Die Praxis des Wissens: Können als Quelle der Erkenntnis 9783110322682, 9783110322286

Diese Studie bietet eine pragmatistische Deutung von Erkenntnis. Durch eine detaillierte Analyse im Kontext von Sprachph

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Die Praxis des Wissens: Können als Quelle der Erkenntnis
 9783110322682, 9783110322286

Table of contents :
Inhalt
Vorwort
Einleitung
1. Die Grammatik und Verwendungsweisen epistemischer Ausdrücke
1.1 Drei grammatische Klassen
1.2 Drei epistemische Kategorien
2. Das Verhältnis von Wissen und Können
2.1 Kongruenz und Exklusion
2.2 Intellektualismus
2.3 Versuch einer Rehabilitierung des Intellektualismus
2.4 Wissenssätze und indirekte Fragen
2.5 Können als Wissen von Art und Weisen des Ausführens von Handlungen
2.6 Können als Wissen auf eine praktische Art des Gegebenseins
3. Regeln folgen und Sprache spielen
3.1 Regressive Erklärungsmodelle – Homunkulismus
3.2 Wittgenstein und das Problem des Regelfolgens
3.3 Sprache und Regeln
3.4 Regeln und Normen
3.5 Das klassische Problem des Regelfolgens – Regelregress
3.6 Das moderne Problem des Regelfolgens – Semantischer Konventionalismus
3.7 Regeln für die Zukunft
4. Überzeugung
4.1 Wissen und Überzeugung
4.2 Überzeugungen pragmatisch verstanden
4.3 Behaupten
4.4 Überzeugungen zuschreiben
4.5 Die normative Signifikanz von Überzeugungen
4.6 Wahrheit normativ verstanden
4.7 Rationalität normativ verstanden
4.8 Normative Pragmatik
4.9 Normativer Status
4.10 Normative Einstellung
4.11 Sanktionen
4.12 Interne und externe Sanktionen
5. Bedeutung und Rechtfertigung
5.1 Bedeutung und Sprachgebrauch
5.2 Ist die Gebrauchstheorie der Bedeutung eine Petitio principii?
5.3 Umstände der Verwendung
5.4 Folgen der Verwendung
5.5 Sprachliche Umstände und Folgen
5.6 Nichtsprachliche Umstände und Folgen
5.7 Formale und materiale Inferenzen
5.8 Die Normativität von Inferenzregeln
5.9 Der Inferenz-Teil von Inferenzregeln
5.10 Der Regel-Teil von Inferenzregeln
5.11 Inferenzregeln werden implizit befolgt
5.12 Die Eigenständigkeit materialer Inferenzen
5.13 Die wesentliche Rolle materialer Inferenzen
5.14 Inferentielle Semantik und normative Pragmatik
5.15 Drei Arten des inferentiellen Zusammenhangs
6. Wahrheit
6.1 Wahrheit aus Sicht einer normativen Pragmatik
6.2 Korrespondenztheorie
6.3 Transzendenz- und Referenzproblem
6.4 Kohärenztheorie
6.5 Konsistenzproblem
6.6 Klassischer Pragmatismus
6.7 Relativitätsproblem und Problem des unbestimmten Endes ..
6.8 Deflationismus
6.9 Wahrheit und Quantifikation
6.10 Substitutionelle Quantifikation
6.11 Die epistemologische Neutralität des Wahrheitsbegriffs
6.12 Wissen normativ verstanden
Schluss
Literatur

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Axel Schubert Die Praxis des Wissens Können als Quelle der Erkenntnis

EPISTEMISCHE STUDIEN Schriften zur Erkenntnis- und Wissenschaftstheorie Herausgegeben von / Edited by Michael Esfeld • Stephan Hartmann • Albert Newen Band 26 / Volume 26

Axel Schubert

Die Praxis des Wissens Können als Quelle der Erkenntnis

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2012 ontos verlag P.O. Box 15 41, D-63133 Heusenstamm www.ontosverlag.com ISBN 978-3-86838-138-2 2012 No part of this book may be reproduced, stored in retrieval systems or transmitted in any form or by any means, electronic, mechanical, photocopying, microfilming, recording or otherwise without written permission from the Publisher, with the exception of any material supplied specifically for the purpose of being entered and executed on a computer system, for exclusive use of the purchaser of the work Printed on acid-free paper ISO-Norm 970-6 FSC-certified (Forest Stewardship Council) This hardcover binding meets the International Library standard Printed in Germany by CPI buch bücher.de

Inhalt Vorwort .............................................................................................. 7 Einleitung ........................................................................................... 9 1. Die Grammatik und Verwendungsweisen epistemischer Ausdrücke 1.1 Drei grammatische Klassen..................................................... 19 1.2 Drei epistemische Kategorien ................................................. 24 2. Das Verhältnis von Wissen und Können 2.1 Kongruenz und Exklusion....................................................... 31 2.2 Intellektualismus ..................................................................... 36 2.3 Versuch einer Rehabilitierung des Intellektualismus............... 44 2.4 Wissenssätze und indirekte Fragen ......................................... 47 2.5 Können als Wissen von Art und Weisen des Ausführens von Handlungen............................................................................. 49 2.6 Können als Wissen auf eine praktische Art des Gegebenseins 53 3. Regeln folgen und Sprache spielen 3.1 Regressive Erklärungsmodelle – Homunkulismus .................. 57 3.2 Wittgenstein und das Problem des Regelfolgens..................... 60 3.3 Sprache und Regeln ................................................................ 62 3.4 Regeln und Normen ................................................................ 65 3.5 Das klassische Problem des Regelfolgens – Regelregress....... 76 3.6 Das moderne Problem des Regelfolgens – Semantischer Konventionalismus ................................................................. 79 3.7 Regeln für die Zukunft............................................................ 84 4. Überzeugung 4.1 Wissen und Überzeugung ....................................................... 91 4.2 Überzeugungen pragmatisch verstanden ................................. 94 4.3 Behaupten ............................................................................... 97 4.4 Überzeugungen zuschreiben ................................................... 99

4.5 Die normative Signifikanz von Überzeugungen.................... 103 4.6 Wahrheit normativ verstanden .............................................. 103 4.7 Rationalität normativ verstanden........................................... 108 4.8 Normative Pragmatik ............................................................ 112 4.9 Normativer Status ................................................................. 113 4.10 Normative Einstellung ........................................................ 117 4.11 Sanktionen .......................................................................... 121 4.12 Interne und externe Sanktionen ........................................... 124 5. Bedeutung und Rechtfertigung 5.1 Bedeutung und Sprachgebrauch ............................................ 133 5.2 Ist die Gebrauchstheorie der Bedeutung eine Petitio principii? .............................................................................................. 135 5.3 Umstände der Verwendung................................................... 138 5.4 Folgen der Verwendung........................................................ 142 5.5 Sprachliche Umstände und Folgen........................................ 145 5.6 Nichtsprachliche Umstände und Folgen................................ 150 5.7 Formale und materiale Inferenzen......................................... 154 5.8 Die Normativität von Inferenzregeln..................................... 161 5.9 Der Inferenz-Teil von Inferenzregeln.................................... 163 5.10 Der Regel-Teil von Inferenzregeln...................................... 166 5.11 Inferenzregeln werden implizit befolgt ............................... 168 5.12 Die Eigenständigkeit materialer Inferenzen ........................ 171 5.13 Die wesentliche Rolle materialer Inferenzen ....................... 177 5.14 Inferentielle Semantik und normative Pragmatik ................ 184 5.15 Drei Arten des inferentiellen Zusammenhangs.................... 186 6. Wahrheit 6.1 Wahrheit aus Sicht einer normativen Pragmatik ................... 193 6.2 Korrespondenztheorie ........................................................... 195 6.3 Transzendenz- und Referenzproblem.................................... 198 6.4 Kohärenztheorie.................................................................... 203 6.5 Konsistenzproblem ............................................................... 206 6.6 Klassischer Pragmatismus..................................................... 209 6.7 Relativitätsproblem und Problem des unbestimmten Endes .. 210 6.8 Deflationismus ...................................................................... 214

6.9 Wahrheit und Quantifikation................................................. 222 6.10 Substitutionelle Quantifikation............................................ 225 6.11 Die epistemologische Neutralität des Wahrheitsbegriffs ..... 232 6.12 Wissen normativ verstanden ............................................... 239 Schluss ........................................................................................... 245 Literatur.......................................................................................... 249

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Vorwort Bei dem vorliegenden Buch handelt es sich um die überarbeitete Fassung meiner Dissertation, die von der Philosophischen Fakultät der Freien Universität Berlin im Sommer 2011 angenommen wurde. Das Zustandekommen einer Dissertation ist immer von vielen Faktoren abhängig. Der wichtigste ist sicherlich der Autor und dessen Motivation und Durchhaltevermögen. Ihm muss es gelingen, in der langen und intensiven Auseinandersetzung mit seinem Thema, den Überblick zu behalten und sein Ziel nicht aus den Augen zu verlieren. Es gibt darüber hinaus aber noch einiges, was kaum weniger wichtig dafür ist, dass am Ende tatsächlich ein zufriedenstellendes Ergebnis vorliegt. Denn die zahlreichen Personen im Umfeld eines Autors haben ebenfalls direkt oder indirekt Einfluss auf das, was da am Entstehen ist. Ein Autor jedenfalls, der völlig auf sich gestellt wäre, könnte niemals eine wissenschaftliche Arbeit schreiben. Dass es zu diesem Buch kommen konnte, verdanke ich einigen Personen ganz besonders. An erster Stelle möchte ich mich bei meinen Eltern bedanken. Sie haben mich in jeder Phase des Entstehens stets in vielerlei Hinsicht unterstützt. Ohne ihren Rückhalt wäre es mir nicht einmal möglich gewesen anzufangen. Mein besonderer Dank gilt aber auch meinen beiden Gutachtern Peter Bieri und Udo Tietz. Beide haben mich während der gesamten Zeit, in der ich diese Arbeit geschrieben habe, hilfreich unterstützt. Dominik Perler und Holm Tetens danke ich sehr dafür, dass ich Teile der Arbeit in ihrem Doktorandenkolloquium zur Diskussion stellen durfte. Bei Elisa Haug, Eva Schmidt, Eva WeberGuskar, Christoph Raneberg und Reto Givel bedanke ich mich für anregende Diskussionen und konstruktive Kritik. Schließlich danke ich Georg Bertram und David Lauer dafür, dass sie als weitere Gutachter für diese Arbeit zur Verfügung standen. Berlin, im Januar 2012

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Einleitung Philosophen sind darauf spezialisiert, mit geradezu kindlicher Naivität sehr allgemeine Fragen zu stellen und diese dann mit sehr komplexen Ausführungen zu beantworten. Was dies betrifft, macht die vorliegende Arbeit keine Ausnahme. Ihre Ausgangsfrage lautet: Was muss man können, damit Wissen möglich ist? Diese Frage ist suggestiv gestellt. Hinter ihr verbirgt sich die Annahme, dass man in der Tat etwas können muss, um etwas wissen zu können. Die Kernthese dieser Arbeit ist daher auch, dass es ohne Können kein Wissen gibt. Darin könnte man nun doch eine verblüffend kurze Antwort auf eine philosophische Frage sehen. Allerdings wäre sie auch nicht viel mehr als das: kurz. Dass es auch informativer geht, soll im Verlauf der Arbeit deutlich werden. Wissen ist an Bedingungen geknüpft. Spätestens seit Platon ist bekannt, dass der Begriff des Wissens mit dem der Überzeugung, der Rechtfertigung und der Wahrheit zusammenhängt. Auch wenn der Zusammenhang im Einzelnen umstritten ist, werde ich diese drei Bedingungen zur Grundlage meiner Argumentation machen. Dadurch werde ich die These vom Primat des Könnens indirekt belegen. Demnach ist Wissen insofern auf Können angewiesen, als es Überzeugungen und Rechtfertigungen sind. Um Überzeugungen haben und rechtfertigen zu können, bedarf es einer praktischen Fähigkeit, die ich als Können bezeichne. Wahrheit hingegen hat für die Bestimmung von Wissen lediglich eine definitorische Bedeutung. Am Schluss wird damit eine detaillierte, am Können orientierte Rekonstruktion des Wissensbegriffs vorliegen. Die Arbeit lässt sich in zwei ungleich große Teile unterteilen. Der erste umfasst die ersten drei Kapitel und dient der Vorbereitung der eigentlichen Argumentation. Diese erfolgt im zweiten Teil, der ebenfalls drei, allerdings wesentlich umfangreichere Kapitel umfasst. Das erste Kapitel soll in die epistemologische Terminologie und ihre Verwendung einführen. Ich werde zunächst drei grammatische Klassen bilden, aus denen sich dann die drei epistemischen Kategorien propositionales Wissen, Können und Kenntnis ableiten lassen. Diese umfassen zusammen im Wesentlichen das, was üblicherweise Gegenstand der Erkenntnistheorie ist.

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Zumeist liegt dabei der Fokus auf einer eingehenden Analyse des propositionalen Wissens. Dies ist zum Teil dadurch begründet, dass die Geschichte der Philosophie der Erkenntnis seit Platons Definitionsversuchen im Menon und Theaitetos durch eine Priorisierung des Wissens geprägt ist. Die lange Tradition des Nachdenkens über das Verhältnis von Geist und Welt sieht im Denken den primären Zugang. Von dieser Tradition werde ich mich bewusst abwenden und gerade dem Handeln den explanatorischen Vorrang einräumen. Damit stelle ich mich in die vergleichsweise junge Tradition des Pragmatismus. Zum Teil erklärt sich die Fokussierung des Wissens aber auch durch Überschneidungen in den Verwendungsweisen epistemischer Ausdrücke. Dies erweckt den Eindruck, eine vollständige Reduktion von Können auf Wissen sei grundsätzlich möglich und nur eine Frage philosophischer oder linguistischer Präzision. Warum die Bevorzugung von Wissen und das Geringschätzen von Können ein gravierender philosophischer Irrtum ist, wird spätestens am Ende dieser Arbeit deutlich sein. Wie Wissen und Können zueinander in Relation stehen können, ist Thema des zweiten Kapitels. Obwohl auch Kenntnis eine eigenständige Kategorie ist, wird sich die Untersuchung auf Wissen und Können konzentrieren. Das ist insofern legitim, als das später entwickelte, fundamental am Können orientierte Erklärungsmodell letztlich auch hierfür die Grundlage ist. In einer gesonderten Arbeit bliebe lediglich zu untersuchen, wie dies im Detail zu verstehen ist. Ich werde insgesamt vier Verhältnismöglichkeiten vorstellen. Die Reihenfolge ist so gewählt, dass am Schluss die plausibelste übrig bleibt. Die beiden ersten Kandidaten beruhen auf der Annahme, dass es sich bei „Wissen“ und „Können“ um die Bezeichnung zweier entweder vollkommen kongruenter oder vollkommen exklusiver Gegenstandsbereiche handelt. Beides ist grundsätzlich vorstellbar. Als die beiden Hauptkontrahenten werde ich allerdings die Positionen des epistemologischen Intellektualismus und AntiIntellektualismus identifiziert. Diese betrachten das Verhältnis von Wissen und Können hierarchisch. Gemäß dem Intellektualismus ist Können nichts anderes als eine Art von Wissen. Damit behauptet er das Gegenteil des Anti-Intellektualismus und damit der Kernthese dieser Arbeit. Der Ausdruck „Intellektualismus“ geht auf Gilbert Ryle zurück. Seine Argumente gegen diese Position werde ich in einigen wichtigen Punkten

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nachzeichnen. Im Zentrum steht dabei ein Reductio-Argument, das ich gegen einen aktuellen Einwand Jason Stanleys und Timothy Williamsons verteidigen werde. Ihren Versuch, den Intellektualismus unter Zuhilfenahme der modernen Sprachwissenschaft zu rehabilitieren, werde ich einer eingehenden Überprüfung unterziehen. Am Schluss wird Ryles Widerlegung rehabilitiert und Stanleys und Williamsons Rehabilitierung widerlegt sein. Damit ist der Weg frei für die Position, die von einem Primat des Könnens ausgeht. Da es sich ursprünglich um eine Reaktion auf den Intellektualismus handelt, trägt sie das Etikett „AntiIntellektualismus“. Da sie aber viel, wenn nicht alles der Tradition und den Ideen des Pragmatismus verdankt, kann sie auch als eine Version dieser philosophischen Denkrichtung bezeichnet werden. Das dritte Kapitel dient dem Aufstellen allgemeiner Rahmenbedingungen für die spätere Entwicklung einer Theorie des Könnens. Durch die Engführung des Ryleschen Reductio-Arguments und des bekannten Regelregressarguments des späten Ludwig Wittgenstein verlagert sich die Betrachtung auf eine allgemeinere Ebene. Wittgensteins Auseinandersetzung mit dem Problem des Regelfolgens weist auf die normativen Grundlagen des Sprachgebrauchs hin. Dabei lassen sich zwei Aspekte unterscheiden. So entspricht dem klassischen Problem des Regelfolgens der Regress, in den der Intellektualist gerät, wenn er Regeln als explizite Regelformulierungen auffasst. Mit dem modernen Problem des Regelfolgens sieht sich dagegen derjenige konfrontiert, der Regeln als implizit befolgte Regelmäßigkeiten versteht. Dann nämlich büßen Regeln ihre normative Kraft ein und werden wirkungslos. Zwischen diesen beiden Polen wird sich das „blinde“ oder implizite Regelfolgen bewegen, als welches ich Können ausbuchstabieren werde. Die Überlegungen zum Problem des Regelfolgens sind insbesondere dann relevant, wenn es um Sprache und Bedeutung geht. Eine Konsequenz, die Wittgenstein aus dem Regressargument zieht, ist daher auch die, die Bedeutung sprachlicher Äußerungen auf ihren Gebrauch zurückzuführen. Allerdings bleibt seine Gebrauchstheorie der Bedeutung in vieler Hinsicht lediglich Programm. Dies soll in dieser Arbeit anders sein. Dadurch gerät ein wichtiger Baustein für das zu entwickelnde Theoriemodell in den Blick. Denn mit der Rückführung auf den Sprachgebrauch, wird Bedeutung zu etwas, das das Resultat einer

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praktischen Fähigkeit ist. Ein entscheidender erster Schritt bei der Erklärung, warum Wissen auf Können basiert, ist daher die Rückbesinnung auf die sprachlichen Grundlagen von Wissen. Die Idee ist, Wissen insofern auf Können zurückzuführen, als es auf die Verwendung von Sprache, die Verwendung von Sprache auf dem Befolgen von Regeln und das Befolgen von Regeln wiederum auf Können basiert. Mit diesen allgemeinen und strategischen Überlegungen tritt der Begriff der Regel ins Zentrum des Interesses. Daher werde ich einige grundlegende Unterscheidungen und Festlegungen vornehmen. Der Ausbuchstabierung des blinden Regelfolgens werde ich schließlich ein Verständnis zugrunde legen, das an John Searles Idee „konstitutiver Regeln“ angelehnt ist. Demnach lassen sich Regeln als etwas begreifen, das dem sinnvollen Sprachgebrauch und damit letztlich auch propositionalem Wissen zugrunde liegt und dabei zugleich handlungsleitend und bedeutungskonstitutiv ist. Können als blindes Regelfolgen ist somit auf das Befolgen semantischer Regeln bezogen, die ich später als Inferenzregeln präzisieren werde. Mit dem vierten Kapitel beginnt der Hauptteil dieser Arbeit und damit die eigentliche Begründung der These vom Primat des Könnens. Es ist der Überzeugungsbedingung für Wissen gewidmet und zielt darauf ab, diese auf Können zurückzuführen. Im ersten Teil geht es darum zu zeigen, dass und inwiefern der Sprachgebrauch eine normative Angelegenheit ist. Nur in einem vorbereitenden Sinne sind dabei konkrete Regeln das Thema. Die Frage ist vielmehr, wie es in der Praxis und aus der Praxis heraus zur Unterscheidung von korrekt und inkorrekt kommt. Die Beantwortung dieser Frage besteht zunächst im Aufzeigen der prinzipiellen normativen Aufgeladenheit des sprachlichen Umgangs mit Überzeugungen. Im zweiten Teil des Kapitels wird sich dies in einem eigenen Theoriemodell weiter konkretisieren. Die dort entwickelte normative Pragmatik wird sich an der Konzeption in Robert Brandoms Making It Explicit orientieren. Vielfach wird sich dabei bereits das Thema des nächsten Kapitels andeuten, wo es um eine inferentielle Semantik geht. Denn Pragmatik und Semantik sind zwei systematische Bausteine, die sich zwar theoretisch voneinander getrennt betrachten lassen, die tatsächlich aber an vielen Stellen ineinandergreifen. Es entspricht der Grundthese dieser Arbeit, dieses Ineinandergreifen als ein Fundierungsverhältnis zu

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denken. Danach ist die Pragmatik eine Voraussetzung für die Semantik und nicht umgekehrt. Diese explanatorische und systematische Hierarchisierung findet sich wieder in der Auffassung, wonach Können eine Voraussetzung für Wissen ist. Können ist die praktische Fähigkeit, die wir benötigen, um Wissen in Form von bedeutungsvollen Sätzen haben zu können. Von einem pragmatischen Standpunkt aus gesehen lässt sich der Begriff der Überzeugung zum einen als normativer Status und zum anderen als normative Einstellung rekonstruieren. Nach der Vorlage Brandoms werde ich das Behaupten oder Zuschreiben von Überzeugungen in die drei Status der Festlegung, der Berechtigung und der Unvereinbarkeit übersetzen, die in der diskursiven Praxis als entsprechende Einstellungen eingenommen oder zugewiesen werden. So stellt sich der sprachliche Umgang mit Überzeugungen prinzipiell als ein Vorgang des permanenten Beurteilens eines Sprechers durch einen anderen dar. Sprecher und Zuhörer müssen daher Verhaltensweisen aufweisen, wodurch sie das Verhalten anderer implizit als korrekt oder inkorrekt klassifizieren. Dies werde ich mit Hilfe des Begriffs der Sanktion verständlich machen. Anhand eines Stufenmodells werde ich erläutern, wie sich das Normative im Tun ursprünglich manifestiert. Im fünften Kapitel werde ich darlegen, inwiefern diese praxisimmanente Normativität der Unterscheidung von korrekter und inkorrekter Bedeutung dient. Dies wird die inferentielle Semantik leisten, die ich im Anschluss an Wilfrid Sellars und Michael Dummett entwickeln werde. Sie soll die Idee einer Gebrauchstheorie der Bedeutung weiterführen und präzisieren. Demnach ergibt sich semantische Korrektheit im weitesten Sinne aus den angemessenen Umständen und Folgen sprachlicher Performanzen. Damit wird sich zeigen, dass die zuvor beschriebene normative Pragmatik unmittelbar mit der inferentiellen Gliederung der sprachlichen Praxis zusammenhängt. Können wird sich als das Meistern der inferentiellen Gliederung des Sprachspiels der Überzeugung weiter spezifizieren lassen. Es wird sich nicht nur als die Voraussetzung für Überzeugungen, sondern auch für Bedeutungen und Rechtfertigungen herausstellen. Ein Teil der normativen Signifikanz des sprachlichen Umgangs mit Überzeugungen geht auf Erwartungen hinsichtlich seiner Rationalität

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zurück. Diesen Gedanken des vorausgehenden Kapitels greife ich erneut auf, wenn ich die diskursive Praxis als eine inferentiell gegliederte charakterisiere. Diese inferentielle Gliederung weise ich als Grundlage für Bedeutung und Rechtfertigung aus, wobei sie selbst sich wiederum aus der praxisimmanenten Unterscheidung von korrekt und inkorrekt ergibt. Somit kommt es hier zu der angekündigten Überschneidung der Beschreibungsebenen. Was auf pragmatischer Ebene die implizite Normativität ist, ist auf semantischer die inferentielle Gliederung. Dass bedeutsame Sprache inferentiell gegliedert ist, entspricht demnach der Einsicht, dass Sprecher sich auf rationale Standards verpflichten, wenn sie eine Behauptung machen. Wollen sie diese zudem rechtfertigen, so ist auch dies nur entlang dieser inferentiellen Gliederung möglich. So ist zu verstehen, dass Bedeutung und Rechtfertigung gleichermaßen auf das Meistern inferentieller Zusammenhänge angewiesen ist. Was genau dies heißt, erläutere ich im zweiten Teil des Kapitels. Dort geht es um eine eingehende Analyse des Begriffs der Inferenz. Zunächst werde ich zwei Arten unterscheiden: formale und materiale. Im Anschluss daran werde ich die entsprechenden beiden Typen von Inferenzregeln hinsichtlich ihrer spezifischen Funktionsweise und Normativität untersuchen. Es gilt, die sprachlichen Regeln, die für die Konstitution von Bedeutung in inferentiellen Zusammenhängen verantwortlich sind, schärfer zu konturieren. Blindes Regelfolgen wird sich als das Befolgen von semantischen Regeln und dies wiederum als das Befolgen materialer Inferenzregeln identifizieren lassen. Dass dies tatsächlich ein eigenständiger Typ Regel ist, zeigt Lewis Carrolls Argument vom Regress des Konditionals. Demnach werden materiale Inferenzregeln implizit und unabhängig von einer expliziten Formulierung befolgt. Das zentrale Anliegen des fünften Kapitels liegt darin, die tragende Rolle materialer Inferenzen für das Projekt der inferentiellen Semantik verständlich zu machen. Denn auf der Grundlage von formalen Inferenzen ist eine inferentielle Semantik nicht zu plausibilisieren. Nur materiale Inferenzregeln haben die relevante normative Kraft, um die Unterscheidung von korrekter und inkorrekter Bedeutung zu ermöglichen. Zudem gibt es Zusammenhänge, die sich zwar sehr wohl als materiale, nicht aber als formale Inferenzen begreifen lassen. Wie ich mit Sellars zeigen werde, kann eine Rekonstruktion materialer irrealer

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Bedingungssätze als formale Inferenzen nicht gelingen. Materiale Inferenzen lassen sich nicht aus formalen ableiten, während das Umgekehrte dagegen problemlos möglich ist. Daher sind letztlich sie maßgeblich für Bedeutung und Rechtfertigung. Und insofern das Befolgen materialer Inferenzregeln eine praktische Fähigkeit ist, sind sie gleichermaßen auf Können angewiesen. Am Ende des Kapitels werde ich zeigen, wie sich der inferentielle Zusammenhang einer Aussage als ein normativer begreifen und darstellen lässt. In der direkten Rückbindung der inferentiellen Semantik an die normative Pragmatik wird es darum gehen, die zuvor eingeführte dreigliedrige Unterscheidung normativer Status in eine entsprechende Unterscheidung inferentieller Beziehungen zu übersetzen. Dies wird sich im Kern so vollziehen, dass der jeweilige Status in der entsprechenden Folgebeziehung erhalten bleibt. Dem Status der Festlegung entsprechen dann festlegungserhaltende Beziehungen, dem der Berechtigung berechtigungserhaltende Beziehungen und dem der Unvereinbarkeit Unvereinbarkeitsbeziehungen. So wird deutlich, wie jede Aussage auf unterschiedliche Weise mit weiteren Aussagen zusammenhängen und dadurch im Geflecht der inferentiellen Zusammenhänge genau verortet werden kann. Im sechsten und letzten Kapitel werde ich mich der dritten Bedingung widmen, die üblicherweise für Wissen angeführt wird. Dies ist die Forderung, dass Überzeugungen der Wahrheit entsprechen müssen, sollen sie sich als Wissen qualifizieren können. Zwar ist der Hauptteil der argumentativen Arbeit bereits dadurch geleistet, dass ich die Überzeugungs- und Rechtfertigungsbedingung auf Können zurückgeführt habe. Es ist jedoch noch offen, ob die Wahrheitsbedingung hier grundlegende Anpassungen erforderlich macht. Daher werde ich zum Abschluss der Arbeit darlegen, dass und warum dies nicht so ist. Im Rahmen eines wahrheitstheoretischen Deflationismus werde ich deutlich machen, dass die Wahrheitsbedingung erkenntnistheoretisch irrelevant ist. Der erste Teil des Kapitels ist der Suche nach einem Verständnis von Wahrheit gewidmet, durch das sich die bisherige Rekonstruktion von Wissen sinnvoll ergänzen lässt. Mit der Korrespondenz- und Kohärenztheorie sowie dem klassischen Pragmatismus werde ich drei bedeutende Wahrheitstheorien vorstellen und diskutieren. Wie sich aber

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herausstellen wird, ist jede dieser Konzeptionen mit beträchtlichen Problemen konfrontiert und somit ungeeignet. Dies wird mich schließlich zu einem deflationistischen Verständnis von Wahrheit führen. Diese Sichtweise lässt sich ideal an die bisherigen Überlegungen anschließen. Da sie auf eine essentialistische Bestimmung verzichtet und sich auf den Gebrauch des Wahrheitsprädikates konzentriert, bieten sich einige Anknüpfungspunkte. Etwas als wahr zu bezeichnen, ist demnach entweder ein normativer Akt der Zustimmung, Wertschätzung oder Empfehlung. Oder aber das Wahrheitsprädikat hat eine rein logisch-expressive Funktion. Dann dient es der Generalisierung oder der blinden Zuschreibung wie etwa in „Alles, was Hannah über Karl sagt, ist wahr.“ oder „Fermats letzter Satz ist wahr.“ Im darauf folgenden Abschnitt werde ich den Gedanken vertiefen, dass das Wahrheitsprädikat in dieser Hinsicht tatsächlich ohne wirkliche Alternative ist. Zu diesem Zweck werde ich die sprachlich-logischen Hintergründe seiner Funktions- und Verwendungsweisen detailliert beleuchten. Ich werde sie als ein alltagssprachliches Äquivalent zu dem formal-logischen Mittel der Quantifikation beschreiben und das Äquivalenzschema „Es ist wahr, dass p, genau dann, wenn p.“ als ihr zentrales funktionales Merkmal ausweisen. Eine genaue Untersuchung wird zeigen, dass sich das Wahrheitsprädikat zumindest in der natürlichen Sprache weder durch die objektuale noch durch die substitutionelle Quantifikation angemessen ersetzen lässt. Den letzten Teil des Kapitels werde ich schließlich darauf verwenden, die epistemologische Neutralität des Wahrheitsbegriffs nachzuweisen. So groß die Bedeutung des Wahrheitsprädikates für den Sprachgebrauch sein mag, so gering ist sie für die Bestimmung von Wissen. Ich werde zeigen, dass auch die dreigliedrige Definition von Wissen nichts anderes als eine Form der Generalisierung ist. Dabei erfüllt das Wahrheitsprädikat die Funktion einer universellen Quantifikation über eine unendliche Zahl einzelner Fälle von gerechtfertigen Überzeugungen. Diese Erkenntnis werde ich schließlich in das Theoriemodell aus normativer Pragmatik und inferentieller Semantik aufnehmen. Danach lässt sich der deflationistische Wahrheitsbegriff so interpretieren, dass er in Einzelfällen des Wissens lediglich zu einer Wiederholung der fraglichen Überzeugung führt. Das allerdings führt in normativ-pragmatischer Hinsicht zu einem

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entscheidenden Perspektivwechsel. So verstanden bezeichnen wir jemanden als Wissenden, wenn wir seine Überzeugung nicht nur für gerechtfertigt halten, sondern sie auch uns selbst zu eigen machen.

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1. Die Grammatik und Verwendungsweisen epistemischer Ausdrücke In diesem Kapitel werde ich einige grundlegende terminologische Vorüberlegungen anstellen. Es wird darum gehen, die Grammatik und die Verwendungsweisen von epistemischen Ausdrücken wie „wissen“, „erkennen“, „können“ etc. zu untersuchen und zu kategorisieren. Zunächst werde ich aus der Vielzahl von Formulierungen drei grammatische Klassen bilden, die jeweils ein typisches Charakteristikum aufweisen. Es wird sich jedoch zeigen, dass die Formulierungen recht variabel ein- und ersetzbar sind. Daher gilt es auszuloten, inwiefern sie gleichbedeutend oder ineinander übersetzbar sind. Aufbauend auf diese Vorsortierungen werde ich schließlich drei epistemische Kategorien einführen. Propositionales Wissen, Können und Kenntnis sollen zusammen den allgemeinen begrifflichen Rahmen bilden, innerhalb dessen ich mich im weiteren Verlauf der Arbeit bewegen werde. Der tatsächliche Gegenstand der Überlegungen werden die ersten beiden Kategorien und deren Verhältnis zueinander sein. Dies werde ich als ein Fundierungsverhältnis ausweisen, das es im verbleibenden Teil der Arbeit zu belegen gilt. Bereits in diesem Kapitel soll verständlich werden, warum Kenntnis dabei unberücksichtigt bleiben kann. 1.1 Drei grammatische Klassen Wissen taucht in den verschiedensten sprachlichen Formulierungen auf. Es lässt sich auf ganz unterschiedliche Weisen ausdrücken. Jemand kann beispielsweise wissen, dass in der Nachbarschaft eingebrochen wurde oder dass der Gärtner der Täter ist. Er kann wissen, wer der Gärtner ist, wann die Beute entwendet wurde, wie sich der Überfall zugetragen hat oder warum die Tat nicht zu verhindern war. Oder aber jemand weiß den Grund für sein Verschwinden, die Lösung des Problems, die Antwort auf die Frage oder die genaue Uhrzeit. Dies alles sind Fälle, in denen Wissen im Deutschen direkt durch das Verb „wissen“ bezeichnet wird. Wissen kann aber auch durch andere Verben ausgedrückt werden. So kann jemand

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beispielsweise Paris kennen, sich in Jura auskennen oder Japanisch können. In manchen Sprachen, wie etwa dem Englischen, wird für diese Beispiele ebenfalls das Verb „wissen“ (know) verwendet. Edward Craig berichtet von einigen afrikanischen Sprachen, für die dasselbe gilt.1 Im Deutschen wie auch im Französischen (connaître) oder im Italienischen (conoscere) kommen jeweils eigene Verben zum Einsatz. Diese idiomatische Eigenheit verweist aber nicht auf einen eigenständigen Bereich des Wissens. Das zeigen schon die Fälle, in denen „kennen“ auch im Deutschen durch „wissen“ ersetzt werden kann, etwa wenn jemand die genaue Uhrzeit oder die Lösung des Problems weiß beziehungsweise kennt. Aber auch das Wort „Erkenntnis“ umfasst trotz seiner Nähe zu „kennen“ ebenso die Fälle, die durch „wissen“ bezeichnet werden. Eine grammatische Eigenheit des Verbs „erkennen“ ist daher auch, sich einerseits wie „kennen“ andererseits wie „wissen“ zu verhalten. Jemand kann beispielsweise den tieferen Sinn eines Kunstwerkes erkennen. Zugleich kann er aber auch erkennen, dass dieser alles andere als eindeutig ist. Ebenso wenig kennzeichnet der Ausdruck „Erkenntnistheorie“ nur den Bereich der Philosophie, der sich ausschließlich mit „Kenntnis“ beschäftigt. Vielmehr geht es hier um Wissen in jeglicher Hinsicht. Daher ist es nicht verwunderlich, dass „Erkenntnistheorie“ im Englischen mit „theory of knowledge“, im Französischen aber mit „théorie de la connaissance“ übersetzt wird. Letzteres leitet sich zwar von Kenntnis (connaissance) ab, bezieht sich aber ebenfalls auf Wissen im Allgemeinen. Will man die vielen Fälle, in denen Wissen zum Ausdruck kommt, vereinfachend zusammenfassen, so bietet sich die Bildung dreier grammatischer Klassen an. Die erste umfasst die Fälle, in denen „wissen“ von der Konjunktion „dass“ gefolgt wird. In diese Klasse gehören alle Ausdrücke der Form „wissen, dass p“. Die zweite umfasst die Fälle, in denen „wissen“ zusammen mit einem Interrogativ verwendet wird. Darunter fallen Formulierungen wie „wissen, wer“, „wissen, wann“, „wissen, wie“ etc. Die dritte Klasse schließlich umfasst die Fälle, in denen den Verben „wissen“, „kennen“, „erkennen“, „können“ oder „sich auskennen“ ein Nomen oder eine Nominalphrase folgt oder vorausgeht. 1

Vgl. Craig (1990), 141.

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Darunter fallen Formulierungen wie „ich weiß W“, „X kennen“, „erkennst du Y?“, „sie kennt sich mit Z aus“ etc. Nun stellen diese drei Klassen aber keine hermetisch abgeschlossenen Bereiche der Sprache dar. Es ist durchaus möglich, Formulierungen der einen Klasse mehr oder weniger genau in die einer anderen zu überführen. So kann beispielsweise „die Antwort auf die Frage wissen“ gleichbedeutend sein mit „wissen, dass die Antwort ‚Es war der Gärtner.’ ist“. Oder ich kann wissen, wer der Täter ist, weil ich den Täter kenne beziehungsweise weil ich weiß, dass der Täter der Gärtner ist. Genauso gut kann jemand wissen, wie man eine Reifenspur analysiert, weil er weiß, dass man dazu einen Gipsabdruck anfertigen und diesen mit existierenden Reifenprofilen vergleichen muss. Inwiefern aber können derartige Überführungen „mehr oder weniger genau“ sein? Man kann die Variabilität des Grades, in dem die Ausdrucksweise und der Informationsgehalt beim Übergang von der einen Formulierung in die andere erhalten bleiben, folgendermaßen festlegen. Bleiben die Ausdrücke und die Information, die sie transportieren, gleich oder sehr ähnlich, ist die Überführung von der einen grammatischen Klasse in die andere genau. Ändert sich die Ausdrucksweise und der Informationsgehalt, wird sie ungenau. So verstanden ist die Überführung von „wissen, wer der Täter ist“ in „den Täter kennen“ grammatisch gesehen genauer als die von „die Antwort auf die Frage wissen“ in „wissen, dass die Antwort ‚Es war der Gärtner.’ ist“. Im ersten Fall bleibt der Informationsgehalt der Gleiche, da die Objektkonstruktion genau dieselbe ist und die Ausdrucksweisen sich sehr ähnlich sind. Im zweiten Fall ist die Überführung ungenauer, obwohl oder gerade weil sich der Informationsgehalt sogar vergrößert. Es kommt Information hinzu, indem die Objektkonstruktion inhaltlich aufgefüllt wird. Die Antwort wird ausdrücklich gemacht und als „Es war der Gärtner.“ angegeben. 2 Es wäre jedoch falsch anzunehmen, dass sich jede erdenkliche Formulierung, in der Wissen zum Ausdruck kommt, in eine andere überführen lässt. Angenommen jemand weiß, dass man beim Klavierspielen mit den Fingern einzelne oder mehrere Tasten am Klavier 2

Vgl. auch Roland (1958), 385. J. Roland weist darauf hin, dass Wissen-wie-Sätze für gewöhnlich allgemeiner und damit weniger informativ sind als Wissen-dass-Sätze.

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herunterdrückt, dass man einen bestimmten Rhythmus und eine bestimmte Dynamik erzeugt etc. Er kann eine umfangreiche Liste all dessen aufstellen, was er hinsichtlich des Klavierspielens weiß. Weiß er damit auch, wie man Klavier spielt? Wohl kaum, zumindest ist dies nicht notwendigerweise so. Denn er verfügt nicht zwangsläufig über genau das Wissen, das ihn tatsächlich zum Klavierspielen befähigt.3 Ähnlich verhält es sich in Fällen, in denen jemand etwas kennt oder sich auskennt. Wer beispielsweise Paris kennt, verfügt nicht genau über dasselbe Wissen wie jemand, der weiß, dass diese Stadt erstmals 53 v. Chr. schriftlich erwähnt wurde, dass durch sie ein Fluss namens Seine fließt, dass es dort vier große Kaufhäuser gibt, von denen drei auf der rechten Seite der Seine liegen und eins auf der linken, etc. Auch hier ist es nicht zwangsläufig so, dass jemand, der eine lange Liste an Fakten aufstellen kann, den fraglichen Ort auch tatsächlich kennt. Es lässt sich also beobachten, dass die Grammatik und die Verwendungsweisen epistemischer Ausdrücke sehr vielfältig sind. Das Verb „wissen“ kann in den verschiedensten grammatischen Konstruktionen auftreten oder auch durch andere Verben wie „erkennen“, „können“ etc. ersetzt werden. Dabei können einerseits tatsächlich unterschiedliche Dinge zum Ausdruck kommen, andererseits können die verschiedenen Ausdrucksweisen aber auch genau dasselbe aussagen. Als ein weiteres grammatisches Merkmal lässt sich daher die wechselseitige Übersetzbarkeit einiger epistemischer Ausdrücke beobachten. Nicht selten ist es möglich, dieselbe epistemische oder kognitive Kompetenz gleichbedeutend in unterschiedlichen Formulierungen zum Ausdruck zu bringen. Allerdings sind dieser Übersetzbarkeit auch Grenzen gesetzt, insbesondere bei Verben wie „wissen, wie“, „können“ und „kennen“. Hier bleibt die sprachliche Umformung häufig unvollständig. Einen wichtigen Fall gilt es, gesondert zu erwähnen. Denn wie sich zeigen lässt, gibt es nicht nur Grenzen bei der Übersetzbarkeit epistemischer Ausdrücke. Wie die Formulierung „wissen, wie“ offenbart, 3

Zu der Auffassung, dass es grundsätzlich dasselbe ist, ob jemand weiß, wie man etwas tut, oder weiß, dass man es auf die und die Art und Weise tut, vgl. White (1982), 12 u. 22 f. In Kap. 2.5 werde ich zeigen, dass sich die These, wonach Wissen-Wie bzw. Können Wissen von Art und Weisen des Ausführens von Handlungen ist, inkohärent ist.

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kann auch ein und dasselbe Verb recht unterschiedliche Dinge zum Ausdruck bringen. Im Deutschen wird „wissen, wie“ häufig gleichbedeutend mit „können“ verwendet. Wir sagen daher sowohl „er weiß, wie man Klavier spielt“ als auch einfach „er kann Klavier spielen“. In beiden Fällen ist offenbar von derselben Fähigkeit die Rede. Dieser Eindruck täuscht aber nicht zuletzt aus grammatischen Gründen. Denn genau genommen müssen wir zwei Unterarten auseinanderhalten. So gibt es auf der einen Seite die Form „wissen, wie er, sie oder es etwas tut“, etwa wenn ich weiß, wie er zu einem Verbrecher wurde, wie sie das Haus verlassen hat oder wie es zu der Tat gekommen ist. Zu dieser Form gehören auch die Fälle, in denen die Personalpronomina durch bestimmte oder unbestimmte Artikel ersetzt werden, etwa wenn jemand weiß, wie der Einbrecher ins Haus gelangt ist oder wie eine so zuverlässige Person auf die schiefe Bahn geraten konnte. Daneben gibt es die Form „wissen, wie man etwas tut“. Dazu gehören die erwähnten Beispiele „wissen, wie man eine Reifenspur analysiert“ oder „wissen, wie man Klavier spielt“. Zwischen den Fällen der ersten und der zweiten Form besteht nun ein entscheidender Unterschied. Denn offensichtlich ist bei ersteren eine grammatisch gültige Umwandlung in Sätze mit „können“ nicht möglich. Nur für Fälle, in denen „wissen, wie“ mit dem unbestimmten Pronomen „man“ verwendet wird, könnte man von einer Synonymie zu „können“ ausgehen. Nur hier ließe sich behaupten, dass es gleichbedeutend ist zu sagen, jemand wisse, wie man Klavier spielt, und jemand könne Klavier spielen. Aber auch die Rede von einer Synonymie ist mit Vorsicht zu genießen. Denn die Bedeutung des Verbs „können“ ist ebenfalls nicht vollkommen einheitlich. Genau genommen rechtfertigt nämlich die Rede von „wissen, wie man etwas tut“ nicht immer die Annahme eines synonymen Entsprechungsverhältnisses. So wäre es zwar grundsätzlich legitim zu behaupten, dass der ehemalige Olympiasieger über 100 Meter Schmetterling sowohl weiß, wie man schwimmt als auch schwimmen kann. Beides zeigt sein Olympiasieg recht deutlich. Müsste aber beispielsweise zusätzlich berücksichtigt werden, dass er seit einem schweren Verkehrsunfall im Rollstuhl sitzt, so lägen die Dinge anders. Nun wäre es zwar noch richtig, dass er weiß, wie man schwimmt. Zu sagen, dass er schwimmen kann, wäre aber nicht mehr vollkommen zutreffend. Seine

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Erfahrung als Schwimmer würde ihn zwar höchstwahrscheinlich zu einem guten Trainer für junge Talente machen. Allerdings könnte er selbst nicht mehr schwimmen, weil er dazu aufgrund seiner körperlichen Verfassung nicht mehr in der Lage wäre. Wir können also festhalten, dass die Alltagssprache Formulierungen mit „wissen, wie“ häufig gleichbedeutend mit „können“ verwendet. Bei genauem Hinsehen stellt sich aber heraus, dass eine solche Übersetzbarkeit nur dann zutrifft, wenn „wissen, wie“ zusammen mit dem unbestimmten Pronomen „man“ vorkommt. Darüber hinaus verhindert der spezifische Verwendungskontext der Ausdrücke die Annahme einer prinzipiellen Synonymie. Zusätzliche Informationen wie etwa die vom Unfall des Olympiaschwimmers können ausschlaggebend dafür sein, ob sich „wissen, wie“ und „können“ im fraglichen Fall tatsächlich gleichsetzen lassen oder nicht. Denn für „können“ gibt es zwei verschiedene Verwendungsweisen. Die eine drückt eine bestimmte Fähigkeit aus. Die andere bezieht sich auf die spezifischen Umstände der Ausübung einer Handlung. „Wissen, wie“ und „können“ sind daher nur dann gleichbedeutend, wenn sie eine Fähigkeit wie Schwimmen, Fahrradfahren oder auch das Aufstellen und Lösen mathematischer Gleichungen zum Ausdruck bringen. Die Verwendungsweisen gehen auseinander, wenn es um die allgemeine Verfassung einer Person geht oder um die spezielle Situation, in der sie sich momentan befindet. Auch ein Konzertpianist kann ohne Klavier nicht Klavier spielen, selbst wenn er weiß, wie man das macht. Wenn es im Folgenden um Können geht, dann ist damit eine sensomotorische, kognitive oder intellektuelle Fähigkeit gemeint. In diesem Fall ist es auch legitim, von Wissen-wie zu reden. Potentielles Können im Sinne von „generell oder momentan in der Lage sein, etwas zu tun“ ist damit nicht gemeint und bleibt daher unberücksichtigt. 1.2 Drei epistemische Kategorien Mit dem bisher Gesagten ist es möglich, einige allgemeine Festlegungen hinsichtlich des Spektrums epistemischer Ausdrücke vorzunehmen. Ich werde im Folgenden drei epistemische Kategorien unterscheiden. Die erste bildet das propositionale Wissen. Gleichbedeutend werde ich auch von Wissen-dass oder einfach von Wissen reden. Wie der

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Ausdruck verrät, wird propositionales Wissens in Propositionen vermittelt. Propositionen sind abstrakte Entitäten, die in Sätzen, Aussagen oder Urteilen zum Ausdruck kommen und Tatsachen zum Gegenstand haben. Als ihr zentrales Merkmal gilt, dass sie Wahrheits- oder Erfüllungsbedingungen haben, dass sie also entweder wahr oder falsch sind. Zudem lassen sich Sätze oder Aussagen, die Propositionen zum Ausdruck bringen, als Gründe oder Evidenzen für weitere Sätze oder Aussagen verwenden.4 Propositionales Wissen umfasst somit Fälle der ersten grammatischen Klasse epistemischer Ausdrücke. Sie folgen dem Schema „wissen, dass p“. Wissen dieser Art dient im Allgemeinen der Darstellung oder Unterscheidung von semantischer Information.5 Mittels semantischer Information ist es möglich, im weitesten Sinne Tatsachen, Sachverhalte oder Ereignisse in der Welt zu verinnerlichen, wieder abzurufen und weiterzugeben. Speicherung, Verarbeitung und Austausch von semantischer Information findet in der Regel im Medium der Sprache statt. Dadurch können Tatsachen, Sachverhalte oder Ereignisse in der Welt von verschiedenen Personen auf die gleiche Art verstanden und interpretiert werden. Propositionales Wissen gibt es zwar nicht nur dort, wo es Sprache gibt. Im Prinzip setzt es aber die öffentliche, sprachliche Darstellung voraus, um intersubjektiv verfügbar und thematisierbar sein zu können. Insofern ist es durchaus an Sprache gebunden. Die zweite epistemische Kategorie bildet das Können. Dies entspricht Fällen sowohl der zweiten als auch der dritten grammatischen Klasse epistemischer Ausdrücken. Einerseits sind dies Fälle, in denen direkt von Können im zuvor eingegrenzten Sinn die Rede ist. Das allgemeine Schema lautet „q können“. Andererseits enthält diese Kategorie auch Fälle, in denen „wissen“ in Verbindung mit dem Interrogativ „wie“ sowie dem unbestimmten Pronomen „man“ vorkommt. Sie weisen das Schema „wissen, wie man q“ auf. In vielen Fällen ist dies gleichbedeutend mit „q können“. In der Literatur findet gelegentlich auch die Bezeichnung „praktisches Wissen“ oder „Wissen-wie“ Verwendung, um auf Fälle dieser

4 5

Zum Begriff der Proposition vgl. auch Kap. 4.2. Zum Ausdruck der „semantischen Information“ vgl. auch Bieri (1997), 20 ff.

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Kategorie Bezug zu nehmen.6 All dies fasst der Begriff des Könnens einheitlich zusammen. Dies entspricht der einheitlichen und ausschließlichen Verwendung von „knowing how“ im Englischen. Die Rede von Können bezieht sich auf die unterschiedlichsten Fähigkeiten oder Kompetenzen, seien sie sensomotorischer, kognitiver, perzeptiver oder intellektueller Natur. Zumeist sind diese lediglich allgemeiner Art, etwa wenn jemand Witze erzählen oder Klavier spielen kann. Das Gekonnte wird dann ganz allgemein sprachlich gekennzeichnet. Eine detaillierte Erklärung in Form genauer Tatsachenbeschreibungen findet hingegen nicht statt. Eine umfassende Darstellung physikalischer, physiologischer oder phänomenaler Begleitinformationen etwa ist nicht gewährleistet. Das Gekonnte tritt also nicht in propositionaler Form, sondern nur in allgemeinen Gegenstandsbezeichnungen auf. Somit kann ihm auch kein Wahrheitswert zugewiesen werden.7 Können kann sich aber auch auf Fähigkeiten beziehen, die sich zum Teil mit Hilfe von physikalischen, physiologischen oder phänomenalen Informationen spezifizieren lassen. Wir erfahren dann Genaueres über die physikalische Beschaffenheit der Umgebung des Könnenden, seine eigene physische und psychische Verfassung, den genauen Ablauf seiner Bewegungen und Strategien oder seine äußeren und inneren Empfindungen. Jemand, der beispielsweise einen Salto vorwärts springen kann, lässt sich auch als jemand beschreiben, der unter anderem weiß, dass er während der Flugphase die Beine hocken, den Rücken runden und die Unterschenkel umklammern muss. Können kann also begleitet sein von einer mehr oder weniger differenzierten Darstellung bestimmter Bewegungen, Handlungen oder intellektueller Vermögen. Dadurch lässt sich die Fähigkeit einer Person, bestimmte Zustände bei sich selbst oder in der Umgebung herbeizuführen, bis zu einem gewissen Grad in propositionaler Form spezifizieren. Wie im Verlauf dieser Arbeit noch 6

Vgl. z. B. Noë (2005), 284. Ich beziehe mich hier auf den Ausdruck „praktisches Wissen“ in einem epistemologischen Sinn. Praktisches Wissen in der Bedeutung von moralischer Klugheit (phronesis) ist damit nicht gemeint. 7 Zu dem Vorschlag, Können- bzw. Wissen-wie-Sätze in eine propositionale Form der Art „wissen, wie man bewirkt, dass q“ umzuformen vgl. Carr (1979), 397 u. 403 f. Allerdings ist „bewirken, dass q“ genauso wenig wahrheitsfähig wie „q“.

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deutlich werden wird, darf dies jedoch nicht dazu verleiten, Können vollständig auf propositionales Wissen zu reduzieren. Sofern es sich um sensomotorische Fähigkeiten handelt, bezieht sich Können ausschließlich auf intentionale Handlungen und nicht etwa auf organische Vorgänge oder unbeabsichtigte Ereignisse. In einem epistemisch relevanten Sinn kann man nicht sagen, jemand könne beispielsweise absichtlich Nahrungsmittel verdauen.8 Denn hierbei handelt es sich nicht um die Tätigkeit einer Person, sondern vielmehr um den Vorgang ihres Verdauungsapparates. Zwar ist es durchaus möglich zu wissen, wie Menschen oder Tiere Nahrungsmittel verdauen. Dabei handelt es sich aber nicht um Können, sondern um propositionales Wissen hinsichtlich des menschlichen oder tierischen Verdauungsapparates. Zu wissen, wie Menschen Nahrungsmittel verdauen, kann beispielsweise heißen zu wissen, dass der Verdauungsvorgang durch Speichelsekretion im Mund beginnt, dass der Magen beim Kauen der Nahrung Verdauungssekrete wie Salzsäure und Pepsin produziert etc. Ähnliches gilt für Tätigkeiten, die jemand widerfahren, ohne dass er sie absichtlich herbeiführt. Jemand kann beispielsweise nicht wissen, wie man im Lotto gewinnt, wenn damit gemeint sein soll, er könne dies absichtlich tun. Auch wusste Ödipus nicht, wie man seinen Vater tötet, als er auf dem Weg nach Theben den hochmütigen Fremden umbrachte. Dass er seinen Vater tötete, war weder seine Absicht noch ein Zeichen seines Könnens. Aus der dritten grammatischen Klasse lässt sich schließlich noch eine weitere epistemische Kategorie ableiten: die Kenntnis. Dies ist eine epistemische Kompetenz, die in erster Linie durch das Verb „kennen“ ausgedrückt wird. In selteneren Fällen werden hierfür auch die Verben „sich auskennen“, „erkennen“ oder auch „wissen“ verwendet. Kenntnis ist in erster Linie auf Gegenstände, Orte oder Personen gerichtet, etwa wenn jemand Erdbeben, Paris oder Fred kennt. Es kann darin aber auch eine Vertrautheit mit bestimmten Wissensgebieten wie etwa der Rechtswissenschaft oder mit Fremdsprachen wie dem Japanischen zum Ausdruck kommen. Grammatisch gesehen ist Kenntnis immer auf ein 8

Zu diesem und dem folgenden Beispiel vgl. auch Kap. 2.2, wo ich das Verhältnis von Wissen und Können diskutiere. Vgl. ebenso Stanley/Williamson (2001), 414 f. u. Noë (2005), 279 f.

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direktes Objekt bezogen und folgt dem allgemeinen Schema „X kennen“. Seltenere Varianten sind Formulierungen wie „sich in/mit X auskennen“, „X erkennen“ oder auch „X wissen“. Kenntnis wird also ebenfalls nicht in propositionaler, sondern in gegenstandsbezogener Form ausgedrückt. Sie ist auf einen lediglich allgemein gekennzeichneten Wissensgegenstand bezogen.9 Ihr kann daher ebenfalls kein Wahrheitswert zugewiesen werden. Um den Gegenstand einer bestimmten Kenntnis genauer zu spezifizieren, ist der Rückgriff auf die beiden bereits erwähnten Kategorien möglich. So kann Kenntnisse in Rechtswissenschaft haben beispielsweise bedeuten, zu wissen, dass das Bundesverfassungsgericht sich in zwei Senate mit je acht Richtern gliedert, die das 40. Lebensjahr vollendet haben müssen und l2 Jahre im Amt bleiben dürfen. Ebenso gut kann es heißen zu wissen, wie man sich die Entstehung einer Rechtsquelle wissenschaftlich aneignet. Oder es kann bedeuten, juristische Texte sachgerecht interpretieren zu können. Kenntnis lässt sich also offensichtlich sowohl in Wissen als auch in Können übersetzen. Ein vollständiges Ersetzen dieser Erkenntnisform durch eine der beiden anderen ist jedoch nicht möglich. Denn es ist klar, dass hier immer eine gewisse Ungenauigkeit bleibt. Diese spiegelt sich in dem Umstand, dass jemand zwar durchaus Erdbeben, Fred, Paris oder ähnliches kennen, in einem grammatisch korrekten Sinn aber weder wissen noch können kann. Die grammatischen und semantischen Eigenheiten von „kennen“, „sich auskennen“ etc. lassen sich schwerlich als reine Metaphorik abtun, sondern legitimieren die Berücksichtigung in einer eigenständigen epistemischen Kategorie. Man kann sich das Verhältnis von Kenntnis zu Wissen und Können so erklären, dass es sich dabei um ein Resümee unbestimmter Anteile handelt. So sagen wir beispielsweise, dass jemand Paris kennt, weil er über ein entsprechendes Tatsachenwissen hinsichtlich dieser Stadt verfügt. Möglicherweise weiß er bestimmte Dinge, die ihre geografische Lage, ihre Geschichte, ihre Bewohner, ihre spezielle Atmosphäre oder ihre Gerüche 9

Diese Charakterisierung der „Kenntnis“ hat Ähnlichkeit mit B. Russells „knowledge by acquaintance“. Ich übernehme allerdings nicht die Unterscheidung von „knowledge by acquaintance“ und „knowledge by description“. Vgl. Russell (1982), Kap. 5.

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betreffen. Andererseits beinhaltet Kenntnis aber auch Formen von Können. Eine Farbe oder einen Duft zu kennen beispielsweise, kann heißen, die Farbe oder den Duft aus einer Vielzahl von Nuancen herausgreifen oder unterscheiden zu können. Wer also eine derartige Kenntnis besitzt, verfügt über eine bestimmte perzeptive Fähigkeit. Entsprechendes gilt, wenn jemand Kenntnisse in Rechtswissenschaft hat und diese beispielsweise darin bestehen, dass er juristische Texte sachgerecht interpretieren kann. Diese Form der Kenntnis entspricht einer bestimmten intellektuellen Fähigkeit. Und schließlich kann Kenntnis auch ein Resümee von Wissen und Können sein. Dies ist dann gegeben, wenn beispielsweise das erwähnte Tatsachenwissen zu Paris dadurch ergänzt wird, dass die fragliche Person sich in der Stadt orientieren oder sie auf Bildern wiedererkennen kann. All dies kann sich dahinter verbergen, wenn wir jemandem eine bestimmte Kenntnis zuschreiben. Dieses kurze Kapitel brachte einige Einsichten hinsichtlich der grammatischen Eigenheiten epistemischer Ausdrücke. Sinn und Zweck der Untersuchungen war eine grobe Orientierung in den Sprachgewohnheiten, die der Erkenntnistheorie zugrunde liegen. So lassen sich im Ganzen drei epistemische Kategorien unterscheiden: propositionales Wissen, Können und Kenntnis. Zusammen umfassen sie im Wesentlichen das, was üblicherweise Gegenstand dieser philosophischen Disziplin ist. Das genaue Verhältnis von Kenntnis zu Wissen und Können ist nicht Gegenstand dieser Untersuchung. Allerdings lässt sich die Idee, dass alles Wissen letztlich auf Können beruht, auch auf diese dritte epistemische Kategorie anwenden. Grundsätzlich besteht nämlich zwischen Können und Kenntnis ein ganz ähnliches Fundierungsverhältnis wie zwischen Können und Wissen. Zwar ist Kenntnis insofern eine eigenständige Kategorie, als weder das Ersetzen durch Können noch durch Wissen vollständig möglich ist. In dem Maße aber, wie sie genau wie Wissen letztlich auf den sinnvollen und bedeutsamen Gebrauch von Sprache angewiesen ist, ist Kenntnis ebenfalls durch Können fundiert. Mit dem Nachweis der Fundierung von Wissen durch Können wird also indirekt zugleich der Nachweis der Fundierung von Kenntnis durch Können erbracht. Ohne Können ist der Gebrauch von Sprache nicht möglich und folglich weder die Thematisierung von Wissen noch die von Kenntnis.

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2. Das Verhältnis von Wissen und Können Die Grammatik und die Verwendungsweisen epistemischer Ausdrücke haben sich als sehr facettenreich herausgestellt. Bei ihrer Klassifizierung hat sich gezeigt, dass nicht nur propositionales Wissen allein für die Erkenntnistheorie relevant ist. Auch Können hat kategorialen Status. Im Folgenden wird es darum gehen auszuloten, welche Verhältnismöglichkeiten es für Wissen und Können grundsätzlich geben kann. Ich werde einige wichtige Vorschläge durchgehen und dabei die zunehmende Plausibilität der jeweiligen Verhältnismöglichkeit herausarbeiten. Zunächst werde ich rein formal untersuchen, ob sich eine vollkommene Kongruenz der beiden Kategorien annehmen lässt. Dem schließen sich Überlegungen zum genauen Gegenteil einer vollkommenen Exklusion an. Daraufhin werde ich zu einer hierarchisierenden Betrachtungsweise übergehen und erörtern, ob Können immer Wissen ist. Am Ende jedoch wird die Position, wonach im Gegenteil Wissen immer Können ist, als die überzeugendste übrig bleiben. Damit ist zugleich das Thema des verbleibenden Teils dieser Arbeit abschließend eingeführt. Ich werde die Auffassung vertreten, dass es sich bei dem Verhältnis von Wissen und Können um ein anti-intellektualistisches handelt. Dabei schließe ich nicht aus, dass die Begriffe Kongruenzen aufweisen. Ich strebe allerdings keine begriffliche Reduktion von Wissen auf Können an. Vielmehr geht es mir um den Nachweis eines Fundierungsverhältnisses. 2.1 Kongruenz und Exklusion Gemäß einer eher formalen Überlegung gibt es die Möglichkeit, das Verhältnis von Wissen und Können entweder als eines der vollkommen Kongruenz oder aber der vollkommen Exklusion zu betrachten. Im ersten Fall geht man davon aus, dass es sich um zwei koextensionale Ausdrücke handelt, bei denen es allenfalls Unterschiede idiomatischer oder kontextueller Natur gibt. Im anderen Fall betrachtet man die Ausdrücke „Wissen“ und „Können“ als Bezeichnungen für zwei distinkte und irreduzible epistemische Kategorien. Demnach gibt es keinerlei Übereinstimmung im jeweiligen Begriffsbild. Neben dieser Form der

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Kombinatorik besteht zudem die Möglichkeit, Wissen und Können in ein hierarchisches Verhältnis zu setzen. Berücksichtigt man stärker den begrifflichen Gehalt, so gibt es einerseits die Möglichkeit, Können in Abhängigkeit von Wissen zu sehen. Der Begriff des Könnens wird dann logisch an den des Wissens geknüpft. Etwas zu können, wird auf ein entsprechendes Tatsachenwissen zurückgeführt. Dies ist die Sichtweise des epistemologischen Intellektualismus. Andererseits ist es aber ebenso gut möglich, den Begriff des Wissens logisch an den des Könnens zu knüpfen. Dann behauptet man, dass etwas zu wissen letztlich immer heißt, etwas zu können. Jeder Form von propositionalem Wissen liegt demnach ein Können zugrunde, sei es als eine sensomotorische, eine kognitive oder eine intellektuelle Fähigkeit. Dies ist die Sichtweise des epistemologischen Anti-Intellektualismus. Die formale lässt sich mit der hierarchischen Kombinatorik erneut in Beziehung setzen. Ein kongruentes Verhältnis von Wissen und Können schließt naturgemäß ein exklusives ebenso aus, wie der Intellektualismus den Anti-Intellektualismus. Grundsätzlich ausschließen lässt sich dagegen nicht, dass eine der ersten beiden Möglichkeiten mit einer der letzten beiden verknüpft und gemeinsam vertreten wird. Tatsächlich geht der Intellektualismus oft mit der Vorstellung Hand in Hand, Wissen und Können seien kongruent. Dagegen tendieren anti-intellektualistische Positionen eher dazu, Wissen und Können als exklusiv zu betrachten. Doch schauen wir uns die einzelnen Verhältnisweisen der Reihe nach an. Ein Kongruenzverhältnis bei Wissen und Können lässt sich auf semantischem Wege verständlich machen. Man geht davon aus, dass die beiden Ausdrücke sich zwar in der Bedeutung unterscheiden, letztlich aber dieselbe Referenz haben.10 Demnach sind die Wörter „Wissen“ und „Können“ lediglich zwei unterschiedliche Art und Weisen, ein und dasselbe zu sagen. Die Bedeutung der beiden Ausdrücke ist verschieden, insofern damit jeweils etwas Spezifische gemeint ist. Das, worauf sie sich letztlich beziehen, ist dabei aber genau das Gleiche. Anders gesagt heben 10

Die Unterscheidung von Bedeutung und Referenz geht ursprünglich zurück auf G. Freges Überlegungen zu „Sinn“ und „Bedeutung“. Vgl. Frege (1994), 40 ff. Sie entspricht der auf Carnap zurückgehenden Unterscheidung von „Intension“ und „Extension“. Vgl. Carnap (1947). Die Unterscheidung von „Bedeutung“ und „Referenz“ hat W.V.O. Quine etabliert. Vgl. Quine (1960).

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die Ausdrücke lediglich unterschiedliche Aspekte ein und derselben Sache hervor. So gesehen können wir Wissen und Können als kongruent betrachten. Die Frage ist allerdings, was als gemeinsames Referenzobjekt von „Wissen“ und „Können“ gelten soll. Auf Anhieb ist nicht zu sehen, was als ein solcher zusätzlicher Gegenstand der gemeinsamen Referenz in Frage kommt. Ein Kandidat dafür müsste erst noch gefunden oder festgelegt werden. Etwas anders sieht es aus, wenn gesagt wird, dass der eine der beiden Ausdrücke durch den anderen lediglich erklärt oder gedeutet wird. Wissen beispielsweise gilt dann als dasjenige, was ebenso gut durch das Wort „Können“ zum Ausdruck gebracht wird. Anders herum bezieht sich „Wissen“ gleichbedeutend auf Wissen und Können. Tatsächlich gibt es eine Version des Intellektualismus, die etwas in dieser Art behauptet. Jason Stanley und Timothy Williamson bezweifeln in ihrem Aufsatz „Knowing how“11, dass es einen bedeutsamen Unterschied zwischen propositionalem Wissen und Können gibt. Sie vertreten die Auffassung, dass sich Können letzten Endes auf Wissen reduziert lässt. Denn bei Können handle es sich genau genommen nur um eine bestimmte „Art des Gegebenseins“ von Wissen.12 Dabei gehen sie aber nicht so weit zu behaupten, Können sei komplett mit propositionalem Wissen gleichzusetzen. Insofern ist ihr Ansatz auch weniger ein Beispiel für ein kongruentes Verständnis als für den epistemologischen Intellektualismus. Dazu mehr im zweiten Teil dieses Kapitels. Eine vollkommene Kongruenz von Wissen und Können halte ich für abwegig. Sowohl Wissen als auch Können findet in unserem Sprachgebrauch eine sehr eigenständige Verwendung, was auf eine zumindest ansatzweise eigenständige kognitive Kompetenz schließen lässt. Ich sehe auch keinen methodischen Vorteil darin, Wissen und Können letztlich als das Gleiche zu betrachten, anstatt tatsächlich von einem Unterschied auszugehen. Die Hypothese der Kongruenz mag prinzipiell vorstellbar sein. Wirklich ernst zu nehmen ist sie aber nicht.

11

Vgl. Stanley/Williamson (2001), 411. Der Ausdruck „Art des Gegebenseins“ geht ebenfalls zurück auf Frege. Vgl. erneut Frege (1994), 40 ff. 12

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Ganz ähnlich verhält es sich, wenn man vom genauen Gegenteil ausgeht und die Ausdrücke „Wissen“ und „Können“ als wechselseitig exklusiv ansieht. Nach dieser Auffassung hat jeder der beiden nicht nur seine ihm eigene Bedeutung, sondern auch seine ganz eigene Referenz. Diese lässt sich jeweils ähnlich scharf abgrenzen, wie es beispielsweise bei den Ausdrücken „Tag“ und „Nacht“ oder „schwarz“ und „weiß“ möglich ist. Wer nach diesem Verständnis „Wissen“ sagt, kann keinesfalls „Können“ meinen. Auch gegen diese Sichtweise spricht die Art, wie wir diese Ausdrücke üblicherweise verwenden. Eine derart strenge Trennung entspricht nicht der sprachlichen Realität. Schließlich ist es in einigen Kontexten durchaus möglich zu sagen, dass „etwas zu können“ gleichbedeutend ist mit „wissen, wie man es macht“. An der sprachlichen Oberfläche lässt jedenfalls nichts darauf schließen, dass „Wissen“ und „Können“ sich auf zwei vollkommen diskrete Gegenstandsbereiche beziehen. Ansätze eines solchen, exklusiven Verständnisses finden sich folglich äußerst selten. Gemäß einer „starken“ Lesart lässt sich Martin Heideggers Unterscheidung von „Zuhandenheit“ und „Vorhandenheit“ als eine solche kategorische Trennung von Können und Wissen interpretieren.13 Unter „Zuhandenheit“ versteht dieser die Art und Weise, wie Menschen durch den gekonnten, praktischen Umgang mit Gegenständen in die Alltagswelt involviert sind. Dem gegenüber steht die „Vorhandenheit“ als eine rein theoretische Auseinandersetzung mit und ein Wissen von den Dingen. Den Übergang von „Zuhandenem“ zu „Vorhandenem“ beschreibt Heidegger als einen diskreten Wechsel von einem Modus in den anderen.14 Demnach muss man sich den Menschen als ein Wesen vorstellen, das sich im Alltag durch Können bewährt. In Momenten jedoch, in denen er auf Wissen 13

Vgl. Heidegger (1993), 69 ff. Zur Unterscheidung einer „starken“ und „schwachen Lesart“ dieser Termini vgl. Brandom (1983b), 405 f. 14 Vgl. Heidegger (1993), 61, 69 u. 357 f. Für eine kritische Darstellung des Verhältnisses von „Zuhandenheit“ und „Vorhandenheit“ vgl. auch Prauss (1996). G. Prauss zeigt, dass Heideggers Konzeption des Verhältnisses von Erkennen und Handeln und insbesondere der Übergang vom Handeln zum Erkennen inkonsistent ist. Für die Einschätzung, dass „Zuhandenheit“ ohne Sprache und damit ohne thematisierendes Behandeln von Dingen als „vorhanden“ nicht denkbar ist vgl. auch Brandom (2002), 45.

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zurückgreift, tritt dieses Können vollständig in den Hintergrund. Wissen und Können sind somit Zustände, in denen sich eine Person nie gleichzeitig befinden kann. Dass diese Sichtweise nicht ohne Probleme ist, sieht Heidegger allerdings selbst.15 Er bemerkt die offensichtliche Schwierigkeit, die scharfe Trennlinie zwischen Wissen und Können festzulegen und näher zu bestimmen. Diese Problematik bleibt aber unerörtert. Andere Konzeptionen, die Wissen und Können scharf voneinander trennen, vermögen ebenso wenig zu überzeugen. David Carr beispielsweise behauptet, Können lasse sich anhand von drei Bedingungen definieren, welche sich klar von denen unterscheiden, die für propositionales Wissen gelten.16 Für ihn ist Können ausschließlich auf praktische Fähigkeiten bezogen und somit klar von Wissen abgegrenzt. Damit entfällt in seinem Modell allerdings die Möglichkeit einer theoretischen Unterweisung in praktische Fähigkeiten vollkommen. Eine Übersetzung von Können in Wissen ist prinzipiell ausgeschlossen. Viele unserer Lernprozesse sind aber gerade darauf angewiesen. Eine strikte Trennung ist daher wenig plausibel. Wissen und Können sind also zwei epistemische Kategorien, die weder als kongruent noch als exklusiv gelten können. Es liegt daher nahe, ihr Verhältnis zueinander als ein hierarchisches zu begreifen. Wenn zwischen Wissen und Können weder vollständige Übereinstimmung noch strikte Unvereinbarkeit herrscht, dann ist davon auszugehen, dass eine der beiden Kategorien grundlegender ist als die andere. Der Intellektualist behauptet, dass Wissen grundlegender ist als Können. Für ihn steht Können in Abhängigkeit von Wissen. Diese Position werde ich in den folgenden Abschnitten vorstellen und kritisch hinterfragen. Wenn sie sich als unhaltbar herausstellt, wird der Weg frei für die gegenteilige Position, die stattdessen von einem Primat des Könnens ausgeht.

15 16

Vgl. Heidegger (1993), 357 f. Vgl. Carr (1981).

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2.2 Intellektualismus Nehmen wir an, jemand behauptet von sich, er könne Fahrrad fahren. Er bietet an, sein Können unter Beweis zustellen. Wir stellen ihm ein Fahrrad zur Verfügung und fordern ihn auf, damit ein paar Meter zu fahren. Er scheitert allerdings ein ums andere Mal. Später analysieren wir mit ihm sein gescheitertes Bemühen. Wir fragen ihn: „Weißt du denn nicht, dass du den Lenker grade halten und kräftig in die Pedale treten musst, dass du den Blick nach vorne richten und aufrecht sitzen musst?“ Indem wir so reagieren, geben wir uns als Vertreter eines epistemologischen Intellektualismus zu verstehen. Wir sind überzeugt, dass der vermeintliche Fahrradfahrer, will er sein Können realisieren, zuvor eine Liste von Regeln berücksichtigen muss. Wir nehmen an, dass ein bestimmtes Tatsachenwissen die Voraussetzung dafür ist, um über ein entsprechendes Können verfügen zu können. Philosophen haben den Ausdruck „Intellektualismus“ zur Kennzeichnung der unterschiedlichsten Positionen verwendet. Am wahrscheinlich nachhaltigsten hat den Begriff in seiner epistemologischen Lesart Gilbert Ryle geprägt.17 Er versteht darunter eine Reihe von Annahmen, die sich wie folgt zusammenfassen lassen: Es gibt Handlungsweisen, in denen ein Können zum Ausdruck kommt. Diese stellen entweder in sich bereits eine besondere Fähigkeit dar. Hierfür ist das Fahrradfahren ein Beispiel. Oder aber ihre besondere Qualität kommt dadurch zum Ausdruck, dass wir sie als intelligent, überlegt, raffiniert, klug, scharfsinnig, geschickt, logisch etc. bezeichnen. So stellen wir beispielsweise fest, dass jemand scharfsinnig argumentieren oder raffiniert Schach spielen kann. Demnach ist Können also ebenso Ausdruck von Intelligenz wie Tatsachenwissen. Der Intellektualist behauptet nun, dass diese gekonnten Handlungsweisen ihren Anspruch auf Intelligenz dadurch erwerben, dass ihnen eine innere, intellektuelle Planung vorausgeht. Wer intelligent oder gekonnt vorgeht, handelt überlegt und reflektiert. Er denkt, bevor er handelt, insofern er auf bestimmte Wahrheiten zurückgreift, die angeben, wie er sich zu verhalten hat. Intelligent oder gekonnt zu handeln, heißt nach Auffassung des Intellektualisten, zuvor intellektuell tätig 17

Vgl. Ryle (1945/46) u. Ryle (1949), Kap. 2. Zu einem ähnlichen Verständnis des Begriffs vgl. auch Dewey (1958), 21 ff.

