Wissenschaftsmuseen: Das Berliner Medizinhistorische Museum der Charité und die Londoner Wellcome Collection als Orte des Wissens 9783839450857

The museum as a place of the transformation of knowledge. Exemplary analyses of the connection between exhibit and prese

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Wissenschaftsmuseen: Das Berliner Medizinhistorische Museum der Charité und die Londoner Wellcome Collection als Orte des Wissens
 9783839450857

Table of contents :
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Inhalt
Dank
Vorbemerkung
1. Einleitung
1.1 Der Wandel des Wissens im Museum
1.2 Untersuchungskorpus
1.3 Ziel
1.4 Herangehensweise und methodisches Vorgehen
1.4.1 Ausgangslage – Museen und ›Dinggeschichte‹
1.4.2 Vorgehensweise
2. Theoretisches
2.1 Begriffe und Konzepte
2.1.1 Epistemologie
2.1.2 ›Dinggeschichte‹ nach Korff
2.1.3 Kultursemiotik nach Jana Scholze
2.2 Museale Realisierungsformen
2.2.1 Die Sammlung/Das Depot
2.2.2 Die Dauerausstellung
2.2.3 Die Sonderausstellung
2.3 Zusammenhang zwischen Gestaltung und Inszenierung
3. Das Berliner Medizinhistorische Museum der Charité
3.1 Das Museum und seine Geschichte
3.1.1 Die Dauerausstellung Dem Leben auf der Spur
3.1.2 Die Sonderausstellung Visite im Depot
3.1.3 Die Interventionsausstellung Die Seele ist ein Oktopus
3.1.4 Das Depot
3.2 Der repräsentative Zusammenhang der Dinge
3.2.1 In der Dauerausstellung: Präparat No. 2119
3.2.2 In der Interventionsausstellung: Präparat Enzephalomalazie
3.2.3 Im Depot
3.3 Zusammenfassung
4. Die Wellcome Collection in London
4.1 Das Museum und seine Geschichte – Henry Wellcome und seine Visionen
4.1.1 Dauerausstellung Medicine Now
4.1.2 Dauerausstellung Medicine Man
4.1.3 Sonderausstellung Electricity
4.1.4 Das Depot
4.2 Der repräsentative Zusammenhang der Dinge
4.2.1 In der Dauerausstellung Medicine Now: The Library of the Human Genom
4.2.2 In der Dauerausstellung Medicine Man: Metal Instruments
4.2.3 In der Sonderausstellung Electricity: X. laevis (Spacelab) 2017
4.2.4 Im Depot
4.3 Zusammenfassung
5. Zusammenfassung
6. Literaturverzeichnis

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Stefanie Kohl Wissenschaftsmuseen

Edition Museum  | Band 43

Für mich. Geschafft.

Stefanie Kohl, geb. 1985, ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Germanistik der Universität Rostock. Ihre Forschungsschwerpunkte liegen in der Museums- und Ausstellungstheorie.

Stefanie Kohl

Wissenschaftsmuseen Das Berliner Medizinhistorische Museum der Charité und die Londoner Wellcome Collection als Orte des Wissens

Die vorliegende Publikation wurde 2018 unter dem Titel »Der repräsentative Zusammenhang der Dinge. Formen des Wissens und die Modi ihrer Inszenierung in musealen Kontexten« als Dissertation an der Universität Rostock eingereicht. Gefördert mit Mitteln der Johannes und Annitta Fries Stiftung.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

© 2020 transcript Verlag, Bielefeld Alle Rechte vorbehalten. Die Verwertung der Texte und Bilder ist ohne Zustimmung des Verlages urheberrechtswidrig und strafbar. Das gilt auch für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und für die Verarbeitung mit elektronischen Systemen. Umschlaggestaltung: Maria Arndt, Bielefeld Umschlagabbildung: Thomas Rüdesheim/pixabay.com Druck: Majuskel Medienproduktion GmbH, Wetzlar Print-ISBN 978-3-8376-5085-3 PDF-ISBN 978-3-8394-5085-7 https://doi.org/10.14361/9783839450857 Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier mit chlorfrei gebleichtem Zellstoff. Besuchen Sie uns im Internet: https://www.transcript-verlag.de Unsere aktuelle Vorschau finden Sie unter www.transcript-verlag.de/vorschaudownload

Inhalt

Dank ............................................................................... 7 Vorbemerkung...................................................................... 9 1. Einleitung ........................................................................13 1.1 Der Wandel des Wissens im Museum ......................................................... 13 1.2 Untersuchungskorpus ............................................................................. 14 1.3 Ziel..................................................................................................... 18 1.4 Herangehensweise und methodisches Vorgehen...........................................20 1.4.1 Ausgangslage – Museen und ›Dinggeschichte‹....................................20 1.4.2 Vorgehensweise ...........................................................................24 2. Theoretisches ................................................................... 31 2.1 Begriffe und Konzepte ........................................................................... 34 2.1.1 Epistemologie ............................................................................. 34 2.1.2 ›Dinggeschichte‹ nach Korff ...........................................................37 2.1.3 Kultursemiotik nach Jana Scholze ...................................................42 2.2 Museale Realisierungsformen .................................................................. 48 2.2.1 Die Sammlung/Das Depot .............................................................. 48 2.2.2 Die Dauerausstellung.....................................................................59 2.2.3 Die Sonderausstellung .................................................................. 63 2.3 Zusammenhang zwischen Gestaltung und Inszenierung ................................. 67 3. Das Berliner Medizinhistorische Museum der Charité ............................ 71 3.1 Das Museum und seine Geschichte ............................................................ 71 3.1.1 Die Dauerausstellung Dem Leben auf der Spur .................................... 76 3.1.2 Die Sonderausstellung Visite im Depot...............................................92 3.1.3 Die Interventionsausstellung Die Seele ist ein Oktopus ..........................94

3.1.4 Das Depot ...................................................................................96 3.2 Der repräsentative Zusammenhang der Dinge............................................. 98 3.2.1 In der Dauerausstellung: Präparat No. 2119 .........................................99 3.2.2 In der Interventionsausstellung: Präparat Enzephalomalazie ................ 110 3.2.3 Im Depot ................................................................................... 121 3.3 Zusammenfassung ...............................................................................124 4. Die Wellcome Collection in London .............................................. 127 4.1 Das Museum und seine Geschichte – Henry Wellcome und seine Visionen ......... 127 4.1.1 Dauerausstellung Medicine Now ..................................................... 138 4.1.2 Dauerausstellung Medicine Man...................................................... 148 4.1.3 Sonderausstellung Electricity ........................................................ 153 4.1.4 Das Depot ..................................................................................156 4.2 Der repräsentative Zusammenhang der Dinge............................................ 158 4.2.1 In der Dauerausstellung Medicine Now: The Library of the Human Genom ..................................................................................... 158 4.2.2 In der Dauerausstellung Medicine Man: Metal Instruments ..................... 174 4.2.3 In der Sonderausstellung Electricity: X. laevis (Spacelab) 2017...............195 4.2.4 Im Depot .................................................................................. 203 4.3 Zusammenfassung .............................................................................. 206 5. Zusammenfassung .. ........................................................... 211 6. Literaturverzeichnis .... ........................................................ 219 Print................................................................................................... 219 Online ................................................................................................ 228 7. Abbildungsverzeichnis ......................................................... 233

Dank

Dieses Buch beruht auf meiner Dissertation, die im März 2018 an der Philosophischen Fakultät der Universität Rostock angenommen wurde. Die wissenschaftliche Arbeit daran hat mich viele Jahre begleitet, auf die eine oder andere Art und Weise. Mein Dank gilt allen, die mich in dieser Zeit unterstützt und ermutigt haben, weiter zu machen, durchzuhalten und die Arbeit fertig zu stellen, immer dem Motto folgend »Was man nicht erfliegen kann, muß man erhinken«. Ich danke den Freunden, Förderern, Kollegen, den Kopf-zurecht-Rückern, Mir-Zugewandten, (Postkarten-)Motivationskünstlern, Theorie-Assen, Korrekturlesern und Mitfieberern. Einigen Personen gilt mein besonderer Dank: Ein herzliches Dankeschön möchte ich an meinen Doktorvater Prof. Holger Helbig richten, dem ich nicht nur das Interesse und die Leidenschaft für Museen und Ausstellungen verdanke. Durch das auf mich abgestimmte Mischverhältnis aus Vertrauen, konstruktivem Austausch, Mahnung, gebotener Strenge und Pragmatismus verdanke ich ihm letztlich auch die Fertigstellung meiner Doktorarbeit zur rechten Zeit. Meinen Eltern und meinem Bruder Andreas danke ich dafür, dass sie das Projekt Dissertation über die Jahre mit kritischem und zugleich staunendem Blick begleitet und bis zum Schluss daran geglaubt haben: »Du machst das schon«. Ein großer Dank gebührt auch den Gutachtern der Arbeit, Prof. Thomas Schnalke und Prof. Hans-Uwe Lammel. Einerseits hätte ohne ihre Unterstützung das Promotionsverfahren nicht so zügig abgeschlossen werden können, andererseits verdanke ich ihnen wertvolle Hinweise für die Überarbeitung der Arbeit. Ich danke allen, die mir freundlich Auskunft gewährt und sich die Zeit genommen haben, meine Fragen zu beantworten, insbesondere James Peto,

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Wissenschaftsmuseen

Head of Public Programmes der Wellcome Collection und Dipl.-Biol. Beate Kunst vom Medizinhistorischen Museum der Charité. Ich danke Christoph Geiger und allen anderen Rechteinhabern für die Genehmigung zum Abdruck der Abbildungen. Last but not least danke ich der Johannes und Annitta Fries Stiftung für die Gewährung eines großzügigen Druckkostenzuschusses und dem transcript Verlag für die Begleitung bei der Produktion des Buches.

Vorbemerkung

In den letzten zehn bis fünfzehn Jahren ließ sich in Deutschland ein Anstieg der jährlichen Museumsbesuche verzeichnen.1 So hat das Institut für Museumsforschung für das Jahr 2017 über 114 Millionen Museumsbesuche2 ermittelt. Nicht allein daraus ergibt sich ein Interesse am Forschungsgegenstand Museum. Auffällig ist vor allem, dass Museen vielmehr als Orte des Wissens in den Fokus des Interesses kamen – aus dem Blickwinkel verschiedener Fachdisziplinen und unter ganz verschiedenen Aspekten. Unter diese Entwicklung fallen beispielsweise die sprachhistorische Aufarbeitung des Begriffs und die daran geknüpften Vorstellungen von Museum als Institution3 , die Erörterung der gesellschaftlichen Funktion von Museen aus soziologischer Sicht4 , oder die breite Forschung zu museumspädagogischen Fragen, wie sie unter anderem in den Zeitschriften Museumskunde und Museum heute erfolgt. Museen sind, weil sie Zeugnisse gesellschaftlicher Entwicklungen sammeln, bewahren, pflegen und der Allgemeinheit zugänglich machen Orte des Wissens. Die Beschäftigung mit Wissen hat sich in den vergangenen Jahren zu 1

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Eine Ausnahme bilden die Jahre 2013 und 2016, in denen die Zahl der Museumsbesuche im Vergleich zum Vorjahr jeweils um knapp zwei Prozentpunkte gesunken ist. Bereits 2017 war die Zahl der Museumsbesuche jedoch wieder auf dem Stand von 2015. Vgl. Statistische Gesamterhebung an den Museen der Bundesrepublik Deutschland für das Jahr 2017. Online Zugriff unter: www.smb.museum/museen-undeinrichtungen/institut-fuer-museumsforschung/forschung/publikationen/materialien-aus-dem-institut-fuer-museumsforschung.html [Zugriff 13.03.2018]. Siehe ebd. Siehe Blank, Melanie/Debelts, Julia: Was ist ein Museum? …eine »metaphorische Complication…«, Wien: Tutoria + Kant 2002 (Museum zum Quadrat 9). Siehe Kirchberg, Volker: Gesellschaftliche Funktionen von Museen. Makro-, mesound mikrosoziologische Perspektiven, Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften 2005 (Berliner Schriften zur Museumskunde).

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Wissenschaftsmuseen

einem zentralen Thema entwickelt und ist zum Gegenstand verschiedenster Forschungen und Fachrichtungen geworden. Diese Entwicklung kommt in einer Informations- und Kommunikationsgesellschaft nicht von ungefähr. So interessieren sich beispielsweise sowohl die philosophische Erkenntnistheorie als auch die Soziologie für den Begriff des Wissens in seinen unterschiedlichen Kontexten.5 Gab es lange Zeit in Bezug auf den Begriff des Wissens in der Ausstellungsund Museumsanalyse nur wenig Forschungsliteratur, zumeist in Einzeluntersuchungen vorliegend6 , deutet sich ab 2012 ein Forschungstrend an: In geringem zeitlichem Abstand entstanden in Wien, Tübingen und Göttingen drei Sammelbände, die Wissen im Titel tragen.7 Alle drei Veröffentlichungen beziehen sich auf universitäre Sammlungen und ihr Potenzial zur Wissensvermittlung. Auffallend ist, dass die Autorinnen und Autoren8 dieser Sammelbände durch ihre Beschäftigung mit ihren Sammlungen die Objekte in den Vordergrund rücken. Gleiches gilt für die Darstellung zur Geschichte des Objektes im Museum von Mario Schulze9 , auch hier stehen die Objekte im Zentrum der Betrachtung. Im museologischen Umgang ist Wissen kein Abstraktum, es muss an etwas ablesbar sein, verdeutlicht und durch etwas transportiert werden – im Museum sind »Gegenstände« des Wissens konkret. Im Nachdenken darüber 5

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Siehe dazu u.a. Kolster, Wedig: Eine Kritik der Wissenschaft aus der Anerkennung der Wahrnehmung als Wissen, Berlin: Dunckler & Humblot 2011; Ammon, Sabine u.a. (Hg.): Wissen in Bewegung. Vielfalt und Hegemonie in der Wissensgesellschaft, Weilerswist: Velbrück Wissenschaft 2007. Vgl. Graf, Bernhard: Ausstellungen als Instrument der Wissensvermittlung. Grundlagen und Bedingungen, in: Museumskunde 68, H. 1, 2003, S. 73-81; Apel, Jennifer: Wissensvermittlung in Ausstellungen, in: Museumskunde 68, H. 1, 2003, S. 56-64. Vgl. Seidl, Ernst/Beck, Thomas/Duerr, Frank (Hg.): Wie Schönes Wissen schafft, Tübingen: Museum der Universität Tübingen 2013 (Schriften des Museums der Universität Tübingen 3); Beitl, Matthias/Blakolmer, Fritz/Fuchs, Martina/Klemun, Marianne/Szemethy, Hubert (Hg.): Gelehrte Objekte? – Wege zum Wissen. Aus den Sammlungen der Historisch-Kulturwissenschaftlichen Fakultät der Universität Wien, Wien: Löcker 2013; Dinge des Wissens. Die Sammlungen, Museen und Gärten der Universität Göttingen, herausgegeben von der Georg-August-Universität Göttingen, Göttingen: Wallstein 2012. In den folgenden Textabschnitten wird lediglich die maskuline Form der Substantive oder eine äquivalente neutrale Form verwendet. Diese Entscheidung wurde wegen der besseren Lesbarkeit getroffen. Schulze, Mario: Wie die Dinge sprechen lernten. Eine Geschichte des Museumsobjektes 1968-2000, Bielefeld: transcript 2017 (Edition Museum 25).

Vorbemerkung

rückt die materiale Verfasstheit von Wissen in den Vordergrund. Objekte aus Sammlungen illustrieren demnach nicht einfach nur Wissen, sie werden – gerade im akademischen Kontext – selbst zu Bedeutungsträgern, über die Wissen weitergegeben und generiert werden kann. Zur Erkenntnisgewinnung und zum Zwecke des Staunens wurden Objekte aus Natur, Kunst und Wissenschaft über Jahrhunderte hinweg gesammelt. Ihrem jeweiligen Kontext entnommen, wurden sie neben andere Dinge und Objekte gestellt – in neue Kontexte gebracht. Mit den wissenschaftlichen und naturgeschichtlichen Sammlungen seit dem 17. Jahrhundert entstand das Museum als Raum des Wissens, in dem die klassifikatorische Verteilung der Dinge und damit die Ordnung der Welt überblickend betrachtet werden konnte. Das Krokodil hing jetzt nicht mehr als bewunderungswürdiges Objekt unter der Decke, sondern ihm wurde Wissen zugeschrieben – es wurde katalogisiert und klassifiziert: gesammelte Schmetterlinge im Kasten führten nicht mehr so sehr ihre symmetrische Schönheit vor Augen, sondern standen für eine Ordnung und ein System der Natur. Die Dinge der Sammlungen dienten als Anschaulichkeiten, die das bestehende Wissen der Welt vermitteln sollten.10 Neil MacGregors A History of the World in 100 Objects11 hat 2010 populärwissenschaftlich eine Forschungsrichtung aufgegriffen: Er hat Exponate, die ausgestellten Objekte im Museum beziehungsweise einer Ausstellung in das Zentrum seiner Betrachtung gestellt. Dies hatte die Wissenschaftshistorikerin

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te Heesen, Anke/Lutz, Petra: Einleitung, in: dies. (Hg.): Dingwelten. Das Museum als Erkenntnisort, Köln u.a.: Böhlau 2005 (Schriften des Deutschen Hygiene-Museums Dresden 4), S. 12-13. Anke te Heesen verweist hier auf Lorraine Daston und Katherine Park: Wunder und die Ordnung der Natur 1150-1750, Frankfurt a.M. 2002, S. 98-100, und auch S. 180 und S. 319; und für den sich vollziehenden Wandel im 18. und 19. Jahrhundert auf ihre eigene Publikation zum Sammeln, vgl. te Heesen, Anke/Spary, E.C. (Hg.): Sammeln als Wissen. Das Sammeln und seine wissenschaftshistorische Bedeutung, Göttingen 2001. MacGregor, Neil: A History of the World in 100 Objects, London: Allen Lane 2010. In der deutschen Übersetzung ist »Eine Geschichte der Welt in 100 Objekten« 2011 im Beck Verlag erschienen.

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Wissenschaftsmuseen

Lorraine Daston mit Things that Talk: Object Lessons from Art and Science12 bereits acht Jahre zuvor beschrieben und fachlich untermauert. Für das Verständnis von musealen Kontexten haben diese Forschung und die damit verbundenen Perspektiven auf wissenschaftliche und künstlerische Objekte immer mehr an Bedeutung gewonnen. Von Lorraine Daston und auch von MacGregor wurden die Weichen für eine Objektforschung gestellt, die das Objekt selbst zum Gegenstand der Erkenntnis macht. Diese Sichtweise wird langfristig akademische Forschung und Museumsforschung einander näher bringen. Ausgehend vom historischen Wandel der wissenschaftlichen Aufmerksamkeit für ein Objekt soll die ›Epistemologie der Dinge”13 in den Mittelpunkt der Analyse der vorliegenden Promotionsschrift gerückt werden.

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Vgl. Daston, Lorraine: Things That Talk. Object Lessons from Art and Science, New York: Zone Books 2002. 2011 ist hierzu von Lorraine Daston auch Histories of Scientific Observations erschienen. Vgl. Daston, Lorraine/Lunbeck, Elisabeth: Histories of Scientific Observations, Chicago: University of Chicago Press 2011. Rheinberger, Hans-Jörg: Epistemologica: Präparate, in: te Heesen, Anke/Lutz, Petra (Hg.): Dingwelten. Das Museum als Erkenntnisort, Köln u.a.: Böhlau 2005 (Schriften des Deutschen Hygiene-Museums Dresden 4), S. 66-75.

1. Einleitung

1.1

Der Wandel des Wissens im Museum

Seit der Entstehung des Museums aus den Kunst- und Wunderkammern hat sich die Institution in die vielfältigsten Museumstypen und Spezialmuseen entwickelt und differenziert. Dazu zählen neben Kunst-, Literatur-, Naturkunde-, und Kulturhistorischen Museen auch Wissenschaftsmuseen. Wissenschaftsmuseen signalisieren bereits in ihrem Namen die enge Verbindung von Wissen, Wissenschaft und Museum. Während das Museum als Institution die Basis darstellt, bestimmen Wissen und Wissenschaft die Besonderheiten der Institution. Der Name – Wissenschaftsmuseum – ist gewissermaßen Programm: nach außen in die Öffentlichkeit, nach innen als eine Übereinkunft, die die Spezifika des jeweiligen Museums bestimmen und Identifikationsmöglichkeiten für die im Museum Beschäftigten bieten. Diese Verbindung – das Museum als Ort von Wissen und Wissenschaft – greift die vorliegende Untersuchung auf und nimmt das Museum über den Ort des Wissens hinaus als Medium des Wandels von Wissen in den Blick. Die Untersuchung thematisiert das Netz der Beziehungen zwischen Wissensformen und ihrer Funktionalisierung im Museum. Von der Sammlung und dem Depot über die Dauerausstellung bis hin zur Sonderausstellung steht in jedem Bereich des Museums die Frage nach dem Wissen, das durch die Dinge, die in der musealen Ausstellung zu sehen sind, repräsentiert wird, im Vordergrund. Für eine Untersuchung, die sich auf diesen Typus von Museum fokussiert, sind darum zuvorderst die Termini Wissen und Wissenschaft und darauf aufbauend die Komposita Wissenschaftsmuseum und Wissenschaftsausstellung kurz zu erläutern. Die Überlegungen orientieren sich an den Fragestellungen: Was ist Wissen? Welche Formen von Wissen gibt es? Wie definiert sich Wissenschaft? Was macht ein Museum/eine Ausstellung zum Wissenschaftsmuseum/zu ei-

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Wissenschaftsmuseen

ner Wissenschaftsausstellung? Wie wird sichtbar, dass es sich um Wissenschaft handelt? Als eine erste Arbeitsdefinition lässt sich Wissen zunächst verstehen als eine sich ständig transformierende Form der Wirklichkeitswahrnehmung, die in unterschiedlichen medialen Ausprägungen auftreten kann. Während der Analyse werden die ausgestellten Exponate, die einzelnen Dinge unter dem Aspekt des Wissenstransfers in das Zentrum der vorliegenden Untersuchung gestellt. Ziel ist es, den Zusammenhang zwischen den stellvertretend durch die Exponate dargestellten Formen von Wissen und die Art und Weise ihrer Inszenierung zu analysieren. Als Ergebnis dieser Analyse soll der Transfer von Wissen in Museen sichtbar und nachvollziehbar gemacht werden – auch, um die ›Dinggeschichte‹ von den Rändern der Forschung mehr in den Mittelpunkt historischer und kulturwissenschaftlicher Forschung zu rücken.1

1.2

Untersuchungskorpus

An Wissenschaftsmuseen, die für die Untersuchung in Frage kämen, mangelt es nicht. Weltweit gibt es eine Vielzahl von Wissenschaftsmuseen, die in ihrer Bandbreite alle wissenschaftlichen Disziplinen abdecken. Es galt ganz klar eine Auswahl zu treffen, die auf der einen Seite repräsentativ ist, auf der anderen Seite aber auch den möglichen Rahmen einer Untersuchung nicht sprengt. Vorüberlegungen zu einer Auswahl gingen in unterschiedliche Richtungen. Die Recherche zeigte diverse Möglichkeiten. Zunächst wurden Wissenschaftsmuseen in Betracht gezogen, die aufgrund ihrer Bekanntheit und Reputation zu berücksichtigen wären. Zu diesen renommierten Museen gehört beispielsweise das MIT Museum in Boston. The MIT Museum shares the creative energy of the Massachusetts Institute of Technology through an exciting array of exhibitions that will leave you amazed and inspired by the many scientific, artistic and technological innovations […].2 1 2

Vgl. auch Abschnitt 1.3 der vorliegenden Untersuchung. https://mitmuseum.mit.edu/explore[Zugriff 03.11.2019].

1. Einleitung

Das Museum ist an das Massachusetts Institute of Technology (kurz MIT) gebunden, einer nordamerikanischen Universität in Boston, die zu den amerikanischen Eliteuniversitäten zählt und zu den weltweit maßgebenden Universitäten auf dem Gebiet technologischer Forschung und Lehre gehört. Im Programm für Forschung und Lehre heißt es: The mission of MIT is to advance knowledge and educate students in science, technology, and other areas of scholarship that will best serve the nation and the world in the 21st century. The Institute is commited, disseminating and preserving knowledge, and to working with other to bring this knowledge to bear on the world’s greatest challenges. […] We seek to develop in each member of the MIT community the ability and passion to work wisely, creatively, and effectively for the betterment of humankind.3 Das Museum trägt die Ideen der Universität mit und kann als Archetyp eines Wissenschaftsmuseums betrachtet werden. Trotz dieser faszinierenden Konstellation wurde das Bostoner Museum nicht zum Gegenstand der vorliegenden Untersuchung gemacht. Die Zusammenstellung des Untersuchungskorpus folgte letztlich auch pragmatischen Überlegungen: für die Forschung von Interesse und für diese leicht zugänglich und, die Möglichkeit von Mehrfachbesuchen. Zusätzlich wurden Museen und Ausstellungen ausgewählt, die interessante Forschung versprachen und bei denen im Vorfeld durch Besuche und Recherche bereits abzusehen war, dass sich im Hinblick auf die Thematik möglichst viel zeigen lassen würde. Die Recherche ergab, dass eines der Museen, bei dem dies auf jeden Fall gegeben ist, das Berliner Medizinhistorische Museum der Charité ist. Dieses Berliner Museum wurde 1998 gegründet, blickt aber auf eine relativ lange Geschichte zurück, die 1710 mit der Gründung der Charité ihren Anfang nahm. Das 1899 eröffnete Pathologische Museum, das von Rudolf Virchow (1821-1902), einem erfolgreichen Pathologen an der Charité, gegründet wurde, ist der Ursprung des Berliner Medizinhistorischen Museums der Charité. Seit dem Wirken Virchows ist die Sammlung zur Medizingeschichte über die Jahre stetig gewachsen und hat sich ausdifferenziert. Das heutige Museum ist ein bedeutender Teil auch der Berliner Institutionen- und Wissenschaftsgeschichte und wird aktiv beforscht. Die Sammlung ist dauerhaft an die Institution der Charité gebunden, aus ihr speisen sich eine Dauerausstellung zur Medizinge3

http://web.mit.edu/mission.html[Zugriff 03.11.2019].

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Wissenschaftsmuseen

schichte und diverse Sonderausstellungen mit medizinhistorischem Hintergrund. Neben dem Berliner Medizinhistorischen Museum der Charité stand für die Untersuchung das Deutsche Hygiene-Museum in Dresden zur Diskussion. Diese Institution hat ihre Wurzeln in den Bemühungen um die Gesundheitsaufklärung der breiten Bevölkerung, daraus resultiert auch die Benennung des Hauses. Das Dresdner Hygiene-Museum verfügt ebenfalls über eine eigene Sammlung, eine Dauerausstellung, die zwischen 2014 und 2017 modular überarbeitet und erneuert wurde, und kann darüber hinaus eine verhältnismäßig große Fläche für Sonderausstellungen nutzen. Es lässt sich beobachten, dass diese Ausstellungen seit einigen Jahren verstärkt dafür genutzt werden, kulturhistorische Themen, also Themen mit breiter gesellschaftlicher Relevanz, auszustellen.4 Auch wenn die Vermittlung von Wissenschaft, die Generierung von Wissen, angesichts dessen nicht im Vordergrund zu stehen scheint, versteht sich das Dresdner Hygiene-Museum dennoch als Wissenschaftsmuseum. Die Aufnahme des Dresdner Hygiene-Museums in den Untersuchungskorpus wäre kontrastiv zum Charité-Museum sehr erkenntnisreich gewesen. Trotz eines vitalen Interesses, den Untersuchungskorpus um dieses Museum zu erweitern und damit zu vergrößern, blieb es letztlich – mit Bezug auf Deutschland – bei der Beschränkung auf das Berliner Medizinhistorische Museum der Charité. Dennoch böte sich für zukünftige Forschungsarbeiten nicht nur eine Analyse des Dresdner Hygiene-Museums, sondern auch ein Vergleich an, gerade auch zwischen den verschiedenen medizinhistorischen Museen im deutschen Raum.5 4

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Zu nennen sind hier aus den vergangenen Jahren insbesondere die Ausstellungen Freundschaft. Die Ausstellung über das, was uns verbindet, die von April bis November 2015 zu sehen war, AIDS. Nach einer wahren Begebenheit, zu sehen von September 2015 bis Februar 2016, Sprache. Welt der Worte, Zeichen, Gesten, die von September 2016 bis August 2017 in Kooperation mit der Deutschen Akademie der Sprache und Dichtung in Dresden gezeigt wurde, eine Ausstellung, die Scham thematisierte: Scham. 100 Gründe, rot zu werden, von November 2016 bis Juni 2017, und die Sonderausstellung Rassismus. Die Erfindung von Menschenrassen, zu sehen von Mai 2018 bis Anfang Januar 2019. Siehe www.dhmd.de/ausstellungen/rueckblick/ [Zugriff 13.03.2018]. In der Publikation Themen zeigen im Raum werden die Ausstellungspraxen des Hauses in den vergangenen Jahren reflektiert. Vgl. Staupe, Gisela/Vogel, Klaus (Hg.): Themen zeigen im Raum. Ausstellungen des Deutschen Hygiene-Museums, Berlin u.a.: Hatje Cantz Verlag 2018. Dazu zählen das Medizinhistorische Museum in Ingolstadt und auch das Medizinhistorische Museum in Hamburg.

1. Einleitung

Bei der Suche nach einem Wissenschaftsmuseum außerhalb Deutschlands, aber im europäischen Raum gelegen, stellte sich bei der näheren Beschäftigung mit wissenschaftshistorischen Museen die Londoner Wellcome Collection als geeigneter Untersuchungsgegenstand heraus. Dieses Haus verfügt über eine Entwicklungsgeschichte, die eng mit einer Person, der Henry Wellcomes (1853-1936), und deren extrem ausgeprägter Sammelleidenschaft verbunden ist. Darüber hinaus ist die Wellcome Collection wie das Berliner Museum in die gesellschaftlichen Entwicklungen eingebettet, widmet sich ebenfalls der Geschichte der Medizin und vermittelt diese über verschiedene Präsentationsformen der Öffentlichkeit. Beide Museen sind vor diesem Hintergrund Gegenstand der vorliegenden Untersuchung. Mittelbar auf den Gegenstand bezogen wurden punktuell Überlegungen zur Ausstellung WeltWissen. 300 Jahre Wissenschaften in Berlin mit einbezogen, die von 2010 bis 2011 in Berlin zu sehen war und als ein Beispiel für eine Wissenschaftsausstellung ausgewählt wurde. WeltWissen war die erste bundesweit wahrgenommene Wissenschaftsausstellung in dieser Größenordnung. Ihr Konzept und die Gestaltung wurden zum Vorbild für weitere Ausstellungen dieser Art. Die Ausstellung hatte keine eigene Sammlung, sondern griff auf Objekte aus vielen verschiedenen Sammlungen und Depots innerhalb und außerhalb von Berlin zurück. Dies war für die Untersuchung interessant: zum einen unter dem Aspekt, in wie viele verschiedene Kontexte ein Objekt in einer Sammlung, vor allem aber außerhalb der Sammlung gebracht werden kann, und zum anderen unter dem Aspekt des Bedeutungswandels, den das Objekt beim Übergang von einer Sammlung in eine andere vollzieht. Aus diesem Blickwinkel ist die Aufnahme der WeltWissen-Ausstellung in den Untersuchungskorpus gerechtfertigt. Über Wissenschaftsmuseen und -ausstellungen hinaus wurde in Betracht gezogen, auch Science Center in die Untersuchung einzubeziehen. Der Begriff des Museums ist in Deutschland nicht geschützt. Seit den 1980er Jahren ist eine Tendenz erkennbar, den Museumsbegriff auszuweiten und unterschiedlichste Einrichtungen als Museum zu bezeichnen. Neben Wissenschaftsmuseen haben sich besonders in den letzten fünfzehn Jahren Science Center etabliert. Diese Ausstellungszentren, die sich vorwiegend den Naturwissenschaften und der Technik widmen, können jedoch nicht als Synonym für Wissenschaftsmuseen gelten, da sie sich nicht unerheblich von diesen unterscheiden.

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Wissenschaftsmuseen

Die Gründe hierfür sind in der grundlegenden Definition von Museen zu finden: Während das Museum, und damit auch das Wissenschaftsmuseum, gekennzeichnet ist durch die vom International Council of Museums (ICOM) formulierten klassischen Aufgaben des Sammelns, Forschens, Bewahrens, Präsentierens und Vermittelns, haben Science Center andere spezifische Zielsetzungen. Zumeist gekoppelt an eine wissenschaftliche Institution soll Wissen hier auf spielerische Weise in künstlerisch gestalteten Erlebnisräumen vermittelt werden. Unabhängig von einem bestimmten Sammlungsbestand erarbeitet man in Science Centern ansprechende Themen und bereitet diese mit verschiedensten Methoden und unter vielfältigen interaktiven Möglichkeiten und Sinneserfahrungen für die Besucher auf. Anders als in klassischen Sammlungsmuseen werden hier nur selten Originalstücke in Vitrinen präsentiert, sondern Gebrauchsgeräte zum Experimentieren. Science Center rücken ihre Trägerinstitution in eine museale Position und können also als Wechselausstellungen ohne musealen Hintergrund, als Ausstellungshaus, verstanden werden.6 Die gemeinsame Schnittmenge, die Wissenschaftsmuseen und Science Center haben, bleibt klein. Gerade im Hinblick darauf, dass in der Untersuchung nachverfolgt wird, wie sich das Wissen von einer musealen Organisationsform in die nächste verändert – das zugrundeliegende Wissen als auch das generierte Wissen – werden Science Center aus der Untersuchung ausgeklammert. Diese Entscheidung dient der Eingrenzung des Themas der vorliegenden Untersuchung. Das heißt nicht, dass zum Beispiel eine Analyse der Wirkungsweise von Science Centern im Verhältnis zu Wissenschaftsmuseen nicht von wissenschaftlichem Interesse in der Museumsforschung sein könnte.

1.3

Ziel

Die vorliegende Untersuchung hat das Ziel, den Zusammenhang zwischen den stellvertretend durch die Museumsexponate dargestellten Formen von Wissen und die Art ihrer Inszenierung zu analysieren und im Zuge dessen die Aussagefähigkeit von Objekten, von Museumsdingen, zu beschreiben und zu erläutern und dabei bewusst zu machen, wie ein Ding in seiner Wirkung 6

Zu den Science Centern in Deutschland gehören zum Beispiel das Science Center Spectrum in Berlin, das Universum Bremen, das auch als Erlebnismuseum beworben wird, oder das phæno in Wolfsburg.

1. Einleitung

unterschiedlich begriffen werden kann. Als Ergebnis dieser Analyse soll der Transfer von Wissen und Wissenschaft im Museum sichtbar gemacht werden.7 Mit diesem Ziel ist nicht nur verbunden, die Veränderbarkeit von Objekten und Sichtweisen exemplarisch zu erfassen, sondern auch – mittel- und unmittelbar – die ›Dinggeschichte‹, die objektbezogene Forschung mehr in den Mittelpunkt zu rücken und zu stärken. Auch um zu Verallgemeinerungen zu kommen, die mit Bezug auf museale Räume eine gewisse Gültigkeit haben können. Mit der Realisierung dieser Ziele ist in der vorliegenden Untersuchung der Rückgriff auf einige wichtige wissenschaftliche Arbeiten zur Epistemologie verbunden. Damit soll das Nutzen dieser Forschung sowohl nachvollziehbar machen als auch hervorheben, was speziell eine objektbezogene Forschung aktuell leisten kann. Um dieses Ziel, das Ding in den Mittelpunkt historischer und kulturwissenschaftlicher Forschung zu stellen, um die Aussagekraft des Objektes zu nutzen, zu erreichen, wurden in der vorliegenden Untersuchung zwei Schwerpunkte in der Beschreibung und Analyse von Wissenschaftsmuseen bearbeitet: Den ersten Schwerpunkt bildet die Objektbiographie als Ausgangspunkt der Betrachtungen und Bewertungen, die ›Dinggeschichte‹, ein Begriff, der von Gottfried Korff geprägt wurde, während der zweite Schwerpunkt in den Realisierungsformen der Präsentation in der Sammlung/dem Depot, in der ständigen Ausstellung sowie in der Sonderausstellung liegt. Eine Gesamtdarstellung mit einer solchen Themenstellung gibt es meines Wissens bislang noch nicht. Derzeit liegen lediglich Einzeluntersuchungen vor.

7

Der Sammelband »Wissenschaft im Museum. Ausstellung im Labor« kehrt die Forschungsfrage um und fragt danach, wie viel Museum in den Wissenschaften steckt, »welche Präsentationspraktiken aus den Museen und Ausstellungen in die Wissenschaftsräume diffundierten.« Siehe te Heesen, Anke/Vöhringer, Margarete (Hg.): Wissenschaft im Museum. Ausstellung im Labor, Berlin: Kulturverlag Kadmos 2014 (LiteraturForschung 20).

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Wissenschaftsmuseen

1.4 1.4.1

Herangehensweise und methodisches Vorgehen Ausgangslage – Museen und ›Dinggeschichte‹

– Das semiotische Potenzial der Dinge – Die Prämisse der vorliegenden Untersuchung, den Transfer von Wissen und Wissenschaft im Museum darzustellen, basiert auf einer grundlegenden Funktionsweise, wie sie in jedem Museum – auch im Wissenschaftsmuseum – zu beobachten ist: Im Museum kann ein und dasselbe Ding nacheinander in zwei verschiedenen Ausstellungen gezeigt und dadurch können zwei vollkommen unterschiedliche Bedeutungen realisiert werden. Es steht jeweils in zwei semantisch anders aufgeladenen Kontexten und wird folglich auf mehr als eine Art wahrgenommen. Es kann auf mehr als eine Art von Wissen verweisen, mehr als eine Art von Wissen repräsentieren. Auf dieses semiotische Potenzial der Dinge8 greifen Ausstellungsmacher in ihren Konzeptionen zurück. Je nachdem welches Konzept der Ausstellung zugrunde liegt, bemühen sie sich, die Geschichte, die das Ding durchlaufen hat, die ›Dinggeschichte‹, die zunächst nur der Sammlungsverantwortliche und der Kurator im Detail kennen, in den Fällen, in denen es für das Verständnis wichtig ist, so zu inszenieren, dass die jeweils gewünschte ›Aussage‹ beim Besucher sinnfällig wird. Bezogen auf das einzelne Ding handelt es sich um Kontextualisierungen des Exponierten, die Bedeutungen schaffen, verändern, neu gewichten, erweitern oder fokussieren. Das Potenzial der Dinge ist dabei nicht grenzenlos – es gibt nicht unendlich viele Möglichkeiten der Bedeutungszuschreibung an ein Objekt –, Materialität und Geschichte eines jeden Objektes setzen den Rahmen der möglichen Bedeutungszuschreibungen. Der Ausgangspunkt der Dingbedeutung ist semiotisch grundiert – jedes Ding besitzt nach Umberto Eco9 Potenzial, als etwas anderes aufgefasst zu werden, als es ist. Die Kontexte schaffen den Zusammenhang zwischen den zwei Geschichten, die durch das Ding vertreten werden. Zum einen die Geschichte, die dem Ding anhaftet, die es besitzt, und zum anderen die Geschichte der Bedeutung, die durch die Ausstellung dargestellt werden soll. 8

9

Korff, Gottfried: Museumsdinge. Deponieren – Exponieren, herausgegeben von Eberspächer, Martina/König, Gudrun Marlene/Tschofen, Bernhard, 2., ergänzte Auflage, Köln/Weimar/Berlin: Böhlau 2007. Eco, Umberto: Einführung in die Semiotik, 8., unveränderte Auflage, München: Wilhelm Fink 1994.

1. Einleitung

Die Kontexte, in die das Ding gelangt ist, ermöglichen es, das Zeichen zu decodieren. Die Anwesenheit eines Dinges in verschiedenen Kontexten lässt sich als Repräsentation von Aussagen in verschiedenen Wissensordnungen verstehen. Basierend auf diesem Ansatz macht sich ein Konzept der Analyse der einzelnen Dinge des Museums deren Zeichenhaftigkeit zunutze. Das gestattet es, Museumsobjekte auf ihren Zeichencharakter zu beschränken und losgelöst von allen sie dominierenden Eigenschaften ihre ›Dinggeschichte‹ und die Geschichte der wissenschaftlichen Aufmerksamkeit für die einzelnen Dinge zu rekonstruieren. Das Ding im Zentrum, an dem sich der »Prozess der Erkenntnisgewinnung«10 , letztlich also die Darstellung von Wissen vollzieht, wird nach Hans-Jörg Rheinberger als die ›Epistemologie der Dinge‹11 benannt. Rheinberger führt den Schritt der Ablesbarkeit von Wissen an Objekten im zitierten Epistemologica-Aufsatz am Beispiel verschiedener Präparate vor. Dieses Vorgehen wurde im Hinblick auf die Handhabung eines eigenen Analyseinstrumentariums für das Sichtbarmachen der Transferleistung, die einzelne Objekte tragen können, in der vorliegenden Untersuchung adaptiert. Auch die von Rheinberger untersuchten Präparate sind Objekte und als diese werden sie aus ihrem natürlichen Zusammenhang entnommen und in einen anderen theoretisch und praktisch motivierten Zusammenhang gebracht. Dadurch werden Perspektiven eröffnet, die vorher nicht erkennbar waren, es vollzieht sich ein Bedeutungswandel, die Objekte werden zu epistemischen Objekten, zu Erkenntnisdingen. – Museen – ihre Struktur – Den Ausgangspunkt der Analyse bildet eine räumliche Dreiteilung, die mit wenigen Ausnahmen jedem Museum12 eigen ist: Sammlung/Depot, ständige Ausstellung und Sonderausstellung. Diese drei Hauptbereiche, so die Vorannahme, unterscheiden sich wesentlich durch ihren Umgang mit den jeweiligen Objekten, die jeden einzelnen der drei Bereiche ausmachen. So kann in 10

11 12

Rheinberger, Hans-Jörg: Epistemologica: Präparate, in: te Heesen, Anke/Lutz, Petra (Hg.): Dingwelten. Das Museum als Erkenntnisort, Köln u.a.: Böhlau 2005 (Schriften des Deutschen Hygiene-Museums Dresden 4), S. 65-75, hier: S. 65. Vgl. Rheinberger, Hans-Jörg: Epistemologica: Präparate (Anm. 10). Bei Ausnahmen wäre beispielsweise an kleinere Häuser zu denken, etwa Heimat- und Stadtmuseen im ländlichen Raum, die nicht in jedem Fall Flächen für Sonderausstellungen zur Verfügung haben oder über Depoträume verfügen.

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Wissenschaftsmuseen

der Folge auch von unterschiedlich geartetem Wissen in den drei Bereichen ausgegangen werden. Das Netz der Beziehungen, das zwischen diesen Wissensformen und den Funktionalisierungen im Museum besteht, also die Zusammenhänge zwischen den einzelnen Bereichen, war in der Untersuchung genauer zu bestimmen und in einer Theorie des Wissenschaftsmuseums zusammenzufassen. Zur Selbstverständigung werden im Folgenden die drei Bereiche eines Museums kurz skizziert: In der Sammlung, die sich im Depot befindet, einem für den Besucher nicht sichtbaren Bereich eines Museums, dominiert ein Wissen, so die Annahme, das disziplinär und konservatorisch geprägt ist. Auf der Grundlage eines Sammlungskonzeptes werden Dinge gezielt zusammengetragen und in die Sammlung aufgenommen. Die Sammlung greift also auf bereits vorhandenes Wissen zurück und bildet es ab, ordnet und strukturiert es, beispielsweise durch Klassifikationen. Die Dauerausstellung als Sichtbarmachung ausgewählter Objekte aus den verschiedenen Sammlungen des Gesamtbestandes greift ihrerseits auf thematisch breites und historisch dominiertes Wissen zurück. In der Präsentation rekurriert sie auf vorhandene Konzepte. Die Ausformung der Dauerausstellung resultiert aus ihrer Ausrichtung auf eine längerfristige Gültigkeit. Die Dauerausstellung ist in der Regel über mehrere Jahre nahezu unverändert präsent. Sie repräsentiert den Sammlungsbestand eines Museums und hat daher nicht den Anspruch, aktuellste Entwicklungen und Forschungsergebnisse abzubilden. Vielmehr möchte sie beispielsweise einen aussagekräftigen Beitrag zur Veranschaulichung historischer Entwicklungen leisten. Neueste Entwicklungen abzubilden, ist Aufgabe der Sonderausstellung. Diese ist nur über einen begrenzten Zeitraum hinweg zu sehen und zumeist ergänzt durch Leihgaben. Sie repräsentiert als weiteres Substrat aus den Objekten das Museum über seinen bloßen Bestand hinaus. Die Sonderausstellung schafft augenscheinlich besondere Reize für einen Museumsbesuch: sei es thematisch oder durch die Auswahl der Objekte. Hier dominiert klar thematisch zugespitztes und auf Aktualität ausgerichtetes Wissen, das durch den Einsatz verstärkt besucherorientierter Präsentationsformen inszeniert wird. So sichert man sich die Aufmerksamkeit in der Sonderausstellung auf andere Weise als in der permanenten Ausstellung. Die Zusammenschau der Museumsbereiche macht die Dinge und ihre Eigenschaften ›vollständig‹ sichtbar. Sie macht sichtbar, wie die Dinge und damit auch das Wissen auf unterschiedliche Art und Weise inszeniert werden.

1. Einleitung

– Auswahl der Objekte – Auf der Basis dieser Vorannahmen wurden für die vorliegende Untersuchung Kriterien entwickelt, anhand derer der Zusammenhang zwischen den Formen des Wissens und den Modi ihrer Inszenierung in den jeweiligen musealen Kontexten dargestellt wird. Diese Kriterien resultieren aus eigenen Fallstudien, die basierend auf dem oben skizzierten heuristischen Modell der ›Dinggeschichte‹ fassbar und damit abstrakt beschreibbar als Durchlauf der drei Hauptbereiche des Museums entwickelt wurden. Wenn es möglich war, wurde aus jedem der drei Bereiche mindestens ein Objekt ausgewählt. Die Auswahl erfolgte zum einen nach rein pragmatisch darstellerischen Erwägungen, auf der Grundlage der Frage: Welches Objekt scheint repräsentativ für welchen zu zeigenden Sachverhalt? Zum anderen geschah die Auswahl entweder auf Vorschlag von oder in Absprache mit einer verantwortlichen Person vor Ort, die Hinweise darauf geben konnte, welches Objekt das Potenzial besitzt, untersucht zu werden. Dieses dem Objekt unterstellte Potenzial resultierte aus verschiedenen, dem Objekt eigenen Eigenschaften und Faktoren. Immer spielten darüber hinaus bei der Auswahl auch die verschiedenen möglichen Perspektiven, die ein Besucher auf das Objekt haben kann, eine entscheidende Rolle.13 Die Verallgemeinerung der Fallstudien erfolgte entlang einer Sammlung von Leitfragen wie: Welche spezifischen Formen von Wissen sind in den einzelnen Organisationsformen des Museums existent?14 Wie verhalten sie sich zueinander? Welche Formen von Wissen werden auf welche Weise (bevorzugt) repräsentiert, mit welchen Mitteln und welcher Öffentlichkeit? Wie wird der Wandel des Wissens im Museum insgesamt inszeniert? Welches (aktuelle) Verhältnis zur Wissenschaft unterliegt dem Umgang mit Objekten, Exponaten und Medien? Wie wird im Museum/in der Ausstellung sichtbar, dass es sich um Wissenschaft handelt? Welche Form der Gestaltung unterstützt die einzelnen Objekte bereichsspezifisch? Die Fallstudien wurden im Rahmen der Möglichkeiten ergänzt durch qualitative Interviews mit den Kuratoren und Ausstellungsmachern, durch vorhandene Dokumentationen und Berichte über die Museen und die Ausstellungen und Ähnlichem. Um möglichst detaillierte Aussagen über die Präsentationsformen zu machen, mussten sowohl die Perspektiven des Kurators beziehungsweise Ausstellungsmachers als auch die Sicht des Besuchers berück13 14

Siehe Kapitel 1.4.2. Gemeint ist ›existent‹ im Sinne von ›sichtbar‹.

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sichtigt werden. In der Folge fand ein Abgleich der Intentionen statt: welches Selbstbild haben Museumsleiter/Ausstellungsmacher/Verantwortlicher in Bezug auf die von ihnen vertretene Institution – wie schätzen sie das von ihnen in die Öffentlichkeit transportierte Bild vom (gegenwärtigen) Zustand der Wissenschaft ein und welches Bild davon entstand beim Besucher? Welchen Nutzen haben Museen unter dem Aspekt all dieser oben aufgeführten Überlegungen? In der vorliegenden Untersuchung sind solche Fragen und Positionierungen kaum ausgeführt, sie waren dennoch immer sehr bewusst und präsent und bestimmten wenigstens implizit die Analyse – insbesondere in den Interviews und den Vorarbeiten in der Recherche.

1.4.2

Vorgehensweise

– Erfassen der Inhalte und Spezifika – Die Untersuchung folgt bei jedem der Museen demselben methodischen Vorgehen, ohne darüber die jeweiligen Spezifika des Hauses zu vernachlässigen. Der Ansatz wird vielmehr so variiert, dass es möglich ist, alle Besonderheiten zu erfassen. Die Untersuchung stützte sich dabei auf drei verschiedene Zugänge. Zum einen wurde die Institution anhand von publiziertem Material sowohl zur Dauer- als auch zu aktuellen und zurückliegenden Sonderausstellungen untersucht. Darunter fallen Ausstellungskataloge, Dokumentationen, Pressemeldungen, Aufsätze in Fachzeitschriften und der Internetauftritt. Relevant für die Untersuchung waren hierbei Informationen zur Geschichte des Museums, zu wichtigen Personen, Gruppierungen oder Ereignissen in der Geschichte des Hauses, darüber hinaus zur Entwicklung der verschiedenen Ausstellungen und Informationen über die thematische Ausrichtung und Grundlagen. Über Rezensionen und Presseberichte beispielsweise zur Dauerausstellung oder zur Eröffnung von Sonderausstellungen, Veranstaltungen im Museum oder zum Rahmenprogramm von Ausstellungen lässt sich außerdem die öffentliche Wahrnehmung und Bewertung untersuchen, beispielsweise ob über eine Ausstellungseröffnung berichtet wurde oder nicht. Durch diese zwei verschiedenen Arten etwas über das Museum oder die Ausstellungen zu erfahren, sich darüber zu informieren, findet somit ein Abgleich von Selbstdarstellung des Hauses und Fremddarstellung des Museums oder der Ausstellung statt.

1. Einleitung

Im Anschluss an diese Literaturrecherche fand – und das ist ein zweiter Zugang – als zentrales Element der Untersuchung ein Rundgang durch das Museum beziehungsweise durch die Ausstellung statt. Das hat für die Darstellung der Ergebnisse an dieser Stelle der Arbeit einen Wechsel der Methode zur Folge. Beschränkt sich die Untersuchung bis zu diesem Punkt als Folge der Literaturrecherche auf die objektive Wiedergabe verfügbarer Fakten und Informationen, werden die darauf folgenden Ausführungen dominiert von einem sehenden Subjekt, wird, die Rundgänge beschreibend, die Perspektive eines Besuchers eingenommen. In der späteren Analyse wird diese Perspektive dann wieder ausgeklammert. Der erste Rundgang durch das Haus geschah zunächst eigenständig und unbegleitet. So konnte das Haus beziehungsweise die Ausstellung in seiner/ihrer Gesamtheit aus der Perspektive eines regulären Besuchers wahrgenommen werden – enorm vorinformiert zwar, aber unverstellt durch Deutungsangebote und Hinweise beispielsweise eines Museumsmitarbeiters. Analog zur Fremddarstellung über Presseberichte und dergleichen richtete sich der Rundgang hier auf die Fremdwahrnehmung des Museums/der Ausstellung durch den Besucher. Welche Erzählung nimmt der Besucher wahr, welche Objekte fallen aus der Sicht des Besuchers ins Auge und welche werden nicht wahrgenommen? Welche Rolle spielt dabei die Art und Weise der Inszenierung und der Präsentation usw.? Gesichert wurden die Beobachtungen anhand eines Raumplanes und, soweit es möglich war, anhand einer umfangreichen Dokumentation mit Fotos und detaillierten Notizen. Nach diesem eigenständigen Rundgang folgte zum dritten immer mindestens ein zweiter Besuch – der Rundgang wurde dann mit einer Person mit leitender Funktion im Haus wiederholt. So konnte über das Gespräch auf eine zweite Art und Weise, gewissermaßen aus der Macher-Perspektive, die Selbstwahrnehmung untersucht werden, mit der Möglichkeit, punktuell gezielt nachfragen und hinterfragen zu können. Während dieses Rundgangs konnten detailliertere Einblicke gewonnen werden, vor allem in Organisationseinheiten des Museums oder der Ausstellung, die dem regulären Besucher im Normalfall nicht zugänglich sind. Dazu zählen die Sammlungs- und Depoträume oder die Restaurationswerkstatt. Bei einem solchen geführten Rundgang wurden dann gezielt Fragen gestellt, die dem Abgleich von Intentionen und Wahrnehmungen galten. Welches Selbstbild von sich transportiert das Haus beziehungsweise die Ausstellung über die ausgestellten Objekte nach außen? Wie möchte es als Institution verstanden und interpretiert werden? Welche Geschichte soll erzählt werden,

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Wissenschaftsmuseen

worauf ist die Ausstellung oder das Museum ausgerichtet? Gerade das persönliche Gespräch im geführten Rundgang, das zu Teilen auch Interviewsequenzen enthielt, bot die Möglichkeit, gezielt Fragen zu einzelnen Teilen der Ausstellung zu stellen, was beispielsweise die zugrundeliegenden konzeptuellen Überlegungen betrifft und wie sich diese im Einzelnen realisieren ließen – oder auch nicht – und welche Herausforderungen und Schwierigkeiten sich dabei ergeben haben. Aus verschiedenen Gründen war es vor Fertigstellung der vorliegenden Untersuchung nicht möglich, das Depot der Wellcome Collection zu sehen oder in ein persönliches Gespräch mit einem Sammlungsverantwortlichen zu kommen.15 Es sind darum keine Aussagen möglich, die auf eigenen Beobachtungen im Depot beruhen. Darum wurden andere Quellen für die Untersuchung verwendet16 und der Ausgangspunkt der Überlegungen zu den Objekten im Depot der untersuchten Museen, Berliner Medizinhistorisches Museum der Charité und Londoner Wellcome Collection, angepasst. Es fand dementsprechend auch kein Rundgang durch das Depot des Berliner Museums statt. Die Überlegungen basieren stattdessen auf den in Kapitel 2.2.1: Die Sammlung/Das Depot grundlegenden Ausführungen zum Depot und werden mit den zur Verfügung gestellten Informationen kombiniert. Aus dem Berliner Medizinhistorischen Museum der Charité hat Frau Beate Kunst, die das Depot betreut, Fragen zu den Eigenheiten ihres Zuständigkeitsbereiches schriftlich beantwortet.17 Zum Depot der Wellcome Collection erhielt ich Auskunft vom Collections Administrator and Access Coordinator des Science Museums und James Peto von der Wellcome Collection. Zu Recht lässt sich kritisch anmerken, dass dieses Vorgehen den Rundgang, der aus berechtigten Gründen wichtiger Bestandteil der Autopsie der einzelnen Museumsbereiche ist, nicht adäquat ersetzen kann. Die Beschreibungen der Örtlichkeiten, vermittelt aus einer anderen Perspektive, befriedigen nur bedingt die eigenen Ansprüche, die an diesen Teil der Untersuchung 15 16 17

Die Gründe hierfür werden an entsprechender Stelle in Kapitel 4.2.4 dargelegt. Die verwendeten Quellen werden im Kapitel zum Depot der Wellcome Collection dargelegt. Siehe Kapitel 4.1.4. Ich möchte mich recht herzlich bei Beate Kunst bedanken, der ich per Mail alle meine Fragen stellen konnte, die sie mir wegen meiner Zeitnot außerhalb ihrer Arbeitszeit beantwortet hat.

1. Einleitung

gestellt werden. Da aber kein Weg in das Depot des Science Museum hineinzuführen schien, musste eine Entscheidung im Hinblick auf das weitere Vorgehen getroffen werden. Die Vor- und Nachteile, ein drittes Museum mit zugänglichem Depot in den Untersuchungskorpus aufzunehmen, wurden gegeneinander abgewogen, aus zeitökonomischen Gründen wurde diese Alternative schließlich verworfen. Stattdessen fiel die Entscheidung dafür, unter den gegebenen Umständen ausschließlich mit dem zu arbeiten, was bereits vorlag. Dies soll zumindest die Vergleichbarkeit der Aussagen zu den beiden Depots – dem des Berliner Medizinhistorischen Museums und dem der Wellcome Collection – in punkto Beschreiber-Perspektive gewährleisten: beide Male ist es die Fremdperspektive einer verantwortlichen Person des Hauses, in Kombination mit den allgemeinen Charakteristika von Depots. Für die Museumsbereiche Dauer- und Sonderausstellung hat aber Gültigkeit: Nach der intensiven Beschäftigung mit dem Museum/der Ausstellung mittels eines Rundgangs mit einem Verantwortlichen aus dem Hauswurde verglichen, was im eigenständigen Rundgang beobachtet beziehungsweise durch die Recherche im Vorfeld des Besuches erarbeitet und dem, was im geführten Rundgang sichtbar beziehungsweise kommuniziert wurde. Es liegt in der Natur der Sache, dass Kuratoren einer Ausstellung und Verantwortliche eines Museums einen eigenen Blick auf die Ausstellung und die darin enthaltenen Dinge haben. Sie sind die ersten und zunächst einzigen, die wissen, was durch das Ausstellungsarrangement vermittelt werden soll. Sie kennen die in der Ausstellung präsentierten Objekte und deren Geschichte, sie wissen, welche Funktion einzelne Instrumente und Maschinen haben, sehen Gemeinsamkeiten und Unterschiede und können im Gespräch oder in Publikationen darauf aufmerksam machen. Dies gilt für den regulären Besucher nicht. Er muss sich die Ausstellung und die damit verbundenen Aussagen im Rundgang erst erarbeiten. Er sieht beim Betreten der Ausstellung viele Objekte, Vitrinen und Texte – und in einem nächsten Ausstellungsraum, auf einer nächsten Etage dann noch mehr –, aus denen er im Verlauf seines Rundgangs diejenigen auswählt, die ihn interessieren und/oder die ihm besonders ins Auge fallen und/oder für die die gegebenenfalls die Konzentration noch reicht. Dafür nimmt er sich unterschiedlich viel Zeit – die Wahrnehmung der einzelnen Elemente in der Ausstellung variiert also sehr stark. Wenn der Besucher die Ausstellungen des Museums nicht mehrfach besucht, bleibt Vieles, was er sieht, nur eine flüchtige Momentaufnahme,

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Wissenschaftsmuseen

einiges nimmt er gar nicht wahr. Diese Konstellationen mussten in der vorliegenden Untersuchung berücksichtigt werden. Es geht um den Blick des Experten, des regulären Besuchers und des Semi-Professionellen. Letzterer hat mehr als nur ein Interesse: Er hat sich eingehend beschäftigt, möchte die Ergebnisse der Beschäftigung ausbauen, differenzieren, ihre Bezüge zueinander verstehen und Neues entwickeln. Dadurch nimmt er eine Position zwischen Besucher und Ausstellungskurator oder -verantwortlichem ein. An dieser Stelle sei noch einmal darauf hingewiesen, dass die vorliegende Untersuchung zwar das ganze Haus, seine Ausstellungen und Organisationseinheiten im Fokus hat, aber dennoch eine Auswahl zu treffen ist: Da nicht der gesamte Objekt- und Sammlungsbestand detailliert thematisiert und untersucht werden kann, müssen die Motive, die bei der Auswahl der untersuchten Objekte eine Rolle spielten dahingehend spezifiziert werden, dass leitende Objekte aus den verschiedenen Museumsbereichen ausgewählt wurden. Dies sind Objekte, die das Museum oder die Ausstellung in besonderer Weise vertreten: Entweder, weil sie Thema oder Ausrichtung der Institution versinnbildlichen, oder weil sie ein besonderes Äußeres oder eine besondere Biographie besitzen. Um das sicher zu stellen, wurden immer auch Verantwortliche der Institution in die Auswahl der leitenden Objekte miteinbezogen. – Präsentationsformen und Inszenierungsstrategien – Ein besonderer Schwerpunkt der vorliegenden Untersuchung lag auf den in den ausgewählten Museen und Ausstellungen zur Anwendung gekommenen Präsentationsformen und Inszenierungsstrategien. Seit dem Museumsboom in den 1970er Jahren hat sich die Institution Museum zu einem vielgestaltigen Untersuchungsphänomen entwickelt, das den verschiedenen Disziplinen und Fächern Schnittstellen für die unterschiedlichsten Perspektiven auf Museum bietet. Daraus haben sich mehrere Möglichkeiten, Ausstellungen in Museen zu analysieren, entwickelt. Das Autorinnentrio Jaschke/Martinz-Turek/Sternfeld schlug 2005 eine Untersuchung von Museen ausschließlich auf ihren narrativen Charakter hin, unter dem Aspekt der Autorschaft, vor.18 Durch die Analyse der Raum- und Objekttexte in der Ausstellung zogen die drei Autorinnen Rückschlüsse auf Autorität und Autorschaft in Ausstellungen. In die gleiche Richtung ging eine ähnlich geartete 18

Jaschke, Beatrice/Martinz-Turek, Charlotte/Sternfeld, Nora: Wer spricht? Autorität und Autorschaft in Ausstellungen, Wien: Turia und Kant 2005 (Schnittpunkt. Ausstellungstheorie und -praxis).

1. Einleitung

Untersuchung von Martinz-Turek/Sommer 2009, die den ursprünglich aus der Dramaturgie stammenden Begriff der storyline auf Museen und Ausstellungen übertrugen und sie daraufhin untersuchten.19 Jana Scholze entwickelte in Anlehnung an Mieke Bals »Double Exposures«20 ein Modell der Kultursemiotik, eine Analysemöglichkeit von Ausstellungen, die sich auf den Zeichencharakter von musealen Objekten stützt.21 In der vorliegenden Untersuchung stehen aber neben den Objekten die Gestaltungspraxis, also die Präsentation der Objekte im Vordergrund. Unter Präsentation wird dabei die Ausstellungsgestaltung im weitesten Sinne verstanden, d.h. das Arrangement aller Präsentationsmedien von Ausstellungsobjekten über architektonische Konstruktionen, Vitrinen, grafische Materialien, Licht, Ton bis zu bewegten Bildern als konkreter räumlicher Umsetzung oder Übersetzung eines Ausstellungskonzepts.22 Das bedeutet konkret die Auswahl der Objekte, deren Einbettung in den Ausstellungsverlauf, ihr Arrangement mit anderen Ausstellungsobjekten und die zur Anwendung gekommenen gestalterischen Mittel wie Licht, Farbe oder Anordnung zu betrachten. Als klassische Präsentationsform gilt zum Beispiel die Chronologie. Diese beruht auf einer geordneten Abfolge der Exponate entlang eines linearen Verlaufs, der unter anderem basierend auf kalendarischen Fakten jedem Exponat einen »temporal begründete[n] Platz«23 zuweist. Ereignisse, Biographien und gegenständliche Überreste werden so als »(Ab-)Folgen«24 dargestellt. Eine weitere klassische Präsentationsform ist die Klassifikation. Wie Jana Scholze beschreibt, finden sich in dieser Ausstellungsform exemplarische, 19 20 21

22 23 24

Martinz-Turek, Charlotte/Sommer, Monika (Hg.): Storyline. Narrationen im Museum, Wien: Tutoria und Kant 2009 (Schnittpunkt. Ausstellungstheorie und -praxis). Bal, Mieke: Double exposures. The subject of Cultural Analysis, London/New York: Routledge 1996. Scholze, Jana: Medium Ausstellung. Lektüren musealer Gestaltung in Oxford, Leipzig, Amsterdam und Berlin, Bielefeld: transcript 2004 (Kultur- und Museumsmanagement). Ebd., S. 11. Ebd., S. 138. Habsburg-Lothringen, Bettina: Dauerausstellungen. Erbe und Alltag, in: dies. (Hg.): Dauerausstellungen. Schlaglichter auf ein Format, Bielefeld: transcript 2012 (Edition Museumsakademie Joanneum 3), S. 9-18, hier: S. 10.

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weitgehend austauschbare Objekte als Vertreter wissenschaftlicher Systeme. Die Objekte werden auf ihre formalen und funktionellen Eigenschaften reduziert und nur mit Informationen zu Fundort, -zeit und -situation etikettiert. Darüber hinaus weisende Kontexte werden ausgespart.25 Zu gängigen Gestaltungsmitteln zählen in erster Linie die Optimierung und Nutzung der Bedingungen, die sich aus der durch das Ausstellungsgebäude vorgegebenen Architektur26 ergeben und somit auch Einfluss auf die Architektur der Ausstellung haben. Unter den Aspekt der Art und Weise der Präsentation fällt weiterhin die farbliche Gestaltung. Auch die Farbgebung der Wände, des Bodenbelags, der Vitrinen an sich und der Vitrineninnenböden tragen zum Gesamtbild bei. Bei der Untersuchung der Präsentation ist ebenfalls in Rechnung zu stellen, für welchen Zeitraum die Ausstellung konzipiert ist. Handelt es sich um eine ständige Ausstellung, so kommen in der Regel andere Präsentationsstrategien zur Anwendung als bei einer temporären Ausstellung.

25 26

Vgl. Scholze, Jana: Medium Ausstellung (Anm. 21), S. 86ff., 122f. Als aktuelles Beispiel ist das Humboldt-Forum in Berlin zu nennen. Diese architektonische Mischung aus Neubau und Rekonstruktion des Berliner Schlosses, das vormals an gleicher Stelle stand, hat sich in der Gestaltung eines neuen »Wissens- und Erlebnisraum[s], der mit dem Humboldt Forum zurzeit im Herzen Berlins entsteht« (Vgl. https://www.humboldtforum.org/de/ausstellungen, Zugriff 06.11.2019), in den Grenzen bereits bestehender architektonischer Vorgaben zu bewegen. Die Möglichkeiten, den Ausstellungsraum entsprechend der Dinge, die ihn füllen sollen zu gestalten, gehen in die oben beschriebene Richtung von Optimierung und Nutzung der Bedingungen.

2. Theoretisches

Die wissenschaftlichen Umwälzungen des 20. Jahrhunderts sind Ausgangspunkt für vielgestaltige Beschreibungsmodelle und unterschiedliche Vorschläge zur Systematisierung des wissenschaftlichen Wissens und der damit zusammenhängenden Beschäftigung mit der Historizität wissenschaftlichen Wissens. Insbesondere in Verbindung mit objekttheoretischen Überlegungen sind das ab dem Ende des 20. Jahrhunderts Modelle, die aus den Science and Technology Studies (STS) und den Material Culture Studies stammen. Zu nennen sind beispielsweise die Akteur-Netzwerk-Theorie1 (ANT), deren bekanntester Vertreter der französische Philosoph, Soziologe und Kulturanthropologe Bruno Latour ist, die Theorie der sogenannten Boundary Objects, entwickelt von der amerikanischen Soziologin Susan Star und dem amerikanischen Philosophen James Griesemer.2 Beide Ansätze werden im Folgenden in gebotener Kürze vorgestellt, bevor der theoretische Ausgangspunkt erläutert wird, der den Fallstudien zugrunde liegt. Die STS entwickelte sich Anfang der 1980er Jahre auf dem Feld der Wissenschaftsforschung als Suche nach Antworten auf Fragen nach den Zusammenhängen zwischen wissenschaftlichem Wissen und modernen Gesellschaften. Dabei stand, anders als bislang üblich, die Produktion von Wissen als alltäglichem Prozess, gebunden an spezifische Formen und Orte 1

2

Latour, Bruno: Eine neue Soziologie für eine neue Gesellschaft. Einführung in die Akteur-Netzwerk-Theorie. Aus dem Englischen von Gustav Roßler, Frankfurt a.M.: Suhrkamp 2007. Star, Susan Leigh/Griesemer, James R.: Institutional Ecology, ›Translations‹ and Boundary Objects. Amateurs and Professionals in Berkeley’s Museum of Vertebrate Zoology, 1907-39, in: Biagioli, Mario (Hg.): The Science Studies Reader, Oxfordshire: Routledge 1999, S. 505-524.

