/index.html • Indian Circle: http://www.indiancircle.com/8 Auch die Untersuchung verschiedener nicht-brasilianischer Organisationen und deren Berichte, die sich mit dem Thema Digital Divide und Indigenous Media befassen, wie zum Beispiel der 2004 Report on Aboriginal Community Connectivity Infrastructure (Aboriginal Canada Portal 2005) über die Nutzung des Internet bei indigenen Gemeinschaften in Kanada, war in meiner Forschung im Sinne eines interkulturellen Vergleichs bedeutsam. Die Analyse des Internet als Kommunikations- und Informationsplattform durch Indigene aus verschiedenen Ländern der Welt ist für meine Arbeit wichtig. Sie ermöglicht mir einen Überblick über die Bedeutung und Nutzung des Internet nicht nur für indigene Gruppen in Brasilien, sondern darüber hinaus in weiten Teilen der Welt. Als methodische Grundlage für die Analyse von Websites verwende ich vor allem Hine (2000). Ich untersuche die Darstellungsform der Website und analysiere die Aussagen, die die Gruppen darin präsentieren, insbesondere 8

Zur Liste der von mir untersuchten indigenen Websites siehe S. 249. 24

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um daraus Schlüsse über die Wichtigkeit des Internet als Kommunikationsmittel für die Gruppe zu ziehen. Ein wichtiger Punkt bei der Analyse der Websites ist, von wem diese gestaltet werden und wer diese aufbaut und inwiefern die Gruppe auf Hilfe von Nicht-Indigenen angewiesen ist. Auch die auf der Website vorhandenen Links und die in diesen veröffentlichten Materialien analysiere ich und versuche auf diese Weise, den Diskurs der Gruppe und ihre Botschaft an die Öffentlichkeit zu erfassen. Weil die Nutzung des Internet und die Internetprojekte ständig Veränderungen durchlaufen und eine Feldforschunguntersuchung in einem einzigen Aufenthaltszeitraum daher schnell zu einem überholten Datenmaterial führen kann, teilte ich die Feldforschung in verschiedene Phasen auf und reiste insgesamt vier Mal nach Brasilien (zwei Mal im Jahr 2004, jeweils einmal 2005 und 2006), um die schnellen Veränderungen erfassen und begleiten zu können. Darüber hinaus verfolgte ich Tendenzen in der Entwicklung der Internetnutzung an den von mir untersuchten Orten kontinuierlich weiter. Ich beobachtete, ob sich bei meinen Informanten die Nutzung des Internet im Laufe der Zeit veränderte, ob diese intensiver wurde und ob weitere Indigene, mit denen ich Kontakt hatte, das Internet nach meiner Rückkehr nach Deutschland zu nutzen lernten. Ebenso beobachtete ich die Entstehung von Websites oder Weblogs, verfolgte den Verlauf einzelner Projekte daraufhin, ob sich finanzielle Probleme ergaben oder Projekte erweitert wurden und ob bestimmte Projekte finanzielle Unterstützung von der Regierung erhielten. Die von mir eingesetzten Feldforschungsmethoden waren teilnehmende Beobachtung, Interviews, Auswertung von Zeitschriften, Zeitungsartikeln und Informationen über Internetprojekte für indigene Gemeinschaften, Besuche von Organisationen und Regierungsorganen, die mit indigenen Gruppen arbeiten und die Befragung von Mitarbeitern sowie von Indigenen verschiedener Gruppen. Insgesamt führte ich Interviews mit 54 Personen (31 Indigenen und 23 Nicht-Indigenen) durch. Zwar fertigte ich einen Fragebogen an, aber schnell erwies sich die Form des freien Interviews als weitaus ergiebiger. Fotografie bot eine ausgezeichnete Möglichkeit, die Aneignung und Nutzung des Internet durch die brasilianischen Indigenen zu dokumentieren. Obwohl ich zur ersten Reise meiner Feldforschung eine Videokamera mitnahm, um die Internetnutzung der von mir untersuchten indigenen Gruppen zu filmen, konnte ich diese nicht benutzen, da die Indigenen sich gegen Videoaufnahmen wandten (siehe S. 222). Audioaufnahmen waren bei einigen meiner Informanten ebenfalls unerwünscht. Als ich merkte, dass sie sich ohne Aufnahmegerät freier fühlten zu sprechen, gab

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ich die Nutzung des MD-Aufnahmegerätes9 auf und notierte die Aussagen meiner Informanten handschriftlich. Diese Methode war retrospektiv betrachtet besser, weil sie es erforderte, die Notizen nach den Begegnungen mit meinen anderen Informanten und an Projekten beteiligten Personen sofort zu ordnen, zu vergleichen, zu vervollständigen, zu bearbeiten und auszuwerten. Wichtig für den Erfolg meiner Forschungsarbeit war nicht zuletzt die kontinuierliche Information der einschlägigen Organisationen und Indigenen über mein Forschungsvorhaben. Dies führte zu einem Gewinn an Vertrauen und zur Unterstützung durch die an der Forschung beteiligten Parteien. Regelmäßig informierte ich diese während meiner Promotionszeit über die Ergebnisse meiner Untersuchungen sowie über meine Vorgehensweise. Ich sendete oder bekam E-Mails und bewahrte so die Kommunikation mit meinen Informanten, Organisationen und Universitäten, so dass dieser fortlaufende Kontakt es mir ermöglichte, Informationen über Veränderungen, Probleme oder Neuigkeiten zu erfahren und die Entwicklung zu verfolgen.

Forschungsstand Der Forschungsstand über die Nutzung des Internet durch lateinamerikanische Indigene ist noch gering. Das Thema ist aber von großer Relevanz für die Ethnologie und Medienwissenschaften, um die Frage der kulturellen Repräsentanz indigener Gruppen in den Medien beantworten zu können und um herauszufinden, wie neue kulturelle Prozesse wie die Nutzung des Internet stattfinden, welche kulturellen Veränderungen relevant für eine Kultur sein können oder wie indigene Identität konstruiert wird. Es geht außerdem darum, Globalisierungsprozesse und deren Einfluss auf Kulturen besser zu verstehen. Mittlerweile gibt es einschlägige Literatur über die Nutzung des Internet durch verschiedene Gemeinschaften auf der ganzen Welt, wie das Buch Native on the Net – Indigenous and Diasporic Peoples in the Virtual Age (Landzelius 2006) zeigt. Aber hinsichtlich der lateinamerikanischen Indigenen stieß ich selten auf wissenschaftliche Literatur über den Gebrauch dieses neuen Mediums. Ich orientierte mich vor allem an Artikeln wie zum Beispiel von Marisa Belausteguigoitia (2006), Diana Sagástegui (2006) und Manuel Castells (2002) über die Rolle des Internet in der Zapatistischen Bewegung Mexikos oder von Maximilliam C. Forte über das Internet und indigene Identität in der Karibik (2006).

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MD: Mini Disc. 26

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Texte, die sich mit der Nutzung des Internet durch südamerikanische indigene Gruppen befassen, fand ich lediglich im Internet, wie zum Beispiel über die Mapuche aus Chile (Centro de Documentación Mapuche o.D.) oder Mauricio Beltráns (2002) Berichte über die Präsenz des Internet in einer peruanischen Ashaninka-Gemeinschaft für die kanadische Organisation IDRC und ebenfalls Texte über die Internetnutzung durch brasilianische Indigene, die vor allem von den von mir untersuchten Projekten stammen, nämlich von den Websites des Projektes BAY, des Projektes Rede Povos da Floresta und des Projektes Índios On Line, die ich im Verlauf der Arbeit näher erläutern werde. Weitere Werke über die indigene Nutzung von Medien, die meine Arbeit prägten, waren die Arbeit von Terence Turner (1991, 2002) und über die Nutzung der Videokamera bei den brasilianischen Kayapo, von Dominique Gallois und Vincent Carelli (1995) über das brasilianische Projekt Video nas Aldeias sowie von Faye Ginsburg über indigene Medien (1992, 2002) und Dorle Dracklé (1999) über Medienethnologie. Ich konnte mich nicht mit dem Thema Internetnutzung durch Indigene befassen, ohne das Thema »Indigene Identität« zu berücksichtigen. Deswegen spielten einige Arbeiten über indigene Identität eine bedeutsame Rolle in meiner Arbeit, wie das Buch Indigenous Cultures and their Futures von Jeffrey Sissons (2005), Arbeiten der brasilianischen Ethnologin Alcida Ramos (1998), die sich intensiv mit indigener Identität in Brasilien und »Indigenität« beschäftigt und nicht zuletzt das Buch A Will to Survive, herausgegeben von Stephen Greymorning (2004), in dem vierzehn indigene Autoren über indigene Identität schreiben. In meiner Auseinandersetzung mit kulturellen Anpassungsprozessen durch indigene Kulturen in Brasilien griff ich auf Arbeiten von Stuart Hall (1994, 2003) und Homi Bhabha (1994, 1997) über Hybridität und Transkulturalität zurück. Beim Thema »Kulturelle Anpassung und Hybridität« darf Néstor García Canclini mit seiner Arbeit Culturas Híbridas – Estrategias para entrar y salir de la modernidad (1992) nicht unerwähnt bleiben. Er hat mich auf die Idee einer »kulturellen Anthropophagie« gebracht (siehe S. 205).

Begriffsdefinitionen Bereits in meiner Untersuchung über die soziopolitische Lage brasilianischer Indigene (Fernandes Ferreira 2002) plädierte ich für die Nutzung des Wortes »Indigene« anstelle von »Indianer« oder Índio. Die Begriffe »Indianer« und Índio sind historisch belastet, was mit der Kolonisierungszeit von Nord-, Mittel- und Südamerika zusammenhängt. Der Begriff Índio ist in Brasilien negativ konnotiert. Heutzutage wird von Wis-

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senschaftlern und Menschrechtsvertretern überwiegend der Begriff Indígena verwendet. Da ich aber einen deutschen Begriff benutzen möchte, verwende ich in meiner Arbeit das Wort »Indigene«. Im internationalen politischen Kontext wird der Begriff »indigene Völker« als Bezeichnung für ethnische Gruppen aller Kontinente gebraucht. Im nationalen Rahmen werden oft andere Begriffe verwendet, wie zum Beispiel Aborigines, Native Americans, First Nations, Adivasi. In meiner Arbeit verwende ich die Bezeichnung »indigene Gruppen« oder Ethnien in dem Sinn der UN-Definition, ausgearbeitet vom Berichterstatter der Subkommission der UN, J. Martínez Cobo, der eine vorsichtige, einleitende Analyse des Begriffes indigenous für die Working Group on Indigenous Populations anbot: »Indigenous communities, peoples and nations are those which, having a historical continuity with pre-invasion and pre-colonial societies that developed on their territories, consider themselves distinct from other sectors of the societies now prevailing in those territories, or parts of them. They form at present nondominant sectors of society and are determined to preserve, develop and transmit to future generations their ancestral territories, and their ethnic identity, as the basis of their continued existence as peoples, in accordance with their own cultural patterns, social institutions and legal systems« (Cobo, Martínez: Study of the problem of discrimination against indigenous populations, United Nations Publication, Sales No. E.86.XIV.3, para. 379, zit. n. UNHCHR 1996: 910).

Indigene selbst vertreten die Meinung, dass eine festgeschriebene und allgemeingültige Definition für den Begriff indigenous peoples von Seiten der UN nicht notwendig oder erwünscht ist. Sie betonen vielmehr die Wichtigkeit der Selbstbezeichnung, nämlich die Nutzung des von ihnen selbst verwendeten Namens (UNHCHR 1996: 12). Daher werde ich versuchen, die indigenen Gruppen so oft wie möglich mit ihrer eigenen Bezeichnung zu benennen und nur wenn notwendig im kollektiven Sinn den Begriff »indigene Gruppen« zu verwenden. Ein weiterer schwer zu definierender Begriff ist der Begriff Kultur, der in jedem Fach anders interpretiert werden kann. Ich werde aber nicht auf die verschiedenen und reichhaltigen Diskussionen um diesen Begriff eingehen, deswegen fasse ich kurz zusammen, wie ich den Begriff verstehe: Unter Kultur verstehe ich die Gesamtheit von immateriellen und materiellen Gütern, die von einer Gruppe als ihre anerkannt wird. Es handelt sich um »[…]die Handlungs- und Denkweisen, aber auch [um] die materiellen Hervorbringungen bestimmter menschlichen Gemeinschaften […]« (Lang 1999: 220).

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Auch der Begriff Ethnizität kann unterschiedlich erfasst werden. Ich selbst setze »ethnische Identität« dem Begriff »Ethnizität« gleich, welcher unter anderem den Prozess »[…] der kulturellen Differenzierung von Bevölkerungsgruppen in Form der Selbst- und Fremdzuschreibung spezifischer Traditionen innerhalb von Staaten, aber auch staatsübergreifend« bezeichnet (Orywal 1999: 100). Laut Stuart Hall (1994: 61) ist Ethnizität »der notwendige Ort oder Raum, von dem aus Menschen sprechen«. In seinem Artikel »Ethnizität: soziale Bewegung oder Identitätsmanagement?« weist Christian Giordano (1981) auf Unterschiede zwischen dem angloamerikanischen Begriff Ethnicity und dem europäischen Begriff Ethnizität hin. Gleichzeitig vergleicht er zwei europäische Ethnizitätskonzepte, nämlich Ethnizität nach Lanternari – die als »ein Phänomen der Basis« aufgefasst wird – und das Ethnizitätskonzept nach Greverus – das als eine »von oben induzierte Erscheinung« verstanden wird.10 Obwohl Lanternari und Greverus Ethnizität unterschiedlich betrachten, ist Giordano der Auffassung, dass beide Konzeptionen sich »[…] auf zwei unterschiedliche Phasen, oft aufeinander folgenden Phasen des Gesamtprozesses« beziehen. Giordano betrachtet diese beiden Phasen als miteinander verbunden, weil seiner Meinung nach soziale Bewegungen »[…] eine Tendenz zur Stabilisierung, d.h. zur Institutionalisierung in sich tragen« (Giordano 1981: 179). Beim angloamerikanischen Begriff Ethnicity kritisiert Giordano die Interpretation dieses Begriffes als nur »[…] die differentielle Analyse der jeweiligen ethnischen Gruppierungen« und plädiert für eine »[…] eindeutige theoretische Fundierung des Begriffes« (Giordano 1981: 180; kursiv im Original). Der britische Ethnologe J. C. Mitchell zum Beispiel unterscheidet, beim Versuch die verschiedenen Konzeptionen vom Begriff Ethnicity herauszuarbeiten, zwei Auffassungen: »die strukturelle und die kognitive« (Giordano 1981: 180). Das strukturelle Ethnicity-Konzept wird kurz »[…] als ein Phänomen des System of Actions« aufgefasst und das kognitive als »[…] eine Erscheinung des System of Values and Beliefs« betrachtet, so Giordano (1981: 181). Dennoch gibt es auch Kritiker, die gegen eine klare Trennung zwischen den objektiven und subjektiven Merkmalen des Begriffs Ethnicity sind. Laut Giordano bemühe sich P. L. van der Berghe zum Beispiel um eine »synthetische Definition von Ethnicity« und behaupte, »[…] dass Ethnicity vielmehr aus der Interaktion struktureller – wie etwa gemeinsame, von anderen ethnischen Gruppen unterschiedliche traditionelle Handlungsweisen – und kognitiver Faktoren – wie etwa die ethnische Selbstzuordnung – besteht« (Giordano 1981: 181). 10 Lanternari betrachtet Ethnizität »als soziale Bewegung«, während Greverus sie »in enger Verbindung mit Identitätsmanagement sieht« (Vgl. Giordano 1981: 183). 29

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Beim Vergleich der Begriffe Ethnicity und Ethnizität fügt Giordano hinzu, dass Ethnicity sich eher auf »[…] die Gesamtheit der Wesenszüge von Ethnos«11 konzentriere, während der Begriff »Ethnizität« nach Greverus (1981: 224) »[…] die Bestrebungen, die auf Bestätigung, Verteidigung bzw. Verbesserung der ethnischen Identität abzielen« (Giordano 1981: 183) beinhalte. Greverus definiert Ethnizität »als einen Prozess […] bei dem menschliche Gruppen bewusst ethnische Charakteristika als Abgrenzungskriterien gegenüber anderen Gruppen einsetzen, um in ihrem gesellschaftlichen Dasein bestimmte Ziele zu erreichen« (Greverus 1981: 223). Der italienische Ethnologe Lanternari dagegen betrachtet, laut Giordano, »Ethnizitätsbestrebungen als Reaktion marginalisierter Gruppen gegen die Homogenisierungsaktivitäten von internationalen politischen Organisationen, von wirtschaftlichen multinationalen Konzernen und von ökumenischen religiösen Institutionen« (Giordano 1981: 184). Aber so wie Giordano vertrete ich die Meinung, dass man Ethnizität nicht als nur eine Klassenkampfstrategie deuten darf. Vielmehr teile ich Giordanos Auffassung, dass: »Ethnizität beinhaltet […] die Suche bestimmter marginalisierter Gruppen nach einer Identität, die ihrerseits durch ethnische Merkmale […] gekennzeichnet ist« (Giordano 1981: 184). Giordano (1981: 189) weist dennoch mit Recht darauf hin, dass es einseitig wäre »[…] Ethnizität nur unter dem Gesichtspunkt der sozialen Bewegung zu analysieren«. In Hinblick auf Brasilien ist der Begriff Ethnizität meines Erachtens mehr als nur durch soziale Bewegung begründet. Ethnizität nach einem brasilianischen Modell betrachte ich als das von Mitchell genannte »kognitive« Ethnizitätskonzept, nämlich als »[…] eine Erscheinung des System of Values and Beliefs« (Giordano 1981: 181). Desgleichen entsteht Ethnizität im Fall der Indigenen Brasiliens, meiner Meinung nach, als soziale Bewegung, wie Lanternari, gemäß Giordano, betont »[…] aus der spontanen, kollektiven Frustration bzw. Empörung gegen die sogenannte dekulturative Herausforderung einer dominante Fremdkultur« (Giordano 1981: 191).

11 Ich gebe hier die zusammenfassende Beschreibung des Begriffs Ethnos wieder, den Giordano in seinem Artikel herausarbeitete. Giordano fasst den Begriff Ethnos als eine Gruppe von Menschen zusammen, die »(a) über gemeinsame historisch investierte Erfahrungen im Sinne von sedimentierter Tradition verfügt, (b) die sich durch das Bewusstsein ihrer Einheit, das sog. Wir-Gefühl, sowie durch dementsprechende Abgrenzungs- bzw. Segregationsmechanismen auszeichnet, (c) die gemeinsame, stabile, pekuliäre sozio-kulturelle Handlungsmuster besitzt« (Giordano 1981: 182-183; kursiv im Original). 30

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Auch der Begriff »dominierende Gesellschaft« kommt in meiner Arbeit des Öfteren vor. Hierbei handelt es sich um den Teil einer Gesellschaft, der sich politisch, ökonomisch und sozial durchzusetzen versteht und zwar in verschiedenen Lebens- und Alltagssegmenten und Strukturen eines Staates. Der politischen und sozialen Macht dieser »dominierenden Gesellschaft« sind ethnische Minderheiten unterworfen, wie das bei den Indigenen Brasiliens der Fall ist, die auch heute noch den Gesetzen, Idealen und der Politik der nicht-indigenen Mehrheit unterliegen. Den Begriff »Gemeinschaft« verwende ich in meiner Arbeit als Bezeichnung für eine »demographische überschaubare Gruppe« (Müller, W. 1999: 146), die auf einem Gebiet zusammen lebt und eine kollektive Identität als Wir-Gruppe bildet (Elwert 1999b: 414). Ebenfalls benutze ich den Begriff »Gruppe« anstatt des Wortes »Stamm«, um das Gebilde der Mitglieder einer indigenen Gruppe zu bezeichnen. Den Begriff »Ethnie« verwende ich, um die gemeinsame kulturelle und verwandtschaftliche Abstammung einer indigenen Gruppe zu bezeichnen, die vor allem über gemeinsame Sprache, Abstammung und gemeinsame Kultur verfügt (Elwert 1999a: 99-100). Nach dieser kurzen Erläuterung einiger Begriffe möchte ich nun im nächsten Punkt den Ablauf meiner Feldforschung präsentieren.

Stationen/Abschnitte der Feldforschung Wie bereits erwähnt, teilte ich die Feldforschung in vier Phasen ein. Dieses war meines Erachtens positiv für meine Untersuchung, da ich kontinuierlich Veränderungen beim Umgang der indigenen Gemeinschaften mit dem Internet sowie bei Projekten verfolgen konnte. Nun werde ich die einzelnen Phasen kurz beschreiben, um einen Überblick über den Verlauf der Feldforschung zu geben.

Erste Phase: 06. Januar bis 15. März 2004 Im Januar 2004 flog ich zum ersten Mal nach Brasilien, um erste Daten für die Arbeit zu sammeln. Zunächst war ich vier Wochen in São Paulo, wo ich mich über einschlägige Literatur und über die an die indigene Bevölkerung gerichteten brasilianischen Internetprojekte informierte. Im Februar besuchte ich den Bundesstaat Acre im Nordwesten Brasiliens, um die Nichtregierungsorganisation CPI/AC und das von der NGO CDI (Comitê para a Democratização da Informática – Ausschuss für die Demokratisierung von Informationstechnologien) ins Leben gerufene Internetprojekt Rede Povos da Floresta kennen zu lernen (siehe S. 79). In der Hauptstadt Rio Branco traf ich des Weiteren Tashka Yawanawa, mit

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dem ich seit Oktober 2003 mittels E-Mail und Telefonaten in Kontakt stand, um über die Feldforschung in Acre zu sprechen und Informationen über die Präsenz des Internet in dem Yawanawa-Dorf Nova Esperança zu gewinnen. Er öffnete mir die Türen zu dem Thema »Die Indigenen Brasiliens und das Internet« und organisierte für mich viele Interviews in der Stadt Rio Branco mit Mitgliedern seiner Gemeinschaft. Durch den intensiven Kontakt mit ihm konnte ich außerdem beobachten, wie die Kommunikation zwischen Stadt und Yawanawa-Dorf mithilfe des Internet stattfand. Die Verbindung mit diesem jungen Yawanawa-Anführer war von großer Bedeutung für den Beginn meiner Forschung. Durch ihn konnte ich von Anfang an wichtige Basisinformationen für meine Arbeit gewinnen. Das Kennenlernen der Organisation CPI/AC war für meine Forschung ebenfalls ausschlaggebend. Die Mitarbeiter der Organisation verschafften mir einen Überblick zum Thema »Indigenes Internet«, seine Nutzung, Probleme, vorhandene Vorurteile der nicht-indigenen Gesellschaft, sowie die zukünftigen Aussichten des Projektes Rede Povos da Floresta, aber auch über die Lage der indigenen Gruppen im Nordwesten Brasiliens. Darüber hinaus erhielt ich allgemeine und spezielle Materialien über die Indigenen in Acre und die Arbeit von CPI/AC, was zum Hintergrundverständnis des behandelten Themas sehr wichtig war. Ich besuchte ebenfalls Regierungsinstitutionen, Museen und alle Organisationen, die sich mit Indigenenfragen beschäftigten. Auf diese Weise erhielt ich einen umfassenden Überblick über die Situation der Indigenen in dieser Region Brasiliens.

Zweite Phase: 15. August bis 23. Oktober 2004 Im August 2004 bin ich erneut nach Brasilien gereist, um die zweite Phase der Feldforschung durchzuführen. Zunächst versuchte ich von Acre aus in ein indigenes Gebiet zu gelangen. Da ich bei dem ersten Aufenthalt in Acre nicht genügend Zeit hatte, um in das Yawanawa-Gebiet zu fahren, sollte dies im August stattfinden. Leider klappte es nicht, da Tashka Yawanawa verreist war und ich ohne ihn nicht in das Gebiet fahren konnte. Bei den Ashaninka, die ebenfalls über das Internet in ihrem indigenen Dorf verfügen, war die Lage sehr kompliziert. Sie standen kurz vor einer bewaffneten Auseinandersetzung mit Arbeitern einer peruanischen Holzfirma, die illegal auf Ashaninka-Gebiet abholzten. Der Ashaninka-Anführer Isaac Piyãko schloss daher die Möglichkeit aus, mich in sein Gebiet mitzunehmen, solange sich die Lage dort nicht beruhigt hatte.

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Da ich in Acre kaum weitere Möglichkeiten zur Informationssammlung hatte, entschloss ich mich nach Brasília, Rio de Janeiro, São Paulo, Salvador und Belo Horizonte zu reisen, um dort die verschiedenen Internetprojekte kennen zu lernen und Daten für meine Forschung zu sammeln. In Rio de Janeiro besuchte ich die NGO CDI, die das Internetprojekt Rede Povos da Floresta ins Leben rief, welches einen Schwerpunkt in meiner Arbeit bildet. Dort traf ich mich mit Mitarbeitern des Projektes, besuchte die Organisation und interviewte einige Indigene, die am 1. Treffen indigener Schriftsteller in Brasilien (1° Encontro de Escritores Indígenas) am 22. und 23. September teilnahmen. Beim Treffen der indigenen Schriftsteller lernte ich den indigenen Ethnologen und Schriftsteller Daniel Munduruku und die indigene Schriftstellerin Eliane Potiguara kennen, die aktiv in der indigenen Bewegung Brasiliens tätig sind und den breiten Zugang der Indigenen bei der Nutzung des Internet befürworten und unterstützen (siehe S. 73). In Rio de Janeiro hatte ich ebenfalls das Glück Ailton Krenak kennen zu lernen und interviewen zu können, eine einflussreiche Persönlichkeit der indigenen Bewegung Brasiliens und ebenfalls Mitwirkender beim Projekt Rede Povos da Floresta (siehe S. 87). Nach dem Aufenthalt in Rio flog ich weiter nach São Paulo, wo ich die Guarani-Gemeinschaft Nhe’e Porã besuchen wollte, einer der indigenen Gemeinschaften, die sich im Internet mit einer Website präsentieren (siehe S. 60). Leider konnte ich aufgrund von schlechten Transportmöglichkeiten und der kurzen Zeit, die ich in São Paulo verbrachte, nicht zu den Guarani fahren. Die Guarani-Gemeinschaft liegt in einem Stadtteil außerhalb der Metropole São Paulo und ist ohne Auto, schwer zu erreichen. Ich entschied mich daher, meinen Besuch bei der Guarani-Gemeinschaft abzusagen.12 Noch in São Paulo traf ich mich mit dem Ethnologie-Professor der Pontifícia Universidade Católica de São Paulo (PUC-SP – Päpstliche Universität von São Paulo), Rinaldo Sérgio Vieira Arruda, der mich über den Stand der Forschung im Bereich indigener Internetnutzung informierte. Nach seiner Kenntnis und Information von anderen brasilianischen Ethnologen, schien ich die erste zu sein, die sich mit dem Thema Internet bei brasilianischen Indigenen beschäftigt. Später veröffentlichte eine seiner Studentinnen eine Liste mit einigen Websites aus Brasilien und Süd-

12 Trotzdem möchte ich mich bei den Guarani der Associação Guarani Nhe’e Porã der Stadt São Paulo herzlich bedanken, für ihre Freundlichkeit und Bereitschaft, mir bei meiner Arbeit zu unterstützen. 33

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amerika, um ein Bild über die Nutzung des Internet durch die Indigenen in Südamerika zu vermitteln.13 Nach meinem Aufenthalt in São Paulo reiste ich weiter nach Salvador. Dort besuchte ich die Nichtregierungsorganisation THYDÊWÁ, die das Internetprojekt Índios On Line ins Leben rief (siehe S. 89) und interviewte Mitarbeiter der Organisation über die Ziele des Projektes und seine Umsetzung.14 Letztes Reiseziel war Belo Horizonte, die Hauptstadt des Bundesstaates Minas Gerais im Südosten Brasiliens. Hier lernte ich das Projekt BAY kennen, das von der Faculdade de Letras der Universidade Federal de Minas Gerais (UFMG – Institut für Sprachwissenschaft der Bundesuniversität von Minas Gerais) ins Leben gerufen wurde. Dort interviewte ich Maria Inês de Almeida, Professorin für brasilianische Literatur und Koordinatorin des Internetprojekts BAY (siehe S. 102), die seit Jahren mit Indigenen aus verschiedenen indigenen Gemeinschaften in Minas Gerais arbeitet. All diese Reisen und Interviews mit Projektleitern ermöglichten mir einen Überblick über verschiedene Internetprojekte, die in Brasilien für indigene Gemeinschaften geschaffen wurden und waren von großer Bedeutung zum besseren Verständnis der Projekte und deren Ziele.

Dritte Phase: 01. März bis 10. Mai 2005 Im März 2005 flog ich zur Fortsetzung meiner Feldforschung erneut nach Brasilien und verbrachte sieben Wochen im Bundesstaat Acre. Diesmal wollte ich endlich eine indigene Gemeinschaft mit Internetanschluss besuchen, die am Projekt Rede Povos da Floresta teilnimmt. Da die NGO CPI/AC einen Fortbildungskurs für indigene Lehrer in dieser Zeit anbot, entschloss ich mich, als erstes vier Wochen lang diesen Kurs zu besuchen, da es eine gute Gelegenheit war, um zu sehen, wie das Internet im Ausbildungszentrum der CPI/AC von den dort präsenten indigenen Lehrern benutzt wurde. Parallel dazu bemühte ich mich bei eini13 Die Geisteswissenschaftsstudentin Gláucia Paschoal entwickelte eine Forschung über Auto-imagem indígena e ciberespaço und fertigte eine Liste indigener Websites. Im April 2005 schickte sie mir eine E-Mail, um sich über die Präsenz Indigener im Internet zu informieren. Ich schickte ihr dann einige Adressen indigener Websites. Im September 2007 informierte sie mich per E-Mail über ihr Weblog über indigene Websites: http://sites indigenas.blogspot.com/ vom 19. März 2008. 14 Ursprünglich überlegte ich, Feldforschung bei einer indigenen Gruppe aus dem Nordosten Brasiliens, wo die NGO THYDÊWÁ tätig ist, durchzuführen. 34

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gen meiner Ashaninka- und Yawanawa-Informanten um die Möglichkeit eines Besuchs in ihren Gebieten. Vor dem Ende des Kurses teilten mir die Ashaninka-Lehrer mit, dass ich mit ihnen im Anschluss an den Fortbildungskurs in ihr Gebiet reisen dürfte, damit ich die dortige Nutzung des Internet erforschen könnte. Möglich war dies aber nur durch den bereits seit 2004 bestehenden Kontakt und die vielen Interviews mit jungen Ashaninka-Anführern, E-Mails, Telefonate und schließlich durch den Kontakt im Ausbildungszentrum. Direkt nach Beendigung des Fortbildungskurses für die indigenen Lehrer fuhr ich zum Ashaninka-Gebiet am Fluss Amônia im Bundesstaat Acre. Dort verbrachte ich zwei Wochen, in denen ich mich hauptsächlich auf die Nutzung des Internet durch die Ashaninka-Lehrer konzentrierte. Ich wäre zwar gerne bereits früher hingefahren, musste aber auf das Ende des Ausbildungskurses warten, um gemeinsam mit den AshaninkaLehrern in ihr Gebiet zu fahren. Trotz des kurzen Aufenthaltes in der Ashaninka-Gemeinschaft Apiwtxa war dies eine intensive Feldforschungserfahrung und enorm förderlich für meine Arbeit. Nach meinem siebenwöchigen Aufenthalt in Acre kehrte ich nach São Paulo und Minas Gerais zurück. Dort informierte ich mich insbesondere über neue brasilianische Literatur zum Thema »Indigene Mediennutzung«.

Vierte Phase: 10. bis 24. Juli 2006 Obwohl zu Anfang insgesamt drei Feldforschungsaufenthalte in Brasilien geplant waren, entschloss ich mich im Jahr 2006 spontan zu einer vierten Reise nach Acre, um mich über die aktuelle Lage des Internet beim Ausbildungszentrum der CPI/AC zu informieren und eine Gruppe indigener Forsttechniker zu interviewen, die zur Zeit meines Aufenthaltes dort einen Kurs besuchten. In Rio Branco, Acre, verbrachte ich dann zwei Wochen im Ausbildungszentrum der CPI/AC. Durch diese Reise erfuhr ich zum einen von Veränderungen im Projekt Rede Povos da Floresta und konnte zum anderen im Ausbildungszentrum der Organisation CPI/AC mit indigenen Forsttechnikern direkt am Computer arbeiten (siehe S. 122).

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Tabelle 1: Stationen/Abschnitte der Feldforschung Datum

1. Phase: 06. Januar bis 15. März 2004

Aufenthaltsort

Feldforschung

06. Januar bis 03. Februar: São Paulo

Universität PUC-SP, Sozio-Umweltinstitut ISA (Instituto Socioambiental) Interviews mit Tashka Yawanawa und anderen Yawanawa, die sich in Rio Branco aufhielten

04. bis 26. Februar: Rio Branco (Acre)

Interviews mit Mitarbeitern von CPI/AC und Teilnahme am Fortbildungskurs für indigene Lehrer 27. Februar bis 15. März: São Paulo und Minas Gerais

2. Phase: 15. August bis 23. Oktober 2004

Interviews mit Organisationen, die mit indigenen Gruppen arbeiten (Amazonlink, CIMI-Rio Branco, UNI-Acre)

20. August bis 19. September: Rio Branco (Acre)

Suche nach wissenschaftlicher Literatur und Informationen über Indigene und den Medien Interviews mit Mitarbeitern der CPI/AC und dem Staatskultursekretariat von Acre (Departamento do Patrimônio Histórico Cultural do Acre) Besuche von verschiedenen Institutionen, Museen und Suche nach Lokalliteratur über die Indigenen Acres

19 bis 22. September: Brasília (D.F.)

Teilnahme an der Semana Ashaninka Apiwtxa (Ashaninka-Woche der Gemeinschaft Apiwtxa) organisiert von der Universität Brasília und der Associação Ashaninka do Rio Amônia – APIWTXA (Ashaninka-Vereinigung des Flusses Amônia – APIWTXA).

23. bis 27. September: Rio de Janeiro

Interviews mit Mitarbeitern vom CDI (Comitê para a Democratização da Informática), Virgínia Gandres, João Fortes, Ailton Krenak sowie mit den indigenen Schriftstellern Eliane Potiguara und Daniel Munduruku.

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DIE INDIGENEN BRASILIENS UND DAS INTERNET Rückkehr nach São Paulo und Minas Gerais 04. bis 09. Oktober: Salvador (Bahia)

Interview mit Mitarbeitern der NGO THYDÊWÁ über das Projekt Índios On Line

10. bis 16. Oktober: Belo Horizonte (Minas Gerais)

Interview mit Professorin Maria Inês de Almeida der Universidade Federal de Minas Gerais (UFMG) über das Projekt BAY

16. bis 22. Oktober: São Paulo 01. bis 26. März: Rio Branco (Acre) 3. Phase: 28. März 01. März bis bis 12. April: 10. Mai 2005 Apiwtxa (Acre)

Feldforschung im Ausbildungszentrum der CPI/AC Feldforschung in der Ashaninka Gemeinschaft Apiwtxa am Fluss Amônia

15. April bis 10 Mai: São Paulo und Minas Gerais 4. Phase: 10. bis 24. Juli 2006

10. bis 24. Juli: Rio Branco (Acre)

Feldforschung im Ausbildungszentrum der CPI/AC

Siehe Karte mit den Feldforschungsaufenthaltorten auf S. 17.

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DIE INDIGENEN BRASILIENS

UND IHRE SOZIALE

UND POLITISCHE

LAGE

Ich kann nicht auf die Internetnutzung der Indigenen Brasiliens eingehen, ohne auf ihre allgemeine aktuelle Situation hinzuweisen. Aus diesem Grund möchte ich zunächst ihre politische und soziale Lage kurz beschreiben, damit die Notwendigkeit der Internetnutzung durch die brasilianischen Indigenen verständlich wird.

B r a si l i e n u n d s e i n e I n d i g e n e Brasilien ist ein so genanntes Schwellenland mit circa 190 Millionen Einwohnern. Davon haben sich in der letzten Volkszählung im Jahr 2000 etwas mehr als 700.000 Menschen als Indigene identifiziert. Die Zahlen schwanken zwischen 400.000 und 700.000 Indigenen, je nach Informationsquelle (FUNAI, IBGE, CIMI und ISA), was ungefähr 0,2 bis 0,4 % der brasilianischen Bevölkerung entspricht (Ricardo 2000: 15). Da große Unstimmigkeit über die genaue Größe der indigenen Bevölkerung Brasiliens existiert, fordert das brasilianische Sozio-Umweltinstitut ISA (Instituto Socioambiental) eine Verbesserung in der Befragung und Methodologie der Volkszählung sowie der Vorbereitung der an der Befragung beteiligten Mitarbeiter. Die Ethnologin Marta Azevedo plädiert für eine Volkszählung, in der die indigenen Gemeinschaften in alle Arbeitsphasen miteinbezogen werden (Instituto Socioambiental o.D.). Nachdem in der Volkszählung des Jahres 2000 die Angabe über die ethnische Zugehörigkeit »Indigen« eingeführt wurde – neben den bis dahin verwendeten Bezeichnungen für die Hautfarben Weiß, Schwarz, Gelb, Pardo1 –, zeigte sich zwischen der letzten Volkszählung im Jahr 2000 und der Volkszählung im Jahr 1991 ein respektiver Zuwachs an Personen, die sich als Indigene deklariert haben. Die Einführung des Begriffs »Indigen« ermöglicht vielen sich als Indigene zu äußern, je nach ihrem persönlichen Zugehörigkeitsgefühl zu einer entsprechenden Gruppe. Es ist eine Frage der 1

Dunkelhäutig oder Mulatte, siehe IBGE 2005: 12. 39

DIE INDIGENEN BRASILIENS UND DAS INTERNET

Identifikation mit der eigenen indigenen Herkunft – wobei die Selbstbezeichnung, indigen zu sein zugleich für die Debatte darüber sorgt, wer sich als Indigen bezeichnen darf. Seit der Ankunft der Europäer in Brasilien hat sich die indigene Bevölkerung von der geschätzten ursprünglichen Zahl von etwa zwei bis vier Millionen Menschen stark verringert.2 Die Entdeckungswelle des südamerikanischen Kontinents verursachte eine heftige Begegnung zwischen zwei Welten (»two Others«), so de Munter (2004: 90). Sie führte zur Begegnung zweier ganz verschiedener Kulturen, die sich vorher nicht kannten. In dem Kolonisierungsprozess und den darauf folgenden Jahrhunderten wurden die Indigenen und ihre Kulturen missachtet, gedemütigt und beinahe völlig vernichtet. Es fand kein irgendwie gearteter »gleichberechtigter« kultureller Austausch statt, sondern eine einseitige kulturelle Annektion, eine zerstörerische Welle kulturellen Entzugs und rücksichtsloser Ausbeutung. Heute gibt es in Brasilien circa 220 indigene Gruppen und 170 indigene Sprachen. Jede Ethnie besitzt eigene Traditionen, Glauben oder Sprache und eine spezifische Geschichte im Verhältnis zur ehemaligen Kolonialmacht sowie mit den darauf folgenden brasilianischen Regierungen (IBGE 2005: 13). Im Laufe der Geschichte Brasiliens waren die Indigenen Gesetzen unterworfen, die ihnen eigene Rechte absprachen. Die erste Indigenen-Schutzbehörde SPI (Serviço de Proteção ao Índio), im Jahre 1910 gegründet, wurde 1967 wegen Korruption, gewalttätiger Politik und Skandalen aufgelöst (Prezia/Hoornaert 2000: 198ff.). Doch trotz der anschließend gegründeten, bis heute existierenden Indigenenbehörde FUNAI, der Fundação Nacional do Índio,3 stehen sie praktisch un-

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Auch hier gibt es verschiedene Angaben über die geschätzte Zahl von Indigenen in Brasilien um das Jahr 1500. Monteiro (1994: 17-19) und Melatti (2004: 31ff.) weisen darauf hin, dass wenn es heute bereits schwierig ist, eine richtige Angabe über die indigene Bevölkerung in Brasilien zu machen, eine annähernde Schätzung der indigenen Bevölkerung im 16. Jahrhundert nahezu unmöglich ist. Im Jahr 1967 wurde die Indigenenbehörde FUNAI ins Leben gerufen, mit der Hoffnung, ihre Aufgabe im Dienst der indigenen Bevölkerung zu erfüllen. Leider erfüllt die FUNAI bis heute ihre Aufgabe nicht und ist immer noch weit von dem Ziel entfernt, den Interessen und Rechten der brasilianischen Indigenen gerecht zu werden. Im März 2007 trat der Ethnologe Márcio Meira das Amt als Präsident bei der FUNAI an. Bei seiner Amtseinführung betonte Meira, dass FUNAI ein Verhandlungsorgan in politischen Fragen zwischen indigenen Gruppen und dem Statt sein muss. Meira lässt Raum zur Hoffnung für eine bessere FUNAI, aber nur die Zeit 40

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ter Bevormundung. Aber die Indigenen Brasiliens dulden nicht mehr, dass die FUNAI die »Oberhand über ihre Rechte« behält. Nach jahrhundertelanger Unterdrückung durch die Kolonialisierung und die postkoloniale Gesellschaft organisiert sich die indigene Bewegung Brasiliens4 seit den 1970er Jahren immer mehr und versucht, sich gegen soziale und wirtschaftliche Ungerechtigkeiten zu wehren und sich in der brasilianischen Gesellschaft Respekt zu verschaffen. So wurden etliche indigene Organisationen und überregionale Verbände seit den 1980er Jahren gegründet, um die Lebenssituation ihrer Gemeinschaften zu verbessern. Unterstützt wird die indigene Bewegung in ihrem Kampf vor allem von brasilianischen und ausländischen Organisationen, die sich gezielt für die Rechte der Indigenen einsetzen. Seit dieser politische Kampf organisiert und überregional geführt wird, konnte die indigene Bewegung bereits einige Erfolge verzeichnen, die in den letzten Jahrzehnten erzielt wurden, wie zum Beispiel das Recht auf differenzierte Schulausbildung, das in der brasilianischen Verfassung von 1988 festgeschrieben wurde (Prezia/Hoornaert 2000: 209-210). Das Bild der Indigenen und der indigenen Bewegung ändert sich seitdem in der brasilianischen Gesellschaft. Viele Rechte, die ihnen früher aberkannt wurden, werden heute anerkannt. Ein aktuelles Beispiel, das als Fortschritt und Sieg der indigenen Bewegung gelten kann, ist die Zeitungsmeldung vom November 2006 über die Anerkennung von drei kooffiziellen indigenen Sprachen in der Stadt São Gabriel da Cachoeira im Bundesstaat Amazonas, 838 Kilometer entfernt von der Hauptstadt Manaus. Solche politischen Entscheidungen könnten als ein neuer kleiner aber bedeutender Sieg der indigenen Kultur Brasiliens über eine Gesellschaft betrachtet werden, die sich selbst als »pluralistisch« bezeichnet aber kaum Raum für indigene Kulturen lässt (Brianezi 10.11.2006). Allenfalls wird diese meistens folkloristisch gepflegt, als ein Relikt vergangener Tage, als Kultur, die heute nicht mehr wirklich existiert.

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wird dies zeigen (Vgl. Fernandes Ferreira 2002: 33-34 und 112ff; Prezia/Hoornaert 2000: 199ff; Instituto Socioambiental 2007). Die brasilianische indigene Bewegung setzt sich aus den verschiedensten Ethnien zusammen und jeder Erfolg einer Ethnie in ihrem Kampf für ihre Rechte hilft auch den anderen Ethnien und dient wiederum als Vorbild. In den 1980er Jahren erregten die Kayapo die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit. In den 1990er Jahren erreichten die Yanomami die ganze Welt. In Brasilien, im Jahr 2000, konnten viele Ethnien gemeinsam die Aufmerksamkeit der Bevölkerung auf sich und ihre Probleme ziehen. Die indigene Bewegung Brasiliens hat viele Akteure, die zusammen für eine Verbesserung ihrer Lage innerhalb der Gesellschaft kämpfen. 41

DIE INDIGENEN BRASILIENS UND DAS INTERNET

Trotz der Verbesserung ihrer rechtlichen Lage müssen sich aber viele indigene Gruppen immer noch in weiten Teilen Brasiliens intensiv für ihre Rechte und deren praktische Umsetzung einsetzen. Die Wirtschaft zielt auf die letzten geschützten Gebiete, die sich die Indigenen Brasiliens mit viel Mühe erkämpft haben. Mit Sprüchen wie »Zu viel Land für wenige Indigene« versuchen die interessierten Gruppierungen, den Indigenen das Recht auf Land abzusprechen oder zu reduzieren. Vor allem im Westen Brasiliens haben indigene Gruppen noch beträchtliche Schwierigkeiten, Land durch den brasilianischen Staat anerkannt zu bekommen, obwohl diese Gebiete nach ethnologischen und archäologischen Untersuchungen im Auftrag der FUNAI als ihr ursprüngliches Gebiet bereits anerkannt wurden. Es ist eine Auseinandersetzung mit wirtschaftlichen Interessengruppen sowie mit Regierungsprojekten, wie das im Januar 2007 lancierte Regierungsprogramm Programa de Aceleração do Crescimento (PAC) zur Beschleunigung des Wirtschaftswachstums Brasiliens. Somit steht das Interesse von großen Konzernen, der Agrarwirtschaft oder zur Gewinnung von Bodenschätzen der rechtlichen Anerkennung indigener Gebiete im Wege und nur wenige Gruppen schaffen es, sich gegen derartige politische und wirtschaftliche Interessen durchzusetzen. Viele in ländlichen sowie städtischen Gebieten lebende Indigene engagieren sich für die Anerkennung ihrer Kultur und ihrer Rechte durch die brasilianische Gesellschaft. Sie versuchen mehr Raum und Einfluss in der Gesellschaft zu gewinnen und als vollwertige und gleichberechtigte Mitglieder der brasilianischen Gesamtgesellschaft anerkannt zu werden. Die Indigenen Brasiliens stellen sich heute der Herausforderung, gegen eine die europäische und nordamerikanische Kultur »preisende« und die indigene Kultur abwertende Gesellschaft zu kämpfen. Dabei hält die Mehrheitsgesellschaft die Indigenen auf Distanz, ohne anzuerkennen und zu würdigen, dass deren Kultur die ursprüngliche Kultur des heute von ihnen bewohnten Territoriums war (vgl. de Munter 2004: 90).

D i e I n d i g e n e n B r a si l i e n s u n d e t h n i sc h e D i s k r i m i n i e r u n g Obwohl sich Brasilien als multikulturelles Land bezeichnet und sich mit seiner kulturellen Vielfalt brüstet, gibt es immer noch Rassismus gegenüber Indigenen und Schwarzen. Die Indigenen spüren die Indifferenz gegenüber ihrer Kultur und ihrem Dasein. Die Tatsache, dass viele aus ihren Ländern vertrieben, unterdrückt und vernichtet werden, wird bis heute ignoriert und nicht wahrgenommen. Bestimmte Formen der kulturellen

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DIE INDIGENEN BRASILIENS UND IHRE SOZIALE UND POLITISCHE LAGE

Trennung gehören zum Alltag. Ich erfuhr von nicht-indigenen Kollegen, dass die Indigenen, die zwar auf indigenen Gebieten leben, sich aber viel in den Städten aufhalten, Angst vor rassistischen Äußerungen und anderen Diskriminierungen haben. In Rio Branco, der Hauptstadt Acres, konnte ich dies selbst während einer Busfahrt vom Stadtzentrum in das Ausbildungszentrum der CPI/AC erleben. Während der Fahrt zum Ausbildungszentrum, wo ich einen Teil meiner Feldforschung durchführte, wurde ich Zeuge, als drei indigene Lehrer, die im Ausbildungszentrum einen Kurs besuchten, herablassende Blicke jüngeren weißer Männer der unteren sozialen Schicht ertragen mussten. Mehrmals in Rio Branco erlebte ich die Unsicherheit und das Gefühl der Minderwertigkeit meiner indigenen Bekannten gegenüber den Weißen. Diese Einstellung der Weißen ist letztlich Ergebnis einer jahrhundertlangen Missachtung von Seiten der kolonialen und postkolonialen Gesellschaft Brasiliens. Ihre Haltung beruht auf ihrer absoluten Selbstsicherheit und Überzeugung von der Richtigkeit ihrer Taten ohne Reflexion über Fehler, Unrecht und Verbrechen gegenüber den Indigenen.

D i e I n d i g e n e n B r a si l i e n s und die Alphabetisierung Die Nutzung des Internet und Computers erfordern die Fähigkeit zum Lesen und Schreiben.5 Analphabetismus ist nur einer der vielen Faktoren, die den Zugang zum Internet erschweren. Aber Alphabetisierung allein reicht nicht aus, um Menschen eine aktive Teilnahme am Internetzeitalter zu ermöglichen. Um dies zu erreichen, müssen Internetprojekte für ethnische Minderheiten oder unterprivilegierten Gruppen verschiedene sozioökonomische Faktoren berücksichtigen und digitale Inklusion darf nicht auf die Frage »wer Zugang zum Internet und wer nicht hat« reduziert werden (vgl. Konert 2004: 22ff.; Hinkelbein 2004 und 2007). Obwohl das Thema »Digitale Inklusion« viel mehr ausgeweitet werden könnte, möchte ich mich zunächst auf die aktuelle Alphabetisierungslage der Indigenen Brasiliens konzentrieren und diese im Folgenden darstellen.6 Die indigenen Gemeinschaften in Brasilien unternehmen heute erhebliche Anstrengungen, um ihren Mitgliedern Kenntnisse im Schreiben und Lesen zu vermitteln; und zwar mit dem vorrangigen Ziel, diese Fä5

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Jacky Goody (2000: 1) beschäftigt sich seit langer Zeit mit dem Thema »Power of the Written Tradition«, indem er die Macht der Schriftkulturen über Kulturen mit Oraltradition untersucht. Später in dieser Arbeit (S. 108) werde ich auf das Thema »Digitale Inklusion« zurückgreifen. 43

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higkeiten zum Erhalt ihrer Kultur einzusetzen. Ohne diese Fähigkeiten sind die Indigenen von anderen abhängig, zum Beispiel um Dokumente, Briefe oder Papiere zu verfassen oder auszufüllen. Dieser kultureller Prozess (des schreiben und lesen Könnens) ist ein wichtiges kulturelles »Machtinstrument«, das Indigene bewusst übernehmen. Nachdem sie Jahrhunderte lang unterdrückt und bevormundet wurden, sorgen sie mehr und mehr für Schulen in ihren indigenen Dörfern, damit ihre Gemeinschaft alphabetisiert wird und nicht zuletzt ihre Rechte in Anspruch nehmen kann. Bei der heutigen Schulausbildung in vielen indigenen Dörfern handelt es sich um eine differenzierte und an ihre kulturellen Bedürfnisse angepasste Ausbildung. Bereits auf Seite 41 wurde erwähnt, dass es sich dabei um einen bescheidenen Sieg nach der Verfassungsänderung von 1988 handelt. Laut einer Untersuchung des Instituto Brasileiro de Geografia e Estatística (IBGE – Brasilianisches Institut für Geografie und Statistik) erreichten die Indigenen Brasiliens in der Schulausbildung in den 1990er Jahren große Fortschritte, sie befinden sich aber immer noch unterhalb des Durchschnitts der gesamten brasilianischen Bevölkerung (Lage 2005). Die Analyse der Volkszählung aus den Jahren 1991 und 2000 zeigt, dass die Alphabetisierungsrate bei Indigenen mit 15 Jahren und älter, die im Jahr 1991 bei 49,2% lag, auf 73,9% der Zählung des Jahres 2000 angestiegen ist.7 Die Reduzierung des Analphabetismus unter den Indigenen zeichnete sich laut IBGE besonders in den ländlichen Gebieten ab, vor allem im Nordosten Brasiliens. Die höchste Alphabetisierungsrate (Schulausbildungsrate) wurde im Südosten Brasiliens mit 87,2% und im Süden mit 80,1% registriert. Die Untersuchung von IBGE machte ebenfalls deutlich, dass der Analphabetismus bei den Indigenen mit 15 Jahren und älter besonders die Frauen betrifft und das vor allem in den ländlichen Gebieten. Nur im Nordosten ähneln sich die Prozentsätze zwischen Männern und Frauen mit 25,5% und 26,0%.

7

In der gleichen Zeitspanne verzeichnete die brasilianische Bevölkerung von 15 Jahren und älter ein Wachstum von alphabetisierten Menschen um 8,1%. Die Alphabetisierungsrate ist von 79,9% auf 86,4% gestiegen (IBGE 2005: 56). 44

DIE INDIGENEN BRASILIENS UND IHRE SOZIALE UND POLITISCHE LAGE

Abbildung 2: Analphabetismusrate der Personen, die sich selbst als Indigen bezeichnen (15 Jahre und älter), nach Geschlecht und brasilianischen Regionen getrennt – Brasilien 2000.

47,3

50 45

39,3

40 Angaben in %

35 30 25

31,2 28,4 23,7

25,526

20

23,6 15,4

15

24

16,2

10 10 5 0 Brasilien

Norden Nordosten Südosten

Männer

Süden

Mittlerer Westen

Frauen

Zahlenangaben des IBGE 2005: 57 (Gráfico 23). Unter den von sich selbst als Indigene bezeichneten Personen über 15 Jahren, die in Städten leben, ist die Alphabetisierungsrate deutlich höher. Laut IBGE ist der Analphabetismus unter den jüngeren Generationen am geringsten. Ab 40 Jahren sei ein merkbarer Anstieg des Analphabetismus deutlich. Die Gruppe von Indigenen ab 65 Jahren und älter hat eine noch höhere Analphabetismusrate (IBGE 2005: 58). Gemäß der Volkszählung im Schulausbildungswesen des Jahres 2005, durchgeführt vom Instituto Nacional de Estudos e Pesquisas Educacionais Anísio Teixeira (Inep – Nationales Institut für Studien und Erziehungsforschung Anísio Teixeira), existieren 2323 indigene Schulen (davon bieten 1818 Schulen Schulausbildung in der entsprechenden indigenen Sprache der Gemeinschaft an) mit einer differenzierten indigenen Schulausbildung, entsprechend ihren jeweiligen kulturellen Bedürfnissen (Inep 2007: 19). Circa 163.000 indigene Schüler besuchten im Jahr 2005 indigene Schulen. Laut Studie konzentriert sich die größte Zahl der Schüler in den ersten Schuljahren: 81,7% der Schüler besuchten die ersten 45

DIE INDIGENEN BRASILIENS UND DAS INTERNET

vier Schuljahre und die restlichen 18,3% das fünfte bis achte Schuljahr (Inep 2007: 20ff.). Was die Nutzung elektronischer Geräte, wie Fernsehen, Video und Computer, zum Beispiel bei der Förderung der Fernausbildung angeht, sind nach der Untersuchung des Instituts nur 307 Schulen mit einem Fernseher ausgestattet, 238 haben Videogeräte und 177 verfügen über Satellitenfernsehen. In diesem Sinn können nur 7,6% der indigenen Schulen Angebote zur Fernausbildung genießen, wie zum Beispiel den Sender TV Escola (Schul-Fernsehen), ein Projekt des brasilianischen Schulministeriums zur Förderung der Fernausbildung. Was den Zugang zu Computern und dem Internet betrifft, ist die Lage der elektronischen Ausstattung noch schlechter. Laut einer Untersuchung verfügen 126 indigene Schulen über einen Computer, 96 haben einen Drucker und nur 22 einen Internetzugang. Nach diesen Zahlen besitzen also nur 5,4% der indigenen Schulen Brasiliens einen Computer und weniger als 1% haben Zugang zum Internet (Inep 2007: 23). Doch zurück zur Frage, welche Bedeutung diese Zahlen für die Nutzung des Internet durch Indigene in Brasilien hat: Realität ist, dass es noch Jahre dauern wird bis ein größerer Anteil der indigenen Bevölkerung Zugang zum Computer und Internet haben kann. Genauso ist das Szenarium bei den Indigenen, die aufgrund der Schulausbildung Computer und Internet benutzen können. Erst in zehn Jahren wird meines Erachtens das Bild von indigenen Internetnutzern ein ganz anderes sein. Während heute dieses Medium noch von wenigen Einzelnen in der Stadt und in den indigenen Gebieten benutzt wird, ist erst nach zehn Jahren mit einer größeren Zahl indigener Nutzer zu rechnen. Vielleicht wird diese zukünftige Nutzung dann der aktuellen Nutzung von jungen Indigenen aus den USA und Kanada ähneln (siehe S. 189).

Der ungleiche Zugang zum Internet Laut Digital Access Index (DAI),8 der vom International Telecommunication Union (ITU) veröffentlicht wurde,9 steht Brasilien zwischen der mittleren und höchsten Stufe bei der Internetnutzung.10 Die Ergebnisse 8

Dieser Index ist sehr nützlich, um die Unterschiede der Nutzung in verschiedenen Regionen der Welt und in den jeweiligen Ländern zu betrachten. 9 Dieser ermöglichte einen Blick auf die vorhandene »digitale Spaltung« in der Welt. 10 Die ITU errechnete eine Klassifizierung für jedes Land, das es den Digitalzugriffsindex (DAI) nannte, bestimmt durch solche Faktoren wie Ausbil46

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der regionalen »digitalen Spaltung« zeigen, dass die Bundesstaaten der Regionen Nord, Nordosten und zentraler Westen (mit der Ausnahme vom Distrito Federal (Bundesdistrikt), Espírito Santo, Minas Gerais, bei einer Gesamtzahl von 21 Bundesstaaten (78% des Territoriums), Werte unterhalb der von ITU gesammelten Durchschnittswerte für Brasilien liegen. Nur der Distrito Federal, die Bundesstaaten São Paulo und Rio de Janeiro sowie die südlichen Bundesstaaten haben Werte oberhalb des brasilianischen Durchschnitts. Diese Ergebnisse zeigen weiterhin, so der Experte Caio Bonilha (o.J.), eine klare interne digitale Spaltung als Spiegel der ökonomischen Ungleichheiten, die durch die brasilianische Regierung besonders in Betracht gezogen werden müsste. Andernfalls könnte es auf Dauer zu einer Verstärkung der Ungleichheiten kommen. Die Brasilianische Regierung unternimmt entsprechende Bemühungen durch die Gründung von Projekten, die das Internet der breiten Bevölkerungsmasse näher bringen sollen, wie zum Beispiel das Programm GESAC (Governo Eletrônico – Serviço de Atendimento ao Cidadão; Elektronisches Informationssystem der Regierung für Staatsbürger). Es wird aber lange dauern und es ist Zukunftsmusik, bis in öffentlichen Schulen, die vom ärmeren Teil der Bevölkerung besucht werden und die sich kaum Computer und Internet leisten können, entsprechende Kurse angeboten und benachteiligte Gruppen der Gesellschaft sowie indigene Gemeinschaften Zugang zum Internet durch derartige Programme haben werden. Der Zusammenhang zwischen Erschwinglichkeit und Zugang verdient nach alledem besondere Aufmerksamkeit, ebenso die daraus resultierende Spaltung der sozialen Schichten bei dem Zugang zu Information, Kommunikation und Wissen, welche die sozialen Ungleichheiten sich noch weiter zuspitzen lässt. Ohne Zugang zu diesen neuen Arbeits-, Informations- und Kommunikationsmöglichkeiten sind die sozial Benachteiligten weiterhin in der Möglichkeit beschränkt, ihre Situation zu verändern und ihren sozialen Status und den ihrer Familien zu verbesdung, der Erschwinglichkeit des Internetzugangs, und des Verhältnisses von Internetnutzern mit Hochleistungsverbindungen zusätzlich zur schlichten Verfügbarkeit der Bandbreite. Auf der Karte wird der DAI durch die Höhe vertreten: je höher die Barre, desto besser der Internetzugang des Landes. Der interessanteste Faktor der Studie für meine Arbeit ist die »Erschwinglichkeit«, definiert durch die Kosten der Internetnutzung berechnet nach einem Prozentsatz eines Landes und das grobe Nationaleinkommen pro Kopf. Die Kalkulation berücksichtigte die grundlegenden Monatskosten des Internetzugangs für einen individuellen Anschluss plus zusätzliche Kosten für 20 Stunden online. Die geringste »Erschwinglichkeit« erreichte Kongo, das 5000mal schlechter als das beste Land abschnitt (vgl. Bonilha o.J.). 47

DIE INDIGENEN BRASILIENS UND DAS INTERNET

sern. Daraus resultiert die weitere Fragestellung: Was bedeutet das Internet für die Zivilgesellschaft insgesamt?

D e m o k r a ti si e r u n g d e s I n t e r n e t gleich Zugang für alle? Das Internet ermöglicht eine neue Informationsmöglichkeit zu fast allen Aspekten des wirtschaftlichen, politischen und sozialen Lebens. Immer mehr Menschen benutzen das Internet als Mittel zur Bildung und Ausbildung, zur Gesundheitsfürsorge, Wirtschaftsentwicklung sowie zur Verbesserung anderer persönlicher Dienstleistungen und öffentlicher, staatlicher Angebote. Laut dem 2004 Report on Aboriginal Community Connectivity Infrastructure (Aboriginal Canada Portal 2005: 2) hat der Anschluss kanadischer indigenen Gemeinschaften an das Internet »einen großen Einfluss auf viele Aspekte des Lebens der Bewohner. Jedoch die Gemeinschaften, die den meisten Nutzen aus dem Internet ziehen könnten, sind eben solche, die am schwierigsten und unerschwinglichsten daran anzuschließen sind«. Der Politikwissenschaftler Claus Leggewie, Mitveranstalter des Kongresses »Internet und Demokratie«, hofft auf das Internet als ein demokratisches Kommunikationsmittel, das in einer nahen Zukunft von vielen benutzt werden kann. Nach Leggewie (1997) haben Radio und Fernsehen dazu beigetragen, »dass die Bürger insgesamt politisch informierter sind als früher«. Im Verhältnis zum Internet – so fügt er hinzu – erscheinen die beiden Medien primitiv, » […] weil sie in der Regel nur Ein-Weg-Kommunikation vom Sender an die Empfänger zulassen…« Leggewie betont besonders die Rolle und Bedeutung des Internet für die Globalisierung: »Nicht die Technik, also die neuen Medien, schwächen im Übrigen nationalstaatliche Entscheidungsstrukturen, sondern die Machtoligopole, die sich ihrer bedienen. Das ist die Situation der ›Globalisierung‹, in der wir uns schon lange befinden. Der Weltmarkt war immer weiter entwickelt als die nationalen Gewerkschaften, die Umweltkrise ist globaler als die Umweltbewegungen. Die neuen Medien haben diese Diskrepanz nicht herbeigeführt, sie können vielmehr erstmals so etwas wie eine globale Öffentlichkeit über weltweite Interdependenzen herstellen« (Leggewie 1997).

Die weltweite ökonomische und technologische Entwicklung der Gesellschaft lässt befürchten, dass die Unterprivilegierten darin keine oder nur geringe Chancen zum sozialen Ausgleich haben. Leggewie vertritt daher die Meinung, dass das Internet nicht »ein Luxusmedium für die happy 48

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few« bleiben darf, sondern alle daran zu beteiligen seien. Auch indigene Gruppen möchten Teil der Kommunikations- und Informationsgesellschaft sein und Dienste wie das Internet in Anspruch nehmen können, zu politischen wie auch kulturellen Zwecken. Wie dies in der Praxis geschehen kann, werde ich im folgenden Abschnitt darstellen.

Die Nutzung des Internet durch Indigene auf der ganzen Welt Das Internet bietet zahlreiche und vielfältige Möglichkeiten in seiner Nutzung. Gerade benachteiligte Gruppen der Gesellschaft und ethnische Minderheiten haben durch das Internet vielmehr die Möglichkeit, aktive Mitglieder der Gesamtgesellschaft zu werden. Das Internet wird bereits von einer ganzen Reihe indigener Gemeinschaften auf der ganzen Welt benutzt, die sich politisch eine Stimme verschaffen oder ihre eigene Kultur darstellen wollen (Ginsburg 1992: 356-376; 2002). Darüber hinaus gibt es verschiedene Formen, um im World Wide Web präsent zu sein. Einige Ethnien haben selbst produzierte Websites. Andere wiederum werden durch ihre Mitglieder auf Weblogs vertreten (eine Art von Internettagebuch, in dem die Benutzer dieser Webadressen über sich selbst berichten oder ihnen wichtig Erscheinendes äußern können). Bei der Betrachtung dieser Möglichkeiten ist noch danach zu unterscheiden, wie die Websites gestaltet sind, welche Zielgruppe sie ansprechen sollen und ob sie zu einer Organisation gehören, ob sie von einem Dritten produziert wurden oder ob Personen aus der Ethnie selbst sie produzierten. In den folgenden Seiten werde ich mich auf die Art der Nutzung des Internet als kulturelles Kommunikations- und Arbeitsmittel zur Stärkung der indigenen Kultur und Gruppe, konzentrieren.

Das Internet und seine Nutzungsformen durch Indigene Die Präsenz des Internet in einigen indigenen Gemeinschaften und die Existenz indigener Websites erlaubt es den Indigenen, sich auszutauschen und ihre Erfahrungen, Sorgen, Probleme und Erfolge im World Wide Web zu veröffentlichen. Indigene Gruppen weltweit benutzen das Internet aus verschiedenen Gründen: • im Beruf, um sich für den Arbeitsmarkt zu qualifizieren • um sich zu informieren über das, was außerhalb der Gruppe geschieht • um der Gemeinschaft behilflich sein zu können (durch den Austausch von E-Mails mit indigenen und nicht-indigenen Organisationen, Behörden und privaten Personen) 49

DIE INDIGENEN BRASILIENS UND DAS INTERNET



um die eigene Kultur zu dokumentieren und um sie schriftlich sowie bildlich festzuhalten

Im Bericht Aboriginal Digital Opportunities, veröffentlicht durch The Conference Board of Canada (Greenall/Loizides 2001), über die Bedeutung von Informations- und Kommunikationstechnologien für indigene Gemeinschaften in Kanada heißt es: »The Internet allows learners to find out about other cultures, beliefs and values while preserving and promoting their own culture and language. In doing so, Aboriginal communities are trying to achieve a balance between the ›push‹ and ›pull‹ of the Internet« (Greenall/Loizides 2001: 25).

Der Bericht Native Networking: Telecommunications and information technology in Indian country (Smith 1999) wiederum hebt drei Bereiche hervor, die sich in der Nutzung des Internet durch indigene Gemeinschaften abzeichnen: »Three basic areas of tribal participation are readily apparent: community and cultural development, economic development, and political empowerment« (Smith 1999: 15). Die Teilnahme an solchen Internetprojekten zur Überwindung technologischer sowie sozialer Unterschiede ist dennoch nicht einfach. Die indigenen Gemeinschaften müssen sich hierfür stark einsetzen und die richtigen Partner finden, die es ihnen ermöglichen, Computer und Internet zu besitzen und zu nutzen (Greenall/Loizides 2001: 1). Außer der technischen Aneignung müssen die Indigenen an Ausbildungskursen teilnehmen, die sie auf die Nutzung des neuen Mediums vorbereiten. Es handelt sich bei diesem Prozess der technischen Modernisierung um ein sehr arbeitsaufwendiges und langwieriges Vorhaben. Der Report Aboriginal Digital Opportunities (Greenall/Loizides 2001: 25) listet einige Hindernisse auf, die die Indigenen auf dem Weg in das digitale Zeitalter überwinden müssen. Diese sind: ungenügende finanzielle Mittel, Mangel an Personal und technischer Unterstützung, begrenzte technische und Kommunikationsinfrastrukturen, Mangel an sozialen Möglichkeiten und ökonomischer Entwicklung. Hinzu kommt, dass es für einen erfolgreichen Verlauf des Einstiegs in das digitale Zeitalter einer durchdachten Organisation zwischen allen Beteiligten bedarf, damit das Projekt Früchte tragen kann und nicht an einer Fehlorganisation scheitert. Mindestens drei Partner sind am Erfolg oder Misserfolg eines Internetprojektes beteiligt: die indigene Gemeinschaft selbst, die Organisation, die die Einrichtung des Internet in die Gemeinschaft ermöglicht, und der Finanzier. Wenn alle Beteiligten an das Projekt glauben und beharrlich daran arbeiten, hat es gute Chancen, Erfolge zu erzielen. Ansonsten wird es schnell

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zu unbefriedigenden Ergebnissen und Enttäuschungen auf allen Seiten führen.