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gewesen zu sein. Jedes Stück Können wird durch ein Stück Wissen gestützt. Wer etwas kann, weiß etwas. Und er kann es genau deshalb, weil er etwas weiß. Können oder intelligentes Handeln ist demnach durch Wissen definiert. Die Theorie beziehungsweise das Theoretisieren geht der intelligenten Praxis voraus. Somit lässt sich der Intellektualismus auf den Grundgedanken reduzieren, dass Können eine Art des Wissens ist. Ryle hält den Intellektualismus für eine unhaltbare „Legende“. Dass Können eine Art des Wissens sein soll, hält er für unlogisch. Vielmehr begreift er es als eine eigenständige epistemische Kategorie und dies zunächst einmal aufgrund der folgenden drei Überlegungen. Erstens sieht er die Eigenständigkeit von Können dadurch gewährleistet, dass wir zwar nach den Gründen für Wissen fragen können, nicht aber nach denen für Können.18 Er denkt dabei an Fälle, in denen jemanden beispielsweise zu wissen behauptet, dass es an der Tür geklingelt hat. Ich kann ihn fragen, was seine Gründe für diese Überzeugung sind. Dagegen wäre es unangemessen, nach Gründen für mein Können beispielsweise beim Schach oder bei Finanzinvestitionen zu fragen. Zweitens hält Ryle Wissen und Können deshalb für grundlegend verschieden, weil letzteres partiell sein kann, ersteres dagegen nicht.19 Damit ist zum Beispiel gemeint, dass ein gewöhnlicher Schachspieler möglicherweise der Taktik und Strategie eines Weltmeisters folgen kann, während sein Können dabei aber nur zum Teil an das des Weltmeisters heranreicht. Dagegen kann man allerdings nicht behaupten, jemand wisse nur teilweise, dass es an der Tür geklingelt hat. Entweder er weiß dies oder nicht. Und drittens schließlich sieht Ryle einen wichtigen Unterschied darin, dass das Lernen oder Aneignen von Können graduell verläuft, während es bei Wissen „relativ plötzlich“ stattfindet.20 Gemeint ist damit, dass es eine gewisse Zeit dauert, bis jemand beispielsweise raffiniert Schach spielen oder kluge Finanzinvestitionen tätigen kann. Verglichen damit vergeht aber nur ein kurzer Augenblick, bis jemand weiß, dass es an der Tür geklingelt hat. 18

Vgl. Ryle (1949), 29. P. Snowdon behauptet, wir können nicht fragen: „Was ist der Grund dafür, dass du weißt, dass p?“. Vgl. Snowdon (2004), 20. Wir können aber sehr wohl fragen: „Was ist der Grund dafür, dass du glaubst, dass p wahr ist?“ oder „Was macht deine Überzeugung, dass p, zu Wissen?“ Ich verstehe Ryle auf diese Weise. 19 Vgl. Ryle (1949), 57 f. 20 Vgl. ebd., 58.

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Diese Überlegungen weisen auf wichtige Indizien für die Eigenständigkeit von Können hin. Allerdings sind hier auch Einwände denkbar. Nehmen wir zunächst das letzte Merkmal, die graduelle Aneignung von Können. Hier lässt sich einerseits anmerken, dass auch die Aneignung von Können gelegentlich ausgesprochen plötzlich vor sich geht. Denken wir etwa an Fälle außergewöhnlicher Begabung. So ist nicht ausgeschlossen, dass jemand beispielsweise auf Anhieb Walzer tanzen oder beim Saxophon spielen in das Zwerchfell atmen kann. Er wird sein Können natürlich wiederholte Male unter Beweis stellen müssen. Dann aber werden wir zugestehen, dass er vom ersten Moment an, ohne einen langen Lernprozess Walzer tanzen oder in das Zwerchfell atmen konnte. Andererseits kann sich der Erwerb von Wissen in manchen Fällen alles andere als plötzlich vollziehen. Acht Jahre vergingen beispielsweise, bis Andrew Wiles wusste, dass Pierre de Fermats Vermutung zu höheren Abwandlungen des Satzes von Pythagoras stimmt.21 Auch die Behauptung, dass Können im Unterschied zu Wissen partiell sein kann, ist nicht ohne Einschränkung gültig. Es ist sicher richtig, dass jemand beispielsweise nur zum Teil scharfsinnig argumentieren oder elektrische Geräte reparieren kann, etwa weil er gelegentlich nicht weiter weiß oder einen Fehler macht. Das entsprechende Können ist partiell, geht aber nicht verloren. Man kann sagen, dass es weniger vollständig oder stabil ist, als es sein könnte.22 Eine ganz ähnliche Form der Unvollständigkeit ist bei Wissen aber ebenfalls denkbar, etwa wenn eine vermeintliche Tatsache weniger gut oder überzeugend gerechtfertigt ist als andere. Frage ich beispielsweise einen Touristen auf der Straße nach dem schnellsten Weg zum Bahnhof, so werde ich vermutlich mit weniger „vollständigem“ Wissen konfrontiert, als wenn ich einen Taxifahrer oder einen Stadtführer frage. Daraus lässt sich auch ein Einwand gegen die Annahme ableiten, dass nur bei Wissen nach Gründen gefragt werden kann. Zwar können wir tatsächlich bei Können nicht nach einzelnen, theoretischen Evidenzen oder Beweisen fragen. Da es aber durchaus in vergleichbarer Weise an 21

Gemeint ist der Beweis der Vermutung Fermats, wonach die Gleichung an + bn = cn für ganzzahlige a, b, c 0 und natürliche Zahlen n > 2 keine Lösung besitzt. Vgl. Wiles (1995). 22 Vgl. Hetherington (2006), 92.

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Bedingungen geknüpft ist, können wir für Können etwas in der Art fragen wie: „Was ist der Beleg dafür, dass S q kann?“ So wie man für Wissen zur Bedingung machen kann, dass es eine Begründung gibt, so kann man für Können beispielsweise zur Bedingung machen, dass das Gekonnte erfolgreich wiederholt wird.23 Dem Kriterium der Begründung bei Wissen lässt sich also das Kriterium des Erfolgs bei Können gegenüberstellen. Daraus ergibt sich dann auch eine weitere Erklärung dafür, warum jemand etwas sowohl partiell können als auch wissen kann. Jemand kann beispielsweise nur zum Teil Ski fahren können, weil er dabei nicht vollständig erfolgreich ist. Und jemand kann nur zum Teil wissen, dass beispielsweise der schnellste Weg zum Bahnhof über die Torstraße führt, weil er dies nicht vollständig begründen kann. Die Überlegungen, die den kategorialen Unterschied von Wissen und Können belegen sollen, gehören zum weniger überzeugenden Teil in Ryles Kritik des Intellektualismus.24 Damit allein lässt sich die Behauptung, Können sei ein Art des Wissens, nicht unstrittig widerlegen. Ryles stärkster und auch bekanntester Einwand gegen den Intellektualismus ist allerdings auch ein anderer. In einem Reductio-Argument macht er deutlich, dass dieser letztlich in einen unendlichen Regress führt. Er schreibt: According to the [intellectualist] legend, whenever an agent does anything intelligently, his act is preceded and steered by another internal act of considering a regulative proposition appropriate to his practical problem. (…) Next, supposing still that to act reasonably I must first perpend the reason for so acting, how am I led to make a suitable application of the reason to the particular situation which my action is to meet? (…) By the original argument, therefore, our intellectual planning process must inherit its title to [intelligence or] shrewdness from yet another interior process of planning to plan, and this process could in its turn be [intelligent] or shrewd. The regress is infinite, and this reduces to absurdity the theory that for an operation to be intelligent it must be steered by a prior intellectual operation.25 23

Vgl. hierzu auch Carr (1981), 58. Für D. Carr ist eine der drei Bedingungen für Können die des „erkennbaren Erfolgs“. 24 Ich verzichte auf die Diskussion weiterer, ebenso wenig überzeugender Einwände. Vgl. z. B. Ryle (1945/46), 5 u. 16 u. Ryle (1949), 30 f. Vgl. auch White (1982), 26. 25 Ryle (1949), 31 f. (Meine Ergänzung und Änderung, A. S.). Vgl. parallel dazu auch Ryle (1945/46), 2 f. Ryles Regressargument hat große Ähnlichkeit mit L.

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Was der Intellektualist behauptet, ist absurd, weil er einen Prozess voraussetzt, der genau genommen nie an ein Ende gelangt. Denn derjenige, der gekonnt oder intelligent handelt, müsste zuvor stets die entsprechenden „regulativen Propositionen“26 berücksichtigen. Er müsste entscheiden, genau welches Wissen für sein Können das richtige ist. Dieser evaluative Denkvorgang wäre aber ebenfalls etwas, das intelligent oder dumm ausgeübt werden kann. Für die Wahl der richtigen Propositionen wäre also ein weiterer evaluativer Denkvorgang nötig, bei dem erneut Propositionen berücksichtigt werden müssten und so immer weiter. Eine intelligente oder gekonnte Handlung würde unter dieser Voraussetzung nie zur Ausführung kommen, weil ihr eine unendliche Reihe evaluativer Denkvorgänge vorgeschaltet wäre. Viele Autoren halten den Intellektualismus durch Ryles Regressargument für erfolgreich widerlegt.27 Es gibt dagegen allerdings auch Einwände. Zuletzt hat Jason Stanleys und Timothy Williamsons Aufsatz „Knowing How“ großes Aufsehen erweckt und eine rege Diskussion ausgelöst.28 Daher werde ich darauf im Folgenden näher eingehen. Die beiden Autoren versuchen im ersten Teil ihres Aufsatzes, Ryles Regressargument zu widerlegen. Der zweite Teil dient einer Rehabilitierung des Intellektualismus. Dabei beziehen sie sich explizit auf moderne Intellektualisten wie David Brown, Jaakko Hintikka oder Carl Ginet.29 Somit liegt mit diesem Aufsatz eine sehr aktuelle Version dieser Sichtweise vor, die zugleich die eigene Tradition aufgreift. Wenn es gelingt, diesen Rehabilitierungsversuch als inkohärent auszuweisen, dann ist der Intellektualismus insgesamt als plausibles Erklärungsmodell für das Verhältnis von Wissen und Können zurückgewiesen. Als beste Erklärung Wittgensteins Regelregressargument sowie mit L. Carroll Regress des Konditionals. Ryle bezieht sich explizit auf letzteres. Vgl. auch Kap. 3.5 u. 5.12. 26 Ich übernehme hier die Rede von „Propositionen“, obwohl ich die von „Überzeugungen“ für angemessener halte und später auch zu dieser Redensweise übergehen werde. Vgl. Kap. 4. 27 Vgl. z. B. Carr (1981), 55, Craig (1990), 154 o. Snowdon (2004), 14 ff. 28 Zu den Reaktionen auf diesen Aufsatz vgl. z. B. Schiffer (2002), Koethe (2002), Rumfitt (2003), Rosefeldt (2004), Noë (2005), Hetherington (2006), Gochet/de Rouilhan (2007) o. Jung/Newen (2010). 29 Vgl. Brown (1970), Hintikka (1972) u. Ginet (1975).

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bleibt dann der Anti-Intellektualismus übrig. Doch zunächst zu den Einwänden gegen Ryles Regressargument. Stanley und Williamson rekonstruieren Ryles Argument, indem sie es auf zwei allgemeine Prämissen und eine Reductio-Annahme reduzieren.30 Die erste Prämisse besagt, dass das Ausführen einer Handlung F darauf verweist, dass F gekonnt wird.31 Die zweite Prämisse besagt, dass die Anwendung des Wissens, dass p dem intellektuellen Erwägen der Proposition p gleichkommt. In der Reductio-Annahme (RA) schließlich kommt die Grundüberzeugung des Intellektualismus zum Ausdruck, wonach dem Können von F das Wissen um eine entsprechende Proposition φ(F) entspricht. Eine solche wäre ein Satz der Form: Die Proposition p ist die Voraussetzung für die Handlung F. Zusammengenommen führen die beiden Prämissen und die ReductioAnnahme zu einem Widerspruch. Schließlich ist das intellektuelle Erwägen einer Proposition selbst eine Handlung. Die erste Prämisse muss also auch für die in der zweiten Prämisse beschriebene Handlung des intellektuellen Erwägens der Proposition p gelten. Wenn gemäß der intellektualistischen Grundüberzeugung (RA) Können Wissen und gemäß der zweiten Prämisse Wissen das intellektuelle Erwägen einer Proposition ist, so enden wir erneut bei der ersten Prämisse. Es entsteht immer wieder eine weitere Handlung des intellektuellen Erwägens und daraus wiederum eine und so weiter ad infinitum. Wir geraten in einen infiniten Regress intellektueller Erwägungen. Demnach kann eine Handlung F überhaupt nicht ausgeführt werden, da sie eine solche unendliche Anzahl von Erwägungen voraussetzt. Zumindest ist das die Konsequenz, wenn sowohl die beiden Prämissen als auch die Reductio-Annahme wahr sind. Es ist aber zweifelsohne so, dass wir Handlungen ausführen. Mindestens eine der drei Thesen muss daher falsch sein. Für Ryle ist es bekanntlich die intellektualistische Grundüberzeugung (RA), weshalb er dafür plädiert, sie aufzugeben. Um nun die intellektualistische Überzeugung, dass Können eine Art des Wissens ist, beibehalten zu können, richtet sich Stanleys und 30

Vgl. Stanley/Williamson (2001), 413 f. Die Notation „Fen können“ entspricht meiner bisherigen Formalisierung „q können“. 31

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Williamsons Kritik gegen die erste und zweite Prämisse. Ihre Vorgehensweise ist simpel und erfolgt in zwei Schritten. Zunächst stellen sie fest, dass es Handlungen gibt, die kein Können zum Ausdruck bringen. Als Beispiele nennen sie das Verdauen von Nahrung oder das Gewinnen in einer Lotterie.32 Beides, so stellen sie fest, kann man nicht können. Soll also die erste Prämisse gültig bleiben, so muss sie auf intentionales Handeln eingeschränkt werden. Auf diese Weise können zweifelhafte Fälle wie diese als Beispiele für F ausgeschlossen werden. Dieses Zugeständnis wirkt sich allerdings vernichtend auf die zweite Prämisse aus. Im zweiten Schritt stellen die beiden Autoren nämlich fest, dass es auch Fälle von Wissen gibt, mit denen kein intentionales Erwägen von Propositionen einhergeht. Sie geben folgendes Beispiel: Jemand bekundet sein Wissen, dass sich die Tür durch Drehen des Türgriffs öffnen lässt, indem er den Türgriff ganz automatisch dreht, ohne dabei irgendeine Proposition in Erwägung zu ziehen.33 Um die zweite Prämisse beibehalten zu können, schlagen sie daher vor, das Erwägen von Propositionen als eine Handlung in einem eingeschränkten, nicht-intentionalen Sinn zu verstehen. Das wiederum bedeutet aber, dass diese Art Handlung nicht in die erste Prämisse eingesetzt werden kann. Um deren Plausibilität zu garantieren, wurde sie ja gerade auf intentionales Handeln eingeschränkt. Das Ergebnis dieser Überlegungen soll sein, dass es keine einheitliche Lesart des Arguments gibt. Offensichtlich können nicht beide Prämissen ihre Gültigkeit behalten. Damit glauben Stanley und Williamson gezeigt zu haben, dass Ryles Regressargument nicht haltbar ist. Ich halte diese Rekonstruktion des Arguments jedoch in wichtigen Punkten für fehlerhaft und ungenau. Das Beispiel vom Verdauen von Nahrung etwa ist vollkommen abwegig. Niemand kann Nahrung verdauen, nicht weil dies kein intentionaler Akt ist, sondern weil es überhaupt keine Handlung darstellt. Verdauen ist ein organischer Vorgang, der in uns vor sich geht. Analog verhält es sich mit dem Gewinnen in einer Lotterie. Auch dies ist keine Form des Handelns, weder im intentionalen noch in einem anders gearteten Sinne. Daher habe ich derartige Vorgänge und Ereignisse auch bewusst aus der Bestimmung von Können 32 33

Vgl. Stanley/Williamson (2001), 414 f. Vgl. ebd., 415. Stanley und Williamson zitieren dieses Beispiel aus Ginet (1975), 7.

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ausgeschlossen.34 In einer Lotterie zu gewinnen, ist ein Ereignis, das mir widerfährt. Was ich allerdings beabsichtigen und können kann, ist, an einer Lotterie teilzunehmen. Ich tue dies, indem ich ein Los erwerbe. Nur in dieser trivialen Hinsicht könnte man sagen, dass ich in einer Lotterie gewinnen „kann“. Dabei jedoch handelt es um die Art von Können, die ich als epistemologisch irrelevant ausgeklammert habe. Denn Können bedeutet hier „in der Lage sein, etwas zu tun“. Was uns interessiert, ist aber vielmehr Können oder Wissen-wie als eine Fähigkeit oder Kompetenz. Die Beispiele stellen sich also als nicht zutreffend heraus und können nicht als gültige Einwände gegen das Regressargument gelten. Die erste Prämisse ist von ihnen nicht betroffen. Man kann jedoch fragen, ob die Prämisse in dieser Formulierung überhaupt zutreffend ist. Denn genau genommen gibt sie Ryles Gedanken nur verkürzt und ungenau wieder. Schließlich zeigt die zitierte Passage, dass er nicht jede beliebige Handlung als Können bezeichnet. Vielmehr geht es ihm um solche, die wir implizit oder explizit als intelligent charakterisieren. 35 Folglich muss die erste Prämisse richtigerweise beinhalten, dass das Ausführen einer als intelligent zu bezeichnenden Handlung F darauf verweist, dass jemand Fen kann beziehungsweise weiß, wie man Ft. Und in dieser Lesart lässt sie sich problemlos mit der zweiten Prämisse verbinden. Denn es ist durchaus gerechtfertigt, das Erwägen von Propositionen als eine Art intelligente Handlung zu charakterisieren. Wissen, verstanden als das Erwägen von Propositionen, kommt daher als ein Beispiel für F sehr wohl in Frage. Auch dies stützt Ryles Regressargument. Was aber, wenn propositionales Wissen auch ohne das Erwägen von Propositionen auskommt? Für Stanley und Williamson ist die zweite Prämisse genau aus diesem Grund falsch. Sie behaupten, dass es häufig „Manifestationen von Wissen“ gibt, die nicht mit dem Erwägen von Propositionen einhergehen. 36 Die Rede von „Manifestationen“ ist hier allerdings irreführend. Es ist sicher richtig, dass sich das Erwägen einer entsprechenden Proposition nicht immer manifestiert, wenn jemand etwas 34

Vgl. Kap. 1.2. Vgl. ebenso Noë (2005), 279 u. Hetherington (2006), 74. Vgl. erneut Ryle (1945/46), 2 f. u. Ryle (1949), 29 ff. 36 Vgl. Stanley/Williamson (2001), 415. 35

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bestimmtes weiß. Dass wir diesen Vorgang nicht immer erkennen können, beweist allerdings nicht, dass es ihn tatsächlich auch nicht gibt. Prinzipiell sind die Manifestation und das Vorkommen eines Vorgangs zwei verschiedene Dinge.37 Nicht selten gehen kognitive oder mentale Akte unbewusst oder unbeobachtet vor sich, so auch das Erwägen von Propositionen. Es ist daher durchaus möglich, dass jemand sein propositionales Wissen mehr oder weniger automatisch anwendet. Er verfügt dann über Wissen, ohne jedoch eine entsprechende Proposition bewusst in Erwägung zu ziehen. Man kann auch sagen, er habe unbewusst eine entsprechende Überzeugung. Propositionales Wissen ohne jede Proposition lässt sich jedenfalls nicht leicht plausibilisieren.38 Dagegen ist die Annahme des unbewussten Erwägens von Propositionen mit Ryles Argumentation absolut konform. Somit lässt sich feststellen, dass das Regressargument von Stanleys und Williamsons Einwänden nicht in Zweifel gezogen wird. Es ist ein Irrtum anzunehmen, organische Vorgänge oder zufällige Ereignisse seien Handlungen, die man können kann. Ebenso ist es ein Irrtum anzunehmen, mit Können meinten wir jede nur erdenkliche Handlung. Ryle bezieht Können bewusst auf Handeln, das wir als intelligent, überlegt, raffiniert, klug, scharfsinnig, geschickt, logisch etc. bezeichnen. Und es ist ein Irrtum anzunehmen, propositionales Wissen sei ohne das Erwägen von Propositionen möglich. Entweder jemand weiß, dass das Drehen des Türgriffs die Tür öffnet. Dann erwägt er zumindest unbewusst die Proposition, dass dies so ist. Oder wir begreifen das Türöffnen als eine Art automatisierten Vorgang oder Reflex. Dann kann aber auch nicht von propositionalem Wissen die Rede sein. Jedenfalls ist „automatisches Handeln“ kein Beispiel für die „Manifestation“ von propositionalem Wissen ohne das Erwägen von Propositionen. 2.3 Versuch einer Rehabilitierung des Intellektualismus Im Anschluss an ihre Kritik formulieren Stanley und Williamson eine Version des Intellektualismus, die sie insbesondere durch Erkenntnisse der 37 38

Vgl. Noë (2005), 281. Zu hiervon abweichenden Auffassungen vgl. Anm. 153 u. 156.

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modernen Sprachwissenschaft zu belegen versuchen.39 Dabei beschäftigen sie sich vorwiegend mit der Grammatik englischer Wissensausdrücke. Die sehr technische Ausrichtung ihres Ansatzes unterscheidet sich stark von Ryles dem Common Sense verpflichteten Überlegungen. Es muss daher davon ausgegangen werden, dass der Regresseinwand nicht greift. Im Anschluss an eine kurze Darstellung werde ich erörtern, ob der Intellektualismus in dieser Form als rehabilitiert gelten kann. Eine zentrale Behauptung der beiden Autoren ist die, dass alle Sätze, die das englische Verb „to know“ beinhalten und durch einen Nebensatz ergänzt werden, eine Relation zwischen einer Person und einer Proposition zum Ausdruck bringen.40 Bei „know that“ ist dies ganz offensichtlich der Fall. Diese Formulierung wird stets durch eine Proposition ergänzt. Dass dies in vergleichbarer Weise auch für Sätze gilt, die die Formulierung „know how“ beinhalten, liegt für Stanley und Williamson in deren allgemeiner Struktur begründet.41 Sie sehen in Sätzen dieser Art stets eine indirekte Frage enthalten. Demzufolge beinhaltet der Satz „Hannah knows how to ride a bicycle.“ die Frage „How to ride a bicycle?“ oder besser „How should she/one ride a bicycle?“42 Das Wissen, das darin zugeschrieben wird, besteht in einer Antwort auf diese Frage. Der Satz ist also genau dann wahr, wenn es mindestens eine Proposition gibt, mit der Hannah diese Frage beantworten kann. Somit scheint das Wissen, das in derartigen Sätzen vorkommt, ebenso von propositionaler Art zu sein, wie jenes in Sätzen mit Know-that-Formulierungen. Der Unterschied ist lediglich, dass die entsprechenden Propositionen in Sätzen mit Know-howFormulierungen nicht immer genau identifiziert werden können. Wie lässt sich nun das Spektrum der Antworten, das sich hinter Know-how-Sätzen verbirgt, näher eingrenzen? Zu diesem Zweck schränken Stanley und Williamson den Bereich der möglichen Propositionen ein. Sie legen fest, dass es in Know-how-Sätzen um die Propositionen geht, die Art und Weisen des Ausführens von Handlungen 39

Stanley und Williamson beziehen sich v. a. auf Karttunen (1977) und Groenendijk/Stokhof (1982). 40 Vgl. Stanley/Williamson (2001), 430 f. 41 Sätze, die durch ein Nomen oder eine Nominalphrase ergänzt werden wie z. B. „She knows Fred.“, sind von dieser Überlegung ausgeschlossen. 42 Vgl. Stanley/Williamson (2001), 424 f.

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enthalten.43 Jedem Ereignis – und damit auch jeder Handlung – kommt eine bestimmte Art und Weise zu, auf die es stattfindet. Und die indirekte Frage eines Know-how-Satzes (How should one F?) fragt nach eben dieser Art und Weise. Das Subjekt des Satzes weiß darauf eine Antwort. So weiß Hannah im erwähnten Beispielsatz von einer Proposition, die eine Art und Weise des Fahrradfahrens beinhaltet. Etwas ausführlicher bedeutet das, dass es eine Art und Weise w gibt, die für Hannah eine Art und Weise ist, Fahrrad zu fahren, und Hannah weiß, dass w eine Art und Weise für sie ist, Fahrrad zu fahren. Dies ist nach Stanley und Williamson die Auflösung des ursprünglichen Satzes, der die Formulierung „knows how“ enthält. Entscheidend für diesen Ansatz ist nun die zusätzliche Annahme, dass von einer Proposition auf unterschiedliche „Arten des Gegebenseins“ (modes of presentation) Gebrauch gemacht wird.44 Gottlob Freges Idee der modalen Bestimmtheit von Bezeichnungen und Propositionen veranschaulichen sie durch Sätze, in denen Überzeugungen zum Ausdruck kommen. Betrachten wir die folgenden Beispiele: (1) John ist der Überzeugung, dass dieser Mann eine brennende Hose hat. (2) John ist der Überzeugung, dass er selbst eine brennende Hose hat.45

Unter der Voraussetzung, dass sich „dieser Mann“ auf John bezieht, bringen die beiden Nebensätze die gleiche Proposition zum Ausdruck. Der Unterschied liegt Stanley und Williamson zufolge lediglich in der jeweiligen Art des Gegebenseins. So wird John die Überzeugung in (1) auf eine „demonstrative Art des Gegebenseins“ (demonstrative mode of presentation) zugeschrieben. In (2) dagegen wird sie ihm auf eine „Erste Person Art des Gegebenseins“ (first-personal mode of presentation) zugeschrieben. Analog zu diesem Beispiel konstruieren Stanley und Williamson einen Fall, in dem Wissen zugeschrieben wird. Wieder geht es um Hannah. Mit Verweis auf eine Person, die in ihrer Nähe Fahrrad fährt, wird ihr gesagt: „Dies ist für dich eine Art und Weise, Fahrrad zu fahren.“ In diesem

43

Vgl. ebd., 427. Vgl. ebd. Zur „Art des Gegebenseins“ vgl. auch erneut Frege (1994), 40 ff. 45 Vgl. Stanley/Williamson (2001), 428. (Meine Übersetzung, A. S.) 44

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Zusammenhang lassen sich, so die beiden Autoren, folgende Sätze formulieren: (3) Hannah weiß, dass diese Art und Weise für sie eine Art und Weise ist, Fahrrad zu fahren. (4) Hannah kann Fahrrad fahren beziehungsweise weiß, wie man Fahrrad fährt.46

„Diese Art und Weise“ soll sich auf die Art und Weise derjenigen Person beziehen, die in Hannahs Nähe Fahrrad fährt. Es handelt sich dabei tatsächlich um eine Art und Weise für sie, Fahrrad zu fahren. Nach Auffassung Stanleys und Williamsons schreiben nun beide Sätze Hannah dieselbe Proposition zu. Wie im vorherigen Fall unterscheiden sie sich ebenfalls lediglich in der Art des Gegebenseins. Während (3) Hannahs Wissen auf eine demonstrative Art des Gegebenseins zum Ausdruck bringt, drückt es (4) auf eine „praktische Art des Gegebenseins“ (practical mode of presentation) aus.47 Indem wir Hannah zuschreiben, dass sie Fahrrad fahren kann, schreiben wir ihr indirekt ein entsprechendes propositionales Wissen auf eine praktische Art und Weise zu. Dies ist im Wesentlichen Stanleys und Williamsons Versuch, den Intellektualismus zu rehabilitieren. Im verbleibenden Teil dieses Kapitels wird es darum gehen, ihn einer kritischen Überprüfung zu unterziehen. 2.4 Wissenssätze und indirekte Fragen Schauen wir uns zuerst die Überlegungen zu indirekten Fragen in Wissenssätzen an. Hier sind Stanleys und Williamsons sprachwissenschaftliche und grammatische Untersuchungen nur bedingt aussagekräftig. Das zeigt sich, wenn sie auf andere Sprachen als das Englische ausgeweitet werden.48 Dann nämlich stellt sich die Frage, ob Satzkonstruktionen analog „know that“ und „know how“ tatsächlich immer eine Relation zwischen einer Person und einer Proposition zum Ausdruck bringen. Das deutsche Verb „können“ etwa gibt weder einen Hinweis auf eine indirekte Frage noch auf eine Proposition. Sage ich beispielsweise, dass jemand 46

Vgl. ebd. (Meine Übersetzung und geringfügige Vereinfachung, A. S.) Vgl. ebd., 429. 48 Zu den folgenden Überlegungen vgl. auch Rumfitt (2003). 47

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scharfsinnig argumentieren oder raffiniert Schach spielen kann, so drücke ich eine Relation zwischen einer Person und der Handlung des Argumentierens oder Schachspielens aus. Die Tatsache, dass es im Deutschen neben der Formulierung „wissen, wie“ die Formulierung „können“ gibt, verbietet somit die generelle Annahme einer PersonProposition-Relation in Wissens- beziehungsweise Könnenssätzen. Das Französische unterstützt diesen Einwand. Hier gibt es zum einen die Formulierung „savoir comment“, die dem englischen „know how“ und dem deutschen „wissen, wie“ entspricht. Damit lässt sich beispielsweise sagen: „Elle sait comment déstabiliser son adversaire.“ (Sie weiß, wie man seinen Gegner verunsichert.) Daneben wird „savoir“ aber auch ohne das Interrogativadverb „comment“ verwendet. Diese Verwendungsweise taucht in Sätzen auf wie „Elle sait nager.“ (Sie kann schwimmen.) Sie entspricht dem deutschen „können“, während sie im Englischen ebenfalls mit „know how“ übersetzt wird. Wie „können“ auch lässt diese Verwendungsweise von „savoir“ keinerlei Rückschlüsse auf Propositionen zu, die als Antworten auf indirekt gestellte Fragen dienen könnten. Diese Eigenart der französischen Sprache stellt Stanleys und Williamsons Behauptung also ebenfalls in Frage. Man könnte nun annehmen, dass es sich bei einem Satz wie „Elle sait nager.“ um eine unvollständige Satzform handelt, die der Formulierung „Elle sait comment nager.“ entspricht. Die beiden Sätze können aber nicht ohne weiteres gleichgesetzt werden. Genau genommen ist letzterer nämlich kein wohlgeformter Satz des Französischen.49 Wenn den Formulierungen etwas gemein ist, dann bestenfalls der Hinweis auf dasselbe Können. Generell drücken französische Wissenssätze ohne Interrogativadverb allgemeine, nicht weiter spezifizierte sensomotorische oder intellektuelle Fähigkeiten aus. Das entspricht einem allgemeinen, nicht weiter spezifizierten Können, so wie ich es im letzten Kapitel eingeführt habe. In Sätzen mit Interrogativadverb geht es dagegen um ganz bestimmte Probleme oder um die Art und Weise, wie etwas gemacht wird. Hier ist das Können möglicherweise weiter spezifiziert. Sätze wie „Elle sait comment nager.“ erhalten daher zumeist eine Ergänzung der Art: „Elle sait comment nager vite dans des compétitions.“ (Sie weiß, wie man in Wettkämpfen 49

Vgl. ebd., 161 f. u. Gochet/de Rouilhan (2007), 30.

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schnell schwimmt.) In Fällen wie diesen könnte man eine indirekte Fragekonstruktion („Comment nager vite dans des compétitions?“) entdecken und einen Verweis auf propositionales Wissen vermuten. Entscheidend ist jedoch, dass dies für das entsprechende Können vollkommen irrelevant ist. Ob jemand schwimmen kann, hängt nicht davon ab, ob er in Wettkämpfen schnell schwimmen kann. Doch nicht nur im Deutschen und Französischen wird auf ein Interrogativadverb verzichtet, wenn von Können die Rede ist. Auch im Griechischen und Lateinischen gibt es Formulierungen, in denen sensomotorische oder intellektuelle Fähigkeiten ausgedrückt werden, ohne dass darin eine indirekte Frage vorkommt. 50 Und im Russischen gibt es für Fälle von „know how“ überhaupt keine entsprechende Formulierung. Dem Können und Wissen-wie entspricht hier jeweils ein eigenes Verb ( ). Allerdings wird dies weder durch einen propositionalen Nebensatz noch durch eine indirekte Frage, sondern ausschließlich durch einen Infinitiv ergänzt. Offensichtlich lässt sich also anhand von Sätzen, in denen Wissen zugeschrieben wird, nicht zeigen, dass es darin generell um die Relation einer Person zu einer Proposition geht. Das Englische ist hier keineswegs paradigmatisch. Was dort die Formulierung „know how“ ausdrückt, wird in anderen Sprachen wie etwa dem Deutschen oder Französischen durch Satzstrukturen ohne Fragepronomen übersetzt. Folglich ist in den entsprechenden Satzkonstruktionen auch keine indirekte Frage enthalten. Ebenso wenig lässt sich feststellen, dass indirekte Fragen in Wissenssätzen grundsätzlich auf eine propositionale Tiefenstruktur hinweisen. Hierbei handelt es sich um nicht mehr als eine Möglichkeit, die aber auch eine Besonderheit der englischen Sprache ist. 2.5 Können als Wissen von Art und Weisen des Ausführens von Handlungen Der nächste Schritt in Stanleys und Williamsons intellektualistischem Ansatz besteht in der Behauptung, Können sei propositionales Wissen von Art und Weisen des Ausführens von Handlungen. Jemand, der etwas kann, 50

Vgl. auch für das folgende Beispiel Rumfitt (2003), 163 f.

50

weiß demnach kurz gesagt von einer bestimmten Art und Weise zu handeln. Dieser Punkt ist weitestgehend unabhängig von den Überlegungen zu indirekten Fragen und nicht auf deren Gültigkeit angewiesen. Dass sie nicht haltbar sind, hat keine weiteren Konsequenzen. Ich werde die aufgezeigten Probleme der letzten Abschnitte daher nicht weiter berücksichtigen und diesen nächsten argumentativen Schritt unabhängig davon betrachten. Die Rede von Art und Weisen zu handeln im Zusammenhang mit Können ist ein beliebtes Element des Intellektualismus.51 Das Problem ist jedoch, dass sich ein solcher Zusammenhang gar nicht so leicht identifizieren lässt. Denn eine Rückführung von Können auf Wissen in diesem Sinne ist entweder zu allgemein oder zu speziell. Entweder es wird lediglich die Existenz irgendeiner Art und Weise zu handeln proklamiert, ohne dass klar ist, ob und wie die handelnde Person dazu in Relation steht. Oder aber es wird auf eine ganz bestimmte, kontextuell gegebene Art und Weise Bezug genommen. Hier fehlt dann die allgemeine Gültigkeit, die der Spezifizierung von etwas als Können eignet. Es ist daher fraglich, ob das gemeinte Können überhaupt auch in anderen Situationen als der spezifizierten möglich ist. Zunächst zu dem Fall, in dem diese Bestimmung zu allgemein ist. Ich will unter Bezug auf Art und Weisen zum Ausdruck bringen, dass Hannah Fahrrad fahren kann. Ich sage daher, sie wisse eine Art und Weise, Fahrrad zu fahren. (Aus didaktischen und dialektischen Gründen verwende ich „wissen“ hier auf diese etwas eigenwillige Weise.) Dadurch stelle ich nichts weiter fest, als dass es irgendeine Art und Weise gibt, Fahrrad zu fahren, von der Hannah weiß. Das ist insofern legitim, als es natürlich prinzipiell sein kann, dass Hannah auch nur auf eine einzige Art und Weise Fahrrad fahren kann. Es ist aber überhaupt nicht gesagt, dass Hannahs Können tatsächlich dem Wissen um diese eine Art und Weise entspricht. Was garantiert denn, dass es gerade dies ist, was sie zum Fahrradfahren befähigt? Es ist doch gut möglich, dass sie von einer Art und Weise, Fahrrad zu fahren, weiß und trotzdem nicht Fahrrad fahren kann. Man kann sich dies so vorstellen, dass Hannah auf die Frage „Kannst Du Fahrrad fahren?“ mit dem Satz antwortet: „Ja, ich weiß eine Art und 51

Vgl. z. B. Hintikka (1972), 114 f., White (1982), 11 u. 22 o. Snowdon (2004), 26 ff.

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Weise, Fahrrad zu fahren.“ Diese Antwort geht offensichtlich an der Frage vorbei. Wichtiger noch ist aber die Frage, ob ich Hannah auf diese Weise überhaupt propositionales Wissen zuschreibe? Dies ist nämlich keineswegs der Fall. Vielmehr handelt es sich bei dem Resultat meiner Reformulierung ihres Könnens um eine Form von Kenntnis. Hannah kennt eine Art und Weise, Fahrrad zu fahren. Sie ist mit dieser Art und Weise vertraut und hat sie verinnerlicht. Ob sie aber über ein entsprechendes Wissen verfügt, ist damit nicht gesagt. Es ist nicht einmal gesagt, dass sie die Art und Weise, Fahrrad zu fahren, die sie kennt, genau identifizieren und sprachlich fixieren kann. Um sinnvoll von propositionalem Wissen zu sprechen, müsste sie dies aber. Es ist sicher richtig, dass sowohl Wissen als auch Kenntnis Handlungsweisen zum Gegenstand haben kann. Dies lässt sich aber nicht ohne weiteres vergleichen. Schließlich bezieht sich Wissen immer auf Propositionen. Kenntnis dagegen richtet sich auf Gegenstandsbeschreibungen. Folglich kann das, was jemand weiß, wahr oder falsch sein. Von dem, was jemand kennt, würden wir dies jedoch nicht sagen. Wenn sich also Wissen und Kenntnis auf Art und Weisen zu handeln beziehen, dann auf sehr unterschiedliche Weise. Die Bestimmung von Können als Wissen von Art und Weisen zu handeln läuft also Gefahr, zu allgemein zu bleiben. Wie sich schnell zeigt, ist die einzige Alternative dazu allerdings eine viel zu spezielle Eingrenzung. Soll gezeigt werden, dass Können propositionales Wissen ist, so muss das Identifizieren bestimmter, angemessener Art und Weisen möglich sein. Die meisten Autoren führen daher eine Art der Bezugnahme in ihr intellektualistisches Modell ein. Alan White beispielsweise behauptet, Können entspreche Wissen derart, dass „das und das“ eine „unerwähnte“ Art und Weise ist, entsprechend zu handeln. 52 Paul Snowdon vertritt die Auffassung, Können bedeute zu wissen, dass eine „bestimmte“ Art und Weise diejenige ist, auf die das Gekonnte getan wird.53 Allerdings ist auch hier alles andere als klar, wie man sich diese Bezugnahmen konkret vorzustellen hat.

52 53

Vgl. White (1982), 11 u. 23. Vgl. Snowdon (2004), 26.

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Stanley und Williamson versuchen, der Vagheit solcher Ausdrücke auszuweichen, indem sie ein komplexes und vermeintlich vollständiges Szenario entwerfen. Dabei gehen sie davon aus, dass die geeignete Art und Weise zu handeln letztlich durch ein Demonstrativpronomen identifiziert werden kann. Dazu ist es einerseits notwendig, dass sie im Kontext der Person, die etwas kann, präsent ist. Andererseits muss sie sich zugleich im Repertoire dieser Person befinden. Dann, so die Idee der beiden Autoren, kann diese kontextuell gegebene Art und Weise zu handeln der fraglichen Person als geeignet zugeschrieben werden. So gesehen ist es dann gleichbedeutend zu sagen: „Hannah kann Fahrrad fahren.“ und: „Hannah weiß, dass diese Art und Weise, Fahrrad zu fahren, für sie eine geeignete ist.“54 Vollständig ausformuliert lautet diese Gleichsetzung von Können und Wissen: „Relative to a context (…) [Hannah knows how to ride a bicycle] if and only if, for some contextually relevant way w which is a way for Hannah to ride a bicycle, Hannah knows that w is a way for her to ride a bicycle.“55 Hier nun wird Können erstaunlich genau spezifiziert. Ich halte dies allerdings für zu restriktiv. Schließlich ist Können mehr als das Äquivalent zu einer ganz bestimmten, konkreten Situation. Wenn Hannah Fahrrad fahren kann, so auch dann, wenn es niemand anderes in ihrer Umgebung auf dieselbe Art und Weise tut. Sie kann dies unabhängig von einer Situation, in der ihre spezielle Art und Weise, dies zu tun, einer weiteren, kontextuell gegebenen Art und Weise entspricht. Wenn Können mit Wissen vergleichbar ist, dann dahingehend, dass beide etwas bezeichnen, was übergreifend und unabhängig von bestimmten Kontexten gilt. Daher wäre der Rückgriff auf Art und Weisen zu handeln für die Rekonstruktion von Können nur dann gerechtfertigt, wenn es dabei nicht zu einer derart engen Zuspitzung käme. Da aber das Spektrum dessen, was Können sein kann, größer ist als eine einzelne, aufwendig rekonstruierte Art und Weise zu handeln, muss diese Methode scheitern.

54 55

Vgl. erneut Anm. 46. Stanley/Williamson (2001), 426. (Meine Ergänzung, A.S.)

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2.6 Können als Wissen auf eine praktische Art des Gegebenseins Ziel der Überlegungen Stanleys und Williamsons ist die Gegenüberstellung zweier gleichbedeutender Sätze, von denen der eine propositionales Wissen und der andere Können zum Ausdruck bringt. Die Synonymie der beiden Sätze wollen sie mit Hilfe eines Analogieschlusses belegen. Dazu stellen sie diesem Satzpaar ein weiteres an die Seite.56 Die Idee, Können lasse sich als Wissen von Art und Weisen zu handeln begreifen, hat für diese Gegenüberstellung vorbereitende Funktion. Ich akzeptiere sie einstweilen des Arguments wegen. Hier nun kommt auch wie angekündigt Freges Idee von unterschiedlichen „Arten des Gegebenseins“ ins Spiel. Sie ist zugleich der Dreh- und Angelpunkt in Stanleys und Williamsons Argumentation. Kurz gesagt ist ihre These die, dass Können Wissen auf eine praktische Art des Gegebenseins ist. Sehen wir uns die erwähnten Sätze noch einmal an. Es klingt plausibel, dass sich die beiden Nebensätze in (1) und (2) auf dieselbe Person – nämlich John – beziehen, obwohl dafür unterschiedliche Ausdrücke verwendet werden. Es leuchtet ein, dass es sich hierbei um die gleiche Proposition handelt. Ob es sinnvoll ist, den Unterschied zwischen „dieser Mann“ und „er selbst“ auf einen Unterschied in der Art des Gegebenseins der Proposition zurückzuführen, sei dahingestellt.57 Stanley und Williamson behaupten jedenfalls, dass ein Beweis für derartige Entitäten zwar nicht einfach, aber möglich ist.58 Einen solchen oder einen Hinweis auf einen solchen bleiben sie allerdings schuldig. Analog zu Johns Fall soll es sich nun mit (3) und (4) verhalten. Auch hier sehen die beiden Autoren lediglich einen Unterschied in der Art des Gegebenseins. Die eine bezeichnen sie als eine „demonstrative“, die andere als eine „praktische Art des Gegebenseins“. Die Existenz letzterer erklärt sich für sie folgendermaßen: Propositionen treten grundsätzlich auf eine spezifische Art des Gegebenseins auf. Dies ist in den Beispielsätzen (1) und (2) evident. Hier liegt der Unterschied der Art des Gegebenseins in den beiden Pronomen, die darin verwendet werden. Dem Demonstrativpronomen in (1) steht das Reflexivpronomen in (2) gegenüber. Daraus 56

Vgl. erneut Anm. 45 u. 46. Zur Problematik von „Arten des Gegebenseins“ vgl. Schiffer (1990). 58 Vgl. Stanley/Williamson (2001), 429. 57

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lassen sich die „demonstrative“ und die „Erste Person Art des Gegebenseins“ ableiten. In Hannahs Fall nun verhält es sich analog. Der Unterschied liegt lediglich darin, dass in (4) nicht auf die erste Person, sondern auf eine Art Praxis Bezug genommen wird. Daher handelt es sich hier um die „praktische Art des Gegebenseins“. Die Frage ist nun aber, ob diese Analogie überhaupt besteht.59 Denn was im einen Fall durchaus nachvollziehbar ist, ist es im anderen keineswegs. Im Beispiel mit Johns brennender Hose haben beide Sätze dieselbe propositionale Struktur. Lediglich was das Pronomen angeht weichen sie geringfügig voneinander ab. Im Beispiel mit Hannah dagegen handelt es sich um zwei völlig unterschiedliche Sätze. Anders als Stanley und Williamson behaupten, gibt es keinerlei Anhaltspunkte, die auf eine Übereinstimmung in der Satzstruktur schließen lassen. Dass es sich bei dem englischen Ausdruck „know how“ um eine versteckte Proposition in Form einer indirekten Frage handelt, hat sich zuvor als Trugschluss erwiesen. Auch die Rückführung von Können auf Wissen von Propositionen, die Art und Weisen zu handeln enthalten, die wiederum kontextuell gegeben sein müssen und auf die mittels Demonstrativpronomen Bezug genommen wird, vermochte nicht zu überzeugen. Nur wenn wir diese Vorüberlegungen hinzuziehen, lässt sich so etwas wie eine Koreferenz der beiden Sätze behaupten. Da aber weder der Rückgriff auf indirekte Fragen noch der auf Art und Weisen zu handeln Anspruch auf Gültigkeit hat, bleibt die Analogie zwischen den beiden Satzpaaren reine Spekulation. Dies gilt aber auch in einer anderen Hinsicht. Denn der Aspekt der Indexikalität, der bei der Unterscheidung von (1) und (2) von zentraler Bedeutung ist, kommt in Stanleys und Williamsons Erklärung nicht vor.60 Schließlich können Überzeugungen, die durch einen indexikalischen Satz ausgedrückt werden, ganz andere Handlungen hervorrufen als solche, die durch einen Demonstrativsatz ausgedrückt werden. Die Überzeugung, dass „ich selbst eine brennende Hose habe“ beispielsweise, kann mich veranlassen, das Feuer umgehend zu löschen. Dagegen veranlasst mich die Überzeugung, dass „dieser Mann eine brennende Hose hat“, dazu, Hilfe zu 59 60

Vgl. auch für das Folgende Noë (2005), 288. Vgl. auch für das Folgende Jung/Newen (2010), 120 f.

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holen. Diesem Unterschied in der kausalen Rolle soll zwar die Einführung der „praktischen Art des Gegebenseins“ Rechnung tragen. Die Autoren erläutern diese Besonderheit von propositionalem und auf „praktische Art gegebenem“ Wissen allerdings nicht weiter, sondern nehmen sie stillschweigend als gegeben an. Schließlich ist ihre Erklärung auch noch in einem anderen Punkt unvollständig. Denn es lässt sich zeigen, dass die unspezifische Rede von „praktischen Arten des Gegebenseins“ letztlich nur eine Umschreibung von Fähigkeiten ist.61 Tatsächlich besteht nämlich der einzige erklärende Hinweis, den die beiden Autoren geben, in dem Bezug auf Dispositionen. Demnach schreiben wir jemandem, dem wir Wissen auf eine „praktische Art des Gegebenseins“ zuschreiben, bestimmte „komplexe dispositionale Zustände“ zu.62 Mit diesem Hinweis aber droht einerseits die Art von Können ins Spiel zu kommen, die ich zuvor als irrelevant ausgeschlossen habe. Können im Sinne von „in der Lage sein, etwas zu tun“, ist hier nicht gemeint. Schließt man diese Möglichkeit aus, so bleibt andererseits nur noch übrig, die Rede von „auf eine praktische Art gegebenem“ Wissen als die von Fähigkeiten aufzufassen. Damit aber verfehlen die Autoren ihr eigentliches Beweisziel. Denn das bestand ja gerade darin, Können als eine Art propositionales Wissen auszuweisen. Bei Fähigkeiten kommen Propositionen allerdings nicht vor. Stanley und Williamson müssen eine unabhängige Erklärung dafür, dass (4) eine Proposition auf eine praktische Art des Gegebenseins enthält, schuldig bleiben. Das bedeutet, dass ihre Argumentation letztlich zirkulär ist.63 Denn die Annahme einer Analogie auf der einen Seite und einer praktischen Art des Gegebenseins auf der anderen bedingen sich gegenseitig. Unabhängig davon findet sich keine Begründung. Die Analogie zwischen (1) und (2) einerseits und (3) und (4) andererseits besteht nur so lange, wie es Propositionen auf eine praktische Art des Gegebenseins gibt. Und Propositionen gibt es genau so lange auf eine praktische Art des Gegebenseins, wie eine Analogie zwischen diesen Satzpaaren es plausibel erscheinen lässt. Andere Anhaltspunkte für diesen 61

Vgl. Rosefeldt (2004), 375. Vgl. Stanley/Williamson (2001), 429 f. 63 Vgl. Noë (2005), 287 f. 62

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Zusammenhang gibt es nicht. Damit aber stellt sich die gesamte Argumentation für die intellektualistische Grundannahme als eine Petitio principii heraus. Können soll eine Art des Wissens sein, weil es sich als Wissen auf eine praktische Art des Gegebenseins verstehen lässt. Können lässt sich aber nur deshalb als Wissen auf eine praktische Art des Gegebenseins verstehen, weil angenommen wird, dass es eine Art des Wissens ist. Für ihre propositionale Erklärung von Könnenssätzen setzen Stanley und Williamson also bereits voraus, dass es eine entsprechende Art des Gegebenseins gibt. Nur so können sie behaupten, dass Können Wissen ist. Es bleibt also dabei, dass der Intellektualismus auch in der Lesart Stanleys und Williamsons keine kohärente Erklärung für das Verhältnis von Wissen und Können darstellt. Ihr aufwendiger Rehabilitierungsversuch führt letzten Endes nicht zu dem erwünschten Ergebnis. Der Intellektualismus bleibt widerlegt. Ryles Kritik hat also weiterhin Bestand. Sein Regressargument bleibt weiterhin gültig. Damit verlagert sich auch die Frage, ob Wissen und Können in dieser Erklärung als vollkommen kongruent betrachtet werden kann, ins Hypothetische. So wenig sich diese Version des Intellektualismus belegen lässt, so wenig lässt sich ein Kongruenzverhältnis etablieren. Zuvor schon hat sich gezeigt, dass sich das Verhältnis von Wissen und Können sinnvollerweise weder als kongruent noch als exklusiv beschreiben lässt. Denn für einen koextensionalen Bezug zu einem gemeinsamen Gegenstand lässt sich kein geeigneter Kandidat finden. Und gegen eine strikte Trennung der beiden Begriffe spricht die Tatsache, dass eine Umschreibung von Können in Form von propositionalem Wissen zumindest teilweise möglich sein kann. Somit bleibt die anti-intellektualistische Auffassung, dass Wissen eine Art des Könnens ist, als die plausibelste Beschreibung dieses Verhältnisses übrig. Sie ist das Thema des verbleibenden Teils dieser Arbeit.

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3. Regeln folgen und Sprache spielen In diesem Kapitel werde ich Ryles Kritik am Intellektualismus in einen größeren Zusammenhang stellen. Denn sein Regressargument hat große Ähnlichkeit mit dem Regelregressargument, das durch den späten Ludwig Wittgenstein prominent geworden ist. Ich werde es als das klassische Problem des Regelfolgens vorstellen und erörtern. Damit tritt zugleich der Begriff der Regel in den Fokus der Diskussion. Wittgensteins Überlegungen zu diesem Begriff umfassen zusätzlich ein Argument gegen den semantischen Konventionalismus. Dies werde ich in der Lesart Saul Kripkes als das moderne Problem des Regelfolgens vorstellen und erörtern. Diese beiden Aspekte grenzen den Gegenstand dieser Arbeit systematisch ein. Ziel der Diskussion des Problems des Regelfolgens ist die Verortung des Themas in einem sprachlich-semantischen Zusammenhang. Dadurch soll es möglich werden, die These vom Primat des Könnens durch eine Rückführung von Wissen auf sprachliche Fähigkeiten zu belegen. Die Bestimmung von Wissen als Können stellt sich damit als eine Reaktion auf die beiden Probleme des Regelfolgens dar. Während der Intellektualist vor allem mit dem klassischen Teil des Problemkomplexes konfrontiert ist, muss der Anti-Intellektualist zudem eine Lösung des modernen Teils finden. 3.1 Regressive Erklärungsmodelle – Homunkulismus Ryles Regressargument ist weder einzigartig noch vollkommen neu. Es lässt sich einer bestimmten Klasse von Argumenten zuordnen und steht mit seiner Kernaussage in einer längeren Tradition. Dabei handelt es sich um Reaktionen auf ein bestimmtes Erklärungsmodell, das sich insbesondere in der Psychologie, in den Kognitionswissenschaften und in der neueren Philosophie des Geistes findet. Seine Kritiker bezeichnen das Modell auch als „Instanzenmodell der Psyche“ oder als „Homunkulismus“.64 Obwohl es in sehr unterschiedlichen Formulierungen vorkommt, hat es eine weitgehend einheitliche Grundstruktur. Stets werden zu 64

Vgl. auch zu den folgenden Beispielen Keil (2003).

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erklärende Aspekte eines intelligenten oder geistbegabten Wesens nach innen projiziert und an spezialisierte Instanzen delegiert.65 Es wird auf eine untergeordnete Erklärungsebene gewechselt, um dort den Sitz eines bestimmten Vermögens zu verorten, das sich auf der ursprünglichen Betrachtungsebene manifestiert. So werden beispielsweise perzeptive oder kognitive Leistungen einer Person dadurch erklärt, dass ein Teil oder ein Subsystem in ihm diese Leistungen hervorbringt. Dem Subsystem wird dadurch insgeheim unterstellt, dass es entscheidende Eigenschaften und Fähigkeiten mit dem Gesamtsystem teilt. Als eine innere Miniatur verfolgt es konkrete Ziele und Strategien und übt auf das Gesamtsystem maßgeblichen Einfluss aus. Ein Beispiel für einen Homunkulismus ist die Erklärung der Funktionsweisen der visuellen Wahrnehmung durch die Annahme eines invertierten Netzhautbildes. Nach dieser Erklärung wird die Netzhautreizung für eine eigene bildhafte Repräsentation gehalten. Dadurch wird sie zu etwas gemacht, das selbst wieder betrachtet werden kann. Vertreter dieser Auffassung behaupten also, dass sich im Kopf einer sehenden Person eine Art zweites Augenpaar befindet, das von hinten die Netzhaut betrachtet.66 Das vom Auge Gesehene wird im Innern wiederum so gesehen, wie bereits das Auge seine Umgebung gesehen hat. Ein anderes Beispiel für einen Homunkulismus ist Platons Erklärung der Seele.67 In seinem Gleichnis vom Seelenwagen beschreibt er die Seele als etwas, das sich aus zwei Pferden und einem Wagenlenker zusammensetzt. Die Arbeitsweise der Seele versteht er im Allgemeinen analog der Arbeitsweise der beseelten Person selbst. Ihr wohnt eine weitere Person in Form eines Wagenlenkers inne, die die verschiedenen Seelenteile zusammenhält und beeinflusst. Dasselbe Erklärungsmodell ist es letztlich auch, das Ryle als Dogma vom „Geist in der Maschine“ kritisiert.68 Auch dieser Erklärung des mentalen Apparats des Menschen liegt die 65

Zu der prinzipiellen Möglichkeit „externer Homunkuli“ vgl. ebd., 91. Am Beispiel des Computermodells des Gehirns zeigt G. Keil, dass es auch Projektionen „nach außen“ gibt. 66 Die Rede von einem „zweiten Augenpaar“ lässt sich auch durch einen unverfänglicheren Ausdruck wie z. B. „visuelles System“ ersetzen. 67 Vgl. Platon (1994b), 246b - d u. 253d - 254e. 68 Vgl. Ryle (1949), 32 ff.

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Vorstellung zugrunde, dass sich die Person miniaturisiert im Innern wiederfindet. Das „Dogma“ besagt, dass die innere Instantiierung der Person für eine kognitive Leistung verantwortlich ist, die sich in deren äußerem Erscheinungsbild ablesen lässt. Das homunkulistische Erklärungsmodell ist allerdings mit einem bedeutenden Problem konfrontiert. Denn wer von ihm Gebrauch macht, begeht einen Fehlschluss.69 Dieser besteht darin, dass dieselben Prädikate, die auf die jeweilige Fähigkeit des Gesamtsystems zutreffen sollen, auch auf das Subsystem angewendet werden. Dadurch gerät die Erklärung in einen Regress. Durch die Annahme eines Subsystems wird nichts erklärt. Das Problem wird nur hinausgeschoben. Denn der Schritt vom Gesamtzum Subsystem lässt sich ja bezogen auf das Subsystem erneut durchführen. Ihm wird dann erneut ein Subsystem eingeschrieben und diesem ein weiteres und so fort ad infinitum. Somit bleibt das Modell die Erklärung letztlich schuldig. Was als „little man in the brain“70 oder als „Geist in der Maschine“ bestenfalls eine Sprachkonvention sein kann, verdichtet sich zu einer unhaltbaren Hypothese. So auch die Behauptung des epistemologischen Intellektualismus, Können sei eine Unterart von Wissen. Wie gesehen weist Ryle die Reduktion von Können auf Wissen aufgrund desselben regressiven Charakters zurück, den alle Erklärungen dieser Art aufweisen. Er weist dem Intellektualisten nach, dass er im epistemischen Subjekt dieselbe Fähigkeit voraussetzt, die er an ihm eigentlich erklären will. Homunkulistischen Erklärungen liegt also die Struktur einer fortlaufenden Miniaturisierung zugrunde. Doch es geht dabei um mehr als um eine formale Wiederholungsstruktur. Die Annahme eines Subsystems soll eine bestimmte Leistung oder Fähigkeit erklären. Dabei wird davon ausgegangen, dass das jeweilige Subsystem ein Adressat von Anweisungen ist.71 Es ist in der Lage, Aufgaben zu lösen und Entscheidungen zu fällen. Kurz, es ist eine Instanz, die sich gemäß bestimmten Regeln verhalten kann. Wenn etwa die Wahrnehmungstheoretikerin behauptet, dass unser visuelles System beim Sehen Bilder auf der Netzhaut interpretiert, dann 69

Vgl. z. B. Kenny (1991). Vgl. Dennett (1969), 51, 87, 99 u. 190. 71 Vgl. Keil (2003), 103. 70

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muss sie zugleich annehmen, dass dieses System gemäß bestimmten Kriterien vorgeht. Wenn Platon sagt, dass ein Wagenlenker die Seele steuert, dann muss er zugleich annehmen, dass dieser bestimmten Anweisungen folgt. Und wenn der Intellektualist behauptet, dass Wissen Können steuert, dann muss er zugleich annehmen, dass die Auswahl der einzelnen Wissensportionen gemäß bestimmten Regeln erfolgt. Das Befolgen von Regeln, so lässt sich festhalten, ist das, was allen Varianten des homunkulistischen Erklärungsmodells zugrunde liegt. Indem sie mit Regeln in Zusammenhang stehen, erhalten die fraglichen Leistungen oder Fähigkeiten ihre spezifische Qualität. Somit lässt sich der Begriff der Regel als der funktionalen Kern des erwähnten Erklärungsmodells bezeichnen. Der Regressvorwurf betrifft eine Unschlüssigkeit, die ebenfalls alle Varianten dieses Modells betrifft. Und zusammengenommen ergeben die beiden Aspekte das Argument vom Regress der Regeln oder einfach das Regelregressargument.72 Es bringt auf den Punkt, weshalb alle Erklärungen, die diesem Modell entsprechen, auf dieselbe Weise unzulänglich sind. Für sich betrachtet scheint jede eine ganz eigene Variante des Regressvorwurfs hervorzurufen. Durch ihr individuelles Thema scheint auch eine individuelle Kritik nötig. Letztlich lassen sich die Beispiele aber auf einen gemeinsamen Nenner bringen und als Varianten desselben Arguments identifizieren. 3.2 Wittgenstein und das Problem des Regelfolgens Die Hauptquelle für das Regelregressargument ist Ludwig Wittgensteins Spätphilosophie, insbesondere seine Philosophischen Untersuchungen und Bemerkungen über die Grundlagen der Mathematik.73 In der Geschichte der Philosophie vor Wittgenstein ist das Problem des Regelfolgens jedoch nicht unbekannt. So zeigt Lewis Carroll beispielsweise in dem kurzen Aufsatz „What the Tortoise said to Achilles“, dass die Einführung eines Konditionals als zusätzliche Prämisse in einem deduktiven Schluss zu einem Regress führt.74 Immanuel Kant ist mit dem 72

Vgl. z. B. Blackburn (1984), Kap. 2, Haugeland (1998b), Brandom (1994), Kap. 1, Glüer (2002) o. Esfeld (2002), Kap. 3. 73 Vgl. Wittgenstein (1984d) u. Wittgenstein (1984a). 74 Vgl. Carroll (1895). Vgl. hierzu ausführlich Kap. 5.12.

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Problem ebenfalls vertraut. In seiner Kritik der reinen Vernunft formuliert er das besagte Argument, allerdings ohne dass es zu programmatischer Geltung kommt.75 Das Thema kann letztlich bis zu Platon zurückverfolgt werden.76 Seine Bekanntheit und sein dialektisches Gewicht erlangt es allerdings erst durch Wittgensteins Erörterungen und einige prominente Deutungen. Auch Ryle liefert eine Version dieses Arguments. Gelegentlich bringt er in seiner Kritik des Intellektualismus die Rede direkt auf den Begriff der Regel.77 Den Vertretern der „intellektualistischen Legende“ wirft er diesbezüglich eine falsche Interpretation vor. Das Missverständnis liegt für ihn darin, dass sie für Fälle von Können ein explizites Wissen von Regeln annehmen, was in besagten Regress führt. Er dagegen hält es für unwesentlich, ob jemand, der intelligent oder gekonnt handelt, ausdrücklich an die Regeln denkt, die er befolgt. Sie müssen ihm nicht einmal bekannt sein. Vielmehr folge er ihnen, „without thinking about them“.78 Dies liest sich wie eine nicht-metaphorische Formulierung des bekannten Satzes Wittgensteins: „Wenn ich der Regel folge, wähle ich nicht. Ich folge ihr blind.“79 Der Begriff des blinden Regelfolgens kann daher als ein gemeinsamer Titel sowohl für Ryles als auch für Wittgensteins Gegenentwurf zum Intellektualismus gelten. Der Weg dahin ist bei Wittgenstein jedoch ein etwas anderer. Wie ich im Folgenden zeigen werde, geht seine Diskussion des Problems des Regelfolgens über Ryles Emanzipationsbemühungen für den Begriff des Könnens und des intelligenten Handelns noch hinaus. Die wichtigsten Ergebnisse, zu denen Wittgensteins Diskussion des Problems des Regelfolgens führt, lassen sich durch zwei Schlagworte fixieren. Das eine ist das „Regelregressargument“, das andere der 75

Vgl. Kant (1998), B 171 f. Das ist jedenfalls die Lesart W. Wielands. Vgl. Wieland (1982), 224 ff., 252 ff. u. 291 ff. 77 Ryle redet sowohl von „Regeln“ als auch von „regulativen Propositionen“, „Maximen“ oder „Imperativen“. Vgl. Ryle (1949), 29 ff. u. 46 ff. „Knowing-how“ oder Können lässt sich somit auch als das Befolgen von Regeln oder das Anwenden von Kriterien auffassen. 78 ebd., 47. 79 Wittgenstein (1984d), § 219. 76

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„Bedeutungsskeptizismus“.80 Der erste Ausdruck fand bereits mehrfach Erwähnung. Er steht für das, was ich als klassisches Problem des Regelfolgens bezeichnen werde. Klassisch ist das Problem deshalb, weil es, wie gesehen, in der Geschichte der Philosophie auf eine lange Tradition zurückblicken kann. Die Rede vom „Bedeutungsskeptizismus“ ist eher jüngeren Datums und geht unmittelbar auf Wittgenstein zurück. Ich werde es daher das moderne Problem des Regelfolgens nennen. In Ergänzung zum klassischen Problem stellt es eine neue Erkenntnis dar. Wittgenstein thematisiert also nicht nur ein altbekanntes Problem neu. Er leistet dazu auch einen originären Beitrag. Bevor ich die Besonderheiten und Gemeinsamkeiten der beiden Problemkomplexe erläutere, bedarf es jedoch einiger grundlegender Festlegungen hinsichtlich des Begriffs der Regel. 3.3 Sprache und Regeln Bei Wittgenstein gibt es keine genaue Definition des Regelbegriffs. Für ihn trifft er auf Dinge zu, die nicht alle ein gemeinsames Merkmal, dafür aber „Familienähnlichkeiten“ aufweisen.81 Dennoch hat er einen zentralen Stellenwert in seinen späteren Arbeiten. Das gilt insbesondere für Regeln, die in Spielen und mathematischen Operationen vorkommen. Und nicht zuletzt zielen seine Überlegungen auf die Anwendung im Bereich der Sprache ab. So ist auch das epistemologische Problem des Verhältnisses von Wissen und Können, für Wittgenstein mehr noch als für Ryle, ein sprachliches, welches auf dem Begriff der Regel fußt. Eine Grundannahme ist dabei, dass Sprache ein System von Wörtern und Sätzen ist, deren Gebrauch bestimmten, wenn auch nicht festen oder exakten Regeln unterliegt.82 Wie die Teilnehmer eines Spiels, befolgen Sprecher Regeln, ohne die dieses System nicht denkbar ist. Die mathematischen Beispiele dienen Wittgenstein dazu, allgemeine logische Strukturmerkmale von Regeln herauszustellen und zu erörtern. So 80

Die Charakterisierung des Problems als eine Form des Skeptizismus geht auf S. Kripke zurück. Vgl. Kripke (1982). 81 Vgl. Baker/Hacker (1985), 43. Zum Begriff der Familienähnlichkeit vgl. Wittgenstein (1984d), §§ 66 f. 82 Vgl. Wittgenstein (1984a), 330, Wittgenstein (1984b), 48 ff. u. Wittgenstein (1984d), §§ 81 f.

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wird ersichtlich, dass ein wesentliches Merkmale ihre allgemeine Gültigkeit ist. Regeln zeichnen sich insbesondere dadurch aus, dass sie wiederholt und prinzipiell unbegrenzt oft angewendet werden können. Insofern dies vor allem für mathematische Rechenanweisungen gilt, sind sie paradigmatisch. Sprachliche Regeln begreift Wittgenstein dagegen häufig auch als „grammatische Regeln“. Sie bestimmen, wie sprachliche Ausdrücke korrekt verwendet werden – und das in jedem der unendlichen Fälle ihrer Anwendung. Regeln, die unser sprachliches Handeln betreffen, sorgen dafür, dass unseren Wörtern und Sätzen eine spezifische Bedeutung zukommt. Wittgenstein ist der Überzeugung, dass Sprachgebrauch und Bedeutung in einer explikativen Relation zueinander stehen. Er vertritt die Auffassung, dass die Bedeutung eines sprachlichen Ausdrucks durch ihren Gebrauch konstituiert wird. 83 Was unsere Wörter bedeuten, hängt demnach davon ab, wie wir sie verwenden. Und dies wiederum ist bestimmt durch Regeln. Diese Auffassung wird auch als Gebrauchstheorie der Bedeutung bezeichnet und diskutiert. Ich will das kurz erklären.84 Zum großen Teil verwenden wir die natürliche Sprache, um Prädikate auf Dinge, Ereignisse, Vorkommnisse oder ähnliches anzuwenden. Damit legen wir fest, dass etwas von einem bestimmten Typ oder einer bestimmten Art ist. Wenn wir ein Prädikat auf bestimmte Dinge anwenden, klassifizieren wir diese und unterscheiden sie von denjenigen, auf die wir es nicht anwenden. Kurz gesagt, wir subsumieren ein logisches Subjekt unter ein Prädikat. Was das Prädikat bedeutet, verstehen wir als den dazugehörigen Begriff. Ein Prädikat drückt also immer einen Begriff aus.85 Sagen wir etwa „Dies ist ein Apfel“, so legen wir fest, dass es bestimmte Dinge in der Welt gibt, die unter den Begriff „Apfel“ fallen, und dass das, was wir mit „dies“ meinen, dazugehört. Wie kommt es nun aber, dass wir das Wort „Apfel“ korrekterweise nur dann verwenden, wenn von Äpfeln die Rede ist? Anders gefragt: Wie kommt es, dass der Ausdruck „Apfel“ dann, wenn wir ihn gebrauchen, auch Apfel bedeutet? Gemäß der Gebrauchstheorie der Bedeutung heißt, die Bedeutung eines sprachlichen Ausdrucks zu kennen, zu wissen, wie dieser Ausdruck 83

Vgl. Wittgenstein (1984d), §§ 30, 43, 80, 138 f., 197, 556 u. 561, Wittgenstein (1984b), 20 u. Wittgenstein (1984f), 61 f. 84 Vgl. hierzu ausführlich Kap. 5.1 ff. 85 Vgl. Bieri (1982), 3 f. u. Horwich (1998a), 44.

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in verschiedenen sprachlichen Situationen verwendet werden kann. Wesentlich für Sprache sind konkrete „Sprachspiele“, in denen wir Worte verwenden und damit sprachliche Akte (Spielzüge) in einem sozialen Raum ausführen.86 Innerhalb der sprachlichen Gemeinschaft bestimmen Regeln, was der korrekte Gebrauch eines Wortes ist. Nun können wir jemandem beispielsweise die Bedeutung des Wortes „Apfel“ erklären, indem wir ihm Gegenstände vorführen, die wir als Äpfel charakterisieren, und andere, denen wir das Prädikat nicht zusprechen. Wir erklären also anhand von Beispielen die Regel, nach der das Prädikat verwendet wird. Zweifellos lernen wir die Bedeutung einiger Wörter durch diese Methode der hinweisenden Definition. Zum Teil lässt sich der Spracherwerb durch einen derartigen Prozess der Konditionierung verständlich machen. Dennoch ist die Gebrauchstheorie gerade als Kritik einer solchen gegenständlichen oder mentalistischen Bedeutungstheorie zu verstehen.87 Auf den ersten Blick klingt es recht plausibel, dass ein Ausdruck seine Bedeutung einem Gegenstand verdankt, auf den er sich bezieht. Für Ausdrücke wie „König von Frankreich“ oder „Durchschnittsalter“ finden sich zwar keine konkreten, materiellen Gegenstände. Das lässt sich aber damit erklären, dass sie sich auf mentale oder abstrakte Gegenstände beziehen. Dennoch ist hier Kritik abgebracht. Nehmen wir einmal an, wir wollen den Ausdruck „Apfel“ durch eine hinweisende Definition einführen. Wir zeigen auf etwas und sagen dabei „Dies ist ein Apfel“. Jemand, dem wir allein diese Definition geben, kann genau genommen nicht wissen, was das Wort bedeuten soll. Denn ihm ist nicht klar, ob „Apfel“ eine bestimmte Farbe, eine bestimmte Form oder einen ganz anderen Aspekt des Gegenstandes herausgreift. Indem er Bedeutung mit Referenz verwechselt, bleibt dies offen.88 Ohne Vorkenntnis oder Erklärung sinnvoller Verwendungszusammenhänge lässt sich die Bedeutung von „Apfel“ nicht vermitteln. Wenn wir glauben, dass Wörter in der Praxis häufig durch den Hinweis auf Gegenstände eingeführt werden, so nur deswegen, weil derartige Verwendungszusammenhänge bereits vorhanden sind. Worauf es daher 86

Zum Begriff des Sprachspiels vgl. z. B. Wittgenstein (1984d), §§ 7 u. 23. Vgl. ebd., §§ 1 ff. u. 28 ff. 88 Vgl. hierzu erneut Anm. 10. 87

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ankommt, ist zu wissen, wie man von dem jeweiligen Wort Gebrauch macht.89 Wenn eine hinweisende Definition hierzu beiträgt, dann nur insofern, als sie den Gebrauch des Wortes vorführt. Grundlegender als das schlichte Benennen von Gegenständen und das Definieren von Begriffen ist der Umgang mit Wörtern in Übereinstimmung mit den entsprechenden Regeln. Wenn in diesem Sinne von Regelfolgen die Rede ist, so ist eine genauere Verständigung darüber notwendig, welche Art von Regeln hier überhaupt gemeint ist. In den folgenden Abschnitten werde ich daher einige wichtige Unterscheidungen und Spezifizierungen einführen. Das Ziel ist, Regeln, die für den korrekten Gebrauch sprachlicher Ausdrücke und dadurch für deren Bedeutung verantwortlich sind, als handlungsleitende und konstitutive Regeln zu bestimmen. Dies werde ich später dahingehend präzisieren, dass sich die Bedeutung eines Ausdrucks durch den inferentiellen Ort der Äußerung, in der er Verwendung findet, bestimmt. 90 Insofern müssen bedeutungsbestimmende Regeln letztlich als Inferenzregeln verstanden werden. Eine Regel legt demnach fest, was eine gültige und zulässige Inferenz ist. 3.4 Regeln und Normen Wir kennen Regeln und Normen der unterschiedlichsten Art. Es gibt Spielregeln, gesetzliche Regeln, Verkehrsregeln, Regeln des Anstands etc. Regeln kommen typischerweise dann ins Spiel, wenn wir Akte oder Performanzen beschreiben und beurteilen. Von Normen ist dagegen häufig im Zusammenhang mit Standards oder Klassifizierungen die Rede. So gibt es beispielsweise Qualitätsnormen für Lebensmittel, Abgasnormen für Kraftfahrzeuge oder DIN-Normen für diverse Baustoffe, elektrische Geräte oder die Größe von Papierbögen. Normen kommen also vermehrt dann zum Einsatz, wenn es darum geht, Dinge zu sortieren und in bestimmte Klassen einzuteilen. Eine strikte Unterscheidung von Regeln und Normen ist jedoch nicht sinnvoll. Denn ein bestimmtes Verhalten kann ebenso gut von der gängigen Norm abweichen, wie es eine Regel verletzen kann. 89 90

Vgl. Wittgenstein (1984d), § 29. Vgl. Kap. 5.

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Durch Normen kann ebenso gut geregelt werden, wie durch Regeln normiert werden kann. Die beiden Ausdrücke lassen sich also grundsätzlich synonym behandeln. Wie die Beispiele zeigen, lassen sich Normen oder Regeln einerseits auf Gegenstände und andererseits auf Handlungen beziehen.91 Eine erste allgemeine Unterscheidung ist also die zwischen Gegenstandsnormen und Handlungsnormen. Mit Hilfe von Gegenstandsnormen lässt sich beispielsweise feststellen, was in Bezug auf bestimmte Dinge oder Fälle normal ist. So ist es die Regel, dass es in den Alpen im Winter schneit, dass Jungen stärker sind als Mädchen oder dass Frauen älter werden als Männer. Andererseits legen Gegenstandsnormen Standards fest, die bestimmte Dinge erfüllen müssen. So dürfen Eier der Güteklasse A ein bestimmtes Alter nicht überschreiten, Papierbögen vom Format DIN A4 müssen eine bestimmte Größe haben, und Fahrzeuge, die die Euro-5-Norm erfüllen sollen, müssen einen bestimmten Grenzwert für Schadstoffe unterschreiten. Schließlich dienen Gegenstandsnormen noch dazu, ideale Eigenschaften für bestimmte Dinge festzulegen. Sie bestimmen, was der Idealfall ist. So legen sie beispielsweise fest, was ein idealer Ehemann, ein gelungener Urlaub oder der ideale Staat ist. Durch Gegenstandsnormen lassen sich aber auch Handlungen klassifizieren. Dadurch werden diese als in Übereinstimmung mit bestimmten Normen oder Regeln beschreibbar.92 So können wir beispielsweise festlegen, was ein idealer Startsprung beim Schwimmen ist. Oder wir können feststellen, dass die Startsprünge männlicher Schwimmer normalerweise weiter sind als die weiblicher. Hier deutet sich aber bereits an, was ich später als das moderne Problem des Regelfolgens erörtern werde.93 Denn durch bloßes Übereinstimmen mit Regeln qualifizieren sich Handlungen noch nicht als tatsächlich regelgeleitet oder normativ. Grundsätzlich lassen sich für jede gegebene Reihe von Beispielen im Nachhinein immer irgendwelche Regelmäßigkeiten finden, die aber keine Auskunft darüber geben, wie in Zukunft gehandelt werden soll.