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und in Bezug zur Entwicklung der Technologie im Zentrum der Aufmerksamkeit – sprich: das Forschen als »tatsächliches Handeln wissenschaftlicher Akteure«3 . Wissenschaft wurde nun unter Verwendung von Methoden der Sozial-, Kultur- und Geschichtswissenschaften kritisch reflektiert, da bislang »Fragen nach Ontologie und Epistemologie, d.h. danach, was und wie Phänomene sind und wie wir dies wissen können, lange Zeit nicht empirisch mit Blick auf wissenschaftliche Praxis untersucht«4 wurden. In diesem Kontext entstand zeitgleich die Akteur-Netzwerk-Theorie als Konzept der Erklärung wissenschaftlicher und technischer Innovationen.5 Sie stellt die für die Moderne geltend gemachte Trennung von Natur und Kultur in Frage und vertritt stattdessen die Aufforderung, dass Natur, Kultur und das Soziale wie in einem Netzwerk miteinander verbunden sind und sich gegenseitig beeinflussen. Dabei haben auch die nicht-menschlichen Entitäten, die Dinge, Handlungskraft. Sie wirken an der »Entstehung und Aufrechterhaltung gesellschaftlicher Zusammenhänge«6 mit und beeinflussen sie entscheidend. Hier kommt ein erweiterter Dingbegriff zum Tragen, der sich aus der Definition von Ding im Grimm’schen Wörterbuch ergibt: »Ding: in der weitesten, unbegrenzten Bedeutung begreift es ebenso das sinnlich Bemerkbare, als das Übersinnliche, das Gedachte«.7 Diese Dinge werden in den Netzwerken zu festen Handlungsträgern, zu Teilen von Operationsketten, zu sogenannten Aktanten. Der Begriff Aktant ist mit dem theoriebenennendem Akteur synonym zu verstehen, ist aber eine Latour’sche Begriffsschärfung, aus der Semiotik entnommen, um anzuzeigen, dass eben nicht nur Menschen, sondern auch nicht-menschliche Wesen als Handlungsträger zu betrachten sind.8 »Die Elemente von Operationsketten sind Personen, Artefakte, Dinge, 3

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6 7 8

Wieser, Matthias: Das Netzwerk von Bruno Latour. Die Akteur-Netzwerk-Theorie zwischen Science & Technology Studies und poststrukturalistischer Soziologie, Bielefeld: transcript Verlag 2012, S. 17. Beck, Stefan/Niewöhner, Jörg/Sörensen, Estrid (Hg.): Science and Technology Studies. Eine sozialanthropologische Einführung, Bielefeld: transcript Verlag 2012, S. 12. Vgl. Schulz-Schaeffer, Ingo: Akteur-Netzwerk-Theorie. Zur Ko-Konstitution von Gesellschaft, Natur und Technik, in: Weyer, Johannes (Hg.): Soziale Netzwerke. Konzepte und Methoden der sozialwissenschaftlichen Netzwerkforschung, 3. überarbeitete Auflage, München: Oldenbourg Wissenschaftsverlag 2014, S. 267-290, hier: S. 274. Ruffing, Reiner: Bruno Latour, Paderborn: Wilhelm Fink Verlag 2009 (UTB Profile). Zit. nach ebd., S. 9. Latour, Bruno: Die Hoffnung der Pandora. Untersuchungen zur Wirklichkeit der Wissenschaft, Frankfurt a.M.: Suhrkamp 2000, S. 372.

2. Theoretisches

Zeichen. Sie alle wirken aufeinander ein und können sich gegenseitig transformieren.«9 Dies ist der Kerngedanke der ANT. Übertragen auf die wissenschaftliche Forschung bedeutet dies, das an der Produktion von Wissen nicht ausschließlich Menschen beteiligt sind, sondern insbesondere auch den Menschen in seinem täglichen Tun umgebende Dinge. Die ANT beschreibt die zwischen ihnen vorhandenen Relationen und Netzwerke. Die ANT ist seit ihrem Bestehen fortlaufend kritisch betrachtet, die Wirkmächtigkeit der Dinge auf den Menschen in Frage gestellt worden. Dem schließt sich der Ethnologe Hans Peter Hahn an, wenn er den Eigensinn der Dinge beschreibt.10 Ist es in einer Akteur-Netzwerk-Beziehung möglich, Dinge auch einfach nur zu gebrauchen?11 Ist wirklich jedes Ding immer wichtig und als Akteur aufzufassen? Das Konzept der boundary objects, der Grenzobjekte, beschreibt, wie auch die ANT, ein Potenzial von Dingen und Objekten. Die zugrundeliegende Beobachtung ist, »dass in spätmodernen Gesellschaften die Menschen herausgefordert sind, sich zwischen disparaten sozialen Welten zu verständigen, sei es im Alltagsleben, in professionellen Zusammenhängen oder in disziplinären Bezügen«.12 In der Wissenschaftsforschung ist unter dem Gesichtspunkt der Herausforderungen in der Wissensproduktion insbesondere das wissenschaftliche Arbeiten von Interesse, das durch verschiedene beteiligte Akteure und Standpunkte von Heterogenität geprägt ist. Es wird ein Vehikel notwendig, durch das Verständigung und Übersetzung möglich gemacht wird, ohne dass die Unterschiede der Zugänge, der verschiedenen wissenschaftlichen Praktiken und Perspektiven verloren gehen. Nach Star und Griesemer »hängen die Chancen der Verständigung davon ab, ob Objekte verfügbar sind oder geschaffen werden können, die für alle Beteiligten etwas Verschiedenes bedeuten und dennoch gerade so Bezugspunkte des Gemeinsamen werden.«13 Diese Objekte bezeichnen sie als Grenzobjekte und beschreiben sie folgendermaßen: 9 10 11 12

13

Ruffing: Bruno Latour (Anm. 6), S. 29f. Hahn, Hans Peter (Hg.): Vom Eigensinn der Dinge. Für eine neue Perspektive auf die Welt des Materiellen, Berlin: Neofelis Verlag 2015. Vgl. ebd., S. 27. Hörster, Reinhard/Köngeter, Stefan/Müller, Burkhard: Grenzobjekte und ihre Erfahrbarkeit in sozialen Welten, in: dies. (Hg.): Grenzobjekte. Soziale Welten und ihre Übergänge, Wiesbaden: Springer 2017, S. 11-36, hier: S. 11. Ebd., S. 12.

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Wissenschaftsmuseen

[B]oundary objects, those scientific objects which both inhabit several intersecting social worlds and satisfy the informational requirements of each. Boundary objects are both plastic enough to adapt to local needs and constraints of the several parties employing them, yet robust enough to maintain a common identity across sites. They are weakly structured in common use, and become strongly structured in individual-site use. They may be abstract or concrete. They have different meanings in different social worlds but their structure is common enough to more than one world to make them recognizable means of translation. The creation and management of boundary objects is key in developing and maintaining coherence across intersecting social worlds.14 Beschrieben wird eine Auffassung von Objekten, die als flexible Grenzgänger zwischen den verschiedenen wissenschaftlichen Bereichen fungieren können und in dieser Eigenschaft den wissenschaftlichen Austausch befördern können. Einen anderen Zugang zu Objekten wählt Hans-Jörg Rheinberger. Er betrachtet Objekte als Träger theoretischer Eigenschaften und macht sie somit zum Gegenstand, aus dem einerseits Wissen generiert werden kann und das andererseits wissenschaftliches Produkt sein kann: zum epistemischen Objekt. Ausgehend vom historischen Wandel der wissenschaftlichen Aufmerksamkeit für ein Objekt soll die ›Epistemologie der Dinge‹ den theoretischen Ausgangspunkt der Fallstudien bilden.

2.1 2.1.1

Begriffe und Konzepte Epistemologie

Geprägt hat die Wendung ›Epistemologie der Dinge‹ der Wissenschaftshistoriker Hans-Jörg Rheinberger. Er beschäftigt sich in seinen Untersuchungen mit der Geschichte und der Epistemologie, insbesondere der Biowissenschaften, und bestimmt dabei »die Grundzüge des Verhältnisses zwischen epistemischen Objekten und den technischen Bedingungen ihrer Erzeugung 14

Star/Griesemer: Boundary Objects (Anm. 2), S. 509.

2. Theoretisches

in Experimentalsystemen.«15 Sein Interesse gilt den Wechselwirkungen zwischen den Wissenschaftsobjekten, die im Zentrum des Forschungsinteresses, des Vorgangs wissenschaftlicher Erkenntnisgewinnung stehen, und den Werkzeugen, die sie zu epistemischen Objekten machen. Diese Wechselwirkungen treten im Rahmen von sogenannten Experimentalsystemen auf, die Rheinberger versteht als »Arbeitseinheiten der Forschung, […] Anordnungen von Manipulationen von Objekten des Wissens, die eingerichtet werden, um unbekannte Antworten auf Fragen zu geben, die wir ihrerseits noch nicht klar zu stellen vermögen.«16 In seinen Überlegungen versucht Rheinberger, »etwas von der Faszination der Wissensdinge zu vermitteln – jener Organismen, Räume, Apparaturen und Techniken, die von der Forschung kolonisiert und verwandelt wurden und die selbst die Forschung verwandelt und diversifiziert haben.«17 Rheinbergers Überlegungen lassen sich verstehen als Reflexion über Wissen und Wissenschaft, über die »Bedingungen, unter denen, und die Mittel, mit denen Dinge zu Objekten des Wissens gemacht werden, an denen der Prozess der wissenschaftlichen Erkenntnisgewinnung in Gang gesetzt sowie in Gang gehalten wird«.18 Damit rückt Rheinberger weniger kausale Erklärungen über die Grundlagen des Wissens in den Vordergrund, vielmehr bemüht er sich um die Bereitstellung eines begrifflichen Inventars zur Beschreibung der »praktischen ›Dispositionen‹ und ›Depositionen‹ der Wissenschaften.«19 Dieses Inventar ist die theoretische Grundlage meiner eigenen Untersuchungen. In dem Essay »Epistemologica: Präparate«20 stellt Rheinberger am Beispiel der experimentellen Wissenschaften und den ihnen eigenen Verfahren der Präparation dar, welche unterschiedlichen Potenziale spezifische Arten von Präparaten für den Erkenntnisgewinn haben. Jede Präparation ist dabei 15 16

17 18 19 20

Rheinberger, Hans-Jörg: Epistemologie des Konkreten, Frankfurt a.M.: Suhrkamp 2006, S. 7. Rheinberger, Hans-Jörg: Experimentalsysteme, Epistemische Dinge, Experimentalkulturen. Zu einer Epistemologie des Experiments, in: Deutsche Zeitschrift für Philosophie 42, H. 3, 1994, S. 405-417, hier: S. 408. Rheinberger: Epistemologie des Konkreten (Anm. 15), S. 7. Rheinberger, Hans-Jörg: Historische Epistemologie. Zur Einführung, Hamburg: Junius 2007, S. 11. Rheinberger: Experimentalsysteme (Anm. 16), S. 406. Rheinberger, Hans-Jörg: Epistemologica: Präparate, in: te Heesen, Anke/Lutz, Petra (Hg.): Dingwelten. Das Museum als Erkenntnisort, Köln u.a.: Böhlau 2005 (Schriften des Deutschen Hygiene-Museums Dresden 4), S. 65-75.

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zu verstehen als eine Rekontextualisierung. Rheinberger bezeichnet sie als ›Zurichtung‹ der ursprünglichen Naturdinge. Die zu präparierenden Objekte werden aus ihrer ursprünglichen Umgebung herausgelöst, im Verfahren der Präparation zu Forschungszwecken dann allerdings so detailliert aufbereitet, dass die Dinge in einen möglichst authentischen Zustand »zurückversetzt« werden, um sie zu beforschen – der Vorgang der Präparation also möglichst unsichtbar gemacht wird. Dies geschieht als Reaktion auf das mit Präparaten verbundene spezifische Ziel der Erkenntnisgenerierung. In Abgrenzung zu Modellen und analogen und digitalen Bildern bilden Präparate in den Biowissenschaften, so Rheinberger, eine spezifische Klasse der Epistemologica. Darunter soll eine ganz bestimmte Art epistemischer Objekte verstanden werden: materielle Dinge, die in der Produktion von Wissen eine Rolle spielen, an denen Sachverhalte zur Aufklärung und Darstellung gebracht werden können, die jedoch in der einen oder anderen Weise auf Dauer gestellt worden sind.21 Präparate stechen hier hervor, da sie als besondere Form von Objekten spezifischer Vorkehrungen bedürfen, um lebendige Dinge auf Dauer darzustellen, sie für den erkennenden Blick zu stabilisieren. Als Beispiele solcher epistemischer Objekte dienen Rheinberger im erwähnten Aufsatz anatomische, botanische, mikroskopische und molekulare Präparate. Anhand jeder dieser Präparategruppen führt er vor, wie die Wahrnehmung des wissenschaftlichen Objektes unterschiedlich geleitet wird. In Abhängigkeit von der Materialität des Objektes und der Instrumente, derer es bedarf, um das Objekt zu deuten, sind es verschiedene Arten von Aufwand, die betrieben werden müssen, um das Präparat als Objekt des Wissens zu erkennen, eine spezifische Erkenntnis daraus zu generieren und das Wissen zu speichern. Auf den Forschungsgegenstand Museum und Ausstellung übertragen, meint die Epistemologie der Dinge, die Objekte in den Blick zu nehmen, die im Museum oder in der Ausstellung fixiert wurden – sei es durch die Präsentation in der Wechsel- oder Dauerausstellung oder durch die Aufnahme ins Depot als Teil einer Sammlung. Durch den Übergang der Objekte vom Gebrauchsgegenstand zum Anschauungsobjekt im Museum oder in der Ausstellung erfahren sie einen Wandel in der Bedeutungszuschreibung. Durch 21

Ebd., S. 66.

2. Theoretisches

die Positionierung in einen anderen, theoretisch und praktisch motivierten Zusammenhang neben anderen Objekten treten Aspekte ihrer Bedeutung hervor, die zuvor nicht sichtbar waren oder hinter der eigentlichen Bedeutung zurückgetreten sind. Mit den zuvor eingeführten Termini von Rheinberger lassen sich Museen und Ausstellungen als die beschriebenen Experimentalsysteme verstehen, die ausgestellten Objekte als die epistemischen Objekte. Die Ausstellungsräume werden so zu den Arbeitseinheiten und Anordnungen, innerhalb derer die Wissenschaftsobjekte, die epistemischen Objekte sich befinden. Dies geschieht – darauf sei an dieser Stelle zunächst nur hingewiesen – nicht nur durch die Anordnung eines Objektes neben, vor oder hinter einem anderen Objekt. Das Experimentalsystem Museum und Ausstellung entsteht vielmehr durch Präsentationsstrategien und Formen der Inszenierung. Dabei ist unter anderem gedacht an architektonische Konstruktionen, Vitrinen, grafische Materialien, Licht, Ton bis hin zu bewegten Bildern.22 Die Generierung von Wissen geht in Ausstellungen also über die schlichte Anordnung von Dingen hinaus, Fragen des Medialen sind hierbei unbedingt mit zu berücksichtigen, um die Dimensionen des rein epistemologischen über ausschließlich inhaltsbezogene Analysen hinaus zu erweitern. Eine Möglichkeit hierfür bietet das Konzept der ›Dinggeschichte‹, das Gottfried Korff entwickelt hat.

2.1.2

›Dinggeschichte‹ nach Korff

»Die Frage nach dem Ding im Museum oder genauer […] nach dem Ding in musealen Bewertungs-, Zeige und Wissenskontexten weist in diverse Richtungen«23 konstatiert Gottfried Korff 2011 und zeigt damit an, wie vielfältig und disziplinär breitgefächert das sogenannte Ding in der jüngeren Gegenwart beforscht wird. So interessieren sich über die Museumswissenschaften hinaus mittlerweile nicht mehr nur die objektbefassten Disziplinen Kunstgeschichte, Eth22

23

Vgl. Scholze, Jana: Medium Ausstellung. Lektüren musealer Gestaltung in Oxford, Leipzig, Amsterdam und Berlin, Bielefeld: transcript 2004 (Kultur- und Museumsmanagement), S. 11. Korff, Gottfried: Dimensionen der Dingbetrachtung. Versuch einer volkskundlichen Sichtung, in: Hartmann, Andreas/Höher, Peter/Cantauw, Christiane (Hg.): Die Macht der Dinge. Symbolische Kommunikation und kulturelles Handeln, Münster u.a.: Waxmann 2011 (Beiträge zur Volkskultur in Nordwestdeutschland 116), S. 11-27, hier: S. 11.

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nologie und Archäologie für die Dinge, sondern unter anderem auch die Philosophie, die Soziologie, die Psychologie24 – und die Literatur.25 Dass das Themengebiet auch als gesamtgesellschaftliches Thema, dem man sich widmen sollte, wahrgenommen wird, zeigen zwei Förderinitiativen: Zum einen hat das Bundesministerium für Bildung und Forschung 2012 eine explizit auf das Objekt ausgerichtete Förderlinie geschaffen, die seitdem mehrfach ausgeschrieben wurde,26 zum anderen wurde 2012 von der Stiftung Mercator ein Wettbewerb initiiert, durch den die Universitäten dazu aufgerufen wurden, Konzepte zur Integration der universitären Sammlungen in die Lehre zu entwickeln. Ab 2013 wurden neun dieser Projektideen für einen Zeitraum von drei Jahren finanziert.27 So ist die Geschichte des Museums in den letzten Jahren vor allem auch eine Geschichte der »Museumsdinge«28 geworden. In seinem Nachdenken über das Museum und die darin befindlichen Dinge setzt Gottfried Korff das Objekt ins Zentrum. Es macht im musealen Kontext den Unterschied im Vergleich zu beispielsweise Sammlungen, die institutionell anders eingebunden sind. Die Vielfalt der Objektklassen im Museum unterscheidet dieses beispielsweise von einem Archiv, in dem nach allgemeinem Verständnis zu großen Teilen Akten gesammelt und aufbewahrt wer24

25 26

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Vgl. für die Philosophie: Harman, Graham: Objekt-orientierte Philosophie, in: Avanessian, Armen (Hg.): Realismus Jetzt. Spekulative Philosophie und Metaphysik für das 21. Jahrhundert, Berlin: Merve 2013, S. 122-136; für die Dingsoziologie: Bosch, Aida: Konsum und Exklusion. Eine Kultursoziologie der Dinge, Bielefeld: transcript 2010; für Dingpsychologie: Lütkehaus, Ludger: Unterwegs zu einer Dingpsychologie. Für einen Paradigmenwechsel in der Psychologie, Gießen: Psychosozial-Verlag 2002. Als ein Beispiel sei hier der Roman von Orhan Pamuk: Das Museum der Unschuld genannt, der 2008 im Münchener Carl Hanser Verlag erschienen ist. Siehe Bundesministerium für Bildung und Forschung: Bekanntmachung des Bundesministeriums für Bildung und Forschung von Förderrichtlinien »Die Sprache der Objekte – Materielle Kultur im Kontext gesellschaftlicher Entwicklungen. Online Zugriff unter: https://www.bmbf.de/foerderungen/bekanntmachung-1363.html[Zugriff 03.01.2018]. Siehe https://www.stiftung-mercator.de/de/projekt/sammlehr-an-objekten-lehrenund-lernen/[Zugriff 03.01.2018]. Die neun Einrichtungen sind: Universitätsklinikum Aachen, TU Dortmund, TU Dresden, Universität Erfurt, Friedrich-AlexanderUniversität Erlangen, Albert-Ludwigs-Universität Freiburg, Georg-August-Universität Göttingen, Friedrich-Schiller-Universität Jena, Universität Stuttgart. Siehe Korff, Gottfried: Museumsdinge. Deponieren – Exponieren, herausgegeben von Eberspächer, Martina/König, Gudrun Marlene/Tschofen, Bernhard, 2., ergänzte Auflage, Köln/Weimar/Berlin: Böhlau 2007.

2. Theoretisches

den29 , oder von einer Bibliothek, die in der Hauptsache eine Ansammlung von Büchern und Zeitschriften ist, aber auch von Science Centern, die zumeist nicht basierend auf dem eigenen Sammlungsbestand gestaltet werden. Angesichts dieser Sachlage kann das Objekt als »museales Differenzkriterium«30 gelten. Mit ihm untrennbar verbunden, ist das Potenzial, »authentisches Original und Träger einer individuellen Überlieferungsgeschichte«31 sein zu können. Dies fasst zusammen, was unter dem Konzept ›Dinggeschichte‹ zu verstehen ist. Durch die Aufnahme in eine Sammlung wird das Objekt aus seinem ursprünglichen Kontext, seiner originären Umgebung und der dort bestehenden Ordnung, entfernt. Es wird in einen neuen Zusammenhang und eine neue Ordnung eingefügt. Das einzelne Objekt wird nicht um seiner selbst willen, etwa weil es einen besonders hohen materiellen Wert besitzt (das ist bei nur ganz wenigen Sammlungsstücken der Fall), sondern »auf Grund von Wertzuschreibungen als Element für museale Sammlungen ausgewählt«32 . Es verliert seinen Nutzwert und seine Funktion in dem Moment, in dem es zum Bestandteil einer Sammlung und nach Pomian zeitweilig oder endgültig aus dem Kreislauf ökonomischer Aktivitäten herausgehalten wird33 , also nicht länger zu diesem Kreislauf beiträgt, an ihm teilhat. Ein Kleidungsstück wie beispielsweise ein Mantel verliert in dem Moment, in dem er Teil einer Sammlung wird, seine Funktion zu kleiden und vor Kälte und Witterung zu schützen. Am Mantel selbst verändert sich dadurch nichts, er könnte noch immer getragen werden, die Eigenschaft zu wärmen hat er nicht verloren. Seine originäre Funktion zu kleiden oder zu schützen, tritt jedoch hinter einer neuen Funktion zurück, wird von dieser überlagert. In der Museumssammlung wird der Mantel vom Kleidungsstück zum Stellvertreter für andere kleidende 29

30 31 32 33

Das Deutsche Literaturarchiv der Moderne in Marbach referiert in der Gestaltung seiner Dauerausstellung Die Seele auf die benannten Charakteristika eines Archivs. Die Ausstellung lädt die Besucher ein, »die Literaturgeschichte des 20. Jahrhunderts von den Beständen des Deutschen Literaturarchivs aus zu entdecken.« (https://www.dlamarbach.de/museen/dauerausstellung-die-seele/ [Zugriff 07.11.2019]). Schulze, Mario: Wie die Dinge sprechen lernten. Eine Geschichte des Museumsobjektes 1968-2000, Bielefeld: transcript 2017 (Edition Museum 25), S. 20. Tschirner, Ulfert: Museum, Photographie und Reproduktion. Mediale Konstellationen im Untergrund des Germanischen Nationalmuseums, Bielefeld: transcript 2011, S. 322. Scholze: Medium Ausstellung (Anm. 22), S. 18. Vgl. Pomian, Krzysztof: Der Ursprung des Museums. Vom Sammeln, Berlin: Verlag Klaus Wagenbach 2007, S. 16.

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oder schützende Objekte, wie Mäntel, Jacken oder ähnliches und verweist auf diese zurück. Ein einzelnes Sammlungsobjekt kann somit für viele andere Objekte stehen, die nicht Teil der Sammlung sind. Alle Objekte in einer Sammlung teilen eine grundlegende Eigenschaft, ein tertium comparationis, das als Grundlage für die Auswahl des Sammlers dient. Er achtet darauf, möglichst solche Objekte auszuwählen, die diese gemeinsame Eigenschaft eindeutig und glaubwürdig besitzen und vertreten, und wählt somit je nach Ausrichtung der Sammlung Objekte aus, an denen man die Eigenschaft oder Funktion, die sie in der Sammlung vertreten, ablesen kann. Die Auswahlkriterien dafür sind so unterschiedlich wie es die einzelnen Sammlungen sind. Naheliegend sind Kriterien wie Form, Farbe, historischer Kontext oder Erhaltungsgrad. Dieser Auswahlprozess setzt ein Wissen voraus, das durch die Sammlung als spezifischem Bereich des Museums beeinflusst und bedingt wird. In der Sammlung deutet das einzelne Objekt von der Gegenwart aus, von dem neuen ihm zugewiesenen Platz in der Sammlung, auf eine Lücke, die es hinterlassen hat. Unter Lücke ist dabei der originäre Platz des Objektes in der Vergangenheit zu verstehen – also die Stelle, die es ursprünglich im ökonomischen Kreislauf besetzt hatte und die nie vollständig durch ein anders Objekt ausgefüllt werden kann. Durch diese Verweisfunktion, die auf ihrer Authentizität beruhen, sind Objekte auch Semiophoren, also »Gegenstände, die das Unsichtbare repräsentieren, das heißt die mit einer Bedeutung versehen sind.«34 Um diese Bedeutung genauer entschlüsseln zu können, bieten sich Analysemethoden an, die der Semiotik entnommen sind. Jana Scholze hat bereits in diese Richtung gedacht und in ihren »Lektüren musealer Gestaltung«35 in Anlehnung an die Verfahren der Kulturanalyse von Mieke Bal und den Begrifflichkeiten von Umberto Eco eine Lesart musealer Objekte entwickelt, die darauf basiert, Museumsobjekte als Zeichen zu verstehen, die mittels Signifikations- und Kommunikationsprozessen36 wir34 35 36

Semiophoren ist ein Begriff, den Pomian für diese Eigenschaft eines Objektes geprägt hat. Pomian: Der Ursprung des Museums (Anm. 33), S. 50. Scholze: Medium Ausstellung (Anm. 22). Den Prozess der absichtsvollen und intendierten Bedeutungszuschreibung an ein Objekt und die sich daraus ergebende Mitteilung an das interpretierende Subjekt, im Ausstellungskontext ist dies der Besucher, nennt man Signifikations- und Kommunikationsprozess. Scholze weist darauf hin, dass »[d]ie Unterscheidung zwischen Signifikation und Kommunikation auf der Unterscheidung von Nichtintentionalität und Intentionalität der in Ausstellungen auszumachenden Zeichenbeziehungen« beruht, die

2. Theoretisches

ken. Die Bedeutung des Zeichens lässt demnach das Bezeichnete hervortreten, das über das Bezeichnende hinaus auf etwas anderes verweist und so eine Aussage oder einen Inhalt kommuniziert und eine Bedeutung herstellt. Grundsätzlich können alle Elemente der gesellschaftlichen Kultur als Zeichen verstanden und untersucht werden.37 Dabei sind Zeichen nicht als reale, gegenständliche Dinge zu verstehen, sondern vielmehr als kulturelle Erfindungen. Sie existieren in ihrer Funktion, Zeigendes und Verweisendes zu sein. Es sind die Möglichkeiten der Bedeutungszuschreibungen an jene Zeichen, denen im Folgenden die analytische Aufmerksamkeit gilt. In den ersten Überlegungen zu den Dingen stand auf einer ersten Ebene ihre Aufbewahrung in musealen Sammlungen im Vordergrund. Wie Anke te Heesen in ihren einleitenden Ausführungen zu den Theorien des Museums erörtert, ist im Nachdenken über Funktionen und Bedeutungen darüber hinaus »eine zweite Ebene zu benennen, auf der die Dinge im Museum diskutiert werden. Diese zweite Ebene betrifft ihre Präsentation und die mit ihr verbundene Erkenntnisleistung«38 . Das zielt im Kern zum einen auf das, was soeben mit dem Zeichencharakter der Dinge beschrieben wurde: Zeichen haben das Potenzial Zeigendes und Verweisendes zu sein. Zum anderen zielt es auf das, was Gottfried Korff die »Eigenart der Museumsdinge« nennt39 . Ab dem Zeitpunkt, da ein Ding in eine museale Sammlung kommt, beziehen sich die Eigenarten der Museumsdinge in erster Linie auf die Physis der Dinge, die es ausmachen und die das Potenzial der Dinge Zeichen sein zu können, befördern: ihre Materialität, ihre Medialität und ihre Dreidimensionalität, die konkreter sind als Gedanken und Emotionen und die sie zu epistemischen Dingen machen. Diese Dinge fordern durch ihre materielle Beschaffenheit, die sie im Verlauf ihrer individuellen Überlieferungsgeschichte erfahren haben, spezifische

37 38 39

bei Georges Mounin und Roland Posner entlehnt sind. Siehe Scholze: Medium Ausstellung (Anm. 22), S. 12. Vgl. dazu: Eco, Umberto: Einführung in die Semiotik, 8., unveränderte Auflage, München: Wilhelm Fink 1994, S. 38. te Heesen, Anke: Theorien des Museums. Zur Einführung, Hamburg: Junius 2012, S. 178. Korff, Gottfried: Zur Eigenart der Museumsdinge, in: Korff, Gottfried: Museumsdinge. Deponieren – Exponieren, herausgegeben von Eberspächer, Martina/König, Gudrun Marlene/Tschofen, Bernhard, 2., ergänzte Auflage, Köln/Weimar/Berlin: Böhlau 2007, S. 140-145.

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Präsentationsformen, im Sinne von spezifischen Anordnungen und Installationen im Raum. Hier findet sich ein Anknüpfungspunkt zu dem von Hans Jörg Rheinberger entwickelten Konzept des ›epistemischen Dings‹ und der analog dazu benannten ›Dingepistemologie‹.40 Darunter ist die Untersuchung des Prozesses der Erkenntnisgewinnung anhand von Dingen, also Gegenständen und Objekten, zu verstehen. Für die vorliegende Untersuchung wird dies zugespitzt auf die verschiedenen Formen von Wissen, die in den unterschiedlichen Ausstellungstaxonomien des Museums: Dauerausstellung, Sonderausstellung und Depot, zu finden sind.

2.1.3

Kultursemiotik nach Jana Scholze

Jana Scholze vertritt die Annahme, dass im Museum ein Zusammenhang besteht zwischen der Bedeutungszuschreibung und der Präsentationsform. Im Kontext der vorliegenden Arbeit kann ›Präsentationsform‹ verschiedene Bedeutungen haben. Zum einen ist es synonym zu verstehen zur Realisierungsform des Museums. Es ist dabei zumindest in drei Bereiche zu differenzieren: Sonderausstellung, Dauerausstellung und Depot. Und es ist darüber nachzudenken, ob ein Zusammenhang besteht zwischen der Bedeutung – dem Wissen –, die einem Objekt im Depot zugeschrieben wird, und der Bedeutung, die demselben Objekt in einer Sonderausstellung zugeschrieben werden kann. ›Präsentationsform‹ so wie es Jana Scholze im ursprünglichen Sinne meint, stellt auf die verschiedenen möglichen Präsentationsformen innerhalb einer Ausstellung ab: Klassifikation, Chronologie, Inszenierung oder Komposition. Für beide möglichen Geltungsbereiche von ›Präsentationsform‹ sollen jedoch Jana Scholzes Ausführungen gelten, dass die Einschränkung der Bedeutungsentwicklung durch die zur Verfügung stehenden Spielarten von Präsentation eine Möglichkeit ist, die Zuschreibung von Bedeutung und somit auch die Interpretation der Ausstellungskonzeption zu leiten. Bei der Wahl eines geeigneten Analysekriteriums zeigt Scholze, den Sachverhalt konkretisierend, [g]rundsätzlich ist jede Ausstellungskonzeption ein Versuch der Begrenzung und Ordnung von Bedeutungen mittels mehr oder weniger konkreten Co40

Siehe Rheinberger: Epistemologica (Anm. 20).

2. Theoretisches

dierungen; und jede Ausstellungsgestaltung ist die Konkretisierung dieser Codierungen im Raum,41 eine Richtung an, die eine Untersuchung der Konzeptionen einschlagen kann. Insbesondere in Fällen, bei denen »Fragen der Bedeutungsbildung und Kommunikation im Vordergrund stehen und beantwortet werden sollen«42 , in denen die »Bedingungen der Mittelbarkeit und Verstehbarkeit der Botschaft (der Codierung und Decodierung)«43 zu untersuchen sind, eignet sich die semiotische Analyse verschiedener Codes44 und ihrer Anwendung. Die Identifikation von Codes ermöglicht es in einem nächsten Schritt, Aussagen über das vermittelte Wissen in Ausstellungen zu treffen. Die Codes werden somit zum Verbindungsstück zwischen dem Zeichen und dem, worauf es verweist, wofür es steht und was daraus entsteht, was aus dem Decodieren weiterführend interpretiert wird. Dies bedeutet, dass durch die Präsentation der natürliche Prozess der Decodierung, also der Zuschreibung von Bedeutung an ein Exponat, angeleitet werden kann – die Präsentation demnach konkrete Auswirkungen auf die Botschaft hat, die vermittelt werden kann. Die Semiotik bietet verschiedene Zugriffe und Begriffe, um sich einer solchen Analyse zu nähern. Jana Scholze bezieht sich in ihren Ausführungen auf Klassiker der Semiotik, nämlich auf die Theoretiker Roland Barthes und Umberto Eco. Auf Grundlage dieser Werke entwickelte auch Mieke Bal ihr Modell der Kultursemiotik, die Scholze wiederum als Muster für die Weiterentwicklung spezifischer Mittel zur Analyse von Museen und Ausstellungen genutzt hat.45 Die Grundlagen, auf denen diese Untersuchungsmethode fußt, haben ihren Anfang in der Feststellung, dass jedem Objekt im Museum die Charak41 42 43 44

45

Scholze: Medium Ausstellung (Anm. 22), S. 267. Ebd., S. 121. Eco, Umberto: Einführung in die Semiotik (Anm. 37), S. 72. Eco versteht darunter »intersubjektive […] Erscheinungen […], die auf der Gesellschaft und auf der Geschichte basieren«. (Ebd., , S. 12). Unter intersubjektiv ist dabei die schon angesprochene Berücksichtigung der Individualität eines jeden Besuchers zu verstehen, die eine Vorhersehbarkeit seiner Reaktion und des Grades an Erkenntnisgewinn nahezu ausschließen. Als Grundlagenliteratur ist zu betrachten: Barthes, Roland: Mythen des Alltags, Frankfurt a.M.: Suhrkamp 1964; Eco, Umberto: Einführung in die Semiotik (Anm. 37) und Bal, Mieke: Double Exposures. The subject of Cultural Analysis, London/New York: Routledge 1996.

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tereigenschaft zugeschrieben wird, Zeichen46 zu sein beziehungsweise sein zu können, als solches verstanden und untersucht zu werden. Umberto Eco formuliert dies folgendermaßen: In der Kultur kann jede Größe zu einem semiotischen Phänomen werden. […] Die Kultur kann vollständig unter einem semiotischen Gesichtspunkt untersucht werden.47 Zeichen sind somit nichts Natürliches, sie sind kulturelle Erfindungen, denen die Funktion zugeschrieben wird, Zeigendes und Verweisendes sein zu können. Die Semiotik untersucht unter dieser Voraussetzung die Möglichkeiten der Bedeutungszuschreibung an ein Zeichen, das was es zeigt und worauf es verweist. »Möglichkeiten« ist bewusst im Plural formuliert, da es nicht die eine Bedeutung gibt, sondern mehrere. Es ist eine Eigenheit der Zeichen, dass sie nicht definitiv interpretierbar sind, dass ihre Bedeutungen nicht statisch determiniert werden können. Die Bedeutung eines einzelnen Zeichens wird immer durch die Bedeutung anderer Zeichen begrenzt. Das macht die Prozesse, in denen Zeichen beteiligt sind, in gewissem Maße unbestimmbar und unvorhersehbar. Dies gilt auch für museale Kontexte, in denen mit Objekten, Texten, gestalterischen Mitteln und Medien Bedeutungsinhalte übertragen werden. Im Museum bedeutet das, dass an die ausgestellten Objekte Inhalte, Absichten und Erwartungen geknüpft werden – sowohl von Seiten der Verantwortlichen – dem Kurator etwa – als auch von Seiten des Rezipienten, also dem Besucher. Auf der einen Seite kann durch die Auswahl von Objekten mit dem Potenzial zur Vermittlung von Inhalten und durch die zur Anwendung kommenden Mittel und Materialien der Gestaltung das der Ausstellung zugrundeliegende Konzept in konkrete Elemente dieser Ausstellung übersetzt werden. Auf der anderen Seite knüpft auch der Besucher Vorstellungen an ein Objekt. Unter Berücksichtigung seines Vorwissens, seiner Erlebnisse, seiner Erfahrungen und vorhandenen Erkenntnisse nimmt er die Ausstellung in ihren Teilen und ihrer Gesamtheit wahr und zieht Schlüsse aus dem präsentierten Arrangement von Objekten. Die von ihm identifizierte Aussage wird 46

47

Eco versteht unter einem Zeichen »eine physikalische Form, die für den Empfänger auf etwas verweist, was diese physikalische Form denotiert, bezeichnet, nennt, aufzeigt und was nicht die physikalische Form selber ist«. Eco: Einführung in die Semiotik (Anm. 37), S. 30. Ebd., S. 38.

2. Theoretisches

vermittelt durch einen Prozess des Decodierens. Dabei nimmt er nicht jedes Objekt gleich intensiv wahr. Der Besucher erstellt (s)eine subjektive Auswahl an Objekten, an Zeichen und entschlüsselt diese. Alter, Geschlecht und Bildungsgrad der Besucher spielen dabei eine nicht unerhebliche Rolle und sind bei der Planung einer Ausstellung zu bedenken. Es ist nahezu unmöglich, alle Gruppen von Besuchern – die jungen wie die alten, die männlichen und die weiblichen usw. – mit allem, was sie bewegt und prägt gleichermaßen anzusprechen. Ziel ist es in der Mehrheit der Fälle dennoch, so wenig Personengruppen wie möglich unbeachtet zu lassen, um durch das Zeigen von unbekannten Dingen in unbekannten Kontexten und von bekannten Dingen in unbekannten Kontexten die Erwartungshaltung der Besucher zumindest aufzugreifen und anzusprechen. Durch die Anordnung der Objekte und der Vitrinen, durch Hierarchisierung und Akzentuierung besteht die Möglichkeit, die Wahrnehmung des Besuchers zu lenken, eine Möglichkeit der Interpretation vorzugeben und so Einfluss auf die Entschlüsselung der Zeichen zu nehmen. Im Ausstellungsraum können sowohl die dort ausgestellten Objekte als auch die gestalterischen Mittel Zeichen sein und konkret oder unbestimmt auf den Sinngehalt hindeuten. Somit werden die Ausstellungsobjekte konstitutiver Teil des Signifikations- und Kommunikationsprozesses innerhalb der Ausstellung. Die Gefahr, die insbesondere bei einer Ausrichtung auf eine zu große Personengruppe besteht, ist die, dass die Zeichen nicht adäquat, also in der intendierten Form von den Besuchern entschlüsselt werden. Die Aussage bleibt unerkannt oder wird falsch interpretiert. Das Ausstellungskonzept erscheint sinnlos, wenn es zu »Missverständnissen« kommt, dadurch, dass einem Objekt durch die Ausstellungsmacher beispielsweise zu viele Bedeutungen zugeschrieben werden und der Rezipient die Sinneinheiten nicht mehr versteht, er also nicht in der Lage ist, die Mitteilung in Bezug auf die Ausstellung zu decodieren. Innerhalb des Kontexts der Ausstellung basiert die Codierung als Zuschreibung von Wert und Sinn und damit auch von Bedeutung an ein Exponat auf drei verschiedenen Aspekten, Jana Scholze nennt sie Mitteilungen. Der erste Aspekt betrifft das Objekt als Zeichen an sich. Diese Form der Mitteilung ist gleichzusetzen mit dem Denotat. Die Denotation als Vorgang der Bedeutungszuschreibung an dieses Objekt betrachtet den rein funktionellen Aspekt des Objekts. Sie gibt Auskunft über mögliche Funktionen des Objekts vor Eintritt in den musealen Kontext: Diente es zuvor beispielsweise

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Wissenschaftsmuseen

als Hilfsmittel zur Aufnahme von Nahrung oder hat es seinen Besitzer vor besonderen klimatischen Bedingungen wie Sonne oder Regen geschützt? Dies sind Fragen, die im Rahmen der Denotation in Bezug auf das Objekt von Interesse sind. Als zweites beziehen sich die Mitteilungen auf die Objekt- und Raumarrangements, was als Konnotation verstanden werden kann. Durch diese besonderen Arrangements, die unter anderem auch aus einer besonderen Gestaltung resultieren, werden die intendierten Inhalte und die Möglichkeiten der Bedeutungszuschreibung übermittelt. In der Semiotik sind die Begrifflichkeiten, die für diesen Umstand verwendet werden, verschieden, aber die Ansätze ähneln sich. So finden sich analoge Überlegungen auch bei Roland Barthes, demzufolge Objekte zwei Seiten haben: eine Seite als Funktion(en) und die andere Seite als Wertbehauptung, sprich als Konnotation.48 Krzysztof Pomian unterscheidet ebenfalls zwei Perspektiven: ihm zufolge haben Objekte zum einen eine materielle, sichtbare Seite – dies entspricht der Denotation – und eine semiotische, unsichtbare Seite, was der Konnotation entspricht.49 Dabei schließt das eine das andere nicht aus. Ein Beispiel ist der Hammer, der als Objekt sowohl denotativ als auch konnotativ wirken kann: Ein Hammer kann ebenso auf seine Schlagfunktion wie auf eine politische Symbolik verweisen. In beiden Fällen ist der Hammer in einer Ausstellung nicht identisch mit dem Hammer in der ursprünglichen Realität, denn er ist in diesem Kontext immer Verweis, zunächst auf sich selbst und auf seine ursprüngliche Gebrauchsfunktion, dann auf das ›Ding an sich‹, d.h. auf seine Funktion von ›Hammer‹ oder auf irgendwelche Sachverhalte.50 Eine dritte Form der Mitteilung bezieht sich auf die Spezifik der Präsentation, die Metakommunikation, die über »die Intention, Philosophie und Ethik der Ausstellungsmacher bzw. des Museums als sich in Ort und Zeit definierender Institution«51 Auskunft gibt. Insbesondere dieser Aspekt böte genug Stoff für eine eigenständige Untersuchung: Wie sehr beeinflussen die Personen hinter der Ausstellung tat48 49 50 51

Siehe Barthes: Mythen des Alltags (Anm. 45), S. 35. Pomian: Ursprung des Museums (Anm. 33), S. 13. Schärer, Martin R.: Die Ausstellung. Theorie und Exempel, München: Verlag Dr. C. Müller-Straten 2003, S. 37. Scholze: Medium Ausstellung (Anm. 22), S. 30.

2. Theoretisches

sächlich das Erscheinungsbild der Ausstellung? Inwiefern gehen ihre individuellen Auffassungen und Ansichten in die Ausstellung ein? Es ist zu bedenken, dass dies zu großen Teilen ein besonderer Faktor bei Personalentscheidungen sein kann, weil gerade bei kreativen Prozessen Individualität als eine besondere Stärke verstanden werden kann. Um vollständig zu sein, müsste unter dem Aspekt der Metakommunikation die Intention, Philosophie und Ethik eines jeden, der verantwortlich an einer Ausstellung mitarbeitet, untersucht und in Beziehung zu anderen Metakommunikationen gesetzt werden. Es müsste gewissermaßen eine Gesamt-Metakommunikation erarbeitet und mit einer möglicherweise vorhandenen Grundpolitik des Hauses/des Museums die Konzeption und Gestaltung von Ausstellungen betreffend abgeglichen werden, um daraus verallgemeinernd eine Metakommunikation abzuleiten. Dies wurde in der vorliegenden Untersuchung darauf komprimiert, dass in die Betrachtung der Museen und Ausstellungen immer auch vorhandene Publikationen zur Ausstellung, Presseberichte und wenn möglich Interviews mit den Museumsdirektoren oder verantwortlichen Ausstellungsmachern einbezogen wurden. Der Aspekt der Metakommunikation ist nicht zu vernachlässigen, da für eine gewisse Zeit eine kleine Gruppe von Personen, bestehend unter anderem aus den Kuratoren, Gestaltern und Mitarbeitern der Ausstellung, die einzigen Personen sind, die das der Ausstellung zugrundeliegende Konzept kennen und denen es in seiner Vielgestaltigkeit verständlich ist. Sie haben den Objekten durch Exponieren und Arrangieren den Zeichencharakter der Dinge herausgestellt und ihnen einen Wert zugeschrieben. Den Besuchern muss dies erst vermittelt werden. Die Zeichen schaffen die Voraussetzung für die später stattfindenden kommunikativen Prozesse, in die der Besucher einer Ausstellung eintritt. Die Planung und Realisierung einer konkreten Ausstellung beruht also im Umkehrschluss auch auf der Planung und Realisierung von Codes. Von Interesse ist dabei, inwieweit durch die Präsentation von Objekten der generelle Prozess der Decodierung und Zuschreibung von Bedeutung an ein Objekt angeleitet werden kann. Dabei ist jedoch zu berücksichtigen, in welcher Realisierungsform des Museums man sich gerade befindet beziehungsweise in welcher Realisierungsform sich das Objekt, das man betrachtet, befindet und welche Voraussetzungen durch die unterschiedlichen musealen Kontexte gegeben sind.

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Wissenschaftsmuseen

2.2

Museale Realisierungsformen

Betrachtet man die oben beschriebenen Zusammenhänge, so drängt sich die Annahme auf, dass, wenn man Objekte im musealen Raum präsentiert, ein wesentlicher Unterschied besteht zwischen Objekten in Sammlung und Depot, der Sonder- und der Dauerausstellung – und dies sowohl in der Art und Weise ihrer Präsentation als auch in den Formen des Wissens, die dadurch vertreten werden. Dies Wissen ist historisch gewachsen und hat sich durch die Ausdifferenzierung der Institution Museum als solche in verschiedenen Arten von Museen im Speziellen ergeben. Diese Entwicklung gilt es im Folgenden für die verschiedenen musealen Realisierungsformen darzustellen. Das Museum hat sich im Laufe der Zeit zu einer Institution entwickelt, die verschiedene gesellschaftliche Aufgaben erfüllt: Es kann beispielsweise ein Erinnerungsort kollektiver Geschichte sein, ein Ort, an dem ein Thema mit gesellschaftlicher Relevanz – wie etwa die gesundheitliche Aufklärung – mittels einer Ausstellung aufbereitet wird, oder auch ein Ort, der mit Ausstellungen das Publikum unterhält. Das eine schließt das andere nicht aus. Gemeinsam ist den Aufgaben, dass zu ihrer Erfüllung spezielle Räume notwendig sind. Dem jeweiligen Zweck entsprechend, gibt es im Museum verschiedene Räumlichkeiten mit unterschiedlichen Funktionen, aus denen verschiedene Raumtypen resultieren. Die Außenwahrnehmung des Museums wird maßgeblich beeinflusst durch die Präsentation des Sammlungsbestandes auf den Dauer- und den Sonderausstellungsflächen des Hauses. Damit zeigt die Institution sich, ihre Sammlungen und die damit verknüpften Themen der Öffentlichkeit.

2.2.1

Die Sammlung/Das Depot

Über die Ausstellungsflächen hinaus gibt es im Museum weitere Räumlichkeiten, zum Beispiel für die Museumspädagogik oder für die Verwaltung. Aber tatsächlich ist das eigentliche Kernstück jedes Museums doch eine Räumlichkeit, die weitgehend unsichtbar ist: das Depot. Das ist der Bereich im Haus, der den Besuchern in der Regel verborgen bleibt und den sie nicht betreten können. Museen verfügen gemäß ihres Sammlungsauftrages in der Regel über mehr Objekte, als sie ausstellen können. Das ist Segen und Fluch zugleich. Den nicht-sichtbaren Teil der Sammlungen findet man im Depot: Hier wird

2. Theoretisches

die vom ICOM für die Museen formulierte Aufgabe des Bewahrens und Erhaltens52 erfüllt. Im Depot lagert alles, was aktuell kein Bestandteil einer Ausstellung ist. Für die großen westlichen Museen nimmt man an, dass nur um die zehn Prozent des tatsächlich vorhandenen Sammlungsbestandes ausgestellt sind.53 In Abhängigkeit davon, wie lange die Institutionen schon bestehen, besitzen die einzelnen Museen unterschiedlich große Sammlungen, über die es den Überblick zu behalten und die es zu betreuen gilt. Trotz unterschiedlicher Sammlungskonzepte ist allen Museen gemeinsam, dass der Sammlungsbestand durch Erweiterung oder Ergänzung mit quantitativen Schwankungen von Jahr zu Jahr wächst. Die Betreuung der Sammlung ist jedoch nicht die einzige Aufgabe, die vom ICOM für das Museum formuliert wurde. Über das Bewahren und Beschaffen hinaus hat es auch die Aufgabe, seine Bestände zu zeigen und für die Vermittlung bildungspolitischer und kulturhistorischer Aufgaben einzusetzen. Durch diesen Vermittlungsauftrag tritt das Museum in Konkurrenz zu anderen Bildungseinrichtungen. So entsteht für Museen ein Legitimationsdruck, der sich sowohl politisch als auch finanziell niederschlägt. Einerseits müssen sie ihrem Sammlungsauftrag nachkommen, geeignete Räumlichkeiten für die Sammlung vorhalten und finanzieren, und andererseits publikumsaffine und, gemessen an den Besucherzahlen, erfolgreiche Ausstellungen zeigen – den Großteil davon als Wechselausstellungen, die auch von Aktualität und Relevanz geprägt sein sollen. Um mit den zur Verfügung stehenden Mitteln besser haushalten zu können, liegt es nahe, weniger zu sammeln und/oder die Sammlung zu verkleinern. Initiativen und Konzepte zum Ent-Sammeln, zur Deakzession, gibt es erst seit wenigen Jahren und fast ausschließlich im deutschsprachigen Raum. Denn: »Anders als in den USA, Großbritannien oder den Niederlanden gilt die Abgabe von Museumsgut im deutschsprachigen Raum als höchst umstritten.«54 So herrscht in der Regel in Museen ein konstantes Missverhältnis zwischen Deponieren und Exponieren. Dabei muss man sich auch vor Augen führen, dass das Depot zu großen Teilen Objekte beherbergt, die fester Bestandteil der Sammlungen des Hauses sind, aber aus restauratorischen und kon52

53 54

Vgl. Ethische Richtlinien für Museen von ICOM, Online Zugriff unter: www.icomdeutschland.de/client/media/570/icom_ethische_richtlinien_d_2010.pdf [Zugriff 20.03.2018]. Vgl. Griesser-Stermscheg, Martina: Tabu Depot. Das Museumsdepot in Geschichte und Gegenwart, Wien: Böhlau 2013, S. 113. Ebd., S. 149.

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Wissenschaftsmuseen

servatorischen Gründen nicht in einer Ausstellung gezeigt werden können. Daraus resultieren hohe, auch kostenintensive Anforderungen an die Depoträume, was Licht, Klimakontrolle, Brand- und Diebstahlschutz, Schädlingsprävention, Vermeidung von Staubentwicklung, Schutz vor Wasserschäden und die Schadstoffabgabe betrifft. Diese Objekte wurden einmal zusammengetragen, um die bestehende Sammlung zu ergänzen, und gehören, vermittelt über die Bewahrungsfunktion, als fester und dauerhafter Bestandteil zum Museum und seiner Sammlung. In Abhängigkeit vom Erhaltungszustand der Objekte im Depot stehen sie darüber hinaus für die Forschung zur Verfügung. Die Entwicklungsgeschichte des Museumsdepots war lange Zeit ungeschrieben beziehungsweise nur punktuell, mit Lücken, dargestellt.55 Es lässt sich aber zumindest der dem Deponieren vorausgehende Impuls festmachen, denn: »seit gesammelt wird, muss auch verstaut und gelagert werden.«56 Aufgrund der untrennbaren Verbindung von Präsentations- und Museumsgeschichte57 ist die Historie des Museumsdepots eng verknüpft mit der Entwicklung des Museums als Institution aus den vormusealen Sammlungen des 15. bis 18. Jahrhunderts. Das Sammeln erlebte Ende des 19. Jahrhunderts einen Höhepunkt. Die Sammlungen wuchsen zu dieser Zeit enorm und brachten die Schausammlungen an die Grenzen ihrer räumlichen Belastbarkeit. Es erfolgte die Trennung der Sammlungen in eine Schausammlung und in eine der Öffentlichkeit nicht zugängliche Depot- oder Forschungssammlung und daraus ergab sich die Institutionalisierung des Depots als solchem. In Gang gebracht wurde diese Entwicklung bereits einige Jahrhunderte vorher. Während der Renaissance entstanden im 14. und 15. Jahrhundert in Europa Kunst- und Wunderkammern, sowie Naturalien- und Raritätenkabinette. Adlige und Gelehrte versammelten an diesen Orten Dinge, die aufgrund ihrer Einzigartigkeit oder schweren Erreichbarkeit, wegen ihrer künstlerischen Verfasstheit oder ihrer außergewöhnlichen oder auffälligen Erscheinung gesammelt, bewahrt, beforscht und im kleinen Kreise auch gezeigt wur55

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Dies änderte sich 2018 mit Erscheinen der Untersuchung von Thomas Thiemeyer. Siehe Thiemeyer, Thomas: Das Depot als Versprechen. Warum unsere Museen die Lagerräume ihrer Dinge wiederentdecken, Köln: Böhlau 2018. Griesser-Stermscheg: Tabu Depot (Anm. 53), S. 9. Vgl. Habsburg-Lothringen, Bettina: Schaumöbel und Schauarchitekturen. Die Geschichte des Ausstellens als Museumsgeschichte, in: Natter, Tobias G./Fehr, Michael, Habsburg-Lothringen, Bettina (Hg.): Das Schaudepot. Zwischen offenem Magazin und Inszenierung, Bielefeld: transcript 2010, S. 49-64, hier: S. 49.

2. Theoretisches

den. In diesen frühen Formen des Museums war das, was man heute als Depot bezeichnen würde, im Ausstellungsraum enthalten. Es wurde jedoch noch nicht in Ausstellungs- und Depotraum differenziert – weder durch die Art der Präsentation, noch durch unterschiedliche Objekte: Bis in das 17. Jahrhundert waren diese Kunst- und Wunderkammern dabei Konglomerate aus Künstlerischem, Technischem und Natürlichem: An Graphiken und Gemälde, Bücher und Texte antiker Autoren reihten sich Landkarten und Skulpturen, Mumien und Musikinstrumente, wertvolle Textilien, Schmuckstücke und Gefäße. Neben den Büsten bedeutender Persönlichkeiten […] und religiösen Kunstgegenständen schichteten sich astronomische und mathematische Instrumente, Automaten und Münzen, verzierte Waffen und Totenurnen, […]. Die Natur war in Form getrockneter Pflanzen, gebleichter Muscheln und aufgespießter Insekten gegenwärtig. Sie überraschte mit Magensteinen, Tierzähnen und Bergkristallen, mit Adlerkrallen und Hirnschalen. Besonderen Gefallen rief auch die […] neue Welt der außereuropäischen Naturen und Kulturen hervor. Von dort gelangten ausgestopfte Vögel und lackierte Reptilien oder die Statuetten fremder Götter in die Sammlungsräume.58 Die für die spätere museale Präsentation durchgesetzte räumliche Trennung von Kunst, Wissenschaft und Natur fand demnach in den frühen Kunst- und Wunderkammern noch nicht statt. Sie bestachen durch Üppigkeit und Fülle. In ihrer Mannigfaltigkeit bildeten die Kunst- und Wunderkammern – wie es auch der Buchtitel von Andreas Grote suggeriert – die Welt im Kleinen ab, um diese zu beforschen. Für die Kunst- und Wunderkammern entwickelte Schaumöbel machten es später möglich, der Präsentation der Objekte eine Struktur zugrunde zu legen und Zugang und Einsicht zu kanalisieren.59 In diese Richtung dachte 1565 bereits Samuel Quiccheberg mit seinem Traktat Inscriptiones vel Tituli Theatri Amplissimi, das heute als das früheste Handbuch der Museumskunde im deutschsprachigen Raum gilt. Es handelt sich um eine Empfehlung für 58

59

Vgl. ebd., S. 49f. Vgl. zu den Kunst- und Wunderkammern: Bredekamp, Horst: Antikensehnsucht und Maschinenglauben. Die Geschichte der Kunstkammer und die Zukunft der Kunstgeschichte, Berlin: Wagenbach 2000; Grote, Andreas (Hg.): Macrocosmos in Microcosmo. Die Welt in der Stube. Zur Geschichte des Sammelns 1450-1800, Opladen: Leske und Budrich 1994. Vgl. te Heesen, Anke: »Vom Einräumen der Erkenntnis«, in: dies./Michels, Anette (Hg.): Auf \Zu. Der Schrank in den Wissenschaften, Berlin: Akademie Verlag 2007.

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Wissenschaftsmuseen

ideal eingerichtete Ausstellungsräume. Quiccheberg schlägt vor, die vorhandenen Bestände zu trennen in Schau- und Archivsammlung, zu unterscheiden in theatrum und promptuarium imaginum. Letzteres kann als Vorform eines Depots verstanden werden. Es bezeichnet Truhen, später auch Koffer, kleine Schränke, Kisten, Tische, Pulte, die im theatrum – der permanenten Präsentation und Inszenierung der Objekte – standen und in denen Bestände aufgehoben wurden, die ergänzend zu den sichtbaren Gegenständen hervorgeholt werden konnten.60 Im späten 17. Jahrhundert veränderte sich das Verständnis von Forschung, die Kunst- und Wunderkammern verloren ihren Reiz. Statt unmotiviert und ohne sichtbare Ordnung Objekte zusammenzutragen und zu beforschen, begann man die zusammengetragenen Bestände nach sich herausbildenden neuen Prinzipien zu systematisieren, die sich auf Beobachtungs- und Messinstrumente stützten. Die so entstandenen wissenschaftlichen Sammlungen bildeten die Grundlage für die öffentlichen naturwissenschaftlichen, historischen, technischen, kunstgewerblichen und ethnographischen Museen, die im 18. und 19. Jahrhundert gegründet wurden. Diese Entwicklung ist für das Naturmuseum eng mit dem schwedischen Wissenschaftler Carl von Linné verbunden, der mit seinem 1735 erschienenen Grundlagenwerk Systemae Naturae die heutige biologische Nomenklatur für die Einteilung des Tier- und Pflanzenreichs nach Klasse, Ordnung, Gattung, Art und Varietät entwickelte. Mit Museen, die diese Einteilung aufgriffen, die ihre Sammlungen und Ausstellungen auf der Grundlage fachwissenschaftlicher Kriterien aufstellten, also auf gleicher Höhe mit dem wissenschaftlichen Fortschritt agierten, war ein wichtiger Entwicklungsschritt des Museums auf dem Weg zu der Institution, wie sie heute bekannt ist, gemacht. Es lässt sich ein Bogen schlagen vom Wundern und Staunen in den Kunst- und Wunderkammern der frühen Neuzeit hin zum wissenschaftsbasierten Museum des 19. Jahrhunderts. Der rasante Wissenszuwachs in dieser Zeit – »[D]as Wissen explodierte zeitgleich mit der Dingwelt: Im 19. Jahrhundert konnte keine Sammlung und kein Museum mehr beanspruchen, die Welt als Ganzes einzufangen«61 – und die daraus resultierende Ausdifferenzierung der Wissenschaften und Fächer 60

61

Vgl. Griesser-Stermscheg, Martina: Die Geschichte des Museumsdepots, in: dies.: Tabu Depot. Das Museumsdepot in Geschichte und Gegenwart, Wien: Böhlau 2013, S. 13-69, hier: S. 21. te Heesen, Anke/Spary, Emma C.: Einleitung, in: dies. (Hg.): Dingwelten. Das Museum als Erkenntnisort, Köln: Böhlau 2005 (Schriften des Deutschen Hygiene-Museums Dresden 4), S. 11-13, hier: S. 13.

2. Theoretisches

in Spezialgebiete mit eigenen Fragestellungen, das Streben nach Chronologie und Vollständigkeit, die sich in den Sammlungen anhand einer rasanten Anhäufung von Belegen äußerten, brachte die Museumsbauten an die Grenzen ihres Fassungsvermögens. Die Architekturen des 19. Jahrhunderts waren als würdevolle Rahmen für Ruhm, Größe und Fortschritt erdacht, auf Dauer angelegt, nicht aber auf Erweiterung. Für die zentralen Lichthöfe und die sie umgebenden großzügigen Ausstellungsräume waren Wechsel oder Expansion nicht vorgesehen.62 Hanno Möbius konstatiert für die Museumsarbeit in dieser Zeit drei »Spannungsverhältnisse«: Neben den Konflikten zwischen nationalen und internationalen Perspektiven war es zum zweiten die ursprünglich enzyklopädische Ausrichtung vieler Sammlungen, die der zunehmenden Spezialisierung entgegenstand, vor allem aber zum dritten die Balance zwischen antiquarischer Bewahrung und gegenwartsbezogener Ausstellungspraxis.63 Vor allem der dritte Punkt bildete die Grundlage für langwierige Diskussionen auf verschiedenen Fachtagungen, die schließlich zur Trennung der Sammlungs- von den Ausstellungsräumen in Architektur und Möblierung führte. In den Ausstellungsräumen wurden die Sammlungs- und Präsentationsschränke, wie man sie aus dem 18. Jahrhundert kannte – der obere Teil aus Glas, der untere ein durch Türen geschützter Stauraum – durch Vitrinen abgelöst. Durch das Ausstellen der Objekte hinter Glas löste sich die Präsentation des Objektes vom Schaumöbelstück, das funktional und repräsentativ in einem war. Das Betrachten des einzelnen Gegenstandes trat in den Vordergrund. Die Vitrinen erfüllten auch einen schützenden, ordnenden Zweck, gerieten aber zunehmend in die Funktion, den inhaltlichen Stoff auch interpretativ umzusetzen. […] Unterstützt wurden sie dabei von atmosphärischen Medien wie Farben, Tönen und Licht, die Stimmungen und so bestimmte Lesarten und Bedeutungszuschreibungen des Publikums provozierten.64 Das bot die Möglichkeit, für die Objekte, die nicht im Museum zu sehen waren, einen Ort und Raum zu schaffen, an dem nicht die Inszenierung und Ver62 63

64

Vgl. Habsburg-Lothringen: Schaumöbel (Anm. 57), S. 55. Siehe: Möbius: Hanno: Konturen des Museums im 19. Jahrhundert (1789-1918), in: Graf, Bernhard/Möbius, Hanno (Hg.): Zur Geschichte der Museen im 19. Jahrhundert 17891918, Berlin: G + H Verlag 2006 (Berliner Schriften zur Museumskunde 22), S. 11-21, hier: S. 12. Habsburg-Lothringen: Schaumöbel (Anm. 57), S. 60.

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Wissenschaftsmuseen

mittlung im Vordergrund steht, sondern die Arbeit am und mit dem Objekt: das Restaurieren, das Beforschen und das Aufbewahren im Museumsdepot – unabhängig vom Besucher, gewissermaßen hinter den Kulissen. Schlussendlich zeigt sich mit der skizzierten Entwicklungsgeschichte, dass die Geschichte des Depots durch den Wandel der Öffentlichkeiten geprägt war: durch den Wandel der Zugänglichkeiten und durch das sich ausdifferenzierende Publikum, Fachpublikum und interessierte Laien. Mit Rückgriff auf die theoretische Annahme, die dieser Untersuchung zugrunde liegt, dass jeder Teil des Museums für eine andere Form von Wissen stehen kann, lassen sich Unterschiede zwischen den Wissensformen ausmachen, die vor allem über die Anordnung von wahrnehmbaren Elementen im Raum deutlich werden. Das heißt, verschiedene Wissensformen werden in der Dauer- und der Sonderausstellung sowie dem Depot durch unterschiedliche Anordnungen präsentiert. So lassen sich Unterschiede zwischen den Wissensformen ausmachen, die in der Dauer- und der Sonderausstellung sowie dem Depot durch unterschiedliche Anordnungen präsentiert werden. Die Besonderheit des Wissens in den jeweiligen Bereichen hängt maßgeblich von den Objekten ab, die sich dort finden lassen. Der Unterschied wird allerdings in erster Linie nicht durch die Objektklassen begründet, sondern hängt von der Art und Weise ab, wie mit den Objekten umgegangen wird.65 Dieser Umgang hängt wiederum von der jeweiligen Realisierungsform des Museums, in dem sich das Objekt befindet ab. In engem Zusammenhang damit stehen auch die graduellen Unterschiede in Präsentation und Inszenierung, die die jeweilige Realisierungsform erfordert. Sowohl in der Dauer- als auch in der Sonderausstellung und gleichermaßen im Depot steht das einzelne Objekt neben anderen Objekten – teilweise sehr vielen anderen Objekten. Alle sind sie auf die gleiche Weise inventarisiert und katalogisiert: mit einer Inventarkarte, auf der ihre Inventarnummer und die Objektbezeichnung vermerkt ist. Während das Objekt in einer Dauer- oder Sonderausstellung aber Teil einer chronologischen oder auch thematischen Erzählung ist und dementsprechend inszeniert wird, steht es im Depot zunächst einmal nicht für das Museum oder die Sammlung, sondern nur für sich und die eigene Geschichte – 65

Vgl. Gfrereis, Heike: Archiv, in: dies./Thiemeyer, Thomas/Tschofen, Bernhard (Hg.): Museen verstehen. Begriffe der Theorie und Praxis, Göttingen: Wallstein 2015 (marbacher schriften. neue folge 11), S. 27.

2. Theoretisches

ohne besondere Präsentation. Es steht im Depotschrank neben anderen Objekten, die ihm beispielsweise in Material, Größe oder Gewicht ähneln oder die gleichen Anforderungen an die Aufbewahrung stellen. Im Depot herrscht eine eigene Ordnung der Objekte, die sich zu erheblichen Teilen aus konservatorischen und logistischen Gründen ergibt. Diese weicht von der Ordnung innerhalb der zugrundeliegenden Sammlung ab, mit der die Ordnung der Natur nachgebildet werden soll oder auch eine wissenschaftliche Systematik umgesetzt wird. Ähnlich wie es Heike Gfrereis für das Archiv ausführt, ist auch das Depot äußerlich mit den dort vorzufindenden Beschriftungen, Kisten, Kartons, Regalen und Schränken geprägt von Kontinuität und Kohärenz, von Serialität und Wiederholung.66 Dieses Ordnungssystem bestimmt maßgeblich den Kontext mit. Zeit im Sinne von Wochentagen und Tageszeiten spielt hier im Depot nur eine untergeordnete Rolle: Einziger Bezugspunkt für die einzelnen Objekte ist die größtmögliche Dauer ihrer Erhaltung, ihrer Bewahrung.67 – Eine besondere Form des Depots: das Schaudepot – Eine Art Zwischenstadium zwischen Deponieren und Exponieren ist das Schaudepot, auch Schaumagazin oder Schausammlung genannt. Es bedient als Mischform sowohl die Charakteristika von Ausstellungen als auch die eines Depots. Aus den unterschiedlichen Ausprägungen dieser Mischung entstehen in der Folge auch unterschiedliche Schaudepottypen.68 Seit Anfang der 2000er Jahren haben mehrere Museen das Präsentationskonzept des Schaudepots für sich entdeckt und nutzen es mit den ihnen zur Verfügung stehenden Mitteln.69 Über Führungen oder auch durch die Einrichtung 66 67

68

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Vgl. ebd., S. 31. Vgl. Hochreiter, Otto: In den Schlafsälen ohne Morgen. Über die Schwierigkeiten eines Dialogs mit den Dingen, in: Oláh, Stefan/Griesser-Stermscheg, Martina (Hg.): Museumsdepots. Inside the Museum Storage, Salzburg: Verlag Anton Pustet 2014, S. 34-36, hier: S. 35. Vgl. Funck, Andrea: Schaudepots – Zwischen Wunsch und Wirklichkeit, in: Natter, Tobias G./Fehr, Michael/Habsburg-Lothringen, Bettina (Hg.): Das Schaudepot. Zwischen offenem Magazin und Inszenierung, Bielefeld: transcript 2010, S. 67-81, hier: S. 74. Dieser Trend reagiert möglicherweise auf die Empfehlungen des deutschen Wissenschaftsrates zu wissenschaftlichen Sammlungen als Forschungsinfrastrukturen. Darin wird empfohlen, die vorhandenen Sammlungen verstärkt auch zur Forschung zu nutzen und sie auch der Öffentlichkeit zur Verfügung zu stellen. Die Empfehlungen kann man unter https://www.wissenschaftsrat.de/download/archiv/10464-11. pdf abrufen [Zugriff 27.12.2017].

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Wissenschaftsmuseen

von Schau-Depots beziehungsweise repräsentativen Depotteilen wird der Öffentlichkeit ein Blick in den Bereich gewährt, der den Besuchern sonst verschlossen bleibt, es wird der sogenannte Dachbodeneffekt 70 genutzt. Dies geschieht unter anderem aus der Notwendigkeit heraus, Zugangsmöglichkeiten zu einem Ort im Museum zu schaffen, der dem Museumsbesucher üblicherweise verborgen bleibt, aber durch Eintrittsgelder und Kulturförderung finanziert wird. Positiver Nebeneffekt ist, dass das Publikum zum einen für die verantwortungsvollen und anspruchsvollen Aufgaben der Sammlungspflege, zum anderen aber auch für die Unwägbarkeiten und Probleme des Sammelns und Bewahrens sensibilisiert werden kann. Der ehemalige Direktor des Victoria and Albert Museum London, Martin Roth, führt einen weiteren Aspekt aus: The collections in our care belong to you. We are merely the custodians. But we can only show a tiny percentage of them in our galleries and study rooms. What about all those hidden treasures that can be found carefully preserved in storage or that are too fragile to withstand movement and display? These are the real secrets of the art world, often untapped resources brimming with stories about design, culture and civilization. Our stores are the real museum; the museum is just one display window. We therefore need to change the rationale behind our storage and make it accessible. […] The collections at our great museums and art institutions should not only belong to you in theory, but in practice as well.71 Damit wird durch die Präsentationsform des Schaudepots das selten thematisierte Verhältnis zwischen Sammlung und in der Ausstellung gezeigten Objekten visualisiert. Man unterscheidet die zugänglichen Depots im Allgemeinen in das Schaudepot (visible storage) und das begehbare Depot (visitable storage). Das Schaudepot ist dadurch charakterisiert, dass die deponierten Objekte in der Regel entlang eines vorgegebenen Pfades, hinter Glas präsentiert werden. Zwischen Besucher und den Objekten ist eine Distanz vorherrschend. Die 70

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Vgl. Reichel, Michaela: Die Ordnung der Dinge: das Schaudepot – Resümee der Diskussion, in: Natter, Tobias G./Fehr, Michael, Habsburg-Lothringen, Bettina (Hg.): Das Schaudepot. Zwischen offenem Magazin und Inszenierung, Bielefeld: transcript 2010, S. 157-167, hier: S. 158. Roth, Martin, in: Girst, Thomas/Resch, Magnus (Hg.): 100 Secrets of the Art World. Everything you always wanted to know about the arts but were afraid to ask, London: Koenig Books 2016, S. 84.

