Wie viel Staat vertragen Eltern?: Systematische Entfaltung eines gestuften Maßnahmenkonzepts vor dem Hintergrund des Elterngrundrechts [1 ed.] 9783428533473, 9783428133475

Eine wachsende Anzahl von Eltern in Deutschland erscheint außerstande, aus eigener Kraft ein intaktes Familienleben zu o

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Wie viel Staat vertragen Eltern?: Systematische Entfaltung eines gestuften Maßnahmenkonzepts vor dem Hintergrund des Elterngrundrechts [1 ed.]
 9783428533473, 9783428133475

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Schriften zum Öffentlichen Recht Band 1160

Wie viel Staat vertragen Eltern? Systematische Entfaltung eines gestuften Maßnahmenkonzepts vor dem Hintergrund des Elterngrundrechts

Von Pamela Hölbling

Duncker & Humblot · Berlin

PAMELA HÖLBLING

Wie viel Staat vertragen Eltern?

Schriften zum Öffentlichen Recht Band 1160

Wie viel Staat vertragen Eltern? Systematische Entfaltung eines gestuften Maßnahmenkonzepts vor dem Hintergrund des Elterngrundrechts

Von Pamela Hölbling

Duncker & Humblot · Berlin

Die Juristische Fakultät der Ruhr-Universität Bochum hat diese Arbeit im Jahre 2009 als Dissertation angenommen.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Alle Rechte vorbehalten

© 2010 Duncker & Humblot GmbH, Berlin

Fremddatenübernahme: Process Media Consult GmbH, Darmstadt Druck: Berliner Buchdruckerei Union GmbH, Berlin Printed in Germany ISSN 0582-0200 ISBN 978-3-428-13347-5 Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706

Internet: http://www.duncker-humblot.de

„Väter und Mütter besitzen absolute Macht über ihre Kinder. Mütter heben ihre Kinder gegen deren heftigen Widerstand hoch oder zerren sie weg. Kinder sind im buchstäblichen Sinn ohnmächtig. Eltern sind ,Herren über Leben und Tod. Ein Kind kann tyrannischen Eltern weder physisch noch psychisch standhalten, nicht einmal seine Gedanken sind frei. Von der Macht der Eltern und Erwachsenen über Kinder berichten alte und neue Märchen, „Aschenputtel“ und „Hänsel und Gretel“ ebenso wie „Harry Potter“. Sie erzählen vom Leiden der Kinder, von ihrer Sehnsucht nach Erlösung und davon, wie sie erlöst werden. Der juristische Fachausdruck für die Macht der Eltern lautet ,elterliche Gewalt. An ihrem Missbrauch kann man die Totalität der Macht erkennen. Kinder sterben durch Gleichgültigkeit, Unbeherrschtheit, Willkür oder Sadismus von Eltern, oder sie verkümmern und verlöschen psychisch. Die Familie gilt als Privatsphäre, es bedarf extremer Verhältnisse, ehe jemand wagt, diesen Raum zu betreten.“1

1 Die Auswahl dieses Zitats von Bueb, Lob der Disziplin, S. 47 ist nicht gleichzusetzen mit einer Übereinstimmung mit allen Ansichten des Autors.

Vorwort Die vorliegende Arbeit ist im Wintersemester 2009/10 von der Juristischen Fakultät der Ruhr-Universität in Bochum als Dissertation angenommen worden. Literatur und Rechtsprechung sind bis Mai 2009 berücksichtigt. Die Dissertation entstand während meiner Zeit als wissenschaftliche Mitarbeiterin am Lehrstuhl für deutsches und europäisches öffentliches Recht unter der Leitung von Prof. Dr. Martin Burgi. Die Energie und Tatkraft, die meinen Doktorvater ausmachen, haben die Fertigstellung dieser Arbeit positiv beeinflusst. Seine wohlwollende Förderung, über fast eine Dekade hinweg, hat meine juristische Ausbildung unbezahlbar bereichert. Die schöne Erinnerung an diese Zeit wird mich mein Leben lang begleiten. Prof. Dr. Dieter Leuze sei Dank gesagt für die freundliche Teilnahme an meinem Werdegang und die Erstellung des Zweitgutachtens. Herrn Dr. Florian Simon danke ich für die Aufnahme meiner Arbeit in die von seinem Verlag herausgegebene Schriftenreihe. Ein großes Dankeschön an meine Freunde, deren Nähe, auch in der Ferne, mir Rückhalt gegeben hat und deren volle Lebenslust mir stets zeigt, was gut tut. Susanne, Sandra, Dany, Christoph und Michael, mein Herz geht auf, wenn ich an euch denke. Ein freundlicher Gruß geht auch in Richtung meines ehemaligen Kollegenkreises, in dem so viele heitere und „ hochstreitige“ Diskussionen geführt worden sind. Am wichtigsten ist es, meinen lieben Eltern ein tief empfundenes Dankeswort zu schreiben. Sie haben einen soliden Grundstein gelegt, der mir ein sicheres Aufwachsen ermöglicht hat. Geschriebene Worte werden als Dank für so viel Geborgenheit, die mein Elternhaus ausgemacht, und auch spätere Lebenshilfe, die über trübe Zeiten geholfen haben, kaum ausreichen. Dennoch ein kleiner Versuch, indem ihnen beiden , die nachstehende Arbeit gewidmet ist. Vergelt s Gott. Nottingham, im Februar 2010

Pamela Hölbling

Inhaltsverzeichnis Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21 A. Problemaufriss . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21 B. Ablauf und Ziel der Untersuchung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24

Erster Teil Die Realanalyse

27

A. Eltern, Kinder und Familien in Deutschland – eine Bestandsaufnahme . . . . . . . . . . . . 27 I. Gegenwärtiger Gesellschaftsbefund . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 27 1. Familiäre und partnerschaftliche Lebenswirklichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 27 2. Wirkungszusammenhänge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 29 a) Einstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 29 b) Erwerbstätigkeit und Einkommen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 30 3. Abnehmende Erziehungsfähigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 31 II. Aktuelle Reaktionen der einfachen Gesetzgebung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 34 1. Familien- und Erwerbspolitik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 34 2. Im Bereich der Verwaltung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 36 3. Im Bereich des Familiengerichts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 38 4. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 40 B. Kindeswohlgefährdung – sozialwissenschaftliche Begriffsbestimmung . . . . . . . . . . . . 41 I. Frühkindliche Basisbedürfnisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 42 II. Kindeswohlgefährdung – Kategorienbildung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 44 1. Vernachlässigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 44 2. Misshandlung und Missbrauch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 45

10

Inhaltsverzeichnis III. Risikofaktoren für die Entstehung von Kindeswohlgefährdungen . . . . . . . . . . . . . 47 1. Individuelle Risikofaktoren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 48 a) Biografie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 48 b) Aktuelle Lebenssituation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 49 2. Strukturelle Risikofaktoren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 50 a) Armut . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 50 b) Soziale Deprivation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 52 IV. Folgen von kindeswohlgefährdenden Situationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 53 1. Körperliche Verletzungsfolgen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 54 2. Seelische Verletzungsfolgen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 55 3. Gesamtgesellschaftliche Folgen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 56

C. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 58

Zweiter Teil Der bestehende normative Kontext

60

A. Historische Grundlegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 60 I. Vom römischen und germanischen Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 61 II. Vom Allgemeinen Landrecht für die Preußischen Staaten und Bürgerlichen Gesetzbuch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 63 1. Allgemeines Landrecht für die Preußischen Staaten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 63 2. Bürgerliches Gesetzbuch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 64 B. Einfachgesetzliches Instrumentarium . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 67 I. Staatliche Hilfsangebote zur Abwendung von Kindeswohlgefährdungen . . . . . . . 67 1. Gestufte Hilfsformen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 68 2. Freiwillige Erziehungshilfen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 70 3. Kontrollfunktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 71 II. Familiengerichtliche Intervention zur Abwendung von Kindeswohlgefährdungen. 72 1. Tatbestandsvoraussetzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 73 2. Rechtsfolgen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 74

Inhaltsverzeichnis

11

C. Aussagen des Europa- und Völkerrechts sowie der Länderverfassungen zu Eltern- und Kinderrechten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 75 I. Internationale Ebene . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 76 II. Europäische Ebene . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 78 III. Länderverfassungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 80

Dritter Teil Systematische Entfaltung eines gestuften Maßnahmenkonzepts

83

A. Systembausteine . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 83 B. Erste Ebene . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 85 I. Erziehungskurse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 85 II. Öffentlichkeitsarbeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 86 III. Institutionelle Angebote . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 87 IV. Gutscheinvergabe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 89 V. Exkurs: Kindergartenbesuch (-pflicht) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 90 C. Zweite Ebene . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 93 I. Abstrakte Gefährdungseinschätzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 93 II. Ausgestaltungsfragen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 95 1. Zeitliche Rahmenbedingungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 95 2. Inhaltliches Prüfprogramm . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 96 3. Gesundheitssystem . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 97 4. Individuelle Gefährdungseinschätzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 99 a) Weitere Sachverhaltsaufklärung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 99 b) Besuchsangebot . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 99 5. Verpflichtende Früherkennungsuntersuchung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 101 a) Leistungsanspruch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 101 b) Obligatorische Untersuchungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 101 c) Untersuchungsintervalle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 102

12

Inhaltsverzeichnis d) Nichtbefolgung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 103 6. Kooperationen und Vernetzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 104

D. Dritte Ebene . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 106 I. Familienhebamme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 107 1. Praktischer Familienhelfer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 107 2. Wöchentliche Hausbesuche . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 109 II. Obligatorische Elternkurse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 109 E. Vierte Ebene . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 111

Vierter Teil Das Elterngrundrecht in herkömmlicher Interpretation

113

A. Historische Determinanten des Elterngrundrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 114 I. Weimarer Reichsverfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 114 II. Zeit des Nationalsozialismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 116 III. Art. 6 Abs. 2 und Abs. 3 GG – Entstehungsgeschichte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 118 1. Beratungsverlauf . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 118 2. Motive . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 119 IV. Entwicklungslinien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 121 1. Deutsche Demokratische Republik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 121 2. Bundesrepublik Deutschland . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 122 B. Das Erziehungsprimat der Eltern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 123 I. Die Eltern – Grundrechtsträger . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 123 II. Die Kindererziehung – sachlicher Schutzbereich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 126 III. Das Erziehungsprimat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 127 1. Elternrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 127 2. Elternpflicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 130

Inhaltsverzeichnis

13

C. Das verfassungsrechtliche Umfeld des Erziehungsgrundrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 132 I. Familie gemäß Art. 6 Abs. 1 GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 133 1. Familie und Individuum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 133 2. Familie und Gemeinwesen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 135 II. Schule gemäß Art. 7 Abs. 1 GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 137 1. Schulerziehung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 137 2. Eltern und Schule . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 139 III. Sozialstaatsprinzip . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 140 D. Verfassungsrechtliche Begrenzungen des Elternrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 141 I. Das Kindeswohl als innere Grenze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 141 1. Verfassungsrechtliche Eingriffsrechtfertigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 142 a) Art. 6 Abs. 2 S. 1 GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 142 b) Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 143 c) Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 145 2. Eltern- versus Kindergrundrechte? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 146 3. Materiell-rechtliche Ausprägung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 148 4. Prozessuale Umsetzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 149 II. Das staatliche Wächteramt als äußere Grenze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 151 1. Voraussetzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 152 2. Subsidiarität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 153 3. Verhältnismäßigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 154 4. Gefahrenabwehr und -vorsorge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 155 5. Schutzfunktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 157

Fünfter Teil Das Elterngrundrecht mit Blick auf das gestufte Maßnahmenkonzept

160

A. Auf dem Prüfstand: Das gestufte Maßnahmenkonzept . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 160 I. Erste Ebene: Öffentlichkeitsarbeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 160

14

Inhaltsverzeichnis II. Zweite Ebene: Gefährdungseinschätzung und Pflichtuntersuchung . . . . . . . . . . . . 161 1. Grundrechtseingriff . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 161 2. Verfassungsrechtliche Rechtfertigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 162 a) Art. 2 Abs. 1 GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 162 b) Art. 6 Abs. 2 GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 163 aa) Geeignetheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 164 bb) Erforderlichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 164 cc) Angemessenheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 165 III. Dritte Ebene: Familienhebamme und obligatorische Elternkurse . . . . . . . . . . . . . . 167 1. Grundrechtseingriff . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 167 2. Verfassungsrechtliche Rechtfertigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 167 IV. Vierte Ebene: Herausnahme des Kindes aus der Familie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 168

B. Defizitanalyse und Veränderungsansätze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 169 I. Defizite im Gesamtverständnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 169 II. Defizite auf der Ausführungsebene . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 171 1. Hilfen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 171 2. Interventionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 172 3. Nachsorge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 173 III. Argumentationslinien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 174 1. Sinn des Wächteramtes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 174 2. Kompensation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 175 3. Gesellschaftliche Komponente . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 176 IV. Erweiterungsansätze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 178 1. Absenkung der Gefährdungsschwelle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 179 2. Modifikation der Gefährdungsschwelle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 181 a) Präventive Vorfeldarbeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 181 b) Konsequenzen für die Beurteilung des Maßnahmenkonzepts . . . . . . . . . . . . 183

C. Resümee . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 185

Inhaltsverzeichnis

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Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 189 Sachwortverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 210

Abkürzungsverzeichnis a. A. ABl. Abs. Abt. AcP a. E. a. F. AK ALR Alt. Anm. AnwBL. AöR Art. ASD Aufl. Az. BayVerf Bd. Begr. BGB BGBl. BGH BGHZ BK BR-Drs. bspw. BT-Drs. BVerfG BVerfGE bzw. ca. Child abuse and neglect dass. DDR ders. d. h. dies.

anderer Ansicht Amtsblatt Absatz Abteilung Archiv für die civilistische Praxis (Zeitschrift) am Ende alte Fassung Kommentar zum Grundgesetz (aus der Reihe der Alternativkommentare) Allgemeines Landrecht für die Preußischen Staaten von 1794 Alternative Anmerkung Anwaltsblatt (Zeitschrift) Archiv des öffentlichen Rechts (Zeitschrift) Artikel Allgemeiner Sozialer Dienst Auflage Aktenzeichen Verfassung des Freistaates Bayern vom 02. Dezember 1946 Band Begründer; Begründung Bürgerliches Gesetzbuch Bundesgesetzblatt Bundesgerichtshof Entscheidungen des Bundesgerichtshofs in Zivilsachen (Entscheidungssammlung) Bonner Kommentar zum Grundgesetz (Loseblatt) Bundesrat-Drucksachen beispielsweise Bundestags-Drucksachen Bundesverfassungsgericht Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts (Entscheidungssammlung) beziehungsweise Circa Child abuse and neglect (Zeitschrift) dasselbe Deutsche Demokratische Republik derselbe das heißt dieselbe

Abkürzungsverzeichnis Diss. iur. DJI DÖV DVBl. EG EGMR EMRK etc. EU EuGH EuGH Slg. EuGRZ EuR EUV e.V. f. FamFG FamRZ ff. FGG Fn. FPR FS FuR G GesundDienstG GBl. gem. GG ggf. GjS GRCh grds. GS GVBl. GVG HdbGR HdbStR HdbVerfR h. M. Hrsg. Hs. i. d. Bek.

17

Juristische Dissertation Deutsches Jugendinstitut Die Öffentliche Verwaltung (Zeitschrift) Deutsches Verwaltungsblatt (Zeitschrift) Europäische Gemeinschaft(en) Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte Europäische Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (Europäische Menschenrechtskonvention) et cetera Europäische Union Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften Sammlung der Rechtsprechung des Gerichtshofes der Europäischen Gemeinschaften Europäische Grundrechte-Zeitschrift (Zeitschrift) Europarecht (Zeitschrift) Vertrag über die Europäische Union (Maastricht-Vertrag) vom 07. Februar 1992 eingetragener Verein folgende, -r, -s Gesetz über das Verfahren in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit Zeitschrift für das gesamte Familienrecht (Zeitschrift) folgende Gesetz über die Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit Fußnote Familie, Partnerschaft, Recht (Zeitschrift) Festschrift Familie und Recht (Zeitschrift) Gesetz Gesundheitsdienstgesetz Gesetzblatt gemäß Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland vom 23. Mai 1949 gegebenenfalls Gesetz über die Verbreitung jugendgefährdender Schriften Europäische Grundrechtecharta grundsätzlich Gedächtnisschrift Gesetz- und Verordnungsblatt Gerichtsverfassungsgesetz Handbuch der Grundrechte Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland Handbuch des Verfassungsrecht der Bundesrepublik Deutschland herrschende Meinung Herausgeber Halbsatz in der Bekanntmachung

18 i. d. F. i. d. R. i. E. IPBürgR IPWirtR i. R. d. i. S. d. i. S. v. i.ü. i.V.m. JA JAmt JöR JöR N. F. Jugendhilfe Jura JZ Kap. KindGSchutzGHess Kind-Prax Kindesmisshandlung und -vernachlässigung KiWGBrem KJ KJH KJHG Kriminalistik KrimJ lit. Lit. LKV LT-Drs. max. Mio. Mrd. MSchrKrim n. F. NJW Nr. NRW NSDAP NVwZ

Abkürzungsverzeichnis in der Fassung in der Regel im Ergebnis Internationalen Pakte über bürgerliche und politische Rechte Internationalen Pakte über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte im Rahmen der im Sinne des/der im Sinne von im Übrigen in Verbindung mit Juristische Arbeitsblätter (Zeitschrift) Das Jugendamt (Zeitschrift) Jahrbuch des öffentlichen Rechts der Gegenwart (01.1907 – 25. 1938, Zeitschrift) Jahrbuch des öffentlichen Rechts, Neue Folge (01.1951 ff., Zeitschrift) Jugendhilfe (Zeitschrift) Juristische Ausbildung (Zeitschrift) Juristenzeitung (Zeitschrift) Kapitel Hessisches Kindergesundheitsschutzgesetz Zeitschrift für die praktische Anwendung und Umsetzung des Kindschaftsrechts (Zeitschrift) Kindesmisshandlung und -vernachlässigung (Zeitschrift) Bremer Gesetz zur Sicherung des Kindeswohls und zum Schutz vor Kindesvernachlässigung Kritische Justiz (Zeitschrift) Kinder- und Jugendhilferecht (Zeitschrift) Kinder- und Jugendhilfegesetz Kriminalistik (Zeitschrift) Kriminologisches Journal (Zeitschrift) littera Literatur Landes- und Kommunalverwaltung(Zeitschrift) Landtags-Drucksachen maximal Million(en) Milliarde(n) Monatsschrift für Kriminologie und Strafrechtsreform (Zeitschrift) neue Fassung Neue Juristische Wochenzeitschrift (Zeitschrift) Nummer Nordrhein-Westfalen Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei Neue Zeitschrift für Verwaltungsrecht (Zeitschrift)

Abkürzungsverzeichnis NWVBl. PolGNRW Prot. RdJB Rdnr. RGBl. Rspr. s. S. SaarlVerf Sächs SchulG SED SGB SGB VIII Slg. s. o. st. Rspr. StGB stopp str. ThürFKG u. u. a. UN UNKRK Urt. usw. u. U. Verf. VerfBbg VerfBerl VerfBrem VerfBW VerfHess VerfM-V VerfND VerfNW VerfRP VerfSaarl VerfSach VerfSchl.-Holst. VerfSN

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Nordrhein-Westfälische Verwaltungsblätter (Zeitschrift) Polizeigesetz Nordrhein-Westfalen Protokoll Recht der Jugend und des Bildungswesens (Zeitschrift) Randnummer(n) Reichsgesetzblatt Rechtsprechung siehe Satz; Seite(n) Saarland Sächsische Schulgesetz Sozialistische Einheitspartei Deutschlands Sozialgesetzbuch Sozialgesetzbuch, Kinder- und Jugendhilfe Sammlung siehe oben ständige Rechtsprechung Strafgesetzbuch Strafprozeßordnung streitig Thüringer Gesetz zur Förderung der Teilnahme an Früherkennungsuntersuchungen von Kindern und; unten; unter und andere; unter anderem; unter anderen United Nations (Vereinte Nationen) Übereinkommen über die Rechte des Kindes der Vereinten Nationen Urteil und so weiter unter Umständen Verfasser; Verfassung Verfassung des Landes Brandenburg vom 20. August 1992 Verfassung von Berlin vom 01. September 1950 Landesverfassung der Freien Hansestadt Bremen vom 21. Oktober 1947 Verfassung des Landes Baden-Württemberg vom 11. November 1953 Verfassung des Landes Hessen vom 01. Dezember 1946 Verfassung des Landes Mecklenburg-Vorpommern vom 23. Mai 1993 Verfassung des Landes Niedersachsen vom 13. April 1951 Verfassung des Landes Nordrhein-Westfalen vom 18. Juni 1950 Verfassung des Landes Rheinland-Pfalz vom 18. Mai 1947 Verfassung des Saarlandes vom 15. Dezember 1947 Verfassung des Freistaates Sachsen vom 27. Mai 1992 Verfassung des Landes Schleswig-Holstein vom 13. Juni 1990 Verfassung des Landes Sachsen-Anhalt vom 16. Juli 1992

20 VerfThür VerwArch Verwaltungsrundschau vgl. VO Vorbem. VVDStRL WRV z. B. ZblJR ZfJ ZfL zit. ZKJ ZRP

Abkürzungsverzeichnis Verfassung des Freistaates Thüringen vom 25. Oktober 1993 Verwaltungsarchiv (Zeitschrift) Verwaltungsrundschau (Zeitschrift) vergleiche Verordnung Vorbemerkung Veröffentlichungen der Vereinigung der Deutschen Staatsrechtslehrer Verfassung des Deutschen Reiches vom 11. August 1919 (Weimarer Reichsverfassung) zum Beispiel Zentralblatt für Jugendrecht und Jugendwohlfahrt (1924/25 und 1950 – 1983, Zeitschrift) Zentralblatt für Jugendrecht (1984 – 2005, Zeitschrift) Zeitschrift für Lebensrecht (Zeitschrift) zitiert Zeitschrift für Kindschaftsrecht und Jugendhilfe (Zeitschrift) Zeitschrift für Rechtspolitik (Zeitschrift)

Einleitung A. Problemaufriss Fehler in der Erziehung machen alle Eltern. Trotzdem verlaufen die Entwicklung und das Heranwachsen der Mehrheit der Kinder in Deutschland nach wie vor förderlich und positiv. Allerdings beweist die Realität beinahe täglich, dass eine wachsende Anzahl von Eltern außerstande ist, aus eigener Kraft ein intaktes Familienleben zu organisieren. Zwar kann förderungsbedürftigen Eltern und ihren Kindern unter Einsatz der zu Gebote stehenden Mittel geholfen werden. Es zeigt sich aber immer wieder, dass etliche Eltern und Kinder durch die von staatlicher Seite gewährte Unterstützung nicht rechtzeitig oder vollumfänglich erreicht werden, weshalb Kinder in ganz unterschiedlichen Formen zu Opfern ihrer eigenen Eltern werden. Sie bleiben, teilweise chronisch unterernährt, ungewaschen oder unzulänglich gekleidet, schlicht sich selbst überlassen. Einigen Kindern kommt keine Gesundheitsvorsorge zu, sodass sie an unbehandelten Infekten und Krankheiten leiden, oder sie werden in einer vermüllten Wohnung zurückgelassen,1 schlimmer noch, in einem Kinderzimmer mit vermauerten Fenstern eingesperrt, bis sie nach monate- oder jahrelangem Martyrium qualvoll sterben. Unter den Kindernamen der Opfer (Kevin, Jessica, Lea-Sophie) sind besonders schlimme Fälle elterlicher Erziehungsunfähigkeit bekannt geworden. Diese Fälle sind erst einmal ein Beleg für die „qualitative“ Zunahme von erziehungsungeeigneten Eltern, sollen jedoch selbstverständlich nicht dazu herangezogen werden, alle Eltern unter einen Generalverdacht zu stellen. Als Ursachen dafür, dass manche Kinder aufgrund der von ihren Eltern begangenen groben, zum Teil tödlich verlaufenden Sorgerechtsverletzungen in einer „Familienhölle“ aufwachsen müssen, lassen sich häufig elterliche Überforderungen ausmachen (vgl. sogleich B. III. 1.).2 Auf staatlicher Seite können schwere Fehleinschätzungen von Gefährdungslagen, Informationsverluste an entscheidenden Schnittstellen wie auch Kompetenzfehlzuschreibungen zwischen den behördlichen und gerichtlichen Kräften als ursächlich identifiziert werden. Angesichts der aktuell auftretenden „Misserfolge im Kinderschutz“3 ist die Beschäftigung mit der Frage nach neuen Befassungsmöglichkeiten, insbesondere vorverlagertem staatlichem Handeln, indiziert. Denn Kinder sind, wenn die „natürliche

1 2 3

Kalscheuer/Schone, Kindesvernachlässigung, S. 158, 160. Wagener, FamRZ 2008, S. 457. Kindler, Prävention von Vernachlässigung, S. 94.

22

Einleitung

Verbundenheit“4 zwischen ihnen und den eigenen Eltern in Auflösung gerät, rechtzeitig darauf angewiesen, dass ihnen gegenüber ein fürsorgendes Verhalten wie etwa eine kontinuierliche Versorgung sichergestellt wird.5 Neben der kindlichen Hilfsbedürftigkeit begründet die Annahme, dass sich hinter den bekannt gewordenen Formen häuslicher Kindeswohlgefährdung eine hohe Dunkelziffer verbirgt, die Beschäftigung mit der Frage nach einer Vorverlagerung der staatlichen Verantwortung für die Gewährleistung eines gesicherten Aufwachsens von Kindern in Deutschland. Die Sachverhalte würden allerdings über Gebühr vereinfacht, ginge man von der Annahme aus, dass staatliche Stellen zukünftig jegliche Beeinträchtigung oder Belastung von Kindern verhindern könnten. Dennoch gibt es Wendepunkte im Verlauf solcher Familienkatastrophen, an denen zur Verbesserung des Schutzes von gefährdeten Kindern angesetzt werden kann. Bisher aber schließt das in Art. 6 Abs. 2 S. 1 GG verfassungsrechtlich verankerte Erziehungsprimat der Eltern staatliche Maßnahmenkomplexe, mit denen „Kinderschutzkatastrophen“6 frühzeitig begegnet werden könnte, aus. Die traditionelle Verfassungsansicht geht von einer klaren Aufgabenteilung in der Erziehung und beim Schutz von Kindern, insbesondere im Vorschulalter, aus. Die Eltern haben das vorrangige Recht und die diesbezügliche Pflicht hierzu inne. Die Teilnahme an Angeboten der öffentlichen Erziehung und Betreuung ist freiwillig und familienergänzend entworfen. Nur in eng begrenzten Ausnahmefällen darf der Staat eingreifen. Eine Vorkehrung hierfür hat der Verfassungsgeber mit dem staatlichen Wächteramt gemäß Art. 6 Abs. 2 S. 2 GG getroffen. Für den Fall, dass die Eltern ihrer Aufgabe nicht gerecht werden, darf danach zum Schutz des Kindeswohls in das elterliche Erziehungsrecht eingegriffen werden. Bis zum Auftreten von ernsten Gefährdungslagen für die Gesundheit oder das Leben des Kindes hat sich der Staat aber weit möglichst von den elterlichen Erziehungsfreiräumen fernzuhalten. Die Kluft zwischen dem grundrechtlich begründeten Anspruch der Eltern, ihre Erziehungsangelegenheiten selbstständig zu regeln, und dem nachlassenden Vermögen, ihrer Pflicht nachzukommen, lässt angesichts von staatlichen Handlungsmöglichkeiten, die erst verspätet eingreifen, für Kinder wie für die Gesellschaft einen ausfüllungsbedürftigen Zwischenraum entstehen. Die verfassungsrechtlichen Vorgaben für die Rechtsbeziehungen zwischen Staat, Eltern und Kindern weisen mittlerweile erhebliche Unterschiede zu den rechtstatsächlichen Entwicklungen auf und veranlassen deshalb eine kritische Hinterfragung des bis dato stetig und uneingeschränkt Tradierten. Begreift man zudem Recht als gesellschaftliche Bedingung, als normative Steuerung der gesellschaftlichen Entwicklung und Fundierung ihrer Stabilität, hat es auf dort stattfindende Veränderungen zu reagieren, um langfristig einheitliche 4 Molekularbiologische Untersuchungen und Ergebnisse der Gehirnforschung haben gezeigt, dass für die Ausbildung sozialer Bindungen das Hormon „Oxytocin“ mitverantwortlich ist. Es wird etwa beim Stillen des Säuglings ausgeschüttet und erzeugt die Bindungsfähigkeit zwischen Mutter und Kind, Pschyrembel, S. 1416. 5 Ostler/Zeigenhain, Risikoeinschätzung, S. 67, 80. 6 Kindler/Lillig, Schutzauftrag der Jugendhilfe, S. 85, 89.

A. Problemaufriss

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Grundlagen zu schaffen und zu bewahren.7 Aufgrund seiner Steuerungsfunktion ist es andererseits darauf angelegt, sich auf veränderte Akzente in den Realbeziehungen einzustellen; denn diese Abänderungen sichern gerade seine Funktionsfähigkeit.8 Die Eltern sind der Schlüssel zum Erziehungsprozess, das Elternrecht in verfassungsrechtlicher Hinsicht dagegen ein wenig beachtetes Themenfeld. Eine stark festgefügte Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts existiert nicht, vielmehr ist dieser Bereich durch eine seit langer Zeit fortgeschriebene Kommentareinschätzung (vor-) geprägt. Grundsätzlich stellt aber jede verfassungsrechtliche Garantie eine widerlegbare Vermutung dar, weil die rechtliche Ordnung auch für die Zukunft einen vernünftigen Sinn zu ergeben hat. Prinzipiell ist daher weder eine Korrektur durch Rechtsänderungen noch ein Wandel ausgeschlossen ist;9 „steter Wandel [ist] das einzig Beständige“10. Dabei braucht sich ein Sinnwandel nicht innerhalb des Wortlautes der Verfassungsbestimmung zu halten, sondern kann den Binnenbereich, den jede Norm für einen Auslegungsspielraum offenhält, ausnutzen.11 Die vorliegende Arbeit hat es sich jedoch nicht zum Auftrag gemacht einen Verfassungswandel im Bereich des elterlichen Erziehungsgrundrechts aufzuzeigen, obgleich insbesondere Art. 6 GG ein für soziale Veränderungen und Entwicklungen der Lebenswirklichkeit besonders offenes Verfassungsrecht ist.12 So ist die Anerkennung des nichtehelichen Vaters als Elternteil im Sinne von Art. 6 Abs. 2 S. 1 GG allmählich zustande gekommen. Mit einiger Gewissheit kann auch vermutet werden, dass die Anerkennung gleichgeschlechtlicher Lebenspartnerschaften kurz nach Inkrafttreten des Grundgesetzes vom Bundesverfassungsgericht abgelehnt worden wäre.13 Vielmehr gehört es zum Diskussionsgegenstand dieser Arbeit die sich aus der Realanalyse ergebenden Änderungsmöglichkeiten im bisherigen Verständnis der wächteramtlichen Befugnisse darzulegen sowie dogmatische Argumente zusammenstellen, die sich zugunsten einer zeitlichen Vorverlegung staatlicher Berechtigungen finden lassen. Das verfassungsrechtliche Spannungsfeld zwischen staatlichem Wächteramt und elterlichem Erziehungsrecht wird argumentativ aufbereitet und versucht daraus Denkanstöße und erste Begründungsansätze für eine Fortschreibung dieses Bereichs zu liefern (vgl. im Fünften Teil, B III. und IV.). Neben der argumentativen Aufarbeitung zielt die vorliegende Arbeit darauf hin, den Eltern-Kind-Bereich aus öffentlich-rechtlicher Sicht zu beleuchten, denn bislang dominiert hier das zivilrechtliche Verständnis des Familienrechts. Die erstmalige Erarbeitung eines gestuf7

Korioth, VVDStRL 62 (2003), S. 117, 121 ff. Becker, JZ 2004, S. 929, 930. 9 Steiger, VVDStRL 45 (1987), S. 55, 75; Vosskuhle, Der Staat 43 (2004), S. 450 ff. 10 Lecheler, DVBl. 1986, S. 905. 11 Zippelius, DÖV 1986, S. 805, 806 f. 12 Nesselrode, Spannungsverhältnis zwischen Ehe und Familie, S. 26. 13 Wobei auch heute noch die geltende Meinung die Annahme ausschließt, dass die Änderungen der Lebenswirklichkeit so gravierend sind, dass sie zu einem Inhaltswandel des Grundrechts aus Art. 6 Abs. 1 GG führen, vgl. BVerfGE 105, 313 (346 ff.). 8

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Einleitung

ten Maßnahmenkonzepts nach dem Muster eines Erziehungsverwaltungsrechts (vgl. Dritter Teil) soll dazu beitragen, dass nicht nur frühzeitig auf „gefährdende“ Eltern zugegangen wird, sondern dass sich in Zukunft für das Zusammenspiel staatlicher Rechte und elterlicher Pflichten eine erweiterte, vorverlagerte Sichtweise ergeben wird.

B. Ablauf und Ziel der Untersuchung Zu Beginn der Arbeit steht eine kurz gefasste Darstellung des gegenwärtigen Realbereichs von Partnerschafts- und Familienbeziehungen in Deutschland. Die Heterogenität familiärer Strukturen und damit einhergehende Unsicherheiten und Probleme hinsichtlich Erziehungsfragen zeigen sich in sogenannten Problemfamilien ebenso wie in sogenannten „besseren Familien“. Zudem werden im ersten Abschnitt die bereits verwirklichten Familienpolitiken und gesetzgeberischen Maßnahmen, die bereits auf diesem Feld ergriffen worden sind, nachgezeichnet. Neben der Einordnung der gängigen Begriffe von Vernachlässigung, Misshandlung und Missbrauch in das sozialwissenschaftliche Inventarium werden sodann die Folgeprobleme von Kindeswohlgefährdungen dargelegt. Die Gründe und Ursachenprozesse, die nach dem Kenntnisstand der sozialwissenschaftlichen Forschung zu kindeswohlgefährdenden Situationen führen, werden daraufhin geschildert. Die sozialwissenschaftliche Perspektive ist zum einen gewählt worden, weil die Verantwortungsbereiche von Eltern in vielfacher Weise im außerjuristischen Lebensbereich verwurzelt sind, und um den Motivhintergrund für die Forderung nach systematischer Neuausrichtung der staatlichen Maßnahmen im elterlichen Erziehungsbereich zu unterlegen. Ausgehend von einer historischen Grundlegung stellt die Arbeit im zweiten Teil das bestehende nationale, einfachgesetzliche Regelwerk, dessen sich Jugendamt und Familiengericht bei ihrer Arbeit bedienen, dar. Allerdings soll bereits an dieser Stelle der Hinweis erfolgen, dass der Ausgangspunkt der dieser Arbeit zugrunde liegenden Überlegungen nicht die elterliche Gewalt nach den Vorschriften des Bürgerlichen Gesetzbuchs ist, sondern allein das Elternrecht als Verfassungsrecht gemäß Art. 6 Abs. 2 GG. Weiterhin werden im zweiten Teil die international und auf europäischer Ebene verankerten Eltern- und Kinderrechte vorgestellt. Im dritten Teil soll durch die systematische Entfaltung eines Maßnahmenkatalogs eine mögliche Antwort auf die Fragen gegeben werden, wie mit denen im ersten Teil gezeigten Erziehungsschwierigkeiten umzugehen ist und welche Möglichkeiten staatlicherseits bei der Vermittlung von präventiven Konzepten und Kontrollmaßnahmen bestehen, um den gegenwärtigen und künftig entstehenden Unzulänglichkeiten der erzieherischen Verhältnisse frühzeitig zu begegnen.

B. Ablauf und Ziel der Untersuchung

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Wiederum ausgehend von der historischen Basis14 erfolgt daraufhin im vierten Teil die Verortung des verfassungsrechtlichen Elternrechts und staatlichen Wächteramts, wie es zum gegenwärtigen Zeitpunkt in Rechtsprechung und Literatur interpretiert wird. Daneben werden die weiteren grundrechtlichen Bindungen von Eltern als Familie gemäß Art. 6 Abs. 1 GG sowie im Bereich der Schule gemäß Art. 7 Abs. 1 GG aufgezeigt, allerdings nur insoweit, wie sie für das vorliegende Thema von Bedeutung sind. Diese Ausführungen bereiten die Grundlage für die im fünften Teil erfolgende verfassungsrechtliche Überprüfung des entrollten Maßnahmenkonzeptes mit dem Elterngrundrecht nach herkömmlicher Interpretation. Die sich aus dieser verfassungsrechtlichen Beurteilung ergebende Defizitanalyse von Realbereich und Verfassungsvorgaben leitet angesichts der im ersten Teil dargestellten Probleme in Eltern-KindBeziehungen über zu Erweiterungsüberlegungen. Denn obwohl die Faktenlage eine mangelnde elterliche Bewältigung erzieherischer Aufgaben offenbart und der Kenntnisstand der Sozialwissenschaften belegt, dass für eine förderliche Entwicklung von Kleinkindern eine rechtzeitige und adäquate Förderung notwendig ist beziehungsweise Mängel in der frühkindlichen Versorgung zu langandauernden Deprivationen führen, widerspricht dies noch immer dem tradierten Idealbild der Familie als Hort und Garant des Kindeswohls, über eine vorverlagerte staatliche Verantwortungsübernahme gegenüber Kindern nachzudenken. Die langen Schatten der beiden deutschen totalitären Herrschaftssysteme15 legen sich noch heute wie eine Art der Schutzummantelung um die verfassungsrechtlichen Erziehungsrechte und schreiben die vor sechs Jahrzehnten getroffenen „grundrechtlichen Eckwerte“16 hinsichtlich des Erziehungsrechts beinahe sakrosankt fest. Die tatsächlichen Defizite der elterlichen Erziehungsfähigkeit, die die soziale Wirklichkeit aber manchenorts schonungslos offenbart, geben Anlass zu fragen, was der Staat machen kann, um Kinder frühzeitig vor ihren Eltern zu schützen. Wie kann er verhindern, dass es zu einer Wiederholung dieser schrecklichen Fälle kommt? Welche Neujustierung der rechtlichen Stellschrauben“17 ist dazu angezeigt? Ist sogar eine Neuausrichtung des staatlichen Wächteramts möglich? Inwiefern können hier staatliche Aktivitäten vorverlagert werden? Im Abschlussteil der Arbeit sollen daher Überlegungen angestellt werden, wie der Ausbau staatlicher Präventionsund Interventionsmöglichkeiten ins Werk gesetzt werden kann. Ausgehend von einer wissenschaftlichen Problemanalyse versucht die Arbeit durch eine argumentative 14 „Der Rückgriff auf die Geschichte gehört […] zum akademischen Ritual wissenschaftlicher Untersuchungen“, Ossenbühl, Erziehungsrecht, S. 17. 15 Das totalitäre Erziehungsmodell schlechthin schildert Platon, Der Staat, S. 377 ff., 457 f., 460 f. In seinem „Idealstaat“ werden nicht nur die Märchenerzähler und Ammen staatlich beaufsichtigt, sondern die Kinder möglichst früh von ihren Eltern getrennt, um sie durch staatlich bestellte Wärterinnen in einem Sammelhaus erziehen zu lassen. 16 Ossenbühl, DÖV 1977, S. 801, 805. 17 Kingreen, JZ 2004, S. 938, 948.

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Einleitung

Auseinandersetzung zu ersten Ansätzen für eine Erweiterung staatlicher Befugnisse zu gelangen.

Erster Teil

Die Realanalyse A. Eltern, Kinder und Familien in Deutschland – eine Bestandsaufnahme I. Gegenwärtiger Gesellschaftsbefund 1. Familiäre und partnerschaftliche Lebenswirklichkeit Auf dem Gebiet der Eltern-Kind-Beziehung wie der Familie insgesamt haben sich seit Inkrafttreten des Grundgesetzes vielfältige Veränderungen ergeben. Dass durch die Emanzipationstendenzen traditionelle Konventionen und Familienstrukturen in Auflösung gebracht worden sind, zeigt sich u. a. daran, dass elterliche Verantwortung nicht mehr allein dort auszumachen ist, wo miteinander verheiratete Eltern ihre Kinder großziehen, sondern auch dort, wo Bezugspersonen mit starken emotionalen Bindungen für ein Kind Verantwortung übernehmen. Die Gesellschaft bringt der Pluralität dieser „Beziehungs-Netzwerke“ ein hohes Maß an Toleranz entgegen. Etwa jedes zehnte Paar lebt heute ohne Trauschein als nichteheliche Lebensgemeinschaft, dann zumeist ohne Kinder,1 zusammen,2 während der Anteil der klassischen ehelichen (Mehrkinder-)3 Familien abnimmt.4 Das angebotene Maß an Freiheit für die partnerschaftliche Lebensgestaltung hat aber zugleich seinen Preis. Den (Ehe-)Partnern steht es frei, Lebensformen ständig zu 1

Nur etwa 5 % aller Kinder in Deutschland leben in nichtehelichen Lebensgemeinschaften, World Vision Studie 2007, ZKJ 2007, S. 491 ff. 2 Im Jahr 2007 gab es nach Ergebnissen des Mikrozensus in Deutschland rund 2,4 Mio. nichteheliche Lebensgemeinschaften. Generell heiraten immer weniger Paare beziehungsweise sie heiraten immer später, Statistisches Bundesamt, Statistisches Jahrbuch 2008, S. 46, 49, 51. 3 Im Jahr 2006 lebten in Deutschland in Mehrpersonenhaushalten nur noch zur Hälfte (51 %) Kinder. In wiederum der Hälfte (52 %) dieser Haushalte mit Kindern lebte ein Kind, in 37 % zwei Kinder und in 11 % der Haushalte drei und mehr Kinder. Dagegen sind Einpersonenhaushalte immer zahlreicher vertreten (37 % aller Haushalte), in Großstädten machen sie sogar 49 % aus, Statistisches Bundesamt, Datenreport 2006, S. 35 und dass., Mikrozensus 2007, Fachserie 1/3, Tabellenteil 3.1. 4 Etwa 76 % der Kinder und Jugendlichen wachsen noch immer in der klassischen Kernfamilie auf, deren Anzahl aber deutlich sinkt. In den Fünfzigerjahren lebten noch 98 % aller Kinder in einer Familie mit Mutter und Vater zusammen, Bundesfamilienministerium (Hrsg.), 12. Kinder- und Jugendbericht, S. 58 ff., 60; Statistisches Bundesamt, FamRZ 2006, S. 1506.

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1. Teil: Die Realanalyse

überprüfen, diese werden verändert und dadurch störanfällig.Während sich die Zahl der Eheschließungen in der Bundesrepublik seit dem Jahr 1950 fast halbiert hat, wird heute etwa jede dritte Ehe geschieden.5 Instabile Familienkonstellationen bedingen, dass sich auch Kinder diskontinuierlichen Familienbiografien ausgesetzt sehen.6 Die Zahl der nichtehelich geborenen Kinder steigt7 und die wachsende Anzahl von alleinerziehenden Elternteilen8 belegt, dass variantenreiche Familienstrukturen statistisch gesehen kein Einzelschicksal,9 sondern ein Stück normal gewordener Entwicklung sind. Darüber, wie das einzelne Kind sich verändernde Familienkonstellationen erlebt, sagt dies aber wenig aus.10 Beispielsweise handelt es sich in 95 % der nichtehelichen Lebensgemeinschaften mit Kindern um das „mitgebrachte“ Kind eines Partners, nicht aber um gemeinsame Kinder11 (sogenannte Patchwork-Familien)12. Die Kinder müssen sich also in wechselnde Haushaltsformen und neue Lebenssituationen einpassen. Häufig wechselnde Bezugspersonen erfordern von ihnen Anpassungen und Veränderungen, die nicht selten zu emotionalen Belastungen13 und Konflikten führen.14

5

Etwa 374.000 Eheschließungen im Jahr 2006 stehen ca. 200.000 Scheidungen jährlich gegenüber. Es ist zu erwarten, dass etwa 42 % der heute geschlossenen Ehen wieder geschieden werden, Statistisches Bundesamt, Statistisches Jahrbuch 2007, S. 49, 55. 6 Bundesfamilienministerium (Hrsg.), 12. Kinder- und Jugendbericht, S. 58 ff. 7 Knapp die Hälfte der deutschen Eltern der im Jahr 2006 geborenen Kinder war nicht miteinander verheiratet, Statistisches Bundesamt, Statistisches Jahrbuch 2008, S. 52. 8 Der Anteil der Alleinerziehenden an allen Eltern-Kind-Gemeinschaften (umfasst Ehepaare mit gemeinsamen Kindern, nichteheliche Lebensgemeinschaften sowie Alleinerziehende mit ledigen Kindern im Haushalt) hat in den letzten drei Jahrzehnten am stärksten zugenommen und liegt in Ostdeutschland bei 26 %, in Westdeutschland bei 17 %, bundesweit bei rund 19 %, Mikrozensus, Familienforschung Baden-Württemberg, zitiert nach Die Welt vom 03.12.2008, S. 4. 9 In mehr als der Hälfte (55 %) der alleinerziehenden Elternteile ist der Status auf eine Scheidung beziehungsweise Trennung der Eltern zurückzuführen, Statistisches Bundesamt, Datenreport 2006, S. 35. 10 Insgesamt lebten im Jahr 2007 in Deutschland 12,2 Millionen Kinder (bis 15 Jahre), Statistisches Bundesamt, Mikrozensus 2007, Fachserie 1/3, Tabelle 3.1. 11 Statistisches Bundesamt, Datenreport 2006, S. 36; Hohmann-Dennhardt, ZKJ 2007, S. 382 ff. 12 Zur Definition von Patchworkfamilien, Bernau, KJ 2006, S. 320, 325. 13 Schwab, Konkurs der Familie?, S. 24 f. spricht angesichts des teilweise zu beobachtenden juristischen Trennungsstreits bei Scheidungen von „seelischer Misshandlung“ der beteiligten Kinder. 14 Kölch/Fegert, FamRZ 2008, S. 1573, 1575; Hannemann, Pflicht und Recht des Jugendamtes, S. 68 f.

A. Bestandsaufnahme

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2. Wirkungszusammenhänge Die Erziehungsunsicherheiten und augenfälligen Probleme können allerdings nicht einseitig den Eltern angelastet werden. Die wachsende Komplexität ökonomischer und sozialer Faktoren lässt zudem immer mehr Elternhäuser unter Druck geraten. Steigender Leistungsdruck, Angst um den Arbeitsplatz, Konkurrenz und ein schnell getackter Alltag führen dazu, dass gerade der mittlere Lebensabschnitt überlastet ist und die Zeitbedarfe von Eltern- und Partnerschaft, Erwerbsleben und Freizeit immer schwieriger zu koordinieren sind.15 Dass Eltern sich den komplizierter werdenden Alltagsanforderungen nicht gewachsen fühlen, resultiert auch aus schwieriger gewordenen gesellschaftlichen Verhältnissen und problematischeren Rahmenbedingungen, die Eltern und Kinder tagtäglich in ihren Arbeits- und Sozialumfeldern (Schulen, Stadtvierteln) erleben. a) Einstellung Kinder sind heutzutage überwiegend nicht mehr natürliche Folge des Zusammenlebens, sondern angesichts der Wirksamkeit von Verhütungsmethoden das Ergebnis eines bewussten Entschlusses. Dass sie in der Lebensplanung vieler Deutscher, anders als die Ehe beziehungsweise Partnerschaft, aber keine so hohe Priorität mehr einnehmen,16 repräsentiert die beständig abnehmende Geburtenzahl.17 Wenn sich Eltern für Kinder entscheiden, dann nur für eines anstatt für zwei oder mehrere, so dass die allermeisten Einzelkinder ihre ersten sozialen Kontakte und Erfahrungen mit Gleichaltrigen erst im Kindergartenalter machen.18 Diese Veränderungen speisen sich aus mehreren Ursachenquellen, deren Verhältnis und Gewichtung unklar ist.19 Sie lassen sich beispielsweise auf einen individuellen Einstellungswandel zurückführen, der sich entweder als Freisetzung von der gesellschaftlichen Verpflichtung zur Familiengründung oder aber als „Bodengewinn der Selbstentfaltungswerte“20 beschreiben lässt.21

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Lüscher, RdJB 2008, 120, 122. Eine überwiegende Mehrheit der befragten Bundesbürger (90 %) beurteilt eine glückliche Ehe oder Partnerschaft als „wichtig“ für das eigene Leben, etwa zwei Drittel sogar als „sehr wichtig“. Dagegen sehen nur ca. Dreiviertel der Westdeutschen und etwa 80 % der Ostdeutschen Kinder als „wichtig“ für das eigene Leben an, Statistisches Bundesamt, Datenreport 2006, S. 512 f. 17 Es gibt heute in Deutschland nur noch halb so viele Geburten wie vor 40 Jahren. Seit der Wiedervereinigung hat es in Deutschland in jedem Jahr mehr Sterbefälle als Geburten gegeben. Im Jahr 2007 bestand ein Geburtendefizit von 142.000 Menschen, Statistisches Bundesamt, Datenreport 2006, S. 32 f.; dass., FamRZ 2008, S. 1505. Vgl. auch Spieß/Wagener, ZfJ 2001, S. 241; Bertram, ZKJ 2006, S. 273. 18 Schwind, FS Herzberg, S. 945, 951 f., 957 f.; Nesselrode, Spannungen zwischen Ehe und Familie, S. 32 f. 19 Seiler, HdbStR IV, § 81 Rdnr. 10. 20 Pitschas, FS Zacher, S. 755, 769; vgl. auch Kingreen, JZ 2004, 938, 940. 16

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1. Teil: Die Realanalyse

b) Erwerbstätigkeit und Einkommen Die Individualisierung der Eltern äußert sich schließlich auch in der Forderung, dass beide Eltern gleiche Verantwortung in der Erziehung bei kontinuierlicher Erwerbstätigkeit zeigen sollten.22 Angesichtes oft fehlender Kompatibilität von berufstätiger Familie und öffentlichen Betreuungs- und Bildungsangeboten sind dadurch jedoch Frauen und Mütter stark belastet. Obgleich die gesellschaftliche Entwicklung eine Betonung der Rolle des Vaters als Betreuer und Bezugsperson des Kindes erkennen lässt,23 verstärken Kinder auch heute noch die traditionellen Rollenbilder in einer Familie.24 Bei geringer Wertschätzung ihrer Erziehungsarbeit kommen sie gestresst nach Hause und ihnen bleibt oft nur ein minimales Maß an Zeit, um ihrer Verantwortung für das einzelne Kind gerecht zu werden. Anerkennung und Einkommen werden nicht durch die Familientätigkeit, sondern im Beruf erworben.25 Die Kinder sind damit häufig auf sich allein gestellt, um Erlebnisse zu verarbeiten oder mit schulischen oder persönlichen Krisensituationen umzugehen.26 Kinder sind angesichts kollektiver Renten-, Pflege- und Sozialversicherungssystemen für die eigenen ökonomischen Belange im Alter schon lange nicht mehr notwendig. Ihr „Humankapital“ wird im Gegenteil heute als „nicht rentabel“ eingestuft,27 was bei Zugrundelegung der Tatsache, dass sich beruflicher Werdegang und finanzielle Unabhängigkeit, insbesondere für qualifiziert ausgebildete Frauen, schlecht oder gar nicht mit einer Familiengründung vereinbaren lassen, zwar nachvollziehbar erscheint.28 Allein die Situation Kinder zu haben, birgt ein Armutsrisiko, 21 Der sich, wenn die Daten aus verschiedenen Untersuchungen verlässlich sind, vor allem bei jungen Männern zeigt, die ein Leben im Beruf und in der Freizeit dem Leben in Partnerschaft und Familie vorziehen, Bertram, ZKJ 2006, 320, 321. 22 Ostner, RdJB 2009, S. 44, 47. 23 Ostner, RdJB 2009, S. 44, 47 f. 24 Die Frauenerwerbstätigkeit lag in Deutschland im Jahr 2005 bei ca. 60 %. Im europäischen Vergleich ein Mittelwert. Knapp 40 % der Frauen arbeiten Teilzeit (max. 30 Stunden pro Woche), vor allem nach der Geburt eines Kindes. Der Beschäftigungsanteil von Müttern mit Kindern unter fünf Jahren liegt in Deutschland bei etwa 44 %. Mütter mit Kindern bis elf Jahren sind zu zwei Dritteln erwerbstätig. Dieses klassische Familienmodell des Alleinverdienermodells ist ähnlich stark nur noch in Griechenland ausgeprägt (45 %). In Frankreich bestreitet nur noch in jedem dritten Haushalt allein der Mann das Einkommen und in Portugal arbeiten in ca. 60 % der Haushalte beide Partner Vollzeit, Statistisches Bundesamt, Datenreport 2006, S. 485 f.; vgl. auch Bundesfamilienministerium (Hrsg.), 12. Kinder- und Jugendbericht, S. 63 ff. 25 Kirchhof, in: AöR 129 (2004), S. 542, 544. 26 13 % der Kinder in Deutschland klagen über ein Zuwendungsdefizit durch ihre Eltern. 28 % dieser Kinder leben bei erwerbslosen Eltern bzw. 35 % von ihnen bei einem erwerbstätigen und alleinerziehenden Elternteil, World Vision- Kinderstudie 2007, ZKJ 2007, S. 491 ff. 27 Durchschnittlich gaben Eltern für ein Kind monatlich 550 E aus, Statistisches Bundesamt, FamRZ 2006, S. 1254. Zwei Kinder kosten damit bis zum 18. Lebensjahr ungefähr so viel wie eine Eigentumswohnung. 28 Hansbauer, ZKJ 2006, S. 18, 20 ff.; Bertram, ZKJ 2006, S. 320, 322 ff.

A. Bestandsaufnahme

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wenn sich ein Elternteil ausschließlich der Kindererziehung widmet und sich das Familieneinkommen wegen der Mehrausgaben mindert.29 Die ökonomischen Belastungen wachsen insbesondere bei der Gruppe der alleinerziehenden Elternteile mit minderjährigen Kindern.30 Die Armutsquote von alleinerziehenden Frauen (nur jede zehnte alleinerziehende Person ist männlich) ist dreimal so hoch wie die des Bundesdurchschnitts und mehr als doppelt so hoch wie der von Paarhaushalten mit Kindern.31 Fehlen jedoch in einer Gesellschaft die Kinder wird nicht nur die Volkswirtschaft die Innovationskraft der Jugend vermissen, sondern es gerät auch das Verantwortungsbewusstsein für die nächste Generation aus dem Blick.32 3. Abnehmende Erziehungsfähigkeit Kinder benötigen Beständigkeit und Verlässlichkeit zum Aufwachsen. Wo aber die Grundlagen einer gemeinsamen Elternverantwortung fehlen, weil die Eltern sich scheiden lassen oder sie sich in leicht lösbaren Lebenspartnerschaften zusammenfinden, allein erziehend sind, entsteht häufig ein Spannungsfeld.33 Hinzukommt die Pluralität von Elternbildern. Die Konturen und damit der Halt von traditionellen Mutter- und Vaterbildern verschwimmen, Elternschaft wird daher als zunehmend komplexer empfunden34 und am Ende geraten die „Eltern unter Druck“.35 In dem Maße, indem die Heterogenität der Familienverhältnisse traditionelle Orientierungen abbaut, werden zwar einerseits pädagogische Spielräume innerhalb der Eltern-Kind-Beziehung eröffnet, fühlen sich aber viele Eltern andererseits verunsichert, wie die richtige Erziehungsmixtur für den Alltag auszusehen hat. Sie sind oftmals zwischen Laissez-faire und strenger Regelsetzung hin und her gerissen. Die Bedingungen für ihr Elternsein haben sich verändert, so dass sie am Ende selbst nicht mehr wissen, was für ihr Kind gut ist. Das Nachlassen einer selbstbestimmten Alltagsorientierung in Erziehungsfragen ist dabei quer durch alle Bevölkerungsschichten zu Nesselrode, Spannungen zwischen Ehe und Familie, S. 46 ff.; Seiler, Öffentliches Familienrecht, S. 8 ff.; Bundesarbeitsministerium (Hrsg.), 3. Armuts- und Reichtumsbericht, S. 40 f. 30 Alleinerziehende mit einem Kind machen ca. 10 % der Bedarfsgemeinschaft im Rechtskreis des SGB II aus, Institut der deutschen Wirtschaft Köln, Deutschland in Zahlen, S. 79; Statistisches Bundesamt, Mikrozensus 2007, Fachserie 1/3, Tabelle 2.1. 31 Bundesarbeitsministerium (Hrsg.), 3. Armuts- und Reichtumsbericht, S. 92. 32 Kirchhof, in: AöR 129 (2004), S. 542, 548; Seiler, HdbStR IV, § 81 Rdnr. 3. 33 Nach einer Umfrage der Bertelsmann Stiftung fühlen sich 50 % der Eltern von Kindern zwischen null und siebzehn Jahren gelegentlich, 25 % oft und 8 % täglich durch ihren Erziehungsalltag gestresst, zitiert nach Die Welt vom 27.02.2008. 34 Vgl. Ostner, RdJB 2009, S. 44, 47. 35 So der Titel einer von der Konrad-Adenauer-Stiftung herausgegebenen sozialwissenschaftlichen Untersuchung über die unterschiedlichen Lebenssituationen von Eltern in Deutschland: Eltern unter Druck. Selbstverständnisse, Befindlichkeiten und Bedürfnisse von Eltern in verschiedenen Lebenswelten, Berlin 2008. 29

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1. Teil: Die Realanalyse

beobachten. Etwa ein Viertel der Eltern klagt über häufige Probleme und Schwierigkeiten im Umgang mit den Kindern.36 Dass eine nicht gerade kleine Zahl von Vätern und Müttern in ihren Rollen ungeübt ist, spiegeln ihre Söhne und Töchter wider. Bereits verhaltensauffällige Kleinkinder, bei denen Kinderärzte Hyperaktivität, Aufmerksamkeitsstörungen (ADHS)37, Sprachdefizite bis hin zu Verwahrlosungszeichen diagnostizieren, indizieren, dass Eltern sich rarmachen.38 Besondere Schwierigkeiten oder extreme Auffälligkeiten bei Kindern und der drastische Rückzug der Eltern aus ihrer Erziehungsverantwortung lassen sich mitunter im Fernsehen verfolgen.39 Sozial wenig fördernde oder zerbrechende Familien, gestiegener Medienkonsum und wachsender Leistungsdruck bei mangelnden beruflichen Perspektiven dürften zukünftig die virulenten Problemlagen sein, die sich schon jetzt in einer wachsenden Zahl psychisch auffälliger oder sozialgestörter Kinder und Jugendlicher,40 in steigenden Zahlen von Sonderschülern wie dem größer werdenden Anteil von Jugendlichen verübter Gewalt- oder Straftaten zeigen.41 Und angesichts von Schlägereien und Mobbing, die mancherorts zur Alltagskultur auf Schulhöfen gehören, mutet die Forderung nach Schulspeisung für fehlernährte Kinder beinahe als ein mittleres Problem an. Dass die Eigenschaft verantwortungsbewusster Elternschaft nicht mehr als gegeben vorausgesetzt werden kann, zeigt eine seit Jahren kontinuierlich steigende Anzahl Elternratgebern sowie ein wachsender Markt von Angeboten an Elternkursen und Trainingsprogrammen, dass die Elternschaft die richtige Taktik für eine gute Erziehung erlernen will oder Lösung für ihre Erziehungsprobleme sucht.42 Dieses Bedürfnis nach der Vermittlung von Informationen und praktischen Kenntnissen, das Eltern für den alltäglichen Umgang mit ihren Kindern scheinbar verspüren, ist ein 36

Schneewind, FS Lampert, S. 25, 28. ADHS war im Jahr 2007 in der Erziehungs- und Familienberatung der am häufigsten genannte gesundheitsbezogene Beratungsanlass; insgesamt sind 27.000 Fälle vorgestellt worden. 18.500 Kinder und Jugendliche sind mit psychosomatischen Problemen vorgestellt worden; bei 12.000 war autoaggressives Verhalten der Anlass für eine Beratung, Menne, ZKJ 2009, S. 193, 194. 38 Wiesner, ZfJ 2004, S. 161, 162. 39 Die Sozialpädagogin Katharina Saalfrank erteilt in einer Dokumentationsreihe des Fernsehsenders RTL als „Super Nanny“ Erziehungsratschläge. Dort werden auch „Teenager außer Kontrolle“ bei einer Verhaltenstherapie in einem amerikanischen Erziehungscamp begleitet. 40 Etwa jeder zehnte Heranwachsende in Deutschland leidet unter emotionalen Problemen oder Verhaltensauffälligkeiten, Robert-Koch-Institut (Hrsg.), KIGGS, S. 787 ff. 41 In den polizeilichen Kriminalstatistiken findet sich seit Beginn der 1990er Jahre eine Zunahme jugendlicher Gewaltdelikte, insbesondere bei schweren Gewaltformen, Bliesener, FPR 2007, S. 16. 42 Einen Überblick über das Spektrum von Elternratgebern und Elternkursen geben Tschöpe-Scheffler/Deegener, Innovative Formen der Stärkung der Erziehungskompetenz. Elternbriefe, Elternkurse, Elternbildung, S. 782 ff. 37

A. Bestandsaufnahme

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Phänomen, das bis in den Mittelstand hinein zu beobachten ist. Ebenso wie werdende Eltern Geburtsvorbereitungs- und Säuglingspflegekurse besuchen, weil sie Angst haben beim Füttern, Wickeln und Wäschen des Säuglings etwas falsch zu machen, suchen Teenagereltern, die mit der Erziehung ihrer halbwüchsigen Kinder überfordert sind,43 Rat bei Elterntreffen oder machen freiwillig sogenannte Elternführerscheine,44 um ihr Familienleben wieder in geordnete Bahnen zu lenken. Aber die Elternschaft ist nicht nur einfach verunsichert, was das vermeintlich Beste für ihr Kind ist, sondern fühlt sich überfordert und von ihren Kindern entfremdet, wie die erbetene Hilfe bei anonymen Elterntelefonen45 oder in Beratungsstellen46 zeigt. Indiziert wird dies etwa durch die vermehrte Inanspruchnahme von freiwilligen Erziehungshilfen nach dem SGB VIII.47 Für Kinder unter sechs Jahren ist die Zahl der Hilfen zur Erziehung von 79.000 im Jahr 1994 auf ca. 123.600 im Jahr 2004 gestiegen.48 Noch deutlicher fällt die Zunahme der erzieherischen Hilfen für die unter Dreijährigen aus; ausgehend von 24.300 Hilfefällen im Jahr 1992 waren es im Jahr 2004 bereits 38.700 Anträge, also eine Steigerung von rund 59 %.49 Verdoppelt hat sich seit dem Jahr 1993 auch die Zahl von Kindern mit Anzeichen für Kindesmisshandlung, die in den Erziehungs- und Familienberatungsstellen sowie Kinderschutzzentren in Deutschland vorstellig geworden sind.50 Diese Zahl ist zwar nicht gleichzusetzen mit einer Kindeswohlgefährdung gemäß § 1666 BGB, spiegelt aber ebenso einen zunehmenden Beratungsbedarf von Familien in Erziehungsfragen wider. Belegbare Anhaltspunkte für den Verdacht einer Kindeswohlgefährdung bestanden dagegen im Jahr 2007 in 12.800 Fällen, so dass Jugendämter auf der Grundlage von § 8a SGB VIII die Familiengerichte eingeschaltet haben. Dies entspricht einer Steigerung um 18,5 % zum Vorjahr und sogar um 30 % gegenüber dem Jahr 2005. Deutsche Familiengerichte haben daraufhin in 10.800 Fällen die teilweise oder voll43 In der 13. Shell-Jugendstudie gab die Hälfte der befragten Eltern an, nicht zu wissen, woran sie sich in der Erziehung halten soll, Umfrage des Instituts für Demoskopie Allensbach, zitiert nach, Institut der deutschen Wirtschaft (Hrsg.), iwd-Heft 39/2006. 44 Quindel, Elternführerschein, S. 61, 64. Ein solches Seminarprogramm ist abrufbar unter, www.elternfuehrerschein.com. 45 Bei der bundesweit kostenfreien, professionellen Telefonberatung („Nummer gegen Kummer“) haben sich die Anrufe ratsuchender Eltern seit dem Jahr 2000 verdoppelt. 46 Ein Beispiel aus der Praxis schildert Beyersmann, Eine Chance für psychosozial belastete Mütter mit Babys und Kleinkindern, S. 33 ff. 47 Das Spektrum der Hilfen nach dem SGB VIII reicht von reiner Erziehungsberatung, sozialpädagogischer Familienhilfe bis zur Vollzeitpflege in einer anderen Familie oder Heimerziehung. Im Jahr 2006 nahmen 310.500 Heranwachsende diese Hilfen in Anspruch. Das waren 11 % mehr als 2001 und 79 % mehr als 1991, Statistisches Bundesamtes, ZKJ 2008, S. 91. 48 Bundesjugendkuratorium, JAmt 2008, S. 72. 49 Dortmunder Arbeitsstelle Kinder- & Jugendhilfestatistik, Kommentierte Daten der Kinder- und Jugendhilfe, S. 6. 50 Im Jahr 2007 sind knapp 5.000 Kinder in solchen Gefährdungssituationen zu den Beratungsstellen gekommen, Bundeskonferenz für Erziehungsberatung, JAmt 2008, S. 78, 79.