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Vgl. auch für das Folgende Schnädelbach (1992), 83 ff. Vgl. Wittgenstein (1984d), § 224 u. Wittgenstein (1984a), 344. 93 Vgl. Kap. 3.6. 92

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Im Unterschied zu Gegenstandsnormen dienen Handlungsnormen im engeren Sinne dazu, das Handeln zu leiten. Sie sagen uns, was wir tun oder unterlassen sollen. Handlungsnormen haben also präskriptiven Charakter.94 Sie kennzeichnen bestimmte Handlungen als geboten, verboten oder erlaubt und ermöglichen damit eine Unterscheidung in korrekt und inkorrekt. Entscheidend ist dabei allerdings, dass inkorrektes Vorgehen grundsätzlich auch möglich ist. Ein Ge- oder Verbot ist sinnlos, wenn ihm nicht auch zuwidergehandelt werden kann. Denn grundsätzlich schließt der Begriff der Handlung das Anderskönnen und die Möglichkeit des Unterlassens sowie des Scheiterns mit ein.95 Das bringt bereits der römische Rechtsgrundsatz „ultra posse nemo obligatur“ zum Ausdruck, der sich durch die Formel „Sollen impliziert Können“ übersetzen lässt. Verletzbarkeit ist also eine notwendige Bedingung für Präskriptionen. Wie bezieht sich all dies nun auf Sprache? Zunächst einmal ist Sprache hier als eine Art Praxis von Interesse. Insofern der Sprachgebrauch eine Form des Handelns ist, kommen also Gegenstandsnormen nicht in Frage. Um die Klassifikation oder Standardisierung von Sprache geht es bestenfalls in dem Sinne, als sich sprachliche Handlungen in korrekt oder inkorrekt gemäß einer Norm sortieren lassen. Dies hat aber immer zum Ziel, korrekte Handlungen zu erlauben oder zu gebieten und inkorrekte zu verbieten. Bei Regeln, die den Sprachgebrauch betreffen, handelt es sich also grundsätzlich um Handlungsnormen. Sprachliche Regeln sind dafür verantwortlich, dass ein Ausdruck wie „Apfel“, wenn wir ihn richtig verwenden, auch Apfel bedeutet. Von daher kann man sie auch als semantische Regeln bezeichnen. Wie ich noch genauer darlegen werde, beziehen diese sich jedoch weniger auf einzelne Ausdrücke, als auf vollständige Sätze. 96 Denn mit der Gebrauchstheorie der Bedeutung geht die Idee vom Primat des Propositionalen einher. Danach ist die kleinste, sinnvolle sprachliche Einheit der vollständige Satz. Ausdrücke haben also nur im Satzzusammenhang eine Bedeutung. So gesehen besteht zwischen semantischen Regeln auf der einen Seite und 94

Vgl. von Wright (1963), 7 f. Vgl. Janich (1992), 15, Keil (2000), 139 u. Keil (2007), 10. P. Janich charakterisiert Handlungen dadurch, dass man zu ihnen auffordern kann, dass sie unterlassen werden können und dass sie ge- und misslingen können. 96 Vgl. Kap. 4.3 u. 5.1 ff. 95

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grammatischen oder syntaktischen Regeln auf der anderen kein grundsätzlicher Unterschied.97 Letzteren geht es vordergründig zwar um die Beziehung von Zeichen oder Ausdrücke zueinander sowie um die Wohlgeformtheit von Sätzen. Wenn Bedeutung jedoch nur im Satzzusammenhang möglich ist, dann sind sie dabei ebenso maßgeblich. Der Grundgedanke der Gebrauchstheorie der Bedeutung ist der, dass es für bedeutsame Ausdrücke Bedingungen der korrekten Verwendung gibt. Semantische Regeln sagen uns, was mit einem Ausdruck getan werden soll, damit er eine bestimmte Bedeutung hat. Ihre handlungsleitende Kraft liegt in der Unterscheidung der richtigen Verwendung sprachlicher Ausdrücke von der falschen. So verstanden ist der semantisch richtige Gebrauch zugleich der gebotene und der semantisch falsche der verbotene. Präskriptionen führen einerseits zu genau dieser Dichotomie von richtig und falsch. Andererseits haben sie dadurch die normative Kraft, einem Sprecher zu sagen, was er tun soll. Dies scheint also der gesuchte Typ Regel zu sein, der im Sprachgebrauch für die Bestimmung von Bedeutung sorgt. Gegen diese Auffassung gibt es jedoch einen Einwand.98 Er richtet sich gegen die Annahme, mit Hilfe von präskriptiven Regeln lasse sich tatsächlich der korrekte von dem inkorrekten Gebrauch eines Ausdrucks unterscheiden. Vielmehr führe dieses Verständnis von Regel bezogen auf Bedeutung zur Einebnung der Dichotomie von richtig und falsch. Jeder inkorrekte Gebrauch eines Ausdrucks, so der Einwand, muss nämlich genau genommen entweder als Bedeutungswandel oder als deren Verlust verstanden werden. Das führt letztlich zum Verschwinden von semantischer Inkorrektheit und damit von Bedeutung überhaupt. Soll eine Regel beispielsweise die Bedeutung des Ausdrucks „Apfel“ bestimmen, dann muss sie uns sagen, wie wir ihn verwenden sollen. Das heißt, dass nur eine Verwendung in Übereinstimmung mit der entsprechenden Regel eine bedeutsame Verwendung des Ausdrucks ist. Umgekehrt heißt das aber auch, dass dies für eine inkorrekte Verwendung nicht gilt. Inkorrekt verwendet hat der Ausdruck „Apfel“ keine oder eine andere Bedeutung.

97 98

Vgl. auch Sellars (1953), 335 f. Vgl. Glüer (1999a), 121 ff., Glüer (2000), 458 ff. u. Tietz (2003), 74.

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Nun kann es aber verschiedene Gründe dafür geben, dass jemand einen Ausdruck auf eine inkorrekte Weise verwendet. So kann es sich um einen empirischen Irrtum, eine Lüge oder auch um Ironie handeln. Obwohl jemand also den Ausdruck „Apfel“ durchaus mit der Bedeutung Apfel verwendet, kann es sich dennoch um eine inkorrekte Verwendung handeln. Das Modell, in dem semantische Regeln als Präskriptionen aufgefasst werden, erlaubt allerdings keine zugleich bedeutsame und inkorrekte Verwendung eines Ausdrucks. Inkorrekt heißt immer ohne Bedeutung. So gesehen sind semantische Regeln nicht verletzbar. Verletzbarkeit aber macht den Einsatz von Präskriptionen überhaupt erst sinnvoll. Es scheint also nicht angemessen, semantische Regeln als Präskriptionen aufzufassen. Es gibt zwei Möglichkeiten, diesem Einwand auszuweichen. Beide laufen letztlich darauf hinaus, bedeutungsbestimmende Regeln nicht als Präskriptionen aufzufassen. Zunächst kann man sich darauf konzentrieren, die Dichotomie von semantisch korrekt und inkorrekt wiederherzustellen. Dazu ist es hilfreich, eine Präzisierung dessen vorzunehmen, was dabei eigentlich unterschieden wird. Genau genommen kommen in dem erwähnten Beispiel nämlich verschiedene Formen von Korrektheit vor. 99 Einerseits ist davon die Rede, dass der Ausdruck „Apfel“ insofern korrekt oder inkorrekt gebraucht wird, als er Apfel bedeutet oder nicht. Ein inkorrekter Gebrauch ist in diesem Fall ein semantischer oder auch linguistischer Fehler. So ist der Gebrauch von „Apfel“ in einem Satz wie „Ein Apfel ist häufig lustlos und niedergeschlagen.“ semantisch falsch. Andererseits wird die Möglichkeit eingefordert, sich beim Gebrauch dieses Ausdrucks bewusst oder unbewusst zu irren. In diesem Fall ist die Verwendung des Ausdrucks „Apfel“ inkorrekt im Sinne von unwahr. Dies ist ein empirischer Irrtum. Der Satz „Alle Äpfel sind rot.“ beispielsweise ist offensichtlich empirisch nicht korrekt. Semantische und empirische Korrektheit sollten daher klar voneinander unterschieden werden. Wittgenstein ist hier sehr präzise. Hinsichtlich der Verwendung sprachlicher Ausdrücke unterscheidet er nicht einfach zwischen richtig und falsch. Grundlegender als die Unterscheidung zwischen Wahrheit und

99

Vgl. auch Glock (2000), 438 ff.

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Falschheit ist für ihn die zwischen Sinn und Unsinn.100 Weil hier aber durchaus ein Zusammenhang besteht, kann es zu der Einschätzung kommen, bei der Gebrauchstheorie gehe letztlich die Möglichkeit semantischer Inkorrektheit verloren. Werden die beiden Beurteilungsebenen jedoch unterschieden, dann ist empirische Inkorrektheit nicht automatisch gleichbedeutend mit Bedeutungsverlust. Ein Sprecher kann sich sehr wohl mit semantischen Regeln in Einklang befinden, ohne dabei jedoch etwas Wahres zu sagen. Oder wie Wilfrid Sellars es ausdrückt: „[O]rdinary empirical statements can be correctly made without being true.“101 Der Gebrauch eines Ausdrucks ist sinnvoll, wenn er semantischen Regeln folgt. Sinnvoll und zugleich wahr ist er aber erst, wenn der Sprecher weder irrt, lügt noch ironisiert. Empirische Irrtümer, Lügen oder Ironie können grammatisch und semantisch korrekt sein. Die Frage nach Wahrheit oder Falschheit kann sich aber erst stellen, wenn die fraglichen Äußerungen den sprachlichen Regeln genügen, das heißt, wenn sie sinnvoll sind. Das führt zu der zweiten Möglichkeit, dem Einwand zu begegnen. Sie besteht darin, ihn zwar zu akzeptieren, aber als verfehlt auszuweisen. Das ist im Grunde auch das, was die Präzisierung von semantischer Korrektheit bedeutet. Von den zwei verschiedenen Arten von Korrektheit im Sprachgebrauch können wir auf zwei verschiedene Arten von Regeln schließen. Mit Hilfe von Präskriptionen lässt sich die Bedeutung sprachlicher Äußerungen nicht bestimmen. Sie sind nicht in einem semantisch relevanten Sinne verletzbar. Daher können sie zwar der Überprüfung von empirischer, nicht aber von semantischer Korrektheit dienen. Mittels Präskriptionen lassen sich wahre von falschen Äußerungen nur dann unterscheiden, wenn diese sinnvoll beziehungsweise bedeutsam sind. Es muss also einen Typ Regel geben, der unabhängig von empirischer über semantische Korrektheit befinden. Dafür bieten sich „konstitutive Regeln“ an.102 Konstitutive Regeln sind, wie Präskriptionen auch, Handlungsnormen. Ihr spezifisches Verhältnis zu Handlungen ist aber ein anderes. Sie sind 100

Vgl. Wittgenstein (1984c), 126 f. u. Wittgenstein (1984d), 49, 511. Vgl. ebenso Ryle (1937/38), 194 u. 200 f. Ryle spricht von „sinnvollen“ und „absurden“ Sätzen. 101 Sellars (1963a), 166. 102 Vgl. Searle (1969), 33 ff. u. Searle (1995), 27 f.

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Spielregeln weitaus ähnlicher als strikten Ge- oder Verboten. Sie schreiben nicht vor, was man tun soll. Das heißt, sie fordern keine bestimmten Handlungen. Vielmehr sagen sie, was es heißt, Handlungen einer bestimmten Art auszuführen. So legen sie beispielsweise fest, wie ein bestimmtes Spiel zu spielen oder darin einen Zug zu machen ist. In diesem Sinne sind sie für das jeweilige Spiel konstitutiv. Ohne Spielregeln würden die jeweiligen Handlungen nicht als Spielzüge gelten. Ohne die Regeln des Schachs etwa könnte das Umherschieben von Figuren auf einem Feld mit 32 dunkeln und 32 hellen Feldern nicht als Schachspielen bezeichnet werden. Und ohne die Rochaderegel könnte ein bestimmter Zug im Schach nicht als Rochade identifiziert werden. Man kann also sagen, dass eine Handlung, die unter eine konstitutive Regel fällt, generell dadurch bestimmt ist, dass sie von dieser Regel logisch abhängig ist.103 Das ist bei Präskriptionen anders. Sie haben keinen Einfluss auf die Identität bestimmter Handlungen. Die Regel etwa, dass man in Deutschland mit dem Auto auf der rechten Straßenseite fahren soll, ist nicht konstitutiv für die Handlung des Autofahrens als solcher.104 Ein solches konstitutives Verständnis von Regeln verbirgt sich auch hinter Wittgensteins Unterscheidung von Sinn und Unsinn sowie dem Begriff des „Sprachspiels“.105 Demnach sind sprachliche Handlungen vergleichbar mit den Zügen in einem Spiel. Und wie für jedes Spiel sind auch für Sprachspiele Regeln konstitutiv. Fehler oder Inkorrektheiten haben somit andere Konsequenzen als Verstöße gegen Präskriptionen. Wer gegen die Spielregeln verstößt, beendet im Grunde das Spiel, oder zumindest spielt er etwas anderes.106 Bezogen auf den Sprachgebrauch bedeutet die Missachtung von Regeln das Ende des sinnvollen Sprechens. Wer etwa behauptet: „Samstag liegt im Bett.“, sagt nicht etwas (empirisch) 103

Vgl. Searle (1969), 34. Zu diesem Beispiel vgl. Searle (1995), 27. J. Searle unterscheidet „konstitutive“ von „regulativen Regeln“. Handlungen, die unter regulative Regeln fallen, sind von diesen logisch unabhängig. Typischerweise haben regulative Regeln die Form von Imperativen. Vgl. Searle (1969), 34. Ich verzichte hier auf eine eigene Diskussion möglicher Unterschiede zwischen Präskriptionen und regulative Regeln. 105 Vgl. Wittgenstein (1984d), §§ 7 u. 23, Wittgenstein (1984a), 88 f. u. Wittgenstein (1984c), 184. 106 Vgl. Wittgenstein (1984c), 184 f. 104

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Falsches.107 Seine Äußerung ist vielmehr absurd und unsinnig. Sie werden von einer Gemeinschaft überhaupt nicht mehr als Bestandteil ihrer Sprache angesehen. In einer Sprache, in der der Satz „Samstag liegt im Bett.“ zulässig ist, bedeutet entweder „Samstag“ oder „Bett“ etwas anderes als im Deutschen. Wer Unsinn redet, befindet sich somit außerhalb der Sprache, die er zu sprechen meint. So gesehen sind semantische Inkorrektheiten tatsächlich eher unsinnig als falsch. In gewisser Hinsicht ist hier die Rede von Bedeutungsverlust legitim. Denn streng genommen entscheiden konstitutive Regeln nicht darüber, ob etwas die richtige oder falsche Bedeutung hat, sondern darüber ob etwas überhaupt Bedeutung hat oder nicht. Es scheint also, als wäre der semantisch richtige Gebrauch zwar durchaus der gebotene, der semantisch falsche aber nicht der verbotene. Daraus lassen sich Bedenken ableiten, was die Normativität konstitutiver Regeln generell und semantischer Regeln insbesondere anbelangt.108 In zweierlei Hinsicht scheinen sie überhaupt nicht handlungsleitend sein zu können. Denn zunächst einmal sind sie typischerweise rein deskriptiver Natur. Paradigmatische Fälle konstitutiver Regeln sind Spielregeln. Diese haben zumeist die Form von Beschreibungen oder Definitionen. So lautet beispielsweise die Rochaderegel im Schach: Die ‚Rochade’ ist ein Zug des Königs und eines gleichfarbigen Turmes auf der gleichen Reihe. (…) Der König wird von seinem Ursprungsfeld um zwei Felder in Richtung des Turmes hin versetzt, dann wird dieser Turm auf das Feld gesetzt, das der König soeben überquert hat.109

Man kann daher fragen, wie uns Regeln, die in typischen Fällen deskriptiv statt präskriptiv sind, überhaupt sagen können, wie wir handeln sollen? Andererseits kommen die jeweiligen Handlungsweisen (Spielzüge) durch konstitutive Regeln überhaupt erst in die Welt. Wie können sie dann aber

107

Dieses Beispiel verdanke ich Ryle. Vgl. Ryle (1937/38), 194 u. 201. Vgl. z. B. Searle (1969), 34, Glüer (1999b), 193 ff., Glüer (2000), 463 ff. o. Tietz (2003), 85 ff. Für eine ausführliche Diskussion der Normativität von Inferenzregeln vgl. Kap. 5.8 ff. 109 FIDE-Schachregeln (2005), § 3.8. 108

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richtig und vor allem falsch sein? Ist es nicht paradox, dass etwas inkorrekt oder verboten sein soll, was es eigentlich gar nicht gibt? Ich halte diese Bedenken für unbegründet. Dass konstitutive Regeln zumeist die Form von Beschreibungen oder Definitionen haben, beweist nicht, dass sie keine normative Kraft haben. Schließlich gibt es durchaus einen normativen Gebrauch von Beschreibungen und Definitionen, so wie es auch einen nicht-normativen Gebrauch normativer Ausdrücke gibt. Wäre dies nicht so, dann müsste es einer Vielzahl von Paragraphen der verschiedensten Rechtsordnungen ebenfalls an Normativität fehlen. Diese dienen jedoch sehr wohl dazu, Handlungen zu ge- oder verbieten. So lautet beispielsweise Paragraph 108 Absatz 1 des BGB: Schließt der Minderjährige einen Vertrag ohne die erforderliche Einwilligung des gesetzlichen Vertreters, so hängt die Wirksamkeit des Vertrags von der Genehmigung des Vertreters ab.110

Das heiß, ein Minderjähriger soll ohne Einwilligung des gesetzlichen Vertreters keine Verträge abschließen. In Analogie dazu lässt sich der folgende deskriptive Satz verstehen: „‚Samstag liegt im Bett.’ ist kein gültiger Satz der deutschen Sprache.“ Er drückt das Gebot aus, den Satz „Samstag liegt im Bett.“ nicht zu äußern, wenn damit ein gültiger Satz der deutschen Sprache zum Ausdruck kommen soll. Verstöße gegen konstitutive oder semantische Regeln sind etwas anderes als Verstöße gegen Präskriptionen. Daher dürfen die entsprechenden Inkorrektheiten nicht verwechselt werden. Daraus aber abzuleiten, erstere seien nicht normativ, setzt voraus, dass es Normativität nur in Form von Präskriptionen geben kann. Das ist aber keineswegs der Fall. Präskriptionen mögen der „Prototyp des Normativen schlechthin“ sein.111 Sie sind aber sicher nicht die einzig mögliche Form genuin normativer Regeln. Konstitutive Regeln sind in dieser Hinsicht durchaus vergleichbar. Das zeigt sich unter anderem daran, dass gegen sie natürlich auch verstoßen werden kann. Wer einen Turm diagonal über das Schachbrett bewegt oder wer sich mit dem Fußball jenseits der Seitenauslinie begibt, begeht einen Regelverstoß. Sein Handeln ist inkorrekt und wird 110 111

Köhler (2001), 22. Vgl. Glüer (2000), 457.

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sanktioniert. Wenn auch die entsprechenden Regeln einerseits dazu beitragen, dass es Schach oder Fußball überhaupt erst gibt, so ermöglichen sie andererseits dennoch die Unterscheidung von korrekt und inkorrekt im jeweiligen Spiel. Gleiches gilt für semantische Regeln. Auch sie ermöglichen eine Unterscheidung von korrekt und inkorrekt, was der Unterscheidung einer sinnvollen von einer unsinnigen Verwendung eines Ausdrucks gleichkommt. Semantische Regeln unterscheiden sprachliche Handlungen, bei denen ein Ausdruck richtig, nämlich mit einer bestimmten Bedeutung verwendet wird, von solchen, die andere Handlungen sind. Handlungen, in denen der Ausdruck mit dieser Bedeutung verwendet wird, sind Äußerungen sinnvoller Sätze. Es sind korrekte sprachliche Handlungen. Der Versuch jedoch, den Ausdruck mit ebendieser Bedeutung unter Missachtung der entsprechenden Regeln zu verwenden, führt zu einem unsinnigen Satz. Was dabei herauskommt, ist eine inkorrekte sprachliche Handlung. Konstitutive Regeln haben handlungsleitende Kraft, wenn auch in einem anderen Sinn als Präskriptionen. Weder sind sie bloße Beschreibungen von Handlungen, noch schreiben sie konkrete, einzelne Handlungen vor. Treffender ist, dass sie Handlungen determinieren.112 Sie sagen nicht einfach, wie eine Handlung eines bestimmten Typs ausgeführt wird. Sie ordnen an, wie diese Handlung richtig ausgeführt wird. Und sie tun dies, anders als Regelmäßigkeiten, nicht mit Blick auf eine vorliegende Reihe von Beispielen. Konstitutive Regeln sagen uns, was wir in Zukunft tun müssen, um eine Handlung eines bestimmten Typs richtig auszuführen.113 Die Schachgebotsregel etwa gibt an, wie man im Schach den gegnerischen König korrekterweise angreift. Und die Rochaderegel legt fest, wie eine Rochade richtig durchgeführt wird. Wer also versucht, sich durch eine Rochade einem Schachgebot zu entziehen, handelt inkorrekt, da er gegen die Rochaderegel verstößt.114 Dies gilt sowohl für 112

Vgl. von Wright 1963, 6. Eine eingehende Diskussion dieses Punktes erfolgt in Kap. 3.6. 114 Vgl. FIDE-Schachregeln (2005), § 3.8 2a: „Die Rochade ist vorübergehend verhindert, wenn das Standfeld des Königs oder das Feld das er überqueren muss, oder sein Zielfeld von einer oder mehreren gegnerischen Figuren angegriffen wird (…).“ 113

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das gegenwärtige als auch für jedes weitere Spiel, das künftig gespielt werden wird. Entsprechend sind auch die Auskünfte, die konstitutive Regeln über Bedeutungen geben, normativer Natur. Bedeutungsbestimmende Regeln sind zunächst einmal normativ in dem einfachen Sinne, dass sie normieren, was im Deutschen beispielsweise als „Apfel“, als „Samstag“ oder als „Bett“ gilt.115 Sie legen fest, wie diese Ausdrücke verwendet werden müssen, um korrekterweise die entsprechende Bedeutung zu haben. Das betrifft zum einen die innere Struktur der Sätze, in denen sie vorkommen, sowie ihre Beziehung zu anderen Ausdrücken. Während beispielsweise der Ausdruck „Apfel“ in dem Satz „Dieser Apfel stammt aus Opas Garten.“ korrekt verwendet wird, ist die Verwendung von „Samstag“ in „Samstag liegt im Bett.“ inkorrekt. Denn im zweiten Fall wird ein Gattungsname unerlaubterweise als ein Eigenname verwendet. Werden die grammatischen Regeln nicht eingehalten, so ergeben sich unsinnige Sätze ohne korrekte Bedeutung. Zwischen grammatischen und semantischen Regeln verläuft also keine scharfe Grenze. Beide sind konstitutiv für Bedeutung. Dass ein Ausdruck die korrekte Bedeutung hat, liegt zum anderen an der Relation der Sätze zueinander. Auch in dieser Hinsicht ist der Sprachgebrauch bedeutungsbestimmenden Regeln unterworfen. Die Verwendung von „Samstag“ in einem Satz wie „Samstag liegt im Bett.“ ist auch deshalb inkorrekt, weil dies einfach kein gültiger Zug im Sprachspiel ist. Mit ihm lässt sich buchstäblich nichts anfangen. Wenn der Sprachgebrauch in seiner grundlegendsten Form eine Aneinanderreihung von Schlussfolgerungen ist, dann hat dieser Satz schlichtweg keine Konsequenz. 116 Ausdrücke wie „Apfel“ oder „Samstag“ finden in Aussagen Verwendung, die prinzipiell immer in Folgerungsbeziehungen zu anderen Aussagen stehen. Sie sind immer Voraussetzungen und Folgen weiterer Aussagen. Insofern ist ein Zug im Sprachspiel immer ein Schluss von einer Aussage auf eine andere. Aus den Möglichkeiten, die sich dabei ergeben, bestimmt sich ihre Bedeutung. Anders gesagt heißt, die Bedeutung eines Ausdrucks zu kennen, die inferentiellen Beziehungen der Aussagen zu beherrschen, in denen er vorkommt. Insofern ist es treffender, 115 116

Vgl. Glock (2000), 445. Für diese Auffassung argumentiere ich ausführlich in Kap. 5.

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semantische Regeln als Inferenz- oder Schlussregeln zu verstehen. Sie sind konstitutive Regeln, insofern inferentielle Beziehungen konstitutiv sind für den bedeutsamen Sprachgebrauch. Und sie sind zugleich normative Regeln, insofern sich mit ihrer Hilfe festlegen und überprüfen lässt, was eine gültige Schlussfolgerung ist und was nicht. Dies ist das Verständnis von Regel, das den folgenden Überlegungen zugrunde liegt. Sprache ist ein System von Ausdrücken, deren Gebrauch Regeln unterworfen ist. Der Sprachgebrauch ist eine regelgeleitete Praxis, deren korrektes Beherrschen ein Können voraussetzt. Darin kommen aber nicht Präskriptionen, sondern konstitutive Regeln zum Einsatz. Sprachliche Regeln konstituieren den korrekten Sprachgebrauch und bestimmen so die Bedeutung der verwendeten Ausdrücke. Dabei kommt es grundsätzlich auf die innere Struktur eines Satzes, vor allem aber auf den inferentiellen Zusammenhang der Sätze untereinander an. Inferenzregeln legen fest, welches die Umstände und Folgen einer Äußerung sind. Daraus ergibt sich die Bedeutung der Ausdrücke, die darin Verwendung finden. In den folgenden Abschnitten werde ich nun auf die angekündigten Problemkomplexe zurückkommen, die mit dem Begriff des Regelfolgens zusammenhängen. Es gilt, für sie eine befriedigende Lösung zu finden, soll Sprache als eine regelgeleitete Praxis verstanden werden. Davon hängt ab, ob und inwiefern Regeln bedeutungsbestimmend sind. 3.5 Das klassische Problem des Regelfolgens – Regelregress Gemäß der Gebrauchstheorie der Bedeutung gibt eine Regel an, wann ein Ausdruck das bedeutet, was er nun einmal bedeutet. Wenn wir beispielsweise den Ausdruck „Apfel“ in einer Aussage wie „Dies ist ein Apfel.“ verwenden, dann folgen wir einer Regel, die uns sagt, auf welche Dinge dies zutrifft und auf welche nicht. Die Regel sagt uns, wann es korrekt oder inkorrekt ist, diesen Satz zu behaupten. Man kann nun fragen, wie sie das eigentlich macht. Und eine Antwort könnte lauten, dass es eine weitere Regel gibt, die uns das sagt. Man könnte behaupten, dass die folgende Anweisung diese Aufgabe übernimmt: „Sage nur dann von einem

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Ding X ‚Dies ist ein Apfel’, wenn X rund und rot ist.“117 Damit wird das Problem aber nicht gelöst. Für die Ausdrücke „rund“ und „rot“ stellt sich nämlich die gleiche Frage, die sich bereits für den Ausdruck „Apfel“ gestellt hat: Welche Regel bestimmt den korrekten Gebrauch dieser Ausdrücke? Wieder könnte man eine Regel derselben Form formulieren: „Sage nur dann von einem Ding X, ‚Dies ist rund’, wenn X sich rollen lässt.“ Diese Antwort steuert geradewegs auf das klassische Problem des Regelfolgens zu. Denn statt zu einem befriedigenden Ergebnis führt sie zu einem Regress von Regeln. Der Locus classicus in Wittgensteins Diskussion dieses Problems ist der Paragraph 201 der Philosophischen Untersuchungen. Dort unterscheidet er zwischen dem Befolgen einer Regel und deren „Deutung“ oder „Interpretation“. Wer für die Anwendung einer Regel eine (weitere) Regel erstellt, verfasst eine Deutung. Er erstellt einen Regelausdruck oder eine Regelformulierung. Wer eine Regel befolgt, tut dies nicht notwendigerweise. Er bringt eine Regel zur Anwendung unabhängig davon, ob dafür eine Formulierung vorliegt oder nicht. Das eine sollte nun nicht leichtfertig mit dem anderen gleichgesetzt werden. Wittgenstein verweist auf die Notwendigkeit, zwischen Regeln und Regelformulierungen zu unterschieden. Dass dies sinnvoll ist, kann man schon allein daran sehen, dass dieselbe Regel auf unterschiedlichste Weise und sogar in verschiedenen Sprachen formuliert werden kann. 118 So besagen folgende Regeln alle dasselbe: (5) Royal Flush ist die höchste Hand im Poker. (6) Keine Hand im Poker ist höher als Royal Flush. (7) Royal Flush is the highest ranking poker hand.

Es wäre unsinnig zu sagen, bei (5) und (6) handle es sich um deutsche Pokerregeln, bei (7) dagegen um eine englische. Genauso falsch wäre es zu

117

Dieses Beispiel ist an Wittgensteins Beispiel zu Beginn der Philosophischen Untersuchungen angelehnt. Vgl. Wittgenstein (1984d), § 1. Vgl. auch Esfeld (2002), 97. 118 Vgl. Baker/Hacker (1985), 41 f.

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behaupten, die Regel bestehe aus acht Wörtern, obwohl das zweifellos für (5) und (7) zutrifft.119 Wittgenstein warnt vor der intellektualistischen Neigung, das Befolgen von Regeln grundsätzlich als ein „Deuten“ aufzufassen. Für den Intellektualisten ist der Ausdruck oder die Formulierung einer Regel quasi eine notwendige Voraussetzung für deren Befolgung. Wittgenstein dagegen rät zur Vorsicht: „‚Deuten’ aber sollte man nur nennen: einen Ausdruck der Regel durch einen anderen ersetzen.“120 Das heißt, die Formulierung einer Regel ist weder hinreichend noch notwendig für deren Befolgen. Das Regressargument macht deutlich: Wenn wir erst einmal damit anfangen, kommen wir aus dem Deuten überhaupt nicht mehr heraus. Wir setzen nur noch „Deutung hinter Deutung“.121 Auf den Gebrauch von Sprache bezogen heißt das, dass die Bedeutungen unserer Wörter in weite Ferne rücken. Der Versuch, das Zustandekommen von Bedeutung und Verstehen auf diese Weise zu erklären, ist daher zum Scheitern verurteilt.122 Zwischen einer Regel und ihrer Anwendung ist kein Platz für Interpretationen oder Deutungen. Sie können das Befolgen von Regeln nicht bestimmen, wenn darunter verstanden wird, die fragliche Regel durch andere Regeln zu erklären oder zu begründen. Daher ist es ist auch nicht angebracht, nach Gründen für die Art und Weise zu fordern, wie man beispielsweise den Ausdruck „Apfel“ richtig verwendet. Denn es käme der Bitte gleich, eine Interpretation der fraglichen Regel in Form einer expliziten Regelformulierung zu geben. Und das wiederum würde nur zu einer weiteren Regel führen und so immer weiter. Mit Blick auf Bedeutung heißt das, dass semantische Regeln nicht metasprachlich formuliert werden müssen, indem explizit beschrieben wird, wie ein sprachlicher Ausdruck 119

Man kann durchaus die Auffassung vertreten, Regeln seien abstrakte Entitäten, die in Regelformulierungen zum Ausdruck kommen. Zumindest grammatisch gesehen ist dies ebenso korrekt, wie wenn man sagt, eine Zahl werde durch eine Ziffer angezeigt. Das Regelregressargument zeigt, dass Regelformulierungen logisch gesehen nicht vor der Praxis des Regelfolgens liegen können. Es zeigt nicht, dass Regelformulierungen grundsätzlich unmöglich sind. 120 Wittgenstein (1984d), § 201. 121 Vgl. ebd. aber auch schon § 84. 122 Vgl. ebd., § 198.

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zu verwenden ist. Man kann einen Ausdruck wie „Apfel“ durchaus mit der richtigen Bedeutung, aber ohne eine explizite Begründung verwenden.123 Das klassische Problem des Regelfolgens macht darauf aufmerksam, dass die Regeln, die das Handeln im Allgemeinen und den Sprachgebrauch im Besonderen leiten, nicht aus expliziten Regelformulierungen bestehen können. Warum die Anwendung einer Regel korrekt ist, kann nicht dadurch erklärt werden, dass erneut eine Regel angeführt wird. Vielmehr ist sie auf eine Korrektheit angewiesen, die aus dem Befolgen von Regeln selbst resultiert. Um auf das Regelregressargument zu reagieren, muss daher eine andere Erklärung gefunden werden. Es muss eine Form des korrekten Regelfolgens geben, die in der Praxis liegt. Entsprechend stellt Wittgenstein fest, „daß es eine Auffassung einer Regel gibt, die nicht eine Deutung ist.“124 Das Regelregressargument führt zu der Einsicht, dass es nicht auf der einen Seite den Gebrauch eines Ausdrucks gibt und auf der anderen zusätzlich eine Regel, wie wir den Ausdruck verwenden sollten. Vielmehr kann es nur den Gebrauch geben, in dem es auf eine grundlegende Art und Weise zum Befolgen von Regeln kommt. 3.6 Das moderne Problem des Regelfolgens – Semantischer Konventionalismus Eine Alternative zum Intellektualismus besteht in der Annahme, dass Regeln implizit in der Praxis enthalten sind. Dies entspricht der Auffassung, dass sich die Korrektheitsbedingungen für die Bedeutungen unserer Wörter im Sprachgebrauch selbst finden. Aber auch dieser Ansatz ist nicht ohne Probleme. Insbesondere das moderne Problem des Regelfolgens steht ihm im Weg. Hierbei handelt es sich um eine Ergänzung und Radikalisierung des klassischen Problems. Wittgenstein formuliert die provokante These, dass die Ausdrücke, die wir regelkonform verwenden, überhaupt keine bestimmte Bedeutung haben, weil diese letztlich unbestimmbar und vollkommen beliebig ist. 125 Gemäß einer Lesart, die auf Saul Kripke zurückgeht, vertritt er damit eine neue Form des Skeptizismus, 123

Vgl. ebd., §§ 211 f., 289 u. Wittgenstein (1984a), VII § 40. Wittgenstein (1984d), § 201. 125 Vgl. ebd. 124

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die man auch als „Bedeutungsskeptizismus“ bezeichnen kann.126 Unabhängig von der Frage nach der exegetischen Korrektheit ist diese Interpretation für die Veranschaulichung und die systematische Darstellung des Problems außerordentlich hilfreich. Wenn wir ein Wort neu lernen, werden wir entweder in seine Verwendungsweisen eingewiesen oder wir beobachten, wie andere es verwenden. Gehen wir einmal davon aus, dass dies ohne größere Schwierigkeiten möglich ist. Prinzipiell gibt es dann keine zwingende Notwendigkeit dafür, welchem Ausdruck welche Bedeutung zukommt. Ebenso wenig muss dies ein für alle Mal feststehen.127 Wollen wir beispielsweise im Deutschen „das Gegenteil von fest“ zum Ausdruck bringen, so können wir dazu das Wort „lose“ verwenden. Wir können aber auch „locker“ sagen. Verwenden wir den Ausdruck „locker“ dagegen im Englischen, dann bedeutet er soviel wie „Garderobenschrank“, also etwas völlig anderes. Bedeutung kommt somit nicht aus unseren Wörtern selbst oder von irgendeiner unabhängigen Macht.128 Es ist etwas, das wir den Wörtern geben. Wir bringen uns gegenseitig bei oder beobachten, wie und wann man ein Wort üblicherweise verwendet. Wenn wir die Bedeutung eines Ausdrucks lernen, machen wir uns mit der Gewohnheit seines Gebrauchs vertraut. Bedeutung ist eine Sache von Konventionen. Dies könnte es sein, was mit Regelfolgen gemeint ist. Dafür spricht, dass sich Regeln und Gewohnheiten zwei wichtige allgemeine Merkmale teilen. So sind Regeln einmal Kriterien zur Charakterisierung und Kategorisierung von Handlungen. Mit ihrer Hilfe lässt sich unterscheiden, ob bestimmte Performanzen mit ihnen in Übereinstimmung stehen oder nicht. Das Verschieben einer Figur auf einem Schachbrett beispielsweise lässt sich dahingehend beurteilen, ob es mit den Regeln des Schachs übereinstimmt oder nicht. Zudem sind Regeln etwas Allgemeines, das sich in einer Reihe sich wiederholender Vollzüge manifestieren kann. Eine Figur im Schachspiel etwa, für die einmal die Regel aufgestellt wurde, dass 126

Vgl. Kripke (1982). Gelegentlich wird auch Quines These von der Unbestimmbarkeit von Übersetzung und Referenz als eine solche Form des Skeptizismus bezeichnet. Vgl. Quine (1960), insbes. Kap. 2 u. Quine (1969), insbes. Kap. 2. Diese ist hier nicht gemeint. 127 Vgl. Glock (2000), 433 f. 128 Vgl. Wittgenstein (1984b), 51 f.

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sie nur diagonal über das Brett gezogen werden darf, muss immer wieder auf diese Weise bewegt werden. Jedes Mal, wenn dies geschieht, manifestiert sich die Regel aufs Neue. Umgekehrt heißt das natürlich, dass man einer Regel nicht nur ein einziges Mal folgen kann.129 Diese beiden Merkmale treffen nun in gleichem Maße für Gewohnheiten zu. So kann man ein bestimmtes Verhalten auch dahingehend beurteilen, ob es mit einer bestimmten Gewohnheit übereinstimmt oder nicht. Trinkt jemand beispielsweise zum Frühstück eine Tasse Tee, obwohl er sonst eine Tasse Kaffee trinkt, so steht sein Handeln nicht in Übereinstimmung mit seiner Gewohnheit. Ebenso angemessen ist die Festlegung, dass sich eine Gewohnheit in wiederholten Vollzügen manifestiert.130 Trinkt jemand beispielsweise zum wiederholten Male einen Kaffee zum Frühstück, so manifestiert sich dadurch eine seiner Gewohnheiten. Es scheint also legitim zu sein, Regeln und Gewohnheiten in dieser Hinsicht in Zusammenhang zu bringen. Regelfolgen kommt in weiten Teilen gewohnheitsmäßigem Handeln gleich.131 Sellars stellt die Möglichkeit eines solchen Zusammenhangs folgendermaßen dar. Erst ersetzt man die Rede vom „Befolgen einer Regel“ durch die vom „Übereinstimmen mit einer Regel“. Ein regelgeleiteter Akt A liegt dann vor, wenn er in Überstimmung mit einer Regel R steht, die seine Ausführung unter den Umständen C verlangt. Dann erklärt man das Handeln in Übereinstimmung mit einer Regel zu einem gewohnheitsmäßigen Ausführen einer Handlung. „A person who has the habit of doing A in C would then be conforming to the above rule (…).“132 Gewohnheitsmäßig ist ein Handeln demnach dann, wenn es in Überstimmung mit Regeln steht. Jemand folgt beispielsweise der Regel „In Deutschland fahren Autos auf der rechten Straßenseite.“ (R), wenn er tatsächlich in Deutschland (C) mit dem Auto auf der rechten Straßenseite fährt (A) und wenn er dies gewohnheitsmäßig tut. Der Vorteil eines solchen Ansatzes liegt auf der Hand. Handeln im Allgemeinen und das Verwenden von Sprache im Besonderen wird zwar als regelgeleitet aufgefasst. Auf Regeln, auf die der Handelnde 129

Vgl. Wittgenstein (1984d), § 199 u. Wittgenstein (1984a), 322 f. Vgl. Ryle (1949), 42. 131 Vgl. Wittgenstein (1984d), § 198 f. u. Wittgenstein (1984a), 322. 132 Sellars (1963b), 322. (Meine Hervorhebungen, A. S.) 130

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ausdrücklich Bezug nimmt und die außerhalb seiner Praxis selbst liegen, wird dabei aber nicht rekurriert. Regeln werden nicht von einem Akteur zu seinen Performanzen hinzugefügt. Sie werden von einem intelligenten Beobachter aus ihnen extrahiert. Ein Beobachter kann zwar konstatieren, ob jemand mit seinem Handeln einer bestimmten Regel folgt. Er kann die Regeln, die in den beobachteten Performanzen implizit enthalten sind, explizit formulieren. In der Praxis desjenigen, der sich regelkonform verhält, kommen aber derartige Regelformulierungen nicht vor. Dadurch wird ein Regress von Regeln vermieden. Wie es scheint, ist dieser Ansatz eine attraktive Alternative zum Intellektualismus. Es greift allerdings zu kurz, wenn man Bedeutung auf diese Weise auf Gewohnheiten zurückführt. Denn genau genommen kommen in gewohnheitsmäßigen Handlungen nicht Regeln, sondern Regelmäßigkeiten vor. Diese können von einem Beobachter so beschrieben werden, als ob es sich um Regeln und bei der fraglichen Handlung damit um echtes Regelfolgen handelt. Dass die beobachtete Person dabei tatsächlich Regeln folgt, ist jedoch nicht ausgemacht. Es ist zweifelsohne richtig, dass Handlungen irgendwelchen Regeln entsprechen, wenn sie regelmäßig auftreten. Die Übereinstimmung, die sich zwischen einer Handlung und einer Regelmäßigkeit ergeben kann, ist aber nicht von derselben Art wie die zwischen einer Handlung und einer Regel im Sinne einer Handlungsnorm. Der entscheidende Unterschied liegt darin, dass Regelmäßigkeiten keine normative Kraft haben. Regelmäßigkeiten geben an, was getan wird, nicht aber, was getan werden soll. Zwei Punkte verdeutlichen diesen Unterschied.133 Zum einen schaffen Regelmäßigkeiten oder Gewohnheiten nicht in gleicher Weise Raum für Fehler, Irrtümer oder anders gearteten Misserfolg, wie es echte Regeln tun. Verhalten, dass von einer Gewohnheit abweicht, identifizieren wir üblicherweise als irregulär, aber nicht automatisch als inkorrekt. Zum anderen stellen Regelmäßigkeiten oder Gewohnheiten keinen Maßstab für neue Formen und Fälle des Handelns dar. Sie richten sich an aktuelle und vergangene Vollzüge, nicht aber an Ereignisse in der Zukunft. Vor allem der zweite Punkt steht im Zentrum des modernen Problems des

133

Vgl. Searle (1969), 42.

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Regelfolgens.134 Daher werde ich mich ihm besonders ausführlich widmen. Doch zunächst zum ersten Punkt. Um auch bei Regelmäßigkeiten Fehler und Misserfolg zu ermöglichen, könnte man die Unterscheidung von korrekt und inkorrekt mit der von regulär und irregulär schlichtweg gleichsetzen. Das ließe sich damit rechtfertigen, dass Handlungsvollzüge in beiden Fällen prinzipiell auf die gleiche Art unterschieden werden. Sowohl bei Regeln als auch bei Regelmäßigkeiten ist eine wichtige Frage, ob sie mit diesen in Übereinstimmung stehen oder nicht. Bei beiden handelt es sich wie gesehen um vergleichbare Maßstäbe oder Kriterien. Das Ergebnis einer solchen Gleichsetzung wäre eine Art praxisimmanente Normativität in Form von Verhaltensmustern. Einen Regelverstoß zu begehen, hieße dann, ein solches Muster zu durchbrechen. Nehmen wir zum Beispiel an, eine Gruppe von Männern rennt über eine Wiese und passt gelegentlich einen Ball von einem zum anderen. Sie hält sich mit dem Ball die meiste Zeit innerhalb eines rechteckigen Feldes auf. Manchmal überquert der Ball aber auch eine der Längsseiten des Feldes. Dann wird das Spiel unterbrochen und durch einen Einwurf fortgesetzt. Wir stellen fest, dass das Überqueren der Längsseite eine Unregelmäßigkeit darstellt, die den korrekten Spielverlauf stört. Auf diese Weise könnte man also die normative Unterscheidung zwischen richtig und falsch mit Hilfe einer deskriptiven Festlegung eines bestimmten Verhaltensmusters rekonstruieren. Gegen diesen Vorschlag spricht allerdings, dass er nicht das wiedergibt, was wir tatsächlich unter Regeln auf der einen Seite und Regelmäßigkeiten beziehungsweise Gewohnheiten auf der anderen verstehen. Denn wenn wir davon reden, dass jemand ein Verhaltensmuster durchbricht, so hat das nicht die normative Bedeutung eines Fehlers. Gewohnheiten und Regelmäßigkeiten sind normativ neutral. Das zeigt sich nicht zuletzt daran, dass wir irreguläres Verhalten nicht sanktionieren. 135 Ein Fußballspieler, der regelmäßig über die rechte Seite angreift, wird nicht bestraft, wenn er ausnahmsweise einmal über die linke Seite angreift. Gleiches gilt für denjenigen, der entgegen seiner Gewohnheit zum 134

Vgl. insbes. Wittgenstein (1984d), §§ 143 u. 185 ff. Vgl. auch Kripke (1982), Kap. 2 u. Brandom (1994), 27 f. 135 Eine ausführliche Diskussion von Sanktionen erfolgt in Kap. 4.11.

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Frühstück einmal Tee statt Kaffee trinkt. Es ist sogar denkbar, dass sich jemand zugleich regelmäßig und inkorrekt oder umgekehrt zugleich unregelmäßig und korrekt verhält. So kann es beispielsweise meine Gewohnheit sein, bei rot über die Ampel zu gehen, obwohl dies einem Regelverstoß gleich kommt. Bleibe ich doch einmal bei rot stehen, so durchbreche ich mein gewohntes Verhaltensmuster. Zugleich verhalte ich mich aber auch ausnahmsweise einmal korrekt. Dass Gewohnheiten oder Regelmäßigkeiten mit genuin normativen Regeln gleichgesetzt werden können, ist also nicht ohne weiteres einsichtig zu machen. 3.7 Regeln für die Zukunft Anders als Regeln stehen Gewohnheiten oder Regelmäßigkeiten nicht in normativer Relation zu dem Einzelfall, der unter sie fällt. Das gilt vor allem im Hinblick auf zukünftiges Handeln. Dieser Punkt lässt sich unter dem Schlagwort des „Bedeutungsskeptizismus“ zusammenfassen und auf Kripkes Interpretation der Wittgensteinschen Spätphilosophie zurückführen. Dort stellt Wittgenstein fest, dass jede einzelne Reihe von Beispielen grundsätzlich mehrere Regelmäßigkeiten aufweist. Wie sie in Zukunft fortgesetzt werden soll, lässt sich daher anhand der vorliegenden Fälle gar nicht zweifelsfrei feststellen. Für neue Situationen lassen sich immer mehrere Regelmäßigkeiten finden, deren Fortsetzung sie sein können. Was Sprachgebrauch und Bedeutung betrifft, so entsteht der Verdacht, dass sich zwischen Regeln und sprachlichen Ausdrücken überhaupt kein eindeutiger Zusammenhang herstellen lässt. Um sicher sein zu können, dass ein Sprecher einen Ausdruck zum gegenwärtigen Zeitpunkt auf dieselbe Weise verwendet wie zu vergangenen Zeitpunkten, ist dies aber notwendig. Ist hier keine Kontinuität zu erwarten, so entsteht die Gefahr, dass er überhaupt keine Bedeutung hat. Wittgenstein und Kripke diskutieren diese Problematik anhand eines einfachen Beispiels.136 Darin geht es um die mathematische Funktion der Addition, die wir bekanntlich durch den Ausdruck „plus“ bezeichnen. Diese lässt sich als eine Regel verstehen, die das Berechnen von Summen determiniert. Reihen von natürlichen Zahlen stehen dabei in 136

Vgl. Wittgenstein (1984d), §§ 185 f. u. Kripke (1982), 7 ff.

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paradigmatischer Weise für Reihen beliebiger, regelgeleiteter Vorkommnisse eines bestimmten Aktes wie etwa der Verwendung eines sprachlichen Ausdrucks. Das Beispiel soll verdeutlichen, dass das Erfassen einer Regel ihre künftige Anwendung nicht beinhaltet. Zumindest gibt es keine Möglichkeit, dies empirisch zu überprüfen. Schließlich kann eine zukünftige Verwendung einer Regel nie als zukünftige gegenwärtig sein. Die Autoren konstruieren daher einen hypothetischen Fall, der einer künftigen Regelanwendung gleichkommt. Ein solcher ist eine Situation, in der jemand aufgefordert wird, zwei Zahlen zu addieren, die größer sind als alles, was er bisher addiert hat. Angenommen jemand hat bisher nie Zahlen addiert, die größer als 57 sind.137 Nun wird die Person aufgefordert, 57 und 68 zu addieren. Sie stößt damit in einen Bereich vor, der vollkommen neu für sie ist. Somit kann dies als die erstmalige, „künftige“ Anwendung der Additionsregel gelten. Nach allem, was wir über Arithmetik und über die Bedeutung von „plus“ wissen, wird die Person mit „125“ antworten. Kripke schlägt allerdings vor, eine Alternative in Betracht zu ziehen. Stellen wir uns vor, es gibt neben der Regel der Addition eine weitere, sehr ähnliche Regel mit dem Namen „Quaddition“. Zu ihrer Kennzeichnung dient auch der Ausdruck „quus“. Für Zahlen, die kleiner sind als 57, ist diese Regel definitionsgemäß identisch mit der der Addition. Für Zahlen größer oder gleich 57 hat sie dagegen immer 5 zum Ergebnis. Woher weiß nun die Person, die 57 und 68 addieren soll, welcher der beiden Regeln sie folgen soll? Woher weiß sie, was die Wörter „addieren“, „plus“ etc. bedeuten? Ihre bisherigen Handlungen geben darüber keine eindeutige Auskunft. Sie weisen Regelmäßigkeiten auf, die sowohl für die Additions- als auch die Quadditionsregel sprechen. Ob also das Wort „plus“ bei den bisherigen Berechnungen plus oder quus bedeutet hat, ist ungewiss. Es gibt keine mentale oder wie auch immer geartete Tatsache, die darauf hinweist, dass die Person bisher addiert statt quaddiert hat. 138 Wenn es aber ebenso gut möglich ist, dass jemand mit „plus“ bisher quus gemeint hat, dann ist es 137

Dies ist Kripkes Version des Beispiels. Wittgenstein geht davon aus, dass jemand die Funktion „+2“ erstmals auf Zahlen anwendet, die größer als 1000 sind. Da Kripkes Darstellung gehaltvoller und von größerer systematischer Klarheit ist, werde ich mich auf sein Beispiel beschränken. 138 Vgl. Kripke (1982), 21.

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auch möglich, dass er etwas ganz anderes oder auch gar nichts gemeint hat. Daher, so könnte man meinen, droht sich die ganze Idee der Bedeutung in Luft aufzulösen.139 Mit Wittgenstein kommt Kripke zu dem Ergebnis, dass aus Regelmäßigkeiten oder Gewohnheiten abgeleitete Regeln keinen Maßstab für zukünftiges Handeln darstellen. Es gibt für eine vorliegende Reihe von Fällen nicht die eine Regelmäßigkeit oder das eine Verhaltensmuster, wodurch zukünftige Fälle vorgegeben werden. Diese Einsicht hat weitreichende Konsequenzen. Wenn nämlich jede Handlungsweise mit einer Regel in Übereinstimmung gebracht werden kann, so gilt das nicht nur für ein Spektrum an vergleichbaren Alternativen. Es gilt auch für deren Gegenteil.140 Grundsätzlich ist es möglich, dass sich eine Handlungsweise mit einer bestimmten Regel in Übereinstimmung bringen lässt, obwohl sie ihr eigentlich widerspricht. Dazu braucht es lediglich eine weitere Regel, die von ihr geringfügig abweicht. So kann es kommen, dass meine bisherigen Verwendungen des Wortes „plus“ zwar vermuten lassen, dass ich plus meine. Es lässt sich aber nicht ausschließen, dass ich damit in Zukunft einmal quus, minus oder auch etwas ganz anderes meine. Erneut stellt sich also die Aufgabe, eine Methode zu finden, mit deren Hilfe sich bestimmte Regelmäßigkeiten oder Gewohnheiten gegenüber anderen hervorheben lassen. Nur unter dieser Bedingung würde es sich tatsächlich um Korrektheitsbedingungen im Sinne echter Regeln handeln. Es müsste sich die eine Verbindung zwischen einer Regelmäßigkeit im bisherigen Handeln und der sich daraus ergebenden Regel für das künftige Handeln aus der Menge aller – möglicherweise abwegigen oder inkompatiblen – Alternativen herausgreifen lassen. Nur so ließe sich zeigen, dass jemand nicht nur bisher mit „plus“ plus statt quus oder mit „rot“ rot statt grün gemeint hat, sondern dass das auch in Zukunft so sein soll. Nur so ließe sich der semantische Konventionalismus retten. Dies ist jedoch eine kaum lösbare Aufgabe. Ein wichtiger Kandidat, dem dies zugetraut wird, sind Dispositionen.141 Demnach ist jemand dazu disponiert, rot statt grün oder plus 139

Vgl. ebd., 22. Vgl. Wittgenstein (1984d), § 201. 141 Vgl. hierzu ausführlich Kripke (1982), 22 ff. 140

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statt quus zu meinen. Wer bisher Additionen ausgeführt hat, war und ist auch in Zukunft dazu disponiert, Summen und nicht Quummen zu bilden. Denn bei letzterem handelt es sich um eine andere Disposition. Diese Erklärung kann das geschilderte Problem jedoch auch nicht lösen. Denn die Frage ist doch, warum jemand, der beispielsweise nach der Summe von 57 und 68 gefragt wird, mit „125“ und nicht etwa mit „5“ antworten soll. Zu sagen, dass er dazu disponiert ist, ist keine wirkliche Begründung. Das Beispiel ist ja gerade so gewählt, dass beide Antworten plausibel erscheinen. Wenn es darum geht, eine von beiden herauszugreifen, dann ist es unerheblich, dass sie jeweils für unterschiedliche Dispositionen stehen. Offen bleibt, wieso die Handlung, zu der jemand disponiert ist, zugleich die ist, die er tun soll? Dispositionen beschreiben schließlich nur, was getan wird. Darüber, was getan werden soll, geben sie keine Auskunft. Das Problem ist also, dass Dispositionen keinen normativen Kontext schaffen, sondern sich auf das rein Deskriptive beschränken. Das liegt nicht zuletzt daran, dass es auch für sie keinerlei Inkorrektheit gibt: „No one ever acts incorrectly in the sense of violating his or her own dispositions.“ 142 Man kann das auf ähnliche Weise illustrieren wie bei Gewohnheiten. So wie jemand die Gewohnheit haben kann, auf systematische Weise Fehler zu machen, so kann er auf eine ähnliche Weise zu systematischem Fehlverhalten disponiert sein. Jemand, der sich beispielsweise bei Zahlen, die größer als 57 sind, systematisch verrechnet, gibt eben Antworten, die einer quusartigen Regel genügen. Die Disposition, einen Fehler zu machen, bedeutet also lediglich, dazu disponiert zu sein, sich anders zu verhalten, als es die ursprünglich gemeinte Regel erwarten ließ.143 Daher können auch Dispositionen das Normativitätsproblem nicht lösen. Ebenso wenig wie Gewohnheiten können sie Fehler als Fehler beschreiben. Der Blick auf zukünftiges Handeln untermauert also die Auffassung, wonach Regelmäßigkeiten oder Gewohnheiten nicht als Regeln im Sinne von Handlungsnormen verstanden werden können. Damit zusammen hängt der Umstand, dass nur ein Kriterium, das auch verletzbar ist, angeben kann, wie in Zukunft gehandelt werden soll. Auch dies trifft auf 142 143

Brandom (1994), 29. Vgl. auch Kripke (1982), 28 ff. Vgl. Kripke (1982), 30.

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Regelmäßigkeiten oder Gewohnheiten nicht zu. Denn sie sind nicht im entscheidenden Sinne verletzbar. Es gibt zwar Unregelmäßigkeiten. Diese haben aber keine normative Relevanz. Und da, wo sie auftauchen, sind meist neue oder andere Regelmäßigkeiten nicht weit. Letztlich ist daher jede Handlung auf irgendeine Weise regelmäßig. Ohne die Möglichkeit von Fehlern, Irrtümern oder Misserfolgen ergibt sich aber ein Regelbegriff von inflationärer Gültigkeit. Jedes Handeln ist dann richtig und alles kann überall als „Regelfolgen“ gelten. Dadurch verliert der Begriff seine normative Kraft. Regelmäßigkeiten und Gewohnheiten beschreiben das, was jemand getan hat. Vorgaben dahingehend, was er in Zukunft tun soll, machen sie nicht. Es lässt sich festhalten, dass das klassische Problem des Regelfolgens einen gewichtigen Einwand gegen den Intellektualismus darstellt. Es richtet sich gegen ein Verständnis von Regel im Sinne von expliziten Regelformulierungen. In rein epistemologischer Hinsicht entspricht das der Auffassung, dass propositionales Wissen die Voraussetzung für Können ist. Dies bleibt eine unhaltbare Auffassung, für die eine Alternative zwingend erforderlich ist. Das moderne Problem des Regelfolgens nimmt die Tradition dieses Einwandes auf und ergänzt ihn um einen wichtigen Aspekt. Es macht deutlich, dass ein Verständnis von Regel im Sinne von Regelmäßigkeiten oder Gewohnheiten ebenso wenig haltbar ist. Damit formuliert es einen schwerwiegenden Einwand vor allem gegen den semantischen Konventionalismus. Dies lässt sich als ein gescheiterter Versuch interpretieren, Wissen auf eine praktische Grundlage zurückzuführen. Der Konventionalismus ist somit keine wirkliche Alternative zum Intellektualismus. Zusammengenommen ergibt sich aus den beiden Problemkomplexen ein Dilemma.144 Wird (sprachliches) Handeln als regelgeleitet nach dem Modell des expliziten Regelfolgens verstanden, so kommt der erwähnte Regress in Gang. Wird es nach dem Modell impliziten Regelfolgens verstanden, so wird zwar der Regress vermieden. Es droht aber eine Nivellierung des Regelbegriffs. Das Regelfolgen büßt seinen Charakter 144

Vgl. Glüer (2002), 158 ff. K. Glüer redet vom „Dilemma von Regress und Nivellierung“.

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genuin normativer Regelgeleitetheit ein. Dies ist die Konsequenz aus Wittgensteins Diskussion des Problems des Regelfolgens. John McDowell stellt sie sehr anschaulich dar: Wittgenstein’s problem is to steer a course between a Scylla and a Charybdis. Scylla is the idea that understanding is always interpretation. (…) We can avoid Scylla by stressing that, say, calling something ‘green’ can be like crying ‘Help!’ when one is drowning – simply how one has learned to react to this situation. But then we risk steering on to Charybdis – the picture of a basic level at which there are no norms. (…) How can a performance both be nothing but a ‘blind’ reaction to a situation, not an attempt to act on an interpretation (avoiding Scylla); and be a case of going by a rule (avoiding Charybdis)?145

Szylla und Charybdis sind die beiden Eckpunkte, zwischen denen sich die folgenden Überlegungen werden bewegen müssen. Normativität ist für die Fundierung von Wissen durch Können unverzichtbar. Sie darf aber weder explizit als „Interpretieren“ oder „Deuten“ von Regeln verstanden werden, noch darf sie zugunsten eines Konventionalismus ganz aufgegeben werden. Sonst wird die anti-intellektualistische Antwort auf den Intellektualismus zu einer Angelegenheit reiner Beliebigkeit. Wittgensteins Antwort auf McDowells Frage ist bekannt. Eine Handlung kann zugleich „blind“ auf eine Situation reagieren und dabei einer genuin normativen Regel folgen, wenn sie Teil einer „Gepflogenheit“146, einer „Praxis“147 oder einer „Institution“148 ist. Diese programmatischen Ausdrücke werden jedoch nicht weiter spezifiziert. Obwohl sie von anderen Autoren vielfach zitiert werden, gibt es kaum ernstzunehmende Versuche, eine Erklärung dessen abzugeben, was mit „blindem Regelfolgen“, „Gepflogenheit“ oder „Institution“ eigentlich gemeint ist. Dieser Aufgabe sind die folgenden Kapiteln gewidmet. Die große Herausforderung wird dabei sein, von Können als blindem Regelfolgen zu reden, ohne dabei auf explizite Regeln zurückzugreifen. Enttäuschung ist also vorprogrammiert: Es wird viel von Regeln die Rede sein, ohne dass eine einzige formuliert wird. Vielmehr wird es darum 145

McDowell (1984), 341 f. Wittgenstein (1984d), §§ 198 f., 205, 337 u. Wittgenstein (1984a), 332, 346. 147 Wittgenstein (1984d), §§ 54, 197, 202 u. Wittgenstein (1984a), 335, 344, 432. 148 Wittgenstein (1984d), §§ 199, 337, 380 u. Wittgenstein (1984a), 167 f., 334. 146

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gehen, die Idee einer prinzipiell normativ verfassten Behauptungs- und Folgerungspraxis verständlich zu machen, die als systematische und explanatorische Grundlage für propositionalen beziehungsweise semantischen Gehalt und damit letzten Endes für Wissen dient. Es wird also weniger um konkrete Regeln, als um Normativität als internes Charakteristikum sprachlicher und mentaler Phänomene gehen.

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4. Überzeugung Mit diesem Kapitel ist der Hauptteil der Arbeit erreicht. Es bildet den Auftakt für die Fundierung von Wissen durch Können im Sinne von „blindem Regelfolgen“. Zu diesem Zweck werde ich zunächst geltend machen, dass Überzeugungen ein irreduzibler Bestandteil von Wissen sind und ihre pragmatische Entsprechung im Äußern und Zuschreiben von Behauptungen finden. Anhand dieser beiden sprachlichen Grundformen werde ich herausarbeiten, dass der Umgang mit Überzeugungen implizit normativ signifikant ist. Das zeigen der Wahrheits- und der Rationalitätsanspruch, die beide mit Behauptungen einhergehen. Im zweiten Teil des Kapitels werde ich ein Erklärungsmodell entwickeln, das diese implizite Normativität des Begriffs der Überzeugung systematisch in den Fokus rückt. Im Rahmen einer normativen Pragmatik werde ich darlegen, dass sich die Praxis des Behauptens und Zuschreibens von Überzeugungen auf einer normativen Beschreibungsebene auf das Einnehmen und Zuweisen von normativen Status zurückführen lässt. Aus der immanenten Perspektive der Diskursteilnehmer bedeutet das, dass beim Umgang mit Überzeugungen anderen gegenüber stets normative Einstellungen eingenommen werden. Die damit einhergehende Unterscheidung in korrekt und inkorrekt manifestiert sich durch die Praxis des Sanktionierens. Auf der Grundlage dieses Erklärungsmodells wird sich anschließend noch detaillierter nachweisen lassen, dass und inwiefern Überzeugungen Können voraussetzen. 4.1 Wissen und Überzeugung Gemäß der Standardanalyse sind Überzeugungen ein wesentlicher definitorischer Bestandteil von Wissen. 149 Wissen wird üblicherweise als aus Überzeugungen, Rechtfertigungen und Wahrheit zusammengesetzt betrachtet. Statt von Überzeugungen wird gelegentlich auch von Meinungen oder vom Meinen geredet. Anstelle des sperrigen 149

Vgl. Platon (1994d), 201d - 210a. Platon führt bereits im Menon eine Definition des Begriffs an, ohne sie jedoch zu erörtern. Vgl. Platon (1994a), 98. Der Ausdruck „Standardanalyse“ geht auf M. Williams zurück. Vgl. Williams (2001b), 15 ff.

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„Überzeugungen haben“ wird in der Verbform häufig auch einfach nur „glauben“ gesagt. Das hat im Deutschen zwar auch eine theologische Konnotation. Diese wird jedoch im epistemologischen Zusammenhang zumeist ausreichend deutlich unterdrückt. Ich schließe mich den Konventionen dahingehend an, dass ich all diese Formulierungen als synonym betrachte. Jedenfalls bilden die drei erwähnten Elemente den Kern dessen, was im Allgemeinen unter Wissen verstanden wird. Als Bedingung dafür, dass eine Person weiß, dass p, gilt, dass sie glaubt, dass p, dass sie darin gerechtfertigt ist zu glauben, dass p, und dass es wahr ist, dass p. Kurz gesagt ist Wissen gerechtfertigte, wahre Überzeugung. Ein Schwerpunkt vieler jüngerer Auseinandersetzungen liegt auf der Suche nach weiteren Kriterien. Denn prinzipiell sind Situationen denkbar, in denen diese drei Bedingungen erfüllt sind, ohne dass die Person tatsächlich weiß, dass p. Auch ein seltener Zufall kann hierfür verantwortlich sein.150 Für eine wirkliche Definition müssen die Bedingungen aber nicht nur zufällig, sondern vielmehr notwendigerweise erfüllt sein. Eine Ergänzung scheint daher angebracht. Um jedoch zu zeigen, dass Wissen durch Können fundiert ist, reicht an dieser Stelle eine Beschränkung auf den dreigliedrigen Kernbestand der Wissensanalyse. Denn was für ihn gilt, bleibt ja auch nach einer Ergänzung durch weitere Bedingungen gültig. Grundsätzlich würde es sogar ausreichen, nur eine der Bedingungen auf Können zurückzuführen, um das Fundierungsverhältnis nachzuweisen. Man könnte sich beispielsweise auf den Nachweis beschränken, dass das Haben von Überzeugungen eine Art Können ist. Allerdings hängt die Überzeugungs- mit der Rechtfertigungsbedingung insofern eng zusammen, als beide auf der gleichen Art von Können basieren.151 Was hingegen die Wahrheitsbedingung angeht, so stellt sie sich für die Bestimmung von Wissen nach einer eingehenden Betrachtung letztlich als überflüssig heraus.152 Wer vorgibt, etwas zu wissen, muss zumindest eine entsprechende Überzeugung haben. Wenn jemand beispielsweise weiß, dass Paris die 150

Gemeint sind die Gegenbeispiele, die auf E. Gettier zurückgehen. Vgl. Gettier (1963). Schon Platon hielt das dreiteilige Ergebnis seiner Analyse für unbefriedigend. Vgl. Platon (1994d), 210a f. 151 Dies erläutere ich ausführlich in Kap. 5. 152 Für diese Auffassung argumentiere ich ausführlich in Kap. 6.

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Hauptstadt von Frankreich ist, dann ist davon auszugehen, dass er dies auch glaubt. Und wenn jemand zu wissen vorgibt, dass die Sonne sich um die Erde dreht, so können wir ihm zwar erklären, dass das nicht richtig ist. So lange jedoch, wie ihm dieser Irrtum nicht bewusst ist, hat er diese Überzeugung. Die Bedingung, dass Wissen immer auf Überzeugungen zurückgeht, ist schwer in Zweifel zu ziehen. Zweierlei könnte man dennoch dagegen einwenden. Einmal könnte man darauf hinweisen, dass wir Dinge sagen wie: „Sie glaubt es nicht, sie weiß es.“ oder „Ich weiß, dass er sie verlassen hat, aber ich kann es nicht glauben.“ Beides sind völlig korrekte Redensweisen. Allerdings handelt es sich hier um spezielle rhetorische Figuren. Der erste Satz enthält die gleiche Betonung wie: „Sie glaubt es nicht nur, sie weiß es auch.“ Die Überzeugung steht nicht im logischen Gegensatz zum Wissen. Vielmehr wird die größere Gewissheit des Wissens gegenüber der Überzeugung hervorgehoben. Der zweite Beispielsatz bringt eine große Überraschung zum Ausdruck. Dabei wird aber nicht die Überzeugung in Zweifel gezogen, sondern dem Erstaunen, das sie auslöst, Ausdruck verliehen. „Ich kann es nicht glauben.“ ist hier gleichbedeutend mit „Ich kann es nicht fassen.“ Dann könnte man noch ein Gegenbeispiel der folgenden Art formulieren. 153 Jemand glaubt, nichts über ein bestimmtes Themengebiet zu wissen. Trotzdem gibt er auf Nachfrage eine ganze Reihe richtiger Antworten. Es stellt sich heraus, dass er diese Dinge doch einmal irgendwo gelernt, aber wieder vergessen hat. Ist das eine plausible Erklärung dafür, dass Wissen ohne die Bedingung der Überzeugung auskommt? Der Befragte glaubt, nicht zu wissen, was man ihn fragt. Er weiß also nicht, ob das, was er antwortet, richtig ist. Damit aber ist das, was er tut, nichts anderes als erfolgreiches Raten.154 Raten ist aber nicht Wissen. Entweder, jemand rät zufällig, dass etwas der Fall ist, oder er weiß es. Das vermeintliche Gegenbeispiel kann also ebenso wenig überzeugen wie die besagten rhetorischen Figuren. Man kann vertreten, dass das Meinen oder Haben von Überzeugungen nicht nur für Wissen, sondern für alle Arten mentaler Zustände oder

153 154

Vgl. Radford (1966). Vgl. Cohen (1966), 11 u. Lehrer (1968), 496 ff.

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Ereignisse eine Grundvoraussetzung ist.155 Wenn jemand die Absicht, den Wunsch oder die Befürchtung hat, dass er einmal im Lotto gewinnen wird, dann muss er auch glauben, dass er einmal in Lotto gewinnen wird. Gleiches gilt für Hoffnungen, Erinnerungen, Interessen etc. Das bedeutet nicht, dass all dies auf Überzeugungen zurückgeführt werden kann. Nicht jeder beliebige mentale Zustand ist abhängig von der entsprechenden Überzeugung. Generell ist es aber auch nicht möglich, dass jemand Absichten, Wünsche, Befürchtungen etc. ohne einen gewissen Bestand an Überzeugungen hat. Hinsichtlich des Wissens ist selbst dies noch zu schwach formuliert. Es ist unwahrscheinlich, dass es hier eine Bestimmung geben kann, die völlig ohne Überzeugungen auskommt.156 Noch unwahrscheinlicher ist es, dass zusätzlich auf Rechtfertigungen verzichtet werden kann. Ich werde daher im Folgenden von einem Verständnis von Wissen ausgehen, für das die entsprechende Überzeugung eine Minimalbedingung ist. 4.2 Überzeugungen pragmatisch verstanden Für gewöhnlich setzt die Charakterisierung von Überzeugungen bei der allgemeinen Einsicht ein, dass es sich hierbei um mentale Phänomene handelt, die auf einen Gehalt bezogen oder auf einen Gegenstand gerichtet sind. Wir glauben, dass mit der Post ein Brief gekommen ist. Wir glauben an die Gültigkeit der Evolutionstheorie. Oder wir glauben dem Politiker, der uns Steuererleichterungen verspricht. An diesen Beispielen kann man ablesen, dass es immer etwas ist, das wir glauben. Selbst von jemand, der im theologischem Sinne glaubt, kann man noch sagen, dass er an Gott glaubt oder daran, dass es Gott gibt. Aus diesem Grund ist es üblich, Überzeugungen die grundlegende Eigenschaft zuzuschreiben, dass sie intentional sind. Was aber ist es, worauf sich Überzeugungen beziehen oder richten? Glaubt jemand an die Gültigkeit der Evolutionstheorie, so ist der Gegenstand seiner Überzeugung eben diese Gültigkeit der 155

Vgl. z. B. Davidson (1982), 321 o. Davidson (1984), 156 f. Zu einem Ansatz, wonach Wissen ein grundlegender mentaler Zustand ist, der nicht auf Überzeugung zurückgeführt werden kann, vgl. Williamson (2000), insbes. Kap. 1.4.

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Evolutionstheorie. Diese Formulierung ist allerdings eher selten und irreführend. Für gewöhnlich glaubt man nicht „einen Gegenstand“, sondern, dass etwas Bestimmtes der Fall ist oder sein wird. Wir glauben nicht „die“ Gültigkeit der Evolutionstheorie oder „den“ Politiker, der uns Steuererleichterungen verspricht. Den Gegenstand unserer Überzeugung drücken wir üblicherweise mit Hilfe eines Dass-Satzes aus. Wir haben die Überzeugung, dass die Evolutionstheorie Gültigkeit hat oder dass der Politiker sein Versprechen hält. Das gilt letztlich auch für elliptisch verkürzte Sätze wie: „Hannah glaubt ihm.“ oder „Karl glaubt, es regnet.“ Wenn wir sie geringfügig umformulieren, erfahren wir auch hier, dass es nicht „er“ ist, was Hannah glaubt, sondern, dass er die Wahrheit sagt. Und Karl glaubt nicht nur „es regnet“, sondern vielmehr, dass es regnet. Wir verwenden Dass-Sätze, um den Gehalt von Überzeugungen auszudrücken. Dieser ist dabei aber nicht an den Wortlaut eines bestimmten Satzes gebunden. Jemand kann beispielsweise sagen: „Sie glaubt, dass das Mädchen von einem älteren Herrn begleitet wurde.“ oder „Sie glaubt, dass ein älterer Herr das Mädchen begleitet hat.“ oder auch „She believes that an older gentleman accompanied the girl.“ Egal ob der Satz im Aktiv oder Passiv oder auf Deutsch oder Englisch formuliert wird, immer drückt er den gleichen Gedanken oder die gleiche Proposition aus. Daher gehen wir davon aus, dass Überzeugungen durch Propositionen individuiert werden. Welche Überzeugung jemand im Einzelnen hat, ist durch den propositionalen Gehalt festgelegt, dem sie entspricht. Etwas zu glauben, ist aber nur eine Möglichkeit, sich auf einen Gehalt zu beziehen. Ebenso gut kann man beispielsweise eine Absicht, einen Wunsch oder eine Befürchtung haben. Letztlich lässt sich auch Wissen nach diesem Schema charakterisieren. Zumindest legt dies die Rede von propositionalem Wissen sowie dessen Rückbindung an Überzeugungen nahe. So kann ich einerseits glauben, dass ich einmal im Lotto gewinnen werde. Andererseits kann ich aber auch die Absicht oder den Wunsch haben, einmal im Lotto zu gewinnen. Unter den entsprechenden Voraussetzungen ist es sogar möglich, dass ich befürchte oder weiß, dass ich einmal im Lotto gewinnen werde. In all diesen Fällen ist es derselbe propositionale Gehalt, zu dem ich aber immer auf eine andere Art und Weise in Relation stehe. Daher lassen sich diese unterschiedlichen Formen

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der Bezugnahme auf einen Gegenstand unter dem Terminus der propositionalen Einstellung zusammenfassen. Im Großen und Ganzen ist diese Charakterisierung von Überzeugungen vertraut und unkontrovers. Dennoch werde ich ihr eine alternative Sichtweise entgegensetzen. Der Grund dafür ist, dass diese Darstellung bereits von Anfang an intellektualistisch und mentalistisch angelegt ist. Sie ist vor allem an dem orientiert, worauf mentale Phänomene wie Überzeugungen, Absichten oder Wissen bezogen oder gerichtet sind. Als charakteristisch für Überzeugungen gilt der Bezug zu einem propositionalen Gehalt. Damit aber ist bereits eine ganz bestimmte Untersuchungsrichtung vorgegeben. Was also beispielsweise die Erklärung von Können betrifft, so wird sie aller Voraussicht nach auf der Grundlage von propositionalem Wissen beziehungsweise Gehalt aufbauen. Daraus aber ergibt sich dann genau das Erklärungsmodell, das sich zuvor als regressiv herausgestellt hat. Die Sichtweise, die ich dem gegenüberstellen werde, ist grundlegend anders ausgerichtet. Sie setzt bei einer genauen Analyse des Sprachgebrauchs an und ist damit erst einmal an dem orientiert, was wir tun, wenn wir Überzeugungen haben. Primär gelten Überzeugungen also nicht als propositionale Einstellungen, sondern als etwas, das sich in Sprechhandlungen konstituiert. Diese Grundeinsicht ermöglicht es in einem ersten Schritt, die implizite Normativität aufzuzeigen, die den Umgang mit Überzeugungen prägt und ausmacht. Ein erster zentraler Gedanke für die zu entwickelnde normative Pragmatik ist daher der, dass die sprachliche Praxis insofern implizit normativ ist, als sie eine grundlegende normative Signifikanz aufweist. Diesen werde ich im Folgenden dadurch vorbereiten, dass ich den Umgang mit Überzeugungen in zwei Momente aufgliedern und analysieren werde. Als die sprachlichen Grundformen des Meinens oder Habens von Überzeugungen werde ich das Behaupten oder Äußern von Behauptungen auf der einen Seite und das Zuschreiben von Behauptungen auf der anderen ausweisen. In einem zweiten Schritt wird es dann darum gehen, dass Überzeugungen eine Bedeutung haben. Im Rahmen einer inferentiellen Semantik wird es möglich zu erklären, wann und wodurch sprachliche Interaktion bedeutsam wird. Pragmatik und Semantik sind somit die explanatorische Grundlage für Gehalt und Wissen und nicht etwa umgekehrt. Wenn im Folgenden

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dennoch von propositionalem Gehalt die Rede ist, dann nur deshalb, weil die Erklärung der systematischen Entwicklung der Untersuchung gelegentlich vorausgreift. 4.3 Behaupten Der beste Hinweis auf eine Überzeugung ist der, dass eine Person eine solche offen bekundet. Eine Überzeugung liegt offensichtlich dann vor, wenn sie im Medium der Sprache als Behauptung veröffentlicht wird. Im Sprechakt der Behauptung finden Überzeugungen ihre pragmatische Entsprechung. Was immer sprachliche Äußerungen noch sein mögen, in ihrer elementarsten Form sind sie Behauptungen, die eine Überzeugung zum Ausdruck bringen. Die These ist somit die, dass Satzäußerungen, in denen Überzeugungen in Form von Behauptungen kundgetan werden, das kleinste Element der sprachlichen Praxis sind. Mit Behauptungen beginnt jeglicher sinnvolle Sprachgebrauch. Man könnte einwenden, dass es auch Überzeugungen gibt, die nicht öffentlich kundgetan werden. Manchmal ist es sogar besser, eine Überzeugung für sich zu behalten, etwa wenn jemand glaubt, dass ein Mitspieler beim Pokern blufft oder dass die Uhr des Flohmarktverkäufers eigentlich das Doppelte wert ist. Über Meinungen in Form von privaten Erlebnissen oder inneren Monologen zu spekulieren, ist allerdings nur dann sinnvoll, wenn eine Sprache vorausgesetzt wird, in der diese auch mitgeteilt werden können. Sprache muss dabei in erster Linie als ein öffentliches und soziales Phänomen begriffen werden. Eine rein private Sprache kann es nicht geben, weil sie für niemanden verständlich wäre. 157 Daher kann es private Überzeugungen nur vor dem Hintergrund sozialer Kommunikationspraktiken geben. Grundsätzlich kann etwas also nur dann den Status einer Überzeugung haben, wenn es auch Teil des öffentlichen Diskurses sein kann. Man könnte aber auch darauf hinweisen, dass es neben Behauptungen noch andere Arten gibt, Überzeugungen zu äußern. Müssen wir nicht auch Fragen, Befehle, Lügen, Metaphern, Ironie oder die indirekte Rede berücksichtigen? Mit Sicherheit handelt es sich hierbei um wichtige und 157

Vgl. Wittgenstein (1984d), §§ 202, 244-271 u. 293.