2. Theoretisches

Perspektive auf die zu betrachtenden Objekte ist auf die Wahrnehmung dieser Distanz ausgelegt. Internationale, eindrückliche Schaudepots finden sich im Metropolitan Museum of Art in New York oder auch im Musée du quai Branly in Paris. Als eines der ersten europäischen Museen eröffnete 1999 das Übersee-Museum in Bremen sein Schaumagazin ÜberMaxx. Vom Schaudepot zu unterscheiden ist eine als Depot inszenierte Sammlungspräsentation oder eine Sonderausstellung im Depot-Stil. Ein Beispiel hierfür ist das Historische Museum in Luzern. Es eröffnete 2003 sein Haus mit einer neugestalteten Dauerausstellung, die sich gänzlich auf die Präsentationsstrategien des Schaudepots bezog. Hier wird die spezifische Ausstellungsform des Depots mitausgestellt. Alle Objekte sind in Depotschränken linear, ohne Beschriftung nebeneinander angeordnet. Den Besuchern wird ein Handscanner zur Verfügung gestellt, mit dem die an den Objekten angebrachten Scancodes ausgelesen werden können. Der Handscanner ist die einzig zur Verfügung stehende Orientierungshilfe. Ebenfalls abzugrenzen ist das begehbare Depot. Hier bewegen sich die Besucher im realen Depot, in einem Bereich des Museums, der für Bewahrung, Restauration usw. eingerichtet wurde. Die Schränke und Depotregale sind nicht extra ausgerichtet und in Szene gesetzt, der Besucher bewegt sich frei im Raum ohne Abgrenzung und in der Regel im Rahmen von geführten Rundgängen. Aber auch wenn es einige Vorteile dieser Form der Präsentation gibt – beispielsweise die große Anzahl an Objekten, die der Besucher bei seinem Besuch besichtigen kann – wird dieses Konzept nur in den wenigsten Fällen durchgehend ins Praktische umgesetzt. Denn einige Nachteile schlagen entscheidend ins Gewicht: zum Beispiel die stark eingeschränkte Zugänglichkeit, die spontane Wiederholungsbesuche ausschließt und die das begehbare Depot somit hauptsächlich für Wissenschaftler, Experten und Studierende attraktiv macht.72 Eine Form des Depots, die insbesondere Forscherinteressen entgegenkommt, stellt das sogenannte Studiendepot dar. Es besteht in dem Angebot, das einige Häuser Forschern und Wissenschaftlern machen, im oder nahe dem Depot in geeigneten Räumen Depotbestände einzusehen, die im Anschluss daran an ihren originären Platz zurückgeräumt werden. 72

Die Vor- und Nachteile dieses besonderen Typs Schaudepot hat Andrea Funck im Rahmen ihrer Masterarbeit zusammengetragen. Siehe: Funck, Andrea: Schaudepots (Anm. 68).

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Wissenschaftsmuseen

In der Vergangenheit hat es mehrfach Sonderausstellungen gegeben, die die Museumseinrichtung des Depots thematisierten. So holte beispielsweise das Berliner Medizinhistorische Museum der Charité 2012 in der Ausstellung Visite im Depot das Depot in die Ausstellung und thematisierte damit sich als Institution sowie die Formate musealer Präsentation.73 – Historische Entwicklung von Dauer- und Sonderausstellungen – Als Weiterführung der Entwicklungsgeschichte, die im vorigen Kapitel mit den musealen Sammlungen und dem Depot begonnen wurde, setzen die folgenden Ausführungen bei einem Blick auf die historische Entwicklung von Dauer- und Sonderausstellungen in Museen ein. Weder Dauer- noch Sonderausstellung hat es in Museen schon immer gegeben. Vielmehr sind sie jeweils Ergebnis einer durch die Vergrößerung der Sammlungen und der daraus resultierenden Ausdifferenzierung in Spezialmuseen angestoßenen Entwicklung. Der Endpunkt dieser Entwicklung ist noch nicht erreicht, aber es herrscht Einigkeit darüber, dass Ausstellungen »das spezifische Medium von Museen [sind, S.K.], durch welches sie sich der Öffentlichkeit mitteilen und präsentieren.«74 Über die Ausstellungen eines Museums lässt sich vermitteln, wofür es steht, welchen Leitlinien es folgt, welchen Platz in der Gesellschaft es für sich beansprucht und so weiter. Die Außen- und Fremdwahrnehmung des Museums wird über die Ausstellungen entscheidend mitbestimmt. Was bei synoptischen Betrachtungen dieser Art zumeist unerwähnt bleibt, ist die Differenzierung des Mediums Ausstellung in Dauer- und Sonderausstellung. Diese Trennung wird unter Umständen gedanklich mitgeführt, aber selten artikuliert oder verschriftlicht. So gibt es bislang nur wenig museologische Literatur, in der sich explizit mit den Formaten Dauer- und Sonderausstellung als solche auseinandergesetzt wird. Auch wenn das Museum im Allgemeinen, seine gesellschaftlichen Funktionen und Aufgaben, und zunehmend auch Fragen der Vermittlung durchaus betrachtet und diskutiert wurden, fehlten und fehlen Darstellungen, die »Fragen des

73 74

Vgl. Kapitel 3.1.2. Scholze: Medium Ausstellung (Anm. 22), S. 8.

2. Theoretisches

dauerhaften Ausstellens […] [i]n ihrem Zentrum führen.«75 Gleiches gilt für Sonderausstellungen.76 Dass es entscheidende Unterschiede zwischen Dauer- und Sonderausstellung und zwischen der jeweiligen Art und Weise gibt, in die Öffentlichkeit zu wirken, ist nichts desto trotz unbestritten. Zumal sich das Bewusstsein darüber in jedem größeren Museum wiederfindet, in dem es sowohl Dauer- als auch Sonderausstellungsflächen gibt – ob beide immer auch bespielt werden und in welcher Form, ist eine andere Frage.77 Unter Berücksichtigung des Umstands, dass beide Ausstellungsformate unterschiedlich auf das Erscheinungsbild des Museums einwirken, ist in beiden Bereichen sowohl der Umgang mit den präsentierten Objekten von besonderem Interesse wie auch die gestalterischen und konzeptionellen Rahmenbedingungen zu bedenken sind. Beides wirkt letztlich entscheidend auf die vermittelte Aussage und das damit transferierte Wissen ein.

2.2.2

Die Dauerausstellung

Die Bandbreite dessen, was mit Ausstellung bezeichnet werden kann, ist groß. Im allgemeinen Sprachgebrauch ist jegliche öffentliche Präsentation, jedes Herzeigen eine Ausstellung. Im musealen Kontext und insbesondere in der Dauerausstellung machen die Dinge, die Objekte, die gezeigt werden, den Unterschied: Es sind zwingend Stücke aus der eigenen Sammlung zu zeigen, die Dauerausstellung eines Museums macht eine repräsentative Auswahl seiner Sammlungsobjekte 75

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Habsburg-Lothringen, Bettina: Dauerausstellungen. Erbe und Alltag in: dies. (Hg.): Dauerausstellungen. Schlaglichter auf ein Format, Bielefeld: transcript 2012 (Edition Museumsakademie Joanneum 3), S. 9-18, hier: S. 16. Bettina Habsburg-Lothringen deckt dieses Desiderat auf, der von ihr herausgegebene Band zu Dauerausstellungen versammelt darum Beiträge aus unterschiedlichen Perspektiven und Disziplinen auf die Dauerausstellung. Eine aktuelle Untersuchung, die sich mit Dauer- und Sonderausstellungen beschäftigt, hat Nora Wegner 2015 als Dissertation vorgelegt. Unter dem Titel »Publikumsmagnet Sonderausstellung – Stiefkind Dauerausstellung?« interessiert sie sich aber eher für die Perspektive der Besucher. Sie untersucht, wie die Angebote Sonder- und Dauerausstellung aus Sicht der Besucher wahrgenommen werden. Siehe: Wegner, Nora: Publikumsmagnet Sonderausstellung – Stiefkind Dauerausstellung?, Bielefeld: transcript 2015. Vgl. ebd.: Kapitel 3.4 Aktuelle Entwicklungen bei Dauer- und Sonderausstellungen, insbesondere S. 57.

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Wissenschaftsmuseen

dauerhaft einer breiten Öffentlichkeit zugänglich. Durch dieses Repräsentieren der eigenen Bestände wird die Dauerausstellung zur Visitenkarte eines Museums und prägt entscheidend, welches Bild einerseits nach außen in die Öffentlichkeit und andererseits nach innen, an die Personen, die im Museum arbeiten, transportiert wird. Dies trägt sowohl nach innen als auch nach außen zur Identifikation mit dem Museum als Institution bei und prägt entscheidend die Vorstellung von einem Ort des Wissens. Es ist die Dauerausstellung, an der zu sehen ist, was es zu lernen und erfahren gibt, von welchen Dingen das Wissen handelt. Hinsichtlich dieser Zusammenhänge kommen diesem Ausstellungstyp spezifische Funktionen zu. Eine Dauerausstellung »vermittelt den Hauptgehalt des musealen Thesaurus und zeigt damit die Sammel-, Forschungs-, Dokumentations- und Kommunikationsziele des Museums auf.«78 Dass diese Vermittlung auf Dauerhaftigkeit, auf Langfristigkeit ausgerichtet ist, hat sowohl Vor- als auch Nachteile. Weil Dauerausstellungen über einen Zeitraum, der zunächst nicht begrenzt ist, dauerhaft zugänglich sind, sind sie in ihrer Kontinuität besonders attraktiv für bestimmte Gruppen von Personen, darunter beispielsweise Touristen und Schülergruppen. Kulturell interessierte Touristen wenden sich in ihrem Bestreben, etwas über die Geschichte oder Kultur eines Landes oder auch einer Stadt zu erfahren, gern an Museen. Diesen wird zugetraut, etwas Verlässliches darüber aussagen zu können: in der Dauerausstellung des Hauses. Oftmals gibt auch ein besonders Stück, im British Museum zählt dazu sicherlich der Stein von Rosette, den Impuls, in ein bestimmtes Museum zu gehen, um es sich anzuschauen. Dieses Stück ist ein Leitobjekt der Institution, das fest zum Bestand des Museums gehört und in der Dauerausstellung dauerhaft präsentiert wird. Etwas langfristig Gültiges vorzufinden, ist vermutlich auch der ausschlaggebende Faktor für Lehrer, Schüler ins Museum zu bringen. Dort findet sich etwas, das die Schüler gegebenenfalls nur aus dem Lehrbuch kennen, in materieller Form, in einer Art und Weise dargeboten, die auf kulturell selbstverständliche Weise als langfristig gültig und dauerhaft überprüfbar wahrgenommen wird. Die Dauerausstellung prägt den Eindruck und die Konnotationen, die man mit dem Museum, in dem sie zu sehen ist, verbindet. War man im Deut78

Waidacher, Friedrich: Handbuch der Allgemeinen Museologie, 3 Wien: Böhlau 1999 (Mimundus. Wissenschaftliche Reihe des Österreichischen Theatermuseums), S. 239.

2. Theoretisches

schen Historischen Museum, meint das in den meisten Fällen, man hat sich die Dauerausstellung angeschaut. Was den Bedürfnissen von Touristen und Lehrern entgegen kommt, empfindet Michael Fehr als Nachteil, zumindest aber als Problematik von Dauerausstellungen: Zeitlos-überzeitlich konzipiert und präsentiert, suggerieren sie eine dauerhaft gültige Deutung von Dingen und die Möglichkeit des objektiven Blicks. Sie verleugnen die Dynamik eines Museums und berauben es seines eigenen historischen Moments.79 Damit sind zwei wesentliche Punkte angesprochen: mit Blick auf die Laufzeit der Dauerausstellung, die, je nach finanzieller und personeller Ausstattung des Museums, durchaus bis zu 10, selten 15 Jahre betragen kann, wird erstens die Präsentation der Objekte darauf ausgerichtet, für einen zunächst unbestimmten Zeitraum gezeigt zu werden. Das heißt Objekte, Themen und Narrationen werden so gewählt, dass sie relativ losgelöst von gegenwärtigen und zukünftigen Entwicklungen überzeitlich gültig sind. Die Ausstellung bezieht sich also auf Fakten und Ergebnisse, auf Grundsätzliches, und stellt dieses als gesetzt dar. Dauerausstellungen frieren die Geschichte ein, sie sind konzeptuell nicht darauf ausgerichtet, neue Erkenntnisse und Entwicklungen zu integrieren, sie machen das Museum zu einem a-historischen Haus. Dieses Moment der Zeitlosigkeit bedeutet darüber hinaus zweitens, sich auch in der Gestaltung nicht nach aktuellen Trends zu richten, sondern Gestaltungsmittel zu wählen, die über mehrere Jahre hinweg die Präsentation konstant unterstützen und nicht schnell überholt sind – die klassisch sind. Dadurch werden Dauerausstellungen im Vergleich als »weniger abwechslungsreich, experimentell und innovativ«80 als beispielsweise Sonderausstellungen wahrgenommen. Die Konzeption stützt sich auf bewährte Ausstellungskonzepte wie Klassifikation und Chronologie. In klassifizierenden Ausstellungen wird das Objekt zu einem exemplarischen, weitgehend austauschbaren Objekt, es wird zum Vertreter. »Die Objekte werden dabei auf ihre formalen und funktionellen Eigenschaften reduziert und mit Informationen zu Fundort, -zeit und -situation etikettiert. Indivi79 80

Zit. nach: Habsburg-Lothringen: Dauerausstellungen. Erbe und Alltag (Anm. 75), S. 9f. Wegner: Publikumsmagnet Sonderausstellung (Anm. 76), S. 35.

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Wissenschaftsmuseen

duelle Geschichten, soziale, regionale, kulturelle Kontexte bleiben unbesprochen.«81 Zeigt die Dauerausstellung die Sammlungsobjekte in einer chronologischen Ordnung, so sind die präsentierten Objekte in eine Abfolge gebracht, anhand der Ereignisse oder individuelle Biographien sichtbar werden können. Sie vermitteln Zeitverläufe und erlauben es, Menschen und Dinge an exakten Punkten in Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft zu verorten.82 Dies bietet einen Überblick, vermittelt grundlegende Kenntnisse und belässt es dabei. Verknüpfungen zu aktuellen Ereignissen, Erkenntnissen und Entwicklungen bietet diese Form der Ausstellung nicht. Dadurch sind Dauerausstellungen nur bedingt geeignet, wiederholt dieselben Besucher anzuziehen. Dauerhaftes Interesse weckt man mit Neuigkeiten, mit Darstellungen, die einen Bezug zur aktuellen Lebensrealität schaffen und die auch medial präsent sind. Das ist allerdings nicht das Anliegen der Dauerausstellung, das kann sie von ihrer grundlegenden Ausrichtung her nicht leisten. Sobald die Dauerausstellung eröffnet ist und darüber berichtet wurde, verschmilzt sie im Bewusstsein der Öffentlichkeit mit dem Bild der Institution. Als Ereignis findet die Ausstellung nicht mehr statt, es werden keine Anreize geschaffen, sie sich (erneut) anzuschauen. Dadurch, dass sie kontinuierlich am selben Ort dieselben Objekte zeigt, hat diese Form der Ausstellung nur ein einziges Mal Nachrichtenwert: bei der Eröffnung. »Wenn ein Museum in unserer mediendominierten Welt ein Massenpublikum anlocken will, muss es in den Medien präsent sein.«83 Eine Möglichkeit, Aufmerksamkeit zu generieren, ist ein abwechslungsreiches museumspädagogisches Angebot – so es die finanzielle und personelle Ausstattung des Haues zulässt. Die Dauerausstellung wird gegebenenfalls noch einmal interessant, wenn sie in Teilen überarbeitet oder sogar vollständig erneuert wird. Dies bietet noch einmal einen Anreiz, um darüber zu berichten und den Stellenwert des Museums und seiner Dauerausstellung herauszustellen.84 81 82 83 84

Habsburg-Lothringen: Dauerausstellungen. Erbe und Alltag (Anm. 75), S. 10. Vgl. ebd., S. 10. Pomian, Krzysztof: Was macht ein Museum erfolgreich?, in: Museumskunde 72/2, 2007, S. 16-25, hier: S. 18. Eine grobe Internetrecherche über die Stichwortsuche neue Dauerausstellung hat ergeben, dass in 2017 in Deutschland mindestens vier größere Häuser die Erneuerung ihrer Dauerausstellungen abgeschlossen haben: das Bonner Haus der Geschichte, das Museum für Kommunikation in Frankfurt, das Literaturmuseum der Moderne in Marbach

2. Theoretisches

Durch erfolgreiche Präsentationen werden für das Museum (Wiederholungs-)Besucher generiert. Dies skizziert auch das Spannungsfeld, in dem sich Museen mit ihren zwei verschiedenen Ausstellungsformen befinden: Die Dauerausstellung bildet den Kern der musealen Tätigkeit, hier werden das Sammeln und Ausstellen als grundlegende Tätigkeiten im Museum besonders sichtbar. Dem können sich die die Mitarbeiter eines Museums aber nicht immer vollumfänglich widmen, da Sonderausstellungen zu gestalten sind, durch die nachweislich die Besuchszahlen gesteigert werden. Hohe Besuchszahlen wiederum sind notwendig, um damit die Legitimation der Institution Museum zu begründen. Museen stehen in direkter Konkurrenz zu anderen kulturellen Einrichtungen. Nur durch gleichmäßig hohe Einnahmen durch Eintritte können die Museen über die staatliche Förderung hinaus einen Teil zur Selbstfinanzierung beitragen und so in einigen wenigen Fällen sogar den kostenlosen Besuch ihrer Dauerausstellungen anbieten – die, wie oben ausgeführt, die Visitenkarte des Museums sind. Es ist zu beobachten, dass die Grenzen zwischen Dauer- und Sonderausstellung teilweise bewusst verwischt werden, um diesem Anspruch gerecht zu werden. Der Übergang zwischen den Ausstellungstypen scheint in der Gegenwart fließend zu sein. So lassen sich Entwicklungen beobachten, mit denen versucht wird, das überzeitliche Moment von Dauerausstellungen aufzubrechen. Über Interventionen lassen sich kurzzeitige Überarbeitungen, Aktualisierungen und Erweiterungen der bestehenden Dauerausstellung realisieren. Diese Interventionen sind eine Möglichkeit, die – zumeist über Kunst – neues Interesse für die bestehende Ausstellung wecken soll. Die Interventionen fordern durch das Hinzufügen neuer Elemente und punktuelle Veränderungen der Ausstellung neue Blicke und Perspektiven auf die Dauerausstellung heraus und können über die Aktualisierung, Kontrastierung und Kommentierung die Ausstellung und das was sie vermittelt, zur Diskussion stellen, die Reflexion darüber anregen und sie so wieder interessant machen.

2.2.3

Die Sonderausstellung

Um in den Medien präsent zu bleiben und darüber vermittelt auch Besucherzahlen zu generieren, ist das Museum darüber hinaus in der Pflicht, wiederund das Deutsche Hygiene-Museum in Dresden. Zwei weitere Museen planten die Fertigstellung der neuen Dauerausstellung für 2019: das Jüdische Museum in Berlin und das Zeitgeschichtliche Forum in Leipzig.

63

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Wissenschaftsmuseen

kehrende Reize zu schaffen: Dies geschieht zumeist über Sonderausstellungen. »[U]m Beachtung in den Medien zu finden, muss es [das Museum, S.K.] Events produzieren – ein Event ist in diesem Falle etwas, das von den Medien aufgegriffen und besprochen wird.«85 Als dritte museale Realisierungsform sollen nun Sonderausstellungen und ihre Spezifika vorgestellt werden. Die dringendsten Fragen, die sich durch die vorhergehenden Schilderungen zu Sammlung/Depot und Dauerausstellung an diese museale Realisierungsform ergeben, hat Bettina HabsburgLothringen folgendermaßen zusammengefasst: Seit wann gibt es Sonderausstellungen in Museen? Wie lassen sie sich charakterisieren? In welchem Verhältnis stehen sie zu den Dauerausstellungen? Welche Bedeutung haben sie für die institutionelle Identität oder das Selbstverständnis Museumsverantwortlicher? Welche Ziele verfolgen diese mit Sonderausstellungen? Auch die Sonderausstellungen sind im Zuge der Ausdifferenzierung der Museen, als Folge des enormen Wissenszuwachses im 19. Jahrhundert entstanden. Die Neuerwerbungen und Spezialisierungen in den Sammlungen wurden über »Sonderausstellungen der Kunst, Volkskunde, Natur und Kulturgeschichte mit den Erkenntnissen der sich entwickelnden Wissenschaften vorgestellt.«86 Lange Zeit nahm die klassische Sonderausstellung so Bezug auf die vorhandenen Sammlungen. Die tiefgründigere Beschäftigung mit den Sammlungsobjekten führte zu Themen, die im Rahmen einer Sonderausstellung entwickelt wurden. Im Gegensatz dazu gab es bereits früh auch Sonderausstellungen, die von Beginn an stark thematisch orientiert waren und erst in einem zweiten Schritt die zur Verfügung stehende Sammlung auf Objekte prüfte, die sich in die Ausstellung integrieren ließen. Gestaltungstechnisch waren die »Vorläufer von Sonderausstellungen […] Akademieausstellungen im Kunstbereich, Gewerbe- und Industrieausstellungen sowie die Weltausstellungen.«87 Insbesondere die Weltausstellungen 85 86

87

Pomian: Was macht ein Museum erfolgreich? (Anm. 83), S. 18. Habsburg-Lothringen, Bettina: Sonderausstellungen. Grundlegende Bemerkungen zu einem Format am Beispiel der Ausstellungstätigkeit am Universalmuseum Joanneum seit 1811, in: Natter, Tobias G./Fehr, Michael/Habsburg-Lothringen, Bettina (Hg.): Die Praxis der Ausstellung. Über museale Konzepte auf Zeit und auf Dauer, Bielefeld: transcript 2012 (Kultur- und Museumsmanagement), S. 17-39, hier: S. 20. Wegner: Publikumsmagnet Sonderausstellung (Anm. 76), S. 38.

2. Theoretisches

gaben wichtige Impulse zu Gestaltungsweisen von Sonderausstellungen. Als Nationenausstellung präsentierten sich hier die Nationen von ihrer besten Seite. Über die Gestaltung der Pavillons wurde zum einen das Selbstverständnis transportiert. So präsentierte der von Ludwig van Rohe für die Weltausstellung 1929 in Barcelona gestaltete Pavillon durch Modernität und Offenheit die Weimarer Republik als demokratischen Staat, knapp zehn Jahre später stand der Monumentalbau von Albert Speer auf der Ausstellung 1937 in Paris für »die nationalistischen Gefühle«88 eines totalitären Staates. Zum zweiten boten die Weltausstellungen Anlass, beispielsweise technischen Fortschritt und Innovationen, aber auch besondere, unbekannte Waren zu präsentieren – auf die bestmögliche und eindrücklichste Art und Weise: Die Weltausstellungen […] machten neue Formen der Präsentation populär. Ihre neuartigen Formen der Belehrung und Anregung führten den Museumskuratoren vor Augen, wie man ein Publikum fesselt und eroberten sich ›einen festen Platz im Museumsrepertoire‹.«89 Seit Anfang der 2000er Jahre ist zu beobachten, dass sich Sonderausstellungen vermehrt dem Zeitgeschehen widmen, dass aktuelle, gesellschaftlich relevante Fragestellungen aufgegriffen und populär bearbeitet werden. Das geschieht unabhängig davon, ob es sich um abstrakte Themen handelt, die nur schwer mit klassischen musealen Objekten kombiniert werden können: beispielsweise kulturelle Zugehörigkeit, Ethik und Verantwortung oder Konzepte wie Freundschaft und Scham. Oftmals wird in Ausstellungen für derartig abstrakte Themen das Mittel der Kunst gewählt, die »mit ihrer langen Tradition im Sichtbarmachen von Ideen und als sublimes Ausdrucksmittel auch außerhalb der Kunstausstellungen eine neue Bedeutung«90 gewinnt. Über die Kunst hinaus wurden zunehmend auch andere Zugänge zu den Ausstellungsthemen gewählt: das Zusammenspiel verschiedener Disziplinen und die Öffnung für die Darstellung von Theorien und Methoden erweiterten das Spektrum der Sonderausstellungen sowohl in den Themen als auch in deren gestalterischer Umsetzung. 88

89 90

Selle, Kerstin: Szenographie als neues Gestaltungskonzept in Ausstellungen und Museen am Beispiel des Historischen Museums in Hannover, Diplomarbeiten Agentur diplom.de 2002, S. 15. Kretschmer, Winfried: Weltausstellung oder die Erfindung des Edutainments, in: Museumskunde 65/1, 2000, S. 83-90, hier: S. 86. Habsburg-Lothringen: Sonderausstellungen (Anm. 86), S. 25.

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Wissenschaftsmuseen

Sonderausstellungen sind in der Regel räumlich nicht so komplex wie Dauerausstellungen angelegt, greifen dafür aber in ihrer Gestaltung auf die Bandbreite der zur Verfügung stehenden Mittel zurück. Gerade weil Sonderausstellungen nur für eine begrenzte Zeit zu sehen sind, nur eine Momentaufnahme sein können und keine langfristige Gültigkeit entwickeln, ergeben sich thematisch und gestalterisch Freiheiten, die sie unabhängig von klassischen Gestaltungskonzepten machen. Dadurch werden in Sonderausstellungen oftmals sämtliche technische und mediale Innovationen, die zur Verfügung stehen, genutzt. Dies ist mit der spezifischen Ausrichtung von Sonderausstellungen zu erklären: Im Museum sind Sonderausstellungen der Ort, an dem Ergebnisse aktueller Auseinandersetzung mit Entwicklungen, Standpunkten und Fragestellungen diskutiert werden. Der Pool an möglichen Themen scheint unerschöpflich zu sein, das bietet Gelegenheiten, diverse Interessengebiete abzudecken und verschiedene Personengruppen anzusprechen. Das macht Sonderausstellungen besonders interessant für Medien und Besucher. Insbesondere auch deshalb, weil durch den von vornherein nur begrenzten Zeitraum, in dem die Ausstellung verfügbar sein wird, eine Notwendigkeit zum Handeln suggeriert wird. Das »Ablaufdatum« der Sonderausstellung erzeugt eine zusätzliche Motivation: etwas zu sehen, das es danach in dieser Form nie wieder geben wird. Sonderausstellungen vermitteln durch aktuelle Themen und Fragestellungen ein modernes und dynamisches Bild, das über eine gute Presse auch an das Publikum vermittelt wird: Museums are interested in creating better images of their institutions and in building greater visibility in order to gain public understanding, support and involvement. Special exhibitions can be an important factor in achieving these goals. Museum directors are now able to change the image of a huge, static, monolithic institution where nothing much happens, to a dynamic place where the visitor can be attracted by a variety of exhibitions on a variety of subjects resulting from a strong, temporary exhibition program.91 George Gardner bekräftigt noch einmal, was die große Stärke der Sonderausstellung im Vergleich mit den anderen beiden musealen Realisierungsformen ist: sie bricht das starre Image des Museums auf. Dies gelingt den Sonderausstellungen immer wieder durch das Brechen von Sehgewohnheiten, durch 91

Gardner, George S.: What’s so special about the special exhibitions?, in: Museum International 38, 1986, S. 196-200, hier: S. 200.

2. Theoretisches

neue Gestaltungsmittel und Inszenierungen, die häufig an Events und Bühnenaufführungen erinnern. Es zeigt, wie groß der Einfluss sein kann, den Gestaltung und Inszenierung auf das Image des Museums ausüben können.

2.3

Zusammenhang zwischen Gestaltung und Inszenierung

Ausgangspunkt meiner Überlegungen ist die Feststellung, dass es im Museum verschiedene Möglichkeiten und Formen gibt, wie man die zu den Sammlungen gehörenden Objekte präsentieren kann. Dabei ist unter Präsentation zunächst im weitesten Sinn die Sichtbarmachung, das Zeigen zu verstehen.92 Abhängig von der Realisierungsform, in der das Objekt im Museum gezeigt wird, unterscheiden sich die Realisierungsformen der Präsentation. Dies ist der Kern der der Arbeit zugrundeliegenden These. Je nachdem, ob das Objekt im Depot, in einer Dauer- oder einer Sonderausstellung zu sehen sein soll, werden für die Präsentation spezifische Methoden und Formen zur Anwendung gebracht, also vom Ziel her gedachte, auf den Effekt hin ausgerichtete Mittel genutzt, um das intendierte Ziel zu erreichen: eine Aussage zu tätigen, dem Besucher etwas zu vermitteln oder schlicht den praktischen Anforderungen des Umgangs mit den Objekten zu entsprechen. Das Zur-Schau-Stellen folgt bestimmten Strategien der Inszenierung. Dies wird bedingt durch die verschiedenen Auffassungen von idealtypischen Ausgestaltungen einer Dauer-, Sonder-, oder Depotausstellung, so wie sie von Museum zu Museum, von Museumsdirektor zu Museumsdirektor, von Kurator zu Kurator variieren. Jedes Haus für sich entwickelt und unterhält – ob nun intuitiv oder in Regeln und Leitlinien festgeschrieben – eine Vorstellung davon, was die unterschiedlichen Ausstellungen des Hauses leisten 92

Die Strategien der Präsentation in musealen Kontexten waren 2011 bereits Gegenstand meiner Magisterarbeit mit dem Titel »WeltWissen. 300 Jahre Wissenschaften in Berlin. Strategien der Präsentation im Museum«. In der Beschäftigung mit der Wissenschaftsausstellung WeltWissen habe ich die in dieser Ausstellung umgesetzten Präsentationsformen Chronologie, Raumbild und Wissensweg deskriptiv untersucht und in Verbindung mit zentralen Objekten der Ausstellung gebracht. Die für die Magisterarbeit erarbeiteten theoretischen Grundlagen der Präsentationsstrategien dienen als Basis, müssen jedoch punktuell erweitert und differenziert werden, um für alle drei Realisierungsformen des Museums – Depot, Sonderausstellung, Dauerausstellung – Gültigkeit entwickeln zu können.

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Wissenschaftsmuseen

sollen, was mit ihnen ausgesagt, welches Publikum angesprochen werden soll, von welchen anderen kulturellen Institutionen, welchen anderen Museen ähnlicher Ausrichtung man sich gegebenenfalls abgrenzen möchte, kurz: vor welchem Hintergrund man wie wahrgenommen werden möchte.93 Wie es der Titel der vorliegenden Arbeit bereits impliziert, wird ein Zusammenhang vermutet zwischen den zur Anwendung gekommenen Präsentationsstrategien, der Art und Weise sowie dem Grad der Inszenierung, der jeweiligen Realisierungsform im Museum und dem, was vermittelt und ausgesagt werden soll. Insbesondere in Wissenschaftsausstellungen und Wissenschaftsmuseen geht es dabei um die durch die Präsentation vermittelte Vorstellung von Wissenschaft und um die verschiedenen Formen von Wissen, die der Präsentation zugrunde liegen. Dargestellt werden all diese Beobachtungen im Folgenden an der Grundeinheit jeder Sammlung, jeder Ausstellung und jedes Museums: dem Objekt. Ausgangspunkt hierfür ist die Bewertung von Objekten als Dinge mit besonderem epistemischem Stellenwert. Anhand von Objekten soll verdeutlicht werden, inwiefern die Präsentation und Inszenierung Einfluss auf das nimmt, was dem Besucher über die Ausstellung vermittelt werden soll – also das, was an Eindruck und Vorstellung von Wissenschaft oder Wissen generiert wird. Dies rückt die Objektauswahl, die Einbettung der Objekte in den Ausstellungsverlauf, ihre mittelbare und unmittelbare Umgebung, ihr Arrangement mit anderen Ausstellungsobjekten und die angewendeten gestalterischen Mittel wie Licht, Farbe oder Anordnung in den Fokus der Betrachtung. All diese Faktoren sollen in Relation gesetzt werden zum jeweiligen musealen Kontext, um ihre Spezifika im Einzelnen herausarbeiten zu können. Im Kontext der Ausstellung wird das Exponat in seiner räumlichen Umgebung durch gestalterische und textliche Mittel und durch räumliche Arrangements unterstützt und in Szene gesetzt, um den Inhalt der Ausstellung, der durch die Objekte repräsentiert wird, an die Besucher zu vermitteln. Die Präsentation als solche ist dabei grundsätzlich aus zwei Perspektiven zu betrachten. Zum ersten vom Gegenstand der Präsentation aus, dem Was der Ausstellung, dem Thema oder Objekt. Zum zweiten aus der Perspektive der Gestaltung in all ihren Facetten, also dem Wie der Ausstellung. Gerade 93

Zu dem hier angesprochenen impliziten Wissen über Ausstellungen vgl. Butler, Shelley Ruth/Lehrer, Erica: Curatorial Dreams. Critics Imagine Exhibitions, Montreal, Quebec: McGill-Queen’s University Press 2016.

2. Theoretisches

in der Planungs- und Konzipierungsphase einer Ausstellung bedingen und beeinflussen sich beide Aspekte, auch wenn sie in der theoretischen Auseinandersetzung getrennt voneinander betrachtet werden können. Vor allem anderen sind bei der Präsentation die Bedingungen mitzudenken, auf die die Gestaltung einer Ausstellung reagieren muss: die architektonischen und räumlichen Gegebenheiten, die sowohl für die Ausstellungen im Gesamten als auch die einzelnen Räume einer Ausstellung gelten und unter anderem Einfluss haben auf die Lichtführung, auf Helligkeit und Dunkelheit und die dadurch entstehenden Kontraste und Atmosphären. Diese gestalterischen Einzelheiten sind in Verbindung zu setzen mit den Themen der Ausstellungen und den ausgewählten Objekten. Der Raum als solcher setzt den Rahmen der Präsentation. Handelt es sich um einen großen, weiträumigen und offenen Raum, ohne Säulen oder Zwischenwände, besteht die Möglichkeit, den Blick schweifen zu lassen und alle darin befindlichen Dinge mit einem Blick wahrnehmen zu können. Dagegen erzeugt ein kleiner, verwinkelter Raum, in dem nicht alles sofort einsehbar ist, möglicherweise ein Gefühl von Enge und Beklemmung.94 Ob sich der Besucher in der Ausstellung wohl fühlt oder nicht, beeinflusst ganz wesentlich die Rezeptionshaltung, die er einnimmt, und beeinflusst ihn in der inhaltlichen Bewertung der Ausstellung. Neben dem Licht ist die farbliche Gestaltung ein weiterer Faktor, der zu berücksichtigen ist. Dies umfasst die Farbe der Wände, des Bodenbelags, der Vitrinen und der Vitrineninnenböden sowie die Farbe der vorhandenen Titel und Beschriftungen. Helle Farben wirken naturgemäß freundlich und einladend, können aber auch Neutralität ausstrahlen. Dunkle Farben hingegen haben den gegenteiligen Effekt. Sie werden oftmals als bedrohlich empfunden. Farben werden darum konzeptionell und funktional verwendet. Je nachdem, wie sie eingesetzt werden, können Farben Aufmerksamkeit erregen und auf etwas hinweisen, Uniformitäten und Ähnlichkeiten verdeutlichen, Differenzen und Übergänge sichtbar machen. Gemeinsamkeiten und Unterschiede von Dingen oder Aussagen lassen sich auch durch Varianzen in der Anordnung darstellen. Das bezieht sich zunächst einmal auf die Proportionen, mit denen man im Rahmen einer Ausstellung arbeiten kann. Man erreicht Heterogenität durch unterschiedliche 94

Vgl. Paul, Stefan: Kommunizierende Räume. Das Museum. Online abrufbar unter: www.zeithistorische-forschungen.de/sites/default/files/medien/material/PaulKommunizierendeRaeume.pdf [Zugriff 20.12.2017].

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Wissenschaftsmuseen

Höhen und Breiten der Vitrinen in einem Raum, aber auch durch verschieden große Objekte, durch deren horizontale oder vertikale Ausrichtung. Durch den Wechsel von Proportionalität und Nichtproportionalität, also lassen sich gestalterische Akzente setzen, mit denen sich Aussagen verknüpfen lassen. Aber auch Gleichartigkeit entfaltet eine Wirkung. Varianzen in der Anordnung umfassen neben den Proportionen auch die Positionen von Vitrinen und Objekten im Verhältnis zueinander. Ob diese nebeneinander, hintereinander oder versetzt zueinander angeordnet sind, macht einen bedeutungstragenden Unterschied. Auch so kann Einfluss auf die Aussage der Ausstellung genommen werden. Die Möglichkeiten, die sich durch verschiedene Anordnungen ergeben, betreffen den gestalterischen Einfluss auf die Perspektiven, die der Besucher auf die Exponate erhält. Es macht einen Unterschied, ob sich die Exponate durchgängig auf Augenhöhe des Betrachters befinden oder ob er sich zu einigen hinunterbeugen oder zu anderen aufsehen muss. Ob und wie man sich im Ausstellungsraum verhalten muss, hat Einfluss sowohl auf die Wahrnehmung der Ausstellung als auch auf die Wahrnehmung des einzelnen Objektes. Macht sich der Kurator einer Ausstellung quantitative Aspekte zu eigen, lässt sich durch Häufungen von Objekten oder Vitrinen oder bewusste Leerstellen Aufmerksamkeit generieren und lenken. Dies sind nur die offensichtlichsten Gestaltungsmittel, die Ausstellungen und Museen zum Tragen kommen. Ausstellungskuratoren und -gestalter lassen sich vielfältig inspirieren – durch Bühnenbauer, Veranstaltungstechniker und anderen mehr – und setzen so auf unterschiedlichste Art, vorgegebene Ausstellungsthemen und Ideen um. Im nun folgenden Hauptteil der Untersuchung stehen auf Grundlage der theoretischen Grundlagen, die in Kapitel 2 geschaffen wurden, die einzelnen Museen, ihre Geschichte, ihre jeweiligen Alleinstellungsmerkmale – vor allem aber die präsentierten Objekte und Objektarrangements im Fokus der Betrachtung.

3. Das Berliner Medizinhistorische Museum der Charité

3.1

Das Museum und seine Geschichte

Für die Untersuchung wurden Museen und Ausstellungen ausgewählt, an denen man im Hinblick auf den Untersuchungsgegenstand möglichst viel zeigen kann. Ein solches Museum ist das Berliner Medizinhistorische Museum der Charité (vgl. Abb. 1). Es besteht in seiner jetzigen Gestalt noch keine 20 Jahre, geht aber auf eine Institution mit über 100 Jahren Geschichte zurück. Es befindet sich auf dem historischen Campus der Charité in der Mitte der Stadt – also auch an einem geschichtsträchtigen Ort.

Abbildung 1: Außenansicht Berliner Medizinhistorisches Museum der Charité

© Berliner Medizinhistorisches Museum der Charité

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Das Berliner Medizinhistorische Museum der Charité versteht sich als »Schaufenster der Medizin«.1 Im übertragenen Sinn lässt sich an dieser Formulierung das Selbstverständnis des Hauses ablesen im Hinblick auf seinen Gegenstand und die Präsentationsstrategien, die zur Anwendung kommen und mit dem historisch gewachsenen Objektbestand in Einklang zu bringen sind. Das 1998 wiedereröffnete Museum steht in direkter Nachfolge des Pathologischen Museums, das einst unter dem Berliner Arzt, Sozialmediziner und Pathologen Rudolf Virchow aus dem Pathologischen Institut der FriedrichWilhelms-Universität heraus entstand. 1856 wurde Virchow nach seinem Studium in Berlin und einer Anstellung in Würzburg auf den in Berlin neu eingerichteten Lehrstuhl für Pathologische Anatomie und Physiologie berufen. Damit verbunden war die Leitung des neu erbauten Instituts für Pathologie auf dem Gelände der Charité. Virchow übernahm von seinem Vorgänger und einstigem Förderer Robert Froriep (1804-1861) zu diesem Zeitpunkt bereits 1.500 Präparate, die Froriep als Prosektor der Charité zusammengetragen hatte. Als Erweiterung der bestehenden Sammlung wurden in der Folge zum einen andere Präparatebestände übernommen, zum anderen förderte und forderte Virchow getreu seines Mottos »Kein Tag ohne Präparat«2 ausgedehnte Sektions- und Präparationstätigkeit. Die stetig wachsende Sammlung und der daraus entstehende wachsende Raumbedarf ließen das Institut für Pathologie schon in wenigen Jahrzehnten an seine räumlichen Grenzen stoßen. So plante man 1896 im Zuge einer groß angelegten Umbauphase der Charité auch einen Neubau der Pathologie, das sogenannte Pathologische Museum. Dieses Gebäude mit insgesamt 2.000 m2 Ausstellungsfläche auf fünf Etagen wurde in der Folge auf verschiedene Weise genutzt. Auf drei Etagen befand sich die Lehr- und Studiensammlung für den wissenschaftlichen Zweck. In dem im Erdgeschoss liegenden Hörsaal erläuterte Virchow Studenten und wissenschaftlichem Publikum Präparate aus allen Museumsebenen. Die verbliebenen zwei der fünf Etagen waren über einen eigenen Zugang öffentlich erreichbar und zeigten eine Schausammlung. 1

2

Schnalke, Thomas: Auf Virchows Spuren. Das Berliner Medizinhistorische Museum der Charité und seine Dauerausstellung, in: ders./Atzl, Isabel (Hg.): Dem Leben auf der Spur im Berliner Medizinhistorischen Museum der Charité. Katalog zur Ausstellung, München u.a.: Prestel 2010, S. 18-31, hier: S. 21. Siehe Homepage des Museums: www.bmm-charite.de/museum/geschichte-desmuseums.html [Zugriff 13.03.2018].

3. Das Berliner Medizinhistorische Museum der Charité

Das Pathologische Museum als »dreidimensionale[s] Lehrbuch der Pathologie«3 präsentierte in großen Schauvitrinen alle damals bekannten Erkrankungsformen, Krankheitsbilder und Krankheitsverläufe. Die ausgestellten Objekte dokumentierten den für Virchow erreichten Wissensstand. Als »Urobjekte allen medizinischen Sammelns«4 boten sie ihm wirkliche Bilder, mit denen er Wissen durch unmittelbare Anschauung anderen – sowohl Studenten als auch der interessierten Öffentlichkeit – vermitteln konnte. So diente die öffentlich zugängliche Schausammlung den interessierten Laien als »Blick unter die Haut«.5 Den Besuchern sollten sich allgemeine Erkenntnisse über das Wesen körperlicher Krankheiten und ihrer Prozesse erschließen. Die Schausammlung diente der informierenden Aufklärung der Bevölkerung über Gesundheit und Krankheit. Rudolf Virchow hinterließ bei seinem Tod 1901 über 23.000 Präparate, die er zu großen Teilen aus der Sektion verstorbener Patienten der Charité gewann. Eine enge Verbindung von Museum und Wissenschaftsbetrieb war also allein durch die Herkunft des Objektbestandes schon immer gegeben. Bis 1914 war das Pathologische Museum jedem interessierten Laien zugänglich, nach dem Ersten Weltkrieg diente es ausschließlich zu Lehr- und Studienzwecken. Die Nachfolger Rudolf Virchows nahmen den Sammlungsauftrag des Pathologischen Instituts sehr ernst, sodass das Institut zu Beginn des Zweiten Weltkriegs über rund 35.000 Präparate verfügte. Es überstanden aber nur etwa 1.800 Präparate die Bombenangriffe während des Krieges, sodass die Präparatesammlung nach Kriegsende erneut aufgebaut werden musste. Knapp 50 Jahre später bildeten die etwa 10.000 Präparate den Grundstock des Objektbestandes des 1998 im alten Gebäude wiedereröffneten Museums. Allerdings wurde es nicht mehr als rein pathologisches Museum nach dem Zuschnitt Virchows angelegt. Vielmehr widmete es sich unter dem neuen Namen mit seiner Dauerausstellung in erster Linie dem Einblick in 300 Jahre Medizingeschichte und vermittelte damit auch eine Vorstellung von der zentralen Bedeutung der Charité für die moderne Medizin. Der Sammlungsschwerpunkt des Charité-Museums liegt demzufolge auf Objekten und 3 4

5

Siehe Homepage des Museums: www.bmm-charite.de/museum/geschichte-desmuseums.html [Zugriff 13.03.2018]. Das Berliner Medizinhistorische Museum der Charité, in: Magazin Museum.DE, Nr. 4, 9/2013, S. 48-66, hier: S. 54. Online Zugriff unter: https://issuu.com/museum.de/docs/ magazin14[Zugriff 25.03.2018]. Schnalke: Auf Virchows Spuren (Anm. 1), S. 23.

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Objektgruppen zur Geschichte der Berliner Medizin, zur Geschichte der Charité im Allgemeinen sowie zur Geschichte der Pathologie an der Charité im Besonderen. Unter dem Motto »Fit für die Zukunft« finden von Februar 2020 bis voraussichtlich Oktober 2021 umfangreiche Baumaßnahmen im Museum statt. Diese betreffen den Eingangsbereich, die Klimatisierung der Ausstellungsräume und Nebenräume, die zu Depot- und Projektarbeitsflächen ausgebaut werden. Zum 200. Geburtstag Rudolf Virchows soll das Gebäude renoviert wieder eröffnet werden. Die Bauphase wird mittels verschiedener Präsentationsformen überbrückt. So zeigen Bilder und Texte im Umkreis des Museums Highlights aus der Dauerausstellung Dem Leben auf der Spur, über die Homepage des Hauses und ausgewählte Social Media-Kanäle kann man sich über den Baufortschritt auf dem Laufenden halten und sich über geplante Projekte informieren.6 Das Berliner Medizinhistorische Museum der Charité ist, das zeigt sein Titel an, als Institution an die Universitätsmedizin der Berliner Charité angegliedert und kann somit zum einen als Universitätsmuseum betrachtet werden – darüber hinaus aber aufgrund seiner wissenschaftlichen Ausrichtung auch als Wissenschaftsmuseum. Vor allem durch die Bereitstellung des Objektbestandes für die medizinische Ausbildung. Es bietet so »für eine materiale Medizin- und Wissenschaftsgeschichte zahlreiche wissenschaftliche Ansatzpunkte«,7 fungiert als Schausammlung, Lehrkabinett und Forschungsstätte.8 Mit der Dauerausstellung zur Medizingeschichte und den Sonderausstellungen mit medizinhistorischem Kern wird das Berliner Medizinhistorische Museum zum Forschungsinstrument und zu einem wichtigen Teil von Wissenschaft. So versteht es auch der Museumsleiter Thomas Schnalke, der thematische Ausstellungen als Form der wissenschaftlichen Publikation und damit als Forschungsinstrument begreift.9 Dieser These galt es in der Untersuchung nachzugehen, insbesondere unter dem Aspekt, dass es »vollgültige medizinische 6 7

8 9

Vgl. https://www.bmm-charite.de/museum/unsermuseum.html[Zugriff 07.11.2019]. Schnalke, Thomas: Changing places. Das medizinhistorische Museum als Schausammlung, Lehrkabinett und Forschungsstätte, in: Weber, Cornelia/Mauersberger, Klaus (Hg.): Universitätsmuseen und -sammlungen im Hochschulalltag. Aufgaben. Konzepte. Perspektiven. Beiträge zum Symposium vom 18.-20. Februar 2010 an der HumboldtUniversität zu Berlin, S. 95-100, hier: S. 95. Ebd. Vgl. Schnalke, Thomas: Arguing with Objects – The Exhibition as a Scientific Format of Publication, in: Lehmann-Brauns, Susanne/Sichau, Christian/Trischler, Helmuth (Hg.):

3. Das Berliner Medizinhistorische Museum der Charité

beziehungsweise medizinhistorische Museen als Gliederungen einer medizinischen Fakultät […] im deutschen Sprachraum […] nur in Zürich und Wien, Bochum und Berlin [gibt, S.K.].«10 Zu ergänzen ist diese Aufzählung um das 2010 eröffnete Medizinhistorische Museum in Hamburg. Im Spannungsfeld zwischen universitärer Einbettung und öffentlicher Wirkung übernehmen [diese Museen, S.K.] spezifische Rollen und Funktionen und bieten den beteiligten Akteuren bestimmte Möglichkeiten.11 Als erstes Zwischenfazit lässt sich festhalten: Im Berliner Medizinhistorischen Museum der Charité liegen unter dem Aspekt der Generierung von Wissen in musealen Kontexten Idealbedingungen vor. Es ist bekannt für seine pathologisch-anatomische Sammlung, ein medizin- und kulturgeschichtlich anerkannter Bestand an menschlichen Feucht- und Trockenpräparaten, die auf den Bestrebungen und Initiativen des Museumsgründers basieren. Darüber hinaus verfügt das Berliner Museum mit einer ophthalmologiehistorischen Sammlung von rund 1.100 Objekten aus dem Lebenszusammenhang des Berliner Augenarztes Albrecht von Graefe (1828-1870), einer Handschriften und Rarasammlung aus den Arbeitsbereichen der Charité-Pathologen und einer zahnmedizin- und humanmedizinhistorischen Sammlung über einige für die Medizingeschichte bedeutsame Spezialsammlungen und damit insgesamt über einen sehr umfangreichen Sammlungsbestand. Ein Großteil der Objekte der Sammlung steht grundsätzlich auch für medizinund wissenschaftsgeschichtliche Objektforschungen zur Verfügung. Ein kleiner Teil der Objekte wird, losgelöst von deren Eigenschaft als Teil einer Sammlung, als medizinisches Objekt wahrgenommen, auch in der medizinischen Ausbildung der Charité verwendet. Dies ist ein Aspekt, der sich in die differenzierte Untersuchung der drei musealen Kontexte Sammlung, Dauer- und Wechselausstellung miteinbeziehen lässt: Objekte, die auf ihre Sammlungsgeschichte verweisend, aber nicht darauf reduziert, in nichtmusealen Kontexten verwendet werden. Dies ergänzt den Horizont der Untersuchung im Berliner Beispiel über die drei Organisationsformen des Museums hinaus um eine vierte.

10

11

The Exhibition as Product and Generator of Scholarship, Berlin: Max-Planck-Institut für Wissenschaftsgeschichte 2010, S. 103-110. Schnalke, Thomas: Ausstellen, Forschen, Lehren. Das medizinhistorische Museum zwischen universitärer Medizin und Öffentlichkeit, in: Zeitschrift für Geschichte der Wissenschaften, Technik und Medizin 18, H. 1, 2010, S. 61-67, hier: S. 61. Ebd.

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Mit der Präparatesammlung und den Spezialsammlungen verfügt das Berliner Medizinhistorische Museum über einen komfortablen Grundstock an Objekten zur Bestückung der Dauerausstellung und der Sonderausstellungen des Hauses und ist darüber hinaus in der Lage, an auswärtige Museen auszuleihen. Beide musealen Realisierungsformen – Dauer- und Sonderausstellung – sind in einem Haus vereint und nur über eine Treppe voneinander getrennt. Es finden sich hier also für die Untersuchung auch räumlich günstige Bedingungen – durch die geringe Distanz zwischen Dauer- und Sonderausstellungsteil lassen sich schneller die Gemeinsamkeiten und Unterschiede herausarbeiten.

3.1.1

Die Dauerausstellung Dem Leben auf der Spur

In der 2007 eröffneten Dauerausstellung des Berliner Medizinhistorischen Museums der Charité mit dem Titel Dem Leben auf der Spur sind auf zwei Etagen und einer Ausstellungsfläche von 800 m2 um die 750 der 1.400 ausgestellten Präparate aus der Virchow’schen Sammlung zu sehen – zu großen Teilen in den Originalvitrinen aus Virchows Zeit. Darüber hinaus sind in der Dauerausstellung weitere Objekte, Modelle und Abbildungen aus dem Anatomischem Theater, dem Labor, dem Seziersaal des Pathologen, der Klinik, dem Untersuchungszimmer oder dem Krankensaal zu sehen. Der Titel der Ausstellung verweist auf das Forschungsprogramm Rudolf Virchows: Dieser forschte als Pathologe »ausschließlich und ausdrücklich an und mit den Körpern verstorbener Menschen. Über seine Sektionen, makroskopischen und mikroskopischen Studien wollte er jedoch immer wieder auch auf und in das Leben zurückblenden.«12 Vermittelt werden soll in der Dauerausstellung keine Fortschrittsgeschichte, Irrglauben und Umwege in der Medizingeschichte werden nicht ausgespart und jedes Thema wird immer auch an die lokalen Bedingungen und Entwicklungen der Berliner Medizin der jeweiligen Zeit zurückgebunden. Die Dauerausstellung ist als Rundgang angelegt, zu dem auch ein Audio Guide angeboten wird. Beginnend im 18. Jahrhundert schlägt sie einen Bogen von den medizinischen Entwicklungen und ihren Folgen für Diagnostik und Therapie hin zum Patienten. In einem historischen Krankensaal wird anhand von zehn Patientengeschichten aus drei Jahrhunderten Medizingeschichte 12

Schnalke, Thomas: Auf Virchows Spuren (Anm. 1), S. 21.

3. Das Berliner Medizinhistorische Museum der Charité

dargestellt und die Perspektive des Patienten auf die Medizin mit sichtbar gemacht. Die Dauerausstellung befindet sich im zweiten und dritten Stockwerk des Gebäudes. Alle Ausstellungsräume sind über das zentrale Treppenhaus durch wiederkehrende Gestaltungselemente miteinander verbunden. In der zweiten Etage liegt der Schwerpunkt dabei auf den Anfängen der Medizin, während sich die Ausstellung im dritten Stock mit der Medizin vom 19. Jahrhundert bis hin zur Gegenwart beschäftigt. Jede Etage besitzt einen Schwerpunktraum. Zentrales Element der Untersuchung war ein Rundgang durch die Ausstellungen des Berliner Medizinhistorischen Museums der Charité. In einem ersten unbegleiteten Rundgang konnte das Museum aus der Perspektive eines Besuchers wahrgenommen werden. Beobachtet wurden die Aspekte des Hauses, die Einfluss auf die Fremdwahrnehmung nehmen. So zum Beispiel welche Objekte ins Auge fallen? Welche Formen der Präsentation und Inszenierung sind besonders augenfällig? Welche Gestaltungsmittel wurden genutzt, um beispielsweise Zusammenhänge zwischen zwei oder mehr Teilen der Dauerausstellung sichtbar zu machen, die sich aber auf unterschiedlichen Etagen des Museums befinden? Letzteres war insbesondere im Hinblick auf die im Vorfeld anhand von Publikationen und dergleichen erarbeiteten Informationen über die Zielstellung und Ausrichtung des Hauses von Interesse. In Anlehnung an die Ausstellungsanalyse bei Jana Scholze richtete sich der Blick dabei auf alle bedeutungsvollen – im Sinne von deuten und bedeuten – Elemente des Ausstellungs- bzw. Kommunikationskontextes [der Ausstellung, S.K.] und deren Beziehungen.13 Das meint sowohl die Objekte der Ausstellung als auch die zwischen ihnen bestehenden Beziehungen, zum einen im einzelnen Raum und zum anderen im Ausstellungsgesamt. Darüber hinaus galt die Aufmerksamkeit »alle[n] Mittel[n] der Gestaltung des räumlichen Kontextes.«14 Die Erkenntnisse werden in der Folge deskriptiv zusammengefasst, die Beschreibung soll auf das Wesentliche komprimiert den Ausstellungsablauf 13

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Scholze, Jana: Medium Ausstellung. Lektüren musealer Gestaltung in Oxford, Leipzig, Amsterdam und Berlin, Bielefeld: transcript 2004 (Kultur- und Museumsmanagement), S. 12. Ebd.

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im Sinne des Rundgangs nachvollziehen, ohne in einem zweiten Schritt Hinweise auf Zusammenhänge mit anderen Teilen der Ausstellung auszusparen. In einem späteren Schritt werden Ausstellungsräume, -abschnitte oder auch einzelne Objektarrangements exemplarisch betrachtet und kleinschrittiger untersucht.15 In der ersten Etage der Dauerausstellung liegt der thematische Mittelpunkt auf den Anfängen der Medizin, die im ersten der beiden Ausstellungsräume präsentiert werden. In diesem Raum wird Anfang auf verschiedene Arten umgesetzt. Nach Betreten des Raumes befindet sich der Besucher nun räumlich, aber auch thematisch an einem Punkt, der einen Anfang markiert. Klammert man die Wechselausstellungsfläche im ersten Stock aus, ist dieser Raum im zweiten Stock der Anfang des Rundgangs durch das Berliner Medizinhistorische Museum der Charité, vertreten durch die Dauerausstellung des Hauses, die sich allgemein der Medizingeschichte widmet. Wendet man sich nach dem Eintreten nach rechts, so bietet sich die Möglichkeit, vom vorderen Teil des Raumes bis hin zum hinteren Teil des Raumes an der Wand entlang Etappen »[a]us der Geschichte der Charité« abzulaufen. Über die gesamte Länge des Raumes – unterbrochen nur vom Durchgang zum zweiten Ausstellungsraum dieser Etage – sind hier rechteckige Tafeln angebracht. Diese vermitteln mittels kurzer Texte und ergänzt durch jeweils eine fotografische Abbildung die ersten knapp 150 Jahre Geschichte der Berliner Charité. Beginnend mit der Vorgeschichte um 1710 und der Gründung der Charité in 1727 wird im ersten Raum der Dauerausstellung so ein erster, bis 1840 und der Berliner Schule reichender zeitlicher Abriss dargeboten. Mit der ersten Texttafel nimmt demnach an dieser Stelle zum zweiten Mal die Erzählung der Charité als Institution ihren Anfang. Ein Stockwerk höher wird dieses chronologische Narrativ auf der zweiten Etage der Dauerausstellung analog zum ersten Ausstellungsraum durch identische Anbringung und Gestaltung der Texttafeln wieder aufgegriffen und fortgeführt: Wiederum an der rechten Wand des Raumes werden hier von vorne nach hinten die in der Chronologie folgenden Etappen der Geschichte der Charité geschildert. Diese umfassen ab dem Beginn der naturwissenschaftlichen Ära in 1861 erneut knapp 150 Jahre Geschichte und finden in 2007 ihren (vorläufigen) Endpunkt, das ist das Jahr der Eröffnung der aktuellen Dauerausstellung. Die diesem Jahr zugeordnete Texttafel trägt darum den Titel Die Charité heute. 15

Vgl. ebd., S. 26.

3. Das Berliner Medizinhistorische Museum der Charité

Wendet man sich im ersten Teil der Dauerausstellung nach dem Betreten des Raumes nicht nach rechts zu den Etappentafeln, sondern nach links, wird eine weitere, eine dritte Perspektive eines Anfangs eröffnet. Dieser Anfang bezieht sich nicht ausschließlich auf die Berliner Medizingeschichte, sondern ist vielmehr ein genereller Anfangspunkt des Sammelns: die Wunderkammer. Eine Standvitrine ist mit Wunderkammer überschrieben und dementsprechend mit Objekten gefüllt, daran schließen sich an der vorderen Rückwand des Raumes drei Bildtafeln an mit Abbildungen der Muskelmänner, davor als Ausstellungsmöbel in verkleinertem Maßstab ein Hörerrang, der sich als Bildmotiv auf dem Gazebild vor dem großen Fenster links vom Hörerrang und direkt gegenüber von der Eingangstür wiederfindet. Das Bild zeigt eine zeitgenössische Abbildung eines Hörsaals, der charakterisiert wird durch eben seinen Hörerrang. Zwei kurzen Zeilen unter dem Bild kann man entnehmen, dass hier das Anatomische Theater zu Berlin zu sehen ist – dadurch wird der lokale Bezug wiederhergestellt. Insgesamt befinden sich auf dieser Seite des Raumes vier Fenster, die alle mit Gazebildern verhangen sind. Diese dienen einerseits einem funktionalen Zweck: der Abdunkelung, zum anderen erzählen diese Bilder in Kombination mit den Texten, mit denen die Wände zwischen den Fenstern beplottet sind, eine eigene Geschichte: vom Anatomischen Theater über die Geburt der Klinik, dem Krankenhaus hin zu Neue Spezialisten – Neue Fächer. Damit ist analog zu den Texttafeln auf der gegenüberliegenden Seite des Raumes auch hier eine Chronologie nachvollziehbar, die die allgemeine Medizingeschichte mit Aspekten aus der Geschichte der Charité verbindet. Vom Hörerrang blickt man von vorne in den Raum hinein und kann ihn in seiner Größe vollständig erfassen. Von hier aus fällt der Blick auf die Vorderseite dreier quer zur Wand angeordneter Glas-Standvitrinen, die in unmittelbarer Nähe der Hörerränge stehen. Diese sind thematisch dem Anatomischen Museum zugeordnet, so steht es als Text auf der Wand neben dem Fenster, das sich in etwa auf gleicher Höhe zu den Vitrinen befindet. Von vorne sieht man auf jeweils vier Vitrineninnenböden eine Reihe von Präparaten und Modellen von Geweben, Organen und Skeletten im gesunden Zustand (vgl. Abb. 2). Umrundet man die Vitrine und schaut nun von der Rückseite darauf, sieht man nahezu genauso viele Präparate – nur handelt es sich nun um kranke Organe. So sind zum Beispiel Harn- und Gallensteine zu sehen. Auf Höhe des zweiten Fensters und damit räumlich hinter den Glasvitrinen, sind eine Tischvitrine und ein Hocker angeordnet. Tischvitrine ist hier wörtlich zu verstehen: Es handelt sich um ein einem Tisch nachempfundenes

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Möbelstück, in das anstelle der Tischplatte links und rechts zwei kleine Glasvitrinen eingelassen sind. Thematisch wird hier noch einmal das Krankheitsbild Gallenstein vertieft. In den Vitrinen werden exemplarisch verschiedene Gallensteine gezeigt. Auf der Fläche zwischen den beiden Vitrinen ist der Reprint eines Buches von Johann Gottlieb Walter (1734-1818) ausgelegt, einem Berliner Körpermineralogen (so bezeichnete er sich selbst), der 1796 einen Katalog veröffentlichte, der den Titel Anatomisches Museum trägt und unter anderem 367 sogenannte Konkremente – Ablagerungen im Körper, in der Hauptsache Gallen-, Harnblasen- und Nierensteine – zeigte. Wenn man sich auf den bereitgestellten Hocker setzt, kann man direkt auf die Rückseite der Vitrine, insbesondere auf die Harn- und Gallensteine sehen.

Abbildung 2: Vitrine Anatomisches Theater

Foto: Stefanie Kohl, © Berliner Medizinhistorisches Museum der Charité

Die Tischplatte befindet sich ungefähr auf gleicher Höhe mit dem Vitrinenboden, auf dem die Harn- und Gallensteine präsentiert werden. Mithilfe des bereitgelegten Anatomischen Museums lässt sich so etwas mehr über die Harn- und Gallensteine in der Vitrine gegenüber erfahren.

3. Das Berliner Medizinhistorische Museum der Charité

Auf dem Gazebild ist eine Seite aus Caspar Friedrich Neickels Museographia von 1727 zu sehen.16 Der Kupferstich zeigt einen Mann, der studierend an einem Tisch sitzt, vor sich ein aufgeschlagenes Buch, in unmittelbarer Nähe auf dem Tisch liegend kleinere Objekte wie Muscheln. Der Raum erinnert an ein Naturalienkabinett. An beiden Seitenwänden befinden sich Regale, während die auf der rechten Seite mit Büchern gefüllt sind, sortiert nach Logici, Astron., Medic und Physi, sind die Regale auf der gegenüberliegenden Seite mit Objekten gefüllt. Dargestellt wird der aufgeklärte Gelehrte, dessen Forschungsgrundlage seine Privatsammlung ist. Setzt man den Ausstellungsrundgang fort, so gelangt man in der Mitte des Raumes, auf Höhe des dritten Fensters, zu einem Ausstellungsbereich, der durch die Anordnung der Ausstellungsmöbel einen Rundgang um diesen thematischen Komplex herum erfordert. Vom Vitrinentisch kommend, läuft man frontal auf ein schmales Seitenteil zu. Es ist beplottet mit dem Titel Der Seziersaal des Pathologen, darunter befinden sich ein einführender Text und vier zeitgenössische Abbildungen aus der Zeit um 1900, die in schwarz-weiß die Räumlichkeiten des ersten Instituts für Pathologie der Berliner Friedrich-Wilhelms-Universität an der Charité zeigen.17 Umrundet man die Ausstellungskonstruktion im Uhrzeigersinn, schließt sich der thematischen Einführung in den Seziersaal nun die konkrete visuelle Erfahrung an. Man steht Virchows Arbeitstisch gegenüber, der dort im Original aufgebaut ist (vgl. Abb. 3). Er ist das zentrale Ausstellungsstück dieses Raumes und der zweiten Etage. Er ist aus dunklem Holz und weicht somit sowohl in Farbe als auch im Material vom restlichen Interieur ab. Darüber hinaus ist er in dieser zentralen Position im Raum bereits während des gesamten bisherigen Ausstellungsrundgangs sichtbar, er fügt sich erst an diesem Punkt der Ausstellung thematisch in die Ausstellung ein. Der Schreibtisch ist der Verweis in Objektform auf die Geschichte des Hauses und gleichzeitig auf den Gründer des Museums. Ihm gegenüber befindet sich der Durchgang in den zweiten Ausstellungsraum auf dieser Etage. Dort befinden sich in den Originalvitrinen Virchows verschiedene Nass- und Trockenpräparate, geordnet nach dreizehn anatomischen Oberbegriffen, die 16

17

Eine Abbildung dieses Kupferstichs befindet sich auch im Katalog zur Dauerausstellung. Siehe: Schnalke, Thomas/Atzl, Isabel (Hg.): Dem Leben auf der Spur. Katalog zur Dauerausstellung, München: Prestel 2010, S. 39. Vgl. ebd. die Abbildungen zur Dauerausstellung, S. 65f.

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Abbildung 3: Arbeitstisch von Rudolf Virchow

Foto: Stefanie Kohl, © Berliner Medizinhistorisches Museum der Charité

auf Virchows ausgeprägte Präparationstätigkeit verweisen. Arbeitsmöbel und Arbeitsergebnisse Virchows stehen sich so gewissermaßen gegenüber. Auf der Schreibfläche des Tisches sind unter Glas Manuskriptseiten ausgestellt, ergänzend dazu befinden sich Bücher und Schreibutensilien in den sichtbaren Regalteilen. Oben auf dem Aufsatz sind ein unbeschriftetes Skelett und eine Reihe kleinerer Schädel angeordnet. Der Tisch Rudolf Virchows steht im Zentrum eines Ausstellungsensembles. Er wird zur linken flankiert von einem Skelett, das im Ausstellungsmöbel stehend ausgestellt und vom Betrachter nur durch eine Glasscheibe getrennt ist. Diese vitrinenähnliche Konstruktion wird auf der rechten Seite des Arbeitstisches vervollständigt durch eine weitere Vitrine, die über die Vermessung des Menschen informiert. Auf zwei verschiedenen Ebenen platzierte, unbeschriftete Schädel werden ergänzt durch Vermessungsinstrumente. An der unteren Ebene sind Objekttexte angebracht, die den Kontext zu dieser Vitrine stiften. Auf der nun folgenden zweiten schmalen Seite des Ausstellungsmöbels wird das Thema Vermessung des Menschen abgeschlossen. Mittels eines Diaprojektors kann sich der Besucher eine Bilderschau zu den Vermessungspraktiken zu Zeiten Virchows ansehen.

