Zeitschrift für Sozialpsychologie: Band 8, Heft 4 1977 [Reprint 2021 ed.]
 9783112468326, 9783112468319

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HERAUSGEBER HUBERT FEGER

C. F. G R A U M A N N KLAUS HOLZKAMP MARTIN IRLE

BAN D 8 1977

HEFT 4

V E R L A G HANS HUBER BERN STUTTGART WIEN

Zeitschrift für Sozialpsychologie 1977, Band 8, Heft 4 INHALT

Zu diesem Heft

209

Theorie und Methoden LINGOES, J.C. & BORG, I.: Optimale Lösungen für Dimensions- und Vektorgewichte in PINDIS 210 TREUHEIT, L . J.: Der wissenschaftssystematische und -historische Ort der Organisationspsychologie 218 Empirie Stereotype Wahrnehmung: eine alternative Interpretation klassifikatorischer Urteile LANTERMANN, E . - D . & GEHLEN, H . : Skalierung von Items und Individuen unter Beachtung individueller Urteilsstrukturen ROSCH, E.: Zur Angemessenheit von Integrationsmodellen in der sozialen Eindrucksbildung WALLER, M . & PREIS, H . : Kompetenz und Interessantheit des Modellverhaltens als Anregungsbedingungen der Imitationsbereitschaft ETZEL, G . :

234 242 247 256

Diskussion Zum theoretischen „Fundament" empirischer Studien in Zeitschriften GUSKI, R.: Ein Kommentar zu HOLLINGS Kritik am Theoriemangel in empirischen Zeitschriftenartikeln LÖSEL, F . : Auf dem Weg zu veränderten Junktoren zwischen Paradigmen sozialer Abweichung HELFRICH, H . : Psychologische Reaktanz. Anmerkungen zur Arbeit von HOLLING, H . :

GRABITZ-GNIECH, AUSLITZ u n d GRABITZ

. . .

265 273 276 280

SEEL, H.-J.: Die Stellungnahmen zur „Theorie sozialen Handelns" von HANS WERBIK. Eine Antwort

282

Mitteilungen

286

Literatur Neuerscheinungen Titel und Abstracta

289 292

Autoren

295

Vorankündigung

297

Gesamtinhaltsverzeichnis Band 8(1977) Namens- und Sachregister Band 8(1977)

299 301

Copyright 1977 by Verlag Hans Huber Bern Stuttgart Wien Druck: Lang Druck AG, Liebefeld-Bern Printed in Switzerland Library of Congress Catalog Card Number 78 - 1 2 6 6 2 6 Die Zeitschrift für Sozialpsychologie wird in Social Sciences Citation Current Contents/Social and Behavioral Sciences erfaßt.

Index (SSCI) und

Zeitschrift für Sozialpsychologie 1977, 8

209

Zu diesem Heft Es kommt mitunter vor, daß auch vier Herausgeber, die jeweils verschiedene Teilgebiete der Sozialpsychologie vertreten, sich hinsichtlich der Einschätzung eines eingereichten Manuskriptes insgesamt unsicher fühlen — z.B. dann, wenn dieses Manuskript aus einem unter den Herausgebern nicht vertretenen Spezialgebiet stammt. Schon bisher wurden in solchen Fällen externe Gutachter gebeten, zu den Manuskripten Stellung zu nehmen und die Herausgeber zu beraten. Dieses Verfahren hat sich nach Meinung der Herausgeber bewährt, obwohl externe Gutachter (die ja für ihr Gebiet besonders kompetent sein sollen) in der Regel noch höhere Qualitätsanforderungen stellen als es die Herausgeber allein tun. Die Herausgeber dieser Zeitschrift haben sich entschlossen, jeweils für ein Spezialgebiet der Sozialpsychologie mindestens einen externen Gutachter zu benennen, der künftig grundsätzlich jeweils ein sein Fachgebiet betreffendes Manuskript erhält und schriftlich dazu Stellung nimmt. Für die Entscheidung über Annahme, Ablehnung oder Änderungsaufforderung liegen dann fünf Stellungnahmen vor (vier von den Herausgebern und eine vom Externen), was den Entscheidungsprozeß zwar nicht schneller, aber sicher noch fundierter macht als bisher. Für die Autoren der Manuskripte bedeutet dies, daß sie in Zukunft fünf Exemplare an den geschäftsführenden Herausgeber senden müssen (und nicht nur vier, wie bisher). Man kann jedoch annehmen, daß die Verbreiterung der Gutachter-Kompetenz auch der Qualität der in dieser Zeitschrift abgedruckten Beiträge zugute kommt. Ein weiteres Thema hat die Herausgeber dieser Zeitschrift in letzter Zeit stärker beschäftigt: das ist die notwendige wissenschaftliche Diskussion in Fachzeitschriften. Der Umstand, daß in diesem Heft sogar fünf Diskussionsbeiträge stehen, ist zwar kein valider Indikator für

die Diskussionsfreudigkeit unserer Leser und Autoren, weil im Durchschnitt der vergangenen vier Jahre nur 0.67 Diskussionsbeiträge pro Heft gedruckt wurden. Der Trend der Anzahl eingegangener Diskussions-Manuskripte ist jedoch steigend und hat Begleiterscheinungen, die den Herausgebern Probleme bereiten: sie haben den Eindruck, daß in vielen Fällen zunächst eine private Auseinandersetzung zwischen Kritikern und Autoren von Artikeln dieser Zeitschrift helfen könnte, die Diskussion zu verkürzen und auf ein Niveau zu heben, das auch für andere Leser dieser Zeitschrift Gewinn bringt. Weiterhin kovariiert nach unserem Verständnis die wissenschaftliche Bedeutung von Texten nicht in jedem Fall mit dem Ausmaß, in dem über sie diskutiert wird, und in diesem Zusammenhang erscheint es den Herausgebern problematisch, eine endlose Diskussion über ein bestimmtes Thema durch Bereitstellung von Druckseiten zu fördern, bloß weil ein Kritiker einmal die Diskussion begonnen und andere Kritiker damit zum Schreiben angeregt hat, obwohl andere Themen mindestens ebensoviel Beachtung verdienen. Die Herausgeber dieser Zeitschrift haben beschlossen, die Diskussion von Originalarbeiten aus dieser Zeitschrift auf eine Kritik und eine Antwort der angegriffenen Autoren zu beschränken. Den Kritikern wird empfohlen, sich zu überlegen, ob eine private Auseinandersetzung der öffentlichen Kritik vorausgehen kann und ob letztere dann für die Leser dieser Zeitschrift mehr Gewinn bringt. Soll die Diskussion über die Sequenz Autor/Kritik/Autor hinaus in dieser Zeitschrift weitergeführt werden, so müssen die Manuskripte über die bloße Kritik hinausgehen und eigenständige Arbeiten sein, die nicht mehr in den Diskussionsteil gehören, sondern entweder in die Rubrik „Theorie und Methoden" oder „Empirie". ^^^ Rainer Guski & Klaus Holzkamp I J

210

LINGOES & BORG: Optimale Lösungen für Dimensions- und Vektorgewichte in PINDIS

Theorie und Methoden Optimale Lösungen für Dimensions- und Vektorgewichte in PINDIS JAMES C . LINGOES & INGWER BORG The University of Michigan, Ann Arbor, Michigan 4 8 1 0 4

Verschiedene Verbesserungen der PINDIS-Version, die BORG & LINGOES ( 1 9 7 7 ) beschreiben, werden hier vorgeschlagen: (a) Für jedes Individuum wird eine optimal und eindeutig rotierte Zentroidkonfiguration Z ermittelt. (b) Aufgrund dieser Z's wird ein gesamt-optimales Z berechnet, (c) Die individuellen Konfigurationen, die Xj's, werden bezüglich Z derart rotiert, daß das dimensional gewichtete Z einen maximalen Varianzanteil in jedem Xj erklärt, (d) Eine dazu analoge Optimierung wird für die Vektor-Gewichtung entwickelt.

(1977) stellen ein Skalierungsmodell vor, das eine Menge multidimensionaler Konfigurationen mittels verschiedener Transformationen zueinander in Beziehung setzt. Formal ausgedrückt liegen N Konfigurationen der Ordnung n x r vor, wobei n die Zahl der Stimuli, r die Dimensionalität der höchst-dimensionalen Konfigurationen bezeichnet. Im diskutierten Modell, dem Lingoes-Borgschen PINDIS (LINGOES et al., 1977), wird zunächst eine n x r Zentroidkonfiguration Z ermittelt, die der Durchschnitt aller optimal rotierten Konfigurationen ist. Im wichtigsten Anwendungsfall stellt Z den Wahrnehmungsraum eines Durchschnittssubjekts dar, der errechnet wird aus einer Menge von XJ's, den Wahrnehmungsstrukturen von N Individuen. Das Problem besteht nun darin, zu bestimmen, wie Z und jedes Xj zueinander in Beziehung stehen. Zuerst ermittelt man natürlich die optimale Anpassung (Fit) von X; gegenüber Z unter Transformationen, die das Verhältnis aller Distanzen in Xj unverändert lassen. Diese „zulässigen" Transformationen sind Rotationen/Reflektionen und Translationen von Xj. Hierdurch wird jedoch im allgemeinen kein perfekter Fit zwischen der Zielmatrix Z und X; erBORG & LINGOES

Various improvements of the PINDIS version discussed p r e v i o u s l y b y BORG & LINGOES ( 1 9 7 7 ) are p r o p o s e d

here: (a) An optimally and uniquely oriented centroid configuration Z is determined for each individual. (b) From these Z's, an overall-optimal Z is computed. (c) The individual configurations, the Xj's, are rotated w.r.t. Z such that the dimensionally weighted Z explains a maximal amount of variance in each Xj. (d) An analogous optimization is implemented for the vector weighting case.

reicht. Man sucht deshalb nach anderen Transformationen, die die Z-XJ-Beziehung (a) in möglichst einfacher und (b) gleichzeitig inhaltlich potentiell sinnhafter Weise erklären. Zu diesen Transformationen zählt die Gewichtung der Dimensionen von Z derart, daß das gewichtete Z, ZWj (wobei Wj eine r x r Diagonalmatrix ist), eine optimale „Schätzfunktion" von X,ist. Eine weitere relativ einfache Transformation ist die Gewichtung der Zeilen in Z, was geometrisch eine Gewichtung der Vektoren, die den Punkten in Z entsprechen, darstellt. Formaler ausgedrückt wird hier Z mit V; prämultipliziert (wobei Vj n x n und diagonal ist). Im folgenden werden nun die Lösungen für diese beiden Transformationen, die wir ursprünglich vorgeschlagen haben (BORG & LINGOES, 1977), kritisch untersucht und durch mathematisch befriedigendere ersetzt.