N u tz u n g v o n M e d i e n d u r c h b r a si l i a n i sc h e I n d i g e n e In ihrem Kampf gegen kulturelle Unterdrückung und Diskriminierung entdecken viele indigene Gemeinschaften die Macht der Medien. Das Internet ist dabei nicht das erste Medium, von dem die Indigenen Gebrauch machen, um sich in der Öffentlichkeit eigenständig zu präsentieren. Seit zwei Jahrzehnten setzen sie verschiedene Medien ein, wie Tonbandgeräte, das Video und nun das Internet. Durch die Aneignung und Nutzung fremder Technologien sowie die Übernahme der Kommunikationsweise passen sie ihre Lebenskonditionen insoweit der heutigen Zeit an, um sich gegen jenen Teil der Gesellschaft wehren zu können, der sie kulturell, sozial und politisch unterdrückt, aber auch, um das Bild der Indigenen in der Gesellschaft zu beeinflussen und zu gestalten. Durch Videobeiträge oder durch das Internet versuchen sie ihre Kultur und ihren Alltag darzustellen, wollen so ihren Einsatz für die Gruppe öffentlich machen und diese Medien für politische Zwecke einsetzen, um sich in der Öffentlichkeit Gehör zu verschaffen. Außerdem versuchen sie auf diese Weise ihre kulturelle »Unsichtbarkeit« zu beenden. Bereits vor dem Einsatz der Videokamera wurden Tonbandgeräte benutzt, um Lieder, Rituale oder sogar Aussagen von Politikern zu dokumentieren. Letzteres erwies sich als wirksames Medium im Kampf um die Rechte indigener Gemeinschaften. Der Xavante-Anführer Butsé Dzuruna (bekannt als Mário Juruna) setzte bereits in den 1970er Jahren Tonbandgeräte ein, um die Aussagen von Mitarbeitern der Indigenenbehörde FUNAI und von Politikern festzuhalten. Wenn die Versprechen der Nicht-Indigenen nicht erfüllt wurden, verlangte er unter Nutzung seiner Tonbandaufnahmen Gerechtigkeit, da seiner Erfahrung nach die Weißen ihre Worte nicht hielten. Mário Juruna wurde daraufhin als o índio do gravador (»der Indigene mit dem Tonbandgerät«) bekannt (Vgl. Prezia/Hoornaert 2000: 219; Juruna/Hohlfeldt/Hoffmann 1982; Revista Época 2002). In den 1980er Jahren entdeckten die Kayapo die Möglichkeiten der Videokamera und wie sie dieses mediale Mittel für ihre Kultur einsetzen können. Das Video wurde von den Kayapo aber nicht nur als Mittel zur Dokumentation, sondern auch politisch zur Bestärkung ihrer Kultur eingesetzt. Laut Turner (1991: 71) erkannten sie schnell, dass sie diese Filmbeiträge im Kampf zum Schutz ihrer Kultur einsetzen können. Nach

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Turners Auffassung begriffen die Kayapo schnell die Wirkung des Videos als ein Mittel zur interethnischen Vermittlung (Mediation) und interkulturellen Kommunikation. Er schreibt: »They had quickly learned its value as a tool of interethnic mediation and intercultural communication, perceiving that the presentation of themselves as culturally different and independent increased their value in the eyes of the world – value that translated into political support« (Turner 1991: 71).

Die Möglichkeit, sich selbst filmerisch darzustellen, die eigenen Aussagen aufzunehmen und diese der Öffentlichkeit präsentieren zu können, bedeutet für Indigene ebenfalls, sich zu emanzipieren und nicht mehr auf die Hilfe von anderen angewiesen zu sein. Durch diese Aufhebung von zuvor existierenden technologischen Barrieren können sie selbst ihre eigene Sichtweise vermitteln. Sie sind dann Herren und Frauen ihrer eigenen Botschaft. Faye Ginsburg (1997) nennt den medialen Versuch der Indigenen und ethnischen Minderheiten, gegen Machtstrukturen zu sprechen, »cultural activism«. Ginsburg, Abu-Lughod und Larkin erklären: »Since the early 1980s, indigenous and minority peoples have begun to take up a range of media in order to ›talk back‹ to structures of power that have erased or distorted their interests and realities« (Ginsburg/AbuLughod/Larkin 2002: 7).

Das Projekt Video nas Aldeias Das Projekt Video nas Aldeias (Video in the Villages)11 begann 1987 seine Arbeit mit indigenen Gruppen in Brasilien und führt bis heute Schulungen für die Produktion von Dokumentarfilmen in verschiedenen indigenen Gemeinschaften durch, das heißt vom Umgang mit der Kamera bis zum Schnitt des Filmmaterials. Das Projekt entstand mit dem Ziel, die kulturelle Identität der brasilianischen Indigenen durch Selbstrepräsentation zu stärken und den kulturellen Austausch durch die produzierten Beiträge zu fördern. Die von den Indigenen produzierten Filme werden einerseits im Interesse der eigenen Kultur produziert, zur Dokumentation ihrer Sitten, Bräuche, Tänze, Rituale und ihres Lebensalltags. Andererseits werden diese Filme hergestellt, um anderen indigenen Gemeinschaften, anderen Ethnien sowie der nicht-indigenen Gesellschaft ihre Kultur zu präsentieren. Nach den Feststellungen der Ethnologin Dominique Gallois und des Leiters des Projekts Vincent Carelli wird die Autonomie einer Gruppe 11 Video nas Aldeias (http://www.videonasaldeias.org.br) unterstützte die Kayapo bei der sachgemäßen Aufbewahrung ihrer Videobänder. 52

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gestärkt, wenn ihr erlaubt wird, sich selbst zu erkennen durch die ethnische Abgrenzung von anderen Gruppen, wodurch im Bezug zu der restlichen brasilianischen Gesellschaft eine »kollektive indigene Identität« entstehe (Gallois/Carelli 1995: 62; siehe auch Castells 1997: 7). In diesem dynamischen Prozess, so Gallois und Carelli, sind die Revision und Überprüfung des eigenen Images und die Auswahl der kulturellen Komponenten, die dieses Image bilden, das Ergebnis einer konstanten Aneignungsarbeit. Kultur, die nicht nur aus »Traditionen« besteht, existiert nur in Bewegung, die durch das Recht oder Möglichkeit auf Selbstbestimmung gefördert wird (Gallois/Carelli 1995: 62; Michaels 1991: 282ff.). Die Produktion von indigenen Videobeiträgen betrachtet Ginsburg als »Prozess der Identitätskonstruktion«.12 Sie beruhen, so Ginsburg (1992: 369), nicht nur auf einer Rettung oder »retrieval of an idealized past«, sondern sie schaffen und sichern eine neue Stellung zur Gegenwart, welche die Widersprüche und Gegensätze des heutigen Lebens auszugleichen versucht.13 Diese Art von Identitätskonstruktion, die ich nach Castells Vorstellung als eine Form von Widerstandsidentität14 einstufen würde, zeigt die Indigenen lebendig und nicht zerrüttet durch die koloniale und post-koloniale Geschichte. Die Nutzung westlicher medialer Möglichkeiten (vom Film bis zum Internet) lässt sie an der heutigen Welt teilnehmen und, wie Ginsburg (1992: 370) schreibt, »[…] connects them to a history, and directs them toward a future as well«. Nach meiner Überzeugung verdanken viele indigene Gruppen ihr Überleben gerade einer überlegten und durchdachten Anpassung an das System, das für sie oftmals eine Bedrohung darstellt.

12 Nach Castells (2002: 9) findet Identitätskonstruktion durch das Beziehen von verschiedenen »Baumaterialien« statt, wie »[…] Geschichte, Geografie, Biologie, von produktiven und reproduktiven Institutionen, aus dem kollektiven Gedächtnis und aus persönlichen Phantasien, von Machtapparaten und aus religiösen Offenbarungen«. 13 Dabei wird Indigenität produziert, das heißt, was es bedeutet Indigen zu sein und wie dies konstruiert wird. Mehrere Akteure sind bei der Konstruktion von Indigenität beteiligt: die Indigenen selbst, die indigene Bewegung und die Indigenisten, wie Nicht-Indigene Aktivisten, welche die indigene Bewegung unterstützen, genannt werden (Ramos 1998: 6-7). 14 Laut Castells (2002: 10) wird Widerstandsidentität »von Akteuren [hervorgebracht], deren Position oder Lage durch die Logik der Herrschaft entwertet und/oder stigmatisiert werden. Sie errichten daher Barrikaden des Widerstandes und Überlebens auf der Grundlage von Prinzipien, die sich von denjenigen unterscheiden, die die Institutionen der Gesellschaft durchdrungen haben, oder diesen entgegenstehen«. 53

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Die Entdeckung des Internet Ende der 1990er Jahre begannen die Indigenen Brasiliens das Internet für sich zu entdecken, um ihre Kultur der Welt zu präsentieren und es als Kommunikations- und Darstellungsmittel insbesondere im politischen Kampf für ihre Rechte zu nutzen. Das Internet wird also wie bislang das Video als Darstellungsraum und politisches Mittel mit Öffentlichkeitswirkung eingesetzt.15 Außer der Möglichkeit über regionale und nationale Grenzen hinweg zu kommunizieren, dient das Internet als vermittelndes Medium zwischen der indigenen und nicht-indigenen Gesellschaft und Kultur (Belausteguigoitia 2006: 103). Auch Ginsburg (1992: 368) betrachtet die Nutzung von Medien durch indigene Gruppen nicht nur als eine Form zur Vermittlung zwischen Räumen und kultureller Differenz, sondern auch als einen »Vermittlungs- oder Mediationsraum« zur sozialen politischen Lage und ihrer Probleme. Neben seiner »vermittelnden Rolle« bietet das Internet ferner die Möglichkeit einer direkten Kommunikation zwischen Nachrichtenproduzenten und Leser, während bei der Produktion von Videobeiträgen der Zuschauer nur schwer mit dem Akteur in Verbindung treten kann. Das Internet ist interaktiv – es ermöglicht Medienproduzenten und Medienkonsumenten, sich untereinander per Internettelefonie, E-Mail, Chat oder Post auszutauschen.

Brasilianische Indigene im WWW Im Internet gibt es viele Websites, die indigene Gruppen vertreten. Viele wurden mit dem Ziel entwickelt, die indigenen Kulturen darzustellen oder die laufenden oder auch vorgesehenen Projekte und Ziele der Gruppe öffentlich zu machen. Die Existenz solcher Websites bedeutet mehr als nur die Präsenz einer indigenen Gruppe im Web. Sie verkörpern virtuell den Widerstand indigener Gruppen trotz lang anhaltender Unterdrückung ihrer Gemeinschaften und Kulturen durch die Nicht-Indigenen. Diese Websites bekommen eine politische Bedeutung und die Präsenz indigener Gruppen und Gemeinschaften im Netz vermittelt einen be15 In Anlehnung an Ginsburgs Gedanken (1992: 362-363) darüber, ob die Videoproduktion durch Indigene an der Konstruktion ihrer zeitgenössischen Identität beteiligt ist oder intervenieren kann, stellt sich durchaus die Frage, ob das Medium Internet an der indigenen Identitätskonstruktion zumindest beteiligt ist. Durch die Produktion von Websites, Weblogs oder Digitalisierung ihrer verschiedensten Informationen haben Indigene die Möglichkeit, ihrer Kultur »eine Gestalt« zu geben und sie zu präsentieren. 54

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stimmten Stolz der jeweiligen Gruppe, diesen virtuellen Raum nutzen zu können. Es gibt brasilianische indigene Websites in verschiedenen Designs und mit unterschiedlichem Aufbau. Einige sind aufwendig produziert (je nach Größe oder den Möglichkeiten der jeweiligen Organisation), mit Flash-Darstellungen, wie das bei der indigenen Organisation IDETI (Instituto das Tradições Indígenas – Institut Indigener Traditionen) der Fall ist. Andere sind wiederum einfach aufgebaut und spiegeln den Wunsch wieder, ein Teil der Internetbewegung zu sein, die es jedem Menschen erlaubt, seine Meinung, Arbeit und Kultur darzustellen16 – ein Beispiel dafür ist die Website der Associação Guarani Nhe’e Porã (Guarani-Vereinigung Nhe’e Porã).17 Auf all diesen Websites werden die verschiedensten Themen behandelt: über Informationen zur jeweiligen Kultur bis hin zu dem Angebot von Artefakten für den Handel. Außer den zuerst entstandenen Websites werden auch Weblogs durch Indigene benutzt, um ihre Kultur und Gruppe im Internet präsent zu machen. Was Weblogs sind und wie diese von den brasilianischen Indigenen benutzt werden, wird nachfolgend erläutert.

Weblogs Viele Indigene in Kanada, den Vereinigten Staaten und der ganzen Welt besitzen eigene Weblogs. In diesen »Blogs«, wie die Abkürzung heißt, kann jeder das eintragen, wozu er gerade Lust hat oder was ihm am Herzen liegt. Es sind digitale Tagebücher, die eine große Beliebtheit bei Internetnutzern finden. Durch die einfachere Bedienung als bei Websites können sie schnell aktualisiert werden und erfordern keine speziellen Kenntnisse über Web-Programmiersprachen wie HTML oder XML.18 Viele Indigene vor allem in den USA und Kanada nutzen auch diese Möglichkeit, um über sich selbst, ihre Kultur und über ihre Identität zu sprechen. Ein Beispiel hierfür ist The Native Blog,19 geführt von dem Po16 Im Anhang (S. 249) sind einige Adressen von indigenen Websites aufgelistet, um die Präsenz indigener Gruppen und Organisationen im Internet zu veranschaulichen. 17 In den folgenden Seiten werde ich einige indigene brasilianische Websites darstellen, auf die ich während meiner Forschung im Internet immer wieder zurückgriff. 18 Für mehr Informationen über Weblogs siehe Wikipedia, http://de.wikipe dia.org/wiki/Weblog vom 17. Oktober 2008. 19 The Native Blog, http://nativeblog.typepad.com/the_potawatomitracks_b log/ vom 21. Januar 2007. Es enthält links zu anderen nordamerikanischen indigenen Weblogs und Websites. 55

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tawatomi-Indigenen, Larry Mitchell, mit Nachrichten zum Beispiel über die Prarie Band Potawatomi Nation20 oder seine Meinung über verschiedene alltägliche Themen, die das Leben seiner Gruppe betreffen. Dank einer Nachricht des Internetportals Amigos da Terra – Amazônia Brasileira wurde ich im Januar 2007 auf ein Weblog aufmerksam gemacht, das von indigenen Frauen aus dem Bundesstaat Acre, wo ich den größten Teil meiner Feldforschung durchführte, produziert wird. Es handelt sich um das Weblog Organização de Mulheres Indígenas (Organisation Indigener Frauen)21 einer indigenen Frauenorganisation, die durch das Weblog im Internet ihre Arbeit darstellt. Auch die Ashaninka von der Gemeinschaft Apiwtxa haben seit Juni 2007 ein Weblog, das durch eine brasilianische Ethnologin, die mit ihnen arbeitet, aktualisiert wird (siehe S. 185). Außer den indigenen Weblogs gibt es auch Weblogs, die von Nicht-Indigenen produziert werden und sich mit der indigenen Thematik auseinandersetzen. Im Jahr 2005 wurde zum Beispiel der Deutsche Welle International Weblog Awards 2005 dem portugiesischen Weblog Tupiniquim,22 in der Kategorie Best Weblog, verliehen.23 Dieses Weblog beschäftigt sich mit Nachrichten über indigene Gruppen aus Lateinamerika. Er wird auf Portugiesisch veröffentlicht und hat einen hohen Informationsgehalt. Auch wenn dieses kein indigenes Weblog ist, scheint die Thematik und die darin über Indigene enthaltenen Nachrichten die Aufmerksamkeit des Publikums (der Internetnutzer, die ihn zum The Best Of The Blogs machten) auf sich zu ziehen.

Indigene Websites und Weblogs, die meine Arbeit prägten Auf der Suche nach der Präsenz von indigenen Organisationen, Gruppen oder einzelnen Indigenen, die sich selbst, ihre Kultur und Arbeit im Internet präsentieren möchten, stieß ich auf verschiedene Websites und Weblogs, die mich schon während meiner ersten Internetforschungen 20 Website der Prarie Band Potawatomi Nation, http://www.pbpindiantribe. com vom 10. Januar 2007. 21 Organização de Mulheres Indígenas, http://sitoakore.blogspot.com/ vom 25. März 2007. 22 Tupiniquim, http://indios.blogspot.com/ vom 10. Januar 2007. Tupiniquim ist der Name einer indigenen Gruppe, die im brasilianischen Bundesstaat Espírito Santo lebt. 23 Deutsche Welle International Weblog Awards 2005, http://www.thebobs. com/index.php?l=de&s=1152969922764209GXICJDTG vom 10. Januar 2007. 56

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ständig begleiteten. Innerhalb dieser drei Jahre konnte ich beobachten, wie einige von ihnen laufend aktualisiert wurden, andere aus dem Netz verschwanden oder um ihre virtuelle Existenz fürchten mussten, da sie eventuell keine finanzielle Unterstützung mehr von Institutionen oder der Regierung bekommen würden, wie es bei dem Projekt Índios On Line der Fall war (siehe S. 93). Währenddessen wurden aber auch neue indigene Websites und Weblogs kreiert. Auch im Orkut, das von Wikipedia als »virtuelles soziales Netzwerk« beschrieben wird, präsentieren sich Indigene und indigene Organisationen.24 Mittlerweile gibt es eine große Anzahl von Websites und Weblogs von brasilianischen Indigenen im Netz. Für meine Untersuchung wählte ich solche mit Aussagen über die Bedeutung des Internet und dessen Nutzung für die Gruppe aus. Ich suchte auch willkürlich Websites und Weblogs von großen und kleinen Organisationen sowie private, um deren Form der Präsentation im Internet zu analysieren. Eine meiner Hauptfragen war dabei, wie die brasilianischen Indigenen diesen virtuellen Ort benutzen, um sich zu präsentieren, ihre Kultur darzustellen und mit welchen Zielen sie dies tun. Im Folgenden soll vor allem die Präsenz brasilianischer indigener Gemeinschaften und Organisationen im Internet gezeigt werden.

Brasilianische indigene Gemeinschaften und Organisationen im Internet Im Internet gibt es seit etwa Mitte der 1990er einige brasilianische Websites von nicht-indigenen Organisationen, die sich mit der indigenen Thematik beschäftigten. Einige Beispiele hierfür sind die Websites vom Instituto Socioambiental (ISA – Sozio-Umweltinstitut), dem Conselho Indigenista Missionário (CIMI – Indigenen Missionsrat) und auch von der staatlichen Indigenenbehörde FUNAI (Fundação Nacional do Índio). Diese Websites sprechen für die Indigenen, aber es handelt sich dabei um den Diskurs von Dritten. Die Indigenen sind daran nicht direkt beteiligt. Aber seit Ende der 1990er ist eine deutliche Entwicklung festzustellen in Richtung Informationsgesellschaft und indigene Nutzung des Internet als 24 Orkut (https://www.orkut.com/) ist eine Internetgemeinschaft, in die man durch Einladung eines Bekannten oder durch ein Google-Konto aufgenommen wird. In diesem Internetraum kann jeder seinen Freundes- und Bekanntenkreis pflegen und Zugang zu Informationen von anderen Personen haben. Das Online-Portal Orkut wurde von Orkut Büyükkökten, einem Mitarbeiter von Google, entwickelt und nach ihm benannt. In Brasilien wird das Portal viel benutzt. Mehr Informationen über Orkut unter der http://de.wikipedia.org/wiki/Orkut vom 21. März 2007. 57

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Kommunikations-, Informations-, Austausch- und Handelsplattform auch mit anderen indigenen Gruppen und Nicht-Indigenen aus dem In- und Ausland. Als ich Ende 2003 die Internetrecherche über mein Forschungsthema begann, traf ich auf indigene Websites, die für die eigene Gruppe und Kultur sprechen. Wichtig ist der Hinweis darauf, dass alle Websites, die ich in diesem Abschnitt präsentiere, nicht von den Indigenen selbst entworfen wurden, sondern von Personen, die ihnen bei der Kreation der Website geholfen haben. Viele dieser Personen arbeiten dabei eng mit den Indigenen zusammen, um das Layout ihrem Wunsch entsprechend zu gestalten. Die Indigenen haben bei dieser Zusammenarbeit den Inhalt geliefert und produziert. Auch wenn sie ihre eigenen Websites nicht selbst programmieren, ist es bereits ein großer Fortschritt, dass sie den Inhalt und immer häufiger die Gestaltung bestimmen können. In den Abschnitten über die Internetprojekten Índios On Line und BAY (siehe S. 93 und 102) werde ich auf das Thema der Gestaltung und Produktion der Websites zurückkommen. Zuerst aber zu den brasilianischen indigenen Websites und Weblogs.

Indigene Websites Besonders zwei indigene Websites weckten am Anfang meiner Untersuchung meine Aufmerksamkeit durch ihr schlichtes aber ausdruckvolles Layout. Es geht um die Internetpräsenz der Guarani und Pankararu, die am Rand der Stadt São Paulo leben. Beide Gruppen machen Internetnutzer auf die Tatsache aufmerksam, dass Indigene nicht nur in ihren ursprünglichen indigenen Gebieten leben, sondern im Verlauf der Geschichte auch zu Stadtbewohnern wurden und in der Anonymität der Gesellschaft existieren. Durch ihre Präsenz im Internet mit ihrer Website haben sie die Möglichkeit, diese soziale Anonymität zumindest virtuell aufzuheben und Teil der Informations- und Kommunikationsgesellschaft zu sein.

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Abbildung 3: Website der Ação Cultural Indígena Pankararu (Kulturelle Indigene Aktion Pankararu)

http://www.setor3.com.br/sitesolidario/pankararu/ vom 24. Mai 2006. Die Website Ação Cultural Indígena Pankararu (Kulturelle Indigene Aktion Pankararu) ist eine Website, die mit Hilfe des Projekts Setor 325 entwickelt wurde. Auf der ersten Seite der Pankararu-Website charakterisiert sich die Gruppe als: »Um grupo de índios Pankararu habitantes da periferia de São Paulo, organizados para preservar, divulgar a cultura indígena, manter vínculos com a aldeia de origem, abertos para um dialogo intercultural e para as práticas da economia solidária« (Ação Cultural Indígena Pankararu o.D. a).26

In diesem Zitat äußern die Pankararu ihren Wunsch, sowohl mit der ursprünglichen Gruppe in Verbindung zu bleiben als auch nach einem in25 Das Projekt Setor 3 (Dritter Sektor) wurde vom SENAC (Serviço Nacional de Aprendizagem Comercial – Bundesdienst für kommerzielle Ausbildung) ins Leben gerufen, um Personen und Gruppen in die Informations- und Kommunikationsgesellschaft zu integrieren, http://www.setor3.com.br/ vom 23. März 2007. 26 »Eine Gruppe von Pankararu-Indigenen, Bewohnern der Peripherie São Paulos, organisiert, um die indigene Kultur zu erhalten und zu verbreiten, um Kontakt mit der Ursprungsgemeinschaft zu bewahren, und offen zu sein für einen interkulturellen Dialog und die Praktiken einer solidarischen Ökonomie«. 59

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terkulturellen Dialog. Dabei erwähnen sie ihre Organisationsform und betonen ihr Vorhaben, ihre indigene Kultur aufrechtzuerhalten und die Öffentlichkeit über ihre Gruppe zu informieren. Sehr auffallend ist die Fotomontage, in der sie die Natur, ihre eigene Alltagsrealität in ihren Favelas und ihre traditionelle Bekleidung miteinander verbinden – meines Erachtens ein gelungener Versuch, ihre reale und erhoffte Lage oder ein Bild ihres Lebens als Gruppe der Öffentlichkeit darzustellen. Auf der linken Seite der Website befinden sich Links, unter welchen die Vereinigung erklärt wird. Dazu gehören die Links: Quem somos (Wer sind wir), Visão (Vision), Missão (Aufgabe), Histórico (Geschichte), Projetos (Projekte), Notícias (Nachrichten), Galeria (Fotogalerie), Agenda (Veranstaltungskalender), Parceiros (Partner) u.s.w. Der Link Missão erklärt das Ziel der Vereinigung: »Preservar e divulgar a cultura indígena Pankararu, levando em conta as novas ferramentas tecnológicas, desenvolvendo práticas de interação ecológica que privilegiem a sustentabilidade e a economia solidária« (Ação Cultural Indígena Pankararu o.D. b).27

In dieser Aussage wird erneut der Wunsch der Gruppe geäußert, die Pankararu-Kultur aufrechtzuerhalten und in der Öffentlichkeit darzustellen. Diesmal aber wird auf die Nutzung »neuer technologischer Mittel« als Methode hingewiesen, um dies zu erreichen.

Website der Guarani-Vereinigung Nhe’e Porã »Não viemos para a cidade, a cidade que chegou até nós« Marcos Tupã – Guarani-Anführer der Gemeinschaft Krukutu (Associação Guarani Nhe’e Porã o.D.)28

Die zweite Website, die ebenfalls den Stadtindigenen eine Stimme verschafft und diese Gruppe virtuell aus der Anonymität nimmt, ist die Website der Guarani-Vereinigung Nhe’e Porã.

27 »Die Pankararu-Kultur mit Hilfe der neuen technologischen Mittel aufrechtzuerhalten und zu vermitteln sowie eine ökologische Zusammenarbeit zu entwickeln, welche die Nachhaltigkeit und eine solidarische Ökonomie fördert«. 28 »Wir kamen nicht zur Stadt, die Stadt ist bis zu uns gekommen«. Zitat von Marcos Tupã, Anführer der Guarani-Gemeinschaft Krukutu. 60

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Ursprünglich hatte ich für meine Feldforschung geplant, die GuaraniGemeinschaft Krukutu zu besuchen, um mehr über die Bedeutung des Internet für diese Gruppe zu erfahren. Leider scheiterten diese Pläne wegen mangelnder Zeit und der Schwierigkeit, ohne Auto in das Gebiet am Rande der Stadt São Paulo zu gelangen. Trotzdem möchte ich auf diese Website und ihre Akteure eingehen, da sie exemplarisch für die StadtIndigenen Brasiliens stehen. Die Darstellungsform der Website der Guarani-Vereinigung Nhe’e Porã ist klar und stellt den Versuch der Gruppe dar, ihre Kultur und Lebensform der Öffentlichkeit zu vermitteln. Unter dem Link Notícias befindet sich ein Zitat des Anführers Marcos Tupã, in dem er beklagt, wie wenig die brasilianische Gesellschaft über die Realität der Indigenen weiß. Er berichtet: »Muitas pessoas quando escutam ›índio‹, já imaginam aquela pessoa na floresta, na Amazônia, totalmente isolada, distante da cidade, que para quem visita, chegar na aldeia, só por barco, depois de dois, três dias« (Associação Guarani Nhe’e Porã o.D.).29

Der Begleittext Guarani em São Paulo (Associação Guarani Nhe’e Porã o.D.) zu Marcos Tupãs Zitat weist auf die kulturelle Vielfalt und die unterschiedlichen Lebensweisen der brasilianischen Indigenen hin und bemerkt, dass die brasilianische Gesellschaft schon immer die Indigenen mit einer »homogenen Linse« betrachtet habe. Nach dieser »Linse«, so der Text, »trägt ein Indigener keine westliche Kleidung, darf keinen Zugang zum Computer haben und muss im Urwald leben, Meilen entfernt von den Städten«. In der weiteren Darlegung wird auf die Problematik der Stadtindigenen hingewiesen. Der Text bietet einen Diskurs über indigene Identität und behandelt die Diskriminierung durch die brasilianische Gesellschaft und deren veraltete Sicht auf die Indigenen und ihr Leben.30 Darin heißt es weiter, es sei für die westliche Kultur schwer vorstellbar, dass Indigene in und nahe den Städten leben, aber dies sei die allgemeine Lage und Realität. Der Text weist ebenfalls auf die Zahl von Indigenen hin, die in brasilianischen Städten leben, wie Campo Grande, Manaus, Boa Vista, Cuiabá, Florianópolis und die große Metropole São Pau29 »Viele Menschen denken, wenn sie das Wort ›Índio‹ hören, an eine Person aus dem Amazonas-Urwald, die total isoliert lebt, weit weg von der Stadt, wohin der Besucher für die Anreise zwei oder drei Tage Fahrt mit dem Boot benötigt«. Zitat des Guarani-Anführers Marcos Tupã. 30 Im Abschnitt »Indigene Identität in Zeiten der Globalisierung« (siehe S. 199) werde ich auf die Thematik »Indigene Identität und den Diskurs um Authentizität« eingehen. 61

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lo. Laut der Volkszählung des IBGE im Jahr 2000 (2005: 25) leben 18,1% der indigenen Bevölkerung Brasiliens in den Hauptstädten des Landes. Die Unkenntnis der brasilianischen Bevölkerung über die Realität der brasilianischen Indigenen führt, so der Text auf der GuaraniWebsite, zum Mangel an öffentlichen Maßnahmen zur Unterstützung von indigenen Gruppen. Ferner wird darin thematisiert, dass es für die nicht-indigene Gesellschaft schwer zu verstehen sei, dass die Indigenen keinesfalls die Zeit anhalten wollen. Vielmehr werde ihnen das Recht verweigert, sich zu ändern oder neue externe Kulturelemente in ihre Kulturen aufzunehmen – obwohl die Nicht-Indigenen sich ebenfalls, wie in jeder Kultur, an die neue Umstände anpassen. Weiter heißt es: »E para os índios se impõem situações que não foram eles que buscaram; como viver cada vez mais próximos a ambientes urbanos. Os índios incorporam vivências dos não-índios, mas não abrem mão de sua identidade ancestral. Na aldeia Krukutu escuta-se os seus moradores falando a língua guarani, se faz o artesanato típico deste povo e sua religiosidade é mantida na Casa de Reza. E na Aldeia Krukutu também há computadores, e as crianças depois dos sete anos, aprendem português. Porém esses elementos dos jurua são usados como ferramenta para resistir ao mundo não-índio, manter viva uma cultura que é mais antiga que o país que se formou em suas terras« (Associação Guarani Nhe’ê Porã o.D.).31

Hier wird auf die Problematik der Indigenen hingewiesen, nahe an Städten wohnen zu müssen. Sie weisen darauf hin, dass nicht sie diejenigen waren, die die Nähe der Stadt aufsuchten, sondern die Stadt bis zu ihnen gekommen ist. In der Guarani-Gemeinschaft Krukutu versuchen sie weiterhin ihre Sprache und Kultur zu pflegen. Die Aneignung von Kulturelementen wie dem Computer oder der portugiesischen Sprache wird als Verteidigungsmittel gegen die nicht-indigene Gesellschaft betrachtet und eingesetzt. Ein Zitat von Fábio Popyguá, Bewohner der Guara31 »Und die Indigenen werden vor Situationen gestellt, die sie nicht selbst gewählt haben, wie zum Beispiel, dass sie immer mehr in der Nähe von Städten leben müssen. Die Indigenen nehmen Lebensweisen der NichtIndigenen in ihr Leben auf, geben dabei aber ihre ursprüngliche Identität nicht auf. In dem Dorf Krukutu hören wir, wie die Bewohner in der Guarani-Sprache sprechen, traditionelle Artefakte werden produziert und ihre Religiosität wird im Gebetshaus praktiziert. Dort gibt es auch Computer und die Kinder lernen Portugiesisch ab dem Alter von sieben Jahren. Jedoch werden diese Elemente der Jurua [Weißen] als Mittel eingesetzt, um gegen die nicht-indigene Welt Widerstand zu leisten, um eine Kultur am Leben zu halten, die älter ist als der Staat, der sich auf ihren Ländern gebildet hat«. 62

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ni-Gemeinschaft Krukutu, verdeutlicht den konstanten kulturellen Wandel, in dem sich indigene Kulturen befinden: »A vivência da minha avó foi diferente daquele que eu tive, e diferente da que os mais novos vão ter. A gente não tem interesse de entrar assim, em contato com vocês, mas a gente quer o básico para todo mundo. A língua, por exemplo, é importante para a nossa comunicação. Hoje os pais orientam muito os filhos para irem estudar, os mais novos tem interesse em ir para a faculdade. Mas os jovens têm orgulho de ser índio sim! Nasceu índio, vai morrer índio« (Associação Guarani Nhe’e Porã o.D.).32

Fábio Popyguá weist auf den kulturellen Wandel, den seine Gruppe durchlief und durchläuft und erklärt, warum die Gruppe diesen Schritt machte. Dennoch scheint ihm wichtig zu sein, auf den Stolz der Jugendlichen auf ihre indigene Identität hinzuweisen und, dass sie trotz kulturellen Wandels immer indigen bleiben werden: »Wer als Indigener geboren wird, stirbt auch als Indigener«, so seine Aussage. Die Website der Guarani-Gemeinschaft spiegelt ein Bild der Realität und von den Sehnsüchten der Stadtindigenen wieder, lässt uns erahnen, was sie empfinden, was sie durchleben und was sie der Öffentlichkeit sagen möchten. Am Rande der Stadt São Paulo leben sie weiterhin als Guarani-Gemeinschaft und versuchen ihre Kultur auf ihre Weise aufrechtzuerhalten. Im Juli 2007 stellte ich beim erneuten Besuch der Website fest, dass es sich um eine neue Version handelte, mit einer noch klareren Darstellung, mehr Fotos und Informationen.33 Meines Erachtens verbesserte sich die Präsentationsform der Website durch die Erweiterung der Informations- und Darstellungsmethoden. Die Gruppe scheint weiter auf die Kraft des Internet als Informations- und Kommunikationsportal für ihre Kultur zu setzen.

32 »Das Leben meiner Großmutter war anders als das meine und anders als das Leben, das die Jüngeren haben werden. Wir haben kein Interesse, mit Euch in Kontakt zu kommen, aber wir möchten das Grundlegende für alle. Die Sprache, zum Beispiel, ist wichtig für unsere Kommunikation. Heute geben Eltern ihren Kindern den Rat, dass sie eines Tages studieren sollen; die Jüngeren wollen zur Universität gehen. Aber die Jugendlichen sind stolz Indigene zu sein, jawohl! Wer als Indigener zur Welt kommt, der stirbt auch als Indigener«. 33 Neue Website der Associação Guarani Nhe’ê Porã: http://www.cultura guarani.hpg.com.br/index.html vom 10. Juli 2007. 63

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Ein kurzer Einblick in die Xavante-Kosmologie Abbildung 4: Website der Gemeinschaft A’uwé Xavante

http://www.wara.nativeweb.org/index.html vom 13. November 2006. Die Website der A’uwé Xavante-Vereinigung Warã, aus dem Xavante-Dorf Idzô’uhu (Abelhinha) aus dem Bundesstaat Mato Grosso, war eine der ersten, die ich während meiner Internetrecherche für diese Arbeit gefunden habe. Auch wenn die Seite von einem Nicht-Indigenen entworfen wurde, stammt der gesamte Inhalt von den Angehörigen der Xavante-Gemeinschaft.34 Die Seite beeindruckte mich sofort mit dem etwas anderen Layout und mit der bemerkenswerten Zeichnung, die den Kosmos der Xavante darstellt. Diese Website erlaubt dem Internetnutzer, in die Xavan34 Ich schrieb an Marc Becker, den Webdesigner der Xavante-Website und Manager der Websites, die bei Native Web angemeldet sind, und fragte ihn, inwiefern die Xavante an dem Layout der Seite mitgewirkt haben. Er antwortete, dass er für das Grafik-Design zuständig war, aber der Inhalt komplett von den Xavante stammte. Laura Graham führte den größten Teil der Koordinationsarbeit. Marc Becker nimmt an dem Projekt Native Web teil und ist an der Produktion und Gestaltung etlicher indigenen Websites beteiligt. 64

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te-Kultur »einzutauchen«. Durch die Bewegung der Maus auf dem zentralen und ausdrucksvollen Bild haben wir die Möglichkeit, nicht nur die Zeichnung, sondern auch die verschiedenen Bestandteile der XavanteKultur und Gemeinschaft ein wenig zu verstehen.35 In der Mitte der Zeichnung befindet sich der Warã, der zentrale Platz einer XavanteGemeinschaft. Dort finden Versammlungen der älteren und reifen Männer statt und es ist ebenfalls der Platz, wo alle Entscheidungen getroffen werden. Es gibt aber auch den Warã der initiierten jungen Männer, wie es auf der Beschreibung des Links Warã steht, mit dem von einem Xavante verfassten Text. Auf dem Bild der ersten Seite können wir die weiteren Bestandteile der Xavante-Kultur kennen lernen, wie die aldeia (indigene Gemeinschaft oder Dorf), roça (Acker), coleta (Ernte) und caça (Jagd). Der Link rituais (Riten) bietet weitere Einblicke in die Kultur der Xavante. Erst die zwei letzten Links Associação Warã (Vereinigung Warã) und Ação Urgente (Dringende Aktion) führen uns zurück in die westliche Welt, mit den in die Xavante-Kultur eingeführten westlichen Organisationsformen, nämlich der Gründung einer indigenen Vereinigung und einer Internetkampagne. Der Link Ação Urgente macht die Öffentlichkeit auf Morddrohungen aufmerksam, die ein Anführer und eine Ethnologin, die mit den Xavante arbeitete, im Jahr 2002 erhielten. Unterstützt wird diese Aktion von Amnesty International. Auf der Seite befindet sich ein Musterbrief, der an das brasilianische Justizministerium, an die Regierung des Bundesstaates Mato Grosso, an die FUNAI und andere Institutionen gerichtet werden kann, um auf die Morddrohungen und die Gefährdung der bedrohten Personen aufmerksam zu machen. Dieser Link und sein Inhalt sind ein weiteres Beispiel für die Nutzung des Internet durch brasilianische indigene Gemeinschaften und Organisationen. Die Nutzung des Internet als Plattform für die Bekanntmachung von Menschenrechtsverletzungen, Drohungen und Verbrechen gegenüber Indigenen ist ein Aspekt, der in dieser Arbeit immer wieder zum Vorschein kommen wird. Ein weiteres Merkmal der Xavante-Website ist ihre Teilnahme an dem Webprojekt Native Web (http://www.nativeweb.org/), einer internationalen Non-Profit-Organisation, gegründet mit dem Ziel, Informationen über und für indigene Gruppen und Organisationen auf der ganzen Welt zu verbreiten. Unter dem Link About Us wird ebenfalls als Ziel dieses Projektes beschrieben, die Kommunikation zwischen Indigenen und Nicht-Indigenen zu fördern sowie »[…] to provide resources, mentoring, and services to facilitate indigenous peoples’ use of this technology« 35 Ob diese »Reise« in die Xavante-Kosmologie uns ihrer Wahrnehmung näher bringt, kann in dieser Arbeit leider nicht ausgeführt werden, lässt aber Raum für zukünftige Untersuchungen. 65

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(Native Web o.D.). Leider ist die Website von Native Web voll mit Links und Informationen geladen, so dass ich mir bei der Orientierung etwas verloren vorkam und schnell die Lust verlor, weiter auf der Website zu navigieren. Ein weiterer Mangel ist meines Erachtens, dass man nicht weiß, ob die gewählten Links von indigenen Websites oder nicht-indigenen Websites stammen. Eine Teilung der Website in indigenen und nicht-indigenen Websites sowie weitere Informationen könnte benutzerfreundlicher sein, sowohl für indigene als auch nicht-indigene Internetnutzer.36

Website der Xavante-Gemeinschaft aus Pimentel Barbosa Eine weitere Xavante-Website ist die der Xavante-Gemeinschaft Etêniritipa, bekannt als Pimentel Barbosa. Diese wurde dank der Partnerschaft des Projektes Cidade-Escola Aprendiz37 und des Instituto das Tradições Indígenas (IDETI – Institut Indigener Traditionen) im Jahr 2000 entwickelt. In der Beschreibung der Websiteproduktion steht, dass diese Seite vom IDETI für die Xavante-Gemeinschaft von Pimentel Barbosa und von Teilnehmern des Website-Workshops des Projektes Cidade-Escola Aprendiz in Zusammenarbeit mit Mitgliedern der Xavante-Gemeinschaft geschaffen wurde. Wenn wir auf der ersten Seite auf den Link Nossa Vida (Unser Leben) klicken, erscheint eine Seite, deren Aufbau der A’uwéXavante-Website der Gemeinschaft Idzô’uhu ähnelt und lässt die Xavante-Kosmologie wieder erkennen. Der Internetnutzer kann sich durch Klicken auf das Computerbild durch die Struktur dieser Xavante-Gemeinschaft bewegen und diese kennen lernen. Ähnlich wie bei der vorherigen Website kann der Internetnutzer sich über die Xavante-Kultur informieren und erhält über den Link Brasil Indígena Informationen über indigene Gruppen in Brasilien und einige Informationen über die Rechte der brasilianischen Indigenen. Unter dem 36 Wong (o.D.) weist auf die Notwendigkeit eines benutzerfreundlichen Aufbaus/Layouts von Websites für Indigene hin gemäß der Richtlinie des Web Content Accessibility Guidelines (WCAG). Projekte, die indigenen Gruppen den Zugang zum Internet ermöglichen, sollten stets darauf achten, dass ihre Websites benutzerfreundlich und für ihre Zielgruppe geeignet sind. Siehe WCAG – Web Content Accessibility Guidelines, http://www.w3.org/ WAI/intro/wcag.php vom 20. November 2006. 37 Die Website-Workshops des brasilianischen Projektes Cidade-Escola Aprendiz haben als Ziel, dass Schüler privater und öffentlicher Schulen aus São Paulo für Organisationen Websites zu entwickeln lernen, miteinander arbeiten und soziale Projekte kennen lernen; http://www2.uol.com.br/ aprendiz/designsocial/ vom 22. Februar 2005. 66

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Link Nossa História (Unsere Geschichte) sind weitere Links vorhanden, die über die Folgen des Kontaktes mit der westlichen Kultur berichten, sowie die Mythologie und die Geschichte der Xavante beschreiben. Hier folgt ein Auszug aus dem Link Nossa História (Unsere Geschichte) der Xavante-Website der Gemeinschaft Etêniritipa, die für mein Forschungsthema von großer Wichtigkeit ist: »Esta região hoje está cercada por fazendas de criação de bois e plantação de arroz e soja. Isso significa desmatamento e determina um processo de degradação do solo, além da poluição dos rios que adentram a reserva e são fonte de água para a aldeia. Atualmente, o projeto Brasil em Ação, do Governo Federal, está prevendo a construção de uma hidrovia que deverá passar pelo rio das Mortes, Araguaia e Tocantins, criando um corredor de exportação de soja e outros produtos para os países desenvolvidos. A construção da hidrovia vai modificar muito o rio, vai alterar o ecossistema e o fluxo das águas. Esse projeto não é bom nem para o rio, nem para as pessoas e os animais que vivem ali. Com isso, é clara a interfêrencia direta e indireta do branco na cultura Xavante, o que causa sérios problemas para a sobrevivência da aldeia. Foi exatamente por este motivo que decidimos fazer este site. Precisavamos de um espaço para mostrar nossa cultura, nossa sabedoria, nosso jeito de viver neste mundo. É preciso que o branco entenda que não estamos contra ele, e sim a favor de uma harmonia para ambos os povos« (Xavante o.D.).38

In diesem Text erklärt die Xavante-Gemeinschaft ihre Teilnahme an dieser Kommunikationsplattform. Sie stellt ihre Hoffnung dar, dass ihre Ge-

38 »Diese Region ist heute umgeben von Rinderzuchtfarmen sowie Reis- und Sojaplantagen. Dies führt zur Abholzung und leitet einen Prozess ein, der zur Zerstörung des Bodens und zur Verschmutzung der Flüsse führt, die in das indigene Gebiet fließen und Wasserquelle für die Gemeinschaft sind. Zurzeit sieht das Projekt der Landesregierung Brasil em Ação (Brasilien in Aktion) den Bau einer Wasserstraße vor, die durch die Flüsse Rio das Mortes, Araguaia und Tocantins verlaufen und zur Bildung eines Korridors für den Export von Soja und anderen Produkten für die entwickelten Länder führen soll. Der Bau dieser Wasserstraße wird den ursprünglichen Verlauf der Flüsse stark verändern und das Ökosystem umstellen. Dieses Projekt ist weder für den Fluss noch für die Menschen und Tiere, die dort leben, gut. So ist die direkte Interferenz der Weißen in die Xavante-Kultur klar, die ernste Probleme für das Überleben der Gemeinschaft mit sich bringt. Genau aus diesem Grund entschieden wir uns, diese Website zu machen. Wir brauchten einen Platz, um unsere Kultur, unser Wissen und unsere Lebensart in dieser Welt zeigen zu können. Es ist notwendig, dass der weiße Mann versteht, dass wir nicht gegen sie sind, sonder für ein harmonisches Zusammenleben beider Kulturgruppen«. 67

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schichte und ihre Probleme von anderen Internetnutzern gelesen werden und dabei richtet sie ihre Botschaft gezielt an den »weißen Mann«. In fett gedruckter Schrift wird erklärt: »Somos guerreiros. Temos estratégias para sobreviver e seguir nossa tradição. Por isso decidimos trabalhar com o Projeto Aprendiz na construção deste site, e ter este espaço mágico do computador para que a gente possa conversar com muitas pessoas que partilham do nosso pensamento e também se preocupam com a saúde do nosso planeta. E que esta conversa traga frutos bons, mudanças na realidade de nossos povos, mais respeito e oportunidade para o futuro« (Xavante o.D.).39

In diesem Zitat wird nicht nur ein wichtiges Merkmal eines Indigenen, nämlich das Kriegerische betont – ein Erkennungszeichen der Xavante –, sondern erklärt, warum der Schritt Richtung Internetpräsenz gegangen wird. Die Vorstellung vom Computer als »magischer Platz« eignet sich dazu, tiefer untersucht zu werden. Aus der Verwendung der Bezeichnung »magisch« kann auf ihren Bezug zu spirituellen Orten und Magie und auf eine von der westlichen Kultur unterschiedlichen Vorstellung von Welten oder Dimensionen geschlossen werden. Bezeichnend für diese Aussage ist ebenfalls die Bereitschaft oder der Wunsch zu Gesprächen mit Gleichgesinnten und letztlich die Hoffnung, dass sich ihre Lage eines Tages verbessern werde. Sicherlich ist viel mehr aus diesen Websites herauszulesen. Genauso interessant wäre es, die Entstehung und Produktion solcher Website zu begleiten. Weil aber das Thema meiner Arbeit die Nutzung des Internet allgemein und nicht die Produktion indigener Websites ist, werde ich im Folgenden die Internetpräsenz einiger indigener Organisationen darstellen, um den Eindruck über die Nutzung des Internet durch brasilianische Indigene zu erweitern.

39 »Wir sind Krieger. Wir haben Strategien um zu überleben und unserer Tradition zu folgen. Deswegen entschieden wir uns mit dem Projekt Aprendiz zu arbeiten, um diese Website aufzubauen und diesen magischen Platz des Computers zu besitzen, damit wir mit vielen Personen sprechen können, die unsere Denkart teilen und sich um die Gesundheit des Planeten Sorgen machen. Möge dieses Gespräch gute Früchte, Änderungen in der Realität unserer Völker, mehr Respekt und Möglichkeiten für die Zukunft bringen«. 68

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Indigene Organisationen im Internet Nachdem im vorherigen Abschnitt einige Websites indigener Gruppen dargestellt wurden, werden in diesem Abschnitt Websites präsentiert, die mehrere Ethnien vertreten. Eine dieser Websites ist die des Indigenenrats des Bundesstaates Roraima CIR (Conselho Indígena de Roraima, http:// www.cir.org.br). Diese enthält viele Nachrichten und Informationen über indigene Gemeinschaften aus dem Bundesstaat Roraima und ihre Kultur, sie berichtet von Problemen der Indigenen sowie über Ausbildungsprojekte und beschreibt die Arbeit des Indigenenrats. CIR setzt sich vor allem für die Abgrenzung und offizielle Anerkennung der indigenen Gebiete in Roraima ein, sorgt für die Überwachung der Gebiete und engagiert sich für die indigene Ausbildung, im Gesundheitswesen und für die sozioökonomische Eigenständigkeit der indigenen Gruppen Roraimas (CIR o.D.).

Coiab – Coordenação das Organizações Indígenas da Amazônia Brasileira Auch der Verband der indigenen Organisationen des brasilianischen Amazonasgebietes COIAB (Coordenação das Organizações Indígenas da Amazônia Brasileira, siehe http://www.coiab.com.br/) ist im Internet präsent. COIAB wurde 1989 gegründet und fungiert als Dachorganisation indigener Gruppen und Organisationen des brasilianischen Amazonasgebiets. Laut Website vereinigt der Verband heute 75 indigene Organisationen und 165 indigene Gruppen. Dabei begleitet und fördert er weitere Organisationen mit dem Ziel, die indigene Bewegung zu stärken (COIAB o.D.). Die Website hat ein klares Layout und bietet auf der ersten Seite Nachrichten-Headlines über Meldungen, die indigene Gruppen und Kultur betreffen.

IDETI – Instituto das Tradições Indígenas Die am aufwendigsten entwickelte Website ist meines Erachtens die des Instituto das Tradições Indígenas (IDETI – Institut Indigener Traditionen). Das Institut IDETI wurde gegründet und wird geleitet von den Indigenen der Ethnien Guarani, Xavante, Bororo, Kaxinawá und Krenak. Das Institut hat das Ziel, die indigenen Kulturen und den Austausch zwischen den indigenen Gemeinschaften Brasiliens zu fördern.

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Die Website des Instituts wird aufgemacht mit der Flash-Animation einer indigenen geometrischen Zeichnung in den Farben Weiß, Rot und Schwarz, die die Form einer Maske oder eines Gesichtes hat. Im Verlauf des Ladens der Seite bewegt sich der Mund dieser Maske und gibt hohe Töne von sich, wie sie in brasilianischen indigenen Kulturen oft Brauch sind, um sich mit anderen auf einer bestimmten Distanz und meistens im Wald zu verständigen. Nach dem dritten Ruf bewegt sich die Maske (innerhalb eines Vierecks platziert) als ob beide Augen in ein Loch, geformt von diesem Viereck, schauen würden. Danach zieht sich die Maske zurück und der Name und somit das Zeichen des Instituts erscheint. Im Anschluss werden Fotos, welche ein indigenes Dorf, Männer bei der Körperbemalung und geschmückte und bemalte Mädchen darstellen gezeigt, begleitet mit dem Ausspruch von Wabuá Xavante: »Ninguém respeita aquilo que não conhece. Precisamos mostrar quem somos, a força, a beleza, a riqueza da nossa cultura. Só assim vão entender e admirar o que temos« (IDETI o.D. b).40 Nach der aufwendigen Aufmachung der Website gibt es eine Zeichnung auf der ersten Seite, in der zwei miteinander kommunizierende Indigene zu sehen sind. Der eine sagt durch eine Sprechblase: »Besuchen Sie unser Weblog«, und der andere fügt hinzu: »Nachrichten, Texte, Fotos …« (IDETI o.D. c).

40 »Niemand respektiert das, was er nicht kennt. Wir müssen zeigen, wer wir sind, die Kraft, die Schönheit, den Reichtum unserer Kultur. Nur so werden andere verstehen und anerkennen, was wir haben«. Der vollständige Satz befindet sich unter http://www.ideti.org.br/projetos/index.htm vom 20. Januar 2007. In diesem Satz ist festzustellen, dass die indigene Kultur vermittelt werden muss, damit sie respektiert und bewundert werden kann. Die Sehnsucht vieler Indigener nach Anerkennung scheint ein wichtiger Punkt für die Bestätigung ihrer Identität zu sein. 70

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Abbildung 5: Website des Instituts IDETI

http://www.ideti.org.br/ vom 20. Januar 2007. Ich besuchte das Weblog, um zu sehen, wie es aufgebaut ist. Sofort fand ich auf der Startseite, in einer kurzen Bemerkung auf der rechten oberen Seite die Erklärung dafür, warum das IDETI dieses Weblog kreierte. Es heißt dort: »O IDETI criou este BLOG para propiciar um dinamismo maior na divulgação das noticias« (IDETI o.D. a).41 Das Weblog ist einfach aufgebaut und hat eine klare Darstellungsform. Es bringt unter anderem Nachrichten über Veranstaltungen, wie zum Beispiel die Berichterstattung über den Besuch einer Gruppe von Nambikwara und des IDETI in Norwegen zur Teilnahme an Tanz und Musikfestivals und ihre Begegnung mit den Sami (IDETI 2006).

41 »Das IDETI schuf dieses Weblog, um eine größere Dynamik in der Verbreitung der Nachrichten zu erreichen«. 71

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Comissão Pró-Yanomami Nicht unerwähnt darf die Website der Comissão Pró-Yanomami (Kommission zur Unterstützung der Yanomami) bleiben, die umfassende Informationen und viele Nachrichten über die Yanomami und ihre Lage in Brasilien anbietet. Die Aufmachung der Website ist aufwendig, mit Flash-Animation und schönen Fotos der Projekte, die mit den Yanomami im Schul- und Gesundheitswesen durchgeführt werden. Beim Versuch, die Internetadresse www.yanomami.com für die Yanomami zu registrieren, stieß die Comissão Pró-Yanomami und die Yanomami auf eines der vielen Probleme, die das Internet bereiten kann. Der Domainname Yanomami.com war bereits von einer US-Amerikanischen Firma registriert, welche auf die Verwaltung von Domainnamen spezialisiert ist. Die Firma besitzt außerdem das Nutzungs- und Verkaufsrecht dieser Domains. Die Firmendirektorin, Mercedes Méier, verlangte US$ 25.000,00 für den »Erwerb« der Domain und war nicht bereit, den Yanomami diese zurück zu geben (CNN 10.10.2000). Im Jahr 2000 richtete David Kopenawa, Anführer der Yanomami, einen Brief an Frau Mercedes Méier und verlangte Respekt gegenüber seiner Gruppe. Er schrieb: »O nome dos Yanomami não é pra negociar. Yanomami é nome de um povo muito antigo. Nós queremos que a senhora respeite o nome dos Yanomami. Não queremos arranjar outra briga. Já temos briga no Brasil. Então, esta é minha palavra a sociedade não indígena : respeitar e entender« (CCPY 03.10.2000).42

Bis heute steht die Domain www.yanomami.com zum Verkauf. Während diese jahrelang unbenutzt blieb, wird die Adresse der Comissão Pró-Yanomami intensiv benutzt und ist in Brasilien bereits bekannt.

Private indigene Websites Außer den Websites indigener Organisationen und Gruppen gibt es private Websites indigener Aktivisten, die sich für die Rechte der Indigenen in Brasilien einsetzen. Ein Beispiel dafür ist die Website von Eliane Po-

42 »Der Name der Yanomami wird nicht verhandelt. Yanomami ist der Name eines uralten Volkes. Wir möchten, dass Sie den Namen der Yanomami respektieren. Wir möchten keinen weiteren Streit. Wir haben in Brasilien bereits genügend. So, dies ist mein Wort an die nicht-indigene Gesellschaft: respektieren und verstehen«. 72

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tiguara, einer Nachkommin der Potiguara-Indigenen, die in Rio de Janeiro lebt und sehr aktiv in der brasilianischen indigenen Bewegung ist.

Die indigene Aktivistin Eliane Potiguara »Não podemos ficar fora do mundo virtual. Precisamos estar presentes nele sem perder as nossas raízes indígenas, o nosso conhecimento tradicional. Tudo isso dialogando com os pajés, com os mais velhos, para que possamos vislumbrar um futuro mais digno para os povos indígenas«. Eliane Potiguara, Juni 2005, Rio de Janeiro (Rede Povos da Floresta 2005f).43

Eliane Potiguara ist Schriftstellerin und nutzt das Internet intensiv, um Themen zu verbreiten, wie zum Beispiel über die indigene Kultur und ihren Alltag. Sie gründete 1987 die Organisation GRUMIN (Grupo de Mulheres Indígenas/Rede de Comunicação Indígena – Gruppe Indigener Frauen/Indigenes Kommunikationsnetz) für den besseren Zugang indigener Frauen und Männer sowie indigener Organisationen zu Informationen. Eliane Potiguara verbreitet über ihr Netzwerk Newsletters mit Nachrichten über Veranstaltungen, Resolutionen, Diskussionen aber auch über Gewalttaten gegen Indigene und leitet Diskussionsgruppen im Internet, wie die Diskussionsgruppe Literatura Indígena über indigene Literatur.44 Die Organisation GRUMIN/Rede de Comunicação Indígena besitzt ebenfalls ein Weblog45 mit den aktuellsten Nachrichten über die Lage der Indigenen in Brasilien. Im Januar 2007 nutzte Eliane Potiguara das Internet, um eine Nachricht über die Ermordung einer 70jährigen Kaiowa-Frau, die im Januar

43 »Wir können nicht außerhalb der virtuellen Welt bleiben. Wir müssen auch in ihr präsent sein, ohne unsere Wurzeln, unsere traditionellen Kenntnisse zu verlieren. Das alles begleitet durch ein ständiges Gespräch mit den Medizinmännern, mit den Älteren, damit wir eine bessere Zukunft für die indigenen Völker erreichen können«. Eliane Potiguara in einem Treffen des Projekts Rede Povos da Floresta in Rio de Janeiro im Juni 2005 über die Bedeutung des Internet für Indigene. 44 Grupo de Discussão Literatura Indígena, http://br.groups.yahoo.com/group /literaturaindigena/ vom 18. Dezember 2006. 45 Nachrichten-Weblog von GRUMIN/Rede de Comunicação Indígena, http:// blog.elianepotiguara.org.br vom 18. Dezember 2007. 73

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2007 von bewaffneten Männern in Mato Grosso do Sul getötet wurde, zu veröffentlichen. Diese Nachricht wurde von indigenen Aktivisten und verschiedenen Organisationen, welche die Indigenen unterstützen, verbreitet. Hier das Beispiel einer E-Mail, die von CIMI, dem Katholischen Indigenen Missionsrat, am 10. Januar 2007, einen Tag nach der Ermordung der Kaiowa-Frau, gesendet wurde: »Thema: Indigenous woman killed by gunmen in Brazil Datum: 10.01.2007 14:07:31 Westeuropäische Normalzeit Von: [email protected] Indigenous woman killed by gunmen in Brazil The 9th of January farmers and gunmen attacked a group of Kaiowá Guarani families who had returned to their tekoha, traditional land, of Curusu Ambá, on the division of the cities of Amambai and Coronel Sapucaia, state of Mato Grosso do Sul (southwest Brazil). The Indian woman Kuretê Lopes, of approximately 70 years, was killed by a shot in the chest, when the families were violently put in a truck and a bus. This happened in the morning, when also another indigenous man, Valdecir Ximenez, was wounded. The suspicion is that gunmen contracted by farmers have shot. Not satisfied yet with all the violence they threw the other indigenous people at a place outside of the city of Coronel Sapucaia During the day four Indians had been put to prison when they tried to go to the indigenous land Tacuapery to ask for help of their relatives. They were being attacked and an indigenous child that fainted, was taken by the farmers. This brutality confirms once more the violence and the hatred against the indigenous people who search their piece of land to survive. Private security services are contracted by farmers who can act in complete impunity. All this aggravated by the slowness of the Federal Government in demarcating and guaranteeing indigenous lands as determines in the Brazilian Constitution. It is repulsive to see that the violence against and murders of the indigenous population in the state of Mato Grosso do Sul continues (in 2006 there were 40 indigenous peoples killed in Brazil, of which 20 in Mato Grosso do Sul). Similar crimes of the last years are still waiting for justice. CIMI asks the immediate verification of the facts and punishment of the culprits so that it does not come to more suffering, agony and genocide of the Kaiowá Guarani people. That former leader Sepé Tiaraju illuminates the resistant Guarani warriors. That leader Marçal, killed in 1983, and all the ones that had tumbled in the fight, like Kuretê today, follow the fight of their people for a land, at least with less evil and violence. CIMI, Missionary Council for Indigenous peoples Brasilia, 10th of January 2007«

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Daraufhin wurden Unterschriftaktionen und Faxaktionen organisiert und an den Präsidenten der brasilianischen Indigenenbehörde FUNAI und an das Justizministerium geschickt mit der Hoffnung, dass die Täter zur Rechenschaft gezogen werden. Was früher durch lokale Politik und einflussreiche Gruppen unbekannt blieb oder verschwiegen wurde, kann heute durch die einfachere Verbreitung von Nachrichten nur schwer geheim gehalten werden. Viele Gewalttaten gegenüber Indigenen in Brasilien kommen schnell an die Öffentlichkeit und die Täter werden immer häufiger für ihre Taten verurteilt – obwohl Richterentscheidungen durch lokale Interessen immer noch manipuliert werden. Für Indigene in Brasilien dient das Internet nicht nur als Sprachrohr zur Welt, sondern verstärkt auch die Chancen zum Schutz und zur Sicherung ihrer Rechte. Es hilft den Indigenen, durch die Veröffentlichung von Menschenrechtsverletzungen und Ähnlichem, Druck auf die zuständigen Rechtsorgane auszuüben.

Ende der kulturellen Unsichtbarkeit Wie oben kurz dargestellt, bedeutet der Zugang zum Internet eine Möglichkeit für die Indigenen, ihre Lage und Probleme sichtbar zu machen und aus der Anonymität heraus zu treten in einer Gesellschaft, die Indigene immer noch lediglich als Teil ihrer Folklore behandelt. Die indigene Bewegung ist dabei, dieses folkloristische Bild der Indigenen zu verändern und der Gesellschaft zu zeigen, dass sie weiterhin als Gruppe mit eigener Kultur existieren und sich für ihre Rechte einsetzen. In einer Ansprache im September 2003 vor der Ausbildungs-, Kulturund Sportskommission im Brasilianischen Kongress über die Inklusion der Indigenen in die Informationsgesellschaft beschrieb Eliane Potiguara das Bemühen der Indigenen, aus der »kulturellen Unsichtbarkeit« herauszutreten, zum Beispiel durch den Einsatz des Radios zur Verbreitung von Informationen oder durch die Produktion von Dokumentarfilmen oder Beiträgen in lokalen Fernsehsendern. Das Ziel der Indigenen bei der Nutzung der Kommunikations- und Informationstechnologien ist laut Eliane Potiguara, die indigenen Kulturen und Gruppen zu stärken und sich in der Öffentlichkeit darzustellen, »sei es im Kampf um die Menschenrechte oder um ihren Beitrag in der brasilianischen Gesellschaft bekannt zu machen« (Potiguara 2003).46

46 Besonders der Gedanke aus einer kulturellen Unsichtbarkeit herauszutreten, ist in den Aussagen der von mir interviewten Indigenen sehr präsent als ich sie fragte, was sie sich von der Informationsgesellschaft versprechen. 75

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In ihrer Ansprache berichtete Eliane Potiguara des weiteren über die vielen Erfolge verschiedener indigener Gruppen und Gemeinschaften durch die Verbreitung der indigenen Kultur und ihrer Werte in den verschiedensten Medien. Durch die mediale Bekanntgabe von Projekten, Vorhaben und Nachrichten haben sich viele indigene Gruppen und Organisationen Gehör verschafft und können so ihre Ziele wirksamer verfolgen. Die so genannte Informationsgesellschaft ist, nach Eliane Potiguaras Meinung, die »Tür zum Erfolg« vieler Projekte, die den indigenen Gemeinschaften der ganzen Welt zu Gute kommen. Außerdem führe die Nutzung von Medien auch zu der sozialen und politischen Anerkennung indigener Gruppen und ihrer Kulturen in der heutigen Gesellschaft. Eliane Potiguara weist dennoch darauf hin, dass aufgrund der Verwundbarkeit der intellektuellen Rechte indigener Gruppen und ihres geistigen Eigentums die Aufnahme indigener Gemeinschaften in die Informationsgesellschaft auch eine Herausforderung für die Indigenen Brasiliens darstelle, da nicht alle Informationen über ihre Kultur an die Öffentlichkeit gelangen sollten, wie zum Beispiel solche über religiöse Rituale. Diese Herausforderung müsse durch Bewusstseinsbildung, technische Ausbildung und die Einrichtung indigener Datenbanken erfüllt werden, um das kulturelle Erbe zu schützen sowie die Ansprüche und Rechte darauf zu garantieren. Abschließend betont Eliane Potiguara (2003), dass die traditionelle Kultur mit den modernen Technologien koexistieren müsse und mediale Technologien als Werkzeuge zur Verteidigung der indigenen Rechte einzusetzen seien. Eliane Potiguaras Ansprache beinhaltet viele Fragen, mit denen sich die Indigenen Brasiliens bei ihrer Aneignung des Internet als Informations- und Kommunikationsmittel befassen und die ich in dieser Arbeit weiter verfolgen werde. Nach diesem Einblick in die Präsentation indigener Gruppen und Kultur durch Websites werden im Folgenden die Internetprojekte vorgestellt, die sich speziell an die indigenen Gemeinschaften Brasiliens richten und diesen ermöglichen, an der Informationsund Kommunikationsgesellschaft mitzuwirken.

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BRASILIANISCHE INTERNETPROJEKTE FÜR INDIGENE Während meiner Forschung entdeckte ich einige Internetprojekte, die es sich zur Aufgabe gemacht hatten, indigenen Gemeinschaften den Zugang zum Internet zu ermöglichen. In diesem und in den folgenden Abschnitten werde ich drei Internetprojekte vorstellen, die ich in meiner Forschung untersuchte. Es handelt sich hier um eine Auswahl, die mir besonders geeignet erschien, einen Überblick über die an indigene Gemeinschaften gerichteten Internetprojekte zu geben. Zuerst werde ich das Projekt Rede Povos da Floresta (Netzwerk der Regenwaldvölker) vorstellen. Dieses Projekt war für meine Arbeit von besonderer Bedeutung, da ich während der Feldforschung am häufigsten und intensivsten mit den an diesem Projekt beteiligten Personen, Organisationen und Gruppen zu tun hatte. Anschließend werde ich über Índios On Line berichten, ein Internetprojekt aus dem Nordosten Brasiliens, das mit sieben indigenen Gemeinschaften in den Bundesstaaten Bahia, Pernambuco und Alagoas arbeitet. Als drittes und letztes folgt das Internetprojekt BAY, das von der Faculdade de Letras (dem Institut für Sprachwissenschaft) der Bundesuniversität von Minas Gerais ins Leben gerufen wurde.

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DIE INDIGENEN BRASILIENS UND DAS INTERNET

Tabelle 2: Von mir untersuchte brasilianische Internetprojekte

Organisation

CDI (Comitê para a Democratização da Informática)

Ethnien, Gebiete und Organisationen mit denen das Projekt arbeitet

Projekt

Rede Povos da Floresta

• • •

Bundesstaat Acre: Yawanawa am Fluss Gregório, Ashaninka am Fluss Amônia, CPI/AC (Comissão Pró-Índio do Acre)



Bundesstaat Rio de Janeiro: Guarani-Gemeinschaft Sapucay (Nahe der Stadt Angra dos Reis)



• THYDÊWÁ

Faculdade de Letras – Universidade Federal de Minas Gerais (UFMG)1

Bundesstaat Bahia: Kiriri, Tupinambá, PataxóHãhãhãe und Tumbalalá



Bundesstaat Alagoas: Xucuru-Kariri und Kariri-Xocó



Bundesstaat Pernambuco: Pankararu

Índios On Line



BAY Universidade Indígena

Bundesstaat Minas Gerais: Indigenes Gebiet Xacriabá (Nahe der Stadt São João das Missões)

Bundesstaat Minas Gerais: Xacriabá, Pataxó, Krenak, Xucuru-Kariri, Maxacali und Kaxixó.