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interessante Sprachformen. Allerdings spielen sie im Vergleich zu Behauptungen eine untergeordnete und abgeleitete Rolle. Denn ohne die aufrichtige und direkte behauptende Rede sind auch sie nicht möglich. Die kommunikative Grundsituation liegt weder in der vereinzelten Sprechhandlung noch im Formulieren von Fragen, Befehlen, Lügen oder Metaphern. Vielmehr besteht sie aus den komplementären Reaktionen von Diskursteilnehmern auf sprachliche Äußerungen mit dem Status von Behauptungen. Nur weil ein Satz behauptend gebraucht werden kann, kann er wirklich verstanden und in Form einer Frage oder Metapher verwendet oder als Lüge oder ironische Bemerkung reformuliert werden. Denn es sind Behauptungen und nicht etwa Fragen, Befehle, Lügen oder Metaphern, die in Folgerungsbeziehungen stehen und somit Bedeutung generieren.158 Schließlich könnte man noch einwenden, dass es auch subsententiale Einheiten wie Wörter, Ausdrücke, Namen oder Begriffe gibt. Ist dies nicht die basalste Ebene des Sprachgebrauchs? Eine angemessene Argumentation für den Gedanken, dass es vornehmlich Sätze sind, mit denen wir Sprechhandlungen vollziehen, würde zu weit von dem eigentlichen Anliegen dieser Arbeit wegführen. Daher muss der Verweis auf einige prominente Positionen aus der Literatur genügen, um ihn zu stützen.159 Der Gedanke lässt sich letztlich bis zu Immanuel Kant zurückverfolgen. Auf ihn geht die Einsicht zurück, dass die kleinste Einheit, die der Verstand im Denk-, Verstehens- oder Erkenntnisakt begreifen kann, das Urteil ist.160 Urteile sind grundlegender als Begriffe, da Begreifen letztlich immer Urteilen ist. Der Verstand bedient sich eines Begriffs, indem er durch ihn urteilt. Diese Idee greifen Frege und Wittgenstein auf und analysieren sie in sprachlich-logischem Zusammenhang. Eine bedeutende Einsicht Freges ist die, dass Wörter nur im Zusammenhang eines vollständigen Satzes eine Bedeutung haben.161 Das gilt selbst dann, wenn wir vermittels einzelner Worte kommunizieren. Ausrufe wie „Aua!“, Befehle wie „Platte!“ oder 158

Vgl. hierzu auch Kap. 5. Weitere, semantische Gründe für ein Vorrang des Propositionalen gebe ich in Kap. 5.3 u. 5.4. 160 Vgl. Kant (1998), B93 (A68) f. Vgl. auch Brandom (1994), 79 ff. 161 Vgl. Frege (1988), §§ 46, 60 u. 62. 159

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auch frühkindliche Einwortsätze wie „Teddy.“ stehen dieser Ansicht nicht entgegen. Denn auch bei ihnen handelt es sich um Sätze.162 Allerdings sind sie „degeneriert“ oder elliptisch verkürzt. In einem sinnvollen sprachlichen Zusammenhang bedeutet „Aua!“ soviel wie „Ich habe Schmerzen.“, „Platte!“ soviel wie „Bring mir eine Platte!“ und „Teddy.“ soviel wie „Da ist mein Teddy.“ Der Sprachgebrauch entscheidet darüber, wie genau die einzelnen Satzfragmente ergänzt werden müssen und was bestimmte Einwortsätze bedeuten. Ein Satz mag sich aus einzelnen Wörtern zusammensetzen, die sich isoliert betrachten und darstellen lassen. Es ist aber allein der Satz, dessen Äußerung einen Zug im Sprachspiel darstellt. Kurz: Der sinnvolle Gebrauch von Sprache beginnt mit ganzen Sätzen. In ihrer elementarsten Form bringen sie Überzeugungen zum Ausdruck und – so lässt sich vorausgreifend hinzufügen – fungieren dadurch als Gründe für andere Überzeugungen. 4.4 Überzeugungen zuschreiben Dass Überzeugungen in offenen Behauptungen Ausdruck finden, ist wesentlich weniger spekulativ, als sie beispielsweise in inneren Monologen zu vermuten. Die sprachliche Praxis ist weitestgehend unverstellt. Dies gilt gleichermaßen für Überzeugungen, die nicht durch Sprecher selbst, sondern durch die Zuschreibung anderer Gesprächsteilnehmer in den Blick geraten. Wenn wir die kommunikative Situation als Ganze berücksichtigen, erkennen wir auf der einen Seite Sprecher, die selbst etwas behaupten. Auf der anderen Seite gibt es aber auch Zuhörer oder Interpreten, die feststellen, dass andere etwas glauben. Dabei handelt es sich nicht notwendigerweise um zwei völlig verschiedene Sachverhalte. Ein Sprecher ist prinzipiell immer auch Zuhörer und Interpret anderer. Dadurch ist gewährleistet, dass sich verschiedene Sprecher zumindest gelegentlich auf dieselben Überzeugungen beziehen. Mit der Berücksichtigung von Zuschreibungen von Überzeugungen bekommt die Betrachtung eine soziale Dimension. Damit wird der Tatsache Rechnung getragen, dass Sprache und Kommunikation ebenfalls eine grundsätzlich soziale Angelegenheit ist. Diskursive Praktiken sind im 162

Vgl. Wittgenstein (1984d), §§ 19-22 u. 49

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Wesentlichen interpersonale Praktiken. Die Elemente einer diskursiven Gemeinschaft sind die einzelnen, miteinander kommunizierenden Sprecher. Die diskursive Praxis weist somit immer eine Ich-Du-Struktur auf, aus der sich eine (erweiterte) diskursive Gemeinschaft, vorgestellt als eine Ich-Wir-Beziehung, erst ableitet. Für eine überzeugende Rekonstruktion der Normativität im Umgang mit Überzeugungen ist es entscheidend, auf der Ebene von Ich-Du-Beziehungen zwischen einzelnen Sprechern zu verbleiben.163 Der Ich-Aspekt der sprachlichen Übermittlung von Überzeugungen ist recht unproblematisch und leuchtet intuitiv ein. Ein Sprecher, der Überzeugungen hat wie beispielsweise „Mit der Post ist ein Brief gekommen.“ oder „Die Evolutionstheorie ist gültig.“, kann diese in Form von gleichlautenden Behauptungen äußern. Die Überzeugungen entsprechen dabei dem allgemeinen Schema „Ich glaube, dass p.“164 Man kann dies auch als die Perspektive der ersten Person bezeichnen. Auch der Du-Aspekt ist nicht wesentlich komplizierter. Sätze wie „Du behauptest, dass mit der Post ein Brief gekommen ist.“ oder „Du glaubst, dass die Evolutionstheorie gültig ist.“ sind unkritische Beispiele dafür, wie Überzeugungen auch durch Zuschreibung zum Ausdruck kommen können. Das allgemeine Schema, dem sie entsprechen, lautet hier: „Du glaubst, dass p.“ Dies kann man als die Perspektive der zweiten Person bezeichnen. Man könnte sich nun allerdings fragen, warum die Berücksichtigung dieser zweiten Perspektive bei der Erklärung von Überzeugungen relevant sein soll. Die Beschäftigung mit einfachen Behauptungen scheint doch vollkommen ausreichend. Jedenfalls ist die Annäherung an mentale 163

Zu der Auffassung, dass die grundlegende Struktur einer diskursiven Gemeinschaft eine Ich-Du- und nicht eine Ich-Wir-Beziehung ist, vgl. auch Brandom (1994), 38 f., 508 u. 598 ff. R. Brandom bezeichnet erstere als symmetrisch und anti-autoritativ. Die Annahme einer privilegierten Vogelperspektive hält er weder für hilfreich noch für zutreffend. Dies entspricht auch D. Davidsons Verständnis von sprachlicher Praxis als wechselseitiger Interpretation. Vgl. z. B. Davidson (1984), Kap. 9 u. 11. Zu einer Diskussion von Einwänden gegen eine soziale Theorie der Bedeutung in Begriffen einer Ich-Wir-Beziehung vgl. Esfeld (2002), 121 ff. u. 164 ff. 164 Häufig entsprechen Äußerungen der Art „Ich glaube, dass p.“ denen der Art „p“. Um jedoch auszuschließen, dass es sich um Wünsche, Befürchtungen, Erinnerungen, Lügen etc. handelt, ist die ausführliche Formulierung ratsam.

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Phänomene auf der Grundlage von Zuschreibungen eher ungewöhnlich. Zunächst sei daher erneut darauf hingewiesen, dass eine Erklärung, die auf die sprachliche Praxis rekurriert, auf eine soziale Perspektive angewiesen ist. Sprache als rein privates Phänomen ist nicht denkbar. Mit Behauptungen allein lässt sich aber keine wirklich soziale Situation rekonstruieren. Das Moment der Zuschreibung garantiert hier die unmittelbare Bezugnahme auf andere Diskursteilnehmer. Analog verhält es sich mit Normativität, um die es ja ebenfalls gehen soll. Um einen Eindruck von der Relevanz und dem Potential der Perspektive der zweiten Person zu bekommen, sind zudem Daniel Dennetts Überlegungen zu Intentionalität äußerst aufschlussreich.165 Dennetts Idee ist nämlich die, Intentionalität generell in Begriffen der Zuschreibung zu verstehen. Wenn also Überzeugungen paradigmatische Fälle von intentionalen Zuständen sind, dann muss das für sie in besonderem Maße gelten. Da es mir in erster Linie genau um diese geht, werde ich im Folgenden Phänomene wie Wünsche, Hoffnungen, Befürchtungen etc. nicht berücksichtigen. Dabei kann auch die Frage nach dem Gehalt intentionaler Zustände zunächst einmal außen vor bleiben. Was zählt, ist der Gedanke, dass Intentionalität eine von außen zugeschriebene Eigenschaft ist, die vom Standpunkt desjenigen festestellt werden kann, der eine bestimmte Vorhersagestrategie anwendet. Dennett zufolge heißt, jemandem oder etwas Überzeugungen zuzuschreiben, ihm gegenüber eine „intentionale Einstellung“ einzunehmen.166 Eine solche Einstellung einzunehmen heißt, den Gegenstand der Betrachtung in der Praxis als ein „intentionales System“ zu behandelt. Dabei ist es vom Standpunkt des zuschreibenden Interpreten belanglos, ob es sich um eine Person, eine Pflanze, ein Tier oder auch um ein Artefakt wie beispielsweise einen Schachcomputer handelt. Sobald das Verhalten eines Systems Rückschlüsse auf Intentionalität zulässt, lässt es sich als ein intentionales etablieren. Und dies ist genau dann der Fall, wenn die Zuschreibung von intentionalen Zuständen dabei hilft, das Verhalten des jeweiligen Systems zu erklären und vorauszusagen. In der Tat ist dies eine Strategie, die wir im täglichen Sprachgebrauch immer wieder verfolgen. 165 166

Vgl. zum Folgenden insbes. Dennett (1971) u. Dennett (1987), Kap. 2. Vgl. Dennett (1971), 90.

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Nicht selten sagen wir Dinge wie: „Pflanzen wollen immer zum Licht.“, „Der Hund glaubt, dass die Katze auf den Baum geflüchtet ist.“ oder „Der Computer denkt, dass du ins Internet willst, wenn du den Browser öffnest.“ Oft ist dies nicht nur eine nützliche, sondern zugleich die einzige Erklärung, die wir geben können. Daher sollten wir diese Perspektive bei der Analyse von Überzeugungen nicht unterschätzen. Ob es sinnvoll und gerechtfertigt ist, Tiere, Pflanzen oder Artefakte als vollwertige Teilnehmer am Sprachspiel der Überzeugung anzusehen, ist damit nicht entschieden. Das Interessante an Dennetts Ansatz ist, dass Spekulationen über innere Zustände, Substanzen oder ähnliches bewusst ausbleiben. Die intentionale Einstellung ist eine zugleich pragmatische und antiintellektualistische Erklärungsstrategie, die jeden Mentalismus oder Repräsentationalismus vermeidet.167 Bevor darüber zu entscheiden ist, ob eine Person über Merkmale wie einen Geist, eine Seele, Selbsterkenntnis oder mentale Repräsentationen verfügt oder ob es einen Dualismus aus physikalischen und mentalen Substanzen gibt, steht mit dieser Strategie bereits ein aussagekräftiges Mittel für die Erklärung mentaler Zustände wie Überzeugungen zur Verfügung. Man tut nichts weiter, als von dem Auftreten intentional erklärbaren Verhaltens auf das Vorliegen mentaler Zustände zu schließe. Das entzieht nicht nur dem cartesianischen Skeptizismus, sondern auch jeglicher Variante eines intellektualistischen Regresses die Grundlage. Zugleich kann diese Strategie durchaus mit materialistischen Intentionalitätstheorien, wie sie von den Neurowissenschaften oder der Hirnforschung vorgeschlagen werden, in Einklang gebracht werden. Dennetts These ist eine stärkere, als ich sie hier vertreten werde. Er behauptet, dass sich alles und jeder ausschließlich aus der Perspektive der Zuschreibung als intentionales System ausweisen lässt. Demnach gibt es für ihn Überzeugungen nur aus der Perspektive der zweiten Person. Ich vertrete dagegen die schwächere These, wonach Überzeugungen einem Sprecher zugeschrieben oder von ihm in Behauptungen geäußert werden. Aus Dennetts Sicht muss dies wie ein Rückschritt wirken. Mit Blick auf 167

Vgl. auch Rorty (1979), Kap. 1.5 o. Esfeld (2002), Kap. 4.1. D. Dennett deutet die Vorteile seiner Theorie dieser Tradition gegenüber nur an. Vgl. Dennett (1971), 100 f.

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die sprachliche Praxis dagegen ist seine Sicht zu restriktiv und daher unvollständig. Denn zum einen ist die Perspektive der Zuschreibung allein ebenso wenig eine soziale, wie es die der Behauptung allein ist. Zum anderen sind Zuschreibungen von Überzeugungen nicht weniger problematisch oder unproblematisch als offene Behauptungen. Insofern also die Perspektive der ersten Person bei Dennett nicht vorkommt, bleibt sein Vorschlag letztlich hinter meinem sprachpragmatischen Ansatz zurück. Die Perspektive der zweiten Person ist eine sinnvolle und notwendige Ergänzung der Perspektive der ersten Person, nicht aber ihr Ersatz. 4.5 Die normative Signifikanz von Überzeugungen Mit der Darstellung der wichtigsten und elementarsten deskriptiven Merkmale des Sprachspiels der Überzeugung wird es nun möglich, die diskursive Praxis auf ihre fundamentale normative Dimension hin zu interpretieren. Ich werde darlegen, dass sich Sprecher beim Behaupten und Zuschreiben von Überzeugungen immer auch beurteilen dahingehend, ob ihr Verhalten den Erwartungen entspricht oder nicht. Der Umstand, dass eine Behauptung als Überzeugung ein offenes Fürwahrhalten ist, macht sie zu etwas grundsätzlich Bewertbarem. Es lässt sich beurteilen, ob jemand dem Wahrheitsanspruch, den er mit seiner Behauptung erhebt, auch gerecht wird. Zudem können Zuschreibungen von Überzeugungen als eine Form der Bewertung interpretiert werden. Mit Hilfe von Dennetts Strategie der „intentionalen Einstellung“ lässt sich zeigen, dass dabei auf substantielle Weise Rationalität vorausgesetzt wird. Denn indem wir jemandem Überzeugungen zuschreiben, beurteilen wir ihn immer auch dahingehend, ob er sich rational verhält oder nicht. So stellt sich sowohl die Praxis des Behauptens als auch die des Zuschreibens von Überzeugungen als grundlegend und auf bedeutsame Weise normativ aufgeladen heraus. 4.6 Wahrheit normativ verstanden Ein wichtiger Grund für die normative Aufgeladenheit des Behauptens und Zuschreibens von Überzeugungen liegt in dem unmittelbaren

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Zusammenhang von Überzeugung und Wahrheit. Das lässt sich schon allein daran erkennen, dass wir das Meinen oder Haben von Überzeugungen auch als Fürwahrhalten bezeichnen.168 Als beispielsweise Kopernikus behauptete, dass sich die Erde um die Sonne dreht, hielt er dies (natürlich) für wahr. Viele seiner Zeitgenossen waren anderer Meinung. Sie hielten für wahr, dass sich die Sonne um die Erde dreht. Nun besteht die diskursive Praxis aber nur in den seltensten Fällen aus einzelnen, isolierten Behauptungen. Vielmehr reagieren Diskursteilnehmer auf Behauptungen anderer mit komplementären Sprechhandlungen. Wer eine Überzeugung äußert, kann damit rechnen, dass sich jemand anderes mit einer anderen Überzeugung darauf bezieht. Das kann eine inhaltliche Ergänzung oder die Weiterführung eines Gedanken sein. Es kann aber auch sein, dass für die Behauptung eine Begründung eingefordert wird. Grundsätzlich ist es also nicht gleichgültig, wie jemand zu dem steht, was er für wahr hält. Vielmehr ist das Meinen oder Haben einer Überzeugung gleichbedeutend damit, eine bestimmte Einstellung oder Haltung einzunehmen. Daher auch die Konvention, es als eine propositionale Einstellung zu bezeichnen. Jemand, der etwas glaubt, nimmt eine affirmative Haltung ein in Bezug auf das, was er glaubt. Nichts anderes besagt die Rede vom Fürwahrhalten. Wenn jemand eine Überzeugung äußert, dann verbindet sich damit der Anspruch, dass dies wahr ist. Wer etwas behauptet, erhebt implizit immer einen Wahrheitsanspruch.169 Das heißt nicht, dass das Meinen ein freier Entschluss ist. Eine Überzeugung zu haben, ist nicht der Vorgang oder das Resultat einer (willkürlichen) Entscheidung. Wir haben nicht eine Überzeugung, und dann entscheiden wir noch darüber, ob wir sie für wahr oder falsch halten.170 Dann müsste es ja auch möglich sein, der unliebsamen Neigung zu falschen Überzeugungen zu widerstehen. Ebenso wenig heißt es, dass das, was jemand glaubt, automatisch wahr ist. Niemand ist in der Lage, ausschließlich das zu glauben, was auch 168

Vgl. z. B. Kant (1998), B848 ff. (A820 ff.) o. Frege (1993), 30 ff. Vgl. Tugendhat/Wolf (1983), 24 u. 221. Das ist auch die Grundlage für das Äquivalenzschema, das im Zentrum der deflationistischen Wahrheitstheorie steht. Vgl. Kap. 6.8 insbes. Anm. 324. 170 Vgl. Wittgenstein (1984d), 514. 169

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tatsächlich wahr ist.171 Aber indem jemand eine Überzeugung hat, zieht er etwas in Betracht mit dem Anspruch, dass es wahr ist, oder etwas anders gesagt, was aus seiner Sicht wahr sein soll. Der Zusammenhang von Wahrheit und Überzeugung findet sich aber nicht nur in der Perspektive der ersten Person. Er spiegelt sich in Form einer Erwartungshaltung in der Perspektive der zweiten Person. Stellen wir uns die kommunikative Standardsituation vor, in der jemand eine Überzeugung äußert. Anders als bei Kopernikus’ These vom Heliozentrismus gehen wir meistens, wenn auch nicht immer, davon aus, dass die Behauptungen anderer wahr sind. Auch wir halten in den meisten Fällen für wahr, was sie behaupten. Gelegentlich ist Zweifel zwar durchaus angebracht und wünschenswert. Irrtümer sind immer möglich. Die überwiegende Mehrheit der Behauptungen anderer für falsch zu halten, würde jedoch zu keiner sinnvollen Gesprächssituation führen. Donald Davidson hat diesen Umstand zum Prinzip erklärt. Das durch ihn prominent gewordene „Nachsichtigkeitsprinzip“ (Principle of Charity) besagt, dass die Überzeugungen eines jeden Sprachbenutzers, um überhaupt verständlich sein zu können, zum größten Teil wahr und konsistent sein müssen. 172 Dass sich ein Sprecher irrt, kann zwar keinesfalls ausgeschlossen werden. Unterstellen wir ihm aber zu viele Irrtümer, so untergraben wir unsere Fähigkeit zu verstehen, worin diese eigentlich bestehen. Davidson formuliert mit dem Gedankenexperiment der „radikalen Interpretation“ eine paradigmatische Sprecher-Hörer-Situation, worin ein Interpret versucht, die Äußerungen eines ihm völlig fremden Sprechers zu verstehen.173 Obwohl es dabei nur ein Minimum an 171

Vgl. Mayo (1963/64), 144 f. u. Dennett (1971), 102. B. Mayo und Dennett bezeichnen es als ein Dilemma, dass es einerseits nicht möglich ist, frei zwischen wahren und falschen Überzeugungen zu wählen, dass wir andererseits aber auch nicht ausschließlich die Überzeugungen haben, die tatsächlich wahr sind. 172 Vgl. z. B. Davidson (1984), 27, 101, 136 f., 152 f., 168 f., 196 f. u. Davidson (1986), 316. Das Prinzip geht ursprünglich auf N. Wilson zurück. Vgl. Wilson (1958/59), 532. Quine nimmt für sein Gedankenexperiment der „radikalen Übersetzung“ ein ähnliches Prinzip in Anspruch. Vgl. Quine (1960), 59 f. Ebenso findet sich eine Version bei Dennett. Vgl. Dennett (1971), 93 ff. u. Dennett (1987), 19 ff. 173 Das Gedankenexperiment geht ursprünglich auf Quines „radikalen Übersetzung“ zurück. Vgl. Quine (1960), Kap. 2.

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Anhaltspunkten gibt, steht dem Interpreten dennoch ein Schlüssel zu Sprache und Denken des fremden Sprechers zur Verfügung. Dieser besteht in der Voraussetzung eines Hintergrundes massiver Übereinstimmung bei den eigenen und fremden Überzeugungen. Und das beginnt damit, dass der Interpret von der Wahrheit der meisten Behauptungen des Fremden ausgeht. Er unterstellt und erwartet, dass der Sprecher größtenteils glaubt, was der Fall ist. Auch aus seiner Sicht sollen die fraglichen Überzeugungen wahr sein. Dadurch wird also ersichtlich, dass der diskursive Umgang mit Überzeugungen in doppelter Hinsicht normativ aufgeladen ist. Aus der Perspektive der ersten Person entspricht die eigne Überzeugung der Selbstverpflichtung eines Sprechers, dass das, was er behauptet, wahr ist. Er übernimmt gleichsam die Verantwortung für das, was er glaubt und behauptet. Aus der Perspektive der zweiten Person ist eine Überzeugung gleichbedeutend mit einer Erwartung an das Subjekt der Zuschreibung. Wer eine Überzeugung zuschreibt, unterstellt implizit ihre Wahrheit. In beiden Fällen verbindet sich also mit der Überzeugung ein Sollen, das sich an ihren Wahrheitsgehalt richtet. So gesehen lässt sich Wahrheit als ein normativer Standard begreifen, mit dessen Hilfe über die Angemessenheit einer Überzeugung als solche entschieden wird.174 Sie steht dabei weder für eine konkrete Regel in einem präskriptiven Sinne noch für einen bestimmten Regeltypus. Vielmehr ist sie Teil dessen, was das Sprachspiel der Überzeugung in einem allgemeinen, evaluativen Sinne zu einem essentiell normativen macht. An der unmittelbaren Beziehung, die zwischen Wahrheit und Überzeugung besteht, zeigt sich die normative Signifikanz, die den sprachlichen Umgang mit Überzeugungen entscheidend prägt. Denn wie gesehen geht mit jeder behaupteten oder zugeschriebenen Überzeugung stets ein Zugeständnis, eine Verbindlichkeit oder eine Verantwortung einher, welche für diese Form von sprachlicher Performanz konstitutiv ist. Damit tritt eine allgemeine Normativität in den Blick, mit deren Hilfe sich der diskursive Umgang mit Überzeugungen später als Regelfolgen verständlich machen 174

Vgl. Griffiths (1962/63), 182 ff. Dies ist auch ein zentraler Gedanke in R. Rortys Auseinandersetzung mit dem Wahrheitsbegriff. Vgl. z. B. Rorty (1986), 334 o. Rorty (1988), 16. Vgl. hierzu auch Kap. 6.8 Anm. 319.

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lässt. Wahrheit kann insofern als eine normative Eigenschaft begriffen werden, als sie eine Voraussetzung oder allgemeine Bedingung der Möglichkeit für die Anwendung des Begriffs der Überzeugung ist.175 Dieses Wahrheitsverständnis unterscheidet sich jedoch klar von dem, was das Ergebnis tatsächlicher Verifikation ist. Hier geht es um eine Art normative Korrektheit, dort um deskriptive Korrektheit. Vor allem aus der Perspektive der zweiten Person lässt sich dieser Unterschied gut verdeutlichen. Hier kann man klar zwischen physikalischen oder funktionalen Erklärungen auf der einen Seite und intentionalen Erklärungen auf der anderen unterscheiden.176 So ermöglicht die Zuschreibung natürlicher Eigenschaften oder Zustände empirische oder deskriptive Aussagen darüber, wie sich jemand oder etwas verhalten wird. Wir stellen beispielsweise fest: „Wenn Du die Glocke bewegst, beginnt sie zu läuten.“ oder „Wer sein Aktiendepot diversifiziert, verringert das Spekulationsrisiko.“ Die Zuschreibung intentionaler Zustände wie Überzeugungen dagegen erlaubt normative Vorhersagen darüber, wie sich jemand oder etwas verhalten soll. Allerdings ist die Erwartungshaltung, die sich an die Wahrheit einer Überzeugung richtet, zumeist eine implizite. Nur in seltenen Fällen sagen wir Dinge wie: „Wenn ich behaupte, dass mit der Post ein Brief gekommen ist, dann soll das auch so sein.“ oder „Du hast behauptet, dass es Steuererleichterungen geben wird. Also stehe auch dazu!“ Wahrheit als normative Korrektheit zu begreifen, bedeutet somit nicht, dass zwischen einer Überzeugung und irgendwelchen tatsächlichen Gegebenheiten eine notwendige Verbindung bestehen muss. Entscheidend ist nicht, ob eine Überzeugung wahr ist. In pragmatischer Hinsicht vorrangig ist vielmehr, dass sie wahr sein soll. Denn bevor wir beurteilen können, ob eine Überzeugung tatsächlich wahr ist, ist sie bereits mit dem Anspruch, wahr zu sein, geäußert oder zugeschrieben worden. Zu fragen, ob eine Überzeugung wahr ist, heißt nicht nur zu fragen, ob sie in deskriptiver Hinsicht in Ordnung ist. Es heißt auch zu fragen, ob sie in normativer Hinsicht in Ordnung ist. 177 Es geht also nicht nur darum, ob die 175

Vgl. Griffiths (1962/63), 167. Vgl. Dennett (1971), 97 u. 102 f. 177 Vgl. Brandom (1994), 17. 176

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Tatsachen dafür sprechen, dass das Geglaubte wahr ist. Es geht auch darum zu beurteilen, ob jemand mit seiner Behauptung der besagten Art von Anspruch gerecht wird, wenn er etwas für wahr hält. Insofern ist eine Wahrheitsbeurteilung immer auch eine normative Beurteilung. Überzeugungen sind immer schon normativ aufgeladen, wenn sie in den Diskurs eingeführt werden. 4.7 Rationalität normativ verstanden Die diskursive Praxis setzt einerseits überwiegende Wahrhaftigkeit voraus. Andererseits verlangt, jemanden als Meinenden bezeichnen und behandeln zu können, ihn als einen überwiegend rationalen Sprecher oder Akteur zu betrachten. Wir schreiben dem anderen Diskursteilnehmer nicht nur zum größten Teil wahre Überzeugungen zu, sondern setzen auch voraus, dass er mit diesen Überzeugungen ein gewisses Maß an logischer Homogenität nicht unterschreitet. Gegebenenfalls sollte er seine Überzeugungen zudem begründen können. Dies sind Erwartungen, die aufzugeben wir nicht leichtfertig bereit sind. Eher noch unterstellen wir eine gestörte Aufmerksamkeit oder Wahrnehmung, oder wir zweifeln an den sprachlichen Kompetenzen, als dass wir die Rationalität einer Person in Frage stellen. Daher ist auch sie Teil des besagten „Nachsichtigkeitsprinzips“. Was diese Rationalitätsunterstellung im Einzelnen bedeutet, wird sich erst später in vollem Umfang zeigen. Dazu ist es nötig, mehr zu den Eigenheiten logischer Folgebeziehungen zu sagen.178 Grob gesagt bedeutet, jemanden als rationalen Sprecher zu behandeln, dass wir ihm Überzeugungen nach dem allgemeinen Muster gültiger Schlussregeln zuschreiben. Wir schreiben keine widersprüchlichen Überzeugungen zu und unterstellen ein gewisses Maß an deduktiver Übersicht. So schreiben wir jemandem beispielsweise nicht gleichzeitig die Überzeugungen zu, dass der Eiffelturm in Paris steht und dass der Eiffelturm in Pisa steht. Ebenso wenig nehmen wir an, dass jemand glaubt, der Eiffelturm stehe in Paris und Paris sei die Hauptstadt von Frankreich, wenn er sich weigert zu glauben, der Eiffelturm stehe folglich in der Hauptstadt von Frankreich. 178

Dies werde ich im Rahmen einer inferentiellen Semantik in Kap. 5.7 ff. tun.

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Sicherlich ist in dieser Hinsicht niemand vollkommen rational. Die Rationalitätsannahme ist ein Ideal, das niemand gänzlich erreicht. Wie die Wahrheit ist sie jedoch ein allgemeiner Standard, ohne den es keinen sinnvollen Diskurs geben kann. Rationalität ist also in erster Linie eine Erwartungshaltung aus der Perspektive der zweiten Person. Genau genommen richtet sie sich aber nicht an die jeweils einzelnen Überzeugungen eines Sprechers, sondern an die Art und Weise, wie sie miteinander in Zusammenhang stehen. Sie ist also immer Merkmal einer Vielzahl von Überzeugungen. Ebenso wenig geht es dabei nur um Überzeugungen. Rationalität betrifft auch denjenigen, der diese hat beziehungsweise dem sie zugeschrieben werden. Als rational bezeichnen wir sowohl ein bestimmtes System von Überzeugungen als auch den Meinenden selbst. Indem wir den inneren Zusammenhang seines Überzeugungssystems beurteilen, beurteilen wir zugleich ihn und können so Vorhersagen treffen, was sein weiteres Denken und Handeln betrifft. Aus der Perspektive der ersten Person ergibt sich dadurch für denjenigen, der seine Behauptungen äußert, eine weitere Verpflichtung oder Verantwortung. Denn wer etwas behauptet, steht nicht nur für die Wahrheit seiner Überzeugungen ein. Er garantiert auch, dabei die allgemeinen Rationalitätsstandards einzuhalten. So schließt er Widersprüche aus, indem er beispielsweise sagt: „Wenn ich sage ‚heute’, dann meine ich nicht ‚morgen’.“ Und er macht Zugeständnisse, was die Gründe und Folgen seiner Behauptung betrifft. Er hält also nicht einfach etwas Einzelnes für wahr, sondern lässt sich auch auf das ein, was daraus folgt und wovon es die Folge ist. Behauptet er beispielsweise, dass es regnet, dann ist er damit zugleich bereit einzuräumen, dass die Straße nass wird. Behauptet er, dass Berlin östlich von Hamburg liegt, so wird er nicht bestreiten, dass Hamburg westlich von Berlin liegt. Rationalität ist eine grundlegende Erwartung, die wir haben, wenn jemand etwas behauptet oder wenn wir ihm eine Überzeugung zuschreiben. Dies wird auch dann deutlich, wenn wir die Zuschreibung von Überzeugungen mit der von Wünschen kombinieren. 179 Dabei setzen wir nicht nur die Standards des Schlussfolgerns voraus, sondern überdies, dass 179

Vgl. auch Dennett (1971), 103. Dennett spricht von dem „circle of implications between beliefs and desires“.

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der Meinende allgemeinen Grundbedürfnissen wie Überleben, Fortpflanzung, Schmerzfreiheit etc. folgt. Geht man beispielsweise davon aus, dass jemand glaubt, dass der Kochtopf heiß ist und dass er sich nur dann nicht daran verbrennt, wenn er einen Topflappen verwendet, und er zudem wünscht, sich nicht zu verbrennen, so ergibt sich daraus die Forderung nach der Verwendung eines Topflappens. Überzeugungen und Wünsche bringen also aus der Perspektive des Interpreten die Erwartung eines bestimmten Verhaltens auf Seiten des vermeintlich rationalen Akteurs mit sich. Von der Überzeugung führt eine normative Beziehung zu einer rational erwartbaren Handlung. Wer einen praktischen Schluss nach dem erwähnten Muster zieht, gibt somit Auskunft über das geforderte, nicht aber über das tatsächliche Handeln der betreffenden Person. Die Rationalitätsannahme besagt, dass ein Sprecher oder Akteur sich im Wesentlichen so verhält, wie man es rationalerweise tun sollte. Auch wenn alles für eine bestimmte Handlung spricht, ist jedoch nicht gesagt, dass sie auch letztlich vollzogen wird. Mit dem Behaupten oder Zuschreiben von Überzeugungen gehen also nicht nur Erwartungen und Verbindlichkeiten einher, die sich an deren Wahrheit richtet. Damit zusammen hängen ebenfalls Einschätzungen, die sich auf die Rationalität der Überzeugungen und den Meinenden selbst beziehen. Rationalität lässt sich daher ebenfalls als ein normativer Standard begreifen, mit dem wir über die Angemessenheit von Überzeugungen und Handlungen entscheiden. Sie gibt vor, welche Überzeugungen ein Sprecher haben und äußern sollte. Dieser Standard ist wesentlich für den sprachlichen Umgang mit Überzeugungen überhaupt sowie für deren spezifische Bedeutsamkeit. Denn aus dieser normativen Signifikanz leitet sich eine normative Form der Korrektheit ab, die sich auf die Folgebeziehungen zwischen verschiedenen Überzeugungen beziehungsweise zwischen Überzeugungen und Handlungen richtet. Daraus ergibt sich für jede Überzeugung ein bestimmter logischer Ort im Netz der Überzeugungen und Handlungen. Und der wiederum fixiert die jeweilige Bedeutung der entsprechenden Aussagen und Ausdrücke.180 Die Beispielsätze zur Veranschaulichung der normativen Signifikanz von Überzeugungen mögen bemüht, vielleicht sogar absurd erscheinen. Es 180

Vgl. hierzu ausführlich Kap. 5.

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ist ungewöhnlich, dass jemand auf die Wahrheit seiner eigenen Behauptung explizit hinweist oder dass sie von einem Zuhörer explizit unterstellt oder eingefordert wird. Eher selten ist auch, dass wir aufgrund bestimmter Überzeugungen explizit darauf schließen, wie sich jemand rationalerweise verhalten sollte. Und dass jemand seine eigenen Überzeugungen und Wünsche auf diese Weise analysiert, klingt geradezu absurd. Zumeist bleibt all dies unausgesprochen. Der springende Punkt ist daher auch, dass die normative Signifikanz im Sprachspiel der Überzeugung zunächst einmal implizit enthalten ist. Was die Beispiele zeigen, ist also nicht viel mehr, als dass die darin thematisierte normative Evaluation vielfach nur um den Preis einer gewissen Manieriertheit explizit gemacht werden kann. Bei normativen Aus- oder Vorhersagen handelt es sich daher weniger um offene, als vielmehr um nicht artikulierte, innere Erwartungen oder Einschätzungen. Das normative Moment läuft bei Behauptungen und Zuschreibungen von Überzeugungen permanent implizit mit. Insofern ist auch das „Nachsichtigkeitsprinzip“ nichts, worüber wir viel nachdenken und was wir ausdrücklich erwähnen. Allenfalls als rhetorisches Stilmittel kommt es hin und wieder offenen zum Ausdruck. Ansonsten gehen wir stillschweigend davon aus, dass jemand überwiegend wahre Überzeugungen hat und dass er glaubt, was er rationalerweise glauben sollte. Theoretische und praktische Schlüsse hinsichtlich des erwartbaren Denkens und Handelns anderer stellen wir nicht explizit an. Sie sind vielmehr implizit in der diskursiven Praxis enthalten. Somit wäre es ein Fehler, aufgrund der bisherigen Ausführungen anzunehmen, die Praxis des Behauptens und Zuschreibens von Überzeugungen sei in einem konkreten, präskriptiven Sinne normativ. Nach dem bisher Gesagten sollte man beispielsweise nicht annehmen, dass der Umgang mit Überzeugungen von den folgenden beiden Vorschriften begleitet wird: (R1) Behauptungen und Zuschreibungen von Überzeugungen müssen den Tatsachen entsprechen und somit wahr sein. (R2) Wer Überzeugungen hat, muss rational sein.

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Denn damit wäre der eigentliche Sinn der bisherigen Überlegungen verfehlt. Zum einen würde mit dieser Sichtweise der normative Aspekt des Zusammenhangs von Wahrheit und Überzeugung außer Acht gelassen und ausschließlich in deskriptiver Hinsicht berücksichtigt. Zum anderen würde die Normativität von Überzeugungen insofern falsch verstanden, als versucht würde, sie in Form von expliziten Präskriptionen zu konkretisieren. Die Idee einer normativen Pragmatik ist nicht die, dass in der diskursiven Praxis Regeln in Form von expliziten, theoretischen Hypothesen befolgt werden. Dieser Vorstellung droht wie gesehen ein infiniter Regress. Die Normativität, die das Behaupten und Zuschreiben von Überzeugungen konstituiert, gilt daher als implizit in der diskursiven Praxis. Die Wahrheits- und Rationalitätsannahme sind lediglich allgemeine Indikatoren von Normativität. Mit ihrer Hilfe lässt sich zeigen, dass es Normativität und normative Korrektheit im Sprachspiel der Überzeugung gibt, nicht aber, wie genau einzelne Regelformulierungen lauten. Der sprachliche Umgang mit Überzeugungen impliziert zunächst nichts weiter als Normativität im Allgemeinen. Das heißt andererseits nicht, dass es dabei keine expliziten Regeln geben kann. Vielmehr ist das Behaupten und Zuschreiben von Überzeugungen bereits normativ signifikant, bevor es zur expliziten Formulierung von Regeln kommt. Wenn daher in den vorausgehenden Abschnitten Begriffe wie Wahrheit, Rationalität, Logik etc. vorkommen, dann nur mit dem methodischen Ziel, die grundlegende Normativität verständlich zu machen. Die Begrifflichkeit nimmt hier einiges vorweg, was die Systematik des anvisierten Theoriemodells eigentlich noch nicht enthält. In den folgenden Abschnitten werde ich diesen Vorgriff insofern rückgängig machen, als ich das Theoriemodell konsequent immanent rekonstruieren werde. 4.8 Normative Pragmatik Im Folgenden werde ich die bisherigen Überlegungen so weiterführen, dass eine übersichtliche Systematik in einer einheitlichen und neutralen Terminologie entsteht. Ziel ist es, die implizit normative Struktur des interpersonalen Austauschs von Überzeugungen sichtbar zu machen. Dabei werde ich vor allem Robert Brandoms normative Rekonstruktion des

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Begriffs der Überzeugung aufgreifen.181 Hier ist zunächst noch einmal die Gebrauchsprosa zur Erinnerung: Wer eine Überzeugung hat, hält etwas für wahr. Wer eine Überzeugung zuschreibt, tut in gewisser Weise dasselbe. Er hält für wahr, dass jemand anderes etwas für wahr hält. Was der andere für wahr hält, hält er selbst jedoch nicht zwangsläufig ebenfalls für wahr. Die Zuschreibung bedeutet im Vergleich zur Behauptung einen Perspektivwechsel. Dabei geht es nicht unbedingt um genau dieselbe Überzeugung. Gemein ist den beiden Arten des Umgangs mit Überzeugungen allerdings, dass sie diese zum Gegenstand der Bewertung oder Einschätzung machen. Personen, die etwas behaupten oder zuschreiben, gehen zumeist davon aus, dass es wahr ist: Es soll wahr sein. Die andere Gemeinsamkeit liegt darin, dass, wer eine Überzeugung äußert oder zuschreibt, diese in einen erwartbaren rationalen Zusammenhang stellt. Er stellt Anforderungen was das Verhältnis zu anderen Überzeugungen angeht: Die Äußerung oder Zuschreibung soll rational sein. Überzeugungen kommen in der diskursiven Praxis vorrangig auf zwei Art und Weisen vor. Neben dem Behaupten gibt es die Möglichkeit, Überzeugungen zuzuschreiben. Daher ist es möglich und wichtig, den intentionalen Zustand der Überzeugung als den performativen Akt des Behauptens oder Zuschreibens von Überzeugungen zu betrachten und dabei die normativen Aspekte in den Blick zu nehmen. Mit dem Behaupten oder Zuschreiben kommt einer Überzeugung eine spezifisch normative Eigenschaft zu. Dies ist allerdings keine Eigenschaft, die sie damit erst erwirbt, sondern die sie implizit immer schon hat. Genau genommen ist es auch keine Eigenschaft, die die Überzeugung tatsächlich hat. Vielmehr handelt es sich um etwas, das sie haben soll. Überzeugungen haben die Eigenschaft, auf normative Weise korrekt oder inkorrekt zu sein beziehungsweise sein zu sollen. 4.9 Normativer Status Die Performanzen des Behauptens oder Zuschreibens von Überzeugungen sind einerseits etwas, was tatsächlich getan wird. Andererseits lassen sie sich auch als etwas beschreiben, was getan werden 181

Vgl. Brandom (1994), insbes. Kap. 1 u. 2.

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sollte. Sie haben nicht nur deskriptive, sondern auch normative Merkmale. Behauptungen oder Zuschreibungen von Überzeugungen haben eine spezifische normative Kraft. Bezogen auf die Teilnehmer der diskursiven Praxis – diejenigen, die etwas behaupten, zuschreiben oder zugeschrieben bekommen – bedeutet das, dass ihnen mit Blick auf ihre jeweilige Überzeugung etwas zukommt, was man als „normativen Status“ bezeichnen kann.182 Sobald ein Meinender eine Behauptung äußert oder jemand ihm eine Überzeugung zuschreibt, hat er einen solchen Status. Er steht zu einer bestimmten Überzeugung in einer Beziehung, die sich als angemessen oder nicht erweisen kann. Man kann sich dies durch eine Analogie zum Schachspiel verdeutlichen. Bevor der König zum ersten Mal in einer Partie gezogen wird, darf mit ihm – unter bestimmten Bedingungen – eine Rochade ausgeführt werden. Sobald er einmal gezogen wurde, erlischt diese Berechtigung. Man kann also sagen, dass der König mit dem ersten Zug nicht nur seine Position auf dem Brett, sondern auch seinen normativen Status verändert. Er verliert das Recht zu rochieren. Dies ist der erste Schritt in Richtung praxis-impliziter Normen oder Regeln. Diese sind in der sprachlichen Praxis insofern implizit, als sprachliche Performanzen, in denen Überzeugungen vorkommen, den Diskursteilnehmern normative Status verleihen. Eine Überzeugung zu äußern heißt, einen normativen Status einzunehmen. Eine Überzeugung zuzuschreiben heißt, einen normativen Status zuzuschreiben. Der normative Status eines Diskursteilnehmers korrespondiert mit der normativen Korrektheit oder Inkorrektheit seines sprachlichen Verhaltens. Eine Überzeugung zu äußern heißt, etwas korrekter- oder inkorrekterweise zu glauben oder meinen. Und eine Überzeugung zuzuschreiben heißt, jemanden als korrekter- oder inkorrekterweise glaubend oder meinend zu betrachten. Brandom schlägt vor, den herkömmlichen Begriff der Überzeugung in drei Arten von normativen Status zu unterteilen.183 Das sind insbesondere 182

Vgl. ebd., insbes. 16 f., 33, 41, 57 u. 157 ff. Brandom redet gleichbedeutend vom „normativem“ und „deontischen Status“. Damit bezeichnet er ein Merkmal nicht nur von Überzeugungen, sondern von jeder Art intentionalem Zustand. Ich werde mich jedoch auf Überzeugungen beschränken. 183 Vgl. insbes. ebd., 159 f.

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die Status der „Festlegung“ und der „Berechtigung“. Die dritte Art ist auf die Beziehung dieser beiden zueinander zurückführbar. Der Status der „Unvereinbarkeit“ ergibt sich insofern, als zwei Behauptungen unvereinbar sind, wenn mit der Festlegung auf die eine die Berechtigung zur anderen ausgeschlossen ist. Generell bestehen zwischen Überzeugungen somit sich auseinander ableitende und sich gegenseitig ausschließende Beziehungen. Diese drei Arten von normativen Status entsprechen im Grunde den traditionellen deontischen Modi geboten, erlaubt und verboten.184 Allerdings sind sie frei von legalistischen Konnotationen und damit von Zusammenhängen, in denen es um explizit formulierte Regeln und Gesetze geht. Mit einem eigenständigen Vokabular soll der Akzent bewusst auf die implizite Normativität der sprachlichen Praxis gelegt werden. Betrachten wir die normativen Status im Einzelnen. Eine Festlegung ist ein Status, der jemandem genau dann zukommt, wenn von ihm unter bestimmten Bedingungen eine bestimmte sprachliche Handlung gefordert wird. Das heißt, dass die betreffende Handlung in dem Sinn richtig oder angemessen ist, in dem ihre Unterlassung falsch oder unangemessen wäre. Die Korrektheit der Handlung impliziert die Inkorrektheit ihrer Unterlassung. Man kann auch sagen, dass das, worauf jemand festgelegt ist, für ihn geboten oder verpflichtend ist. Eine bestimmte Überzeugung zu äußern oder zuzuschreiben, legt eine Person darauf fest, weitere Überzeugungen zu akzeptieren. Wenn jemand beispielsweise behauptet, dass es draußen regnet, dann ist er damit auf die Behauptung festgelegt, dass draußen die Straße nass wird. Schreiben wir jemand die Behauptung zu, dass Berlin östlich von Hamburg liegt, dann ist er damit auf die Behauptung festgelegt, dass Hamburg westlich von Berlin liegt. Jemand besitzt den Status der Berechtigung genau dann, wenn unter bestimmten Bedingungen eine bestimmte sprachliche Handlung erlaubt ist. Die betreffende, mögliche Handlung ist damit in einem anderen Sinn richtig oder angemessen, als bei der Festlegung. Ihr Vollzug ist korrekt, ohne dass das Ausbleiben gleichzeitig inkorrekt ist. Wir sagen in diesem Fall nicht, die Person sei zu der Handlung verpflichtet, sondern lediglich befugt. Das heißt, dass jemand mit dem Äußern oder Zuschreiben einer 184

Vgl. Schnädelbach (1992), 85.

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Überzeugung die Befugnis oder den Anspruch erlangt, weitere Überzeugungen zu äußern oder zuzuschreiben. Behauptet jemand beispielsweise, dass es draußen regnet, dann berechtigt ihn das zu der Behauptung, dass draußen die Temperatur sinken wird. Schreiben wir jemand die Behauptung zu, dass dies ein Glas ist, dann sind wir dazu berechtigt, ihm die Behauptung zuzuschreiben, dass es zerbrechen wird, wenn es herunterfällt. Im Unterschied zur Festlegung ist die Berechtigung jedoch nicht zwingend. Im ersten Beispiel kann es sich auch nur um einen kurzen Regenschauer handeln, der keinerlei Auswirkung auf die Temperatur hat. Und im zweiten Beispiel ist es denkbar, dass das Glas auf einen weichen Untergrund fällt oder derart gehärtet ist, dass es nicht zerbricht. Der normative Status der Unvereinbarkeit schließlich kommt jemandem genau dann zu, wenn er durch eine bestimmte sprachliche Handlung zu einer anderen nicht berechtigt ist. Das bedeutet, dass das betreffende Verhalten in dem Sinn richtig oder angemessen ist, in dem ein anderes falsch oder unangemessen wäre. Am deutlichsten wird dies bei gegensätzlichen Überzeugungen. Im diesem Fall ist mit einer Behauptung oder Zuschreibung die Behauptung oder Zuschreibung des Gegenteils verwehrt. Behauptet jemand beispielsweise, dass es draußen regnet, so ist er damit nicht berechtigt zu behaupten, dass draußen die Sonne scheint. Der Status der Unvereinbarkeit bietet darüber hinaus die Möglichkeit, indirekt den Status der Festlegung abzubilden. Man kann nämlich sagen, dass jemand mit einer Behauptung zusätzlich auf genau die Behauptungen festgelegt ist, die mit all denen unvereinbar sind, die auch mit der ursprünglichen Behauptung unvereinbar ist. So ist jemand, der behauptet, dass in Pisa ein um 4,56 Grad in Richtung Südosten geneigter Turm steht, insofern auf die Behauptung festgelegt, dass in Pisa ein schiefer Turm steht, als die beiden Behauptungen mit denselben Behauptungen unvereinbar sind. In beiden Fällen ist beispielsweise ausgeschlossen, dass der Turm „Eiffelturm“ heißt, dass man von ihm aus den Berliner Alexanderplatz sehen kann, dass er zwischen 1973 und 1975 in Toronto errichtet wurde etc.

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4.10 Normative Einstellung Zuschreibungen von Überzeugungen in Ergänzung zu Behauptungen führen einen sinnvollen und notwendigen Perspektivwechsel herbei. Sie erlauben es, die sprachliche Praxis, verstanden als eine soziale Praxis, in ihrer gesamten Ich-Du-Struktur zu berücksichtigen. Die Ich- und die DuPerspektive betreffen nun jedoch in demselben Diskurs nicht unbedingt die gleiche Überzeugung. Genauer gesagt betreffen sie, wenn auch dieselbe Überzeugung, diese nicht unbedingt auf dieselbe Art und Weise. Wenn beispielsweise Karl Hannah die Überzeugung zuschreibt, dass Berlin östlich von Hamburg liegt, so ist damit nicht gesagt, dass Karl dies ebenfalls glaubt. Es bedeutet zwar, dass Hannah nicht nur darauf, sondern auch auf weiteres festgelegt ist, und dass sie auch zu weiteren Behauptungen berechtigt ist. So ist sie beispielsweise ebenfalls darauf festgelegt, dass Hamburg westlich von Berlin liegt. Zugleich ist sie auch zu der Behauptung berechtigt, dass es zwischen beiden Städten eine Zugverbindung gibt. Das alles gilt für Hannah, nicht jedoch zwangsläufig auch für Karl. Allgemein gesprochen kommt den verschiedenen Teilnehmern desselben Diskurses nicht automatisch derselbe normative Status zu. Das klingt zunächst trivial, wenn man nur auf Behauptungen schaut. Natürlich behaupten verschiedene Diskursteilnehmer die unterschiedlichsten Dinge. Es geht hier aber nicht vorrangig darum, dass mit den Diskursteilnehmern auch die Überzeugungen variieren. Es geht nicht um den Gehalt einer Überzeugung, sondern um den normativen Zustand, in den sich ein Diskursteilnehmer begibt, wenn er sie ins Gespräch bringt. Besonders im Fall der Zuschreibung ist von Belang, dass unterschiedliche Gesprächsteilnehmer eine unterschiedliche Haltung oder Einstellung hinsichtlich der einzelnen Überzeugungen haben. Genauer noch kann man sagen, dass sie eine unterschiedliche „normative Einstellung“ einnehmen. 185 Dies lässt sich durchaus in Analogie zu Dennetts Strategie der „intentionalen Einstellung“ verstehen. Denn die Idee der normativen Einstellung dient ebenfalls der Verdeutlichung der Doppelstruktur der diskursiven Praxis aus Behaupten und Zuschreiben von Überzeugungen, 185

Vgl. insbes. Brandom (1994), 32 ff., 41 u. 626.

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nun jedoch unter dem Vorzeichen einer bewusst normativen Betrachtung. Diese Perspektivität umfasst die Idee, dass den Diskursteilnehmern unterschiedliche normative Status zukommen, denen wiederum die Einnahme unterschiedlicher normativer Einstellungen entspricht. Hierin liegt eine weitere wichtige Dimension der Normativität im Sprachspiel der Überzeugung. Zwischen dem normativen Status, der jemandem durch eine Behauptung oder Zuschreibung zukommt, und der normativen Einstellung, die demgegenüber eingenommen wird, besteht ein grundlegender Unterschied.186 Der normative Status gibt an, was in normativer Hinsicht richtig oder falsch ist. Das heißt im Einzelnen, er gibt an, worauf jemand festgelegt ist, wozu jemand berechtigt ist und welche seiner Überzeugungen unvereinbar sind. Die normative Einstellung dagegen informiert darüber, was in normativer Hinsicht für richtig oder falsch gehalten wird. Sie gibt an, als worauf festgelegt und als wozu berechtigt oder nicht jemand betrachtet wird. Wenn also beispielsweise Hannah behauptet, dass Berlin östlich von Hamburg liegt, dann betrachtet Karl sie als eben darauf festgelegt und zugleich als zu der Behauptung berechtigt, dass Hamburg westlich von Berlin liegt. Normative Status kommen in der diskursiven Praxis nicht anders vor als durch die jeweiligen Einstellungen der Sprecher und Zuhörer. Etwas salopp formuliert ist das Einzige, was man mit einem normativen Status tun kann, eine normative Einstellung ihm gegenüber einzunehmen. Normative Status werden durch die normativen Einstellungen der Diskursteilnehmer in der Praxis des Diskurses instituiert, oder, noch einmal anders gesagt, sie supervenieren auf normativen Einstellungen.187 Der Unterschied von normativen Status und Einstellungen geht also darauf zurück, dass das Sprachspiel der Überzeugung immer eine Angelegenheit unterschiedlicher Perspektiven ist. Die Normativität von Überzeugungen ist das Resultat unterschiedlicher subjektiver Einstellungen. Schließlich gehören Normen oder Regeln nicht zum Bestand der natürlichen Welt der Tatsachen. Sie sind das Werk von uns

186 187

Vgl. ebd., 41 u. 637. Vgl. Esfeld (2002), 168 f.

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Menschen und liegen somit maßgeblich „im Auge des Betrachters“.188 Daher entspricht das Zusammenspiel von normativen Status und Einstellungen der Einsicht, dass Überzeugungen ein soziales Phänomen sind. Normative Status kommen Sprechern und Zuhörern nur durch ihre Teilnahme an der interpersonalen sprachlichen Praxis zu. Normativität gibt es also nur innerhalb einer Gemeinschaft und aus der Perspektive ihrer Mitglieder. Sie kann nicht von außerhalb gegeben sein. Im Fall des Behauptens ist die Normativität von Überzeugungen vielleicht nicht sofort ersichtlich. Wer etwas behauptet, legt sich auf eine Überzeugung fest. Damit stehen weitere Festlegungen, Berechtigungen und Unvereinbarkeiten in unmittelbarem Zusammenhang. Wieso, so könnte man fragen, sollte dies eine normative Angelegenheit sein? Die diskursive Welt besteht aber nicht nur aus Sprechern, die Behauptungen machen. Es gibt darin ebenso Zuhörer, die Überzeugungen zuschreiben und Behauptungen beurteilen. Man kann dies auch als den Unterschied zwischen dem Einnehmen und dem Zuweisen eines normativen Status bezeichnen. Dann wird ersichtlich, dass sich an Überzeugungen stets normative Erwartungen knüpfen. Beim Einnehmen eines normativen Status entsprechen sich Behauptung und Festlegung. Die Behauptung kann mit dem normativen Status der Festlegung gleichgesetzt werden. Jemandem einen normativen Status zuweisen bedeutet dagegen, ihn als festgelegt, als berechtigt oder als nicht berechtigt zu betrachten. Die Zuweisung und der Status der Festlegung entsprechen sich also nicht zwangsläufig. Das schafft einen Spielraum, der es ermöglicht, zu einer bestimmten Festlegung auf Distanz zu gehen. Schauen wir uns den zentralen Fall der Festlegung noch etwas genauer 189 an. Ein Diskursteilnehmer hat hier zwei Möglichkeiten. Auf der einen Seite kann er selbst eine Festlegung eingehen. Er nimmt den normativen Status der Festlegung selbst ein, indem er beispielsweise sagt: „Berlin liegt östlich von Hamburg.“ Auf der anderen Seite kann der Diskursteilnehmer eine Festlegung jemand anderem zuerkennen. In diesem Fall weist er jemand anderem den Status der Festlegung zu, ohne ihn notwendigerweise selbst anzuerkennen. Er sagt beispielsweise: „Hannah behauptet, dass 188 189

Vgl. Brandom (1994), 25, 51 f., 161 u. 626. Vgl. hierzu ebd., 161 ff.

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Berlin östlich von Hamburg liegt.“ Nur im ersten Fall kommt es also zu einer unmittelbaren Übereinstimmung von Festlegung und besagter Überzeugung beziehungsweise deren Behauptung. Man kann sich diese beiden Aspekte nun folgendermaßen miteinander verknüpft vorstellen. Wenn jemand eine Festlegung eingeht oder anerkennt, dann berechtigt dies jemand anderen dazu, ihm diese Festlegung zuzuerkennen. Dies ist zunächst unabhängig davon, wie die Dinge wirklich liegen und wie derjenige, der die Festlegung zuerkennt, selbst dazu steht. Wenn er diese Festlegung zugleich jemand anderem zuund für sich selbst anerkennt, kommt dies dem eigenen Eingehen dieser Festlegung gleich. Der andere übernimmt die Festlegung des einen für sich selbst, indem er beispielsweise sagt: „Ich stimme dir zu, dass Berlin östlich von Hamburg liegt.“ Nun sind andere Diskursteilnehmer dazu berechtigt, ihm diese Festlegung zuzuerkennen etc. Die jeweilige normative Einstellung stellt also für einen Diskursteilnehmer die Möglichkeit dar zu unterscheiden, worauf er sich selbst festlegt und worauf er andere als festgelegt betrachtet. Dadurch ergibt sich ein überaus komplexes und dynamisches Bild, welches die Normativität im Sprachspiel der Überzeugung wiedergibt. Sicher ist dies nur eine unvollständige Skizze. Für das allgemeine Verständnis der normativen Pragmatik ist sie aber ausreichend. Es lässt sich also festhalten, dass die Normativität von Überzeugen auf zwei allgemeine Momente der diskursiven Praxis zurückgeht: den normativen Status und die normative Einstellung der beteiligten Sprecher. Der sprachliche Umgang mit Überzeugungen versetzt Diskursteilnehmer also unvermeidlich in einen normativen Zustand. Durch Behauptungen und Zuschreibungen von Überzeugungen kommt ihnen der normative Status der Festlegung, der Berechtigung oder der Unvereinbarkeit zu. Verantwortlich für das Vorkommen dieser Status sind die Diskursteilnehmer selbst. Einzig und allein durch normative Einstellungen kommt es dazu, dass normative Status eingenommen oder verliehen werden.

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4.11 Sanktionen Sprecher beurteilen das Behaupten oder Zuschreiben von Überzeugungen anderer Sprecher im Lichte einer Vielzahl von Regeln. Ein explizites Verständnis von Regeln führt jedoch in einen Regress, während Regelmäßigkeiten die Unterscheidung von korrekt und inkorrekt nivellieren. Die Lösung ist, Regeln als implizit in der Praxis zu verstehen. Demnach weisen Sprecher und Zuhörer Verhaltensweisen auf, die so aufgefasst werden können, dass sie das Verhalten anderer implizit als korrekt oder inkorrekt klassifizieren. Anhand des Begriffs der Sanktion lässt sich verdeutlichen, inwiefern das Aufstellen und Erfüllen von Korrektheitsbedingungen als etwas Praxisimplizites verstanden werden kann. Sanktionen sind einerseits selbst Teil der Praxis, andererseits dienen sie der Institution von Regeln. Dies lässt sich mit Hilfe des Modells des Zuweisens normativer Status systematisch rekonstruieren. Sanktionen sind diesem Modell gewissermaßen inhärent. Denn das gegenseitige Sanktionieren der Diskursteilnehmer lässt sich derart beschreiben, dass sie einander Festlegungen, Berechtigungen und Unvereinbarkeiten zuweisen. Genauer gesagt auferlegen sie sich Festlegungen, erteilen sich Berechtigungen und weisen sich Unvereinbarkeiten nach. Vereinfacht ausgedrückt wendet ein Sprecher eine Sanktion an, indem er dem Adressaten dieser Sanktion ein Recht verleiht oder einer Pflicht auferlegt. Eine Sanktion anwenden ist also nichts anderes, als den normativen Status eines anderen durch die eigene normative Einstellung positiv oder negativ zu beeinflussen oder zu verändern. Äsops Fabel vom scherzenden Hirten kann dies veranschaulichen: Ein Hirt, der seine Herde in einiger Entfernung vom Dorf weidete, spielte folgendes Spiel: Er rief nämlich die Dorfbewohner zu Hilfe, weil sich angeblich Wölfe den Schafen näherten. Zwei- oder dreimal erschreckten sich die Dörfler furchtbar, sprangen auf und kehrten mit Gelächter wieder um. Schließlich geschah es, dass wirklich die Wölfe kamen. Seine Herde war abgeschnitten, und der Hirt rief um Hilfe, aber die Dorfbewohner meinten, dass er wie gewöhnlich scherze, und kümmerten sich nicht darum. Und so geschah es, dass er seine Schafe verlor.190 190

Äsop (2005), 201.

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Die Fabel zeigt, dass die Dorfbewohner dem Hirten anfangs durchaus glauben. Sie betrachten ihn als darauf festgelegt, dass sich seiner Herde Wölfe nähern. Außerdem gestehen sie ihm weitere Behauptungen zu. Sie betrachten ihn beispielsweise als dazu berechtigt zu behaupten, dass die Wölfe seine Schafe reißen werden, dass die Herde in Gefahr ist, dass die Dorfbewohner die Schafe gemeinsam retten können etc. Indem sie aufspringen und herbeieilen, bestätigen die Dorfbewohner den Hirten in seiner Behauptung. Möglicherweise rufen sie ihm auch explizit zu: „Wenn du behauptest, dass sich deiner Herde Wölfe nähern, dann ist davon auszugehen, dass sie die Schafe reißen werden.“ Schon das Aufspringen und Herbeieilen lässt sich aber so verstehen, dass sie seine Behauptung positiv sanktionieren. Schon bald stellt sich aber heraus, dass es verkehrt war, dem Hirten diese Autorität zuzuweisen. Die Dorfbewohner stellen fest, dass er zu der Behauptung „Die Wölfe nähern sich meiner Herde.“ überhaupt nicht berechtigt ist. Folglich betrachten sie ihn auch nicht mehr als dazu berechtigt zu behaupten, dass die Wölfe die Schafe reißen werden, dass die Herde in Gefahr ist, dass die Dorfbewohner die Schafe gemeinsam retten können etc. Die Dorfbewohner halten die Behauptung des Hirten für inkorrekt. Daher ignorieren sie seinen Ruf in Zukunft. Vielleicht kommentieren sie ihn auch mit der Feststellung: „Deiner Herde nähern sich keine Wölfe. Also ist sie auch nicht in Gefahr, und wir müssen sie auch nicht gemeinsam retten.“ Jedenfalls erfährt das sprachliche Verhalten des Hirten eine negative Sanktionierung. Die Dorfbewohner ändern ihre normative Einstellung ihm gegenüber und weisen ihm einen anderen normativen Status zu. Die Situation ließe sich noch detaillierter darstellen. Schließlich kommt es nicht nur bei den Dorfbewohnern, sondern auch bei dem Hirten zu einer Anpassung der normativen Status und Einstellungen. Diese betrachten ihn nicht mehr als zu der Behauptung berechtigt, dass sich seiner Herde Wölfe nähern. Daher betrachtet er sie nicht mehr als darauf festgelegt, dass er zu dieser Behauptung berechtigt ist. Und so wie ihm damit zusammenhängende Berechtigungen entzogen werden, so auch ihnen. Hinzu kommen weitere Festlegungen, Berechtigungen und Unvereinbarkeiten, die den individuellen Hintergrund an Festlegungen und Berechtigungen sowohl der Dorfbewohner als auch des Hirten betreffen.

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Aber auch ohne weitere Details wird deutlich, dass und inwiefern das Behaupten und Zuschreiben von Überzeugungen einer permanenten, wechselseitigen Beurteilung unterliegt, was zu positivem und negativem Sanktionsverhalten führt. Dadurch signalisieren die Diskursteilnehmer, wann eine Behauptung oder Zuschreibung korrekt oder angemessen ist und wann nicht. Und dadurch werden Regeln erkennbar, die in der diskursiven Praxis implizit sind. Sanktionen stellen eine Unterscheidung zwischen korrekten und inkorrekten diskursiven Praktiken zur Verfügung. Auch hier ist die soziale Dimension von Sprache generell und des Sprachspiels der Überzeugung insbesondere von entscheidender Bedeutung. Schließlich kann sich ein einzelner Sprecher schon allein deswegen nicht korrekt oder inkorrekt verhalten, weil er sein sprachliches Verhalten nicht selbst sanktionieren kann. Er kann versuchen, diese soziale Dimension zu simulieren, etwa indem er ein Selbstgespräch führt. Entscheidend ist aber, was andere für korrekt oder inkorrekt halten und durch ihr Sanktionsverhalten zum Ausdruck bringen. Es braucht also mindestens zwei Diskursteilnehmer, damit das Sprechhandeln zum Gegenstand von sanktionierendem Verhalten werden kann. Was der Eine für korrekt oder inkorrekt hält, steht möglicherweise im Gegensatz zu dem, was in den Augen eines Anderen korrekt oder inkorrekt ist. Worauf dieser sich festlegt, kann etwas sein, als wozu jener ihn nicht berechtigt betrachtet. Einen Standpunkt außerhalb dieses sozialen Perspektivismus jedenfalls gibt es nicht. Die Praxis der Festlegungs- und Berechtigungszuschreibung ist eine Praxis des Für-korrekt- oder Für-inkorrekt-haltens und manifestiert sich in der sozialen Praxis des wechselseitigen Sanktionierens. Das heißt, weder normative Einstellungen noch normative Status sind von Natur aus manifeste Eigenschaften. Sie sind Teil der Praxis und manifestieren sich indirekt über den Umweg des Sanktionierens. Sanktionen wiederum lösen einen Prozess der wechselseitigen Anpassung aus, dessen Ziel eine Übereinstimmung im Verhalten der beteiligten Personen ist. 191 Ich werde diesen Prozess der sanktionierenden Anpassung sogleich noch näher erläutern. Grundsätzlich kann man aber bereits festhalten, dass in dieser Herstellung von Übereinstimmung der Ursprung von impliziten Regeln 191

Vgl. Haugeland (1998a), 147 ff. u. Haugeland (1998b), 310 ff.

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liegt. An der Art und Weise, wie eine bestimmte Reihe von Handlungen in Übereinstimmung mit vorherigen Handlungen gebracht wird, lässt sich ablesen, dass dabei Regeln gefolgt wurde. Die Praxis des Sanktionierens bringt dies zum Vorschein. 4.12 Interne und externe Sanktionen Die Erklärung praxisimpliziter Regeln mit Hilfe von Sanktionen könnte bei kritischen Lesern auf Bedenken stoßen. Diese könnten dadurch begründet werden, dass die Erklärung eine bedrohliche Regressanfälligkeit aufweist. Man könnte ein Problem darin sehen, dass das sanktionierende und das sanktionierte Verhalten von ein und demselben Typ sind. Was etwa der Hirte tut, wenn er behauptet: „Meiner Herde nähern sich Wölfe.“, und was die Dorfbewohner tun, wenn sie erwidern: „Deiner Herde nähern sich keine Wölfe. Also ist sie auch nicht in Gefahr.“, ist schließlich prinzipiell dasselbe. In beiden Fällen handelt es sich um normativ signifikantes Sprachverhalten. Die Behauptungen der Dorfbewohner sanktionieren die Behauptung des Hirten. Wenn aber das Sanktionsverhalten vom selben Typ ist wie das sprachliche Verhalten, über dessen Korrektheit es befindet, dann ist es selbst etwas, das korrekt oder inkorrekt sein kann. Jemand, der etwas sanktioniert, kann somit seinerseits für sein Sanktionieren sanktioniert werden. Dadurch, so der Einwand, kommt ein Regress in Gang.192 Um diese Bedenken auszuräumen ist es ratsam, den Begriff der Sanktion genauer zu bestimmen. Dazu können zwei Arten von Sanktionen unterschieden werden: interne und externe.193 Interne Sanktionen sind selbst Teil desjenigen Systems, in dem sie zur Anwendung kommen. Sie zählen zu derselben Art von normativ signifikantem Verhalten, zu dessen Spezifikation sie dienen. Daher ist auch ihre Spezifikation nur mit diesen Mitteln möglich, nämlich ebenfalls in normativen Begriffen, das heißt in Begriffen der Korrektheit oder Inkorrektheit. Exterme Sanktionen dagegen können außerhalb des Systems stehen, für dessen Spezifikation sie verwendet werden. Sie zählen zu einer Art von Verhalten, das nicht notwendig normativ signifikant ist. Vielmehr lässt es sich auch in nicht192 193

Vgl. z. B. Rosen (1997), 167 f., Rödl (2000), 770 ff. o. Glüer (2002), 170. Vgl. Brandom (1994), 42 ff.

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normativen, das heißt in naturalistischen Begriffen spezifizieren. Während also interne Sanktionen Performanzen sind, die selbst wieder von Normen abhängen, sind externe Sanktionen auch nicht-normativ intelligibel. Durch geringfügige Ergänzungen lassen sich im Beispiel mit dem scherzenden Hirten sowohl interne als auch externe Sanktionen veranschaulichen. So könnten die Dorfbewohner auf das Verhalten des Hirten einerseits reagieren, indem sie ihm die Berechtigung zu seiner Behauptung sowie zu weiteren, damit zusammenhängenden Behauptungen offen absprechen. Man kann sich das so vorstellen, dass sie sagen: „Deiner Herde nähern sich keine Wölfe. Also ist sie auch nicht in Gefahr.“ Sie beurteilen seine Behauptung, indem sie ihrerseits Behauptungen formulieren. Damit kommen interne Sanktionen zur Anwendung. Andererseits besagt die Fabel wörtlich, dass sich die Dorfbewohner nach einigen Wiederholungen nicht mehr um die Hilferufe des Hirten kümmern. Wenn er künftig behauptet, dass sich seiner Herde Wölfe nähern, reagieren sie nicht mehr, sondern gehen ihren bisherigen Beschäftigungen nach. Vorstellbar ist zudem, dass sie ihm materielle Strafen auferlegen, die Aufsicht über die Herde entziehen oder gar Stockhiebe erteilen. All dies sind Beispiele für externe Sanktionen. Sie sind nicht zwangsläufig Teil der normativ signifikanten diskursiven Praxis und lassen sich auch ohne Rückgriff auf normatives Vokabular bestimmen. Die Unterscheidung von internen und externen Sanktionen macht deutlich, dass es sowohl eine normativ signifikante als auch eine nichtnormativ signifikante Art und Weise gibt, etwas als korrekt oder inkorrekt zu behandeln. Die Frage ist nun, ob es Praktiken geben kann, die ausschließlich durch interne Sanktionen bestimmt sind. Dies nämlich wäre die Voraussetzung dafür, dass der erwähnte Regress entstehen kann. Brandom betont ausdrücklich, dass die diskursive Praxis hierfür ein Beispiel ist. 194 Durch den Verzicht auf externe Sanktionen will er einen Reduktionismus impliziter Regeln auf Regelmäßigkeiten vermeiden. Eine solche Gefahr sieht er, wenn die Korrektheit und Inkorrektheit diskursiver Praktiken auf Sanktionen zurückgeführt wird, die rein naturalistisch bestimmt sind. Ein solches Erklärungsmodell würde – um in McDowells Bild zu bleiben – im Strudel der Charybdis Schiffbruch erleiden. Daher ist 194

Vgl. ebd., 44 ff. u. 163.