Ursprüngliche Lösung des Dimensionsgewichtungsproblems In BORG & LINGOES (1977) ist das Problem der Dimensionsgewichtung in relativ direkter, aber

211

Zeitschrift für Sozialpsychologie 1977, 8, 2 1 0 - 2 1 7

nicht optimaler Weise gelöst. Zwei Merkmale dieses Ansatzes sind hier relevant: (A) Nachdem die Zentroidkonfiguration Z bestimmt wurde, wird sie in die Richtungen ihrer Hauptachsen rotiert. Alle Xj's werden dann relativ zu diesem Z orientiert unter Verwendung der Ergebnisse von SCHÖNEMANN & C A R R O L L zur optimalen Fit-Rotation (Procrustische Rotation). Der Grund dafür, daß wir ursprünglich diese varianzmaximierende Rotation von Z vorgenommen haben, war lediglich der, daß wir ein ein-eindeutiges Bezugssystem für den Vergleich verschiedener Skalierungslösungen haben wollten. Natürlich wäre für diesen Zweck jedes andere wohl-definierte Kriterium gleich gut gewesen. (B) Die optimalen Dimensionsgewichte für Z werden dann mittels der folgenden Formel bestimmt: tdiag(Z'Z) ] d i a g ( Z ' X j ) = W,.

(1)

Fig. 1: Dimensional gewichtetes Z, ZWj, für Z in Hauptkomponentenorientierung relativ zu einem optimal ge-

Dies ist schlicht die Lösung der Regressionsgleichung X = ZWj. Dieser Original-Ansatz hat zwei nicht-optimale Charakteristika: (a) Z's Hauptkomponenten-Orientierung ist im allgemeinen nicht die Position, die maximale Varianzerklärung durch ZWj über alle Xj's erlaubt. Fig. 1 und 2 mögen dazu dienen, dem Leser intuitiv klarzumachen, welche Eigenschaften ein optimales Z haben sollte. In Fig. I 1 befindet sich Z in Hauptachsenorientierung; Xj ist derart zu Z gefittet, daß das gewichtete Z, ZW;, Xj maximal erklärt (die optimale Angleichung von X; an ein gegebenes Z wird unten diskutiert). Es ist offensichtlich, daß ZWj Xj nicht vollständig erklärt: ZW; und Xj sind nicht kongruent, d.h. korrespondente Punkte von ZW; und Xj fallen nicht zusammen. Wenn Z nun in die in Fig. 2 dargestellte Position rotiert und dann entlang der Achse 1 mit 1.5 gewichtet wird, ist Kongruenz von ZWj und dem diesem Z gefitteten Xj gegeben. Es wird dadurch deutlich, daß ein durch verschiedene Koordina1 Zur leichteren Vergleichbarkeit sind die äußeren Punkte der Konfigurationen mit Geraden verbunden.

Fig.2:

Ideal-Position für Z: Gewichtung entlang Achse 1 führt zu perfekter Erklärung des optimal gefitteten Xj.

tensysteme beschriebenes Z im allgemeinen verschiedene Vorhersagbarkeit von Xj ermöglicht.

212

LINGOES & BORG: Optimale Lösungen für Dimensions- und Vektorgewichte in PINDIS

(b) Im Original-Ansatz folgte einem optimalen (Procrustischen) Fitting von X, zu Z die optimale Gewichtung. Für ein gegebenes Z erzeugt diese sequentielle Optimierung keine insgesamt optimale Lösung. Erforderlich ist hier vielmehr eine Rotation von X, derart, daß die Quadratsumme der Distanzen zwischen korrespondenten Punkten und dem gewichteten Z minimiert wird, d.h., Rotation und Gewichtung müssen simultan optimiert werden.

Optimale Lösung des Dimensionsgewichtungsproblems Aus Gründen der einfacheren Darstellung diskutieren wir zunächst die Lösung des zweiten Problems, d.h. die simultane Optimierung der Rotation von X; gegenüber Z und der Dimensionsgewichtung von Z (beide Transformationen bezüglich eines fixen Z). Formal kann das Problem wie folgt dargestellt werden: tr [(ZW, - XjQj) (ZW, - XjQj)'] = min,

(2)

wobei W, und Q; die Unbekannten sind und Q i Q i = QjQj = I. Setzen wir Q ( = I, sind die optimalen Dimensionsgewichte durch (1) gegeben als Regressionsgewichte von X = ZW,,

(3)

worin jeder Spaltenvektor in Xj durch den entsprechenden in Z geschätzt wird. Wj wird nun derart normalisiert, daß h 2 (Xj, ZWj) = tr(W*W* '),

(4)

K = (l/ZjV^HZjVj.)2 -d/ZjZjXS^zjb)2,

(7)

wobei *ja

=

x

ja C O S O ! -

x

jb

sin0i

>

Xjb = Xjasina + x jb cosa.

a = .Stan" 1 (2A/B),

(9)

(10)

wobei Vja^jVja)

(5)

was sich ergibt aus

B = (1/ZjZj) [ ( V j b V ' - ^ j a V ' j

h 2 (X j , ZW,) = i2(x, zw) =

+

= z.KSjV,.)2/^1'

(8)

Das Kriterium K folgt unmittelbar aus (6). [Man könnte auch den Ausdruck E a £j(Zj a w aa — Xja) 2 , der vielleicht zunächst näherliegend ist, minimieren, um zum selben Ergebnis zu kommen.] In (7) wird nun Xja und Xjb durch (8) und (9) substituiert, die Funktion nach a differenziert und die Ableitung gleich Null gesetzt, was zu Folgendem führt:

A = (1/ZjZ 2 )

wobei W* = [diag(Z'Z)] 1/2Wj,

ten von Xj und ZWj sind, ist. Drückt man W* durch (5) und W, in (5) durch (1) aus, ergibt sich (4) ohne die Dimensionsgewichte. Nach Wiedereinsetzung von Qj, d.h. Ersetzung von X, durch XjQj läßt sich (4) durch ein entsprechendes Qj maximieren, was die gesuchte Rotationsmatrix für jedes Xj ergibt, die — zusammen mit den assoziierten Dimensionsgewichten — das Problem in (2) lösen. Wir überlassen es dem Leser nachzuprüfen, daß die Lösung jedoch weder mathematisch noch rechentechnisch einfach ist. Einfach ist es hingegen, die optimale Rotation für jedes Dimensionspaar in einem iterativen Prozeß zu bestimmen. Für die Dimensionen a und b, a b, ist das zu maximierende Kriterium

(6)

worin r(x, zw) die Korrelation zwischen den Supervektoren x und zw, deren Elemente die Spal-

(l/2j4)[(2jVjb)2_(2jVjb)2].

(12)

Der Rotationswinkel a führt entweder zu einer Maxi- oder Minimierung von K. Aus (10) folgt unmittelbar, daß es vier Extrema in jeder Ebene gibt: zwei Maxima und zwei Minima, die

Zeitschrift für Sozialpsychologie 1977, 8, 2 1 0 - 2 1 7

in 90° Intervallen aufeinanderfolgen. Obwohl wir aus Erfahrung wissen, daß sich X, infolge der isotonischen Anpassung (erste PINDIS Stufe) fast immer bereits in großer Nähe zur optimalen Orientierung befindet, kann man doch theoretisch einige Spezialfälle konstruieren, wo dies nicht der Fall wäre. Wir testen daher mittels der zweiten Ableitung von (7), ob Xj nach Rotation durch a K maximiert: ist dies nicht so, setzt man einfach a = a + 90°. Im typischen Fall — illustriert in Fig. 3 — genügt jedoch ein sehr kleiner Winkel a, um Xj optimal auszurichten. Rotationen in höher-dimensionalen Räumen werden dann jeweils für alle r(r—1)/2 Dimensionspaare durchgeführt wie folgt: Rotiere Xj im Spaltenraum 1—2, dann in der Ebene 1—3, ..., in der Ebene 1—r; setze fort mit Spalten 2 und 3, 2 und 4 , . . . , 2 und r; usw. bis r—1 und r einen Zyklus abschließen. Wiederhole diesen Zyklus, bis ein Konvergenzkriterium erreicht ist. Obwohl wir bislang nicht mathematisch beweisen können, daß dieser Prozeß notwendigerweise konvergiert, war dies bis jetzt empirisch immer der Fall. Die Situation ist da-

213

mit dieselbe wie bei den verschiedenen klassischen Rotationsverfahren wie etwa VARIMAX ( H A R M A N , 1 9 6 7 ) . Die optimalen Gewichte für die reorientierten XJ's werden dann mittels (1), wobei Xj durch XjQj substituiert wird, berechnet. Das nun noch verbleibende Problem, eine optimale Orientierung von Z zu finden, kann folgendermaßen formuliert werden: tr [(ZSjW - X£>) ( Z S ^ - X ß ) ' ] = min,

(13)

wobei Sj, Q i ; und W, = f(ZS„ X ß , ) die Unbekannten sind. Unter Verwendung der Beziehung (4) zwischen normalisierten Dimensionsgewichten und der Kommunalität von Z und Xj läßt sich (13) für jeden 2-dimensionalen Unterraum wie folgt ausdrücken: (1 / S j 2 ¿ ) ( 2 J 5 W + + ( l / Z j z 2 ) ( S j x j b z j b ) 2 = max,

(14)

wobei Xj, ia cosa ja = xja

— Xjbsina,

(15)

xJb ih = X ja sina

+ x ih cosa, 'jb

(16)

und jaCOS£

z jb sin/3,

(17)

z jb = z ja sinß

z jb cos/3.