1 Institut für Sprachwissenschaft der Bundesuniversität von Minas Gerais. 78

BRASILIANISCHE INTERNETPROJEKTE FÜR INDIGENE

Das Projekt Rede Povos da Floresta, ein Netzwerk für Regenwaldvölker Das Projekt Rede Povos da Floresta wurde in Rio de Janeiro im August 2003 durch die Nichtregierungsorganisation Comitê para a Democratização da Informática (CDI – Ausschuss für die Demokratisierung von Informationstechnologien) gegründet und ermöglicht die Präsenz des Internet in indigenen und nicht-indigenen Gemeinschaften. Als Rodrigo Baggio den Leiter des Projektes Rede Povos da Floresta, João Fortes, kennen lernte, begannen beide über die Möglichkeit zu sprechen, dieses Projekt nach der ersten Installation in der Guarani-Gemeinschaft Sapucay im Bundesstaat Rio de Janeiro auf andere Gebiete auszudehnen. Zusammen mit Ailton Krenak, einem in Brasilien bekannten indigenen Aktivisten und Mitwirkenden an der Gestaltung des Projekts, sprachen sie über verschiedene Organisationen in den Bundesstaaten Amazonas und Acre, die sie besuchen wollten, um eine mögliche Zusammenarbeit zu planen. Nach einer Reise nach São Gabriel da Cachoeira im Bundesstaat Amazonas und nach Rio Branco im Bundesstaat Acre war Rodrigo Baggio von den Verhandlungen zwischen dem CDI und der Comissão PróÍndio do Acre (CPI/AC), die seit 1979 mit indigenen Gemeinschaften in dieser Region arbeitet, sehr beeindruckt (Rede Povos da Floresta o.D. e). Bereits seit dem Jahr 2000 in etwa forderten einige indigene Gruppen Acres Internetzugang. Mit der Unterstützung des brasilianischen Unternehmens StarOne (www.starone.com.br), das unter anderem Satellitengestützten Internetzugang anbietet,2 baute der CDI im Jahr 2003 vier weitere Internetzugangsorte auf: • Ashaninka-Gemeinschaft am Fluss Amônia im Bundesstaat Acre • Yawanawa-Gemeinschaft am Fluss Gregório im Bundesstaat Acre • Indigenes Gebiet Xacriabá in São João das Missões im Norden des Bundesstaates Minas Gerais • Ausbildungszentrum der CPI/AC in Rio Branco, Acre3 2

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StarOne wurde im Dezember 2000 gegründet und ist das Ergebnis einer Zusammenarbeit zwischen der brasilianischen Telefongesellschaft Embratel und dem Satellitenkonzern SES Global. Wie im ersten Teil der Arbeit bereits erwähnt, wurde ich durch die Veröffentlichung eines kleinen Artikels in der Zeitschrift »Der Spiegel« auf das Internetprojekt Rede Povos da Floresta (Netzwerk der Regenwaldvölker) von der NGO CDI aufmerksam. Daraufhin begann ich sofort, die Feldforschung zu organisieren. Zuerst hatte ich vor, mindestens eine der indigenen Gemeinschaften in Acre, Rio de Janeiro oder Minas Gerais zu besuchen, wo das Projekt Internetzugangsorte installierte. Vorher musste ich allerdings einen Forschungsantrag bei der Indigenenbehörde FUNAI einrei79

DIE INDIGENEN BRASILIENS UND DAS INTERNET

Am Anfang des Projekts wurden einige Indigene der jeweiligen Gemeinschaften nach Rio de Janeiro zur Teilnahme an einem Schnellkurs über Grundkenntnisse und Nutzung des Internet geschickt, um anschließend diese Kommunikations- und Informationstechnologie in ihren jeweiligen Gemeinschaften anwenden zu können. Alle Kursteilnehmer in Rio verfügten bereits über Computer- und Internet-Grundkenntnisse. Ein Mitarbeiter von CPI/AC nahm auch an diesem Ausbildungskurs teil, um so die Arbeitsmethode vom CDI kennen zu lernen. Eine Woche lang lernten die jungen Indigenen aus vier verschiedenen Gemeinschaften, wie mit dem Internet gearbeitet werden kann, wozu es eingesetzt wird und was sie bei der Nutzung dieses Mediums beachten sollten. Im Anschluss an den logistischen Prozess und nachdem diese Gruppen begannen, das Internet an die Bedürfnisse ihrer Gemeinschaften anzupassen und es intensiver zu nutzen, entstand laut Rodrigo Baggio die Idee zum Projekt Rede Povos da Floresta als »eine Plattform zur Artikulation politischer und sozialer sowie ökologischer Interessen, die von indigenen Anführern und von Quilombola Gemeinschaften angestrebt werden« (Rede Povos da Floresta o.D. e). Als ich 2006 nach Acre flog, erfuhr ich von der Erweiterung des Internetprojektes Rede Povos da Floresta in Acre und dass auch einige Huni Kuĩ-Gemeinschaften den Antrag zur Teilnahme am Projekt gestellt hatten. Das Projekt Rede Povos da Floresta sollte von fünf auf circa 40 Internetzugangsorte erweitert werden mit dem Ziel, die einstige Aliança dos Povos da Floresta (Allianz der Urwaldvölker) – gegründet in den 1980er Jahren durch Personen wie dem ermordeten Kautschukzapfer und Umweltschützer Chico Mendes,4 den indigenen Aktivisten Ailton Krenak, Davi Yanomami und Francisco Piyãko Ashaninka und dem Sertanista5 Antônio Macedo – zu erneuern (Rede Povos da Floresta o.D. a).

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chen, um die Erlaubnis zur Forschung innerhalb indigener Gebiete zu erhalten. Nachdem die Forschungserlaubnis erteilt wird, benötigt man noch die Zustimmung der jeweiligen indigenen Gemeinschaft, bei der man forschen möchte. Der Prozess dauerte circa sechs Monate. Chico Mendes war ein Kautschukzapfer aus Acre, der sich in den 1970ern und 1980ern für den Umweltschutz und das Recht der Urwaldbewohner einsetzte. Er erreichte, die Weltaufmerksamkeit auf das Abholzungsproblem und die Zerstörung Amazoniens zu richten. Chico Mendes wurde 1988 auf Befehl eines Großgrundbesitzers und dessen Sohnes in Acre ermordet. Sertanista ist die brasilianische Bezeichnung für einen Experten für indigene Kulturen im Dienst der Indigenenbehörde FUNAI. 80

BRASILIANISCHE INTERNETPROJEKTE FÜR INDIGENE

Die Ziele von Rede Povos da Floresta Eines der Ziele des Projekts Rede Povos da Floresta ist es, indigene und Quilombola-Gemeinschaften,6 Bewohner von Flussufern und Naturreservaten im Amazonasgebiet und aus ganz Brasilien durch das Internet miteinander zu vernetzen. Dies ermöglicht die Kommunikation zwischen den Gruppen in und außerhalb des Landes, nimmt viele indigene und nicht-indigene Gemeinschaften aus ihrer geographischen Isolation, gibt ihnen die Möglichkeit, ihre Rechte zu verteidigen, indem sie ihre Beschwerden und Klagen öffentlich machen können (durch die Verbreitung von Nachrichten im Internet), und auf diese Weise – wie auf der Website des Projektes berichtet – zum Schutz ihrer Kulturen und Gebiete beizutragen. Nach dem Selbstverständnis des Projekts Rede Povos da Floresta kann der »Zugang zur Welt« durch das Internet entscheidend dazu beitragen, dass die Rechte von Indigenen und Quilombola- sowie anderen abgelegenen Gemeinschaften aus dem Amazonasgebiet und anderen Regionen Brasiliens respektiert werden. Das Projekt zielt desgleichen auf den Schutz ihrer vom Staat anerkannten Gebiete und deren Umgebung durch eine bewusste Kontrolle der unter Naturschutz stehenden Areale und auf die Förderung von Ausbildungs- und Gesundheitsprogrammen inner- und außerhalb dieser Gemeinschaften (Rede Povos da Floresta o.D. c). Da viele von ihnen vom Verkauf ökologisch angebauter und hergestellter Produkte leben, können diese Gemeinschaften durch den Zu-

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Quilombola ist die Bezeichnung für die Bewohner von Comunidades remanescentes de Quilombo (Gruppen mit kulturellem Überbleibsel von Quilombo-Gemeinschaften). Die Quilombos entstanden in der Zeit der Sklaverei in Brasilien durch Sklaven, die von ihren Großgrundbesitzern und Herren flohen. Sie bewohnten abgelegene oder freie Gebiete und bildeten freie, autonome Gemeinschaften. Laut der ABA – Associação Brasileira de Antropologia (Brasilianische Gesellschaft für Ethnologie) versteht man unter der Bezeichnung Remanescente de Quilombo (kulturelle Überbleibsel von Quilombo-Gemeinschaften) »Gruppen, die Resistenzpraktiken entwickelten, in der Aufrechterhaltung und Wiedergabe ihrer charakteristischen Lebensformen in einem bestimmten Ort«. Sie werden »als soziale Gruppe, deren ethnische Identität sich von der übrigen brasilianischen Gesellschaft unterscheidet«, anerkannt. Ihnen steht, seit dem Jahr 1988, durch die brasilianische Verfassung, das Besitzrecht auf das Gebiet zu, das sie seit Jahrhunderten bewohnen (Comissão Pró-Índio de São Paulo o.D.). Ich werde mich hier jedoch nicht explizit mit den Quilombola-Gemeinschaften und deren Internetnutzung auseinandersetzen, da dies den Rahmen meiner Arbeit übersteigen würde. 81

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gang zum Internet und damit durch direkten Handel einen besseren Preis für ihre Produkte erzielen. Der Zugang zum Internet kann eine Plattform für fairen Handel schaffen und die wirtschaftliche Ausbeutung solcher Gemeinschaften beenden (Rede Povos da Floresta o.D. b). Darüber hinaus hofft das Projekt Rede Povos da Floresta, die Kommunikation zwischen den entfernt liegenden indigenen und nicht-indigenen Gemeinschaften und ihren Mitgliedern, welche in Städten leben, zu stärken. Ziel ist hierbei, neben den familiären Kontakten auch die Verbundenheit mit der Kultur aufrechtzuerhalten. Durch das Internet würden Stadt-Indigene oder Mitglieder anderer Minderheiten sich weiterhin mit ihren Gruppen verbunden fühlen, was, so Rede Povos da Floresta (o.D. b), ihr Leben in der Stadt erleichtern würde. Ferner hofft das Projekt auf die Anerkennung der Kulturen traditionsgebundener Gemeinschaften, die den Umweltschutz betreiben und verteidigen durch den Austausch von Erfahrungen ihrer nachhaltigen Arbeit mit anderen Gruppen (Rede Povos da Floresta o.D. c). Einige der Hauptziele des Projektes sind: Aufbau eines Kommunikationsnetzwerkes und Kooperation zwi• schen den Gemeinschaften mit dem Ziel, Erfahrungen und Informationen auszutauschen und zwar durch die Installation von Internetzugangsorten in entfernt gelegenen Ortschaften; • Anregung der Kommunikation via Internet; • Ermunterung zum Austausch von Erfahrungen im Umweltschutz, wie zum Beispiel Erfahrungen in nachhaltiger Holzbewirtschaftung, Jagd und Fischerei, Fisch- und Schildkrötenzucht und der Regeneration der Bestände in den Flüssen, sowie zur Erholung des Wildbestandes und Wiederaufforstung lokaler Spezies, die von »traditionellen« Gemeinschaften praktiziert werden; • Entwicklung eines Nachrichten- und Informationsnetzwerkes durch Bildung eines journalistischen Pools; • Kommunikation, Interaktion und Zusammenarbeit mit anderen Personen oder Gruppen; • Zugang zu und Produktion von Information; • Entwicklung von Inhalten und Behandlung von Themen mit lokalem Bezug • Unterstützung gemeinschaftlicher ökonomischer Aktivitäten und gemeinschaftlicher Organisationen; • Unterstützung von zweisprachigen Ausbildungsprojekten und Fernausbildung; • Teilnahme an E-Commerce, der den Verkauf von Urwaldprodukten vereinfacht und vergrößert;

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• •

Präsentation verschiedener Kulturen im Internet und Förderung des Ökotourismus; Unter anderem Zugang zu E-Government und E-Diensten (Rede Povos da Floresta o.D. c).

Obwohl die oben erwähnten Ziele erstrebenswert sind, liegt ihre Verwirklichung noch in weiter Ferne. Auf S. 126 werde ich die Schwierigkeiten, die bei der Durchführung solcher Projekte entstehen können, behandeln.

Ein Projekt zur Demokratisierung des Internet Eins der Vorhaben von Rede Povos da Floresta ist die Förderung des Erfahrungsaustausches zwischen den verschiedenen indigenen Ethnien Brasiliens sowie mit anderen sozialen Gruppen, die in abgelegenen Regionen des Landes leben. Indigene und Quilombola-Gemeinschaften, sowie Ufer- und Naturreservatbewohner des Amazonasgebiets können, wie vom Projekt erwünscht, ihre Kultur und ihre Aktivitäten im Internet bekannt machen. Dies führt zu Internetpräsenzen mit lokalen Inhalten und fördert ebenfalls ökonomische Aktivitäten der Gemeinschaften. Das Internet dient damit als Raum zur virtuellen Teilnahme an der gesamten Gesellschaft und ist nicht mehr ein exklusives Mittel von Wenigen. In diesem soziokulturellen Prozess ermöglicht das Medium die Entstehung eines Kommunikationsraums und fördert den Abbau sozialer und ökonomischer Barrieren, die durch Politik, gesellschaftliches Verhalten, eingefahrene Denkweisen und Vorurteile entstehen. Hier werden Macht und Möglichkeiten von Informations- und Kommunikationstechnologien deutlich, indem vorhandene Hindernisse, geographische Grenzen und die »Macht« der dominierenden Gesellschaft zumindest relativiert werden können. Rodrigo Baggio, der sich seit Jahren für die Verbreitung der Internetnutzung und von Projekten bei benachteiligten Gruppen der Gesellschaft durch seine Organisation CDI engagiert, betont, dass die »digitale Spaltung« von einer sozialen Ausgrenzung begleitet werde. Nach seiner Aussage haben die Indigenen Brasiliens den geringsten Zugang zu Informations- und Kommunikationstechnologien im Lande (Rede Povos da Floresta o.D. e). Deswegen versucht das Projekt Rede Povos da Floresta diese Tatsache zu ändern und setzt sich für eine »technologische Angleichung« ein, indem der Zugang zu Informations- und Kommunikationstechnologien in entfernten lebenden Gemeinschaften im Amazonasgebiet sowie anderen Regionen Brasiliens ermöglicht wird.

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Auf der Website des Projekts Rede Povos da Floresta heißt es, dass der Zugang zu solchen Technologien ein essentielles Werkzeug für den Bau einer gerechteren Wirklichkeit sei und allen für eine »Demokratisierung des Wissens« möglich sein sollte (Rede Povos da Floresta o.D. f). Außerdem setzt das Projekt auf das Internet als ein Medium, das allen, die in indigenen und nicht-indigenen Gebieten, sowie in Naturreservaten oder Quilombola-Gemeinschaften leben, gestattet, ihre Lebensräume effektiver zu schützen. Die Projektleiter glauben an eine wirksame Unterstützung der Gemeinschaften in Naturschutzgebieten und ihrer umliegenden Areale mit Hilfe solcher Programme; deswegen sei die Präsenz von Technologien wie dem Internet unabdingbar für den Erfolg vor allem bei der Bewusstseinsbildung für einen umweltfreundlichen Umgang mit der Natur. Zusätzlich soll das Internetportal Rede Povos da Floresta als Kommunikations- und Informationsplattform dienen, das heißt einen Raum bilden, der diesen Gemeinschaften offen steht und ihnen ermöglicht, Nachrichten, Ideen und Projekte öffentlich zu machen oder auch innerhalb der Gruppe (in einem geschlossenen Gesprächskreis) zu diskutieren. Unter dem Link Roda de Conversa (Gesprächskreis) fand ich mehrere Aussagen von indigenen Anführern über die Nutzung des Internet durch ihre Gemeinschaften. Einige dieser Anführer lernte ich während meiner Feldforschung in Acre kennen, wie zum Beispiel Benki und Francisco Piyãko, andere in Rio de Janeiro, wie Eliane Potiguara, Ailton Krenak und Daniel Munduruku. Der Ashaninka Benki Piyãko zum Beispiel sieht die Nutzung des Internet folgendermaßen: »Este espaço de comunicação para os povos indígenas e não-indígenas pode se transformar em uma das melhores formas de resguardar nossas terras e conhecer melhor os problemas do nosso país, como as explorações de nossa grande biodiversidade e a constante invasão de madeireiros em nossas fronteiras« (Rede Povos da Floresta o.D. g).7

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»Dieser Kommunikationsraum für die indigenen und nicht-indigenen Völker kann sich zu einer der besten Methoden entwickeln, unsere Gebiete zu schützen und die Probleme unseres Landes kennen zu lernen, wie die Ausbeutung unserer großen Biovielfalt und der konstanten Invasion von Holzabbaufirmen an unseren Landesgrenzen«. 84

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Virginia Gandres – ein »menschlicher Informationskanal« Bei meinem zweiten Aufenthalt in Brasilien im Jahr 2004 (August/September) besuchte ich die Organisation CDI in Rio de Janeiro, um ihre Arbeit näher kennen zu lernen. Dort versuchte ich Rodrigo Baggio zu interviewen, aber leider hatte er keine Zeit, um mit mir zu sprechen. Seine Sekretärin arrangierte für mich aber ein Treffen mit der brasilianischen Ethnologin Virginia Gandres, die seit 1989 mit indigenen und nicht-indigenen Gemeinschaften im Amazonasgebiet arbeitet und von Anfang an beim Projekt Rede Povos da Floresta beteiligt ist.8 Ich traf Virginia am 23. September 2004 im Park des Palácio do Catete. Ich freute mich über diese Begegnung, da ich in Acre bereits viele Interviews geführt, aber noch mit niemanden vom CDI und Rede Povos da Floresta gesprochen hatte. Im Interview berichtete sie mir über ihre Erinnerungen an die Zeiten, als es das Internet noch nicht gab: »Damals hatte ich die Rolle, die heute das Internet hat, weil durch mich viele Informationen in diese Gemeinschaften geflossen sind und von dort aus durch mich in die ganze Welt gelangten«. Während ihre Reisen brachte Virginia oft Zeitschriften mit in die Dörfer, damit die Indigenen nicht ganz von der Außenwelt abgeschlossen waren. Sie hielt es für wichtig, dass diese Gruppen erfuhren, was um sie herum geschah, und sie berichtete, dass bereits in den 1990er Jahren über die Notwendigkeit des Internetzugangs in indigenen Gemeinschaften gesprochen wurde. Sowohl im Interview mit mir als auch auf der Website des Projektes berichtet Virginia Gandres über einen bestimmten Abend, als sie im Gebiet am Fluss Tejo im Bundesstaat Acre ankam, das drei Tagesmärsche zu Fuß vom Ufer entfernt liegt. Dort wartete eine Gruppe von Kautschukzapfern mit ernsten Gesichtern auf sie. Virginia fragte, was los sei und sie sagten, dass sie zu einem ernsten Gespräch versammelt waren und – da sie ihr vertrauten – warteten sie auf ihre Ankunft, um sie etwas zu fragen. Hilfsbereit fragte Virginia, worüber sie sich Sorgen machten und sie antworteten: »Wir hörten von einer ernsten Krankheit Namens Aids, die gekommen ist, um alle zu töten«. In diesem Moment wurde sich Virginia ihrer »Verantwortung als menschlicher Infor8

Am selben Tag lernte ich ebenfalls den Leiter des Projektes João Fortes kennen, der sich intensiv für indigene Rechte und für die Verwirklichung des Projektes einsetzt und den indigenen Aktivisten Ailton Krenak, der eine große Rolle in der indigenen Bewegung der 1980er Jahre spielte und bis heute stark an dieser beteiligt ist. Er arbeitet ebenfalls als Leiter des Projekts. 85

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mationskanal« bewusst und sie erkannte die Abgeschlossenheit von der Außenwelt, in der sich diese Menschen befinden. Sie erzählt: »Wir sprachen viel und die Kautschukzapfer verließen die Runde aufgeklärt« (Rede Povos da Floresta o.D. e). Auf meine Frage, wie die Nutzung des Internet in den am Projekt beteiligten indigenen Dörfern aussehen würde, antwortete sie, dass nach ihren Beobachtungen das Internet in den jeweiligen Gemeinschaften unterschiedlich und nach deren eigenen speziellen Bedürfnissen eingesetzt werde. Bei unserem Gespräch im Jahr 2004 hatte sie mir noch von einem eher vorsichtigen Umgang der Indigenen mit der Ausrüstung und mit dem Internet berichtet. Sie war aber der Meinung, dass wenn die Indigenen intensiver den Computer und das Internet benutzen würden, würde sich auch die Nutzungsform ändern und sich die anfängliche Angst davor, mit einem neuen Medium umzugehen, verringern. Die Indigenen würden Vertrauen in die Nutzung gewinnen und sich mit wachsender Erfahrung sicherer fühlen. Nach Virginia Gandres Beobachtungen und Erfahrungen ist es notwendig, die Gemeinschaften über das Internet und die Nutzung des Computers rechtzeitig und sorgfältig aufzuklären. Das Internet dürfe keinesfalls abrupt eingeführt werden, sondern stets in Zusammenarbeit und nach Abstimmung mit der jeweiligen indigenen Gruppe. Genau hier sieht Virginia Gandres ihre Aufgabe: die Indigenen über die technologischen Möglichkeiten aufzuklären und sie auf die Anwendung dieser Techniken vorzubereiten. Eine weitere Aufgabe in Virginias Aufklärungsarbeit liegt in der Information und Diskussion über eine demokratische Nutzung des Internet im Interesse der Gruppe. Auf die Frage nach der »Gefahr« von der Präsenz des Internet in indigenen Gemeinschaften meint sie, dass diese keine Gefahr darstelle, wenn die Kultur in sich gestärkt sei. Sie ist der Meinung, dass je besser jemand andere Kulturen kennen lerne und verstehe, desto größer werde der Wunsch, zu der eigenen Kultur, zum eigenen Ursprung zurück zu kehren. Zum Abschluss des Interviews betonte Virginia Gandres, wir müssten uns darüber im Klaren sein, dass das Internet nicht das erste und nicht das einzige Mittel zur Kommunikation nach außen sei. Aber es sei besonders effektiv wegen der Schnelligkeit, mit der Informationen empfangen und verschickt werden können.

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Ailton Krenak: »Alles braucht seine Zeit« Am selben Nachmittag, nach dem Interview mit Virginia Gandres, konnte ich Ailton Krenak interviewen, der ebenfalls von Beginn an am Projekt beteiligt war. Als ich ihn über die Präsenz des Internet im Bundesstaat Minas Gerais ansprach und darüber, ob das Internet dort gut funktionieren würde, reagierte er etwas irritiert und antwortete, dass alles seine Zeit brauche, bis es seinen Rhythmus finde. Die Aneignung des Internet durch indigene Gruppen sei ein lang andauernder Prozess, von der Vorbereitung bis zu der kompletten Ausstattung mit Geräten und deren Nutzung. Es sollte und dürfe nicht davon ausgegangen werden, dass es schnell angenommen wird. Jede Gruppe, jede Gemeinschaft würde in der Anwendung dieser Technologien ihre Zeit brauchen. Dabei würde der Gebrauch im Laufe der Zeit den eigenen Bedürfnissen angepasst. Nichts passiere automatisch, wie es sich viele in der nicht-indigenen Kultur vorstellen. Insoweit müsse auch in Betracht gezogen werden, dass die in Rede stehenden Internetinstallationen nicht in der Stadt, sondern in abgelegenen Dörfern mit schwerem Zugang stattfänden und mit Menschen, die höchstwahrscheinlich wenig Erfahrung mit modernen Technologien haben. Diese Reaktion schüchterte mich zuerst ein, aber seine Antwort stimmte überein mit der tatsächlichen Situation und holte mich zurück in die Realität der indigenen Gemeinschaften Brasiliens. Ich drängte auf Schnelligkeit, aber er zeigte mir das richtige »Timing« und machte mir klar, dass »alles seine Zeit braucht«. Ebenso wie Virginia Gandres ist Ailton Krenak der Auffassung, dass die Aneignung und Nutzung des Internet durch eine indigene Gemeinschaft, die bereits selbständig, organisiert und in sich kulturell gestärkt ist, unproblematisch ist und daher nicht mit kulturellem Verlust einhergehen muss. In einer Gesprächsrunde im Juni 2005 in Rio de Janeiro, über die ich im nächsten Punkt berichten werde, betonte Ailton Krenak, dass falls eine Gruppe jedoch ihre Selbständigkeit und eigene Organisation erst noch anstrebt, zunächst der Sinn des Internet vermittelt und verstanden werden muss. Erst im Anschluss daran kann es den eigenen Bedürfnissen angepasst und in ein geeignetes Mittel transformiert werden (Rede Povos da Floresta 2005d).

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Ein Treffen zur Diskussion über die Zukunft des Projektes Im Juni 2005 trafen sich mehrere Anführer indigener und Quilombola-Gemeinschaften sowie Mitarbeiter von Organisationen, die mit Indigenen arbeiten, in Rio de Janeiro, um über das Internet und die Zukunft des Projektes Rede Povos da Floresta zu beraten. Nach einer Reihe von Diskussionen über verschiedene Aspekte der Nutzung und der Präsenz des Internet in indigenen und anderen weit abgelegenen Gemeinschaften (vor allem aus dem Amazonasgebiet) sprachen die Teilnehmer auch über den weiteren Verlauf des Projektes. Ein Jahr nach meinem Interview mit ihm stellte Ailton Krenak zur Debatte, dass eine Reihe von Fragen noch beantwortet werden müssten. Er legte dar: »[…] se o equipamento der defeito, quem vai fazer o diagnóstico, saber se está quebrado ou desligado, ou se a antena saiu do lugar, se o satélite pifou. Quando se está lá no meio da floresta, ou na beira de um daqueles rios, com pressa, e não tem comunicação, dá uma ansiedade muito grande. Essas tecnologias, das quais estamos nos apropriando, têm a função de ajudar um pouco nisso« (Rede Povos da Floresta: 2005g).9

In der Diskussion über den Verlauf des Projektes und der Punkte, die verbessert werden müssten, betonte Ailton Krenak, dass es notwendig sei, Leute in der Wartung der Geräte zu schulen. Auch die Kosten hierfür sowie für die technische Einrichtung insgesamt dürften nicht vergessen werden. Dies seien wichtige Aspekte für den erfolgreichen Verlauf des Projektes. Außerdem sollte der CDI für den technischen Support dieses Netzwerkes zuständig bleiben (Rede Povos da Floresta 2005g). Ein weiterer Punkt, der debattiert wurde, war die Notwendigkeit die Inhalte zu beachten, die später durch die Indigenen im Internet kursieren werden. Nicht alles sollte, Krenaks Meinung nach, der Öffentlichkeit zur Verfügung stehen, wie zum Beispiel im Bereich der medizinischen oder religiösen Kenntnisse. Er sprach sich für eine aus seiner Sicht notwendige Kontrolle des Zugangs zu internen Informationen oder Diskussionen aus, damit nur registrierte Nutzer an diesen teilhaben können. Hier wird 9

»[…] wenn die Ausrüstung defekt ist, benötigen wir einen Ansprechpartner, der sagen kann, ob das Gerät kaputt oder nur ausgeschaltet ist, oder ob die Antenne deplaziert oder der Satellit defekt ist. Wenn man mitten im Urwald oder am Ufer einer jener Flüsse in Eile ist und keine Kommunikationsmöglichkeit hat, kommt eine große innere Unruhe auf. Diese Technologien, die wir uns gerade aneignen, haben die Aufgabe uns ein bisschen dabei [bei der Beendung der Isolation] zu helfen«. 88

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das Misstrauen beziehungsweise der Vertrauensmangel gegenüber einer unerlaubten, unerwünschten Öffentlichkeit deutlich. An der Gesprächsrunde über das Internet im Juni 2005 nahm auch Daniel Munduruku, einer der Leiter des Instituto Indígena Brasileiro para a Proteção da Propriedade Intelectual (INBRAPI – Brasilianisches Indigenes Institut zum Schutz des geistigen Eigentums) teil. Er und das Institut setzen sich intensiv für den Schutz des geistigen Eigentums indigener Gruppen ein. In der Diskussion über das Internet sprach er über die Problematik, Informationen der verschiedenen indigenen Gruppen und mit verschiedenen Inhalten zu schützen sowie Fotos von Indigenen, die im Netz veröffentlicht werden und die betroffenen Rechte – wie zum Beispiel das Recht auf immaterielle Güter. Für Daniel Munduruku und andere Indigene ist es wichtig, dass sie endlich ein geschütztes Recht auf ihre Ideen, Konzepte, Informationen und Werke erhalten, so dass ein Missbrauch von Dritten ausgeschlossen ist (Rede Povos da Floresta 2005e).10 Ailton Krenak schlug für das Projekt die Gründung eines redaktionellen Rates vor, damit indigene Gruppen darüber informiert werden könnten, was sie im Netz veröffentlichen sollten und was nicht (Rede Povos da Floresta 2005e). Einige der indigenen Anführer äußerten ferner die Meinung, dass nur die Teilnehmer des Projektes Rede Povos da Floresta imstande wären, über das Projekt, seine Zukunft oder Erweiterung zu urteilen, da »sie diejenigen seien, die diese Erfahrungen durchleben« (Rede Povos da Floresta 2005g). Marcos Terena, ein weiterer bekannter Aktivist der brasilianischen indigenen Bewegung, hält es ebenfalls für wichtig, dass die indigenen und sozialen Bewegungen selbst die Entscheidungen über ihre zukünftigen Projekte treffen müssen, und dies müsse ihnen auch zugestanden werden (Rede Povos da Floresta 2005g).

10 Mehr zu der Problematik über indigene Rechte an Bildern, Inhalten und Ähnliches siehe Michaels (1991: 287-288), der unter anderem über Aboriginal orality, den Umgang mit Bildern und Produktion von Filmmaterial zwischen Aborigenes und Nicht-Indigenen und deren Recht auf geistiges Eigentum berichtet. 89

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Rede Povos da Floresta in der Guarani-Gemeinschaft Sapucay »Ele não funciona sozinho. Precisamos lidar com ele. Por isso o chamamos de ›caixa de guardar memória‹. Ele não fala, nem escreve sozinho. Acho que foi um grande avanço. Se soubermos usar, só pode ajudar. Se não soubermos, não vai ajudar«. Zitat von Algemiro – Guarani-Gemeinschaft Sapucay (Rede Povos da Floresta 2005b).11

Die Guarani-Gemeinschaft Sapucay in Bracuí, nahe der Stadt Angra dos Reis im Bundesstaat Rio de Janeiro bekam im Jahr 1998 als erste Gruppe Internetzugang durch den CDI. In einer Rede über seine Erfahrungen bei der ersten Arbeit des CDI mit einer indigenen Gruppe, nämlich der Guarani-Gemeinschaft Sapucay, berichtete der Leiter des CDI, Rodrigo Baggio, über die Reaktionen auf die dortige Installation des Internet (Rede Povos da Floresta o.D. e).12 Gleich nach der Einrichtung soll Rodrigo Baggio gespürt haben, dass diese ein Erfolg sein würde, da der Anführer der Gruppe ihn nach kurzer Zeit anrief und sagte, dass sie für den Computer nicht das Wort »Computer« benutzen wollten. Daraufhin schlug Rodrigo Baggio ihnen vor, ein eigenes Wort in der Guarani-Sprache zu kreieren. Dies führte zu der Entstehung des Wortes aiú irú rive, was soviel wie »Kiste, um die Sprache zu speichern, aufzubewahren«, bedeutet. »Während wir Weiße Wörter wie Mouse, Windows und andere eingefahrene Definitionen benutzen, schaffen sie eigene Begriffe in ihrer Sprache«, berichtet Rodrigo Baggio (Rede Povos da Floresta o.D. e). So bekamen auch andere Bestandteile des Computers in der Guarani-Sprache einen neuen Namen: Mouse wird angojhá, die Tastatur nhamboparaa und das Programm Windows wird oventã genannt.13 11 »Er [der Computer] funktioniert nicht allein. Wir müssen mit ihm umgehen. Deswegen nennen wir ihn ›Kiste, um das Gedächtnis aufzubewahren‹. Er kann weder sprechen noch allein schreiben. Ich denke es war ein großer Fortschritt. Wenn wir ihn richtig einsetzen, wird er nur helfen. Wenn nicht, wird er nicht helfen«. 12 Rodrigo Baggios Rede über die Wichtigkeit der Inklusion indigener Gemeinschaften im Internetzeitalter (siehe auch Rede Povos da Floresta o.D. d). 13 Leider war es mir aus mangelnder Zeit nicht mehr möglich, die Guarani-Bezeichungen zum Computer und seinen Bestandteilen zu überprüfen. Aber eine linguistische Untersuchung wäre sicher sehr interessant sowie die Beobachtung, nach welchen Kriterien die Guarani diese Namen gewählt haben. Bei den Ashaninka und Yawanawa konnte ich nicht feststel90

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Laut Karaimiri, dem Leiter der Informatikschule des Guarani-Dorfes benutzt die Gruppe das Internet jeden Tag. Es werde eingesetzt, um über die Guarani-Kultur und über Tätigkeiten aus anderen Bundesstaaten zu recherchieren und um Dokumente an die Landesregierung von Rio de Janeiro und an das Schulministerium zu schicken, damit die Schule rechtlich anerkannt wird (Rede Povos da Floresta 2004).14 Karaimiri berichtet, dass es keinen negativen Einfluss des Internet auf die Kultur der Guarani gebe. Vielmehr wünschen sie, dass das Internet weiterhin in ihrem Dorf existiere, da es zu einem wichtigen Medium für ihre Gruppe geworden sei (Rede Povos da Floresta 2004).

Nutzung des Internet im Gebiet Xacriabá Laut Jonesvan, einem Xacriabá aus dem indigenen Gebiet Xacriabá im Norden des Bundesstaates Minas Gerais, versuchen die Jugendlichen, mit der Präsenz der drei Internetzugangsorte auf ihrem Gebiet, sich durch das Internet informiert zu halten. Sie streben den Informationsaustausch mit anderen indigenen Gruppen und Nicht-Indigenen an. Auch im Gebiet Xacriabá wird über die Vorteile und Gefahren der Internetnutzung diskutiert. Jonesvan berichtet: »Wir wissen, dass das Internet viele gute Sachen hat und viele Sachen, die sich nicht lohnen. Wir versuchen sie zu unterscheiden und den Xacriabá die Dinge, die die Gruppe voranbringen können, zu präsentieren«. Jonevans Meinung nach ist der Erfahrungsaustausch bei der Nutzung des Internet wichtig. Darüber hinaus hofft er, dass das Projekt Rede Povos da Floresta die verschiedenen indigenen Gemeinschaften miteinander verbindet. Er betont: »Das Internet kam, um uns einander näher zu bringen« (Rede Povos da Floresta 2005b). Auf dem Gebiet Xacriabá soll es insgesamt 27 allgemein bildende Schulen geben. Das Internet wurde in drei Schulen installiert und die Nutzung ist allen zugänglich: Schülern und Bewohnern. Auf dem Gebiet gibt es laut Jonesvan circa 1900 Schüler, 104 indigene Lehrer und weitere 60 Lehrer in Ausbildung, die eine Universitätsausbildung anstreben. Das Internet werde vor allem eingesetzt, um den Umgang mit dieser Technologie zu lernen. Aber viele indigene Anführer nutzen das Internet len, ob sie Namen für Computer und das Internet kreiert haben. Einmal fragte ich einen Huni Kuĩ, ob sie Namen für diese Geräte haben und er verneinte dies. Was ich bei den Ashaninka beobachten konnte, ist, dass sie viele Wörter, die es in ihrer Sprachen nicht gibt, weiterhin auf Portugiesisch benutzen, wie dies der Fall bei Jahresangaben, Zahlen und Bezeichnungen wie tecnologias avançadas (moderne Technologien) ist. 14 In der Guarani-Gemeinschaft Sapucay werden die Kinder zunächst in der Guarani-Sprache unterrichtet, erst danach lernen sie Portugiesisch. 91

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ebenfalls, um E-Mails über Projekte zu empfangen oder Berichte an Institutionen und Behörden zu senden. Vor allem handele es sich dabei um ein Arbeitsmittel (Rede Povos da Floresta 2005b).

Die Erweiterung des Projektes Rede Povos da Floresta Als ich im Juli 2006 zum letzten Mal nach Acre flog, erfuhr ich durch den Ashaninka Benki Pyiãko von der Erweiterung des Projektes Rede Povos da Floresta durch die Einrichtung weiterer Internetzugangsorte in verschiedenen Gemeinschaften – geplant sind zunächst 150 neue Internetzugangsorte in ganz Brasilien, circa 50 davon in den Bundesstaaten Acre und Amazonas (Moscatelli 2007). Im Jahr 2004 wurde mit der Unterstützung des Projektes Link All (Local Comunities Insertion Network para America Latina vom europäischen Programm »@lis« – Alliance for the Information Society),15 das Projekt Rede Povos da Floresta zunächst um zwei weitere Ortschaften erweitert, nämlich der afro-brasilianischen Gemeinschaft Torrão do Matapi im Bundesstaat Amapá und Tabuleiro im Bundesstaat Minas Gerais. Jetzt wird das Projekt mit Hilfe des brasilianischen Kommunikationsministeriums und des Programms GESAC (Governo Eletrônico – Serviço de Atendimento ao Cidadão – Elektronisches Informationssystem der Regierung für Staatsbürger)16 noch weiter ausgebaut. Geplant ist die Installation neuer Internetzugangsorte in Gemeinschaften, die sich auf Schutzgebieten und in deren Umgebung befinden. Dabei sollen Betreuer und Anführer dieser Gemeinschaften in der Nutzung des Internet ausgebildet werden. Zufälligerweise traf ich bei meiner letzten Reise nach Acre im Jahr 2006 Virginia Gandres in der Stadt Rio Branco und konnte sie kurz über die Erweiterungspläne befragen. Sie befand sich bereits seit einem Monat in der Region und reiste von Dorf zu Dorf, um dort erste Vorbereitungen zu treffen, wie zum Beispiel Gespräche mit den Bewohnern über das Projekt Rede Povos da Flo-

15 Link All ist ein Projekt für nachhaltige Entwicklung mit dem Ziel, abgelegene Gemeinschaften in Lateinamerika zu unterstützen, eine nachhaltige Entwicklung zu sichern, die auf der Einbindung und Förderung von drei Schwerpunkten beruht: Artefakten, Öko-Tourismus und Kultur, unterstützt durch moderne Informations- und Kommunikationstechnologien (vgl. http://www.link-all.org/ vom 31. Januar 2007). 16 Das Regierungsprojekt GESAC zielt auf die digitale Inklusion in Regionen mit einem niedrigen Entwicklungsindex und zwar, wo die gewöhnlichen Telekommunikationsnetze einen lokalen Zugang zum Hochgeschwindigkeitsinternet nicht anbieten können. 92

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resta zu führen und die für die Teilnahme am Projekt erforderlichen Anträge zusammen mit den indigenen Gemeinschaften auszufüllen. Zwei Jahre nach der Gründung des Projektes Rede Povos da Floresta gibt es bereits Bestrebungen, so viele Gemeinschaften wie möglich mit einem Internetzugang zu versorgen. Hier können wir also beobachten, wie schnell Prozesse in Gang kommen können. Indigene, die ich zwei Jahre zuvor befragte, waren entweder dabei, das Internet zu entdecken oder wurden von anderen wegen des Internetanschlusses beneidet. Heute sind andere Gruppen dabei, denselben Weg zu gehen (von der Aneignungsphase bis zur effektiven Nutzung des Internet).

D i e N G O T H Y D Ê WÁ und das Projekt Índios On Line Im September 2004 reiste ich nach Salvador im Bundesstaat Bahia, um die Arbeit der NGO THYDÊWÁ und ihr Projekt Índios On Line kennen zu lernen.17 In Salvador interviewte ich zwei Mitarbeiter der NGO THYDÊWÁ (den Ethnologen Ricardo Pamfilio und den Informatiker Luis Henrique Moreira – Webdesigner der Website Índios On Line), um Informationen über das Projekt zu gewinnen. Vorher tauschte ich E-Mails mit dem Leiter der NGO, Sebastian Gerlic, aus, um mich über die Arbeit der Organisation zu informieren. Am 19. April 2004 initiierte THYDÊWÁ das Projekt Índios On Line, an dem sieben indigene Ethnien aus dem Nordosten Brasiliens teilnehmen: die Kiriri, Tupinambá, Pataxó-Hãhãhãe und Tumbalalá aus Bahia, die Xucuru-Kariri, Kariri-Xocó aus Alagoas und die Pankararu aus Pernambuco. Das Ziel des Projekts ist, den Indigenen den Zugang zu Informationen zu verschaffen, die Kommunikationsmöglichkeiten zu erweitern sowie den Informationsaustausch zwischen den verschiedenen indigenen Gruppen zu fördern. Dabei sollen die Indigenen im Umgang mit dem Computer und dem Internet ausgebildet werden und lernen, das Internet effektiv nutzen zu können. Das Projekt soll ebenfalls den Respekt gegenüber der kulturellen Vielfalt fördern und die Indigenen ermuntern, über ihre eigenen Kulturen zu forschen (Índios On Line o.D. a).

17 Ich hatte vor, eine indigene Gemeinschaft aus dem Nordosten zu besuchen, welche am Projekt Índios On Line teilnahm. Da sich aber meine Arbeit mit indigenen Gruppen in Acre intensivierte, entschied ich mich, die Feldforschung nur auf diesen Bundesstaat zu konzentrieren. 93

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Die Website Índios On Line Beim Start des Projektes Índios On Line nahmen 25 Indigene zwischen 15 und 35 Jahren an einem Ausbildungskurs über die Computer- und Internetnutzung in Salvador teil, wo die NGO THYDÊWÁ ihren Sitz hat. Jedes am Projekt beteiligte indigene Dorf bekam eine Satellitenschüssel, einen Computer und eine Digitalkamera, um das Internetportal mit Bildern (Fotos und Kurzfilmen) und anderen Informationen versorgen zu können. THYDÊWÁ entwickelte die Website Índios On Line, aber die geschulten Indigenen sind bis heute für den größten Teil des Inhalts der Website und ihre Aktualisierung zuständig, verschicken und empfangen E-Mails, nehmen an Chatgesprächen mit anderen Indigenen und NichtIndigenen teil und sorgen für die Verbreitung von Kultur, Geschichte und Projekten ihrer Gruppen im Internet. Abbildung 6: Website Índios On Line

http://www.indiosonline.org.br vom 21. September 2008. Laut Luiz Henrique Moreira (Website-Designer und Mitarbeiter der Organisation) versucht THYDÊWÁ den Indigenen große Freiheit bei der Nutzung und Gestaltung der Website einzuräumen. Sie soll ein Kommunikationsraum für die Indigenen sein, über die aktuelle Lage der Indigenen informieren und somit der Aktualisierung des Bildes indigener Gemeinschaften dienen sowie die Auseinandersetzung mit der Thematik indigener Kulturen in Brasilien anregen. Dabei behandelt Índios On Line verschiedene Themen, wie Forderungen an die Staatsmacht, Teilnahme an politischen Manifestationen, kulturelle Bräuche, Ausbildung, Kunst, Politik, Projekte und Medien.

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Die Kosten des Projektes und finanzielle Schwierigkeiten Anfangs wurde das Projekt durch die Regierung des Bundesstaates Bahia und eine Supermarktkette namens Bompreço (dank dem brasilianischen Kulturförderungsgesetz Rouanet)18 für die Zeit von sechs Monaten unterstützt. Danach, seit Oktober 2004, musste die Organisation THYDÊWÁ die Internetverbindungs- und Dienstleistungskosten der Internetfirma selbst tragen, was zu einem kurzen Bruch im Verlauf des Projektes führte. Unermüdlich wurde nach neuen möglichen Partnern und Organisationen gesucht, die das Projekt Índios On Line weiterfinanzieren könnten, um dessen Fortsetzung zu sichern. In dieser Zeit konnten die meisten indigenen Gemeinschaften, die am Projekt beteiligt waren, die Kosten für den Internetzugang und für die Geräte nicht tragen, was dazu führte, dass einige Gruppen vorübergehend über keinen Internetzugang verfügten. Damit der Internetzugang per Satellit in acht indigenen Dörfern aufrechterhalten werden könnte, brauchte die NGO THYDÊWÁ monatlich circa R$ 4.088,00.19 Um die laufenden Kosten der Website zu bezahlen, benötigten sie rund R$ 117,00 (€ 42,00) monatlich. Darüber hinaus fehlt es oft an Reisegeldern für die Wartung der Computer. Wegen der großen Entfernungen zwischen der Stadt Salvador und den indigenen Gemeinschaften können die NGO-Mitarbeiter nicht immer zu den Dörfern fahren, um die Geräte zu warten. Deswegen fertigten sie Handbücher, damit die Indigenen selbst die technischen Probleme der Computer beheben können. Lange Zeit war es für THYDÊWÁ sehr mühsam, das Projekt Índios On Line aufrechtzuerhalten. Sie gaben aber nicht auf und konnten neue Sponsoren gewinnen. Heute bekommt das Projekt Unterstützung von den Regierungsprojekten Cultura Viva des brasilianischen Kulturministeriums, das auf die Förderung von Kultur und Ausbildung in der Zivilgesellschaft zielt, sowie vom GESAC (siehe S. 92) und dem brasilianischen Kommunikationsministerium.

18 Durch das brasilianische Kulturförderungsgesetz Rouanet (genannt nach dem Kulturminister Sérgio Paulo Rouanet) können Firmen kulturelle Projekte unterstützen und diese Förderung steuermindernd geltend machen. 19 Diese Summe wurde mir im Interview mit Pamfilio und Moreira genannt. In Euro umgerechnet wären es circa € 1458,00 (Stand 06.07.2007; vgl. Ministério das Comunicações 2006). 95

DIE INDIGENEN BRASILIENS UND DAS INTERNET

Die Bedeutung des Internet für indigene Gemeinschaften im Nordosten Brasiliens Laut Ricardo Pamfilio ist das Internet die beste Kommunikationsmethode in der Arbeit mit indigenen Gemeinschaften und für die Indigenen. Ihm gemäß handelt es sich um ein Grundbedürfnis indigener Gemeinschaften. Er erklärt: »Wer Internet besitzt, hat die Möglichkeit sich über Versammlungen oder Veranstaltungen zu unterrichten«. Darüber hinaus sei das Internet die beste Form, Information zu demokratisieren. »Kein Internetzugang bedeutet keine Information« betont Pamfilio und fügt hinzu, dass die Indigenen, mit denen sie arbeiten, sich den Zugang dazu sehr wünschen. Außerdem erleichtere das Internet in vieler Hinsicht die Kommunikation zwischen der Organisation THYDÊWÁ und den Ethnien, die mit der Organisation arbeiten. Die Xucuru-Kariri zum Beispiel arbeiten an der Produktion eines Buches über ihre Kultur. Der Inhalt, erklärt Pamfilio, wird durch E-Mails an die NGO THYDÊWÁ verschickt, welche wiederum die Veröffentlichung organisiert. Das Internet dient dabei als Kommunikations- und Arbeitsplattform in der Buchproduktion der Gruppe. Dank dem Internet müssen die Indigenen nicht mehr wie früher den langen Weg bis zum Sitz der Organisation in der Stadt Salvador auf sich nehmen, um mit der THYDÊWÁ am Buch zu arbeiten. Auch die PataxóHãhãhãe zum Beispiel produzieren ihre didaktischen Materialien im Computer, aber es gibt das Problem der Entfernungen zwischen ihren eigenen Gemeinschaften. Hier wären, so Pamfilio und Moreira, weitere Computer mit Internetanschluss sehr hilfreich, um die Kommunikation zwischen den Dörfern zu verbessern und die Fertigstellung des Schulmaterials zu erleichtern. Das vom Pataxó-Hãhãhãe produzierte Buch muss nämlich zwischen den Gemeinschaften zirkulieren und wird hin und her geschickt, um bearbeitet werden zu können. Der Abstimmungsprozess dauert so viel länger. Beide THYDÊWÁ-Mitarberiter berichteten mir, dass das Internet auch dabei hilft, einige Probleme im Alltag der verschiedenen indigenen Gruppen aus den Bundesstaaten Bahia, Pernambuco und Alagoas zu lösen, wie zum Beispiel Probleme aufgrund der geographischen Distanzen. Eine Reise bis zu einer Gemeinschaft kann Tage dauern und durch die Kommunikation über das Internet sind solche Reisen oft nicht mehr erforderlich. Auch im Bereich der medizinischen Versorgung war die Präsenz des Internet in einer indigenen Gemeinschaft im Nordosten von großem Nutzen: Ein Indigener wurde von einer Schlange gebissen und durch die Sendung einer E-Mail an die brasilianische Gesundheitsstiftung FUNASA (Fundação Nacional de Saúde), die weit entfernt vom

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BRASILIANISCHE INTERNETPROJEKTE FÜR INDIGENE

Unfallort liegt, konnte der Mann rechtzeitig behandelt werden. Sobald sie vom Unfall erfuhren, reisten FUNASA-Mitarbeiter mit einem Auto in die Gemeinschaft. Ohne das Internet wäre der Indigene möglicherweise am Schlangenbiss gestorben, da ansonsten die zuständige Behörde nicht rechtzeitig über den Unfall informiert worden wäre, erklären Pamfilio und Moreira. Neben den Vorteilen bei der Lösung alltäglicher Probleme fördert das Internet den Kontakt zu anderen Menschen oder Gruppen in anderen Städten, wie das Beispiel des Kontakts mit den Schülern der Farm Lambari in Poços de Caldas, Bundesstaat Minas Gerais, zeigt: Im Internet entdeckten die Schüler die Website Índios On Line und interessierten sich für das Leben und Kultur der Indigenen aus dem Nordosten Brasiliens; später schickten sie per Post Geschenke an die Indigenen durch die NGO THYDÊWÁ. Pamfilio und Moreira erklären, dass der Austausch zwischen Indigenen und insbesondere auch Nicht-Indigenen durch ihre Website groß sei. Es gebe Personen, welche die Website aus Neugier besuchen oder zum Beispiel auch Journalisten, die den Chat für Interviews nutzen. Es sind Internetnutzer jeder Altersklasse, die aus unterschiedlichen Interessen die Website des Projektes entdecken und in Anspruch nehmen. Aber besonders bei Jugendlichen zieht das Internet große Aufmerksamkeit auf sich. Diese stellen durch das Internet neue Bekanntschaften her, unterhalten sich im Chat und tauschen Kenntnisse aus. Pamfilio und Moreira betonen aber, dass der Zugang zum Internet allein nicht reiche. Sie halten eine intensive Ausbildung der Indigenen in der Nutzung vom Computer und Internet für essentiell, damit sie diese Technologien als Arbeits- und Lernmittel effektiv einsetzen können (vgl. Hinkelbein 2007: 85). Dies trägt nicht nur dazu bei, dass die Indigenen mehr Nutzen vom Internet haben, dadurch dass sie in der Praxis die Möglichkeiten dieses Mediums entdecken, sondern es fördert auch die Entwicklung neuer Projekte für die Gruppe und erhöht ihre sozialen Chancen in der Gesellschaft. Die Indigenen aus dem Nordosten Brasiliens sollen, nach Pamfilio und Moreira, eine wesentliche Verbesserung ihrer sozialen und politischen Lage in den letzten Jahrzehnten erlebt haben. Die indigene Bewegung wurde stärker und profitierte besonders von den Diskussionen um die »500 Jahr-Feier der Entdeckung Brasiliens«, bei denen viele Kundgebungen stattfanden und die Indigenen ihre Lage, ihre Probleme und ihren alltäglichen Kampf publik machen konnten (Prezia/Hoornaert 2000: 226-227; Ricardo 2000: 55-74. Siehe auch Zwetsch 1992). Die indigene Problematik erlebte, laut Pamfilio und Moreira, einen internationalen Boom, welcher in Brasilien der internen indigenen Bewegung zu Gute kam. Sie fügen aber hinzu, dass noch Vieles getan werden muss, damit

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DIE INDIGENEN BRASILIENS UND DAS INTERNET

die Indigenen ein Leben in Gerechtigkeit führen können. Indigene Gemeinschaften werden weiterhin trotz dieser durchaus bemerkenswerten Verbesserung bedroht. Noch machen Großgrundbesitzer von ihrer politischen und finanziellen Macht Gebrauch, um Indigene einzuschüchtern und um die Anerkennung ihrer ursprünglichen Gebiete durch die Regierung zu behindern.

Ein Kommunikationsmittel, das kulturelle Barrieren abbaut Die Kommunikation zwischen Indigenen und Nicht-Indigenen, die 500 Jahre lang praktisch undemokratisch war oder kaum existierte, ist heutzutage durch das Internet möglich und bringt verschiedene Kulturen einander näher. Eliete (Nhenety), ein Xucuru-Kariri aus dem Bundesstaat Alagoas und einer der 14 Vertreter der indigenen Gemeinschaften, die am Ausbildungskurs für die Nutzung des Internet teilnahmen, berichtet in einem Interview an die Nachrichtenagentur ADITAL: »A gente estava esquecido aqui. Não sabia como entrar em contato com órgãos do governo para reivindicar nossos direitos. Sabendo os endereços e as pessoas que devemos procurar, podemos reivindicar saúde, educação, renda« (ADITAL 2004).20 Wenn früher die Indigenen auf die Hilfe von Nicht-Indigenen angewiesen waren, um einfache Behördenvorgänge zu erledigen, versuchen sie sich heute auszubilden, um eine soziale, politische und ökonomische Unabhängigkeit zu erreichen und die Perspektivlosigkeit zu überwinden, die immer noch viele jungen Indigene in die Verzweiflung führt. THYDÊWÁ möchte sie nicht nur für die heutige Welt durch die verschiedenen Kurse, die von der Organisation angeboten werden, sozial ermächtigen, sondern auch die Vorurteile der brasilianischen Gesellschaft gegenüber den Indigenen durch den im Internet stattfindenden interkulturellen Dialog abbauen und erreichen, dass der Respekt zwischen den Kulturen wächst. Für die Indigenen, die an dem von THYDÊWÁ angebotenen Ausbildungskurs für die Nutzung von Computer und Internet teilnehmen, bietet das Internet eine Chance, die Ausgeschlossenheit und das Leiden, das einen großen Teil der Indigenen Brasiliens dezimiert hat, überwinden zu 20 »Wir standen hier vergessen. Wir wussten nicht einmal, wie wir mit Regierungsorganen in Verbindung treten konnten, um unsere Rechte einzufordern. Wenn wir die Adressen sowie Personen, die wir aufsuchen sollen, kennen, können wir bei ihnen unsere Ansprüche auf Gesundheit, Ausbildung und Einkommen geltend machen«. 98

BRASILIANISCHE INTERNETPROJEKTE FÜR INDIGENE

können. Im Interview an die Agentur ADITAL betont Eliete: »Acho que essa é a porta de entrada para a nossa felicidade« (ADITAL 2004).21 Auch Alexandre Pankararu aus der Pankararu-Gemeinschaft im Bundesstaat Pernambuco drückt seine Hoffnung auf bessere Tage in seinem Gedicht Índios na Visão do Mundo (»Indigene aus der Sicht der Welt«) aus, das er auf der Website Índios On Line veröffentlichte: »Índios na Visão do Mundo O mundo imagina os índios de hoje, Analfabetos, desnudos, moradores da selva, Incapaz de pensar e de se adaptar as modernidades atuais, Verdadeiros selvagens ou até bonecos folclóricos. Mas já se passaram 507 anos de invasão, E hoje somos de professor até doutor, Dançamos toré e comemos morocodo, Pois nossa tradição nunca mudou. E com o tempo o índio se modernizou, O telefone alguém instalou e um programa do governo nos conectou, E a Thydewa um site nos criou, Muita oportunidade nos doou, que maravilha ficou. A mídia, os livros, jornais, revistas e nem enciclopédias, Nunca contaram nossa historia como realmente é, Mas através do Índios On-Line isso tudo mudou, Podemos contar nossas necessidades e avanços, A historia vivida por nós mesmos, pois só nós nos conhecemos […] (Índios On Line o.D. b)« 22

21 »Ich glaube, dass es die Eingangstür zu unserem Glück ist«. 22 »Indigene aus der Sicht der Welt Die Welt stellt die heutigen Indigenen als Analphabeten, nackt, als Urwaldbewohner, unfähig zu denken und sich an die aktuellen Modernitäten anzupassen, als wahre Wilde oder gar folkloristische Puppen dar. 507 Jahre sind bereits vergangen seit der Invasion. Und heute sind wir Lehrer oder gar Doktoren, wir tanzen toré und essen morocodo, denn unsere Tradition änderte sich nie. Und mit der Zeit hat sich der Indio modernisiert, jemand installierte das Telefon und ein Regierungsprogramm verband uns, und die Thydewa schuf für uns eine Website, gab uns eine große Möglichkeit, es wurde wunderschön. Die Medien, die Bücher, Zeitungen, Zeitschriften und nicht mal die Enziklopädien erzählten jemals unsere wirkliche Geschichte, aber durch Índi99

DIE INDIGENEN BRASILIENS UND DAS INTERNET

Sowohl in Elietes als auch in Alexandres Wörtern lassen sich die Hoffnungen von Indigenen erkennen, die sie auf das Mittel Internet setzen. Sie erhoffen sich dadurch politische und soziale Stärkung für ihre Gruppen. Die NGO THYDÊWÁ spielt hier die vermittelnde Rolle und versucht beide Welten miteinander zu verbinden: die indigene und die nichtindigene Welt. Viele ihrer Projekte finden mit der Hilfe des Internet statt. Eines davon ist der geplante Onlinesprachkurs der Sprache Tupi23 und das Projekt Cantando as Culturas Indígenas (Die indigenen Kulturen besingen). Seit Ende 2006 führt THYDÊWÁ das Onlineprojekt Arco Digital (»Digitaler Bogen«) durch, über das ich im nächsten Punkt berichten werde.

Online-Projekt Arco Digital: e-@rco Am 7. Oktober 2006 bekam ich eine E-Mail vom Leiter der Organisation THYDÊWÁ, Sebastian Gerlic, der mich über das Projekt Arco Digital (Digitaler Bogen oder »elektronischer Bogen – E-Bogen«) informieren und fragen wollte, ob ich Indigene kennen würde, die Interesse an diesem Kurs haben könnten. Ich leitete seine E-Mail an meine Bekannten von der Organisation CPI/AC und an die Yawanawa und Ashaninka in Acre weiter, mit denen ich während meiner Feldforschung arbeitete. Ich freute mich sehr über Sebastian Gerlics E-Mail, da sie mir zeigte, dass das Projekt Índios On Line trotz der anfänglichen finanziellen Schwierigkeiten fortgeführt werden konnte. Der Name Arco Digital beeindruckte mich besonders durch seine Kreativität und Ausdrucksstärke mittels einer Metapher, welche die moderne Technologie (das Internet) mit einer traditionellen indigenen Waffe (dem Bogen, verwendet in kriegerischen Auseinandersetzungen oder bei der Jagd) verbindet. Der Computer wird dabei von der indigenen Kultur in eine Art Verteidigungsmittel transformiert beziehungsweise wie einst der Bogen – um zu jagen, in den Krieg zu ziehen, sich gegen Feinde zu wehren – und jetzt als Kultur stärkendes Mittel eingesetzt. Dank des Instituts Oi Futuro (früher bekannt als Institut Telemar) innerhalb des Proos On Line änderte sich das alles, wir können jetzt von unseren Notwendigkeiten und Fortschritten erzählen, und von unserer erlebten Geschichte, weil nur wir sie kennen […]« 23 Tupi ist eine indigene Sprache, die bis in das 19. Jahrhundert von den an der Küste Brasiliens lebenden Tupi-Indigenen gesprochen wurde und heute von einigen Ethnien noch gesprochen wird. Tupi wurde als eine so genannte Língua geral (Allgemeine Sprache) von den Portugiesen eingestuft und von den Jesuiten für die Missionierung als »Kontaktsprache« eingesetzt. 100

BRASILIANISCHE INTERNETPROJEKTE FÜR INDIGENE

jektes Novos Brasis24 startete die THYDÊWÁ das Projekt Arco Digital im September 2006. Es soll als eine »kooperierende Lerngemeinschaft« fungieren, in der indigene Frauen und Männer aus verschiedenen Ethnien und mit Zugang zum Internet miteinander kommunizieren, Ideen, Kenntnisse und Erfahrungen austauschen und über verschiedene Themen, wie Entwicklung, Zivilgesellschaft und Informationstechnologien reflektieren (Índios On Line o.D. c). Das Projekt Arco Digital soll vor allem den Dialog zwischen indigenen Gemeinschaften fördern.25 Dabei finden OnlineDiskussionen über die verschiedensten Themen statt. Das Internet verbindet sie in diesen Gesprächen und Online-Seminaren und jeder Teilnehmer kann Online-Papers veröffentlichen und über die Arbeiten anderer diskutieren. Außerdem bietet der Chat die Möglichkeit, sich über ein bestimmtes Thema in Echtzeit zu unterhalten. Dazu wurde eine Tabelle mit Uhrzeiten und den entsprechenden Themen gestaltet, damit die an den Chats interessierten Personen teilnehmen können (vgl. Índios On Line o.D. d). Trotz aller Schwierigkeiten konnte THYDÊWÁ das Projekt Índios On Line am Leben halten und Erfolge sind bereits erkennbar, wie zum Beispiel die rege Nutzung von Indigenen und Nicht-Indigenen an den auf der Website enthaltenen Funktionen zur Kommunikation und Information. Die Organisation hofft noch, das Projekt erweitern und neue Partnerschaftsprogramme mit anderen indigenen Gemeinschaften und Projekten Brasiliens schließen zu können. Um den Teil der Arbeit über brasilianische Internetprojekte für indigene Gemeinschaften abzuschließen, werde ich im nächsten Abschnitt das Projekt BAY der Faculdade de Letras (Institut für Sprachwissenschaft) der Bundesuniversität von Minas Gerais vorstellen – ein Projekt, das anstrebt, die Indigenen in die Akademie miteinzubeziehen und ihnen die Türen für eine Universitätsausbildung zu öffnen.

24 Projekt Novos Brasis, http://www.oifuturo.org.br/oifuturo.htm#/novosbra sis/ vom 20. März 2007. 25 Das Projekt Arco Digital (http://www.indiosonline.org.br/blogs/) ist direkt mit der Website Índios On Line unter dem Link Cursos (Kurse) verlinkt. 101

DIE INDIGENEN BRASILIENS UND DAS INTERNET

Das Projekt BAY – Von der virtuellen zur realen indigenen Universitätsausbildung Während meiner Forschungsarbeit entdeckte ich die Website des Projektes BAY – Universidade Indígena26 (BAY – Indigene Universität) des Instituts für Sprachwissenschaft (Faculdade de Letras) der Bundesuniversität von Minas Gerais (Universidade Federal de Minas Gerais – UFMG). Die Website erweckte meine Aufmerksamkeit aufgrund der Mitwirkung von sechs indigenen Gemeinschaften aus dem Bundesstaat Minas Gerais, nämlich den Xacriabá, Pataxó, Krenak, Xucuru-Kariri, Maxacali und Kaxixó an diesem Projekt. Die Zeitschrift BAY – Educação Escolar Indígena em Minas Gerais (Indigene Schulausbildung in Minas Gerais) erschien zum ersten Mal im Jahr 1998 in gedruckter Fassung nach drei Jahren der Existenz des Programa de Implantação de Escolas Indígenas em Minas Gerais (PIEIMG – Programm zur Gründung indigener Schulen in Minas Gerais). In der ersten Ausgabe stammten die veröffentlichten Texte von Professoren verschiedener Fachgebiete der UFMG und von Schülern des Programms PIEIMG. Diese behandelten vor allem die Änderungen der Paradigmen in »politischen, sozialen und erzieherischen Fragen«, die seit den 1980er Jahren stattfanden und konkretisiert werden konnten (Oliveira 2005). Laut Professorin Maria Inês de Almeida des Instituts für Sprachwissenschaft der UFMG und Leiterin des Forschungsprojektes Literaterras27 streben die Indigenen bereits seit langer Zeit die Möglichkeit einer Universitätsausbildung an und zwar als Ärzte, Rechtsanwälte, Politiker, Künstler oder Schullehrer. Aus diesem Anlass wurde im Jahr 2001 eine Kommission in der UFMG gebildet, um sich über eine an Indigene gerichtete Universitätsausbildung Gedanken zu machen. Ein Jahr später fand ein interkultureller Workshop statt, an dem 66 indigene Schüler teilnahmen sowie mehrere Professoren und Studenten der UFMG. Ziel war die Schaffung akademischer Laufbahnen für zukünftige Studenten aller Ethnien, Sprachen und Kulturen Brasiliens. 2004 begann die Entstehung eines »interkulturellen Staatsexamens« der UFMG (Licenciatura Intercultural), um den Aufbau des Dialogs zwischen den indigenen Gemeinschaften und der Bundesuniversität von Minas Gerais fortsetzen zu können (Oliveira 2005). Um die Ergebnisse der Diskussionen und Ergebnisse der letzten Jahre zu dokumentieren und der Sache Kontinuität zu geben, schlug Profes26 Das Wort Bay bedeutet in der Maxacali-Sprache »gut und schön« (CEDECOM 2004). 27 Forschungsprojekt Literaterras, http://www.letras.ufmg.br/bay/sites/litera terras/literaterras.htm vom 22. Februar 2007. 102

BRASILIANISCHE INTERNETPROJEKTE FÜR INDIGENE

sorin Almeida im Jahr 2004 ihren graduierenden Studenten vor, eine neue Ausgabe der Zeitschrift BAY anzufertigen. Diese Ausgabe sollte den Austausch zwischen den in den vielen Workshops und der Universität »produzierten Kenntnissen« der indigenen Gemeinschaften und der »abendländischen Kultur« darstellen; vor allem mit Unterstützung des UFMG-Projektes Rede Lê28, das gerade ein Telezentrum im indigenen Gebiet Xacriabá aufbaute. Daraufhin entstand die Idee, eine elektronische Ausgabe der Zeitschrift BAY zu produzieren (Oliveira 2005). Diese Idee verfestigte sich und rasch organisierte Professorin Maria Inês de Almeida zum Aufbau der Website einige Workshops mit den Indigenen aus Minas Gerais, in denen sie die Startseiten ihrer Ethnien gestalten sollten. Aufgrund des Mangels an Computern im Parque Estadual do Rio Doce, wo die Workshops stattfanden, gestalteten die Indigenen zuerst ihre Seiten auf Kartonpapier mit bunten Blättern und entwarfen auf diese Weise die Seiten mit Navigationsfenstern für die Texte und Bilder. Laut eines Berichts der Forscherin Alice Bicalho de Oliveira (2005) kreierten die Xacriabá mehrere Seiten nicht nur entsprechend der Darstellung ihrer Gemeinschaften, sondern bewiesen einen leichten visuellen Umgang mit Links, ohne vorher direkten Kontakt mit dem Layout von Websites gehabt zu haben. Als dieses Material Oliveira in Belo Horizonte, der Hauptstadt Minas Gerais, erreichte, musste nicht mehr viel angepasst oder geändert werden, berichtet die Forscherin. Ihre Arbeit bestand letztendlich im Scannen der Seitenstrukturen, der Bilder und der Eingabe der Manuskripte. Die erste elektronische Ausgabe von BAY wurde am 10. Juni 2004 der Öffentlichkeit vorgestellt. Die erste Version der Website BAY besaß ein farbenfrohes Layout mit Texten über die verschiedenen Ethnien, Bildern, Videos und Aussagen von Indigenen aus den verschiedenen Gemeinschaften aus Minas Gerais: von den Pataxó, Krenak, Xacriabá, Maxacali, Xucuru-Cariri und Caxixó. Auf der Website konnten die Indigenen Arbeiten, die in Workshops über Literatur, Gravur, Musik und Ethnologie der Universität produziert wurden sowie gemeinsame theoretische Überlegungen mit Forschern der UFMG veröffentlichen.

