Das Bild des Ordenslehrers und die Allegorie des Wissens 9783050069333, 9783050023939

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Das Bild des Ordenslehrers und die Allegorie des Wissens
 9783050069333, 9783050023939

Table of contents :
Geleitwort
Inhaltsverzeichnis
Einleitung: Die Augustiner-Eremiten
I. Augustinus und die Lehre seines Ordens
II. Die Suche nach dem Prototyp
III. Die toskanische Variante
IV. Die Augustiner-Eremiten in der Bildpropaganda der italienischen Bettelorden
Anhang
Abkürzungen
Literaturverzeichnis
Abbildungen
Abbildungsnachweis
Register

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Dorothee Hansen Das Bild des Ordenslehrers und die Allegorie des Wissens

Acta humaniora Schriften zur Kunstwissenschaft und Philosophie

Dorothee Hansen

Das Bild des Ordenslehrers und die Allegorie des Wissens Ein gemaltes Programm der Augustiner

Akademie Verlag

Gedruckt mit Unterstützung des Förderungs- und Beihilfefonds Wissenschaft der VG Wort

Titelbild: Augustinus mit Theologie und Philosophie, Detail aus der Allegorie des Wissens; Miniatur von Nicolo di Giacomo in einem Digestenkommentar des Bartolus de Sassoferrato; Madrid, Biblioteca Nacional, Cod. 197, fol. 3r

Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme Hansen, Dorothee: Das Bild des Ordenslehrers und die Allegorie des Wissens : ein gemaltes Programm der Augustiner / Dorothee Hansen. Berlin : Akad. Verl., 1995 (Acta humaniora) Zugl.: München, Univ., Diss., 1992 ISBN 3-05-002393-7

© Akademie Verlag GmbH, Berlin 1995 Der Akademie Verlag ist ein Unternehmen der VCH-Verlagsgruppe. Gedruckt auf chlorfrei gebleichtem Papier. Das eingesetzte Papier entspricht der amerikanischen Norm ANSI Z.39.48 - 1984 bzw. der europäischen Norm ISO TC 46. Alle Rechte, insbesondere die der Ubersetzung in andere Sprachen, vorbehalten. Kein Teil dieses Buches darf ohne schriftliche Genehmigung des Verlages in irgendeiner Form - durch Photokopie, Mikroverfilmung oder irgendein anderes Verfahren - reproduziert oder in eine von Maschinen, insbesondere von Datenverarbeitungsmaschinen, verwendbare Sprache übertragen oder übersetzt werden. Satz: deutsch-türkischer fotosatz Berlin Druck: GAM Media GmbH, Berlin Bindung: Verlagsbuchbinderei Dieter Mikolai, Berlin Printed in the Federal Republic of Germany

Geleitwort von Hans Belting

Die Arbeit, die ich hier vorstelle, vertritt eine neue Thematik und eine neue Methode der Forschung, vereint also zwei Wege, von denen ich hoffe, daß sie in die Z u k u n f t führen. Es ist mir deshalb ein Anliegen, auf die grundsätzliche Bedeutung dessen hinzuweisen, was hier an einem Beispiel aus dem italienischen Trecento und in der Form einer Fallstudie vorgelegt wird. Es ist natürlich auch schon legitim, n u r danach zu suchen, wo das Buch unser Wissen um die italienische Wandmalerei der Zeit und ihre Auftraggeber vergrößert. U n d schon da hat die Untersuchung viel zu bieten. Nach den Franziskanern und den Dominikanern tritt nun der dritte Bettelorden, die gelehrten Augustiner-Eremiten, mit ihrer Bildpropaganda wieder in das Licht unserer A u f m e r k samkeit. Man hat über Einzelnes viel geforscht, das in ihrem Auftrag entstanden ist, aber darüber versäumt, ihren zentralen Beitrag zu dem Bildrepertoire ihrer Zeit zur Kenntnis zu nehmen, womit sich im Wettbewerb der drei O r d e n ein schiefes Licht ergeben hat. Diese Lücke in unserem Wissen liegt daran, daß H a u p t w e r k e f ü r die Selbstdarstellung dieses Ordens in den großen Kirchen von Bologna, Florenz und Siena verschwunden, aber nicht spurlos verschwunden sind: So wird die Arbeit in einem überraschend eindeutigen Indizienbeweis fündig in der Wiederentdeckung eines verlorenen Urprogramms in S. Giacomo Maggiore in Bologna, das man als eine der großen neuen Bilderfindungen des späten Mittelalters betrachten darf. Es hat keinen alten Namen, aber ein gut lesbares Thema, das die Verfasserin als „Allegorie des Wissens" vorstellt, wobei „Wissen" in einem umfassenden Sinne als Summe dessen, was damals an den theologischen Hochschulen studiert werden konnte, zu verstehen ist. Wenn man so will, handelte es sich um einen Lehrplan der kirchlich beaufsichtigten Wissenschaften der Zeit, vorab um die scholastische Synthese von Philosophie und Theologie (S. 13 ff.). Die Beschwörung der theologischen Oberaufsicht war gerade in Bologna, wo die Rechtswissenschaft ihr europäisches Zentrum besaß, nicht ohne Reiz und auch nicht ohne aktuelle Nebentöne. Sie wurde im N a m e n des Kirchenvaters Augustinus vorgenommen, den der O r d e n als seinen Lehrer und seinen legendären G r ü n d e r ins Feld zu führen pflegte. Augustinus stand damals, am Ausgang der Antike, ebenso an der Grenzscheide zweier Kulturen (der gräkorömischen Philosophie und der christlichen Theologie), wie man sich nun, am Vorabend des H u m a n i s m u s und der Renaissance, wiederum auf einem Grenzgang entdeckte, auf welchem, diesmal in umgekehrter Folge, das theologische Erbe gegen eine neue Philosophie und ihren A u f b r u c h in das Naturstudium verteidigt wurde. Man möchte begeistert von einer mediengeschichtlichen Untersuchung sprechen, wenn man sich nicht betrübt (und schon halb resigniert) eingestehen müßte, daß die Medienforscher sich nicht f ü r das Mittelalter und die Mediävisten sich nicht f ü r Medien interessieren. Vielleicht ist die Situation in anderen Fächern, welche die Arbeit mit ihrem interdisziplinären Zugriff ebenso anspricht, nicht ganz so verfahren. Was waren denn diese öffentlichen Bildwände anderes als ein Medium, in welchem die kontroversen Themen der Zeit hochoffiziell und auch polemisch formuliert wurden? Heutzutage, da jedermann von der neuen Visualität des Wissens spricht, das auf den Bildcomputern V

die reine Textbindung überschreitet, müßte eigentlich die Entdeckung einer einmal vorhandenen Bildsprache für alle Bereiche des Wissens und des Glaubens auf das allergrößte Interesse stoßen. Bilder waren nicht nur zum Abbilden und zum Erzählen, sondern auch zum Erklären da, weshalb man die monumentale Allegorie, wie ich sie einmal genannt habe, als O r t des Argumentierens, Vergleichens und Ableitens in einer ganz und gar rhetorisch fundierten Struktur entwickelt hat. Hier wurden Schaubilder und Schemata so stimmig und so stringent entworfen, daß man sie beschreiben und also in Texte übertragen konnte, die ohne solche Bildquellen weniger einsichtig und übersichtlich ausgefallen wären. Erstaunlich ist dabei nur, wie rasch sich die so eingefleischte Prämisse verflüchtigt, daß Bilder immer Texte benutzt haben, und stattdessen der Blick frei wird für die Kehrseite der Medaille, daß sich nämlich Texte immer wieder auf gemalte Bilder beriefen, um zu ihrem Ziel zu gelangen. Die modische Forschungsrichtung über den Text-Bild-Bezug leidet heute in den beteiligten Fächern immer noch daran, daß alte Grenzzäune repariert und neue errichtet werden. Im Falle der Kunstgeschichte trägt sie überdies eine lähmende Erblast, die im alten Werkbegriff angelegt ist. Werke sind immer an Künstler gebunden und werden allzu rasch mit Bildern verwechselt, die einen ganz anderen Sinn besaßen. Ich rede hier nicht von der steril gewordenen Debatte um den Anteil von Künstler und Auftraggeber. Das Buch, in das ich hier einführe, gibt mir die Gelegenheit, auf einen gänzlich anders gelagerten Fall hinzuweisen. Wenn die Augustiner-Eremiten ein neues Bild erfanden, so betrachteten die Zeitgenossen ein solches Bild nicht als ein nur einmal geschaffenes Werk, sondern als eine gelungene Bildidee, die immer wieder wiederholt, abgekürzt, erweitert und verändert werden konnte, aber dabei ihr Profil und ihre Herkunft bewahrte. Man konnte in der damaligen Öffentlichkeit ebenso die Wortbilder Dantes wie die Bildbegriffe und Bildprogramme der Malerei zitieren, kommentieren und kritisieren. Das Copyright lag nicht allein bei den Künstlern, so bedeutend auch ihr Anteil an den Bilderfindungen war, sondern bei derjenigen Institution, die sich in einem solchen Bildprogramm an die Öffentlichkeit wandte. Man braucht in der vorliegenden Arbeit nur nachzulesen, was die Dominikaner aus der Bildidee der Augustiner-Eremiten gemacht haben, und wird meine Ansicht voll bestätigt finden (S. 104 ff.). Es ist also nicht mehr nötig, Glaubenskämpfe um die richtige Wissenschaft zu führen, wenn die Fakten eine so eindeutige Sprache sprechen. Man kann eben die Vielfalt in der Geschichte nicht mehr auf die Einfalt einer einzigen und allein seligmachenden Methode reduzieren, wenn man nicht Gefahr laufen will, mehr von sich selber als von der Sache zu sprechen. Man kann sich kaum eines Lächelns erwehren, wenn man in der gemalten Allegorie des Wissens die Utopie einer harmonischen Verbindung von Weisheit und Wissenschaft entdeckt. Die Weisheit wurde der Theologie, die Wissenschaft der Philosophie gutgeschrieben. Die Tugenden gehören zum Terrain der Weisheit, die freien Künste zum Terrain der Wissenschaft, ebenso wie die Propheten, Apostel und Kirchenlehrer als die Beamten der Weisheit, die antiken Philosophen aber als die Beamten der Wissenschaft auftreten. Die Traditionen münden, wo immer sie herkommen, in ihrem letzten Erben, und dieser Erbe meldet ein Besitzrecht an, das er manchmal mit seiner Originalität verwechselt. Heute müßte die Synthese anders aussehen, wenn man sie auf dem jetzigen Stand unserer Bildung malen wollte. Die inzwischen aufgestiegene Wissenschaft rückt auf den damaligen Platz der Theologie und verteidigt ihr Monopol auch mit ähnlichen Mitteln. Aber es ist, wie die vorliegende Arbeit beweist, auch heute noch möglich, in der Wissenschaft, ausgestattet mit dem vollen Repertoire des Wissens, neue Wege zu gehen.

VI

Opa Löwe

Inhaltsverzeichnis

Einleitung: Die Augustiner-Eremiten 1. 2. 3.

Die vergessene Kunst eines Ordens Ordensgeschichte und Ordenspropaganda Die Augustiner-Eremiten und der frühe Humanismus

I.

Augustinus und die Lehre seines Ordens

1. 2. 2.1. 2.2. 2.2.1. 2.2.2. 2.3. 3. 3.1. 3.2. 3.2.1. 3.2.2. 3.2.3. 3.2.4.

Das Fresko aus S.Andrea in der Pinacoteca von Ferrara Die Lehre als Allegorie: Der Idealentwurf eines Programms Die Syntax: Das Kompositionsmuster einer monumentalen Allegorie . . . . Die Bildbegriffe: Augustinische Ideen in scholastischer Systematik . . . . Das obere Bildregister: Die Grundfragen der Scholastik Das untere Bildregister: Katechese und Propädeutik Die Funktion des Programms im Orden: Augustinus als „praeceptor" Die Fresken in der Eremitani-Kirche in Padua Rekonstruktion: Die Wiederentdeckung des Triumphmotivs Deutung: Eine erweiterte Fassung der Allegorie des Wissens Die Tituli Das „Epitaphium Augustini" Die fünf Augustiner-Eremiten Averroes

II.

Die Suche nach dem Prototyp

1. 2. 3. 4. 4.1. 4.2. 4.3. 4.4. 4.5. 5.

Die Allegorie des Wissens in einer Rechtshandschrift des Bartolus von Sassoferrato Die Tugenden und Artes in einer Rechtshandschrift des Johannes Andreae Die Tugenden in einer Illustration der Digesten Die „Canzone delle virtù e delle scienze" des Bartolomeo di Bartoli Der Autorund der Adressat Das Dekorationssystem Ein Appell an Augustinus Theologie und die Tugenden Philosophie und die Artes Liberales Der verlorene Prototyp aus Bologna

6.

Zitate aus der Allegorie des Wissens

6.1.

Die Tugenden und Artes als'Anhang'des Lobgedichts an König Robert von Neapel

73

6.2.

Eine Kopie der „Canzone delle virtù e delle scienze" aus dem 15. Jahrhundert

III.

Die toskanische Variante

.

. . .

74 76

78

1.

Die Fresken in S. Agostino in Montalcino

78

1.1.

Theologie und Philosophie

79

1.2.

Das Triumphmotiv

81

1.3.

Die Heiligen

83

1.4.

Die Deutung: Das Programm in Montalcino und die Bologneser Version

87

1.5.

Der Kontext: Ein statisches Schaubild in einem narrativen Zyklus

88

1.6.

Die Hypothese: Ein verlorener Prototyp in S. Agostino in Siena?

90

2.

Die Fresken in der Sieneser Dom-Sakristei

91

2.1.

Der neue Kontext

93

3.

Das Fresko in S.Francesco in Pistoia

94

IV

Die Augustiner-Eremiten in der Bildpropaganda der italienischen Bettelorden

100

1.

Das Bild des Ordenslehrers : Eine Invention der Augustiner-Eremiten

100

1.1.

Dominikanische Darstellungen des Ordenslehrers

101

1.2.

Das Thomas-Fresko in der Spanischen Kapelle

104

2.

Die Dominikaner und die Augustiner-Eremiten

108

2.1.

Thomas und Augustinus

110

3.

Ordenslehrer und Ordensgründer

113

3.1.

Das Verhältnis der beiden Lehr-Orden zu den Franziskanern

115

4.

Schlußwort

118

Anhang

121

I.

Das Fresko aus S.Andrea in der Pinacoteca von Ferrara

123

1.

Bibliographie

123

2.

Die ehemalige Position des Freskos

124

3.

Die Auftraggeber

125

4.

Die Zuschreibung an Serafino Serafini

126

5.

Die Tituli

127

II.

Die Fresken in der Eremitani-Kirche in Padua

128

1.

Bibliographie

128

2.

Die Cappella Cortelleri und ihr Auftraggeber

129

3.

Die Tituli

131

III.

Madrid, Biblioteca Nacional, Cod. 197, antea D.2

137

1.

Bibliographie

137

2.

Stil und Datierung

138

X

3. 4.

Das Verhältnis zwischen Text und Bild Die Tituli

140 142

IV

Mailand, Biblioteca Ambrosiana, Cod. B. 42 inf

147

1. 2.

Bibliographie Das Verhältnis zwischen Text und Bild

147 148

V

Paris, Bibliothèque Nationale, Cod. lat. 14339

151

1. 2. 3. 4.

Bibliographie Datierung und Zuschreibung Deutung: Der Kaiser als Iustitia Das Verhältnis zwischen Text und Bild

151 152 152 154

VI.

Chantilly, Musée Condé, Nr. 599, Cod. 1426

157

1. 2. 3.

Bibliographie Zuschreibung Stil

157 158 160

VII. Wien, Osterreichische Nationalbibliothek, Cod. Ser. n. 2639 . . . .

161

1. 2. 3.

161 162 163

Bibliographie Ein Codex und zwei Vorlagen Stil und Datierung

VIII. Florenz, Biblioteca Nazionale Centrale, Cod. Banco Rari 38, antea Magliabec. II. 1.27/CL VII, 17

166

1. 2. 3.

Bibliographie Ein Codex und zwei Vorlagen Stil

166 167 168

IX.

Rom, GabinettodelleStampe(GalleriaNazionale), Inv. 2818-2833 . .

169

1. 2.

Bibliographie Datierung

169 170

X.

Die Fresken in S.Agostino in Montalcino

172

1.

Bibliographie

172

XI.

Die Fresken der Sieneser Dom-Sakristei

173

1. 2. 3.

Bibliographie Baugeschichte Die Zuschreibung an Benedetto di Bindo

173 173 174

XII. Das Fresko in S.Francesco al Prato in Pistoia

175

1. 2. 3. 4.

175 175 176 177

Bibliographie Die Cappella Bracciolini und ihr Auftraggeber Stil und Datierung Die Tituli

XI

Abkürzungen

179

Literaturverzeichnis

180

Abbildungen

189

Abbildungsnachweis

253

Register

254

Einleitung Die Augustiner-Eremiten

1. Die vergessene Kunst eines Ordens Das 13. und 14. Jahrhundert waren die große Zeit der Bettelorden. Seit 1206 scharten sich Bettelmönche um Franz von Assisi, dessen Ordensregel im Jahre 1223 von Papst Honorius III. offiziell bestätigt wurde. Wenig später, im Jahre 1215, versammelte der heilige Dominikus in Toulouse eine Gruppe von Mönchen um sich, die gegen Ketzerei predigten. Ab 1217 wurde daraus der Orden der Dominikaner, der auch Predigerorden genannt wird. Anders als die alten Mönchsorden lebten die neuen Bettelorden in den Städten, wo sie predigten und Seelsorge betrieben. Wie ihr Name schon sagt, lehnten sie jeglichen Besitz ab, denn sie wollten arm sein wie Christus und die Apostel. Schon im späten 13. Jh. gab es in den meisten größeren Ortschaften Italiens Kirchen der Franziskaner und Dominikaner. Ihre Konvente waren reich mit Fresken ausgestattet. Die berühmtesten Beispiele sind noch heute die Kirchen San Francesco in Assisi, S. Croce und S. Maria Novella in Florenz. Dort malte Giotto die Legende des heiligen Franziskus, und Andrea da Firenze freskierte die Spanische Kapelle (Abb, 58), den Kapitelsaal der Dominikaner in Florenz. Dies sind nur zwei Beispiele aus der Fülle der Malerei des Trecento, die sich in diesen Konventen erhalten hat. Ihr guter Zustand und die Verbindung mit dem berühmten Namen Giotto machten die Bilder, die im Auftrag der Franziskaner entstanden waren, schon früh zum bevorzugten Thema der Kunsthistoriker 1 . Aber auch die gelehrte Allegorie in der Spanischen Kapelle zog schon lange das Interesse der ikonographischen Forschung auf sich 2 . Die Mendikanten trieben in ihren Bildern „Ordenspropaganda", wie Dieter Blume am Beispiel der Franziskaner überzeugend nachgewiesen hat 3 . Diese propagierten eine ganz bestimmte Version der Franzlegende, die sie systematisch in den Kirchen ihres Ordens verbreiteten. Außerdem wiederholten sie in ihren Bildern immer wieder die Haupttugenden ihres Ordens: Armut, Gehorsam und Keuschheit (Abb. 60—63). Das „Lignum Vitae" (Abb. 65) war eine weitere Bilderfindung der Franziskaner, die in vielen Beispielen überliefert ist. Es war ein Schau- und Merkbild der Passion Christi, in die sich die Brüder nach dem Vorbild ihres Ordensgründers versenken sollten. Gemeinsam charakterisieren diese Bilder die Frömmigkeit des Ordens und geben ihm durch die stetige Wiederholung eine deutliche corporate identity. Ahnliches gilt für die Dominikaner. Sie gaben vor allem gelehrte Allegorien in Auftrag, in denen immer wieder ihr Ordenslehrer, der heilige Thomas von Aquin, auftrat (Abb. 53-55).

1 H . Thode, Franz von Assisi und die Anfänge der Kunst der Renaissance, Berlin 1885. 2 Schlosser 1896. 3 Blume 1983.

1

Auch die Augustiner-Eremiten waren ein Bettelorden, der nicht mit den Regularkanonikern, die gleichfalls Augustiner hießen, verwechselt werden darf. Sie fanden in der historischen und kunsthistorischen Forschung bisher weit weniger Beachtung als die Franziskaner und Dominikaner 4 . Der Orden der Augustiner-Eremiten war erst 1256 auf Initiative der Kirche gegründet worden. Damit fehlte ihm eine prominente Gründerfigur, und dies versuchte man durch gemalte und literarische Ordenspropaganda auszugleichen. Gegen Ende des 13. Jh. waren auch die Augustiner-Eremiten in vielen italienischen Städten ansässig. Ihre Konvente waren denen der Franziskaner und Dominikaner durchaus ebenbürtig: In Bologna, Siena und Florenz bildeten die Niederlassungen der drei Bettelorden weite Dreiecke im Stadtplan, so daß die konkurrierenden Orden sich möglichst wenig ins Gehege kamen. Natürlich waren die Kirchen der Augustiner-Eremiten einst genauso prachtvoll ausgemalt wie die der Dominikaner und Franziskaner. Doch die Kunst dieses Ordens blieb bis heute weitgehend vergessen, und das hat einen einfachen Grund. Es liegt nicht etwa an mangelnder Qualität, sondern am Zufall der Uberlieferung. Während die wichtigsten Kirchen der Franziskaner und Dominikaner in ihrem mittelalterlichen Bestand gut erhalten sind, sind die Hauptkirchen der Augustiner-Eremiten aus dieser Zeit weitgehend zerstört: S. Spirito in Florenz wurde in der Renaissance durch den Neubau Brunelleschis ersetzt; S. Agostino in Siena und S. Giacomo Maggiore in Bologna sind vollständig barockisiert. Sie müssen im Trecento mit berühmten Fresken ausgestattet gewesen sein, von denen wir nur noch durch Beschreibungen in Ghibertis „Commentarii" wissen. Bei den Augustiner-Eremiten in Florenz stellte der Maler Stefano die Navicella, die Transfiguration und Heilung einer Besessenen dar, „le quali storie sono condotte con grandissima arte." Maso di Banco malte dort die Geschichte des Heiligen Geistes mit einer „grande perfectione", und der Kapitelsaal von S. Agostino in Siena war von Ambrogio Lorenzetti ausgemalt 5 . Wie die Franziskaner und Dominikaner so ließen auch die Augustiner-Eremiten zentrale Belange des Ordens an die Wände ihrer Kirchen malen. Zwei Themen, die für die Geschichte des Ordens von großer Bedeutung waren, wurden auf diese Weise systematisch verbreitet. Das erste war eine Historia: Der heilige Augustinus übergibt den Augustiner-Eremiten seine Regel (Abb. 41). Damit behauptete der Orden, daß er von Augustinus gegründet und demnach uralt sei. Das zweite war eine Allegorie: Augustinus thront im Zentrum und präsentiert die Wissenschaften und Tugenden mit ihren Repräsentanten und besiegten Gegnern (Abb. 2). Hier wird Augustinus, der Gründer, gleichzeitig zum Lehrer des Ordens. Das war äußerst wichtig, denn die AugustinerEremiten hatten sich wie die Dominikaner zur Aufgabe gemacht, mit gelehrten Argumenten gegen Häresie zu predigen. Grundlage einer wirksamen Predigt war aber eine fundierte Bildung. Das Bild des Augustinus als Ordenslehrer der Augustiner-Eremiten ist Thema der vorliegenden Arbeit. Leider sind davon nur noch zwei monumentale Beispiele erhalten: das abgenommene Fresko aus S. Andrea in Ferrara (Abb. 1) und die Fragmente der Ausmalung der Cappella Cortelleri bei den Eremitani in Padua (Abb. 11-14). Beide Fresken entstanden in den 70er Jahren des 14. Jh. Das Fresko aus Ferara steht am Anfang unserer Untersuchungen. Zu seiner Rekonstruktion dient eine Miniatur, die das Fresko beinahe wörtlich zitiert (Abb. 4). Sie befindet sich in einem Bologneser Rechtscodex, der heute in Madrid aufbewahrt wird. Anhand der Miniatur wird das Bild des Ordenslehrers und die Allegorie des Wissens exemplarisch analysiert und in seiner Funktion für den Orden der Augustiner-Eremiten gedeutet. Die Fresken in Padua erweisen sich später als eine erweiterte Version desselben Themas. 4 Bisher Blume 1983; Seidel 1978 und ders. 1985. 5 Lorenzo Ghiberti, Denkwürdigkeiten (I Commentarii), Hg. J . v. Schlosser, Bd. 1, Berlin 1912, S. 37, 38, 41.

2

Im zweiten Abschnitt beginnt die Suche nach dem verlorenen Prototyp dieses Bildprogramms. Die Spur führt nach Bologna. Dort sind mehrere Miniaturen entstanden, die das Bild des Ordenslehrers und die Allegorie des Wissens zitieren (Abb. 15-26). Diese Miniaturen sind älter als die Fresken in Ferrara und Padua; sie reichen zurück bis in die 40er Jahre des 14. Jh. Es ist daher anzunehmen, daß sich das verlorene Vorbild in S. Giacomo Maggiore befand, dem Konvent der Augustiner-Eremiten in Bologna. Eine Variante vom Bologneser Bild des Ordenslehrers war in der Toskana verbreitet. Sie ist Thema des dritten Abschnitts. Die erhaltenen Fresken befinden sich in S. Agostino in Montalcino (Abb. 40), in der Sieneser Dom-Sakristei (Abb. 45) und in S. Francesco in Pistoia (Abb. 52). Auch sie dürften auf einen gemeinsamen Prototyp zurückgehen, der wahrscheinlich in S. Agostino in Siena zu suchen ist. Im vierten und letzten Abschnitt wird die Bildpropaganda der Augustiner-Eremiten mit derjenigen der Dominikaner und Franziskaner verglichen. Ein entscheidendes Ergebnis dieser Arbeit ist die Feststellung, daß das Bild des Ordenslehrers und die Allegorie des Wissens von den AugustinerEremiten selbst erfunden wurde. Sie imitierten nicht, wie man bisher meinte, das Bild des heiligen Thomas in der Spanischen Kapelle (Abb. 58)\ Es verhielt sich vielmehr umgekehrt: Die Dominikaner übernahmen den Entwurf der Augustiner und formten ihn - ihren Bedürfnissen gemäß - leicht um. Die Kunsthistoriker haben sich bisher durch den Zufall der Uberlieferung täuschen lassen und das vorzüglich erhaltene Bild in der Spanischen Kapelle den spärlichen Fragmenten aus Ferrara und Padua vorgezogen. Die ikonographische Ähnlichkeit bezeugt nicht nur eine gleichartige Bildstrategie der Dominikaner und Augustiner-Eremiten, sondern sie ist auch Zeichen einer geistigen Verwandtschaft beider Orden. Thomas und Augustinus sind dabei durch eine 'Ikonographie des intellektuellen Heiligen' verbunden, die sie von den Darstellungen des Thaumaturgen Franziskus erheblich unterscheidet. Der Anhang am Schluß soll den Text von solchen Informationen entlasten, die von der zentralen Argumentation ablenken. Er enthält Bibliographien, genaue Angaben zu den Handschriften, historische Informationen über Konvente und Auftraggeber, Datierungen, Zuschreibungen und Ausführungen zur Ikonographie der Rechtskommentare, da diese bisher noch nicht erforscht und in unserem Zusammenhang von einiger Bedeutung sind. Doch bevor die Untersuchung der einzelnen Monumente beginnen kann, muß die Geschichte des Ordens kurz skizziert werden. Wichtig ist dabei der Kontrast zwischen historischer Wirklichkeit und Ordenspropaganda. Aber noch ein weiterer Punkt ist für die Augustiner-Eremiten charakteristisch: ihre engen Beziehungen zu Vertretern des frühen Humanismus, besonders zu Petrarca.

2. Ordensgeschichte und Ordenspropaganda Wie bereits erwähnt, wurde der Orden der Augustiner-Eremiten nicht von einem Heiligen gegründet, sondern von einer Institution; er entstand im Auftrag der Kirche 6 . Das vierte Laterankonzil, das im Jahre 1215 stattfand, forderte, daß alle Orden eine bekannte Regel annehmen und sich unter einem gemeinsamen Generalprior in Provinzen zusammenschlie6 Guter Forschungsbericht zur Geschichte der Augustiner-Eremiten bei Elm 1960; s.a. ders. 1971, S. 58-60. Allgemein: E. von Moe, Recherches Sur les Eremites de Saint Augustin entre 1250 et 1350, in: Revue des questions historiques 60, 1932, S. 257-316; Gutierrez 1981 und ders. 1985. Zur Ordensgründung vgl. Elm 1957; ders. 1960; ders. 1965; ders. 1971; ders. 1987 Roth 1952-1954; Walsh 1988.

3

ßen müssen. Der Grund für diese Forderung lag in der Fülle verschiedener Kongregationen, die im Laufe des 12. und frühen 13. Jh. entstanden waren. Die Kurie wollte häretischen Tendenzen vorbeugen und die neuen Gruppierungen in die kirchliche Hierarchie einbinden, um das monastische Leben besser unter Kontrolle zu halten. Außerdem versuchte sie dadurch Streitigkeiten der neuen Kongregationen mit den bereits anerkannten Bettelorden zu verhindern, die aufgrund ähnlicher Lebensideale häufig aufgetreten waren. Gemäß den Forderungen des Konzils vereinigten sich zunächst 1243 die verschiedenen Eremiten der Toskana unter einem Generalprior. Papst Innozenz IV begrüßte dieses Unternehmen und ernannte Kardinal Richard Annibaldi zum corrector und provisor der Eremiten, die nun die Regel des heiligen Augustinus annahmen. Der Orden wurde direkt dem Papst unterstellt und wuchs dank der Privilegien, die ihm Kardinal Annibaldi verschaffte, schnell an. Ganz im Sinne des vierten Laterankonzils betrieb der Kardinalprotektor Annibaldi in der Folgezeit die große Union von fünf bisher eigenständigen Kongregationen, die vornehmlich im frühen 13. Jh. entstanden waren: die Eremiten der Toskana, die Wilhelmiten 7 , die Johannboniten (Giamboniti), die Eremiten von Brettino und die Eremiten von Monte Favoli 8 . 1256 fand unter seinem Vorsitz das Unionskonzil in S. Maria del Popolo in Rom statt. Am 9. April bestätigte Papst Alexander IV offiziell die Union durch die Bulle „Licet Ecclesiae". Darin wurde der Titel des „Ordo Eremitarum Sancti Augustini" festgelegt und die Ziele der Vereinigung beschrieben: einheitliche Lebensform in Armut gemäß der Regel des hl. Augustinus, Regierung eines Generalpriors und ein einheitlicher schwarzer Habit ohne Eremitenstab. Zusätzlich zur Augustinerregel traten spezielle Konstitutionen in Kraft, die nach dem Vorbild der Dominikaner entworfen worden waren. Der Orden war direkt der Kurie unterstellt, der Kardinalprotektor fungierte als Verbindungsmann. Durch seine großen Machtbefugnisse band er die Augustiner-Eremiten sehr eng an die kirchliche Zentralgewalt und machte sie zu deren Instrument. Der Orden zeichnete sich fortan durch seine besondere Loyalität gegenüber der Kurie aus. Im Gegenzug erhielt er reichliche Privilegien, wie z. B. seit 1319 das Recht auf Besetzung dreier wichtiger Amter an der Kurie: des Sakristans, des Bibliothekars und des Beichtvaters des Papstes 9 . Die Gründungs-Bulle „Licet Ecclesiae" formuliert ganz offen das Ziel der Union, daß nämlich der Orden zu einer Phalanx gegen die Häretiker werde: „... aus mehreren Keilen möge sich eine stärkere Front erheben, um den feindlichen Angriff der geistigen Nachlässigkeit zu zermürben." 1 0 Um den Vorstellungen der Kurie, die mit den beiden älteren Bettelorden so gute Erfahrungen gemacht hatte, zu entsprechen, mußten die Eremiten ihre Lebensweise ändern. An die Stelle der

7 K. E l m , Beiträge zur Geschichte des Wilhelmitenordens, K ö l n / G r a z 1962. 8 Charakterisierung der einzelnen O r d e n bei Roth, 1952, S. 113-138. 9 Vgl. Mathes 1968, S. 147 Ein besonders enges Verhältnis zum O r d e n unterhielten Bonifaz V I I I . und Johannes X X I I . (vgl. E l m 1960, S. 175, 176). Bonifaz approbierte den Augustiner-Eremitenorden auf dem 2. Konzil von Lyon, auf dem eigentlich alle O r d e n , die nach 1215 entstanden waren, aufgelöst werden sollten. E r setzte ihn an die dritte Stelle der Bettelorden, obwohl den älteren Karmelitern dieser Platz gebührt hätte (vgl. dazu Gutierrez 1985, S. 5 9 - 6 2 ) . 10 „.. .ex pluribus cuneis acies una consurgeret fortior ad hostiles spiritualis nequitie impetus conterendos." D e Meijer/Kuiters 1956, S . l l .

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vita contemplativa trat die vita activa. Sie verließen die meisten Eremitorien und zogen in die Städte, um Seelsorge zu betreiben. Als Prediger argumentierten sie immer im Sinne des Papstes. Voraussetzung einer guten Predigt ist jedoch eine gründliche wissenschaftliche Bildung. Die Studienordnung war in den Konstitutionen von 1290 bereits detailliert festgelegt11. Nur die Konstitutionen der Dominikaner enthielten bisher einige kurze Hinweise zum Ordensstudium 12 . Die Augustiner-Eremiten übertrafen diese jedoch bei weitem an Ausführlichkeit, und der Studieneifer wurde zu einem besonderen Charakteristikum, ja zum fundamentum des Ordens. So heißt es in den Konstitutionen über die Aufgaben des Generalpriors: „Aufmerksam möge er dafür sorgen, daß die Studien, welche ja die Grundlage des Ordens bilden, im ganzen Orden aufmerksam fortgeführt werden; und daß besonders die Generalstudien mit Eifer und Beständigkeit des Lernens genährt werden.. ," 1 3 Um das intellektuelle Niveau der Eremiten auf das von eloquenten Predigern anzuheben, wurde schon 1259 ein Haus für den Pariser Konvent gekauft, das die Studenten beherbergen sollte 14 . Bereits 1287 beschloß das Generalkapitel in Florenz die Gründung von Generalstudien in Bologna, Florenz, Neapel und an der Kurie. Gleichzeitig proklamierte man - nach dem Vorbild der Dominikaner - die Schriften des Ägidius Romanus zur offiziellen Ordensdoktrin. Der Schüler des Thomas von Auquin sollte die Einheitlichkeit der Lehre verbürgen. Er stand in so hohem Ansehen, daß man nicht nur seine bisherigen Werke, sondern auch die zukünftig erscheinenden zur unanfechtbaren Lehre erklärte. Er verbürgte auch die wissenschaftliche Unterstützung des Papstes, „so daß man ihn nicht mit Unrecht als das Haupt der kurialen Partei bezeichnet hat" 1 5 . Seine von oben verordnete Gründung hätte den Orden nicht gerade populär gemacht, daher mußte die ordensinterne Geschichtsschreibung diese ungünstige Konstellation ausgleichen. So entwickelte bereits der älteste Ordenshistoriker, Heinrich v. Friemar (gest. 1340), eine Gründungslegende, die noch im 17 Jh. hartnäckig verteidigt wurde 16 . Demnach soll Augustinus nach seiner Taufe in Mailand sogleich das Eremitengewand empfangen und mit Simplician und seinen Gefährten vor den Toren von Mailand für ein Jahr als Eremit gelebt haben 17 . Dann kam er angeblich auf seinem Weg nach Ostia in die Toskana, wo er zwei Jahre bei einigen Eremiten

11 Konstitutionen vom Regensburger Generalkapitel 1290, Kapitel 36, Hg. Aramburu Cendoya 1966, S. 110-121. 12 Hg. Denifle 1885, Paragraph 2 8 - 3 1 , S. 222,223. 13 „Attente quidem provideat quomodo Studia,

in quibus fundamentum

Ordinis

consistita per universum

Ordinem solicite continuentur, et maxime quomodo generalia Studia in fervore et assiduitate studii nutriantur..." Aramburu Cendoya 1966 S. 139. 14 Ypma 1956, S.9. 15 Elm 1960, S.376. Siehe bes. seine Schrift „De potestate ecclesiastica", die die Macht des Papsttums im Gegensatz zum Kaiser begründet. 16 Heinrich v. Friemar, „Tractatus de origine et progressu ordinis fratrum eremitarum St. Augustini et vero ac proprio titulo eiusdem", verfaßt 1334, Hg. Arbesmann, 1956. Zu dieser „Geschichtsfälschung" Walsh 1988, und Elm 198Z 17 Heinrich v. Friemar, „Tractatus", S.92: „. ..beatus Augustinus exemplo sanctorum eremitarum ...per beatum Simplicianum ad fidem Christi ultimate conversus fuerit et cum eodem et sociis suis in ipsorum habitu per tempus aliquod steterit et postea fratribus nostris hanc vitam eremiticam sectantibus regulam vivendi per se ipsum tradiderit". Dieses Argument wiederholt Heinrich in diesem Traktat mehrfach.

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verbrachte, die er an einem Ort versammelt und denen er seine Regel gegeben haben soll 18 . Auf diese Weise wird er zum Gründer des Augustiner-Eremitenordens: „... unsere Brüder sind die wahren und einzigen Söhne des heiligen Augustinus.. .er selbst ist unser wahrer und ausschließlicher Vater, da er uns ja seine Regel zuerst gegeben h a t . . . " 1 9 Die Augustiner-Eremiten konnten damit den populären Ordensgründern der Franziskaner und Dominikaner eine Persönlichkeit entgegenstellen, die diese an Alter und Autorität bei weitem übertraf. Auch das gegenüber den beiden anderen Bettelorden verspätete Gründungsdatum war damit ausgeglichen: „Die sechste Wahrheit ist, daß der Orden der Augustiner-Eremiten von seiner Gründung her viel älter ist als die Orden der Dominikaner und Franziskaner. Man muß aber zugeben, daß er bezüglich seines Aufenthalts in den Städten, der durch Papst Alexander IV angeordnet wurde, zeitlich später anzusetzen ist." 2 0 Diese Behauptung löste außerdem das Problem der Unterscheidung von den Regularkanonikern, die bereits im späten 11. Jh. die Regel des Augustinus angenommen hatten. Da diese nie ein Eremitenleben geführt hatten, durften sie nach Heinrichs Meinung den Kirchenvater auch nicht als ihren Gründer propagieren. Die Augustiner-Eremiten beanspruchten damit die Priorität vor sämtlichen Orden, die nach der Augustinerregel lebten (dazu gehörten z . B . auch die Dominikaner). Spätestens seit dem Anfang des 14. Jh. galten sie als die Hauptvertreter des augustinischen Mönchtums, so daß sie mehr als „Augustiner" bekannt waren denn als „Eremiten" 2 1 . Das anfängliche Eremitenleben des legendären Ordensgründers legitimierte den Begriff „Eremiten" im offiziellen Namen des Ordens. Heinrich v. Friemar bezeichnete es daher auch als maßgebliche forma vitae. Das stand jedoch im Gegensatz zur tatsächlichen Lebensweise der AugustinerEremiten. Um auch dieses Dilemma zu kaschieren, entwickelte der zweite Ordenshistoriker, Jordan v. Sachsen (ca. 1299-1380), in der Mitte des 14. Jh. in seinen „Vitasfratrum" 22 das Konzept der doppelten Ordensgründung. Zuerst sei der Orden von Augustinus gegründet worden und dann 1256 durch die heilige römische Kirche. Diese zweifache Gründung gibt ihm eine besondere Autorität: „Weil folglich die heilige Mutter Kirche diesen Orden selbst aus eigenem Antrieb beinahe von Grund auf neu eingerichtet hat, halte ich ihn für authentischer als wenn irgendein heiliger Mann dies getan hätte. Denn es ist kein Zweifel daran erlaubt, daß die heilige Mutter Kirche selbst vom heiligen Geist regiert wird. Und daß alles, was immer auch von ihr unternommen oder beschlossen wird, auf Eingebung des heiligen Geistes geschieht, daran kann nicht gezweifelt werden." 2 3

18 E b d . , S. 9 6 : „ E t c u m in eremo Tusciae multos fratres eremitas invenisset sanctae vitae, d e m u m applicuit ad l o c u m n o s t r u m . . . C e n t u m c e l l i s , qui fuit, ut dicitur, primus locus conventualis nostri ordinis, et c u m illis fratribus per b i e n n i u m morabatur. Q u i b u s etiam regulam et m o d u m vivendi t r a d i d i t . . . " 19 H e i n r i c h v. Friemar, „ T r a c t a t u s " , S. 102: „ . . . fratres nostri sunt veri et proprii filli beati Augustini, e t . . .ipse verus et proprius pater noster est, quia nobis regulam suam prius tradidit.. 20 Heinrich v. Friemar, „ T r a c t a t u s " , S. 109. „Sexta Veritas est, quod o r d o fratrum eremitarum sancti A u g u s t i n i ex sui institutione m u l t o antiquior est ordinibus fratrum praedicatorum et m i n o r u m , licet ex sui habitatione in civitatibus, quae facta est per d o m i n u m A l e x a n d r u m papam I V , tempore sit p o s t e r i o r . " 21 D e M e i j e r / K u i t e r s 1956, S . 2 0 . 22 J o r d a n v. Sachsen, „ L i b e r V i t a s f r a t r u m " , verfaßt 1357, H g g . A r b e s m a n n / H ü m p f n e r 1943. 23 J o r a n v. Sachsen,

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„Vitasfratrum"

S. 6 9 :

„ Q u o d ergo ipsa sancta m a t e r Ecclesia istum O r d i n e m

per

Zunächst führten die Augustiner-Eremiten - ihrem Namen gemäß - eine vita solitaria et heremitica. Das nennt Jordan den status antiquus. Die Vereinigung der Eremiten führte dann zwangsläufig zur vita communis, die er als status modernus bezeichnet. Bereits Augustinus habe beide Lebensformen exemplarisch vorgeführt, weil er zwar zunächst als Eremit lebte, doch später in Afrika als Bischof in der städtischen Seelsorge tätig war: „Auch davon haben wir ein Exemplum in unserem heiligen Väter Augustinus, der, wenngleich er Bischof war, sich dennoch manchmal zu seiner Sammlung zu seinen Brüdern in die Eremitei begab. Und von dort kehrte er später zur Belehrung und zur Leitung des Klerus und des Volkes an seinen Bischofssitz zurück. Und sobald ein günstiger Zeitpunkt gekommen war, zog er sich wiederum zu den Brüdern zurück." 2 4 Jordan v. Sachsen stellt demnach gleichwertig den Eremiten Augustinus neben den Bischof und Lehrer. So galt die vita mixta, die aktives und kontemplatives Leben miteinander verband, als vita perfectissima für die Augustiner-Eremiten. Damit formulierte der Ordenshistoriker ein Ideal, das seit dem späten 13. Jh. bereits gelebt wurde 25 .

3. Die Augustiner-Eremiten und der frühe Humanismus Die Augustiner-Eremiten entwickelten seit Ende des 13. Jh. nicht nur eine wichtige scholastische Schule 26 , sondern näherten sich mit textkritischen Studien der Augustinusschriften und fortschrittlicher Zitationsweise auch dem Kreis der Paduaner und Florentiner Frühhumanisten an 27 . Petrarca war ein entscheidender Verbindungsmann zwischen Augustiner-Eremiten und Humanisten, denn er verehrte Augustinus als hohe Autorität. Spätestens 1325 kam er mit Schriften des Augustinus in Berührung, als er sich in Avignon eine Handschrift „De Civitate Dei" kaufte 28 . Gegen 1333 schenkte ihm der Augustiner-Eremit Dionigi da Borgo San Sepolcro 29 eine Taschenausgabe der „Confessiones", die eine so entscheidende

semetipsam quasi a fundamento instituit, magis authenticum aestimo quam quod quicumque homo sanctus hoc fecisset, cum dubium nulli esse liceat ipsam sanctam matrem Ecclesiam regi a Spiritu Sancto, et quidquid ab ea instituitur vel statuitur, ex instinctu Spiritus Sancti gestum aut editum esse nullatenus dubitatur." 24 Jordan v. Sachsen, „Vitasfratrum", S. 35: „Huius etiam exemplum habemus in beato patre nostro Augustino, qui licet episcopo esset, nonnumquam tarnen pro sui recollectione ad fratres suos in eremo declinavit et inde postea pro cleri et populi instructione et gubernatione ad episcopium rediit et iterum captato opportuno tempore ad fratres secessit". Diese Ambiguität taucht auch in der Heiligenikonographie der Augustiner-Eremiten auf, vgl. Seidel 1985, bes. S. 101-104. Vgl. auch Heinrich v. Friemar, „Tractatus", S. 106. 25 E l m 1976, S. 7 2 - 7 7 . 26 Zumkeller 1964, D . Trapp, Augustinian Theology of the 14th Century, in: Augustiniana V I ,

1956,

S. 146-274; Kuiters 1954. 27 Zur wiss. Zitierweise Trapp 1975; über Augustiner-Eremiten und Humanisten vgl. Arbesmann 1965, und Elm 1976. 28 Vgl. J . E . Wrigley, Petrarch, Saint Augustine and the Augustinians, in: Augustinian Studies 8, 1977, S. 7 1 - 9 0 , bes. S. 75; Nolhac 1907, S. 195-198, und Calcaterra 1931, S. 4 5 2 - 4 5 6 . 2 9 Dionigi gilt als einer der ersten Augustiner-Eremiten mit humanistischem Interesse. E r wurde bekannt durch seinen verbreiteten Kommentar zu den „Facta et dieta memorabilia" des Valerius Maximus, in dem er

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Wende in Petrarcas Leben bewirkten, daß er sie in der Folgezeit ständig bei sich trug 30 . Das Buch rührte ihn zu Tränen und führte ihn zur Entdeckung der heiligen Schrift, der er bisher die profanen Texte vorgezogen hatte. Die „Confessiones" hatten damit in Petrarcas Leben dieselbe Funktion wie für Augustinus die (darin beschriebene) Lektüre von Ciceros „Hortensius", die den Leser ebenfalls zum Weinen brachte und seine Hinwendung zu geistigen Dingen bewirkte 31 . Auch seine endgültige Bekehrung schildert Petrarca in Analogie zu Augustinus. Auf dem Gipfel des Mont Ventoux schlägt er die „Confessiones" an einer beliebigen Stelle auf, die ihn zur Ablehnung seines bisherigen lasterhaften Lebens und zur inneren Einkehr bringt. Er imitiert damit die Bekehrung des Augustinus im Mailänder Garten, der dort die Paulus-Briefe verzweifelt wegwarf und auf das göttliche Kommando „tolle, lege" die zufällig aufgeschlagene Stelle las, die ihn zur Taufe bewegte. Die Genauigkeit, mit der Petrarca seine Imitatio Augustini konstruierte, beweist seine hohe Verehrung für den Kirchenvater32. In den Schriften Petrarcas spielt Augustinus eine bedeutende Rolle. Allerdings interessierte sich der Humanist kaum für den Theologen, Philosophen und Dogmatiker, sondern in erster Linie für den antiken Intellektuellen Augustinus: für seine elegante lateinische Sprache, seine menschlichoffene Erzählhaltung, und vor allem für seine Kenntnisse antiker Historiker und Literaten, die er so oft zitiert 33 . Vor allem beruft sich Petrarca auf Augustinus, um seine eigene Beschäftigung mit heidnischantiken Texten zu legitimieren34. Dazu dient ihm vor allem der Topos von der Harmonie zwischen heidnischer und christlicher Weisheit, den Petrarca in einem Brief an Giovanni Colonna ausführlich darlegt 35 : Augustinus habe sich von heidnischen Texten, besonders von Cicero, zum christlichen Glauben inspirieren lassen, er gäbe seine profane Bildung offen zu und bediene sich auch weiterhin der Texte heidnischer Philosophen. Zwar gäbe es auch gefährliche antike Texte, doch Augustinus sei der beste Führer zu den richtigen heidnischen Quellen. Manche heidnischen Autoren sind laut Petrarca den christlichen so ähnlich, daß man sie nicht unterscheiden kann: „Aber meine Kritiker scheinen mir zu wenig in den Werken Piatos und Ciceros nachgelesen zu haben, welche du, wenn der Name des Autors fehlte, für Schriften des Ambrosius oder des Augustinus gehalten hättest..." 3 6 Damit spielt er auf Äußerungen des Augustinus an, in denen dieser zur Integration heidnischer bereits textkritische Methoden anwendet. E r ging gegen 1338 an den H o f König Roberts von Neapel, w o sich ein kleiner Humanistenkreis zusammengefunden hatte. Vgl. Arbesmann 1965, S. 1 6 - 3 6 . 30 Petrarca vererbte den Band an seinen Freund, den Augustiner-Eremiten Luigi Marsiii, E p . Senil. 14,1. O p e r a O m n i a , 1554, S. 1 0 3 8 - 1 0 3 9 (dort E p . Senil. 15,6). 31 Petrarca beschreibt seine Rührung 1367 in einem Brief an Donato Albanzani, Ep.Senil.8,6. O p e r a O m n i a 1554, S. 982. Vgl. auch Courcelle 1961, S. 55. 32 Vgl. Courcelle 1961, S. 6 0 - 6 6 . G . Billanovich, Petrarca und der Ventoux, in: Petrarca, Wege der Forschung, Darmstadt 1976, S. 4 5 0 - 4 5 5 . 33 Heitmann 1960, S . 5 1 ; Courcelle 1961, S. 52,54; Kristeller 1944, S. 3 4 5 - 3 4 8 ; ders. 1970, S. 19. Petrarca liest nicht „De Trinitate", sondern er bevorzugt den „Gottesstaat", die „Soliloquia" und die „Confessiones". 34 Nolhac 1907, S. 191,192; Courcelle 1961, S . 6 8 . 35 Petrarca Famiiiares 2,9. Heitmann 1960, S . 4 9 , 50; Calcaterra 1931, S. 4 8 0 - 4 8 1 . 36 Ep.Senil.2,1, an Boccaccio, zit. nach O p e r a O m n i a S. 834: „Sed parum mihi videntur correctores m e i . . . Platonica et Ciceroniana relegisse, quibus si nomen desit authoris, ab Ambrosio sive Augustino scripta iuraveris...!" 8

Wissenschaft in die christliche Weisheit - zumindest als Propädeutik - aufruft, weil er sie sehr nützlich findet 3 7 . D e r Kirchenvater stützt sich auf ein biblisches Gleichnis: So wie G o t t die Israeliten goldene und silberne Geräte aus Ägypten mitnehmen ließ 3 8 , die sie später selbst im Kult verwendeten, so sei die heidnische Wissenschaft von den Christen zu gebrauchen. In „De doctrina Christiana" legt er seinen Standpunkt dar: „Auch die Philosophen, besonders die Platoniker, werden hier genannt, wenn sie Dinge sagen, die tatsächlich wahr und unserem Glauben entsprechend sind. Solche Wahrheiten sind nicht nur nicht zu fürchten, sondern sie sind von ihnen wie von unrechtmäßigen Besitzern in unseren Gebrauch zu ü b e r f ü h r e n . " 3 9 Dieses Zitat ist in dem Bild des Ordenslehrers, das wir im folgenden untersuchen werden, den vier antiken Autoren zugeordnet, die die Philosophie begleiten. Gemeinsam führen sie die Artes Liberales an, die weitere antike Autoren als Repräsentanten bei sich haben. Philosophie und Theologie, antike und christliche Autoren, werden visuell parallelisiert. Wie in seinen Schriften so fungiert Augustinus auch im Bild als Verbindungsstück zwischen Antike und Christentum. Mit dieser Aussage konnten sich Humanisten vom Schlage Petrarcas natürlich hervorragend identifizieren. Seit 1368 lebte Petrarca in Padua und in seinem Landhaus in Arquà, wo er einen ausgewählten Kreis von Intellektuellen um sich versammelte. D a r u n t e r waren zwei berühmte Augustiner-Eremiten, die Stiefbrüder Bonsembiante Badoer (1327-1369) und Bonaventura da Peraga (1332-1385/ 89) 4 0 , die er besonders schätzte. Gemeinsam pflegten sie die studia humanitatis, und Petrarca bezeichnete Bonaventura als - man beachte die Reihenfolge - „insignem illum Philosophum, verum theologum ac magistrum" 4 1 . Bonaventura galt tatsächlich nicht nur als großer Theologe, sondern auch als hervorragender Kenner der weltlichen Wissenschaft. 1363 zählte er zu den Gründungsmagistri der theologischen Fakultät an der Universität von Bologna, und im Prooemium der Statuten nennt man ihn „einen glänzenden Kommentator nicht nur der göttlichen, sondern auch der weltlichen Schriften" 4 2 . Sein Interesse f ü r die studia humanitatis scheint demnach weit bekannt gewesen zu sein. A b 1367 lehrte er am Generalstudium in Padua, bis er 1377 zum Ordensgeneral gewählt wurde. Dieses A m t belegte er nur ein Jahr, weil er 1378 die Kardinalswürde erlangte. Seine enge Freundschaft mit Petrarca ist durch zwei eindrucksvolle Zeugnisse belegt: Petrarca schickte ihm 1370 einen Trostbrief, weil sein Bruder Bonsembiante überraschend gestorben war, und Bonaventura hielt 1374 die Trauerrede auf den verstorbenen Petrarca 4 3 . 37 G r a b m a n n 1936,(1), S. 9—11 ; Courcelle 1961, S . 5 8 . „ D e d o c t r i n a Christiana", Buch II, Kap. L X , 60, S.74: „liberales disciplinas usui veritatis aptiores et q u a e d a m m o r u m praecepta u t i l i s s i m a . . . " 38 E x o d u s 11,2, u n d E x o d u s 12, 3 5 - 3 6 . 39 „ D e doctrina Christiana", Buch II, Kap. X L , 60, S. 73: „ P h i l o s o p h i a u t e m qui vocantur, si q u a forte vera et fidei nostrae a c c o m o d a t a d i x e r u n t , m a x i m e Platonici, n o n s o l u m non f o r m i d a n d a sunt, sed ab eis t a n q u a m iniustis p o s s e s s o r i b u s in u s u m n o s t r u m v i n d i c a n d a . " 40 A r b e s m a n n 1965, S. 6 0 - 7 3 . Ü b e r B o n a v e n t u r a vgl. G . Grassi, in: D i z . Biogr. degli Italiani 5, 1963, S. 103-106; M a r i a n i 1959, S. 7 9 - 9 1 ; A . v. Moé, Les É r é m i t e s de Saint A u g u s t i n amis de P é t r a r q u e , in: Mélanges d ' A r c h é o l o g i e et d ' H i s t o i r e 46, 1929, S. 2 5 8 - 8 0 , bes. S. 2 7 7 - 2 7 9 ; Perini Bd. I, 1929, S. 7 5 - 8 0 . 41 A n D o n a t o degli A l b a n z a n i 1367. E p . Senil. 8,6, zit. nach O p e r a O m n i a 1554, S. 928. 42 „vir tam d i v i n a r u m s c r i p t u r a r u m q u a m s e c u l a r i u m l i t t e r a r u m c o m m e n t a t o r p r e f u l g i d u s " . E Ehrle, I più antichi statuti della facoltà teologica dell'Università di Bologna, in: Universitatis B o n o n i a e M o n u m e n t a Bd. I, Bologna 1932, S.6. S. a. A r b e s m a n n 1965, S. 63,64. 43 E p . senil. 11, 14, an B o n a v e n t u r a da Peraga 1370, O p e r a O m n i a 1554, S. 985. Z u r Trauerrede A r b e s m a n n

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Petrarca hatte auch Kontakt zu anderen Augustiner-Eremiten, die ebenfalls dem frühhumanistischen Umfeld zuzurechnen sind. Bereits zwischen 1320 und 1325 war er zum Rechtsstudium in Bologna gewesen. E r stand in Briefkontakt mit dem Kanonisten Johannes Andreae und dem Augustiner-Eremiten Bartholomäus von Urbino, die sich dort textkritischen Studien der Patristik zugewendet hatten und daher zu Vorläufern der humanistischen Bewegung gezählt werden müssen. In ihrem Kreis könnte, wie noch gezeigt werden wird, das Bild des Ordenslehrers und die Allegorie des Wissens entworfen worden sein. Ein weiterer Humanistenkreis entwickelte sich im letzten Viertel des 14. J h . in S. Spirito in Florenz. Auch er stand in direkter Verbindung zu Petrarca, weil sein Initiator, Luigi Marsiii (1342-1394), von klein auf in ihm einem Mentor hatte 4 4 . Bereits 1350/51 begegnete Luigi Petrarca, 1356/57 trat er in den Orden der Augustiner-Eremiten ein und begann mit dem Studium. 1373 hörte er am Generalstudium in Padua, um sich auf Paris vorzubereiten. Hier ist er mit dem Kreis um Petrarca in Berührung gekommen. Diese Öffnung zum Humanismus, die zumeist unter direktem Einfluß des großen AugustinusVerehrers Petrarca stand, unterscheidet die Augustiner-Eremiten deutlich von den anderen Bettelorden und gibt ihnen ein ganz spezifisches Profil, das sich in der parallelen Anordnung von Theologie und Philosophie, christlichen und heidnischen Autoren im exemplarischen Lehrplan spiegelt, den die Allegorie des Wissens, die im folgenden untersucht werden soll, ins Bild setzt.

1965, S. 6 7 - 7 0 . Publiziert bei A. Solerti, Le vite di Dante, Petrarca e Boccaccio, scritte fino al secolo decimosesto, Mailand 1905, S. 269, 270, und Appendix 1, S. 273, 274. 44 E l m 1976, S. 5 1 - 8 5 ; Arbesmann 1965, S. 73-119.

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I. Augustinus und die Lehre seines Ordens

1. Das Fresko aus S. Andrea in der Pinacoteca von Ferrara In der Pinacoteca von Ferrara befindet sich ein monumentales Fresko des Malers Serafino Serafini (Abb. 1, 2), das Augustinus mit den Allegorien der Tugenden und Wissenschaften darstellt. Es stammt aus der Kirche S. Andrea, die dem Orden der Augustiner-Eremiten gehörte, und war dort an der Innenseite der Westfassade angebracht. Leider sind keine Quellen zu dem Fresko aus S. Andrea erhalten. Die Wappen auf den Ornamentbändern bezeichnen jedoch die Stifterfamilie Marinetti. Das Wappen zeigt zwei goldene, gekreuzte Lilienszepter auf blauem Grund, die von einem schmalen Silberstreifen quer überschnitten werden 1 . Das Fresko ist um 1378 Marinetti in S. Andrea eine anzunehmen, daß der Maler Terminus ante quem ist das tiert. 2

zu datieren. In diesem Jahr stifteten zwei Brüder aus der Familie Kapelle, die gleichsfalls von Serafino Serafini freskiert wurde. Es ist beide Aufträge in relativ geringem zeitlichen Abstand ausgeführt hat. Jahr 1384, denn von da an ist Serafino wieder in Modena dokumen-

Das Fresko ist in drei Registern aufgebaut, die durch zwei breite Ornamentbänder getrennt werden. Dabei ergibt sich ein steiles Hochformat. Die Lünette bildet heute einen Rundbogen, doch krasse Überschneidungen zeigen, daß dies nicht der originale Zustand ist: Die beiden Engelspaare, die seitlich von Augustinus' Thron fliegen, sind in Höhe ihres Bauchnabels abgeschnitten. Außerdem fehlt die linke obere Ecke des Studierpultes des Hieronimus. Die seitlichen Ränder des Freskos sind in den unteren Registern durch einen schmalen, braunen Streifen eingefaßt. Er bricht in der Lünette gerade an der Stelle ab, wo der heutige Rundbogen ansetzt. Der Streifen beschreibt an dieser Stelle eine Krümmung, die wesentlich sanfter verläuft. Führt man diesen Ansatz weiter, so entsteht ein Spitzbogen. Dadurch wird die Bildfläche so vergrößert, daß die beiden Engelspaare genügend Platz finden. Erst diese Wiederherstellung des ursprünglichen oberen Bildabschlusses erlaubt es, zwei weitere fehlende Figuren zu ergänzen. Zu diesem Zweck ist eine Miniatur des Bologneser Malers Nicolö die Giacomo heranzuziehen, die in den 70er Jahren des 14. Jh. entstand und sich heute in Madrid befindet 3 (Abb. 4). Sie stimmt bis in Details mit dem Ferrareser Fresko überein und liefert daher nicht nur die Grundlage zur Rekonstruktion der Figuren, sondern auch sämtlicher Tituli 4 . 1 F. E Frassoni, Dizionario storico-araldico dell'antico Ducato di Ferrara, Rom 1914, S. 322. 2 Vgl. Anhang I. 3 Madrid B N , Cod. 197, fol. 3r. Vgl. Kap. 11,1. 4 Lodi 1981, S. 26, Abb. 7.

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In der Lünette des Freskos thront Augustinus an einem Pult. In den Händen hält er zwei Rotuli, deren Inschriften seine Liebe zu sapientia und scientia ausdrücken. Diese Begriffe korrespondieren mit den beiden Allegorien, die den Kirchenvater flankieren: Der Weisheit entspricht die Theologie, der Wissenschaft die Philosophie. Von ihnen sind im Fresko nur noch die Attribute zu erkennen, und zwar die beiden Kreisschemata seitlich des zentralen Thrones. Wie in der Madrider Miniatur muß hinter dem Rad, in dessen Zentrum ein aufgeschlagenes Buch erscheint, die Theologie gestanden haben. Schemenhaft ist ein Teil ihres Körpers noch zu erahnen. Analog dazu befand sich hinter der großen Sphära die Allegorie der Philosophie. Beide Figuren wurden wie die Engel über dem Thron des Augustinus durch den Rundbogen abgeschnitten. Zu Füßen des Thrones zieht sich eine lange Bank quer durch das Bildfeld. Dort sitzen unterhalb der Theologie vier kanonische Autoritäten: Hieronimus, Johannes Ev., Paulus und Moses. Gegenüber, unterhalb der Philosophie, befinden sich vier Philosophen: Aristoteles, Plato, Sokrates und Seneca. Alle sind durch Tituli identifizierbar. Im mittleren Register sitzen die sieben Tugenden nebeneinander auf einer breiten Bank, die von der Rückenlehne bis zum Boden mit einem bunt gemusterten Tuch verkleidet ist. Unter dieser Bank öffnet sich ein schmaler Raumstreifen, in dem sich die exemplarischen Vertreter der Laster am Boden krümmen. Allegorien und Exempla besetzen somit zwei getrennte Zonen, die nur durch das Attribut der Fides überschnitten werden. Die Reihenfolge der Tugenden und Anti-Exempla v.l.n.r. lautet: Iustitia - Nero, Prudentia Sardanapal, Caritas - Herodes, Fides - Arius, Spes - Judas, Fortitudo - Holofernes, Temperantia - Epicur. Die vier Kardinaltugenden sind in zwei Paare geteilt worden, um den drei theologischen Tugenden den prominenten Mittelplatz freizuhalten. Fides rückt ins Zentrum, in eine Achse mit Augustinus. Formal ist sie durch ihr auffälliges Attribut dafür prädestiniert: Der Baum mit den 15 Medaillons des Glaubensbekenntnisses beschreibt eine ähnlich kompakte Form wie der Thron des Augustinus. In Analogie zum Sockel seines Thrones steht bei Fides der Fels, auf dem, bzw. in diesem Fall: vor dem die Kirche gebaut wurde. Vor allem aber aus inhaltlichen Gründen besetzt Fides diese zentrale Position, denn sie demonstriert den Sieg der orthodoxen Lehre über den Häretiker Arius. Damit formuliert sie den Sinn und Zweck der gesamten Allegorie der Lehre, welche die Tugenden und Wissenschaften zum Kampf gegen Häresie aufbietet. Im unteren Register befanden sich die sieben Artes Liberales. Dieser Bereich ist bis zur Höhe von 1,82m stark zerstört, da hier eine Tür durch die Wand geschlagen wurde. Seitlich des Durchbruchs ist das Fresko stark abgerieben. Nur die Fragmente von Astronomie und Musik sind noch am rechten Rand erkennbar. An ihnen läßt sich jedoch das gesamte Präsentationsschema ablesen: Die Artes sitzen wie die Tugenden auf einer durchlaufenden Bank mit hoher Rückenlehne, welche mit buntem Tuch bespannt ist. Vor ihnen am Boden hocken, proportional leicht verkleinert, die exemplarischen Repräsentanten eines jeden Faches, so daß die Artes bis in Kniehöhe überschnitten werden. Anfang des 20. Jh. hat Gerolamo Domenichini ein Aquarell nach dem Fresko angefertigt, in dem die beiden Artes links des Türdurchbruchs noch gut zu erkennen sind (Abb. 2). Da die Positionen der überlieferten Artes mit denjenigen in der Madrider Miniatur (Abb. 4) übereinstimmen, kann man auch die fehlenden drei in der Mitte gemäß der Buchmalerei ergänzen. Demnach ergibt sich folgende Reihe der Artes und ihrer Vertreter v.l.n.r.: Grammatik - Priscian, Dialektik - Zoroaster, Rhetorik - Cicero, Arithmetik - Pythagoras, Geometrie - Euclid, Musik - Tubal Kain, Astronomie - Ptolemäus.

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2. Die Lehre als Allegorie: Der Idealentwurf eines Programms Da uns das Programm des Ferrareser Freskos in leichten Variationen noch mehrfach begegnen wird, soll es an dieser Stelle exemplarisch analysiert werden. Dazu bedienen wir uns einer 'Idealversion', die sich von dem Fresko in Ferrara (Abb. 1) insofern unterscheidet, als die Tugenden und Artes in einem Register nebeneinander sitzen. Nur so ist eine vollständige Symmetrie gewährleistet, bei der sich die Tugenden unterhalb der Theologie und den kirchlichen Autoren, die Artes unterhalb der Philosophie mit den heidnischen Philosophen befinden. Diese Anordnung führt die Miniatur des Nicolö di Giacomo aus Bologna vor Augen (Abb. 4), die bereits zur Rekonstruktion des Ferrareser Freskos herangezogen wurde. Daß diese Version dem mutmaßlichen Prototyp des Programms sehr nahe kommt, der sich in S. Giacomo in Bologna befunden haben dürfte, wird im weiteren Verlauf dieser Arbeit deutlich werden. Leider ist keine zeitgenössische Bezeichnung des Bildprogramms überliefert, deshalb haben wir es bisher etwas umständlich „Bild des Ordenslehrers und Allegorie des Wissens" genannt. Damit sind die entscheidenden Bestandteile des Bildes aufgezählt: Augustinus, der Ordenslehrer und die dargestellte kirchliche Lehre, die der Orden vertritt. Gleichzeitig kommt in diesem Titel die unterschiedliche 'Formulierung' der beiden Elemente zum Ausdruck: Augustinus tritt nämlich dem Betrachter als historische Person entgegen, während die Lehre durch Allegorien ins Bild gesetzt wird. Dieser komplizierte Sachverhalt läßt sich nicht auf einen kurzen, einprägsamen Begriff bringen. Wir bezeichnen das Bild daher im folgenden immer so, wie es der Kontext der Argumentation erfordert. Bei der ausführlichen Deutung des moralisch-wissenschaftlichen Programms sprechen wir von der „Allegorie des Wissens" oder der „Lehre". Steht jedoch Augustinus im Vordergrund, so sprechen wir vom „Bild des Ordenslehrers", denn diese Funktion hatte er für die AugustinerEremiten. Das Bildprogramm als Ganzes gehört zur Gattung der „monumentalen Allegorie", deren Gegenstück das historische Ereignisbild darstellt. Wir verwenden den Terminus Allegorie aber nicht nur als Gattungsbegriff, sondern auch für die 'Einzelallegorien' der Tugenden und Artes, die sonst als Personifikationen bekannt sind. Auf den letzteren Begriff verzichten wir, weil bereits jede einzelne dieser Figuren so komplex ist, daß man sie nur mit dem Wort Allegorie angemessen charakterisieren kann. Das Bild des Ordenslehrers ist demnach eine „monumentale Allegorie", in der Augustinus die kirchliche Lehre präsentiert. Sie setzt sich aus einzelnen Allegorien und historischen Figuren zusammen. Dies ist keine theologische Abhandlung, daher können die Begriffe, die im Bild erscheinen, hier nur ansatzweise erklärt werden. Ebensowenig ist dies eine ikonographische Studie, daher hat sie auch nicht zum Ziel, unbedingt eine schriftliche oder gemalte Vorlage zu finden, von der das Programm abhängig ist. Wahrscheinlich hat es eine solche auch nie gegeben. Es gilt vielmehr, die Autonomie des Bildes als originale Invention anzuerkennen, die einem geschriebenen Text gleichwertig ist. Um das zu betonen, spricht Thürlemann von einem Bildtext wie von einem Sprachtext: Beide sind „primäre Erzeuger von Bedeutung" 5 . Belting führt diesen Ansatz wesentlich weiter. Er bedient sich derselben Terminologie, um die Strukturähnlichkeit zwischen Sprache und Malerei zu bezeichnen. Der Bildtext entspricht dem 5 Vgl. F. Thürlemann, Geschichtsdarstellung und Geschichtsdeutung, in: D e r Text des Bildes. Möglichkeiten und Mittel eigenständiger Bilderzählung, H g . W K e m p , München 1989, S. 90.

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Sprachtext wie die Komposition der Syntax und die Einzelmotive den Wörtern 6 . Abstrakte Begriffe, die im Bild in einzelne Allegorien übersetzt sind, bezeichnet Belting als Bildbegriffe7. Häufig stehen Wortbegriffe als Inschriften daneben. Das ist keineswegs redundant. Die Bilder erklären und illustrieren die Begriffe auf ganz eigenständige Weise, während das Wort einen prägnanten Namen beisteuert. Wenn im folgenden schlicht von 'Begriffen' die Rede ist, sind sowohl Wort als auch Bild gemeint. Wo eine spezielle Unterscheidung nötig ist, wird gesondert darauf hingewiesen. Entsprechend dieser Terminologie wird zunächst die Syntax des Bildes untersucht. Dabei geht es um die 'grammatikalischen Grundregeln' sowie um Herkunft und Funktion des Kompositionsschemas. Danach folgt die Betrachtung der einzelnen Begriffe bezüglich ihrer geistesgeschichtlichen und formalen Herkunft.

2.1. Die Syntax: Das Kompositionsmuster einer monumentalen Allegorie Wie bei einem literarischen Text ist auch die Sprache eines Bildes gemäß dem Thema und dem Publikum wählbar. Die wichtigsten Möglichkeiten sind Erzählung und Repräsentation. Beide Sprachmodi können sowohl auf historische als auch auf allegorische Bilder angewendet werden. Die Bildsprache ist im Gegensatz zur Wortsprache kaum genormt. Außerdem stehen ihr andere, medienspezifische Mittel zu Verfügung. Ein wichtiger Unterschied ist die Möglichkeit, einen komplexen Zusammenhang synoptisch darzustellen und dadurch auf einen Schlag vor Augen zu führen, während der Sprachtext immer auf die schrittweise Beschreibung eines Sachverhalts angewiesen ist. Die monumentale Allegorie, die hier zur Debatte steht (Abb. 4), bedient sich exakt dieser Form: Sie ist ein statisches Schaubild und keine Erzählung. Durch die systematische Anordnung kann der Betrachter auf den ersten Blick erkennen, in welchem Verhältnis die Figuren zueinander stehen: „Denn das topographische Gefüge legt das logische Gefüge offen, in dem die Figuren zueinander stehen. Oben und unten, links und rechts, groß und klein, frontal und seitlich sind planvolle Mittel der Darstellung, die in Wirklichkeit eine Klassifikation ist." 8 Die Komposition ist streng oberen Register Augustinus. Er zeitig gibt es eine horizontale einfachen Ordnungsstrukturen einander.

symmetrisch angelegt. Auf der vertikalen Mittelachse thront im bildet den zentralen Angelpunkt des gesamten Programms. GleichEinteilung in ein oberes und ein unteres Register. Diese beiden setzen alle Bildbegriffe in ein genau determiniertes Verhältnis zu-

Die Registereinteilung ist als ein hierarchisches Verhältnis zu lesen: Was in der oberen Ebene erscheint, ist der unteren auch inhaltlich übergeordnet. Zusammengehörige Begiffe oder ganze Begriffskomplexe stehen unmittelbar übereinander. Auf diese Weise präsidiert Theologie den Tugenden und Philosophie den Artes Liberales. Umgekehrt sind die Begriffe einer gemeinsamen Ebene auch in ihrer Bedeutung gleichwertig, d. h. Theologie und Philosophie sind ebenbürtige Wissenschaften, die kanonischen Schriftsteller und die antiken Philosophen sind gleichermaßen Autoritäten. 6 Belting 1989, S. 2 8 - 3 0 , 32, 36. 7 Belting 1989, S. 36. E r exemplifiziert diese Wortschöpfung an Giottos Tugenden und Lastern in der ArenaKapelle in Padua. 8 Belting 1989, S. 52. Meier 1990, bes. S. 38, 52,53.

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Das Bildprogramm, das hier am Beispiel der Madrider Miniatur analysiert wird (Abb. 4), enthält zwei Arten von Bildbegriffen mit unterschiedlichem Realitätsgrad: Allegorien und historische Exempla. Es wird streng darauf geachtet, daß nur gleichartige Begriffe als Pendants auftreten: Die Allegorien Theologie und Philosophie sind einander zugeordnet wie die Exempla der vier kanonischen Schriftsteller und der vier antiken Philosophen, und im unteren Register befinden sich ausschließlich Allegorien auf einer gemeinsamen Ebene. Während gleichartige Begriffe auf einer Ebene einen Parallelismus bilden, stehen Begriffe verschiedener Gattung entweder in antithetischem oder synekdochischem/repräsentativem Verhältnis zueinander. So bilden exemplarische Bösewichte den Gegensatz zu den Tugenden, und berühmte Lehrbuch-Autoren illustrieren als pars pro toto den abstrakten Begriff der Wissenschaften. Gemäß dieser Regeln gelangen wir zu einer ersten Lesung des Programms, die zunächst nur die schematische Grundstruktur und die Relation aller Begriffe zueinander offenlegt. Im oberen Register stehen sich die Allegorien der Theologie und Philosophie beiderseits des Augustinus als Pendants gegenüber. Sie bilden die zentralen Oberbegriffe des Programms, denen jeweils ein umfangreicher Apparat an Divisionen und Subdivisionen zugeordnet ist. Zunächst haben beide ein Kreisschema als Attribut bei sich. Die Schemata bezeichnen und untergliedern die Materie, mit der sich jede Wissenschaft beschäftigt: Die Bibel samt ihrer diversen Auslegungsmethoden gehört zur Theologie, die Schöpfung mit ihrer Einteilung in die verschiedenen Sphären zur Philosophie. Im unteren Register sind der Theologie die Allegorien der sieben Tugenden, der Philosophie die der sieben Artes Liberales zugeordnet. Jedes Septenar bildet eine Vorstufe zu den beiden höchsten Wissenschaften und liefert damit gleichzeitig eine Division der Oberbegriffe in verschiedene Bereiche. Die Artes sind als Propädeutik die Voraussetzung für die philosophische Wissenschaft. Die Tugenden repräsentieren die Katechese, die jeder intensiven Beschäftigung mit den Glaubensinhalten notwendig vorangestellt ist. Jede Allegorie des unteren Registers wird zusätzlich in ihre partes untergliedert. Zu den Kardinaltugenden gehören verschiedene 'Untertugenden', zu den theologischen Tugenden drei wichtige katechetische Stücke (Dekalog, Symbolum und Beatitudines) und zu den Artes spezielle Fachtermini. Diese Subdivision erscheint im Bild nicht mehr in Form von Bildbegriffen, sondern in Form von reinen Wortbegriffen, von Tituli. Damit auch diese eine übersichtliche Ordnung erhalten, sind sie in verschiedene Schemata wie Rotae, Arbores, Rotuli oder einfach aufgeschlagene Bücher, eingetragen, die die Allegorien wie Attribute bei sich haben. Zusätzlich sind den abstrakten Begriffen der Allegorien die historischen Exempla der Bösewichte und der Lehrbuchautoren als Ergänzung, Erläuterung und Illustration beigefügt. Dieses komplexe System aus Bild- und Wortbegriffen kann auf ein vollkommen abstraktes Schema aus zwei parallelen Strängen von Divisionen und Subdivisionen reduziert werden, die man sowohl von oben nach unten (deduktiv) als auch von unten nach oben (induktiv) lesen kann (Fig. 1). Sie vereinigen sich in der Person des Augustinus, die als „Präsentationsfigur"9 fungiert. Auf die möglichen Querverbindungen innerhalb des Systems soll an dieser Stelle nicht eingegangen werden. Als Kompositionsmuster liegen dieser monumentalen Allegorie offensichtlich Schemata zugrunde, wie sie im Bereich der Schule und des Unterrichts während des Mittelalters sehr beliebt waren. Der didaktische Wert solcher „Lehrfiguren" 10 lag einerseits in ihrer explikativen, anderer9 D e n Terminus verwendet Schadt 1982, S. 15, 90 und passim. 10 D e n Terminus verwendet Wirth 1983 passim.

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seits in ihrer mnemotechnischen Funktion. Die Schemata konnten in unbegrenzten Formvarianten auftreten. Daher gilt es hier nicht, die Vorlage des Programms zu finden, sondern funktionale und formale Analogien herauszuarbeiten. Es war eine Hauptaufgabe der Lehrfiguren, komplizierte Begriffsgruppen so zu gliedern, daß logische und hierarchische Beziehungen, die in einem Text schwierig zu erklären sind, präzise vor Augen stehen. Diese Aufgabe konnte formal sehr unterschiedlich gelöst werden. Das Spektrum reicht von ganz einfachen Liniensystemen, die die betreffenden Worte verbinden, bis hin zur Umsetzung einzelner oder mehrerer besonders wichtiger Begriffe in gemalte Allegorien. Wirth bezeichnet den Schema-Typus, der zu explikativen Zwecken am besten geeignet ist, als Stemma. Das ist ein Ordnungssystem, an dessen Spitze ein Oberbegriff steht, der in Unterbegriffe (partes) dividiert wird, die selbst wieder Unterbegriffe bilden können (subdivisiones). Die Untergliederungen lassen sich beliebig variieren und ins Unendliche fortsetzen. Dieses Modell stammt aus der antiken Literatur und ist seit karolingischer Zeit wieder in Gebrauch 11 . Umfangreiche Stemmata erscheinen hauptsächlich in Handschriften, die entweder wissenschaftliche Texte oder Moraltraktate enthalten. Dort visualisieren sie komplizierte Einteilungssysteme der Wissenschaften oder der Tugenden und Laster. In einer Handschrift von Radulphus de Longocampos Kommentar zum „Anticlaudianus" aus dem späten 13. J h . 1 2 befindet sich eine Einteilung der Wissenschaften (Abb. 5). Sie macht trotz der großen Anzahl der Begriffe und ihrer asymmetrischen Anordnung die Zusammengehörigkeiten und Abhängigkeiten in übersichtlicher Weise klar. Solche Stemmata konnten jedoch derartig wuchern, daß sie jede spontane Evidenz verloren und Stück für Stück wie ein Text entziffert werden mußten, wie z. B. die Einteilung der Wissenschaften in einer Pariser Handschrift des späten 13. J h . 1 3 . Diese umfangreichen Stemmata haben, zumal in der unübersichtlichen Form, nicht die Funktion, sich leicht ins Gedächtnis einzuprägen, sondern sie dienen ausschließlich der Erklärung. Manchmal werden auch zwei verschiedene Stemmata nebeneinandergesetzt, um im Vergleich die unterschiedlichen Argumentationen schärfer hervortreten zu lassen. Stemmata konnten natürlich auch auf wenige Begriffe reduziert und figürlich ausgeschmückt werden. Auf diese Weise ließen sie sich leichter memorieren und waren didaktisch doppelt wertvoll. Als Beispiel sei eine Miniatur des 12. Jh. aus Paris 14 angeführt (Abb. 6): Der Oberbegriff „Philosophie" wurde in eine Allegorie umgesetzt. Die gekrönte Frau hält nun ihre Einteilungen als Tafeln in den Händen, bzw. sie steht auf einer solchen. Von den Tafeln hängen weitere Täfelchen als Unterteilungen ab. Die mnemotechnische Funktion von Schemata war im Mittelalter in der Praxis hoch geschätzt und in der Theorie fest untermauert. Thomas von Aquin kannte die antiken Theorien über das künstliche (d. h. das trainierte) Gedächtnis. Die anonyme Rhetorik „Ad Herennium", die im Mittelalter als zweite Rhetorik Ciceros galt, enthält eine ausführliche Abhandlung über memoria, die zu den fünf Teilen der Rede gehörte. Das künstliche Gedächtnis besteht demnach aus Orten

11 Wirth 1983, S. 294, 2 % . 12 Madrid, Biblioteca Real Escorial, ms. Q . III. 17, fol. 15r. Wirth 1983, A b b . 21, mit falscher Bildunterschrift. 13 Paris, B N , C o d . lat. 8083, fol.9 r . Wirth 1983, A b b . 22 gleichfalls mit falscher Bildunterschrift. Weitere Beispiele ebd. A b b . 28a,b. 14 Paris, B N , ms. lat. 18275, fol.20 r . Fulgentius, „Mitologiarum libri I I I " . Wirth 1983, A b b . 25. Vgl. auch ebd. A b b . 27

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(locis) und Bildern (imaginibus)^. Will man sich einen Sachverhalt oder eine Reihe von Begriffen merken, so m u ß man f ü r die Worte oder Sachen in seiner Phantasie Bilder erfinden. Diese Bilder deponiert man an O r t e n wie z. B. in einer Architektur, die man in seinem Gedächtnis eingerichtet hat. Die in den Räumen abgelegten Bilder kann man hervorholen, indem man wieder „den Raum betritt". Im 13. Jh. behandelte man memoria nicht mehr als Teil der Rhetorik, sondern als Teil der Prudentia. Als pars prudentiae erscheint der Begriff auch in der Allegorie des Wissens. Man verk n ü p f t e also die memoria mit der Tugend. Sie sollte bewirken, daß der Mensch die Maximen christlicher Lebensweise permanent im Gedächtnis hat. N u r so war ihm das ewige Leben gewiß. In diesem Kontext erläutert Thomas die memoria in seiner „Summa Theologica" (II, II, q.48) 1 6 . Dabei wiederholt er weitgehend die Regeln aus „Ad Herennium". Die Bilder sollen „körperhafte Gleichnisse" sein, weil das menschliche Gedächtnis am besten behalten kann, was es mit den Augen gesehen hat. Die O r t e versteht Thomas allerdings nicht mehr als reale oder fiktive Architekturen, sondern in erster Linie als Ordnung, die daher auch nach ganz abstrakten Regeln funktionieren kann. Dieser Theorie entsprechend gab es im Mittelalter diverse Schemafiguren als Ordnungssysteme, in die man Worte oder Bilder einsetzen konnte. Die wichtigsten Typen sind neben dem Stemma die Rota und die Arbor. Wie die Stemmata so treten auch die Kreis- und Baumschemata in unendlich vielen Variationen auf, die von einfachen Strichzeichnungen bis zu figurativ ausgestalteten Bäumen reichen. Solche Schemata bevölkern weite Bereiche des mittelalterlichen Wissens: Neben den Einteilungen der Philosophie in wissenschaftlichen Codices erscheinen vor allem die Arbores in Rechtshandschriften, um Verwandtschaftsverhältnisse klarzulegen 1 7 . Im Bereich der Erziehung zur christlichen Lebensweise treten sämtliche Schemaformen auf, um das Memorieren der Tugenden und Laster oder des katechetischen Grundwissens zu erleichtern. Alle Schemata sind hauptsächlich in Handschriften überliefert, doch man kann davon ausgehen, daß es im Bereich der Schule und der Kirche auch ephemere Tafeln und sogar Fresken gegeben hat, die als Gedächtnishilfe dort angebracht waren 1 8 . Ein Vergleich zwischen der schematischen Reduktion unseres Programms (Fig. 1) und den beschriebenen Stemmata zeigt ganz deutlich, daß dort dieselben Grundprinzipien herrschen (Abb. 5, 6): Die Allegorie des Wissens besteht sozusagen aus zwei parallel angelegten Stemmata, die von Theologie und Philosophie als Oberbegriffen ausgehen und sich nach unten in doppelter Staffelung verzweigen. Augustinus dient als Präsentationsfigur, die vor allem bei den arbores affinitatis und consanguinitatis ein wichtiger Bestandteil des Schemas ist 1 9 . Das abstrakte Liniensystem wird im Bild zu einer realen Sitzordnung, und die abstrakten Begriffe werden zu allegorischen Figuren, die ihre vorgeschriebenen Plätze einnehmen. Eine Lehrfigur liefert nicht nur das Grundmuster der monumentalen Allegorie, sondern es befinden sich auch weitere Typen didaktischer Schemata als Einzelmotive in dem Programm. Dieses ist nicht n u r formal aufs engste mit dem Bereich der Lehre verbunden, sondern es erfüllt dementsprechend auch explikative und mnemotechnische Funktionen. Außerdem paßt es inhaltlich genau zu dem Kontext der Lehrfiguren, denn es präsentiert wissenschaftliche Einteilungen, moralische Grundbegriffe und katechetische Hauptstücke.