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1. Teil: Die Realanalyse

ständige Entziehung der elterlichen Sorge verfügt; wiederum eine Steigerungsrate um 12,5 % zum Vorjahr und sogar um circa 23 % gegenüber dem Jahr 2005.51 Dabei ist die Zahl der Sorgerechtsentziehungen bei unter Dreijährigen am Höchsten.52

II. Aktuelle Reaktionen der einfachen Gesetzgebung Die nachstehenden staatlichen Betätigungsfelder zeigen, dass die Verbesserung des Kinderschutzes bereits auf der politischen Agenda oben angekommen ist. Erste Schritte sind getan, aber es zeigt sich, dass ein „Kindesschutzganzes“53 Konzept fehlt. 1. Familien- und Erwerbspolitik Die demografische Situation,54 dominiert von einer schrumpfenden Gesamtbevölkerungszahl55 bei sich verlängernder durchschnittlicher Lebenserwartung,56 lässt Kinder mehr denn je zu einem wichtigen Baustein der zukünftigen Gesellschaft werden.57 Die bundesdeutsche Familienpolitik hat den Förderungsbedarf für diesen Bereich erkannt58 und setzt daran, die durch eine zunehmende Kinderlosigkeit befürchteten gesellschaftlichen und ökonomischen Probleme durch familienpolitische Anreize, die die Kinderzahl steigern, zu beseitigen.59 Sie verabschiedet sich von dem Bild der nicht berufstätigen, nur erziehenden Mutter und strebt durch den Ausbau frühkindlicher Betreuungseinrichtungen die Synchronisation von Berufs- und Familienleben an, gestützt durch ein Arrangement aus politischen, wirtschaftlichen und gesell51

Statistisches Bundesamt, FamRZ 2008, S. 1505. Dortmunder Arbeitsstelle Kinder- & Jugendhilfestatistik (Hrsg.), Kommentierte Daten der Kinder- und Jugendhilfe, S. 9. 53 Jestaedt, 6. Göttinger Workshop, S. 10. 54 Birg, Die demographische Zeitenwende, S. 83 ff.; Becker, JZ 2004, S. 929 ff.; BrosiusGersdorf, Verwaltungsarchiv 2007, S. 317, 322 ff. 55 Im Jahr 2007 sind 685.000 Kinder in Deutschland geboren worden, das entspricht etwa 1,3 Kinder je Frau. Die zur Erhaltung der Bevölkerungszahl auf längere Sicht erforderliche Reproduktionsrate von 2,1 Kindern je Frau wird deutlich unterschritten, Statistisches Bundesamt, Datenreport 2006, S. 33; Bundesfamilienministerium (Hrsg.), 12. Kinder- und Jugendbericht, S. 62. 56 Es ist zu erwarten, dass sich der Anteil der 80jährigen bis zum Jahr 2050 verdoppeln wird, Statistisches Bundesamt, Statistisches Jahrbuch 2008, S. 56. Zum Aufwachsen in einer alternden Gesellschaft, Bundesfamilienministerium (Hrsg.), 12. Kinder- und Jugendbericht, S. 73 ff. 57 Vgl. auch Spieker, Essener Gespräche 43 (2009), S. 69, 73 f. 58 Bundesfamilienministerium (Hrsg.), 12. Kinder- und Jugendbericht des Bundes, S. 56 ff. 59 Beckmann, ZfL 2006, S. 7, 13. 52

A. Bestandsaufnahme

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schaftlichen Kooperationen.60 Da „in der Schaffung familienfreundlicher Rahmenbedingungen die Zukunftsfrage schlechthin“61 zu sehen ist, werden Wirtschaftsunternehmen62 eingebunden, die durch familienunterstützende Infrastrukturen (flexiblere Arbeitszeitmodelle, Teilzeitstellen, Betriebskindergärten) eine eltern- und kindergerechte Personalpolitik mit bewirken.63 Daneben setzt sich der gesetzgeberische Maßnahmenbaukasten aus der Einführung des Elterngeldes,64 der steuerlichen Absetzbarkeit von Kinderbetreuungskosten65 und dem beschlossenen Ausbau von Betreuungsplätzen für Kinder unter drei Jahren66 zusammen und zeigt den politischen Lenkungswillen in Richtung eines 60

Studien der Robert-Bosch-Stiftung („Unternehmen Familie“, 2006) und der Bertelsmann Stiftung („Vereinbarkeit von Familie und Beruf im internationalen Vergleich“, 2006) zeigen den Bedarf für mehr Zusammenarbeit in diesem Feld. 61 Kämper, GS Tettinger, S. 537, 551. 62 Beispielsweise besteht seit dem Jahr 2003 auf Initiative der Bertelsmann Stiftung und des Bundesfamilienministeriums zwischen der deutschen Wirtschaft und Politik eine sog. „Allianz für die Familie“, die durch die Herstellung einer familienfreundlichen Unternehmenskultur eine positive Grundhaltung zu Familien mit Kindern erzeugen will. Durch lokale Bündnisse wirbt das Unternehmensnetzwerk „Erfolgsfaktor Familie“, eine gemeinsame Initiative des Bundesfamilienministeriums und des Deutschen Industrie- und Handelskammertags seit dem Jahr 2006 für dasselbe Ziel, Die Welt vom 29.10.2008. Durch das von der Hertie-Stiftung finanzierte Audit „Beruf und Familie“ können sich Unternehmen ihre Familienfreundlichkeit zertifizieren lassen, Die Welt vom 29.12.2006. 63 Vgl. auch den Koalitionsvertrag zwischen CDU/CSU und SPD-Fraktion vom 11.11.2005, Abschnitt VI: Familienfreundliche Gesellschaft, Kap. 1: Bessere Infrastruktur für Familien, Zeilen 4789 bis 4817; Bundesfamilienministerium (Hrsg.), 12. Kinder- und Jugendbericht, S. 540 ff. 64 Das Gesetz zum Elterngeld und zur Elternzeit vom 05.12.2006 (BEEG, BGBl. I, S. 2748), in Kraft seit dem 01.01.2007, hat das Bundeserziehungsgeld als staatliche Einkommensersatzleistung abgelöst. Es regelt, dass der Elternteil, der nach der Geburt eines Kindes eine Babypause von zwölf Monaten einlegt, 67 % seines letzten Nettoeinkommens, max. 1.800 E, erhält. Nehmen sich beide Partner eine berufliche Auszeit erhält die Familie 14 Monate lang das Elterngeld. Erwerbslose, Studenten und Hausfrauen erhalten einen Sockelbetrag von 300 Euro, der mit einem Geschwisterbonus von 75 Euro für ein weiteres Kind in der Familie aufgestockt werden kann. Ein Jahr nach Einführung des Elterngeldes ist die Geburtenrate leicht gestiegen und ca. 10 % der lohnabhängigen Elterngeldanträge werden von Vätern gestellt, Die Welt vom 29.02.2008. Verfassungsrechtlich kritisch bewerten das Elterngeld, Seiler, FamRZ 2006, S. 1117; ders., NVwZ 2007, S. 129; Kämper, GS Tettinger, S. 537, 540; a. A. Brosius-Gersdorf, NJW 2007, S. 177 ff.; dies., JZ 2007, S. 326 ff. 65 Hierzu zählt das Gesetz zur steuerlichen Förderung von Wachstum und Beschäftigung vom 26.04.2006 (BGBl. I, S. 1091). Gemäß §§ 4f, 10 Abs. 1 Nr. 5 EStG ist die steuerliche Abzugsfähigkeit von Kinderbetreuungskosten erweitert worden, vgl. Hey, NJW 2006, S. 2001. 66 Ausgangspunkt ist das Gesetz zum qualitätsorientierten und bedarfsgerechten Ausbau der Tagesbetreuung für Kinder (TAG) vom 27.12.2004 (BGBl. I, S. 3852) mit dem gemäß § 24 Abs. 3 SGB VIII ein Mindestversorgungsniveau an Kindergartenplätzen festgeschrieben worden ist. Im Jahr 2006 sind etwa 13,5 % der unter Dreijährigen aushäusig betreut worden; in den ostdeutschen Bundesländern sogar ca. 40 %, Statistisches Bundesamt, Statistisches Jahrbuch 2007, S. 226. Bis 2013 soll bundesweit für ein Drittel der Kinder bis drei Jahren eine Tagesbetreuung bei einer Tagesmutter oder in einer Kindertagesstätte angeboten werden kön-

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1. Teil: Die Realanalyse

„kindgerechten Deutschland[s]“.67 Öffentliche Institutionen und Einflüsse gewinnen also bei der Kindererziehung zunehmend an Bedeutung.68 Mögen diese finanziellen Anreizstrukturen vorrangig Arbeitsmarkt- und gleichstellungspolitische Zielsetzung verfolgen,69 eröffnen sie zugleich auch Zugangswege zu Familien, besonders mit jüngeren Kindern.70 In ihrer Gesamtheit signalisieren diese Reformen eine veränderte „Erziehungspartnerschaft“ von familialer und öffentlicher Erziehung. Einen Trend zur „Veröffentlichung“ der Familie.71 2. Im Bereich der Verwaltung Eine öffentliche Debatte um das vermeintliche Versagen der familialen Kindererziehung rückt nicht nur die elterlichen Erziehungsträger in den Blickpunkt, sondern fragt auch nach den Möglichkeiten eines frühzeitigeren staatlichen Handelns.72 Die Bereitschaft von Politik und Öffentlichkeit hat zugenommen, in Familien frühzeitiger zu intervenieren.73 Das Kernproblem besteht aber in der Schwierigkeit, dass der Staat nur bei einer akuten Gefährdungssituation zugunsten des Kindes eingreift (vgl. Vierter Teil, D. II.) sowie der Tatsache, dass es ihm verwehrt ist, frühzeitig genug Anhaltspunkte für Verdachtsfälle von Kindesmisshandlungen und -vernachlässigungen zu erlangen.74 Der im Jahr 2005 gesetzlich verankerte Schutzauftrag des Jugendamts bei Kindeswohlgefährdung gemäß § 8a SGB VIII75 hat die Aufgaben der Jugendämter konkrenen. Für alle übrigen Eltern soll ein monatliches Betreuungsgeld gemäß § 16 Abs. 4 SGB VIII n.F. gezahlt werden. Daneben soll es auch für unter Dreijährige einen Rechtsanspruch auf einen Betreuungsplatz geben, Gesetz zur Förderung von Kindern unter drei Jahren in Tageseinrichtungen und in Kindertagespflege (BGBl. I 2008, S. 2403). 67 Vgl. den gleichnamigen nationalen Aktionsplan des Bundesfamilienministeriums für die Jahre 2005–2010, der verschiedene Handlungsfelder, wie Chancengerechtigkeit durch Bildung, Aufwachsen ohne Gewalt und die Förderung gesunder Lebens- und Umweltbedingungen nutzt, um dem gesellschaftlichen Diskurs für ein kinderfreundliches Deutschland Impulse zu verleihen. 68 Vgl. auch Scheiwe, RdJB 2009, S. 63, 74. 69 Drittens wird eine sog. Disparitätendebatte geführt, Wiesner, Essener Gespräche 43 (2009), S. 117, 125 f.; vgl. auch Spieker, Essener Gespräche 43 (2009), S. 69, 73 ff. 70 Jestaedt, 6. Göttinger Workshop, S. 8. 71 Ostler, RdJB 2009, S. 44, 47 ff., 54 geht noch darüber hinaus und spricht von „Entfamilisierung“. 72 A. A. Bundesjugendkuratorium, JAmt 2008, S. 72, 75 f. 73 Fast die Hälfte der in einer Umfrage interviewten Bundesbürger forderte, dass Eltern zur Teilnahme an einem Erziehungskurs verpflichtet werden sollten. Nur ein Drittel spricht sich gegen einen Fortbildungszwang aus, Institut für Demoskopie Allensbach, zitiert nach, Institut der deutschen Wirtschaft (Hrsg.), iwd-Heft 39/2006. 74 Vgl. die Forderungen und Beschlüsse der Jugendministerkonferenzen am 18./19.05.2006 und 24.11.2006. 75 Eingefügt durch das Kinder- und Jugendhilfeweiterentwicklungsgesetz (KICK) vom 08.09.2005, BGBl. I, S. 2729.

A. Bestandsaufnahme

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tisiert. Allerdings sind vor dem Hintergrund mehrerer erschütternder Fälle von Kindesvernachlässigung und Jugenddelinquenz fachliche und organisatorische Defizite bei dem Einschreiten der Behörden erkennbar geworden. Bei einigen der öffentlich bekannt gewordenen Fälle waren die Familien bereits im Vorfeld behördlich bekannt, dennoch mussten die Kinder unter schlimmsten Bedingungen leben, teilweise war sogar trotz eines Hausbesuches des Jugendamtsmitarbeiters die Unterversorgung des Kindes nicht aufgefallen.76 Anhand von Jugendamtsberichten ist in einer Studie festgestellt worden, dass einzelne Anzeichen von Kindeswohlgefährdungen in der Praxis nicht wahrgenommen werden. Dies kann u. a. daran liegen, dass in 75 % der bearbeiteten Fälle die mitgeteilten Beurteilungen über menschliches Erleben und Verhalten auf einer Grundlage basierten, die „in jedem Fall außerhalb der wissenschaftlichen Psychologie anzusiedeln sind“.77 In anderen Fällen hat der mit der Kontrolle beauftragte Amtsinhaber das Kind nicht selbst in Augenschein genommen, weil er sich durch die Aussagen der Eltern täuschen oder auf einen nächsten Hausbesuchstermin vertrösten ließ. Mitunter finden gar keine Hausbesuche statt.78 Um zukünftig zu verhindern,79 dass sich daraufhin die Jugendamtsmitarbeiter in Strafverfahren wegen der Verletzung der ihnen gemäß § 1 Abs. 2 S. 2, Abs. 3 Nr. 3 und § 2 SGB VIII obliegenden Sorgfaltspflichten für den Tod der nicht besuchten Kinder zu verantworten haben,80 während die Jugendämter für die Versäumnisse ihrer für den einzelfallverantwortlichen Mitarbeiter81 in Amtshaftungsprozessen vor den ordentlichen Gerichten haftbar gemacht werden (vgl. Art. 34 GG i.V.m. § 839 BGB),82 sah ein mittlerweile aus anderen Gründen gestoppter Gesetzesentwurf zur Verbesserung des Kinderschutzes u. a. eine Neufassung von § 8a Abs. 1 S. 2 SGB VIII vor.83 Danach hätten sich die zuständigen Mitarbeiter des Jugendamtes von gefährdeten Kindern „einen unmittelbaren Eindruck“ verschaffen müssen, wozu in der Regel auch die persönliche Umgebung, also ein Hausbesuch gehört. 76

Hildebrandt, ZKJ 2008, S. 396, 398. Erben/Schade, ZfJ 1994, S. 209, 210; vgl. auch Munro, JAmt 2008, S. 106, 109 zu den gravierenden Inkompetenzen britischer Sozialarbeiter. 78 Zu teilweise erschreckenden fachlichen und organisatorischen Mängeln bei der Arbeit von Jugendamtsmitarbeiter, Hildebrandt, ZKJ 2008, S. 396, 397 ff. 79 Das hier Handlungsbedarf besteht zeigen die bereits von einer Arbeitsgruppe des Deutschen Städtetages herausgegebenen Empfehlungen „Strafrechtliche Relevanz sozialarbeiterischen Handelns“, ZfJ 2004, S. 187 ff. 80 OLG Oldenburg, ZfJ 1997, 56; OLG Stuttgart, ZfJ 1998, 382. Neben unterlassener Hilfeleistung gemäß § 323 StGB kann sich eine Strafbarkeit aus fahrlässiger Tötung (§ 222 StGB) oder fahrlässiger Körperverletzung durch Unterlassen gemäß §§ 229, 13 Abs. 1 StGB ergeben. Vgl. auch Bringewat, FPR 2007, S. 12. 81 Einen Fall besonders mangelhafter Dienst- und Fachaufsicht offenbart der Bericht des Untersuchungsausschusses der Bremischen Bürgerschaft im Fall Kevin, LT-Drs. 16/1381, insbesondere S. 219, 252, 271, 320 f. 82 OLG Stuttgart, ZfJ 2004, 193; BGH, ZfJ 2005, 167. 83 BRat-Drs. 59/09, S. 4. Sehr kritisch Mörsberger, RdJB 2009, S. 34, 40. 77

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1. Teil: Die Realanalyse

Bei klar zu Tage tretenden Kindeswohlgefährdungen liegt das Problem mitunter nicht nur in einer ungenügenden gesetzlichen Handhabung, sondern in der exekutiven Umsetzung.84 Dass Haushaltsbudgetierungen eine verknappte Personalausstattung bedingen, die zu zeitsparender Fallerledigung gezwungen ist, ist die eine Seite. Andererseits geben unvollständig oder nicht gerichtsfest geführte Aktendokumentationen eindeutige Hinweise für qualitativen Veränderungsbedarf bei den Jugendämtern.85 Organisatorische Fehler der Leitungsebene und individuelle Fehlentscheidungen der Fachkräfte bei der Abklärung von Kinderschutzfällen und der Einschätzung des vorhandenen Misshandlungs- und Vernachlässigungspotenzials werden sich nie ganz ausschließen lassen, weil Entscheidungen in Situationen der Unsicherheit gefällt werden, so dass eine gewisse Fehlerquote nicht auszuschließen ist.86 Durch Qualifizierungsmaßnahmen sind aber zumindest die Kenntnisse der Behördenmitarbeiter um aktuelles Fachwissen, sich ändernde Gesetzeslagen anzureichern und sie für kindeswohlgefährdende Sachverhalte zu sensibilisieren.87 Wie auch die Aufsichtsbefugnisse der Behördenleitung und ihre Verantwortung für die Qualität der Mitarbeitertätigkeit im Wege von Mitarbeitergesprächen, Superrevisionen und kollegialen Beratungen kontrolliert werden kann. 3. Im Bereich des Familiengerichts Daneben wird immer wieder eine mangelnde Abstimmung zwischen Jugendämtern und Familiengerichten über die Beurteilung von Gefährdungslagen und im Einzelfall zu treffenden Maßnahmen beklagt. Die Jugendämter bemängeln vergebliche Versuche die Familiengerichte einzuschalten, weshalb nicht nur das gefährdete Kind ohne Schutz bleibt, sondern auch die Behörde erhebliche Autoritätseinbußen gegenüber den Eltern hinnehmen muss und eine weitere vertrauensvolle Zusammenarbeit mit diesen erschwert wird.88 Auf der Kehrseite bemängelt die Richterschaft ein zu langes Zuwarten der Jugendämter und damit eine zu späte Einschaltung ihrerseits, so dass lediglich die Sorgerechtsentziehung als einzig zu verfügende Maßnahme übrig bleibe.89 In der Praxis verfügen Familiengerichte in etwa 70 % der Kinderschutzverfahren die teilweise

84

Dahm, Verwaltungsrundschau 2008, S. 400, 403. Zur Fehleranalyse insgesamt, Bundesfamilienministerium (Hrsg.), Lernen aus problematischen Kinderschutzverläufen, S. 14 ff.; Kindler, Prävention von Vernachlässigung, S. 94. 86 Munro, JAmt 2009, S. 106, 113. 87 Zur dringend notwendig erscheinenden Verbesserung der fachlichen Beurteilungskompetenz von Jugendamtsmitarbeitern, vgl. Hildebrandt, ZKJ 2008, S. 396, 398, 403. 88 Vgl. Seier, FPR 2008, S. 483, 485; Willutzki, ZKJ 2008, S. 139, 140. 89 Wiesner, ZKJ 2008, S. 143, 145. 85

A. Bestandsaufnahme

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oder vollständige Entziehung des Sorgerechts.90 In jedem Fall steht fest, dass die Folgen eines zu langen Zuwartens für das einzelne Kind verhängnisvoll sein können. Die geschilderte Konstellation hat Anlass zur Neuregelung von § 1666 BGB durch das „Gesetz zur Erleichterung familiengerichtlicher Maßnahmen bei Gefährdung des Kindeswohls“ gegeben.91 Die Neuregelung sieht neben dem Abbau von Tatbestandshürden92 und der Konkretisierung der Rechtsfolgen in § 1666 Abs. 3 BGB (sozialpädagogische Angebote der Kinder- und Jugendhilfe zur Erziehungsberatung, Antigewalttraining, konkrete Anweisung an die Eltern für ihr Kind einen Kindergartenplatz zu suchen oder für dessen regelmäßigen Schulbesuch zu sorgen, vgl. Vierter Teil, C. II.) weitere materiell- und verfahrensrechtliche Neuerungen vor (vgl. §§ 15593 und 157 FamFG94),95 die im Ergebnis dazu beitragen, dass die Eltern sozialpädagogische Hilfe- und Unterstützungsangebote annehmen, solange sie im konkreten Fall noch zur Gefahrenabwehr geeignet sind. Trotz Neufassung des § 1666 BGB und wiederholter Hinweise des Bundesjustizministeriums, dass dadurch ein „besserer Schutz für gefährdete Kinder“ durch eine niederschwellige und frühzeitige Einschaltung der Familiengerichte geschaffen wurde,96 ist damit aber gerade keine Absenkung der Eingriffsschwelle für gerichtliche Interventionen hergestellt worden.97 Zwar enthält der in § 1666 Abs. 3 BGB aufgenommene Beispielskatalog von Folgemaßnahmen deutlich weniger eingriffsintensive Maßnahmen als die teilweise beziehungsweise vollständige Entziehung der elterlichen Sorge. Der entscheidende Anknüpfungspunkt für staatliche Interventionen beziehungsweise für die Eingriffsentscheidung des Gerichts bleibt aber die „Gefähr90 Bundesjustizministerium (Hrsg.), Abschlussbericht „Familiengerichtliche Maßnahmen bei Gefährdung des Kindeswohls“, S. 23; BT-Drs. 16/6815, S. 9, 11, 15; vgl. auch Münder/ Mutke/Schone, Kindeswohl, S. 120 ff., 136 f. und die Stellungnahme der Arbeitsgemeinschaft für Jugendhilfe (AGJ), ZKJ 2007, S. 313. 91 Gesetz vom 04.07.2008 (BGBl. I, S. 1188). 92 Bislang konnte das Familiengericht gemäß § 1666 Abs. 1 BGB in die elterliche Sorge nur eingreifen, wenn die Eltern durch ein Fehlverhalten, d. h. durch missbräuchliche Ausübung der elterlichen Sorge, durch Vernachlässigung des Kindes oder durch unverschuldetes Versagen, das Kindeswohl gefährdeten und zusätzlich nicht gewillt oder in der Lage waren, die Gefahr abzuwenden. Das Tatbestandsmerkmal des „elterlichen Erziehungsversagens“ ist aus § 1666 Abs. 1 BGB gestrichen worden, weil ein ursächliches „Erziehungsversagen“ der Eltern in der Praxis häufig schwer nachzuweisen war, BT-Drs. 16/6815, S. 9 f., 14. 93 § 155 FamFG sieht ein umfassendes Vorrang- und Beschleunigungsgebot für Kinderschutzverfahren vor. Das Gericht hat binnen eines Monats in Verfahren wegen Gefährdung des Kindeswohls einen ersten Erörterungstermin anzusetzen bzw. unverzüglich nach Verfahrenseinleitung Eilmaßnahmen zu erörtern, vgl. § 156 Abs. 3 i.V.m. §§ 49 ff. FamFG. 94 BGBl. I, S. 2585 vom 17. 12. 2008, In Kraft getreten am 01.09.2009; Coester-Waltjen, Jura 2009, S. 358 ff. 95 Auflistung findet sich bei Meysen, NJW 2008, S. 2673. 96 Pressemitteilung des BMJ vom 11.07.2007 und 24.04.2008. 97 Ausdrückliche gesetzgeberische Begründung, BT-Drs. 16/6815, S. 14; vgl. auch den Ausschussbericht, BT-Drs. 16/8914, S. 15.

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1. Teil: Die Realanalyse

dung des Kindeswohls“. Die Gefährdungsschwelle ist also unverändert geblieben.98 Erst wenn das Gericht die Gewissheit hat, dass diese Eingriffsschwelle überschritten worden ist, darf es gemäß § 1666 BGB handeln. Im vorgelagerten Bereich, der Raum für nicht nur punktuelle staatliche Entscheidungen, sondern Ansatzpunkte für eine auf längere Zeit angelegte Zusammenarbeit mit den Eltern mit der Möglichkeit zu deren Verhaltensänderung böte, existiert dagegen weiterhin ein Vakuum zum Nachteil gefährdeter Kinder.99 Dass die aktuelle Tendenz zu einer Vorverlegung der Interventionsschwelle strebt, zeigt die Neuregelung von § 157 FamFG.100 Nach diesem kann eine „Erörterung der Kindeswohlgefährdung“ zwischen Familienrichter und den Eltern stattfinden, wenn eine „mögliche“ Gefährdung des Kindeswohls in Frage steht.101 Persönlich sollen die Eltern zusammen mit Vertretern des Jugendamts und gegebenenfalls dem Kind noch in der Phase vor einer gerichtlichen Entscheidung an einem „Erziehungsgespräch“ teilnehmen. Ihnen soll „mit der Autorität des Richters“ verdeutlicht werden, dass die Abwehr von Gefahren für das Kindeswohl primär ihre Aufgabe ist, indem sie notwendige Hilfen der öffentlichen Hand annehmen und mit der Jugendhilfe kooperieren, um ihre Elternkompetenz wiederherzustellen beziehungsweise welche Konsequenzen gemäß § 1666 BGB mit der Nichtannahme dieser Leistungen verbunden sind.102 Das Familiengericht zieht also auch hier die Entscheidungskompetenz nicht frühzeitiger an sich, sondern soll lediglich unterstützend für den Hilfeprozess des Jugendamtes wirken.103 Übernimmt damit aber letztlich eine Aufgabe, Führung von pädagogischen Gesprächen, für die die einzelnen Familienrichter gar nicht ausgebildet sind.104 4. Zwischenergebnis Die Veränderung der tatsächlichen Verhältnisse kann einen Rechtswandel auf unterschiedlichen Wegen andeuten. Sie kann die vorherrschende Vorstellung beeinflus-

98 A. A. Rosenboom/Rotax, ZRP 2008, S. 1, 2 jedenfalls im Hinblick auf § 55 f FGG (jetzt: § 157 FamFG), weil im Erörterungstermin einer „möglichen“ Kindeswohlgefährdung begegnet werden soll. 99 Kritisch gegenüber den „marginalen“ Neuregelungen, Röchling, FamRZ 2007, S. 431; ders., FamRZ 2007, S. 1775; ders., FamRZ 2008, S. 1495. Vgl. auch Hildebrandt, ZKJ 2008, S. 396, 401. 100 Die auf einen Gesetzesantrag des Freistaates Bayern zurück geht, BR-Drs. 296/06 vom 03.05.2006. 101 Walper, RdJB 2009, S. 21, 26 ff. 102 BT-Drs. 16/6815, S. 17 f.; Willutzki, ZKJ 2008, S. 139, 141. Bislang war ein solche Anhörung gemäß §§ 1666, 1666a BGB i.V.m. § 50a FGG möglich, ist aber praktisch kaum genutzt worden. 103 Wiesner, RdJB 2009, S. 13, 17. 104 Sehr kritisch Oberloskamp, 6. Göttinger Workshop, S. 45, 58, die darin die Nähe der Überschreitung der Grenze der Gewaltenteilung (Art. 20 Abs. 3 GG) sieht.

B. Kindeswohlgefährdung

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sen, sodass diese sich mittelbar auf die Gesetzesauslegung auswirkt, oder die Normen sind im Hinblick auf die Lebenswirklichkeit zu konkretisieren. Vorliegend haben die Veränderungen der außerrechtlichen Lebensordnung bereits zur Suche nach neuen Zugangswegen zu (belasteten) Familien geführt.105 Auf verschiedenen Wegen wird auf das Familienleben, seine Gestaltung, die Rollenverteilung der Partner durch finanzielle Vorteile oder verbindliche Vorgaben Einfluss ausgeübt. Die vielen unterschiedlichen Ansätze spiegeln auch die Problembelastungen und den Handlungsbedarf in diesem Bereich wider. Daraus allein ergibt sich aber noch kein weiteres „Durchschlagen“ auf die Verfassungsebene. Die Grenze zwischen staatlichem Wächteramt und verfassungsrechtlichem Elternrecht könnte angesichts der Nachrangigkeit des einfachen Rechts aber auch nicht durch eine Neufassung von 1666 Abs. 1 BGB verschoben werden.106 Dies ist dem einfachen Recht aufgrund des Stufenbaus der Rechtsordnung versagt. Die Verfassung bildet die Grundlage und Grenze für gesetzgeberische Neuregelungen. Ein unantastbarer verfassungsrechtlicher Kerngehalt verleiht jedem Grundrecht Stetigkeit und Rechtssicherheit, so dass der Gesetzgeber im Rahmen der abstrakt formulierten verfassungsrechtlichen Ordnung durch Neujustierung der einfachen Gesetze zu versuchen hat die soziale Wirklichkeit abzubilden und handhabbar zu machen.107 Die Garantie verpflichtet dann in erster Linie zu einer verfahrensmäßigen Prüfung und Begründung der Änderungen, die sich an dem Erfordernis der Stabilität des rechtlich geordneten Lebensbereichs zu orientierten haben.108

B. Kindeswohlgefährdung – sozialwissenschaftliche Begriffsbestimmung Der Begriff der Kindeswohlgefährdung ist tatbestandlicher Anknüpfungspunkt für familiengerichtliche Eingriffsmaßnahmen gemäß § 1666 Abs. 1 BGB109 wie auch entscheidendes Merkmal des jugendamtlichen Schutzauftrages gemäß § 8a SGB VIII (vgl. Zweiter Teil, B. I.). Das elterliche Fehlverhalten, das die Ursache für die Gefährdung des kindlichen Wohls bildet, kann konkret oft nicht benannt wer-

105 Als eine „Flut von Kinderschutz-Initiativen“ bezeichnet Katzenstein, JAmt 2009, S. 9 die Gesetze, Handlungsleitfäden, Veröffentlichungen etc., die sich zum Ziel gesetzt haben Kinder besser zu schützen. 106 BT-Drs. 16/6815, S. 14. 107 Becker, JZ 2004, S. 929, 930; Nesselrode, Spannungsverhältnis zwischen Ehe und Familie, S. 26 f. 108 Steiger, VVDStRL 45 (1987), S. 55, 75. 109 Zusätzlich ist der elterliche Unwillen bzw. deren Unfähigkeit zur Gefahrabwendung hinsichtlich der Kindeswohlgefährdung erforderlich, vgl. auch Diederichsen, in: Palandt, § 1666 BGB Rdnr. 20.

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1. Teil: Die Realanalyse

den.110 Dies, weil Einblicke in das Familieninnere fehlen. Untersuchungsergebnisse legen zudem nahe, dass die Vielzahl betroffener Kinder nicht etwa ausschließlich einer Vernachlässigungs- oder Gewaltform ausgesetzt ist;111 vielmehr treten Misshandlungen häufig erst nach Vernachlässigungserfahrungen auf beziehungsweise zu diesen hinzu.112 Um konkreter werden zu lassen, welche Arten von Gefährdungspotentialen existieren, sollen Details im Nachfolgenden anhand sozialwissenschaftlicher Kategorien dargestellt werden. Dort unterscheidet man zwischen drei verschiedenen Formen der Kindeswohlgefährdung, namentlich der Vernachlässigung, dem sexuellen Missbrauch und der Misshandlung.113 Zu diesen Erscheinungsformen, den zugrunde liegenden Risikofaktoren und den daraus resultierenden Folgen wird Näheres ausgeführt, auch um augenfälliger zu machen, dass derzeit in Deutschland ein tatsächlicher Bedarf dafür besteht, gefährdeten Kindern aus hoch belasteten Familien frühzeitig Hilfen zukommen zu lassen.114

I. Frühkindliche Basisbedürfnisse Der Prozess des Heranwachsens eines Kindes stellt verschiedene alters- und entwicklungsabhängige Anforderungen an die elterliche Erziehungsaufgabe und erfordert deren Anpassung an die wechselnden Bedürfnisse des Kindes.115 Da die Einordnung von elterlichen Erziehungsdefiziten und daraus resultierenden kindlichen Entwicklungsverzögerungen vor dem Informationshintergrund, welche Handlungen und Maßnahmen die elterliche Pflege und Erziehung in den ersten Lebensjahren eines Kindes notwendigerweise umfassen sollte, leichter möglich erscheint, werden diese, so wie sie sich in der bindungs- und erziehungswissenschaftlichen Forschung116 der letzten Jahre herausgebildet haben, kurz umrissen.

110 Gemäß § 1666 Abs. 1 BGB a.F. kamen vier unterschiedliche Erscheinungsformen des elterlichen Erziehungsversagens in Betracht (missbräuchliche Ausübung der elterlichen Sorge, Vernachlässigung, unverschuldetes Versagen oder das Verhalten Dritter). Um praktische Schwierigkeiten bei der Anrufung des Familiengerichts zu verringern, sind diese gestrichen worden, BT-Drs. 16/6815, S. 10, 14. 111 Deegener, Formen und Häufigkeiten der Kindesmisshandlung, S. 37. 112 Kindler, Prävention von Vernachlässigung, S. 94, 95; Mutke, Gefährdung des Kindeswohls, S. 1. 113 Gewalttätige Misshandlungen oder sexueller Missbrauch sind bislang unter § 1666 Abs. 1 BGB a.F. als „Sorgerechtsmissbrauch“ bzw. gefährdendes „Verhalten eines Dritten“ subsumiert worden, Diederichsen, in: Palandt, § 1666 Rdnr. 14 f., 19. 114 Ziegenhain, Beziehungs- und Erziehungskompetenz, S. 119, 120. 115 Zu den einzelnen kindlichen Entwicklungsstufen und -inhalten, vgl. Bundesfamilienministerium (Hrsg.) 12. Kinder- und Jugendbericht, S. 148 ff. 116 Grossmann, Psychologie in Erziehung und Unterricht 47, S. 221.

B. Kindeswohlgefährdung

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Bereits während der Schwangerschaft kann die Mutter durch eine adäquate Ernährung und den Verzicht auf Alkohol und andere Suchtmittel grundlegende Rücksichtnahme und Aufmerksamkeit gegenüber den körperlichen Bedürfnissen ihres Kindes117 üben.118 Für Säuglinge und Kleinkinder steht sodann die Befriedigung existenzieller Grundbedürfnisse wie Ernährung und Flüssigkeitsgabe, Gesundheits- und Körperpflege sowie Schutz vor Gefahren (massiver Lärm, Umweltgifte, Krankheiten, Witterung) an erster Stelle. Für den weiteren Entwicklungsprozess der ersten drei Lebensjahre ist ein gelungener personaler Bindungsaufbau ein wichtiger Baustein.119 Für das Kind ist die Erfahrung emotionaler Sicherheit durch die kontinuierliche und stabile Betreuung durch eine verlässliche Bezugsperson, die auf seine emotionalen Bedürfnisse reagiert, es z. B. lobt oder tröstet, bedeutsam.120 Forschungsergebnisse von Neurobiologie, Bindungsforschung und Entwicklungspsychologie belegen relativ gut, wie positiv prägend frühe Kindheitserfahrungen von emotionaler Zuwendung und zuverlässiger Aufmerksamkeit durch eine Bezugsperson für die psycho-soziale Kompetenz und Identitätsbildung eines Kindes sind121 beziehungsweise frühe Verletzungen des Kindes das ganze Leben prägende Auswirkungen haben. Formen der fürsorglichen Bindung und des feinfühligen Eltern-Seins sind nicht unbedingt naturgegeben, insbesondere dann nicht, wenn die Eltern selbst Deprivation und Gewalt in ihrer Kindheit erlebt haben, können aber erlernt werden.122 Neben dem Erlebnis stabiler und regelmäßiger Strukturen, die dem Kind eine sichere Basis geben, beeinflusst konkretes, positives Einwirken den größten Teil der kindlichen Denk- und Persönlichkeitsentwicklung sowie seines Sozialverhaltens.123 In der Hirnforschung und Lernpsychologie besteht weitgehende Einigkeit darüber, dass die Prägungen und Erlebnisse, die ein Kind in den ersten zwei bis drei Lebensjahren erfährt für seine emotionale und körperliche und auch die Herausbildung seiner Intelligenz und Interessen von entscheidender Bedeutung sind. In dieser Phase ist das Kind so neugierig, lernfähig und kreativ wie später nie mehr. Hier erfolgt die Sprach-, Verhaltens- und Persönlichkeitsbildung wie auch Werteorientierung.124 117 Gegenüber werdenden Müttern, die sich gefährdend hinsichtlich des ungeborenen Kindes verhalten, ist § 8a SGB VIII tatbestandlich nicht anwendbar. Ob ein familiengerichtliches Verfahren gemäß § 1666 BGB schon vor dem Zeitpunkt der Geburt des Kindes (vgl. § 1 BGB) einzuleiten ist, erscheint bereits angesichts fehlender tatsächlicher Kontrollmechanismen fraglich. Rechtsprechung zu diesem Problemkreis ist jedenfalls nicht ersichtlich, vgl. DJI, JAmt 2008, S. 248 ff. 118 Blum-Maurice, Die Wirkungen von Vernachlässigung auf Kinder, S. 113 f. 119 Zum Bindungsaufbau, Bowlby, Frühe Bindung und kindliche Entwicklung, S. 47 ff. 120 Kindler/Schwabe, Kind-Prax 2002, S. 10 ff. 121 Dettenborn, Kindeswohl und Kindeswille, S. 38. 122 Ziegenhain, Beziehungs- und Erziehungskompetenz, S. 119, 121 f.; Blum-Maurice, Die Wirkungen von Vernachlässigung auf Kinder und der „Kreislauf der Gewalt“, S. 113, 116 f. 123 Zu verschiedenen Erziehungsstilen, Schwind, FS Herzberg, S. 945, 948 ff. 124 Schwind, FS Herzberg, S. 945, 946.

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1. Teil: Die Realanalyse

Für ein Kleinkind sind deshalb altersgerechte Interaktion, beispielsweise spielerische Anregung und Anleitung durch eine anerkennende Bindungsperson bedeutsam, die der Entwicklung altersgerechte Impulse verleiht, aber dem Kind auch Regeln und Grenzen aufzeigt. Durch ganz alltägliche Erziehungsmechanismen des (unbewussten) Vorlebens von allgemeinen Verhaltensregeln und dem Erleben menschlicher Reaktion sammelt das Kind Erfahrungen und lernt gesellschaftliche Regeln und Verhaltensmuster zu verstehen.125 Wird dieses Zeitfenster nicht genutzt, ist das nachträgliche Erlernen solcher Fähigkeit kaum oder schwer möglich.

II. Kindeswohlgefährdung – Kategorienbildung Nach sozialwissenschaftlicher Kategorienbildung lassen sich die Ursachen von Kindeswohlgefährdungen in Vernachlässigungs-, Missbrauchs- und Misshandlungssituationen unterteilen. 1. Vernachlässigung Die Mehrzahl der Kinderschutzfälle in Deutschland kommt durch elterliche Vernachlässigung zustande, von denen besonders Kleinkinder und Säuglinge betroffen sind. So gaben Fachkräfte der Jugendämter in einer Befragung eine Kindesvernachlässigung in 65 % der Fälle als wichtiges Gefährdungsmerkmal für die Einschaltung des Familiengerichts an; in jedem zweiten Fall war es sogar das zentrale Gefährdungsmerkmal.126 Nach der erziehungswissenschaftlichen Definition liegt eine Kindesvernachlässigung dann vor, wenn andauernd oder wiederholt fürsorgliches Handeln, das zur Sicherstellung der Versorgung eines Kindes notwendig ist, durch die sorgeverantwortlichen Personen unterlassen wird, was für einen einsichtigen Dritten vorhersehbar zu erheblichen Beeinträchtigungen der physischen und psychischen Entwicklung des Kindes oder einem hohen Risiko solcher Folgen führt.127 Vernachlässigung kann sich also in körperlichem, kognitivem, emotionalem oder medizinischem Handeln beziehungsweise Unterlassen äußern.128 Nach juristischer Begriffsbildung kann eine Vernachlässigung dann das Kindeswohl i.S.v. § 1666 Abs. 1 BGB gefährden, wenn eine ordentliche Lebensführung hinsichtlich Ernährung, Sauberkeit, medizinischer Versorgung, angemessener Bekleidung, erzieherischer Beaufsichtigung 125 Blum-Maurice, Die Wirkungen von Vernachlässigung auf Kinder, S. 113 f.; Offe, ZKJ 2007, S. 236; Werner, Handbuch Kindeswohlgefährdung, Kap. 13 und 15; Groß/Wößner, RdJB 2008, S. 135, 141. 126 Kindler, Handbuch Kindeswohlgefährdung, Kap. 3, S. 2; Münder/Mutke/Schone, Kindeswohl, S. 99, 101, 200. 127 Kindler, Prävention von Vernachlässigung, S. 94, 96; Schone, Kinder in Not, S. 21. 128 Kindler, Handbuch Kindeswohlgefährdung, Kap. 3, S. 2; Mutke, Gefährdungen des Kindeswohls, S. 1, 3; Schone/Gindler/Jordan, Kinder in Not, S. 21; Deegener, Formen und Häufigkeiten der Kindesmisshandlung, S. 37.

B. Kindeswohlgefährdung

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(Nichteinschreiten bei Alkoholkonsum, Diebstählen, Nichtbeaufsichtigung im Straßenverkehr) verkümmert, sodass eine Verwahrlosung des Kindes droht.129 Eine chronische Nicht- oder Untererfüllung der Normalanforderung elterlicher Aufgabenwahrnehmung kennt viele Unterscheidungs- und Steigerungsformen;die Grenzen sind als fließend zu beschreiben, wobei ihre Auswirkungen stets tief greifend für das betroffene Kind sind.130 In der Regel liegt eine Kombination aus mehreren defizitären Lebensbedingungen bei dem betroffenen Minderjährigen vor.131 Exakte Zahlen, wie viele Kinder tatsächlich in Deutschland von einer Vernachlässigungsproblematik betroffen sind, fehlen. In der amtlichen Kriminalstatistik werden Verwahrlosungsfälle nicht gesondert erfasst. Als Untergrenze werden 50. 000 Kinder geschätzt,132 andere gehen von einer Größenordnung bis zu 430. 000 Kindern im Alter bis sechs Jahren aus, die in gefährdenden Lebensbedingungen aufwachsen.133 Es liegt nahe zu vermuten, dass die Dunkelziffer deutlich höher ist, weil die aktenkundigen Fälle immer nur einen Ausschnitt aus der Gesamtheit aller als strafbar definierten Handlungen ausmachen,134 die besonders stark von der Kenntnisnahme- und Anzeigenbereitschaft Dritter abhängen, weil die kindlichen Opfer selbst nicht dazu in der Lage sind, so dass sehr wahrscheinlich eine große Anzahl von Straftaten als „Privatsache“ in den Elternhäusern verborgen bleibt. 2. Misshandlung und Missbrauch Desgleichen kann ein förderliches Aufwachsen von Kindern durch seelische und körperliche Kindesmisshandlung oder sexuellen Missbrauch ge- und verhindert werden. Für das Jahr 2007 sind 3. 900 Fälle von Kindesmisshandlung und circa 15. 000 Fälle von sexuellem Missbrauch in der Bundesrepublik registriert worden.135 Seit dem Jahr 2000 hat jedes Kind gemäß § 1631 Abs. 2 S. 1 BGB einen Anspruch auf eine gewaltfreie Erziehung, womit jede körperliche Bestrafung von Kindern untersagt ist,136 im Vergleich zu instrumenteller Gewalt gerät psychische Gewalt aber 129

Diederichsen, in: Palandt, § 1666 Rdnr. 16. Kinderschutzbund NRW, Kindesvernachlässigung, S. 13 ff. 131 Mutke, Gefährdungen des Kindeswohls, S. 1, 3. 132 Schone/Gintzel/Jordan u. a., Kinder in Not, S. 15. 133 Dortmunder Arbeitsstelle Kinder- & Jugendhilfestatistik (Hrsg.), Kommentierte Daten der Kinder- und Jugendhilfe, S. 3. Die Schätzungen differieren zwischen 48. 000 und 430. 000 Kindern, Bundesjugendkuratorium, JAmt 2008, S. 72. 134 Eine Vernachlässigung von Kindern kann als Verletzung der Fürsorge- oder Erziehungspflicht gemäß § 171 StGB strafrechtlich relevant sein und ist dann als Offizialdelikt von Amts wegen zu verfolgen (vgl. § 158 StPO). 135 Allgemein für Kinder bis unter 14 Jahren, Bundeskriminalamt, Polizeiliche Kriminalstatistik 2007, Tabelle 91, S. 3, 9. 136 Der Vorschrift kommt allerdings lediglich Appell-, nicht aber Sanktionscharakter zu. Das Schlagen eines Kindes kann jedoch seitdem den Tatbestand einer (gefährlichen) Körper130

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1. Teil: Die Realanalyse

leichter aus dem Blick; sie ist subtiler und ihre Anzeichen (z. B. elterliche Demütigungen oder emotionale Zurückweisung) und Folgen sind, anders als die einer körperlichen Misshandlung, äußerlich überwiegend nicht erkennbar. Bei ca. 35 % der untersuchten familiengerichtlichen Gefährdungsfälle ist eine psychische Misshandlung, zumindest als eine von mehreren Gefährdungsursachen, festgestellt worden.137 Sie liegt grundsätzlich dann vor, wenn die Eltern ihrem Kind über längere Zeit feindlich und abweisend begegnen, es beispielsweise beschimpfen, niederbrüllen, anschweigen oder dessen emotionale Bedürfnisse ignorieren.138 Forschungsergebnisse weisen darauf hin, dass sich eine emotionale Misshandlung ohne Kompensation viel schwerwiegender auf die kindliche Entwicklung auswirken kann als eine rein körperliche Misshandlung.139 Verbrennungen, Hämatome, „Werkzeugspuren“ und Frakturen von Armen und Beinen, die nicht von normalen Unfällen oder Verletzungen herrühren, sind dagegen eindeutige Hinweise einer körperlichen Misshandlungssituation. Allgemein sind hiermit „alle gewaltsamen Handlungen aus Unkontrolliertheit oder Erziehungskalkül, die dem Kind körperlichen Schäden und Verletzungen zufügen“,140 erfasst. Deren drastische Formen reichen von einer vorsätzlichen körperlichen Züchtigung bis hin zur Kindstötung. Eine bizarre Form der Kindesmisshandlung verbirgt sich hinter dem sogenannten Münchhauen-by-proxy-Syndrom. Der Täter, zumeist die Mutter, fügt dem Kind selbst Verletzungen oder Erkrankungen zu beziehungsweise hält diese künstlich aufrecht, um das erkrankte Kind wiederholt medizinisch behandeln zu lassen.141 Durchgängig tritt im Hinblick auf Gewalterlebnisse eine Viktimisierung von Kindern und Jugendlichen durch die eigenen Eltern weitaus häufiger auf als in Gleichaltrigengruppen oder auf dem Schulgelände.142 Nicht zwangsläufig muss es zu Gewalt gegenüber allen Familienangehörigen kommen, es gibt Erscheinungsformen bei denen nur eins von mehreren Kindern misshandelt wird.143 Ungefähr 17 % der

verletzung gemäß §§ 223, 224 StGB erfüllen. Bei Vorliegen besonders böswilliger Motive oder quälender Vorgehensweise kann es auch als eine Misshandlung von Schutzbefohlenen gemäß § 225 StGB strafrechtlich relevant werden, vgl. Knödler, ZKJ 2007, S. 58. 137 Münder, Kindeswohl, S. 17. 138 Ostler/Ziegenhain, Risikoeinschätzung, S. 67, 79; Kindler, Handbuch Kindeswohlgefährdung, Kap. 4. 139 Ziegenhain, Kindesvernachlässigung, S. 6; Ostler/Ziegenhain, Risikoeinschätzung, S. 67, 79. 140 Münder, Kindeswohl, S. 52; Kindler, Handbuch Kindeswohlgefährdung, Kap. 3. 141 OLG Celle, FamRZ 2006, S. 1478; Mertens, NJW 2009, 1712 f. 142 Wulf/Reich, ZKJ 2007, S. 343, 345. Dass für Frauen und Kinder häufig das eigene Zuhause der gefährlichste Ort ist, indiziert beispielsweise das noch relative junge Gewaltschutzgesetz (vom 11.12. 2001, BGBl. I, S. 3513) aufgrund dessen die Polizei in jedem Verdachtsfall von häuslicher Gewalt zu ermitteln hat, vgl. §§ 210 ff. FamFG. 143 Becker, JAmt 2009, S. 28 f.

B. Kindeswohlgefährdung

47

Jungen und Mädchen in Deutschland erleben eine „gewaltbelastete Erziehung“144 und die registrierte Anzahl von Kindesmisshandlungen mit ernsthaften körperlichen Verletzungen nimmt zu. Von den insgesamt 5.200 misshandelten Schutzbefohlenen (vgl. § 225 StGB) sind etwa 3.900 Kinder und die Tatverdächtigen zu drei Viertel mit dem Opfer verwandt.145 Körperliche und psychische Misshandlungen treten häufiger im Kindergarten- und frühen Jugendalter auf, während sexueller Missbrauch wiederholt nach der frühen Kindheit vorkommt.146 Der Täter ist auch hier mit dem Opfer zumeist verwandt oder zumindest bekannt. Es wird vermutet, dass in Deutschland etwa jedes vierte bis fünfte Mädchen und jeder zwölfte Junge von sexueller Gewalt betroffen sind.147 Sexuelle Missbrauchspraktiken sind verschiedenartig, aber stets dadurch gekennzeichnet, dass der Täter seine Autoritätsposition ausnutzt, um zum Nachteil des Kindes eigene Bedürfnisse zu befriedigen, das heißt sexuelle Handlungen an oder vor dem Kind (sogenannte Hands-on- beziehungsweise Hands-off-Delikte) gegen oder ohne dessen Willen vorzunehmen.148

III. Risikofaktoren für die Entstehung von Kindeswohlgefährdungen Der Frage, welche Gründe zu Kindeswohlgefährdungen führen, soll in diesem Abschnitt nachgegangen werden. Sind Familien durch eine Vielzahl von Belastungen betroffen, sogenannte Multi-Problem-Familien, oder ist eine bestimmte Belastungssituation dauerhaft, kann sich eine Gefährdungslage für das Kind ergeben.149 Selten übt ein Faktor monokausal so viel Druck aus, vielmehr erhöht sich durch die Kumulation sogenannter Risikofaktoren150 die Wahrscheinlichkeit für eine Gefährdungssituation in bestimmten Familien gegenüber einer Durchschnittsfamilie signifikant.151 144 Nach Angaben des Sozioökonomischen Panels erlebten etwa 28 % der Kinder eine sanktions- bzw. körperstrafenfreie Erziehung und 54 % ein konventionelle Erziehung, d. h. inklusive „Klaps auf den Po“, Datenreport 2008, S. 328. 145 Bundeskriminalamt, Polizeiliche Kriminalstatistik 2007, Tabelle 91, S. 9. 146 Reinhold/Kindler, Handbuch Kindeswohlgefährdung, Kap. 17. 147 Bange/Deegener, Missbrauch von Kindern, S. 105. 148 Bange/Deegener, Missbrauch von Kindern, S. 105. Strafrechtlich relevant sind hierfür §§ 173, 174, 176, 176a, 176b, 180, 182 StGB. 149 Mutke, Gefährdungen des Kindeswohls, S. 1, 4. 150 Internationale Forschungsberichte zu Risikofaktoren von Missbrauch, Misshandlung und Vernachlässigung, Black/Heymann/Smith-Slep, Aggression and violent behaviour, 2001, S. 121 ff.; dies., Aggression and violent behaviour, 2001, S. 203 ff.; Schumacher/SmithSleplHeymann, Aggression and violent behaviour 2001, S. 231 ff.; Connell-Carrick, Child and adolescent social work journal, 2003, 389 ff.; Righthand/Kerr/Drach,Child maltreatment risk assessments. An evaluation guide. 151 Ziegenhain, Beziehungs- und Erziehungskompetenz, S. 119, 120 f. Nach einer Längsschnittstudie von Wu/Ma/Carter, Child abuse and neglect 2004, S. 1253 ff. ereignen sich 50 % aller Gefährdungsereignisse, die in den ersten drei Lebensjahren eines Kindes bekannt werden,

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1. Teil: Die Realanalyse

Auffallend ist, dass zumeist die Mütter zu den Verantwortlichen werden, die die notwendigen Erziehungs- und Versorgungsleistungen für die Kinder nicht mehr erbringen. Während der Anteil von Frauen an der Gesamtkriminalität im Jahr 2006 bei 24,1 % lag, werden 71,9 % der Verletzungen von Fürsorge- und Erziehungspflichten gemäß § 171 StGB von Frauen begangen.152 Die Tragik des sie treffenden Vernachlässigungs- oder Tötungsvorwurfs besteht zumeist darin, dass sie allein, ohne die Väter, zurückbleiben,153 was aber kein neuzeitliches Phänomen ist. Der Begriff der „Kindstötung“ hatte sich mit Ende des 18. Jahrhunderts für die ausschließliche Anklage einer Frau wegen Tötung ihres neugeborenen Kindes im juristischen Sprachgebrauch etabliert, während der Vater, der sein Kind aussetzte oder es verließ, mit Nachsicht behandelt worden ist.154 In etwa parallel entwickelte sich, ablesbar u. a. an der damaligen Literatur, auch ein Interesse für die Motive von Kindesvernachlässigungen oder -tötungen.155 Die bis dahin als unentschuldbar geltende Kindsmörderin156 wurde erstmals auch als tragische Frauenfigur begriffen, die zum Opfer der gesellschaftlichen und sozialen Konventionen (etwa des adligen Verführers) geworden war.157 Neben physischer Not, Armut und sozialen Abhängigkeitsverhältnissen158 waren auch psychische Motive, etwa die eigene Ehrenrettung oder Furcht vor Strafe, Handlungsmotive.159

1. Individuelle Risikofaktoren a) Biografie Als persönliche Risikofaktoren gelten der eigene Sozialisationshintergrund und die Familiengeschichte der Eltern. Bei Stichproben aus familiengerichtlichen Verfahren gemäß § 1666 BGB gaben 55 % der befragten Eltern eigene „frühe Mangelerfahrungen“ an. 18 % beziehungsweise 44 % der Eltern litten unter psychischen oder in Familien mit drei oder mehr Risikofaktoren. Das Gefährdungsrisiko steigt beim Vorliegen von drei oder mehr Risikofaktoren von 3 % (kein Risikofaktor) auf etwa 25 %, Brown/Cohen/ Johnson, u. a., Child abuse and neglect 1998, S. 1065 ff. 152 Ostendorf, ZKJ 2008, S. 106, 108. 153 Kalscheuer/Schone, Kindesvernachlässigung, S. 158, 159. 154 Wächtershäuser, Das Verbrechen des Kindesmordes, S. 7. 155 Dülmen, Frauen vor Gericht, S. 59. 156 Das Strafmaß für einen Schwangerschaftsabbruch hatte sich beständig verstärkt worden, Eser, Zwischen „Heiligkeit“ und „Qualität“ des Lebens, S. 377, 400. 157 Beispielsweise das Gretchen in Goethes „Faust“ (1808); Johann Heinrich Pestalozzi Schrift „Über Gesetzgebung und Kindermord“ (1783); Schillers Gedicht „Die Kindsmörderin“ (1782); Heinrich Leopold Wagners Theaterstück „Die Kindsmörderin“ (1776). Rameckers, Der Kindsmord in der Literatur, S. 103, weist darauf hin, dass beinahe alle ,Stürmer und Dränger Juristen waren. Vgl. auch Wächtershäuser, Das Verbrechen des Kindesmordes, S. 32 f., 60 ff.; Ramm, Familienrecht, S. 155. 158 Michalik, Dienstmägde vor Gericht, S. 448, 450, 457 ff. 159 Wächtershäuser, Das Verbrechen des Kindesmordes, S. 125.

B. Kindeswohlgefährdung

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Suchterkrankungen.160 Als Folgen von Alkohol- und Drogensuchtproblemen161 oder depressiven Erkrankungen162 können geringe Selbstkontrolle und Gefühle der Überforderung verhindern, dass Eltern in der Lage sind, Kapazitäten für die Gesundheitspflege, Erziehung usw. zugunsten ihrer Kinder aufzubringen. Sind die Eltern durch eigene Misshandlungserfahrungen oder Vernachlässigung traumatisiert163 kann ihre Belastbarkeit in Stresssituationen herabgesetzt sein, sodass dieselben Problematiken gegenüber dem eigenen Kind wahrscheinlicher werden, denn der eigene mangelbehaftete Erfahrungshintergrund der Eltern kann die Bindungsfähigkeit zum eigenen Kind stark einschränken. Treten aufgrund von Unkenntnis unrealistische Erwartungen an die kindlichen Fähigkeiten hinzu, etwa wenn kindliches Problemverhalten mit schlechten Charaktereigenschaften oder feindseligem Verhalten begründet wird, kann dies ebenfalls zu einer kindeswohlgefährdenden Situation führen. Kinder mit Verhaltensauffälligkeiten (sogenannte Schreibabys) oder Entwicklungsbeeinträchtigungen, zum Beispiel aufgrund einer Frühgeburt oder durch eine Behinderung, sind besonders gefährdet, weil sie vermehrte Fürsorgeanforderungen an die Eltern stellen. Treffen sie dort auf unterdurchschnittliche Erziehungsressourcen, kann es zu einer sich wechselseitig verstärkenden Wirkung kommen.164 Zumal wenn die Eltern die Auswirkungen einer kindeswohlgefährdenden Situation unterschätzen. Die Sorge um ein behindertes oder krankes Kind ist zudem mit zusätzlichen Kosten verbunden und kann die Eltern in ihrer Erwerbstätigkeit einschränken, was wiederum auf die materielle Lage des Haushaltes rückwirkt (vgl. sogleich B. III. 2.) b) Aktuelle Lebenssituation Auch der aktuellen Lebenssituation der Elternteile untereinander kommt Bedeutung zu. Kinder in disharmonischen Partnerschaften zeigen häufiger Verhaltensauffälligkeiten als in solchen, in denen es wenig Streit und viele Gemeinsamkeiten gibt; durchleben Elternteile andauernde Partnerschaftskonflikte, gegebenenfalls mit Gewalt, steigt die Wahrscheinlichkeit für eine Kindeswohlgefährdung. Die Rate von kindlichen Misshandlungsopfern im Fall von Partnerschaftsgewalt liegt bei circa 25 % und damit signifikant höher als bei nicht belasteten Paarbeziehungen (circa 3 %).165

160

Reinhold/Kindler, Handbuch Kindeswohlgefährdung, Kap. 18; Benda/Lösel, Misshandlung von Kindern, S. 317. 161 Kindler, Handbuch Kindeswohlgefährdung, Kap. 28 und 70. 162 Emotionale Persönlichkeitsdefizite, Suchterkrankungen oder Behinderungen sind bisher unter § 1666 Abs. 1 BGB a. F. als „unverschuldetes Versagen“ der Eltern für eine Kindeswohlgefährdung subsumiert worden, Diederichsen, in: Palandt, § 1666 BGB Rdnr. 17 f. 163 Ostler/Ziegenhain, Risikoeinschätzung, S. 67, 77. 164 Reinhold/Kindler, Handbuch Kindeswohlgefährdung, Kap. 17; Kinderschutzbund, Kindesvernachlässigung, S. 26 ff. 165 Wulf/Reich, ZKJ 2007, S. 343, 345.

50

1. Teil: Die Realanalyse

Eine geringe alltägliche Planungsfähigkeit oder mangelnde Stressbewältigung166 kann auch angesichts von Mehrfachbelastungen auftreten.167 Stressoren können eine überdurchschnittliche Anzahl von Kindern sein. Auch bei Alleinerziehenden, die häufig auf dem Arbeitsmarkt benachteiligt und deshalb auf staatliche Transferleistungen angewiesen sind (vgl. sogleich B. III. 2.)168 und jugendlichen,169 ungewollt schwangeren Müttern170 können erhebliche Stresspotenziale vor allem dann auftreten, wenn eine kompensierende Unterstützung durch die Herkunftsfamilie beziehungsweise der Zusammenhalt im Nachbarschaftsumfeld als „sozialem Kitt“ fehlen.171 So ist knapp jede zweite erzieherische Hilfe (ohne Erziehungsberatung, vgl. Zweiter Teil, B. I. 2.) nach dem SGB VIII von allein lebenden Elternteilen in Anspruch genommen worden.172 Auch wenn bereits wiederholt Gefährdungsvorfälle aufgetreten sind und die Eltern wenig Bereitschaft zeigen mit den Behörden zu kooperieren oder ihr Verhalten zu ändern, wächst allgemein das Reviktimisierungsrisiko zulasten der betroffenen Kinder.173

2. Strukturelle Risikofaktoren a) Armut Negative Entstehungsbedingungen für kindeswohlgefährdende Situationen können auch von finanziellen Alltags- und Zukunftssorgen174 oder beengten und ungünstigen Wohnverhältnissen, die Eltern und Kinder bedrängen, herrühren.175 In fast allen 166 Zu elterlichen Persönlichkeitsmerkmalen, Kindler, Handbuch Kindeswohlgefährdung, Kap. 70. 167 Auch die Analyse bei Hannemann, Pflicht und Recht des Jugendamtes, S. 237 ff. zeigt anhand von fünf geschilderten Vernachlässigungsfällen das Vorhandensein von mehreren Risikofaktoren. 168 Lampert/Schenk, Gesundheitliche Konsequenzen, S. 57, 58; Brinkmann, Arme Kinder, armes Deutschland, S. 54, 56. 169 Die Zahl sogenannter Teenagermütter nimmt zu, Dortmunder Arbeitsstelle Kinder- & Jugendhilfestatistik (Hrsg.), Kommentierte Daten der Kinder- und Jugendhilfe, S. 7. 170 Ziegenhain, Entwicklungspsychologische Beratung bei jugendlichen Mütter, S. 10 f. 171 Zur Isolation moderner Familien, Opp, Kinder stärken Kinder, S. 29; Kindler, Handbuch Kindeswohlgefährdung, Kap. 70. 172 Statistisches Bundesamt, Mitteilung vom 15.12.2008, FamRZ 2009, S. 8. 173 Kindler/Lillig/Küfner, JAmt 2006, S. 9, 10. 174 Zur Armut als Risikofaktor, Seus-Seberich, Handbuch Kindeswohlgefährdung, Kap. 21; Holz, Armut hat auch Kindergesichter, S. 24, 32; Klundt/Zeng, Kinderarmut als Gegenstand der Forschung, S. 39, 44; Reinhold/Kindler, Handbuch Kindeswohlgefährdung, Kap. 18; Kindler, Prävention von Vernachlässigung, S. 94, 97. 175 Nur als ein Indiz sei hier genannt, dass etwa ein Drittel der Familien, die im Jahr 2007 erzieherische Hilfen gewährt bekamen, zugleich finanzielle staatliche Unterstützung erhielten. Mit 73 % war der Anteil der Empfänger von Transferleistung bei den neuen Vollzeitpflegen in einer anderen Familie am höchsten, Statistisches Bundesamt, Mitteilung vom 15.12.2008, FamRZ 2009, S. 8.

B. Kindeswohlgefährdung

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großen deutschen Städten gibt es mittlerweile trostlose Problembezirke mit fehlenden oder nur geringen Spiel- und Freizeitmöglichkeiten und einer gewaltbereiten Nachbarschaft,176 in denen der Unterhalt der Mehrzahl der dort lebenden Kinder durch staatliche Transferleistungen gesichert werden muss.177 Elterliche Arbeitslosigkeit beziehungsweise die Abhängigkeit der Familie von staatlichen Transferleistungen ist häufig mit weiteren belastenden Lebensereignissen und gesellschaftlichen Randständigkeiten verbunden, die, je länger die Belastungen andauern,178 zu weiterem sozialen Abstieg und zu Resignation bei den Eltern führen.179 Deren Hilflosigkeit und das Erleben der Unkontrollierbarkeit der Umstände wirkt sich auf das innerfamiliäre Konfliktniveau180 und die Qualität des Erziehungsverhaltens aus und stellen für das Kind ein erhöhtes Gefährdungspotential dar.181 Stichproben aus Verfahren gemäß § 1666 BGB haben ergeben, dass die gefährdenden Eltern zu 30 % alleinerziehend sind und zu 60 % von Arbeitslosengeld beziehungsweise Sozialhilfe leben.182 Allerdings ist klar darauf hinzuweisen, dass Armut183 beziehungsweise der Bezug von Sozialhilfeleistungen lediglich ein Indiz sein kann. Erst die Häufung verschiedener individueller wie struktureller Probleme korreliert mit dem Auftreten von kindeswohlgefährdenden Situationen.

176

Offe, ZKJ 2007, S. 236, 239. „Im Beton wächst der Hass, Schwind, FS Herzberg, S. 945,

962. 177

Im Jahr 2006 lebten in Deutschland knapp 1,9 Mio. Kinder unter 15 Jahren in Hartz IVBedarfsgemeinschaften, d. h. ihnen standen 207 E im Monat zur Verfügung. Berücksichtigt man Kinder bis zum Alter von 18 Jahren sind es sogar 2,5 Mio. Jugendliche, die auf oder unter Sozialhilfeniveau leben, Bremer Institut für Arbeitsmarktforschung und Jugendberufshilfe, zitiert nach, Die Welt vom 25.02.2007. Holz, Armut hat auch Kindergesichter, S. 24, 30 ff.; Brinkmann, Arme Kinder, armes Deutschland, S. 54, 57. 178 Insgesamt liegt die Arbeitslosenquote in Deutschland bei 10 %, Statistisches Bundesamt, Datenreport 2006, S. 98. Sowohl die Zahl der Langzeitarbeitslosen, d. h. Personen, die länger als ein Jahr erwerbslos sind und nur das das Existenzminimum deckende Arbeitslosengeld II erhalten, als auch Erwerbstätige, die trotz kontinuierlicher Lohnarbeit nicht oder nur knapp über der relativen Armutsgrenze liegen, nimmt in Deutschland zu, Butterwegge, Die Hintergründe von (Kinder-)Armut in Deutschland, S. 10, 19. Vgl. auch Statistisches Bundesamt, Datenreport 2006, S. 620 ff.; Bundesarbeitsministerium (Hrsg.), 3. Armuts- und Reichtumsbericht, S. 81 ff. 179 Kalscheuer/Schone, Kindesvernachlässigung, S. 158, 160. 180 Pfeiffer/Wetzels/Enzmann, Innerfamiliäre Gewalt gegen Kinder und Jugendliche, S. 13. 181 Brinkmann, Arme Kinder, armes Deutschland, S. 54, 60, 63, 66. 182 Reinhold/Kindler, Handbuch Kindeswohlgefährdung, Kap. 19. 183 Armutsgefährdet ist, wer monatlich 60 % des mittleren Einkommens in Deutschland zur Verfügung hat, d. h. als Single von ca. 850 Euro und als Paar mit zwei Kindern von 1.800 Euro lebt. Im Jahr 2006 waren das 13 % der Haushalte in Deutschland, Datenreport 2008, S. 165.