28 Das Projekt Rede Lê ist ein Inklusions- und Informatikausbildungsprojekt, das mit 18 indigenen, Quilombola- sowie unterprivilegierten nicht-indigenen Gemeinschaften mit Internetzugangsorten in Minas Gerais arbeitet. Das Projekt fördert die Kommunikation zwischen diesen Gemeinschaften und die Identitätsbestärkung. Das Hauptziel des Projekts ist eine effektive Ausbildung zur Internet- und Computernutzung von Teilnehmern dieser Gemeinschaften. Projekt Rede Lê, http://www.ufmg.br/rede.le/ vom 06. Januar 2007. 103

DIE INDIGENEN BRASILIENS UND DAS INTERNET

Abbildung 7: Die erste Websiteversion von BAY

http://www.letras.ufmg.br/bay/sites/xacriaba/xacriabainicial.htm vom 10. März 2007. Die Website soll als virtueller Raum zum Veröffentlichen und Austauschen von Texten zwischen Indigenen und Nicht-Indigenen und damit zur Entstehung einer gemeinsamen Arbeit dienen und gemäß Oliveira (2005) die »indigene Ästhetik übersetzen«. Wie bei den Pankararu aus Pernambuco, auf der Website des Projektes Índios On Line, fand ich in der ersten Version der Website BAY einige Xacriabá-Verse über das Internet: »Nós xakriabá gostamos, De ensinar e aprender, Pois agora meus amigos, A internet vamos conhecer«. »Conhecer é bom, melhor ainda é praticar vai ser um bom caminho para nós Xakriabá«.

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BRASILIANISCHE INTERNETPROJEKTE FÜR INDIGENE

»A internet é uma coisa muito fácil de mexer, nossas dúvidas vamos tirar, depois que nós aprender« (Xacriabá o.D.).29

Die Verse spiegeln den Wunsch der Xacriabá wieder, Internetzugang zu haben und diesen nutzen zu können. Deutlich wird dabei ebenfalls die Hoffnung, diese Technologie zu Gunsten der eigenen Kultur und Gemeinschaft verwenden zu können.

Aktualisierung und Nutzung der Website Da die Indigenen noch nicht die Möglichkeit hatten, die Website selbst zu aktualisieren und zu pflegen, übernahm Oliveira diese Aufgabe. Die Aktualisierung wurde je nach Notwendigkeit durchgeführt: wöchentlich, alle vierzehn Tage oder monatlich. Trotzdem hofften die Projektteilnehmer, dass irgendwann die Aktualisierung der Website durch die Indigenen selbst erfolgen könnte und nicht nur durch Nicht-Indigene. Laut Oliveira (2005) änderte sich die Struktur der Website seit ihrer Entstehung im Jahr 2004 wenig, da die meisten produzierten Materialien bereits in früher entworfenen Abschnitten veröffentlicht wurden. Aus diesem Grund mussten später nicht so häufig Aktualisierungen durchgeführt werden, was, zusammen mit der Billigung des Lehramtstudiums für Indigene, einer differenzierten indigenen universitären Ausbildung, die 2006 starten sollte, zu der Überlegung führte, »gangbare Formate« für das Hauptziel von BAY zu finden, nämlich die »effektive Teilnahme der Indigenen an ihrem Aufbau«. Die Website wurde nicht nur von Indigenen aus Minas Gerais, sondern auch von Indigenen aus anderen Bundesstaaten besucht sowie von Nicht-Indigenen, wie zum Beispiel Schülern und ihren Eltern auf der Suche nach Informationen für Schularbeiten. Auch Forscher nutzten die Website, um sich mit der Forschungsgruppe sowie mit den daran beteiligten indigenen Gemeinschaften auszutauschen. Stadt-Indigene, die Kontakt mit ihren Familien in den indigenen Gebieten aufnehmen woll29 »Wir xacriabá mögen es, zu lehren und zu lernen, aber jetzt meine Freunde, werden wir das Internet kennen lernen«. »Lernen ist gut, noch besser ist zu üben, es wird ein guter Weg sein, für uns Xacriabá«. »Das Internet ist eine Sache, mit der sehr einfach umzugehen ist, unsere Fragen werden wir beantworten können, nachdem wir gelernt haben«. 105

DIE INDIGENEN BRASILIENS UND DAS INTERNET

ten, machten ebenfalls Gebrauch von dieser Kommunikationsmöglichkeit (Oliveira 2005).

Ein Traum wurde wahr Die lange von Indigenen und Wissenschaftlern erträumte interkulturelle universitäre Ausbildung für indigene Lehrer (Curso de Formação Intercultural de Professores) als Lehramtstudium startete im April 2006 (SECAD 2006). Die Ausbildung dauert fünf Jahre und es nehmen circa 150 indigene Lehrer aus sieben indigenen Gruppen aus Minas Gerais (Xacriabá, Maxacali, Krenak, Pataxó, Caxixó, Xukuru-Cariri, Pankararu) daran teil. Parallel zur Verwirklichung des akademischen Studiengangs für Indigene wurde die BAY-Website neu gestaltet mit dem Ziel, durch eine benutzerfreundlichere Software, die indigenen Studenten zu befähigen, diesen »Raum« übernehmen zu können. Die neue Website ist im Layout schlichter und bietet klare Navigationsmöglichkeiten der auf der Website veröffentlichten Informationen an. Die Arbeit mit der Onlineausgabe der Zeitschrift BAY löste, nach Oliveiras Darstellung, eine Reihe von Fragen aus über die Lehre, Forschung und den Ausbau im akademischen Gebiet des Instituts für Sprachwissenschaft der UFMG in ihrer Zusammenarbeit mit indigenen Gruppen. Die Erfahrung mit dem Website-Aufbau zeige außerdem, wie offen indigene Kulturen dem »Neuen«, dem »Anderen« gegenüber seien und wie leicht sie Kenntnisse und Technologien anderer Gruppen »verarbeiten« können, zu Gunsten ihrer eigenen Kultur. Dies konnte ebenfalls bei anderen Projekten wie dem Verfassen von Büchern oder Videobeiträgen mit indigenen Gemeinschaften festgestellt werden. Oliveira (2005) fügt hinzu, dass diese Zusammenarbeit mit Indigenen, uns ermöglicht, den »aktuellen Kontakt zwischen unserer und ihren Kulturen zu verstehen«. Dieses Projekt habe eine Symbiose entfacht, durch die Lernprozesse auf beiden Seiten in Gang gesetzt werden, sowohl bei den Indigenen als auch bei den Mitarbeitern des Instituts für Sprachwissenschaft der UFMG durch das Erlangen neuer Kenntnisse im Umgang mit dem Neuen. Laut Oliveira fand die Veränderung bei den Indigenen in dieser Zusammenarbeit durch die Nutzung des Internet statt, das ihnen endlich Räume und Gehör in der nicht-indigenen Gesellschaft verschafft. Bei den Akademikern wiederum hätte sich ihrer Meinung nach die Form des Verstehens in der Arbeitsweise ihres Faches geändert.

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BRASILIANISCHE INTERNETPROJEKTE FÜR INDIGENE

Interview mit der Professorin Maria Inês de Almeida In einem Interview mit mir in Belo Horizonte am 14. Oktober 2004, berichtete die Koordinatorin des Projekts Literaterras, Professorin Maria Inês de Almeida, dass die Website BAY ein virtueller Platz sei, der kreiert wurde, damit die Indigenen die Universität virtuell besuchen können, solange der Traum ihrer Immatrikulation in den Universitätskursen noch nicht Wirklichkeit war. Die Teilnahme an der inhaltlichen Gestaltung dieser Website wäre für die Indigenen eine Möglichkeit, virtuell Teil der akademischen Gemeinschaft zu sein, auch ohne direkten Zugang zur Universität. Maria Inês de Almeida erzählte mir über ihren Wunsch, eine offene Universität aufzubauen, damit der Reichtum der indigenen Kultur in die akademische, nicht-indigene Welt einfließt, Raum gewinnt und auf diese Weise die Universität entkolonisiert wird und sich ihre allzu europäisch geprägte Ausbildung für die Kulturen des eigenen Landes öffnet. Seit Dezember 2003 nimmt das indigene Gebiet Xacriabá am Internetprojekt Rede Povos da Floresta (siehe S. 79) teil und verfügt damit über Internetzugang in einigen Schulen. Zehn Computer wurden installiert sowie zwei Satellitenantennen für den Internetzugang. Die Computer- und Internetausbildung fand während eines Fortbildungskurses für indigene Lehrer statt. Sowohl die Lehrer als auch die Schüler dürfen diese Technologien benutzen. Zum Zeitpunkt des Interviews existierten insgesamt etwa 23 Schulen verteilt auf dieses indigene Gebiet. Leider war es mir nicht möglich, herauszufinden, wie viele Schulen mit Computern und Internetzugang ausgestattet sind. Almeida berichtet, dass der Wunsch nach einem Internetzugang bei den Indigenen sehr groß sei und es von Anfang an keine großen Schwierigkeiten im Umgang mit dem Computer und dem Internet gegeben hätte. Sie bemerkt aber, dass der große Traum der Indigenen im indigenen Gebiet Xacriabá wäre, ihre eigenen Radiosendungen produzieren zu können, was die Kommunikation innerhalb des Gebietes zusätzlich fördern würde. Nach Almeida passt die audiovisuelle Technologie sehr zu den Indigenen, anstelle der Schrift, die eine kompliziertere Kommunikationsform für sie darstelle. Ihren Beobachtungen nach sei die Schrift weiter von der indigenen Wirklichkeit entfernt, distanziert und zu konkret. Sie erklärt: »Die Darstellungsperspektive des Internet scheint der Wirklichkeit der Indigenen näher zu sein«. Auf meine Frage nach dem Einfluss des Internet auf die indigene Kulturen antwortete sie, dass Personen stärker werden, indem sie andere Kulturen kennen lernen. Durch die Begegnung mit anderen Kulturen fühle man sich gleichzeitig der eigenen Kultur verbundener. »Quem não muda morre! Os indígenas mudam direto e reto«, so Maria Inês de

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DIE INDIGENEN BRASILIENS UND DAS INTERNET

Almeida.30 Um darzustellen, wie beständig indigene Kulturen sein können, erwähnt sie die Maxakali als Beispiel, die trotz 300 Jahren intensiven Kontakts mit der nicht-indigenen Kultur bis heute ihre Sprache aufrechterhalten konnten. Außerdem seien sie herausragende Videomacher, mögen Technologie und können diese beherrschen. Almeida betont: »Sie sind gegenüber Neuem offen auf eine anthropophagische Art. Sie haben keine Schwierigkeiten mit Anpassungen und verleiben sich neue Kenntnisse sofort ein«.31

Digitale Inklusion ja, aber richtig In einem Interview an das Projekt Biblioteca Digital Multimídia der Päpstlichen Universität von Minas Gerais (PUC-Minas 2004) über das Thema Novas Tecnologias e Inclusão Digital (Neue Technologien und Digitale Inklusion) wies Professorin Regina Helena da Silva von der Abteilung für Geschichte des Instituts für Sprach- und Geisteswissenschaften der UFMG, und Leiterin des Projektes Rede Lê32 auf die Problematik hin, dass es nicht ausreicht, die Technologie den Gemeinschaften nur zu geben.33 Daran scheitern viele Projekte, die an einer Inklusion benachteiligter Gruppen arbeiten. Es gehöre nach Silva viel mehr dazu. Die so genannte »digitale Inklusion« muss von einem intensiven Computer- und Internetausbildungskurs begleitet werden. Die Ausbildung zur Computer und Internetnutzung müsste alle Nutzungsmöglichkeiten dieser Kommunikations- und Informationsmittel umfassen. Erst durch die Beherrschung dieser Technologien werde die Entfaltung der Nutzung möglich und könnte das Problem der sozialen und digitalen Spaltung, das Armut, Isolation und soziale Benachteiligung bedeutet, gelöst werden. Hinzu komme der Respekt vor der jeweiligen Gruppenidentität, die autonom sei und nicht mit anderen in einem Topf verschmolzen werden dürfe. Die an solchen Projekten teilnehmenden Gemeinschaften müssten vielmehr eine 30 »Wer sich nicht ändert, droht zu sterben. Die Indigenen ändern sich ständig«. 31 Mehr zum Gedanken der kulturellen Anthropophagie auf S. 207. 32 Projekt Rede Lê, http://www.ufmg.br/rede.le/ vom 15. Oktober 2006. 33 Auch der deutsche Ethnologe Oliver Hinkelbein weist darauf hin, dass digitale Integrationsprojekte bestimmte Maßnahmen berücksichtigen müssen, damit diese eine »[…] nachhaltige Wirkung entfalten können« (Hinkelbein 2007: 84ff.). Es reicht nicht nur Zugang zum Internet zu gewährleisten. Die Indigenen Brasiliens müssten ebenfalls eine »digitale Kompetenz« erreichen, um ihre technische Abhängigkeit vor nicht-indigenen ComputerExperten verringern zu können. 108

BRASILIANISCHE INTERNETPROJEKTE FÜR INDIGENE

eigene Identität zeigen, welche den Zugang wünscht und diesen für ihre Zwecke benutzen möchte. Jede Gemeinschaft besitze aber ihre eigene Identität und deswegen existiere kein allgemein gültiges Modell für die so genannte »digitale Inklusion«. Silva bemerkt hierzu, dass es nicht funktioniere, wenn Anwendungsmodelle gelehrt werden, ohne dabei auf die jeweilige kulturelle Identität der Gruppe einzugehen. Jede Gruppe wird, wenn sie möchte, ein eigenes Modell entwickeln und es ist wichtig, dass diesem Prozess die notwendige Zeit gegeben wird, betont Silva (PUC-Minas 2004). Der Versuch einer schnellen und vereinfachten »digitalen Inklusion« greift zu kurz und reicht allein nicht aus, um das vorhandene Kommunikations- und Isolationsproblem indigener Gemeinschaften zu lösen und sie aus der sozialen und politischen Benachteiligung zu befreien. Die Wichtigkeit einer »richtigen digitalen Inklusion« werde ich im nächsten Abschnitt weiter behandeln. Dabei werde ich über die Nutzung des Internet im Bundesstaat Acre berichten und die Ergebnisse meiner Feldforschung in diesem Bundesstaat präsentieren, um anschließend die Internetnutzung durch die Ashaninka am Fluss Amônia, die meine Arbeit entscheidend prägten, eingehend darzustellen und zu analysieren.

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D I E N U T Z U N G DE S I N T E R N E T DURCH INDIGENE IM BUNDESSTAAT ACRE Nach der vorangegangenen Einführung über die Nutzung des Internet durch brasilianische Indigene im allgemein und der Vorstellung von drei brasilianischen Internetprojekten, die mit indigenen Gruppen arbeiten, werde ich nun die Nutzung des Computers und des Internet durch Indigene aus dem Bundesstaat Acre im Nordwesten Brasiliens und meine Feldforschung im Ausbildungszentrum Centro de Formação dos Povos da Floresta von CPI/AC in Rio Branco sowie bei den Ashaninka am Fluss Amônia darstellen. Abbildung 8: Internetzugangsorte im Bundesstaat Acre

Karte des Bundesstaates Acre im Nordwesten Brasiliens an der Grenze zu Peru und Bolivien mit Eintragung der Internetzugangsorte, die durch das Projekt Rede Povos da Floresta installiert wurden: bei den Ashaninka am Fluss Amônia, den Yawanawa am Fluss Gregório und im Ausbildungszentrum »Centro de Formação dos Povos da Floresta« in Rio Branco.

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DIE INDIGENEN BRASILIENS UND DAS INTERNET

Der brasilianische Bundesstaat Acre liegt im Amazonasgebiet und grenzt an Peru und Bolivien. Seine Hauptstadt Rio Branco befindet sich circa 3000 Kilometer von Rio de Janeiro entfernt. Dort gibt es vierzehn vom Staat anerkannte Ethnien der Sprachfamilien Aruak, Pano und Arawá mit einer geschätzten Bevölkerung von 13.000 Personen, circa 2,1% der gesamten Bevölkerung Acres; nicht mitgerechnet sind hierbei die StadtIndigenen und die an der brasilianischen-peruanischen Grenze in freiwilliger Isolation lebenden Indigenen, die durch das Vorrücken von Erdölgewinnungsprojekten und vom Holzabbau in der Region bedroht werden. Laut FUNAI-Rio Branco leben circa 3.700 Indigene in den fünfzehn Städten Acres, davon 2.500 allein in der Hauptstadt. Die FUNAI schätzt die Zahl der in Isolation lebenden Indigenen auf 600 bis 1000 Personen. Aufgrund dieser Zahlenangaben gehen die Ethnologen Terri Valle de Aquino und Marcelo Piedrafita Iglesias bei der gesamte indigenen Bevölkerung Acres von einer Zahl von insgesamt 18.000 Personen aus, dies entspricht etwa 3% der Bevölkerung des Bundesstaates. Die 34 bereits rechtmäßig anerkannten indigenen Gebiete in Acre machen 14,6% des Bundesstaates (2.415.644 Hektar) aus (Iglesias/Aquino 2007).1 Tabelle 3: Ethnien in Acre und ihre Sprachfamilien Aruak

Arawá

Ashaninka Manchineri

Kulina

Pano Yawanawa Huni Kuĩ (Kaxinawá) Katukina Shawãdawa Jaminawa Nukuni Poyanawa Shanenawa Jaminawa-Arara Naua Apolima-Arara

Quelle: CPI/AC. Zwischen 1840 und 1910 kamen mit dem Kautschukboom im Amazonasgebiet viele Nicht-Indigenen in diese Region Brasiliens. Im Jahr 1852 drangen die ersten Nicht-Indigenen in die Region des heutigen Bundes-

1

Zur Bedrohung des Holzabbaus und der Erdölgewinnung an den Grenzregionen Brasilien und Perus siehe Iglesias und Aquino (2006). 112

DIE NUTZUNG DES INTERNET DURCH INDIGENE IM BUNDESSTAAT ACRE

staates Acre vor. Mit der Ankunft der Weißen begannen auch die Konflikte mit den ursprünglichen Bewohnern der Region. Die Neuankömmlinge versuchten alles, um die Indigenen aus ihren Ländern zu vertreiben. Viele Kautschukbarone vertrieben die Indigenen regelrecht aus ihren ursprünglichen Gebieten, töteten sie oder zwangen sie zur Arbeit bei der Kautschukgewinnung. Einige Ethnien wurden vernichtet und viele Gemeinschaften mussten lange für die Landherren arbeiten. Der Verfall des Kautschukpreises ab 1912 aufgrund der Kautschukproduktion in neuen Plantagen in Asien bedeutete für die meisten Kautschukbarone den Bankrott. Sie verkauften ihre Ländereien günstig an Großgrundbesitzer aus dem Süden Brasiliens, die in dieser Region investieren wollten. Infolgedessen arbeiteten viele indigene Gemeinschaften für die neuen Besitzer bis weit in die 1980er Jahre für einen Hungerlohn. Mit dem Aufbruch der sozialen Bewegungen in Brasilien, wie die der schwarzen und der indigenen Bevölkerung sowie der Landlosen-Bewegung Brasiliens2 Ende der 1970er/Anfang der 1980er Jahre, begannen auch die indigenen Gruppen Acres mit Unterstützung der CPI/AC und anderer Institutionen sich zu organisieren und für ihre Rechte einzusetzen. Seitdem erzielten viele indigene Gruppen Acres einige Erfolge, wie die Anerkennung ihrer Gebiete, eine differenzierte Schulausbildung in ihren Dörfern und seit 1998 eine starke Präsenz in der Politik dieses Bundesstaates mit der Gründung der Secretaria Extraordinária dos Povos Indígenas do Acre (SEPI – Sondersekretariat der indigenen Völker), das 2007 in der neuen Regierung Acres durch einen Beirat ersetzt wurde, der die Indigenen aber weiterhin in der Politik dieses Bundesstaates vertreten soll (Zílio 2007). Neuerdings wird in der Regierung über die Gründung eines indigenen Parlaments debattiert, welches die Landesregierung in indigenen Fragen beraten soll (Xangai 2007). Im Vergleich zu anderen brasilianischen Bundesstaaten sind die indigenen Gruppen Acres stark organisiert. Trotzdem müssen sie immer noch gegen Diskriminierung und Unterdrückung durch die dortige nichtindigene Gesellschaft kämpfen; häufig werden sie in der Öffentlichkeit beleidigt oder abwertend behandelt. Die Organização dos Professores Indígenas do Acre (OPIAC – Organisation indigener Lehrer des Bundesstaates Acre) und die Associação do Movimento dos Agentes Agroflorestais Indígenas do Acre (AMAAI/AC – Verband der indigenen Forsttechniker Acres) sind zwei Beispiele für die Initiative von Indigenen aus 2

Die Bewegung der landlosen Landarbeiter Brasiliens MST (Movimento dos Trabalhadores Rurais sem Terra) wurde 1984 gegründet und entstand aus der Hoffnung, eine Agrarreform in Brasilien durchzusetzen. Mehr Informationen auf der Website MST – Movimento dos Trabalhadores Rurais sem Terra, http://www.mst.org.br/mst/home.php vom 20. März 2007. 113

DIE INDIGENEN BRASILIENS UND DAS INTERNET

verschiedenen Ethnien zur Verbesserung ihrer Lage. Beide Organisationen wurden mit Unterstützung der CPI/AC gegründet und stellen ein Beispiel für die kulturelle und politische Dynamik der indigenen Bewegung des Bundesstaates Acre dar. Im nächsten Punkt werde ich über einige Projekte von CPI/AC berichten, einer NGO, die seit 1979 zusammen mit verschiedenen indigenen Gruppen im Nordwesten Brasiliens arbeitet und sich für das Anliegen indigener Gruppen in Acre und im Südwesten Amazoniens einsetzt.

Die Arbeit von CPI/AC Vor allem mit der finanziellen Unterstützung ausländischer NGOs engagiert sich die Comissão Pró-Índio do Acre (CPI/AC) seit 1979 für die indigenen Gruppen aus Acre und dem Südwesten Amazoniens und für deren politischen Kampf um ihre Rechte auf Land, Gesundheitsfürsorge, Ausbildung und Umweltschutz. Die Organisation bietet aber auch Kurse für andere indigene Gruppen in ganz Brasilien an. Eines der bedeutsamsten Projekte von CPI/AC ist ein Ausbildungskurs für indigene Lehrer. Hier haben die indigenen Gemeinschaften die Möglichkeit, ihr eigenes Lehrmaterial zu entwickeln und vorzubereiten, das gemäß ihrer kulturellen Notwendigkeiten und den Bedürfnissen ihrer Gemeinschaft ausgearbeitet wird. Das Lehrmaterial wird ebenfalls in der Sprache der jeweiligen Gruppe produziert. Ein weiteres CPI/AC-Projekt ist der Ausbildungskurs für indigene Forsttechniker. Hier lernen die Indigenen, wie die Ressourcen der Gebiete, in denen sie leben, umweltfreundlich und nachhaltig genutzt werden können. Durch diese intensive Arbeit mit indigenen Gruppen aus dem Nordwesten Brasiliens entstand für CPI/AC im Jahr 2003 die Möglichkeit, an dem Internetprojekt Rede Povos da Floresta teilzunehmen, das von der NGO CDI, dem Ausschuss für die Demokratisierung von Informationstechnologien aus Rio de Janeiro, ins Leben gerufen wurde (siehe S. 79). Laut Vera Olinda Sena, eine der Koordinatorinnen CPI/ACs, ist das Projekt Rede Povos da Floresta in Acre sehr mit der Ausbildung indigener Lehrer und Forsttechniker verknüpft. Das Internet ist ein wichtiges Werkzeug für sie und wird in den Recherchen der indigenen Lehrer viel eingesetzt. Außerdem legt CPI/AC viel Wert auf die Art und Weise, wie Wissen erzeugt und vermittelt wird, so Vera Olinda Sena (Rede Povos da Floresta 2005d).

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Der Internetzugang im Ausbildungszentrum der CPI/AC Im September 2003 wurde dank des Projekts Rede Povos da Floresta der Internetzugang per Satellit im Ausbildungszentrum des CPI/ACs, nahe der Stadt Rio Branco eingerichtet.3 Das Ziel der Installation war, den indigenen Lehrern und Forsttechnikern die Möglichkeit anzubieten, das Arbeiten mit dem Computer und dem Internet zu erlernen und zwar im Rahmen der übrigen Kurse, die die Indigenen im Ausbildungszentrum bis zu zweimal im Jahr besuchen. Anfangs wurden durch den CDI drei Computer installiert, die von den Teilnehmern benutzt werden konnten, von denen aber nur einer über Internetanschluss verfügte. Die anderen zwei wurden von den Indigenen genutzt, um ihre Texte und Briefe zu bearbeiten. Erst in der zweiten Hälfte des Jahres 2005 spendete der CDI dem Ausbildungszentrum zehn neue Computer mit Internetanschluss, an denen die Indigenen lernen und arbeiten können. CPI/AC wünscht, dass durch das Projekt Rede Povos da Floresta mehr indigene Lehrer und indigene Forsttechniker Zugang zu Computer- und Internetkursen haben, damit sie den Umgang mit diesen Technologien lernen können, um später in ihren Gemeinschaften mit ihnen zu arbeiten. Das Projekt läuft aber nicht problemlos. CPI/AC zum Beispiel erwartete mehr Unterstützung seitens der NGO CDI aus Rio, damit Internet- und Computerkurse den Indigenen, die jährlich das Ausbildungszentrum besuchen, angeboten werden könnten. Eine Mitarbeiterin berichtete mir, dass sie vergeblich um Lehrmaterialien für Computer- und Internetkurse nachfragte, damit CPI/AC jemanden in Rio Branco selbst finden könnte, der die indigenen Lehrer und Forsttechniker ausbilden würde. Trotz der Schwierigkeiten, diese technologische Möglichkeit ganz auszunutzen, möchte CPI/AC weiterhin Computer- und Internetkurse für die Indigenen anbieten. Die Organisation sieht die Möglichkeit der Indigenen, mit den Informations- und Kommunikationstechnologien umzugehen als einen wichtigen Schritt zur Verbesserung der Lage der indigenen Bevölkerung im Nordwesten Brasiliens.

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Zur selben Zeit wurde vom CDI Internet per Satellit bei den Ashaninka am Fluss Amônia und den Yawanawa am Fluss Gregório installiert. 115

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Meine Feldforschung im Ausbildungszentrum des CPI/AC Im März 2005, während der ersten vier Wochen meiner Forschung in der Hauptstadt Rio Branco in Acre begleitete ich im Ausbildungszentrum den Ausbildungskurs für indigene Lehrer. Das Ausbildungszentrum liegt circa zwanzig Kilometer von der Stadt entfernt. Bis zu zweimal im Jahr verlassen Lehrer aus sechs verschiedenen Ethnien und verschiedenen indigenen Gebieten Acres ihre zum Teil schwerzugänglichen Gebiete4 und reisen nach Rio Branco, um an einem Fortbildungskurs teilzunehmen: Huni Kuĩ (auch bekannt als Kaxinawá), Yawanawa, Manchineri, Ashaninka, Shawãdawa (Arara) und Katukina.

Abbildung 9: Indigene Lehrer während eines Unterrichts im Ausbildungszentrum der CPI/AC, März 2005. In indigener Erziehung spezialisierte nicht-indigene Lehrer behandeln zusammen mit den indigenen Lehrern (im Verlauf des zweimonatigen Kurses) verschiedene Schulfächer wie Mathematik, Geographie, Linguistik, Grammatik, Geschichte und Ethnologie. Jedes Fach wird nach einem spezifischen Thema während einer Woche ausgearbeitet, was zur Ent4

Die meisten indigenen Gebiete im Bundestaat Acre werden (in der Zeit von November bis April) mit dem Boot erreicht. Nur ein indigenes Gebiet wird durch eine Landstrasse durchschnitten. Die Reise bis zum indigenen Dorf kann mit den kleinen Booten sogar acht Tage und mehr dauern. Dies macht deutlich, wie unzugänglich die Gebiete teilweise sind. 116

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wicklung des Schulmaterials für die indigenen Lehrer führt, damit sie eine »differenzierte Ausbildung« in ihren indigenen Dörfern anbieten können.5 Das Endergebnis wird vom CPI/AC bearbeitet und zum Teil veröffentlicht. In den vier Wochen (vom 1. bis 26. März 2005), die ich im Ausbildungszentrum verbrachte, erfuhr ich viel Allgemeines über die anwesenden Indigenen als auch speziell über ihren Umgang mit dem Computer und dem Internet. Tagsüber besuchte ich den Fortbildungskurs für die indigenen Lehrer und abends erteilte ich einigen indigenen Lehrern Computerunterricht.

Die Computerkenntnisse der Indigenen im Ausbildungszentrum Während meiner Forschung im Ausbildungszentrum im März 2005 unterrichtete ich einige Indigene im Umgang mit dem Textverarbeitungsprogramm Word oder mit dem Internet. Anhand der geographischen Lage ihrer Gebiete haben einige Ethnien entsprechend mehr oder weniger Kontakt zu der nicht-indigenen Welt und deren Kulturmerkmalen und aufgrund dessen konnte ich im Ausbildungszentrum alle Stadien des Kontaktes der Indigenen mit dem Computer und dem Internet kennen lernen. Die meisten indigenen Lehrer hatten nie zuvor vor einem Computer gesessen, vier von ihnen nahmen vorher an einem einwöchigen Kurs teil, der von einem Mitarbeiter der CPI/AC angeboten wurde, und hatten daher einige Grundkenntnisse über den Umgang mit dem PC erworben. Insgesamt hatte ich circa zehn indigene Lehrer als Schüler. Das größte Problem aber stellte die kleine Anzahl an Computern dar. Zwar waren drei Computer vorhanden, aber leider fiel während des Kurses ein Monitor aus, so dass nur zwei Geräte benutzt werden konnten. Wenn es damals mehr Computer im Ausbildungszentrum gegeben hätte, wäre es mir möglich gewesen, eine größere Zahl von indigenen Lehrern gleichzeitig im Umgang mit diesen Technologien zu unterrichten. Drei indigene Lehrer (der Ashaninka Isaac Piyãko, der Huni Kuĩ Joaquim Maná und der Yawanawa Aldaiso Vinnya) sowie die nicht-indigene Lehrerin Fátima Cruz, die mit Isaac Piyãko verheiratet ist und im Ashaninka-Dorf Apiwtxa lebt, besaßen sowohl im Umgang mit dem Internet als auch mit Textbearbeitungsprogrammen wie Word gute Kennt5

Die »differenzierte indigene Schulausbildung« (eine angemessene und an die Bedürfnisse der indigenen Kultur angepasste Ausbildung) zählt zu einem der Siege, die von den brasilianischen Indigenen in den 80er Jahren erreicht wurde. 117

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nisse. Auch zwei Huni Kuĩ-Forsttechniker konnten ebenfalls gut mit dem Computer und dem Internet umgehen. Der Rest der indigenen Lehrer, der am Fortbildungskurs teilnahm, konnte entweder nur mangelhaft (vier Indigene) oder überhaupt nicht mit dem Computer umgehen. Das heißt: von den 33 Lehrern und Lehrerinnen konnten 25 nicht mit dem Computer arbeiten und damit auch das Internet nicht nutzen. Meine Schüler im Ausbildungszentrum der CPI/AC im März 2005 waren: Huni Kuĩ (Kaxinawá): • Sian (er bat mich um Hilfe, da er noch über keine Computerkenntnisse verfügte) • Yube (hatte eine geringe Kenntnis im Umgang mit dem PC) • Zé Carlos (Keine Computerkenntnis) • Chaguinha (geringe Kenntnisse vorhanden) Ashaninka: Bebito (Keine Kenntnis und nicht so interessiert, aber es wurde von seinem Bruder Isaac gewünscht, dass er den Umgang mit dem PC und Internet lernt) • Fátima und Isaac (beide besaßen bereits gute Kenntnisse und benutzten den Computer häufig innerhalb und außerhalb ihres Dorfes)



Yawanawa: • Alderina und Fátima (geringe/keine Kenntnis – sie besuchten den Unterricht nur zwei Mal) • Aldaiso (gute PC- und Internet-Kenntnis) Der Ausbildungskurs der indigenen Lehrer fand täglich (Montag bis Freitag) von 8:00 bis 11:30 und von 13:30 bis 16:30 statt. Abwechselnd saß ich mit meinen Schülern entweder in der Mittagspause oder nach dem Abendessen am Computer. Entsprechend ihren Wünschen kamen sie und arbeiteten am PC. Je nach Wissensniveau umfasste der Unterricht die Textverarbeitung und den Umgang mit dem Internet. Einige wollten Zeichnungsprogramme erlernen. Anderen mussten zuerst die Grundkenntnisse über den richtigen Umgang mit einem PC vermittelt werden, wie zum Beispiel das An- und Ausschalten des Computers, der Gebrauch der Maus und die Nutzung der Computerprogramme. Alle lernten sehr schnell. Wichtig für sie war vor allem das Schreiben am PC, damit sie ihre Lernmaterialien und das Wissen über ihre Kultur auf dem Computer speichern konnten. Vor allem die eigenständige Arbeit am Computer be118

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deutete den indigenen Lehrern viel, da sie, in Zusammenarbeit mit CPI/AC, ihre Schulbücher und Texte über ihre Kultur selbst produzieren. Abbildung 10: Zeitung YUIMAKĨ

CPI/AC unterhält ebenso die Zeitung YUIMAKĨ, die jedes Semester erscheint. Die Indigenen veröffentlichen entweder auf Portugiesisch oder in ihrer eigenen Sprache Texte über die verschiedensten Themen. Die Bearbeitung der Zeitungstexte am Computer wird überwiegend noch von den Mitarbeitern von CPI/AC durchgeführt. Was den Kontakt mit dem Computer angeht, konnte ich durch Interviews, Gespräche und Beobachtungen feststellen, dass alle 33 indigenen Lehrer die Einrichtung von Computern und des Internets in ihren indigenen Dörfern begrüßen würden. Mit der Erweiterung des Projektes Rede Povos da Floresta werden viele dieser Gemeinschaften einen Internetzugang bekommen. Bis dies geschieht, kann es noch eine Weile dauern. Aber in Acre hat alles seine Zeit. Keiner drängt. Auch die Indigenen nicht. Jeder weiß, dass die Technik warten kann und sie steht nicht an erster Stelle der Prioritätenliste der indigenen Gemeinschaften. Zwar ist es gut, wenn die Technologie vorhanden ist, wenn das jedoch nicht der Fall ist, warten sie geduldig darauf. Zudem haben die Indigenen in Acre weitere Probleme, die auf ihren Gebieten gelöst werden müssen, wie die illegale Abholzung auf ihrem Land, die Gesundheitsfürsorge ihrer Ge119

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meinschaften, die rechtliche Anerkennung und der Schutz ihrer Länder. Darüber hinaus engagiert sich CPI/AC auch bei weiteren Entwicklungsprojekten.6 Es war jedoch festzustellen, dass diejenigen indigenen Dörfer, die noch nicht über technologische Einrichtungen verfügen, etwas »neidisch« auf die Yawanawa- und Ashaninka-Gemeinschaften schauen, die bereits Computer besitzen und über Internetzugang verfügen. Insoweit wäre ein Blick auf die Machtverteilung innerhalb der indigenen Gesellschaft und Gruppen in Acre interessant und aufschlussreich. Aus meiner Sicht und anhand meiner Beobachtungen bekamen die Yawanawa und die Ashaninka als Erste das Internet, weil beide einen stärkeren Kontakt nach außen pflegen und ebenso, weil sie, obwohl sie nicht zu den größeren Ethnien in diesem Bundesstaat zählen, aktiv an der indigenen Politik Acres beteiligt sind.7 Die Ashaninka des indigenen Gebietes Kampa am Fluss Amônia zeigen sich politisch und sozial strukturiert und organisiert ebenso wie die Yawanawa. Es folgen die Huni Kuĩ, die größte ethnische Gruppe in Acre, mit circa 5.000 Indigenen.8 Die Teilnahme an Projekten wie Rede Povos da Floresta hängt offenbar mit der Art und Intensität ihres Außenkontakts zusammen und wird auch davon beeinflusst, ob und in welchem Umfang sie einige Kulturelemente der Nicht-Indigenen übernommen haben, um unter anderem von der nicht-indigenen Gesellschaft wahrgenommen zu werden. Das verweist auf die unterschiedlichen Möglichkeiten indigener Gruppen, ihren Machteinfluss und die Unterschiede der Gruppen untereinander. Die Verfügbarkeit vom Internet und von Computern in indigenen Gebieten betrachtet die NGO CPI/AC als einen entscheidenden Faktor. Jedoch bemerkt ein Mitarbeiter der Organisation, dass nicht alle Gemeinschaften ausreichend vorbereitet sind, diese Art von Informations- und

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Der CPI/AC hat viele Entwicklungsprogramme zusammen mit den verschiedenen Ethnien in diesem Bundesstaat. Im Jahr 2005 führten sie mit der Hilfe staatlicher Einrichtungen eine Ethno-Kartierung durch. Sie produzierten, zusammen mit den Indigenen aus den verschiedenen Ethnien, Landkarten mit wichtigen Informationen über jedes indigene Territorium (über die Fauna und Flora bis zur politischen Lage von Invasionen und mögliche Bedrohungen auf jedem Gebiet). Die Yawanawa zählen circa 620 Indigenen (Yawanawa-Website) und die Ashaninka des indigenen Gebiets Kampa am Fluss Amônia, wo das Internet eingeführt wurde, circa 450 Menschen. Die Ashaninka in Acre verteilen sich auf vier indigene Gebiete. Die NGO CPI/AC schätzt die Ashaninka-Bevölkerung Acres auf 869 Personen (Pimenta 2005b). Die Huni Kuĩ verteilen sich über zwölf indigene Gebiete im Bundestaat Acre (Lagrou 2004). 120

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Kommunikationstechnologien zu bekommen. Die Aneignung neuer Kulturelemente müsse vorsichtig und gemäß der Notwendigkeiten und der Wünsche jeder Gruppe stattfinden. Die Gemeinschaften, die häufiger in Kontakt mit der nicht-indigenen Kultur stehen, seien daher besser auf die Aneignung des Internet in ihr alltägliches Leben vorbereitet.

Die Huni Kuĩ und das Internet Am 16. März 2005 führte ich ein Interview mit dem jungen Huni KuĩForsttechniker José de Lima Kaxinawá im Ausbildungszentrum der Comissão Pró-Índio do Acre (CPI/AC) in Rio Branco. Ich wollte seine Meinung über das Internet erfahren. José de Lima, auch bekannt als Zezinho, konnte bereits gut mit dem Internet und dem Computer umgehen. Jeden Abend saß er im Computerraum des Ausbildungszentrums und schrieb seine Arbeitsberichte oder E-Mails am Computer. Zezinho lernte den Umgang mit dem Computer von einem Mitarbeiter von CPI/AC, namens Tupi. Eines Tages, weil er keinen Stift und Papier zur Hand hatte, bat er Tupi, ihm den Umgang mit Computer und Internet beizubringen.9 Zezinho erzählte, wie er nach und nach mit diesen Geräten selbst umzugehen lernte. Heute kommuniziert er problemlos mit anderen Organisationen, Institutionen, Verwandten oder Freunden per E-Mail. Genauso wie sein Vater, Joaquim Maná, ist er in der indigenen Bewegung aktiv und setzt sich für die Interessen seiner Gemeinschaft ein. So besuchte er 2003 das Permanent Forum on Indigenous Issues der UNO in New York. Als ich ihn nach seiner Meinung über die Aneignung des Internet durch seine Gruppe befragte, antwortete er, dass er einige Bedenken zur Präsenz dieser Technologie in seiner Gemeinschaft habe. Er begründete seine Sorgen damit, dass die Huni Kuĩ noch uneingeschränkt nach ihrer Kultur leben. Ferner befürchtet er, dass die Bewohner die Funktion oder Ziele der Aneignung des Computers und Internets vielleicht missverstehen würden. Laut Zezinho kennt seine Gemeinschaft die Kommunikationsform via Internet noch nicht. Deswegen befürchtet er, für den Fall ihrer Aneignung, dass alle diese auch würden nutzen wollen und aus diesem Grund Konflikte innerhalb der Gruppe entstehen könnten. Zezinho hat Angst vor einen »kulturellen Aufprall«, der durch die Begegnung mit dem Neuen, dem Unbekannten ausgelöst werden könnte und im Ergebnis eine unkontrollierte Nutzung des Computers. Meines Erachtens handelt 9

Tupi vermittelte ihm und anderen indigenen Forsttechnikern, die sich in Rio Branco befanden, um an einem Weiterbildungskurs des CPI/AC teilzunehmen, die Grundkenntnisse in der Computer- und Internetnutzung. 121

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es sich bei Zezinhos Angst allerdings nur um eine anfängliche Sorge im Hinblick auf die ihm noch unbekannte Reaktion seiner Gemeinschaft auf die neue Technologie. Hinzukommt, dass ich dieses Interview im Jahr 2005 führte, als die Erweiterung des Projektes Rede Povos da Floresta noch nicht bekannt war. Sobald die Gruppe sich zusammensetzt und darüber spricht, können diese Ängste, meiner Meinung nach, allmählich verschwinden, wenn die Bewohner über die neue Technologie aufgeklärt werden. Diese Vorbereitungsgespräche fanden auch bei den Yawanawa und den Ashaninka vor der Einrichtung des Internet in ihren Dörfern statt. Beide Gruppen berichteten mir von einer problemlosen Aneignung aufgrund der vorher mit den Gemeinschaftsmitgliedern geführten Gespräche zu ihrer Aufklärung über Sinn und Zweck dieser zunächst fremden Kulturelemente. Die Angst vor der Begegnung mit dem Unbekannten ist gewiss berechtigt und praktisch in jeder Kultur präsent.

Arbeit am Computer mit den indigenen Forsttechnikern Im Juli 2006 reiste ich zum 4. Mal nach Rio Branco um zu sehen, wie die Situation bei CPI/AC und den indigenen Lehrern und Forsttechnikern war und um festzustellen, wie und ob das Internet dort im Ausbildungszentrum weiterhin funktionierte. Während meines zweiwöchigen Aufenthalts interviewte ich einige indigene Forsttechniker, die im Ausbildungszentrum der CPI/AC einen Fortbildungskurs besuchten, über den Gebrauch von Computer und Internet. Ich hatte auch die Gelegenheit, einigen von ihnen zu zeigen, wie der Computer funktioniert, wie mit Word gearbeitet und im Internet navigiert werden kann. Abends, nachdem sie den ganzen Tag Unterricht hatten, kamen sie zum Computerraum im Casa dos Autores, einem separaten Gebäude, das als Studien- und Forschungsraum dient, um weiter von mir zu lernen, wie der Computer funktioniert, wie er benutzt werden kann und wenn möglich, um ihre Arbeitsberichte in den Computer einzugeben. Ihr Stolz, diese Technologien benutzen zu können, war dabei durchaus sichtbar.

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Abbildung 11: Indigene Forsttechniker, die ich im Juli 2006 im Ausbildungszentrum der CPI/AC unterrichtete. Um einen Einblick in einige Texte der indigenen Forsttechniker zu ermöglichen, die während meines Computerunterrichts produziert wurden, stelle ich drei Beispiele vor. Sie sind so dargestellt, wie sie von den Indigenen am Computer eingegeben wurden. Von mir wurden lediglich der Inhalt der Texte und ihre Aussagen analysiert. Ich übersetzte sie ins Deutsche, um die Aussagen der indigenen Forsttechniker zu verdeutlichen. Beispiel 1: Joseivo marconde que e eapreder escrever no computador serar que e possvel espero que sim vou fazer oimpossivel para aprender lutar nesse aparelho ater que eu possa fazer tudo o que eu quizer quanto tempo vai demorar para mimconseguir isso depois que aprofessora me ensinar mais um pouco vou fica pratico e air vou ser um ótimo escrivan para eu enssinar os meus amigos a escrever cartas para sua namorada e amigos vamos lutar por esse objetivos que e ofuturo da nossa vida obrigados okrper

Übersetzung: Joseivo Marconde möchte lernen, mit dem Computer zu schreiben. Ob es möglich ist? Ich hoffe ja. Ich werde das Unmögliche machen, um zu lernen mit diesem Gerät zu kämpfen, bis ich alles damit machen kann. Wie lange wird es dauern, damit ich das lerne? Nachdem die Lehrerin mir mehr beibringt, werde ich Übung haben und ich werde ein sehr guter Schreiber sein, damit ich meinen Freunden beibringen kann, Briefe an ihre Freundinnen und Freunde zu 123

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schreiben. Wir werden uns für dieses Ziel einsetzen, was die Zukunft unseres Lebens bedeutet. Vielen Dank Okrper (?)

Beispiel 2: Pedro pereira kaxinawá espera uma boa informação em aula sobre a informática durante o curso dos agentes agroflorestais indígenas do acre.hoje temos que conhecer melhor dentro das nossas comunidades em geral .por isso estamos em nossas formação conhecendo em estudar em sistema agroflorestais dentro da área indígenas e do entorno da terra indígenas.estuda a floresta é muito importante conhecer em aulas praticas durante o cursos aqui no centro de formação dos povos da florestas. Hoje é dia 17 de julho de 2006 já estamos em segundo semana de curso,que já é o décimo terceiro curso de formação dos povos das florestas dos povos de todas regiões do acre.aqui onde se encontra-se 16 agentes agroflorestais de vários povos diferentes de suas terras e nossas aldeias.

Übersetzung: Pedro Pereira Kaxinawá hofft gut informiert zu werden in dem Informatikunterricht während des Kurses für indigene Forsttechniker in Acre. Heute müssen wir über mehr allgemeines Wissen in unseren Gemeinschaften verfügen. Deswegen sind wir in dieser Ausbildung und lernen über Forstwirtschaft innerhalb unserer indigenen Gebiete und Umgebung. Über den Urwald durch praktischen Unterricht zu lernen, in den Kursen hier im Ausbildungszentrum der Urwaldvölker, ist sehr wichtig. Heute ist der 17. Juli 2006 und wir sind bereits in der zweiten Woche des Kurses, der bereits der 13. Kurs im Ausbildungszentrum von allen Regionen Acres ist. Hier befinden sich 16 indigene Forsttechniker aus unterschiedlichen Ethnien, aus ihren Gebieten und Dörfern.

Beispiel 3: Data 21 de junho de 2006 relatório de pescaria com 2 tarrafa hoje as parte da tarde nos três pessoa eu meu irmão meu cunhado Assis nos fomo pesca pra baixo na volta da ponta da praia eu peque foi 7 praiana 3 piaba chata 1 trairás 1 maladena 1 bode preto 1 bode pintada 4 cachimbo de areia só que eu peque na minha pescaria agora meu cunhado ele pego 7 praiana 4 cachimbo de areia 1cachimbo de pedra

Übersetzung: 21. Juni 2006 Bericht vom Fischfang mit zwei kleinen Fischnetzen Heute Nachmittag sind wir drei, ich, mein Bruder und mein Schwager Assis, Fluss abwärts fischen gegangen. Bei der Flussbiegung, an der Spitze des Flussstrandes fischte ich 7 praiana, 3 platte piabas, 1 traíra, 1 maladena, 1 schwarzer bode, 1 gefleckter bode, 4 »Sandpfeiffen«. Das ist nur das, was ich als Fang machte. Aber mein Schwager fing 7 praiana, 4 Sandpfeiffen, 1 Steinpfeiffen

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Meines Erachtens wird in diesen drei Texten der Wunsch der Indigenen deutlich, mit dem Computer und dem Internet umgehen zu können. Sie sind sich längst über die Macht bewusst, die sich hinter solchen technologischen Möglichkeiten verbirgt. Diese Chance der indigenen Lehrer und Forsttechniker, den Computer und das Internet zu benutzen, entspricht einer Form der Gleichstellung und Selbstbestimmung für sie und ihre Gruppe, indem sie, wenn sie den Umgang mit Computer und Internet lernen, nicht mehr auf die Hilfe anderer angewiesen sind, um mit diesen Arbeits- und Kommunikationsmitteln umzugehen (vgl. Landzelius 2006: 14ff.). Wenn die Indigenen früher von der Hilfe von NichtIndigenen abhängig waren, um einfache Briefe zu schreiben, sind sie nun voller Stolz, wenn sie heute mittels Computer- und Internetkenntnissen diese selbst verfassen, Arbeitsberichte schreiben und sogar bei der Entwicklung von Projekten mitwirken und ihre Beiträge per E-Mail versenden können.

E m a n z i p a ti o n u n d S e l b s t b e s t i m m u n g Die Nutzung von Kommunikations- und Informationstechnologien hat für viele Indigene Brasiliens eine emanzipatorische Bedeutung, vor allem in einer Gesellschaft, in der Indigene nach dem brasilianischen Bürgerlichen Gesetzbuch noch als eingeschränkt geschäftsfähig gelten. Im Artikel 4 des brasilianischen Bürgerlichen Gesetzbuches – seit 2003 gültig –, der eine beschränkte Geschäftsfähigkeit bestimmter Gesellschaftsgruppen festlegt, sind die Indigenen in einem so genannten Einzelparagraphen erwähnt. Dabei wird die Berechtigung, in allen eigenen Angelegenheiten vollinhaltlich selbst zu bestimmen, durch einen Einzelparagraph im Gesetzbuch eingeschränkt (Diário Oficial da União 11.01.2002).10 Hierzu verlangen die Indigenen seit langer Zeit eine Änderung des Indigenen Statuts (Estatuto do Índio – Lei nº 6.001/1973), welches die Autorität des Staates gegenüber den Indigenen festlegt (Diário Oficial da União 21.12.1973). Die Nutzung des Internet verleiht den Indigenen nicht nur das Gefühl, mündig zu sein und sich nicht mehr bevormunden lassen zu müs10 Es entspricht der deutschen Einstufung der beschränkten Geschäftsfähigkeit. Beschränkt geschäftsfähig sind Minderjährige vom vollendeten 7. bis zum vollendeten 18. Lebensjahr (deutsches BGB § 106) oder dem Betreuungsgesetz des BGB (§§ 1896ff), früher die so genannte Entmündigung, die als Gründe hatten: Geisteskrankheit, Geistesschwäche, Trunksucht, Rauschgiftsucht, Verschwendungssucht (Bürgerliches Gesetzbuch – BGB. Stand: zuletzt geändert durch Art. 2 Abs. 16 G v. 19.2.2007 I 122). 125

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sen. Wichtiger ist ihnen die Möglichkeit, sich von ihrer Abhängigkeit von anderen, die dem System dienen, zu befreien, um das damit verbundene Vormundschaftsregime aufzulösen. Allein deswegen wird die Wichtigkeit solcher Möglichkeiten und Projekte für die Indigenen sichtbar und der Grund, warum sie nach diesem Wissen streben, deutlich. Während meines PC-Unterrichtes mit den Indigenen im Ausbildungszentrum konnte ich beobachten, dass alle Teilnehmer sowohl den Computer als auch das Internet für wichtig und notwendig erachteten, um ihre Kultur zu bestärken. Die Nutzung dieser Mittel bedeutet eine Art kultureller Emanzipation, indem die Indigenen nicht mehr auf die Hilfe Dritter angewiesen sind, um ihre eigenen Texte in den Computer einzugeben oder E-Mails zu schreiben. Die Möglichkeit zur Nutzung solcher Technologien erfüllt sie mit Stolz, die eigene Kultur und Gruppe durch ein modernes Kommunikationsmittel fördern zu können.

T e c h n i sc he S c hw i e r i g k e i te n Technisch gesehen sind sowohl die Organisation CPI/AC als auch die Indigenen in den Dörfern mit Internetanschluss so gut wie allein auf sich gestellt. Wenn ein Problem mit dem Internetanschluss oder mit den Computern in den indigenen Gebieten auftaucht, ist eine Reparatur oder der Austausch der Geräte schwer zu organisieren. Hinzu kommt, dass die Organisationen CDI und das Projekt Rede Povos da Floresta, die für die Einrichtung des Internet in den indigenen Dörfern in Acre zuständig sind, ihren Hauptsitz in Rio de Janeiro haben, tausende von Kilometern von Acre entfernt, was die Lage erschwert, wenn Probleme mit der Software oder dem Satellitenempfang entstehen. Die Organisation CPI/AC hat selbst wenige Mitarbeiter, die sich speziell mit den technischen Problemen ihrer Hard- und Software beschäftigen können. Aus diesem Grunde musste ich in den ersten Wochen im Ausbildungszentrum versuchen, die Computer- und Internetprobleme selber zu lösen. Zu Beginn meines Aufenthaltes im Centro de Formação dos Povos da Floresta zum Beispiel gab es Probleme mit dem Computer, der ans Internet angeschlossen war. Es handelt sich um einen älteren Computer, auf dem noch das Betriebssystem Windows 98 installiert war. In meiner ersten Woche im Ausbildungszentrum verlangte der Computer beim Start immer ein neues Setup. Wegen mangelnder technischer Kenntnisse musste ich auswärts Hilfe holen, um das Problem zu lösen. Ein Computertechniker aus einem Internetcafé in Rio Branco erklärte mir, wie ich das Problem selbst lösen könnte. Es lag an der Konfiguration des Festplattenspeichers. Immer wenn der Computer falsch ausge-

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schaltet wurde, wurde auch die Konfiguration gestört. Deswegen musste der Speicher im DOS-Modus neu konfiguriert werden. Nachdem ich allen Benutzern erklärt hatte, wie der Computer vor dem Ausschalten korrekt heruntergefahren wird, war das Problem endgültig gelöst. In der ersten Woche meiner Forschung im Ausbildungszentrum bereitete auch das Internet Probleme. Eine Woche lang hatten wir keinen Satellitenempfang. Der Ashaninka-Anführer und Lehrer Isaac Piyãko musste und wollte seine E-Mails bearbeiten, konnte dies aber nicht und dies nervte ihn deutlich. Es mussten ein paar Bäume, die vor der Satellitenschüssel standen, geschlagen werden, da diese die Signale vom Satellit störten. Es kam auch vor, dass bei schlechtem Wetter (starker Wolkendichte), kein Empfang möglich war. Allein die Lösung des Problems mit dem Satellitenempfang benötigte mehr als eine Woche. Weil vor der Satellitenschüssel keine Bäume stehen sollten, musste zuerst der zuständige Forsttechniker des Ausbildungszentrums um Erlaubnis gefragt werden, um zwei oder drei Bäume fällen zu können. Vor allem, wenn die Kommunikation über mehrere Personen verläuft, dauert es etwas länger, um die Probleme zu beseitigen. Aber letztendlich wurde auch das Problem mit dem Internetempfang gelöst. Auch wenn man weißt, wo Hilfe zu bekommen ist, können solche technische Komplikationen lange andauern, bis sie gelöst werden. Deswegen reicht es nicht aus, lediglich den Zugang zum Internet zu schaffen, wie in dieser Arbeit bereits öfter erwähnt wurde. Solche Projekte müssen auch dafür sorgen, dass zumindest einige Nutzer in die Technik eingeführt werden, damit sie bei auftretenden technischen Schwierigkeiten nicht hilflos auf sich gestellt sind, sondern selbst in der Lage sind, zumindest kleine Hindernisse zu lösen.

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DAS VERHÄLTNIS DER YAWANAWA UND ASHANINKA ZUM INTERNET »Estamos no meio da selva, mas não estamos parados no tempo. Temos nosso mundo, nossos trabalhos e queremos mostrar pro mundo como somos«. Raimundinha Yawanawa, Rio Branco (10. Februar 2004)1

Zusammen mit der Installation des Internet im Ausbildungszentrum der CPI/AC, die ich im vorherigen Abschnitt darstellte, wurde durch das Projekt Rede Povos da Floresta Internet per Satellit auch bei den Ashaninka am Fluss Amônia und den Yawanawa am Fluss Gregório eingeführt.

Die Yawanawa – e i n k u r z e r e t hn o g r a p hi sc h e r E i n b l i c k Die Yawanawa leben auf einem 187.400 Hektar großen Gebiet am Fluss Gregório im Bundesstaat Acre, das 1984 durch die brasilianische Regierung offiziell anerkannt wurde. Die Gruppe hat circa 620 Personen. Sie gehören der Sprachfamilie Pano an. Laut den Ethnologen Carid Naveira und Pérez Gil (1999 b) sind die Yawanawa eine Gruppe, die Mitglieder verschiedener Ethnien miteinschließt wie die Shawanawa (auch bekannt als Arara), Iskunawa (oder Shanênawa), Rununawa, Sainawa (auch bekannt als Jaminawa) und Katukina. Dieser Zusammenschluss ist das Ergebnis einer typischen »soziologischen Dynamik«, die durch Heiratsbündnisse, Brautraub, Familienmigration sowie durch historische Ereignisse, besonders durch die Ankunft der ersten Nicht-Indigenen in ihre Gebiete, sowie Epidemien oder demographische Veränderungen herbei1

»Wir sind zwar mitten im Urwald, aber in der Zeit nicht stehen geblieben. Wir haben unsere Welt, unsere Arbeiten und möchten der Welt zeigen, wie wir sind«. Zitat von Raimundinha Yawanawa, Interview vom 10. Februar 2004 in Rio Branco. 129

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geführt sind. Auf diese Weise, so Carid Naveira und Pérez Gil, wurden Mitglieder anderer Ethnien in die Gruppe aufgenommen. Das Gebiet liegt weit von Städten entfernt und ist schwer erreichbar. Um möglichst schnell in das Yawanawa-Gebiet zu gelangen, muss man zunächst bis zur Ortschaft Tarauacá fliegen und, wenn möglich, mit einem kleinen Flugzeug bis zu der Katukina-Gemeinschaft Sete Estrelas reisen. Mit einem kleinen Motorboot reist man abschließend zweieinhalb Stunden lang den Fluss aufwärts. Im Sommer, in der Trockenzeit, kann man mit einem Auto von Tarauacá bis zur Ortschaft São Vincente fahren, um später mit einem kleinen Motorboot eineinhalb Tage lang den Gregório Fluss hochzufahren. Die Yawanawa selbst gehen normalerweise zwei Tage lang die BR 364 (Bundesstrasse) Richtung Cruzeiro do Sul per Fußmarsch und reisen anschließend mit einem kleinen Motorboot zwei Tage lang den Gregório Fluss hinauf bis zur Yawanawa-Gemeinschaft Nova Esperança. Wie alle indigene Gruppen aus dem Bundesstaat Acre litten auch die Yawanawa unter der Ankunft der Kautschukbarone am Ende des 19. Jahrhunderts. Es fanden zunächst häufige gewaltsame Auseinandersetzungen zwischen den Yawanawa und den Nicht-Indigenen statt und sie mussten jahrzehntenlang für verschiedene Landherren bei der Kautschukgewinnung bis weit in die 1980er Jahre arbeiten. Im Jahr 1983 vertrieben die Yawanawa die Nicht-Indigenen aus ihrem Gebiet und ein Jahr später wurde ihr Gebiet von der brasilianischen Regierung anerkannt (Yawanawa-Website; Carid Naveira/Pérez Gil 1999a).

Die Aneignung des Internet d u r c h d i e Y a w a n a w a u n d A s ha n i n k a Der Zugang zum Internet als Mittel zur Verbesserung der Kommunikationsmöglichkeiten ihrer Gemeinschaft war bereits seit langem ein Wunsch der jungen Anführer dieser beiden Gemeinschaften. Bevor das Internet bei den Ashaninka und bei den Yawanawa eingeführt wurde, sprachen die jungen Anführer mit den Älteren und mit der ganzen Gemeinschaft über die neue Technologie. Sie diskutierten vorher über die Errungenschaften des Internet und des Computers und erläuterten deren Gebrauch. Es war eine von der ganzen Gemeinschaft getroffene Entscheidung und nicht eine Entscheidung von außen oder von wenigen. Außerdem nahmen sowohl die Yawanawa als auch die Ashaninka sich ein Jahr Zeit, um die Entwicklung mit dem Internet in ihren Dörfern zu beobachten. Der Lehrer und Videomacher Aldaiso Vinnya Yawanawa berichtet:

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DAS VERHÄLTNIS DER YAWANAWA UND ASHANINKA ZUM INTERNET

»Vor der Aneignung des Internet und anderer Einrichtungen wird die Technologie beurteilt. Wenn die Älteren der Meinung sind, dass es eine gute Sache für die Gemeinschaft sein wird, willigen sie ein. Sie gaben das OK, damit wir das Internet erproben könnten«.2

Im Fall des Internet gaben die älteren Bewohner beider Gemeinschaften, die aufgrund ihres fortgeschrittenen Alters ihrer Erfahrung, ihres Wissen und ihrer Rhetorik geschätzt und respektiert werden und hohe Autorität genießen (Müller, K. 1999: 21; Klausberger 1999: 340), ihr Einverständnis für die versuchsweise Aneignung des Internet für ein Jahr. Nach dem Ablauf dieser Probephase stellten sie fest, dass das Internet für ihre Gruppe von Nutzen war und ihre Kultur nicht negativ beeinflussen würde, so Aldaiso Yawanawa. Nicht alle Bewohner bei den Yawanawa und Ashaninka haben Zugang zum Internet und zum Computer. Nur wenige Personen sind zur Nutzung berechtigt und auch nur solche, die in diese Technologie eingeführt wurden. Der Prozess der Auswahl der Personen findet auf Grundlage verschiedener Kriterien statt. Ein Auswahlkriterium ist der Kontakt zur nicht-indigenen Gesellschaft und die Beherrschung der portugiesischen Sprache. Sowohl bei den Yawanawa als auch bei den Ashaninka wurde zunächst jeweils eine junge Frau ausgesucht, die bereits zwischen der indigenen und nicht-indigenen Gesellschaft lebt. Die Yawanawa Raimundinha Nanê Yawanawa und die Ashaninka Alexandrina Shaatsy Piyãko reisten von 26. Juli bis 9. August 2003 nach Rio de Janeiro, um an einem Informatik-Ausbildungskurs teilzunehmen, der durch die NGO CDI organisiert wurde. Dort wurden sie zusammen mit jungen Indigenen aus der Guarani-Gemeinschaft Sapucay nahe Rio de Janeiro und aus dem indigenen Gebiet Xacriabá im Bundesstaat Minas Gerais in die Nutzung des Internet eingeführt, wie zum Beispiel: wie sie das Internet nutzen können, was für Vorteile der Computer und das Internet der Gemeinschaft bringen können und wie man mit den Geräten umgehen soll.

2

Interview mit Aldaiso Yawanawa im Ausbildungszentrum der CPI/AC am 20. März 2005. 131

DIE INDIGENEN BRASILIENS UND DAS INTERNET

Abbildung 12: Computerkurs vom CDI in Rio de Janeiro

Ausgabe der CPI/AC-Zeitung YUIMAKĨ von Oktober 2003:Raimundinha Nanê Yawanawa (links) und Alexandrina Shaatsy Ashaninka während des Computerkurses in Rio de Janeiro. Bei den Yawanawa zum Beispiel berichtete mir Aldaiso, dass in der Gemeinschaft Nova Esperança, wo das Internet installiert wurde, die Geräte mit großer Sorgfalt benutzt werden. Vertrauenspersonen, die durch die Gemeinschaft ausgewählt wurden, lernen ebenfalls mit den Programmen umzugehen, um die Kenntnisse der Gemeinschaft zu archivieren, so Aldaiso. Trotz aller Vorsicht kommt es immer wieder zu Ausfällen der Computer, die aufgrund technischer Schwierigkeiten auch lange andauern können. Sowohl bei den Yawanawa als auch bei den Ashaninka haben die Indigenen daher großen Respekt vor dem Umgang mit den neuen Technologien wie Computer, Videokameras sowie anderen neuen technologischen Errungenschaften. Dies liegt zum einen daran, dass der falsche Umgang mit ihnen Schäden verursacht und die Anschaffung solcher Technologien kostspielig ist. Und zweitens, weil eine unkontrollierte Nutzung in Bezug auf das Internet, auch was den Inhalt betrifft, für ihre Kultur nachteilig sein könnte. Trotz der beschränkten Nutzung nur durch einige Gemeinschaftsmitglieder findet die Internet- und Computernutzung in beiden Gemeinschaften im Dienste der Gruppe statt. Die Nutzungsform und -dauer orientieren sich an den kulturellen Bedürfnissen der jeweiligen Gemein-

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schaft und werden allein nach ihren Kommunikations- und Informationsbedürfnissen eingeplant. Bei den Yawanawa etwa soll es einen Zeitplan geben, nach welchem die in diese Technologie eingeführten Bewohner, drei bis vier Personen – Frauen und Männer – abwechselnd und je nach Bedarf das Internet nutzen. Das Internet ist gemäß Aldaiso ein Kommunikationsmittel wie jedes andere, das in der Gemeinschaft benutzt wird. Seine Nutzung belaste die Gemeinschaft nicht und störe weder ihre Kultur noch ihren Alltag, so dass die Bewohner ihren alltäglichen Tätigkeiten nachgehen können. Sowohl bei den Yawanawa als auch bei den Ashaninka wird das Internet nicht nur zur Kommunikation mit der Außenwelt eingesetzt, sondern auch zur Recherche für die indigenen Lehrer oder zur Dokumentation ihrer in der Gemeinschaft produzierten Texte und Projekte. Die gesendeten E-Mails behandeln allgemeine Bedürfnisse der Gemeinde, Entwicklungen von Projekten oder, im extremen Fall, auch Hilferufe der indigenen Gruppe mit Forderungen an maßgebliche Politiker und Organisationen. Nach der Installation des Internet im September 2003 erfuhren die Yawanawa zum Beispiel beim Besuch einer Nachrichtenseite vom Krieg im Irak und verglichen ihre Lage mit der Lage der Menschen in Kriegsregionen. Das Internet funktioniert für die Indigenen wie ein »Fenster zur Welt«. Die Yawanawa produzieren von der Gemeinschaft aus die Texte für die CPI/AC-Zeitung Yuimakĩ und nutzen Online-Banking, um ihr Vereinskonto zu prüfen – was gemäß Aldaiso zu mehr Transparenz bezüglich der Finanzmittel der Gemeinschaftsprojekte führt. Die Präsenz des Internet in ihren indigenen Dörfern hilft ebenso, Probleme innerhalb der Gemeinschaft zu lösen. Der junge Yawanawa-Anführer Tashka und der Lehrer Aldaiso berichteten mir in verschiedenen Interviews und getrennt voneinander von einem Vorfall, bei dem sich Aldaiso während der Jagd im Wald verirrt hatte. Tashka, der sich in den USA befand, konnte dank des Internet und der Software MSN Messenger3 im Chatgespräch zusammen mit einigen Bewohnern in der Yawanawa-Gemeinschaft Nova Esperança die Suche nach Aldaiso planen, der erst kurze Zeit zuvor von der Stadt in die Gemeinschaft am Fluss Gregório umgezogen war und deswegen nicht so viel Erfahrung bei der Orientierung im Wald hatte. Auch die Nutzung des Programms Skype hob Aldaiso hervor. Es handelt sich um ein Softwaresystem, mit dem im Internet telefoniert

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MSN Messenger (http://join.msn.com/messenger/jump), dessen Nachfolger der Windows Live Messenger ist, handelt es sich um eine kostenlose Software, mit der Chatkommunikation und Webcam-Konferenzen möglich sind. Man kann aber auch Online-Spiele spielen, Dateien austauschen oder über das Internet telefonieren. 133

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werden kann.4 Falls die angerufene Person das Programm auch benutzt, können beide Personen mit Hilfe des Internet miteinander kostenlos telefonieren. Jeder hat einen Nutzernamen und es wird automatisch sein Onoder Offline-Status beim Start des Programms angezeigt. Dank diesem Programm konnte die Gemeinschaft am Fluss Gregório verschiedene Übergriffe oder Umweltvergehen öffentlich machen, wie zum Beispiel im Fall von illegaler Fischerei und Jagd innerhalb ihres Gebietes, über die in der Zeitung Gazeta, einen Tag nach einem Interview mit einem Journalisten der Zeitung, berichtet wurde. Dieses Interview fand mit Hilfe des Programms Skype statt. Aldaiso Vinnya Yawanawa betonte, dass seine Gemeinschaft dank des Internet nicht mehr isoliert bleiben muss. Es sei für sie ein wichtiger Schritt auf dem Weg, sich von der Isolation zu befreien und selber »Teil der Welt« zu werden, insbesondere im Hinblick auf die geographische Isolation. Ohne das Internet würden Nachrichten nicht schnell verschickt und empfangen werden können. Sowohl die Ashaninka als auch die Yawanawa haben seit 2004 das Internet für Hilferufe zum Schutz ihrer Gemeinde in Anspruch genommen. Im September 2004 sandten die Ashaninka eine E-Mail an viele Organisationen auf der ganzen Welt, mit der Bitte um Unterstützung gegen die Passivität der Regierung wegen der Invasionen und Drohungen peruanischer Holzfäller auf ihrem Gebiet (siehe S. 174ff.). Die Yawanawa benutzten das Internet im November 2004 für einen weltweiten Aufruf wegen einer Cholera-Epidemie auf ihrem Gebiet, da ihr Appell an die Regierung keinen Erfolg hatte. In beiden Fällen gelang es den Indigenen auf diese Weise, die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit zu erregen und die Regierungen (Landes- und Bundesregierung) zum Handeln zu veranlassen. Im Fall der Ashaninka, bei dem es um den Grenzschutz Brasiliens geht, wurde vom brasilianischen Außenministerium das Militär eingeschaltet, um die Invasionsprobleme zu kontrollieren. Im Fall der Yawanawa reagierte der Gouverneur von Acre prompt nach der Verbreitung der E-Mail und sandte Vertreter der zuständigen Gesundheitsbehörde in ihr Gebiet. Diese zwei Beispiele zeigen eine der Funktionen des Internet speziell in außergewöhnlichen Angelegenheiten indigener Gemeinschaften. Darüber hinaus ergänzt das Internet die anderen Kommunikationsmöglichkeiten bei den Gemeinschaften, die nicht immer funktionsfähig sind oder keine große Reichweite haben. Bei den Ashaninka am Fluss Amônia zum Beispiel gibt es eine unregelmäßig funktionierende Tele-

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Skype (http://www.skype.com) ist eine kostenlose Software, das Internettelefonie von PC zu PC sowie zum Festnetz oder Mobiltelefonen ermöglicht. 134

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fonzelle, die häufig auf Motorbooten zur Reparatur in das nahe liegende Dorf Marechal Thaumaturgo transportiert werden muss (siehe S. 169). Die einzige übrig bleibende Kommunikationsmöglichkeit ist in einem solchen Fall das Internet. Früher wurde das Funkradio von den Ashaninka öfter eingesetzt, aber die Reichweite ist beschränkt und es gibt oft Störungen, was die Kommunikation erschwert. Bei den Yawanawa hingegen wird das Funkradio öfter eingesetzt und laut Aldaiso für Gespräche und mündliche Nachrichten verwendet. Das Internet wird meistens benutzt, wenn eine schriftliche Äußerung der Gemeinschaft notwendig ist. Das könnte sich allerdings mit dem Internet-Programm Skype und anderen Programmen ändern. Die Yawanawa verfügen ebenfalls über eine Webkamera und benutzen diese bei Gesprächen oder Interviews, wie zum Beispiel mit Journalisten.