15 Im folgenden beziehe ich mich auf Francis Yates 1991, bes. S. 15. 16 Yates 1991, S. 7 2 - 7 5 . 17 D a z u Schadt 1978, und ders. 1982, passim. 18 Wirth 1983, S. 271. 19 Schadt 1982, S. 15, 90 und passim.

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2.2. Die Bildbegriffe: Augustinische Ideen in scholastischer Systematik Ordnung war laut Thomas von Aquin die eine Grundvoraussetzung für gute Memorierbarkeit. Die andere waren die „körperlichen Gleichnisse", die imagines der antiken Gedächtniskunst. Sie waren deshalb besonders wichtig, weil Thomas wie Aristoteles von der Dominanz des Gesichtssinns ausgeht und daher der Meinung war, daß „subtile und geistige Dinge in der Seele in körperhaften Formen besser erinnert werden können". Die Rhetorik „Ad Herennium" empfiehlt sogar besonders auffällige Bilder, die sich durch Aktivität (imagines agentes), überragende Schönheit oder Häßlichkeit oder andere spezielle Merkmale auszeichnen 20 . Diese Forderungen erfüllt die Allegorie des Wissens, die hier am Beispiel der Madrider Miniatur (Abb. 4) analysiert wird, vollständig, indem sie eine große Anzahl abstrakter Begriffe in Bilder umsetzt (die wir auch als Bildbegriffe bezeichnet haben). Die weiblichen Figuren zeichnen sich durch spezielle Attribute aus oder führen charakteristische Handgriffe vor. Sie sind imagines agentes, die leicht zu memorieren sind 2 1 . Sie sollen im folgenden genauer untersucht werden.

2.2.1. Das obere Bildregister: Die Grundfragen der Scholastik Theologie und Philosophie stehen sich als gleichwertige Pendants gegenüber. Sie fordern damit zu einem Vergleich heraus, bei dem ihre antithetische Anlage zutage tritt. Philosophie ist in einen dunkelgrünen Mantel gehüllt. Nachdenklich stützt sie den Kopf in die Hand und schaut dabei nach unten auf ihr Sphärenmodell, das im Zentrum die Erde mit den anderen drei Elementen, Feuer, Wasser und Luft, zeigt und in konzentrischen Kreisen die sieben Planetenbahnen bis zum Zodiakus darstellt. Philosophie ist also auf den Bereich der sichtbaren Dinge ausgerichtet, die sie mit der ratio erfassen kann 2 2 . Theologie leuchtet dagegen in einem strahlend weißen Mantel. Sie schaut nach oben, wo Christus in einer Mandorla erscheint, d. h. ihre Erkenntnisquelle ist nicht die sichtbare Welt, sondern der unsichtbare Bereich des Geistes. Sie erkennt nicht durch den Verstand, sondern durch Offenbarung. Als Pendant zu der Sphära der Philosophie hat Theologie ein großes Rad bei sich, in dessen

20 Yates 1991, S. 18, 38, 73. 21 Yates 1991, S. 88, 89, 95 hatte bereits früher allegorische Wandbilder des 14. J h . vom Gedächtnis her betrachtet. Diese Idee untermauerte Belting 1989, S. 5 4 - 5 8 , indem er u. a. das „Lignum Vitae" im Refektorium von S. Croce in Florenz nach den Regeln der Gedächtniskunst „liest" und die historische Vertrautheit der Maler mit der antiken Mnemotechnik dadurch nachweist, daß in der Werkstatt Pietro Lorenzettis eine Prachtausgabe des „Ad Herennium" illustriert wurde. 22 Es ist mir keine Vorlage für diese Ikonographie bekannt. Ähnlichkeit zeigt nur die Prudentia in den „Documenti d ' A m o r e " des Francesco da Barberino. A u f einer Bank sitzend hat sie dasselbe Sphärenmodell bei sich und schaut es an, während sie die Hand nachdenklich zur Stirn führt (vgl. Egidi 1902, S. 19). Das tertium

comparationis

liegt im Gebrauch des Verstandes zur Einsicht in die Dinge der Welt. Das Sphären-

modell beruht auf griechisch-antiken Grundlagen, die im Mittelalter vor allem durch die „Sphera M u n d i " des Johannes Sacrobosco verbreitet waren. Vgl. dazu L . S. Dixon, Giovanni di Paolo's Cosmology, in: Art Bull. 67, 1985, S. 606.

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Zentrum ein aufgeschlagenes Buch - die Bibel - zu sehen ist. Darin stehen zwei Verse aus der Vision Ezechiels 23 : „(15) Ich schaute auf die Lebewesen: Neben jedem der vier sah ich ein Rad auf dem Boden. (16) . . . Sie waren so gemacht, daß es aussah, als laufe ein Rad mitten im anderen." Ahnlich wie in der Vision des Propheten schauen die geflügelten Köpfe der vier Wesen, welche als Präfigurationen der Evangelisten gelten, an den Seiten des Rades hervor. Damit sind altes und neues Testament im Bild vertreten, wie auch auf dem Rad, dessen doppelter Kreis die beiden Teile der Bibel symbolisiert, zu lesen ist: „Testamentum vetus", „Testamentum novum". In den Zwischenräumen der Speichen stehen die verschiedenen Arten der Ausdeutung des Schriftsinnes: „Sensus litteralis, moralis, naturalis, anagogicus, ystoriografus, allegoricus" 24 . Das Rad ist ein Ordnungsschema, das die wissenschaftliche Methodik präsentiert, mit der die Theologie ihre zweite Erkenntnisquelle analysiert: die Bibel. Sie steckt zwar voller Offenbarungen, doch sie kann nach wissenschaftlicher Methode gedeutet werden, und dazu benötigt man den Verstand. Theologie hantiert mit zwei Spiegeln und vermittelt dadurch einen aktiven Eindruck im Gegensatz zu der kontemplativen Pose der Philosophie. Den goldenen Spiegel mit der Inschrift „sapientia" hält sie nach oben zu Christus, den silbernen mit der Inschrift „scientia" richtet sie nach unten zum Kreismodell. Christus sendet aus der Mandorla Strahlen, die Theologie mit dem goldenen Spiegel empfängt und an den silbernen weiterleitet. Damit ist klar, daß Weisheit nur durch göttliche Offenbarung erlangt werden kann, während Wissenschaft allein nicht zu diesem höchsten Ziel führt, sondern sogar selbst auf göttliche Inspiration angewiesen ist. Theologie ist also nicht nur antithetisch zur Philosophie aufgebaut, sondern sie ist wesentlich komplexer. Mit ihrer doppelten Erkenntnisquelle und der wertenden Präsentation von scientia und sapientia spiegelt sie im Grunde das Verhältnis zwischen sich und Philosophie in der eigenen Person wieder. Das bestätigen die Inschriften auf den Rotuli, die Augustinus in den Händen hält. Zur Theologie gewandt und auf sie gemünzt heißt es: „Diese habe ich geliebt und begehrt und von meiner Jugend an bin ich zum Liebhaber jener Gestalt gemacht worden. Und wenn ich aus dieser Weisheit (sapientia), die die einzig wahre ist, mir etwas genommen habe, so habe ich es mir nicht angemaßt." Auf Philosophie bezieht sich der Rotulus in seiner Linken: „In allem, was es gibt, hat Gott mir wahre Wissenschaft (scientia) gegeben, und was auch immer verborgen und unvermutet ist, habe ich erfahren." In verschlüsselter Form wird damit signalisiert, daß Theologie als sapientia den Vorrang vor Philosophie, der scientia beansprucht, gemäß der alten Formulierung „Philosophia ancilla Theologiae". Das Bild baut damit eine ganze Reihe von Antithesen und hierarchischen Beziehungen auf, die weit über die Wortbegriffe der Inschriften hinausgehen.

23 Ezechiel 1, 15,16. Die vollständigen lateinischen Tituli stehen in Anhang III. 24 D i e Tituli sind am besten in der „Canzone delle Virtü e delle Scienze" aus Chantilly lesbar. Die Madrider Miniatur muß aus Platzgründen auf einige Worte verzichten, die ich daher aus der Canzone zitiere. Erstere enthält nur den „sensus litteralis" und den „sensus allegoricus", womit bereits beide grundsätzlichen M ö g lichkeiten der Interpretation bezeichnet sind.

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In seiner wichtigsten dogmatischen Schrift, „De Trinitate", definiert Augustinus sapientia und scientia genauso wie in unserem Bild: Erstere bezeichnet die Erkenntnis der unsichtbaren Wahrheit durch göttliche Offenbarung, letztere das rationale Wissen über die sichtbare Welt: „Wenn also dies die richtige Unterscheidung zwischen Weisheit (sapientia) und Wissenschaft (scientia) ist, daß zur Weisheit die schauende Erkenntnis (cognitio intellectualis) der ewigen Dinge, z u r Wissenschaft aber die Verstandeserkenntnis (cognitio rationalis) der zeitlichen Dinge gehört, dann ist es nicht schwer zu entscheiden, was wem vorzuziehen i s t . . ," 2 5 F ü r Augustinus ist nämlich die weltliche Wissenschaft unverzichtbare Voraussetzung f ü r die göttliche Weisheit: „ . . . bevor wir zur Erkenntnis der geistigen Dinge gelangen, die ewig sind, k o m m t die verstandesmäßige Erkenntnis der zeitlichen Dinge." 2 6 Offensichtlich stehen beide f ü r Augustinus im Dienst der Gotteserkenntnis, denn auf der Suche nach der „substantia Dei" nützt einem sowohl die Bibel (scriptura) als auch die Schöpfung (creatura) 2 7 . Beide sind in Form einer Rota ins Bild gesetzt und Theologie und Philosophie zugeordnet. Allerdings definiert Augustinus in dieser Schrift weder die Begriffe Theologie und Philosophie noch ihr Verhältnis zueinander. Er hat sie überhaupt niemals methodisch gegeneinander abgegrenzt 2 8 . In „De doctrina christiana" II, 9—11, bezeichnet er scientia als die dritte der sieben Stufen auf dem Weg zu sapientia. Diese dritte Stufe f ü h r t er als einzige näher aus, indem er zunächst die wissenschaftliche Bibelauslegung samt deren Autoritäten und später die Artes Liberales beschreibt. Das entspricht dem Bild insofern, als scientia in Gestalt eines silbernen Spiegels auf das Kreismodell der theologischen Bibelauslegung gerichtet ist und gleichzeitig Philosophie als scientia den Artes Liberales übergeordnet wird. Auch die Benutzung der antiken Philosophie verteidigt Augustinus in dieser Schrift (II, 60). Es gibt jedoch keinen Text des Augustinus, in dem er alle im Bild versammelten Begriffe in systematischer Form zusammenstellt. Das würde auch weder zu seinem Sprach- noch seinem Denkstil passen. Ausgebildet in der antiken Rhetorik widerstrebt ihm die starre Schematik. Er reiht lieber verschiedene Themen in lockerer Folge aneinander und schmückt sie lebendig aus 2 9 .

25 Augustinus, „De Trinitate", XII, 15,25, S. 379: „Si ergo haec est sapientiae et scientiae recta distinctio ut ad sapientiam pertinet aeternarum rerum cognitio intellectualis, ad scientiam vero temporalium rerum cognitio rationalis, quid cui p r a e p o n e n d u m sive p o s t p o n e n d u m sit non est difficile i u d i c a r e . . . " Z u r Definition von sapientia und scientia vgl. auch M. W Borgmann, T h e C o m m o n Life A m o n g Clerics in the Writings of St. Augustine of H i p p o and Ecclesiastical Legislation, Diss. Washington 1968, S. 6-13. 26 Augustinus, „De Trinitate", XII, 15, 25, S.379. „ . . . a n t e q u a m ad cognitionem rerum intelligibilium quae sempiternae sunt veniremus, temporalium rerum cognitio rationalis occurrit." 27 Augustinus, „De Trinitate", II, P r o o e m i u m 1, S. 80. „ . . . a d inquirendum substantiam Dei sive per scripturam eius sive per creaturam." Vgl. auch G r a b m a n n 1948, S. 153. 28 Maritain 1930, S. 206. 29 H . I. Marrou, Augustinus, H a m b u r g 1988, S. 5; Maritain 1930, S. 204: „Augustine constantly philosophizes, and is yet in no way the inventor of a system of philosophy."

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Die Scholastik des 13. Jh. entwickelte dagegen eine strenge Systematik. Ihr berühmtester Vertreter war Thomas von Aquin. In Quaestio I seiner „Summa Theologica" behandelt er alle Begriffe, die im oberen Register der Allegorie des Wissens vorkommen, in übersichtlicher Weise. Im Bemühen, Vernunft und Glauben zu vereinen, bewertet er die Theologie gleichzeitig als scientia und sapientia30. Die Begriffe schließen einander nicht aus, sondern sie ergänzen sich, wobei sapientia als höchste Weisheit über scientia steht 31 . Thomas unterscheidet zwischen Philosophie, die sich mit der Vernunft den zeitlichen Dingen zuwendet, und Theologie, die in der Offenbarung die ewige Wahrheit schaut, wie es im Bild durch die beiden Allegorien dargestellt ist: „Es ist daher auch nötig, außer den philosophischen Disziplinen, die mit dem Verstand (ratio) forschen, die heilige Lehre durch Offenbarung (revelatio) zu gewinnen." 32 Wie im Bild macht er dieselbe Unterscheidung auch innerhalb der Theologie, die sich einerseits auf rationale Prinzipien stützt, andererseits aber auf solche, die geoffenbart werden 33 . Die Offenbarung wird durch Autoritäten vermittelt, die die Uberzeugungskraft von Beweisen haben. Sie äußern sich in erster Linie in der Bibel 34 . Solche Autoritäten erscheinen auch im Bild. Es sind die kanonischen Schriftsteller, die links neben Theologie sitzen. Die Bibel ist im Kreismodell repräsentiert. Dazu tritt als Inschrift ein Zitat des Augustinus, und selbst das taucht auch bei Thomas in diesem Zusammenhang auf: „Allein den kanonischen Schriften folge ich, weil ich nicht zweifle, daß ihre Autoren in nichts irren und in keiner Weise etwas lügnerisch dargestellt haben." 35 Am besten ist natürlich die direkte Offenbarung durch Gott. An dieser Stelle spricht Thomas vom „radius divinae revelationis" 36 , der im Bild als Goldstrahl tatsächlich dargestellt ist. Andererseits bedient sich die Theologie auch der Vernunft, und zwar um die Lehrsätze des Glaubens zu erläutern 37 . In diesem Sinne erscheinen die Auslegungsmethoden der hl. Schrift in dem Kreismodell der Theologie, und Thomas erklärt die verschiedenen Sinnschichten („sensus") ausführlich im letzten Artikel der Quaestio 38 . Da der natürliche Verstand dem Glauben dienstbar

30 Thomas v. Aquin, „ S u m m a T h e o l o g i c a " 1,1, q . l . a . 2 . , Bd. 1, S. 8: „ . . . sacram doctrinam scientiam esse." E b d . q . l . a . 6 . , Bd. 1, S. 17: „ . . . h a e c doctrina máxime sapientia est ínter omnes sapientias humanas, non quidem aliquo genere sed simpliciter." „Sacra doctrina" ist synonym mit Theologie. Beumer 1957, S. 544, betont, daß Thomas die Wissenschaftlichkeit der Theologie mit ihrer rationalen Methode und ihrer aristotelischen Terminologie in den Vordergrund stellte, während Augustinus die Theologie vor allem als Weisheit bezeichnete, die durch Verständnis der Glaubenswahrheit erlangt würde. 31 Grabmann 1948, S. 135,136. 32 „Summa Theologica" 1,1, q . l . a . l . , Bd. 1, S. 6: „Necessarium igitur fuit etiam praeter philosophicas disciplinas, quae per rationem investigantur, sacram doctrinam per revelationem haberi." 33 „Summa Theologica" 1,1, q . l . a . 2 . , Bd. 1, S. 8: „sacra doctrina credit principia revelata a D e o . " 34 „Summa Theologica" 1,1, q . l . a . 2 . , Bd. 1, S. 8,9. 35 „Summa Theologica" 1,1, q . l . a . 8 . , Bd. 1, S . 2 6 : „Scripturas canónicas solas ita sequor ut scriptores earum nichil in eis omnino erasse vel fallaciter posuisse non dubitem. In Epístola ad H i e r o n i m u m " . D e r Text bei Thomas weicht leicht von der Bildinschrift ab. Vgl. Anhang I I I . 4. 36 „Summa Theologica" 1,1, q . l . a . 9 . , Bd. 1, S . 2 8 . 37 Vgl. „In Boethium de Trinitate" q.2.a.2., S. 85ff., „utrum de divinis, quae fidei subsunt, possit esse scientia?" Thomas belegt dort den Wissenschaftscharakter der Theologie. S. a. Grabmann 1948, S. 1 2 3 - 1 3 4 . 38 „Summa Theologica" 1,1, q.l.a.10., Bd. 1, S. 3 1 - 3 4 .

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gemacht wird, kann man laut Thomas auch die Schriften antiker Philosophen heranziehen. Sie können jedoch nur „extraneis argumentis" liefern, die weniger Autorität besitzen 3 9 . Thomas erörtert diesen Punkt auch in seiner Schrift „In Boethium de Trinitate" (q.l.a.3.), „ob es in der Glaubenswissenschaft, die von Gott handelt, erlaubt ist, den natürlichen Verstand zu benutzen". Die Frage bejaht er unter Berufung auf zwei Augustinusstellen, unter denen sich genau diejenige befindet, die in der Allegorie des Wissens als Inschrift über den Köpfen der Philosophen prangt: „Wenn die Philosophen irgendwelche Wahrheiten sprechen, die zu unserem Glauben passen, dann müssen wir sie ihnen wie unrechtmäßigen Besitzern für unseren Glauben entreißen." 4 0 Demnach gibt es für Thomas keinen Gegensatz zwischen Vernunft und Glauben, sondern beide stehen im Verhältnis des Unvollkommenen zum Vollkommenen. Es gibt für ihn Harmonie zwischen Natur und Gnade, zwischen natürlicher und übernatürlicher Wahrheitserkenntnis. Ein Subordinationsverhältnis zitiert Thomas nur innerhalb der Theologie. Dem entspricht im Bild die hierarchische Position der Spiegel: Sapientia steht oben, scientia unten. Generell verteidigt er die Gleichwertigkeit der Philosophie neben der Theologie, eine jede auf ihrem Gebiet. In dieser selbständigen Form flankieren die beiden Allegorien im Bild den hl. Augustinus. Zwar findet man alle Begriffe des oberen Bildregisters in Quaestio 1 der „Summa Theologica" wieder, doch das muß nicht bedeuten, daß dieser Text die Vorlage für das Bild abgegeben hat, zumal die abstrakte, wissenschaftliche Sprache des Aquinaten keine Anregungen für die Umsetzung ins Bild bietet. Unbedingt vergleichbar ist jedoch die Systematik, mit der Thomas die Begriffe nacheinander definiert und in ein Verhältnis zueinander setzt. Selbst wenn also die einzelnen Begriffe letztlich bei Augustinus vorgeprägt sind, so sind sie doch nach thomistischer Syntax zusammengesetzt worden. Darin besteht ja gerade der Unterschied zwischen dem Kirchenvater und dem Scholastiker: „He [Thomas] alone was able to extract from Augustine, but with Aristotle's and not with Augustine's weapons, a science of theology and a science of Christian philosophy... He alone was able to systemize, theologically and philosophically, the wisdom of Augustine." Thomas und Augustinus bilden daher keine Gegensätze: „How foolish to oppose Thomism and Augustinianism as two systems! The first is a system, the second is not." 4 1 Die Übernahme der thomistischen Methode und Theologie im Orden der Augustiner-Eremiten ist nicht verwunderlich. Schließlich war Ägidius Romanus, der „primus doctor in sacra theologia" des Ordens 4 2 , ein direkter Thomas-Schüler. U m 1247 geboren, trat er früh in den Orden ein und ging schon gegen 1260 nach Paris zum Studium. Zwischen 1269 und 1272 hörte er die Vorlesungen des Thomas von Aquin, da die Augustiner-Eremiten zu dieser Zeit noch keine eigenen Magister der

39 „Summa Theologica" 1,1, q.l.a.8., Bd. 1, S. 26. 40 „In Boethium de Trinitate" q.2.a.3., S. 93: „Philosophi si qua vera dixerunt et fidei nostra accommoda, sunt ab eis tanquam ab iniustis possessoribus in usum nostrum vindicanda. Libro secundo de doctrina Christiana." Grabmann 1948, S. 146-165, bes. S. 153 und 183. 41 Maritain 1930, S. 213 und 219. 42 N . Mattioli, Studio critico sopra Egidio Romano Colonna, Arcivescovo di Bourges, Rom 1896. E Mandonnet, La carrière scolaire de Gilles de Rome (1276-1291), in: Revue des sciences philosophiques et théologiques 4, 1910, S. 4 8 0 - 4 9 9 ; R. Kuiters 1954, und P. Prassel 1983. S. a. Jordan v. Sachsen, „Vitasfratrum", S. 235-237.

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Theologie besaßen. 1285 oder spätestens 1287 wurde Ägidius als erster Augustiner-Eremit zum Magister der Theologie promoviert und lehrte bis 1291 am Generalstudium in Paris. 1292 bis 1295 leitete er als Generalprior den Orden. Papst Bonifaz VIII., mit dem er gut befreundet war, machte ihn dann zum Erzbischof von Bourges, wo er 1316 starb. Ägidius besaß im Orden die höchste wissenschaftliche Autorität, wie die Definitionen des Generalkapitels von 1287 beweisen: „Da ja die Lehre des verehrungswürdigen Magisters, unseres Bruders Ägidius, die ganze Welt erleuchtet, bestimmen und befehlen wir, strikt darauf zu achten, daß alle Lektoren und Studenten unseres Ordens die Meinungen, Standpunkte und Sätze unseres genannten Magisters, und zwar die geschriebenen und die noch zu schreibenden, empfangen; und daß sie mit aller Sorgfalt, die sie aufbringen können, eifrige Verteidiger seiner Lehre sind, damit die Erleuchteten auch andere erleuchten können." 4 3 Von Thomas hat Ägidius nicht nur die scholastische Denkmethode übernommen, sondern er stimmt auch in vielen inhaltlichen Fragen mit ihm überein. „Ägidius ist der bedeutendste unter den unmittelbaren Schülern des hl. Thomas und steht seinem Lehrer in seiner philosophischen und theologischen Lehre nahe, ohne sich aber grundlegend auf ihn festzulegen. Sein philosophisches System ruht auf aristotelisch-thomistischer Grundlage." 44 Zwar wird in der neueren Forschung auch die Eigenständigkeit von Ägidius betont, aber: „Man muß sich überhaupt davor hüten, die Lehrdifferenzen zwischen Ägidius und Thomas überzubetonen... sind diese doch im Grunde, von wenigen Ausnahmen abgesehen, sekundärer Natur und schließen keine grundsätzliche oder gar systematische Opposition gegen die Lehrrichtung des Aquinaten in sich." 4 5 Die Differenzen zwischen Thomas und Ägidius sind zu subtil, als daß man sie aus dem Bildprogramm herauslesen und den theologischen Standpunkt des Inventors vollkommen exakt bestimmen könnte 4 6 . Ägidius behandelt sämtliche Begriffe, die im oberen Register dargestellt sind, im Prolog zu seinem Sentenzenkommentar. Genau wie Thomas seiner „Summa" stellt auch Ägidius sie seinem umfangreichen theologischen Werk voran. Es war durchaus üblich, an dieser Stelle die Grundsatzfragen der Scholastik zu erörtern, wie es auch im Bild geschieht: Es geht um das Verhältnis zwischen auctoritas und ratio, zwischen Glauben und Wissen, zwischen Theologie und Philosophie. Anselm von Canterbury formulierte das „zentrale Arbeitsprogramm" der Scholastik als „fides quaerens intellectum". Dieses Programm berief sich in vielen Punkten auf Augustinus 47 . Da jeder Magister der Theologie einen Sentenzenkommentar verfassen mußte, waren studierte Theologen unbedingt mit der Materie vertraut. Das Bild stellt ein Repertoire der Begriffe zusammen und liefert mit ihrer Anordnung eine Diskussionsgrundlage für theologische Spekulation. Die subtilen Unterschiede zwischen den verschiedenen Lehrmeinungen konnten von den

43 Definitionen des Generalkapitels von 1287 in Florenz, in: A A 2, 1907/08, S. 275: „Quia venerabilis Magistri nostri fratris Egidii doctrina mundum universum illustrat, Diffinimus et mandamus inviolabiliter observari, ut opiniones, positiones et sententias scriptas et scribendas [!] predicti Magistri nostri, omnes ordinis nostri lectores et studentes recipiant eiusdem prebentes assensum, et eius doctrine omni qua poterunt sollicitudine, ut ipsi illuminati alios illuminare possint, sint seduli defensores." 44 Zumkeller 1964, S. 178. 45 Zumkeller 1964, S. 181; s.a. Prassel 1983, S. 112,113. 46 Vgl. Prassel 1983, passim. 47 Vgl. Grabmann 1909, S. 33 und S. 125-142.

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Betrachtern im Detail erörtert werden, während das Bild den gemeinsamen Grundkonsens festhält, von dem die Diskutanten ausgingen.

2.2.2. Das untere Bildregister: Kathechese und Propädeutik Im unteren Register sitzen die sieben Tugenden und Artes Liberales. Bereits für Augustinus gehören sie unbedingt zusammen, denn das reine Wissen ohne Tugenden ist unnütz und „bläht nur auf", während umgekehrt die Wissenschaften zur Erlangung der Tugenden beitragen 4 8 . Beide zusammen führen zum seligen Leben: „ . . . die schönen Seelen, die mit Wissenschaften (disciplinis) und Tugend (virtute) begabt sind, werden durch die Philosophie mit dem Geist vereinigt. Und sie fliehen nicht nur den Tod, sondern genießen das seligste L e b e n . " 4 9 Aber auch die vertikalen Beziehungen im Bild hat Augustinus formuliert. Die Artes Liberales sind für ihn die Voraussetzung der Philosophie: „ . . . zur Erkenntnis jener Dinge [der Philosophie] darf niemand zu gelangen suchen ohne jene sozusagen doppelte Wissenschaft der guten Disputation und der Macht über die Zahlen [d. h. Trivium und Quadrivium und damit die Artes Liberales]... denn die philosophische Disziplin selbst beruht auf dieser Bildung." 5 0 Die Tugenden müssen nach Augustinus auf den Glauben hingeordnet sein. Sie passen damit zur Theologie: „ . . . selbst die Tugenden, nach denen man in dieser zeitlichen Sterblichkeit klug, tapfer, maßvoll und gerecht lebt, sind keine Tugenden, wenn sie sich nicht auf den Glauben beziehen, der zwar zeitlich ist, aber dennoch zur Ewigkeit f ü h r t . " 5 1 Gerade in diesem Punkt unterscheidet sich Augustinus von Thomas, denn er faßt Theologie mehr als Weisheit auf, als Verständnis der Glaubenswahrheit und Verwirklichung der sittlich-religiösen Disposition des Menschen. Ohne ethische Reinheit gibt es für ihn keine Erkenntnis der göttlichen 48 Augustinus sagt das an vielen Stellen, z. B . „ D e civitate D e i " I X , 20. Ein umgekehrtes Abhängigkeitsverhältnis sieht er in „ D e Trinitate" X I I , 14,21, S. 374,375: „Sine scientia quippe nec virtutes ipsae quibus recte vivitur possunt haberi per quas haec vita misera sic gubernetur ut ad illam quae vere beata est perveniatur aeternam." 49 Augustinus „De ordine" 1,8,24. S. 101: „ . . . a n i m a e dotatae disciplinis [ d . h . Wissenschaften] et virtute formosae copulantur intellectui per philosophiam et non solum mortem fugiunt verum etiam vita beatissima perfruuntur." 50 Augustinus „De ordine" 11,18,47, S. 132, 133: „ . . . a d istarum rerum cognitionem [Philosphie] neminem adspirare debere sine illa quasi duplici scientia bonae disputationis potentiaeque numerorum [d. h. die Artes Liberales] . . . excipit enim hanc eruditionem iam ipsa philosophiae d i s c i p l i n a . . . " Ähnlich ebd., 11,5, 14, S.115. 51 Augustinus „De Trinitate", XIV, 1,3, S . 4 2 4 : „ . . . virtutesque ipsas quibus in hac temporale mortalitate prudenter, fortiter, temperanter et iuste vivitur, nisi ad eandem licet temporalem fidem quae tamen ad aeterna perducit referantur, veras non esse virtutes." D a z u Roles 1931, S. 104. S. a. Augustinus, „In Johannis Evangelium Tractatus" 18,7, S. 184: „Mores perducunt ad intelligentiam".

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Dinge, und besonders die Liebe, Caritas, führt zur Offenbarung göttlicher Wahrheit. Ägidius folgt in diesem Punkt Augustinus und bezeichnet Theologie nicht als spekulativ, sondern eher als praktisch, vor allem aber als affektiv. Thomas „hat zwar keineswegs die ethisch-mystischen Elemente der augustinischen Tradition ausgelöscht" (Grabmann). Aber er hebt den wissenschaftlichen Charakter der Theologie stärker hervor und bezeichnet sie als spekulativ, weil sie aus rationalem Denken und Kontemplation besteht 52 . Die drei theologischen Tugenden sind unmittelbar unter Theologie und Augustinus plaziert. Fides besetzt beinahe die mittlere Bildachse, obwohl das bei einer symmetrischen Anordnung der 14 Allegorien des unteren Registers eigentlich nicht möglich ist. Ihr kommt auch inhaltlich eine zentrale Position zu, denn die einzelnen Glaubensartikel sind die Grundprinzipien, von denen die theologische Wissenschaft ausgeht, und der besiegte Häretiker Arius kennzeichnet die Zielrichtung des gesamten Programms. Die Ikonographie der Fides ist speziell für dieses Bildprogramm erfunden worden. Mir sind keine älteren Vorbilder bekannt. Man sieht nur ihr Gesicht, das zwischen den Zweigen eines Baumes hervorschaut, den sie mit beiden Händen festhält. Der Baum trägt 15 Medaillons als „Früchte", auf denen die einzelnen Sätze des Glaubensbekenntnisses verzeichnet sind. Am Baumstamm steht das wichtigste Dogma: „Deus trinus et unus." Der Baum wächst auf einem Marmorblock, vor dem sich ein winziges Kirchenmodell mit einem Altar befindet. Der Block trägt wiederum eine Inschrift: „Der Fels aber war Christus. Auf diesem Felsen ist die Kirche gebaut." 53 Spes sitzt neben Fides. Der Anker in ihren Händen ist ein verbreitetes Symbol der Hoffnung, genauso wie ihr nach oben auf die „Krone des Lebens" gerichteter Blick 54 . Neu in diesem Programm ist jedoch der breite Rotulus, der ihr von oben entgegengehalten wird. Darauf sind 22 „beatitudines animae et corporis" verzeichnet, auf deren ewige Dauer Sonne und Mond auf Spes' Kleid hinweisen sollen. Judas, der Verzweifelte, liegt von Spes besiegt zu ihren Füßen. Caritas hält in jeder Hand einen Rotulus. Auch dieses Attribut ist neu, denn normalerweise erscheint sie mit flammendem Herzen oder Kindern an der Brust 5 5 . Der eine Rotulus weist nach oben, der andere nach unten. Auf ihnen stehen die zehn Gebote, eingeteilt in diejenigen, die sich auf Gott und die, die sich auf die Menschen beziehen. Auf ihrem Kleid ist die Stelle des Herzens mit einem goldenen Quadrat markiert, von dem Strahlen ausgehen. In der Canzone in Chantilly (Abb. 22) sind an dieser Stelle Tituli angebracht, die die „amor Dei, Christi, amici, inimici" bezeichnen. Aber auch ohne die Tituli verweist die Betonung des Herzens auf die Liebe. Herodes, der für den bethlehemitischen Kindermord verantwortlich war, liegt vor ihr am Boden. Wie im oberen Register so kann man auch hier beobachten, daß augustinische Begriffe durch thomistische ergänzt und in scholastischer Systematik vorgetragen werden. Die theologischen 52 Vgl. Beumer 1957, S.544; Grabmann 1936 (2), S. 4 1 - 4 2 , 55; Prassel 1983, S. 70-71. 53 1 Kor. 10,4. Augustinus zitiert diese Stelle zweimal in den Johannes Traktaten (23,1 und 17,9), denn um die Wahrheit der heiligen Schrift zu finden, muß man tief schürfen, bis man auf den Felsen stößt. Der Fels aber ist Christus. 54 D a z u O'Reilly 1988, S. 172-178. Vgl. z . B . die Florentiner Baptisteriumstür von Andrea Pisano oder die gemalte Area des Petrus Martyr in der Spanischen Kapelle. 55 Vgl. Freyhan 1948. Die Rotuli mit dem Dekalog kommen in Freyhans ausführlicher Untersuchung nicht vor!

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Tugenden beschreibt Augustinus unter anderem im ersten Buch der „Doctrina Christiana" und besonders im „Enchiridion de fide, spe et caritate". Dieses „Handbüchlein" hatte er Anfang der 420er Jahre für einen gewissen Laurentius verfaßt. Den größten Teil nehmen darin die Ausführungen zum Glauben ein. Hoffnung und Liebe erscheinen nur ganz kurz am Schluß. Was diesen Text jedoch auffällig mit unserem Bild verbindet, ist die Tatsache, daß Augustinus zum ersten Mal die wichtigsten christlichen Dogmen den theologischen Tugenden zuordnet. Nachdem er zunächst festgestellt hat, daß Christus das „fundamentum fidei catholicae" 56 ist, unternimmt er im Namen der Fides eine detaillierte Auslegung des Glaubensbekenntnisses, des Symbolum Fidei. Dazu gehört vor allem die Erklärung des Trinitätsdogmas und die Betonung der Heilsvermittlung durch die Kirche. Damit sind die Attribute der Allegorie der Fides bereits versammelt. Unter dem Begriff der Caritas behandelt Augustinus u. a. die zehn Gebote. Sie lassen sich alle auf das evangelische Doppelgebot der Liebe zurückführen, so daß der Dekalog zur alttestamentarischen Präfiguration des Liebesgebotes wird: „Daher beziehen sich alle göttlichen Gebote auf die Liebe (Caritas)... die Liebe (Caritas) freilich ist jene zu Gott und zum Nächsten: und in diesen beiden Vorschriften ist das ganze Gesetz enthalten und die Propheten." 57 Damit sind auch die Attribute der Allegorie der Caritas abgedeckt. Nur in bezug auf Spes weicht das Bild von Augustinus ab. Ihr ordnet er nämlich das Vaterunser zu, das er in die drei Bitten um ewige Dinge und die vier um zeitliche Dinge einteilt. Zwar bedeutet der nach oben gerichtete Blick der Spes wahrscheinlich ein Hoffen im Gebet, doch auf dem Rotulus stehen die beatitudines, und nicht das paternoster. Thomas v. Aquin liefert eine ähnliche Zusammenstellung von theologischen Tugenden und katechetischen Stücken in der „Summa Theologica" II,II. Dabei handelt er die einzelnen Tugenden nicht nur gleichmäßiger und systematischer ab als Augustinus, sondern seine Ausführungen treffen auch noch genauer auf die Allegorie des Wissens zu. Quaestio 1 handelt von Fides. Dabei wird zunächst das „obiectum fidei" untersucht, d. h. die Glaubensartikel. In ihnen ist laut Thomas das Trinitätsdogma verkörpert, das auch auf dem Stamm des Fides-Baumes inschriftlich festgehalten ist 58 . Als schlechtes Gegenbeispiel erwähnt Thomas sogar Arius, der im Bild als Anti-Exemplum am Boden liegt, weil er nicht an das Trinitätsdogma glaubte: „Arius glaubte nämlich an den allmächtigen und ewigen Vater, aber nicht an den gleichartigen Sohn, der dieselbe Substanz hat.. , " 5 9 Auch die Bedeutung der Kirche als Vereinigung der Gläubigen erläutert Thomas (q.l.a.9.), so daß er die Attribute der Fides in unserem Bildprogramm vollständig versammelt. Caritas verbindet er

56 „Enchiridion", S. 28. 57 „Enchiridion", S. 198: „ O m n i a igitur praecepta divina referuntur ad caritatem . . . Caritas quippe ista Dei est et proximi: et utique in his duobus praeceptis tota lex pendet et prophetae." 58 „Summa Theologica" I I , I I , q . l . a . 8 . , Bd. 15, S. 36: „Primo quidem unitas Divinitatio: et ad hoc pertinet primus articulus. Secundo Trinitas Personarum: et ad hoc sunt tres articuli secundum tres p e r s o n a s . . . " 59 „Summa Theologica" I I , I I , q . l . a . 8 . , Bd. 15, S . 3 9 : „Arius enim credidit Patrem omnipotentem et aeterum, sed non credidit Filium coaequalem et consubstantialem P a t r i . . . "

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wie Augustinus mit dem Dekalog und dem Doppelgebot der Liebe (q.25.a.l2, und q.44.a.l.). Seine Beschreibung von Spes stimmt mit dem Bild jedoch genauer überein als die des Augustinus. Thomas ordnet ihr nämlich die „beatitudo aeterna" zu: „Das eigene und erste Objekt der Hoffnung ist die ewige Seligkeit." 60 Dazu gehören die „gloria animae" und „gloria corporis" (q.l7.a.2.), in die die Seligkeiten auch im Bild eingeteilt sind. Thomas zählt die einzelnen beatitudines an dieser Stelle zwar nicht auf, doch er parallelisiert sie explizit mit dem Dekalog und dem Symbolum (q.22.a.l.), genau wie es die drei Tugenden im Bild vorführen. Im 13. Jh. war dieses System, das Augustinus eingeführt hatte, bereits Allgemeingut 61 . Dekalog, Symbolum und Beatitudines waren den Gläubigen nämlich als Hauptstücke der Katechese vertraut, die die Prediger ihnen immer wieder ins Gedächtnis riefen. Für die Benutzung und Auslegung des Glaubensbekenntnisses und der 10 Gebote im Rahmen des katechetischen Unterrichts legte wiederum Augustinus den Grundstein. Er definierte als erster den Inhalt des Symbolum, das zunächst nur als Taufbekenntnis galt, als „Glaubensregel, also als kurze Zusammenfassung des ganzen christlichen Glaubens. Der Glaubensgehalt ist darin positiv auf die kürzeste Formel gebracht, negativ werden auf dieses Weise Irrtümer und Irrlehren erkannt und entlarvt". 6 2 Seine Symbolschriften haben einen wichtigen Beitrag zur endgültigen Textform geleistet. Die Augustiner-Eremiten waren sich der Bedeutung ihres legendären Ordensgründers in dieser Hinsicht voll bewußt. Jordan v. Sachsen bezeichnet ihn daher als „primus renovator seu restaurator communionis apostolicae" 6 3 . Die Zuordnung der einzelnen Glaubensartikel an die Apostel schrieb man damals aufgrund zweier pseudo-augustinischer Sermones dem Kirchenvater zu 6 4 . Auch bei der Verbreitung des alttestamentarischen Dekalogs im Christentum spielte Augustinus eine entscheidende Rolle. Nachdem der Dekalog im Frühchristentum eher verdrängt worden war, führte der Kirchenvater ihn in die christliche Sittenlehre ein und machte ihn zu einem Katechismusstück. Er verfaßte als erster Predigten und Traktate zur Dekalogauslegung, in denen er ihn als alttestamentarische Präfiguration des evangelischen Liebesgebotes interpretierte, und er teilte die Zehn Gebote zum ersten Mal in drei, die sich auf Gott beziehen, und sieben, die sich auf die Menschen beziehen, ein 6 5 . Augustinus nahm nicht nur eine überragende Stellung bei der Einführung der Katechismusstücke ein. Er hatte auch erkannt, daß man die wichtigsten Glaubens- und Verhaltensregeln in eine kurze, prägnante Form bringen muß, damit jeder Christ sie auswendig weiß und in jeder Lebenslage anwenden kann:

60 „Summa Theologica" I I , I I , q.l7.a.2: „Proprium et principale obiectum spei est beatitudo aeterna." 61 Natürlich war Thomas nicht der einzige, der dieses T h e m a behandelt hat. Petrus Lombardus ordnet in Buch I I I seiner „Sentenzen"

den drei theologischen Tugenden dieselben katechetischen

Stücke zu

(Dist.

25,26,27). D a jeder Magister der Theologie einen Sentenzenkommentar schreiben mußte, hat auch jeder diese Zusammenstellung gekannt. 62 Eichenseer 1960, S.37, 118, 146ff. 63 Jordan v. Sachsen, „Vitasfratrum", S. 330. Vgl. auch Seidel 1978, S. 2 0 5 , 2 0 6 . 64 C o o r 1962, S. 154. Seidel 1978, S . 2 0 6 . 65 Rentschka 1905, S. 5 3 - 5 7 , S. 71 ff. und S. 1 2 9 - 1 3 1 . Thomas war nach Augustinus der bedeutendste Ausleger des Dekalogs, bleibt aber voll in augustinischer Tradition. E b d . S. 168-171.

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„Das Glaubensbekenntnis ist eine kurze, zusammenfassende Regel des Glaubens; damit sie den Geist belehrt, aber nicht das Gedächtnis belastet, wird in wenigen Worten etwas gesagt, woraus man sehr viel lernen kann." 6 6 Trotz der kurzen Form der Katechismusstücke ließ die Gedächtnisleistung der Gläubigen im Mittelalter wohl zu wünschen übrig, und so gaben die Bischofssynoden immer wieder Anweisung an die Priester, diese Stücke zu predigen und zu erklären sowie bei der Beichte abzufragen 67 . Als Kompendien für Prediger - und seit Ende des 13. Jh. auch als mnemotechnische Hilfe für lesekundige Laien - entwickelte sich eine Katechismusliteratur, in der die wichtigsten Stücke systematisch kommentiert und ausgelegt wurden. Dazu kamen viele Listen, Tafeln, Begriffs- und Artikelschemata und Bilder, die als Gedächtnisstützen fungieren sollten 68 . In dieser Funktion werden die Katechismusstücke auch in der Allegorie des Wissens präsentiert. Die besonderen Formen der Schriftträger sollen zur Gliederung und Unterscheidung der einzelnen Texte beitragen. Die Glaubensartikel der Fides erscheinen in einem Baumschema. Es tritt zuerst bei den arbores consanguinitatis, den Verwandtschaftstafeln im römischen Recht auf 69 . Die formale Angleichung des Schemas an Bäume geschah jedoch erst in Illustrationen der Etymologien Isidors von Sevilla im 8. Jh. Gleichzeitig verwendete man die Baummetaphorik in der Sprache und redete von radix, stirps, truncus und ramusculi. Das Baumschema ist seit dem 12. Jh. auch in anderen wissenschaftlichen Bereichen so geläufig, daß die Begriffe „Schema" und „Baum" häufig synonym gebraucht werden 70 . Übertragungen des Baumschemas auf die Artes Liberales und die verschiedensten wissenschaftlichen oder erbaulichen Themen waren möglich, am häufigsten aber stand die Arbor als Präsentationsform der Tugenden und Laster im Dienst der Katechese 71 . Bei der Allegorie der Fides wird das Baumschema eingesetzt, um das Credo in die einzelnen Artikel, die als Erfindungen der Apostel galten, aufzugliedern. Diese Gliederung hatte in der katechetischen Literatur Tradition. Dort verwendete man allerdings abstrakte Schemata, um die Artikel einerseits den Aposteln, andererseits den Propheten zuzuordnen. Ein typisches Beispiel dafür liefert der „Psalter des Robert de Lisle", der zwischen 1310 und 1330 illustriert wurde (fol. 128r). In dieser Handschrift sind eine ganze Reihe von Schemata katechetischen Inhalts versammelt (Abb. 7, 8, 9). Ihre weite Verbreitung wird dadurch bestätigt, daß 30 Exemplare dieser Schemasammlung erhalten sind 72 . Da Arbor und Schema Synonyme geworden waren, darf man das Baumschema der Fides durchaus in diese Tradition einreihen, ohne daß formal eine exakte Ubereinstimmung besteht 73 . 66 Augustinus Sermo 213, zit. nach Eichenseer 1960, S. 1: „Symbolum est breviter complexa regula fidei, ut mentem instruat nec oneret memoriam, paucis verbis dicatur, unde multum adquiratur". 67 Göbl 1880, S.78, 87-92. 68 Harmening 1987, S. 9 3 - 9 5 . 69 Schadt 1982, S. 84. 70 Schadt 1982, S. 80, 82; und ders. 1978, S. 129, 140. 71 Vgl. Schadt 1982, S. 83, 84; Kamber 1964, S. 129-133. Wirth 1983, S. 278-294. Hauptbeispiel für Tugendund Lasterbäume: Pseudo-Hugo v. St. Viktor, „De fructibus carnis et spiritu", mit Abb. in: PL 176, Sp. 997-1006. Vgl. auch die Tugend- und Lasterbäume (Abb. 8) im Psalter des Robert de Lisle, Brit.Lib. London, Arundel MS 83 II, fol. 128v und 129r. 72 London, Brit. Lib., Arundel Ms. 83 II. Dazu L. E Sandler 1983, S.23. 73 Eine voll als Baum ausgearbeitete Version des Symbolon ist in einer Sieneser Tafel des späten 14. Jh. im Niedersächsischen Landesmuseum Hannover erhalten. Das Bildformular gleicht dem „Lignum Vitae" des Bonaventura, ersetzt jedoch die Propheten durch Apostel und gibt einem jeden seinen Glaubensartikel als Rotulus in die Hand. Vgl. Coor 1962, S. 153 ff. Das Thema war offensichtlich bei den Augustiner-Eremiten

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In derselben Handschrift (fol. 127V) erscheint auch der Dekalog in Form einer Schematafel, die häufig als „arbor decem praeceptorum" bezeichnet wurde 74 . Formal ähnlich aufgebaut wie das Schema des Symbolum, parallelisiert dieses Diagramm die 10 Gebote mit den „Decem plages egypti" und den „Decem plebis abusiones". Eine so detaillierte Form bekam der Dekalog in der Hand der Caritas zwar nicht - dort gibt es nur die Einteilung in drei auf Gott und sieben auf die Menschen bezogene Vorschriften - dennoch gehört die Darstellung funktional in diese Tradition. Auch die Beatitudines hatten ihren Platz in solchen Schemasammlungen. Im „Psalter des Robert de Lisie" sind sie zwar nicht vertreten, trotzdem dürfen wir sie in dieselbe Tradition einreihen. Links neben den drei theologischen Tugenden sitzen in der Allegorie des Wissens die vier Kardinaltugenden. Sie sind formal nach denselben Prinzipien entworfen, indem sie ebenfalls sehr dominante Inschriften neben ihren Attributen bei sich haben und auch zu ihren Füßen je ein exemplarischer Verteter eines Lasters liegt. Alle sieben Tugenden bilden demnach ein einheitliches Septenar. Prudentia hält eine Fackel als eingängiges Symbol ihrer Führerschaft durch das Dunkel der Unwissenheit. Vor ihrem Bauch präsentiert sie eine Rota, die ganz mit Inschriften besetzt ist. Auf dem Außenkreis werden die verschiedenen Menschenalter mit den unterschiedlichen Zeitformen parallelisiert: „Infantia, tempus presens, pueritia et adolescentia, preteritum, iuventus et senectus, futurum, mors." 7 5 Sonne und Mond mit der Beischrift „dies" und „nox" ergänzen als Zeiteinheit dieses Modell, dessen Grundkonzeption durchaus in Verbindung mit Prudentia bekannt ist. Die geläufige Darstellung der Prudentia mit drei Köpfen 76 verweist nämlich ebenfalls auf die drei Zeiten, die sie in ihre Überlegungen immer miteinbezieht. Gleichzeitig können die drei Gesichter auf verschiedene Lebensalter hinweisen. Im Zentrum der Rota befindet sich ein aufgeschlagenes Buch, in dem die partes der Prudentia aufgelistet sind, die in allegorischer Sprache auch „Töchter" der Tugenden genannt werden und eine Division der Tugend in eine Gruppe von 'Untertugenden' darstellen77. Zu Füßen der Prudentia liegt mit seiner Spindel König Sardanapal, der so verrückt und wollüstig war, daß er sich nach Weiberart kleidete und Purpur zu spinnen begann. Temperantia hat eine Trense um den Hals, da sie die Begierden zügelt. Dieses Attribut ist wörtlich zu nehmen und stellt ikonographisch keine Besonderheit dar 78 . Neu ist dagegen das Schloßmodell auf ihrem Schoß, dessen Tür sie mit einem großen Schlüssel öffnet. Auf dem Balkon des Schlosses wächst ein riesiger Baum, der hier wieder als Schema fungiert. Seine Blätter tragen die Inschriften der partes der Temperantia. Vor ihr am Boden liegt Epicur, der für seine Genußsucht berüchtigt war.

sehr beliebt. I m Kapitelsaal von S. Agostino in Siena ist ein Deckenfresko der Apostel mit den Glaubensartikeln von Vasari und Ghiberti überliefert, das Ambrogio Lorenzetti gemalt hat. Vgl. Seidel 1978, S. 205,206. 74 L a u n - G o c h t 1979, bes. S. 10,24,32. 75 D e r Titulus ist nach der Canzone in Chantilly zitiert. In der Madrider Miniatur wird er nur verkürzt wiedergegeben, von „infantia" bis „preteritum". 76 Z. B . Pistoia, D o m , Cappella di San Giacomo, in der Fensterlaibung, freskiert von Alessio d'Andrea, mit drei Köpfen und verschiedenen Lebensaltern. 77 Siehe Anhang I I I . 4. 78 Vgl. z. B . Tondo der Temperantia im Gewölbe der Baroncelli-Kapelle in S. C r o c e in Florenz.

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Fortitudo erscheint wie üblich in einer Rüstung. Sie bekämpft einen Löwen mit bloßer Faust und beweist damit ihren Mut und ihre Stärke 7 9 . Dieses Attribut ist ebenso verbreitet wie der Festungsturm, der hier wegen seiner Inschriften, der partes der Fortitudo, kaum mehr zu erkennen ist. Am Boden vor ihr liegt Holofernes, der von Judith geköpft wurde, die damit große Tapferkeit bewies. Iustitita hat zwar wie immer ein Schwert 80 bei sich, doch es fehlt das bekannte Attribut der Waage. Statt dessen hat sie fünf Bücher im Schoß, die sogar inschriftlich als „Codex" und „Digestum" bezeichnet sind, d. h. es handelt sich um die mittelalterliche Ausgabe des „Corpus Iuris Civilis". Dieses Attribut kommt zwar manchmal in der späteren Iustitia-Ikonographie vor 8 1 , aber es hat in Bologna eine besondere Berechtigung, da dies die Stadt der juristischen Handschriftenproduktion war. Eines der Bücher zeigt Iustitia aufgeschlagen vor, denn darin stehen wieder ihre partes. Schwert und Buch, arma und litterae, sind die klassischen Attribute des gerechten Herrschers, der dem Gesetz folgt und seine Entscheidungen auch faktisch durchsetzen kann. Als typisches Beispiel für ungerechte Herrschaft liegt daher Kaiser Nero zu Füßen der Iustitia. Wie bei den theologischen Tugenden so ist auch bei den Cardinales neben einigen altbekannten Attributen eine bedeutende Anzahl von Neuerfindungen zu beobachten. Dabei fallen vor allem die Schriftträger auf, unter denen der Baum der Fides und derjenige, der aus dem Kastell der Temperantia herauswächst, besonders hervorstechen. Die dominanten Tituli, die die partes der Tugenden bezeichnen, treten hier zum ersten Mal in so systematischer Form auf 8 2 . Das Triumphmotiv der Tugenden über die Exempla der Laster besitzt zwar eine lange Tradition, die bis in die Antike zurückreicht 83 , aber mir ist keine konkrete Vorlage dieser formalen Lösung in Italien bekannt. Wenn O'Reilly diesen Typus als eine „populär 14th Century Convention" 84 in Italien bezeichnet, dann meint sie in erster Linie diese Allegorie des Wissens der Augustiner-Eremiten, für die sie weder Vorbilder noch eine Nachfolge außerhalb dieser geschlossenen Gruppe anführt. Daher ist auch dieses Konzept als eine originelle ikonographische Besonderheit zu werten. Es gab in Italien im frühen 14. Jh. keine verbindliche Ikonographie der Tugenden, sondern trotz der großen Beliebtheit einiger Attribute - eine große Menge von Variationen, ja sogar eine besondere Vorliebe für neue Inventionen 85 . So stehen Giottos Tugenden und Laster der ArenaKapelle in Padua ebenso einzigartig da wie die programmatischen Neuerfindungen des Francesco da Barberino in seinen „Documenti d'amore" 8 6 . Daher soll an dieser Stelle nicht nach den vermeintlichen Vorlagen eines jeden Attributs gefahndet und auch kein riesiges Konglomerat unterschiedlicher Texte zusammengestellt werden, aus denen diese Bilderfindungen kombiniert sein könnten. Es geht vielmehr um die Frage, wie Augustinus und wie das Zeitalter der Scholastik mit 79 Vgl. z. B. Fontana Maggiore, Perugia, und Tolentio, Cappellone di San Nicola. Diese Ikonographie ist seit karolingischer Zeit bekannt, vgl. Katzenellenbogen 1964, S. 55,56. 80 Das Schwert gehört zu ihren Standardattributen seit dem 12. Jh., vgl. Katzenellenbogen 1964, S. 55. 81 Z. B . Anticappella im Pal. Pubblico in Siena, 1414 von Taddeo di Bartolo. 82 Die einzigen anderen bekannten Darstellungen der „Töchter" der Tugenden stammen aus dem 15. Jh. Es handelt sich um eine Gruppe von Miniaturen, die sich ikonographisch stark von unserem Programm unterscheiden. Vgl. Tuve 1963, passim. 83 Vgl. Katzenellenbogen 1963, S. 1 4 - 2 1 ; O'Reilly 1988, S . 4 8 - 5 6 , übernimmt die Beispiele z.T. von Katzenellenbogen, führt aber eine genauere Analyse des Verhältnisses zwischen Triumphmotiv und Psychomachie durch. 84 O'Reilly 1988, S. 152. 85 Vgl. Pfeiffenberger 1974, IV,3, S. l,6,und 19. 86 Egidi 1902, S. 1 - 2 0 u . 7 8 - 9 5 ; Degenhart/Schmitt 1968, S. 3 1 - 3 8 , Kat. Nr. 13.

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diesem Thema umgingen, in welchen Textgattungen es behandelt wurde und welches Publikum es zu welchem Zweck ansprach. Augustinus schätzt die Kardinaltugenden außerordentlich und kommt häufig auf sie zu sprechen 87 . Daher gilt er als ein Erneuerer und Förderer dieses antiken Kanons und spielt eine wichtige Rolle für dessen Überlieferung ins Mittelalter. Im Unterschied zur antiken Ethik ordnet Augustinus alle Tugenden auf das höchste Gut, auf Gott hin. Er entwirft eine Stufenleiter vom Glauben über die sittliche Reinigung mittels der Tugenden hin zur Gottesschau. Dem entspricht im Bild die Unterordnung der Tugenden unter Theologie, der die göttliche Offenbarung zuteil wird. Außer dieser generellen Disposition haben die Äußerungen des Augustinus über die Tugenden allerdings nichts mit dem Bild gemein. Meistens bringt er nur kurze, abstrakte Definitionen der Tugenden und behandelt sie ganz nach antiker Auffassung 88 , doch an einigen Stellen erklärt er auch alle vier als verschiedene Erscheinungsformen der Caritas, d. h. der Liebe zu Gott 8 9 . Augustinus unternimmt keine allegorische Beschreibung der Tugenden, er zählt nirgends ihrt partes auf und er stellt nie die theologischen und die Kardinaltugenden in einem Text systematisch zusammen. Thomas von Aquin ist auch in diesem Punkt der Allegorie des Wissens näher. In seiner „Summa Theologica" behandelt er sowohl die drei theologischen als auch die vier Kardinaltugenden, und letzteren fügt er detaillierte Diskussionen ihrer partes bei 90 . Die Technik hat Tradition, und so zitiert er jeweils die z.T. unterschiedlichen partes des Cicero („De inventione" II, 54), des Macrobius („Somnium Scipionis" 1,8) und manchmal auch des Aristoteles (Ethik) am Anfang einer Quaestio. In seinem 'Gliederungswahn' sortiert er die partes nach drei Kategorien 91 , zu denen er bisweilen Untergruppen bildet, und filtert schließlich seine eigene Reihe der partes heraus, die im Anschluß daran einzeln kommentiert wird 92 . Thomas war nicht der einzige, der diese antike Tradition wiederbelebte. Im späten 13. Jh. übernahm sie auch der Franziskaner Johannes von Wales in seinem „Breviloquium de virtutibus" und kombinierte ebenfalls die Teile der Tugenden nach Cicero und Macrobius 93 . Der gelehrte Augustiner-Eremit Michael von Massa (gest. 1337) folgte dem „Breviloquium" in seinem Traktat „De quatuor virtutibus cardinalibus" 94 , d. h. dieses Konzept war auf jeden Fall im 14. Jh. im Orden bekannt. Wie das Symbolum und der Dekalog gehört auch die christliche Sittenerziehung durch die theologischen und die Kardinaltugenden in den Bereich der Katechese. In abstrakter Form wurden 87 Zum folgenden Mausbach 1909, Bd. I, bes. S. 170, 171, 208, 209. 88 So z. B. in „De libera arbitrio", I, 27, und 11,50, in den „Enarrationes in Psalmos" 83,11, oder Sermo 150, 9. Vgl. dazu Mausbach 1909, Bd. I, S. 20,21. 89 So z . B . in „De moribus ecclesiae" 25 u. 35-41 u. 4 4 - 4 5 . Vgl. dazu Mausbach 1909, Bd. I, S.211, 212. 90 Prudentia:

„Summa Theologica" II,II, q.47ff., Bd. 17b, S. 192 ff. Über die partes bes. ebd. q.48-50.

„Summa Theologica" II,II, q.57ff., Bd. 18, S. 3ff. Über ihre partes Theologica" II,II, q.123ff., Bd. 21, S.4ff., über die partes

Iustitia:

bes. ebd. q.61. Fortitudo:

„Summa

bes. ebd. q.123-138. Temperantia:

„Summa

Theologica" II,II, q.l41ff., Bd. 21, S.239ff„ über die partes ebd. q.143-147. 91 Partes integrales, subjectivae,

potentiales.

92 Ich erspare mir hier den Vergleich von Thomas' partes

und denjenigen in unserem Programm. Beide

Gruppen stimmen weitestgehend überein. 93 Tuve 1963, S. 264-303. Zur literarischen Tradition der partes vgl. auch O'Reilly 1988, S. 126 ff. 94 Der Hinweis auf Michael v. Massa bei Tuve 1963, S.272, Anm. 14. Michael liefert neben den partes auch allegorische Beschreibungen der Tugenden, die allerdings nicht mit denjenigen in der Allegorie des Wissens übereinstimmen. Vgl. den Text Michaels in der Handschrift des 15. Jh., Cod. 91 der Bibliothek des CusanusHospitals von Bernkastel-Kues, fol. 168 r -187 v . 31

die sieben Tugenden in scholastischen Summen und in jedem Sentenzenkommentar abgehandelt95. Für den katechetischen Unterricht und die Predigt waren solche theologischen Texte allerdings nicht zweckmäßig. Den Predigern stand dafür eine Fülle spezieller Traktate über diese Themen zu Verfügung, die besser dazu geeignet waren: Sie enthielten ausführliche Divisionen und Additionen von Stoffen und Kategorien, genau wie sie die Untergliederungen mit den Tugenden und Untertugenden, die alle zusammen wiederum der Theologie untergeordnet sind, in der Allegorie des Wissens repräsentieren96. Zur Erläuterung und Illustration gab es in diesen Texten Exempla und allegorische Beschreibungen, die ebenfalls in unserem Bild vertreten sind. Die historischen Exempla sind in diesem Falle Gegenbeispiele, die der Abschreckung dienen sollen. Und nicht zuletzt arbeiten diese Traktate mit vielen Zitaten berühmter Autoritäten, die ja bekanntlich hohe Überzeugungskraft besaßen. Diese Funktion erfüllen im Bild, neben Augustinus selbst, die Begleiter der Theologie und der Philosophie. Das gesamte Bildprogramm ist formal nach den Regeln der Mnemotechnik zusammengesetzt (s. o.). Außerdem funktionieren auch die einzelnen Bildbegriffe nach mnemotechnischen Prinzipien. Inhaltlich gehört besonders die linke Hälfte des unteren Registers zur Katechese, und damit zur Predigt, deren Hauptaufgabe die christliche Glaubens- und Sittenerziehung war. Die Predigt ist jedoch die mittelalterliche Nachfolgerin der antiken Rhetorik, deren Bestandtteil die memoria war. Hier schließt sich der Kreis: Die Allegorie des Wissens vermittelt ein wichtiges Predigtthema und bedient sich dabei nicht nur derselben Stilmittel (Exempla, Allegorien, Autoritäten), um die klassischen Aufgaben der Rede, docere, delectare, flectere zu erfüllen, sondern benutzt auch die Mnemotechnik des Predigers97. Diese monumentale Allegorie (Abb. 4) ist ein gemaltes Äquivalent der didaktischen Literatur. Die Predigthandbücher enthielten sehr häufig Diagramme und Schemata der Begriffe, die im Text behandelt wurden. Sie dienten als „visual mnemonics" 98 und besaßen u.a. die Form der Arbor, Rota und Stemma. Die drei theologischen und die vier Kardinaltugenden wurden bevorzugt als Arbor dargestellt99 (Abb. 8), deren Früchte sie bilden. In der Allegorie des Wissens sind sie jedoch nicht selbst in ein Baumschema geordnet, sondern sie haben als Attribute die Schemata bei sich, auf denen ihre partes in möglichst gegliederter und prägnanter Form erscheinen. Temperantia benutzt dafür eine primitive Form der Arbor, Prudentia eine Rota. Dieser Teil des Bildprogramms hatte nicht nur eine Funktion als Argumentationskonzept oder Gedächtnisstütze für Prediger, sondern es bestand auch die Möglichkeit, auf das Fresko als Anschauungsmaterial für die Gläubigen zu verweisen. Auch die Laien, die seit dem 14. Jh zunehmend lesekundig waren, benutzten das Fresko als Gedächtnisstütze, nachdem es ihnen von den Predigern genau erklärt worden war 1 0 0 . Das Bild stand somit im Dienst des katechetischen Unterrichts, der immer wieder auf den Bischofssynoden gefordert wurde. Anders als das obere Register wendet sich das untere auch an ein weniger gelehrtes Publikum. Es bietet keine 'Diskussionsgrund-

95 Vgl. O'Reilly 1988, S . 9 8 f f . 96 Überblick über Texttradition bei O ' R e i l l y 1988, S . 9 9 f f . Vgl. auch Harmening 1987, S . 9 4 . 97 Zur Mnemotechnik in der Predigt vgl. Kamber 1964, S. 68, und Yates 1991, S. 84 ff. 98 O'Reilly 1988, S. 106. Kap.3. ebd. gibt einen guten Überblick über die Rolle der Tugenden in der Predigtliteratur. 99 Vgl. Psalter des Robert de Lisle, fol. 128 v und 129 r , dazu Sandler 1983. Zur A r b o r als bevorzugter Darstellungsform von Tugenden und Lastern vgl. auch Wirth 1983, S. 2 8 2 , Katzenellenbogen 1964, S. 6 3 - 6 7 , O'Reilly 1988, passim. 100 Yates 1991, S. 87, 88.

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läge' an, sondern präsentiert feststehende Wahrheiten, die in exakt dieser Form memoriert werden sollen. In der Madrider Miniatur (Abb. 4), die hier als Idealentwurf der Allegorie des Wissens analysiert wird, sind die Artes Liberales der Philosophie und den vier antiken Philosophen untergeordnet, genau wie die Tugenden der Theologie. Sie bilden die Stufe der Propädeutik und damit die Voraussetzung für das Studium der höheren Wissenschaften 1 0 1 . Entsprechend dem mittelalterlichen Curriculum sind sie von links nach rechts zu lesen, beginnend mit dem Trivium unter Führung der Grammatik. Grammatik sitzt direkt neben Fides. Sie nährt einen ABC-Schützen an ihrer Brust, den sie mit dem Zeigefinger ermahnt. Eine Geißel weist sie als strenge Lehrerin aus. Diese Ikonographie ist altbekannt 1 0 2 . Sie erscheint bereits in den Artes-Zyklen der französischen Kathedralplastik des 12. und 13. Jh. und beruht auf der allegorischen Beschreibung bei Alanus ab Insulis in seinem „Anticlaudianus" 1 0 3 . Wie jede Allegorie hier im Bild wird Grammatik durch einen Titulus identifiziert, der über ihrem Kopf steht. Darüber erscheint eine weitere Inschrift, die mit den üblichen Fachtermini die Grammatik in verschiedene Spezialgebiete unterteilt: „orthographya, ethymologia, dyasmetria, prosodia". Vor ihr hockt „Priscianus cum maiore volumine". Er hat das wichtigste Textbuch der Grammatik geschrieben, die „Institutio de arte grammatica" 1 0 4 , und weist es dem Betrachter vor. Darin steht der Anfang seines Textes: „ C u m omnis eloquentiae doctrinam et omne studiorum genus". Dialektik wird im Bild als „Loyca" betitelt. In ihren Händen hält sie zwei Schlangen, die sich wie widersprüchliche Argumente gegenüberstehen. Dieses Symboltier ist nicht nur bei Alanus vertreten, sondern auch in der zweiten berühmten allegorischen Beschreibung der Artes Liberales, die im Mittelalter sehr bekannt war: Martianus Capellas „ D e nuptiis Philologiae et Mercurii" 1 0 5 . Ihr Kleid ist in zwei Farben geteilt und trägt die Inschrift „opponens-respondens". Im Dekollete erscheint ein Puttenkopf mit der Beischrift „ratio", denn der Verstand ist das entscheidende Instrument der Dialektik. Der Titulus über ihrem Kopf teilt die Dialektik in drei Bereiche: „probabilis, demonstrativa, sophystica". Zu ihren Füßen sitzt „Ceroastres rex". Rhetorik hat nur ein Textblatt bei sich und trägt einen Blütenkranz im Haar, der auf ihre geschmückte Rede hinweist. Diese Attribute erscheinen nicht in den einschlägigen Texten des Alanus und Martianus Capeila, sie sind jedoch aus der Praxis des Redners und mit ihrer eindeutigen Metaphorik leicht verständlich. Die Rhetorik gliedert sich in „iudicialis, demonstrativa, deliberativa". Vor ihr sitzt „Tullius cum rhetorica nova et vetera", d . h . mit „ D e inventione" und mit der anonymen „Rhetorica ad Herennium", die man im Mittelalter Cicero zuschrieb. Er hält in den Händen beide Bände, deren Tituli kaum mehr zu entziffern sind. Ciero war neben Quintilian der wichtigste Lehrbuchautor der Rhetorik im Mittelalter 1 0 6 .

101 Vgl. A. Weisheipl, The Place of the Liberal Arts in the University Curriculum Düring the XIVth and XVth Century. In: Arts Libéraux au Moyen Age, Actes du Congrès Montréal/Paris 1969, S. 209-214. 102 Wichtige Beispiele des Trecento: A. Lorenzetti, Siena, Pal. Pubblico, Sala delle Pace (Medaillon); Andrea da Firenze, Florenz, S. M. Novella, Span. Kapelle, Thomasfresko; Giotto, Florenz, Campanilerelief. 103 Zusammenstellung der Artes-Darstellungen bei Tezmen-Siegel 1985, S. 146ff. Alanus ab Insulis, „Anticlaudianus", II, Vers 390-395. 104 Dazu Abelson 1965, S. 36-42. 105 „Anticlaudianus" III, Vers 85-88. Martianus Capella, „ D e nuptiis Philologiae et Mercurii", Lib. IV, 328. 106 Abelson 1965, S.54.

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Das Quadrivium beginnt mit Arithmetik, die gerade einige Zahlen auf ihre Rechentafel schreibt. Das Attribut ist aus der Tätigkeit dieser Ars unmittelbar verständlich und bedarf daher keiner literarischen Erklärung. Es wird auch bei Alanus ab Insulis 1 0 7 beschrieben, der sogar denselben exemplarischen Vertreter dieses Faches nennt: „Pythagoras cum libro arithmeticae". Der Autor weist sein aufgeschlagenes Buch vor mit der Inschrift „Si quis quatuor". Uber der Arithmetik steht die Grundeinteilung aller Zahlen in „gerade" und „ungerade": „par-dispar". Geometrie ist, ebenfalls ihrer Tätigkeit entsprechend, mit Winkelmaß und Zirkel ausgestattet. Ihre Aufgabe ist die Messung von Flächen und Körpern, ihre Teilbereiche heißen „altrimetria, planimetría, subeometria". Die Attribute sind sowohl in der italienischen Kunst des Trecento als auch bei Alanus und Martianus Capella vertreten. Der wichtigste Lehrbuchautor der Geometrie im Mittelalter war Euclid 1 0 8 . Er sitzt mit aufgeschlagenem Buch zu Füßen seiner Ars: „ E a a quibus procedit scientia..." Musik stimmt gerade ihre Laute. Sie hat ein zweites Saiteninstrument im Schoß und singt die Tonleiter. Der Titulus beginnt direkt an ihrem Mund wie eine Sprechblase: „do re mi fa so la". Die Musik ist in die verschiedenen Arten der Tonerzeugung eingeteilt: „organica flatu, armónica voce, rhitmica pulsu". Die beiden ersteren Techniken führt sie selbst vor, während Tubal Kain, der vor ihr kauert, mit dem Hammer auf den Amboß schlägt und so den Rhytmus angibt. Er hat einen Pfeiler und eine Säule bei sich, auf denen die Noten und die Intervalle stehen 1 0 9 . Außerdem erklärt eine umfangreiche Inschrift, warum Tubal Kain an dieser Stelle präsentiert wird: „Dieser Tubal hat den Gesang und die Kunst der Stimmen zum Akkord auf den Doppelsäulen niedergeschrieben und vor Augen gestellt. Mit dem Ohr zeichnet Jubal die verschiedenen Takt-Schläge des Hammers auf. und indem er die Gewichte in Gleichklang bringt, macht er alles zur Symphonie." Alle Attribute der Musik sind unmittelbar verständlich und z. T. aus anderen Monumenten sowie bei Alanus wohl bekannt 1 1 0 . Den Abschluß der Reihe bildet Astronomie 1 1 1 . Den Sextanten in der Hand, peilt sie die Sterne an. In ihrem Schoß hat sie einen Globus, auf dem die verschiedenen Klimazonen eingezeichnet sind: „Clima Clima Clima Clima Clima Clima Clima

1 Yndorum sub Saturno, 2 Ethyopia sub Iovi, 3 est Egypti sub marte, 4 est Babilonie sub Sole, 5 est Grecorum sub Venere, 6 G o g et Magog sub Mercurio, 7 Psieth sub L i b r a . " 1 1 2

107 „Anticlaudianus" Lib. III, Vers 286-294. 108 Abelson 1965, S. 114-116. Zur Geometrie vgl. Thomasfresko in der Spanischen Kapelle, Florenz; „Anticlaudianus" Lib. III, Vers 475-479; „ D e nuptiis Philologiae et Mercurn" Lib. VI, 580. 109 Sie sind in der Madrider Miniatur kaum zu lesen, erscheinen aber ganz deutlich in der Canzone in Chantilly. Auch der folgende Titulus ist nach dem Text der Canzone ergänzt. 110 „Anticlaudianus" Lib. III, Vers 398,399. 111 Sie wird in der Madrider Miniatur als Astrologie bezeichnet. Die moderne Unterscheidung zwischen diesen Begriffen war im Mittelalter nicht geläufig. 112 Zit. nach der vollständigen Version der Tituli aus der Canzone in Chantilly.

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Das Fach teilt sich in zwei Bereiche „aptus - effectus". Im Trecento hat Astronomie üblicherweise ein Sphärenmodell bei sich, und auch Alanus ab Insulis nennt dieses Attribut 1 1 3 . Aber Martianus Capella führt den Sextanten sowie den Vertreter der Astronomie, „Ptolemäus, rex egyptorum", an, der ein wichtiger Lehrer dieser Disziplin seit dem 12. J h . w a r 1 1 4 . Er zeigt mit dem Finger auf das Klimamodell und weist sein Buch dem Betrachter vor: „bonum domine fuit quod a sapientibus". Neu in dieser Artes-Ikonographie sind die ausführlichen Tituli mit den Einteilungen der Fächer, und im italienischen Bereich tauchen hier zum ersten Mal die berühmten Vertreter der Artes auf. Dieses Prinzip war zwar in Texten seit der Spätantike üblich - schon Martianus Capella läßt diverse Exempla jeder Ars auftreten, und diese Tradition findet sich auch im Mittelalter - , doch die Archivoltenskulpturen des Nordportals der Chartreser Westfassade sind die früheste erhaltene bildliche U m s e t z u n g 1 1 5 . Die systematische Zusammenstellung von Artes und exemplarischen Begleitern in einem monumentalen Fresko muß im italienischen Kontext als eine neue Bilderfindung gelten. Die Attribute der Artes Liberales weisen weniger Neuerfindungen auf als die der Tugenden. Musik zeichnet sich durch die realistischen Details aus und Astronomie durch ihre Klimatabelle. Die meisten Attribute sind unmittelbar verständlich, weil sie die typischen Werkzeuge der Artes sind. Nur die Schlangen der Dialektik sind Symbole, die der Betrachter deuten muß. Trotz der Bekanntheit im einzelnen sind die Darstellungen nicht auf eine einheitliche Textquelle zurückzuführen. Alanus und Martianus Capella liefern keine vollständige Textvorlage, und es ist auch kein bestimmtes Monument auszumachen, das in der augustinischen Allegorie des Wissens kopiert wird. Sie bedient sich offensichtlich heterogener Quellen und setzt sie neu ins Bild. Es gab in Italien keine feste Ikonographie der Artes Liberales 1 1 6 . Wie bei den Tugenden so treten auch hier einige Attribute häufiger auf, andere können variieren. Aufgrund der Werkzeuge der Artes ist die Konstanz der Attribute allerdings höher als bei den Tugenden, und daher sind sie auch spontan leichter verständlich. Augustinus schrieb zwar keine Textvorlage für dieses Programm, aber er ist von zentraler Bedeutung für die Uberlieferung des Konzeptes der Artes Liberales in den mittelalterlichen Lehrplan und wurde auf diese Weise der „Gesetzgeber des gesamten frühmittelalterlichen Bildungslebens . . . " 1 1 7 Seine „Doctrina christiana" verteidigt die Einbindung antiker Wissenschaften in das christliche Bildungssystem als Grundlage für das Verständnis der christlichen Wahrheiten. In Buch II stellt Augustinus die Artes Liberales als Propädeutik zum Verständnis der heiligen Schrift dar. Er präsentiert sie jedoch ziemlich ungeordnet: Grammatik behandelt er an vorgezogener Stelle, wo er von Sprachkenntnissen spricht. Rhetorik bezeichnet er als Eloquentia, und Mathematik ist sein Oberbegriff des Quadriviums, den er ausführlich beschreibt, während er Astronomie nur en passant erwähnt. Außerdem verwendet er eine nüchterne Sprache, die jede allegorische Einkleidung vermissen läßt. In „De ordine" II, 3 5 - 4 3 , behandelt Augustinus die sieben Artes systematischer, aber wiederum ohne allegorische Sprache und ohne die exemplarischen Vertreter.

113 Vgl. Spanische Kapelle, Thomasfresko; Sala della Pace, Medaillon; Giottos Campanile. „Anticlaudianus" Lib. IV, Vers 10,11. 114 Martianus Cappella, „De nuptiis Philologiae et Mercurii" Lib. V I I I , 810. Ü b e r Ptolemäus vgl. Abelson 1965, S. 123 f. 115 Vgl. Tezmen-Siegel 1985, S. 1 5 2 - 1 5 6 ; Kronjäger 1973, S . 2 5 , 103-107. 116 Tezmen-Siegel 1985, S . 4 ; Evans 1978, S . 3 0 9 . 117 Wühr 1950, S. 20. U b e r Augustinus und die Artes vgl. H . I. Marrou, Augustin et la fin de la culture antique, Paris 1949, Kap.II, und J . Mariétan, La Classification des sciences d'Aristote ä St.Thomas, Paris 1901, S. 5 5 - 6 1 .

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T h o m a s v. A q u i n hat keinen Text ü b e r die A r t e s g e s c h r i e b e n 1 1 8 . E s gibt j e d o c h g e n u g L e h r b ü c h e r u n d E n z y k l o p ä d i e n , die d a s T h e m a in scholastischer S y s t e m a t i k vortragen. E i n Ü b e r b l i c k ü b e r d i e s e L i t e r a t u r w ü r d e hier z u weit f ü h r e n . Interessanter ist die Tatsache, daß in E n z y k l o p ä d i e n u n d w i s s e n s c h a f t l i c h e n Traktaten h ä u f i g S c h e m a t a a u f t a u c h e n , in d e n e n die E i n t e i l u n g der W i s s e n s c h a f t e n visualisiert w i r d 1 1 9 . W i e in der A l l e g o r i e des W i s s e n s s i n d A r t e s - D i a g r a m m e auch h ä u f i g in den theologischen K o n t e x t der S e n t e n z e n k o m m e n t a r e e i n g e b e t t e t 1 2 0 . G e n a u w i e die katechetischen S t ü c k e waren sie ein t y p i s c h e s T h e m a der mittelalterlichen L e h r f i g u r e n , vor allem im Z u s a m m e n h a n g m i t der E i n t e i l u n g der P h i l o s o p h i e nach Plato. D i e s e r gliederte sie in drei T e i l e 1 2 1 : D i e P h y s i k entsprach d e m Q u a d r i v i u m , die L o g i k d e m T r i v i u m , u n d die E t h i k den vier K a r d i n a l t u genden. A u c h dieser Teil des B i l d p r o g r a m m s hatte d e m n a c h d i d a k t i s c h e u n d m n e m o t e c h n i s c h e F u n k tion. W i e die T u g e n d e n u n d katechetischen S t ü c k e gehörten die A r t e s z u m feststehenden G r u n d w i s s e n , das z . T . s o g a r Schülern der D o m s c h u l e n u n d öffentlichen L a i e n s c h u l e n in den S t ä d t e n b e k a n n t war. Vor allem w u r d e n die A r t e s natürlich an der A r t i s t e n f a k u l t ä t der U n i v e r s i t ä t e n gelehrt. Sie waren V o r a u s s e t z u n g f ü r d a s S t u d i u m der höheren Fächer, der T h e o l o g i e , J u r i s p r u d e n z u n d M e d i z i n . In der alten U n i v e r s i t ä t s s t a d t B o l o g n a g a b es g e n u g P u b l i k u m , d a s diesen K a n o n gut verstand.

2.3. Die Funktion des Programms im Orden: Augustinus als „praeceptor" D i e bisherige Interpretation zerlegte die m o n u m e n t a l e A l l e g o r i e in ihre einzelnen Bestandteile u n d o r d n e t e sie verschiedenen Z i e l g r u p p e n u n d F u n k t i o n e n z u . A b s c h l i e ß e n d ist sie in ihrer G e s a m t h e i t z u w ü r d i g e n , w o b e i ihre spezielle B e d e u t u n g f ü r den O r d e n der A u g u s t i n e r - E r e m i t e n h e r a u s z u arbeiten ist. A l l e T h e m e n b e r e i c h e des B i l d p r o g r a m m s waren bereits von A u g u s t i n u s v o r f o r m u l i e r t w o r d e n . H ä u f i g spielte der K i r c h e n v a t e r eine entscheidende R o l l e bei ihrer Ü b e r l i e f e r u n g v o n der A n t i k e ins Mittelalter, u n d er t r u g d u r c h Predigten u n d Traktate z u ihrer P o p u l a r i s i e r u n g bei. A b e r das P r o g r a m m ist nicht in der lockeren R h e t o r i k des A u g u s t i n u s vorgetragen, s o n d e r n in der strengen S y s t e m a t i k der Scholastik, die in der „ S u m m a T h e o l o g i c a " des T h o m a s von A q u i n ihren H ö h e p u n k t erreichte. D i e K o m p o s i t i o n spiegelt die scholastische Technik der D i v i s i o n u n d S u b d i v i s i o n , die bei der lectio u n d disputatio

a n g e w e n d e t w u r d e u n d natürlich auch in den geschrie-

benen Texten dieser Zeit ein G r u n d p r i n z i p war. A u ß e r d e m reflektiert d a s P r o g r a m m die scholastische Vorliebe f ü r die T e x t g a t t u n g der summa,

d. h. f ü r die „ m o n u m e n t a l e n s y s t e m a t i s c h e n G e s a m t -

darstellungen der spekulativen T h e o l o g i e " 1 2 2 , i n d e m es alle B e r e i c h e von P r o p ä d e u t i k u n d K a t e chese bis hin zu den h ö c h s t e n W i s s e n s c h a f t e n der P h i l o s p h i e u n d T h e o l o g i e a b d e c k t . M i t der

118 Ebd. S. 176ff. Vgl. auch E. T. Toccafondi, II Pensiero di San Tommaso sulle Arti Liberali, in: Arts Libéraux au Moyen Âge, Actes du Congrès Montréal/Paris 1969, S. 639. 119 Vgl. Bsp. bei Wirth 1983. Die Artes können als Stemmata, Rotae oder in selteneren Fällen auch als Arbores auftreten. Vgl. auch Grabmann 1911, S. 30ff. 120 Wirth 1983, S. 365-366. 121 Vgl. Wirth 1983, S. 273,274. Dieses platonische Modell übernimmt auch Augustinus in „De civitate Dei" VIII, 4. 122 Grabmann 1911, S. 24. Zur lectio und disputatio vgl. ebd. S. 14-21. 36

Abgrenzung von scientia und sapientia, von Glauben und Wissen, behandelt die Allegorie der Augustiner-Eremiten zudem die Grundfrage der Scholastik. Keineswegs ist das Programm direkt von Thomas' „Summa" abzuleiten. Der Vergleich mit ihr dient nur als Erklärungsmodell f ü r den geistigen Kontext, in den es gehört. Eine exakte Textvorlage hat es höchstwahrscheinlich nie gegeben. Auch die Lehrfiguren und Schemata mit den Einteilungen der Wissenschaft, denen das Programm formal und inhaltlich nahesteht, waren fast nie Textillustrationen, sondern meistens selbständige Erfindungen, die einen eigenen Diskussionsbeitrag zum Text lieferten 1 2 3 . Im O r d e n der Augustiner-Eremiten vereinigten sich die beiden Stränge, die wir verfolgt haben: Einerseits rezipierten die Ordenstheologen in ganz neuer Intensität die Schriften des Augustinus. Andererseits waren sie der scholastischen Methode und besonders Thomas v. Aquin verpflichtet, weil Agidius Romanus, der die höchste Lehrautorität von den zeitgenössischen Augustiner-Eremiten besaß, ein direkter Schüler des Aquinaten war. Unsere Untersuchungen haben ergeben, daß das Programm formal und inhaltlich der Scholastik näher steht als den Schriften des Augustinus. Dennoch präsentiert es sich f ü r den Betrachter als augustinisch. Das liegt vor allem daran, daß Augustinus die zentrale Figur ist. Er sitzt an einem Pult wie ein Lehrer. Das Bildformular ist in Bologna weit verbreitet. Es begegnet einem sowohl auf den Doktorengräbern als auch in Rechtshandschriften z u h a u f 1 2 4 (Abb. 10). Augustinus steht als Autorität hinter dem didaktischen Programm, das er dozierend dem Betrachter vermittelt. Dieser nimmt die Rolle des Schülers ein. Als Zielpublikum kamen neben gelehrten Theologen, die sich vor allem f ü r das obere Register interessierten, auch die übrigen Gläubigen in Frage, die das Bild als Gedächtnisstütze f ü r katechetische Stoffe benutzten. Das Programm wirkt bisher zwar augustinisch, aber nicht speziell Augustiner-eremitisch. Der entscheidende Hinweis auf den O r d e n liegt in dem schwarzen Habit, den Augustinus deutlich sichtbar unter dem Bischofsmantel trägt 1 2 5 und der ihn als Ordensmitglied ausweist. Beim Ferrareser Fresko (Abb. 1) bewirkte natürlich schon der Kontext in einer Augustinerkirche, daß das Bild als programmatische Äußerung dieses O r d e n gelesen wurde. Es zeigt exemplarisch das Curriculum, das schon Augustinus als Bischof von H i p p o zur Ausbildung der Kanoniker zusammengestellt und in regelmäßigen Vorlesungen vermittelt hatte. Deren „Inhalt schöpfte aus den sieben freien Künsten, bot dann eine theologische Systematik in Glaubens- und Sittenlehre und dann erst, nach dieser doppelten Voraussetzung, die Lektüre und Auslegung der heiligen Schrift, wobei Augustinus die . . . allegorische Bibeldeutung bevorzugte". 1 2 6 Das Bild fordert die Ordensmitglieder gleichzeitig zum Lehren und z u m Lernen auf. Es ist symptomatisch, daß gerade die Augustiner-Eremiten ein Programm entwickelten, das einfache Inhalte der Predigt mit hoher theologischer Wissenschaft verbindet. Lehren und Lernen waren nämlich die Hauptaufgaben des Ordens, die in den Konstitutionen von 1290 festgelegt wurden. Beide zusammen sollten den O r d e n laut der Vereinigungsbulle von 1256 zu einer starken Schlachtreihe gegen die Häresie machen. Die Konstitutionen bezeichnen Bildung als das Fundament des

123 W i r t h 1983, S.36Z Ü b e r die Selbständigkeit mittelalterlicher Schemabilder gegenüber den Texten sehr ausführlich Meier 1990, passim. 124 Zu den Doktorengräbern Grandi 1982, passim. Ein Bsp. aus den Rechtshandschriften ist Vat.lat. 1456, fol. l r , „Novella in Dekretalium" von Johannes Andreae. 125 Die früheste erhaltene Darstellung von Augustinus im Ordensgewand ist die Tafel eines Polyptychons aus S. Agostino in San Gimignano von Simone Martini, die sich heute im Fitzwilliam M u s e u m in Cambridge befindet. Sie wird zwischen 1317 u n d 1330 datiert. Vgl. Seidel 1985, S. 111. 126 W ü h r 1950, S. 23,24.