3. Das Berliner Medizinhistorische Museum der Charité

Der Ausstellungsteil auf der Fensterseite dieser Ausstellungskonstruktion widmet sich unter dem Titel des Wandtextes Neue Spezialisten – Neue Fächer vier verschiedenen medizinischen Bereichen. Dies sind von rechts nach links im Einzelnen Spekulative Theorien – Universelles System, Innere Medizin, Chirurgie vor 1850 und Anästhesie und Hygiene. Jedes von ihnen wird visuell durch entsprechende Objekte unterstützt. Der Bereich Anästhesie und Hygiene wird unter anderem durch verschiedene Fläschchen visualisiert, deren Beschriftungen auf unterschiedliche Anästhetika und Desinfektionsmittel hinweisen: beispielsweise Opium und Schwefeläther oder Lysol. Nach dem Passieren dieses kompakten Ausstellungsteils erreicht man eine letzte Standvitrine in diesem Raum im farblichen Design der Ausstellungsmöbel. Sie ist betitelt mit Krankenbilder in Wachs. Ein Text und eine kleine Abbildung an der schmalen Seite der Vitrinenkonstruktion leiten in das Themengebiet ein. In der Vitrine sind in vier Reihen untereinander 36 Moulagen ausgestellt, die unterschiedliche Krankheitsbilder illustrieren. Die Rückseite dieser Vitrine ist einem weiteren bedeutenden Chirurgen im Kontext der Charité gewidmet: Albrecht von Graefe. Er verfeinerte in seiner Privatklinik in der Nähe der Charité die chirurgischen Verfahren der Augenheilkunde, insbesondere der Behandlung des Grauen und des Grünen Stars. Diese Seite der Vitrine stellt die Augenklinik Albrecht von Graefes vor und zeigt einige Objekte aus der umfangreichen ophthalmologischen Sammlung der Charité. Die in der Vitrine ausgestellten Objekte, wie Notiz- und Lehrbücher Grafes, aber auch spezifische Messgeräte, zeugen von der Vielfalt dieses medizinischen Fachgebietes, die dazugehörigen Objekttexte weisen auf zu seiner Zeit fortschrittliche Behandlungsmethoden Graefes hin. Den thematischen Abschluss der ersten Etappe der Geschichte der Charité bilden fünf in die Rückwand des ersten Ausstellungsraumes eingelassene cubenartige Glasvitrinen. Hier finden sich Instrumente für die medizinische Praxis, wie zum Beispiel ein Augenspiegel oder ein Instrument zur Blutdruckmessung. Der Rundgang durch die Dauerausstellung kann nun im zweiten Ausstellungsraum fortgesetzt werden. Dorthin gelangt man durch den bereits beschriebenen Durchgang, der zur linken und zur rechten weitere Informationen über die Geschichte der Berliner Charité bereithält. Auf der linken Seite befinden sich Informationstexttafeln, die Das Pathologische Museum und Das Berliner Medizinhistorische Museum abbilden und thematisieren. Darunter befinden sich in schmalen Vitrinen unbeschriftet Gesteinsreste, die vermutlich im Zusammenhang mit den darüber angebrachten Informationstafeln ste-

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hen. Auf der rechten Seite des Durchgangs finden sich ebenfalls zwei Informationstexttafeln, die sich mit Präparaten heute im Gegensatz zu Virchows Präparate[n] auseinandersetzen. Auch unter diesen Tafeln finden sich zwei schmale Vitrinen, die in diesem Falle jedoch exemplarisch Präparate enthalten. Von hier aus gelangt man in den zweiten Raum der Dauerausstellung – den sogenannten Präparatesaal –, der, abgesehen von einer Büste Virchows und einer Abbildung einer Nervenzelle auf Leinwand, dominiert wird von Vitrinen. Der Ausstellungsraum ist, wie der zuvor auch, durch Säulen geteilt. Dadurch ergeben sich ein breiter Mittelgang und jeweils ein Ausstellungsbereich links und rechts davon. Neben jeder Säule steht zur Fenster- beziehungsweise Wandseite hin eine Präparatevitrine. Diese Anordnung hat eine weitere Teilung des Raums zur Folge, sodass sich insgesamt acht Séparées ergeben, die man vom Mittelgang aus begehen kann. Die acht Präparatevitrinen stammen, wie auch der Arbeitstisch im vorherigen Ausstellungsraum, aus dem Arbeitszusammenhang Rudolf Virchows. Blickt man vom Durchgang aus in den ersten Ausstellungsraum zurück, dominiert auch aus dieser Perspektive der Arbeitstisch Virchows, der darum auch in den zweiten Ausstellungsraum hineinwirkt. Diese Wirkung wird durch die originalen Präparatevitrinen verstärkt – Virchow wird allgegenwärtig. Die einzelnen Séparées sind einem gleichbleibenden Prinzip folgend gestaltet. Zentrales Stück ist jeweils eine graue Präparatevitrine. Diese wird durch Texte, die sich auf der linken und der rechten Seite der Vitrine finden, in die Erzählung der Dauerausstellung eingebettet. Zum einen durch einen Text, der an der entsprechenden Säule angebracht wurde, und zum anderen durch einen Text, der auf eine Leinwand aufgebracht wurde, die auf der anderen Seite der Vitrine aufgestellt ist. Die Säulentexte erläutern einführend jeweils ein medizinisches Verfahren, ein zentrales Teil des Körpers oder ein Organ. Die Leinwandtexte greifen ein spezifisches Krankenbild oder eine Krankheit auf und stellen Symptome und Krankheitsverlauf vor. Die Präparate in den Vitrinen dienen in erster Linie der Veranschaulichung. So wird die Dauerausstellung in diesem zweiten Ausstellungsraum linker Hand fortgeführt mit einer Vitrine, die noch einmal die Geschichte der Pathologie aufgreift. Diese Vitrine wird dominiert von Bildmaterial und schematischen Abbildungen. Die Vitrine setzt sich optisch durch eine andere Farbgebung ab – sie ist dunkelblau bis schwarz – auch ist es keine der Orginalvitrinen Virchows.

3. Das Berliner Medizinhistorische Museum der Charité

Die erste Präparatevitrine widmet sich dem Verfahren der Präparation, der Säulentext informiert darüber, dass verschiedene Verfahren notwendig sind, um menschliche Organe und Körperstrukturen dauerhaft haltbar zu machen. Der Text stellt verschiedene Präparationstechniken vor. Der Leinwandtext auf der linken Seite der Vitrine gedenkt all derer, die »durch die Präparate im Ausstellungsraum sowie im vorliegenden Werk [gemeint ist der Ausstellungskatalog, S.K.] versammelt sind. Wir gedenken ihrer in Dankbarkeit.«18 Anders, als es mittlerweile medizinische Praxis ist, wurden die Kranken und Toten, deren Gewebeproben und Organe im Präparatesaal präpariert präsentiert wurden, nicht um ihre Zustimmung gebeten. Im Großteil der Fälle ist nicht einmal dokumentiert, zu wem die einzelnen Präparate gehören. Jedes dieser Präparate hat aber letztlich zur Erforschung von Gesundheit und Krankheit beigetragen und damit haben die anonym bleibenden Kranken und Toten der Nachwelt unbeabsichtigt ein großes Geschenk hinterlassen. Mit dem Ausstellungsrundgang fortfahrend, erfährt der Besucher nun nacheinander auf dieser Seite der Ausstellung anhand der folgenden Vitrinen und den ihnen zugeordneten Texten etwas über das Skelett, das Verdauungsund das Bewegungssystem, die Organe Leber, Magen, Niere und harnableitende Organe, die männlichen und die weiblichen Geschlechtsteile und über Entwicklungsstadien und Fehlbildungen. Zu den Krankheitsbildern, die exemplarisch vorgestellt werden, zählen unter anderem das Magengeschwür, die Leberzirrhose und der Nierenstein. Eine weitere Verbindung zu Rudolf Virchow als Herr des Hauses wird über die originalen Präparatevitrinen hinaus zum einen über eine Büste Virchows und zum anderen über eine Abbildung einer von Virchow gezeichneten Nervenzelle geschaffen. Beide Exponate befinden sich hintereinander im hinteren Bereich des Ausstellungsraumes im Mittelgang, sodass der Besucher sie beim Durchschreiten des Raumes stets im Blick hat. Der linke Ausstellungsteil schließt mit einer Vitrine zum Alltag universitärer Pathologen. Sie ist wie die erste gestaltet und zeigt Fotos und Objekte, die die alltägliche Arbeit dokumentieren. Der Rundgang wird auf der rechten Seite des Raumes fortgeführt mit einer Vitrine zum virtuellen Mikroskop. Dieser Ausstellungsbereich ist ausgestattet mit Mikroskopen, mit denen der Besucher anhand von Beispielen die Tumorbildungen von Zellen betrachten kann. Eine Abbildung neben dem Mikroskop zeigt, was unter dem Mikroskop zu sehen sein soll. 18

Schnalke/Atzl (Hg.): Dem Leben auf der Spur (Anm. 16), S. 150.

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Die fünfte Präparatevitrine setzt die Reihe mit dem Blutkreislauf und der Thrombose fort. In der Folge werden der Blutkreislauf, das Herz, das Atmungssystem, das Gehirn, die Haut und der Ablauf einer Sektion vorgestellt. Das letzte Ausstellungsmöbel dieses Ausstellungsraums ist eine Vitrine, die chronologisch eine Auswahl der wichtigsten Pathologen an der Berliner Charité vorstellt: von Rudolf Virchow bis hin zu Manfred Dietel. An dieser Stelle endet der erste Teil der Dauerausstellung des Berliner Medizinhistorischen Museums. Um den Rundgang durch die Ausstellung fortsetzen zu können, muss nun die Etage gewechselt werden, der dritte Raum der Dauerausstellung befindet sich ein Stockwerk höher. Über das Treppenhaus gelangt man dorthin. Auch die Fortsetzung der Dauerausstellung auf der nächsten Etage verteilt sich auf zwei Ausstellungsräume. Das zweite Stockwerk der Dauerausstellung wird bestimmt durch die Raumbilder Labor und Patientensaal. Während der Besucher in einem Raum ein stilisiertes Labor durchschreiten und dabei die Geschichte der Bakteriologie oder die Entzifferung des Genoms durchlaufen kann, wird er in einem zweiten Ausstellungsraum in einen Krankensaal versetzt. Über Betten und Vitrineninstallationen, die Fußende, Matratze und Kopfstütze eines Krankenbettes darstellen, werden jeweils eine Patientin/ein Patient mit kurzem biographischem Abriss und Krankengeschichte vorgestellt. Entsprechende historische Objekte erklären die medizinische Versorgung und die Behandlungsmethoden entsprechend einer jeweiligen Etappe in der Geschichte der Medizin. Der erste der beiden Ausstellungsräume orientiert sich thematisch an Situationen im Labor. Dieses wird als Motiv aufgegriffen und zieht sich anhand der Gazebilder vor den Fenstern in unterschiedlichen Formen einmal längs durch den ganzen Raum. So wird das Labor als Motiv von Fenster zu Fenster neu thematisiert und aktualisiert, es wird darüber hinaus aber auch in den einzelnen Teilen der Ausstellung immer wieder aufgenommen und gestalterisch umgesetzt. Zu Beginn des Ausstellungsraumes findet sich die erste Laborsituation. Linker Hand ist das Fenster mit einem Gazebild verdeckt, darauf sieht man als Reproduktion einer Daguerreotypie aufgedruckt einen Mann mit nacktem Oberkörper, der zwischen zwei Tischen sitzt, auf denen jeweils eine Apparatur aufgebaut ist. Ein solcher Tisch und eine dieser Apparaturen in einer Standvitrine sind in der Ausstellung vor das Fenster arrangiert worden. Der Objekttext, der der Apparatur in der Vitrine zugeordnet ist, informiert den Betrach-

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ter darüber, dass es sich hier um einen Multiplikator, auch Saitengalvanometer genannt, handelt. Ein kurzer Text neben der Abbildung auf dem Gazebild erläutert, was hier zu sehen ist: Er ist überschrieben mit dem Titel Kraftwerk Mensch und klärt darüber auf, dass Emil du Bois-Reymond mit dem Multiplikator gezeigt hat, wie aus menschlicher Muskelkontraktion Strom erzeugt werden kann.19 Drei weitere Standvitrinen greifen unter den Titeln Labor und Experiment und Erforschung der Körpermaschine den eingeschlagenen Weg in der Medizingeschichte auf und erläutern anhand weiterer medizinischer Apparaturen, wie zum Beispiel ein Schleuderkymographion, den Fortschritt in der Medizingeschichte, wie er im Labor durch Forschung und Experiment – größtenteils am menschlichen Körper – erzielt wurde. Eine lange Vitrine, die sich vis-à-vis den Standvitrinen und quer im Raum stehend befindet, führt die Laborthematik fort, beschränkt sich jedoch auf den bakteriologischen Blick auf diese Thematik. Über Objekte wie die Wachsmoulage eines mit Syphillis erkrankten Kaninchens, einer Handzentrifuge mit Kurbelmechanik oder einem Wärmeschrank wird die Erforschung von Heilmitteln wie Arsen und Impfstoffen gegen Tuberkulose, Diphtherie und Tuberkulose näher dargestellt. Somit wird auch eine thematische Brücke zum Gazebild vor dem ersten Fenster geschlagen: dort ist das bakteriologische Labor des Jubiläums-Spitals in Lainz zu sehen. Der dazugehörige Text an der Wand rechts vom Fenster zeigt an, dass es um das Labor in der Praxis geht. Dies wird auf der Rückseite der langen Vitrine fortgeführt: hier geht es um Durchleuchtungen und Licht im Körper. Das Gazebild dazu zeigt ein Röntgenlabor um 1906. Verfolgt man die Ausstellungsteile entlang der Fenster weiter, gelangt man von der Vitrine zu den Durchleuchtungen nun zu einem Ausstellungsteil, der sich einmal durch seine graue Farbe von den sonst üblichen charité-roten Ausstellungsmöbeln absetzt. Darüber hinaus handelt es sich wie auch im ersten Raum der Dauerausstellung auf der unteren Etage um einen kompakten quaderförmigen Ausstellungsteil, parallel zur Fensterfront stehend, der umrundet werden muss, um sich die gesamte Thematik zu erschließen. In diesen Ausstellungsblock sind einzelne kleine Vitrinen eingelassen, die zunächst wie Fenster zur Innenseite des Ausstellungsteils wirken. Das in diesen Fenstern zu sehende widmet sich, unterstützt durch ausgewählte 19

Emil du Bois-Reymond und seinen Versuchen wird auch in der Sonderausstellung Electricity, die von Februar bis Juni 2018 in der Londoner Wellcome Collection zu sehen war, eine Ausstellungseinheit gewidmet. Siehe Kapitel 4.1.3.

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Objekte, einzelnen medizinischen Aspekten: anthropologischen Instrumenten, medizinischer Fachliteratur zwischen 1903 und 1942, Operationsbesteck und Spritze um 1940, Feldbesteck, Arzneimittel und Verbandmaterial oder dem Mikroskop. So bewegt man sich den einzelnen Fenstern folgend einmal entlang der Außenseite des Ausstellungsquaders. Die Fensterseite offenbart die Rückseite und gleichzeitig die Kehrseite dieses thematischen Komplexes: Über Text und Bild werden die Nürnberger Ärzteprozesse zur Zeit des Nationalsozialismus aufgerufen. Erneut kann man sich diesen Ausstellungsteil entlang der einzelnen Vitrinenfenster erlaufen und erfährt dabei beispielsweise etwas zu Menschenversuchen, Zwangssterilisationen oder Medizin im Nationalsozialismus. Die Idee, die die hier über die Ausstellungsobjekte realisiert wird, ist auf dieser Seite der Vitrine keine neuen Objekte zu präsentieren. Es handelt sich im Fenster, das mit Menschenversuchen überschrieben ist um das gleiche Feldbesteck, die gleichen Arzneimittel und das gleiche Verbandmaterial, die einem zuvor chronologisch verknüpft mit dem Jahr 1904 als schlicht als Feldbesteck, Arzneimittel usw. erläutert wurden. Jedoch erhalten diese Objekte unter dem Aspekt der Menschenversuche eine neue Bedeutung. Ebenso verhält es sich mit den Büchern, die auf der Vorderseite des Ausstellungsteils als medizinische Fachliteratur zwischen 1903 und 1942 eingeführt wurden und die man auf der Rückseite nun unter dem Aspekt Medizin im Nationalsozialismus betrachtet, gleiches gilt für die anthropologischen Instrumente, die nun den Weg in die Rassenhygiene darstellen. In diesem Ausstellungsteil haben die Kuratoren mit einer kontextabhängigen Präsentation gearbeitet. Es ist zwei Mal das gleiche Präsentationsverfahren: ein Objekt, das man sich in einer Vitrine hinter einem Fenster anschauen kann – allerdings wortwörtlich aus zwei Perspektiven, nämlich von beiden Seiten der Vitrine, inmitten zwei verschiedener medizinischer Kontexte. Dieser Ausstellungsteil ist direkt vor das dritte Fenster des Ausstellungsraumes platziert worden. Dieses eine Fenster wird weder von Wandtexten flankiert, noch ist es, im Gegensatz zu allen anderen Fenstern in der Dauerausstellung, mit einem Gazebild abgedunkelt. Vielmehr gibt das unbedeckte Fenster den Blick aus dem Museum hinaus auf das Gelände der Charité frei. Wiederum quer zum Raum ist die nächste große Standvitrine angeordnet. Diese thematisiert auf einer Längs- und einer Querseite die bildgebenden Verfahren zur Herstellung von Schnitt- und Schallbildern und ist damit in der Chronologie näher an der Gegenwart. Anhand exemplarischer Aufnahmen von MRT, PET oder CT werden die Unterschiede zwischen der Computertomografie, der Positronenemissionstomografie und der Magnetreso-

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nanztomografie erläutert. Auf der Querseite der Vitrine befindet sich ein Ultraschallgerät, sodass auch die Herstellung von Schallbildern erläutert wird. Auf der Rückseite der Vitrine wird das Netzwerk im Organismus, das Gehirn vorgestellt. Hier wird zum einen mithilfe verschiedener MRT- (= funktionelle Magnetresonanztomografie) und PET-(= Positronenemissionstomografie) Bilder die Erforschung einzelner Gehirnregionen dargestellt. Auf den verschiedenen Abbildungen sind jeweils die Regionen des Gehirns farblich hervorgehoben, die beim Sehen, Fühlen, Erinnern, Verstehen oder Vergessen aktiviert werden. Der Mittelgang zwischen Raum eins und Raum zwei des zweiten Teils der Dauerausstellung leitet zu dem nun folgenden Ausstellungsteil über: ein historischer Saal, der einem Krankensaal in der II. Medizinischen Klinik der Charité um 1910 nachempfunden ist. Dieser zweite Ausstellungsraum ist überschrieben mit dem Titel Am Krankenbett. Der Raum wird dominiert durch zehn stilisierte Krankenbetten, jeweils fünf auf jeder Seite des Raumes, sodass sich erneut ein Mittelgang ergibt. Auch dieser Raum hat die charakteristischen vier Säulen, die den Raum optisch nochmals teilen (vgl. Abb. 4).

Abbildung 4: Patientensaal

Foto: Stefanie Kohl, © Berliner Medizinhistorisches Museum der Charité

Mit den Krankenbetten verbunden sind zehn exemplarische Patientengeschichten aus drei Jahrhunderten, über die die Entwicklung von medizini-

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schen Behandlungsansätzen und -methoden vermittelt wird. Es handelt sich bei den Patientengeschichten um Fälle aus der Geschichte der Charité, die sich über Krankenakten belegen lassen. Die Gestaltung der Krankenbetten folgt durchgängig dem gleichen Prinzip: ihr liegt eine Dreiteilung der Krankenbetten in ein Fuß-, ein Matratzenund ein Kopfteil zugrunde. Zum Gang hin und in den Raum hinein, befindet sich jeweils das Fußteil der Krankenbetten. Steht der Besucher hier, erfährt er mit Blick auf eine Standvitrine, die dem Kopfteil des Bettes entspricht, Krankheitsbild und Jahreszahl der vorliegenden Krankengeschichte. Diese Informationen sind durch einen Schriftzug oben auf die Vorderseite der Vitrine gedruckt. Die chronologisch früheste Patientengeschichte findet sich auf der rechten Seite. Dieser Ausstellungsbereich ist mit Schwierige Geburt, 1727 überschrieben. Ein quaderförmiges Ausstellungsmöbel stellt das Fußteil des Krankenbettes dar. Ein kurzer Objekttext auf der Oberseite gibt ähnlich einem Patientenbrief Auskunft über Namen, Alter, gegebenenfalls Berufsstand des Patienten. Detailliertere Angaben zur Person, zu Interessen oder besonderen Charaktereigenschaften arbeiten den individuellen Aspekt der vorliegenden Krankengeschichte heraus, bevor die Krankheit anhand von Symptomen und ersten Behandlungsansätzen vorgestellt wird. So beginnt der historische Rundgang durch die Medizingeschichte 1727 mit der Müllerstochter Dorothea S., 17 Jahre alt. Die Prostituierte war ungewollt schwanger. Sie wurde nach dem erfolglosen Versuch einer Abtreibung für die Geburt ihres Kindes in die Berliner Charité eingewiesen. Hier kam es im Verlauf des Geburtsvorgangs zu Komplikationen. Rechts neben dem Patientenbrief befinden sich unter Glas Objekte, die die Patientenbiographie oder das Krankheitsbild ergänzen, beispielsweise persönliche Gegenstände oder Ego-Dokumente der Patienten. Am ersten Krankenbett findet sich unter Glas ein fiktiver Auszug aus dem Tagebuch der Dorothea S., das die schwierige Geburt ihres Kindes in ihren Worten beschreibt. Einige Quader verfügen zusätzlich über eine oder mehrere Schubladen, die sich ausziehen lassen, das offeriert dem Besucher die Möglichkeit zur Interaktion. Zwischen dem vorderen und dem hinteren Ausstellungsteil des stilisierten Krankenbettes befindet sich anstelle der Matratze ein Sockelteil. Hier ist in der Regel ein einzelnes Leitobjekt ausgestellt, das stellvertretend für die dargestellte Krankengeschichte steht. Am ersten Krankenbett sind dies ein

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Gebärstuhl, eine Wanne und zwei Mühlensteine, auf denen die Gebärende während der Geburt vermutlich ihre Füße abgestellt hat. Anstelle des Kopfteiles befindet sich am oberen Ende des Ausstellungsarrangements die bereits oben beschriebene Standvitrine, in der die am Vorderteil aufgerufene Patientengeschichte fortgeführt und über den weiteren Verlauf der Erkrankung sowie die in den meisten Fällen erfolgreiche Behandlung berichtet wird. Während der Objekttext am Fußteil Symptome und Vorgeschichte einer Krankheit beschreibt, werden an den beiden Seitenteilen der Vitrine über weitere Texte zwei weitere thematische Schwerpunkte gesetzt und teilweise neue, innovative Behandlungsansätze vorgestellt. Beim Umrunden der Vitrine blickt man dann von vorn auf zu den Texten passende Objekte. Die Geburtshilfe um 1727 beherrschen zwei Leitfragen: Schlinge oder Zange? und Hebamme oder Geburtshelfer? Medizinisches Besteck wie eine zeitgenössische Geburtszange oder geburtsmedizinische Zerteilungsinstrumente, ein geburtshilfliches Phantom mit Kind in Querlage oder eine Tafel, mit einer bildlichen Anleitung zur inneren Wendung des Kindes, ergänzen den Blick auf das Thema Geburt. Die Objekte sind auf vier Vitrineninnenböden verteilt ausgestellt. Sie stellen den Wissensstand der Geburtshilfe um 1727 dar und machen deutlich, dass man an der Charité in Berlin zu Beginn des 18. Jahrhunderts in der Lage war, sich im Rahmen der Ausbildung auf schwierige Geburten vorzubereiten und sie dann, mit den entsprechenden medizinischen Instrumenten, relativ problemlos durchzuführen. So werden die Fragen an den Seitenteilen der Vitrine mittels der Objekte aufgegriffen – ihr Gehalt wird verdeutlicht. Nach dem Umrunden des ersten Krankenbettes ergeben sich nun mehrere Möglichkeiten, den Ausstellungsrundgang fortzuführen. Der Besucher kann sich von einer Erzählung der Medizingeschichte anhand von Jahreszahlen und damit von der Chronologie trennen und jeden der beiden Ausstellungsteile im Raum einzeln erkunden. Das bedeutet, er schreitet jeweils fünf Krankenbetten von vorn nach hinten entlang des Mittelgangs, stets vom Fußteil des Bettes zum Kopfteil hin, ab. Nach der Geschichte der Dorothea S. gelangt man so zur Patientengeschichte von Friedrich August W., der 1844 unter Fieber litt und danach zu Moritz B., der 1905 an Tuberkulose erkrankte. Möchte der Besucher sich jedoch an die Chronologie halten, ist es notwendig, sich im Zickzack durch den Raum zu bewegen und nacheinander die jeweils gegenüberliegenden Betten anzusteuern. Von der ersten Patientengeschichte auf der rechten Seite des Ausstellungsraumes, die auf das Jahr 1727 datiert ist, muss man auf die linke Seite des Ausstellungsraumes wech-

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seln. Dort findet sich das Krankenbett, das mit der Patientengeschichte von Adam Heinrich L., 35 Jahre alt verbunden ist. Dieser litt 1746 unter einer schmerzhaften Hautgeschwulst. Die zeitlich nächste Patientengeschichte befindet sich wiederum auf der gegenüberliegenden Seite, auf der rechten Seite des Ausstellungsraumes: Fieber, 1844. Dem Besucher ist es selbst überlassen, welchen der möglichen Wege durch den Ausstellungsraum er wählt. Der Rundgang wird in diesem Raum weder durch die Anordnung der Betten vorgegeben, noch durch gestalterische Mittel, wie beispielsweise Pfeile auf dem Fußboden oder ein Leitsystem über den stilisierten Betten. Die Erzählung ordnet sich in diesem Teil der Dauerausstellung gänzlich dem Raumbild unter: einen historischen Krankensaal nachzubilden. Ausstellungsmöbel oder Objekte, die auf davon abweichende Kontexte verweisen, finden sich in diesem Raum keine. Nachdem der zweite Raum auf dieser Etage durchlaufen ist, ist das Ende der Dauerausstellung erreicht. Über den ersten Ausstellungsraum gelangt der Besucher zurück ins Treppenhaus und von dort entweder zum Ausgang oder in den Sonderausstellungsbereich in der ersten Etage des Hauses.

3.1.2

Die Sonderausstellung Visite im Depot

Auf 400 m2 Ausstellungsfläche widmet sich das Haus neuen Aspekten der Medizin und Medizingeschichte. Hier ist Raum für thematische Schwerpunkte aus Gesellschaft, Religion, Politik oder Kultur. Häufig wird in den Sonderausstellungen durch die Wahl anderer Präsentationsstrategien Wissenschaft mit Kunst konfrontiert, jedoch wird in allen temporären Ausstellungen stets ein medizinischer Kern sichtbar. Vom 30. November 2012 bis zum 22. September 2013 thematisierte die Sonderausstellung Visite im Depot 20 das Ausstellen an sich. Depotausstellungen haben sich, wie in Kapitel 2.2.1 dargestellt, in den vergangenen Jahren zu einem Trend entwickelt. Diese Entwicklung griffen die Wissenschaftler aus dem Charité-Museum auf, indem sie das Depot und ihre Arbeit darin als solches thematisierten: Es ins Museum holten, um es im Rahmen einer Sonderausstellung zu präsentieren. Gezeigt wurden nicht die Räumlichkeiten des Depots des Museums, stattdessen wurde in den Ausstellungsräumen eine Idee davon gegeben, wie es in einem Depot aussieht und welche verschiedenen Arbeitsbereiche in einem Depot zusammenkommen. Es wurde Wissen 20

Vgl. hier: www.bmm-charite.de/visite-im-depot-174.html [Zugriff 25.12.2017].

3. Das Berliner Medizinhistorische Museum der Charité

über die Funktionsweise der Institution inszeniert und vermittelt. Mit einem Blick hinter die Kulissen machte diese Depotausstellung Objekte sichtbar, die Besucher sonst nicht zu Gesicht bekommen. Die Objekte wurden in der Ausstellung Visite im Depot in einem Zustand gezeigt, wie sie noch unbearbeitet, nicht katalogisiert und in Kartons verpackt sind. Die Besucher waren aufgefordert, sich ihre eigenen Gedanken zum Objekt zu machen, selbst zu rätseln, welche Funktion ein Instrument hatte oder was ein Präparat zeigte. In zwei Räumen wurden die unterschiedlichen Facetten der Depotsituation einander gegenübergestellt. In einem der beiden Räume wurden Objekte in Kartons gezeigt, also in dem Zustand, in dem die Objekte in das Museum kommen: als bloße Gegenstände, die bis zu dem Zeitpunkt, an dem sich ein Mitarbeiter des Museums wissenschaftlich und restauratorisch mit ihnen beschäftigt, in diesem Status verbleiben. In den üblichen Depotschränken wurden unbearbeitete, unkommentierte und noch nicht katalogisierte Objekte gezeigt – also gewissermaßen die Objekte im Rohzustand, ehe sie Teil des Museums, Teil der Sammlung werden und als solcher einer vorhandenen Sammlung zugeordnet, für die Datenbanken erfasst und klassifiziert werden, ohne dass eventuell notwendige Maßnahmen zur Bewahrung ergriffen werden und ohne dargebotene Informationen zu Ursprung, Funktion und Bedeutung des Objektes. Die Objekte in den Kartons zeigten einen Zustand dazwischen an: zwischen ihrer ursprünglichen und natürlichen Funktion und Bedeutung und ihrer Funktion und Bedeutung im Museum. In einem zweiten Sonderausstellungsraum wurde diese Erfahrung kontrastiert durch Dinge, die detailliert kontextualisiert und vorgestellt wurden. Den Besuchern wurden Informationen zu ihrem Status in der Sammlung und ihrem Hintergrund angeboten – zu sehen war beispielsweise ein Operationstisch, der aus der Zeit stammt, als Ferdinand Sauerbruch21 an der Charité in Berlin praktizierte. Die Gesamtpräsentation dieses Raumes wurde unterstützt durch auf Großformat gebrachte Fotografien, die Einzelheiten aus den Lagerräumen des Museums zeigten. Aus dem Sonderausstellungsprogramm des Berliner Medizinhistorischen Museums der Charité der vergangenen Jahre kommen einige Ausstellungen für die Untersuchung in Frage. Bereits genannt wurde die Sonderausstellung 21

Ferdinand Sauerbruch (*1875, †1951) war von 1928 bis 1949 an der Berliner Charité tätig. Er zählt zu den besten Chirurgen, die in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts praktizierten.

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Visite im Depot, die im Herbst 2013 das Ausstellen an sich und die Arbeit im Depot thematisierte. Unter dem Aspekt des Zusammenhangs zwischen Kunst und Wissenschaft hätte sich als Gegenstück zur Wellcome Collection und deren Ansatz, Wissenschaft unter anderem durch Kunst zu vermitteln,22 auch die Ausstellung SURFACES. Adolf Fleischmann. Grenzgänger zwischen Kunst und Medizin angeboten, die Kunst und Wissenschaft aus der biographischen Perspektive von Adolf Fleischmann thematisierte.23 In den vergangenen Jahren hat sich aus dieser Art der klassischen, thematisch motivierten Sonderausstellung im Berliner Medizinhistorischen Museum eine Form von Ausstellung herausentwickelt, die am Berliner Medizinhistorischen Museum mehrfach erfolgreich erprobt wurde: die sogenannte Interventionsausstellung.24

3.1.3

Die Interventionsausstellung Die Seele ist ein Oktopus

Die Seele ist ein Oktopus war vom 11. Mai bis zum 11. September 2016 im Museum zu sehen, im Sommer 2017 wanderte die Ausstellung von Berlin an das Deutsche Medizinhistorische Museum in Ingolstadt.25 Die Ausstellung zur Seele entstand als kooperatives Projekt zwischen Wissenschaftlern der Forschergruppe Mapping Body and Soul des Exzellenzclusters TOPOI26 , der Forschergruppe Medicine of the Mind. Philosophy of the Bo22 23 24

25

26

Siehe Kapitel 4 zur Wellcome Collection in London. Die Ausstellung war vom 27. April bis zum 11. September 2016 im Berliner Medizinhistorischen Museum der Charité zu sehen. Die sechs Interventionsausstellungen, die zwischen 2012 und 2020 im Medizinhistorischen Museum der Charité in Berlin zu sehen waren, stehen exemplarisch für dieses Sonderausstellungsformat. Das sind: 1. Aya Ben Ron: A VOYAGE TO CYTHERA (29. April23. September 2012); 2. 4cm² (28. September 2013-12. Januar 2014); 3. Wohlsein! Gesund werden – gesund bleiben. Einblicke in die integrative Medizin (27. November 2012-3. März 2013); 4. Kopfarbeit. Videoperformances von Eva Wandeler (12. September 2014-11. Januar 2015); 5. Sick. Kranksein im Comic (27. Oktober 2017-4. März 2018); 5. The Art of Healing (Die Kunst des Heilens) vom 25. Oktober 2019-2. Februar 2020. Dort war die Ausstellung Die Seele ist ein Oktopus. Antike Vorstellungen vom belebten Körper zunächst für den Zeitraum vom 20. Juli bis 15. Oktober angekündigt, wurde dann aber bis zum 21. Januar 2018 verlängert. Der vollständige Titel des Exzellenzclusters lautet TOPOI. The Formation and Transformation of Space and Knowledge in Ancient Civilization. Siehe auch hier: https://www. topoi.org/ [Zugriff 26.12.2017].

3. Das Berliner Medizinhistorische Museum der Charité

dy. Discourses of Health and Well-Being in the Ancient World an der Alexander von Humboldt-Professur für Klassische Altertumswissenschaften und Wissenschaftsgeschichte an der Humboldt-Universität zu Berlin27 und dem Berliner Medizinhistorischen Museum der Charité. Sie gab einen Einblick in die Forschungsinteressen der einzelnen Gruppen in der laufenden Beschäftigung mit den »antiken Konzepten der Interaktion zwischen Körper und Seele und zur Lokalisierung der Seele im menschlichen Körper«.28 Die Interventionsausstellung deckte den Zeitraum zwischen 500 vor Christus und 200 nach Christus ab. In dieser Zeit gab es keine einheitliche Auffassung davon, was die Seele war und wo im Körper sie sich befand. Diverse antike Ärzte und Philosophen arbeiteten an einer »Kartierung von Körper und Seele«29 , das heißt, sie gliederten den menschlichen Körper in verschiedene Bereiche und Teile und ordneten den entsprechenden Körperregionen und -strukturen spezifische Krankheiten zu. Die Benennung dieser Krankheiten hielt begrifflich fest, welcher Körperteil betroffen war. Hepatitis beispielsweise geht auf das griechische Wort für Leber zurück.30 Auf diese Überlegungen verwies der Titel der Ausstellung, denn [i]n entsprechender Weise versuchten sie [die Ärzte und Philosophen, S.K.] die verschiedenen Funktionen und Teile der Seele in bestimmten Körperteilen und -substanzen zu lokalisieren. […] Die Stoiker verglichen die Seele mit einem Oktopus, dessen acht Fangarme die fünf Sinne, sowie, gesondert, die Sprache, die Fortpflanzung und das Denken repräsentieren.31 Für die inhaltliche Bearbeitung des Themas wurden Texte bedeutender antiker Philosophen und Ärzte herangezogen und erforscht. Dazu zählten unter anderem Hippokrates, Plato, Aristoteles und Galen. Die zentralen Fragen in Bezug auf die Seele, die sich diese antiken Autoren gestellt haben, wurden 27

28 29 30 31

Siehe hier: https://www.klassphil.hu-berlin.de/en/avh-professur[Zugriff 26.12.2017] oder auch hier: https://www.hu-berlin.de/de/forschung/szf/forschungsmanagement/ veroeffentlichungen/spektrum/vandereijk_310.pdf[Zugriff 26.12.2017]. Vgl. https://www.topoi.org/knowledge-transfer/exhibitions-and-events/mappingbody-and-soul/[Zugriff 26.12.2017]. Kornmeier, Ute (Hg.): Die Seele ist ein Oktopus. Antike Vorstellungen vom belebten Körper, Berlin: Berliner Medizinhistorisches Museum der Charité 2017, S. 8. Ebd., S. 19. Ebd., S. 9.

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auch in der Ausstellung aufgegriffen: Was ist der bestimmende Teil der Seele? Wo liegt er? Wie kommuniziert er mit dem Körper?32 Für die Erarbeitung der Interventionsausstellung war das sechsköpfige Forscherteam Mapping Body and Soul verantwortlich. Die Beteiligten passten die Ausstellung in einen zentralen Bereich des Berliner Medizinhistorischen Museums ein: in den Präparatesaal, der sich im ersten Stock befindet und Teil der Dauerausstellung des Hauses ist. Die spezifische Ordnung der Präparate in diesem Raum aufgreifend, die sich an zentralen Teilen des Körpers und Organen orientiert und spezifische Krankheitsbilder darstellt, wurde das Thema Seele in zehn thematische Schwerpunkte gegliedert, denen zehn Interventionsbereiche innerhalb der Ausstellung entsprachen. Diese Schwerpunkte stimmten mit den jeweiligen Themen in den Präparatevitrinen überein; sie umfassten sowohl Gesundheit als auch Krankheit. Die Präsentation des Objekts wurde ergänzt um Textauszüge aus den antiken Texten, die von den Ausstellungsmachern ediert, kommentiert und kontextualisiert wurden. Um ein möglichst großes Verständnis für verschiedene Besuchergruppe zu ermöglichen, wurde ein weiteres Element in die Interventionsausstellung integriert: die sogenannten Visual Translations. Dies sind großformatige Zeichnungen des Berliner Grafikers Christoph Geiger.33 Insgesamt war es das Ziel der Interventionsausstellung, »einen Dialog zwischen der antiken und der modernen Sicht auf den menschlichen Organismus hinsichtlich Gesundheit und Krankheit anzuregen«34 – nicht zuletzt um das Bewusstsein dafür zu wecken, dass die heutige moderne Medizin auch auf den medizinischen Ideen und Überlegungen der antiken Griechen und Römern basiert.

3.1.4

Das Depot

Wie im einleitenden Kapitel zu Sammlung und Depot bereits angeklungen ist, ist das Depot ein Bereich des Museums der, wenn er nicht intentional darauf ausgerichtet ist als Schau-Depot zu fungieren, dem Besucher nicht zugänglich ist. Hier befindet sich die Sammlung, hier werden alle Objekte gesammelt 32 33 34

Vgl. https://www.topoi.org/knowledge-transfer/exhibitions-and-events/mappingbody-and-soul/[Zugriff 28.12.2017]. Dazu in Kapitel 3.2.2 mehr. Vgl. Kornmeier: Die Seele ist ein Oktopus (Anm. 29), S. 11.

3. Das Berliner Medizinhistorische Museum der Charité

und bewahrt. Je nachdem, wie groß das Museum und seine Sammlung ist und über welche finanziellen Mittel das Haus verfügt, kümmern sich dementsprechend viele oder wenige Personen um die Sammlung, vor allem um die Bewahrung. Das Depot des Charité-Museums ist auf mehrere Standorte in Berlin verteilt.35 Ein Teil der Objekte befindet sich in unmittelbarer Nähe zu den Ausstellungen, im gleichen Haus, es sind aber auch Objekte in Gebäuden auf dem Charité-Campus untergebracht, ein Teil auch in einem anderen Stadtteil Berlins. Derzeit lagern rund 15.000 Objekte36 in den Depoträumen des Museums. Das Charité-Museum verfügt über keinen Etat, der eingesetzt werden kann, um aktiv weiter zu sammeln, hierfür werden gegebenenfalls Drittmittel eingeworben. Abgesehen davon erweitern sich die Sammlungen über Schenkungen, die jedoch dem Sammlungsprofil entsprechen müssen. Der Sammlungsschwerpunkt des Charité-Museums liegt auf der Geschichte der Pathologie, der Ophthalmologie und der Urologie und dabei insbesondere auf medizinhistorischen Objekten mit lokalem Bezug zu Berlin: die also entweder von Berliner Firmen produziert oder (einst) in Berliner Krankenhäusern eingesetzt wurden. Bei Letzteren ist die Geschichte hinter den Objekten entscheidend, ein besonderes Interesse besteht an Geräten aus der DDR-Zeit. Die Sammlungsobjekte des Berliner Medizinhistorischen Museums der Charité sind in einer internen Datenbank erfasst. Dort sind sie differenziert in Feucht- und Trockenpräparate, Moulagen, Modelle, Instrumente und Geräte. Die Geräte werden zum Teil nach dem Bereich, in dem sie verwendet wurden, weiter unterschieden in Orthopädie, Urologie, Ophthalmologie, Zahnheilkunde, Laborutensilien, Kunst und Andenken. Es gibt eine weitere Kategorie: unter Sonstiges findet sich alles, was gegebenenfalls nicht kategorisiert werden kann, aber ins Sammlungsprofil passt. In den einzelnen Depoträumen kommen verschiedene Organisationsprinzipien zum Tragen – in Abhängigkeit von der Beschaffenheit der Objekte. Die größeren und schwereren Geräte werden nach Angabe von Beate Kunst aus pragmatischen Gründen teilweise nach ihrer Größe sortiert und in 35

36

Die folgenden Ausführungen basieren, wie in Kapitel 1.4.2 geschildert, auf den Antworten, die ich von Frau Beate Kunst, Sammlungsverantwortliche am Berliner Medizinhistorischen Museum der Charité, erhalten habe. Vgl. Brüning, Anne: Wissen & Forschen: Kabinett des kranken Körpers. Online Zugriff unter: https://www.berliner-zeitung.de/wissen---forschen-kabinett-des-krankenkoerpers-3197558[Zugriff 22.03.2018].

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Wissenschaftsmuseen

Räumen deponiert, deren Türen breit und hoch genug sind, oder in deren Nähe sich ein Aufzug befindet. Die Zahl der Räume, auf die das zutrifft, ist allerdings begrenzt. Kleinobjekte werden in den für Depots üblichen säurefreien Kartons bewahrt. Sie werden nach Material sortiert, dabei wird darauf geachtet, dass Konvolute oder bestimmte Sammlungsthemen beieinander gehalten und nicht auf verschiedene Depotstandorte verteilt werden. Dies hat auch praktische Gründe, da die meisten Anfragen thematisch motiviert sind. Das vorhandene Organisationsprinzip vermeidet unnötigen Aufwand, sodass die Auskünfte möglichst schnell erteilt werden können. Grundsätzlich ist es möglich, an den Objekten aus der Sammlung des Museums zu forschen, so sind in der Vergangenheit einige Dissertationen oder andere Qualifizierungsarbeiten zum Sammlungsbestand des Charité-Museums entstanden. Darüber hinaus beteiligt sich das Museum im Rahmen seiner Möglichkeiten auch an objektbasierter Lehre: sei es mit dem Zur-Verfügung-Stellen von Moulagen für die Lehre im Bereich der Pathologie oder für das Studium der Rechtsmedizin.37 Aus diesem Grund finden gegebenenfalls auch Führungen für Studierende unterschiedlicher Fachrichtungen statt, die in universitären Kontexten meist spezifische Interessen am Sammlungsbestand haben. Vereinzelt gibt es Sonderführungen für Personen, die mit musealen oder universitären Sammlungen vertraut sind und sich das Depot unter einer spezifischen Fragestellung anschauen wollen. Das Berliner Medizinhistorische Museum der Charité verfügt nicht über eine Restaurationsabteilung im eigentlichen Sinn. Mit Navena Widulin ist eine für Präparate ausgebildete Präparatorin am Haus beschäftigt, die in zahlreichen Weiterbildungen auch Moulagen reinigt, als Restaurationsabteilung kann dies aber nicht betrachtet werden.

3.2

Der repräsentative Zusammenhang der Dinge

In den nun folgenden drei Analysekapiteln werden anhand exemplarisch ausgewählter Objekte und Objektarrangements die drei musealen Realisierungs37

Vgl. Kleinschmidt, Jutta: 5 Fragen an Navena Widulin. Berliner Medizinhistorisches Museum der Charité. Online Zugriff unter: https://sammeln.hypotheses.org/ 969[Zugriff 21.03.2018].

3. Das Berliner Medizinhistorische Museum der Charité

formen darauf geprüft, inwiefern sie die Produktion und den Transfer eines spezifischen Wissens herausfordern und unterstützen. Hierzu wird jeweils die Spezifik der jeweiligen Form – Dauerausstellung, Sonderausstellung und Depot – berücksichtigt und mit der konkreten Realisierung im Ausstellungsraum abgeglichen. Es ist nochmals daran zu erinnern, dass sowohl die Präsentation des Objektes als auch die Inszenierung desselben von besonderer Relevanz ist. Als Analysekriterium dienten darüber hinaus die Dinggeschichten der exemplarisch ausgewählten Objekte und die an sie herangetragenen Möglichkeiten der Bedeutungszuschreibungen, die Jana Scholze Mitteilungen nennt.

3.2.1

In der Dauerausstellung: Präparat No. 2119

Das Objekt, das aus der Dauerausstellung des Berliner Medizinhistorischen Museums der Charité zur Untersuchung ausgewählt wurde, nimmt man auf den ersten Blick in der Ausstellung neben den anderen Objekten nicht als ein Besonderes wahr, weil es weder auffällig noch besonders groß ist. Es fällt ohne den geschulten medizinischen Blick oder große Kenntnisse und Vorrecherchen nicht auf, weil es äußerlich durch nichts hervorsticht. Prof. Schnalke lenkte meinen Blick während unseres gemeinsamen Ausstellungsrundgangs auf dieses Präparat.38 Betrachtet man das Objekt unabhängig von der Ausstellung, in der es steht, ist folgendes festzustellen: Das Objekt befindet sich als Trockenpräparat in einem typischen zylindrisch runden Präparateglas. Der Boden des Glases ist mit Watte ausgelegt, darauf befindet sich ein Papierstreifen, an dem das kreisförmige Objekt befestigt ist. Der Durchmesser des Objektes beträgt nicht mehr als einen Zentimeter, es ist ein brauner Kern erkennbar, der strahlenförmig in die ansonsten orangefarbene Umgebung ausläuft (vgl. Abb. 5). Könnte man als Besucher in die Vitrine hineingreifen und das Präparateglas drehen, würde man auf der Rückseite des Papierstreifens ein identisches Objekt sehen – es handelt sich offenbar um zwei Hälften eines Ganzen, die voneinander abgewandt im Glas arrangiert sind. Ein Etikett im oberen Bereich, von außen an das Glas geklebt, könnte Aufschluss darüber geben, um 38

Ich hatte am 31.05.2016 im Rahmen eines Ausstellungsrundgangs mit Prof. Thomas Schnalke Gelegenheit, mit ihm unter anderem über die Ausstellungen des Hauses und die Objektauswahl zu sprechen. Auch bei Prof. Schnalke möchte ich mich herzlich für die Zeit bedanken, die er sich für mich genommen hat.

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Abbildung 5: Präparat No. 2119

Gallenblasenstein, weiblich, Inv.-Nr. 1796/242, in: Ilana Halperin: Physical Geology. A Field Guide to Body Mineralogy and Other New Landmass, S. 12. © Berliner Medizinhistorisches Museum der Charité

was für ein Objekt es sich handelt. Allerdings ist die handgeschriebene Beschriftung nur in der ersten der insgesamt vier Zeilen entzifferbar. Erkennbar ist »2119 Mus: Anat.« Diese Aufschrift ist nicht selbsterklärend, sie wirft eher noch mehr Fragen auf. Es bedarf über das Offensichtliche hinaus mehr Informationen, um zu erfassen, um was für ein Präparat es sich hier im Glas handelt. Unabhängig von der genauen Identifizierung des Objekts ist dessen Funktion bereits jetzt klar: Es handelt sich um ein Präparat. Im Kontext des Medizinhistorischen Museums der Charité liegt ein Bezug zur Präparatesammlung von Rudolf Virchow nahe, der unzählige Präparate angefertigt hat, anhand derer er in erster Linie Studenten über Krankheiten und deren spezifische Verläufe unterrichten wollte. Die Präparate wurden also in Forschung und Lehre eingesetzt. Über die Denotation, die ursprüngliche Funktion des Objekts vor Eintritt in die museale Sammlung, erfolgt eine erste Form der Zuschreibung an das Objekt. Es ist Lehrobjekt. Der zweite Aspekt der Zuschreibung von Sinn und Wert erfolgt über die Objekt- und Raumarrangements: In der Dauerausstellung des Berliner Medizinhistorischen Museums befindet sich dieses Glas im ersten Ausstellungsraum,

3. Das Berliner Medizinhistorische Museum der Charité

gleich zu Beginn des Rundgangs durch die Ausstellung, in der ersten quer im Raum stehenden Glasvitrine. Thematisch ist dieser Bereich dem Anatomischen Museum zugeordnet, das zeigt der Wandtext auf Höhe der Vitrine an. In dieser Vitrine finden sich, dem Arrangement in einem anatomischen Museum nachempfunden, auf Vorder- und Rückseite verschiedene Objekte: Schädel, Knochen, diverse andere Gläser mit Präparaten und auch Bücher. Das ausgewählte Glas steht auf der Rückseite der Vitrine vor einem aufgeschlagenen Buch, neben einem ihm ähnlichen Glas, darin ein ähnliches kreisförmiges, aber braunes Objekt. Der Objekttext klärt auf, dass es sich in beiden Fällen um Gallenblasensteine handelt, datiert auf vor 1796 – der orangefarbene von einer Frau, der andere von einem Mann. Aus welchem Grund stehen diese Steine, insbesondere der für die nähere Untersuchung ausgewählte, orangefarbene Gallenblasenstein in der Ausstellung? Wofür stehen sie? Welches Wissen ist mit ihnen verbunden? Welches Wissen können sie transferieren? Das unscheinbare Aussehen des Gallensteines trägt zur Klärung der Fragen nichts bei. Die Aufschrift auf dem Etikett gibt in ihren lesbaren Bestandteilen Rätsel auf, die unlesbaren Zeilen des Etiketts gilt es zu entschlüsseln. Die Datierung des Gallensteins in der Ausstellung auf vor 1796 liefert hingegen einen ersten Anhaltspunkt, die Platzierung des Objektes an den Beginn der Ausstellung einen zweiten. Beides zeigt an, dass es sich um ein sehr altes Objekt handelt – mehr als 200 Jahre alt und womöglich für die Anfänge der Medizingeschichte in Berlin von Bedeutung. Das könnten Gründe dafür sein, warum der Gallenstein zu sehen ist. Um dies zu bestätigen, ist jedoch ein Blick zum einen in die Biographie des Objektes und zum anderen in die Medizingeschichte in Berlin um 1796 notwendig. Unter Umständen erklären sich so auch die Zusammenhänge, unter denen der Gallenblasenstein neben den anderen in der Ausstellung zu sehenden Körpersteinen in eine Sammlung und anschließend in den Bestand des Medizinhistorischen Museums gekommen ist. Möglicherweise erklärt sich auch, was den ausgewählten Gallenblasenstein zu einem besonderen Objekt macht. Mit der Medizingeschichte in Berlin und der Geschichte des Medizinhistorischen Museums Berlin eng verbunden, ist – das wurde in Kapitel 3.1 dargestellt – der Arzt und Wissenschaftler Rudolf Virchow, der sich Ende des 19. Jahrhunderts um die Pathologie generell, insbesondere aber um die Pathologie in Berlin verdient gemacht hat. Bereits vor Virchow gab es im 18. Jahrhundert in der preußischen Metropole Wissenschaftler, die – mit dem Wissen von heu-

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te – die Medizingeschichte des Landes wie Virchow geprägt haben, weil sie die entscheidenden Grundlagen lieferten. Im beginnenden 18. Jahrhundert fanden in Berlin im Anatomischen Theater die üblichen Sektionen und Obduktionen statt, die Anatomen demonstrierten ihre Befunde – präparierten und konservierten aber auch Organe und Knochen. Es war in dieser Zeit nicht unüblich, besondere Exemplare mit nach Hause zu nehmen, »[s]ie waren schöne Kostbarkeiten: Sammlertrophäen, Objekte der Neugier«39 Im Umfeld der Aufklärung entstanden so einige medizinische Privatsammlungen, die die Erforschung der Anatomie von Mensch und Tier dokumentierten und vorantrieben, ihren Sammlern aber auch medizinischen Sachverstand und Gelehrsamkeit bescheinigen sollten.40 Zu diesen Anatomen zählten auch die Berliner Anatomieprofessoren Johann Gottlieb Walter und sein Sohn Friedrich August Walter (1734-1818). Beide nahmen zwischen 1756 und 1796 insgesamt ungefähr 8.000 Autopsien vor, das sind circa 200 Sektionen jährlich.41 Ihr größtes gemeinsames Interesse galt dabei der Lösung der Frage, was Krankheit und Gesundheit ausmacht. Die für die Walters interessantesten der im Rahmen ihrer Tätigkeit in der Anatomie erstellten Präparate nutzten sie, um in ihren Privaträumen unweit des Brandenburger Tores eine beachtliche private ärztliche Sammlung anzulegen, gewissermaßen ein privates anatomisches Museum zu betreiben und sich anhand ihrer Sammlungsobjekte den Erscheinungen von Gesundheit und Krankheit zu widmen. An ihren Objekten interessierten sie dabei insbesondere die Abweichungen, die Abnormitäten und krankhaften Veränderungen, die nach der Präparation sichtbar wurden und anhand derer sie ein Spektrum der Krankheiten abbilden wollten. Dabei lag der Fokus auf Steinen und Konkrementen, die im Inneren des Körpers entstanden: insbesondere in der Harnblase, der Gallenblase und den Nieren, aber auch an anderen Stellen. Die Walters, die sich selbst als Körpermineralogen bezeichneten, arbeiteten mit ihren Objekten, insbesondere mit den Steinen, und den daraus gewonnenen Erkenntnissen, an einer Systematik, die ähnlich der vom schwedischen 39

40

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Halperin, Ilana: Physical Geology. A Field Guide to Body Mineralogy and Other New Landmass, herausgegeben von Sara Barnes und Andrew Patrizio, Glasgow: Berliner Medizinhistorisches Museum 2010, S. 40. Vgl. Schnalke, Thomas: Das Ding an sich. Zur Geschichte eines Berliner Gallensteins, in: Hennig, Jochen/Andraschke, Udo: WeltWissen. 300 Jahre Wissenschaften in Berlin, München: Hirmer 2010, S. 58-65, hier: S. 61. Halperin: Physical Geology (Anm. 39), S. 40.

3. Das Berliner Medizinhistorische Museum der Charité

Botaniker Carl von Linné erstellten Systematik für das Pflanzenreich eine klare Reihung und Ordnung der Krankheiten möglich machen sollte. Die zugrunde liegende wissenschaftliche Praxis kann nur grob beschrieben werden, da die Forschungstätigkeit beider Walters in mündlicher oder schriftlicher Form nicht ausführlich überliefert ist. Einziges Zeugnis des Walter’schen Forschungsansatzes ist ein in deutscher Sprache verfasster Katalog, den Johann Gottlieb Walter 1796 veröffentlichte. Der Titel des Katalogs lautet Museum anatomicum. Der Katalog zeigte 693 der Präparate des Walter’schen Anatomischen Museums. Darunter befanden sich 367 sogenannte Konkremente – Ablagerungen im Körper, in der Hauptsache Gallen-, Harnblasen- und Nierensteine. Die Walters näherten sich ihren Objekten auf zwei Arten. Zunächst betrachteten sie jedes ihrer Objekte als Einzelfall. Das heißt, sie vermaßen und beschrieben es zunächst von außen im Hinblick auf Form, Farbe und Konsistenz. Gleiches unternahmen sie auch für das Innere der Steine. Dazu schnitten sie die Körpersteine in der Mitte durch. Aus diesem Grund ist auch das Präparat in der Vitrine halbiert – es wurde den gleichen Verfahren unterzogen wie die anderen Körpersteine, an denen Vater und Sohn Walter forschten. Die Ergebnisse beider Untersuchungen finden sich in ihrem Katalog in einer Vielzahl knapper Einträge, die in lateinischer Schrift über Aussehen, Größe, Gewicht, Farbe, Konsistenz und Beschaffenheit der Präparate informieren. Einige Präparate werden darüber hinaus durch Angaben zum Geschlecht und zur Krankengeschichte des Patienten, dem dieses Präparat entstammt, ergänzt. Bei diesen Beispielen werden auch die Sektionsbefunde ausführlich beschrieben und gedeutet – das Präparat wird umfassend beschrieben. Resultierend aus den Beobachtungen der Einzelfallbeschreibungen arbeiteten die Walters drei verschiedene Klassen von Gallensteinen heraus. In diese wollten sie jeden einzelnen ihrer Gallensteine einordnen, um so ein System zu entwickeln, das dem Vorbild Linnés folgte. Der Nutzen, den Johann Gottlieb Walter und sein Sohn Friedrich August sahen, lag darin, beschreiben zu können, wie im natürlichen Entwicklungsprozess einer Krankheit aus Teilen des Körpers Stein wird. Um einer umfassenden Beschreibung so nahe wie möglich kommen zu können, ergänzten die Walters ihre Ober- und Innenflä-

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chenbeobachtungen durch experimentelle chemische Forschung, basierend auf dem antiken humoralen pathologischen Denken, der Körpersaftlehre.42 All die bis hierhin geschilderten medizinhistorischen Details sieht man dem Objekt im Präparateglas in der Dauerausstellung nicht an. Diese Details schaffen jedoch den Kontext, in dem das Objekt in dieser Untersuchung zu betrachten und zu deuten ist. Welcher Zusammenhang besteht also zwischen der Sammlung des Berliner Medizinhistorischen Museums, dem Glas mit Gallenstein in der Ausstellung, den Präparations- und Sammlungsgewohnheiten von Medizinern im 18. Jahrhundert, dem besonderen Wissensdurst und Forscherdrang von Vater und Sohn Walter, ihrem privaten Anatomischen Museum und dem von Johann Gottlieb Walter veröffentlichten Katalog Museum anatomicum? Die Sammlung des Berliner Medizinhistorischen Museums geht im Wesentlichen zurück auf die von Rudolf Virchow und seinen Mitarbeitern erstellten Präparate. Aber schon in der Schaffenszeit von Rudolf Virchow wurde dessen Sammlung um Stücke erweitert, die im Zuge der Aufteilung der anatomischzootomischen Sammlung in die Bestände der Charité gelangten. Bis 1883 war diese Sammlung im Westflügel des Hauptgebäudes der Friedrich-WilhelmsUniversität zu Berlin untergebracht. Dort wurde sie zwischen 1833 und 1858 vom jungen Anatomen und Physiologen Johannes Müller rege genutzt, der die Sammlung intensiv in die Lehre miteinbezog. Zu diesem Zeitpunkt bestand die Sammlung bereits über 50 Jahre und war in dieser Zeit auf 19.000 Präparate angewachsen. Die anatomisch-zootomische Sammlung war zu Beginn des 19. Jahrhunderts auf Bestreben des preußischen Königs Friedrich III. eingerichtet worden – auf Grundlage der Sammlung von Vater und Sohn Walter. 1803 hatte Friedrich III. deren gesamten Präparatebestand für die gewaltige Summe von 100.000 Talern aufgekauft und mit Verbleib in den ursprünglichen Räumen in den Rang eines königlichen Anatomiemuseums erhoben. Neben dem Berliner Anatomischen Theater sollten die Sammlungsobjekte hier fortan einerseits intensiver als zuvor für die medizinische Ausbildung genutzt werden, aber andererseits auch der interessierten Öffentlichkeit zur Verfügung stehen. Der ältere der beiden Walter, Johann Gottlieb, betreute die 42

Ilana Halperin hat in ihrem Band die wissenschaftlichen Ansätze und Überlegungen von Johann Gottlieb Walter und seinem Sohn ausführlicher beschrieben. Siehe Halperin: Physical Geology (Anm. 39), S. 40ff.

3. Das Berliner Medizinhistorische Museum der Charité

Sammlung auch weiterhin und trug durch andauernde Sektions- und Präparationstätigkeit dazu bei, sie zu vermehren. Das königliche Anatomiemuseum fand sein Ende, als auf dem Nachbargrundstück der Walters ein Gebäude gebaut wurde, dessen Brandschutzmauer in ihrer Höhe die zuvor optimalen Lichtverhältnisse für die Präparate störte. Hinzu kam, dass der Vermieter der Walters den ausgedehnten Museumsbetrieb nicht länger tolerieren wollte, sodass Johann Gottfried Walter den Mietvertrag kündigte. Dem preußischen Major von Hünerbein ist es zu verdanken, dass die anatomisch-zootomische Sammlung als Zwischenstation in dessen Palais Unter den Linden unterkommen konnte, bevor sie 1810 als Basis einer anatomischen Sammlung der Medizinischen Fakultät ins Hauptgebäude der damals neu gegründeten Friedrich-Wilhelms-Universität zog. Der Gallenstein aus der Dauerausstellung hat alle Umwidmungen und Umzüge miterlebt. Dies lässt sich sowohl im deutschen Katalog von 1796 als auch in einem 1805 fertiggestellten, von Johann Gottlieb Walter verantworteten Katalog, nachverfolgen. Letzterer enthält knapp 1.000 Objekte mehr – in der Zeit nach 1796 war der Sammlungsbestand der Walters auf 3.092 Einträge angewachsen. Ein Reprint dieses Katalogs befindet sich in unmittelbarer Nähe des Gallensteins in der Tischvitrine. Hier sind in die Tischplatte kleine Vertiefungen eingelassen, in denen weitere Exemplare von Gallensteinen präsentiert werden. Ein Hocker vor dem Tisch lädt dazu sein, sich zu setzen und die Körpersteine und den Katalog zu studieren. Von hier aus schaut man direkt auf das Präparat mit der Nummer 2119. Über das Arrangement von Objekt- und Tischvitrine wird eine direkte Verbindung zwischen dem Objekt und dem Katalog geschaffen. Hier lässt sich Spezifisches über den Gallenstein erfahren, hier finden sich detailliertere Informationen. Die Nummer des Präparats ist in den Katalog übertragen, sodass ein direkter Abgleich ermöglicht wird. Auf Seite 411 finden sich zur Nummer 2119 folgende Angaben:43 2119. (No. 242) Calculus felleus pellucidus cum superfice aspera, Tab. II Aetas Ex femina triginta aliquout annorum Pondus Drachma una, quindecim grana Habitus hepatis Sanus Billis Naturalis. 43

Vgl. Schnalke: Das Ding an sich (Anm. 40), S. 60f. Die Abbildung 3 dort auf S. 60 zeigt den entsprechenden Auszug aus dem Walter'schen Katalog.

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In der konkreten Reihenfolge informieren diese Angaben darüber, dass es sich um einen durchsichtigen Gallenstein mit rauer Oberfläche handelt. Er wurde einer Frau von dreißig Jahren entnommen und wiegt eine Drachme, fünfzehn Gran. Der Zustand der Leber der Frau ist gesund, der Gallensaft weist eine natürliche Färbung auf.44 Darüber hinaus finden sich im Katalog auf zwei Tafeln auch kolorierte Abbildungen der präsentierten Körpersteine. So findet sich hier auf Tafel II auch eine Abbildung, die sehr große Ähnlichkeit mit dem Präparat in der Dauerausstellung des Medizinhistorischen Museums hat, also vermutlich das Präparat zeigt, das der Besucher mit Blick nach vorne auf die Vitrine vor sich stehen hat: Präparat Nummer 2119 der Walter’schen Sammlung ist der orangefarbene Gallenblasenstein aus der Dauerausstellung des Berliner Medizinhistorischen Museums – damit ist die Aufschrift auf dem Etikett auf dem Präparateglas erläutert. Die Systematik der Walters setzte sich in der Wissenschaft nicht durch – jedoch ist bei der Bewertung ihres wissenschaftlichen Beitrags aus heutiger Sicht in Rechnung zu stellen, dass sich bereits Mitte des 18. Jahrhunderts – lange bevor die Medizin dies wissenschaftlich fundiert in den Blick genommen hat – zwei Anatomen damit auseinandersetzten, Krankheiten mit den Mitteln ihrer Zeit zu erforschen und eine moderne Systematik zu erstellen. Damit wird klar, dass seit mehr als drei Jahrhunderten die Medizin die Frage beschäftigt, welche Formen Krankheit angenommen hat, wie sie sich erkennen, beschreiben, erklären und im Idealfall überwinden lässt. Die Verortung dieses Präparates in die Zeit des 18. Jahrhunderts erfolgt auf zwei Arten: zum einen über den Zeitstrahl der auf der rechten Wand des Ausstellungsraumes entfaltet wird. Hier wird die Geschichte der Charité in Etappen dargestellt. Zum zweiten erfolgt die zeitliche Einordnung über das Gazebild, das sich ungefähr gleichauf mit der Objektvitrine befindet, in der der Gallenstein zu finden ist. Das Objektarrangement erschöpft sich allerdings nicht mit dem Zusammenspiel aus Präparat und Tischvitrine und der zeitlichen Verortung. Wie eingangs beschrieben, steht der Gallenstein in der Vitrine inmitten anderer, sehr verschiedener Objekte. Die Vitrine erinnert in ihrer Objektfülle an die Ordnung einer Wunderkammer, zu sehen sind mehrere Objekte, die sich

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Ebd.

3. Das Berliner Medizinhistorische Museum der Charité

in Form, Farbe, Größe unterscheiden, aber scheinbar gleichberechtigt vor-, hinter- und nebeneinander stehen. Eine geordnete Präsentationsstrategie oder eine Ordnung ist zunächst nicht erkennbar. Mit dem Kontextwissen um die Berliner Medizingeschichte ist es möglich, dass hier die Privatsammlung eines Forschers dargestellt wird. Die räumliche Nähe zu den Hörerrängen an der Rückwand des ersten Ausstellungsraumes lässt auch das Anatomische Theater mit in den Kontext einfließen. Dies gilt als Lehr- und Forschungsraum, »als Ort der Wissenschaft und Lehre«. Die Studierenden schauten ihrem Lehrer beim Sezieren über die Schulter und lernten, sie erwarben Wissen. Aus dem Anatomischen Theater entstand das Anatomische Museum, dies ist wiederum die Geburtsstätte des medizinischen Museums – steht also in einer Traditionslinie mit dem Berliner Charité-Museum. Durch das fehlende Kontextwissen um die einzelnen Objekte in der Vitrine, insbesondere dem Gallensteinpräparat, erfährt der Besucher an dieser Stelle der Ausstellung in erster Linie etwas über eine historische Entwicklung: von der Sammlung zum Museum, die auch das Gallensteinpräparat durchläuft. Auch wenn die Möglichkeit zur Vertiefung und genaueren Information durch die umliegenden Texte, vor allem aber durch die Tischvitrine besteht, handelt es sich hier um historisches Wissen, um Fakten zur Entwicklung der Berliner Medizin. Er erfährt darüber hinaus etwas über einen Forschungsraum, in dem durch vorgeführte Praxis und Präparatesammlungen das Wissen um Krankheiten und deren Verläufe erworben wurden. Dabei handelt es sich ebenfalls um ein thematisch breites Wissen. Ein dritter Aspekt der Zuschreibung von Bedeutung an ein Exponat basiert auf dem Aspekt der Metakommunikation. Welche Intentionen der Ausstellungsmacher und Museumsverantwortlichen liegen der Präsentation in der Dauerausstellung des Berliner Medizinhistorischen Museum der Charité zugrunde – welche Ethiken und Ähnliches spielen hier eine Rolle, insofern, dass sie die Präsentation der Sammlungsbestände beeinflussen? Um diese Frage beantworten zu können, wird ein kurzer Umweg über die Bedeutung des Dings in der Medizingeschichte eingeschoben. – Exkurs: Das Ding in der Medizingeschichte – In den Sammlungen des Berliner Universitätsklinikums der Charité und des Berliner Medizinhistorischen Museums der Charité ist eine reiche Palette an

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medizin-, wissenschafts- und kulturgeschichtlichen Sachzeugen vorhanden, über die beide Einrichtungen für Wissenschafts- und Ausstellungsprojekte verfügen können. Es finden sich von Feucht- und Trockenpräparaten über wächserne Augenmoulagen, Zahnprothesen, Schädel und Schädelknochen, über diverse medizinische Spiegel wie zum Beispiel Blasen- oder Augenspiegel, Geburtszangen hin zu Schutzhandschuhen, handschriftlichen Folianten und einem japanischem Tempelgong die unterschiedlichsten Objekte. Während alle genannten Objekte für den museums- und ausstellungsanalytischen Blick an sich unter den verschiedensten Aspekten von großem Interesse sind, hat das Ding an sich in der Medizingeschichte einen zwiespältigen Ruf. Es gehört zwar als Sammlungsobjekt, als Gegenstand von Forschung und Lehre sowie als öffentlich präsentiertes Schaustück zumindest im deutschen Sprachraum seit Beginn des 20. Jahrhunderts zum medizinhistorischen Quellenkanon, die Arbeit mit und an Realien erfreut sich in der medizinhistorischen Wissenschaft dennoch bis heute nur eingeschränkter Beliebtheit.45 Die Gründung des Medizinhistorischen Museums in Ingolstadt 1973 kann als erster Impuls gesehen werden, dies zu ändern. Diese Neugründung aus den institutionellen und personellen Zusammenhängen einer anerkannten Medizingeschichte definierte und etablierte das Fachmuseum auch auf medizinischem Gebiet als Ort materialer Kultur – fern von Sammlungsräumen und Depots. Dennoch sind das Museum und die Ausstellung noch nicht der Ort, an dem Forscherinnen und Forscher wissenschaftliches Tun verorten, geschweige denn freiwillig betreiben würden. So hat Thomas Schnalke, Direktor des Berliner Medizinhistorischen Museums Berlin, wahrgenommen: Vielfach gilt das Vorzeigen einschlägiger Objekte in einem Schauraum als Aufbereitung sekundären und tertiären Wissens, was nicht Kernaufgabe eines Wissenschaftlers sein kann und wofür weder kostbare Forschungszeit noch ohnehin knappe Forschungsmittel vergeudet werden sollten. Die Auffassung, dass die thematisch gebundene Ausstellung eine eigene Publikationsform darstellt, die auch ernstzunehmende wissenschaftliche Produktio45

Vgl. Schnalke, Thomas: Einführung: Vom Objekt zum Subjekt. Grundzüge einer materialen Medizingeschichte, in: Kunst, Beate/Schnalke, Thomas/Bogusch, Gottfried (Hg.): Der zweite Blick. Besondere Objekte aus den historischen Sammlungen der Charité, Berlin: de Gruyter 2010, S. 1-15, hier: S. 1.