Was heißt »modern zu sein«? Anfang Mai 2006 unterhielt ich mich mit zwei Yawanawa der Gemeinschaft Nova Esperança am Fluss Gregório per MSN Messenger, die wie bereits erwähnt seit September 2004 dank des Projektes Rede Povos da Floresta Internet haben. Mit Hilfe dieses Projekts sind die Yawanawa gerätemäßig gut ausgestattet. Bei diesem Internetgespräch war es mir peinlich, als plötzlich meine Yawanawa-Gesprächspartner mich zu einer Videokonferenz einluden, ich aber keine Internetvideokamera besaß. In diesem Moment prallten zwei Welten regelrecht aufeinander und ich fragte mich wer da modern ist und wer nicht. Sie waren enttäuscht, als sie erfuhren, dass ich keine Internetkamera zur Verfügung hatte und es mag für sie etwas unverständlich gewesen sein, dass ich keine Webkamera hatte. Ich konnte sie sehen, sie mich aber nicht. Wir führten das Gespräch trotzdem fort. Obwohl ich bereits von ihrer Ausstattung wusste und bereits per Chat mit ihnen kommuniziert hatte, war es ungewöhnlich, meine Bekannten in ihrem Dorf über das Internet zu sehen. Diese Verwunderung lässt sich meines Erachtens aber durch die Möglichkeit erklären, dass ich durch eine neue Technologie mit einer abgelegenen Gegend des Amazonasgebietes verbunden sein kann. Umso mehr war es mir für einen Augenblick peinlich, aus einer Kultur zu kommen, welche diese ganzen technischen Ausrüstungen produziert, und trotzdem in der gegebenen Situation technisch »hinterher hinkte«. Gleichzeitig musste ich an die Menschen in Deutschland denken, die das Internet noch nicht zu nutzen wissen und erneut war ich mit der Frage konfrontiert: »Was heißt es, modern zu sein«? Jedenfalls nutzen die von westlichen Kulturen so lang als »primitiv« bezeichneten Gruppen (wenn auch noch in geringer Zahl) mehr und mehr

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die Vorteile der heutigen Kommunikationsmethoden. Und sie tun es mit Stolz, ohne dabei ihre indigene Identität aufgeben zu müssen.

Tashka: Der Jäger mit dem Laptop Der Yawanawa Joaquim Tashka ist 37 Jahre alt und hilft von der Stadt aus seiner Gemeinschaft am Fluss Gregório in Acre. Er selber sagt seiner Gruppe, dass wenn er Pfeil und Bogen in die Hände nähme, er nicht viel für seine Gemeinschaft tun könnte, da er kein guter Jäger sei. Mit einem Laptop in den Händen würde er indessen mehrere Projekte initiieren können, die für seine Gemeinschaft nützlich sind. Dank des Internets ist er in laufender Verbindung mit hilfreichen Menschen und Organisationen in Brasilien und der ganzen Welt und somit ständig im Einsatz für die Rechte seiner Ethnie. Von Bedeutung ist in diesem Zusammenhang auch ein Hinweis auf das Leben von Tashka, damit verständlicher wird, wie er zu einem so genannten »modernen« Indigenen wurde, oder besser ausgedrückt: ein für Neue Medien begeisterter Yawanawa. Es begann damit, dass ein älterer Bruder von Tashka seine Gemeinschaft in den 1980er Jahren verließ, um nach Rio Branco, der Hauptstadt Acres zu gehen. Zu dieser Zeit vollzog sich ein bedeutender politischer Umbruch in Brasilien, als Indigene und Schwarze sowie sozial Benachteiligte begannen, verstärkt gegen die Ungerechtigkeiten zu kämpfen, die sie praktisch seit den Kolonialzeiten ertragen mussten.5 Die Indigene Bewegung wurde stark und bekam Unterstützung von verschiedenen Organisationen aus dem In- und Ausland. Nachdem sein Bruder in der Stadt für die Indigenen politisch aktiv wurde, folgte ihm Tashka als 8jähriges Kind nach. Er erzählte mir, dass sie manchmal nichts zu essen hatten. Hilfe bekam er von einer Kirche der so genannten Pfingstbewegung,6 konnte dadurch die Schule besuchen und wurde mit 18 Jahren fast Pastor. Er erzählt, dass er von Terri Valle de Aquino, in Acre als Txai Terri bekannt, zum Umdenken gebracht worden sei – einem brasilianischen Ethnologen, der sich für die Rechte der Indigenen seit Ende der 1970er Jahre einsetzt. Dieser habe ihm die Augen geöffnet und gefragt, was er 5

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Dank der Unterstützung einiger Institutionen organisieren sich die brasilianischen Indigenen seit den 1970er Jahren mehr und mehr. Müde von der Ausbeutung und zerstörerischen Assimilierungsversuchen der Landespolitik äußern sie seitdem ihre Ansprüche auf eigenes Land, soziale Anerkennung und Rechte als Indigene weiter existieren zu können (Rathgeber 1992: 35; Fernandes Ferreira 2002: 47ff). Hertkorn (1996: 7ff.) definiert Pfingstbewegung als eine »Sammelbezeichnung für heute weltweit verbreitete dogmatische, nicht einheitliche christliche Gruppen […]«. 136

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mit seinem Leben und seiner Zukunft anfangen wollte. Laut Tashka zeigte ihm Terri, dass es einen Weg gäbe, der seine Gemeinschaft und seine Kultur stärken könnte. Die Gespräche mit dem Ethnologen sollten eine Wende in seinem Leben auslösen. Später leitete er, mit der Unterstützung von CPI/AC,7 verschiedene Projekte, um seine Gemeinschaft und Kultur zu stärken. Bewegt durch den Rat Terris wählte Tashka den Weg zur Rückkehr zu seiner Kultur und zur Förderung seiner Gemeinschaft. Seitdem verstehe er sich als Brücke zwischen den Yawanawa und der nichtindigenen Welt und als jemand, der den Kampf um die Existenz seiner Gemeinschaft und seiner Kultur als Mittelpunkt seines Lebens sieht, so Tashka. Der Indigenitätsprozess ist in diesem Fall erkennbar, in dem Mitglieder einer indigenen Gruppe es zusammen mit einer NGO schaffen, ihre Ethnizität aufzubauen und so zu festigen, dass daraus auch ein Widerstandsprozess entsteht.8

D a s I n t e r n e t a ls K u l t u r s t ä r k e n d e s M e d i u m Das Internet bringt nicht nur Verbesserungen in der Kommunikation mit der Außenwelt, sondern führt auch zu internen Veränderungen im Umgang der Gemeinschaften mit ihrer eigenen Kultur. Aldaiso und Tashka Yawanawa zum Beispiel erwähnten in einem Interview, dass sie an dem Tag, als sie das Internet in der Gemeinschaft benutzen konnten, das Gefühl hatten, nicht mehr isoliert, sondern mit tausenden anderen Menschen in Verbindung zu sein. Sie berichteten ebenfalls, dass als die Mitarbeiter der NGO CDI aus Rio de Janeiro das Internet in ihrem Dorf installierten und dies filmten, erfüllte es die Gemeinschaftsbewohner mit Stolz, als sie erfuhren, dass dieser Beitrag in einer der bekanntesten Sendungen des brasilianischen Fernsehens gezeigt werden würde, beim Fantástico des Senders Rede Globo.9 »Die Bewohner konnten es kaum glauben, dass 7

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Die NGO CPI/AC (Comissão Pró-Índio do Acre) führt seit 1979 verschiedene Projekte mit indigenen Gruppen aus dem Bundestaat Acre und dem Nordwesten Brasiliens durch. Für Tashka und die CPI/AC handelt es sich um das Bemühen, die indigene Kultur zu stärken und zu fördern (vgl. Ramos 1998). Eine genaue Untersuchung über den Prozess der Wiederentdeckung von indigener Identität würde den Rahmen dieser Arbeit aber sprengen. Der Fernsehbeitrag Tribo na Rede (»Stamm im Netz«) über die Aneignung des Internet durch Yawanawa- und Ashaninka-Gemeinschaften wurde am 14. September 2003 ausgestrahlt. Siehe http://fantastico.globo.com/Jorna lismo/Fantastico/0,,AA923949-4005-0-0-14092003,00.html vom 23. Dezember 2006. 137

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über sie in dieser Sendung berichtet werden würde und dass ganz Brasilien es sehen könnte«, so Aldaiso.10 Außerdem sollen einige Yawanawa, die früher nicht so stolz auf die eigene Kultur waren, ihre Meinung geänderte haben, als Verwandte in andere Städte, Bundesstaaten oder sogar ins Ausland reisten, um die Yawanawa-Kultur der nicht-indigenen Gesellschaft zu präsentieren und Fotos von ihren Präsentationen oder den Events per E-Mail schickten. Sie wurden selbstbewusst, als sie sahen, dass sich andere für ihre Kultur interessierten. Nach Aldaiso führt die Möglichkeit, anderen ihre Kultur darstellen zu können, insgesamt zu einer Bestärkung ihrer Kultur und ändert ebenso die Wahrnehmung gegenüber der eigenen Gruppe – die lange Zeit unter Diskriminierung und Unterdrückung durch die nicht-indigene Kultur litt. Das Internet ist nicht die erste Kommunikationstechnologie, zu der die Ashaninka und die Yawanawa Zugang hatten. Bereits vor dem Internet machten beide Gemeinschaften Gebrauch von Batterieradios, Funkradios, Fernseher,11 Videokameras oder Satellitentelefon.12 Insofern stellt

10 Einige meiner Bekannten und Verwandten berichteten über diese Sendung und gaben mir den Hinweis, dass ich die Wiederholung im Internet anschauen könnte. 11 In beiden Gemeinschaften wurde das Fernsehen allerdings verbannt und wird nur für die Vorführung von Filmbeiträgen eingesetzt, die für die Gruppe von Interesse sind, wie zum Beispiel ihre eigene Filme oder Beiträge, die von anderen indigenen Gruppen produziert werden. Die Fernsehsendungen, die sie mittels einer Parabolantenne empfangen konnten, wurde als schädigend für den Alltag und das kulturelle Leben angesehen und bewertet, da es ihnen nicht mehr erlaubte, einige ihrer alltäglichen kulturelle Praktika (wie das Erzählen von Geschichten) nachzugehen, sondern das Gerät hielt sie fest mit einem Programm, das mit ihren kulturellen Werten und Alltagsrealität wenig zu tun hatte. Dies könnte sich ändern, wenn die brasilianischen Indigenen mehr Einfluss auf den Inhalt der gesendeten Fernsehprogramme haben würden und es an sie gerichtete Programme geben würde. In ihrem Artikel Screen Memories – Resignifying the Traditional in Indigenous Media berichtet Ginsburg (2002) über die Entwicklung des Inuit-Fernsehens in Kanada und des Aborigenes-Fernsehens in Australien. In Kanada zum Beispiel wurde das Aboriginal Peoples Television Network (APTN) im Jahr 1999 gegründet, einem durch öffentliche Mittel geförderten Sendenetz und durch die kanadischen Aboriginal Peoples geleitet. Vielleicht werden auch die brasilianischen Indigenen in einer ferneren Zukunft, die Möglichkeit bekommen, ihren von öffentlichen Mitteln geförderten Fernsehsender zu leiten. Durch die rege Produktion von Dokumentarfilmen über ihre eigenen Kulturen, sind sie meines Erachtens auf dem besten Weg dahin. 138

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das Internet ein zusätzliches Mittel im Leben ihrer Gemeinschaft dar. Der Ashaninka Isaac Piyãko erklärt: »Esse sistema de comunicação via internet não é novidade. É uma conseqüência do ocorrido há mais de 4 séculos, quando o nosso povo recebeu a primeira faca industrializada pelo o [sic] homem ›branco‹. Desde então as conseqüências do contato e entrada de objetos não pertencentes a nossa cultura só aumentou, assim como outras religiões e costumes. Nunca mais vivemos completamente de acordo com nossa cultura devido a estas influências todas« (CPI/AC o.D.).13

Um die Bedeutung des Internet für indigene Gemeinschaften weiter zu erläutern, werde ich im Folgenden über die Aneignung des Internet durch die Ashaninka-Gemeinschaft Apiwtxa am Fluss Amônia sprechen, wo ich einen Teil meiner Feldforschung durchführte.

Die Nutzung des Internet im Ashaninka-Dorf Apiwtxa Während meiner ersten Feldforschung in Acre, im Januar/Februar 2004, als ich den jungen Ashaninka-Anführer und Lehrer Isaac Piyãko kennen lernte, fragte ich ihn, ob eine Feldforschung in seinem Gebiet möglich wäre. Er lehnte dies ab, vor allem wegen der immer größer werdenden Konflikte mit peruanischen Holzabbaufirmen, die in seinem Gebiet illegal Edelholz abholzten, über die ich auf Seite 150 und 177 berichten werde. Außerdem gab er zu bedenken, dass das Internet gerade erst seit September 2003 im Dorf installiert wurde und die Gemeinschaft deshalb noch nicht so viel über die Nutzung berichten könnte. Es war eine lange Prozedur, bis ich die Erlaubnis bekam. Erst 2005 erhielt ich die Einwilligung Isaacs, im Ashaninka-Dorf Apiwtxa die Präsenz des Internet zu erforschen. Zu dieser Zeit hatten sich die Konflikte mit den Peruanern beruhigt; auch kannte Isaac mich und mein Forschungsvorhaben besser.

12 Das Satellitentelefon wurde von den Yawanawa nach wenigen Monaten Nutzung wegen der hohen Kosten abgeschafft. 13 »Dieses Kommunikationssystem ist für uns nichts Neues. Es ist die Konsequenz vom dem, was bereits mehr als vier Jahrhunderte stattfand, als unser Volk das erste industrialisierte Messer aus den Händen des ›weißen‹ Mannes bekam. Seitdem erhöhten sich nur die Folgen der Begegnung und Einfuhr von Objekten, die unserer Kultur nicht gehören sowie anderer Religionen und Bräuche. Wir lebten nie mehr ganz nach unserer Kultur aufgrund all dieser Einflüsse«. 139

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Nachdem ich im März 2005 vier Wochen im Ausbildungszentrum Centro de Formação dos Povos da Floresta forschte und den Ausbildungskurs für indigene Lehrer begleitet hatte, reiste ich am 27. März 2005 in die Ashaninka-Gemeinschaft Apiwtxa am Fluss Amônia, um die dortige Internetnutzung zu untersuchen. Bereits am 26. März reisten viele Indigene zurück in ihre Gebiete. Einige von ihnen benötigen sogar mehr als eine Woche, um ihr Dorf zu erreichen.

Die Reise nach Apiwtxa Am 27. März reiste ich zusammen mit fünf Peruanern (zwei Mitarbeiterinnen einer peruanischen NGO und drei peruanischen Ashaninka) in Richtung Cruzeiro do Sul ab.14 Sie kamen am 25. März im Ausbildungszentrum an und wollten bis zu dem Ashaninka-Gebiet am Fluss Amônia fahren, um Erfahrungen auszutauschen und die Lage der Ashaninka in diesem Gebiet kennen zu lernen. Die brasilianischen Ashaninka, die im Ausbildungskurs waren, würden ein paar Tage später in ihr Gebiet reisen. Der Ashaninka-Anführer Isaac Piyãko, seine Frau Fátima und sein Bruder Bebito hatten in der Stadt noch verschiedene Dinge zu erledigen. Sie baten mich darum, die Peruaner bis zum Ashaninka-Dorf Apiwtxa am Fluss Amônia zu begleiten, da diese kein Portugiesisch sprachen. Ich konnte den peruanischen Besuchern mit meinen Portunhol-Kenntnissen helfen.15 Nach Angaben von Malu, einer Mitarbeiterin des CPI/AC, sollte ich den Peruanern helfen, so schnell wie möglich nach Apiwtxa zu gelangen, da sie dort nur vier bis fünf Tage Zeit haben würden. Wir mussten also so schnell wie möglich ein Boot finden. Bebito würde ebenso in Cruzeiro do Sul sein und mir helfen, einen Bootsfahrer zu finden, der uns in das indigene Gebiet bringen konnte. Montagmorgen, am 28. März, standen wir sehr früh auf und machten uns auf den Weg zum Hafen, wo wir ein kleines Motorboot buchen würden, das uns ins Ashaninka-Gebiet fahren konnte. Ich war etwas gespannt, da ich den Peruanern helfen und für Transport und Organisation der Reise sorgen musste. Letztendlich hat alles geklappt. Bebito war mit 14 Es wächst die Idee eines Austausches zwischen der Ashaninka in Brasilien und Peru, da Regierungsprojekte und Holzfirmen unter anderem Bedrohungen für ihre Gemeinschaften mit sich bringen. Die brasilianischen Ashaninka zum Beispiel leiden an Invasionen peruanischer Holzfirmen in ihre Gebiete und zum Teil arbeiten peruanische Ashaninka für einen Hungerlohn für diese großen Holzunternehmen. 15 Portunhol ist eine Mischung zwischen Portugiesisch und Spanisch. So nennen die Brasilianer ihre knappen Spanischkenntnisse. Es reicht gerade, um sich auf Spanisch zu verständigen. 140

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seiner Schwester Alexandrina kurz vor 9:00 im Hafen und beriet uns beim Aussuchen des Bootsfahrers sowie des Bootes. Der Bootsfahrer sollte Erfahrung haben und den Weg zum Ashaninka-Dorf kennen. Laut Bebito sollten wir die unerfahrenen Bootsfahrer meiden, da es gefährlich sein kann, eine derartige Reise in einem kleinen schmalen Motorboot über zwei Tage zu unternehmen. Sie müssen den Fluss gut kennen, da dieser an vielen Stellen flach ist und Baumstämme den Wasserweg behindern können. Vor Bebitos Ankunft trafen wir zwei Fahrer, die den Weg zu kennen meinten. Wir verhandelten den Preis und hatten zwei Angebote. Bebito beriet uns, den älteren Fahrer zu nehmen, der bereits einmal in das Gebiet gefahren war. Der andere würde alles für R$ 400,00 Reais (circa € 130,00) machen, war aber unerfahren und noch nie in dem Gebiet gewesen. José, der erfahrene Bootsfahrer, würde für R $ 500,00 Reais (circa € 160,00) fahren und für jeden Tag, den er in Apiwtxa bliebe, R$ 50,00 Reais erhalten. Ich riet den Peruanern, dieses Angebot anzunehmen, auch weil die Anwesenheit des Bootfahrers im Dorf die Sicherheit bot, ein festes Abreisedatum einhalten zu können. Nachdem wir 20 Liter Wasser, Kekse, Obst und andere Nahrungsmittel gekauft hatten, reisten wir Richtung Apiwtxa zunächst auf dem Fluss Juruá bis Marechal Thaumaturgo und dann auf dem Fluss Amônia bis zum Ashaninka-Dorf. Wir reisten den ganzen Tag bis zum Sonnenuntergang (circa 18:30). Am ersten Abend übernachteten wir in einem kleinen Dorf namens Porto Walter. José suchte einen Schlafplatz im Dorf für uns. Für den Preis von R$ 10,00 Reais (circa € 3,00) konnten wir bei einer katholischen Nonnenschule übernachten. Wir standen am nächsten Tag um 5:30 auf und reisten um 6:00 weiter mit der Hoffnung, noch am Dienstagabend in Apiwtxa gegen 18:30 vor Einbruch der Dunkelheit anzukommen. Mit einem kleinen Motorboot braucht man circa zwei bis zweieinhalb Tage bis zum Ashaninka-Dorf. Schnellere Boote, mit denen man schon an einem Tag, wenn alles gut läuft, das Ashaninka-Dorf erreichen kann, kosten wegen ihrer hohen Miete (circa R$ 1000,00 = € 327,00) und dem hohen Benzinverbrauch doppelt so viel. Am zweiten Tag waren wir den ganzen Tag ohne Unterbrechung unterwegs. Wir schafften es aber nicht, vor der Dunkelheit in Apiwtxa anzukommen. Um 16:30 Uhr erreichten wir das Dorf Marechal Thaumaturgo, entschieden uns aber, die Reise fortzusetzen. Bis Apiwtxa würden es noch drei bis vier Stunden Fahrt sein. Wir hatten die Hoffnung, dass der Mond genug Licht geben würde. Als es Abend wurde, war es jedoch stockfinster und wir konnten nicht einen Meter weit sehen. Verzweifelt griffen wir zu unseren kleinen Taschenlampen und versuchten auf diese Weise José, dem Bootsfahrer, zu helfen. Dies half aber nicht. José fuhr

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im Schritttempo weiter, um Gefahren auf dem Wasser zu meiden. Es war zu gefährlich, weiter zu reisen, da Sandbänke und umher treibende Baumstümpfe nicht mehr zu erkennen waren. Mit viel Glück fand José ein größeres überdachtes und leeres Boot (ein Batelão, ein typisches Schiff im Amazonasgebiet), das von der Verwaltung eines kleinen Ortes am Fluss Amônia benutzt wurde. Froh über Josés Fund stiegen wir um, hingen unsere Hängematten in diesem Boot auf und übernachteten dort. Mit dem Anbruch des nächsten Tages wachten wir auf und fuhren weiter Richtung Apiwtxa. Jetzt brauchten wir nicht mehr lange bis zum Ashaninka-Dorf, das wir um 7:00 Uhr Morgens erreichten. Dort sprachen wir mit dem jungen Ashaninka-Anführer Moisés Piyãko und er brachte uns zu dem Platz, wo wir schlafen sollten.16 Meine Forschung im Ashaninka-Dorf Apiwtxa dauerte vom 30. März bis zum 15. April 2005. Trotz dieses kurzen Aufenthaltes konnte ich ihren Alltag beobachten und die Art und Weise der Nutzung des Internet durch Mitglieder ihrer Gemeinschaft erfassen. Auch hatte ich es übernommen, einigen Ashaninka Computer- und Internetkenntnisse beizubringen – dies war meine Abmachung mit Isaac Piyãko. Es war von vornherein klar, dass ich in zwei Wochen nicht allzu viel würde vermitteln können. Aber es war durchaus eine Hilfe für sie. Der Tagsablauf in Apiwtxa sah wie folgt aus: Tagsüber empfingen die Ashaninka-Anführer oft ihre Besucher, wie z. B. die peruanischen Ashaninka der Regionen Ene, Tambo, Alto Perene, die vier Tage lang Apiwtxa besuchten, um die Gemeinschaft kennen zu lernen, oder auch Mitarbeiter anderer Institutionen wie zum Beispiel des WWF (World Wide Fund for Nature), die den Ashaninka ein Aufforstungsprogramm vorschlagen wollte.17 Darüber hinaus hielten sie ihre Sitzungen mit Ashaninka der angrenzenden peruanischen Gemeinschaften ab. Daneben mussten sie ihrer alltäglichen Arbeit nachgehen, wie der Pflege ihrer Felder und der Jagd.

16 Man darf nicht unerlaubt in indigene Gebiete in Brasilien reisen. Zuerst muss ein Antrag bei der brasilianischen Indigenenbehörde FUNAI beantragt werden (Bearbeitungszeit des Antrages: Mindestens sechs Monate) und es ist ebenso die Erlaubnis der Ethnie notwendig. 17 Die Assistentin der peruanischen Ashaninka berichtete mir über Aufforstungsprogramme des WWF in Peru, die letztendlich nur an den Erträgen der Holzwirtschaft interessiert sind und den indigenen Gemeinschaften selbst keine Vorteile bringen. Die brasilianischen Ashaninka zeigten kein Interesse an einer Zusammenarbeit, mit der Begründung, dass sie zuerst an der Lösung der Probleme mit peruanischen Holzfirmen interessiert sind, die in ihrem Gebiet illegal abholzen. 142

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Die Ashaninka – ein ethnographischer Einblick Die Ashaninka, durch Nicht-Indigene ursprünglich »Kampa« genannt, leben in Peru und Brasilien (im Bundesstaat Acre) und gehören der Sprachfamilie Aruak (auch Arawak genannt) an. Sie zählen zu der Gruppe Aruak der Sub-Anden-Region, welche neben den Ashaninka die Matsiguenga, die Nomatsiguenga, die Yanesha (oder Amuesha) und die Piroangehören (Mendes 1991: 9; Pimenta 2002: 18). Der größte Teil der Ashaninka-Bevölkerung lebt in Peru mit einer geschätzten Bevölkerungszahl von circa 50.000 Personen.18 Sie bewohnen Teile des Flussbeckens des Urubamba, Ene, Tambo, Alto Perene, Pachitea, Pichis, Alto Ucayali, und der Regionen von Montaña und Gran Pajonal (Mendes 1991: 9; Pimenta 2002: 20). Die brasilianischen Ashaninka stammen aus Peru und es wird angenommen, dass sie am Ende des 19. Jahrhunderts auf der Flucht vor den peruanischen Kautschukbaronen in das heutige brasilianische Gebiet auswanderten. Heutzutage leben die Ashaninka in Brasilien am Fluss Juruá und an seinen Zuflüssen: Amônia, Breu, Envira und am kleinen Fluss Primavera auf fünf Gebiete verteilt: • Indigenes Gebiet der Ashaninka am Fluss Amônia, angrenzend an den Nationalpark Serra do Divisor, rechtskräftig anerkannt, mit 87.205 ha; • Indigenes Gebiet der Ashaninka am Fluss Primavera, mit 21.987 ha; • Indigenes Gebiet der Ashaninka und isoliert lebende Indigene am Fluss Envira, mit 232.795 ha, wo auch Gruppen der Indigenen Amahuaka leben (historische Feinde der Ashaninka, die den Kontakt mit Indigenen und Nicht-Indigenen vermeiden); • Indigenes Gebiet Kashinawa/Ashaninka do Rio Breu, mit 31.277 ha; • Indigenes Gebiet Jaminawá/ Envira mit 80.618 ha; dort leben auch Gruppen der Kulina und Jaminawa. (Pimenta 2002: 20-21; CPI/AC)

18 Die Zahlenangabe über die Ashaninka-Bevölkerung Perus variiert stark. Pimenta (2002: 21) erwähnt eine Bevölkerungszahl zwischen 10.000 und 50.000 Personen (vgl. INEI 1997). 143

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Abbildung 13: Ashaninka-Gebiete in Brasilien (Bundesstaat Acre)

Von mir bearbeitete Landkarte des ZEE (Zoneamento Ecológico Econômico do Acre) publiziert von der Regierung des Bundesstaates Acre, Oktober 1999. In Brasilien leben schätzungsweise 869 Ashaninka (CPI/AC Stand 2004; Pimenta 2005b). Laut der Comissão Pró-Índio do Acre (CPI/AC) zählten die Ashaninka am Fluss Amônia im Jahr 2004 circa 472 Individuen, also etwa die Hälfte der Ashaninka-Bevölkerung, die auf brasilianischem Gebiet lebt. Mehr als 80% der Ashaninka am Fluss Amônia wohnt gemäß Pimenta (2002: 24) in der Gemeinschaft Apiwtxa oder in der Nähe. Bevölkerungszahl der Ashaninka in Brasilien: • Ashaninka-Gebiet am Fluss Amônia: 472 Personen • Ashaninka-Gebiet am Fluss Breu: 114 Personen • Ashaninka-Gebiet am Fluss Primavera: 21 Personen • Ashaninka-Gebiet am Fluss Envira: 262 Personen (Pimenta 2005b) Der Kontakt zwischen den Ashaninka und der nicht-indigenen Gesellschaft fand im Laufe der Jahrhunderte je nach Region unterschiedlich statt. In Peru zum Beispiel wurden einige Gruppen seit Ende des 16. Jahrhunderts im Zuge der Missionierungsarbeit des kolonialen Regimes kontaktiert, während andere Gruppen erst am Ende des 19. Jahrhunderts in der Periode der Kautschukgewinnung mit der nicht-indigenen Gesellschaft in Verbindung kamen (Pimenta 2002: 21; Mendes 1991: 11).

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Die Ashaninka in Brasilien und die Gemeinschaft Apiwtxa Laut Pimenta (2002: 106-108) und Mendes (1991: 17-19, 38) ist es schwierig, die Geschichte der Besiedlung der Ashaninka in Brasilien genau festzustellen. Die Informationen über die regionale Historiographie sind rar und liefern wenig Hinweise über die Präsenz der Ashaninka auf brasilianischem Gebiet. Nach Reiseberichten sollen sich die Ashaninka bereits am Ende des 17. und Anfang des 18. Jahrhunderts in diesem Gebiet bewegt haben. Die Ashaninka-Bevölkerung am Fluss Amônia soll aus verschiedenen Gebieten stammen, als Ergebnis mehrerer aufeinander folgender Wanderungsbewegungen. Ihr Gebiet wurde im Juni 1992 demarkiert und am 23. November 1992 rechtsmäßig anerkannt. Es umfasst 87.205 ha Land. Das Gebiet grenzt an das Reserva Extrativista do Alto Juruá (Naturreservat Alto Juruá) und ist reich an Wild, Fisch und Edelholz. Da es nur am unteren Teil des Flusses Amônia Kautschukbäume gab, das heißt von der Ortschaft Marechal Thaumaturgo bis zu den kleinen Nebenflüssen Artur und Montevidéu, blieben die Weißen wegen mangelnden Kautschuks den Fluss aufwärts liegendem Gebiet bis in die 1970er Jahre fern (Pimenta 2002: 114). Aufgrund einer politisch motivierten strategischen Entscheidung, um Nicht-Indigene am Eindringen auf ihr Gebiet zu hindern, zogen die Ashaninka zwischen 1994 und 1996 in Richtung des Zuganges des Gebietes am unteren Fluss Amônia,19 was zur Gründung des Ashaninka-Dorfes Apiwtxa im Jahr 1995 führte (Pimenta 2002: 347-348). Den Ashaninka am Fluss Amônia gelang es, ihre Sprache aufrechtzuerhalten. Die Erwachsenen, so Pimenta (2002: 44), sind fast alle zweioder sogar dreisprachig, da viele von ihnen aufgrund der geographischen Lage ihres Wohngebietes auch Spanisch sprechen. Die PortugiesischKenntnisse der Bewohner Apiwtxas variieren, was ich ebenfalls während meiner Forschung dort feststellen konnte. Portugiesisch wird nur in den Gesprächen mit Nicht-Indigenen gesprochen und von den meisten Bewohnern auch nur gebrochen. Diejenigen, die am häufigsten Kontakt mit der nicht-indigenen Gesellschaft haben, sprechen am besten Portugiesisch, wie zum Beispiel die Töchter und Söhne des Stammesanführers 19 Der Fluss Amônia, an dem sich das indigene Gebiet der AshaninkaGemeinschaft Apiwtxa befindet, entspringt auf peruanischem Gebiet. Während der Regenzeit (von Oktober bis März) dauert die Fahrt von Apiwtxa bis zur nächsten Ortschaft, Marechal Thaumaturgo, bis zu einer Stunde mit einem schnellen Motorboot. In ungekehrter Richtung dauert die Fahrt wesentlich länger, da man flussaufwärts fährt. 145

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Antônio Piyãko und der Lehrer Komayare. Ein wichtiger Faktor hier ist ebenfalls die Tatsache, dass Antônios Frau, Dona Piti, eine Nicht-Indigene ist und ihre Kinder in portugiesischer Sprache erzog.

Der Kontakt mit Nicht-Indigenen in den 1970ern Die Zunahme der nicht-indigenen Bevölkerung in den benachbarten Kautschukfarmen in den 1970er Jahren führte zu einem weiteren Bedarf an Arbeitskräften, zum Beispiel um die Ortschaften mit Nahrungsmitteln und anderen Produkten zu versorgen. Obwohl die Ashaninka am Fluss Amônia laut Pimenta nicht unmittelbar an der Kautschukgewinnung teilnahmen, beteiligten sie sich indirekt an der Kautschukwirtschaft mit dem Angebot von Arbeitskräften, die von weißen Vorgesetzten angestellt wurden. Die Hauptaktivität der Ashaninka bis in die 1970er Jahre bestand in der Tierjagd, die sowohl Fleisch als auch Haut oder Fell lieferte und für die sie im Gegenzug Waren eintauschten (Mendes 1991: 43-44; Pimenta 2002: 116-117). Zunächst litten die von den Städten und Landstraßen weit entfernt lebenden Ashaninka nicht direkt unter der Wirkung der Expansion der Land- und Viehwirtschaft, die die »zweite Conquista« des brasilianischen Bundesstaates Acre in den 1970er Jahren bedeutete. Auch wenn die Großgrundbesitzer aus dem südlichen Teil Brasiliens mehrere Kautschukfarmen am Alto Juruá kauften, um dann dort Viehzucht zu betreiben, blieb der Fluss Amônia von dieser Expansionswelle weitgehend verschont, obwohl auch seine Ufer unter der Abholzung für die Viehwirtschaft litten (Pimenta 2002: 137). Einige Ashaninka-Familien arbeiteten für weiße Vorgesetzte auf Farmen, auf Plantagen oder bei der Rodung der Felder für die Viehwirtschaft. Mit dem Verfall der Kautschukwirtschaft und der daraus resultierenden Suche nach neuen Möglichkeiten erhöhte sich der Holzabbau am Fluss Amônia. Dieser entwickelte sich in den 1970er Jahren und verstärkte sich in den 1980ern, was zum Anstieg des Kontaktes der Ashaninka mit der nicht-indigenen Bevölkerung dieser Region führte. Der Reichtum an Edelholz, vor allem in den von den Ashaninka bewohnten Gebieten, gab dem Fluss Amônia den regionalen Namen »Fluss des Holzes«. Die Steigerung des mechanisierten Holzabbaus in großen Mengen in den 1980er Jahren führte zu katastrophalen Folgen für die Umwelt und die einheimische Bevölkerung. Nach Pimenta (2002: 137) schädigte die Holzwirtschaft in extremer Weise die soziale Organisation und Kultur der Ashaninka am Fluss Amônia, die gezwungen waren, für die Großgrundbesitzer zu arbeiten und auch, wie viele weiße Siedler, zu einfachen

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Arbeitskräften wurden. Die Ashaninka wurden zum Anlegen von Waldwegen eingesetzt und zum Auffinden und Fällen von Edelholz. Für einen Edelholzstamm erhielten sie ein Kilo Salz oder ein Stück Seife (Pimenta 2002: 139-140). Vor allem die Firma Marmude Cameli Ltda war für die Schäden verantwortlich, die der Umwelt und der Bevölkerung der Ashaninka bei jedem Invasionsschub durch den Abbau von Edelholz in industriellen Maßstäben zugefügt wurden. Der Ethnologe José Pimenta (2002: 142-146; vgl. Mendes 1991: 45) berichtet, dass mehr als ¼ des indigenen Gebietes am Fluss Amônia direkt oder indirekt unter dem intensiven Holzabbau litt, was das Leben der Ashaninka dramatisch veränderte. Die am stärksten betroffenen Gegenden befinden sich zwischen den kleinen Flüssen Taboca, Revoltoso und Amoninha, wo zwischen den Jahren 1981, 1985 und 1987 drei maschinengestützte Abholzungsaktionen stattfanden, die circa 80 Kilometer lange Schneisen in den Wald schlugen. Ende der 1980er bis Anfang der 1990er Jahre erreichten die Konflikte zwischen Ashaninka und Weißen ihren Höhenpunkt. In den 1980er Jahren griffen die Siedler die Piyarentsi-Feste20 an, machten die Ashaninka mit Alkohol betrunken und vergewaltigten die Frauen. Die Musik und der Tanz der Ashaninka wurden von den Weißen verachtet, die ihre Kassettenrekorder mitbrachten und die Indigenen dazu zwangen, sich ihren musikalischen Vorlieben zu zuwenden und sie zu übernehmen (Pimenta 2002: 147). Gemäß Pimenta beschrieben die Ashaninka diese Zeit als eine »Zeit von Mangel und Hunger«, im Gegensatz zu jenen Zeiten, in denen sie im Überfluss und isoliert von den Weißen am Fluss Amônia lebten. Wegen der Präsenz der Weißen wurden die Piyarentsi-Feste und Kamarãpi-Rituale21 seltener durchgeführt. Einige Ashaninka hörten auf, die Kushma22 zu tragen und zogen westliche Kleidung an. Auch ihre Sprache wurde von den Weißen diskriminiert. Die Ashaninka-Kultur litt nach Pimenta (2002: 147) sehr unter der Präsenz der Weißen in ihrer unmittelbaren Nähe. Kulturelemente wie Pfeil und Bogen sowie ihre traditionellen Hüte verschwanden beinahe gänzlich. Des Weiteren sorgte der intensive Kontakt mit den Weißen für die Verbreitung von Krankheiten wie Grippe, Lungenentzündung, Keuchhusten, Masern, Hepatitis, Typhus, Cholera und anderen, was zu vielen Todesfällen führte.

20 Piyarentsi: Ritual, das normalerweise an den Wochenenden gepflegt wird und bei dem Kaissuma, ein fermentiertes Maniokgetränk, in großen Mengen konsumiert wird. 21 Kamarãpi: Ayahuasca. Trunk mit halluzinogener Wirkung, die durch die Mixtur der Liane banisteriopsis caapi mit dem Blatt psychotria gewonnen wird (Pimenta 2002: 27). 22 Kushma: Traditionelle Kleidung der Ashaninka. 147

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Obwohl die Ashaninka von dieser »Zeit des Holzes« als eine schwierige und unruhige Zeit berichten, heben sie hervor, dass gerade diese Periode sie dazu brachte, sich zu organisieren und ihre Gruppe im Kampf für ihre Rechte zu vereinen. In diesem Prozess, so Pimenta (2002: 149), sei der Kampf um die Anerkennung ihres Gebietes ein entscheidender Moment gewesen, der es ihnen ermöglichte, sich von den weißen Vorgesetzten loszusagen und ihre Freiheit wiederzuerlangen. Seit Mitte der 1980er Jahre schlossen sich die Ashaninka am Fluss Amônia der indigenen Bewegung Acres an, als der Holzabbau in der Region seinen Gipfel erreichte. José Pimenta berichtet, dass in diesem Kontext das Eingreifen der FUNAI, der brasilianischen Indigenenbehörde, als eine neue Epoche betrachtet wurde – und zwar als »Zeit der indigenen Rechte«, die durch politische Bewusstseinsbildung, territorialen Kampf und die Vertreibung der Weißen gekennzeichnet war. Anfang 1985 zum Beispiel kam eine Gruppe der FUNAI aus Brasília nach Apiwtxa, um die Arbeit an der Festlegung der Grenzen und der Anerkennung des Ashaninka-Gebietes, die im Jahr 1978 begonnen hatte, fortzusetzen (Pimenta 2002: 152). Um sich von den Holzbaronen zu befreien, gründeten die Ashaninka dann 1989 eine Kooperative, die bereits im Jahr 1987 ihre Tätigkeit aufnahm (Mendes 1991: 44-46).23 Des Weiteren wurde eine Reihe von Verboten von der Ashaninka-Gemeinschaft zum Schutz ihrer Gruppe und ihrer Lebensgrundlagen festgelegt, wie zum Beispiel für das Fällen von Holz, das Jagen zu kommerziellen Zwecken und mit Hunden oder die Präsenz von Weißen bei den Ritualen des Piyarentsi. Diese Verbote wiederum führten zum Anstieg der Feindseligkeiten mit den Siedlern aus der Region, die begannen, Lügen über die Familie Piyãko als Hauptanführer der Kooperative zu verbreiten mit dem Versuch, die Ashaninka-Anführer mit der Linksguerrilla und dem Kokainhandel in Verbindung zu bringen und zu verunglimpfen.24

23 Vor allem beschäftigen sich die Ashaninka mit der Produktion von Handarbeiten wie Taschen, Ketten, Ashaninka-Kleidung, Pfeil und Bogen. Die Produktion und der Verkauf dieser Handarbeiten bilden 70% bis 80% der Einkünfte der Kooperative. Mit dem Geld, das sie mit dem Verkauf ihrer Produkte verdienen, kaufen sie Dinge, die für ihren Alltag wichtig sind und sie nicht selbst herstellen können, wie zum Beispiel Salz, Angelschnüre, Angelhaken, Messer, Seife und Munition für die Jagd (Pimenta 2002: 340, 357, 380). 24 Die Region des Alto Juruás ist bekannt als eine der Hauptrouten des Drogenhandels. Aus Kolumbien oder aus Peru stammend gelangt das Kokain über Verbindungswege im Wald oder Flüsse dieser Region auf brasilianisches Territorium. Die Ashaninka am Fluss Amônia lehnten schon immer den Handel von Kokain auf ihrem Gebiet ab. Die Anführer berichten, dass 148

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Aufgrund von Übergriffen, der illegalen Abholzung, der Jagd mit Hunden für kommerzielle Zwecke, Drogenhandel und Morddrohungen gegen die Ashaninka-Anführer und ihre Verbündeten stieg in den Jahren 1990 und 1991 die Zahl der durch die Ashaninka erstatteten Anzeigen, die an die Polizei und die Institutionen wie FUNAI, IBAMA,25 INCRA26 und die brasilianische Bundesstaatsanwaltschaft geleitet wurden. Ihre Mitteilungen an die genannten Institutionen machten auf die Notlage und das große Risiko aufmerksam, das von den jederzeit möglichen gravierenden Konflikten zwischen den Ashaninka und den weißen Landbesitzern ausging (Pimenta 2002: 173). Überdies forderten sie die Anerkennung ihres Gebietes und die Umsiedlung der Weißen in Gebiete außerhalb ihres Landes und reisten mit Verbündeten nach Brasília im Jahr 1991, was, entsprechend Pimenta (2002: 175-177), entscheidend für den Prozess der Demarkierung ihres Gebietes war und eine große Wirkung in der Region des Flusses Alto Juruá hatte. Gleichzeitig führte dies zu einer Zunahme der Morddrohungen von Seiten der Siedler. Verschiedene Organisationen wie das Núcleo de Direitos Indígenas (NDI – Zentrum für Indigenes Recht) zusammen mit der GAIA Foundation und der Overseas Development Agency (ODA) unterstützten nicht nur den Kampf der Ashaninka, sondern trugen nach Pimentas Beschreibung direkt zur Beschleunigung des Demarkierungsprozesses ihres Gebietes und zur Beschaffung der notwendigen finanziellen Mittel für die am 23. November 1992 rechtskräftige Anerkennung des 87.205 Hektar großen Ashaninka-Gebietes bei. Nach etlichen Jahren des Kampfes ist es den Ashaninka gelungen, ihre ehemaligen weißen Vorgesetzten und die Siedler aus ihrem Gebiet zu vertreiben (Pimenta 2002: 177-178). Dennoch kämpfen sie bis heute gegen die Invasion von Holzfällern, vor allem aus Peru.

sie wiederholt Angebote bekamen, um ihre Gemeinschaft zur Pflanzung von Koka in großen Mengen zu ermuntern oder einfach den Verkehr des Drogenhandels auf ihrem Gebiet zu erlauben (Pimenta 2002: 163-170; Mendes 1991: 47-50). 25 IBAMA: Instituto Brasileiro do Meio Ambiente e dos Recursos Naturais Renováveis (Brasilianisches Institut für Umwelt und erneuerbare Ressourcen). 26 INCRA: Instituto Nacional de Colonização e Reforma Agrária (Brasilianisches Institut für Besiedlung und Agrarreform). 149

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Erneute Übergriffe Nach dem langen Kampf in den 1980er Jahren gegen den industriellen Holzabbau in ihren Gebieten kämpfen die Ashaninka am Fluss Amônia seit dem Ende des Jahres 2000 wiederum gegen die Präsenz von Holzfällern auf ihrem Gebiet, seit peruanische Holzabbaufirmen begannen, in das Land der Ashaninka entlang der brasilianisch-peruanischen Grenze einzudringen. Die Ashaninka schätzen, dass peruanische Holzfäller seit dem Jahr 2000 in circa 15% ihres Gebietes entlang der peruanischen Grenze eingedrungen sind und Schneisen und Waldrouten innerhalb des indigenen Gebietes geschlagen haben. Außer dem illegalen Abbau von Holz entdeckte das brasilianische Institut für Umwelt und erneuerbare Ressourcen IBAMA kleine, von Peruanern betriebene Labors, die der Herstellung von Kokain-Paste dienen sollten und sich entlang der internationalen Grenze und im Ashaninka-Gebiet am Fluss Amônia befanden. Nach einer Reihe von Forderungen der Ashaninka begannen die Autoritäten Brasiliens, Maßnahmen gegen das Problem im Land der Ashaninka zu ergreifen. Seit 2001 gibt es Verhandlungen auf Regierungsebene zwischen beiden Ländern im Bereich der Bi-Nationalen Arbeitsgruppe für die Zusammenarbeit im Amazonasgebiet (Grupo de Trabalho Binacional sobre Cooperação Amazônica) und seit 2003 diskutieren die Regierungen Acres (Brasilien) und Ucayalis (Peru) über die Lage an der Grenze am Fluss Alto Juruá. Indigene, Nicht-Indigene und Umweltschutzorganisationen beider Länder nehmen ebenfalls an den politischen Diskussionen teil und führen gemeinsame Initiativen für die Erhaltung des grenzüberschreitenden Gebietes des Divisor-Gebirges an der Grenze zu Peru durch (Conservação Transfronteiriça da Região da Serra do Divisor Brasil-Peru). Von Juli 2004 bis Juli 2005 wurden 22 illegale Lager zerstört, 65 Personen (62 Peruaner und 3 Brasilianer) festgenommen und 6.000 m3 Edelholz beschlagnahmt und zerstört – ebenso wie Häute von Tieren und Panzer von Landschildkröten (Pimenta 2005a). Trotz der Beteiligung der Autoritäten ist die Lage noch nicht unter Kontrolle, und die Ashaninka leiden weiterhin unter neuen Übergriffen wie zum Beispiel durch illegale Jagd oder illegale Abholzung auf ihrem Gebiet. Im Lauf der letzten Jahre verursacht der wachsende Druck der peruanischen Holzfirmen Konflikte zwischen den Amahuaka- und Ashaninka-Familien, die in Gemeinschaften auf der peruanischen Seite des Flusses Alto Juruá leben. Die Ashaninka erklären, dass die Konflikte entstehen, weil die an der Grenze agierenden Holzfirmen das Gebiet der nicht-sesshaften Indigenen (die so genannten índios arredios) verkleinern. Die Holzfirmen zerstören den Urwald mit schweren Maschinen, die das Wild aufscheuchen. Die Gewehre der Arbeiter zwingen die in freiwilliger Isolation lebenden Indigenen, in Richtung der Ashaninka- und

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Kaxinawá-Dörfer zu fliehen, die auf beiden Seiten der brasilianischperuanischen Grenze verteilt liegen (Pimenta 2005a).

Kulturelle Veränderungen der Ashaninka am Fluss Amônia Nach den Erkenntnissen des Ethnologen José Pimenta (2002: 313) führte der Kampf gegen die Holzwirtschaft und für die Demarkierung ihres Gebietes zu entscheidenden Veränderungen in der sozialen und politischen Organisation der Ashaninka am Fluss Amônia. Seit Anfang des 21. Jahrhunderts änderte die Mehrheit der Gemeinschaft, die traditionell verteilt entlang der Flussufer und den kleinen Nebenflüssen lebte, ihr Wohnverhalten, um gemeinsam im Ashaninka-Dorf Apiwtxa zu leben (siehe S. 145). Diese Veränderung beeinflusste laut Pimenta die interne politische Organisation der Gemeinschaft: neue Institutionen, wie die Kooperative und die Schule, wurden gegründet, um die sozialen und ökonomischen Anliegen ihrer Gruppe zu verwirklichen; sie spielen heute eine zentrale Rolle im sozialen Leben der Ashaninka-Gemeinschaft. Mit der Gründung der Vereinigung Associação APIWTXA im Jahr 1991 (im Jahr 1993 offiziell anerkannt), wurde eine legale Grundlage für den Handel und die Durchführung von Projekten geschaffen. Gleichzeitig wurden die neuen Anführer, die während des Kampfes um die Demarkierung des Gebietes hervortraten, zu Vermittlern zwischen den verschiedenen Sektoren der Indigenen-Bewegung in Brasilien (FUNAI, NGOs, Landes- und Bundesregierung) (Pimenta 2002: 313, 360). Diese Veränderungen in der internen Politik und sozialen Organisation der Ashaninka am Fluss Amônia resultieren aus Einflüssen und Faktoren, die außerhalb ihrer eigenen Gemeinschaft lagen und liegen. Sie zeigen nach Pimentas Auffassung aber auch die Dynamik und Kreativität der Ashaninka-Gesellschaft, die diese neuen Organisationsformen eingeführt und ihre traditionelle soziale Struktur neu übersetzt hat. Pimenta (2002: 313) weist in seiner Arbeit aber auch darauf hin, dass die neuen Anführer zwar eine Sonderstellung in der Politik des interethnischen Kontaktes haben, aber nicht die Funktionen der ursprünglichen »Chefs« ersetzen. Ihre Machtbefugnisse in der Gemeinschaft sind weiterhin begrenzt und die Freiheit jeder Familie bleibt damit gewährleistet.27

27 Auch der älteste Sohn des Hauptanführers Antônio, Francisco Piyãko, versteht sich und seine Geschwister (vier Brüder und zwei Schwestern, ebenfalls in der Gemeinschaft und außerhalb aktiv im Kampf um die Rechte der Ashaninka) als Mediatoren oder Vertreter ihrer Gruppe. Sie seien seiner 151

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In den vergangenen 15 Jahren wurde Apiwtxa von verschiedenen Organisationen finanziell und beratend unterstützt, die zur Einrichtung umweltfreundlicher und ökonomischer Projekte in der Ashaninka-Gemeinschaft beitrugen. Die Ashaninka am Fluss Amônia adoptierten nicht nur eine Politik der nachhaltigen Entwicklung, sondern werden, wie Pimenta (2002: 387) konkretisiert, auch als ein erfolgreiches Beispiel der neuen politischen Orientierung in der Entwicklung Amazoniens betrachtet, indem Umweltschutz mit ökonomischen Alternativen verbunden werden, die für die Gemeinschaft insgesamt von Vorteil sind.

Die Schulausbildung im Dorf Apiwtxa Laut Pimenta (2002: 253) entstand die Idee, eine Schule in der Gemeinschaft Apiwtxa zu gründen, in mehreren Gemeinschaftssitzungen, in denen einige Familien den Wunsch äußerten, mit Mitteln der nichtindigenen Welt vertraut zu werden, um besser ihre gemeinsamen Interessen durch das Erlernen der portugiesischen Sprache, des Lesens, der Schrift und der Mathematik verteidigen und durchsetzen zu können. Mit dem Rückzug der Nicht-Indigenen aus ihrem Gebiet entstand des Weiteren die Notwendigkeit, Personen auszubilden, mit der Fähigkeit, in der politischen Organisation der Gemeinschaft und in der Kooperativeverwaltung tätig zu sein. Aus diesen Bedürfnissen heraus wurde die Schule Samuel Piyãko im Jahr 1992 gegründet, benannt nach dem ehemaligen hoch angesehenen Stammesanführer Apiwtxas und Vater Antônio Piyãkos, dem aktuellen Stammesanführer der Ashaninka-Gemeinschaft am Fluss Amônia. Die Schule entstand gemäß Pimentas Darstellung (2002: 253) aus einer politischen Sorge. Vor allem der Wunsch, schreiben und rechnen zu lernen sowie Gesetze zu verstehen, um Irregularitäten den Behörden melden zu können, im Handel mit den Weißen nicht betrogen zu werden und um ihre Verfassungsrechte einfordern zu können, gaben den Ashaninka am Fluss Amônia den Impuls zur Gründung einer Schule in ihrer Gemeinschaft. Während ursprünglich in der Schule die Alphabetisierung in der portugiesischen Sprache vorgesehen war, stellte die Gemeinschaft schnell fest, dass der Alphabetisierungsprozess in der Ashaninka-Sprache stattfinden musste (Pimenta 2002: 254). Der Wunsch nach Alphabetisierung in der Ashaninka-Sprache führte ferner zur Notwendigkeit einer eigenen Orthographie, um eigenes Ashaninka-Lernmaterial herzustellen. Letztendlich schaffte es der Sprachwissenschaftler Wilmar da Rocha D’Angelis der Landesuniversität von Campinas (UNICAMP –

Auffassung nach nicht Anführer, sondern Mittel zur Kommunikation mit der Außenwelt, der »nicht-Ashaninka-Welt«. 152

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Universidade Estadual de Campinas), mit Unterstützung der CPI/AC ein Ashaninka-Alphabet zu definieren (D’Angelis 1994; vgl. Pimenta 2002: 255). Daraufhin konnten die ersten Schulmaterialien in der AshaninkaSprache produziert werden. Heute hat die Schule der Gemeinschaft Apiwtxa vier Schulklassen eingerichtet nach einer differenzierten indigenen Schulausbildung, die ihren kulturellen Bedürfnissen entspricht.28 Jede Schulklasse steht unter der Verantwortung eines Lehrers. Die Lehrer Bebito und Komayare sind für die jüngsten Schüler zuständig, für die sieben- bis neunjährigen beziehungsweise für die zehn- bis zwölfjährigen. Die Ausbildung in diesen zwei Gruppen findet in der Ashaninka-Sprache statt. Isaac unterrichtet die Gruppe der Dreizehn- bis Fünfzehnjährigen. In seiner Gruppe beginnen die Kinder die portugiesische Sprache und die nicht-indigene Welt kennen zu lernen. Laut Pimenta (2002: 259-260) übernimmt Isaac die Rolle eines Mediators, der für die Kinder die Ashaninka-Welt mit der nicht-indigenen Welt verbindet. Isaacs Ehefrau Fátima, eine NichtIndigene aus der Region, unterrichtet dann die älteren Kinder in der portugiesischen Sprache. Um die Schulausbildung fortsetzen zu können, müssen die Schüler und Schülerinnen ins nächste Dorf Marechal Thaumaturgo reisen (circa zwei Stunden mit einem kleinen Boot). Fátima berichtete mir, dass bis jetzt keines der Kinder in die Stadt umgezogen sei, um dort eine weiterführende Schule zu besuchen, da sie die Schule nicht für einen späteren Job besuchen, sondern um im Dorf weiter zu arbeiten, an den Projekten teilzunehmen und, wie Fátima erwähnt, um das aufzunehmen und zu registrieren, was ihrer Gruppe gehört. Alles was in der Schule vermittelt und gemacht wird, hat den Zweck, die Gemeinschaft und ihre Arbeit stärker zu machen. Die Schulausbildung dient also der Sicherung und Förderung der eigenen Kultur und nicht der Kultur der Nicht-Indigenen. Das Schulausbildungskonzept der Ashaninka am Fluss Amônia wurde von Isaac laut Pimenta (2002: 259) als ein »politisch-pädagogisches Projekt« nach den Bedürfnissen der Gemeinschaft entworfen. Jede Gruppe besucht die Schule an vier Tagen in der Woche für jeweils vier Stunden. In einem Interview berichtete mir Isaac, dass der Unterrichtsplan am Gemeinschaftsalltag ausgerichtet sei, damit die Kinder auch an den Tätigkeiten ihrer Eltern teilnehmen können. Die Schule soll sie nicht von ihrer ursprünglichen Lebensform und ihrem Alltag entfernen, sondern parallel dazu existieren (Pimenta 2002: 260). Nachdem ein Überblick über die Geschichte der Ashaninka am Fluss Amônia gegeben wurde, möchte ich nun im nächsten Punkt die Familie

28 Pimenta (2002: 259) berichtet, dass jede Familie selbst entscheiden kann, ob ihre Kinder die Schule besuchen werden oder nicht. 153

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Piyãko kurz vorstellen und die Rolle einiger ihrer Mitglieder in der Gemeinschaft beschreiben, um die Organisationsstruktur der Gruppe erläutern zu können.

Familie Piyãko Die Piyãko sind eine gut organisierte Familie mit der Fähigkeit, die zu bewältigenden Aufgaben auf ihre einzelnen Mitglieder so zu verteilen, dass die Interessen und Anliegen der Gemeinschaft möglichst optimal vertreten werden. So haben alle Söhne und Töchter des Stammesanführers Antônio eine spezielle Aufgabe in der circa 500 Menschen zählenden Ashaninka-Gemeinschaft und sorgen auf diese Weise – das heißt gewissermaßen in einer konzertierten Aktion – für den Schutz und die Förderung der eigenen Kultur. Abbildung 14: Antônio Piyãko und Dona Pitis Genealogie

Diese Genealogie wurde mit Hilfe der Arbeit von Margareth Kitaka Mendes (1991) erstellt. Die Jahresangaben können Abweichungen enthalten. Antônio Piyãko, der Sohn des früheren Anführers Samuel Piyãko, der in der Gemeinschaft hohes Ansehen genoss und respektiert wurde, ist seit dem Tod seines Vaters im Jahr 1986 der Anführer der Gemeinschaft Apiwtxa. Antônio führt die Gemeinschaft nicht allein. Er wird von seinen Söhnen und Töchtern und von älteren Bewohnern der Ashaninka-Gemeinschaft unterstützt, die ein bestimmtes Ansehen in der Gruppe genießen und die Ältesten in einer Familie sind. Einige von ihnen sind

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Aricêmio, Alípio, Cláudio, Bandeirão und Shomõtsi (Pimenta 2002: 338339). Die Führerschaft unter den Ashaninka wird nicht vererbt. Sie beruht vielmehr auf einem hohen Maß an persönlichem Prestige, was bis in die jüngere Vergangenheit vornehmlich durch Kriegsführung erworben wurde und bis heute durch besondere Erfolge bei der Jagd. Im Laufe der Zeit kam es jedoch zu Veränderungen als Folge einer sich entwickelnden interethnischen Politik. Margarita Benavides (1985) beobachtete zum Beispiel folgendes bei den Matsiguenga in Peru, die wie die Ashaninka zu den Aruak der Sub-Anden-Region gehören und ähnliche Eigenschaften für einen Anführer anerkennen: »As autoridades e os líderes comunais são escolhidos por atributos diferentes, como o conhecimento do castelhano, a alfabetização, os contatos no mundo de fora, a capacidade de defender os interesses nativos na reinvidicação de terras e no auto-desenvolvimento« (Benavides 1985: ohne Seitenangabe, zit. n. Mendes 1991: 98).29

Das Verständnis der Welt der Nicht-Indigenen, der richtige Umgang mit den Weißen, das Wissen, wie mit ihnen verhandelt werden muss, um Zugang zu begehrten Waren zu haben, stellen laut Mendes (1991: 98) heutzutage bei den Ashaninka wichtige Fähigkeiten eines Anführers dar und zählen maßgeblich zu seinen Merkmalen. Als Antônio Piyãko 1986 zum Stammesanführer gewählt wurde, besaß er eine gute soziopolitische Position, da sein ältester Sohn Francisco Geschäftsmann der AshaninkaKooperative war und damals den Manufakturwarenfluss kontrollierte. Ein anderer Faktor, der Antônio zu größerem Machteinfluss in der Gemeinschaft verhalf, war die Tatsache, dass er mit einer nicht-indigenen Frau aus der Region verheiratet war. Ein Umstand, der ihm insbesondere eine gute Zugangsmöglichkeit zur Welt der Nicht-Indigenen ermöglichte (Mendes 1991: 98). Im Gegensatz zu Mendes erwähnt Pimenta (2002: 318-322, 2006: 6) in seiner Arbeit, dass Antônios Wahl als Chef der Ashaninka-Gemeinschaft am Fluss Amônia eher von der FUNAI kam, beim Demarkierungsprozess ihres Gebietes – ein damals gewöhnlicher Prozess, der mit der staatlichen rechtlichen Anerkennung indigener Gebiete

29 »Die Autoritäten und die Gemeindeanführer werden aufgrund besonderer Merkmale gewählt, wie zum Beispiel Spanischkenntnisse, Alphabetisierung, Kontakte mit der Außenwelt, die Fähigkeit, angeborene Interessen zu vertreten in der Beanspruchung der indigenen Gebiete und bei der Förderung der eigenen Kultur«. 155

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zusammenhing.30 Pimenta (2006: 6) nennt in seiner Arbeit dies »als die Dringlichkeit für die FUNAI, eine Führerschaft oder einen Chef für die Gemeinschaft zu finden«. Angehörige der Indigenenbehörde, die mit den Ashaninka bereits arbeiteten, erkannten die Fähigkeit Antônios als guter Anführer, der bereits mit seinem Vater Samuel in der interethnischen Politik der Gemeinschaft tätig war und bestätigten seine Rolle als neuer Anführer der Ashaninka am Fluss Amônia. Laut Pimenta (2006: 7) wird das Eingreifen der FUNAI in die Auswahl von Anführern für indigene Gemeinschaften immer wieder in der Literatur erwähnt, wie im Fall der Waimiri-Atroari (Baines 1991) und den Tikuna (Oliveira Filho 1988). Trotz der Einwirkung der FUNAI bei der Auswahl eines Anführers akzeptierten die Ashaninka diese Auswahl. Pimenta fügt hinzu, dass die FUNAI-Auswahl des Gemeinschaftschefs oder Anführers bei den Ashaninka überwiegend mit den Fähigkeiten der jeweiligen Person in seiner Gemeinschaft überein stimmte, wie weiter oben beschrieben – im Kontrast zu anderen Gemeinschaften, wo für die FUNAI überwiegend die Beherrschung der portugiesischen Sprache als Auswahlkriterium zählte. Pimenta (2006: 8) selbst erwähnt die Anerkennung und den Respekt der Bewohner der Apiwtxa-Gemeinschaft gegenüber ihrem Stammesanführer Antônio auch in ihrer traditionellen Ashaninka-Auffassung eines Anführers, eines Pikantsari (eine Person, die aufgrund ihrer Qualitäten Respekt in der Gemeinschaft genießt).31 Mendes (1991: 98) bemerkt ergänzend aber, dass die Charaktereigenschaften eines Anführers nicht auf Dauer und allgemein verbindlich festgesetzt werden können, weil zum Beispiel in einigen Fällen die lokalen Gruppen durchaus auch einen »traditionellen« Anführer haben, der nur eine Sprache spricht, das Wissen und die Tradition der Gruppe verkörpert, der den Kamarãpi32 trinkt und die Rituale leiten kann. In ähnlicher Weise schreibt Lévi-Strauss über den Nambikwara-Chef:

30 Vor der Gründung der Apiwtxa-Gemeinschaft lebten die Familien verteilt über das noch nicht vom Staat anerkannte Gebiet. Erst mit dem Beginn der Arbeiten zur Demarkierung des Ashaninka-Gebietes am Fluss Amônia versammelten sich die Familien in einer Gemeinschaft (Pimenta 2006: 9-10). 31 Die Rolle eines Chefs in der Ashaninka-Gemeinschaft ist aber viel komplexer und kann in dieser Arbeit, aufgrund der Komplexität des Themas, nicht ausführlich behandelt werden. Für weitere Informationen empfehle ich die Arbeiten José Pimentas (2002, 2006), die eine extensive Ethnographie der Ashaninka anbieten. 32 Kamarãpi: Ayahuasca. Trunk mit halluzinogener Wirkung (Pimenta 2002: 27). 156

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»Wir müssen sogleich hinzufügen, daß sich der Häuptling bei seinen vielfachen Funktionen weder auf eine präzise Macht noch auf eine öffentlich anerkannte Autorität stützen kann. Die Macht beruht einzig auf der Zustimmung, und aus dieser Zustimmung bezieht er auch seine Legitimation. Ein tadelnswertes Verhalten (selbstverständlich aus der Sicht der Eingeborenen) oder der böse Wille seitens eines oder mehrerer Unzufriedener können das gesamte Programm des Häuptlings sowie das Wohlergehen seiner kleinen Gemeinschaft in Frage stellen, in einem solchen Fall verfügt der Häuptling über keinerlei Zwangsmittel. Er kann sich der unerwünschten Elemente nur in dem Maße entledigen, als er in der Lage ist, seine Meinung zu der aller anderen zu machen. Er muß also eine Geschicklichkeit an den Tag legen, die mehr der eines Politikers ähnelt, der eine schwankende Mehrheit bei der Stange zu halten versucht, als der eines allmächtigen Herrschers« (Lévi-Strauss 1991: 306-307).