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Ordens, denn sie war die Voraussetzung für eine gute Predigt. Ohne ausreichende Vorbereitung durfte unter Androhung von Strafe kein Augustiner-Eremit predigen: „Denn das Wort Gottes zu predigen sei nur Männern erlaubt, die sorgfältig und genügend in der Literatur ausgebildet sind. Deshalb werden die Lektoren vom Prior, vom Provincial und von den Definitoren des Provincialkapitels zweien aufgebürdet, damit sie diejenigen, die predigen müssen, examinieren. Und denjenigen, die im Examen für ausreichend befunden wurden, nicht aber den anderen, wird erlaubt, das Wort Gottes zu predigen. Wenn aber jemand ohne Ermächtigung irgendeiner Art zu predigen wagt ... dann wird er in der Mitte des Refektoriums, auf dem nackten Boden sitzend, bei Wasser und Brot, ohne jedes Mitleid, in der zweiten, vierten und sechsten Feria gespeist werden." 127 Augustinus hatte beide Aspekte exemplarisch vorgelebt: Seine antike profane Bildung (Artes, besonders Rhetorik) war berühmt, seine Produktion theologischer Texte immens, und er galt als der gelehrteste Doktor unter den Kirchenvätern. Andererseits hatte er sich als Bischof von Hippo ständig der Predigt (sehr viele Sermones von ihm sind überliefert) und der Seelsorge gewidmet. Mit Hilfe seines Wissens kämpfte er gegen viele Häretiker (Donatisten, Manichäer, Pelagianer). Der Kampf für den rechten Glauben war im gesamten Mittelalter Zweck und Legitimation einer hohen Bildung. Dies wird in der Allegorie des Wissens durch Fides ausgedrückt, die die Glaubensartikel und das Trinitätsdogma dem Häretiker Arius entgegensetzt. Ihre Position in der mittleren Bildachse unterhalb des Augustinus, die sie sowohl im Ferrareser Fresko als auch in der Madrider Miniatur behauptet, unterstreicht diese besondere Bedeutung (Abb. 1, 4). Die Allegorie der Fides visualisiert die wichtigsten Ergebnisse des Konzils von Nicaea, das im Jahre 325 stattfand. Damals wurde die Lehre des Arius verurteilt, der Gott und Christus nur für ähnlich (Homoiousia), nicht aber für wesensgleich (Homousia) hielt, wie es im orthodoxen Trinitätsdogma festgehalten wurde. Außerdem formulierte man auf diesem Konzil zum ersten Mal das Glaubensbekenntnis (nach Athanasius). Die Allegorie der Fides in dem augustinischen Programm steht daher nicht nur in der Tradition der Psychomachie bzw. der Tugenden-und-Laster-Darstellungen, sondern auch in derjenigen offizieller kirchlicher Bildpropaganda 128 . Letztlich greifen beide auf die antike Triumphikonographie zurück (Abb. 51). An den Platz einer historischen Konzilsdarstellung tritt hier jedoch eine allegorische Formulierung, die durchaus als Neuerfindung zu werten ist. In der monumentalen Allegorie übernimmt der legendäre Ordensgründer Augustinus die Rolle des Ordenslehrers. Damit werden zwei historisch-ideologische Konzepte des Ordens in ein Programmbild umgesetzt 129 . Bereits im 13. Jh. hatte man ein Bild entwickelt, das Augustinus bei der Übergabe der Ordensregel an die Augustiner-Ermiten darstellte 130 . Dies sollte 'beweisen', daß der 127 Konstitutionen von 1290, Aramburu Cendoya 1966, S. 115, 116: „Praedicare enim verbum Dei non nisi viris providis et sufficientis literaturae sit permissum. Igitur per Priorem et Provincialem et Definitores Capituli provincialis duobus lectores iniungantur, ut eos qui praedicare debent examinent, et eis, qui in examinatione sufficientes inventi fuerint, praedicare, verbum Dei, et non aliis, committatur. Quod si quis sine auctoritate huiusmodi praesumpserit praedicare . . . in medio refectorii super nudam terram sedens, in pane et aqua, sine ulla misericordia, secunda, et quarta et sexta feria reficiatur." 128 Dazu Walter 1970 passim, und ders., Les dessins carolingiens dans un manuscrit de Verceil, in: Cahiers Archéologiques XVIII, 1968, S. 99-107. 129 Vgl. Blume/Hansen 1992, S. 77-92. 130 Vgl. Blume 1989, S. 150. Schon im 3. Viertel des 13. Jh. war das Fresko der Regelübergabe im Refektorium von S. Agostino in Fabriano entstanden. 38

Kirchenvater der historische Ordensgründer war. Die früheste erhaltene literarische Fixierung dieser Gründungslegende, die ordensgeschichtliche Abhandlung des Heinrich v. Friemar, entstand jedoch erst in den 30er Jahren des 14. Jh. und wurde um die Jahrhundertmitte in den „Vitasfratrum" des Jordan v. Sachsen bestätigt. Das Bild geht demnach den Texten voraus. Das Bild des Ordenslehrers und die Allegorie des Wissens enststand - wie noch gezeigt werden wird - in den 40er Jahren des 14. Jh. Ihr Thema ist nicht der fromme Mönch und Regelstifter, sondern der Intellektuelle Augustinus, der praeceptor der Gelehrsamkeit des Ordens. Dieser Aspekt interessierte die frühen Ordenshistoriker Heinrich v. Friemar und Jordan v. Sachsen noch wenig. Sie waren vollauf mit der Legitimierung ihres Gründers und der Fiktion einer kontinuierlichen Entwicklung des Ordens seit der Antike beschäftigt. Erst im frühen 15. Jh. taucht das Thema in der Ordenshistoriographie auf, und zwar bei dem Humanisten und Augustiner-Eremiten Andrea Biglia (ca. 1395-1435). Der gebürtige Mailänder kannte alle führenden Humanisten seiner Zeit. Er lehrte an den Generalstudien von Padua, Florenz, Bologna und Perugia. 1429 begann er seine Vorlesungen in Siena 1 3 1 . Dort schrieb er zwischen 1429 und 1431 den Traktat „De ordinis nostri forma et propagatione". Der Text ist an einen gewissen Lodovicus adressiert, dem Biglia zu seinem Entschluß gratuliert, in den Orden der Augustiner-Eremiten einzutreten. Er findet dies umso passender, als Lodovicus hochgebildet ist und daher ideal dem Konzept des Ordens entspricht: „Was könnte nämlich besser zusammenpassen, als daß ein Mann, der mit den Wissenschaften vertraut ist, der Regel [des Augustinus] folgt, welcher [Augustinus] ein Lehrer der Frömmigkeit und der Schriften ist." 1 3 2 Zur Orientierung des Neulings faßt Biglia im folgenden die Ordensgeschichte zusammen, so daß sein Traktat als dritter in die Reihe historiographischer Texte zu stellen ist, die mit Heinrich v. Friemar und Jordan v. Sachsen begann. Für ihn ist Augustinus aber nicht nur Ordensgründer und exemplum vitae, sondern vor allem auch das Vorbild der Gelehrsamkeit 1 3 3 : „Du siehst, daß es so viele Orden gibt, denen es beinahe schimpflich erscheint, die Wissenschaften zu kennen. Diese [unsere] Frömmigkeit ist eine, in der dies jedoch als besonders schön gilt, und man sollte sich daher beinahe immer an Begabung auszeichnen, damit, was am größten werden kann, wir uns den Dokumenten unseres Vaters und Doktors widmen; und wir sollen nicht nur Söhne seiner Frömmigkeit sein, sondern auch, wenn möglich, Schüler seiner Weisheit und seiner Lehre." 1 3 4 Andrea Biglia setzt damit seinen gelehrten Orden deutlich von den bildungsfeindlichen Tendenzen ab, die vor allem bei den Franziskanern vorherrschen. Zielscheibe seiner Kritik war in erster Linie 131 Vgl. Arbesmann 1965, S. 120-141, und ders. 1965 (Biglia), S. 154-185. 132 „De ordinis nostri forma et propagatione", Hg. Arbesmann 1965 (Biglia), S. 191: „Quid enim magis convenire poterat quam hominem disciplinis imbutum eius [Agustini] institutionem sequi, qui [Augustinus] sit religionis et scripturarum praeceptor?" 133 Biglia ist der erste Ordenshistoriker, der sich auch für das Leben des Augustinus vor der Konversion interessierte, das in den „Confessiones" anschaulich beschrieben wird. Dort geht es vor allem um dessen heidnisch-profane Bildung, die für den Humanisten natürlich von besonderer Wichtigkeit ist. 134 Arbesmann (Biglia), 1965, S. 191: „Vides quidem tot religionum ordines esse, quibus pene ignominiosum sit literas cognovisse. Hec [nostra] una est religio, in qua hoc in primis speciosum esse debeat prestare ingenio ob id ferme, ut, quam maxime fieri potest, parentis et doctoris nostri documenta dicamus, nec simus tantum religionis filli, verum etiam, si hoc detur, sapientiae et doctrinae illius discipuli."

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Bernardin von Siena, dessen emotionalen, volksnahen Predigtstil er verabscheute. Danach definiert er in pointierter Form die beiden zentralen Funktionen des Augustinus f ü r seinen O r d e n : Er ist Vater in der Religion und Lehrer der Weisheit, die Mönche sind gleichzeitg Söhne und Schüler 1 3 5 . Dieser Aussage entsprechen die beiden Programmbilder des Ordens, die „Regelübergabe" und die monumentale Allegorie, die Augustinus in cathedra als Ordenslehrer präsentiert. Es ist den Themen angemessen, daß sie in ganz unterschiedlicher Bildsprache vorgetragen werden. Die „Regelübergabe" ist eine historische Erzählung, während „Augustinus als Ordenslehrer" in einem allegorischen Schaubild erscheint. Beide Bilder wurden entwickelt, bevor diese Konzepte in der O r d e n s historiographie schriftlich fixiert waren 1 3 6 . Augustinus tritt in der Bildpropaganda der Augustiner-Eremiten als Ordenslehrer auf und verdrängt damit den zeitgenössischen Inhaber dieses Titels, Ägidius Romanus, der auf dem Generalkapitel 1287 in Florenz offiziell proklamiert worden war. Das ist allerdings nicht verwunderlich: Mit dieser Ernennung reagierten die Augustiner-Eremiten auf eine Idee der Dominikaner, die bereits 1278 Thomas v. Aquin zu ihrem Ordenslehrer gemacht hatten 1 3 7 . Ägidius war zwar - wie Thomas - der wichtigste zeitgenössische Theologe seines Ordens, er konnte in der offiziellen Bildpropaganda der Augustiner-Eremiten aber nicht mit dem Aquinaten konkurrieren. Der besaß nämlich eine höhere Autorität und wurde 1323 sogar heilig gesprochen. Augustinus dagegen stand als Kirchenlehrer über Thomas von Aquin. Seine Schriften hatten höchste Autorität, und zwar nicht n u r f ü r die Augustiner-Eremiten, sondern f ü r die gesamte römische Kirche. Er war daher bestens geeignet, die Rolle des Ordenslehrers in einem öffentlichen Programmbild zu übernehmen. Weil er im schwarzen H a b i t der Augustiner-Eremiten auftritt, erzielt das Bild eine doppelte Aussage: Augustinus wird nicht n u r als Lehrer, sondern auch als Ordensmitglied gezeigt. Augustinus fungiert in der Allegorie des Wissens nicht nur als Vermittler des klerikalen Curriculums, sondern er ist gleichzeitig das exemplum, das dieses Programm selbst vorgelebt hat. Dies unterstreichen die Tituli in seinen H ä n d e n , die in der ersten Person sprechen und belegen, daß er immer nach sapientia und scientia strebte. In diesem Sinne wären die Allegorien auf ihn selbst zu beziehen, als Attribute, die ihn charakterisieren, wie die Tugenden das mittelalterliche Herrscherbild. Das Programm entspricht nämlich voll den Standardbegriffen der Augustinusverehrung, die ebenfalls seine Weisheit und Tugend hervorheben. Die Legenda Aurea ist wegen ihrer weiten Verbreitung durchaus repräsentativ. D o r t heißt es in der Augustinus-Vita: „Augustinus ist ein glänzendes Licht der Weisheit, ein Beschützer der Wahrheit, ein H o r t des Glaubens. Er besiegt unvergleichlich alle Kirchenlehrer an Begabung und Wissenschaft, und er blühte sowohl als Beispiel der Tugenden als auch wegen seines überfließenden Wissens. 1 3 8 In dieser - allerdings sekundären - Lesart kann man das Programm als „Glorifikation" des A u g u -

135 Vgl. Elm 1990, S.94. 136 Seidel 1985, passim, stellte ebenfalls fest, daß Konzepte der idealen L e b e n s f ü h r u n g der Augustinermönche in Heiligenbildern des f r ü h e n 14. Jh. den entsprechenden Formulierungen der Ordensgeschichtsschreibung

vorausgeben.

137 A. Walz, T h o m a s v. Aquin, Lebensgang und Lebenswerk, Basel 1953, S. 127, 128. 138 Leg. Aur. S.560: „Itaque Augustinus sapientiae

lumen

perfulgidum,

propugnaculum veritatis et fidei

m u n i m e n t u m omnes ecclesiae doctores tarn ingenio quam scientiae vicit incomparabiliter, florens exemplis virtutum

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quam affluentia

doctrinarum."

tarn

stinus bezeichnen. Dazu passen auch die Engelspaare, die im Ferrareser Fresko seitlich über dem Thron schweben (Abb. 1). Vielleicht hielten sie huldigend eine Krone über das Haupt des Kirchenvaters, wie in dem Fresko des sogenannten „Triumph des Thomas", das sich in S. Eustorgio in Mailand befindet (Abb. 55). Die Konkordanz einiger Schlagworte kultischer Hymnen mit den Bildmotiven der Allegorie des Wissens unterstreicht solch eine zweite Lesart: „Salve pater Augustine vas electum, vas divinae capax sapientiae ...

„Sei gegrüßt, Vater Augustinus du ausgewähltes Gefäß, du geräumiges Gefäß göttlicher Weisheit...

Salve lux et dux doctorum ...

Sei gegrüßt, du Licht und Fürst der Doktoren. Du Zierde der Theologen, Du überragst die Philosophen der Welt an Wissenschaft..."

Tu decus theologorum tu mundi philosophorum superas scientiam. «139

Der Hymnus betont Augustinus' überragende Bedeutung in der Theologie und Philosophie, die sich in der zentralen Trias im Bild des Ordenslehrers spiegelt. Sogar die Begriffe scientia und sapientia, die dort auf seinen Rotuli stehen, sind in dem Liedertext enthalten. Sie tauchen auch in einem weiteren Hymnus auf, der gleichfalls auf die große Weisheit und Wissenschaft des Kirchenvaters anspielt. Auch die goldene und silberne Farbe der Spiegel in der Hand der Theologie werden hiermit erklärt: „Hunc philosophorum peritissimum Et sophistarum eloquentissimum Christianae veritatis Simplicitas concluserat...

„Diesen erfahrensten der Philosophen und eloquentesten der Sophisten hat die Einfachheit der christlichen Wahrheit eingeschlossen ...

O quam dives exivit de Aegypto Multo onustus auro et argento 140 Transierat mare rubrum Augustinus; Aurum eius fuit sapientia Et argentum eius eloquentia." 141

O, wie reich marschierte aus Ägypten schwer beladen mit Gold und Silber und durchschritt das Rote Meer Augustinus. Sein Gold war die Weisheit und sein Silber war die Beredsamkeit."

139 Mone 1855, Bd. III, Nr. 815, S.205, Strophe 1,3,4. 140 Der Hinweis auf das wiederverwendete Gold und Silber der Ägypter meint dasselbe wie der Titulus, der über den Köpfen der heidnischen Philosophen in der Allegorie des Wissens steht. Er empfielt die Nutzung fremder Weisheit, sofern sie nicht der christlichen Wahrheit entgegengesetzt ist. 141 Mone 1855, Bd. III, Nr. 818, S. 207, aus Strophe 2 und 3. Der Text ist in einer Münchner Handschrift des 12. Jh. überliefert. Weitere Hymnen bezeichnen Augustinus als: - „Doctor praefulgens litteris, doctoribus prae ceteris" (ebd. Nr. 823, S. 211). - „Logicae culmen, rhetoricae fulmen" (ebd. Nr. 823, S. 211). „Fundens vinum scientiae, nectarque sapientiae" (ebd. Nr. 829, S. 209). 41

3. Die Fresken in der Eremitani-Kirche in Padua Neben dem Ferrareser Fresko (Abb.l) sind Fragmente einer weiteren Wandmalerei erhalten, die das Bild des Ordenslehrers und die Allegorie des Wissens zum Thema hat. Die Figuren sind auf die vier Wände einer Kapelle verteilt, die sich in der Kirche der Augustiner-Eremiten in Padua befindet. Der annähernd quadratische, kreuzgewölbte Raum entstand als Grabkapelle für den am 20. August 1370 verstorbenen Tebaldo Cortelleri, der die Kapelle mitsamt ihrer Ausstattung gestiftet hat. Die Datierung der Fresken erfolgt aufgrund des Todesdatums des Stifters 142 . Die Zuschreibung an Giusto de' Menabuoi unternahm bereits Marcantonio Michiel, sie wurde im folgenden nie angezweifelt. Die Freskoreste bestätigen die Zuschreibung stilistisch 143 . Eine vollständige Bestandsaufnahme der Freskofragmente ist notwendig, weil in den bisherigen Rekonstruktionen immer Teile unterschlagen wurden (Fig. 2). Die Fresken bedeckten einst alle vier Wände oberhalb einer hohen Sockelzone. Die Fragmente lassen sich anhand der Madrider Miniatur eindeutig identifizieren und rekonstruieren (Abb. 4). Außerdem hat der Nürnberger Humanist Hartmann Schedel (1440-1514) bei seinem Padua-Aufenthalt 1466 alle Tituli in sein Memorabilienbuch transkribiert 144 . Sein Text ist die zweite entscheidende Rekonstruktionshilfe. Die Allegorien der sieben Tugenden an der linken Wand saßen ursprünglich in einem gemalten Chorgestühl (Abb. 11). Sie sind nur noch als Halbfiguren erhalten, führen aber dieselben Attribute bei sich wie in dem Ferrareser Fresko und der Madrider Miniatur (Abb. 1, 4). Man kann daher mit Sicherheit die am Boden liegenden Vertreter der Laster rekonstruieren, die heute verloren sind. Oberhalb der sieben Tugenden sind weitere Freskoreste erhalten. Man sieht die am Boden aufgestauten Gewandsäume dreier Figuren. Ganz links thront ein Mann mit einem aufgeschlagenen Buch im Schoß. Diese Anordnung korrespondiert mit den darunter befindlichen Tugenden, so daß insgesamt sieben thronende Figuren zu rekonstruieren sind. Auch die Artes Liberales der rechten Wand sind nur fragmentarisch erhalten. (Abb. 12). Wie die Tugenden thronten sie in einem Chorgestühl. Ihre Attribute stimmen, soweit sie noch erhalten sind, mit denen der Madrider Miniatur überein, so daß man auch zu ihren Füßen die entsprechenden Repräsentanten der Fächer ergänzen kann (Abb. 4). Den oberen Abschluß ihres Chorgestühls bildet ein Fries, der die Namenstituli der darüber thronenden Figuren trägt. Das dritte bis sechste Feld ist lesbar: Plato metaphisicus Aristotiles pip (= peripateticus) Titus Livius Paduanus Tullius (vor dem Wort stehen einige unleserliche Buchstaben; dieser Titulus ist wahrscheinlich eine falsche spätere Retusche) Oberhalb der Tituli sind die Beinpartien von sechs Figuren erhalten. Sie sind den Artes von Dialektik bis Astronomie zugeordnet. Ganz links, über der Grammatik befindet sich ein Fragment 142 Michiel, N o t i z i e , 1988, S. 24: „Fu instituta da M . Tebaldo Cortelleri Padoano, arlevo di Signori da C a r r a r a nel 1370." Vgl. auch Scardeone 1560, S. 166; Portenari 1623, S.449: „La cappella di S. Agostino presso la p o r t a meridionale f u edificata da Tebaldo Cortelleri l'anno 1370 . . . " 143 Michiel, N o t i z i e , 1988, S.24; Vasari, Vite, B d . I I I . S.638; Portenari 1623, S.449; Delaney 1972, S . 6 4 f f . 144 H a r t m a n n Schedel, M e m o r a b i l i e n b u c h , M ü n c h e n , BSB, C o d . 418, fol. 104 5 -fol. 110r. Schlosser h a : 1896, S. 9 1 - 9 4 , diese Transkriptionen publiziert. In A n h a n g II.3, veröffentlichen w i r sie einschließlich der Schedel'schen U n t e r s t r e i c h u n g e n .

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des Sphärenmodells, das in der Madrider Miniatur Philosophie bei sich hat (Abb. 13, 4). Nur ein Drittel des Kreises ist im Winkel der Wand stehengeblieben. Es zeigt verschiedenfarbige Sphären und den Zodiakus mit Waage, Jungfrau und Löwe. Ergänzt man das Fragment zum vollen Kreis, so nimmt er die Breite eines Sitzes im Chorgestühl darunter ein. Das Sphärenmodell ersetzt damit eine siebente thronende Figur. Die Hauptwand wurde beim Anbau der Loreto-Kapelle im frühen 17. Jh. in einem Rundbogen durchbrochen 145 , der die gesamte Breite der Wand einnimmt. Er ist jedoch etwas niedriger, so daß ein Lünettenfeld stehenbleibt, in dessen linkem Zwickel sich Freskoreste erhalten haben (Abb. 14). Man erkennt gut zwei Drittel des Kreismodells, das in der Madrider Miniatur zur Theologie gehört (Abb. 4). Innerhalb eines achtspeichigen Rades befindet sich das aufgeschlagene Buch, in dem man noch das Wort „rota" lesen kann. Die Tituli zwischen den Speichen sind nicht mehr zu entziffern. Am Außenkreis erkennt man noch zwei der Evangelistensymbole: den Johannes-Adler und den Marcus-Löwen. Oberhalb des Kreises erhebt sich der Rumpf einer stehenden Frau, die in ihrer rechten Hand einen kleinen, runden Spiegel hält. Ihr Kopf und ihr linker Arm fehlen. Es handelt sich um die Allegorie der Theologie. Knapp unterhalb ihres Kreismodells sieht man Reste eines Ornamentbandes. Es liegt auf gleicher Höhe wie der Titulifries, der die Artes von den Philosophen trennt (Abb. 12). In dieser Höhe ist also eine Zäsur durch das gesamte Programm der Kapelle gegangen. Wahrscheinlich haben die beiden Fenster der Hauptwand diese Linie nicht durchstoßen. Der Eingangsbogen zur Kapelle ist so breit, daß zu seinen Seiten nur schmale Wandfelder stehenbleiben. Links des Eingangs sind die Fragmente eines thronenden Mannes mit einem offenen Buch erhalten. Er befindet sich auf derselben Höhe wie die Philosophen, d. h. oberhalb des durchgehenden Ornamentbandes und des Titulifrieses. Das schmale Wandfeld bietet nur einer einzigen Figur Platz. Auf der gegenüberliegenden Seite ist nichts mehr erhalten, aber man kann mit großer Wahrscheinlichkeit eine trohnende Figur symmetrisch ergänzen. In der Laibung des Eingangsbogens sind in Vierpässen halbfigurige Heilige dargestellt. Vier davon sind noch erhalten, doch allein Johannes der Täufer ist sicher zu identifizieren.

3.1. Rekonstruktion: Die Wiederentdeckung des Triumphmotivs Den Artes und Tugenden waren laut Schedels Überlieferung ausführliche Tituli zugeordnet. Diese bestanden aus einem Augustinus-Zitat, das eine abstrakte Definition der Allegorie sowie den exakten Stellennachweis in den Schriften des Augustinus enthielt. Dann folgten sechs lateinische Verse, die die Allegorien in Anlehnung an die Bilder plastisch beschrieben. Diese Tituli waren wahrscheinlich unterhalb des Chorgestühls, in dem die Allegorien sitzen, angebracht. Schlosser legte sie 1896 seiner Rekonstruktion der Fresken zugrunde. Sie erscheinen auch in der Wiener und Florentiner Handschrift 146 , die die Allegorien der Tugenden und Artes Liberales kopieren (Abb. 27-36). Diese Miniaturen konnte Schlosser ebenfalls zur Rekonstruktion der Fresken heranziehen. Die Fragmente in der Cortelleri-Kapelle kannte er zu der Zeit noch nicht. Die Disposition des Gesamtprogramms leitete Schlosser allein von Schedel ab. Er setzte einen

145 Vgl. Anhang II. 146 Wien, Ö N B , Cod. Ser. n. 2639. Florenz, B N C , Cod. Banco Rari 38. Siehe dazu Kap. II.6.1.

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streng symmetrischen Aufbau voraus und suchte alle Figuren an den beiden Seitenwänden unterzubringen. Dementsprechend sind seine Wände mit vier Figurenregistern übervölkert (von oben nach unten): Linke Wand 1. Theologie 2. Sieben Heilige: Gregor d. Gr., Ambrosius, Hieronimus, Paulus, Moses, Jesaia, Daniel 3. Sieben Tugenden mit den exemplarischen Vertretern der Laster 4. zwei Augustiner-Eremiten: Magister Albertus de Padua. Beatus Johannes Bononensis; und Averroes Rechte Wand 1. Philosophie 2. fünf antike Philosophen: Sokrates, Plato, Aristoteles, Seneca, Livius 3. sieben Artes Liberales mit berühmten Vertretern der Fächer 4. zwei Augustiner-Eremiten: Aegidius Romanus, Nikolaus v. Tolentino; und Paulus Eremita Augustinus, den Schedel nicht extra erwähnt, vermutet Schlosser an der Hauptwand oder auf dem verlorenen Altar der Kapelle 147 . Diese Rekonstruktion überzeugt nicht. Erstens sind mit den vier Registern viel zu viele Figuren auf jeder Wand plaziert. Zweitens lassen die Dreiergruppen in der Sockelzone die gesamte Komposition viel zu labil erscheinen. Drittens fällt die Asymmetrie im zweiten Register auf, wo sieben Figuren auf der linken nur fünf auf der rechten Seite gegenübersitzen. Und viertens kann man aufgrund des heutigen Zustands Theologie und Philosophie anders positionieren. Delaney hätten 1972 alle Freskofragmente bekannt sein müssen. Außerdem konnte er das Fresko in Ferrara und die Miniatur in Madrid als Vergleichsmaterial heranziehen 148 . Trotzdem gelingt ihm keine überzeugende Rekonstruktion: Linke Wand 1. sieben Heilige (wie Schedel) 2. sieben Tugenden mit Vertretern der Laster (wie Schedel) Rechte Wand 1. sechs Philosophen 2. sieben Artes Liberales mit berühmten Vertretern (wie Schedel) Hauptwand Wegen der Fragmente der Theologie an der linken Seite rekonstruiert Delaney symmetrisch dazu rechts die Philosophie, und zwischen beiden Augustinus. Eingangswand Die vier Augustiner-Eremiten, Paulus Eremita und Averroes. Die linke Wand ist richtig dargestellt. Zu recht beobachtet Delaney an der rechten Wand im oberen Register sechs sitzende Figuren. Er übersieht jedoch das Sphärenmodell der Philosophie (Abb. 13), mit dem sich eine ganz andere Rekonstruktion wie folgt ergibt: 147 Schlosser 1896, S. 18, 19. S. a. Bettini 1944, S. 115, 116 und Coletti 1934, S. 108. Ein Altar von einem gewissen „Marino pittore", datiert 1370, ist bei Michiel, Notizie, S. 24, erwähnt, leider ohne Beschreibung. 148 Delaney 1972, S. 8 0 - 8 6 .

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Rekonstruktionsvorschlag A: Rechte Wand 1. Sphärenmodell der Philosophie: Philosophie thronend daneben, dann die fünf antiken Philosophen, die Schedel aufzählt 2. sieben Artes Liberales mit Vertretern der Fächer N u r so sind die sieben Plätze oberhalb des Chorgestühls der Artes sinnvoll zu besetzen. Die Sphära ist genauso breit wie ein Bogen des Gestühls, sie nimmt genausoviel Platz ein wie eine thronende Person. Daneben m u ß Philosophie sitzen, evtl. verweist sie auf ihr Attribut. Sie f ü h r t auf diese Weise die Reihe der fünf antiken Philosophen an, die Schedel überliefert. Es ist also nicht nötig, ihm zu unterstellen, er habe eine Figur vergessen. Den vier Philosophen aus Ferrara ist hier der Historiker Livius beigestellt, der in Padua geboren wurde und somit einen lokalen Bezug herstellt. Das Programm der Cortelleri-Kapelle enthält eine Asymmetrie, die den idealen Vorstellungen der bisherigen Rekonstruktionen zuwiderläuft: Philosophie sitzt an der rechten Seitenwand, Theologie steht an der H a u p t w a n d ! Im sorgfältigen Schriftbild des Schedel'schen Textes bestätigt sich diese Asymmetrie. Sie ist allerdings leicht zu übersehen, denn der deutsche Humanist war ebenfalls eifrig um Symmetrie bemüht: Bei der Beschreibung der rechten Wand beginnt Schedel mit einer abgesetzten Uberschrift, der die rot unterstrichene Arbeitseinteilung „primo pictura, deinde scriptura", folgt. D a n n steht in einem geschlossenen Block die Aufzählung der fünf Philosophen unter F ü h r u n g der „Philosophia". Die Allegorie wird dabei den historischen Personen formal gleichgeschaltet. Die Beschreibung der linken Wand beginnt mit dem rot unterstrichenen Begriff „Theologia". Er erfüllt hier die Funktion einer Uberschrift, denn er ist vom folgenden Text deutlich abgesetzt 1 4 9 . D a n n erst folgt die Formel „primo pictura, deinde nomina ista", und danach die Aufzählung der sieben thronenden Heiligen in einem geschlossenen Block, parallel zu den Philosophen und Philosophie an der anderen Wand. So macht Schedel deutlich, daß Theologie (Abb. 14) zwar nicht formal Bestandteil der linken Seitenwand ist, aber inhaltlich das übergreifende Motto liefert (Fig. 2). D a sie in der äußersten linken Ecke der H a u p t w a n d dargestellt ist, befindet sie sich in unmittelbarer N ä h e der linken Seitenwand. Somit ist auch die visuelle Z u o r d n u n g gegeben. Diese Asymmetrie findet sich in der „Canzone delle Virtù e delle Scienze" in Chantilly (Abb. 17-26). Philosophie erscheint auf fol. 6 wie in der Cortelleri-Kapelle mit ihrem Sphärenmodell und vier antiken Philosophen in einem gemeinsamen Bildfeld (Abb. 24), das den Artes Liberales vorangestellt ist. Theologie besetzt dagegen mit ihrer Rota Ezechielis ein eigenes Blatt (fol. 2 r ) (Abb. 19), auf dem sie die Reihe der Tugenden eröffnet. Die christlichen Autoren, die inhaltlich das Pendant zu den antiken Philosphen bilden, sind formal abgedrückt und befinden sich zusammen mit Augustinus auf fol. l v (Abb. 18). Wie in der Cortelleri-Kapelle sind es sieben 1 5 0 , und wie in den Fresken bleibt die visuelle Verbindung zwischen Theologie und den Heiligen bestehen, da man fol. l v und fol.2 r im aufgeschlagenen Buch nebeneinander sieht. D a Philosophie bereits an der rechten Wand sicher lokalisiert ist, bricht Delaneys Rekonstruktion der H a u p t w a n d zusammen. Neben der Theologie sind m. E. hier die fünf Augustiner-Eremi-

149 D e r Zusatz „virgo tenens speculum" ist winzigklein dazugeschrieben worden. Es ist die einzige kurze Beschreibung eines Bildes in Schedels Text u n d hebt die Theologie gleichfalls gegenüber Philosophie heraus. 150 Auch in der C a n z o n e sind die drei Kirchenväter Hieronimus, Gregor, Ambrosius sowie Paulus und Moses vertreten. Anstelle von Daniel u n d Iesaias stehen in der C a n z o n e Johannes Ev. u n d Ezechiel.

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ten und Averroes zu plazieren, die Delaney an der Eingangswand vermutet, was schon deshalb unmöglich ist, weil seitlich des Eingangsbogens nur für je eine Figur Raum bleibt. Obwohl Schedel nicht extra darauf hinwies, ist anzunehmen, daß Augustinus im Zentrum des Bildprogramms gestanden hat bzw. thronte. Schließlich war ihm die Kapelle geweiht, und Schedel bezeichnet sie in der Uberschrift als „cappella beati Augustini apud Heremitanos Padue" 1 5 1 . Außerdem ergänzt Augustinus als vierter Kirchenvater die Gruppe von Hieronimus, Ambrosius und Gregor d. Gr. an der linken Seitenwand. Das Bildfeld an der Hauptwand hat die Form einer Lünette, es ist nach unten durch das Ornamentband abgeschlossen, von dem noch Fragmente erhalten sind. Unterhalb der Lünette haben wir zwei Lanzettfenster rekonstruiert. Wegen des mangelhaften Erhaltungszustands bleibt jede Rekonstruktion der Hauptwand naturgemäß hypothetisch. 1. Augustinus thront leicht erhöht 2. auf drei Stufen stehen: links ganz außen Theologie, dann Magister Albertus von Padua und Beatus Johannes Bononiensis; symmetrisch dazu gegenüber: Aegidius Romanus, Nikolaus von Tolentino, Paulus Eremita 3. unterhalb des Augustinus liegt Averroes am Boden Die besondere Behandlung des Averroes läßt sich aus Schedels Handschrift herauslesen. Oberflächlich betrachtet parallelisiert er zwei Blöcke, bestehend aus je drei Personen. Am Ende der Beschreibung der rechten Wand stehen, wie eine schmalere Kolumne eingerückt, die Namen von Aegidius, Nikolaus und Paulus Eremita. Analog erscheinen am Ende der Beschreibung der linken Wand Albertus von Padua, Johannes Bononiensis und Averroes, aber: Allein Averroes ist rot unterstrichen und durch einen leicht vergrößerten Zeilenabstand von Albertus und Johannes abgerückt. Allein sein Name besteht nur aus einem Wort, ohne einen Titel oder schmückendes Adjektiv. Allein er steht in keiner deutlichen Beziehung zum Orden der Augustiner-Eremiten. Angesichts dieser Hervorhebung im Text ist auch die besondere Darstellung im Bild wahrscheinlich. Averroes übernimmt im Gegensatz zu den Heiligen und Theologen die Rolle des Häretikers: Er liegt besiegt vor Augustinus am Boden. Die negative Bewertung des Aristoteleskommentators in Padua im 14. Jh. bestätigt diese Interpretation 1 5 2 . Man kann hier von einem „Triumphmotiv" sprechen, wie es bereits in der Spätantike in die christliche Ikonographie übernommen wurde. Die bekanntesten Beispiele dafür sind Darstellungen Christi, der über Aspis und Basilisk triumphiert, und Marias, die auf die Schlange tritt. Dieses Triumphmotiv, das bisher im Bildprogramm der Cortelleri-Capelle vergessen wurde, hatte einen prominenten Platz an der Hauptwand. Es fand ein Echo im Sieg der Tugenden über die Anti-Expempla an der linken Seitenwand. Schedel teilte die fünf Augustiner-Eremiten und Averroes in zwei Gruppen, die den Tugenden und den Artes Liberales beigeordnet sind. Man könnte sie auf den entsprechenden Hälften der Hauptwand plazieren 1 5 3 . Es paßt dabei ausgezeichnet in die Bildsymmetrie, daß links, wo man Averroes abzieht, nur zwei Personen übrig bleiben. Zusammen mit Theologie, die auf dieser Seite

151 Schedel, M e m o r a b i l i e n b u c h , fol. 104 r . Völlig a b w e g i g ist die Vermutung von S p i a z z i 1989, S . 9 2 , daß hier eine „ G l o r i a di S. T o m m a s o ( ! ) " dargestellt gewesen sei. 152 D a z u ausführlich unten. K a p . 1.3.2.4. 153 Michiels B e s c h r e i b u n g der Cortelleri-Kapelle legt dies ebenfalls nahe. Seine flüchtige D a r s t e l l u n g enthält z w a r einen Fehler, denn er deutet die Tugenden als Lasterallegorien, aber die dreiteilige S t r u k t u r des P r o g r a m m s , an dessen Mittelwand sich die Vertreter der T h e o l o g i e des A u g u s t i n u s befinden, wird trotzd e m deutlich: „la cappella . . . contiene da una parte le arte liberali, c u m gli huomini excellenti in esse:

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erhalten ist, bilden sie ein Pendant zur Dreiergruppe gegenüber. Eine solche Komposition ähnelt dem Fresko in der Sakristeikapelle des Domes von Siena und demjenigen in Montalcino 154 (Abb. 45, 40). Das unterstützt die Wahrscheinlichkeit der obigen Rekonstruktion. Da aber sechs Figuren zusammen mit dem Thron des Augustinus nur knapp in der Lünette der Hauptwand Platz finden, ist die folgende Variante dieser Rekonstruktion noch plausibler: Rekonstruktionsvorschlag B: 1. die Seitenwände wie in Vorschlag A 2. Hauptwand: Augustinus trohnt im Zentrum, flankiert zu seiner Rechten von Theologie und Albertus von Padua, zu seiner Linken von Ägidius Romanus und Nikolaus v. Tolentino. Zu Füßen des Augustinus liegt der besiegte Averroes 3. Eingangswand: links Johannis Bononiensis, rechts Paulus Eremita Das Bildpersonal findet nun an der Hauptwand leicht Platz. Dort treten vor allem die Theologen der Augustiner-Eremiten, Albertus und Ägidius, auf, die gut zu der Allegorie der Theologie an dieser Wand passen. Dazu kommt der berühmteste Heilige des Ordens, Nikolaus v. Tolentino. Das Triumphmotiv muß unbedingt vorhanden gewesen sein, denn auf Averroes zielt die theologische Argumentation ab. Aus räumlichen Gründen war Delaneys Vorschlag, an der Eingangswand die fünf Augustinerheiligen und Averroes zu lokalisieren, abzulehnen. Hier befanden sich nur zwei thronende Figuren. Folgt man Rekonstruktionsvorschlag A, so muß Schedel die beiden vergessen haben. Nach Vorschlag B identifizieren wir sie als Johannes Bononiensis und Paulus Eremita, die von der Hauptwand abgerückt sind. Paulus Eremita war gar kein Augustiner-Eremit, er wurde aber im Orden wegen seines Eremitenlebens hoch verehrt. Johannes Bononiensis gehörte dem Orden an, er galt als Exemplum mönchischer Tugenden. Die beiden bilden den asketischen Gegenpol zum theologischen Programm an der Hauptwand. Es bleiben noch einige von Schedel überlieferte Texte im Programm zu lokalisieren. Nach den Tituli der Artes Liberales erscheint eine schmalere Kolumne, die zusätzlich rot unterstrichen ist. Sie enthält zwei Texte, die in der Miniatur in Madrid zu beiden Seiten des thronenden Augustinus erscheinen (Abb. 4). Es sind die Augustinus-Zitate, die sich einerseits auf die kirchlichen Schriftsteller, andererseits auf die heidnischen Philosophen beziehen. Da Schedel sie beide zusammen bei der Beschreibung der rechten Seite zitiert und dadurch nicht einander konfrontiert, obwohl er sonst auf sorgfältige Gegenüberstellungen besonderen Wert legt, gehören sie wahrscheinlich gemeinsam an die Hauptwand. Entweder befanden sie sich, wie in der Madrider Miniatur, zu beiden Seiten des Augustinus, oder sie standen auf zwei Rotuli, die er in den Händen hielt. Immerhin sind sie in der ersten Person formuliert und passen daher gut in unmittelbare Nähe des Sprechers. Das „Epitaphium supradicti domini Tebaldi" steht am Schluß der Beschreibung der linken Wand und hat kein Pedant in der Beschreibung der rechten 155 , da es nicht dem Freskenprogramm, sondern dem Cortellerigrab angehört.

dall'altra li vicii (falsch!) cum gli huomini viciosi, et li huomini famosi nella religione de S. A g u s t i n o . . . " (Michiel, Notizie, S . 2 4 ) . 154 Vgl. Kap. I I I . l . 155 Schlosser 1896, S. 19, vermutet hier ein sehr aufwendiges Grabmonument in Paduaner Tradition. 47

3.2. Deutung: Eine Erweiterung der Allegorie des Wissens 3.2.1. Die Tituli Die Madrider Miniatur enthielt bereits umfangreiche Inschriften (Abb. 4), doch die Schedeischen Überlieferungen bezeugen für die Cortelleri-Kapelle ein erheblich erweitertes Repertoire. Den Tugenden und Artes Liberales waren nämlich je ein Augustinus-Zitat und einige lateinische Verse zugeordnet. 156 . Die Augustinus-Zitate enthalten sachliche Definitionen der Allegorien. Sie sind als einfache Aussagesätze formuliert: „Prudentia e s t . . . Fortitudo e s t . . . Dialectica e s t . . . " . Außer dem Namen der jeweiligen Allegorie gibt es keine Verbindung zwischen dem Zitat und dem Bild, denn die lateinischen Definitionen sind viel zu abstrakt, als daß man sie wörtlich in Bilder umsetzen könnte. Sie geben lediglich das Thema an. Die Autorität des Augustinus bürgt mit den Zitaten für die Wahrheit des Programms. Daher muß auch der lateinische Originaltext zitiert werden, dessen Echtheit durch die exakten Angaben seiner Herkunft garantiert ist. Diese Zitatnachweise sind sehr genau gegeben. Neben der Buch- und Kapitelangabe steht entweder ein zusätzlicher Hinweis auf ein anderes Werk, in dem Augustinus sich zu demselben Thema geäußert hat, oder es wird auf eine Stelle in seinen „Retractiones" verwiesen. Darin hat Augustinus gegen Ende seines Lebens einen Überblick über seine literarische Produktion gegeben 157 . Wenn ein Augustinus-Text hier genannt wird, so ist seine Authentizität gesichert. Angesichts der vielen pseudo-augustinischen Schriften, die im Mittelalter kursierten, war das also ein wichtiger Hinweis. Die Zitate in der Cortelleri-Kapelle sind aus den verschiedensten Schriften des Augustinus zusammengestellt. Das unterstreicht den zusammengesetzten Charakter des gesamten Bildprogramms, das sich nicht aus einer bestimmten Textquelle ableiten läßt. Die exakten Referenzen und die Zusammenstellung der Zitate setzen eine hervorragende Kenntnis augustinischer Schriften voraus. Das Studium dieser Schriften war ein Schwerpunkt wissenschaftlicher Arbeit bei den Augustiner-Eremiten 158 . In der ersten Hälfte des 14. Jh. war der wohl „beste Kenner der augustinischen Werke" der Augustiner-Eremit Bartholomäus von Urbino159. Zwischen 1321 und 1347 lehrte er am Generalstudium in Bologna und wurde dann zum Bischof von Urbino ernannt, wo er 1350 starb. In seinem Hauptwerk, dem „Milleloquium veritatis S. Augustini", hatte er über 15 000 Exzerpte aus Schriften des Augustinus in circa 1000 Stichworten alphabethisch geordnet 160 . Der Prolog ist ein Widmungsbrief an Papst Clemens VI. (1342-1352), der von dem Werk so begeistert war, daß er sogleich ein ähnliches aus den Schriften des Ambrosius bei Bartholomäus bestellte. Den Schluß des „Milleloquium" bildet eine „distinctio librorum", d.h. eine Bibliographie der Schriften des Augustinus, die in Briefe, Bücher und Predigten unterteilt ist. Bartholomäus hat allein

156 Siehe Anhang II.3. 157 Vgl. Arbesmann 1965, S.47. 158 Zumkeller 1964, S. 171, 172. 159 Arbesmann 1965, S. 3 6 - 5 5 , bes. S . 4 6 . Peebles 1954; Arbesmann 1980; Mariani 1959, S. 4 9 - 5 3 ; T. de Luca, D u e canonisti letterati del sec. X I V : Giovanni d'Andrea e Bartolomeo d'Urbino, in: Studia Picena 15, 1940, S. 141-144; Perini 1929, B d . I , S. 2 0 3 - 2 0 5 ; Zumkeller 1964, S. 2 0 6 - 2 0 7 . 160 Zahlen nach Arbesmann 1965, S. 43. 48

um die 190 Briefe und über 600 Predigten aufgeführt! Dabei versichert er im Prolog, daß er nur zitiert, was er selbst im Original (!) gelesen habe. Viele Texte, die seit langem verloren waren, fand Bartholomäus wieder auf. Um seine Funde auf Echtheit zu prüfen, konsultierte er zunächst immer die „Retractiones". Diese Referenz fügte er seinen ausführlichen Zitatnachweisen bei, ähnlich wie in den Tituli der Cortelleri-Kapelle. Seine akribische Arbeitsweise rückt Bartholomäus in die Nähe frühhumanistischer Textkritik. Ein Brief Petrarcas an Bartholomäus belegt dessen Kontakt zu frühhumanistischen Kreisen. Der AugustinerEremit hatte ihn um einige Verse gebeten, die sein opus magnum schmücken sollten, denn er wußte, daß das „Milleloquium" eher nützlich als literarisch brillant war 1 6 1 . Nicht nur die ähnliche Zitiertechnik, sondern auch seine immense Textkenntnis legen die Vermutung nahe, daß Bartholomäus die Tituli unseres Freskoprogramms zusammengestellt haben könnte. Das „Milleloquium" kann nämlich nicht die Quelle sein, aus der sich ein anderer Inventor bediente, da nicht alle Zitate in jenem großen Florilegium enthalten sind 162 . Im folgenden werden wir sehen, daß der Prototyp dieses Programms in Bologna in der ersten Hälfte des 14. Jh. entworfen wurde. Dies bekräftigt die Hypothese, Bartholomäus von Urbino sei der Inventor 163 ! Neben den Augustinus-Zitaten erscheinen in dem Freskenprogramm in Padua lateinische Hexameter, die wesentlich enger mit den Bildern verbunden sind als die Zitate, weil sie die Allegorien beschreiben und kleine Erklärungen beisteuern. Manchmal fordern sie den Leser sogar expressis verbis dazu auf, die Tituli im Bild zu lesen, die die partes der Tugenden oder Einteilungen der Wissenschaften bezeichnen 164 . Sie haben die Funktion von Merkversen, die ein sprachliches Äquivalent zu den gemalten Allegorien bilden.

3.2.2. Das „Epitaphium Augustini" Durch die vielen Augustinus-Zitate wird das Paduaner Programm noch enger an den Kirchenvater geknüpft als in dem Ferrareser Fresko und in der Madrider Miniatur (Abb. 1, 4). Außerdem streicht in der Cortelleri-Kapelle das „Epitaphium Augustini" von Possidius die Rolle des Augustinus zusätzlich heraus. Schedel zitiert es parallel zu jenen Tituli, die von sapientia und scientia handeln. Möglicherweise befand sich das „Epitaphium" ebenfalls an der Hauptwand. Das „Epitaphium" ist nicht als Inschrift einer Grabanlage zu verstehen, zumal Augustinus in Pavia - nicht in Padua - bestattet lag. Schedel hat die Verse wahrscheinlich deshalb so überschrieben, weil er das Distichon am Anfang als antike Grabinschrift 165 identifizierte. Das war bei der weiten Verbreitung des Verses für den Humanisten keine Schwierigkeit. Außerdem kannte er 161 „Milleloquium", fol. 2 V : „... cum talis compilatio magis sit utilis, quam subtilis." Petrarca Famiiiares 8,6,4. 162 Im „Milleloquium" stehen die Zitate von den Kanonischen Schriftstellern, den Philosophen, Temperantia, Fides, Caritas, Grammatik, Dialektik und Rhetorik. Es fehlen demnach vier Zitate der Tugenden, vier der Artes Liberales und die beiden auf den Rotuli des Augustinus über sapientia

und scientia.

163 Bereits Schlosser 1896, S. 24, bezeichnete das Paduaner Programm als „Reflex" der Zitate des „Milleloquium", das damals noch dem Augustinus Triumphus zugeschrieben wurde. Heute steht fest, daß dieser nur einen sehr geringen Teil des „Milleloquium" geschrieben hat, während die Hauptarbeit von Bartholomäus geleistet wurde. Vgl. Arbesmann 1965, S. 3 9 - 4 1 , und ders. 1980, S. 163-186. 164 Z . B . Fortitudo, fol.33 r im Memorabilienbuch: „Cuius membra notat in scriptis turris apes." Grammatik fol. 34v, ebd.: „Nam prior ceteris puellaris signat imago. Dialektik, fol. 35v, ebd.: „Cuius sillogismos affixa figura demonstrat."

Arithmetik, fol. 35 r , ebd.: „...matrone figura

demonstrat."

165 E. Baehrens, Poetae Latini- Minores, Leipzig 1879-80, Bd. III, S.270, Nr. 39. Das Distichon bildet den

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offensichtlich die „Vita Sancti Augustini" von Possidius 1 6 6 , einem jüngeren Gefährten des Augustinus, in der die beiden Zeilen zitiert waren. D e r vollständige Text in der Cortelleri-Kapelle lautet: „Vincere post obitum vatem vis, nosce viator: Q u o d legis ecce loquor, vox tua nempe mea est. Tarnen mentitur, qui eum totum legisse fatetur; N a m plura scripsiet triplicatis Volumina mille. U t n e m o mortalis possit eum legere totum. Excessit cunctos moribus et dogmate f u n c t o s . " 1 6 7 „Willst D u den D i c h t e r nach seinem Tod besiegen, dann wisse, Wanderer: was D u liest, spreche ich, Deine Stimme ist nämlich meine. D e n n o c h lügt, wer behauptet, ihn ganz gelesen zu haben, denn er schrieb mehr als 3000 Bände. Weil (?) kein Sterblicher ihn ganz lesen könne übertraf er alle, die in Moral und Lehre etwas geleistet haben." Das Distichon am Anfang (Zeile 1,2) war durch Possidius so weit bekannt, daß es auch im Prolog des „Milleloquium" als eine von vielen Elogen auf den Kirchenvater zitiert wird. D a sich das „Milleloquium" sehr großer Beliebtheit erfreute, ist die weite Verbreitung des Distichions im 14. J h . kein Wunder. In der Cortelleri-Kapelle demonstriert es vor allem, wie der Geist des A u g u stinus in seinen Schriften weiterlebt. D e r Leser der Tituli in der Allegorie des Wissens wird zur Stimme des Augustinus. Zeile 3 stellt einen deutlichen Bruch gegenüber dem vorangegangenen dar. D e m „tarnen" fehlt ein logischer Anknüpfungspunkt genauso wie dem „ e u m " , das in der Cortelleri-Kapelle jedoch automatisch auf Augustinus bezogen wird. Diese dritte Zeile ist ein Zitat nach Isidor von Sevilla. Sie stammt aus einem Epigramm auf Augustinus, das unterhalb seines Porträts in der Bibliothek Isidors angebracht w a r 1 6 8 . Wörtlich begegnet sie einem in der mittelalterlichen Augustinus-Literatur auf Schritt und T r i t t 1 6 9 . Auch Zeile 4 ist durch das Epigramm Isidors angeregt. Dieser charakterisiert Augustinus als unermüdlichen Autor, schreibt ihm aber 'nur' 1000 Bände zu, während im Epitaphium die dreifache Menge angegeben ist. Zeile 3 hatte dieses Argument bereits eingeleitet: D a hieß es, daß Augustinus so viele Bücher geschrieben habe, daß ein Menschenleben nicht ausreiche, um sie zu lesen. Das paßt gut zur Cortelleri-Kapelle, wo in den Tituli sehr viele Schriften des Augustinus zitiert werden. Anfang eines Gedichts, das auf dem Grabmonument des Dichters Nymphius stand. Es muß ein beliebter Topos auf antiken Dichtergräbern gewesen sein. 166 Possidius, Vita, S.230. 167 Schedel, Memorabilienbuch, zit. nach Schlosser, 1896, S.94. 168 „S. Isidori Hispalensis opera appendices". Appendix III, „Versus qui in bibliotheca sancti Isidori episcopi Hispalensis legebatur . . . " , Nr.5, zit. nach PL 83, Sp. 1109: „Mentitur, qui te totum legisse fatetur. An quis cuncta tua lector habere potest? Namque voluminibus mille, Augustine, refulges. Testantur libri quod loquor ipse tui. Quamvis multorum placeat prudentia libris. Si Augustinus adest, sufficit ipse tibi." 169 Z. B. auch als Schlußsatz des Ausführungen des Rupert v. Deutz über Augustinus als Exemplum der sdentia und sapientia, vgl. PL 167, Sp. 1784, und im Prolog des „Milleloquium", in einem sogen. „Versus Possidonii". 50

Zeile 5 wiederholt mit anderen Worten, was in Zeile 3 bereits gesagt wurde. Diese inhaltliche Uberschneidung zeigt deutlich, daß das Epitaphium aus verschiedenen Teilen zusammengesetzt wurde. Die Zeile ist in den „Etymologien" des Isidor vorgeprägt, und zwar an der Stelle, wo antike Autoren vorgestellt werden, „qui multa scripserunt" 170 . Eine Eloge, die Remigius v. Reims in der Vita des Augustinus in der Legenda Aurea vorträgt, stimmt ebenfalls mit diesem Vers überein 171 . Ähnliches kommt in vielen Lobreden auf Augustinus vor 1 7 2 . Es gab offenbar einen „pool" bestimmter Topoi, die immer wieder von den verschiedensten Autoren zitiert wurden. Die letzte Zeile (6) des „Epitaphium" schlägt den Bogen zum SzWprogramm der Kapelle, indem sie betont, daß Augustinus alle an Sitten und Gelehrsamkeit übertraf. Beides ist in den Tugenden und Artes illustriert, die der Betrachter attributiv der zentralen Figur des Programms zuordnen kann. Augustinus wird für ihn zum großen Exemplum. Das bleibt zwar eine sekundäre Lesart, sie ist hier jedoch im Verhältnis zum Ferrareser Fresko stärker betont.

3.2.3. Die fünf Augustiner-Eremiten Gegenüber dem Fresko in Ferrara (Abb. 1) wird in der Cortelleri-Kapelle nicht nur das augustinische Element genauer herausgearbeitet, sondern auch die Augustiner-Eremiten werden deutlicher mit dem Programm verknüpft. Diesen Part übernehmen die fünf Vertreter des Ordens, die zu beiden Seiten des Augustinus an der Haupt- und an der Eingangswand erscheinen und ihren legendären Gründer in die Mitte nehmen. Paulus Eremita ist eigentlich kein Augustiner, denn er lebte im 3. J h . 1 7 3 und damit vor Augustinus. Aber er gilt gemäß der Vita des Hieronimus als der „Erfinder" des Eremitenlebens und wird daher als ältestes Exemplum in die Geschichte des Augustiner-Eremitenordens integriert: „Dasselbe wird offensichtlich in der Chronik oder dem päpstlichen Register, wo gesagt wird, daß im Jahre 250 nach der Inkarnation des Herrn der Orden der Eremiten mit dem heiligen Paulus, dem ersten Eremiten, seinen Anfang nahm." 1 7 4 Heinrich v. Friemar konstruiert eine kontinuierliche Kette von dem ersten Eremiten Paulus zu Simplician, der als erster in Italien dessen Beispiel folgte, hin zu Augustinus, der mit Hilfe Simplicians bekehrt wurde und bei ihm das Eremitenleben kennenlernte 175 . Entsprechend dieser Position in der Ordensgeschichte wurde Paulus eine besondere Verehrung zuteil. Deshalb beschloß man auf

170 Isidor v. Sevilla, „Etymologiarum libri X X " , lib. V I , cap. V I I I , zit. nach P L 82, Sp. 237: „Illorum tarnen omnium studia Augustinus ingenio vel scientia sua vicit. Nam tanta scripsit, ut diebus ac noctibus non solum scribere libros eius quisquam, sed nec legere quidem occurrat." 171 Leg. Aur. S. 560: „Hos omnes Augustinus ingenio vel scientia sua v i c i t . . . iste tarnen tanta scripsit, ut non solum diebus ac noctibus scribere libros eius quis non possit, sed nec legere quidem occurrat." 172 Vgl. Prolog des „Milleloquium". 173 Biblioteca Sanctorum, Bd. X , Sp. 269, 270. 174 Heinrich v. Friemar, „Tractatus", S. 110: „Hoc idem patet ex chronica sive registro papali, ubi dicitur, quod post incarnationem domini anno ducentesimo quinquagesimo initium sumpsit ordo eremitarum a beato Paulo primo eremita." 175 Heinrich v. Friemar, „Tractatus", S . 9 0 : „Nam licet primarium motivum suae conversionis [Augustinus] habuerit . . . per beatum Simplicianum eremitam, qui primo Romae exemplo Pauli primi eremitae et beati Antonii a sua iuventute deo devotissime s e r v i e b a t . . . "

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dem Generalkapitel in Siena 1295, daß die Geschichte des Paulus Eremita zur Ehre des Heiligen im ganzen Orden gelesen werden sollte 1 7 6 . Die anderen vier Personen sind zeitgenössische Augustiner-Ermiten. Keiner von ihnen war im Jahre 1370 schon kanonisiert. D a der Orden im 14. Jh. noch keinen einzigen Heiligen hervorgebracht hatte, präsentierte er hier seine besten Kandidaten. Nikolaus v. Tolentino galt bereits im frühen 14. Jh. als der erste Anwärter auf Heiligsprechung. Schon Heinrich v. Friemar streicht ihn in seinem Traktat unter den „fratres famosae et notoriae sanctitatis huius nostri ordinis" als den wichtigsten heraus: „ . . . u n d dessen Kanonisation forderte beharrlich fast ganz Italien durch alljährlich wiederkehrende Botschafter beim apostolischen Stuhl. U n d ich zweifle nicht, daß deren Wunsch durch die göttliche Güte und Voraussicht der heiligen römischen Kirche zum Lobe Gottes baldigst erfüllt wird."177 Nikolaus wurde zwar erst 1446 kanonisiert, doch seit seinem Tode im Jahre 1305 verehrte man ihn als den größten Wundertäter der Augustiner-Eremiten. Sein Grab in Tolentino war von Anfang an ein beliebtes Ziel der Pilger. Jordan v. Sachsen zitierte ihn in den „Vitasfratrum" am häufigsten von allen Brüdern als Exemplum. An der Spitze stehen dabei seine Werke der Caritas und Wunder bei Krankenheilungen, dazu kommen sein besonderer Gehorsam, seine Armut und Geduld 1 7 8 . Neben ihm steht Ägidius Romanus, der hochgelehrte Magister der Theologie, dessen Schriften absolute Autorität im Orden besaßen und für die Einheitlichkeit der Lehre bürgten 1 7 9 . Uber Albertus de Padua sind kaum Quellen vorhanden. Da er bei seinen Studien in Paris noch Ägidius Romanus gehört haben soll, muß er vor 1292 schon Theologie studiert haben 1 8 0 . Albertus war ein so berühmter Prediger, daß Papst Bonifaz VIII. ihn nach Rom bestellte, um seine Kunst zu hören. Jordan v. Sachsen erwähnt ihn in seinem Kapitel „de lectione seu studio s. scripturae" wegen seiner gelehrten Postillen 1 8 1 . Albertus starb 1328 1 8 2 . Johannes Bononiensis oder auch della Lana galt vor allem als Exemplum „humilitatis et patientiae" 1 8 3 , und damit spezifisch möchischer Tugenden. Er wurde um 1270 in Bologna geboren, studierte in Paris nur bis zum Baccalauréat, denn er zog dem weiteren Studium angeblich aus Bescheidenheit die Arbeit für den Orden vor und wurde spätestens 1316 Prior im Konvent von

176 Definitionen des Generalkapitels in Siena 1295, in: A A 1907/08, S. 371. Zum Kult des Paulus Eremita vgl. Estebàn, 1937, S. 12. 177 Heinrich v. Friemar, „Tractatus", S. 118, 119: „cuius etiam canonizationem fere tota Italia per solemnes ambassatores a sede apostolica cum instantia requisivit, quorum etiam desiderium non dubito per divinam clementiam et sanctae Romanae ecclesiae providentiam pro laude dei de proximo adimplendum." 178 Jordan v. Sachsen, „Vitasfratrum", S. 88, 137-142, 147-151, 201-202, 211-215, 279-280, 359, 367, 369. 179 Über Ägidius Romanus s . o . Kap. 1.2.2.1. 180 Perini 1929-38, Bd. III, S. 69; Giacomini 1960, S. 747; Torelli 1659ff, Bd. III, S. 394-396. 181 Jordan v. Sachsen, „Vitasfratrum", S.240. 182 Torelli 1659ff, S.395, 396, berichtet, daß die Stadt Padua ihrem berühmten Sohn eine Statue errichtete „sopra la porta del suo nobilissimo pretorio", die mit langen Inschriften versehen war. Leider ohne Datum der Aufstellung. 183 Jordan v. Sachsen. „Vitasfratrum", S. 120-122. Jordan war Augenzeuge dreier hervorragender Exempla seiner Humilitas und Patientia.

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S. Giacomo Maggiore in Bologna. Sein Priorat ist weiterhin bis 1338 belegt, doch die genaue Länge der Amtszeit ist nicht mehr feststellbar. Er starb 1350 in Bologna 1 8 4 . Diese fünf Personen repräsentieren verschiedene Aspekte des Augustiner-Eremitenordens: Paulus steht für das Alter des Ordens und für den status antiquus, das Eremitenleben. Er ist außerdem eine bildliche Erklärung für den Namen des Ordens. Johannes Bononiensis vertritt die status modernus durch die Tugenden, die das apostolische Leben in der Stadt den Mönchen abverlangt. Nikolaus v. Tolentino ist der populäre Wundertäter, der in keinem Orden fehlen darf. Agidius und Albertus sind die Vertreter der wissenschaftlichen Bildung. Mit dieser 'Doppelbesetzung' ist bereits ein Schwerpunkt im Programm klar: Beide sind Magister der Theologie, die als Allegorie mit ihnen zusammen an der Hauptwand erscheint. Albertus bringt als Paduaner zusätzlich einen lokalen Aspekt ein. Alle gemeinsam sind Exempla für die Umsetzung der Tugend- und Wissenschaftsallegorie im Orden der Augustiner-Eremiten. Während das Ferrareser Fresko die Verbindung zum Orden nur über Augustinus im schwarzen Habit darstellte, führt das Paduaner Programm diesen Zusammenhang am Beispiel ausgewählter Ordensmitglieder in extenso vor.

3.2.4. Averroes Der arabische Aristoteles-Kommentator Averroes kann nicht, wie es bisher geschah, im Fresko der Cortelleri-Kapelle den Augustiner-Eremiten gleichwertig zur Seite gestellt werden. Dagegen spricht nicht nur die besondere Hervorhebung seines Namens im Schriftbild Schedels, sondern auch die Beurteilung seiner Person bei Vertretern des Ordens und generell in Padua im 14. Jh. Die umfangreiche Forschung zu diesem Thema kann hier nicht ausführlich referiert werden, doch die wichtigsten Argumente seien kurz skizziert, da Renans Studien, die Schlossers Rekonstruktion der Cortelleri-Kapelle stützten, heute überholt sind 1 8 5 . Ein zentrales Problem der Forschung ist die Definition des Averroismus. Bezeichnete man so alle Benutzer der Kommentare des Averroes, dann wäre fast jeder Naturphilosoph und Theologe seit dem späten 13. Jh. ein Averroist 186 . Andererseits gab es kaum jemanden, der die Lehre des Arabers in jedem Detail verfochten hat. Neuerdings spricht man daher lieber von „ausgesprochen averroistisch eingestelltem Aristotelismus" (Maier) oder einfach von „Italian secular Aristotelism" (Kristeller). Jedenfalls handelt es sich nicht um eine uniforme Bewegung, die sich als besondere Gruppe zu erkennen gibt. Grabmanns weitgefaßte Definition leuchtet daher am besten ein. Er zählt zu den Averroisten auch „...solche Philosophen der Aristenfakultät . . . welche . . . unter Einfluß der arabischen Philosophie einen philosophischen Aristotelismus vertreten, der alle Fragen auch weltanschaulicher Tragweite lediglich secundum viam pbilosophorum ohne praktische Rücksichtnahme auf die Lehren des christlichen Glaubens und der Theologie zu lösen versucht." 1 8 7

184 Zu Johannes Bononiensis vgl. D . Gutierrez, „De frate Joanne de Bononia", in: A A 19, 1943/44, S. 1 8 0 - 2 0 9 ; Perini 1 9 2 9 - 3 9 , Bd. II, S. 19, 20; Torelli 1659ff. Bd. V, S. 6 0 4 - 6 1 0 . 185 E . Renan, Averroes et Averroisme, Paris 1852. D a z u Kristeller 1960, S. 149. 186 Zur Definitionsproblematik Kristeller, 1960, S. 1 5 0 - 1 5 2 ; Maier 1944, S. 150; G . E Vescovini, Biagio Pelacani a Padova e l'averroismo, in: L'Averroismo in Italia. Convegno internazionale, R o m 1977, S. 143-174. 187 M . Grabmann, D e r lateinische Averroismus des 13. J h . und seine Stellung zur christlichen Weltanschauung, in: Sitzungsberichte der Bayr. Akademie der Wiss., Phil.-Hist. Abtlg., 1931, 2, S . 4 ; Lucchetta 1977, S. 92, 93.

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Damit ist das heterodoxe Element des Averroismus bereits angesprochen. D e n n obwohl alle Scholastiker mit den arabischen Kommentaren arbeiteten, waren die Hauptthesen des Averroes 1277 von Stephan Tempier als Häresien verdammt worden, und daher hatte die Bezeichnung „Averroist" seit Ende des 13. Jh. mit Sicherheit eine negative Bedeutung 1 8 8 . Die neuere Forschung verlegt - im Gegensatz zu Renan - das Z e n t r u m des italienischen Averroismus im 14. Jh. von Padua nach Bologna 1 8 9 . Vor dem frühen 15. Jh., als Paolo Veneto erscheint, gab es keinen bekannten Averroisten in Padua. Als letztes Argument für einen intensiven Averroismus in Padua ziehen die Philosophie-Historiker das verlorene Fresko der Cortelleri-Kapelle entsprechend Schlossers Rekonstruktion heran und gelangen damit zu einem Zirkelschluß: Wenn Averroes in einem prominenten Bild positiv dargestellt war, dann müsse es in Padua einen starken Averroismus gegeben haben 1 9 0 . Auch im O r d e n der Augustiner-Eremiten beurteilte man Averroes negativ. Ägidius Romanus hatte in drei Schriften die zentralen Argumente des Arabers widerlegt 1 9 1 , und er besaß bekanntlich absolute wissenschaftliche Autorität. Man wird ihn daher kaum an einem öffentlichen O r t einträchtig neben Averroes dargestellt haben. Zusätzlich gibt es von Petrarca, gerade aus seiner Spätzeit, heftige Polemiken gegen den Averroismus. Da er engen Kontakt zu den Paduaner Augustiner-Eremiten pflegte, die seine humanistischen Interessen teilten, war Averroes um 1370 bei den Eremitani mit Sicherheit nicht populär 1 9 2 . D e r Triumph des Augustinus über Averroes entspricht somit dem geistesgeschichtlichen Kontext der Cortelleri-Kapelle. Der O r d e n der Augustiner-Eremiten soll seinem legendären G r ü n d e r nacheifern, indem er mit wissenschaftlichen Argumenten und vorbildlicher Tugend im Dienste der Kirche Häresien bekämpft. Es ist denkbar, daß dieses - gegenüber der Version in Ferrara - erweiterte Bildprogramm in dem Kreis um Petrarca und Bonaventura da Peraga entwickelt wurde. Z u m humanistischen Geschmack passen nämlich nicht nur der besiegte Averroes, sondern auch die fünf Augustiner-Eremiten, die

188 Vgl. S. MacClintock, Heresy and Epithet: an approach to the problem of Latin Averroism, in: Review of Metaphysics 8, 1954-55, bes. S. 545: „ . . . t h e name has genereally been used with this disapprobative significance...". S. a. Lucchetta, 1977, S. 95: „L'averroismo storico fu connotato, in genere, da u n carattere di eterodossia." 189 Vgl. Maier 1944, S. 136-157; C h . Ermatinger, Averroism in Early Fourteenth C e n t u r y in Bologna, in: Mediaeval Studies XVI, 154, S. 3 5 - 5 6 . M. G r a b m a n n in: Mittelalterliches Geistesleben Bd. II, München 1936, S. 239-260, Kristeller 1952, S. 5 9 - 6 2 , ders. 1960, S. 149-155, Lucchetta 1977, S. 91-120. 190 So B. Nardi, Saggi sull'aristotelismo padovano dal sec. X I V al XVI, Florenz 1958, S. 75, A n m . 2 und Lucchetta 1977, S. 103. 191 Agidìus' Texte gegen Averroes: „De materia coeli", „De intellectu possibili", „De erroribus philos o p h o r u m " . Vgl. dazu G. Bruni, Egidio Romano Antiaverroista, in: Sophia I, 1933, S. 208-219, J. Koch, Giles of Rome, „Errores Philosophorum", Milwaukee 1944. 192 1368-70 schrieb Petrarca eine Invektive gegen vier venezianische Averroisten. „De sui ipsius et m u l t o r u m ignorantia". Vgl. dazu Kristeller 1952, S.65. Auch in seinen Briefen äußert sich Petrarca mehrfach heftig gegen Averroes bzw. seine Anhänger, z. B.: - Seniles 15, 6, an Luigi Marsiii, O p e r a O m n i a 1554, S. 812. D e r Brief ist in dieser Ausgabe u n t e r den „Epistulae sine titulo" abgedruckt. - Seniles 5, 2, an Boccaccio, ebd. S. 880. — Seniles 13, 5, an D o n a t o Albanzani, ebd. S. 1017.

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nun hinzugetreten sind. Sie veranschaulichen eine „Synthese zwischen Askese und Wissenschaft, von Mönchtum und Gelehrsamkeit" 1 9 3 , die dem Lebensideal Petrarcas, der sowohl das Studium als auch die „vita solitaria" liebte, sehr nahe kommt.

193 Elm 1976, S. 77. 55

II. Die Suche nach dem Prototyp

Zwei Versionen der Allegorie des Wissens konnten bisher in monumentalen Fresken nachgewiesen werden: In S. Andrea in Ferrara war sozusagen das 'Kernprogramm' dargestellt, das anhand der besser erhaltenen Madrider Miniatur ausführlich analysiert wurde. Bei den Eremitani in Padua tritt dieses 'Kernprogramm' in formal und inhaltlich erweiterter Fassung auf. Das eine

geschlossene

Schaubild wird auf die vier Wände der Cortelleri-Kapelle verteilt und um das Triumphmotiv, die Vertreter des Ordens und die Augustinus-Zitate ergänzt. Dabei geht die Symmetrie verloren, die die Madrider Miniatur ideal vor Augen führte. Unsere Untersuchungen zeigen deutlich, daß die Allegorie des Wissens speziell auf die Augustiner-Eremiten zugeschnitten war und sich im Orden großer Beliebtheit erfreute. Leider sind die Fresken in Ferrara und Padua die einzigen Beispiele, die sich in Kirchen des Ordens erhalten haben. Sie stammen beide aus den 70er Jahren des 14. J h . Es sind jedoch Miniaturen erhalten, die das Programm ganz oder teilweise zitieren. Sie reichen zurück bis vor die Mitte des 14. Jahrhunderts. D a sie aus Rechtshandschriften und einer Moral-Canzone stammen, für die sie nicht erfunden wurden, müssen sie Zitate aus einem Programm der Augustiner-Eremiten sein, das noch in die erste Hälfte des 14. Jh. gehört. Im folgenden soll anhand solcher Miniaturen die Spur des verlorenen Prototyps zurückverfolgt werden.

1. Die Allegorie des Wissens in einer Rechtshandschrift des Bartolus von Sassoferrato Die Titelminiatur eines Bologneser Rechtscodex aus den 70er Jahren des 14. J h . 1 , der heute in der Nationalbibliothek in Madrid aufbewahrt wird (Cod. 197, antea D.2.), unterscheidet sich kaum von dem Fresko aus S. Andrea in Ferrara (Abb. 1, 4). Sie diente uns als vollkommen symmetrische 'Idealversion' der Allegorie des Wissens und wurde bereits eingehend analysiert, so daß an dieser Stelle eine detaillierte Beschreibung überflüssig ist. In zwei Registern erscheinen oben Augustinus mit Theologie und Philosophie in Begleitung der Autoritäten und unten die sieben Tugenden und Artes Liberales. Alle Tituli der Miniatur sind gut lesbar. Sie stimmen mit denjenigen, die man in Ferrara noch entziffern kann, genau überein. N u r die Inschriften oberhalb der Beisitzer des Augustinus fehlen dort. Auch die Attribute der Allegorien sind mit denen in Ferrara bis in Details hinein identisch. Trotz der ikonographischen Übereinstimmung unterscheidet sich die Miniatur im Gesamtein-

1 Z u r Datierung siehe Anhang III.

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druck von dem Fresko. Dies ist hauptsächlich durch das andere Medium bedingt. Vor allem erweckt die Miniatur den Eindruck der 'Uberfüllung': Alle Figuren sitzen äußerst eng gedrängt, sie überschneiden sich heftig und können kaum ihre vielen Tituli präsentieren. Die Anordnung des Bildpersonals zeigt keine räumliche Wirkung, zumal die Sitzbank der Allegorien kaum zu erkennen ist. Der braune Hintergrund, der mit Goldranken besetzt ist, unterstreicht den flächigen, teppichartigen Charakter. Im Gegensatz dazu besaßen die Ferrareser Figuren Plastizität und einen klar definierten Umraum. 35 kleine 'Quadri' bilden den Rahmen um das Mittelbild. Jedem Bildchen dient ein liegendes Buch, dessen Titel deutlich zu lesen ist, als Basis. Es handelt sich ausschließlich um Schriften des Augustinus, die in je einer winzigen Miniatur auf den Begriff gebracht werden: Die Abbreviatur einer Stadtvedute illustriert z. B. die „libri 22 de civitate dei", und eine Szene am Krankenbett steht für den „liber de visitatione infirmorum". Dieser Rahmen fehlt bei dem Fresko in Ferrara. Er verknüpft das ehemalige Freskoprogramm mit dem neuen Medium (Buch), indem er den unerschöpflichen Autor Augustinus feiert. Dies ist ein Topos der Augustinus-Elogen, und er begegnete uns bereits im „Epitaphium Augustini" des Possidius in der Cortelleri-Kapelle. Mittelbild und Rahmen sitzen - wie auf einem Sockel oder einer Predella - auf einem gemalten Bücherregal, wo sich die Folianten stapeln. Links schaut man in einen geöffneten Bücherschrank, der ebenfalls gut bestückt ist. Auf dem Regal prangt die Signatur des Miniaturisten: „Nicolaus de Bononia F(ecit)". Er hat sich genau an der Stelle verewigt, die seine 'Realität' verkörpert: seine Werkstatt, in der es solche vollen Regale gegeben haben muß, oder das studiolo eines zeitgenössischen Gelehrten. Zentralminiatur, Rahmen und Sockel gehorchen jeweils eigenen bildinternen Regeln. Sie haben unterschiedliche Perspektiven, Räume und Hintergründe und signalisieren damit bereits formal ihre unterschiedlichen Themen und Funktionen. Die Miniatur nimmt über die Hälfte der Codexseite ein, so daß die beiden Textkolumnen äußerst kurz ausfallen. Sie werden seitlich von fleischigen Blattranken und Goldpunkten gerahmt, während drei große Medaillons den bas de page besetzen. Auf dem mittleren sieht man den Erzengel Michael mit der Seelenwaage in der Hand. Gleichzeitig bekämpft er den Drachen. Dieses Bild endzeitlicher Gerechtigkeit paßt gut in einen Rechtscodex. Die beiden seitlichen Medaillons tragen unter einer späteren Ubermalung die originalen Wappen des Auftraggebers2, die leider nicht mehr zu identifizieren sind: Der blaue Grund wird durch einen mittleren roten Querbalken geteilt. Im oberen blauen Feld befindet sich ein roter achtstrahliger Stern, im unteren befinden sich drei davon. Die Miniatur erscheint als Frontispiz der lectura zum „Digestum Novum" des Bartolo de Sassoferrato (gest. 1357). Der Autor war der berühmteste Kommentator des ius civile. Der anschließende Text behandelt Rechtsstreitigkeiten, die mit Neubauten zusammenhängen: „De operis novi nuntiatione". Auf den ersten Blick ist daher klar, daß die Miniatur keine wörtliche Textillutration sein kann. Andererseits sind genügend Bildformulare des 14. Jh. erhalten, die diese Aufgabe leicht erfüllen konnten 3 . Es ist daher signifikant, daß in der Madrider lectura an dieser Stelle Augustinus und die Allegorie des Wissens auftaucht. Mit Sicherheit wurde das komplizierte Bildprogramm nicht für diesen Ort erfunden, sondern als Zitat in den Rechtscodex eingesetzt. In diesem neuen Kontext tritt die Bedeutung des Augustinus als Ordenslehrer deutlich zurück, während die Allegorien der Tugenden und Artes Liberales 2 Garcia y Garcia 1973, S. 54. 3 Zur Ikonographie der lectura vgl. Anhang III.3.

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die Hauptrolle spielen. Die 'Überfüllung' der Miniatur sowie die Schwierigkeit, alle Tituli in lesbarer Form unterzubringen, verweisen auf eine ursprünglich großzügigere Komposition al fresco. Doch welche Funktion erfüllt die Wissenschaftsallegorie in der lectura, wo sie doch offensichtlich nicht in direktem Zusammenhang mit dem Text steht? Die Selbständigkeit von Text und Bild ist in mittelalterlichen Handschriften kein Einzelfall. Gerade die Wissenschaftseinteilungen, mit denen die Allegorie formal und inhaltlich verwandt ist, standen meistens als eigenständige Erfindungen neben den Texten, denen sie als Diskussionsbeitrag oder als zusammenfassendes Vorwort vorangestellt wurden 4 . Letzteres gilt auch für die Miniatur in der Madrider lectura: Ihre Position auf der Titelseite läßt darauf schließen, daß sie die Funktion eines allgemeinen Vorwortes übernimmt, das der Autor an dieser Stelle nicht noch einmal wiederholen will. Tugenden und Artes Liberales sind die Grundlagen jeder Wissenschaft und daher auch Gemeinplatz in jeder praefatio. Die Wissenschaftsallegorie steckt den Rahmen ab, in dem die Jurisprudenz betrieben wird: sie vereint heidnisch-antike Autoren, auf die sich die Juristen beziehen, mit christlichen Schriftstellern, allen voran Augustinus, der auf der Schwelle zwischen beiden die christliche Antike vertritt und für die Rechtsgelehrten eine hohe Autorität war 5 . Die Miniatur könnte natürlich auch auf eine Vorliebe des Auftraggebers zurückzuführen sein, doch der läßt sich leider nicht mehr identifizieren. Aus stilistischen Gründen ist die Miniatur des Nicolö di Giacomo da Bologna in die 70er Jahre des 14. Jh. zu datieren. Wahrscheinlich ist sie älter als das Fresko in Ferrara, das ikonographisch so genau mit ihr übereinstimmt. Das Fehlen zweier Tituli in Ferrara, die in der Madrider Miniatur jedoch vorhanden sind, bestätigt diese Reihenfolge. Dem entsprechen auch die Werkstattgepflogenheiten der Miniaturisten: Es ist eher anzunehmen, daß ein Freskant in Ferrara nach einer Bologneser Miniatur arbeitet, als daß Miniaturisten in fremde Städte reisen, um ein Fresko zu kopieren. Es erscheint naheliegender, daß sich eine ältere Freskovorlage in Bologna befand, die den Miniaturisten leicht zugänglich war. Diese Annahme wird dadurch bestätigt, daß Nicolö di Giacomo bereits in den 50er Jahren des 14. Jh. Teile dieses Bildprogramms in seinen Miniaturen verwendet hat.