52

1. Teil: Die Realanalyse

b) Soziale Deprivation Im Allgemeinen ist familiäre Armut184 nicht nur auf die fehlenden materiellen Ressourcen begrenzt. Kinder, deren Eltern einen niedrigen Sozialstatus und keinen oder einen niedrigen Schulabschluss besitzen, haben ein dreifach höheres Risiko an körperlichen, geistigen und seelischen Entwicklungsstörungen zu leiden.185 Ergebnisse der Armuts- sowie Sozialforschung zeigen überdies, dass prekäre materielle und soziale Lebenslagen mit einem schlechteren kindlichen Gesundheitsstatus zusammenfallen.186 Kinder aus diesen Familien schneiden bezüglich Mortalität, Morbidität187 und gesundheitsbezogener Lebensqualität188 statistisch betrachtet erheblich schlechter ab. Säuglinge haben häufiger ein niedrigeres Geburtsgewicht und es ist eine höhere postnatale Säuglingssterblichkeit festzustellen.189 Kinder aus Familien mit niedrigem Sozialstatus wachsen unter schlechteren und belastenderen Lebensbedingungen auf; Unfälle treten ungefähr doppelt so häufig auf wie bei Kindern aus Familien mit einer hohen sozioökonomischen Ausstattung.190 Sie sind häufiger ungünstigem Gesundheitsverhalten hinsichtlich der Ernährung, des Alkohol-, Tabak- und Drogenkonsums ausgesetzt,191 weshalb bei ihnen Auffälligkeiten im Sprach-, Spiel- und Arbeitsverhalten sowie Übergewicht vermehrt zu verzeichnen sind. Gleichzeitig nehmen Eltern aus sozial benachteiligten Personengruppen bestehende Gesundheitsangebote weniger wahr als andere.192 Es ist nachgewiesen, dass Eltern mit niedrigem sozioökonomischem Status hinsichtlich Früherkennungsuntersuchungen im frühen Kindesalter ein schlechteres Vorsorgeverhalten193 aufweisen.194 184 Höhere Armutsquoten finden sich bei Familien mit drei und mehr Kindern sowie bei Einelternhaushalten mit einem Kind. Insbesondere Alleinerziehende mit zwei und mehr Kindern sind nach wie vor überproportional von Armut betroffen, Statistisches Bundesamt, Datenreport 2006, S. 619 f. Vgl. Bundesfamilienministerium (Hrsg.), 12. Kinder- und Jugendbericht, S. 75 ff., 167 ff.; Hannemann, Pflicht und Recht des Jugendamtes, S. 77 f. 185 Blum-Maurice, Die Wirkung von Vernachlässigung auf Kinder, S. 113, 122, Reinhold/ Kindler, Handbuch Kindeswohlgefährdung, Kap. 18. 186 Robert-Koch-Institut (Hrsg.), KIGGS, S. 800 ff. 187 Zu den Ergebnissen des Pretests zum Kinder- und Jugendgesundheitssurvey, vgl. Lampert/Schenk, Gesundheitliche Konsequenzen von Armut, S. 57, 73 ff. 188 In Armut aufwachsende Kinder haben häufig, weil sie ihre unterprivilegierte Lebenssituation wahrnehmen, eine geringere Lebenszufriedenheit, vermehrte Gefühle der Hilflosigkeit und Einsamkeit sowie ein geringeres Selbstvertrauen, Jungbauer-Gans/Kriwy, Ungleichheit und Gesundheit von Kindern und Jugendlichen, S. 9, 14; Lampert/Schenke, Gesundheitliche Konsequenzen, S. 57, 58 ff., 60. 189 Jungbauer-Gans/Kriwy, Ungleichheit und Gesundheit von Kindern und Jugendlichen, S. 9, 11 ff.; Bundesfamilienministerium (Hrsg.), 12. Kinder- und Jugendbericht, S. 154 ff. 190 Jungbauer-Gans/Kriwy, Ungleichheit und Gesundheit von Kindern und Jugendlichen, S. 9, 15. 191 Jungbauer-Gans/Kriwy, Ungleichheit und Gesundheit von Kindern und Jugendlichen, S. 9, 12 f., 15 ff., 18; Klocke, Soziales Kapital, S. 85, 89. 192 Klundt/Zeng, Kinderarmut als Gegenstand der Forschung, S. 39 ff. 193 Kinder aus sozial schwächeren Familien beteiligen sich weniger an Bewegungsförderungs- und Ernährungskampagnen, Lampert/Schenk, S. 57, 80.

B. Kindeswohlgefährdung

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Sind die Eltern finanziell eingeschränkt, sind es auch ihre Gestaltungsmöglichkeiten hinsichtlich der Bildung und der Freizeitaktivitäten (Klassenfahrten, Kindergeburtstage) für ihre Kinder und damit letztlich deren gesellschaftliche Teilhabe und deren Fähigkeit, mit Gleichaltrigen mithalten zu können.195 Die Schulleistungsuntersuchungen der PISA-Studie haben einen „straffen Zusammenhang zwischen Sozialschichtzugehörigkeit und erworbenen Kompetenzen über alle Domänen hinweg gezeigt“.196 Je besser die soziale Herkunft und das Bildungsniveau der Eltern, desto höher ist das Bildungsziel des Kindes, wie sich auch Korrelationen mit regelmäßigen Freizeitaktivitäten, geringerem Medienkonsum, einem größeren sozialen Netzwerk in Schule und Vereinen und weniger Gewalterfahrung für diese Kinder aufstellen lassen.197 Armut belastet Kinder somit in vielen Lebensbereichen, wobei diese Benachteiligungen häufig transgenerational weitergegeben werden, weil die Schichtzugehörigkeit und soziale Herkunft auch heute noch maßgeblich die wesentlichen Entwicklungschancen und Lebensperspektiven eines Kindes beeinflusst, was sich mit dem „Hauptmann von Köpenick-Syndrom“ prägnant umschreiben lässt.198

IV. Folgen von kindeswohlgefährdenden Situationen „Da war zum Beispiel dieser Tag, an dem ich in einer Wohnung stand, in der sich der Müll türmte, altes Papier und schmutzige Kleider. Es roch seltsam, aber man wusste nicht genau woher. Bis die Beamten die Überreste eines zweieinhalbjährigen Jungen fanden, zusammen-

194

Elvers/Borte/Herbarth, Besser arm, S. 121, 143. In Deutschland ist der Zusammenhang zwischen der Bildungsbeteiligung, dem Leistungsvermögen und dem Erwerb von Bildungszertifikaten eines Schülers und seinem sozioökonomischen Hintergrund im europäischen Vergleich am stärksten ausgeprägt, Statistisches Bundesamt, Datenreport 2006, S. 481; Bundesfamilienministerium (Hrsg.), 12. Kinder- und Jugendbericht, S. 167 ff. Zu Familien mit Migrationshintergrund, Wulf/Reich, ZKJ 2007, S. 343, 345. 196 Baumert, PISA 2000, S. 323 ff. 197 Kinder aus unteren Schichten sind dagegen im Alltag häufiger auf sich allein gestellt, es fehlt ihnen Anregung und Rückhalt, weshalb sie ihre Freizeit häufiger durch Fernseh- und anderen Medienkonsum gestalten, World Vision Kinderstudie 2007, S. 491 ff. Durch einen täglich über viele Stunden betriebenen Konsum von Gewaltdarstellungen in Filmen, Computerspielen oder anderen Medien kann durchaus der Verlust von Hemmungen gegenüber Gewalttaten auftreten, wenn nicht kausal für aggressives Verhalten, wie z. B. einem Amoklauf in der Schule, werden. 198 Wer keinen Arbeitsplatz hat, bekommt auch keine Wohnung bekommt […] usw., Butterwegge, Hintergründe der (Kinder-)Armut in Deutschland, S. 10, 14, 20 f. Von „Armutskarrieren“ spricht Brinkmann, Arme Kinder, armes Deutschland, S. 54, 58 ff.; Klundt/Zeng, Kinderarmut als Gegenstand der Forschung, S. 39 ff.; Statistisches Bundesamt, Datenreport 2006, S. 597 ff. 195

54

1. Teil: Die Realanalyse gefaltet zwischen einem Sessel und der Wohnzimmercouch. Dorthin hatte er sich zum Sterben verkrochen, nachdem seine Mutter die Haustür hinter sich zugezogen hatte.“199

1. Körperliche Verletzungsfolgen Die Folge einer elterlichen Destruktion wird zwangsläufig dann offenkundig, wenn das Kind die fehlende Fürsorge, die Mangelernährung, den Durst oder die Misshandlungen nicht überlebt hat. Durchschnittlich werden in Deutschland jährlich 150 Kinder (unter sechs Jahren) Opfer von Mord (§ 211 StGB), (fahrlässiger) Tötung (§§ 212, 222 StGB) oder einer Körperverletzung mit Todesfolge (§ 227 StGB).200 Legt man diese offiziellen Zahlen zugrunde, bedeutet das, dass etwa drei Kinder pro Woche sterben. Das Dunkelfeld der Infantizide dürfte aber darüber hinaus gehen gerade angesichts der teilweise unglaublichen Zufälligkeit, die zum Bekanntwerden der Verbrechen führt.201 Sind ältere Geschwister vorhanden, kann es durchaus zu einem Rollentausch kommen, der die Mangellage überdeckt; sie kümmern sich um die jüngeren Geschwister, den Haushalt und mitunter auch noch um die Eltern. Für unter einjährige Kinder ist das Risiko, aufgrund von Versorgungsmängeln oder Misshandlungen Opfer einer Tötung zu werden oder eine dauerhafte Behinderung zu erleiden, ungefähr dreimal höher als für ältere Kinder.202 Die besondere Vulnerabilität und Hilfsbedürftigkeit von Säuglingen203 und Kleinkindern können akute Gefährdungszustände in viel kleineren Zeitfenstern entstehen als bei älteren Kindern.204 Sie führen zu abrupteren Übergängen von bloß geringen Gefährdungshinweisen zu lebensbedrohlichen Zuständen (Austrocknungsgefahr durch mangelnde Flüssigkeitsgabe, innere Blutungen durch Schütteltrauma),205 die eine gezielte und frühzei199

Auszug aus einem Interview mit der Berliner Hauptkommissarin Gina Graichen, die für das bundesweit einzige „Fachkommissariat für Delikte an Schutzbefohlenen“ arbeitet, Der Tagesspiegel vom 26.10.2006; Falldokumentationen auch bei Hannemann, Pflicht und Recht des Jugendamtes, S. 209 ff. 200 Bundeskriminalamt, Kriminalstatistik 2007, Tabelle 91, S. 1 ff. 201 Siegfried, FPR 2008, S. 264. 202 Im ersten Lebensjahr sterben mehr Kinder an den Folgen von Vernachlässigung usw. als in jedem späteren Alter, Ziegenhain, Beziehungs- und Erziehungskompetenz, S. 119, 120. Im Jahr 2005 sind 15 Fälle von Kindern unter einem Jahr, die an den Folgen einer Kindesmisshandlung gestorben sind, bekannt geworden. Diese Zahl bleibt seit Jahren ungefähr konstant, allerdings bei kontinuierlich sinkenden Geburtenzahlen, Dortmunder Arbeitsstelle Kinder- & Jugendhilfestatistik, Kommentierte Daten der Kinder- und Jugendhilfe, S. 4 f. 203 In den ersten 24 Stunden nach der Geburt ist wegen des emotionalen und körperlichen Ausnahmezustands der Mutter die Gefahr für Neugeborene am größten zum Opfer einer Affekttat zu werden. Durchschnittlich kommt ein Neonatizid oder eine Aussetzung bei etwa 40 von 100.000 Geburten vor, Statistik von Terrre des hommes, zitiert nach, Die Welt vom 06.06.2008. 204 Ostler/Ziegenhain, Risikoeinschätzung, S. 67 f. 205 Ostler/Ziegenhain, Risikoeinschätzung, S. 67 f.; Ziegenhain, Beziehungs- und Erziehungskompetenz, S. 119, 120; Blum-Maurice, Die Wirkungen von Vernachlässigung auf Kinder, S. 113 f.

B. Kindeswohlgefährdung

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tige Risikoeinschätzung bedeutsam machen, weil Neugeborene und jüngere Kinder den Behörden häufig nicht bekannt sind und somit nicht in der Lage sind, von ihrer Situation zu berichten. Zwar können die Mängel in ihrer Versorgung und die Folgen einer Vernachlässigungssituation bei den betroffenen Kindern anhand von einem allgemein schlechten Gesundheitszustand (Untergewicht, Mangel- oder Fehlernährung, verzögertes körperliches Wachstum, Infekt- und Krankheitsanfälligkeit, Befall von Ungeziefer) unmittelbar ablesbar sein, ebenso wie sich die Folgen von körperlicher Misshandlung durch Verletzungen, Blutungen und vergleichbaren Spuren zeigen.206 Sie sind aber im privaten Bereich leicht zu verbergen und somit für die soziale Umwelt bis zum Kindergarten- oder Schulbesuch oft nicht zu erkennen. Dass hier nicht nur angesichts der Wehrlosigkeit kleiner Kinder erhöhter Handlungsbedarf besteht, zeigt der Umstand, dass Befragungen von Familiengerichten ergaben, dass bei familiengerichtlichen Verfahren gemäß § 1666 BGB Kinder bis drei Jahren zu einem Drittel betroffen und damit deutlich überrepräsentiert sind. So wird den Eltern von rund 2.200 Kindern, die jünger als drei Jahren sind, jährlich das Sorgerecht entzogen.207

2. Seelische Verletzungsfolgen Wenn Kinder über keine oder schwer gestörte Bindungsverhältnisse verfügen, die von unzuverlässiger Versorgung, psychischer Bedrohung oder Gewalt gekennzeichnet sind, hat das nicht nur akute Auswirkungen auf ihr gegenwärtiges Sicherheits- und Geborgenheitsempfinden und Verhalten, sondern zeitigt zumeist (Lebens-)lang andauernde Negativfolgen.208 Bereits im Kindergartenalter können Behandlungsbedürftige Verhaltensstörungen auftreten,209 wobei immer die Gefahr besteht, dass psychische Probleme bei Kindern nicht erkannt und somit unbehandelt bleiben. Sind Kinder dem Zorn und der Wut ihrer Eltern hilf- und schutzlos ausgeliefert, werden geprügelt, eingesperrt oder sexuell missbraucht, dann führt das einerseits dazu, dass das Kind den Fluchtweg nach innen antritt.210 Eine angstbesetzte Sozialisation kann eine gesunde Identitätsbildung beeinträchtigen, sodass emotionale Labilität, ein geringes Selbstwertgefühl, Ängste und Depressionen die Folgen sind, welche erneut das Opferrisiko bis in das Erwachsenenalter hinein vergrößern.211 Die Bindungsforschung hat nachgewiesen, dass misshandelte und/oder vernachlässigte Kinder zu desorganisierten Bindungsmustern neigen.212 Die Schadensfolgen von traumatisierenden Erlebnissen können also desweiteren zu Fehlorientierungen 206 207 208 209 210 211 212

Hannemann, Pflicht und Recht des Jugendamt, S. 93. Münder, Kindeswohl, S. 34. Ostbomk-Fischer, Kind-Prax 2004, S. 8, 10. Ziegenhain, Beziehungs- und Erziehungskompetenz, S. 119, 120. Kohne, JAmt 2009, S. 167. Ostbomk-Fischer, Kind-Prax 2004, S. 8, 10. Kohne, JAmt 2009, S. 167.

56

1. Teil: Die Realanalyse

hinsichtlich des Sozialverhaltens führen,213 sodass Kinder dissoziale (Schulschwierigkeiten, Ausreißen, Kontaktschwierigkeiten)214 oder delinquente215 Verhaltensweisen an den Tag legen. Es gibt signifikante Korrelationen mit einem verstärkten Aggressions- beziehungsweise Vernachlässigungspotenzial in der Erziehungssituation, einem erhöhten Aggressivitätsniveau bei Kindern wie auch allen Formen von Jugendkriminalität.216 Gewalttätige und kriminelle Jugendliche und Erwachsene aus Multiproblemfamilien fallen oft schon als Kinder durch extremes Verhalten auf.217 Die nachteiligen Folgen früher Entwicklungsrisiken in einer desolaten familiären Lage bedeuten sehr oft für die spätere Kindheit und das Erwachsenenalter entsprechende Mängel im Leistungsbereich. Neben affektiven Störungen bestehen bei vernachlässigten Kindern im Vergleich zu Altersgenossen häufig intellektuelle und kognitive Minderleistungen sowie Sprach- und Konzentrationsschwierigkeiten.218 Diese Rückstände erschweren die Schullaufbahn, insbesondere dann, wenn individuelle Lerndefizite nicht durch eine angemessene Förderung im Elternhaus ausgeglichen werden. 3. Gesamtgesellschaftliche Folgen Unterdurchschnittliche schulische Leistungen erschweren wiederum künftige Ausbildungs- und Berufsperspektiven, spätere Einkommensmöglichkeiten und mindern oder verschließen insgesamt die Chancen des jungen Menschen auf Teilhabe am Gemeinschaftsleben,219 gerade wenn die elterliche Vermittlung von Gebrauchswissen für die pragmatische Bewältigung von Alltagsaufgaben oder die Vermittlung angemessener Verhaltensmuster gegenüber dem Kind nur ungenügend war: „Kinder werden in Familien und den Herkunftsmilieus nicht mehr in der Selbstverständlichkeit mit den Ressourcen ausgestattet – jedenfalls im Schnitt gesprochen bzw. für die 213

Zum Kreislauf der Gewalt, Blum-Maurice, Die Wirkungen von Vernachlässigung auf Kinder, S. 113, 119 f. 214 In jeder siebten Familie machen sich die Eltern große Sorgen, weil ihre Kinder lügen, stehlen oder sich prügeln. Verhaltensauffälligkeiten wie „wird leicht wütend“, „schlägt sich häufig“, „lügt oder mogelt“ oder „nimmt Dinge, die ihm nicht gehören“, berichten knapp 15 % der Eltern i.R.d. europaweit größten Kindergesundheitsstudie, Robert-Koch-Institut (Hrsg.), KIGGS, S. 786. 215 Obwohl es immer weniger Kinder, Jugendliche und Heranwachsende in Deutschland gibt, ist die Zahl der tatverdächtigen bzw. straffällig gewordenen Personen in diesen Altersgruppen beinahe konstant, Bundeskriminalamt, Polizeiliche Kriminalstatistik 2007, S. 75 ff.; Statistisches Bundesamt, Datenreport 2006, S. 31, 224; Schwind, FS Herzberg, S. 945, 963, Fn. 107. 216 Kindler, Handbuch Kindeswohlgefährdung, Kap. 25; Pfeiffer/Wetzels/Enzmann, Innerfamiläre Gewalt gegen Kinder und Jugendliche, S. 21 ff., 25 f.; Pfeifffer/Wetzels, Kinder als Täter und Opfer, S. 35 ff.; Albrecht, RdJB 2008, S. 126, 128 f. 217 Bussmann/Seifert/Richter, MSchrKrim 2008, S. 6, 11 f. 218 Kindler, Handbuch Kindeswohlgefährdung, Kap. 24. 219 Klundt/Zeng, Kinderarmut als Gegenstand der Forschung, S. 39, 42; Bussmann/Seifert/ Richter, MSchrKrim 2008, S. 6, 13, 16.

B. Kindeswohlgefährdung

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große Mehrheit der Kinder – , die moderne Gesellschaften benötigen, um den Anforderungen an die individuelle Selbstregulierung durchschnittlich gerecht zu werden.“220 Festzustellen bleibt, dass jede Abwesenheit der Eltern nachwirkt und zu problematischen kindlichen Entwicklungsverläufen führt.221 Allein die Tiefenwirkung und das Ausmaß der Folgen dieser Negativsituationen variieren je nach Häufigkeit und Stärke der Ereignisse und in Abhängigkeit von positiven Ressourcen des Kindes. Ihre Resilienz hängt u. a. von ihrem Alter, positiven Sozialerfahrungen oder dem Vorhandensein einer kontinuierlichen Beziehung zu weiteren Bezugspersonen ab, die es ermöglichen, belastende Erfahrungen zu kompensieren.222 Erfahren vernachlässigte Kinder dauerhaft eine bessere Fürsorge, verbessert sich ihre Entwicklung meist erheblich. Es sei denn, sie waren einer länger anhaltenden, das heißt mehr als zwei Jahren andauernden, und ausgeprägten Vernachlässigung ausgeliefert.223 Hinzu kommt, dass ein defizitärer beziehungsweise negativer elterlicher Erziehungsstil bisweilen ein über Generationen chronifiziertes Verhalten in Familien darstellt. Negative Kindheitserfahrungen, zahlreiche instabile Sozialbeziehungen und Beziehungsabbrüche sowie elterliches Vernachlässigungs- und Misshandlungsverhalten hängen zusammen beziehungsweise wiederholen sich.224 Eine elterliche Kindeswohlgefährdung ist häufig durch deren eigene frühkindliche traumatische Erfahrung bedingt. Dies gilt nicht nur für Gewalterfahrung oder sexuellen Missbrauch,225 sondern vor allem für erlebte Vernachlässigungssituationen, weshalb Eltern trotz guten Willens, aber ohne therapeutische Bearbeitung ihrer eigenen frühkindlichen Schädigungserfahrungen in der Regel kaum dazu imstande sein werden, das Kindeswohl ihrer eigenen Kinder dauerhaft und angemessen zu garantieren.226 Bei der Eindämmung von Kindeswohlgefährdungen handelt es sich folglich um einen doppelten Kampf. Zum einen ist das betroffene Kind zu retten, denn für die kindlichen Opfer ist ein Entkommen ohne Hilfe von außen kaum möglich, gerade

220 221

Bundesfamilienministerium (Hrsg.), Zwölfter Kinder- und Jugendbericht, S. 90. Übersicht zu (Langzeit-)Folgen, Kinderschutzbund NRW, Kindesvernachlässigung,

S. 22 f. 222

Blum-Maurice, Die Wirkungen von Vernachlässigung auf Kinder, S. 113, 123 ff.; Petermann/Petermann, Risiko- und Schutzfaktoren, S. 3 ff.; Klocke, Soziales Kapital, S. 85, 90 ff. 223 Kindler, Handbuch Kindeswohlgefährdung, Kap. 24. 224 Kindler, Handbuch Kindeswohlgefährdung, Kap. 70. 225 Gewalttätige Eltern sind zu etwa einem Drittel (32,5 %) selbst gewaltsam bzw. zu mehr als der Hälfte (55,7 %) konventionell sanktioniert worden. Derselbe kriminologische Befund gilt auch bei sexuellem Missbrauch, Bussmann, FPR 2002, S. 289. 226 Vortrag Brisch auf dem Deutschen Familiengerichtstag 2007, zitiert nach, Willutzki, ZKJ 2008, S. 139, 142.

58

1. Teil: Die Realanalyse

weil das Zusammentreffen von Abhängigkeit und Privatheit nicht selten eine erhebliche Gefährdung darstellt.227 Frühzeitiges und entschlossenes Entgegensteuern, bevor sich negative Entwicklungsabläufe verfestigt haben,228 ist aber auch perspektivisch notwendig, um den erlebten Teufelskreis von Vernachlässigungs- und Gewalterfahrungen zu durchbrechen, so dass das betroffene Kind zukünftig seinen Kindern nicht das zufügt, was es selbst erdulden musste („Geschlagene Kinder werden schlagende Eltern“).229

C. Zusammenfassung Im Ergebnis lässt sich festhalten, dass die Zahl der Kinder, die von Vernachlässigung und Verwahrlosung bedroht sind, wächst und dass es in unserer Gesellschaft eine größere Zahl von Familien gibt, die weder in der Lage sind, alleine für die notwendige Betreuung ihrer Kinder zu sorgen noch sich verantwortlich fühlen oder kompetent genug sind, um für rechtzeitige Hilfe von außen zu sorgen. Exakte Daten darüber, wie zahlreich Kindeswohlgefährdungen in Deutschland vorkommen, sind nicht verfügbar; es ist mit einer hohen Dunkelziffer zu rechnen. Die Hintergründe, warum Kinder von ihren Eltern geschlagen, vernachlässigt, misshandelt oder sogar getötet werden, sind vielschichtig. Eltern vernachlässigten ihre Kinder jedenfalls nicht aus Vorsatz oder reiner „Bösartigkeit“.230 Die Analyse der bekannt gewordenen Fälle zeigt eine Häufung miteinander verschränkter individuell-biografischer, zum Teil auch psychischer, aber vor allem immer wieder sozialer und ökonomischer Problemlasten,231 die durch mangelnde Kenntnisse hinsichtlich der Grundlagen einer normalen elterlichen Fürsorge intensiviert werden, weshalb sich die Eltern am Ende überfordert von ihren Erziehungsaufgaben zurückziehen und die kindlichen Bedürfnisse nicht mehr wahrnehmen können.232 Die Erfahrung von elterlicher Überforderung, Unerwünschtheit, Vernachlässigung und Gewalt mündet in Entwicklungsdefiziten und in körperlichem sowie mentalem Krankheitsgeschehen der betroffenen Kinder. Langfristig wirken diese als negative Faktoren auf die gesamten Lebenschancen und Ressourcen mindernd ein. Da der Entstehungs- und Verlaufsprozess von Kindeswohlgefährdungen sich schleichend entwickelt, dauert es oft viele Jahre, bis deren Folgen durch die „Repa227

Ostbomk-Fischer, Kind-Prax 2004, S. 8, 13. Crittenden, Frühe Förderung von Hochrisiko-Kindern, S. 36. 229 Blum-Maurice, Die Wirkungen von Vernachlässigung auf Kinder, S. 113, 116, 121 ff; Schwind, FS Herzberg, S. 945, 949 f.; Albrecht, RdJB 2008, S. 126 ff. 230 Mutke, Gefährdung des Kindeswohls, S. 1. 231 Ziegenhain, Beziehungs- und Erziehungskompetenz, S. 119, 121. 232 Brinkmann, Arme Kinder, armes Deutschland, S. 54, 65; Kindler, Prävention von Vernachlässigung, S. 94, 96 ff.; Hannemann, Pflicht und Recht des Jugendamtes, S. 93 ff. 228

C. Zusammenfassung

59

raturarbeiten“ von Polizei- und Sozialbehörden sowie Gerichten saniert werden müssen.233 Diese erfordern öffentliche Gelder, die der Staat in die Heimunterbringung von Kindern, deren pädagogische und therapeutische Behandlung, Nachschulungsmaßnahmen oder Transferleistungen zu investieren hat.

233

Quambusch, ZfJ 1988, S. 315, 319.

Zweiter Teil

Der bestehende normative Kontext Die Verfassungsgeber haben zum Schutz von Kindern die staatliche Gemeinschaft gemäß Art. 6 Abs. 2 S. 2 GG als Wächter über die elterliche Erziehungsverantwortung eingesetzt (vgl. ausführlich im Vierten Teil, D. II). Das verfassungsrechtliche Wächteramt bedarf der einfachgesetzlichen Ausgestaltung. Wie sieht der einfachrechtliche status quo aus? In welchen Formen üben die beiden hauptverantwortlichen Institutionen, Jugendamt und Familiengericht, derzeit das Wächteramt für die staatliche Gemeinschaft aus? Und welche Frühformen der staatlichen Kontrollbefugnisse liegen ihnen zugrunde? Mit welchen (gesetzgeberischen) Intentionen ist damals gehandelt worden?

A. Historische Grundlegung Gravierende Fehler in der Sozialisation von Kindern sind immer häufiger wahrnehmbar. Dies lässt aber nicht den Schluss zu, dass eine gesteigerte Isolierung oder Verrohung der Eltern, gar eine mörderische Entfremdung zwischen ihnen und ihren Kindern eingetreten ist. Denn das beschriebene Phänomen ist weder bis dato geschichtslos noch auf unseren Lebenskreis begrenzt gewesen. Es bestand schon immer; ein Urthema also.1 Aber zu keiner Zeit war die Kluft zwischen dem Wissen um Notwendigkeiten der frühkindlichen Bedürfnisbefriedigung und der gelebten Realität scheinbar so groß wie heute. Zwar kann in einer juristischen Arbeit kaum der Versuch unternommen werden, eine Darstellung der gesamten geschichtlichen und kulturellen Zusammenhänge zu unternehmen, die das Elternrecht geprägt haben. Aber das Phänomen der Vernachlässigung, Aussetzung und Kindstötung hat eine Geschichte und die Bewertung des juristischen Eltern-Kind-Verhältnisses kann nicht ohne Kenntnis der wesentlichen Prägungen, die es in unserer (Rechts-) Geschichte erfahren hat, verlaufen. Die Aussetzung überzähliger oder kranker Kinder im Griechenland der Antike oder die japanische Praxis der Tötung Neugeborener, um die Familie hinsichtlich Geschlecht und Zahl gemäß den gewünschten Vorstellungen zu formen, ist historische 1

Die antiken Mythologien berichten von Saturn, der seine eigenen Kinder verschlingt oder Medea, die sich an ihrem verräterischen Ehemann dadurch rächt, dass sie ihm die Kinder nimmt. Der Dichter Vergil lässt am Eingang zum Hades das Wimmern kleiner Kinder erklingen (Aeneis VI, 426–429) und in Dantes Vorhölle hallen deren Seufzer wider (Inferno VI, 28–30).

A. Historische Grundlegung

61

Realität. Ebenso belegen mittelalterliche Taufbuchregister aus Europa eine signifikant höhere Zahl männlicher Geburten.2 Die Verfügbarkeit von Nahrungsmitteln und die Einsetzbarkeit als Arbeitskraft führten in einer vorwiegend bäuerlich geprägten Gesellschaft dazu, dass der Tod eines (weiblichen) Säuglings unter Umständen als kleineres Übel gegenüber der Armut der gesamten Familie angesehen worden ist. Demografische Daten für Länder wie Indien und China legen diese Mechanismen auch für die jetzige Zeit nahe.3 Allerdings lässt sich ein Wandel hinsichtlich der Beurteilung solcher „im Verborgenen stattfindenden Verbrechen“4 nachzeichnen. Das allgemeine Moral- und Rechtsempfinden und die Mechanismen sozialer Kontrolle, dass bestimmte Vorgänge zur Anzeige zu bringen sind, haben sich ebenso wie die Organisation des Strafverfolgungsapparates und die Intensität seiner Kontrollmaßnahmen entwickelt. Zudem erstattet eine nie da gewesene mediale5 Dokumentation Bericht von Kindstötungen und Vernachlässigungen6 und trägt dazu bei, dass die öffentliche Aufmerksamkeit für Belange von Kindern wächst und Mediziner und Pädagogen im Allgemeinen sensibler auf bestimmte Anzeichen von häuslicher Misshandlung gegenüber Kindern reagieren.7 Der folgende geschichtliche Abriss soll bündig zusammenziehen, dass die sich verändernden soziokulturellen Einstellungen zum Eltern-Kind-Verhältnis auch immer wieder zu einer Neujustierung der elterlichen und staatlichen Rechte geführt haben.

I. Vom römischen und germanischen Recht Dass die väterliche8 Erziehungsgewalt nicht mehr absolut gesetzt worden ist,9 sondern die Obrigkeit erste Kontrollrechte und Mitspracherechte hinsichtlich der Kinder2

Wrightson, Criminal Justice History 1982, S. 1 ff. Prosperi, Gabe der Seele, S. 65 ff. 4 Das zeigen die im Laufe von Jahrhunderten ausgeübten Bestrafungsmethoden, Rameckers, Kindsmord in der Literatur, S. 26 ff. 5 Gespiegelt in zeitgenössischer Prosa zu diesem Thema, Veronique Olmi, Meeresrand, 2002; Michael Kumpfmüller, Durst, 2003; Julia Franck, Die Mittagsfrau, 2007 und der Spielfilm von Daniela Jesse, Die Kinder sind tot, 2004. 6 Siegfried, FPR 2008, 264. 7 In den vergangenen zehn Jahren ist die Quote der Meldungen um etwa fünfzig Prozent auf über 3.000 Kindesmisshandlungen jährlich gestiegen, Unicef, A league table of child maltretment deaths in rich nations, S. 9 f. 8 Anders als das römische Recht kannte das ältere wie auch das mittelalterliche deutsche Recht zumindest eine „mütterliche Gewalt“. Sie übte die Personensorge im Tatsächlichen aus und übernahm im Falle des Todes ihres Ehemanns teils allein, teils zusammen mit einem Vormund die gesamten elterlichen Rechte und Pflichten, Liske, Elternrecht und staatliches Schulerziehungsrecht, S. 10. 9 Das römische Institut der „patria potestas“ verlieh dem Vater eine nahezu unbeschränkte Herrschaftsmacht über die ehelich erzeugten Kinder und Kindeskinder. Der pater familias konnte sie nach seinem Ermessen strafen, veräußern oder gar töten (ius vitae necisque), al3

62

2. Teil: Der bestehende normative Kontext

aufzucht beanspruchte, setzte ungefähr im Zeitalter der absolutistischen Regenten, also in der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts, ein. Gemeinsam mit der Kirche10 begann der Staat, parallel zu den Verschiebungen von einer Agrar- zu einer vorindustriellen Gesellschaft die Arbeitskraft seiner Untertanen als Einkommensquelle zu erschließen wie auch größer werdende Heere und Armeen immer neue Soldaten verlangten. Man begann daher, den Verlauf von Schwangerschaft und Kindererziehung zu kontrollieren, um sich den künftigen Bestand an Untertanen zu sichern.11 Bis dahin war die extrem hohe Säuglingssterblichkeit hingenommen worden. Fast ein Drittel aller Neugeborenen starb im ersten Lebensjahr, weitere zwanzig Prozent vor ihrem fünften Lebensjahr. Unterschichtkinder waren durch die schlechtere medizinische und ökonomische Lage stärker gefährdet als Kinder aus einem besseren Elternhaus. Jedoch hatten uneheliche Kinder oder Nachkommen aus kinderreichen Familien oftmals ebenso niedrige Lebenserwartungen, was den Verdacht nahelegt, dass die hohe Säuglingssterberate nicht allein Folge eines unabwendbaren Schicksals, sondern auch Ergebnis einer gezielt ausgeübten postnatalen Geburtenkontrolle war. Frauen suchten den Nachteilen einer unehelichen Mutterschaft in der Kleinräumigkeit damaliger Lebensverhältnisse ebenso wie der familiären Existenzgefährdung durch ein weiteres Kind dadurch zu entgehen, dass sie ihr Neugeborenes, statt es bei Fremden oder in einem Findelhaus unterzubringen, nach der Geburt töteten oder bewusst vernachlässigten.12 Im Zeitalter des sich ankündigenden Kapitalismus erschien dies dem Staat jedoch als entgangener Gewinn, dem er gemeinsam mit der Kirche gezielt Strafgesetze und repressive Strukturen entgegensetzte.13 Es verwundert somit nicht, dass ungefähr mit dem ausgehenden 16. Jahrhundert die Kategorie des Kindesmords zu einem eigenständigen Verbrechen geworden war.14 Dem Geist dieser Zeit entsprechend erfolgte die Begriffsbildung der Kindheit.15 Anfangs noch ein sehr kurzer Lebensabschnitt, beschränkt auf die Zeit, in der Kinder noch nicht für Helferdienste im väterlichen Handwerksbetrieb oder in der Landwirtschaft eingesetzt werden konnten und der daher möglichst schnell zu überwinden war. lenfalls eingeschränkt durch die „Zwölf Tafel“-Gesetzgebung, Hill, RdJB 1972, S. 60, Ramm, Jugendrecht, S. 21. 10 Im Mittelalter ahndete ausschließlich die katholische Kirche Kindstötungen, Trexler, History of Childhood Quarterly 1973, S. 98, 106. 11 In Frankreich und Deutschland hatten unverheiratete, schwangere Frauen ihre Schwangerschaft der Obrigkeit anzuzeigen, Rameckers, Kindsmord in der Literatur, S. 23. 12 Michalik, Dienstmägde vor Gericht, S. 448, 457 ff.; Ramm, Jugendrecht, S. 22. 13 Zu den kirchlichen Strafen, Rameckers, Kindsmord in der Literatur, S. 36 ff.; Prosperi, Gabe der Seele, S. 61, 65 ff., 75; Michalik, Dienstmägde vor Gericht, S. 448, 464. 14 Trexler, Infanticide in Florence, S. 98, 103. 15 Wegbereiter der Pädagogik waren John Locke, Gedanken über Erziehung (1693), und Jean-Jacques Rousseau, Emile ou sur leducation (1762). Letzterer begriff das Kind nicht mehr wie die damals h.M. als „kleinen Erwachsenen“, sondern stellte es mit seinen alterstypischen Besonderheiten dar.

A. Historische Grundlegung

63

Die Erziehung und Ausbildung des „kleinen Erwachsenen“ erfolgte ausschließlich durch das Zusammenleben in der Einheit von agrarischer oder handwerklicher Produktions- und Haushaltsstätte. Wesentlich war ebenso wie für das Geschlechter- beziehungsweise Partnerschaftsverhältnis nicht emotionale Verwandtschaft, sondern das ökonomische Moment. Der Wert von Kindern lag in ihrer Arbeitskraft, ihrer Erbenstellung und Altersversorgung für die eigenen Eltern.16

II. Vom Allgemeinen Landrecht für die Preußischen Staaten und Bürgerlichen Gesetzbuch 1. Allgemeines Landrecht für die Preußischen Staaten Der gesetzgeberischen Gestaltung des Eltern-Kind-Verhältnisses widmete sich bereits im Jahr 1787 die Königlich Preußische Akademie der Wissenschaften. Sie forderte zur Beantwortung der Frage nach den „Grundlagen und Grenzen der elterlichen Autorität über die Kinder“ und der Grenze, bis zu welcher „die Gesetze diese Autorität ausdehnen oder begrenzen“ können, auf. Der Gewinner dieses Preisausschreibens, Ernst Ferdinand Klein, war an der späteren Abfassung17 des Preußischen Allgemeinen Landrechts von vom 01.06.1794 beteiligt. Der Hausvater18 trug die Verantwortung und hatte für den Unterhalt der Familie zu sorgen, im Gegenzug sprach ihm das Regelwerk des Allgemeinen Landrechts für die Preußischen Staaten weitreichende autoritäre Befugnisse zu. Der Staat berechtigte die Eltern zur Durchsetzung ihrer erzieherischen Ziele „alle der Gesundheit“ der Kinder „unschädliche[n] Zwangsmittel zu gebrauchen“ (§ 86, II, 2 PrALR). Die väterliche beziehungsweise elterliche Gewalt ist aber auch in einem gewissen Maß der Kontrolle des Staates unterstellt worden. Überschritten sie ihre Erziehungsbefugnisse konnte der Staat im Interesse des Kindes ergänzend eingreifen (§§ 90, 91, II, 2 PrALR). Gemäß § 90, II, 2 PrALR war es dem Vormundschaftsgericht dann von Amts wegen erlaubt, sich der Kinder anzunehmen, wenn die „Eltern ihre Kinder grausam misshandeln, sie zum Bösen verleiten oder ihnen den notwendigen Unterhalt ver16

Hannemann, Pflicht und Recht des Jugendamtes, S. 37 ff. Ramm, Familienrecht, S. 145, Fn. 11; ders., Jugendrecht, S. 46. Zuvor sind die Grundgedanken des Gesetzgebungswerkes in öffentlichen Diskussionszirkeln erörtert worden, vgl. Habermas, Strukturwandel der Öffentlichkeit, S. 144. 18 An sich war aber nicht mehr allein der Vater, sondern grundsätzlich die Eltern gemeinsam für die Kindererziehung zuständig gemäß § 64, II, 2 PrALR. Danach hatten beide Elternteile gemeinsam für einen standesgemäßen Unterhalt und die Erziehung ihrer Kinder Sorge zu tragen. Der Vater hatte primär die Kosten für ihre „Verpflegung“ zu übernehmen gemäß § 65, II, 2 PrALR, wogegen der Mutter die körperliche „Pflege und Wartung“ der Kinder oblag gemäß § 66, II, 2 PrALR. Dennoch standen die Kinder „vorzüglich“ unter der väterlichen Gewalt (§ 62, II, 2 PrALR) und „hauptsächlich“ der Vater hatte die Erziehungsart zu bestimmen (§ 74, II, 2 PrALR). Vgl. Dörner, Industrialisierung und Familienrecht, S. 31 ff.; Ramm, Jugendrecht, S. 46. 17

64

2. Teil: Der bestehende normative Kontext

sagen“. Den Eltern konnte daraufhin „die Erziehung genommen“ und die Kinder in Pflegschaft gegeben werden, vgl. § 91, II, 2 PrALR. Zur Rechtfertigung dieser ersten Anklänge einer staatlichen Kontrolltätigkeit, die einer kompletten Entrechtlichung des Familieninneren entgegenwirkte, konnte sich die hoheitliche Seite auf die Pflichtgebundenheit der Elternrechte berufen. Gemäß § 108 II, 2 PrALR war es Aufgabe der Eltern, ihre „Kinder zu künftigen brauchbaren Mitgliedern des Staates, in einer nützlichen Wissenschaft, Kunst oder Gewerbe vorzubereiten“. Da aber die Familie als öffentliche Einheit und nicht Individualverband galt19 und sich die ständischen Herrschaftsstrukturen des preußischen Obrigkeitsstaates mit den Rollenzuweisungen und Aufgaben innerhalb des patriarchalen Familienmodells weitgehend entsprachen, korrigierte der gerichtliche Prüfer allenfalls gravierende Erziehungsmissbräuche.20 2. Bürgerliches Gesetzbuch Während der polizeirechtlich geprägte Obrigkeitsstaat des 18. Jahrhunderts in den ehe- und familienrechtlichen Bestimmungen des Preußischen Allgemeinen Landrechts noch pedantisch jede Kleinigkeit des Zusammenlebens regelte, begann sich mit Inkrafttreten des Bürgerlichen Gesetzbuchs am 01.01.1900 eine individualistische Rechtsauffassung durchzusetzen.21 Dessen Familienrechtsmodell war durch die sozio-ökonomischen Umwälzungen der industriellen Gesellschaft geprägt. Die Übergangsphase von einer weitgehend agrarisch und handwerklich geprägten Wirtschaftsordnung zu einer von Urbanität und Technik bestimmten Arbeits- und Wohnkultur löste zwar die statischen feudalen Gefüge und trug zum Rückbau der Autorität der bisherigen Herrschaftsstände bei, politisierte also die Massen und befreite sie tendenziell, vergrößerte aber zugleich die Pauperisierung der unteren Bevölkerungsschichten.22 Armut, Arbeitsüberlastung der Eltern, die es in die Industrieorte zog, und marktbezogene Verselbstständigungsprozesse der Familienbeziehungen gehörten zu dieser anderen Seite der sozialen Skala. Kinderarbeit war ein augenfälliges Zeichen dieser Verelendung,23 weshalb die Beschränkung der Kinderarbeitszeit eine erste Staatsin19

So standen im PrALR von 1794 die Lebensbereiche der Ehe, väterlichen Gewalt und die Ordnung der Familienverhältnisse am Anfang des zweiten Gesetzgebungsteils „Über Gesellschaften und Verbände, II. Teil, Titel 1–4, in einem Abschnitt, der zugleich die Belange des Standes-, Staatsdiener-, Kirchen-, Schul- und Staatsrechtes regelte. Andererseits existierte eine eigenständige Ordnung hinsichtlich des familiären Vermögensrechts, vgl. §§ 1 ff., II, 4 PrALR; der Erbschatz, §§ 294 ff., II, 1 PrALR; die Familienstiftung, §§ 21 ff., II, 4 PrALR oder der Familienfideicommiss, § 47, II, 4 PrALR. 20 Ramm, Jugendrecht, S. 58. 21 Friauf, NJW 1986, S. 2595, 2596. 22 Dörner, Industrialisierung und Familienrecht, S. 67 ff., 69 f.; Ramm, Jugendrecht, S. 32. 23 Nachzulesen etwa in „Oliver Twist“ von Charles Dickens.

A. Historische Grundlegung

65

tervention war (vgl. §§ 128, 129 Reichsgewerbeordnung von 1869).24 Weiteres Zeichen der Nothilfe in Reaktion auf die Not- und Missstände in der Bevölkerung war die Entstehung der öffentlichen Kleinkindererziehung (Krippen, Bewahranstalten, Kleinkinderschulen, Volkskindergärten) seit dem 19. Jahrhundert.25 Das zur Überprüfung der „elterlichen Gewalt“26 gemäß § 1626 BGB a.F. eingesetzte Vormundschaftsgericht kann sich seitdem der familienrechtlichen Generalklausel gemäß § 1666 BGB a.F. bedienen, um in gestörte elterliche Erziehungsverhältnisse ordnend einzugreifen.27 Die Etablierung einer generalklauselartigen Formulierung deutet daraufhin, dass gewisse erzieherische Missstände eine Gemeinschaftskontrolle forderten. Die Fortschrittlichkeit des § 1666 BGB a.F. lag gegenüber den Vorschriften des PrALR von 1794 in jedem Fall darin, dass wegen der tatbestandlichen Weite viele Varianten elterlicher Missbrauchs- und Versagensfälle subsumierbar geworden sind;28 ihr Vorliegen ist jedoch in der damaligen Zeit nur höchst selten durch einen Familienrichter bejaht worden.29 Insgesamt begegnete das familienrechtliche Konzept des Bürgerlichen Gesetzbuches nicht nur dem durch die Industrialisierung hervorgerufenen Funktionswandel des ökonomischen und gesamtgesellschaftlichen Modells; es war vor allem auch den Vorstellungen eines gehobenen Bürgertums geschuldet, dessen Heimstätte die patriarchalische Kleinfamilie bildete. Angesichts der (ökonomischen) Freiheitsinteressen der Bürger sollte sich der Staat weit möglichst zurückhalten und seine Kontrollausübung dem Gesetz des Marktes beziehungsweise der familieninternen Selbstregulierung überlassen.30 Der familiäre Binnenraum sollte privat autonomen Charakter besitzen und gegen staatliche 24

Etwa zeitgleich etablierte sich in Preußen die allgemeine Schulpflicht, Ramm, Jugendrecht, S. 32 ff., 55 f., 60 ff. 25 Scheiwe, RdJB 2009, S. 63, 72. 26 Der Rechtsbegriff der „elterlichen Gewalt“ war im Sinne eines „Waltens“, d. h. einer Rechte und Pflichten in sich vereinigenden Aufgabe zu verstehen, Huber, Deutsche Verfassungsgeschichte VI, S. 108. Mit dem Rechtsbegriff knüpfte der Gesetzgeber u. a. an die Rechtsfigur der germanischen „munt“ an, Fehnemann, DÖV 1982, S. 353 f. Sprachlich lässt sich auch eine Reminiszenz an die römische Rechtsfigur der „patria potestas“ erkennen, BGHZ 66, 334, 337. Die „elterliche Gewalt“ ist mit dem Gesetz zur Neureglung des Rechts zur „elterlichen Sorge“ umbenannt worden, Gesetz vom 01.01.1980 (BGBl. I, S. 1061). 27 Die Notwendigkeit einer staatlichen Befassung mit der elterlichen Erziehung problematisierte eine zeitgenössische juristische Dissertation gemäß der ein großer Teil der Familien nicht mehr imstande war, ihren „natürlichen sozialen Funktionen“ nachzukommen. Aus Gründen des Selbsterhalts wie auch angesichts seiner Pflicht sollte der Staat demnach rechtzeitig durch Korrekturmaßnahmen dafür Sorge zu tragen, dass die natürlichen Ansprüche des Kindes durch ein umfassendes Reichserziehungsgesetz mit entsprechenden Erziehungshilfen gewahrt werden, vgl. Gerhard Polligkeit, Das Recht des Kindes auf Erziehung, Diss. iur, Gießen 1907. 28 Quambusch, ZfJ 1988, S. 315, 324. 29 Dörner, Industrialisierung und Familienrecht, S. 70 f., 115. 30 Quambusch, ZfJ 1988, S. 315, 322; Schwab, FS Bosch, S. 893, 898 ff., 901.

66

2. Teil: Der bestehende normative Kontext

Eingriffe immunisiert sein.31 Die klassisch-bürgerliche Kleinfamilie als Schöpfung des ausgehenden 18. Jahrhunderts ist so auch als ein Gegenentwurf zur staatlichen Zone zu verstehen. Dort fand entsprechend den bürgerlichen Idealen die Kindererziehung als spezielle Aufgabe der Mutter32 statt.33 In dieser Gesellschaftsordnung machte es durchaus Sinn, dass bis zum sechsten Lebensjahr die Kindererziehung ausschließliches Vorrecht der Eltern war. Erst danach erfolgte die, auch heute noch praktizierte Trennung der Sphären von Bildung, Erziehung und Betreuung, indem zumindest vormittags der staatliche Schulunterricht an die Seite der familiären Erziehung tritt. Gelebt werden konnte dieses schwärmerisch-sentimental gefärbte Verständnis von Familie, dass bei der Ausübung der elterlichen Gewalt und Regelung der heimischen Beziehungen auf die Sitte, das Naturgefühl und die instinktive Fürsorge der Eltern vertraute, allerdings nur von einer kleinen bürgerlichen Oberschicht. Das bürgerliche Verständnis für die Gestaltung des Familienlebens deckte sich wie erwähnt im Wesentlichen mit dem des Wirtschaftsliberalismus. Die familiären Beziehungen sind nicht mehr als eine Einheit, sondern als ein System von Individualbeziehungen begriffen worden, die sich im „staatsfreien“ Raum des Privatrechts in ihrer Subjektivität entfalten sollten.34 Diesem Individualisierungsprozess entsprechend ist das Kind nicht mehr bloß als bloßes Objekt jener „ius patris“ verstanden,35 sondern allmählich als hilfe- und schutzbedürftiges Subjekt36 erfasst worden.37 Die Eigenständigkeit des Kindes fand durch die Eigenrechtlichkeit des Kindschaftsrechts Eingang

31 Dörner, Industrialisierung und Familienrecht, S. 70 ff.; Habermas, Strukturwandel der Öffentlichkeit, S. 109 ff. 32 Der Mutter kam im damaligen zivilrechtlichen Verständnis für die Kindererziehung allerdings nur eine Nebenrolle zu. Die rechtliche Vorrangstellung des Vaters änderte sich auch in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts wenig, dies zeigt u. a. die Regelung zum sogenannten Stichentscheid §§ 1628, 1629 Abs. 1 a. F. BGB (aufgehoben durch BVerfGE 10, 59 ff.). Oder § 1631 Abs. 2 a. F. BGB, wonach dem Vater kraft seines Erziehungsrechts die Anwendung aller „angemessener Zuchtmittel“ zustand (abgeändert durch das Gesetz zur Neureglung des Rechts der elterlichen Sorge vom 01.01.1980, BGBl. I, S. 1061). Zur veränderten Rolle und Funktion des (BGB-)Vaters, Peschel-Gutzeit, FPR 2005, S. 167 ff. 33 Hannemann, Pflicht und Recht des Jugendamtes, S. 39 ff. 34 Friauf, NJW 1986, S. 2595, 2598. 35 Mitbeeinflusst wurde diese Entwicklung durch die im 18. Jahrhundert sich durchsetzende Pädagogik als wissenschaftliche Disziplin. Johann Heinrich Pestalozzi, Wie Gertrud ihre Kinder lehrt, Bern 1801, und Johann Friedrich Herbart, Allgemeine Pädagogik, aus dem Zweck der Erziehung abgeleitet, Göttingen 1806, stellten erstmalig das Kind in den Mittelpunkt des Forschungsinteresses. 36 Das zeigt sich in den Vorgaben für das Züchtigungsrecht wie auch daran, dass etwa ab Mitte des 18. Jahrhunderts in deutschen Strafgesetzen die Unterscheidung von Erwachsenen und Kindern eingeführt worden ist, allerdings mit noch landesunterschiedlichen Altersgrenzen. Die einheitliche Festsetzung der Strafmündigkeit auf zwölf Jahre erfolgte erst durch § 55 Reichsstrafgesetz vom 15.05.1871 (RGBl. I, S. 127), vgl. Ramm, Jugendrecht, S. 52 ff. 37 Ramm, Familienrecht, S. 157; ders., Jugendrecht, S. 68; Schwab, FS Bosch, S. 893, 898 f.

B. Einfachgesetzliches Instrumentarium

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in das Rechtsdenken, wie auch ansonsten das freie Individuum im Rechtssystem durch den Begriff der allgemeinen Rechtsfähigkeit handhabbar gemacht worden ist.38

B. Einfachgesetzliches Instrumentarium I. Staatliche Hilfsangebote zur Abwendung von Kindeswohlgefährdungen Grundlage für das heutige sozialarbeiterische Handeln ist das im SGB VIII einfachgesetzlich geregelte Kinder- und Jugendhilfegesetz (KJHG), das im Wesentlichen auf dem Freiwilligkeitsprinzip basiert und dessen Reichweite erst einmal unabhängig von einer elterlichen Verfehlung ist. Seine Wurzeln reichen einerseits in das Strafrecht sowie Polizei- und Ordnungsrecht, andererseits in die Armengesetzgebung und das Vormundschaftsrecht.39 Erste Anklänge einer wohlfahrtsstaatlichen Verpflichtung der Eltern und soziale Schutzrechte zugunsten des Kindes40 waren in der Gesetzgebung des Preußischen Allgemeinen Landrechts von 1794 zu finden,41 die angelehnt an das Verständnis von der germanischen munt konzipiert worden war.42 Waren die Eltern nicht (mehr) in der Lage ihre Kinder zu erziehen oder für sie zu sorgen, existierten freiwillig zu beantragende oder durch das Gericht zu bestimmende Besserungsmittel (§§ 87 bis 89, II, 2 PrALR), die im weitesten Sinne als Vorgängernormen der heute geltenden Erziehungshilfen des SGB VIII angesehen werden können.43 Konkret rückführbar ist das heute u. a. in § 8a SGB VIII enthaltene Mitwirkungsinstrumentarium44 auf das Jugendwohlfahrtsgesetz (JWG),45 das wiederum auf das Habermas, Strukturwandel der Öffentlichkeit, S. 114, 143 f. Oberloskamp, 6. Göttinger Workshop, S. 45. 40 „Rechte des Kindes“ konnten das väterliche Hausregiment einschränken. Die väterliche Berufsentscheidung (§ 109 ff., II, 2 PrALR) konnte der Sohn „bei gänzlicher Abneigung“ durch das Vormundschaftsgericht überprüfen lassen (§§ 112 ff., II, 2 PrALR). Ein „Überprüfungsrecht“ stand auch der Tochter hinsichtlich der väterlichen Ehegattenwahl zu (§ 119, II, 2 PrALR), Schwab, FS Bundesfamilienministerium, S. 63, 79. 41 Hill, RdJB 1972, S. 60, 63; Ramm, Familienrecht, S. 155 und ders., Jugendrecht, S. 46 f. 42 Das Herrschaftsrecht des männlichen Familienoberhaupts berechtigte zwar einerseits zur uneingeschränkten Nutzung der Arbeitskraft des Minderjährigen, war aber zugleich ein Schutzrecht zu dessen Gunsten und umfasste seine Erziehung, Vertretung und die Verwaltung des Kindesvermögens. Die fürsorgliche Herrschaftsmacht des Vaters währte solange, als das Kind „im Brote des Vaters“ stand, also wirtschaftlich unselbstständig bzw. unverheiratet war, Ramm, Jugendrecht, S. 21 ff. 43 Bemerkenswert ist, dass bereits §§ 753 ff., II, 2 PrALR das Pflegekinderrecht und damit fürsorgerische Erziehungshilfen positiv geregelt haben. 44 Ehemals in § 50 SGB VIII geregelt, die Novellierung erfolgte durch das Gesetz zur Weiterentwicklung der Kinder- und Jugendhilfe (KICK), Gesetz vom 08.09.2005 und vom 38 39

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2. Teil: Der bestehende normative Kontext

Reichsgesetz für die Jugendwohlfahrt (RJWG)46 zurückgeht, welches jedem deutschen Kind ein „Recht auf Erziehung zur leiblichen, seelischen und gesellschaftlichen Tüchtigkeit“ zusicherte.47 Erstmalig ist dadurch eine reichseinheitliche Behördenorganisation für die Jugendwohlfahrt auf kommunaler Ebene geschaffen worden, so dass die Jugendämter eingreifende Maßnahmen bei der Bewältigung von Erziehungsaufgaben einleiten konnten.48 Zeitgleich trat das Reichsjugendgerichtsgesetz in Kraft;49 beide Gesetze gelten als Indizien für die Unzulänglichkeit damaliger Erziehungsverhältnisse.50 Das Jugendwohlfahrtsgesetz von 1961 beließ es bei dieser kontroll- und eingriffsorientierten Ausrichtung. Durch das KJHG51 ist das JWG in den Regelungsbereich des SGB VIII integriert worden. Die Jugendämter sind nach jahrzehntelangen Diskussion von einer „sozialen Ordnungsbehörde“ zu einer gefahrvorsorgenden52, familienorientierten Leistungsverwaltung modernisiert worden.53 1. Gestufte Hilfsformen Die heute geltenden Erziehungshilfen des SGB VIII konkretisieren die Bedingungen des staatlichen Wächteramts, nach denen Beratung und Hilfe Vorrang vor staatlichen Eingriffen besitzen. Entsprechend existiert ein gestuftes Instrumentarium, das die Eltern primär durch die freiwillige Inanspruchnahme von Hilfs- und Förderdienstleistungen54 in ihrer Erziehungsverantwortung unterstützt und eine rechtsverbindli-

25.10.2005 (BGBl. I, S. 2729 und S. 2738). Zu den gesetzgeberischen Hintergründen, Bringewat, ZKJ 2006, S. 233; Voigts, JAmt 2006, S. 57. Ein weiterer Baustein der Reform war § 72a SGB VIII, wonach bei Personen, die in der Kinder- und Jugendhilfe tätig sind eine Eignungskontrolle zu erfolgen hat, Kreft, JAmt 2006, S. 66. 45 Vom 11.08.1961 (BGBl. I, S. 1206). 46 Gesetz vom 09.07.1922 (RGBl. I, S. 633), das erst am 01.01.1924 in Kraft trat. Verfassungsrechtliche Grundlage für das Reichsjugendwohlfahrtsgesetz war Art. 122 Abs. 2 WRV. 47 Abdruck der „leitenden Grundgedanken“ des Reichsjugendwohlfahrtsgesetzes bei Ramm, Jugendrecht, S. 73, 188. 48 Schwab, FS Bundesfamilienministerium, S. 63, 79. 49 Gesetz vom 16. 02. 1923 (RGBl. I, S. 135). 50 Quambusch, ZfJ 1988, S. 315, 322. 51 Vom 26.06.1990 (BGBl. I, S. 1163). 52 Jestaedt, 6. Göttinger Workshop, S. 6. 53 Zur Geschichte des Jugendhilferechts, Hannemann, Pflicht und Recht des Jugendamtes, S. 96 ff., 106 ff., 148. 54 Nur das Familiengericht kann die Eltern über § 1666 BGB zur Inanspruchnahme von Erziehungshilfen verpflichten, Wiesner, in: SGB VIII, § 1 Rdnr. 26; ders., FPR 2008, S. 608, 612.

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che Einflussnahme erst dann trifft, wenn eine Kindeswohlgefährdung nicht anders abzuwehren ist, vgl. §§ 1 Abs. 3 Nr. 2, 2 Abs. 2 SGB VIII.55 Es ist Aufgabe des Jugendamtes, Anhaltspunkte für Gefährdungen im Umfeld betroffener Kinder zu registrieren und festzustellen, ob auf deren Grundlage erforderliche Schutzmaßnahmen einzuleiten sind. Maßgeblich für die Auswahl und den Umfang bestimmter Hilfen ist der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, der sich aus dem Störungsgrad im Eltern-Kind-Verhältnis beziehungsweise dem Erziehungsdefizit sowie einer Prognose über die weitere Entwicklung bei Einsatz der Hilfen ergibt. Zur hierfür notwendigen Informationssammlung gehört das Hintergrundwissen über das unmittelbare soziale Umfeld von Kindern. Hierzu kann das Jugendamt selbstständig, unter Berücksichtigung des Untersuchungsgrundsatzes gemäß § 20 Abs. 1 S. 1 SGB X56 durch Gespräche mit den Beteiligten gemäß § 62 Abs. 1 und 2 S. 1 SGB VIII tätig werden.57 Bislang sind freiwillige Gespräche mit dem Kind und dessen Eltern auf der Grundlage von § 8a Abs. 1 S. 2 und 3 SGB VIII58 oder die Anforderung eines Behördenführungszeugnisses über engere Bezugspersonen des Kindes möglich. Diese Erkenntnisquellen soll um die Möglichkeit einer Auskunft aus dem Bundeszentralregister gemäß §§ 41 ff. BZRG über in häuslicher Gemeinschaft mit dem Kind lebende Bezugsperson (Elternteile, deren Lebensgefährten, Stief- und Halbgeschwister) erweitert werden.59 Ebenso sind Befragungen von Dritten gemäß § 62 Abs. 3 Nr. 2d und Nr. 3, 4 SGB VIII möglich, um die relevanten Sozialdaten zu ermitteln und abzuklären, ob gewichtige Anhaltspunkte für eine Kindeswohlgefährdung i.S.v. § 8a Abs. 1 S. 2 SGB VIII vorliegen. Ist das Risikopotenzial ausgelotet worden und sind „gewichtige Anhalts-

55 Im Jahr 2007 sind in Deutschland knapp 23 Milliarden Euro für die Kinder- und Jugendhilfe ausgegeben, davon entfiel etwa ein Viertel (5,4 Milliarden Euro) auf sog. Hilfen zur Erziehung, Statistisches Bundesamt, Mitteilung vom 20.11.2008, FamRZ 2009, S. 7 f. 56 Im Rahmen des sog. Sozialgeheimnisses (vgl. § 61 Abs. 1 S. 1 SGB VIII) unterliegen Sozialdaten (gemäß § 67 Abs. 1 SGB X) einem über die allgemeine Geheimhaltungspflicht im öffentlichen Bereich (gemäß § 35 SGB I) hinausgehenden Schutz vor unbefugter Erhebung, Verarbeitung oder Nutzung. Eine Übermittlung an andere Behörden darf gemäß § 69 Abs. 1 Nr. 1 SGB X i.V.m. § 35 Abs. 2 SGB I nur dann erfolgen, wenn besondere Verwendungssperren gemäß §§ 64 Abs. 2, 65 Abs. 1 SGB VIII, § 76 Abs. 1 SGB X i.V.m. § 203 StGB sowie § 4 Abs. 2 und 3 SGB X nicht entgegenstehen. Diese können u. a. durch Einwilligung, gesetzliche Mitteilungspflichten (§ 8a Abs. 3 SGB VIII) oder rechtfertigenden Notstand gemäß § 34 StGB überkommen werden, Meyen, Rechtliche Vorgaben zur Kommunikation, S. 30 ff. 57 Hierzu zählen etwa Hausbesuche, Mörsberger, in: Wiesner, SGB VIII, § 62 Rdnr. 7; Fischer, in: Schellhorn, SGB VIII/KJHG, §§ 61–68 Rdnr. 29. Zur Inaugenscheinnahme als Beweismittel, vgl. § 21 Abs. 1 Nr. 4 SGB X. 58 Wiesner, FPR 2007, S. 6, 9. 59 Vgl. Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Bundeszentralregistergesetzes, BRatDrs., 16/4199; wie auch die Empfehlung des Rechtssauschusses, BRat-Drs. 817/06.

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2. Teil: Der bestehende normative Kontext

punkte“ gemäß § 8a SGB VIII für eine Kindeswohlgefährdung bekannt geworden,60 hat eine Risikoabschätzung „im Zusammenwirken mehrerer Fachkräfte“ des Jugendamtes (gemäß §§ 72, 72a SGB VIII) unter Einbeziehung der beteiligten Familienteile zu erfolgen.61 Daran schließt sich die Entscheidung des Jugendamtes an, mit welchen Erziehungshilfen der Gefahrenlage begegnet werden kann.62 2. Freiwillige Erziehungshilfen Ergibt diese Gefährdungsbewertung eine wenig intensive bis geringfügige Handlungsnotwendigkeit, hat das Jugendamt entsprechend seines Schutzauftrages zur Verhinderung von Kindeswohlgefährdungen gemäß § 8a SGB VIII den betroffenen Eltern zunächst freiwillige Erziehungshilfen anzubieten. Auf der ersten Stufe bietet die öffentliche Jugendhilfe, namentlich das örtliche Jugendamt gemäß § 69 Abs. 1 SGB VIII,63 allgemein zugängliche Beratungs- und Unterstützungsangebote (zum Beispiel Haushaltshilfen, Übernahme von Kinderbetreuungskosten) gemäß §§ 11 bis 26 SGB VIII an. Die familienbezogenen Beratungsangebote gemäß §§ 17, 18 SGB VIII werden dabei mit Abstand am häufigsten in Anspruch genommen.64 Können die Eltern eine dem Wohl des Kindes entsprechende Erziehung nicht mehr oder nur noch eingeschränkt gewährleisten,65 ohne dass die Grenze zu einer Gefährdung überschritten ist, haben sie, nicht aber das Kind, dem die Hilfen eigentlich dienen, einen sozialrechtlichen Anspruch auf die Gewährung von „Hilfen zur Erziehung“ gemäß §§ 27 bis 35 SGB VIII.66 Dies bedeutet andererseits, dass es zu akzeptieren ist, wenn die Eltern die angebotenen erzieherischen Hilfen nicht wahrnehmen wollen. Nehmen die Eltern die Hilfen in Anspruch, kann das Jugendamt als Sozialleistungsträger die Eltern durch freiwillige ambulante und teilstationäre Beratungsund Erziehungsangebote, aber auch im Wege einer Fremdunterbringung gemäß §§ 33 und 34 SGB VIII anleiten und bei der eigenständigen Berichtigung des Erzie60 Zur Beurteilung von Verdachtsmomenten bei Kindeswohlgefährdungen, Offe, ZKJ 2007, S. 236 ff. 61 Zur Einschätzung des „Gefährdungsrisikos“, Kindler/Lillig, Schutzauftrag der Jugendhilfe, S. 85, 90 ff. Kriterien sind u. a. die Erziehungsfähigkeit der Eltern, ihre Veränderungsbereitschaft und -fähigkeit, das Förderbedürfnis des Kindes, vgl. Kunkel, ZKJ 2008, S. 52 f. 62 Willutzki, FPR 2008, S. 488, 489. 63 Träger der öffentlichen Jugendhilfe sind örtlich die Kreise und kreisfreien Städte, die jeweils ein Jugendamt zu errichten haben gemäß § 69 Abs. 3 SGB VIII. Die überörtlichen Träger, die vom jeweiligen Landesrecht bestimmt werden, haben ein Landesjugendamt zu errichten. In Nordrhein-Westfalen nehmen die Landschaftsverbände Rheinland und WestfalenLippe diese historisch gewachsenen Funktion wahr, vgl. § 8 AG KJHG NRW. 64 Statistisches Bundesamt, Datenreport 2006, S. 215. 65 Ergibt sich bspw. ein Erziehungsdefizit oder eine Mangellage, Kunkel, KJH, § 27 Rdnr. 1 f.; Schellhorn, SGB VIII/KJHG, § 27 Rdnr. 18 ff. 66 Wiesner, FPR 2008, S. 608, 610.