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die Praxis des Eingehens und Zuerkennens von Festlegungen für Brandom so zu verstehen, dass sie mit keinerlei nicht-normativ spezifizierbarem Verhalten in Verbindung steht. Ich halte dies allerdings für keine treffende Beschreibung. Schließlich ist die diskursive Praxis grundsätzlich in außersprachliche Handlungszusammenhänge eingebettet. Behauptungen haben immer auch die Funktion, auf das Handeln anderer Einfluss zu nehmen oder es mit dem eigenen Handeln zu koordinieren. Das Beispiel vom scherzenden Hirten zeigt, wie auch die offenkundige Weigerung der Dorfbewohner, ihr Handeln auf die Behauptung des Hirten zu stützen, den Charakter einer negativen Sanktion haben kann. In dieser externen Sanktion manifestiert sich die implizite normative Einstellung, den Hirten nicht mehr als zu der Behauptung berechtigt zu betrachten. Das Sanktionsverhalten selbst ist in diesem Zusammenhang zwar normativ signifikant. Es lässt sich aber auch in nicht-normativen Begriffen spezifizieren. Sowohl das Nachgehen ihrer bisherigen Beschäftigung als auch die Stockhiebe sind Verhaltensweisen, die sich in rein naturalistischen Begriffen beschreiben lassen. Brandoms Auffassung, wonach die diskursive Praxis von „Normen bis auf den Grund“ geprägt ist, ist also nicht nur regressanfällig, sondern entspricht auch nicht den tatsächlichen Gegebenheiten. Ein Sprecher behandelt die Überzeugungen eines anderen als korrekt oder inkorrekt, indem er sie positiv oder negativ sanktioniert. Je nachdem wie diese Sanktionen bestimmt werden, besteht die Möglichkeit, weitere Sanktionen darauf anzuwenden oder nicht. Handelt es sich um interne Sanktionen, so können diese wiederum zum Gegenstand weiterer Sanktionen werden. Eine Festlegung ist dann insofern korrekt oder inkorrekt, als sich jemand darauf festlegt, sie für zu anderen Festlegungen berechtigend zu halten oder nicht. Würde man die Praxis des Behauptens und Zuschreibens von Überzeugungen so verstehen, dass sie ausschließlich auf diese wiederum normativ signifikante Art und Weise sanktioniert wird, so könnte man das Erklärungsmodell für regressiv halten. Externe Sanktionen sind für das Modell aber ebenso konstitutiv wie interne. Daher sind derartige Bedenken unbegründet. Da interne Sanktionen prinzipiell durch externe ergänzt werden, gelten letztere also gewissermaßen als Regressbremsen. Man kann sich den Zusammenhang von internen und externen Sanktionen durch eine Art genealogisches oder evolutionäres

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Stufenmodell veranschaulichen. Dazu ist es nötig, noch etwas genauer auf externe Sanktionen eingehen. Sanktionen etablieren implizite Regeln, indem sie Verhalten bestärken oder unterdrücken. Das geschieht auf verschiedenen Ebenen oder Stufen des Verhaltens. Die komplexeste und elaborierteste Ebene ist die der diskursiven Praxis. Insbesondere wenn es um Überzeugungen geht, ist der Sprachgebrauch normativ signifikant und größtenteils von internen Sanktionen geprägt. Die letzten Abschnitte gaben hierfür eine detaillierte Erklärung. Auf der elementarsten Ebene finden sich dagegen vermehrt externe Sanktionen. Hier geht es im Allgemeinen darum, Verhalten zu konditionieren und so in Übereinstimmung mit einem gültigen Standard zu bringen. Stellt man sich beispielsweise vor, dass die Dorfbewohner dem Hirten wegen seines Verhaltens Stockhiebe erteilen, so kann man dies als den Versuch interpretieren, sein Verhalten an einen solchen Standard anzupassen. Worin dieser besteht, ist selbst nicht Teil der Sanktionen, lässt sich aber so beschreiben, dass Hirten über den Aufenthaltsort von Wölfen grundsätzlich wahre Auskünfte zu machen haben. Das normverletzende Verhalten des Hirten wird durch die Stockhiebe unterdrückt. Sanktionsverhalten in diesem rudimentären Sinn von physischer Bestärkung und Unterdrückung etabliert eine Norm, indem es Übereinstimmungen bei verschiedenen Mitgliedern einer Gemeinschaft zu erzeugen sucht. Typischerweise findet dies durch einen Konditionierungsprozess statt, wenn etwa Ältere Jüngere oder Gleichgesinnte sich gegenseitig erziehen, ausbilden oder trainieren. Dabei gilt, dass Übereinstimmung unterstützt und Abweichung unterdrückt wird. Die normative Einstellung der beteiligten Personen ist sinnlich wahrnehmbar. Das Ziel ist, dass sich der Adressat der Sanktionen in derselben Situation in Zukunft mit größerer oder geringerer Wahrscheinlichkeit auf eine bestimmte Weise verhält. Externes Sanktionieren ist somit mehr als das bloße Feststellen von Unregelmäßigkeiten. Durch Sanktionen überprüfen und beurteilen die Mitglieder einer Gemeinschaft nicht nur das bisherige Verhalten der Anderen. Sie geben ihnen auch zu verstehen, was sie künftig tun müssen, um sich korrekt zu verhalten. Sie stellen also tatsächlich Regeln auf. Abweichendes Verhalten ist nicht nur untypisch oder irregulär, sondern inkorrekt, abnormal und inakzeptabel. Es ist etwas, das nicht getan werden

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soll.195 Der Rückgriff auf externe Sanktionen bedeutet also keineswegs eine Reduktion praxisimpliziter Normativität auf eine naturalistische Regelmäßigkeitstheorie.196 Vielmehr kann dadurch erklärt werden, inwiefern die diskursive Praxis implizit normativ ist, ohne dass dabei selbst normatives Vokabular verwendet wird und ohne dass lediglich nach Regelmäßigkeiten im Verhalten gesucht wird. Sicher sind viele Diskurssituationen nicht unmittelbar in Handlungszusammenhänge eingebunden. Ebenso gibt es Fälle, in denen externe Sanktionen nicht in Bezug zur diskursiven Praxis stehen. Ein empirisch zutreffendes Bild der diskursiven Praxis muss aber einen grundsätzlichen Bezug der normativ signifikanten diskursiven Praxis zu nicht-normativ signifikantem Handeln beinhalten. Insofern ist ein Erklärungsmodell, das sowohl interne als auch externe Sanktionen berücksichtigt, keinem Regress ausgesetzt. Was nun die Stufenabfolge betrifft, so finden sich zu unterst grundlegende Formen des externen Sanktionierens. Auf dieser Stufe sind Sanktionen rein physischer Natur. Sie bestärken und unterdrücken Verhalten und erzeugen so Übereinstimmungen innerhalb einer sozialen Gruppierung. Das Verhalten ist auf eine elementare Art normativ signifikant, lässt sich aber durchaus nicht-normativ beschreiben. Auf diese Weise entstehen erste soziale Normen oder Verhaltenskodizes. Externe Sanktionen dieser grundlegenden Art bilden somit die erste und ursprünglichste Stufe, auf der Normativität in der sozialen Praxis vorkommt. Personen erhalten Rechte und Pflichten. Das heißt, es etablieren sich normative Status, die einzelnen oder mehreren Mitgliedern einer sozialen Gruppierung zukommen können. Auf der nächsten Stufe, wenn normative Status einmal etabliert sind, kommt es zu Beurteilungen und Änderungen dieser normativen Status selbst. Dies geschieht aber immer noch auf eine Weise, die auch in nichtnormativer Hinsicht bestimmt werden kann. Das Verhalten ist normativ signifikant und bezieht sich auf normativ signifikantes Verhalten. Es lässt sich aber durchaus nicht-normativ beschreiben. Eine Person beispielsweise, die unerlaubt eine Schranke durchbricht, wird aufgegriffen 195

Vgl. Haugeland (1998a), 149. Zu der Auffassung, dass auch externes Sanktionieren genuin normative Kraft hat, vgl. auch Haugeland (1998b), 355 f. Anm. 9. Zur Einschätzungen, dass dabei lediglich beliebige Regelmäßigkeiten festgestellt werden, vgl. Brandom (1994), 36.

196

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und ins Gefängnis gesteckt. Das heißt, nachdem ihr der Zutritt zu einem bestimmten Gelände verwehrt wurde, wird ihr zusätzlich die Berechtigung entzogen, sich innerhalb der Gesellschaft frei zu bewegen. Dieser Freiheitsentzug ist jedoch eine Maßnahme, die im Rahmen der betreffenden Praktiken nicht ausschließlich normativ bestimmt ist. Auf der letzten Stufe schließlich finden sich interne Sanktionen. Sie dienen der Beurteilung bereits etablierter normativer Status als korrekt oder inkorrekt. Das heißt, das entsprechende Verhalten ist normativ signifikant und kann ausschließlich in normativen Begriffen spezifiziert werden. Paradigmatisch hierfür ist die diskursive Praxis des Behauptens. Sie ist immer auch eine praxisimplizite Form des Sanktionierens. Wie gesehen ist das Äußern und Zuschreiben von Überzeugungen stets normativ signifikant und dient zugleich dazu, weitere Überzeugungen als korrekt oder inkorrekt zu beurteilen. Behauptungen sind gleichzusetzen mit Festlegungen. Demnach geht ein Sprecher mit seiner Behauptung eine Verpflichtung ein, die andere wiederum von ihm einfordern können. Zugleich erteilen sich Sprecher aufgrund ihrer Behauptungen gegenseitig Berechtigungen oder schließen diese gerade aus. So gesehen ist die diskursive Praxis tatsächlich immer ein positives und negatives Beeinflussen ihrer selbst. Diese Form des Sanktionierens von Sanktionen erfolgt prinzipiell aber nur dann, wenn sich auf einer elementaren Ebene externes Sanktionsverhalten ausgebildet hat. Das Sanktionieren interner Sanktionen ist also erst möglich, wenn sich elementare Normen oder Regeln durch externe Sanktionen etabliert und manifestiert haben. Erst wenn es Sanktionen gibt, die auch in naturalistischen Begriffen beschreibbar sind, können Sanktionen, die ausschließlich in normativen Begriffen beschreibbar sind, zum Gegenstand von Sanktionen werden. Das zentrale Anliegen dieses Kapitels war, die Normativität im sprachlichen Umgang mit Überzeugungen aufzuzeigen. Zu diesem Zweck habe ich im ersten Teil zunächst den Begriff der Überzeugung auf zwei pragmatische Grundformen zurückgeführt. Ich habe Behauptungen und Zuschreibungen als die elementarsten Formen des diskursiven Umgangs mit Überzeugungen ausgewiesen. Damit habe ich der allgemeinen Einsicht Rechnung getragen, dass Sprache grundsätzlich eine soziale Praxis ist. Daraufhin ging es darum zu zeigen, dass und inwiefern die Praxis des

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Behauptens und Zuschreibens von Überzeugungen normativ signifikant ist. Ich habe einerseits geltend gemacht, dass damit immer ein Anspruch und ein Erwartung einhergeht, was die Wahrheit der fraglichen Überzeugung angeht. Dies habe ich als eine erste Form der normativen Signifikanz oder Aufgeladenheit von Überzeugungen beschrieben. Andererseits habe ich dargelegt, dass insbesondere mit dem Zuschreiben von Überzeugungen eine Erwartung einhergeht, was deren Rationalität betrifft. Daher habe ich diese allgemeine Rationalitätsunterstellung als eine weitere Form der normativen Signifikanz bezeichnet. Eine detaillierte, systematische Rekonstruktion der normativen Pragmatik war das Anliegen des zweiten Teils dieses Kapitels. In einer Terminologie, die im Kern auf Brandom zurückgeht, habe ich den sprachlichen Umgang mit Überzeugungen als eine durch und durch normative Angelegenheit dargestellt. Ich habe ihn so charakterisiert, dass Sprechern dabei stets normative Status zukommen. Dies aber nur insofern, als sie anderen Sprechern und dem, was sie behaupten, gegenüber normative Einstellungen einnehmen. Somit ist das Sprachspiel der Überzeugung als ein komplexes Geflecht aus Festlegungen, Berechtigungen und Unvereinbarkeiten zu begreifen. Sprecher haben nicht einfach Überzeugungen, sondern sie bewerten sich gegenseitig permanent, sobald ihre Überzeugungen in den Diskurs eintreten. Dabei habe ich die Tatsache hervorgehoben, dass dies eine Angelegenheit ist, die implizit in der diskursiven Praxis ist. Das habe ich damit plausibilisiert, dass ich das praktische Unterscheiden in korrekt und inkorrekt auf den Begriff der Sanktion zurückgeführt habe. Denn durch sanktionierendes Verhalten entsteht genau die Form von normativer Korrektheit, die auf implizite Regeln schließen lässt. Das Sprachspiel der Überzeugung ist immer ein normatives Sprachspiel. Behaupten und Zuschreiben von Überzeugungen sind diskursive Praktiken, die stets normativ aufgeladen sind. Der Umgang mit Überzeugungen bringt für die Diskursteilnehmer stets Rechte und Pflichten mit sich. Daher ist es gerechtfertigt zu sagen, dass der Austausch von Überzeugungen an impliziten Regeln orientiert ist. Das hat allerdings Konsequenzen für das, was wir unter propositionalem Wissen verstehen. Denn wenn Überzeugungen ein elementarer Bestandteil von Wissen sind und wenn der Umgang mit Überzeugungen wiederum im Wesentlichen

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regelgeleitet ist, dann ist es auch der Umgang mit Wissen. Das heißt, wenn bereits beim Umgang mit Überzeugungen Regeln befolgt werden, dann liegt dem eine praktische Fähigkeit zugrunde, die auch grundlegender als Wissen ist. Dies ist es, was ich als Können bezeichne. Bereits der Umgang mit Überzeugungen ist eine Form von Können.

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5. Bedeutung und Rechtfertigung In diesem Kapitel werde ich abschließend darlegen, inwiefern die Überzeugungsbedingung für Wissen eine Frage des Könnens ist. Dabei wird sich herausstellen, dass dies ebenso für die Rechtfertigungsbedingung gilt. Ich werde eine inferentielle Semantik ausformulieren mit dem Ziel, „blindes Regelfolgen“ als das Befolgen materialer Inferenzregeln verständlich zu machen. Den Ausgangspunkt bildet die Auffassung, dass sich die Bedeutung eines Ausdrucks aus seinem Gebrauch in der Sprache ergibt. Dies werde ich dahingehend präzisieren, dass ich den Sprachgebrauch auf seine allgemeine Grundlage als Schlussfolgerungspraxis zurückführe. Dadurch wird hervorgehoben, dass Überzeugungen prinzipiell immer in einem inferentiellen Zusammenhang stehen. Das normativ signifikante Sprachspiel der Überzeugung ist stets ein inferentiell gegliedertes. Die Regeln, die dabei implizit befolgt werden, lassen sich daher als Inferenzregeln begreifen. Mit ihrer Hilfe wird die korrekte von der inkorrekten Bedeutung unterscheiden. Der zweite Teil des Kapitels ist einer eingehenden Diskussion des Begriffs der materialen Inferenz sowie der entsprechenden Regeln gewidmet. Ich werde darlegen, weshalb es sich bei materialen Inferenzregeln um eine eigenständige und genuin normative Art von Regel handelt. Anhand von irrealen Bedingungssätzen werde ich zudem zeigen, dass sie formalen Inferenzregeln gegenüber grundlegend sind. Letztlich ist also die Bedeutung von Überzeugungen von derselben Fähigkeit abhängig wie das Rechtfertigen. Beides setzt das Beherrschen von Inferenzregeln voraus. Deswegen ist sowohl das Haben von Überzeugungen als auch das Rechtfertigen eine Form des Könnens. 5.1 Bedeutung und Sprachgebrauch Eine Bedeutungstheorie gibt eine Antwort auf die Frage, wie es kommt, dass die Dinge, die wir sagen, das bedeuten, was sie nun einmal bedeuten. Sie gibt darüber Auskunft, wie sprachliche Äußerungen zu ihren semantischen Eigenschaften kommen. Wer eine solche Auskunft wünscht oder anbietet, geht davon aus, dass Bedeutungen nichts natürlich Gegebenes sind. Dass beispielsweise der Ausdruck „Apfel“ Apfel bedeutet

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und nicht etwa Huhn oder Tasche, ist keine simple Tatsache. Vielmehr ist es so, dass semantischen Eigenschaften von nicht-semantischen Gegebenheiten abhängen und sich durch sie erklären lassen. Man kann auch sagen, dass erstere auf letztere supervenieren. Eine Bedeutungstheorie erfüllt somit die Aufgabe festzustellen, welches diese nicht-semantischen Gegebenheiten sind und nach welchen Prinzipien sie die Bedeutungen sprachlicher Äußerungen bestimmen. Gemäß einer verbreiteten Auffassung ist Bedeutung darin begründet, dass sprachliche Äußerungen auf eine angemessene Weise in Verbindung zu außersprachlichen Entitäten stehen. Ausdrücke oder Sätze gelten als Beschreibungen oder Repräsentationen von Gegenständen, Sachverhalten, möglichen Welten etc. Die vorrangige Aufgabe einer Bedeutungstheorie ist demzufolge die systematische Erklärung des Umstandes, dass eine sprachliche Äußerung wahr ist, dass sie sich auf Dinge in der Welt bezieht oder dass sie wahrheitsgemäß auf diese angewandt wird. Gemäß dieser Auffassung sind die zentralen, erklärenden Begriffe die der Repräsentation, der Bezugnahme und der Wahrheit. Ansätze, die die semantischen Eigenschaften sprachlicher Ausdrücke mit diesem Fokus bestimmen, kann man als gegenständliche, repräsentationalistische oder wahrheitskonditionale Theorien der Bedeutung bezeichnen. Die Gebrauchstheorie der Bedeutung ist eine Alternative zu derartigen Ansätzen.197 Bei dieser Herangehensweise ist die Art, wie wir von Sprache Gebrauch machen, maßgeblich für die Bedeutung ihrer Ausdrücke. Nicht die Verbindung zu außersprachliche Entitäten, sondern die Beziehung sprachlicher Äußerungen zueinander im Gebrauch gilt als dasjenige, was Bedeutung konstituiert. Sprache ist hier die ausschließliche Quelle semantischer Eigenschaften. Somit ist die Gebrauchstheorie der Bedeutung die semantische Fortsetzung der normativen Pragmatik. Mit diesem Ansatz bietet sich die Gelegenheit, die Überlegungen zu Regeln und deren Befolgung wieder aufzugreifen. Im Rahmen einer inferentiellen 197

Die Gebrauchstheorie der Bedeutung geht zurück auf Wittgenstein. Vgl. erneut Wittgenstein (1984d), §§ 30, 43, 80, 138 f., 197, 556 u. 561, Wittgenstein (1984b), 20 u. Wittgenstein (1984f), 61 f. Spätere Vertreter dieser Auffassung sind u. a. W. Sellars, G. Harman, D. Lewis, R. Brandom u. P. Horwich. Vgl. Sellars (1963b), Sellars (1969), Harman (1974), Harman (1987), Lewis (1969), insbes. Kap 5, Lewis (1975), Brandom (1983a), Brandom (1994), insbes. Kap. 1-3, Horwich (1998a) u. Horwich (2005).

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Semantik lässt sich das Verständnis von Regeln präzisieren, welches der Rede von Können als „blindem Regelfolgen“ zugrunde liegt. Eine Gebrauchstheorie der Bedeutung geht von der allgemeinen Annahme aus, dass jemand die Bedeutung einer sprachlichen Äußerung richtig verstanden hat, wenn er sie richtig zu gebrauchen weiß. Damit wird zunächst nichts weiter getan, als Bedeutung in Abhängigkeit von korrektem Gebrauch zu bringen. In den allermeisten Fällen besteht nun der bedeutungsvolle Sprachgebrauch nicht aus einzelnen Ausdrücken, sondern aus ganzen Sätzen. Wenn wir etwas über die Welt aussagen oder erfragen, dann geschieht das prinzipiell so, dass wir ein logisches Subjekt in Relation zu einem Prädikat setzen. Das heißt, wir bilden Sätze, auch wenn diese gelegentlich aus wenigen oder auch nur einem Wort bestehen. So gesehen sind also nicht Ausdrücke, sondern Sätze die primären Bedeutungsträger. Die Gebrauchstheorie der Bedeutung geht daher von einem Vorrang des Propositionalen aus. Die sprachliche Einheit des Satzes nimmt auch hier eine systematische und explanatorische Sonderstellung ein. 198 Es gilt die Grundannahme, dass es vorrangig Sätze sind, in denen wir Gedanken oder Überzeugungen äußern oder zuschreiben. Die bedeutsamen Gehalte, die im behauptenden Sprachgebrauch ausgetauscht werden, sind in Sätze eingebunden. Semantischer Gehalt ist somit immer propositionaler Gehalt. 5.2 Ist die Gebrauchstheorie der Bedeutung eine Petitio principii? Gegenüber der Idee, propositionalen oder semantischen Gehalt auf der Grundlage einer normativen Pragmatik zu erklären, wird gelegentlich der Verdacht geäußert, dabei werde zirkulär argumentiert.199 Indem er den Sprachgebrauch zum Explanans für das Explanandum von Gehalt und Bedeutung mache, setze dieser Erklärungsansatz voraus, was er eigentlich erklären möchte. Schließlich verstehe er den Sprachgebrauch als sprachliches Handeln, welches nur als eine Form des intentionalen Handelns begriffen werden könne. Eine Absicht sei also ein fundamentaler Bestandteil einer jeden Handlung. Hierbei handle es sich aber 198

Vgl. auch erneut Kap. 4.3. Vgl. Davidson (1984), 271, Boghossian (1989), 517, Glüer (1999b), 38 f., Tietz (2003), 75 ff. o. Lauer (2009), 326 f. u. 335. 199

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offensichtlich um eine propositionale Einstellung, die selbst wiederum auf propositionalen Gehalt zurückgreife. Sprachliches Handeln, verstanden als intentionales Handeln, setze demnach immer schon den Begriff des propositionalen Gehalts voraus. Es könne also nur um den Preis einer Petitio principii zur Erklärung oder Begründung von propositionalem oder semantischem Gehalt verwendet werden. Dazu ist zunächst zu sagen, dass der ursprüngliche Erklärungsansatz, den ich in Anlehnung an Brandom und Sellars vertrete, über jeden Zirkularitätsverdacht erhaben ist. Denn es kommt darin kein intentionales oder semantisches Vokabular vor, wenn es um die Erklärung von Bedeutung geht. Der geschilderte Verdacht kann erst dadurch entstehen, dass ihm dieses Vokabular nachträglich hinzugefügt wird mit der Begründung, darauf könne aus begrifflicher Notwendigkeit nicht verzichtet werden. Der Begriff der Handlung impliziere notwendig den der Absicht und damit den des intentionalen, propositionalen und semantischen Gehaltes. Die Frage ist also, ob es möglich ist, über diskursive Praktiken zu reden, ohne auf den Begriff der Absicht zurückzugreifen. In der normativen Pragmatik geht es um eine Rekonstruktion des Meinens oder Habens von Überzeugungen in rein normativen Begriffen. Die sprachliche Praxis gilt sowohl in systematischer als auch in explanatorischer Hinsicht als der vorrangige Ort, wo Überzeugungen vorkommen. Ihre primäre Erscheinungsform sind Behauptungen, die zunächst einer rein normativ verfassten Welt angehören. Als solche verfügen sie über eine normative Kraft, die durch die implizit normative, soziale Praxis instituiert wird. Maßgeblich dafür ist das wechselseitige positive und negative Sanktionieren der Diskursteilnehmer. Auf der elementarsten Betrachtungsebene ist die diskursive Praxis also eine durchgängig normative Angelegenheit. Die Teilnehmer weisen sich im Rahmen von komplexen normativen Strukturen wechselseitig Beurteilungen zu. Dabei sind diese Spielzüge ursprünglich nichts weiter als rudimentäre sprachliche Performanzen. Ich habe sie mit Brandom als Festlegungen, Berechtigungen und Unvereinbarkeiten kategorisiert. Propositionalen und semantischen Gehalt gibt es hier nur in einem relationalen und abgeleiteten Sinne. Auf der Grundlage des koordinierten Zusammenspiels normativer Elemente kommt es zu der Übertragung von Gehalten. Indem Sprecher Festlegungen und Berechtigungen eingehen und

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zuschreiben, etablieren sie inferentielle Zusammenhänge zwischen den sprachlichen Performanzen. So bekommt das Gesprochene tatsächlich semantischen Gehalt. Zu der Rückbindung einer inferentiellen Semantik an eine normative Pragmatik wird im Folgenden noch einiges zu sagen sein. Jedenfalls können Sprecher mit dem Gesagten nur deshalb etwas anfangen, weil sie sich in normativer Hinsicht in der diskursiven Praxis engagieren. Nur deshalb ist die diskursive Praxis letztlich auch ein System sinnvoller und verständlicher Sprechhandlungen. Ohne den normativen Subtext ist semantischer Gehalt nicht möglich. So gesehen ist die diskursive Praxis letztlich durchaus semantisch gehaltvoll, nicht aber die singuläre Sprechhandlung. Richtig ist also, dass die diskursive Praxis aus intentionalen Handlungen besteht. Wenn jemand eine Behauptung macht, dann ist das kein Ereignis, dass ihm widerfährt. Es ist etwas, das er absichtlich tut. Falsch ist hingegen anzunehmen, dass dabei eine von der sprachlichen Performanz losgelöste und eigenständige Absicht ins Bewusstsein des Sprechers oder sonst irgendwie in Erscheinung treten muss. Die Sprechhandlung erfolgt nicht, nachdem zuvor eine Absicht ausgebildet wurde. Handlung und Absicht bilden eine untrennbare Einheit. Diesem Umstand trägt Searle Rechnung, wenn er die Unterscheidung zwischen „Handlungsabsicht“ und „vorausgehender Absicht“ einführt. 200 Im Fall von vorausgehenden Absichten sagen wir auch, dass ein Handelnder nach seiner Absicht handelt oder dass er seine Absicht ausführt. Bei Handlungsabsichten sagen wir dagegen lediglich, dass jemand eine Handlung vollzieht oder einfach dass er handelt. Die Handlungsabsicht ist kein selbständiger Bestandteil der Handlung, sondern kommt darin nur gebunden vor. Und das gilt nun insbesondere für die Sprechhandlung des Behauptens. Das Behaupten als die grundlegendste Performanz der diskursiven Praxis ist kein intentionales Handeln mit einer vorausgehenden Absicht. In der einzelnen Behauptung für sich genommen kommt die Absicht lediglich in Form einer Handlungsabsicht vor. Man kann auch sagen, dass sie darin implizit enthalten ist.201 Ein Sprecher bildet nicht zuerst die Absicht aus, 200 201

Vgl. Searle (1983), 84 f. Vgl. Brandom (1994), 670 Anm. 6.

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sich mit einer Behauptung auf einen bestimmten Gehalt festzulegen, um sie dann durch seine Behauptung zu erfüllen. Er macht sie einfach. Erst als Teil der diskursiven Praxis ist die Absicht ein individuierbarer und thematisierbarer Bestandteil der Sprechhandlung. Rückblickend, beispielsweise in Reaktion auf eine Nachfrage, kann der Sprecher angeben, was die Absicht seiner Behauptung war. Dann kann auch überprüft werden, ob sie sich mit seinem Handeln deckt. Allerdings ist dies dann eher eine Absicht, die über die fragliche Behauptung hinausweist, etwa weil sie darauf abzielt, zu belehren, zu beeindrucken, zu unterhalten, zu überreden, zu warnen etc.202 Zuvor jedoch ist sie ein immanenter Bestandteil der Behauptung. Erst der Umstand, dass die diskursive Praxis normativ verfasst und inferentiell gegliedert ist, macht es, dass intentionale oder propositionale Gehalte semantische Gehalte sein können. In den folgenden Abschnitten werde ich einige wichtige Gründe dafür liefern, dass Sätze die primären Bedeutungsträger sind. Ich werde darlegen, warum eine Sprachkonzeption, nach der zunächst jedem einzelnen Ausdruck eine individuelle Bedeutung zukommt, inkohärent ist. Als Alternative dazu werde ich den Gedanken weiterentwickeln, dass die Bedeutung sprachlicher Äußerungen an den Sprachgebrauch gebunden ist. Entscheidend ist hierbei die Einsicht, dass es nicht ausreicht, allein die Bedingungen oder Umstände einer Äußerung zu berücksichtigen. Zur Bestimmung von Bedeutung sind deren Konsequenzen oder Folgen ebenso wichtig. Bedeutung begreife ich daher als etwas, das sich aus inferentiellen Zusammenhängen ergibt. Die Gebrauchstheorie der Bedeutung ist letztlich eine inferentielle Semantik.203 5.3 Umstände der Verwendung Beginnen wir mit einer einfachen und einleuchtenden Feststellung: Wer einen Ausdruck richtig zu gebrauchen weiß, kennt die Bedingungen, unter denen es gerechtfertigt ist, eine entsprechende Aussage zu machen. Er kennt die Umstände, unter denen es angemessen ist, einen bestimmten Ausdruck in einer Aussage zu verwenden. Man könnte annehmen, dass 202

Davidson nennt dies einen „weiterreichenden Zweck“. Vgl. Davidson (1984), 272. Vgl. v. a. Sellars (1953), Sellars (1963a), Sellars (1963b), Dummett (1973), 453 f. u. Brandom (1994), insbes. Kap. 2 u. 3.

203

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diese Bedingung im Prinzip immer dann erfüllt ist, wenn ein Gegenstand oder Sachverhalt der betreffenden Art in der Umgebung vorhanden ist.204 Für den paradigmatischen Fall von Aussagen über Gegenstände der Wahrnehmung ist dies eine naheliegende Überlegung. Dass beispielsweise ein Apfel unter normalen Bedingungen in der Umgebung vorhanden ist, lässt sich als ein angemessener Umstand für die Verwendung des Ausdrucks „Apfel“ begreifen. Wieso sollte dies nicht ausreichen, um tatsächlich auch die Bedeutung einer entsprechenden Aussage zu bestimmen? Nehmen wir an, die Bedeutungen sprachlicher Äußerungen wären allein durch die Umstände ihrer Verwendung bestimmt. Nach diesem Verständnis würden einzelne Wörter Gegenstände benennen und Sätze die Verbindungen solcher Benennungen darstellen.205 Als primäre Bedeutungsträger gälten also nicht Sätze, sondern einzelne Ausdrücke. Einen solchen Ansatz kann man als atomistisch bezeichnen. Ihm zufolge kommt sprachlichen Ausdrücken ihre Bedeutung dadurch zu, dass sie durch Hinweise definiert werden. Der Ausdruck „Apfel“ etwa bedeutet Apfel, weil diese Bedeutung durch den Hinweis auf einen Apfel in der Nähe eingeführt wurde. Das Prinzip also, wonach sich die Bedeutung eines sprachlichen Ausdrucks bestimmt, ist die abgrenzende Festlegung durch einen Hinweis auf einen Gegenstand oder Sachverhalt. Ihm wird eine mentale Entität zugeordnet und durch einen entsprechenden Ausdruck dargestellt. Wieso ist ein solcher Erklärungsansatz unzutreffend? Der Grund dafür ist, dass hinweisende Definitionen zu ungenau und unvollständig sind, um Bedeutungen unzweideutig angeben zu können. Denn wenn jemand auf etwas zeigt und dabei „Apfel“ sagt, ist noch lange nicht klar, was genau der Ausdruck in der Umgebung des Sprechers herausgreift. Ist es eine Farbe, eine Form, ein bestimmtes Gewicht oder die Zugehörigkeit zu einer bestimmten Sorte von Gegenständen? Hinweisende Definitionen geben 204

„Im Prinzip“ deswegen, weil ein solcher Gegenstand oder Sachverhalt natürlich nicht immer vorhanden sein muss. Es genügt, wenn er bei Bedarf vorgewiesen oder rekonstruiert werden kann. 205 Vgl. insbes. auch zum Folgenden Wittgenstein (1984d), §§ 1 ff. u. 28 ff. Vgl. auch erneut Kap. 3.3.

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hier keine befriedigende Antwort. Wer über eine solche Definition verfügt, verfügt noch lange nicht über die Bedeutung des fraglichen Ausdrucks.206 Ein ähnliches Problem ergibt sich, wenn wir Bedeutung durch kausale Relationen zu erklären versuchen.207 Die Idee ist dabei die, dass ein bestimmtes Vorkommnis oder ein bestimmter Sachverhalt kausal für die Bedeutung eines Ausdrucks verantwortlich ist. Das Problem, das sich aus diesem Erklärungsmodell ergibt, ist als Disjunktionsproblem bekannt.208 Es taucht genau dann auf, wenn bestimmte Ausdrücke auf verschiedene Vorkommnisse angewendet werden oder wenn verschiedene Vorkommnisse bei einem Sprecher denselben Ausdruck hervorrufen. Im Kern besteht das Problem also darin, dass prinzipiell mehr als ein Vorkommnis kausal in bedeutungsbestimmender Relation zu einem sprachlichen Ausdruck stehen kann. Paradigmatisch hierfür sind Fehler oder Irrtümer. Wird ein Vorkommnis oder Sachverhalt irrtümlicherweise für etwas anderes gehalten, als was sonst mit ihm in Zusammenhang gebracht wird, so kommt es zu einer solchen mehrdeutigen oder instabilen Relation. Nehmen wir beispielsweise den Ausdruck „Eichhörnchen“. In einer dunklen und nebligen Nacht im Park befindet sich in einiger Entfernung von mir ein Hase. Ich halte aber das, was ich sehe, für ein Eichhörnchen. Also verwende ich zur Bezeichnung dieses Vorkommnisses den Ausdruck „Eichhörnchen“. Mag mir damit auch ein Fehler unterlaufen, so hat der Ausdruck, so wie ich ihn verwende, dennoch die Bedeutung Eichhörnchen. Offensichtlich sind es also nicht nur Vorkommnisse der Art Eichhörnchen, sondern auch solche der Art Hase, die in mir den Ausdruck „Eichhörnchen“ hervorrufen. Aber nicht nur Irrtümer sind mögliche Ursachen für Ausdrücke und ihre Bedeutung. Auch wahre Gedanken oder Impulse, die nicht von Eichhörnchen, sondern von Erinnerungen, freien Assoziationen, ironischen Bemerkungen etc. verursacht werden, können sie hervorrufen. Erzählt mir 206

Vgl. auch Quine (1960), insbes. 51 ff., wo es um die Schwierigkeit geht, die Bedeutung von „Kaninchen“, „Zeitsegment eines Kaninchens“, „zusammenhängendes Kaninchenteil“ etc. zu unterscheiden. 207 Vgl. z. B. Field (1972), Fodor (1987), insbes. Kap. 4, Fodor (1990), insbes. Kap. 4 u. Dretske (1997). 208 Vgl. z. B. Godfrey-Smith (1989) u. Fodor (1984).

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jemand beispielsweise von seinem Spaziergang im Park, so kann dies bei mir den Ausdruck „Eichhörnchen“ hervorrufen, ohne dass in diesem Moment ein solches in der Nähe ist oder in irgendeinem anders gearteten kausalen Verhältnis zu dem Ausdruck steht. Eine kausale Theorie der Bedeutung kann jedoch nicht erklären, wieso beispielsweise der Bericht von einem Spaziergang im Park in mir den Ausdruck „Eichhörnchen“ hervorruft. Man mag der Theorie mehr zugestehen, als dass sie jedem Ausdruck nur genau ein Vorkommnis zuweist. Sie müsste allerdings angeben können, wie die semantisch relevante unter all den möglichen Kausalrelationen herausgegriffen wird. Dazu aber sind Wort-VorkommnisRelationen viel zu variabel. Das gemeinsame Problem derartiger atomistischer und repräsentationalistischer Bedeutungstheorien liegt im Unterschied von Referenz und Bedeutung sprachlicher Ausdrücke.209 Unterschiedliche Ausdrücke können sich auf ein und dasselbe Vorkommnis in der Welt beziehen, dabei aber unterschiedliche Bedeutungen haben. Freges bekanntes Beispiel hierfür sind die Ausdrücke „Morgenstern“ und „Abendstern“. Beide beziehen sich auf dasselbe nichtsprachliche Vorkommnis, haben allerdings nicht dieselbe Bedeutung. Umgekehrt ist es möglich, dass sich unterschiedliche Wort-Vorkommnis-Relationen dieselbe Bedeutung teilen. Der Ausdruck „Eichhörnchen“ beispielsweise steht dann sowohl zu Eichhörnchen als auch zu Hasen oder Spaziergängen im Park in Beziehung. Eine Bedeutungstheorie, die den Sprachgebrauch ins Zentrum seiner Überlegungen rückt, wird mit dieser Problematik nicht konfrontiert. Ihr Interesse gilt nicht einer metaphysischen oder formalen Relation zwischen sprachlichen Phänomenen, mentalen Repräsentationen und Vorkommnissen in der Welt. Vielmehr ist sie darauf gerichtet, was wir tun, wenn wir Wörter oder Zeichen in unterschiedlichen Zusammenhängen gleichbleibend verwenden. Dies besteht zunächst einmal darin, dass wir Ausdrücke in Satzzusammenhänge bringen. Daher kann man die Gebrauchstheorie als eine molekulare Theorie der Bedeutung

209

Vgl. hierzu auch erneut Anm. 10. Zu den wahrheitstheoretischen Aspekte dieses Problems vgl. auch Kap. 6.3.

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bezeichnen.210 Allerdings stellen sich die erwähnten Probleme auch dann, wenn Ausdrücke in Satzzusammenhängen stehen. Denn auch dann ist die Bedeutung problematisch, sofern sie nur durch die angemessenen Umstände der Verwendung bestimmt wird. Wie ich im Folgenden zeigen werde, ist die Gebrauchstheorie dennoch die bessere Alternative. 5.4 Folgen der Verwendung Dass die angemessenen Umstände der Verwendung einer sprachlichen Äußerung genügend Hinweise auf ihre Bedeutung geben, hat sich als eine Fehleinschätzung herausgestellt. Denn sie allein informieren nicht darüber, wozu genau die Äußerung in Beziehung steht. Man kann zwar versuchen, durch eine präzisere Eingrenzung des Gegenstandsbereichs Abhilfe zu schaffen. Letztlich gilt aber selbst für einen so aufschlussreichen Satz wie „Der runde, rote Gegenstand, der dort drüben unter dem Baum im Gras liegt und sich beim Aufheben glatt anfühlt, wird als ‚Apfel’ bezeichnet.“, dass er allein nicht zur Bestimmung der Bedeutung des Ausdrucks „Apfel“ dienen kann. Das gilt selbst dann, wenn sich in der Umgebung unter den beschriebenen Umständen ein Apfel befindet. Warum ist das so? Um dies zu erklären, muss man sich ein weiteres Problem für gegenständliche Bedeutungstheorien bewusst machen. Ich will es das Thermometerproblem nennen.211 Es spielt dabei keine Rolle, ob die Theorie atomistisch oder molekular aufgefasst wird, ob also einzelne Ausdrücke oder ganze Sätze die primären Bedeutungsträger sind. Angenommen es gibt einen Detektor, der so konstruiert ist, dass er genau dann ein Signal von sich gibt, wenn er einem Apfel ausgesetzt wird. Dieses Signal besteht beispielsweise in der zuverlässigen Wiedergabe des Satzes:

210

Wie subsententiale Einheiten wie singuläre Termini oder Prädikate zur Bedeutung von Aussagen beitragen, erklärt z. B. Brandom mit Hilfe der Begriffe der Substitution und der Anapher. Vgl. Brandom (1994), Kap. 6, insbes. 360 ff. u. Kap. 7, insbes. 449 ff. Für eine kompakte Darstellung vgl. Esfeld (2002), 81 ff. 211 Dieser Ausdruck geht auf W. Sellars und H. H. Price zurück. Vgl. Sellars (1963a), 162 u. 167. Das folgende Beispiel verdanke ich Brandom. Vgl. Brandom (1994), 87 ff. u. 122. Vgl. aber auch Putnam (1981), 18 ff., Bieri (1982), 5 u. Sellars (1963a), 162 f.

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„Dies ist ein Apfel.“212 Man könnte also sagen, dass der Detektor unter den angemessenen Umständen von dem Ausdruck „Apfel“ Gebrauch macht. Ein ganz ähnliches Szenario wäre es, wenn ein Papagei darauf abgerichtet wäre, denselben Satz unter genau denselben Umständen von sich zu geben. Kennt nun der Detektor oder der Papagei die Bedeutung des Ausdrucks „Apfel“? Wer dies bejaht, muss ebenso behaupten, dass ein Thermometer mit der Bedeutung von Ausdrücken wie „minus zwei Grad Celsius“ oder „zweiunddreißig Grad Fahrenheit“ vertraut ist. Aber wer würde das allen Ernstes tun? Der Punkt ist dabei nicht, dass es sich in diesen Beispielen um Tiere oder Maschinen handelt. Wir würden auch bei einer Person daran zweifeln, dass sie die Bedeutung eines Ausdrucks wie beispielsweise „Diatomeenfilter“ kennt, wenn sie damit immer nur auf bestimmte Umstände mit der Behauptung „Dies ist ein Diatomeenfilter.“ reagiert. Das Problem ist vielmehr, dass wir weder von dem Apfel-Detektor noch von dem Papagei bereit wären zu sagen, dass sie begriffen oder verstanden haben, was ein Apfel ist, wenn sie den Satz „Dies ist ein Apfel.“ äußern. Alles, was sie tun, ist, verlässlich unterscheidend auf ihre Umwelt zu reagieren. Nichts anderes tut ein Thermometer, wenn es beispielsweise minus zwei Grad Celsius anzeigt. Was also fehlt in all diesen Fällen? Wer tatsächlich verstanden hat, was eine Aussage wie „Dies ist ein Apfel.“ oder „Dies ist ein Diatomeenfilter.“ bedeutet, kann mehr, als die entsprechenden Umstände verlässlich zu erkennen oder zu unterscheiden. Wer von solchen Sätzen auf bedeutsame Weise Gebrauch machen will, kann mit ihnen auch etwas anfangen. Er weiß nicht nur, was die Bedingung dafür ist, damit etwas als „Diatomeenfilter“ oder als „Apfel“ bezeichnet werden kann. Er weiß auch, welche Konsequenzen dies hat. Er kann einschätzen, welches die angemessenen Folgen der Verwendung dieser Ausdrücke in entsprechenden Aussagen sind. Dies ist es, was fehlt, wenn jemand oder etwas lediglich unter den angemessenen Umständen mit einer bestimmten Aussage reagiert.

212

Sicher ließe sich der Detektor auch so konstruieren, dass er in der fraglichen Situation einen wesentlich komplexeren Satz von sich gibt. Für die Problematik, um die es mir geht, ist ein einfaches Beispiel jedoch ausreichend.

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Das zuverlässige Reagieren auf gewisse Umstände mit einer einzigen, ganz bestimmten Aussage oder Behauptung hat nichts mit dem tatsächlich bedeutungsvollen Gebrauch zu tun. So wenig man die Bedeutung eines einzelnen Ausdrucks kennen kann, so wenig kann man die eines einzigen Satzes kennen. Ebenso verkehrt wäre die Vorstellung, jemand könnte die Bedeutung einzelner oder isolierter Sätze kennen. Wer beispielsweise die Sätze „Dies ist ein Apfel.“ und „Dies ist ein Diatomeenfilter.“ völlig abgesondert von anderen Sätzen kennt, für den können sie keine Bedeutung haben. Eine Grundvoraussetzung für das Verständnis eines Ausdrucks ist vielmehr die Kenntnis eines „Spielraums von sinnvollen Sätzen“, in denen er auftreten kann.213 Zum Gebrauch eines Ausdrucks gehört ein gewisses Maß an Flexibilität, was seinen Einsatz im Satzzusammenhang angeht. Die Rede von Bedeutung ist erst sinnvoll, wenn man eine Auswahl an Sätzen kennt, die einen paradigmatischen Gebrauch eines bestimmten Ausdrucks darstellen. Der Umfang einer solchen Auswahl kann innerhalb einer sprachlichen Gemeinschaft stark variieren. Das Verständnis der Bedeutung von Aussagen ist eine graduelle Angelegenheit. Schließlich verfügt jedes Mitglied über ein anderes Repertoire an bedeutsamen Sätzen. So hat etwa ein Obstbauer ein umfassenderes Verständnis von dem Ausdruck „Apfel“ als ein Kind.214 Damit das Kind aber überhaupt die Bedeutung von Aussagen verstehen kann, in denen der Ausdruck vorkommt, muss es eine repräsentative Auswahl an Aussagen kennen, in denen auf paradigmatische Weise von ihm Gebrauch gemacht wird. Diese Auswahl variiert wiederum mit der Komplexität des jeweiligen Ausdrucks. Der Ausdruck „Apfel“ beispielsweise bedarf, um verstanden zu werden, einer anderen, weniger umfassenden Auswahl an Sätzen, als der Ausdruck „Gravitationsfeld“. 213

Vgl. Bieri (1982), 4. Dass aber zwei Personen mit demselben Ausdruck nicht zwei vollkommen unterschiedliche Bedeutungen in Verbindung bringen, erklärt sich aus der sozialen Dimension der Bedeutungskonstitution. Bedeutung resultiert niemals nur aus den angemessenen Umständen und Folgen des Gebrauchs einer einzigen Person. Sie ist immer an den Gebrauch in einer sprachlichen Gemeinschaft gebunden. Dies ist auch eine Erklärung dafür, dass sich die Bedeutungen für eine Person nicht permanent ändern, sobald sich sein Repertoire bedeutsamer Sätze ändert. Zu einer ausführliche Diskussion dieser Thematik vgl. Esfeld (2002), 72 ff. u. 93 ff. u. Williams (2004), 110 ff.

214

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Eine Konsequenz der These, dass die Bedeutung eines Ausdrucks den Überblick über die Umstände und Folgen seiner Verwendung in einer entsprechenden Aussage voraussetzt, ist somit die eines semantischen Holismus, der immer auch ein sozialer Holismus ist.215 Demnach muss man, um überhaupt einen Satz mit semantischem Gehalt verwenden zu können, viele Sätze kennen und mit Teilen oder der Gesamtheit einer sprachlichen Gemeinschaft teilen. Weil Bedeutung eine determinierbare, generische und soziale Eigenschaft ist, hat etwas nicht einfach Bedeutung, sondern es hat eine spezifische Bedeutung. Und es kann nur dann eine spezifische Bedeutung haben, wenn es etwas anderes von derselben Art gibt, das ebenfalls diese Eigenschaft hat. Wenn also ein Satz Bedeutung oder semantischen Gehalt hat, dann muss es andere Sätze geben, die es ebenfalls haben und innerhalb einer sprachlichen Gemeinschaft Verwendung finden. Was seine Bedeutung angeht, so kann ein Satz nicht isoliert betrachtet werden. Einem Satz kommt nur insofern ein semantischer Gehalt zu, als es ein ganzes System von Sätzen mit dieser Eigenschaft gibt.216 Somit ist die Bedeutung eines Satzes von der Bedeutung anderer Sätze ontologisch abhängig. Jeder Satz, der eine Bedeutung hat, ist abhängig davon, dass es irgendeinen anderen Satz gibt, der eine andere Bedeutung hat. Insofern lässt sich die Bedeutung einer sprachlichen Äußerung nicht mittels verlässlich unterscheidender Reaktionen auf nichtsprachliche Reize erklären. Eine Sprache, in der von Ausdrücken oder Sätzen ausschließlich reagierend und berichtend Gebrauch gemacht wird, ist eine Sprache ohne Bedeutung. Auch für Berichte von Wahrnehmungen oder mentalen Ereignissen ist entscheidend, dass sie mit anderen Aussagen in einem funktionalen Zusammenhang stehen. Erst dadurch erhalten sie ihre jeweilige Bedeutung. 5.5 Sprachliche Umstände und Folgen Die bisherigen Beispiele zur Veranschaulichung des bedeutsamen Gebrauchs von Sätzen oder Aussagen umfassten deren empirisch oder 215

Vgl. Esfeld (2002), insbes. 32, 41 ff., 52 ff. Zu der Position, wonach sich der semantische Gehalt eines Systems von Sätzen aus dem seiner Konstituenten ableitet, vgl. ebd., 41 ff. u. 62 ff. 216

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perzeptiv gegebenen Umstände auf der einen Seite sowie deren sprachlichlogischen Folgen auf der anderen. Die diskursive Situation besteht aber nicht selten aus rein sprachlichen Zusammenhängen. In der Regel sind nicht nur sprachliche Folgen, sondern auch sprachliche Umstände an der Konstitution von Bedeutung beteiligt. Die Umstände einer Aussage sind dann wiederum Aussagen, die aber keineswegs nur auf empirische Gegebenheiten Bezug nehmen. Für eine solche rein sprachliche Form der Bedeutungskonstitution stellt sich aber die Frage, ob tatsächlich die Umstände und Folgen Berücksichtigung finden müssen. Das Thermometerproblem hat zwar gezeigt, dass sich Bedeutung nicht ausschließlich durch die Kenntnis der perzeptiven Umstände bestimmen lässt. Lässt sich dies aber verallgemeinern? Sind bei der innersprachlichen Bedeutungskonstitution ebenfalls beide Seiten entscheidend, also das, woraus etwas folgt, und das, was folgt? Für eine positive Antwort auf diese Frage spricht die Tatsache, dass es bedeutsame Aussagen gibt, die unter denselben Umständen unterschiedliche Folgen der Verwendung haben können. Dies lässt sich mit Hilfe von pragmatisch explizierenden Redewendungen veranschaulichen. Dabei handelt es sich um Redewendungen, die es ermöglichen, ausdrücklich zu sagen, was man tun wird.217 Betrachten wir beispielsweise die folgenden beiden Aussagen: (8) Ich werde Johanna heiraten. (9) Ich sehe voraus, dass ich Johanna heiraten werde.

Bei (9) handelt es sich um eine solche pragmatisch explizierende Redewendung. Das Subjekt des Satzes kündigt an, etwas zu tun, und bringt dies im Sprechakt selbst zum Ausdruck. Dagegen beinhaltet (8) nur das, was getan werden soll, ohne dies zugleich ausdrücklich zu sagen. Die Umstände, unter denen (8) angemessen ist, sind dieselben, unter denen auch (9) angemessen ist. Dazu gehören generelle Voraussetzungen wie beispielsweise „Johanna und ich sind unverheiratet.“ oder „Johanna

217

Vgl. Brandom (1994), 121 f. Vgl. insbes. zu den folgenden Beispielen auch Brandom (1976).

147

hat das 16. Lebensjahr vollendet.“218 Aber auch konkretere Umstände wie „Johanna hat versprochen, mich zu heiraten.“ oder „Ich habe eine schriftliche Bestätigung für den Termin unserer Trauung.“ erlauben den Schluss sowohl auf (8) als auch auf (9). Immer, wenn die Umstände es angemessen erscheinen lassen, dass ich Johanna heiraten werde, ist es auch angemessen, dass ich dies vorhersehe. Mit den Folgen, die diese beiden Aussagen angemessenerweise haben können, verhält es sich jedoch anders. Sie sind durchaus verschieden. Während etwa aus „Ich werde Johanna heiraten.“ trivialerweise folgt „Ich werde Johanna heiraten.“, gilt dies für „Ich sehe voraus, dass ich Johanna heiraten werde.“ nicht. Dazu müsste zusätzlich geklärt werden, wie gut ich darin bin, Dinge oder Ereignisse vorauszusagen. Dieser Unterschied lässt sich zusätzlich verdeutlichen, indem man die Verwendung von Aussagen dieser Art als Antezedenzien in Konditionalen betrachtet. Dann nämlich zeigt sich, dass zwar (8) und (9) unter denselben Umständen angemessen sind, nicht aber die mit ihnen gebildeten Konditionale. Die variierende Gültigkeit der Konditionale auf der Umstandsseite ist eine Konsequenz der Variabilität ihrer Antezedenzien auf der Folgenseite. Betrachten wir die folgenden beiden Konditionale: (10) Wenn ich Johanna heiraten werde, werde ich Johanna heiraten. (11) Wenn ich voraussehe, dass ich Johanna heiraten werde, werde ich Johanna heiraten.

Die Umstände, unter denen es gerechtfertigt ist, sie zu verwenden, sind recht unterschiedlich. Das Konditional in (11) kann nur unter der zusätzlichen Voraussetzung verwendet werden, dass meine Voraussage richtig ist. Dann folgt das Konsequenz tatsächlich aus dem Antezedens. Für das Konditional in (10) ist dies völlig unbedeutend. Hier folgt das Konsequenz immer aus dem Antezedens. Es ist also die folgende Situation entstanden. Die Verwendung zweier Aussagen für sich betrachtet ist unter denselben Umständen angemessen. Werden sie dagegen als Antezedenzien eines Konditionals mit demselben 218

Nach BGB § 1303 Abs. 2 ist auf Antrag ehefähig, wer mindestens das 16. Lebensjahr vollendet hat, sofern der künftige Ehepartner volljährig ist. Vgl. Köhler (2001), 249.

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Konsequenz verwendet, unterscheiden sich die Umstände ihrer angemessenen Verwendung. Der Grund dafür ist, dass für die beiden Antezedenzien nicht dasselbe Konsequenz eine angemessene Folge darstellt. Für eine Semantik, die allein die Umstände der Verwendung von Aussagen berücksichtigt, ist dies ein Problem. Sie kann nicht erklären, warum sich durch das Ersetzen des Antezedens durch einen vermeintlich bedeutungsgleichen Satz ein Konditional ergeben kann, dessen Bedeutung nicht mehr dieselbe ist. Es zeigt sich also, dass die Umstände allein auch in rein innersprachlichen Zusammenhängen nicht zur Bestimmung von Bedeutung ausreichen. Nicht nur, wenn es um Wahrnehmungsberichte geht, sind die Folgen der Verwendung entscheidend. Auch Aussagen, die sich auf andere Aussagen stützen, sind erst dann semantisch eindeutig identifizierbar, wenn zugleich bekannt ist, welche Aussagen sie selbst stützen. Die Folgen einer Aussage sind zumeist weitere Aussagen, die mit dieser auf relevante Weise zusammenhängen. Anstatt von den Folgen einer Aussage kann man auch von den Inferenzen reden, die mit ihr in Zusammenhang stehen. Die Kenntnis der Bedeutung eines Ausdrucks ist dann gleichbedeutend mit dem Überblick über den inferentiellen Zusammenhang der Aussage, in der dieser vorkommt. Das meint auch Sellars berühmte Rede vom „logischen Raum der Gründe.“219 Ein Ausdruck ist nur dann bedeutsam, wenn er in diesem Raum der inferentiellen Zusammenhänge platziert wird. Anders gesagt beherrscht jemand den bedeutungsvollen Gebrauch eines sprachlichen Ausdrucks nur dann, wenn er es versteht, ihn als Grund zu verwenden. Das Beherrschen inferentieller Zusammenhänge ist ein elementarer Bestandteil eines jeden kompetenten und damit bedeutsamen Umgangs mit Sprache. Die sprachliche Praxis in ihrer Grundform der aufrichtigen und direkten behauptenden Rede ist davon geprägt, dass Geltungsansprüche problematisiert werden.220 Als Diskursteilnehmer sind wir stets angehalten, diese Ansprüche zu bekräftigen oder ihre Bekräftigung einzufordern. Um eine Aussage zu stützen, machen wir weitere Aussagen, so wie wir dies 219

Vgl. Sellars (1963a), 169. Vgl. auch Davidson (1984), 225. Davidson setzt die Bedeutung eines Satzes mit seinem „semantischen Ort“ in der Sprache gleich. 220 Zu einer Erörterung dieses Themas unter dem Titel „Practical Mode of Belief“ vgl. auch Pettit (1998), insbes. 20 ff.

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auch von anderen Diskursteilnehmern einfordern. Möglich wird dies, weil Aussagen prinzipiell in einem relevanten und unmittelbaren Zusammenhang mit anderen Aussagen stehen. Grundsätzlich kann jeder Aussage eine weitere auf sinnvolle und relevante Weise angeschlossen werden. Mit einem Wort, jeglicher Diskurs ist prinzipiell inferentiell gegliedert. Hier nun überschneiden sich die Beschreibungsebenen. Denn was auf pragmatischer Ebene die implizite Normativität ist, ist auf semantischer Ebene die inferentielle Gliederung. Dass bedeutsame Sprache inferentiell gegliedert ist, entspricht der Einsicht, dass Sprecher sich auf rationale Standards verpflichten, wenn sie Behauptungen machen. Damit tritt auch die doppelte Relevanz des Propositionalen für die anvisierte Bedeutungstheorie in den Blick. Denn indem sie explanatorisch dort ansetzt, wo Bedeutung auch vortheoretisch vorrangig auftaucht, nämlich im Sprachgebrauch, steigt sie auf der Satzebene ein. Und indem sie auf der Satzebene einsteigt, wird die Erklärung von Bedeutung auf der Grundlage inferentieller Zusammenhänge möglich. Schließlich stehen nicht Ausdrücke, sondern Sätze derart in Zusammenhang. Inferentielle Zusammenhänge sind Begründungszusammenhänge. Gründe jedoch kommen nur in Form von Überzeugungen vor. Etwas kann nur dann als Grund für eine Überzeugung gelten, wenn es selbst eine Überzeugung ist. 221 Das pragmatische Pendant von Überzeugungen sind satzförmige Aussagen oder Behauptungen. Soll also ein sprachlicher Ausdruck als Grund verwendet werden, so muss er Teil einer solchen Aussage sein. Insofern Inferenzen also bedeutungsbestimmend sind, sind Sätze oder Aussagen die primären Bedeutungsträger. Damit zeichnet sich zugleich ab, dass auf der Ebene der Bedeutungskonstitution bereits das angelegt ist, was auf einer übergeordneten Ebene zur Standardanalyse von Wissen gehört. Danach erwarten wir von jemandem, der etwas zu wissen vorgibt, dass er die entsprechende Überzeugung auch rechtfertigen kann. Nur unter der Bedingung, dass er für sie Gründe angeben kann, kann sich seine Überzeugung als Wissen qualifizieren. Das Rechtfertigen durch Gründe ist eine Voraussetzung für Wissen und wird genau dadurch ermöglicht, dass Überzeugungen mit anderen Überzeugungen inferentiell in Zusammenhang stehen. 221

Vgl. Rorty (1979), 178, BonJour (1985), 32 u. Davidson (1986), 310.

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Wissen ist damit in doppelter Hinsicht auf die inferentielle Gliederung der sprachlichen Praxis angewiesen. Einerseits ist etwas nur dann eine Überzeugung, wenn es für den Meinenden eine Bedeutung hat. Insofern ist etwas auch nur unter dieser Bedingung Wissen. Und Bedeutung wird nach der hier vertretenen Auffassung durch inferentielle Zusammenhänge konstituiert. Andererseits kann eine Überzeugung nur dann als Wissen ausgewiesen werden, wenn sich dafür rechtfertigende Gründe anführen lassen. Insofern müssen andere Überzeugungen als Rechtfertigung angeführt werden. Dies ist ebenfalls nur auf der Grundlage des inferentiellen Zusammenhangs, in dem die fragliche Überzeugung steht, möglich. Die rechtfertigende und die gerechtfertigte Überzeugung müssen inferentiell zusammenhängen. Somit greifen Bedeutungen und Rechtfertigungen auf ein und dieselbe sprachliche Infrastruktur zurück. Beide sind auf inferentielle Zusammenhänge angewiesen. Indem Wissen Bedeutung und Rechtfertigung voraussetzt, ist hierfür gleichermaßen die inferentielle Gliederung von Sprache eine Voraussetzung. Und in dem Maße wie das Meistern von inferentiellen Zusammenhängen eine praktische Fähigkeit ist, ist Können die Voraussetzung für Wissen. 5.6 Nichtsprachliche Umstände und Folgen Mit inferentiellen Zusammenhängen steht und fällt die Gebrauchstheorie der Bedeutung. Sie bilden den strukturellen Hintergrund, vor dem sich der bedeutsame Gebrauch von Sprache abspielt. Wenngleich dies vorrangig sprachliche Zusammenhänge sind, so zeugen die erwähnten Wahrnehmungsberichte allerdings davon, dass die Umstände der bedeutsamen Verwendung einer Aussage auch nichtsprachlicher Natur sein können. Dies lässt sich auf die Folgenseite übertragen. Denn der Gebrauch einer Aussage kann ebenso gut außersprachliche Folgen haben. Ein Sprecher kann das Verständnis einer bestimmten Bedeutung prinzipiell auch dadurch signalisieren, dass er sich auf eine angemessene Weise verhält. In einem solchen Fall schließt er praktisch von der fraglichen Aussage auf eine bestimmte Handlung. Er zeigt dadurch, dass er mit einer Folge der Aussage vertraut ist, die allerdings außerhalb der Sprache liegt. Sagt er beispielsweise „Ich sollte diesen heißen Topf nur mit einem

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Topflappen anfassen.“, dann ist die Verwendung des Topflappens eine angemessene praktische Folge dieser Behauptung.222 Auch dieser Aspekt bildet auf semantischer Seite lediglich das ab, was auf pragmatischer Seite bereits Thema war. Bei der Erklärung praxisimpliziter Normen hatte der Begriff der externen Sanktion eine wichtige Bedeutung.223 Denn rein internes Sanktionieren kann die Unterscheidung von korrektem und inkorrektem Sprachgebrauch nicht regressfrei erklären. Die diskursive Praxis muss grundsätzlich in außersprachliche Handlungszusammenhänge eingebettet sein, soll sie als eine normative verständlich werden. Genau diese Einbettung sprachlicher in außersprachliche Zusammenhänge findet ihre Entsprechung auf der inferentiellen Ebene. Schließlich kann man eine Sanktion prinzipiell auch als die Folge einer Aussage begreifen. So wie es also auf der pragmatischen Seite internes und externes Sanktionsverhalten gibt, so gibt es auf der inferentiellen Seite inner- und außersprachliche Inferenzen. Die Möglichkeit außersprachlicher Folgen darf also in einer Erklärung des angemessenen Gebrauchs von Aussagen ebenso wenig übergangen werden, wie die außersprachlicher Umstände.224 Die Rede vom inferentiellen Zusammenhang muss daher über das gewohnte, innersprachliche Verständnis hinaus ausgeweitet werden. Nimmt man alle Aspekte zusammen, dann bezieht sich der Begriff einmal auf die sprachlichen Umstände, aus denen eine Aussage folgt, dann auf die sprachlichen Folgen, die sie hat, weiter auf ihre nichtsprachlichen Umständen (Wahrnehmungsgegenstände) und schließlich auf ihre nichtsprachlichen Folgen (Handlungen). Mit anderen Worten, der inferentielle Zusammenhang einer Aussage setzt sich zusammen aus Sprachein-, Sprachüber- und Sprachausgängen.225 Hinsichtlich dieses erweiterten Verständnisses von inferentiellen Zusammenhängen sind Unklarheiten möglich. Die erste betrifft die Frage, inwiefern empirische Gegebenheiten als Spracheingänge bezeichnet werden können. Wieso müssen beispielsweise die Umstände eines 222

Vgl. auch Brandom (1994), 233 ff. Vgl. Kap. 4.12. 224 Zur Idee, diese beiden Möglichkeiten zu berücksichtigen, vgl. Sellars (1963b), §§ 18 ff. u. Brandom (1994), 119 ff., 131 ff. u. 233 ff. 225 Vgl. Sellars (1963b), §§ 22 f. u. Sellars (1974), 423 f. 223

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Wahrnehmungserlebnisses Eingang in die Sprache finden, etwa in Form einer Aussage wie „Dies ist rot.“? Vollzieht sich die Rotwahrnehmung nicht ohne Sprache? Dies lässt sich durch die Möglichkeit, dass nichtsprachliche Folgen direkt auf nichtsprachliche Umstände folgen, noch weiter zuspitzen. Angenommen ein Autofahrer sagt, nachdem er eine rote Ampel wahrgenommen hat, zu seinem Beifahrer „Dies ist rot.“ und bringt seinen Wagen durch Bremsen zum Stehen. Seine Aussage hat also sowohl nichtsprachliche Umstände als auch nichtsprachliche Folgen. Soll all dies Teil des inferentiellen Zusammenhangs sein, der für die Bedeutung dieser Aussage konstitutiv ist? All diese Fragen verdienen Zustimmung. Nicht nur stellen Wahrnehmungen Spracheingänge dar. Selbst Aussagen, deren angemessene Umstände und Folgen nichtsprachlicher Natur sind, stehen in inferentiellen Zusammenhängen. Es darf nicht vergessen werden, dass es auch hier um Bedeutung und nicht etwa um Reiz-Reaktions-Schemata geht. Wird also auf Unstände und Folgen rekurriert, dann immer mit Blick auf die Verwendung einer Aussage wie etwa „Dies ist rot.“ Ausgangspunkt für das Verständnis von Inferentialität ist stets der logische Raum der Gründe. Im geschilderten Fall wird dieser durch einen empirischpraktischen Raum der Gründe ergänzt, nicht aber ersetzt.226 Demnach geben die außersprachlichen Umstände und Folgen Grund zur Annahme, dass der Autofahrer die Bedeutung der Aussage „Dies ist rot.“ kennt. Auch die Auffassung empirischer Gegebenheiten als Spracheingänge wird durch das Erklärungsziel einer inferentialistischen Bedeutungstheorie verständlich. Denn die Umstände des Sprachgebrauchs sind nur insofern Teil des inferentiellen Zusammenhangs, als sie Eingang in die Sprache finden. Es geht hier nicht einfach um außersprachliche Gegebenheiten wie Wahrnehmungen oder Empfindungen, sondern um Gegebenheiten, die Aussagen oder Überzeugungen wie beispielsweise „Dies ist rot.“ oder „Dieser Topf ist heiß.“ stützen oder hervorrufen. Es geht um Wahrnehmungs- oder Empfindungsüberzeugungen. Sollen Aussagen, die auf solche Gegebenheiten zurückgehen, eine Bedeutung haben, dann müssen auch sie unmittelbar Eingang in den inferentiellen Zusammenhang

226

Vgl. hierzu auch erneut Heidegger (1993), 69 ff.

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anderer Aussagen finden.227 Nur so kann von bedeutsamem Wahrnehmen oder Empfinden gesprochen werden. In semantischer Hinsicht ist Wahrnehmung immer eine sprachliche Angelegenheit. Denn das Entscheidende, was einem Detektor, einem Papagei oder einem Thermometer fehlt, ist die Fähigkeit, Gründe zu liefern oder zu fordern. Aussagen wie „Dies ist rot.“ oder „Dies ist ein Apfel.“ haben nur dann eine Bedeutung, wenn derjenige, der sie macht, auch darüber informiert ist, welche Schlüsse sich daraus ziehen lassen beziehungsweise welche Inferenzen sie stützen. Dies kann durchaus auch eine praktische Inferenz sein, durch die auf eine Handlung geschlossen wird. Auch hier wäre es jedoch falsch anzunehmen, jemand beherrsche die Bedeutung einer Aussage aufgrund einzelner oder isolierter Schlüsse. Von jemand, der auf eine Lautfolge wie „Dies ist rot.“ oder „Dies ist ein Apfel.“ mit nur einer einzigen Verhaltensweise reagiert, kann man nicht behaupten, er kenne ihre Bedeutung. Auch praktische Inferenzen setzen die Kenntnis eines gewissen „Spielraums“ voraus. In diesem Fall ist es ein Spielraum sinnvoller Handlungen. Andernfalls muss von Reaktionen statt von Inferenzen gesprochen werden. Wahrnehmungen oder Empfindungen sind hier also nur insofern von Belang, als sie Gegenstand von Überzeugungen sind und als solche Eingang in die Sprache finden. Einer bedeutsamen Überzeugung Ausdruck verleihen heißt immer, einen Zug im Spiel des Gebens und Verlangens von Gründen zu machen. Der logische Raum der Gründe ist also primär ein diskursiver, inferentiell gegliederter Ort, wo Überzeugungen ausgedrückt werden, um Gründe zu geben und um nach Gründen zu fragen. Insofern ist eine Inferenz letztlich immer eine sprachliche Angelegenheit, auch wenn es hier Ein- und Ausgänge gibt. Dies gilt für das Gewahrwerden von Eigenschaften, Tatsachen oder Ähnlichkeiten, so wie es für das Folgern in Form von Handlungen gilt. Inferentielle Zusammenhänge sind letztlich immer sprachlich verankert. Damit sind die beiden Faktoren, die den bedeutsamen Gebrauch eines Ausdrucks in einer Aussage bestimmen, umfassen erklärt. Wer eine Aussage richtig zu gebrauchen weiß, kennt zum einen die Umstände, unter 227

Vgl. Sellars (1963a), insbes. §§ 16 ff. u. 29 ff. Sellars bezeichnet diese Sichtweise als „psychologischen Nominalismus“. Vgl. auch Bieri (1982), 3.

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denen ihre Verwendung angemessen ist. Zum anderen beherrscht er die Inferenzen, die der Gebrauch zur Folge hat. Erst wenn beide Faktoren berücksichtig werden, ist eine genaue Unterscheidung von Bedeutung und Referenz möglich. Mit der Berücksichtigung des gesamten inferentiellen Zusammenhangs lässt sich hier maximale Genauigkeit erreichen. So steht etwa die Verwendung einer Aussage, in der der Ausdruck „Morgenstern“ vorkommt, in einem anderen inferentiellen Zusammenhang als eine solche, in der der Ausdruck „Abendstern“ vorkommt. Gleiches gilt für Ausdrücke wie „Kaninchen“, „Zeitsegment eines Kaninchens“ und „zusammenhängendes Kaninchenteil“ sowie die oben problematisierte Unterscheidung von „Hase“ und „Eichhörnchen“.228 Aus der Idee einer Gebrauchstheorie ergibt sich somit eine Semantik der inferentiellen Rolle oder einfach eine inferentielle Semantik. Danach sind die entscheidenden nicht-semantischen Gegebenheiten, von denen die semantischen Eigenschaften einer sprachlichen Äußerung abhängen, die inferentiellen Beziehungen zu anderen Äußerungen. Die inferentielle Rolle eines Satzes umfasst die Gesamtheit der Inferenzen, zu denen beizutragen er in der Lage ist. Zum spezifisch Inferentiellen der inferentiellen Rolle eines Satzes ist damit noch nicht viel gesagt. So lassen sich nun zwar die Regeln, die über die Korrektheit von Bedeutung bestimmen, als Inferenzregeln identifizieren. Allerdings können hier zwei Arten unterschieden werden: formale und materiale. Im verbleibenden Teil dieses Kapitels werde ich insbesondere auf die tragende Rolle materialer Inferenzregeln für das Projekt einer inferentiellen Semantik eingehen. Dadurch beabsichtige ich abschließend nachzuweisen, dass Wissen durch Können fundiert ist. Denn das Befolgen materialer Inferenzregeln ist eine praktische Fähigkeit, die maßgeblich für die Konstitution von Bedeutung und Rechtfertigung und somit letztlich auch für Wissen ist. 5.7 Formale und materiale Inferenzen Eine Inferenz ist zunächst einmal nichts anderes als eine Schlussfolgerung oder auch einfach eine Folgerung oder ein Schluss. Ich

228

Vgl. auch erneut Anm. 10 u. 206.

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werde im Folgenden nicht zwischen diesen Ausdrücken unterscheiden. Unkontrovers sind Beispiele wie die folgenden: (12) Alle Autofahrer sind Teilnehmer des öffentlichen Straßenverkehrs. Alle Teilnehmer des öffentlichen Straßenverkehrs sind an die StVO gebunden. Somit sind alle Autofahrer an die StVO gebunden. (13) Wenn Karl Hannah wirklich liebt, dann wird er ihr verzeihen. Karl liebt Hannah wirklich. Also wird er ihr verzeihen. (14) Es stimmt nicht, dass sie die Uhr nicht genommen hat. Also hat sie die Uhr genommen.

Dass es sich hierbei um Schlussfolgerungen handelt, lässt sich anhand der logischen Konstanten „alle“, „somit“, „wenn … dann“ oder „also“ erkennen. Dies kann sogar noch deutlicher sein, wenn beispielsweise Ausdrücke wie „folglich“, „infolgedessen“ oder „daraus folgt“ explizit auf Schlussfolgerungen hinweisen. Anders als logische Subjekte, Prädikate, Adverbien etc. haben logische Konstanten keine deskriptive oder repräsentative Funktion. Was den Inhalt von Sätzen anbelangt, sind sie neutral.229 Vielmehr haben sie eine expressive oder pragmatische Bedeutung. Sprecher, die sie verwenden, vermitteln Informationen, die die logische Funktion der jeweiligen Sätze betrifft. Diese bleibt auch bei wechselnden Inhalten konstant. Dadurch können logische Konstanten ein Hinweis darauf geben, dass eine spezielle Abfolge von Sätzen den Status einer Inferenz hat. Das Vorkommen von Ausdrücken wie „somit“, „also“, „folglich“, „deshalb“, „aufgrund dessen“ etc. verweisen beispielsweise auf den Übergang von einer oder mehreren Prämissen zu einer Konklusion.230 Inferenzen lassen sich also aufgrund formaler Merkmale direkt als solche erkennen. Mit Hilfe logischer Konstanten lässt sich die Struktur einer bestimmten Reihe von Sätzen als eine Inferenz identifizieren. Doch eine Inferenz ist mehr als ein rein grammatisches Phänomen. Sie hat eine spezifische logisch-argumentative Kraft. Sprecher, die Schlussfolgerungen anstellen, machen sich die Tatsache zu eigen, dass sich Sätze oder 229

Aus Gründen der Übersichtlichkeit rede ich im Folgenden vorwiegend von Sätzen statt von Satzteilen. 230 Zu der Lesart, wonach allein eine Konklusion eine Schlussfolgerung, die Kombination aus Prämissen und Konklusion dagegen ein Argument ist, vgl. auch Salmon (1983), 7 ff.

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Aussagen auf eine relevante und notwendige Weise aufeinander beziehen können. Dies steht jedoch nicht allein dadurch fest, dass eine Satzfolge eine bestimmte logische Konstante enthält. Nicht jeder Übergang von einer Prämisse zu einer Konklusion ist auch gleichzeitig ein gültiger Schluss beziehungsweise eine korrekte Inferenz.231 Mit anderen Worten, eine Inferenz ist immer auch Gegenstand der Beurteilung. Betrachten wir beispielsweise die folgenden Aussagen: (15) Einige von denen, die nicht glauben, dass Gott die Welt in sieben Tagen geschaffen hat, sind keine Fundamentalisten. Einige Fundamentalisten glauben, dass Gott die Welt in sieben Tagen geschaffen hat. Also ist keiner, der nicht glaubt, dass Gott die Welt in sieben Tagen geschaffen hat, ein Fundamentalist.232

Der Ausdruck „also“ lässt vermuten, dass dies eine Inferenz ist. Ob sie aber auch korrekt ist, ist damit noch nicht garantiert. Für korrekte Inferenzen gilt, dass die Konklusion mit logischer Notwendigkeit aus den Prämissen folgt. Gültige Schlüsse zeichnen sich dadurch aus, dass sie einen zwingenden Charakter haben. Wann aber ist das der Fall? Eines der grundlegendsten Ziele der Logik ist die Unterscheidung korrekter von inkorrekten Inferenzen. Um dieses Ziel zu erreichen, versuchen Logiker, Kriterien ausfindig zu machen, die ein korrektes oder gültiges Schlussfolgern ermöglichen. So gilt beispielsweise grundsätzlich, dass aus wahren Prämissen nur wahre Konklusionen abgeleitet werden können.233 Zwar müssen die Prämissen eines gültigen Schlusses nicht immer wahr sein. Auch aus falschen Prämissen lassen sich Schlüsse ziehen. Eine Inferenz gilt jedoch als inkorrekt, wenn die Prämissen wahr sind, die Konklusion aber falsch ist. Einem anderen Prinzip zufolge kann eine Inferenz niemals korrekt sein, wenn ihre Prämissen partikulare Aussagen sind, ihre Konklusion aber eine allgemeine Aussage ist.234 Insofern stellt (15) keine korrekte Inferenz dar. Denn darin kommen nur partikulare Prämissen vor. 231

Ich verzichte hier auf eine prinzipielle Unterscheidung zwischen Korrektheit und Gültigkeit. 232 Zu diesem Beispiel vgl. Eco (1989), 81. 233 Vgl. Whitehead/Russell (1910), 94. 234 Vgl. Arnauld/Nicole (1965), 183 f.