2. Die Tugenden und Artes in einer Rechtshandschrift des Johannes Andreae In der Biblioteca Ambrosiana in Mailand hat sich ein kanonistischer Kommentar erhalten (Cod. B. 42 inf.), dessen Titelminiatur Nicolö di Giacomo signiert und 1354 datiert hat (Abb. 15): „M. III. L. III. Ego Nicholaus d Bononia Feci." Die Miniatur zeigt in zwei Registern die sieben Tugenden und Artes Liberales aus der Allegorie des 4 Wirth 1983, S.367. Die Eigenständigkeit von Text- und Bildtradition zeigt sich auch in Moraltraktaten, wo manchmal die Miniaturen einen anderen Tugendkanon mit anderen Attributen darstellen, als er im Text beschrieben wird. Vgl. Tuve 1963, S. 279, 280. Dazu s. a. Meier 1990, passim. 5 Metz 1954, S.419; vgl. auch M. Roberti, Contributo allo studio delle relazioni fra diritto romano e patristica tratto dall' esame delle fonti agostiniane, in: S. Agostino. Rivista di filosofia neoscolastica 1931, Suppl. Bd. 23, S. 3 0 5 - 3 6 6 .

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Wissens. Zu ihren Füßen krümmen sich auch hier die besiegten Exempla der Laster, und vor den Künsten hocken die berühmten Vertreter der einzelnen Disziplinen. Alle führen die gleichen Attribute in dergleichen Weise mit sich wie in der Madrider Miniatur. Nur die Tituli auf den Attributen fehlen oder sind nur als unleserliche Kritzeleien wiedergegeben6. Lesbar sind nur die Namen der Allegorien und diejenigen der besiegten Laster. Die Mailänder Miniatur wirkt wesentlich übersichtlicher als die in Madrid. Das liegt vor allem an dem stark reduzierten Bildpersonal. Die Figuren behalten ihre Plastizität und überschneiden einander kaum. Der einheitliche Goldgrund wirkt ruhiger als der Brokat, und der Verzicht auf viele Tituli läßt die gemalten Figuren besser zur Geltung kommen. Diese Unterschiede sind auch stilistisch bedingt: Die Mailänder Miniatur gehört in die Frühezeit des Nicolö, während die Madrider seine späteste Schaffensphase markiert 7 . Die Miniatur nimmt knapp die Hälfte der Seite ein. Zwischen den zwei Textkolumnen befindet sich eine Zierleiste aus Ranken, auf denen ein ärmlich gekleideter Mann steht, der als Atlant die Miniatur über seinem Kopf stützt. Am Fuß der Seite tragen zwei Seraphim ein Wappen, so wie antike Putten einen Clipeus zu halten pflegen. Das Wappen des Auftraggebers, das leider nicht identifiziert werden konnte, besteht aus einem oberen braunen und einem unteren blauen Farbfeld. Das Ganze ist von filigranen Goldranken überzogen. Der Text beginnt direkt unterhalb der Miniatur mit einer figurierten F-Initiale. Darin erscheint das Brustbild eines zeigenössischen Rechtsgelehrten, der auf sein aufgeschlagenes Buch verweist. Es handelt sich offensichtlich um ein Autorenbild, und zwar um Johannes Andreae. Die Miniatur des Nicolö di Giacomo befindet sich in der „Novella super decretalium" des Johannes Andreae (1270-1348). Dieser berühmteste Kanonist der Kommentatorenzeit lehrte von 1301 bis zu seinem Tode in Bologna. Die Miniatur erscheint am Anfang des zweiten Bandes der „Novella", der mit Buch III beginnt. Dieses Buch handelt vom Klerus. Es beginnt mit dem Titelus: „De vita et honestate clericorum". Er betrifft Fragen der Meßordnung, der Haar- und Barttracht der Kleriker, die Kleiderordnung, das Verbot, Waffen zu tragen, Nonnenklöster zu besuchen, Theater und Spiele im Kloster zu veranstalten oder in Tavernen zu gehen. Es geht nicht um die sieben Tugenden, die in der Miniatur dargestellt sind, sondern generell um einen anständigen Lebenswandel. Weder im gesamten liber III noch in titulus I gibt es eine Textstelle, aus der sich die Miniatur direkt ableiten ließe. Sie weicht deutlich von der 'Standardikonographie' der „Novella" ab, deren Bilder normalerweise wörtlich den Text illustrieren. In Begleitung von Buch III über das Leben der Kleriker wird meist jene Textpassage ins Bild gesetzt, die Anweisungen für das Laiengebiet und die Zelebration der Messe mit Meßdienern und Chor enthält. Die Miniatur (Abb. 73) ergänzt dann den Text durch detaillierte Beschreibung des Altars, der Geräte, der architektonischen Ordnung und der Hierarchie der Personen vom Priester über die Kleriker zum Laienpublikum, das knieend außerhalb des Chores bleibt 8 . Wie die Madrider Miniatur könnte auch die Mailänder als praefatio dienen (Abb. 4, 15). Sie enthält mit den Tugenden und Künsten genau die Topoi, die in jedem Vorwort, das sich an Wissenschaftler oder Kleriker richtet, zitiert werden. Sie paßt besonders gut zu Buch III der „Novella", da sie mit den sieben Tugenden und Artes Liberales zwei Grundlagen des Klerikerlebens anspricht, die so im Text nicht vorkommen. 6 Nur auf dem Kirchenmodell ist zu lesen: „Super hanc petram edificata est ecclesia, petra autem erat Christus." 7 Zur stilistischen Einordnung vgl. Anhang III.2. 8 Vgl. Vat. lat. 2534, fol. V. Zur Ikonographie vgl. Anhang IV

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Die Miniatur ist nicht als Illustration vom Text abzuleiten, sondern sie liefert einen eigenständigen Beitrag zum gleichen Thema. Sie ist ein Zitat aus dem Bild des Ordenslehrers und der Allegorie des Wissens, das entgegen der 'Standardikonographie' in die „Novella super decretalium" des Johannes Andreae eingesetzt wurde. Die gekritzelten Tituli und die leer gebliebenen Inschriftenträger verweisen auf eine genauer ausgeführte Vorlage, die vor 1354 entstanden sein muß. Vielleicht konnte ein gebildeter Betrachter beim Anblick der Tugenden und Artes sogar die gesamte Vorlage im Geist ergänzen. Dann wäre die Beziehung zu Augustinus hergestellt, der eine besondere Autorität im Kirchenrecht war und speziell im Buch über den Lebenswandel der Kleriker als wichtige Rechtsquelle zitiert wurde 9 . Außerdem war Augustinus als Autor einer Ordensregel hochberühmt. Das Motiv klingt in mehreren Hymnen an, die Augustinus gewidmet sind, z. B.: „Tu de vita clericorum sanctam scribis regulam quam qui amant et sequuntur, viam tenent regiam atque tuo sancto ductu redeunt ad patriam." 1 0 „ D u schreibst die heilige Regel für das Leben der Kleriker: diejenigen, die sie lieben und befolgen, führen ein königliches Leben, und unter Deiner heiligen Führung kehren sie in ihre Heimat zurück." Auf diese Weise wäre eine inhaltliche Beziehung zwischen Text und Bild hergestellt, die weit über diejenige der Madrider lectura hinausgeht.

3. Die Tugenden in einer Illustration der Digesten Eine weitere Miniatur aus der Werkstatt des Nicolô di Giacomo, die aus stilistischen Gründen in den 50er Jahren des 14. Jh. entstanden sein muß, zitiert ebenfalls Teile aus der augustinischen Allegorie des Wissens (Abb. 16). Sie bestätigt ein weiteres Mal, wie berühmt diese Vorlage gewesen ist. Die Miniatur befindet sich am Anfang eines glossierten „Digestum Vetus" aus der Bibliothèque Nationale in Paris (Cod. lat. 14339) und zeigt sechs der sieben Tugenden mit den bekannten Attributen. Sie treten hier allerdings ohne die besiegten Laster auf, und Iustitia wurde durch die Figur des Kaisers ersetzt. Die Tugenden sind als Versatzstücke in eine Miniatur eingeflochten, die sich - im Gegensatz zu den Beispielen aus Madrid und Mailand - durchaus im Rahmen der 'Standardikonographie' 1 1 bewegt. Der Zusammenhang mit der Allegorie des Wissens, den man bei dem Mailänder Zitat noch assoziieren konnte, ist dabei jedoch vollständig verloren gegangen. Das Fehlen der Iustitia und der Verzicht auf lesbare Tituli verweist eindeutig auf eine vollständigere Vorlage, aus der die Allegorien entnommen wurden. Es ist nämlich äußerst unwahrscheinlich, daß man nur sechs Tugenden kreiert. Auch Rotuli und aufgeschlagene Bücher werden nicht für eine 9 Vgl. dazu Metz 1954. Ch. Munier, Les sources patristiques du droit de l'église du VIII e au X I I I e siècle, in: Revue du droit canonique 4, 1954, S. 184-192. Ders., ders. Titel, als Diss. Mühlhausen 1957, Buckley 1965, S. a. Kat.-Nr. IV2. 10 Zit. nach Mone 1855, Bd. III, Nr. 814, S. 204, Z. 10-13. G a n z ähnlich ebd., Nr. 821, S. 210: „Tu doctrina clericorum atque sacra vita m o r u m . . . " 11 Dazu ausführlich in Anhang V

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unleserliche Kritzelei erfunden, sondern immer als Träger ganz bestimmter Inschriften. Erst wenn solch ein vollständiges Programm einschließlich der Tituli vorliegt, können seine einzelnen Bestandteile in anderen Kontexten zitiert und auf die genaue Ausführung der Inschriften verzichtet werden.

4. Die „Canzone delle virtù e delle scienze" des Bartolomeo di Bartoli Das älteste Glied in der Kette der Indizien ist die „Canzone delle virtù e delle scienze" 1 2 , die heute in Chantilly aufbewahrt wird (Musée Condé, Cod. 1426) (Abb. 17-26). Sie entstand nicht im Kontext der Jurisprudenz, sondern wurde für einen humanistisch gebildeten Fürsten gedichtet und reich illustriert. In dieser schmalen Handschrift wird die Allegorie des Wissens 'zerschnitten' und auf 17 Seiten verteilt. Ein Dedikationsbild ist dem Ganzen vorangestellt, und zwei zusätzliche Baumschemata fassen je sieben Einzel-Allegorien übersichtlich zusammen.

4.1. Der Autor und der Adressat Der „compositor operis", der im Dedikationsbild erscheint (Abb. 17), läßt im zweiten Congedo 'diskret' die Canzone selbst sprechen: „Bartolomeo di Bartoli hat mich gemacht" 13 Die Lebensdaten Bartolomeos sind nicht bekannt. Erhalten ist lediglich sein Testament von 1384 14 . Als Quellenmaterial kann man nur seine signierten Werke heranziehen. Dabei begegnet er einem am häufigsten als scriptor15, und zwar im Zeitraum zwischen den 40er und 70er Jahren des 14. Jh. In einem Pariser „Decretum Gratiani" tritt Bartolomeo auch als corrector auf 16 . Den auctor Bartolomeo kennen wir nur aus der Canzone in Chantilly 17 . Die Canzone ist laut incipit dem Bruzio Visconti gewidmet. Im Dedikationsbild ist er durch einen Titulus identifiziert, und sein Name taucht in der ersten Strophe sowie im zweiten Congedo auf. Das wenige, was über ihn bekannt ist, stammt aus der Feder zeitgenössischer Chronisten, die

12 Vgl. Anhang V I . 13 Congedo 2, Z. 4 - 6 . Im folgenden wird der Text meist auf deutsch zitiert, weil er auf italienisch nur schwer verständlich ist. D e r italienische Text ist bei D o r e z 1904, S. 2 3 - 4 5 , nachzulesen. 14 Vgl. Filippini 1917, S. 250. Bartolomeo läßt sein E r b e von den Augustiner-Eremiten (!) des Konvents San Giacomo Maggiore in Bologna verwalten. 15 - ca. 1345 „Metamorphosen" des Apuleius, R o m Bibl. Vat., cod. lat. 2194 (für Bruzio Visconti!) - 1349, Stundenbuch Kremsmünster, Schatzkasten Nr. 4 - 1373 „Missale R o m a n u m " , München B S B cod. 10072 - ca. 1370 „Divina C o m m e d i a " , Rom Bibl. Vat., Fondo Chigi 167 16 Paris, Bibl. Nat., Nouv. acqu. lat. 2508. Vgl. Delisle, Bibliothèque Nationale, Manuscrits Latins et Français, Fonds Nouvelles Acquisitions 1 8 7 5 - 9 1 , Paris 1891, Bd. I, S. 275. S. a. Kat. Paris 1984, Kat. Nr. 67 17 Filippini 1917, versucht, den gleichnamigen Dichter Bartolomeo di Castel della Pieve mit ihm zu identifizieren. Seine Argumentation ist jedoch nicht überzeugend.

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naturgemäß parteiisch waren. Dorez, der 1904 die Canzone publizierte, zeichnet ein allzu negatives Bild von dem Visconti. Dabei beruft er sich vornehmlich auf Petrus Azarius, den Notar aus Novara, dessen „Chronicon de gestis pricipum vicecomitum" vor allem in den wertenden Aussagen nicht immer wörtlich genommen werden darf 18 . Durch die Veröffentlichung bei Dorez wurde eine Passage dieser Chronik berühmt, die Bruzios angebliche Schreckensherrschaft in Lodi schildert. Doch anstatt sie wörtlich zu nehmen, sollte man vielmehr auf die Topik der Tyrannenbeschimpfung achten, die sogar mit dem abgegriffenen Vergleich des Nero arbeitet 19 . Galvano della Fiamma, ein adeliger Dominikanermönch von S. Eustorgio, berichtet aus einer anderen Perspektive. Er war Sekretär des Giovanni Visconti in Mailand und rühmt in seinem „Opusculum de rebus gessis ab Azone, Luchino et Johanne Vicecomitibus" Bruzios Rittertugend, seine Frömmigkeit und seine humanistische Bildung. Im Gegensatz zu Azarius beurteilt er Bruzios Herrschaft in Lodi äußerst positiv, als gerecht und weise 20 . Natürlich ist auch dieses Bild einseitig. Die Wahrheit ist wohl dazwischen zu suchen. Wir haben es bei Bruzio offensichtlich mit einem kleinen Tyrannen zu tun, der sich auffällig intensiv um Bildung bemühte, prunkvoll Hof hielt, und zu diesem Zweck seine Untertanen kräftig schröpfte. In diesen Quellen gibt es nur zwei feste Daten: 1336 erhielt Bruzio ein Privileg von den Österreichern; in diesem Jahr kehrte er von einem Feldzug gegen Johann von Böhmen nach Mailand zurück und unternahm eine Pilgerfahrt. Nach seiner Rückkehr (Datum unbekannt) wurde er Podestà von Lodi. In dieser Zeit, ca. 1339 bis 1349, spielte er eine bedeutende politische und militärische Rolle 21 . Laut Azarius unterstützte er seinen Vater Luchino bei der Belagerung von Genua 1349. Luchino starb dabei; Bruzio mußte ins Veneto fliehen. Zwischen 1355 und 1360 wurde er von Giovanni d'Oleggio aus Bologna vertrieben 22 , weil er an einer Verschwörung gegen ihn teilgenommen hatte. Wann genau Bruzio jedoch nach Bologna gekommen war, bleibt ebenso offen wie der Zeitpunkt seines Todes. Bruzio wird im incipit der Canzone als Sohn des Luchino Visconti bezeichnet. Dessen Vorname ist - vermutlich aus Gründen einer späteren damnatio memoriae - ausradiert. Da Luchinos Name noch nicht mit einem Hinweis auf seinen Tod versehen ist, muß die Handschrift vor 1349 entstanden sein. Zu diesem terminus ante quem passen auch die historischen Lebensumstände Bruzios: Bis zu diesem Jahr hielt er prunkvoll Hof in Lodi; er dichtete und sammelte Handschriften für seine Bibliothek. Im Jahre 1345 gab er bereits ein Manuskript bei Bartolomeo di Bartoli in Auftrag 23 . Die Beziehung zwischen Bruzio und dem Autor der Canzone ist demnach schon sicher dokumentiert, bevor Bruzio nach Bologna fliehen mußte. In diesen Jahren dürfte auch die „Canzone delle virtù e delle scienze" entstanden sein. Buch-Aufträge waren für Bruzio nur während seiner Herrschaft in Lodi sinnvoll. Auf der Flucht nach Bologna und später ins Veneto wird er kaum eine Bibliothek mitgeführt und Geld für Bücher ausgegeben haben.

18 Bereits Litta 1850, Bd. VII, Tav.3, äußert Vorbehalte gegen Azarius. 19 Azarius, „Chronicon", in: Muratori, 1730, Bd. 16, Sp.320, 321. 20 Galvano, „Opusculum", in: Muratori 1730, Bd. 12, Sp. 1016. 21 P. G. Ricci, II Petrarca e Bruzio Visconti, in: Leonardo, Rassegna Bibliografica 23, 1947, S. 340. 22 Litta 1850, Bd. VII, Taf. 3, gibt wie Dorez das Jahr 1356 als exaktes Datum der Verbannung an. Dies ist nur eine Hypothese. Vgl. dazu A. Sighinolfi, La Signoria di Oleggio in Bologna, Bologna 1905, S. 87. 23 „Metamorphosen" des Apuleius, Cod. Vat. Lat. 2194. Im Colophon firmiert Bartolomeo als scriptor.

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4.2. Das Dekorationssystem Die Canzone ist in Volgare verfaßt und enthält 18 Stanzen. Sie sind in zwei Gruppen geteilt, die jeweils mit einem kürzeren Congedo schließen, in dem der Dichter sich an die Canzone selbst wendet. Teil I beschreibt Theologie und die sieben Tugenden. Das Dedikationsbild und eine einleitende Anrufung des hl. Augustinus sind ihm vorangestellt. Teil II enthält die sieben freien Künste unter Führung der Philosophie. Am Ende eines jeden Teils werden die Allegorien in einem Baumschema zusammengefaßt. Alle Seiten unterliegen demselben Grundschema (Abb. 17-26): Die oberen zwei bis drei Zeilen sind in rot geschrieben. Sie enthalten ein lateinisches Zitat des Augustinus. Der genaue Textnachweis steht in der Marginalie daneben (in brauner Tinte). Unter dem Zitat befindet sich ein annähernd quadratisches Bildfeld, das von einem schmalen Rahmen begrenzt wird. Darunter steht der Text einer Stanze in brauner Tinte, der mit einer figurengeschmückten Initiale beginnt. Nur die Seiten mit den beiden Congedi (fol. 6 r und fol. 10v) zeigen ein anderes Dekorationssystem (Abb. 23, 26). Ein schematisches Baummodell nimmt zwei Drittel der Seite ein. Unten fungiert eine thronende Frau als Wurzel. Rechts und links von ihr steht der Text des Congedo. Die beiden Congedo-Seiten setzen eine Mittelzäsur und bezeichnen das Ende des Textes. Bei genauerer Untersuchung wird jedoch deutlich, daß die Sprachform der Stanzen und die Kompositionsschemata der Zeichnungen variieren, um den strukturellen Aufbau der Canzone zu unterstreichen. Darauf ist bei der Analyse der Bilder näher einzugehen. Das Dedikationsbild (fol. l r ) schildert in einer Art Rahmenhandlung die Situation, in der die Canzone entstand (Abb. 17). Es zeigt den Adressaten der Handschrift, Bruzio Visconti, zu Pferde. Er ist in Begleitung einiger Allegorien, die auf seine Kraft (Vigor) und seinen Verstand (Sensus), auf seine Umsicht (Circumspectio) und seine Intelligenz (Intelligentia) verweisen. Der Autor Bartolomeo di Bartoli kniet ehrerbietig vor dem Fürsten. Discretio, die Mutter der Tugenden, und Docilitas, die Mutter der Wissenschaften, überreden ihn, dem Bruzio ihre 'Töchter' vorzustellen. Das sind natürlich die sieben Tugenden und Artes Liberales aus der augustinischen Wissenschaftsallegorie, die zusammen mit Theologie und Philosophie im folgenden beschrieben werden.

4.3. Ein Appell an Augustinus Zuvor appelliert der Autor jedoch an Augustinus und sieben berühmte kirchliche Schriftsteller, die auf fol. l v dargestellt sind: Am oberen Seitenrand erscheint in roten Lettern das erste AugustinusZitat (Abb. 18), das in der synoptischen Fassung des Programms, wie z. B. in der Madrider Miniatur (Abb. 4), über den Köpfen der kanonischen Schriftsteller steht (Fig. 4). Darin bekennt der Kirchenvater seinen strikten Glauben an die Autoritäten, denen er keinen Fehler zutraut. Das Bild unterhalb des Zitats ist in acht Felder eingeteilt. In der Mitte thront Augustinus. Die übrigen sieben Felder sind nur halb so groß und quadratisch. Sie sind seitlich und unterhalb des Mittelbildes gruppiert. Ganz oben beiderseits des Augustinus sitzen zwei Vertreter des alten Testaments, Moses und Ezechiel, darunter jeweils ein Repräsentant des neuen Testaments, links Johannes der Evangelist, rechts Paulus. Zuunterst erscheinen Ambrosius, Hieronimus und Gregor d. Gr., die zusammen mit Augustinus die klassische Gruppe der vier lateinischen Kirchenväter bilden. Die systematische Auswahl und Anordnung der kirchlichen Schriftsteller paßt zu dem abstrakten Raster, in das sie 63

eingestellt sind. Die drei Ebenen spiegeln drei Zeitstufen: Oben die Zeit vor der Ankunft des Herrn, in der Mitte die Zeit, in der Christus auf Erden weilte, und unten die Zeit, in der man auf die zweite Parousie wartet. Die Autoren des AT und N T halten Bücher oder Rotuli, auf denen ihre Schriften verzeichnet sind 24 . Die Kirchenväter Hieronimus und Gregor preisen in ihren Rotuli die Schriften des Augustinus 25 , während Ambrosius daraufhinweist, daß er diesen getauft hat: „Hunc in Christum genui". Augustinus selbst deutet bescheiden auf den Ursprung seines Wissens: „Nicht durch meine Begabung oder mein Verdienst, sondern durch ein Geschenk Gottes bin ich so, wenn ich lobenswert bin." 2 6 Entgegen dem starren Raster, das der Einteilung des Bildes dient, sind die Schreibpulte und Sitzgelegenheiten schräg gestellt, so daß die Autoren auf Augustinus schauen können. Ambrosius und Gregor, die in den beiden unteren Ecken sitzen, müssen dennoch stark den Hals recken. Sie ignorieren die Grenzen der Bildfelder, als befänden sie sich in einem Einheitsraum, ähnlich wie bei Polyptychen des frühen 14. Jh., wo die Heiligen ebenfalls in abgegrenzten Feldern stehen und dennoch alle auf Maria im Zentrum schauen. Wie ein Polyptychon so verwendet auch diese Zeichnung Position und Größe der einzelnen Bildfelder als hierarchisches Ordnungssystem. Auch Ezechiels Pult ist auf Augustinus ausgerichtet, er schaut jedoch als einziger in die entgegengesetzte Richtung, und zwar auf die folgende Buchseite (fol. 2 r ), die der Theologie gewidmet ist (Abb. 19). Dort wird nämlich seine Vision des Rades mit den vier Evangelistensymbolen illustriert. Im Zentrum des Rades befindet sich die aufgeschlagene Bibel mit dem Zitat aus Ez.I, 15, 16. Der Rotulus, den Ezechiel in Händen hält, unterstreicht seine Verbindung mit der Vision, denn er zitiert Ezechiel I, 13, so daß die beiden Tituli sich zu einem fortlaufenden Text ergänzen: „Dies war die Erscheinung, die sich ausbreitete mitten unter den Tieren." Der Verfasser der Canzone bittet im anschließenden Volgare-Text Augustinus und die kirchlichen Autoren um Wohlwollen und Inspiration. Außerdem verkündet er hier seinen didaktischen Anspruch, denn er will dem Leser wie einem Schüler die Tugenden und Künste bildlich vor Augen führen: „Daß ich die Tugenden auf Bänke setzen kann und die Wissenschaften bekleide." 27 Er schreibt in Volgare, damit der Text auch denjenigen verständlich ist, die kein Latein („scriptura") können: „Damit, wer will, sie [Tugenden] in Volgare verstehe, und daß, wer nicht schriftkundig ist, einen Einstieg habe." 2 8 24 Moses: Deuteronomi, Genesi, Exodus, Leviticus, Numerorum. Joh.Ev.: Evangelium, Epistole, Apochal(y)psis. Paulus: Epistole. 25 Hieronimus: „Ecce quicquid didici potuit et sublimi ingenio de scriptarum scientiarum harum fontibus a te positum atque dis(s)ertum." Gregor d. Gr.: „Si delicioso pabulo cupitis saciari, opuscula Augustini legite et ad comparationem illius nostrum furfurem non queratis." 26 „Non meo vel ingenio vel merito, sed Dei dono sum, si quid laudabiliter s u m . " 27 Str. 2, Z. 18, 19. 28 Str. 2, Z. 20, 21.

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Die Funktion dieser Stanze ist nicht in erster Linie die Verherrlichung des Augustinus. Vielmehr präsentiert Bartolomeo hier sein didaktisches Konzept. Dabei würdigt er Augustinus, dessen Autorität für das Programm bürgt, als Inspirationsquelle, und erbittet außerdem die Hilfe der übrigen kirchlichen Schriftsteller. Wie eine Einleitung ist diese Stanze dem eigentlichen Programm vorgeschaltet. Sie unterscheidet sich bildlich, sprachlich und inhaltlich von dem Dedikationsbild, genauso wie von den anschließenden Strophen. Nur in dieser Stanze appelliert der Autor direkt an die dargestellten Figuren, nur hier erscheinen sie in einem schematisch gerasterten Bildfeld. Wie das Dedikationsbild so ist auch dieses Bild eine selbständige Erfindung für die Canzone. Weder das Kompositionsschema noch die sinnvolle Ergänzung des Bildpersonals durch Ezechiel, Ambrosius und Gregor d. Gr. sind in den synoptischen Darstellungen dieses Programms (Ferrara, Madrid) vorgegeben. Nur in Padua beträgt die Zahl der kirchlichen Autoren ebenfalls sieben.

4.4. Theologie und die Tugenden Auf der gegenüberliegenden Seite (fol. 2 r ) ist Theologie dargestellt (Abb. 19). Am oberen Rand der Seite steht das Augustinus-Zitat, das in der Madrider Miniatur und dem Ferrareser Fresko auf dem Rotulus in seiner Rechten steht (Fig. 4). Es ist in der ersten Person formuliert und weist ihn als Liebhaber der Weisheit aus 29 . Der Sprecher tritt aber in diesem Bild der Canzone nicht in Erscheinung; erst ein kurzer Blick auf die Seite nebenan führt Augustinus vor Augen (Abb. 18). Die Verbindung der beiden Buchseiten war durch den Blick und den Text Ezechiels bereits angedeutet. Außerdem ist dieses Zitat auf dem Rotulus des Augustinus auf fol. l v bereits teilweise vorweggenommen. Diese inhaltliche Überschneidung trägt ebenfalls zur Verbindung der beiden Seiten bei. Das Augustinus-Zitat enthält keine Definition der Theologie. Es bedarf sogar einiger Überlegungen, bevor man versteht, daß „hanc" auf die Theologie zu beziehen ist, die Augustinus seit seiner Jugend geliebt hat. Im zweiten Satz bezeichnet er sie als „vera sapientia". Das Verhältnis zwischen Sapientia und Theologie wird aber nicht im Zitat definiert, sondern im Bild darunter. Theologie, eine verschleierte und gekrönte Frau, steht hinter dem Rad Ezechiels. Ikonographisch stimmt sie vollkommen mit dem bekannten Typus aus der Madrider Miniatur (Abb. 4) überein, den sie allenfalls durch den Titulus präzisiert, der die Mandorla Christi umgibt, zu der sie aufschaut: „Jede beste Gabe und jedes vollkommene Geschenk ist von oben herabgekommen vom Vater." 30 Der Volgare-Text zur Theologie beginnt mit einer sachlichen Beschreibung, so daß die ersten 12 Verse gewissermaßen eine genaue Lesung des Bildes sind. Dann wechselt der Erzähler die Tonlage und tritt in ein direktes Verhältnis zur Theologie: „Theologie führt mich auch während ich hier erzähle, und ich weiß, daß sie uns ruft, zu dem, den jeder liebt, und auf den wir unseren Geist richten sollen.

29 Text siehe Anhang II. 4. 30 „Omne datum Optimum et omne donum perfectum desursum est des(c)endens a Patre."

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Der ist die einzige Vollendung der Tugenden, und sie geben ewigen Lohn." 3 1 Aus der ersten Person Singular fällt der Autor in die erste Person Plural und integriert dadurch den Leser genau an der Stelle, an der das Ziel aller Tugenden dargelegt wird. Dieser didaktische Kniff programmiert den Leser für die Aufnahme der folgenden Strophen, in denen die Tugenden vorgeführt werden. Die Reihe beginnt mit den vier Kardinaltugenden und endet mit den drei theologischen Tugenden. Die Abfolge ist als Steigerung zu lesen, die in Caritas gipfelt. Aber auch der erste Platz, den Prudentia besetzt, bedeutet eine Auszeichnung. Die Abwicklung der Tugenden auf einzelnen Buchseiten nivelliert jedoch jedes hierarchische System. Erst die Synopse im Baumschema auf fol. 6 r wird diese Strukturen deutlich sichtbar machen (Abb. 23). Da die Ikonographie der Tugenden bereits bekannt ist, weil sie den vorangegangenen Monumenten genau entspricht, soll hier nur das Dekorationssystem der Seiten vorgestellt werden. Wie eine Uberschrift prangt das Augustinus-Zitat in roten Buchstaben über jeder Seite. Es enthält dieselben Definitionen der Tugenden, die Schedel für die Cortelleri-Kapelle in Padua überliefert. Alle sind in der dritten Person formuliert. Die Zitate können die Bilder nicht erklären, und diese illustrieren nicht die Zitate, sondern geben einen eigenen Begriff von den Tugenden. Die Bilder folgen einem einheitlichen Kompositionsschema, das sich deutlich von den drei vorangegangenen unterscheidet (Abb. 21, 22). Die Tugenden sitzen nicht auf einer langen Bank nebeneinander und bevölkern auch kein Chorgestühl wie in den Fresken von Ferrara und Padua, sondern jede beansprucht eine Buchseite für sich und sitzt auf einer reich geschnitzten Thronbank, die mit Rückenlehne und Sockel das gesamte Bildfeld organisiert. Ihre Attribute mit den vielen Tituli hält jede in den Händen, oder sie liegen neben ihr auf der geräumigen Bank. Vor jeder Tugend, auf dem Sockel der Bänke, liegen die Exempla der Laster. Nur Fortitudo tanzt aus der Reihe (Abb. 20). Anstelle der üblichen Thronbank erscheint hier eine sparsame Landschaft. Sie besteht nur aus einem blumenbestandenen Hügel, auf dessen Kuppe der zinnenbekrönte Turm, das bekannte Attribut der Fortitudo, aufragt. Holofernes liegt nicht einfach besiegt am Boden, sondern eine kleine Szene zeigt, wie Judith ihn gerade enthauptet. Die Strophen der Canzone, die zu den Tugenden gehören, sind dreiteilig aufgebaut. Am Anfang steht eine Beschreibung der Allegorie mit ihren Attributen, die sich sehr nahe am Bild orientiert. Sie geht insofern über eine wörtliche Bildbeschreibung hinaus, als einige Attribute erläutert werden. Es wird z. B. erklärt, wen Temperantia mit ihrer Trense zügelt, daß Iustitia mit dem Schwert und den Rechtscodices regiert, oder was Prudentia Tag und Nacht zu tun pflegt 32 . Dies entspricht funktional den lateinischen Versen, die im Paduaner Programm auf die Augustinus-Zitate folgen. Die Canzone ist eine ausgeschmückte Ubersetzung, deren Formulierungen dem lateinischen Text z. T. sehr nahe kommen. Doch der Volgare-Text ist ausführlicher als die lateinischen Tituli in Padua, denn er wendet sich im Anschluß an die Beschreibung der Tugenden an den Leser und fordert ihn auf, sich tugendhaft zu verhalten. Am Schluß der Stanze wird demonstriert, wie es jenen ergeht, die vom Pfad der Tugend abweichen: Als abschreckendes Beispiel dienen die historischen Bösewichte, die zu Füßen der Tugenden liegen. Manchmal gelingt im Text eine überzeugende Verknüpfung der positiven und der negativen Argumente, z.B. bei Spes:

31 Str. 3, Z. 13-18. 32 Vgl. Strophe 4, Zeile 1, 2; Str. 6, Z. 2, 3; Str. 7, Z. 3, 4.

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„Und ihr perfektes Licht strahlt in uns wie Sonne und Mond, um uns die Krone aufzusetzen, die Judas verlor, der verzweifelte Verräter, der sich selbst den Tod gab und seinen Herrn verriet." 33 In einigen Fällen gibt es jedoch einen sehr abrupten Ubergang, so als wäre es im Bild vorgegeben, auch noch das Laster anzusprechen, obwohl der Text gar nicht darauf hin argumentiert hat, z. B. der lapidare Schlußsatz der Prudentia: „Und sie drückt Sardanapal mit den Füßen tief nach unten." 34 Dieser Umstand läßt vermuten, daß die Bilder bereits vorlagen, und der Text danach entstand. Schon der erste Teil der Stophe war so eng auf das Bild bezogen, daß man sich fragte, was wem als Vorlage gedient hat. Manchmal verweist der Text mit „ecce" und „eccho" 35 direkt auf das Bild. Ganz deutlich zeigt sich auch am Anfang vieler Strophen, daß der Autor sich auf ein Bild bezieht, ohne das sein Text nicht verständlich wäre. Da heißt es zweimal: „Quest'e la donna che.. ," 3 6 Das Demonstrativpronomen zielt auf das Bild, ohne dessen Hilfe die Beschreibungen im Text wesentlich genauer ausfallen müßten. Auch sonst heißt es immer nur lapidar „donna". Ein Blick auf das Bild genügt, um die Figur plastisch vor Augen zu haben. In vier Stophen fällt nicht einmal der Name der Tugenden, über die gerade gesprochen wird (bei den Kardinaltugenden). Der VolgareText rechnet also bewußt damit, daß durch das Bild und das Augustinus-Zitat das Thema der Seite bereits ausreichend bekannt ist. Die Bilder müssen beim Verfassen der Canzone in irgendeiner Form 3 7 bereits vorgelegen haben. Mit ihren Attributen, Tituli und den besiegten Lastern verkörpern sie ein eigenständiges Programm. Liest man die ganze Buchseite von oben nach unten, so steht das Bild vor dem Volgare-Text. Außerdem ist es ein normaler Vorgang, wenn man den optischen Blickfang, der zudem in seiner Größe dominiert, zuerst wahrnimmt. In dieser Reihenfolge wird die Canzone zum Bild-Kommentar, und nicht umgekehrt, das Bild zur Textillustration. Der Kommentar kann auf eine detaillierte Beschreibung verzichten und übernimmt stattdessen die Funktionen der Erklärung und der didaktischen Vermittlung an den Leser. Damit unterscheidet sich das Text-Bild-Verhältnis bei den Tugenden von dem der Rahmenhandlung und der Einleitung, wo der Text zur Bildhandlung gehörte oder ein direkter Appell an das Bild war. Eine sehr enge Verbindung zwischen Text und Bild ist jedoch allen gemeinsam.

33 Str. 9, Z. 1 7 - 2 1 . 34 Str. 4, Z. 2 1 ; so auch Str. 5, Z. 20, 2 1 ; Str. 7, Z. 1 9 - 2 1 . 35 Str. 7, Z. 5; Str. 4, Z. 13. 36 Str. 4, Z. 1; Str. 7, Z. 2. 37 Natürlich könnten die Bilder auch in der Phantasie Bartolomeos entstanden sein. Ein geschlossenes TextBild-System entwickelte ja auch Francesco da Barberino in seinen „Documenti d ' A m o r e " . Trotzdem liegt m. E . hier ein anderer Entstehungsprozeß vor als bei den „ D o c u m e n t i " .

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4.5. Philosophie und die Artes Liberales Wie Theologie dem ersten Teil so ist Philosophie dem zweiten vorangestellt, der die sieben Artes Liberales beinhaltet. Sprachliche und bildkompositorische Ähnlichkeiten unterstreichen zwar die funktionale Parallele zwischen Theologie und Philosophie, aber ihre im Detail antithetische Anlage wird nur in der direkten Gegenüberstellung wie z. B. in der Madrider Miniatur augenfällig (Abb. 4). Sie geht in der Canzone durch die Trennung der beiden auf verschiedenen Buchseiten verloren. D a s Augustinus-Zitat oberhalb des Bildes der Philosophie (Abb. 24) ist offensichtlich aus zwei Teilen zusammengesetzt. Der Anfang steht in der ersten Person Singular, der Rest in der dritten Person: „ O m n i u m que sunt dedit mihi D e u s scientiam veram et quecunque sunt et improvisa didici. Phylosophy, si qua vera dixerunt et fidei nostre accomoda, sunt ab eis tanquam ab iniustis possessoribus in u s u m nostrum vindicanda." 3 8 Der Sprecher im ersten Teil ist Augustinus. D a er aber nicht im Bild erscheint und auch nicht auf der folgenden Seite zu sehen ist, bleibt zunächst unklar, auf wen das „mihi" zu beziehen ist und wer hier spricht. Erst der Zitatnachweis am Seitenrand gibt darüber Auskunft. In der Madrider Miniatur und dem Fresko in Ferrara steht dieser erste Teil des Zitats auf dem Rotulus in der Linken des Augustinus (Abb. 4, 1), so daß man den Sprecher sofort identifizieren kann (Fig. 4). Der zweite Teil des Zitates steht dagegen in unmittelbarer Beziehung z u m Bild in der Canzone. E r regt zur Übernahme einiger Erkenntnisse heidnischer Philosophen an, und vier von ihnen sind unten dargestellt: Aristoteles, Plato, Sokrates und Seneca. In der Madrider Miniatur steht dieser Text über den Köpfen der vier Philosophen, die zur Linken des Augustinus sitzen. Anders als in der Darstellung der Theologie ist nicht nur das Zitat zusammengesetzt, sondern auch das Bild (Abb. 19). Theologie beanspruchte in der Canzone nämlich ein eigenes Bildfeld, während die kirchlichen Autoren dem Augustinusbild zugeschlagen wurden (Abb. 18). Die Einheit der Darstellung blieb dadurch gewahrt, daß beide Seiten gleichzeitig zu sehen sind und zusätzlich bildliche und sprachliche Querverbindungen bestehen. Philosophie muß sich dagegen das Bild mit den vier antiken Autoren teilen (Abb. 24). Wie bei der Theologie dominiert auch bei der Philosophie ein großes Kreisschema. Hier handelt es sich u m das bekannte Sphärenmodell, das vom „primum mobile sive nona spera" über den Zodiakus zu den sieben Planetenbahnen und den Sphären der vier Elemente führt. Analog zur Position der Theologie sieht man die Halbfigur der Philosophie oberhalb der Sphära. Eingehüllt in ihren günen Mantel stützt sie das Kinn in die H a n d . Gegenstand ihrer Meditation ist das Weltmodell, auf das ihr Blick fällt. D a s Bildschema der Theologie wird hier mit dem der kirchlichen Autoren kombiniert (Abb. 18, 19): Wie in dem abstrakten Raster der Augustinus-Miniatur (fol. l v ) erscheinen nun in den Bildekken vier Bänke, auf denen die heidnischen Philosophen sitzen. Alle tragen zeitgenössische Kleidung, Seneca sogar den Doktorhut. Wie Philosophie schauen sie auf die Sphära. Ausführliche Tituli klassifizieren die vier Philosophen, die sich mit verschiedenen Teilgebieten der Philosophie beschäftigen: „Aristoteles perypatheticus, id est tendens ad veram scientiam." „Plato metaphysicus, id est transcendens naturam." 38 Übersetzung s. Kap. I. 2.2.1. 68

„Sokrates stoycus, id est reprehensibilis vitiorum aliorum." „Seneca moralis" Der Text der Canzone rehabilitiert die heidnischen Philosophen, die zwar noch nicht an den Christengott geglaubt haben, aber dennoch große Denker waren. Er ist damit eine erweiterte 'Übersetzung' der zweiten Teils des Zitates. Dabei steht die Darstellung der Themen, mit denen sich die Philosophen beschäftigt haben, im Vordergrund. Im Gegensatz zum Volgare-Text (fol. l v ), der an die kirchlichen Autoren appellierte, fehlt hier jede Anrede an das Bild. Zu den heidnischen Autoren bleibt bei aller Anerkennung eine deutliche Distanz bestehen. Der Philosophie folgen auf den nächsten Seiten die sieben Artes Liberales. Das Dekorationssystem der Seiten gleicht demjenigen der Tugenden. Die Augustinus-Zitate sind wieder als abstrakte Definitionen formuliert 39 . Sie fungieren auch hier als Uberschriften mit dem Rang von Originaltexten einer frühchristlichen Autorität. Alle Bilder haben dasselbe Kompositionsschema. Wie bei den Tugenden beherrscht eine breite Thronbank das Bildfeld. Darauf sitzen die Frauen, die die Artes personifizieren, mit denselben Attributen und Repräsentanten der Fächer wie in der Madrider Miniatur und den Fresken in Ferrara und Padua. Die Artes tragen keine Kronen, außerdem erscheinen sie sozusagen an zweiter Stelle: Sie sind offensichtlich den Tugenden im Rang nachgeordnet. Den Sockeln ihrer Thronbänke fehlen die dekorativen Formen. Sie schließen gerade ab und lassen dadurch Platz für die Miniaturkopien der Thronbänke, auf denen die Lehrbuchautoren sitzen. Ahnlich wie bei den Tugenden ist der Text der Canzone auch hier in drei Teilen aufgebaut, wobei allerdings die ersten beiden stärker verschmelzen. Wieder beginnt er mit einer Bildbeschreibung, die den lateinischen Versen, welche Schedel für die Cortelleri-Kapelle überliefert hat, entspricht. Dabei wird auf jene Eigenschaften der Künste hingewiesen, die nicht bildlich dargestellt werden können. Dieser Teil ist meist in der dritten Person formuliert. Danach fällt die Sprache in die erste Person Plural, so daß der Leser in die Rolle des Schülers gedrängt wird 4 0 . Das entspricht den Passagen, in denen die Tugenden auf den Leser bezogen wurden. Im dritten Teil wird der exemplarische Vertreter als höchste Autorität der jeweiligen Disziplin vorgestellt. Der Volgare-Text verweist häufig auf die Bilder. Wie bei den Beschreibungen der Tugenden wird oft das Demonstrativpronomen verwendet, um eine der Artes zu bezeichnen 41 . Ihre Namen nennt der Text aber nie, sondern er verläßt sich darauf, daß sie bereits durch das Augustinus-Zitat oder den Bildtitulus bekannt sind. Einmal fordert der Text den Leser direkt auf, das Bild zu betrachten: „eccho cholei.. , " 4 2 , ein andermal gibt es einen Vergleich mit dem Bild: „... con dipinto appare." 43 . Uberall zeigt sich die enge Verbindung von Text und Bild, die selbständige Teile darstellen, welche sich gegenseitig ergänzen. Die Tugenden und Artes werden jeweils am Ende des Septenars in einem Baumschema zusammengefaßt (Abb. 23, 26). Diese Seiten (fol. 6 r und 10v) fallen aus dem einheitlichen Dekorationssystem der Canzone heraus: Die Arbor überzieht fast das ganze Blatt, es fehlen die AugustinusZitate, und an die Stelle einer ausführlichen Stanze treten die kurzen Congedi.

39 Sie sind mit denjenigen in Padua identisch. 40 Z. B . : „ . . . c'insegna e s a . . . " , Str. 18, Z. 10. 41 So Str. 12, Z. 2, 17; Str. 13, Z. 1; Str. 14, Z. 10; Str. 15, Z. 9; Str. 17, Z. 2; Str. 18, Z. 3. 42 Str. 15, Z. 1. 43 Str. 13, Z. 14.

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Sieben Medaillons bilden die 'Früchte' der schematischen Bäume. Sie sind durch verbindende Aste in theologische- und Kardinaltugenden, in Trivium und Quadrivium gruppiert. In der Abfolge der Einzeldarstellungen konnten solche Konstellationen nicht visualisiert werden. Die 'Wurzel' des Tugend-Baumes ist Discretio, die Blüten und Dornen sortiert (Abb. 23). Als Gegenpol befindet sich unter ihren Füßen ein weiteres Medaillon, das die Hölle symbolisiert, in der die lasterhaften Menschen ihre gerechte Strafe erleiden. Philosophie ist die 'Wurzel' des ArtesBaumes (Abb. 26). Sie erscheint in einem Medaillon, während parallel zur Position der Discretio bei den Tugenden Docilitas vor dem Baumstamm thront. Sie soll gelehrige Schüler liefern. Dazu paßt ihr dozierender Gestus mit dem Zeigestab und ihr aufgeschlagenes Buch. Docilitas und Discretio verbinden die beiden Zusammenfassungen mit dem Einleitungsbild (Abb. 17), wo sie als Begleiterinnen des Autors erscheinen. Texte und Bilder dieser drei Seiten sind selbständige Erfindungen Bartolomeos. Deshalb fehlen hier die Augustinuszitate, die auf allen übrigen Seiten vorkommen. Außerdem zeichnen sich die drei Seiten sprachlich aus: Nur hier gibt es wörtliche Rede und die direkte Anrede an die Canzone. Das Dedikationsbild und die beiden Zusammenfassungen fungieren als äußerer Rahmen und innere Zäsur der Canzone. Durch sie verlagert sich der Akzent des Programms von Augustinus weg, hin zu den parallelen Entwürfen der Tugenden und Wissenschaften, und gibt ihm einen eher profanen Anstrich. Diese Akzentverschiebung deuten Docilitas und Discretio bereits im Dedikationsbild an, als sie den Autor bitten, dem Bruzio ihre Töchter zu beschreiben. Die Aufgabe der Canzone ist demnach in erster Linie die Präsentation der Tugenden und Artes, während Theologie eher zurückgedrängt wird, da sie in dem - mnemotechnisch wichtigen - Baumschema nicht mehr erscheint. Die Vermittlerrolle, die im Ferrareser Fresko und in der Madrider Miniatur Augustinus inne hatte (Abb. 1, 4), übernimmt in der Canzone der Autor Bartolomeo zusammen mit Docilitas und Discretio. Augustinus ist nur noch dazu da, durch seine Autorität der Canzone den nötigen Anspruch zu verleihen. Seine zentrale Position im ursprünglichen Schaubild hat er im Buch verloren. Auch das Publikum der Canzone unterscheidet sich von demjenigen der augustinischen Allegorie des Wissens: Jene wurde in den Kirchen der Augustiner-Eremiten von gelehrten Theologen, Mönchen und Gläubigen betrachtet, diese richtet sich an Laien, die sich im höfischen Kontext bewegen 44 . Diese Leute konnten größtenteils kein Latein und wußten daher eine Übersetzung in Volgare sehr zu schätzen.

5. Der verlorene Prototyp aus Bologna Die Canzone aus Chantilly ist das älteste erhaltene Beispiel des Programms, das wir als Bild des Ordenslehrers und Allegorie des Wissens bezeichnet haben. Sie kann jedoch unmöglich die originale Invention darstellen. Die Handschrift unternimmt nämlich nicht nur eine inhaltliche Akzentverschiebung gegenüber dem Programm der Augustiner-Eremiten, sondern sie enthält auch formale Indizien dafür, daß sie nicht selbst der Prototyp ist. Das entscheidende formale Argument ist die asymmetrische Anordnung der Tituli auf der Augustinus-Seite, bei Theologie und Philosophie (Fig. 4, Abb. 18,19, 24). Die vier Augustinus-Zitate, die 44 Congedo 2: „Ich will, Canzone, daß du durch ganz Europa gehst; und den Baronen, die Italien regieren, sage, wenn sie dich besitzen und lesen w e r d e n . . . "

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am oberen Rand dieser drei Seiten erscheinen, waren mit Sicherheit ursprünglich für eine symmetrische Disposition gedacht. Die Miniatur aus Madrid (Abb. 4) führt diese ideale Anordnung vor Augen: Zwei Zitate präsentiert Augustinus auf seinen Rotuli. Darin beschreibt er sein Verhältnis zu Theologie und Philosophie. Zwei weitere Zitate erscheinen über den Gruppen der christlichen Autoren und der Philosophen, auf die sie sich unmittelbar beziehen. Alle sind in der ersten Person formuliert. Das macht Sinn, weil sie in unmittelbarer Nähe des Sprechers erscheinen. In der Canzone wird nun der Text über die christlichen Schriftsteller der zweiten Stanze zugeteilt, in der Augustinus mit ihnen zusammen auftritt. Stanze drei zeigt den Text, den normalerweise Augustinus selbst in der Hand hält, weil er darin sein Verhältnis zu Theologie definiert. Aber allein Theologie, und nicht der Kirchenvater ist auf dieser Seite dargestellt! Nur ein Seitenblick nach links, auf fol. l v , kann diesen Zusammenhang noch erklären. Stanze elf, in der Philosophie und vier Philosophen auftreten, ist mit zwei Zitaten überschrieben, die hier zusammengezogen wurden. Es sind in der Madrider Miniatur der Titulus über Philosophie, den Augustinus normalerweise in der Hand hält, und derjenige über die Philosophen. Da Augustinus an dieser Stelle fehlt, bleibt jedoch die Beziehung der Texte zu ihrem Sprecher unklar. Die Asymmetrie dieser Anordnung ist nur durch die Umsetzung eines synoptischen Schaubildes (wie die Madrider Miniatur und das Ferrareser Fresko) in viele aufeinander folgende Buchseiten zu erklären. Sie belegt, daß der Autor der Canzone nach einem monumentalen Vorbild arbeitete. Die zentrale Figur des Schaubildes wird im Buch an den Anfang gezogen. Auf diese Weise gelangte Augustinus in die Gruppe der Heiligen, und wurde auch mit ihrem Titulus bedacht. Es folgt die Abwicklung der Allegorien auf je einer Seite, beginnend mit Theologie und den Tugenden. Dann erst erscheint Philosophie, die die Serie der Artes Liberales anführen soll. Ihre ehemalige Position neben Augustinus und die antithetische Anlage gegenüber der Theologie läßt sich jetzt nicht mehr veranschaulichen, weil inzwischen viele Seiten umgeblättert wurden. Ähnliche Asymmetrien, die in diesem Prozeß entstanden sind, ließen sich in den Paduaner Fresken beobachten (Abb. 11-14, Fig. 2). Wie in der Canzone gab es dort sieben kanonische Schriftsteller, und Philosophie erschien von Augustinus und Theologie getrennt in einem gemeinsamen Bildfeld mit den heidnischen Philosophen! Es ist daher anzunehmen, daß eine illustrierte Handschrift in der Art der Canzone als Vermittlungsglied zwischen dem symmetrischen 'Kernprogramm' des Prototyps und dem 'erweiterten' asymmetrischen Programm der Cortelleri-Kapelle fungierte. Die Leistung eines synoptischen Schaubildes liegt darin, eine Menge von Figuren in logische oder hierarchische Beziehungen zu setzen, die auf einen Blick erfaßt werden können. Diesen Vorteil wußte Bartolomeo offensichtlich zu schätzen, denn er vermißte ihn in seinem Buch. So fügte er die beiden Baumschemata hinzu, die immerhin zwei Teile zusammenfassen, und gemeinsam mit dem Einleitungsbild einen neuen Rahmen um das alte Programm legen. Auch einige Formulierungen im Volgare-Text unterstreichen, daß der Autor Bartolomeo sich einer älteren Vorlage für seinen Bildercodex bediente. Gleich in der ersten Strophe bieten Docilitas und Discretio an, dem Autor zu helfen, indem sie ihm mit Texten des Augustinus Eselsbrücken bauen: „Conven loro et aitarme Choi testi d'Agostino e farmen ponti." 4 5

45 Str. 1, Z. 19, 20.

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Es könnte sich zwar um reine Rhetorik handeln, aber wörtlich genommen läßt diese Äußerung darauf schließen, daß Bartolomeo auf eine vorgefertigte Sammlung von Augustinus-Zitaten zurückgriff. In der zweiten Strophe bittet er Augustinus noch einmal selbst darum, daß seine Definitionen ihm als Rubriken dienen sollen: „Dame, doctor verace, Si che i tuoi testi a mi facian rubriche." 46 Auch hinter dieser Äußerung kann man vermuten, daß Bartolomeo eine komplette Zusammenstellung der Rubriken für die gesamte Canzone zu übernehmen gedenkt. Die Intention des Autors, mit seiner Volgaredichtung die Tugenden und Künste auch dem Publikum zugänglich zu machen, das kein Latein versteht, setzt eine lateinische Originalversion voraus, die hier sozusagen frei übersetzt wird: „Ch'el le cognoscha in vulgär chi n'ä voglia, E chi non pö de scriptura aver zoglia." 47 Diese lateinische Version ist wahrscheinlich mit den Hexametern, die in Padua als Tituli erscheinen, identisch. Unsere Untersuchungen haben gezeigt, daß der Text der Canzone die Kenntnis der Bilder beim Leser voraussetzt. Das bedeutet, daß der Verfasser die Bilder von Anfang an vor Augen hatte. Natürlich könnte er sie selbst erfunden haben, doch es ist eher anzunehmen, daß er sie zusammen mit den Augustinus-Zitaten von einer älteren Vorlage übernommen hat. 1349 war der terminus ante quem für die Entstehung der Canzone. Ihre Vorlage muß natürlich noch älter gewesen sein. Viele Indizien weisen darauf hin, daß sich der verlorene Prototyp vom Bild des Ordenslehrers und der Allegorie des Wissens in Bologna befunden hat 48 . Die Canzone ist eine rein Bologneser Arbeit: Der Autor, der wahrscheinlich auch der Schreiber war, ist ein Bologneser Bürger. Die Zeichnungen und die Miniaturen der Initialen stammen aus stilistischen Gründen gleichfalls aus Bologna. Es liegt nahe, daß Autor und Zeichner ein lokales Vorbild vor Augen hatten. Auch die drei Miniaturen in den Rechtscodices, die dasselbe Programm zitieren, stammen aus Bologna. Die Miniaturisten arbeiteten mit Sicherheit nach einer bekannten Vorlage in ihrer Nähe. Die erhaltenen Fresken in Padua und Ferrara befinden sich in unmittelbarer Nachbarschaft von Bologna. Die Stadt war mit der Universität ein großes wirtschaftliches und intellektuelles Zentrum. Sie besaß in der ersten Hälfte des 14. Jh. mit Vitale und Jacopino die ausgeprägteste Kunsttradition der Region. Daher ist es sehr wahrscheinlich, daß die Allegorie des Wissens hier entworfen und später kopiert wurde. Außerdem besaß Bologna ein wichtiges Kloster der Augustiner-Eremiten, dessen Kirche 1344

46 Str. 2, Z. 3, 4. 47 Str. 2, Z. 20, 21. 48 Diese Vermutung wurde - allerdings ohne unsere Argumente - bereits früher geäußert, von: Venturi 1907, S. 1018; Baldani 1909, S. 439; Coletti 1934, S. 110; Lodi 1981, S. 8; Saenger 1936, S. 42.

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geweiht wurde 4 9 . Hier befand sich eines der ersten Generalstudien des Ordens 5 0 . Seit dem frühen 14. Jh. waren also genügend gelehrte Ordensbrüder anwesend, die solch ein intellektuelles Programm hätten entwerfen können. Dabei kommt vor allem Bartholomäus von Urbino in Frage, der Autor des „Milleloquium", der sich bis 1347 in der Stadt aufhielt 5 1 . D a die Kirche S. Giacomo Maggiore heute vollständig barockisiert und mir keine Beschreibung der ursprünglichen Freskoausstattung bekannt ist, muß die Lokalisierung des Prototyps leider eine Hypothese bleiben. Das dortige Fresko entsprach wahrscheinlich dem 'Kernprogramm', wie das Fresko in Ferrara und die Madrider Miniatur (Abb. 1, 4). Zusätzlich dürfte es die Augustinus-Zitate und die lateinischen Beschreibungen der Tugenden und Artes enthalten haben, die in Padua überliefert und in der Canzone übersetzt sind. Im Jahre 1435, auf dem Generalkapitel in Bologna, nannte der Augustiner-Eremit Andrea Biglia Augustinus ein Schulhaupt, das alle Fähigkeiten der antiken Philosophen vereinige; und zwar „den Scharfsinn des Aristoteles, die Beredtsamkeit des Plato, die Klugheit des Varro und den würdevollen Ernst des Sokrates." 5 2 Diese Formulierung könnte ein Reflex auf das monumentale Fresko sein, das wir in der dortigen Kirche vermuten. In der Allegorie des Wissens thronen nämlich neben Augustinus die vier Philosophen, wobei Biglia nur Seneca mit Varro verwechselt. Mit Hilfe der Miniaturen ließ sich zeigen, daß es bereits in den 40er Jahren des 14. Jh. in Bologna ein höchst erfolgreiches Programmbild gegeben haben muß. Dieser Prototyp der augustinischen Allegorie des Wissens verbreitete sich auf zwei Wegen: Der erste führt über die Umsetzung in der Canzone nach Padua, wobei es zu den beschriebenen Asymmetrien kommt. Der zweite verläuft über eine Miniatur wie diejenige in Madrid nach Ferrara, wo die Symmetrie des Schaubildes weitgehend gewahrt bleibt.

6. Zitate aus der Allegorie des Wissens Schon am Beispiel der Rechtshandschriften fiel auf, wie schnell das Programmbild der AugustinerEremiten auch außerhalb des Ordens rezipiert wurde. Die „Canzone delle virtù e delle scienze" steht für seine Adaption im Kontext humanistisch gebildeter Fürsten. Wie beliebt die Allegorie des Wissens dort bis ins 15. Jh. hinein blieb, soll kurz anhand dreier weiterer Manuskripte belegt werden. Wir verzichten jedoch darauf, hier auch solche Monumente vorzustellen, die nur vereinzelte Figuren aus der monumentalen Allegorie zitieren. Daher wird die Pariser Sammelhandschrift aus der Bibliothèque Nationale, C o d . Ital. 112 53 , nicht analysiert, denn sie wiederholt nur das Motiv

49 Vgl. S. L. Astengo, Gli Agostiniani a Bologna e il tempio di San Giacomo, Bologna 1923. M. Fanti, Gli Agostiniani a Bologna e la chiesa di San Giacomo, Bologna, in: Il Tempio di San Giacomo Maggiore in Bologna, Bologna 1967. 50 Auf dem Generalkapitel 1287 in Florenz wurde beschlossen, in Italien 4 Generalstudien zu gründen: Bologna, Florenz, Neapel, Kurie. Vgl. Kapitelakten, in: A A 2, 1907/1908, S.275. 51 Vgl. Kap. 1.3.2.1. 52 A . Biglia, „ D e disciplina ordinis amonitio habita in capitolo Bononiensis", nicht publiziert. Die Handschrift befindet sich in der Bibl. Ambros., Mailand, C o d . H . 117, (fol. 44 r ). Zit. nach Elm 1987, S. 389. 53 Vgl. Dorez 1904, s. 48-57, und: Inventario di Manoscritti Italiani delle Biblioteche die Francia, Bd. I. H g . G . Mazzatinti, Rom 1886, Nr. 112.

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der besiegten Laster und die Allegorien der Fides und Caritas. Auch die Fresken der Tugenden und Laster in der Casa Minerbi 5 4 in Ferrara, die im späten 14. Jh. entstanden sind und die Allegorien Temperantia und Fortitudo kopieren, können an dieser Stelle nicht näher untersucht werden.

6.1. Die Tugenden und Artes als 'Anhang' des Lobgedichts an Robert von Neapel In der österreichischen Nationalbibliothek Wien (Cod. ser. n. 2639) und der Biblioteca Nazionale Centrale Florenz (Cod. B . R . 38, antea Magliabec, II.1.27, C L VII. 17) haben sich je vier Blätter erhalten, auf denen nur die beiden Septenare der Tugenden und Artes Liberales dargestellt sind (Abb. 27-36). Sie sind mit Kopien des Huldigungsgedichtes an König Robert von Neapel zusammengebunden 55 , zu dem sie sozusagen den 'Anhang' bilden. Beide stammen aus der zweiten Hälfte des 14. Jh. Der Wiener Codex ist fast doppelt so groß und qualitativ besser ausgestattet als das Florentiner Exemplar. Er soll hier als Beispiel dienen. Die Allegorien präsentieren die bekannten Attribute und Tituli in der üblichen Form. Wieder begleiten sie die Anti-Exempla und die exemplarischen Vertreter der Künste. Die Miniaturen verteilen sich auf sieben Seiten 56 . Jedes Bild beansprucht über die Hälfte der Buchseite. Eine breite Bank, auf der je zwei Allegorien sitzen, nimmt das gesamte Bildfeld ein. Auf diese Weise treffen in der Mitte (fol. 34 v ) die Tugend Fides und die Ars Grammatik auf einer gemeinsamen Sitzgelegenheit zusammen (Abb. 30). Dadurch ist es offensichtlich, daß Theologie und Philosophie in dieser Handschrift nie als Anführerinnen der Tugenden und Artes konzipiert waren. Diese Präsentationsform erweckt vielmehr den Eindruck, als habe man eine sehr lange Bank, auf der alle 14 Allegorien nebeneinander sitzen, im Buch zwangsläufig auf sieben Seiten verteilt. Dieser Effekt wird besonders im Florentiner Exemplar deutlich (Abb. 34-36). Dort sind keine frei stehenden Doppelbänke dargestellt, sondern jede Miniatur zeigt einen Ausschnitt aus einer unendlichen Bank, deren Rückenlehne mit Tüchern verhängt ist. Auf solch einer Bank sitzen die Tugenden und Artes auch in dem Fresko in Ferrara (Abb. 1). In der Madrider Miniatur (Abb. 4) erscheinen sie sogar alle in einer Reihe, so daß dort Fides und Grammatik direkt nebeneinander thronen. Da wir uns das verlorene Fresko in Bologna ähnlich wie die Madrider Miniatur vorgestellt haben, dürfte es auch die Vorlage für die Miniaturen in Wien und Florenz gewesen sein, die demnach nur das untere Register kopieren. Das Dekorationssystem einer jeden Buchseite besteht aus der Miniatur und einem zweispaltigen Text. Jede Kolumne ist unterhalb der zugehörigen Allegorie angeordnet. Der Text beginnt mit dem Nachweis des Augustinus-Zitats, der in rot geschrieben ist. Er entspricht der ausführlichen Zitationsweise, die auch in der Canzone aus Chantilly und in den Paduaner Fresken zu beobachten war. Es folgt - in schwarz - das Zitat selbst, und ohne eine besondere formale Unterscheidung schließt sich eine kurze Beschreibung der Allegorie in lateinischen Versen an, die mit denen in der Cortelleri-Kapelle identisch sind. Das bestätigt unsere Hypothese, daß bereits das originale Fresko in Bologna diese Verse enthielt. Die Wiener und Florentiner Handschriften kopierten sie demnach zusammen mit den Bildern der Tugenden und Artes. Die sieben Tugenden und Artes Liberales aus Bologna müssen ganz bewußt mit dem Huldi54 Vgl. Ragghianti 1970, passim. 55 Das Original befindet sich in London, Brit. Mus. Royal M S 6. E . I X , Faksimile-Ausgabe von Grassi 1982. 56 I m Wiener Codex fol. 3 3 r - 3 6 r , im Florentiner Codex fol. 31 r —34 r . Die letzte Seite bleibt jeweils leer.

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gungsgedicht an Robert von Neapel zusammengebunden worden sein. Wäre dies nur zufällig oder wesentlich später geschehen, so könnten nicht zwei Manuskripte dieselbe Kombination aufweisen. Dem Londoner Original des Huldigungsgedichtes fehlt der 'Anhang'. Es entstand um 1335 im Auftrag der Kommune von Prato und wurde wahrscheinlich von Convenevole da Prato verfaßt 57 . Der lange Text besteht aus teilweise ziemlich holperigen lateinischen Versen 58 . Sein Ziel ist es, Robert als weisen König zu preisen und ihn gleichzeitig anzuregen, Italien zu befrieden und in Rom eine gerechte Regierung zu errichten. Zu diesem Zweck treten verschiedene Allegorien und mythologische Figuren auf, die in ihrer Rede direkt an Robert appellieren, z. B. die verzweifelte „Witwe" Roma, die, von Papst und Kaiser verlassen, die schrecklichen Zustände in Rom schildert. Herkules fungiert als exemplum virtutis, indem er Robert auffordert, gegen die Zerstörer Roms vorzugehen, so wie er selbst mit seiner Keule die furchtbarsten Ungeheuer bezwang. Das Paris-Urteil wird als Anti-Exemplum vorgeführt: Weil Paris sich von Venus blenden ließ, verlor er seine Vaterstadt. Genauso gehe jede Heimat unter ungerechter Herrschaft zugrunde. Es erscheinen auch die sieben Tugenden, die den König loben und gleichzeitig zum politischen Handeln auffordern, sowie die Artes Liberales, die sich vor allem als Instrumente im Kampf für Rom und Italien anbieten. Die Allegorien, von denen hier nur wenige erwähnt werden konnten, sind nicht in gerahmte Bildfelder eingefügt, sondern stehen allein vor dem Pergamentgrund, so daß sie überall von dem Text umgeben sind, der ihnen in den Mund gelegt ist. Text und Bild sind auf diese Weise untrennbar miteinander verwoben. Dieser Text war keineswegs nur für König Robert interessant, sondern er besaß ein größeres Publikum und wurde daher mehrfach kopiert. Die politischen Ideen, die den Zustand Roms und Italiens beklagen und die Größe der Stadt in der Antike beschwören, sind nämlich im 14. Jh. virulent. Ihre wichtigsten Anwälte in Wort und Bild sind Petraca und Cola di Rienzo 5 9 . Mythologische Themen und der klassische Moral- und Bildungskanon, die als 'Verpackung' der politischen Botschaft dienen, waren ebenfalls in humanischen Kreisen von Interesse. Die Tugenden und Artes aus der augustinischen Allegorie des Wissens fügen sich gut in diesen Kontext ein. Auch sie sind von lateinischen Versen und antiken Exempla begleitet. Sie liefern eine gelehrte Variante zu der Ikonographie, in der sie in dem Lobgedicht auftreten. Dazu wurden sie aus ihrem alten Kontext herausgelöst. Zusammen mit dem Lobgedicht bilden sie nun einen reichen Fundus allegorischer Formulierungen, auf den der Besitzer der Handschrift auch selbst zurückgreifen kann. Dieses 'Teilzitat' aus dem verlorenen Bologneser Fresko vollendet nur die Akzentverschiebung vom Bild des Ordenslehrers zur allgemeinen Wissenschaftsallegorie, die bereits in der Canzone aus Chantilly spürbar war. Solch eine profanisierende Rezeption des ursprünglich Augustiner-eremitischen Bildprogramms durch das humanistische Publikum konnte man auch in Schedels Notizen beobachten. Für den Nürnberger Humanisten standen die Tugenden und Artes im Vordergrund, während er Augustinus kaum erwähnte. Diese Rezeption setzte sich bei Marcanton Michiel und Vasari fort.

57 Zur Datierung Grassi 1982, S. 8. 58 Edition des Textes bei Grassi 1982, Bd. II, E b d . eine Ubersetzung ins Italienische. 59 Ü b e r die Bilder Belting 1989, S. 3 9 - 4 2 . Ü b e r die Texte W Kölmel, Petraca und das Reich, zum polit.-histor. Aspekt der „studia humanitatis", in: Histor. J b . 90, 1970, S. 1 - 3 0 . Auch Cola di Rienzo incl. weitere Lit. wird dort angesprochen.

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6.2. Eine Kopie der „Canzone delle virtù e delle scienze" aus dem 15. Jahrhundert Ein Papiercodex60, der heute im Gabinetto delle Stampe der Galleria Nazionale in Rom aufbewahrt wird (Inv.-Nr. 2818-2833), wiederholt auf 15 Seiten die sieben Tugenden und die Artes unter Führung von Philosophie, ähnlich wie sie aus der Canzone in Chantilly bekannt sind (Abb. 37, 38). Die Allegorien besetzen nur die Recto-Seiten, während sich auf den Verso-Seiten Uomini famosi und Kopien antiker Fragmente befinden (Abb. 39). Am oberen Rand der Seite steht zunächst die lateinische Beschreibung der Allegorien, die auch im Paduaner Fresko und in den Miniaturen in Wien und Florenz erscheinen. Darunter folgt das Augustinus-Zitat, das die jeweilige Allegorie definiert. Es ist wie in der Canzone in Chantilly in rot hervorgehoben. Die Herkunft des Zitats ist in der Marginalie genau angegeben. Darunter befindet sich die Zeichnung, die außer einigen unwesentlichen Details genau die Ikonographie der Canzone nachahmt. Unterhalb der Zeichnung steht schließlich der Volgare-Text der Canzone des Bartolomeo di Bartoli. Das Dekorationssystem ist gegenüber der Canzone um die lateinischen Beschreibungen erweitert worden. Dieser Zusatz belegt, daß die römische Version auf eine weitere Quelle neben der Canzone zurückgegriffen hat, und zwar entweder auf das Bologneser Original, auf die Paduaner Fresken oder auf die Miniaturen in Wien und Florenz. Zusätzlich ist bei sechs der sieben Tugenddarstellungen in der Marginalie ein Literaturhinweis zum Anti-Exemplum gegeben, wie er aus keinem der übrigen Monumente bekannt ist. Venturi war der Meinung, daß am Anfang ein Blatt fehle, auf dem Theologie dargestellt gewesen sei 61 . Doch wenn er schon annimmt, daß etwas fehlt, warum dann nicht alle drei Seiten, die in der Canzone den Tugenden vorangehen? Umgekehrt kann man fragen, warum überhaupt ein Blatt verloren sein soll, wo doch aus den erhaltenen Blättern zu belegen ist, daß es sich hier um eine bewußte Auswahl und nicht um eine komplette Kopie der Canzone aus Chantilly handelt. Fol. 8r, auf dem Philosophie dargestellt ist, muß deshalb genauer betrachtet werden (Abb. 37). Am oberen Seitenrand, wo im römischen Codex normalerweise die lateinischen Verse stehen, liest man hier den ersten Congedo der Canzone (Abb. 23), der dort mit dem Tugendbaum kombiniert ist. Die lateinischen Verse kommentierten in unseren bekannten Beispielen nur die Tugenden und Artes, nicht aber Theologie und Philosophie. Um einen gleichmäßigen Seitenaufbau zu gewährleisten, setzte man hier einen anderen Text ein, der jedoch nicht zu diesem Bild paßt! Die Verschiebung des Textes zeigt, daß mit Sicherheit die Darstellung des Tugendbaumes in der römischen Handschrift nicht vorgesehen war, weil man den Text sonst dort plaziert hätte. Ohne die beiden Congedi fehlt aber das besondere Charakteristikum der Canzone des Bartolomeo di Bartoli, und somit ist auch sein Dedikationsbild überflüssig. Auch Theologie scheint man in der römischen Version nie vorgesehen zu haben. Denn gewiß hätte man sie parallel zu Philosophie entworfen, und die fehlenden lateinischen Verse wiederum durch den Congedo in Volgare ersetzt. Dann wäre ihr sinnvoll der erste Congedo zuzuordnen und Philosophie der zweite. Da Philosophie aber mit dem ersten Congedo auftritt, bliebe für eine verlorene Theologie kein passender Text übrig. Wenn schon die Theologie fehlte, so ist wohl auch die Augustinus-Miniatur der Canzone nie Bestandteil der römischen Version gewesen.

60 Heute ist er in die Einzelblätter zerlegt. 61 Venturi 1899, S. 345.

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Da die römische Handschrift die Canzone aus Chantilly nur selektiv kopiert, ist es durchaus möglich, daß von Anfang an nur die sieben Tugenden und Artes Liberales sowie Philosophie mit den vier antiken Philosophen vorgesehen waren. Diese Auswahl entspricht dem humanistischen Geschmack, der bereits in der Canzone angelegt war und dem wir schon häufiger begegnet sind. Der römische Papiercodex stammt aus der Mitte des 15. Jh. Er ist ungefähr zeitgleich mit Schedels Memorabilienbuch und mag eine ähnliche Funktion als Sammlung interessanter bildlicher Formulierungen gehabt haben. Seine Verso-Seiten zeigen Uomini famosi 62 von König David bis zu Tamerlan. (Abb. 39). Den größten Anteil haben darin die berühmten Männer aus der Antike. Zwischen ihnen befinden sich auch einige Zeichnungen nach antiken Reliefs. Antike Exempla entsprechen natürlich dem humanistischen Geschmack. Sie passen gut zu den Allegorien, weil diese in Begleitung exemplarischer Vertreter erscheinen, die zumeist aus der Antike stammen. Aus diesem Grunde war auch Philosophie interessant, denn ihre Repräsentanten sind Aristoteles, Plato, Seneca und Sokrates. Das ursprüngliche Programm vom Bild des Ordenslehrers bekommt im Kontext eines humanistischen Musterbuches durch gezielte Selektion abermals einen profanen Anstrich.

62 U b e r die Uomini famosi vgl. F i o c c o 1935, S . 3 8 8 ; Ragghiami 1937, S . 2 3 8 , A n m . 11; Salmi 1938, S . 3 1 , 32; Micheletti 1954, S. 72, 73; Scheller 1963, S. 2 0 2 - 2 0 6 .

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III. Die toskanische Variante

Die Allegorie des Wissens wurde nach dem Bologneser Original im Veneto und in der Emilia als fester Typus tradiert. Miniaturen dienten dabei als Vermittler. In der Toskana gab es eine Variante dieses Bildprogramms, die auf den ersten Blick nur wenig mit dem Bologneser Original gemein hat. Sie ist nicht in Miniaturen überliefert, sondern nur in drei Fresken des späten 14. und frühen 15. Jh. N u r das älteste dieser Gruppe befindet sich in einer Kirche der AugustinerEremiten, doch auch hier verweisen die Spuren auf einen verlorenen Prototyp, der diesmal in Siena zu suchen ist.

1. Die Fresken in S. Agostino in Montalcino S. Agostino in Montalcino ist eine kleine einschiffige Kirche mit offenem Dachstuhl. Sie stammt aus der Mitte des 14. Jh. 1 . Die Chorkapelle, die von einem Kreuzrippengewölbe überdeckt wird, hat einen annähernd quadratischen Grundriß. Sie empfängt ihre Beleuchtung durch ein schmales Fenster an der Ostwand. Die Wände der Kapelle waren ehemals ganz von Fresken bedeckt (Abb. 40, 41, Fig. 5). Heute sind nur noch Fragmente erhalten, die z. T. stark restauriert sind. Der Maler Bartolo di Fredi aus Siena ist für diese Ausstattung verantwortlich. Er bekam in den 80er Jahren des 14. Jh. eine Menge Aufträge in Montalcino, wo er hohes Ansehen genoß. Freuler datiert auch die Fresken in diese Zeit und setzt sie kurz nach 1383 an 2 . An der Nord- und Ostwand der Chorkapelle befinden sich Szenen aus der Vita des hl. Augustinus. An der Südwand besetzen sie nur die Lünette, während in den beiden unteren Registern die Martyrien der Apostel Philippus und Jakobus Minor dargestellt sind. Die Allegorie ist in den VitaZyklus eingegliedert. Sie befindet sich links unten an der linken Seitenwand, so daß sie vom Kirchenschiff aus besonders gut zu sehen ist. Das Fresko besetzt ein hochrechteckiges Bildfeld (Abb. 40). Die seitlichen Ränder sind schwer beschädigt, während der Bereich des Zentrums besser erhalten ist. Dort thront Augustinus. Vor den Stufen seines Thrones liegen zwei besiegte Häretiker am Boden. Direkt neben Augustinus erscheinen zwei Allegorien: Theologie und Philosophie. Der Giebel der Thronarchitektur faßt die drei zu einer zentralen Gruppe zusammen. Diese umrahmten ursprünglich acht Heilige, die lange Rotuli hielten. Da die Allegorie des Wissens hier auf Theologie und Philosophie beschränkt ist, 1 Fanti 1925, S. 24. 2 Freuler 1985 (Annunziata-Kapelle), S.22, und ders. 1985 (Cacciati-Altar), S. 162. Freuler erwähnt die Fresken n u r kurz und beurteilt ihren Zustand sehr negativ.

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während die Darstellung des Augustinus dominiert, sprechen wir im folgenden vom „Bild des Ordenslehrers". Die ca. 30 Jahre später entstandene Replik dieses Bildprogramms in der Sakristei des Doms von Siena 3 stimmt bis in Details mit dem Fresko in Montalcino überein (Abb. 45). Sie wird zur Rekonstruktion einiger Einzelheiten immer wieder herangezogen werden.

1.1. Theologie und Philosophie Wie im Bologneser Programm sind die beiden Allegorien, die Augustinus in ihre Mitte nehmen, antithetisch aufgebaut: Mit Büchern und einem Stab in den Händen steht Philosophie auf einer Erdkugel (Abb. 40), ihr dunkles Kleid fällt schwer zu Boden, so daß der Saum eine feste Standfläche bildet, die den Globus stark überschneidet. Der Schleier kennzeichnet sie als eine alte Frau. Theologie leuchtet dagegen in einem weißen Kleid mit hellgelbem Mantel, der sich in dekorativen Falten bauscht, weil sie fliegt. Zu diesem Zweck ist sie auch mit Flügeln ausgestattet. Sie berührt nur mit einer Zehenspitze das Kreismodell unter ihr und blickt nach oben zu einem goldenen Medaillon. Auf dem Kopf trägt die junge Frau ein zartes Diadem. Den Gegensatz zwischen der Wendung nach oben zur Schau der geoffenbarten Wahrheit einerseits und der Verbundenheit mit der Erde, der man sich mit der Vernunft zuwendet, andererseits, ist aus dem Bologneser Programm bekannt. E r wird hier im Detail allerdings variiert. Philosophie steht deutlich unter dem Einfluß der lokalen ikonographischen Tradition. In der Sala della Pace im Palazzo Pubblico in Siena ist in den Medaillons unterhalb des Buon Governo neben den Artes Liberales auch Philosophie dargestellt (Abb. 42). Ambrogio Lorenzetti gab ihr dasgleiche schwere Gewand, Stab und Bücher, den Schleier sowie die eigenartige Federkrone, die sie in Montalcino trägt. N u r das blaue Himmelsfragment über ihrem Kopf, in das Sonne und Mond eingezeichnet sind, ist nicht mit Lorenzettis Grisaille zu erklären. Es ist als Pendant zum Globus zu lesen und spannt die Figur zwischen den Polen Himmel und Erde ein. Das ist nur eine andere Formulierung des Bologneser Programms (Abb. 4): Dort waren der Himmel mit den Bahnen der Gestirne und die Erde in einem Sphärenmodell gemeinsam dargestellt. Der Globus in Montalcino zeigt dagegen nur die Erde nach Art einer Landkarte, in die Flüsse und Gebirge eingezeichnet sind. Ein blauer und ein weißer Kreis, die die Elemente Wasser und Luft symbolisieren, umschließen sie. Theologie ist wesentlich schwieriger zu deuten. Ihre Identifikation ergibt sich in erster Linie daraus, daß sie als Pendant zu Philosophie auftritt. Ihr Kreismodell ist zwar durch sechs Speichen gegliedert und lehnt sich damit an das Bologneser Exemplar an, aber es fehlen die Evangelistensymbole und die aufgeschlagene Bibel mit dem Zitat Ezechiels 4 . Inschriften sind nicht mehr zu erken-

3 Vgl. Kap. III. 2. 4 Mongellaz 1984, S. 29, rekonstruiert in dem Sieneser Fresko das Kreismodell als „Christus in einer Engelsglorie". Das ist m. E . wegen der Speichen höchst unwahrscheinlich. Eher handelt es sich um ein Kreisschema, das evtl. die sieben Tauben als Gaben des heiligen Geistes darstellte: sechs hätten zwischen den Speichen Platz gefunden, die siebte das Zentrum besetzt. Vgl. J . Baltrusaitis über kosmologische Kreismodelle, in: Gaz. des Beaux Arts Bd. 20, 1938, S. 147, Fig. 15, und ebd., Bd. 21, 1939, S.67, Fig. 3, 4. Die sieben Gaben des hl. Geistes bewirken sieben Tugenden, zu denen auch scientia und sapientia zählten. (Vgl. dazu O ' R e i l l y 1988, S. 163-167, und passim). Auf diese Weise enthielte das Kreisschema in Montalcino die beiden Begriffe, die Theologie in Bologna mit den zwei Spiegeln symbolisierte.

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nen. Auf ihrer linken Faust sitzt ein Adler, der wie Theologie nach oben zu einem goldenen Medaillon schaut. Das Medaillon trägt in dem Fresko der Sieneser Domsakristei die Umschrift: „In principio erat v e r b u m " (Abb. 45). Sie ist bei dem abgeriebenen Fresko in Montalcino wahrscheinlich zu ergänzen. Die Inschrift zitiert den Anfang des Johannes-Evangeliums, daher kann man in diesem Zusammenhang den Adler der Theologie als Symbol des Evangelisten Johannes deuten. In der Sieneser Malerei gibt es eine spezielle Johannes-Ikonographie, die Medaillon und Adler als Attribute vereint. Ein Beispiel liefert die Johannes-Tafel eines zerlegten Polyptychons aus der Werkstatt des A m b r o g i o Lorenzetti, die um 1335 entstanden sein m u ß 5 und sich heute in der Pinacoteca von Siena befindet (Abb. 43). Diese Ubereinstimmung ist vor allem deshalb signifikant, weil das Medaillon sonst in der Johannes-Ikonographie kaum v o r k o m m t . Auch die Ikonographie der Theologie scheint also von lokaler Tradition beeinflußt zu sein. Die Kombination von Johannes-Ikonographie und Theologie ist durch den dezidierten O f f e n barungscharakter dieses Evangeliums und durch seine hervorragende Bedeutung f ü r die theologische Wissenschaft leicht verständlich. Augustinus hatte eine Vorliebe f ü r Johannes den Evangelisten. Es sind 124 (!) Traktate von ihm über das Johannes-Evangelium erhalten, denn es schien ihm besonders geeignet, den Gläubigen dogmatische Wahrheiten und sittliche Vorschriften zu veranschaulichen 6 . Er liebte vor allem die Metapher vom „Adlerflug": „Immer wieder k o m m t Augustinus auf dieses Bild zurück [in den Johannes-Traktaten]. An diesen Adlerflug, an die Beschäftigung des Johannes mit der Gottheit Christi, denkt Augustinus, wenn er von der 'intelligentia spiritualis' des Johannes redet." 7 : „Der heilige Apostel Johannes wird nicht zu Unrecht wegen seiner geistigen Erkenntnis mit dem Adler verglichen, denn höher und viel erhabener als die anderen drei baute er seine Predigt auf. U n d durch diese E r h ö h u n g wollte er unsere Herzen emporheben. Die anderen drei Evangelisten aber wandelten mit dem Herrn wie mit einem Menschen auf der Erde und sagten wenig von seiner Göttlichkeit. Jenen aber verdroß es, auf der Erde zu bleiben, wie er selbst am Anfang seiner Rede sagt. U n d er erhob sich nicht nur über die gesamte Erde und die sie umgebende Luft und den Himmel, sondern auch über die Schar der Engel und die Potestates, und er gelangte zu ihm, durch den alle Dinge gemacht sind, und sprach: A m Anfang war das Wort." 8 Das tertium comparationis ist die „intelligentia spiritualis", die dem Geist Flügel verleiht u n d ihn zur Gottesschau aufsteigen läßt 9 . Diese Textstelle enthält auffällige Parallelen z u r Ikonographie

5 K a t . La P i n a c o t e c a N a z i o n a l e di Siena, i d i p i n t i dal X I I al X V secolo, H g . P. Torriti, G e n u a 1977, K a t . N r . 77b, S. 110, 111. 6 A u g u s t i n u s Vorträge ü b e r d a s E v a n g e l i u m des J o h a n n e s , d t . von T. S p e c h t , B d . 1 - 3 , K e m p t e n 1913, Einleit u n g B d . 1, S. I X - X I . Vgl. d a z u Roles 1931, S. 105-106, 190-195. 7 Roles 1931, S. 190, 191. 8 A u g u s t i n u s , „In J o h a n n i s E v a n g e l i u m T r a c t a t u s " , T r a k t a t 36, 1, S. 323: „ . . . s a n c t u s I o h a n n e s a p o s t o l u s n o n

immerito secundum

intelligentiam

spiritualem

aquilae comparatiti,

altius multoque sublimius aliis tribus

erexit p r a e d i c a t i o n e m s u a m ; et in e r e c t i o n e etiam c o r d a n o s t r a erigi voluit. N a m ceteri tres evangelistae, t a m q u a m c u m h o m i n e D o m i n o in terra a m b u l a b a n t , de d i v i n i t a t e eius p a u c a d i x e r u n t ; i s t u m quasi p i g u e r i t in terra a m b u l a r e , sicut i p s o e x o r d i o sui s e r m o n i s i n t o n u i t , erexit se, n o n s o l u m s u p e r t e r r a m et s u p e r o m n e m a m b i t u m aeris et caeli, sed s u p e r o m n e m e t i a m e x e r c i t u m a n g e l o r u m , o m n e m q u e c o n s t i t u t i o n e m i n v i s i b i l i u m p o t e s t a t u m , et p e r v e n i t ad e u m p e r q u e m facta s u n t o m n i a , d i c e n d o In principio

erat

verbum."