Diese Eigenschaften eines Anführers verkörpert Antônio Piyãko in seiner Gemeinschaft mit der arbeitsteiligen Unterstützung seiner Töchter und Söhne und den älteren Bewohnern Apiwtxas. So wie Lévi-Strauss die Nambikwara, so beschreibt Mendes die Ashaninka, nämlich dass der Anführer ständig seine Macht gegenüber der restlichen Ashaninka-Gemeinde behaupten muss. Er habe die Erwartungen seiner Anhänger zu erfüllen, wie zum Beispiel nach regulärem Zugang zu Waren, einem der wichtigsten Merkmale eines Chefs sowie die Fähigkeit, Allianzen und Verbindungen mit der Außenwelt herzustellen.33 Unbegrenzte Generosität oder Großzügigkeit ist nach Mendes ebenso ein wichtiges unabdingbares Merkmal eines Ashaninka-Anführers.34 Lévi-Strauss schreibt dazu folgendes über die Nambikwara: »Wenn ein Individuum, eine Familie oder die ganze Gruppe einen Wunsch oder ein Bedürfnis empfindet, wenden sie sich an den Häuptling, der ihn befriedigen soll. So ist Großzügigkeit die wesentliche Eigenschaft, die man von einem neuen Häuptling erwartet. Sie ist die ständig angeschlagene Saite, deren harmonischer oder disharmonischer Ton den Grad der Zustimmung anzeigt. Es läßt sich nicht daran zweifeln, daß die Fähigkeiten des Häuptlings in dieser Beziehung bis zum letzten ausgebeutet werden« (Lévi-Strauss 1991: 307-308).

Das Prinzip der Reziprozität, in diesem Fall als unbegrenzte Generosität des Anführers gegenüber seinen Anhängern verstanden, bilden zusammen mit dem Merkmal eines mutigen und hervorragenden Kriegers die Basis für sein Prestige (vgl. Mendes 1991: 113). Darüber hinaus, fügt 33 Lévi-Strauss über die Nambikwara (1991: 306-307); Mendes (1991: 112) und Pimenta (2002: 337) über die Ashaninka am Fluss Amônia. 34 Auch Pimenta (2002: 336-337) beobachtete diese Eigenschaft bei den Ashaninka am Fluss Amônia. 157

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Lévi-Strauss hinzu, muss die Person, um sich als Anführer behaupten zu können, einfallsreich sein, was der »intellektuellen« Form der Großzügigkeit entspreche und nicht zuletzt Kenntnis über alles besitzen. Der Anführer »scheint eher um seine Horde herumzuschwirren, als sie zu führen«, so Lévi-Strauss (1991: 308). Antônio Piyãkos Stellung in der Gemeinschaft als Anführer, als ein Pikantsari (als einen weisen Mann), wird durch die AshaninkaGemeinschaft am Amônia aufgrund seiner Fähigkeiten bestätigt. Mehrere Faktoren sichern Antônios Akzeptanz als Anführer in seiner Gemeinschaft. Einer dieser Faktoren beruhe auf einem leichteren Zugang zur nicht-indigenen Welt, zu dem also, was »nicht-Ashaninka« ist (Pimenta 2006: 10-11). Auch die Aneignung des Internet mithilfe seiner Söhne und Töchter könnte als eine von ihm erbrachte Leistung betrachtet werden – als ein Mittel, das die Kommunikation der Gemeinschaft mit der Außenwelt vereinfacht, die, wie zuvor beschrieben, von großer Bedeutung für die Ashaninka-Kultur ist.

Die jungen Anführer und ihre Rolle in der Ashaninka-Gemeinschaft am Fluss Amônia Speziell die Söhne des Stammesanführers Antônio Piyãko spielen eine besondere Rolle im Kontakt mit der Welt außerhalb ihres Gebietes (der nicht-indigenen Welt) und bei den Anstrengungen zum Fortbestand ihrer Kultur und des Schutzes ihres Territoriums. Im folgenden Abschnitt werde ich die jungen Anführer und Söhne des Stammesanführers Antônio vorstellen, die vorrangig die Interessen ihrer Kultur nach außen vertreten und verteidigen.

Francisco Piyãko Der älteste Sohn des Stammesanführers Antônio, Francisco, lebt in der Hauptstadt Rio Branco und arbeitet als Regierungsbeauftragter für indigene Fragen des Bundesstaates Acre. Er vertritt intensiv die Interessen seiner Gruppe und anderer indigenen Gruppen Acres in der Hauptstadt.

Moisés Piyãko Der zweitälteste Sohn des Stammesanführers Antônio, Moisés ist Präsident der Kooperative APIWTXA und zuständig für die Umweltprojekte der Gemeinschaft. Er spielte eine große Rolle beim Kampf um die rechtliche Anerkennung des Ashaninka-Gebietes am Fluss Amônia und ist

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weiterhin aktiv in der interethnischen Politik. Er war Vize-Koordinator und Koordinator der Indigenen-Bewegung des Flusses Juruá zwischen 1991 und 1994 (Pimenta 2002: 10).

Isaac Piyãko Isaac, der drittälteste Sohn des Stammesanführers Antônio ist Lehrer und befasst sich, wie sein Bruder Francisco, mit den politischen Fragen der indigenen Bewegung und der indigenen Politik Brasiliens sowie Fragen über das indigene Bildungswesen. Er ist oft zwischen der brasilianischen Hauptstadt Brasília und Rio Branco und seinem Dorf unterwegs, um die Interessen seiner Gruppe zu vertreten. Isaac ist derjenige im Dorf Apiwtxa, der den Computer und das Internet am meisten benutzt. Das Internet benötigt er vor allem, um als Vertreter seiner Gemeinschaft mit anderen zu kommunizieren, Kontakte zu pflegen, Projekte zu organisieren und zu leiten, wie zum Beispiel das Projekt Yorenka Ãtame (Wissen des Urwaldes), das als Ziel die Gründung eines Ausbildungszentrums zur Verbreitung nachhaltiger Entwicklungstechniken für Gemeinschaften von Indigenen, Uferbewohnern und Kautschukzapfern aus der Region des Flusses Juruá in Acre hat.

Benki Piyãko Benki ist Forsttechniker und besonders für die Öffentlichkeitsarbeit seiner Gemeinschaft zuständig. Er genießt in Brasilien bereits eine gewisse Aufmerksamkeit. Als Zwölfjähriger lernte er einen der populärsten brasilianischen Musiker, Milton Nascimento, kennen, der ihm ein Lied widmete. Benki ist darüber hinaus auch Schamane und Musiker. Seinetwegen werden die Ashaninka zu Auftritten eingeladen, um Lieder ihrer Kultur zu präsentieren. Benki hat einen Laptop, den er mit sich trägt, um an seinen Liedern und Projekten zu schreiben und zu arbeiten. Sein Umgang mit dem Internet ist häufig und dient zur Bearbeitung seiner elektronischen Korrespondenz. Am 9. Dezember 2004 bekam Benki in Brasília den brasilianischen National Preis für Menschenrechte für seine Arbeit zugunsten des Schutzes indigener Gebiete. Von Mai 2005 bis 2007 war er Umweltsekretär für die Region des Flusses Juruá in Acre. Seit Juli 2007 leitet er das Ausbildungszentrum Yorenka Ãtame (Wissen des Urwaldes) in der Ortschaft Marechal Thaumaturgo. Nach diesem ethnographischen Einblick in die Ashaninka am Fluss Amônia werde ich in den nächsten Punkten über die Aneignung des Internet durch die Ashaninka in Apiwtxa, meine Feldforschung vor Ort und wie das Internet dort benutzt wird, berichten.

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Die Aneignung des Internet durch die Ashaninka am Fluss Amônia Wie bereits erwähnt, spielt der Kontakt mit der Außenwelt für die Ashaninka eine wichtige Rolle. Das Internet ist eine zusätzliche Form des Zugangs zur Welt außerhalb der eigenen Gemeinschaft. Es wurde durch das Projekt Rede Povos da Floresta (siehe S. 79) und auf Wunsch der Ashaninka-Gemeinschaft hauptsächlich zu dem Zweck angeschafft, ihre Gruppe mit der Außenwelt zu verbinden. Das Internet wurde im Jahr 2003 eingeführt mit einer Probezeit von einem Jahr. Die Gemeinschaft selbst sollte dann über die weitere Benutzung des Mediums entscheiden und die Nutzung des Internet sollte allein durch die Gemeinschaftsmitglieder bestimmt werden und zwar ohne Einfluss von außen. Zur Zeit meiner Feldforschung im April 2005 waren in der Ashaninka-Gemeinschaft Apiwtxa zwei Computer im Gebäude der Kooperative installiert, gegenüber vom Haus des Lehrers und jungen AshaninkaAnführers Isaac Piyãko, der die Geräte am häufigsten benutzt. Die Computergeräte befanden sich in einem engen Raum mit geringer Luftzirkulation (etwa 3x3 Meter) und standen auf zwei einfachen Holztischen, die aus Holzplatten zusammengesetzt waren. Man saß auf einer Holzbank oder auf einem Stuhl, um an den Computern zu arbeiten. Das Mobiliar war einfach und der Raum eng. Während meiner Forschung dort erwähnte ich gegenüber Isaac, dass der Raum wenig geeignet für die Aufbewahrung und Nutzung der Geräte war, da sich Computer nicht überhitzen dürfen. Bei den Temperaturen im Norden Brasiliens, die zwischen 35° C und 40° C liegen, ist ein kleiner Raum mit geringer Luftzirkulation ein sehr ungünstiger Ort für die Geräte. In einer E-Mail vom Oktober 2005 berichtete mir Isaac, dass sie dabei waren, ein neues Haus für die Computer zu bauen, was sie schon seit längerer Zeit planten. Während meines erneuten Besuchs im Ashaninka-Dorf Apiwtxa im Juni 2008 lernte ich den neuen Computerraum kennen. Heute haben die Ashaninka drei Computer zur Verfügung und der neue Raum ist erheblich besser für die Nutzung der Geräte geeignet.

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Abbildung 15: Computerraum in Apiwtxa, April 2005.

Computer und Internet im Dorf Apiwtxa Im Ashaninka-Dorf Apiwtxa liegen die Computer nicht im Zentrum des Dorfgeschehens. Im alltäglichen Leben der Gemeinschaft spielen der Computer und das Internet eine geringe Rolle und die Präsenz dieser Technologien bleibt von den meisten unbemerkt, da nur drei bis vier Bewohner Zugang zum PC und zum Internet haben. Dies sind: • Isaac Piyãko (Lehrer und junger Anführer der Ashaninka) • Fátima Cruz (Lehrerin und Isaacs Ehefrau) • Benki Piyãko (junger Anführer der Ashaninka, Forsttechniker und Schamane) Shaatsy Piyãko (die jüngste Schwester von Isaac und • Alexandrina Benki)35 • Komayare (Lehrer der Ashaninka-Schule Samuel Piyãko) Alexandrina, die jüngste Tochter des Stammesanführers Antônio, war diejenige, die am Ausbildungskurs des Projektes Rede Povos da Floresta im 2003 in Rio de Janeiro zusammen mit anderen Indigenen teilnahm. Von 26. Juli bis 09. August 2003 lernte sie den Umgang mit dem Computer und dem Internet. Sie lebt zwischen Cruzeiro do Sul und Apiwtxa, 35 Zurzeit meiner Feldforschung im Jahr 2005 lebte Alexandrina in Cruzeiro do Sul, wo sie einen Kurs besuchte, um sich über indigene Rechte und Indigene betreffende gesellschaftliche Fragen fortzubilden. 161

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so dass in Apiwtxa vor allem Isaac, Fátima, Komayare und Benki den Computer benutzen. Isaac verbringt jeden Tag ein bis zwei, manchmal auch drei Stunden vor dem Computer und im Internet. Für Isaac ist dies eine Notwendigkeit, um den Kontakt mit der Gesellschaft außerhalb der Gruppe herstellen und aufrechterhalten zu können, und um seine Tätigkeit in der interethnischen Politik seiner Gemeinschaft durchzuführen. Isaac reist viel, um an Seminaren, Versammlungen und verschiedenen Arbeiten außerhalb der Gemeinschaft teilzunehmen. Dabei repräsentiert er die Ashaninka von Apiwtxa so wie auch seine Brüder Francisco, Benki und Moisés. Obwohl nur drei bis vier Personen Zugang zum Computer und dem Internet in Apiwtxa haben, konnte ich während meiner Forschung keinen Neid bei den restlichen Dorfbewohnern wegen des Umgangs ihrer jungen Anführer mit diesen Technologien feststellen. Es scheint ihnen verständlich zu sein, dass nur Personen mit entsprechenden Kenntnissen die Geräte benutzen dürfen.36 Die beschränkte Nutzung der Geräte durch die zuvor in diese Technologien eingeführten Personen wurde bewusst von den Anführern festgelegt, die damit auch den Rat des Projekts Rede Povos da Floresta befolgen. Benki Piyãko berichtet: »O computador fica na cooperativa, onde nós trabalhamos. Ninguém mexe. Todos sabem que é um instrumento importante para a nossa comunidade, que vai beneficiar a todos« (Rede Povos da Floresta 2005c).37 Die jungen Ashaninka-Anführer halten eine kontrollierte Nutzungsform für wichtig. So müsse nach Benkis Auffassung die Gemeinschaft die Kontrolle über den Computer haben und nicht der Computer über die Gemeinschaft. Im anderen Falle würde jeder die Computer wahllos benutzen wollen und damit machen, was er will. Ein Grund für den vorsichtigen Umgang mit den Geräten liegt insbesondere auch in der schwierigen und kostspieligen Beschaffung der Geräte. Ein Faktor, der nicht unbeachtet bleiben darf und die Zahl der möglichen Nutzer in der Gemeinschaft beschränkt, beruht auf der geringen Zahl der Bewohner, die die portugiesische Sprache ausreichend beherrschen. Weil die Söhne und Töchter Antônios aufgrund ihrer soziopolitischen Tätigkeiten außerhalb ihres Gebietes den häufigsten Kontakt mit 36 Vgl. Pimenta (2002: 361ff.) über den Versuch der jungen Anführer, andere Mitglieder Apiwtxas in Tätigkeiten miteinzubeziehen. 37 »Der Computer bleibt in unserer Kooperative, wo wir arbeiten. Niemand spielt damit. Alle wissen, dass es sich um ein wichtiges Arbeitsmittel für unsere Gemeinschaft handelt, das allen zugute kommen wird«. Aussage von Benki Piyãko während des Treffens über die Bedeutung des Internet und die Zukunft des Projektes Rede Povos da Floresta, im Juni 2005 in Rio de Janeiro. 162

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Nicht-Indigenen haben und ebenfalls wegen ihren nicht-indigenen Mutter, die ihnen Portugiesisch beibrachte, zählen sie zusammen mit wenigen anderen jungen Ashaninka, wie dem Lehrer Komayare, zu den Wenigen, welche die portugiesische Sprache beherrschen. Insgesamt aber spielen, wie bereits auf der vorherigen Seite erwähnt, das Internet und der Computer eine untergeordnete Rolle im Gemeinschaftsleben der Ashaninka aus Apiwtxa. Diese Geräte gehören noch nicht zu der Alltagsrealität der Gemeinschaft und wie Francisco, der älteste Sohn des Stammesanführers Antônio erklärt, wird das Internet nicht in jedem Haus benötigt: »Nossa realidade é outra. Temos um mundo próprio. Sabemos como viver. Desde que as crianças nascem elas têm uma função dentro da nossa sociedade. Se elas não passarem por esse processo, não vão saber sobreviver e não vão viver bem dentro do nosso mundo« (Rede Povos da Floresta 2005c).38

In einem vom Projekt Rede Povos da Floresta organisierten Gesprächskreis über die Internetnutzung durch indigene Gemeinschaften im Juli 2005 in Rio de Janeiro betonte Francisco, dass das Internet der Kommunikation der Gemeinschaft mit der Außenwelt dient, um dieser zu vermitteln, was sie gerade durchleben – vor allem bei den Problemen, die ihre Gemeinschaft nicht allein lösen kann, wie im Fall der Landübergriffe der Peruaner auf ihr Gebiet, die dort illegal Holz schlagen. Er berichtet: »A internet facilitou o nosso trabalho. Num minuto, ela pode falar para o mundo inteiro o que está acontecendo. Chegamos até ao gabinete do presidente Lula« (Rede Povos da Floresta 2005c).39 Trotzdem weist Franciscos Bruder, Benki, auf die Notwendigkeit hin, dass mehr Leute in Apiwtxa mit dem Internet umgehen können. Benki ist wie Isaac der Meinung, dass auch andere Gemeinschaftsmitglieder die Anwendung lernen müssen, damit in dem Fall, dass die bisher für die Computernutzung ausgebildeten Personen sich zum Beispiel nicht in der Gemeinschaft aufhalten und falls etwas Besonderes geschieht, auch andere schnell eine Nachricht per Internet verschicken können. Auf diese Weise könnte die Kommunikation durchweg aufrechterhalten wer38 »Wir haben eine andere Realität. Wir haben eine eigene Welt. Wir wissen, wie wir leben sollen. Seit ihrer Geburt haben unsere Kinder eine Aufgabe in der Gesellschaft. Wenn sie nicht durch diesen Prozess gehen, werden sie nicht wissen, wie sie überleben können und werden in unserer Welt nicht gut leben«. 39 »Das Internet vereinfacht unsere Arbeit. In einer Minute unterrichtet es die ganze Welt darüber, was bei uns geschieht. So erreichen wir sogar das Kabinett des Präsidenten Lula«. 163

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den, was für die Gemeinschaft sehr wichtig sei. »Es geht schnell, innerhalb von zwanzig Minuten kann man fünfhundert Kanäle der Welt erreichen«, so Benki. Die jungen Ashaninka-Anführer würden gern eine Computer- und Internetausbildung in der Gemeinschaft anbieten und, laut Benki, auch Erfahrungen anderer Gemeinschaften den Mitgliedern der eigenen Gruppe vermitteln wollen, damit sie die Möglichkeiten der Computer- und Internetnutzung leichter verstehen. Vor allem die Jugendlichen sollten nach Benkis Meinung in der Computernutzung ausgebildet werden.

Meine Feldforschung in Apiwtxa Bereits im Ausbildungszentrum der CPI/AC vereinbarte ich mit Isaac, dass ich ihm und seiner Frau Fátima zeigen würde, wie sie noch besser mit dem Internet und den E-Mail-Diensten sowie mit Textverarbeitungsprogrammen arbeiten oder wie sie Fotos von einer digitalen Kamera herunterladen können. Des Weiteren sollte ich noch Isaacs Bruder, Bebito – der allerdings schon im Ausbildungszentrum wenig Interesse am Umgang mit dem Medium Internet zeigte – im Umgang mit dem PC und dem Internet unterrichten, so Isaacs Wunsch. Es gab während meiner Feldforschung in der Gemeinschaft Apiwtxa viele Besuche von außen, wie zum Beispiel den Besuch einer Gruppe peruanischer Ashaninka und der Umweltstiftung WWF (World Wide Fund for Nature), so dass die jungen Anführer Benki und Isaac wenig Zeit hatten, mit mir öfter am PC zu sitzen und zu lernen. Die einzigen, die mit mir im Dorf am Computer arbeiteten, waren Isaac, seine Ehefrau Fátima und sein Bruder Benki. Leider konnte ich darüber hinaus niemandem mehr Unterricht im Umgang mit dem Computer erteilen. Moisés, der zweitälteste Sohn des Stammesanführers Antônio und ebenfalls ein junger Anführer, erwähnte in einem Gespräch – als ich den neuen Computer in die Stadt Cruzeiro do Sul zur Reparatur brachte – dass ihn eher die technische Seite des Computers interessierte, wie zum Beispiel die Reparatur, aber nicht die Nutzung selbst. Isaac bedauerte auch selbst, dass wir so wenig Zeit für die Arbeit am Computer hatten, zumal er viele Kleinigkeiten über den Umgang mit dem PC, den Programmen und dem Internet lernen wollte. Aber er nahm es gelassen.40 Trotz der kurzen Zeit hatte ich die Möglichkeit, vor allem Isaac und Fátima einige Vorgänge zu erklären. Ich saß zum Beispiel mit Isaac am Computer zusammen, um ihm zu zeigen, wie Fotos und Dokumente her40 Die weniger wichtigen Dinge werden erledigt, wenn die Zeit dafür gekommen ist. Es sind letztlich der Urwald und die Lebenssituation, die die Zeit vorgeben. 164

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unter- oder hochgeladen und E-Mail-Anhänge verschickt werden können. Ihn nervte der Empfang von Spams oder E-Mails von Personen, die ihm mit großer Häufigkeit schrieben und deren Inhalt nicht von großem Belang war. Im Umgang mit diesen Unmengen an E-Mails war er noch unsicher und wusste nicht, wie er vorgehen sollte. An einem Nachmittag saßen wir zusammen am Computer und löschten etwa 400 E-Mails von seiner Mailbox. Außerdem erklärte und zeigte ich ihm, wie er einige E-Mailadressen als Spam einstuft, so dass das E-Mailprogramm diese beim Empfang automatisch aussortiert. Mir war es besonders am Anfang unangenehm, Isaacs und Benkis E-Mails zu sehen. Aber für sie war meine Anwesenheit neben ihnen am Computer kein Problem. Sie baten um meine Präsenz bei der Bearbeitung der E-Mails und wollten einfach etwas lernen. Einmal musste ich für Benki eine E-Mail schreiben, da er meinte, dass ich schneller tippen könnte. Er diktierte mir den Inhalt und ich schrieb für ihn. Dabei wusste ich nicht, ob er sich schämte eine E-Mail in meiner Anwesenheit zu schreiben, da er noch nicht so daran gewöhnt war, sich schriftlich zu äußern, oder weil er den Text nur langsam eingeben konnte. Auf Fátimas Wunsch installierte ich die Software MSN Messenger. Mit dem Programm kann sie in Echtzeit mit Anderen außerhalb des Dorfs in Verbindung treten, unter anderem mit ihrem Ehemann Isaac, wenn dieser sich nicht im Dorf aufhält. Zurück in Deutschland nutzte auch ich diese Möglichkeit, um mit ihnen in Apiwtxa zu kommunizieren. Die Nutzung der Programme MSN Messenger und Skype und das Verschicken von E-Mails ermöglichten meine Kommunikation mit Isaac und Fátima und sporadisch mit Francisco und Benki nach meiner Rückkehr nach Deutschland – obwohl ich sie ebenfalls telefonisch erreichen kann, was allerdings etwas komplizierter ist als die Internetkommunikationsmöglichkeiten, wie ich auf Seite 169 näher beschreiben werde.

Probleme bei der Aneignung des Internet: Technologische Barrieren Auch wenn die Gruppe in die Nutzung des Internet eingeführt wurde und das Internet bereits funktioniert, wird die Gemeinschaft auf Hindernisse stoßen, zum Beispiel auf technologische Probleme, wie die Schwierigkeiten, die Geräte funktionstüchtig zu halten oder von der Notwendigkeit von Software-Updates bis zur Bekämpfung von Computerviren und Beseitigung von Verbindungsfehlern. Besonders dann bedürfen die Indigenen der Hilfe von Computertechnikern und Personen, die zu ihnen in ihre zum Teil entfernten Gemeinschaften reisen, um Fehler zu beheben oder

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Installationen durchzuführen. In meiner Feldforschung begegnete ich wiederholt diesen Schwierigkeiten. Eins der Probleme stellte zum Beispiel der defekte Wechselrichter des Solarmoduls dar, der kaputt ging, weil Isaacs Brüder, Benki und Moisés, mehrere Geräte auf einmal anzuschließen versuchten. Isaac wollte bei seiner Rückkehr aus dem Ausbildungskurs in Rio Branco den Wechselrichter von der Stadt mitbringen, er vergaß ihn aber auf dem Zwischenstopp in Cruzeiro do Sul. Aus diesem Grund mussten wir den Computer mit Dieselgeneratoren betreiben bis jemand den Wechselrichter von Cruzeiro do Sul mitbringen konnte, was zu einer sparsamen Nutzung des Computers und des Internet führte – aber insgesamt zu einer teuren Angelegenheit wurde. Drei Tage nach meiner Ankunft bekam einer der zwei vorhandenen PCs ein Problem mit der Speicherkarte und konnte nicht hochgefahren werden. Und wenige Tage später, als endlich Zeit da war, um mit Isaac und Fátima einige Arbeitsschritte über das Schreibprogramm Word zu erklären, zeigte der Computer eine Nachricht über die Infektion mit einem Computervirus. Weil ich nicht viel Zeit in Apiwtxa hatte, der neue Computer defekt war und noch ein Problem mit einem Virus aufgetreten war, zweifelte ich beinahe an dem Nutzen des Internet in solch abgelegenen Gemeinschaften. Ein infizierter, nicht funktionierender PC war das Letzte, was die Ashaninka und ich brauchten. Glücklicherweise konnte ich das Virusproblem selbst beheben. Wegen der immer wieder auftretenden technischen Schwierigkeiten fühlte ich mich oft nutz- und hilflos. Aber Isaac und Fátima unterstützten mich immer und ihre Gelassenheit dieser Technologie gegenüber ließ mich nicht verzweifeln. Noch ist es nicht leicht für indigene Gruppen, derartige Probleme mit eigenen Kräften zu lösen. Es fehlt vor allem an technischem Support oder jemanden aus der Gruppe, der sich mit der Technik auskennt, damit Computer und das Internet problemlos funktionieren können. Im Nordwesten Brasiliens kommt das Problem der weiten Entfernungen zu den Städten mit fähigem Computerfachpersonal hinzu. Manchmal erschien es mir ausgesprochen surreal, dass mitten im Dschungel in einer kleinen Holzhütte Internet per Satellit funktionieren kann. Aber es geht, manchmal auf farblosen, alten und defekten Bildschirmen. Gleichwohl funktioniert es und wird ständig eingesetzt. Neben den Bildschirmen und Tastaturen mitsamt Maus lag Rattenkot. Aber alles läuft solange gut, bis die Technik streikt, zum Beispiel weil die Festplatte nicht richtig einmontiert ist. Und weil keiner in der Gemeinschaft, mich einbezogen, das Problem lösen kann, muss dann der Computer-Tower per Motorboot in die nächste größere Stadt transportiert werden. Dies acht Stunden lang, gut verpackt in Plastiktüten, damit zumindest, falls ein Unglück geschehen und alles ins Wasser fallen sollte, der Computer heil in der größeren Stadt

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ankommt und nach der Reparatur weiterhin mitten im Urwald von der indigenen Gemeinschaft benutzt werden kann. Der laufende Kontakt mit ihnen per E-Mail, MSN Messenger oder Skype war für mich einerseits schön, um zu erfahren, wie es allen in Apiwtxa geht und andererseits nützlich, um über den Verlauf der Internetnutzung informiert zu bleiben. Dadurch erfuhr ich wiederholt von technischen Problemen mit den Computern, der Software oder dem Satellitenempfang, die manchmal sogar über Monate hinweg andauerten. Als ich im August 2006 aus Brasilien zurückkam, hatte ich lange nichts mehr von ihnen gehört und sie auch nicht mehr online im Programm Skype gesehen. Eines Tages im Oktober sprach ich mit ihnen wieder im Skype und Isaac erzählte mir, dass sie die letzten drei Monate, von August bis Oktober, ohne Internet waren. Oft sind es auch Personen, mit denen sie arbeiten und die etwas von Computer verstehen, die ihnen helfen, die Probleme zu beheben, wie zum Beispiel Wissenschaftler, Ingenieure oder Techniker, die wegen irgendeines Projektes die Ashaninka-Gemeinschaft besuchen. Manchmal müssen sie aber auch auf ein neues Gerät warten, das dann von der Stadt nach Apiwtxa transportiert werden muss. Trotz aller technischen Schwierigkeiten gaben die Ashaninka in Apiwtxa die Internetnutzung nicht auf. Um ein Beispiel über eine solche technische Unannehmlichkeit zu geben, möchte ich im Folgenden über ein Gespräch mit Isaac im Januar 2007 berichten.

Die Geschichte eines Virus Im Januar 2007 sprach ich über Skype mit Isaac. Er bat mich darum, ihm eine Beschreibung per E-Mail zu schicken, wie er einen Virus vom Computer entfernen könnte. Als ich 2005 dort war, fertigte ich auf DINA4-Blättern mit der Hand einige Beschreibungen darüber an, wie sie den Computer warten könnten, zum Beispiel wie sie den Speicherplatz frei von Datenmüll halten können, wie temporäre Dateien und Cookies gelöscht werden, wie das Anti-Virusprogramm AVG zu bedienen ist, wie Viren durch dieses Programm entfernt werden und dergleichen mehr. Dies war insofern wichtig, da das Anti-Virusprogramm AVG auf Englisch installiert wurde und keiner in der Ashaninka-Gemeinschaft Englisch spricht. In unserem Skype-Gespräch berichtete mir Isaac, dass sie meine Blätter leider verloren hätten und er mich deswegen um Hilfe bitten müsste. Ich war schier verzweifelt, weil ich ihm trotz der Entfernung von circa 16 Tausend Kilometern doch helfen wollte. Am liebsten wäre ich durch die Leitung zum Satellit und von dort wieder ins Amazonasge-

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biet »gesprungen«, aber da das »Beam me up, Scotty«41 noch nicht funktioniert, musste ich versuchen, durch eine E-Mail meinem Bekannten im Amazonasgebiet zu erklären, wie sie die Computerviren entfernen könnten; keine leichte Aufgabe zumal ich AVG selbst gar nicht benutze. Zum Glück war mein jüngster Bruder, der im Südosten Brasiliens wohnt, auch online im Skype und ich wusste, dass er AVG nutzte. Zusammen versuchten mein Bruder und ich durch eine Onlinekonferenz eine Anleitung zu produzieren, damit Isaac das Virusproblem selbst lösen konnte. Ich bat meinen Bruder immer wieder, bei verschiedenen Dialogfenstern des Anti-Virusprogramms zu klicken und die englischen Befehle zu zitieren, damit ich die Anleitung erstellen könnte. Ich suchte ebenfalls die Website von AVG auf und versuchte, von dort eine benutzerfreundliche Anleitung zu finden. Schließlich installierte ich das Programm auf meinem Computer, um zu sehen, ob es auch eine Anleitung auf Portugiesisch gab. Auf der Website von AVG erfuhr ich dann, dass dies der Fall ist und schickte Isaac per E-Mail den Link der Installation.42 Jetzt konnte ich nur noch hoffen, dass Isaac bei seinen Bemühungen erfolgreich sein würde. Trotz aller technischen Probleme konnte ich in Apiwtxa beobachten, dass die Nutzer bei Defekten am Gerät oder Internet die Ruhe nicht verlieren, sondern zur nächsten möglichen Methode greifen: also Telefonzelle oder Funkgerät. Und wenn alle drei Möglichkeiten nicht halfen, blieb nur, mit dem Motorboot in die nächste Ortschaft zu fahren oder eine Nachricht durch jemanden, der verreisen wird, weiter zu geben. Eine Lösung für diese technischen Schwierigkeiten wäre, wie öfter in dieser Arbeit erwähnt, die Ausbildung eines Ashaninka aus Apiwtxa zum Computertechniker. Aber dies ist noch nicht im Bereich des Möglichen bei den indigenen Gemeinschaften in Brasilien, die über einen Internetanschluss verfügen. Vielleicht wird die nächste Generation mehr Zugang zu Computer und Internet haben, sich mit der Technik besser auskennen und dann auch über eigene ComputerexpertInnen verfügen. Dies hängt aber auch damit zusammen, wie Projekte wie Rede Povos da Floresta oder Índios On Line sich für eine geeignete Computer-Ausbildung der Indigenen einsetzen werden.

41 Bekannte Redewendung von der amerikanischen Science Fiction-Serie Star Trek. »Beamen« oder Teleportation wird bezeichnet als » […] den Transport eines Gegenstandes von einem Ort zu einem anderen in minimaler Zeit, ohne dass das Objekt dabei physisch den dazwischen liegenden Raum durchquert« (Wikipedia, http://de.wikipedia.org/wiki/Teleportation vom 08. Oktober 2008). 42 Die Anleitung, die mein Bruder und ich vorbereitet haben, schien aber benutzerfreundlicher zu sein. 168

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Die Kommunikation mit der »Außenwelt« in Apiwtxa Neben der Inanspruchnahme des Internet als Kommunikationsmittel haben die Ashaninka am Fluss Amônia auch die Möglichkeit, das Telefon in einer Telefonzelle zu benutzen, die in der Nähe des Hauses des Stammesanführers Antônio eingerichtet wurde.

Abbildung 16: Telefonzelle in der Ashaninka-Gemeinschaft Apiwtxa. Mehrmals am Tag bekommen die Ashaninka-Anführer Anrufe aus Rio Branco, Brasília oder anderen Städten. Die Anrufe richten sich zwar praktisch nur an die Mitglieder der Familie Piyãko aufgrund von Projekten, Reisen und Kontakten zu Personen, Organisationen und Behörden außerhalb ihres Gebietes. Inhaltlich betreffen die Gespräche aber zum größten Teil Themen, die mit der ganzen Gemeinschaft zu tun haben, so dass Privatgespräche eher selten stattfinden. Hinzu kommt, dass die Bewohner Apiwtxas nur per R-Gespräch jemanden telefonisch erreichen können, sonst müssten sie Telefonkarten in der Stadt kaufen, um jemand anderen anrufen zu können. Aus diesem Grund empfangen sie meistens die Anrufe oder bitten um einen Rückruf mittels R-Gespräch. Da die jungen Anführer zu ganz verschiedenen Uhrzeiten ihren Tätigkeiten nachgehen müssen, sich im Ergebnis also überall befinden können, muss der Anrufer zweimal im Dorf anrufen, um beim zweiten Mal mit der gewünschten Person sprechen zu können. Die Dorfbewohner bitten also beim ersten Anruf darum, sich erneut nach ein paar Minuten zu melden, weil sie dem gewünschten Gesprächteilnehmer zunächst Be169

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scheid geben müssen, dass er einen Anruf erhalten wird. Meistens klappt es zwar mit dem zweiten Anruf, aber es passiert auch, dass die Anführer oder Bewohner des Dorfes sich zu der Telefonzelle begeben und erfolglos auf den zweiten Anruf warten. Dies ist für die jungen Anführer, die am häufigsten angerufen werden, anstrengend und unproduktiv. Hieran wird zugleich ein zeitlicher Vorteil des Internet deutlich, da es vor allem morgens (gegen 7:00 oder 8:00 Uhr), mittags oder abends (gegen 20:00 Uhr) benutzt wird, um die Korrespondenz ein oder zwei Stunden lang zu bearbeiten. So bleibt die übrige Zeit für andere Tätigkeiten frei.

Fernsehen und Video in Apiwtxa Dank einem Regierungsprojekt in den 1990er Jahren, erhielten abgelegene Gemeinschaften in Acre Parabolantennen für die Übertragung von Fernsehprogrammen via Fernsehsatelliten. Auch in Apiwtxa wurde solch eine Parabolantenne installiert, durch die die Bewohner brasilianische Fernsehsendungen empfangen konnten. Diese Möglichkeit wurde in Apiwtxa aber nach einiger Zeit wieder abgeschafft, da ältere Bewohner und Anführer schnell feststellten, dass dieses Medium für ihre Kultur nicht wichtig war und ihr sogar Schaden zufügen könnte. »Oft rannten alle, um Fernsehen zu gucken. Die Kinder sahen ihre Eltern nicht mehr, lernten nicht mehr die Heilkräuter zu nutzen und hörten keine Geschichten mehr«, so Benki. Isaac berichtete ebenfalls über die Abschaffung des Satellitenfernsehens in Apiwtxa und zeigte mir eines Tages die abgebaute Parabolantenne neben dem Haus seines Vaters Antônio und dem Fußballplatz.43 Benki berichtet: »A gente acabou com essa televisão. Começamos a transmitir vídeos do Rio Grande do Sul, do Xingu, de toda parte do Brasil, para saber a cultura dos outros parentes indígenas, o que está acontecendo nos outros povos, os massacres. E também o que está acontecendo dentro das comunidades, as preparações dos encontros, […]. Isso nos ajudou a nos defender. As pessoas se sentem muito mais felizes de dizer: ›Eu tenho a minha cultura. Eu tenho a minha sabedoria‹« (Rede Povos da Floresta 2005a).44

43 Pimenta (2002: 339) berichtet ebenfalls in seiner Arbeit über das Problem des Satellitenfernsehens in Apiwtxa und die Beschwerden des Schamanen Aricêmio. 44 »Wir beendeten die Nutzung des [Satelliten-]Fernsehens. Wir fingen an Videos aus Rio Grande do Sul, aus Xingu und ganz Brasilien zu zeigen, um etwas über die Kultur der anderen indigenen Verwandten kennen zu lernen, und darüber, was mit den anderen Gemeinschaften passiert, den Massakern. Und auch um zu sehen, was in den Gemeinschaften geschieht, wie sie 170

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Das Satellitenfernsehen wurde also von der Gemeinschaft Apiwtxa abgeschafft und das Fernsehen wird anders und gezielt eingesetzt durch die Vorführung von Videos über indigene Kulturen, die von Indigenen selbst produziert werden.45 Die Nutzung des Fernsehens für die Vorführung indigener Filmbeiträge, die ihrer Lebensrealität näher kommen, löste nach Benki eine bestimmte Bewunderung aus, vor allem wegen des Kenntnisund Erfahrungsaustausches, der durch dieses Medium stattfindet. Wenn die Medien Video und Fernsehen richtig eingesetzt werden, können diese Technologien, so Benki ausdrücklich, ein wichtiges Mittel für die Gruppe darstellen. Seit 1999 nehmen die Ashaninka am Fluss Amônia am Videoprojekt Video nas Aldeias46 teil, das einen wichtigen Schritt für ihre Gemeinschaft darstellte. Durch das Projekt haben sie die Möglichkeit, selber Filmbeiträge über ihre Kultur und ihr Alltagsleben zu produzieren (Pimenta 2002: 269ff.). Nach Benkis Auffassung wird eine Person, die von außen in eine indigene Gemeinschaft hinein kommt, um einen Film zu produzieren, nicht die Sicht der Gemeinschaft widerspiegeln oder zeigen, sondern sie wird ihre persönliche Sicht wiedergeben und das, was sie für wichtig hält, zeigen. Mehrmals werde dabei das für die Gemeinschaft Wichtigste nicht erfasst, sondern das, was am wenigsten wichtig sei. Benki berichtet: »Temos pessoas capacitadas a apresentar essa visão, a tradição e a cultura de um povo. Um equipamento, como uma filmadora, é um instrumento importante para mostrar o que está acontecendo nas nossas terras. Conseguimos denunciar para o mundo o que estava acontecendo na nossa terra através das filmagens que fizemos« (Rede Povos da Floresta 2005a).47

Die Nutzung von Technologien wie Video und Internet ermöglicht den Ashaninka, die Öffentlichkeit zu erreichen. Mit dem Internet zum Beispiel erfährt Brasilien und die Welt, was in und mit der Gruppe ge-

Feste oder Treffen vorbereiten, […]. Dies half uns, uns zu verteidigen. Die Menschen sind froh sagen zu können: ›Ich habe meine Kultur. Ich besitze meine Kenntnisse‹«. Vgl. auch Pimenta (2002: 269). 45 Wie ich bereits auf S. 138 schrieb, kann dies sich vielleicht ändern, wenn die brasilianischen Indigenen einen an sie gerichteten Sendeinhalt oder gar Einfluss auf diesen haben können (vgl. Ginsburg 2002: 41). 46 Projekt Video nas Aldeias, http://www.videonasaldeias.org.br. 47 »Wir haben Leute, die ausgebildet wurden, um diese Vision zu zeigen, die Tradition und die Kultur einer Gruppe. Ein Gerät, wie zum Beispiel eine Videokamera, ist ein wichtiges Mittel, um das zu zeigen, was in unseren Gebieten passiert. Wir konnten bereits der Welt mitteilen, was in unseren Gebieten geschieht durch die Videoaufnahmen, die wir produzierten«. 171

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schieht. Das Internet sei insoweit ein weiteres wichtiges Mittel, um ihre Botschaft an die Welt zu richten, so Benki. Dennoch bemerkt er, dass nicht jede indigene Gemeinschaft derartige Technologien benötigt. Auf jeden Fall sei bei der Aneignung eine gründliche und sorgfältige Vorbereitung erforderlich.

Interview mit Francisco Piyãko Während meiner Untersuchungen in Acre im September 2004 interviewte ich in Rio Branco Francisco Piyãko, den ältesten Sohn des Stammesanführers Antônio.48 Ein Jahr nach der Installation des Internet in Apiwtxa berichtete mir Francisco über die Bedeutung dieser Informations- und Kommunikationsmöglichkeit für seine Gruppe: »Lange Zeit ist es her, in der Zeit meiner Großeltern, da brauchten wir Monate, um eine Nachricht zu bekommen oder zu schicken. Um zu reisen oder eine bestimmte Stelle des Flusses zu erreichen, war zum Teil ein ganzer Monat nötig. Meine Großeltern erzählten mir, wie es damals war. Später kamen Radio, Telefon und das Internet, was vieles für uns und andere Gemeinschaften einfacher machte. Diese Art von Kommunikationsmitteln bedeutet keine Gefahr mehr. Ganz im Gegenteil: diese Kommunikationsmittel nicht zu haben, bedeutet für uns eine Gefahr! Früher während der Nutzung des Funkradios gab es eine Zeit, in der uns verboten war, in unserer Sprache zu kommunizieren. Ich habe diese Zeit noch erlebt. Heute gehört dies der Vergangenheit an. Durch den Kampf um unsere Rechte, eine Errungenschaft der indigenen Bewegung, eroberten wir die Freiheit zu kommunizieren und viele andere Rechte. Die Zeit, in der diese Mittel eine Gefahr für unsere Kultur bedeuten könnten, ist bereits vergangen. Heute helfen diese Medien, uns auszudrücken. Durch ihre Mechanismen und Technologien können wir die Wirklichkeit der Welt, in der wir leben, sehen und fühlen und gleichzeitig erfahren, was um uns herum geschieht. Heutzutage dienen diese Technologien dazu, unsere Völker zu schützen. Und sie dienen uns ebenfalls als Spiegel, um zu sehen in welche Richtung wir uns bewegen. Aber es ist auch wichtig, die Gemeinschaft auf die richtige Weise vorzubereiten, damit diese den Einfluss, den das Internet über die Gemeinschaft haben kann und den Einfluss, den Du durch die Nachrichten auf andere Menschen

48 Francisco Piyãko war von 1998 bis 2006 in Rio Branco als Staatssekretär des Secretaria Extraordinária dos Povos Indígenas do Acre (SEPI- Sondersekretariat der indigene Völker des Bundestaates Acre) tätig. Im Jahr 2007, mit der Schließung des SEPI wurde Francisco Piyãko vom neuen Gouverneur Binho Marques in den Gouverneur-Beirat für indigene Fragen (Assessoria Especial Indígena do Gabinete do Governador) berufen. 172

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hast, verstehen kann. Es ist notwendig, eine Kontrolle über die Informationsflut zu behalten. Durch eine Nachricht, die Du der Welt bekannt gibst, kannst Du sogar einen Schock verursachen, falls die Gemeinschaft nicht auf diese Information vorbereitet ist. Es ist notwendig, den Austausch von Informationen mit Verantwortung durchzuführen. Denn, wenn wir über ein Problem sprechen oder berichten, dann gehört dieses Problem nicht nur unserer Ethnie, sondern es handelt sich meist um ein regionales Problem oder betrifft mehrere Gemeinschaften und nicht nur die Ashaninka-Gemeinschaft. Deswegen ist eine Vorbereitung auf die Nutzung dieser Kommunikationsmethoden notwendig. Wir müssen wissen, zu wem wir gerade durch das Internet sprechen. Es ist notwendig, dass die indigenen Völker sich gegenseitig besser kennen lernen. Oft sprechen indigene Vertreter in Brasília im Namen der indigenen Völker, ohne die Wirklichkeit und ihre wahren Bedürfnisse zu kennen. Die Ashaninka besitzen das Wissen, um das Internet zu nutzen und wissen ebenso, wie Probleme mittels des Internet gelöst werden können. Das Internet bedeutet viel für unsere Gemeinschaft. Wir haben jetzt ein Büro mit Computer und Internetzugang in unserem Dorf, von dem aus wir Probleme lösen sowie Reisen und Treffen organisieren können. Es ist nicht mehr notwendig, den Stamm zu verlassen oder weit zu reisen, um bestimmte Dinge zu koordinieren. Wir können die meisten Angelegenheiten von unserem Dorf aus regeln. Dies führt auch zur Kosteneinsparung. Früher mussten wir die Miete für ein Büro in Cruzeiro do Sul zahlen (circa R$ 600,00 pro Monat), heute haben wir dagegen unser Büro innerhalb unserer Gemeinschaft […]. Wenn die Gemeinschaft dieses Medium beherrscht, kann sie sehr vieles tun. Aber wenn umgekehrt das Medium die Gemeinschaft beherrscht, fängt diese an, sich zu verlieren. Es ist wichtig, die Technologie zu beherrschen und nicht zu erlauben, dass das Gegenteil geschieht. Es ist notwendig, dass die Ethnie das Internet auf ihre Art und in ihrer Sprache benutzt. Die Ethnie muss die Kontrolle über das Internet behalten. Es gibt immer das Risiko, unter schlechte Einflüsse zu geraten, weil es auch den Zugang zu schlechten Sachen gibt. Du fängst an, Vieles kopieren zu wollen, viele Dinge anzuzetteln. Das Internet soll als Arbeitmittel dienen und nicht als Mittel, das zur nachteiligen Veränderung der Gemeinschaft führt […]. Bei den Übergriffen in unser indigenes Land hat das Internet viel geholfen. Es war das einzige Mittel, das wir besaßen, um mit den anderen in Verbindung zu treten. Durch das Internet zum Beispiel konnten wir auch die ›Ashaninka-Woche‹ an der Universität in Brasília organisieren. Alles wurde von unserem Dorf aus organisiert und geplant. Das Internet erweist sich als ein gutes Medium für unsere Gemeinschaft und für die anderen auch. Es wäre sehr gut, wenn die anderen indigenen Gebiete ebenfalls diese Möglichkeit haben könnten«.

Laut Francisco war der erste Schritt seiner Gemeinschaft zur Kommunikation nach außen die Gründung der Ashaninka-Vereinigung APIWTXA im Jahr 1991. Damals besaßen sie ein kleines Batterieradio, über das sie

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Nachrichten von Versammlungen empfangen konnten, an denen die Gemeinschaftsanführer teilnehmen sollten: »A gente não tinha como dizer para eles que não ia dar para participar. Tinhamos que ir até lá. Era muito longe, levava uma semana para chegar até a cidade de Cruzeiro do Sul. Depois chegaram uns rádios de comunicação, que nos permitiam responder« (Rede Povos da Floresta 2005a).49

Erst später bekamen sie ein Funkradio, mit dem eine Antwort auf Nachrichten von außerhalb der Gemeinschaft möglich wurde. Auch seine Mutter Dona Piti50 soll eine Rolle in der Kommunikation der AshaninkaGemeinschaft am Fluss Amônia nach außen gespielt haben. Dona Piti, eine Weiße aus der Region, brachte ihm und seinem Bruder Isaac bei, ihre Namen zu schreiben. Dadurch soll sie ihnen die Verantwortung dafür gegeben haben, die Schriftwelt als eine Form der Kommunikation zu entdecken. Einer der wichtigsten Schritte zur Bildung und Stärkung ihrer Gemeinschaft war aber nach Franciscos Bericht die Schule, die sie im Jahr 1992 gründeten. Sein Bruder Isaac wurde der erste Lehrer im Dorf Apiwtxa. Ergänzend fügt Francisco hinzu, dass sie es nur langsam schafften, die Probleme der Gemeinschaft zu lösen und sie heute den Punkt erreicht hätten, an dem sie über die Rolle des Internet in indigenen Gemeinschaften diskutieren können (Rede Povos da Floresta 2005a). Bereits ein Jahr nach der Einrichtung des Internet in ihre Gemeinschaft konnten die Ashaninka von Erfolgen in der Nutzung dieses Mediums berichten. Die Auseinandersetzung mit peruanischen Holzabbaufirmen und der Versuch der Ashaninka, Unterstützung von der brasilianischen Regierung zu erhalten, um die Übergriffe von Mitarbeitern der peruanischen Holzabbaufirmen und Drogenhändlern in ihrem Gebiet zu stoppen, war dabei ausschlaggebend. Durch die Verbreitung von E-Mails erreichten die Ashaninka die dringend benötigte und seit langem geforderte Unterstützung der brasilianischen Regierung, die es durch die Verlegung des Militärs auf Ashaninka-Gebiet erreichte, den peruanischen Invasoren Einhalt zu gebieten und aus dem Land zu drängen. Diese E-Mail ging um die Welt und ich las sie zufällig auf der Website eines brasilianischen Bekannten, der in Hamburg lebt und eine Website betreibt:

49 »Wir hatten nicht die Möglichkeit zu sagen, dass wir daran nicht teilnehmen konnten. Wir mussten bis dorthin reisen. Es war sehr weit und wir brauchten eine Woche bis wir in der Stadt Cruzeiro do Sul waren«. 50 Dona: Brasilianische Bezeichnung für Frau, Synonym von Senhora. 174

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»Mensagem original----De: Benki Pinhanta [mailto:[email protected]] Enviada em: terça-feira, 17 de agosto de 2004 15:49 Assunto: Fwd: relato dos problemas de invasão Liebe Freunde Wir brauchen Eure Unterstützung, um Druck auf die brasilianische Regierung auszuüben, damit sie die Invasionen auf unser Gebiet, nahe der Grenze mit Peru, die von peruanischen Holzhändlern durchgeführt werden, bekämpfen. Wer Kontakt zu den Vereinten Nationen oder Personen hat, die uns bei diesem Problem unterstützen können, bitten wir darum, Organisationen und Personen zu mobilisieren, damit nicht noch Schlimmeres mit dem Volk der Ashaninka in Brasilien geschieht. Seit 18 Jahren kämpfen wir und versuchen die Natur auf unserem Gebiet zu schützen, für das Wohlbefinden der Ashaninka und der ganzen Bevölkerung um unser Gebiet herum. Wir bekommen keine Anerkennung für das, was wir für unser Land tun. Wir leiden unten den Angriffen der Holzhändler, die die Wälder und Tierwelt unserer Gebiete zerstören. Muss erst etwas Schlimmeres mit unseren Anführern passieren, wie es im Fall von Chico Mendes war, damit andere auf unser Problem aufmerksam werden? Oder das, was mit unseren Verwandten Gaviões geschah? Und ebenso mit anderen indigenen Anführern, die für die Rechte der Indigenen gekämpft haben und dafür sterben mussten? Wir fordern Schutz für die Anführer unseres Volkes. Seid umarmt, Benki Piyãko«

Am selben Tag verfasste Isaac Piyãko ebenfalls eine E-Mail zur Berichterstattung über die Lage im Ashaninka Gebiet am Fluss Amônia: »-----Mensagem original----De: Isaac Pinhanta [[email protected]] Enviada em: terça-feira, 17 de agosto de 2004 14:07 Para: [email protected] Assunto: relato dos problemas de invasão Gemeinschaft Apiwtxa, 16. August 2004 Wir, die Ashaninka des indigenen Gebietes Kampa am Fluss Amônia,51 führten etliche Arbeiten zum Schutz der Umwelt und ihrer Ressourcen durch, und das 51 Weil die Ashaninka ursprünglich von den Nicht-Indigenen als Kampa-Indigene bezeichnet wurden, wurde das Ashaninka-Gebiet als Terra In175

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seit der Entstehung unseres Gebietes. Heute haben wir aufgrund unserer Arbeit mehrere Ergebnisse erreicht. Trotz der vielen Drohungen von außen und Invasionen schaffen wir es, die Natur und ihre Umwelt zu schützen. Für die Gesellschaft ist es heute nichts Neues, dass wir behutsam mit dem Leben auf unserem Planeten umgehen müssen. Deswegen müssen einige Methoden, um Geld zu verdienen, geändert werden. Alle Autoritäten wissen über die Invasionen durch peruanische Holzhändler an der Grenze mit Peru und auf unserem Gebiet Bescheid. Dabei waren es immer die Ashaninka, die unter den Angriffen litten. Wir wurden mehrmals mit dem Tod bedroht und wurden etliche Male angegriffen. Wir benachrichtigten die brasilianische Justiz über die Bedrohungen und Angriffe. Seit 1999 sind wir dazu übergangen, diese Taten anzuzeigen. Seitdem begannen die Holzgroßhändler damit, unser Gebiet massiv anzugreifen […]. Ich kann mich an die Umweltkonferenz ECO 92 erinnern, wo Vertreter vieler Länder ein Abkommen für das 21. Jahrhundert zum Schutz der Umwelt auf unserem Planet unterzeichneten. Als Folge der Angriffe und Drohungen fand am 28. Juli ein Kampf zwischen den Ashaninka und zwei Peruanern statt. Einer der Peruaner erlitt ernsthafte Verletzungen […]. Am 7. August fuhren die Ashaninka Ecê und Minãko den Fluss Amônia hoch und fanden Tausende von toten Fischen. Die Fische starben durch Gifte, die in den Fluss eingeleitet wurden. Wir wissen noch nicht, wer dies getan hat, die Asheninka aus Peru oder die Holzhändler. Wir Asheninka52 des Dorfes Apiwtxa fordern schnellstens ein Gespräch mit dem IBAMA, der FUNAI, und der Bundespolizei, sowie mit Vertretern der brasilianischen Regierung zur Vorbereitung eines Treffens mit Autoritäten der brasilianischen Regierung, den Holzhändlern sowie den Anführern der Asheninka-Gemeinschaften der Sawawo, Doce Gloria und Victoria, damit die Probleme geregelt werden, ohne dass wir, die Ashaninka aus Brasilien, benachteiligt werden. Isaac Pinhanta«

dígena Kampa do Rio Amônia (Indigenes Gebiet Kampa am Fluss Amônia) im Register eingetragen. 52 In der Aussprache nennen sich die Ashaninka am Fluss Amônia »Asheninka« (Mendes 1991: 42). 176

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Diese E-Mails wurden von Benki und Isaac Piyãko verfasst und von Bekannten korrigiert, die seit Jahren mit ihnen arbeiten. Verschiedene Organisationen und Menschen auf der ganzen Welt erhielten diese E-Mails und übten Druck auf die zuständigen Behörden in Brasilien. Meines Erachtens kann diese E-Mail für die Ashaninka der Schlüssel zum Verständnis für die Stärke, welche mit der Kommunikation durch das Medium Internet verbunden ist, gewesen sein. Auch wenn diese wahrscheinlich die erste E-Mail war, in der die Ashaninka um Unterstützung baten und auf diese Weise eine hohe Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit erzielten, setzen sie sich bereits seit den 1980er Jahren mit Regierung und Behörden auseinander in ihrem Kampf um ihr Land, für ihre Kultur und ihre Gruppe. Die jungen Ashaninka-Anführer Moisés, Benki, Francisco und Isaac Piyãko haben bereits eine lange Erfahrung in der Führung von Gesprächen mit Organisationen, Politikern und Behörden. Diese Erfahrung erarbeiteten sie sich bei ihrem Einsatz für ihre Gruppe. Francisco Piyãko vertritt seine Gruppe seit den 1980er Jahren. Schon damals nahm er am Aliança dos Povos da Floresta (Bündnis der Völker des Waldes) teil, gegründet um die Rechte der Indigenen, Kautschukzapfer und Uferbewohner Amazoniens zu schützen. Heute lebt Francisco in Rio Branco, der Hauptstadt Acres, ist Regierungsbeauftragter für indigene Fragen und vertritt in der Politik die Indigenen Acres. Auch seine Brüder Moisés, Benki und Isaac setzen sich seit den 1980er und 1990er für ihre Gruppe außerhalb ihres Gebietes ein. Sie sind ständig unterwegs, um sich mit Rechtsproblemen, die ihre Gemeinschaft betreffen zu befassen und an Kongressen, Tagungen oder Workshops teilzunehmen. Auch ins Ausland reisen sie, um ihre Kultur zu vertreten. Benki und Moisés zum Beispiel reisten in den 1990ern nach New York und nahmen an einer Sitzung der Vereinigten Nationen teil. Alle diese Begegnungen mit Regierungsorganen, verschiedenen Institutionen und Personen führen zu einer Redegewandheit, die auch in ihrer Oraltradition eine wichtige Rolle spielt. Das Internet bringt sie jetzt dazu, diese aufs Papier oder einen Computer-Bildschirm zu bringen.53

Die Bedrohung jenseits der Grenze Im Februar 2004, als ich den Ashaninka-Lehrer Isaac Piyãko, um die Erlaubnis bat, in sein Gebiet reisen zu dürfen, erfuhr ich von den Schwierigkeiten der Ashaninka am Fluss Amônia mit den Übergriffen auf ihr

53 Zum Aspekt des »shifting« von der mündlichen zur schriftlichen Kultur siehe Goody (2000). 177

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Gebiet. Damals, als ich ihn über die Lage befragte, wirkte Isaac unruhig und erwähnte die Bereitschaft seiner Gemeinschaft in den Krieg zu ziehen, um ihre Probleme zu lösen, weil die Regierung trotz jahrelanger Appelle nicht reagierte. Sie waren innerlich bereits auf einen Krieg eingestellt und trainierten schon ihre Männer. Mir wurde der Ernst der Lage erst klar, als ich im September 2004 die oben erwähnten E-Mails bekam und auf Websites fand. Erst im Jahr 2005, durch die Feldforschung im Ashaninka-Dorf Apiwtxa, durch die Interviews sowie ihre Erzählungen über die Konflikte seit dem Jahr 1999 und deren Eskalation konnte ich mir ein genaueres Bild über ihre damalige Lage machen. Einige Anführer Apiwtxas, wie Benki und Moisés, bekamen immer wieder Morddrohungen. Peruanische Mitarbeiter der Holzabbaufirmen kamen in die Gemeinschaft und versuchten die Ashaninka einzuschüchtern – oft waren diese betrunken und belästigten die Ashaninka-Frauen. Mehrere Monate lang war die Spannung groß. Ein Mitarbeiter der Comissão Pró-Índio do Acre (CPI/AC) berichtete mir im März 2005 ebenfalls über das Ausmaß des Konfliktes im Jahr 2004 und die Spannung, als er zusammen mit anderen Nicht-Indigenen ins Ashaninka-Gebiet reiste, um ihnen zu helfen. Als ich in Apiwtxa im Jahr 2005 mit einer Gruppe peruanischer Ashaninka ankam, die dahin reisten, um die Gemeinschaft kennen zu lernen, beschrieb Moisés, der zweitälteste Sohn des Stammesanführers Antônio, dass sein Haus, am äußersten Punkt des Dorfes gelegen, im Fall eines Überfalls durch die Peruaner als erstes angegriffen werden würde. Daraufhin zeigte er uns die Gewehre, die am Eingang des Hauses zur schnellen Verteidigung positioniert waren. Daneben lagen auch Pfeile und Bogen.54 In einem späteren Gespräch berichtete er mir über die hohe Anspannung im Dorf im Jahr 2004 und, dass sogar die Kleinen die Schwere der Lage ihrer Eltern erkannten. Eines Tages, so Moisés, als der Sohn eines Ashaninkas realisierte, dass sein Vater mit der Vorbereitung auf einen möglichen Kriegszug beschäftigt war, sagte der 4Jährige zu ihm: »Papa, ich möchte mit Dir kämpfen und in den Krieg ziehen«. Für die Gemeinschaft sei die Vorstellung sehr traurig gewesen, ihr Land mit Gewalt verteidigen und dabei vielleicht sterben zu müssen. Falls sie keine Hilfe der Regierung bekommen würden, rechneten alle mit einer Eskalation des Konflikts. Es wurde in Erwägung gezogen, in einen Krieg für den Schutz ihrer Kultur und Gemeinschaft zu ziehen, so wie sie einst auch gegen andere Gruppen gekämpft hatten (vgl. Pimenta 2002: 159160, 173). In einer der größten und weit verbreiteten Zeitung Brasiliens, der Folha de São Paulo, wurde bereits im Jahr 2001 über die Konflikte

54 Pimenta (2002: 173, 336) erwähnt in seiner Arbeit die kriegerischen Fähigkeiten von Moisés Piyãko. 178

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und Übergriffe auf Ashaninka-Gebiet am Fluss Amônia berichtet. Ein Zitat von Moisés stellt den Ernst der Lage dar und den Versuch, ganz Brasilien auf ihre Probleme aufmerksam zu machen: »Estamos preparados para defender a nossa tribo. Queremos que tudo seja resolvido de forma pacífica, mas se a natureza estiver em risco e nada for feito, nós vamos matar e morrer lutando pelo nosso povo« (Aussage von Moisés Piyãko über die peruanischen Übergriffe auf brasilianisches Ashaninka-Gebiet. Quelle: Scolese 2001).55

Benki und Isaacs E-Mails vom September 2004 waren möglicherweise die letzten Versuche der Ashaninka, den Konflikt mit den peruanischen Holzabbaufirmen, die auf brasilianischem Ashaninka-Gebiet illegal abholzen, friedlich zu lösen. Hätte die brasilianische Regierung nicht auf ihren Appell reagiert, der von nationalen und internationalen NGOs unterstützt wurde, wäre es unter Umständen zu einer bewaffneten Auseinandersetzung gekommen. In der Gesprächsrunde vom Projekt Rede Povos da Floresta im Juni 2005 in Rio de Janeiro über die Bedeutung des Internet berichtete Benki über die Wirkung dieser E-Mail zur damaligen Lage: »Enviamos uma pequena mensagem pela internet, e até o presidente da República quis saber o que estava acontecendo. O Brasil ficou sabendo o que estava acontecendo em nossa casa e outros países, como os Estados Unidos, também, além da ONU« (Rede Povos da Floresta 2005c).56

Auch wenn diese elektronische Nachricht nur eine knappe Darstellung der Lage der Ashaninka-Gemeinschaft am Fluss Amônia seit 1999 enthielt und sie nicht das tatsächliche Ausmaß der Auseinandersetzung mit den Mitarbeitern der peruanischen Holzabbaufirmen widerspiegelte, schafften es die Ashaninka, durch diese Kommunikationsmöglichkeit, die Öffentlichkeit zu erreichen, Organisationen und Behörden einzuschalten, Unterstützung von außen für die Lösung ihrer Probleme zu finden und somit Schlimmeres zu verhindern. Auf diese Weise bestätigt

55 »Wir sind vorbereitet darauf, unsere Gemeinschaft zu beschützen. Wir möchten, dass alles friedlich gelöst wird, aber wenn die Natur bedroht ist und nichts passiert, werden wir töten und sterben im Kampf für unser Volk«. 56 »Wir schickten eine kleine Nachricht durch das Internet. Sogar der Präsident wollte wissen, was los war. Ganz Brasilien erfuhr, was bei uns geschah und auch andere Länder wie die USA aber auch die UNO wurden darauf aufmerksam«. 179

DIE INDIGENEN BRASILIENS UND DAS INTERNET

sich das Internet für die Ashaninka am Fluss Amônia als wichtiges Informations- und Kommunikationsmittel zur schnellen Verbreitung von Botschaften und zum Schutz der Gemeinschaft.

»Kein Internet zu haben, bedeutet Gefahr« Während meiner Forschung wurde ich immer wieder gefragt, ob die Präsenz des Internet in indigenen Gemeinschaften ein Risiko für die jeweiligen Kulturen darstellen könnte. Obwohl bis jetzt im Wesentlichen über die Vorteile der Internetnutzung gesprochen wurde, gibt es durchaus Skeptiker, die das Internet für einige Gemeinschaften als Gefahr betrachten. Kelvin Wong zum Beispiel kritisiert, dass eine der Gefahren (bei einer Untersuchung dieser Art) in der impliziten Annahme bestehe, dass alle indigenen Gemeinschaften »online gehen« sollten. Wenn sich auch viele Gemeinschaften einen Internetzugang wünschen, so seien doch nicht alle darauf vorbereitet. Die Entscheidung, online zu gehen, müsste nach Wong von der Gemeinschaft und nach Beratung des Einzelnen mit vertrauten Experten, Führern und Älteren getroffen werden. Darüber hinaus vertritt Wong (o.D.: 4) die Meinung, dass Indigene mit den neuen Technologien vorsichtig umgehen sollten, da sonst der Verlust der Kultur oder der Diebstahl des geistigen Eigentums und der traditionellen Kenntnisse zu befürchten sei (vgl. S. 88). Ein weiteres kritisches Bedenken rührt daher, dass im Web alles angeboten wird und es weiterhin schwer ist, von Datenmüll und »unerwünschtem Zeug« Abstand zu halten. Vom Informationsmüll bis zu Pornographie im Netz, zwischen Popups und Spam, Viren und Hackern: aber dem Chaos entgeht niemand, weder Indigenen noch Nicht-Indigenen. Wong betont deswegen die Notwendigkeit der Aufklärung indigener Gemeinschaften über die Vorteile aber auch die Gefahren des Internet – eine Maßnahme, die ich bei den Einführungskursen der Internetprojekte in Brasilien beobachten konnte: »The remote Aboriginal community considering getting connected to the Internet would be well advised to consider the risks as well as the rewards« (Wong o.D.: 4). Auch wenn einige den Schritt indigener Gemeinschaft in Richtung Mediennutzung als eine Art »Faustian Contract«, oder »[…] a final assault on culture, language, imagery, relationship between generations, and respect for traditional knowledge« (Ginsburg 1992: 360) sehen, zeigt sich die Präsenz von medialen Technologien in indigenen Gemeinschaften, insbesondere wenn sie die Kontrolle über diese haben und über diese bestimmen können, eine nach Ginsburg (2002: 41) sogenannte »revitalisierende Rolle«, indem indigene Gruppen sich intensiv mit ihren eigenen Kulturen befassen. Ginsburg schreibt:

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»Rather then destroying Inuit cultures as some predicted would happen, these technologies of representation – beginning with the satellite television transmission to Inuit communities of their own small-scale video productions – have played a dynamic and even revitalizing role for Inuit and other First Nation people, as a self-conscious means of cultural preservation and production form of political mobilization« (Ginsburg 2002: 41).