3. Das Berliner Medizinhistorische Museum der Charité

nen kennt, hat in medizin- und wissenschaftshistorischen Zirkeln cum grosso modo bislang noch nicht das Stadium der Diskussionswürdigkeit, geschweige denn eine übergreifende Anerkennung erlangt.46 Dabei gibt es Gruppen von Objekten, wie beispielsweise anatomische Modelle und medizinische Moulagen, bei denen das Potenzial eindeutig und scheinbar auf den ersten Blick zu erkennen ist, »da sie neben ihrer programmatischen Anthropomorphie bereits ursprünglich didaktisch konzipiert und somit als ein Instrument der Wissensvermittlung angefertigt worden waren.«47 Die Anstrengung, zu erschließen, was das Modell oder die Moulage für eine Funktion oder Bedeutung in der Medizingeschichte hatte, bewegt sich für den Besucher im Museum in einem annehmbaren Rahmen. Es bedarf kaum museumsspezifischer Mittel, um dieses Potenzial herauszustreichen. Die Regel sind in medizinhistorischen Kontexten eine zweite Gruppe von Objekten, bei denen es sich anders verhält als bei Modellen und Moulagen: Experimentiereinrichtungen, Messapparaturen und Therapiegeräte beispielsweise verschließen sich dem ersten flüchtigen Blick. Sie bedürfen anderer Objekte, zumindest aber kommentierender Texte, um ein Verstehen zu ermöglichen. Formen, Farben und Funktionselemente der Objekte können zwar erste Anhaltspunkte bieten, erhellen aber einerseits weder ihren Zweck oder ihre Funktion, noch verdeutlichen sie den wissenschaftlichen Wert der Aussagen, die mit ihrer Ausstellung gewonnen werden. Darüber hinaus ist die Frage an die Ausstellungsstücke auch nicht ausschließlich die nach Sinn und Zweck der Entstehung des Objektes, nach ihren Funktions- und Bedeutungszusammenhängen. Die Stücke können darüber hinaus auch Auskunft über Akteure, über Leben und Wirken einzelner oder mehrerer wissenschaftlicher oder medizinischer Handelnder geben. In diesen Fällen verweist ein Objekt im medizinhistorischen Museum dann statt auf ein medizinisches Verfahren oder eine Behandlungsmethode auf einen Forscher oder einen Arzt. Deren Handlungen, Ideen und Intentionen, repräsentiert durch ein Ausstellungsobjekt, sind gleichermaßen in der Lage, Forschungsfortschritte und dergleichen darzustellen. Dieser Ansatz vermittelt eine Intention und eine Philosophie, an die sich die Präsentation der Objekte und der Umgang mit ihnen anpassen lassen. Über die Präsentation von Objekten wie dem Präparat, darüber hinaus aber 46 47

Ebd., S. 3. Ebd., S. 4.

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auch Instrumenten, Apparaturen und dergleichen, soll ein Beitrag zum Forschungsdiskurs geleistet werden. Das ist der Grundgedanke, der metakommunikative Aspekt, der der gegebenenfalls auch der Dauerausstellung Dem Leben auf der Spur unterstellt werden kann. Darüber hinaus haben die Ausstellungsmacher und Museumsverantwortlichen des Charité-Museums auch die medizinisch wenig bis gar nicht vorgebildeten Besucher im Blick. Insbesondere auch an diese Zielgruppe richtet sich das thematisch gebundene Konzept der Dauerausstellung, das zum Nachdenken über die Grundbedingungen des Lebens anregen möchte.48 Letztlich kommt es also in der Dauerausstellung weniger darauf an, die vollständige Biographie hinter dem Gallensteinpräparat in der Vitrine zu erfassen. Dem nachzuspüren, ist ein zusätzliches Angebot der Ausstellungsmacher in Form des Vitrinentisches, auf dem ein Reprint des Katalogs von Johann Gottlieb Walter zum Nachlesen und zur Bestimmungsübung ausgelegt ist. Die komplexe Geschichte, die hinter dem Präparat steckt und die mit ihm verbunden ist, kann der Besucher nur ahnen: sie ist dem Präparat nicht anzusehen. Es bedarf des aufmerksamen Studiums der das Präparat umgebenden Gestaltungsmittel: der Wandtext, das Gazebild, im besten Fall der Katalog zur Ausstellung, um das Gallensteinpräparat im Gesamten zu verstehen. Darauf kommt es aber in der Dauerausstellung nicht an. Das Gallensteinpräparat ist nur ein Bestandteil inmitten einer mit Objekten gefüllten Vitrine, die sinnbildlich für das Anatomische Museum steht. Dieses wiederum ist der Anfang der Medizingeschichte an sich, aber auch der Berliner Medizingeschichte. Welches Wissen also vordergründig durch das Objekt des Gallensteins, das die Dauerausstellung repräsentiert, vermittelt wird, ist historisches Wissen über Zeitverläufe.

3.2.2

In der Interventionsausstellung: Präparat Enzephalomalazie

Da das Konzept Interventionsausstellung im Hinblick auf die Themenstellung der vorliegenden Untersuchung besonders reizvoll erschien, wurde die Ausstellung Die Seele ist ein Oktopus für das Untersuchungskorpus ausgewählt. Was dem Konzept Interventionsausstellung zugrunde liegt, wirkt spätestens durch die Begriffsbestimmung des Verbes intervenieren selbsterklärend: 48

Schnalke/Atzl: Dem Leben auf der Spur (Anm. 16).

3. Das Berliner Medizinhistorische Museum der Charité

intervenieren: 1. a) [vermittelnd] in ein Geschehen, einen Streit oder Ähnliches eingreifen.49 Übertragen auf die Sonderausstellung äußert sich dieses vermittelnde Eingreifen durch das Integrieren neuer Bestandteile in eine bereits bestehende Ausstellung – im konkreten Beispiel in den Präparatesaal, der zur Dauerausstellung des Charité-Museums gehört. Vermittelt wird zwischen den dort bereits vorhandenen Objekten und den neu hinzugekommenen. Das heißt, die bereits bestehende Grundstruktur der Ausstellung wurde übernommen, es wurde nur punktuell in den Präparatevitrinen interveniert. Das bedeutet, am Erscheinungsbild dieses Dauerausstellungsbereiches wurde nichts grundlegend verändert: Noch immer fanden sich dort die Präparatevitrinen, in der gleichen Ordnung wie zuvor, es gab nach wie vor die erklärenden Texte am Beginn und am Ende der Vitrine, die zum einen über ein medizinisches Verfahren, ein zentrales Teil des Körpers oder ein Organ informierten und zum anderen ein spezifisches Krankheitsbild oder eine Krankheit aufgriffen und die Symptome und den Krankheitsverlauf vorstellten.50 Auch in den Vitrinen hatte sich durch die Interventionsausstellung augenscheinlich nicht viel verändert: Es waren dort noch die gleichen Objekte ausgestellt, die sich auch vorher in den Vitrinen befunden haben. Hinzugekommen waren die Elemente, die sich dem Thema der Interventionsausstellung entsprechend mit der Seele auseinandersetzten und die eigentliche Intervention ausmachten, beispielsweise medizinische Instrumente oder auch eine antike Trinkschale mit Symposion. Diese Objekte wurden entweder direkt neben die Präparate gestellt oder auf einem Sockel in unmittelbarer Nähe der Vitrinen platziert. Einzig ein hell orangener Hintergrund setzt sie von den anderen Objekten ab und zeigte an, dass es sich um ein Interventionsobjekt handelt (vgl. Abb. 6). Analog zu den zehn zentralen Körperteilen bzw. Organen und den Krankheitsbildern, die im Präparatesaal vorgestellt werden, bestand die Intervention aus zehn thematischen Schwerpunkten der antiken Beschäftigung mit der 49

50

Vgl. [Art.] intervenieren, in: DUDEN. Deutsches Universalwörterbuch, herausgegeben von der Dudenredaktion, 7., überarbeitete und erweiterte Auflage, Mannheim/Zürich: Dudenverlag 2011, S. 928. Siehe auch Kapitel 3.1.2 – dort wird die Dauerausstellung des Berliner Medizinhistorischen Museums vorgestellt.

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Abbildung 6: Präparatevitrine: Der Gehirntumor – mit Intervention

Foto: Stefanie Kohl, © Berliner Medizinhistorisches Museum der Charité

Seele. Diese wurden jeweils auf einer farbigen Leinwand vorgestellt, neben dem Leinwandtext zum Gehirntumor beispielsweise Die Verortung der Seele. Dieser Schwerpunkt thematisierte die Diskussion der antiken Philosophen darüber, in welchem Teil des Körpers die Seele zu finden sei. So wurde sie im Gehirn, in der Stirn, im Herz, in der Leber, der Bauchregion, dem Zwerchfell und auch dem Brustkorb vermutet. Die Intervention in der Vitrine zum Organ Gehirn schlug einen Bogen und bestärkte die Vermutung, die Seele ›befinde‹ sich im Gehirn.51 Beim für die Untersuchung ausgewählten Objekt handelt es sich um ein Feuchtpräparat eines Gehirns, das krankhaft verändert ist. Das Präparateglas befindet sich etwa in der Mitte der Vitrine, auf dem dritten von fünf Vitrineninnenböden, wenn man die Bodenfläche mitzählt. Direkt vor dem Präparateglas ist ein Objekttext angebracht, der – stimmt das Objekt in der Ausstellung mit dem im Katalog zur Dauerausstellung überein52 – darüber informiert, dass es sich hier um das Krankheitsbild Enzephalomalazie handelt und dass das Gehirn 1960 einer 58 Jahre alten Frau entnommen und anschließend präpariert wurde. Damit ist es zwar keines der von Virchow selbst präparierten

51 52

Vgl. Kornmeier: Die Seele ist ein Oktopus (Anm. 29), S. 30. Siehe Schnalke/Atzl: Dem Leben auf der Spur (Anm. 16), S. 104, Objekt Nr. 31.

3. Das Berliner Medizinhistorische Museum der Charité

Objekte – Virchow starb 1902 –, steht aber in der Tradition seiner Präparationstätigkeit. Im Pschyrembel Klinischen Wörterbuch kann man Enzephalomalazie nachschlagen: Erweichung des Gehirngewebes mit Auflösung der Gewebestruktur.53 Es handelte sich beim ausgewählten Objekt also um ein Beispiel eines Krankheitsbildes, das im Zusammenhang mit dem Gehirn steht. Das ist die Funktion dieses Präparates, das genannte Krankheitsbild darzustellen, damit auf Grundlage der Einzelheiten, die sich daran beobachten lassen, Forschung und Lehre betrieben werden können. Diese Funktion entspricht dem Denotat, der Bedeutungszuschreibung an das Objekt über dessen ursprüngliche Funktion – vor Eintritt in den musealen Kontext. Die zweite Form der Mitteilung betrifft nach Jana Scholze die Konnotation, die Objekt- und Raumarrangements, in denen sich das Objekt befindet. Interessant sind hier die spezifischen Arrangements, wie sie sich über die Intervention ergeben haben – ein Abgleich zwischen der Version der Dauerausstellung und der besonderen Version als Interventionsausstellung, wenn neben das Objekt ein anderes, intervenierendes, positioniert wird. Im konkreten Fall befand sich links neben dem ausgewählten Präparat in der Intervention nun ein Sockel, an dem Fragmente von Eingeweidevotiven aus Terrakotta angebracht waren. Durch dieses Nebeneinander von Präparat und Votiven entstand ein Objektarrangement. Dies suggerierte einen Zusammenhang zwischen beiden Objekten, da sie auf engem Raum dicht beieinander angeordnet waren. Welcher Zusammenhang und welches Verhältnis das war, ergab sich erst durch die Betrachtung und Analyse aller Bestandteile der Intervention in dieser Präparatevitrine. In dem Teil der Dauerausstellung, der ohne Intervention erhalten war, standen in einer Vitrine mindestens zwei, in der Regel mehr Präparate nebeneinander. So wie es oberhalb oder neben der Intervention zu sehen war. Auf der Vitrinenetage über dem Präparat Enzephalomalazie standen beispielsweise drei Präparate: Morbus Alzheimer, Aneurysma der Arteria vertebralis und Großer gekapselter Hirnabzess. Sie standen nebeneinander und bildeten so eine 53

[Art.] Enzephalomalazie, in: Pschyrembel Klinisches Wörterbuch 2017. Begründet von Willibald Pschyrembel. Bearbeitet von der Pschyrembel-Redaktion des Verlages, 267., neu bearbeitete Auflage, Berlin: de Gruyter 2017, S. 509.

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zusammenhängende Folge von Präparaten ein und desselben Organs, wie sie sich in allen Präparatevitrinen für die Organe, medizinische Verfahren oder Körperteile in diesem Raum finden lässt. Dem Enzephalomalazie-Präparat waren in der Intervention nun die Eingeweidevotive zugeordnet worden. Der Text rechts neben den Eingeweidevotiven ordnete die Objekte in den Zeitraum zwischen dem 4. bis 3. Jahrhundert vor Christus ein. Das ist ein Zeitunterschied von fast zweitausend Jahren, die zwischen Präparat und Votiven besteht. Es wurden also nicht nur Objekte arrangiert, sondern auch Zeitpunkte in der Medizingeschichte kontrastiert. Die Votive öffneten einen Blick zurück bis in die Antike: sie waren materielle Zeugen des norditalienischen, antiken Volkes der Etrusker. Votive waren ihre spezifische Form der Weihgabe. Motivisch variierten sie, besonders typisch aber waren Organe, Körperteile und dergleichen, die von Krankheit betroffen waren und einer Heilung bedurften. Sie wurden, weitgehend anatomisch korrekt, getöpfert und anschließend stellvertretend für den Erkrankten als Bittgabe einer Gottheit gewidmet. Mit dieser Geste war die Hoffnung auf Heilung verbunden. Trat diese ein, so war es üblich, zum Dank erneut ein Votiv des Organs als Gabe zu opfern. Die noch erhaltenen Votive überliefern den Glauben an eine göttliche Kraft, die im Krankheitsfall für Heilung sorgen kann. Darüber hinaus sind sie aber auch die »einzigen Bilder aus der Antike, die wir vom Inneren des Körpers haben.«54 Unter anderem dadurch weiß man heute um die antiken Vorstellungen von der Verortung einzelner Krankheiten im Körper.55 Die weitgehend anatomische Genauigkeit, die sichtbaren Unterschiede und Symmetrien zwischen den einzelnen Organen, die die Töpfer schon damals übertrugen, machen die Organe noch heute identifizierbar. Gestützt wurde diese Aussage durch ein zweites Interventionsobjekt. Am Ende der Präparatevitrine war das Votiv eines männlichen Oberkörpers ausgestellt (vgl. Abb. 6). In der Bauchregion war eine Öffnung dargestellt, in die etwas eingefügt wurde, das viel Ähnlichkeit mit den Fragmenten der Eingeweidevotive hatte, das also vermutlich das gleiche zeigte. Durch diese Fenster 56 wurden die Organe sichtbar und mit ihnen die antiken Vorstellungen davon, welches Organ sich an welcher Stelle des Körpers befand. 54 55 56

Kornmeier: Die Seele ist ein Oktopus (Anm. 29), S. 33. Ebd., S. 35. Vgl. ebd., S. 33.

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Abbildung 7: Votiv eines männlichen Oberkörpers

Darstellung. Gießen, Antikensammlung, Sammlung Stieda, Inv.-Nr. T-III.9, Foto: M. Recke

Beide Objekte blieben in ihrem Arrangement mit den Präparaten weitgehend unkommentiert, lässt man die Objekttexte außer Acht, die entweder das Krankheitsbild bezeichneten, das durch das Präparat dargestellt wurde, oder die Votive jeweils zeitlich einordneten und erläuterten, welche religiösen und

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kulturellen Vorstellungen und Praktiken mit ihnen verbunden waren. Es war etwas Interpretationsleistung erforderlich, um die Implikationen der Aussage zu entschlüsseln. Mangels direkt kommentierender Texte in unmittelbarer Nähe von Präparat und Votiv ließen sich aus der Perspektive des Objekt- und Raumarrangements stattdessen jeweils die einführenden Texte als Kommentierung der einzelnen Objekte in Betracht ziehen. Am Beginn der Vitrine ist an der Säule ein Text angebracht, der überschrieben ist mit Das Gehirn. Dieser Text wird eingeleitet durch den Satz: »Das Gehirn ist das Denk-, Empfindungs- und nicht zuletzt das Kontrollzentrum des menschlichen Körpers.«57 So wie der Satz formuliert ist, scheint es eine allgemeingültige Setzung zu sein, es wird kein Zweifel offen gelassen. Diese Feststellung scheint auf medizinischer Forschung zu beruhen, denn im Folgenden wird detailliert aufgeführt, welcher Teil des Gehirns welche Aufgabe hat beziehungsweise welche Funktionszentren sich im konkreten im Hirn befinden: Sehzentrum, Hör- und Sprachzentrum, Geschmackszentrum, Zentren für Berührungsempfindung und räumliche Orientierung usw. Dies ist die eine Seite der Vitrine. Von hier aus lief man an der Vitrine entlang zur anderen Seite und direkt auf die Leinwand zu, die Teil der Intervention war und die Thematik Die Verortung der Seele einführte. Dieser Text hielt sprachlich fest, worüber in der Antike nachgedacht wurde: In der Antike glaubte man, dass viele körperliche Leistungen von der Seele abhingen. Doch wie koordinierte die Seele diese verschiedenen Aktivitäten? Die Antwort hing auch mit der Lokalisierung der Seele im Körper zusammen und damit, die Organe und Substanzen zu identifizieren, in denen sie ihren Sitz hatte und durch die sie ihre Tätigkeiten ausübte. Es gab deutlich verschiedene Auffassungen davon, wo sich die Seele im Körper befindet und wie sie wirkt. Ist die Seele im Herzen oder im Hirn zu finden? Ist die Seele gar in drei Teile geteilt und die vernünftige Seele im Hirn, die muthafte Seele im Herzen und die ernährende oder begehrende Seele in Leber oder Bauch zu lokalisieren? Neben dem Text war eine Graphik implementiert, Visual Translation genannt. Sie bot eine Übersetzung dieser Fragestellungen ins Visuelle an, griff die geschilderten Zusammenhänge auf und übersetzte sie in ein Bild, das

57

Vgl. Säulentext Das Gehirn, Dauerausstellung Dem Leben auf der Spur.

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sowohl die Dreiteilung als auch die verschiedenen den drei Organen zugeordneten Aktivitäten zeigte (vgl. Abb. 8).58

Abbildung 8: Graphik Visual Translation – Verortung der Seele

© Christoph Geiger

Christoph Geiger arbeitete eng mit den Ausstellungsmachern zusammen, um die wesentlichen Informationen eines jeden Interventionsbereiches in ein Bild zu übersetzen, um die Idee der jeweiligen Intervention so jedermann verständlich darzustellen. Diese wurden auf große, verschieden gefärbte Leinwände gebracht und quer zwischen den Vitrinen aufgestellt, sodass der Besucher vom Gang aus jeweils direkt auf diese Leinwände zulief. 58

Der Berliner »Zeichner, Designer, Macher« Christoph Geiger hat die Visual Translations zusammen mit dem Ausstellungsteam entworfen. Siehe http://christophgeiger.com/ die_seele_ist_ein_oktopus.html [Zugriff 23.03.2018].

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War die Zuordnung des thematischen Schwerpunkts Verortung der Seele zum Organ Gehirn bereits eine Beantwortung der Frage? Stellte sie den Standpunkt der Ausstellungsmacher dar? Es lässt sich verschieden argumentieren. Zu berücksichtigen ist allerdings, dass neben den Interventionsobjekten und der Textleinwand ein drittes kommentierendes Element in die bestehende Präsentation integriert wurde. In einem dritten Teil der Präparatevitrine befanden sich links und rechts neben zwei Präparaten, flach auf den Vitrinenboden gelegt, zwei Texttafeln. Darauf war jeweils ein Textauszug eines antiken Philosophen abgedruckt, der dessen individuellen Standpunkt zur Fragestellung wiedergab. Zum einen war es ein kurzer Auszug aus einem Text von Chrysipp von Soloi, einem der bekanntesten Vertreter der Stoa. Der Text lässt sich im Begleitband zur Ausstellung nachlesen: Und so sagen wir auch egô [ich], indem wir dort auf uns zeigen, wo der Verstand zu sein scheint [d.h. auf die Brust], und die Geste wird ganz natürlich und passend dorthin geführt. Und auch ohne diese Geste sagen wir egô, indem wir auf uns selbst hin nicken, […] denn wir sprechen das Wort egô aus, indem wir die Unterlippe auf uns selbst weisend herunterziehen.59 Zum zweiten war dort ein Textauszug von Galen von Pergamon, einem Mediziner und Philosophen, der wie auch Platon an die Dreiteilung der Seele glaubte (ebenfalls im Begleitband enthalten): Ich habe bewiesen, dass ein Lebewesen, sobald es geboren ist, von drei Kräften oder Ursprüngen beherrscht wird: Einer davon ist im Kopf angesiedelt. Seine Aufgabe ist es, das Vorstellungsvermögen, das Gedächtnis, die Erinnerung und den Verstand bereitzustellen. […] Ein zweiter Ursprung sitzt im Herzen. Seine Aufgabe ist es, selbständig den Spannungszustand der Seele einzustellen, und in den Dingen, die die Vernunft regiert, beständig und unbeugsam zu sein. […] [Auslassung im Original, S.K.]. Die Aufgabe der dritten Kraft, die ihren Sitz in der Leber hat, sind alle Dinge, die im Lebewesen mit

59

Chrysipp. Ein Argument dafür, dass die leitende Funktion der Seele im Herzen angesiedelt ist. Galen: De placitis Hippocratis et Platonis 2.2.9-10, De Lacy, 104,29-106,24; übersetzt von Christine Salazar, zit. nach: Kornmeier: Die Seele ist ein Oktopus (Anm. 29), S. 32.

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der Ernährung zu tun haben und deren wichtigstes die Produktion von Blut ist.60 Durch die Auswahl dieser beiden Textauszüge, die die verschiedenen Auffassungen der Verortung der Seele wiedergaben, war die Beantwortung der Frage Wo befindet sich die Seele im Körper? durch die Ausstellungsmacher wieder unentschieden. Es kam scheinbar nicht auf ein klares Bekenntnis an – gerade auch, weil diese Diskussion in der Antike verschiedene Philosophen und Ärzte beschäftigte und jeder von ihnen eigene Argumente und Beobachtungen vorweisen konnte. Es schien vielmehr darauf anzukommen, alle möglichen Perspektiven auf die Frage anzuzeigen und diese Perspektiven mit Material zu unterstützen – die richtige Antwort konnte es nicht geben. Es war der Umstand, dass diese Frage überhaupt gestellt wurde und es derart verschiedene Antworten darauf gab, der dargestellt und betont wurde. Die Intervention erzeugte einen Kontrast, eine Gegenüberstellung: Gehirn und Seele erschienen aus historischer Perspektive als vergleichbare Organe, die jeweils eine zentrale, koordinierende Funktion erfüllten. Bezieht man die dritte Form der Bedeutungszuschreibung ein, die Metakommunikation, die auf die Intentionen und Ethiken der Ausstellungsmacher und Museumsverantwortlichen eingeht, so findet sich diese Annahme bestätigt. Im Begleitband zur Ausstellung ist nachzulesen, dass es dem Team um eine »bewusste Gegenüberstellung«, »um eine kontrastierende Zusammenschau von etwas gänzlich Ungleichzeitigem«61 ging. Dabei bestand der Kontrast zum einen durch die knapp 2.000 Jahre, die zwischen den antiken Philosophen und Ärzten und ihrem Blick auf das Hirn (und das Herz) und dem Blick der Präparatoren auf das Organ liegen. Während es für die einen möglicherweise der Sitz der Seele war, oder zumindest ein Teil der Seele, präparierten die anderen das Hirn als zentrales Organ des menschlichen Körpers, betrachteten es als »Denk-, Empfindungs- und Kontrollzentrum«. Zum anderen wurden auch philosophische Überlegungen und medizinische Beobachtungen aus der Antike, die schriftlich entwickelt und festgehal60

61

Galen. Die drei Teile der Seele. De placitis Hippocratis et Platonis 7.3.2-3, De Lacy, 438,28440,8; übersetzt von Christine Salazar, zit. nach: Kornmeier: Die Seele ist ein Oktopus (Anm. 29), S. 35. van der Eijk, Philip/Schnalke, Thomas/Kornmeier, Uta: Die Kartierung von Körper und Seele. Zur Genese einer Ausstellung, in: Kornmeier: Die Seele ist ein Oktopus (Anm. 29), S. 9f.

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ten wurden, mit konkreten Objekten konfrontiert. Der dritte Punkt auf dem Leinwandtext zur Verortung der Seele widmete sich einer Redewendung, deren Befund damals in der Antike wie auch heute noch Gültigkeit zu besitzen scheint: »Eine gesunde Seele in einem gesunden Körper«. Über das Präparat, das eine Enzephalomalazie zeigte, die – so vermute ich – zum Tod des Patienten geführt hat, wurde der kranke Körper konkret. Welche Schlüsse lassen sich daraus und aus den anderen dargestellten Krankheitsbildern, beispielsweise Alzheimer, auf den seelischen Zustand der Patienten ziehen? In der Ausstellung Die Seele ist ein Oktopus wurde das Format Sonder- und Interventionsausstellung genutzt, um die aktuelle Forschung verschiedener Forschergruppen sichtbar zu machen zu einem Thema, das bereits vor zweitausend Jahren Gegenstand der Dialoge und Diskussionen von Philosophen und Ärzten gewesen ist und auch heute noch Aktualität besitzt. Dies zeigte sich in den medizinischen Ansätzen, die sich von der Antike bis heute erhalten haben beziehungsweise, die auf antike Überzeugungen zurückgehen – wie die ganzheitliche Medizin. Das Gehirn zählt – unabhängig von der Fragestellung, ob es der Sitz der menschlichen Seele ist – für Neurobiologen zu den letzten großen Geheimnisse des menschlichen Körpers. […] Wir wollen verstehen, wie Geist und Bewusstsein entstehen und erkennen, wie unsere Nervenzellen funktionieren, wie sie zusammenwirken und unser Denken hervorbringen.62 Das ist im Grunde das, was die Philosophen der Antike auch beschäftigt hat und zeigt, dass »die heutige moderne Medizin auch auf medizinischen Ideen und Überzeugungen der antiken Griechen und Römer basiert«63 und dass das, was sie bewegte, zu Teilen auch heute noch nicht zu Ende gedacht ist – es noch immer Dinge gibt, die auch mit der heutigen modernen Medizin, in der man Strukturen des Hirns über bildgebende Verfahren dreidimensional sichtbar machen kann, noch nicht erklärbar sind. An die Stelle alter Rätsel sind neue getreten. 62

63

Einleitung, in: Beck, Henning/Anastasiadou, Sofia/Meyer zu Reckendorf, Christopher: Faszinierendes Gehirn. Eine bebilderte Reise in die Welt der Nervenzellen, 2., erweiterte und überarbeitete Auflage, Berlin: Springer Spektrum 2018, S. V-VII, hier: S. V. van der Eijk/Schnalke/Kornmeier: Die Kartierung von Körper und Seele (Anm. 61), S. 11.

3. Das Berliner Medizinhistorische Museum der Charité

3.2.3

Im Depot

Unter Berücksichtigung der in Kapitel 3.1.4 geschilderten spezifischen Gegebenheiten in den Räumen des Depots des Berliner Medizinhistorischen Museums der Charité und dem, was allgemein zum Depot als musealer Realisierungsform dargestellt wurde, lassen sich Überlegungen zur Bedeutungszuschreibung an die im Depot bewahrten Objekte anstellen. Es wurden exemplarisch die Objekte ausgewählt, die auch Gegenstand der Untersuchung der Dauerbeziehungsweise Sonderausstellung waren. Das ist zum einen aus der Dauerausstellung der Gallenstein aus der Walter’schen Sammlung, und zum anderen das im Rahmen der Sonderausstellung besprochene Feuchtpräparat aus der Sammlung des Museums, das eine Enzephalomalazie (Gehirnerweichung) zeigte. Da es sich in beiden Fällen um Präparate handelt, die sich nur durch die Präparationstechnik unterscheiden, gelten die folgenden Überlegungen für das Gallensteinpräparat exemplarisch für beide untersuchten Objekte. Das Charité-Museum hat im Gesamt der zur Verfügung stehenden Depotflächen Räume, in denen ausschließlich Präparate deponiert werden (vgl. Abb. 9). Aufgrund der Quantität der Präparate, die sich in der Sammlung des Museums befinden, scheint das selbstverständlich zu sein. So werden die Präparate mit den Gallensteinen in einem Raum zusammengelagert: Ein Gallensteinpräparat neben einem anderen. Das Präparat mit dem Gallenstein, das in der Dauerausstellung gezeigt wird, gehört als Teil der Sammlung, genauer: der Präparatesammlung mit Gallensteinen, in diese Reihe, es wurde aus der Mitte der Gallensteinpräparate genommen und in die Dauerausstellung verbracht. Von dort aus verweist es in die Sammlung zurück: in der Dauerausstellung repräsentiert das Präparat die anderen Exemplare aus der Sammlung. Für die andere Richtung hat das Präparat keinen Zeichencharakter: Es verweist aus dem Depot nicht in die Dauerausstellung. Das liegt daran, dass sich das Objekt Gallensteinpräparat im Depot um seiner selbst willen befindet. Es vertritt im Depot nicht das Museum, nicht deren Dauer- oder Sonderausstellung, nicht das Organ Gallenblase, nicht das Krankheitsbild, nicht die Walter’sche Sammlung und auch nicht den Katalog von Johann Gottlieb Walter, in dem der Gallenstein zu finden ist. Der erste Aspekt bei der Betrachtung des Gallensteins im Depot ist wie bei der Dauer- und der Sonderausstellung auch, die Zuschreibung von Bedeutung an das Objekt über die Denotation, über seine ursprüngliche Funktion, die es vor Eintritt in den musealen Kontext hatte.

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Abbildung 9: Depot: Pathologische Präparatesammlung

Foto: Julia Kleinschmidt

Beim Übergang in die Sammlung und durch die Platzierung an eine bestimmte Stelle im Depot tritt die Funktion, die das Präparat zuvor noch hatte, hinter seinen Status als Exemplar zurück. Das Präparat hat die Funktion nicht verloren, diese wird jedoch überlagert. Es ist dominiert nicht länger die Eigenschaft, Repräsentant eines Krankheitsbildes zu sein, der Sichtbarmachung einer krankhaften Veränderung zu dienen. Das Präparat steht nun zuerst einmal für sich.

3. Das Berliner Medizinhistorische Museum der Charité

Die Präparate sind in der Datenbank unterteilt in Feucht- und Trockenpräparate, es scheint also einen entscheidenden Unterschied zu geben, der auch auf die Ordnung im Depot übertragen wird. Da gleiche Sammlungsinhalte im Depot eng beieinander angeordnet werden, sind scheinbar auch Feucht- und Trockenpräparate im Depot separiert. Das Präparat des Gallensteins, ein Trockenpräparat, befindet sich folglich neben anderen Trockenpräparaten und darum neben weiteren Gallen-, Harn- und Nierensteinen. Das Präparat des Gehirns ist ein Feuchtpräparat und befindet sich folglich in einem anderen Bereich des Raumes oder Depots. Diese Ordnung ist, wie beschrieben, durch die Unterschiede in der Präparationstechnik bestimmt, hat also konservatorische Gründe: gleiche Objektklassen stehen nebeneinander und werden im Depot zusammengehalten, so hat es auch Beate Kunst geschildert. Mit berücksichtigt werden hier sicherlich auch klimatische Bedingungen, die beim Deponieren von Objektklasse zu Objektklasse unterschiedlich stark ins Gewicht fallen. Was in der Beschreibung der Unterteilung der Geräte im Depot in Orthopädie, Urologie, Ophthalmologie, Zahnheilkunde, Laborutensilien, Kunst und Andenken und Sonstiges anklingt, ist darüber hinaus auch eine Unterscheidung der Objekte im Depot nach disziplinären Gesichtspunkten: Es werden beispielsweise humanmedizinische von zahnmedizinischen Geräten unterschieden, und Geräte, die in der Ophthalmologie zum Einsatz kommen, von denen aus der Urologie. Vernachlässigt man Faktoren wie Größe und Gewicht und zur Verfügung stehende Raumkapazitäten, bildet die Ordnung im Depot also auch die medizinischen Disziplinen und Unterdisziplinen ab. Beschränkt man die Untersuchung nun wieder auf das Gallensteinpräparat und betrachtet die Ordnung unter dem Gesichtspunkt des Objekt- und Raumarrangements, also der konnotativen Bedeutungszuschreibung an das Einzelobjekt, so erweitern die das Präparat umgebenden anderen Trockenpräparate die Bedeutungsdimension des Gallensteinpräparats nicht. Das einzige Objekt- und Raumarrangement besteht in der zuvor beschriebenen Anordnung im Sammlungsregal. Diese spiegelt konservatorische, disziplinäre und praktische Gründe wieder: beieinander zu behalten, was zusammen gehört. Es besteht darüber hinaus keine Notwendigkeit, die Objekte oder den Depotraum besonders zu arrangieren. Das Depot des Berliner Medizinhistorischen Museums in Berlin bietet keine regelmäßigen Führungen durch seine Räumlichkeiten an. Es ist die Ausnahme, dass Personen das Depot betreten, die nicht mittelbar oder unmittelbar mit den Sammlungen zu tun haben, der Zugang ist beschränkt. Das Arrangieren zum Zwecke einer Präsentation des

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Sammlungsbestandes ist beim Depot des Charité-Museums nicht in Anschlag zu bringen. Für den dritten Aspekt von Bedeutungszuschreibung an ein Objekt, die Metakommunikation, sind für die Sammlung des Berliner Medizinhistorischen Museums der Charité zwei Perspektiven auf die Sammlung einzunehmen. Zunächst einmal die Perspektive der Person, die die Sammlung maßgeblich beeinflusst und geprägt hat: Rudolf Virchow. Sein Sammlungsschwerpunkt lag auf den Präparaten, die er durch eine intensive Sektions- und Präparationstätigkeit in einer beachtlichen Zahl anfertigte. Diese Präparate sollten in erster Linie Studien- und Forschungszwecken dienen, Medizinstudenten über Erkrankungsformen, Krankheitsbilder und -verläufe unterrichten – darüber hinaus der interessierten Öffentlichkeit auch einen »Blick unter die Haut«64 gewähren. Zum zweiten ist der Aspekt der Metakommunikation um die Perspektive der gegenwärtig für die Sammlung verantwortlichen Personen zu erweitern. Hier spielen für die Erweiterung der Sammlungen und gegebenenfalls das Ent-Sammeln Faktoren eine Rolle, die von einer einzelnen Person losgelöst objektiviert wurden: Beate Kunst nannte es das Sammlungsprofil. Die profilbildenden Faktoren legen der Entscheidung, ob ein Objekt in eine bestehende Sammlung des Museums aufgenommen wird, feststehende Kriterien zugrunde – Eigenschaften, Funktionen, biographische Details – denen mögliche neue Sammlungsobjekte entsprechen müssen, um in die bestehende Ordnung im Depot eingefügt werden zu können. Im Ergebnis zeigen alle drei Formen der Bedeutungszuschreibung an die Präparate im Depot, dass diese Realisierungsform des Museums darauf angelegt ist, ein Wissen zu transferieren, das disziplinär und konservatorisch geprägt ist. Das strukturgebende Element im Depot ist die zugrundeliegende Ordnung, die sich über praktische Erwägungen hinaus eben in erster Linie auch an disziplinären und konservatorischen Bedingungen orientiert.

3.3

Zusammenfassung

Ausgehend von den Betrachtungen der zum Einsatz gekommenen Präsentationsmittel und -strategien in allen Ausstellungsteilen und im Depot des Berliner Medizinhistorischen Museums der Charité soll im Folgenden untersucht wer64

Schnalke: Auf Virchows Spuren (Anm. 1), S. 23.

3. Das Berliner Medizinhistorische Museum der Charité

den, wie mit Wissen umgegangen wird, auf welche Weise es inszeniert wird, welche Form von Wissen dadurch vermittelt wird. Inszeniert heißt erst einmal in einem allgemeinen Sinne: sichtbar machen, dass das, was man sieht, auf Wissen beruht, mit Wissen verbunden ist. Erinnert sei an die Vitrine im zweiten Teil der Dauerausstellung, in der es um die NS-Problematik ging: ein Objekt, in der Ausstellung so präsentiert, dass man es aus zwei Perspektiven wahrnehmen konnte. Dieses Sichtbar-Machen lässt sich in vielerlei Hinsicht genauer betrachten (und thematisch aufschlüsseln). Zu den Voraussetzungen einer detaillierten Betrachtung aus museologischer Perspektive gehört die Frage: Welche Rahmenbedingungen werden durch die spezifische Form der Dauerausstellung vorgegeben? Die Dauerausstellung des Charité-Museums lässt sich innerhalb der durch die spezifische Form von Dauerausstellungen vorgegebenen Rahmenbedingungen als ›klassisch‹ bezeichnen. In beiden Teilen der Dauerausstellung folgt die Erzählung der Ausstellung einer Chronologie, auf beiden Etagen wird jeweils die Entwicklung der Medizingeschichte dargestellt – rückgebunden an die Berliner Medizingeschichte. Letztere wird punktuell immer wieder an entscheidende Personen geknüpft: in erster Linie Rudolf Virchow, auf den die Sammlungen des Hauses zurückgehen, aber auch an Johann Gottlieb und Friedrich August Walter oder Albrecht von Graefe. Über die Biographien und die Epochen der medizinischen Entwicklung wird sowohl thematisch als auch historisch breites Wissen vermittelt. Dies wird unter anderem sichtbar durch die verschiedenen medizinischen Disziplinen und die mehr als fünf Jahrhunderte, die der Besucher entlang des Ausstellungsrundgangs durchschreitet. Die ausgewählte Interventionsausstellung Die Seele ist ein Oktopus erfüllt als besonderes Format einer Sonderausstellung beispielhaft deren Charakteristika: als Intervention in die bestehende Dauerausstellung stellt die Interventionsausstellung gegenüber, worin sich beide Ausstellungsformen unterscheiden: die eine, die Präparatesammlung, ist auf Dauer angelegt, soll dauerhaft für Forschung und Lehre dienen und dem Besucher vermitteln, wie ein gesundes Organ aussieht, aber insbesondere auch welche Krankheitsbilder sich im menschlichen Körper finden lassen, welchen Verlauf die einzelne Krankheit nehmen kann. Dieses auf die Breite angelegte Wissen, das nur punktuell in die Tiefe weist, wird durch die Interventionsausstellung auf einen neuen Aspekt der Forschung zugespitzt. Das Präparat zur Enzephalomalazie, das regulär ›nur‹ Teil einer Serie zu unterschiedlichen Formen von Hirnschädigungen ist, wird durch die Interventionsobjekte mit einem neu-

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Wissenschaftsmuseen

en Aspekt der Bedeutung konfrontiert. Seine Bedeutung und das damit verbundene Wissen werden aktualisiert durch aktuelle Forschungsergebnisse zu antiken Auffassungen von Körper und Seele und deren Funktionen. Die Interventionsobjekte lassen das Gehirnpräparat zum Stellvertreter für eine Perspektive der Beantwortung der Frage nach dem Ort der Seele im Körper werden: im Hirn. Dadurch wird exemplarisch thematisch zugespitztes Wissen – zugespitzt auf die Körper-Seele-Problematik der Antike – transferiert. Die Angaben, die Frau Kunst zur Organisation des Depots des Berliner Medizinhistorischen Museums gemacht hat, decken sich mit dem, was erwartet wurde. Das Depot ist entlang pragmatischer, disziplinär und konservatorisch bedingter Aspekte organisiert. Die Form der Präsentation ist auf das Notwendige reduziert, das Depot erfüllt mehr praktische denn repräsentative Funktionen. Dadurch ist in dieser Form der musealen Realisierungsform das Wissen an der Ordnung orientiert. Es bildet die konservatorischen und disziplinären Strukturen ab und reagiert darauf. Hier im Depot erfährt man nichts über die individuelle Biographie eines Objekts, sondern ausschließlich etwas darüber, wofür es in der Sammlung und im Depot steht, welche Lücke es in seinem originären Kontext hinterlassen hat. Das Objekt wird im Depot aufgrund seiner individuellen Eigenschaften zu einer spezifischen Sammlung zugeordnet, es teilt die wesentlichen Eigenschaften mit den anderen Objekten dieser Sammlung: Objektklasse, konservatorische Bedürfnisse und disziplinäre Zugehörigkeit, beispielsweise Ophthalmologie, Humanmedizin oder chirurgisches Instrument.

4. Die Wellcome Collection in London

Als zweiter Untersuchungsgegenstand wurde eine Institution gewählt, die zum einen ähnlich dem Berliner Medizinhistorischen Museum der Charité eine Geschichte vorweisen kann, die verknüpft ist mit einer Person, darüber hinaus aber auch eingebettet ist in die gesellschaftlichen Veränderungen. Zum anderen sollte es eine Einrichtung sein, die sich ebenfalls der Geschichte der Medizin widmet und diese vermittelt über verschiedene Präsentationsformen der Öffentlichkeit zeigt. Eine solche Institution ist die Londoner Wellcome Collection, die in der Londoner Innenstadt ausgestellt ist. Diese trägt den Namen ihres Gründers Sir Henry Wellcome, der den Grundstock der Sammlung zusammengetragen hat.

4.1

Das Museum und seine Geschichte – Henry Wellcome und seine Visionen

– Der Geschäftsmann Henry Wellcome – Wellcome war ein Amerikaner, der im ausgehenden 19. Jahrhundert in Großbritannien mit pharmazeutischen Produkten bekannt, vor allem aber vermögend wurde. Gemeinsam mit einem Geschäftspartner nutzte er die Bedingungen, die zu der Zeit in Großbritannien vorfand, und setzte wichtige Impulse zur Weiterentwicklung. Ende des 19. Jahrhunderts war die Pharmazie in Europa noch nicht so stark ausgebildet wie beispielsweise in Amerika. Zwar gab es an der Berliner Charité Ende der 1890er Jahre bereits vielversprechende Forschungsansätze für die Entwicklung von Heilmitteln gegen Tuberkulose und Diphtherie, und das öffentliche Gesundheitswesen und die Krankenversorgung entwickelten sich stetig weiter. Die Pharmazeuten in Europa nutzten aber noch Stößel und Mörser, um Medizin herzustellen, während in Amerika bereits die Entwicklung und Herstellung von komprimierter Medizin in Pillenform optimiert wurde. Das Geschäftskonzept Henry Wellcomes machte

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Wissenschaftsmuseen

sich diesen Entwicklungsrückstand zunutze, es gründete auf dem Bestreben, die pharmazeutische Entwicklung in Großbritannien voranzutreiben. Wellcome interessierte sich seit frühester Jugend für die Medizin, ein Onkel von ihm war Arzt. Die Grundlagen der Pharmazie lernte er von einem englischen Pharmazeuten, der in seiner Heimatstadt Garden City praktizierte. Mit 16 Jahren entwickelte er das erste Wellcome-Produkt: unsichtbare Tinte.1 1874 schloss Wellcome das Philadelphia College of Pharmacy ab. Seine Studienzeit war geprägt von großer finanzieller Not und Entbehrungen, sodass Wellcome sich entschloss, sich nach dem College ernsthaft der Frage zu widmen, wie zu Geld kommt: Er wollte lernen, mit welchen Methoden man erfolgreich ein Geschäft führen kann. 1876 wurde er Geschäftsreisender für eine amerikanische pharmazeutische Firma. Er vertrieb gelatinebeschichtete Pillen an Mediziner und Drogeristen. Nach drei Jahren hatte Wellcome sich ein hohes Ansehen erarbeitet, er kannte sich gut aus in seinem Beruf und fiel durch seinen ausgeprägten Geschäftssinn auf. Ein Collegefreund von Wellcome, Silas Mainville Burroughs (1846-1895), war wie er pharmazeutischer Vertreter. 1879 war er für eine Firma aus Philadelphia in London tätig und hatte sich dort als Vertreter etabliert. Er bot Wellcome eine Geschäftspartnerschaft für den Vertrieb von komprimierter Medizin an: »I think we would make a pretty lively team in the pharmaceutical line.«2 Wellcome sagte nicht sofort zu, sondern wog zunächst seine Möglichkeiten ab. Er setzte seine Arbeitgeber über das Angebot Burroughs in Kenntnis und handelte mit ihnen aus, dass sie ihm einen Aufenthalt in Europa finanzierten, um die Geschäftsidee zu prüfen. Wellcomes Arbeitgeber rieten ihm, das Angebot Burroughs anzunehmen, und offerierten ihm gleichzeitig eine Erhöhung seines Gehalts, wenn er sich entschiede, weiter für die Firma zu arbeiten. Im April 1880 unterschrieb Henry Wellcome einen Vertrag, der ihm exklusive Vertriebsrechte für die Produkte der Firma in Europa, Asien, Afrika, Ostindien und Australien einräumte. Der Vertrag enthielt eine Klausel, die es ihm gestattete, Geschäftspartnerschaften einzugehen. Schon hier zeigt sich die Weitsichtigkeit Wellcomes in geschäftlichen Belangen. Er traf Vor-

1

2

Vgl. Arnold, Ken/Olsen, Danielle: Medicine Man. The Forgotten Museum of Henry Wellcome, London: British Museum Press 2003, S. 30, besonders die Abbildung oben rechts. Zit. nach: Turner, Helen: Henry Wellcome: The Man, his Collection and his Legacy, London: Heinemann Educational Books Ltd. 1980, S. 7.

4. Die Wellcome Collection in London

kehrungen für eine unabhängige Zukunft, sollte die Geschäftspartnerschaft nicht zufriedenstellend verlaufen. Im September 1880 wurde in London die Firma Burroughs Wellcome & Company gegründet.3 Es stellte sich schnell heraus, dass dies zur richtigen Zeit am richtigen Ort geschah: Es gab in Großbritannien zu diesem Zeitpunkt noch keine ausgedehnte Produktion von Chemikalien, es gab keine Ketten von Apotheken und die pharmazeutische Großproduktion war auf wenige bekannte Produktlinien beschränkt. Für die Firma von Wellcome und Burroughs bot sich eine einmalige Chance, diese offensichtliche Marktlücke zu nutzen, um die in Großbritannien bislang weitgehend unbekannten Tabletten aus Amerika mit einer genau abgemessenen und einfach zu verabreichenden Dosis bekannt zu machen und zum Verkauf anzubieten. Ein wesentlicher Faktor hierfür waren die Werbemaßnahmen. Wellcome war sich bewusst, dass für die Firma ein gutes Image unerlässlich ist und dass jede Gelegenheit genutzt werden musste, die Produkte der Öffentlichkeit zu präsentieren – und dass dazu eine erhebliche Summe Geld notwendig ist. Vom ersten Tag des Bestehens der Firma an investierten Wellcome und Burroughs in Werbung in Fachzeitschriften und in Messestände, sie beteiligten sich an medizinischen oder wissenschaftlichen Konferenzen, um möglichst viel Aufmerksamkeit für ihre Produkte zu generieren. Aber auch außerhalb der Firma wurde Wellcome durch Bankette und Feste bekannt. Die Qualität seiner Veranstaltungen und sein guter Stil sprachen sich herum und wurden bald mit den Produkten von Burroughs Wellcome & Company assoziiert. Als die Firma begann, ihre eigene Ware herzustellen, brauchte es einen passenden Markennamen. 1884 prägte Henry Wellcome den für die Unternehmensgeschichte wichtigsten Markennamen: Tabloid. Dieser Name sicherte sie gegen unrechtmäßige Nachahmung ab und blieb in der Folge untrennbar mit den Produkten der Firma verbunden. Charakteristisch für den Unternehmergeist und den Einfallsreichtum Henry Wellcomes war das Bewerben der ›Tabloid Hausapotheke‹. Komprimierte Medizin ist ideal für Reisende. Und so stellte Wellcome sicher, dass keine nationale oder internationale Persönlichkeit – von Königen, Präsidenten über Minister zu Cricket-Kapitänen – ohne Tabloid-Kästchen reiste4 – und dass die Öffentlichkeit dies erfuhr.

3 4

Vgl. ebd., S. 7. Vgl.ebd., S. 8f.

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Knapp fünfzehn Jahre nach Gründung des Unternehmens verstarb Wellcomes Geschäftspartner 1895 und hinterließ ihm seinen Anteil des Geschäftes. Wellcome stellte das Unternehmen in der Folge wirtschaftlich auf solide Füße. Die Phase von Burroughs Tod bis zum Ausbruch des Ersten Weltkriegs war geprägt von der Verlegung des Produktionsstandorts der Tabloid-Produkte nach Großbritannien und der Expansion nach Übersee, wo das Geschäft rapide wuchs. Wellcome wurde zur Leitfigur der britischen Pharmaindustrie. Parallel zu seinem Wirken in der Firma eröffnete er 1894 die ersten seiner Forschungslaboratorien, die Wellcome Physiological Research Laboratories, und war auch damit Vorreiter. Während es heute selbstverständlich ist, dass die Entwicklung von Medikamenten zwingend mit Forschung verbunden ist, betrat Wellcome mit seiner Entscheidung, der Forschung eine größere Bühne zu bieten, zu seiner Zeit Neuland. Wegen seines Glaubens an die große Bedeutsamkeit von Forschung ermöglichte er seinen Mitarbeitern die freie Wahl ihrer Forschungsschwerpunkte. Die Wellcome Research Laboratories wurden auf diese Weise attraktiv für Forscher mit großen Fähigkeiten, die die Entwicklung der Medizin in der Folge entscheidend mitprägten. Die Wellcome Physiological Research Laboratories erhielten als erste private Forschungseinrichtung die Genehmigung, experimentelle Arbeit an lebenden Tieren vorzunehmen, um Toxine zu testen. Am erfolgreichsten verlief zunächst die Forschung der Wirkung von Antitoxinen auf Pferde. Dies trieb die Behandlungsmöglichkeiten von Diphtherie, Tetanus und Gasbrand entscheidend voran. Ohne die Pionierarbeit, die auch durch die Forscher der Wellcome Physiological Research Laboratories geleistet wurde, wären viele der heutigen lebensrettenden Medikamente nicht oder erst sehr viel später entstanden. In den kommenden Jahren gründete Wellcome die Wellcome Chemical Research Laboratories, er finanzierte die Einrichtung eines tropischen Forschungslabors in Khartoum inklusive eines Forschungsbootes für Fahrten auf dem Nil und das Wellcome Bureau of Scientific Research. Die Zeit ab 1920 bis zu seinem Tod 1936 nutzte Wellcome für die geschäftliche Konsolidierung und Vorplanung der Unternehmensgeschicke nach seinem Tod. Es gab keinen Verwandten oder engen Mitarbeiter, dem er sein Imperium übergeben konnte – darum schuf er in den letzten Jahren seines Lebens die Voraussetzungen dafür, dass zum einen die Belange der Firma abgesichert waren und zum anderen seine Idee fortgeführt werden konnte. Das, was er als Einzelperson entwickelt und angestoßen hatte, sollte nun in Firmenstrukturen weitergeführt werden. So legte Henry Wellcome 1924 all seine kommerziellen und nicht-kommerziellen Aktivitäten in einer Holding

4. Die Wellcome Collection in London

zusammen, die er The Welcome Foundation Ltd. nannte. Er registrierte sie als privates Unternehmen und stattete sie mit einem Kapital von einer Millionen Pfund aus. Diese Foundation sollte alle Niederlassungen von Burroughs Wellcome & Company in Großbritannien und im Ausland koordinieren und alle damit assoziierten Forschungseinrichtungen. Sie hatte dennoch mehr wohltätige denn geschäftliche Anliegen. Wellcomes Wille war es, nach seinem Tod eine Wohltätigkeitsorganisation zu gründen, mit folgendem Zweck: »the advancement of medical and scientific research to improve mankind’s wellbeing«.5 – Der Sammler Henry Wellcome – Die Vorformen der heutigen Wellcome Collection – Die Sammlung, auf der die Wellcome Collection basiert, ist einerseits aufgrund der Person des Sammlers und auf der anderen Seite aufgrund ihrer Geschichte eine besondere. Als Henry Wellcome 1936 starb, hinterließ er eine enorme Sammlung. Diese Objekte hatten er und viele seiner Mitarbeiter über Jahrzehnte aus verschiedenen Ländern der Welt zusammengetragen. Die Sammlungstätigkeit folgte keinem spezifischen, vorher festgelegten Sammlungskonzept mit feststehenden Kriterien, was im Einzelnen gesammelt werden soll. Das Sammeln war hochgradig intrinsisch motiviert, durch das Interesse an »›the condition of mankind‹«6 – und das Disziplinen, Epochen und Kulturen umspannend.7 Wellcome verfolgte damit das Ziel, die Entwicklung der Medizin weltweit zu dokumentieren – später auch, diese Sammlung Medizinern und Fachleuten zur Verfügung zu stellen, damit auch sie mehr über die Entwicklung der Medizin und der medizinischen Wissenschaft erfahren. Henry Wellcome war von früher Jugend an ein begeisterter Sammler medizinischer Dinge, die er unabhängig von deren Alter und Herkommen zusammentrug. Die wirtschaftliche Autonomie, die ihm die erfolgreich laufende Firma ermöglichte, brachte ihn später in die komfortable Lage, eigens Mitarbeiter mit dem Reisen und Einsammeln außergewöhnlicher Objekte beauftragen zu können. So entstand eine auch zahlenmäßig beeindruckende Sammlung von Objekten, die für das individuelle Interesse an Gesundheit 5 6 7

https://wellcome.ac.uk/about-us/history-wellcome[Zugriff 25.03.2018]. Kohn, Marek: A guide for the incurably curious, London: Wellcome Collection 2012, S. 6. Vgl. ebd.

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und Körper stehen. Sie besteht zu zwei Dritteln aus medizinischen Objekten8 und bildet den Grundstock dessen, was heute als Wellcome Collection bekannt ist. Die erste Idee für ein Museum hatte Henry Wellcome 1903. Zum 25jährigen Firmenjubiläum plante er eine Historical Medical Exhibition. Er veröffentlichte eine kurze Broschüre, in der er seine Ideen für ein Museum vorstellte und in der er angab, nach weiteren historischen Objekten zu suchen. Seine unzähligen Reisen verzögerten die Eröffnung des Museums um mehrere Jahre. 1913 fand der 17. Internationale Kongress der Medizin in London statt und in diesem Zusammenhang wurde Wellcome überredet, sein Museum zu öffnen. Im Herzen des Londoner medizinischen Bezirkes, in der 54A Wigmore Street, zeigte ab dem Zeitpunkt das Wellcome Historical Medical Museum die Objekte seiner Sammlung. [H]e wanted to found a kind of ›Museum of Man‹, covering all periods and all areas of the world, and that the Medical Museum was to have been only a part of this grand vision.9 Das Museum war auf ernsthafte Forschung ausgerichtet – ähnlich den Laboren, die Wellcome finanzierte. Die Objekte wurden damals in verschiedenen Ordnungen gezeigt: zum einen in der Hall of Primitive Medicine, zum zweiten in der Hall of Statuary und zum dritten in einer Portrait Gallery. Das Untergeschoss war geprägt von Raumbildern. So wurden hier beispielsweise Apotheken rekonstruiert. Es gab keinen Versuch eine alle Bereiche umfassende Chronologie abzubilden. Vielmehr wurden ähnliche Objekttypen einander zugeordnet, sodass die Geschichte eines jeden Objekts einzeln studiert werden konnte. Besucher des Museums mussten vorab schriftlich um Zutritt bitten. Damit war von Anfang an beabsichtigt, die Anzahl derer, die das Museum tatsächlich besuchten, klein zu halten. Im Juni 1926 kamen beispielsweise nur 104 Besucher – so viele Besucher gab es im Juni seit 1919 nicht mehr.10 Die geringen Besucherzahlen waren schließlich ein wesentlicher Faktor für die 8

9 10

Vgl. Russell, Georgina: The Wellcome Historical Medical Museum’s dispersal of nonmedical material, 1936-1983, in: Newsletter (Museum Ethnographers Group) No. 20 (February 1987), S. 21-45, hier: S. 21. Ebd. Vgl. Lawrence, Ghislaine: Wellcome’s Museum for the Science of History, in: Arnold/Olsen: The Forgotten Museum (Anm. 1), S. 61.

4. Die Wellcome Collection in London

Schließung. Knapp 20 Jahre nach Eröffnung schloss das Museum 1932 wieder – sein Bestand zog ins neue Wellcome Research Institute. Hier war zwar wesentlich mehr Platz vorhanden als noch in der Wigmore Street – dennoch konnten nicht alle der über die Jahre zusammengetragenen Objekte gleichzeitig präsentiert werden. Viele wurden in ein Depot ausgelagert. Als Wellcome starb, soll er mehr Objekte besessen haben als viele der berühmtesten europäischen Museen,11 es handelte sich schätzungsweise um mehr als eine Millionen Objekte.12 Während Henry Wellcome die finanziellen und geschäftlichen Belange seines Unternehmens noch zu Lebzeiten ordnete, hinterließ er weder ein klares Konzept für sein Museum noch einen Katalog oder eine Dokumentation, die dargelegt hätte, wann welches Objekt wo gefunden und eingesammelt wurde und welche besondere Geschichte sich dahinter verbirgt – warum es also in die Sammlung aufgenommen wurde. Nach dem Tod Henry Wellcomes war man viele Jahre damit beschäftigt, die Objekte zu sichten und zu katalogisieren. Um des großen Sammlungsbestands Herr zu werden, entschloss man sich nach dem Tode Henry Wellcomes dazu, einen Großteil des Objektbestandes aufzuteilen und Sammlungsteile an andere Institutionen weltweit zu geben.13 Dabei verblieb die Flachware, also Bücher, Manuskripte, Dokumente, Archivmaterial, Bilder und Filmaufnahmen in der zum Wellcome Trust gehörenden Wellcome Library. Der letztlich noch vorhandene Objektbestand, circa 100.000 Stück,14 in der Hauptsache Objekte, die sich inhaltlich weitestgehend den Themen Medizin, Gesundheit und Krankheit des Menschen zuordnen ließen, ging als Dauerleihgabe an das Londoner Science Museum. Dort werden sie zusammen mit den Objekten des Science Museums deponiert und restauratorisch betreut. Ein Großteil der Objekte dieser Dauerleihgabe wurde zwischen 1982 und 2019 auch in zwei Einzelbereichen des Science Museums ausgestellt. Mitte November 2019 wurde im 1. Obergeschoss des Museums die sogenannte Wellcome Gallery eröffnet. Auf 3000 m2 verteilt werden 3.000 medizinische Objekte aus den Sammlungen Henry Wellcomes und der Science Museum Group ausgestellt, sodass das Science Museum nun von sich behauptet, 11 12 13 14

Vgl. https://wellcomecollection.org/articles/museums-in-context-the-birth-of-thepublic-museum/[Zugriff 25.03.2018]. Vgl. http://wellcomecollection.org[Zugriff 20.03.2018]. Siehe: Russell: The Wellcome Historical Medical Museum’s dispersal (Anm. 8). Vgl. Kohn: A guide for the incurably curious (Anm. 6), S. 17.

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»the world’s largest space dedicated to the history of medicine«15 geschaffen zu haben. – Auf dem Weg zur heutigen Wellcome Collection– Nach dem Tod Henry Wellcomes und der Dokumentation und Katalogisierung der vorhandenen Objekte entschied man sich in den 1970er Jahren, den Objektbestand auf ein den vorhandenen Depotflächen angemessenes und handhabbares Maß zu minimieren und zur eigenen Entlastung anderen Museen Objekte anzubieten. So ging man bis in die 1980er Jahre hinein vor. In der Rückschau auf die Entwicklung der Museumsgeschichte im Allgemeinen bemisst man den Stellenwert des Wellcome Historical Medical Museums heute folgendermaßen: the Wellcome Historical Medical Museum marks a fascinating point in the history of museums: a midpoint between earlier ›cabinets of curiosities‹ and museums as we know them today.16 2007 wurde die Wellcome Collection eröffnet. Sie gehört funktionell und auch finanziell zum Wellcome Trust. Beide sind heute in der Euston Road beheimatet (vgl. Abb. 10). Abbildung 10: Außenansicht Wellcome Collection in der Euston Road, London

© Wellcome Collection 15 16

https://www.sciencemuseum.org.uk/see-and-do/medicine-wellcomegalleries(Zugriff 08.11.2019). Siehe https://www.sciencemuseum.org.uk[Zugriff 20.03.2018].

4. Die Wellcome Collection in London

Mit der Konzentration aller Wellcome-Organisationseinheiten in einer Straße und in einem Gebäude wurde die Möglichkeit eines öffentlichen Raums im alten Wellcome Gebäude geschaffen. Dieses wurde noch 1932 nach den genauen Vorstellungen Wellcomes gebaut. Die heutige Wellcome Collection zeigt eine ungewöhnliche Mischung aus medizinischen Dingen und Kunstwerken. Dem liegt die Idee der »connections between medicine, life and art in the past, present and future«17 zugrunde. 2007 wurde die Wellcome Collection der Öffentlichkeit zugänglich gemacht. Wegen der medizinhistorischen Objekte, die Bestandteil dieser Sammlung sind, ist die Wellcome Collection Mitglied der Londoner Museums of Health & Medicine group. Insgesamt verfügt das Haus in der Euston Road mit zwei Untergeschossen und sechs Obergeschossen über neun Etagen. Der größte Teil der Gesamtausstellungsfläche des Hauses wird für Wechselausstellungen und Veranstaltungen genutzt. Auf zwei Etagen werden Teile der Wellcome Collection präsentiert. Im Erdgeschoss befindet sich der erste von zwei Sonderausstellungsbereichen, die von den Verantwortlichen als Gallery bezeichnet werden. Über eine Treppe erreicht man das erste Obergeschoss. Hier befinden sich drei weitere Ausstellungsbereiche: zum einen der zweite Sonderausstellungsbereich und zum anderen die beiden permanenten Ausstellungen. Das ist zum einen die Ausstellung Medicine Man. Eine im Vergleich zur gesamten Sammlung relativ kleine Auswahl von Objekten illustriert den inhaltlichen Schwerpunkt dieses Teils: die Präsentation von Ideen zu Wissenschaft im Allgemeinen und Medizin im Konkreten in der Zeit nach dem Tod Henry Wellcomes in 1936. »It reflects the experiences and interests of scientists, doctors and patients.«18 In diesem Ausstellungsteil sind einige Objekte nach Funktion oder Objektart zusammengestellt, so beispielsweise Masken, Instrumente und Gemälde, andere Objekten wurden nach breiten kulturübergreifenden Themen zusammengestellt, beispielsweise Seeking Help. Der zweite Dauerausstellungsbereich war bis zu seiner Umgestaltung mit Medicine Now überschrieben, von April bis September 2019 wurde er vollständig erneuert, die Ausstellung Medicine Now existiert mittlerweile nicht mehr in der Form, in der sie für die vorliegende Untersuchung beschrieben und 17 18

Siehe https://wellcomecollection.org/what-we-do/about-wellcome-collection[Zugriff 20.03.2018]. https://wellcomecollection.org/exhibitions/WeobUyQAAKdwjbEO[Zugriff 25.03.2018].

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analysiert wurde. Damit geht einher, dass die Ausstellung in Being Human umbenannt wurde. Aber wie bereits in Medicine Now, wird auch in der neuen Ausstellung Kunst in einem medialen Mix mit Objekten zur Präsentation einiger Aspekte der modernen Medizin kombiniert. Dieses ungewöhnliche Arrangement verschiedener Objekte bietet eine außergewöhnliche Perspektive auf das, was den Menschen an Gesundheit und Medizin interessiert, das hat sich auch mit der Umgestaltung nicht wesentlich verändert, darum wird Medicine Now und nicht Being Human Gegenstand der Untersuchung sein. Punktuell wird in den Beschreibungen und Analysen auf Neuerungen verwiesen. Bis Frühsommer 2019 beschränkte sich der mit Medicine Now überschriebene Dauerausstellungsbereich der Wellcome Collection auf den Körper, die Genome, auf das Thema Fettleibigkeit und auf das Leben mit Medizin. Gezeigt wurden Reihen von Exponaten aus Wissenschaft und Alltagsleben in Kombination mit künstlerischen Antworten auf medizinische Fragen. In der neuen Ausstellung bleibt die Kombination aus Kunst und aus Objekten aus Wissenschaft und Alltag bestehen, die verschiedenen Ausstellungsbereiche sind überschrieben mit Genetics, Minds and Bodies, Infection und Environmental Breakdown. – Wellcome Library und Reading Room – Im zweiten und dritten Obergeschoss des Hauses ist die Wellcome Library untergebracht. Sie hat mit über zwei Millionen Stücken einen der weltweit größten Bestände für das Studium der Medizingeschichte, bietet aber darüber hinaus auch Quellen zum Studium von Ethnologie und Anthropologie. Durch Ankäufe und Übernahmen wächst der Bestand stetig weiter. Die Bestände der Wellcome Library sind sehr vielfältig, hier sind 750.000 Bücher und Journale, Manuskripte und Journale archiviert, die thematisch reichen von Büchern und Journalen zur History of Medicine über Asian Collections hin zur Rare Book Collection, Paintings, Prints and Drawings, Moving image and Sound Collections und den sogenannten Wellcome Images, die den visuellen Part der Sammlung ausmachen. Sie stehen ebenfalls für und zeugen von der Rolle in der Gesellschaft, die die Medizin in Vergangenheit und Gegenwart einnimmt. Darüber hinaus lässt sich in Archives and Manuscripts auch zur Geschichte der Wellcome Library und zur Sammlung und zum Schaffen Henry Wellcomes forschen. Auch die Wellcome Library entstand durch die akribische Sammlungstätigkeit Henry Wellcomes. Lange Zeit war sie der Öffentlichkeit nicht zugänglich, man erhielt nur auf Anfrage Zutritt. Dies wurde auch nach dem Tod

4. Die Wellcome Collection in London

Henry Wellcomes beibehalten, als sowohl die Bibliotheksbestände als auch die Sammlung in den Verantwortungsbereich des Wellcome Trust übergingen. Nach verschiedenen Standorten in London zog die Bibliothek schließlich in das Wellcome Building in der Euston Road – wo sie auch heute noch zu sehen ist. Abgesehen von sich verändernden Bezeichnungen und institutionellen Zuordnungen besteht die Wellcome Library seit den 1890er Jahren ohne Unterbrechung und hat somit eine fast 130-jährige Geschichte. Seit 1949 ist sie auch der Öffentlichkeit zugänglich.19 Um die Zugänglichkeit für Jedermann noch stärker ins Bewusstsein der Besucher zu rücken, wurde die notwendige Erweiterung und Renovierung des Wellcome Buildings 2012 auch dazu genutzt, einen Anreiz zu schaffen, die Wellcome Library zu besuchen und sie so einem noch breiteren Publikum bekannt zu machen. Bereits 2007, im ersten Jahr ihrer Eröffnung, konnte die Wellcome Collection statt der kalkulierten 100.000 Besucher die dreifache Besucherzahl verzeichnen20 – mit steigender Tendenz. Das hat die Verantwortlichen laut eigener Aussage überrascht.21 Aus diesem Grund zeichnete sich schnell ab, dass die zur Verfügung stehenden 1.350m2 dem Besucherverkehr nicht dauerhaft gerecht werden würden. Darum entschloss sich der Wellcome Trust, der die Wellcome Collection mit finanziellen Mitteln ausstattet, zur Renovierung und Erweiterung des Gebäudeteiles, in dem die Wellcome Collection untergebracht ist. Bei laufendem Betrieb wurden so zwischen 2013 und 2014 unter anderem zwei weitere Ausstellungsflächen, der Studio-Bereich und ein Restaurantbereich geschaffen. In der Wellcome Library wurde im Rahmen des Umbaus und der Renovierung ebenfalls ein neuer Raum geschaffen – es ergab sich die Möglichkeit, über die Leseräume hinaus einen Platz zu gestalten, der als Brücke zwischen den Ausstellungen und der Bibliothek dient: den sogenannten Reading Room. In der Mitte der Räumlichkeiten der Wellcome Library funktioniert dieser 19

20 21

Zur Geschichte der Wellcome Library findet sich ein Überblick auf dem Internetauftritt https://wellcomelibrary.org/what-we-do/history-of-wellcome-library/ [Zugriff 16.12.2017]. Vgl. http://blog.wellcomelibrary.org/2012/10/wellcome-collection-is-growing/[Zugriff 10.12.2017]. Mittlerweile sind es sogar mehr als 600.000 Besucher pro Jahr. Die Zahl stammt aus einem Gespräch, das ich im November 2017 mit James Peto, dem Head of Programmes, in London geführt habe. Vgl. auch: http://blog.wellcomelibrary.org/2012/10/wellcomecollection-is-growing/ [Zugriff 06.12.2017].