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hungsmangels unterstützen. Bei diesen Aufgaben arbeitet das öffentliche Jugendamt mit freien Trägern der Jugendhilfeleistung zusammen, das heißt staatlich anerkannte Wohlfahrtsverbände, kirchliche oder privatrechtliche Organisationen, vgl. §§ 3 und 4 sowie 74 und 75 SGB VIII.67 Das Jugendamt hat sich im Rahmen einer Hilfeplanung gemäß § 36 SGB VIII zu vergewissern, dass die Hilfen ausreichen. An dieser Stelle zeigt sich bereits die klassische Doppelrolle des Jugendamtes zwischen Hilfsfunktion durch Unterstützung der Eltern bei gleichzeitiger Kontrolle im Wege der Intervention. Dabei besteht ein eigener Einschätzungs- beziehungsweise Beurteilungsspielraum des fallverantwortlichen Jugendamtsmitarbeiters, wobei dieser allerdings eine Gratwanderung zwischen übereiltem (Vertrauens-)Bruch der Hilfebeziehung zu den Eltern und verspäteter Hilfe zugunsten des Kindes zu vollbringen hat.68 3. Kontrollfunktion Blockieren die Eltern jedoch eine Gefährdungseinschätzung gemäß § 8a SGB VIII und kann daher die Frage, ob beziehungsweise welche Maßnahmen zur Abwendung der möglichen Kindeswohlgefährdung zu ergreifen sind, nicht beantwortet werden, hat das Jugendamt in seiner Funktion als Beschützergarant des Minderjährigen gemäß §§ 1 Abs. 2 S. 2 und Abs. 3 Nr. 3, 8a SGB VIII das Familiengericht einzuschalten,69 weil es selbst nicht befugt ist eigenständig in die elterlichen Sorgerechte gemäß einzugreifen. Eingriffe in die elterliche Sorge gemäß §§ 1626 ff. BGB unterstehen dem Richtervorbehalt. Ebenso ist das Familiengericht einzuschalten, wenn die Hilfen nicht angenommen werden oder die Eltern nicht wirken und fest steht, dass deshalb das Kindeswohl intensiv oder akut gefährdet ist.70 Kommt die Analyse also zu dem Ergebnis, dass das Angebot der erzieherischen Hilfen nicht (mehr) ausreicht, um eine gegenwärtige oder zumindest unmittelbar bevorstehende Kindeswohlgefährdung abzuwenden, wird das Jugendamt zum „Agent[en] des staatlichen Wächteramts“.71 Das Familiengericht ist unter Bezugnahme auf die Umstände, die gemäß § 8a Abs. 3 SGB VIII eine Gefährdung des Kindes begründen, anzurufen oder es sind gemäß § 8a Abs. 4 SGB VIII Sozialleistungsträger (Gesundheitsdienste) beziehungsweise die Polizei (vgl. § 8 Abs. 1 PolGNRW) einzuschalten.72

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Salgo, FuR 1990, S. 363, 365 f.; Wabnitz, ZfJ 2000, S. 336, 337. Hannemann, Pflicht und Recht des Jugendamtes, S. 184. 69 Ohne überwachende Bevormundung der Eltern, Robbers, in: von Mangoldt/Klein/ Starck, GG, Art. 6 Rdnr. 251. 70 Hier besteht für das Jugendamt kein Ermessensspielraum mehr Kunkel, ZKJ 2008, S. 52, 53. 71 Wiesner, ZKJ 2008, S. 143, 144. 72 Die Befugnis Strafanzeigen zu stellen, um eine weitere Gefährdung des Kindes zu verhindern, ergibt sich für das Jugendamt aus § 69 Abs. 1 Nr. 2 SGB X. Eine Verpflichtung dies zu tun kann nur gemäß § 138 StGB für geplante, besonders normierte Straftaten bestehen. 68

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2. Teil: Der bestehende normative Kontext

Normalerweise markiert also eine Kindeswohlgefährdung jene Grenze, deren Überschreiten eine mittelbare Intervention des Jugendamtes, notfalls auch ohne Zustimmung der Eltern, erforderlich macht, um die Situation für das Kind möglichst dauerhaft zu verbessern. Nur ausnahmsweise, bei Gefahr in Verzug und sofortigem Handlungsbedarf zum Schutz von Leib oder Leben des Minderjährigen, ist das Jugendamt auch befugt eigenständige Repressionsinstrumente einzusetzen, um das Kind zu schützen.73 In Eil- und Notfällen dient die Inobhutnahme gemäß § 8a Abs. 3 S. 2 i.V.m. § 42 Abs. 2 SGB VIII eine vorläufige Herausnahme des Kindes aus der Familie ohne oder gegen den Willen seiner Eltern zu veranlassen.74 Hier haben sich insbesondere in der Altersstruktur der in Obhut genommenen Kinder in den letzten Jahren erhebliche Veränderungen ergeben. So ist ein ausgewiesener Anstieg für die unter Dreijährigen zu verzeichnen,75 also in einer Altersgruppe, die intensiv auf die Pflege der Eltern angewiesen ist. Sowohl ein Anzeichen für steigende familiäre Problembelastungen als auch dafür, dass der Bedarf an rechtzeitigen Hilfen für Kleinkinder besonders dringlich ist.

II. Familiengerichtliche Intervention zur Abwendung von Kindeswohlgefährdungen Eine regelmäßige Aufsicht über die elterliche Erziehung findet nicht statt, deshalb muss das Familiengericht durch Anzeige des Jugendamtes gemäß § 8a SGB VIII oder auf anderem Wege (Anzeige von Verwandten, Nachbarn) Kenntnis von einem kindeswohlgefährdenden Sachverhalt erlangen. Wenn dieser Fall nicht mehr durch die Gewährung von öffentlichen Hilfen abgewendet werden kann, hat das Familiengericht auf Grundlage der §§ 1666 f. BGB zulasten der Eltern einzugreifen. Die familienrechtliche Generalklausel des Bürgerlichen Gesetzbuches, klassisch nach Tatbestand und Rechtsfolge aufgebaut, stellt die wohl wichtigste einfachgesetzliche Ausformung des staatlichen Wächteramtes gemäß Art. 6 Abs. 2 S. 2 GG dar. Sie legitimiert das Familiengericht zu Eingriffen in das elterliche Sorgerecht gemäß § 1626 BGB. Die tatbestandlichen Anknüpfungspunkte werden nachfolgend bündig geschildert. 73 Im Jahr 2007 sind in Deutschland etwa 28. 200 Kinder und Jugendliche gemäß § 42 SGB VIII untergebracht worden. Das sind rund 77 Minderjährige pro Tag. Anlass für die Inobhutnahmen waren in 23 % der Fälle Vernachlässigung bzw. Anzeichen von Misshandlung oder sexuellem Missbrauch. In 44 % der Fälle sei Anlass der Inobhutnahme die Überforderung der Eltern gewesen, Mitteilung Statistisches Bundesamtes, FamRZ 2008, S. 1505. 74 Die Voraussetzungen korrespondieren mit denen von § 1666 BGB. Zunächst wird der Minderjährige auf eigenen Wunsch oder auf Initiative anderer für einige Stunden oder Tage in einem Heim untergebracht. Danach kehrt das Kind zu seiner Familie zurück oder wird einer ambulanten Heimbetreuung oder Pflegeeltern übergeben, Dahm, Verwaltungsrundschau 2008, S. 400, 402. 75 Etwa 3. 100 unter Sechsjährige werden jährlich in Obhut genommen, Dortmunder Arbeitsstelle Kinder- & Jugendhilfestatistik, Kommentierte Daten der Kinder- und Jugendhilfe, S. 2, 8 f.

B. Einfachgesetzliches Instrumentarium

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Bleibt die Rechtsfolgenseite zu betrachten, auf der der Familienrichter ohne oder gegen den Willen der Eltern Maßnahmen wie den Sorgerechtsentzug gemäß §§ 1666, 1666a BGB anzuordnen hat.76 1. Tatbestandsvoraussetzungen Tatbestandlich erfordert die Einleitung eines familiengerichtlichen Kinderschutzverfahrens gemäß § 1666 Abs. 1 BGB das Vorliegen einer Kindeswohlgefährdung77 in körperlicher, geistiger beziehungsweise seelischer oder vermögensrechtlicher Hinsicht, die die Eltern entweder nicht willens oder fähig sind eigenständig abzuwehren. Das Gesetz stellt neuerdings die Kindeswohlgefährdung und das elterliche Abwendungsversagen ausdrücklich nebeneinander.78 Eine Kindeswohlgefährdung liegt dann vor, wenn eine „gegenwärtige, in einem solchen Maße vorhandene Gefahr [besteht],79 dass sich bei der weiteren Entwicklung eine erhebliche Schädigung80 mit ziemlicher Sicherheit voraussehen81 lässt.“82 Unterhalb dieser Gefahren- oder Eingriffsschwelle kommt gerichtliches Handeln nicht in Betracht. Der Richter hat also entweder eine Kindesschädigung positiv darzulegen oder prognostisch festzustellen, dass eine hohe Wahrscheinlichkeit für den Eintritt einer künftigen Schädigung des Kindes besteht, weil die kindlichen Bedürfnisse in ungünstiger Relation zu den Lebensbedingungen stehen, die die Eltern aufgrund ihrer Fähigkeiten oder ihrer Bereitschaft nach gerichtlicher Einschätzung nicht ändern werden. Den unbestimmten Rechtsbegriff einer „Kindeswohlgefährdung“ macht eine Zusammenschau einzelner familiärer Risiko- und Schutzfaktoren aus, deren Gewichtung durchaus einen gerichtlichen Beurteilungsspielraum offen hält.83

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Fieseler/Hannemann, ZKJ 2006, S. 117. Eine Gefährdung des Kindeswohls ist überdies tatbestandlicher Anknüpfungspunkt von §§ 1636 Abs. 4, 1684 Abs. 4 und von § 1761 Abs. 2 BGB. 78 Coester, JAmt 2008, S. 1, 3. 79 Eine begründete Besorgnis ergibt sich i. d. R. aus Vorfällen in der Vergangenheit, Diederichsen, in: Palandt, § 1666 Rdnr. 8. 80 D.h. eine nachhaltige und schwerwiegende Gefährdung des Kindeswohls, BVerfG, FamRZ 1982, 567. 81 Erst recht sind Eingriffe gerechtfertigt, wenn bereits ein Schaden eingetreten ist, OLG Stuttgart, FamRZ 2002, 1279. 82 BGH, FamRZ 1956, 350, st. Rspr. 83 Dettenborn, Kindeswohl und Kindeswille, S. 56 ff. 77

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2. Teil: Der bestehende normative Kontext

2. Rechtsfolgen Dem Familiengericht ist es nach Amtsermittlung84 aller relevanten Tatsachen vorbehalten, in die elterliche Erziehungsverantwortung einzugreifen. Wenn eine Kindeswohlgefährdung feststeht, sind die erforderlichen Maßnahmen anzuordnen, um das Kind vor der erkannten Gefährdung zu schützen und damit letztlich für eine Verbesserung der kindlichen Lebenssituation zu sorgen.85 Die zur (Wieder-)Herstellung des Kindeswohls notwendigen Maßnahmen hat der Familienrichter dem in § 1666 Abs. 3 BGB n.F. eingefügten Beispielskatalog zu entnehmen. Die Darstellung dient aber bloß der Klarstellung, denn alle Maßnahmen waren auch schon nach bisherigem Recht möglich, sind aber in der gerichtlichen Praxis nicht ausgeschöpft worden.86 Beginnend mit dem minimalinvasivsten Eingriff, dem Gebot bestimmte Auflagen zu erfüllen, etwa eine Therapie oder Beratungsangebote gemäß §§ 27 ff. SGB VIII wahrzunehmen (Nr. 1), kann das Gericht aus dem Gewaltschutzgesetz entlehnte Verbote (Nr. 3 und 4)87 oder den teilweisen beziehungsweise vollständigen Entzug der elterlichen Sorge anordnen (Nr. 6). Dem Gericht steht ein Auswahlermessen hinsichtlich der zu verfügenden Maßnahme zu, wobei es auf Rechtsfolgenseite die Prinzipien der Verhältnismäßigkeit und Subsidiarität zu beachten.88 Ausdrücklich ausgeformt ist der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit in § 1666a BGB. Jeder Gefährdung ist folglich mit der ihr angemessenen Interventionsstufe zu begegnen; wenn möglich, sind mildere Mittel einzusetzen89 oder zeitlich befristete Maßnahmen zu wählen.90 Mithin ist die Intensität des gerichtlichen Hoheitsaktes einzelfallorientiert zu bestimmen,91 um sowohl dem geeigneten Schutz des Kindes als auch den Elternrechten Rechnung zu tragen. Der Entzug der gesamten elterlichen 84 Während des laufenden Verfahrens hat das Familiengericht die entscheidungserheblichen Tatsachen gemäß § 26 FamFG von Amts wegen zu ermitteln. Neben der Anhörung von Eltern und Kind gemäß §§ 159 f. FamFG, kann es hierzu beispielsweise auf psychologische oder forensische Sachverständigengutachten gemäß § 113 FamFG i.V.m. § 402 ZPO zurückgreifen, Salzgeber/Höfling, Kind-Prax 2004, S. 163, 166 ff. Für die sozialpädagogische Sachkunde ist das Jugendamt gemäß § 50 SGB VIII i.V.m. § 162 FamFG einzubinden. 85 Seit Inkrafttreten des Kindschaftsrechtreformgesetzes vom 16.12.1997 (BGBl. I, S. 2942) sind die Familiengerichte gemäß § 23b GVG sachlich zuständig, vgl. auch § 151 FamFG. 86 Vgl. Diederichsen, in: Palandt, BGB-Kommentar, § 1666 Rdnr. 30 ff. 87 Auch bislang konnte das Familiengericht zum Schutz vor häuslicher Gewalt über § 1666 BGB i.V.m. §§ 210 ff. FamFG und dem Gewaltschutzgesetz (vom 11.12.2001, BGBl. I, S. 3513) gegen externe Dritte Schutzanordnungen treffen bzw. auf Grundlage des Kinderrechteverbesserungsgesetzes (vom 09.04.2002, BGBl. I, S. 1239) Wohnungsverweise oder Kontaktverbote gegenüber gewalttätigen Sorgerechtsinhaber anordnen. Öffentlich-rechtlich ist die „Wegweisung“ des Täters gemäß § 34a PolGNRW möglich, Fricke, Kind-Prax 2004, S. 43. 88 BVerfGE 60, 79, 88; BVerfG, FamRZ 1989, 145; dass., FamRZ 2002, 1021; Stern, Staatsrecht IV/1, S. 593. 89 BVerfGE 60, 79, 93. 90 OLG Köln, FamRZ 1996, 1027. 91 BVerfGE 107, 104, 118.

C. Aussagen des Europa- und Völkerrechts

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Sorge soll gemäß § 1666a Abs. 2 BGB ultima ratio sein,92 es sei denn, diese Teilmaßnahmen sind erfolglos oder zwecks Gefahrabwendung nicht ausreichend. Das Familiengericht hat daher vorrangig die teilweise Entziehung der elterlichen Sorgerechte hinsichtlich bestimmter Einzelbefugnisse zu verfügen.93 In besonders schwerwiegenden Fällen kann die Ersetzung der elterlichen Einwilligung zur Adoption gerechtfertigt sein.94 Wenn keine Erfolgsaussichten bestehen, zu einem geregelten und zuverlässigen elterlichen Erziehungsverhalten zurückzufinden, ist das Kind gemäß § 1666a Abs. 1 BGB, statt zeitlich befristetet in einer Erziehungseinrichtung, dauerhaft in einer Pflege- beziehungsweise Adoptionsfamilie unterzubringen, damit sich nach Möglichkeit neue, stabile Familienbindungen entwickeln können.95

C. Aussagen des Europa- und Völkerrechts sowie der Länderverfassungen zu Eltern- und Kinderrechten Dass in einer globalisierten Welt der (Rechts-) Schutz nicht an den jeweiligen Staatsgrenzen Halt macht wird vielerorts deutlich. Bei grenzüberschreitenden Sachverhalten in der Familienrechtspraxis stellen unterschiedliche völkerrechtliche Übereinkommen96 materiell- wie verfahrensrechtlich97 sicher, dass die Vertragsstaaten die 92

Anstelle der Eltern ist dann ein Vormund gemäß §§ 1773 ff. BGB bzw. für Teilbereiche der elterlichen Sorge ein Pfleger gemäß §§ 1909 ff. BGB zu bestellen, z. B. ein Beamter oder Angestellter des Jugendamts. Zur Umsetzung familiengerichtlicher Entscheidungen durch das Jugendamt, Wiesner, ZfJ 2003, S. 121, 128 f. 93 Abtrennbar ist bspw. das Umgangsbestimmungsrecht gemäß § 1666 Abs. 4 BGB, das Aufenthaltsbestimmungsrecht gemäß § 1631 Abs. 1 BGB, das elterliche Recht zu Entscheidung in schulischen Angelegenheiten gemäß § 1631a BGB oder hinsichtlich der Gesundheitsfürsorge, Diederichsen, in: Palandt, BGB, § 1666 Rdnr. 22. 94 BVerfGE 24, 119 (142 ff.); 74, 102 (122); Robbers, in: von Mangoldt/Klein/Starck, GG, Art. 6 Rdnr. 254. 95 Bei Herausnahme eines Kindes aus seiner bisherigen Pflegefamilie haben die Gerichte zu prüfen, ob die Adoptiveltern in der Lage sind, das Kind in ihre Familie zu integrieren, BVerfGE 79, 51 (66). 96 Im Rahmen der Haager Konferenz für internationales Privatrecht sind mehrere Übereinkommen zum Schutz von Kindern verabschiedet worden, die, obgleich es sich um völkerrechtliche Verträge handelt, eher mit Rechtshilfeübereinkommen zu vergleichen sind. Vier Übereinkommen neueren Datums sind beispielsweise das Haager Übereinkommen über die zivilrechtlichen Aspekte internationaler Kindesentführung (HKÜ) vom 25.10.1980 (BGBl. 1990 II, S. 206); das Haager Übereinkommen über den Schutz von Kindern und die Zusammenarbeit auf dem Gebiet der internationalen Adoption (AdoptÜ) vom 29.05.1993 (BGBl. 2001 II, S. 2950); das Haager Übereinkommen über die Zuständigkeit, das anzuwendende Recht, die Anerkennung, Vollstreckung und Zusammenarbeit auf dem Gebiet der elterlichen Verantwortung und der Maßnahmen zum Schutz von Kindern vom 19.10.1996 sowie das Haager Übereinkommen über die internationale Geltendmachung von Unterhaltsansprüchen für Kinder und andere Familienangehörige vom 23.11.2007. Vgl. Wagner, ZKJ 2008, S. 353 ff.

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2. Teil: Der bestehende normative Kontext

Rechtsanwendung im Sinne des Kindeswohls ausüben. Es lässt sich festmachen, dass der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte durch seine Entscheidungen zur Stärkung des Rechtsstatus von Kindern bei Elternkonflikt und im Fall von Scheidung beigetragen hat, wobei er seiner Argumentationsführung die Europäische Menschenrechtskonvention und die UN-Kinderrechtekonvention zugrundelegt, die den Schutz der körperlichen und persönlichen Integrität und den Vorrang des Kindeswohls verbürgen. Während die Verfassungen der Bundesländer eine reichhaltige Fundgrube für Bestimmungen zu den elterlichen Erziehungsrechten bieten, obgleich sie häufig in Aufbau wie Inhalt der grundgesetzlichen Regelung entsprechen, hat sich bei der Durchsicht der internationalen und europäischen Vorschriften für den hier interessierenden Bereich gezeigt, dass der Schutz der elterlichen Erziehungsrechte (noch) relativ schwach ausgeprägt ist.98 Die meisten Regelwerke beschäftigten sich mit dem Schutz des Familienlebens, der Gleichberechtigung der Ehepartner und den Schutzrechten für Mütter. Obschon sich aus den internationalen und europäischen Regeln wenige Anknüpfungspunkte ergeben, sollen sie im nachfolgenden Kurzüberblick dargestellt werden,99 zum Einen um die bereits dargestellte Sammlung aus einfachrechtlichen Regelungen und den noch folgenden verfassungsrechtlichen Anforderungen abzurunden. Zum Zweiten deshalb, weil sie von Gerichten und Rechtsanwendern eine über die rein nationale Betrachtung hinausgehende Betrachtung von Gewährleistungen und Standards verlangen100 und grundsätzlich von Nutzen sein können, um Erfahrungen aus anderen Rechtsordnungen zugunsten von Kindern und Eltern in unserer Gesellschaft sichtbar zu machen.101

I. Internationale Ebene International setzte mit der durch den Völkerbund vom 26.09.1924 verabschiedeten „Genfer Erklärung zu den Rechten der Kinder“ deren Anerkennung als Menschenrechte ein.102 Die aus dem Völkerbund hervorgegangenen Vereinten Nationen erachteten die Belange von Minderjährigen als so bedeutend, dass sie im Jahr 1959 eine eigene UN-Deklaration über die Rechte des Kindes verabschiedeten,103 die in 97

Internationales Familienrechtsverfahrensgesetz vom 26.01.2005 (BGBl. I, S. 162). Hövelberndt, FPR 2004, S. 117 ff. 99 In den nationalen Verfassungen findet sich, soweit ersichtlich, ein mit Art. 6 Abs. 2 GG vergleichbares Erziehungsrecht lediglich in Art. 42 Abs. 1VerfIrland; Art. 30 Abs. 1VerfItalien; Art. 68 Abs. 1 VerfPortugal und Art. 27 Abs. 3 VerfSpanien. 100 Siegfried, FPR 2008, S. 264, 265 f. zu Regelungsdefiziten bei § 8a SGB VIII angesichts des UN-Rechts. 101 Dethloff, ZKJ 2009, S. 141, 147. 102 Ramm, Jugendrecht, S. 70. 103 Am 20.11.1959. Am 03.12.1986 verabschiedeten die Vereinten Nationen zudem die Deklaration über Jugendwohlfahrt, Pflegekinderwesen und Adoption. 98

C. Aussagen des Europa- und Völkerrechts

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zehn Artikeln, jedoch ohne strenge völkerrechtliche Verbindlichkeit, weltweit gültige Standards für die Ausgestaltung der Rechtsverhältnisse von Kindern formulierte.104 Seit dem Jahr 1966 bestehen ferner die Internationalen Pakte über bürgerliche und politische Rechte105 beziehungsweise über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte,106 die über Art. 59 Abs. 2 GG wie Bundesgesetze gelten. Sie formulieren zwar exakte Rechtsverpflichtungen der Vertragsstaaten, wie die elterlichen Erziehungsrechte gemäß Art. 18 Abs. 4 IPBürgR beziehungsweise Art. 13 Abs. 3 IPWirtR sowie Schutz- und Beistandsrechte für Kinder gemäß Art. 23 Abs. 4, 24 Abs. 1 IPBürgR beziehungsweise Art. 10 Nr. 3 IPWirtR, fordern die Vertragsstaaten aber lediglich dazu auf, diese Rechte durch geeignete Globalmaßnahmen zu realisieren;107 sie besitzen daher generell wenig Wirksamkeit. Der weitaus wichtigste völkerrechtliche Vertrag ist das im Jahr 1989 von der Vollversammlung der Vereinten Nationen verabschiedete „Übereinkommen über die Rechte des Kindes“. Die UN-Kinderkonvention (UNKRK) garantiert Kindern in vierundfünfzig Artikeln die wichtigsten Menschenrechte (etwa Art. 13 bis 16 UNKRK) und fasst universell gültige Maßstäbe zu kindertypischen Schutz-, Förder- und Beteiligungsfeldern zusammen, wie dem Schutz vor Gewalt (Art. 19 UNKRK) und dem Recht auf bestmögliche Gesundheit in Art. 24 UNKRK. Alle Kinder sollen vor Gewalt geschützt werden, womit nicht nur jene im körperlichen Sinn, sondern auch psychische Gewalt, sexueller Missbrauch (Art. 34 UNKRK), Ausbeutung (Art. 32, 36 UNKRK), Verwahrlosung und Vernachlässigung gemeint sind. Art. 3 Abs. 1 der Konvention hat dadurch Bedeutung erlangt, dass er fordert, dass bei allen Maßnahmen öffentlicher und privater Institutionen, durch die Kinder betroffen sind, deren Wohl als vorrangiger Gesichtspunkt zu berücksichtigen sei. Zur Gewährleistung von Schutz und Fürsorge des Kindes haben die Vertragsstaaten daher gemäß Absatz 2 alle geeigneten Gesetzgebungs- und Verwaltungsmaßnahmen zu treffen sowie gemäß Absatz 3 sicher zu stellen, dass die entsprechenden Institutionen verantwortlich handeln. Die Konvention hat einen weit reichenden Regelungsanspruch108 und berührt deshalb auch den Bereich der Eltern-Kind-Beziehung gegenüber dem sich die staatliche Gewalt normalerweise zurückhaltend verhält.109 So ist in Art. 9 Abs. 3 UNKRK das Recht des Kindes auf regelmäßigen und persönlichen Kontakt zu beiden Elternteilen und in 18 Abs. 1 UNKRK die gemeinsame Verantwortung beider Eltern für die Kindererziehung thematisiert; was sich im Ansatz bereits in Art. 5 UNKRK findet.

104 105 106 107 108 109

Stöcker, FamRZ 1992, S. 245. Vom 19.12.1966 (BGBl. 1973 II, S. 1533). Vom 19.12.1966 (BGBl. 1973 II, S. 1570). Tomuschat, FS Zacher, S. 1143, 1152. Tomuschat, FS Zacher, S. 1143, 1144. Krappmann, RdJB 2006, S. 153, 154.

78

2. Teil: Der bestehende normative Kontext

Bislang sind der Kinderkonvention 193 Vertragsstaaten beigetreten; sie ist damit das Menschenrechtsabkommen mit der höchsten Akzeptanz.110 Normalerweise entfaltet sie nach Ratifizierung bindende Wirkung und verpflichtet die Signatarstaaten zur Anpassung ihres nationalen Rechts „unter Ausschöpfung ihrer verfügbaren Mittel“ (Art. 4 UNKRK), um ihr Geltung zu verschaffen. In Deutschland ist die Konvention zwar über Art. 59 Abs. 2 GG in Kraft getreten,111 aufgrund eines Interpretationsvorbehalts bei der Ratifizierung sind aus ihr aber keine unmittelbaren Rechte für den innerstaatlichen Bereich abzuleiten.112 Dennoch wird sie heute in vollem Umfang geachtet.113 Um die Verwirklichung der Kinderrechte auch ohne eigenen Gerichtshof sicherzustellen, werden die Regierungen der Unterzeichnerstaaten verpflichtet, gemäß Art. 44 UNKRK regelmäßige Staatenberichte über den Umsetzungsprozess der im Übereinkommen anerkannten Rechte an den sogenannten Kinderrechtsausschuss in Genf zu senden. Zugleich werden Nichtregierungsorganisationen aufgerufen, ein Denken vom Kinde her in der Zivilgesellschaft anzuregen und den Stand der Umsetzung kritisch zu beobachten; sie können ebenfalls Berichte erstatten (Art. 45 UNKRK).114

II. Europäische Ebene Die Europäische Union hat keine familienpolitischen Kompetenzen. Während die Wirtschaft und der Markt geregelt sind, stehen Sicherstellung für die Familie beziehungsweise Elternverantwortung und das Kindeswohl aus.115 Die Europäische Menschenrechtskonvention116 kennt keine ausdrückliche Bestimmung hinsichtlich elterlicher Rechte und Pflichten.117 Aussagen für das Eltern-Kind-Verhältnis werden vom 110

Gerstein, Kind-Prax 1998, S. 106, 107. UNKRK ist am 20.11.1989 angenommen worden und durch die Bundesrepublik unter Vorbehalt im Jahr 1992 ratifiziert und in Kraft getreten (BGBl. 1992 II, S. 121, 990 ff.). 112 Stöcker, FamRZ 1992, S. 245, 252; Baer, NJW 1993, S. 2209, 2210; a. A. Tomuschat, FS Zacher, S. 1143, 1154, 1159 ff. 113 Zacher, FS Scholz, S. 413; Gerstein, Kind-Prax 1998, S. 106, 108; Krappmann, RdJB 2006, S. 153. 114 Die Nichtregierungsorganisation sind in der sog. „National Coalition“ zusammengeschlossen. In Deutschland sind dies etwa 90 verschiedene Organisationen und Verbände, die mit Kinder- und Jugendfragen befasst sind, vgl. www.national-coalition.de. Auf internationaler Ebene haben diese „National Coalitions“ ein „Child Rights Information Network“ gebildet. 115 Kirchhof, in: AöR 129 (2004), S. 542 f. 116 Europäische Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten vom 04.11.1950, i. d. F. vom 17.05.2002 (BGBl. 1952 II, S. 685); Coester-Waltjen, Jura 2007, S. 914 ff. 117 Abgesehen von Art. 2 S. 2 des 1. Zusatzprotokolls zur EMRK vom 20.03.1952 (BGBl. 1956 II, S. 1880), nach dem der Staat verpflichtet ist „das Recht der Eltern zu achten, die Erziehung und den Unterricht entsprechend ihren eigenen religiösen und weltanschaulichen Überzeugungen sicherzustellen.“ 111

C. Aussagen des Europa- und Völkerrechts

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Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte aus Art. 8 Abs. 1 EMRK hergeleitet, der jeder Person „das Recht auf Achtung ihres Privat- und Familienlebens“ garantiert. In weiten Teilen stimmt der Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften dabei mit der Auslegung von Art. 6 Abs. 2 GG durch das Bundesverfassungsgericht überein.118 So fungiert Art. 8 Abs. 1 EMRK sowohl als Abwehrrecht der Eltern gegenüber dem Staat als auch für die Ableitung einer positiven staatlichen Schutzpflicht zugunsten des Eltern-Kind-Verhältnisses, soweit das Kindeswohl es erfordert.119 Neben den materiell-rechtlichen Anforderungen hat der Gerichtshof aus der Vorschrift auch eine verfahrensrechtliche Garantie entwickelt.120 Die nationalen Organe trifft die Pflicht, die Rechtswirkung der Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte bei ihren Entscheidungen zu beachten und, soweit es mit dem Grundrechtsschutz zu vereinbaren ist, auch einzubeziehen.121 Über Art. 6 Abs. 3 EUV122 findet Art. 8 Abs. 1 EMRK Eingang in das Europäische Gemeinschaftsrecht123 und dient dem Europäischen Gerichtshof als Rechtserkenntnisquelle.124 Während Art. 7 der bislang noch rechtsunverbindlichen Europäischen Grundrechtecharta (GRCh)125 dieser Garantienorm wortlautidentisch nachgebildet worden ist und im Grunde nur für EU-Organe und Einrichtung beziehungsweise Mitgliedstaaten bei der Durchführung von Unionsrecht gilt, wird dennoch nicht verhindern, dass sich nationalen Gerichte an der Charta orientieren und beispielsweise Art. 33 GRCh einbeziehen, der ausgehend von Art. 16 Europäische Sozialcharta126 den solidarischen Schutz von Familien ausbaut. In Art. 84 Abs. 1 S. 1 GRCh sind Schutz- und Fürsorgeansprüche von Minderjährigen aufgenommen worden, als

118

EGMR, NJW 2004, 3397 ff.; BVerfGE 111, 307 (317, 328). EGMR, NJW 1979, 2449; ders., FamRZ 2004, 1456; Rixe, ZKJ 2006, S. 276, 277; Stern, StaatsR IV/1, S. 309, 639. 120 EGMR, FamRZ 2004, 337. 121 BVerfGE 74, 357 (379), st. Rspr., vgl. zuletzt, BVerfG, FamRZ 2004, 1857. 122 Vertrag über die Europäische Union vom 13.12.2007 (ABl. C 306/01) bzw. Art. 6 Abs. 2 EU, Vertrag über die Europäische Union vom 07.02.1992 (BGBl. II, S. 2022). 123 Mit dem Reformvertrag von Lissabon ist zudem der Beitritt der Europäischen Union zur EMRK beschlossen worden, vgl. Art. 6 Abs. 2 EUV. 124 EuGH, Slg. 1989, 1263, 1290. 125 Charta der Grundrechte der Europäischen Union verabschiedet am 07.12.2000 (ABl. C 364/01), die mit in Kraft treten des am 13.12.2007 unterzeichneten Vertrag zur Änderung des Vertrages über die Europäische Union und des Vertrags zur Gründung der EG (ABl C 306/01 vom 17.12.2007) endlich Rechtsverbindlichkeit erlangen wird. Sie ist separat veröffentlicht, ABl. C 303/01 vom 14.12.2007. 126 Die im Jahr 18.10.1961 vom Europarat verabschiedete, seitdem aber wenig beachtete Europäische Sozialcharta (ESC) sieht einen umfassenden Familienschutz in rechtlicher, wirtschaftlicher und sozialer Hinsicht, aus dem das elterliche Erziehungsrecht und Beteilungsrechte von Kindern beim Sorgerechtsprozess interpretiert wird, vor. Die ESC ist nach drei Zusatzprotokollen am 19.09.1996 in einer inhaltlich überarbeiteten Version verabschiedet worden. Die Bundesrepublik hat weder die revidierte Sozialcharta noch die Zusatzprotokolle ratifiziert (BGBl. 1964 II, S. 1262). Vgl. auch Fortunato, EuR 2008, S. 27, 35 f. 119

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2. Teil: Der bestehende normative Kontext

deren Ursprungsort die UN-Kinderkonvention zu bezeichnen ist127 und die gemäß Absatz 2 von allen öffentlichen Stellen oder privaten Einrichtungen bei Maßnahmen hinsichtlich Kindern zu berücksichtigen sind. Der Schutz von Kindern und die elterliche Verantwortung ist ferner in zahlreichen internationalen Übereinkommen des Europarates geregelt worden.128 Beispielsweise soll die Europäische Konvention zur Ausübung von Kinderrechten („Europäische Kinderrechtskonvention“)129 durch verfahrensrechtliche Bestimmungen auf europäischer Ebene sicherstellen, dass Kinderrechte im familiengerichtlichen Verfahren Berücksichtigung finden,130 vgl. deren Art. 3, 4, 7 bis 9. Das Übereinkommen begründet jedoch keine klare Staatenverpflichtung und bewirkt in Deutschland trotz Ratifizierung auch keinen Anpassungsbedarf, weil die bestehenden Informations- und Anhörungsrechte von Eltern und Kindern gemäß §§ 156 ff. FamFG den Anforderungen der Konvention bereits genügen beziehungsweise darüber hinausgehen.131 Wenn die Interessen des Kindes in erheblichem Gegensatz zu denen seines gesetzlichen Vertreters stehen oder wenn Verfahrensgegenstand Maßnahmen wegen Gefährdung des Kindeswohls sind, ist gemäß § 158 FamFG ein Verfahrenspfleger zu bestellen.132 Mehr praktische Relevanz zeitigt dagegen die dem Schutz von Kindern in Umgangs- und Sorgerechtsverfahren dienende Eheverordnung für die Mitgliedstaaten der Europäischen Gemeinschaft.133

III. Länderverfassungen In den Länderverfassungen wird das Kind selbst nur vereinzelt als eigener Grundwert hervorgehoben; so werden sie als „das köstlichste Gut eines Volkes“ (Art. 125 Abs. 1 S. 1 BayVerf) bezeichnet.134 Häufiger wird dem Minderjährigen ein eigenes 127 Vgl. Hövelberndt, FPR 2004, S. 117 ff.; Tettinger/Geerlings, EuR 2005, S. 419, 424 ff.; vgl. auch Tettinger, NJW 2001, S. 1010 ff. 128 Europäisches Übereinkommen über die Adoption von Kindern vom 24.04.1967; Europäisches Übereinkommen über die Rechtsstellung nichtehelicher Kinder vom 15.10.1975; Europäisches Übereinkommen über die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen über das Sorgerecht für Kinder und die Wiederherstellung des Sorgerechts vom 20.05.1980; Übereinkommen über das Umgangsrecht vom 15.05.2003. 129 Vom 25.01.1996 (BGBl. 2002 II, S. 2472). 130 Zur Beachtung von Prozessrechten im familiengerichtlichen Verfahren, EGMR, DaVorm 2000, 680. 131 Gerstein, Kind-Prax 1998, S. 106, 109 f.; Moritz, ZfJ 2002, S. 405, 406. 132 Hohmann-Dennhardt, ZfJ 2001, S. 77 ff. 133 Durch die Verordnung (EG) Nr. 2201/2003 des Rates vom 27.11.2003 über die Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Ehesachen und in Verfahren betreffend die elterliche Verantwortung und zur Aufhebung der Verordnung (EG) Nr. 1347/2000 (ABl. 2003, L 338/1) ist das Haager Übereinkommen über die zivilrechtlichen Aspekte internationaler Kindesentführung für EU-interne Sachverhalte modifiziert worden. 134 Zu Kinderrechten u. a., Art. 6 VerfNW; Art. 24 Abs. 1 VerfRP; Art. 19 Abs. 1 VerfThür.

C. Aussagen des Europa- und Völkerrechts

81

Recht auf Erziehung, Schul- und Ausbildung zuerkannt, vgl. etwa Art. 129 BayVerf, Art. 8 Abs. 1 VerfNW. Dagegen trifft so gut wie jede135 Landesverfassung neben Bestimmungen zur Ehe und Familie136 auch eine Grundaussage zum Elternrecht.137 Meistens sind die Vorschriften nach dem Beispiel von Art. 6 Abs. 2 GG formuliert und sprechen von Rechten und Pflichten der Eltern;138 nur ausnahmsweise wird die Erziehung allein als Recht der Eltern formuliert, vgl. Art. 12 Abs. 2 VerfBW; Art. 8 Abs. 1 S. 2 VerfNW. Die elterlichen Erziehungsrechte können, wenn die Eltern ihrem „Erziehungsauftrag nicht nachkommen“ (Art. 12 Abs. 4 VerfBerl), eingeschränkt werden. Selten allerdings thematisiert eine Landesverfassung explizit das staatliche Wächteramt.139 Trennungen des Kindes von seiner Familie gegen den Willen der Eltern oder andere Zwangsmaßnahmen gegenüber den elterlichen Befugnissen140 bedürfen stets der gesetzlichen Grundlage.141 Immer wieder wird dagegen die staatliche Verpflichtung, Kinder und Jugendliche vor Gewalt, Verwahrlosung oder beispielsweise Ausbeutung zu schützen, genannt.142 Das Land, beispielsweise über die Gemeinden als Träger der örtlichen Jungendhilfe gemäß § 69 Abs. 1 S. 2 SGB VIII, unterstützt die Eltern bei ihrer Erziehungstätigkeit143 durch freiwillig in Anspruch zu nehmende Angebote und Einrichtungen.144 Kirchen und Religionsgemeinschaften,145 Verbände der Wohlfahrtspflege146 und Schulen147 kommen helfende Funktionen zu. 135 Ausnahmen sind insoweit die Verfassungen von Hamburg und Schleswig-Holstein. Letztere thematisiert den Elternwillen zumindest im schulischen Angelegenheiten, Art. 8 Abs. 2, 4 VerfSchl.-Holst.; Art. 3 Abs. 2 VerfND und Art. 5 Abs. 3 VerfM-V inkorporieren die Grundrechte. 136 Vgl. u. a. Art. 124 Abs. 1 BayVerf; Art. 21 VerfBrem; Art. 5 Abs. 1 VerfNW; Art. 23 Abs. 1 VerfRP; Art. 24 Abs. 1 VerfSN; Art. 17 Abs. 1 VerfThür. 137 Art. 126 Abs. 1 S. 1 BayVerf; Art. 23 Abs. 1 S. 1 VerfBrem; Art. 8 Abs.1 VerfNW; Art. 25 Abs. 1 S. 1 VerfRP; Art. 11 Abs. 1 S. 1 VerfSN; Art. 18 Abs. 1 VerfThür. 138 Etwa in Art. 126 Abs. 1 BayVerf; Art. 23 Abs. 1 S. 1 VerfBrem; Art. 25 Abs. 1 S. 1 VerfRP; Art. 11 Abs. 1 S. 1 VerfSN; Art. 18 Abs. 21 ThürVerf. 139 Etwa Art. 25 Abs. 1 S. 2 VerfRP; Art. 24 Abs. 2 S.1 VerfSaarl; Art. 22 Abs. 3 S. 2 VerfSachs; Art. 11 Abs.1 S. 2 VerfSN; Art. 18 Abs. 2, 3 VerfThür. 140 Ausdrücklich hierzu, Art. 23 Abs. 3 u. Art. 25 Abs. 2 VerfBrem; Art. 25 Abs. 3 VerfRP; Art. 11 Abs. 2 VerfSN; Art. 18 Abs. 2, 3 VerfThür. 141 Art. 27 Abs. 5 S. 2 VerfBbg; Art. 23 Abs. 3 VerfBrem; Art. 55 S. 2 VerfHess; Art. 25 Abs. 3 VerfRP; Art. 18 Abs. 3 VerfThür. 142 Art. 126 Abs. 3 BayVerf; Art. 25 Abs. 1 VerfBrem; Art. 6 Abs. 2 VerfNW; Art. 25 Abs. 2 S. 1 VerfRP; Art. 19 Abs. 1 VerfThür. Ein ausdrücklichen Verbot von „Kinderarbeit“ findet sich in Art. 52 Abs. 2 VerfBrem; Art. 55 Abs. 3 VerfRP. 143 Art. 126 Abs. 1 S. 2 BayVerf; Art. 23 Abs. 1 S. 2 VerfBrem; Art. 25 Abs. 1 S. 2 VerfRP. 144 Art. 126 Abs. 3 S. 1 BayVerf; Art. 25 Abs. 2 VerfRP; Art. 24 Abs. 2 S. 2 VerfSN; Art. 19 Abs. 3, 4 VerfThür. 145 Art. 127, 133 Abs. 1 BayVerf; Art. 12 Abs. 2 VerfBW; Art. 26 VerfRP. 146 Art. 6 Abs. 4 VerfNW; Art. 26 VerfRP; Art. 33 VerfSN.

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2. Teil: Der bestehende normative Kontext

In den Verfassungen der Bundesländer, die in der Bundesrepublik nach dem Jahr 1945 entstanden sind,148 ist der Tenor stark an den Art. 120 und 122 WRVorientiert. Sie benennen zum Teil, und damit über Art. 6 Abs. 2 GG hinausgehend, Erziehungsziele,149 beispielsweise, dass „Kinder zur leiblichen, geistigen und seelischen Tüchtigkeit“ (Art. 126 Abs. 1 S. 1 BayVerf) oder zu „aufrechten und lebenstüchtigen Menschen“ (Art. 23 Abs. 1 VerfBrem) zu erziehen sind. Ihnen kommt aufgrund von Art. 31 und 142 GG keine Rechtsverbindlichkeit zu.150

147 Art. 129 ff. BayVerf; Art. 26 ff. VerfBrem; Art. 8 VerfNW; Art. 27 Abs. 2 ff. VerfRP; Art. 25 ff. VerfSN; Art. 23 Abs. 3 VerfThür. 148 Auflistungen vor- und nachgrundgesetzlicher Landesverfassungen, Zacher, HdbStR VI, 2. Aufl., § 134 Rdnr. 18 ff. und 34 ff.; Jestaedt, in: BK, Art. 6 II u. III, Rdnr. 370 ff.; Stern, Staatsrecht IV/1, S. 517. 149 Vgl. auch Art. 7 VerfNW; Art. 25 Abs. 1 S. 1 VerfRP. 150 H.M., vgl. nur Böckenförde, Essener Gespräche 14 (1980), S. 54 , 58, 66 f.; Robbers, in: von Mangoldt/Klein/Starck, GG, Art. 6 Rdnr. 152.

Dritter Teil

Systematische Entfaltung eines gestuften Maßnahmenkonzepts A. Systembausteine Wie Kinder besser vor ihren Eltern zu schützen sind, ist gegenwärtig ein in Medien und politischen Erklärungen intensiv diskutierter Themenbereich. Auslöser hierfür sind die eingangs angesprochenen dramatischen Todesfälle von Kindern infolge von Vernachlässigung und Verwahrlosung. Gesetzliche Regelungen und verfahrensrechtliche Verbesserungen zum Schutz von Kindern können vom Gesetzgeber auf verschiedenen Ebenen konkretisiert werden. Gegen den Entwurf spezieller Konzepte kann eingewendet werden, dass sie allesamt Organisationsaufwand und den Einsatz von Haushaltsmitteln bedingen, obgleich extreme Formen der Kindeswohlgefährdungen nur singuläre Ereignisse seien. Allerdings steigen die jährlich zur Anzeige gebrachten Fälle von Kindesmisshandlung und -missbrauch und geben zudem den Blick frei auf besorgniserregende, weil qualitativ gesteigerte Formen der elterlichen Erziehungsunfähigkeit. Im Übrigen treffen registrierte Fallzahlen keine Aussage über das Schicksal derjenigen Kinder, die weiterhin im Stich gelassen werden, weil sich das Erziehungsversagen in den Elternhäusern ereignet und die Kinder dort ohne Schutz und Hilfe denjenigen überlassen sind, die sie vernachlässigen. Wie dargestellt, enthebt letzten Endes familiengerichtliches Eingriffshandeln gemäß § 1666 BGB die Eltern ihrer Sorgerechte und muss in der Praxis in der überwiegenden Anzahl der Fälle verfügt werden, weil die Erziehungssituation bereits außer Kontrolle geraten ist. Allerdings erscheint es meines Erachtens geboten, nicht allein auf den Höhepunkt einer bereits eingetretenen Kindeswohlgefährdung zu schauen. Einem solchen dramatischen Ereignis geht immer ein längerer Prozess der Destabilisierung einer Familiensituation voraus. Gerade der Weg, der in das komplette Ausfallen beziehungsweise Versagen der Eltern führt, bietet zumeist diverse Wendepunkte, an denen Eltern wie Kinder noch erreicht werden können. Es erscheint daher angezeigt, einzelne präventive Vorkehrungen zu etablieren, bevor die besorgniserregende Sackgasse erreicht ist.

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3. Teil: Systematische Entfaltung eines Maßnahmenkonzepts

Das im Folgenden zur Darstellung gebrachte Gesamtkonzept besteht, analog zu kriminalpräventiven Programmen, aus vier Ebenen der Prävention beziehungsweise Intervention bei Kindeswohlgefährdungen.1 Konkret sollen die auf der ersten Präventionsstufe vorgestellten Maßnahmen und Programme auf die Schaffung günstiger Lebensbedingungen für Kinder hinwirken, während die zweite Stufe der Erkennung bestimmter Risikofaktoren und Gefährdungspotenziale dient. Dort werden zur Diagnose einer Kindeswohlgefährdung beziehungsweise Abklärung von Verdachtsmomenten summarische Prüfverfahren implementiert. Umgesetzt werden kann diese Risikoeinschätzung (Screeningverfahren) hinsichtlich potenzieller Gefährdungslagen von Kindern etwa in Geburtskliniken. Die Kinder, bei deren Eltern aufgrund des ersten Gefährdungsscreenings eine Mehrzahl von Risikofaktoren positiv festgestellt worden ist, bilden die Zielgruppe von daraufhin einsetzenden Maßnahmen der zweiten Stufe (Besuch eines Jugendamtsmitarbeiters). Alle anderen Kinder nehmen lediglich an Früherkennungsuntersuchungen teil. Verpflichtend einzuführende Früherkennungsuntersuchungen ergänzen die bestehenden Lücken im Altersbereich bis zum sechsten Lebensjahr und helfen Problemfälle, im Kinderschutz zu identifizieren.2 Ergeben sich auf der zweiten Stufe gewichtige Anhaltspunkte für mehrere Risikofaktoren oder lässt sich eine Kindeswohlgefährdung bereits diagnostizieren, folgen Maßnahmen auf der dritten Stufe nach. Sie soll der (Neu-)Entstehung von Gefährdungen entgegenwirken, weshalb hier auch Maßnahmen zur Vermeidung einer wiederholten Krisensituation angesiedelt sind. Sollten jedoch die in der dritten Phase ergriffenen Maßnahmen dauerhaft keinen Erfolg zeigen und sollte einer fortbestehenden Gefahr für das Kindeswohl nicht ausreichend begegnet werden können, dann ist das Kind auf der vierten Ebene gemäß Art. 6 Abs. 3 GG beziehungsweise §§ 1666, 1666a BGB von seiner Familie zu trennen. Die unterschiedlichen Präventionsstufen bauen dadurch, dass das zu ihrer Ausführung bereitstehende Instrumentarium sich von weichen zu harten Maßnahmen intensiviert, aufeinander auf. Durch die Stufung können bei der Aufklärung beziehungsweise Leistungserbringung weitere Anhaltspunkte für Schädigungspotential zutage treten. Je höher die Präventions- beziehungsweise Interventionsstufe, desto eingreifender und damit grundrechtsintensiver werden die Mittel. Durch die Unterteilung in verschiedene Stufenabschnitte ist es möglich, effektiv auf die situativ variierenden Lebens- beziehungsweise Gefährdungsphasen bei Kindern sowie auf die Forderungen des Verhältnismäßigkeitsprinzips3 zu reagieren.

1

Vgl. Schäffner/Reich/Wulf, ZKJ 2008, S. 64 ff. Vgl. die Ergebnisprotokolle zu den Beratungen der Bundeskanzlerin und der Regierungschefs der Länder am 19.12.2007 und 12.06.2008 (Kinderschutzgipfel) und den Abschlussbericht des Bundesfamilienministeriums (Hrsg.), Kurzevaluation von Programmen zu Frühen Hilfen für Eltern und Kinder und sozialen Frühwarnsystemen in den Bundesländern. 3 Wiesner, ZKJ 2008, S. 143 f. 2

B. Erste Ebene

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Auf Grundlage des sogleich zu beschreibenden gestuften Maßnahmenkonzepts haben sodann die legislativen Schritte nachzufolgen. Denn vorliegend soll durch das Stufenkonzept der Eltern-Staat-Komplex im Sinne eines Erziehungsverwaltungsrechts strukturiert werden. Dies geschieht, soweit ersichtlich, erstmalig und ist darauf angelegt eine verwaltungsrechtliche Systematisierung aufzuzeigen, die Handlungsanleitungen und Standards bietet. Darauf aufbauend und zugleich weiterführend sind de lege ferenda die maßgeblichen Rechtsvorschriften zu erstellen beziehungsweise vorhandene Normen anzupassen. Beispielsweise bietet sich die Ergänzung von § 8a SGB VIII an, um die regelmäßige Teilnahme an Früherkennungsuntersuchungen verbindlich festzuschreiben und bei deren Nichtbefolgung sowie dem Vorliegen weiter Anhaltspunkte für eine Kindeswohlgefährdung einen Hausbesuch durch einen Jugendamtsmitarbeiter zu kodifizieren.4

B. Erste Ebene Auf der primären Ebene sind weiche Maßnahmen vorgesehen, die mehr auf Breitenwirkung angelegt sind. Sie sollen dazu beitragen, dass ein stabileres Grundgerüst an günstigen Rahmenbedingungen für die Lebenssituation von Eltern und Kindern vorhanden ist. Neben finanziellen Transferleistungen wie dem Kinder- oder Elterngeld und freiwilligen Beratungsangeboten, wie sie das SGB VIII anbietet, wäre der Fokus hier auf die Intensivierung eines gesellschaftlichen Bewusstseins zu legen, dass Eltern und Kinder nicht allein, sondern mitten in der Gesellschaft leben und diese letztlich auch ausmachen, weil die Gesellschaft auch von den Folgen einer positiven Förderung und gelungenen Kindererziehung profitiert. Die Einstellung der Gesellschaft zur Familie und die Überzeugung, dass Kinder nicht allein Privatsache sind, kann durch verschiedene Formen der Öffentlichkeitsarbeit aktiviert werden.

I. Erziehungskurse Deutlicher als bisher geschehen, kann beispielsweise über die Bedürfnisse von Kindern und die Entwicklungsaufgaben von Eltern aufgeklärt werden. In Schulen ist es selbstverständlich, dass Berufspraktika angeboten werden, dagegen werden Kenntnisse für eine gelingende Elternschaft stillschweigend vorausgesetzt, obwohl das Schwinden von Großfamilien dazu führt, dass immer weniger Minderjährige überhaupt Kontakt zu Kleinstkindern haben und dass die Eltern sich nicht auf die Hilfe der Großeltern verlassen können.

4 Vgl. einen diesbzgl. Vorschlag des Bundesjustizministeriums, abrufbar unter: http// www.bmj.bund.de/enid/018f02f21b61aa2e8229ece0712cf9d2,4f9d45706d635f6964092d0934383739093a095f7472636964092d093330334/Pressestelle/Pressemitteilungen_58.html.

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3. Teil: Systematische Entfaltung eines Maßnahmenkonzepts

Die Gestaltung des Schulsystems fällt zwar in den Kompetenzbereich der einzelnen Landesgesetzgebung, jedoch könnte durch entsprechende Empfehlungen darauf hingewirkt werden, dass ein Elternpraktikum oder ein Fach Erziehungslehre (wieder) eingeführt wird. In Anlehnung an Geburtsvorbereitungs- und Säuglingspflegekurse oder mithilfe lebensechter, computergesteuerter Babysimulatoren können sich bereits Schüler erste Grundkenntnisse darüber aneignen, wie ein Säugling zu füttern, zu wickeln und anzukleiden ist. Dies stellt ein weiches Mittel dar, um Kindesvernachlässigungen vorzubeugen, und kann zugleich als Anregung dienen, über die Folgen einer frühzeitigen Elternschaft nachzudenken, weil die Teenager so erfahren, welche Rundumversorgung ein Kleinkind einfordert.5 Dass Informationen zu Erziehungsfragen einfach zu verteilen sind, zeigen die sogenannten Elternbriefe.6 Sie werden ab der Geburt eines Kindes allen Eltern kontinuierlich zugeschickt und informieren, Elternratgebern ähnlich, über Fragen der Pflege und Behandlung von Kindern oder geben Auskunft über Adressen von Ansprechpartnern bei Erziehungsproblemen. Dieses Angebot ist im Hinblick auf Eltern in konkreten Überforderungssituationen (alleinerziehende und/oder junge Mütter) beziehungsweise für Kinder mit Verhaltensauffälligkeiten durchaus ausbaufähig. Desgleichen könnten die Zugangswege, also die Informationsweitergabe via Fernseh- oder Internetmedium, noch zeitgemäßer und damit benutzerfreundlicher gestaltet werden.

II. Öffentlichkeitsarbeit Neben einer verbesserten Aufklärung ist es überdies geboten, sich um mehr gesellschaftliches Interesse für gefährdete Kinder zu bemühen. Anzustreben ist ein allgemeiner positiver Stimmungswandel zugunsten von Kindern und Eltern im gesamtgesellschaftlichen Umfeld.7 Bereits mit der „Du-bist-Deutschland“-Kampagne ist für eine positive Stimmung zugunsten von Familien und eine kinderfreundlichere Grundhaltung der Bürger geworben worden.8 Dass sich die dargestellten Kindeswohlgefährdungen ereignen konnten, lässt auch ein Maß an bürgerschaftlicher Gleichgültigkeit erkennen. Auf der ersten Stufe sollte daher auf die Schaffung einer „Kultur des Hinsehens“ hingewirkt werden, sodass vermehrt auf mögliche Anzeichen von Misshandlung, Missbrauch und Verwahrlosung von Kindern im eigenen Lebensumfeld 5 In einer Dokumentationsreihe des Fernsehsenders RTL „Erwachsen auf Probe“ vertrauen Eltern Teenagerpaaren ihr Kind an, die dabei begleitet werden, wie sie mit den Bedürfnissen der Kinder zurechtkommen. 6 Diese Angebote des Jugendamtes könnten dadurch erleichtert werden, dass die Standesämter Angaben über Geburten direkt an die Jugendämter weitergeben und nicht wie bisher den Umweg über die Gesundheitsämter nehmen, Bundesjugendkuratorium, JAmt 2008, S. 72, 75. 7 Seiler, HdbStR IV, § 81 Rdnr. 50. 8 Impulse für eine verstärkte Zuwendung von Eltern gegenüber ihren Kindern will auch der Verein „Mehr Zeit für Kinder“ e.V. setzen. Informationen sind abrufbar unter www.mehrzeitfuerkinder.de.

B. Erste Ebene

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geachtet wird. Konkrete Anleihen können beispielsweise Präventionskampagnen9 wie „Vorsicht zerbrechlich!“ vermitteln. Deren Ziel war es, auf die Gefahren des Schüttelns von Kleinkindern aufmerksam zu machen.10 Damit die einmal erzeugte Hinweisbereitschaft nicht folgenlos bleibt, wäre die Einrichtung von Sondernotrufnummern („Kinderschutzhotline“) eine dienliche Ergänzung; dort würden die Hinweise abzugeben sein.11 Neben Internet- oder Plakatkampagnen können gesellschaftliche Implikationen auch von einer symbolischen Gesetzgebung ausgehen. Deutlich zeigt dies der im Jahr 2000 eingeführte § 1631 Abs. 2 BGB, der eine gewaltfreie Erziehung von Kindern einfordert.12 Nachweislich haben sich seither die Erziehungsstile in diese Richtung entwickelt.13 Als ein verfassungspolitisches Signal käme die Aufnahme von Kinderrechten in das Grundgesetz, beispielsweise als Ergänzung von Art. 6 GG, in Betracht,14 eine Forderung, die seit Längerem erhoben wird.15 Eine reine Verschärfung der Strafandrohung wegen Kindesvernachlässigung erscheint dagegen kontraproduktiv; die zugrunde liegenden Probleme der betroffenen Eltern löst sie nicht.16

III. Institutionelle Angebote In Großbritannien ist bereits vor einigen Jahren angesichts von Vernachlässigungsfällen und allgemein auftretenden Erziehungsschwierigkeiten ein frühzeitiger Kinderschutz zum Thema geworden.17 Der im Jahr 2004 verabschiedete „Children Act“ hat zu bedeutenden Weiterentwicklungen im dortigen Kinderschutzsystem geführt, so etwa das „Every Child Matters“-Programm hervorgebracht, das auf die Stärkung örtlicher Kooperationen setzt. Eine weitere niederschwellige Maßnahme ließe sich dem daraus entstammenden Konzept der „Early Excellence Centres“ entnehmen.18 Deren Strategie zielt auf die Verbesserung der Kindergesundheit und auf 9 Ein anderes Beispiel bietet die vom Gesundheitsministerium und der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung in Kindergärten durchgeführte Informationsreihe zur Erhöhung der freiwilligen Teilnahme an Vorsorgeuntersuchungen („Ich geh zur U – und Du?“). 10 Herausgeber waren der Deutsche Kinderschutzbund Schleswig-Holstein und das Ministerium für Soziales, Gesundheit und Verbraucherschutz des Landes Schleswig-Holstein. 11 Becker, ZKJ 2008, S. 185, 187. 12 Gesetz zur Ächtung der Gewalt in der Erziehung und zur Änderung des Kindesunterhalts (BGBl. I 2000, S. 147). 13 Knödler, ZKJ 2007, S. 58; Willutzki, JAmt 2009, S. 237 f. 14 A. A., Burgi/Hölbling, Jura 2008, S. 901, 906. 15 Vgl. Herdegen, FamRZ 1993, S. 374 f.; Peschel-Gutzeit, RdJB 1994, S. 49; Kirchhof, ZRP 2007, S. 149; Münder, JAmt 2008, S. 299; Wiesner, ZKJ 2008, S. 225. 16 Ostendorf, ZKJ 2008, S. 106, 110. 17 Vgl. auch Munro, JAmt 2009, S. 106 ff. 18 Die „Early Excellence Centres“ bilden ein Element des britischen „Sure Start Program“, das im Bereich der frühkindlichen Betreuung und Erziehung ansetzt. Jede Kommune kann im

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3. Teil: Systematische Entfaltung eines Maßnahmenkonzepts

die Bekämpfung von Kinderarmut in sozial benachteiligten Gegenden durch den Ausbau von Kindertagesbetreuungseinrichtungen zu ganzheitlichen Familienzentren.19 Die sozialraumangepassten Nachbarschaftszentren bieten Selbsthilfe durch Laien und ergänzende professionelle Familienbildungs- und Freizeitangebote für Eltern und Kinder an.20 Durch Sprachkurse werden Zugangsmöglichkeiten geschaffen, um die soziale Isolation von Familien mit Migrationshintergrund oder alleinerziehenden Müttern mit Kindern aufzubrechen und ihnen durch Erziehungspatenschaften Veränderungen und den Austausch mit anderen Eltern zu ermöglichen. Hierzulande finden sich bereits vorhandene, ausbaufähige Strukturen in den zahlreichen, locker institutionalisierten Familienkreisen und Mütter-Kind-Zentren. Ein weiteres Adaptionsmodell stellt das amerikanische „National Institute for Child Development und Health“ dar. Dieses prüft, ob national gesetzte Standards für Kinderbelange eingehalten werden. Analog zu dem Prinzip der Nachhaltigkeit, das hierzulande aus dem Umweltschutz beziehungsweise mit Blick auf die intergenerationelle Gerechtigkeit bekannt ist,21 wird also den Belangen von Kindern und Eltern Gehör verschafft und die Öffentlichkeit zur Problemwahrnehmung sensibilisiert. Vergleichbar mit den vom deutschen Umweltbundesamt durchgeführten Kontrollprüfungen hinsichtlich der Vereinbarkeit von Maßnahmen mit den knappen öffentlichen Ressourcen „sauberes Wasser und saubere Luft“ könnte ein „Bundesamt für elternund kindheitsbezogene Maßnahmen“ Qualitätsstandards für eine gesunde, emotionale und soziale Entwicklung von Kindern in staatlichen Institutionen erstellen. Beispielsweise22 könnte konkret erarbeitet werden, wie „die Lebensbedingungen für ein gesundes Aufwachsen des Kindes“23 im Bereich der Vorschulbildung aussehen sollten und zugleich überprüft werden, ob diese auch umgesetzt werden, indem es periodische „Kinderschutzberichte“ anfertigt.24 Eine solche zentrale Stelle auf BundesRahmen dieses Programmes eigene Projekte entwickeln. Als notwendige Bestandteile sind vorgesehen, dass die benachteiligten Familien kurz nach der Geburt eines Kindes und eineinhalb bis zwei Jahre danach regelmäßig von Fachleuten besucht werden und für alle dreijährigen Kinder zumindest ein kostenfreier Halbtageskindergartenplatz angeboten wird, Naylor, Großbritannien, S. 101 ff.; vgl. auch www.surestart.gov.uk. 19 In Nordrhein-Westfalen ist ein vergleichbares Pilotprogramm mit Kindertagesstätten durchlaufen worden, www.familienzentrum.nrw.de. 20 Vgl. die Stellungnahme des Bundesrates zum Entwurf eines Gesetzes zur Verbesserung des Kinderschutzes (BRat-Drs. 59/09, Beschluss, S. 3), der die gesetzliche Neuregelung des § 20e SGB V vorschlägt, um durch die Schaffung regionaler Netzwerke, in denen Personen vorwiegend ehrenamtlich tätig sind, unterstützende Leistungen für die Verbesserung der Kindergesundheit zu installieren. 21 Kahl, DÖV 2009, S. 2. 22 Zu einer „Familienverträglichkeitsprüfung“, vgl. Seiler, HdbStR IV, § 81 Rdnr. 49. 23 BVerfGE 10, 59 ff. 24 Beispielsweise werden in den USA („National Center on Child Fatality Review“) und in England („Department for Children, Schools and Families“) Untersuchungsberichte von Kinderschutzfällen gesammelt und systematisch in regelmäßigen Abständen ausgewertet, um aus den Informationen zu lernen, Bundesfamilienministerium (Hrsg.), Lernen aus problematischen Kinderschutzverläufen, S. 69.