(18)

¿

Flg. 3: Prokrustische (X p ) und optimale (Xj) Position einer individuellen Konfiguration relativ zu Z. ZW, ist Z, gewichtet relativ zu Xj. Beachte, daß ZW, ein Quadrat ist; für X p wäre es ein Rhombus.

ja =

Z

Die partielle differentielle Ableitung von (14) nach a und ß führt zu zwei Gleichungen mit zwei Unbekannten. Die Lösung für a (bezüglich eines konstanten /3) entspricht (10); die partielle Ableitung von (14) nach ß ergibt jedoch einen weit komplizierteren Ausdruck, der keine einfache analytische Lösung mehr zuläßt. Wir müssen daher auf eine numerische Approximationsmethode zurückgreifen, die allerdings dadurch erheblich vereinfacht ist, daß das optimale Z vom ursprünglichen Z mittels einer Rotation von nicht mehr als 90° erreichbar sein muß. Dies ergibt sich aus einer einfachen Überlegung: In jeder Ebene existieren vier mögliche positive Richtungen für Z, die mittels PermutationsTransformationen ineinander überführbar sind,

214

LLNGOES & BORG: Optimale Lösungen für Dimensions- und Vektorgewichte in P I N D I S

haben. Dieses Modell sei hier nochmals kurz z.B. vier Hauptkomponenten-Richtungen. Z ervorgestellt. klärt in jeder dieser Positionen ein optimal geIDIOSCAL geht aus von der gewichteten fittetes Xj gleich gut. Durch Rotation eines arbieuklidischen Distanz: trär orientierten Z über ein 90° Intervall lassen sich also alle möglichen Kommunalitätswerte erzeugen, woraus sich dann sofort das optimale Z D J ^ U ^ A - S K A ) 2 ] 1 ' 2 ' (19) ergibt. wobei dj^ die Distanz zwischen den Stimuli j Der Such-Algorithmus verfährt nun wie folgt: und k ist, gja der Koordinatenwert von j auf DiZ wird ursprünglich in der durch den Gowermension a im „group space" (der analog zu Z in Prozeß erzeugten Position belassen. Für jedes PINDIS ist), c® das mit Dimension a assoziierte Individuum wird die Kommunalität von Z und quadrierte Gewicht, und die Superskripts i das des jeweiligen, optimal gefitteten Xj innerhalb Individuum i bezeichnen. Nach Zentrierung von eines ±45° Sektors für 5° Intervalle berechnet. G im Ursprung und unter Verwendung der beEin Sektor von ±5°um das sich ergebende beste kannten Beziehung zwischen Skalarprodukt und Z wird dann in 1° Schritten abgesucht und hierDistanz, aus das endgültig beste Z bestimmt. Das Unsicherheit sniveau ist somit 1°. Diese Prozedur wird dann iterativ für jede Ebene in der oben beschrie- b® = ( 1 / 2 ) (Zac®g2 + 2 a cfgka - d j ? 2 ) > (2°) benen Weise wiederholt. Mittels dieses Verfahrens erhält man ein optiergibt sich males Z für jedes Individuum. Die Rotationen werden dann einfach über alle Individuen gemitb jk = (21) telt, woraus sich das endgültige Z ergibt 2 . Man erkennt sofort, daß die Optimierungsprozedur wobei bj^ das Skalarprodukt der Stimuli j und k nicht nur ein insgesamt-optimales Z erzeugt, für Individuum i ist. Die empirisch gegebenen sondern darüberhinaus noch zusätzliche InforDistanzen, bezüglich deren in IDIOSCAL Intermation über die Beziehung jedes Individuums vallskalenniveau angenommen wird, determiniezum Durchschnittssubjekt liefert: Das indiviren jedoch keinen eindeutigen Ursprung, worduell-optimale, „idiosynkratische" Z, Zv kann aus folgt, daß bjk in (20) und (21) durch eine substantiell mehr Varianz erklären als das insgeSchätzfunktion ersetzt werden muß. Hierzu samt-optimale Z, was einen Rückschluß auf die wird TORGERSONS klassische „additive constant Homogenität der untersuchten Gruppe ermögmethod" verwendet. In Matrix-Notierung kann licht. Die Wahrnehmung einzelner Individuen (21) nun wie folgt geschrieben werden: vollzieht sich möglicherweise in einem differentiell orientierten Koordinatensystem (s.u.). Bj = GCjG, (22)

Beziehung der Dimensionsgewichtungsprozedur zu anderen Modellen Der Leser wird zweifellos eine gewisse Ähnlichkeit unserer Optimierungsprozedur mit CARROLL & CHANGS IDIOSCAL Modell ( C A R R O L L & C H A N G , 1 9 7 2 ; C A R R O L L & WISH, 1 9 7 4 ) bemerkt 2 Man könnte das insgesamt-optimale Z noch weiter dadurch verbessern, daß man jedes Z j mit seiner Kommunalität unter ZjWj gewichtet. Dies hätte jedoch den Nachteil, daß die Bedeutung des endgültigen Z ebenfalls verändert würde. Im übrigen wäre diese Gewichtung nicht adäquat unter der Vektorgewichtung, d.h., es wäre hierfür ein anderes Z erforderlich.

wobei G n x r und Cj diagonal ist. (22) wird simultan für alle C/s (i = 1,..., N) und für G mittels einer alternierenden least-squares Methode gelöst. Dies entspricht dem INDSCAL Modell. Läßt man nun die Restriktion, daß Cj diagnonal ist, fallen und fordert lediglich, daß C{ definit oder semi-definit ist, so ist jedes sich ergebende Cj in (22) weiter zerlegbar in q = TAT!,

(23)

wobei Tj orthogonal und Aj diagonal ist. Geometrisch entspricht diese Faktorisierung einer orthogonalen, „idiosynkratischen" Rotation von G durch Ti; gefolgt von einer dimensiona-

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len Gewichtung mit A^ 2 . Ganz offensichtlich ist Qjedoch auch anders dekomponierbar (siehe z . B . : HARSHMAN 1 9 7 2 ; T U C K E R 1 9 7 2 ) , d . h . d i e

Lösung für (23) ist nicht eindeutig (unique). Dieses Modell weist verschiedene Beziehungen zur neuen PINDIS Prozedur auf. Es sei nun kurz — unter Weglassung der offensichtlichen Unterschiede — auf die wichtigsten Verschiedenheiten eingegangen. In IDIOSCAL ist die Orientierung von G nicht eindeutig, da q = ( T j A p ) (T¡Ai1/2)' = A i A í = AiUU'A!, für U orthogonal (das bekannte Rotationsproblem in der Faktorenanalyse). Für C¡ existieren somit (in IDIOSCAL, also mit T¡ orthogonal und A¡ diagonal) 3 unendlich viele Lösungen. In INDSCAL hingegen, wo C¡ diagonal ist, ist G's Position eindeutig. Dies ist auch in PINDIS der Fall. Die Eindeutigkeit der Lösung besteht darin, daß jede andere Position von Z im allgemeinen weniger Varianz in den X¡'s erklärt - selbst dann, wenn optimale Dimensionsgewichte für diese anderen Positionen berechnet werden! Im Gegensatz zu INDSCAL ergibt sich jedoch in PINDIS aus dem Prozeß, der das insgesamt-optimale Z erzeugt, noch ein eindeutig orientiertes Z für jedes Individuum (Z¡). Unser Algorithmus kann daher in seiner gegenwärtigen Form als nicht-arbiträre Lösung des INDIOSCAL-Problems im Kontext eines Distanzmodells betrachtet werden. Es sei an dieser Stelle aber noch die recht interessante empirische Erkenntnis angemerkt, daß die erklärte Varianz als Funktion verschiedener Orientierung von Z (oder G) oft nur sehr geringfügig ansteigt oder absinkt. Obwohl sich hieraus eine eindeutige Position für Z ergibt, ist diese Eindeutigkeit - psychologisch gesagt - sozusagen meist nur „schwach".

Ursprüngliche Lösung des Vektorgewichtungsproblems In BORG & LINGOES ( 1 9 7 7 ) werden die optimalen Vektorgewichte in prinzipiell derselben Weise ermittelt wie die Dimensionsgewichte, d.h.:

215

(A) Xj wird zunächst zu Z, das sich Hauptkomponentenorientierung befindet, pro krustisch gefittet. (B) Die Vektorgewichte ergeben sich dann aus diag(XJZ') [ d i a g ( Z Z ' ) ]

= V,,

(24)

was die Lösung der Regressionsgleichung Xj = VJZ

(25)

ist. Dieser Ansatz unterliegt in derselben Weise der schon oben vorgetragenen Kritik: Die Optimierung ist sequentiell, nicht simultan. Da die prokrustische Angleichung in (A) die Quadratsumme der Distanzen zwischen korrespondenten Punkten minimiert, wird sofort klar, daß Vektoren, die sich ursprünglich in Opposition befinden — was ein Fitting mittels negativer Vektorgewichte erlauben würde — wahrscheinlich nicht in dieser relativen Position verbleiben. Abgesehen von diesem besonderen Beispiel ist natürlich auch allgemeiner betrachtet durch nichts sichergestellt, daß die prokrustische Angleichung zu maximaler Kommunalität unter der Vektorgewichtung führt. Optimale Lösung des Vektorgewichtungsproblems Da in PINDIS die Vektorgewichtung der Dimensionsgewichtung folgt, muß nun von der Situation ausgegangen werden, die die oben beschriebenen Transformationen erzeugt haben. Zunächst ist zu berücksichtigen, daß die prokrustische Angleichung von Xj an Z möglicherweise Reflektionen in Xj erfordert hat. Wir müssen also Xj zunächst optimal rück-reflektieren. Hierzu machen wir die folgenden Überlegungen: In jeder Ebene ist das Minimierungskriterium D =

W V j a - V

2

"

(26)

Durch Einsetzen von vjji; = v( 2 a x.ja z.ja-")/E a z? ja in (26) ergibt sich

3

Über die Eindeutigkeit der schiefwinkeligen TuckerHarshman-Lösungen von (23) sind keine ganz einfachen allgemeinen Aussagen möglich. Siehe hierzu z.B.: CARROLL& WISH(1974).

D

= " Z j [( £ a X ja Z ja) 2 / £ a Z fa ] +

^

Da die Quadratsumme von Xj infolge Normie-

216

LINGOES & BORG: Optimale Lösungen für Dimensions- und Vektorgewichte in PINDIS

rung gleich Eins ist, muß der erste Ausdruck in (27) die Schranken Null und Eins haben. Weiter ergibt sich dann, daß dieser Ausdruck (analog zu den w* Gewichten) als Quadratsumme der normalisierten Vektorgewichte v* aufgefaßt werden kann, wobei v* = Vjj(S a z£) 1/2 . Die Quadratsumme dieser v*'s repräsentiert somit die Kommunalität von Xj und VjZ. Der Algorithmus reflektiert dann einfach nacheinander jede Dimension und prüft, ob diese Reflektion zu einer Erhöhung der erreichbaren Kommunalität führt. Ist dies nicht der Fall, wird die Dimension wieder rück-reflektiert. Nachdem auf diese Weise ein optimal reflektiertes Xj produziert wurde, verfahren wir im weiteren in vollständig analoger Weise zum obigen Dimensionsgewichtungsansatz, d.h. wir minimieren (26), worin Xja durch ein rotiertes Xja (x ja ) ersetzt wurde, in jeder Ebene. Dies führt zu: D = 2j[(vjjzja-xja)2

+ (Vjb

_~b)2])

(28)

wobei V

jj = ^ a V i a ^ 2 a Z j a '

(29)

und *ja

=

x

X

=

X

jb

ja C O S O ! -

'

( 3 0 )

jaSin0!+XjbCOSa;-

(31)

V

i n a

Nach entsprechender Einsetzung ergibt sich durch Differenzierung des Ausdrucks (28) nach a und Gleichsetzung der Ableitung mit Null a = (l/2)tan- 1 (2A/B),

(32)

wobei A=

S f - i ^ O i - ^ ) -

daß der Rotationswinkel a meist sehr klein ist und zum Optimum i. S. von (28) führt. Es gibt jedoch auch hier Spezialfälle, die einen MaxMin-Test notwendig machen: wird D maximiert, setzt man dann a' = a + 90°. Eine Illustration für die optimale Rotation von Xj bezüglich der Vektorgewichtungs-Transformation ist in Fig. 4 gegeben. Z und Xj entsprechen hier denjenigen aus Fig. 2. In Fig. 4 führt eine Rotation von Xj im Uhrzeigersinn mit a = 7.4° zu einer fast perfekten Erklärbarkeit von Xj durch VjZ (h 2 = .999). Die Kommunalität ist dagegen für das unrotierte Xj offensichtlich nicht perfekt.