9 Z u m E r k e n n t n i s a u f s t i e g als A d l e r f l u g - M e t a p h e r vgl. M e i e r 1990, S. 4 1 - 4 4 , m i t w e i t e r e n Textbeispielen.

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der Theologie in Montalcino 1 0 . Sie fliegt über der Erde und dem Universum dem Medaillon entgegen, auf dem der erste Satz des Johannes Evangeliums, „In principio erat verbum", steht. Der Adler auf ihrer Faust symbolisiert die „spiritualis intelligentia", die auch Johannes zur Gottesschau führte 1 1 . Die Anspielung auf die Johannes-Ikonographie war in der Bologneser Fassung bereits angelegt (Abb. 4): Der Johannes-Adler schaute nämlich oberhalb des Ezechiel-Rades hervor und trat dadurch in unmittelbare Beziehung zu Theologie, die sich nach oben zu der Erscheinung Christi in der Mandorla wendete. Diese wiederum bildet eine Analogie zu dem Medaillon in Montalcino. Schon Mongellaz 1 2 erkannte die auffällige Parallele zwischen der Ikonographie dieser Theologie und einer der vier bisher noch nicht befriedigend gedeuteten Allegorien im Thomas-Fresko der Spanischen Kapelle in S. Maria Novella in Florenz (Abb. 58). Die sechste von links ist ebenfalls weiß gekleidet und geflügelt, hielt auf der linken Faust einen Adler (Falken?) und schaute nach rechts oben, wo das Ziel ihrer Blicke allerdings nicht (mehr?) zu sehen ist. Nach unserer Interpretation kann es sich dort nicht um Spes handeln, wie Schüssler vorschlägt 1 3 , sondern es muß die Wissenschaft der Theologie bzw. eine spezielle Variante dieses Faches sein.

1.2. Das Triumphmotiv Die zentrale Trias in Montalcino entspricht im wesentlichen dem Bologneser 'Kernprogramm'. Dort fehlt allerdings das Triumphmotiv, welches hier so beherrschend ist, daß das Programm auch als „Triumph des Augustinus" bezeichnet werden kann. Unterhalb des Thrones von Augustinus liegen zwei Häretiker am Boden (Abb. 40). Die langen Gewänder und exotischen Kappen kennzeichnen sie als Orientalen. Ihre Namenstituli sind unleserlich. Den rechten der beiden kann man jedoch anhand einer späteren Replik identifizieren, die Giovanni di Paolo gemalt hat (Abb. 44). Die Tafel ist um 1470/75 entstanden 1 4 und befindet sich heute im Musee du Petit Palais in Avignon. Sie kombiniert die Regelübergabe des Augustinus an die Eremiten mit dem Triumphmotiv, wobei allerdings nur ein Häretiker zu Füßen des Augustinus gezeigt wird. Er liegt in exakt derselben Pose am Boden wie in Montalcino 1 5 , so daß er mit Sicherheit von demselben Bildformular abzuleiten ist. Sein Titulus ist deutlich lesbar, er heißt Averroes.

10 Augustinus, „In Johannis Evangelium Tractatus", Traktat 20, 13, S. 211, spricht Johannes nicht den ersten Satz seines Evangeliums aus, sondern er schaut ihn, genau wie Theologie das Medaillon: „Transcendens ista omnia, super se effundens animam suam, quo pervenit? Quid vidit? In principio erat verbum." Ein weiteres Mal erscheint die Adlerflug-Metapher ebd., Traktat 48, 6, S. 416. 11 Interessanterweise bezog Hieronimus die Adlerflug-Metapher auf Augustinus, der ja selbst ein großer Theologe war. Dies dürfte eine beabsichtigte Bedeutungsvariante sein: „Hieronymus etiam in libro de X I I doctoribus sie de eo scribit: Augustinus episcopus volans per montium cacumina quasi aquila et ea, quae sunt in montium radieibus, non considerans multa coelorum spatia terrarumque situs et aquarum circulum claro sermone pronuntiat." (Leg. Aur. S. 560). 12 Mongellaz 1984, S. 29. 13 Schüssler 1980, S. 255-259. 14 Brandi 1947, S.59, Anm. 83; J. Pope-Hennessey, Giovanni di Paolo 1403-1483, London 1937, S.71, Anm. 2; Kat. Avignon 1987, Nr. 91, S. 111. 15 Brandi 1947, S.59, Anm. 83, bemerkt, dieser Averroes sei „chiaramente ispirato dall' affresco di Nicolò di Naldo nella cappella dei „liri" della sagrestia del Duomo di Siena." Natürlich stimmt Giovanni di Paolos Averroes auch mit dieser Version überein, doch beide hatten mit Sicherheit eine andere Vorlage.

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Beide Häretiker in Montalcino halten Rotuli, deren Inschriften kaum noch zu entziffern sind. Im Falle von Averroes kommt wieder die Tafel des Giovanni di Paolo zu Hilfe 16 : „Dicimus mundum et terram non habere principium neque finem." Diese Behauptung, daß die Welt und die Erde ohne Anfang und unendlich seien, widerspricht dem christlichen Geschichtsentwurf, den Augustinus in „De civitate Dei" ausführlich beschreibt. Beginn und Ende der Welt sind da natürlich durch die Schöpfung und das Jüngste Gericht eingegrenzt. Im Fresko der Sieneser Domsakristei gehen zwei Pfeile vom Buch des Augustinus aus und treffen die Häretiker ins Herz (Abb. 45). Die dünnen Linien mögen in Montalcino vergangen sein. Doch selbst wenn sie nie existiert haben, bleibt die Bedeutung des Bildes dieselbe: Augustinus benutzt seine wissenschaftliche Bildung, um die Häretiker mit Argumenten zu schlagen. Er besiegt sie nicht mit Waffen, sondern mit dem Wort. Augustinus tritt in dem Fresko von Montalcino nicht zum ersten Mal als Sieger über Häretiker auf. Dies ist vielmehr ein wichtiger Topos, der seit der Spätantike fest mit dem Kirchenvater verknüpft war, weil er so viele Schriften gegen einzelne Häretiker oder ganze Gruppen von ihnen verfaßt hatte 17 . Bereits in der Augustinus-Vita des Possidius wird sein Eifer gegen die Ketzer als charakteristisches Merkmal besonders hervorgehoben 18 . Disputationen und Bekehrungen nehmen ein Drittel der gesamten Vita ein (Kap. 6-18, von insgesamt 31 Kap.). Dazu kommt die ausführliche Darstellung seiner Bildung einschließlich eines Schriftenverzeichnisses des Augustinus am Schluß. Rupert von Deutz (gest. 1135), der große Augustinus-Verehrer, unterstreicht, daß Augustinus seine Wissenschaft und Weisheit für den Glauben einsetzte 19 , und daß er: „... gegen alle Häresien sein ganzes Leben lang in Wort und Schrift kämpfte." 2 0 Auch in kultischen Hymnen zu Ehren des Augustinus erscheint das Triumphmotiv, und auch dort ist es fest mit dem Lob seiner Weisheit verknüpft: „Salve lux et dux doctorum malleus haereticorum conterens perfidiam." 2 1

„Sei gegrüßt, du Licht und Fürst der Doktoren, Du Hammer gegen die Ketzer, Du zertrittst die Unredlichkeit."

16 Auf dem anderen Rotulus ist n u r noch zu lesen: „Dicimus . . . filioque m a i o . . . " 17 Antihäretische Schriften Augustins sind z. B.: „ C o n t r a Faustum", „De genesi contra Manichaeos", „ C o n t r a Felicem Manichaeum", „ C o n t r a G a u d e n t i u m " , „ C o n t r a Julianum", „De Manichaeorum", „Contra Priscillanistas et Origenistas", „Psalmus contra partem D o n a t i " , „Quaestiones expositae contra Paganos", „ C o n t r a sermonem A r i a n o r u m " . 18 Possidius, „Vita Augustini", S. 56-103. 19 Vgl. Manser 1930, S. 388; R u p e r t v. D e u t z , „De Trinitate et operibus eius libri X L I I " , lib.VII, Cap. X I X , P L 167, Sp.1782: „ . . . in quo iste spiritus [sanctus scientiae Spiritus] manifeste operatus est . . . ad Ecclesiae suae defensionem, catholica fidei, perpetuamque munitionem. Iste est Augustinus, columna et f i r m a m e n t u m veritatis. et vere columna nubis, in qua t h r o n u m s u u m posuit sapientia Dei, cuius ex ore distillare non cessavit pluvia salutaris, imo fluere impetus fluminis contra flumen illud haereticorum." 20 Ebd., PI 167, Sp.1784: „ . . . et sic intus eo dignatus est uti ut contra omnes haereses, tota vita sua depugnans voce et litteris, tanta scriberet quanta n e m o in vita sua legere sufficit." 21 Mone 1855, Bd. I l l , N r . 815, S.205, Strophe 3. Ähnlich z . B . : „ N a m quibus haeserat, frangit haereses, scripturae claustra reserat." (ebd. N r . 823, S. 211) „ O vir Augustine, succurrens catholice fidei ruinae!" (ebd. N r . 819, S. 208). Vgl. auch Manser 1930, S.389. 82

Ein anderer Hymnus beschreibt sogar die Macht seines Wortes, die in dem Fresko in Montalcino so gut ins Bild gesetzt ist: .Confirmans fidem et mores

„Er festigt den Glauben und die Sitten

leges sacrae perversores

und tötet die Verderber der heiligen Gesetze,

verbi necat gladio:

mit dem Schwert seines Wortes.

obmutescit Fortunatus

Es verstummt Fortunatus

cedit Manes et Donatus

und Mani und Donatus weichen zurück

tantae lucis radio." 2 2

vor dem Schein eines solchen Lichts."

Diese Textbeispiele stammen noch aus der Zeit vor der Gründung des Ordens der AugustinerEremiten im Jahre 1256. Das Motiv bleibt aber auch weiterhin aktuell, z. B. in der Legenda Aurea, die Jakobus de Voragine zwischen 1263-1273 verfaßte. Hier wird speziell der Kampf des Augustinus gegen Wiedertäufer, Donatisten und Manichäer angesprochen 2 3 . Außerdem berichtet die Legenda Aurea, daß die Häretiker Augustinus so sehr haßten, daß sie predigten, es sei keine Sünde, ihn zu töten. Doch dank der Voraussicht Gottes entkam Augustinus immer ihren Hinterhalten 2 4 . In Bildern ist dieser Topos zu schlecht dokumentiert, als daß man von einer verbreiteten Tradition sprechen könnte. Dennoch belegen zwei romanische Beispiele aus Frankreich, daß Augustinus schon früh im Triumphmotiv dargestellt wurde, wenn man ihn als Sieger über Häretiker kennzeichnen wollte. In einer Titelminiatur zum „Contra Faustum", die Ende des 11. J h . entstanden ist, drückt Augustinus seinen Gegner mit dem Bischofsstab zu Boden (Abb. 49). Das Buch hält er ihm apotropäisch entgegen, während Faustus gestikulierend auf sein eigenes Buch verweist 2 5 . In einer Wandmalerei in St. Jacques de Guerets steht Augustinus auf einer nackten menschlichen Gestalt, die wild gestikuliert und daher ebenfalls als Häretiker gedeutet werden kann 2 6 . Das Fresko in Montalcino ist nicht unmittelbar auf diese Beispiele zurückzubeziehen. Zusammen mit den literarischen Äußerungen bilden sie dennoch eine geistesgeschichtliche Tradition, in die auch der „Triumph des Augustinus" in Montalcino gehört. In dieser Tradition steht auch das rekonstruierte Fresko der Cortelleri-Kapelle in Padua.

1.3. Die Heiligen Die Heiligen, die den Thron des Augustinus rahmen, kann man mit Hilfe des Freskos in der Sieneser Domsakristei rekonstruieren und viele sogar identifizieren, weil dort die meisten Namenstituli erhalten sind (Abb. 40, 45). Wahrscheinlich kann man sogar eine Holzbühne ergänzen, auf der die vordersten Figuren - wie in Siena - standen. U b e r dem Throngiebel ragen die Halbfiguren zweier heiliger Bischöfe hervor. Sie sind - genau

22 M o n e 1855, B d . I I I , N r . 8 2 2 , S. 210, Strophe 3. 23 L e g . Aur. S. 5 5 4 . 2 4 L e g . Aur. S. 5 5 7 : „ H a e r e t i c o s vir iste sanctus validissime confutabat, ita ut ipsi inter se publice praedicarent, p e c c a t u m non esse, interficere A u g u s t i n u m , quem t a m q u a m lupum o c c i d e n t e m dicebant, et o c c i s o r i b u s o m n i a sua peccata a D e o dimittenda asserebant. M u l t a s ab iis insidias p e r t u l i t . . . sed D e i Providentia itineris errore seducuntur, ut invenire e u m non p o s s e n t . " 2 5 Paris, B N , C o d . lat. 2 0 7 9 , fol. l v . Vgl. dazu J . und P. Courcelle, Q u e l q u e s illustrations du „ C o n t r a F a u s t u m " de Saint A u g u s t i n , in: O i k o u m e n e , Studi Paleocristiani pubblicati in onore del concilio e c u m e n i c o Vaticano I I , C a t a n i a 1964, S. 1 - 9 , bes. S. 2, 3. 2 6 R C l e m e n , R o m a n i s c h e M o n u m e n t a l m a l e r e i in den R h e i n l a n d e n , D ü s s e l d o r f 1916, S . 4 1 6 , Fig. 2 9 4 .

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wie in Siena - nicht mehr zu identifizieren. Von den beiden Figuren in den oberen Bildecken existieren nur noch schattenhafte Umrisse. Der linke war wohl barhäuptig, während der rechte eine Mitra trug. Dies stimmt mit dem Fresko in Siena überein. Es handelt sich links um Simplicianus und rechts um Remigius von Reims. Unterhalb der beiden, auf einer Höhe mit dem thronenden Augustinus, ist links der Torso eines heiligen Bischofs zu erkennen. Ihm gegenüber steht ein heiliger Zisterziensermönch im weißen Ordenshabit: Wie in Siena handelt es sich um Prosper und Bernhard, von Clairvaux. Auf die Personen, die eine Stufe unterhalb der beiden standen, verweisen nur noch kleinste Fragmente. Links sieht man noch ein rötliches Gewandstück und drei Finger, die einen Rotulus halten. Es handelt sich - analog zu Siena - um den heiligen Paolinus. Auf der anderen Seite, unterhalb des linken Ärmels von Bernhard von Clairvaux, ist das Fragment eines Kopfes und der weiße Fellbesatz einer Gelehrtenkappe erkennbar. Solch eine Kappe trägt in Siena der heilige Volusianus, der dort an dergleichen Stelle auftritt 27 . Der heilige Simplician28 (ca. 320-400) war Nachfolger des Ambrosius auf dem Mailänder Bischofstuhl. Er spielte eine entscheidende Rolle bei der Bekehrung des Augustinus29. Als dieser sich gerade in heftigen Gewissensqualen wand, suchte er den frommen Greis Simplicianus auf. Der erzählte ihm, wie er einst den berühmten römischen Rhetor Viktorinus bekehrt habe. Dieses Exemplum machte auf Augustinus besonderen Eindruck, weil er bisher ein ähnliches Leben wie Viktorinus geführt hatte, das ganz der heidnischen Bildung gewidmet war. Diese Begebenheit steht am Anfang des achten Kapitels der „Confessiones" und bereitet die endgültige conversio durch die sors biblica im Mailänder Garten vor. In dem Sieneser Fresko steht nur der Name Paolinus, ohne irgendwelche Zusätze. Es muß sich jedoch um Paolinus von Nola}0 handeln. Unter den vielen Heiligen dieses Namens ist er nämlich der einzige, der in direkter Beziehung zu Augustinus steht. Geboren um 355 31 in einer gallischen Senatorenfamilie genoß er eine fundierte Ausbildung bei dem paganen Dichter Ausonius. 381 wurde er Gouverneur von Campanien, wo er sich seit 389 der Verehrung des hl. Felix in Nola widmete. Ab 393 führt er ein asketisches Mönchsleben in Armut und Humilitas. 409 wurde er zum Bischof von Nola ernannt, wo er 431 starb. Mit dem Wechsel von paganer Bildung zum Mönchtum und schließlich zum Bischofsamt zeigt der Lebenslauf Analogien zu demjenigen des Augustinus. Wie dieser kämpfte er gegen die pelagianischen Häretiker. Paolinus war sowohl mit Augustinus befreundet, von dem noch Briefe an ihn erhalten sind, als auch mit Simplicianus. Normalerweise wird er als Bischof dargestellt. In Siena erscheint er jedoch als Mönch in einer rötlichen Kutte. Die scheint er auch in Montalcino getragen zu haben, wo ein rötliches Gewandstück erhalten ist. Dies könnte mit der Augustiner-eremitischen Sicht auf den Heiligen zusammenhängen: Torelli versucht nämlich, um jeden Preis seinen Status als Mönch zu betonen 32 , der die Augustinerregel angenommen habe. In seiner Vita streicht er daher vor allem seine möchischen Tugenden heraus (Demut, 27 Mongellaz 1984, S. 31—33, unterliefen mehrere Fehler bei den Identifizierungen. 28 Vgl. Bibl. Sanct. X I , Sp.1194-97; L C I V I I I , Sp. 373, 374; Torelli 1659, Bd. I, A 400, 12-19. N u r in Mailand wird Simplician verehrt. E r wird als Bischof dargestellt, vgl. Kaftal/Bisogni 1985, S. 595. 29 Augustinus, „Confessiones", V I I I , 1, 1 - 2 , 3. 30 Nicht zu verwechseln mit Paolinus von Mailand, der ebenfalls Zeitgenosse des Augustinus war. E r schrieb eine Biographie des Ambrosius, ist ansonsten aber nicht als Heiliger bekannt. Seit Isidor von Sevilla wird er häufig mit Paolinus von Nola identifiziert. Vgl. M . Pellegrino, Paolino da Milano, Vita di S. Ambrogio, R o m 1961, S. 3, 4. 31 Zum folgenden vgl. Bibl. Sanct. Bd. X , S p . 1 5 6 - 1 6 2 . L C I Bd. V I I I , Sp.128. 32 Langwieriger Beweis seines Mönchtums bei Torelli 1659, Bd. I, A 393, 4 - 6 , A 396, 1 8 - 2 0 . S. a. ebd. A 409, 9 und A 431, 1 0 - 4 9 .

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Armut, Keuschheit und Abstinenz). Das Bischofsamt habe man ihm - wie Augustinus - gegen seinen Willen auferlegt. Auch der Name Prosper erscheint in Siena ohne präzisierenden Zusatz, doch es muß sich hier um Prosper Tiro von Aquitanien (ca. 3 9 0 - 4 6 3 ) 3 3 handeln. Er gilt als großer Verteidiger der Lehre des Augustinus, mit dem er auch in Briefkontakt stand. Er verfaßte zunächst mehrere Streitschriften für den Kirchenvater. Später trug er durch Kompilationen aus dessen Texten zur Verbreitung seiner Lehren bei. Prosper Tiro war Laienmöch, es ist kein besonderer Kult für ihn bekannt 3 4 . In dem Sieneser Fresko ist er jedoch genau wie in Montalcino als Bischof dargestellt. Man verwechselte ihn nämlich mit dem Bischof Prosper von Reggio Emilia aus dem 5. Jh., dessen Vita völlig unklar ist, der aber in Italien verehrt wurde 3 5 . Volusian ist kein Heiliger. Es handelt sich nämlich nicht um den kaum bekannten Bischof von Tours, sondern um Rufus Antonius Agrypnius Volusianus ( 3 B 2 - 4 3 6 ) 3 6 , einen römischen Aristokraten, der erst auf dem Sterbebett von seiner Nichte Melanie bekehrt wurde. Er hatte viele hohe Ämter inne, z . B . war er Prokonsul von Afrika 411/412 und Praefectus Praetorio von Italien und Afrika 428/429. Er muß in direktem Kontakt zu Augustinus gestanden haben, denn es hat sich ein Brief des Kirchenvaters an ihn erhalten. Der Heide erscheint im Sieneser Fresko - genau wie in Montalcino - in der Kleidung eines zeitgenössischen weltlichen Gelehrten. Allerdings hat er in Siena einen Heiligenschein, der in Montalcino konsequenterweise fehlt. Der heilige Remigius von Reims37 (ca. 4 3 6 - 5 3 3 ) steht nicht in unmittelbarer Verbindung mit Augustinus. Wie jener galt er als hochgebildet, und man verehrte ihn in Lucca, Florenz und anderen Orten der Toskana und Umbriens als doctor francorum^. In S. Agostino in Siena wurden Reliquien von ihm verwahrt 3 9 , so daß sein Erscheinen in einem Bild, das - wie später gezeigt werden wird mit großer Wahrscheinlichkeit einem Sieneser Prototyp folgt, sehr plausibel ist. Der heilige Remigius tat sich im Kampf gegen das Heidentum hervor: Er bekehrte den arianischen König Chlodwig und „leitete damit die Christianisierung des nördlichen Galliens ein" 4 0 . Von 460 bis zu seinem Tode 533 war er Bischof von Reims, als solcher ist er auch im Fresko dargestellt. Ein beträchlicher zeitlicher Abstand trennt Bernhard von Clairvaux (1090/91 — 1153) 41 von Augustinus. Der Gründer des Zisterzienserordens ist hier wie üblich als Mönch dargestellt. Seine

33 LCI Bd. VIII, Sp.232. Bibl. Sanct. Bd. X , Sp. 1193-1204. 34 Bibl. Sanct. Bd. X , Sp.1203. LCI Bd. VIII, Sp.232. 35 Zu der Verwechslung vgl. Bibl. Sanct. Bd. X , Sp.1203, und Kaftal/Bisogni 1978, S. 890, und Kaftal 1965, S. 446, 447 36 Vgl. W Geerlings, Die Belehrung eines Heiden. Augustinus Brief über Christus an Volusianus, in: Augustiniana 41, 1991, S.451-468, über die Biographie des Volusian S.451, 452. Die Identifizierung ist gesichert, denn in der Augustinus-Vita der Legenda Aurea trägt er ein elogium, und dort heißt es „Volusianus autem, cui Augustinus epistolam scripsit" vgl. Leg.Aur. S. 560. 37 Bibl. Sanct. Bd. XI, Sp. 104-113. LCI Bd. VIII, Sp.261-263. Torelli 1659, Bd. I, A. 559, 18, 19, 28. 38 E. B. Garrison, The Veneration of S. Remigio in Lucca, in: ders. Studies in the History of Medieval Italien Painting Bd. III, Florenz 1958, S. 281-282. Da von Remigius nur vier Briefe und sein Testament erhalten sind, verwundert die Bezeichnung als „doktor" (vgl. LThK Bd. VIII, Sp.1226). Es wäre gut möglich, daß Remigius von Reims in diesem Punkt mit Remigius von Auxerre (gest. um 908) verwechselt wurde, der Lehrer der Artes in Reims und Paris war und von dem sehr viele wissenschaftliche Texte erhalten sind. Dieser war dafür weder heilig noch Bischof. Vgl. LThK Bd. VIII, Sp.1224. 39 Kaftal 1952, S. 890. Weitere Reliquien befanden sich in S. Remigio in Florenz. 40 LCI Bd. VIII, Sp.261. 41 Bibl. Sanct. Bd. III, Sp.1-37 LCI Bd. V, Sp.371-385.

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mystische Frömmigkeit beruft sich vor allem in der Betonung der Liebe (Caritas) auf Augustinus 42 , und sein lateinischer Argumentationsstil ist von augustinischer Rhetorik geprägt 43 . Er war ein großer Verehrer des gelehrten Kirchenvaters. Vier dieser Personen standen also in unmittelbarem Kontakt zu Augustinus, nur die beiden letzten lebten wesentlich später. Es fragt sich daher, nach welchen Prinzipien die Gruppe der Heiligen zusammengestellt wurde. Hier kommt die dritte toskanische Variante dieses Programms zu Hilfe, die sich in S. Francesco in Pistoia 44 befindet (Abb. 52). Dort gibt es nur sechs Figuren, die mit ihren Rotuli den Thron des Augustinus flankieren. Wie in Montalcino sind Prosper Tiro, Volusian und Bernhard von Clairvaux darunter, dazu kommen die drei Kirchenväter Hieronimus, Ambrosius und Gregor d. Gr. Die Inschriften auf ihren Rotuli sind identisch mit den elogia, die dieselben Personen am Ende der Augustinus-Vita in der Legenda Aurea vortragen. Diese Textstelle war der Fundus für die Personenauswahl. In Siena und Montalcino sind die Inschriften nicht mehr lesbar. Die Uberschneidung mit einigen Personen in dem Pistoieser Fresko ist allerdings auffällig, zumal es sich bei Prosper und Volusian um Exoten handelt, die äußerst selten dargestellt werden. Ein Blick in die Legenda Aurea zeigt, daß auch Remigius von Reims unter den elogia vertreten ist. Damit stammt die Hälfte der Heiligen in Montalcino aus demselben Fundus wie die Pistoieser. Die Vermutung liegt nahe, daß auch auf ihren Rotuli die Elogen gestanden haben 45 . Simplician ist an dieser Stelle im Text der Legenda Aurea nicht vertreten, aber weiter vorn in der Vita wird über seinen Beitrag zur Bekehrung des Augustinus berichtet. Nur Paolinus von Nola kommt in der Legenda Aurea nicht vor. Uber die nicht identifizierten Figuren können wir keine Aussagen machen. Es ist jedoch wahrscheinlich, daß auch sie entweder in direktem Verhältnis zu Augustinus stehen oder sich später in einer Lobrede über ihn geäußert haben. Elogen sind ein typischer Bestandteil vieler Augustinus-Viten. Diese beginnen mit einer Biographie, dann folgen die Elogen, und erst danach werden die translatio und posthume Wunder beschrieben 46 . Die Anzahl und die Sprecher der Elogen können variieren. Es wäre daher möglich, daß man in dem Fresko in Montalcino auf eine andere Augustinus-Vita als die der Legenda Aurea zurückgriff, die die gesamte Auswahl der Heiligen enthielt 47 . Die Funktion der Figuren, die den Thron des Augustinus in Montalcino rahmen, ist jedenfalls klar: Sie verkünden den Ruhm des heiligen Kirchenvaters, sei es als Zeugen seines Lebens, sei es als spätere Kenner seiner Schriften.

42 Bibl. Sanct. Bd. I I I , Sp.9. 43 Bibl. Sanct. Bd. I I I , Sp.19. 44 Siehe Kap. III. 3. 45 D e r lateinische Text der Elogen steht in Anhang X I I . Das Elogium von Remigius wurde bereits in Kap. I. 3.2.2. zitiert. 46 Vgl. Arbesmann 1962, S. 334. 47 Besonders viele Elogen im Prolog des „Milleloquium" des Bartholomäus von U r b i n o , darunter Volusian, Prosper, Remigius und Bernhard von Clairvaux und Paolinus von Nola. U n t e r den vielen Bischöfen, die dort zitiert sind, stecken mit Sicherheit auch diejenigen aus dem Fresko in Montalcino. Leider sind sie nicht mehr zu identifizieren.

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1.4. Die Deutung: Das Programm in Montalcino und die Bologneser Version Auf den ersten Blick überwiegen die Unterschiede zwischen dem Programm in Montalcino und demjenigen in Bologna 48 (Abb. 40, 4): In Montalcino ist das Bildpersonal stark reduziert und es treten z.T. ganz andere Personen auf. Die Komposition beschränkt sich auf ein Bildfeld und kommt ohne Registerteilung aus. Nur die zentrale Mittelgruppe mit Augustinus, Theologie und Philosophie, die ihre charakteristischen Kreismodelle bei sich haben, ist in beiden Bildern sehr ähnlich. Auf sie berufen wir uns, wenn wir von einer zusammengehörigen ikonographischen Gruppe sprechen. Anders als in Bologna beherrscht die zentrale Trias in Montalcino die Komposition. Vor allem aber konzentriert sich das Bild auf Augustinus, der sämtliche Figuren an Größe überragt. Auf ihn ist das gesamte Bildpersonal bezogen: Theologie und Philosophie sind durch die Thronarchitektur so eng mit ihm vereint, daß sie attributiv, als Verweis auf seine wissenschaftliche Bildung, gelesen werden müssen. Mit Hilfe dieser Bildung gelingt es Augustinus, die beiden Häretiker zu besiegen. Die acht Heiligen verweisen in ihren Elogen sowohl auf seine Weisheit als auch auf seine Schlagkraft im Kampf gegen die Häresie. Was hier die primäre Lesart ist, war im Bologneser Programm sekundär. Das läßt sich schon an der geringeren Größe des Augustinus im Verhältnis zum Gesamtprogramm ablesen. Die attributive Lesung der Allegorien im Sinne einer Glorifikation des Kirchenvaters war zwar auch in Bologna möglich, sie trat jedoch hinter seiner Bedeutung als Vermittler eines Bildungs- und Sittenprogramms für die Augustiner-Eremiten zurück. Das Pult eines Doktors, in dem er im Bologneser Programm sitzt, belegt die Dominanz dieser Lesart. Bezeichnenderweise fehlt es in Montalcino. Umgekehrt enthält das Fresko in Montalcino in einer sekundären Ebene ähnliche Aussagen wie das Bologneser Programm in der primären. Abstrahiert man nämlich von dem direkten Bezug auf Augustinus, so ergibt sich auch hier eine Allegorie des Wissens: Augustinus ist ein Exemplum wissenschaftlicher Bildung, die durch Theologie und Philosophie dargestellt wird und sich im Einsatz gegen Häretiker bewährt. Sein aufgeschlagenes Buch und der dozierende Gestus unterstreichen diese Funktion. Das entspricht exakt den zentralen Aufgaben des Ordens, der das Studium als Grundlage der Predigt und Predigt als Instrument im Kampf für die Rechtgläubigkeit propagierte. Das Fresko liefert einen wichtigen Hinweis auf diese Lesart, indem es Averroes als einen der besiegten Häretiker darstellt. Dieser war nämlich kein historischer Gegner des Augustinus, sondern ein aktuelles Feindbild des Ordens seit Ende des 13. Jh. 4 9 . Die Programme sind demnach gar nicht so verschieden, wie es zunächst aussah, sondern sie setzen nur unterschiedliche Akzente. Der Bologneser Typus breitet ein detailliertes Bildungsprogramm vor dem Betrachter aus, das komplexe Darstellungen der Theologie und Philosophie und einen gewaltigen Apparat an Inschriften enthält. Dabei dominieren didaktisch-mnemotechnische und gelehrte Interessen. In Montalcino ist das Bildungsprogramm in nuce vorhanden, weil Theologie und Philosophie die Artes Liberales selbstverständlich voraussetzen. Die Darstellung konzentriert sich jedoch auf die causa finalis: Bildung ist nicht Selbstzweck, sondern wird erst durch ihre Funktion legitimiert. Vor allem das Studium der heidnischen Philosophie entschuldigte man

48 W i r sprechen im folgenden vom „Bologneser" Programm, als dem generellen Oberbegriff für die Ikonographie, die aus dem Ferrareser Fresko und der Madrider Miniatur bekannt ist. 49 Vgl. Kap. I. 3.2.4.

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damals nur, damit die Theologen in der Lage waren, die Häretiker mit ihren eigenen Argumenten zu widerlegen 50 , so wie es Augustinus mit seiner breiten antiken Bildung vorgeführt hat. Dieser Zweck der Wissenschaft ist implizit auch im Bologneser Programm enthalten, wo der Häretiker Arius den theologischen Argumenten der Fides unterliegt. In der Cortelleri-Kapelle in Padua wurde der Triumph des Augustinus über Averroes sogar explizit hinzugefügt.

1.5. Der Kontext: Ein statisches Schaubild in einem narrativen Zyklus Die Darstellung des Ordenslehrers in Montalcino ist ein statisches Schaubild, das Allegorien und historische Personen verschiedener Epochen vereint. Die Komposition ist symmetrisch angelegt und konzentriert sich auf die Hauptfigur im Zentrum. Das Bild ist formal und inhaltlich in sich abgeschlossen. Es ist daher umso auffälliger, daß es Bestandteil eines großen narrativen Zyklus ist, der die Augustinus-Vita illustriert. Viele der Bilder sind zwar zerstört, doch eine Rekonstruktion der Leserichtung ist noch möglich (Fig. ß). Der Zyklus beginnt in der Lünette der Nordwand mit dem „Traum der Monika". Es folgen die Lünetten der Ost- und Südwand mit der „Predigt des Ambrosius" und der „Einkleidung des Augustinus mit dem Ordensgewand der Augustiner-Eremiten". Diese Szene war sicher mit der „Taufe des Augustinus" kombiniert, die heute zerstört ist. Die Vita wird im mittleren Register der Nord- und Ostwand fortgesetzt. Hier ist nur noch die Darstellung der „Regelübergabe" erhalten (Abb. 41). Im unteren Register der Nordwand erscheint genau unterhalb der „Regelübergabe" das Bild des Ordenslehrers. Das letzte erhaltene Bild befindet sich im unteren Register der Ostwand. Es zeigt ein posthumes Wunder: „Augustinus befreit die Gefangenen von Pavia". Das Bild des Ordenslehrers ist also zwischen der Vita und den posthumen Wundern des Augustinus angeordnet. An dieser Stelle treten in der Legenda Aurea die Heiligen mit ihren Elogen auf, die im Bild den Thron des Kirchenvaters rahmen. Die Integration und die Position des „Triumphbildes" im Vita-Zyklus sind daher durchaus sinnvoll. Dieser Kontext unterstreicht unsere primäre Lesart, die die Feier des Augustinus betonte. In der Legenda Aurea sind nur die Heiligen mit den Elogen erwähnt, nicht aber die Allegorien und das Triumphmotiv. Zwar stellen Possidius und die Legenda Aurea Augustinus als großen Uberwinder der Ketzer dar, doch es fehlen spezielle Wundererzählungen, die das illustrieren. Da der beständige Kampf gegen Ketzer aber ein so wichtiges Charakteristikum des Kirchenvaters war, wurde er in den meisten gemalten Vita-Zyklen in Form einer Disputation zwischen Augustinus und den Häretikern dargestellt 51 . Nur in der Münchner Predellentafel des Meisters von Narni wurde aus der Disputationsszene ein Triumphbild 52 (Abb. 50). In der symmetrischen Zentralkomposition steht Augustinus als Sieger 50 Vgl. E W Oedinger, Ü b e r die Bildung des Geistlichen im späten Mittelalter, Leiden/Köln 1953, S. 3 7 - 3 9 . S. a. Grabmann 1948, S. 154. Auch in den kultischen H y m n e n auf Augustinus erscheint das T h e m a seiner Bildung meistens zusammen mit dem Motiv des Kampfes gegen die Ketzer. Vgl. Mone Bd. I I I , 1855, Nr. 815, S. 205, Nr. 823, S.211. 51 Vgl. Courcelle 1965, S. 109. Die Schautafel zeigt, daß diese Szenen am häufigsten dargestellt wurden. 52 D i e vier Tafeln sind 1409 entstanden. Sie zeigen ausgewählte Szenen der Augustinus-Vita: 1. Aug. als Lehrer der Rhetorik, 2. Seine Bekehrung im Mailänder Garten („tolle, lege"), 3. Seine Taufe durch Ambrosius, 4. Seinen Triumph über die Häretiker. Vgl. dazu Kat. München 1990, Kat. Nr. 7a-d, S. 6 9 - 7 5 .

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auf neun Häretikern, die am Boden liegen. Doch anders als im Triumphbild von Montalcino fehlen dort die Allegorien, und die Häretiker sind so zahlreich, daß man sie als die historischen Gegner des Augustinus deuten muß. Das Motiv des Kampfes gegen Häretiker hat also durchaus seinen Platz in den Vita-Zyklen des Augustinus. Während es normalerweise im historischen Rahmen der Vita-Erzählung bleibt, weist das Fresko in Montalcino mit den Allegorien und dem aktuellen Feindbild, Averroes, darüber hinaus und zeigt sich als Programmbild der Augustiner-Eremiten. Auch andere Programmbilder, die der Selbstdarstellung des Ordens dienten, wurden in VitaZyklen integriert, nachdem sie zunächst als Einzelbilder konzipiert worden waren. D a z u gehört vor allem die „Regelübergabe", die direkt oberhalb des „Triumphes" in Montalcino erscheint (Abb. 41, Fig. 5). Wieder handelt es sich um eine Zentralkomposition, die narrative Elemente weitgehend zurücknimmt. Aber nicht nur formal, sondern auch inhaltlich nehmen die beiden Fresken aufeinander Bezug. Die „Regelübergabe" hat in dieser Form genausowenig eine Textgrundlage in der Legenda Aurea wie der „Triumph des Augustinus" und gehört dennoch zu den am häufigsten dargestellten Szenen in Augustinus-Zyklen 5 3 . Außerdem tritt das Thema schon in der zweiten Hälfte des 13. Jh. als isoliertes Fresko auf 5 4 . Das Bild „beweist" den Anspruch des Ordens auf G r ü n d u n g durch Augustinus, den die Ordenshistoriographie des Heinrich v. Friemar und Jordan v. Sachsen schriftlich untermauerte. Augustinus trägt als Zeichen seiner Zugehörigkeit zum O r d e n im Bild den schwarzen, gegürteten Habit, den er angeblich direkt nach seiner Taufe gewählt hat und später den Augustiner-Eremiten verordnete. Er ist tonsuriert und bartlos wie ein Mönch. Das Bild steht f ü r die frühe eremitische Lebensweise des O r d e n s und repräsentiert damit den status antiquus. Im „Triumph" erscheint Augustinus dagegen als bärtiger Bischof mit Mitra und Bischofsmantel über dem Habit. In diesem A m t widmete er sich der städtischen Seelsorge und setzte seine hohe wissenschaftliche Bildung im Kampf gegen Häretiker ein. Damit entspricht er dem status modernus, dem aktuellen Lebensideal des Ordens. Die beiden Programmbilder waren f ü r den O r d e n von höchster Wichtigkeit. Damit sie den vorderen Wandstreifen besetzen konnten, der vom Kirchenschiff aus am besten zu sehen ist, nahm man sogar eine komplizierte Leserichtung des Vita-Zyklus in Kauf. Eine ähnliche Verschmelzung von Vita-Zyklus und Programmbildern des Ordens findet sich in der Hauptchorkapelle der Eremitani-Kirche in Padua. Sie wurde zwischen 1360 und 1365 von Guariento und Semitecolo freskiert. D a im zweiten Weltkrieg die gesamte Südwand zerstört wurde, übersah die Forschung häufig wichtige Teile dieses Zyklus 5 5 . Erhalten ist n u r die N o r d wand. In deren unterem Register sind die Bekehrung im Mailänder Garten und die Taufe des Augustinus sowie der Empfang des Ordensgewandes dargestellt. Letztere Szene bezeichnet den

53 Vgl. Übersichtstafel bei Courcelle 1965, S. 108, 109. 54 Z. B. im Refektorium von S. Agostino in Fabriano, vgl. Blume 1989, S. 150. 55 F. D'Arcais, Guariento, Venedig 1964, S. 6 1 - 6 3 , identifiziert eine der Philippus-Szenen an der N o r d w a n d fälschlich als „Agostino ordina i vescovi africani" u n d läßt die U n i o n Alexander II. statt Alexander IV vollziehen. Sie verzichtet auf eine ikonographische Analyse. Courcelle 1965, Bd. I, S. 49, datiert die Fresken fälschlich zu f r ü h in das Jahr 1338. Auch hier keine E r w ä h n u n g oder A b b . der verlorenen Fresken. N u r L. Coletti, Studi sulla pittura del Trecento a Padova I. Guariento e Semitecolo, in: Rivista d ' A r t e XII, 1930, S. 370, bringt die Abbildungen der Fresken an der Südwand und benennt sie richtig.

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Punkt, an dem die „authentische" Augustinus-Vita gemäß der „Confessiones" in die programmatische Historiographie der Augustiner-Eremiten umschlägt. Die gegenüberliegende Wand zeigte die Regelübergabe durch Augustinus und die Bestätigung der Regel durch Papst Alexander IV bei der großen Union von 1256. Diese reinen Programmbilder sind - wie in Montalcino - kaum narrativ, sondern statische Zentralkompositionen. Noch in einem weiteren Punkt ähnelt die Ausstattung der Chorkapelle in Montalcino derjenigen der Eremitani-Kirche in Padua. Wie dort erscheinen nämlich auch hier neben der Augustinus-Vita Szenen aus dem Leben der Apostel Philippus und Jakobus Minor. Die Eremitani-Kirche war den beiden Aposteln geweiht. Ahnliches ist auch für S. Agostino in Montalcino anzunehmen.

1.6. Die Hypothese: Ein verlorener Prototyp in S. Agostino in Siena? In Montalcino befindet sich bekanntlich nicht die einzige toskanische Darstellung des Ordenslehrers. Immerhin diente das Exemplar der Sieneser Sakristeikapelle in mancher Hinsicht zur Rekonstruktion. Da diese Version aber erst 1412 entstanden ist, kann sie nicht die Vorlage für Montalcino sein. Doch auch eine umgekehrte Abhängigkeit ist kaum wahrscheinlich, denn originale Bilderfindungen sind meistens künstlerisch überzeugender umgesetzt als spätere Kopien, und das Sieneser Fresko ist demjenigen in Montalcino in formaler Hinsicht weit überlegen. So wirkt die Raumorganisation des Bildes in Montalcino sehr aufsichtig (Abb. 40). Das Personal scheint in das - durch den Zyklus vorgegebene - Bildfeld regelrecht hineingedrängt worden zu sein. Die Assistenzfiguren in Siena bilden dagegen einen lockeren Halbkreis um den Thron des Augustinus und vermitteln einen wesentlich überzeugenderen räumlichen Eindruck (Abb. 45). Die Thronarchitektur ist in Siena viel komplizierter als in Montalcino. Sie erfüllt dort besser die Funktion, Augustinus und die beiden Allegorien zu einer Trias zusammenzuschließen und von dem Kreis der Heiligen abzugrenzen. Außerdem gibt es in Montalcino diverse Vereinfachungen in Details. Z. B. sind die Gewänder der Häretiker weniger dekoriert; die Federkrone der Philosphie ist in Montalcino kaum als solche zu erkennen, und das hohe Alter der Frau wird nicht so deutlich dargestellt wie in Siena, obwohl es ikonographisch relevant ist. Das Motiv der Leiter auf ihrem Kleid mag heute in Montalcino abgerieben sein, ebenso wie die Umschrift um das Medaillon wahrscheinlich nur verloren ist. Das Buch des Augustinus ist in Siena sinnvoll nach unten geneigt, um die Häretiker mit dem Wort zu treffen. Die Pfeile verdeutlichen dies. In Montalcino hält Augustinus das Buch dagegen schräg nach oben, und die Pfeile fehlen. Angesichts dieses Befundes möchte ich die Hypothese aufstellen, daß sich beide Fresken auf einen gemeinsamen Prototypus beziehen, der offenbar verloren ist. Es ist sinnvoll, ihn im Kontext der Augustiner-Eremiten zu suchen. Dort mag das Bild des Ordenslehrers speziell für diese Stelle in einem Vita-Zyklus konzipiert worden sein, den man einerseits in Montalcino vollständig übernahm, und andererseits in der Domsakristei in einen neuen Kontext exportierte, wo er ein isoliertes Programm darstellte. Ein später Reflex des Bildprogramms findet sich in der Avignoner Tafel des Giovanni di Paolo (Abb. 44). Ihre Kombination von Regelübergabe und Triumphmotiv beweist, daß sie für den Orden der Augustiner-Eremiten gemalt wurde. Die Vorlage war wahrscheinlich ein Zyklus wie in Montalcino, denn dort befinden sich die Bilder, die die Tafel vereint, programmatisch übereinander. Giovanni di Paolo dürfte sich dabei eher auf ein hauptstädtisches Vorbild aus dem Ordenskontext als auf die Sakristeikapelle - die nichts mit dem Orden zu tun hat 90

und in der die Regelübergabe deshalb fehlt - oder auf das entlegene Exemplar in Montalcino beziehen 56 . Da alle drei Beispiele aus der Sieneser Malerei stammen, dürfte auch der Prototyp in diesem künstlerischen Zentrum entstanden sein. Hier bietet sich die Kirche S. Agostino als Ort der originalen Bilderfindung an. Leider ist sie völlig barockisiert, so daß nichts von einem solchen Bildprogramm erhalten ist 5 7 . Unser Vorschlag muß deshalb eine Hypothese bleiben.

2. Die Fresken in der Sieneser Dom-Sakristei Im Jahre 1409 hatte der Operaio des Sieneser Domes, Caterino Corsino, einen neue Sakristei errichten lassen 58 (Fig. 7). Der geräumige Neubau schließt im Norden mit drei Kapellen auf annähernd quadratischen Grundrissen, die sich in weiten Rundbögen zur Sakristei öffnen. Die mittlere Kapelle war Maria, der Patronin der Stadt, geweiht. In der linken stand ein großer Reliquienschrank (heute in der Domopera), und die rechte Kapelle diente als Bibliothek. Sie wird in einem Dokument vom 15.Oktober 1410 als „chapella due stanno i liri (d. h. libri) nella sagrestia" 59 bezeichnet. Die Verwahrung von Büchern in einer Sakristei oder einer ihr angeschlossenen Kapelle hat eine lange Tradition im Mittelalter 60 . Die hohe Bedeutung der Bücher kommt aber nicht nur durch diesen Aufbewahrungsort, sondern auch durch das Freskoprogramm im Innern der Kapelle zum Ausdruck, das 1412 von dem Sieneser Maler Benedetto di Bindo fertiggestellt worden war 6 1 . Die „cappella dei libri" ist von einem Kreuzgewölbe überfangen. An der Stirnwand und an der rechten Seitenwand befindet je ein hohes Rundbogenfenster (Fig. 6). Allein die linke Seitenwand bietet eine große geschlossenen Fläche, an der das Bild des Ordenslehrers Platz findet. Wir nennen sie daher die Hauptwand. Das Fresko besetzt eine rundbogige Lünette. Anders als in Montalcino hat es daher ein Breitformat. Da das Bild in der Domsakristei eine ganz andere Funktion erfüllt als in einer Kirche der Augustiner-Eremiten wird es in diesem Zusammenhang nicht als Darstellung des Ordenslehrers, sondern als Triumph des Augustinus bezeichnet. Wie bereits dargelegt wurde, stimmt die Ikonographie mit derjenigen in Montalcino weitgehend überein. Im Zentrum thront Augustinus. Sein Gesicht ist zerstört, nur die Spitze der Mitra und Ränder des Heiligenscheins sind noch zu sehen. Die schwarze Kapuze des Ordensgewandes, die über dem Bischofsmantel liegt, bestätigt jedoch die Identifikation 62 . Theologie und Philosophie flankieren den Kirchenvater (Abb. 46). Die vorkragenden Seitenflügel des Thrones schließen die beiden viel deutlicher mit Augustinus zu einer Trias zusammen, als es 56 Lt. Kat. Avignon 1987, S. 111, ist die Tafel des Giovanni di Paolo eine Kopie nach der Sieneser Bibliothekskapelle. Dies ist ebenso abzulehnen wie die dortige Behauptung, der Maler „ . . . s'inspire en tout cas de 'Triomphe du S. Thomas d'Aquin" in der Spanischen Kapelle. 57 Ü b e r die verlorenen Fresken von A. Lorenzetti im dortigen Kapitelsaal vgl. Seidel 1978, S. 2 0 2 - 2 0 6 . 58 D e r Bau ist exakt dokumentiert. Vgl. Milanesi 1854, Bd. II, S . 3 9 ; Lusini 1911, Bd. I, S . 2 9 0 , 291, 342, 343; Bacci 1944, S . 2 0 0 , 201; Brandi 1949, S . 2 8 , A n m . 8. Neue Publikation aller Quellen bei Mongellaz 1985, S. 7 3 - 8 9 . 59 Vgl. Mongellaz 1985, D o k u m e n t vom 15. O k t . 1410. 60 Dazu Liebenwein 1977, S. 18, 20, und R d K Bd. I I , Sp.520. 61 Überzeugende Zuschreibung bei Mongellaz 1985, S. 7 6 - 8 4 , und dies. 1983, S.27, 28. 62 Lusini 1907, S. 101, und ders. 1911, S . 3 0 0 , hielt die thronende Figur für eine Allegorie der Theologie oder des Papsttums. Erst Carli 1979, S. 86, und Mongellaz 1984, S. 28, erkannten Augustinus.

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in Montalcino der Fall war. Ikonographisch entsprechen sie den dortigen Versionen bis auf geringe Abweichungen. Theologie stützt hier z. B. im Gestus der Kontemplation ihr Kinn in die rechte Hand, während sie in Montalcino auf das Medaillon verwies. Das ist hier in Goldfarbe ausgeführt und trägt die Umschrift aus dem Anfang des Johannes-Evangeliums: „In pricipio erat verbum". Philosophie gleicht der Version in Montalcino beinahe wörtlich. In Siena fehlen nur Mond und Sonne, die in Montalcino auf der Himmelsscheibe über ihrem Kopf sichtbar waren. Vielleicht sind sie nur abgerieben. Dafür erkennt man in Siena noch deutlich das Motiv der Leiter, das in Chrysographie auf ihrem dunkelblauen Kleid eingezeichnet ist. Das Motiv beschreibt Boethius in „De consolatione Philosophiae" auf dem Kleid seiner Trösterin 63 . Da Boethius auch das hohe Alter der Frau, ihre Bücher und ihr Szepter anführt, könnte sogar der Himmel über ihrem Kopf aus seiner Quelle abgeleitet werden 64 . Boethius sieht sie nämlich in wechselnder Größe, einmal in menschlichem Maß, ein andermal mit dem Scheitel den Himmel berührend, und sogar über ihn hinausragen. Das bedeutet, daß in dieser Figur nicht nur die lokale Tradition der Grisaille-Philosophie aus der Sala della Pace und die Bologneser Idee des Globus (Abb. 42, 4), sondern auch der Text des Boethius zu einer synthetischen Figurenerfindung zusammenfließen 65 . Wie in Montalcino umstehen acht Heilige mit auffälligen Rotuli den Thron. Sie bilden einen weiten Halbkreis, der sich ideal in das rundbogige Bildfeld einfügt. Sechs von ihnen sind durch ihre Tituli eindeutig zu identifizieren. Die Auswahl stimmt mit derjenigen in Montalcino überein, sie muß daher nicht an dieser Stelle wiederholt werden. Natürlich haben sie hier dieselbe Funktion wie in Montalcino: Auf den Rotuli standen wahrscheinlich elogia, die einen festen Platz in AugustinusViten besaßen. Die Heiligen stehen auf einer Holzbühne, deren untere Stufe in zwei seitlichen Flügeln bis zum vorderen Bildrand vorgezogen ist. In der Mitte bleibt ein rechteckiger Bezirk frei. Dort liegen die beiden besiegten Häretiker auf der nackten Erde. Sie wurden absichtlich ausgegrenzt, denn sie befinden sich nicht auf dem Boden der Rechtgläubigkeit. Dieses Motiv begegnet einem häufig in Rechtshandschriften, wo der Richter mit seinen Beisitzern und Soldaten auf der Bühne thront, während die Verbrecher auf den Erdboden davor gedrängt werden 66 (Abb. 16). Die Heiligen umrahmen nicht nur die zentrale Trias von Augustinus und den zwei Allegorien, sondern auch deren Kontrahenten, die als Gegenpart ebenfalls zur Mittelgruppe gehören. Zwei Pfeile, die von dem Buch im Schoß des Augustinus direkt in die Herzen der Häretiker treffen, stellen das kausale Verhältnis klar vor Augen: Augustinus besiegt die beiden mit gelehrten Argumenten, d. h. mit der Kraft des Wortes.

63 Boethius, „De consolatione Philosophiae", S. 4. 64 Bei Boethius, ebd. S. 4, heißt es: „... quamvis ita aevi plena foret... nunc vero pulsare caelum summi verticis cacumine videbatur; . . . Et dextra quidem eius libellos, sceptrum vero sinistra gestabat..." 65 Mongellaz 1984, S.28, erklärt den Himmel über dem Kopf der Philosophie durch Boethius. Eine solche Darstellung der Philosophie, die bis zu den Wolken reicht, ist aber in Italien unbekannt und in Frankreich sehr selten (Reliefs in Laon und Sens). Weil der Globus, auf dem Philosophie steht, nicht bei Boethius genannt wird, und da die gesamte Erscheinung mit Büchern und Szepter in der Sieneser Malerei Tradition hat, könnte das Himmelssegment genausogut eine Umformung der Bologneser Sphära sein. 66 Z. B. Paris, B N , Cod. 14339, fol. 3r, Dig. Vet. 1, 1. In vergleichbarer Weise werden die drei Häretiker in dem Thomas-Fresko in der Spanischen Kapelle ausgegrenzt: Sie hocken auf einem kleinen Podest, das nicht in die Ordnung des Schaubildes integriert sondern in den imaginären Raum davor geschoben wurde. Vgl. Belting 1989, S. 51. Ganz ähnlich funktionieren auch Konzilsdarstellungen (Abb. 51), vgl. Walter 1970, passim.

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2.1. Der neue Kontext In der „cappella dei libri" ist der Triumph des Augustinus nicht in einen Erzählzyklus integriert, sondern beherrscht als isoliertes Programmbild eine einzige Wand, was im Grunde viel besser zu der statischen, zentralisierten Komposition paßt. Die beiden anderen Wände der Kapelle zeigen weder augustinische noch Augustiner-eremitische Themen (Fig. 6). An der Stirnwand, direkt über dem Scheitel des Rundbogenfensters, erscheint Christus (Abb. 48). Er ist in dem schmalen Bildstreifen nur als Halbfigur zu sehen. Mit ausgebreiteten Armen übergibt er je ein Buch an die beiden seitlich des Fensters heranschwebenden Evangelisten, von denen nur Johannes zur Rechten Christi eindeutig zu identifizieren ist. Unterhalb der Evangelisten sitzen zwei Kirchenväter in ihren studioli. Zur Rechten Christi befindet sich Augustinus, zur Linken Gregor d. Gr. Die rechte Seitenwand folgt demselben Dekorationsschema. Oberhalb des Fensters erscheint hier die Halbfigur Mariens 67 mit dem Christuskind im Arm (Abb. 47). Beide überreichen den seitlich heranschwebenden Evangelisten ein Buch. Unterhalb der Evangelisten sitzen Ambrosius und Hieronimus an ihren Schreibpulten. Diese Fresken veranschaulichen den unterschiedlichen Grad göttlicher Inspiration bei den wichtigsten christlichen Autoren. Die Evangelisten empfangen ihre Bücher direkt aus Gottes Hand. Sie enthalten unmittelbar das Wort Gottes. In ihrer eigenartig schwebenden Position sind sie dem Erscheinungsbereich Christi zuzuordnen. Die Kirchenväter sitzen dagegen fest auf ihren Stühlen an ganz 'realen' Pulten und müssen ihre Bücher selbst schreiben. Sie befinden sich in der unteren Zone des Freskos, die jedoch nicht durch Ornamentbänder von dem Bereich Christi und der Evangelisten getrennt ist. Ihre Einbeziehung in das Bildfeld zeigt, daß auch sie von der göttlichen Inspiration profitieren, aber ihr Verhältnis zur Quelle ist nicht mehr unmittelbar: Sie verkünden nicht das Wort Gottes, sondern kommentieren die Worte der Evangelisten. Die theologischen Schriften mittelalterlicher Autoren, die in den Schränken unterhalb der Fresken standen, sind sozusagen als 'Sockelzone' in das Bildprogramm einbezogen. Auch sie stehen unter der göttlichen Inspiration, aber sie bezeichnen einen weiteren Schritt der Entfernung von der Quelle. Augustinus besetzt an der Stirnwand einen Sonderplatz auf der rechten, d. h. der 'guten' Seite Christi und unterhalb des Lieblingsapostels Johannes, den er auch selbst bevorzugte und dessen Schriften er oft kommentiert hat. Diese Zuordnung findet ein Echo im Triumphbild, wo das Medaillon mit dem Anfang des Johannes-Evangeliums direkt neben Augustinus Kopf erscheint (Abb. 45). In der „cappella dei libri" ist Augustinus also zweifach dargestellt (Fig. 6): Seine Position an der Stirnwand grenzt direkt an das große Triumphbild, so daß er wie ein Gelenkstück zur Verknüpfung der Freskowände beiträgt. Einmal empfängt der Kirchenvater Inspiration von Christus, dann setzt er sein Wissen ein, um Häretiker zu bekämpfen. Die Fensterwände bezeugen die Entstehung und Autorität seiner Schriften, die Hauptwand demonstriert deren Aufgabe und Wirkung. Ohne den Kontext eines Vita-Zyklus oder Augustiner-eremitischer Programmbilder verliert der „Triumph des Augustinus" den ordensspezifischen Charakter. Die schwarze Kapuze des Habits, die über Augustinus Bischofsmantel sichtbar ist, kann daran nichts ändern, zumal sich dieses Kleidungsstück gegen Ende des 14. Jh. so häufig in der Augustinus-Ikonographie findet, daß es an

67 Marias K o p f ist vollkommen zerstört.

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Signifikanz verloren hat 6 8 . Außerdem wird das Motiv hier im Gegensatz zu Montalcino absichtlich zurückgedrängt, denn der Habit schaut nicht mehr unter dem offenen Mantel hervor. Obwohl das Sieneser Bildformular grundsätzlich mit jenem in Montalcino identisch ist, bewirkt der neue Kontext eine inhaltliche Akzentverschiebung. Augustinus ist in der Bibliothekskapelle nicht mehr der Ordensgründer und Ordenslehrer der Augustiner-Eremiten, sondern ein exemplarischer Schriftsteller. Seine Inspirationsquelle verbürgt die hohe Autorität der Schriften, und die Pfeile, die von seinem Buch ausgehend die Häretiker ins Herz treffen, beweisen die fulminante Macht seines Wortes. Sowohl seine 'Vielschreiberei' als auch der Einsatz seiner Schriften im Kampf für den rechten Glauben sind Topoi der Augustinusverehrung seit der Spätantike. Sein Porträt schmückte bereits die Bibliothek des Isidor v. Sevilla 69 , und die früheste erhaltene Darstellung des Augustinus ist ein Fresko aus der ehemaligen Lateran-Bibliothek 70 . Der Triumph des Augustinus richtete sich an ein Publikum, dessen Bildungsniveau hoch genug war, es in allen Details zu verstehen. Es waren nämlich die Kanoniker des Doms, die sich in der Bibliothek der Sakristei bedienten. Sie bereiteten aus diesem Bestand mit Sicherheit auch ihre Predigten vor, die ähnlich wirksam sein sollten, wie das Wort des Augustinus im Fresko. Es ist zu wenig über sie bekannt, als daß man besondere Beziehungen zu den Augustiner-Eremiten von S. Agostino in Siena feststellen könnte 7 1 . Die Chorherren folgten jedoch seit dem 12. Jh. meistens der Regel des Augustinus 72 , und so liegt es nahe, daß sie gerade ihn als exemplarische Autorität wählten. Sie zitieren hier ein bekanntes Bildprogramm - das wahrscheinlich aus S. Agostino in Siena stammte - und interpretieren es durch die Versetzung in einen anderen Kontext nach ihren Bedürfnissen um.

3. Das Fresko in S. Francesco in Pistoia Die dritte toskanische Variante der Allegorie des Wissens befindet sich in S. Francesco al Prato, der Franziskanerkirche von Pistoia (Abb. 52). Da sie nicht im Kontext der Augustiner-Eremiten steht, und da hier auch das Triumphmotiv fehlt, wird sie im folgenden ganz allgemein als Wissenschaftsallegorie bezeichnet. Die Bracciolini-Kapelle grenzt nördlich an die Hauptchorkapelle. Sie war ursprünglich der Maria geweiht. In der zweiten Hälfte des 16. Jh. verbrachte man die Franziskus-Tafel aus der Hauptchorkapelle auf ihren Altar und weihte sie daher dem heiligen Franziskus 73 . Im 17 Jh. wurden die Fresken weiß übermalt und zwei Nischen in die Seitenwände geschlagen. Ab 1882 begann die Wiederaufdeckung der Fresken.

68 Zu den Anfängen dieser Ikonographie Ende des ersten Viertels des 14. J h . vgl. Seidel 1985, S. 111-113. Gegen Ende des 14. J h . hat sie sich auch außerhalb des augustinischen Umfeldes verbreitet. 69 Zu Isidor v. Sevilla vgl. Kap. I. 3.2.2. 70 Augustinus ist dort wie ein Evangelist dargestellt, d. h. es ist ein typisches Autorenbild. Vgl. Ph.Lauer, Les fouilles du Sancta Sanctorum, in: Mélanges d'archéologie et d'histoire 20, 1900, S. 2 5 1 - 2 8 7 . S. a. Manser 1930, S. 391, 3 9 4 - 3 9 5 ; Liebenwein 1977, S. 19, 20. 71 Mongellaz 1984, S. 33, A n m . 34. 72 Vgl. Heimbucher 1933, Bd. I, S. 398 ff. 73 Beani 1902, S . 2 1 , 22. Brunetti 1935, S . 2 2 2 , A n m . 1.

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Die Bracciolini-Kapelle zeigt ein einheitliches Dekorationssystem (Fig. 8). Sie ist offensichtlich in einer einzigen Ausstattungskampagne dekoriert worden. Es waren verschiedene Hände einer Werkstatt beteiligt, die die Fresken zwischen circa 1400 und 1420 ausgeführt haben müssen 74 . Schmale Ornamentbänder teilen die beiden Seitenwände in drei horizontale Bildfelder. Die Fresken der Lünetten sind zerstört. Im mittleren Register stehen sich „Sposalizio" (rechts) und „Dormitio Virginis" (links) gegenüber. Darunter erscheint an der rechten Wand die Allegorie des Wissens und gegenüber die „Bekehrung Pauli", die bisher irrtümlich als „Tod des Ludwig von Toulouse" gedeutet wurde 75 . Die Stirnwand wird von einem großen Lanzettfenster dominiert, so daß keine narrativen Szenen dort Platz finden. Die Allegorie des Wissens ist besonders gut sichtbar, weil sie das untere Register besetzt (Abb. 52). Augustinus thront im Zentrum. Er trägt die Mitra und den Bischofsmantel, unter dem der schwarze Habit der Augustiner-Eremiten deutlich zu sehen ist. In seinem Schoß liegen drei Bücher, in den Händen hält er zwei Rotuli. Ähnlich wie in Montalcino und Siena rahmen Heilige mit Rotuli seinen Thron (Abb. 40, 45). Allerdings stehen sie in Pistoia nicht auf einem gestuften Podest, sondern 'erscheinen' als schwebende Halbfiguren. Wegen des schlechten Erhaltungszustands waren die Tituli - mit einer Ausnahme - bisher noch nicht entziffert, und zwei Figuren konnten nicht einmal identifiziert werden 76 . Nachdem wir jedoch die originale Textquelle gefunden hatten, ließen sich die fragmentarischen Tituli vollständig rekonstruieren und alle Figuren benennen. Als Vorlage dienten die Elogen der Augustinus-Vita in der Legenda Aurea, die dort zwischen der Biographie des Heiligen und den posthumen Wundern eingeschoben sind. Die Lesung der Pistoieser Tituli war die Voraussetzung dafür, daß die Elogen der Heiligen in Montalcino und Siena rekonstruiert oder zumindest in ihrer Funktion bestimmt werden konnten. Die Zahl der Heiligen ist hier gegenüber Montalcino und Siena auf sechs verringert. Die Auswahl der Personen überschneidet sich nur in Prosper Tiro, Volusian und Bernhard von Clairvaux. Die beiden ersteren werden so selten dargestellt, daß die Verbindung der Programme durch ihr Auftauchen bereits gesichert ist. Zu ihnen treten in Pistoia Hieronimus, Ambrosius und Gregor d.Gr., die mit Augustinus zusammen die Gruppe der vier lateinischen Kirchenväter bilden. Alle sechs sind mit ihren Elogen in der Legenda Aurea vertreten 77 . Vorne links erscheint Volusian, der als einziger keinen Nimbus hat. Das Elogium auf seinem Rotulus lautet: „Was Augustinus nicht weiß, das ist im Gesetz Gottes nicht enthalten." Es folgt ein hl. Bischof mit Mitra und Stola, der nur über den Text seiner Eloge identifiziert werden konnte. Es ist Prosper Tiro von Aquitanien: „Augustinus, der Bischof, hat einen scharfen Geist, eine süße Rede, und er ist erfahren in den weltlichen Schriften." 74 Vgl. Anhang XII. 75 Chiappelli 1929/30, S.222; Brunetti 1935, S.224; Tezmen-Siegel 1985, S. 197 Eine Predellentafel von Luca di Tomme, die sich im Museum von Seattle befindet, zeigt exakt dasselbe Bildformular, enthält aber zusätzlich noch die Inschrift: „Säule, Säule, cur me persequeris?" Vgl. S. A. Fehm, Luca di Tomme, Carbondale/Edwardsville 1986, Kat. Nr. 41, S. 132, Taf. 40; S. Shapley, Paintings from the Cress Collection, London 1954, Kat. Nr. 373, S.60, Fig. 158. 76 Vgl. Brunetti 1935, S.224, Anm. 1. 77 Die lateinischen Texte der Rotuli stehen in Anhang XII. 4.

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Ambrosius

ist als Bischof mit Mitra dargestellt:

„Wir beten Deine Herrlichkeit an, die D u in der Abtötung des Augustinus gezeigt hast." Der hl. Papst Gregor d. Gr. erscheint mit der Tiara: „Die Vorsicht eines gelehrten Mannes soll uns eine Lehre sein." Hieronimus

tritt mit rotem Kardinalshut auf:

„Zu jeder Zeit habe ich Deine Seligkeit in Ehren gehalten, wie es sich gehört, und ich habe den Herrn und Erlöser geliebt, der in Dir wohnt." Der hl. Mönch im weißen Zisterzienserhabit ist Bernhard von

Clairveaux:

„Dies ist der stärkste Hammer gegen die Ketzer." Die Elogen rühmen an Augustinus vor allem drei Eigenschaften. Erstens ist er laut Ambrosius und Hieronimus vom Geist Gottes erfüllt. Die Geisttaube, die über seinem Haupt schwebt, macht dies im Bild sichtbar. Seine Auslegungen der heiligen Schrift besitzen eine solche Autorität, daß etwas, was bei ihm fehlt, auch nicht Gesetz Gottes sein kann (Volusian). Zweitens ist Augustinus hochgelehrt, und zwar sowohl in geistlichen als auch in weltlichen Wissenschaften. Gregor d. Gr. weist darauf hin, daß man sich die Vorsicht des vir doctus eine Lehre sein lassen soll, und Prosper preist sein ingenium, seine Eloquenz und seine Kenntnisse in den profanen Schriften. Drittens gilt Augustinus als der große Sieger über die Häretiker. Bernhard von Clairvaux hat mit dem „malleus haereticorum" eine häufig zitierte Metapher geprägt 7 8 . Alle drei Aspekte, die göttliche Inspiration, die Gelehrsamkeit und der Kampf gegen Häresien, sind zentrale Schlagworte der AugustinusVerehrung, die uns schon häufig begegneten. D a die Tituli der Heiligen aus der Legenda Aurea stammen, lag es nahe, auch den Text der Rotuli in den Händen des Augustinus dort zu suchen. Doch nur derjenige in seiner Linken steht in dieser Quelle, und zwar ganz am Anfang der Vita, wo über Augustinus' jugendliche Ausbildung berichtet wird. Wie die Elogen der Heiligen so ist auch diese Passage in der Legenda Aurea als direkte Rede gekennzeichnet, d. h. Augustinus spricht: „Herr, was auch immer von der Kunst der Rede und des Vortrags, von der Größe der Figuren, von der Musik und den Zahlen es gibt, das verstand ich ohne große Schwierigkeiten, obwohl mir kein Mensch dabei half." Der Titulus in seiner Rechten ist nur im letzen Teil lesbar: „ . . . fides, spes, Caritas, prudentia, temperantia, fortitudo, iustitia." Der eine Titulus bezieht sich auf die Artes Liberales, der andere zählt die Tugenden auf. Diese sind an den entsprechenden Seiten zu Füßen des Augustinus dargestellt. Die vierzehn Allegorien sitzen auf zwei abgestuften Bänken. Sieben Figuren sind wegen des Einbaus der barocken Nische weitge-

78 Bernhard v. Clairvaux, Serm. in Cant. 80, 7, P L 183, Sp.1170. Dies wird auch in den Elogen am Anfang des „Milleloquium" von Bartholomäus v. Urbino und in der autografen „Vita S. Augustini" des Jordan v. Sachsen zitiert. Vgl. R. Arbesmann, The „Malleus" Metapher in Medieval Characterization, in: Traditio III, 1954, S. 389-392.

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hend zerstört. Bisher wurde weder die Anordnung der Tugenden und Artes rekonstruiert, noch die erhaltenen Figuren richtig gedeutet 79 . Links sitzen oben die drei theologischen Tugenden. Von Spes sind nur die beiden Hände erhalten, die sie betend zu einer Krone emporstreckt. Sie trägt ein grünes Kleid, die klassische Symbolfarbe der Hoffnung. Caritas ist weitgehend erhalten. Ihr Kleid hat die symbolische rote Farbe, sie hält eine Flamme in der Linken und weist mit der Rechten auf ihr Herz. Fides, der Glaube, trägt ein weißes Kleid. Sie hält in der Rechten ein Kreuz, in der Linken einen Kelch. Unterhalb der drei theologischen Tugenden befinden sich die vier Kardinaltugenden. Von Prudentia ist nur der Kopf erhalten. Sie hat auf der Stirn ein drittes Auge und hält überlegend den Finger auf das Kinn. Ein zusätzliches Auge bedeutet ähnlich wie die zwei oder drei Gesichter, die bei Prudentia häufig auftauchen, besonderen Weitblick und Umsicht. Die Dreizahl könnte auf ihre Kenntnis um Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft hinweisen. Temperantia ist nur als Brustbild erhalten. Sie mischt Wasser und Wein. Fortitudo und Iustitia sind vollkommen zerstört. Bei den Artes Liberales sitzt auf der oberen Stufe das Trivium, auf der unteren das Quadrivium. Grammatik ist verschleiert. Sie hält eine Geißel, während ein Schüler in dem offenen Buch auf ihrem Schoß liest. Dialektik hält einen blühenden Strauch und einen Skorpion wie zwei konträre Argumente gegeneinander. Das Motiv ist im „Anticlaudianus" des Alanus ab Insulis, (Buch III, Vers 25-26) vorgebildet. Rhetorik hat ein offenes Buch im Schoß. Von den beiden ersten in der unteren Reihe, sind nur Kopffragmente erhalten. Sie müssen als Arithmetik und Geometrie rekonstruiert werden, da die beiden anderen Vertreterinnen des Quadriviums noch gut zu erkennen sind. Musik hält eine Marmorsäule und einen Backsteinpfeiler, auf denen die Noten zu lesen sind: „ut re mi fa so la". Sie tauchen in der Madrider Miniatur (Abb. 4) als Attribute des Tubal Kain auf, der der exemplarische Vertreter der Musik ist. Da in Pistoia die Artes nicht durch berühmte Männer repräsentiert werden, wanderte das Attribut des Tubal Kain in die Hand der Musik. Astronomie wendet sich nach rechts aus dem Bild. Sie hat eine Armillasphäre in der Hand, auf die sie mit einem Stab zeigt. Die Darstellungen der Tugenden und Artes Liberales unterscheiden sich sehr von denen in der Bologneser Allegorie des Wissens. Sie verzichten nicht nur auf Anti-Exempla und Repräsentanten, sondern sind - wie Theologie und Philosophie in Montalcino und Siena - der lokalen Tradition angepaßt, die sich in Pistoia besonders an der Florentiner Ikonographie orientiert 80 . Oberhalb der Tugenden und Artes befindet sich je ein großes Kreismodell (Abb. 52). Das linke ist weitgehend zerstört. Man sieht nur noch ein Segment, aus dem ein menschlicher Kopf und ein Löwe hervorschauen. Das reicht aus, um die vier Evangelistensymbole zu rekonstruieren, die das Rad umgeben, in dem das Buch mit dem Ezechiel-Zitat erscheint. Dieses Rad ist im Bologneser 79 Giglioli 1904, S. 1 2 1 - 1 2 3 , hat die meisten Figuren falsch gedeutet. E r hielt Prudentia für eine Oboedientia; Musik deutete er wegen des Pfeilers, den er für einen Turm hielt, als Fortitudo; die Armillasphäre der Astronomie hielt er für einen Spiegel und deutete die Figur als Prudentia; das Buch auf dem Schoß der Rhetorik hielt er für eine Orgel und deutete die Figur als Musik. Brunetti 1935, S. 224, A n m . 1, und S. 236, sowie Tezmen-Siegel 1985, S. 198, liefern ebenfalls sehr fehlerhafte Deutungen. 80 Eine detaillierte Herleitung der Attribute der Tugenden und Artes sprengt den Rahmen dieser Arbeit. Die wichtigsten Florentiner Denkmäler, in denen die Pistoieser Ikonographie vorgeprägt ist, sind folgende: die Florentiner Baptisteriumstür von Andrea Pisano; die Reliefs des Florentiner Dom-Campanile von Andrea Pisano; Spanische Kapelle in S. Maria Novella, die gemalte Area des Petrus Martyr; ebd. die Artes Liberales; Loggia die Lanzi, Reliefs von Jacopo di Piero Guidi; Florentiner D o m , Grabmal des Kardinal Orsini von Bicci di Lorenzo. Zur Ikonographie der Caritas vgl. bes. Freyhan 1948, S. 6 8 - 8 6 ; zu den Tugenden Schlosser 1896, Pfeiffenberger 1974, O ' R e i l l y 1988; zu den Artes Tezmen-Siegel 1985.

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Programm der Theologie als Attribut beigegeben (Abb. 4). Sie ist analog zu der weiblichen Halbfigur zu ergänzen, die hinter dem Sphärenmodell oberhalb der Artes Liberales hervorschaut. Diese ist verschleiert und stützt den Kopf in die Hand. Ein Titulus oberhalb ihres Kopfes bezeichnet sie als „Astrologia". Im Bologneser Programm ist diese Frau jedoch als „Philosophia" betitelt. N u r sie gibt das passende Pendent zur gegenüberliegenden Theologie ab. Da im Pistoieser Fresko die Astronomie bereits unter den Artes Liberales dargestellt ist, muß die Authentizität dieses Titulus angezweifelt werden. Es handelt sich wahrscheinlich um eine falsche Ergänzung aus der ersten Restaurierungsphase (1882-1884), in der viele Retuschen angebracht wurden 8 1 . In dem Pistoieser Fresko mischen sich offensichtlich Elemente der Bologneser und der Sieneser Version (Abb. 4, 45). Die Heiligen mit den Elogen stammen aus Siena. Sie feiern Augustinus in ihren Lobsprüchen als großen Gelehrten und Feind der Häretiker. Damit unterstreichen sie eine Lesart, die die Tugenden und Artes, Theologie und Philosophie, attributiv auf den Kirchenvater bezieht. Diese Lesart wird durch den Text seiner eigenen Rotuli bestätigt. Andererseits hat Augustinus in diesem Bild auch Vermittlerfunktion. Als berühmtes Exemplum empfiehlt er wie im Bologneser Programm die Tugenden und Wissenschaften dem Publikum zur Nachahmung. Theologie und Philosophie erscheinen hier ganz nach dem Bologneser Typus und führen die beiden Septenare an. Dieses synthetische Programm beweist, daß die Bologneser Allegorie des Wissens in der Toskana bekannt war und als passendes Gegenstück zur Sieneser Version empfunden wurde. Das belegt nochmals die inhaltliche Verknüpfung der beiden Programme, die auf den ersten Blick so unterschiedlich wirkten. Die vielen Parallelen zu der Florentiner Ikonographie der Tugenden und Artes verlocken zu einer dritten, der „S. Spirito-Hypothese", auf die wir aus Mangel an Indizien vorsichtshalber verzichten 8 2 . In der Franziskanerkirche von Pistoia wird das Bildprogramm der Augustiner-Eremiten zu einer allgemeinen Tugend- und Wissenschaftsallegorie umgedeutet. Da die franziskanischen Theologen seit dem 13. J h . dem Kirchenvater Augustinus besonders verpflichtet waren, leuchtet es ein, daß sie gerade dieses Bildformular adaptierten 8 3 . Eine eigene Wissenschaftsallegorie hatte der Orden nämlich bisher nicht entwickelt. Es ist bezeichnend, daß die Franziskaner das Programm eines konkurrierenden Bettelordens erst im frühen 15. Jh. übernahmen. Zu diesem Zeitpunkt war die Bilderfindung der Augustiner-Eremiten bereits hochberühmt und weit über den Orden hinaus verbreitet, und das Publikum wußte sie je nach Kontext neu zu deuten. Der Vorgang der Rezeption in fremden Kontexten war bei der Allegorie des Wissens in Bologna schon früh zu beobachten: Bereits wenige Jahre nach seiner Entstehung wurde das Programm in humanistischen und juristischen Handschriften kopiert. Dasselbe gilt für die toskanische Variante: Sie wurde wahrscheinlich in Siena entwickelt und dann von den Augustiner-Eremiten in Montal-

81 Brunetti 1935, S. 223, A n m . 1. 82 Immerhin war spätestens seit 1382 Luigi Marsiii in S. Spirito (Arbesmann 1965, S. 103). E r kannte das Bologneser Programm in der Paduaner Version. 83 „L'école Franciscaine du X I I I e siècle . . . elle est aussi par excellence l'école augustinienne du moyen âge." Longpré 1932, S. 1 - 7 6 , zit. S. 72. Vgl. auch E . Lio, Sant'Agostino ed i primi francescani di spiritualità, in: Augustinus Spiritualis Magister, Bd. I, Rom 1959, S . 2 7 5 - 3 2 3 . S. a. Grabmann 1936,(2), S . 5 1 : augustinische Theorie und Praxis der fides

quaerens

intellectum

Entfaltung im Augustinismus der älteren Franziskanerschule."

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„...die

hat ihre eindrucksvollste mittelalterliche

cino übernommen. Doch im frühen 15. Jh. zitierte man das Bildformular auch außerhalb des Ordens, in der Sienser Dom-Sakristei und schließlich sogar in San Francesco in Pistoia. Obwohl die Augustiner-Eremiten Augustinus vehement als ihren Ordensgründer proklamierten, gelang es ihnen offensichtlich nicht, einen Alleinvertretungsanspruch für ihn durchzusetzen. Der Kirchenvater war eben seit der Spätantike eine heilige Autorität für alle Christen, so daß das Bildprogramm, obwohl es von den Eremiten erfunden wurde, in anderen Kontexten leicht rezipierbar war.

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IV Die Augustiner-Eremiten in der Bildpropaganda der italienischen Bettelorden

Die zentrale Aufgabe aller Bettelorden war die Seelsorge in den Städten. Daher ist anzunehmen, daß zwischen ihnen eine gewisse Konkurrenz um das Publikum herrschte, denn die Gläubigen brachten den Konventen durch Stiftungen und bezahlte Messen sowohl Geld als auch politischen Einfluß. Die urbanistische Anordnung der großen Konvente ist wahrscheinlich Resultat dieser Konkurrenz: In Florenz, Siena und Bologna bilden die Kirchen der Franziskaner, Dominikaner und Augustiner-Eremiten ein weites Dreieck, so daß jedem Konvent ein bestimmter Stadtteil zugeschlagen wird. Diese geographische Ordnung entspricht einer 'Arbeitsteilung' und bildet die Grundlage für ein entspannteres Nebeneinander der Bettelorden in den Städten. Generelle Aussagen über die Konkurrenz zwischen den Bettelorden sind wegen der regional unterschiedlichen Verhältnisse kaum möglich. Leider fehlen bis heute vergleichende Studien über die Bettelorden, in die die Augustiner-Eremiten miteinbezogen sind. Wir werden daher die Organisationsstruktur und Zielsetzungen der drei großen Mendikantenorden - zumindest in Grundzügen - skizzieren. Ähnlichkeiten verweisen dabei nicht zwingend auf gute Beziehungen, aber sie sind doch Voraussetzung für ähnliche Bildstrategien. Die Idee von der Konkurrenz der Bilder kann in Verbindung mit dem kunsthistorischen Bedürfnis, jedes Monument von einem anderen abzuleiten, leicht dazu führen, alle erhaltenen Beispiele als ein stringentes System von These und Antithese zu lesen. Darin liegt wegen der lückenhaften Uberlieferung eine große Gefahr. Mit aller Vorsicht soll dennoch der „Dialog in Bildern" untersucht werden, der mit Sicherheit im 14. und 15. Jh. unter den Bettelorden stattfand. Die Augustiner-Eremiten spielen darin eine bedeutendere Rolle als man ihnen bisher zugestanden hat.

1. Das Bild des Ordenslehrers: Eine Invention der Augustiner-Eremiten Bereits 1896 erkannte Julius v. Schlosser wesentliche Strukturen der Ordenskunst im Trecento. Allerdings führte er diese Überlegungen nicht näher aus, so daß sie wie eine Randbemerkung in der großen Arbeit über den „Enzyklopädischen Bilderkreis" stehenblieben 1 . Richtig ist seine Erkenntnis, daß sich die Franziskaner-Kunst von derjenigen der anderen beiden Bettelorden unterscheidet. Richtig beobachtete er die Verwandtschaft der Dominikaner- und Augustiner-Eremiten-Kunst auf der Basis einer ähnlichen Struktur der Orden. Richtig ist auch der Vergleich des Thomas-Freskos in der Spanischen Kapelle mit den Fresken in der Cortelleri-Kapelle

1 Schlosser 1896, S. 26.

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in Padua. Falsch ist allerdings seine Annahme der Priorität der dominikanischen Bilderfindung vor derjenigen der Augustiner-Eremiten. Gerade dies hat sich jedoch in der Kunstgeschichte durchgesetzt, weil die Spanische Kapelle besser erhalten ist als alle Fresken der Augustiner-Eremiten und weil sie dadurch zu viel größerer Berühmtheit gelangte2. Auch Dorez, der bereits die Mailänder Miniatur von 1354 und die Canzone aus Chantilly kannte (Abb. 15, 17-26), die beide älter als die Spanische Kapelle sind, wagte das alte Bild nicht zu revidieren und deutete die Fresken bei den Eremitani in Padua als eine Augustiner-eremitische Antwort auf die Spanische Kapelle3. Serena Romano war noch 1976 auf einem ähnlichen Stand wie Schlosser und Dorez: Sie hielt das Thomas-Fresko der Spanischen Kapelle für den Prototypus verschiedener anderer „trionfi" des Thomas wie des Augustinus4. Unsere Untersuchungen drehen das Verhältnis um. Die monumentale Allegorie des Wissens entstand nicht bei den Dominikanern in Florenz, sondern bei den Augustiner-Eremiten in Bologna. Die Spanische Kapelle ist erst ein Reflex auf dieses Programm, das - nach der Häufigkeit der Kopien zu schließen - zu den berühmtesten des Trecento gehört haben muß.