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Die Logik ist erklärtermaßen nicht interessiert an dem, worum es in den untersuchten Sätzen geht.235 Sie versteht sich als eine rein formale Wissenschaft. Ob eine Inferenz korrekt ist, soll sich unabhängig vom Gegenstand der fraglichen Prämissen und Konklusionen zeigen lassen. Es geht ihr nicht um die einzelnen Sätze, sondern um den Transport und Erhalt ihrer Wahrheitswerte. Daher wird eine Inferenz auch nicht als wahr oder falsch, sondern als korrekt oder inkorrekt bezeichnet. Eine korrekte Inferenz ist nicht wahr, sondern wahrheits(wert)erhaltend. Anhand formaler Merkmale lässt sich demnach nicht nur herausfinden, dass eine bestimmte Reihe von Sätzen einer Inferenz ähnelt. Auch ihre Korrektheit ist daraus ableitbar. Diese lässt sich vielfach bereits danach beurteilen, ob eine Satzreihe einem bestimmten Muster oder Schema entspricht. Gegebenenfalls repräsentiert dies ein formales Prinzip, dessen Geltungsbereich sich über alle Satzreihen dieses Typs erstreckt. So lässt sich (15) anhand seines formalen Aufbaus leicht als ungültiger Schluss entlarven. Kenntnisse über Theologie und Fundamentalismus sind hier nicht erforderlich. Die auf das Formale konzentrierte Analyse braucht sich um den Inhalt der jeweiligen Aussagen nicht zu kümmern. Das kann die Beurteilung der entsprechenden Inferenz erleichtern. Denn ob der Schluss von einer Reihe von Prämissen auf eine Konklusion auf angemessene und berechtigte Weise erfolgt, lässt sich häufig nicht so leicht feststellen. Natürliche Sprachen können sehr komplex und mehrdeutig sein. Die Korrektheit oder Inkorrektheit einer Inferenz kann sich dem Blick leicht entziehen. Davon zeugt Beispiel (15). Mögen erste Indizien auch auf eine Inferenz hinweisen. Ob mit bestimmten logischen Konstanten auch tatsächlich eine korrekte Inferenz vorliegt, ist damit jedoch noch nicht ausgemacht. Für eine einfache und verlässliche Beurteilung von Inferenzen arbeitet die Logik mit den Mitteln der Abstraktion und der Formalisierung. Dies ermöglicht deren systematische und schematische Analyse nach ausschließlich formalen Kriterien. So wird auch für komplexe Fälle schnell ersichtlich, ob eine bestimmte Abfolge von Sätzen einer anerkannten, gültigen Schlussform entspricht, ob also die Inferenz- oder Schlussregeln beziehungsweise die Gesetze der Logik eingehalten werden. So hat 235

Vgl. z. B. Salmon (1983), 12 o. Wessel (1998), 5.

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beispielsweise (12) die Form des Modus Barbara beziehungsweise des Kettenschlusses, (13) die des Modus Ponens beziehungsweise der Abtrennungsregel und (14) die des Gesetzes der Doppelten-NegationsBeseitigung.236 Satzfolgen, die sich als Anwendungen solcher, anerkanntermaßen gültiger Schlussformen, -regeln oder -gesetze ausweisen lassen, können immer als korrekte Inferenzen gelten. Eine Deutung oder ein Verständnis der einzelnen Sätze ist dabei überflüssig. Somit lassen sich Inferenzen, deren Korrektheit allein von formalen Kriterien abhängt, als formale Inferenzen bezeichnen. Eine gegebene Satzmenge ist eine formale Inferenz, wenn sie der Form nach als eine solche erkennbar ist. Logische Konstanten geben darauf einen Hinweis. Formale Schlussregeln ermöglichen zudem die Unterscheidung von korrekt und inkorrekt beziehungsweise gültig und ungültig. Aus der Einhaltung formalen Regeln ergibt sich die formale Gültigkeit oder Korrektheit einer Inferenz. Sie ist ausschließlich eine Funktion der Form. Dadurch hat sie universale Geltung. Sie ist auf alle Einzelfälle übertragbar, die dieselben formalen Merkmale aufweisen. Aufgrund ihrer Transparenz und Evidenz gelten formale Inferenzen als sehr sicher. Für einen Sprecher stellt es kein besonderes Risiko dar, einen Satz zu billigen, wenn auf ihn beispielsweise mit Hilfe des Kettenschlusses geschlossen wurde. Zusätzliche Annahmen, die sich möglicherweise als falsch herausstellen, sind hier nicht nötig. Als eine ihrer zentralen Aufgaben betrachtet die Logik daher das Aufstellen und Systematisieren formaler Schlussregeln.237 Die Wissenschaft ist ohne die Praxis des Schlussfolgerns nicht denkbar. Und auch der alltägliche Diskurs ist davon geprägt. Insbesondere außerhalb des wissenschaftlichen Diskurses kommen aber häufig auch Inferenzen zum Einsatz, die sich nicht durch ihre Form als solche zu erkennen geben. So schließen wir beispielsweise von „Der Mord geschah am Mittwoch.“ auf „Am Dienstag war das Opfer noch am Leben.“, von „Er wurde von einem Priester getauft.“ auf „Jetzt ist er ein Christ.“ oder von „Berlin liegt östlich von Hamburg.“ auf „Hamburg liegt westlich von Berlin.“ In diesen Fällen gibt es keine formalen Hinweise darauf, dass es sich um Schlussfolgerungen handelt. Es ist zwar möglich, die zweite 236 237

Vgl. auch Aristoteles (1995), 6 u. Whitehead/Russell (1984), 18. Vgl. z. B. Wessel (1998), 6.

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Aussage jeweils durch einen Ausdruck wie „also“ oder „folglich“ zu ergänzen. Dies ist aber nicht zwingend nötig. Prinzipiell verfügen derartige Inferenzen über keine formalen Merkmale, die sie als solche ausweisen. Was die betreffenden Sätze angeht, unterscheiden sie sich nicht von Satzfolgen, die keine Inferenzen sind. Dass es sich dennoch um Schlussfolgerungen handelt, ist nicht der logischen Form der Sätze oder ihrer Abfolge geschuldet. Der inferentielle Zusammenhang dieser Sätze ergibt sich vielmehr aus ihrem jeweiligen semantischen Gehalt. Sie bilden Schlussfolgerungen, weil das, worum es geht, inhaltlich oder material zusammenhängt. So sind es insbesondere die Bedeutungen der Ausdrücke „Mittwoch“ und „Dienstag“, „getauft“ und „Christ“ oder „östlich“ und „westlich“, die dafür sorgen, dass die entsprechenden Aussagen in einer logisch relevanten Beziehung zueinander stehen. Sie sind es, die den inferentiellen Zusammenhang dieser Aussagen herstellen. Daher lassen sich Inferenzen, die auf dem Gehalt von Aussagen beruhen, als „materiale Inferenzen“ bezeichnen.238 Auch für materiale Inferenzen gilt aber, dass sie korrekt oder inkorrekt sein können. Auch sie sind grundsätzlich Gegenstand der Beurteilung. Ihre Korrektheit ergibt sich aber nicht aus der Übereinstimmung mit anerkannten Inferenz- oder Schlussregeln. Diese Methode steht offenkundig nicht zur Verfügung. Denn es gibt keine formalen Merkmale, die für ihre Beurteilung berücksichtigt werden können. Materiale Inferenzen weisen keine charakteristischen Schemata auf. Logische Ausdrücke kommen nicht notwenig vor. Auch Abstraktionen oder Formalisierungen sind nicht möglich. Alles, was sich in formaler Hinsicht zeigen lässt, ist das zeitlich zusammenhängende Vorkommen zweier Aussagen. Dies aber ist wenig aufschlussreich. Für die Korrektheit materialer Inferenzen gilt daher dasselbe wie für ihren Status als Inferenzen überhaupt. Ausschlaggebend ist nicht die Übereinstimmung mit formalen Regeln oder Mustern, sondern das, worum es in den Sätzen geht. Die Korrektheit materialer Inferenzen hängt vom jeweiligen Inhalt der Prämissen und Konklusionen ab. 238

Vgl. Sellars (1953) u. Sellars (1963b), 331 f. Während sich Sellars Überlegungen jedoch auf die subsententiale Ebene begrifflicher Gehalte beziehen, ist für mich auch hier die primäre Betrachtungsebene die ganzer Sätze und somit propositionaler Gehalte.

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Das macht diese Art von Inferenz interessant. Denn die Idee der Gebrauchstheorie der Bedeutung ist ja im Kern die, dass der inferentielle Zusammenhang einer Aussage ihre Bedeutung bestimmt. Würde man nun Inferenzen primär als formale verstehen, so bliebe dieser bedeutungstheoretische Anspruch größtenteils auf der Strecke. Denn formale Inferenzen sind ausdrücklich nicht am Gehalt von Aussagen interessiert. Sie sind semantisch gesehen neutral, wenn nicht uninformativ. Beim Modus Ponens etwa entsteht die Konklusion durch das Abtrennen des Antezedens eines Konditionals. Somit ist der Gehalt der Konklusion in den Prämissen bereits enthalten. Er bleibt in der Schlussfolgerung unverändert und wird durch die Regel lediglich betont oder explizit gemacht. Auch beim Modus Barbara ist die Konklusion nur eine inhaltsgleiche Variante der Prämissen. Durch Verkettung wird ein Prädikat von den Prämissen zur Konklusion übertragen. Und dass die DoppelteNegations-Beseitigung gehaltsneutral ist, ist offensichtlich. In formalen Inferenzen vollzieht sich also lediglich eine formale Umwandlung der Prämissen in die Konklusion. Daher auch ihre Bezeichnung als „Transformations- oder Umformungsregeln“.239 Der bedeutungstheoretische Rückgriff auf Inferenzen muss jedoch berücksichtigen, worum es in den Aussagen inhaltlich geht. Er kann sich nicht ausschließlich auf rein formale Aspekte des Übergangs von Prämissen zu Konklusionen beschränken. Nur für materiale Inferenzen gilt aber, dass sie Gehalte thematisieren und Auskunft über Bedeutungen geben. Daher scheint es naheliegend, sie zur Grundlage der Untersuchung zu machen. Der kritische Leser mag aber fragen, ob sich diese Erklärung nicht im Kreis dreht. Wenn materiale Inferenzen auf der einen Seite von Bedeutung abhängen, dann kann Bedeutung auf der anderen Seite schlecht durch materiale Inferenzen bestimmt werden. Es entsteht der Eindruck, dass die Anwendung des Begriffs der materialen Inferenz zur Erklärung von semantischem Gehalt schlichtweg zirkulär ist. Dieser Verdacht lässt sich jedoch ausräumen, indem man noch einmal an die generelle Systematik dieser Arbeit erinnert. Die Idee der Gebrauchstheorie der Bedeutung, aus der ich die bisherigen Überlegungen entwickelt habe, 239

Vgl. z. B. Wittgenstein (1984a), 231 u. 331, Carnap (1968), 2 u. 25 o. Sellars (1953), 318 ff.

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beinhaltet ja die Strategie, eine Semantik auf einer Pragmatik aufzubauen. Der explanatorische und systematische Ausgangspunkt dieses Ansatzes ist der Gebrauch von Sprache. Und dieser ist wie gesehen immer implizit normativ. Vor diesem Hintergrund müssen nun auch materiale Inferenzen gesehen werden. Diese sind dann insofern korrekt oder inkorrekt, als sie von Sprechern in der diskursiven Praxis als korrekt oder inkorrekt betrachtet und behandelt werden. Indem also Bedeutung und semantische Korrektheit auf die normative Pragmatik zurückgeführt wird, wird ein explanatorischer Zirkel vermieden. 5.8 Die Normativität von Inferenzregeln Formale Inferenzen sind korrekt, wenn sie mit formalen Inferenzregeln übereinstimmen. Steht der Übergang einer gegebenen Satzfolge formal mit einer anerkannten Regel in Einklang, so folgt die Konklusion mit strikter Notwendigkeit und absoluter Gewissheit aus den Prämissen. Formale Inferenzregeln sind logisch zwingend in einem strengen Sinne. Sie lassen keinen Spielraum für Abweichungen, was die jeweilige logische Folge angeht. Unter dieser Voraussetzung kann man nun fragen, ob es sich hier überhaupt noch um Regeln im erforderlichen Sinne handelt.240 Ziel dieser Untersuchung ist es schließlich, inferentielle Zusammenhänge als Grundlage für die Bestimmung von Bedeutung verständlich zu machen. Dabei geht es nicht darum, Inferenzen gemäß bestimmter Standards, Ideale oder Normalfälle zu klassifizieren. Inferenzregeln werden also nicht als Gegenstandsnormen aufgefasst. Vielmehr sollen sie Kriterien für den korrekten Sprachgebrauch sein, durch den sich dann wiederum Bedeutung konstituiert. Sie müssen also Handlungsnormen sein.241 Aufgrund ihres zwingenden Charakters ist es aber zweifelhaft, ob Inferenzregeln tatsächlich Regeln dieses Typs sein können. Vielmehr scheint es, als können sie sich überhaupt nicht auf Handlungen beziehen. Schließlich sind das Anderskönnen, das Unterlassen sowie das Scheitern wesentliche Bestandteile des Handlungsbegriffs.242 240

Vgl. Glüer (1999b), 201 u. Tietz (2003), 73 f. Vgl. erneut Kap. 3.4. 242 Vgl. erneut Anm. 95. 241

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Nur in diesem Sinne ist es überhaupt sinnvoll, Handlungen durch Regeln steuern zu wollen. Was nicht unterlassen werden kann, kann auch nicht geregelt, geschweige denn ge- oder verboten werden. Verletzbarkeit ist eine notwendige Bedingung für handlungsleitende Regeln. Soll das Schlussfolgern also eine regelgeleitete Art des Handelns sein, so muss es auch hier prinzipiell möglich sein, die entsprechenden Regeln zu verletzen. Es muss möglich sein, das Befolgen auch zu unterlassen oder daran zu scheitern. Dies wird aber durch den logischen Zwang, der zumindest von formalen Inferenzregeln ausgeht, verhindert. Denn dieser schließt jede Möglichkeit, sich anders zu entscheiden, aus.243 Zu dem, wie etwas logisch aus etwas anderem folgt, gibt es streng genommen keine Alternative. Ich kann mich nicht entschließen, es nicht zu folgern, wenn mir gerade der Sinn danach steht. Wollte man Inferenzregeln daher als handlungsleitend begreifen, dann müsste es beim Schlussfolgern überhaupt erst einmal eine Wahl geben, die dann durch den logischen Zwang zunichte gemacht werden kann. Offensichtlich ist es beim logischen Schließen aber so, dass wir diese Wahl gerade nicht haben. Wenn es aber gar nicht möglich ist, sich anders zu verhalten, dann ist es auch nicht sinnvoll, vom Befolgen von Regeln zu sprechen. Wie man es auch wendet, etwas scheint hier nicht zu stimmen. Entweder werden Inferenzen überhaupt nicht durch Regeln geleitet. Dann muss die Rede von Inferenz- oder Schlussregeln unsinnig erscheinen oder kann bestenfalls metaphorisch verstanden werden. Oder Inferenzen werden sehr wohl durch Regeln geleitet. Dann kann es sich aber nicht um Handlungsnormen handeln, die angeben, was wir tun sollen. Wir müssten also davon ausgehen, dass sie keinerlei normative Kraft haben, sondern vielmehr eine Art Gegenstandnorm sind. Kurzum, wenn wir an einem nicht-metaphorischen Verständnis von Inferenzregeln festhalten wollen, müssen wir ihren Status als Regel klären. Somit lässt sich diese erste Frage als eine nach der Normativität von Inferenzregeln präzisieren. Um hier zu einer Lösung zu kommen, kann man das Problem von zwei Seiten angehen. Zum einen ist es möglich, den Gegenstand von 243

Vgl. Wittgenstein (1984a), 37 ff., 50 ff., 79 ff. o. 187 ff. Wittgenstein redet auch von der „Härte des logischen Muß“. Vgl. Wittgenstein (1984a), 84 u. 352 u. Wittgenstein (1984d), § 437.

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Inferenzregeln einer genaueren Untersuchung zu unterziehen. Dies erfordert es, sich mit dem Inferenz-Teil des problematischen Begriffs näher zu befassen. Es gilt zu klären, für welche Art von Inferenz das Gesagte eigentlich gilt. Zugleich muss herausgefunden werden, ob Inferenzen etwas mit Handlungen zu tun haben oder nicht. Zum anderen kann man sich um eine Präzisierung der Art und Funktionsweise von Inferenzregeln bemühen. Hier steht der Regel-Teil im Fokus. Spätestens hier ist dann auch eine Antwort auf die Normativitätsfrage zu erwarten. Soweit sich die beiden Teile überhaupt voneinander trennen lassen, werde ich auf sie in der genannten Reihenfolge eingehen. 5.9 Der Inferenz-Teil von Inferenzregeln Die Rede vom logischen Zwang gilt zunächst einmal uneingeschränkt für formal gültige Schlüsse. Wenn wir sagen, ein Schluss sei logisch zwingend, so beziehen wir uns damit in erster Linie auf diese Art von Inferenz. Für sie oder vielmehr für die Regeln, mit denen sie übereinstimmen, gilt, dass sie in einem strengen Sinne zwingend und notwendig sind. Bei materialen Inferenzen verhält es sich dagegen anders. Hier kann von einem logischen Zwang nicht die Rede sein. Wenn wir in diesem Zusammenhang von einem notwendigen Übergang von Prämissen zu Konklusionen sprechen, dann nicht in demselben strengen Sinn wie bei formalen Inferenzen. Die Rede von der Notwendigkeit materialer Inferenzen und der damit einhergehenden Regeln muss daher abgeschwächt werden. Wir müssen zwischen formaler und materialer Notwendigkeit unterscheiden. 244 Nur für erstere gilt, dass sie strikt, zwingend und absolut ist. Formale Inferenzen sind notwendig aufgrund der strengen Vorgaben der entsprechenden Regeln. Ihre jeweilige Form ist eindeutig bestimmt. Soll beispielsweise nach dem Modus Ponens logisch korrekt geschlossen werden, dann ist genaue eine Konklusion möglich, nämlich das Konsequens des Konditionals. Die Notwendigkeit, mit der sich ein solcher Schluss vollzieht, und die Korrektheit, die daraus resultiert, ist daher eine eindeutige Angelegenheit. Entweder eine formale Inferenz stimmt völlig 244

Vgl. auch Sellars (1953). Sellars diskutiert diese Unterscheidung allerdings nicht.

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mit der entsprechenden Regel überein oder überhaupt nicht. Es gibt keine Grade formaler Korrektheit oder Gültigkeit. Daher gibt es keine Möglichkeit, der Regel nicht zu folgen und sie, wie eine echte Handlungsanweisung, zu verletzen. Ein „Fehlschluss“ ist daher genau genommen überhaupt kein Schluss.245 Was wir tun, wenn wir beispielsweise sagen „Wenn Karl sie wirklich liebt, dann wird er ihr verzeihen. Karl liebt sie wirklich. Also wird er ihr nicht verzeihen.“ ist unlogisch und kann nicht als Schlussfolgerung gelten. All das gilt für materiale Inferenzen nicht in gleichem Maße. Hier ist die Form gerade nicht maßgeblich. Aus „Der Mord geschah am Mittwoch.“ folgt in materialer Hinsicht „Am Dienstag war das Opfer noch am Leben.“ Denn dies ist die korrekte Verwendung von Ausdrücken wie „Mittwoch“, „Dienstag“, „Mord“ und „Leben“. Dass wir einen solchen Schluss ziehen, ist aber nicht logisch zwingend. In einer vergleichbaren formalen Inferenz würden wir vielleicht zu einer Konklusion kommen wie: „Also ist es nicht der Fall, dass der Mord nicht am Mittwoch geschah.“, vorausgesetzt wir wenden die Regel der Doppelten-Negations-Einführung an. Dies würde dann durchaus mit strikter Notwendigkeit gelten und keinerlei Abweichung erlauben. Bei materialen Inferenzen kann davon jedoch keine Rede sein. Während es bei formalen Inferenzen keine Alternative zur Konklusion gibt, stehen bei materialen Inferenzen verschiedene Möglichkeiten offen. Es gibt hier kein eindeutiges Schema oder Muster, das auf genau die eine Konklusion festlegt. Die Notwendigkeit, mit der wir Schlüsse dieser Art ziehen, ist nicht absolut. Natürlich steht es mir nicht vollkommen frei, worauf ich beispielsweise von „Der Mord geschah am Mittwoch.“ schließe. Konklusionen wie „Der Mord geschah am Dienstag.“ oder „Am Mittwoch war das Opfer noch am Leben.“ stehen nicht zur Verfügung. Denn dies sind keine legitimen Verwendungsweisen der involvierten Ausdrücke und Aussagen. Derartige Inferenzbeziehungen sind material unvereinbar. Es gibt hier jedoch einen gewissen Handlungsspielraum, weshalb man auch von Graden der Notwendigkeit sprechen kann. In 245

Vgl. Frege (1966), XVI. Frege bezeichnet Verstöße gegen die formalen Regeln des logischen Schließens als „eine bisher unbekannte Art der Verrücktheit“. Vgl. auch Wittgenstein (1984a), 80 f., 96 f. u. 239 u. von Wright (1963), 3 ff.

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Abhängigkeit von Gehalt oder Bedeutungsumfang einer Prämisse sind daher stets verschiedene Konklusionen möglich. Damit ist einerseits gemeint, dass der formale Aufbau materialer Inferenzen eben nicht von vorne herein vorgegeben ist. Was aus einer Aussage material folgt, ist nicht eindeutig festgelegt oder an ein bestimmtes Schema gebunden. Von daher ist es zwar legitim, in materialer Hinsicht korrekte Übergänge als notwendig zu bezeichnen. Denn das Gefolgerte hängt inhaltlich unmittelbar mit dem zusammen, woraus es gefolgert wird. Es sind aber stets Alternativen und Abweichungen möglich. So ist zwar der Schluss von „Der Mord geschah am Mittwoch.“ auf „Am Dienstag war das Opfer noch am Leben.“ korrekt. Es sind aber durchaus auch andere Schlüsse denkbar, die auf vergleichbare Weise als notwendig bezeichnet werden können. So kann man auch zu dem Schluss kommen: „Am Donnerstag war das Opfer bereits tot.“ oder „Am Mittwoch wurde ein Verbrechen begangen.“ Jede dieser Folgerungen ist in materialer Hinsicht gültig. Keine von ihnen ist aber in einem streng logischen Sinn zwingend. Andererseits ist gemeint, dass Prämissen Konklusionen in materialen Inferenzen unterschiedlich stark stützen. Man kann hier von Graden der Folgerichtigkeit oder der Wahrscheinlichkeit sprechen. Vorausgesetzt, die Folgebeziehung ist in einem materialen Sinn relevant und notwendig, so ist in vielen Fällen eine graduelle Unterscheidung möglich. Beispielsweise ist der Grad der Folgerichtigkeit bei dem Schluss von „Berlin liegt östlich von Hamburg.“ auf „Hamburg liegt westlich von Berlin.“ höher als bei dem Schluss von „Es blitzt.“ auf „Bald wird Donner zu hören sein.“ Denn im zweiten Fall hängt die Gültigkeit der Schlussfolgerung neben der Bedeutung der Aussagen zusätzlich von meteorologischen Gegebenheiten ab. Im ersten Fall dagegen müssen keine weiteren Gegebenheiten oder Annahmen berücksichtigt werden. Stark vereinfacht könnte man auch sagen, dass „Donner“ aus „Blitz“ mit geringerer Notwendigkeit folgt, als „westlich“ aus „östlich“. 246 Was den Inferenz-Teil von Inferenzregeln angeht, so lässt sich also ein wichtiger Unterschied feststellen. Formale Inferenzen sind logisch zwingend und absolut notwendig. Materiale Inferenzen dagegen lassen einen Spielraum zu, was die jeweilige Konklusion betrifft. Das erlaubt eine 246

Vgl. auch Kap. 5.15.

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erste Prognose hinsichtlich der Frage, ob Inferenzregeln sich auf Handlungen beziehen, ob sie also als Handlungsnormen gelten können. So macht die Tatsache, dass sie in einem strengen Sinne logisch zwingend sind, formal gültige Inferenzen als Kandidaten untauglich. Wenn für Handlungen die Möglichkeit des Anderskönnens, Unterlassens oder Scheiterns gegeben sein muss, dann kommen sie nicht in Frage. Denn die einzig denkbare Abweichung ist die, überhaupt keine Schlussfolgerung anzustellen. Dieses Ganz-oder-gar-nicht lässt offensichtlich nicht den nötigen Spielraum, der handlungsleitende Regeln ausmacht. Material gültige Inferenzen sind dagegen immer auch anders als im konkreten Fall denkbar. Hier gibt es stets ein Spektrum an Alternativen, auf die geschlossen werden kann. Dabei ist offen, welche Aussagen konkret in Beziehung zueinander gebracht werden. Dies ergibt sich daraus, worum es im Einzelnen inhaltlich geht. Aus diesem Grund ist beim materialen Schließen auch die Rede vom Scheitern sinnvoll. Die Grenze zwischen korrekt und inkorrekt ist hier nicht automatisch die zwischen Schluss und kein Schluss. Nur wer den inferentiellen Zusammenhang übermäßig strapaziert, verlässt den Bereich dessen, was noch sinnvoll und bedeutsam ist. Nur der schlussfolgert überhaupt nicht mehr, sondern verabschiedet sich aus dem rationalen Diskurs und redet stattdessen Unsinn. Die Grenze dessen, was noch bedeutsam ist, ist aber nicht schon bei der geringsten formalen Abweichung überschritten. Im Gegenteil ist ein Anderskönnen essentiell dafür, dass Bedeutung vermittelbar ist. Nur weil es unterschiedliche inferentielle Zusammenhänge gibt, ist das Verständnis einzelner Ausdrücke überhaupt möglich. Zugleich sorgt dieser Bereich des Anderskönnens dafür, dass materiale Inferenzregeln auf eine plausible Weise verletzbar sind. Insofern bringt diese Art von Regeln tatsächlich ein handlungsleitendes Sollen zum Ausdruck. Denn materiales Schlussfolgern ist eben genau dies: sprachliche Praxis. 5.10 Der Regel-Teil von Inferenzregeln Damit ist die Untersuchung längst in den Regel-Teil der Problematik vorgedrungen. Daher wende ich mich nun der genaueren Spezifikation von Inferenzregeln zu. Die Frage war, ob es sich hierbei überhaupt um

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normative oder handlungsleitende Regeln handelt. Und eine erste Antwort lautete: Unter der Bedingung, dass Schlussfolgern eine Form des Handelns ist, ist dies durchaus möglich. Formale Inferenzen erfüllen diese Bedingung aus den genannten Gründen nicht. Bleibt das materiale Schließen. Um nun zu verstehen, inwiefern es sich hierbei um eine regelgeleitete Praxis handelt, lässt sich auf frühere Unterscheidungen zurückgreifen. Denn die Frage nach der Normativität hat sich bei der differenzierenden Bestimmung des Regelbegriffs in Kapitel 3.4 schon einmal gestellt. Dort war die Antwort, dass die normative Kraft sprachlicher Regeln nur dann in Frage steht, wenn sie als Präskriptionen aufgefasst werden und wenn nicht zwischen semantischer und empirischer Korrektheit unterschieden wird. Ich habe daher vorgeschlagen, sie stattdessen als konstitutive Regeln im Searleschen Sinne zu verstehen und die unterschiedlichen Formen der Korrektheit zu berücksichtigen. Wie gesehen sind auch Inferenzregeln konstitutiv für das, was sie zum Gegenstand haben. Mit Searle kann man auch sagen, dass das materiale Schließen von ihnen „logisch abhängig“ ist. Was dies betrifft sind Inferenzregeln mit den Regeln des Schachs oder des Fußballs vergleichbar. Ihre Abwesenheit oder ihr systematisches Ignorieren bedeutet auch hier die Abwesenheit oder das Verschwinden der Praxis selbst. Die normative Kraft konstitutiver Regeln besteht nun darin zu sagen, unter welchen Bedingungen etwas als eine regelgeleitete Praxis gilt oder nicht. Sie fordern oder erlauben eine bestimmte Vorgehensweise in Bezug auf bestimmte Umstände. 247 Und in genau diesem Sinne sind Inferenzregeln für die Praxis des Schlussfolgerns konstitutiv. Insofern stellen sich die Bedenken hinsichtlich ihrer Normativität zumindest teilweise als unbegründet heraus. Für formalen Inferenzen gilt dies natürlich nach wie vor nicht. Auch wenn wir das formal-logische Schließen beispielsweise als das Aufschreiben oder Überprüfen eines Kalküls oder das Formalisieren eines Arguments verstehen, verhindert die strikte Notwendigkeit formaler Inferenzregeln, dies als eine genuin regelgeleitete Praxis aufzufassen. Insofern ist ausgeschlossen, dass hierbei handlungsleitenden Regeln 247

Zur Unterscheidung von konstitutiven Regeln und Präskriptionen vgl. erneut Kap. 3.4. Zu einer ganz ähnlichen Bestimmung „syntaktischer Regeln“ vgl. Sellars (1953), 330.

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gefolgt wird. Schlussfolgern kann nur dann Regelfolgen sein, wenn es sich um materiale Inferenzen handelt. Wenn man also materiale von formalen Inferenzregeln auf die vorgeschlagene Weise unterscheidet und sie zugleich als konstitutive Regeln begreift, dann lassen sie sich durchaus der Klasse der handlungsleitenden Regeln zuordnen. Das erklärt sich zunächst durch ihre allgemeine Funktion, korrekt und inkorrekt zu unterscheiden. Das macht sie überhaupt erst einmal zu Regeln. Handlungsleitend sind sie darüber hinaus in dem Sinne, dass sie sich auf die sprachliche Praxis beziehen. Ihre spezielle Funktion ist die Konstitution von Bedeutung. Sie geben an, was es heißt, sprachliche Performanzen derart auszuführen, dass sie ihre jeweilige Bedeutung haben. Und sie tun dies, indem sie festlegen, was als ein korrekter Übergang von einem Satz zu einem anderen gilt und was nicht. Materiale Inferenzregeln sind also zugleich handlungsleitend und bedeutungskonstituierend. Die gesamte Erklärungslast für die hier anvisierte Bedeutungstheorie liegt damit auf materialen Inferenzen. Mit Hilfe formaler Inferenzen lässt sich nicht zeigen, wie sich Bedeutung aus inferentiellen Zusammenhängen ergibt. Denn sie sind in semantischer Hinsicht neutral und in normativer Hinsicht letztlich wirkungslos. Für die Gültigkeit formaler Schlüsse sind nicht Regeln, sondern lediglich formale Muster im Sinne von Gegenstandsnormen verantwortlich. Das, was wir als formal-logische Regeln, Gesetze oder Prinzipien bezeichnen, hat in Wirklichkeit keine normative oder handlungsleitende Kraft. Wollen wir jedoch erklären, dass der inferentielle Zusammenhang einer Aussage bedeutungskonstitutiv ist, dann müssen wir zeigen, dass er tatsächlich normativ signifikant ist. Wir müssen zeigen, wie es in semantischer Hinsicht zur Unterscheidung von korrekt und inkorrekt kommt. Echte, normative Regeln sind unabdingbar. Mit dem Begriff der materialen Inferenz muss es daher gelingen, Schlussfolgern als eine Art Regelfolgen verständlich zu machen. 5.11 Inferenzregeln werden implizit befolgt Viel war nun die Rede von materialen Inferenzregeln. Wenig wurde aber dazu gesagt, wie diese konkret aussehen. Der Leser mag daher fordern: Nun zeige mir einmal eine Regel, die jemand befolgt, wenn er

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eine sinnvolle und bedeutsame Aussage macht! Gib mir ein konkretes Beispiel für eine genuin normative Inferenzregel! Der Verzicht auf Beispiele erklärt sich jedoch dadurch, dass Regeln dieser Art einfach nicht offen zutage treten. Materiale Inferenzen zeichnen sich gerade dadurch aus, dass keine formalen Merkmale sie als solche ausweisen. Ebenso wenig ergibt sich ihre Korrektheit aufgrund formaler Kriterien. Daher darf man auch nicht erwarten, dass die entsprechenden Regeln in expliziten Formulierungen vorliegen. Wir verfügen über sie nicht wie über ein Verzeichnis von Spielregeln, das beim Regelfolgen selbst nicht präsent ist, bei Bedarf aber jederzeit zu Rate gezogen werden kann. Stattdessen ist davon auszugehen, dass es sich bei materialen Inferenzregeln um implizite Regeln handelt. Sie sind ein integrativer Bestandteil der diskursiven Praxis, die in ihrer Grundform eine Praxis des Schlussfolgerns ist, eine Praxis des Gebens und Verlangens von Gründen.248 Wer hier nach konkreten Beispielen fragt, könnte aber etwas ganz anderes im Sinn haben. Seine Forderung könnte daher rühren, dass er sich durchaus vorstellen kann, wie Inferenzregeln explizit gemacht werden können. Er würde dies in etwa wie folgt beschreiben: Dass sich keine expliziten Beispiele angeben lassen, liegt daran, dass materiale Inferenzen unvollständig sind. Sie sind, was man traditionell auch als Enthymeme bezeichnet.249 Es sind Inferenzen, in denen ein Teilschritt unterdrückt wird und unausgesprochen bleibt. Demnach muss die vollständige Formulierung einer materialen Inferenz wie „Es blitzt. Bald wird Donner zu hören sein.“ beispielsweise lauten: Wenn es blitzt, dann wird bald Donner zu hören sein. Es blitzt. ∴ Also wird bald Donner zu hören sein.

248

Vgl. erneut Sellars (1963a), 168 f. Zu der Auffassung, dass Enthymeme weiter verbreitet sind als explizit formale Schlussfolgerungen, vgl. Arnauld/Nicole (1965), 226. A. Arnauld und P. Nicole behaupten, die Unvollständigkeit derartiger Schlüsse schmeichle den Zuhörern und mache das Gespräch lebhafter. Zur Auffassung, dass alltägliche Schlussfolgerungen größtenteils enthymatisch sind, vgl. auch Keynes (1887), 249. Nach Sellars ist diese Sichtweise unter den (logischen) Empiristen weit verbreitet. Vgl. Sellars (1953), 313. 249

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Demzufolge lassen sich Inferenzregeln dadurch aufzeigen, dass die jeweiligen Inferenzen auf ihre vollständige Form zurückgeführt werden. Vollständig formuliert stellen sich dann auch materiale Inferenzregeln als formale heraus. Was in ihnen implizit ist, liegt in ihrem formalen Pedant explizit vor. Inferenzregeln lassen sich also grundsätzlich dadurch explizit machen, dass sie als formale Inferenzregeln aus- oder reformuliert werden. Dies ist die Position des (inferentialistischen) Formalisten. Würde eine solche Erklärung zutreffen, so hätte das tiefgreifende Konsequenzen. Einerseits ginge die Eigenständigkeit materialer Inferenzen komplett verloren. Die einzige originäre Form wäre die formaler Inferenzen, aus der sie sich bestenfalls ableiten ließen. Damit gingen materiale Inferenzen allerdings für die Erklärung und Bestimmung von Bedeutung verloren. Bedeutung ließe sich nicht mehr aus dem regelgeleiteten Sprachgebrauch selbst heraus erklären. Vielmehr müsste sie aus dem Abgleich mit formal-logischen Mustern oder Schemata heraus begriffen werden. Damit würden wir wieder bei einer repräsentationalistischen Theorie der Bedeutung mit all den erwähnten Problemen enden. Das eigentliche Erklärungsziel wäre also verfehlt. Andererseits wären die Bemühungen der letzten Abschnitte, die in Zweifel geratene Normativität von Inferenzregeln wiederherzustellen, nutzlos gewesen. Denn für formale Inferenzen bleibt das Normativitätsproblem ungelöst. Wären alle Inferenzregeln letztlich formale, dann gäbe es berechtigte Zweifel, ob es sich überhaupt um genuin normative Regeln handelt. Eine inferentielle Semantik ist auf einen eigenständigen Begriff der materialen Inferenz angewiesen. Sollen die bisherigen Überlegungen nicht hoffnungslos fehlgeleitet gewesen sein, müssen wir die reduktionistische Erklärung des Formalisten zurückweisen. Um dies mit Gewissheit tun zu können, müssen wir sie einer kritischen Untersuchung unterziehen. Dabei gilt es einerseits, die Eigenständigkeit materialer Inferenzen zu verteidigen und sie als echte Fälle des Befolgens von Schlussregeln zu etablieren. Andererseits muss sich zeigen lassen, dass materiale Inferenzregeln irreduzibel und für eine inferentielle Semantik tatsächlich unverzichtbar sind. Für die erste Aufgabe werde ich einen Gedanken aufgreifen, der auf Lewis Carroll zurückgeht. Danach können implizite Schlussregeln nur um den Preis des bekannten Regelregresses explizit gemacht werden, soll

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damit zugleich ihre Wirksamkeit dargestellt werden. Schlussregeln werden also prinzipiell implizit befolgt. Für die zweite Aufgabe werde ich auf Überlegungen Sellars’ zurückgreifen. Von ihm lässt sich lernen, dass es Fälle von materialen Inferenzen gibt, die sich nachweislich nicht auf formale Regeln zurückführen lassen. Daher muss die Vorstellung, materiale Inferenzen seien nichts anderes als unvollständige formale Inferenzen, zurückgewiesen werden. 5.12 Die Eigenständigkeit materialer Inferenzen Der Formalist ist der Auffassung, dass alle Inferenzen letztlich formale Inferenzen sind. Bekanntlich verfügt aber nur ein kleiner Teil aller Diskursteilnehmer über das logische Vokabular, in dem sich Inferenzregeln ausdrücklich formulieren lassen. Schlussfolgerungen nach der Art des erwähnten Schlusses von Blitz auf Donner sind jedoch vollkommen üblich. Auch dabei auftretende Inkorrektheiten werden für gewöhnlich bemerkt und korrigiert. Zumeist wird dabei jedoch nicht explizit auf Schlussregeln Bezug genommen. Wenn jemand einen Schluss zieht, dann wendet er keineswegs immer ausdrücklich eine formale Schlussregel an. Dass Schlussregeln im Alltag häufig nicht sichtbar sind, erklärt der Formalist dadurch, dass die entsprechenden Schlüsse unvollständig sind. Diese Unvollständigkeit und das formal-logische Unvermögen vieler Diskursteilnehmer ist demnach kein Beweis dafür, dass wir letztlich nicht doch gemäß formalen Schlussregeln folgern. Schließlich sind wir uns auch vieler physikalischer Zusammenhänge bewusst, ohne die entsprechenden physikalischen Gesetze benennen und formulieren zu können. Dennoch stimmen wir dem Physiker zu, wenn er sie uns nennt. So wie er mit Hilfe von Naturgesetzen erklärt, warum sich ein bestimmter Vorgang auf eine bestimmte Weise vollzieht, so erklärt der Logiker mit Hilfe logischer Regel, warum ein bestimmter Schluss gültig ist oder nicht. Dass wir also die jeweiligen formalen Schlussregeln nicht explizit erwähnen, heißt nicht, dass wir dies im Prinzip nicht könnten. Daher behauptet der Formalist, dass erst dann ersichtlich wird, warum es sich bei einem gegebenen Schluss um einen gültigen handelt, wenn die entsprechende Schlussregel explizit hinzugefügt wird.

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Dass dies nicht ganz richtig ist, lässt sich Carrolls Aufsatz „What the Tortoise said to Achilles“ entnehmen.250 Mit dem darin formulierten Regressargument widerlegt er die Annahme, dass sich das Schlussfolgern immer an formalen Regeln orientiert und Schlüsse zur Überprüfung lediglich in die entsprechende Form gebracht werden müssen. Carroll argumentiert damit indirekt dafür, dass Inferenzregeln prinzipiell implizit befolgt werden. Demnach lässt sich an dem Schluss selbst überhaupt nicht ablesen, nach welcher Art von Inferenzregel gefolgert wird. Der Versuch, eine Regel explizit in den Vorgang des Schlussfolgerns zu integrieren, hilft nicht, den fraglichen Schluss zu erklären oder seine Gültigkeit zum Ausdruck zu bringen. Stattdessen führt er unweigerlich in einen Regress. Von daher ist das explizite Formulieren von Regeln beim Schlussfolgern selbst nicht nur unnötig, sondern sogar unmöglich. Carroll zeigt am Beispiel des Modus Ponens, dass eine Schlussregel vor der expliziten Formulierung zuerst einmal als eine solche anerkannt und befolgt werden muss. Andernfalls kommt es nie zu einer Konklusion. Der Modus Ponens ist hier mit Bedacht gewählt. Als Schlussregel repräsentiert er den Vorgang des Schlussfolgerns schlechthin.251 Er steht stellvertretend für alle anderen Fälle formaler Schlussregeln. Sein besonderes Merkmal ist das in ihm enthaltene Konditional. Dies lässt sich als der allgemeine, satzförmige Ausdruck einer inferentiellen Beziehung bezeichnen. Der Modus Ponens besagt nun bekanntlich, dass das Konsequenz eines Konditionals abgetrennt werden darf, sofern das Antezedens wahr ist. Damit bringt er eine Art Metaregel für formal gültige Schlüsse zum Ausdruck, wonach eine Konklusion dann wahr ist, wenn die Prämissen wahr sind.252 Der Formalist behauptet nun, dass sich jede Inferenz – auch eine materiale – dadurch als gültig ausweisen lässt, dass die entsprechende Schlussregel explizit formuliert wird. Demnach muss ein gegebener Schluss lediglich in die Form eines Modus Ponens gebracht werden, um den Übergang zur Konklusion zu lizenzieren. Konkret heißt das, dass zu den Prämissen ein entsprechendes Konditional hinzugefügt wird. Dies 250

Vgl. Carroll (1895). Vgl. Whitehead/Russell (1984), 18. Russell und Whitehead führen den Begriff der Inferenz bzw. des Schlusses mit Hilfe des Modus Ponens ein. 252 Vgl. hierzu erneut Anm. 233. 251

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verbirgt sich auch hinter dem erwähnten Vorschlag einer formal-logischen Rekonstruktion eines materialen Schlusses von Blitz auf Donner. Der Prämisse „Es blitzt.“ und der Konklusion „Bald wird Donner zu hören sein.“ wird das Konditional „Wenn es blitzt, dann wird bald Donner zu hören sein.“ vorangestellt. Dadurch, so die Annahme, ist mit formalen Mitteln explizit gemacht, dass der Schluss gültig ist. Genau dies aber enthüllt Carroll als eine absurde Vorstellung. In seinem Aufsatz konfrontiert die Schildkröte Achilles mit den folgenden drei Sätzen: (A) Dinge, die demselben gleich sind, sind einander gleich. (B) Die beiden Seiten dieses Dreiecks sind demselben gleich. (Z) Die beiden Seiten dieses Dreiecks sind einander gleichen.253

Dass Z ganz offensichtlich aus A und B logisch folgt, bestätigt Achilles der Schildkröte ohne Umschweife. Die Frage ist aber, warum dies so ist. Formal gesehen ist dies genau dann der Fall, wenn A und B wahr sind. Die Gültigkeit des Schlusses von A und B auf Z lässt sich also auch als ein als wahr anerkanntes Konditional ausdrücken. Wer diese drei Sätze als einen gültigen Schluss identifiziert, akzeptiert dann zugleich auch den folgenden Satz: (C) Wenn A und B wahr sind, muss Z wahr sein.254

Damit lässt sich das, was die Schildkröte Achilles sagt, folgendermaßen zusammenfassen: A und B sind wahr. Wenn A und B wahr sind, dann muss Z war sein. ∴ Also muss Z wahr sein.

Und dies ist ganz offensichtlich eine Anwendung des Modus Ponens. Geht man der Sache derart auf den Grund, so kommt man zu dem Ergebnis, dass jemand den Schluss von A und B auf Z letztlich genau 253

Vgl. Carroll (1895), 278. (Diese und die folgenden sind meine Übersetzungen, A. S.) 254 Vgl. ebd., 279.

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deswegen für logisch zwingend hält, weil ihn der Modus Ponens dazu veranlasst. Die spontane Zustimmung lässt sich durch das unterdrückte Konditional (C) erklären. Sollte jemand dies auf Anhieb nicht so sehen, sollte er also Z nicht als logische Konsequenz von A und B anerkennen, dann genügt es, ihm dies ausdrücklich vor Augen zu führen. Die Idee ist also die, den Prämissen A und B das Konditional C als zusätzliche Prämisse hinzuzufügen. Damit soll explizit gemacht werden, dass und inwiefern der Schluss einer formalen Inferenzregel, nämlich dem Modus Ponens folgt. Carrols Aufsatz macht aber deutlich, dass genau dies nicht möglich ist. Die Schildkröte ist zwar von der Richtigkeit von A und B überzeugt. Auch dem Vorschlag, C als zusätzlich Prämisse explizit in den Schluss aufzunehmen, stimmt sie zu. Dass dadurch ein gültiger Schluss entsteht, dass also Z nun aus A, B und C (logisch) folgt, will sie nicht akzeptieren. Denn dies müsste durch ein weiteres Konditional gezeigt werden. Tatsächlich bietet Achilles auch an, ein solches zu den Prämissen hinzuzufügen: (D) Wenn A und B und C wahr sind, muss Z wahr sein.255

Doch auch das ändert nichts an der bisherigen Situation. Stattdessen ist längst ein unendlicher Regress in Gang. Vom Standpunkt des Formalisten ist es das Konditional, das den Modus Ponens (MP) explizit macht und dem Schluss letztlich seine Gültigkeit verleiht. Auch wenn in einem Zwischenschritt die Regel der universellen Instantiierung (UI) berücksichtigt wird, kommt dieser letztlich zur Anwendung. Das zeigt die folgende Schematisierung: (A’) ∀x(F(x) → G(x)) (B’) F(t) (C’) F(t) → G(t) (Z’) G(t)

[Annahme] [Annahme] [UI aus (A’)] [MP aus (B’), (C’)]

Carroll macht aber deutlich, dass wir den Schluss bereits gezogen haben, bevor wir diese explizite Regel konsultiert haben. Darüber sind sich die 255

Vgl. ebd.

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Protagonisten seines Stücks eigentlich auch von Anfang an einig. Das Gedankenexperiment, in dem sich die Schildkröte als logische Skeptikerin zu erkennen gibt, untermauert dies nur noch einmal. Sobald die Prämissen als wahr akzeptiert sind, ist der Schluss auf die Konklusion legitimiert. Es ist nicht einzusehen, warum er durch ausdrückliches Hinzufügen des Konditionals seine Notwendigkeit erhalten soll, wenn er diese zuvor nicht auch schon besaß. Eine Ergänzung der Prämissen um das enthymatisch unterdrückte Konditional führt in Wirklichkeit nur zu einer endlosen Vervielfältigung der Prämissen, ohne dass sich an der Gültigkeit des Schlusses etwas ändert. Es führt zwar dazu, dass die Regel in Erscheinung tritt und in theoretischer Hinsicht akzeptiert werden kann, nicht aber dazu, dass sie auch tatsächlich praktisch zur Anwendung kommt.256 Es muss ein implizites Befolgen von Inferenzregeln unabhängig von ihrer expliziten Formulierung geben. Eine explizit formulierte Inferenzregel ist nichts, was selbst unmittelbarer Anteil am Vorgang des Schlussfolgerns hat. Selbst wenn sich im Nachhinein eine unterdrückte Prämisse findet, darf diese nicht mit der Regel selbst verwechselt werden. Das gilt auch dann, wenn sie die Form eines Konditionals hat. Inferenzregeln dürfen weder als Prämissen noch als Konditionale behandelt werden.257 Wird diese Unterscheidung nicht eingehalten, so droht ein Regress. Auch in formalen Inferenzen werden die Regeln stets implizit befolgt. Die Praxis des Schlussfolgerns ist kein explizites Anerkennen propositional formulierter Schlussregeln. Die Möglichkeit, eine materiale Inferenz nachträglich durch eine Prämisse zu ergänzen, erlaubt keinen Rückschluss darauf, dass die dabei befolgte Regel in Wirklichkeit eine formale war. Alles, was wir wissen, ist, dass der Schluss implizit bereits vollzogen wurde. Formale Inferenzregeln können eine (nachträgliche) Erklärung sein. Die Möglichkeit impliziter materialer Inferenzregeln bleibt davon aber unbeeinträchtigt. Die Eigenständigkeit materialer Inferenzen wird durch eine formalistische Erklärung weder eingeschränkt noch aufgehoben.

256

Vgl. Ryle (1945/46), 6. Dies ist auch Carrolls eigene Diagnose zu seinem Aufsatz. Vgl. Dodgson (1977), 472. Zu einem Überblick über weitere Lesarten der Geschichte vgl. Engel (2004). 257

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Carrolls Regress des Konditionals macht also deutlich, dass sich inferentielle Zusammenhänge nicht vollständig explizit machen lassen. Jedenfalls sind explizit formulierte Inferenzregeln nicht das, was solche Zusammenhänge herstellt. Weder müssen, noch können wir einer unabhängigen Aussage einfach eine Regel wie den Modus Ponens oder die universelle Instantiierung anhängen, um ihn zu erzeugen. Ebenso wenig ist er auf eine nachträgliche Entdeckung angewiesen. Die Aussagen müssen bereits in einem inferentiellen oder logischen Zusammenhang zueinander stehen, wenn die Regel diesen Übergang explizit machen soll. Explizit formulierte Inferenzregeln bringen also lediglich zum Ausdruck, dass Sätze oder Aussagen bereits inferentiell in Zusammenhang stehen. Diese Einsicht entspricht der These von der grundsätzlichen inferentiellen Gliederung des sinnvollen und rationalen Diskurses. Eine angemessene Reaktion auf die Behauptung des Formalisten besteht daher in der Umkehrung der Erklärungsreihenfolge. Nicht formale Inferenzregeln erklären, wie es zu korrekten Inferenzen kommt. Korrekte Inferenzen erklären formale Regeln. Formale Inferenzregeln lassen sich auf der Grundlage von materialen Inferenzregeln erklären, welche implizit in der Praxis des Schlussfolgerns befolgt werden.258 Sätze oder Aussagen stehen aufgrund ihrer semantischen Gehalte in Zusammenhang. Unsere diskursive Praxis ist geprägt von der Erzeugung und Beurteilung dieser Zusammenhänge. Dabei verfügen wir immer schon über Kriterien, um diese Übergänge von einem Satz zu einem anderen als korrekt oder inkorrekt zu beurteilen. Die Korrektheitsbedingungen für inferentielle Zusammenhänge sind in Form von materialen Inferenzregeln immer schon implizit in der diskursiven Praxis enthalten. Dies lässt sich gegebenenfalls im Nachhinein mit Hilfe von formalen Inferenzregeln explizit machen. Formale Inferenzregeln haben somit eine expressive Funktion. Sie stellen inferentielle Zusammenhänge explizit als solche dar. In den folgenden Abschnitten werde ich nicht nur bestätigen, dass materiale Inferenzregeln eine eigenständige Klasse von Schlussregeln bilden. Ich werde auch zeigen, inwiefern dies im Rahmen einer inferentiellen Semantik von zentraler Bedeutung ist.

258

Wie dies im Einzelnen funktioniert, erkläre ich in Kap. 5.15.

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5.13 Die wesentliche Rolle materialer Inferenzen Das Erklärungsmodell des Formalisten ist überaus komplex und voraussetzungsreich. Selbst eine einfache sprachliche Performanz wie das Schließen von Blitz auf Donner oder von Regen auf nasse Straßen gilt als unvollständig und muss durch zusätzliche Annahmen ergänzt werden. Was wir „wirklich“ tun, wenn wir im Alltag von einem Satz auf einen anderen schließen, müssen wir uns permanent von einem formal-logischen Subtext begleitet vorstellen. Um daher die verborgenen Funktionsweisen enthymatisch verkürzter Schlüsse zu entschlüsseln, muss die formalistische Erklärung in letzter Konsequenz auf einen angeborenen logischen Grundbestand zurückgreifen. Die einzige Alternative wäre, Inferenzregeln ganz aus sich selbst heraus zu erklären. Diese aber würde zwangsläufig in einen explanatorischen Zirkel führen, würden nicht doch einige logische Begriffe oder Regeln als angeboren und nicht weiter erklärbar vorausgesetzt. Der Formalist muss also davon ausgehen, dass wir bereits mit einem formal-logischen Grundvokabular ausgestattet auf die Welt kommen. Es müsste jedoch einiges dazu gesagt werden, wie man sich Bestand und Umfang eines solchen Vokabulars vorzustellen hat. Eine Erklärung in der umgekehrten Reihenfolge betrachtet formallogisches Wissen dagegen als aus einfachen Fähigkeiten des gehaltsbasierten Schließens abgeleitet. Sie verzichtet dabei auf anspruchsvolle theoretische Vorannahmen und setzt nur die gewöhnliche, diskursive Praxis voraus, in der Aussagen als korrekt oder inkorrekt behandelt werden. Es kann daher nicht überraschen, dass eine Ableitung des Begriffs der formalen Inferenz aus dem der materialen Inferenz auf geradezu „natürliche Weise“ möglich ist, während dies für die umgekehrte Richtung nicht gilt. 259 Denn die Korrektheit formaler Inferenzen lässt sich einfach dadurch bestimmen, dass diese in materialer Hinsicht korrekt sein müssen und durch das Ersetzen nicht-logischer Ausdrücke in den Prämissen und Konklusionen nicht inkorrekt werden dürfen. Ist also der Begriff der materialen Inferenz gegeben, so kann man die Klasse der formal gültigen Inferenzen als die Klasse derjenigen Inferenzen einführen, die bei der Ersetzung beliebiger nicht-logischer Ausdrücke material gültig bleiben. 259

Vgl. Brandom (1994), 104 f.

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Eine entsprechende Einführung der Klasse material gültiger Inferenzen ist dagegen nicht möglich. Es gibt kein vergleichbar einfaches und offensichtliches Kriterium formaler Inferenzen, das zur Bestimmung materialer Inferenzen dienen kann. Dass sich formale Inferenzen nach dem Prinzip der Ersetzbarkeit aus materialen Inferenzen ableiten lassen, gibt einen Hinweis darauf, dass letztere die Erklärungsleistung ersterer übertreffen. Aber so wenig eine Anzahl von Fahrzeugen, die in dieselbe Richtung fahren, beweist, dass sie in einer Einbahnstraße fahren, so wenig beweist diese „natürliche Ableitbarkeit“ in eine Richtung bereits die einzigartige und unersetzbare Stellung materialer gegenüber formaler Inferenzen. Dazu braucht es stärkerer Gründe. Es müsste sich nachweisen lassen, dass eine Ableitung in die entgegengesetzte Richtung tatsächlich unmöglich ist. Um zu zeigen, warum materiale Inferenzen für Bedeutung wesentlich und unverzichtbar sind, müsste sich ein sprachliches Phänomen finden lassen, das sich nicht auf formale Prinzipien zurückführen lässt. Benötigt würde eine Art Folgebeziehung, die tatsächlich nur als Funktion materialer Inferenzregeln zu verstehen ist. Als ein solches Phänomen hat Sellars irreale Bedingungs- oder Konditionalsätze ausgewiesen.260 Dies sind Sätze wie „Wenn ich dieses Stück Kreide losgelassen hätte, wäre es gefallen.“ oder „Wenn es einen Blitz gäbe, dann gäbe es Donner.“ In ihnen werden Sachverhalte beschrieben, die möglich oder wahrscheinlich sind, die aber nur in Gedanken konstruiert werden. Haupt- und Nebensatz eines irrealen Bedingungssatzes bilden zusammen ein Konditionalgefüge. Es kommt eine Folgebeziehung zum Ausdruck, die aber nicht mehr als ein Gedankenspiel ist. Irreale Bedingungssätze mögen daher als eine recht spezielle Klasse von Inferenzen erscheinen. Sie spielen aber eine unverzichtbare Rolle in natürlichen Sprachen, sei es in der Wissenschaft oder im alltäglichen Leben. Sätze wie der über das Loslassen von Kreide begegnen uns immer wieder.

260

Vgl. auch für das Folgende Sellars (1953), insbes. 323 ff.

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Prinzipiell lassen sich auch irreale Bedingungssätze in formale und materiale unterscheiden.261 Insofern lassen sich auch entsprechende formale und materiale Inferenzregeln zuordnen. So bringt der Satz: (16) Wenn dies rot und quadratisch wäre, dann wäre es rot.

offenkundig dieselbe formale Inferenzregel zum Ausdruck wie der Schluss von „Dies ist rot und quadratisch“ auf „Dies ist rot“. Analog dazu können wir sagen, dass der Satz: (17) Wenn es einen Blitz gäbe, dann gäbe es Donner.

dieselbe materiale Inferenzregel ausdrückt wie der Schluss von „Es gibt einen Blitz.“ auf „Es gibt Donner.“ Es gilt jedoch zu klären, ob sich auf irreale Bedingungssätze das gleiche formalistische Erklärungsmodell anwenden lässt wie auf indikativische Sätze. Lassen auch sie sich als unvollständige, enthymatisch verkürzte formale Inferenzen verstehen? Der Formalist behauptet, dass auch irreale Bedingungssätze ihre inferentielle Kraft grundsätzlich rein formalen Prinzipien verdanken. Er ist davon überzeugt, dass eine vollständige, explizite Ausformulierung dieser Konditionalgefüge dies verdeutlichen kann. Ich werde im Folgenden vier mögliche Kandidaten für eine zusätzliche, unterdrückte Prämisse diskutieren.262 Wie sich nach einer eingehenden Untersuchung herausstellen wird, sind sie aber letztlich allesamt ungeeignet, materiale irreale Bedingungssätze formal-logisch zu rekonstruieren. Nehmen wir zunächst einmal an, ein solcher Satz würde, entsprechend der oben vom Formalisten vorgeschlagenen Vorgehensweise, um die folgende allgemeine Aussage ergänzt: (18) Da es immer dann, wenn es einen Blitz gibt, auch Donner gibt, würde es Donner geben, wenn es einen Blitz gäbe.

261 262

Vgl. ebd., 323. Vgl. auch für das Folgende ebd., 324 f.

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Man könnte annehmen, bei dem so gewonnen Satz handle es sich um einen speziellen Fall der universellen Instantiierung.263 Es hängt dabei aber einiges davon ab, wie die einleitende, allgemeine Aussage interpretiert wird. Wird sie als ein Tatsachenbericht verstanden und als materiale Implikation interpretiert, so kann die daraus abgeleitete Instantiierung kein irrealer Bedingungssatz sein. Letzterer würde ja gerade keinen (realen) Tatsachenbericht, sondern vielmehr ein (irreales) Gedankenspiel zum Ausdruck bringen. Materiale Implikationen und irreale Bedingungssätze unterscheiden sich hinsichtlich ihres Wahrheitswertverlaufes. Der Wahrheitswert materialer Implikationen hängt ausschließlich vom Wahrheitswert seiner Komponenten (Antezedens und Konsequenz) ab. Der Wahrheitswert irrealer Bedingungssätze ist dagegen situationsbezogen. So kann es Situationen geben, in denen die Wahrheitswerte der Komponenten übereinstimmen, während sich der Wahrheitswert der entsprechenden Konditionalgefüge unterscheidet. Wenn sich beispielsweise Hannah in Deutschland aufhält, dann haben die folgenden beiden Konditionalsätze sowohl ein falsches Antezedens als auch ein falsches Konsequens: (19) Wenn Hannah sich in New York aufhielte, dann würde sie sich in Nordamerika aufhalten. (20) Wenn Hannah sich in New York aufhielte, dann würde sie sich in Asien aufhalten.

Allerdings ist (19) wahr, während (20) offensichtlich falsch ist. Diese Unterscheidung ist bei der materialen Implikation nicht möglich. Wann immer das Antezedens falsch ist, ist auch das Konditionalgefüge wahr.264 Aufgrund des modalen Unterschieds der beiden Satzteile in (18) kann also gar nicht von einer korrekten Anwendung der universellen Instantiierung gesprochen werden. 263

Aus ‚Bx impliziert Dx’ wird ‚Ba impliziert Da’ abgeleitet. Dies ist eine spezielle Anwendung der Ableitung von F(a) aus ∀x F(x). Vgl. ebd., 324. Wenn ich im Folgenden von universeller Instantiierung rede, ist dieser Spezialfall gemeint. 264 Vgl. auch Goodman (1947). E. Adams schlägt vor, insbesondere im Zusammenhang von irrealen Bedingungssätzen von Rechtfertigung oder Unterstützung anstatt von Wahrheit zu sprechen. Vgl. Adams (1970).

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Um dies zu ermöglichen, müsste auch die sich aus der allgemeinen Aussage ableitende Konditionalaussage als Ausdruck einer materialen Implikation interpretiert werden. Soll der Satz daher tatsächlich eine Anwendung der universellen Instantiierung sein, so muss er lauten: (21) Da es (den Tatsachen entsprechend) immer dann, wenn es einen Blitz gibt, auch Donner gibt, wird es Donner geben, wenn es einen Blitz geben wird.

Damit aber ist der irreale Modus aus dem Satz verschwunden. Nun liegt zwar eine gültige universelle Instantiierung vor. Eine Erklärung von (17) mittels Ergänzung zu einer formalen Inferenz ist dies allerdings nicht mehr. Mit dem ursprünglichen irrealen Bedingungssatz hat die so gewonnene Konditionalaussage nicht mehr viel gemein. Aber nicht nur die Dimension des Irrealen geht auf diesem Weg verloren. Mit der Interpretation des Konditionalgefüges als materiale Implikation büßt der irreale Bedingungssatz auch seinen Status als Schlussfolgerung ein. Denn streng genommen ist eine materiale Implikation kein Schluss, sondern lediglich die Behauptung eines wahrheitsfunktionalen Zusammenhangs. Deshalb ist ein Satz wie „Wenn die Venus ein Planet ist, dann besteht Luft aus Sauerstoff.“ zwar eine (wahre) materiale Implikation, aber keinesfalls eine (materiale) Inferenz. Wollten wir durch universelle Instantiierung tatsächlich eine Folgebeziehung gewinnen, so müssten wir die allgemeine Aussage anders interpretieren. Wir müssten auch sie so verstehen, dass sie eine Beziehung dieser Art ausdrückt. Der gesuchte Satz müsste also folgendermaßen lauten: (22) Da es (im Sinne einer Folgebeziehung) immer dann, wenn es einen Blitz gibt, auch Donner gibt, folgt aus dem Umstand, dass es einen Blitz geben wird, dass es Donner geben wird.

Damit wäre, was die inferentielle Kraft anbelangt, ein Äquivalent zu dem irrealen Bedingungssatz in (18) gefunden. Allerdings wird nun bereits in der allgemeinen Konditionalaussage eine materiale Inferenzregel eingeführt. Nur deshalb lässt sich daraus eine Folgebeziehung ableiten, die mit (17) vergleichbar ist. Das ist der negative Effekt dieser Interpretation.

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Das Ziel, den ursprünglichen irrealen Bedingungssatz mittels formaler und ohne Rückgriff auf materiale Inferenzregeln zu erklären, ist damit verfehlt. Bisher sind also alle Versuche, (17) als die verkürzte Form einer formalen Inferenz auszuweisen, gescheitert. Die Schwierigkeit ist, den Aspekt des Irrealen zu bewahren, ohne jedoch den Status als Inferenz aufzugeben oder bereits von Anfang an mit materialen Inferenzregeln zu operieren. Hier ist ein letzter Vorschlag für eine explizit formale Interpretation des fraglichen irrealen Bedingungssatzes: (23) Wenn es gleichermaßen der Fall wäre, dass es immer dann, wenn es einen Blitz gibt, Donner gibt, und dass es einen Blitz gibt, dann würde es Donner geben.

Dieser Vorschlag enthält eine etwas anders geartete formale Regel, als die bisher verwendete universelle Instantiierung.265 Zudem kommt (17) in dieser Version nicht schon in der allgemeinen Konditionalaussage vor. Es könnte sich also durchaus um die gesuchte formale Inferenz handeln. Allerdings führt auch diese Interpretation nicht zu dem gewünschten Ergebnis. Denn bei genauem Hinsehen liefert sie kein gültiges Äquivalent zu (17). Das Problem ist, dass eine auf diese Weise abgeleitete Konditionalaussage niemals falsch sein kann. Gemäß dieser Interpretation wäre ein materialer irrealer Bedingungssatz letztlich immer ein wahrer Satz. Denn die formale Regel, die im Antezedens formuliert wird, führt immer zu einem wahren Konsequenz. Dafür sorgt das darin enthaltene „immer dann“. Unbestritten gibt es aber auch irreale Bedingungssätze mit einem falschen Konsequenz. Der Satz „Wenn ich im Lotto gewinnen würde, würde ich eine Weltreise machen.“ beispielsweise beinhaltet prinzipiell auch die Möglichkeit, dass ich keine Weltreise mache. Das genau ist ja der Sinn des irrealen Modus. Diese Option besteht in (23) jedoch nicht mehr. Keiner der genannten Vorschläge vermag materiale irreale Bedingungssätze mit Hilfe formaler Inferenzregeln zu erklären. Die dabei angewandten Regeln müssen also materiale Inferenzregeln sein. Der Formalist könnte dem zwar entgegensetzen, dass irreale Bedingungssätze ein entbehrliches sprachliches Element sind. Denn prinzipiell ist es 265

Aus ‚(Bx impliziert Dx) und Ba’ wird ‚Da’ abgeleitet.

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natürlich möglich, eine Sprache zu konstruieren, die auf sie verzichtet und dabei dennoch extensional bleibt. Es sind aber nicht diese Sätze selbst, die unentbehrlich sind. Es ist die Funktion, die sie in der Sprache erfüllen.266 Und die liegt eben darin, einen Schluss wie den von Blitz auf Donner auch im Modus des Irrealen zu autorisieren. Stünden materiale irreale Bedingungssätze in der Objektsprache nicht zur Verfügung, so müssten wir für diese Aufgabe auf ein anderes Vokabular zurückgreifen. Anstatt beispielsweise zu sagen „Wenn F ein G wäre, dann wäre es ein H.“, würden wir in die Metasprache wechseln und sagen „Von ‚F ist ein G’ darf auf ‚F ist ein H’ geschlossen werden.“ Dadurch wäre dasselbe Ziel erreicht. Formale Inferenzen können diese Funktion jedenfalls ganz offensichtlich nicht übernehmen. Damit ist ersichtlich, warum eine Semantik, die Bedeutung als eine Funktion inferentieller Beziehungen versteht, auf den Begriff der materialen Inferenz angewiesen ist. Denn dies ist nicht nur genau die Art Inferenz, für die semantischer Gehalt relevant ist. Es ist auch die, die im Modus des Irrealen erwiesenermaßen unverzichtbar ist. Materiale irreale Bedingungssätze bilden einen wichtigen Teilbereich der Sprache, der für die Konstitution von Bedeutung durchaus relevant ist. Schon die Behauptung, dass materiale Inferenzregeln nur dann eine Unterscheidung in korrekt und inkorrekt erlauben, wenn sie in explizite Regelformulierungen überführt werden, ist unhaltbar. Denn hier droht ein infiniter Regress. Inferenzregeln verrichten ihre Arbeit primär implizit. Die Vorstellung, es handle sich bei materialen Inferenzen in Wirklichkeit um enthymatisch verkürzte formale Inferenzen, ist ebenso wenig plausibel. Denn anhand von irrealen Bedingungssätzen lässt sich zeigen, dass materiale Inferenzregeln nicht vollständig aus formalen Inferenzregeln ableitbar sind. Insofern ist der Begriff der materialen Inferenz umfassender als der der formalen. Eine Ableitung formaler Inferenzen aus materialen Inferenzen ist problemlos möglich, nicht aber das Gegenteil. Materialen Inferenzregeln sind in Wirklichkeit implizite Regeln. Sie sind genau der Typ Regel, der für die Konstitution von Bedeutung in Frage kommt, und dies sowohl im indikativischen als auch irrealen Modus des Sprachgebrauchs. Insofern ist auch nicht von Belang, dass formale 266

Vgl. Sellars (1953), 326.

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Inferenzregeln überhaupt keine normative oder handlungsleitende Kraft haben. Für eine inferentielle Semantik, die auf eine normative Pragmatik aufbaut, sind sie unbedeutend. Als eine eigenständige und irreduzible Klasse können materialen Inferenzen diese Aufgabe umfassend erfüllen. Damit ist nicht gemeint, dass formale Inferenzregeln in jeder Hinsicht verzichtbar sind. Ihre expressive Funktion hat ihren eignen Wert, wenn auch nicht den, materiale Inferenzen überflüssig zu machen. Zwar verdanken inferentielle Übergänge oder Zusammenhänge ihr Dasein und ihre Relevanz nicht erst einer expliziten Formulierung. Eine formale Rekonstruktion kann aber durchaus einen pragmatischen Wert haben. Denn dadurch können inferentielle Zusammenhänge in der diskursiven Praxis selbst thematisiert werden. Formale Inferenzen lassen sich dazu verwenden, inferentiell verknüpfte Aussagen als solche zu markieren und als neue, zusammengesetzte Aussage für weitere Inferenzen zur Verfügung zu stellen.267 Auf diese Weise können Aussagen, die beispielsweise ein Konditional enthalten, wiederum zu Prämissen weiterer (materialer) Inferenzen werden. So gesehen erfüllen formale Inferenzen dank ihres expressiven Charakters eine selbstreferentielle Funktion in der Sprache. Sie fungieren als schematisches Modell der sprachlichen Praxis selbst, die im Wesentlichen eine Praxis des materialen Schließens ist. So können sie das, was wir immer schon unreflektiert tun, selbst zum Gegenstand unseres Tuns machen. 5.14 Inferentielle Semantik und normative Pragmatik Dass materiale Inferenzen die Bedeutung von Aussagen konstituieren, lässt sich aus den semantischen Gegebenheiten allein nicht erklären. Eine solche Erklärung wäre zirkulär. Die bedeutungsbestimmende Funktion materialer Inferenzen ergibt sich aus der Rückbindung der inferentiellen Semantik an die normative Pragmatik. Je nachdem unter welchem Vorzeichen man Sprache analysiert, treten eher normative oder inferentielle Aspekte in den Vordergrund. Die Normativität gerät vor allem dann in den Blick, wenn man ihren Gebrauch untersucht. Die inferentielle 267

Dies ist ein entscheidender Aspekt für die Erklärung subsententialer Einheiten wie singuläre Termini oder Prädikate. Vgl. Brandom (1994), 381 f. u. 402 f. Zur expressiven Funktion formaler Inferenzen vgl. auch Brandom (1994), 105 ff.

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Gliederung ist dagegen ein strukturelles Merkmal von Sprache selbst. Normativität und Inferentialität sind also zwei Seiten ein und derselben Medaille. Materiale Inferenzen sind das semantische Gegenstück zum impliziten oder „blinden“ Regelfolgen auf Seiten der Pragmatik. Ohne die Normativität der diskursiven Praxis ist die Relevanz und Notwendigkeit inferentieller Zusammenhänge nicht intelligibel. Daher muss Sprache nicht nur inferentiell gegliedert, sondern ihr Gebrauch auch normativ signifikant sein. Dass Sprache inferentiell gegliedert ist, heißt ja grundsätzlich nichts anderes, als dass von einer Aussage zu einer anderen übergegangen werden kann, darf oder sollte, oder dass ein solcher Übergang gerade ausgeschlossen ist. Die Verwendung einer Aussage hat also stets normative Konsequenzen, was die Auswahl der Aussagen betrifft, die daran unmittelbar angeknüpft werden dürfen oder nicht. Ausdrücke wie „können“, „dürfen“, „sollen“ und „ausgeschlossen sein“ sind normatives Vokabular. Daher kann die Erklärung von materialer Inferenz und Bedeutung darauf zurückgreifen. So ergibt sich die inferentielle Gliederung aus der bereits als implizit normativ ausgewiesenen sprachlichen Praxis. Im Wesentlichen ging es bei der Untersuchung der sprachlichen Praxis darum, dass dem Behaupten und Zuschreiben von Überzeugungen bestimmte normative Status auf Seiten der Diskursteilnehmer entsprechen. Die Terminologie, die ich in diesem Zusammenhang eingeführt habe, war die der Festlegung, der Berechtigung und der Unvereinbarkeit. Einem Sprecher kommen diese normativen Status dadurch zu, dass ein anderer eine entsprechende normative Einstellung ihm gegenüber einnimmt. Auf diese Weise wird jemand als auf eine Überzeugung festgelegt oder als zu einer Überzeugung berechtigt oder nicht berechtigt betrachtet und behandelt. Diese Terminologie lässt sich nun wieder aufgreifen und mit Blick auf die inferentielle Gliederung von Sprache reformulieren. Von einem normativen Standpunkt aus betrachtet bedeutet das Behaupten eines Satzes die Festlegung auf eine Überzeugung. Implizit sind damit weitere Überzeugungen auf dreierlei Art verbunden: Eine Festlegung bedeutet immer auch die Festlegung auf weitere Festlegungen, die Berechtigung zu weiteren Festlegungen und die ausgeschlossene Berechtigung zu weiteren Festlegungen. Von einem inferentiellen Standpunkt aus betrachtet gilt dies

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für die Sätze, die in einem relevanten oder notwendigen Zusammenhang mit dem ursprünglichen Satz stehen oder eben gerade nicht. Dies ist der Zusammenhang der angemessenen Umstände und Folgen. Denn prinzipiell ist jeder Satz zugleich Umstand und Folge anderer Sätze. Ein solcher Zusammenhang ergibt sich dadurch, dass Sätze etwas miteinander zu tun haben, dass sie inhaltlich zusammenhängen. Somit kann man ihn als (gültige) materiale Inferenz bezeichnen. Es besteht nun die Möglichkeit, den normativen in den inferentiellen Standpunkt zu überführen. Eine materiale Inferenz kommt dann prinzipiell dem gleich, worauf jemand durch eine Behauptung zusätzlich festgelegt ist, wozu er zusätzlich berechtigt ist oder was damit unvereinbar ist. Diese strukturellen Gegebenheiten ergeben sich daraus, wie ein Diskursteilnehmer in der Praxis von anderen betrachtet und behandelt wird. Ihr sprachliches Verhalten lässt diese Zusammenhänge zutage treten. Damit wird ersichtlich, wie die normativen Status der Festlegung, der Berechtigung und der Unvereinbarkeit materiale Inferenzen begründen und wie das wiederum zur Konstitution von Bedeutung führt. Einen Satz als die korrekte oder inkorrekte Konsequenz eines anderen zu behandeln, ist letztlich nichts anderes als seine inhaltliche Bestimmung. Indem Sprecher die Verwendung von Aussagen bestätigen oder verneinen, konstituieren sie ihre jeweilige Bedeutung. Anders gesagt lokalisieren sie die einzelnen Aussagen innerhalb des Geflechts inferentieller Zusammenhänge. So verstanden lässt sich also Bedeutung mit Hilfe von Inferenzen erklären, ohne diese dabei bereits selbst vorauszusetzen. Bedeutung gibt es erst und nur dann, wenn die diskursive Praxis in Gang ist. 5.15 Drei Arten des inferentiellen Zusammenhangs In Analogie zu der dreigliedrigen Normativität sprachlicher Praxis lassen sich auch inferentielle Beziehungen einer dreigliedrigen Klassifikation unterziehen. 268 Ein grundlegendes funktionales Merkmal gültiger Schlüsse ist dabei die Übertragung und den Erhalt normativer Status. Im selben Maße wie formale Inferenzen wahrheitswerterhaltend sind, sind materiale Inferenzen statuserhaltend. Jeder Überzeugung 268

Vgl. Brandom (1994), 168 f. u. 188 f.