B. Erste Ebene

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ebene könnte sich ferner, repräsentiert von einem Bundesbeauftragten, durch Anhörung oder die Abgabe von Stellungnahmen in Gesetzgebungsverfahren einbringen, was zu mehr Problembewusstsein auf der politischen Ebene führen würde. Signalwirkungen und positive Langzeiteffekte würden zudem die Initiierung und Unterstützung von Forschungsvorhaben auf diesem Gebiet gewährleisten, womit zusätzlich für den notwendigen, aber ausstehenden Erfahrungs- und Wissenstransfer von Aktivitäten auf Länder- und Kommunalebene sowie Kinderschutzorganisationen etc. gesorgt wäre.25

IV. Gutscheinvergabe Flankierende Maßnahmen sind insbesondere für einkommensschwache und bildungsferne Familien erforderlich. Sie bedürfen mitunter des ideellen wie materiellen Anstoßes bei der Kindererziehung.26 Hier könnte als ein Instrument die Vergabe von Gutscheinen eingesetzt werden, welche beispielsweise über die Arbeitsagenturen an die Eltern ausgegeben würden und von diesen bei den Anbietern für schulischen Förder- und Nachhilfeunterricht oder als Kinderfreizeitkarten bei Sport- und Musikvereinen eingelöst werden könnten. Eltern werden dadurch in die Lage versetzt, Freizeitangebote wahrzunehmen, die sie womöglich schon immer mit ihren Kindern erproben wollten, und andere Familien werden erst auf die Idee gebracht, an ihnen teilzuhaben. Im Gegensatz zu dem vom Bund finanzierten Kindergeld, von dem alle Eltern profitieren, unabhängig davon, ob ein tatsächlicher Bedarf27 besteht oder das Geld tatsächlich für die Bedürfnisbefriedigung des Kindes verwendet wird, liegt der Vorteil einer Gutscheinvergabe darin, dass sie zweckgebunden erfolgen würde, eine sog. nachfrageorientierte Subjektförderung.28 Im Bereich der frühkindlichen Förderung werden Kinderbetreuungsgutscheine bereits in einigen Städten (Hamburger Kita-Card, Berlin, Bayern) eingesetzt.29 Sie bieten den Vorteil, dass gegenüber der steuerlichen Absetzbarkeit von Kinderbetreuungskosten (vgl. § 4f EStG) alle Eltern, also auch nicht erwerbstätige, hiervon Gewinn tragen. Den Eltern wird aufgrund ihrer Nachfragemacht ein Instrument an 25

Bspw. das Nationale Zentrum Frühe Hilfen (NZFH), das in gemeinsamer Trägerschaft der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) und des Deutschen Jugendinstituts (DJI) in München gegründet worden ist, um die Vernetzung der Gesundheits- und Jugendhilfe auf der Bundesebene zu befördern. Weitere Informationen sind abrufbar unter, www.fruehehilfen.de. 26 Schuler-Harms, RdJB, S. 131 f., auch zu weiteren Zielsetzungen von Gutscheinsystemen. 27 Aber auch bei Gutscheinvergaben besteht die Möglichkeit, dass sie als gleichmäßige Leistung oder unter Berücksichtigung des jeweiligen Familieneinkommens mit unterschiedlichem Wert ausgegeben werden, so dass u. U. für die Leistungsgewähr noch eine eigene Beitragszahlung der Eltern fällig wird. 28 Spieß/Wagener, ZfJ 2001, S. 241 f. 29 Schuler-Harms, RdJB 2009, S. 131, 135, auch zu Erfahrungen in anderen europäischen Ländern.

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3. Teil: Systematische Entfaltung eines Maßnahmenkonzepts

die Hand gegeben, um eine ausdifferenzierte Angebotsstruktur und Trägervielfalt herzustellen. Ein an den Bedürfnissen der Eltern ausgerichtetes Gutscheinsystem befördert zusätzlich den Wettbewerbsgedanken zwischen den einzelnen Einrichtungen, womit vermutlich auch eine (pädagogische) Qualitätssteigerung einhergeht.30 Dieser Effekt lässt sich auf eine mittels Gutscheinvergabe stimulierte Teilnahme an (Sprach-) Förderungsunterricht, bewegungsorientierten Nachmittagsangeboten oder Sportvereinen übertragen. Diese stehen als Orte der Anregung und Auseinandersetzung mit Gleichaltrigen ohnedem zur Verfügung. Für Bildungsgutscheine lässt sich überdies ein positiver Einfluss auf die Schülerleistung selbst und damit auf die Bildungsförderung insgesamt prognostizieren. Denkbar wären auch finanzielle Anreize für Eltern, die freiwillig an Elternkursen und regelmäßigen ärztlichen Vorsorgeuntersuchungen teilnehmen, sodass sie ein höheres Elterngeld als Mütter und Väter erhielten, die dies unterlassen. Welche Beratungsangebote Eltern wahrzunehmen haben, um eine verbesserte staatliche Förderung zu bekommen, ließe sich in einem Elternpass, ähnlich den von Krankenkassen gemäß § 65a SGB V ausgegebenen Bonusprogrammen für freiwillig absolvierte Gesundheitspräventionen, festlegen. Einen ähnlichen Weg gehen bereits einige Regionen in Österreich und Italien. Dort erhalten die Teilnehmer von Erziehungskursen zahlreiche finanzielle Vorteile, angefangen bei einer kostenlosen Unfallversicherung für Kinder über Ermäßigungen in Schwimmbädern und öffentlichen Verkehrsmitteln bis hin zu einem staatlich finanzierten Urlaubsgeld, das zusätzlich zum üblichen Kindergeld gezahlt wird.31

V. Exkurs: Kindergartenbesuch (-pflicht) Angesichts vermehrt feststellbarer Erziehungs-, insbesondere Sprachdefizite wird über einen verpflichtenden Kindergartenbesuch, zumindest für das letzte Jahr vor der Einschulung, nachgedacht.32 Art. 6 GG garantiert aber neben der freien Gestaltung des Familienlebens gemäß Abs. 1 durch den zweiten Absatz vor allem die Entscheidung darüber, ob und in welchem Alter das Kind von beiden Elternteilen oder von Dritten betreut werden soll.33 Für diejenigen Eltern, die sich in den ersten Lebensjahren ihres Kindes für eine Erziehung in der eigenen Obhut entscheiden, würde eine derartige Kindergartenbesuchspflicht also einen nicht gerechtfertigten Eingriff in

30 Spieß/Wagener, ZfJ 2001, S. 241 f.; Dohmen, RdJB 2007, S. 37 f., 41 f.; Schuler-Harms, RdJB 2009, S. 131, 134. 31 Institut der deutschen Wirtschaft (Hrsg.), iwd-Heft Nr. 39/2006. 32 Zu diesen und weiteren Gründen für die Einführung einer Kindergartenpflicht Hoffmann, ZKJ 2006, S. 436 ff., für die der Bund gemäß Art. 72 i.V.m. 74 Abs. 1 Nr. 7 GG die Gesetzgebungskompetenz inne hätte. 33 BVerfGE 47, 46 (70); 99, 216 (231).

B. Erste Ebene

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ihre elterliche Wahlfreiheit darstellen.34 Ferner können die Befugnisse des Elternhauses aus Art. 6 Abs. 2 S. 1 GG sowohl durch eine sachliche als auch zeitliche Überinanspruchnahme des Nachwuchses seitens des Staates gefährdet oder gar verletzt werden.35 Rein faktisch gerieten Eltern durch Zwangskindergärten bei Wahl der häuslichen Kinderbetreuung zudem unter Rechtfertigungsdruck.36 Andererseits kann gerade angesichts der Tatsache, dass das Kleinkindalter eine für die Entwicklung bedeutsame Phase ist, aus gesamtgesellschaftlichen sowie sozialstaatlichen Überlegungen zugunsten einer Kindergartenbesuchspflicht argumentiert werden.37 Fehlende Unterstützung und fortgesetzte Unterversorgung im Hinblick auf materielle, soziale und kulturelle Ressourcen beeinträchtigen das kindliche Aufwachsen und verringern die individuellen Startchancen. Dagegen prägen außerhäusliche Erfahrungsmöglichkeiten durch Bildung, Erziehung und Betreuung (vgl. den Förderungsauftrag von Kindertagesstätten gemäß § 22 Abs. 3 S. 1 SGB VIII) nicht nur das spätere Sozialverhalten,38 sondern tragen bei mehrfach benachteiligten Kindern oder solchen mit Migrationshintergrund auch zu einer förderlichen Entwicklung des Sprachverhaltens39 bei.40 So werden Veranstaltungen der Erziehungs- und Familienberatungen zur Gesundheitsförderung von Kindern in 42 % der Fälle in Zusammenarbeit mit Kindertagesstätten angeboten.41 Ein weiterer Vorteil gegenüber einer heimischen Betreuung oder derjenigen durch eine Tagesmutter liegt darin, dass Kinder mit Gleichaltrigen zusammengebracht werden. In einer Familienwelt mit abnehmender Geschwistererfahrung ist dieser Umstand mit Blick auf die für die Schul- und Arbeitswelt zu erlernende Sozialkompetenz von zunehmender Bedeutung.42 Und Art. 6 Abs. 1 GG fordert zwar, dass das Kind die Möglichkeit zum Aufwachsen in einer überschaubaren und vertrauten Gemeinschaft erhält,43 diese muss aber nicht seine blutsverwandte Familie sein. Insgesamt führt die (verfassungsrechtliche) Bewertung einer Kindergartenpflicht, die weder unter Art. 7 Abs. 6 GG fällt noch Bestandteil der Bildungspflicht gemäß

34

Zur Verfassungswidrigkeit, insbesondere zwecks Sprachförderung Bader, NVwZ 2007, S. 537 f. 35 Hoffmann, ZKJ 2006, S. 436, 441. 36 Zum grundrechtlichen Schutz- und Förderauftrag, die von den Eltern gewählte Form der Kinderbetreuung zu ermöglichen, Bock-Pünder, Rechtsanspruch auf Besuch eines Kindergartens, 1998; Jestaedt, ZfJ 2000, S. 281 ff. 37 Vgl. Müller-Terpitz, JZ 2006, S. 991, 996. 38 BVerfGE 97, 332 (341 f.). 39 Vgl. die Debatte zur „Deutschpflicht in der Schulpause“, Bader, NVwZ 2007, S. 537 (539). 40 Butterwegge, Die Hintergründe der (Kinder-)Armut in Deutschland, S. 10 ff.; Holz, Armut hat auch Kindergesichter, S. 24, 33. 41 Menne, ZKJ 2009, S. 193, 195. 42 Spieß/Wagener, ZfJ 2001, S. 241 f. 43 Burgi, in: Friauf/Höfling, GG, Art. 6 Abs. 1 Rdnr. 39.

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3. Teil: Systematische Entfaltung eines Maßnahmenkonzepts

Art. 7 Abs. 1 GG ist,44 über den für diese Arbeit gewählten Rahmen in zeitlicher und räumlicher Hinsicht hinaus; ebenso wie die Diskussion um die Einführung von Ganztagesschulen u. ä. Denn vorliegend wird im Wesentlichen danach gefragt, wie der Staat den Eltern möglichst frühzeitig in ihrem eigenen häuslichen Bereich begegnen kann, um unmittelbar in den ersten Lebensmonaten beziehungsweise -jahren dafür Sorge zu tragen, dass das Kind keine gesundheitlichen Verluste und Entbehrungen durch eine elterliche Mangelversorgung erleidet. Der Lebenskreis, in dem der Staat auch nach bisheriger Anordnung auf Eltern und Kindern trifft (vgl. zur staatlichen Schulaufsicht im Vierten Teil, C. II.) soll daher nicht näher vertieft werden, weil der Staat dort ohnehin „Zugriff“ auf die Kinder üben kann.45 Allerdings ist meines Erachtens für einen obligatorischen Kindergartenbesuch zu plädieren. Denn Kindertagesstätten sind nicht nur Institutionen, die zur Sozialisation und Bildung von Kindern beitragen, sondern stellen auch eine weitere, praktische Zugangsmöglichkeit dar, um potenziell vernachlässigte Kinder aufzufinden. Das Betreuungspersonal in Kindergärten gehört mit zu den Personen, die mit Kindern und Eltern in regelmäßigem Kontakt stehen. Die Kinder verbringen täglich mehrere Stunden in Kindergärten, wie auch später in Schulen. Dort werden sie notwendigerweise betreut und beobachtet. Erste Anzeichen von Risikosituationen lassen sich dort oftmals rasch und einfach anhand körperlicher Merkmale oder Schilderungen der Kinder über Mängel in der elterlichen Erziehung erkennen.46 Ferner sind die Betreuungsangebote (einigermaßen) flächendeckend vorhanden und werden aufgrund ihrer niedrigen Zugangsschwellen bereits jetzt von vielen Eltern genutzt.47 Bislang werden Kindergartenbetreuer durch Vereinbarungen mit dem Jugendamt dazu angehalten, aufmerksam zu sein (vgl. § 8a Abs. 2 SGB VIII), ebenso sind Lehrer in die Prävention eingebunden gemäß § 42 Abs. 6 SchulGNRW.48 Die alltäglichen Kontakte und das über Jahre gewachsene Vertrauen in diesen Lebensräumen können also genutzt werden, um Erzieher als dauerhafte Sensoren für die Erkennung von gewichtigen Anhaltspunkten für eine Gefährdung des betreuten Kindes einzusetzen, ohne dadurch 44 Ablehnend Seiler, Essener Gespräche 43 (2009), S. 7, 16. Für eine Vorverlegung der Schulpflicht, Müller-Terpitz, JZ 2006, S. 991, 996. 45 Etwa Fragen, inwieweit Art. 7 Abs. 1 GG die Regelungsbefugnisse für den vorschulischen Bereich begrenzt, näher Hoffmann, ZKJ 2006, S. 436 ff.; Bader, NVwZ 2007, 537 ff., oder ob sich ein Kindergartenbesuch auf die Schulfähigkeit bzw. den -abschluss etc. auswirkt, Spieker, Essener Gespräche 43 (2009), S. 69, 76 ff. 46 Vgl. Handlungskonzept der Arbeitsgemeinschaft für Kinder- und Jugendhilfe, Frühe Förderung und Hilfen, S. 2 f. 47 Kalscheuer/Schone, Vernetzung und Kooperation, S. 158, 160. Im Jahr vor der Einschulung besuchen etwa 90 % der Kinder in Deutschland einen Kindergarten Bader, NVwZ 2007, S. 537 f. 48 Eine durch das mittlerweile gestoppte Bundeskinderschutz geplante Änderung von § 8a Abs. 2 SGB VIII präzisierte diese Informationspflichten von Betreuern gegenüber dem Jugendamt. Daneben sah § 3 des Gesetzesentwurfes über die Zusammenarbeit im Kinderschutz Informationspflichten von Fachkräften, die mit der Erziehung und Betreuung von Kindern betraut sind gegenüber dem Jugendamt vor, vgl. BRat-Drs. 59/09, S. 2 ff.; BTag-Drs. 16/12429, S. 8 ff.

C. Zweite Ebene

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eine automatische oder planmäßige Ausforschung von Kindern über familiäre Einzelheiten zu etablieren.49

C. Zweite Ebene I. Abstrakte Gefährdungseinschätzung Wofür soll eine abstrakte Gefährdungseinschätzung nutzbringend sein? Reichen das Instrumentarium der ersten Stufe beziehungsweise die vorhandenen Hilfestrukturen nach dem SGB VIII nicht hinlänglich aus? Flächendeckende Informationen, Beratungsstellen oder offene Treffen für Eltern und Kinder bieten zwar die Möglichkeit zur freiwilligen Selbstauswahl von Angeboten und wirken als Vorfeldarbeit bei der Schaffung günstiger Rahmenbedingungen mit. Sie stellen aber nicht sicher, dass die Konzepte auch gerade von denjenigen Eltern mit Erziehungsschwierigkeiten wahrgenommen werden. Medienkampagnen und finanzielle Förderleistungen werden daher nicht automatisch zu einer Verbesserung der Erziehungskompetenzen der Eltern führen, sodass sie für die Kompensation bestehender Defizite und für die Prävention von Kindeswohlgefährdungen in den (Risiko-) Familien nur begrenzt geeignet sind. Um es aber nicht dem Zufall zu überlassen, dass behördlicherseits erkannt wird, wo eine Vernachlässigungssituation droht, geht es auf der zweiten Ebene darum, bei möglichst allen Kindern eine frühe und zutreffende Einschätzung zur Wahrscheinlichkeit des Risikos einer Kindeswohlgefährdung zu etablieren. Zur Beurteilung von Risikofaktoren im Hinblick auf eine Kindesmisshandlung o. ä. ist daher die Entwicklung aussagekräftiger Einschätzungskriterien angezeigt, die breit und systematisch anzulegen sind, um keine bestimmten Elterngruppen zu diskriminieren (Art. 3 Abs. 1 GG). Für die Einschätzung des Risikostatus von Eltern hinsichtlich der Wahrscheinlichkeit einer Kindeswohlgefährdung bietet sich der Einsatz sogenannter Screeningverfahren an.50 Durch sie können Risiken einer Störung zumindest für die Pflegesituation identifiziert werden, indem objektiv nachvollziehbare und methodisch ausgewählte Kriterien durchgeprüft werden, beispielsweise in Fragebogenform. Gegenüber den universell angelegten Programmen der ersten Stufe liegen die Nachteile des Screenings zwar darin, dass es weniger einfach, insbesondere kostenund zeitintensiver, zu verwirklichen ist. Allerdings relativieren sich die Durchführungskosten, sobald sie vom Gesichtspunkt der dadurch verhinderten Schädigungen und vermiedenen Folgekosten beurteilt werden. Außerdem braucht das Screening selbst nicht in jedem Fall gleich intensiv gestaltet zu werden. Es sollte individuell und daher in einfach gelagerten Fällen auch lediglich summarisch anhand der 49

BVerfGE 59, 360 (384 f., 387). Zu Verfahren der Risikoeinschätzung vgl. die Empfehlungen des Deutschen Städtetag, ZfJ 2004, S. 187 oder bzgl. psychodiagnostischer Methoden, Kanthak, ZfJ 2004, S. 180 ff. Zur Beschreibung von Screeningmethoden auch, Kindler/Lillig, Früherkennung von Familien, S. 10 ff. 50

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3. Teil: Systematische Entfaltung eines Maßnahmenkonzepts

unten noch zu schildernden Kriterien durchgeführt werden. Als vorteilhaft fällt demgegenüber ins Gewicht, dass Risikogruppen-Screenings spezieller und somit besser geeignet sind, um hoch belastete Familien zu identifizieren. Gerade bei diesen besteht häufig in mehrfacher Hinsicht Handlungsbedarf, weil sie bei Hilfsangeboten ohne Teilnahmeverpflichtung traditionell eine eher niedrige Beteiligungsquote aufweisen und die vorhandenen Hilfen daher nicht den Weg in die Familien schaffen. Das liegt zum einen daran, dass Eltern, deren Kinder eine (lebens-) gefährliche Situation erleben, häufig selbst außerstande sind wahrzunehmen, dass sie die kindlichen Bedürfnisse nur unzureichend befriedigen. Aufgrund eigener aktueller Belastungen oder traumatischer Kindheitserlebnisse sind sie nicht in der Lage zu erkennen, dass es ihrem Kind an Lebensnotwendigem fehlt.51 Sie nehmen die kindlichen Bedürfnisse mitunter verzerrt wahr52 und meinen, ihr Kind durchaus ausreichend zu versorgen. Oder sie blenden die Krise und ihr Ausmaß aufgrund ihrer eingeschränkten Fähigkeiten schlicht aus. Insbesondere für jüngere Kinder kann so ein Überlebenskampf beginnen.53 In Risikofamilien besteht also des Öfteren ein Widerspruch zwischen dem tatsächlichen Hilfebedarf und der Fähigkeit, die Notwendigkeit von Hilfe zu erkennen. Entsprechend werden die vorhandenen Hilfeformen gemäß §§ 27 ff. SGB VIII zum größten Teil von Betroffenen mit relativ geringer Belastung wahrgenommen. Die Mehrzahl der Eltern, die aktiv eine Erziehungsberatung aufsucht oder an einem Elternkurs teilnimmt, will die eigene Erziehung verbessern, um den Bedürfnissen und Fähigkeiten ihres Kindes gerecht zu werden. Sie wollen es darin unterstützen, ein leistungsfähiger und emotional stabiler Mensch zu werden, der den Anforderungen und Erwartungen der modernen Wissensgesellschaft nachkommen kann. Frühkindliche Bildungsangebote und der Besuch von Elternkursen werden in diesem Kontext als Dienstleistungsangebote verstanden.54 Dagegen nutzen Eltern, die unter sozial belastenden Lebensumständen ihre Kinder großziehen, die bestehenden Angebote wie Beratungsstellen oder Familienbildungsstätten seltener, obgleich ihr Bedarf an praktischer Unterstützung erhöht ist. Sie begreifen sich selbst nicht als Kunden, die in Kursen lernen, wie sie die Erziehung ihrer Kinder verbessern können.55 Teilweise sind sie ungeübter im Austausch mit anderen oder ängstlicher, eigene Erziehungspraktiken und Erlebnisse mit ihren Kindern öffentlich zu schildern. Das mag darin begründet sein, dass sie in der Vergangenheit notgedrungen mit staatlichen Institutionen in Kontakt gekommen waren und Sanktionen erlebt haben. Wenn sie oder ihre Kinder bereits etwas falsch gemacht haben, fällt es ihnen umso schwerer, ihre Probleme aus Vorbehalten oder Ängsten 51 52 53 54 55

Ziegenhain, Beziehungs- und Erziehungskompetenz, S. 119, 123. Ziegenhain, Beziehungs- und Erziehungskompetenz, S. 119, 120. Brinkmann, Arme Kinder, armes Deutschland, S. 54, 65. Quindel, Auf dem Weg zum Elternführerschein?, S. 61, 64, 67. Quindel, Auf dem Weg zum Elternführerschein?, S. 61, 67 f.

C. Zweite Ebene

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(vor Strafe oder Verlust des Kindes) gegenüber staatlichen Hilfspersonen, außerhalb von akuten Krisen, zu artikulieren, und sie fordern daher aktiv seltener Hilfe ein.56 Folglich ist zu sagen, dass das vorhandene Repertoire an freiwilligen Hilfen zur Erziehung gemäß §§ 27 SGB VIII zwar breit aufgestellt ist, aber den Nachteil birgt, dass, soweit die Anspruchsberechtigten den ihnen zu stehenden Anspruch nicht einlösen, obwohl Risiken für die Kindesentwicklung bestehen, weder die gefährdeten Kinder erkannt werden noch ihnen die notwendige Unterstützung angedeihen kann. Sind dagegen frühzeitig Verdachtshinweise von kindeswohlgefährdenden Situationen beziehungsweise Informationen über Kinder in riskanten und belasteten Familienkonstellationen bekannt, kann der Eintritt eines Schadenfalls rechtzeitig durch vorsorgende Strukturen verhindert werden.

II. Ausgestaltungsfragen 1. Zeitliche Rahmenbedingungen Je frühzeitiger Kenntnis von der Wahrscheinlichkeit einer Gefährdungssituation besteht, desto mehr Möglichkeiten existieren, einer akuten Krise vorzubeugen beziehungsweise desto vielseitigere Präventionsangebote lassen sich in einer Familie mit mehrfachen Belastungen etablieren.57 „Frühzeitig“ bedeutet zu einem möglichst frühen Zeitpunkt im Problemwerdegang, also bevor etwas passiert ist, an die Familien heranzutreten. Es meint zum Zweiten, biografisch früh anzusetzen, d. h. in den ersten Lebensjahren des Kindes. Es ist davon auszugehen, dass Eltern angesichts der neuen Aufgaben und der Verantwortung im Umgang mit ihrem Neugeborenen eher überfordert sind und es schneller zu einer kindeswohlgefährdenden Situation kommt, während sich bei älteren Kindern die Familienlage stabiler zeigt, auch weil mit zunehmendem Alter Kinder in außerfamiliären Institutionen eingebunden sind, wodurch die Eltern zeitweilig entlastet werden. In Deutschland besucht fast jedes Kind ab dem dritten Lebensjahr eine Kindertagesstätte, spätestens mit sechs Jahren erfolgt eine Schuleingangsuntersuchung (vgl. § 29 Abs. 2 SchulVerwGNRW i.V.m. §§ 42, 43 ASchONRW oder § 10 HessGÖffentGesundheitsdienst)58; bis dahin aber erfolgen kaum oder keine Außenkontakte.59 Insbesondere diese unbeobachtete Zeitphase von der Geburt bis zum Kindergartenbesuch ist abzuschirmen und der noch unvollständige Schutz in diesem (Alters-)Bereich zu effektuieren, weil gewalttätige oder

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Blum-Maurice, Die Wirkungen von Vernachlässigung auf Kinder, S. 113, 125. Bundesfamilienministerium (Hrsg.), Lernen aus problematischen Kinderschutzverläufen, S. 71. 58 Eine ärztliche Untersuchung für die Aufnahme in einer Kindertagesstätte sieht, soweit ersichtlich, nur § 11 KiTaG Brandenburg vom 27.06.2004, GVBl. I/04, Nr. 16, S. 384 vor. 59 Vgl. auch die Stellungnahme der Arbeitsgemeinschaft für Kinder- und Jugendhilfe, Frühe Förderung gefährdeter Kinder, S. 1. 57

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nicht fürsorgende Eltern ihr Kind von Geburt an vernachlässigen oder misshandeln, ohne ein späteres Lebensjahr abzuwarten. 2. Inhaltliches Prüfprogramm Im Hinblick auf die Abschätzung eines zukünftigen Misshandlungs- beziehungsweise Vernachlässigungsrisikos gilt gewissermaßen dasselbe wie bei der Beherrschung technischer Risiken in der Flugsicherung, Atomaufsicht oder im Straßenverkehr.60 Es gibt meldepflichtige Vorfälle, die gesammelt werden. Die Fakten werden genutzt, um zu analysieren, wo die Schwachstellen im System liegen, um so aus Schadensereignissen zu lernen, wie die Risiken erneuter Gefährdungen möglichst frühzeitig zu erkennen sind. Angesichts des kindlichen Bedürfnisses nach physischem wie psychischem Schutz erhöht sich noch einmal der Bedarf, bereits schwache Signale in Risikofamilien zu erkennen. Es ist andererseits zu konstatieren, dass die elterlichen Befugnisse – anders als Konzessionen oder Genehmigungen von technischen Anlagen – nicht auf staatlicher Verleihung beruhen. Für die Erziehung von Kindern kann es wie bei diesen auch keine festen Richtwerte geben, nach denen sich die „Richtigkeit“ der elterlichen Erziehungstätigkeit allgemeingültig festlegen lässt. Jedoch kann durch eine Gefährdungseinschätzung abgeklärt werden, ob ein Kind wegen mangelnder Erziehungsfähigkeit seiner Eltern in seiner körperlichen Entwicklung gefährdet ist oder in einer erhöhten Gefährdungslage hinsichtlich Misshandlungsrisiken usw. lebt. Die Identifizierung von bestimmten Risikomerkmalen könnte in Anlehnung an anerkannte und einschlägige straf- und kriminalprognostische Einschätzungsmethoden nach sogenannten Syndromen durchgeführt werden.61 Als denkbare Prüfkriterien kommen in Wiederaufnahme der im ersten Teil dargestellten Risikofaktoren (vgl. B. III. 2.) in Betracht: kinderreiche und einkommensschwache Familien, die seit Generationen in sozial benachteiligten Verhältnissen leben, Eltern in wirtschaftlichen schwierigen Lagen (Privatinsolvenz), problematische Wohnsituationen in sozialen Brennpunkten, Konflikte mit Behörden, wie z. B. die Straffälligkeit einer Erziehungsperson oder soziale Auffälligkeiten des Kindes. Diese Schwierigkeiten sind häufig verschränkt mit innerfamiliären Belastungen wie Partnerschaftsproblemen, langjähriger Gewalterfahrung in der Familie, Drogen- und Alkoholsucht. Neben diesen Risikofaktoren sind aber gleichzeitig Schutzfaktoren (Zustandsbild des Kindes, Beschreibung der elterlichen Erziehungsfähigkeit) sowie die künftigen Familienperspektiven (stabile Arbeitsverhältnisse, Zukunftsplanung) in die Beurteilungsgrundlage mit einzustellen, um die Wahrscheinlichkeit von kindeswohlgefährdenden Um-

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Bundesfamilienministerium (Hrsg.), Lernen aus problematischen Kinderschutzverläufen, S. 35 ff. 61 Kindeswohlprognosen sind „Schicksalsprognosen“, Wulf/Reich, ZKJ 2007, S. 266 ff.

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ständen beziehungsweise ihres Fortbestandes zu ermitteln.62 Da mehrfach vorliegende Risikofaktoren in ihrer kumulativen Wirkung ein starkes Indiz für eine zukünftig (wieder) auftretende schwierige oder gefährliche Erziehungssituation darstellen, wenn ihnen keine oder kaum Ressourcen gegenüberstehen (vgl. im Ersten Teil, B. III. 1.), lässt sich mittels einer Skala transparent machen, in die alle zur Beurteilung relevanten Daten eingetragen werden, wie hoch diese Wahrscheinlichkeit ist. Mit relativ einfachen Mitteln ist also bereits ein standardisiertes Verfahren zur Gefährdungsabschätzung entwickelbar.63 Eine Pflicht des Jugendamts, bei allen Familien eine Kindeswohlprognose durchzuführen, besteht nach geltender Gesetzeslage nicht. Sie bietet aber den Vorteil, dass durch eine vereinheitlichte Erhebungsmethode (mittels Fragebögen, Checklisten oder anderen Interviewformaten) ein objektives Instrument zur Informationsgewinnung geschafften wird,64 sodass nicht mehr wie bisher erst eine eingetretene Krisensituation darüber entscheidet, ob eine behördliche oder gerichtliche Reaktion nachfolgt. 3. Gesundheitssystem Das Gesundheitswesen spielt im Zusammenhang mit der Entdeckung von Vernachlässigungen bei Säuglingen (Geburtsvorbereitung und – nachsorge) und Kleinkindern eine wichtige Rolle.65 Untersuchungen haben gezeigt, dass bei jedem dritten vernachlässigten Kind unter sieben Jahren mindestens ein Krankenhausaufenthalt dokumentiert war.66 Im Übrigen eröffnen Schwangerschaft und Geburt über niedergelassene Gynäkologen, Hebammen und Geburtskliniken die Möglichkeit zu ersten, unbefangenen Kontakten mit Müttern und Vätern, die sich in dieser Lebensphase erstmals mit ihrer Elternrolle auseinandersetzen.67 Zugangskontakte zu ansonsten isoliert lebenden Eltern haben auch Kinderärzte. Sie können als sogenannte „frühe Hilfen“ installiert werden (vgl. sogleich C. II. 6.), die, untereinander vernetzt, als Sensoren dazu beitragen, dass Anhaltspunkte für Kindeswohlgefährdungen bei kleinen Kin-

62 Kindler, Verfahren zur Einschätzung der Gefahr zukünftiger Misshandlung bzw. Vernachlässigung, S. 385; Kindler/Lillig, Der Schutzauftrag der Jugendhilfe, S. 85 ff. 63 Fragebögen („Parenting Opinion Questionaire“) oder andere Interviewformate können negative Erziehungspraktiken identifizieren, vgl. Ostler/Ziegenhain, Risikoeinschätzung, S. 67 f., oder vorhandene Gefährdungseinschätzungsverfahren schildern (Stuttgarter Kinderschutzbogen), Kindler/Lukasczyk/Reich, ZKJ 2008, S. 500 ff. Beispielmodelle für Prüfbögen sind über die Datenbank des Deutschen Jugendinstituts online abrufbar, www.dji.de/asd. 64 Ostler/Ziegenhain, Risikoeinschätzung, S. 67. 65 Kalscheuer/Schone, Vernetzung und Kooperation, S. 158, 164. 66 Schone/Gintzel/Jordan, Kinder in Not, S. 88. 67 Gesundheitsbildung und die Geburtsvorbereitung und -nachbereitung sind die im Ergebnis meist nachgefragten Themen der Familienbildung gemäß §§ 16 ff. SGB VIII, Wagener, FamRZ 2008, S. 457, 459.

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dern so früh wie möglich erkannt und den Familien Hilfsangebote unterbreitet werden können.68 Ziel ist es, durch ein frühes Gefährdungsscreening bei den Eltern erste Risikofaktoren (Alkoholprobleme oder Überforderungssymptome) festzustellen. Diese Gefährdungsdiagnostik trägt insbesondere der hohen Verwundbarkeit von Neugeborenen und Kleinkindern Rechnung.69 Hinsichtlich der Diagnostik von Kindeswohlgefährdungen bestehen zwar keine eindeutigen pathologischen Symptome, sie können aber anhand von Verhaltensauffälligkeiten sichtbar werden. Warnhinweise sind etwa auffällige Verhaltensstörungen oder Unstimmigkeiten in der Interaktion (Nähe-Distanz-Regulation), beispielsweise ein eingefrorenes Lächeln bei Kindern. Als charakteristische Anzeichen für Vernachlässigung und Misshandlung gelten körperliche Auffälligkeiten (Unterversorgung infolge Mangelernährung oder Verletzungsspuren). Kindliche Ängste in Situationen, die an sexuellen Missbrauch erinnern, wie Untersuchungen beim Kinderarzt, können zudem indizielle Bedeutung besitzen.70 Sind mehrere Risikofaktoren (mindestens drei) bei jungen Eltern durch die Ärzte beziehungsweise Hebamme identifiziert worden, ist die Situation zuerst mit den Eltern selbst zu erörtern. Sie sind auf die Möglichkeit zur Inanspruchnahme geeigneter Hilfen hinzuweisen, soweit hierdurch der Schutz des Kindes nicht infrage gestellt wird. Sind die Eltern nicht bereit oder in der Lage daran mitzuwirken, sind die Informationen an das zuständige Jugendamt weiterzugeben, das durch einen Familienhelfer aktiv wird (vgl. sogleich C. II. 4.).71 68 Beispiel für ein solches „Frühwarnsystem“ ist das Präventionsprojekt „Zukunft für Kinder in Düsseldorf“. Dort arbeiten Geburts- und Kinderkliniken, Jugend- und Gesundheitsämter, niedergelassene Kinder- und Frauenärzte zusammen. Werden Risikokonstellationen im medizinischen oder psychosozialen Bereich festgestellt, die Hinweise auf Defizite in der kindlichen Entwicklung geben oder zu diesen führen können, wird der betroffenen Familie die freiwillige Teilnahme am Modellprojekt angeboten. Nehmen die Eltern das Angebot an, werden sie durch eine Clearingstelle bei der Wahrnehmung der Hilfsangebote unterstützt. Nähere Informationen sind abrufbar unter, www.duesseldorf.de/gesundheit/zukunft_fuer_kinder. Vergleichbar konzipiert ist das Modellprojekt „Guter Start ins Kinderleben“, das an das Universitätsklinikum Ulm angegliedert ist, vgl. auch Bundesfamilienministerium (Hrsg.), Frühe Hilfen, Abschlussbericht, S. 126; Wiesner, ZKJ 2008, S. 143. 69 Offe, ZKJ 2007, S. 236, 237; Ostler/Ziegenhain, Risikoeinschätzung, S. 67, 68. 70 Kanthak, ZfJ 2004, S. 180, 182. 71 Bislang besteht in diesem Bereich aber die Schwierigkeit, dass die ärztlichen Berufsgeheimnisträger gemäß § 203 StGB erst bei einer gegenwärtigen, erheblichen Gefahr für Leib oder Leben des von ihnen untersuchten Kindes zu einer aus Notstandsgesichtspunkten gemäß § 34 StGB gerechtfertigten Geheimnisoffenbarung gegenüber dem Jugendamt oder Familiengericht berechtigt sind. Den im medizinischen Bereich beschäftigten Personen ist im Einzelfall oft nicht klar, ob die von ihnen bemerkten Anhaltspunkte für eine Kindeswohlgefährdung auch einer Durchbrechung ihrer Schweigepflicht unter strafrechtlichen Kautelen standhalten. Angesichts dieser Rechtsunsicherheit und mangels einer eindeutigen gesetzlichen Regelung wird die Weitergabe von Informationen an das Jugendamt daher in der Praxis häufig unterlassen. Insofern sollte über eine gesetzliche Lockerung der Schweigepflicht für Berufsgeheimnisträger (noch einmal) nachgedacht werden, vgl. zu den diesbzgl. gestoppten Reformplänen, BRat-

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4. Individuelle Gefährdungseinschätzung a) Weitere Sachverhaltsaufklärung Bei dem abstrakten Gefährdungsscreening besteht die Unsicherheit, dass Risikofaktoren falsch eingestuft werden, deshalb hat eine weitere Aufklärung bei den nach dem Ergebnis des Screeningverfahrens als gefährdet eingeschätzten Kindern nachzufolgen. Mittels einer eine individuelle Gefährdungsprognose ist die Möglichkeit einer falschen Verdächtigung und damit Stigmatisierung der Eltern auszuschließen. Eine vor Ort tätige Fachkraft kann das Potenzial für eine das Kindeswohl gefährdende Situation innerhalb der Familie noch einmal neu beziehungsweise anders beurteilen. Und es wird auch der grundrechtlichen Dimension eines unmittelbaren staatlichen Eingriffshandelns auf der dritten Eben in verhältnismäßiger Weise Rechnung getragen. b) Besuchsangebot Nach der Identifizierung von mehreren Risikofaktoren kann zur Abklärung der Situation ein Hausbesuch durch ein ortsansässiges Begleitsystem mit den Eltern verabredet werden. In unmittelbarem Zusammenhang mit der Kindsgeburt kann beispielsweise ein Mitarbeiter des Jugendamtes ein Baby-Begrüßungspaket (Informationsbroschüre, gesponsertes Präsent aus dem Bereich Babypflege, Gutschein für ein ElternKind-Angebot der Familienbildungsstätte)72 überbringen und soziale Betreuungsmöglichkeiten aufzeigen, die den Eltern zur freiwilligen Inanspruchnahme zur Verfügung stehen. Aufsuchende, ambulante Familienhelfer73 wie in England („home help visitors“) oder in Frankreich („protection maternelle et infantile“) versuchen, niederschwellig den Kontakt zu Familien aufzubauen. Auf diesem Weg lernen die Eltern einen konkreten Ansprechpartner kennen, zu dem sie eine Beziehung aufbauen. Umgekehrt ist die Durchführung eines Hausbesuches auch deshalb angezeigt, weil es für den Jugendamtsmitarbeiter leichter sein wird, nachdem er die Eltern kennengelernt hat, sie zu einer Mitwirkung an ggf. notwendigen, freiwillig in Anspruch zu nehmenden Hilfen zu motivieren. Diesen Gedanken nimmt auch die geplante Neuregelung von § 20e SGB V auf, durch welchen regionale Netzwerke aus ehrenamtlichen Helfern finanziell von den Krankenkassen unterstützt werden sollen, damit sie sich durch präventive Hausbesuche fortgesetzt um Schwangere, Mütter und Familien kümmern.74

Drs. 59/09, S. 1 ff. und BTag-Drs. 16/12429, S. 8 ff.; kritisch dazu Mörsberger, RdJB 2009, S. 34, 40 ff.; Deutscher Verein, ZKJ 2009, S. 249 f. 72 Vgl. das Kinderschutzkonzept der Stadt Dormagen in Nordrhein-Westfalen „Willkommen im Leben“, dessen Elternbegleitbuch zahlreiche Informationen zur kindlichen Entwicklung, zu staatlichen und kommunalen Leistungen oder zu Ansprechpartnern für Beratungsangebote umfasst. Abrufbar unter, www.soziale-fruehwarnsysteme.de/orte/Dormagen. 73 Schäffner/Reich/Wulf, ZKJ 2008, S. 64, 65. 74 BTag-Drs. 16/12429, S. 14.

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Neben der Kontaktaufnahme besteht der Vorteil des Einsatzes von Familienhelfern vor Ort darin, dass sie sich einen unmittelbaren Eindruck des körperlichen und geistigen Entwicklungszustands des Kindes (Erscheinungsbild und Verhalten) sowie von der gesamten familiären Lebenssituation (Wohnverhältnisse) und dem Kooperationsverhalten der Eltern verschaffen. Die Beurteilung hat anhand der konkreten Familiensituation stattzufinden, weil die Standards – je nach Alter des Kindes und dem Milieu, in dem es aufwächst – variieren und die von den Eltern zu verwirklichenden Ziele für eine gelungene geistige und körperliche Entwicklung des Kindes vor diesem Hintergrund zu beurteilen sind (vgl. später im Vierten Teil, D. I.). Dabei sind alle weiteren im Haushalt lebenden Geschwister- beziehungsweise Kinder einzubeziehen, um für sie bestehende Risiken auszuschließen, denn das eine Kind kann normal versorgt werden, während ein anderes, problematischeres aus dem Familienverband ausgegrenzt wird.75 Die Analyse der bekannt gewordenen Kinderschutzfälle hat gezeigt, dass die Notwendigkeit der Inaugenscheinnahme gefährdeter Kinder durch einzelfallzuständige Fachkräfte stärker zu betonen ist,76 um zu verhindern, dass Kindesvernachlässigung oder Kindesmisshandlung durch die erziehenden Elternteile verdeckt werden.77 Bestätigt sich durch den Besuch des Familienhelfers der Verdacht der Risikofaktoren aufgrund eines Erziehungsdefizits oder objektiver Mängel im Erziehungsbereich, ist es dessen Pflicht, das Gefährdungsrisiko abzuschätzen (vgl. § 8a SGB VIII). Im Rahmen der gemachten Einschätzungen kann er mit den Eltern zu beraten, ob eine Inanspruchnahme der erforderlichen Hilfen gemäß SGB VIII sinnvoll ist, soweit dadurch nicht der wirksame Schutz des Kindes infrage gestellt wird. Ist allerdings zu erkennen, dass die erzieherische Krisensituation akut ist (vgl. § 42 SGB VIII) oder sind die Eltern nicht bereit oder in der Lage, an den vorgeschlagenen Hilfsmaßnahmen mitzuwirken, so schaltet die Fachkraft von sich aus das Familiengericht ein, wenn sie gewichtige Anhaltspunkte für eine Kindeswohlgefährdung festgestellt hat (vgl. § 8a Abs. 3 SGB VIII). Bestätigt der Hausbesuch die erste Gefährdungseinschätzung dagegen nicht, wird die Entwicklung des Kindes in den darauf folgenden Lebensjahren wie bei allen anderen Kindern mittels verpflichtender Vorsorgeuntersuchungen kontrolliert.

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Becker, ZKJ 2009, S. 28 f. Bundesfamilienministerium (Hrsg.), Lernen aus problematischen Kinderschutzverläufen, S. 65. 77 Dies ist auch durch die geplante Gesetzesänderung von § 8a Abs. 1 S. 2 SGB VIII angestrebt worden, nach der sich der Jugendamtsmitarbeiter „einen unmittelbaren Eindruck von dem Kind und in der Regel auch seiner persönlichen Umgebung zu verschaffen“ haben sollte, BRat-Drs. 59/09, S. 4, der Gesetzesentwurf setzt damit die auf dem Kinderschutzgipfel vom 12.06.2008 ausgesprochenen Festlegungen um. Vgl. auch die Empfehlungen der Bundesvereinigung kommunaler Spitzenverbände, JAmt 2009, S. 231, 233. 76

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5. Verpflichtende Früherkennungsuntersuchung a) Leistungsanspruch Ein umfassendes Gefährdungsscreening kann durch eine verpflichtende Teilnahme von Kindern an Vorsorgeuntersuchungen erreicht werden. Werden alle Kinder regelmäßig von ihrer Geburt bis zum sechsten Lebensjahr Kinderärzten vorgestellt, wird eine durchgängige Kontrolle ermöglicht. Dies kommt hauptsächlich Kindern zugute, die ansonsten den Behörden unbekannt blieben. Mithilfe von Untersuchungskatalogen kann der Gesundheits- und Entwicklungsstand des Kindes festgestellt werden, aber auch Misshandlungsspuren und andere Anhaltspunkte für Kindeswohlgefährdungen können so erkannt werden. Bislang sind bundesweit Vorsorgeuntersuchungen für Kinder gesetzlich nicht festgeschrieben. Alle Eltern erhalten seit dem Jahr 1971 nach der Geburt ihres Kindes ein gelbes sog. Kinder-Untersuchungsheft, in dem sie zur Wahrnehmung der vom Leistungskatalog der Krankenkassen gemäß §§ 26 und 25 Abs. 4 S. 2 SGB V umfassten, kostenlosen Untersuchungstermine78 aufgefordert werden. Es besteht gemäß § 26 SGB V ein freiwillig einzulösender Leistungsanspruch der Eltern, das Kind zu den Gesundheitsuntersuchungen zu bringen. Generell ist das Untersuchungsprogramm in der Bevölkerung für die ersten beiden Lebensjahre des Kindes gut akzeptiert. Danach sinkt die Teilnahmequote rapide ab.Von sozial benachteiligten und ausländischen Familien sowie sehr jungen Müttern mit Kindern werden die Früherkennungsuntersuchungen seltener genutzt.79 Der Verzicht auf dieses kostenlose Angebot kann unter Umständen dazu führen, dass Kinder jahrelang keinem Arzt vorgestellt werden, weshalb Anzeichen von Kindesvernachlässigung unentdeckt bleiben oder gebotene Behandlungen ausfallen, bis eine ernsthafte Symptomatik vorliegt. b) Obligatorische Untersuchungen Nachdem eine Gesetzesinitiative für eine bundeseinheitliche Teilnahmepflicht an Vorsorgeuntersuchungen gescheitert ist,80 obgleich die Bundesregierung deren Notwendigkeit angesichts der eingangs geschilderten Fälle schwerer Kindesvernachlässigungen, absichtlicher Kindesmisshandlungen und -tötungen anerkannt hatte, haben mehrere Bundesländer eigenständig von ihrer ergänzenden Gesetzgebungskompe-

Nach der Kinderrichtlinie des gemeinsamen Bundesausschusses der Ärzte und Krankenkassen sind neun Früherkennungsuntersuchungen vorgesehen. U1-U6: 1. Lebensjahr; U7U9: zwischen 2. und 5. Lebensjahr, seit dem 01.07.2008 sind die U7a: 34.–36. Lebensmonat und die J1: nach vollendetem 10. Lebensjahr eingefügt worden. 79 Galm/Lillig/Schäfer, Early Prevention – Frühe Prävention, S. 65. Etwa 81 % der Eltern nehmen mit ihren Kindern an Früherkennungsuntersuchen teil, 10 % teilweise, 3 % nie, RobertKoch-Institut (Hrsg.), KIGGS, S. 838 ff. 80 Erklärung des Gemeinsamen Bundesausschusses vom 23.09.2007 abgedruckt im BAnz Nr. 234 vom 14.12. 2007, S. 8268. 78

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tenz gemäß Art. 74 Nr. 781 i.V.m. 72 Abs. 2 GG Gebrauch gemacht. Mangels entsprechender bundesgesetzlicher Regelungen etwa im SGB VIII waren sie nicht daran gehindert (Art. 31 GG), eigenständig Kinderschutzgesetze zu erlassen, um die Verbindlichkeit von Vorsorgeuntersuchungen zu erhöhen beziehungsweise diese verpflichtend zu regeln.82 Die Ziele sind angesichts der „Defizite bei der frühzeitigen Erkennung und Abwehr von Gefährdungsrisiken und der rechtzeitigen Sicherstellung des Kindeswohls“ in einem „wirkungsvollen Schutz von Kindern vor Misshandlung, Vernachlässigung und Gewalt“ und in dem entschlossen Kampf gegen „Beeinträchtigungen von Entwicklungsstörungen und gesundheitlichen Beeinträchtigungen“83 zu sehen. c) Untersuchungsintervalle Bei verpflichtend eingeführten Vorsorgeuntersuchungsprogrammen, überwacht eine zentrale Vorsorgestelle in jedem Bundesland die Durchführung. Sie erfasst unter strikter Beachtung der datenschutzrechtlichen Vorschriften alle durch die einzelnen Einwohnermeldeämter übermittelten, relevanten Meldedaten der Kinder im betreffenden Alter und speichert diese für einen bestimmten Zeitraum. Sie lädt die Eltern verbindlich zu den Vorsorgeuntersuchungen ein, indem sie über deren Nutzen informiert. Die kinderärztliche Untersuchung selbst dient der kontinuierlichen Verfolgung des altersangemessenen, körperlichen Entwicklungszustandes und ist mit konkretem Blick auf etwaige Sprachrückstände, Krankheiten oder bestimmte Verhaltensstörungen auszuführen; spezifisch hinsichtlich der potentiellen Spuren von Kindesvernachlässigung, Misshandlung und Missbrauch.84 Über zeitlich kurz gefasste Untersuchungsintervalle wird gewährleistet, dass die Risikoprognosen aktuell durchgeführt werden. Die Kinderärzte haben aufgrund landesgesetzlicher Anordnung eine Rückmeldung an die zentrale Screeningstelle zu machen, bei welchem Kind sie eine Vorsor81 Der Jugendschutz zählt zur öffentlichen Fürsorge i.S.v. Art. 74 Nr. 7, BVerwGE19, 94 (96); BVerfGE 31, 113 (117). 82 Verbindliche Früherkennungsuntersuchungen regeln bislang folgende Landesgesetze, § 7 BbgGesundDienstG vom 23.04.2008, GVBl., S. 95; KiWGBrem vom 15.05.2007, GVBl., S. 637; § 1 KindGSchGHess vom 14.12.2007, GVBl. I, S. 856 ff.; §§ 5 ff. KindSchGRh.-Pf vom 07.03.2008, GVBl., S. 52; § 8a GesundDienstGSaarl vom 07.02.2007, Amtsblatt, S. 742; § 7a GesundDienstGSchl.-H. vom 01.04.2007, GVOBl., S. 398; §§ 1 ff. ThürFKG vom 16.12.2008, GVBl, S. 553. 83 Aus der Stellungnahme der Bundesregierung (Drs. 864/06 vom 20.11.2006) zu dem Beschluss des Bundesrats betreffend eine höhere Verbindlichkeit von Früherkennungsuntersuchungen, BRat-Drs. 56/06 vom 19.05.2006. Vgl. auch den nachfolgenden Beschluss zur Rechtsverbindlichkeit von Früherkennungsuntersuchungen, BRat-Drs. 823/06 vom 15.12.2006. Gegen die Einführung von Pflichtuntersuchungen, Arbeitsgemeinschaft für Kinder- und Jugendhilfe, Frühe Förderung gefährdeter Kinder, S. 2 ff. 84 Forschungsübersichten zur medizinischen Diagnose von Kindesmisshandlung hat die „Welsh Child Protection Systematic Review Group“ zusammengestellt, www.core-info.cardiff.ak.uk.

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geuntersuchung durchgeführt haben.85 Ebenso ist ihnen gesetzlich auferlegt, bei der Entdeckung von tatsächlichen Anhaltspunkten für eine Kindeswohlgefährdung (vgl. § 8a SGB VIII) das zuständige Jugendamt, ähnlich der Meldepflicht bei infektiösen Erkrankungen, einzuschalten. Der Rückmeldemechanismus wird dadurch ausgeführt, dass die verantwortliche Stelle die Datensätze der Ärzte mit denen der Einwohnermeldeämter abgleicht, um festzustellen, welche Eltern die Untersuchungsintervalle eingehalten haben. Säumige Eltern werden mit angemessener Fristsetzung an die Nachholung des Termins erinnert. Bleibt auch diese Aufforderung ohne Erfolg, nimmt das Gesundheitsamt mit der Familie gezielt Kontakt auf und bietet einen Hausbesuch bei gleichzeitiger Durchführung der Früherkennungsuntersuchung durch einen Kinderarzt an. Durch das aktive Zugehen auf die Eltern, die nicht an einer Früherkennung teilgenommen haben, kann vermieden werden, dass eine Verdachtsmeldung an das Jugendamt erfolgt, obwohl die Untersuchung nur aufgrund eines versehentlichen Zustellfehlers oder anderer nachvollziehbarer Gründe unterblieben ist.86 d) Nichtbefolgung Lehnen die Eltern jedoch diese erneute Kontaktaufnahme beziehungsweise das Angebot zum Hausbesuch des Kinderarztes ab und besteht keine Bereitschaft, der Aufforderung zur Frühuntersuchung nachzukommen, wird unverzüglich das zuständige Jugendamt zur Klärung der Situation gemäß § 8a SGB VIII informiert. Durch die Einführung eines bundeseinheitlichen Meldesystems mit einem Datenaustausch zwischen allen zentralen Überwachungsstellen der Länder würde es den Eltern ermöglicht, eine Früherkennungsuntersuchung auch außerhalb ihres Heimatbundeslandes durchführen zu lassen, beziehungsweise eine Entziehung des Kindes durch wiederholte Verlegung des Wohnsitzes in ein anderes Bundesland würde unterbunden werden.87 Fraglich ist, wie überdies sichergestellt werden kann, dass die Eltern die Pflichtuntersuchungen auch befolgen. Die Nichtbefolgung der Teilnahmepflicht könnte ähnlich der Zwangsvollstreckung – samt Zwangsgeldverhängung bei schuldhafter Verletzung der Anordnung – gemäß § 33 FGG erzwungen (vgl. auch den bußgeldbewehrten Schulzwang, §126 SchulGBerlin oder Art. 118 BayEUG) oder an die Antragsstellung auf Landeserziehungsgeld gekoppelt werden. Die Versäumnisse mit einem „Elternbußgeld“ als Ordnungswidrigkeit zu ahnden oder eine Kürzung beziehungsweise Streichung des Kindergeldes einzuführen, würde zum einen faktisch zu85

Vgl. § 14a GesundDienstGBrem; § 7Abs. 2 KindSchGRh.-Pf. Vgl. Deutsches Jugendinstitut, Rechtsgutachten Kinderschutzgesetzgebung, JAmt 2008, S. 137, 139. 87 Der Änderungsentwurf zu § 86 c SGB VIII will diese Gefahr, dass sich auffällig gewordene Eltern durch einen Wechsel des Wohnortes dem Zugriff des Jugendamts entziehen können, dadurch unterbinden, dass bundesweit die alte die neu zuständig gewordene Behörde zu informieren hat, BRat-Drs. 59/09, S. 5; vgl. auch Wiesner, ZKJ 2008, S. 143, 144. 86

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lasten des Kindes gehen und zum zweiten einen mittelbaren Eingriff in das Elternrecht beziehungsweise die allgemeine Handlungsfreiheit der Eltern gemäß Art. 2 Abs. 1 GG darstellen, weil gerade die ökonomische Situation der „in Rede stehenden elterlichen Klientel“88 sie faktisch zu einer Teilnahme an den Untersuchungen zwingen würde.89 Vorzugswürdig erscheint es daher, den Nachweis der zuletzt fälligen Vorsorgeuntersuchung zur Voraussetzung für die Anmeldung des Kindes in einer Kindertagesstätte oder Schule zu machen. Diese Koppelung ermöglicht die Kontrolle der Untersuchungspflicht und zugleich die Förderung der Gesundheit, die von den Aufgaben der Kinder- und Jugendhilfe ausgenommen ist, vgl. § 1 SGB VIII. Kinder, die an den Früherkennungsuntersuchungen nicht teilgenommen haben, sollten jedoch nicht von einem Kindergartenbesuch ausgeschlossen werden, ansonsten würde das Gegenteil eines verbesserten frühzeitigen Kinderschutzes herbeigeführt werden. Vielmehr sollten die Betreuungseinrichtungen dennoch das Kind aufnehmen und das Jugendamt über den fehlenden Nachweis informieren, wenn die Eltern trotz mehrmaliger Aufforderung keine Bescheinigung vorgelegt haben. 6. Kooperationen und Vernetzungen Einen strategischen Vorteil für die Risikoeinschätzung bietet das Gesundheitssystem, weil es einen zeitnahen Zugang zu Eltern besitzt und ohne zusätzliche Kosten eingesetzt werden kann. Um Risiko- und Gefährdungslagen für Kinder, insbesondere in den ersten Lebensjahren, zu erkennen, ist neben einer systematischen Gefährdungseinschätzung ein umfassender Ansatz zu wählen. Das heißt, dass die verschiedenen Akteure, die mit der Förderung und dem Schutz von Kindern befasst sind, sind miteinander zu vernetzen. Auffällig ist, dass sich trotz Übereinstimmung in der Zielgruppe die Berufsgruppen, deren Arbeitsfeld mit Kindern verbunden ist (z. B. Mitarbeiter der verschiedenen sozialen Einrichtungen), untereinander oft nicht kennen, sodass keine Kommunikation erfolgt. Das führt zu Informationsverlusten, Fehleinschätzungen oder schlichtem Nichthandeln,90 wenn beispielsweise die Fachkraft der Gesundheitshilfe die Hinweise, die ihr vorlagen, fehlinterpretiert und der Arzt die Fachkraft nicht in seinen vollen Kenntnisstand mit einbezieht.91 Eine die Institutionen übergreifende Zusammenarbeit ist nicht nur in akuten Gefährdungsfällen anzustreben. Denn oft setzt in dem Moment, in dem Handlungsmöglichkeiten geschaffen werden eine bewusste Wahrnehmung der Probleme ein.92 Die koordinierte Bildung von Netzwerken zwischen Hebammen, Kinderärzten, Erziehern, der Kinder88

Röchling, FamRz 2007, S. 431, 432. Hümmer, ZfL 2007, S. 46, 47. 90 Bundesfamilienministerium (Hrsg.), Lernen aus problematischen Kinderschutzverläufen, S. 70 ff. 91 Munro, JAmt 2009, S. 136, 137. 92 Katzenstein, JAmt 2009, S. 9, 13. 89

C. Zweite Ebene

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und Jugendhilfe sowie Justiz haben bereits einige Kommunen in Modellprojekten93 beziehungsweise Bundesländer mittels ihrer Kinderschutzgesetze94 auf den Weg gebracht. Strukturierte Kooperationen von Einrichtungen des Gesundheitssystems, sozialen Diensten und anderen staatlichen Kräften (Polizei, Staatsanwaltschaft, Familiengerichten) bieten den Vorteil, dass mehrere Wahrnehmungen das Erkennen von Gefährdungssituationen nicht mehr allein dem Zufall überlassen und zudem auch mehrere Informationen in eine Prognose eingestellt werden können. Die Einschätzung einer Kindeswohlgefährdung kann im Einzelfall so komplex sein, dass die Zusammenarbeit von Berufsgruppen, die auf diese Aufgaben spezialisiert sind, vorteilhaft ist. Sogenannte soziale Frühwarnsysteme95 können dazu beitragen, dass riskante Lebenssituationen von Kindern und Entwicklungsverläufe in belasteten Familien rechtzeitig erkannt werden, weil sich aus der vorhandenen Sachnähe und dem Erfahrungswissen (vgl. § 28 SGB VIII) der beteiligten Professionen bei systemübergreifender Ausgestaltung Synergieeffekte ergeben,96 die inklusive der Möglichkeit, den Betroffenen kombinierte Hilfsangebote zu unterbreiten, helfen, einen privilegierten Zugang zu den Eltern und Kindern zu erhalten und damit Erziehungskatastrophen zu vermeiden.97 Um Verständigungsfehler in den Arbeitsabläufen zwischen den verschiedenen Fachdisziplinen, die aus unterschiedlichen Perspektiven mit Eltern und Kindern arbeiten, zu verringern, sollte zumindest ein Grundrepertoire an gemeinsamer Sprache entwickelt werden,98 und das auch, um Fragen der Wahrnehmung und Risikoeinschätzung bei Kindeswohlgefährdung nach vergleichbaren Standards beantworten zu können. Ein methodisches Vorgehen für die unterschiedlichen Fachkräfte kann in Form 93 Verschiedene Kommunen haben angesichts dramatischer Fälle von Kindesvernachlässigung die Erstellung von Schutzkonzepten veranlasst, um strukturelle Versorgungslücken zu schließen, indem eine bessere Verzahnung von Gesundheitsdiensten und der Kinder- und Jugendhilfe dabei hilft, Risiken für die kindliche Entwicklung frühzeitig zu erkennen, vgl. Bundesfamilienministerium (Hrsg.), Abschlussbericht, Kurzevaluation von Programmen zu Frühen Hilfen für Eltern und Kinder und sozialen Frühwarnsystemen in den Bundesländern. 94 Zur Einrichtung von „lokalen Netzwerken“ vgl. § 3 KindSchuGRH.-Pf. bzw. „Kooperationskreisen“ vgl. § 12 KiSchGSch.-Holst. Jugendämter und Familiengerichte sind aufgefordert daran teilzunehmen. Vgl. auch das Landesprogramm „Schutzengel für SchleswigHolstein – Netzwerke sozialer und gesundheitlicher Hilfen für junge Familien“ in Kreisen und kreisfreien Städten, LT-Drs. 16/1284, Anlage 1 und 2 und die Forderungen der Arbeitsgemeinschaft für Kinder- und Jugendhilfe, Frühe Förderung gefährdeter Kinder, S. 4 ff. 95 Ministerium für Gesundheit, Soziales, Frauen und Familie des Landes Nordrhein-Westfalen (Hrsg.), Soziale Frühwarnsysteme in Nordrhein-Westfalen, Ergebnisse und Perspektiven eines Modellprojektes, S. 13, 32; Hensen, Soziale Frühwarnsysteme in NRW, S. 5 ff. 96 Kindler/Lillig, Schutzauftrag der Jugendhilfe, S. 85, 95. 97 Kalscheuer/Schone, Vernetzung und Kooperation, S. 158, 163. Vgl. Ulmer Aufruf zum Kinderschutz, 2006, als Dokument abrufbar unter www.uni-ulm.de/klinik/kjp/UlmerAufrufzumKinderschutz. 98 Kindler/Lillig, Schutzauftrag der Jugendhilfe, S. 85, 96, 98 ff.; Wiesner, ZKJ 2008, S. 143, 144.

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3. Teil: Systematische Entfaltung eines Maßnahmenkonzepts

von einheitlichen Praxisleitfäden erarbeitet werden.99 Diese stimmen die interdisziplinäre Zusammenarbeit der betreuenden Dienste aufeinander ab, indem sie Zuständigkeitsstrukturen für die verbindliche Abklärung von Verdachtsfällen (Weiterverweisungen, Informationsweitergabe) wie auch verfahrensmäßige Konzepte für ein Krisenmanagement vorgeben, damit im Bedarfsfall koordiniert und konsequent gehandelt werden kann.100 Daneben können weitere Schwachstellen wie nicht bemerkte Anzeichen für die Hilfsbedürftigkeit einer Familie, verpasste Gelegenheiten, um Hilfen anzubieten sowie Probleme im Zusammenwirken von Fachkräften durch gesetzliche Regelungen und Verfahrensvorgaben minimiert werden. Beispielsweise dadurch, dass sich auffällig gewordene Eltern nicht mehr durch einen Wechsel des Wohnortes dem Zugriff des Jugendamts entziehen, sogenanntes „Jugendamts-Hopping“, welches gerade in Grenzregionen beziehungsweise im Umland von Stadtstaaten häufig vorkommt.101

D. Dritte Ebene Das Einschätzen von Gefährdungslagen und die Früherkennung von Risikokonstellationen für Vernachlässigung und Misshandlung können nur dann erfolgreich verlaufen, wenn im Anschluss an die systematische Früherkennung von Risikokonstellationen und Gefährdungslagen auch staatliche Maßnahmen implementiert werden, die der Gefährdung entgegenwirken. Die darauf folgenden Maßnahmen sollten durch eine kontinuierliche Begleitung und Prozesskontrolle anstelle von punktueller Krisenhilfe gekennzeichnet sein. Kommt also eine individuelle Prognose durch einen Jugendamtsmitarbeiter (analog § 8a SGB VIII) zu einer positiven Einschätzung, sind die Eltern ebenso wie diejenigen, deren Kind bereits zum Opfer einer Vernachlässigung geworden ist, durch eine familiengerichtliche Auflage zur Teilnahme an Betreuungsprojekten auf der dritten Ebene zu verpflichten (vgl. Beispielskatalog gemäß § 1666 Abs. 3 BGB).102 Diese Eltern erlernen vermittelt durch die Betreuung einer Familienhebamme beziehungsweise Elternkurse eine alltagsnahe Anleitung zur Kinderpflege, denn Kinder sind darauf angewiesen, dass ihre Eltern sie über Jahre hinweg angemessen versorgen und ihre Grundbedürfnisse nicht nur zeitweise erfüllen.103 Es geht darum, den Eltern 99

Kalscheuer/Schone, Vernetzung und Kooperation, S. 158, 167; Ostler/Ziegenhain, Risikoeinschätzung, S. 67; Willutzki, ZKJ 2008, S. 139, 141 f. 100 Bundesfamilienministerium (Hrsg.), Lernen aus problematischen Kinderschutzverläufen, S. 70 f., 122 ff. 101 Wenn bspw. bundesweit einheitlich die bisher tätige die neu zuständig gewordene Behörde in Form eines Übergabegespräches informieren würde, vgl. BRat-Drs. 59/09, S. 5 und BTag-Drs. 16/12429, S. 10 ff. 102 Schwind, FS Herzberg, S. 945, 961. 103 Ostler/Ziegenhain, Risikoeinschätzung, S. 67, 80.

D. Dritte Ebene

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praktische Ratschläge im Bereich der Pflege und Versorgung der Kinder zu vermitteln, was besonders notwendig ist, wenn die Eltern selbst aus zerrütteten Familienverhältnissen stammen, wo sie nicht erlebt und erlernt haben, wie die Grundregeln für ein Familienleben funktionieren beziehungsweise ein Leben mit Kindern zu organisieren ist.