Diskussion 33

- V i b ^ - ^ ^ - ^ j U

(

+ 4x

(34>

ja X ) b Z ja Z ib J /( Z ja + 4 ) -

Fig. 4: Individuelle Konfiguration in den Positionen für optimale Dimensions-(Xj) und Vektor-Gewichtung (Xj) von Z. Strahlen vom Ursprung stellen die Mengen der möglichen Orte für die gewichteten Vektoren dar.

)

Wie bei der oben diskutierten Dimensionsgewichtung wissen wir auch hier aus Erfahrung,

Die vorgeschlagenen Optimierungsprozeduren haben verschiedene Konsequenzen für Vektorund Dimensionsgewichte. Unter der Vektortransformation ergeben sich jetzt möglicherweise Ergebnisse, die etwas von denen abweichen, die mit der alten PINDIS Prozedur errechnet worden wären, jedoch ist die Bedeutung der

Zeitschrift für Sozialpsychologie 1977, 8, 2 1 0 - 2 1 7

Gewichte als solcher nicht verändert. Für die Dimensionsgewichte weist die Lösung jetzt eine neue Eigenschaft auf: Die Z-Konfiguration ist eindeutig und die „idiosynkratischen" ZJ's, von denen sie abgeleitet ist, haben möglicherweise inhaltlich-differentielle Bedeutung. Es scheint uns notwendig, hierzu zwei Bemerkungen zu machen: (a) Verfährt ein Forscher nach der Optimierungsprozedur, so ergibt sich daraus, daß er keine starke Hypothese über die inhaltliche Bedeutung von Koordinaten-Achsen in Z hat. Hat er dagegen solche Hypothesen, so sollte Z zunächst in eine Orientierung, die diesen Vermutungen entspricht, rotiert werden und alle anderen Transformationen dann relativ zu diesem Z ausgeführt werden. (b) Die Orientierung der individuellen Z,'s relativ zum insgesamt-optimalen Z sollte nicht überinterpretiert werden. Es ist natürlich zu erwarten, daß die ZJ's eine gewisse Streuung um Z aufweisen. Nur dann, wenn ein Zi substantiell von Z verschieden ist, besteht einige Rechtfertigung dafür, zu vermuten, daß dieses Individuum in gewisser Weise von den übrigen verschieden ist. Eine derartige Interpretation ist ähnlich deijenigen, die wir ursprünglich (BORG & L I N G O E S , 1 9 7 7 ) negativen Vektorgewichten gegeben haben. Im allgemeinen empfehlen wir, in der Interpretation der Besonderheiten von Z, nicht weiterzugehen. Es kann kein Zweifel darüber bestehen, daß PINDIS am besten konfirmatorisch verwendet wird: Ein Z, das man in einem ersten ProgrammLauf ermittelt, wird zunächst mittels prokrustischer Rotation in eine Position vermuteter Bedeutsamkeit gebracht, und dann dem Programm nochmals als eine nicht zu verändernde Hypothesen-Konfiguration eingegeben. Alle Trans-

217

formationen werden dann bezüglich dieses Z durchgeführt. Es sollte klar sein, daß die Angleichung von Z an eine Struktur hypothetischer Bedeutsamkeit nicht notwendigerweise eine dimensionale Hypothese erfordert. Andere Theorien wie Cluster oder Radexstrukturen können natürlich auch relativ zu irgendeinem Bezugssystem formuliert werden.

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218

Treuheit: Der wissenschaftssystematische und -historische Ort der Organisationspsychologie

Der wissenschaftssystematische und -historische Ort der Organisationspsychologie LEO J . TREUHEIT Institut für Psychologie, Fachbereich „Erziehungswissenschaften", Freie Universität Berlin

Die Organisation wird als spezielles Rückkopplungssystem aufgefaßt. In diesem tritt der Organisationspsychologe als Praktiker und als Analytiker (Forscher) auf. Als Forscher betreibt er Grundlagenforschung, konkretere Sozialpsychologie und angewandte Forschung, abstraktere Arbeits- und Betriebspsychologie. Das ist nach unserem Versuch der Ortsbestimmung sein systematischer und gleichzeitig historischer Ort im System der psychologischen Disziplinen.

The organization is regarded as a special feed-back-system. In this system the organizational psychologist appears as a practitioner and as an analyzer (researcher). As researcher he makes basic research, especially more concrete social psychology as well as applied research, especially more abstract industrial psychology. This is his systematical and — simultaneous — historical position in the system of the psychological disciplines in our trial of position-finding.

0. Das Problem

ist naheliegend. Um diesem Vorwurf zu entgehen, muß das Modell gezwungen werden, ein Abbild des Originals zu sein, durch eine Rückkopplungsschleife der Modellbildung — wir werden sie später explizit diskutieren — zur Realität. So erst kann das Original „hinsichtlich seiner definierbaren Funktionen durch eine Modellfolge approximiert werden" (FRANK, 1962, 89). Auf das Ausgangsmodell kommt es folglich nicht entscheidend an, vielmehr auf die Zahl der Durchgänge ,Ausgangsmodell — Vergleich Modell/Realität - Verbesserung des Modells neues Ausgangsmodell' ... usw. Solche Durchgänge haben die hier vorgelegten Modelle schon mehrere erfahren. Trotzdem sind sie bisher kaum bekannt geworden. Um so wichtiger erscheint es uns, sie im folgenden darzustellen und auf die eingangs gestellten Fragen anzuwenden. Nach dieser Methode können wir in den folgenden 4 Schritten vorgehen: Zunächst im 1. Schritt ist der Gegenstandsbereich der Organisationspsychologie zu bestimmen. Ein Modell, die Organisation als Rückkopplungssystem, gibt eine Antwort auf die Frage nach dem Objekt der Organisationspsychologie. Das Modell soll mindestens Teilinvarianten von realen Organisationen adäquat abbilden. Erst auf dieser

Welche Funktion, Struktur und Position hat die Organisationspsychologie innerhalb der Psychologie? Wie verläuft der Entwicklungsprozeß der Funktion, Struktur und Position der Organisationspsychologie innerhalb der Psychologie? Beide Fragen, also die Frage nach dem wissenschaftssystematischen Ort und die Frage nach dem wissenschaftshistorischen Ort der Organisationspsychologie versucht dieser Text zu beantworten, wobei sich beide Fragen als eine einzige erweisen werden; denn jede Funktion und Struktur eines Systems hat auch eine Entwicklung. Die Statik eines Systems ist der Grenzwert seiner Dynamik. Die dabei zugrundegelegte Methode des Ortungsversuchs ist die Modellmethode, ein „Verfahren, dessen Grundlage in der Konstruktion von Modellen besteht, die als Mittel zur Gewinnung von Erkenntnissen, zur Vermittlung von Kenntnissen über bestimmte Objekte dienen oder die als Ersatz der Funktion dynamischer Systeme Verwendung finden." (KLAUS, 1969, 4 1 8 - 4 1 9 . ) Wir werden also hypothetische Antwort-Modelle formulieren und sie in Blockdiagrammen abbilden. Der Vorwurf der Beliebigkeit der Modelle, die irgendeinen Sachverhalt klären sollen,

219

Zeitschrift für S o z i a l p s y c h o l o g i e 1 9 7 7 , 8, 2 1 8 - 2 3 3

Grundlage der modellmäßigen Bestimmung kann überhaupt die Psychologie von Organisationen von der Psychologie von Nichtorganisationen abgetrennt werden, also die Organisationspsychologie von der Nichtorganisationspsychologie. Das Modell der Organisation als Rückkopplungssystem dient dazu als Unterscheidungskriterium. Im 2. Schritt betrachten wir die Organisationspsychologie als Anwendung von organisationspsychologischer Information auf so bestimmte Organisationen. Wir betrachten quasi die Organisation organisationspsychologischer Anwendung. Im Anwendungsprozeß stößt der Organisationspsychologe auf Lücken in seinem Wissen: er muß entweder sein Ziel ändern oder die Lücke füllen. Der Prozeß der Ausfüllung von Informationslücken wird durch die organisationspsychologische Forschung konstituiert, die selbst wiederum im Rahmen einer Organisation vollzogen wird. Diese Organisation wird uns als 3. und 4. Schritt der Beantwortung der o. a. Fragen hauptsächlich beschäftigen: denn Unerforschtes kann nicht angewandt werden, die Produktion organisationspsychologischer Information ist die Voraussetzung für die Konsumtion (Gebrauch und Verbrauch) organisationspsychologischer Information. Allerdings ist das nur logisch so, genetisch ist die Reihung wieder andersherum: erst die Wissenslücken im Anwendungsprozeß machen Geld und Forschungskraft frei für die Auffüllung dieser Lücken durch systematische Forschung. Dabei zeigt sich die Spaltung der psychologischen Forschung in Grundlagenund Angewandte Forschung und auch — und das ist das Kernstück dieses gesamten Textes — die Konstituierung der Organisationspsychologie als konkretere Sozialpsychologie und als abstraktere Arbeits- und Betriebspsychologie. Die Organisationspsychologie liegt also im Schnittpunkt der absteigenden Abstraktion 1 in der Grundlagenforschung — von der Allgemeinen Psychologie über die Entwicklungspsy1 U n t e r A b s t r a k t i o n verstehe ich den P r o z e ß des A b s e h e n s v o n w i r k e n d e n Variablen. A b s t e i g e n d e A b straktion ist dann der P r o z e ß des E i n b e z i e h e n s v o n z u n e h m e n d m e h r Variablen. Weitere U n t e r s c h e i d u n gen u n d e i n e M a t h e m a t i s i e r u n g der g e s a m t e n Wissens c h a f t als A b s t r a k t i o n s s t u f e n s y s t e m trifft OPPENHEIM ( 1 9 2 6 und 1928).

chologie zur Persönlichkeitspsychologie und schließlich zur Sozialpsychologie als konkreteste Disziplin psychologischer Grundlagenforschung — und der Angewandten Forschung. Die Organisationspsychologie ist das letzte, jüngste und konkreteste Kettenglied der psychologischen Grundlagenforschung einerseits, wie das letzte, jüngste und abstrakteste der Angewandten Forschung andererseits. Dadurch zeigt sich hier die Chance, daß gerade die Organisationspsychologie die Kluft zwischen den beiden Forschungssparten überbrücken könnte. Zwar ist die Brükke noch schmal, ihre Verankerung in beiden gegenüberliegenden Seiten erscheint jedoch als fest. Schließlich als letzter und 5. Schritt wird die Organisationspsychologie selbst als Organisation aufgefaßt und diese Psychologie als .Organisationspsychologie der Organisationspsychologie' explizit diskutiert - impliziert wurde sie in dieser Form schon im 2., 3. und 4.Teil. Dieser ganze Text ist selbst eine solche Psychologie, ein Stück Organisationspsychologie, es entwikkelt Materialien, um eine bestimmte Organisation, eben die Organisationspsychologie, zu analysieren.