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Raum als »an innovative hybrid of gallery, library and events space, where you are invited to dig deeper into what it means to be human.«22 Diese Hybridität wird erreicht durch die Mischung aus Büchern, Objekten und passend gestalteten Ausstellungsmöbeln. Im Reading Room bieten sich die unterschiedlichsten Möglichkeiten, sich zu vertiefen: sei es in die Bücher, die den Besucher in diesem Raum überall umgeben, oder in die hier ausgestellten Skulpturen, Gemälde, medizinischen Artefakte oder Manuskripte. Das Motto hier lautet: »Look. Touch. Read. Collect. Talk. Share.«23 Und das ohne Zugangsbeschränkung. Man erreicht den Reading Room über die Stahltreppe, die vom ersten ins zweite Obergeschoss führt. Unterschiedliche Arten von Sitzflächen reagieren auf verschiedene individuelle Bedürfnisse der Besucher, was den Zweck des Aufenthalts und den Grad an benötigter Gemütlichkeit betrifft. So reichen die zur Verfügung stehenden Sitzgelegenheiten vom regulären Stuhl über Drehhocker, Sessel und Couches hin zu Sitzsäcken. Der Besucher kann sich so in den Reading Room zurückziehen, um auszuruhen, er kann hier aber auch lesen und arbeiten, mit anderen Leuten ins Gespräch kommen oder noch mehr Objekte aus der Sammlung Henry Wellcomes entdecken. Im Laufe des Jahres 2020 wird es auch im Reading Room zu Veränderungen kommen, auch dieser Bereich wird in dem was und wie es gezeigt wird kritisch überdacht und verändert, geplant sind »experimental changes to elements of the displays«.24 Während der Reading Room für die Besucher in seiner bisherigen Konzeption bewusst so angelegt ist, dass er sowohl multivalent als auch iterativ und interaktiv zu nutzen ist, folgen die Präsentation und Inszenierung der Objekte in den beiden folgenden Dauerausstellungen anderen Regeln des Wissensund Wissenschaftstransfers.

4.1.1

Dauerausstellung Medicine Now

Der Objektbestand der Wellcome Collection wurde seit Eröffnung 2007 sukzessive um Kunstobjekte erweitert, die vornehmlich in den Dauerausstellungen zu sehen sind und das Konzept des Hauses, »Explore the connections between science, medicine, life and art«,25 unterstützen. 22 23 24 25

»Take a Wellcome Detour. 20-minute self-guided tours«. Tour 2: Reading Room. Siehe: https://wellcomecollection.org/ [Zugriff 25.03.2018]. Siehe https://www.museeum.com/look-touch-read-collect-talk/[Zugriff 25.03.2018]. Hinweisschild im Reading Room [Stand September 2019]. Siehe https://wellcomecollection.org/exhibitions[Zugriff 05.01.2018].

4. Die Wellcome Collection in London

So sind in der Wellcome Collection in den Dauer- und Sonderausstellungen die unterschiedlichsten Objekte verschiedenster Objektklassen zu sehen, die auf ihre Weise, unterstützt durch die unterschiedlichen Präsentationen, wirken und vermitteln. Diese verschiedenen Präsentationsformen sollen im Folgenden im Zentrum der Betrachtung stehen. Anhand von ausgewählten Objekten und/oder Objektgruppen aus den verschiedenen Bereichen der Wellcome Collection wird untersucht, welche Präsentationsstrategien verfolgt wurden und welche Aussage und – darauf aufbauend – welche Form von Wissen so generiert wurde. Vor allem der erste Teil der Dauerausstellung, Medicine Now, wird durch diese Kunstobjekte und Kunstinstallationen geprägt. Dazu zählen beispielsweise Skulpturen, Fotocollagen, Audio- und Videoinstallationen. In der Being Human-Ausstellung wird über den Seh-, Hör- und Tastsinn hinaus an ausgewählten Objekten auch der Riechsinn angesprochen. Zentrales Element der Untersuchung war auch hier ein Rundgang durch die Ausstellungen des Hauses. Anders als im Berliner Medizinhistorischen Museum der Charité ist der Dauerausstellungsbereich in der Wellcome Collection nicht nur räumlich, sondern auch thematisch zweigeteilt. Es gibt somit zwei Dauerausstellungen und jede unterliegt einem anderen konzeptionellen und gestalterischen Zugriff. Beide Dauerausstellungen befinden sich im ersten Obergeschoss. Sie sind durch einen Flur- und einen Sonderausstellungsbereich voneinander getrennt. Alle drei Ausstellungsbereiche sind sowohl über die Haupttreppe als auch per Fahrstuhl zu erreichen. Die erste Dauerausstellung war mit Medicine Now benannt. Hier lag der Schwerpunkt auf dem Zusammenspiel von Leben in seiner gesamten Bandbreite, Wissenschaft und Kunst. Der Eingangsbereich dieses Ausstellungsteils war offen gestaltet, das heißt, er war nicht durch eine Glastür oder Ähnliches vom Flurbereich abgetrennt. Jedoch setzten zwei hohe, vom Boden bis zur Decke reichende, weißgestrichene regalähnliche Konstruktionen den Ausstellungsbereich optisch vom Flurbereich ab und zeigten somit den Beginn der Ausstellung an. Die Anordnung der Regale unterstützte dies zusätzlich: Beide waren so im Raum angeordnet, dass sich zwischen ihnen ein Durchgang und somit ein Eingang in die Ausstellung ergab (vgl. Abb. 11).26 Das linke Regal war nahezu leer – hier fanden sich einzig der Titel der Ausstellung in weißen Großbuchstaben aus Holz und eine Texttafel. Die Rück26

Das Regal wird Gegenstand der Untersuchung in Kapitel 4.2.1 sein.

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Abbildung 11: Beginn der Medicine Now-Ausstellung

Foto: Stefanie Kohl

wand des Regals war erhellt. Die Texttafel informierte über die thematische Ausrichtung: This exhibition presents a range of ideas about science and medicine since Henry Wellcome’s death in 1936. It reflects the experiences and interests of scientists, doctors and patients. Within the huge field of medicine this exhibition attempts to focus on only a few topics: the body, genomes, obesity and the experience of medicine.27 Mit den Schlagworten wurden vier verschiedene medizinische Themen, die sich in den 80 Jahren nach dem Tod von Henry Wellcome herausgebildet haben, besonders hervorgehoben. Damit wurde, entsprechend dem Titel der Ausstellung, die Medizin heute von der Medizin bis zur Mitte des 20. Jahrhunderts thematisch voneinander getrennt. Mit dem Betreten der Medicine Now-Ausstellung lief der Besucher den ersten Themenbereich der Ausstellung: GENOMES – also das Erbgut –, an. Dies wurde angezeigt durch eine erleuchtete Aufhängung, die zwischen den beiden im Eingang aufgestellten weißen Regalen angebracht war. Solch eine Auf-

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Raumtext in der Ausstellung.

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hängung wurde auch in den folgenden Bereichen genutzt, um das Thema anzuzeigen. Worum es sich genau im Ausstellungsteil Genomes drehte, wurde bereits am rechten der beiden Regale sichtbar. Es war fast vollständig gefüllt mit weißen Ordnern, die rückseitig beschriftet waren mit The Human Genome und fortlaufender Nummerierung von 1 bis 22 und den Buchstaben X und Y. In der Mitte des Regals, auf Brusthöhe des Besuchers, war ein Regalfach leer geblieben. Hier wurde eine Möglichkeit geschaffen, einen Ordner aufschlagen zu können und sich den Inhalt anzuschauen. Hier war auch ein erklärender Objekttext zu finden, der erläuterte, dass sich in den Ordnern der nahezu vollständige genetische Code des Menschen als Ausdruck befindet. Er erklärte, dass sich die DNA in einer menschlichen Zelle in Teile splitten lässt, die man als Chromosomen bezeichnet. Davon gibt es 22 plus jeweils ein männliches und ein weibliches. Die Zahlen und Buchstaben auf den Ordnerrücken referierten darauf. Rechts neben der Library of Human Genome stand eine hüfthohe, violette Figur, ein Kunstobjekt, das laut Objekttext mit Jelly Baby 3 benannt war. Es stammte aus der Jelly Baby-Serie des italienischen Konzeptkünstlers Mauro Perucchetti. Das Material aus dem es gefertigt ist, erinnert durch seine Semitransparenz und den charakteristischen Glanz an Gelee – dadurch erklärt sich auch die Benennung dieser Figur. Ein Objekttext, der in unmittelbarer Nähe des Jelly Babys angebracht war, klärte den Besucher darüber auf, dass der Künstler seine Figuren unter anderem als Metapher für menschliche Klone verstanden wissen will28 , weswegen das Jelly Baby 3 gut zum ersten Teil der Ausstellung passte. Links neben der Genom-Bibliothek stand eine halbhohe Sockelvitrine. Unter einer Glashaube befand sich je eine Petrischale, eine gefüllt mit Wolle, die andere mit tierischem Kot – jeweils aus dem Jahr 1997. Ein Objekttext informierte darüber, dass sowohl Wolle als auch Kot zum Schaf Dolly gehörten. Dieses Schaf war 1996 das weltweit erste geklonte Säugetier, es ist also durch ungeschlechtliche Vermehrung mittels Gentechnik gezeugt/erschaffen worden. Im weißen Holzsockel der Vitrine gab es eine Schublade, darin befand sich eine Ausgabe des TIME-Magazine, auf dessen Titel eine Fotomontage mit dem Schaf Dolly und der Aufmacher »Will There Ever Be Another You?«29 zu sehen waren. 28 29

Objekttext in der Ausstellung. Gemeint ist die Ausgabe vom 10. März 1997. Siehe TIME-Magazin, Vol. 149, No. 10/1997.

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Der direkte thematische Übertrag auf den Menschen ist eine effektive Weise, die Besucher anzusprechen. Hinzu kommt, dass ein Titelbild im TIMEMagazine die Reichweite des Themas anzeigte. So wie eingangs erwähnt, setzte sich diese Dauerausstellung als Verbindung von Kunst und Wissenschaft mit zentralen Themen menschlicher Gesundheit auseinander. Die Teile der Ausstellung, die der Kunst gewidmet waren, wurden gestalterisch besonders hervorgehoben: durch sogenannte Art Cubes. Diese waren würfelförmig und deckenhoch. Sie setzten sich durch eine kräftige rote Farbe der drei Außenflächen vom Gesamt der Ausstellung ab. Die drei Innenflächen wie auch der Rest der Ausstellung waren zu großen Teilen in hellem Weiß gestaltet. Jeder Art Cube war begehbar, sodass sich der Besucher alle darin angeordneten Objekte auch aus geringer Distanz ansehen konnte. In solch einem Art Cube wurde der erste Thementeil zu Genomes fortgesetzt. Der Cube stand hinter der Vitrine zum Klonschaf. Das erste Ausstellungsstück in diesem ersten Art Cube trug den Titel Bud und wurde von Rob Kesseler geschaffen. Es handelte sich um ein ovales geschlossenes Stielglas, gefüllt mit Sojabohnen. Die Form des Glases erinnerte an ein Fabergé-Ei. Schaute man von oben auf das Stück, sah man, dass die ovale Form dadurch entsteht, dass das Glas nach oben hin dicker wird. Dadurch wurden die Bohnen im Glas verzerrt und unnatürlich vergrößert. Das Glas schien vollkommen mit Bohnen ausgefüllt zu sein.30 Der dazugehörige Objekttext wies auf die Dualität hin, die in genmodifizierenden Verfahren steckt: Verbesserung der Qualität und Erhöhung der Quantität des Ernteertrags sind die eine Seite, die Gefahren, die sich aus Veränderungen an den Grundbausteinen menschlichen Lebens, den Genen, ergeben, die andere. Weitere Objekte in diesem Art Cube dienten ähnlich dem Glas von Rob Kesseler durch Bild oder Ton der Auseinandersetzung mit Genetik. Was sich dem Besucher auf den ersten Blick nicht erschloss, war, dass dieser erste Art Cube thematisch zweigeteilt war. Nur durch die Objekttexte wurde deutlich, dass sich die Objekte im linken Teil des Cubes mit einem anderen Thema auseinandersetzten. Das letzte Ausstellungsstück stand sinnbildlich für die Ernährungs- und Stoffwechselkrankheit Fettleibigkeit und für das zweite Themengebiet der Ausstellung: OBESITY. Die Kunstinstallation 30

www.robkesseler.co.uk/index.php/projects/bud_-_2002/glass_works/ [Zugriff 20.03. 2018].

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I can’t help the way I feel von John Isaac reichte bis fast an die Decke des Cubes heran. Sie stellte etwas dar, das fast ausschließlich aus Fett und Haut zu bestehen schien. Einzig die Füße, auf denen das Fettgebilde stand, gab einen Hinweis darauf, dass es sich um einen Menschen handeln könnte. Der Künstler John Isaac versucht hier die Perspektive eines Patienten einzunehmen.31 Dies wurde auch im Objekttext angedeutet, in dem es hieß: »In this work lies an interest in a possibility of the emotional landscape of the body becoming manifest in its surface.«32 Die Tischvitrine gegenüber dem Art Cube ergänzte diesen subjektiven Blick auf die Krankheit um den wissenschaftlichen Aspekt. In der Vitrine wurde die Medikalisierung von Fettleibigkeit thematisiert. Über die gesamte Fläche der Vitrine und auch in den sechs Schubladen waren Medikamente, Broschüren und medizinische Instrumente ausgestellt. Kurze Objektbeschreibungen erläuterten, was zu sehen war. Die einzelnen Objekte waren in der Vitrine so angeordnet, dass man das Ausstellungsmöbel einmal umrunden musste, um alles komplett erfassen zu können. Die Tischvitrine stand gewissermaßen im Mittelgang der Ausstellung, zwischen dem Art Cube und drei sogenannten Sound Chairs. Diese Ausstellungsmöbel in Form von Stühlen gab es zwei Mal in der Ausstellung, das erste Mal im Bereich OBESITY. Mittels der Sound Chairs kamen Experten zu Wort, die sich themenbezogen und ihrem eigenen wissenschaftlichen Hintergrund entsprechend äußerten. Über einen Hörer, der an der Rückenlehne des Sound Chairs angebracht war und den man in die Hand nehmen konnte, konnte man sich den Audiobeitrag anhören. An der Rückenlehne des Stuhles befanden sich jeweils ein kurzer Text, der mit Sit down to hear begann und dann den Namen des Experten nannte. Anschließend wurde der Experte kurz vorgestellt und sein Standpunkt zum Thema zusammengefasst. Eine DIN A4-Tafel über der Rückenlehne zeigte die Transkription des Audiobeitrags. Die Sound Chairs waren jeweils mit Blick auf den Art Cube ausgerichtet. Im Bereich Obesity befand sich die titelgebende Aufhängung über den Sound Chairs. 31

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https://next.wellcomecollection.org/articles/perspectives-i-cant-help-the-way-ifeel/[Zugriff 20.03.2018] und auch: https://next.wellcomecollection.org/articles/ object-of-the-month-a-fat-lot-of-good/[Zugriff: 20.03.2018]. Objekttext in der Ausstellung.

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Quer zur Tischvitrine und damit auf der Rückseite der regalähnlichen Konstruktion im Eingangsbereich befand sich ein viertes Ausstellungselement, das Fettleibigkeit thematisierte. Es handelte sich erneut um ein Bücherregal, das in der Höhe den beiden Regalen im Eingangsbereich entsprach. Es war komplett gefüllt mit Büchern zum Thema Diät. Innerhalb des Regals war ein kleines Regalfach freigehalten. Darin befanden sich eine kopierte Taschenbuchausgabe des Buches, das zum ersten Mal das Thema Diät aufgriff33 und der Objekttext zum Regal, in dem dazu eingeladen wurde, in den 600 vorhandenen Büchern zu blättern und sich zu informieren. Rechts neben dem Art Cube befand sich ein weiteres Regal dieser Art. Es war mit Labour-saving devices and exercise überschrieben. Hier fanden sich Dinge, die dem Menschen die körperliche Arbeit erleichtern, sie ersetzen, oder ihn ganz von körperlicher Arbeit abhalten: von der Fernbedienung über die elektrische Zahnbürste hin zum Fernsehgerät und dem Staubsaugroboter. Dieses Regal bildete den Abschluss des OBESITY-Bereiches. Eine lebensgroße, menschenähnliche Figur auf einem Sockel im Mittelgang deutete den folgenden Themenbereich an. Sie war transparent, sodass man die innenliegenden Organe, Blut- und Nervenbahnen und Knochen sehen konnte. Dieses Ausstellungsstück trug den Titel Transparent Woman und war eine Leihgabe des Deutschen Hygiene-Museums in Dresden, in dem ein ähnliches Modell ausgestellt ist. Zu Füßen der Figur fanden sich 17 beschriftete Knöpfe – für jedes Organ einer. Drückte man einen der Knöpfe, so leuchtete das entsprechende Organ im Inneren der Figur kurz auf. Dieses Ausstellungsstück führte den Besucher in den folgenden Themenbereich ein, der mit THE BODY überschrieben war. Hinter der transparenten Figur, fiel ein weiteres ungewöhnliches Ausstellungsstück auf. Etwa fünf Schritte entfernt vom Objekt Transparent Woman befand sich ein weiteres, das als Plastinated body slice beschrieben wurde. Dabei handelte es sich um einen Längsschnitt eines menschlichen toten Körpers, der durch das Verfahren der Plastination34 dauerhaft haltbar gemacht und hier ausgestellt wurde. 33 34

Banting, William: A Letter on Corpulence Addressed to the Public, London: Harrison, 59, Pall Mall 1863. Plastination bezeichnet ein Konservierungsverfahren, das vor allem in der Anatomie angewendet werden kann: Aufbereitung/Präparation von Körperteilen oder Körpern. Ein bedeutender Vertreter dieses Verfahrens in Deutschland ist Gunther von Hagen.

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Auf der rechten Seite dieser beiden Ausstellungsstücke stand der zweite Art Cube. Wie beim ersten auch, wurden hier Werke unterschiedlicher Künstler ausgewählt, die sich auf der zur Verfügung stehenden Fläche auf künstlerische Weise mit dem jeweiligen Themenbereich auseinandersetzten. Das reichte von einer Audioaufnahme, mit der der Besucher jungen Studenten dabei zuhören konnte wie sie lernen, einen menschlichen Körper zu sezieren, über dreidimensionale Harzmodelle, die das Aktivitätsmuster des menschlichen Gehirns bei Aktivierung der Sinne abbilden sollten, hin zu einem Skelett, bei dem Becken- und Schädelknochen in der Anordnung miteinander getauscht wurden. Jedes dieser Kunstwerke thematisierte auf individuelle Weise die Beschäftigung mit dem menschlichen Körper. Auf der linken Seite der Transparent Woman und dem Plastinated body slice waren wie bei Obesity auch drei Sound Chairs arrangiert, die den Standpunkt von drei Experten zum Nachhören anboten. Sie waren, wie beim ersten Mal auch, mit Blick auf den Art Cube ausgerichtet. Über den Sound Chairs befand sich die Aufhängung, die in Großbuchstaben THE BODY, das Thema dieses Ausstellungsbereichs, anzeigte. Hinter den Figuren stand erneut ein hohes, weißes Regal. Die Objekte darin waren unter dem Titel Visualising the Human Body zusammengefasst. Hier wurden verschiedene Möglichkeiten ausgestellt, den Aufbau des menschlichen Körpers optisch herauszustellen. In acht Regalfächern wurden vom Boden bis kurz unter die Decke verschiedenste Objekte gezeigt, unter anderem anatomische Modelle von Organen und Körperteilen (wie Ohren, Arme und Hände), Modelle, die zum Akkupunkturtraining angefertigt wurden, und auch zwei Videos. Hinter diesem Regal begann der vierte Themenbereich der Medicine NowAusstellung: PATIENTS. Auch dieser Teil war geprägt durch das Zusammenspiel von Kunst und Wissenschaft. Ein Art Cube und eine sogenannte Art Box bereiteten die Medizin aus der Perspektive des Patienten auf. Es gab zwei Art Boxen in der Medicine Now-Ausstellung, eine davon im Bereich PATIENTS. Die Art Boxen waren wie die Art Cubes auch in kräftiger roter Farbe gestaltet, diesmal waren jedoch auch die Innenflächen rot. An der Rückwand in der Art Box war ein Bildschirm angebracht, auf dem ein filmisch umgesetztes Projekt gezeigt wurde. Auf die Patients-Art-Box lief der Besucher im Mittelgang frontal zu, der Bildschirm zeigte in den Raum hinein. Hier war ein Filmprojekt von Ruth Maclennan zu sehen, das mit We saw it – Like a Flash überschrieben war. Die Künstlerin zeigte hier mittels Filmaufnahmen aus dem Archiv des BBC aus

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fünf Jahrzehnten die parallele Entwicklung der Genetik und des Fernsehens, also wie das Wissen über Genetik durch die Informationspolitik des Fernsehens im Laufe der Jahre geprägt wurde. Der zum Bereich PATIENTS gehörende Art Cube befand sich auf der linken Seite der Art Box. Er war nur halb so groß wie die anderen beiden, es waren jedoch trotzdem alle drei Innenflächen mit Objekten bespielt. An der rechten Innenseite befand sich hier eine Hörstation. Diese waren in allen Cubes gleich gestaltet: an der Wand war eine weiße Schiene verschraubt. Dahinter befand sich nicht sichtbar die Audioquelle. Diese war mittels einer metallenen Strippe mit dem Kopfhörer verbunden, der an einem Haken aufgehängt war. Über einen Knopf an der Schiene ließ sich der Audiobeitrag starten. Er stammte von Jim Sweeney, einem britischen Komiker, Schauspieler und Autor, der seit Mitte der 1980er Jahre unter Multipler Sklerose leidet. In der Ausstellung konnte man hier einen zweiminütigen Ausschnitt aus seiner Rundfunksendung My MS and Me hören, in dem er schildert, wie sich das Gehen für ihn verändert seitdem seine Krankheit weiter fortgeschritten ist. Mit diesem Art Cube waren alle vier großen thematischen Bereiche, die die Medicine Now-Ausstellung behandelte, GENOMES, OBESITY, THE BODY und PATIENTS, vertreten. In einer zweiten Art Box wurde ein zweites filmisches Projekt präsentiert. Hier waren zwei der drei Teile des Videoprojekts 15 Seconds von Chris Dorley-Brown zu sehen. Im Mittelpunkt dieses Projekts stand eine Gruppe britischer Schulkinder, alle geboren in den 1980er Jahren, die im Abstand von jeweils zehn Jahren drei Mal gefilmt wurden: 1994, verbunden mit der Aufforderung »to express themselves in any way they chose«35 , und so ihre »fifteen seconds of fame«36 dokumentierend; 2004, konfrontiert mit ihrem Video und 2014, nach ihrem aktuellen Lebensplan befragt. Der dritte Teil war zum Zeitpunkt des letzten Rundgangs 2018 noch nicht in der Ausstellung zu sehen, sollte aber zu einem späteren Zeitpunkt integriert werden. Das Videoprojekt von Chris Dorely-Brown spann somit einen Bogen von der Kindheit bis zum Erwachsensein der »millenials«37 und gleichermaßen von einer Zeit, in der das Internet kein Bestandteil des alltäglichen Lebens war, in eine Zeit, in der die tägliche Selbstdarstellung über soziale Medien im Internet stattfindet.38 35 36 37 38

Objekttext, der an der Art Box angebracht ist. Vgl. https://wellcomecollection.org/15seconds[Zugriff 05.12.2017]. http://15seconds.wellcomecollection.org/about/[Zugriff 05.12.2017]. Vgl. ebd.

4. Die Wellcome Collection in London

Hinter dieser Art Box begann ein Bereich, der sich Experience of medicine nannte. Dieser Bereich wurde maßgeblich geprägt durch Angebote zum Mitdenken und Ausprobieren, insbesondere für das jüngere Publikum. Auf der zur Verfügung stehenden Fläche waren drei Tische verteilt. Auf und in den Tischen befanden sich die entsprechenden Materialien dazu: Bücher, Objekte, Karteikarten mit spezifischen Fragen oder Arbeitsaufträgen und Stifte. An jedem Tisch wurde jeweils eine von drei Perspektiven auf die medizinische Wissenschaft angeboten. So beschäftigte man sich mit Scientists, Doctors und Patients. Alle Tische waren in Aufbau und Ausstattung ähnlich: Es gab mehrere Stühle, am Kopfende war jeweils ein Bildschirm in die Tischplatte eingelassen, auf dem themenbezogene Kurzfilme gezeigt wurden. An den langen Seiten befanden sich jeweils drei Schubladen, die sich ausziehen ließen, um darin Objekte zu entdecken. So fanden sich beispielsweise in den Schubladen des Scientists-Tisches Popular culture portrayals of real scientists. Dazu gehörten Sigmund Freud als Hand- oder Albert Einstein als Stoffpuppe. In den übrigen Schubladen wurde anhand von verschiedenen Objekten das Leben eines Wissenschaftlers illustriert. Acht Wissenschaftler hatten jeweils ein Objekt ausgewählt, das das Leben in ihrem fachspezifischen Labor und damit ihre Fachrichtung repräsentierte. Die hintere Wand des Ausstellungsraumes diente als sogenanntes Forum. Über die gesamte Breite waren kleine bilderrahmenähnliche Regale angebracht, die in Form und Größe zu den Karteikarten passten, die man auf den Tischen fand und die kleinere Denkaufgaben enthielten. So konnte man im Forum-Bereich zum einen seinen Beitrag zur Ausstellung leisten und die bearbeiteten Karteikarten anbringen, zum anderen konnte man hier entdecken, was andere Besucher geantwortet oder entwickelt haben. Dieser hintere Bereich der Ausstellung war erkennbar auf Partizipation ausgelegt und setzte ähnliche Angebote fort, die im Verlauf der Ausstellung gemacht wurden. So gab es vor der Forum-Wand eine sogenannte Resource Area, die mit einigen Büchern und einem Touchscreen ausgerüstet war. Hier konnte man analog durch eine Auswahl an Büchern blättern oder sich digital kurze Filme anschauen, um aktuelle medizinische Informationen zu erhalten oder etwas mehr über von Wellcome finanzierte Forschung zu erfahren. An einer Seitenwand eines Art Cubes gab es einen Spotlight on-Bereich. Hier wurde ein Schlaglicht auf Hilfsmittel geworfen, hochtechnisierte und auch analoge, die dazu geführt haben, Leben auf der ganzen Welt zu retten oder zu erleichtern. Der Besucher wurde darüber befragt, welches Hilfsmit-

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tel er erfinden würde. Unter der Frage ließen sich mithilfe von zur Verfügung gestellten Magneten Karteikarten mit Antworten anbringen. In unmittelbarer Nähe dazu war eine Vitrine aufgestellt, die eine sogenannte Mirror Box enthielt – ein Objektschild mit der Aufschrift I am a Mirror Box informiert darüber. Diese Box referierte auf die sogenannte Spiegeltherapie, die 1996 von Vilayanur S. Ramachandran, einem indischen Neurologen, entwickelt wurde und der Phantomschmerzbehandlung nach Amputationen dient.39 Über einen Spiegel wird die Illusion zweier gesunder Gliedmaßen erzeugt: das gesunde Glied wird gespiegelt, wodurch das amputierte wieder vorhanden scheint. Der Besucher konnte an dieser Stelle der Ausstellung versuchen, sich in eine solche Situation hinein zu fühlen. Ein dritter Bereich nannte sich News Digest. Jede Woche wurden hier ausgewählte medizinische News, die man online nachrecherchieren konnte, vorgestellt. Der Besucher war dazu aufgefordert, auf einem Stück Papier zu notieren, was diese medizinischen Neuigkeiten mit ihm machen, wie er sich nach dem Lesen der Neuigkeit fühlt. Der Zettel konnte dann mittels eines Magneten an der Wand befestigt werden. Eine Tür in der Forum-Wand führt vom Ausstellungsbereich ins sogenannte Studio, das hat sich durch den Umbau nicht geändert. Dieses ist Veranstaltungsraum und -form gleichermaßen. Hier finden vom Public Programme-Team der Wellcome Collection organisierte Veranstaltungen statt, die Angebote zur Partizipation machen. Diese zielen auf die Mitgestaltung des Rahmenprogramms der Wellcome Collection ab und auf Veranstaltungen, die sich nicht ausschließlich den Themen der Sonder- und Dauerausstellungen widmen. Dazu zählen Workshops, Live Events und Ähnliches, die sich im Kern mit Krankheit, Gesundheit und Leben beschäftigen.40

4.1.2

Dauerausstellung Medicine Man

Die zweite Dauerausstellung der Wellcome Collection trägt den Titel Medicine Man. Sie befindet sich ebenfalls im ersten Obergeschoss. Vom Hauptflur aus

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Siehe: Ramachandran, Vilayanur S./Rogers-Ramachandran, Diane: Synaesthesia in phantom limbs induced with mirrors, in: Proceedings. Biological Sciences 263, H. 1369, 1996, S. 377-386. Gespräch Stefanie Kohl mit James Peto, Head of Public Programmes der Wellcome Collection am 22.11.1017 in London.

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gelangt man durch eine Tür in diesen Ausstellungsbereich, er ist also, anders als Medicine Now, nicht offen gestaltet. Die Ausstellung, die hier zu sehen ist, geht im Kern auf die Ausstellung Medicine Man: The Forgotten Museum of Henry Wellcome zurück, die für das British Museum in London kuratiert wurde und dort von Juni bis November 2003 gezeigt wurde. An diesem durchaus symbolisch zu verstehenden Ort41 wurde zum ersten Mal seit Wellcomes Tod seine Sammlung großformatig sichtbar gemacht. Hauptverantwortlicher Kurator dieser Ausstellung war Ken Arnold, der nach der Eröffnung der Wellcome Collection dort bis 2015 als Head of Programme tätig war.42 Sowohl die Auswahl und Anordnung der Objekte als auch die Gesamtgestaltung dieser ersten Medicine Man-Ausstellung entsprach dem eher traditionellen Ausstellungs- und Präsentationsstandard des British Museums. Dennoch entschied man sich zur Eröffnung der Wellcome Collection 2007, die Ausstellung aus dem British Museum nahezu eins zu eins zu übernehmen – es wurde lediglich die Objektfülle überdacht. So sind in der Medicine ManAusstellung in der Wellcome Collection mit insgesamt 500 Objekten wesentlich weniger Objekte zu sehen als dies noch im British Museum der Fall war – die Ausstellung dort bestach durch ihre Fülle an Objekten. Da Medicine Man auch mehr als ein Jahrzehnt nach Eröffnung der Wellcome Collection noch keine Überarbeitung erfahren hat, wird es auch in diesem Bereich der Dauerausstellung ab 2020 zu Veränderungen kommen. Diese zeichnen sich bereits seit September 2019 ab, am deutlichsten zu erkennen an der farblichen Veränderung der Ausstellungsmöbel in den Vitrinen und an

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Siehe www.britishmuseum.org/the_museum/museum_in_london/london_exhibition_archive/archive_medicine_man.aspx [Zugriff 14.12.2017]. Die Verbindung zwischen dem British Museum und Henry Wellcome lässt sich auf zwei Weisen herstellen: Zum einen beging das British Museum in dem Jahr, in dem Henry Wellcome geboren wurde (1853) seine Hundertjahrfeier. 2003 fielen also zwei Jubiläen, Henry Wellcomes 150. Geburtstag und die 250. Jahrfeier des Museum zusammen. Zum anderen basiert der Objektbestand des British Museum auf der Sammlung von Sir Hans Sloan, einem Arzt und Wissenschaftler, der wie Henry Wellcome auch leidenschaftlicher Sammler war. Siehe auch: Arnold/Olsen: The Forgotten Museum (Anm. 1). Seit 2015 ist James Peto Head of Public Programmes der Wellcome Collection. Ken Arnold hat innerhalb des Wellcome Trust die Funktion des Creative Director übernommen. Er ist darüber hinaus Creative Director am Medical Museion in Kopenhagen.

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einer Texttafel mit dem Titel »Bringing new perspectives to Henry Wellcome’s collections«, die die Veränderungen ankündigt: »It’s time for a rethink.« Betritt man als Besucher momentan den Raum, fallen zwei Aspekte unmittelbar ins Auge. Zum einen ist der Raum nicht so hell gestaltet wie Medicine Now. Dieser Eindruck wird maßgeblich mitbestimmt durch die Ausstellungsmöbel, die aus dunklem Walnussholz gemacht sind. Auch die Wände und der Fußboden sind in diesem Farbton gehalten, die Beleuchtung ist reduziert. Zum zweiten wird man nach Betreten der Ausstellung augenblicklich mit einem großen Regal konfrontiert, das sich von der Mitte des Raumes scheinbar über die gesamte linke Seite erstreckt. Bei näherer Betrachtung wird erkennbar, dass man auch am Ende des Regals, auf der linken Seite, um das Regal herumlaufen kann. Die eine Seite des Raumes wird durch das Regal zweigeteilt in einen Bereich vor und in einen Bereich hinter dem Regal, der von der Eingangstür aus nicht sofort einsehbar ist (vgl. Abb. 12).

Abbildung 12: Medicine Man – Blick von rechts

Foto: Stefanie Kohl

Sowohl auf der rechten als auch auf der linken Seite des Regals steht im obersten Regalfach in großen Lettern jeweils der Titel dieses Ausstellungsteils: Medicine Man. Darunter ist jeweils ein Gemälde angebracht, das Henry Solomon Wellcome zeigt – die Person, auf die die Sammlung und damit auch die in diesem Ausstellungsraum gezeigten Objekte zurückgehen. Während das Bild vorn Wellcome klassisch, sitzend, als Ganzporträt zeigt, bildet das Ge-

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mälde im hinteren Teil des Regals Henry Wellcome als Krieger ab, zeigt also eine andere Facette des Sammlers. Das Regal ist über die gesamte Breite gleichmäßig in Fächer unterteilt, die in drei Größen variieren. Einige Fächer sind mit Schubladen gefüllt, die der Besucher herausziehen und in denen er unter anderem Hands On-Objekte finden kann, in andere Fächer sind kleine Bildschirme eingelassen, auf denen Filmausschnitte gezeigt werden. Den Großteil des Regals füllen jedoch Glaswaren, die sich in Größe, Form und Farbe wiederholen. Darüber hinaus finden sich hier Reproduktionen von alten Fotografien des Wellcome Museums und Ausstellungsstücke, die eng mit der Biographie Wellcomes und seinem Unternehmen verknüpft sind. Abgesehen vom Regal, das das dominierende Ausstellungsmöbel ist, befinden sich im Raum verschiedene Vitrinen, die so verteilt sind, dass sich der Besucher an ihnen vorbei und um sie herum durch den Raum bewegen muss. Dabei schreitet der Besucher die fünf verschiedenen thematischen Bereiche ab, in die die Medicine Man-Ausstellung unterteilt ist. Die großen Themen dieses Ausstellungsteils sind Beginning of Life, End of Life, Seeking Help, Treating Yourself und Understanding the Body. Ein Schriftzug, frontal auf dem Vitrinenglas angebracht, zeigt das Thema an und ordnet die darin gezeigten Objekte in den Kontext ein. Darüber hinaus zeigen Vitrinen und Ausstellungsmöbel, die mit Chairs, Masks, Paintings, Prints, Photography, Votive Offerings, Metal Instruments und Artificial Limbs beschriftet sind, die Bandbreite der gezeigten Objektklassen an. Für die Präsentation und Benennung der Objekte wird mit Ausnahme von Decke und Fußboden die gesamte zur Verfügung stehende Fläche genutzt. Lange Zeit bedeutete dies, dass im Regelfall in unmittelbarer Nähe einer Vitrine oder eines Ausstellungsschrankes an der Wand dahinter auf Augenhöhe eine, manchmal auch zwei Klappen angebracht waren, mit Griff, ähnlich einer Schranktür, die, wenn man sie öffnete, die Objektbeschriftungen offenlegten. Beim letzten Rundgang durch die Ausstellung im September 2019 waren erste Veränderungen sichtbar: die Klappen waren verschwunden, geblieben sind die Objektbeschriftungen. Beispielsweise befindet sich im Eingangsbereich gegenüber dem Regal an der Wand eine quaderförmige Glasvitrine, die mit Chairs beschriftet ist. Darin sind nebeneinander drei stuhlförmige Sitzgelegenheiten angeordnet, die einzig mit einem Buchstaben und einer Nummer versehen sind – von N1 bis N3. Möchte der Besucher erfahren, welche Stühle hier im Einzelnen gezeigt werden und welche Funktion, welchen Zweck sie zu ihrer Zeit hatten, muss er links neben die Vitrine treten und die dort

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noch vorhandene Klappe öffnen. Auf ihrer Innenseite wird in wenigen Sätzen der Ausstellungsbereich Chairs erläutert. Auf der durch die Klappe verdeckten Fläche befindet sich die zu den Stühlen gehörende Legende mit kurzen Erläuterungen. Gleichermaßen funktionierte es beispielsweise auch bei Masks oder Metal Instruments, hier gibt es aber nun keine Klappen mehr. An der Rückseite des großen Regals ist der Ausstellungsteil Paintings zu finden. Über die gesamte Breite und Höhe des Regalrückteils sind 28 Gemälde angebracht, die jeweils mit Ziffern versehen sind. Anstelle von Objektbeschriftungen wird für den Ausstellungsrundgang ein Begleitheft zur Verfügung gestellt, in dem man Informationen zu Titel und Künstler und eine kurze Bildbeschreibung nachlesen kann. Ein ähnliches Heft mit dem Titel Large Cases: Objects bietet, nach den fünf großen Themen der Ausstellung sortiert, Informationen zu den Objekten in den Vitrinen. In die Wand gegenüber den Gemälden ist ein Bildschirm eingelassen. Hier wird ein kurzer Film der Brothers Quay gezeigt: The Phantom Museum: Random Forays into Sir Henry Wellcome’s Medical Collection. Es ist eine Bank davorgestellt. So kann man sowohl den rund zehnminütigen Film anschauen als auch die Gemälde gegenüber im Sitzen in Ruhe betrachten. Die Wand wird darüber hinaus als zusätzliche Ausstellungsfläche genutzt. So sind über den Raum fünf Vitrinen verteilt, die in die Seitenwände des Raumes eingelassen sind. Von einem Säuglingsidentifikationssatz über eine Amulettsammlung, einer Locke von King George, einer mechanischen Armprothese hin zu einem mumifizierten männlichen Körper sind in diesen Wandvitrinen die verschiedensten Objekte ausgestellt. Zu jeder Wandvitrine gehören zwei Schubladen, die sich ausziehen lassen und erklärende Texte und Objekte – teilweise auch Hands On-Objekte – beinhalten. So findet sich in einer der Schubladen beispielsweise eine Reproduktion der rechten Hand des mumifizierten Körpers, die der Besucher berühren kann. Neben der Hand befindet sich ein das Objekt erklärender Text in Brailleschrift. Zur Medicine Man-Ausstellung wird dem Besucher ein kostenloser Audio Guide angeboten, den er auf einem Smartphone-ähnlichen Gerät nutzen kann. Die Station, an der das Gerät eigenständig für die Dauer des Ausstellungsrundgangs geliehen werden kann, befindet sich links neben der Eingangstür. Ausgewählten Objekten sind in der Ausstellung Nummern zugeordnet, die man in das Gerät mittels eines Touchscreens eingeben und so weitere Informationen zum jeweiligen Objekt erhalten kann. Darüber hinaus sind hier einführende Informationen zu Henry Wellcome und seiner Biographie hinterlegt.

4. Die Wellcome Collection in London

4.1.3

Sonderausstellung Electricity

Die Wellcome Collection verfügt über zwei Sonderausstellungsflächen, auf denen mehrmals im Jahr Sonderausstellungen gezeigt werden. Im Erdgeschoss der Wellcome Collection befindet sich die sogenannte Gallery 1, der erste von zwei Sonderausstellungsbereichen. Hier war vom 23. Februar bis zum 25. Juni 2017 die Sonderausstellung Electricity: The Spark of Life zu sehen. Die Ausstellung war ein Gemeinschaftsprojekt, das die Wellcome Collection gemeinsam mit dem niederländischen Teylers Museum in Haarlem43 und dem Museum of Science and Industry in Manchester44 realisiert hat. Electricity wurde als Wanderausstellung konzipiert, sodass sie in jedem der drei beteiligten Museen zu sehen war – an die jeweiligen räumlichen Gegebenheiten der einzelnen Museen angepasst. Die erste Station war die Londoner Wellcome Collection im Frühjahr 2017. Für die Recherchen zur Ausstellung wurde das Material genutzt, das in der Ausstellung in London und auf der Homepage der Wellcome Collection zur Verfügung stand. Von London aus ging die Electricity-Ausstellung in das niederländische Museum in Haarlem, dort wurde sie bis zum Spätsommer gezeigt. Endpunkt der Wanderung war das Museum of Science and Industry in Manchester, dort war die Ausstellung vom 18. Oktober 2018 bis 28. April 2019 zu sehen.45 Die Macher der Ausstellung wollten mit der Ausstellung die Geschichte der Elektrizität erzählen, die gleichermaßen die Geschichte des Lebens selbst ist: »From the structure of the atom to the functioning of our brains, this invisible yet vital force is intrinsic to human life.«46 43

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Das Teylers Museum ist ein Museum für Natur- und Technikgeschichte. Der Haarlemer Textilfabrikant und Bankier Pieter Teyler van der Hulst verfügte testamentarisch, dass sein Vermögen zur Förderung von Kunst und Wissenschaft eingesetzt werden sollte. 1784, sechs Jahre nach Teylers Tod eröffnete das Teylers Museum. Es gilt als das erste Museum der Niederlande. Es ist im Besitz des größten elektrostatischen Generators des 18. Jahrhunderts. Siehe auch https://www.teylersmuseum.nl/en/ [Zugriff 15.03.2018]. Das Museum of Science and Industry ist ein Museum für Naturwissenschaften, Technikund Industriegeschichte, insbesondere der Region Manchester. Es wurde 1983 auf einem ehemaligen Bahnhofsgebäude eröffnet und gehört seit 2012 zur Science Museum Group, zu der auch das Science Museum in London gehört. Siehe auch http:// msimanchester.org.uk/ [Zugriff 15.03.2018]. https://www.scienceandindustrymuseum.org.uk/what-was-on/electricity(Zugriff 08.11.2019). https://wellcomecollection.org/electricity[Zugriff 19.05.2017].

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In drei Themenschwerpunkten zeigten sie das Phänomen Elektrizität und spannten einen Bogen vom ersten Atemzug von Frankensteins Monster hin zum Elektrischen Stuhl – vom lebensspendenden also zum todbringenden Akt.47 Dabei wurde insbesondere herausgearbeitet, wie die Menschheit sich zu verschiedenen Zeiten bemüht hat, die unsichtbare Kraft Elektrizität zu ergründen, zu entschlüsseln und zu kontrollieren. Über die zusammengetragenen Ausstellungsstücke hinaus haben sich die drei Künstler John Gerrard, Bill Morrison und Camille Henrot eigens für die Ausstellung mit verschiedenen Aspekten von Elektrizität beschäftigt und ihre jeweilige Interpretation in verschiedene Installationen übersetzt, die in die Ausstellung integriert wurden. Nach Betreten der Sonderausstellung, die auf der Fläche im Erdgeschoss gezeigt wurde, gelangte der Besucher in eine Art Vorraum. Hier begann der erste Ausstellungsteil The Great Invisible. Entlang einer weißen Wand, in die horizontal fünf Vitrinen eingelassen wurden, wurde der Besucher für jede Vitrine anhand von einzelnen Ausstellungsstücken in das Thema Elektrizität eingestimmt. Beginnend mit den ersten vorwissenschaftlichen Auffassungen von Elektrizität wurde bis in die Epoche der Aufklärung hinein die Entwicklung und Veränderung des Wissens über Elektrizität nachgezeichnet. Erstes Ausstellungsstück war ein Frosch. Dieser war aus Bernstein, einem Material, anhand dessen die alten Griechen schon früh statische Elektrizität entdeckten: beim Reiben von Bernstein auf tierischem Fell entwickelten sich ad hoc Funken. Der Bernstein-Frosch in der Ausstellung war vermutlich aus dem Zeitraum zwischen 550 und 450 vor Christus.48 Den Endpunkt der hier dargestellten Entwicklung bildete als letztes Stück im Vorraum ein farbiger Holzstich von Charles H. Whymper aus dem 19. Jahrhundert, der The Aurora Borealis zeigte, das Polarlicht auf der Nordhalbkugel, das durch ein Zusammenspiel von elektrisch geladenen Teilen der Sonne und Molekülen aus der Erdatmosphäre entsteht. Dieses Phänomen wurde lange Zeit in Zusammenhang mit der »wonder-working power of the Divine Hand«49 gebracht, wohingegen man es später elektrischer Aktivität erklären konnte. Im nächsten Ausstellungsraum wurden die Wissenschaftler, 47 48

49

Vgl. https://wellcomecollection.org/electricity[Zugriff 19.05.2017]. Siehe Large print guide: Electricity. The Spark of Life. Die Texte zur Ausstellung kann man unter folgendem Link herunterladen: https://wellcomecollection.org/electricity [Zugriff 19.03.2018]. Ebd.

4. Die Wellcome Collection in London

die erfolgreich die Elektrizität beforscht haben, in den Mittelpunkt gerückt. So zum Beispiel Emil Du Bois-Reymond, der die Wirkung elektrischer Aale auf den tierischen und menschlichen Kreislauf untersucht und nachgewiesen hat. Vermittelt wurde dies in der Ausstellung unter anderem durch ein kurzes Lehrvideo, das eine Versuchsanordnung zeigte.50 In einem von diesem Ausstellungsraum abgetrennten Bereich fand sich die erste von drei künstlerischen Auseinandersetzungen mit Elektrizität: die Installation von John Gerrard51 . Er referierte mit seiner Kunst auf Experimente Luigi Galvanis, mit denen dieser im 18. Jahrhundert die Effekte von Elektrizität an amputierten Beinen toter Frösche untersuchte. Henry Wellcome hatte zu seiner Zeit sowohl die Laborausrüstung als auch die erste Ausgabe der veröffentlichten Ergebnisse Galvanis: De viribus electricitatis in motu musculari commentarius52 in seine Sammlung aufgenommen. Der zweite Themenschwerpunkt der Ausstellung wurde mit Supply: Wiring the World überschrieben. Hier wurde der Einfluss der Elektrizität auf die moderne Welt dar- und ihre besondere Bedeutung herausgestellt. Die Präsentationen und Erläuterungen reichten vom magnetischen Feld über transatlantische Telegraphen- und Stromkabel hin zum kompletten Stromnetz, das schließlich einen ganzen Stadtteil mit Licht versorgen kann. Der Titel des letzten Ausstellungsteils Consumption: The Silent Servant war sprechend. Nachdem im 19. Jahrhundert grundsätzlich eine Infrastruktur geschaffen wurde, die es ermöglichte, großflächig Elektrizität zu verteilen, nutzte man diese Anfang des 20. Jahrhunderts dazu, um der Allgemeinheit, den einzelnen Haushalten, Zugang zu Elektrizität zu gewährleisten. Mit den stillen elektrischen Dienern, wurde so erreicht, dass mit Elektrizität gekocht und geheizt werden konnte. Besonders eindrucksvoll ist in diesem Zusammenhang vermutlich das Konzept des All-Electric House, dem in diesem Teil der Ausstellung mehrere Ausstellungsstücke gewidmet wurden, darunter zum einen eine Filmsequenz eines Stummfilms von 1922 mit Buster Keaton, in dem die möglichen unerfreulichen Folgen elektrischer Verbesserungen 50

51

52

In der Dauerausstellung des Berliner Medizinhistorischen Museums der Charité werden die Versuche Emil du Bois-Reymonds mit Elektrizität in der Ausstellungeinheit Vom Kraftwerk zum Genom thematisiert. Siehe Kapitel 3.1.1. Auf der Homepage zum Projekt von John Gerrard finden sich weitere Informationen, vor allem aber Bilder und Filme. www.johngerrard.net/x-laevis-spacelab-2017.html [Zugriff 20.03.2018]. Galvani, Luigi: De viribus electricitatis in motu musculari commentarius, Bologna: Ex typographia Instituti Scientiarum 1791.

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im Haushalt gezeigt werden, und zum anderen ein Geschirrhandtuch, das die 1924 gegründete Electrical Association for Women (EAW) produzieren ließ, um Frauen über Elektrizität aufzuklären und sie zu ermuntern, elektrische Geräte zu nutzen. Eines dieser Geschirrhandtücher erläuterte beispielsweise durch eine Abfolge kleinerer Bilder, wie man eine Sicherung wechselt. Das letzte Objekt in der Ausstellung gab einen Ausblick auf zukünftige Entwicklungen in der Nutzung von Elektrizität. Gezeigt wurde ein Modell der Stadt Masdar City in Abu Dhabi. Das britische Architekturbüro Foster + Partners erarbeitete ein Konzept der Entwicklung von Masdar City, einer Stadt, die mit erneuerbaren Energien zur weltweit nachhaltigsten Ökostadt werden soll. In Anbetracht der Grenzen der natürlichen Ressourcen, die sich erahnen lassen, sind das eine Entwicklung von hoher gesellschaftlicher Relevanz und ein Fingerzeig auf die Verantwortung, die jeder bei der Nutzung von Elektrizität trägt. Das Modell, das in der Ausstellung gezeigt wurde, war von 2008 und markierte nur einen Zwischenstand der Überlegungen. 2014 wurde das Projekt fertiggestellt.53

4.1.4

Das Depot

Die Sammlung Henry Wellcomes, aus der die Wellcome Collection heraus entstanden ist, hat nach dem Tode Wellcomes eine wechselvolle Geschichte hinter sich. Nachdem ein Großteil der circa eine Million Objekte, die zusammengetragen wurden, von Wellcome oder seinen Angestellten angekauft und dann in Kartons gepackt, nach London transportiert, dort abgestellt und dann den Kartons nicht mehr entnommen wurden – beispielsweise um sie zu katalogisieren –, wurde die Sammlung in den Jahren zwischen 1970 und 1980 aufgeteilt und an verschiedene nationale und internationale Museen verschenkt. In diesem Zusammenhang gingen circa 117.000 Objekte als Dauerleihgabe in den Bestand des Londoner Science Museum über. Es handelt sich in der Hauptsache um 3D-Objekte mit medizinhistorischem Hintergrund. Dies ist der Teil zum Verbleib der Wellcome Collection im Science Museum, den man in verschiedenen Aufsätzen nachlesen kann.54 Um detailliertere An53 54

Einen Eindruck kann man auf der Homepage zum Projekt gewinnen: https://www. fosterandpartners.com/projects/masdar-city/[Zugriff 19.03.2018]. Der ausführlichste Artikel darüber stammt von Georgina Russell, die den Umgang mit der Sammlung nach Wellcomes Tod und die »Zerstreuung« einzelner Sammlungen

4. Die Wellcome Collection in London

gaben zum Depot des Science Museums zu erhalten, kann man sich per Mail über an einen Collections Administrator and Access Coordinator wenden, der zu spezifischen Fragen zur Depot-Situation des Hauses aber nur bedingt auskunftsfähig war. Detailliertere Nachfragen wurden aus Kapazitätsgründen nicht beantwortet, ein persönliches Gespräch wurde aus den gleichen Gründen abgelehnt. Die Informationslage zum Depot ist darum recht spärlich und beschränkt sich auf die Antworten, die ich über die Anfrage beim Science Museum erhalten habe, und die Fragen, die James Peto von der Wellcome Collection dazu beantworten konnte. Die Objekte aus der Wellcome Collection werden gemeinsam mit den Sammlungen des Science Museums im Londoner Stadtteil West Kensington, im sogenannten Blythe House, deponiert und restauratorisch betreut. Sie wurden dem eigenen Bestand des Science Museums hinzugefügt und gingen in den medizinischen Sammlungen des Hauses auf. Andere Sammlungsbereiche, James Peto benennt einen Raum mit »mostly Asian material, which is I think [James Peto, S.K.] almost exclusively Henry Wellcome’s stuff«,55 bestehen ausschließlich aus Objekten aus der Wellcome Collection, da das Science Museum hierzu vorher noch nicht gesammelt hatte. Das Science Museum verfügt über ein sogenanntes Conservation and Collections Care department, das seine Räumlichkeiten im Blythe House hat und sowohl präventiv als auch interventiv mit den Objekten arbeitet.56 Für die konkrete Forschung direkt an Objekten aus den Sammlungen des Science Museums, bei denen es aus konservatorischen Gründen nicht bedenklich ist, werden »researcher appointments«57 angeboten. Diese müssen allerdings mit ausreichend Vorlauf angefragt werden. Die Bilddatendatenbank des Science Museums Search our collection und auch die der Wellcome Collection Wellcome Images ermöglichen aber auch unabhängig davon eine Objektrecherche. Zum Großteil der Objekte finden sich zumindest basale Angaben und Hintergrundinformationen.

55 56 57

im Zeitraum zwischen 1936 und 1983 darstellt. Siehe Russell: The Wellcome Historical Medical Museum’s dispersal (Anm. 8). Gespräch mit James Peto (Anm. 40). Auskunft Natasha Logan, Science Museum London. Auskunft Natasha Logan, Science Museum London.

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4.2

Der repräsentative Zusammenhang der Dinge

Auch in der Wellcome Collection werden am Beispiel ausgewählter Objekte die drei musealen Realisierungsformen darauf geprüft, inwiefern sie die Produktion und den Transfer eines spezifischen Wissens herausfordern und unterstützen. Hierzu wird jeweils die Spezifik der jeweiligen Form – Dauerausstellung, Sonderausstellung und Depot – berücksichtigt und mit der konkreten Realisierung im Ausstellungsraum abgeglichen. Eine Besonderheit ist die räumliche und thematische Zweiteilung der Dauerausstellung, die es zu berücksichtigen gilt.

4.2.1

In der Dauerausstellung Medicine Now: The Library of the Human Genom

Das Objekt, das aus der Medicine Now-Ausstellung ausgewählt wurde, befand sich gleich im Eingangsbereich der Dauerausstellung. Es war auf mehrere Arten beeindruckend: Es handelt sich dabei um eines von zwei weißen Regalen im Eingangsbereich der Ausstellung, die vom Boden bis zur Decke reichten, also schon durch ihre Größe Aufmerksamkeit erregten (vgl. Abb. 11). Dieses Regal war im Gegensatz zu dem, das links neben ihm stand, fast vollständig gefüllt (vgl. Abb. 13). Es wirkte durch seine Uniformität. Wenn man die Dauerausstellung das erste Mal betrat – und um die Beschreibung dieser Erfahrung geht es im Folgenden – ließ sich auf den ersten Blick nicht genau erkennen, womit es gefüllt war, da man nur die Rückseiten der Dinge sah, und diese alle gleich gestaltet waren: weiß, mit schwarzer Schrift. Es hätte sich um Bücher, Ordner oder auch Zeitschriftensammler handeln können, die man hier von hinten sieht. Das Regal stand rechts neben einer Aufhängung, die das Themengebiet, dem es zugeordnet war, benannte: Genomes. Hatte man den erklärenden Text zu diesem Teil der Ausstellung gelesen, war klar, dass diese Aufhängung den Teilbereich der Ausstellung benannte, in dem man sich geradebefindet: Genomes. Hatte man den einleitenden Text nicht gelesen, erschloss sich dies erst im Verlauf der Ausstellung, wenn man alle Themengebiete einmal durchschritten und verstanden hat, dass die Ausstellung in thematische Schwerpunkte unterteilt ist. Im Einführungstext zu diesem Bereich stand, dass der Bereich Genomes »looks at the scientific study of DNA (the ›chemical code of life‹), as well as

4. Die Wellcome Collection in London

Abbildung 13: Medicine Now: The Library of the Human Genome

Foto: Stefanie Kohl

its social and cultural significance«. Dementsprechend hatten auch das Regal und sein Inhalt etwas damit zu tun. Die Rücken der Objekte im Regal waren durchgängig beschriftet mit Zahlen von 1 bis 22 und den Buchstaben X oder Y. Mehrere Rücken nacheinander trugen die Ziffer 1, darauf folgten einige Rücken, die mit 2 beschriftet waren und so weiter bis zur 22. Die letzten neun Rücken im untersten Regalteil waren dann anteilig mit den Buchstaben X und X beschriftet.

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Man konnte darüber hinaus beim Herantreten an das Regal erkennen, dass sich über den Zahlen bzw. Buchstaben eine kurze Schrift befand: Dort stand: The Human Genom. Dies war ein weiterer Hinweis, um herauszufinden, was hier ins Regal gestellt und ausgestellt wurde. Im unteren Drittel des Regals wurde ein Teil ausgespart, der nicht gefüllt war. Hier wurde Platz gelassen, um Elemente aus dem Regal herausziehen, ablegen und öffnen zu können, um nachzuschauen, was sich darin befindet. Dabei stellte sich heraus, dass es sich im Regal um Bücher handelte – insgesamt 118 Stück. Schlug man eines dieser Bücher auf, so entdeckte man, dass sowohl die linke als auch die rechte Seite vollständig mit Buchstaben gefüllt war: Vom oberen bis zum unteren Seitenrand waren scheinbar wahllos, ohne erkennbares Muster die Buchstaben A, G, T, C und n aneinandergereiht. Und das auf jeder einzelnen Seite dieses Buches und jedes weiteren, das man aus dem Regal hätte ziehen und aufschlagen können – unabhängig davon, ob es rückseitig mit einer Zahl oder einem Buchstaben beschriftet war. Mit dem Grundwissen, das man im Biologieunterricht in der Schule erlangt, wurde schnell klar, dass die Buchstaben a, g, t und c die vier Bausteine Adenin, Guanin, Thymin und Cytosin bezeichneten, aus denen sich die DNA zusammensetzt. Der Objekttext, der auf der linken Seite der Ablagefläche angebracht war, erklärte dies: »The letters represent the four chemical building blocks of DNA that make up the ›recipe‹ to build and operate a person.«58 Die Zahlen von 1 bis 22 auf dem Buchrücken bezeichneten die Chromosomen, die Buchstaben X und Y die Geschlechtschromosomen. Darüber hinaus offerierte der Text eine Bezeichnung für das Regal, Library of the Human Genome und erläuterte diesen zugleich. In den 118 Büchern war fast vollständig eine Kopie der menschlichen genetischen Sequenz »niedergeschrieben«. Der fünfte Buchstabe, n, der sich vereinzelt auf den Seiten finden ließ, bezeichnete die Strukturen oder Sequenzen, die bislang noch nicht entschlüsselt werden konnten. Die Library of the Human Genome ist die Druckfassung des Ergebnisses eines Projektes, das Anfang 1990 gestartet wurde: dem Human Genome Projekt 59 , 58 59

Auszug aus Objekttext. Allgemeine und detailliertere Informationen zum Human Genome Projekt findet sich auf dessen Internetseite. Im Projektzeitraum zwischen 1990 und 2003 diente die Internetseite als elektronische Informationsquelle für Forscher und Wissenschaftler. Seit dem Ende des Projekts in 2003 dient sie als einzigartiges Archiv, das den Verlauf des Projektes nachvollziehbar macht. Siehe http://web.ornl.gov/sci/ techresources/Human_Genome/index.shtml[Zugriff 12.01.2018].

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kurz HGP. Im Rahmen dieses Vorhabens arbeiteten verschiedene Genomforscher unterschiedlicher Nationalitäten zusammen, mit dem Ziel, die genetischen Informationen des Menschen zu identifizieren, zu kartieren und für weitere Studien zugänglich zu machen. Ein Großteil der Sequenzierungsarbeit – also die Bestimmung der genauen Abfolge der Bausteine – leisteten Forscher aus den USA und Großbritannien – das britische Labor am Sanger Centre in Cambridgeshire wurde durch den Wellcome Trust finanziert –, es waren aber auch Forscher aus China, Deutschland, Frankreich und Japan beteiligt. Als das Projekt 2003 beendet wurde, war die Abfolge von über 3 Milliarden Nukleotide der menschlichen DNA weitestgehend identifiziert. In Folgeprojekten wird seitdem daran gearbeitet, die gewonnenen Informationen fruchtbar zu machen, um sie als Grundlage für weitere Forschungen nutzen zu können: etwa um potenzielle Krankheitsrisiken frühzeitig erkennen und behandeln zu können.60 Anlässlich der Eröffnung der Wellcome Collection 2007 wurde den Verantwortlichen eine Druckfassung des menschlichen Genoms übergeben, die bis zur Erneuerung der Dauerausstellung in der Medicine Now-Ausstellung in 118 Büchern, mit mehr als 3 Milliarden Zeichen als Library of the Human Genome verfügbar war. Der unmittelbare Nutzen dessen war allerdings relativ gering. In einem Einführungsvideo zur Genetik, das die Wellcome Collection auf ihrer Homepage zur Verfügung gestellt hatte, wurde es auf den Punkt gebracht. Diese 118 Bücher bieten »a dictionary for a language that nobody could speak«61 . Sie übersetzen die Nukleotide der menschlichen DNA in eine Buchstabenfolge – mit der darüber hinaus zunächst nicht viel anzufangen ist. Trotzdem war das Regal und vor allem das, was sich darin befand, ein großer Anziehungspunkt: Es ließen sich hier regelmäßig in die »Lektüre« der Bücher vertiefte Besucher entdecken. Und das obwohl man konstatieren musste, [n]o one can read these really. Even top end scientists would struggle to really identify anything they fully understood in here. But every single person who comes up to this will still idly flick through the pages, reading these letters, as if they might glean some information.62 60 61 62

Siehe: Das Humangenomprojekt, abgerufen auf www.ngfn.de/index.php/article_228/verstehen_der_menschlichen_erbsubstanz.html [Zugriff 12.01.2018]. Vgl. https://wellcomecollection.org/files/human-genome-books[Zugriff 20.03.2018]. https://wellcomecollection.org/articles/WcvK4CsAANQR59Up[Zugriff 12.01.2018].

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Es stellt sich also die Frage, was das Regal geleistet hat, über die Möglichkeit hinaus, einen Blick in das aufgeschlüsselte Erbgut des Menschen werfen zu können. Welche Funktion hat das Regal in der Ausstellung übernommen? Mit dieser Frage gerät die besondere Präsentationsform in den Blick, die hier im Bereich Genomes gewählt wurde. Für die Erneuerung der Ausstellung hat man sich – obwohl auch Being Human mit dem Bereich Genetics beginnt – gegen ein ähnlich starkes Ausstellungsobjekt entschieden. Das erste, was man von der Ausstellung wahrnimmt, ist die Rückwand einer Holzverkleidung. Auf einem Absatz ist in orangefarbenen, illuminierten Lettern der Titel der Ausstellung aufgestellt. So wird auf eine andere Art als zuvor, aber erneut visuell Aufmerksamkeit erzeugt. Über das Visuelle funktionierte auch das Ausstellungsmöbel Regal: es wirkte über seine Farbe, vor allem aber über seine Größe. Noch bevor man als Besucher wusste, in welchem konkreten Zusammenhang es in der Medicine Now-Ausstellung steht, welchen Zweck es hier erfüllt und was sich darin befindet, ergaben sich über die Form schon erste Assoziationen in Richtung Funktion. Es war klar als Regal zu identifizieren, das im Allgemeinen ein funktionelles Möbelstück ist, das der Aufbewahrung von Dingen dient und zu diesem Zweck unterschiedlich genutzt werden kann. Im musealen Kontext haben Regale eine lange Tradition, sie wurden schon frühzeitig für die spezifischen Bedürfnisse des Ausstellens genutzt. Zu denken ist dabei zuallererst an die Kunst- und Wunderkammern der Renaissance, die den Setzkasten nutzen, um verschiedenste Kuriositäten gleichrangig nebeneinander auszustellen. Diese Funktion des Regals wurde beispielsweise auch in der Berliner WeltWissen-Ausstellung genutzt, in der das Setzkasten-Regal sich über den gesamten Lichthof des Martin Gropius-Baus erstreckte.63 Auch im 2014 neu eröffneten Staatlichen Museum für Archäologie in Chemnitz (kurz: SMAC) findet sich auf der dritten Etage des Hauses eine Konstruktion, die das Setzkasten-Motiv aufgreift und dort Alltagsobjekte aus einer spezifischen Epoche ausstellt.64 63 64

Vgl. www.weltwissen-berlin.de/index.php/regal.html [Zugriff 13.01.2018]. Die Dauerausstellung des SMAC erstreckt sich über drei Ebenen, die thematisch nach kulturgeschichtlichen Epochen organisiert sind. 40 Meter lange Panoramen präsentieren mithilfe von Objekten die entsprechende Lebenswelt der Menschen in der jeweiligen Epoche. Auf der dritten Etage wird dies durch eine sogenannte Vitrinenwand mit Alltagsobjekten realisiert. Diese Vitrinenwand erinnert optisch an

4. Die Wellcome Collection in London

Regale haben aber auch eine ordnende Funktion, durch die Gleichmäßigkeit der Regalfächer ermöglichen sie es, systematische Ordnungen dort unterzubringen. Dies prädestiniert Regale dazu, in Institutionen genutzt zu werden, zu denen Ordnung als Grundprinzip dazugehört: wie Archive oder auch öffentlichen Bibliotheken. Damit ist der Bogen gespannt von der Form des Regals zum Titel, den es in der Medicine Now-Ausstellung trug: The Library of the Human Genome. In öffentlichen Bibliotheken werden unter Zuhilfenahme von Regalen Bücher zur Verfügung gestellt, die zuvor zusammengetragen wurden und nun vom Bibliothekar im Regal in einer gewissen Ordnung aufbewahrt und präsentiert werden. Die Bezeichnung Library, also Bibliothek, ist hier wörtlich zu nehmen. So wie eine Bücherei eine Sammlung von Büchern ist, waren auch die in der Londoner Ausstellung zu Beginn der Medicine NowAusstellung ins weiße Regal gestellten 118 Bücher eine Sammlung – eine, die sich mit dem menschlichen Genom beschäftigt. In einer öffentlichen Bibliothek werden dem Benutzer im Allgemeinen spezifische Informationen vorrätig gehalten und zur Verfügung gestellt – größtenteils über Bücher, aber auch andere Medien, wie Film und Ton sind möglich. Im gewählten Beispiel wurden dem Besucher, der an dieser Stelle etwas über das menschliche Genom erfahren sollte, die Informationen mittels der ins Regal gestellten Bücher zur Verfügung gestellt. Der Besucher der Ausstellung wurde von einem Moment zum nächsten zum Benutzer dieser Bibliothek, nämlich im Falle dessen, dass er eines der Bücher aus dem Regal gezogen, es aufgeschlagen und gesehen hat, was auf den Seiten festgehalten war. Das was der Benutzer der Genom-Bibliothek dort lesen konnte, war jedoch auf das Wesentliche reduziert zunächst einmal nur eine Aneinanderreihung von verschiedenen Buchstaben in ständig wechselnder Reihenfolge. Dies erstreckte sich über viele Bücher mit vielen Seiten – schien also doch auf eine Art komplex zu sein. Der Erkenntnisgewinn konnte darum nicht in der detaillierten Entschlüsselung dessen liegen, was der Besucher dort gelesen hat, sondern lag darin zu erfahren, was genau dort aufgeschlüsselt ist: das menschliche Erbgut. Das Regal mit seinen 118 Büchern, in denen mehrere tausend Seiten mit fünf Buchstaben gefüllt war, stand damit stellvertretend für die Information, die hier vermittelt/übersetzt worden ist: der Bauanleitung für das menschliche Individuum und gleichermaßen auch für den Kontext, in einen Setzkasten. Siehe: https://www.smac.sachsen.de/dauerausstellung-highlights. html[Zugriff 16.01.2018].

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dem diese Anleitung entstanden ist, das Human Genome Project. Beides hatte riesige Ausmaße. Das Regal war die metaphorische Übersetzung dieser Anleitung, es machte als ein Bild den Umfang der geleisteten Arbeit und die Komplexität der Information sichtbar. Metaphern scheinen eine Möglichkeit zu sein, etwas hochgradig Anspruchsvolles und Komplexes auf etwas zu komprimieren, das in einer Ausstellung gezeigt werden kann, die sich explizit nicht an ein Fachpublikum richtet: es gewissermaßen in einem Bild zusammenzufassen. Die dem Vorgehen zu Beginn der Medicine Now-Ausstellung zugrundeliegende Präsentationsform kann darum auch als Raumbild beschrieben und benannt werden. Dabei meint Bild nicht die sinnlich wahrgenommene Gesamterscheinung eines Raumes, einen optischen Raumeindruck, der in etwa vergleichbar ist mit einer fotografischen Aufnahme. Vielmehr ist das Raumbild das Endprodukt der Übersetzung eines konkreten Themas, eines Inhalts in ein Bild. In diesem Fall die Komplexität des menschlichen Erbgutes in eine Bibliothek. Der Raum, den das Regal in der Ausstellung ausfüllte, wurde zum Bild. Die an das Bild grenzenden anderen Objekte, die von der Gestaltung des Regals abwichen, bildeten im metaphorischen Sinn den Rahmen des Bildes. In der konkreten Ausstellung war das weiße Regal zu Beginn der Ausstellung vom Gesamt der Ausstellung dadurch abgesetzt, dass es vor einem roten Hintergrund stand: Hinter dem Genomes-Regal befand sich der erste Art Cube, dessen Außenwände in kräftigem Rot gestaltet waren. Als effektivste Elemente werden im Kontext des Raumbildes szenische Nachbauten verstanden. Diese Art der Inszenierung, die einem realen Vorbild nachempfunden ist, provoziert das räumliche Vorstellungsvermögen eines Betrachters und fördert damit beim Ausstellungsbesucher das Erzeugen lokaler, temporaler und kontextueller Beziehungen. Beispielsweise wenn in einer Ausstellung zu Schülerbriefen oder auch Spickzettel65 mittels speziell angefertigter Tischvitrinen und einer Kreidetafel die Atmosphäre eines schulischen Klassenraums nachempfunden wird. Szenische Inszenierungen machen die abstrakten Vorstellungen schwer fassbarer Informationen konkret, etwa dadurch, dass man sich in der Genom-Bibliothek wie auch in einer regulären Bibliothek zu einem Thema informieren und belesen kann und sich 65

Siehe die Wanderausstellungen Willst du mit mir gehen? – Botschaften unter der Schulbank und Bloß nicht erwischen lassen! Spickzettel – die verborgene Seite der Schule des Schulmuseums Erlangen. www.schulmuseum.uni-erlangen.de/aktuelle-ausstellungen/ [Zugriff 17.01.2018].