I. Familienhebamme 1. Praktischer Familienhelfer Eine Familienhebamme104 kann Kernwissen über die Basisbedürfnisse eines Kindes vermitteln,105 indem sie neben Informationen hinsichtlich der Gesundheit, Hygiene, Bekleidung und Ernährung des Kindes den Eltern hilft, den gemeinsamen Tagesablauf mit dem Kind zu strukturieren und Hinweise zu kindlichen Grundbedürfnissen gibt, sodass die Eltern auf die sich verändernden Entwicklungsherausforderungen des Kindes selbstständig reagieren106 und Problemsituationen im alltäglichen Umgang mit ihm eigenständig lösen lernen.107 Den teilnehmenden Eltern wird durch sie eine Art praktischer „Nachbeelterung“ vermittelt.108 Die Kinderschutzfälle der letzten Jahre haben gezeigt, dass selbst Kenntnisse, die unter den Begriff der Pflege (vgl. zum sachlichen Schutzbereich von Art. 6 Abs. 2 S. 1 GG im Vierten Teil B. II.) beziehungsweise des Haushaltens fallen, also die Zubereitung von Mahlzeiten, die Organisation erforderlicher Einkäufe, die Unterstützung der Kinder in schulischen Fragen, Kauf und Reinigung von Kleidung oder die Strukturierung des Alltagsablaufs, häufig nicht bekannt waren. Der Präventionsgedanke soll der Sicherung der elemen-

104 In dem Entwurf zu § 3 Thüringer Kinderschutzgesetz (ThürKindSchG) soll als „weitgehend neues, niedrigschwelliges und präventives Hilfeangebot“ die „Familienhebamme für risikogefährdete Familien“ bedarfsgerecht zur Verfügung gestellt werden. 105 Bislang ist die Tätigkeit und Finanzierung einer Familienhebamme in § 12 SGB V bzw. § 195 f. RVO der gesetzlichen Sozialversicherung geregelt und umfasst Leistungen bis zum zweiten Lebensmonat des Säuglings, wenn ärztliche Betreuung bzw. Hebammenhilfe in Zusammenhang mit der Entbindung notwendig ist. Organisatorisch kann eine Zuordnung der Familienhebamme an die Jugendämter oder an die öffentlichen Gesundheitsämter sinnvoll sein. Für ihre dauerhafte Implementierung plädiert auch Wagener, FamRZ 2008, S. 457. 106 Vgl. das in Bremen, Niedersachsen und Sachsen durch die Stiftung „Pro Kind“ implementierte Hausbesuchsprogramm, das sich zum Ziel gesetzt hat schwangere Frauen aus sozial prekären Lagen und ihre Familien sowie das gesunde Aufwachsen des Kindes durch Angebote zu unterstützen. Online abrufbar unter www.stiftung-pro-kind.de. Mehrere Hebammenprojekte waren auch Bestandteil des vom Bundesfamilienministerium unterstützten Forschungsprogramms, Bundesfamilienministerium (Hrsg.), Abschlussbericht, Frühen Hilfen, S. 109, 114, 122, 130. Informationen sind ebenfalls abrufbar unter www.familienhebamme.de; www.familiengesundheitspflege.de; www.eine-chance-fuer-kinder.de. 107 Ostler/Ziegenhain, Risikoeinschätzung, S. 67, 75. 108 Blum-Maurice, Die Wirkungen von Vernachlässigung auf Kinder, S. 113, 126; Kindler, Prävention von Vernachlässigung, S. 94, 100 f.

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3. Teil: Systematische Entfaltung eines Maßnahmenkonzepts

taren Grundbedürfnisse von Kindern109 dienen und damit ein pflegerisches Minimum sicherstellen. Die Vorteile einer Familienhebamme sind vielgestaltig. Es gibt eine Evidenz dafür, dass aufsuchende Hilfe von Hochrisikofamilien durch ausgebildetes Personal helfen kann, Kindesmisshandlung und -vernachlässigung vorzubeugen.110 Dadurch, dass die Eltern zu Hause, das heißt in deren eigenem Umfeld, aufgesucht werden, wird einer Überforderung durch externe Amtsbesuche sowie möglichen Rückzugstendenzen entgegengewirkt, und die Eltern erleben das bestärkende Gefühl, selbst die Fürsorgeaufgabe für ihr Kind zu bewältigen.111 Zweitens beinhaltet ihre Leistung, als ein konkreter Ansprechpartner zu fungieren, der auf individuelle Fragen eingeht und bei der Beratung und Unterstützung hauswirtschaftlicher und alltagspraktischer Fragen mitwirkt.112 So kann die Familienhebamme etwa auf die Einlösung eines überfälligen Arztbesuches, auf die Mithilfe bei der Suche nach einem Kindergartenplatz oder auf die Unterstützung der Eltern für schulische Belange des Kindes hinwirken.113 Es erfolgt also – vergleichbar mit der sozialpädagogischen Familienhilfe gemäß § 31 SGB VIII („Hilfe zur Selbsthilfe“) – eine intensive Anleitung und praktische Beratung aus einer Hand114 – eine Hilfeleistung, die bis heute großen Zuspruch erfahren hat.115 Häufig wird ein ganzheitlicher Ansatz notwendig sein, weil auch die übrige Lebenssituation der Eltern defizitär ist (Kinderreichtum, Arbeitslosigkeit, geringe gesellschaftliche Integration durch Migrationshintergrund oder belastende erzieherische, persönliche Problemsituation wie Alleinerziehendenstatus). Ergänzend kann je nach Bedarf weitere alltagspraktische Unterstützung gesucht werden.116 Insbesondere Eltern, die unter Partnerschaftsgewalt oder an psychischen oder Suchterkrankungen leiden, benötigen oftmals eine weit über die Förderung der Erziehungsfähigkeit hinausgehende Hilfe, um Stress- und Überforderungssituationen durch ergänzende Spezialdienste zu minimieren.117 In der Arbeit mit ihnen ist der darüber hinausgehende Einsatz weiterer qualifizierter Fachkräfte empfehlenswert.118 109 Gemäß der UN-Kinderkonvention (BGBl. 1992 II, S. 121, 990 ff.) sind das insbesondere Liebe, Zuwendung, Akzeptanz, stabile Bindung, Versorgung, Körperpflege, Gesundheitsfürsorge, Schutz vor Gefahren, geistige und soziale Bildung. 110 Ziegenhain, Beziehungs- und Erziehungskompetenz, S. 119, 123. 111 Kalscheuer/Schone, Vernetzung und Kooperation, S. 158, 170. 112 Dibbern, Zwischen Hilfe und Kontrolle, S. 187 f., 190 f., mit einem Fallbeispiel zur Arbeit von professionellen „Ersatz-Eltern“. 113 Die Familie gemäß § 31 SGB VIII „im Kontakt mit Ämtern und Institutionen“ unterstützen, bspw. die Eltern, wenn nötig, zu einer Schuldnerberatung bewegen. 114 Frings, JAmt 2008, S. 461 ff.; Schäffner/Wulf/Reich, ZKJ 2008, S. 64, 65; Schellhorn, SGB VIII, § 31 Rdnr. 1–4; Wiesner, in: ders., SGB VIII, § 31 Rdnr. 11. 115 Wagener, FamRZ 2008, S. 457, 461. 116 Kindler, Prävention von Vernachlässigung, S. 94, 100 f. 117 Ziegenhain, Beziehungs- und Erziehungskompetenz, S. 119, 123 f.; Kindler/Spangler, Wirksamkeit ambulanter Jugendhilfemaßnahmen, S. 101 ff. 118 Ziegenhain, Beziehungs- und Erziehungskompetenz, S. 119, 123.

D. Dritte Ebene

109

2. Wöchentliche Hausbesuche Die Familienhebamme würde die Eltern über einen längeren Zeitraum mit wöchentlichen Hausbesuchen begleiten.119 Die Häufigkeit und Kontinuität des Hilfeprozesses kann dabei vom Alter des Kindes beziehungsweise von der Art und dem Umfang der Gefährdung variieren; die Besuche sollten aber über die Dauer von einem Jahr zumindest einmal in der Woche stattfinden. Dies empfiehlt sich gerade bei Eltern, denen die Aussicht, im weiteren Verlauf der Kindesentwicklung nicht allein zu sein und eine länger dauernde Hilfestellung zu erfahren, ein sicherndes Gefühl vermittelt. Die laufenden Hausbesuche festigen zudem den Kontakt zwischen den Beteiligten, der zum Gelingen der Kooperation beiträgt. Aufsuchende Hilfen sind im Gegensatz zu sogenannten „Komm-Strukturen“, die eine hohe Eigenaktivität der Eltern voraussetzen und deshalb mit Blick auf „Risikoeltern“ unzureichend sind, vorteilhafter, auch weil sie Schwellenängste der Eltern gegenüber Behörden abbauen. Die Hilfsaufgabe der Familienhebamme gegenüber den Eltern umfasst die zwei Elemente der Schutz- und Kontrollfunktion.120 Sie kann – ausgestattet mit staatlicher Autorität – kontrollieren, ob die Eltern (wieder) in der Lage sind, das Kind adäquat zu versorgen. Allein ihre Präsenz in einer Familie erhöht die Entdeckungswahrscheinlichkeit von Gefahren, die dem Kind ohne alters- und entwicklungsorientierte Pflege drohen, und sie kann zur Deeskalation von Spannungen beitragen, sodass negative kindliche Entwicklungsverläufe frühzeitig gestoppt werden. Kann sie innerhalb eines Jahres keine signifikanten Fortschritte in dem elterlichen Erziehungsverhalten feststellen oder drohen dem Kind akute Gefahren, kann sie die notwendigen Schritte durch Herausnahme des Kindes im Wege der Anrufung des Familiengerichts beziehungsweise durch dessen unverzügliche Inobhutnahme organisieren (vierte Ebene).

II. Obligatorische Elternkurse Eine Kombination aus Hausbesuchen durch eine Familienhebamme, die konkrete, individuelle Hilfe bietet, und einer gleichzeitigen Teilnahme an Gruppentreffen würde der Nachhaltigkeit der Maßnahmen der dritten Ebene zuträglich sein.121 Kumulativ stattfindende Elternkurse,122 die entweder zielgruppenspezifisch auf Risiko-Elterngruppen (unerwünschte Schwangerschaften bei sehr jungen Müttern, Kinder mit Behinderungen, depressive und suchtkranke Eltern) zugeschnitten sind oder 119 Vgl. Meysen/Schönecker, FamRZ 2008, S. 1498, 1503 die mit Blick auf die jetzige Rechtslage eine über zwei Monate hinausgehende Hebammenbetreuung als sinnvoll betrachten. 120 Kalscheuer/Schone, Vernetzung und Kooperation, S. 158, 167 ff. 121 Schneewind, FS Lampert, S. 25, 35; Wahl/Saan, Resümee und Ausblick, S. 139, 147, 150. 122 Einen Überblick bieten Quindel, Elternführerschein, S. 61, 62; Wahl/Saan, Resümee und Ausblick, S. 139, 146.

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3. Teil: Systematische Entfaltung eines Maßnahmenkonzepts

Angebote mit speziellen Elterntrainingsprogrammen, beispielsweise für gewalttätige Eltern, bereithalten,123 können zusätzlich implementiert werden. Die Teilnahme ist durch die Familienhebamme zu überprüfen. Ziel der Kurse sollte auch hier die Verbesserung der elterlichen Fürsorgefähigkeit sein, um letztlich die körperliche und psychosoziale Gesundheit der Kinder zu stärken.124 Im günstigsten Fall kann auch die Eltern-Kind-Interaktion positiv gefördert werden, weil die Eltern Problembewusstsein und Veränderungstendenzen entwickeln, sodass sie selbst motiviert sind, sich aktiv für ihr Kind zu engagieren. Zwei in Deutschland evaluierte Kursprogramme sind „Starke Eltern – Starke Kinder“ und „STEEP“.125 Beide setzen auf eine Beteiligung des Kindes. In Finnland126 konzipiert und vom deutschen Kinderschutzbund übernommen ist das Konzept „Starke Eltern – Starke Kinder“, das verstärkt den Kontakt zwischen Eltern und Kindern berücksichtigt. Es soll eine verständnisvolle, gewaltfreie Erziehung unterstützen.127 Ähnlich funktioniert das aus den USA stammende Frühinterventionsprogramm 123 Zielgruppengenau kann aus dem Angebot verschiedener Kurse, die bereits auf dem Markt existieren, gewählt werden. Vgl. Programmbeschreibungen bei, Deutsches Jugendinstitut (Hrsg.), IKK-Nachrichten 1–2/2005, S. 11; Tschöpe-Scheffller, Sigrid, Elternkurse auf dem Prüfstand. Wie Erziehung wieder Freude macht, Opladen 2003; dies., Konzepte der Elternbildung, eine kritische Übersicht, Opladen 2005; dies. (Hrsg.), Perfekte Eltern, funktionierende Kinder, Opladen 2006; Wahl/Hees, Helfen „SuperNanny“ und Co.?, Ratlose Eltern – Herausforderung für die Elternbildung, Weinheim 2006. 124 Ziegenhain, Beziehungs- und Erziehungskompetenz, S. 119, 122; Schneewind, FS Lampert, S. 25, 30 f.; Schäffner/Reich/Wulf, ZKJ 2008, S. 64, 65. 125 In der Regel dauern die Kurse zwischen fünf und fünfzehn Sitzungen. Andere Beispiele sind der aus Israel stammende Kurs „HIPPY“ (Home Instruction Programme for Preschool Youngsters), der die Sprachkompetenzen von Kindern und Müttern ausländischer Herkunft fördert. Zur wichtigsten Lehrerin für das Kind wird die eigene Mutter, die, unterstützt durch Laienhelfer derselben Nationalität, beim Umgang mit Betreuungseinrichtungen, Behörden und Schulen helfen und durch Gruppentreffen eine soziale Integration aufbauen (www.hippyusa.org); Wahl/Saan, Resümee und Ausblick, S. 139, 146. Als „Türöffner“ für sozial benachteiligte Eltern mit zweijährigen Kindern funktioniert das ursprünglich aus den Niederlanden stammende Programm „Opstapje – Schritt für Schritt“. Durch Gruppentreffen wird die Möglichkeit zur sozialen Integration für Familien mit Migrationshintergrund geschaffen und ihnen wird durch Hausbesuche von Laienhelfern über die Dauer von eineinhalb Jahren gezeigt, wie sie die Eltern-Kind-Beziehung stärken können, DJI (Hrsg.), Projekt Opstapje, Programmbeschreibung und Zusammenfassung. 126 In Finnland werden alle Familien regelmäßig von Familienberatern zu Hause aufgesucht („Neuvola-System“). Schon werdenden Eltern stattet die Familienberatung vor der Geburt des Kindes einen Besuch ab und versorgt sie mit allen notwendigen Hintergrundinformationen über Schwangerschaft und Geburt. Sie werden mit einem kommunalen Netz für junge Eltern bekannt gemacht. Für einige Wochen oder Monate nach der Geburt findet eine intensive Betreuung durch die Hebamme statt, die mit der Familienberatung zusammenarbeitet. Bis zum Ende des dritten Lebensjahrs des Kindes besucht die Familienberatung die Familien viermal im Jahr, danach zweimal jährlich. Diese Besuche dienen dazu, die Eltern bei Fragen zu Fürsorge und Kindererziehung zu informieren und die elterliche Erziehungskompetenz zu verbessern, um so eine optimale Förderung und Versorgung der Kinder zu ermöglichen. 127 Informationen abrufbar unter, www.starkeeltern-starkekinder.de.

E. Vierte Ebene

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„STEEP“ (Steps towards effective, enjoyable parenting), das – angelehnt an bindungstheoretische Methoden – die Eltern dazu anleitet, sensibler auf die Signale ihres Kindes zu reagieren, um mit ihm besser interagieren zu können.128 Die beispielsweise vierzehntägig stattfindenden Eltern-Kind-Treffen bieten die Gelegenheit zum Austausch mit anderen Teilnehmern und der gegenseitigen Beratung. Hier können Möglichkeiten für neue Kontakte entstehen, die aus einer sozialen Isolation herausführen oder ihr entgegenwirken, indem soziale Netzwerke aufgebaut werden. Bei den Programmaktivitäten ist handlungsbezogenen Schwerpunkten (z. B. Spielaktivitäten), die mehr die Interaktion mit dem Kind anregen, gegenüber theoretischen, zu verbal oder diskursiv fokussierten Demonstrationen der Vorzug zu geben.129

E. Vierte Ebene Auf der vierten Ebene erfolgt die Trennung des Kindes aus der Familie, wenn feststeht, dass die Eltern versagen oder das Kind aus anderen Gründen zu verwahrlosen droht (vgl. Art. 6 Abs. 3 GG). Wenn dieser neuralgische Punkt überschritten ist, ist in jedem Fall die Herausnahme des Kindes aus seiner Familie durch das Familiengericht gemäß §§ 1666, 1666a BGB zu verfügen und dessen Unterbringung in einem Pflegeheim oder bei einer Pflegefamilie anzuordnen. Die Trennung, also die räumliche Herausnahme eines Minderjährigen aus der Gemeinschaft seiner Familie,130 ohne oder gegen den Willen der Erziehungsberechtigten131, gemäß Art. 6 Abs. 3 GG ist der stärkste vorstellbare Eingriff in das Elternrecht (ultima ratio).132 Die Trennung eines Kindes darf daher nur dann erfolgen, wenn einer Gefährdung des Kindeswohls in keiner anderen Art und Weise begegnet werden kann.133 Der Eingriff erfordert eine gesetzliche Grundlage und materiell-rechtlich das Versagen der Erziehungsberechtigten.134 Darunter ist eine schwerwiegende oder erhebliche Gefährdung des Kindeswohls zu verstehen, etwa bei schwerwiegenden Straftaten.135 Auch dann, wenn das Kind zu verwahrlosen droht, also seine kör128 Kißgen/Suess, Frühförderung Interdisziplinär, S. 124 ff.; Suess, STEEP, S. 28 ff. Bundesfamilienministerium (Hrsg.), Abschlussbericht, Frühe Hilfen, S. 107. 129 Quindel, Elternführerschein, S. 61, 68. 130 Damit sind bspw. sorgerechtliche Verkehrsregelung keine Trennungen i.S.v. Art. 6 Abs. 3 GG, BVerfGE 31, 194 (210). 131 Zur Begriffsdefinition vgl. Burgi, HdbGR IV, § 109 Rndr. 17. 132 BVerfGE 24, 119 (139 ff.). Keine Trennung stellt dagegen eine sorge- oder umgangsrechtliche Regelung, BVerfGE 31, 194 (210) oder eine aufenthaltsbeendende Behördenmaßnahmen dar, BVerfGE 76, 1 (48); Robbers, in: Mangoldt/Klein/Starck, GG, Art. 6 Rdnr. 260, 269. 133 BVerfGE 24, 139, (142); 60, 79 (88). 134 Erziehungsberechtigte sind sowohl die sorgeberechtigten Eltern(-teile) als auch der Vormund und die Pflege- bzw. Stiefeltern BVerfGE 79, 51 (60). 135 BVerfGE 107, 104 (118).

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3. Teil: Systematische Entfaltung eines Maßnahmenkonzepts

perliche, seelische oder geistige Entwicklung derart hinter die durchschnittliche Entwicklung von Altersgenossen zurückfällt und zur Vermeidung weiterer Nachteile für das Kind nur eine Trennung in Frage kommt, sind Eingriffe in das elterliche Erziehungsrecht gemäß Art. 6 Abs. 3 GG gerechtfertigt.136 Bei Bestimmung des Begriffes der Verwahrlosung ist das individuelle familiäre Umfeld zu beachten. Je nach Herkunft ist zu beurteilen, was normal beziehungsweise normabweichend ist und ab wann eine Verwahrlosungssituation vorliegt. Die Trennung selbst ist unter strikter Anwendung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes durchzuführen.137 Das bedeutet, dass allein die Herausnahme das Kind vor einer weiteren Gefährdung schützen kann; anderenfalls ist das Kind in der Familie zu belassen. Wenn beispielsweise eine erneute Kindeswohlgefährdung durch andere Interventionsmaßnahmen, wie der Verweisung des störendenden Elternteils aus der Wohnung oder im Extremfall dessen Inhaftierung, abgewendet werden kann, so dass das Kind in seiner vertrauten Umgebung bleiben kann,138 scheidet eine Trennungsmaßnahme aus. Entsprechend des Ausnahmecharakters einer Herausnahme des Kindes aus seiner gewohnten familiären Einbindung muss zudem eine individuelle Prüfung ergeben, dass deren Folgen für das Kind mit hoher Wahrscheinlichkeit zu einer Verbesserung seiner altersgerechten Persönlichkeitsentwicklung beitragen. Demnach entfällt die Möglichkeit einer Herausnahme, wenn nur eine unsichere Prognose hinsichtlich ihrer Kindeswohltauglichkeit besteht.139

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Jestaedt, in: BK, Art. 6 II u. III, Rdnr. 243. So gehen zeitlich begrenzte Trennungen unbegrenzten Maßnahmen vor, BVerfGE 60, 79 (88); 79, 51 (60); BGHZ 133, 384 (388). 138 Schäffner/Reich/Wulf, ZKJ 2008, S. 64, 66. 139 Jestaedt, in: BK, Art. 6 II u. III Rdnr. 252. 137

Vierter Teil

Das Elterngrundrecht in herkömmlicher Interpretation Bei der Betrachtung des verfassungsrechtlichen Elternrechts ist in gewisser Weise eine Distanzierung von den bekannten Strukturen der grundgesetzlichen Freiheitsrechte geboten.1 Soweit die Grundrechtsdogmatik um die dichotome Achse der Interessen von Bürger und Staat konzipiert ist, kann diese Gestaltung im Rahmen des Art. 6 Abs. 2 GG nur bedingt gelten. Zwar ist auch das Elternrecht klassischerweise als Abwehrrecht konzipiert,2 aber nicht nur das Verhältnis zum Staat setzt rechtliche Determinanten. Die Lebensgemeinschaft von Eltern und Kindern bildet den Kerngehalt des grundgesetzlich garantierten Schutzraumes.3 Die Verfassung greift diese Besonderheit durch den Ausdruck von „Pflege und Erziehung“ auf.4 Das Eltern-KindBinnenverhältnis ist sowohl für das Individuum als auch für die staatliche Gemeinschaft von Bedeutung,5 weshalb Art. 6 Abs. 2 GG auch als Institutsgarantie und objektive Wertentscheidung wirkt.6 Die mehrpolaren Bindungen7 bedingen zudem strukturelle Besonderheiten,8 so sind etwa die Eltern Grundrechtsträger von Art. 6 Abs. 2 S. 1 GG, eigentlicher Begünstigter der staatlichen Schutzgewähr ist aber das Kind.9 Im staatlichen Wächteramt gemäß Art. 6 Abs. 2 S. 2 GG fallen sodann, abweichend von der herkömmlichen Trennung, die grundrechtliche Abwehr- und Schutzpflichtkomponente zusammen.10

1 Das Elternrechts ist eine „Verfassungsfrage von größter Komplexität“, Zacher, HdbStR VI, 2. Aufl., § 134 Rdnr. 1. 2 BVerfGE 4, 52 (57); 24, 119 (138). 3 Von Münch, HdbVerfR, § 9 Rdnr. 16. 4 Umbach, FS Geiger, S. 359, 364. 5 „Mit Art. 6 GG wird der Mensch von seiner sozialen Seite her, als Teil der Gemeinschaft, betrachtet“, Peters, Die Grundrechte IV/1, S. 369, 373. 6 St. Rspr., vgl. BVerfGE 4, 52 (57); 84, 168 (179) und h.M., vgl. Stern, StaatsR IV/1, S. 509 Fn. 759. 7 Stern, StaatsR IV/1, S. 507; Jestaedt, in: BK, Art. 6 II u. III Rdnr. 7. 8 Ossenbühl, FamRZ 1977, S. 533; ders., DÖV 1977, S. 381, 384. 9 BVerfGE 55, 171 (179). 10 Zum Schutzpflichtcharakter, BVerfGE 24, 119 (144); 72, 122 (134); 99, 145 (157); 103, 89 (107); Badura, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 6 Rdnr. 135; Stern, StaatsR IV/1, S. 507.

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4. Teil: Das Elterngrundrecht in herkömmlicher Interpretation

A. Historische Determinanten des Elterngrundrechts I. Weimarer Reichsverfassung Die Garantie des elterlichen Erziehungsrechts gehört nicht zum Katalog der klassischen Freiheitsrechte wie die Menschenwürde oder der Schutz des Eigentums. Vergeblich ist sie als Grundrecht in der Frankfurter Nationalversammlung im Jahr 1848 eingefordert worden; als erster Verfassungstext überhaupt nahm die Weimarer Reichsverfassung (WRV)11 in Art. 120 WRV eine eigene Bestimmung hierzu auf.12 Dass es doch zur Aufnahme einer verfassungsrechtlichen Garantie gekommen ist, zeigt wie auch für das Jahr 1949, dass sie als Antwort auf Gefährdungen für erforderlich gehalten worden ist:13 Veranlassung zur Aufnahme des Elterngrundrechts in den Verfassungskompromiss von Weimar waren hauptsächlich konservative Meinungsbilder.14 Diese richteten sich gleichermaßen gegen eine „sozialistische Gemeinschaftserziehung“, die unter dem Verdacht stand, die Jugenderziehung „unter Sprengung des Familienverbandes zur Staatssache“ machen zu wollen, wie sie auch durch eine anti-klerikale Einstellung gekennzeichnet waren, welche zu verhindern suchte, dass das Erziehungs- und Bildungsrecht durch die (katholische) Kirche vereinnahmt würde.15 Der Weimarer Verfassungsrechtssatz ist also ebenso wie später Art. 6 Abs. 2 und 3 GG unter dem Eindruck von Ressentiments entstanden.16 In gewisser Hinsicht bestehen also Parallelen zwischen dem Weimarer Verfassungssatz und Art. 6 Abs. 2 GG. Bei der Heranziehung von Art. 120 WRV als Auslegungshilfe von Art. 6 Abs. 2 GG ist jedoch zu beachten, dass neben sprachlichen und systematischen Unterschieden die Normen in voneinander vollständig verschiedenen Verfassungskontexten stehen.17 11

Verfassung des Deutschen Reiches vom 11.08.1919 (RGBl., S. 1383). „Für die Erhellung des elterlichen Erziehungsrechts als Grundrecht“ sei es daher nicht geboten „über die Weimarer Verfassung hinaus zu blicken“, Ossenbühl, Erziehungsrecht, S. 18. Ebenso Böckenförde, Essener Gespräche 14 (1980), S. 54, 56 f. 13 Campenhausen, VVDStRL 45 (1987), S. 8, 11. 14 Campenhausen, VVDStRL 45 (1987), S. 8, 12. 15 Holstein, AöR n. F. 12 (1927), S. 187, 190 ff., 235 ff.; Anschütz, Verf. Dt. Reich, Art. 120 Anm. 1 u. 2; Heppes, Grenzen des Elternrechts, S. 45 benennt als weiteren Grund für die verfassungsrechtliche Festschreibung der Elternrechte die allgemein krisenhaften Zeitumstände nach Ende des Ersten Weltkrieges. Innerhalb des zerbrechenden Obrigkeitsstaates verschwanden sicher geglaubte Gewissheiten und Bindungen lösten sich auf. 16 Andererseits zeigen die Verfassungsberatungen der Nationalversammlung, dass erstaunlich wenig über den konkreten Sinn hinsichtlich des Vorschlags, den Schutz von Ehe und Familie in die Verfassung aufzunehmen, diskutiert worden ist, Schwab, FS Bosch, S. 839, 894 ff., 906, dort Fn. 68. 17 Peters, Die Grundrechte IV/1, S. 369 (372); Böckenförde, Essener Gespräche 14 (1980), S. 54, 58; Ossenbühl, Erziehungsrecht, S. 36 f.; Jestaedt, in: BK, Art. 6 II u. III Rdnr. 2. 12

A. Historische Determinanten des Elterngrundrechts

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Das Elternrecht ist in der Weimarer Reichsverfassung an den Anfang des zweiten Teils („Das Gemeinschaftsleben“) im zweiten Grundrechtsabschnitt („Grundrechte und Grundpflichten der Deutschen“) gestellt worden. Die systematische Stellung Art. 120 WRV zeigt, dass weder das Individuum noch der Familienverband gesellschaftspolitisch verselbstständigt, sondern Teile der hierarchisch gegliederten Gesamtordnung des Staates waren. Bis in die Mitte des 19. Jahrhunderts war die Familie ein Teil des „absoluten oder öffentlichen Recht[s]“, also der staatlichen Gesamtordnung.18 Der Kollektivverband genoss Vorrang vor dem Individualprinzip, weshalb auch Art. 120 WRV lediglich als Institutsgarantie verstanden worden ist; zum Teil ist der Norm der Charakter eines subjektiven (Eltern-)Rechts ganz abgesprochen worden.19 Dagegen betont die systematische Stellung von Art. 6 Abs. 2 GG dessen individualfreiheitsrechtliche Verbürgung, vgl. Art. 1 Abs. 3 GG.20 Entsprechend traditioneller Vorstellungen war die Bestimmung zur elterlichen Erziehungsgewalt als „zweiter Grundpfeiler der Familie“21 neben diejenigen Normen zur Ehe (Art. 119 WRV) und weiteren familienbezogenen Normen (Art. 121 und 122 WRV) gestellt worden. Das Schulrecht ist separat in den Art. 142 bis 150 WRV grundgelegt worden. Dagegen fasst Art. 6 GG die Bestimmungen zu Ehe-, Familie- und Elternrechten in nur einer Verfassungsnorm zusammen und weist auch ein unmittelbares Nachbarverhältnis zum Schulrecht in Art. 7 GG auf. Während die Vorgabe elterlicher Erziehungsziele dem grundgesetzlichen Elternrecht wesensfremd ist, weil sie im Jahr 1949 zu sehr an die Ideologie von einer Volksgemeinschaft erinnert hätte, waren im Jahr 1919 Erziehung und Bildung noch einigermaßen selbstverständlich auf die Nation bezogen. Sehr deutlich bestimmte Art. 120 WRV, dass die elterliche „Erziehung des Nachwuchses zur leiblichen, seelischen und gesellschaftlichen Tüchtigkeit“22 zu erfolgen habe. Anders als der heutige Verfassungswortlaut war in der Weimarer Verfassungsnorm gemäß Art. 120 WRV die „oberste Pflicht“ zur Erziehung des Nachwuchses dem „natürlichen Recht der Eltern“ vorangestellt.23 Die heute umgekehrte Reihenfolge betont, angesichts des noch zu schildernden staatlichen Missbrauchs der Erziehungsrechte unter den Nationalsozialisten indes den Vorrang der elterlichen Erziehungstä-

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Holstein, AöR n. F. 12 (1927), S. 187, 211. Gegen einen Anspruchscharakter, Huber, Deutsche Verfassungsgeschichte, Band IV, S. 107 f. Mit dem Recht zur ausschließlichen Gestaltung des Elternrechts durch den Staat, Anschütz, Verf. Dt. Reich, Art. 120 Anm. 2 u. 3. 20 Vgl. nur Böckenförde, Essener Gespräche 14 (1980), S. 54, 57. 21 Anschütz, Verf. Dt. Reich, Art. 120 Anm. 1. 22 Gemäß § 108, II, 2 PrALR sollten die Eltern ihre Kinder „zu künftigen brauchbaren Mitgliedern des Staates“ erziehen. 23 Böckenförde, Essener Gespräche 14 (1980), S. 54, 57; Zacher, HdbStR VI, 2. Aufl., § 134 Rdnr. 17; Jestaedt, in: BK, Art. 6 II u. III Rdnr. 2. 19

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tigkeit als zu schützendes Rechtsgut24 und zeigt dadurch an, dass das Grundgesetz ein anderes Leitbild von Ehe, Familie und Eltern-Kind-Beziehung vertritt. In Art. 120 WRV kann aber durchaus ein Wegbereiter für das staatliche Wächteramt gemäß Art. 6 Abs. 2 S. 2 GG gesehen werden. Die Aufgabe der „staatliche[n] Gemeinschaft“ war bereits gemäß Art. 120 WRV darauf beschränkt, die innerfamiliäre „Erziehung des Nachwuchses“ bloß zu „überwachen, nicht aber [zu] übernehmen“.25 Überdies legte Art. 122 Abs. 2 WRV ausdrücklich fest, dass die Jugend vor „Ausbeutung sowie gegen sittliche, geistige und körperliche Verwahrlosung“ zu schützen sei. Daneben erteilte Art. 122 Abs. 1 S. 2 WRV dem Staat und den Gemeinden den Auftrag, die dafür „erforderlichen Einrichtungen“ zu schaffen, womit aber lediglich staatliches Handeln mit Einverständnis der Eltern gemeint war, denn gemäß Art. 122 Abs. 1 S. 3 WRV bedurften „Fürsorgemaßnahmen im Wege des Zwanges“ einer gesetzlichen Grundlage.

II. Zeit des Nationalsozialismus Während der nationalsozialistischen Herrschaft sind die von den Eltern wahrgenommenen Funktionen, namentlich ihre Erziehungsaufgaben, von öffentlicher Seite nicht nur in besonderen Fällen, sondern im Allgemeinen ersetzt und damit inhaltlich entwertet worden.26 Zwar ist das überkommene Herrschaftsrecht des deutschen Vaters aufrechterhalten und der Frau als Mutter weiterhin die häusliche Kindererziehung zugeordnet worden; aber die Eltern sind zu einem Teil der „Volksgemeinschaft“ gemacht worden, deren Funktion als eine Art Treuhänder für das Aufbringen des nationalen Nachwuchses betrachtet worden ist.27 Dieses Konzept kulminierte darin, dass „rassisch wertvolle Kinder“ von ihren „fremdvölkischen Eltern“ getrennt wurden.28 Die Einordnung des Einzelnen in das nationalsozialistische Staats- und Gesellschaftskonzept, um ihn zu instrumentalisieren („Du bist nichts, dein Volk ist alles“) und letztlich für den Kriegseinsatz29 verfügbar zu machen,30 zeigte sich im ob-

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Hill, RdJB 1972, 136, 137. Holstein, AöR n. F. 12 (1927), 187 ff.; Hodes, Elternrecht und Staatsbefugnis, S. 75 ff.; Anschütz, Verf. Dt. Reich, Art. 120 Anm. 1. 26 Ramm, Jugendrecht, S. 78; ders., Familienrecht, S. 250 f. 27 Ramm, Jugendrecht, S. 88, 160; ders., Familienrecht, S. 187, 192; Heppes, Grenzen des Elternrechts, S. 49 f. 28 Organisationen wie der „Lebensborn e.V.“ institutionalisierten diese „Menschen- bzw. Führungsauslese“. Daneben existierten zur „Elitenbildung“ die nationalpolitischen Anstalten, Adolf-Hitler-Schulen und sog. Ordensburgen, vgl. Ramm, Familienrecht, S. 185 ff., 189; ders., Jugendrecht, S. 84 f. 29 Das Reichswehrgesetz vom 21.05.1935 (RGBl. I, S. 609) verpflichtete zu einer aktiven, zwei Jahre dauernden Wehrpflicht. 25

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rigkeitlichen Zugriff auf die Erziehung der Kinder und Jugendlichen von einem frühestmöglichen Zeitpunkt an.31 Dazu wirkte ab 1936 die Hitlerjugend neben der Schule32 und dem Reichsarbeitsdienst33 als umfassende Sozialisationsagentur, die die Grundsteine für das „Vertrauen in die Führung“ legen sollte. Die Präambel des Hitlerjugendgesetzes stellt die Bedeutung der Organisation für die Machthaber klar heraus, „Von der Jugend hängt die Zukunft des deutschen Volkes ab. Die gesamte deutsche Jugend muß deshalb auf ihre künftigen Pflichten vorbereitet werden“.34 Aus Sicht der Minderjährigen erschien die Mitgliedschaft nicht unerstrebenswert, weil die NS-Jugendorganisation neben einer Vielzahl an Aktivitäten wie Sportprogrammen und Jugendlagern35 im Gegensatz zur gewohnten Autorität des Elternhauses und konventioneller Institutionen wie der Kirche ein scheinbares Mehr an Freiheit und Unabhängigkeit bot und nicht durch Traditionen und Tabus belastet war. Zudem verhieß das neue Gefüge in einer Zeit anhaltender Wirtschaftskrisen und Zweifel hinsichtlich der eigenen sozialen Stellung Sicherheit und die Möglichkeit zum sozialen Aufstieg.36 Durch die manipulative Ideologisierung ist den Jugendlichen eine Art eigener „Identität“ vermittelt worden und auch, wenn „Jugend von Jugend geführt“ worden ist, entschied doch ein enges Netz vorgeschriebener Verhaltensnormen, ähnlich militärischer Reglements, wohin zu führen war. Am Ende war beinahe die gesamte deutsche Jugend diesem staatlichen „Erziehungsträger“ (zwangsweise)37 beigetreten.38 30

Ramm, Jugendrecht, S. 89; ders., Familienrecht, S. 188; Gamm, Pädagogik des Nationalsozialismus, S. 19; Heppes, Grenzen des Elternrechts, S. 49; Kannonier-Finster, Eine Hitler-Jugend, 2004; Klönne, Jugend im Dritten Reich, S. 305 ff., 308. 31 Gestuft ist die systematische Herauslösung des Einzelnen aus seiner Familie durch den NS-Kindergarten, die Schule, das Deutsches Jungvolk bzw. den Jungmädelbund für die 8- bis 14-Jährigen, danach der Hitlerjugend bzw. dem Bund deutscher Mädel erfolgt. Daran schlossen sich das sog. Landjahr, Arbeitsdienst bzw. die Wehrpflicht an, Heppes, Grenzen des Elternrechts, S. 49; Ramm, Jugendrecht, S. 79. 32 Reichsschulpflichtgesetz vom 06.07.1938 (RGBl. I, S. 799), das die allgemeine Schulpflicht zur Sicherung der „Erziehung und Unterweisung der deutschen Jugend im Geiste des Nationalsozialismus“ verstand gemäß § 1 Abs. 1 S. 2. 33 Das Reichsarbeitsdienstgesetz vom 26.06.1935 (RGBl. I, S. 769) verpflichtete alle „Jungen und Mädchen“ zwischen 18 und 25 Jahren zur Ableistung einer halbjährigen Arbeitsdienstpflicht. 34 Gesetz vom 01.12.1936 (RGBl. I, S. 993). § 2 des Hitler-Jugend-Gesetzes gab als Erziehungsziel vor, dass „Die gesamte deutsche Jugend […] körperlich, geistig und sittlich im Sinne des Nationalsozialismus zum Dienste am Volk und zur Volksgemeinschaft zu erziehen“ ist. Daneben forderte § 1 der Jugendwohlfahrts-Verordnung den „körperlich und seelisch gesunden, sittlich gefestigten, geistig entwickelten, beruflich tüchtigen deutschen Menschen, der rassebewusst in Blut und Boden wurzelt und Volk und Reich verpflichtet und verbunden ist.“ 35 Wie stark die NS-Jugendorganisationen die einzelnen Segmente des Zivillebens durchdrungen haben, schildert Buddrus, Totale Erziehung für den totalen Krieg, Berlin 2003. 36 Klönne, Jugend im Dritten Reich, S. 304. 37 § 2 der 2. Durchführungsverordnung zum Hitler-Jugend-Gesetz vom 25.03.1939, Ramm, Jugendrecht, S. 79 f.

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Um sein Monopol der kollektivistischen Kinder- und Jugenderziehung abschließend zu sichern, verbot der NS-Staat alle anderen Jugendorganisationen beziehungsweise löste die bestehenden konfessionellen, politischen und autonomen Verbände auf.39 Die Vielzahl an staatlichen Vorgaben und die Eingliederung der Kinder in den staatlichen Erziehungsapparat stellte eine extreme Form der Durchlöcherung der elterlichen Erziehungsrechte dar und beeinflusste als Negativbeispiel die darauf folgende Entstehung des bundesrepublikanischen Elternrechts maßgeblich.40

III. Art. 6 Abs. 2 und Abs. 3 GG – Entstehungsgeschichte 1. Beratungsverlauf So selbstverständlich wie uns die heutige Fassung von Art. 6 GG entgegentritt,41 ist seine Entstehungsgeschichte nicht verlaufen. Der Entwurf für den Verfassungskonvent auf Herrenchiemsee sah noch keine Bestimmungen zum Lebenskreis von Ehe, Familie und elterlicher Erziehung vor und seine Aufnahme in den grundgesetzlichen Verfassungskatalog war auch im Parlamentarischen Rat umstritten. Erst im Laufe seiner Beratungen behandelte der Parlamentarische Rat (von September 1948 bis Mai 1949, konkret im November 1948) auch Anträge zur Aufnahme von Bestimmungen zum familiären Lebensfeld.42 Die späte Entschließung beruhte auf der Kontroverse, ob allein die traditionellen Individualrechte oder „entgegen der ursprünglichen Konzeption […] auch Grundsätze für die soziale Lebensordnung“43 Eingang in den Grundrechtskatalog finden sollten. Die Entwurfsberatungen durchlief Art. 6 GG zweigeteilt als Art. 7a Abs. 1 (Ehe und Familie, Mutterschutz und uneheliche Kinder) und Art. 7b Abs. 1 (Elternrecht und Trennung des Kindes von der Familie).44 Debatten über die Ausdehnung des Elternrechts in den Schulbereich führten dazu, dass das Elternrecht erst Anfang 1949 mit den verfassungsrechtlichen Aussagen zur „Ehe und Familie“ zusammengeführt

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Ramm, Familienrecht, S. 185 ff.; Klönne, Jugend im Dritten Reich, S. 306. Die Grenzen nationalpolitischer Jugendpolitik zeigt die Reihe jugendspezifischer Widerstände, Ramm, Jugendrecht, S. 80, 89. 40 Quambusch, ZfJ 1988, S. 315, 317; Salgo, FuR 1990, 363; Stern, StaatsR IV/1, S. 500. 41 Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland vom 23.05.1949 (BGBl., S. 1) i. d. F. vom 28.08.2006 (BGBl. I, S.2036). 42 Zur Entstehungsgeschichte, JöR n. F. 1 (1951), S. 92 ff., 99 ff. Auszüge aus den stenographischen Protokollen (ParlRat, Sten.Ber., S. 205 ff.) abgedruckt bei, Ossenbühl, Erziehungsrecht, S. 23 – 35; Zacher, HdbStR VI, 2. Aufl., § 134 Rdnr. 24 ff. 43 BVerfGE 24, 119 (140); Evan von Krbek, ZblJR 1976, S. 45, 47. 44 Abgedruckt bei Wilms, Dokumente Verfassungsgeschichte III/2, S. 184, 263, 329, 415, 469, 548, 594. 39

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und letztendlich im Mai 1949 in die seitdem unveränderte Fassung gebracht worden ist.45 2. Motive Unter entstehungsgeschichtlichen Gesichtspunkten ist allgemein von Bedeutung, dass die Verfassungsschöpfer die nationale Katastrophe des nationalsozialistischen Regimes als Wendemarke betrachteten, von der ausgehend es alle Formen der Schreckensherrschaft zu überwinden galt. In Bezug auf die Gestaltung des verfassungsrechtlichen Elternrechts war es ihr erklärtes Ziel, sich „gegen die in der Zeit des Nationalsozialismus immer stärker […] geübte Praxis, die Kinder dem erzieherischen Einfluss der Eltern zu entziehen und an die Stelle die staatliche Gemeinschaftserziehung treten zu lassen“, zu wenden.46 Der Entschluss des Verfassungsgebers, auf die autoritäre Einmischung und Bevormundung des Staats- und Parteiapparates in den elterlichen Erziehungsbereich zu reagieren, zeigt sich deutlich in der Wortwahl vom „natürlichen“47 Recht in Art. 6 Abs. 2 S. 1 GG, wie auch in der zurückhaltend gefassten Struktur von Art. 6 Abs. 2 S. 2 und Abs. 3 GG hinsichtlich staatlicher Befugnisse.48 Art. 6 Abs. 2 GG setzt dabei zweifellos „natürlich nicht mit naturrechtlich“49 gleich.50 Vielmehr wird an die „natürlichen Fakten und Vorgänge“ bei der Entstehung der Eltern-Kind-Beziehung angeknüpft, wie auch mit dem „Attribut des Natürlichen“51 darauf hingewiesen, dass dieses Recht „den Eltern nicht vom Staate verliehen worden ist, sondern von diesem als vorgegebenes Recht anerkannt wird“.52 45 Böckenförde, Essener Gespräche 14 (1980), S. 54, 58; Ossenbühl, Erziehungsrecht, S. 23–35; Jestaedt, in: BK, Art. 6 II u. III Rdnr. 4; Stern, Staatsrecht IV/1, S. 498. 46 von Mangoldt, Das Bonner Grundgesetz, 1. Aufl. 1953, Art. 6 Anm. 3, S. 72; von Mangoldt/Klein, Das Bonner Grundgesetz, Bd. 1, 2. Aufl. 1957, Art. 6 Anm. II 2b, S. 265, 273. 47 Art. 6 Abs. 2 GG trägt als einzige Verfassungsnorm diese Bezeichnung, Fleig, Das Elternrecht im Bonner Grundgesetz, S. 13. 48 Auch zu den historischen Hintergründen, Jestaedt, in: BK, Art. 6 II u. III Rdnr. 3 f., 215; Stern, Staatsrecht IV/1, S. 501 ff. 49 Schmitt-Kammler, Elternrecht, S. 14 f.; ders., in: Sachs, GG, Art. 6 Rdnr. 46; Jestaedt, in: BK, GG, Art. 6 II u. III Rdnr. 92 ff.; Badura, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 6 Rdnr. 91; Robbers, in: von Mangoldt/Klein/Starck, GG, Art. 6 Rdnr. 166, 183; Stern, Staatsrecht IV/1, S. 508 f. Unentschieden, Zacher, HdbStR VI, 2. Aufl., § 134 Rdnr. 4. 50 Für die Vorstaatlichkeit von Art. 6 Abs. 2 GG sprachen sich noch, Fleig, Das Elternrecht im Bonner Grundgesetz, S. 11 ff., 13; Peters, Die Grundrechte IV/1, S. 369 (373 ff.); Baumgarte, Das Elternrecht im Bonner Grundgesetz, S. 14 ff. Wie vor aber schon, von Mangoldt/ Klein, GG, 2. Aufl. 1957, Art. 6 Anm. IV 2a, b, S. 272 f.; Maunz, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 6 Abs. 2, Stand: 1969, Rdnr. 22; Böckenförde, Essener Gespräche 14 (1980), S. 54, 69 ff.; Erichsen, Erziehungsrecht, S. 27 f. 51 Quambusch, ZfJ 1988, S. 315. Die „kraft Abstammung vorgegebene, ursprüngliche Beziehung des Kindes zu den ihm am nächsten stehenden Mitmenschen“, Kirchhof, Grundrechte des Kindes, S. 171 f. 52 BVerfGE 59, 360 (376); 60, 79 (88); 108, 82 (100).

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4. Teil: Das Elterngrundrecht in herkömmlicher Interpretation

Die Grundgesetzverfasser wollten die unterbrochenen Traditionen fortführen53 und den Eltern um „ihrer selbst willen“54 die Verantwortung für die eigenen Kinder wieder zurückgeben. Es war eine Garantie des Herkömmlichen gewollt, obwohl die historische Betrachtung zeigt, dass diese natürliche Betrachtungsweise der Elternrechte so alt und hergebracht nicht war, sondern ihr Leitbild durch die Konkretisierungen des Bürgerlichen Gesetzbuches erfahren hatte.55 Ungefähr 150 Jahre zuvor konstituierte sich die Familie als agrarische und handwerkliche Produktionsgemeinschaft vorwiegend aus wirtschaftlichen, nicht emotionalen Motiven und war weitgehend einer sozialen wie auch rechtlichen Kontrolle unterworfen. Dass das ElternKind-Verhältnis als reine Privatsache verfassungsrechtlich „fest“-geschrieben worden und der staatliche Wächter aus dem Bereich der Kindererziehung so weit als möglich verwiesen worden ist, lässt sich eher als eine neuzeitliche Errungenschaft beschreiben, die noch einmal durch die kurz zuvor gemachten Ereignisse bekräftigt worden ist. Die Verfassungsgeber wollten jeder erneuten Entrechtung der Eltern beziehungsweise einer „Verstaatlichung der Kindeswohlentscheidung“ entgegenwirken.56 Deshalb ist Art. 6 Abs. 2 GG als Abwehrrecht im klassischen Sinne konzipiert worden, das „gegen Usurpationen und Konkurrenzen von dritter Seite, insbesondere des Staates“57 wirkt. Dem Staat damit aber auch nur in Ausnahmefällen Zugang in die Elternhäuser erlangen lässt. In bewusster Abkehr der totalitären Entgleisungen ist in Art. 6 Abs. 2 S. 1 GG das Eltern-„Recht“ vor die elterliche „Pflicht“ zur Kinderpflege und Erziehung gestellt worden. Dass in der heutigen Fassung von § 1626 Abs. 2 BGB die Reihenfolge des Pflicht- und Rechtsteiles wiederum mit dem Wortlaut von Art. 120 WRV übereinstimmt, ist bereits angesichts der Nachrangigkeit des Familienrechts gegenüber dem Verfassungsrecht ohne jede rechtliche noch praktische Auswirkung.

53 Bereits Art. 120 WRV sprach vom „natürlichen Recht“ der Eltern zur Erziehung ihrer Kinder. Im Weimarer Verfassungsausschuss gab es Kontroversen, ob „ein biologisches Gesetz“ in ein juristisches Instrument aufzunehmen sei, Verfassungsgebende Deutsche Nationalversammlung, Aktenstück 391, S. 379. Gegen die Aufnahme von Naturrechtsgedanken in die Reichsverfassung und damit für ein von der staatlichen Gesetzgebungshoheit unantastbares, vorstaatliches Recht sprachen sich, Holstein, AöR 12 n. F. (1927), 187, 194 ff., 237 ff. und Anschütz, Verf. Dt. Reich, Art. 120 Anm. 2 aus. Die Gegenansicht vertraten bspw., Mausbach, Kulturfragen der deutschen Verfassung, S. 44; Hodes, Elternrecht und Staatsbefugnis, S. 48 ff. 54 Gernhuber, FamRZ 1973, S. 235; Erichsen, Elternrecht, S. 32, 55. 55 Campenhausen, VVDStRL 45 (1987), S. 8, 11. 56 Vgl. Erichsen, „Verstaatlichung der Kindeswohlentscheidung?“, Zur verfassungsrechtlichen Bestimmung des schulischen Erziehungsrechts, 2. Auflage, Berlin 1979. 57 Ossenbühl, DÖV 1977, S. 801, 806.

A. Historische Determinanten des Elterngrundrechts

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IV. Entwicklungslinien Die nachfolgende Entwicklung des Familien(rechts)systems in West- und Ostdeutschland lässt sich gleichermaßen als Reaktion auf die unter nationalsozialistischer Herrschaft pervertierten Eingriffe in diesen Lebensbereich beschreiben. Allerdings verlief die Vergangenheitsbewältigung in den Nachkriegsjahrzehnten in Form zweier voneinander verschiedener Staats- und Gesellschaftsmodelle. 1. Deutsche Demokratische Republik Während in Westdeutschland die verfassungsrechtlich angelegte Absicherung des individuellen Freiheitsraumes der Eltern zu einer fast schon biedermeiergleichen Rückbesinnung auf den familiären Privatraum führte, sind in der Deutschen Demokratischen Republik die Eltern und Kinder (erneut) vereinnahmt und zentral dirigiert worden. Die Familien- und Jugendpolitik war in der DDR Teil der staatlich geregelten Lebensordnung geworden58 Erste Anklänge lassen sich bereits in dem DDR-Verfassungstext von 1949 finden, deren Art. 31 postuliert, dass die Erziehungsaufgabe der Eltern „oberste Pflicht gegenüber der Gesellschaft“ sei. In den Folgejahrzehnten begab sich der sozialistische Staat zunehmend daran, die Eltern als Erziehungsträger abzulösen und die junge Bevölkerung59 ideologisch zu systematisieren.60 Dies zeigt sich an der Änderung der entsprechenden Verfassungsnormen im Jahr 1968,61 durch die das erste Kapitel „Grundrechte und Grundpflichten der Bürger“ in den zweiten Abschnitt über die „Bürger und Gemeinschaften in der sozialistischen Gesellschaft“ nachgruppiert worden sind. Die Bestimmungen bezüglich der Erziehung und Bildung (Art. 34 bis 40 DDR-Verfassung aus dem Jahr 1949 beziehungsweise Art. 25 und 26 i. d. F. des Jahres 1968) sind vor diejenigen zur Ehe und Familie gestellt worden (Art. 30 bis 33). Erst der letzte Artikel des Abschnittes beschäftigt sich mit den Eltern. In Art. 38 Abs. 4 heißt es, dass es „das Recht und die vornehmste Pflicht der Eltern“ [sei], „ihre Kinder […] zu staatsbewussten Bürgern zu erziehen. Die Eltern haben Anspruch auf ein enges und verantwortungsvolles Zusammenwirken mit den gesellschaftlichen und staatlichen Erziehungs- und Bildungseinrichtungen.“ Es ist vorausgesetzt worden, dass zwischen den elterlichen Erziehungsinteressen und den von der marxistisch-leninistischen Einheitspartei vorgegebenen Erziehungszielen Deckungsgleichheit zu bestehen hatte; nötigenfalls sind die Eltern auf diese verpflichtet worden oder nicht „staats-

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Ramm, Familienrecht, S. 159, 264 ff.; ders., Jugendrecht, S. 117 ff. Vgl. die Jugendgesetze von 1950, 1961, 1974. Letzteres erwähnt zwar auch die Eltern, allerdings rangieren sie nach den Staatsfunktionären, Lehrern, Erziehern und Massenorganisationen. 60 Hockerts, FS Zacher, S. 267, 270 ff., 275 f. 61 Die Verfassungsänderung von 1974 ließ die Vorschriften unverändert. 59

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4. Teil: Das Elterngrundrecht in herkömmlicher Interpretation

bewussten“ Eltern sind die Kinder entzogen worden.62 Die DDR-Verfassung stellte damit auch, anders als das Grundgesetz, das sich den elterlichen Erziehungsrechten nur von ihrer negativen Ausprägung einer Kindeswohlgefährdung her nähert,63 eine positive Anforderung. Das Kind sollte in erster Linie zu einem Mitglied „der sozialistischen Gemeinschaft“64 erzogen werden (vgl. Art. 19 Abs. 3 DDR-Verfassung). Dazu ist die Kinder- und Jugendpolitik ideologisch überfrachtet, aber plangemäß von der Verwaltungsspitze nach unten „durchgestellt“ worden.65 Zur Etablierung von Staatsnähe und frühestmöglichen Einbindung in die sozialistische Gemeinschaft diente eine staatlich organisierte, flächendeckend Fremdbetreuung. Angefangen in Kinderkrippen und Horten, wo die Kindererziehung auf das Kollektiv bezogen und eine individuelle Zuwendung tabuisiert worden ist, sollte sich das Kind zu einer sozialistischen und der DDR nützlichen Persönlichkeit entwickeln. Fortgesetzt ist die Formung durch ein umfassend gegliedertes Ausbildungssystem66 und vereinheitlichende Jugendorganisationen, namentlich die im Jahr 1946 gegründete „Freie Deutsche Jugend“ (FDJ) und die „Pionierorganisation Ernst Thälmann“. Sie übernahmen die Jugendarbeit in Form der vor- und außerschulischen Erzeihung und Freizeitgestaltung für die Kinder und Heranwachsenden.67

2. Bundesrepublik Deutschland Ausgehend von einem noch stark patriarchalisch geprägten Eltern-, Ehe- und Familienbild haben in der Bundesrepublik konservative Familienmodelle, inklusive weiblicher Haushälter- und männlicher Ernährerrolle, länger überdauert als in der ehemaligen DDR, wo angesichts eines hohen Anteils von Frauen in der Arbeitswelt nicht nur der Gleichberechtigungsgedanke früher entwickelt worden ist, sondern auch fehlende Eheschließung, nichteheliche Geburt oder Scheidung kein gesellschaftliches Hindernis darstellten oder makelbehaftet waren.68 Befördert durch die wirtschaftlichen Wohlstandsentwicklungen in den 1950er Jahren und der folgenden Dekade, angesichts der Bildungsoffensive der 1970er Jahre und durch die sich insgesamt verändernden Einstellungen der Mehrheit, die 62 Ramm, Jugendrecht, S. 121 ff.; ders., Familienrecht, S. 200 ff.; Schlie, Elterliches Erziehungsrecht, S. 7 f. 63 Dortmunder Arbeitsstelle Kinder- & Jugendhilfestatistik, Kommentierte Daten der Kinder- und Jugendhilfe, S. 9. 64 Gemäß Art. 25 Abs. 2 DDR-Verfassung aus dem Jahr 1968 war es oberstes Ziel des Bildungswesen die „sozialistische Gemeinschaft allseitig gebildeter und harmonisch entwickelter Menschen“ herzustellen. 65 Ostler, RdJB 2009, S. 44, 60. 66 Hauptquelle ist das Gesetz über das einheitliche sozialistische Bildungssystem vom 25.02.1965 (GBl. I, S. 83). 67 Horndasch, Zum Wohle des Kindes, S. 332. 68 Ramm, Familienrecht, S. 257 ff.; Hannemann, Pflicht und Recht des Jugendamtes, S. 16 ff., 41 ff., 45.

B. Das Erziehungsprimat der Eltern

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auf die Lebensperspektiven des Einzelnen rückwirkten, haben sich alternative Formen des Zusammenlebens und neue Formen der Familienerziehung69 entwickeln können.70 Durch die Aufgabe des Schuld- zugunsten des Zerrüttungsprinzips im Scheidungsrecht und die stärkere Angleichung der Stellung nichtehelicher Kinder und ihrer Elternteile an die klassische Kernfamilie haben Rechtsprechung und Gesetzgeber auf diese Veränderungen reagiert.71 Während die Eltern samt ihrer Befugnisse zu einem Teil des Gesamtkonzepts von Staat und Gesellschaft der DDR degradiert worden sind,72 führten in der Bundesrepublik der Wille zur Abgrenzung sowie die historischen Verwerfungen der „ideologischen Fremdbestimmung und Formierung der Jugend“73 zu der Bürde, sich nicht durch vorschnelle Eingriffe in die elterlichen Rechte erneut „zu versündigen“.74 Die Eingriffe in die Elternrechte und die Instrumentalisierung der Familie während der beiden deutschen Totalitarismen des vergangenen Jahrhunderts beeinflusste damit die Rechtsanwendungsebene von Art. 6 Abs. 2 und 3 GG. Ausgehend von der verfassungsrechtlichen Gewährleistung des elterlichen Schutz- und Freiheitsraumes in Art. 6 Abs. 2 GG formte sich eine Überdehnung der elterlichen Rechte bei gleichzeitig skeptischer bis interventionsfeindlicher Einstellung gegenüber den justiziellen und behördlichen Maßnahmen, die vielerorts mit dem Generalverdacht zu kämpfen hatten, übereilte oder ungerechtfertigte Eingriffe in die individuelle Sphäre zu sein.75 Die Jugendämter kämpfen mitunter noch heute und trotz eines beratenden und unterstützenden Fokus der eigenen Tätigkeit mit dem schlechten Ruf, eine „Kinderwegnahmebehörde“ zu sein.

B. Das Erziehungsprimat der Eltern I. Die Eltern – Grundrechtsträger Grundrechtsträger i.S.v. Art. 6 Abs. 2 GG sind die „Eltern“, nicht aber das Kind.76 Es kann sich jeder Elternteil einzeln77 auf die Verbürgung des Art. 6 Abs. 2 GG be-

69 Bertram, ZKJ 2006, S. 273 u. 320; Nesselrode, Spannungen zwischen Ehe und Familie, S. 33 ff. 70 Hohmann-Dennhardt, ZKJ 2007, S. 382, 384; dies., FF 2007, S. 174 ff. 71 Peschel-Gutzeit, AnwBl 1995, S. 457 ff. 72 Ramm, Jugendrecht, S. 101 ff; ders., Familienrecht, S. 269. 73 Badura, FS Lorenz, S. 101, 106. 74 Salgo, FuR 1990, S. 363. 75 Quambusch, ZfJ 1988, S. 315, 317; Salgo, FuR 1990, S. 363 f. 76 BVerfGE 28, 104 (112); 61, 18 (27). Peters, Die Grundrechte IV/1, S. 369 (378); Jestaedt, in: BK, Art. 6 II u. III Rdnr. 91, 146; Robbers, in: von Mangoldt/Klein/Starck, GG, Art. 6 Rdnr. 182; Stern, Staatsrecht IV/1, S. 524.

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4. Teil: Das Elterngrundrecht in herkömmlicher Interpretation

rufen. Damit sind sowohl die Mutter78 wie auch der Vater79 Grundrechtsträger. Beide Grundrechtspositionen erwachsen aus dem natürlichen Elternrecht und müssen daher von den Eltern untereinander respektiert werden.80 Der personelle Schutzbereich des „echten Menschenrechts“ gemäß Art. 1 Abs. 2 GG81 ist weit gefasst. Neben der biologischen Abstammung82 kann auch eine sozialfamiliäre Bindung, zumindest wenn sie rechtlich verfestigt ist,83 Elternschaft begründen. Stief-84 und Pflegeeltern85 fallen dagegen von vornherein aus dem verfassungsrechtlichen Elternbegriff heraus, ebenso wie der Vormund, Pfleger86 oder Personen, die ein Kind ohne jede biologische oder rechtliche Zuordnung aufziehen.87 Zwar führen nicht erst moderne Befruchtungsmethoden dazu, dass ein Kind mehrere Väter und Mütter haben kann;88 auch das scheineheliche oder Adoptivkind hat sowohl biologische Erzeuger wie rechtlich-soziale Eltern.89 Allerdings können Träger des Elternrechts für ein Kind jeweils nur eine Mutter und ein Vater sein,90 wie überhaupt Art. 6 Abs. 2 S. 1 GG eine verschiedengeschlechtliche Zweierbeziehung voraussetzt.91 Zeitlich setzt die Gesamtverantwortung der Eltern92 für den Entwicklungsprozess des Kindes mit der Schwangerschaft ein.93 Zu Lebzeiten des Kindes94 ist sie unver77 BVerfGE 47, 46 (47); 99, 145 (164); 108, 82 (101); Böckenförde, Essener Gespräche14 (1980), S. 54, 92; Badura, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 6 Rdnr. 125. 78 BVerfGE 24, 119 (135). 79 BVerfGE 92, 158 (176). 80 BVerfGE 31, 194 (206 f.); 64, 180 (187 f.). 81 Peters, Die Grundrechte IV/1, S. 369, 374; Schmitt-Kammler, Elternrecht, S. 16; Zacher, HdbStR VI, 2. Aufl., § 134 Rdnr. 47; Badura, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 6 Rdnr. 142; Robbers, in: von Mangoldt/Klein/Starck, GG, Art. 6 Rdnr. 142, 187. 82 BVerfGE 24, 119 (150); 92, 158 (176 f.); 108, 82 (99). 83 Zur Adoption, BVerfGE 24, 119 (142, 150); Jestaedt, in: BK, Art. 6 II u. III Rdnr. 82 ff., 85; ders., FS Bartlsperger, S. 79, 86 (Fn. 29); Coester-Waltjen, in: von Münch/Kunig, GG, Art. 6 Rdnr. 70, 73 f.; Robbers, in: von Mangoldt/Klein/Starck, GG, Art. 6 Rdnr. 176 ff. 84 KG, NJW 1968, 1679 (1680). 85 BVerfGE 68, 176 (187 f.); 79, 51 (60). 86 BVerfGE 10, 302 (328). 87 Bzgl. Großeltern, BVerfGE 19, 323 (329); mit einer Ausnahme, BVerfGE 34, 165 (200). 88 Burgi, HdbGR IV, § 109 Rndr. 8. 89 Robbers, in: von Mangoldt/Klein/Starck, GG, Art. 6, Rdnr. 173 ff.; Jestaedt, in: BK, Art. 6 II u. III, Rdnr. 76 ff.; Stern, Staatsrecht IV/1, S. 533. 90 Coester-Waltjen, in: von Münch/Kunig, Rn. 76. 91 Jestaedt, in: BK, Art. 6 II u. III Rdnr. 67. Aber kein Verlust der Elternschaft durch Geschlechtsumwandlung des leiblichen Elternteils, Jestaedt, FS Bartlsperger, S. 79, 94 ff. 92 BVerfGE 31, 194 (205 ff.); 55, 171 (178); 75, 201 (218 f.); 92, 158 (177). 93 Jestaedt, in: BK, Art. 6 II u. III Rdnr. 101; Pieroth, in: Jarass/Pieroth, GG, Art. 6 Rdnr. 32a. Für eine Wirkung erst ab der Geburt, Coester-Waltjen, in: von Münch/Kunig, GG, Art. 6 Rdnr. 68; Burgi, in: Friauf/Höfling, GG, Art. 6 Rdnr. 111.

B. Das Erziehungsprimat der Eltern

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äußerlich,95 weshalb sie weder eine elterliche Trennung noch Scheidung zum Erlöschen bringt,96 denn der rechtliche Status der Eltern zueinander ist ohne Einfluss auf ihre Grundrechtsträgerschaft.97 Die Volljährigkeit98 des Kindes beendet auch die Grundrechtsträgerschaft der Eltern gemäß Art. 6 Abs. 2 S. 1 GG.99 Das Elternrecht wird „in dem Maße überflüssig und gegenstandslos […], in dem das Kind in die Mündigkeit hineinwächst“100, weil das Elternrecht „seinem Wesen und Zweck nach zurücktreten [muss], wenn das Kind ein Alter erreicht hat, in dem es eine genügende Reife zur selbstständigen Beurteilung der Lebensverhältnisse und zum eigenverantwortlichen Auftreten im Rechtsverkehr erlangt hat“.101 Allmählich vor Erreichen der Mündigkeit treten daher die elterlichen Erziehungsbefugnisse im Verhältnis zum fortschreitendem Alter und der erstarkenden Selbstbestimmungsfähigkeit des Kindes sukzessive zurück („wachsendes Kinderrecht, weichendes Elternrecht“).102 Dieser stufenweisen Erstarkung der Einsichts- und Entscheidungsfähigkeit des Minderjährigen tragen die einfachgesetzlichen Teilmündigkeitsregeln Rechnung, vgl. §§ 104 ff. BGB.103 Sie stellen eine zulässige Beschränkung der elterlichen Sorge dar, weil sie berücksichtigen, dass die rechtlichen Befugnisse der Eltern den Erfahrungen und dem Entwicklungsstand des Kindes Rechnung zu tragen haben. Dass das elterliche Erziehungsprogramm altersgemäß zu erfolgen hat, zeigt einfachgesetzlich § 1626 Abs. 2 BGB.104

94 Für eine Nachwirkung des Elternrechts auch über den Tod hinaus, Robbers, in: von Mangoldt/Klein/Starck, GG, Art. 6 Rdnr. 158. 95 Andererseits ist der einfache Gesetzgeber deshalb nicht gehindert auf der Ebene der elterlichen Sorge darüber zu disponieren, vgl. §§ 1626b, 1671 BGB. 96 BVerfGE 64, 180 (187 f.); 66, 84 (96). 97 BVerfGE 24, 119 (135); 92, 158 (176 f.); 107, 150 (169); 108, 82 (99, 103); Jestaedt, in: BK, Art. 6 II u. III Rdnr. 53 f., 72 ff.; Badura, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 6 Rdnr. 100; Robbers, in: von Mangoldt/Klein/Starck, GG, Art. 6 Rdnr. 163 ff., 167 ff. 98 Fehnemann, ZblJR 1980, S. 605, 612; dies., DÖV 1982, S. 353, 358; Umbach, FS Geiger, S. 359, 374. 99 Dagegen bejahen „elterliche Restrechte“ auch nach Eintritt der Volljährigkeit (vgl. § 2 BGB), Zacher, HdbStR VI, 2. Aufl., § 134 Rdnr. 57, 61; Jestaedt, in: BK, Art. 6 II u. III Rdnr. 101; Badura, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 6 Rdnr. 109, 135; Robbers, in: von Mangoldt/ Klein/Starck, GG, Art. 6 Rdnr. 159, 161; Stern, Staatsrecht IV/1, S. 524, 525. „Eltern bleiben ein Leben lang Eltern“, Salzgeber/Höfling, Kind-Prax 2004, S. 163, 165. 100 Böckenförde, Essener Gespräche 14 (1980), S. 54, 67. 101 BVerfGE 59, 360 (382, 387); 72, 122 (137); 74, 102 (125); 80, 81 (90). 102 Ossenbühl, Erziehungsrecht, S. 56. Vgl. auch Reuter, Kindesgrundrechte und elterliche Gewalt, 1968. 103 Detaillierte Auflistung von Teilmündigkeitsregeln bei, Jestaedt, in: BK, Art. 6 II u. III Rdnr. 150 ff. 104 Vgl. Burgi, HdbGR IV, § 109 Rndr. 27.