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entspricht im sprachlichen Umgang ein normativer Status auf Seiten desjenigen Diskursteilnehmers, der sie äußert oder zugeschrieben bekommt. Dem wiederum entspricht auf Seiten der strukturellen sprachlichen Gegebenheiten eine inferentielle Relation zu anderen Überzeugungen, in der dieser Status übertragen und erhalten wird. Die Idee ist also die, Folgerungsbeziehungen hinsichtlich der dabei eingenommenen oder zugeschriebenen normativen Status zu unterscheiden. Dabei werden die unterschiedlichen Formen praxisimpliziter Normativität in entsprechende inferentielle Beziehungen übersetzt. Grundlegend sind zunächst die beiden Status der Festlegung und der Berechtigung. Korrekte Inferenzen, die diese in der Prämisse enthalten, kann man entsprechend als festlegungserhaltend und berechtigungserhaltend bezeichnen. Ich werde vereinfachend auch von Implikationen und Unterstützungen sprechen. Ist die Berechtigung zu einer Behauptung aufgrund der Festlegung auf eine andere ausgeschlossen, so entspricht dies der inferentiellen Beziehungen der Unvereinbarkeit. Dies sind die drei Arten von Beziehungen, aus denen sich die inferentielle Rolle und damit die Bedeutung einer Aussage zusammensetzen. Die Beziehung der Implikation betrifft Aussagen, auf die ein Sprecher als Folge einer Festlegung zusätzlich festgelegt ist. Sie stellt für ihn eine Forderung oder Verpflichtung dar. Dabei überträgt sich der normative Status der Festlegung von der Äußerung oder Zuschreibung einer bestimmten Überzeugung auf weitere Überzeugungen. So zieht beispielsweise die Festlegung auf „Berlin liegt östlich von Hamburg.“ die Festlegung auf „Hamburg liegt westlich von Berlin.“ nach sich. Ebenso impliziert die Behauptung, dass der Mord am Mittwoch geschah, die Behauptung, dass das Opfer am Dienstag noch am Leben war. Für material gültige Inferenzen wie diese gilt, dass jemand, der auf die Prämisse festgelegt ist, gleichermaßen auf die Konklusion festgelegt ist. Auch formal gültige Inferenzen nehmen solche festlegungserhaltenden Beziehungen in Anspruch. So impliziert beispielsweise die Behauptung „Dies ist rot und quadratisch.“ die Behauptung „Dies ist rot.“. Allerdings spielen formal-logische Deduktionen wie diesen bei der Konstitution von Bedeutung eine untergeordnete Rolle. Denn wie das Beispiel noch einmal verdeutlicht, sind sie ihrer Art nach gehaltsneutral. Abgesehen von der Funktion, inferentielle Zusammenhänge selbst in Form von

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Konditionalsätzen für weitere (materiale) Inferenzen zur Verfügung zu stellen, leisten sie hier keinen direkten Beitrag. Die Beziehung der Unterstützung betrifft Aussagen, zu denen ein Sprecher als Folge einer Festlegung oder Berechtigung ebenfalls berechtigt ist. Sie erteilt die Erlaubnis zu weiteren Festlegungen, sofern sonst nichts dagegen spricht. Der normative Status der Berechtigung überträgt sich von der Äußerung oder Zuschreibung einer bestimmten Überzeugung auf weitere Überzeugungen. Insbesondere Induktionen beruhen auf dieser Art inferentieller Beziehung. So stützt beispielsweise die Behauptung „Draußen regnet es.“ den induktiven Schluss auf „Draußen wird die Temperatur sinken.“ Wer ersteres behauptet, ist auch dazu berechtigt, letzteres zu behaupten. Er ist jedoch nicht darauf festgelegt. Denn es ist damit auch vereinbar, dass es sich nur um einen kurzen Schauer handelt, der keinen Einfluss auf die Temperatur hat. Ähnlich verhält es sich beispielsweise mit der Behauptung, dass dieses Gefäß aus Glas ist. Sie gibt Grund zu der Annahme, dass es zerbrechen wird, wenn es herunterfällt. Es kann aber auch zu der Behauptung berechtigen, dass es heil bleibt, wenn es auf einen sehr weichen Untergrund fällt oder besonders gehärtet ist. Berechtigungserhaltende Folgerungsbeziehungen kommen zwar ausschließlich in materialen Inferenzen vor. In semantischer Hinsicht sind jedoch gerade sie besonders informativ. Denn in dem Maße, wie sie schwächer sind als festlegungserhaltende Beziehungen, sind sie auch flexibler und variabler. Insofern ermöglichen sie die Verknüpfung der unterschiedlichsten Überzeugungen, was für das Verständnis von Bedeutung äußerst hilfreich sein kann. Denn es erweitert in entscheidendem Maße das Spektrum dessen, was zur inferentiellen Rolle einer Aussage beiträgt. So lässt sich ihr Ort im logischen Raum der Gründe sehr genau identifizieren. Berechtigungserhaltenden Folgebeziehungen spielen somit bei der Konstitution von Bedeutung eine wichtige Rolle. Dies verdeutlichen die unterschiedlichen pragmatischen Funktionen festlegungs- und berechtigungserhaltender Inferenzrelationen. Eine Aussage, die inferentiell so gebunden ist, dass sie einen Sprecher auf weitere Aussagen festlegt, steht zu diesen in einer sehr starren Beziehung. Man sagt in einem solchen Fall auch, dass die eine Aussage für die anderen einen zwingenden Grund darstellt. Ist eine Aussage dagegen inferentiell so gebunden, dass sie lediglich eine Berechtigung vererbt, so ist die

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Beziehung weniger starr. Die Konklusion kann inhaltlich stärker von der Prämisse abweichen oder über sie hinausgehen. In diesem Fall redet man eher davon, dass sie für andere Aussagen einen guten Grund darstellt. Die Behauptung etwa, dass die Batterie leer ist, ist ein guter, aber kein zwingender Grund für die Feststellung, dass der Wagen nicht anspringt. Denn man kann sie beispielsweise auch auf die Annahme stützen, dass der Anlasser defekt ist. Die Beziehung der Unvereinbarkeit schließlich ergibt sich aus den anderen beiden Formen der inferentiellen Beziehung. Sie betrifft Aussagen, zu denen ein Sprecher nicht zugleich berechtigt sein kann. Die Festlegung auf die eine schließt die Berechtigung zur anderen aus. Stehen die Äußerungen oder Zuschreibungen zweier Überzeugungen auf diese Weise in Relation zueinander, dann muss die Festlegung auf einen der beiden aufgegeben werden, soll die Berechtigung zu dem anderen erhalten bleiben. So ist beispielsweise die Behauptung „Kant hat Königsberg zu Lebzeiten nie verlassen.“ mit der Behauptung „Kant reiste regelmäßig nach Lettland.“ unvereinbar. Wer sich auf ersteres festlegt, ist nicht berechtigt, sich auf letzteres festzulegen. Auch diese dritte Art Inferenzbeziehung trägt zur Konstitution von Bedeutung bei. Die Wortwahl mag irritieren, wird eine Beziehung doch gerade ausgeschlossen. Sie ist aber insofern gerechtfertigt, als Unvereinbarkeitsbeziehungen auf Implikationen und Unterstützungen zurückgehen. Jedenfalls erlaubt auch das, was als mit einer Aussage unvereinbar behandelt wird, Rückschlüsse auf ihre Bedeutung. Es dient als eine Art Kontrastmittel für die Abgrenzung von anderen Aussagen. Prinzipiell ist es möglich, den Gehalt einer Aussage allein durch die Menge derjenigen Aussagen darzustellen, die mit ihr unvereinbar sind. Zu sagen, dass etwas aus etwas anderem folgt, ist dann gleichbedeutend damit zu sagen, dass mit dem einen all das unvereinbar ist, was auch mit dem anderen unvereinbar ist. Insofern beispielsweise alles, was mit „Berlin liegt östlich von Hamburg.“ unvereinbar ist, auch mit „Hamburg liegt westlich von Berlin.“ unvereinbar ist, besteht zwischen diesen beiden Aussagen eine festlegungserhaltende Folgebeziehung. Nicht nur direkte Folgebeziehungen, sondern auch indirekte Unvereinbarkeitsbeziehungen sind also bedeutungskonstitutiv. Dadurch lässt sich erahnen, welch reichhaltiges und komplexes Geflecht durch die drei Arten von inferentieller Beziehung

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entsteht. Es wird klar, mit welch großer Trennschärfe sich semantische Gehalte auf diesem Weg unterscheiden lassen. Mit Hilfe der Unvereinbarkeitsbeziehung lässt sich nun auch die formal-logische Negation als eine explizite Darstellung der sprachlichen Praxis verständlich machen. Diese entspricht nämlich auf formaler Ebene genau dem, was in der Praxis des Behauptens und Zuschreibens von Überzeugungen das Berücksichtigen materialer Unvereinbarkeiten ist. So gesehen lässt sich die Negation einer Aussage als das bezeichnen, was aus all dem folgt, was mit dieser Aussage material unvereinbar ist.269 Beispielsweise folgt die Negation der Aussage „Kant war ein Philosoph.“ („Es ist nicht der Fall, dass Kant ein Philosoph war.“) aus den Aussagen „Kant war ein ostpreußischer Forstarbeiter.“, „Kant hat weder ein philosophisches Buch gelesen noch geschrieben.“, „Kant hat sich für ein Verbot der Philosophie eingesetzt.“ etc. Damit ergibt sich für formallogische Negationen die expressive Funktion, derartige Unvereinbarkeitsbeziehungen sprachlich zu markieren und explizit zu machen. Ausdrücke und Symbole wie „nicht“, „kein“, „∼“ oder „¬“ sind dann nichts anderes als verkürzte oder formalisierte Darstellungen dieser Art inferentieller Relation. Wie das Konditional ist aber auch die Negation systematisch gesehen und in Bezug auf das, was im Sprachgebrauch immer schon vor sich geht, nachgeordnet. In der Praxis werden materiale Unvereinbarkeiten längst verhandelt, bevor es zur Einführung eines Ausdrucks kommt, der die inferentielle Rolle der Negation spielt. Wie das Konditional ermöglicht aber auch die Negation einen reflexiven Zugang zu den inferentiellen Gegebenheiten der sprachlichen Praxis. In diesem Fall sind es Unvereinbarkeiten, die explizit Eingang in das Spiel des Gebens und Verlangens von Gründen finden können. Somit schafft auch die Negation die Möglichkeit, das, was wir tun, selbst zum Gegenstand unseres Tuns zu machen. Sie ermöglicht es, Unvereinbarkeitsbeziehungen selbst wieder als Prämisse weiterer Inferenzen zu verwenden. Mit der Negation können wir Unvereinbarkeiten, die wir zuvor lediglich als solche behandelt haben, ausdrücklich als solche bezeichnen und verwenden.

269

Vgl. ebd., 185 f. u. 541.

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Mit diesem Kapitel ist ein Großteil der angekündigten argumentativen Arbeit geleistet. Es ist deutlich geworden, dass und inwiefern zwei der drei Grundbedingungen für Wissen Können voraussetzen. Denn nicht nur Überzeugungen, sondern auch Rechtfertigungen sind auf die Fähigkeit des „blinden Regelnfolgens“ angewiesen, als welche ich Können ausbuchstabiert habe. Hier sind noch einmal die wichtigsten Punkte des Gedankengangs der letzten beiden Kapitel. Überzeugungen, die sich als Wissen qualifizieren können, sind eine öffentliche Angelegenheit. Sie werden diskursiv und nicht in rein privater Meditation verhandelt. Insofern sind sie immer eine sprachliche und, wie im vierten Kapitel gezeigt, normative Angelegenheit. Für den sprachlichen Umgang mit Überzeugungen ist es erforderlich, die dabei geltenden Regeln befolgen zu können. Hierbei handelt es sich um materiale Inferenzregeln. Charakteristisch für diese Art von Regel ist der Umstand, dass sie nicht als explizite Formulierungen vorliegen, sondern implizit in der diskursiven Praxis vorkommen und befolgt werden. Man kann auch sagen, sie werden „blind“ befolgt. Dennoch handelt es sich um Regeln vom Typ genuin normativer Handlungsnormen. Sie sind verletzbar und erlauben ein Anderskönnen. Das implizite Befolgen materialer Inferenzregeln ist einerseits die Voraussetzung dafür, dass eine Überzeugung für alle Beteiligten verständlich ist. Überzeugungen haben nur dann eine allgemeingültige und über die Zeit beständige Bedeutung, wenn sie gemäß diesen Regeln verwendet werden. Andererseits ist genau diese Fähigkeit auch die Voraussetzung dafür, eine Überzeugung durch andere Überzeugungen rechtfertigen zu können. Wie ich geltend gemacht habe, ist die Bedeutung einer Aussage ihre inferentielle Rolle. Der bedeutsame Umgang mit Sprache im Allgemeinen und mit Überzeugungen im Besonderen vollzieht sich gemäß geltenden Regeln entlang inferentieller Zusammenhänge. Wer die Bedeutung einer Aussage kennt, versteht es, die entsprechenden Inferenzregeln zu befolgen. Er lokalisiert die Aussage auf die richtige Art und Weise innerhalb des inferentiell gegliederten Diskurses. Insofern heißt, die Bedeutung einer Aussage zu kennen, die entsprechenden inferentiellen Zusammenhänge beherrschen. Dieses Meistern der inferentiellen Gliederung des Sprachspiels der Überzeugung bezeichne ich als Können. Jemand beherrscht den bedeutungsvollen Gebrauch eines sprachlichen Ausdrucks genau dann, wenn er es versteht, ihn als Grund zu verwenden.

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Schließlich sind inferentielle Zusammenhänge nichts anderes als Begründungszusammenhänge. Und etwas ist nur dann ein Grund für eine Überzeugung, wenn es selbst eine Überzeugung ist. Überzeugungen sind prinzipiell immer Gründe für andere Überzeugungen. Damit ist die inferentielle Gliederung der Sprache einerseits die Voraussetzung für Bedeutung, andererseits für Rechtfertigung. Sie erlaubt das Herstellen von Begründungszusammenhängen, was wiederum dem Problematisieren und Bestätigen von Geltungsansprüchen dient. Wir stützen unsere Behauptungen, indem wir weitere Behauptungen machen, die damit inferentiell zusammenhängen, so wie wir das von anderen Sprechern ebenfalls einfordern. Diese Praxis ist bei der Formulierung von Wissensansprüchen von zentraler Bedeutung. Denn jemand, der etwas zu wissen vorgibt, muss für die entsprechende Überzeugung rechtfertigende Gründe haben. Und diese lassen sich nicht zuletzt deswegen angeben, weil die inferentiellen Zusammenhänge dieser Überzeugung bekannt sind. Auch in dieser Hinsicht bezeichne ich das Meistern der inferentiellen Gliederung des Sprachspiels der Überzeugung als Können. Damit zeigt sich, dass auf der Ebene der Bedeutungskonstitution prinzipiell dasselbe Können gefordert ist, das auf einer übergeordneten Ebene der Bestätigung von Wissensansprüchen dient. Wissen ist damit in doppelter Hinsicht auf Können angewiesen. Denn etwas ist nur dann Wissen, wenn es eine Überzeugung mit einer Bedeutung ist und wenn es dafür eine Rechtfertigung gibt. Beides ist nur auf der Grundlage des inferentiellen Zusammenhangs möglich, in dem diese Überzeugung steht. Nur wer das Spiel des Gebens und Verlangens von Gründen den geltenden Regeln entsprechend spielen kann, kann bedeutsame Aussagen machen und rechtfertigen. Es muss also Können geben, wo Wissen sein soll.

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6. Wahrheit Die bisherigen Überlegungen galten der Analyse dessen, was wir tun, wenn wir die Überzeugungs- und Rechtfertigungsbedingungen für Wissen erfüllen. Es hat sich gezeigt, dass beide Bedingungen Können voraussetzen, weshalb das Gleiche letztlich auch für Wissen gilt. In diesem Kapitel wird es schließlich um die Wahrheitsbedingung gehen. Ich werde geltend machen, dass das zuvor entwickelte Erklärungsmodell für das Verhältnis von Wissen und Können durch sie letztlich nicht beeinflusst wird. Die Frage ist, ob es eine substantielle Theorie gibt, die Wahrheit über die bisherige, normative Charakterisierung hinaus erklären kann. Um zu zeigen, dass dem nicht so ist, werde ich zunächst einen Überblick über einige wichtige Wahrheitstheorien geben und deren Vor- und Nachteile diskutieren. Ich werde geltend machen, dass ein deflationistisches Verständnis dazu geeignet ist, all die Probleme zu vermeiden, mit denen die anderen Theorien konfrontiert sind. Demnach ist Wahrheit ein einzigartiger logischer Begriff, der eine expressive und generalisierende Funktion erfüllt. Daraus ergibt sich zugleich eine Antwort auf die Frage nach seiner epistemologischen Funktion. Es wird sich zeigen, dass Wahrheit auch für die Wissensanalyse rein expressive Bedeutung hat. Daher ist sie epistemologisch gesehen irrelevant. Das eigentliche Thema der Arbeit, eine anti-intellektualistische Fundierung von Wissen durch Können, bleibt vom Wahrheitsbegriff letztlich unbeeinflusst. 6.1 Wahrheit aus Sicht einer normativen Pragmatik Um jemanden als Wissenden bezeichnen zu können, muss man ihm zunächst die Festlegung auf eine bestimmte Überzeugung zuschreiben. Behauptet jemand beispielsweise, dass am Freitag ein Feiertag ist, so können wir ihn als eben darauf festgelegt betrachten. Mit dieser Festlegung verbinden sich weitere Festlegungen und Berechtigungen. Wer etwa glaubt, dass am Freitag ein Feiertag ist, ist auch darauf festgelegt, dass es einen Unterschied gibt zwischen Feiertagen und gewöhnlichen Werktagen. Ebenso ist er zu weiteren Behauptungen berechtigt wie etwa der, dass am Freitag die Geschäfte geschlossen sind. Eine Festlegung kann also dazu

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dienen, eine andere zu plausibilisieren und zu stützen. Im Prinzip ist eine Behauptung immer auch eine Rechfertigung. Als Behauptungen sind Überzeugungen Teil der Praxis des Gebens und Verlangens von Gründen. Mit einer Festlegung verbindet sich die Frage, welche Gründe es dafür gibt und wofür sie selbst als Grund dient. Im Netz der Gründe konstituiert sich einerseits Bedeutung. Andererseits liegt darin die Möglichkeit, eine Behauptung durch eine weitere zu rechtfertigen. Eine Behauptung ist niemals eine einzelne, isolierte Aussage. Sie ist immer durch andere Behauptungen begründet und Grund für weitere Behauptungen. Das ist der Kerngedanke der inferentiellen Semantik. Ein und dieselbe inferentielle Struktur dient einerseits der Konstitution von Bedeutung und andererseits der Rechtfertigung von Behauptungen. Ein Vorteil dieses Erklärungsansatzes ist der, dass er das Auftreten eines Rechtfertigungsregresses vermeidet. Schließlich müssen einige Inferenzen als (material) korrekt vorausgesetzt werden, wenn ein sinnvoller und bedeutsamer Gebrauch von Sprache überhaupt möglich sein soll. Nur unter dieser Voraussetzung können in einem zweiten Schritt Rechtfertigungen eingefordert werden.270 Die Rekonstruktion der Überzeugungs- und der Rechtfertigungsbedingung ist mit Hilfe des normativ-inferentiellen Theoriemodells der vorausgehenden Kapitel sehr gut möglich. Wie verhält es sich nun mit der Wahrheitsbedingung? Bisher ist Wahrheit nur als Anspruch oder normativer Standard aufgetreten. Ich habe sie als Teil der normativen Signifikanz des Sprachspiels der Überzeugung beschrieben: Behauptungen werden mit dem Anspruch, wahr zu sein, gemacht oder zugeschrieben. Was jemand behauptet, soll wahr sein, zumindest in der überwiegenden Zahl der Fälle. Eine Person allein kann diesen Anspruch aber nicht erfüllen. Sie kann zwar der Forderung nachkommen, ihre Behauptung zu rechtfertigen. Zu diesem Zweck kann sie weitere Überzeugungen anführen. So kann sie feststellen, dass ihre Behauptung gerechtfertigt ist. Dass sie wahr ist, können allerdings nur andere bestätigen. Mehr noch als für die Bedingung der Überzeugung und der Rechtfertigung ist die der Wahrheit auf die soziale Perspektive der

270

Vgl. ebd., 305 f.

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sprachlichen Praxis angewiesen.271 Aus Sicht der normativen Pragmatik betrachtet und behandelt jemand die Behauptung eines anderen als wahr, indem auch er sie sich zu eigen macht. Sage ich beispielsweise: „Es ist wahr, dass am Freitag ein Feiertag ist.“, so lege ich mich selbst darauf fest, dass am Freitag ein Feiertag ist. Dass ich dies als wahr bezeichne, signalisiert, dass ich damit eine Behauptung übernehme, die bereits im Gespräch ist. Offensichtlich kommt es also mit der Rede von Wahrheit zu einer Wiederholung oder Übertragung des normativen Status der Festlegung. Wer die Festlegung eines anderen Diskursteilnehmers als wahr betrachtet, schreibt sie ihm nicht nur zu, er geht sie selber ein. Jemanden als auf eine wahre Überzeugung festgelegt zu betrachten, heißt dann, sich selbst darauf festzulegen. Dies ist eine noch recht vage Bestimmung der Wahrheitsbedingung von Wissen. Entsprechend vage fällt die Rekonstruktion der Standarddefinition von Wissen aus. Demnach betrachten wir jemanden als Wissenden, wenn wir ihm eine Festlegung und eine Berechtigung zuschreiben und wenn wir dieselbe Festlegung selbst eingehen.272 Anders gesagt weiß jemand, dass p, wenn er sich darauf festlegt, dass p, wenn er dazu berechtigt ist, sich darauf festzulegen, dass p, und wenn es wahr ist, dass p. Insbesondere der Teil, der die Wahrheitsbedingung zum Ausdruck bringt, bedarf hier weiterer Erläuterungen, soll er als Ausschlusskriterium dienen können. Im Folgenden werde ich daher einige wichtige Wahrheitstheorien diskutieren mit dem Ziel, eine geeignete Ergänzung für die bisherige Rekonstruktion von Wissen zu finden. Vom Erfolg dieser Suche hängt ab, ob und in welcher Form dieses Kriterium beibehalten werden kann. 6.2 Korrespondenztheorie Die meisten Menschen werden intuitiv der Behauptung zustimmen, dass Wahrheit etwas mit der Übereinstimmung unserer Überzeugungen oder Aussagen mit der Wirklichkeit zu tun hat. Damit befürworten sie bewusst oder unbewusst, was in der Philosophie als Korrespondenztheorie 271 272

Vgl. Davidson (1984), 170. Vgl. Brandom (1994), 202.

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der Wahrheit bezeichnet wird. Die Zahl der Autoren, die eine Version dieser Theorie vertreten ist groß.273 Berühmt ist Aristoteles’ Formel: „Zu sagen nämlich, das Seiende sei nicht oder das Nicht-Seiende sei, ist falsch, dagegen zu sagen, das Seiende sei und das Nicht-Seiende sei nicht, ist wahr.“274 Eine andere bekannte Formulierung findet sich bei Thomas von Aquin: „Veritas est adaequatio rei et intellectus (…) Wahrheit ist die Angleichung eines Dinges und des Verstandes.“275 Eine mittlerweile klassische Formulierung aus der jüngeren Vergangenheit stammt von Bertrand Russell: „Thus a belief is true when there is a corresponding fact, and is false when there is no corresponding fact.“276 Gemein ist all diesen Konzeptionen die Idee, dass Wahrheit in der Relation zur Wirklichkeit besteht. Dies gilt als ultimativer Test, mag es auch Überzeugungen oder Aussagen geben, die sich nicht unmittelbar auf diese Weise verifizieren lasse. Von Russell und George E. Moore stammt die einflussreiche Modifikation, Überzeugungen oder Aussagen nicht mehr auf konkrete oder abstrakte Gegenstände, sondern auf Tatsachen zu beziehen.277 Demnach ist eine Überzeugung wie beispielsweise die, dass eine Katze auf der Matte liegt, deswegen wahr, weil es in der Welt eine Tatsache gibt, die sich aus einer Katze, einer Matte und der Eigenschaft des Liegens zusammensetzt. Die unterschiedlichen Vertreter der Korrespondenztheorie glauben jedenfalls, dass mit Hilfe einer präzisen Vorstellung dessen, was unter Korrespondenz, Wirklichkeit, Tatsachen etc. zu verstehen ist, eine aufschlussreiche Wahrheitstheorie möglich ist. Sie schätzen an dieser Konzeption, dass sie starken Intuitionen folgt und weitestgehend ohne umstrittene Ideen auskommt. Als ihr großer Vorteil

273

Zu der Vermutung, dass vor Kant alle Philosophen Vertreter einer Korrespondenztheorie der Wahrheit waren, vgl. Putnam (1981), 56. Zu einem Überblick vgl. auch David (2004), Kap. 3. 274 Aristoteles (1994), 1011b26. Vgl. Platon (1994c), 262e - 263d. 275 von Aquin (1986), Qu. 1, Art. 1, 8 f. T. von Aquin schreibt diese Formulierung I. Israeli zu. 276 Russell (1982), 75. 277 Vgl. Moore (1953), Kap. 15, Russell (1982), Kap. 12, Russell (1906/07), Russell (1992), Teil 2, Kap. 5 u. Wittgenstein (1984e).

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gilt, dass sie lediglich das beinhaltet, was ohnehin offensichtlich ist.278 Tatsächlich führt jedoch die Vorstellung, Wahrheit lasse sich als eine Korrespondenzrelation bestimmen, schnell zu beträchtlichen Schwierigkeiten. Schuld daran sind einige zusätzliche Annahmen, die selbst wiederum alles andere als selbstverständlich sind. Hier sind nur drei Beispiele. Erstens gehen die meisten Korrespondenztheoretiker davon aus, dass es eine von uns unabhängige Wirklichkeit oder Welt der Tatsachen gibt, auf die wir uns mit unseren Vorstellungen, Überzeugungen oder Aussagen beziehen. Diese Wirklichkeit oder Welt der Tatsachen ist größtenteils unabhängig davon, ob es uns oder irgendwelche Vorstellungen, Überzeugungen, Aussagen etc. gibt. Kurz gesagt: Sie existiert objektiv. Auch wenn wir verschwinden würden oder es uns nie gegeben hätte, wäre sie zum allergrößten Teil genau dieselbe. Mit der Korrespondenztheorie verbindet sich also ein metaphysischer Realismus bezüglich der Außenwelt oder der Welt der Tatsachen. 279 Zweitens geht mit dieser Konzeption eine Unterscheidung zwischen Wahrheitsträgern wie Überzeugungen oder Aussagen auf der einen Seite und Wahrmachern wie Gegenständen oder Tatsachen auf der anderen einher. Damit sich nun Wahrheit in einem solchen Szenario feststellen lässt, muss sich die Korrespondenzrelation als ganze beurteilen lassen. Wahrheitsträger und Wahrmacher müssen sich zugleich oder zumindest in unmittelbarem Zusammenhang in den Blick nehmen lassen. Ob unsere Überzeugungen tatsächlich mit der Wirklichkeit übereinstimmen, lässt sich also nur dadurch überprüfen, dass wir sie und damit unsere eigene, involvierte Position transzendieren. Deshalb müssen Korrespondenztheoretiker für ihre Betrachtung die Möglichkeit eines externalistischen

278

Vgl. z. B. Kant (1998), B82 (A58), James (1991), 87 o. Searle (1995), 189, wobei die allgemeinen Positionen Kants und James’ jedoch keine Korrespondenztheorie der Wahrheit beinhalten. 279 Vgl. Dummett (1958/59), 157, Putnam (1978), 18. o. Rorty (1991), 22. Zu der Auffassung, dass die Korrespondenztheorie auch zusammen mit einem Antirealismus vertreten werden kann, üblicherweise aber einen Realismus impliziert, vgl. David (2004), 370 u. Searle (1995), 154.

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Standpunktes voraussetzen.280 Dieser befindet sich außerhalb unserer eigenen Vorstellungen, Überzeugungen und Aussagen. Von ihm aus soll sich überprüfen lassen, ob das, was wir in Bezug auf die Welt glauben und sagen, mit dem korrespondiert, wie die Welt als solche beschaffen ist. Drittens beinhaltet die Korrespondenztheorie die Annahme, dass jedem Gegenstand oder jeder Tatsache in der Wirklichkeit eine bestimmte Vorstellung oder Überzeugung entspricht. Dieses Entsprechungsverhältnis kann zwar auf beiden Seiten komplexe Strukturen annehmen. Gegenstände oder Tatsachen können sich aus verschiedenen Bestandteilen, Eigenschaften oder Relationen zusammensetzen. Ebenso können sich Überzeugungen oder Aussagen aus Begriffen, Ausdrücken oder Wörtern zusammensetzen. Nach dem einfachsten Verständnis bedeutet Korrespondenz jedoch eine Art Eins-zu-eins-Relation zwischen Wahrheitsträger und Wahrmacher. Eine Korrespondenzrelation besteht also genau dann, wenn einer Tatsache wie etwa der, dass die Katze auf der Matte liegt, eine gleichermaßen strukturierte Überzeugung oder Aussage entspricht. 6.3 Transzendenz- und Referenzproblem Es sind vor allem zwei Problemkomplexe, die sich aus den Zusatzannahmen der Korrespondenztheorie ergeben. Ich will sie das Transzendenzproblem und das Referenzproblem nennen. Ersteres lässt sich auf die recht einfache Frage reduzieren: Wie lässt sich eine Korrespondenzrelation eigentlich erkennen oder überprüfen? Sie zielt darauf ab, dass Korrespondenztheoretiker einer systematischen Unterscheidung von Überzeugungen und ihrem Abgleich mit der Wirklichkeit kaum Beachtung schenken. Die einzig mögliche Antwort besteht nämlich in dem, was die zweite der erwähnten Zusatzannahme beinhaltet: der Einnahme eines externalistischen Standpunktes. Wenn wir feststellen wollen, ob unsere Überzeugungen oder Aussagen mit der von uns unabhängigen Wirklichkeit übereinstimmen, dann müssen wir einen 280

Vgl. z. B. Nagel (1986), 68 ff. Die Idee eines solchen Standpunktes geht natürlich auf Descartes’ Verfahren in den Meditationen zurück. Vgl. Descartes (1964). Zur Unterscheidung zwischen einem externalistischen und einem internalistischen Standpunkt vgl. Putnam (1981), Kap. 3.

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Standpunkt einnehmen, von dem aus sich beide Bereiche zugleich einsehen und überprüfen lassen. Wir müssen – zumindest für den Moment – all unsere Beteiligung einstellen und die Korrespondenzrelation selbst in den Blick nehmen. Anders ist eine Beurteilung nicht möglich. Das Problem ist aber, dass es einen solchen unbeteiligten Standpunkt sinnvollerweise gar nicht geben kann. Es ist offensichtlich, dass wir nicht aus uns selbst heraustreten können, um einen unabhängigen Blick auf unsere Überzeugungen oder Aussagen und die Wirklichkeit zu werfen. Es gibt keinen archimedischen Punkt, von dem aus sich beurteilen ließe, welche Überzeugungen oder Aussagen maßgeblich sind und welche nicht.281 Wäre es möglich, den eigenen Standpunkt auf eine solche Weise zu transzendieren, dann würde sich die Frage nach der Wahrheit von selbst erledigen. Für einen externen Betrachter lägen die Dinge dann bereits so vor, wie sie (wahrheitsgemäß) sind. Dies ist aber offensichtlich nicht der Fall. Stattdessen führt jeder Versuch, unsere Überzeugungen oder Aussagen mit der Wirklichkeit abzugleichen, immer nur zu weiteren Überzeugungen oder Aussagen.282 Ein Heraustreten aus unseren Überzeugungen oder unserer Sprache ist also überhaupt nicht möglich. Das Transzendenzproblem lässt sich noch weiter zuspitzen. Wir können nämlich nicht nur fragen, wie sich die Korrespondenzrelation erkennen und überprüfen lässt, sondern ob dies überhaupt möglich ist. Wir können an dieser Relation als solcher zweifeln. Die Vorstellung, es gebe eine von uns unabhängige Wirklichkeit und es sei möglich, unsere Situation darin zu transzendieren, wirft die Frage auf, ob wir überhaupt einen verifizierbaren Zugang zu dieser Wirklichkeit haben. Dies ist bekanntlich die Frage des Skeptikers. Das Problem ist also, dass die Korrespondenztheorie mit ihren realistischen Implikationen unmittelbar zu einem Außenweltskeptizismus einlädt.283 Der Realismus schafft Raum für Zweifel nicht nur daran, dass wir mit einigen unserer Überzeugungen und 281

Zur Annahme, dass es zumindest teilweise möglich ist, den gegenwärtigen Standpunkt zu transzendieren, um sich einem objektiven Bild der Wirklichkeit anzunähern, vgl. Nagel (1986), insbes. Kap. 5. T. Nagel ist bereit, für diese Annahme einen Skeptizismus der Außenwelt in Kauf zu nehmen. 282 Vgl. Davidson (1990), 302. 283 Vgl. Putnam (1981), 50 o. Nagel (1986), 70 f. u. 90.

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Aussagen in Bezug auf die Außenwelt richtig liegen, sondern dass dies jemals so ist. Dies erklärt sich durch die Hierarchisierung der Überzeugungen und der entsprechenden Aussagen, die damit einhergeht.284 Denn indem der Korrespondenztheoretiker die Relation zur Wirklichkeit zum ultimativen Test für Wahrheit macht, hält er stillschweigend eine bestimmte Klasse von Überzeugungen im Vergleich zu allen anderen für grundlegend. Das sind Überzeugungen, die das Resultat von Erfahrungen sind. Er ignoriert dabei, dass zwischen Überzeugungen darüber, wie die Welt erscheint, und solchen darüber, wie die Welt ist, kein gültiger Begründungszusammenhang besteht. Träume, Illusionen und Sinnestäuschungen weisen darauf hin, dass unsere Erfahrung keine uneingeschränkt zuverlässige Informationsquelle ist, was die wirkliche Beschaffenheit der Welt angeht. Daher die Hartnäckigkeit, mit der der Skeptiker seine Frage zu stellen vermag. Erfahrung und Zweifel gehen Hand in Hand. Wer also gerade diese Art von Überzeugungen zu einer privilegierten Klasse erklärt, setzt das gesamte System unserer Überzeugungen von Anfang an einem globalen Zweifel aus. Der Korrespondenztheoretiker kann diese Kritik als eine Fehlinterpretation abtun. Er kann geltend machen, dass es sich bei der Übereinstimmung mit der Wirklichkeit oder mit den Tatsachen gerade um eine nicht-epistemische Relation handelt.285 Seine Theorie dürfe daher nicht als eine Antwort auf die Frage verstanden werden, wie wir herausfinden können, ob eine Überzeugung oder Aussage wahr oder falsch ist. Sie erhebe gar nicht den Anspruch zu erklären, wie es kommt, dass Überzeugungen oder Aussagen mit realen Gegenständen oder Tatsachen korrespondieren. Sie gehe lediglich davon aus, dass dies prinzipiell möglich ist. Andernfalls müssten all unsere Überzeugungen oder Aussagen über die Außenwelt als sinnlos erscheinen. So verstanden beansprucht die Korrespondenztheorie gar nicht die Möglichkeit, dass wir aus unseren Überzeugungen oder unserer Sprache heraustreten. Der Vorwurf, diese 284

Zu der Auffassung, dass Realismus und Externalismus deshalb unmittelbar zum Außenweltskeptizismus führen, weil sie einen epistemologischen Fundamentalismus voraussetzen, vgl. auch Williams (1986), insbes. 418 ff. 285 Vgl. Davidson (1990), 302 f.

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Konzeption provoziere einen Außenweltskeptizismus, erscheint also als ungerechtfertigt. Das Referenzproblem zeigt aber, dass diese Replik nicht zur Plausibilität der Korrespondenztheorie beitragen kann. Denn die Korrespondenzrelation ist auch dann problematisch, wenn wir sie als eine nicht-epistemische verstehen. Ob und wie sich diese Relation erkennen lässt, ist nur die eine Frage. Ob und wie sich deren Relata bestimmen lassen, ist die andere. Damit ist insbesondere das gemeint, was unter den Begriff des Wahrmachers fällt. Dieser Teil der Relation ist nämlich bestenfalls unbestimmt, wenn nicht gar eine Chimäre.286 Unklar ist, ob sich das, womit Aussagen oder Sätze korrespondieren sollen, überhaupt unzweideutig identifizieren lässt. Die Kritik gilt dabei vor allem der Annahme, bei der Korrespondenzrelation handle es sich um eine Eins-zueins-Relation zwischen Wahrheitsträger und Wahrmacher. Damit erklärt der Korrespondenztheoretiker Wahrheit nämlich zu einer Angelegenheit der direkten Bezugnahme von Wörtern oder Sätzen auf Gegenstände, Sachverhalte oder Tatsachen. Und genau hier liegt das Problem. Das Referenzproblem war bereits Thema im Zusammenhang der Diskussion repräsentationalistischer Bedeutungstheorien.287 Dort hat sich am Beispiel der hinweisenden Definition gezeigt, dass die Bezugnahme von Ausdrücken auf Gegenstände keineswegs gesichert und eindeutig ist. Dies lässt sich auf den Unterschied zwischen Referenz und Bedeutung zurückführen. Dieses Problem diagnostiziert auch Quine mit seiner These von der Unbestimmbarkeit von Übersetzung und Referenz.288 Demnach gibt es für jeden Gegenstand oder Sachverhalt prinzipiell mehrere Möglichkeiten der sprachlichen Bezugnahme. Eindeutige Anhaltspunkte, welcher von ihnen der maßgebliche ist, gibt es nicht. Wenn sich also keine 286

Zur Auffassung, dass Sätze oder Aussagen – wenn sie überhaupt mit etwas korrespondieren – alle mit ein und demselben korrespondieren (der „großen Tatsache“ oder dem Universum), vgl. Davidson (1984), 18 f. u. 41 f. u. Davidson (1990), 303 f. Davidson greift auf das sogenannte Slingshot-Argument zurück, das ursprünglich auf Frege und A. Church zurückgeht. Vgl. Frege (1994), 49 f. u Church (1956), 24 f. Vgl. auch Lewis (1946), 50-55 u. Wallace (1969). Die Gültigkeit dieses Arguments ist umstritten. Vgl. z. B. Searle (1995), 221 ff. o. Neale (2001), 49 ff. 287 Vgl. erneut Kap. 5.3. 288 Vgl. erneut Anm. 126.

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Tatsache als diejenige aussondern lässt, auf die sich ein Ausdruck oder Satz bezieht, dann kann man sie ebenso gut ganz verneinen: „[T]here is no fact of the matter.“289 Übertragen auf die Korrespondenztheorie der Wahrheit heißt das, dass Sätze oder Aussagen – wenn überhaupt – mit unterschiedlichen Gegenständen oder Tatsachen in Relation stehen. Umgekehrt können wir uns mit unterschiedlichen Ausdrücken oder Aussagen auch auf ein und denselben Gegenstand oder ein und dieselbe Tatsache beziehen. Jedenfalls ist die (vermeintliche) Bezugnahme von Wahrheitsträgern auf Wahrmacher prinzipiell unbestimmt. Es gibt keine Möglichkeit, die für die Bestimmung von Wahrheit relevante Korrespondenzrelation verlässlich auszusondern. Das Referenzproblem beinhaltet also weniger die Einsicht, dass es keine Korrespondenzen zwischen Sätzen und Tatsachen geben kann, sondern dass es davon zu viele gibt.290 Von Eins-zu-eins-Relationen zwischen Wahrheitsträgern und Wahrmachern kann also nicht die Rede sein. Nur so wären Korrespondenzrelationen aber intelligibel. Wer also eine Korrespondenztheorie der Wahrheit vertritt, folgt zwar einer verbreiteten Intuition über den Zusammenhang von Sprache und Wirklichkeit. Wenn es aber um die Umsetzung dieser Konzeption geht, ist er mit einer Reihe von Problemen konfrontiert. Einer der Haupteinwände ist, dass wir nicht aus unseren Überzeugungen und unserer Sprache heraustreten können. Versuchen wir es dennoch, so generieren wir unweigerlich einen Skeptizismus der Außenwelt. Auch dass die Relata der Korrespondenzrelationen prinzipiell unbestimmt sind, spricht gegen diese Theorie. Worauf sich wahre Überzeugungen oder Aussagen beziehen, lässt sich nicht mit Gewissheit herausfinden. Wenn aber das Erkennen oder Individuieren von Korrespondenzrelationen fraglich ist, dann ist es letztlich die Korrespondenztheorie insgesamt. Als Wahrheitskriterium eignet sich Korrespondenz daher nicht.

289 290

Quine (1969), 38 u. 47. Vgl. Putnam (1981), 72 f.

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6.4 Kohärenztheorie Die realistischen Implikationen der Korrespondenztheorie fordern entweder das Heraustreten aus der Sprache oder die Annahme einer nichtepistemischen Korrespondenzbeziehung. Beides ist problematisch. Es gibt allerdings eine Alternative, die über die bisherigen Vorschläge hinausgeht. Sie besteht darin, bei der Bestimmung von Wahrheit innerhalb der Sprache und des Systems unserer Überzeugungen zu verbleiben und stattdessen die realistischen Intuitionen aufzugeben. Nicht die Übereinstimmung mit der Wirklichkeit ist dann das Kriterium für Wahrheit, sondern die Art und Weise, wie Aussagen oder Überzeugungen miteinander zusammenhängen. Gemäß dieser Konzeption gelten Aussagen oder Überzeugungen als wahr, wenn sie Teil eines kohärenten Systems sind. Dies ist die Idee der Kohärenztheorie der Wahrheit. Autoren, die sich eindeutig als Vertreter dieser Theorie zu verstehen geben, sind vor dem 20. Jahrhundert schwer zu finden.291 Ihre Grundzüge formuliert beispielsweise Otto Neurath: Aussagen werden mit Aussagen verglichen, nicht mit „Erlebnissen“, nicht mit einer „Welt“, noch mit sonst etwas. (…) Jede neue Aussage wird mit der Gesamtheit der vorhandenen, bereits miteinander in Einklang gebrachten, Aussagen konfrontiert. Richtig heißt eine Aussage dann, wenn man sie eingliedern kann.292

Der Vorteil dieses Verständnisses von Wahrheit ist, dass zwischen Wahrheitsträger und Wahrmacher nicht grundlegend unterschieden wird. Somit stellen sich auch keine skeptischen Fragen nach dem Realitätsbezug und seiner Erkennbarkeit. Die einzelne Aussage oder Überzeugung muss sich nicht im Test an der Wirklichkeit bewähren, sondern in dem kohärenten System, dessen Teil sie sein soll. Die Grundlage für die Bestimmung von Wahrheit ist somit ein Holismus in Bezug auf Überzeugungen. 291

Als Vorläufer werden häufig B. Spinoza, I. Kant, G. W. F. Hegel oder F. H. Bradley genannt. Gegenüber dieser Einordnung gibt es aber berechtigte Vorbehalte. Vgl. David (2004), 402 Anm. 42. 292 Neurath (1931), 403. Vgl. auch Neurath (1932/33), 209.

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Was bedeutet in diesem Zusammenhang Kohärenz? Eine Minimalbedingung dafür, dass ein System von Aussagen oder Überzeugungen als kohärent bezeichnet werden kann, ist logische Konsistenz.293 Das heißt, dass die Aussagen oder Überzeugungen eines kohärenten Systems nicht im Widerspruch zueinander stehen dürfen. Dies ändert sich auch dann nicht, wenn dem System eine neue Aussage oder Überzeugung hinzugefügt wird. Darüber hinaus sollte das System reichhaltig sein und nicht auf einige wenige, wenn auch konsistente Überzeugungen beschränkt sein. Ebenso wenig sollte es sich auf eine einzige Art von Überzeugungen wie beispielsweise Wahrnehmungsüberzeugungen beschränken. Ein System, das zusätzlich Überzeugungen enthält, die beispielsweise der Erinnerung, der Introspektion oder der Abstraktion entstammen, ist reichhaltiger und in diesem Sinne auch kohärenter. Dann gehört zu einem kohärenten System, dass die darin enthaltenen Überzeugungen auch miteinander in Zusammenhang stehen. Eine Reihe einzelner Überzeugungen, die vollkommen unzusammenhängend ist, kann man nicht in demselben Maße als kohärent bezeichnen, wie eine, in der sich die Überzeugungen gegenseitig erklären, stützen oder wahrscheinlicher machen. Schließlich ist es für ein kohärentes System notwendig, dass es im Großen und Ganzen einfach ist. Um überprüfen zu können, dass eine neue Überzeugung nicht im Widerspruch zu den bereits vorhandenen steht, muss das System übersichtlich sein. Gleiches gilt für die Beurteilung der internen Zusammenhänge. In einem übermäßig komplexen und ausufernden System ist es nicht mehr möglich, diese überhaupt noch festzustellen. Einige dieser Aspekte sind dem Leser bereits vertraut. Denn das kohärenztheoretische Verständnis von Wahrheit greift offensichtlich auf die gleiche systematische Infrastruktur zurück, wie zuvor die Überlegungen zu Bedeutung und Rechtfertigung. Man kann sagen, dass ein kohärentes System von Überzeugungen immer auch eines ist, in dem Überzeugungen inferentiell in Zusammenhang stehen. Die Kohärenztheorie lässt sich also als Ergänzung der inferentialistischen Festlegung verstehen, wonach nur Überzeugungen Gründe für weitere Überzeugungen sein können. Was für Bedeutung und Rechtfertigung der inferentielle Zusammenhang ist, ist für Wahrheit Kohärenz. Dies kann man zugleich als 293

Vgl. auch für das Folgende Rescher (1973), 31 ff. u. Künne (2003), 383 ff.

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eine Präzisierung des dritten der erwähnten Kohärenzkriterien verstehen. Denn mit dem Zusammenhang kohärenter Überzeugungen ist offensichtlich gemeint, dass zwischen den Überzeugungen Inferenzbeziehungen formaler oder materialer Art bestehen. Ebenso betroffen ist davon das Kriterium der logischen Konsistenz. Schließlich gibt es gültige Schlüsse nur innerhalb eines widerspruchsfreien Systems von Überzeugungen. Damit wird der Begriff der Wahrheit in die unmittelbare Nähe von Rechtfertigungs- oder Folgerungszusammenhängen gerückt. Diese Angleichung hat jedoch seine Grenzen. Denn es wäre verkehrt, hier eine allzu große Nähe oder gar Übereinstimmung zu sehen. Es mag ganz ähnliche Kriterien dafür geben, wann wir etwas als bedeutungsvoll bezeichnen und wann als wahr. Hinsichtlich der These, Wahrheit lasse sich auf die gleiche Weise auf inferentielle Zusammenhänge zurückführen wie Bedeutung, sind aber Zweifel angebracht. Dass nicht alles, was eine Bedeutung hat, zugleich auch wahr ist, wird kaum jemand bestreiten. Zwischen semantischer Korrektheit und Wahrheit oder Evidenz besteht zumindest in pragmatischer Hinsicht ein wichtiger Unterschied.294 Mit der Feststellung von Wahrheit verbindet sich ein ganz anderer Anspruch als mit der von Bedeutung. Wer etwas als wahr einschätzt oder bezeichnet, hat andere Erwartungen, als der, der etwas versteht und sich über eine Bedeutung im Klaren ist. Ebenso verkehrt wäre es anzunehmen, Wahrheit lasse sich auf Rechtfertigung zurückführen. Aus Sicht einer normativen Pragmatik gibt es hier zwar Parallelen.295 Der Schluss von gerechtfertigten auf wahre Überzeugungen wäre aber in Analogie zu Moores „naturalistischem Fehlschluss“ ein ungültiger.296 Auch wenn wir aufgrund konsistenter wissenschaftlicher Erkenntnisse davon ausgehen können, dass eine Überzeugung gerechtfertigt ist, legitimiert das nicht automatisch die Annahme, dass sie auch wahr ist. Die Auffassung beispielsweise, dass brennbare Materie eine Substanz namens „Phlogiston“ enthält, war 294

Zur Unterscheidung semantischer und empirischer Korrektheit vgl. erneut Kap. 3.4. Vgl. erneut Kap. 4.6 u. 5.5. Zu der Behauptung, dass Wahrheit und Rechtfertigung nicht nur in normativer, sondern auch in logischer Hinsicht koextensional sind, vgl. Wright (2001), insbes. Kap. 1 u. 2. 296 Diese epistemologische Lesart des „naturalistischen Fehlschlusses“ geht auf H. Putnam zurück. Vgl. Putnam (1978), 108 f. u. Rorty (1982), XXV. 295

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während des 17. und 18. Jahrhunderts eine gerechtfertigte Überzeugung. Wie wir heute aber wissen, war sie zugleich falsch. Die Frage, ob eine gerechtfertigte Überzeugung tatsächlich auch wahr ist, lässt sich sinnvollerweise immer stellen. Insofern nicht auszuschließen ist, dass eine gegebene Überzeugung gerechtfertigt und trotzdem falsch ist, sollte Wahrheit und Rechtfertigung voneinander unterschieden werden. 6.5 Konsistenzproblem Auf den Unterschied zwischen Wahrheit und Rechtfertigung geht ein gewichtiger Einwand zurück, der gegenüber der Kohärenztheorie wiederholt vorgebracht wurde. Er richtet sich vor allem gegen das Kriterium der Konsistenz, die Mindestanforderung für ein kohärentes System von Überzeugungen. Ich werde daher vereinfachend vom Konsistenzproblem sprechen. Demnach kann es verschiedene in sich konsistente Systeme von Überzeugungen geben, die untereinander allerdings widersprüchlich sind.297 Ein drastisches Beispiel hierfür wäre ein Märchen, das in sich vollkommen konsistent und schlüssig ist.298 Wenn Kohärenz im Sinne von Konsistenz das entscheidende Kriterium für Wahrheit sein soll, dann müssten die Sätze dieses Märchens als ebenso wahr gelten, wie die eines historischen Berichts oder einer wissenschaftlichen Studie. Dies kann aber niemand behaupten wollen. Die Kohärenztheorie erweckt daher den Eindruck, „völlig verfehlt“ zu sein. Nun ist es sicherlich übertrieben zu behaupten, bei einem Märchen handle es sich um ein konsistentes Set an Überzeugungen. Selbst wenn die Geschichte aus einer Reihe von Sätzen besteht, die widerspruchsfrei zusammenhängen, handelt es sich doch nicht um Überzeugungen, die der Autor oder der Leser für wahr hält.299 Es gibt aber auch weniger drastische Beispiele, die diesen Einwand stützen. So ist durchaus vorstellbar, dass es zwei Überzeugungen gibt, die beide jeweils Teil eines konsistenten Systems von Überzeugungen sind, die aber zueinander im Widerspruch 297

Vgl. Russell (1906/07), 32 ff., Schlick (1934), 86 f., Davidson (1986), 309 ff. u. Davidson (1990), 305. 298 Vgl. Schlick (1934), 86. 299 Vgl. Künne (2003), 381 f.

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stehen. Ein solcher Fall findet sich beispielsweise in der Geometrie. Dort wird bekanntlich zwischen euklidischer und nichteuklidischer oder differentialer Geometrie unterschieden. Beides sind konsistente Systeme für wahr gehaltener Sätze, die sich jedoch in einem wichtigen Punkt unterscheiden. Nichteuklidische Geometrien verneinen das sogenannte Parallelenaxiom.300 Das bedeutet, dass sowohl dieser Satz als auch seine Verneinung Teil eines kohärenten Systems sind und somit als wahr gelten müssen. Die beiden Sätze zusammen können aber nicht wahr sein. Dagegen spricht das Konsistenzkriterium beziehungsweise das Gesetz vom ausgeschlossenen Widerspruch. Wir müssen also davon ausgehen, dass eines der beiden Systeme eine falsche Überzeugung enthält, obwohl es als kohärent gilt. Der Kohärenztheoretiker ist jedoch nicht in der Lage zu sagen, welches es ist. Keine der erwähnten Zusatzanforderungen (Reichhaltigkeit, Zusammenhang, Einfachheit) stellt eine überzeugende Entscheidungshilfe dar. Er könnte allerdings entgegnen, dass die Messlatte hier unnötig hoch gelegt wird. Schließlich hat niemand ausschließlich wahre Überzeugungen. Es wäre also unsinnig zu erwarten, ein kohärentes Überzeugungssystem müsse vollkommen konsistent sein und dürfe keinerlei falsche Überzeugungen enthalten. Vielmehr müsse Kohärenz als eine graduelle Angelegenheit betrachtet werden. Für die kohärenztheoretische Erklärung von Wahrheit genüge die Forderung nach größtmöglicher Konsistenz. Dass die Wahrheit der einzelnen Überzeugungen dadurch ebenfalls zu einer graduellen Angelegenheit wird, sei damit nicht behauptet.301 Eine derartige Erklärung hat soviel für sich, wie sie gegen sich hat. Sie leuchtet zwar ein. Der Einwand, dass das Kriterium der Konsistenz Widersprüchlichkeit nicht ausschließt, wird damit aber nicht entkräftet. Vielmehr legitimiert sie das Auftreten widersprüchlicher Überzeugungen 300

Vgl. Thaer (2005), 3: „Und daß, wenn eine gerade Linie beim Schnitt mit zwei geraden Linien bewirkt, daß innen auf derselben Seite entstehende Winkel zusammen kleiner als zwei Rechte werden, dann die zwei geraden Linien bei Verlängerung ins unendliche sich treffen auf der Seite, auf der die Winkel liegen, die zusammen kleiner als zwei Rechte sind.“ 301 Zu dem Vorschlag, Wahrheit im kohärenztheoretischen Sinne als die Zughörigkeit zu einem „maximal kohärenten Set von Überzeugungen“ zu verstehen, vgl. Künne (2003), 385.

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in vermeintlich konsistenten Systemen. Damit aber wird die Minimalbedingung für Kohärenz wieder aufgehoben. Angenommen es lässt sich nicht ausschließen, dass ein kohärentes System von Überzeugungen Irrtümer enthält. Woher weiß ich dann, dass es sich nicht gerade bei der einen Überzeugung, um deren Wahrheit es mir geht, um einen Irrtum handelt? Dass sie sich in ein kohärentes System eingliedern lässt, ist hier offensichtlich gerade kein Beweis. Sind aber erst einmal Irrtümer zugelassen, so bietet sich dem Skeptiker wieder die Gelegenheit, seine notorischen Fragen zu stellen. Der Kohärenztheoretiker hält es für möglich, dass ein Überzeugungssystem sowohl kohärent als auch fehlerhaft ist. Ihm steht allerdings kein Kriterium zur Verfügung, die Menge an Irrtümern zu bestimmen oder zu limitiert. Er kann also auch nicht ausschließen, dass wir uns in beträchtlichem Umfang irren. Sobald er also bei der Bestimmung von Wahrheit Irrtümer zulässt, ist seine Konzeption dem Zweifel ausgesetzt. Schließlich können Überzeugungen hinsichtlich der Wirklichkeit kohärent und trotzdem falsch sein.302 Der Kohärenztheoretiker kann sich auf keines der genannten Kriterien berufen. Er kann auch nicht einfach darauf verweisen, dass ein kohärentes System von Überzeugungen auf dem sicheren Fundament der Erfahrung ruht. Denn, wie die Diskussion der Korrespondenztheorie gezeigt hat, führt gerade die Privilegierung dieser Klasse von Überzeugungen zu skeptizistischen Einwänden. Somit ist die kohärenztheoretische Konzeption von Wahrheit nicht die bessere Alternative zur Korrespondenztheorie, als die sie ursprünglich angetreten ist. Das Versprechen, gegenüber skeptischen Einwänden immun zu sein, kann sie nicht einlösen. Die Schwachstelle ist das Kriterium der Konsistenz. Der Einwand, dass es mehrere in sich konsistente, aber untereinander inkonsistente Überzeugungssysteme geben kann, lässt sich nicht entkräften. Dadurch wird Kohärenz zu einem unbrauchbaren Wahrheitskriterium, mag auch auf den ersten Blick einiges an dieser Theorie plausibel erscheinen. Letztlich ist Kohärenz kein geeignetes

302

Zu der Auffassung, dass Überzeugungen „intrinsisch wahrheitsgetreu“ sind und globale Skepsis daher unsinnig ist, vgl. Davidson (1986), 314 ff. u. Davidson (2001), 155.

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Kriterium für die Unterscheidung von dem, was wir glauben oder für wahr halten und dem, was tatsächlich wahr ist. 6.6 Klassischer Pragmatismus Die Kohärenztheorie ist nicht die einzig denkbare Reaktion auf die Korrespondenztheorie. Eine andere Alternative bietet der klassische Pragmatismus.303 Im Kern vertreten Autoren wie William James oder Ferdinand C. S. Schiller die Auffassung, dass wahre Überzeugungen für denjenigen, der sie hat, einen bestimmten Nutzen haben: „The true,“ to put it very briefly, is only the expedient in the way of our thinking (…). Expedient in almost any fashion; and expedient in the long run and on the whole of course.304

Die Aufmerksamkeit gilt dabei dem jeweiligen Zweck einer Überzeugung. Wahrnehmungsüberzeugungen beispielsweise lassen sich dahingehen sortieren, ob sie uns beim Umgang mit der Wirklichkeit behilflich sind oder nicht. Theoretische Überzeugungen lassen sich hinsichtlich der Frage beurteilen, ob sie sich mit dem bisherigen Wissen und neu auftretenden Tatsachen vereinbaren lassen. Und bei metaphysischen Überzeugungen, die beispielsweise die Existenz Gottes betreffen, kann man prüfen, ob sie der emotionalen Zufriedenheit förderlich sind. Wahre Überzeugungen machen sich also immer auf eine bestimmte Weise bezahlt. Sie sind für denjenigen, der sie hat, wünschenswert, nützlich und zufriedenstellend. Charles S. Peirce setzt den Akzent hier etwas anders. Für ihn bestimmt sich Wahrheit weniger aus dem Nutzen einer Überzeugung, als aus dem Konsens, den letztlich alle am Thema beteiligten Forscher nach einer möglicherweise länger andauernden Untersuchung erreichen. Wahrheit bedeutet also das Ende der Forschung.305 Dies lässt sich aber leicht mit der Auffassung James’ vereinbaren. Der praktische Nutzen ist in Peirce’ Ansatz insofern enthalten, als eine wahre Überzeugung eine solche 303

Vgl. z. B. James (1991) o. Dewey (1958). James (1991), 98. Vgl. auch Schiller (1907), 152. Zu einer jüngeren Variante dieses Ansatzes vgl. auch Rorty (1988), 14. 305 Vgl. Peirce (1878), 300. Zu einer jüngere Variante dieses Ansatzes vgl. auch Putnam (1981), 49 ff. u. Habermas (1984), 136 f. 304

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ist, die sich auch nach eingehender Prüfung noch bezahlt macht. Auch die Nähe zum kohärenztheoretischen Verständnis von Wahrheit ist nicht zu übersehen. Denn Wahrheit greift in der Lesart Peirce’ ebenfalls auf Rechtfertigungszusammenhänge zurück. Die experimentelle, wissenschaftliche Verifikation einer Überzeugung ist ja nichts anderes als deren Rechtfertigung. Das Ziel der Forschung sind Evidenzen, die eine Hypothese empirisch oder theoretisch bestätigen. Die Beweisführung vollzieht sich dabei grundsätzlich entlang inferentiell gegliederter Argumentationen. Am Ende der Forschung stehen schließlich wahre Überzeugungen, die Teil eines konsistenten Systems sind. 6.7 Relativitätsproblem und Problem des unbestimmten Endes Auch gegen die pragmatistische Wahrheitstheorie richten sich einige gewichtige Einwände. Da sind zunächst die Schwierigkeiten, die insbesondere die Peircesche Variante von der Kohärenztheorie erbt. Zumindest indirekt steht sie vor der Aufgabe, mehrere konsistente Überzeugungssysteme ausschließen oder erklären zu müssen und dabei skeptizistische Einwände zu unterbinden. Die eigentliche Kritik setzt jedoch üblicherweise woanders an. Nehmen wir zunächst die Auffassung, Wahrheit bestimme sich aus dem Nutzen einer Überzeugung. Nach einigen Überlegungen stellt sich die Frage, für wen eine gegebene Überzeugung eigentlich nützlich sein soll.306 Damit tritt zutage, was sich als das Relativitätsproblem zusammenfassen lässt. Der Nutzen einer Überzeugung hängt von den Wünschen und Erwartungen desjenigen ab, der sie hat. Dies aber ist von Person zu Person sehr unterschiedlich. Folglich sind auch nicht für alle dieselben Überzeugungen nützlich, sondern variieren bisweilen stark. Der eine beispielsweise zieht einen Nutzen aus der Überzeugung, dass der Zug eine Verspätung eingefahren hat: Es gibt ihm mehr Zeit für das Gespräch mit der interessanten Reisebegleitung. Für den anderen dagegen ist dies überhaupt nicht nützlich: Er verpasst seinen Anschlusszug. Dieselbe Überzeugung kann also zugleich nützlich und nutzlos sein. Sie kann aber nicht zugleich wahr und unwahr sein. Der Pragmatist müsste seine Theorie 306

Vgl. David (2004), 351 f.

211

daher dahingehend erweitern, dass Wahrheit von Person zu Person variiert. „Wahr“ würde dann immer bedeuten „wahr für S“.307 Ein derart relativistisches Verständnis von Wahrheit würde aber sicher auf wenig Akzeptanz stoßen bei denen, die ernsthaft an einer Begriffsbestimmung interessiert sind. Wahrheit gilt schließlich als zeitlos und nicht gradierbar.308 Dies ist auch die Grundlage eines weiteren Einwandes.309 Danach kann Nützlichkeit weder eine notwendige noch eine hinreichende Bedingung für wahre Überzeugungen sein. Denn dazu gibt es zu viele Ausnahmen. Zum einen gibt es Überzeugungen, die nützlich sind, unabhängig davon, ob sie wahr oder falsch sind. Das gilt beispielsweise für die Überzeugung, dass es außer einem selbst andere Menschen gibt. Die Wahrheit dieser Überzeugung ist noch für den größten Misanthropen nützlich. Selbst für ihn ist es von Nutzen, dass das, was er hasst, existiert. Allerdings ist die Nützlichkeit dieser Überzeugung überhaupt nicht darauf angewiesen, dass sie auch wahr ist. Auch wenn es keine anderen Menschen gibt, kann es nützlich sein, dies zu glauben. Für ein einsames Gehirn im Tank kann es nützlich sein zu glauben, es gebe andere Menschen. So wie es nützlich sein kann zu glauben, dass Gott existiert, selbst wenn dies nicht der Fall ist.310 Zum anderen gibt es wahre Überzeugungen, die sowohl nützlich als auch nutzlos oder gar irrelevant sein können.311 Für einen großen Teil unserer Überzeugungen gilt, dass sie in manchen Situationen nützlich sind, in manchen aber auch nicht. Für die allgemeine Risikoeinschätzung etwa ist die wahre Überzeugung, dass Flugzeugabstürze in der Regel für alle Insassen tödlich sind, nützlich. Für eine Person mit großer Flugangst, die unbedingt einen Flug antreten muss, hat diese Überzeugung dagegen keinen Nutzen. Für sie stellt sie vielmehr ein unnützes Hindernis dar. 307

„S“ steht für die jeweilige Person, die die wahre Überzeugung hat. Diese Kritik lässt sich auf Platons Widerlegung von Protagoras’ relativistischem Wahrheitsverständnis im Theaitetos zurückführen. Vgl. Platon (1994d), 152a u. 161b 162b. Vgl. auch Putnam (1981), 55 u. 120 ff. 309 Vgl. Moore (1907/08) u. Russell (1910), 127 ff. Zum folgenden Beispiel vgl. Russell (1910), 139 f. 310 Vgl. James (1991), 38 u. 131. 311 Vgl. Moore (1907/08), 43 ff. 308

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Andere Überzeugungen, wie etwa die, dass zwei und zwei vier ergeben oder dass in Berlin jede Woche mehrere tausend Bierflaschen zu Bruch gehen, sind zwar durchaus wahr. Zugleich sind sie aber auch in den meisten Lebenssituationen irrelevant.312 Und schließlich ist es auch nicht schwer sich vorzustellen, dass falsche Überzeugungen ebenso nützlich sein können wie wahre. Irre ich mich beispielsweise hinsichtlich der Uhrzeit oder eines Ortes und entgehe dadurch einem Unglück, so hat dies für mich einen beträchtlichen Nutzen. Es stellt sich also heraus, dass die Nützlichkeit einer Überzeugung nicht nur davon abhängt, wer sie hat. Sie ist auch relativ zu der Situation, in der sie auftaucht. Der Ausdruck „wahr“ muss nun nicht nur als „wahr für S“ interpretiert werden. „Wahr“ bedeutet nach diesem Verständnis vielmehr „wahr für S in U“.313 Eine solche Auskunft ist für das Verständnis von Wahrheit jedoch wertlos. Schließlich soll eine wahre Überzeugung unabhängig von Ort und Zeitpunkt wahr sein. Zudem zeigen die Beispiele, dass Wahrheit und Nutzen in vielen Fällen vollkommen unabhängig voneinander sind. Wenn sich hier auch Gemeinsamkeiten beobachten lassen, so dürfen die Begriffe dennoch nicht gleichgesetzt werden. Es mag sein, dass wir in sehr vielen oder sogar den meisten Fällen von wahren Überzeugungen profitieren. In nicht wenigen Fällen ist Irrtum allerdings ebenso nützlich, wie Wahrheit hinderlich ist. Ein Kriterium aber, das solche Ausnahmen zulässt, ist ebenso wenig zu gebrauchen, wie der erwähnte Relativismus. Die Orientierung an der praktischen Relevanz kann nicht verhindern, dass der Pragmatismus an dem Versuch einer Bestimmung von Wahrheit scheitert. Das gilt auch für die Auffassung, wonach Wahrheit das Ende der Forschung ist. Das Kriterium ist hier zugleich das Problem. Man kann es als Problem des unbestimmten Endes bezeichnen. Es stellt sich nämlich die Frage, wie man sich ein Ende der Forschung überhaupt vorzustellen hat. Es ist in verschiedener Hinsicht unklar, ob es das überhaupt geben kann. Die Wahrheit einer Überzeugung kann sicher nicht von der Zustimmung eines letzten, überlebenden Individuums abhängen.314 Denn dann gäbe es 312

Vgl. James (1991), 102. „U“ steht hier für die jeweiligen Umstände, in denen die wahre Überzeugung vorkommt. 314 Vgl. Russell (1989), 145. 313

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solange keine Wahrheit, bis der letzte Forscher im letzten Moment seines Lebens ein letztes Urteil abgegeben hat. Das Ende der Forschung kann daher nur eine ideale Grenze sein, die nicht tatsächlich erreicht wird, sondern der sich die verschiedenen Untersuchungen annähern.315 Allerdings ist diese Interpretation nicht weniger problematisch. Denn auch als Ideal ist das Ende der Forschung ein zweifelhaftes Wahrheitskriterium. Aus mindestens zwei Gründen ist fraglich, ob überhaupt eine Annäherung an diese Grenze möglich ist.316 Der eine ist, dass eine solche Annäherung nur als ein Moment vorstellbar ist, in dem alle relevanten Informationen für die Beurteilung einer bestimmten Überzeugung zur Verfügung stehen. Es ist aber schwer einzusehen, dass es einen solchen Moment geben kann. Denn was es heißt, dass eine Überzeugung durch alle relevanten Informationen gestützt ist, lässt sich gar nicht genau sagen. Die Menge der Informationen, die eine bestimmte Überzeugung stützt, ist auf vielfältige Weise im System der Überzeugungen der beteiligten Forscher verzweigt. Für jede Überzeugung gibt es eine Fülle von Hintergrundüberzeugungen, die Einfluss auf den Kontext der epistemische Situation haben. Dies ist eine Konsequenz des Überzeugungsholismus, der jeglicher Forschung zugrunde liegt. In einer geeigneten Gesamtsituation kann daher jede Information für jede beliebige Überzeugung relevant sein. Um also tatsächlich über alle, für eine bestimmte Überzeugung relevanten Informationen zu verfügen, muss man schlicht über alle Informationen verfügen. So verstanden ist zwar ein Ende der Forschung als eine Art universelles Weltwissen vorstellbar. Der Grad einer sich steigernden Annäherung an dieses Ende bleibt jedoch prinzipiell unbestimmbar. Der andere Grund ist der folgende. Selbst wenn man annimmt, jemand wäre in der Lage, ein Maximum an Informationen hinsichtlich einer bestimmten Überzeugung zusammenzutragen, so deutet nichts darauf hin, dass er einen solchen Zustand auch erkennen könnte. Wie sollte er sicher sein, dass er sich mit seiner Theorie dem Ende der Forschung maximal angenähert hat? Er könnte ebenso gut aus Erschöpfung oder mangels

315 316

Vgl. Putnam (1981), 55 f. Zum Folgenden vgl. Wright (2001), 64 ff.

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weiterer Ideen aufgehört haben zu forschen.317 Die wissenschaftliche Forschung macht ohne Zweifel Fortschritte. Diese erkennen wir aber erst im Rückblick, wenn wir eine Verbesserung gegenüber vorausgegangenen Theorien sehen. Um zu verstehen, was wissenschaftlicher Fortschritt ist, benötigen wir die Idee einer asymptotischen Annäherung an eine ideale Grenze jedenfalls nicht. Ebenso wenig können wir mit ihrer Hilfe erklären, wie es immer wieder zu unvorhergesehenen Revolutionen in der Wissenschaft kommt. Das Ende der Forschung ist damit als Test für Wahrheit doppelt ungeeignet. Weder als konkretes noch als ideales Ende ist es erreichbar. Im einen Fall stünde Wahrheit nur dem letzten Menschen auf Erden zur Verfügung. Im anderen Fall wäre es ein unerreichbares und unerkennbares Ideal. Der bisherige Überblick erlaubt das folgende Zwischenresümee. Die Korrespondenztheorie trägt der realistischen Intuition Rechnung, dass es eine objektive Wirklichkeit gibt, auf die sich unsere Überzeugungen und Aussagen beziehen. Sie scheitert aber daran, dass sich die Übereinstimmung der Überzeugungen oder Aussagen mit der Wirklichkeit nicht annehmen lässt, ohne dass dabei skeptische Fragen aufgeworfen werden. Die Kohärenztheorie verbleibt innerhalb von Sprache und Überzeugungen und kann dadurch dem Außenweltskeptizismus ausweichen. Allerdings stellen sich ihr die Probleme, mehrere untereinander inkonsistente Überzeugungssysteme und einen globalen Irrtum nicht ausschließen zu können. Die Wahrheitstheorien des klassischen Pragmatismus sind dem methodischen Minimalismus verpflichtet, wonach philosophisch irrelevant ist, was in praktischer Hinsicht keinen Unterschied macht. Allerdings sind die Kriterien, die sie anbieten, letzten Endes unbrauchbar. Wahrheit und Nutzen fallen nicht in allen Fällen zusammen. Und das Ende der Forschung lässt sich weder bestimmen noch erkennen. 6.8 Deflationismus Die Probleme der klassischen Wahrheitstheorien geben Grund zur Annahme, dass es so etwas wie ein Wesen der Wahrheit nicht gibt. Eine Definition „des Wahren“ oder „der Wahrheit“ scheint nicht möglich. 317

Vgl. Rorty (1986), 338.

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Wahrheit verhält sich offenbar nicht wie ein gewöhnlicher Teil der Wirklichkeit, dessen allgemeine Merkmale sich erforschen und beschreiben lassen. Die grammatische Oberfläche erweckt zwar den Anschein, mit dem Wort „wahr“ werden Überzeugungen spezifische Eigenschaften zugeschrieben, deren allgemeine Struktur sich durch die geeignete philosophische Theorie bestimmen lässt. Der Ausdruck „ist wahr“ verhält sich jedoch nicht wie ein herkömmliches Prädikat wie beispielsweise „ist magnetisch“ oder „ist diabetisch“.318 Diese beziehen sich auf Phänomene oder Eigenschaften, die sich in den entsprechenden Wissenschaften als Magnetismus oder Diabetes mehr oder weniger exakt bestimmen lassen. Auf das Wahrheitsprädikat lässt sich das jedoch nicht ohne weiteres übertragen. Wahrheit als solche scheint weder der wissenschaftlichen noch der philosophischen Analyse zugänglich. Wir sollten also nicht fragen, was Wahrheit ist, sondern was wir tun, wenn wir von den entsprechenden Redewendungen Gebrauch machen. Dies erscheint mir als die zwingende Konsequenz aus dem Scheitern der zuvor erörterten Wahrheitstheorien. Damit komme ich auf die eingangs formulierte Aufgabe zurück, Funktion und Bedeutung von Wahrheit mit den Mitteln des bisher entwickelten normativ-inferentiellen Theoriemodells weiter zu präzisieren. Der Vorschlag war zunächst, den Gebrauch von „wahr“ als die Übernahme oder das Sich-zu-eigen-machen einer Festlegung zu verstehen. Wer eine Überzeugung oder Behauptung als wahr bezeichnet, legt sich selbst auf sie fest. Er bestätigt den Anspruch, der mit der ursprünglichen Festlegung erhoben wird: Das Geglaubte soll wahr sein, denn Glauben heißt Fürwahrhalten. Man kann also sagen, dass mit der Verwendung des Wahrheitsprädikates eine Art Zustimmung, Wertschätzung oder auch Empfehlung einhergeht.319 Dies ist offensichtlich in Fällen, in denen jemand in Reaktion auf eine bestimmte Behauptung sagt: „Das ist wahr.“ oder „Das stimmt.“ Es trifft aber auch dort zu, wo jemand eine Behauptung direkt aufgreift und beispielsweise sagt: „Es ist wahr, dass Paris die Hauptstadt von Frankreich ist.“ Etwas als wahr zu bezeichnen, bedeutet damit zunächst einmal, ihm gegenüber eine wertende Haltung einzunehmen. In der zuvor eingeführten 318 319

Vgl. Horwich (1998b), 2. Vgl. Rorty (1986), 334, Rorty (1988), 16 o. Brandom (1994), 287.

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Theoriesprache ausgedrückt kommt dies dem Einnehmen einer normativen Einstellung, sowie der Übernahme eines normativen Status gleich.320 Durch das Wahrheitsprädikat wird eine Behauptung zustimmend oder empfehlend bewertet. Sie wird als wahr betrachtet und behandelt. Diese normative Einstellung schlägt sich darin nieder, dass jemand den Status der Festlegung für sich übernimmt. Mit dieser Übernahme der ursprünglichen Behauptung geht zugleich aber die Zuschreibung des Status der Berechtigung einher. Wer eine Behauptung als wahr betrachtet und behandelt, erteilt dazu rückwirkend die Erlaubnis. Vereinfacht ausgedrückt bringt ein Diskursteilnehmer also mit dem Ausdruck „wahr“ die Einschätzung zum Ausdruck, dass eine Behauptung zumindest für den Moment hinlänglich gerechtfertigt ist.321 Der Fokus dieser Erklärung liegt ganz auf den performativen und normativen Aspekten von Wahrheitszuschreibungen. Der Gegenstand der jeweiligen Überzeugungen oder Behauptungen wird dabei nicht eigens thematisiert. Etwas als wahr zu bezeichnen, bedeutet demnach auch nicht, es in Bezug auf seinen Gehalt zu beschreiben. Ob mit der Zertifizierung durch den Ausdruck „wahr“ eine unabhängige Eigenschaft wie beispielsweise die Übereinstimmung mit der Wirklichkeit oder ein spezifischer Nutzen zum Ausdruck kommt, ist nicht von Interesse. Die These ist vielmehr, dass man mit „Es ist wahr, dass Paris die Hauptstadt von Frankreich ist.“ prinzipiell dasselbe behauptet wie mit „Paris ist die Hauptstadt von Frankreich.“ und umgekehrt. Die Bedeutung der Aussage ändert sich nicht, wenn sie durch den Zusatz „Es ist wahr, dass ...“ Zustimmung oder Wertschätzung erfährt. Somit ergibt sich mit diesem Erklärungsansatz ein deflationistisches Bild von Wahrheit.322 Es zielt darauf ab, dem alten metaphysischen Rätsel vom Wesen der Wahrheit einen Großteil seiner Brisanz zu nehmen, indem dem Begriff jede philosophisch tragende Rolle abgesprochen wird. Schließlich sieht es so aus, als würde mit dem Zusatz, dass eine Überzeugung oder Behauptung wahr ist, überhaupt nichts Substantielles gesagt. Es hat vielmehr den Anschein, als wäre das Wahrheitsprädikat 320

Vgl. hierzu erneut Kap. 4.9 f. u. Brandom (1994), 288 f. Vgl. Rorty (1988), 16 f. 322 Zu einem Überblick über einige Autoren, die einen vergleichbaren Ansatz vertreten, vgl. Horwich (1998b), 5 Anm. 2. 321

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nicht mehr als rhetorischer Zierrat. Außer der ausdrücklichen Zustimmung oder Unterstützung scheint ihm keine weitere Funktion zuzukommen. Und selbst dabei ist noch zweifelhaft, ob nur das Wahrheitsprädikat sie erfüllen kann. Wie ich noch zeigen werde, gibt es andere Redensarten, die dafür ebenso gut geeignet sind. Daher ist die Frage erlaubt, ob es sich bei Wahrheit überhaupt um ein echtes Prädikat handelt, ob also der Ausdruck „ist wahr“ nicht nur der Form, sondern auch der Substanz nach ein Prädikat ist. Vertreter der Redundanztheorie der Wahrheit bestreiten dies.323 Sie bezweifeln, dass der Ausdruck „ist wahr“ dazu dient, Dingen eine Eigenschaft zuzuschreiben. Die letzten Abschnitte können diese Einschätzung nur bestätigen. Tatsächlich gibt es sprachliche Zusammenhänge, in denen der Ausdruck „ist wahr“ keinerlei explanatorischen oder semantischen Mehrwert erzeugt. Damit sind all die Fälle gemeint, in denen das, was als wahr bezeichnet wird, direkt wiedergegeben wird. Die Behauptung „Es ist wahr, dass Paris die Hauptstadt von Frankreich ist.“ ist dafür ein Beispiel. Was hier als wahr bezeichnet wird, ist selbst ausdrücklich Teil der Äußerung. In Fällen wie diesen erscheint die Wahrheitszuschreibung trivial. Wahrheit ist nur insofern eine Eigenschaft, als sie all die unterschiedlichen Sätze verbindet, in denen der Ausdruck „ist wahr“ vorkommt. Das ist zugegebenermaßen nicht sehr informativ. Man riskiert also nicht viel, wenn man eine solche Eigenschaft als überflüssig und verzichtbar bezeichnet. Anhand der genannten Fälle gewinnt man den Eindruck, dass „Es ist wahr, dass p.“ nur eine umständliche Art und Weise ist zu sagen, dass p. Die Zuerkennung von Wahrheit ist hier letztlich nichts anderes als die redundante Wiederholung einer Überzeugung. Was ihren Gehalt betrifft, ist kein Unterschied erkennbar. Aber auch in normativer Hinsicht besteht hier offenbar kein grundlegender Unterschied. In beiden Fällen handelt es sich um die Festlegung auf einen Gehalt, nämlich genau denselben. Mit 323

Vgl. insbes. Frege (1994), 40 ff., Ramsey (1927) u. Ayer (2001), 84 ff. P. Strawson vertritt in seiner sogenannten performativen Theorie der Wahrheit anfangs dieselbe Auffassung. Vgl. Strawson (1954), 84. Für Brandom hat „ist wahr“ nicht einmal die grammatikalische Form eines Prädikats. Gemäß der von ihm vertretenen ProsatzTheorie der Wahrheit handelt es sich hierbei um einen „prosatzbildenden Operator“. Vgl. Brandom (1994), 301 ff.