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hier wie dort gleich verhalten muss: Regal aufsuchen, geeignetes Buch identifizieren, aus dem Regal nehmen, aufschlagen und lesen. Für die Betrachtung von Raumbildern kann erneut die WeltWissenAusstellung als Beispiel herangezogen werden. Sie war in zwei Rundgänge geteilt, die unterschiedlich funktionierten. Zum einen gab es einen chronologischen Rundgang vom Beginn der Berliner Wissenschaft bis in deren Gegenwart in 2010 entlang einer temporalen Ordnung, die durch die sogenannten Etappenräume umgesetzt wurde. Im Gegensatz dazu gab es zum anderen einen thematischen Rundgang, den der Besucher auf Wissenswegen abgeschritten ist. In diesem Teil der Ausstellung wurde die Präsentationsform des Raumbildes mehrfach genutzt wurde, mit je verschiedenen Intentionen. Die Wissenswege thematisierten die Arten und Methoden der Genese von Wissen und die Wege dorthin anhand der konkreten Berliner Wissenschaftsgeschichte. Es wurden in elf verschiedenen Räumen Metaphern, typische Charakteristika und die Spezifik der Wege zum Wissen thematisiert und gestalterisch in ein Bild umgesetzt, das als Raumbild bezeichnet werden kann. Die Präsentationsform Raumbild lässt spezifische Arten der Bedeutungszuschreibung zu. Wie im Kapitel zur Kultursemiotik bereits dargestellt66 , hat Jana Scholze die These, dass ein Zusammenhang besteht zwischen Bedeutungszuschreibung und Präsentationsform, weiterentwickelt. Sie sieht die Einschränkung der Bedeutungsentwicklung durch die Präsentation als Möglichkeit, die Interpretation der Ausstellungskonzeption zu leiten: Grundsätzlich ist jede Ausstellungskonzeption ein Versuch der Begrenzung und Ordnung von Bedeutungen mittels mehr oder weniger konkreten Codierungen; und jede Ausstellungsgestaltung ist die Konkretisierung dieser Codierungen im Raum.67 Das setzt das Einverständnis darüber voraus, dass durch die Präsentation der natürliche Prozess der Decodierung und Zuschreibung von Bedeutung an ein Exponat angeleitet werden kann – was mit semiotischem Instrumentarium zu untersuchen ist. 66 67

Siehe Kapitel 2.1.3. Scholze, Jana: Medium Ausstellung. Lektüren musealer Gestaltung in Oxford, Leipzig, Amsterdam und Berlin, Bielefeld: transcript 2004 (Kultur- und Museumsmanagement), S. 267.

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Innerhalb des Kontexts der Ausstellung basiert die Codierung als Zuschreibung von Wert und Sinn und damit auch von Bedeutung an ein Exponat auf drei verschiedenen Aspekten, Jana Scholze nennt sie Mitteilungen. Anhand von ausgewählten Objekten und Präsentationsformen sollen im Folgenden die drei Formen von Mitteilungen untersucht werden. Die erste Mitteilung bezieht sich auf das Objekt an sich, auf seine rein funktionelle Bedeutung. Dieser Aspekt des Regals wurde bereits oben im Rahmen der Darstellung der Objektgeschichte erläutert. Die Hauptfunktion eines und dieses Regals liegt in der Ordnung und Präsentation. Anders als es bei anderen Objekten in der Medicine Now-Ausstellung der Fall war, konnte sich die Denotation hier nicht auf eine ursprüngliche Funktion des Regals beziehen, auf eine Funktion, die es in einem vorherigen Kontext – bevor es in der Medicine Now-Ausstellung aufgestellt wurde – hatte. Die Library of the Human Genomes wurde in dieser Form eigens für die Ausstellung in der Wellcome Collection entwickelt. Im Vergleich zur Denotation lassen sich weitaus mehr Beobachtungen zur Konnotation vortragen. Überlegungen, ob und in inwiefern die Objekt- und Raumarrangements, also andere Ausstellungselemente und die Präsentation spezifisch zur Einbettung in den Ausstellungskontext beitragen und damit zur Vermittlung und Generierung von Wissen dienen können, sind weitaus ergiebiger. Dort wo das Regal platziert war – zu Beginn der Ausstellung – war es von verhältnismäßig wenig Objekten umgeben: Frontal betrachtet, befand sich links von ihm eine halbhohe Vitrine, die sich dem Thema Klonen widmete, auf der rechten Seite der Library of the Human Genomes war eine Figur platziert (ebenfalls halbhoch), die den Titel Jelly Baby 3 trug. Eine Aufhängung links neben dem Regal zeigte das Themenfeld an, in das sich Regal und beide Ausstellungsobjekte einordnen ließen: Genomes. Diese Aufhängung erfüllte zwei Funktionen: Zum einen diente sie als eine Art Leitsystem für den Besucher, an dem er sich orientieren konnte, welche thematischen Bereiche es insgesamt gibt und in welchem dieser Bereiche der Ausstellung er sich gerade befindet. Dies war möglich, da sowohl auf der Vorder- als auch auf der Rückseite der Titel zu lesen war. Blickte der Besucher also von vorne über die gesamte Ausstellung, sah er die thematischen Bereiche, die noch vor ihm liegen. Blickte der Besucher etwa von der Mitte der Ausstellung oder vom Ende der Ausstellung auf den Anfang zurück, konnte er ebenfalls anhand der Aufhängungen nachvollziehen, welche thematischen Bereiche er durchschritten

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hatte und welche gegebenenfalls in der anderen Blickrichtung noch vor ihm lagen. In ihrer zweiten Funktion ordnete die Aufhängung mit dem Titel Genomes in diesem Ausstellungsbereich alle Objekte in unmittelbarer Nähe diesem Themengebiet zu, sie bot eine thematische Klammer. Dies funktionierte für die Vitrine und die Kunstfigur, die links und rechts neben dem Regal standen, vermutlich problemlos, da die Zuordnung zu Genomes durch die räumliche Nähe der Ausstellungsteile zur titelgebenden Aufhängung unproblematisch erscheint. Durch die lineare Anordnung Aufhängung Genomes – thematische Vitrine »Klonen« – Regal »Library of the Human Genomes« – Figur »Jelly Baby 3« war eine eindeutige Zuordnung aller Elemente zueinander angezeigt. Es war in der Medicine Now-Ausstellung nicht notwendig und ist es auch nicht in Being Human, die präsentierten Objekte in einer bestimmten Reihenfolge abzulaufen, um die Ausstellung zu verstehen. Beiden Ausstellungen liegt keine lineare Narration zugrunde, der man von Anfang bis Ende folgen müsste. Darum ist das Funktionieren der Ausstellung auch nicht vom Leitsystem abhängig. Nach der Umgestaltung wählte man ein weniger offensichtliches Leitsystem über Texttafeln, die über die Ausstellung verteilt sind und Raumtexten ähnlich funktionieren – auch wenn die Ausstellungsfläche insgesamt nicht in sichtbare Einzelräume unterteilt ist, sondern der Besucher sich frei zwischen den Ausstellungsobjekten und thematischen Bereichen bewegen kann. In den Kontext Genomes und damit in den Kontext des Regals sind auch die weiteren in der Ausstellung vorhandenen Objekte zu diesem Thema einzubeziehen. Direkt hinter dem Regal befand sich der erste von drei Art Cubes, in dem Collagen und Installationen für die künstlerische Auseinandersetzung mit der Gen-Thematik standen. Diese künstlerischen Arbeiten befanden sich räumlich in der Nähe zum Regal, gehörten thematisch zu ihm, waren allerdings durch die Seitenwand des Art Cubes von ihm getrennt. Dass sich dadurch ein neuer thematischer Abschnitt in der Ausstellung ergeben haben könnte, kann ausgeschlossen werden, da sich die nächste Aufhängung, die ein neues medizinisches Thema »eröffnet«, erst wieder im Mittelgang über einer Tischvitrine befand. Diese Trennung der Ausstellungselemente durch den Art Cube kann vielmehr als ein Raumarrangement gedeutet werden, das eine Trennung von Objektklassen anzeigte. Grob generalisiert, wurde so Kunst von Nicht-Kunst getrennt. Die Objekte, die sich im Art Cube befanden, waren Ergebnis verschiedener künstlerischer Prozesse der Auseinandersetzung mit Genetik. So etwa

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auch der Digitaldruck von Andrea Duncan, der mit dem Titel Twenty Three Pairs überschrieben war. Der Druck befand sich hinter Glas und war an der rechten Seitenwand des Art Cubes befestigt. Die Künstlerin Andrea Duncan zeigte auf schwarzem Hintergrund 23 Sockenpaare, die so arrangiert waren, dass sie an die schematische Darstellung von Chromosomenpaaren erinnerten. Die Nummerierung unter den einzelnen Paaren komplettierte die Darstellung, sodass das, was auf dem Druck dargestellt war, insgesamt an ein Karyogramm, also eine geordnete Darstellung aller Chromosomen in einer Zelle, erinnerte. Der Objekttext, der sich links neben dem Druck befand, thematisierte und erläuterte die thematischen Bezüge. Anders als der Digitaldruck, der als Ergebnis der subjektiven Wahrnehmung einer Künstlerin die Chromosomenstruktur zeigte, resultierte das, was sich im Regal in der sogenannten Library of the Human Genomes befand, aus der mehrjährigen intensiven wissenschaftlichen Beschäftigung mit dem Aufbau des menschlichen Erbgutes. Auch hier fand eine Auseinandersetzung mit den 23 menschlichen Chromosomenpaaren statt, allerdings wissenschaftlich fundiert. Das, was sich im Regal befand, die Ausdrucke der aufgeschlüsselten Chromosomen, ihr Arrangement in 23 Ordnern in Form einer Bibliothek, waren eine weitere Übersetzungsleistung, museologische Praxis, die über ein Raumbild versuchte, die enthaltenen Informationen so aufzubereiten, dass der Ausstellungsbesucher ohne spezifische Vorkenntnisse in der Lage ist, sie zu erfassen. Beide Objekte setzten sich mit Genetik auseinander und thematisierten zwar deren Grundlage, unterschieden sich jedoch in ihrem Zugriff. Der Medicine Now-Ausstellung zwei verschiedene Perspektiven auf die medizinische Wissenschaft zu geben, war eine grundlegende konzeptionelle Entscheidung der Verantwortlichen der Wellcome Collection, die bereits am Anfang der Überlegungen zur Gestaltung der Sonderausstellungen getroffen wurde. Diese Entscheidung fällt unter den Aspekt Metakommunikation, den Jana Scholze als die dritte ihrer Mitteilungen definiert hat. Diese Form der Mitteilung umfasst insbesondere die Intentionen, Philosophien und Ethiken der Ausstellungsmacher beziehungsweise des Museums.68 Dass es einen Ausstellungsbereich zur Biographie Henry Wellcomes und zur Geschichte der Sammlung geben muss, liegt nahe. Und mit einer Ausstellung, die Ken Arnold Anfang der 2000er Jahre für das British Museum in London konzipiert hat und die genau diesen Zweck verfolgte, gab es bereits etwas, auf das man bei der Gestaltung der Wellcome Collection zugreifen 68

Vgl. Scholze, Jana: Medium Ausstellung (Anm. 67), S. 30.

4. Die Wellcome Collection in London

konnte. Die Medicine Man-Ausstellung – darauf wird an entsprechender Stelle detaillierter eingegangen – ist in ihrer grundlegenden Ausrichtung als eine Art Kuriositätenkabinett aus dieser Ausstellung im British Museum heraus entwickelt worden. In der Wellcome Collection sind jedoch bei gleicher Konzeption weniger Objekte in anderen Vitrinen zu sehen. Der zweite Teil der Dauerausstellung sollte sich vom ersten deutlich absetzen. Zunächst einmal thematisch: Unabhängig von Biographien und historischen Fakten wurden vier Themen formuliert, von denen man annahm, dass sie die Medizin (und die öffentliche Wahrnehmung von Medizin) zum Zeitpunkt der Erarbeitung der Ausstellung beschäftigen: Genetik, Fettleibigkeit, der Körper und das Dasein als Patient. Entlang dieser Themen wurde ein Ausstellungskonzept erarbeitet, bei dem ein deutlicher Unterschied zur Medicine Man-Ausstellung sichtbar wurde: [T]he idea was that, to have a kind of contrast between our kind of cabinet of curiosities of the museum, to find a space and then a more contemporary space than Medicine Man […] to feel more contemporary.69 Dieser Kontrast lässt sich einerseits anhand der Objekte in der Ausstellung zeigen, andererseits anhand der Wahl der gestalterischen Mittel. Um möglichst den Geist der Zeit einzufangen, die medizinische Gegenwart in die Dauerausstellung der Wellcome Collection zu integrieren, wählten die Verantwortlichen das Mittel der Kunst. Collagen, Installationen und Objekte von zeitgenössischen Künstlern, die sich mit den medizinischen Phänomenen der Gegenwart und ihren Auswirkungen auseinandersetzen, wurden in der Ausstellung platziert – und dazu Objekte, die man traditionell in einer Ausstellung erwarten würde: Modelle, Geräte und Ähnliches. Die Intention dahinter ist die gleiche wie in allen anderen Ausstellungen, Sonder- und Dauerausstellungen, des Hauses. Gefragt nach den generellen Richtlinien, nach denen die Ausstellungen in der Wellcome Collection konzipiert werden, beschreibt James Peto sie folgendermaßen: [T]he principles and the way that we worked in exhibitions I think were that we didn’t want to be didactic. […] We thought that that wasn’t our role, partly because the Science Museum and lots of other places […] do that very well. […] We’re more looking for objects that reflects the subject well or looking 69

Gespräch mit James Peto (Anm. 40).

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for artists who we think might have an interesting perspective on the subject that we looking at.70 Über die verschiedenen Objektklassen hinaus wird ein Gegensatz zwischen beiden Ausstellungsteilen auch durch die unterschiedliche Gestaltung sichtbar, sie unterstützt durch ihre jeweiligen Spezifika die besondere Form der Präsentation. In der Medicine Now-Ausstellung dominierten die Farben Weiß und Rot. Es war ein Spiel mit Helligkeit und Akzentuierung durch Farbgebung. Der Großteil der Ausstellungsmöbel war in weißer Farbe gehalten. Sie wurden kontrastiert durch rote Elemente, die zumeist die Bereiche anzeigten, die Kunst beinhalteten oder sich in Form von Kunst mit den Themen der Ausstellung auseinandersetzten: in den Art Cubes. Weitere Bereiche, die in roter Farbe gestaltet waren, zeigten interaktive Inseln in der Ausstellung an, in denen der Besucher zum Mitmachen und Mitdenken aufgefordert wurde – etwa im Bereich Spotlight on. Das war eine halbhohe Standvitrine, in denen wechselnd hochtechnisierte oder simple mechanische Geräte präsentiert wurden, die weltweit Leben retten. Der Besucher wurde hier aufgefordert, auf einem Blatt Papier festzuhalten, welches Instrument er erfinden wollen würde, und den Zettel mit diesem Vorschlag mittels eines Magneten an der Wand zu befestigen. Bei der Gestaltung ist die Wahl zweier dominierender Farben und die dadurch sichtbar gemachte Trennung verschiedener Objekte und Bereiche innerhalb der Ausstellung das auffälligste Präsentationsmittel. In der neuen Ausstellung Being Human wird dieses Mittel nur zur Begrenzung der Ausstellung genutzt. Beginn und Ende der Ausstellung, sprich der Übergang zum Forum, sind in dunkelblau gestaltet. Ansonsten weicht kein Bereich innerhalb der Ausstellung von einem anderen ab. Alle Ausstellungsflächen sind in hellem Holz gehalten, die Sockel der Vitrinen in dunklem grau, alle Texttafeln in silbergrau, der Fußboden ist mit hellem Laminat bedeckt, die Wandfarbe ist durchgehend helles Grün. Spezielle Effekte, die bei einer derartigen Präsentationsweise in Frage kommen, etwa ein Wechsel in der Beleuchtung, ließen sich in der Ausstellung nicht finden. Keines der Objekte war einzeln beleuchtet und so aus dem Gros herausgehoben und besonders in Szene gesetzt. Alle Objekte waren in 70

Gespräch mit James Peto (Anm. 40).

4. Die Wellcome Collection in London

gleichem Maße von der Decke mittels Strahler ausgeleuchtet. Das Verfahren wurde auch innerhalb der Art Cubes übernommen: an den Decken waren Lichtschienen installiert, sodass auch in diesem Bereich eine gleichmäßige Beleuchtung gegeben war und auch aus den Kunstobjekten keines wegen eines besonderen Lichteffekts herausstach. Auch in der Ausstellung Being Human wird auf Lichteffekte verzichtet. Thematische Schwerpunkte oder auch einzelne Besonderheiten lassen sich auch durch die Anordnung realisieren: einerseits durch die Verteilung der Ausstellungsmöbel im Raum, darunter fällt das Gruppieren, das lineare Aneinander- und Nebeneinanderreihen oder das Vereinzeln einzelner Vitrinen und anderer Ausstellungsmöbel, und andererseits durch die Anordnung der einzelnen Objekte in oder auf den Vitrinen oder den Ausstellungsmöbeln. Kein Präsentationsmittel ist losgelöst von den anderen zu betrachten, und so verstärkte sich in Medicine Now die bereits bei der Farbgestaltung angesprochene Kontrastierung von Kunst und Nicht-Kunst auch bei der Anordnung der einzelnen Teile der Medicine Now-Ausstellung. Es ließ sich beobachten, dass sich Kunst und Nicht-Kunst in der Ausstellung tatsächlich abwechselten. Den Art Cubes gegenüber standen Vitrinen und Objektpräsentationen, die man von Museen und Ausstellungen gewohnt ist: Objekte hinter Glas, beschriftet mit einem kurzen Objekttext. So konnte man sich als Besucher entlang der roten Cubes auf einem Pfad der Kunst durch die Medicine Now-Ausstellung bewegen, oder man ließ sich durch die Anordnung der Vitrinen führen und wechselte zwischen Kunstobjekten und konservativen musealen Präsentationen. Dieser Wechsel ist auch in Being Human möglich, auch wenn die Kunstobjekte nicht über Art Cubes oder besondere Farbgebung als solche markiert sind. Sie sind im Raum verteilt, das heißt in keinem der Ausstellungsbereiche oder thematischen Schwerpunkte wird, wie in den Art Cubes, Kunst gehäuft präsentiert. Die vorhandene Fläche wurde in Medicine Now bestmöglich ausgenutzt, die Anordnung der Art Cubes, Vitrinen und sonstigen Präsentationsbestandteile ist so gelöst, dass sich der Besucher von Beginn bis Ende der Ausstellung entlang aller Elemente bewegen kann. Dabei kann der Besucher intuitiv vorgehen, oder er orientiert sich an den thematischen Aufhängungen im Deckenbereich, die die thematischen Bereiche der Ausstellung anzeigen. Diese freie Form der Anordnung wird auch in Being Human beibehalten, auch wenn die Objektvitrinen alle in die gleiche Richtung ausgerichtet sind und so eine gewisse Ordnung entsteht. Es wird kein bestimmter Ausstellungsrund-

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gang provoziert – der Besucher ist frei, sich im Raum zu bewegen. Größere Freiflächen zwischen den Vitrinen laden dazu ein (vgl. Abb. 14).

Abbildung 14: Being Human – Neuer Dauerausstellungsbereich

Foto: Stefanie Kohl

Der Einsatz von Text als ein die Gestaltung und die Objekte unterstützendes Medium war in Medicine Now auf ein Minimum reduziert: Es war Text vorhanden; er war der Objektpräsentation gleich-, wenn nicht sogar untergeordnet. Innerhalb der Texte ließ sich noch einmal unterscheiden: Auf die gesamte Ausstellung gerechnet, nahmen die Objekttexte den größten Textumfang ein, an zweiter Stelle folgten solche, die allgemeine Informationen boten. Das war zum einen der Text am Beginn der Ausstellung, der Medicine Now erläuterte, zum zweiten waren es die Erklärungen und Überblicke, die in ein Themengebiet einführten,71 oder auch die Texte, die die interaktiven In71

Beispielsweise im Bereich Obesity. Die zu diesem Thema gehörende Tischvitrine versammelte Objekte zur Medikalisierung von Fettleibigkeit, ein kurzer Text führte in die Thematik ein: »Obesity is quickly becoming the developed world’s biggest health problem. […] Obesity is increasingly seen as a medical rather than cosmetic condition. […] Gastric surgeries, drug therapy, medically supervised diet programmes and psychological counselling are all being used.«

4. Die Wellcome Collection in London

seln in der Ausstellung erläuterten und zum Mitmachen aufforderten.72 Den Großteil an Text machten aber, wie gesagt, die Objekttexte aus, denn bis auf wenige Ausnahmen gab es in der Ausstellung zu jedem Objekt eine Erklärung in Textform, die – bei den nicht-künstlerischen Objekten – Funktion, Anwendungsbereich oder dergleichen erläuterte73 und bei den Kunstobjekten in wenigen Sätzen die Quelle der Inspiration oder die Intention des Künstlers darstellte.74 Dieses Verhältnis lässt sich auch auf die Being Human-Ausstellung übertragen. Das grundlegende Text-Konzept ist auch hier: ein in den Themenbereich einführender Text, darüber hinaus in erster Linie Objekttexte, die die einzelnen Objekte erläutern – nicht-künstlerische wie auch künstlerische Objekte. Diese Texte wiederholten sich in der Medicine Now-Ausstellung und auch in Being Human in den Large Print Guides, die zu Beginn der Ausstellung in Ordnern zur Verfügung stehen. Für die Being Human-Ausstellung wurde ein regalähnliches Möbelstück in die Ausstellung integriert, das verschiedene andere Angebote in Ergänzung zur Ausstellung bereitstellt: Tactile Maps, Tactile Books, Audio Descriptions und eine Hilfestellung zur BSL, zur British Sign Language. Sowohl die Beschreibung der Dauerausstellung Medicine Now und deren ausgewählte Objekte als auch die neue Betrachtung des neuen Dauerausstellungsbereiches Being Human haben sehr deutlich gezeigt, dass spezifische Präsentationsmittel nicht unabhängig voneinander wirken. 72

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Unter der Überschrift News Digest wurde an einer der Seitenwände eines Art Cubes wöchentlich eine Auswahl der aktuellsten Online-Nachrichten zum Thema Medizin als Ausdruck präsentiert. In zwei Sätzen wurde der Titel erläutert und die Besucher aufgefordert, aufzuschreiben, welche Gedanken und Gefühle diese News bei ihnen hervorrufen und diese mit einem Magneten unter den Meldungen anzubringen. Gleich rechts neben dem einführenden Text zur Medikalisierung von Fettleibigkeit waren eine Kanüle und messbecherähnlicher Behälter zu sehen. Der zugeordnete Objekttext erläuterte: »Liposution cannula and canister. Used in liposuction operations to suction fat from the body.« Zum Karyogramm aus 23 Paar Socken von Andrea Duncan bot der dazugehörige Objekttext die folgenden Informationen: »Andrea Duncan (British); Twenty Three Pairs, 2002; Digital Print; During her three-year residency with the Department of Haematology at King’s College Hospital, London, the artist became fascinated with the structure of chromosomes, which contain the genetic material DNA. The variety […] reminded her of an ›old sock drawer‹. […] the socks serve as a poignant symbol of the unique genetic composition of each individual.

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4.2.2

In der Dauerausstellung Medicine Man: Metal Instruments

Vergleicht man beide Dauerausstellungsteile, so ist zwischen Medicine Now und Medicine Man ein deutlicher Unterschied zu erkennen. Dies hat seine Gründe, wie bereits beschrieben, in der Entstehungsgeschichte der Wellcome Collection und dem Rückgriff auf eine bereits existierende Ausstellung. So wie Medicine Now wird auch die Ausstellung Medicine Man durch einen Gegensatz getragen. Allerdings ist es hier nicht der Kontrast zwischen zwei Farben und die Gegenüberstellung von Kunst und Nicht-Kunst, sondern ein Kontrast zwischen hell und dunkel. Medicine Man wird gestalterisch bestimmt durch den reduzierten Einsatz von Licht. Im Vergleich mit Medicine Now wirkt diese Ausstellung sehr dunkel, ein Eindruck, der verstärkt wird durch das Walnussholz, das für die Vitrinen, alle weiteren Ausstellungsmöbel und die Wandverkleidung verwendet wurde. Auffällige, knallige Farben finden sich in diesem Teil der Dauerausstellung nicht – einzig der Stoff, mit dem der Innenraum der Vitrinen gestaltet wurde, stach jahrelang hervor: er war in roter Farbe gehalten. Erste Umgestaltungsmaßnahmen betreffen die Farbgebung innerhalb der Vitrinen, die von Rot zu hellem Grau gewechselt hat und so einen hellen Kontrast zur Dunkelheit im Raum bilden. Alles, was darüber hinaus in der Ausstellung farbig ist, bringen die einzelnen Ausstellungsobjekte mit sich. Ein weiterer Aspekt der Ausstellungsgestaltung ist die Anordnung der Vitrinen und der Objekte in den Vitrinen. In der Medicine Man-Ausstellung wird durch die Art und Weise, in der die Vitrinen im Raum verteilt sind, kein Rundgang vorgegeben. Dieser Ausstellungsteil ist ebenso wie Medicine Now thematisch organisiert, der Besucher ist frei, seinen individuellen Weg durch die Ausstellung zu nehmen. Als Orientierungs- und/oder Entscheidungshilfe kann dabei die Beschriftung der Vitrinen dienen. Jeweils an der Vorderfront der einzelnen Vitrinen ist mit einem kurzen Titel angedeutet, welchem Thema die enthaltenen Objekte zugeordnet sind. Das sind zum einen große, generelle Themen, die so beschrieben werden, dass sich möglichst viel darunter subsumieren lässt und viele verschiedene Bedeutungen und Erklärungen möglich sind. Insgesamt trifft das auf fünf Vitrinen, die folgendermaßen benannt sind: Beginning of Life, End of Life, Seeking Help, Treating Yourself und Understanding the Body. Darüber hinaus gibt es Vitrinen und Präsentationen, deren Beschriftungen eindeutig Objektklassen benennen: Chairs, Masks, Prints, Paintings, Photographs, Metal Instruments, Artificial Limbs und Votive Offerings. Diese Objekte ließen sich im Einzelnen auch unter einem der großen

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fünf thematischen Schwerpunkte präsentieren – und andersherum –, sind aber in eigenen Vitrinen ausgestellt. Anders als bei Medicine Now ist die Präsentation bei Medicine Man auf die Breite und nicht auf die Tiefe des Raumes ausgerichtet. Dadurch verändert sich der Raumeindruck, den man als Besucher bei Betreten der Ausstellung hat. Medicine Man ist entlang einer Horizontale in die Breite gezogen und lässt sich so ohnehin schwer auf einen Blick wahrnehmen. Darüber hinaus wird der Blick sowohl sofort eingefangen als auch verstellt durch das große Regal, das sich auf der linken Seite des Raumes befindet und in seiner Höhe alle Vitrinen überragt. Dahinter befinden sich zwei weitere Vitrinen, die dadurch vom Eingang aus nicht sofort sichtbar sind, eine weitere Vitrine verdeckt es zur Hälfte. Auch wenn die Gestaltung der Medicine Man-Ausstellung kontrastiv zur Medicine Now-Ausstellung wirkt (und auch zu deren Nachfolgeausstellung Being Human), so ist das Regal als ein korrespondierendes Gestaltungsmittel zu interpretieren. An dieser Stelle ließe sich analog zum Regal in der Medicine Now-Ausstellung erneut über das Regal in der Ausstellung nachdenken, es ließe sich spezifizieren, welche besondere Tradition es durch seine Gestaltung und durch die Objekte, die sich hier finden lassen, aufruft und was dieses Regal in diesem Dauerausstellungsteil leistet. Aus museumsanalytischer Perspektive ist dies etwas, dem man in einer kleineren Untersuchung gesondert nachgehen könnte: In den vergangenen zehn Jahren haben mehrere Museen und Ausstellungen in der Gestaltung auf das Regal als Bild zurückgegriffen, dies wurde in Kapitel 4.1.2 bereits angedeutet. In diese Traditionslinie reiht sich scheinbar auch das Regal in der Medicine Man-Ausstellung ein. Es enthält Objekte verschiedener Art: unter anderem Reproduktionen von Fotografien, Videomaterial und Stücke aus dem Privatbesitz Henry Wellcomes. In der Hauptsache befindet sich im Regal jedoch Glasware. Diese füllt den Großteil des Regals. Betrachtet man die Stücke etwas genauer, so fällt auf, dass trotz der dargebotenen Fülle an Stücken, diese keine Vielfalt präsentieren: die gezeigten Stückte unterscheiden sich im Gegenteil nicht wesentlich voneinander. Es gibt mehrere Exemplare gleicher Form, Farbe und Größe, die nebeneinander positioniert sind (vgl. Abb. 15). Macht es also zunächst den Eindruck, das Regal verweist auf das Prinzip der Wunderkammer, so kann dies letztlich nicht bestätigt werden. Vielmehr wird hier das Regal dazu genutzt, das Sammelverhalten Henry Wellcomes zu demonstrieren. Unabhängig davon, ob sich ein ähnliches Stück bereits in

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Abbildung 15: Glasware im Regal Medicine Man

Foto: Stefanie Kohl

seiner Sammlung befand, sammelte er unaufhörlich weiter. Der Objekttext fasst dies zusammen: We have chosen this glassware to reflect Henry Wellcome’s habit of collecting hundreds of near-identical examples of type of object, if he thought they could tell an interesting story about medicine. For example, he collected over 5000 pieces of medical and scientific glassware.75 Durch das Regal, das wie ein Setzkasten in mehrere gleichmäßige Fächer unterteilt ist, wird die Masse an gleichen Objekten sichtbar. Die einzelnen Fächer des Regals können als Einheiten betrachtet werden, in denen die Masse an gleichen Objekten dargestellt wird. Der Hinweis auf die Wiederholungen in Formen, Farben und Größen wird durch die Regalfächer unterstützt. In jedem Regalfach ist scheinbar das gleiche zu sehen – wenn auch in anderen Farben. Diesem Prinzip der Wiederholung unterliegen auch Bibliotheken und ungewollt auch einige der Literaturausstellungen. Dies soll für eine erste Reflexion über das Regal an dieser Stelle ausreichen. Insbesondere weil James Peto, gefragt nach den Objekten, die aus seiner Sicht die Medicine Man-Ausstellung im Besonderen ausmachen, nicht auf das

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Objekttext Glassware.

4. Die Wellcome Collection in London

Regal zu sprechen kam. Er lenkte den Blick stattdessen auf einen anderen Teil der Ausstellung: If you want to talk about Henry Wellcome, […] then maybe it’s interesting just to look at the collection of the amputation saws or forceps, because that talks about his peculiar ideas about health and medicine […]76 . Damit weist Peto exemplarisch auf zwei Perspektiven hin, die man in der Medicine Man-Ausstellung entwickeln kann: den Blick auf die Objekte und den Blick über die Objekte auf Henry Wellcome, den Sammler und Begründer der Wellcome Collection, der dadurch, dass das Haus seinen Namen trägt, ohnehin allgegenwärtig ist. Die von James Peto zur näheren Betrachtung empfohlenen Amputationssägen und Zangen befinden sich in der Vitrine, die mit dem Oberbegriff Metal Instruments beschriftet ist (vgl. Abbildung 16).

Abbildung 16: Vitrine Metal Instruments

© Luca Borghi, Wellcome Collection

Sie steht hinter dem Regal im hinteren Teil des Ausstellungsraumes, dem Bereich, der vom Eingang aus nicht sichtbar ist. Um die Vitrine zu entdecken, muss das Regal umrundet werden. 76

Gespräch mit James Peto (Anm. 40).

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Die Instrumente sind in einer gemeinsamen Vitrine, aber getrennt voneinander präsentiert: die Sägen auf der Vorderseite – der Seite mit der Beschriftung – und die Zangen auf der Rückseite der Vitrine. Die Instrumente werden innerhalb der Glasvitrine auf dem für die Ausstellung typischen roten Untergrund präsentiert. Dieser ist bis auf Hüfthöhe quaderförmig und verläuft dann, wie die Seitenflächen einer Pyramide, auf der Vorder- und der Rückseite zur Mitte hin stark angeschrägt. Das hat den Effekt, dass die Objekte, die darauf präsentiert werden – man kann nicht sehen, wie sie darauf befestigt sind – in eine nahezu senkrechte Position gebracht sind, sodass der Besucher fast frontal auf die Instrumente schaut und die Objekte nicht, wie meist üblich in Vitrinen, von oben betrachtet. Das bietet dem Besucher eine zumindest ungewohnte, ungewöhnliche Perspektive auf die Objekte, sie liegen nicht plan in der Vitrine. Diese besondere Form der Präsentation ist gewissermaßen eine Konfrontation mit den Geburtszangen und Amputationssägen. Es entsteht unter Wahrung der durch die trennende Glasscheibe erzeugten Distanz eine Art face-to-face-Situation zwischen Betrachter und Objekt, dazu muss sich der Besucher allerdings ein kleines Stück hinunterbeugen. Die Zangen und Sägen sind durch diese Präsentationskonstruktion doppelt exponiert: zum einen allein dadurch, dass sie sich in einer Vitrine befinden, auf einem roten Untergrund und hinter Glas, sodass sie hervorgehoben sind ohne dass man direkt auf sie zugreifen könnte. Zum anderen werden sie durch den schrägen Untergrund in die beschriebene besondere Position gebracht, es wird dadurch noch einmal extra Aufmerksamkeit generiert. Die Anordnung in der Vitrine hingegen ist simpel: Säge neben Säge und Zange neben Zange angeordnet, wie auf einem Faden aufgezogen. Dass es sich bei den Instrumenten um Sägen und Zangen handelt, darauf wird in der Vitrine selbst nicht explizit eingegangen, – sie werden unter dem Sammelbegriff Metal Instruments zusammengefasst und ausgestellt. Eine genauere Benennung dürfte aber tatsächlich auch nicht notwendig zu sein, da die Objekte der allgemeinen Vorstellung nicht so entgegen stehen, dass sie in den meisten Fällen nicht als Sägen und Zangen zu identifizieren wären – auch wenn es sich dabei um medizinisches Instrumentarium handelt – und die Angabe, dass in dieser Vitrine Instrumente aus Metall ausgestellt werden, ausreicht. Die Instrumente sind allgemein in einem sehr guten Zustand – nur wenigen sieht man an, dass sie Jahrzehnte oder sogar Jahrhunderte alt sind. Nur

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sehr wenige haben Abnutzungsspuren, auf keinem sind Reste von Blut oder Knochen erhalten, die Instrumente sind zum größten Teil nicht verrostet. Der Besucher ist bei seiner Auseinandersetzung mit den Objekten auf sich gestellt, er bekommt die puren Gegenstände präsentiert. Anders als bei Medicine Now befinden sich in den Vitrinen keine Objektinformationen und/oder -beschreibungen, die Objekte sind allenfalls beschriftet: unter jedem Instrument befindet sich eine Zahl. Um mehr Informationen über die Dinge in der Vitrine Metal Instruments zu erhalten – denkbar wären Angaben zu Funktion, Alter oder Herkunft – muss der Besucher sich von der Vitrine wegbewegen, detailliertere Erklärungen sind hier nicht zu finden. In die Wandverkleidung direkt hinter der Vitrine sind – da von den ersten Umgestaltungsmaßnahmen noch nicht betroffen - zwei Klappen eingelassen, die mit Metal Instruments beschriftet sind und sich öffnen lassen. Auf der Innenfläche finden sich durch die den Objekten zugeordneten Zahlen zu jedem Instrument in der Vitrine kurze Informationen, beispielsweise: E18 Amputation saw John Weiss & Son English, 1831-1870 A500502 pt 1, The Science Museum London77 Der Buchstabe steht für die jeweilige Vitrine, Metal Instruments ist Vitrine E,78 die Zahl zeigt an, welches Instrument gemeint ist, darunter wird eine kurze Bezeichnung angegeben, wenn bekannt, auch der Produzent oder Hersteller der Objekte,79 in der Zeile darunter findet sich die Nationalität sowie eine 77 78

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Objektinformation E18 zu Metal Instruments in der Medicine Man-Ausstellung. Nach welchem Prinzip die Buchstaben den Vitrinen zugeordnet sind, lässt sich nicht erkennen. Der Buchstabe ist für das Verständnis der Ausstellung über die eineindeutige Zuordnung von Objekt und Objektinformation hinaus nicht von Belang. John Weiss, geboren 1773 in Rostock, war ein anerkannter Messerschmied und Produzent von chirurgischen Instrumenten. Er siedelte Ende des 18. Jahrhunderts nach London über und baute dort seine Firma auf, deren Produkte aufgrund ihrer hohen Qualität und Verlässlichkeit unter Chirurgen, unter anderem der Royal Army, sehr angesehen und nachgefragt waren. 1831 stieg sein Sohn Frederick Foveaux Weiss in die Firma ein, fortan hieß diese John Weiss & Son. Die Firma existiert noch heute, seit 1989 gehört sie unter dem Namen John Weiss International zur Haag-Streit-Group und ist spezialisiert auf Instrumente, die in der Augenchirurgie verwendet werden. Ein knapper Abriss der Firmengeschichte findet sich auf der Homepage der Firma: https://www. haag-streit.com/john-weiss/history-jw/ [Zugriff 15.03.2018].

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ungefähre Datierung, in der letzten Zeile werden die Inventarnummer und in den meisten Fällen das Londoner Science Museum angeführt, zu dem die Objekte als Dauerleihgabe gehören. Die Basisinformationen zu den Objekten variieren in der Ausführlichkeit ihrer Angaben: So gibt es nicht immer einen Hinweis zur lokalen Verortung des Objektes oder zum Produzenten. Dies ist vermutlich dem Umstand geschuldet, dass sich durch die Art und Weise wie Henry Wellcome seine Sammlung zusammengetragen hat und zusammentragen ließ, in vielen Fällen nicht rekonstruieren lässt, wie und von wo das einzelne Objekt in die Sammlung gelangt ist, sodass auch nur ungefähre Zeiträume, im Beispiel E18 ist es der Zeitraum von 1813-1870, genannt werden können. Die einzelnen Objekte, etwa ihre Funktion oder Handhabung, werden nicht erläutert. Einzig ein kurzer Text auf der Innenseite der linken Tür, der wie die Vitrine den Titel Metal Instruments trägt, erläutert diese Wortgruppe knapp. So erhält der Besucher zum einen die wesentliche Information, dass Henry Wellcome über 24.000 chirurgische Instrumente in seiner Sammlung zusammengetragen hat – was noch einmal die Größenordnung, in der Wellcome sammelte, deutlich macht –, und zum anderen, dass der Präsentation in der Vitrine eine ungefähre chronologische Ordnung zugrunde liegt. Jeder der beiden Objekt- und Instrumentenklassen ist anschließend ein Absatz gewidmet: The amputation saws were used for cutting through muscle, skin and bone and would have been used as a last resort. Many of them were used before anaesthetics were developed, when operations had to be done very quickly.80 In ähnlicher Form ist auch der zweite Absatz zu den Geburtszangen gehalten: The forceps were used to deliver babies and include a pair devised by the obstetrician William Smellie (1697-1763). Similar versions, with interlocking blades and a curve to fit the pelvis, are still in use today.81 Über die konkreten Funktionen und Verwendungen der Instrumente ließe sich sehr viel mehr Informatives sagen, dem wird aber in der Ausstellung an dieser Stelle textlich kein Raum gegeben, sodass der Besucher über die konkreten Funktionen der einzelnen Instrumente zunächst weiterhin nur speku80 81

Objekttext Metal Instruments. Objekttext Metal Instruments.

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lieren kann. Er erfährt nicht, welche Säge für welches Körperteil verwendet wurde – es sei denn die Objektinformation gibt dies genau an, beispielsweise E33: Finger amputation saw – und welche Zange welchem genauen Zweck diente. Es bleibt offen, inwiefern die Instrumente in der Vitrine für Gesundheit oder Krankheit von Relevanz waren. Der Audio Guide, den sich jeder Besucher am Eingang der Medicine Man-Ausstellung selbstständig nehmen kann, könnte Abhilfe schaffen. Zu ausgewählten Objekten und Themen der Ausstellung bietet er detailliertere Informationen, beleuchtet Einzelschicksale oder stellt die Verbindung zu Henry Wellcome heraus. In der Vitrine sind die Sägen und auch die Zangen jeweils in einer Reihe nebeneinander angeordnet. Ohne die Erläuterungen an der Wand hinter der Vitrine bedarf es eines konzentrierten Blicks und zu Teilen auch Spekulationen, um das Prinzip, nach dem diese Anordnung vorgenommen wurde, zu entschlüsseln. Dabei ist der erste Schritt, zu erkennen, dass der Präsentationsform der Objekte überhaupt eine Ordnung zugrunde liegt und es den Machern der Ausstellung nicht ausschließlich auf das Zeigen von metallenen Instrumenten ankam. Gerade die große Zahl der zur Verfügung stehenden Objekte – 24.000 – macht deutlich, dass die Instrumente in der Vitrine nur eine Auswahl sein können, dass dies nur ein geringer Teil dessen ist, was an metallenen Instrumenten insgesamt zusammengetragen wurde. Als zugrundeliegendes Ordnungskriterium kommt entweder die Größe der Objekte oder der Zeitpunkt ihrer Entstehung bzw. Anwendung in Frage. Dass die Instrumente schlicht nach ihrer Größe sortiert sind, kann auf einen Blick ausgeschlossen werden – sowohl bei den Zangen als auch bei den Sägen liegt das jeweils größte Objekt nicht am Anfang beziehungsweise am Ende der Reihe, sondern mittig, und es kommt auch darüber hinaus vereinzelt zu wechselnden Größenverhältnissen. Nach dem Ausschlussprinzip liegt darum eine chronologische Anordnung nahe. Wie bei den Präsentationsformen dargestellt, sind Chronologien »sequentielle, lineare Ordnungen, bei denen […] Objekte als (Ab)Folgen definiert werden.«82 Sowohl die Bedeutung von ›lineare Ordnung‹ und als auch die von ›Abfolge‹ findet sich in der Reihung in der Metal Instruments-Vitrine realisiert. Den zeitlichen Faktor mitberücksichtigt, wird die Säge oder die Zange in der Vitrine so zum Stellvertreter und zum Hinweis auf einen konkreten Punkt in der Geschichte, dadurch wird ih82

Scholze: Medium Ausstellung (Anm. 67), S. 138.

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nen »ein temporal begründeter Platz zugewiesen«.83 Welchen Platz welches Objekt einnimmt, lässt sich im Konkreten anhand der Datierungen in den Objektinformationen überprüfen. Dies ist insbesondere darum interessant, da, wie oben erwähnt, bei der Wellcome Collection über einen langen Zeitraum sehr viele Objekte zusammengetragen wurden, die Sammlung also durchaus verschiedene Objekte aus verschiedenen Zeiten enthalten kann. Käme es den Ausstellungsmachern an dieser Stelle der Ausstellung darauf an, auf die Masse an Objekten hinzudeuten, hätte es ausgereicht, viele Objekte auf kleinem Raum zusammenzubringen und die Größenordnung darüber zu veranschaulichen, dann wäre es kontraproduktiv, die Instrumente voneinander getrennt zu präsentieren. Anders verhält es sich, soll ein Fortschritt, eine Entwicklung sichtbar werden – was, wie man dem Text zur Vitrine entnehmen kann, hier der Fall ist. Dies kann über eine reihende Anordnung erreicht werden. Unabhängig davon, in welche Richtung des Zeitstrahls sich der Besucher entlang der Zangen und Sägen bewegt – vom ältesten zum aktuellsten oder andersherum – die Anordnung der Objekte lebt entscheidend vom Vergleich. Es gilt genau hinzuschauen, um zu erkennen, was sich im Einzelnen verändert hat. Ist es die Größe oder die Form? Ist es das Material? Oder die Grundkonstruktion? Werden dem einzelnen Einzelinstrument Bestandteile hinzugefügt und verschwinden dafür andere? James Peto hat darauf hingewiesen, dass die Art der Präsentation der metallenen Instrumente auf Henry Wellcome hinweisen soll, dem Sammler, der diese Instrumente zusammengetragen hat. Darüber hinaus verweist diese Art der Präsentation auch auf dessen Idee, »that everything being a kind of progression, an evolution from the primitive to the sophisticated«84 – ein Grundsatz, zu dessen Illustration eine chronologische Anordnung nahe liegt. Um den Zusammenhang zwischen der Mitteilung und ihrer Präsentation genauer fassen zu können, bietet es sich an, einen detaillierteren Blick auf die in der Ausstellung getroffenen Aussagen zu werfen. Dies erfolgt im Folgenden unter Rückgriff auf die drei verschiedenen Arten von Mitteilungen in Ausstellungen, die Jana Scholze unterschieden hat. Dabei werden die Objekte als Zeichen betrachtet. Der Text zur Vitrine gibt an, dass Henry Wellcome insgesamt über 24.000 chirurgische Instrumente sammelte. Die 60, die in der Vitrine ausgestellt 83 84

Ebd. Gespräch mit James Peto (Anm. 40).

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sind, stellen nur einen Bruchteil der ursprünglichen Sammlung zu medizinischen Instrumenten dar, sie präsentieren die Gesamtheit stellvertretend, sie werden zum Zeichen für all die Instrumente, die nicht in der Vitrine zu sehen sind. Jede einzelne Säge und jede einzelne Zange – also jedes metallene Instrument, vertritt die anderen: die sichtbaren und die nicht sichtbaren. Gleichermaßen, und das gilt es im Folgenden zu entwickeln, werden die Instrumente aber auch zum Zeichen für einen Ausschnitt aus der Medizingeschichte: Sie stellen stellvertretend für die anderen Instrumente die Entwicklung der chirurgischen Medizin auf dem Gebiet der Amputation und der Geburtshilfe und all dem, was damit in Zusammenhang steht, dar. Die erste Form der Mitteilung bezieht sich auf das Objekt an sich, auf seine rein funktionelle Bedeutung. Zange und auch Säge sind im Allgemeinen Werkzeuge. Die Zange kann unter anderem zum Festhalten, zum Biegen und zum Lochen verwendet werden, ihr Erscheinungsbild und ihre Bezeichnung variieren, je nachdem, welche Funktion sie hat: eine Lochzange ist beispielsweise im Zangenkopf um ein Werkstück ergänzt, das die charakteristischen Löcher stanzt. Mit einer Säge kann man Stoffe durchtrennen – ihre Bezeichnung richtet sich im Allgemeinen nach dem Material, das durchteilt werden soll: Holzsäge oder Metallsäge; oder nach der Art der Bedienung: manuell im Fall einer Handsäge oder maschinell wie bei Tischkreissägen. Die Instrumente in der Medicine Man-Ausstellung entstammen dem medizinischen Kontext. Darum war die Funktion, die die ausgestellten Objekte vor Eintritt in die Sammlung hatten, an die spezifischen medizinischen Anforderungen angepasst. Dies wird auch in ihrer konkreten Benennung gespiegelt: die Amputationssägen (und -messer), die sich in der Vitrine befinden, dienten auf unterschiedliche Weise der Amputation von in der Hauptsache menschlichen Gliedmaßen. Diese wurden mithilfe einer der Sägen oder Messer vom Rest des Körpers separiert, indem Muskeln, Haut und Knochen durchtrennt wurden.85 Das war ihre ursprüngliche Funktion. Die Zangen in der Vitrine zu den Metal Instruments kamen als medizinische Werkzeuge im Bereich der Geburtshilfe zum Einsatz. Darüber informiert auch der Anfang des ersten Satzes des einleitenden Textes hinter der Tür: »The forceps were used to deliver babies«86 , sie wurden unter der Geburt 85 86

Objekttext zu Metal Instruments: »The amputation saws were used for cutting through muscle, skin and bone«. Objekttext Metal Instruments.

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genutzt, um Kinder auf die Welt zu bringen. Darin bestand ihre Funktion vor Eintritt in die Sammlung Henry Wellcome’s. Der Abschluss des Textes zu den Geburtszangen weist darauf hin, dass es auch unter den einzelnen Geburtszangen Unterschiede gibt, dahingehend, dass sich einige der ausgestellten Geburtszangen eindeutiger an der weiblichen Anatomie orientieren und in dieser Form auch in der Gegenwart in der Geburtshilfe verwendet werden: »Similar versions, with interlocking blades and a curve to fit the pelvis, are still in use today.«87 Die zweite Form der Mitteilungen in Ausstellungen bezieht sich auf die Konnotation, also die Objekt- und Raumarrangements, die dazu dienen, die intendierten Inhalte und Möglichkeiten der Bedeutungszuschreibung zu übermitteln. Auf die Objektarrangements wurde eingangs bereits eingegangen, die Zangen und Sägen sind dadurch arrangiert, dass sie sich in der Medicine Man-Ausstellung in einer Vitrine mit dem Titel Metal Instruments, auf rotem Untergrund, in einer Reihe angeordnet, befinden. Die Art und Weise der Anordnung, in einer chronologischen Abfolge, die nicht sichtbar ist, sondern durch die einzelnen Instrumente verdeutlicht wird, dient dazu, eine Entwicklung darzustellen: Das älteste Objekt an einem Ende der Reihe und das aktuellste am anderen Ende. Auf der Vorderseite der Vitrine zu Metal Instruments sind die Instrumente, die Sägen von der aktuellsten zur ältesten sortiert. Die Zählung läuft rückwärts: von E35, Finger amputation saw aus dem 20. Jahrhundert hin zu E1, Amputation knive with bone handle aus dem 16. Jahrhundert. Unabhängig davon, ob bekannt ist, an welchem Ende der Vitrine das älteste und an welchem das aktuellste Objekt liegt, lassen sich insbesondere mit Blick auf die Formen der Sägen, aber auch in Bezug auf die Materialien Veränderungen feststellen. Das erste Objekt, das aktuellste, hat eine gerade Klinge, die nicht in einen Griff oder Ähnliches eingesetzt ist, vielmehr ist dieses Instrument aus einem Stück Stahl geschmiedet. Auf dem Weg die Reihe entlang zum ältesten Objekt lässt sich beobachten, welche Vorstufen diese Entwicklung hatte: so sind alle anderen Sägen und Messer bis dahin in irgendeiner Form eingefasst: in Plastik, Holz oder eben Knochen. Welchen entscheidenden Nachteil diese Griffe hatten, liegt auf der Hand: Je nachdem, aus welchem Material sie bestehen, sind sie ein idealer Nährboden für Bakterien und Keime. An sensiblen Schnittstellen, wie sie bei der Amputation von Gliedmaßen oder allgemein beim Freilegen von Haut 87

Objekttext Metal Instruments.

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und Knochen entstehen, sind eine sterile Umgebung und ein steriles Instrument von entscheidender Bedeutung – wie man heute weiß. Dass es einige Zeit brauchte, um auch den letzten Keimherd am Amputationswerkzeug zu tilgen, lässt sich an den Objekten in der Vitrine nachvollziehen. Von rechts nach links werden die Instrumente immer simpler und reduzierter, alles was nicht zweckmäßig war – so wie dekorative Elemente – wurde getilgt. Auch die Form wurde perfektioniert: Sind die Objekte nahe dem Ende der Reihe größtenteils bogenförmig beziehungsweise besitzen gebogene Klingen, sind die Sägen auf der linken Seite der Vitrine flach und haben gerade Klingen. Diese Formveränderung zeugt von den Überlegungen, das Instrument so effektiv wie möglich zu gestalten. Insbesondere bevor es Anästhetika gab, musste alles dafür getan werden, dass die Operation so kurz wie möglich war, gerade auch damit die Schmerzen und der Blutverlust des Patienten in einem kontrollierbaren Rahmen blieben und das Infektionsrisiko möglichst gering war. Die Veränderungen des Designs im Laufe der Jahre verdeutlichen, welche Weiterentwicklungen die Amputationssägen und -messer in den Jahren genommen haben: Lange, vermutlich schwere Sägen mit gebogener Klinge wurden durch kurze, flache Sägen mit gerader Klinge abgelöst.88 Mit zu bedenken beim technischen Fortschritt der Konstruktion der Sägen und Messer ist auch die parallel verlaufende Entwicklung der allgemeinchirurgischen Operationspraxis: das Narkosemittel wurde entwickelt, die Operateure verfeinerten ihre Techniken des Wundverschlusses und der Hautnähte. Beides bedingte einander. Auch die Entwicklung der Metallverarbeitung spielt bei der Entwicklung des Instrumentariums eine Rolle. All dies ist über die Geschichte der einzelnen Objekte, der Sägen und Messer und über die Anordnung dieser Instrumente in dieser Vitrine ausgestellt. Die historischen Hintergründe kennt der reguläre, fachlich nicht versierte Ausstellungsbesucher nicht. Ihm wird durch die chronologische Anordnung der Objekte – im Fall der Amputationssägen und -messer vom aktuellsten zum ältesten – nur eine Ahnung vermittelt, was sich im Laufe der Jahre entwickelt hat, und zwar über die formalen und materiellen Veränderungen, die er aus der Anordnung heraus erkennen kann. Der Ausschnitt, der hier in der Wellcome Collection gezeigt wird, ist nur ein kleiner aus der bereits mehrere tausend Jahre alten Geschichte der Amputation. Es gab sie schon immer, auch wenn nicht immer chirurgische Eingriffe notwendig waren: etwa bei Erfrierungen, Unfällen, Krankheiten oder 88

Vgl. Kirkup, John: A History of Limb Amputation, London: Springer Verlag 2007, S. 10.

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rituellen Handlungen – und schon gar nicht wurde von Anfang an auf besonderes Operationsbesteck zurückgegriffen. Hilfreich waren Werkzeuge jeglicher Couleur: Küchenmesser und Zimmermannswerkzeug dienten zunächst als Instrumente zur Amputation. Man bediente sich an dem, was vorhanden war. Die Entwicklung der Metallverarbeitung und die sich dadurch ergebende Ausdifferenzierung der Materialien hatte auch Einfluss auf die Medizin. Die chirurgischen Instrumente konnten so zunehmend aus einem Material gefertigt werden, das vor allem zweckmäßig (biegsam, leicht steril zu halten, korrosionsbeständig usw.) ist und nicht wie beispielsweise Silber, in erster Linie verwendet wurde, weil es optisch einen guten Eindruck machte. Die heutigen Instrumente sind überwiegend aus rostfreiem Stahl und Titan gefertigt. Alle medizinischen Instrumente – auch die Zangen – sind in der Vitrine unter Metal Instruments zusammengefasst. Diese Oberbezeichnung blendet die unterschiedlichen Materialien aus, aus denen die Sägen bestehen. Es finden sich in der Ausstellung auch kaum weitere Informationen zu den Materialien, aus denen die Instrumente gefertigt sind. Nur bei wenigen Objekten findet sich eine genauere Angabe zu ihrer Materialität, wie im Beispiel E1, wo die Objektbezeichnung Amputation knive with bone handle [Hervorhebung, S.K.] auf die Besonderheit des Griffs aus Knochen hinweist. Auch eine weiterführende Recherche zu einzelnen Objekten über die Bilddatenbank der Wellcome Collection führte zu keinen weiteren Aussagen zum Material. Das Material ist hier nur von untergeordneter Bedeutung, in der Konnotation wird dieser Aspekt nicht betont: die Objekte sollen etwas Anderes vermitteln. Die Metal Instruments beziehen sich nicht auf die enge Verknüpfung von Medizin und Technikgeschichte, von Optimierung der chirurgischen Instrumente und dem Beitrag der Metallverarbeitung dazu. Diese Art der Bedeutungszuschreibung an die Objekte in den Vitrinen wird hier nicht präsentiert. Die Rückseite der Vitrine widmet sich einem anderen Gebiet medizinischer Praxis, der Geburtshilfe. Die hier ausgestellten Geburtszangen stehen stellvertretend für diesen Zweig der Medizin. Es sind hier ebenso viele Zangen ausgestellt wie es auf der Rückseite der Vitrine Sägen und Messer waren. Auch diese Metallinstrumente sind in eine Chronologie gebracht, allerdings

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ist diese hier vorwärtsgerichtet89 . Die Präsentation beginnt vorne stehend links mit dem ältesten Instrument aus dem 17. Jahrhundert und endet mit einem neueren Instrument aus dem 20. Jahrhundert auf der rechten Seite. Anders als bei den Amputationswerkzeugen weisen die Geburtszangen kaum Veränderungen in der Form auf, es sind nur kleinere Details, die sich verändern, trotzdem dienen alle Zangen dem gleichen Zweck: Sie unterstützen bei der Geburt eines Kindes und waren lange Zeit insbesondere in den Fällen, in denen es zu Komplikationen kam, ohne Alternative. Dies hat sich trotz der Entwicklung von Saugnapf und Kaiserschnitt nicht geändert, Geburtszangen sind ein wichtiger Teil der Geburtshilfe.90 Bevor es Geburtszangen gab, wurden flexible Walknochenteile verwendet, um die Geburt zu unterstützen. Man nimmt an, dass aus einem gebogenen Hebel, dem vectis, die Idee für die Geburtszangen abgeleitet wurde,91 die so an die Anatomie des weiblichen Beckens angepasst waren, dass es möglich war, das Baby lebend aus dem Geburtskanal zu holen. Insbesondere bei Geburten, die mehrere Tage andauerten, war seit dem Mittelalter eine sehr hohe Sterblichkeit sowohl der Mutter als auch des Neugeborenen überliefert. Durch Geburtszangen konnte in diesen Fällen fortan interveniert werden, auch wenn das Baby nicht in Scheitelstellung lag. An diese Funktion waren die Geburtszangen in ihrer Herstellung anzupassen, ihre Länge und Form hatte sich an der Form des weiblichen Beckens und an den möglichen Positionen des Kindes im Geburtskanal zu orientieren. Dies mag der Grund sein, warum es auf den ersten Blick kaum Unterschiede zwischen den einzelnen Zangen zu geben scheint. Eng verbunden mit der Entwicklung der Geburtshilfe mittels Geburtszangen ist die Chamberlen-Familie. Auf Peter Chamberlen den Älteren, geboren 1560, soll die Erfindung der Geburtszange zurückgehen. Diese war seitdem ein Familiengeheimnis, das mit dem größtmöglichen Aufwand bewahrt wurde und über mehrere Generationen nur an die männlichen Nachfahren der Familie weitergegeben wurde. 89

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Das setzt voraus, dass der Rundgang um die Vitrine entgegen dem Uhrzeigersinn fortgesetzt wird. Die Laufrichtung in der Beschreibung ist sowohl auf der Vorder- als auch auf der Rückseite der Vitrine von links nach rechts. Vgl. Sheikh, Sukhera/Ganesaratnam, Inithan/Jan, Haider: The birth of forceps, in: Journal of the Royal Society of Medicine Short Reports 4, 2013, S. 1-4 und auch Dunn, Peter M.: The Chamberlen family (1560-1728) and obstetric forceps, in: Archives of Disease in Childhood. Fetal and Neonatal Edition 81, 1999, F232-F234. Vgl. Arnold/Olsen: The Forgotten Museum (Anm. 1), S. 325.

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Die verblüffende Ähnlichkeit, die die heutigen Instrumente noch immer mit denen hat, die die Chamberlens entwickelt haben, ist zum einen ein Beleg für den Einfallsreichtum der Familie. Zum anderen zeigt es auch, dass die darauffolgenden Generationen von Geburtshelfern den eingeschlagenen Weg weiterverfolgt haben und so gewissermaßen in die Fußstapfen der Chamberlens getreten sind. Der Urenkel Peter Chamberlens des Älteren, Hugh der Jüngere, hatte keine männlichen Nachfahren, an die er das Familiengeheimnis hätte weitergeben können. Ein Versuch, es zu verkaufen und daraus Profit zu schlagen, schlug fehl.92 Es wird trotzdem davon ausgegangen, dass er es war, der in seinen letzten Lebensjahren das Familiengeheimnis preisgegeben hat.93 Ungefähr zu dieser Zeit, zu Beginn des 18. Jahrhunderts, wurden Modelle von Geburtszangen entwickelt, die denen der Chamberlens sehr ähnlich waren, obwohl kein Außenstehender jemals eine der Zangen gesehen hatte.94 Nach Verbreitung der Geburtszangen dauerte es weitere hundert Jahre, bis Originalstücke aus dem Besitz der Chamberlens gefunden wurden: Unter den Dielen des Hauses in Essex, in dem die Familie lange Zeit gelebt hatte, fand man 1813, knapp 200 Jahre nach dem Tod der beiden Brüder Peter Chamberlen dem Älteren und Peter Chamberlen dem Jüngeren95 fünf Zangen. Diese wurden folgendermaßen beschrieben: The forceps blades were of metal, fenestrated, and remarkably well formed. When viewed in profile each blade was straight but had a cranial curve for grasping the head. The edges of the blades were rounded. Each blade was separate to allow independent application. The lock was fixed pivot on one blade which fitted into a hole in the other.96

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Vgl. Sheikh/Ganesaratnam/Jan: The birth of forceps (Anm. 90), S. 1. Vgl. Dunn: The Chamberlen family (Anm. 90), F234. Beide Aufsätze, die zur Geschichte der Chamberlen-Zangen konsultiert wurden, beschreiben die Maßnahmen, die ergriffen wurden, um die Zangen um jeden Preis geheim zu halten. »The instruments themselves were always carried in a gilded chest and revealed once the woman had been blindfolded. The birth subsequently took place under blankets with only the Chamberlens in attendance of the patient.« Sheikh/Ganesaratnam/Jan: The birth of forceps (Anm. 90), S. 2. Peter Chamberlen der Ältere starb 1631, sein Bruder Peter Chamberlen der Jüngere starb 1626. Dunn, Peter M.: The Chamberlen family (Anm. 90), F234.

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In der Vitrine zu Metal Instruments sind Exemplare von Geburtszangen ausgestellt, die dem Typ der Chamberlen-Zangen entsprechen, originale Stücke aus dem Besitz der Familie befinden sich hier nicht. Dies ist vermutlich auch der Grund, warum statt Chamberlen William Smellie im Übersichtstext erwähnt wird. Er zählt zu den bedeutendsten Geburtshelfern des 18. Jahrhunderts. Smellie verfasste Regeln zum Umgang mit Geburtszangen und veröffentlichte diese 1752 unter dem Titel Treatise on the Theory and Practice of Midwifery.97 Darüber hinaus entwickelte er eigene Geburtszangen. Deren Besonderheit war eine Ummantelung der Klingen mit Leder. Mit Fett eingerieben, konnte die Zange leichter in den Unterleib der Frau eingeführt werden. Dies hatte allerdings auch seine Nachteile. Leder ist ein idealer Nährboden für Keime, darum war es unbedingt notwendig, es nach jedem Gebrauch zu wechseln und gründlich zu reinigen, um die Keime nicht in Umlauf zu bringen. Auch ohne dieses zusätzliche Risiko konnte beim Gebrauch der Zangen immer etwas schief gehen und die Mutter oder das Kind verletzt werden. Die Lederummantelung der Klingen barg die zusätzliche Gefahr der Übertragung von Geschlechtskrankheiten und fataler Infektionen wie Kindbettfieber. Durch den direkten Vergleich aller in der Vitrine ausgestellten Zangentypen ließen sich detailliertere Beobachtungen im Hinblick auf Ähnlichkeiten und Unterschiede anstellen, dies soll aber hier nicht weiter vertieft werden. Vielmehr ist ein weiterer Aspekt in die Bedeutungszuschreibung an die Zangen mit einzubeziehen. Dieser steht in Verbindung mit der Familie Chamberlen, William Smellie und den Geburtszangen und wird an dieser Stelle der Medicine Man-Ausstellung stellvertretend durch die Objekte in der Vitrine dargestellt. Die Zangen deuten nicht ausschließlich auf die Erfindung eines Werkzeuges und dessen anschließender Entwicklung hin. Sie sind zudem nicht nur ein Zeichen für die mit ihnen einhergehende Erleichterung für Frauen und Geburtshelfer. Vielmehr sind die Geburtszangen und mit ihnen unter anderem die Chamberlen-Familie und William Smellie ein besonderer Teil der Geschichte der Geburtshilfe. Mit ihnen entwickelte sich etwas, das im britischen Raum als man-midwifery bezeichnet wurde. Mit der Erfindung der Geburtszange wurde im 17. Jahrhundert eine Entwicklung in Gang gebracht, die sich entscheidend auf die Praxis der Geburtshilfe auswirkte. Lange Zeit wurde diese nur von Frauen praktiziert, den Hebammen, die entsprechend ausgebildet und erfahren waren. 97

Smellie, William: A Treatise on the Theory and Practice of Midwifery, London: Wilson 1752.

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Mit den Ärzten und Chirurgen, die durch die Handhabung der Geburtszange – denn das war nur ihnen vorbehalten – in den Bereich der Geburtshilfe eintraten, wurde eine »obstetric revolution«98 eingeläutet. Kaum eine andere Wortkomposition beschreibt den Wandel, der sich dadurch ergab, so treffend. Die Ärzte und Chirurgen waren männliche Hebammen. Die Verwendung der Geburtszangen vergrößerte zu Beginn des Entwicklungsprozesses die Kluft zwischen männlichen und weiblichen Praktizierenden, denn Geburtshelferinnen, die in der Handhabung der Zangen nicht versiert genug erschienen, wurden von dieser Form der Geburtshilfe ausgeschlossen – ob dies gleichermaßen für die männlichen Geburtshelfer galt, wäre zu prüfen. Die Beobachtung, dass sich die Differenzierung zwischen männlichen und weiblichen Geburtshelfern mit der Zeit überlebte, scheint erneut ein sprachliches Phänomen zu stützen: Mit der Zeit setzte sich der Begriff obstetrics durch und scheint das Kompositum man-midwifery ersetzt zu haben.99 All diese Aspekte, die bis zu diesem Punkt verhältnismäßig ausführlich geschildert wurden und die den chirurgischen Instrumenten als Teil ihrer Objektgeschichte inhärent sind, sieht der Besucher nicht. Sie sind am Objekt nicht ablesbar und werden in der Ausstellung auch nicht eigens expliziert. Keine Informationstafel und kein Begleitheft klärt den Besucher darüber auf, welche Entwicklungen und Zusammenhänge über die chronologische Anordnung der Geburtszangen dargestellt werden. Es bleibt alles bei der Ansicht, dem Anblick der Dinge. Für die Wirkung der Ausstellung heißt das: Es bleibt beim augenscheinlich Offensichtlichen. Während sich historisch bei den Amputationswerkzeugen an Form und Material einiges ändert, was man auch an den Objekten in der Vitrine sehen kann, bleiben die metallenen Instrumente der Geburtszangen über die Jahrzehnte und Jahrhunderte weitestgehend gleich. Zwar lässt sich anhand der in der Vitrine ausgestellten Objekte im Vergleich der Zangen die eine oder andere Besonderheit erkennen, das Offensichtliche aber ist die Konstanz der Form der Instrumente. Sichtbar wird, dass es die Idee der Geburtshilfe unter Einsatz von Geburtshilfewerkzeugen schon lange gibt und dass die Idee nur geringfügig 98

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Vgl. Macfarlane, Ross: Birth: a changing scene. Blog der Wellcome Library. Online Zugriff unter: http://blog.wellcomelibrary.org/2012/06/birth-a-changing-scene-part-iimages-of-home-birth-in-the-wellcome-library/ [Zugriff: 22.03.2018]. Vgl. Sheikh/Ganesaratnam/Jan: The birth of forceps (Anm. 90), S. 2.

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variiert worden ist. Die Frage ist, ob sich die Vermittlung von Detailwissen über historische Zusammenhänge und Hintergründe darin erschöpft? Dass die vielfältigen Möglichkeiten der Bedeutungszuschreibung ermöglichen, verschiedenes Wissen zu generieren, ist dargestellt worden. Für die Beantwortung der Frage ist die Intention, die Philosophie, die Ethik der Ausstellungsmacher und/oder des Museums interessant, um darüber die Spezifik der Präsentation zu erläutern. Diese Aspekte lassen sich unter dem Begriff Metakommunikation, der dritten Form von Mitteilung in Ausstellungen untersuchen. Als Gegengewicht zum Ausstellungsteil Medicine Now, der durch die integrierten Kunstobjekte geprägt wird, ist die Medicine Man-Ausstellung mehr auf das Sammeln, die Sammlung Henry Wellcomes und auf seine Person ausgerichtet. Um in der Ausstellung diese Perspektive auf die Objekte einnehmen zu können, ließen sich die Gestalter von den »›cabinets of curiosities‹ from which modern museums evolved«100 inspirieren. In Kuriositätenkabinetten steht das Sammeln im Vordergrund. Die Kabinette sind Ausdruck eines Sammlungskonzeptes, das charakteristisch war für das 16. Jahrhundert. In Kuriositätenkabinetten fanden sich Objekte, die durchaus dem heutigen Verständnis von kurios entsprachen, also Objekte, die von einer Norm abwichen und bizarr und unregelmäßig waren.101 In der Hauptsache fanden sich dort aber Objekte, die als kurios galten, weil sie Raritäten waren und aus diesem Grund besonders geschätzt wurden. Dies orientierte sich an »Wertmaßstäben wie Seltenheit und Aufwand bei der Beschaffung, Herstellung oder Verarbeitung«.102 Die Biographie der Objekte stand dabei nicht im Vordergrund. Weder bei der Ordnung nach Objektklassen, noch bei der Zuordnung der Objekte zu übergeordneten großen Themen wie Leben und Tod, Gesundheit und Krankheit, Natur und Wissenschaft. In der Medicine Man-Ausstellung wird die Form der Objektpräsentation der Kuriositätenkabinette nachgestellt, eventuell amplifiziert. Es wird dadurch auf eine Sammlungstradition verwiesen. Auch in Medicine Man sind eine Vielzahl verschiedener Objekte zu sehen, zum einen zusammengestellt nach Objektklassen, beispielsweise Instrumente, Stühle oder Gemälde. Kuriose Objekte im Wortsinn sind die Masken, die unter anderem aus Sri Lanka 100 Kohn, Marek: A guide for the incurably curious (Anm. 6), S. 29. 101 Vgl. Wilde, Denise: Dinge sammeln. Annäherungen an eine Kulturtechnik, Bielefeld: transcript 2015, S. 46. 102 Ebd.