1.1. Dominikanische Darstellungen des Ordenslehrers Das Bild des Ordenslehrers und die Allegorie des Wissens wurde vor 1349 von den AugustinerEremiten in Bologna entwickelt. Andrea da Firenze malte erst 1366-1368 die Spanische Kapelle für die Dominikaner in Florenz aus 5 . Daher steht eindeutig fest, welches Bild die originale Invention war. Doch auch die Dominikaner schlugen das Thema des Ordenslehrers schon früh in ihren Bildern an, denn es ist untrennbar mit der Ikonographie ihres berühmtesten Heiligen verbunden: mit Thomas von Aquin. Die älteste erhaltene Darstellung von Thomas als Lehrer unterscheidet sich allerdings erheblich von der monumentalen Allegorie der Augustiner-Eremiten in Bologna (Abb. 53). Sie befindet sich auf einer kleinen Tafel des sogenannten „Maestro del Biadaiolo" 6 , die ins 2. Viertel des 14. Jh. datiert wird und damit vielleicht der Bologneser Allegorie zeitlich vorangeht7. Die Tafel ist in fünf Bildfelder eingeteilt. Im Giebel ist das Jüngste Gericht dargestellt; in den beiden Feldern darunter befinden sich eine Madonna mit Kind und eine vielfigurige Kreuzigung. Im unteren Register rechts ist die Geburt Christi dargestllt, links erscheint der hl. Thomas, der thematisch aus dem Programm herausfällt. Er sitzt im Zentrum des Bildes an einem erhöhten Pult. Die rechte Hand hat er im Lehrgestus erhoben. Getroffen von schlagenden Argumenten liegt vor ihm am Boden ein besiegter Häretiker. Auf Bänken, die im Halbkreis um Thomas aufgestellt sind, sitzt sein Publikum. Darunter sind 2 Lechner 1976, L C I Bd. 8, Sp. 482, und K. Künstle, Ikonographie der christlichen Kunst, Bd. II, Freiburg 1926, S. 559. 3 Dorez 1904, S.91. Er scheint jedoch von einer falschen Datierung der Spanischen Kapelle um 1340 auszugehen. 4 Romano 1976, S. 198, 199. 5 Datierung aufgrund des Auftrags an Andrea Bonaiuti, vgl. Offner/Steinwegl979, S. 17 6 New York, Metropolitan Museum, Lehmann Collection. Maße: 66,8 x 47,4cm. Dazu Katalog New York 1987, Kat. Nr. 26, S. 5 5 - 5 7 ; R. Offner, The Corpus of the Florentine Painting, See. III, Vol. II, Part I, New York 1930, S. 46, PI. X I X - X I X 5 . S. a. A. W Van Winckel/A. Van Goethem, S. Thomas van Aquino, Brüssel 1927, S. 151, Taf. 11. 7 Pope-Hennessy in: Kat. New York 1987, S.56, datiert die Tafel nach 1323, der Heiligsprechung des Thomas v. Aquin, der hier einen Nimbus hat. Offner 1930, S. 43, datiert um 1340.

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Mönche verschiedener Orden, aber auch Laien. Die vielen Rückenfiguren leiten den Blick des Betrachters auf die zentrale Figur des Lehrers. Den Halbkreis des Publikums beschließen zwei stehende Heilige. Der linke, Petrus, hält einen Rotulus: „Hört, Söhne, auf die Vorschriften des Lehrers!" 8 Der rechte Heilige ist nicht identifizierbar, denn er hat keine Attribute bei sich. Zusammen mit Petrus garantiert er, daß Thomas die offizielle Lehre der Kurie vertritt. Der Sieg des Thomas ist gleichzeitig der Triumph der Kirche. Der Ordenslehrer der Dominikaner wird hier in einer typischen Unterrichtssituation gezeigt, wie sie von den Bologneser Doktorengräbern bekannt ist (Abb. 10). Aber die strenge Zentralkomposition hemmt den narrativen Fluß der Darstellung. Das Triumphmotiv und die kommentierenden Heiligen überhöhen die realistische Szene zum allgemeingültigen Exemplum. Die Bologneser Allegorie des Wissens kann unmöglich als eine direkte Antwort auf die unscheinbare Szene der Biadaiolo-Tafel gewertet werden. Einerseits konnte die kleine Tafel wohl kaum eine so monumentale Antwort provozieren, andererseits setzen die Dominikaner mit ihr ganz andere ikonographische Akzente als die Augustiner-Eremiten. Die zentrale Position des Lehrers ist denn auch der einzige Vergleichspunkt zwischen den beiden Bildern. Die narrativen Elemente der Biadaiolo-Tafel fehlen im Bologneser Programm. An die Stelle der Szene tritt dort ein systematisches Schaubild, das auf einem abstrakten Kompositionsschema beruht, und das Bildpersonal setzt sich aus Allegorien zusammen statt aus realen Personen. Sie repräsentieren den ethischen und wissenschaftlichen Lehr- und Lernstoff, der in dem Bologneser Programm das Hauptthema ist. Die Szene auf der Biadaiolo-Tafel konzentriert sich dagegen auf die Person des Lehrers und den gezielten Einsatz des Wissens gegen Häretiker. Das Triumphmotiv ist in der Bologneser Allegorie weniger hervorgehoben, weil es nicht an Augustinus selbst, sondern an Fides und die übrigen Tugenden geknüpft ist. Eine ähnliche Tendenz, die Person des Lehrers und den Akt des Lehrens vor einem großen Publikum zu betonen, gibt es in zwei weiteren Darstellungen des Ordenslehrers der Dominikaner. Besonders berühmt ist die ungewöhnliche Tafel in S. Caterina in Pisa (Abb. 54). Francesco Traini bekam 1364 den Auftrag, sie zu malen 9 . Bereits das Präsentationsmotiv ist erstaunlich, denn Thomas sitzt vor einem Kreismodell, das entfernt an eine Sphära erinnert. Da aber die Kreise weder in Farbe noch in der Anzahl den Elementen und Planetenbahnen entsprechen, und da normalerweise eine Sphära selbst vorgewiesen wird, anstatt als Präsentationshilfe zu dienen, ist diese Interpretation nicht schlüssig. Vielmehr hat 8 „Ascultate filii p[re]cetta magistri", zit. nach Kat. N e w York 1987, S. 55. 9 Vasari (Vite, Bd. I, S. 611-613) bezeichnet sie als Werk des Francesco Traini. Das Testament der Monna N u t a da Vico vom 17.9. 1364 enthält den A u f t r a g f ü r eine Altartafel, die nach den Vorstellungen des Priors von S. Caterina gestaltet werden soll (pubi, von P. Bacci, Il Trionfo di San Tommaso di Francesco Traini e le sue attinenze con la scuola senese, in: La Diana 5, 1930, S. 161-174, bes. S. 171, 172). D e r Maler Franciscus b e k o m m t d a f ü r sechzig Goldflorin. Er m u ß m. E. mit Francesco Traini identifiziert werden. Leider ist der Kopfteil des D o k u m e n t s verbrannt. D a h e r ist der N a c h n a m e des Malers nicht mehr festzustellen. D a aber Traini der berühmteste Maler in Pisa zu dieser Zeit ist, ist es kaum anzunehmen, daß ein anderer, ansonsten unbekannter Künstler mit demselben Vornamen einen so hoch dotierten Auftrag b e k o m m t . Gegen diese Zuschreibung wendet sich Meiss a u f g r u n d rein stilistischer Argumente. N u r Carli schreibt die Tafel weiterhin Traini zu, datiert sie aber ca. 1330. Vgl. M. Meiss, T h e Problem of Francesco Traini, in: A r t Bull. 15, 1933, bes. S. 106-111, 115-116. M. Mallory, T h o u g h t s concerning the „Master of the Glorification of St.Thomas", in: A r t Bull. 57, 1975, S. 9 - 2 0 . E. Carli, Pittura Pisana Bd. I, Mailand 1958, S. 3 1 - 3 3 .

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der Kreis eine ähnliche Funktion wie die Mandorla bei der Darstellung Christi, und muß daher eher als Aureole gedeutet werden, die den Dargestellten in besonderer Weise ehrt 10 . Thomas hält mehrere Bücher im Schoß, die ihn als Autor ausweisen. Auf dem aufgeschlagenen Exemplar steht der Anfang der „Summa contra gentiles": „Veritatem mediabitur guttur meum et labia mea detestabentur impium." Von Thomas gehen goldene Strahlen aus, die ihn mit allen übrigen Figuren im Bild verbinden. Der Inschrift entsprechend trifft ein Strahl das Buch des Averroes, der zu Füßen des Thomas am Boden liegt. Weitere Strahlen zielen auf das Publikum des Lehrers, das sich im unteren Register des Bildes zu Seiten des besiegten Häretikers gruppiert. Die Tituli zwischen den Strahlen verweisen nochmals auf den berühmten Lehrer Thomas: „hic adinvenit omnem viam disciplina" „doctor gentium in fide et veritate" Die Zuhörer, die sich aus Mitgliedern verschiedener Orden sowie aus Laien zusammensetzen, sind im Maßstab wesentlich gegenüber Thomas verkleinert. Sie bilden eine Art Predella. Seitlich der Aureole stehen, gleichfalls im Bedeutungsmaßstab verkleinert, Aristoteles und Plato. Sie halten ihre Schriften dem Thomas entgegen. Deren Wirkung auf den Gelehrten wird durch Strahlen sichtbar, die aus ihren Büchern auf seinen Kopf zielen. Die wichtigste Inspirationsquelle des Aquinaten ist jedoch in der oberen Bildzone angeordnet. Dort präsentieren ihm die vier Evangelisten sowie Paulus und Moses ihre Schriften. Wieder signalisieren Linien die unmittelbare Wirkung ihrer Texte. Im Giebel der Tafel erscheint Christus in der Mandorla. Einerseits inspiriert er Thomas direkt, da ihm bekanntlich die Gabe der scientia gegeben war. Andererseits wird die Hierarchie der christlichen Autoren deutlich, indem Christus zunächst die biblischen Autoren inspiriert, die dann erst auf Thomas wirken. Dieses System ist aus der Bibliothekskapelle in Siena bekannt, wo freilich die Kirchenväter den Evangelisten folgen. Die Pisaner Tafel steht in der Tradition der Thomas-Szene auf der Biadaiolo-Tafel. Sie ist kein Schaubild des Wissens, sondern ein Kultbild des gelehrten Doktors Thomas, der mit seinen Schriften und großem Publikum gezeigt wird. Das Interesse gilt in erster Linie dem Lehrer, nicht dem Lehrstoff. Der besiegte Häretiker demonstriert dabei die Macht und das Ziel der Gelehrsamkeit. Als Erweiterung gegenüber der Biadaiolo-Szene treten hier die heidnischen und christlichen Autoren als Quellen seiner Weisheit hinzu. Die Komposition ist eine bedeutende Neuerfindung: Die verschiedenen Maßstäbe, die abstrakt-systematische Anordnung der Figuren, und das komplizierte Beziehungsgeflecht, das durch Strahlen visualisiert wird, schaffen eine hochgelehrte Bildaussage, die allegorisch funktioniert, ohne die 'Technik der Personifikation' zu benutzen. Ahnlich wie die Bologneser Allegorie dürfte auch diese Komposition auf lineare Schemata aus dem Bereich der Wissenschaftsliteratur zurückzuführen sein. Das Fresko der Visconti-Kapelle in S. Eustorgio in Mailand nimmt nochmals die dominikanische Tradition des Thomasbildes der Biadaiolo-Tafel auf 11 (Abb. 55, 56). Es befindet sich in der Lünette der linken Seitenwand der Kapelle. Die rechte Hälfte ist zerstört, doch die symmetrische Komposition erleichtert die Rekonstruktion. 10 Romano 1976, S. 187, deutet den Kreis als Sphära. Dagegen H a l l / U h r 1985, S. 595, A n m . 95. 11 Datierung ins letzte Viertel des 14. J h . Vgl. Matalon 1984 S. 138. Crema/Matalon 1959, S. 141-121. Matalon 1964, S. 391; dies./E Mazzini, Affreschi del Tre - e Quattrocento in Lombardia, Mailand 1958, S. 41. Hall/ U h r 1985, S. 590.

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Es handelt sich um eine reine Lehrszene ohne Zusatz von Allegorien. Im Zentrum thront Thomas, ein Buch auf dem Knie, mit typischem Lehrgestus der rechten Hand. Seitlich flankieren ihn die Vertreter der kirchlichen Hierarchie, die in einem Chorgestühl sitzen. Sie garantieren die Richtigkeit seiner Lehre. Wie auf der Biadaiolo-Tafel sitzen vor ihm auf niedrigen Bänken die Schüler, die sogar eifrig mitschreiben. Direkt zu seinen Füßen befindet sich eine Rückenfigur mit rundem Hut, unter dem ein langer, mit einem Tuch gebundener Zopf hervorschaut. Sie ist ein Zitat aus einer Bologneser Miniatur, die Christus bei der Disputation mit den Gelehrten im Tempel zeigt 12 (Abb. 57). Das Mailänder Fresko knüpft demnach an Lehrszenen an, die in der Bologneser Buchmalerei weit verbreitet waren, aber nicht an die monumentale Allegorie der AugustinerEremiten. Doch auch das Mailänder Fresko weist über eine realistische Lehrszene hinaus. Im oberen Bereich des Bildes sind nämlich - wie auf der Pisaner Tafel - die Inspirationsquellen des Ordenslehrers dargestellt. Man erkennt drei Propheten mit Rotuli, die Evangelistensymbole mit aufgeschlagenen Büchern und die vier Kirchenväter, die den Thron flankieren (Abb. 55) und damit den Elogen-Heiligen im Pistoieser Augustinus-Fresko ähneln (Abb. 52). In der Mittelachse über dem Thron schwebt Christus mit aufgeschlagenem Buch, der wie in Pisa die direkte Inspirationsquelle des Thomas ist (Abb. 54). Zwei Engel halten über den Kopf des Doktors die Kronen der Weisheit und der Keuschheit, die mit goldenen Sternen bzw. weißen Lilien geschmückt sind 1 3 .

1.2. Das Thomas-Fresko in der Spanischen Kapelle Die Biadaiolo-Tafel, die Tafel aus S. Caterina in Pisa und das Fresko in S. Eustorgio in Mailand folgen keinem einheitlichen Bildformular (Abb. 53, 54, 55). Trotzdem erkennt man gewisse Konstanten in der dominikanischen Darstellung des Ordenslehrers, wobei vor allem der Akt des Lehrens immer wieder hervorgehoben wird. Die Allegorien der Tugenden und Artes Liberales kamen in diesem Zusammenhang bisher überhaupt nicht vor. Sie sind ein fester Bestandteil des Bildkonzepts der Augustiner-Eremiten, doch bei den Dominikanern begegnen sie uns nur im Thomas-Fresko in der Spanischen Kapelle. Dies legt bereits die Vermutung nahe, daß sie dort als Zitat eingesetzt wurden. Diese Vermutung wird durch die frühere Datierung der Bologneser Allegorie des Wissens bestätigt. Das Thomas-Fresko in der Spanischen Kapelle 14 (Abb. 58) übernimmt das Kompositionsschema von der Bologneser Allegorie des Wissens 15 . Die Einteilung in zwei Register wird genau wiederholt: Oben thront der Ordenslehrer und unten sind die zwei Septenare der Allegorien angeordnet. Die Artes Liberales mit ihren berühmten Vertretern nehmen exakt dieselbe Position ein wie im 12 In einem „Decretum Gratiani", causa II. R o m , Bibl. Vat., C o d . U r b . lat. 161, fol. 107 r . Die Miniatur wird Pseudo-Nicolö zugeschrieben, d. h. sie ist kurz vor der Mitte des 14. J h . zu datieren. D a z u Cassee 1980, S. 31, 32, A b b . 27 13 H a l l / U h r 1985, S. 590. 14 Vgl. dazu Belting 1989, S. 5 0 - 5 2 ; Romano 1976, S. 1 8 1 - 1 9 9 ; Schüssler 1980, S. 2 5 1 - 2 7 4 ; Schlosser 1896, S. 4 4 - 5 2 ; Offner/Steinweg 1979, S. 2 2 - 3 1 ; Gardner 1979, S. 1 0 7 - 1 3 8 ; Grossi 1 9 7 7 - 7 8 , S. 3 4 1 - 3 5 4 . C a m p o reale 1976, S. 22, A n m . 11. 15 U n d nicht, wie Romano behauptet, vom ikonographischen Typus der „Sedes Sapientiae" oder „Thron Salomonis". Romano 1976, S. 185-188. Auch Gardner 1979, S. 135, A n m . 98, lehnt Romanos Vorschlag strikt ab. Offner/Steinweg 1979, S. 30, vergleichen das Kompositionsschema mit dem Jüngsten Gericht der Arena-Kapelle in Padua. Auch dieser Vergleich ist abzulehnen. 104

Bologneser Schema, während die sieben Tugenden nun nicht mehr neben ihnen sitzen, sondern über dem H a u p t des T h o m a s fliegen. D i e höheren Wissenschaften, denen in Bologna das obere Register vorbehalten war, nehmen in der Spanischen Kapelle als Gegenstück der Artes im unteren Register Platz. Ihre Auswahl hat sich nun verändert. Waren im augustinischen Programm nur Theologie und Philosophie vertreten, so ist in der Spanischen Kapelle ein ganzes Septenar vorhanden, das die drei höheren Fakultäten repräsentiert: beiderlei Rechte, Naturwissenschaft und Theologie, die in vier verschiedenen Spezialfächern auftritt, deren exakte Bestimmung noch aussteht 1 6 . D a die höheren Wissenschaften ins untere Register rücken, bleibt das obere dem Ordenslehrer vorbehalten, der von zehn kanonischen Schriftstellern flankiert wird. I m Gegensatz zum Bologneser Programm fehlen hier die heidnischen Philosophen. Das T h o m a s - F r e s k o behält zwar - wie die Bologneser Allegorie des Wissens - den schematischen Charakter einer Einteilung der Wissenschaften, doch die massive Überfrachtung mit Texten wird zugunsten einer übersichtlicheren Komposition aufgegeben, die künstlerisch überzeugend wirkt. Zusammen mit der neuen Anordnung der höheren Wissenschaften im unteren Register bewirkt dies, daß das Prinzip der Divisio und Subdivisio wegfällt, welches im Bologneser Programm so wichtig war. D i e veränderte Position der höheren Wissenschaften wirkt sich inhaltlich deutlich aus. D e r spätantike Kirchenvater Augustinus propagierte im Bild der Augustiner-Eremiten die Verbindung von heidnischem und christlichem Wissen, von Philosophie und Theologie, die auch in seinen Schriften präsent ist. Seine eigene Person steht für diese Verbindung (er war ja zunächst R h e t o r und später Bischof), und seine Lebensdaten kennzeichnen die Zeit des Ubergangs von der Antike zum Christentum. Anders als Augustinus zeigt sich T h o m a s von Aquin ausschlißlich in der Tradition des Christentums. Natürlich kannte er die Schriften des Augustinus und viele antike Autoren, und er versuchte sogar, Glauben und Wissen zu vereinen. D e n n o c h formulieren die Dominikaner eine programmatische Antithese zu dem Bild der Augustiner-Eremiten, wenn sie gerade auf die gleichwertige Präsentation von christlichen Theologen und heidnischen Philosophen verzichten und stattdessen eine Reihe von zehn kanonischen Autoren des Alten und Neuen Testaments im oberen Register neben T h o m a s plazieren. T h o m a s steht für die Scholastik, die vor allem auf der Dialektik basierte. Das galt damals als „via m o d e r n a " . Augustinus vertritt dagegen die „via antiqua", die sich der antiken Rhetorik bediente 1 7 . Sie wird in den Händen der Humanisten zur Moderne von morgen, und aus diesem G r u n d e sprach die Bologneser Allegorie des Wissens das humanistische Publikum besonders an. Ein zweiter wichtiger Unterschied zwischen der Bologneser Allegorie und ihrer Adaption durch 16 Als gesichert gilt die Deutung der ersten drei Allegorien von links: 1. Ius civilie, mit dem Vertreter Iustinian, 2. Ius canonice, mit einem Papst, 3. Physik, die das Modell der Schöpfung in der Hand hält; ihr Vertreter ist nicht genau zu identifizieren. Vgl. Schlosser 1896, S. 48-50, und Romano 1976, S. 195-196. Ahnlich Grossi 1977-78, S. 343-353, Camporeale 1976, S. 22, Anm. 11. Die anderen vier sind bis heute umstritten. Schlosser 1896, S.50, 51, hält sie für theologische Disziplinen und nennt sie Historia, Dogmatik, Ethik und Mystik. Die Tatsache, daß nur ihre Vertreter durch Heiligenscheine ausgezeichnet sind, stützt diese Hypothese, s.a. Romano 1976, S. 196-197 Die sechste Allegorie ähnelt der Theologie in Montalcino und Siena, so daß nochmals die Deutung als theologische Wissenschaft unterstrichen wird. Schüssler 1980 deutet sie dagegen als die drei theologischen Tugenden. Seine Argumentation überzeugt jedoch nicht. 17 Zur Frage der „antiqui" und „moderni" vgl. W Kölmel, Antike Wortkunst und neue Denkkunst, in: Actas del V Congresso int. de Filosofia medieval II, S. 836-871, Madrid 1979.

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die Dominikaner liegt in der Darstellung der drei Häretiker, die vor dem Thron des Thomas kauern. Sie werden perspektivisch vor das eigentliche Bild geschoben, weil sie nicht in das System der Rechtgläubigkeit passen 1 8 . Sie markieren die Zielrichtung allen Wissens, den Kampf gegen die Häresie. In diesem Punkt schließt sich das monumentale Fresko der ersten Darstellung des dominikanischen Ordenslehrers auf der Biadaiolo-Tafel an (Abb. 53). Auch auf der Tafel in S. Caterina in Pisa (Abb. 54) war dieses Motiv an prominenter Stelle vertreten, während es in der Bologneser Allegorie des Wissens (Abb. 4) nur in der Gruppe von Fides und Arius enthalten war. Es ist wahrscheinlich eine Erfindung der Dominikaner, die umgekehrt in den Fresken der Cortelleri-Kapelle in Padua von den Augustiner-Eremiten (Abb. 11-14) übernommen wurde. Vor allem in der toskanischen Variante benutzten die Augustiner-Eremiten das Motiv der besiegten Häretiker. Das könnte eine Reaktion auf die dominikanischen Darstellungen des Ordenslehrers sein, die vor allem in der Toskana verbreitet waren. Der dritte Unterschied ist natürlich die Hauptsache: Die Dominikaner setzen in ihrem Bild des Ordenslehrers Thomas von Aquin an die Stelle des Augustinus (Abb. 58). Das scheint zunächst der banalste Aspekt der Veränderung zu sein. Doch bei genauerer Untersuchung erweist es sich als Teil einer dominikanischen Strategie, Thomas in der Hierarchie der Heiligen den Kirchenvätern anzunähern. Die Autorität der Schriften und ihrer heiligen Verfasser wird mit ihrer Distanz zur Quelle geringer. Die Evangelisten schrieben die Worte auf, die sie direkt von Christus hörten. Ebenso waren die Propheten des Alten Testaments unmittelbar von Gott inspiriert. Die Bibel enthält demnach die reinen Worte Gottes. Auf der nächsten Stufe stehen die Kirchenväter. Ihre Nähe zu der Zeit, in der Christus auf der Erde lebte, ihre hohe Gelehrsamkeit und der immense Umfang ihrer Schriften machten sie zu den wichtigsten Kommentatoren der Bibel. Alle nachfolgenden Theologen interpretieren nicht allein die Bibel, sondern die patristische Bibelauslegung. Nach diesem Schema war Thomas v. Aquin den Kirchenvätern an Autorität unterlegen, obwohl er 1323 vor allem wegen seiner Gelehrsamkeit kanonisiert worden war und man in den Prozeßakten seine göttliche Inspiration immer wieder betonte. Auch die Darstellungen des Thomas als Ordenslehrer unterstreichen diesen Punkt: Auf der Pisaner Tafel (Abb. 54) sieht man Christus, die vier Evangelisten und zwei Apostel als Thomas' Inspirationsquellen, obwohl in der herkömmlichen Hierarchie der Heiligen die Kirchenväter an dieser Stelle stünden. Im Fresko in S. Eustorgio (Abb. 55) schweben Christus, die Evangelisten und Propheten über dem Haupt des Aquinaten, während die Kirchenväter seinen Thron flankieren und so mit ihm auf derselben Ebene erscheinen. Im Fresko der Spanischen Kapelle (Abb. 58) zeigt Christus, der sich über Thomas aus einem Medaillon herabbeugt, den Quell seiner Inspiration an. Der dominikanische Ordenslehrer thront hier sogar zwischen den heiligen Vertretern des Alten und Neuen Testaments. Im Grunde war es bereits signifikant genug, daß Thomas in der Spanischen Kapelle in einem Bildformular auftritt, das bisher ausschließlich mit Augustinus verknüpft war. Thomas nimmt dessen Platz ein und ist dem Kirchenvater daher ebenbürtig. Neben diesem Versuch, Thomas im Rang den Kirchenvätern anzunähern, gab es eine spezielle Verbindung zwischen ihm und Augustinus, die die Dominikaner ebenfalls in ihrer Bildpropaganda einsetzten. Dieser Punkt wird in dem Kapitel über Thomas und Augustinus erläutert werden. Die Bildprogramme der Augustiner-Eremiten und der Dominikaner, die in dieser Arbeit untersucht wurden, wurden in der kunsthistorischen Literatur bisher immer „Triumph des Augustinus" 18 Vgl. Belting 1989, S . 5 1 .

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oder „Triumph des Thomas von Aquin" genannt. Diese Bezeichnung ist äußerst problematisch, denn sie betont den Sieg über einen Häretiker viel stärker, als es dem Motiv zukommt. Es kann nämlich in diesen Bildern durchaus fehlen, während umgekehrt ein großer allegorischer Apparat auftritt, der in dem Begriff des „Triumph" gar nicht enthalten ist. Das entscheidende gemeinsame Merkmal der sogenannten „Triumphbilder" ist nicht der besiegte Häretiker, sondern die Präsentation des Ordenslehrers. Augustiner-Eremiten und Dominikaner setzen bei diesem Thema sehr unterschiedliche Akzente. Erstere betonen vor allem den Lehr- und Lernstoff, der durch komplizierte Allegorien dargestellt wird. Augustinus ist dabei vor allem Vermittler des Programms, erst in zweiter Linie geht es um die Verehrung seiner Person als Lehrer. Die Dominikaner setzen dagegen den Schwerpunkt auf die Person, den hl. Thomas, dessen Vita vor allem von seiner Lehrtätigkeit bestimmt wird. Wilhelm v. Tocco (gest. ca. 1322) beschreibt in seiner Thomas-Vita von 1318/1320 ausführlich, wie die Studenten zu dessen Vorlesungen strömten, weil er so klar erklären und vortragen konnte, daß er direkt von Gott inspiriert zu sein schien 19 . Daher ist in den Thomas-Darstellungen das Publikum charakteristisch, das in der Biadaiolo- und der Pisaner Tafel sowie im Mailänder Fresko auftaucht und sozusagen historisch begründet ist. Auch seine göttliche Inspiration wird häufig ins Bild gesetzt. Augustinus hat dagegen nie in dieser Form doziert (außer als heidnischer Rhetoriklehrer), und ist deshalb vor allem in seinen Werken präsent. Die Augustiner-Eremiten haben zwei ikonographische Typen ausgebildet, die relativ unverändert innerhalb des Ordens und über ihn hinaus verbreitet waren. Das allegorische Programm war nämlich nicht nur spezifisch für den Orden, sondern sprach, wie wir gezeigt haben, auch die Juristen und Humanisten, Prediger und einfache Gläubige an. Außerdem war die Vermittlungsfigur Augustinus schon immer eine Autorität für alle Christen. Dazu kommt seine besondere Beliebtheit in Humanistenkreisen und bei den Rechtsgelehrten. Die Dominikaner entwickelten dagegen keinen festen Bildtypus, sondern lauter Unikate. Der Mangel an einem festen Typus mag einer der Gründe sein, warum das dominikanische Bild des Ordenslehrers sich nicht über den Orden hinaus verbreitete. Außerdem waren die dominikanischen Programme sehr kompliziert, wie z. B. die Pisaner Tafel oder die höheren Wissenschaften der Spanischen Kapelle (Abb. 54, 58), die bereits Vasari nicht mehr richtig zu deuten wußte. Das konnte eine Rezeption über den Orden hinaus nicht gerade fördern. Ein weiterer Grund für die Beschränkung der dominikanischen Bilder auf den Orden liegt in der Person des Lehrers. Thomas von Aquin war ein relativ junger Heiliger (Kanonisation 1323). Er zeichnete sich nicht durch berühmte Wunder, sondern vor allem durch seine Gelehrsamkeit aus. Damit war er zwar für die Verehrung als dominikanischer Ordenslehrer prädestiniert, wirkte aber nur in geringem Maße darüber hinaus, und mußte in der breiten Öffentlichkeit unweigerlich hinter Augustinus zurücktreten. Augustiner-Eremiten und Dominikaner versuchten, ihren wichtigsten Heiligen und zentrale Elemente seiner Lehre publikumswirksam ins Bild zu setzen. Ihre Programme konkurrierten miteinander, ohne daß sie immer als direkte Antithesen zu deuten sind. Nur ein einziges Mal übernahmen die Dominikaner ein Bildformular der Augustiner-Eremiten und 'korrigierten' es 19 Wilhelm v. Tocco, „Hystoria", S . 5 4 : „ . . . praedictus D o c t o r [Thomas] cum coepisset disputare et legere, tanta multitudo scholarium eius scholas intrabat, ut vix eos locus scholarium caperei, quos tanti Magistri doctrina traheret, et ad proficiendi studium provocaret. Sub cuius Doctoris lucida et aperta doctrina floruerunt quamplures Magistri religiosi et seculares propter modum docendi compendiosum, apertum et facilem: qui prò eo quod fuit insolitus, simul cum eius scientia creditur ei fuisse divinitus inspiratus."

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nach ihren Bedürfnissen: Das Thomas-Fresko in der Spanischen Kapelle (Abb. 58) ist das Resultat eines „Dialogs in Bildern", der sowohl theologische als auch ordenspolitische Bedeutung hat. Umgekehrt übernahmen die Augustiner-Eremiten in Padua und in der Toskana das Motiv des besiegten Häretikers von den Dominikanern. Auch dies verweist auf eine direkte Auseinandersetzung mit den Bildern des konkurrierenden Ordens, doch die Augustiner-Eremiten korrigierten nicht die fremde Position, sondern sie integrierten ein erfolgreiches Motiv, das ihr eigenes Programm untermauerte. Spätestens seit den 70er Jahren des 14. Jh. waren die verschiedenen Motive zur Darstellung des Ordenslehrers bekannt und austauschbar, so daß sich die Frage nach der Priorität der Bilderfindungen in einem großen „pool" der Motive auflöst, von denen ohnehin jedes einzelne älter ist als das älteste Bild des Ordenslehrers. Je nach Kombination dieser Motive lassen sich bestimmte Akzente setzen. In cathedra, mit Publikum, betont man den historischen Lehrer. Buch oder Rotulus weisen den berühmten Autor aus. Evangelisten, Kirchenväter, Christus oder die Geisttaube können auf seine Inspirationsquelle hinweisen. Allegorien der Wissenschaften und Tugenden vermitteln eine bestimmte Doktrin. Sie können in einer zweiten Lesart auch attributiv auf die Gelehrsamkeit des Doktors hinweisen. Der am Boden liegende Häretiker macht den Lehrer zum Triumphator und bestätigt Ziel und Macht der Wissenschaft. Heilige, die Rotuli mit Elogen halten, dienen der Glorifikation des Lehrers.

2. Die Dominikaner und die Augustiner-Eremiten Der Austausch von Motiven und subtile inhaltliche Korrekturen der Bilder waren nur möglich, weil Augustiner-Eremiten und Dominikaner mit der Darstellung des Ordenslehrers ein ähnliches Thema entwickelt hatten. Das ist nicht verwunderlich, denn es gibt auffällige Parallelen in der Organisationsstruktur und Zielsetzung der Orden. Diese Ähnlichkeiten sind nicht nur die Basis guter Beziehungen, sondern auch der Grund verschärfter Konkurrenz um ein gemeinsames Zielpublikum 20 . In vergleichende Studien der Bettelorden sind die Augustiner-Eremiten leider nie einbezogen, daher sollen im folgenden einige historische Daten zusammengestellt werden, die verwandte Strukturen mit den Dominikanern belegen. Der hl. Dominikus war zunächst ein Augustiner-Chorherr, bevor er den Predigerorden gründete. So lag es nahe, daß er für den neuen Orden die altbekannte Augustiner-Regel übernahm 21 , die mit Hilfe spezieller Konstitutionen den Zielen der Dominikaner angepaßt wurde. Die Aufgabe des Ordens bestand in erster Linie im Kampf gegen die südfranzösischen Häretiker, den man mit der Waffe der Predigt führte. Grundlage der effektiven Predigt aber war eine fundierte Bildung, die von Anfang an eine zentrale Rolle im Ordensleben spielte 22 . Der Orden der Augustiner-Eremiten war erst 40 Jahre nach den Dominikanern gegründet worden. Er hatte dieselbe Zielsetzung, den Kampf gegen Häretiker mittels der Predigt, und er setzte daher ebenfalls auf eine gute wissenschaftliche Bildung seiner Mönche. Wie die Dominikaner 20 Z . B . E l m 1990, S. 90, 95. 21 Berg 1977, S . 2 0 . Spazzi 1959, S. 149, 159, 160. 22 Berg 1977, S. 18, 19, 33, 34 unci passim. W A. Hinnebusch, The History of the Dominican Order, Bd. 2, N e w York 1973, S. 3 - 9 .

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fügten die Augustiner-Eremiten der Regel des Augustinus spezielle Konstitutionen bei, die ganz deutlich nach dem Muster des Predigerordens entworfen worden w a r e n 2 3 . D i e Übereinstimmungen beginnen bereits beim Prolog, der wörtlich in den Augustiner-Konstitutionen kopiert wird. Darin werden die Predigt und die Sorge um das Seelenheil als die Hauptziele der beiden Orden definiert und das Studium als Mittel zu diesem Zweck bezeichnet 2 4 . D i e Dominikaner hatten z u m ersten Mal die Studienordnung in die Konstitutionen aufgenommen, aber die Augustiner-Eremiten führten diesen Punkt noch wesentlich genauer a u s 2 5 . Nachdem 1278 die D o m i n i k a n e r T h o m a s von Aquin z u m offiziellen O r d e n s l e h r e r 2 6 deklariert hatten, riefen 1287 die Augustiner-Eremiten den T h o m a s - S c h ü l e r Ägidius Romanus als ihren Ordenslehrer a u s 2 7 , der freilich wegen mangelnder Autorität in der Bildpropaganda durch Augustinus ersetzt wurde. Auch die Ordensgeschichtsschreibung richtete sich nach dem Vorbild der Dominikaner. Jordan v. Sachsen benannte seine „Vitasfratrum" nach dem Werk des Dominikaners Gerard v. Fracheto und zitiert dessen Prolog z . T . w ö r t l i c h 2 8 . Außerdem hatten beide O r d e n eine ähnlich gelockerte Armutsauffassung, womit sie sich von den strengen Vorschriften der Franziskaner unterschieden 2 9 . D i e imitatio

der älteren Bettelorden wurde von Seiten der Augustiner-Eremiten offen zugegeben.

Bei Jordan v. Sachsen heißt es, die Augustiner-Eremiten seien: „ . . . in der Kirche G o t t e s vereinigt worden, damit sie ganz so wie die Franziskaner und die Dominikaner Frucht bringen k ö n n t e n " 3 0 . Auch bei der Heiligenverehrung gab es Überschneidungen. D i e Dominikaner verehrten den Kirchenvater, dessen Regel sie befolgten, als „Magne Pater A u g u s t i n e " 3 1 . D i e heute zerstörte D o m i n i kanerkirche von Padua war sogar Augustinus geweiht, und von der Parallelisierung von T h o m a s und Augustinus wird noch zu sprechen sein. Umgekehrt verehrten die Augustiner-Eremiten schon früh den hl. T h o m a s 3 2 , den sie als ersten mittelalterlichen Heiligen von außerhalb des Ordens in ihren Festkalender aufnahmen.

23 Gutierrez 1985, S. 66, 67. Elm 1957, S. 109, 110. Elm 1972, S. 135. 24 Denifle 1885, „Constitutiones", S. 194: „...cum ordo noster specialiter ad praedicationem et animarum salutem ab initio noscatur institutus fuisse, et Studium nostrum ad hoc principaliter ardenterque summo opere debeat intendere, ut proximorum animarum possimus utiles esse." 25 Denifle 1885, „Constitutiones", bes. §28, 29, 31, S.222, 223. Kommentar von Denifle S. 187. Für die Augustiner-Eremiten vgl. Aramburu Cendoya 1966, bes. Kap.36, S. 110-121. Berg 1977, S.33. 26 A. Walz, Thomas v. Aquin, Lebensgang und Lebenswerk, Basel 1953, S. 127, 128. 27 Zumkeller 1964, S. 169; Elm 1960, S.371. 28 Jordan v. Sachsen, „Vitasfratrum", 1943, S.48. Elm 1960, S.383. 29 Mathes 1968, S. 92. 30 Jordan v. Sachsen, „Vitasfratrum" S. 57: „Ut autem fratres huius sacrae Religionis (die Augustiner-Eremiten) sic congregati, sic uniti in Ecclesia Dei ad instar Fratrum Praedicatorum et Minorum Ordinum fructum possent facere..." Ganz ähnlich ebd., S.46. 31 Walz 1954, S.213, und passim. Spazzi 1959, S.245. Gutierrez 1985, S. 14, 15. Elm 1987, S.391. 32 Seit 1348 wurde das Thomas-Fest bei allen Augustiner-Eremiten gefeiert. Vgl. Estebàn 1937, S. 5. Gutierrez 1985, S.203.

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2.1. Thomas und Augustinus Die Orden der Augustiner-Eremiten und der Dominikaner waren nicht nur ähnlich strukturiert, sondern entwickelten auch die gleiche Bildaufgabe: Die Darstellung des Ordenslehrers und ihres wissenschaftlichen Programms. Die Protagonisten dieser Bilder, Thomas und Augustinus, stehen nicht für gegensätzliche Konzepte, sondern sind sich in vieler Hinsicht ähnlich. Vor allem aber sind beide intellektuelle Heilige. Es ist kein Zufall, daß die beiden zu Beginn des 14. Jh. in komplexen Allegorien oder in Lehrszenen dargestellt wurden, denn sie erfüllten das damals aktuelle Heiligen-Ideal. Zu der Zeit wandelten sich nämlich in Italien die Argumente für Heiligkeit, und so waren nicht mehr allein Wunder ausschlaggebend, sondern das neue Bildungsideal der Bettelorden machte die Gelehrsamkeit zu einem wichtigen Charakteristikum der Heiligen 33 . Das Paradebeispiel des intellektuellen Heiligen war Thomas v. Aquin, der 1323 kanonisiert wurde. Bei ihm zählte nur noch die Gelehrsamkeit: „Dans le procès fait à Naples en 1319 en effet, l'homme s'efface derrière l'oeuvre." 3 4 Die Typologie Paulus-Augustinus-Thomas, die im Kanonisationsprozeß von Thomas zur Sprache kommt, zeigt deutlich, daß die beiden in derselben Tradition gebildeter Heiliger stehen. Der Zeuge Bartholomäus v. Capua berichtet laut Prozeßakten, daß der Augustiner-Eremit Jacobus v. Viterbo diese Typologie aufstellte: „Ebenso sagte der genannte Zeuge [Bartholomäus], daß Bruder Jacobus v. Viterbo, der Doktor der heiligen Schrift, Erzbischof von Neapel und Vater und besonderer Freund des genannten Zeugen, dieser Jakobus also, der in guter Erinnerung gehalten werden muß, sagte ihm oft und vertraulich, daß er selbst auf den Glauben und auf den heiligen Geist vertraue, und daß unser Salvator den Doctor veritatis zur Erleuchtung der Welt und der Kirche geschickt habe; Paulus den Apostel und später Augustinus habe er geschickt, und in jüngster Zeit den genannten Bruder Thomas, dem - wie er glaube - bis zum Ende der Zeiten kein anderer folgen wird." 3 5 Das tertium comparationis ist die von Gott gegebene Gelehrsamkeit: Jeder der drei Heiligen ist ein „Doctor veritatis", der den gesamten Erdkreis und die universelle Kirche erleuchten soll. Im Kanonisationsprozeß belegt diese Typologie die Heiligkeit des Aquinaten, indem er mit zwei berühmten älteren Heiligen verglichen wird. Implizit wird ihm aber auch sein Platz in der Hierarchie der Heiligen zugewiesen, denn die Reihe basiert auf dem bekannten Modell der Abstufung vom Apostel zum Kirchenvater, denen der mittelalterliche Heilige nachgeordnet ist. Es verwundert nicht, daß dieses Argument von einem Augustiner-Eremiten vorgetragen wird, denn ihm war mit Sicherheit die Priorität des Augustinus bewußt.

33 Vauchez 1978, S. 163, u. ders. 1981, S. 4 6 0 ff. 34 Vauchez 1978, S. 163, u. ders. 1981, S.467, 468. S. a. die Kanonisationsbulle „Redemptionem misit" von Johannes X X I I . , Hg. A. Walz, in: Analecta sacri ordinis Fratrum Praedicatorum 16, 1923/1924, S. 182-188. Darin wird sehr ausführlich T h o m a s ' Bildung beschrieben, die er als Gabe von G o t t erhalten habe. 35 Cap. I X der Prozeßakten vom Juli 1319: „Item dixit praedictus testis [Bartholomäus] quod bene memorie Fr. Jacobus de Viterbo, sacrae paginae Doctor, Archiepiscopus Neapolitanus, Pater et amicus praecipuus dicti testis, dixit sibi frequenter et familiariter, quod ipse credebat in fide et Spiritu sancto, quod Salvator noster Doctorem veritatis pro illuminatione Orbis et universalis Ecclesiae misisset Paulum Apostulum et postea Augustinum et novissimo tempore dictum Fratrem T h o m a m , cui usque ad finem saeculi non credebat alium successurum." Zit. nach Acta Sanctorum, V I I Martii, Antwerpen 1668, S. 174c. S. a. Gutierrez 1985, S. 202. 110

Eine weitere Bestätigung für die enge Verbindung zwischen Thomas und Augustinus liefert eine Episode aus der Thomas-Vita des Bernhard Gui (gest. 1331). Albert v. Brescia soll kurz vor der Kanonisation des Thomas eine Vision gehabt haben. Es erschienen ihm Augustinus und Thomas, und Augustinus sprach: „Ich bin der Kirchenvater Augustinus, der zu Dir geschickt wurde, um Dir die Lehre und den Ruhm des Bruders Thomas von Aquin zu verkünden, der hier mit mir gekommen ist. Dieser ist nämlich mein Sohn; er ist der Apostolischen Lehre und der meinen in jeder Hinsicht gefolgt und hat die Kirche durch seine Doktrin erleuchtet . . . Dieser Thomas ist mir an Ruhm wahrhaft gleich, aber durch die Aureole der Keuschheit übertrifft er mich, und ich überrage ihn durch die Würde des 'ordo pontificalis'." 3 6 Die Viten von Thomas und Augustinus haben einen ähnlichen Charakter, denn beiden fehlen spektakuläre Wundererzählungen 37 . Stattdessen dominiert die Darstellung ihrer Gelehrsamkeit. Wilhelm v. Tocco und Bernhard Gui betonen in ihren Thomas-Viten von Anfang an dieses Motiv. Das beginnt bei Gui mit einer „Präfiguration" späterer theologischer Studien: Das Kleinkind Thomas findet einen Zettel, auf dem das Ave Maria geschrieben steht. Es gelingt weder der Mutter noch der Amme, ihm dieses Schriftstück zu entreißen 3 8 . Weitere Themen der Thomas-Vita sind die Studien des Jugendlichen in Neapel, seine Zeit als Schüler des Albertus Magnus in Köln und seine Promotion zum Magister vor dem vorgeschriebenen Mindestalter. Es folgt das Lob seiner genialen Lehrmethode und seiner Tätigkeit als Magister. Außerdem zeichnet sich Thomas durch typische Gelehrtentugenden aus, z. B. „subtilitas ingenii, Providentia consilii, certitudo iudicii, magna memoria". Dazu kommt natürlich Humilitas und „comtemptio honorum", denn Stolz galt als größte Versuchung der Gelehrten. Alle Tugenden werden an Beispielen aus dem Universitätsmilieu illustriert; dort ereignen sich auch Thomas' Visionen und Verklärungen. Beide Thomas-Viten enthalten ein besonderes Kapitel, in dem seine Werke zusammengestellt und beschrieben sind 3 9 . Solch ein Schriftenverzeichnis enthält auch die Augustinus-Vita des Possidius! Wie Augustinus wird auch Thomas als unermüdlicher Autor geschildert. Der Topos der „Vielschreiberei", der uns bei Augustinus so häufig begegnete, taucht daher auch bei Thomas auf 4 0 . Bei Thomas steht die Tätigkeit als Lehrer an den Universitäten im Vordergrund, während Augustinus sein Wissen vor allem in gelehrten Disputen mit Häretikern unter Beweis stellte 4 1 . Aber auch Thomas wird im Kampf für den rechten Glauben geschildert, obgleich dieses Thema bei ihm viel weniger Raum einnimmt. Damit ist das „Triumphmotiv" der Bilder auch in seiner Vita 36 Bernhard Gui, „Legenda", S. 187, 188: „Ego sum Augustinus doctor ecclesiae, qui missus sum ad te, ut indicarem tibi doctrinam et gloriam fratris thome de aquino, qui hic mecum est. Ipse est enim filius meus, qui doctrinam apostolicam ac meam in omnibus est secutus et ecclesiam de sua illuminavit doctrina . . . Ipse vero thomas in gloria michi est equalis, nisi quod virginitatis aureola me precellit, et ego ipsum in pontificalis ordinis dignitate." Dazu auch H a l l / U h r 1985, S. 189, 190. Vauchez 1978, S. 164. 37 Bei Augustinus gibt es immerhin die wunderbare Bekehrung, bei Thomas fehlt dieses Motiv. 38 Bernhard Gui, „Legenda", S. 130. 39 Wilhelm v. Tocco, „Hystoria", S. 5 4 - 5 8 ; Bernhard Gui, „Legenda", S. 189-195. 40 Wilhelm v. Tocco, „Hystoria", S. 85: „Cuius ingenii subtilitatem, acumen intelligentiae et velocitatem diffinitivam iudicii satis ostendit multitudo librorum, quos edidit, et veritatum et sententiarum novitas quam invenit: ut vix possit aliquis, quantumcumque magni ingenii et sollertis studii libros quos edidit studens, ad intellectum perlegere, quos ipse potuit parvo tempore perquirere et dictare." 41 Possidius, „Vita Augustini", 13 von insgesamt 31 Kapiteln beschreiben die Dispute mit Häretikern.

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abgesichert. Wilhelm v. Tocco beschreibt in vier Kapiteln, wie Thomas die Irrtümer des Averroes und Wilhelms v. St. Amour (der emphatische Streitschriften im Namen des Weltklerus beim Pariser Bettelordenstreit verfaßte) widerlegte und gegen Fraticellen und Schismatiker anging 42 . Bernhard Gui streicht dagegen nur die Wirksamkeit der „Summa contra gentiles" heraus. Dabei benutzt er die Metapher von der Doktrin als „Schwert", die bereits aus einem Augustinus-Hymnus bekannt ist: „Sic contra gentilium errorem et stultitiam in archu et gladio doctrine sue prevaluit." 43 Die Viten des Thomas und des Augustinus waren wenig zur Umsetzung in einen narrativen Zyklus geeignet. Die isolierte Darstellung als Ordenslehrer und in Verbindung mit der Allegorie des Wissens entspricht dem gelehrten Charakter der beiden Heiligen viel eher. Es ist daher auch plausibel, daß sie von Augustiner-Eremiten und Dominikanern mit ähnlichen Bildformularen geehrt wurden. Augustiner-Eremiten und Dominikaner verfolgten, wie wir gezeigt haben, dieselben Ziele und Methoden, besaßen eine ähnliche Ordensstruktur und ähnliche Konzepte von Heiligkeit, und verehrten gemeinsam sowohl Augustinus als auch Thomas von Aquin. Das spricht einerseits für Konsens zwischen den Orden, doch bei so verwandten Parteien wird die Konkurrenz im Detail ausgetragen. Ein Fresko, das zwischen 1389 und 1391 im Camposanto in Pisa entstand, bekräftigt die übereinstimmende Haltung der beiden Orden durch die analoge Darstellung ihrer Lehrer (Abb. 59). Die Dominikaner, die im Trecento traditionell den Pisaner Bischof stellten, leiteten auch die Ausstattung des berühmten Friedhofs. Das erste Fresko der Nordwand ist ein riesiges Weltmodell, das als Abbreviatur der Schöpfungsgeschichte einigen alttestamentarischen Szenen vorangeht 44 . Christus präsentiert die Sphära, die im Zentrum den orbis tripartitus, dann die Kreise der Elemente und Planetenbahnen bis zum Zodiakus zeigt. Die Besonderheit liegt in der Hinzufügung der neun Engelschöre, die durch die äußeren Kreise symbolisiert werden. Es wurde nämlich unter Theologen heftig diskutiert, ob sie zur geschaffenen Welt gehören, oder schon vor der Schöpfung existierten. Augustinus und Thomas erscheinen als Halbfiguren in den unteren beiden Zwickeln des Bildes. Deutlich trägt Augustinus das Ordensgewand unter dem Bischofsmantel. Beide sind nimbiert und halten dem Betrachter ein aufgeschlagenes Buch entgegen, auf dem sie ihren Beitrag zur theologischen Disputation um die Schöpfung leisten. Thomas bestätigt dabei die Meinung des Augustinus 4 5 . Die gelehrten Heiligen zeigen sich deutlich als Repräsentanten verschiedener Orden, aber sie befinden sich auf der gleichen Ebene und geben ein einheitliches Statement zu einer wissenschaftlichen Frage ab. Bereits in dem großen Polyptychon, das Simone Martini 1320 für die Dominikaner-Kirche

42 Wilhelm v. Tocco, „Hystoria", S. 5 8 - 6 5 . 43 Bernhard Gui, „Legenda", S. 144. 44 M. Bucci/L. Bertolini, C a m p o s a n t o Monumentale di Pisa, Affreschi e Sinopie, Pisa 1960, S. 103-105. G . L. Bertolini, La cosmografia teologica del camposanto di Pisa, in: N u o v a Antologia Ser.5, Vol. 147, Rcc.231, 1910, S. 7 2 0 - 7 2 5 45 Ebd., S. 722: „Ad opera Dei pertinent angeli unde et ipsi sunt illa lux quae diei nomen accepit." (Augustinus, „De civitate D e i " I,XI,c.9) „ O r d o in rebus a D e o creatis unitatem m u n d i manifestat. m u n d u s enim dicitur unitate ordinis secundum quod quaedam ordinatur ad alia." (Thomas v. Aquin, „Summa Theologica" I, q.47,a.3).

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S. Caterina in Pisa malte 46 , erscheinen Thomas v. Aquin und Augustinus nebeneinander. Sie besetzen die Predellenzone, wobei Thomas den 'besseren' Platz einnimmt, weil er dem zentralen Schmerzensmann näher steht. Da die demonstrative Parallelisierung von Thomas und Augustinus in der Bildpropaganda der Dominikaner mehrfach auftritt, könnte sie gleichzeitig als Motiv der Ordenskonkurrenz gedeutet werden. Wie bereits dargelegt wurde, geht es dabei um die Erhöhung des Thomas in der Hierarchie der Heiligen, bzw. darum, welcher Orden den 'besten' Lehrer habe. Dieses Thema war auch in den Prozeßakten nicht zu übersehen, wo man Augustinus selbst behaupten ließ, daß Thomas ihm an Ruhm gleichkomme. Außerdem zeigen die Dominikaner, daß die Augustiner-Eremiten keinen Alleinvertretungsanspruch auf ihren angeblichen Ordensgründer erheben können.

3. Ordenslehrer und Ordensgründer Serena Romano sprach nicht nur von den „trionfi" des Thomas und Augustinus, sondern auch des Franziskus. Dabei meinte sie die Allegorie in den Velen der Unterkirche von S. Francesco in Assisi (Abb. 60). Aus dem Bildtitel, der das Thema weniger bezeichnete als verschleierte, wurde ein tertium comparationis, das eigentlich keines war. Die Bilder der Dominikaner und AugustinerEremiten hatten die Funktion, den Ordenslehrer darzustellen. Das franziskanische Bild feierte den Ordensgründer. Die unterschiedliche ordensinterne Rolle der Dargestellten und eine Differenz in Struktur und Zielen der Franzikaner zu den Dominikanern und Augustiner-Eremiten erklären leicht die Andersartigkeit des franziskanischen Bildes, das eine ältere, völlig selbständige Invention war 47 . Die Velen in der Unterkirche von S. Francesco in Assisi wurden von Giotto oder seiner Werkstatt um 1320 gemalt 48 (Abb. 60-63). Die vier Gewölbefelder zeigen Franziskus und die drei Ordenstugenden Keuschheit, Armut und Gehorsam. Selbst wenn die Funktion, zentrale Werte des Ordens mit Hilfe von Allegorien zu vermitteln, den Bildern der Ordenslehrer verwandt ist, so unterscheidet sich der franziskanische Entwurf fundamental von ihnen: in Hinsicht auf den Bildort, die Bildsprache und den Inhalt des Programms. Die Franziskaner feiern ihren Ordensgründer und seine Tugenden in Gewölbebildern, die sich direkt über seinem Grab befinden. Der Betrachter, der vom Langhaus kommt, erkennt als erstes Franziskus (Abb. 60). Der Ordensgründer thront unter einem Baldachin im Kreise von Engeln, die tanzen und muszieren und seinen Thron gen Himmel ziehen. Seine Stigmata sind deutlich zu sehen. Über dem Thron prangt die große Inschrift: „Gloriosus Franciscus". Dieser Begriff war in der

46 J. Cannon, Simone Martini, The Dominicans and Early Sienese Painting, in: J W C I 45, S. 6 9 - 9 3 , bes. S. 6 9 - 7 3 . 47 Romano 1976, S. 198, hat auch bemerkt, daß der franziskanische „trionfo" „significativamente, il più anomalo" sei. Sie erklärt das allerdings nicht weiter. Gegen die Bezeichnung „Triumph des Franziskus" wendet sich besonders Ruf 1981, S. 146. 48 Belting 1989, S. 48. Blume 1989, S. 153, in Anm. 21 ein ausführlicher Literaturüberblick zur Datierungs- und Zuschreibungsfrage. S. a. Schönau 1983, S. 9 9 - 1 0 9 ; ders., A New Hypothesis on the Vele in the Lower Church of San Francesco in Assisi, in: Franziskanische Studien 67, 1985, S. 3 2 6 - 3 4 3 ; Ruf 1981, S. 1 4 1 - 1 4 8 ; J. Poeschke, Die Kirche San Francesco in Assisi und ihre Wandmalereien, München 1985, S. 105-110.

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zeitgenössischen Literatur allgemein üblich und kennzeichnete den Zustand der Seligkeit 49 . Der Bildort ist für die Franziskus-Darstellung besonders sinnvoll, denn das Gewölbefeld symbolisiert den Himmel. Das Bild dient vor allem der Verehrung des Ordensgründers. In Anlehnung an die zeitgenössische Terminologie ist es daher besser, das Bild als Glorifikation denn als Triumph zu bezeichnen 50 , selbst wenn der Sieg des Heiligen über den Tod darin eine Rolle spielen mag. Die ausführliche Inschrift des Franziskus-Velums erläutert die Funktion der vier Gewölbebilder. Franziskus, der Regelgeber, wird zunächst als Erneuerer der evangelischen Lebensweise ausgewiesen. Damit hat er einen neuen Heilsweg für die Menschen bereitet, dessen zentrale Werte die drei Ordenstugenden Armut, Keuschheit und Gehorsam sind. Diese hat Franziskus exemplarisch vorgelebt, sie führten ihn zum ewigen Leben, das jeden erwartet, der seine Regel befolgt 51 . Die drei Allegorien der Ordenstugenden sind so eng an Franziskus gebunden, daß auch für sie dieser Bildort plausibel wird. Oberhalb der Oboedientia (Abb. 61), die gerade einem Mönch das Joch des Gehorsams auferlegt, wird Franziskus, der das Joch bereits trägt, von Gottes Händen geleitet. In der Allegorie der Castitas (Abb. 62) nimmt Franz den Vertretern der drei franziskanischen Orden (Mönche, Nonnen, Terziarier) das Keuschheitsgelübde ab. Am bedeutendsten ist seine Verbindung zur Armut (Abb. 63): Christus selbst bezeugt den Akt der dextrarum iunctio zwischen Paupertas und Franziskus. Der Ordensgründer ist demnach das wichtigste Exemplum der Ordenstugenden, und ihretwegen wird er als Heiliger verehrt. Die Darstellungen der Ordenslehrer der Augustiner-Eremiten und Dominikaner befinden sich dagegen niemals im Gewölbe, sondern immer an den Wänden. Es war wichtig, daß man die detailreichen Programme bequem und ausführlich studieren konnte. Die Person des Heiligen trat besonders im Falle des Augustinus hinter der Allegorie des Wissens eher zurück. Auch bezüglich der Bildsprache unterscheidet sich das franziskanische Programm von dem augustinischen und dominikanischen. Letztere sind statische Schaubilder, während ersteres in Form einer lebhaften Erzählung vorgetragen wird. Belting spricht von „gemalter Dichtung": „Das Einzelne hat Lebenswahrheit, das Ganze eine rhythmische Verfassung, die alle Episoden zu einem wohl komponierten Strophenbau zusammenbindet. Das 'Ornament der Figuren', wie es die Rhetorik nannte, reimt sich bildintern wie auch mit den Nachbarbildern. Die größte Ruhe herrscht im Zentrum, die größte Bewegung an den Flanken. Links laufen die Bewegungen in das Bild hinein, rechts, in spiegelbildlicher Symmetrie und inhaltlicher Antithese, aus dem Bild hinaus." 52 Die Einteilung in vier Gewölbefelder kann nicht der Grund für die unterschiedliche Bildsprache sein, sondern die Franziskaner argumentieren anders. Sie verzichten auf ein akademisches, starres System und auf den riesigen wissenschaftlichen Wortschatz, da er ihrem Thema nicht angemessen ist. Inhaltlich unterscheidet sich das franziskanische Programm um den Ordensgründer grundsätz-

49 Belting 1989, S. 49. 50 Konsequente Bezeichnung als Glorifikation bei Schönau 1983. 51 Zit. nach R u f 1981, S. 148: „[vi] ator renovat iam normam evangelicam Franciscus cunctis preparat viam salutis celicam coronatus his virtutibus ascendit regnaturus hiis cumulatus fructibus procedit iam securus. C u m angelorum cetibus et Christo profecturus formam quam tradit fratribus sit quisque secuturus." 52 Belting 1989, S. 48.

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lieh von den Darstellungen des Ordenslehrers bei den Dominikanern und den Augustiner-Eremiten. Hier wird auf Artes Liberales und höhere Wissenschaften vollständig verzichtet, und an die Stelle der drei theologischen- und vier Kardinaltugenden treten die drei Ordenstugenden, auf die die Franziskaner besondern Wert legen: Paupertas, Oboedientia und Castitas. Während das Bildungsaufgebot der Ordenslehrer als Waffe gegen Häretiker diente - die natürlich zum Triumph führen sollte - hat das franziskanische Bild nicht diesen kämpferischen Aspekt. Es nimmt keine Ketzer aufs Korn, über die Franziskus triumphieren könnte 5 3 , sondern befreit den Orden selbst vom Vorwurf der Häresie, indem es das umstrittene Armutsideal durch die Anwesenheit Christi im Bild legitimiert 54 . Das franziskanische Bildformular ist so spezifisch für den Orden und seine historische Situation, daß es keinesfalls in andere Kontexte übernommen werden konnte.

3.1. Das Verhältnis der beiden Lehr-Orden zu den Franziskanern Während die Augustiner-Eremiten und die Dominikaner in Organisation und Zielsetzung sehr ähnlich waren, überwiegen im Verhältnis zu den Franziskanern die Unterschiede, obgleich doch alle drei zu den Bettelorden gehören. E l m 5 5 zeichnet davon ein griffiges Bild. Die AugustinerEremiten sind zwar nicht in seinen Vergleich einbezogen, doch man kann sie weitgehend mit dem Predigerorden gleichsetzen. Elm geht von einem starken Konkurrenzkampf aus, der nicht durch idyllische Legenden freundschaftlicher Begegnungen zwischen Franziskus und Dominikus verklärt werden darf. Schon die unterschiedliche historische Entwicklung der Orden ist paradigmatisch. Die Franziskaner spalteten sich früh in Konventualen und Spiritualen, so daß eine Konkurrenzsituation bereits innerhalb des Ordens angelegt war. Diese wurde von der permanenten Diskussion um die Auslegung der Regel genährt, so daß die Einheit der Franziskaner zeitweise stark gefährdet war. Die Dominikaner entwickelten sich dagegen zielstrebig und friedlich zu einem perfekt organisierten Orden. Dabei waren ihre ausgeklügelten Konstitutionen eine große Hilfe, die niemals den Anlaß zur kritischen Diskussion boten. Elm bringt das Verhältnis auf eine Antithese: „Hier bei den Franziskanern die fast permanente Reform, der immer wiederholte Versuch, in der Spannung zwischen Eremos und Welt, zwischen Seelsorge und Selbstheiligung, ein in seiner Totalität schwer erreichbares Ideal zu verwirklichen, dort bei den Dominikanern die Ordnung einer den Bedingungen dieser Welt angepaßten Verfassung, die beharrliche Erfüllung klar definierter Aufgaben im Dienste der Kirche und der Seelen." 5 6 Die Orden hatten ein höchst unterschiedliches Verhältnis zur Häresie. Während die „Franziskaner wiederholt bis an die Grenzen der Orthodoxie vorstießen und mit Fraticellen und laizistischen Staatstheoretikern die Zahl der Häresien vermehrten, konzentrierten sich die Dominikaner als Apologeten und Inquisitoren darauf, Irrlehren und Abweichungen möglichst einzudämmen." 5 7 Auch das Armutsideal war verschieden. Für die Franziskaner war es das höchste Gebot, und sie 53 Vgl. Berg 1977, S . 2 6 : Die Franziskaner bieten eine rechtgläubige Alternative zu Häretikern, „ohne sich in wissenschaftlichen Disputationen mit der Häresie auseinanderzusetzen." 54 Blume 1989, S. 153. 55 Elm 1972, S. 127-147 56 Elm 1972, S. 136. 57 Elm 1972, S. 134.

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verlangten die Armut des Einzelnen sowie der Gemeinschaft. Die Dominikaner benutzten die Armut eher, um ihrer Predigt Glaubwürdigkeit zu verschaffen58, und machten sie nicht zu einem Ziel um ihrer selbst willen. Auch die Augustiner-Eremiten huldigten dem gemäßigten Armutsideal, das sogar gemeinsamen Ordensbesitz erlaubte 59 . Während Dominikaner 60 und Augustiner-Eremiten die Bildung als eines der höchsten Ziele des Ordens betrachteten, stand bei den Franziskanern die Armut an erster Stelle. Bildung hielten strenge Franziskaner sogar für einen Besitzstand, der abzulehnen war. Franziskus achtete zwar die Gelehrsamkeit, sah aber auch ihre Gefahr der Ruhmsucht, Macht und Selbstüberschätzung61. Ihm war die simplicitas wichtiger zur Verwirklichung der vita apostolica. Dem einfachen Gläubigen würde die Weisheit von Gott gegeben. Heilige Einfalt sei die Schwester der Weisheit. Demnach betrachtete Franziskus wissenschaftliche Studien nicht als Voraussetzung für die Predigt, und er selbst sowie seine frühen Gefährten waren kaum theologisch gebildet. Natürlich tauchten Studienbedingungen nicht in der franziskanischen Ordensregel auf 62 . Die historische Konstellation im theoretischen Armutsstreit bestätigt die Verhältnisse der inneren Ordensstruktur. 1317/18 verurteilte Papst Johannes X X I I . die Franziskaner-Spiritualen. Er legte den Professoren an der Pariser Universität die Frage vor, ob Christus und die Apostel arm in communi oder in speciali waren 63 . Die Franzikaner antworteten in speciali, die Dominikaner in communi. Die Augustiner-Eremiten vertraten zusammen mit den Dominikanern die Seite des Papstes und verurteilten die Spiritualen 64 . Diese wurden dafür von Johannes X X I I . mit dem Privileg belohnt, das Grab des Augustinus in Pavia zu pflegen. Jene erhielten seine volle Unterstützung bei der Kanonisation des Thomas von Aquin. Der einflußreiche Papst förderte bewußt das gelehrte Heiligenideal der Augustiner-Eremiten und der Dominikaner, während die evangelische Lebensweise, die die Franziskaner vertraten, als Kriterium der Heiligkeit zurückgedrängt wurde 65 . Es ist sogar eine spezielle Kontroverse zwischen Franziskanern und Augustiner-Eremiten bekannt. Erstere behaupteten gern - und nicht zu Unrecht - , die Eremiten hätten gar keinen Ordensgründer 66 . Diese pochten dagegen auf das besonders hohe Alter ihrer Gründung und reklamierten für Augustinus, als erster nach dem apostolischen Armutsideal gelebt zu haben. Als Beweis ihrer Anciennität behauptete Heinrich v. Friemar, daß Franziskus zunächst ein AugustinerEremit im Konvent von Aquaviva bei Pisa gewesen sei: Er habe den Habit der Augustiner-Eremiten mit Ledergürtel und Sandalen getragen und den Eremitenstab bei sich geführt 67 . 58 E l m 1972, S. 142, 143. 59 Mathes 1968, S. 6 6 f f . 60 Dominikaner und Bildungsideal vgl. Berg 1977, S. 26, 32 ff. 61 Dies und das folgende bei Berg 1977, S. 44, 45. 62 Dennoch waren die Franziskaner besonders seit der zweiten Hälfte des 13. J h . genau wie die Dominikaner an den Universitäten vertreten und brachten berühmte Magister wie z. B . Bonaventura hervor. Vgl. Berg 1977, S. 68 ff. 63 Mathes 1968, S. 136, 137 64 Mathes 1968, S. 140. Walsh 1988, S. 593. Dominikaner und Augustiner-Eremiten ärgerten sich über den franziskanischen Alleinvertretungsanspruch auf das apostolische Armutsideal. D a z u auch E l m 1960, S. 375, 376, und ders. 1957, S. 113. 65 Vauchez 1981, S. 87, 88, und S. 455 ff. 66 Walsh 1988, S . 5 9 1 , 592. 67 Heinrich v. Friemar, „Tractatus", S. 112. Vgl. auch Kommentar dazu vom Herausgeber Arbesmann, S . 6 3 . D i e Kontroverse über die angebliche Zugehörigkeit des Franziskus zum Augustiner-Eremitenorden brach erst Ende des 15. J h . richtig aus, als G i a c o m o von Bergamo diese Behauptung wiederholte. Darauf antwor116

Die Auseinandersetzungen zwischen Andrea Biglia und Bernhard v. Siena zu Anfang des 15. Jh., bei denen der Augustiner-Eremit die mangelnde Bildung und gefährliche Emotionalität der Predigten des Franziskaners kritisierte, spiegeln abermals das konkurrierende Konzept beider Orden 68 wider. Dies wird auch in einem Fresko deutlich, das in der Tradition der Velen in der Unterkirche von S. Francesco in Assisi steht. Es handelt sich um die Gewölbefresken der Chorkapelle von S. Francesco in Pisa (Abb. 64), die 1342 Jacopo di Mino da Pelliciaio gemalt hat 69 . Die Fresken der FranzLegende von Taddeo Gaddi, die einst die Seitenwände bedeckten, sind heute verloren. Franziskus erscheint in einer Mandorla, die Hände mit den Stigmata erhoben, in offener Analogie zu Christus. In seinem Schoß liegt ein aufgeschlagenes Buch mit der Inschrift: „Tres ordines hic ordinat" 70 Zwei fliegende Tugenden flankieren die Mandorla. Fides hält ein Kreuz, und Spes schaut betend zur „Krone des Lebens" hinauf. Unter der Mandorla des Franziskus steht die Inschrift „Caritas", so daß er selbst die beiden zur Gruppe der theologischen Tugenden ergänzt. Das gegenüberliegende Velum füllen zwei franziskanische Heilige, Antonius v. Padua und Ludwig v. Toulouse. In den beiden dazwischenliegenden Gewölbefeldern sind je zwei weitere Ordensgründer dargestellt: Paarweise erscheinen Benedikt und Basilius, Dominikus und Augustinus. Es scheint, als ob diese Anordnung Augustinus als Gründer eines modernen Bettelordens auf dieselbe Stufe wie Dominikus stellen will. Die beiden bildeten auf diese Weise einen Kontrast zu den ältesten Gründern monastischer Orden, Benedikt und Basilius. Der Anspruch der Augustiner-Eremiten auf das älteste Gründungsdatum wäre damit widerlegt. Vor allem aber setzt diese Anordnung das Verhältnis der drei Bettelorden untereinander ins Bild: Dominikus und Augustinus sind in einem Gewölbefeld vereint und deutlich von Franziskus distanziert. Diese Ausstattung soll die Überlegenheit des Franziskus gegenüber allen anderen Ordensstiftern demonstrieren. Seine Gleichsetzung mit Christus und Caritas, der Hinweis auf die Gründung dreier Orden, heben ihn über die anderen hinaus, so daß man hier mit Blume von einer „unmißverständlichen Triumphikonographie"71 sprechen kann, die sich aber in jeder Hinsicht von den „Triumphen" des Augustinus und Thomas über am Boden liegende Häretiker unterscheidet. In diesem Punkt differiert der Pisaner Franzikus von dem „Franciscus gloriosus" der Unterkirche in Assisi (Abb. 60), bei dem das Moment (von einem Triumphmotiv kann man nicht einmal in Pisa sprechen) des Triumphes fehlt. Auch die fast wörtliche Wiederholung des „Gloriosus Franciscus" in den Gewölben des Kapitelsaals von S. Francesco in Pistoia 72 verzichtet gänzlich auf ein Triumphmotiv. Hier sind die übrigen Velen nicht mit Allegorien der Ordenstugenden gefüllt, tete Mariano da Firenze ( 1 4 7 7 - 1 5 2 3 ) mit dem „Defensorium Veritatis" (nach 1506), in dem er heftig gegen die Augustiner-Eremiten polemisierte und die falsche Behauptung widerlegte. Vgl. G . Canarozzi, II „Defensorium veritatis", in: Studi Francescani 27, 1930, S. 2 6 6 - 2 7 2 ; D . Cresi, L'opusculo „Defensorium veritatis" di Mariano da Firenze, in: Studi Francescani 61, 1964, S. 1 6 8 - 2 3 0 . 68 Walsh 1988, S. 591, mit weiterer Literatur. Dies., Congregatio Ilicetana: T h e Augustinian Movement in Tuscany and the Humanist Ideal, in: Römische Historische Mitteilungen 22, 1980, S. 105-145, bes. S. 119. 69 Schönau 1983, S. 104, 105; Blume 1989, S. 163, 164; ders. 1983, S. 75, 76; R . Offner, Studies in Fiorentine Painting, N e w York 1927, S. 64, A n m . 4; L . Bellosi in: Bollettino d'arte 57, 1972, S. 7 3 - 7 5 . 70 D a z u Schönau 1983, S. 105, A n m . 67. 71 Blume 1989, S. 164. 72 Schönau 1983, S. 102, 103. Begonnen wurden die Fresken von Puccio Capanna, vollendet erst 1386 von Antonio Vite. S. a. Beani 1902, S. 4 9 - 5 4 .

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sondern mit den Szenen der Auferstehung Christi, der Weihnachtsfeier von Greccio und der Conversio des Hieronimus beim Begräbnis des Franziskus. Dieser Kontext zeigt noch einmal, wie wenig Franziskus mit dem antiken Triumphmotiv zu tun hat. Der Vergleich zwischen der Glorifikation des Franziskus und der Darstellung des Ordenslehrers der Augustiner-Eremiten oder der Dominikaner konnte ausschließlich Unterschiede nachweisen. Es mangelte an einem echten tertium comparationis, das nur durch die unzutreffende Bezeichnung als „Triumphbilder" vorgetäuscht wurde. Als franziskanisches Vergleichsstück zum augustinischen Bild des Ordenslehrers und seiner Allegorie des Wissens könnte höchstens das „Lignum Vitae" herangezogen werden (Abb. 65). Das Fresko Taddeo Gaddis im Refektorium von S. Croce in Florenz, das zwischen 1330 und 1340 entstand, ist nur eines von mehreren Exemplaren dieses Bildformulars, das systematisch im Orden verbreitet wurde 73 . Das Bild hat eine ähnlich didaktische Funktion wie die Allegorie des Wissens bei den AugustinerEremiten und setzt sie mit vergleichbaren Mitteln um. Es zeigt in komprimierter Form das zentrale Programm des Ordens, das den Charakter seiner Frömmigkeit spiegelt. Die Franziskaner haben dabei ganz andere Vorstellungen als die Augustiner-Eremiten. Es geht ihnen nicht um wissenschaftliche Bildung, sondern um die schlichte Nachfolge Christi. Zu diesem Zweck faßte Bonaventura den Inhalt der Evangelien kurz zusammen und systematisierte ihn in einem Baumschema. Genau wie der Allegorie des Wissens liegt auch dem „Lignum Vitae" ein Schema zugrunde, und zwar das Schema schlechthin, die Arbor. Sie wird hier mit dem Kreuzesholz identifiziert, daher erscheint der Kruzifixus vor dem Stamm. Das Baumschema organisiert - genau wie das Augustiner-eremitische Schaubild - eine Fülle von Inschriften und Bildmedaillons, so daß sie leichter memoriert werden können 74 . Bei Taddeo Gaddi erscheint sogar der Autor dieses Denkbildes, Bonaventura, am Fuß des Baumes. Er wurde zwar nie zum offiziellen Ordenslehrer deklariert, aber er war dennoch der berühmteste Magister der Franziskaner.

4. Schlußwort Immer wieder hat man versucht, die Ordenskunst der Dominikaner und der Franziskaner zu charakterisieren. Die Augustiner-Eremiten blieben bei dieser Diskussion bisher ausgeschlossen, doch die vorliegende Arbeit hat gezeigt, daß dies zu Unrecht geschah: Der kaum beachtete Orden entwickelte schon in der zweiten Hälte des 13. Jh. das Bild der Regelübergabe, und im zweiten Viertel des 14. Jh. entwarf er die Allegorie des Wissens. Beide Bilder wurden systematisch in den Kirchen des Ordens verbreitet und haben daher durchaus den Charakter einer Ordenspropaganda. Die Augustiner-Eremiten standen von jeher unter Rechtfertigungsdruck75, denn sie waren erst spät auf Initiative der Kurie zusammengeführt worden und besaßen keinen berühmten Gründer wie die Franziskaner oder Dominikaner. Um ihren Anspruch auf Augustinus als Gründer und Lehrer zu 'beweisen', banden sie den Kirchenvater in ihren Bildern fest an ihren Orden an. Die Ordenshisto-

73 D a z u E . Borsook, T h e Mural Painters of Tuscany, London 1980, S. 4 2 - 4 3 ; A. Ladis, Taddeo Gaddi, Missouri 1982, S. 171, 172, u. 6 6 - 7 3 ; A. Esmeijer, L'albero della vita di Taddeo Gaddi, Florenz 1985; R . Hatfield, T h e Tree of Life and the Holy Cross. Franciscan Spirituality in the Trecento and the Q u a t t r o cento, in: T. Verdon/J. Henderson, Christianity and the Renaissance, Princeton 1990, S. 132-160. 74 Vgl. Belting 1989, S. 5 6 - 5 8 . 75 E l m 1990, S. 90, 96.

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riker untermauerten durch ihre Legenden erst nachträglich, was in den Bildern schon vorher behauptet worden war. Die Augustiner-Eremiten und die Dominikaner entwickelten mit dem Bild des Ordenslehrers ein gemeinsames Thema, während die franziskanische Glorifikation des Ordensgründers sich in jeder Hinsicht davon unterscheidet. Die Themengleichheit sowie eine generell ähnliche Struktur der Orden machten es erst möglich, daß Motive zwischen den Augustiner-Eremiten und Dominikanern ausgetauscht werden konnten. Die Motivübernahme bedeutete zum einen gegenseitige Bestätigung, wie beispielsweise in dem Triumphmotiv über die Häretiker, mit dem sich beide Orden als „Phalanx gegen die Ketzer" darstellen. Andererseits konkurrierten die Orden miteinander und formulierten unterschiedliche Standpunkte, indem sie ein Bildschema zwar übernahmen, aber wichtige Details veränderten. So war es z. B. in der Spanischen Kapelle der Fall, wo die Dominikaner ein rein scholastisches Programm der augustinischen Versöhnung von Theologie und Philosophie entgegenstellten. Solche Motivübernahmen nicht möglich. Sie erfanden Tonlage vorgetragen wurden, ten der Augustiner-Eremiten

waren wegen der unterschiedlichen Thematik für die Franziskaner ihre eigenen Allegorien, die, dem Thema gemäß, in einer anderen so daß man sie formal und inhaltlich als Gegenbilder zu den Konzepund Dominikaner auffassen kann.

Wegen der Fülle an Material ist es sehr schwierig, die Kunst der verschiedenen Orden zu charakterisieren. Meistens führen solche Versuche zu groben Vereinfachungen, die den Blick für genaue Erkenntnisse eher verstellen. Eine allgemeine Untersuchung der Ordenskunst würde den Rahmen dieser Arbeit sprengen. Aber einem verbreiteten Vorurteil muß widersprochen werden, da es indirekt auch die augustinische Allegorie des Wissens betrifft: Es geht um die Behauptung, die Dominikaner verteidigten eine „antiquierte Ästhetik" 7 6 . Alexander Perrig kontrastiert in einem Aufsatz aus dem Jahre 1986 die „von Realismen und Räumlichkeit durchtränkte[n] Historienmalerei" der Franziskaner mit der „an die Tradition des Dugento anknüpfenden Andachts- und Gedankenkunst" der Dominikaner 7 7 . Ein solcher Vergleich scheint mir jedoch unzulässig, denn die Erzählung der Franzlegende erfordert zwingend andere bildsprachliche Mittel als die theologischen Argumente, die die Dominikaner im ThomasFresko der Spanischen Kapelle oder auf der Tafel aus S. Caterina in Pisa vortragen. Natürlich war Giottos 'Realismus' in Assisi ein Durchbruch in der Malerei, aber man kann nicht die dominikanischen Erfindungen als „antiquiert" dagegensetzen. Vielmehr war seit dem zweiten Viertel des 14. Jh. die „monumentale Allegorie" die modernste Bildgattung, die im Detail übrigens voller Realismen steckte! Der angeblich „militante dominikanische Antiillusionismus" ist keine „Polemik gegen den Illusionismus der franziskanischen K u n s t " 7 8 , sondern eine eigene Bildsprache, die ganz andere Argumentationen ermöglichte. Die verlorene augustinische Allegorie des Wissens in Bologna muß zu den Inkunabeln dieser neuen Bildgattung gehört haben. Aber auch Giotto äußerte sich um 1320 in dieser Gattung, als er die Velen in der Unterkirche von Assisi konzipierte. Ihnen fehlt die rigide Komposition der augustinischen Allegorie, doch in Form des „Lignum Vitae" ist das abstrakte Schema auch in der Franziskaner-Kunst vertreten, und die angeblich typisch dominikanische Uberfrachtung mit Tituli 76 Perrig 1986, S. 14. 77 E b d . S. 12. Bereits Schlosser und Chiappelli hatten die franziskanische Kunst als poetisch, die dominikanische dagegen als intellektuell bezeichnet. A. Chiappelli, Arte domenicana del Trecento, in: Ders., Arte e Rinascimento, Rom 1925, S. 245-271. Schlosser 1896, S.26. 78 Perrig 1986, S. 15.

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gilt auch für diese franziskanische Invention. Umgekehrt sind die Dominikaner so frei in der Wahl ihrer Ausdrucksmittel, daß sie dem schematischen Thomas-Fresko in der Spanischen Kapelle die „Via Veritatis" gegenüberstellen, die narrativ strukturiert und aus realistischen Details zusammengesetzt ist. Jeder Orden hatte ein spezielles künstlerisches Profil, weil er bestimmte Bilderfindungen für sich beanspruchen konnte. Es war jedoch nicht möglich, erfolgreiche Bildformulare sozusagen 'urheberrechtlich' zu schützen, und daher kursierten viele seit der zweiten Hälfte des 14. Jh. unter geringen inhaltlichen Veränderungen in verschiedenen Orden gleichzeitig. Die Dominikaner übernahmen nicht nur die augustinische Allegorie der Lehre, sondern sie adaptierten auch das franziskanische „Lignum Vitae". In einer Lünette im Chiostro Verde von S. Maria Novella 7 9 in Florenz setzten sie ihren Ordensgründer Dominikus anstelle des Franziskus an den Kreuzfuß (Abb. 66). In den Medaillons sind dominikanische Heilige dargestellt, so daß das Baumschema mit dem Kruzifix zu einer Genealogie des Predigerordens umfunktioniert ist. Ein ähnlicher Vorgang ist bei den Augustiner-Eremiten zu beobachten. Sie übernahmen die franziskanische Bilderfindung des Ordensgründers, der mit den Stigmata am Fuße des Kruzifixus kniet 8 0 . Die Croce dipinta des Nicoletto Semitecolo 8 1 aus den 60er Jahren des 14. Jh., die bei den Eremitani in Padua im Chor hängt (Abb. 67), zeigt Augustinus anstelle des Franziskus. Er trägt deutlich das Ordensgewand der Eremiten unter dem Bischofsmantel. Es ist an seiner Brust geöffnet und gibt den Blick auf eine blutende Wunde frei, die man zunächst mit den Stigmata des Franziskus verwechseln könnte. Doch es handelt sich nicht um die Seitenwunde Christi (die sich rechts befindet), sondern um das blutende Herz des Augustinus. Es ist ein Zeichen seiner Caritas, seiner großen Liebe zu Christus. Auch hier wird die Bildsprache exakt übernommen, und nur der Inhalt den speziellen Bedürfnissen des Ordens angepaßt. Der auffällige Titulus „Augustinus doctor" stellt die vollständige Aneignung des franziskanischen Bildformulars durch die Augustiner-Eremiten sicher. Dies sind nur zwei Beispiele für einen Vorgang, der in der Wandmalerei der zweiten Hälfte des 14. Jh. weit häufiger zu beobachten ist.

79 R. Lunardi, Arte e Storia in S. Maria Novella, Florenz 1983, S. 37, 38, Abb. 37. 80 E. Sandberg-Vavala, La Croce Dipinta Italiana, Verona 1929. Die Croce Dipinta des „Maestro di San Francesco", datiert 1272, in der Pinacoteca von Perugia, ist das stilistische und ikonographische Modell einer umfangreichen Gruppe, bei der Franziskus mit seinen Stigmata am Kreuzfuß dargestellt ist. Vgl. ebd. S. 823-827,. Fig. 518-523, und ff. K. Bauch, Christus am Kreuz und der hl. Franz, in: Festschrift K . G . Heise, Berlin 1950, S. 103-112, vor allem aber K . Krüger, Der frühe Bildkult des Franziskus in Italien, Berlin 1992, S. 155 ff. 81 Bettini/Puppi 1970, S.43.