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4. Teil: Das Elterngrundrecht in herkömmlicher Interpretation

II. Die Kindererziehung – sachlicher Schutzbereich Der sachliche Schutzbereich des Elterngrundrechts ist mit dem einheitlichen Begriff105 von „Pflege und Erziehung“ umschrieben. „Pflege“ meint die Sorge um das körperliche Wohl des Kindes, wozu insbesondere die Gewährung von (Natural-) Unterhalt106 (vgl. zu Unterhaltspflichten einfachgesetzlich die §§ 1601 ff. BGB),107 die Unterbringung im elterlichen Haushalt, die Abwehr körperlicher oder psychischer Gefahren sowie die Bekleidungs- und Gesundheitsfürsorge zählen.108 Das Anliegen der Eltern erschöpft sich aber nicht in der bloßen Weitergabe und Aufrechterhaltung des eigenen Erbgutes. Es beinhaltet vielmehr die „umfassende Verantwortung für die Lebens- und Entwicklungsbedingungen des Kindes“,109 etwa durch Tradierung familiärer Einstellungen, kultureller und moralischer Werte.110 Unter den Begriff der „Erziehung“ wird die elterliche Vermittlung von Kenntnissen und Fähigkeiten, die ganz alltägliche Fragen berühren,111 aber auch von Einstellungen und Prinzipien, die grundsätzliches Verhalten betreffen, an das Kind verstanden. Die geistige Erziehung von Minderjährigen, mit der die Eltern ein ergänzendes Moment zur schulischen Bildung schaffen,112 ist damit ebenso wie die Weitergabe von Wertvorstellungen mit politischem, weltlichem113 oder religiös-ethischem Bezug114 erfasst. Unter den Begriff der „Erziehung“ ist zudem zu fassen, dass die Eltern ein Minimum an sozial-familiären Beziehungen für das Kind er-

105 Zuerst bei Maunz, in: Maunz/Dürig, GG, Stand: 1980, Art. 6 Rdnr. 24; Jestaedt, in: BK, Art. 6 II u. III Rdnr. 102; Robbers, in: von Mangoldt/Klein/Starck, GG, Art. 6 Rdnr. 143; Burgi, in: Friauf/Höfling, Art. 6 II u. III Rdnr. 111; ders., HdbGR IV, § 109 Rndr. 24; a. A. Gröschner, in: Dreier, GG, Art. 6 Rdnr. 109. 106 BVerfGE 31, 194 (207); 68, 256 (267); 108, 52 (72); Badura, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 6 Rdnr. 123. 107 Entsprechend seines Schutzauftrags ist der Staat, wenn die Eltern nicht mehr für einen angemessenen Unterhalt des Kindes sorgen können, durch Art. 6 Abs. 2 S. 2 GG verpflichtet die Existenzsicherung des Kindes zu übernehmen, Jestaedt, DVBl. 1997, S. 693. Er kann bei Förderleistungen, wie dem Kindergeld, die Eltern hinsichtlich des Verwendungszweck, auf das Kind verpflichten, BVerfGE 108, 52 ff. 108 Stern, Staatsrecht IV/1, S. 515 ff.; Burgi, in: Friauf/Höfling, GG, Art. 6 Rdnr. 112. 109 Zacher, HdbStR VI, 2. Aufl., § 134 Rdnr. 65; ähnlich BVerfGE 44, 29 (44) „das Recht zur Erziehung ihrer Kinder in jeder […] Hinsicht“. 110 Coester-Waltjen, in: von Münch/Kunig, GG, Rdnr. 63; Pieroth, in: ders./Schlink, GG, Rdnr. 32; Groß/Wößner, RdJB 2008, S. 135, 138. 111 Ossenbühl, DÖV 1977, S. 801, 805; Umbach, FS Geiger, S. 359, 372. 112 BVerfGE 34, 165 (183); 59, 360 ff.; 96, 288 ff.; Schmid, Familie, S. 257 ff., 262; Heinz, NWVBl. 2007, S. 128. 113 BVerfGE 7, 320 ff.; 47, 46 ff. 114 BVerfGE 34, 165 (183); 41, 29 (47); 52, 223 ff.; 93, 1 (17). Die mit der Religionsmündigkeit des Kindes im Alter von 14 Jahren erlischt BVerwGE 68, 16 (18). Vgl. das Gesetz über die religiöse Kindererziehung vom 15. 07.1921 (RGBl. 1921, S. 939), geändert durch Gesetz v. 12.09.1990 (BGBl. I, S. 2002).

B. Das Erziehungsprimat der Eltern

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möglichen (vgl. § 1685 Abs. 2 BGB).115 Zum Inhalt des Elterngrundrechts gehört ein Anspruch des Kindes „auf Pflege, Erziehung und Beaufsichtigung durch die Eltern“.116 Das Spektrum von Werten und Verhaltensweisen, das durch die Familie als Sozialisationsinstanz weitergegeben werden kann, ist vielfältig und hinsichtlich ihrer Festlegung werden den Eltern (beinahe) keine staatlichen Vorgaben gemacht.117 Der Individualität der verschiedenen Lebensläufe würde jegliche Auferlegung kollektiver Erziehungsziele ebenso widersprechen wie der Neutralität der Verfassung.118 Die Eltern sollen frei und autonom „die Lebensverhältnisse und Entwicklungsmöglichkeiten der Kinder bestimmen“,119 um so zur Heranbildung von Individualität, Meinungsund Wertepluralität in einer demokratischen Gesellschaft beizutragen.120 Allerdings gehören nur diejenigen elterlichen Verhaltensweisen in den sachlichen Schutzbereich, die zumindest auch für das einzelne Kind zuträgliche Ziele verfolgen. Jenseits der Begriffe von „Pflege und Erziehung“ liegt daher die motivlose, schlichte Nicht-Pflege beziehungsweise die gänzliche Verhinderung der Eingliederung des Kindes in die Gesellschaft durch eine (Nicht-)Erziehung seitens der Eltern.121

III. Das Erziehungsprimat 1. Elternrecht Nach herrschender Auffassung bewirkt Art. 6 Abs. 2 S. 1 GG, dass den Eltern „grundsätzlich frei von staatlichen Einflüssen und Eingriffen“122 und unter „weitester Anerkennung der Selbstverantwortlichkeit“123 die Heranbildung des eigenen Nach115

Etwa mit dem anderen Elternteil, BVerfGE 31, 194 (206 f.); 64, 180 (187 f.). BVerfGE 68, 256 (269); ähnlich BVerfGE 56, 363 (381); Jestaedt, in: BK, Art. 6 II u. III Rdnr. 91; Pieroth, in: Jarass/ders., GG, Art. 6 Rdnr. 34. 117 BVerfGE 7, 320 (323 f.); 83,130 (139 f.); 99, 216 (234); 105, 313 (354); Peters, Die Grundrechte IV/1, S. 369 (382 f.); Böckenförde, Essener Gespräche 14 , S. 54, 64 f.; Ossenbühl, Erziehungsrecht, S. 58 f.; Robbers, in: von Mangoldt/Klein/Starck, GG, Art. 6 Rdnr. 146, 152 f.; Stern, Staatsrecht IV/1, S. 517. 118 BVerfGE 19, 206 (216). Keine staatliche angeordnete Gemeinschafts-Kindererziehung wie durch Jugendlager, Jestaedt, in: BK, Art. 6 II u. III Rdnr. 11; Badura, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 6 Rdnr. 95. 119 Zacher, HdbStR VI, 2. Aufl., § 134 Rdnr. 65. 120 Burgi, in: Friauf/Höfling, GG, Art. 6 Rdnr. 114. 121 Deshalb kann die elterliche Entscheidung über die Beendigung des Lebens des Kindes nicht in den Schutzbereich von Art. 6 Abs. 2 GG, nur in den von Art. 2 Abs. 1 GG fallen, Burgi, in: Friauf/Höfling, GG, Art. 6 Rdnr. 111, Fn. 491. 122 BVerfGE 24, 119 (143 f.); 31, 194 (204); 59, 360 (376); 60, 79 (88), st. Rspr.; Ossenbühl, Erziehungsrecht, S. 64 f.; Zacher, HdbStR VI, 2. Aufl., § 134 Rdnr. 65 ff.; Roth, Grundrechte Minderjähriger, S. 118. 123 BVerfGE 24, 119 (143). 116

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4. Teil: Das Elterngrundrecht in herkömmlicher Interpretation

wuchses zu überlassen ist. Die Verschiedenartigkeit von Erziehungsprogrammen ist neben dem individuellen Aspekt vor allem für das Entstehen von Pluralität im demokratischen Gemeinwesen von großer Bedeutung.124 Solange Eltern die Freiheit haben, ihre Kinder nach eigenen Leitsätzen zu erziehen, besteht ein Garant für die Vielfältigkeit von Werten und Meinungen und damit die Fortentwicklung der Gesellschaft. Eine Aushebelung der Eltern als Erziehungsträger würde dagegen bedeuten, dass Kinder von außen, also durch Behörden und staatliche Erziehungsanstalten, erzogen würden. Neben der Gefahr von Indoktrination und Gleichschaltung der Zöglinge und, weil eine staatliche Erziehung schon mangels Elternliebe nie in gleicher Weise auf das einzelne Kind eingehen könnte, sich somit nicht zum Wohle von Kindern auswirken würde.125 Grundsätzlich können die Eltern innerhalb eines breiten Entscheidungsspielraums die Zielrichtung der Erziehung, die nach ihrem Dafürhalten für die Sozialisation des eigenen Kindes und auch im Hinblick auf die familiären Gegebenheiten am sinnvollsten ist, selbst definieren, sogenannter Interpretations- beziehungsweise Konkretisierungsprimat.126 Zur Verwirklichung ihrer Erziehungsziele können die Eltern aus dem Spektrum der verschiedenen Erziehungsmethoden frei auswählen. Da das Erziehungsgeschehen in der sozialen Wirklichkeit auch durch die von den Eltern zu definierende Autorität gegenüber den Kindern gekennzeichnet ist, dürfen sie die Beachtung der von ihnen gesetzten Regeln durch Ge- und Verbote sanktionieren,127 wobei ein nachhaltiger Erziehungserfolg wohl stärker von den Umständen und der „Atmosphäre“ des familiären Zusammenlebens abhängen dürfte.128 Eine gänzlich wertneutrale Erziehung wird es bereits deshalb nicht geben, weil Eltern im Allgemeinen bemüht sind, ihren Kindern nicht nur individuelle, sondern auch objektive Standards von sozialen Regeln und Modellen zu vermitteln. Aber auch „wegen der inneren Einheit der Verfassung“129 ist ein grundgesetzlicher Minimalstandard der elterlichen (Werte-)Erziehung jedenfalls darin zu sehen, dass die Eltern ihr Kind zu einer mit eigener Würde und zur Selbstbestimmung angelegten Person und einem verantwortungsbereiten sowie gemeinschaftsfähigen Mitglied der Ge124

Roth, Grundrechte Minderjähriger, S. 123; Burgi, in: Friauf/Höfling, GG, Art. 6 Abs. 2 u. 3 Rdnr. 44. 125 Kirchhof, Grundrechte des Kindes, S. 171, 172; Roth, Grundrechte Minderjähriger, S. 124. 126 Vgl. BVerfGE 24, 119 (143); 47, 46 (70); 99, 216 ff.; Ossenbühl, Elterliches Erziehungsrecht, S. 64. 127 Für ein moderates Züchtigungsrecht und damit verfassungsrechtliche Bedenken ggü. dem „Recht auf gewaltfreie Erziehung“ gemäß § 1631 Abs. 2 BGB, Burgi, in: Friauf/Höfling, GG, Art. 6 Rdnr. 112; ähnlich BGH, JZ 1988, 617; Jestaedt, in: BK, Art. 6 II u. III Rdnr. 109; Gröschner, in: Dreier, GG, Art. 6 Rdnr. 114; Robbers, in: von Mangoldt/Klein/Starck, GG, Art. 6 Rdnr. 154. Für ein völliges Verbot körperlicher Züchtigung, Coester-Waltjen, in: von Münch/Kunig, GG, Art. 6 Rdnr. 65 f.; Pieroth, in: Jarass/Pieroth, GG, Art. 6 Rdnr. 32, 37; Stern, Staatsrecht IV/1, S. 518. 128 Fehnemann, DÖV 1982, S. 355. 129 BVerfGE 1, 14 (32); 7, 198 (205); 19, 206 (220).

B. Das Erziehungsprimat der Eltern

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sellschaft, wie es dem Menschenbild des Grundgesetzes entspricht, aufziehen.130 Die Anleitung des Kindes zu kriminellen Verhaltensweisen oder einer offenen Tätigkeit gegen die verfassungsmäßige Ordnung wäre dementsprechend nicht mehr vom Elternrecht umfasst.131 Der Staat darf demzufolge bis zur Grenze einer missbräuchlichen Handhabung der elterlichen Einfluss- und Bestimmungsmöglichkeiten keine anderen als die von den Eltern bestimmten Maßnahmen ergreifen.132 Die Eltern haben ein Bewertungsrecht, wie ihr Kind zu heranwachsen soll, dass dem Staat erst recht „gegen den Willen der Eltern“ jegliche „Bewirtschaftung des Begabungspotentials“ eines Kindes untersagt. Eine Rechtsvermutung „im Sinne einer praesumptio pro parentibus“133 streitet zugunsten der von ihnen getroffenen Entscheidungen und Handlungen, sodass selbst „von außen“ als abwegig erscheinende Maßnahmen sich gegenüber anderen Erziehungsträgern voll durchsetzen.134 Deshalb muss hingenommen werden, wenn einem Kind nicht eine ideale Erziehung zu Teil wird und es daher Nachteile erleidet, die objektiv vermeidbar wären, weil es schon problematisch ist zu definieren, was das Idealbild der Erziehung ausmacht. Weigern sich die Eltern, ihrem Kind eine seiner Befähigung gemäße und von ihm gewünschte Ausbildung angedeihen zu lassen, darf der Staat, solange die Verweigerung dem Kindeswohl nicht vollständig und in eklatanter Weise abträglich ist, nicht eingreifen.135 Der Alltag eines Kindes hängt somit entscheidend von den Eigenschaften und Schicksalen derer, die es versorgen, die seine Welt ausmachen, ab.136 „In welche Familie ein Kind hineingeboren wird“, das ist nach bestehender Auffassung zu Art. 6 Abs. 2 GG „ein nur in Randbereichen von der Gesellschaft zu korrigierendes persönliches Schicksal.“137

130 BVerfGE 24, 119 (144); 56, 363 (384); 60, 79 (94); 107, 104 (117); Zacher, HdbStR VI, 2. Aufl., § 134 Rdnr. 51 f.; Böckenförde, Essener Gespräche 14, S. 54, 59 ff.; Jestaedt, in: BK, Art. 6 II u. III, Rdnr. 105; Häberle, Erziehungsziele, S. 51 f., 57 ff.; ders., Das Menschenbild im Verfassungsstaat, S. 41 ff.; Gröschner, in: Dreier, GG, Art. 6 Rdnr. 110 spricht von der „Vermittlung von Entwurfskompetenz“. 131 Schlie, Elterliches Erziehungsrecht, S. 11. 132 BVerfGE 24, 119 (143); 31, 194 (204); 47, 46 (70); 56, 363, (385); Jestaedt, in: BK, Art. 6 II u. III Rdnr. 95 ff.; Badura, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 6 Rdnr. 133; Robbers, in: von Mangoldt/Klein/Starck, GG, Art. 6 Rdnr. 210 ff. 133 Holstein, AöR n. F. 12 (1927), S. 187, 239. 134 Da die Eltern gerade kein öffentliches „Amt“ ausüben, Ossenbühl, Erziehungsrecht, S. 52; ders., DÖV 1977, S. 801, 806. 135 BVerfGE 24, 119 (143); 34, 165 (184); 60, 79 (84), st. Rspr.; Böckenförde, Essener Gespräche 14 (1980), S. 54, 76. 136 Zacher, FS Scholz, S. 413, 416; Maunz, FS Scheuner, S. 419, 429. 137 Diederichsen, FamRZ 1978, S. 461, 467.

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4. Teil: Das Elterngrundrecht in herkömmlicher Interpretation

2. Elternpflicht Zwar sind auch andere Grundrechte, wie zum Beispiel das Eigentumsrecht aus Art. 14 Abs. 2 S. 1 GG, mit Pflichten belegt. Aber diese Pflichtenbindung besteht grundsätzlich nur bei Ausnutzung des Eigentums; Art. 14 Abs. 2 S. 2 GG schreibt hingegen nicht dessen Gebrauch vor.138 Dem Elternrecht jedoch ist die Pflicht zur Kindererziehung nicht bloß an die Seite gestellt, sondern als „wesensbestimmender Bestandteil“ mit eingegeben.139 Diese verfassungsrechtlich einmalige140 „komplexe Verknüpfung von Rechten und Pflichten“141 kann nicht voneinander gelöst werden. Denn das Kind hat im Verhältnis zu seinen Eltern nicht nur die sich aus deren autoritativen Bestimmungsrechten ergebenden Beschränkungen hinzunehmen,142 diese sind deshalb auch gerechtfertigt. Eine „Fremdbestimmung“,143 wie sie Art. 6 Abs. 2 S. 1 GG den Eltern über Physis und emotional-geistige Entwicklung des Kindes einräumt, wäre ohne eine gleichzeitige Pflichtenanbindung nicht mit der Menschenwürdegarantie des Grundgesetzes gemäß Art. 1 Abs. 1 zu vereinbaren.144 Vor allem aber ist es angesichts seiner Schutzbedürftigkeit auf die elterlichen Pflege- und Erziehungsaufgaben angewiesen, weshalb diese alternativlos sind. Der Recht- beziehungsweise Pflichtteil sind zwei Seiten ein und derselben Medaille. Sie stellt keine selbstständige Grundpflicht dar.145 Als Abbreviatur dient die „Elternverantwortung“.146 Die Eltern müssen ihre Pflichtaufgabe erfüllen,147 weil Kinder wegen ihrer geistigen und körperlichen Unfertigkeit „über Jahre hinaus die Schwächeren“148 sind. Sie 138

Schlie, Elterliches Erziehungsrecht, S. 45. BVerfGE 24, 119 (143); 56, 363 (381 f.); 72, 155 (172); Fehnemann, AöR 105 (1980), S. 529, 533. Jestaedt, in: BK, Art. 6 II u. III Rdnr. 29 ff., 158 bewertet die Pflichtenbindung als „verfassungsunmittelbare Schutzbereichsbegrenzung“. Vgl. auch Stern, Staatsrecht, IV/1, S. 585; Pieroth, in: Jarass/Pieroth, GG, Art. 6 Rdnr. 31. 140 Zacher, FS Scholz, S. 413, 418. 141 Badura, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 6 Rdnr. 107, 133. 142 BVerfGE 59, 360 (382). 143 Die sogar als „Herrschaftsrecht“ bezeichnet wird, Jestaedt, in: BK, Art. 6 II u. III Rdnr. 26; so bereits, Holstein, AöR n. F. 12 (1927), S. 187 (239). 144 BVerfGE 24, 119 (144). 145 BVerfGE 24, 119 (135 ff.); 56, 363 (382); 59, 360 (376); 68, 176 (190); 80, 81 (90); Badura, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 6 Rdnr. 133; ders., FS Lorenz, S. 101, 108; differenzierend, Jestaedt, in: BK, Art. 6 II u. III Rdnr. 29 f., 132 ff., 155 ff.; Robbers, in: von Mangoldt/Klein/ Starck, GG, Art. 6 Rdnr. 209; Hofmann, in: Schmidt-Bleibtreu/Klein, GG, Art. 6 Rdnr. 41; a. A. Ossenbühl, FamRZ 1977, S. 533, 534; ders., DÖV 1977, S. 801, 806; Zacher, HdbStR VI, 2. Aufl., § 134 Rdnr. 3; Stern, StaatsR IV/1, S. 586. 146 BVerfGE 10, 59 (67); 24, 119 (144), st. Rspr., vgl. zuletzt, 108, 82 (102). 147 Burgi, HdbGR IV, § 109 Rndr. 29. Die Ausübung der elterlichen Befugnisse ist aber durchaus übertragbar, Jestaedt, in: BK, Art. 6 II u. III Rdnr. 29, 130 f.; Stern, StaatsR IV/1, S. 510. 148 Stern, StaatsR, IV/1, S. 504. 139

B. Das Erziehungsprimat der Eltern

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sind auf die Hilfe ihrer Eltern angewiesen,149 von deren Versorgung und Fürsorge ihr Überleben und ihre Fortentwicklung auf vielfältige Art und Weise abhängen. Das Elterngrundrecht kennt also keine negative Grundrechtsfreiheit.150 Ein gänzlicher Verzicht auf ihre Elternverantwortung ist den Eltern genauso wenig möglich wie sie von ihren Befugnissen nach freiem Belieben Gebrauch machen können. Ihre elterliche Erziehungsverantwortung haben sie kontinuierlich151 zum Nutzen, Schutz und im Interesse des jeweiligen Kindes einzusetzen und auszuüben.152 Anders als die übrigen Grundrechte, die der Entfaltung der Rechte beziehungsweise der Persönlichkeit des jeweiligen Grundrechtsträgers dienen, ist das Elternrecht darauf gerichtet, dass Pflege und Erziehung dem Kind zugutekommen und seine noch fehlende Selbstbestimmungsfähigkeit zur Entfaltung zu bringen. Dass das Elternrecht im „wesentlichen ein Recht im Interesse des Kindes“ ist, weil es zu einer selbstbestimmungsfähigen und eigenverantwortlichen Persönlichkeit innerhalb der sozialen Gemeinschaft heranwachsen soll,153 bringt das Bundesverfassungsgericht mit der Begriffswahl vom „dienenden Grundrecht“154 zum Ausdruck. Der dienende Charakter bezieht sich also allein auf das Verhältnis zum Kind, besteht aber nicht etwa gegenüber dem Staat.155 Diese Formulierung darf aber nicht vergessen lassen, dass die Eltern zugleich eigene Rechte,156 etwa durch Anordnungs- und Sanktionsmöglichkeiten gegenüber dem Kind,157 inne haben; wie auch familiäre Interessen bei der Erziehung zu berücksichtigen sind.158 Dass die Pflicht zum erzieherischen Tätigwerden nach dem Wortlaut der Verfassung „zuvörderst“ den Eltern obliegt und sie daher mit Vorrang vor anderen Erziehungsträgern für die Kindererziehung zu sorgen haben, ist neben den historischen Prägungen159 von der Vorstellung geformt, dass sie diejenigen sind, die dem „Kind 149

BVerfGE 7, 198 (205); 24, 119 (138, 150); 56, 363 (384); 79, 51 (63). BVerfGE 24, 119 (143 f.). 151 Schlie, Elterliches Erziehungsrecht, S. 45 ff. 152 BVerfGE 37, 217 (252); 56, 363 (381 f.); 64, 180 (189); 107, 104 (117); Böckenförde, Essener Gespräche 14 (1980), S. 54, 64, 68 f.; Jestaedt, in: BK, Art. 6 II u. III Rdnr. 28, 32 ff.; Badura, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 6 Rdnr. 109 f., 115. 153 BVerfGE 56, 393 (395). 154 BVerfGE 59, 360 (376 f.); 61, 358 (372); 64, 180 (189); 99, 145 (156). 155 Zu weitgehend daher Ossenbühl, DÖV 1977, S. 801, 806 f.; ders., FamRZ 1977, S. 533 ff. und ders., DÖV 1977, S. 381, 384, der das Eltern-Kind-Verhältnis mit dem Informationsanspruch des Bürgers gemäß Art. 5 Abs. 1 S. 2 GG vergleicht. 156 Fehnemann, AöR 105 (1980), S. 529, 533 f.; dies., DÖV 1982, S. 353, 356 ff.; Quambusch, ZfJ 1988, S. 315, 323; a. A. Lüderitz, AcP 178, S. 263, 267 ff.; Dieckmann, AcP 178 (1978), S. 298, 300 ff. 157 Burgi, in: Friauf/Höfling, GG, Art. 6 Rdnr. 123. 158 Jestaedt, in: BK, Art. 6 II u. III Rdnr. 28; Gröschner, in: Dreier, GG, Art. 6 Rdnr. 99; Robbers, in: von Mangoldt/Klein/Starck, GG, Art. 6 Rdnr. 189; Stern, Staatsrecht IV/1, S. 506. 159 Wie weit diese Einstellung historisch verwurzelt ist, zeigt die von Wilhelm von Humboldt im Jahr 1792 veröffentlichte Schrift „Ideen zu einem Versuch, die Grenzen der Wirksamkeit des Staates zu bestimmen“, vollständig veröffentlicht 1851, Kap. 14, vgl. Ramm, Jugendrecht, 150

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4. Teil: Das Elterngrundrecht in herkömmlicher Interpretation

das Leben geben“ und damit „von Natur aus bereit und berufen sind, die Verantwortung für seine Pflege und Erziehung zu übernehmen“.160 Auf Grundlage ihrer natürlichen Verbundenheit wird angenommen, dass den Eltern „das Wohl des Kindes mehr am Herzen liegt […] als irgendeiner anderen Person oder Institution“ und ebenso, dass sie im Grunde am besten ermessen können, was dessen Aufwachsen zu- oder abträglich sei.161 Zwar steht ihnen nicht die ausschließliche Erziehungsverantwortung zu, denn auch dem Staat kommt ein gewisses Maß an Befugnissen zu; allerdings im Fall des staatlichen Wächteramtes erst (weit) hinter den Eltern.162 Dass sich der Staat bis zur Grenze einer Kindeswohlgefährdung von der Kindererziehung fernzuhalten hat, obwohl die Eltern ihr Recht zur Pflege und Erziehung des eigenen Nachwuchses nicht angemessen ausüben, hat sich aber in einigen Fällen bereits als fataler Fehler zulasten von Kindern erwiesen.

C. Das verfassungsrechtliche Umfeld des Erziehungsgrundrechts Die durch Art. 6 Abs. 2 GG verbürgerte Eltern-Kind-Beziehung existiert nicht abgespalten, sondern ist in vielfältige soziale Bezüge eingebunden. Wenn die Eltern gemeinsam mit ihrem Kind als Familie i.S.v. Art. 6 Abs. 1 GG leben oder in anderen Beziehungsformen, so dass diese durch einen erweiterten Familienkreis sozialisiert werden, dann kann die Familie pulsierende Signale für die Erziehung von Kindern aussenden. Zu anderen Gelegenheiten wiederum kann sie ohne jegliche Bedeutung für das Eltern-Kind-Verhältnis sein.163 Familie kann also je nach Situation für die BeS. 51 f. Darin sprach er die „Sorgfalt für das physische und moralische Wohl der Kinder“ den Eltern zu und legte dem Staat die Pflicht auf „für die Sicherheit der Rechte der Kinder gegen die Eltern“ zu sorgen. Der Staat habe zu verhindern, dass die väterliche Gewalt über ihre Grenzen hinaus gehe und sie sei daher zu beaufsichtigen. „Jedoch muß diese Aufsicht niemals positiv den Eltern eine bestimmte Bildung und Erziehung der Kinder vorschrieben wollen, sondern nur negativ dahin gerichtet sein, Eltern und Kinder gegenseitig in den ihnen vom Gesetz bestimmten Schranken zu halten. Daher scheint es auch weder gerecht noch ratsam, fortdauernde Rechenschaft von den Eltern zu fordern; man muß ihnen zutrauen, dass sie eine Pflicht nicht versäumen werden, die ihrem Herzen so nahe liegt, und erst solche Fälle, wo entweder schon wirkliche Verletzungen dieser Pflicht geschehen oder sehr nahe bevorstehen, können den Staat sich in ihre Familienverhältnisse zu mischen berechtigen.“ 160 BVerfGE 24, 119 (150); 34, 165 (184); 60, 79 (94). Vgl. auch Peters, Die Grundrechte IV/1, S. 369, 373, die Hilfeleistung obliege den „beiden Menschen, die dem Kind ins Dasein verholfen haben“; Jestaedt, in: BK, Art. 6 II u. III Rdnr. 115 ff. u. 118 ff.; Badura, FS Lorenz, S. 101, 108. 161 BVerfGE 59, 360 (376), st. Rspr. 162 Anders für das staatliche Schulmandat aus Art. 7 Abs. 1 GG, BVerfGE 24, 119 (135 f.; 143); 31, 194 (204); 34, 165 (182 f.); 47, 46 (70); 56, 363, (385); 59, 360 (376 ff.); 98, 218 (244); Hill, RdJB 1972, S. 136, 138; Jestaedt, in: BK, Art. 6 II u. III Rdnr. 95 ff.; Badura, in: Maunz/ Dürig, GG, Art. 6 Rdnr. 133; Robbers, in: von Mangoldt/Klein/Starck, GG, Art. 6 Rdnr. 210 ff. 163 Ossenbühl, AöR (98) 1973, S. 361, 368.

C. Das verfassungsrechtliche Umfeld des Erziehungsgrundrechts

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treuung, Erziehung und Bildung von Kindern ein „alles ist möglich“ und „nichts ist sicher“ bedeuten.164 Dann hat stattdessen die staatliche Gemeinschaft in Gestalt behördlicher „Miterzieher“ gemäß Art. 6 Abs. 2 S. 2 GG aktiv zu werden. Bildungsleistung ist aber nicht ausschließliche Aufgabe der Eltern, sondern wird von der Schule erwartet. Die grundrechtlichen Einflüsse von Art. 7 Abs. 1 GG können das Bindungsdreieck also beschränken.

I. Familie gemäß Art. 6 Abs. 1 GG 1. Familie und Individuum Art. 6 GG gewährleistet unterschiedliche Seiten des Lebensbereiches, auf den sich das Individuum wie auch das Gemeinwesen zu gleichen Teilen gründen. Der „besondere“ Schutzauftrag für Ehe und Familie nach Art. 6 Abs. 1 GG165 und die Garantie des Elternrechts aus Art. 6 Abs. 2 und 3 GG stehen daher in einem „inneren Zusammenhang“.166 Systematisch zeigt sich es sich daran, dass sowohl die Ehe und Familie als auch das Elternrecht durch die Dimension eines Abwehrrechts, einer wertsetzenden Grundsatznorm und Institutsgarantie vor (gesetzgeberischen) Aushöhlungen geschützt sind beziehungsweise diese bereichsspezifisch einfordern.167 Als „Generalnorm“ figuriert der erste Absatz von Art. 6 GG, der i. V. m. Art. 3 GG einen strengeren Gleichheitssatz enthält, wonach Familien nicht schlechter als Kinderlose zu stellen sind.168 Dahingegen sind für speziellere Regelungen hinsichtlich des Eltern-KindVerhältnisses der zweite und dritte Absatz maßstäblich.169 Auch wenn die Ehe und Familie unter dem gemeinsamen Schutz von Art. 6 Abs. 1 GG stehen, so dass das Grundgesetz von einem sinnvollen Ergänzungsverhältnis der beiden ausgeht170 und für die Verfassungsgeber die Familie allein dort war, wo „das Kind mit den verheirateten Eltern in einer Familiengemeinschaft zusammenlebt und Vater und Mutter das Kind gemeinsam pflegen und erziehen“,171 konstituiert sich der verfassungsrechtliche Familienbegriff, als ein Prinzip des realen Lebens,172 mittler164

Bundesfamilienministerium (Hrsg.), Zwölfter Kinder- und Jugendbericht, S. 92. Tettinger, Essener Gespräche 35 (2001), S. 117, 127 ff., 143 ff.; Kirchhof, AöR 129 (2004), S. 542, 554 ff. 166 Zacher, HdbStR VI, 2. Aufl., § 134 Rdnr. 109. 167 BVerfGE 6, 55 (71, 76); 61, 319 (346 f.); 80, 81 (90 f.); 99, 216 (231). 168 BVerfGE 65, 55 (76 f.), st. Rspr., vgl. zuletzt BVerfGE 103, 242 (263). 169 BVerfGE 24, 119 (135 f.; 138 f.); 31, 194 (204); 76, 1 (51); 104, 373 (384); Badura, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 6 Rdnr. 61; ders., FS Lorenz, S. 101 ff.; Umbach, FS Geiger, S. 359, 365; Burgi, in: Friauf/Höfling, GG, Art. 6 Rdnr. 16; Stern, StaatsR IV/1, S. 623. 170 BVerfGE 76, 1 (51); 99, 145 (156). 171 Lecheler, HdbStR VI, 2. Aufl., § 133 Rdnr. 29 ff.; 34 ff.; 42 ff. 172 Umfassende Darstellung der „Familien“-Entwicklungsgeschichte, Schmid, Die Familie in Artikel 6 des Grundgesetzes. Zum gewandelten Begriffsverständnis vgl. auch, Tettinger, 165

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4. Teil: Das Elterngrundrecht in herkömmlicher Interpretation

weile nicht zwingend durch die auf einer Ehe gegründete Gemeinschaft von Vater und Mutter. Weil die Ehe allein die rechtlich anerkannte, formal zustande gekommene Verbindung zwischen zwei Erwachsenen verschiedenen Geschlechts beschreibt (vgl. §§ 1303, 1353 BGB)173 und tatbestandlich auch ohne Kinder auskommt. Der Familienbegriff gemäß Art. 6 Abs. 1 GG wird dagegen verstanden als „umfassende Gemeinschaft“,174 in der Eltern(teile) mit Kindern zusammenleben175 und ihre Erziehungsverantwortung wahrnehmen.176 Dadurch, dass der rechtliche Status der Eltern untereinander ohne Belang für ihre Grundrechtsträgerschaft ist, wird die Elternschaft gemäß Art. 6 Abs. 2 S. 1 GG auch nicht durch eine Trennung, Scheidung oder das Eingehen einer neuen Ehe verändert (vgl. zuvor B. I.).177 Dies ist etwa am gleichen Rang von Unterhaltsansprüchen minderjähriger, unverheirateter Kinder ablesbar.178 Entsprechend folgen aus dem grundrechtlichen Eheschutz keine direkten Aussagen zugunsten oder zulasten des Elterngrundrechts.179 Anderes gilt für den verfassungsrechtlichen Familienschutz gemäß Art. 6 Abs. 1 GG. Eine gefestigte soziale Beziehung kann den Familienschutz gemäß Art. 6 Abs. 1 GG beziehungsweise die Abwehrfunktion von Art. 6 Abs. 3 GG auslösen.180 Trotz aller Veränderungen der Lebenswirklichkeit, die die Anzahl der Familien weniger und ihr Erscheinungsbild vielfältiger hat werden lassen,181 ist die Familie auch oder gerade heute noch immer als „das menschgerechte Nest des Auf- und Heranwachsens“182 für Kinder zu beschreiben. Das Aufwachsen in einer Familie ist die beste Voraussetzung für die körperliche, geistige und seelische Entwicklung des Kindes.183 Dort erfährt es grundsätzlich die geeignetsten Bedingungen für seine Sozialisation und das Kindeswohl wird im Zustand der familiären Verbundenheit am ehesten

Essener Gespräche 35 (2001), S. 117, 124 ff.; Herzog, FS 40 Jahre Familienpolitik, S. 53 ff.; Schwab, FS 40 Jahre Familienpolitik, S. 63, 88. 173 BVerfGE 10, 59 (66). 174 BVerfGE 61, 319 (347); 80, 81 (90). 175 Zur Familienqualität von Adoptiv-, Stiefkind- und Pflegefamilie, BVerfGE 18, 97 (105 f.); 36, 146 (167); 68, 176 (187); 79, 51 (59 f.); 79, 256 (267). 176 Kingreen, Jura 1997, S. 401, 402; Stern, StaatsR IV/1, S. 398 ff., 400; Schmitt-Kammler, in: Sachs, GG, Art. 6 Rdnr. 16. 177 BVerfGE 24, 119 (135); 92, 158 (176 f.); 107, 150 (169); 108, 82 (99, 103); Jestaedt, in: BK, Art. 6 II u. III Rdnr. 53 f., 72 ff.; Badura, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 6 Rdnr. 100; Robbers, in: von Mangoldt/Klein/Starck, GG, Art. 6 Rdnr. 163 ff., 167 ff. 178 BVerfGE 68, 256 (267 ff); Badura, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 6 Rdnr. 92, 123 ff.; Robbers, in: von Mangoldt/Klein/Starck, GG, Art. 6 Rdnr. 198. 179 BVerfGE 84, 168 (184); Jestaedt, in: BK, Art. 6 II u. III Rdnr. 258 f. 180 Seiler, Öffentliches Familienrecht, S. 16 f. 181 Seiler, Öffentliches Familienrecht, S. 15 f. 182 Zacher, FS Scholz, S. 413, 418. 183 BVerfGE 76, 1 (51); 99, 145 (156).

C. Das verfassungsrechtliche Umfeld des Erziehungsgrundrechts

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garantiert.184 Das Kind erlebt durch die anderen Familienmitglieder Geborgenheit, Anerkennung und Zuneigung. Hier eröffnet sich ihm die Chance zu einem durch Vertrauen geförderten Heranwachsen zu einer individuellen Persönlichkeit.185 In der Familie als „natürlicher Lernstätte“186 eignet sich das Kind überdies Wissen und Werte an wie auch die Erfahrung solidarischer Verbundenheit mit den anderen Familienmitgliedern die Fähigkeit bewirkt, später selbst Beziehungen aufzubauen und zu erhalten.187 Traditionell nimmt die Familie alle Formen gemeinsamer wirtschaftlicher Sicherung wahr.188 Dass sie dabei mehr ist als die bloße Summe ihrer Haushaltsmitglieder, zeigt sich daran, dass sie in der Regel sowohl dem Kind als auch später dem erwachsenen Menschen als ein Ort der individuellen Persönlichkeitsentfaltung dient. Durch sie werden umfassende soziale und emotionale Fürsorgeaufgaben wahrgenommen und diese Verantwortung der einzelnen Mitglieder füreinander ist grundsätzlich auf Lebenszeit angelegt.189 Dadurch, dass die Familienmitglieder sich in Alltagssituationen wie auch Notfällen gegenseitig unterstützen und sie aufgrund der inneren Verbindungskraft ihrer verwandtschaftlichen Beziehungen zusammengefügt sind, bildet die Familie eine einzigartig verbundene Einheit.190

2. Familie und Gemeinwesen Neben der Lebenshilfe für den Einzelnen sind Familien zudem „von grundlegender Bedeutung für die Ordnung des Gemeinschaftslebens“.191 Sie sorgen nicht nur für die Erneuerung des Staatsvolkes, sondern tragen durch zahlreiche ökonomische und soziale Beiträge zum Allgemeinwohl bei.192 Familien stellen diejenigen Transmissionsriemen dar, die eine freiheitlich-demokratische Gesellschaftsordnung benötigt, um ihre Werte und Daseinskompetenzen von einer Generation zur anderen zu vermitteln und zu entwickeln.193 Der Verfassungsstaat ist folglich darauf angewiesen, dass 184 BVerfGE 24, 119 (144, 148 ff.); 56, 363 (384 ff., 395); 79, 51 (63 f.); Jestaedt, in: BK, Art. 6 II u. III Rdnr. 11; Coester-Waltjen, in: von Münch/Kunig, GG, Art. 6 Rdnr. 78. 185 Schmitt Glaeser, DÖV 1978, S. 632, 633; ders., Elterliches Erziehungsrecht, S. 41 f.; Kirchhof, Grundrechte des Kindes, S. 171. 186 BVerfGE 47, 46 (70). 187 BVerfGE 10, 302 ff.; 68, 176 (178). 188 Kirchhof, Essener Gespräche 21 (1986), S. 117. Zum daraus erwachsenden Förderbedarf des Gesetzgebers, Kirchhof, FamRZ 2007, S. 241 ff. 189 BVerfGE 57, 170 (178);76, 1 (51); 80, 81 (90 f.). 190 Die Familie als „Keimzelle jeder menschlichen Gemeinschaft, deren Bedeutung mit keiner anderen menschlichen Bindung verglichen werden kann“, BVerfGE 6, 55 (71); 24, 119 (149); Geiger, Essener Gespräche 14 (1980), S. 9 ff. 191 BVerfGE 76, 1 (51); di Fabio, NJW 2003, S. 993. 192 Lampert, Priorität für die Familie, S. 18 ff.; Seiler, HdbStR IV, § 81 Rdnr. 7. 193 Häberle, Verfassungsschutz der Familie, S. 6 ff.; Kirchhof, in: AöR 129 (2004), S. 542, 545; Lüscher, RdJB 2008, S. 120, 124.

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4. Teil: Das Elterngrundrecht in herkömmlicher Interpretation

Kinder in ein „ihrer Entwicklung förderliches Umfeld hineingeboren werden, in dem sie die Befähigung zum verantwortungsbewussten, auch solidarischen Freiheitsgebrauch“ erlernen.194 Auch wenn manche Familien diese Aufgaben nicht oder nur bruchstückhaft erfüllen, ohne den „familiäre Schutzraum“195 wäre ein so komplexer Vorgang wie das Heranziehen und Aufbringen von Kindern jedenfalls nicht zu erbringen. Die staatliche Gemeinschaft wird also entlastet und ist daher verpflichtet, ihrerseits die Familie vor Beeinträchtigungen zu bewahren.196 Da die Familienmitglieder ihre Gemeinschaft eigenständig begründen und gestalten,197 weshalb sie in ganz unterschiedlichen Facetten als Lebens-, Erziehungs-, Haus- oder bloße Begegnungsgemeinschaft auftreten kann, hat der Staat diese „in ihrer jeweiligen eigenständigen und selbstverantwortlichen Ausgestaltung zu respektieren“ (Neutralitätsgebot).198 Darüber hinaus ist der Staat auch verpflichtet die jeweils spezifische Einheit und Selbstverantwortlichkeit dieses Lebens- und Schonraums durch geeignete Maßnahmen in immateriell-persönlicher wie auch materiell-wirtschaftlicher Hinsicht zu fördern.199 Steuerliche Maßnahmen wie das Kindergeld oder an dessen Stelle der Kinderfreibetrag,200 monetäre Leistungen wie das Eltern- und Mutterschaftsgeld oder der Kinderzuschlag201, Realtransfers für die Kinderbetreuung und Jugendhilfe sowie familienbezogene Leistungen wie die beitragsfreie Mitversicherung von Kindern in der Kranken- und Pflegeversicherung geben ein beredtes Zeugnis von einem differenzierten staatlichen Unterstützungssystem.202 Wenn Eltern und Kind gleichzeitig in einer „Familie“ zusammen leben, ergänzen sich die Gewährleistungsgehalte von Art. 6 Abs. 1 und Abs. 2 GG zu einem wirksamen Eltern-Kind-Familien-Schutz.203 Anderenfalls bestehen zwei Familien, die sich beide auf den Schutz von Art. 6 Abs. 1 GG berufen können,204 wobei allerdings im Konfliktfall zwischen einem Elternteil gemäß Art. 6 Abs. 2 S. 1 GG und dem als Familie i.S.v. Art. 6 Abs. 1 GG mit dem Kind zusammenlebenden anderen Elternteil der Seiler, HdbStR IV, § 81 Rdnr. 6; ders., Öffentliches Familienrecht, S. 19. „Schutzraum der Familie“, Zacher, HdbStR VI, 2. Aufl., § 134 Rdnr. 89, 92. 196 BVerfGE 34, 165 (184); 61, 358 (372); 72, 122 (139 f.). Coester, FamRZ 1996, S. 1181 (1183); Robbers, in: von Mangoldt/Klein/Starck, GG, Art. 6 Rdnr. 146. 197 BVerfGE 61, 319 (346 f.); 80, 81 (90 f.); 99, 216 (231 ff.). 198 BVerfGE 99, 216 (231 ff.). Das Schutzniveau variiert aber, BVerfGE 24, 119 (135); 48, 327 (339); 80, 81 (90 f.); 108, 82 (112). 199 BVerfGE 4, 52 (57); 6, 55 (76); 87, 1 (35 f.); 105, 313 (346); 112, 164 ff.; Lecheler, HdbStR VI, 2. Aufl., § 133 Rdnr. 60 ff.; Zacher, HdbStR VI, 2. Aufl., § 134 Rdnr. 4; Badura, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 6 Rdnr. 60, 95; Robbers, in: von Mangoldt/Klein/Starck, GG, Art. 6 Rdnr. 85; Stern, Staatsrecht IV/1, S. 504. 200 Zur Familienbesteuerung, Kanzler, FamRZ 2004, S. 70, 75 ff. 201 Seiler, NZS 2008, S. 505 ff. 202 Vgl. Seiler, HdbStR IV, § 81 Rdnr. 35 ff. 203 Jestaedt, in: BK, Art. 6 II u. III Rdnr. 256. 204 BVerfGE 45, 104 (123). 194 195

C. Das verfassungsrechtliche Umfeld des Erziehungsgrundrechts

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Familienschutz staatliche Beeinträchtigungen zu Lasten des außenstehenden Elternteils rechtfertigen kann.

II. Schule gemäß Art. 7 Abs. 1 GG 1. Schulerziehung „Die Familie erzieht unbewusst, die Schule setzt die von der Familie begonnene Erziehung bewusst fort.“205

Für die kindliche Persönlichkeitsbildung ist der Umgang mit anderen Altersgenossen unerlässlich; auch aus rechtlichen Gründen können die Kinder nicht allein im Familienkreis aufgezogen werden. Denn der staatliche Bildungs- und Erziehungsauftrag ist gemäß Art. 7 Abs. 1 GG206 verfassungsrechtlich eigenständig gewährleistet und, sobald ein Kind das schulpflichtige Alter207 erreicht hat (vgl. § 41 Abs. 1 SchulG NRW, Art. 8 Abs. 2 VerfNW), stellt dessen Erziehung die gemeinsame Aufgabe von Eltern und Schule dar. Vor diesem Zeitpunkt gilt das oben Geschilderte zum grundsätzlichen Vorrang der elterlichen Entscheidungszuständigkeit für die Kindererziehung; mit Beginn der Schulpflicht haben die Eltern, wenn auch nur für einige Stunden täglich, einen gleichgeordneten Miterzieher an ihrer Seite zu akzeptieren.208 Der mit der Schulbesuchspflicht verbundene Eingriff in die Grundrechte der Eltern aus Art. 6 Abs. 2 S. 1 GG, indem das Kind auch gegen den Willen der Eltern

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Stein, FS Schütte, S. 169, 178. Pieroth, DVBl. 1994, S. 949 ff.; Bothe, VVDStRL 54 (1995), S. 7; Dittmann, VVDStRL 54 (1995), S. 47; Geis, RdJB, 1996, S. 111; ders., in: Friauf/Höfling, GG, Art. 7 Rdnr. 13 ff., 18 ff.; Ennuschat, RdJB 2007, S. 271. 207 Die Einführung einer „Unterrichtspflicht“ geht auf den preußischen König Friedrich Wilhelm I. zurück, der im Jahr 1717 „den Eltern unter Androhung nachdrücklicher Strafe einschärfte, ihre Kinder zur Schule zu schicken“. Konnten die Eltern dies „aus bösem Willen, Ungeschick oder aus tatsächlicher Unmöglichkeit“ nicht erfüllen, hatte die „Obrigkeit und Rat“ einzugreifen. Fortgeführt wurde die Pflicht zur Unterrichtung durch § 43 II, 12 PrALR („Jeder Einwohner, welcher den nötigen Unterricht für seine Kinder in seinem Hause nicht besorgen kann oder will […war schuldig…] „dieselben nach zurückgelegtem fünftem Jahr zur Schule zu schicken“), Heinz, NWVBl. 2007, S. 128 ff. Aus dem Gedanken einer obrigkeitlichen Pflicht „zu aktiver Sorge für die […] soziale Gemeinschaft“ entwickelte sich das selbstständige staatliche Erziehungs- und Unterrichtsrecht. Gemäß Art. 143 ff. WRV war das Schulrecht staatliches Eigenrecht. Es besaß Vorrang gegenüber den elterlichen Erziehungsrechten („Staatsrecht überhöht Elternrecht“), Holstein, AöR n. F. 12 (1927), S. 187, 208, 215; Anschütz, Verf. dt. Reiches, Art. 120, Anm. 3 und Art. 145 Anm. 1, 4; Maunz, FS Scheuner, S. 419, 422 f. 208 BVerfGE 34, 165 (182 f.); 41, 29 (44); 47, 46 (72); 98, 218 (244 f.); 108, 282 (301), st. Rspr. und h. M., vgl. nur Böckenförde, Essener Gespräche 14 (1980), S. 54, 80, 82 ff.; Pieroth, DVBl. 1994, S. 949, 956; ders., in: Pieroth/Schlink, GG, Art. 7 Rdnr. 5; Stern, Staatsrecht IV/1, S. 602; a. A. Ossenbühl, AöR 98 (1973), S. 361, 367, 369 ff.; ders., DÖV 1977, S. 801, 807 f.; ders., Erziehungsrecht, S. 110 ff.; Robbers, in: Mangoldt/Klein/Starck, GG, Rdnr. 219, 223. 206

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4. Teil: Das Elterngrundrecht in herkömmlicher Interpretation

zur Schule zu gehen hat,209 ist über Art. 7 Abs. 1 GG als verfassungsimmanente Schrankenregelung gerechtfertigt, weil er angesichts der Erfüllung des staatlichen Erziehungsauftrages und der dahinterstehenden Gemeinwohlinteressen verhältnismäßig ist.210 Denn es ist Aufgabe des Staates, unabhängig von der sozialen Herkunft und Ausganglage, für alle Kinder und Jugendliche durch eine individuelle Wissensvermittlung „gleiche Bildungschancen“211 zu eröffnen. Daneben besteht auch ein staatliches Eigeninteresse an einem gewissen Bildungsgrad seiner Bürger.212 Aber obgleich durchaus eine gewisse Korrelation zwischen einem Mindeststandard an Bildung und dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht gemäß Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG213 sowie dem Sozialstaatsprinzip gemäß Art. 20 Abs. 1 GG auszumachen ist, wonach der Staat eine „quantitative Untergrenze der öffentlichen Bildungsvorsorge“ sicherzustellen hat,214 kann hieraus kein grundgesetzliches Recht auf Bildung abgeleitet werden.215 Ferner werden Kinder durch einen regelmäßigen Schulbesuch anderen Einflüssen außerhalb ihres Elternhauses ausgesetzt216 und wachsen so in das Gemeinschaftsleben hinein. Der soziale Kontakt zu Andersdenkenden wie auch die Integration von religiösen und weltanschaulichen Minderheiten verhindern Parallelgesellschaften und werden zu einem Teilbereich gelebter Toleranz in der pluralistischen Gesellschaft.217 Grundsätzlich darf der Staat dabei in schulorganisatorischen Angelegenheiten218 wie auch inhaltlich selbst, das heißt „unabhängig von den Eltern eigene Erziehungs-

209

Zur Unzulässigkeit des sog. „home-schooling“, BVerfGE 34, 165 (182); 47, 46 (71); 52, 223 (237). 210 BVerfGE 34, 165 (182 f.); 41, 29 (44); 47, 46 (74); 59, 360 (379); 93, 1 (21); 98, 218 (244), st. Rspr. und h. M., vgl. Pieroth, DVBl. 1994, S. 949, 951; Jestaedt, in: BK, Art. 6 II u. III Rdnr. 330 ff.; Badura, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 6 Rdnr. 130; Robbers, in: von Mangoldt/ Klein/ Starck, GG, Art. 6 Rdnr. 218 ff. 211 BVerfGE 34, 165 (189). 212 Maunz, FS Scheuner, S. 419, 429. 213 Mit dem „Recht des Kindes auf Pflege, Erziehung und Bildung durch seine Eltern“ korrespondiert das „Recht auf Bildung“ gegenüber dem Staat, Peters, Die Grundrechte IV/1, S. 369 (397 ff., 399 f.). 214 Glotz/Faber, HdbVerfR, § 28 Rdnr. 13; di Fabio, in: Manuz/Dürig, GG, Art. 2 Abs. 1 Rdnr. 211. 215 Di Fabio, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 2 Abs. 1 Rdnr. 211; Murswiek, in: Sachs, GG, Art. 2 Abs. 1 Rdnr. 111; vgl. auch, Starck, in: von Mangoldt/Klein/Starck, GG, Art. 2 Abs. 1 Rdnr. 149 unter Hinweis auf diesbzgl. Bestimmungen in einigen Landesverfassungen; Jarass, DÖV 1995, S. 674, 676; a. A. BVerwGE 47, 201 (206). 216 Sobald Kinder Schulen besuchen sind sie einer „Fülle unterschiedlicher Faktoren der Miterziehung“ ausgesetzt sind, Zacher, HdbStR VI, 2. Aufl., § 134 Rdnr. 90. 217 BGH, JA 2008, 306, 308. 218 Seit BVerfGE 34, 165 (182 ff.), st. Rspr., vgl. zuletzt BVerfGE 104, 305 ff.; 106, 210 ff.; Böckenförde, Essener Gespräche 14 (1980), S. 54, 82 ff.

C. Das verfassungsrechtliche Umfeld des Erziehungsgrundrechts

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ziele verfolgen“.219 Der Staat hat dabei genauso wie die Eltern Rücksicht auf die Persönlichkeitsentwicklung des einzelnen Kindes zu nehmen,220 das heißt indoktrinierende Lernmethoden, die geistig uniformierend wirken und dem Schüler keine Wahl lassen, entsprechend seiner Begabung zu lernen, verstoßen gegen die Grundrechte des Minderjährigen aus Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 1 Abs. 1 GG.221 Ferner ist der Staat durch seine Verpflichtung zur Neutralität gebunden,222 soweit sich diese mit einem geordneten und funktionierenden staatlichen Schulsystem verträgt.223 2. Eltern und Schule Die Bildungsziele der Schule erzeugen für die elterliche Erziehung keinerlei Bindung,224 während der Staat die elterliche Entscheidungszuständigkeit für den Gesamtplan der Kindererziehung auch im Schulbereich zu akzeptieren hat.225 Zwar werden Einstellungen und Alltagspraktiken stärker durch die Sozialisation in der Herkunftsfamilie geprägt und die Schule vermittelt eher Wissen und Bildung,226 aber die Bereiche können nicht trennscharf voneinander geteilt werden.227 „Die Erziehungsträger [stehen] nicht unvermittelt nebeneinander“,228 vielmehr ist Gegenstand der elterlichen wie schulischen Erziehung „das eine Kind und seine Persönlichkeitsentfaltung“229 gemäß Art. 2 Abs. 1 GG i. V. m. Art. 1 Abs. 1 GG. Zu dessen Gunsten haben beide sinnvoll zusammen zu wirken.230 Zwischen Schule und Elternhaus besteht daher im günstigen Fall ein Kooperationsverhältnis, so dass individuell-familiä219 BVerfGE 47, 46 (71); 52, 223 (236); 53, 185 (196); 59, 360 (377), st. Rspr. und h. M., vgl. nur Pieroth, DVBl. 1994, S. 949, 951 f. 220 BVerfGE 47, 46 (69 ff.); 98, 218 (257); di Fabio, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 2 Abs. 1 Rdnr. 210; Murswiek, in: Sachs, GG, Art. 2 Abs. 1 Rdnr. 135. 221 Glotz/Faber, HdbVerfR, § 28 Rdnr. 11; Starck, in: von Mangoldt/Klein/Starck, GG, Art. 2 Abs. 1 Rdnr. 151. 222 BVerfGE 52, 233 (237); 93, 1 (17); 108, 282 (299). 223 BVerfGE 24, 236 (246); 34, 165 (183); 45, 400 (416); 53, 185 (196); vgl. auch Jestaedt, in: BK, Art. 6 II u. III Rdnr. 353 f. 224 Böckenförde, Essener Gespräche 14 (1980), S. 54, 58 f., 66 f. Diese sind aber unmittelbar geltendes Recht, Pieroth, DVBl. 1994, S. 949, 954. 225 BVerfGE 34, 165 (183 f.); 47, 46 (75 f.); 59, 360 (381 f.); 107, 104 ff., st. Rspr. und h. M., Böckenförde, Essener Gespräche 14 (1980), S. 54, 56 ff.; Zacher, HdbStR VI, 2. Aufl., § 134 Rdnr. 67; Pieroth, DVBl. 1994, S. 849, 851. 226 Weshalb die reine Wissensvermittlung in der Schule keine Elternrechte verletzt, BVerfGE 98, 218 ff. 227 A. A. Schmitt-Kammler, Elternrecht, S. 50 ff. und ders., in: Sachs, GG, Art. 7 Rdnr. 36, der für eine „Bereichsscheidung“ plädiert, nach der Art. 7 Abs. 1 GG lex specialis gegenüber Art. 6 Abs. 2 S. 1 GG ist. 228 Pieroth, DVBl. 1994, S. 949, 955. 229 BVerfGE 34, 165 (183); 47, 46 (72); 59, 360 (379); 99, 216 (231); Badura, in: FS Lorenz, S. 101 (103); Robbers, in: von Mangoldt/Klein/Starck, GG, Art. 6 Rdnr. 223. 230 BVerfGE 34, 165 (183).

140

4. Teil: Das Elterngrundrecht in herkömmlicher Interpretation

re wie auch gemeinschaftsbezogene Aspekte in die Kindeserziehung einfließen, damit Staatsbürger, die gleichberechtigt und verantwortungsbewusst an den demokratischen Prozessen in einer pluralistischen Gesellschaft teilhaben, heranwachsen können.231 Entsteht aber Streit zwischen Eltern und Schule über Erziehungsfragen im Bildungsbereich,232 ist diese Doppelzuständigkeit im Wege der praktischen Konkordanz in eine „erzieherische Gewaltenbalance“233 zu bringen.234

III. Sozialstaatsprinzip Es liegt in der Verantwortung des Staates, den gesellschaftlichen Verhältnissen eine formende Ordnung zu geben. Eine wichtige „Grundformel“ und „Zielstruktur“235 ist dem Sozialstaatsprinzip gemäß Art. 20 Abs. 1, 23 Abs. 1, 28 Abs. 1 GG zu entnehmen.236 Es umfasst die Garantie der sozialen Sicherheit,237 damit die Gewährleistung sozialer Minimalstandards,238 wie auch die Herstellung einer gerechten Sozialordnung insgesamt.239 Entsprechend des Charakters als soziale Staatszielbestimmung sind seine verfassungsrechtlichen Vorgaben für das staatliche „Sachprogramm des Handelns“240 jedoch weitgehend unpräzise.241

231 BVerfGE 47, 46 (70 ff.; 72); 56, 363 (384); 93, 1 ff.; 107, 104 (117); Stein, FS Schütte, S. 169 ff; Böckenförde, Essener Gespräche 14 (1980), S. 54, 63, 84, 111; Ossenbühl, Erziehungsrecht, S. 142; ders., DÖV 1977, S. 801, 807; Maunz, in: FS Scheuner, S. 419 (429); Zacher, FS Scholz, S. 413, 419. 232 Bspw. bei obligatorischen Ganztagsschulangeboten, Bumke, NVwZ 2005, S. 51; Guckelberger, RdJB 2006, S. 11; Schmahl, DÖV 2006, S. 885 oder verpflichtender Schuluniformen, Ennuschat/Siegel, NWVBl. 2007, S. 125 oder bzgl. Schulwahlempfehlungen, Meinel, DÖV 2007, S. 66; Frey, NWVBl. 2007, S. 142. 233 Ossenbühl, Erziehungsrecht, S. 101. 234 Unter Beachtung des Vorbehalts des Gesetzes, BVerfGE 34, 165 (183); 47, 46 (75, 80); 93, 1 (21); 98, 218 (244 f.); 108, 282 (301); Böckenförde, Essener Gespräche 14 (1980), S. 54, 80 ff.; Ossenbühl, Erziehungsrecht, S. 116 ff.; Jestaedt, in: BK, Art. 6 II u. III Rdnr. 33, 343 ff.; Badura, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 6 Rdnr. 131. 235 Zacher, Der deutsche Sozialstaat, S. 53, 54, 58. 236 Benda, HdbVerfR, § 17 Rdnr. 83; Bieback, EuGRZ 1995, S. 657; Denninger, FS Schneider, S. 57, 61. 237 Für- und Vorsorge für einzelne Bürger, BVerfGE 45, 376 (387 f.); 56, 139 ff. und Gruppen, BVerfGE 27, 283 ff.; 35, 202 (236). 238 BVerfGE 45, 187 (22); 66, 248 (258); 82, 60 (80 f., 85 ff.); 87, 153 (169 ff.); vgl. auch Pitschas, FS Zacher, S. 755, 762, 764. 239 BVerfGE 5, 85 (98); 93, 121 (163 f.), st. Rspr. 240 Zacher, HdbStR II, § 28 Rdnr. 2. 241 Es fehlen beispielsweise Prioritäten hinsichtlich der Aufgaben- und Kompetenzkataloge, Bieback, EuGRZ 1995, S. 659, 661 ff.; ders., KJ 1998, S. 162, 173; Pitschas, FS Zacher, S. 755, 757.