Ich versuchte von vornherein den Indigenen zu ermöglichen, selbst ihre Meinung darüber zu äußern. In allen Interviews stellte ich die Frage nach einer möglichen Gefährdung der Gruppe oder Kultur durch die Präsenz des Internet. Die von mir interviewten Ashaninka und Yawanawa zeigten sich bereits über die Möglichkeiten des Internet informiert, sowohl von ihren positiven als auch negativen Seite. Der Yawanawa Aldaiso Vinnya vertritt die Meinung, dass das Internet keine Gefahr mit sich bringe, solange es ihren Alltag nicht verändert, es nicht zur Abhängigkeit führt, sondern kontrolliert und zum Wohle der Gemeinschaft eingesetzt wird. Der einzige Indigene, der sich zur Zeit meiner Forschung in Acre besorgt über eine mögliche Aneignung des Internet durch seine Gemeinschaft äußerte, war der Huni Kuĩ José de Lima Kaxinawá (vgl. S. 121). Damals erklärte er seine Befürchtung mit der Tatsache, dass seine Gemeinschaft das Internet noch nicht kannte, was im Ergebnis zu einer ungebremsten Nutzung dieser Technologie führen könnte. Wichtig ist zu erwähnen, dass seine Gemeinschaft zu dieser Zeit (März 2005) noch kein Aufklärungsgespräch über die Nutzung des Internet zum Beispiel mit dem Projekt Rede Povos da Floresta durchgeführt hatte. Francisco Piyãko ist der Meinung, das Risiko, dass einige Gruppen mit dem Internet ernste Probleme haben könnten, sei bereits überwunden. Seiner Auffassung nach gibt es für die Indigenen keinen Grund zur Angst. Vielmehr müsse ein Weg gefunden werden, damit die Technologie zur Wahrung und Sicherung ihrer Identität und ihrer Kenntnisse eingesetzt werden könnte. Auch sei es wichtig, dass indigene Gemeinschaften in Stand gesetzt werden, solche Informationen durch das Internet zu verbreiten, die für die Gesamtgesellschaft wichtig sind. Die Beherrschung der neuen Technologien durch ihre Gemeinschaften sei unabdingbar, damit sie sich selbst und ihre Sache darstellen und verteidigen können, um nicht von der Gesellschaft insgesamt »verschluckt« zu werden (Rede Povos da Floresta 2005f). Außerdem ist Francisco davon überzeugt, dass Fehler, die bei der Internetnutzung am Anfang gemacht wurden, jetzt insbesondere durch einen Erfahrungsaustausch zwischen den indigenen Gruppen vermieden werden können. Während einer Diskussionsrunde im Juni 2005 in Rio de Janeiro zwischen Indigenen und Vertretern verschiedener Organisationen zum Austausch von Erfahrungen mit dem Internet und zur Beratung über die Zukunft des Projektes 181

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Rede Povos da Floresta führt Francisco Piyãko folgendes über das Internet und die Ashaninka am Fluss Amônia aus: »Num determinado momento, para não se acabar, o povo indígena teve que se entregar e deixar essa outra cultura dominante dizer o que tinha que ser feito, proibindo os nossos parentes de falar a língua, proibindo de ser. Diante de uma pressão tão grande, nosso povo muitas vezes se escondia de dizer que era índio. Era uma estratégia de defesa. Ao longo do tempo isso foi amadurecendo. Percebemos que o nosso povo indígena já assumiu a sua identidade, ele não se esconde mais. É um momento bem diferente. Talvez a tecnologia possa nos ajudar a recuperar todas essas perdas que tivemos ao longo do tempo. Está na hora de pensarmos dessa maneira […]. Talvez possamos passar com mais velocidade esse orgulho, essa vontade, essa força, isso que sentimos hoje. Estamos no caminho certo, não dá para fugir desse contato. É um caminho sem volta. A tendência é cada um se preparar mais, porque isso não muda a cultura de um povo quando ele está fortalecido. Ajuda a fortalecê-lo« (Rede Povos da Floresta 2005f).57

Aus Franciscos Aussagen lässt sich auch die kulturelle Dynamik der Ashaninka-Kultur am Fluss Amônia erkennen, die vor allem das Ergebnis des Zusammentreffens mehrerer verschiedener Kulturgruppen während der vergangenen Jahrhunderte ist. Die durch die europäisch geprägte postkoloniale Kultur unterdrückten Indigenen mussten sich den Umständen ihrer Lage anpassen, um als Gruppe weiter existieren zu können.

57 »Zu einer bestimmten Zeit mussten sich die Indigenen, um nicht auszusterben, ergeben und zulassen, dass eine andere dominantere Kultur entschied, was zu tun sei und unseren Verwandten verbot [hier sind die Indigenen gemeint], ihre eigene Sprache zu sprechen und sie selbst zu sein. Unter diesem großen Druck verleugnete unser Volk mehrmals seine eigene Identität, um zu überleben. Aber mit der Zeit wurde unser Volk reifer. Wir sehen jetzt, dass sich unsere Gruppe zu ihrer Identität bekennt. Es versteckt sich nicht mehr. Heute ist also eine ganz andere Zeit. Vielleicht kann die neue Technologie uns helfen all die Verluste, die wir in der Vergangenheit erlitten haben, wieder auszugleichen. Es ist Zeit, so zu denken […]. Vielleicht können wir diesen unseren Stolz rascher weiter geben und die Lust und Kraft, die wir heute empfinden. Wir sind auf dem richtigen Weg, wir können nicht vor diesem Kontakt fliehen. Es gibt keinen Weg zurück. Die Tendenz ist, dass sich jeder darauf vorbereiten muss, weil dies [die neue Anpassung] die Kultur einer Gruppe nicht ändert, falls sie in sich gestärkt ist. Es hilft ihr sogar, sie zu stärken«. 182

DAS VERHÄLTNIS DER YAWANAWA UND ASHANINKA ZUM INTERNET

Viele Gruppen schafften dies allerdings nicht, lösten sich auf, erloschen oder wurden infolge der kulturellen Begegnung zerstört. Nach Franciscos Auffassung ist es für seine Kultur wichtig, mehr über das Leben anderer zu erfahren. Wenn die Gruppe gut organisiert sei und jeder seine Aufgabe in der Gemeinschaft habe, gebe es keine Notwendigkeit etwas aus dem Internet nachzuahmen. Seiner Meinung nach sei es wichtig zu beobachten und andere Dinge kennen zu lernen, jedoch müsse die Gruppe in sich gestärkt sein und auch die Fähigkeit haben, ihren eigenen Raum so zu gestalten, dass sie nicht unter den neuen Anpassungen leidet. Francisco betont: »Não estamos trazendo coisas de fora, mas passando coisas do nosso povo para fora« (Rede Povos da Floresta 2005f).58 Trotz aller bisherigen positiven Bemerkungen der Ashaninka-Anführer der Gemeinschaft Apiwtxa über das Internet machte Francisco, sowohl im Interview mit mir als auch während der Gesprächsrunde in Rio de Janeiro im Juni 2005, darauf aufmerksam und räumt ein, dass das Internet durchaus auch zu Schwierigkeiten führen kann: »Às vezes, num momento de aflição, de ameaça ou de revolta, podemos mandar uma mensagem que pode causar um problema grave, diplomático, uma série de coisas. Tudo isso tem que ser considerado. A internet tem um poder muito grande de construir coisas boas e também de destruir essas coisas num tempo bem pequeno« (Rede Povos da Floresta 2005c).59

Nicht zuletzt deshalb weist Francisco Piyãko auf die Notwendigkeit einer sorgfältigen, überlegten Nutzung des Internet hin, da indigene Gemeinschaften mit einem breiten Feld von Aspekten, Diskussionen und Auseinandersetzungen zu tun haben. Seiner Meinung nach sei es für die Gemeinschaft wichtig zu verstehen, was in und mit ihr durch die Aneignung der neuen Technologie geschieht und welchem Zwecke sie dienen soll, damit diese nicht als Mittel gegen die eigene Gruppe eingesetzt werden kann (Rede Povos da Floresta 2005c).

58 »Wir sind nicht dabei, externe Kulturelemente in die Gemeinschaft einzuführen, sondern wir verbreiten Elemente unserer Gruppe nach außen«. 59 »Manchmal, in einem Augenblick voller Verzweiflung, Bedrohung oder Aufruhr können wir eine Nachricht schicken, die dann [ihrerseits wieder] ein ernstes Problem auslösen kann. Das alles muss in Erwägung gezogen werden. Das Internet hat eine große Macht und kann viele gute Sachen aufbauen, aber diese auch in kurzer Zeit zerstören«. 183

DIE INDIGENEN BRASILIENS UND DAS INTERNET

Die Ashaninka versus Forestal Venao SRL Kurz vor dem Abschluss meiner Dissertation nutzten die Ashaninka im Juli 2007 erneut das Internet, um die Öffentlichkeit über neue Invasionen peruanischer Holzfirmen in ihr Gebiet zu informieren. Zum wiederholten Mal holzt die peruanische Firma Forestal Venao SRL illegal auf Ashaninka-Gebiet ab, diesmal mit größeren Maschinen und mehr Personal. Aufgrund dessen verfassten die Ashaninka-Anführer rasch einen offenen Brief, der den Fall schilderte und verschickten diesen am 04. Juli an Organisationen und Bekannte auf der ganzen Welt. Auch wenn sie den Zwischenfall direkt an Regierungsbehörden meldeten, waren sie wieder auf Druck von NGOs aus dem In- und Ausland angewiesen, damit die Regierung Maßnahmen gegen die Übergriffe ergreift. Hier die Rundmail der Ashaninka: »Von: apiwtxa ashaninka [mailto:[email protected]] Gesendet: Mittwoch, 4. Juli 2007 21:13 An: [email protected] Betreff: 04/07 Carta denúncia das lideranças Ashaninka do Rio Amônia Caros amigos Continuamos nossa luta para impedir o avanço das madeireiras que já adentram mais de um quilômetro em nosso território com estradas e maquinário pesado ê agora também na área da reserva extrativista do Alto Juruá, conforme fotos anexadas. pedimos que divulguem esse documento oficial elaborado hoje (04/07) pelas lideranças Ashaninka. Associação Ashaninka do Rio Amônia – Apiwtxa«.60

Mit der Unterstützung der Presse und von Organisationen aus dem Inund Ausland, die den Fall an die Öffentlichkeit brachten, erreichten es die Ashaninka, dass die brasilianische Regierung gegen die illegale Abholzung nach einer Woche einschritt. Der Appell der Ashaninka wurde auf dem Weblog des Journalisten Altino Machado (Iglesias 2007) aus Acre sowie auf der Website der deutschen Nichtregierungsorganisation 60 »Liebe Freunde, wir setzen unseren Kampf fort, um den Vormarsch der Holzabbaufirmen, die mehr als einen Kilometer in unser Gebiet eingedrungen sind, durch die Öffnung von Waldschneisen und mit schweren Maschinen jetzt das Naturreservat des Alto Juruá Gebietes erreichten, wie die Fotos im Anhang zeigen, aufzuhalten. Wir bitten um die Verbreitung dieses offiziellen Dokumentes, das heute (04. Juli) von den Ashaninka-Anführern angefertigt wurde. Ashaninka-Vereinigung des Flusses Amônia – Apiwtxa«. 184

DAS VERHÄLTNIS DER YAWANAWA UND ASHANINKA ZUM INTERNET

»Gesellschaft für bedrohte Völker« (GfbV 2007) veröffentlicht. Seit Juni 2007 betreiben die Ashaninka mit Unterstützung der brasilianischen Ethnologin Leila Soraya Menezes das Weblog der Associação Ashaninka do Rio Amônia (Ashaninka-Vereinigung des Flusses Amônia). Unter der Internetadresse http://apiwtxa.blogspot.com veröffentlichten sie von ihnen verfasste Dokumente und Artikel, die ihre Gemeinschaft betreffen.

Die Bedeutung fremder Kulturelemente bei den Ashaninka am Fluss Amônia Laut Pimenta bekamen Kulturelemente wie die Schule und das Video in der Ashaninka-Gemeinschaft eine neue Bedeutung. Sie wurden neu interpretiert und an die eigenen Bedürfnisse angepasst: »Longe de serem índices de aculturação ou de assimilação, os instrumentos dos brancos foram reinterpretados pelos índios e servem hoje para fortalecer suas tradições culturais e afirmar a identidade étnica« (Pimenta 2002: 272).61 Pimenta (2002: 431) stellt in seiner Arbeit heraus, dass die Gemeinschaft sich Merkmale der nicht-indigenen Welt, wie etwa die Schule, die Kooperative, das Video oder Konzeptvorstellungen von Begriffen wie »Projekt«, »nachhaltige Entwicklung« und »Kultur« aneignet, interpretiert und verändert, um ihre differenzierte kulturelle Identität zu behaupten und ihre eigenen politischen Bestrebungen zu verwirklichen. Alle diese Konzepte und spezifischen Kulturelemente seien die Folgen des Kontaktes der Ashaninka mit der nicht-indigenen Gesellschaft in spezifischen historischen Momenten und verändern nach Pimentas Auffassung die »traditionelle« Struktur der Ashaninka-Gesellschaft, werden aber gleichzeitig eingesetzt zur Behauptung und zur Wertsteigerung ihrer differenzierten Ethnizität. Auch die Vorstellung von »Gemeinschaft« durch die Ashaninka versteht Pimenta als einen »kannibalischen Prozess«62 externer Kulturelemente und ihrer Aneignung als distinktive Ethnizitätssymbole. Die Gründung der Gemeinschaft Apiwtxa, was übersetzt »alle vereinigt« heißen soll, als politische und geographische Strategie der Gruppe änderte laut Pimenta die ursprünglich zerstreuten Siedlungsformen – auch wenn die heutige Lokalisierung der Häuser nach Familiengruppen organisiert wird. Die Idee einer »vereinigten und organisierten Gemeinschaft« sei zu einem Identitätssymbol der Ashaninka geworden. 61 »Anstatt ein Hinweis auf Akkulturation oder Assimilierung zu sein, wurden die Werkzeuge der Weißen durch die Ashaninka neu interpretiert und dienen heute dazu, ihre kulturellen Traditionen und ihre ethnische Identität zu stärken«. 62 Mehr über »kulturelle Anthropophagie« auf S. 207ff. 185

DIE INDIGENEN BRASILIENS UND DAS INTERNET

Es werde zudem als ein politisches Emblem ihrer Gruppe eingesetzt und stelle nach Pimenta (2002: 431-432) keine Form von Assimilierung oder von sozialer Destrukturierung dar. Die ethno-politische Bestätigung der Ashaninka am Fluss Amônia während der letzten Jahre zeige, so Pimenta, die Kreativität dieser Gruppe bei der Aneignung, Verhandlung, Manipulation, Interpretation und Anpassung der Diskurse und Mittel der Nicht-Indigenen zu Gunsten ihrer eigenen Interessen. Außerdem positionieren sie sich als Schlüsselfiguren ihrer Geschichte, indem sie ihre Ethnizität und ihre kulturellen Werte bejahen. Pimenta (2002: 433) selbst hält ihre Fähigkeit für bewundernswert, die traditionellen Sitten und Werte mit Ideen und Kulturelementen der nicht-indigenen Welt zu vereinigen. Neuerdings versuchen die Ashaninka aus Apiwtxa, ihre Politik und Ideologie nach außen zu expandieren. Ebenso wie Pimenta erlebte auch ich bei ihnen die Idee der Bewusstseinsbildung und Erziehung der »anderen« (sowohl Indigenen als auch Nicht-Indigenen) jedes Mal präsenter in den Diskursen von Anführern und anderen Gemeinschaftsmitgliedern. Auch das Internet könnte in einer weiteren Zukunft für diese Zwecke eingesetzt werden. Pimenta bemerkt dennoch, dass diese »erzieherische Mission« der Ashaninka sich grundsätzlich von der der westlichen Auffassung – vom westlichen Verständnis einer Integrationspolitik – unterscheidet. Die interethnische Politik nach außen diene lediglich der internen Sicherung eigener Kulturelemente, da vor allem die Politik der Weißen eine Bedrohung für ihre Gruppe darstellt. Vielmehr diene dieser Versuch der Unverletzlichkeit ihres Gebietes und der soziokulturellen Neubildung ihrer Gruppe, um so die zerstörerische Wirkung von Aktionen der Weißen zu neutralisieren (Pimenta 2002: 433).63 Der Kontakt nach außen bleibt demgemäß weiterhin beschränkt und findet kontrolliert statt, damit die Gemeinschaft nicht allzu vielen äußeren Einflüssen ausgesetzt ist. In dieser Dichotomie zwischen Kontakt und gleichzeitiger Distanz, Trennung der Welten und Kulturen, steht die Ashaninka-Gemeinschaft am Fluss Amônia. Einige Familien haben mehr Kontakt nach außen, andere wiederum verlassen kaum das Ashaninka-Gebiet. Der Versuch eines harmonischen ausgeglichenen Lebens mit den eigenen und den Faktoren der nicht-indigenen Kultur zu finden, ist eine für die Gemeinschaft kennzeichnende Herausforderung, die sie bis heute trotz der vielen kulturellen Bedrohungen der kolonialen und post-kolonialen Gesellschaft meistern konnte. Zusammenfassend 63 Die Ashaninka gründeten im Jahr 2007 das Projekt Yorenka Ãtame (zu Deutsch »Wissen des Urwaldes«) zur Verbreitung nachhaltiger AshaninkaEntwicklungstechniken für Gemeinschaften von Indigenen, Uferbewohnern (Ribeirinhos) und Kautschukzapfern (Seringueiros) aus der Region des Flusses Juruá. 186

DAS VERHÄLTNIS DER YAWANAWA UND ASHANINKA ZUM INTERNET

und abschließend möchte ich hier ein Zitat Isaac Piyãkos wiedergeben, das im Artikel Você vê o mundo do outro e olha para o seu (Du siehst die Welt des anderen und schaust auf deine zurück), während eines Video-Workshops des Projekts Vídeo nas Aldeias64entstand. Darin vertritt Isaac die Auffassung, dass immer, wenn eine Person die Welt des anderen kennen lernt, sie sich Gedanken über die eigene Welt macht und, dass wenn die Gruppe Wert auf ihre eigene Kultur legt und in ihrer Identität gestärkt ist, sie durch den Einfluss einer anderen Kultur nicht leiden wird: »A cultura você vai inventando de acordo com a necessidade, de acordo com a convivência, com a mudança do planeta, e para nós também é assim... ela mudou. Você vai enriquecendo,e para você enriquecer, você tem que segurar aquilo que é do passado« (Pinhanta o.D.: 5).65

Nach Isaacs Auffassung kreiert oder verändert man Kultur je nach den Notwendigkeiten der Welt und Realität, in der man lebt. Auch indigene Gemeinschaften erleben immer wieder kulturelle Wandel und ergänzen ihr Leben durch die Aneignung fremder Kulturelemente. Aber damit eine Ergänzung der eigenen Kultur stattfindet, halten sie, so Isaac, an ihrer Vergangenheit fest, damit sie als Gruppe mit eigener Identität in diesen kulturellen Prozessen nicht verloren gehen. Indem sie sich in ihren Kulturen durch den Glauben an ihre kulturelle Werten, die Weitergabe ihrer immateriellen und materiellen Kultur von Generation zu Generation und durch ihr Wir-Gefühl als Gruppe mit gemeinsamen Wertsetzungen stärken, können sie kulturelle Veränderungen durchlaufen, ohne ihre Werte zu verlieren. In diesem Sinn geht die Kultur durch Modernisierung nicht verloren. Aber dies ist ebenfalls ein Prozess, der sich von Gruppe zur Gruppe unterschiedlich entfalten kann. Die Nutzung des Internet durch brasilianische indigene Gemeinschaften erweist sich als ergänzendes Medium, welches den Gemeinschaften durch die besseren Kommunikationsmöglichkeiten eine gewisse Sicherheit bietet, die für viele Gruppen überlebenswichtig ist. Es bedeutet für sie auch ein »empowerment«-Mittel für die indigene Gruppe und 64 Isaac ist selber Videomacher und produziert seit dem Jahr 2000 Dokumentarfilme über seine Gemeinschaft. 65 »Die Kultur erfindest Du je nach Deiner Notwendigkeit, je nach dem Umgang mit den Menschen, mit der Veränderung des Planeten, und für uns ist es auch so… sie veränderte sich. Du bereicherst deine Kultur und, um diese zu bereichern, musst Du das, was der Vergangenheit gehört, festhalten«. Isaac Piyãko (auch bekannt als Isaac Pinhanta) erlaubte mir, aus diesem Text zu zitieren. 187

DIE INDIGENEN BRASILIENS UND DAS INTERNET

ihre Kultur (Vgl. Ginsburg/Abu-Lughod/Larkin 2002: 8), mit dem sie nicht nur ihre Kultur dokumentieren können, sondern auch Projekte entwickeln und direkten Zugang zur Öffentlichkeit haben können. Im nächsten Abschnitt werde ich über die Präsenz des Internet in indigenen Gemeinschaften in Nordamerika berichten, um die Analyse der Bedeutung des Internet für indigene Gemeinschaften auf die globale Ebene auszuweiten.

188

DIE NUTZUNG DURCH INDIGENE

DE S I N T E R N E T IN

NORDAMERIKA

Nachdem ich über die Nutzung des Internet durch indigene Gruppen in Brasilien berichtet habe, möchte ich zunächst einen kurzen Überblick über die Nutzung des Internet durch indigene Gemeinschaften in Kanada1 geben, um anschließend über das US-amerikanische Projekt 4Directions sprechen. Der Zweck dieses Vergleichs ist die Darstellung der unterschiedlichen Entwicklungen der Internetnutzung durch indigene Gemeinschaften in Brasilien und Nordamerika. Der Vergleich befasst sich dennoch ausschließlich mit der Bedeutung des Internet und seiner angebotenen Kommunikationsmöglichkeit für ethnische Minderheiten. Allerdings muss ich hinzufügen, dass in Kanada die Infrastruktur und die Regierungsprogramme in Sachen indigener Politik weiterentwickelt sind als in Brasilien. Sehr hilfreich für meinen Vergleich war insoweit der 2004 Report on Aboriginal Community Connectivity Infrastructure (Aboriginal Canada

1

Ich benutze den Begriff Indigen, obwohl in Kanada der Begriff Aboriginal peoples verwendet wird, der allgemein die ursprünglichen Bewohner Nordamerikas und ihre Nachkommen bezeichnet. Die kanadische Verfassung aus dem Jahr 1982 erkennt drei Gruppen von Aboriginal peoples in Kanada an: Indians, Métis und Inuit (INAC 2002: 7). Der Begriff Indian wird benutzt um alle Indigenous people zu bezeichnen, die nicht Métis oder Inuit sind (INAC 2002: 11). Die Bezeichnung Métis stammt aus dem Französischen und heißt auf Deutsch Mestize. Heute wird in Kanada die Bezeichnung Métis dazu benutzt, um allgemein »[…] people with mixed First Nations and European ancestry who identify themselves as Métis, distinct from Indian people, Inuit, or non-Aboriginal people« zu beschreiben (INAC 2002: 14). Der Bericht Words First des Indian and Northern Affairs Canada (INAC 2002) weist dennoch darauf hin, dass viele Kanadier eine gemischte Aboriginal- und non-Aboriginal-Abstammung haben, sich selbst aber nicht als Métis bezeichnen. Außerdem haben Métis-Organisationen in Kanada verschiedene Kriterien »[…] about who qualifies as a Métis person« (INAC 2002: 14). Die Inuit sind laut INAC »[…] the Aboriginal people of Arctic Canada« (2002: 13). 189

DIE INDIGENEN BRASILIENS UND DAS INTERNET

Portal 2005), der jedes Jahr erscheint und im Netz veröffentlicht wird. Bei der Untersuchung von Websites in Kanada, die gezielt an die indigene Bevölkerung gerichtet sind, konnte ich eine viel weitere Entwicklung der Internetnutzung bei kanadischen Indigenen feststellen, als dies in Brasilien der Fall ist.2 Dies lässt sich durch die verschiedenen Entwicklungsstadien der Länder erklären: während in Brasilien die Internetnutzung durch Indigene noch am Anfang steht, befinden sich die Projekte in Kanada in einer weiter fortgeschrittenen Phase. Die Zahlen der indigenen Bevölkerung Kanadas schwanken stark je nach der Frage der Zugehörigkeit, die durch die Statistik Kanadas gestellt wird. Die Angaben der Volkszählung 2001 schwanken zwischen 976.310 Menschen, die sich selbst als Indigene identifizieren und mehr als 1,3 Millionen Menschen, die angeben, indigene Vorfahren zu haben. Nach der letzten Volkszählung aus dem Jahr 2001 macht die indigene Bevölkerung Kanadas etwa 3% der kanadischen Gesamtbevölkerung aus. Sie ist seit 1996 jährlich um 4% gewachsen (Aboriginal Canada Portal 2005: 11). Nach dem 2004 Report on Aboriginal Community Connectivity Infrastructure besitzen von den 737 indigenen Gemeinschaften,3 die sich über ganz Kanada verteilen, mehr als 90% zumindest einen einfachen Internetanschluss (»at least basic Internet connectivity«): 42% von ihnen haben Breitband-Internetzugang (High-Speed), 49% verfügen über schmalbandige Internetzugang (Dial-In), 4% unterschiedliche Methoden (diese wurden nicht spezifiziert) und 5% haben keinen Internetzugang (Aboriginal Canada Portal 2005: 2). Die unten abgebildete Grafik verdeutlicht die Präsenz des Internet bei den indigenen Gemeinschaften in Kanada:

2 3

Siehe zum Beispiel Aboriginal Canada Portal (http://www.aboriginalcana da.gc.ca/) und Assembly of First Nations (http://www.afn.ca/). Von diesen 737 indigenen Gemeinschaften sind 634 First Nations, 53 Inuit und 50 sind Métis-Gemeinschaften. Die in dem Bericht untersuchten Gemeinschaften sind solche mit einer indigenen Bevölkerung von 25% und mehr und sind als indigene Gemeinschaften offiziell anerkannt. 190

DIE NUTZUNG DES INTERNET DURCH INDIGENE IN NORDAMERIKA

Abbildung 17: Internetanschluss bei allen indigenen Gemeinschaften Kanadas

42%

5%

49%

4% Dial-In

High-Speed

Kein Zugang

Andere

Zahlenangaben: Aboriginal Canada Portal 2005: 2. In der unteren Tabelle kann der Internetzugang in indigenen Gemeinschaften in Kanada beobachtet werden. Es ist bemerkenswert, wie viele Gemeinschaften bereits Internetanschluss haben. Danach haben nur dreizehn Gemeinschaften kein Internet: Tabelle 5: Internet Access at the Community Level Aboriginal Community

TOTAL Internet Communities Access

%

NO Access

%

First Nations

634

625

98,58%

9

1,42%

Inuit

53

49

92,45%

4

7,55%

Métis

50

50

100,00%

0

0,00%

TOTAL

737

724

98,24%

13

1,76%

Based upon 2004, 2003 & 2002 Connectivity Survey Responses, CAP and SchoolNet sites. Quelle: Aboriginal Canada Portal 2005: 14. Laut diesem Bericht (Aboriginal Canada Portal 2005: 7) sind es vor allem drei Programme, die zu der Einrichtung des Internet in indigenen Gemeinschaften in Kanada beisteuern: CAP (Community Access Program), SchoolNet und BRAND (Broadband for Rural and Northern Development). Es werden neben privaten Internetzugängen, wie in Haushalten, auch solche in öffentlichen Räumen mit einbezogen, wie zum Beispiel in Verwaltungsbüros der Gemeinschaften (Community Administra-

191

DIE INDIGENEN BRASILIENS UND DAS INTERNET

tion Office – CAO), an öffentlichen Internetzugangspunkten (Community Access Points – CAP) und in den Schulen (SchoolNet). Allerdings soll nicht in allen Internetzugangspunkten in Verwaltungsbüros und an Schulen ein freier öffentlicher Zugang erlaubt sein, was die Nutzung des Internet für viele Personen in den verschiedenen Gemeinschaften erschwert (Aboriginal Canada Portal 2005: 14). Diese Zahlen über die Existenz des Internet in den indigenen Gemeinschaften Kanadas stellt eine Situation dar, die in Brasilien und anderen Ländern der Dritten Welt noch Zukunftsmusik ist. Brasilien befindet sich im Vergleich zu Kanada noch in der Anfangsphase von Projekten, die der indigenen Bevölkerung den Internetzugang auf indigenen Gebieten bieten. Bis die Programme in Brasilien effektiv laufen und die indigene Bevölkerung in die Lage versetzt, das Internet effektiv und in vollem Umfang zu nutzen, wird noch viel Zeit vergehen. Dennoch bemerkt Rupert Downing (2002: 8) in seinem Bericht Bridging Aboriginal Digital and Learning Divides, dass im Vergleich zu der nicht-indigenen Bevölkerung die indigenen Gemeinschaften in Kanada immer noch unter der so genannten digitalen Spaltung leiden. Diese beruhe nach Downing auf dem »geringeren Zugang zur Nutzung sowie auf fehlenden Ausbildungsmöglichkeiten bei den Informations- und Kommunikationstechnologien und den Internetressourcen«. Er weist zusätzlich auf den Bericht The Digital Divide in British Columbia hin, der die noch vorhandenen Barrieren aufzählt, die die »First Nations«4 an den Vorteilen der Informationstechnologien in vollen Zügen teilzunehmen hindern. Diese sind: »- Lack of public access sites on reserves; - a relatively small number of homes with Internet connections; - a lack of culturally relevant content; - lower than average literacy rates; and - a lack of computer skills and socially relevant Internet training programs« (Government of British Columbia: The Digital Divide in British Columbia, 2001: 3, zit. n. Downing 2002: 8).

Downing gemäß stehen diese Mängel in einem engen Zusammenhang und »setzen sich lebenslänglich fort«. Er betont: »Without access to the learning and information technologies that are becoming an essential infrastructure for the knowledge-based economy, Aboriginal people and communities will face increasing difficulty creating the kinds of educa-

4

First Nations: ein Begriff, der in Kanada das Wort Indian ersetzt, das von vielen als offensive befunden wird. 192

DIE NUTZUNG DES INTERNET DURCH INDIGENE IN NORDAMERIKA

tional and economic opportunities that are required to address their social and economic development needs« (Downing 2002: 8).

Nur durch die Möglichkeit am Informations- und Kommunikationszeitalter aktiv teilzunehmen, werden indigene Gemeinschaften und benachteiligte soziale Gruppen auf der ganzen Welt Chancen auf ein besseres Leben haben. Ohne das technologische Wissen, mit E-Mail, Computer und Internet umgehen zu können, werden sie weiterhin von Personen außerhalb ihrer Kultur abhängig sein, die für die Gruppe bestimmte Angelegenheiten lösen können. Von Vorteil wäre eine entsprechende Ausbildung, die die indigenen Gemeinschaften gezielt in die Bedeutung und Möglichkeiten dieser Technologien einführt. Entsprechend den Bedürfnissen und der Lebensrealität jeder Gemeinschaft würde das Internet dementsprechend eingesetzt und in jeder Gemeinschaft würde die Nutzung anders aussehen. Nach diesen Informationen über die Nutzung des Internet in kanadischen, indigenen Gemeinschaften werde ich im nächsten Punkt die Übernahme des Internet durch Indigene als kulturellen Prozess erläutern.

Die Übernahme fremder Kulturelemente durch die Indigenen Es ist keineswegs neu, dass Indigene fremde Kulturelemente in ihre Kulturen übernehmen. Schon vor dem ersten Kontakt mit Europäern übernahmen sie Elemente anderer indigener Kulturen und passten diese ihren Kulturen an. Mit der Ankunft der Europäer wurden ganz andere, fremde Kulturelemente mit ins Land gebracht, wie zum Beispiel das Pferd, Waffen und Schrift. Und diese wurden von den Indigenen sehr unterschiedlich je nach der Lokalisation ihrer Gemeinschaft, Weltanschauung und Lebensweise übernommen, so Kade Twist (2000), ein Cherokee-Schriftsteller und Künstler, in seinem Artikel Four Directions to Making the Internet Indian. Twists (2000) Ansicht nach machen diese fremden, neuen Technologien die Indigenen nicht weniger indigen. Er erklärt: »This phenomenon is largely due to the fact that a highly developed cultural tenacity and cultural conservatism enforce tribal identity«. Mit dem Glauben daran, dass die indigene Identität oder die Gemeinschaftsidentität, auf der Grundlage einer hoch entwickelten kulturellen »Hartnäckigkeit« und eines kulturellen Konservatismus, sogar verstärkt werde, argumentiert er: »It is this tenacity and conservatism that enables Indian people to adopt foreign technologies into their cultures without submerging their tribal identities. In the 193

DIE INDIGENEN BRASILIENS UND DAS INTERNET

words of Seminole-Creek art historian Mary Jo Watson, ›what makes Indian people so unique and so persistent is their ability to take a foreign material, or a foreign technology, and make it Indian.‹ It’s this process of using new technologies to deliver old messages that has made the seemingly contradictory nature of continuity and change a reality in Indian Country« (Twist 2000).5

Entlang der Geschichte haben indigene Gruppen mehrmals den Assimilationsversuchen der westlichen Kultur Widerstand geleistet. Oft wird die Einführung neuer Technologien mit einem neuen Versuch der westlichen Kultur, indigene Gruppen assimilieren zu wollen, in Verbindung gebracht. Die Erfahrungen, die in den letzten Jahrhunderten mit Integrationsversuchen gesammelt wurden, sollten nach Twist auch auf die jetzigen Anstrengungen von Regierungen und Projekten, Internet an indigene Gemeinschaften zugänglich zu machen, angewendet werden. Seiner Meinung nach sollen erfolgreiche indigene Anführer ihre Ideen und Strategien zur Nutzung neuer Technologien mit anderen teilen, damit diese gemeinsam erfolgreich eingesetzt werden. Twist schreibt: »There are many Indian Nations and tribal organizations that have been successful in using the Internet in creatively Indian ways and there is much to learn from their practices« (Twist 2000). Auch wenn eine weit verbreitete Nutzung des Internet durch indigene Gemeinschaften noch Zukunftsmusik ist, sollten bereits gemachte Erfahrungen bei der Aneignung und Anpassung neuer Technologien unter den Indigenen ausgetauscht werden, damit andere Gruppen vom Erfolg profitieren können und eventuelle Fehler und Probleme von vornherein vermieden werden. Als Beispiel für ein erfolgreiches Internetprojekt erwähnt Twist in seinem Artikel das Projekt 4Directions. Es handelt sich um ein U.S.-amerikanisches Projekt, das indigene Schüler und Lehrer in das Internet einführen soll. In den 19 Schulen, die zum Bureau of Indian Affairs gehören, sind Schüler und Lehrer mit elf privaten und öffentlichen Universitäten und Organisationen in Kontakt. Das Projekt soll den kulturellen Austausch zwischen den indigenen Nationen fördern und sie in das Informationstechnologiezeitalter einführen. Diese Aneignung wird aber von jeder Gemeinschaft überprüft und geplant, damit indigene Kulturen ihre Identität nicht verlieren.

5

Mary Jo Watsons Aussage in diesem Zitat erinnert mich an die Metapher des »Digitalen Bogens« (siehe S. 100), die Transformation eines fremden Kulturelementes in etwas Eigenes. 194

DIE NUTZUNG DES INTERNET DURCH INDIGENE IN NORDAMERIKA

Abbildung 18: Website des Projektes 4Directions

http://www.4directions.org/community/index.html vom 23. September 2008. Viele erhoffen sich durch dieses Projekt, dass zahlreiche Jugendliche, die bereits die Sprache ihrer Gruppe verlernt haben und ihre Kultur wenig kennen, durch das Internet wieder Interesse daran gewinnen und das Wissen neu erlangen können. Genauso wie Ginsburg (2002: 41-42) über eine »revitalizing role« der, wie sie es nennt, »technologies of representation« bei Inuit und andere First Nations peoples in Kanada berichtet, hofft das Projekt 4Directions ebenfalls auf eine revitalisierende Wirkung der Informations- und Kommunikationstechnologien besonders bei den jungen Indigenen. Aber nicht alles soll allen im Netz zugänglich gemacht werden. Dr. Loriene Roy, eine Ojibwa-Professorin an der University of Texas at Austin (Graduate School of Library and Information Sciences) betont, dass indigene Gemeinschaften ihr Wissen schützen sollen. Twist ergänzt dies mit folgender Bemerkung: »Tribal people can use limited networks to keep unqualified people from gaining access to culturally sensitive information that they shouldn’t have access to. American Indians can digitally record their stories and their languages, but this process must be done appropriately – there is an appropriate time and place to

195

DIE INDIGENEN BRASILIENS UND DAS INTERNET

tell certain stories and use certain words and sometimes the Internet is not useful for this. American Indians need to use the Internet when it’s truly useful and rely on the older ways when it’s not. The Internet is a supplement to old ways of doing things – not a replacement« (Twist 2000).

Auch im brasilianischen Internetprojekt Rede Povos da Floresta wird über einen vorsichtigen Umgang mit bestimmten Informationen debattiert, die im Netzt veröffentlicht oder gerade nicht veröffentlicht werden sollen sowie über den Schutz zum Beispiel des geistigen Eigentums indigener Gruppen (siehe S. 88). Twist weist zusätzlich auf das Problem der Authentizität der hinter den vielen Inhalten im Web stehenden Personen hin. Dr. Roy von der Texas University zum Beispiel glaubt an die Möglichkeit des Projekts 4Directions, die »Trickster« im Internet, die im Namen von Indigenen sprechen, bloß zu stellen. Durch das Festhalten an der indigenen Kultur und durch ein organisiertes Auftreten der indigenen Gemeinschaften im Netz könnten Probleme solcher Art beseitigt und die Authentizität von Webinhalten wiederhergestellt werden. Darüber hinaus vertritt Twist die Auffassung, dass die Frage, ob Indigene das Internet in ihr Leben aufnehmen sollen oder nicht sich bereits erübrigt habe, da die Entscheidung bereits gefallen ist. Vielmehr müssen die Indigenen sich Gedanken darüber machen, wie sie es in ein »indigenes« Medium verwandeln können. Er schreibt: »The real question that needs to be addressed is how can Indian people make these technologies fit the image of their culture, rather than make their culture fit the image of these technologies«?(Twist 2000) 4Directions scheint ein erfolgreiches Projekt zu sein, das einen effektiven Austausch auch innerhalb der Gemeinschaft, zwischen Jugendlichen und Älteren schafft. Laut Twist liegt der Erfolg des Projektes auch daran, dass die Jugendlichen in den Stand versetzt werden, das Internet zugunsten und zum Schutz ihrer Kultur und Gemeinschaft einzusetzen. Und die Jugendlichen lernen, dies mit Vorsicht zu tun. Er erklärt: »The power of 4D is the fact that it is a community-based effort in which the participating tribes have control over the creation of content. These collaborations are able to draw knowledge from the conservative mechanisms of tribal culture, while forcing participants to be accountable to tribal leaders, to elders, to their tradition. Students are forced to use critical thinking skills to communicate aspects of their culture in ways that are still appropriate to their inherited tradition« (Twist 2000).

Was in den USA bereits zu einem beispielhaften Projekt geworden ist, ist in Brasilien noch ein bisher unerfüllter Wunsch für indigene Gemeinschaften. Außer den finanziellen Schwierigkeiten, solch ein Projekt in die 196

DIE NUTZUNG DES INTERNET DURCH INDIGENE IN NORDAMERIKA

Tat umzusetzen, kommt das Problem hinzu, eine Organisation zu finden, die es realisierbar macht. Rede Povos da Floresta (siehe S. 79) und das Regierungsprojekt GESAC (siehe S. 92) unterstützen indigene und nichtindigene Gemeinschaften dabei, Zugang zum Internet zu erhalten; aber es wird bestimmt noch eine Weile dauern, bis die Mehrheit der brasilianischen indigenen Gemeinschaften über Internetzugang verfügen werden.

197

IN

INDIGENE IDENTITÄT ZEITEN DER GLOBALISIERUNG »For over a century Indigenous peoples have been told, and had to listen to, who we were to be and what we were supposed to do. Having rarely been asked our thoughts or to lend our voice to the discourse, instead we are continually confronted by stereotypes that serve to enforce this dismissive practice« (Greymorning 2004: xv).

Stark mit meiner Forschung über die Nutzung des Internet durch die brasilianischen Indigenen hängt das Thema »Indigene Identität« zusammen. Die Schwierigkeit der brasilianischen sowie anderer Indigenen auf der Welt, sich gegenüber der dominierenden Gesellschaft zu behaupten und in ihrer Lebensrealität und ihrer Identität akzeptiert zu werden, werde ich in diesem Abschnitt darstellen. Ich werde auf die Thematik »Indigene heute und die Schwierigkeit, indigen zu sein« eingehen und die Debatte um den Authentizitätsdiskurs thematisieren, ein Thema, das in meiner Forschung nicht ignoriert werden darf. Um unter dem wachsenden Druck der Mehrheitsgesellschaft weiter existieren zu können, übernehmen indigene Gruppen bewährte westliche kulturelle und strategische Mittel, ebenso wie politische Handlungsweisen und moderne Kommunikationsmethoden einschließlich des Internet bewusst und gezielt, um ihre Gemeinschaft und Kultur zu stärken und zu schützen. Dies führt oft zu kritischen Reaktionen von Seiten der nichtindigenen Gesellschaft, die diese kulturellen Veränderungen beanstandet und in Frage stellt oder mit Ironie betrachtet. Allzu oft verweigert die nicht-indigene Gesellschaft in ihrem Diskurs den Indigenen das Recht auf kulturelle Veränderung und den Anspruch, auf ihre Weise unter den heutigen Bedingungen ihre Kultur zu stärken und zu schützen. Kulturelle Veränderungen oder Anpassungen auf Seiten der Indigenen lösen Reaktionen bei der nicht-indigenen Gesellschaft aus, die aufgrund der kulturellen Veränderungen die Echtheit der indigenen Gruppe in Frage stellt

199

DIE INDIGENEN BRASILIENS UND DAS INTERNET

und so müssen Indigene auf der ganzen Welt ihre indigene Identität ständig verteidigen.

D i e S c h w i e r i g k e i t » i n d i g e n « z u se i n Die Indigenen leiden noch stark unter den Vorurteilen, die gegenüber ihrer Gruppe und Kultur existieren. Das Bemühen, ihre soziale und politische Lage zu verbessern, wird von der Mehrheitsgesellschaft nicht wahrgenommen und anerkannt. Bei Erfolgen, wie zum Beispiel der Anerkennung von indigenen Gebieten, heißt es oft, dass es sich um zu viel Land für wenige Indigene handelt (Ramos 1998: 3). Aufgrund dieser konstanten Infragestellungen ihrer indigenen Identität sind die Indigenen beinahe dazu gezwungen, stärker um ihr Recht und ihren Platz in der Gesellschaft zu kämpfen. Sharon Venne, eine Cree-Indigene aus den USA, schreibt, dass indigen zu sein eine politische Identifikation ist und nicht bloß ein Hinweis auf ethnische Herkunft. Sie verweist auf die Identifikation der Indigenen mit ihrem Land und ihrem Territorium und sagt, dass es nicht die Hautfarbe oder die von der Regierung entworfenen Kriterien sind, die einen Indigenen ausmachen (Venne 2004: 127).1 Der Versuch, sich als Gruppe mit einer eigenständigen Identität kulturell zu verorten, ist ein schwieriger Prozess. Noch komplizierter wird es, wenn die kulturelle Identität verteidigt oder für wahr erklärt werden muss. Unter dem Druck durch die nicht-indigenen Gesellschaft fühlen sich die Indigenen oft gezwungen, ihre ethnische Identität unter Beweis stellen zu müssen, um nicht als »verlorene Seelen« (oder als integriert) in der globalen Gesellschaft angesehen zu werden. Auch wenn nach Stuart Halls (2003: 191) Meinung Kulturen ständig transkulturellen Einflüssen ausgesetzt sein können, stößt das Thema kultureller Wandel, vor allem im Fall von indigenen oder autochthonen Kulturen auf Widerstand der nicht-indigenen Kultur, aufgrund des exotischen romantisierten Bildes der Indigenen: nackt oder mit ihrem Federschmuck und mitten im Urwald lebend. Deswegen möchte ich jetzt auf die Debatte um Authentizität eingehen und versuchen zu erläutern, warum der Diskurs um kulturelle Authentizität gegen die Kulturdynamik spricht und für indigene Kulturen eine Last bedeutet.

1

Laut IBGE (2005: 13) richtet sich die ethnische Anerkennung in Brasilien nach der Verbindung der festgelegten Kriterien durch das Bewusstsein der indigenen Identität und der Zugehörigkeit zu einer differenzierten Gruppe im Vergleich zu den übrigen brasilianischen Bevölkerungssegmenten sowie durch die Anerkennung durch die Mitglieder der eigenen Gruppe. 200

INDIGENE IDENTITÄT IN ZEITEN DER GLOBALISIERUNG

D e r A u t h e n t i z i t ä t sd i s k u r s Authentizität und kultureller Wandel geraten oft in Streit, da Kultur aktiv und ständig in Bewegung ist und Authentizität im Sinn von Kontinuität auf Starrheit beruht (Sissons 2005: 159). Für den Ethnologen Koen de Munter (2004: 94) zum Beispiel ist der Authentizitätsdiskurs erstickend, da er die Dynamik einer Kultur aufhält oder bremst. In seinem Artikel Five Centuries of Compelling Interculturality hebt er hervor, dass der Ethnologe und Schriftsteller José María Arguedas immer schon darauf aufmerksam machte, dass »[…] the ›indigenous problem‹ would not be solved through, nor could be reduced to, the creation of a kind of folkloric reservation (as official politics tend to do) or authentic relic (as culturalists might defend)« (de Munter 2004: 97). Allein das dichotomische Dilemmadenken, wie zum Beispiel von westlicher versus ursprünglicher amerikanischer Kultur, universell versus partikular, einer hegemonialen Kultur versus einer unterdrückten, sei außerdem keine geeignete Methode, sich neuen, intensiven und komplizierten sozialen Änderungen zu nähern. De Munter ergänzt: »The ability to adopt, communicate and transform other cultural practices can accord perfectly with the idea of continuity qua tradition« (de Munter 2004: 97). Nach Arguedas (1976) und de Munter (2004: 97) können Modernisierung und Kulturpflege zusammen stattfinden. Aber die Frage, ob die Aneignung fremder Kulturelemente durch indigene Kulturen zur Stärkung oder zum Zerfall führt, wird sowohl bei Indigenen als auch bei Nicht-Indigenen weiterhin stark debattiert. Während kultureller Wandel als eine Überlebensstrategie gedeutet werden kann, betrachten andere dies als einen Schritt Richtung Assimilation. De Munter (2004: 97) betont dennoch, dass das Recht auf Veränderung nur der westlichen Welt und ihrer Kultur erlaubt bleibt. Ebenso wendet sich Jeffrey Sissons gegen die entmündigende Haltung der nicht-indigenen Gesellschaft und meint, dass die Indigenen sich in einer binären Falle gefangen befinden, die von ihnen nicht aufgebaut wurde. Er erklärt: »[…] they can choose to be other as hybrid or other as pure« (Sissons 2005: 58). Dabei erwähnt er Jimmi Durham, einen Cherokee-Künstler, der sagt, dass es für die Indigenen schwer sei, sie selbst zu sein. Sissons (2005: 37) vertritt die Auffassung, dass das frühere »racial thinking« im Schatten des neuen Kulturalismus weiter lebt und »cultural purity« eine Waffe ist, mit der Regierungen postkolonialer Staaten, die kulturelle Identität einer Gruppe zu bestimmen versuchen. Er nennt den Versuch postkolonialer Regierungen, indigene oder autochthone Gruppen ethnisch kategorisieren zu wollen, »oppressive authenticity«. Dieser

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DIE INDIGENEN BRASILIENS UND DAS INTERNET

wirke wie ein »Exklusionsmechanismus«, indem diejenigen, die nicht als indigen eingeordnet werden, als »out of place« gelten.2 Die brasilianische Ethnologin Alcida Ramos bemerkt, dass sich Menschen trotz ihrer Mitschuld an der Verarmung indigener Kulturen weiterhin über einen Authentizitätsverlust indigener Kulturen beklagen, ein Phänomen, das Rosaldo (1989) »imperialist nostalgia« nannte. Ramos führt fort: »By authenticity they mean the naked Indian with bow and arrow in hand, living off what Mother Nature alone provides. Such a quest for the authentic Indian – here closely associated with the Indian as exotic – is never pitched against the civilizing quest« (Ramos 1998: 84).3

Zusätzlich schreibt sie: »Why Indians are now covered with clothes, often rags, why they no longer hunt with bow and arrow, or with anything else for that matter, on their badly shrunk and depleted patch of land, are questions that the nostalgic invaders hardly ask, and when they do, they never link the condition of the Indians to the effects of missionizing, land usurpation, and consequent economic dependence« (Ramos 1998: 84).

Dieser Mangel an Selbstkritik durch die Nicht-Indigenen lässt sich durch ein Beispiel des indigenen Philosophen und Ethnologen Daniel Mundu-

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Sissons weist auf die Diskriminierung von Millionen von Indigenen aufgrund von Kategorisierungen der »Indigenität« hin und schreibt: »Included in the excluded middles of many post-settler states today are millions of indigenous people variously described as ›half-castes‹, ›mixed-bloods‹, ›urbanized‹, ›non-traditional‹ and ›westernized‹ – usually the majority of their indigenous citizens« (Sissons 2005: 39). Der Nicht-Indigene betrachtet den »nackten Indigenen, der im Urwald lebt« als »echt«. Eine Debatte um Authentizität findet auch bei den Indigenen untereinander statt. In ihrem Artikel She must be civilized: She paints her toe nails beschäftigt sich Sharon Venne (2004), eine Cree-Indigene, mit der Stereotypisierung von Indigenen und der Authentizitätsdebatte. Ferner diskutiert Harald Prins (2002) in seinem Artikel Visual Media and the Primitivist Perplex über die Frage warum Indigene, seiner Meinung nach, häufig an der Erhaltung des romantisierten Bildes des Indigenen mitwirken (durch eine nach Prins genannte primitivist formula). Obwohl dieses Thema für die Medienethnologie äußerst relevant ist, werde ich nicht auf diese Debatte eingehen, da dies den Rahmen meiner Arbeit sprengen würde. Es bleibt aber ein extrem interessantes Thema für eine zukünftige Untersuchung. 202

INDIGENE IDENTITÄT IN ZEITEN DER GLOBALISIERUNG

ruku4 in seinem Buch Histórias de Índio wieder erkennen, in dem er ein Gespräch über seine Person zwischen zwei brasilianischen Frauen während einer S-Bahnfahrt in São Paulo wiedergibt: »- See that young man? He looks Indian, said lady A. - Yes he does. But I’m not sure. Haven’t you noticed he is wearing jeans? He can’t be an Indian and wear Whiteman’s clothes. I don’t think he is a real Indian, contested lady B. - Yah, maybe. But can’t you see his hair? Straight, straight hair. Only Indians have hair like that. Yes, I think he’s an Indian, lady A said, defending me. - Gee, I don’t know. Have you noticed he wears a watch? Indians see time by the weather. The Indian’s watch is the sun, the moon, the stars… He can’t be an Indian, argued lady B. - But he has slit eyes, said lady A. - And he also wears shoes and shirt, said lady B ironically. - But his cheeks jut out. Only Indians have a face like that. No, he can’t deny it. He can only be an Indian and a pure one, it seems« (Munduruku, Daniel: Histórias de Índio, São Paulo: Companhia das Letrinhas 1996: 34, zit. n. Ramos 1998: 84-85).

Viele Nicht-Indigene beharren weiterhin auf dem Bild des alten, scheinbar ursprünglichen Indigenen: ein Bild, das sie meistens in der Schule übermittelt bekommen und das nicht mehr der heutigen Realität der Indigenen entspricht. Jede Abweichung von diesem hartnäckigen konservativen Bild des Indigenen weckt noch bei Vielen Zweifel an einer möglichen »Authentizität« der kulturellen Identität dieses Individuums. In der obigen Erzählung von Daniel Munduruku zum Beispiel scheint Lady A eine »rassistische« Vorstellung darüber zu haben, wie ein Indigener sein sollte und Lady B eher ein kulturalistisches Bild eines Indigenen, indem die Veränderung seines Aussehens durch die Nutzung nicht-indigener Kleidung und Utensilien seine »Echtheit« in Frage stellt. Sissons (2005: 40) gemäß wird den Indigenen, die westliche Elemente in ihre Kulturen übernehmen, oft von der nicht-indigenen Gesellschaft vorgeworfen, dass sie »ihre Seele an den Westen verkauft haben«. Er weist mit Nachdruck auf die Dynamik von Kulturen hin und macht auf die Schwierigkeit aufmerksam, Kulturen völlig von einander getrennt, klar eingegrenzt und »rein« zu sehen und merkt hierzu an: »Within any post-settler state there is a huge amount of cultural sharing going on, providing fertile ground for cultural invention. But to recognize that cultures are not discrete – that they overlap and have fuzzy edges – is not to say

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Daniel Mundurukus Website: http://www.danielmunduruku.com.br/. 203

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that they are without cores or centres. Cultures have hearts« (Sissons 2005: 3233, kursiv im Original).

Kulturen verändern sich ständig und nicht erst heute, sondern schon immer. Wiederholt hörte ich von meinen Informanten den Satz: »Ihr Weißen möchtet, dass wir isoliert in unseren Wäldern leben, dass wir so leben wie ihr es möchtet. Wir haben aber auch das Recht, solche moderne Technologien benutzen zu können«. Aber die Einstellung und Vorurteile der Mehrheitsgesellschaft hinsichtlich indigener Kulturen scheinen schwer überwindbar zu sein. Der Diskurs der Nicht-Indigenen um Authentizität stellt Sissons mit Rassismus und verkleidetem Primitivismus auf eine Stufe. Kritisch hinterfragt er: »Why should first peoples be expected to have authentic identities while settlers and their descendants remain largely untroubled by their own ill-defined cultural characteristics? Why should indigeneity as opposed to migration be especially associated with cultural purity« (Sissons 2005: 37)?

Das Wort »Authentizität« kommt aus dem griechischen authentikós und bedeutet Echtheit, Unverfälschtheit. Da aber Kulturen ständig in Bewegung sind, sich vermischen, verliert die Debatte um Authentizität ihren Sinn. Wann ist eine Kultur überhaupt authentisch und wann ist sie es nicht mehr und wer bestimmt darüber? Venne schreibt, dass der Wunsch der westlichen Kultur, Indigene in der Zeit stoppen beziehungsweise »konservieren« zu wollen, ihre Existenz zu leugnen bedeutet. Es sei nicht das Äußere, das einen Indigenen ausmacht. Auch in Jeans ist sie weiterhin eine Cree. Sie betont: »If you must look, dress, and sound like their image of an Indigenous person to be accepted, then the battle has been lost« (Venne 2004: 136). Der Wunsch der nicht-indigenen Gesellschaft, die Indigenen in ihrem alten Image einfrieren zu wollen, deutet Venne (2004: 130) als die Konstruktion eines weniger bedrohlichen Erscheinens der Indigenen. Durch das Einfrieren in ihrem alten Lebensstandard und ihrer sozialen Lage würden die Indigenen weiterhin unter der Kontrolle der dominierenden Gesellschaft stehen, wie sie Jahrhunderte lang leben mussten: ohne Recht und unter ständiger Unterdrückung. Jede Veränderung in Richtung politischer Stärkung scheint Angst bei den Nicht-Indigenen auszulösen, weil sie dann mit den Indigenen juristisch auf einer Ebene stehen. Das Bemühen um soziale Anerkennung und Respekt ist ein langwieriger Kampf der meisten indigenen Gruppen Nord- und Südamerikas. Nachdem die indigenen Kulturen 500 Jahre lang unterdrückt wurden und es dabei trotzdem schafften, dem kulturellen Untergang durch den oft sogar gewaltsamen Integrationsversuch vieler Gesellschaften zu widerste204

INDIGENE IDENTITÄT IN ZEITEN DER GLOBALISIERUNG

hen, dürfte nicht an der Stärke ihrer indigenen Identität gezweifelt werden. Und es ist genau diese Identität, die von Indigenen als ein Mittel zum Schutz und Stärkung ihrer Kultur eingesetzt wird, eine von Castells (2002: 10) genannte »Widerstandsidentität«. Bei all den Versuchen, Widerstand gegen die dominierende Gesellschaft zu leisten und dabei fremde Kulturelemente in die eigene Kultur zur politischen, ökonomischen und sozialen Stärkung der eigenen Gruppe aufzunehmen, trägt der Diskurs um Authentizität der Indigenen zur Aufrechterhaltung überholter kultureller Stereotype bei. Eine Untersuchung darüber, wie solche Diskurse konstruiert und dekonstruiert werden, wäre sicherlich äußerst aufschlussreich, würde aber den Rahmen dieser Arbeit sprengen. Ich möchte daher an dieser Stelle auf die Diskussion über kulturellen Wandel und Aneignung fremder Kulturelemente durch die Indigenen eingehen und darstellen, wie ich diese in meiner Untersuchung einordne.

A l s d i e k u l tu r e l l e A n t h r o p o p h a g i e d e n H yb r i d i t ä ts d i sk u r s v e r s p e i s te Angetrieben durch die Absicht, die Aneignung des Internet durch brasilianische indigene Gemeinschaften auch theoretisch zu hinterfragen, setzte ich mich mit einigen Begriffen auseinander und versuchte die Nutzung des Internet durch indigene Gemeinschaften als einen kulturellen Prozess zu klassifizieren: ist es ein transkultureller Prozess, ist er hybrid oder ist es Bricolage?5 Durch sein Werk Culturas Híbridas. Estrategias para entrar y salir de la modernidad brachte mich der argentinische Soziologe Néstor García Canclini (1992) auf einen anderen und meines Erachtens der südamerikanischen Kultur näheren Begriff, nämlich den der kulturellen Anthropophagie, um den kulturellen Prozess der Übernahme des Internet durch indigene Gruppen in Brasilien beschreiben zu können. Diesen werde ich auf S. 207 erläutern. Ich werde aber zunächst kurz auf den Hybriditätsbegriff eingehen und seine Bedeutung für mein Forschungsthema. Laut Homi Bhabha (1994) und Edward Said (1994) befinden sich alle Kulturformen in einem kontinuierlichen Hybriditätsprozess, bei dem 5

Der Begriff der Bricolage geht auf Claude Lévi-Strauss (1968: 29) und dessen Konzept des »wilden Denkens« zurück. Das Merkmal dieses Denkens ist es, jenes zu tun und zu verwenden, was gerade zur Verfügung steht. Peter Burke (2000) setzte sich mit dem Thema »kultureller Austausch« auseinander und versuchte einige Begriffe, die diesen Prozess zu benennen versuchen, zu analysieren. 205

DIE INDIGENEN BRASILIENS UND DAS INTERNET

es nach Bhabha nicht wichtig sei, ob es »eine originale oder ursprüngliche Kultur« gibt. Vielmehr kann Hybridität der »dritte Raum« sein, der die Entstehung anderer Positionen erlaubt (Bhabha 1994: 1; Rutherford 1990: 211), oder der zu einem »Handlungs- und Verhandlungsraum« (Bachmann-Medick 1998: 22ff.) wird. In einem Interview mit Rutherford berichtet Bhabha: »This third space displaces the histories that constitute it, and sets up new structures of authority new political initiatives which are inadequately understood through received wisdom« (Rutherford 1990: 211). In meiner Arbeit setze ich den Begriff der Hybridität zur Beschreibung der interkulturellen Begegnung zwischen den indigenen und nichtindigenen Kulturen durch das Medium Internet ein, in welchem ein Verhandlungsraum entsteht. Wie Hall (2003: 193) verstehe ich einen hybriden Prozess als die »Fusion und Mixtur« kultureller Formen und Elemente. Im Fall der brasilianischen Indigenen und dem Internet entsteht durch ihre Aufnahme des Internet und Computers ein hybrider Prozess in ihrer Kultur. Die Kommunikation zwischen indigener und nicht-indigener Kultur fördert die Entstehung eines dritten Raums, eines kommunikativen Raums, der früher nicht möglich war, oder nur bedingt. Dieser entstandene Raum wirkt über die geographischen und soziopolitischen Grenzen hinaus. Seine Virtualität ist die dynamische Kraft seiner Entstehung und der physische Aspekt der Kommunikation gewinnt dabei neue Dimensionen. Darüber hinaus produziert die Übernahme und Nutzung des Internet durch brasilianische indigene Gruppen eine neue Form der Kommunikation zwischen Indigenen und Nicht-Indigenen und stellt so einen neuen Raum für Verhandlungen dar, der ihre soziale und politische Stellung in der Gesellschaft verändert, wie Bhabha in einem Interview mit Rutherford erzählt: »The process of cultural hybridity gives rise to something different, something new and unrecognisable, a new area of negotiation of meaning and representation« (Rutherford 1990: 211). Den Prozess der Aneignung des Internet durch indigene Kulturen würde ich wie folgend beschreiben: Die Nutzung des Internet durch indigene Gemeinschaften unterstützt die Konstruktion indigener Identität sowie die Stärkung ihrer Kulturen, indem das Internet (durch den Zugang zur Öffentlichkeit und Information) die soziale und politische Macht der Gruppe steigert. Das Internet wird somit zu einem »site of enunciation« (Bhabha 1994: 37) verwandelt. Die Nutzungsform des Internet durch diese Gemeinschaften wird auf die kulturellen Bedingungen und Nutzungsmöglichkeiten jeder Gruppe abgestimmt und erlebt dabei einen neuen kulturellen Wandel, wird transformiert und »indigen«. Auch als transkulturell könnte ich die Entstehung oder Erzeugung der Kommunikation zwischen den indigenen und nicht-indigenen Kultu-

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ren mithilfe des Internet beschreiben: Transkulturalität würde durch die indigene Nutzung des Internet und ihre Präsenz im Web durch den Austausch von Informationen, Nachrichten, Meinungen und Communiqués mit anderen indigenen Gruppen sowie nicht-indigenen Gruppen stattfinden. Bei meinem Forschungsgegenstand würde aber auch der Begriff Bricolage (Lévi-Strauss 1968: 29) in Frage kommen, um den kulturellen Prozess der Übernahme des Internet durch indigene Kulturen zu erklären. Der Anpassungsprozess durch den Einsatz eines nicht-indigenen Kulturelements könnte als eine Form der kulturellen »Bastelei« durch indigene Gemeinschaften betrachtet werden. Das Internet wäre eine neue Form der sozialen und politischen Präsenz und Kommunikation, damit indigene Kulturen sich sozial und politisch stärken und kulturell aktiv sind, um wie Lévi-Strauss (1968: 29) berichtet, »[…] einem Hindernis aus dem Weg zu gehen«, das im Fall der brasilianischen Indigenen durch die Maschinerie der aktuellen nationalen und Welt-Politik sowie -Wirtschaft repräsentiert wird. Ein Begriff aber, der mir besonders geeignet erscheint, um den Aneignungsprozess des Internet durch indigene Gruppen in Brasilien zu beschreiben, ist der der »kulturellen Anthropophagie«, den ich im Folgenden erläutern werde.

Die kulturelle Anthropophagie »Só a Antropofagia nos une. Socialmente. Economicamente. Filosoficamente. Única lei do mundo. Expressão mascarada de todos os individualismos, de todos os coletivismos. De todas as religiões. De todos os tratados de paz. Tupi, or not tupi that is the question«. (de Andrade, Oswald: Manifesto Antropófago, Mai 1928)6

Mit seinem Werk Culturas Híbridas – Estrategias para entrar y salir de la modernidad (1992) brachte mich der argentinische Soziologe Néstor García Canclini auf den Gedanken, die technologische und zugleich stark 6

Übers. von Sandführ (2001: 200): »Nur die Anthropophagie vereinigt uns. Sozial. Ökonomisch. Philosophisch. Einziges Gesetz der Welt. Maskierter Ausdruck aller Individualismen, aller Kollektivismen. Aller Religionen. Aller Friedensverträge. Tupi or not Tupi, that is the question«. 207

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politisch motivierte Anpassung der Indigenen Brasiliens mit dem Konzept einer kulturellen Anthropophagie zu vergleichen. Meines Erachtens und in Betracht auf García Canclinis Werk finden Modernisierungsprozesse durch Hybridität statt – und Hybridität kann auch als eine Form der Anthropophagie verstanden werden. Zu diesem Vergleich kam ich durch einen kurzen Auszug des Manifesto Antropófago (Anthropophagischen Manifests) des brasilianischen Schriftstellers Oswald de Andrade (1928) in Garcías Canclinis Arbeit, der mein Interesse am Begriff der »kulturellen Anthropophagie« für mein Forschungsthema weckte: »Sólo me interesa lo que no es mío […]. Fue porque nunca tuvimos gramática ni colecciones de viejos vegetales. Y nunca supimos lo que era urbano, suburbano, fronterizo y continental […] (que) nunca fuimos catequizados. Vivimos a través de un derecho sonámbulo« (García Canclini 1992: 305).7

García Canclinis kurzes Zitat des Manifesto Antropófago und meine Auseinandersetzung mit den Überlegungen des Movimento Antropófago (Anthropophagische Bewegung) des brasilianischen Schriftstellers Oswald de Andrade (1890-1954) – eines der wichtigsten Vertreter der brasilianischen »Modernismus-Bewegung« der 1920er Jahre in Brasilien – war also Ausgangspunkt, um die Nutzung des Internet durch indigene Gruppen in Brasilien als eine Form kultureller Anthropophagie zu analysieren. Einen ähnlichen Vergleich fand ich auch in José Pimentas Arbeit (2002: 431) über die Ashaninka, in welcher er die Übernahme von Kulturelementen der nicht-indigenen Gesellschaft durch die Ashaninka am Fluss Amônia als »processo de ›canibalização‹ de elementos externos« (kannibalischer Prozess fremder Kulturelemente) betrachtet. Die Professorin Maria Inês de Almeida verwendet ebenfalls den Begriff der kulturellen Anthropophagie, um den »offenen« Aneignungsprozess des Neuen durch indigene Kulturen zu beschreiben (siehe S. 107-108). Der brasilianische Literaturwissenschaftler João Cezar de Castro Rocha zum Beispiel versteht die Anthropophagie nach Oswald de Andrade als: »[…] eine Strategie, die im Zusammenhang mit politischer, ökonomischer und kultureller Asymmetrie von denjenigen verwandt wird, die sich in einer Position der Unterlegenheit befinden. Es ist daher eine kreative Form der Assimilation von zunächst auferlegten Inhalten« (Welge/Szondi 2006: 6).

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»Mich interessiert nur, was mir nicht gehört […] Es war, weil wir weder Grammatik hatten noch Sammlungen alter Pflanzen. Und wir wussten nie, was urban, suburban, angrenzend und kontinental war […] (dass) wir nie katechisiert wurden. Wir leben nach einem schlafwandlerischen Recht«. 208

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Was das Thema »Übernahme fremder Elemente in eine Kultur« betrifft, ist der Begriff »kulturelle Anthropophagie« dank des Movimento Antropófago von Oswald de Andrade mehrmals im brasilianischen Diskurs präsent. Der amtierende brasilianische Kulturminister Gilberto Gil zum Beispiel nannte in einer Rede die kulturelle Anthropophagie als »ein Grundmittel der brasilianischen mestizaje« und sagt: »A antropofagia cultural nos define e nos impulsiona« (Assessoria de Comunicação Social 2005).8 Außerdem beeinflusste das kulturelle anthropophagische Konzept Oswald de Andrades kulturelle Bewegungen über die 1920er Jahre hinaus, wie zum Beispiel die Tropicália, eine kulturelle Bewegung der 1960er Jahre (1967-1968), die vor allem in der Musik, aber auch in der Kunst, im Kino und Theater Ausdruck fand.9 In den 1990er Jahren zum Beispiel wurden Künstlern, wie den Sängern Carlinhos Brown und Chico Science, Einflüsse der Anthropophagie Oswald de Andrades und der Tropicália nachgesagt. Da aber dieses Thema sehr umfangreich ist und es nicht meine Absicht ist, in dieser Arbeit eine gesamte Analyse der anthropophagischen Bewegung und der kulturellen Anthropophagie zu liefern, werde ich nun den Gedanken der kulturellen Anthropophagie mit meinem Forschungsthema in Verbindung bringen. Dabei möchte ich versuchen, die Nutzung des Internet durch indigene Gruppen in Brasilien als eine moderne Form der kulturellen Anthropophagie zu analysieren, indem das Urkonzept der Anthropophagie, das heißt, die Stärke des Feindes durch ein anthropophagisches Ritual zu übernehmen, um, im Fall meines Themas, die eigene Kultur und Gruppe zu bestärken. Bevor ich mit dem Prinzip einer kulturellen Anthropophagie fortfahre, möchte ich vorher über die Entstehung der brasilianischen Modernismus-Bewegung sprechen, die zur Bildung der brasilianischen Anthropophagischen Bewegung führte.