1. Organisation als Rückkopplungssystem Grundsätzlich steht der Wissenschaftler als Abbildender seinem Original, einem Teil der objektiven Realität, soweit diese ihm mittels seiner Instrumente zugänglich ist, gegenüber. Dieses Original ist sein Untersuchungsgegenstand. Um diesen Gegenstand aber von anderen nicht zu untersuchenden Gegenständen unterscheiden zu können, muß er ihn definieren; genauer: er muß bereits etwas relativ Invariantes über diesen Gegenstand wissen, und dieses Wissen formuliert er in einer Art Grundlegung der Abbildung in Form einer Realdefinition (vgl. dazu BOCHENSKI, 1965, 95). Eine solche Definition spannt quasi den Untersuchungsraum auf, bestimmt den Raum der möglichen Abbilder dieses Gegenstandes. Im besten Fall gibt die Definition die Hauptvariablen des zu untersuchenden Gegenstandes an, nicht notwendigerweise den Zusammenhang dieser Variablen, der schließlich durch den nun beginnenden Forschungsprozeß entdeckt werden soll. Durch

220

Treuheit: Der wissenschaftssystematische und -historische Ort der Organisationspsychologie

diesen Forschungsprozeß kann dann ein Rückkopplungsprozeß die Definition dieses Gegenstandes wieder verändern, wenn neue vormals unerkannte Hauptvariablen aufgedeckt werden. Eine Realdefinition steckt also ein Forschungsfeld durch Angabe der Invariante des Gegenstandes ab, wobei durch den anschließenden Forschungsprozeß die Definition selbst wieder verändert werden kann. Werden durch die Definition eines Gegenstandes dessen Hauptvariablen bestimmt, so wird durch die nun folgende Theorienbildung der Zusammenhang der Hauptvariablen abgebildet. Es können sich hierbei wieder Leerstellen bzw. neue Hauptvariablen ergeben, die wiederum die Definition des Gegenstandes verändern. Insofern kann eine Realdefinition auch als Grundkonzept der darauf aufbauenden Theorie angesehen werden, quasi als Vortheorie. Das Gesagte kann durch den folgenden 2fach gestuften Regelkreis verdeutlicht werden (Abb. 1). Angewandt wird nun dieser allgemeine Zusammenhang auf die Definition der Organisation in 2 Schritten: 1. Benennung der Hauptvariablen, 2. Kennzeichnung des Zusammenhangs, wobei beide Schritte auf hoher Abstraktionsstufe erfolgen. Denn: „Mit Beispielen kann man es immer schaffen, wenn man schlau ist" (BRECHT: „Leben des Galilei"). Wir lassen dabei offen, ob andere Definitionen von Organisationen als Spezialfälle der hier

Abb. 1: Realdefinition.

entwickelten erscheinen oder ob unsere Definition als Spezialfall anderer Definitionen erscheint. Der einzige Anspruch ist, daß zumindest Teilinvarianten von realen Organisationen getroffen werden, daß diese Definition als Unterscheidungskriterium gegenüber Nichtorganisationen dienen kann und daß sie an eine interdisziplinäre Theoriebildung anschließt. Organisationen sind Aggregate von Organen. Organe sind Werkzeuge im weitesten Sinn und Werkzeuge haben einen Zweck, sind für die Erreichung eines Zieles da. Eine Organisation ohne Ziel ist folglich nicht denkbar. Liegt das Ziel fest, so sind die Gegenstände, auf die sich das Organisationsziel bezieht, bestimmt. Würde in einem Schritt das Ziel erreicht und gehalten, dann wäre im darauffolgenden Zyklus die Organisation im Grunde überflüssig. Die Dauer einer Organisation impliziert folglich das dauernde Vorhandensein von Störungen, die den Zielerreichungsprozeß hemmen. Und diese Störungen werden mittels bestimmter Programme, Strategien ausgeregelt. Das ist der erste Entwurf der Bestimmung der Hauptvariablen: Organe, Ziel, Organisationsbereich, Organisationsdauer, Störungen, Programme. Nun zu ihrem Zusammenhang, der durch Zuhilfenahme einer Theorie, hier der Regelkreistheorie, neue Hauptvariable zutage bringt. MIROW (1969) entwickelt in seinem Buch „Kybernetik, Grundlagen einer allgemeinen Theorie der Organisation" den Organisationsbegriff entsprechend. Die Grundstruktur einer Organisation — und das ist der zusammenhangstiftende theoretische Beitrag - ist die Rückkopplung mit seiner aktiven und passiven Komponente, mit Regler und Regelstrecke. Diese Grundstruktur kann natürlich verfeinert werden, so daß schließlich ein System vieler Regelkreise, ein vermaschtes Rückkopplungssystem entsteht. Es ergeben sich dann folgende Entsprechungen: Organisation

Rückkopplungssystem

Organisationsleitung Organisationsbereich Zu organisierende Größe Organisationsziel Machtmittel Taktik

Regler Regelstrecke Regelgröße x Sollwert der Regelgröße Stellgröße y Programm

221

Zeitschrift für Sozialpsychologie 1977, 8, 2 1 8 - 2 3 3 Organisationsmittel

= Eingangsgrößen des Regelkreises = Störgrößen

Störungen Organ: Organisationsstatistik Organ: Beschaffungsabteilung Organisationsdauer

=

Meßglied

= =

Stellglied Regelzeit

Durch diese theoretische Bestimmung der Organisation als Rückkopplungssystem ergeben sich also bereits neue Hauptvariable, die im ersten Entwurf der Bestimmung noch nicht genannt waren. Die Struktur, also der Zusammenhang der Hauptvariablen, kann dann gemäß der Theorie rückgekoppelter Systeme im Blockdiagramm so abgebildet werden (Abb. 2). FRANK ( 1 9 6 6 ) modelliert in seiner „Program-

matischen Notiz zur Organisationskybernetik" die Organisation in Anlehnung an Modellbildungen innerhalb der Kybernetischen Pädagogik ähnlich. Den organisatorischen Prozeß bildet er als Zustandsabfolge, als Trajektorie, in einem 6dimensionalen Raum ab. Bisher ist die Organisation näher bestimmt als Rückkopplungssystem. Die Menge der Rückkopplungssysteme ist jedoch groß. Was ist die spezifische Differenz der Organisation als Rückkopplungssystem zu anderen Rückkopplungssystemen? Das Spezifische sehen wir im Organisationsbereich, in der Regelstrecke. Diese besteht aus vielen Elementen, die in Reihe oder parallel oder auch rückgekoppelt sind. Diese Elemente sind

Menschen und Sachen (nichtmenschliche Objekte). Die Mächtigkeit der Menge der Menschen, ihre Anzahl, ist die Größe einer Organisation. Die Organisationsgröße abstrahiert allerdings von der Art der Kopplung zwischen den Menschen. Die Realdefinition einer Organisation lautet nach diesen Modellbildungen: Eine Organisation ist ein Rückkopplungssystem, dessen Regelstrecke (der Organisationsbereich) aus in Serie, parallel- oder/und rückgekoppelten Elementen, nämlich Menschen und Sachen, besteht, wobei offenbleibt, ob der Regler der Organisation extern durch eine Führungsgröße oder intern mittels Adaptionsregelung gesteuert wird. Die Organisationspsychologie ist nun die Wissenschaft von solchen Organisationen, genauer von den y-x-Relationen, den Stellgrößen-, RegelgrößenBeziehungen, dem Verhalten solcher Organisationen, wobei sich die Stell- und Regelgrößen auf Menschen zu beziehen haben. Die Art der Beschreibung von y und x als Vektorräume o. ä. kann hier nicht zur Diskussion stehen.

2. Der Organisationspsychologe als Anwender organisationspsychologischer Operatoren: Der Praktiker Der Gegenstand der Organisationspsychologie ist umrissen. Die möglichen Bezüge jeder Wissenschaft zu ihrem Gegenstand sind jedoch verschieden. Jede Wissenschaft hat quasi 4 Sphä-

Organisationsziel

Organisationsleitung Machtmittel y

Zu organisierende Größe x Organisationsbereich Organisationsstatistik Abb. 2: Organisation als Rückkopplungssystem.

BeschaffungsAbteilung

Organisationsmittel

222

Treuheit: Der wissenschaftssystematische und -historische Ort der Organisationspsychologie

ren, die die verschiedenen Bezüge zu ihrem Gegenstand definieren (DOBROW, 1 9 6 9 ) : die Sphäre der Produktion von Wissen (Forschung), die Sphäre der Distribution von Wissen (Informationsverteilung), die Sphäre der Zirkulation von Wissen (Lehre und Studium) und die Sphäre der Konsumtion von Wissen (Anwendung). Alle 4 Sphären sind unmittelbar (Produktion und Konsumtion) oder mittelbar (Distribution und Zirkulation) — über Information — objektbezogen. Die Psychologie wendet also psychologisches Wissen, gespeichert in den Köpfen der Praktiker, an, um menschliches Verhalten festzustellen oder/und zu verändern (Konsumtionssphäre) Der Praktiker gebraucht, mißbraucht oder verbraucht dabei dieses Wissen. Dabei zeigt sich dann auch die Brauchbarkeit des Wissens. Dieses Wissen wird im Studium vom Dozent zum Student vermittelt (Zirkulationssphäre). Da die Studenten nicht alle zur selben Zeit und am selben Ort studieren, muß das Wissen vorher in fixierter Form verteilt werden (Distributionssphäre). Diese massenhafte Verteilung ist allerdings erst nach Erzeugung des Wissens qua Forschung möglich (Produktionssphäre). Die Forschung bildet die Basis der Wissenschaft. Sie bestimmt, was überhaupt verteilt, ausgetauscht und angewandt werden kann. Diese Sphären sind folglich in Serie gekoppelt. Allerdings gibt es auch Rückkopplungen zwischen den Sphären. Eine Rückkopplung erscheint fundamental und sogar konstituierend für die Expansion einer Wissenschaft: die Rückkopplung zwischen Konsumtionssphäre und Produktionssphäre des Wissens, die zwischen Anwendung und Forschung. Erst Anwendbarkeit von Wissen sichert den weiteren Ausbau der Forschung. In Umkehrung einer These von LEWIN 2 könnte man sagen: Nichts ist theoriefreundlicher als eine gute Praxis. Und außerdem gilt, daß im Prozeß der Anwendung von Wissen weitere Probleme, eben Wissenslücken, auftreten, die in den der Sphäre der Produktion vorgelagerten ,Problemmarkt' eingehen. Da gerade dieser Fall für die Organisationspsychologie besonders repräsentativ ist, werden wir bei der Analyse des wissenschaftssystematischen Ortes 2 LEWIN ( 1 9 4 3 , 205) forderte, daß „sich der in der Praxis stehende Psychologe klarmacht, daß nichts so praktisch ist wie eine gute Theorie".