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Anhang

I. Das Fresko aus S. Andrea in der Pinacoteca von Ferrara

Maße:

Hauptteil: 5,85m x 5,56m Fragment der Musik und Astronomie: 1,82m x 1,44m Fragment der Dialektik: 1,11 m x 0,67m Provenienz: S. Andrea in Ferrara 1872 Aufdeckung 1906 Abnahme, Überführung in die Pinakothek

1. Bibliographie 1621 1873 1887 1897 1910 1919 1926

M. A. Guarini, S. 368-370. L. N . Cittadella, S. 78-80. I. A. C r o w e / G . B. Cavalcaseli, Bd. IV, S. 75, 76. G. Gruyer, L ' a r t ferrarais à l'epoque des princes d'Este, Paris 1897, Bd. I, S. 311. A. Droghetti, L'Apoteosi di S. Agostino, in: Arte e Storia, ser.IY 29, 1910, S.252, 253. D . Zaccarini, Passegiate artistiche attraverso Ferrara, Ferrara 1919, S. 60. R . v . M a r l e , Bd. VII, S. 240.

1926 Katalog La Pinacoteca C o m m u n a l e di Ferrara, Ferrara 1926 S. 18, Kat. Nr. 7. 1933 Katalog Ferrara, Pittura Ferrarese, S. 1, 2, A b b . I. 1934 L. Coletti, S. 101-122. 1934 R. Longhi, S. 6, 7 1936 W Arslan, Rezension Longhi 1934, in: Zeitschrift f ü r Kunstgeschichte 5, 1936, S. 174. 1936/37 L. Coletti, Su A n t o n i o Abbate, in: Bollettino d ' A r t e 30, 1936-37, S. 189-201, bes: S. 194. 1947 L. Coletti, Bd. III, S. X X X V 1951 P. Toesca, S. 756. 1969 Katalog La Pinacoteca Nazionale di Ferrara, H g . E. Riccomini, Ferrara 1969, S. 15, 16. 1970 C . L. Ragghiami, S. 16. 1972 C. L. Ragghianti, S. 131, A n m . 154. 1973 R. Longhi, S. 83. 1976 R. Varese, S. 4 4 - 4 6 , Taf. X I I - X I V , A b b . 18-21. 1976 S. Romano, S. 198. 1981 R. Gibbs, S. 25, A n m . 37. 1981

L. Lodi, S. 1,34.

1983

P M. de Winter, S. 334.

1984 J. Mongellaz, S. 29, 30. 1985

D . Benati, Pittura del Trecento nell'Emilia e Romagna, in: La pittura in Italia, Le origini, Mailand 1985, S.188.

1987

R. Varese, La pittura a Ferrara e nel territoio dal X I I I al X I V secolo, in: Storia di Ferrara Bd. 5, Il Basso Medioevo, H g . A. Vasina, Ferrara 1987, S.416, 417, Abb. 163.

1988

A. De Marchi, S. 122, 123.

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Bei Aufdeckung des Freskos von S. Andrea (Abb. 1) im späten 19. Jh. wurde zunächst nicht einmal das Thema identifiziert (Cittadella, Gruyer). In der Folgezeit blieb das Fresko unbeachtet. Es fand keinen Eingang in die ikonographischen Standardwerke und wurde in den stilgeschichtlichen Uberblickswerken nicht abgebildet. Erst Coletti machte es 1934 als Ferrareser „Triumph des Augustinus" in der kunsthistorischen Forschung bekannt, indem er es in eine 'philologische' Diskussion um die Herleitung dieses ikonographischen Typus einführte. Farbabbildingen publizierte 1976 erstmals Varese. Der einzige monographische Aufsatz zu dem Fresko erschien 1981 (Lodi). Er besteht im wesentlichen aus einem Resümee der Forschungsgeschichte und der Rekonstruktion der Tituli anhand der Miniatur in Madrid (Abb. 4), ohne das Bildprogramm genauer zu deuten oder es in seinen historischen Kontext einzuordnen.

2. Die ehemalige Position des Freskos 1257 siedelten die Augustiner-Eremiten, die bis dahin in San Antonio in Polesine gelebt hatten, in die Stadt Ferrara über. A z z o VII. d'Este stellte den Mönchen die „chiesetta" S. Andrea zu Verfügung 1 . Im 14. Jh. entstand mit finanzieller Hilfe der d'Este eine große dreischiffige Kirche mit holzgedecktem Mittelschiff und gewölbten Seitenschiffen, an die sich Kapellen anschlössen. Diese Kirche wurde erst 1438 von Papst Eugen IV in Anwesenheit des Ordensgenerals Fra Gherardo da Rimini geweiht 2 . Guarini beschreibt sie Anfang des 17. Jh., als sie schon barockisiert war, als „ . . . una delle maggiori, e belle chiese della cittä." 3 1796 wurde die Kirche von Napoleons Truppen schwer beschädigt. Seit 1806 fanden keine Gottesdienste mehr statt, der Kreuzgang wurde abgebrochen, die Ausstattung in die Pinakothek überführt. 1926-31 zogen abermals Truppen in die Kirche ein. 1938 blieb eine von der Stadt initiierte Restaurierung im Ansatz stecken 4 . Heute ist die nördliche Hälfte des Baus abgerissen, um modernen Gebäuden Platz zu machen. Die Ruinen lassen die Monumentalität der ehemaligen Anlage noch erahnen (Abb. 3). Leider fehlt eine bauhistorische Untersuchung, die den Zustand der Kirche im Trecento rekonstruiert. Weil zudem die Angaben über den originalen Ort des Freskos in der kunsthistorischen Literatur variieren, ist diese Frage genau zu prüfen. 1873 beschreibt Cittadella den Platz des Freskos folgendermaßen: „Tutta la parete che corrisponde alla navata destra entrando, e nell'interno coperta da un bellissimo affresco, ora perö in deplorabile stato." 5 Er vermerkt, das Fresko habe erst nach Schließung eines Rundfensters in der Fassade entstehen können 6 . Es befand sich also an der Innenseite der Westfassade, und zwar im Bereich des rechten Seitenschiffes. Noch heute erkennt man Reste eines Rundfensters an dieser Stelle der Fassade (Abb. 3). Innen befindet sich hier eine große vermauerte Tür, deren Öffnung die Beschädigungen 1 So überliefen es Guarini 1621, S.374. S. a. Scalabrini 1773, S.300, 301, und Medri 1967, S.231, 232. 2 Scalabrini 1773, S.301. 3 Guarini 1621, S.374. 4 Vgl. Medri 1967, S. 232-234. 5 Cittadella 1873, S. 80. Die Angaben von Crowe/Cavalcaselle 1887, S. 75, die das Fresko ebenfalls noch in situ gesehen haben, stimmen damit überein: „ . . . a b b i a m o trovato che internamente sopra una delle porte fu scoperto un grande affresco 6 Cittadella 1873, S. 79.

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im unteren Bereich des Freskos verursacht hat. Die Breite dieser Wand beträgt ca. 6,30 m, die Höhe übersteigt 10m. Das Fresko ist 5,56m breit und war über 8 m hoch 7 . Es fände also leicht hier Platz. Evtl. ist ein Ornamentband zu ergänzen, das das Fresko einst rahmte. Daß die Kirche im Trecento spitzbogig gewölbt war, wie wir auch den oberen Abschluß des Freskos rekonstruieren, ist an alten Gewölbeteilen im Chor noch zu sehen 8 .

3. Die Auftraggeber Marc Antonio Guarini ist in seinem „compendio historico dell'origine, accrescimento e prerogative delle chiese ... della città . . . di Ferrara" von 1621 leider mehr an den Persönlichkeiten interessiert, die in S. Andrea bestattet wurden, als an der künstlerischen Ausstattung. Dort, wo sich das Fresko befunden hat, beschreibt er die Grablege der Familie Marinetti, die 1275 aus ihrer Heimatstadt Florenz vertrieben wurde und nach Ferrara gezogen war: „In questa chiesa alla destra dell'ingresso della porta maggiore era la sepoltura di Giovanni Marineti, nobile Fiorentino... Di costui derivarono Giorgio, e Buonsostegno fratelli, che eressero da' fondamenti nel sopra nominato posto una cappella a S. Dorotea dedicata, come si comprende da i seguenti versi in essa registrati in una lapida di marmo inscisi in lettere Longobardi, chiaro testimonio della loro antica nobilita: Hanc Buonsostegnus fraterque Gregorius almam, Condere fecerunt devota mente cappellani In cultum Dorotea tuum quos Ferrarensis, Effectos centum iam quinquaginta per annos De Marinetis, praeclara stirpe Joannes Fluentiam olim veniens ex Urbe creavit, Condere fecerunt, tunc cum iam mille trecentos, Et Septem decies agitaret Iulios annos Quattuor adiunctis bis post quam carnis amictum Humana voluit pro nobis sumere Christus." 9 Rechts vom Haupteingang befand sich das Grab des Vaters Giovanni. Dann errichteten seine Söhne Giorgio und Buonsostegno an derselben Stelle eine Kapelle von den Fundamenten aufwärts. Das wird kaum bedeuten, daß sie im Seitenschiff eine Kapelle bauten, sondern die Kapelle schloß sich an dieser Stelle an das Seitenschiff an. Das Augustinus-Fresko erwähnt Guarini nicht. Vielleicht war es bereits dem barocken Zeitgeschmack entsprechend weiß übertüncht und muß zu den verlorenen Stiftungen der Marinetti gezählt werden 10 .

7 Das abgenommene Fresko ist 5,85 m hoch, dazu kommt das Fragment des unteren Registers mit einer Höhe von 1,82 m. Die Gesamthöhe ist eine Schätzung incl. dem rekonstruierten Spitzbogen und der Sockelzone, die in Domenichinis Aquarell überliefert ist. 8 Die heutige rundbogige Form des Freskos wurde offensichtlich durch den Umbau der Kirche im 16. Jh. verursacht. 9 Guarini 1621, S.368, 369. 10 „Molti altri soggetti di questa Famiglia valorosi in lettere ed in arme vi sono s t a t i . . . " Guarini 1621, S. 369.

125

4. Die Zuschreibung an Serafino Serafini Meistens wurde die Allegorie des Wissens in Ferrara unter stilkritischem Aspekt betrachtet. Es galt, das größte erhaltene mittelalterliche Fresko der Stadt einem bekannten Künstler zuzuschreiben. N o c h der Ferrareser Ausstellungskatalog von 1933 verzichtete auf eine Zuschreibung. D o c h ein Jahr später schlug Longhi Serafino Serafini aus Modena als Maler v o r 1 1 . E r verglich das Fresko stilistisch mit Vitale da Bologna und N i c o l ö di G i a c o m o , hielt es aber für weniger lebendig. Diese beruhigte Variante des Bologneser Stils fand er in einem Polyptychon im D o m von Modena wieder, das 1384 von Serafino Serafini signiert und datiert ist. D i e Zuschreibung wurde von den meisten Forschern akzeptiert, nur Varese 1 2 und Ragghianti 1 3 lehnten sie ab. 1981 lieferte G i b b s in seiner Arbeit über Tommaso da Modena der Stilkritik ein wichtiges Beweisstück für die Autorschaft Serafinos. E r publizierte das Freskofragment einer Himmelfahrt Christi, das von Serafino signiert i s t 1 4 . D e r stilistische Vergleich innerhalb desselben Mediums fällt überzeugender aus als Longhis Vergleich mit der Tafelmalerei in Modena. Vor allem die charakteristischen, schlauchartigen Faltenwülste belegen eindeutig Serafinos Autorschaft an der Allegorie des Wissens aus S. Andrea. Daraufhin stimmte 1987 auch Varese dieser Zuschreibung zu. Serafino Serafini muß um 1325 in Modena geboren worden sein. In den Jahren 1 3 4 8 - 4 9 erscheint sein Name dort in einigen Quellen (Testament des Vaters) 1 5 . 1361 ist er in Ferrara dokumentiert. M a n nimmt einen längeren Aufenthalt in der Stadt an. M . A . Guarini spricht von einem Fresko Serafinos in der Dominikanerkirche von Ferrara aus dem J a h r 1 3 7 3 1 6 , außerdem gab es signierte Fresken von ihm im O r a t o r i o dei Battuti B i a n c h i 1 7 . 1384 war er wieder in Modena. Aus diesem Jahr stammt das signierte Polyptychon im dortigen D o m . 1387 wird der „pictor civi mutinensi" zum letzten M a l urkundlich erwähnt 1 8 .

11 12 13 14

Unbegründet ist die Spekulation im Katalog Ferrara 1933, daß sich in der Dorotheen-Kapelle sowohl die Legende der hl. Dorothea als auch der sogenannte „Triumph des Augustinus" befunden habe. Longhi 1934, S. 6, 7. Varese 1976, S.45. Ragghianti 1972, S. 154, Anm. 27. Gibbs 1981, S.25, Abb. 5. Das Fresko befindet sich in Ferrara, in der Casa Romei, es stammt aus dem Oratorio dei Battuti Bianchi in Ferrara.

15 Bertoni/Vicini 1904, S. 289, 290. In diesem Aufsatz werden alle Quellen zu Serafino publiziert. 16 Ebd., S. 287, 288. 17 Vgl. Gibbs 1981, S. 25, Anm. 37. Zu Serafino s. a. De Marchi 1988, S. 120-128, mit weiteren Zuschreibungen an Serafino auf stilistischer Basis. 18 Bertoni/Vicini 1904, S.291. 126

5. Die Tituli L o d i hat die Tituli, sofern sie noch lesbar sind, in einem Schaubild veröffentlicht 1 9 . Diese Fragmente stimmen wörtlich mit den Tituli in der Madrider Miniatur überein (Abb. 4), die wir im Anhang III transkribiert haben. Sie sind zur Ergänzung der Fragmente heranzuziehen. Lünette: Rotulus in der Rechten des A u g u s t i n u s : . . . anc a m a v i . . . sumpsi. in e p i s t u l a . . . Rotulus in der Linken des A u g u s t i n u s : . . . veram et quecumque sunt abscondita e t . . . libro secundo de doctrina christiana. Rota der Theologie: Buch: . . . in medio r o t a e . . . Kreis: sensus . . . Sphära der Philosophie: . . . s o l i s . . . Auf dem Thron-Sockel: Augustinus doctor Darunter v.l.n.r.: S. Geronimus, S. Giovanni, S. Paulus apostulus, Moyses, Aristotiles Pypateticus, Plato Metaphisicus. Mittleres Register: Anti-Exempla v.l.n.r.: Nero impius, Sardanapellus iscius, Herodes iniqus, Arius hereticus, J u d a s desperatus, Holofernes . . . , Epicurius Voluptuosus. Buch der Prudentia: . . . innocentia, intelligentia, Providentia... B a u m der F i d e s : . . . ascendit ad caelum et ad dexteram patris . . . . . . sedit et venturum est iudicandum vivos mortuosque . . . Vitam eternam. amen. Marmorblock vor F i d e s : Petra autem erat Christus . . . Rotulus der S p e s : . . . Egalitas, Caritas, Voluntas, Sanitas, Pulchritudo, F o r t i t u d o . . . Turm der Fortitudo: . . . Constantia, Securitas, Firmitas . . .

19 Lodi 1981, Abb. Z 127

II. Die Fresken in der Eremitani-Kirche in Padua

1. Bibliographie 1. Hälfte 16. Jh. M. Michiel, Hg. T. Frimmel 1888, S. 24-26. 1560 B. Scardeone, S. 94, 166-167, 370. 1568 G. Vasari, Hg. G. Milanesi, 1906, Bd. III, S. 638. 1623 A. Portenari, S.449. 1648 C. Ridolfi, Le maraviglie dell'arte ovvero le vite degli illustri pittori veneti, Hg.D. v. Hadeln, Berlin 1914, S. 84. 1795 E Brandolese, Pitture, sculture, architetture ed altre cose notabili di Padova, Padua 1795, S. 215, 216. 1890/91 J. v. Schlosser, S. 142, 143. 1896 J. v. Schlosser, S. 13-100. 1896 De Fabriczy, S. 401-404. 1898 A. Venturi, S. 497. 1899 A. Venturi, S. 345 -376. 1899 E. Modigliani, S. 234-235. 1899 F. Cordenons, Il pittore Giusto de Menabuoi e le sue opere in Padova, in: Il Veneto 12, 36, S. 2. 1900 A. Venturi, S. 157, 158. 1900 F. Cordenons, Appunti per la storia dell'arte in Padova, in: Il Veneto 13, 203, S.2. 1900 A. Filangeri, S.224, 225. 1902 A. Venturi, S. 391, 392. 1902 P D'Ancona, S. 284-287 1902 J. v. Schlosser, S. 327-338. 1903 A. Venturi, S. 79-82. 1904 L. Dorez, S. 76-79. 1907 A. Venturi, Bd. V, S. 921. 1908 E. Mâle, S. 361, 362. 1912 E Toesca, S. 482-489. 1923 E D'Ancona, S. 50, 132. 1928 K. Künstle, S. 149. 1932 1934 1935 1937 1938 1944 1947 1951 1954 1956 128

R.v.Marle, Bd. II, S. 223, 226. L. Coletti, S. 108, 121. G. Fiocco, S. 388. C. Ragghiami, S. 238, Anm. 11. M. Salmi, S. 31, 32. S. Bettini, S. 58, 59, 112-117 L. Coletti, Bd. III, S. LX. P. Toesca, S. 794, Anm. 325. E. Micheletti, S. 71. L. Grassi, S. 84, 85.

1960

S. Bettini, Le pitture di Giusto de Menabuoi nel battistero e del D u o m o di Padova, Venedig 1960, S. 10,

1961

Padova, Guida ai Monumenti e alle opere d'arte, Padua 1961,S. 29, 30.

1963

R . W Scheller, S. 2 0 2 - 2 0 8 .

1964

R . Palluchini, La pittura veneziana del Trecento, Venedig/Rom 1964, S. 125.

15, 25.

1966

L . Castelfranchi-Vegas, Giusto di Menabuoi, Mailand 1966, S . 4 , A b b . V I I I .

1968

B . Degenhart/A. Schmitt, Bd. 1,2, S. 619, A n m . 13.

1969

P Verdier, S. 330.

1970

S. Bettini/L. Puppi, S. 37, A n m . 22.

1972

B . J . Delaney, Kat. Nr. 7, S. 6 4 - 8 9 , 3 5 1 - 3 5 9 .

1973

J . Kronjäger, S. 1 2 3 - 1 2 5 .

1976

S. Romano, S. 198.

1984

J . Mongellaz, S. 29.

198!

J . Tezmen-Siegel, S. 191, 192.

1989

A . M . Spiazzi, S. 92.

1989

B . Kohl, S. 13, 14.

Nachdem Julius v. Schlosser in seinem großen Aufsatz von 1896 eine Rekonstruktion von Giustos verlorenen Fresken der Cortelleri-Kapelle (Abb. 11, 12) auf der Grundlage der Schedel'schen Tituli und der Wiener Miniaturen (Abb. 27-33) unternommen hatte, war dieses Monument bekannt. Die nachfolgende Aufdeckung einiger Freskofragmente, die Schlossers Vermutungen bestätigten, trug ebenso zu deren Berühmtheit bei wie die heftige Polemik zwischen Schlosser und Venturi um die Datierung des römischen Skizzenbuches (vgl. Anhang IX, Abb.37-39) und dessen angebliche Funktion als Vorlage der Paduaner Fresken. Später betrachtete die Forschung die Cortelleri-Fresken hauptsächlich unter zwei Aspekten. Einerseits ging es darum, eine Gruppe thematisch ähnlicher Fresken und Miniaturen wie einen Stammbaum in die 'richtigen' Abhängigkeitsverhältnisse zu gliedern. Methodisch orientierte sich dieser Forschungszweig an der Literaturwissenschaft und bediente sich auch ausgiebig der sprachlichen Analyse der Tituli. Andererseits stand die Ikonographie im Mittelpunkt. Artes Liberales und Tugenden wurden dabei getrennt untersucht, so daß der Zusammenhang des Programms auseinanderbrach. Für stilistische Analysen, die im Zentrum der monographischen Literatur über Giusto de' Menabuoi stehen, waren die spärlichen Fragmente der Cortelleri-Fresken wenig geeignet. Daher beschränkte man sich hier zumeist auf einen kurzen Forschungsüberblick. Nur Schlosser und Dorez wagten einige Hypothesen zum historischen und geistigen Umfeld des gesamten Programms im Rahmen des Ordens der Augustiner-Eremiten, doch leider blieb es auf diesem Gebiet bei wenigen kurzen Anmerkungen.

2. Die Cappella Cortelleri und ihr Auftraggeber Laut Portenari waren die Augustiner-Eremiten spätestens seit 1253 in Padua ansässig. 1264 befand sich an der Stelle des heutigen Chores die erste Kapelle. Zwischen 1276 und 1306 entstand die langgestreckte, einschiffige Bettelordenskirche mit drei Chorkapellen im Osten 1 (Fig.3). Im Laufe der Zeit kamen sowohl im Osten als auch im Süden einige Kapellen als Annexbauten hinzu. Die erste an der Südwand ist die Cappella Cortelleri. Sie diente als Grablege für Tebaldo Cortelleri, der am 20. August 1370 gestorben war. Er hatte die Kapelle und ihre Ausstattung gestiftet. 1 Portenari 1623, S.447. Bettini/Puppi 1970, S. 14, 15.

129

Sein Grab befand sich laut Marcanton Michiel in der Sockelzone der Fensterwand, rechts vom Altar, und zeigte ein Porträt des Verstorbenen 2 . Die hl. Monika fungierte wahrscheinlich als Fürbitterin 3 . Schedel und Scardeone überliefern die Grabinschrift 4 . Sie gibt kurze Hinweise auf das Leben Tebaldos: Der Freund der Familie Carrara starb auf einer Gesandtschaft beim Papst in Rom. Seine Gebeine wurden jedoch nach Padua zurückgebracht und hier bestattet. Leider sind sonst nur wenige Informationen über Tebaldo zu finden. Scardeone berichtet über ihn 1560 in seiner Schrift „ D e Antiquitate Urbis Pataviae" im Kapitel über berühmte Rechtsgelehrte kaum mehr als die Grabinschrift: Tebaldo war Rechtsgelehrter und ein berühmter Redner, und er war eng mit Francesco il Vecchio da Carrara befreundet. Dieser schickte Tebaldo zum Papst nach Rom, wo er „peracto magni oratoris officio" 5 starb: „ . . . s e i n e Gebeine wurden in die Heimat zurückgebracht und im großen Trauerzug in seiner überaus kostbaren Kapelle bestattet, die er sich in der Kirche der Augustiner-Eremiten neben dem Südportal gebaut hatte. Dort ist sein Bildnis an die Wand gemalt und folgende Inschrift in eine steinerne Tafel gemeißelt... (s. u.) Er starb im Jahre 1370 am 20. Tag des A u g u s t . " 6 Tebaldo soll viele Häuser in der Nähe der „regia principum" besessen haben, die reich ausgestattet waren, aber unter der Herrschaft der Venezianer zerstört wurden. Er erscheint zwischen 1357 und 1370 in den Matrikellisten der „dottori padovani del collegio dei legisti" 7 . Seine juristische Ausbildung und Tätigkeit sind damit gesichert. Außerdem besetzte er häufig öffentliche Ämter in Padua, z. B. als Ratgeber oder als Appellationsrichter im Auftrag des Fürsten von Carrara 8 . Zwischen 1606 und 1610 wurde die Rückwand der Kapelle für einen Anbau aufgebrochen, der der Maria di Loreto geweiht war 9 . Die ursprüngliche Gestaltung der Rückwand ist mit großer Wahrscheinlichkeit analog der östlich angrenzenden Kapelle zu rekonstruieren, d. h. sie besaß eine gerade geschlossene Rückwand mit zwei relativ niedrigen Lanzettfenstern. Die erhaltenen oberen Partien der Außenwand sind durch eine mittlere Lisene in zwei Felder gegliedert und bestätigen dadurch eine solche Rekonstruktion. In gleicher Weise sind noch zwei weitere Kapellen an der Südseite der Eremitani-Kirche gebaut. Im Zuge dieser Umgestaltung wurden Giustos Fresken weiß übertüncht. Erst 1898, nachdem J. v. Schlosser die als verloren geltenden Fresken rekonstruiert hatte, begann ihre Wiederaufdeckung. 2 Michiel Notizie, 1888, S. 24: „Tebaldo di Cortelleri Padoano . . . el qual e retratto ivi di dextra de laltare, come apar per lo elogio sottoscritto . . . " . Von dem Porträt berichtet auch Scardeone 1560, S. 166. 3 Schedel erwähnt sie in seinem Memorabilienbuch, München B S B , C o d . 418, fol. 109r, direkt im Anschluß an die Grabinschrift des Cortelleri. 4 Schedels Text s. u. in Anhang II. S. a. Scardeone 1560, S. 167. 5 Scardeone 1560, S. 166. 6 Scardeone 1560, S. 167: „ . . . e i u s ossa in patriam relata cum magna funeris pompa conduntur in sacello speciosissimo ad id sibi aedificato in tempio Eremitarum, iuxta portam meridionalem, ubi eius imago in pariete depicta est, et hoc epitaphium in lapidea tabula insculptum . . . Obiit anno Domini M C C C L X X , die X X Augusti." 7 Portenari 1623, S. 279 und 283, 284, überliefert die Matrikellisten. S. a. A. Gloria, Monumenti dell' università di Padova 1318-1404, Bd. 1, Padua 1888, S. 219-221. 8 Ebenda S.221. Cortelleri belegte diese Ämter in den Jahren 1359, 1361-1363, 1366, 1368. Vgl. dazu Kohl 1989, S. 13, 14. 9 Portenari 1623, S. 449: „ L a capella di S. Agostino a presso la porta meridionale . . . le quali pitture sono perite per la fabbrica del capitolo fatto sopra essa cappella l'anno 1610 dalla compagnia delli battuti della cintura, la quale fu eretta dal E Marco Peverari Heremitano nell'anno 1606. È stata questa cappella a S. Maria da L o r e t o . . . "

130

Sie erfolgte in zwei Etappen. 1898 legte man nur die Fragmente der Tugenden an der linken Wand frei. Nach den Zerstörungen der Eremitani-Kirche bei einem Bombenangriff 1944 traten die Artes Liberales an der rechten Seitenwand und kleine Fragmente an der Vorder- und Rückwand zutage.

3. Die Tituli Die Tituli publizierte Schlosser 1896, S. 91-94. Sie werden an dieser Stelle erneut veröffentlicht, wobei Schedels Unterstreichungen erstmals mit berücksichtigt werden. Dafür verzichten wir hier auf die Angabe der Textvarianten in den Wiener und Florentiner Handschriften, die bei Schlosser nachzuschlagen sind. Hartmann Schedels Memorabilienbuch, München, Bayerische Staatsbibliothek, C o d . lat. 418, fol. 104 r -109 v : fol. 104 Subscripta in capella beati Augustini apud Heremitanos Padue continentur: Et primo in parte dextra Primo pictura, deinde nomina ista: Philosophia. Socrates stoicus. Plato methaphisicus. Aristotiles peripateticus. Titus Livius Paduanus. Seneca moralis. sub his. Gramatica Priscianus

Geometria Euclides

Dialectica Coroastes

Musica Jubal

Rethorica Tullius

Aristologia Ptolomeus

Arismetrica Pithagoras scriptum sub hiis. Ianua in [p]artes patet Grammatica parvis Q u a cum lacte pueris stillatur labeis [...] pronide iuvenis set loris iuvenes arcet; N a m prior ceteris puellaris signât imago. Q u o t partes continet, supra caput grasici (sic) notât, Cui Priscianus auctor cum maiori volumine substat. D e Grammatica edidit Augustinus librum unum, quam sic diffinit libro soliloquiorum suorum: Gramatica est vocis articula, custos [et] mediatrix; disciplinatur necessitate professionis, cogitur humane lingue (sic) omnia etiam fragmenta collige memorie litteris mandata 131

sunt non ea falsa faciens, sed de eis veram quandam docens et afferens rationem. Dialectica divini ratio vel sermo dicatur. U n d e partita veste binas habet manibus angues. In medio ratio p r o f u n d o de pectore manat. Q u e cum sit communis solo cerne culmine velat, Cuius silogismos affixa figura demonstrat. D a qua Coroastes primus in cortice pinxit. D e Dialectica dictavit Augustinus librum u n u m , quem sic diffinit libro secundo de ordine rerum: Dyalectica est disciplina discipline [...] hec docet discere; in hac se ipsam ratio demonstrat, quid sit, quid velit, quid valeat. Seit scire sola, scientes facit scire, non solum ostendit, sed etiam ponit. fol. 105 Rethorica ponitur vario vestita colore; N a m pravis ut equis ultra argumenta ministrai Et perorando prompte in causa declamat. Q u e ut persuadeat, pluri utitur sepe colore. Et propter assertum vario gerit vertice flore, Q u e cum utraque cuncta Tullius arte ministrat. De Rethorica dictavit Augustinus libros tres, quam sic diffinit libro quarto de doctrina cristiana: Rethorica est qua suadetur et falsa et cum sit in medio posita facultas clanque (sic) ad persuadendum prava seu recta plurimum b o n o r u m cum studio militat veritati. Certos Arismetica numeros in tabula pingit, Q u a m communem cunctis matrone figura demonstrat: Q u e disparsis ordinat et paris numeri partes In pariter pariterque paris et hiis resecatur Simplici composito perfecto plusque minusque, Q u a m Grecis Pitagoras Samus autor dedit. De Arismetrica dictavit Augustinus librum unum, quam sic diffinit libro decimo nono questionum: Q u e de numeris est scientia; utilis est et vera probans omnia in numero, pondere et mensura constare et cum ad omnia ianua quedam, nulla sine ea potest esse perfecta peritia tamen deus ipse suo in numero impari nobis a veritate esse probetur. Geometria mathematice pura demonstrat, U t sperica figura sit rectilinea surgat. C u m circulo manet et quo equi latere plani. 132

Metitur et partes es (sic) supra litera clamat, C u m fit ad plana alta sublime profunda. Q u a m Euclides diffuso volumine docet. D e Geometria dictavit librum unum Augustinus, quam sic diffinit libro annotacionum in lob: Geometria ars est metiendi alta, plana et profunda, dans hominem intelligere, ne suam debeat ignorare quantitatem. Musica vanis apta pulcra sed vana videtur, Q u e canens fides moderatur in gaudio Kris. Constat voce, flatu cum pulsu, organica fingit, Obloquitur numeris septenariis, discrimina vocum Instat leta suis modulisque donisque canora, Q u a m Jubal ut reperit scripsitque pagina pandit. fol. 106 D e Musica dictavit Augustinus libros sex, quam sic diffinit de psalmo contra Donatistas: Ars modulandi delitiis accomodata moralium numerorum ratio est et mitiens procul dubio menti, qualem in moribus servet temperantia modum, ne discrepando dissonet ab ordine rationis. Astronomia motus et siderum astrologia Effectus in yma videns hoc ergo quadrante A b astris Aspectus metitur clamata supra, Q u a re saphirico honesto vehitur amictu Gravior more cunctis licet forma feminea mulcet, Sub qua Ptolomeus cum astrolabio manet. D e Astronomia dictavit Augustinus librum unum, quam sic diffinit sermone de epiphania: Astrorum peritia vera non nisi motuum celestium corporeorum affectuumque et hec inferiora naturalis et vera ratio est, a qua liberum arbitrium hominis secernitur, tamen merito mathematicorum curiositas, videlicet (?) praehensibilis. Scripturas canonicas solas ita sequor ut scriptores eorum nihil mens omni errasse vel fallaciter posuisse non dubitem. Augustinus in epistola XIIII ad Hieronimum. Philosophi si qua vera dixerunt, et fidei nostre accomoda sunt ab eis tamquam ab iniustis possessoribus in nostrum usum vindicanda. Augustinus libro 2 d o de doctrina cristiana. Egidius Romanus, beatus Nicolaus de Tolentino, sanctus Paulus heremita primus. Hec scripta ponuntur in dextra parte Capelle praefate. Sequuntur ea quae sunt in parte sinistra eiusdem Capelle.

133

fol. 107 Virgo tenens speculum Theologia primo pictura, deinde nomina ista Sanctus Gregorius. Sanctus Ambrosius. Sanctus Hieronimus. Sanctus Paulus. Isaias propheta. Daniel propheta. Moises propheta. Sub his pietà et scripta Iusticia Diomedes

Caritas Rex Herodes

Fortitudo Olofernes

Spes Judas

Temperancia Epicurus

Fides Arrius

Prudencia Sardanapellus Scriptum sub hiis. Ultima virtutum ceterorum regimen extat Iusticia ponit armis librisque decora; Distribuii, dividit, iura dat humane vivendi Patet libro quota parte distracta manet, Q u a sine vivunt homines sine lege feriales, Cui Diomedes contrarius eterna verbera luit. D e Iustitia edidit Augustinus librum unum, quam sic diffinit libro de moribus ecclesie: Iusticia est amor soli deo serviens et ob hoc tantum imperans cunctis que homini subiecta sunt. Hec Fortitudo constat magnanima virtus, Q u e quasi pugnatrix fuerit vel in armis Impetum et vitium adverse fortune repugnans Perdurat in motu ne quidquam de recto moveri, Cuius membra notat in scriptis turris apes, Q u a carens Iudith Holofernes dextra necatur. D e Fortitudine edidit Augustinus librum unum, quam sic diffinit libro 83 questione 68: Fortitudo est firmitas animi adversus ea que temporaliter ablata sunt. Appetibilia clandit Temperantia, castra Aperit et utitur discreta clave modali Q u e denotat partes surgit arbuscula ramis 134

Frena positas huius affectu non carnis Q u e q u e vita viri quamvis diuturna tenetur Suppeditat ea Epicurus non rite colens. fol. 108 D e Temperancia edidit Augustinus librum unum, quam sic diffinit libro primo de libero arbitrio: Temperancia est officium cohibens et cohercens appetitum ab his rebus que temporaliter appetuntur. Prudentia est virtus qua fluit accio recta, Q u e tripartita perlustrat tempora rite Cuique mortalis spatium per omne tuetur. N e deiunctatus hec lumifer est rationis Q u o t membra tenet in medio, pagina pandit, Q u a rex colonebat Sardanapellus inscius. D e Prudentia edidit Augustinus librum unum, quam sic diffinit libro X I X de civitate dei: Prudentia est virtus cui tota vigilantia bona discernit a malis, ut in illis appetendis, istis vitandis nullus subripiat error. Optima carismatum Dilectio digna vocatur, Q u a affectus in amatum geminis alis Cor prebet hec deo parenti emulique solatur. Portatur cuncta legis bina praecepta ferentis, Q u o d deo debetur primus proximoque secundus, Q u i b u s se privans Herodes cecidit ymas. D e Caritate edidit Augustinus librum unum, quam sic diffinit libro secundo de doctrina Christiana: Caritas est motus animi ad fruendum deo propter deum ex se atque proximo propter deum. Propter promissa dura Spes leta in ardua tendit. Q u a m firmat meritique sui gratieque respectus Hec luna notat Phebus illamque iubere dans, U t sit lugraminis heret fixa in anchore ratis. Et anchore charine a paulo mentis vocatur, Q u a carens Judas iugulatur propria manu. D e Spe edidit Augustinus librum unum, quam sic diffinit libro de verbis apostoli [Pauli]: Spes est omnium bonorum expectatio certa, secundum quam conscientia bona per dei gratiam credit et operatur. Hec prima virtutum Fides sacratissima virtus In petra, qua Christus fundatur. Sullulat inde Arbor poma ferens scripta duplicia septem. 135

Hic sunt articuli quibus absencia credit Q u a m fractem celat velati de eclesia surgit Impugnans Arrius vincta dire perit. fol. 109 D e Fide edidit Augustinus librum unum, quam sie diffinit libro de oratione dominica: Fides est credere quod non vides, cui est in unum deum; quia ipsa est ianua per quam intratur ad deum, intelligendum et amandum. Ipsa est beatorum et bonorum omnium fundamentum et humane salutis initium. Epitaphium Possidonii Vincere post obitum vatem vis, nosce viator: Q u o d legis ecce loquor, vox tua nempe mea est. Tarnen mentitur, qui eum totum legisse fatetur; N a m plura scripsiet triplicatis Volumina milleU t nemo mortalis possit eum legere totum, Excessit cunctos moribus et dogmate funetos. Magister Albertus de Padua Beatus Johannes Bononiensis Averrois Hunc morum gravitas sensus legumque corona Perdidit hoc titulis quem tegit archa virum Carrigerumque domus legato tunc morienti, Cui pene et culpe pape remisit onus, Q u e m proeul a patria mitis mors abstulit urbe, Sors melior Patavo redidit ossa suo. Teque, Tebalde, fleat stirps Corcellaria vatum Oret, ut in supero gaudeat alma polo. Epitaphium supradicti domini Thebaldi S. Manica (sic) Anno domini M C C C C L X V I Laus Deo

136

III. Madrid, Biblioteca Nacional, Cod. 197, antea D. 2.

Bartolus de Sassoferrato, „Lectura super digesto novo", prima et secunda pars Pergament, 3 0 9 f o l , 4 6 5 x 2 8 0 m m , zweispaltig ohne Glossen. fol. 3 r : zweispaltige Miniatur des N i c o l ò di G i a c o m o : Augustinus und die Allegorie des Wissens fol. 128 r : zweispaltige Miniatur des N i c o l ò di G i a c o m o : D e r Kaiser im Kreise der Rechtsgelehrten Durchgehend figurengeschmückte Initialen.

1. Bibliographie 1925 1933 1934 1935 1953 1956 1964 1969 1972 1973 1981 1983 1985

J. D. Bordona, S. 183-188, Abb. 7, 8. J. D. Bordona, Manuscritos con Pinturas, Madrid 1933, Bd. I, S. 239, Nr. 428. L. Coletti, S. 101, 102, Abb. 2. J. L. I. van de Kamp, S. 69, 70. Inventario General de Manuscritos de la Biblioteca Nacional, Hgg. R. Paz/J. Lopez, Madrid 1953, Bd. I, S. 156, 157, 2 Abb. W Bachmann, S. 54. E Calasso, S. 647. P D'Ancona, S. 14, 15. G. Dolezalek, Bd. I, (nicht paginiert). A. Garcia y Garcia, S. 54. L. Lodi, S. 1 - 3 4 . P. M. de Winter, S. 349, Anm. 29. J. Tezmen-Siegel, S. 189.

J . D . Bordona entdeckte die Miniatur (Abb. 4) im R a h m e n seiner Stilstudien. Danach versuchte die ikonographische Forschung, sie in den ' S t a m m b a u m ' der verwandten Monumente einzugliedern. Gleichzeitig war der C o d e x den Rechtshistorikern bekannt, die sich jedoch nicht über die Miniatur äußerten. D ' A n c o n a (1969) bezeichnete die Madrider Miniatur zusammen mit der Mailänder 1 (Abb.

15)

zwar als ein „ H a u p t w e r k " des N i c o l ò di G i a c o m o , aber sie erlangte nie eine solche Berühmtheit als Stilexempel dieses Miniaturisten wie die Miniatur in Mailand. Das Madrider Exemplar wurde nie ausgestellt und nie in Standardwerken zur italienischen Buchmalerei abgebildet. Auch die ikonographische Forschung nahm von ihr kaum N o t i z .

1 Vgl. Anhang IV 137

Die Änderung der Signatur im Jahre 1953 wurde in der rechtshistorischen Literatur sofort registriert, während die kunsthistorische Forschung dies noch nicht einmal 1983 wahrnahm. 1985 zitierte Tezmen-Siegel zwar endlich die neue Signatur, verwechselte aber dafür die Bandnummern. Diese Ungenauigkeiten belegen, daß das Original in Madrid seit seiner 'Entdeckung' nicht mehr untersucht wurde. Die umfangreichen Tituli wurden bisher weder gelesen noch publiziert. Außerdem fehlen Untersuchungen zum Verhältnis zwischen Text und Bild, zur Bildsprache und zum ikonographischen Programm.

2. Stil und Datierung Die Madrider Miniatur ist zwar signiert, aber nicht datiert. Die Wappen auf fol. 3 r und fol. 128r ließen sich bisher noch nicht identifizieren 2 , daher ist bei der Datierung auf Stilanalyse zurückzugreifen. Bei aller motivischen Ähnlichkeit ist der stilistische Abstand zwischen den Miniaturen in Mailand und Madrid offensichtlich (Abb. 4, 15). Die feste Datierung der Mailänder Miniatur in das Jahr 1354 liefert einen wichtigen Fixpunkt für die Chronologie der Werke des Nicolö di Giacomo. Die Physiognomien der männlichen Figuren unterscheiden sich deutlich. Die Madrider Miniatur zeigt die „bocche leonine", das sind sehr breite Münder mit heruntergezogenen Mundwinkeln, während die Mailänder schmale zierliche Münder aufweist (vgl. jeweils Tubal Kain, Euclid und Cicero). In Madrid werden die Bärte in einer stereotypen Form wiederholt: Zwei sehr helle Strähnen ziehen sich von den Nasenflügeln aus herab, während die Bartpartien unterhalb des Mundes und an den Wangen stark verschattet sind. In Mailand gibt es dagegen unterschiedliche Barttypen, die sehr detailliert durchgearbeitet sind. Das Madrider Schema tritt hier nicht in voller Ausprägung auf. Die Gesichter sind in der Mailänder Miniatur generell feiner durchgearbeitet. Das könnte auch durch das größere Format bedingt sein. Die Bildung der Augen ist aber in den beiden Miniaturen unterschiedlich. In Mailand sind sie runder geformt, und die Lider stoßen in den Augenwinkeln zusammen. In Madrid dagegen sind es eher Schlitzaugen, deren Lider sich in den Winkeln nicht ganz zusammenschließen. Die Merkmale der Madrider Miniatur finden sich ebenfalls in dem Münchener „Missale Romanum" (BSB clm. 10072, Abb. 65) 3 , das im Colophon durch den Schreiber ins Jahr 1374 datiert wird, sowie in der vatikanischen Traktatsammlung des Rechtsgelehrten Giovanni da Legnano (vat. lat. 2639, Abb. 69) 4 , die der Schreiber im Colophon auf das Jahr 1376 datiert. Die Farben der Mailänder Miniatur sind leuchtend, fast grell 5 . Dabei dominieren das strahlende Ultramarin, intensives Rot und Hellgrün. Dadurch, daß die Gewänder nur durch Weißhöhungen modelliert und nie schwarz verschattet sind, werden die Farben noch intensiviert. Die Farben in Madrid wirken dagegen matt. Statt Hellgrün gibt es nun ein gedecktes Moosgrün, Blau und Rot haben weniger Leuchtkraft, Grau und Rosa sind häufiger. Bei der Gewandmodellierung tritt manchmal Schwarz auf.

2 Garcia y Garcia 1973, S. 54. 3 Vgl. Thesaurus librorum, Kat. München 1983, Kat. Nr. 47. 4 Vgl. Kuttner 1987, Bd. II, S. 2 0 6 - 2 1 0 ; Ciaccio 1907, S. 113, 114. 5 Die Farbabbildung bei Aeschlimann 1949, PL C I , gibt davon einen Eindruck. 138

Die gleichen Farben wie in Madrid gibt es im Münchner Missale und in der Vatikanischen „Lectura infornati" des Bartolus (vat. lat. 2598), die vom Schreiber in das Jahr 1378 datiert ist 6 . Die leuchtenden Farben des Mailänder Codex finden dagegen eine Parallele in einer Miniatur der „Novella super decretalium" von Johannes Andreae, (vat. lat. 1456), die Nicolò signiert und ins Jahr 1354 datiert hat 7 . Der Faltenstil bietet sich zur Datierung weniger an. Die sehr weichen, reichlich fließenden Falten finden sich durchgängig in Nicolòs Oeuvre. Sie zeichnen häufig in heftigem Schwung die exaltierten Körperbewegungen der Figuren nach. Generell lassen sich bei späten Arbeiten geringere Sorgfalt der Ausführung und weniger scharfe Grate feststellen; dies kann man auch im Vergleich der Mailänder und der Madrider Miniatur bemerken. Da die Komposition vom darzustellenden Thema abhängt, kann sie nur bedingt als Stilkriterium gelten. Dennoch ist auffällig, daß gerade in den späten Werken des Nicolò Massenkompositionen auftreten, in denen sich kleine Figuren in engen Bildfeldern so drängen, daß sie sich stark überschneiden. Dafür liefern das Münchner „Missale" (bes. fol. 160v und 161r) und vat. lat. 2639 (bes. fol. 2V, 3 r + v ) deutliche Beispiele (Abb. 68, 69). Der Unterschied zwischen der Mailänder und der Madrider Miniatur kann dies bestätigen: Während im ersten Fall die Übersichtlichkeit der Miniatur durch ein zahlenmäßig beschränktes Personal und großzügigere Raumaufteilung gewahrt bleibt, entsteht bei letzterem ein verwirrender Eindruck, da wesentlich mehr Figuren zusammengedrängt werden. Die vielen Tituli - die in Mailand fehlen - tragen zur Uberfüllung des Bildraumes erheblich bei. Diese Dominanz der Bildinschriften findet sich ebenfalls in dem (späten) Codex des Giovanni da Legnano (vat. lat. 2639) fol. 2V (Abb. 69)'. Im Münchner „Missale" und in der vatikanischen Traktatsammlung des Giovanni da Legnano weisen die Miniaturen einen braunen Hintergrund mit zierlichen goldenen Akanthusranken auf. Dieser erscheint auch in der Madrider Miniatur. Er ergänzt die prall gefüllte Figurenkomposition zu einem reichen Bildteppich. Die Mailänder Miniatur hat dagegen schlichten Goldgrund 8 , der der größeren Klarheit der Komposition entspricht. Die stilistische Entwicklung des Nicolò zeigt sich sogar in seiner Signatur. Die frühen Signaturen sind sehr ausführlich und liefern gleichzeitig eine Datierung 9 . Die Signatur hat noch keinen festen Platz gefunden, sie erscheint einmal außerhalb der Miniatur als Marginalie (Mailand, Abb. 15), einmal in der gemalten Rahmenleiste (vat. lat. 1456, fol. l r und fol. 179r). In diesen frühen Signaturen schreibt sich „Nikolaus" noch mit h, „feci" schreibt er aus, anstatt es abzukürzen. In der Madrider Miniatur (Abb. 4) erscheint die Signatur innerhalb des Bildfeldes, auf einem gemalten Bücherbord. Es gibt keine Datierung. „Nicolaus" schreibt sich ohne h, und „feci" wird ,,.F. „ abgekürzt. Genau die gleiche Formel erscheint im Münchner Missale (fol. 8 r unten, fol. 160v, Abb. 68) und im vatikanischen Text des Giovanni da Legnano (fol. 4 r unten rechts).

6 D a z u Cassee 1977, S. 134, A b b . 120; Kuttner 1987, S. 159, 160. 7 Dazu Cassee 1977, S. 131, A b b . 96, Kuttner 1986, S . 2 6 3 . Diegleichen Farben in vat. lat. 2534, der lt. Kuttner 1987, S. 106, 107, als Band I zu vat. lat. 1456 gehört, dessen Miniaturen jedoch lt. Cassee 1977, S. 134, von Pseudo-Nicolö ausgeführt wurden. M. E . stehen die Miniaturen jedoch eher den frühen Werken des N i c o l ö nahe. 8 Reinen Goldgrund gibt es sehr häufig bei Nicolö, z. B . bei den frühen Arbeiten vat. lat. 1456 und 2534, aber auch bei späteren wie vat. lat. 2598. Goldene Ranken auf braunem Grund erscheinen bereits bei PseudoNicolö, vat. lat. 1398. Die Hintergrundgestaltung kann daher nur bedingt als Stilkriterium gelten. 9 Mailand, Ambros. cod. B 42 inf., ist signiert und datiert 1354; „Novella super decretalium" vat. lat. 1456 ist signiert und datiert 1354.

139

Aus dem Vergleich mit fest datierten Arbeiten des Nicolò ergibt sich eine Einordnung der Madrider Miniatur in die siebziger Jahre des 14. J h . 1 0 .

3. Das Verhältnis zwischen Text und Bild Die Allegorie des Wissens erscheint in der lectura zum „Digestum N o v u m " des Bartolo de Sassoferrato. Der Autor war der berühmteste Kommentator 1 1 des ius civile. 1334 promovierte er in Bologna. 1339 ging er nach Pisa, wo er zunächst ein öffentliches Amt innehatte („assessore del podestà") und ab 1340 an der Universität las. 1341-42 hielt er hier die lectura zum „Digestum N o v u m " 1 2 . 1343 siedelte er nach Perugia über, wo er bis zu seinem Tode 1357 an der Universität lehrte 1 3 . Die lectura, ist nicht identisch mit dem „Corpus Iuris Civilis" des Iustinian, sondern sie nimmt erläuternd darauf Bezug. Sie entspricht dem Text der Vorlesungen an den Universitäten, was in der häufigen direkten Ansprache des Hörers bzw. Lesers noch spürbar ist. Man nennt diese Gattung der exegetischen Literatur auch Kommentar. Der Kommentar folgt zwar dem äußeren Aufbau der Legalordnung, unterscheidet sich jedoch vom „Corpus Iuris Civilis" durch detaillierte divisio des Quellentextes, zusammenfassende Inhaltsangaben, Schulfälle und spezielle Ausführungen zum Textverständnis 14 . Die lectura zu den Digesten besteht wie der entsprechende Text im „Corpus Iuris Civilis" aus drei Teilen, dem „Digestum Vetus", dem „Infortiatum" und dem „Digestum N o v u m " . In den mittelalterlichen Handschriften entspricht jedem dieser Teile ein Band. Jeder Band gliedert sich zusätzlich in prima et secunda pars. Der Beginn dieser partes ist ein bevorzugter Platz für große, zweispaltige Miniaturen. Die augustinische Allegorie des Wissens befindet sich am Anfang des „Digestum N o v u m " . Sie ist der pars prima vorangestellt. Hier beginnt Buch 39 der Digesten (diese Zählung durchläuft alle drei Teile): „ D e operis novi nuntiatione", das bedeutet soviel wie „Einspruch beim Neubau". Nach der einleitenden Anrufung Christi und der Kapitelangabe macht Bartolus darauf aufmerksam, daß dies nicht der Anfang des gesamten Werkes sei: „Domini ut scitis hoc non est caput totius compilationis.. , " 1 5 . Er sei hier nicht gewillt, sein allgemeines Vorwort zu wiederholen. Dennoch faßt er stichwortartig seine Methode zusammen, um erst auf den folgenden Seiten zum eigentlichen Thema des Buches zu gelangen. Die einzelnen tituli dieses Buches regeln Schadensfälle durch Vordächer, Wasserschäden, Klagen gegen Abhaltung des Regenwassers, Staatspacht und Zölle. Damit ist bereits klar, daß die Miniatur keine direkte Textillustration sein kann. Es fragt sich nun, ob es überhaupt einen ikonographischen Kanon für illustrierte Rechtskommentare gab und in welchem Verhältnis die Miniatur dazu steht. 10 Ähnliche Stilkriterien entwickelte L. Ciaccio 1907 für das Oeuvre des Nicolò. S. a. Cassee 1980, S.28, 29. Coletti 1934, S. 102, zählt die Madrider Miniatur zum „periodo più tardo dell'operoso maestro". De Winter 1983, S. 349, Anm. 29, datiert Madrid fälschlich um 1355. 11 Die Begriffe Kommentator und Postglossator werden synonym gebraucht. Die neuere rechtshistorische Forschung bevorzugt den Begriff Kommentator, um die Selbständigkeit der Juristen des 14. Jh. zu betonen. 12 Vgl. Calasso 1964, S.640, 641. 13 Vgl. Mladen, Bartolus the Man, in: Machaut's World. Science and Art in the 14th Century, N e w York 1978, passim, und van de Kamp 1935, passim. 14 Horn 1969, S.91, 92. 15 Zit. nach Bartolus de Sassoferrato, Opera omnia, Venedig 1520-22, Bd. 5, fol.2 r .

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Leider ist die Ikonographie der exegetischen Rechtsliteratur noch nicht erforscht. Da die Kommentare aber dem Aufbau der Legalordnung folgen, könnten sie die Illustrationen des „Corpus Iuris Civilis" direkt übernehmen16. Hier gibt es zudem eine feste Ikonographie. Diese besteht aus 'wörtlichen' Textillustrationen zu den einzelnen causae^7. Ein Bologneser „Digestum Novum" 18 aus der ersten Hälfte des 14. Jh. mag das veranschaulichen (Abb. 70). Die zweispaltige Miniatur steht ebenfalls am Anfang von Pars I, (=Dig. Buch 39). In der rechten Bildhälfte wird ein mittelalterlicher Hausbau mit den verschiedenen beteiligten Handwerken geschildert (Maurer, Schreiner, Transporte). Am linken Bildrand thront ein Richter, vor dem der Kläger steht und auf den störenden Neubau zurückverweist. Im Bild gelingt damit die Verbindung zweier Schauplätze, die in der Realität getrennt wären. Der Kläger ist mit seinem Weisegestus gleichzeitig das formale und inhaltliche Gelenkstück der beiden Szenen. Offensichtlich illustriert die Miniatur direkt den Text, sie versucht sogar, causale Beziehungen durch die Komposition zu veranschaulichen19. Damit hätte ein passendes Bildformular für diese Stelle der lectura des Bartolus zu Verfügung gestanden. Ein Kommentar zum „Digestum Novum" im Vatikan (vat. lat. 2287, fol. l r ) zeigt tatsächlich diese Ikonographie. Die Miniatur ist jedoch in die erste Hälfte des 15. Jh. zu datieren 20 . Es ist bemerkenswert, daß im Madrider Codex an dieser Stelle die augustinische Allegorie des Wissens auftaucht. Sie wurde nicht für diesen Ort erfunden, sondern als Zitat in den Rechtscodex eingesetzt. Ein ähnliches Text-Bild-Verhältnis weist die zweite große Miniatur der Madrider lectura. auf (fol. 128r, Abb. 71). Hier thront der Kaiser mit Schwert und Büchern zusammen mit Gelehrten in einer Art Chorgestühl. Davor stehen Rechtsgelehrte an einem Pult und notieren die Streitigkeiten der seitlich heraneilenden Bürger. Wie eine Wiederholung der Attribute des Kaisers erscheinen am oberen Bildrand hinter dem Gestühl bewaffnete Soldaten und am unteren Bildrand eine Reihe schreibender Rechtsgelehrter. Sie repräsentieren arma und litterae, die beiden Grundpfeiler der gerechten Herrschaft. Die Miniatur steht am Anfang von Pars II (=Dig. Buch 45) des Kommentars zum „Digestum Novum": „De verborum obligatione". Es geht um Schuldverhältnisse. Die entsprechende Illustration im „Corpus Iuris Civilis" zeigt, wie ein Schuldner dem Gläubiger die versprochene Summe in Anwesenheit des Richters übergibt 21 . Wiederum enthält das „Corpus Iuris Civilis" eine 'wörtliche' Textillustration, während die Miniatur der lectura des Bartolus nicht unmittelbar vom Text abzuleiten ist. Wie die Allegorie des Wissens wurde auch die Kaiserminiatur nicht speziell für die Madrider lectura erfunden, sondern das Bildformular war bereits vorhanden und wird hier als Zitat eingesetzt. Es findet sich in ähnlicher Form am Anfang des „Codex" („constitutio haec"), wo beschrieben wird, wie der Kaiser Iustinian die neue Rechtssammlung in Auftrag gibt, vor allem aber am

16 Leider liegt das Corpus der Illustrationen des „Corpus Iuris Civilis", das A. Melnikas bereits 1975 angekündigt hat, noch nicht vor. Die Rechtshistoriker Ebel/Kocher/Fijal, 1989, haben eine exemplarische Auswahl dieser Illustrationen publiziert. 17 Normalerweise sind sie einspaltig, doch an den Anfängen der partes

erscheinen - wie in der lectura —

zweispaltige Miniaturen. 18 Paris, B N , lat. 14341; Kat. Paris 1984, Kat. Nr. 64, fol. l r . 19 Weiteres Bsp.: Wien, Ö N B , Cod 2252, fol. V, Abb. in Ebel/Kocher/Fijal 1989, S. 101. 20 Vgl. Kuttner 1986, S.313. 21 Vgl. Wien, Ö N B , Cod. 2252, fol 98r; Ebel/Kocher/Fijal 1989, S. 113.

141

Anfang der „Institutionen" („constitutio imperatioram maiestatem"), wo der Kaiser mit Waffen geziert und mit Gesetzen bewaffnet beschrieben wird 22 (Abb. 72). Ein ähnlich zweigleisiges Text-Bild-Verhälntis weist eine lectura zum „Infortiatum" auf (vat. lat. 25 98) 23 . Fol. l r zeigt den zwölfjährigen Christus im Tempel, der mit den erregt argumentierenden Schriftgelehrten diskutiert. Auf fol. 119r erscheint zweimal der Kaiser: links thront er im Kreise der Soldaten und Rechtsgelehrten, rechts übt er die Funktion eines Richters aus. Wie in der Madrider lectura fehlt auch hier jeder Textbezug. Wie dort so treten auch hier an die Stelle wörtlicher Illustrationen zwei Miniaturen, deren Inhalt so allgemein ist, daß sie in verschiedenen Kontexten auftreten können. So begegnet einem z.B. die Darstellung Christi im Tempel an inhaltlich sehr unterschiedlichen Stellen in diversen Rechtscodices 24 , und das Thema der Kaiserminiatur ist uns aus der Madrider lectura bereits bekannt. Zusammen mit dem Madrider Exemplar ist die vatikanische „ Infortiatum"-/ecfara m . W der einzige Bartolus-Text, der im Atelier des Nicolö illustriert wurde, während kanonistische Kommentare dort in großer Zahl ausgestattet wurden. Jene weisen eine unmittelbar am Text orientierte Ikonographie auf, die die Bartolus-Texte vermissen lassen, obwohl die Illustrationen des „Corpus Iuris Civilis" ein geeignetes Bildmaterial zu Verfügung hielten, das von anderen Ateliers auch tatsächlich in Kommentaren genutzt wurde. Der mangelnde ikonographische Kanon für BartolusKommentare in der Werkstatt des Nicolö könnte erklären, warum gerade hier vorgefertigte Bilder aus anderen Kontexten eingesetzt wurden.

4. Die Tituli Augustinus, Rotulus rechte Hand: Hanc amavi et quaesivi eam a iuventute mea amator factus sum forme illius. et ipsa sapientia que vere una est si quid a deo sumpsi non a me praesumpsi. in epistola ad Macedonium. Augustinus, Rotulus linke Hand: Omnium quae sunt dedit mihi deus scientiam veram et quaecumque sunt abscondita et improvisa dedici. libro secundo de doctrina christiana. Text oberhalb der Heiligen: Scripturas canonicas solas ita sequor ut scriptores earum nihil in eis omnino erasse vel fallaciter posuisse non dubitem. in epistola ad Hieronimum.

22 Vgl. Paris, B N , lat. 14343, „Institutionen", fol. l r ; Bologna um 1335-40, Kat. Paris 1984, Nr. 65. Cesena, Bibl. Malatestiana, ms.S. IV 1., „Institutionen", fol. V, Bologna, 14. Jh.; G. Dalli Regoli, La Miniatura, in: Storia dell'arte italiana, Bd. 9, Turin 1980, S. 127-183, Abb. 185. Vgl. auch Göttingen, U B , Cod. Jurid. 27, fol. V, dazu Ebel/Kocher/Fijal 1989, S. 156, 157. 23 Vgl. Cassee 1977, S. 134, Abb. 120; Kuttner 1987, Bd. II, S. 159, 160. 24 „Decretum Gratiani", Distinktionen Pars I, Cambridge, Fitzwilliam Mus. Ms. 183, fol. V (Melnikas 1975, Bd. I, Abb. 44) Causa II, Anklage eines Priesters, Bibl. Vat. Ms Urb. lat. 161, fol. 107r, (Melnikas 1975, Bd. I, P1.9) „De Poenitentia", Madrid B N , Ms Vitr. 21,2, fol.263 r , (Melnikas 1975, Bd. III, Abb. 15).

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Text oberhalb der heidnischen Philosophen: Philosophi si qua vera dixerunt et fidei nostra accomoda sunt ab eis tamquam ab iniustis possesoribus in usum nostrum vindicanda. libro secundo de doctrina Christiana. Tituli der Personen zu beiden Seiten des Augustinus (v.l.n.r.): S. Hieronimus S. Johannes Ev., drei Bücher im Schoß: epistole, apocalypse, evangelium S. Paulus, sieben Bücher im Schoß: wohl seine Briefe (nicht entzifferbar) S. Moses, fünf Bücher im Schoß: Genesis, E x o d u s , Leviticus, N u m e r i , Deuteronomium Theologia, Kreis außen: testamentum vetus, testamentum novus, sensus allegoricus, sensus litteralis Buch im Kreis: apparuit rota una super terram habens quattuor facies et opera quasi rota in medio rotae. Ezechielis. Philosophia, Sphärenmodell (v.a.n.i.): spera saturni, spera iovis, spera solis, spera veneris, spera mercurii, spera lunae, spera ignis, spera aeris, spera aquae, spera terrena Aristoteles pypateticus Plato metaphysicus Sócrates stoycus Seneca moralis Tugenden (v.l.n.r.): Iustitia, im Schoß zwei Bücher: codex und digestum Buch: religio, pietas, gratia, vindicatio, observantia, veritas; oboedentia, innocentia, concordia, amicitia, affectus, humilitas, liberalitas zu Füßen: N e r o impius Fortitudo, auf dem Turm: magnaminitas, magnificentia, fidutia, pacientia, perseverantia, constantia, securitas, tollerantia, firmitas zu Füßen: Olofernes epixiatus Temperantia, Blätter des Baumes: moderado, verecundia, virginitas, sobrietas, modestia, continentia; pacitas (sie!) honestas, coniugium, castitas, abstinentia, dementia zu Füßen: Epicurus voluptuosus Prudentia, Kreis: infantia, tempus praesens, pueritia, adolescentia, praeteritum, (iuventus?) Buch: memoria, intelligentia, Providentia, cautio; circumspectio, docilitas et ratio oberhalb des Buches: nox unterhalb des Buches: dies zu Füßen: Sardanapalus inscius 143

Caritas, Rotulus rechte Hand: Sit tibi patris honor, sit tibi matris amor, non sis occisor, fur, mecus, testis iniquus, vicinique thorum resque caveto tuas. Rotulus linke Hand: sperno déos, fugito periuria, sabba collo, habens uni deo amorem, timorem, honorem, zu Füßen: Herodes iniqus Spes, Doppelrotulus: Beatitudines animae: sapientia, amicitia, concordia, honor, potentia, securitas, gaudium, visio, fruitio, intendo; corporis: claritas, agilitas, voluptas, ubertas, longevitas, sanitas, pulcritudo, fortitudo, impassibilitas zu Füßen: Judas desperatus Fides, Medaillons des Baumes (Leserichtung von oben, Mitte, dann im Zick-zack immer von links nach rechts): 1. Credo in deum patrem omnipotentem. Creatorem coeli 2. et terrae. Et in Jesum Christum Filium eius unicum Dominum 3. nostrum. Q u i conceptus est de spiritu sancto 4. natus ex Maria virgine. Passus et 5. sepultus est. Descendit ad inferna, tertia die 6. resurrexit a mortuis. Ascendit ad 7. coelos, sedet ad dexteram dei 8. Patris omnipotentis. Inde 9. venturus est iudicare vivos 10. et mortuos. Credo in Spiritum Sanctum 11. Sanctam ecclesiam catholicam 12. Sanctorum communionem 13. remissionem peccatorum 14. Carnis resurrectionem 15. vitam eternam. Amen. Stamm des Baumes: deus trinus et unus Kirchenmodell: super hanc petram edificata est ecclesia petra autem erat christus zu Füßen: Arius hereticus Artes Liberales (v.l.n.r.): Gramatica, orthographya, ethymologia, diasmetria, prosodia zu Füßen: Priscianus cum maiore volumine, mit Buch: cum omnis eloquentiae doctrinam et omne studiorem genus Loyca, probabilis, demonstrativa, sophystica auf der Brust: opponens, respondens, ratio zu Füßen: Ceroastes rex banorum (?) Rethoica, iudicialis, demonstrativa, deliberativa zu Füßen: tullius cum rethoica nova et vetera 144

mit zwei Büchern: Q u a nos eremi voluntas comovit; sepe et multum hoc mecum cogitarti Arsmetria, par, dispar zu Füßen: pythagoras cum libro arithmeticae auf seinem Buch: si quis in quattuor matheseos disciplinis Geometria, altimetria, planimetria, subeometria zu Füßen: Euclidis auf seinem Buch: ea a quibus procedit scientia ex qua que satum Musica, organica flatu, armonica voce, rhitmica pulsu „singt": do re mi fa so la zu Füßen: Tubai caym unter seinem A m b o ß : iste tubai cantum vocemque simphonie in geminis artem scripsit posuitque columpnis. Aure jubal varios ferramenti denotat ictus.Pondera quoque liberans consonantia queque facit. auf seiner Säule: acutus, gravis, thonus, dyesis, unisonus, dyapason, dyapente, dyatasaron, ditonus, tritonus, semitonus, ennanomis, dyatonus, cromaticus Astrologia, aptus, effectus Erdkugel auf ihrem Schoß: inhabitabilis terra clima; clima tua . . . quis zu Füßen: Tholomeus rex egyptorum auf seinem Buch: bonum domine fuit quod a sapientibus Buchtitel des Augustinus, außen, im Uhrzeigersinn, von oben links an: über de trinitate libri 22 de civitate dei Über de moribus ecclesiae " de honestate clericorum " de opere monachorum " sermo ad heremitas " de vera religione " de sancta virginitate " de continentia viduitate " de oratione dominica " de ieiunio diei sabbati " de miseria vite " ex orationis ad comites " de disciplina Christiana " de doctrina Christiana " de pastoribus et ovibus " de abusionibus " de heresibus " " " "

de de de de

concordia quattuor evangeüstarum concordia fratrum elemosina consolatione mortuorum 145

líber " " "

de visitatione infirmorum de magistro de pacientia de sepultura m o r t u o r u m 11 de contemptu mundi " de dogmatibus de vita Christiana " de ecclesiastibus " super psalterius " de agone christiano " de conflictu vitiorum libri confessionum 13 liber de bono coniugali libri 3 de baptismo parvulorum

146

IV Mailand, Biblioteca Ambrosiana, Cod. B. 42 inf.

J o h a n n e s A n d r e a e , „Novella in libros d e c r e t a l i u m " , liber tertius, q u a r t u s et q u i n t u s P e r g a m e n t , 310 + 4 + 1 fol., 460 x 270 m m , zweispaltig o h n e G l o s s e n . fol. l r : zweispaltige Miniatur, signiert u n d datiert von N i c o l ò da B o l o g n a 1354: T u g e n d e n u n d A r t e s Liberales fol. 159 r : einspaltige M i n i a t u r : V e r k ü n d i g u n g an M a r i a u n d Sposalizio fol. 205 r : einspaltige M i n i a t u r : C h r i s t u s u n d die E h e b r e c h e r i n D u r c h g e h e n d f i g u r e n g e s c h m ü c k t e Initialen.

1. Bibliographie 1904 1907 1909 1911 1912 1923 1925 1932 1933 1934 1948 1949 1950 1951 1956 1956 1962 1968 1969 1969 1969 1973 1974 1981

L. Dorez, S. 80-82, Taf. XIII. M. Venturi, Bd. V, S. 1015, 1016. R. Baldani, S. 415. A. Erbach v. Fürstenau, S. 111. E D'Ancona, Di alcune opere inedite di Nicolò di Giacomo da Bologna, in: Bibliofilia 14, 1922, S. 281-284, bes. S. 283, Anm. 1. E D'Ancona, S. 118, Abb. 4Z R D'Ancona, La miniature italienne du X e au XVI e siècle, Paris/Brüssel 1925, S. 32, 33, Taf. XXVIII. M. Salmi, La miniatura, in: Tesori delle Biblioteche d'Italia, Hg. D. Fava, Mailand 1932, S. 308, 309. F. Wittgens, Illuminated manuscripts in the Ambrosiana, in: Burlington Magazin 58, 1933, S. 57-64, bes. S. 58. L. Coletti, S. 101-121. Katalog Zürich, Die Kunstschätze der Lombardei, S. 119, Nr. 199. E. Aeschlimann/P. D'Ancona, S. 158, 159, Taf. CI. Katalog Paris, Trésors des Bibliothèques d'Italie, IV-XVI sec., Nr. 108, Taf. 10. E Toesca, S. 836, Taf. 693. M. Salmi, Italienische Buchmalerei, München 1956, S. 21. W Bachmann, S. 54. W Stammler, S. 209, 210, Abb. 5. R. Cipriani, Codici miniati dell'Ambrosiana, Vicenza 1968, S. 171, 172. E D'Ancona, S. 14, 18. Ph.Verdier, S. 312. Katalog Brüssel, La miniature italienne du X e au XVI e siècle, Nr. 17, S. 22, 23, Taf. 4. J. Kronjäger, S. 120, 121, Anm. 645. M. Masi, Boethius and the Iconography of the Liberal Arts, in: Latomus 33, 1974, S. 57-75, bes. S. 62. L. Lodi, S. 8, 9. 147

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1987

G . Ortelli, L'Università di Bologna, Bologna 1987, S. 113-131, bes. S. 124.

1904 publizierte Dorez zum ersten Mal die Miniatur der Tugenden und Artes Liberales in der „Novella Decretalium" (Abb. 15). Er hielt sie für den Prototyp dieser Ikonographie. In den folgenden Jahren war sie vor allem Thema der stilkritischen Literatur über die Bologneser Buchmalerei, wo ein signiertes und datiertes Werk natürlich begierig empfangen wurde. Die ikonographische Forschung begann sich erst später für die Miniatur zu interssieren. Die Miniatur des Nicolò di Giacomo wurde spätestens seit 1925 berühmt, als ihre Abbildung in D'Anconas großem Standardwerk über die italienische Buchmalerei erschien. Der Codex wanderte nun zu internationalen Ausstellungen (Mailand, Paris, Zürich, Brüssel), und die Mailänder Miniatur galt nicht nur als Hauptwerk des Nicolò di Giacomo, sondern wurde zum repräsentativen Vertreter der gesamten Bologneser Buchmalerei des Trecento. An ihrem Beispiel entwickelte man die typischen Stilmerkmale des Nicolò di Giacomo, vor allem die grelle Farbigkeit und die heftig verrenkten Figuren. Trotz ihrer Berühmtheit wurde die Miniatur nie genau analysiert, sondern immer nur en passant beschrieben. In der ikonographischen Literatur wurde sie zwar oft als Beispiel angeführt, aber nie im einzelnen interpretiert. Es ist charakteristisch für diese Forschungsrichtung, daß sie die Miniatur in ihre Bestandteile zerlegte (z. B . Tugenden, Artes, Aristoteles-Darstellungen, Musik-Darstellungen) und dabei die Funktion des ganzen Bildes im Kontext der Rechtshandschrift aus den Augen verlor.

2. Das Verhältnis zwischen Text und Bild Die Miniatur der Tugenden und Artes Liberales befindet sich in der „Novella Decretalium" des Johannes Andreae (1270-1348). Er war der berühmteste Kanonist der Kommentatorenzeit. U m 1280 kam er als Student nach Bologna, wurde 1301 Professor der Dekretalen und 1303 Professor des Dekrets. Er verbrachte dort sein ganzes Leben, abgesehen von einer Gastprofessur in Padua (1307) und einer Gesandtschaft zu Papst Johannes X X I I . nach Avignon (1328) Das „Decretum Gratiani" hatte um 1140 erstmals Ordnung in die verschiedenen kirchlichen Rechtsquellen gebracht. Doch gerade im 12. Jh. stieg die Produktion neuer Quellen rapide an. Dazu gehörten vor allem Konzilsakten und päpstliche Antwortbriefe auf kirchliche Rechts- oder Disziplinfragen, die sogenannten „Dekretalen" 2 . Um diese Flut zu ordnen, entstanden verschiedene Dekretalensammlungen. Als auch diese unübersichtlich wurden, gab Papst Gregor I X . den Auftrag zu einer neuen Sammlung, die alle älteren ersetzen sollte. 1234 wurden die „Decretales Gregorii

1 E C . v. Savigny, Geschichte des römischen Rechts im Mittelalter, Bd. V I , Heidelberg 1850, S. 9 8 - 1 2 5 ; J . E von Schulte, Geschichte der Quellen und Literatur des canonischen Rechts, Bd. I I , Stuttgart

1880,

S. 2 0 5 - 2 2 9 ; G. Rossi, Contributi alla biografia del canonista Giovanni d'Andrea, in: Rivista trimesiale di diritto e procedura civile 11, 1957; S. 1 4 5 1 - 1 5 0 2 . Stelling-Michaud in: Dictionnaire de Droit Canonique 6, 1957, S p . 8 9 - 9 2 ; Kuttner 1964 (das ist ein Nachdruck von Kuttners Einleitung zum Reprint der „Novella", Turin 1964). 2 Vgl. H . van de Wouw, in: L e x d . M A Bd. 3, Sp.655; K . W. Nörr, in: H . Coing (Hg.), Handbuch der Quellen und Literatur der neueren Europäischen Privatrechtsgeschichte, Bd. I, Mittelalter 1100-1500, München 1973, S. 839.

148

I X . " promulgiert 3 . Circa hundert Jahre später (1338) veröffentlichte Johannes Andreae seinen Kommentar zu den Dekretalen Gregors I X . Er nannte ihn „Novella" 4 . Wie die „Dekretalen Gregor I X . " gliedert sich auch die „Novella" in fünf Bücher, die in Tituli unterteilt sind. Sie erschien im Mittelalter in zwei Bänden: Der erste enthielt Buch I und II, der zweite die drei übrigen Bücher. Die Miniatur des Nicolö di Giacomo befindet sich am Anfang des zweiten Bandes, der mit Buch III beginnt. Dieses Buch handelt vom Klerus. Es beginnt mit dem Titulus: „De vita et honestate clericorum". Der Text behandelt die Lebensführung der Kleriker, vor allem die Meßordnung, die Tracht und das tugendhafte Verhalten. Dabei werden aber nicht die sieben Tugenden der Miniatur angesprochen, sondern in erster Linie Castitas. Im Kapitel über Trunkenheit (crapula)

werden einige Laster

angeprangert: Luxuria, Avaritia, Gula. Ursache vieler Übel sei der üppige Weingenuß. An dieser Stelle erscheint - wie in der Miniatur Epikur als Negativ-Exemplum: „ . . . crapulam multi obierunt. qui abstinens est adiciet vitam. Epicurius multe ex delitiarum epulis molestie generantur." 5 Dies bleibt jedoch die einzige echte Parallele zwischen Text und Bild. Weder im gesamten Uber III noch in titulus I gibt es eine Textstelle, aus der sich die Miniatur der Tugenden und Artes ableiten ließe. Es fragt sich nun, ob sie gleichzeitig von der 'Standardikonographie' der „Novella" abweicht. Leider ist die Ikonographie dieser Gattung der Rechtsliteratur noch nicht erforscht. Die Durchsicht von zwei Handschriften der „Dekretalen Gregors I X . " 6 und vier der „Novella" zu den „Dekretalen Gregors I X . " 7 erlaubt jedoch eindeutige Aussagen zur Ikonographie, welche sowohl im glossierten Originaltext als auch im zweispaltig geschriebenen Kommentar erscheint. 3 Ebd. Bd. I, 1973, S. 842. Man nennt sie auch „Liber Extra". Vgl. St.Chodorow, in: Lex.d.MA. Bd. 3, Sp. 658. 4 In der „Novella" bearbeitet er nicht nur den Originaltext („Dekretalen"), sondern auch die dazugehörige „Glossa Ordinaria" von Bernhardus Parmensis. Diese Interpretationsstufe entspricht derjenigen der Kommentare des Bartolus de Sassoferrato. Zur Johannes' Methode, die sehr eng am Originaltext bleibt, vgl. Kuttner 1964, S.404, 405; s.a. E Gillmann, Zur Frage der Abfassungszeit der „Novella" des Johannes Andreae, in: Archiv für katholisches Kirchenrecht 104, 1924, S. 261-275. 5 Johannes Andreae, „Novella decretalium", Venedig 1523, Bd. II, Buch III, fol.4 r , Kap. XIV, „A Crapula". 6 Bibl. Vat., vat. Ut. 1398, vgl. Cassee 1977, Abb. 110, Cassee 1980, Abb. 95, Kuttner 1986, S. 175, 176; Cassee schreibt die Miniaturen Pseudo-Nicolò zu; Bibl. Vat., vat. lat. 1388, vgl. Kuttner 1986, S. 174, 175; die Handschrift ist 1342 datiert, die Miniaturen sind qualitativ wesentlich schwächer als die der Ateliers des Nicolò und Pseudo-Nicolò. Die glossierten Dekretalen enthalten Buch I - V in einem Band! 7 Bibl. Vat., vat. lat. 1454, vgl. Kuttner 1986, S.260, 261; die Handschrift enthält Buch I und II, 2. Hälfte 14. Jh., die Miniaturen zeigen gute Qualität, sind bolognesisch, jedoch ohne stilistische Beziehung zu Nicolò da Bologna. Bibl. Vat., vat. lat. 1455, vgl. Kuttner 1986, S. 261, 262; die Handschrift enthält Buch I und II, bolognesich, 2.Hälfte 14. Jh.; Bibl. Vat., vat. lat. 1456, vgl. Cassee 1977, S. 131, Kuttner 1986, S.263; enthält Buch I und II, datiert 1354, signiert Nicolò da Bologna; Bibl. Vat., vat. lat. 2231, vgl. Kuttner 1986, S. 264, 265; die Handschrift enthält Buch III-V, sie gehört zu vat. lat. 1454; Bibl. Vat., vat. lat. 2533, vgl. Kuttner 1987, S. 106, enthält Buch III-V, Ende 14. Jh., bolognesisch; Bibl. Vat., vat. lat. 2534, vgl. Cassee 1977, S. 134, Kuttner 1987, S. 106, 107; enthält Buch III-V, gehört zu vat. lat. 1456.

149

Die zumeist zweispaltigen Miniaturen stehen jeweils am Anfang der Bücher. Buch I: Der Papst thront im Kreise der Kleriker; er nimmt von einem knieenden Rechtsgelehrten (bei der „Novella" ist natürlich Johannes Andreae gemeint) den Codex entgegen. Es handelt sich um ein Dedikationsbild 8 . Buch II: „de iudiciis"; dargestellt ist ein Kleriker, der Richterfunktion ausübt. Buch III\ „de vita et honestate clericorum"; dargestellt ist eine Messe. Buch IV: „de sponsalibus et matrimonibus"; dargestellt ist die dextrarum iunctio eines zeitgenössischen Paares. Buch V: „de accusationibus inquisitionibus et denunciationibus"; dargestellt ist ein Laie, der einem Kleriker, der als Richter fungiert, eine Anklageschrift unterbreitet. Die Illustrationen zu Buch IV und V der Mailänder Handschrift entsprechen dieser Ikonographie, auch wenn sie sie in christologische Szenen 'übersetzen'. So erscheinen auf fol. 159 r Verkündigung und Sposalizio, auf fol. 205 r Christus und die Ehebrecherin 9 . Die Tugenden und Artes zu Beginn von Buch III weichen dagegen von der Standardikonographie ab, die sich normalerweise direkt auf den anschließenden Text bezieht, der Anweisungen für das Gebet der Laien, für die Zelebration der Messe mit Meßdienern und für den C h o r enthält.

Washington, Nat. Gal., B-22, 225, Einzelblatt der „Novella Decretalium" des Gregor IX., Sposalizio am Anfang von Buch IV; vgl. C. Nordenfalk, Medieval and Renaissance Miniatures from the Nat. Gal. of Art, Washington 1975, Kat. Nr. 15. 8 Bei den „Dekretalen Gregors IX." folgt nach dem Dedikationsbild noch die Textillustration zu Buch I, „De Trinitate", eine Trinität. In der „Novella" wird auf dieses Bild meist verzichtet. 9 Die Miniaturen sind einspaltig; beides sind Werkstattarbeiten von geringerer Qualität als die Miniatur auf fol. 1r. 150

V Paris, Bibliothèque Nationale, Cod. lat. 14339

"Digestum Vetus cum Glossa Accursii" Pergament, 1+328 fol., 475 x 295 mm, Text zweispaltig, mit Glossen. fol. 3 r : zweispaltige Miniatur: Kaiser und sechs Tugenden fol. 183r: zweispaltige Miniatur: Szenen aus dem zeitgenössischen Wirtschaftsleben Einspaltige Miniaturen zu Beginn eines jeden Buches sowie der „Constitutio Omnem": fol. l r , 19v, 43v, 66 r , 98v, 116r, 125v, 139v, 151v, 162v, 174r, 203 r , 215v, 223v, 231v, 238 r , 251v, 262 r , 277 r , 285v, 299 r , 309 r , 32 V. Durchgehend figurengeschmückte Initialen. Provenienz: - Henri du Bouchet (17. Jh.) - Abtei St.Victor

1. Bibliographie 1869

L. Delisle, Inventaire des manuscrits latins, Paris 1863-1871, S. 6.

1935 J . Destrez, La Pecia dans les manuscrits universitaires du X I I I e au X I V e siècle, Paris 1935, S. 98 u.104, Abb. 24 (eine Textseite!). 1959

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1972

G. Dolezalek, Bd. II, (nicht paginiert).

1984

Katalog Paris, S. 81, Kat. Nr. 66, Abb. 66.

1989

H. Belting, S. 46.

Die Handschrift ist seit dem 19. Jh. in den Inventaren der B N Paris verzeichnet. Sie erweckte zunächst paläographisches und dann rechtshistorisches Interesse. Die Pariser Ausstellung 1984 und die Abbildungen im Katalog stellten die Miniaturen zum ersten Mal öffentlich vor. Außer dem Katalogtext gibt es dazu keine kunsthistorischen Publikationen.

151

2. Datierung und Zuschreibung Der Pariser Katalog von 1984 ordnet die Miniatur (Abb. 16) auf fol. 3 r stilistisch zwischen PseudoNicolò (auch „Illustratore" genannt) und Nicolò di Giacomo ein 1 und weicht bei der Zuschreibung auf den von Conti erfundenen Notnamen „Maestro del 1346" aus. Die Datierung erfolgt dementsprechend um 1345. Doch nicht jede Stilvariante bedarf eines eigenen Meisters. Die Miniatur zeigt vielmehr die Merkmale des frühen Nicolò di Giacomo 2 , und Vergleiche mit seinen frühen datierten Arbeiten bestätigen diese Zuschreibung. Vat. lat. 14563 enthält die frühesten datierten und signierten Miniaturen des Nicolò, die in die Jahre 1353 und 1354 fallen. Besonders die große Darstellung auf fol. 179r ähnelt stilistisch der Pariser Miniatur (Abb. 74). Das Bildformat weist den gleichen trapezförmigen Giebel auf. Reines Gold ohne Muster bildet den Hintergrund. Identische Figurentypen treten auf, z. B. entspricht der mittlere Schreiber der vatikanischen Miniatur genau dem Henker des Parisinus. Die Gewänder sind in beiden Fällen in reichlichen, nassen Falten gebildet, die die Bewegungen des Körpers übertrieben nachzeichnen. Sie sind sehr sorgfältig ausgeführt, ebenso wie die Gesichter, die bei Pseudo-Nicolò dagegen schematisch und ungenau, mit stereotypen Schlitzaugen, gemalt sind. Stilistische Ubereinstimmungen gibt es außerdem mit der bekannten „Novella Decretalium" in der Biblioteca Ambrosiana in Mailand 4 (Abb. 15), deren fol. V von Nicolò signiert und 1354 datiert wurde. Die Pariser Miniatur ist daher in die 50er Jahre des 14. Jh. zu datieren.