Die Modernismus-Bewegung in Brasilien Die Modernismus-Bewegung in Brasilien entstand in den frühen 1920er Jahren des vergangenen Jahrhunderts aus dem Wunsch einer Gruppe von Intellektuellen und Künstlern heraus, die brasilianische Kunst und Litera-

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»Die kulturelle Anthropophagie bestimmt uns und treibt uns voran«. Weiterführende Literatur über das Thema Tropicália: George, D. (1992): The Modern Brazilian Stage; Dunn, C. (2001): Brutality Garden: Tropicália and the Emergence of a Brazilian Counterculture; Canejo, C. (2004: 61-68): The Resurgence of Anthropophagy. 209

DIE INDIGENEN BRASILIENS UND DAS INTERNET

tur zu modernisieren.10 Intellektuelle und Künstler wollten sich von der europäischen Kultur unabhängig machen und mittels der brasilianischen Elemente eine neue, modern orientierte Kultur ins Leben rufen. Die eigenen brasilianischen Leitbilder, Motive und Farben, gestaltet durch eine heterogene und turbulente Bildungsgeschichte der Nation, sollten dabei besonders zum Ausdruck kommen. Sandführ (2001: 78) beschreibt die brasilianische Modernismus-Bewegung als »[…] Antwort auf die avantgardistischen Vor- und Nachkriegsströmungen in Europa und die literarischen Codes, die Brasilien seit dem Ende des 19. Jahrhunderts dominierten«. Sie war nicht nur intellektuellen Ursprungs, sondern stark von der sozialen und politischen Lage geprägt, die in Brasilien in den ersten Dekaden des 20. Jahrhunderts herrschte, nämlich Armut, soziale Ungleichheit, ungleiche Entwicklung und politische Labilität. Nach Sandführ sollte sie auch als »Reflexion über die soziopolitischen und ökonomischen Veränderungen« in Brasilien des frühen 20. Jahrhunderts dienen. Im Vergleich dazu kommentiert Augel die damalige Entwicklung und den Wunsch nach Modernisierung Brasiliens folgendermaßen: »Wie war Modernität vorstellbar angesichts der allgemeinen Rückständigkeit und einer Bevölkerung von Hinterwäldlern, eben erst aus der Sklaverei entlassenen Schwarzen und im Urwald lebenden Indios? Fanatisierte, elende, von allem Fortschritt unberührte, unter widrigsten Umständen lebende Menschen hatten mehreren modern ausgerüsteten Heeren bis zur eigenen Ausrottung widerstanden« (Augel 2001: 10).

Es sollte der Versuch einer kulturellen Unabhängigkeitsbewegung mit dem Ziel sein, sich von dem europäischen Modell zu lösen, sich von dessen Bildern zu befreien und eine eigenständige brasilianische moderne Kulturszene zu schaffen. Durch die Modernismus-Bewegung, vor allem mit der berühmten Semana de Arte Moderna (Woche der modernen Kunst) im Februar 1922 verstärkte sich die Diskussion der brasilianischen Elite um die Diskriminierung des »Mischlingscharakters« der brasilianischen Gesellschaft. Zilly beschreibt: »Den Mischlingscharakter von Volk und Kultur, der bisher als Makel gegolten und Generationen von brasilianischen Intellektuellen in Pessimismus und Selbsthass getrieben hatte, deuten sie um zu einem Vorzug und zu einem Faktor der Bereicherung« (Zilly, Berthold: Nachwort zu Euclides da Cunha, Krieg im Sertão, Frankfurt a.M.: Suhrkamp, 1994: 764, zit. n. Augel 2001: 10).

10 Viele erwähnen 1912 als symbolisches Geburtsjahr der Modernismus-Bewegung in Brasilien. 210

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Augel bewertet diese Diskussion in ähnlicher Weise: »Sie [die Woche der modernen Kunst] war der über den Bereich von Kunst und Literatur hinausgreifende Vorstoß, die durch zunehmende Industrialisierung und Verstädterung geschaffene Gesellschaft nicht als einen Ableger oder Schatten Europas zu begreifen, sondern als selbstständige nationale Schöpfung« (Augel 2001: 10).

Die als Folge der sozialen Ungleichheit und der eigenen ethnischen Nuancen Brasiliens entstandenen kulturellen Elemente sollten ein neues nationales Empfinden anregen und die brasilianische Gesellschaft befähigen, die eigene Kultur bewusst wahrzunehmen. Aber um zu erklären, wie diese Bewegung entstand, muss ich eine der wichtigsten Figuren des brasilianischen Modernismus vorstellen: den Schriftsteller Oswald de Andrade.

Oswald de Andrade: Der Vater des Manifesto Antropófago Frisch zurückgekehrt aus Europa im Jahr 1912 war der brasilianische Dichter und Schriftsteller Oswald de Andrade vom futuristischen Stil der Kunst und Literatur inspiriert und stark von der industriellen Entwicklung beeinflusst, die das Bild der Städte und das Leben der Menschen immer mehr veränderte. Es war der Wunsch Oswald de Andrades sowie seiner Freunde und Kollegen, nach diesem Modell etwas »eigenes Modernes« in Brasilien entstehen zu lassen: eine kraftvolle originäre brasilianische Kunst und Literatur. Vor allem im Jahr 1922 während der Semana de Arte Moderna gewann der brasilianische Modernismus an Kraft und Aufmerksamkeit.11 Aus diesen Gefühlen und Überlegungen heraus entstand Oswald de Andrades Manifesto Antropófago (Anthropophagisches Manifest),12 veröffentlicht in der Zeitschrift Antropofagia im Jahr 1928. Der Leitgedanke des Manifests war die Anthropophagie und die Auseinandersetzung mit den europäischen Dogmen, in dem Oswald de Andrade Bezug auf die Grundvorstellungen anthropophagischer Rituale der Tupi-Indigenen nahm, die ihre Feinde im Glauben verspeisten, sich 11 Neben Oswald de Andrade waren einige der wichtigsten Akteure der ersten Phase des brasilianischen Modernismus (1922–1930) Mário de Andrade, Tarsila do Amaral, Anita Mafaltti, Di Cavalcanti, Lasar Segall und viele andere. 12 Das Gemälde Abaporu (1928) von Tarsila do Amaral (Oswald de Andrades damalige Lebensgefährtin) inspirierte ihn, das Anthropophagische Manifest zu schreiben. Der Name Abaporu wurde von Oswald selber gegeben und bedeutet »Der Mann, der isst«. 211

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damit deren Qualitäten »einzuverleiben«.13 Darauf basierend und motiviert durch die Frage »wie man modern und gleichzeitig brasilianisch sein könnte«, entwickelte Oswald de Andrade metaphorisch das Prinzip einer geistlichen kulturellen Anthropophagie und das Konzept einer modernen Anthropophagie: das »[…] Verschlingen der von Europa übernommenen Kultur, um sie zu transformieren und zur eigenen zu machen« (Augel 2001: 10; vgl. auch Sandführ 2001: 78). Um die Ausgangsfrage »was brasilianisch war« beantworten zu können, bezog sich Oswald de Andrade in seinem Manifest sogar auf einen berühmten Satz aus Shakespeares Hamlet, veränderte und verwandelte ihn in einen brasilianischen Denkspruch: Aus »To be or not to be« wurde »Tupi or not Tupi«. Durch die Benutzung des Wortes Tupi14 stellte Oswald de Andrade die »Quintessenz« des brasilianischen Seins in Frage und forderte die brasilianische Gesellschaft auf, über ihren Ursprung und ihr kulturelles Werden nachzudenken. Nach Sandführ (2001: 76) hatte die »Anthropophagische Bewegung« im brasilianischen Modernismus ihren Grund in dem Bestreben, »[…] sich der eigenen indigenen Wurzeln zu besinnen und gegen die Übermacht der kolonialistischen geistigen Einflüsse Europas aufzutreten«. Er erklärt: »Es war eine Kriegserklärung an die sogenannten zivilisierten Völker, welche dem brasilianischen Volk die eigenen kulturellen Werte aufzwangen und so die brasilianischen in den Hintergrund drängten« (Sandführ 2001: 76). Um die Gedanken und das Empfinden von Oswald de Andrades Anthropophagischer Bewegung nachvollziehen zu können, möchte ich einen Ausschnitt des Manifesto Antropófago aus dem Jahr 1928 zitieren: »A luta entre o que se chamaria Incriado e a Criatura – ilustrada pela contradição permanente do homem e o seu Tabu. O amor cotidiano e o modusvivendi capitalista. Antropofagia. Absorção do inimigo sacro. Para transformá-lo em totem. A humana aventura. A terrena finalidade. Porém, só as puras elites conseguiram realizar a antropofagia carnal, que traz em si o mais alto sentido da vida e evita todos os males identificados por Freud, males catequistas. O que se dá não é uma sublimação do instinto sexual. É a escala termométrica do instinto antropofágico. De carnal, ele se torna eletivo e cria a amizade. Afetivo, o amor. Especulativo, a ciência. Desvia-se e transfere-se.

13 Vgl. Sandführ 2001; Augel 2001; Faria 1986. 14 Tupi ist die Bezeichnung für eine der indigenen Makrosprachfamilien Brasiliens und für die Tupi sprechenden Gruppen und ihrer Kultur (vgl. Prezia/Hoonaert 2000: 70-74. Vgl. auch Instituto Socioambiental, Link Povos Indígenas no Brasil: Línguas, http://www.socioambiental.org/pib/portu gues/indenos/divers.shtm vom 30. September 2006. 212

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Chegamos ao aviltamento. A baixa antropofagia aglomerada nos pecados de catecismo – a inveja, a usura, a calúnia, o assassinato. Peste dos chamados povos cultos e cristianizados, é contra ela que estamos agindo. Antropófagos« (de Andrade 1928).15

Der anthropophagische Akt des »Verschlingens des Anderen« sollte nach Oswald de Andrades Vorstellung nicht als Merkmal einer weniger entwickelten Kultur angesehen werden – so wie dies von den Kolonisatoren dargestellt wurde. Vielmehr sollte dieser Vorgang generell als ein »kreatives Prinzip fruchtbar gemacht werden« (Sandführ 2001: 80). Sandführ schreibt folgendes über die Auseinandersetzung von Oswald de Andrade mit der herablassenden Art der Europäer, andere Kulturen zu bewerten: »Während in der Romantik die diskursive Praktik des Vergleichens zwischen hier und dort zu einer nicht überzeugenden Aufhebung der Differenz geführt hat, fordert de Andrades Manifest in aggressiver Manier die Autorität des Zentrums heraus, indem es eine radikale Neubewertung der Opposition des ›zivilisierten dort‹ und des ›wilden hier‹ vornimmt, in welcher das ›wilde hier‹ aufgewertet werden soll. Dieses Konzept impliziert eine positive Wertung der Anthropophagie und steht damit im Kontrast zur Ablehnung des anthropophagen Primitivismus in der sogenannten zivilisierten Welt« (Sandführ 2001: 76).16

15 Übers. Sandführ (2001: 205): »Der Kampf zwischen dem, was man das Nicht-Geschaffene nennen könnte, und der Kreatur – illustriert durch den permanenten Widerspruch zwischen dem Menschen und seinem Tabu. Die alltägliche Liebe und der kapitalistische modus vivendi. Anthropophagie. Absorption des heiligen Feindes, um ihn in ein Totem zu verwandeln. Das menschliche Abenteuer. Die irdische Zielsetzung. Nur die reinen Eliten vermochten jedoch die fleischliche Anthropophagie zu verwirklichen, die das höchste Verständnis des Lebens in sich trägt und alle von Freud identifizierten Übel meidet, katechetische Übel. Was eintritt, ist nicht eine Sublimation des sexuellen Instinkts. Es ist die thermometrische Skala des anthropohagischen Instinkts. Vom Fleischlichen ausgehend, wird er wählerisch und erschafft die Freundschaft. Affektiv, die Liebe. Spekulativ, die Wissenschaft. Er weicht ab und wandelt sich. Wir kommen zur Entwürdigung. Die niedere Anthropophagie, zusammengehäuft mit den Sünden des Katechismus: der Neid, der Wucher, die Verleumdung, der Mord. Seuche der sogenannten kultivierten und christianisierten Völker, sie ist es, gegen die wir handeln. Anthropophagen«. 16 Auch die brasilianische Ethnologin Alcida Ramos (1998: 78) schreibt: »The civilizing Discourse benefited immensely from deploring the maneating habits of the Tupinambá«. 213

DIE INDIGENEN BRASILIENS UND DAS INTERNET

Der brasilianische Literaturwissenschaftler João Roberto Faria definiert Oswald de Andrades kulturelle Anthropophagie als Form, sich kulturell unabhängig zu machen durch Absorption ausländischer Einflüsse, indem man diese kritisch transformiert, anstatt sie bloß nachzuahmen. Dabei bleiben die eigenen nationalen Wurzeln bewahrt (Faria 1986: 83). Für den US-amerikanischen Sprach- und Literaturwissenschaftler Kenneth Jackson ist die beste Definition für Oswald de Andrades Anthropophagisches Manifest: »The theory of cultural devouring, an autonomous reelaboration of cultural material in terms of philosophic value […]« (Jackson 1978: 2). Bei der Absorption fremder Kulturelemente und gleichzeitigem Modernisierungsprozess handelt es sich meiner Meinung nach um den Versuch und Wunsch, sich von der westlichen entmündigenden Gesellschaft zu befreien. Die Übernahme fremder Kulturelemente wird als erwünscht angesehen und dient der Gleichstellung zwischen den bis dahin ungleichen Parteien (Norden und Süden; primitiv und modern). Diese Gleichstellung, erschaffen durch die kritische Übernahme fremder Kulturelemente, beendet zumindest oberflächlich die kulturelle Abstufung, die von den »anderen«, das heißt den einstigen Kolonialländern, geschaffen wurde. In dieser Weise war Oswald de Andrades Bewegung ein Versuch, mit dem Glauben zu brechen, dass alles was aus Europa kam, wertvoller war. Sie sollte das Ende der kolonialen Herrschaft bedeuten, »[…] welche sich den Rationalismus der Aufklärung zunutze machte, um primitive, irrationale Kulturen und Völker, die angeblich Anthropophagie praktizierten, zu unterdrücken«, so Sandführ (2001: 79). David George (1992: 77) wiederum erklärt die Anthropophagie wie folgt: »[…] Anthropophagy translates artistically into a devouring of imported culture to neutralize its dominance of national culture and to gain its strength (i.e., to employ freely useful aspects of imported models), Anthropophagy does not respect the authority of foreign modes; rather it blends them into a native cultural stew« (George 1992: 77).

Genau dieser Gedanke reizt mich, die Übernahme neuer Technologien durch die Indigenen mit dem Begriff der kulturellen Anthropophagie zu vergleichen – indem es möglich ist, Elemente einer anderen Kultur zu übernehmen, an die eigene Kultur anzupassen, ohne dass diese ihre Eigenständigkeit verliert. Die Parallelen zwischen Oswald de Andrades kulturelle Anthropophagie und der Aneignung des Internet durch indigene Gemeinschaften werde ich im nächsten Punkt näher ausführen.

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INDIGENE IDENTITÄT IN ZEITEN DER GLOBALISIERUNG

Eine moderne »Anthropophagische Bewegung« durch die Indigenen Was während der brasilianischen Modernismus-Bewegung der 1920er Jahren in der Kunst und Literatur stattfand, getrieben von dem Wunsch nach einer neuen positiven Wertung der ursprünglichen und später Mestizen-Kultur Brasiliens, könnte heute eventuell, unter einem politischen und sozialen Aspekt, in der indigenen Bewegung beobachtet werden: Moderne Technologien werden in indigene Kulturen eingeführt und angepasst, um unter anderem mit politischer Zielsetzung an den heutigen Prozessen der Globalisierung teilnehmen zu können und damit die Indigenen Brasiliens ihre Anerkennung in der Gesellschaft finden. Die Aneignung technologischer Kommunikationstechnologien durch indigene Kulturen könnte also mit einer neuen Art der kulturellen Anthropophagie verglichen werden, aus einem konkreten sozialen und politischen Grundverständnis heraus. Während die Intellektuellen in der Modernismus-Bewegung Brasiliens der 1920er Jahren versuchten eine moderne brasilianische Kunst und Literatur zu erschaffen anhand europäischer Modelle (aber mit einem »brasilianischen Ergebnis«) und die Anpassung theoretisch stattfand, bemühen sich indigene Gruppen Brasiliens durch eine Aneignung technologischer aber auch politischer Mittel, sich an die aktuellen sozialen und politischen Bedingungen anzupassen, damit sie und ihre Kulturen weiterhin existieren können. Was die Anthropophagische Bewegung der 1920er Jahre in Brasilien inspirierte, nämlich die anthropophagischen Rituale der Tupi-Indigenen, würde heute in einer neuen Form zu ihrem Ursprung zurück kommen, nämlich bei den indigenen Kulturen durch die Absorption des Internet und Anderem, wie in einem Lebenszyklus, der ständig erneuert wird. Heute ist die von mir interpretierte kulturelle Anthropophagie der Indigenen Brasiliens soziopolitischer Natur, wobei sie aber an den Grundgedanken der Anthropophagie per se festhält, nämlich der Aneignung der Eigenschaften des »Gegners«, um die eigene Kultur oder Gemeinschaft zu stärken. Seit der Ankunft der Europäer in Brasilien wehren sich die Indigenen gegen die ihnen auferlegten Verbote, ihre Kultur weiter zu pflegen, gegen den Zwang zur Integration und gegen Repression. Nach Nunes (1986: 19) gibt es keine Repression, die der Unterdrückte nicht beseitigen kann und der anthropophagische Instinkt der brasilianischen Indigenen lebt als großes Erbe fort, um sich gegen die kulturelle Repression zu wenden. Er schreibt:

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DIE INDIGENEN BRASILIENS UND DAS INTERNET

»Mas não há repressão, qualquer que seja sua força e sua ação contínua, que possa suprimir o oprimido. Este, no caso do instinto antropofágico de nossos índios, persiste como herança profunda, como inconsciente, sempre pronto a se voltar contra a instância repressiva, contra a coerção religiosa e o poder político do governo, interiorizados no decorrer da história e tornados o superego, a morada da autoridade dos costumes« (Nunes 1986: 19).17

Zu ihren eigenen Gunsten nehmen indigene Kulturen die neue technologische Errungenschaft in sich auf und gewinnen somit an Macht, ebenso wie früher die Tupi-Indigenen, die sich den im Kampf gestorbenen Feind einverleiben, um damit dessen Eigenschaften zu erwerben (Nunes 1986: 20). Durch die Aufnahme des Internet in ihr Leben versuchen die Indigenen Terrain zu gewinnen, um Teil der Informations- und Kommunikationsgesellschaft zu sein, in der Öffentlichkeit als Gleichberechtigte wahrgenommen zu werden und ihre Rechte verteidigen zu können. Trotz dieses Anpassungsprozesses bewahren indigene Kulturen gleichwohl ihre ursprünglichen Kulturelemente, genau wie in Oswalds de Andrades Anthropophagischer Bewegung: Bestärkung der eigenen Kultur durch die Absorption fremder Elemente. Das symbolische »Einverleiben« von nicht-indigenen Kulturelementen ähnelt zumindest einem »kannibalischen Menü«, mit dem Ziel, die eigene Existenz zu sichern. Das Internet würde in diesem Sinn eine der Stärken des bekämpften Feindes repräsentieren. Ebenso wie Sandführ (2001: 76) die Entstehung der ModernismusBewegung der 1920er Jahre in Brasilien als das Streben, »sich der eigenen indigenen Wurzeln zu besinnen und gegen die Übermacht der kolonialistischen geistigen Einflüsse Europas aufzutreten«, erklärt, könnte meiner Ansicht nach in der aktuellen indigenen Bewegung die gleiche, jedenfalls aber ähnliche Kraft wie die der damaligen anthropophagischen Bewegung festgestellt werden. Allerdings ist dieser heutige Anpassungsprozess weniger kultureller, sondern in erster Linie politischer Natur (vgl. Nunes 1986: 21). Auch Oswald de Andrades Absicht, eine Umkehr von »Einflüssen, Forderungen und Verbindlichkeiten« zu erreichen und die Frage nach der »Autonomie des Beeinflussten« aufzuwerfen (Sandführ 2001: 77), stehen

17 »Es gibt keine Repression, egal wie stark sie ist und wie lange sie andauert, die den Unterdrückten zurückhalten kann. Dieser [Instinkt], in dem Fall des anthropophagischen Instinktes unserer Indigenen, lebt als großes Erbe fort, wie unbewusst immer bereit, um sich gegen die repressive Instanz zu wenden, gegen die religiöse Unterdrückung und die politische Regierungsmacht, verinnerlicht entlang der Geschichte und zum Superego geworden, der Wohnsitz der Autorität der Sitten«. 216

INDIGENE IDENTITÄT IN ZEITEN DER GLOBALISIERUNG

im Zusammenhang mit meinem Forschungsthema. Meiner Meinung nach, insbesondere auch angesichts der weltweiten globalen Entwicklungsprozesse, hat Oswald de Andrades Anthropophagisches Manifest sehr viel Aktualität im Hinblick auf den Versuch, die eigene Kultur zu schützen und zwar durch den Einsatz fremder Kulturelemente bei gleichzeitiger kritischer Absorption. Man könnte die Anthropophagie wie sie de Andrade deutete, laut Sandführ (2001: 80), »[…] als Beginn einer Verteidigung gegen Eindringlinge, die der Wahrung der Individualität dient«, bezeichnen.

Überlegter kultureller Wandel Die Analyse der Aneignung des Internet durch die Indigenen Brasiliens führt zu der Frage, aus welchen Gründen indigene Gruppen Kulturelemente wie das Internet in ihre Kulturen einführen und an ihre Lebensnotwendigkeiten anpassen. Meine Untersuchung zeigt, dass dieser kulturelle Wandel nicht von ungefähr, und im Fall des Internet, nicht unbegründet stattfindet. Ob die Aneignung des Internet vorwiegend oder ausschließlich politische Motive hat und dieses Medium von den indigenen Gruppen auch zur Bestärkung der eigenen Identität eingesetzt wird, wurde im Verlauf meiner Forschung zu einer der zentralen Fragen meiner Arbeit, die ich zu beantworten versuchte und jetzt zusammenfassen möchte. Sowohl in Nord- als auch in Lateinamerika wurde lange Zeit versucht, die indigenen Kulturen in das System der europäischen Kultur »hinein zu zwängen«. Diese langwierigen Versuche der Assimilierung schlugen fehl und brachten, zur großen Enttäuschung der Regierungen, nicht die erhofften Ergebnisse. Stattdessen eigneten sich mehrere indigene Gruppen bestimmte Kulturelemente der nicht-indigenen Kultur an, ihrer Bedürfnisse und Lebensbedingungen entsprechend und vielen von ihnen gelang es, als Gruppe eine eigenständige Identität aufrechtzuerhalten (Greymorning 2004: 6). Der Ethnologe Jeffrey Sissons sieht die Entwicklung der indigenen Gemeinschaften nach den Jahrhunderten der kolonialen Geschichte und in der Gegenwart wie folgt: »The indigenous world is as diverse now as it ever was and, despite pessimistic predictions that colonized cultures would be absorbed into the nirvana of a new international order, this diversity shows no sign of reducing. Rather than following well-worn paths towards a uniform modernity, first peoples are […], envisaging alternative futures and appropriating global resources for their own culturally specific ends« (Sissons 2005: 13).

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DIE INDIGENEN BRASILIENS UND DAS INTERNET

Viele kulturelle Anpassungen der letzten 30 Jahre, wie zum Beispiel die politische Arbeit durch die Gründung von Institutionen, die Zusammenarbeit mit indigenen und nicht-indigenen Verbänden, die Nutzung von Kommunikationsmethoden, die vom Funkradio bis zum Internet reichen, oder die Dokumentation ihrer Kultur, sei es schriftlich, durch Fotografie oder Film, haben in indigenen Kulturen das vorrangige Ziel, unter den heutigen Lebensbedingungen als Kultur und eigenständige ethnische Gruppe überleben zu können. Dabei handelt es sich um selektive Akkulturation: Es werden bewusst nur solche Kulturelemente der nichtindigenen Kultur übernommen, die notwendig sind, um gegen die dominierende Gesellschaft zu bestehen und die eigene Kultur aufrechterhalten zu können. Diese selektive Aneignung fremder Kulturelemente wird ferner dazu genutzt, um die eigene indigene Identität modifizierend zu stärken, zu beleben und politisch handlungsfähiger zu machen, ein Prozess kultureller Veränderungen den sie bereits seit Jahrhunderten durchlaufen (Turner 1991: 71).18 Zentrales Ergebnis meiner Arbeit ist, dass die indigene Nutzung von Informations- und Kommunikationstechnologien auf dem Bedürfnis beruht, sich über die verschiedensten Geschehnisse informieren zu können und um selbst Informationen zu verbreiten. Durch dieses Aufgreifen medialer Möglichkeiten, um sich selbst der Öffentlichkeit zu präsentieren, sind die indigenen Gruppen Brasiliens heute in den Medien präsenter als früher. Heute wird öfter über indigene Gemeinschaften berichtet und Themen, die die Indigenen betreffen, werden in der Öffentlichkeit debattiert. Auch die Indigenen selbst haben dadurch immer bessere Möglichkeiten, sich direkt an der Verbreitung von Nachrichten über ihre Gruppen und Kulturen zu beteiligen. Es wird nicht mehr nur über sie gesprochen, sondern sie berichten selbst über ihre Lage, zum Beispiel durch Communiqués. Im Februar 2007 dementierte Joaquim Tashka Yawanawa eine Nachricht vom Kabinett des Senators Tião Viana aus dem Bundesstaat Acre, die über eine angebliche Unterstützung der Yawanawa für die von der Regierung geplante Erkundung von Erdöl und Erdgas auf indigenen Gebieten im Bundesstaat Acre berichtete. Einen Tag nach Veröffentlichung der Kabinettsmeldung, am 17. Februar 2007, verfasste Tashka Yawanawa ein Communiqué mit dem Titel Tashka esclarece (»Tashka klärt auf«, Yawanawa 2007), in dem er der Nachricht widersprach. Dieses veröffentlichte er im Weblog von Altino Machado, einem bekannten

18 Heutzutage sind es vor allem die jungen, zwischen 20 und 45 Jahre alten, indigenen Anführer und Anführerinnen, die sich über derartige Möglichkeiten informieren und sich darin ausbilden, um gegen wirtschaftliche Interessen von Konzernen und Regierungen antreten zu können. 218

INDIGENE IDENTITÄT IN ZEITEN DER GLOBALISIERUNG

Journalisten aus Acre. Ebenso verschickte Tashka sein Communiqué per E-Mail an Bekannte und Organisationen. Meines Erachtens wäre es ohne die Nutzung von Kulturelementen der hegemonialen nicht-indigenen Kultur und deren Aneignung durch die Indigenen Brasiliens schwer, Widerstand gegen die in weiten Teilen auf »Fortschritt« gerichtete und Indigene verachtende Politik der Regierung zu leisten, die zum Beispiel zusammen mit internationalen Konzernen und Regierungsprojekten nach den letzten Urwaldgebieten Amazoniens greift, auf der Suche nach Naturressourcen wie Erdöl und Erdgas oder für die Plantagen von Zuckerrohrfeldern zur Ethanolproduktion. Die Nutzung moderner Kommunikationsmittel ist eine Methode, um sich vor der nicht-indigenen gefährdenden Fortschrittspolitik zu schützen. Der Kontakt nach außen wird immer wichtiger für den Fortbestand indigener Gemeinschaften und ihrer Kulturen. Je besser der Zugang der indigenen Gemeinschaften zu Informationen mit Hilfe von Kommunikations-Technologien ist, desto eher sind sie im Stande, auf potenzielle politische oder soziale Bedrohungen zu antworten. Hinzu kommt, dass einer der größten Vorteile für indigene Gemeinschaften bei der Aneignung technologischer und politischer Kulturelemente und Strategien ihre Möglichkeit ist, im Alltag an den Entscheidungsprozessen sowie der Rechtsprechung der dominierenden Gesellschaft teilzunehmen, die immer noch den indigenen Anteil der Bevölkerung weitgehend ignoriert und diskriminiert. Erst durch diese selektiven Anpassungen sind Indigene imstande, gleichberechtigt an Auseinandersetzungen in der heutigen Welt teilnehmen zu können. Hierin liegt das Machtpotenzial solcher Aneignungsprozesse, weil sie zu einem Ausgleich sozialer und politischer Machtverhältnisse verhelfen können. Darüber hinaus können Informationstechnologien nicht nur zu bedeutenden Fortschritten hinsichtlich der wirtschaftlichen, sozialen und politischen Lage führen, sondern auch zu Verbesserungen der medizinischen Versorgung und der Bildungsmöglichkeiten der jeweiligen indigenen Gemeinschaft. Laut dem Bericht Native Networking: Telecommunications and Information Technology in Indian Country (Smith 1999: 16-17) können Interaktion und Informationsaustausch unter indigenen Gemeinschaften helfen »[…] to develop well-informed tribal communities«. Darin heißt es weiter: »Such communities are better able to respond to new issues and challenges and to assist tribal leadership in developing clear strategies for community programs. A well-informed community will make sound decisions and, thus enhanced, locally determined strategies will drive community processes to a higher level than ever before« (Smith 1999: 16-17).

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DIE INDIGENEN BRASILIENS UND DAS INTERNET

Entsteht nun etwas kulturell Neues in diesem kulturellen Aneignungsprozess des Internet? In den Augen der Nicht-Indigenen entsteht ein neues Bild des Indigenen, der Gebrauch medialer Technologien im Interesse der weiteren Bestärkung seiner eigenen Kultur macht. Der Indigene ist jetzt »modern« und verschafft sich politischen, das heißt gesamtgesellschaftlichen Raum, um sich gegen die nicht-indigene Politik und Wirtschaft zu behaupten und seine Existenz zu sichern. Dieses Bild erinnert mich an das brasilianische Internetprojekt für indigene Gemeinschaften namens Arco Digital (Digitaler Bogen – siehe S. 100), in dem der Computer von den Indigenen als ein Mittel gegen soziale und politische Unterdrückung eingesetzt wird. So betrachtet, sagt die Metapher des »digitalen Bogens« meines Erachtens vieles aus über die Bedeutung und Rolle des Internet für indigene Gemeinschaften in Brasilien – der »digitale Pfeil und Bogen« als »Verteidigungsmittel« im »kulturellen Aktivismus« und als »empowerment«-Faktor ihrer Kultur und Gruppe.

T he p o l i ti c s o f I n t e r n e t o d e r D i sk u r s e um die Internetaneignung durch Indigene Die Aneignung des Internet durch indigene Gemeinschaften kann als ein Prozess von fortdauerndem kulturellen Wandel betrachtet werden, der nach Hall »[…] as a consequence of contact zones, the movement of peoples, […]« erfolge (Hall 2003: 191). Diese Aneignungen fremder Kulturelemente durch indigene Gruppen treffen oft auf Ablehnung von Seiten der nicht-indigenen Mehrheitsgesellschaft, die sich im Recht glaubt, über das Leben der Indigenen bestimmen zu können. Larissa Behrendt (2004), Aborigine und Rechtswissenschaftlerin, schreibt in ihrem Artikel Eualeyai: The blood that runs through my veins, dass die nicht-indigene Gesellschaft nicht wahrnehmen will, dass Indigene sich in der Gesellschaft bewegen können, ohne ihre indigene Identität zu verlieren. Sie berichtet: »I am learning the tools that White men and White women have used against my community so that we can fight back. I do that to learn to empower my community« (Behrendt 2004: 43). Von Bekannten und Kollegen wurde ich wiederholt gefragt, warum die Indigenen das Internet brauchen und ob das Internet nicht eine Gefahr für indigene Kulturen bedeutet. Das Verhalten, über die Indigenen bestimmen zu wollen und zu beurteilen, was richtig, falsch oder gefährlich für sie ist, sollten wir ablegen, auch im ethnologischen Sinn (vgl. Ginsburg/Abu-Lughod/Larkin 2002: 9-10). Meines Erachtens führt zum großen Teil die Unkenntnis über die Lage indigener Gruppen heutzutage zu Fragen über den Sinn der Internetnutzung durch indigene Gemein-

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INDIGENE IDENTITÄT IN ZEITEN DER GLOBALISIERUNG

schaften. Anscheinend herrscht immer noch das Bild des Indigenen vor, der unwissend und desinformiert im Urwald lebt, abgeschnitten von der nicht-indigenen Gesellschaft – und auch in der Wissenschaft müsste diesem Bild indigener Kulturen entgegenarbeitet werden. Das in den Köpfen von Nicht-Indigenen romantisierte Bild des Indigenen müsste durch das Bild des Indigenen erneuert werden, der Turnschuhe und Jeans tragen und Laptops benutzen kann, der seit jeher kulturelle Wandel durchläuft, aber dennoch seine indigene Identität und seine Kultur erfahren kann. Die Indigenen selbst erkennen die Notwendigkeit, dieses alte Bild, das die Nicht-Indigenen von ihnen aufgebaut haben, zu ändern, und sehen im Internet die Möglichkeit eines transkulturellen Austausches. Das Mittel Internet bietet den Indigenen diese Möglichkeit, sich und ihre Kulturen der Öffentlichkeit zu präsentieren, über ihren Alltag, Ziele und Erfolge zu sprechen. Es gestattet einen Austauschprozess, der durch Informationen Vorurteile oder Unkenntnisse abbauen kann. In meiner Forschung konnte ich feststellen, dass der Prozess der Aneignung solcher Technologien durchaus mit einem kritischen Blick, mit Vorsicht und Geduld sowohl von Seiten der Indigenen als auch der beteiligten Organisationen erfolgt. Die Aneignung fremder Kulturelemente durch indigene Gemeinschaften, zum Beispiel bei den Yawanawa und den Ashaninka, findet nicht statt bevor die Anführer der Gemeinschaft, ältere Bewohner und andere Gemeinschaftsmitglieder darüber beraten haben. Néstor García Canclini (2001: 42) beobachtete bei indigenen Gruppen in Mexiko zum Beispiel, dass neue Kulturelemente nur akzeptiert werden, »[…] so long as they can be assimilated to communitarian logic«. Er setzt fort: »The growth of income, the expansion and variety of consumer items, as well

as the technical capacity to appropriate new commodities and messages owing to higher levels of education, do not have enough power to drive members of the group to abandon themselves to the novelties. The desire to possess ›the new‹ does not operate as something irrational or independent of the collective culture to which these people belong« (García Canclini 2001: 42-43).

García Canclinis Beobachtung zeigt, dass die Aneignung fremder Kulturelemente nicht unbedacht oder unabhängig vom sozialen Kollektiv stattfindet. Die Gemeinschaften selbst haben bereits Erfahrungen in den verschiedenen erneuernden Prozessen gesammelt. Ständig mit dem Einfluss fremder Kulturelemente in ihren Leben konfrontiert, versuchen die Yawanawa am Fluss Gregório und die Ashaninka am Fluss Amônia, diese zu beeinflussen, um ihre Kultur vor den von ihnen als sozial negativ bewerteten Veränderungen zu schützen. So haben zum Beispiel die Ashaninka das Satellitenfernsehen aus ihrer Gemeinschaft verbannt (vgl. S. 221

DIE INDIGENEN BRASILIENS UND DAS INTERNET

170). Es wurde als schädigend für den Alltag und das kulturelle Leben bewertet, da es ihnen nicht mehr erlaubte, einigen ihrer alltäglichen kulturellen Praktiken, wie zum Beispiel dem Erzählen von Geschichten, nachzugehen. Was ich bei den Yawanawa und Ashaninka feststellen konnte, war eine große Vorsicht gegenüber den extraterritorialen kulturellen Einflüssen. Die Gemeinschaften diskutieren in ihren Gruppen über die Einflüsse fremder Kulturelemente auf ihre Kulturen. Bei Jugendlichen wird zum Beispiel versucht, das Selbstwertgefühl für die eigene Kultur zu wecken. Ein anderes häufig diskutiertes Thema innerhalb indigener Gemeinschaften im Bundesstaat Acre, zum Beispiel bei den Yawanawa, aber auch anderen Gruppen, ist der Einfluss der portugiesischen Sprache auf ihre Kultur. Im Ausbildungszentrum der CPI/AC in Rio Branco berichteten einige Yawanawa-Lehrer über ihren Versuch, vor allem den Jugendlichen die Bedeutung ihrer eigenen Sprachen für die Gruppe deutlich zu machen. Die Yawanawa und Ashaninka sind sich der kulturellen Einflüsse bewusst, die die nicht-indigenen Welt auf ihre Gemeinschaften ausübt, unter anderem wegen ihrer geschichtlichen Erfahrungen mit NichtIndigenen, die in ihre Gebiete zugewandert sind. Die Yawanawa zum Beispiel haben in den 1980er Jahren erfolgreich die Missionare der New Tribes Church aus ihrem Gebiet vertrieben, die sie zu bekehren versuchten und ihre Sprache verbieten wollten. Die Ashaninka auf peruanischem Gebiet kennen diese Bedrohungen bereits seit ihrer ersten Begegnung mit den Weißen im 16. Jahrhundert und die Ashaninka auf brasilianischem Gebiet vor allem seit Beginn des 20. Jahrhundert, als viele NichtIndigene auf der Suche nach Kautschuk in diese Region Amazoniens eingedrungen sind (Pimenta 2002: 73ff.). Aufgrund dieser Erfahrungen versuchen die Yawanawa und Ashaninka seitdem zu kontrollieren, wer ihr Gebiet betreten darf und wer nicht. Im Fall von Besuchern wird die Entscheidung von den YawanawaAnführern getroffen, damit sie eine Kontrolle über die äußeren Einflüssen sowie Personen haben können, die ihre Gemeinschaften besuchen. Es gibt inzwischen auch Richtlinien für Besucher, die im Interesse und zum Schutze der Yawanawa-Kultur befolgt werden müssen. Bei meinem ersten Feldforschungsaufenthalt in Acre zum Beispiel nahm ich meine Videokamera mit, um Bildmaterial über die Nutzung des Internet in der Yawanawa-Gemeinschaft Nova Esperança aufzunehmen. Ich erzählte dem jungen Anführer Tashka Yawanawa, was ich für eine Kamera mitnehmen wollte und er verwies mich darauf, dass es Richtlinien gibt, um die Gemeinschaft besuchen zu können. Ich sollte eine Art Vertrag unterschreiben, in welchem alle Verbote aufgelistet sind, die von nichtindigenen Besuchern beachtet werden sollen. Mit dieser Maßnahme soll

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INDIGENE IDENTITÄT IN ZEITEN DER GLOBALISIERUNG

unter anderem verhindert werden, dass Besucher ungenehmigte Bilder oder Filmmaterial von den Yawanawa produzieren. Viele indigene Gruppen in Brasilien setzen sich gegen die unerlaubte Produktion und Verbreitung von Filmmaterialien über ihre Gruppe und Kultur ein, was wieder verdeutlicht, wie bedeutsam indigenen Gruppen die Darstellung ihrer Kultur ist beziehungsweise wie bewusst sie sich über die damit zusammenhängenden Machteffekte sind.19 Während Nicht-Indigene sich Gedanken über die möglichen Einflüsse der Informations- und Kommunikationstechnologien auf indigene Kulturen machen, bezeichnen Stammesführer verschiedener indigener Gruppen die so genannte digitale Spaltung als neue Form des Kolonialismus. In der Declaração do Encontro Indígena Interamericano Preparatório Sobre a Sociedade da Informação (Representações indígenas dos países participantes do encontro 2003)20 wird erwähnt, dass die digitale Spaltung, die zwischen der nicht-indigenen und indigenen Gesellschaft existiert, die Armut vergrößert, den Verlust von Werten und Identität fördert, zu einer Homogenisierung der Kultur führt und die kulturelle Vielfalt zunichte macht, was einen neuen Kolonialismus und Ethnozid indigener Gruppen fördere.

19 Mehr über image appropriation und problematic of authorship in Michaels (1991: 282-291). 20 »Erklärung des interamerikanischen indigenen Vorbereitungstreffens zum Weltgipfel zur Informationsgesellschaft«.

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AUSBLICK Brasilien ist ein Land der sozialen Disparitäten und obwohl gerne der Reichtum seiner kulturellen Vielfalt vorgezeigt wird, bedeutet das nicht, dass es ein Land ohne Rassismus ist. Schwarze und Indigene müssen weiterhin gegen soziale und kulturelle Diskriminierung kämpfen. Die Indigenen streben nach Anerkennung ihrer Kultur, die immer noch durch die nicht-indigene Gesellschaft entwertet wird. Hinzu kommt, dass die Lage indigener Gruppen in Brasilien sehr unterschiedlich ist: Einige indigene Gemeinschaften verfügen über komplexe Organisationen, andere wiederum gehen zu Grunde unter den schwierigen Bedingungen, unter denen sie leben müssen. Insgesamt haben die Indigenen Brasiliens aber ihre rechtliche Situation verbessern können. Immer mehr junge Indigene können schreiben und lesen und immer mehr von ihnen haben die Chance, eine Universitätsausbildung zu genießen, auch wenn diese noch sehr wenige sind. Durch verschiedene Medientechnologien wie Video, Fernsehen, Radio oder Internet erhalten sie die Möglichkeit, sich und ihre Kultur einer breiteren Masse zu präsentieren. Einige Gemeinschaften sind nicht mehr nur die Akteure in Dokumentarfilmen, sondern produzieren diese heute selbst. Auch in den Medien, wie in Zeitungen, Internetartikeln oder Weblogs, verstärken sie ihre Präsenz und erreichen allmählich die Aufmerksamkeit und Anerkennung der nicht-indigenen Gesellschaft. Mein Eindruck ist, dass sie langsam die kulturelle Barriere, die von der brasilianischen nicht-indigenen Gesellschaft aufgestellt wurde, abbauen und sich damit ihrem Ziel nähern, einen gleichberechtigten Platz in der Gesellschaft zu erringen. Wissenschaftlich betrachtet, wird nach all diesen Prozessen die Dynamik der indigenen Kulturen in Brasilien erkennbar: in Jahrhunderten der Unterdrückung schafften es viele Gruppen, ihre Kultur im ständigen Wandel zu pflegen, indem sie sich fremde Kulturelemente im anthropophagischen Sinn einverleiben und transformieren. Andernfalls hätten sie angesichts der Politik der nicht-indigenen Gesellschaft wenige Chancen gehabt, sich sozial und politisch durchzusetzen. Sie änderten ihre Strategien in Bezug auf die Politik der Nicht-Indigenen und adaptierten bestimmte Vorgehensweisen der nicht-indigenen Kultur, um

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mit denselben politischen und rechtlichen Mitteln kämpfen zu können.1 Sie übernehmen selektiv und kritisch fremde Kulturelemente wie rechtliche Grundlagen und Aktionsformen mit dem Ziel, ihre eigene Kultur und Existenz zu verteidigen und um mögliche Gefahren aus der aktuellen Weltwirtschaft und -Politik zu bekämpfen. Das Internet zum Beispiel ist dabei ein ergänzendes Mittel in ihrer sich seit jeher wandelnden Kultur. In dem Maße, wie sie technologisch auf gleichem Stand mit dem dominierenden Teil der Gesellschaft stehen, gewinnen sie an soziopolitischer Macht und an Einfluss. Kommunikation bedeutet Macht und die Möglichkeit, selbst mit anderen kommunizieren zu können und zu berichten, was ihrer Gruppe geschieht oder welche Pläne die Gruppe verfolgt. Kommunikation bedeutet nicht allein zu sein, nicht allein zu stehen oder seinem Schicksal überlassen zu sein. Im Fall indigener Gemeinschaften ist die Möglichkeit, E-Mails versenden zu können, um Rechtsbrüche gegen ihre Gruppen öffentlich zu machen, überlebenswichtig. In der Geschichte Brasiliens fanden viele Gräueltaten gegen indigene Gruppen statt und diese blieben meistens unbekannt und unbestraft (Fernandes Ferreira 2002: 33-34; Prezia/Hoornaert 2000: 212213). Heute erleben wir ein anderes Szenarium, in welchem Gewalttaten gegenüber Indigenen selten unbeobachtet bleiben. Die Möglichkeit sich selbst an die Öffentlichkeit, mittels der Nutzung von Kommunikationstechnologien wie dem Internet wenden zu können, bedeutet für sie einen Machtzuwachs gegenüber früher, als sie noch auf die Hilfe von Organisationen angewiesen waren. Zudem zeigen die Massenmedien in Händen des Establishments nur wenig Interesse, indigene Perspektiven und Interessen in der Öffentlichkeit zu vermitteln. Dies alles erinnert mich an einen in Brasilien bekannten Spruch des im Jahr 1988 verstorbenen Fernsehmoderators Abelardo Barbosa, »o Chacrinha«, der oft sagte: »Quem não se comunica, se trumbica«, das übersetzt so viel wie »Wer nicht kommuniziert, hat verloren« bedeutet. Und Chacrinha hatte Recht, da Kommunikation ein wesentlicher Bestandteil der Gesellschaft ist und Macht bedeutet. Obwohl zur Zeit meiner Forschung in Acre nur die Ashaninka und Yawanawa vom Internet und von Computern in ihren Dörfern Gebrauch machten, zeigte die Nutzung des Internet in beiden Gemeinschaften bereits positive Ergebnisse.2 Vor dem Zugang zum Internet in ihren Dör-

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Sie greifen beispielsweise auf die erkämpften Rechte zurück, die in der brasilianischen Verfassung von 1988 festgeschrieben wurde, die aber immer noch ausbaufähig sind. Im Juli 2008 erfuhr ich jedoch, dass die Yawanawa zurzeit aufgrund technischer Schwierigkeiten das Internet nicht nutzen können. Andere Gemein226

AUSBLICK

fern waren beide Gemeinschaften auf die Nutzung von Funkradio oder Telefonzellen angewiesen oder mussten, im schlimmsten Fall, falls alle Geräte nicht funktionierten, bis zur nächsten Ortschaft mit einem kleinen Motorboot reisen, um zum Beispiel andere Organisationen kontaktieren zu können. Die Kosten solcher Fahrten für die Gemeinschaft – etwa für das Benzin des Motorbootes – sind nicht zu unterschätzen. Die Präsenz des Internet erleichtert daher in vieler Hinsicht das Leben beider Gemeinschaften, in denen Krankheiten, Landübergriffe und Morddrohungen zu den häufigsten Problemen zählen, mit denen sie konfrontiert werden. Sie können jetzt durch das Senden einer E-Mail die jeweiligen Personen, Organisationen oder Behörden um Unterstützung bitten,3 was ihnen einen relativen Schutz vor solchen Gefahren und Angriffen gewährt, wie im Fall der Ashaninka, die im Juli 2007 kurz vor dem Abschluss meiner Arbeit über die erneuten Invasionen in ihr Gebiet per E-Mail und auf ihrem Weblog berichteten (siehe S. 184). Die spätere Untersuchung über die Bedeutung des Internet für einzelne indigenen Gemeinschaften wäre sehr aufschlussreich sowie ein interkultureller Vergleich über die Nutzung und Bedeutung des Internet in zwei indigenen Gemeinschaften aus zwei verschiedenen Ländern, der die Unterschiede von Nutzung und Bedeutung deutlich sichtbarer machen könnte. Die Nutzung des Internet durch Indigene in Brasilien ist Teil eines politischen und sozialen Prozesses und kann als ein Mittel zum Widerstand gegenüber der dominierenden Gesellschaft betrachtet werden.4 Vor allem der Aspekt des, wie Ginsburg es bezeichnet, »talk back to structures of power« (Ginsburg 2002: 51), der sich in meiner Untersuchung durch die Nutzung des Internet und die Verbreitung indigener Inhalte durch die Sendung von E-Mails oder durch Websites und Weblogs ausdrückt, modifiziert die bisherigen existierenden Machtverhältnisse zwischen Nicht-Indigenen und Indigenen. Viele indigene Gemeinschaften haben jetzt durch Informations- und Kommunikationstechnologien eine Stimme bekommen und können sich selbst darstellen oder über ihre Probleme selbst berichten. Ein weiterer Aspekt der Internetnutzung ist die Schaffung eines »virtuellen«, unbefangenen oder freien Ortes, in dem Politik betrieben wird

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schaften dagegen verfügen nun, dank dem Projekt Rede Povos da Floresta und dem Regierungsprojekt GESAC, über Internetzugang. Die Schnelligkeit des Mediums Internet und die Möglichkeit beinahe grenzenlos Informationen zu verbreiten, lässt die virtuell »physische Präsenz« der jeweiligen Gruppe stärker erscheinen. Belausteguigoitia schreibt (2006: 104): »However, the net as a form of communication offers a simulation of proximity by the interchange of body against speed (unlike a letter)«. Vgl. Castells Erklärung des Begriffs Widerstandsidentität (2002: 10). 227

DIE INDIGENEN BRASILIENS UND DAS INTERNET

und soziales Dasein stattfindet – das Internet als soziokultureller Austauschraum und als Arena zur Behandlung und Austragung politischer Angelegenheiten, wie in den Abschnitten über indigene Websites (siehe S. 54) und Internetprojekte (siehe S. 77) beschrieben wurde. Die Websites zum Beispiel dienen in erster Linie als vermittelndes Medium zwischen der indigenen und der nicht-indigenen Kultur. Die Kommunikation zwischen dem »Berichterstatter« oder Website-Gestalter und dem Leser (oder auch Empfänger), kann direkt stattfinden, während bei der Produktion von Videobeiträgen zum Beispiel der Zuschauer nur schwer mit dem Videomacher in Verbindung treten kann. Durch das Internet hingegen haben alle Internetnutzer die Möglichkeit, miteinander per E-Mail, Chat oder Internettelefonie zu kommunizieren. Dabei bietet das Internet Kommunikationsmöglichkeiten über Grenzen hinaus, bricht soziale und geographische Barrieren und trägt dazu bei, die soziale und geographische Isolation aufzuheben. Indigene Gemeinschaften nutzen das Internet, um ihre Geschichte und Kulturen zu dokumentieren und darzustellen, um ihren Standpunkt zu verschiedenen Themen äußern zu können und sich zu informieren. Es ist ein Versuch, Macht zu erlangen, um ihre eigene Zukunft selbst gestalten zu können, und um nicht von globalen Entwicklungen ausgeschlossen zu werden oder durch Informationsgefälle benachteiligt zu werden. Die Nutzung von Medien (vom Film bis zum Internet) bietet die Möglichkeit des »image-making«, also zur Darstellung der eigenen Kultur und Identität. Dies lässt sie an der heutigen Welt teilnehmen und »[…] connects them to a history, and directs them toward a future as well« (Ginsburg 1992: 370). Auf diese Weise schaffen sie sich ihren eigenen Platz in der heutigen Gesellschaft. Neben der »empowerment«-Funktion durch die »transformierende Einverleibung« nicht-indigener Kulturelemente kann die Aneignung des Internet durch indigene Kulturen nicht zuletzt auch als eine Möglichkeit für die Indigenen betrachtet werden, sich der Vormundschaft und Kontrolle zu entziehen, die von der nichtindigenen Gesellschaft aufgestellt werden. Das Internet bekommt damit eine »delokalisierende« Funktion, wie es Stuart Hall in Bezug auf technologische Aneignungen im Allgemeinen durch die von ihm genannten »einfachen Volksstämme« ausführt: »Was sie erreichen wollen, ist nicht die Technologie des neunzehnten Jahrhunderts, um sich damit die Wiederholung der Fehler des Westens über weitere hundert Jahre einzuhandeln, sondern mit einem Sprung über einige moderne Technologien zu verfügen, um so ihre eigene Sprache und über ihre eigenen Bedingungen zu sprechen. Dann sind sie delokalisiert, dann ist der Andere nicht, wo er ist. Der Primitive hat sich irgendwie der Kontrolle entzogen« (Hall 1994: 65). 228

AUSBLICK

Weiterhin setzen indigene Gruppen sich für die Anerkennung ihres Gebietes ein, um als Gruppe weiter leben zu können, sowie für ihre Rechte und Anerkennung ihrer Kultur in der brasilianischen Gesellschaft. Aber der Kampf scheint kein Ende zu haben. Dabei muss ich an Lévi-Strauss denken und an seine »Traurigen Tropen«. Aber trotz seiner Skepsis hoffe ich, wie er später in »Der Blick aus der Ferne« schreibt, »[…] daß die Verbreitung von Wissen und die Entwicklung der Kommunikation zwischen den Menschen eines Tages Erfolg haben werden und sie in ungetrübter Harmonie, in der Anerkennung und Achtung ihrer Verschiedenheit leben lassen« (Lévi-Strauss 1993: 50). Zu hoffen bleibt aber auch, dass indigene Gemeinschaften auf ihre Weise und mit den von ihnen ausgewählten Mitteln sich durchsetzen können und endlich von der nicht-indigenen Gesellschaft respektiert werden. Viele von ihnen zeigten es bereits, dass es dazu keiner Gewalt bedarf, aber der Möglichkeit der Kommunikation, als Mittel zur Emanzipation, Alterität und zum Ausgleich der gesellschaftlichen Machtverhältnisse. Deswegen ist für die Medienethnologie, die Untersuchung des Komplexes von Macht, Medien und gesellschaftliche Beziehungen essenziell, besonders hinsichtlich Minderheiten und den sozialen und ökonomischen Disparitäten der heutigen Welt sowie in Hinblick auf die Dynamik von Exklusions- und Inklusionsprozessen.

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ANHANG

ANHANG

Abkürzungen ABA: Associação Brasileira de Antropologia – Brasilianische Gesellschaft für Ethnologie AMAAI/AC: Associação do Movimento dos Agentes Agroflorestais Indígenas do Acre – Verband der indigenen Forsttechniker Acres CDI: Comitê para a Democratização da Informática – Ausschuss für die Demokratisierung von Informationstechnologien CEDECOM: Centro de Comunicação da Universidade Federal de Minas Gerais – Kommunikationszentrum der Bundesuniversität von Minas Gerais CIMI: Conselho Indigenista Missionário – Indigenen Missionsrat CIR: Conselho Indígena de Roraima – Indigenenrat des Bundesstaates Roraima COIAB: Coordenação das Organizações Indígenas da Amazônia Brasileira – Verband der indigenen Organisationen des brasilianischen Amazonasgebietes CPI/AC: Comissão Pró-Índio do Acre – Kommission zur Unterstützung der Indigenen des Bundesstaates Acre CPISP: Comissão Pró-Índio de São Paulo – Kommission zur Unterstützung der Indigenen des Bundesstaates São Paulo DAI: Digital Access Index FUNAI: Fundação Nacional do Índio – Nationale Indigenen Stiftung FUNASA: Fundação Nacional de Saúde – Brasilianische Gesundheitsstiftung GESAC: Governo Eletrônico – Serviço de Atendimento ao Cidadão – Elektronisches Informationssystem der Regierung für Staatsbürger GRUMIN: Grupo de Mulheres Indígenas/Rede de Comunicação Indígena – Gruppe Indigener Frauen/Indigenes Kommunikationsnetz HTML: Hypertext Markup Language IBAMA: Instituto Brasileiro do Meio Ambiente e dos Recursos Naturais Renováveis – Brasilianisches Institut für Umwelt und erneuerbare Ressourcen IBGE: Instituto Brasileiro de Geografia e Estatística – Brasilianisches Institut für Geografie und Statistik IDETI: Instituto das Tradições Indígenas – Institut Indigener Traditionen IDRC: International Development Research Centre INAC: Indian and Northern Affairs Canada INBRAPI: Instituto Indígena Brasileiro para a Propriedade Intelectual – Brasilianisches Indigenes Institut zum Schutz des geistigen Eigentums

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DIE INDIGENEN BRASILIENS UND DAS INTERNET

INCRA: Instituto Nacional de Colonização e Reforma Agrária – Brasilianisches Institut für Besiedlung und Agrarreform INEI: Instituto Nacional de Estadistica e Informatica – Peruanisches Nationales Institut für Statistik und Informatik INEP: Instituto Nacional de Estudos e Pesquisas Educacionais Anísio Teixeira – Nationales Institut für Studien und Erziehungsforschung Anísio Teixeira ISA: Instituto Socioambiental – Sozio-Umweltinstitut ITU: International Telecommunication Union MST: Movimento dos Trabalhadores Rurais sem Terra – Bewegung der landlosen Landarbeiter NGO: Non-Governamental Organization NDI: Núcleo de Direitos Indígenas – Zentrum für Indigenes Recht o.D.: Ohne Datumsangabe ODA: Overseas Development Agency o.J.: Ohne Jahresangabe OPIAC: Organização dos Professores Indígenas do Acre – Organisation indigener Lehrer des Bundesstaates Acre PAC: Programa de Aceleração do Crescimento – Programm zur Beschleunigung des Wirtschaftswachstums PUC-SP: Pontifícia Universidade Católica de São Paulo – Päpstliche Universität von São Paulo PUC-Minas: Pontifícia Universidade Católica de Minas Gerais – Päpstliche Universität von Minas Gerais SECAD: Secretaria de Educação Continuada, Alfabetização e Diversidade – Behörde für weiterführende Bildung, Alphabetisierung und Vielfalt SEPI: Secretaria Extraordinária dos Povos Indígenas – Sondersekretariat der indigenen Völker SPI: Serviço de Proteção ao Índio – Indigenen Schutzdienst UFMG: Universidade Federal de Minas Gerais – Bundesuniversität von Minas Gerais UNICAMP: Universidade Estadual de Campinas – Landesuniversität von Campinas UNHCHR: United Nations High Commissioner for Human Rights WCAG: Web Content Accessibility Guidelines WSIS: World Summit on the Information Society WWF: World Wide Fund for Nature XML : Extensible Markup Language ZEE: Zoneamento Ecológico Econômico do Acre – Programm zur ökologischen und ökonomischen Kartierung des Bundesstaates Acre

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ANHANG

L i s te d e r I n te r n e ts e i t e n Brasilianische Internetseiten: Websites von indigenen Gemeinschaften und Organisationen1 Ação Cultural Indígena Pankararu: http://www.setor3.com.br/sitesolidario/pankararu/ (nicht mehr online verfügbar) Weblog Ação Pankararu: http://www.acaopankararu.blogspot.com/ Associação Ashaninka do Rio Amônia – Apiwtxa http://www.apiwtxa.blogspot.com Associação Guarani »Nhe’e Porã«: http://www.culturaguarani.hpg.com.br/index.html Associação Warã: http://www.wara.nativeweb.org/index.html Comissão Pró-Yanomami: http://www.proyanomami.org.br/ Conselho Indígena de Roraima (CIR): http://www.cir.org.br Coordenação das Organizações Indígenas da Amazônia Brasileira (COIAB): http://www.coiab.com.br/ GRUMIN/ Rede de Comunicação Indígena: http://blog.elianepotiguara.org.br/ Grupo de Discussão Literatura Indígena: http://br.groups.yahoo.com/group/literaturaindigena/ Instituto das Tradições Indígenas (IDETI): http://www.ideti.org.br IDETIs Weblog: http://www.ideti.org.br/blog/default.asp Instituto Indígena Brasileiro para a Propriedade Intelectual (INBRAPI): http://www.inbrapi.org.br Organização de agricultores e extrativistas Yawanawa: http://www.yawanawa.com (nicht mehr online verfügbar)

1

Diese Liste enthält nur die Adressen von Websites, die in meiner Arbeit vorkommen und mit Indigenen und Internet zu tun haben. Auch das SozioUmweltinstitut ISA bietet eine Liste, in der einige indigene Websites aufgelistet sind. Siehe ISA, Link Povos Indígenas no Brasil, Fontes: Outros Sites, http://www.socioambiental.org.br/pib/portugues/fontes/outros_sites.s htm vom 15. August 2007. 249

DIE INDIGENEN BRASILIENS UND DAS INTERNET

Organização de Mulheres Indígenas: http://sitoakore.blogspot.com/ Xavante – Pimentel Barbosa: http://www2.uol.com.Br/aprendiz/designsocial/xavante/index.htm

Private Indigene Websites Daniel Munduruku: http://www.danielmunduruku.com.br/ Eliane Potiguara: http://www.elianepotiguara.org.br/home.html

Organisationen mit Internetprojekten für Indigene BAY – Universidade Indígena: http://www.letras.ufmg.br/bay/ Alte Website: http://www.letras.ufmg.br/bay/sites/xacriaba/xacriabainicial.htm Comitê para a Democratização da Informática (CDI): http://www.cdi.org.br/ Índios On Line (NGO THYDÊWÁ): http://www.indiosonline.org.br/ Projekt Arco Digital (NGO THYDÊWÁ): http://www.indiosonline.org.br/blogs/ Projeto Cidade Escola Aprendiz: http://www2.uol.com.br/aprendiz/designsocial/ Projeto Rede Lê: http://www.ufmg.br/rede.le/ Rede Povos da Floresta: http://www.redepovosdafloresta.org.br/drupal/

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ANHANG

Organisationen, die Indigene unterstützen Conselho Indigenista Missionário (Cimi): http://www.cimi.org.br/ Comissão Pró-Índio do Acre (CPI-AC): http://www.cpiacre.org.br/ (nicht mehr online verfügbar) Fundação Nacional do Índio (FUNAI): http://www.funai.gov.br/ Instituto Socioambiental (ISA): http://www.socioambiental.org.br/ Vídeo nas Aldeias: http://www.videonasaldeias.org.br

Websites aus anderen Ländern Aboriginal Canada Portal: http://www.aboriginalcanada.gc.ca/ Assembly of First Nations: http://www.afn.ca/ Centro de Documentación Mapuche: http://mapuche.info.scorpionshops.com Indian Circle: http://www.indiancircle.com/ NativeWeb: http://www.nativeweb.org/ Prarie Band Potawatomi Nation: http://www.pbpindiantribe.com The Native Blog: http://nativeblog.typepad.com/the_potawatomitracks_blog/

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DIE INDIGENEN BRASILIENS UND DAS INTERNET

Abbildungsverzeichnis Abbildungen: Abbildung 1: Feldforschung in Brasilien Abbildung 2: Analphabetismusrate der Personen, die sich selbst als Indigen bezeichnen (15 Jahre und älter), nach Geschlecht und brasilianischen Regionen getrennt – Brasilien 2000, Zahlenangaben des IBGE (2005: 57) Abbildung 3: Website der Ação Cultural Indígena Pankararu, http://www.setor3.com.br/sitesolidario/pankararu/ vom 24. Mai 2006 Abbildung 4: Website der Gemeinschaft A’uwé Xavante, http://www.wara.nativeweb.org/index.html vom 13. November 2006 Abbildung 5: Website des Instituts IDETI, http://www.ideti. org.br/ vom 20. Januar 2007 Abbildung 6: Website Índios On Line, http://www.indios online.org.br vom 21. September 2008 Abbildung 7: Die erste Websiteversion von BAY, http://www.letras.ufmg.br/bay/sites/xacriaba/xacriabaini cial.htm vom 10. März 2007 Abbildung 8: Internetzugangsorte im Bundesstaat Acre Abbildung 9: Indigene Lehrer während eines Unterrichts im Ausbildungszentrum der CPI/AC, Foto E. F. Ferreira Abbildung 10: Zeitung YUIMAKĨ, 23° Edição, Okt. 2003, Rio Branco: CPI/AC Abbildung 11: Indigene Forsttechniker, die ich im Juli 2006 im Ausbildungszentrum der CPI/AC unterrichtete, Foto E. F. Ferreira Abbildung 12: Computerkurs vom CDI in Rio de Janeiro, YUIMAKĨ, 23° Edição, Okt. 2003, Rio Branco: CPI/AC Abbildung 13. Ashaninka-Gebiete in Brasilien (Bundesstaat Acre), Von mir bearbeitete Landkarte des ZEE (Zoneamento Ecológico Econômico do Acre; Governo do Acre, Outubro 1999) Abbildung 14: Antônio Piyãko und Dona Pitis Genealogie Abbildung 15: Computerraum in Apiwtxa, April 2005, Foto E. F. Ferreira Abbildung 16: Telefonzelle in der Ashaninka-Gemeinschaft Apiwtxa, Foto E. F. Ferreira

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S. 17

S. 45

S. 59

S. 64 S. 71 S. 94

S. 104 S. 111 S. 116 S. 119

S. 123 S. 132

S. 144 S. 154 S. 161 S. 169

ANHANG

Abbildung 17: Internetanschluss bei allen indigenen Gemeinschaften Kanadas, Zahlenangaben des Aboriginal Canada Portal (2005: 2) Abbildung 18: Website des Projektes 4Directions, http:// www.4directions.org/community/index.html vom 23. September 2008

S. 191

S. 195

Tabellen: Tabelle 1: Stationen/Abschnitte der Feldforschung Tabelle 2: Von mir untersuchte brasilianische Internetprojekte Tabelle 3: Ethnien in Acre und ihre Sprachfamilien (CPI/AC) Tabelle 4: Internet Access at the Community Level (Aboriginal Canada Portal 2005: 14)

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S. 36 S. 78 S. 112 S. 191

MedienWelten Cora Bender Die Entdeckung der indigenen Moderne Indianische Medienwelten und Wissenskulturen in den USA April 2009, ca. 338 Seiten, kart., zahlr. z.T. farb. Abb., ca. 32,80 €, ISBN 978-3-8376-1102-1

Birgit Bräuchler Cyberidentities at War Der Molukkenkonflikt im Internet 2005, 402 Seiten, kart., 28,90 €, ISBN 978-3-89942-287-0

Angela Dressler Nachrichtenwelten Hinter den Kulissen der Auslandsberichterstattung. Eine Ethnographie 2008, 268 Seiten, kart., 27,80 €, ISBN 978-3-89942-961-9

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2009-01-22 10-32-38 --- Projekt: transcript.anzeigen / Dokument: FAX ID 02c3200518846224|(S.

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) ANZ1049.p 200518846232

ZfK – Zeitschrift für Kulturwissenschaften

Michael C. Frank, Bettina Gockel, Thomas Hauschild, Dorothee Kimmich, Kirsten Mahlke (Hg.)

Räume Zeitschrift für Kulturwissenschaften, Heft 2/2008 Dezember 2008, 160 Seiten, kart., 8,50 , ISBN 978-3-89942-960-2 ISSN 9783-9331

ZFK – Zeitschrift für Kulturwissenschaften Der Befund zu aktuellen Konzepten kulturwissenschaftlicher Analyse und Synthese ist ambivalent: Neben innovativen und qualitativ hochwertigen Ansätzen besonders jüngerer Forscher und Forscherinnen steht eine Masse oberflächlicher Antragsprosa und zeitgeistiger Wissensproduktion – zugleich ist das Werk einer ganzen Generation interdisziplinärer Pioniere noch wenig erschlossen. In dieser Situation soll die Zeitschrift für Kulturwissenschaften eine Plattform für Diskussion und Kontroverse über Kultur und die Kulturwissenschaften bieten. Die Gegenwart braucht mehr denn je reflektierte Kultur, historisch situiertes und sozial verantwortetes Wissen. Aus den Einzelwissenschaften heraus kann so mit klugen interdisziplinären Forschungsansätzen fruchtbar über die Rolle von Geschichte und Gedächtnis, von Erneuerung und Verstetigung, von Selbststeuerung und ökonomischer Umwälzung im Bereich der Kulturproduktion und der naturwissenschaftlichen Produktion von Wissen diskutiert werden. Die Zeitschrift für Kulturwissenschaften lässt gerade auch jüngere Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen zu Wort kommen, die aktuelle fächerübergreifende Ansätze entwickeln.

Lust auf mehr? Die Zeitschrift für Kulturwissenschaften erscheint zweimal jährlich in Themenheften. Bisher liegen die Ausgaben Fremde Dinge (1/2007), Filmwissenschaft als Kulturwissenschaft (2/2007), Kreativität. Eine Rückrufaktion (1/2008) und Räume (2/2008) vor. Die Zeitschrift für Kulturwissenschaften kann auch im Abonnement für den Preis von 8,50  je Ausgabe bezogen werden. Bestellung per E-Mail unter: [email protected] www.transcript-verlag.de

2008-05-27 12-26-20 --- Projekt: transcript.titeleien / Dokument: FAX ID 02a8179786122216|(S.

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