der Organisationspsychologie nicht bei der Produktionssphäre organisationspsychologischen Wissens beginnen, sondern bei der Konsumtionssphäre der Organisationspsychologie, wobei wir uns zunächst auf eine relativ hohe Abstraktionsstufe beschränken müssen. Der Organisationspsychologe als Praktiker ist nun selbst Regler einer Organisation, die Organisation ist für den Organisationspsychologen Regelstrecke. Er erhält von der Organisationsleitung, dem Regler der Organisation, in bezug auf eine bestimmte zu organisierende Größe, z.B. Gruppenklima einer Organisation, den Auftrag, einen bestimmten Sollwert zu erreichen. Ein Teil der Stellgrößen der Organisationsleitung wird somit Sollwert der Regelgröße des Organisationspsychologen, also seine Führungsgröße. Dazu mißt er den Ist-Zustand, vergleicht ihn mit dem Sollzustand und ordnet dieser Abweichung gemäß seinen gespeicherten Programmen eine Stellgröße zu. Diese läßt er auf die Organisation einwirken und macht in diesem Regelungsprozeß soviele Durchläufe, bis der Sollwert mit hinreichender Genauigkeit erreicht ist (Abb. 3). Erreicht der Organisationspsychologe durch Anwendung eines bestimmten Programms den Sollwert der Regelgröße nicht mit vorgeschriebener Genauigkeit oder überhaupt nicht, so gibt es für ihn drei Möglichkeiten: Entweder er verändert das Ziel, den Sollwert („problemshift") (RADNITZKY, 1970, 833) oder er korrigiert das Programm oder er betätigt sich als Entdecker eines neuen Programms, als Analysator. Beliebt ist die Methode des „problem-shift" für den Praktiker durchaus. Ihr sind aber durch die Interessen der auftraggebenden Organisationsleitung klare Grenzen gesetzt. Wird die Zielverschiebung zu stark, so gilt das als Nichtauftragserfüllung und die Bezahlung bei einmaligem Auftrag bleibt aus bzw. die Sicherheit des festen organisationspsychologischen Arbeitsplatzes in der Organisation ist gefährdet. Dennoch ist auch meist der Organisationsleitung mit einem „problem-shift" noch mehr gedient als mit der Nullmeldung, daß der Auftrag nicht erfüllbar ist. Die zu organisierende Größe wird dadurch immerhin zielorientierter beeinflußt als bei einer Nullmeldung. Wie ist der Prozeß der Zielverschiebung zu sehen? KADE, HUJER & IPSEN (1971, 35) entwickeln dazu folgendes Modell (Abb. 4).

223

Zeitschrift für Sozialpsychologie 1977, 8, 2 1 8 - 2 3 3

X

/

1

 i *W

Ay'

Programm

Ay'

Organisationspsychologe (Praktiker)

Teil der Regelgröße der Organisation Stellgröße des Organisationspsychologen Regelabweichung, die durch das Programm des Organisationspsychologen zu minimieren ist Auftrag des Organisationspsychologen (Sollwert)

Abb. 3: Der Praktiker.

= Regler der Organisation = Regelstrecke der Organisation = Regelgröße der Organisation

:

Xk

Stellgröße der Organisation : Sollwert der Organisation

Xk

Programm

^ ^

' Praxis

2. Ordnung

±RO

J

^Rlrganisatio^P SO Regelkreis I . O r d n u n g

J

Organisationspsychologe (Analytiker) Forschung

Pro•jm Regelkreis gramma odar/ und Sollzustand odar / und .Programmarzaugung

nogrammarzaugung

Abb. 12: Organisationspsychologie der Organisationspsychologie. ren Gegenstand die Organisation als spezielles R ü c k k o p p l u n g s s y s t e m ist, abgesteckt. Die Absteckung, die Lokalisation des Suchraums kann in der Tat den Prozeß des Suchens nicht ersparen. Und dieser ist mühsam, d o c h zur wirklic h e n Dienstbarmachung der Organisationen für alle Menschen, die darin leben, zur Transformat i o n der üblichen Folgeregelung der Organisat i o n e n ( F r e m d b e s t i m m u n g ) in eine Adaptationsregelung ( S e l b s t b e s t i m m u n g ) unbedingt n o t w e n dig.

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234

Etzel: Stereotype Wahrnehmung: eine alternative Interpretation klassifikatorischer Urteile

Empirie Stereotype Wahrnehmung: eine alternative Interpretation klassifikatorischer Urteile GERHARD ETZEL Sonderforschungsbereich 24, Sozial- und wirtschaftspsychologische Entscheidungsforschung, Universität Mannheim

Die theoretischen Grundlagen von TAJFELS Klassifikationskonzept wurden diskutiert. Es wurde postuliert, dafi (a) die Differenz zwischen Reizen einer klassifizierten Serie besser reproduziert werden als zwischen Reizen einer nicht klassifizierten Serie und (b) gleichzeitig eine Urteilsverzerrung im Sinne von TAJFELS „Interklassendifferenz" auftritt. Eine Methode wurde vorgeschlagen, mit der diese beiden Effekte unabhängig voneinander zu erfassen sind. Hypothese (a) konnte nicht eindeutig, Hypothese (b) hochsignifikant bestätigt werden. Die Ergebnisse wurden im Rahmen einer von UPMEYER & LAYER ( 1 9 7 4 ) vorgeschlagenen Input-Output-Theorie diskutiert.

The theoretical basis of TAJFEL'S concept of classification was discussed. It was hypothesized, that (a) differences between stimuli belonging to a classified series will be reproduced better than between stimuli belonging to a not classified series, and (b) that at the same time there will be a judgemental distortion corresponding to TAJFEL'S „interclassbreak". A method to measure these two effects independently of each other was suggested. There was a weak tendency in favour of hypotheses (a) and strong support for hypothesis (b). Results are discussed in terms of an inputoutput-theory suggested by UPMEYER & LAYER (1974).

Einleitung

2) Die Unterschiede zwischen Reizen, die in identische Klassen fallen, werden auf der zentralen Dimension unterschätzt (Intraklasseneffekt).

TAJFEL ( 1 9 5 9 ) u n d TAJFEL & WILKES ( 1 9 6 3 ) e n t -

wickelten ein Hypothesenkonzept, in dem spezifiziert wird, unter welchen Bedingungen klassiflkatorische Urteile zu erwarten sind, und wie sich die Existenz eines Klassifikationsmerkmales im Urteilsprozeß niederschlägt. Die wesentlichen Aussagen dieses Klassifikationskonzeptes lassen sich wie folgt zusammenfassen: Wenn eine Menge von Reizen, die auf einer kontinuierlichen Dimension variieren und gleichzeitig auf einer peripheren Dimension in exklusive Klassen fallen, hinsichtlich ihrer Ausprägung auf der kontinuierlichen Dimension (im folgenden zentrale Dimension genannt) beurteilt werden soll, und wenn die Reize auf beiden Dimensionen korreliert sind, dann werden folgende Effekte erwartet: 1) Die Unterschiede zwischen Reizen, die in unterschiedliche Klassen fallen, werden auf der zentralen Dimension überschätzt (Interklasseneffekt).

Dieses Klassifikationskonzept wird von vielen Autoren zur Erklärung sozialer Prozesse herangezogen, so z.B. als Erklärung für das Zustandekommen von Stereotypen (TAJFEL, SHEIKH & GARDNER, 1 9 6 4 ; IRLE, 1 9 7 5 ; LILLI, 1 9 7 5 ) ;

zur Erklärung von Polarisierungseffekten bei der Beurteilung von attitüdenrelevanten Aussagen (EISER & MOWER WHITE, 1 9 7 5 ) ; als kognitive Basis diskriminierenden Verhaltens zwischen Gruppen (DOISE & DANN, 1 9 7 6 ) . Dies erscheint dann etwas verwunderlich, wenn man bedenkt, daß in allen Experimenten, die zur Prüfung des Klassifikationskonzeptes durchgeführt wurden, ein Effekt der Unterschätzung der Unterschiede zwischen Reizen identischer Klassen nicht gefunden werden konnte (TAJFEL & WILKES, 1 9 6 3 ; LILLI, 1 9 7 0 ; LILLI & LEHNER, 1 9 7 1 ) , und andererseits gerade das Auftreten dieses Effektes als

Zeitschrift für Sozialpsychologie 1 9 7 7 , 8, 2 3 4 - 2 4 1

wesentlich für den erklärenden Gehalt des Konzeptes angesehen wird (LILLI & LEHNER, 1971). Die von LILLI & LEHNER (1971) gefundene negative Korrelation zwischen Inter- und Intraklasseneffekten kann nicht als Bestätigung des Konzeptes angesehen werden. Es fehlt der Nachweis, daß diese Korrelation nicht existiert, wenn kein Klassifikationsmerkmal vorhanden ist.