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stammen und sich in einer Vitrine auf der linken Seite des Raumes befinden. Ihr Herkunftsort ist exotisch, die Bemalung der Masken ist ihrem Zweck entsprechend: Die meisten kamen bei Exorzismus-Ritualen zum Einsatz. Auch in den thematischen Präsentationen lassen sich Kuriositäten finden. Die Kuriosität der Objekte wird hier oftmals durch den Kontext, in den sie in der thematischen Vitrine gebracht werden, verstärkt. So sind beispielsweise in der Vitrine The Beginning of Life Anti-Masturbations-Mittel und ein Keuschheitsgürtel zu sehen und man fragt sich, in welchem Zusammenhang das zum Beginn des Lebens steht. Von diesen kulturgeschichtlichen Artefakten bis zur geplanten Schwangerschaft ist es ein langer Weg. In den thematischen Vitrinen befinden sich im Gegensatz zu den reinen Objektvitrinen Beschriftungen zu den Objekten, die jeweils an der Vorderfront der Vitrine platziert werden. Diese entsprechen in ihrer Ausführlichkeit den Informationen, die sich sonst auf den Innenflächen der Türen befinden, wie es beispielsweise bei den Metallinstrumenten der Fall ist. Erklärt wird etwa, dass es sich bei den Objekten J10 bis J12 um Male anti-masturbation devices und beim Objekt J9 um einen Chastity-Belt handelt. Der Zusammenhang zwischen Objekt und Thema der Vitrine wird nicht erläutert und der Zusammenführung von beidem haftet etwas Kurioses an, auch wenn sie deutlich macht, dass ihr religiöse und/oder moralische, standesgemäße Vorgaben der Gesellschaft unterliegen. Am Eindruck der Kuriosität ändern auch die Objekttexte nichts, die sich hinter den Türen befinden, die an der Wand angebracht sind. Die Texte bieten zwar Informationen zu Alter, Material und Funktion der Objekte, diese Angaben sind aber nur ein Bruchteil dessen, was man über die Objekte sagen kann. Die Beantwortung der Frage nach dem, was in der Ausstellung vermittelt wird, hat also auch mit einer Präsentationsform zu tun, deren Charakteristika in heutigen musealen Zusammenhängen selten geworden sind, nämlich mit dem Kuriositätenkabinett. Es ist bereits angedeutet worden, dass es in diesen Kabinetten um das Objekt als Exemplar für etwas Seltenes, Ungewöhnliches ging – die Objektgeschichte tritt dahinter zurück. Wenn man mit diesem Hintergrund zurück auf die Vitrine Metal Instruments und die darin ausgestellten Amputationssägen und Geburtszangen blickt, wird klar, dass es bei dieser Präsentation nicht darum geht, die Geschichte der Amputation oder die Entwicklung der Geburtshilfe zu zeigen. Es geht um die Objekte als solche, um den Reiz der Variation, und auch um die Person, die sie gesammelt hat. Es geht um das, was Henry Wellcome interessierte, welche Objekte ihn ansprachen. James Peto hat darauf hin-

4. Die Wellcome Collection in London

gewiesen, dass die Vitrine mit den Metal Instruments etwas über Wellcomes besondere Ideen zu Gesundheit und Medizin aussagen, als »evolution from the primitive to the sophisticated«.103 Was der Besucher also aus der Ausstellung mitnehmen soll, welches Wissen ihm anhand der Sägen und Geburtszangen letztlich vermittelt wird, ist unabhängig davon, welche Funktion und Geschichte die Objekte im Allgemeinen und im Besonderen haben. Es betrifft vielmehr abstrakte Kategorien, in diesem Fall die Vorstellungen von Fortschritt und Entwicklung, die Wellcome unterhielt. Es ist nicht von Belang, dass die eine Säge zur Amputation von Fingern verwendet wurde und eine andere Säge hauptsächlich post mortem zum Einsatz kam, es steht nicht im Vordergrund, dass die Form der einen Zange auf Peter Chamberlen zurückgeht und die Form einer anderen auf William Smellie und dass beide entscheidend zur Entwicklung der Geburtshilfe überhaupt und zur wachsenden gesellschaftlichen Akzeptanz von männlichen Geburtshelfern im Speziellen beigetragen haben. Im Vordergrund steht: Am Instrument verändert sich etwas entscheidendes, die Form der Säge verändert sich und dekorative Elemente verschwinden, oder: Über mehrere Jahrhunderte ändern sich nur kleine Details am Instrument, ihre Form bleibt weitestgehend erhalten. Die Objekte in der Vitrine werden also auf ihren historischen Zeugnischarakter reduziert. Anhand der Anordnung vom aktuellsten und damit scheinbar modernsten medizinischen Instrument zum ältesten – und andersherum, lässt sich nachvollziehen, wie sich einerseits die technische Entwicklung auch an diesen Instrumenten ablesen lässt: Es wurden die Instrumente präzisiert und mehr und mehr an die anatomischen Gegebenheiten und operativen Notwendigkeiten angepasst. Anhand der Sägen und Zangen kann man also den Umgang mit Gesundheit und Krankheit ablesen. Hinter den Veränderungen, die sich an der aufgereihten Abfolge der medizinischen Instrumente ablesen lassen, steckt auch die Idee des Fortschritts, des zunehmenden Wissens. Je mehr der Mensch, oder besser gesagt: der Mediziner über den menschlichen Körper weiß, desto besser kann er auf dessen Erfordernisse eingehen. Das Reduzieren der Bedeutungszuschreibung an die Objekte allein auf den Fortschritt wird aufgebrochen, wenn man die umliegenden Präsentationen und Ausstellungsvitrinen in die Betrachtung mit einbezieht. Dadurch ergeben sich Erweiterungen der Bedeutungszuschreibung. 103 Gespräch mit James Peto (Anm. 40).

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Unweit der Vitrine zu den Metallinstrumenten gibt es eine Vitrine, die sich einer anderen Objektklasse widmet, den künstlichen Gliedmaßen: Artificial Limbs. Der Text zur Vitrine weist nicht explizit darauf hin, aber zwischen den Amputationswerkzeugen und den Prothesen, die in dieser Vitrine gezeigt werden, besteht eine unmittelbare Verbindung: Patienten, denen Gliedmaßen mittels einer Amputationssäge amputiert worden sind, waren danach oftmals auf Prothesen angewiesen, um ihr Leben halbwegs gewohnt fortsetzen zu können. Dies wurde insbesondere nach den beiden Weltkriegen relevant, als vor allem Soldaten kriegsverletzt zu ihren Familien zurückkehrten. Die Prothesen erhöhten die Lebensqualität und leisteten einen Beitrag zur Rückkehr der Betroffenen in ein geregeltes Leben.104 Dass sich dies nicht nur auf Gliedmaßen beschränkt, die durch Amputation verloren wurden, sondern auch auf solche, die aufgrund von Unfällen oder Krankheit ersetzt werden mussten, wird in der Vitrine Understanding the Body am Objekt I14, an artificial nose, dargestellt. Der dazugehörige Text unterstreicht seinen Zweck: »This artificial nose served a purely aesthetic purpose. […] Common causes of nose deformity […] were injuries caused through warfare and syphillis«.105 Auch das Thema Geburt wird in der Ausstellung noch einmal aufgegriffen. Zum einen in einer Vitrine mit Votive Offerings, die sich rechts neben der Vitrine mit den Geburtszangen befindet. Hier sind in der Hauptsache TerrakottaFiguren aus dem 4. bis 2. Jahrhundert vor Christus ausgestellt, die vermutlich aus dem etruskischen Raum stammten. Der Text zur Vitrine erläutert, welchem Zweck diese Objekte dienten: The figures are of body parts presented a deity, either in the hope of cure or as thanks for one. […] The large numbers of genitals and reproductive organs, for example, reflect a society that placed great store on fertility, but which also suffered great risks in pregnancy and childbirth.106 Mit diesen Votivgaben ist in der Ausstellung ein neuer Anfangspunkt des Nachdenkens über die Geburt angezeigt: Knapp 2.000 Jahre bevor Chamberlen die Geburtszange entwickelte, löste die Geburt bei den Frauen Angst aus. 104 Die Darstellung A History of Limb Amputation von John Kirkup lieferte 2012 eine der ersten Überblicksdarstellungen über die Geschichte der Amputation. Siehe Kirkup, John: A History of Limb Amputation (Anm. 88). 105 Objekttext in der Ausstellung. 106 Objekttext Votive Offerings.

4. Die Wellcome Collection in London

Die Geburt stellte ein erhebliches Risiko dar, dass Frauen bei der Geburt oder im Kindbett starben, war keine Seltenheit. Die medizinische Versorgung war noch längst nicht so weit, sie zu unterstützen, sie vertrauten darauf, dass Gott dank ihrer Opfer- und Dankesgaben dafür sorgte, dass es zu einer reibungslosen Schwangerschaft und Geburt kam. Zum anderen wird auch in der Vitrine Beginning of Life noch einmal die Geburtszange als Werkzeug in der Geburtshilfe aufgegriffen. Sowohl das Objekt J24, bezeichnet als obstetrical forceps, als auch das daneben positionierte Objekt J25, ein obstetrical teaching model, gehen noch einmal auf die Schwierigkeiten der Geburt ein. Im Objekttext zu J24 wird dann erstmals eine erste Einordnung der Geburtszange und ihres medizinischen Stellenwertes gegeben: Obstetrical forceps were introduced by the Chamberlen family […] During the eigh-teenth century, midwives claimed that doctors (who were taking increasing interest in obstetrics) were too quick to resort to such instruments.107

4.2.3

In der Sonderausstellung Electricity: X. laevis (Spacelab) 2017

Die der Electricity-Ausstellung zugrundeliegende Idee, bestand darin, die jeweiligen Eigenheiten und Sammlungsschwerpunkte der drei beteiligten Institutionen zusammenzuführen: »We could make something really interesting about electricity in the body, in society and in history.«108 Dabei vertrat jedes dieser drei Museen mit seinem spezifischen Objektbestand einen dieser drei Aspekte. Die Wellcome Collection hatte lots of stuff related to electricity in the body, they [das Museum of Science and Industry, S.K.] have lots of stuff related to electricity in industry and the Teylers Museum […] have fantastic collections stressly in history about electricity. […] So they had these amazing early electrical instruments. Jahrhunderte nach ihrer Entdeckung ist Elektrizität in der Gegenwart etwas, das aus dem täglichen Leben nicht mehr wegzudenken ist. Der einleitende Text auf der Handreichung zur Sonderausstellung machte dies deutlich: 107 Vgl. Objekttext in der Ausstellung. 108 Gespräch mit James Peto (Anm. 40).

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It’s waiting when you flick on the lights in the morning. After that it’s everywhere. In your shower, on your toast – even on your train. And if you stop and take a look, then you see it in every screen. You can’t see it in cables or inside your head, but look closer and you’ll see that the story of electricity is the story of life itself.109 Elektrizität hat heute mehr denn je Relevanz – ohne Strom aus Steckdosen oder Batterien erscheint das Leben nur halb so lebenswert. Das wird besonders deutlich bei Stromausfall oder in Situationen ohne die Möglichkeit, einen leeren Handyakku aufzuladen. Davon abgesehen ist Elektrizität im wahrsten Sinne des Wortes lebensnotwendig: »Without the neuro-electrical connections in our bodies we would be unabe to think or move«.110 Ein Schwerpunkt der Ausstellung war es, die Elektrizität in ihrer Breite darzustellen: »From the structure of the atom to the functioning of our brains«111 und dabei die Entwicklungsgeschichte nicht auszulassen, von den ersten Beobachtungen elektrischer Phänomene im antiken Griechenland bis zur Zukunftsvision möglichst ökonomischer und ökologischer Nutzung von Elektrizität. Die Ausstellung folgte einer Chronologie: anhand der Kapitelüberschriften der einzelnen Räumen ließ sich eine Entwicklungsgeschichte der Elektrifizierung der (britischen) Gesellschaft nachvollziehen – mit einem Ausblick in die nahe Zukunft. Das Objekt, das für die vorliegende Untersuchung ausgewählt wurde und an dem der Wissenstransfer in der Sonderausstellung der Wellcome Collection exemplarisch analysiert wird, ist nur bedingt ein historisches. Es handelt sich dabei um eine Live-Simulation des irischen Künstlers John Gerrard, die er X. laevis (Spacelab) 2017 genannt hat. Im Vorfeld der ElectricityAusstellung wurden drei Künstler damit beauftragt, sich auf Grundlage der in den Sammlungen der drei Museen vorhandenen Objekte künstlerisch mit Elektrizität auseinanderzusetzen. Infolgedessen waren drei unterschiedlich geartete Formen von Kunst in der Ausstellung vertreten, die jede auf ihre Weise die Sammlungen der Wellcome Collection beziehungsweise der Partnerinstitutionen einbezog. Im Rahmen der vorliegenden Untersuchung werden die anderen beiden ausgeklammert, analysiert wird nur die Kunst von John Gerrard. 109 Siehe Handreichung zur Ausstellung, Quelle unbekannt. 110 https://www.teylersmuseum.nl/en/visiting-the-museum/what-is-there-to-seeand-do/electricity-the-spark-of-life[Zugriff 20.03.2018]. 111 Handreichung zur Ausstellung.

4. Die Wellcome Collection in London

Die Simulation war in der Ausstellung unter den ersten thematischen Schwerpunkt Generation: The Great Invisible eingeordnet. Dieser Teil der Ausstellung beschrieb und beschäftigte sich mit der Wahrnehmung unserer Vorfahren, die zwar die Effekte von Elektrizität in der Natur schon beobachten konnten, aber noch nicht in der Lage waren, diese vollständig zu erfassen und zu verstehen. Es fehlte ihnen das notwendige Wissen, die Zusammenhänge und die Erklärung der Phänomene. Der erste Teil der Ausstellung begann bei den antiken Griechen und beschrieb die Entwicklung bis ins 18. Jahrhundert hinein. Zu dieser Zeit begannen die sogenannten Elektriker, so nannte man die Wissenschaftler, die mit Elektrizität experimentierten, die ersten Geheimnisse zu entschlüsseln.112 Die Live-Simulation befand sich in eine Art Übergangsraum, der zwischen diesem ersten Ausstellungsteil und dem darauffolgenden lag, der mit Supply: Wiring the World benannt war. Die Räume waren so miteinander verbunden, dass der Besucher auf jeden Fall den Raum mit der Simulation durchqueren musste, um in den zweiten Teil der Ausstellung zu gelangen. Hier wurde dargestellt, was die Forscher des 19. Jahrhunderts mit den Erkenntnissen ihrer Vorgänger anfingen, wie sie darauf aufbauend Methoden entwickelten, um Elektrizität zu produzieren und über Drähte und Kabel in die Industrie und die Haushalte zu bringen. Für die Live-Simulation war ein Bildschirm aufgebaut, der bis an die Decke des Raumes reichte und ihn in der Breite zu zwei Dritteln ausfüllte. Der Raum war komplett abgedunkelt, die Möbel und Wände waren in schwarz gehalten, auch der Bildschirmhintergrund war schwarz. Davor schwebte geräuschlos in der Mitte des Raumes ein schimmernder Frosch vor zwei behandschuhten Händen (vgl. Abbildung 17). Hände und Frosch bewegten sich jeweils langsam, der Frosch rotierte langsam um die eigene Achse, in unregelmäßigen Abständen zuckte er zusammen, ohne vorher von den Händen berührt worden zu sein. Was auf den ersten Blick nach Projektion, nach Film in Dauerschleife aussah, war tatsächlich eine Live-Simulation: die Bewegungen von Frosch und Händen wurden nicht aufgezeichnet, es gab kein Skript und keine Dauer, die

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Wandtext Generation: The Great Invisible.

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Abbildung 17: Electricity:Live-Simulation John Gerrard

© Thomas S.G. Farnetti, Wellcome Collection

ganze Simulation war live, in Echtzeit, über eine Spiele-Engine113 in der Computersimulation selbst generiert. Gewissermaßen als Ko-Objekt dieser Simulation diente De viribus electricitatis in motu musculari commentarius,114 eine kurze Schrift, die der italienische Arzt und Naturforscher Luis Galvani verfasst hat und die Gerrard zu seiner Live-Simulation inspirierte. Die Erstausgabe von 1791, die man sich regulär auch im Lesesaal der Wellcome Library anschauen kann, befand sich unweit der Simulation, aufgeschlagen, in einer Vitrine, die auf der Innenseite der Trennwand zwischen dem ersten Raum der Ausstellung und dem Raum, in dem sich die Simulation befand, eingelassen war. Luigi Galvani war zwischen 1780 und 1790 einer der ersten, der die Zusammenhänge zwischen Muskelkontraktion und Elektrizität, genauer Metallen,

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Der Begriff Spiele-Engine stammt aus dem Bereich der Computerspiele. Allgemeinverständlich formuliert: die Spiele-Engine ist das Baugerüst, das den Spielverlauf – in diesem Fall den Verlauf der Simulation – steuert und für die visuelle Darstellung des Spielverlaufs sorgt. Sie ist der Motor, der durch Steuerung von Graphik, Sound usw. verschiedene Spielverläufe ermöglicht. Galvani, Luigi: De viribus electricitatis in motu musculari commentaries (Anm. 52).

4. Die Wellcome Collection in London

erforschte: an Muskeln toter Frösche.115 Er erkannte, dass die Berührung von Muskeln oder Nerven mit Kupfer und Eisen zu einem Muskelzucken führte – auch wenn das Tier, in diesem Fall ein Frosch, bereits tot war. Dabei war es notwendig, dass auch Kupfer und Eisen miteinander verbunden waren, sodass zusammen mit dem Froschschenkel ein Stromkreis entstehen konnte – diesen Zusammenhang wusste Galvani allerdings noch nicht zu benennen.116 Er entwickelte die Versuchsanordnung in der Folge weiter und ging bald dazu über, mit einer elektrostatischen Maschine eine Spannung zu erzeugen, durch die er die Muskeln oder Nerven der Frösche stimulierte.117 Henry Wellcome hatte zu seiner Zeit sowohl die Laborausrüstung als auch die erste Ausgabe der veröffentlichten Ergebnisse Galvanis in seine Sammlung aufgenommen. Galvanis Equipment war auf der Außenseite der Trennwand zu sehen, sodass der Besucher beim Wechsel vom ersten in den folgenden Ausstellungsraum sowohl die Apparatur als auch das Buch, in dem die Versuchsanordnung beschrieben ist, passieren musste. Das Buch war auf der Seite aufgeschlagen, auf der der Stich Tab. II schrittweise illustriert, wie Galvani seine Theorie an Froschschenkeln überprüfte (vgl. Abb. 18). Wie nun aber passten Live-Simulation und Galvanis Schrift zueinander? Der Künstler fasste es so zusammen: Commissions can bring you to a strange place. I’m not typically dealing with science, but the Wellcome Trust asked me to respond to its collection, and specifically to the topic of electricity. It started from the etching, but when I found the NASA video it was clear that I wanted to respond to that.118 Das NASA-Video, auf das sich Gerrard hier bezieht, stammt aus dem Jahr 1992. Im September des Jahres brach die Raumfähre Endeavour zu ihrer zweiten Mission auf, die auch folgendes Experiment beinhaltete: An Bord wurden die Eier von vier Fröschen befruchtet. Es sollte erforscht werden, ob diese auch in der Schwerelosigkeit die ersten Stufen ihrer Entwicklung vollziehen. 115 116 117 118

Vgl. Wenzel, Manfred: [Art.] Galvani, Luigi Aloisio, in: Gerabek, Werner E. u.a. (Hg.): Enzyklopädie der Medizingeschichte, Berlin u.a.: de Gruyter 2005, S. 455. Ebd. Vgl. Large print guide: Electricity (Anm. 48). Boucher, Brian: Why a Simulation of a Frog Floating in Outer Space Points to a New Future for Contemporary Art. Online Zugriff unter: https://news.artnet.com/art-world/ john-gerrard-frogs-digital-simulation-1021337 [Zugriff 20.03.2018].

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Abbildung 18: Galvani, De viribus electricitatis in motu musculari commentarius

© Wellcome Collection. CC BY

Man erhoffte sich, daraus Schlüsse ziehen zu können, ob Wirbeltiere – darunter auch der Mensch – in der Lage sind, unter den Bedingungen der Schwerelosigkeit heranzuwachsen. Aus den Eiern entwickelten sich regulär Kaulquappen, sodass bestätigt war, dass sie »ein wichtiges embryonales Stadium, in dem sich das Nervensystem und die inneren Organe entwickeln, auch fernab der Erde in der Schwerelosigkeit«119 vollziehen. Im NASA-Video120 kann man mitverfolgen, wie eine Person, von der man nur die Unterarme sieht, in einem weißen Schutz steckend, beide Hände behandschuht, in einer Kammer aus einem Behälter einen Frosch entnimmt und das Tier dann loslässt. Der Frosch beginnt sofort zu schweben, er strampelt und versucht zu schwimmen, dadurch wirbelt er eine zeitlang unkontrol-

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Frösche im Weltraum, in: taz, Nr. 4571 vom 16.3.1995, S. 20. Online Zugriff unter: www.taz.de/!1516492/ [Zugriff 20.03.2018]. 120 Das Video ist auf youtube abrufbar: https://www.youtube.com/watch?v= csVTQoAs504[Zugriff 20.03.2018].

4. Die Wellcome Collection in London

liert im Raum herum. Die Hände haben es schwer, ihn wieder einzufangen und zurück in den Behälter zu stecken. Die Bewegungen des Frosches brachte Gerrard in einen mittelbaren Zusammenhang mit den Versuchen Galvanis: Die mittels Elektrizität stimulierten Gliedmaßen im Galvani-Experiment hatten für ihn Ähnlichkeit mit den Schwimmversuchen des Frosches in der Schwerelosigkeit. In seiner Live-Simulation X. laevis (Spacelab) 2017 verband Gerrard die beiden zuvor beschriebenen Experimente, die in einem zeitlichen Abstand von mehr als 200 Jahren an Fröschen unternommen wurden, »[he] merges the two experiments into a haunting hybrid.«121 Das Ergebnis war der digital übertragene Frosch in der Simulation, der seine Beine charakteristisch bewegte, wie er es auch an Bord der Endeavour getan hat, dessen unregelmäßiges Zucken aber den Eindruck machte, als würde er (wie in Galvanis Experiment) einen elektrischen Schock verpasst bekommen. Die Verbindung beider Experimente wird auch im Titel der Simulation sichtbar: Das X bezeichnet die Gattung des Frosches: Xenophus, Krallenfrosch. der Zusatz laevis bezeichnet diese Gattung genauer als Glatter Krallenfrosch oder auch Afrikanischer Krallenfrosch.122 Diese Froschgattung wurde beim Experiment an Bord der Endeavour genutzt, und auch der Frosch in der LiveSimulation ist ein Krallenfrosch. Darüber hinaus ist der Zusatz Spacelab eine Referenz auf Gerrards wissenschaftliches Vorbild der Endeavour. Das verbindende Element von Gerrards Installation, Galvanis Experimenten und der Live-Simulation ist der unregelmäßig zuckende Frosch. Der letzte Bestandteil des Titels, die Jahreszahl 2017, steht zum einen ohne Frage für das Jahr, in dem die Simulation für die Electricity-Ausstellung in London fertiggestellt wurde. Dort war sie ab Februar 2017 zu sehen. Zum anderen, und das ist der Ansatzpunkt der folgenden Analyse, kann die Jahreszahl im Titel auch als Andeutung einer Aktualisierung verstanden werden. Um diese Annahme zu verfolgen, werden erneut die drei verschiedenen Aspekte der Codierungen als Zuschreibung von Wert und Sinn, und damit auch Bedeutung an das Objekt – die Mitteilungen – geprüft. Die erste Mitteilung bezieht sich auch hier auf das Denotat, das Objekt als Zeichen an sich. Die Live-Simulation von John Gerrard als solche stand 121 122

Boucher, Brian: Why a Simulation of a Frog Floating… (Anm. 118). Siehe von Filek, Werner: Frösche im Aquarium. Das Vivarium, Stuttgart: W. Keller 1975, S. 23-24.

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in der Electricity-Ausstellung für die künstlerische Auseinandersetzung mit Elektrizität. Es war Kunst – eine besondere Form von Kunst, eine Simulation in Echtzeit. John Gerrard wollte es auch in dieser Form verstanden wissen, er legte besonderen Wert auf die Abgrenzung zu anderen, vielleicht ähnlichen Formen: When the public sees a work like X. Laevis, they presume it’s a film. The most difficult thing to explain is that this work is not in the cinematic tradition, and in fact has little to do with it. […] It emerges more from flight simulation and battlefield simulation […] and are driven by the modelling of reality, not the recording of reality. […] It’s important to be clear about this medium. It’s very poorly understood by the art public, […] but it’s overdue that the subject of simulation should be addressed.123 Die Simulation hatte keine Funktion, außer die, Kunst zu sein. Vor dem Eintritt in den musealen Kontext, in diesem Fall die Ausstellung, gab es die Simulation von Gerrard nicht, sie wurde eigens für diesen Kontext geschaffen. Die zweite Form der Bedeutungszuschreibung an das Objekt erfolgt über die Objekt- und Raumarrangements. Diese sind eingangs bereits angerissen worden: Ein Arrangement im eigentlichen Sinn lag nicht vor. X. Laevis war mittelbar einzig mit dem Werk Luigi Galvanis arrangiert. Das aufgeschlagene Buch wies in den Raum hinein, in dem die Simulation zu sehen war. Im Grunde eröffnete die Simulation einen neuen Raum. Durch die durchgängig schwarze Farbgebung im Raum lösten sich die begrenzenden Wände auf, man nahm nur ein schwarzes Ganzes wahr. Dadurch stachen die Simulation und das, was sie durch den vor zwei Händen schwebenden Frosch erschuf, hervor: Die Simulation wurde als Raum wahrgenommen und so zum Raum im Raum. Nur durch den Lichtschein aus der Vitrine, in der sich De viribus electricitatis befand, wurde eine Verbindung zum ersten Ausstellungsraum geschaffen. Das Equipment, das Galvani nutzte, um seine Experimente an den Fröschen vorzunehmen, befand sich auf der Vorderseite der Vitrine. Es deutete auf den Teil der Ausstellung mit der Simulation hin, kündigte ihn gewissermaßen an. Im ersten Ausstellungsraum dominierten dunkle, aber warme Farben, die Ausstellungsmöbel waren ein Materialmix aus Stahlträgern, Holz und Glas. In den Vitrinen wurden die Anfänge der Forschung an und mit Elektrizität dargestellt, verbunden mit bekannten Namen wie Nollet, Lichtenberg und Emil Du Bois-Reymond und ihren Erfindungen. Die Wand, die zwischen diese und 123

Boucher: Why a Simulation of a Frog Floating in Outer Space… (Anm. 118).

4. Die Wellcome Collection in London

die Simulation von Gerrard gestellt wurde, trennte nicht nur das 18. Jahrhundert von der Gegenwart, hinter der Wand wurde auch eine neue Form der Beschäftigung mit der Thematik präsentiert. So neu, dass sie auch in der Kunst noch nicht etabliert ist. Die Auseinandersetzung mit den Experimenten an Fröschen, die Galvani und die Forscher auf der Endeavour angestellt haben, inspirierte John Gerrard unter Ausnutzung der ihm bekannten technischen und künstlerischen Mittel zur Live-Simulation. Dadurch wurden die Ausgangsüberlegungen aktualisiert, im Sinne von: auf die aktuellen Möglichkeiten übertragen. Dies in das Programm der Wellcome Collection zu implementieren, scheint das Anliegen der Verantwortlichen gewesen zu sein: das Interesse an unterschiedlichen Zugängen zu einer Thematik. Künstler gezielt anzusprechen, wie es im Beispiel der Electricity-Ausstellung geschehen ist, ist Teil des Konzeptes der Realisierung von Ausstellungen. Dies fällt unter den Aspekt der Metakommunikation, der bei der Bedeutungszuschreibung an ein Objekt mit zu berücksichtigen ist. Auf der Suche nach neuen Formaten und Gestaltungsmitteln, mit denen sich zum einen Dauer- und Sonderausstellungen voneinander absetzen, zum anderen aber in der Wahrnehmung des Publikums gute von weniger guten Sonderausstellungen trennen, wird oftmals der Weg über die Kunst eingeschlagen. In der Wellcome Collection ist dies – wie man auch anhand der Medicine Now- und der Being Human-Ausstellung sehen kann – Programm. Es gehört zur Zielstellung des Hauses, life, medicine and art miteinander zu verbinden. Durch den Rückbezug der Simulation auf die Versuchsanordnung von Galvani – die sich räumlich in unmittelbarer Nähe zur Live-Darstellung befand – wurde eine Verbindung zwischen ihnen sichtbar, die allerdings in die Zukunft wies.

4.2.4

Im Depot

Analog zum Vorgehen im Charité-Museum wurden auch für die Überlegungen zum Depot der Wellcome Collection, das das Depot des Science Museums ist, die Objekte ausgewählt, die bereits in den beiden Dauerausstellungsbereichen und in der Sonderausstellung Electricity Gegenstand der Untersuchungen waren. Das sind im Einzelnen The Library of the Human Genom, die Geburtszangen und Amputationssägen und die Live-Simulation von John Gerrard. Da über die konkrete Organisation der Depoträume im Einzelnen nichts bekannt ist, soll auf der Basis der Ergebnisse zum Depot des Berliner Medizin-

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historischen Museums der Charité über die oben genannten Objekte nachgedacht werden. Wie es im Rahmen der Untersuchung zum Regal in der Medicine NowAusstellung entwickelt wurde, handelt es sich bei The Library of the Human Genom um ein Raumbild, das heißt um die Übersetzung eines konkreten Themas, eines Inhalts in ein Bild. Im konkreten Beispiel ist es die Entschlüsselung des menschlichen Erbgutes, deren Ergebnis – eine scheinbar unendliche Reihe von Buchstaben – in das Bild eines vollen Bibliotheksregals übersetzt wurde. Um das Raumbild zu erhalten, müsste man das Regal vollständig, im Sinne von: in der Form, in der es auch in der Ausstellung steht, ins Depot aufnehmen. Löst man das Raumbild in seine Einzelteile auf, bleiben zum einen ein Regal und zum anderen 118 Bücher übrig. Was würde man sammeln, wenn diese jeweils ins Depot verbracht würden? Aus dem Regal würde ein beliebiges Möbelstück werden, etwas, das zur Aufbewahrung dient und dafür viele Regalböden zur Verfügung stellt. Das Regal als bindende Klammer der 118 Bände verliert die Funktion, die Bibliothek des menschlichen Erbgutes an einem Ort zu vereinen. Betrachtet man dann die 118 Bände DNA-Code als das, was sie sind, Bücher, wäre zu erwägen, ob man sie statt im Depot des Science Museums nicht eher in der Wellcome Library verwahren, sich also statt des Depots für die Bibliothek entscheiden sollte. Jeder einzelne der 118 Bände verliert dann beim Übergang in die Wellcome Library seinen Exponatcharakter, jeder Band wird zu vielen mit fragwürdigen Zeichen bedruckten Blättern zwischen zwei Buchdeckeln. Als solche würden sie einen Sonderbestand bilden: Bücher, die nur bedingt lesbar sind. Genauere Lektüre vorausgesetzt, würde jedes Buch noch den Verweis auf das Ganze – die eigenständige Bibliothek – lesbar halten, gerade weil der ›Text‹ keinen markierten Anfang und kein abschließendes Ende hat. Insofern bliebe eine Spur zum ursprünglichen Kontext erhalten: Diese Bücher sind für eine Ausstellung hergestellt worden, für einen Zusammenhang, in dem die repräsentativen Zwecke den Charakter der Bücher bestimmen. Sie sind nicht zum (vollständigen) Lesen bestimmt gewesen. Separiert in die Einzelbände verliert The Library of the Human Genome ihre Bedeutung. Es braucht den Kontext und das ganze Ensemble, um das, was mit dem Raumbild dargestellt wird, zu entschlüsseln. Es braucht die Bedeutungszuschreibung an die Bände durch die Metapher der Bibliothek. Ohne das bleibt nur die Materialität, die Bücher als zusammengeklebte Seiten aus Papier, bedruckt mit Buchstaben in schwarzer Tinte, übrig.

4. Die Wellcome Collection in London

Wenn man es genau betrachtet, sind die Metallinstrumente in der Medicine Man-Ausstellung bereits in eine depotähnliche Ordnung gebracht worden. In einer Vitrine wurden mehrere Objekte ausgestellt, die eine Eigenschaft teilten: Sie sind alle aus Metall. Es wurde in der Analyse der Medicine Man-Ausstellung dargestellt, dass es bei dieser Form der Präsentation nicht um die Biographien der einzelnen Objekte und um die damit in Zusammenhang stehenden Entwicklungen in der Medizingeschichte ging, sondern darum, einen Sammler, Henry Wellcome, und seine Auffassung von Medizin zu präsentieren. Die Präsentation und das Angebot an Informationen wurden darauf ausgerichtet, dass dies beim Besucher sinnfällig wird. Den biographischen und sammlungsgeschichtlichen Kontext und die daraus resultierende Bedeutungszuschreibung haben die Objekte im Depot nicht, dies tritt hinter die für die Ordnung im Depot entscheidenden Charakteristika zurück: Materialität und disziplinäre Einordnung. Es darf angenommen werden, dass die Zangen und Sägen auch im Depot gemeinsam bewahrt werden würden. Beide Objektgruppen sind aus Metall, beide lassen sich der Humanmedizin zuordnen. Wenn die Sammlung ähnlich der des Charité-Museums an dieser Stelle noch weiter ausdifferenziert ist und dies auch auf das Anordnungsprinzip in den Depoträumen übertragen worden ist, ließen sich Sägen und Zangen letztlich separieren in die Unterdisziplinen der Humanmedizin: Geburtshilfe und Chirurgie. Einen interessanten Fall aus der Sicht der Bewahrung von Sammlungsobjekten stellt die Live-Simulation von John Gerrard dar. Diese lässt sich schlicht nicht sammeln und auf Dauer bewahren, da sie, wie die Bezeichnung LiveSimulation schon andeutet, nicht auf Dauer angelegt ist. Es handelt sich dabei um Momentaufnahmen, nicht wiederholbar und darum jede so einzigartig und flüchtig, dass sie in kein Depotsystem passen. Es handelt sich bei der Live-Simulation um Kunst, die – wie der Künstler selbst bemängelt124 – selbst in der Kunst-Szene noch nicht etabliert ist und die sich ähnlich einer Theater- oder Tanzaufführung nicht archivieren lässt. Ähnlich wie beim ersten Beispiel, dem Regal, macht die Gesamtheit der Einzelaspekte das Objekt in der Ausstellung aus. Man kann im Fall der LiveSimulation den Bildschirm, die Spiele-Engine, den Computer usw. sammeln und ins Depot bringen, die Live-Simulation hat sich dennoch verflüchtigt. Gesammelt wird dann Technik bzw. technisches Zubehör, gesammelt werden technische Geräte, die das Potenzial haben, medial etwas sehr Besonderes zu 124 Siehe Boucher: Why a Simulation of a Frog Floating… (Anm.118).

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Wissenschaftsmuseen

erschaffen. Dieser Umstand spricht für das, was in der Analyse der Sonderausstellung konstatiert wurde: das Wissen, das dort transferiert wird, ist auf Aktualität ausgerichtet, es bildet gegenwärtige Entwicklungen und Überlegungen ab.

4.3

Zusammenfassung

Ausgehend von den Betrachtungen der zum Einsatz gekommenen Präsentationsmittel und -strategien in den beiden Teilen der Dauerausstellung, in der Sonderausstellung und auch im Depot der Wellcome Collection soll im Folgenden untersucht werden, wie mit Wissen umgegangen wird, auf welche Weise es inszeniert wird, welche Form von Wissen dadurch vermittelt wird. Inszeniert heißt erst einmal in einem allgemeinen Sinne: sichtbar machen, dass das, was man sieht, auf Wissen beruht, mit Wissen verbunden ist. Dieses Sichtbar-Machen lässt sich in vielerlei Hinsicht genauer betrachten (und thematisch aufschlüsseln). Zu den Voraussetzungen einer detaillierten Betrachtung in museologischer Perspektive gehört die Frage: Welche Rahmenbedingungen werden durch die spezifischen Formen der Ausstellung und im Depot vorgegeben? Inwiefern dies im ausgewählten Londoner Beispiel umgesetzt wurde, soll im Folgenden aufgearbeitet werden. Wie im Abschnitt zur Medicine Now-Ausstellung dargestellt, ist die Gestaltung des Ausstellungsteils auf ein Minimum reduziert: zwei Farben, die zwei Objektklassen voneinander trennen – darüber hinaus keine besonderen zum Einsatz gekommenen Präsentationsmittel. Kein Objekt wurde besonders hervorgehoben, alle Objekte wurden gleichwertig behandelt – unabhängig davon, ob sie Kunst sind oder nicht. Ohne besondere Höhepunkte zeigt die Ausstellung eine breite Auswahl an Objekten zu verschiedenen Themen – und präsentiert dadurch ein breites Wissen. Jedem der vier Themen wird ungefähr die gleiche Fläche gewährt, keines wird besonders ausführlich dargestellt, keinem eine größere Aufmerksamkeit gewidmet. So kann sich der Besucher in der Ausstellung breit informieren – eine Vertiefung ist in der Ausstellung nicht vorgesehen – es werden dazu innerhalb der Ausstellung über die präsentierten Objekte hinaus kaum/keine Angebote gemacht. Die Texte zu den Objekten sind knapp gehalten und haben informierenden Charakter – vermitteln aber kein Wissen über Zusammenhänge. Über künstlerische Elemente werden gezielte Akzente gesetzt, die

4. Die Wellcome Collection in London

zwar Aufmerksamkeit erregen, aber höchstens auf abstrakter Ebene Wissen vermitteln. Das soll die Kunst in der Ausstellung offensichtlich auch nicht leisten – sie ist strikt getrennt, vor allem räumlich, aber auch in den Inhalten, die ausschließlich über rein medizinische, nicht künstlerische Objekte vermittelt werden. Die Ergebnisse medizinischer Forschung, die hier präsentiert werden und die auf vorher erworbenem Wissen basieren, verursachen beim Besucher die Suche nach neuem Wissen, um zu verstehen, was genau hier im Einzelnen vermittelt wird. In Bezug auf die der Organisationsform Dauerausstellung eigene Form von Wissen stellte der Dauerausstellungsteil Medicine Now der Wellcome Collection einen Sonderfall dar, denn schon der Titel der Ausstellung brach mit dem, was als Spezifika von Dauerausstellungen veranschlagt wurde: breites, allgemeingültiges, auf Dauer angelegtes Wissen zu präsentieren – dies wird auch in der Bezeichnung dieser Organisationsform Dauerausstellung angezeigt. Dem widersetzte sich die Medicine Now-Ausstellung, man möchte annehmen ganz bewusst, indem die Verantwortlichen mit Now einen Zeitpunkt festlegten, von dem aus auf die Themen, vor allem aber auf die Objekte in der Ausstellung geblickt wurde. Beides wurde zeitlich verortet an einem Punkt, der Gegenwart suggeriert, dem Jetzt. Es liegt auf der Hand, dass das in einer Lebenswissenschaft wie der Medizin, die sich mehr noch als andere Wissenschaften ständig weiterentwickelt – sich weiterentwickeln, verändern muss, die von Forschung und Fortschritt lebt, ein schwieriges Unterfangen ist. Eine Ausstellung, die Gegenwärtigkeit im Titel trägt und für einen zunächst unbestimmten Zeitraum, mehrere Jahre umfassend, konzipiert wird, und auf die Weiterentwicklungen und Veränderungen nur bedingt reagiert, steht dem Prinzip Dauerausstellung entgegen. Die Ausstellung spielt über ihren Titel mit den Erwartungen, breites, allgemeingültiges, auf Dauer angelegtes Wissen zu präsentieren. Und so war die Medicine Now-Ausstellung, knapp zehn Jahre nach der Eröffnung schon »out of date […] it’s really Medicine-Nowten-years-ago«.125 Dass es eine Überarbeitung der Ausstellung geben musste, war und ist den Verantwortlichen bewusst und war von Anfang an einkalkuliert: »Ideal would be probably every five years«.126 Während des Gesprächs mit James Peto im März 2018 stellte er für 2018/2019 eine grundlegende Erneuerung der Ausstellung in Aussicht und führte aus, dass das Konzept vor125 126

Gespräch mit James Peto (Anm. 40). Ebd.

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sieht, »to build some flexibility into Medicine Now. It may not work with the whole Medicine Now«, aber angedacht war, dass »a section, at least some parts of the exhibition there can respond to new contemporary issues, which that current exhibition doesn’t really do.«127 Letztlich ist es eine komplett neugestaltete Ausstellung geworden: mit Ausnahme der Transparent Woman findet sich kein Objekt aus Medicine Now in Being Human wieder. Das Konzept der Art Cubes wurde verworfen, die Kontrastierung von Objekten aus dem Alltag und der Wissenschaft mit Kunstobjekten und -installationen wurde jedoch beibehalten. Dass es einen neuen Ausstellungstitel gibt, erscheint unter dem Aspekt der Neugestaltung und dem Aspekt des Austauschs der Objekte logisch. Dass die Ausstellung aber nun einen vergleichsweisen abstrakten Titel trägt, dass auf ein temporales Partikel wie »now« verzichtet wurde, zeigt die von vornherein bestehende und oben beschriebene Unvereinbarkeit von Präsentationsform Dauerausstellung mit den ihr eigenen Eigenschaften, in Verbindung mit dem dort präsentierten Wissen und einem Aktualität und Gegenwärtigkeit behauptenden Ausstellungstitel. Die Medicine Man-Ausstellung entspricht im Gegensatz zur Medicine NowAusstellung dem klassischen Bild einer Dauerausstellung. Die Präsentation ist im Gegensatz zu Medicine Now sehr reduziert. Es gibt kein Spiel mit Farben oder Formen, die Anordnung der Vitrinen ist eher klassisch, das Licht ist auf ein Minimum zurückgeregelt, die Ausstellungsmöbel aus dunklem Holz. Die Medicine Man-Ausstellung entspricht in dieser Form ohne Einschränkungen dem, was Jana Scholze unter der Präsentationsform Klassifikation beschrieben hat. Die hier ausgestellten Objekte sind exemplarisch – können es ob der Fülle an Objekten, die die Sammlung zur Verfügung stellt nur sein. Das macht die in der Ausstellung vertretenen Objekte weitgehend austauschbar, es kommt auf das individuelle Objekt im Grunde nicht an, da nicht das Objekt, sondern das Sammeln Henry Wellcomes im Vordergrund dieses Ausstellungsteils steht. Die Objekte werden auf ihre formalen und funktionellen Eigenschaften reduziert, sie sind nur Mittel zum Zweck, um die Sammelleidenschaft Henry Wellcomes in all ihren Facetten zu skizzieren. Die zweite Form der musealen Realisierung in der Wellcome Collection, die Sonderausstellung Electricity, die anhand einer Live-Simulation von John Gerrard in den Blick genommen wurde, griff auf ein Thema von sowohl gesellschaftlicher als auch kulturhistorischer Relevanz zurück: Elektrizität. 127

Ebd.

4. Die Wellcome Collection in London

Der Plot der Ausstellung orientierte sich klassisch an einer Chronologie. Diese wurde an den drei Stellen in der Ausstellung ganz offensichtlich unterbrochen, an denen Kunst integriert wurde – Auftragskunst, als Zeichen gegenwärtiger, aktueller Auseinandersetzung mit Elektrizität. John Gerrard spitzte es in seiner Live-Simulation zu, indem er eine mediale Form wählte und erschuf, die durch die zugrundeliegende technische Innovation an Aktualität und Aktualisierung nicht mehr zu übertreffen ist – beides Aspekte, die zu den spezifischen Charakteristika von Sonderausstellungen zählen. Aufgrund fehlender gesicherter Informationen zum Depot der Wellcome Collection im Science Museum kann jegliche Überlegung an dieser Stelle nur theoretisch bleiben. Es ist anzunehmen, dass dieselbe Beobachtung gilt wie auch beim Depot/der Sammlung des Medizinhistorischen Museums der Charité, da die Räumlichkeiten des Depots immer den gleichen Regularien unterliegen: sie sind in erster Linie da, um zu bewahren und zu erhalten. Die Aufmerksamkeit muss darum auf dem Objekt liegen und weniger auf möglichen Inszenierungspraktiken. Das Wissen wird in diesem Depot wie auch in jedem anderen immer in erster Linie konservatorisch und disziplinär bedingt sein, weil dies die Rahmenbedingungen sind, die das museale Realisierungsformat Depot vorgibt.

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5. Zusammenfassung

Ausgangspunkt der vorliegenden Untersuchung zum repräsentativen Zusammenhang der Dinge im Museum war das Museum als ein Ort des Wissens: ein Ort, an dem Dinge, und vermittelt über dieses Wissen zur Schau gestellt wird. Auf diese Weise wird zugleich Wissen transferiert und generiert – nicht notwendig dasselbe Wissen, das präsentiert wird. Um diesen Zusammenhängen näher nachgehen zu können, wurden Museen untersucht, die bereits durch ihre Bezeichnung als ein Museum für und/oder über Wissen und die Wissenschaft gekennzeichnet sind: Wissenschaftsmuseen. Exemplarisch wurden zwei medizinhistorische Museen ausgewählt, die dieses Kriterium erfüllen: eines in Berlin und das andere in London. Jedes von ihnen geht mit Objekten um, die in der Hauptsache einen medizinischen oder medizinhistorischen Ursprung haben oder in Verbindung mit Medizin als Wissenschaft gebracht werden können und darum ohne Frage prädestiniert sind für den Transfer von Wissen. Das Berliner Medizinhistorische Museum der Charité entspricht zusammenfassend mehr den allgemeinen Erwartungen an ein Museum: Seine Sammlungen sind historisch gewachsen und gehen auf einen der bekanntesten und einflussreichsten Berliner Ärzte seiner Zeit zurück: Rudolf Virchow. Nach seinen Vorstellungen entstand aus einer Präparatesammlung an der Grenze zum 20. Jahrhundert ein Pathologisches Museum, aus dem wiederum das heutige Berliner Medizinhistorische Museum entstand. Das Bestreben, Wissen zu bewahren, es sichtbar zu machen und zu transferieren und auf diese Weise dazu beizutragen, neues Wissen zu erzeugen, steckte also bereits in den Grundfesten dieses Museums. Etwas anders gelagert ist es bei der Londoner Wellcome Collection: Henry Wellcome, ein amerikanischer Pharmazieunternehmer, der in Großbritannien mit der Patentierung von tablettenförmiger Medizin immensen Reichtum erwirtschaftet hatte, trug durch seine ausgeprägte Sammelleidenschaft eine

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Wissenschaftsmuseen

Masse an verschiedenen Objekten zusammen. Nicht im Mindesten so strukturiert und zielgerichtet wie Rudolf Virchow, aber dennoch immer mit starkem medizinhistorischem Bezug. In der Untersuchung der Museen wurden beide Institutionen als Ganzes betrachtet. Der zentrale Bereich der Untersuchung resultierte aber aus der Dreiteilung des Museums in seine klassischen Bereiche Sammlung/Depot, Dauerausstellung und Sonderausstellung. Jeder dieser Bereiche zeichnet sich durch einen besonderen Umgang mit den Objekten aus, der zum einen historisch gewachsen ist und sich zum anderen in unterschiedlichen Präsentationsformen äußert. Diesen spezifischen Formen des Umgangs mit den Objekten unterliegen unterschiedliche Arten von Wissen mit einer je spezifisch orientierten Pragmatik. Daran richtete sich auch die Methodik der Untersuchung aus: bei einem Rundgang –mehrfach – durch die Museen wurde den Formen des Wissens nachgespürt: vom Depot/der Sammlung hin zur Sonderausstellung in ihren jeweils konkreten Ausprägungen. Zunächst vom Standpunkt des weitgehend naiven Besuchers aus – es wurde versucht die Position von jemandem einzunehmen, der das Museum das erste Mal betritt: Was sieht er? Was fällt ihm auf? Und so weiter. In einem nächsten Schritt wurde der Rundgang vorbereitet durch eine ausgeprägte Literaturrecherche und Materialsichtung, sowohl zur Geschichte des Hauses und wichtigen damit in Verbindung stehenden Personen als auch zur Genese von Ausstellungen: der Dauerausstellung beispielsweise, aber auch zu Sonderausstellungen, besonderen Veranstaltungen, Kooperationsprojekten und Ähnliches. Von Interesse war alles, was es ermöglichte, einen Eindruck davon zu erhalten, wie sich das Museum selbst sieht – wie es sich beispielsweise im Wissenschaftsbetrieb verortet. Dies wurde dann im Gespräch mit leitenden Personen beider Museen abgeglichen. Erst danach erfolgte der analytische Zugriff auf das Museum und seine Ausstellungsformate. Zunächst einmal von grundlegenden Überlegungen zum Wissen in den einzelnen Realisierungsformen: In der Sammlung ist es ein Wissen, das disziplinär und konservatorisch geprägt ist. Die Pragmatik des Depots ist in mehrfachem Sinne bewahrend. Die Dauerausstellung nutzt dies und greift auf dieses Wissen zurück, indem sie ausgewählte Objekte aus verschiedenen Sammlungen zeigt: Sie greift auf ein thematisch breites und historisch dominiertes Wissen zurück, das mit den ursprünglichen Kontexten der gesammelten Dinge auf verschiedenste Weise verbunden ist, und vermittelt es über klassische Präsentationskonzepte. So können die Objekte über mehrere Jahre hinweg in der Präsentation

5. Zusammenfassung

nahezu unverändert im Museum präsent sein und langfristig gültiges Wissen vermitteln und generieren. Mit den Objekten, die hier gezeigt werden, werden tendenziell keine aktuellen Entwicklungen und Forschungsergebnisse abgebildet. Dies obliegt der Sonderausstellung. Diese schafft augenscheinlich einen besonderen Reiz für einen Museumsbesuch. In der Sonderausstellung dominiert klar thematisch zugespitztes und auf Aktualität ausgerichtetes Wissen. Die Kontexte, die zur Schau gestellt werden, sind darauf ausgerichtet, die Aktualität zu betonen. Eine Betrachtungsweise von Ausstellungen, wie sie gerade skizziert wurde, zieht die Vermutung nach sich, dass der Grad der Inszenierung der Dinge vom Depot zur Sonderausstellung zunimmt. Dass Inszenierung im Depot kaum eine Rolle spielt und in Sonderausstellungen deutlich ins Gewicht fällt, ist eine Binsenweisheit. Die Einsicht ist weniger trivial als es auf den ersten Blick scheint: Dass auch die Abwesenheit von Inszenierung im Depot für inszenatorische Effekte gut ist, lässt sich in jedem Schaudepot bestaunen. Offensichtlich gibt es einen Zusammenhang zwischen der Art der Aufbewahrung sowie des Typs der Ausstellung, den damit verbundenen Formen von Inszenierung und den Arten und Formen des Wissens, die so ›aufgerufen‹ werden. Diese Vorannahmen wurden anhand ausgewählter Objekte aus den unterschiedlichen Realisierungsformen des Museums konkretisiert und überprüft. Dabei wurde eine Bandbreite an möglichen Inszenierungsstrategien sichtbar, die von der Orientierung an disziplinären und konservatorischen Vorgaben in den Depots über die klassischen Präsentationsformen wie Chronologie, Klassifikation oder auch Raumbild in den Dauerausstellungen bis zur Aktualisierung, Kontrastierung und Kommentierung in den Sonderausstellungen reicht. Auch die fließenden Grenzen zwischen Dauer- und Sonderausstellung wurden am Beispiel der Berliner Interventionsausstellung Die Seele ist ein Oktopus sichtbar. Die Untersuchung führte zugleich vor, auf welche Weise sich die beobachteten Phänomene und die ihnen zugrunde liegenden museologischen und epistemischen Zusammenhänge analytisch fassen lassen. Als eine besondere Form von Dauerausstellung stellte sich das Londoner Beispiel Medicine Now heraus. Diese Ausstellung ist gewissermaßen ein Widerspruch in sich: Die Form der Dauerausstellung wird genutzt – eine museale Realisierungsform, die auf Dauer, auf langfristig gültiges Wissen ausgerichtet ist – um an der Gegenwart orientierte medizinische Themen wie Fettleibigkeit und Genetik auszustellen. Als Gestaltungsmittel wurde hierfür der Kontrast zwischen Kunst und Nicht-Kunst gewählt, der im Raumarrange-

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Wissenschaftsmuseen

ment strikt umgesetzt wurde. Die Kunst enthebt die Wissenschaft ihrer Zeitlichkeit. Als Bibliothek ins Regal gestellt, wurde nicht in erster Linie die genaue Abfolge der Genomsequenzen, die 2007 ein Produkt aktueller Forschung war – vielmehr wurde dauerhaft bewahrt, dass der Mensch im 21. Jahrhundert in der Lage ist, komplexe genetische Strukturen zu entschlüsseln und diese in einer Buchstabenfolge auszugeben. Dass das Spiel mit Bezeichnung und Rückgriff auf die dauerhafte Form der musealen Präsentation nur bedingt praktikabel ist, hat James Peto im Gespräch ›selbstkritisch‹ zugegeben. Um das Now im Titel der Ausstellung auf Dauer einlösen zu können, wird darum darüber nachgedacht, nach der Überarbeitung der Ausstellung im Herbst 2019 modulare Elemente in die Ausstellung zu integrieren – die scharfen begrifflichen Grenzen der Dauerausstellung also regelmäßig verschwimmen zu lassen. Das zeigt, dass durchaus ein Bewusstsein für die Verschiedenheit von Dauer- und Sonderausstellung vorhanden, aber möglicherweise der Versuch, beides miteinander in Einklang zu bringen, reizvoller war. Im Zusammenspiel zwischen Leben, Kunst und Wissenschaft, das die Wellcome Collection in ihren Ausstellungen immer wieder stark macht, steckt die Frage danach, was dem Besucher generell an Wissen angeboten werden soll – in den Dauer- und auch den Sonderausstellungen. Ist Kunst ein probates Mittel, um den Besucher überhaupt erst einmal zu interessieren und zu erreichen – und in einem nächsten Schritt als Interessenten zu halten und zum Wiederkommen motivieren? Hier zeigt sich die Spanne, in der Wissen transportiert werden kann: anregen und nicht belehren. Dauer- und Sonderausstellung im Medizinhistorischen Museum kommen weitgehend ohne Kunst aus. Der Zugriff auf den Gegenstand der Untersuchung erfolgte von den einzelnen Objekten, den Dingen aus: Aus den einzelnen Bereichen des Museums wurden jeweils ausgestellte oder verwahrte Objekte ausgewählt, und ins Zentrum der Betrachtung gerückt. Ziel der Arbeit war es, den Zusammenhang zwischen Exponat und Wissen genauer zu fassen. Es wurde betrachtet, inwiefern durch die ausgewählten Exponate fachliche Inhalte und bestimmte Formen von disziplinärem Wissen repräsentiert werden, und welche charakteristischen Formen von Inszenierung für die museale Darbietung eingesetzt werden. Die theoretische Grundlage bildeten Konzepte wie Rheinbergers ›Dingepistemologie‹ oder Korffs ›Dinggeschichte‹, vor allem aber das von Jana Scholze entwickelte kultursemiotische Begriffsinventar.

5. Zusammenfassung

Darauf aufbauend machte sich die vorliegende Untersuchung auch zunutze, dass die einzelnen Dinge im Museum auf ihren Zeichencharakter beschränkt und losgelöst von den sie dominierenden Eigenschaften ihre Dinggeschichte und die Geschichte der wissenschaftlichen Aufmerksamkeit für die einzelnen Dinge rekonstruiert werden kann. Dabei waren die Voraussetzungen für die Untersuchung der beiden Museen durchaus unterschiedlich. Das Berliner Medizinhistorische Museum ist bereits gut erforscht. Der Museumsdirektor Thomas Schnalke setzt sich intensiv mit dem Sammlungsbestand des Hauses auseinander und publiziert die Ergebnisse. Dadurch ist eine Auswahl an Fachliteratur vorhanden. Auch die Geschichte des Hauses und seiner Vorläufer ist gut dokumentiert. Es gibt einen ausführlichen Katalog zur Dauerausstellung, der reich bebildert ist und in dem sich viele zusätzliche Informationen finden. Das Profil des Museums ist klar umrissen, es entsteht durch das umfangreiche Material eine klare Vorstellung davon, wie das Museum und seine Bestände in der Öffentlichkeit wahrgenommen werden wollen, welches Selbstbild das Haus in die Öffentlichkeit vermitteln möchte. Über Presseberichte und Dokumentationen zu Sonderausstellungen lassen sich zusätzliche Details zum Museum und seinen Ausstellungen finden, die über das Fachpublikum hinaus auch für Aufmerksamkeit in der breiten Öffentlichkeit sorgen können. Die Themenstellung der vorliegenden Untersuchung bietet sicher einen neuen Blick auf bereits Bekanntes, hinterfragt und durchdenkt Konzepte und Präsentationsstrategien – und kann dabei eben auf breit gestreute Forschung zum Museum zurückgreifen. Anders ist es bei der Wellcome Collection. Die Darstellungen, die sich direkt auf das Haus und seine Geschichte beziehen, die die Dauerausstellung genauer in den Blick nehmen, sind zehn Jahre und älter. Was zumindest im deutschsprachigen Raum als Dokumentation einer Ausstellung bekannt ist, anhand derer man Objekt- und Raumarrangements im Nachhinein nachvollziehen und sich zu einigen Objekten näher belesen kann, ist für die Wellcome Collection in gedruckter Form nur spärlich vorhanden. In den Publikationen zu den Sonderausstellungen wird vielmehr das Thema an sich in den Vordergrund gestellt und populärwissenschaftlich bearbeitet. Dafür sind die Recherchen über die Internetpräsenz der Wellcome Collection extrem ergiebig: Hier werden diverse Materialien zur Verfügung gestellt, es gibt Blogbeiträge, Podcasts, kurze Videos, die über verschiedene soziale Netzwerke geteilt werden, darüber hinaus steht ein großes Materialangebot zu den Sonderausstellungen zum Herunterladen bereit – darunter für einige Ausstellungen beispiels-

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weise auch die Objekttexte. Dies ist das Angebot, das die Wellcome Collection interessierten Forschern macht – darüber hinaus wurde es zunächst schwierig, Details zu erfragen und mit jemandem vor Ort in Kontakt zu kommen. Die Wellcome Collection legt stattdessen einen großen Schwerpunkt ihrer Öffentlichkeitsarbeit auf mediale Präsenz bei twitter und instagram, die die tiefgründigen Bereiche der Wissensvermittlung nicht erreichen kann, dafür aber ein breites Publikum anspricht und ›bespielt‹. Dies ließe sich bei einer folgenden Untersuchung noch mehr oder überhaupt in die Betrachtung mit einbeziehen: der Umgang mit Medien innerhalb der Ausstellungen und begleitend zur Ausstellung. Welche Rolle spielt das für den Zusammenhang von Wissen und Präsentation? Auch wurde in der vorliegenden Untersuchung die Perspektive des Besuchers größtenteils ausgeklammert. Sie wurde bei den deskriptiven Teilen der Arbeit berücksichtigt: Was kann der Besucher sehen? Was sieht er? Was soll er gegebenenfalls sehen? Dies wurde jedoch empirisch nicht überprüft, obwohl durchaus das Bewusstsein dafür vorhanden ist, dass durch die klassischen Formen der Besucherbefragungen und die moderneren Varianten der Eye-Track-Studien oder Ähnliches zur Verfügung gestanden hätten. Sie wurden bewusst nicht berücksichtigt, um den Schwerpunkt beim Wissen mit seinen verschiedenen Ausprägungen in den unterschiedlichen musealen Realisierungsformen zu belassen. Ebenfalls nicht thematisiert wurde ein möglicher Unterschied in den Präsentationsformen, die sich aus kulturellen Unterschieden ergeben. Sollte man einen Unterschied machen zwischen britischen und deutschen Museen? Gibt es einen Unterschied in den Sehgewohnheiten, die beim Konzipieren einer Ausstellung berücksichtigt werden, oder ist das total abwegig? Interessant wäre es in diesem Kontext einmal nachzuschauen, was sich von den kulturellen Hintergründen auf die Philosophie eines Hauses überträgt, wenn beispielsweise ein Deutscher Direktor eines britischen Museums ist. Auch grundlegende kulturelle Probleme im Umgang mit Objekten wurden gänzlich ausgeklammert. So ist im Hinblick auf das Schlagwort der Stunde: »Digitalisierung«, die Frage nach der Daseinsberechtigung wissenschaftshistorischer Objekte in der vorliegenden Untersuchung nicht gestellt worden. Trotz einiger Förderprogramme namhafter Fördereinrichtungen wie dem Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) oder der Stiftung Mercator bleibt die Frage: Was wird in der Zukunft mit diesen Zeitzeugnissen geschehen?

5. Zusammenfassung

Diese und weitere Fragen und Ansätze bleiben offen. Stattdessen konzentrierte sich die vorliegende Untersuchung darauf, einen Ausgangspunkt zu schaffen, von dem aus man über die noch offenen Punkte nachdenken kann. Dazu bedurfte es einer Vorstellung davon, wie der Zusammenhang zwischen der Ding-Präsentation im musealen Zusammenhang und dem Umgang mit Wissen funktionieren kann. Dies bildet die Grundlage für ein zukünftiges Nachdenken über den Sinn und Zweck der Institution Museum als Ort des Wissens.

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– Nachschlagewerke – [Art.] intervenieren, in: DUDEN. Deutsches Universalwörterbuch, herausgegeben von der Dudenredaktion, 7., überarbeitete und erweiterte Auflage, Mannheim/Zürich: Dudenverlag 2011, S. 928. [Art.] Enzephalomalazie, in: Pschyrembel Klinisches Wörterbuch 2017. Begründet von Willibald Pschyrembel. Bearbeitet von der PschyrembelRedaktion des Verlages, 267., neu bearbeitete Auflage, Berlin: de Gruyter 2017, S. 509. Wenzel, Manfred: [Art.] Galvani, Luigi Aloisio, in: Gerabek, Werner E. u.a. (Hg.): Enzyklopädie der Medizingeschichte, Berlin u.a.: de Gruyter 2005, S. 455.

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6. Literaturverzeichnis

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– Zur Dauerausstellung Medicine Man – John Weiss & Son: https://www.haag-streit.com/john-weiss/history-jw/ [Zugriff 15.03.2018].

– Zur Sonderausstellung Electricity – Startseite Electricity: https://wellcomecollection.org/electricity [Zugriff 19.05.2017]. X. Laevis (Spacelab) 2017: www.johngerrard.net/x-laevis-spacelab-2017.html [Zugriff 20.03.2018]. John Gerrards frog digital simulation: https://news.artnet.com/art-world/ john-gerrard-frogs-digital-simulation-1021337 [Zugriff 20.03.2018]. Zweite Mission Endeavour: Frösche im Weltraum, in: taz, Nr. 4571 vom 16.3.1995, S. 20. [Online Zugriff unter: www.taz.de/!1516492/] [Zugriff 20.03.2018]. NASA-Video: https://www.youtube.com/watch?v=csVTQoAs504 [Zugriff 20.03.2018].

– Zur Wellcome Library – WellcomeCollection is growing: http://blog.wellcomelibrary.org/2012/10/ wellcome-collection-is-growing/ [Zugriff 10.12.2017]. History of WellcomeLibrary: https://wellcomelibrary.org/what-we-do/historyof-wellcome-library/ [Zugriff 16.12.2017]. Reading Room: https://www.museeum.com/look-touch-read-collect-talk/ [Zugriff 25.03.2018].

– Zu weiteren Museen, Ausstellungen und Sammlungen – Science Museum London: https://www.sciencemuseum.org.uk [Zugriff 20.03.2018]. Teylers Museum: https://www.teylersmuseum.nl/en/. [Zugriff 20.03.2018]. Teylers Museum: Electricity: https://www.teylersmuseum.nl/en/visiting-themuseum/what-is-there-to-see-and-do/electricity-the-spark-of-life [Zugriff 20.03.2018]. Museum of Science and Industry Manchester: https://www.msimanchester. org.uk/ [Zugriff 20.03.2018].

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– Zu Förderprogrammen – BMBF: Die Sprache der Dinge: https://www.bmbf.de/foerderungen/ bekanntmachung-1363.html [Zugriff 03.01.2018]. Mercator: SammLehr: https://www.stiftung-mercator.de/de/projekt/ sammlehr-an-objekten-lehren-und-lernen/ [Zugriff 03.01.2018].

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Empfehlungen Wissenschaftsrat: https://www.wissenschaftsrat.de/ download/archiv/10464-11.pdf [Zugriff 27.12.2017].

7. Abbildungsverzeichnis

Abbildung 1: Außenansicht Berliner Medizinhistorisches Museum der Charité............. 71 Abbildung 2: Vitrine Anatomisches Theater........................................................ 80 Abbildung 3: Arbeitstisch von Rudolf Virchow..................................................... 82 Abbildung 4: Patientensaal ............................................................................. 89 Abbildung 5: Präparat No. 2119........................................................................ 100 Abbildung 6: Präparatevitrine: Der Gehirntumor – mit Intervention ......................... 112 Abbildung 7: Votiv eines männlichen Oberkörpers ............................................... 115 Abbildung 8: Graphik Visual Translation – Verortung der Seele ............................... 117 Abbildung 9: Depot: Pathologische Präparatesammlung .......................................122 Abbildung 10: Außenansicht Wellcome Collection in der Euston Road, London .......... 134 Abbildung 11: Beginn der Medicine Now-Ausstellung .............................................140 Abbildung 12: Medicine Man – Blick von rechts ................................................... 150 Abbildung 13: Medicine Now: The Library of the Human Genome.............................159 Abbildung 14: Being Human – Neuer Dauerausstellungsbereich .............................. 172 Abbildung 15: Glasware im Regal Medicine Man ................................................... 176 Abbildung 16: Vitrine Metal Instruments............................................................. 177 Abbildung 17: Electricity:Live-Simulation John Gerrard ........................................ 198 Abbildung 18: Galvani, De viribus electricitatis in motu musculari commentarius ...... 200

Museum Anna Greve

Koloniales Erbe in Museen Kritische Weißseinsforschung in der praktischen Museumsarbeit 2019, 266 S., kart., 23 SW-Abbildungen, 4 Farbabbildungen 24,99 € (DE), 978-3-8376-4931-4 E-Book: 21,99 € (DE), ISBN 978-3-8394-4931-8

Bärbel Maul, Cornelia Röhlke (Hg.)

Museum und Inklusion Kreative Wege zur kulturellen Teilhabe 2018, 168 S., kart., 16 Farbabbildungen 29,99 € (DE), 978-3-8376-4420-3 E-Book: 26,99 € (DE), ISBN 978-3-8394-4420-7 EPUB: 26,99 € (DE), ISBN 978-3-7328-4420-3

Bernadette Collenberg-Plotnikov (Hg.)

Das Museum als Provokation der Philosophie Beiträge zu einer aktuellen Debatte 2018, 286 S., kart., 19 SW-Abbildungen 29,99 € (DE), 978-3-8376-4060-1 E-Book: 26,99 € (DE), ISBN 978-3-8394-4060-5

Leseproben, weitere Informationen und Bestellmöglichkeiten finden Sie unter www.transcript-verlag.de

Museum Andrea Kramper

Storytelling für Museen Herausforderungen und Chancen 2017, 140 S., kart., 15 SW-Abbildungen 19,99 € (DE), 978-3-8376-4017-5 E-Book: 17,99 € (DE), ISBN 978-3-8394-4017-9 EPUB: 17,99 € (DE), ISBN 978-3-7328-4017-5

Johanna Di Blasi

Das Humboldt Lab Museumsexperimente zwischen postkolonialer Revision und szenografischer Wende 2019, 292 S., kart., 16 Farbabbildungen 34,99 € (DE), 978-3-8376-4920-8 E-Book: 34,99 € (DE), ISBN 978-3-8394-4920-2

Klaus Krüger, Elke A. Werner, Andreas Schalhorn (Hg.)

Evidenzen des Expositorischen Wie in Ausstellungen Wissen, Erkenntnis und ästhetische Bedeutung erzeugt wird 2019, 360 S., kart., 4 SW-Abbildungen, 77 Farbabbildungen 32,99 € (DE), 978-3-8376-4210-0 E-Book: 32,99 € (DE), ISBN 978-3-8394-4210-4

Leseproben, weitere Informationen und Bestellmöglichkeiten finden Sie unter www.transcript-verlag.de