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dem Wahrheitszusatz wird dies lediglich explizit gemacht und personalisiert. Wer eine Überzeugung oder Behauptung als wahr bezeichnet, veröffentlicht dadurch seine persönliche, normative Einstellung zu ihr. Man kann daher durchaus zu dem Schluss kommen, dass Wahrheit in diesen Zusammenhängen trotz irreführender grammatischer Oberflächenwirkung kein echtes Prädikat ist. Die Verwendung des Ausdrucks „ist wahr“ fügt der jeweiligen Äußerung nichts hinzu, was sie nicht ohnehin schon beinhaltet. Somit scheint mit dem Äquivalenzschema (ÄS) Es ist wahr, dass p, genau dann, wenn p.

alles gesagt zu sein, was sich zum Wahrheitsbegriff sagen lässt.324 Der Begriff der Wahrheit erschöpft sich offensichtlich in dem, was die Substitutionsinstanzen dieses Schemas wiedergeben. Zumindest in der großen Zahl der unkontroversen Fälle leuchtet (ÄS) intuitiv ein.325 Nichts könnte klarer sein, als die verschiedenen Instanzen, die sich aus dem Schema ableiten lassen. Wenn es aber gleichgültig ist, ob ein Satz oder eine Behauptung eine Wahrheitszuschreibung enthält oder nicht, wozu gibt es den Ausdruck „wahr“ dann überhaupt? Immerhin ist er ein fester Bestandteil unserer Sprache. Anstatt vorschnell von Redundanz zu sprechen, halte ich es daher für ratsamer, das Schema eher als einen Hinweis auf die Relevanz des Wahrheitsbegriffs zu verstehen. Denn es lässt sich zeigen, dass es hier durchaus Unterschiede gibt, wenngleich sie nicht den Inhalt der fraglichen Sätze betreffen. 324

Es gibt verschiedene Versionen dieses Schemas. A. Tarskis Variante ist Teil seiner berühmten Konvention W: S ist wahr genau dann wenn p (wobei „S“ die Bezeichnung eines Satzes der Objektsprache und „p“ die Übersetzung dieses Satzes in der Metasprache ist). Vgl. Tarski (1935), 305 f. Quine versteht das Schema als eine Form der Zitattilgung: „p“ ist wahr genau dann, wenn p. Vgl. Quine (1970), 13. P. Horwich wendet es auf Propositionen an: Die Proposition, dass p, ist wahr genau dann, wenn p. Vgl. Horwich (1998b), 10 u. 35. Ich werde mich im Folgenden mit der vereinfachten Variante begnügen, die Horwichs Vorschlag am nächsten kommt. 325 Zu den kontroversen Fällen vgl. Horwich (1998b), 40 ff. u. 128 u. Field (2001), 143 ff. Dazu zählen z. B. Instanzen, die den Ausdruck „wahr“ selbst enthalten und dadurch zu Widersprüchen führen, Aussagen, die leere Namen („Pegasus“, „Einhorn“ etc.) oder vage Ausdrücke („glatzköpfig“, „Hügel“ etc.) enthalten, die ethische Grundsätze formulieren oder die sich auf zukünftige Ereignisse beziehen.

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Da ist zum einen die bereits erwähnte Besonderheit des Sprechaktes.326 Es ist eben nicht genau das Gleiche, ob ich sage: „Paris ist die Hauptstadt von Frankreich.“ oder: „Es ist wahr, dass Paris die Hauptstadt von Frankreich ist.“ Im einen Fall halte ich das, was ich sage, lediglich für wahr. Im anderen mache ich es zusätzlich explizit. Das Wahrheitsprädikat gibt mir also die Möglichkeit, meine normative Einstellung gegenüber einer Behauptung offen zum Ausdruck zu bringen. Das kann nützlich sein, wenn es beispielsweise darum geht, Zweifel bei anderen Gesprächsteilnehmern auszuräumen. Ich verfüge damit über ein zusätzliches rhetorisches Mittel in der Praxis des Gebens und Verlangens von Gründen. Allerdings gibt es hier auch Alternativen. So kann ich ebenso gut sagen: „Ich glaube sehr wohl, dass …“, „Ich bin fest davon überzeugt, dass …“ etc. Das Wahrheitsprädikat ist also nicht das einzige Mittel, das mir zu diesem Zweck zur Verfügung steht. Entscheidend ist daher auch ein anderer Unterschied. Wie das Schema (ÄS) zeigt, fügt das Wahrheitsprädikat einem Satz oder einer Behauptung inhaltlich nichts hinzu. Die beiden Teilsätze sind material äquivalent. Dass sie dies auch in logischer Hinsicht sind, ist damit allerdings nicht gesagt. Vielmehr wird ein deklarativer Satz unter Verwendung des Wahrheitsprädikates so reformuliert, dass er zu einem quantifizierbaren Gegenstand wird. Anders gesagt ist es mit Hilfe des Wahrheitsprädikates möglich, den gesamten Gehalt eines Satzes so auszudrücken, dass er den Status eines singulären Terminus erhält. Das Schema verdeutlicht dies, indem es einen Satz explizit zum Gegenstand der Wahrheitszuschreibung macht. 327 Was also eine Aussage wie „Paris ist die Hauptstadt von Frankreich.“ von Reformulierungen wie „Es ist wahr, dass Paris die Hauptstadt von Frankreich ist.“ oder „Die Proposition, dass Paris die Hauptstadt von Frankreich ist, ist wahr.“ oder „(Der Satz) ‚Paris ist die Hauptstadt von Frankreich.’ ist wahr.“ unterscheidet, ist der Umstand, dass diese sie als quantifizierbare Einheit enthalten. In dieser Funktion ist das Wahrheitsprädikat tatsächlich ohne Alternative. Um die Tragweite dieses Unterschiedes zu verstehen, ist es erforderlich, eine andere Art von Beispielen zu betrachten. Es gibt nämlich 326 327

Vgl. auch Strawson (1954). Vgl. Horwich (1998b), 32.

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sprachliche Zusammenhänge, in denen die Redundanz des Wahrheitsbegriffs nicht so offensichtlich ist, wie es bisher den Anschein hatte. Gemeint sind Fälle, in denen das, was als wahr bezeichnet wird, nicht direkt wiedergegeben wird. Das, worauf sich das Wahrheitsprädikat bezieht, ist hier nur verdeckt oder indirekt gegeben. Typische Beispiele sind Generalisierungen und sogenannte blinde Zuschreibungen wie „Alles, was Hannah über Karl sagt, ist wahr.“, „Was Maria soeben behauptet hat, ist wahr.“ oder „Fermats letzter Satz ist wahr.“ Auf den ersten Blick ist nicht ersichtlich, inwiefern in Fällen wie diesen ein Unterdrücken des Wahrheitsprädikates zu äquivalenten Sätzen oder Behauptungen führt. Aus syntaktischen Gründen ist es vielmehr unentbehrlich. Schließlich handelt es sich bei „Alles, was Hannah über Karl sagt.“ ebenso wenig um einen grammatisch sinnvollen Satz, wie bei „Was Maria soeben behauptet hat.“ oder „Fermats letzter Satz.“ Es ist nicht einzusehen, wieso das Wahrheitsprädikat hier redundant sein soll. Fälle wie diese unterscheiden sich von denen der vorausgehenden Abschnitte in einem entscheidenden Punkt. Während sich die Wahrheitszuschreibung dort direkt auf die angeführte Sätze oder Behauptungen bezog, lässt sich der Gegenstand der Zuschreibung hier nicht genau identifizieren. Dennoch findet sie statt. Und genau darin liegt nun das entscheidende und eigenständige Charakteristikum des Wahrheitsprädikates. Denn es ermöglicht uns die zustimmende, wertschätzende oder empfehlende Bezugnahme auf Sätze oder Behauptungen auch dann, wenn wir nicht in der Lage sind, sie direkt oder im Einzelnen auszudrücken.328 Durch das Wahrheitsprädikat sind wir in der Lage, unsere normative Einstellung auch dort zum Ausdruck zu bringen, wo die fraglichen Inhalte nicht unmittelbar oder in ihrer Gesamtheit vorliegen. Wir mögen nicht jede einzelne Äußerung Hannahs über Karl kennen. Dennoch können wir sie für eine unfehlbare Informationsquelle halten, etwa weil sie seine langjährige Partnerin ist. Auch was Maria soeben behauptet hat, kann uns im Einzelnen entgangen oder entfallen sein. Dennoch können wir es als wahr bezeichnen, weil wir 328

Diese Einsicht geht auf Quine zurück. Vgl. Quine (1970), 11. Vgl. auch Leeds (1978), 121 f., Horwich (1998b), 2 f., Soames (1999), 230 f., Field (2001), 28 u. 119 ff. o. Williams (2001a), 147 f.

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uns beispielsweise daran erinnern, dass wir der Behauptung soeben bereits zugestimmt haben. Und von Zahlentheorie müssen wir überhaupt keine Ahnung haben, um sagen zu können, dass Fermats letzter Satz wahr ist. Wir können uns beispielsweise auf die allgemein bekannte Expertise anderer berufen. Mit Blick auf sprachliche Zusammenhänge dieses zweiten Typs muss Wahrheit daher sehr wohl als ein echtes und gehaltvolles Prädikat gelten. Allerdings dient es nicht der Zuschreibung einer Eigenschaft, die sich durch eine eigene, reduktionistische Theorie abschließend erklären lässt. So gesehen wäre es irreführend, von einer allgemeinen Natur oder Substanz zu reden, die den verschiedenen Redewendungen, in denen der Ausdruck „wahr“ vorkommt, zugrunde liegt. Wahrheit ist kein explanatorisch bedeutsamer Grundbegriff. Er eignet sich nicht zur Erklärung konzeptioneller oder metaphysischer Zusammenhänge. Richtig ist vielmehr, dass er in seinen unterschiedlichen Verwendungsweisen eine expressive Funktion erfüllt. Er dient dazu, logische Eigenheiten und Zusammenhänge zum Ausdruck zu bringen. Nur in diesem Sinne ist die Rede von einer gemeinsamen Eigenschaft gerechtfertigt. Und in diesem Sinne ist Wahrheit auch nicht redundant. Es ist daher angemessen, sie als logische Eigenschaft oder logischen Begriff zu bezeichnen. 329 Der entscheidende Sinn und Zweck des Wahrheitsprädikates besteht darin, Generalisierungen und indirekte Behauptungen zu ermöglichen. Kein anderes sprachliches oder logisches Mittel verfügt über diese Ausdruckskraft auf vergleichbar einfache und intuitive Weise. Darum gibt es das Wahrheitsprädikat, und darum ist es von unschätzbarem Wert. In den folgenden Abschnitten werde ich diesen Gedanken weiter vertiefen und untersuchen wie es kommt, dass es hier zum Wahrheitsprädikat tatsächlich keine Alternative gibt. Zu diesem Zweck werde ich die sprachlich-logischen Hintergründe der Funktions- und Verwendungsweisen dieses Prädikates detailliert beleuchten.

329

Vgl. Horwich (1998b), 2 u. 37 f., Künne (2003), 91 u. 338 o. Williams (2004), 121.

222

6.9 Wahrheit und Quantifikation Das Wahrheitsprädikat ermöglicht indirekte Behauptungen, deren Gehalt und Ursprung uns verschlossen sind. Zudem versetzt es uns in die Lage, eine Vielzahl von Behauptungen mit einem einzigen, endlichen Satz zu erfassen. Vergleichbare Effekte erzielen wir nur mit großem theoretischem Aufwand. Eine partikulare Aussage wie „Was Maria soeben behauptet hat, ist wahr.“ ließe sich nur durch eine unendliche Disjunktion ausdrücken, wie etwa: (24) Wenn Maria soeben behauptet hat, dass Schnee weiß ist, dann ist Schnee weiß, oder wenn Maria soeben behauptet hat, dass Gras grün ist, dann ist Gras grün, oder wenn Maria soeben behauptet hat, dass Vögel fliegen können, dann können Vögel fliegen … usw.

Um eine generelle Aussage wie „Alles, was Hannah über Karl sagt, ist wahr.“ auf eine andere Weise auszudrücken, müssten wir eine unendlich lange Konjunktion der folgenden Art bilden: (25) Wenn Hannah über Karl sagt, dass er Tiramisu liebt, dann liebt er Tiramisu, und wenn Hannah über Karl sagt, dass er schnarcht, dann schnarcht er, und wenn Hannah über Karl sagt, dass er täglich joggen geht, dann geht er täglich joggen … usw.

Dies sind aber schon allein deshalb schlechte Alternativen, weil uns für die Formulierung solcher Disjunktionen oder Konjunktion die Ressourcen fehlen. Niemand könnte sie äußern oder aufschreiben. Daher ist der Versuch, Generalisierungen oder indirekte Behauptungen auf diese Weise explizit zu machen, zum Scheitern verurteilt. Der Ausdruck „… usw.“ ist hier nur ein Notbehelf, dem allerdings nicht der Status und die Funktion eines gültigen generalisierenden Ausdrucks zukommt. Die übliche Vorgehensweise bei der Darstellung von unendlichen Disjunktionen und Konjunktionen ist daher auch eine andere. Das adäquate Mittel der Wahl ist hier die Quantifikation.330 Dabei lassen sich zwei

330

Im Folgenden werde ich mich auf Konjunktionen beschränken. Was für sie gilt, lässt sich auf Disjunktionen übertragen.

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Schritte unterscheiden. Zunächst ersetzt man den variierenden Teil der einzelnen Aussagen durch Variablen. Dadurch ergibt sich ein Schema wie: (26) Wenn Hannah über Karl sagt, dass p, dann p.

Dieses Schema lässt sich dann durch eine universelle Quantifikation verallgemeinern. Das sieht in etwa folgendermaßen aus: (27) Für alle p, wenn Hannah über Karl sagt, dass p, dann p.

So lassen sich sämtliche Aussagen der Konjunktion in (25) in einer einzigen zusammenfassen. Der Vorteil dieser Vorgehensweise ist, dass sie auf fragliche Mittel wie den Ausdruck „… usw.“ verzichtet und lediglich Standardinstrumente der Logik verwendet. Wie es scheint erhalten wir mit (27) eine Generalisierung der unendlichen Konjunktion, die zudem ohne das Wahrheitsprädikat auskommt. Allerdings entspricht das Ergebnis, so wie es ist, nicht den üblichen Konventionen der objektualen Quantifikation.331 Für gewöhnlich geben universelle Quantifikationen Auskunft darüber, dass alle Gegenstände eines bestimmten Bereichs eine bestimmte Eigenschaft haben. Existentielle Quantifikationen informieren entsprechend über die Existenz mindestens eines solchen Gegenstandes. Buchstaben wie „p“ dienen als Variablen, die mit diesem Gegenstandsbereich assoziiert werden. Sie markieren als Platzhalter eine Position, die ein beliebiges Vorkommnis dieses Bereichs einnehmen kann. Syntaktisch werden diese Variablen als singuläre Termini angesehen. Wie sich aber herausstellt, kann das letzte Vorkommen von „p“ in dem generalisierten Schema (27) nicht auf diese Weise interpretiert werden. Sollen seine Instanzen grammatisch wohlgeformte Sätze sein, so kann „p“ hier nicht die Position eines Gegenstandes einnehmen. Denn das Resultat wäre Nonsens, ganz gleich, ob die Gegenstände, über die quantifiziert wird, Propositionen oder Sätze sind. Im einen Fall ergeben sich Aussagen wie:

331

Vgl. z. B. Soames (1997), 6 f., Horwich (1998b), 31 f. o. Künne (2003), 356 f.

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(28) Wenn Hannah über Karl die Proposition äußert, dass er Tiramisu liebt, dann die Proposition, dass er Tiramisu liebt.

Im anderen ergeben sich solche der folgenden Art: (29) Wenn Hannah über Karl den Satz äußert: „Er liebt Tiramisu.“, dann der Satz: „Er liebt Tiramisu.“

Beide sind offensichtlich unvollständig.332 Um sie zu vervollständigen, müssten wir das letzte Vorkommen der Variable „p“ in (27) durch ein Prädikat ergänzen. Dadurch würde in der jeweiligen Instantiierung auch nach dem Partikel „dann“ ein vollständiger Satz stehen. Naheliegend ist hier natürlich die Ergänzung durch das Prädikat „ist wahr“ oder eine Paraphrase desselben: (30) Für alle p, wenn Hannah über Karl sagt, dass p, dann ist p wahr.

Für eine solche Ergänzung müsste es aber eine plausible Erklärung geben, soll sie nicht vollkommen willkürlich erscheinen. Ist unser Ehrgeiz zudem der, das Wahrheitsprädikat durch eine derartige Quantifikation vollständig zu ersetzen, so steht diese Ergänzung erst recht nicht zur Disposition. Wir müssen uns also nach weiteren Alternativen umsehen. Die normale Objektquantifikation ist zwar dazu geeignet, unendliche Konjunktionen und Disjunktionen in einem Satz zusammenzufassen. Wir kommen aber nicht umhin, sie durch ein Prädikat zu ergänzen. Um darauf verzichten zu können, bräuchten wir eine Form der Quantifikation, die das letzte Vorkommen von „p“ in (27) nicht als singulären Terminus, sondern als Satz behandeln. Es reicht hier offensichtlich nicht aus, eine Gegenstandsvariable einfach durch einen Satz oder genauer: durch den Namen eines Satzes zu ersetzen. Wir müssen den Satz auch als solchen verwenden. Anders gesagt müsste die Quantifikation an dieser Stelle tatsächlich in Satzpositionen hinein erfolgen. Eine derart eigenwillige, 332

Es ist zu beachten, dass es sich hier um Instantiierungen von (27) in ihrer unvollständigen Form handelt und nicht um Einzelfälle einer (unendlichen) Liste von Sätzen oder Propositionen, über die regulär quantifiziert wird. Letztere sind grammatisch unbedenklich, erstere nicht.

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hybride Lesart, in der die verschiedenen Vorkommen der Variablen einmal für Gegenstände und einmal für Sätze stehen, gibt es jedoch nicht.333 6.10 Substitutionelle Quantifikation Wir können das Problem allerdings so angehen, dass wir auf eine prinzipiell andere Interpretation zurückzugreifen. Hierfür kommt die substitutionelle Quantifikation in Frage.334 Ihre Besonderheit ist die, dass sie Variablen nicht mit Gegenstandsbereichen, sondern mit Substitutionsklassen verknüpft. Eine Variable ist hier nicht Platzhalter für einen Bereich, der typischerweise aus außersprachlichen Gegenständen besteht. Vielmehr steht sie für eine Klasse syntaktisch geeigneter sprachlicher Ausdrücke, kurz gesagt: für Namen. Wir begeben uns bei dieser Interpretation also auf eine übergeordnete Ebene des sprachlichen Bezugs. Quine bezeichnet dies auch als „semantischen Aufstieg“.335 Etwas verkürzt kann man es als den Aufstieg von der Rede über die Welt zu der Rede über Sätze umschreiben. Diese metasprachliche Art der Quantifikation hat den Vorteil, dass die jeweiligen Substitutionsinstanzen grammatisch gesehen unproblematisch sind. Anders als bei der objektualen Lesart erfolgt die Quantifikation hier wirklich in Satzpositionen hinein. Daher müssen wir uns um ihre Wohlgeformtheit keine Sorgen machen. Nun ist es aber eine Sache zu behaupten, um (25) mit den Mitteln der Logik darzustellen, müssen wir (27) einfach als eine substitutionelle Quantifikation auffassen. Eine andere ist es, sich auch den Sinn dieser Lesart verständlich zu machen. Logisch gesehen mag sie vielleicht ohne weiteres möglich sein. In der natürlichen Sprache fehlen uns jedoch die Mittel, um diese Art der Quantifikation auszudrücken.336 Wir quantifizieren nie über Namen und sagen Dinge wie: „Für alle Namen gilt, wenn ein Name diesen oder jenen Satz oder Gedanken bezeichnet, dann ist der Satz oder Gedanke soundso.“ In der natürlichen Sprache quantifizieren wir über Objekte. Eine gängige Art und Weise, die substitutionelle 333

Vgl. Quine (1970), 11 f. u. 91 f. Zur Unterscheidung von substitutioneller und objektualer bzw. referentieller Quantifikation vgl. Quine (1969), 63 ff. u. 104 ff. 335 Vgl. Quine (1960), 270 ff. u. Quine (1970), 11. 336 Vgl. Horwich (1998b), 4 Anm. 1 u. 124 f. 334

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Quantifikation verständlich zu machen, besteht daher auch darin, sie mit Hilfe syntaktischer und semantischer Ausdrücke und der objektualen Quantifikation zu paraphrasieren.337 Bei dieser Vorgehensweise quantifizieren wir also wiederum objektual, in diesem Fall über Substitutionsinstanzen substitutionell quantifizierender Aussagen. Wir erhalten dann eine Reformulierung unserer ursprünglichen Generalisierung folgender Art: (31) Jede Substitutionsinstanz für „p“ in dem Schema „Wenn Hannah über Karl sagt, dass p, dann p.“ ist wahr.

So gesehen besteht der Sinn der substitutionellen Quantifikation darin, die Wahrheit jeder formal gültigen Substitutionsinstanz zu behaupten. Wenn man es sich auf diese Weise verdeutlicht, kommt man also auch bei dieser Art von Quantifikation nicht um die Verwendung des Wahrheitsprädikates herum. Zugegeben, dies ist nur eine Verdeutlichung des Sinns der substitutionellen Quantifikation mit den Mitteln der natürlichen Sprache. Prinzipiell ist nicht ausgeschlossen, dass sich diese Form der Quantifikation auch auf eine Weise verständlich machen lässt, die tatsächlich auf den Wahrheitsbegriff verzichtet.338 Es spricht auch grundsätzlich nichts dagegen, die natürliche Sprache um zusätzliche Mittel zu bereichern. Schließlich kommt es nicht selten vor, dass wir auf einer übergeordneten Ebene der Reflexion Themen und Probleme verhandeln, die im Bereich der natürlichen Sprache aufgekommen sind. Die substitutionelle Quantifikation wäre aber in jedem Fall eine überaus sperrige, wenig praktikable Bereicherung. Was die Einfachheit der Funktionsweise angeht, könnte sie es mit dem Wahrheitsprädikat nicht aufnehmen. Mit der allgemeinen Beschaffenheit und Verständlichkeit des Begriffs verbindet sich aber nur ein Teil der Schwierigkeiten, die mit der substitutionellen Quantifikation einhergehen. Darüber hinaus gibt es mindestens zwei weitere, ernsthafte Bedenken, was diesen Versuch angeht, 337 338

Vgl. Quine (1969), 106 f. Vgl. z. B. Hill (2002), insbes. 17 ff.

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das Wahrheitsprädikat zu ersetzen oder zu erklären.339 Zum einen ist die Reichweite der jeweiligen Substitutionsklasse prinzipiell auf die Sprache beschränkt, in der die Quantifikation formuliert ist. In diesem Fall wäre es das Deutsche. Wenn man bedenkt, dass es Gedanken oder Propositionen gibt, die sich in dieser Sprache nicht ausdrücken lassen, dann muss insbesondere die universelle Quantifikation als potentiell unvollständig erscheinen. Daraus ergibt sich zum anderen, dass manches zu verschiedenen Zeitpunkten durch unterschiedliche Sätze ausgedrückt wird. Auch dieser Umstand macht die Verwendung der substitutionellen Quantifikation kompliziert, denn auch er verlangt nach zusätzlichen Ergänzungen. Das macht es verständlich, wieso wir bei den fraglichen Generalisierungen und blinden Zuschreibungen das Wahrheitsprädikat verwenden und eben kein wie auch immer geartetes logisches Konstrukt. Die substitutionelle Quantifikation verwirrt also mehr als sie erklären kann. Bei der objektualen Quantifikation dagegen liegen die Dinge anders. Ihre Funktionsweise ist uns intuitiv vertraut. Wenn sie sich auch nicht dazu eignet, das Wahrheitsprädikat zu ersetzen, so können wir es mit ihrer Hilfe zumindest verständlich machen. Wie sich nämliche ohne große Schwierigkeiten zeigen lässt, fügt sich diese Art der Quantifikation passgenau in das deflationistische Bild, welches ich zuvor zur Erklärung des Wahrheitsbegriffes angefertigt habe. Kern dieser Erklärung war das erwähnte Schema (ÄS). Wenn wir dies nun auf die entsprechende unendliche Konjunktion oder Disjunktion anwenden, dann ergibt sich die objektuale Standardquantifikation quasi von selbst. 340 Die alltagssprachliche Generalisierung „Alles, was Hannah über Karl sagt, ist wahr.“ bringt mit wenigen Worten indirekt das zum Ausdruck, was als unendliche Konjunktion eigentlich unausdrückbar ist. Da die einzelnen Konjunkte jedoch alle die gleiche Form aufweisen, lassen sie sich alternativ in einem Schema zusammenfassen und durch eine Quantifikation verallgemeinern. Die Schwierigkeit liegt allerdings darin, dass sich hier nicht automatisch ein wohlgeformter Satz ergibt. Um zu einer ordentlichen objektualen Quantifikation der Art (32) Für alle p, wenn Hannah über Karl sagt, dass p, dann ist p wahr. 339 340

Zu den beiden folgenden Punkte vgl. Soames (1997), 7 ff. Vgl. auch für das Folgende Horwich (1998b), 31 ff.

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zu gelangen, ist ein Zwischenschritt nötig. Er besteht darin, das letzte Vorkommen von „p“ durch das Wahrheitsprädikat zu ergänzen. Und das wiederum erreichen wir dadurch, dass wir das Schema (ÄS) auf (25) anwenden. Dann nämlich lässt sich folgendes ableiten: (33) Wenn Hannah über Karl sagt, dass er Tiramisu liebt, dann ist es wahr, dass er Tiramisu liebt, und wenn Hannah über Karl sagt, dass er schnarcht, dann ist es wahr, dass er schnarcht, und wenn Hannah über Karl sagt, dass er täglich joggen geht, dann ist es wahr, dass er täglich joggen geht … usw.341

Dies ist gleichbedeutend mit der ursprünglichen Formulierung der Konjunktion in (25) und lässt sich wiederum auf folgendes Schema reduzieren: (34) Wenn Hannah über Karl sagt, dass p, dann ist es wahr, dass p.

Und dies kann man nun ohne weiteres durch die fragliche Standardquantifikation verallgemeinern. Das Resultat ist der grammatisch sinnvolle quantifizierende Satz (32) einige Zeilen weiter oben. Es lässt sich also festhalten, dass das Wahrheitsprädikat zwar in bestimmten sprachlichen Zusammenhängen redundant ist. Das gilt aber nur insofern, als durch das Prädizieren material äquivalente Sätze entstehen. Und es ist nur dort der Fall, wo Wahrheit unmittelbar gegebenen Sätzen oder Behauptungen zugeschrieben wird. Wo dies nicht so ist, führt der Verzicht auf das Prädikat zu gravierenden grammatischen Unstimmigkeiten beziehungsweise zu erheblicher theoretischer Reformulierungs- und Erklärungsarbeit. Denn prinzipiell lassen sich Generalisierungen und blinde Zuschreibungen zwar auch in Form von Quantifikationen ausdrücken. Bei Licht betrachtet ist dies aber keine wirkliche Alternative. In der objektualen Standardinterpretation ist das Wahrheitsprädikat nicht überflüssig, sondern ein unverzichtbarer Bestandteil. Der Rückgriff auf die substitutionelle Interpretation erscheint als die bessere Lösung. Denn die grammatisch sinnvolle Reformulierung 341

Anstelle von „… ist es wahr, dass p…“ kann man auch setzen „… ist die Proposition, dass p, wahr …“ bzw. „… ist der Satz ‚p’ wahr …“. Ich überlasse es dem Leser, die richtige Wahl zu treffen. Für die Argumentation dieses Kapitels ist dies nicht von Belang.

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unendlicher Konjunktionen und Disjunktionen kommt hier ohne das Wahrheitsprädikat aus. Was jedoch zunächst wie ein explanatorischer Vorteil aussieht, entpuppt sich schnell als das Gegenteil. Zum einen ist der genaue Sinn dieser Art Quantifikation intuitiv nicht zugänglich. In der natürlichen Sprache fehlen uns die Mittel sie auszudrücken. Zum anderen lässt sich der Begriff der substitutionellen Quantifikation nicht ohne komplizierte, theoretische Ergänzungen einführen. Die objektuale Lesart ist der substitutionellen daher letztlich überlegen. Wenn man sich die Zusammenhänge und Hintergründe in dieser Deutlichkeit vor Augen führt, tritt unweigerlich die tragende Bedeutung des Schemas (ÄS) bei der Untersuchung des Wahrheitsbegriffs in den Blick. Es zeigt nicht nur die Redundanz einiger Verwendungsweisen. Geht es um das Verständnis der spezifischen Funktion des Wahrheitsprädikates, so ist dieses Schema überaus informativ. Wie gesehen ist es ein zentraler Bestandteil des sprachlich-logischen Mechanismus, der hinter den charakteristischen Verwendungsweisen des Wahrheitsbegriffs steckt. Der Umstand, dass es sich bei den Instantiierungen des Schemas um materiale Äquivalenzen handelt, macht es möglich, eine Behauptung performativ zu akzentuieren. So wird das Wahrheitsprädikat zu einem wertvollen rhetorischen Mittel der ausdrücklichen Zustimmung, Wertschätzung oder Empfehlung. Vor allem aber was Generalisierungen und indirekte Behauptungen betrifft, bildet das Schema den funktionalen Kern. Um zu sehen, dass eine allgemeine Aussage wie „Alles, was Hannah über Karl sagt, ist wahr.“ nichts anderes ist als die alltagssprachliche Kurzform einer gewöhnlichen Objektquantifikation, bedarf es keiner weiteren theoretischen Mittel. Wir müssen die Standardmittel der Logik lediglich um dieses Schema ergänzen. 342 Somit erweist sich das deflationistische Wahrheitsverständnis als tragfähiger, als es auf den ersten Blick erscheinen mochte. Es bietet zwar keine explizite, reduktionistische Definition. Mit der Wahrheit verhält es 342

Zu dem Einwand, dass die Instanzen der Generalisierungen, die mit Hilfe des Wahrheitsprädikats formuliert werden, nicht das Gleiche aussagen wie die Generalisierungen selbst, vgl. Gupta (1993), 62 f. u. 67. Zu der Auffassung, dass das material aufgefasste Äquivalenzschema (ÄS) die Ableitung einer Generalisierung durchaus legitimiert, vgl. aber Horwich (1998b), 124 u. 137. Eine materiale Inferenzregel lizenziert dann eine solche Ableitung. Vgl. Kap. 5.8 ff.

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sich wie mit vielen anderen logischen Begriffen. So wie sich zu Wesen und Natur der Negation oder der materialen Implikation nichts sagen lässt, so auch hier. Dagegen sind Auskünfte darüber, was es heißt, den Wahrheitsbegriff zu verwenden, durchaus möglich. Dann lassen sich die Instanzen von (ÄS) als die Axiome verstehen, die unserem Gebrauch zugrunde liegen. Durch unsere Bereitschaft, sie blind zu akzeptieren, legen wir fest, was der Ausdruck „wahr“ bedeutet. Jemand verfügt also erst dann über den Wahrheitsbegriff, wenn er bereit ist, sich auf sämtliche unkontroversen Instanzen dieses Schemas festzulegen. Da dies aber unendlich viele sein können, lässt sich die deflationistische Wahrheitstheorie nicht abschließend und ausdrücklich formulieren. Vielmehr ergibt sich aus dem Gebrauch des Wahrheitsprädikates und der bedingungslosen Akzeptanz des Schemas (ÄS) eine Axiomatisierung oder implizite Definition.343 Wahrheit ist somit ein grundlegender, axiomatisierter Begriff. Mit dem Äquivalenzschema (ÄS) ist alles gesagt, was es dazu sagen gibt. Sicher, es gibt Sätze, die außerhalb dessen liegen, was die vorliegende Erklärung behandelt hat. Dazu gehören Beispiele wie: „Wahrheit ist das Ziel der Wissenschaft.“, „Die Wahrheit ist eine, doch der Meinungen sind viele.“ oder „In Gott ist Wahrheit.“ Für Aussagen dieser Art kann das deflationistische Erklärungsmodell nichts anbieten. Das ist aber kein Mangel dieses Modells. Vielmehr ist es ein Hinweis darauf, dass hier ein philosophischer Irrtum vorliegt, der aus einem grammatischen Missverständnis resultiert. Der Fehler besteht darin, von der grammatischen Oberflächenbeschaffenheit des Ausdrucks „wahr“ oder eines seiner alltagssprachlichen Äquivalente auf eine gewöhnliche Substanz zu schließen. Dass (ÄS) der allgemeine Standard ist, den alle Vorkommnisse des Wahrheitsprädikates erfüllen müssen, unterstreicht noch einmal die These, wonach Überzeugungen insofern normativ signifikant sind, als sich mit ihnen immer ein Wahrheitsanspruch verbindet. Denn in der Rede vom Fürwahrhalten spiegelt sich der Umstand, dass Überzeugungen als Behauptungen mit dem Anspruch, wahr zu sein, geäußert und zugeschrieben werden. Diese Einsicht lässt sich nun mit Hilfe des Schemas 343

Vgl. Leeds (1978), 122 u. Horwich (1998b), 31, 34 u. 121.

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(ÄS) bekräftigen. Zwar lesen wir es vor allem in der Richtung, wonach „Es ist wahr, dass p“ mit „p“ äquivalent ist. Die Äquivalenz gilt aber ebenso gut in die andere Richtung. Demnach läuft jede Behauptung von „p“ letztlich auch auf die Behauptung „Es ist wahr, dass p.“ hinaus. Man kann also aufgrund des Äquivalenzschemas zu der Feststellung kommen, dass das Wahrheitsprädikat zumindest implizit allgegenwärtig ist.344 In dieser umgekehrten Lesart lässt es sich als immanenter Bestandteil des Habens und Äußerns von Überzeugungen erkennen. Jede Behauptung enthält implizit als Anspruch, was sich durch das Wahrheitsprädikat explizit machen lässt. Zusammenfassend lässt sich sagen, dass der Deflationismus Wahrheit auf der Grundlage materialer Äquivalenz erklärt. Die Idee ist, dass ein deklarativer Satz, dem Wahrheit zuerkannt wird, die gleiche Bedeutung hat wie sein Pendant ohne diese Zuerkennung. Es handelt sich also um eine semantische Konzeption von Wahrheit. Die Erklärung von Wahrheit geht zurück auf den Begriff der Bedeutung. Würde man nun Bedeutung wiederum mit Hilfe der Wahrheitsbedingungen eines Satzes oder einer Behauptung erklären, so würde man sich in einem explanatorischen Kreis bewegen.345 Will man keinen der beiden Begriffe aufgeben, so muss man sich für eine Erklärungsrichtung entscheiden. Diese Entscheidung habe ich bereits in den vorausgehenden Kapiteln getroffen, wo ich den Begriff der Bedeutung in Form einer inferentialistischen Gebrauchstheorie eingeführt und erläutert habe.346 Der semantische Inferentialismus versteht die Bedeutung einer Behauptung allein aus ihrem inferentiellen Zusammenhang heraus. Der Wahrheitsbegriff spielt dabei keine explanatorische Rolle. Die Erklärungsreihenfolge, die ich hier also vorschlage, ist die, durch Ausführungen über die Struktur der Bedeutung zum Begriff der Wahrheit vorzustoßen und nicht umgekehrt. Eine zirkuläre Erklärung wird dadurch vermieden. 344

Vgl. Rescher (1973), 7 Anm. 14. Diese Einsicht geht zurück auf M. Dummett. Vgl. Dummett (1958/59), 148 f. Den Grundgedanken einer wahrheitskonditionalen Bedeutungstheorie formuliert Wittgenstein im Tractatus. Vgl. Wittgenstein (1984e), 28 (4.024). 346 Vgl. Kap. 3.3 u. 5. Zur genau entgegengesetzten Auffassung, dass Wahrheit ein zentraler undefinierter Begriff ist, mit dessen Hilfe sich Bedeutung bestimmen lässt, vgl. Davidson (1984), XIV u. 24. 345

232

In den verbleibenden Abschnitten werde ich eine abschließende Einschätzung von Funktion und Nutzen des Wahrheitsprädikates vornehmen. Es soll dabei um die noch offene Frage gehen, welchen Beitrag der Wahrheitsbegriff bei der Standardanalyse von Wissen generell, insbesondere aber bei deren normativ-pragmatischer Rekonstruktion leisten kann. Nach den letzten Abschnitten steht fest, dass es keine substantielle Theorie gibt, die die Wahrheitsbedingung über die charakteristische Funktions- und Verwendungsweise des Begriffs hinaus erklären kann. Dies werde ich nun dahingehend präzisieren, dass Wahrheit zwar ein rechtmäßiger Bestandteil der Standarddefinition von Wissen ist, zur tatsächlichen Erklärung des Begriffs aber nichts beiträgt. 6.11 Die epistemologische Neutralität des Wahrheitsbegriffs Als sprachliches Mittel ist das Wahrheitsprädikat in Alltag und Wissenschaft hilfreich und nützlich. Es stattet uns mit expressiven Ressourcen aus, die zum Teil unersetzbar sind. Das gilt nicht unbedingt für den Einsatz als rhetorisches Mittel. Wir können zwar eine Festlegung performativ explizit machen, indem wir die entsprechende Behauptung unter Hinzunahme des Wahrheitsprädikates wiederholen. Und tatsächlich kommt es häufig genau auf diese Weise zum Einsatz. Wie aber die angeführten Beispiele zeigen, gibt es hier auch Alternativen. Das Wahrheitsprädikat ist als rhetorisches Mittel in bestimmten Gesprächssituationen typisch, aber nicht einzigartig. Ohne eine wirkliche Alternative ist es dagegen, wenn es um die Formulierung von Generalisierungen geht. Das Wahrheitsprädikat versetzt uns in die Lage, uns indirekt auf bestimmte oder auch unendlich viele Behauptungen festzulegen. Obwohl sie uns nicht konkret oder in ihrer Gesamtheit gegeben sind, können wir die Behauptungen anderer blind und auf einen Schlag übernehmen und so unsere Zustimmung, Wertschätzung oder Empfehlung zum Ausdruck bringen. Dass das nützlich ist, habe ich oben an dem Beispiel „Alles, was Hannah über Karl sagt, ist wahr.“ veranschaulicht. Mit Hilfe des Wahrheitsprädikates kommt man darum herum, eine unendliche Liste all dessen zu erstellen, was Hannah über Karl sagt. Gleichzeitig lässt sich mit dieser Generalisierung jede Behauptung rechtfertigen, die Hannah über Karl macht. Angenommen jemand legt sich

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darauf fest, dass Karl Tiramisu liebt. Dass er dazu auch berechtigt ist, kann er dann damit begründen, dass Hannah über Karl sagt, dass er Tiramisu liebt und dass alles, was Hannah über Karl sagt, wahr ist. Das Folgende gibt ein weiteres Beispiel für die generalisierende Funktion des Wahrheitsprädikates und den Nutzen, der sich daraus ziehen lässt. Nehmen wir an, ein Freund sagt zu mir nach einem gemeinsam besuchten Vortrag: „Das war zwar ein unterhaltsamer Vortrag. Aber nur das, was der Redner zu Beginn gesagt hat, ist wahr.“ Ich habe großes Vertrauen in das Urteil meines Freundes. Bisher hat er stets Recht behalten. Allerdings habe ich den Beginn des Vortrags verpasst. Ich habe nicht mitbekommen, was der Redner dort gesagt hat. Trotzdem kann ich ihm zustimmen, indem ich die Behauptung meines Freundes gleichsam blind übernehme und sage: „Was der Redner zu Beginn seines Vortrags gesagt hat, ist wahr.“ Doch damit nicht genug. Zum Funktionsumfang des Wahrheitsprädikates gehört es auch, Schlussfolgerungen aus indirekten oder blinden Zuschreibungen zu ermöglichen. Angenommen ich lese einige Zeit nach dem besagten Vortrag in einer Besprechung, dass der Redner zu Beginn behauptet hat, es habe nie zuvor in der Geschichte der Menschheit weniger Gewalt gegeben als heute. Daraus kann ich nun schließen, dass es tatsächlich nie zuvor in der Geschichte der Menschheit weniger Gewalt gab als heute. Der Schluss von der indirekten Behauptung meines Freundes und der Information aus der Besprechung in der Zeitung auf diese konkrete Behauptung ist intuitiv plausibel. Er lässt sich aber auch als einen Beweis der klassischen Logik formulieren: 347 (1) (2) (3) (4) (5)

x ist wahr x = die Proposition, dass p Die Proposition, dass p, ist wahr Die Proposition, dass p, ist wahr ⊃ p p

[Annahme] [Annahme] [aus (1), (2)] [(ÄS)] [aus (3), (4)]

Das Wahrheitsprädikat spielt dabei eine tragende Rolle. Da jede beliebige Instanz von (ÄS) ohne weitere Vorbedingungen gültig ist, dürfen wir es als Axiom zu dem Beweis hinzunehmen. So erhalten wir ein Konditional, das 347

Vgl. Künne (2003), 321.

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wir an entscheidender Stelle einfügen können. Durch die formale Rekonstruktion wird dann deutlich, warum der Schluss von (1) und (2) auf (5) tatsächlich auch formal gültig ist. Ebenfalls deutlich wird, dass (ÄS) letztlich auch für dieses Funktionsmerkmal des Wahrheitsprädikats verantwortlich ist. Denn dass wir von einer Generalisierung wieder zurück auf eine konkrete Instantiierung schließen können, verdanken wir ebenfalls seiner umfassenden Gültigkeit. In der Philosophie ist all dies ebenfalls ausgesprochen nützlich. So erlaubt es die Generalisierungsfunktion des Wahrheitsprädikats beispielsweise, philosophische Positionen zuzuschreiben und zu verhandeln, ohne dass sie selbst vertreten werden müssen. Dies lässt sich an der Diskussion des metaphysischen Realismus eindrücklich veranschaulichen.348 In Kapitel 6.2 war von dieser Position schon einmal die Rede. Dort habe ich sie als die Auffassung charakterisiert, dass es Dinge in der Welt gibt, deren Existenz und Beschaffenheit unabhängig davon sind, ob und wie wir davon erfahren. Ein Realist könnte also beispielsweise folgendes behaupten: (35) Es gibt Higgs-Bosonen, aber wir werden nie (ausreichend) Gründe dafür finden, dass es so ist.

Es ist aber natürlich auch möglich, Realist zu sein, ohne an die Existenz von Higgs-Bosonen zu glauben. Oder jemand ist Realist, aber diesbezüglich unentschieden. Irgendeine Überzeugung dieser Art wird er jedoch haben. In einer ausreichend langen Liste typischer Thesen gibt es sicherlich eine, die zu vertreten er bereit ist und die ihn als Realisten zu erkennen gibt. Eine solche Liste könnte man nun versuchen anzufertigen: (36) Entweder es gibt Higgs-Bosonen, aber wir werden nie (ausreichend) Gründe dafür finden, dass es so ist, oder es gibt Strings, aber wir werden nie (ausreichend) Gründe dafür finden, dass es so ist, oder es gibt die Schleifen-Quantengravitation, aber wir werden nicht (ausreichend) Gründe dafür finden, dass es so ist, oder …

348

Vgl. Soames (1984), 413 f., Davidson (1990), 309 u. Field (2001), 120 f.

235

Für „…“ ließe sich jeder erdenkliche Satz einfügen, der den obigen Beispielen entspricht. Um sicher zu gehen, müsste diese Liste jedoch unendlich lang sein – ein nicht besonders vielversprechendes Unterfangen. Es muss eine bessere Methode geben, um die Position des Realisten zu beschreiben. Und tatsächlich schafft hier das Wahrheitsprädikat Abhilfe. Denn wie wir ja wissen, können wir mit seiner Hilfe unendliche Konjunktionen und Disjunktionen in einem einzigen Satz zusammenfassen. Mit der folgenden allgemeinen Aussage gelingt es, die Position des Realisten auszudrücken, ohne zu wissen, was er im Einzelnen vertritt: (37) Für mindestens ein p, p ist wahr, aber wir werden nie (ausreichend) Gründe dafür finden, dass es so ist.349

Mit dieser quantifizierenden Aussage wird weder die Position des Realisten selbst noch eine mögliche Instantiierung dieser Generalisierung vertreten. Das Wahrheitsprädikat wird wiederum nur in seiner generalisierenden Funktion verwendet. Es fasst all das zusammen, was der Realist möglicherweise vertritt und verweist damit indirekt auf seine spezifisch realistische Position. Da auch hier wieder über Gegenstände (Propositionen, Sätze) quantifiziert wird, ist das Prädikat unverzichtbar. Denn mit einem unprädizierten Vorkommen von „p“ wäre die existentielle Quantifikation kein grammatisch vollständiger Satz. Etwas Anderes ist es, wenn jemand das Wahrheitsprädikat dazu benutzt, eine bestimmte realistische These zu bekräftigen. Dies geschieht beispielsweise, wenn er sagt: (38) Es ist wahr, dass es Higgs-Bosonen gibt, obwohl wir nie (ausreichend) Gründe dafür finden werden, dass es so ist.

349

Eine alternative Formulierung wäre: (37’) Jede Substitutionsinstanz für „p“ in dem Schema „p, aber wir werden nie (ausreichend) Gründe dafür finden, dass es so ist.“ ist wahr.

Hierbei handelt es sich jedoch wieder um eine objektuale Paraphrase der substitutionellen Quantifikation, die ich zuvor als problematisch eingestuft habe.

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In diesem Fall dient das Prädikat einem Sprecher als rhetorisches Mittel, um sich selbst explizit auf diese eine realistische These festzulegen. Auf dieselbe Art und Weise könnte man sich aber auch auf eine antirealistische These oder etwas ganz anderes festlegen. Anders also als es die Korrespondenztheorie vermuten lässt, ist Wahrheit selbst nicht notwendigerweise Thema der Diskussion um den metaphysischen Realismus. Nach dem deflationistischen Verständnis ist sie nur ein Mittel, um diese oder auch damit konkurrierende Positionen darzustellen. Was also die Frage nach der Realität und ihrer Beschaffenheit betrifft, ist das Wahrheitsprädikat selbst vollkommen neutral. Und, so lässt sich anfügen, das gilt überhaupt für alle metaphysischen und epistemologischen Fragen. Diese Einschätzung lässt sich mit Alfred Tarski stützen, wenn er schreibt: [W]e may accept the semantic conception of truth without giving up any epistemological attitude we may have had; we may remain naive realists, critical realists or idealists, empiricists or metaphysicians—whatever we were before. The semantic conception is completely neutral toward all these issues.350

Tarskis Überlegungen weichen von denen dieser Arbeit in einigen zentralen Punkten ab. Ziel seiner Untersuchung ist eine Definition des Wahrheitsbegriffs für formale Sprachen. Weder was diesen Definitionsversuch noch was die Einschränkung auf formale Sprachen betrifft, entspricht dies dem Ansatz dieser Arbeit. Allerdings geht auch er bei der Definition von Wahrheit von einer Form des Äquivalenzschemas (ÄS) aus.351 Daher ist es nicht verwunderlich, dass auch er zu der Überzeugung kommt, dass das Wahrheitsprädikat in den genannten philosophischen Fragen keine Erklärungsarbeit leistet. Das gilt nun auch für den Versuch, den Begriff des propositionalen Wissens zu definieren. Auch hier hat der Wahrheitsbegriff keinerlei Erklärungsfunktion. Zwar ist Wahrheit in den allermeisten Vorschlägen einer Definition von Wissen eine notwendige Bedingung. Das allein macht sie aber noch nicht zu einem erkenntnistheoretisch gehaltvollen Begriff. Im Gegenteil ist es vielmehr so, dass sie auch hier lediglich eine logisch350 351

Tarski (1944), 362. Vgl. erneut Anm. 324.

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expressive Funktion erfüllt. Bei genauem Hinsehen stellt sich die Standarddefinition von Wissen nämlich als ein weiteres Beispiel für die Verwendung des Wahrheitsprädikates in seiner generalisierenden Funktion heraus. Folgendes Schema entspricht dem etablierten, dreigliedrigen Verständnis von Wissen: (W) S weiß, dass p, genau dann, wenn S glaubt, dass p, wenn S darin gerechtfertigt ist zu glauben, dass p, und wenn es wahr ist, dass p.

Mit den Einsichten der letzten Abschnitte im Hinterkopf lässt sich dies nun wiederum als die schematisierte Zusammenfassung einer potentiell unendlichen Konjunktion begreifen. Schließlich ist die Definition ja genau das: ein Schema, das der Überprüfung mutmaßlicher Fälle von Wissen dient. Es stellt den invariablen Kern dessen dar, was alles im Einzelnen als Wissen gelten kann. Anders gesagt handelt es sich um eine Generalisierung einer unendlich langen Liste von Einzelfällen der folgenden Art: (39) S weiß, dass Paris die Hauptstadt von Frankreich ist, genau dann, wenn S glaubt, dass Paris die Hauptstadt von Frankreich ist, wenn S darin gerechtfertigt ist zu glauben, dass Paris die Hauptstadt von Frankreich ist, und wenn Paris die Hauptstadt von Frankreich ist. S weiß, dass Kant Königsberg zu Lebzeiten nie verlassen hat, genau dann, wenn S glaubt, dass Kant Königsberg zu Lebzeiten nie verlassen hat, wenn S darin gerechtfertigt ist zu glauben, dass Kant Königsberg zu Lebzeiten nie verlassen hat, und wenn Kant Königsberg zu Lebzeiten nie verlassen hat. …

Sämtliche Aussagen dieser Art ergeben sich, wenn man in (W) an die Stelle von „p“ einen deklarativen Satz einfügt und die Worte „es wahr ist, dass“ streicht. Denn für sich genommen lässt sich jede der einzelnen Aussagen, die durch die Generalisierung zusammengefasst werden, formulieren, ohne den Ausdruck „wahr“ zu verwenden. Insofern durch die Standarddefinition jedoch über diese Einzelaussagen quantifiziert wird, ist das Wahrheitsprädikat nötig. Denn auch hier gilt, dass mit einem unprädizierten Vorkommen von „p“ noch kein grammatisch vollständiger Satz vorliegt. Das ist die Lehre, die sich aus der obigen Betrachtung der

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objektualen Quantifikation ziehen lässt: Ohne das Wahrheitsprädikat wäre die Standarddefinition grammatisch gesehen unvollständig. Das Hinzufügen des Wahrheitsprädikates ist auch hier wieder durch (ÄS) legitimiert. Es garantiert, dass die Instanzen der Definition immer das Gleiche zum Ausdruck bringen, egal ob sie mit oder ohne das Wahrheitsprädikat formuliert werden. Ob ich nun sage: (39) S weiß, dass Paris die Hauptstadt von Frankreich ist, genau dann, (…) wenn Paris die Hauptstadt von Frankreich ist.

oder: (39’) S weiß, dass Paris die Hauptstadt von Frankreich ist, genau dann, (…) wenn es wahr ist, dass Paris die Hauptstadt von Frankreich ist.352

macht hier keinen Unterschied. Der Wahrheitszusatz ändert nichts am Gehalt der jeweiligen Aussage. Auch hier sind „p“ und „Es ist wahr, dass p.“ material äquivalent. So gesehen ist Wahrheit keine notwendige Bedingung für Wissen, sondern allenfalls für seine Definition in der traditionellen, dreiteiligen Form. In der Standarddefinition hat das Prädikat „ist wahr“ die logischgrammatische Funktion, die Quantifikation über eine unendlich große Zahl von Einzelfällen zu ermöglichen. Für die Instantiierungen der Definition ist es dagegen überflüssig. Die jeweiligen Sätze sind auch so grammatisch vollständig. Ebenso wenig macht es inhaltlich einen Unterschied. Nach dem Modell der Standardanalyse bringt eine partikulare Wissenszuschreibung mit oder ohne Wahrheitsprädikat das Gleiche zum Ausdruck. Oder, etwas anders formuliert, sie beschreibt immer denselben Sachverhalt. Wahrheit ist also in Bezug auf Wissen deskriptiv gesehen verzichtbar. Wirklich notwendig sind hier nur Überzeugungen und deren Rechtfertigungen. Damit ist allerdings über die normativen Aspekte von Wissenszuschreibungen noch nichts gesagt. Wenn wir diese hinzunehmen, wird die erkenntnistheoretische Bedeutung des Wahrheitsbegriffes ersicht352

Hier sind wieder Varianten möglich. Für meine Überlegungen ist jedoch nicht von Belang, ob man sagt: „… wenn die Proposition, dass Paris die Hauptstadt von Frankreich ist, wahr ist.“ oder: „… wenn der Satz ‚Paris ist die Hauptstadt von Frankreich.’ wahr ist.“

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lich. Und so wird auch verständlich, was es mit der Wahrheitsbedingung im konkreten Einzelfall von Wissen auf sich hat. 6.12 Wissen normativ verstanden Die einzelnen Gedanken, die ich in diesem Kapitel entwickelt habe, lassen sich nun abschließend zusammenführen. Eingangs habe ich angedeutet, wie sich der Wahrheitsbegriff in das zuvor entworfene Theoriemodell aus normativer Pragmatik und inferentieller Semantik einfügen lässt. Dort habe ich Wissen zwar gemäß dem dreiteiligen Standardmodell, aber von einem sozialpragmatischen Standpunkt aus charakterisiert. Dieser ist, so eine der Kernthesen dieser Arbeit, immer ein normativer Standpunkt. Demnach betrachten wir jemanden in der diskursiven Praxis als Wissenden, indem wir ihm eine Festlegung und eine Berechtigung zuschreiben und indem wir dieselbe Festlegung für uns selbst übernehmen. Dies habe ich dahingehend präzisiert, dass die Verwendung des Wahrheitsprädikates einem Akt der Zustimmung, Wertschätzung oder Empfehlung gleichkommt. In Fällen der direkten Wahrheitszuschreibung, ist dies die einzige Funktion dieses Prädikats. In Fällen der indirekten Wahrheitszuschreibung wird es durch die Generalisierungsfunktion ergänzt. Dadurch wird eine indirekte Zustimmung, Wertschätzung oder Empfehlung möglich. Dies lässt sich mit den Einsichten der letzten Abschnitte vertiefen. Danach hat das Wahrheitsprädikat zwar in der Standarddefinition von Wissen genau diese generalisierende Funktion, nicht jedoch in konkreten Einzelfällen von Wissen. Dort erfüllt es die normativ-expressive Funktion der direkten Zustimmung, Wertschätzung oder Empfehlung. Von einem normativen Standpunkt aus gesehen lässt sich dies wie folgt plausibilisieren. Das deflationistische Verständnis von Wahrheit erlaubt es, bei Instantiierungen der Standarddefinition von Wissen auf das Wahrheitsprädikat zu verzichten. Denn deskriptiv gesehen wiederholt sich an der Position der Wahrheitsbedingung bloß das, was dem vermeintlich Wissenden bereits als Überzeugung zugeschrieben wird. In normativpragmatischer Hinsicht kommt dies aber einem Perspektivwechsel mit Blick auf diese Überzeugung gleich. Der Gehalt bleibt zwar derselbe, nicht aber die Person, die sich darauf festlegt. Zuvor habe ich den

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Sprachgebrauch prinzipiell als eine soziale Praxis charakterisiert. Ich habe geltend gemacht, dass die diskursive Praxis auf einer Ich-Du-Struktur basiert.353 Betrachtet man nun auch die Zuschreibung von Wissen von einer sozialpragmatischen Warte aus, dann ist diese Ich-Du-Struktur auch hier die Grundlage, auf der sich der besagte Perspektivwechsel vollzieht. Dann wird auch das wiederholte Vorkommen ein und derselben Überzeugung in den einzelnen Instanzen der traditionellen Wissensdefinition verständlich. In den Ausführungen der vorausgehenden Kapitel kam Wahrheit lediglich als Anspruch vor. In normativ-pragmatischer Hinsicht entspricht dies einer Fokussierung des Ich-Teils der Ich-Du-Struktur. Als pragmatisches Pendant des Fürwahrhaltens ist der Sprechakt des Behauptens zunächst einmal das Erheben eines Wahrheitsanspruchs. Dadurch soll jemand anderes die fragliche Behauptung gleichermaßen für sich übernehmen können. Damit dieser Anspruch auch erfüllt werden kann, musste als nächstes gezeigt werden, dass und inwiefern es sich dabei um einen sinnvollen und bedeutsamen Sprechakt handelt. Nach dem Begriff der Überzeugung habe ich daher zunächst den der Bedeutung eingeführt. Daher steht dieser in der Erklärungsreihenfolge vor dem der Wahrheit. Das Spiel des Gebens und Verlangens von Gründen beziehungsweise von Festlegungen und Berechtigungen muss, sowohl was die Praxis als auch was die Theorie angeht, etabliert sein, bevor es um die Erklärung von Wahrheit gehen kann. Kurz gesagt kann etwas nur für den wahr oder falsch sein, für den es auch eine Bedeutung hat. Die Begriffe der Festlegung und der Berechtigung bilden die Grundlage für die normativ-pragmatische Rekonstruktion der Überzeugungs- und Rechtfertigungsbedingung für Wissen. Dies ist zugleich die Grundlage für die Erklärung der Wahrheitsbedingung. Denn in normativ-pragmatischer Hinsicht haben Wahrheit und Rechtfertigung große Ähnlichkeit. Hier wie dort kommt der Du-Teil der Ich-Du-Struktur ins Spiel. Ein Sprecher verpflichtet sich mit einer Behauptung dazu, diese auf Nachfrage zu rechtfertigen. Gelingt ihm das, so betrachten andere ihn als zu dieser Behauptung berechtigt. Entsprechend verhält es sich mit dem Wahrheitsanspruch. Mit seiner Behauptung beansprucht ein Sprecher, dass 353

Vgl. erneut Kap. 4.4.

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diese wahr ist. Andere können diesen Anspruch billigen, indem sie sich selbst ebenfalls auf diese Überzeugung festlegen. Somit ist für die Anerkennung des Wahrheitsanspruchs derselbe Perspektivwechsel notwendig, wie bei der Zuschreibung einer Berechtigung. Ein Sprecher legt sich auf eine Überzeugung fest. Er kann sich dazu aber nicht auch noch selbst berechtigen. Das können nur andere tun. Gleichermaßen kann er zwar mit seiner Festlegung einen Wahrheitsanspruch äußern. Er kann diesen aber nicht selbst erfüllen. Auch das müssen andere tun, und zwar indem sie die Festlegung für sich übernehmen. Aus der Zuschreibung einer Festlegung und einer Berechtigung sowie der Anerkennung eines damit zusammenhängenden Wahrheitsanspruchs ergibt sich schließlich die Zuschreibung von Wissen. Die Erfüllung eines Wahrheitsanspruchs und die Zuschreibung von Wissen gehen also Hand in Hand. Wer den Wahrheitsanspruch eines anderen Sprechers anerkennt, übernimmt den normativen Status der Festlegung für sich selbst. Man kann auch sagen, dass er den anderen durch die Wissenszuschreibung zu seiner Festlegung autorisiert. Damit setzt sich fort, was in der sprachlichen Praxis ohnehin bereits in Gang ist. Schließlich ist die Grundlage des bedeutsamen, inferentiell gegliederten Sprachgebrauchs das Geben und Verlangen von Gründen. Das gegenseitige Rechtfertigen ist dort ein immanenter Bestandteil. Behauptungen sind Sprechakte, die berechtigt sein können oder auch nicht. Anders gesagt ist der Sprachgebrauch immer ein Spiel aus wechselseitiger Autorisierung und deren Verneinung. All dies gilt nun auch für die Zuschreibung von Wissen. So wie eine Berechtigung eine Form der Anerkennung von Autorität ist, so ist es auch eine Wissenszuschreibung. Wissen ist also letztlich auch nichts anderes als ein normativer Status, dies allerdings nur auf synkategorematische Weise. 354 Denn er entsteht erst durch das Zusammenspiel des Status der Festlegung und der Berechtigung. Er setzt sich zusammen aus einer Festlegung, die aus zwei unterschiedlichen sozialen Perspektiven vorgenommen wird, und einer Berechtigung. Aufgrund dieser Zusammengesetztheit ergibt sich für Wissen auch eine andere Form der Autorität als bei der Berechtigung. Wissen hat hier eine eigene Qualität. 354

Brandom bezeichnet Wissen auch als „hybriden deontischen Status“. Vgl. Brandom (1994), 202.

242

Dabei geht es nicht mehr nur um die Konstitution von Rationalität und Bedeutung. Jemanden als Wissenden zu betrachten und zu behandeln bedeutet, ihm eine eigenständige Form von Autorität zuzusprechen. Man betrachtet ihn, wie Edward Craig es auch nennt, als einen „guten Informanten“.355 Wer dem, was jemand behauptet, das Zertifikat „Wissen“ verleiht, vertraut ihm mehr, als wenn er ihm dazu einfach die Berechtigung erteilt. Das Vertrauen ist jetzt so groß, dass der andere selbst dazu bereit ist, die Verantwortung für diese Behauptung zu übernehmen. Er signalisiert, gegebenenfalls selbst ausreichend Gründe dafür angeben zu können. Damit stellt sich das deflationistische Wahrheitsverständnis als eine ideale Ergänzung der normativ-pragmatischen Erklärung von Überzeugung und Rechfertigung heraus. Indem es Wahrheit als eine logisch-expressive Eigenschaft begreift, ist es ein Gewinn für das ursprüngliche Theoriemodell dieser Arbeit. Das macht es möglich, bei der Erklärung von Wissen auf Wahrheit als eine substantielle Eigenschaft zu verzichten. Mit Hilfe des deflationistischen Wahrheitsbegriffs ist eine vollständige Rekonstruktion der Standardanalyse von Wissen mit den Mitteln einer normativen Pragmatik und einer inferentiellen Semantik möglich. Wissen lässt sich auf die beiden normativen Status der Festlegung und der Berechtigung zurückführen. Im Zentrum der Überlegungen steht das, was wir tun, wenn wir jemand als Wissenden behandeln. Dabei spielt der Wahrheitsbegriff keine eigenständige erklärende Rolle. Anders als die gerechtfertigte Überzeugung ist Wahrheit für Wissen nicht konstitutiv. Wahrheit ist nur dann notwendig, wenn es darum geht, Fälle zu verallgemeinern, in denen gerechtfertigte Überzeugungen von anderen autorisiert werden. Wenn Wahrheit bei der Erklärung von Wissen relevant und unverzichtbar ist, dann in dieser logisch-expressiven Hinsicht. Ohne das Wahrheitsprädikat ließe sich Wissen nicht in Form der Standarddefinition verallgemeinern. Was wir aber tun, wenn wir jemand Wissen zuschreiben, ist nicht darauf angewiesen. Somit lässt sich Tarskis Einschätzung bestätigen, dass Wahrheit epistemologisch gesehen ein neutraler Begriff ist. Zwar gehört die Wahrheitsbedingung zum Kernbestand des traditionellen Verständnisses 355

Vgl. Craig (1993).

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von Wissen. Explanatorisch gesehen ist sie jedoch grundsätzlich irrelevant. Die anti-intellektualistische Grundintention dieser Arbeit, wonach Wissen eine Art Können ist, bleibt also unberührt. Die Rekonstruktion von Wissen durch die Kombination einer normativen Pragmatik mit einer inferentiellen Semantik lässt sich auch dadurch nicht in Zweifel ziehen, dass Wahrheit traditionell als eine notwendige Bedingung für Wissen gilt. Auch wenn Wahrheit ein notwendiger Bestandteil der Wissensdefinition ist, bleibt Können die Voraussetzung für Wissen. Ohne ein Beherrschen des regelgeleiteten und inferentiell gegliederten Sprachspiels der Überzeugung sind weder Wissen noch Definitionen möglich.

245

Schluss Die Bestätigung der Kernthese dieser Arbeit, wonach es ohne Können kein Wissen gibt, fiel erwartungsgemäß komplex aus. Zum Abschluss werde ich nun noch einmal hervorheben, zu welchen zentralen Einsichten dies geführt hat. Dies ist zunächst die Erkenntnis, dass der Intellektualismus das Verhältnis von Wissen und Können nicht kohärent erklären kann. Ryle macht die Absurdität der Vorstellung, Können sei eine Art des Wissens, mit Hilfe eines Regressarguments deutlich. Die Gültigkeit seines Arguments wurde unlängst von Stanley und Williamson fundamental in Zweifel gezogen. Allerdings stellen sich ihre Einwände als unberechtigt und ihr neuer Intellektualismus als unhaltbar heraus. Dieser besteht im Kern in der Auffassung, dass Können Wissen auf eine „praktische Art des Gegebenseins“ ist. Der Rehabilitationsversuch krankt aber vor allem an der Annahme eben dieser „praktischen Art des Gegebenseins“. Denn die Analogie zu anderen Arten des Gegebenseins, die als Beleg dafür dienen soll, besteht überhaupt nicht. Die Zurückweisung des Intellektualismus als Erklärungsmodell legitimiert indirekt die gegenteilige Behauptung und damit die Kernthese dieser Arbeit. Weil sich Ryles Regressargument mit dem Regelregressargument des späten Wittgenstein deckt, tritt in der Folge die Thematik des Regelfolgens und der Normativität ins Zentrum des Interesses. Es wird deutlich, dass die Frage nach dem Verhältnis von Wissen und Können eine Frage nach der Korrektheit insbesondere des fraglichen Wissens ist. Der Intellektualist scheitert daran anzugeben, welches Wissen es im Einzelnen ist, auf das Können angeblich zurückgeht. Denn dieser Selektionsvorgang ist eine Form gekonnter Praxis, für die sich wieder dieselbe Frage stellt. Daraus folgt, dass es neben propositionalem Wissen eigenständige und irreduzible praktische Fähigkeiten geben muss. Können lässt sich also nicht auf Wissen zurückführen, weil das Unterscheiden von korrekt und inkorrekt grundsätzlich zuerst eine praktische Fähigkeit ist. Können ist immer erst „blindes“ oder implizites Regelfolgen. Der sinnvolle und bedeutsame Gebrauch von Sprache setzt blindes Regelfolgen und somit Können voraus. Diese Feststellung erklärt, warum

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es ohne Können kein Wissen gibt. Denn Wissen muss sprachlich verfasst sein, um überindividuell und intersubjektiv thematisierbar zu sein. Dazu ist Können nötig. Was jemand weiß, mag eine höchst individuelle Angelegenheit sein. Als Wissender ist er jedoch immer Teil einer Gemeinschaft, mit der er unter anderem eine Sprache teilt. Nur innerhalb dieser Gemeinschaft ist es möglich festzustellen, ob das, was er zu wissen glaubt, auch tatsächlich Wissen ist. Um eigenes oder fremdes Wissen zur Disposition stellen zu können, braucht es das Medium der Sprache. Jemand, der nicht in einer Gemeinschaft lebt, kann nichts wissen, weil er über keine Sprache verfügt, mit der sich sein Wissen thematisieren ließe. Auch Außenstehende können es ohne Sprache nicht als solches identifizieren. Damit hängt die Einsicht zusammen, dass dem bedeutsamen Sprachgebrauch und dem Rechtfertigen von Überzeugungen ein und dasselbe Können zugrunde liegt: das Meistern inferentieller Zusammenhänge. Wissen ist immer eine Überzeugung, die zumindest angemessen gerechtfertigt ist. Soll jemand aber eine Überzeugung haben können, dann muss er auch ein Verständnis haben, wovon er überhaupt überzeugt ist. Was er glaubt, muss für ihn eine Bedeutung haben. Bedeutung wiederum ergibt sich daraus, wie wir Sprache verwenden. Letztlich gibt die Art und Weise, wie wir von Worten und Sätzen Gebrauch machen, am besten Auskunft darüber, was genau sie dabei bedeuten. Weil diese Information aber noch nicht sehr aufschlussreich ist, muss sie dahingehend präzisiert werden, dass der Sprachgebrauch in seiner grundlegendsten Form eine lose Abfolge von Inferenzen ist. Diese Einsicht geht auf Sellars zurück und trifft im Kern genau das, was auch die Praxis des Rechtfertigens ist. Auch dies ist letztlich nichts weiter als das Herstellen inferentieller Zusammenhänge. Wenn wir mit Überzeugungen sprachlich umgehen, dann entweder so, dass wir etwas behaupten, oder so, dass wir anderen etwas zuschreiben. Mit dieser Feststellung beginnt die Erläuterung der These, dass der bedeutsame Sprachgebrauch eine Form von Können ist. Dass das Meistern von inferentiellen Zusammenhängen eine Art blindes Regelfolgen ist, erklärt sich zunächst dadurch, dass Sprache generell eine normative Angelegenheit ist. Überzeugungen sind dabei in doppelter Hinsicht von Belang. Denn einerseits sind sie ein elementarer Bestandteil von Wissen.

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Andererseits ist das Behaupten als ihr sprachliches Pendant zugleich die Grundform des sinnvollen Sprechens überhaupt. Damit gilt der Nachweis, dass das Behaupten und Zuschreiben von Überzeugungen stets normativ signifikant ist, für den Sprachgebrauch grundsätzlich. Dass es sich tatsächlich so verhält, verdeutlicht ein Theoriemodell, das auf Brandom zurückgeht. Es zeigt, dass und inwiefern der sprachliche Umgang mit Überzeugungen eine regelgeleitete Praxis ist. Dies ist aber zunächst nur der allgemeine Nachweis einer impliziten Form von Normativität. Diese Auffassung konkretisiert sich, wenn man die Regeln, die im Sprachgebrauch implizit befolgt werden, als materiale Inferenzregeln versteht. Demnach ist das Meistern inferentieller Zusammenhänge das Befolgen von Regeln dieses Typs. Das erklärt sich zum einen dadurch, dass sie tatsächlich über eine relevante normative Kraft verfügen. Diese Eigenschaft fehlt formalen Inferenzregeln, was zu der Annahme verleiten kann, Inferenzregeln seien generell nicht handlungsleitend. Dies ist ebenso ein Irrtum wie die Annahme, materiale Inferenzen leiten sich aus formalen ab. Vielmehr sind sie eigenständig und formalen Inferenzen gegenüber grundlegend. Zum anderen sind materiale Inferenzregeln weniger strikt als formale. In ihnen werden unterschiedliche Gehalte logisch miteinander verknüpft. Dadurch sind sie informativ und die Zusammenhänge, die sie generieren, bedeutungskonstitutiv. Indem sie bestimmte inferentielle Zusammenhänge legitimisieren, konstituieren materiale Inferenzen die Bedeutungen der jeweiligen Aussagen. Und dies auf angemessene Weise zu meistern, erfordert Können. Weil Inferenzregeln primär implizit befolgt werden und materiale irreale Bedingungssätze sich nicht formal-logisch rekonstruieren lassen, sind materiale Inferenzen die grundlegendste Form von Inferenzen überhaupt. Deshalb gehen auch Rechtfertigungen auf sie zurück. Denn eine Rechtfertigung ist letztlich nichts anderes als das Angeben einen Grundes für eine Überzeugung. Dies ist im weitesten Sinne das Aufweisen oder Herstellen eines inferentiellen Zusammenhangs, und dies wiederum ist in doppelter Hinsicht eine Form von Können. Denn einmal ist das Herstellen oder Aufweisen eines inferentiellen Zusammenhangs immer etwas, das eine praktische Fähigkeit voraussetzt. Dies gilt aber umso mehr, als es das Meistern material-inferentieller Zusammenhänge voraussetzt. Insofern also das Meistern derartiger Zusammenhänge ein implizites Befolgen

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materialer Inferenzregeln ist, ist das Rechtfertigen immer ein Können. Somit lassen sich letztlich mit Überzeugungen und Rechtfertigungen zwei zentrale Bestandteile dessen, was im Allgemeinen als Wissen bezeichnet wird, als Formen des Könnens ausweisen. Wissen als gerechtfertigte Überzeugung setzt Können voraus. Mit der Wahrheitsbedingung für Wissen schließlich verhält es sich anders. Wie sich nämlich herausstellt, ist Wahrheit keine notwendige Bedingung für die Bestimmung von Wissen, sondern für die Formulierung der traditionellen Wissensdefinition. Dies ist die Konsequenz eines wahrheitstheoretischen Deflationismus, der die einfachste, unproblematischste und für diese Arbeit geeignetste Auffassung darstellt. Danach hat Wahrheit keine erklärende, sondern lediglich eine expressive Bedeutung. Sie erklärt nichts und lässt sich selbst auch nur hinsichtlich ihrer logischexpressiven Funktion erklären. Wahrheit ist ein sprachliches Mittel, mit dem sich auf unvergleichlich einfache und natürliche Weise Generalisierungen und indirekte Bezeichnungen vornehmen lassen. Ansonsten bewirkt das Wahrheitsprädikat lediglich eine akzentuierte Wiederholung einer Überzeugung oder Behauptung. Von einem pragmatischen Standpunkt aus gesehen bedeutet daher, etwas als wahr zu bezeichnen, es durch eine Wiederholung zu betonen und für sich selbst zu übernehmen. Am Ende der Arbeit steht daher die Auffassung, dass Wissen das Zuschreiben einer inferentiell gestützten Überzeugung ist, die zu behaupten man selbst bereit ist. Und dies ist letztlich nichts anderes als zu sagen, dass Wissen eine Form von Können ist.

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