Theoretische Begründung des Klassifikationskonzeptes , (1963) begründen ihr Hypothesenkonzept wie folgt: „The class identification of a stimulus provides a supplementary source of information about the relationship of its magnitude to the magnitude of the other Stimuli, whether identified as belonging to the same class or a different class" (TAJFEL & WILKES, 1963, p.103). Bei der Beurteilung von klassifizierten Reizen steht dem Beurteiler also eine zusätzliche Informationsquelle neben der zentralen Dimension zur Verfügung. Es ist aber nicht so ohne weiteres einsehbar, wieso diese zusätzliche Information dazu führen sollte, daß existierende und wahrnehmbare Unterschiede zwischen Reizen auf der zentralen Dimension schlechter reproduziert werden, wie dies der Intraklasseneffekt postuliert. Ein solcher Effekt könnte m. E. nur durch weitere, über die bloße Existenz des Klassifikationsmerkmales hinausgehende Variable begründet werden. Diese Ansicht wird im Prinzip auch von L i m & LEHNER (1971) vertreten. Sie argumentieren mit BRUNER (1957), daß hier ein Prozeß der Informationsselektion stattfindet. Dem Bestreben, Sachverhalte möglichst vollständig zu beschreiben, steht die zeitliche Begrenzung der Urteilsfindung gegenüber. Die Lösung dieses Dilemmas besteht darin, daß Sachverhalte nach selektierten Merkmalen beurteilt werden, die repräsentativ für sonst unterschiedliche Sachverhalte sind. Ein solches Merkmal ist z. B. die Klassenzugehörigkeit von Reizen, d. h. Urteile über einzelne Reize werden durch Urteile über Klassen von Reizen ersetzt. Damit ist klar, daß LILLI & LEHNER (1971) Klassifikationseffekte nicht allein von der Existenz eines Klassifikationsschemas abTAJFEL & WILKES

235 hängig machen, sondern auch von einer anderen Bedingung, nämlich der zeitlichen Begrenzung der Urteilsfindung. Eine plausible Erklärung, warum der Intraklasseneffekt nur aufgrund der Existenz eines Klassifikationsschemas zu erwarten ist, ist also m. E. nicht gelungen. Andererseits besteht nach LILLI & LEHNER (1971) der Erklärungswert des Klassifikationskonzeptes für die Bildung von Stereotypen gerade darin, daß beide Effekte vorausgesagt werden. Diese Auffassung geht von der Annahme aus, daß stereotype Urteile über Gruppen auf einzelne Mitglieder dieser Gruppe übertragen werden. Es gibt aber empirische Befunde, die zeigen, daß dieser Effekt nicht notwendigerweise eintritt (FELDMAN & HILIERMAN, 1975; LONDON & POPLAWSKI, 1976). Wenn eine Person urteilt, daß die Mitglieder der Gruppe X dümmer sind als die Mitglieder der Gruppe Y, impliziert das nicht, daß alle Mitglieder der Gruppe X als gleich dumm beurteilt werden, oder daß jedes Mitglied von X als dümmer angesehen wird als ein beliebiges Mitglied von Y. Es stellt sich also die Frage, ob aus der Existenz eines Klassifikationsschemas allein ein systematischer Einfluß auf die Beurteilung von Reizen vorausgesagt werden kann. Wenn ja, so muß geklärt werden, welcher Art dieser Einfluß ist und welchen Erklärungswert er für andere Prozesse hat, z. B. für die Bildung von Stereotypen. Ein Hinweis, daß sich die Existenz eines Klassifikationsschemas auf den Urteilsprozeß auswirken kann, findet sich bei ERIKSEN & HAKE (1955). Wenn Reize multidimensional variieren, nimmt die zwischen Reizen und Urteilen übertragene Information zu im Vergleich zu Reizen, die nur auf einer Dimension variieren. Mit anderen Worten, mehrdimensional variierende Reize werden besser diskriminiert als eindimensional variierende. Wenn man nun davon ausgeht, daß ein Reiz bei wiederholter Darbietung nicht immer einen identischen subjektiven Größeneindruck hervorruft, d.h. daß dieser Größeneindruck variiert, dann ist ein Maß für die Unterscheidbarkeit verschiedener Reize die Größe des Überlappungsbereiches dieser subjektiven Größenverteilung. Auf diesem Prinzip basiert z. B. die Signal-Detection-Theorie (GREEN & SWETS, 1966). Wenn also mehrdimensional variierende Reize besser diskriminiert werden als

236

Etzel: S t e r e o t y p e W a h r n e h m u n g : eine a l t e r n a t i v e I n t e r p r e t a t i o n k l a s s i f i k a t o r i s c h e r U r t e i l e

eindimensionale, so heißt das, daß in diesem Fall die subjektiven Größenverteilungen der Reize eine geringere Überlappung zeigen. Unter der Annahme, daß die Verteilungen der subjektiven Größeneindrücke normal sind und für verschiedene Reize auf einer Dimension gleiche Varianzen haben, kann man die Überlappung zweier Verteilungen auf einer Skala durch die Distanz zwischen den Mittelwerten, ausgedrückt in Einheiten der Standardabweichung, operationalisieren. Wir erwarten also, daß die so normierte Distanz zwischen Reizen, die mehrdimensional variieren, größer ist als die normierte Distanz zwischen Reizen, die eindimensional variieren. Diese Argumentation führt uns zu einer Interpretation der mit dem Klassifikationskonzept verwandten Akzentuierungshypothese, die besagt, daß die Differenzen zwischen Reizen, die gleichzeitig auf einer physikalischen und einer Orientierungsdimension variieren, überschätzt werden im Vergleich zu Differenzen zwischen Reizen, die nur auf einer physikalischen Dimension variieren. Nach den von ERIKSEN & HAKE ( 1 9 5 5 ) berichteten Untersuchungsergebnissen liegt der Schluß nahe, daß Akzentuierung gleichzusetzen ist mit besserer Diskrimination. So konnten DUKES & BEVAN ( 1 9 5 2 ) zeigen, daß Kinder das Gewicht verschiedener mit Süßigkeiten gefüllter Beutel besser unterscheiden konnten als bei gleichartigen sandgefüllten Beuteln. Diese Interpretation deckt sich im übrigen mit der von UPMEYER & L A Y E R ( 1 9 7 3 ) vorgelegten Interpretation des Akzentuierungseffektes nach BRUNER & GOODMAN ( 1 9 4 7 ) , daß Reize, die wertbeladen sind, klarer und deutlicher gesehen werden. Ein Widerspruch besteht allerdings darin, daß fast alle Autoren Akzentuierung als Verzerrung definieren, d.h. als weniger gute oder genaue Repräsentation der objektiven Größe. Diese Definition unterstellt, daß das Verhältnis der Einheit der Urteilsskala zur Einheit der objektiven Skala ein Maß für die Güte der Schätzung ist. Diese Unterstellung ist anfechtbar. Wenn man annimmt, daß die Schätzung der Reize auf einer Intervallskala erfolgt, dann ist die Wahl des Nullpunktes und der Einheit dieser Skala ein arbiträrer Prozeß, d. h. jede Intervallskala ist durch Transformationen der Skaleneinheit und des Nullpunktes ohne Informationsverlust in eine beliebige andere Intervallskala überführbar.

Aus dieser Interpretation folgt unmittelbar, daß unter den eingangs erwähnten Bedingungen für ein klassifikatorisches Urteil Effekte zwischen Reizen verschiedener Klassen, nicht aber zwischen Reizen identischer Klassen ableitbar sind. Diese Behauptung stützt sich auf folgende Argumentation: Das Klassifikationskonzept ist ein Spezialfall des allgemeinen Akzentuierungskonzeptes. Der Unterschied besteht darin, daß man bei einer kontinuierlichen Variation der Reize auf der peripheren Dimension von Akzentuierung spricht, während eine Klassifikation dann vorliegt, wenn die Reize auf der peripheren Dimension in diskreten Klassen variieren. Für den Beurteiler liegt nun der Fall so, daß Reize, die in eine Klasse fallen, nur auf einer Dimension (der zentralen) variieren, während Reize in verschiedenen Klassen sowohl auf der zentralen als auch auf der peripheren Dimension variieren. Wir erwarten also, daß die Diskrimination zwischen Reizen verschiedener Klassen besser ist, während sie innerhalb der Klassen unbeeinflußt bleibt, d.h. bei einer klassifizierten Reizserie im Vergleich zu einer nicht klassifizierten nimmt die normierte Differenz zwischen den Urteilen über verschiedene Klassen zu, während sie für Reize innerhalb der Klassen konstant bleibt. Ein solches Konzept könnte erklären, weshalb Stereotype über Gruppen nicht unbedingt auf einzelne Mitglieder dieser Gruppen übertragen werden. Eine solche Übertragung ist nur aufgrund zusätzlicher Bedingungen zu erwarten, so z.B. wenn die Mitglieder dieser Gruppen in bezug auf die zentrale Dimension schlecht diskriminierbar sind. Hier wäre der von BRUNER ( 1 9 5 7 ) und LILLI & LEHNER ( 1 9 7 1 ) postulierte Effekt denkbar, daß für ein Urteil das Reizmerkmal selektiert wird, nach dem die beste Differenzierung zwischen den Reizen möglich ist, d.h. das Klassifikationsmerkmal. Zum anderen unterstützt diese Konzeption die Auffassung, daß Stereotype o f t einen rationalen Hintergrund haben, daß sie nicht automatisch falsche Urteile beinhalten ( I R L E , 1 9 7 5 ; CAMPBELL, 1 9 6 7 ) .

Die Messung von Klassifikationseffekten Es soll nun gezeigt werden, daß Hypothesen über Klassifikationseffekte mit den „üblichen" abhängigen Variablen nur dann überprüft wer-

237

Zeitschrift für Sozialpsychologie 1977, 8, 2 3 4 - 2 4 1 Klasse A

Klasse B |

R1 —x

R2 x

R3 x

R4 x

periphere Dimension R5 *

R6 x

R7 *

R8 *

zentrale Dimension

Abb. 1: Anordnung von Reizen auf einer zentralen und einer peripheren Dimension zur Überprüfung von Klassifikationseffekten. Die Reize R1 bis R8 fallen auf der peripheren Dimension in zwei exklusive Klassen, während sie auf der zentralen Dimension kontinuierlich variieren. Die Korrelation zwischen den Dimensionen beträgt r = 1.0.