3. Deutung: Der Kaiser als Iustitia Die Miniatur auf fol. 3 r des Parisinus lat. 14339 (Abb. 16) beansprucht so viel Platz, daß von dem Quellentext nurmehr zwei kurze Spalten stehenbleiben. Miniatur und Quelle sind von der Glosse umrahmt. Lediglich am oberen Seitenrand sprengt die Miniatur den Glossentext auf, da sie sich nicht auf ein rechteckiges Bildfeld beschränkt, sondern einen trapezförmigen Giebel ausbildet. Eine zweifach gestufte Holzbühne organisiert die gesamte Miniatur. Sie ist nicht bildparallel aufgebaut, sondern besteht aus zwei diagonal gestellten Flügeln, um eine räumliche Wirkung zu erzielen, die sich durch die Wiederholung der Diagonalen in den Schrägen des Bildgiebels noch verstärkt. Im Vordergrund bleibt ein Segment des Felsbodens sichtbar. Im Zentrum der oberen Bühne erhebt sich der Thron des Kaisers, dessen Baldachin den Bildgiebel ausfüllt. Auch der Kopf des Kaisers erscheint im Giebelfeld. Er überragt somit als einziger die Tugendallegorien, die ihn in zwei Triaden flankieren. Sie sitzen, wie bei Tugenden üblich, auf unscheinbaren Bänken und präsentieren die gleichen Attribute wie in der augustinischen Allegorie des Wissens. Der Kaiser trägt Krone, Schwert und einen hermelingefütterten Mantel. Er wendet sich nach links zur Prudentia, die ihm mit einem Blick aus den Augenwinkeln antwortet. Er scheint sich bei ihr seines Urteils zu vergewissern und weist mit der Linken nach unten, wo eine Hinrichtung stattfindet. Auf der unteren Stufe der Bühne nähern sich von beiden Seiten je drei wohlhabende Bürger dem Kaiser und offerieren ihm knieend Geld und Gold. Zwei Soldaten wehren mit drohender Keule 1 Kat. Paris 1984, Kat. Nr. 66, S. 81. 2 Ebenda, bestätigt der Kat. meine Ansicht bzgl. fol. 3 r : „Les acteurs de cette scène n'ont plus grand chose en commun avec la tension fébrile des figures de l'Illustratore, et font déjà penser a l'art de Nicolò di G i a c o m o . " 3 Cassee 1977, S. 131, Abb. 96. S. a. Kuttner 1986, Bd. I, S.263, und Erbach-Fürstenau 1911, S. 108f. 4 Vgl. Anhang III und IV

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diese Bestechungsgelder ab. Sie ragen mit dem Oberkörper deutlich in die obere Ebene hinein und überschneiden sogar ein wenig den Thron des Kaisers. Damit ist die Zugehörigkeit zu ihrem Dienstherren offensichtlich. Die knieenden Bürger verbleiben dagegen in der unteren Ebene der Bühne. Im Vordergrund, in der senkrechten Achse unterhalb des Kaisers, findet die Hinrichtung statt. Der Henker schwingt sein Schwert und schaut dabei nach oben zum Kaiser, dessen Befehl er ausführt. Sein Gehilfe drängt den Delinquenten mit einem Schild von der Holzbühne, denn der Verbrecher hat den Boden des Gesetzes verlassen und muß nun auf dem Felsengrund sein gerechtes Urteil erleiden. Die drei Ebenen, die der Kaiser mit seinem Kopf noch überragt, veranschaulichen die Hierarchie vom exemplarischen Outlaw bis zu den abstrakten Verhaltensidealen, die durch die Tugenden repräsentiert werden. Zwischen den beiden Extremen stehen die Bürger der Oberschicht, die sich in einem Grenzbereich bewegen, weil sie versuchen, das Recht zu ihrem Vorteil zu beugen. Bisher haben wir die männliche Figur auf dem Thron 'Kaiser' genannt. Man kann sie aber auch anders deuten. Der Kaiser befindet sich im Schnittpunkt einer vertikalen Achse, die seine exekutive Macht beweist, und der oberen horizontalen Ebene, die tugendhaftes Verhalten als Voraussetzung für ein gerechtes Urteil darstellt. Der jeweiligen Leserichtung entsprechend ändert sich die Interpretation. Eine weitere Deutungsvariante erfährt er, wenn man ihn im Zusammenhang mit den Korrupteuren betrachtet. In der horizontalen Achse wird der Kaiser zur Iustitia. Er thront zwischen Caritas, Temperantia, Fortitudo, und Prudentia, Fides und Spes. Dabei übernimmt er die Rolle der fehlenden Kardinaltugend. Er präsentiert das wichtigste Attribut der Iustitia, das Schwert. Außerdem trägt er wie die anderen Tugenden eine Krone, die gleichfalls zu einem verbindenden Element wird. Der Kaiser ist demnach nicht nur gerecht, sondern er verkörpert die Gerechtigkeit. Die Anordnung der Tugenden entspricht den säkularen Bedürfnissen des Bildprogramms. Iustitia steht in einem Rechtscodex natürlich im Zentrum. Ihre nächsten Nachbarinnen sind Fortitudo und Prudentia. Erstere wird zu einer Bestätigung des Schwertes in der Hand der Iustitia, denn sie hat die Macht zur praktischen Durchsetzung von Gerechtigkeit. Prudentia steht in Blickkontakt mit Iustitia. Sie steuert das Buch als Attribut bei. In ihrer Hand bedeutet es Klugheit im allgemeinen, in Verbindung mit Iustitia bezeichnet es die Weisheit des kodifizierten Rechts und damit die theoretische Voraussetzung der Gerechtigkeit. Zusammen repräsentieren sie das Schema von arma und litterae. Um die prominentesten Plätze angemessen verteilen zu können, mußte man eine ungünstige Präsentation der übrigen Tugenden in Kauf nehmen. Entgegen der traditionellen Anordnung wird daher die Triade der theologischen Tugenden aufgesplittert und ganz an die Ränder der Bühne gedrängt. In der vertikalen Achse liest man die thronende Figur als Kaiser. Die Krone ist nun Kaiserkrone. Zum Kaiser gehören die Soldaten und Henker als Erfüllungsgehilfen seiner potestas. Sie sind direkt unterhalb seines Thrones angeordnet. Der Kaiser tritt hier als Richter auf. Er gibt per Fingerzeig sein Urteil an den heraufblickenden Henker, und es folgt die sofortige Vollstreckung. Die Kettenreaktion „Befehl-Ausführung" wird im Bild anschaulich. Eine Spezifizierung dieser Lesart bietet sich an, sobald man die Bürger mit den Bestechungsgeldern, die von zwei Soldaten abgewiesen werden, unmittelbar auf den Kaiser bezieht. Von beiden Seiten kommend sind sie in keilartiger Formation auf ihn ausgerichtet. Auch hier ist der Kaiser in seiner Funktion als Richter dargestellt. Seine potestas, symbolisiert durch sein Schwert und exem153

plarisch illustriert durch seine Soldaten, bezieht sich nämlich nicht nur auf die Vollstreckung, sondern auch auf die Voraussetzungen für ein gerechtes Urteil. Die sechs Bittsteller, die Bestechungsgelder anbieten, repräsentieren die äußeren Einflüsse auf den Richter, die von den Soldaten erfolgreich ferngehalten werden. Auf dem Schild des rechten Soldaten ist eine Waage zu erkennen. Sie ist ein klassisches Attribut der Iustitia und verweist im Bild der ausbalancierten Waagschalen speziell auf den Rechtsbegriff der aequitas, d. h. der Gleichheit der Bürger vor dem Gesetz. Das Geld der Reichen darf keinen Einfluß auf den Richter ausüben. Der Kaiser erscheint in dieser Lesart als gerechter Richter, genau wie Brutus in dem Fresko der Arte della Lana in Florenz, den die vier Kardinaltugenden vor Bestechungsversuchen schützen. Ohne einen einzigen Titulus kann die Miniatur sehr präzise Aussagen machen, sofern man sie nur exakt zu 'lesen' versteht. Besser als jeder Text macht sie die Bedeutungsvarianten der Iustitia evident. Gerechtigkeit ist zunächst eine allgemeine ethische Qualität. Sie wird hier angewendet auf den Richter, der einerseits die theoretisch-moralischen (Tugend) und andererseits die praktischen Voraussetzungen (Freiheit von äußeren Einflüssen) für ein gerechtes Urteil erfüllt, und nicht zuletzt auch die Macht (als Kaiser) hat, das Urteil zu vollstrecken.

4. Das Verhältnis zwischen Text und Bild Die Miniatur befindet sich auf fol. 3 r , am Anfang der Digesten. Die Digesten gehören zum „Corpus Iuris Civilis", jener wissenschaftlichen Kodifizierung des römischen Rechts, die Kaiser Iustinian im frühen 6. Jh. bei seinen Juristen in Auftrag gab. Sie enthalten eine Zusammenfassung des gesamten Rechtssystems. Aus praktischen Gründen erschienen sie im Mittelalter in drei Bänden, die auch eigens betitelt waren: das „Digestum Vetus" (enthält Dig. 1,1-24,2), das „Infortiatum" (Dig. 24,3-38,7) und das „Digestum Novum" (Dig. 39,1-50,17). Den spätantiken Quellentext umgibt seit dem 12. Jh. ein Glossenapparat, der „nach der scholastischen Methode redigiert ist" 5 und vor allem wörtliche Texterklärungen, aber auch Parallelstellen, Quaestionen, Distinctionen und Argumente enthält. Die Glosse ist nur verständlich, wenn sie mit der Quelle zusammen gelesen wird. Aus diesem Grunde wird sie in schmalen Marginalien direkt um die beiden Kolumnen des Haupttextes herumgeschrieben. Der Glossenapparat des Bologneser Professors Accursius (geb. ca. 1181/85, gest. ca. 1259/63) wurde seit Ende des 13. Jh. zur „Glossa ordinaria", der Glosse schlechthin. Sie erläutert auch den Quellentext des Parisinus lat. 14339. Vollständig illustrierte Ausgaben des „Digestum Vetus" enthalten 25 Miniaturen (24 Bücher plus die „Constitutio Omnem"). Große Miniaturen, die sich über die Breite beider Textspalten hinziehen, stehen am Anfang des ersten und des zwölften Buches. Sie markieren den Beginn des Haupttextes (dem die „Constitutio Omnem" vorangestellt war) und die Mitte des Bandes. Damit gehorchen sie rein formalen, nicht inhaltlichen Kriterien. Genauso zeigen im „Infortiatum" und „Digestum Novum" zweispaltige Miniaturen den Textbeginn an und setzen dann eine Zäsur in der Mitte des Bandes. Alle übrigen Bücher sowie die „Constitutio Omnem" beginnen mit einer wesentlich kleineren, einspaltigen Miniatur. Nicht nur das Dekorationssystem des gesamten Buches, sondern auch das der Einzelseite bedarf

5 E Weimar, Die legistische Literatur und die Methode des Rechtsunterrichts der Glossatorenzeit, in: Ius C o m m u n e 2, 1969, S. 168.

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der Erläuterung. Reine Textseiten bestehen aus den zwei Kolumnen der Quelle, die von allen Seiten durch die schmalen Spalten der Glosse eingefaßt werden. Die kleinen Miniaturen können an beliebiger Stelle innerhalb der Kolumnen erscheinen. Die großen zweispaltigen Miniaturen sitzen immer oberhalb des Quellentextes und werden von den Glossen gerahmt. In besonders prunkvollen Exemplaren gibt es außerdem Ornamentleisten, die den Quellentext von der Glosse trennen. Die Bildanalyse hatte gezeigt, daß die Miniatur einem ausgefeilten Programm folgt. Es fragt sich nun, o b der Entwurf dazu in dem Text zu finden ist, der unterhalb der Miniatur erscheint. Sie steht am Beginn des „Digestum" 1,1. Das erste Buch heißt: „De iustitia et de iure." Der Text beginnt mit einer Ableitung des Rechts (ins) von Gerechtigkeit (iustitia) und seiner Definition als „Wissenschaft dessen, was recht und billig ist". Es folgen kurze Ausführungen zur Tätigkeit der Richter und Rechtsgelehrten, die Gerechtigkeit üben und versuchen, dadurch die Menschen „gut" zu machen. Im weiteren Verlauf des Textes folgen Definitionen des öffentlichen und des privaten Rechts, des Naturrechts etc.. Es überschneiden sich einige zentrale Begriffe in Text und Bild. Iustitia ist im Text der O b e r b e griff, von dem man ius ableitet. Im Bild überragt der Thronende, den man u. a. als Iustitia deuten kann, alle anderen Figuren. Der abstrakte Begriff ius wird im Bild nicht personifiziert, ist aber im A k t der Rechtsprechung (Iurisdiktion) des Kaisers als Richter implizit enthalten. Aequitas, die Gleichheit und wichtigste Komponente des Rechts, erscheint sowohl im Text als auch im Bild der Waage auf dem Schild des Soldaten, der f ü r die Gleichheit der Bürger vor dem Gesetz sorgt. „Metus poenarum", die Furcht vor Strafe, soll lt. Text den Bürger davon abhalten, gegen die Gesetze zu verstoßen. Im Bild ist eine Hinrichtungsszene zu sehen, die u. a. auch diese abschreckende Funktion übernimmt. D o c h längst nicht alle Bildelemente sind durch den Text abgedeckt. Es ist dort z. B. keine Rede von den Bittstellern und den Tugenden. Außerdem gibt der Text keinerlei Hinweise, die sich zur direkten U m s e t z u n g ins Bild eignen. D a z u sind die Formulierungen viel zu abstrakt. Man kann daher nicht das Bild wie eine 'wörtliche' Illustration vom Text ableiten, sondern muß es als eigenständigen Beitrag zum gleichen Thema betrachten. Mit ihrer abstrakten Programmatik unterscheidet sich die Miniatur am Anfang der „Digesten" von allen anderen Illustrationen des „Corpus Iuris Civilis", die normalerweise Gerichtsszenen und Fälle 'realistisch' nacherzählen 6 . Diese narrativen Szenen sind exakt durch den Text vorgegeben, so daß sich eine feste Ikonographie entwickeln konnte. Im „Digestum" 1,1 werden dagegen keine Fälle erörtert, sondern die abstrakt-systematischen Grundlagen, die f ü r alle Teile des „Corpus Iuris Civilis" Gültigkeit haben, und damit entspricht der Text der Tonlage der Miniatur. Wo der Text wegen seines hohen Abstraktionsgrades keine Vorgaben zur Illustration liefert, variiert die Ikonographie. Gerade die Illustrationen zu „Digestum" 1,1 sind daher am wenigsten standardisiert. Dennoch tauchen einige Motive immer wieder an dieser Stelle auf: Unverzichtbar ist die Allegorie der Iustitia, die meistens von Soldaten beschützt wird. Häufig begegnen einem auch die Bittsteller mit den Bestechungsgeldern und die Hinrichtungsszene. D a noch keine systematische Publikation der Illustrationen der „Digesten" vorliegt, müssen hier wenige Beispiele als Beleg ausreichen. Vat. lat. 1409 7 , ein „Digestum Vetus cum Glossa Accursii", zeigt auf fol. 3 r eine große Miniatur, die in zwei Registern aufgebaut ist (Abb. 75). Im Zentrum thront Iustitia mit Schwert und Waage, 6 Z . B . Dig.12, „De rebus creditis", mit realistischer Erzählung des mittelalterlichen Handelswesens, vgl. Vat. lat. 1409, fol. 183r. 7 Diese Miniatur w u r d e bisher noch nicht veröffentlicht. Cassee 1980, S. 26, schreibt sie Pseudo Nicolö zu, das

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während Soldaten sie vor den Bestechern schützen. Unten finden eine „peinliche Befragung", d. h. Folter, und zwei Hinrichtungen statt (Hängen und Köpfen). München BSB, Clm 3503 8 , ebenfalls ein „Digestum Vetus cum Glossa", zeigt auf fol. 3 r einen ähnlichen Bildaufbau (Abb. 76): Iustitia mit Schwert und Globus wird von Soldaten vor den Korrupteuren beschützt, während zu ihren Füßen ein Verbrecher geköpft wird. Turin, Bibl. Naz. Ms EI l 9 , zeigt auf fol. 4r, am Anfang der „Digesten", wiederum Iustitia mit Schwert und Globus. Anstelle der Hinrichtung gibt es hier Szenen aus der juristischen Praxis. Zwei Engel überreichen dem Kaiser, der vor Iustitia kniet, die Zeichen seiner Herrschaft: Krone und Schwert. Die enge Beziehung zwischen dem Kaiser und Iustitia ist durch die Identität ihrer Attribute angezeigt. In der Pariser Miniatur (Abb. 16) fallen sie in einer Person zusammen, die beide Deutungsvarianten enthält. Aus diesen wenigen Vergleichen wird bereits deutlich, daß die Pariser Miniatur sich voll im Rahmen des - ohnehin sehr lockeren - ikonographischen Kanons bewegt. Sie unterscheidet sich jedoch durch die besondere Raffinesse der Argumentation.

bedeutet eine Datierung in die 1340er Jahre. S. a. Kuttner, Bd. I, 1986, S.204, und Erbach-Fürstenau 1911, S. 8 ff. 8 Ebel/Kocher/Fijal 1989, S. 15, 16, mit A b b . aber sehr dürftigen kunsthistorischen Angaben. A u ß e r d e m halten sie in Verkennung mittelalterlicher Bildsprache die Allegorie f ü r den Kaiser. D e r Bologneser C o d e x ist in der 2. Hälfte des 14. Jh. entstanden, er ist qualitativ wesentlich schwächer als die Miniaturen des Nicolö. 9 Vgl. C o n t i 1981, S. 84, Taf. X X V I , er schreibt die Miniatur einem Meister mit dem N o t n a m e n „Maestro del 1328" zu u n d datiert sie E n d e der 1330er Jahre. S. a. Venturi 1907, S. 1014, A n m . 2; Toesca, 1951, S. 836.

156

VI. Chantilly, Musée Condé, Nr. 599, Cod. 1426

Bartolomeo di Bartoli da Bologna, „Cantica ad gloriam et h o n o r e m magnifici d o m i n i Brutii nati incliti ac illustris principis D o m i n i (Luchini), Vicecomitis de Mediolano, in qua tractatur de virtutibus et scientiis vulgarizatis." Pergament, 10 fol., 330 x 225 m m Auf jeder Seite eine lavierte Federzeichnung; die C a n z o n e ist einspaltig geschrieben. Provenienz: - Fam. A r c h i n t o , Mailand - M. Robinson, London - 1862 gekauft v o m D u c d ' A u m a l e

1. Bibliographie 1745 1900 1902 1904 1907 1908 1909 1911 1911 1917 1923 1924 1927 1928 1930 1932 1934 1938 1947 1949 1955 1959 1961 1962

E Argelati, Biblioteca Scriptorum Mediolanensium Bd. II, Mailand 1745, Sp. 1596, 1597. Le Cabinet des Livres Manuscrits, Paris 1900, Bd. II, S. 345-349, Nr. 599, cod. 1426. J. von Schlosser, S. 334-336. L. Dorez. Venturi, Bd.V, S. 941 u. 1018. E. Mâle, Bd. II, S. 361, 362. R. Baldani, S. 416, Anm. 1, S. 434-440. A. Erbach-Fürstenau, S. 111, 112. E Filippini, S. 58-61. F. Filippini, S. 249-259. P. D'Ancona, S. 43 u. 49. R. van Marie, Bd. IV, S. 424. F. Saxl, Verzeichnis der astrologischen und mythologischen illustrierten Handschriften des lateinischen Mittelalters, Bd. II, in: Heidelberger Sitzungsberichte 2, 1925/26, Heidelberg 1927, S. 34. Catalogue Générale des Bibliothèques Publiques. Musée Condé a Chantilly, Paris 1928, S. 125, 126. J. Meurgey, S. 37-40. R. van Marie, Bd. II, S. 226, 227. L. Coletti, S. 109, 110, 113, 121. J. v. Schlosser, S. 86. L. Coletti, S. XXXIV, Anm. 72. E. Aeschlimann/P D Ancona, S. 8. E. Pellegrin, S. 358, 359, 403. C. Samaran/R. Marichal, Catalogue des Manuscrits en écriture latine, portant des indications des dates, de lieu ou de copiste, Bd. I, Paris 1959, S. 41. E. Castelnuovo, Andrea da Bologna, in: Dizionario biografico degli Italiani Bd. III, Rom 1961, S. 83. W Stammler, S. 197 157

1965

B . Degenhart, Die kunsthistorische Stellung des C o d e x Altonensis, in: D a n t e Alighieri, Divina C o m m e dia, Faksimile-Ausgabe des C o d e x Altonensis, Hg. Hansestadt Hamburg, Bd. 2, Kommentar, Berlin 1965, S. 6 5 - 1 2 0 , bes. S. 3 3 - 3 6 .

1969

E . Pellegrin, Suppl., S. 27

1969

Ph. Verdier, S. 312, 330, A n m . 63.

1973

G . Schmidt, S. 5 7 - 5 9 , 67, 68.

1978

M. Ferreti, S. 165.

1979

C . Volpe, S. 50.

1981

C . Volpe, Andrea de' Bartoli e la svolta antigotica nella seconda metà del Trecento, in: Paragone 373,

1981

L . Lodi, S. 9, 10.

1981, S. 4 - 1 1 , bes. S. 9, 10. 1981

A. Conti, S. 80, A n m . 36.

1985

J . Tezmen-Siegel, S. 189, 190.

Im Jahre 1904 führte Léon Dorez die „Canzone delle Virtù e delle scienze" in die kunsthistorische Forschung ein (Abb. 17-26). Er behandelte zunächst den geschichtlichen Kontext, in dem sie entstand, war aber hauptsächlich an der Ikonographie interessiert und versuchte, Bild- und Textvorlagen für dieses Programm nachzuweisen. Dabei erkannte er bereits dessen augustinische Färbung und stellte es den dominikanischen Fresken in der Spanischen Kapelle kurz gegenüber. Nach dieser Pubikation war die Handschrift mit einem Schlag hochberühmt. Sie wurde von nun an häufig zitiert, allerdings nur en passant. Es stand später nie mehr das Gesamtwerk zur Debatte, sondern nur einzelne Aspekte. In ikonographischen Uberblickswerken wurden - je nach Bedarf die Tugenden oder Artes Liberales aus der Canzone als Beispiel angeführt. Am häufigsten beschäftigte sich die Literatur mit der Frage der Zuschreibung, da Dorez in diesem Punkt ziemlich vage blieb.

2. Zuschreibung Die stilkritische Forschung ist immer bestrebt, Meisternamen zu finden. Hat sie einmal einen Meister benannt, so hält sich der Name hartnäckig, und sei die Zuschreibung noch so hypothetisch. Die Forschungsgeschichte der Canzone liefert dafür ein gutes Beispiel: Seit E Filippini die Miniaturen 1911 mit dem Namen Andrea de' Bartoli verbunden hatte, blieben sie für immer mit dem schlecht dokumentierten Bologneser Künstler verknüpft, der zudem in Bologna einige Namensvetter besitzt, die die Sachlage komplizieren. 1969 hatte sich diese Zuschreibung bereits so fest eingebürgert, daß Pellegrin der Meinung war, bereits Dorez habe diese 'sichere' Zuschreibung vorgenommen. 1 Filippini fand drei Dokumente. Das eine belegt, daß in den Jahren 1367/68 ein „Andreas pictor da Bononia" die Katharinenkapelle in der Unterkirche von Assisi für Cardinal Albornoz ausgemalt hat. Ein weiteres Dokument besagt, daß 1365 „Magistro Andree de Bartolis pictori Bononensi" ein Gehalt für Fresken bezahlt wird, die er in Pavia im Auftrag des Kardinallegaten Androino gemalt hat 2 . Die Fresken sind leider nicht erhalten. 1 Pellegrin 1969, S. 27. Coletti 1947, S. X X X I V , identifiziert „prohabilmente" Andrea da Bologna mit Andrea de' Bartoli, dem Maler der Canzone. A e s c h l i m a n n / D ' A n c o n a 1949, S. 8, bezeichnen ebenfalls „wahrscheinlich" Andrea de' Bartoli als Maler der Miniaturen in der Canzone. 2 Beide Dokumente bei Filippini/Zucchini 1947, S. 8.

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Außerdem ist eine Rechnung überliefert, die Kardinal Albornoz im Jahre 1356 beglichen hat: „domini magistro Bartolomeo fratri magistri Andree pictoris pro libris quos scribit pro domino ducatos sexaginta; item eadem die dedi de mandato domini dicto magistri Andree pro emendis coloribus ducatos quinquaginta" 3 . Ein gewisser „de Bononia natus Andrea" hat außerdem zwei Tafeln in Fermo und Pausula signiert und datiert 4 . Filippini bezieht alle Quellen auf ein und dieselbe Person. Diesem Andrea de' Bartoli seien „zweifellos" auch die Zeichnungen der Canzone zuzuschreiben 5 . Wenn diese These überzeugen soll, müssen die Fresken in Assisi, die beiden signierten Tafelbilder und die Zeichnungen der Canzone stilistisch zusammengehören. Die Tafeln unterscheiden sich jedoch so stark von den Fresken in Assisi, daß sie von einem anderen Künstler ausgeführt sein müssen. Daher schreibt Longhi dem Andrea da Bologna die beiden Tafeln und dem Andrea de' Bartoli alle übrigen Werke zu, die in den Quellen erwähnt werden, sowie die Zeichnungen der Canzone 6 . Aber auch dieses Oeuvre des Andrea de' Bartoli bleibt rein hypothetisch. Denn nur zweimal wird in den Quellen sein Name genannt, aber in beiden Fällen fehlen uns heute die Monumente: Die Fresken in Pavia sind verloren, und die Farbenrechnung von 1356 sagt nicht einmal aus, ob es sich um Materialien für Fresken, Buchmalerei oder Tafelbilder handelt. Das einzige erhaltene Monument, die Fresken der Katharinenkapelle in Assisi, ist urkundlich mit einem Andrea de Bononia verbunden und gerade nicht mit Andrea de' Bartoli! Zwei Hypothesen historisch-technischer Art, die nicht durch Stilkritik untermauert werden können, führten dazu, daß der Name Andrea de' Bartoli für immer mit den Zeichnungen der Canzone verbunden blieb: - Longhis griffige Formel von Andrea als „pittore di fiducia" des Kardinal Albornoz, die die Werkgruppe nicht über den Maler oder seinen Stil, sondern über einen gemeinsamen Auftraggeber definiert; - die Annahme, daß Brüder unbedingt zusammenarbeiten 7 . Da eine sichere Zuschreibung der Zeichnungen der Canzone an Andrea de' Bartoli mangels Vergleichsmaterial unmöglich ist, bleibt nur der Vergleich mit den Katharinenfresken des Andrea da Bologna in Assisi. Dieser ist zwar wegen der verschiedenen Bildmedien problematisch 8 , doch die stilistischen Unterschiede sind offensichtlich. Die Forschung ist sich in der Charakterisierung der Fresken einig: Andrea de' Bartoli habe „una voce un po' stridente e robusta . . . una nuova ondata di spontanea vena narrativa, gremita di idiotismi sapidi e di solecismi quasi insostenibili" 9 , 3 Filippini/Zucchini 1947, S. 7, 8. 4 Fermo, Polyptychon in der Pinacoteca, 1368; Pausula, Madonnentafel in S. Agostino, 1372. 5 Filippini 1911, S. 57, 58. 6 Longhi 1950, S. 15; er traf diese Unterscheidung bereits 1935 in einer Lezione dell'università di Bologna, die 1973 im Rahmen seines Gesamtwerkes erschienen ist (Bd. V I , S. 56, 57) 7 Gegenbeispiel ist das „Missale R o m a n u m " in München, B S B , C l m 10072, das von Bartolomeo geschrieben und von N i c o l ò di Giacomo mit Miniaturen versehen wurde (Abb. 68). Beide haben ihre Arbeit signiert. 8 Schmidt 1973, findet in einem Stundenbuch in Kremsmünster (Schatzkasten Nr. 4) eine versteckte Signatur „Andreas me pinsit", (fol. l l r ) . E r schreibt dem Andrea drei kleine Medaillonbüsten zu. Das reicht für Schmidt aus, um die Zeichnungen in Chantilly und die Fresken in Assisi mit diesem Andrea zu identifizieren, der damit Andrea de' Bartoli heißt! Die folgende Literatur wendet sich durchweg gegen diesen unseriösen Vergleich, vgl. Volpe 1979, S. 51, Ferreti 1978, S. 165; Cassee 1980, S. 31; Conti 1981, S. 74. 9 Volpe 1979, S. 49.

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„ . . . u n verismo anzi tutto grottesco, di una narrazione brutale" 1 0 . Das trifft aber nicht auf die qualitätsvollen, wohlproportionierten Figuren in der Canzone zu.

3. Stil Wir schließen uns der Stilanalyse von Venturi und Baldani an, die die Zeichnungen der Canzone in Bologna lokalisieren 1 1 . Auch die Initialen dieser Handschrift weisen eindeutig Bologneser Stilmerkmale auf. Sie sind in Deckfarbentechnik ausgeführt und stammen nicht von derselben Hand wie die Zeichnungen. Diese Lokalisierung paßt gut zur Bologneser Herkunft des Autors und Scriptors der Canzone. Die Ähnlichkeit der Zeichnungen mit wichtigen Charakteristika des Vitale da Bologna (tätig seit ca. 1330, gest. zw. 1359 und 1361) bestätigt diese stilistische Einordnung. Die höfisch-zierliche Beweglichkeit der Allegorien findet man bei Vitale sehr häufig. Ein gutes Beispiel sind die Engel in dem großen Weihnachtsfresko aus Mezzaratta 1 2 . Die Gewänder zeichnen übertrieben die Bewegungen nach. Die Körper der Engel sind allerdings schlanker als die Allegorien der Canzone. Auch die weiche Gewandmodellierung bei Vitale ähnelt den Zeichnungen aus Chantilly. Die Falten bilden ein tiefes Relief aus, indem die Grundfarbe nur mit Weiß aufgehellt wird. Denselben Effekt erzielt die Canzone, indem der helle Pergamentgrund stehengelassen wird. Wie in den Zeichnungen läßt auch Vitale nur selten die Füße seiner Figuren unter dem Gewand hervorschauen, sondern bevorzugt das dekorative Aufstauen der Säume am Boden. Auch motivische Verwandtschaft zwischen der Canzone und Vitale ist zu beobachten. Die dekorative Form der Sockel der Thronbänke in der Canzone findet sich z. B. in Vitales Marienkrönung in der Pinacoteca von Bologna 1 3 . Die Rüstungen von Vigor und Fortitudo gleichen exakt dem hl. Georg von Vitale 1 4 , und sie alle tragen sie in gezierter Haltung, mit gebogenem Hohlkreuz, zur Schau. Die Zeichnungen der Canzone sollen keinesfalls Vitale selbst zugeschrieben werden, zumal für die Gesichtstypen keine Pendants bei ihm zu finden sind. Aber die beschriebenen Ähnlichkeiten unterstreichen die Bologneser Herkunft der Zeichnungen in der Canzone. Die lateinischen Tituli, die innerhalb der Zeichnungen angebracht sind, werden bei der Beschreibung in Kapitel II.4. zitiert. Dorez publizierte sie 1904 zusammen mit dem italienischen Text der Canzone.

10 Longhi 1950, S. 15. 11 Venturi 1907, S. 1018; Baldani 1909, S.426, Anm. 1 und S.437. Ebenso Erbach-Fürstenau 1911, S. 111, 112. 12 Abgenommen, in der Pinacoteca von Bologna, Katalog La Pinacoteca Nazionale di Bologna, Bologna 1987, Nr. 2 4 - 2 6 , S. 14, 15. 13 Ebd. Nr. 32, S. 18. 14 Ebd. Nr. 23, S. 14.

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VII. Wien, Österreichische Nationalbibliothek, Cod. Ser. n. 2639

Tugenden und Freie Künste, in lateinischen Definitionen und Versen Pergament, 4 fol., ca. 4 8 0 x 3 4 0 m m . Sieben Miniaturen der Tugenden und Freien Künste, acht miniierte Initialen. D i e vier Blätter sind mit einem Huldigungsgedicht an K ö n i g R o b e r t von Neapel zusammengebunden; Pergament, 32 fol., ca. 4 8 0 x 3 4 0 m m . Durchgehende Foliierung beider Teile von fol. 1 - 3 6 . Provenienz: - 1569 im Besitz von Erbtruchseß Johann von Waldpurg - Ambraser Sammlung, Tirol; - 1906 mit der Ambraser Sammlung nach Wien -

1936 mit den Beständen der Ambraser Sammlung in die Osterreichische Nationalbibliothek

übernommen

1. Bibliographie 1818 A. Primisser, S. 309. 1819 A. Primisser, Die k.u.k. Ambraser Sammlung, Wien 1819, S. 271-273. 1855 E.Sacken, S.222-224. 1896 1896 1899 1902 1902 1917 1925 1932 1934 1936 1936 1951 1952 1954

J. v. Schlosser, S. 19-24. C. de Fabriczy, S. 402. A. Venturi, S. 347-348. R D'Ancona, S. 285-286. J. V. Schlosser, S. 335. F. Filippini, S. 259. R D'Ancona, S. 45. R. v. Marie, S. 226. L. Coletti, S. 107, 108, 121. E. Saenger, S. 35-44. Katalog der Ausstellung von Neuerwerbungen aus den Jahren 1930-35, Wien 1936, S. 20. Kat. Nr. 20. P. Toesca, S. 807, 808, Anm. 10. Katalog der Österreichischen Nationalbibliothek, Wien 1952, Hg. F. Unterkircher, Nr. 116. M. Salmi, S.41, 42.

1956 W Bachmann, S. 54. 1957 F Unterkircher, Inventar der illustrierten Handschriften, Inkunabeln und Frühdrucke der Osterreichischen Nationalbibliothek, Teil 1, Wien 1957-59, S. 176. 1963 F Unterkircher, Ambraser Handschriften, in: Jahrbuch der kunsthistorischen Sammlung Wien 59, 1963, S. 244.

161

1963

Katalog Wien, S. 3 0 2 - 3 0 5 .

1965

J . Mayerhöfer, Conrad G e ß n e r als Bibliograph und Enzyklopädist. D e r Zusammenbruch der mittelalter-

1968

B . Degenhart/A. Schmitt, S. 55.

1969

E Bologna, S. 353.

1969

A. Frugoni, S. 14, 15.

lichen Artes Liberales, in: Gesnerus 22, 1965, S. 176-194, bes. S. 181.

1973

B . Degenhart, S. 98.

1973

J . Kronjäger, S. 120, A n m . 644.

1975

O . Mazal, S. 103, 120.

1975

Katalog Wien, Wissenschaft im Mittelalter, S. 72, Kat. Nr. 3.

1977

G . Chelazzi Dini, S. 144, Anm. 2.

1980

G . A. Schüssler, S. 262.

1981

L. Lodi, S . 9 .

1982

C . Grassi, S. 7, A n m . 3.

1985

J . Tezmen-Siegel, S. 184-188.

Schlosser führte 1896 die Wiener Tugenden und Artes Liberales (Abb. 27-33) als Vorbilder der Fresken aus der Cortelleri-Kapelle in die Forschung ein, doch schon bald übernahm die Canzone in Chantilly diese Rolle 1 . Seither galten die Wiener Tugenden und Künste als Kopie der Mailänder Miniatur des Nicolö di Giacomo, und um die Unterschiede zwischen beiden zu 'erklären', rekonstruierten Coletti und Lodi ein verlorenes Zwischenglied in dieser Kette 2 . Die ikonographische Forschung zitierte die Wiener Miniaturen oft als Beispiel für die Darstellung der Artes Liberales 3 . Nur Schlosser betrachtete sie unter 'geistesgeschichtlichem Gesichtspunkt'. Er ordnete sie bereits 1896 aufgrund ihrer Tituli der Ordenskunst der Augustiner-Eremiten zu und versuchte, die Rolle dieser Miniaturen bei der Vermittlung monumentaler Bildprogramme zwischen entfernten Orten zu definieren. Da sich später niemand mehr speziell mit dem 'Anhang' beschäftigt hat, fehlt eine Analyse der Texte und Bilder, der „Struktur des Bilderkodex" 4 . Den Hauptanteil der Bibliographie machen knappe Katalogangaben aus.

2. Ein Codex und zwei Vorlagen Cod. Ser. n. 2639 der Osterreichischen Nationalbibliothek war bereits seit dem 18. Jh. unter Gelehrten bekannt, als er noch zur Ambraser Sammlung gehörte. Aber weder Mehus noch Primisser und Sacken 5 bemerkten, daß in diesem Band nicht allein das Huldigungsgedicht an König

1 Vgl. Schlosser 1902, S. 3 3 2 - 3 3 5 . 2 Coletti 1934, S. 107, 108, 121; Lodi 1981, S . 9 . 3 D ' A n c o n a 1902, S. 2 8 5 - 2 8 6 ; v. Marie 1932, S. 226. Bachmann 1956, S. 54, behandelt nur die Darstellungen der Musik; Kronjäger 1972, S. 120, interessiert sich vornehmlich für die Vertreter der Artes aus der Antike; Tezmen-Siegel 1985, S. 184-188, betrachtet nur die Artes Liberales. 4 Vgl. Saenger 1936, Ü b e r die Struktur des Bildercodex im Trecento; die Arbeit konzentriert sich jedoch auf das Huldigungsgedicht an Robert von Neapel. 5 Mehus 1759, S . 2 1 0 . Primisser, 1818, S. 3 0 5 - 3 1 2 und ders., Die k.u.k. Ambraser Sammlung, Wien 1819, S. 2 7 1 - 2 7 3 ; Sacken 1855, S. 2 2 2 - 2 2 4 .

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Robert von Neapel enthalten ist, sondern außerdem ein 'Anhang' von vier Blättern, der sich in mehrfacher Hinsicht von diesem unterscheidet 6 . Julius v. Schlosser differenzierte zwischen den beiden Teilen, die erst nachträglich zusammengebunden worden waren: Der 'Anhang' habe eine geringere Foliogröße, anderes Pergament, eine andere Schrift und andere Ausstattung. Diese Unterschiede fallen jedoch kaum auf. Die Blätter beider Teile zeigen nämlich an drei Seiten einheitliche Maße, nur an der Bindekante scheint der 'Anhang' etwas zusammengezogen zu sein, so daß sich ein unregelmäßiges Blattformat ergibt. Im Pergament lassen sich keine krassen Qualitätsunterschiede feststellen. Der Codex macht daher zunächst einen technisch einheitlichen Eindruck. Doch seine insgesamt 36 Blätter bestehen aus vier Quaternionen (dem Huldigungsgedicht) und einem Binio (dem 'Anhang'), so daß die Unterscheidung der beiden Teile in den Pergamentlagen deutlich wird. Sie weisen auch unterschiedliche Schriften auf: Das Huldigungsgedicht ist in einer italienischen Cursiva formata geschrieben, der 'Anhang' in einer florentinischen Bastarda7. Der entscheidende Unterschied zwischen den beiden Teilen liegt jedoch im Dekorationssystem, d. h. im Zusammenspiel von Texten und Bildern 8 . Die thematische Uberschneidung - sowohl im Huldigungsgedicht als auch im 'Anhang' treten die Tugenden und Artes Liberales auf - und die Tatsache, daß dem Londoner Original der 'Anhang' fehlt, belegen endgültig, daß die Wiener Handschrift nach zwei verschiedenen Vorlagen entstanden ist. Diese wurden offenbar in einer Werkstatt von einem Miniaturisten-Team kopiert und sogleich zusammengebunden.

3. Stil und Datierung Die Miniaturen, die beide Teile illustrieren, unterscheiden sich stilistisch kaum voneinander. Im Huldigungsgedicht erscheinen mindestens (!) vier Hände, deren unterschiedlichste Formulierungen in dem auferstandenen Christus auf fol. 10r und dem thronenden Christus auf fol. 5V zu sehen sind. Der stehende Christus zeigt extrem verzerrte Proportionen: einen massigen Körper mit winzigen Händen und sehr kleinem Kopf. Der Miniaturist versuchte, ein bestimmtes Faltenschema zu imitieren, dabei entstand jedoch ein ornamentales Flächenmuster, das in keiner Beziehung zum Körper steht. Die schlaffen, teigigen Falten fließen parallel zu Boden. Das Gesicht wurde mit lockerem Pinsel modelliert, es wirkt dabei unsauber und wenig ausgearbeitet. Der thronende Christus ist dagegen ausgewogener proportioniert. Seine Gewänder legen sich in sparsame Falten, die scharf geschnitten sind und straffer erscheinen. Auch sein Gesicht ist sorgfältiger durchgezeichnet. Diese Figur steht dem Londoner Original wesentlich näher als der auferstandene Christus. Zwischen diesen beiden 'Polen' gibt es eine ganze Reihe von Stilvarianten, die offensichtlich von anderen Händen stammen, wie z. B. Florentia auf fol. 14r, die die oben beschriebenen Merkmale kombiniert, und Philosophie auf fol.28 r , die mit ihrem riesigen Kopf die Proportionen des auferstandenen Christus ins Gegenteil verkehrt. Im 'Anhang' kann man zwei Hände unterscheiden, deren stilistische Merkmale den beiden äußeren 'Polen' im Huldigungsgedicht weitgehend entsprechen. Fol. 33 r + v und 36r, d. h. Iustitia und Fortitudo, Temperantia und Prudentia, sowie Musica und Astrologia (Abb. 27, 28, 33), weisen

6 D e r Original-Handschrift des Huldigungsgedichtes (London, Brit. Mus., Royal M S 6. E . I X . ) fehlt der 'Anhang'. Vgl. Faksimile-Ausgabe von Grassi 1982. 7 Mazal 1975, S. 120. 8 Vgl. Kap. II. 6.1.

163

einen ähnlich schematischen Faltenstil auf wie der auferstandene Christus. Die Proportionen der Allegorien sind jedoch nicht ganz so verzerrt, und die hart geschnittenen Köpfe nicht so locker schattiert. Fol. 34 r + v und 35 r+v , d. h. Caritas und Spes, Fides und Grammatik, Dialektik und Rhetorik sowie Arithmetik und Geometrie sind ausgeglichener proportioniert (Abb. 29-32). Sie haben kleinere Köpfe und einen weniger 'männlichen' Gesichtsschnitt. Ihre Gesichter sind feiner modelliert, sogar die Schlüsselbeinknochen sind eingezeichnet. Die Gewänder zeigen sparsamere Falten, die zudem schärfer geschnitten und deren Säume durch weiße Linien markiert sind. Die Verteilung der Hände entspricht im 'Anhang' genau den Blattlagen. Die stilistische Ähnlichkeit der beiden Teile bestätigt sich besonders in einigen Motiven, die sowohl im Huldigungsgedicht als auch im 'Anhang' vorkommen. Z . B . gleicht der Löwe, der auf fol. 9V unter der sedes apostolica hockt, demjenigen, der auf fol. 33 r als Attribut der Fortitudo fungiert, sowohl in der Farbigkeit (bes. die leuchtend rote Zunge) als auch in der Zeichnung der Rippenbögen und der Mähne. Die Flügel von Pegasus auf fol. 29 v und von Caritas auf fol. 34 r stimmen in Form und Farbabstufungen genau überein. Die stilistische Einordnung des Wiener Codex ist äußerst schwierig 9 . Das liegt erstens an der geringen Qualität der Miniaturen, die sich nicht nur in der unsauberen Ausführung, den verzerrten Proportionen und der Häßlichkeit der Gesichter zeigt, sondern auch in einer Reihe mißverstandener Motive. Grundsätzlich fehlt im 'Anhang' ein Verständnis für Räumlichkeit. Die Gewänder der Personifikationen sind so gebildet, als stauten sie sich auf dem Boden, obwohl sie doch frei nach unten hängen müßten. Die Anti-Exempla sind gar nicht mehr als Körper verständlich, sondern nur als 'Stoffbündel', aus dem ein Kopf hervorschaut. Zweitens ist es kaum möglich, den Zeitstil der Kopisten von dem Stil der Vorlagen zu unterscheiden. Und drittens erschwert die Vielzahl der beteiligten Hände eine exakte Stilanalyse. Angesichts dieser methodischen Probleme verzichte ich auf eine weitere unbeweisbare Hypothese. Das Londoner Original des Huldigungsgedichtes an Robert von Neapel ist aufgrund historischer Argumente zwischen 1334 und 1343 zu datieren 10 . Die Wiener Kopie muß auf jeden Fall später angefertigt worden sein, und zwar nicht unbedingt zu Roberts Lebzeiten, denn das Gedicht behandelt die zentralen politischen Probleme Italiens im 14. Jh., die auch nach 1343 noch aktuell waren 11 . Schlosser übertrug die Datierung des Huldigungsgedichtes auf den 'Anhang'. Sie liefert jedoch nur einen vagen terminus post quem. Eine exakte Datierung scheint mir momentan leider nicht möglich 12 . 9 Entsprechend unterschiedlich ist die Haltung der Forscher in dieser Frage. F ü r eine neapolitanische Entstehung plädieren Degenhart/Schmitt 1968, S. 55, und Degenhart 1973,S. 98; so auch D ' A n c o n a 1925, S . 4 2 ; dagegen wendet sich Bologna 1969, S. 353. Schlosser 1896, S. 24, erkennt eine Mischung aus Florentiner und Sieneser Stilmerkmalen. Coletti 1934, S. 107, 108, hält die Wiener Miniaturen für Bologneser Kopien nach toskanischen Vorlagen. Toesca 1951, S. 808, A n m . 10 über den Wiener C o d e x : „ H a pur qualche carattere senese che converrebbe a miniatore napoletano." Chelazzi-Dini 1977, S. 143, A n m . 2, spricht bei dem Wiener Codex von einem „artista settentrionale". D i e Qualität der Miniaturen wird sehr niedrig eingeschätzt, vgl. D ' A n c o n a 1902, S . 2 8 5 ; ders. 1925, S . 4 5 ; Venturi 1902, S . 3 4 8 ; Coletti 1934, S. 107; Toesca 1951, S. 807 10 Vgl. Grassi 1982, S. 8. 11 Degenhart 1973, S . 9 8 , A n m . 131b, möchte auch die Kopien in die späte Regierungszeit Roberts datieren. Das ist nicht zwingend. 12 Vgl. Katalog Wien 1975, S. 72; Tezmen-Siegel 1985, S. 185, behauptet fälschlich, die Datierung sei gesichert. Sie geht irrtümlich davon aus, daß Huldigungsgedicht und 'Anhang' als Einheit konzipiert waren, und daß im Londoner Original der 'Anhang' verloren sei. 164

Die Tituli sind bei Schlosser 1896, S. 20-22 und S. 92-94, veröffentlicht. Sie unterscheiden sich nur in wenigen Formulierungen von den Paduaner Tituli, so daß wir hier auf eine neue Publikation verzichten und statt dessen auf Anhang II verweisen.

165

VIII. Florenz, Biblioteca Nazionale Centrale, Cod. Banco Rari 38, antea Magliabec. II,I,27/CL VII, 17

Tugenden und Freie Künste, in lateinischen Definitionen und Versen Pergament, 4 f o l , 350-368 mm x 2 4 0 m m . Die 4 Blätter sind mit einem Huldigungsgedicht an König Robert von Neapel zusammengebunden; Pergament, 30fol., 3 7 0 m m x 2 4 3 m m . A m Ende 2 nachträglich eingeklebte Blätter, d . h . die Gesamtstärke des Codex beträgt 36 fol. Provenienz: - „Erat olim in Bibliotheca Mediceo-Palatina, datumque fuit muneri a Francisco Costa Cosimo III Magno Etrurie D u c i " . 1 D . h . daß der Codex in Cosimo III. Regierungszeit (1642-1723) in die Bibliotheca Magliabechiana gelangte. Signatur: VII, N u m . XVII. - Der Codex geht mit den Beständen der Magliabechiana in die Biblioteca Nazionale Centrale über. - Neue Signatur: Banco Rari 38

1. Bibliographie 1759

L. Mehus, S. 208-210.

1896 J. v. Schlosser, S. 19-24. 1896 1898

C . De Fabriczy, S. 401-404. G. Mazzatinti, Inventario di Manoscritti delle Biblioteche d'Italia Bd. VIII, Florenz, Biblioteca N a z i o nale Centrale, Forlì 1898-1900, S. 19.

1898

A. Venturi, S. 497.

1899

A. Venturi, S. 347, 348.

1902 J. V. Schlosser, S. 335. 1902

A. Venturi, S. 348.

1902

E D ' A n c o n a , S. 285, 286.

1903

A. Venturi, S. 7 9 - 8 2 .

1917

F. Flilippini, S. 259.

1925

P. D ' A n c o n a , S. 45, 46.

1934

L. Coletti, S. 107, 108, 121.

1950

Katalog Paris, N r . 123.

1951

P. Toesca, S. 807, 808.

1952

M. Salmi, S. 16.

1954

Katalog Rom, S. 267, Nr. 421.

1954

M. Salmi, S. 41, 42.

1956

W Bachmann, S. 54.

1 Mehus 1759, S. 208.

166

1963

P. O . Kristeller, Iter Italicum Bd. I, London 1963, S. 176.

1968

B. D e g e n h a r t / A . Schmitt, Bd. 1,1, S.55.

1969

A. Frugoni, S. 14, 15.

1969

E Bologna, S. 353.

1973

B. Degenhart, S. 98, A n m . 131a,b.

1976

M. Rotiii, Bd. I, S. 71, 72.

1977

G. Chelazzi Dini, S. 144, A n m . 2.

1981

L. Lodi, S.9.

1982

C. Grassi, S. 7, A n m . 3.

1985 J. Tezmen-Siegel, S. 184-188.

1769 veröffentlichte Lorenzo Mehus seine „Historia Litteraria Florentina". Im Rahmen seiner Forschungen über Petrarca machte er einen kleinen Exkurs: Darin stellte er den Florentiner Codex zum ersten Male der Öffentlichkeit vor und schrieb den Text dem Lehrer Petrarcas, Convenevole da Prato, zu. Mehus unterschied zwischen dem Huldigungsgedicht an Robert von Neapel und dem 'Anhang', hielt aber beide f ü r Texte des Convenevole: „eademque manu opusculum de quatuor ac decem virtutibus, quarum aliae ad mores, aliae ad disciplinas pertinent." 2 1896 lenkte Schlosser die Aufmerksamkeit auf den ' A n h a n g ' 3 (Abb. 34-36), weil er ihn f ü r die Vorlage der Fresken in der Cortelleri-Kapelle hielt. D a er ihn als eine schwächere Kopie der Wiener Tugenden und Freien Künste 4 wenig schätzte, konzentrierte er sich vor allem auf den Wiener Codex und lieferte nicht einmal eine Abbildung des Florentiner Exemplars. Die mangelhafte Qualität des Florentiner Codex ist der G r u n d dafür, daß der 'Anhang' auch bisher nicht vollständig veröffentlicht wurde. Die ikonographische Forschung erwähnte den Florentiner 'Anhang' immer dann beiläufig, wenn sie das Wiener Exemplar anführte. O b w o h l der Florentiner Codex auf zwei großen Ausstellungen vertreten war 5 , hat die kunsthistorische Forschung diese Handschrift bisher vernachlässigt. Als Kopie von äußerst schwacher Qualität war sie auch f ü r die Stilkritik nie von Interesse.

2. Ein Codex und zwei Vorlagen Wie das Wiener Exemplar so besteht auch der Florentiner Codex aus dem Huldigungsgedicht an König Robert von Neapel (fol. l r —30 v ) und dem 'Anhang' (fol. 31 r -34 r ), in dem die sieben Tugenden und Artes Liberales dargestellt sind. Wieder wirkt der Codex generell einheitlich, obwohl die beiden Teile technisch durchaus zu unterscheiden sind, denn der 'Anhang' ist ein selbständiges Binio. Seine Maße differieren kaum vom Anfangsteil 6 . Die beiden Teile sind - wie in Wien - in zwei verschiedenen Schrifttypen geschrieben. Wie das Wiener Exemplar so enthält auch auch diese Handschrift Kopien nach zwei voneinander unabhängigen Vorlagen. 2 Mehus 1759, S.210. 3 Schlosser 1986, S. 19-24. 4 Vgl. A n h a n g VII. Schlosser 1896, S. 19: der Wiener Codex „ . . . s c h e i n t auch aus paläographischen G r ü n d e n eine Abschrift des Wiener Codex zu sein." 5 Katalog Paris 1950, Kat. Nr. 123; Katalog Rom 1954, Kat. N r . 421. 6 Sie sind unwesentlich kleiner, bei einer Seitenhöhe, die zwischen 350 u n d 368 m m schwankt, und einer Länge von 240 m m . D e r Anfangsteil hat die Maße 370 x 240 m m .

167

3. Stil Obwohl verschiedene Hände daran gearbeitet haben, ist der Florentiner Codex mit Sicherheit in einer Werkstatt entstanden. Durchgängig ist ein sehr teigiger, wulstiger Faltenstil zu beobachten, der zu ornamentalen Schemata neigt. Alle Gesichter haben einen harten, männlichen Zug und sind sehr stark weiß gehöht. Uberall gibt es dieselben Probleme mit der Raumauffassung, die zum teppichhaften Flächenmuster tendiert. Der 'Anhang' wurde von einer Hand gemalt, die im Huldigungsgedicht ebenfalls vertreten ist (fol. 5r, 20r, 29r, 30 r + v ). Die Wiener Handschrift ist wesentlich anspruchsvoller als das Florentiner Exemplar. Ihr Format ist fast doppelt so groß, die Schrift ist sorgfältiger ausgeführt, mehr Gold wird verwendet, und die Miniaturen sind qualitätvoller. Dennoch sind einige Wiener Miniaturen mit denen des Florentiner 'Anhangs' eng verwandt. Sie zeigen denselben teigig-wulstigen Faltenstil und ähnlich harte Gesichtszüge, deren gerade Nasenrücken und scharfe Wangen auffällig weiß gehöht sind 7 . Die Florentiner Handschrift könnte demnach eine Kopie der Wiener sein 8 . Anderenfalls ist sie nach derselben Vorlage in derselben Werkstatt für einen weniger anspruchsvollen Kunden hergestellt worden. Eine exakte Stilanalyse wird - wie bei den Wiener Miniaturen - durch drei Faktoren erschwert: Erstens handelt es sich um eine Kopie, die natürlich auch den Stil ihrer Vorlage zu imitieren versucht. Da das originale Huldigungsgedicht an Robert von Neapel eine Florentiner Arbeit 9 ist, zeigt natürlich auch die Kopie toskanische Stilistika. Zweitens ist die Qualität der Miniaturen ziemlich schlecht. Sie repräsentieren daher keinen idealen Zeit- und Lokalstil. Und drittens sind sie nicht einmal einheitlich, sondern es haben verschiedene Hände in dem Florentiner Codex gearbeitet. Wir lassen daher das Problem offen 10 . Analog zum Wiener Exemplar muß deshalb auch hier eine wenig exakte Datierung in die zweite Hälfte des 14. Jh. genügen11. Die Tituli in den Miniaturen entsprechen weitgehend denjenigen in Wien. Die lateinischen Verse, die die Allegorien beschreiben, sind mit denjenigen der Cortelleri-Kapelle identisch, die Schlosser 1896, S. 92-94 publiziert hat. Vgl. dazu Anhang II. 3. 7 I m Wiener C o d e x vor allem der stehende Christus (fol. 10 r ) und die Heiligenchöre (fol. 8 V ). 8 Das meinte bereits Schlosser 1896, S. 19. Die Ähnlichkeit des 'Porträtkopfes' des Robert von Neapel (Wien fol. ll v , Florenz fol. 10 v ) spricht für diese These, denn der originale Robert sieht ganz anders aus. Die gleichzeitigen Mißverständnisse und die schwächere Qualität weisen Florenz als die Kopie aus. 9 M . Ciatti, Le Miniature, in: Hg. C . Grassi, Regina C a r m i n a . . . , Prato 1982, S. 1 5 - 3 2 , bes. S . 2 3 - 2 7 , hat das schlüssig nachgewiesen. 10 Schlosser 1896, S . 2 3 , 2 4 : Wie die Wiener so seien auch die Florentiner Miniaturen in der Schreibstube des Robert von Neapel von einem toskanischen Miniaturisten ausgeführt worden. Sie zeigten eine Mischung aus florentinischen und sienesischen Stilmerkmalen. Salmi 1952, S. 16, bezeichnet die Miniaturen als florentinisch mit leicht sienesischem Einfluß, was auf Andrea da Firenze hindeute; ders. 1954, S . 4 2 , hält nun den Florentiner Codex für eine neapolitanische Kopie nach einem Florentiner Vorbild. Rotiii 1976, S. 71, 72, hält ihn ebenfalls für florentinisch. D e Fabriczy 1896, S . 4 0 2 , hält ihn für toskanisch „ricordano da lontano la scuola del Traini e dell'Orcagna". Bologna 1969, S. 353, behauptet, die Florentiner Miniaturen seien auf keinen Fall neapolitanisch. D ' A n c o n a 1925, S. 45, 46, bezeichnet alle drei Exemplare des Huldigungsgedichtes an Robert, also auch den Florentiner Codex, als neapolitanisch. So auch Degenhart/Schmitt 1968, Bd. 1,1, S. 55; und Degenhart 1973, S. 98. Chelazzi Dini 1977, S. 143, A n m . 2, bezeichnet die Florentiner Miniaturen als „scuola napoletana". Coletti 1934, S. 107, 108, hält den Florentiner Codex für bolognesisch. Auch Saenger 1936, S. 44, meint, daß die Wiener und Florentiner Kopien in Bologna entstanden sind. 11 Grassi 1982, S. 7, datiert die Schrift des Wiener und Florentiner Codex ins späte 14. J h .

168

IX. Rom, Gabinetto delle Stampe (Galleria Nazionale), Inv.-Nr. 2818-2833

Recto-Seiten: Tugenden und Artes Liberales mit lateinischen Definitionen, lateinischen Versen und der italienischen Canzone des Bartolomeo di Bartoli da Bologna. Bleistift, rote und schwarze Tinte. Verso-Seiten: U o m i n i famosi, Skizzen nach antiken Fragmenten. Silberstift und Bleistift. Silberstift und Federzeichnung auf Papier, 16 fol., 292 x218 m m . Der Codex ist auseinandergenommen worden, alle Blätter sind einzeln inventarisiert und numeriert. Provenienz: 1898 von Venturi angekauft f ü r die Galleria Nazionale.

1. Bibliographie 1898

A. Venturi, S. 497.

1899

A. Venturi, S. 345-370.

1899

E. Modigliani, S.234, 235.

1900

A. Venturi, S. 157, 158.

1900

A. Filangeri, S.225.

1902

E D ' A n c o n a , S. 286, 287.

1902 J. v. Schlosser, S. 327-338. 1902

A. Venturi, S. 391, 392.

1903

A. Venturi, S. 7 9 - 8 2 .

1907

A. Venturi, Bd. VII, S. 247

1912

E Toesca, S. 482-489.

1917

E Filippini, S. 258.

1932

R. v. Marie, S.225.

1934

L. Coletti, S. 110, 121.

1935

G . Fiocco, S. 388.

1937

C . Ragghiami, S.238, A n m . 11.

1938

M. Salmi, S. 31, 32.

1944

S. Bettini, S.58, A n m . 12.

1951

E Toesca, S. 794, A n m . 325.

1954

E. Micheletti, S. 72-73, Kat. N r . 32.

1956

L. Grassi, S. 8 4 - 8 8 .

169

1963

R . W H . E Scheller, S. 2 0 2 - 2 0 6 , Kat. Nr. 29.

1968

B . Degenhart/A. Schmitt, Bd. 1,2, S.619, A n m . 13.

1972

B . J . Delaney, S. 3 5 3 - 3 5 9 .

1981

L . Lodi, S . 9 .

1988

L . Scalabroni, S. 6 2 - 7 2 .

Nachdem Venturi den Codex für die Galleria Nazionale in Rom angekauft hatte, publizierte er ihn als das „Libro di Giusto" (Abb. 37-39), das die Vorzeichnungen für die verlorenen Fresken der Cortelleri-Kapelle in der Eremitani-Kirche zu Padua (Abb. 11-14) enthielte 1 . Es folgte die polemische Auseinandersetzung mit J. v. Schlosser, der schon 1902 überzeugend darlegte, daß die römischen Zeichnungen ins 15. Jh. zu datieren seien und deshalb nicht Giustos Vorzeichnungen für die Paduaner Fresken sein können. Venturis Argumente beruhen auf einer stilistischen Datierung und einem Qualitätsurteil: „Sentiamo di trovarci innanzi una vera opera d'arte ... ad evidenza esso non é una copia di pitture eseguite, ma un libro di schizzi pieni di freschezza . . . non dubitiamo di possedere il libro del maestro celebrato." 2 . Gefühl und Evidenz sind jedoch zweifelhafte Kriterien, und zwischen den Zeilen liest man Venturis Eifer, die 'wahre Quelle' des Paduaner Bildprogramms gefunden zu haben. Schlossers Argumentation erwies sich jedoch als richtig, und seit Colettis Aufsatz aus dem Jahre 1934 galten die römischen Zeichnungen als Kopien des frühen 15. Jh. nach der Canzone aus Chantilly 3 (Abb. 17-24). Die ikonographische Forschung verwies auf die römischen Zeichnungen nur in den Fußnoten, und zwar immer dann, wenn die Canzone aus Chantilly als Beispiel im Text angeführt wurde. Außerdem beschäftigte sich die Forschung mit den Uomini Famosi (Abb. 39), die auf den VersoSeiten der Allegorien befinden 4 .

2. Datierung Wenn die römischen Zeichnungen, wie Venturi behauptete, Skizzen des Giusto de' Menabuoi sein sollten, dann müßten sie in die 60er Jahre des 14. Jh. datiert werden. Schlosser trat dieser Datierung zu Recht entgegen. Er stellte fest 5 , daß alle Zeichnugen stilistisch einheitlich und Unterschiede zwischen den Recto- und Verso-Seiten nur auf die Verschiedenheit der Vorlagen zurückzuführen sind. Es handelt sich nämlich nicht um Vorzeichnungen, sondern um Kopien! Die Uomini famosi zeigten deutlich die Proportionen und Plastizität der Quattrocento-Malerei, ähnlich den Fresken von Castagno aus Legnaia. Außerdem seien die Rüstungen der Krieger aus kostümhistorischen Gründen in das 15. Jh. zu datieren. Und schließlich trete unter den berühmten Männern Tamerlan auf, mit der Beischrift: „Fu An[no] D[omini] M C C C . L. X X X X . V " Die Vorlage der Zeichnungen müsse daher unbedingt nach 1395 zu datieren sein. Es handelte sich dabei wahrscheinlich um Masolinos verlorenen Freskozyklus im Palazzo Orsini in Rom, der

1 Venturi 1889, S.497, ders. 1899, S. 3 4 5 - 3 7 0 . 2 Venturi 1899, S. 348. 3 Vgl. Coletti 1934, S. 110, 121. Ebenso Lodi 1981, S . 9 . 4 Vgl. dazu Venturi 1899, S . 3 5 2 ; Toesca 1912, S. 4 8 2 - 4 8 9 ; F i o c c o 1935, S . 3 8 8 ; Ragghiami 1937, S . 2 3 8 A n m . 11; Salmi 1938, S. 31, 32; Micheletti 1954, S. 7 2 - 7 3 . 5 Schlosser 1902, S . 3 3 1 , 332.

170

zwischen 1430 und 1432 datiert wird 6 . Dies ist ein weiterer Terminus post quem, der Schlossers Argumente untermauert. Die neuere Forschung ist sich über eine Datierung der römischen Zeichnungen in die Mitte des 15. Jh. einig 7 . Dies bestätigt die technologische Untersuchung des Materials: Solch ein Papier stellte man erst seit der ersten Hälfte des 15. Jh. her 8 . Ein offenes Problem ist dagegen der Entstehungsort der Zeichnungen 9 . Die Tugenden und Artes wurden wohl eher nach Miniaturen wie denjenigen in der Canzone aus Chantilly kopiert als nach den Paduaner Fresken (woher sollte sonst der Text der Canzone stammen?). In Rom befand sich der Freskenzyklus mit den Uomini famosi von Masolino und es gab genügend Antikenfragmente, die als Vorlage für einige weitere Zeichnungen in dem römischen Musterbuch dienten. Daher schließen wir mit Scheller: „It seems therefore reasonably certain that the Roman book was made after paintings and sculptures in R o m e . " 1 0 . Venturi hat 1899, S. 346-372, alle Tituli des römischen Codex publiziert. Wegen der weitgehenden Übereinstimmung verweisen wir auf die Tituli der Cortelleri-Kapelle (Anhang II. 3.) und der Canzone aus Chantilly (Kap. II. 4.4. und II. 4.5.).

6 W A . Simpson, Cardinal Orsini (gest. 1438) as a Prince of the Church and a Patron of the Arts, in: J W C I 2 9 , 1966, S. 135-159. Vgl. auch Scalabroni 1988, S. 63 ff. 7 Toesca 1951, S. 794, Anm. 12.; Michelet« 1954, S. 71; Grassi 1956, S. 85, 86; Scheller 1963, S. 204; Scalabroni 1988, S . 6 7 f f . Zeitweise schrieb man die Recto- und Verso-Seiten zwei verschiedenen Händen zu und datierte die Tugenden und Artes ins späte 14., die Uomini famosi ins 15. Jh. So z . B . Toesca 1912, S.482; Fiocco 1935, S.388; Ragghianti 1937, S.238, Anm. 11. Uber die stilistische Einheitlichkeit der römischen Zeichnungen herrscht heute jedoch kein Zweifel mehr. 8 Micheletti 1954, S.71. 9 N u r Degenhart/Schmitt 1968, Bd. 1,2, S.619, Anm. 13, unternehmen eine Lokalisierung nach Norditalien, allerdings ohne Darlegung der Argumente. 10 Scheller 1963, S.204.

171

X. Die Fresken in S. Agostino in Montalcino

1. Bibliographie 1925

G . Fanti, S.24, 25.

1985

G . Freuler (Cacciati-Altar), S. 162.

1985

G . Freuler (Annunziata-Kapelle), S. 22.

1989

P. A. H a r p r i n g , Bartolo di Fredi and Sienese Painting, Diss. Indiana University. In dieser Arbeit k ö n n t e n auch die Fresken in S. Agostino in Montalcino behandelt sein. Leider war mir die Dissertation nicht zugänglich.

D. Blume hat mich auf die Fresken in S. Agostino in Montalcino (Abb. 40, 41, Fig. 5) aufmerksam gemacht. Bisher liegt keine kunsthistorische Bearbeitung vor. G. Freuler hat eine Monographie des Malers Bartolo di Fredi angekündigt, in der diese Fresken mit Sicherheit behandelt werden 1 . Sie erscheint 1994.

1 Freuler 1985 (Cacciati-Altar), S. 162, u n d ders. 1985 (Annunziata-Kapelle), S.22, A n m . 18, weist auf die Vorbereitung der Monographie über Bartolo di Fredi mit einem entsprechenden Kapitel über die Fresken von S. Agostino hin. 172

XI. Die Fresken in der Sieneser Dom-Sakristei

1. Bibliographie 1907

V Lusini, S. 100-103.

1911

V Lusini, S. 300, 301.

1944

P. Bacci, S. 199, 2 0 4 - 2 0 6 , 2 0 9 - 2 1 0 , 2 2 8 - 2 2 9 .

1949

C . Brandi, S. 2 8 - 3 4 , 251.

1979

E . Carli, S. 86.

1980

M . Boskovits, Su Niccolö di Buonaccorso, Benedetto di Bindo e la pittura senese del primo Quattro-

1984

J . Mongellaz, S. 2 7 - 3 4 .

1985

J . Mongellaz, S. 7 3 - 8 9 .

cento, in: Paragone 31, 1980, 3 5 9 - 3 6 1 , S. 7 - 1 0 ,

Die Fresken in der Sakristei des Sieneser Doms (Abb. 45-48) wurden 1906 aufgedeckt. Lusini publizierte den Fund im folgenden Jahr, doch die Kunstgeschichte hat von den stark beschädigten Fresken selten Kenntnis genommen. Sie blieben versteckt an ihrem Platz, der für die Öffentlichkeit nicht zugänglich ist. Aus diesem Grunde erschienen sie nur in der Sieneser Lokalforschung, die sich ausschließlich mit Zuschreibungsfragen beschäftigte. Erst 1984 lieferte Mongellaz die bisher einzige Studie zur Ikonographie, die besonders seit der neuen Restaurierung in vielen Punkten korrigiert werden muß 1 .

2. Baugeschichte 1407 bat der Operaio des Domes von Siena, Caterino Corsino, den Magistrat der Stadt um die Erlaubnis, eine neue Sakristei zu errichten 2 (Fig. 7). Die Grundstückkäufe begannen 1408, und 1409 waren die Bauarbeiten bereits abgeschlossen 3 . Die Gewölbe der drei Kapellen, die sich an der Stirnwand des großen Hauptraumes befinden, wurden am 18. August 1409 bezahlt 4 . Die Ausstattung der Sakristei ist hervorragend dokumentiert 5 : 1. Zwischen dem 2. und 19. August 1409 wurden Giovanni di Bindino, Gualtieri di Giovanni und Nicolö di Naldo für die Bemalung der Holzdecke der Sakristei (Hauptraum) bezahlt. 1 Siehe Kap. I I I . l . und III.2. 2 Publiziert bei Milanesi 1854, Bd. II, S. 39. 3 D o k u m e n t e vgl. Lusini 1911, B d . I , S . 2 9 0 , 291 und 342, 343. Vgl. auch Bacci 1944, S . 2 0 0 , 201. Brandi 1949, S. 28, A n m . 8, überliefert eine verlorene Inschrift über der Mittelkapelle der Sakristei: „Tempore Domini Caterini Corsini operarii facta fuit ista Sacristia M C C C C V I I I I . " 4 Bacci 1944, S. 204. 5 Mongellaz 1985, S. 7 3 - 8 9 , hat alle Dokumente neu publiziert.

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2. Im Anschluß daran freskierten Gualtieri di Giovanni und Nicolö di Naldo die Gewölbe der drei Kapellen. Die erste Rechnung stammt vom 9. September, die letzte vom 12. Dezember 1409. Es ist immer expressis verbis vom Gewölbe die Rede, man kann daher die Quellen nicht auf die Wandfresken beziehen. 3. Zwischen Dezember 1409 und September 1410 führte Gualtieri di Giovanni weitere Arbeiten an der Holzdecke des Hauptraumes aus. U . a. malte er die Wappen der C o m m u n e und der D o m opera. 4. A m 15. O k t o b e r 1410 erhielt Nicolö di Naldo 3'A Florin f ü r einen Monat Malerarbeit in der rechten Sakristeikapelle. Die Arbeit ist nicht näher spezifiziert, aber in so kurzer Zeit und gegen eine so niedrige Bezahlung können die Wände nicht freskiert worden sein. 5. A m 23. April 1411 taucht zum ersten Mal der Name Benedetto di Bindo auf. A m 20. April 1412 erhielt er seine Abschlußzahlung. Dabei wird bestätigt, daß er in der Zeit vom 10. März 1410 bis zum 9. März 1411 (die Daten in dieser Quelle sind genau um ein Jahr verschoben; die tatsächliche Arbeitszeit war vom 10. März 1411 bis zum 9. März 1412) in der Sakristei gemalt hat.

3. Die Zuschreibung an Benedetto di Bindo Da der H a u p t r a u m der Sakristei erst 1435 von Domenico di Bartolo freskiert wurde, m u ß Benedetto di Bindo die Wände der drei Kapellen bemalt haben. Arbeitsdauer und Bezahlung bestätigen dies: Während die Ausmalung der Gewölbe im Durchschnitt eineinhalb Monate dauerte und die Maler dafür circa 5 Florin bekamen, arbeitete Benedetto di Bindo ein ganzes Jahr und erhielt dafür 127 Florin, d. h. mehr als 10'/4 Florin im Monat 6 . Gualtieri di Giovanni, Nicolò di Naldo und Giovanni di Bindino müssen daher einfache Dekorationsmaler gewesen sein 7 . Der N a m e Benedetto di Bindo erscheint bereits 1389 im „Breve dell'arte dei pittori senesi" 8 . Dokumentierte Werke gibt es erst seit 1411, w o seine Arbeit f ü r die Domopera in Siena mit der Fassung einer Madonna f ü r die Sakristei beginnt 9 . Es folgen die Fresken und der Reliquienschrank f ü r die Sakristeikapelle bis 1412. 1414 malte er die „Maestà di Porta Camollia" in Siena 1 0 . Er starb bereits 1417 in Perugia, w o er die Kartons für Glasfenster der Kirche S. Domenico entwarf 1 1 .

6 Mongellaz 1985, S. 83. 7 Mongellaz 1985, S. 83. Schon Bacci 1944, S. 202, hat das festgestellt. 8 Milanesi 1854, Bd. I, S. 45, 46. 9 Bacci 1944, S.210. 10 Milanesi 1854, Bd. I, S.46. 11 Bacci 1944, S. 215: „Benedictus proles Bindi, pictor, in qua arte licet iuvenis raultum profecerat, in conventu Fratrum Predicatorum in Perusio m o r t u u s et sepultus est die 19 mensis dicti (septembris) 1417" (zit. nach: Necrologi di S. D o m e n i c o in C a m p o Regio, H g . M. H . L a u r e n t / G . C . Sansoni, Florenz 1937, S. 213.)

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Nach ihrer Aufdeckung im Jahre 1882 durch die Brüder Chiappelli fanden die Fresken der Bracciolini-Kapelle bald A u f n a h m e in die stilgeschichtlichen Uberblickswerke. Die Forschung diskutierte ausschließlich die Stilfrage, ohne bis heute zu einer gesicherten Zuschreibung gelangt zu sein, und so ist das Fresko des Augustinus mit den Artes Liberales (Abb. 52) relativ unbekannt geblieben.

2. Die Cappella Bracciolini und ihre Auftraggeber Die Franziskaner waren seit 1238 in Pistoia präsent. 1250 bezogen sie einen Konvent bei der Kirche S. Maria Maddalena 1 . Auf dem Provinzkapitel, das 1289 in Pistoia stattfand, beschloß man den N e u b a u von S. Francesco al Prato, dessen Grundsteinlegung 1294 erfolgte. Bis zum Jahre 1400 sind Stiftungen f ü r den Bau belegt, doch 1347 muß er bereits gedeckt gewesen sein 2 . Die einschiffige Kirche besitzt ein breites Querhaus, an das sich fünf Chorkapellen anschließen. Links neben der

1 Z u r Baugeschichte vgl. Beani 1902, S. 6-15. 2 Beani 1902, S. 15.

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Hauptchorkapelle befindet sich die Cappella Bracciolini. An der linken Seitenwand erinnert eine Inschrifttafel aus dem Jahre 1314 an den Stifter Nicolö Mergugliese (Fig. 8): „Anno nativitatis Domini nostri Iesus Christi M C C C X I V Nicholaus Merghugliesi fecit fieri hanc cappellam pro salute sue anime, patris, matris, uxoris et heredum eius." Weiter oben an derselben Wand ist ein steinernes Wappen eingemauert. Die Farben sind zwar verblaßt, doch drei Querstreifen sind herausgearbeitet. Es handelt um das Wappen der Familie Bracciolini, zu der auch Nicolö Mergugliese gehörte. Es enthält drei schwarze Streifen auf weißem Grund 3 . Die kreuzgewölbte Kapelle war ursprünglich der Maria geweiht. In der zweiten Hälfte des 16. Jh. verbrachte man die Franziskus-Tafel aus der Hauptchorkapelle auf ihren Altar und weihte sie daher dem heiligen Franziskus 4 . Im 17. Jh. wurden die Fresken weiß übermalt und zwei Nischen in die Seitenwände geschlagen, die die Fresken im unteren Bereich stark beschädigten. Ab 1882 begann die Wiederaufdeckung der Fresken.

3. Stil und Datierung Da die Forschung vor allem an einem Meisternamen interessiert war, orientierte sie sich bei der Zuschreibung der Fresken weniger an den Bildern als an den historisch verfügbaren Künstlern. Die bisher genannten Namen sind: Puccio Capanna, Giovanni Cristiani, Pietro Lorenzetti und Martino di Bartolomeo. Keine dieser Zuschreibungen kann überzeugen, zumal bei den meisten Namen die Fresken um die Mitte des Trecento datiert werden müßten 5 . Es gibt jedoch wichtige Argumente für eine Datierung in die Zeit zwischen 1400 und 1420. Auf den ersten Blick wirkt die Ausmalung der Bracciolini-Kapelle vollkommen einheitlich. Es lassen sich jedoch zwei Hände unterscheiden, die mit Sicherheit derselben Werkstatt angehören 6 . Das Augustinus-Fresko ist am qualitätvollsten. Brunetti, die als einzige eine detaillierte Stilanalyse durchgeführt hat, gelangt nicht zu einer Zuschreibung an einen bekannten Künstler. Sie formuliert die Problematik der Fresken folgendermaßen: „Non è facile, con i dati che abbiamo, una classificazione di queste pitture. Siamo in un campo troppo complesso di scambi, di influssi svariati. Senesi, per le fondamentali qualità decorative, fiorentini per le ricerche di volume, e forse, per tralasciare di altri troppo vaghi, bolognesi per certe luci bianche date un po' crudamente che producono a momenti effetti quasi metallici ... è lecito perciò avanzare l'ipotesi, che si presenta del resto naturalmente, che si tratti di qualche artista - della generazione attiva subito successivamente ai più tardi trecenteschi - educato

3 Vgl. Brunetti 1935, S.222, Anm. 1. 4 Beani 1902, S.22. Brunetti 1935, S.222, 223, Anm. 1. 5 Brunetti 1935, S. 2 2 6 - 2 2 7 6 Brunetti 1935, S. 228-230, teilt die linke Wand mit der „Dormitici virginis" und der „Bekehrung Pauli" sowie den hl. Jacobus in der Laibung des Eingangsbogens einer etwas schwächeren Hand zu, während sie die rechte Wand mit „Sposalizio" und dem Augustinus-Fresko der qualitätsvolleren Hand des 'Hauptmeisters' zuschreibt.

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appunto a Pistoia: ambiente provinciale che deveva accogliere ecletticamente tutte quelle correnti." 7 Bologneser Stilelemente fehlen m. E. in der Bracciolini-Kapelle. Es gibt hier weder die heftigen, überlenkten Körperbewegungen, noch die reiche Erzählfreude und die dicht bevölkerten Kompositionen, die die Bologneser Trecentomalerei auszeichnen. Wichtig scheint dagegen der Sieneser Einfluß, der besonders in den feinen Gesichtern und zierlichen Händen sowie in dekorativen Falten der üppigen Gewänder deutlich wird. Auch die Kompositionen, die durchweg kaum raumhaltig, sondern vielmehr flächig sind, verweisen auf Siena. Interessanterweise stammt auch die ikonographische Vorlage der „Bekehrung Pauli" (von Luca di Tomme) und des Augustinus-Freskos (zumindest teilweise) von dort. Florentinisch ist nur die voluminöse Gestaltung der Einzelfiguren, besonders des Augustinus. G . Brunetti zählt die Fresken zum „internationalen Stil" um 1400. Ihr Hauptargument zur Datierung ist der überzeugende Vergleich mit einem Triptychon aus dem D o m in Pistoia, das 1424 datiert ist 8 . Brunettis Datierung wird durch die dargestellte Mode untermauert. In der „Sposalizio"-Szene stehen im Vordergrund zwei Mädchen in zeitgenössischer Kleidung. Sie tragen beide die sogenannte pellanda. Dieser Mantel hat einen hohen Stehkragen und sehr weite Ärmel, die am Handgelenk wieder eng geschlossen sind. Er ist direkt unter der Brust stark geschnürt, so daß der Stoff in reichlichen Bahnen über den vorgewölbten Bauch fällt. Solche Ärmel tauchten erst seit Ende der 1380er Jahre 9 auf, und in Kombination mit dem hohen Kragen wird diest pellanda zum typischen Kleidungsstück des „internationalen Stils". Die Fresken müssen daher in den ersten beiden Jahrzehnten des 15. Jh. entstanden sein. Eine präzisere Datierung ist leider nicht möglich. Die zeitgenössische Mode beeinflußte auch die Kleidung der Allegorien im Bild des Augustinus. Diese trugen noch bis ins späte Trecento die eng anliegenden Ärmel und schmal geschnittene Kleider, die einen weiten Ausschnitt hatten. Im Pistoieser Augustinus-Fresko sieht man nun weitere Ärmel, kleine Halsausschnitte und weite Kleider, die unter der Brust stark geschnürt sind. Aufgrund der stilistischen Einheitlichkeit der Fresken gilt die Datierung um 1400 für die gesamte Bracciolini-Kapelle.

4. Die Tituli Die lateinischen Tituli sind - mit Ausnahme desjenigen von Bernhard von Clairvaux - bisher noch nicht gelesen oder publiziert worden. Volusian: Legi Dei deest, quidquid Augustino contigerit ignorare. 1 0 Prosper Tiro von Aquitanien: Augustinus Episcopus acer ingenio suavis eloquio, saecularis literaturae peritus. 1 1 7 Brunetti 1935, S.232. 8 Brunetti 1935, S. 229, 238-240. 9 E. Levi-Pisetzky, Storia del costume in Italia, Bd. II, Trecento/Quattrocento, Mailand 1964, S. 108. 10 Die Tituli entsprechen weitgehend den Elogen auf Augustinus in der Legenda Aurea, S. 560. 11 E b d . S.561. Der Beginn seines Namens „ P r o . . . " am Anfang des Rotulus ist noch zu erkennen.

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Ambrosius: Magnificentiam tuam adoramus in mortificatione Augustini. 1 2 Gregor d. Gr.: Docti viri cautela nobis debet esse instructio. 1 3 Hieronimus: Omni quidem tempore beatitudinem tuam eo, quo decet, honore veneratus sum et habitantem in te dilexi dominum salvatorem. 1 4 Bernhard von Clairveaux: Hic est vallidissimus malleus hereticorum. 1 5 Augustinus, Rotulus in der linken Hand: Domine quidquid (est) de arte loquendi et disserendi, quidquid de dimensionibus figurarum et de musicis et numeris, sine magna difficultate nullo hominum tradente intellexi. Augustinus, Rotulus in der rechten Hand: . . . fides, spes, Caritas, prudentia, temperantia, fortitudo, iustitia.

12 Ebd., S.561. Die Wortstellung weicht leicht von der Legenda Aurea ab. Deutlich steht sein N a m e am Anfang des Rotulus. 13 Ebd. S. 561. Das Wort „ergo" ist in dem Rotulus weggelassen. Der Name Gregor ist deutlich am Anfang zu lesen, das letzte Wort des Zitates ist jedoch völlig unleserlich. 14 Ebd. S. 560. Sein Name ist deutlich am Anfang des Rotulus zu lesen. 15 Ebd., S. 561. Auf dem Rotulus sind nur noch wenige Buchstaben seines Namens zu lesen.

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Abkürzungen

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-

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Literaturverzeichnis

Sämtliche Literatur, die nur einmal zitiert wird, erscheint vollständig in der jeweiligen Anmerkung im Text. Alle Texte, die häufiger zitiert werden, stehen in den Anmerkungen nur in abgekürzter Form und sind im folgenden Literaturverzeichnis enthalten.

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Abbildungen

Big &m

Abb. 1 Ferrara, Pinacoteca. Fresko aus S. Andrea, Augustinus

und die Allegorie des Wissens, Serafino Serafini, u m 1378.

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Abb. 2 Ferrara, Pinacoteca. Aquarell nach dem Fresko aus S. Andrea. Girolamo Domenichini, Anfang 20. Jh. 192

Abb. 3 Ferrara, Ruine der Kirche S. Andrea. Blick auf die Innenseite der Westfassade.

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Abb. 4 Madrid, Biblioteca Nacional, Cod. 197, antea D. 2. Bartolus de Sassoferrato, „Lectura super digesto novo", fol. 3 r , Augustinus und die Allegorie des Wissens, Nicolò di Giacomo, zwischen 1360 und 1370. 194

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