den können, wenn man eine weitere Zusatzannahme macht. Üblicherweise werden Klassifikationshypothesen dadurch geprüft, daß eine Experimentalgruppe eine Serie von Reizen beurteilt, die durch ein Klassifikationsmerkmal überlagert ist, während eine Kontrollgruppe dieselben Reize ohne Klassifikationsmerkmal beurteilt (siehe Abbildung 1). Der Effekt zwischen den Klassen wird nun dadurch überprüft, daß die absolute Differenz der geschätzten Größe von R4 und R5 zwischen Experimental- und Kontrollgruppe verglichen wird. Zur Prüfung des Intraklasseneffektes werden die Differenzen zwischen R1 und R4, zwischen R5 und R8 bzw. der Mittelwert dieser Differenzen zwischen den Gruppen verglichen. Absolute Differenzen auf zwei Skalen sind aber nur vergleichbar, wenn beiden Skalen die gleiche Einheit zugrunde liegt. Wenn die Reize R1 bis R 8 in Abbildung 1 z. B. Strekken unterschiedlicher Länge sind, und wenn von den Versuchspersonen Schätzungen in cm verlangt werden, dann können die Urteile von zwei Versuchspersonen nur verglichen werden, wenn sichergestellt werden kann, daß beide mit der Aussage „1 cm" dieselbe „subjektive Quantität" bezeichnen. Wie wir aber oben gesehen haben, ist diese Annahme problematisch, da man davon ausgehen kann, daß diese Antwortskalen bestenfalls Intervallskalen sind und somit die Wahl der Einheit dieser Skalen ein arbiträrer Prozeß ist (vgl. dazu UPSHAW, 1969). Der Schluß liegt nahe, statt absoluter normierte Differenzen als abhängige Variable zu benutzen. Dies kann aber nur unter der Annahme gestattet werden, daß die Verteilung der subjektiven Größeneindrücke der Reize normal ist und daß die Varianzen für verschiedene Reize auf einer Dimension identisch sind. Die Prüfung dieser Voraussetzungen ist zwar prinzipiell möglich, stößt jedoch auf praktische Schwierigkeiten. Man müßte jeden Reiz sehr

häufig darbieten, um einen empirischen Test über seine Verteilungsform durchführen zu können. Außerdem wäre es z.B. denkbar, daß die Varianzen für Reize verschiedener Klassen verschieden sind, d.h. daß sie auf verschiedenen Urteilsskalen abgebildet werden. Die Differenz der subjektiven Reizverteilungen wäre anhand dieser Urteilsskalen gar nicht feststellbar. Im folgenden soll eine Alternative zur Generierung der abhängigen Variablen „Klassifikationseffekt" dargestellt werden. Auch diese Alternative beruht auf einer Annahme, die aber schwächer ist und leichter überprüft werden kann. Es wird postuliert, daß die Beziehung zwischen der geschätzten Größe eines Reizes und seiner physikalischen Größe durch eine monotone Funktion 1 beschrieben werden kann. yi=fmon(xi)

(D

yj = geschätzte Größe des Reizes i X; = physikalische Größe des Reizes i Wenn die angenommene (im folgenden lineare) Beziehung gilt, erwarten wir, daß jeder Schätzwert für einen Reiz x{ genau auf dieser Funktion, also der Regressionsgeraden liegt. D. h. der erwartete Wert der Abweichung eines Schätzwertes y; vom durch die Regressionsgeraden vorausgesagten Wert yj = aXj + b ist Null. E (yj - yj) = 0

(2)

Wenn die Regressionsgerade durch den Punkteschwarm (x i; y^, i = 1, ..., N nach der Methode der kleinsten Quadrate berechnet wird, gilt folgende Gleichung: 1

Im folgenden beschränke ich mich auf die Beschreibung der Methode auf lineare Funktionen der Art yj = axj+ b. Alle Aussagen gelten aber auch für komplexere Funktionen, wie z. B. yj = axj c + b.

Etzel: Stereotype Wahrnehmung: eine alternative Interpretation klassifikatorischer Urteile

238

N 2

(y,-fy = o

(3)

i= l Weiter gilt für jede Teilmenge der Größe k, k < N der N Reize: k E

(2 (Vi - Vi» = 0 W i= 1 Es soll nun gezeigt werden, daß der Wert gemäß (4) für die Menge der Reize, die auf einer peripheren Dimension in eine Klasse fallen, von Null verschieden ist, wenn ein Klassifikationseffekt existiert. Betrachten wir dazu Abb. 2. Hier sind auf der X-Achse die physikalischen Größen der Reize Xj bis x 6 aufgetragen, die gleichzeitig in die Klassen A und B einteilbar sind. Wenn nun das Klassifikationsmerkmal den Effekt hat, daß die subjektiven Distanzen zwischen Reizen der Klasse A und B vergrößert werden, so ist auf der Urteilsskala ein Bild zu erwarten, wie es auf der Y-Achse dargestellt ist. Die absoluten Differenzen auf der Y-Achse hängen nun in starkem Ausmaß von der Steigung der Regressionsgeraden ab, d. h. je größer die Steigung, desto größer die absoluten Differenzen und umgekehrt. Unabhängig von der Steigung werden jedoch die Abstände (yj — y;) in der Klasse A negativ und in der Klasse B positiv sein, wenn unser hypothetischer Klassifikationseffekt existiert. Wenn das Klassifika-

tionsmerkmal nur eine allgemeine Differenzierungsakzentuierung verursacht, dann zeigen sich keine klassenspezifischen Abweichungen von der Regressionsgeraden. Es wird also folgende Hypothese formuliert: Ein Klassifikationseffekt existiert dann, wenn die Summe der Abweichungen der Schätzwerte für Reize aus der Klasse mit den physikalisch kleineren Werten von der Regressionsfunktion negativ ist. Wegen Gleichung (3) folgt, daß sich die Summe dieser Abweichungen und die Summe der Abweichungen in der anderen Klasse zu Null ergänzen müssen. Ein Experiment zur Prüfung dieser Hypothese könnte nach folgendem Prinzip ablaufen. Eine Kontrollgruppe schätzt die Größe einer Serie von Reizen ohne Klassifikationsmerkmal. Die Form der funktionalen Beziehung zwischen geschätzter und objektiver Größe wird festgestellt. Eine Experimentalgruppe schätzt die gleichen Reize mit einem überlagerten Klassifikationsmerkmal. Wenn für diese Gruppe Funktionen derselben Art wie in der Kontrollgruppe berechnet werden, so müßte sich ein potentieller Klassifikationseffekt gemäß der Hypothese zeigen. Ein solches Vorgehen hätte den Vorteil, daß ein existierender Klassifikationseffekt zu demonstrieren wäre, unabhängig davon, ob gleichzeitig die Einheit der Antwortskala beeinflußt wird. Ein solches Experiment wird nun beschrieben, wobei einige weitere Hypothesen überprüft werden sollen.

Hypothesen

xl

x2 x3 x4 x5 x6 x7 physikalische Größe der Reize

x8

Abb. 2: Graphische Darstellung eines Klassifikationseffektes.

Aus der Begründung des Klassifikationseffektes von L I M & LEHNER ( 1 9 7 1 ) läßt sich die Hypothese ableiten, daß die Schätzung einer Reizserie mit Klassifikationsmerkmal ungenauer ist als ohne Klassifikationsmerkmal. Diese Hypothese folgt aus der Annahme, bei klassifizierten Serien werde nur ein Teil der mit den Reizen dargebotenen Information verarbeitet. Aus der hier vorgeschlagenen Begründung von Klassifikationseffekten resultiert die Alternativhypothese, daß klassifizierte Serien besser geschätzt werden als nicht klassifizierte, weil hier die einzelnen Reize mehr Information bieten und diese zusätzliche Information auch benutzt wird. Als Maß für die Güte der

Zeitschrift für Sozialpsychologie 1977, 8, 2 3 4 - 2 4 1

Schätzung wird hier der Prozentsatz der Varianz in den Schätzurteilen verstanden, der durch die Transformationsregel von X (objektive Reizgröße) auf Y (geschätzte Reizgröße) erklärt wird. Nach LILLI & LEHNER (1971) sollte dieser Wert für klassifizierte Serien niedriger als für nicht klassifizierte sein, während die hier vorgeschlagene Interpretation durch einen höheren Wert unterstützt würde. Da in diesem Experiment Streckenlängen geschätzt werden sollen, wird die Hypothese formuliert, daß die Beziehung zwischen objektiver und geschätzter Streckenlänge durch eine lineare Funktion beschrieben werden kann. Die a priori Annahme einer linearen Beziehung kann an den Daten überprüft und gegebenenfalls verworfen werden. Wichtig ist vor allen Dingen, daß sowohl in der Gruppe, welche die klassifizierte Serie schätzt, als auch in der Kontrollgruppe gleichartige Funktionen zur Berechnung der abhängigen Variablen dienen, um vergleichbare Werte zu erhalten. Weiterhin ist wichtig, daß die verwendete Funktion diejenige ist, welche in der Kontrollgruppe die beste Anpassung liefert. Da für die Experimentalgruppe für diese Funktion eine noch bessere Anpassung vorausgesagt wird, kann somit eine Bestätigung dieser Hypothese nicht auf unterschiedliche Funktionen zurückgeführt werden. Zusätzlich soll geklärt werden, ob ein Klassifikationsschema einen Einfluß auf die Einheit der Urteilsskala hat, und ob bei experimentell verankerten Urteilsskalen ein Klassifikationseffekt auftritt.

Methode Eine Serie von 8 Strecken, welche jeweils um etwa 17% in der Länge zunahmen (kleinste Strecke = 4,9 cm) wurde von 2 Gruppen ä 8 Vpn je sechsmal geschätzt. Die Kontrollgruppe schätzte die Strecken ohne Klassifikationsmerkmal, für die Experimentalgruppe waren die 4 kleineren Strecken mit A, die 4 größeren mit B bezeichnet. Die Serie wurde jeweils vollständig in Zufallsreihenfolge geschätzt und danach wiederholt. Die Vpn gaben ihr Urteil dadurch ab, daß sie auf einer Skala, die aus einem waagrechten Strich bestand, der am linken Ende mit „0" bezeichnet war, die Länge der zu schätzenden Strecke abtrugen. Für die letzten drei Schätzun-

239

gen der Serie war für alle Vpn die Länge der kleinsten und der größten Strecke auf der Antwortskala eingetragen. Die Reize selbst waren auf jeweils einem Blatt der Größe DIN A5 diagonal eingetragen, die Antwortskala war auf demselben Blatt unten angeordnet. Für die Vpn der Experimentalgruppe war am linken unteren Ende jeder Strecke das Klassifikationsmerkmal gedruckt. Vor Beginn des Schätzvorganges sahen die Vpn die vollständige Serie der Reize, und sie erhielten eine Instruktion, in der die Urteilsskala erklärt wurde. Diese experimentelle Anordnung führte zu einem 2 x 2 Design mit den Faktoren „Extremreize vorgegeben" vs. „nicht vorgegeben" (innerhalb) und „mit Klassifikation" vs. „ohne" (zwischen).

Ergebnisse Die Beziehung zwischen geschätzter und objektiver Streckenlänge kann durch eine lineare Funktion beschrieben werden. In der Kontrollgruppe führt die Annahme einer nicht linearen Beziehung bei jeweils einer Vp (in den beiden Bedingungen innerhalb dieser Gruppe) zu einer signifikanten Reduktion der durch die lineare Beziehung ungeklärten Varianz. Dieser Test erfolgte nach HOFSTSTTER & WENDT ( 1 9 6 7 , p. 2 2 9 ) , In der Experimentalgruppe liegen die Korrelationen zwischen .97 und .99 (Median .98), in der Kontrollgruppe zwischen .92 und .99 (Median .98). Eine eindeutige Entscheidung zugunsten der hier vorgeschlagenen Interpretation oder der von LILLI & LEHNER ( 1 9 7 1 ) ist also nicht möglich. In der Experimentalgruppe liegen die AbweiTab. 1: Varianzanalyse der AV „Klassifikationseffekte" (Summe der Abweichungen von der Regression innerhalb einer Klasse) Quelle zwischen

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