D. Verfassungsrechtliche Begrenzungen des Elternrechts

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Das Bundesverfassungsgericht formuliert entsprechend zurückhaltend einen „weiten Gestaltungsauftrag“ zugunsten des Gesetzgebers,242 der angesichts sich verändernder sozialer Problemlagen einer ständigen „prozeßhaften“ Konkretisierung unterliegt. Die Sozialgestaltungsbefugnis hat jedenfalls desintegrierenden Wirkungen entgegenzutreten und „Defizite zu kompensieren, wenn die Normalität nicht greift,“243 um so für einen angemessenen Ausgleich zwischen individuellen Freiheitsrechten einerseits und der Gemeinschaftsbezogenheit und -gebundenheit der Menschen andererseits zu sorgen.244 Grundsätzlich sind jedoch aus den sozialstaatlichen Aussagen weder ein abwehrrechtlicher Gemeinwohlvorbehalt zur einschränkenden Auslegung von Grundrechten noch konkrete, subjektive Leistungsansprüche abzuleiten.245 Auch in Verbindung mit dem verfassungsrechtlichen Elternrecht ergeben sich keine weitergehenden Vorrechte, etwa bei der Verteilung von Leistungen.246

D. Verfassungsrechtliche Begrenzungen des Elternrechts I. Das Kindeswohl als innere Grenze Das multipolare Beziehungsgefüge im Rahmen von Art. 6 Abs. 2 GG ist wohl am besten mit der Figur eines Rechts-Dreiecks zu veranschaulichen, in welchem die Eltern-, Kind- und Staatspositionen miteinander verbunden sind und sich daher gegenseitig beeinflussen.247 Die grundrechtlichen Vorgaben sind eher knapp, allerdings geprägt durch die Schwierigkeit, dass grundrechtlich abwehr- wie leistungsrechtliche Vorgaben zu einem angemessen Ausgleich zu bringen sind. Die Eltern, denen Art. 6 Abs. 2 S. 1 GG den grundsätzlichen Vorrang bei der Pflege und Erziehung des eigenen Nachwuchses garantiert, sind nicht vollständig autonom. Trotz der grundgelegten Eigenständigkeit bei der Ausübung ihrer Befugnisse haben sie das individuelle Kind(-eswohl) wie auch die staatlichen Schutzgebote zugunsten des Kindes zu berücksichtigen. Ihr Verhältnis zum Kind ist vorwiegend durch die familienrechtlichen Normen ausgestaltet, während der Staat ihnen in eingriffs(vgl. § 1666 BGB, Zweiter Teil, B. II.) und leistungsrechtlichen Kontexten (vgl. die erzieherischen Hilfen nach dem SGB VIII, Zweiter Teil, B. I.) begegnet. Das 242

BVerfGE 1, 97 (105); 53, 326 ff.; 82, 60 (80). BVerfGE 100, 171 (184); Zacher, Der deutsche Sozialstaat, S. 53, 58. 244 BVerfGE 1, 97 (105); 22, 180 (204); 33, 303 ff.; 39, 334 ff.; 93, 121 (163 f.); Benda, HdbVerfR, § 17 Rn. 132 ff. und 154 ff. 245 Eine Kürzung des Kindergeldes ist mit dem Sozialstaatsprinzip und der staatlichen Verpflichtung zur Förderung von Ehe und Familie gemäß Art. 6 Abs. 1 GG vereinbar, BVerfGE 82, 60 (80 f.); 94, 93 (108 ff.; 111); vgl. auch BVerfGE 87, 153 (170 f.); 91, 93 (108 ff.). 246 Allenfalls i.V. m. dem Gleichheitsgebot gemäß Art. 3 Abs. 1 GG oder Art. 6 Abs. 4 GG können sich weitere Aussagen ergeben, Burgi, in: Friauf/Höfling, GG, Art. 6 Rdnr. 177 f. 247 Dürig, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 19 Abs. 3 Rdnr. 18; Umbach, FS Geiger, S. 359, 363 f.; Wiesner, ZfJ 2004, S. 161. 243

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4. Teil: Das Elterngrundrecht in herkömmlicher Interpretation

Band zwischen Staat und Kind ist hauptsächlich durch eine Schutzkomponente geprägt, weil die Grundrechtsposition des Kindes gemäß Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG den Staat als Überwachungsinstanz gemäß Art. 6 Abs. 2 S. 2 GG in das Eltern-Kind-Verhältnis einbindet. Das Kindeswohl ist somit auch für den Staat Maßstab des Handelns. 1. Verfassungsrechtliche Eingriffsrechtfertigung a) Art. 6 Abs. 2 S. 1 GG Dass auch Minderjährige Träger von Grundrechten sind,248 ist allgemein anerkannt.249 Allerdings postuliert der Verfassungstext an keiner Stelle ausdrücklich eigene Grundrechte von Kindern. Allein in Verbindung mit den Elternrechten treten Kinder verfassungsrechtlich überhaupt in Erscheinung. Zwar sind auch im Rahmen von Art. 6 Abs. 2 S. 1 GG einzig die Eltern Grundrechtsträger. Dennoch ist Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG im Wesentlichen „ein Recht im Interesse des Kindes“.250 Kinder sind zum ersten notwendige Voraussetzung für die Existenz und Ausübung des verfassungsrechtlichen Elternrechts, so dass der Schutzgehalt von Art. 6 Abs. 2 S. 1 GG mit aus ihrer Perspektive zu entwickeln ist. Dies ergibt sich zudem aus dem Wortlaut.251 Die in sachlicher Hinsicht geschützten elterlichen Verhaltensweisen der „Pflege und Erziehung“ dienen in erster Linie dem Leben und Wohl des Kindes, ohne die es zumindest anfangs nicht lebensfähig wäre, so dass Kinder reflexartig über das Grundrecht miterfasst sind.252

248

BVerfGE 39, 1 (36 ff.); 88, 203 (251 ff.). In Bezug auf das allgemeine Persönlichkeitsrecht gemäß Art. 2 Abs. 1 GG i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG, BVerfGE 47, 46 (72 f.); 53, 185 (203); 83, 130 (140); Dürig, in: Maunz/Dürig/Herzog, GG, Art. 1 Rdnr. 13; Jarass, in: ders./Pieroth, GG, Art. 1 Rdnr. 3. 249 Anders als die Grundrechtsfähigkeit steht die Grundrechtsmündigkeit, jedenfalls für solche Grundrechte, die auf einen willentlichen Gebrauch angelegt sind (vgl. Art. 12a Abs. 1, 38 Abs. 2 GG), in Abhängigkeit vom Lebensalter bzw. der Reife des Minderjährigen und führt zu einer Beschränkung der „(Grundrechts-)Unmündigen“ in der Ausübung ihrer Grundrechte. Grundlegend, Krüger, FamRZ 1956, S. 329; Fehnemann, Innehabung und Wahrnehmung von Grundrechten im Kindesalter, 1983; Roell, Geltung der Grundrechte für Minderjährige, 1984, S. 21 f., 32 f.; Roth, Die Grundrechte Minderjähriger, S. 23 ff., 46 ff.; 63 ff. 250 BVerfGE 59, 360 (376 ff., 382); 72, 122 (137). 251 BVerfGE 59, 360 (376 ff., 382); 72, 122 (137). 252 BVerfGE 59, 360 (382); 61, 18 (27); 75, 201 (218 f.); Peters, Die Grundrechte IV/1, S. 369 (378); Jestaedt, in: BK, Art. 6 II u. III Rdnr. 91, 146; Robbers, in: von Mangoldt/Klein/ Starck, GG, Art. 6 Rdnr. 182; Stern, Staatsrecht IV/1, S. 510, 524. Dagegen tendieren Ditzen, NJW 1989, S. 2519 f.; Rummel, RdJB 1989, S. 394 ff.; Herdegen, FamRZ 1993, S. 374 (375); Engels, AöR 122 (1997), S. 212 zu einem eigenen „Menschwerdungsgrundrecht“ des Kindes gemäß Art. 2 Abs. 1 GG; a. A., Kirchhof, ZRP 2007, S. 149, 150 f.

D. Verfassungsrechtliche Begrenzungen des Elternrechts

143

Zum zweiten zeigt die Pflichtenbindung in Art. 6 Abs. 2 S. 1 GG, nach der die Eltern die Verantwortung und Sorge für ihr Kind zu tragen haben,253 dass das Elternrecht um der Kinder willen existiert. Zu ihrem Schutz und in ihrem Interesse haben die Eltern zu handeln.254 Die „besondere Struktur des Elternrechts“ verdeutlicht also, dass im Blickpunkt der verfassungsrechtlichen Gewährleistung, gleichsam als „grundrechtsdogmatische Mitte des Eltern-Kind-Verhältnisses“,255 auch ohne ausdrückliche Benennung256 das Wohl des Kindes steht.257 Das Kindeswohl ist daher in zahlreichen Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts der Schlüsselbegriff für staatliche Interventionen. Wenn elterliche (Nicht-)Handlungen zu einer Gefährdung der kindlichen Persönlichkeitsentwicklung führen, sind Eingriffsmaßnahmen in das Erziehungsrecht gerechtfertigt (vgl. sogleich D. II.).258 Das Kindeswohl beziehungsweise der Grad seiner Gefährdung oder Schädigung entscheidet demgemäß über das Maß und die Dauer staatlicher Interventionen.259 Denn Kinder sind, gerade weil sie sich eigenständig noch nicht schützen können, noch mehr als ihre Eltern auf staatlichen Schutz angewiesen. Als Grundrechtsträger hat das Kind „selbst Anspruch auf den Schutz des Staates“ und ist vor verantwortungsloser Ausübung des Elternrechts zu bewahren, so dass nicht „seine Entwicklung durch Vernachlässigung oder Missbrauch elterlicher Rechte oder gar deren Nichtausübung Schaden erleidet.“260 b) Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG Verfassungsrechtlich ist das Kindeswohl durch die Menschenwürde gemäß Art. 1 Abs. 1 GG und das allgemeine Persönlichkeitsrecht gemäß Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1

253 Böckenförde, Essener Gespräche 14 (1980), S. 54, 67 f.; Ossenbühl, Erziehungsrecht, S. 50 ff.; Erichsen, Elternrecht, S. 36; Jestaedt, in: BK, Art. 6 II u. III Rdnr. 29. 254 BVerfGE 79, 51 (63); Jeand’Heur, Schutzgebote, S. 20; Coester-Waltjen, in: von Münch/Kunig, GG, Art. 6 Rdnr. 81 ff., 84, 92; Badura, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 6 Rdnr. 115; ders., FS Lorenz, S. 101 (103); Hofmann, in: Schmidt-Bleibtreu, GG, Art. 6 Rdnr. 42a; Robbers, in: von Mangoldt/Klein/Starck, GG, Art. 6 Rdnr. 145; Stern, StaatsR IV/1, S. 519. 255 Jestaedt, in: BK, Art. 6 II u. III Rdnr. 32 ff., 34; ders., DVBl. 1997, S. 693, 697; Robbers, in: von Mangoldt/Klein/Starck, GG, Art. 6 Rdnr. 145 nennt es „zentrale Leitidee“. 256 Einfachgesetzlich wird das „Kindeswohl“ u. a. in § 1697a BGB genannt. 257 BVerfGE 24, 119 (144); 59, 360 (376, 382); 60, 79 (88); 61, 358 (371 f.); 75, 201 (218 f.); 107, 104 (117). 258 BVerfGE 72, 155 (170); 75, 201 (220); 104, 373 (385 f.); Starck, in: von Mangoldt/ Klein/Starck, GG, Art. 2 Abs. 1 Rdnr. 171; di Fabio, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 2 Abs. 1 Rdnr. 208. 259 BVerfGE 10, 59 (84); 24, 119 (142 f.); Ossenbühl, Erziehungsrecht, S. 69 ff.; Zacher, HdbStRVI, 2. Aufl., § 134 Rdnr. 93 ff.; a. A. Coester-Waltjen, in: von Münch/Kunig, GG, Art. 6 Rdnr. 81. 260 BVerfGE 24, 119 (144); 28, 104 (112); 61, 18 (27); Badura, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 6 Rdnr. 115.

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4. Teil: Das Elterngrundrecht in herkömmlicher Interpretation

Abs. 1 GG aufgeladen.261 Um einen effektiven Schutz zu gewährleisten, fächert sich das allgemeine Persönlichkeitsrecht in mehrere Ausprägungen auf.262 Die Privatsphäre, verstanden als der „Innenbereich der Persönlichkeitsentfaltung“263, ist grundrechtlich verbürgt,264 um Angelegenheiten, die typischerweise als „privat“ einzustufen sind, Schutzgewähr zu bieten.265 Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG erfasst aber nicht nur die Erhaltung der „engeren persönlichen Lebenssphäre“,266 um die Selbstentfaltung des bereits erwachsenen Menschen zu garantieren.267 Vielmehr sind auch die für die Persönlichkeitsentwicklung konstitutiven268 Entstehungsbedingungen geschützt.269 „Der Jugendliche ist […] nicht nur Objekt der elterlichen und staatlichen Erziehung. Er ist vielmehr von vornherein und mit zunehmendem Alter in immer stärkerem Maße eine eigene durch Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG geschützte Persönlichkeit.“270 Die Heranbildung der eigenen Persönlichkeit und der Entwicklungsprozess in Richtung „Person-Sein“271 ist daher mitberücksichtigt,272 so dass die Voraussetzungen für eine chancengleiche, anlagengerechte und „ungehinderte Entfaltung“273 der

261 BVerfGE 7, 198 (205); 24, 119 (144); 53, 185 (360, 382); 56, 363 (384); 72, 155 (172); Häberle, Menschenbild im Verfassungsstaat, S. 41 ff.; Jestaedt, in: BK, Art. 6 II u. III Rdnr. 32 ff., 35; Badura, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 6 Rdnr. 133. 262 BVerfGE 34, 238 (246), Recht am eigenen Bild bzw. Wort; 35, 202 (235), Resozialisierung; 49, 286 (297 ff.), sexuelle Selbstbestimmung; 63, 131 (142), Darstellung der eigenen Person. 263 BVerfGE 6, 32 (41); 6, 389 (433); 10, 55 (59), st. Rspr., vgl. zuletzt BVerfGE 101, 361 (382); 109, 279 (313); Fehnemann, ZblJR 1980, S. 605, 607; Degenhardt, JuS 1992, S. 361 ff.; di Fabio, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 2 Abs. 1 Rdnr. 149 ff. 264 BVerfGE 90, 255 (260); 101, 361 (382 ff.). 265 Beispielsweise die vertrauliche Kommunikation zwischen Eheleuten mit samt deren häuslicher Lebensweise oder anderer privater Gepflogenheiten BVerfGE 101, 361 (382); Schmitt Glaeser, HdbStR VI, § 129 Rdnr. 30 ff. 266 BVerfGE 54, 148 (53); 72, 155 (170); 96, 171 (181). 267 BVerfGE 79, 256 (268); Jarass, NJW 1989, S. 857, 859; Kunig, in: von Münch/Kunig, GG, Art. 2 Abs. 1 Rdnr. 33; di Fabio, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 2 Abs. 1 Rdnr. 129; Stern, StaatsR IV/1, S. 191. 268 Davon umfasst ist auch ein Recht auf Kenntnis der eigenen Abstammung, BVerfGE 79, 256 (268 ff.); 96, 56 (61 ff.); vgl. auch Jarass, NJW 1989, S. 857, 859; Degenhardt, JuS 1992, S. 361 ff.; Engels, AöR 122 (1997), S. 212, 226; di Fabio, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 2 Abs. 1 Rdnr. 58, soweit der Schutz von Ehe und Familie gemäß Art. 6 Abs. 1 GG diesem Begehren keine verfassungsimmanenten Begrenzungen entgegen setzt, BVerfGE 90, 263 (270 f.). 269 BVerfGE 72, 155 (170); 79, 256 ff.; 96, 56 (61). 270 BVerfGE 37, 217 (252); 47, 46 (74). 271 Jarass, NJW 1989, S. 857, 859. 272 BVerfGE 83, 130 (140); Ditzen, NJW 1989, S. 2519; Rummel, RdJB 1989, S. 394, 397. 273 BVerfGE 45, 400 (417); 58, 257 (272 ff.); 59, 360 (382); 72, 122 (137). Persönlichkeitsschutz als Entfaltungsschutz“, Hoffmann-Riem/Engels, RdJB 1996, S. 48, 51 f.; Engels, AöR 122 (1997), S. 212, 226; Badura, FS Lorenz, S. 101, 103.

D. Verfassungsrechtliche Begrenzungen des Elternrechts

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persönlichen Individualität gesichert sind.274 Das Persönlichkeitsrecht bietet somit neben Art. 6 Abs. 2 GG einen Gewährleistungsraum für den Schutz künftiger Generationen.275 Insbesondere Kinder sollen sich frei von öffentlicher Beobachtung entwickeln können, weshalb die familiäre Beziehung in Ausprägung der „elterlichen Hinwendung zu ihren Kindern“ durch Art. 6 Abs. 1 GG eine zusätzliche grundrechtliche Aufladung erfährt.276 c) Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG Daneben fordert Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG als „vitale Basis der Menschenwürde“277 den Schutz des Lebens, der körperlichen Gesundheit,278 ebenso wie des psychischen Wohlbefindens.279 Als subjektives Recht setzt der Abwehrgehalt von Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG jedenfalls mit der Nidation des werdenden Lebens im Mutterleib ein.280 Der Nasciturus hat als Teil der Mutter zwar Eingriffe hinzunehmen, die Intensität seines Schutzanspruches wächst aber mit fortschreitender Schwangerschaft;281 auch weil der Verfassungsnorm zudem eine objektiv-rechtliche Schutzpflicht zu entnehmen ist.282 Der Staat hat sich „schützend und fördernd vor das Leben zu stellen“ und das Ungeborene auch „vor rechtswidrigen Eingriffen von Seiten anderer zu bewahren“.283 Andere Schutzgüter stehen in ihrer Wertigkeit dem besonderen Rang des menschlichen Lebens284 und der körperlichen Unversehrtheit285 grundsätzlich nach. 274 BVerfGE 90, 263 (279); Degenhardt, JuS 1992, S. 361 ff.; Kunig, in: von Münch/Kunig, GG, Art. 2 Abs. 1 Rdnr. 11; di Fabio, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 2 Abs. 1 Rdnr. 207 f. 275 Di Fabio, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 2 Abs. 1 Rdnr. 208. 276 BVerfGE 101, 361 (385 f.); Starck, in: von Mangoldt/Klein/Starck, GG, Art. 2 Abs. 1 Rdnr. 188; di Fabio, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 2 Abs.1 Rdnr. 165. 277 BVerfGE 39, 1 (37); 88, 203 (251 f.). Die Rechte aus Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG sind im Kern Menschenrechte, BVerfGE 45, 187 (254 f.); 46, 160 (164). 278 BVerfGE 52, 131 (174 f.); 56, 54 (73 ff.); Lorenz, HdbStRVI, 2. Aufl., § 128 Rdnr. 16 ff., 18; Stern, StaatsR IV/1, S. 168 f. 279 BVerfGE 56, 54 (74); Schulze-Fielitz, in: Dreier, GG, Art. 2 Abs. 2 Rdnr. 20; Murswiek, in: Sachs, GG, Art. 2 Rdnr. 149. 280 Di Fabio, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 2 Abs. 2 Rdnr. 24 ff.; Starck, in: von Mangoldt/ Klein/Starck, Art. 6 Rdnr. 203. Für Beginn des Grundrechtsschutzes bereits ab der Befruchtung, Lorenz, HdbStR VI, 2. Aufl., § 128 Rdnr. 10 f.; Stern, StaatsR III/1, S. 1057 ff.; ders., StaatsR IV/1, S. 145. 281 BVerfGE 39, 1 (37, 80); 88, 203 (251 f., 256, 264, 341 f.); Schulze-Fielitz, in: Dreier, GG, Art. 2 Abs. 2 Rdnr. 41. 282 BVerfGE 77, 170 (214 f.); 77, 381 (402 f.); 79, 174 (201 f.); 85, 191 (21); 88, 203 (251); Lorenz, HdbStR VI, 2. Aufl., § 128 Rdnr. 5; Schulze-Fielietz, in: Dreier, GG, Art. 2 Abs. 2 Rdnr. 47; Starck, in: von Mangoldt/Klein/Starck, GG, Art. 2 Rdnr. 190; Stern, StaatsR IV/1, S. 163. 283 BVerfGE 39, 1 (41); vgl. auch BVerfGE 45, 187 (254 f.); 46, 160 (164 f.); 57, 250 (284 f.); 85, 191 (212); 90, 145 (195); 102, 1 (18); 102, 370 (393); di Fabio, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 2 Abs. 2 Rdnr. 41 ff. 284 Das Leben als „ein Höchstwert“ des Grundgesetzes, BVerfGE 39, 1 (42).

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4. Teil: Das Elterngrundrecht in herkömmlicher Interpretation

Ferner dient das Heranwachsen von Kindern frei von Gefahren für ihr Leben, ihre Freiheit und sexuelle Integrität sowie die angemessene Sicherung ihrer Lebens- und Entwicklungsbedingungen auch dem Allgemeininteresse an der Entwicklung nachfolgender Generationen; es erfüllt demnach auch eine objektive Funktion.286 Der Staat ist daher zum einen gehalten, sie durch den Erlass von Verbots- und Sanktionsnormen zu schützen287, sowie, um die Verursachung von Gefahren für Leben und Gesundheit zu vermeiden, und damit Grundrechtseingriffen vorzubeugen, hinreichende Vorkehrungen für ein effektives Maß zugunsten ihrer Sicherheit zu treffen.288 Vor allem deshalb, weil „Kinder und Heranwachsende, die zunächst Hilflosen im Leben“289 sind und beispielsweise durch Umweltgifte (vgl. Art. 20 a GG) oder dauerndes Mediengetöse ungleich schwerer betroffen sein können als Erwachsene, weil ihre Körper empfänglicher sind und damit nachhaltiger belastet werden.290

2. Eltern- versus Kindergrundrechte? Die Subjektstellung des Kindes ist dann mit zu berücksichtigen, wenn der Staat sich gegen den Elternstatus wendet, weil diese ihre Pflichten vernachlässigen oder untereinander in Streit geraten. Eine zweite Konfliktebene ist dort auszumachen, wo die Gewährleistungen für das Selbstbestimmungs- und Entfaltungsrecht des Kindes gemäß Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 1 Abs. 1 GG in Widerstreit zu den Elternrechten geraten.291 Da aber eine unmittelbare Geltung der Grundrechte im Verhältnis zwischen Privaten allgemein abgelehnt wird,292 können Eltern nicht unmittelbar durch die „Kindergrundrechte“ verpflichtet werden.293 Deshalb kann der Minderjährige den Erziehungsentscheidungen seiner Eltern nicht unter Berufung auf eigene Grundrechte entgegentreten. Ebenso wenig wie das Kind durch Nichtbeachtung von Erziehungsentscheidungen das Grundrecht der Eltern aus Art. 6 Abs. 2 S. 2 GG verletzen 285 Auch der körperlichen Unversehrtheit kommt „ein besonders hoher Rang“ zu, BVerfGE 49, 24 (53); 65, 317 (322). Vgl. auch Lorenz, HdbStR VI, 2. Aufl., § 128 Rdnr. 5; SchulzeFielitz, in: Dreier, GG, Art. 2 Abs. 2 Rdnr. 10 f. 286 BVerfGE 56, 363 (384 f.); 60, 79, (88); Robbers, in: von Mangoldt/Klein/Starck, GG, Art. 6 Rdnr. 242 u. 249. 287 BVerfGE 77, 170 (171); 79, 174 (202); Lorenz, HdbStR VI, 2. Aufl., § 128 Rdnr. 46; Starck, in: von Mangoldt/Klein/Starck, GG, Art. 2 Abs. 2 Rdnr. 217; Stern, StaatsR IV/1, S. 156 f. 288 Die Gefahrenvorsorge ist durch Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG geboten, Murswiek, in: Sachs, GG, Art. 2 Rdnr. 177 ff., 180, 198 ff. 289 „Kinder sind Personen mit Eigenwert, nicht aber Eigentum ihrer Eltern“, Geiger, FamRZ 1979, S. 457. 290 Die Pflicht des Staates zur Bekämpfung von Gesundheitsgefahren, etwa durch Lärm, Elektrosmog oder Kernenergie ist im Kern grundrechtlich geschützt, BVerfGE 49, 89 (142); 56, 54 (77); 79, 174 (210 f.); BVerfG-K, NJW 1997, S. 2509. 291 Roth, Grundrechte Minderjähriger, S. 125 ff. 292 BVerfGE 66, 116 (135); 99, 165 (194). 293 Gröschner, in: Dreier, GG, Art. 6 Rdnr. 70; Jestaedt, in: BK, Art. 6 II u. III, Rdnr. 134.

D. Verfassungsrechtliche Begrenzungen des Elternrechts

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würde.294 Vielmehr sind beide „gleichgerichtet“ gegen den Staat,295 der gemäß Art. 1 Abs. 3 GG zur Beachtung der Grundrechte verpflichtet ist. Der Gesetzgeber, vor allem die Behörden und Gerichte haben die familienrechtlichen Normen verfassungskonform auszulegen und anzuwenden. Für den Fall eines Interessenkonfliktes zwischen Eltern und Kind besteht somit zwar kein unmittelbarer Schutzanspruch des Kindes auf Begrenzung des Elterngrundrechts, aber die Kinderrechte sind auch nicht aufgehoben. Vielmehr sind wie gewohnt die beteiligten Interessen zu einem angemessenen Ausgleich zu bringen. Der staatliche Wächter hat bei einer Interessenkollision innerhalb der Eltern-Kind-Beziehung das Persönlichkeitsrecht des Minderjährigen zu beachten, das dem Elternrecht „mit eingegeben“, weshalb grundsätzlich dem begründeten kindlichen Wohlergehen der Vorrang zu verschaffen ist.296 Die Grundrechte wirken auch durch die das Rechtsverhältnis ausgestaltenden familienrechtlichen Normen auf die Eltern-Kind-Beziehung ein. Beispielsweise erfährt die allgemeine Handlungsfreiheit und das allgemeine Persönlichkeitsrecht des Kindes gemäß Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG durch die gesetzlich geregelte Vertretungsmacht der Eltern gemäß § 1626 Abs. 1 BGB Einschränkungen. Wie auch die Eltern durch ihr Recht zur Beaufsichtigung und Bestimmung des Aufenthaltes des Kindes gemäß § 1631 Abs. 1 BGB in diese Grundrechte eingreifen.297 Allerdings verletzen die genannten gesetzlichen Bestimmungen nicht die Grundrechte des Kindes. Denn neben der abwehrrechtlichen Grundrechtsdimension ist die allgemeine grundrechtliche Schutzpflicht zu beachten, die insbesondere im Fall von Minderjährigen staatliche Beistandspflichten evoziert. Diese erfordern vom Staat, dass das Kind vor den Folgen möglicherweise unüberlegter Entscheidungen und Verhaltensweisen zu schützen ist. Indem der Gesetzgeber die Kinder der Aufsicht der Eltern unterstellt, erfüllt er zum einen seine Schutzverpflichtungen und vermeidet zum zweiten einen unverhältnismäßigen Eingriff in deren elterliche Grundrechte, weil in der Regel niemand das Kind so gut kennt wie die eigenen Eltern. Grundsätzlich stehen die Rechte von Eltern und Kind nicht in Konkurrenz, sondern Erstere sollen es zu ver294

Roth, Grundrechte Minderjähriger, S. 88. BVerfGE 4, 52 (57); 7, 320 (323); 24, 119 (138); Ossenbühl, DÖV 1977, S. 381, 384; Fehnemann, DÖV 1978, S. 489, 490; dies., ZblJR 1980, S. 605, 612; Umbach, in: FS Geiger, S. 359, 364. 296 BVerfGE 75, 201 (218); Badura, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 6 Rdnr. 107 ff.; ders., FS Lorenz, S. 101, 103 ff.; Gröschner, in: Dreier, GG, Art. 6 Rdnr. 107; Robbers, in: von Mangoldt/Klein/Starck, GG, Art. 6 Rdnr. 141 ff., 150. 297 Dagegen bedarf ein moderat ausgeübtes elterliches Erziehungsrecht keiner gesetzlichen Grundlage, weil es kein staatliches Handeln darstellt, Lorenz, HdbStR VI, § 128 Rdnr. 36; Starck, in: von Mangoldt/Klein/Starck, GG, Art. 2 Rdnr. 220, 239, welches aber bei Überschreitung der Grenze zu einer übertriebenen Ausübung in Form des staatlichen Wächteramts nach Art. 6 Abs. 2 S. 2 GG aktiviert würde, Murswiek, in: Sachs, GG, Art. 2 Rdnr. 208. Für Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG als Grenze des elterlichen Züchtigungsrechts, Schulze-Fielitz, in: Dreier, GG, Art. 2 Abs. 2 Rdnr. 59. 295

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4. Teil: Das Elterngrundrecht in herkömmlicher Interpretation

wirklichen helfen,298 weshalb die gesetzlichen Regelungen eine angemessene Abwägung der beteiligten Eltern- und Kindesgrundrechte darstellen und verfassungsgemäß sind.299 3. Materiell-rechtliche Ausprägung Das Kind hat gemäß der verfassungsrechtlichen Vorgaben bei Entscheidungen, die seine Person betreffen, einen Anspruch darauf, dass es nicht zum Objekt fremdbestimmten Handelns wird, sondern in seiner Individualität300 als Grundrechtssubjekt geachtet wird.301 So ist das Umgangsrecht des Kindes mit beiden Elternteilen nicht nur als ein Bestandteil des Elternrechts zu verstehen, sondern auch als ein eigenständiges Recht des Kindes auf Kontakt (§ 1684 BGB).302 Kindeswohlentscheidungen erfordern daher einen individuellen Blick auf die Persönlichkeit des Kindes wie auch auf die seiner Eltern und ihrer gemeinsamen Lebensumstände. Deswegen hat bereits der Gesetzgeber bei Erlass einer Norm die Subsidiarität des Wächteramts zu bedenken und jede abstrakt-generelle Gesetzessteuerung muss Spielräume für jugendbehördliche beziehungsweise familienrichterliche Einzelfallentscheidungen offen halten.303 Die Generalklausel des Kindeswohls gibt zwar eine gewisse Grundrichtung vor (Maßgeblichkeit des Kindesinteresse, vorgelagerter Interpretationsprimat der Eltern, Vorrang elternunterstützender vor elternersetzender Maßnahmen; die Beachtung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes bei staatlichen Interventionen),304 entzieht sich aber im Übrigen jeder Schematisierung. So bietet er die nötige Offenheit, um sowohl die Vielzahl der Erziehungsverhältnisse zu erfassen als auch eine flexible Würdigung der Interessen und Rechte der jeweiligen Eltern, ihrer Persönlichkeit, Einstellungen sowie der Belange des Kindes zu ermöglichen.305 Die gesamte Lebenssituation der Familie kann in den Blick genommen werden, um eine einzelfallangepasste Entscheidung zu treffen, denn die staatliche Entscheidung beantwortet zukunftsentscheidende Fragen für das Kind.

298

Mörsberger, RdJB 2009, S. 34 f. Roth, Grundrechte Minderjähriger, S. 96 f., 129; vgl. auch Burgi, HdbGR IV, § 109 Rndr. 21 f. zum staatlichen Ordnungauftrag. 300 Stein, FS Schütte, S. 169, 177. 301 BVerfGE 37, 217 (252); 56, 363 (383); 68, 176 (188); 68, 256 (269); Badura, FS Lorenz, S. 101, 103, 110. 302 Dem steht auch die Entscheidung des BVerfG, FamRZ 2008, 845 ff. nicht entgegen, wonach eine zwangsweise Durchsetzung des Umgangsrechts gegen den Willen des umgangspflichtigen, aber sich verweigernden Elternteils nicht dem Kindeswohl dient. 303 Erichsen, Elternrecht, 57 f.; Jestaedt, in: BK, Art. 6 II u. III Rdnr. 201, 210. 304 Coester, 6. Göttinger Workshop, S. 19, 28. 305 BVerfGE 31, 194 (210). 299

D. Verfassungsrechtliche Begrenzungen des Elternrechts

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Sowohl die Eltern als auch der Staat haben bei ihrem erzieherischen Handeln das subjektive Kindeswohlmit zu bedenken.306 Der Kindeswille als Ausdruck des Selbstbestimmungsrechts des Kindes ist für die elterliche oder staatliche Entscheidung aber nur insoweit beachtlich, als er tatsächlich auch dem Kindeswohl entspricht. Kinder neigen stärker als Erwachsene dazu ihre Entscheidungen von gegenwärtigen Stimmungslagen abhängig zu machen und können Vor- und Nachteile ihrer Handlungen noch nicht in jeder Beziehung überschauen.307 Sofern sich der Kindeswille aber klar und konstant äußert, er keinen Zweifel lässt und zudem nachvollziehbar und verständlich erscheint, ist er zu berücksichtigen. Ein Wohl des Kindes gegen seinen Willen kann es dann nicht geben.308 Denn das Eltern-Kind-Verhältnis besteht nicht nur aus Rechten- und Pflichten, sondern ist auch durch eine gegenseitige Rücksichtnahme gekennzeichnet (vgl. § 1618a BGB), weshalb beispielsweise auf die Begabungen und Interessen des Kindes zu achten ist (vgl. § 1631a BGB für die Berufswahl) und der wachsenden Selbstbestimmungsfähigkeit und Verständigkeit des Minderjährigen durch stufenweise Teilmündigkeitsregeln und verfahrensmäßige Beteiligungs- und Mitwirkungsrechte Rechnung getragen wird. 4. Prozessuale Umsetzung Um die materiellen Grundrechtspositionen zu realisieren, muss der Entwicklungsschutz auch Wirkungen auf der Rechtsanwendungsebene bedingen. So haben Jugendliche ein Recht darauf mit Eintritt in die Volljährigkeit „mehr als nur eine scheinbare Freiheit“ zu erreichen. Die Eltern dürfen sie nicht unbegrenzt wirtschaftlich verpflichtet haben.309 Für den Fall einer Scheidung haben die Eltern die Pflicht, einen Konsens zu suchen, beziehungsweise es sind gerichtliche Kontrollmechanismen einzubauen, um die sich für das Kind ergebenden Belastungen abzuschwächen.310 Das Prozessrecht hat, etwa im sorgerechtlichen Verfahren, durch die Anhörung des beteiligten Kindes eine möglichst zuverlässige Grundlage für eine am Kindeswohl orientierte Entscheidung herzustellen,311 weil durch die gerichtliche Entscheidung die Le-

306 BVerfGE 59, 360 (376 f.); 60, 79 (88); 61, 358 (372); Schlüter/Liedmeier, JA 1991, S. 145 ff. und 177 ff.; Coester, Kindeswohl, S. 134 ff.; Jestaedt, in: BK, Art. 6 II u. III Rdnr. 32 ff.; Robbers, in: von Mangoldt/Klein/Starck, GG, Art. 6 Rdnr. 145; HohmannDennhardt, ZfJ 2001, 77, 78; dies., ZKJ 2007, S. 382 ff.; Moritz, ZfJ 2002, S. 405, 408; Stern, Staatsrecht IV/1, S. 519; Salzgeber, ZKJ 2006, S. 195. 307 BVerfG, FamRZ 2005, S. 1058; Jestaedt, in: BK, Art. 6 II u. III Rdnr. 50 f.; Dettenborn, Kindeswohl und Kindeswille, S. 61 ff.; Roth, Grundrechte Minderjähriger, S. 140 f. 308 BVerfG, JAmt 2009, 201 ff. 309 BVerfGE 72, 155 (167 ff., 173). 310 BVerfGE 31, 194 (205 ff.); 55, 171 (179); 57, 361 (384 ff.); 61, 358 (372 f.); 64, 180 (188); Zacher, HdbStR VI, 2. Aufl., § 134 Rdnr. 65 ff.; ders., FS Scholz, S. 413, 418. Jestaedt, in: BK, Art. 6 II u. III Rdnr. 155 ff.; ders. DVBl. 1997, S. 693 ff. befürwortet daher die Schaffung einer zusätzlichen Kategorie des staatlichen „Schlichteramtes“. 311 BVerfGE 55, 171 (179 f.); 72, 122 (136 f.); 99, 145 (162 f.), st. Rspr.

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4. Teil: Das Elterngrundrecht in herkömmlicher Interpretation

bens- und Familiensituation des Kindes neu geordnet wird,312 wozu neben dem Kind auch Geschwister und eventuelle neue Lebenspartner der Elternteile gehören.313 Gegebenenfalls ist, wenn ein Interessengegensatz zwischen Eltern und Kind besteht, ein Verfahrenspfleger gemäß § 158 FamFG zu bestellen.314 Da sich der unbestimmte und wertungsoffene Begriff des Kindeswohls einer abschließenden und allgemeingültigen Definition entzieht,315 gehört seine Bestimmung und Konkretisierung zum Inhalt der richterlichen Entscheidungstätigkeit. Das Familiengericht wird dieser Forderung dann gerecht, wenn es bei seiner Entscheidung nicht die Standards einer abstrakten Durchschnittsfamilie anlegt, sondern seine Überlegung auf situative Komponenten konzentriert. Dies bedeutet, die individuelle Lebenssituation des Kindes innerhalb der spezifischen Familie, die kindlichen Bedürfnisse im zeitweiligen Altersabschnitt, seine konkrete physische und psychische Entwicklungsphase zu berücksichtigen.316 Für die Begriffsdeutung des Kindeswohls ist daher des Öfteren der Kenntnisstand anderer Fachdisziplinen notwendig. An dieser Stelle geraten aber das juristische Konditionalprogramm und die richterliche Sachkenntnis in Familienrechts- und Jugendpsychologie oftmals in Spannung zu der Kompliziertheit elterlicher Erziehungssituationen. Denn eine Schwierigkeit besteht darin, dass, obgleich das Kindswohl ein Schlüsselbegriff mit verfassungsrechtlicher Relevanz ist,317 er ausfüllungsbedürftig ist.318 Aufgrund dieser prinzipiellen Undefinierbarkeit hat er vielfache Kritik erfahren, gehört aber mittlerweile zum Bestand der Rechtsordnung.319 Die Festlegung seines Inhaltes hängt einmal davon ab, welche Ziele die Eltern mit ihrer Erziehung verfolgen. Einfluss auf die Vorstellung, was für das Kind(-eswohl) richtig und notwendig ist, nehmen im Weiteren auch die in einer (Rechts)-Gemeinschaft überwiegenden gesell312

Mildernd kann die Möglichkeit einer gemeinsamen Sorgerechtserklärung gemäß § 1626a BGB wirken. 313 Kohne, JAmt 2009, S. 167 f. 314 Nach BVerfG, NJW 2005, 1657 kann ausnahmsweise auch ein Elternteil des Kindes vertretungsbefugt sein, vgl. auch BVerfG, FamRZ 2006, 1261. Sieht das Gericht von der Bestellung eines Sachverständigen ab, muss es über eine anderweitige, möglichst zuverlässige Entscheidungsgrundlage verfügen, BVerfG, FamRZ 1999, 1417; dass., 2006, 605 (606); dass., NJW 2007, 1266 (1267). 315 Weisbrodt, Kind-Prax 2000, S. 35. 316 Gernhuber, FamRZ 1973, S. 229; Coester, Kindeswohl, S. 134 ff., 151 f.; Weisbrodt, Kind-Prax 2000, 35; Hohmann-Dennhardt, ZfJ 2001, S. 77; Zacher, FS Scholz, S. 413, 421; Wagener, FamRZ 2008, S. 457, 461. 317 Vgl. nur BVerfGE 60, 79 (94). 318 Gernhuber, FamRZ 1973, S. 229; grundlegend Coester, Kindeswohl als Rechtsbegriff, 1982. 319 Noch kritisch äußerte sich, Mnookin, FamRZ 1975, S. 1 ff. Dagegen zuversichtlich hinsichtlich der Steuerungsfunktion für Familienentscheidung, Derleder, FuR 1994, S. 144 ff. BGHZ 120, 29 ff. rechnet es zum ordre public. Jestaedt, in: BK, Art. 6 II u. III Rdnr. 35 ff. bezeichnet es „als absolute Größe“ und „abwägungsresistent“; a. A., Stern, StaatsR IV/1, S. 519.

D. Verfassungsrechtliche Begrenzungen des Elternrechts

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schaftlichen Anschauungen und sozialpolitischen Wertungen.320 Beispielsweise nimmt seit Jahren die Akzeptanz gegenüber strengen Erziehungsstilen, körperlichen oder die Würde verletzenden Strafen ab.321 Da der Staat selbst keine Einzelheiten von Erziehungszielen vorgeben darf, sind Kontroversen über die Definition des Wohls eines Kindes unvermeidlich und ist entsprechend von der Rechtsprechung zu konkretisieren. Am ehesten wird ein Konsens darüber zu erzielen sein, ob und wie das körperliche Kindeswohl zu gewährleisten ist; komplizierter wird es bei der Auffassung zu dem geistigen oder seelischen Wohl des Kindes. Hierbei besteht die Möglichkeit zur Berücksichtigung von anderen, über rechtliche Aspekte hinausgehenden Wissenschaften, die das Kind stärker fokussieren, namentlich aus dem Bereich der Entwicklungspsychologie und Pädagogik. Sie haben im Allgemeinen dazu beigetragen, dass das Kindeswohl im Fall von Sorgerechts- beziehungsweise Umgangsstreitigkeiten immer größere Berücksichtigung gefunden hat.322 Positiv zu vermerken ist deshalb, dass in den letzten Jahrzehnten die Fokussierung und Beobachtungsschärfe für die Bedürfnisse und Belange von Kindern im Rahmen der Tätigkeit von Familienrichtern und Sachverständigen deutlich zugenommen hat.323

II. Das staatliche Wächteramt als äußere Grenze Die Besonderheit des Elternrechts gemäß Art. 6 Abs. 2 S. 1 GG besteht in der grundsätzlichen Staatsfreiheit des Eltern-Kind-Verhältnisses.324 Der „Vertrauensvorschuss“, den die Verfassung den Eltern im Hinblick auf die Kindererziehung einräumt, kann aber nicht grenzenlos sein. Vielmehr stellt sich der Staat über Art. 6 Abs. 2 S. 2 und Absatz 3 GG zur Absicherung an die Seite des Kindes und ist so in die Eltern-Kind-Beziehung eingebunden.325 Das staatliche Wächteramt326 berechtigt den Staat hierbei in zweierlei Hinsicht. Zum einen rechtfertigt es Eingriffe in das elterliche Erziehungsrecht und bildet zum anderen in Verbindung mit Art. 2 Abs. 1 und Art. 1 Abs. 1 GG die Grundlage für staatliche Schutzmaßnahmen zugunsten des Kindes.

320 Gernhuber, FamRZ 1973, S. 229, 232; Böckenförde, Essener Gespräche 14 (1980), S. 54, 77 f.; Coester-Waltjen, in: von Münch/Kunig, GG, Art. 6 Rdnr. 81; Salzgeber/Höfling, KindPrax 2004, S. 163, 164. 321 Knödler, ZKJ 2008, S. 58. 322 Dettenborn, Kindeswohl und Kindeswille, S. 46 ff. 323 Willutzki, JAmt 2009, S. 237, 239. 324 Moritz, ZfJ 2002, S. 405, 408. 325 Nach Jestaedt, in: BK, Art. 6 II u. III Rdnr. 178 ist das Wächteramt die Kehrseite des Elternrechts. 326 Zur Eigentümlichkeit des Begriffes, Ossenbühl, Erziehungsrecht, S. 67.

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4. Teil: Das Elterngrundrecht in herkömmlicher Interpretation

1. Voraussetzungen Staatliches Einschreiten ist erst dort gemäß Art. 6 Abs. 2 S. 2 GG verfassungsrechtlich gerechtfertigt, wo die Eltern ihrer Verantwortung nicht mehr gerecht werden und durch die (Nicht-)Ausübung ihrer Erziehungsbefugnisse das Kind gefährden oder ihm bereits geschadet haben.327 Kindern kann zwar die Überschreitung, Nichtausübung oder der Missbrauch elterlicher Befugnisse in vielen Ausprägungen widerfahren. Nach herrschender Auffassung aktiviert sich das staatliche Wächteramt aber erst dann, wenn eine Gefährdung des Kindeswohls aufgrund elterlichen Fehlverhaltens verursacht worden ist und eine „erhebliche“ und „dauerhafte“ Gefahr im Sinne einer objektiven Gefährdung für den Minderjährigen vorliegt.328 Das elterliche Verhalten muss außerhalb des sachlichen Schutzbereichs von Art. 6 Abs. 2 S. 1 GG liegen und so eklatant sein, dass es den Mindestanforderungen elementarer Sozialverträglichkeit nicht mehr entspricht.329 Beziehungsweise ein derart relevantes Ausmaß erreicht haben, „dass das Kind bei einem Verbleib in der Familie in seinem körperlichen, geistigen oder seelischen Wohl nachhaltig gefährdet ist“.330 Es gibt erzieherisch fragwürdige oder falsche Entscheidungen, ebenso wie partielle Pflichtverletzungen der Eltern, diese stellen aber abgesehen vom Ausnahmefall eines besonders schwerwiegenden Versagens, keine Kindeswohlgefährdung dar.331 Gleichgültig ist auch, ob die elterliche Verantwortungslosigkeit auf externen Faktoren, einer häuslichen Überforderungssituation, dem elterlichen Unwillen oder ihrer Unkenntnis beruht. Es gilt ein verschuldensunabhängiger Beurteilungsmaßstab.332 Einen „rechtsfreien Innenraum der Familie“333 gibt es damit nicht, denn hinsichtlich der elterlichen Erziehungstätigkeit ist der Staat nicht bar jeder Kontrollkompetenz, hat jedoch die weit gezogenen äußeren Grenzen des Elterngrundrechts zu beachten und kann deshalb erst relativ spät selbst handeln. Liegt aber der pathologische Fall vor, folgt daraus als unweigerliche Konsequenz die staatliche Handlungsverpflichtung. Die das Kindeswohl beeinträchtigenden Einflüsse sind zu beseitigen.334

327

BVerfGE 24, 119 (143 f.); 59, 360 (376); 60, 79 (89 ff.); 103, 89 (107); Badura, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 6 Rdnr. 110, 140; Coester-Waltjen, in: von Münch/Kunig, GG, Rdnr. 81; Robbers, in: von Mangoldt/Klein/Starck, GG, Art. 6 Rdnr. 243. 328 BVerfGE 60, 79 (91); 107, 104 (118); Jestaedt, in: BK, Art. 6 II u. III Rdnr. 190, 193; Maunz, FS Scheuner, S. 419, 429. 329 Bockenförde, Essener Gespräche 14 (1980), S. 54, 66. 330 BVerfGE 69, 79 (91). 331 BVerfGE 7, 320 (323); 24, 119 (144 f.); 60, 79 (91). Bereits, Baumgarte, Das Elternrecht im Bonner Grundgesetz, 1966, S. 59 ff., 65 f.; Zacher, HdbStR VI, 2. Aufl., § 134 Rdnr. 97 f.; Jestaedt, in: BK, Art. 6 II u. III Rdnr. 244; Robbers, in: von Mangoldt/Klein/Starck, GG, Art. 6 Rdnr. 272; Stern, Staatsrecht IV/1, S. 592 f. 332 BVerfGE 10, 59 (84); 60, 79 (88 ff.); Jestaedt, in: BK, Art. 6 II u. III Rdnr. 246; Badura, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 6 Rdnr. 139; Gröschner, in: Dreier, GG, Art. 6 Rdnr. 102. 333 Moritz, FS Lübtow, S. 163, 167. 334 Jestaedt, in: BK, Art. 6 II u. III Rdnr. 202.

D. Verfassungsrechtliche Begrenzungen des Elternrechts

153

Der Gesetzesvorbehalt zur Eingriffsrechtfertigung ist entsprechend qualifiziert, so dass das Wächteramt nur zum Wohle des Kindes ausgeübt werden darf.335 Alle übrigen staatlichen Maßnahmen, die das Elternrecht ohne kindeswohlbedingte Veranlassung beeinträchtigen beziehungsweise einschränken, sind nicht gerechtfertigt und können über das subjektive Elternrecht aus Art. 6 Abs. 2 S. 1 GG abgewehrt werden. Angesichts des Gesetzesvorbehalts ist insbesondere der Gesetzgeber gefordert.336 Der Begriff der staatlichen Gemeinschaft umfasst aber grundsätzlich alle drei Gewalten;337 bezogen auf den jeweiligen Kompetenzbereich von Bund, Land oder Gemeinde.338 In der Umsetzung steht wiederum die Arbeit von Jugendämtern und Familiengerichten im Vordergrund. Das Wächteramtsmandat erfasst gleichfalls sonstige Erziehungsträger und kann auch durch Private ausgefüllt werden, beispielsweise Kinderheime oder Kindergärten.339 Der Staat muss allerdings dafür Sorge tragen, dass er seine verfassungsrechtlichen Pflichten gegenüber den privaten Fürsorgeträgern durchsetzen kann.340 2. Subsidiarität Aufgabe der staatlichen Gemeinschaft ist es, „für das Kind darauf zu achten, dass die familiäre elterliche Erziehung stattfindet, dass die rechtlichen Bindungen dieser Erziehung und die Grenzen möglicher Erziehungsziele und -methoden, die sich aus den Schranken des Erziehungsgrundrechts ergeben, eingehalten werden“. Der Staat hat also die den Eltern eingeräumte Erziehungsautonomie zu respektieren und ist damit grundsätzlich darauf verwiesen, deren Erziehungstätigkeit einer bloßen Unvertretbarkeitskontrolle zu unterziehen.341 Er „wacht“ schlichtweg darüber, dass die Eltern ihre Erziehungspflichten erfüllen und es zu keinem Missbrauch der Erziehungsbefugnisse kommt.342 Die staatliche Aufsicht beinhaltet nach herrschendem Ver-

335 Das ist unbestritten, vgl. nur BVerfGE 24, 119 (144); 80, 81 (90); 107, 104 (120); Gröschner, in: Dreier, GG, Art. 6 Rdnr. 117. Erforderlich ist ein förmliches Gesetz, Jestaedt, in: BK, Art. 6 II u. III Rdnr. 201; Badura, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 6 Rdnr. 112; Heintzen, DVBl. 2004, S. 721, 726; Pieroth, in: ders./Schlink, GG, Art. 6 Rdnr. 40. 336 Jestaedt, in: BK, Art. 6 II u. III Rdnr. 181. 337 BVerfGE 24, 119 (144); 60, 79 (88); Robbers, in: von Mangoldt/Klein/Starck, GG, Art. 6 Rdnr. 240 hebt die Verantwortung der gesamten Staatlichkeit für das Kindeswohl hervor. 338 Zacher, HdbStR VI, 2. Aufl., § 134 Rdnr. 75. 339 Jestaedt, in: BK, Art. 6 II u. III Rdnr. 171 ff.; Robbers, in: von Mangoldt/Klein/Starck, GG, Art. 6 Rdnr. 239. 340 Zacher, HdbStR VI, 2. Aufl., § 134 Rdnr. 77 ff.; Jestaedt, in: BK, Art. 6 II u. III Rdnr. 182. 341 Salgo, FuR 1990, S. 363, 364; Coester-Waltjen, in: von Münch/Kunig, GG, Art. 6 Rdnr. 77, 81, 92 wählt die Bezeichnung einer „Ausübungskontrolle“; dies., FamRZ 1996, S. 1181, 1183; Badura, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 6 Rdnr. 139 f.; Pieroth, in: Jarass/ders., GG, Art. 6 Rdnr. 40. 342 Jestaedt, in: BK, Art. 6 II u. III Rdnr. 42; Hofmann, in: Schmidt-Bleibtreu/Klein, GG, Art. 6 Rdnr. 43; Gröschner, in: Dreier, GG, Art. 6 Rdnr. 85.

154

4. Teil: Das Elterngrundrecht in herkömmlicher Interpretation

ständnis keinen Ansatzpunkt für eine mit dem elterlichen Erziehungsrecht konkurrierende, ihrerseits eigenständige Erziehungssteuerung.343 Die staatliche Gemeinschaft bleibt somit darauf beschränkt das, was in jedem Fall als Kindeswohlgefährdung zu gelten hat, weil es den Eltern zum Schutze des Kindes und zur Wahrung elementarer Gemeinschaftsbedingungen als Pflichten auferlegt ist, abzuwehren beziehungsweise auszugleichen.344 Solange über gute und bessere Erziehungsmethoden usw. gestritten werden kann, ruht das Wächteramt. Erst dann, wenn es sich als unmöglich erweist, die von den Eltern verursachte Defizitsituation abzustellen, ist die staatliche Gemeinschaft gefordert345 und agiert in der Rolle eines „Ausfallbürgen“346, der die elterlichen Erziehungspflichten subsidiär übernimmt. Unter dem Grundgesetz gilt damit, das „Staatsrecht dient dem Elternrecht“.347 3. Verhältnismäßigkeit Dass die elterlichen Rechte nicht weiter als zur Beendigung der Kindeswohlgefährdung beschnitten werden dürfen, gebietet zudem der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit. Dieser wirkt sich auf die Art und Dauer des staatlichen Eingriffshandelns aus.348 So haben individuelle Lösungen stets Vorrang vor generellen.349 Aufgrund des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes hat staatliches Handeln, insbesondere das des Familienrichters, stets den Einzelfall der jeweiligen kindlichen und familiären Situation einzubeziehen.350 Wegen des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes sind die staatlicherseits zu veranlassenden Maßnahmen, die gestörte Eltern-Kind-Beziehung und damit einhergehende objektive Erziehungsdefizite ausgleichen sollen, stets gestuft anzuwenden (vgl. im Zweiten Teil, B. I.). Primär sind die Eltern bei ihrer Erziehungstätigkeit zu unterstützen und es sind ihnen zwecks Wiederherstellung eines verantwortungsbewussten el-

343

BVerfGE 60, 79 (94); Böckenförde, Essener Gespräche 14 (1980), S. 54, 75 f. verweist auf Erichsen, Verstaatlichung der Kindeswohlentscheidung?, S. 16 und Ossenbühl, DÖV 1977, S. 801, 806. Nachfolgend Ossenbühl, Erziehungsrecht, S. 71 f.; Erichsen, Elternrecht, S. 50. 344 Jestaedt, in: BK, Art. 6 II u. III Rdnr. 44 und 179; Badura, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 6 Rdnr. 96. 345 Wabnitz, ZfJ 2000, S. 336. 346 Erichsen, Elternrecht, S. 50. 347 Ossenbühl, DÖV 1977, 801 (808) in Abwandlung der Weimarer Devise „Staatsrecht überhöht Elternrecht“, Anschütz, Verfassung Dt. Reich, Art. 120 Anm. 4. Vgl. Badura, FS Lorenz, S. 101, 108. 348 BVerfGE 24, 119 (145); 76, 1 (50 f.); 107, 104 (118); Jestaedt, in: BK, Art. 6 II u. III Rdnr. 206 ff., 210 ff.; ders., DVBl. 1997, S. 693, 697; Badura, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 6 Rdnr. 96; Gröschner, in: Dreier, GG, Art. 6 Rdnr. 120; Heintzen, DVBl. 2007, S. 721, 726. 349 BVerfGE 7, 320 (323 f.); 24, 119 (145, 148 f.); 75, 201 (218). 350 BVerfGE 55, 171 (179); 84, 168 (182 f.); 85, 1 (16).

D. Verfassungsrechtliche Begrenzungen des Elternrechts

155

terlichen Verhaltens Hilfestellung und Anleitung anzubieten.351 Reichen aber solche als Ergänzung und Unterlegung gedachten Hilfsangebote ab einem bestimmten Zeitpunkt nicht (mehr) aus, dann sind eingreifende Erziehungshilfen zu implementieren. Soweit daraufhin ein Eingriff zu erfolgen hat, darf er jedoch nur solange andauern, wie es für eine Beseitigung der Kindeswohlgefährdung notwendig ist.352 Das Kindeswohl ist von daher nicht nur Eingriffsermächtigung, sondern auch -maßstab.353 Die staatliche „Erziehungsreserve“354 aktiviert sich also nur dort, wo die Korrektur und Kompensation eines verantwortungsbewussten Elternverhaltens auf keine andere Weise mehr zu erreichen ist.355 Erst als ultima ratio greift der Staat ein und übernimmt die Pflege und Erziehung von Kindern an Stelle der Eltern, was in der Regel auf eine Trennung des Kindes von seiner Familie unter den besonderen Voraussetzungen des Art. 6 Abs. 3 GG hinausläuft (vgl. die vierte Maßnahmenebene im Dritten Teil, E.).356 Dabei sichern die strengen Tatbestandsvoraussetzungen des dritten Absatzes neben denen des Wächteramts gemäß Art. 6 Abs. 2 S. 2 GG die familiäre Erziehung gegenüber dem Staat ab. Aber nicht nur das Wächteramt gemäß Art. 6 Abs. 2 S. 2 GG verlangt individuelle Entscheidungen, um problembelastete Situationen zwischen Eltern und Kind aufzulösen. Der Fokus des staatlichen Eingriffshandelns liegt damit auch hier auf der Tätigkeit des einzelnen Familienrichters.357 4. Gefahrenabwehr und -vorsorge Da das Elternrecht eine innere Grenzziehung durch das Kindeswohl und den grundrechtlichen Schutzanspruch des Kindes erfährt, besteht die staatliche Aufgabe vornehmlich darin, die Einhaltung der Elternpflichten im Hinblick auf diese Grenzen zu kontrollieren und im gegebenen Fall zwecks Reglementierung einzugreifen.358 Angesichts seiner Wächteraufgabe hinsichtlich der Ausübung der elterlichen Rechte

351 BVerfGE 24, 119 (145); 60, 79 (93); Zacher, HdbStR VI, 2. Aufl., § 134 Rdnr. 84; Ossenbühl, Erziehungsrecht, S. 74 f.; Erichsen, Elternrecht, S. 59; Jestaedt, in: BK, Art. 6 II u. III Rdnr. 325 ff. 352 BVerfGE 84, 168 (181); Gröschner, in: Dreier, GG, Art. 6 Rdnr. 120. 353 BVerfGE 24, 119 (144); Coester-Waltjen, in: von Münch/Kunig, GG, Rdnr. 93. 354 Ossenbühl, Erziehungsrecht, S. 68. Ebenso Jestaedt, in: BK, Art. 6 Rdnr. 179; ders., DVBl. 1993, 693, 696, für ihn fiele der Staat aus „der Rolle“, stützte er Zwangsmaßnahmen gegen die Eltern auf sein nachrangiges Erziehungsmandat. 355 BVerfGE 7, 320 (323); 24, 119 (143 f.); 103, 89 (107), st. Rspr. und h. M., vgl. etwa Badura, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 6 Rdnr. 96; Gröschner, in: Dreier, GG, Art. 6 Rdnr. 119; Robbers, in: von Mangoldt/Klein/Starck, GG, Art. 6 Rdnr. 243; Stern, Staatsrecht IV/1, S. 589. 356 Umstritten ist, ob Art. 6 Abs. 3 GG ein eigenständiges Grundrecht, Jestaedt, in: BK, Art. 6 II und III Rdnr. 217 oder bloße Schranken-Schranke, BVerfGE 76, 1 (48); Pieroth, in: ders./Schlink, GG, Rdnr. 41. 357 BVerfGE 55, 171, 180 f. 358 Coester-Waltjen, in: von Münch/Kunig, GG, Rdnr. 81, 92 ff.

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4. Teil: Das Elterngrundrecht in herkömmlicher Interpretation

und Befugnisse359 trägt das staatliche Handeln maßgeblich nachsorgende Züge. Staatliche Interventionen sollen dem Ausgleich von eingetretenen Schäden dienen beziehungsweise das „kindeswohlschädliche Verhalten der Eltern in seinen Wirkungen auf das Kind“360 beenden. Die Sicherung und Wiederherstellung des Kindeswohls stellt damit die für das staatliche Eingriffshandeln nennenswerte Leitlinie dar.361 Um aber seiner Wächteraufgabe im Hinblick auf die elterliche Erziehungstätigkeit nachzukommen, ist es gleichsam Bestandteil der staatlichen Aufgabe, die familiären Geschehnisse vorausschauend zu beobachten.362 „Jede überwachende Tätigkeit schließt das passive Moment der nicht eingreifenden, den Ereignissen gegenüber sich zunächst negativ verhaltenden, bloßen Beobachtung ein.“363 Die Beschaffung von Informationen bildet die notwendige Beurteilungsgrundlage, ob zugunsten der Eltern unterstützende oder zu ihren Lasten eingreifende Maßnahmen vorzunehmen sind.364 Ebenso erfordert der Schutzpflichtcharakter des staatlichen Wächteramtes präventive Maßnahmen, denn der Staat darf nicht abwarten, bis die Voraussetzungen für ein Einschreiten offen zu Tage liegen und die Grenze zu einer objektiven Beeinträchtigung des Kindeswohls überschritten ist.365 Allerdings ist erst recht für den präventiven Bereich das staatliche Mandat schwach ausgeprägt und nur äußerst begrenzt einsetzbar. Den Eltern können nur ausnahmsweise und nur soweit bereits ein begründeter Verdacht für eine Kindeswohlbeeinträchtigung besteht, beispielsweise wegen sichtbarer körperlicher Misshandlungsspuren, Mitwirkungspflichten auferlegt werden.366 Eine selbstständige Informationsbeschaffungstätigkeit367 ist nach herrschender Ansicht nur dann gerechtfertigt, wenn bereits hinreichend gesicherte Anhaltspunkte für eine Kindeswohlgefährdung bestehen. Weitergehende Ermittlungsbefugnisse bestehen nicht, so dass die staatlichen Institutionen lediglich versuchen können, die Eltern durch Aufklärungskampagnen oder freiwillig wahrzunehmende Angebote (vgl. §§ 27 ff. SGB VIII) zu erreichen, um sie zu einem verantwortungsvollen Elternverhalten anzuhalten.

359

BVerfGE 4, 57; 24, 119 (135, 138); 31, 194 (204); 56, 363 (382 f.); 72, 122 ff. Böckenförde, Essener Gespräche 14 (1980), S. 54, 71 ff. 361 Jestaedt, in: BK, Art. 6 II u. III Rdnr. 174 und 178. 362 Schmitt Glaeser, DÖV 1978, S. 629, 634. 363 Vgl. Hodes, Elternrecht und Staatsbefugnis, S. 77. 364 Jestaedt, in: BK, Art. 6 II u. III Rdnr. 185. 365 Vgl. BVerfGE 10, 59 (84); Böckenförde, Essener Gespräche 14 (1980), S. 54, 77; Erichsen, Elternrecht, 54; Jestaedt, in: BK, Art. 6 II u. III Rdnr. 183 ff. 366 Zur zulässigen Informationsbeschaffung versus unzulässiger Ausforschung, Böckenförde, Essener Gespräche 14 (1980), S. 54, 78 f.; Stern, Staatsrecht IV/1, S. 591. 367 Jestaedt, in: BK, Art. 6 II u. III Rdnr. 186. 360

D. Verfassungsrechtliche Begrenzungen des Elternrechts

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5. Schutzfunktion Grundsätzlich gehört es nicht zur Aufgabe des Staates, seine Bürger „zu bessern“ oder vor sich selbst zu schützen.368 Der Kinder- und Jugendschutz ist angesichts des Alters und der naturgemäßen Hilfsbedürftigkeit von Kindern eine Ausnahme.369 Über Art. 6 Abs. 2 S. 2 GG ist das Kind Adressat schützender staatlicher Maßnahmen.370 Gefahren und Schäden können von dritten Personen oder äußeren Ereignissen herrühren. Sie können aber auch auf ein unvernünftiges Verhalten des Minderjährigen selbst zurückzuführen sein und damit notfalls zum Schutz vor ihm selbst auffordern.371 Normalerweise werden die staatlichen Schutz- und Beistandspflichten angesichts der „zuvörderst“ verantwortlichen Eltern, die Sorge für ihr Kind zu tragen haben, nicht aktuell. Erst, wenn die Eltern diesen Plichten nicht oder nicht ausreichend genug nachkommen, tritt das leistungsrechtliche Substrat des staatlichen Wächteramtes in Aktivität.372 Dafür ist allerdings nicht allein auf das staatliche Wächteramt gemäß Art. 6 Abs. 2 S. 2 GG zu rekurrieren.373 Die normative Verankerung der staatlichen Schutzpflicht ergibt sich im Zusammenspiel mit der aus Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG374 allgemein herzuleitenden Schutzpflicht für die kindliche Persönlichkeitsentfaltung.375 Eines generellen Verfassungsauftrags für den Kinder- und Jugendschutz bedarf es, um das bloß mittelbare Verhältnis zwischen der das Wächteramt ausübenden staatlichen Gemeinschaft und dem Kind zu versubjektivieren.376

368 BVerfGE 22, 180 (219 f.); Hillgruber, in: Umbach/Clemens, GG, Art. 2 Abs. 1 Rdnr. 153 ff. 369 Zum Verfassungsrang des Kinder- und Jugendschutzes, BVerfGE 24, 119 (144); 72, 155 (172); 75, 201 (218); 79, 51 (63); 83, 130 (140). 370 BVerfGE 24, 119 (144); 55, 171 (178 ff.); 60, 79 (88); 107, 104 (117); Coester-Waltjen, in: von Münch/Kunig, GG, Art. 6 Rdnr. 92. 371 BVerfGE 58, 208 (225). 372 Roth, Grundrechte Minderjähriger, S. 94. 373 JeandHeur, Schutzgebote, S. 18 ff., 29, 99; ders., RdJB 1994, S. 91, 98 stellt allein auf Art. 6 Abs. 2 GG als spezielle „Garantienorm“ ab, die so zum Ausgangspunkt des Kinder- und Jugendschutzes wird. 374 Zur Ableitung des Kinder- und Jugendschutzes unmittelbar aus Art. 2 Abs. 1 i.V.m. 1 Abs. 1 GG, Ditzen, NJW 1989, S. 2519; Rummel, RdJB 1989, S. 394; Engels, AöR 122 (1997), S. 212, 238, 241 ff., der darin einen „Entfaltungsschutz der Fähigkeiten und Eigenschaften, die nach dem Menschenbild der Verfassung prinzipiell in jedem Individuum angelegt sind“, versteht. 375 BVerfGE 24, 119 (144); 72, 122 (134); 72, 155 (172); 75, 201 (218); 79, 51 (63); 83, 130 (139 ff.); 99, 145 (157); 103, 89 (107); Zacher, HdbStR VI, 2. Aufl., § 134 Rdnr. 92; CoesterWaltjen, in: von Münch/Kunig, GG, Art. 6 Rdnr. 85; Jestaedt, in: BK, Art. 6 II u. III Rdnr. 22, 169, 173 ff., 199 u. 326 ff.; Badura, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 6 Rdnr. 115, 135; Robbers, in: von Mangoldt/Klein/Starck, GG, Art. 6 Rdnr. 234, 241; Coester, FamRZ 1995, S. 399 f.; ders., FamRZ 1996, S. 1181, 1182. 376 Engels, AöR 122 (1994), S. 212, 218 ff.

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4. Teil: Das Elterngrundrecht in herkömmlicher Interpretation

Die staatliche Schutzpflicht für das allgemeine Persönlichkeitsrecht des Kindes kann im Zusammenhang mit dem staatlichen Wächteramt als Grundlage für die Gewährung von Maßnahmen ohne jeden Eingriffscharakter herangezogen werden. Der Staat kann also neben den Eltern zu einer ordentlichen körperlichen, geistigen und seelischen Entwicklung von Minderjährigen beitragen.377 Aus der Formulierung kann nur ein genereller Schutzauftrag zugunsten des Kindeswohls entnommen,378 nicht aber ein eigenständiger Erziehungsauftrag des Staates abgeleitet werden.379 Soweit die grundrechtliche Schutzpflicht für das allgemeine Persönlichkeitsrecht des Kindes mit dem staatlichen Wächteramt verbunden ist, kann sie auch auf die Abwehr von Gefährdungen zielen und den Kontext für entsprechende staatliche Eingriffsbefugnisse bilden. Der Staat kann auf diese Weise Kinder vor Vernachlässigung schützen, notfalls auch gegen den Willen der Eltern. Dem Kind steht ein subjektives Recht auf die Veranlassung bestimmter staatlicher Maßnahmen zu, soweit die Voraussetzungen nach der allgemeinen Lehre der grundrechtlichen Schutzpflichten vorliegen.380 Ungeachtet der Tatsache, dass es sich um einen Wert von Verfassungsrang handelt, können aus dem Eingriffstitel jedoch in keinem Fall weitergehenden Befugnisse als aus der subsidiären Wächterfunktion nach Art. 6 Abs. 2 S. 2 GG abgeleitet werden; wie auch der Anspruch nicht zu einer Schmälerung des elterlichen Erziehungsrechts führen kann, weil sich Kinder- und Elternrecht nicht antagonistisch gegenüber stehen.381 Staatlicher Beistand ist angesichts der kindlichen Schutz- und Hilfsbedürftigkeit erforderlich.382 Daneben belegt die staatliche Leistungsverpflichtung aber auch, dass Eltern mit ihren Kindern nicht allein, sondern in einem gesellschaftlichen Gesamtkontext leben.383 Nach dem Menschenbild des Grundgesetzesf existiert der eigenständige und selbstverantwortliche Mensch „im Kern seiner Persönlichkeit, […] notwendig in seinen sozialen Bezügen“.384 Individualität und Kollektivität sind keine Antipoden, sondern gleichermaßen erforderlich für die Sozialisation eines Menschen,

377 Vgl. das Gesetz zum Schutz der Jugend in der Öffentlichkeit (JÖSchG) vom 25.02.1985 (BGBl. I, S. 425); Gesetz über die Verbreitung jugendgefährdender Schriften (GjS) vom 09.06.1953 (BGBl. I, S. 377). 378 BVerfGE 24, 119 (136); Zacher, HdbStR VI, 2. Aufl., § 134 Rdnr. 5, 54, 92; CoesterWaltjen, in: von Münch/Kunig, GG, Rdnr. 85. 379 Böckenförde, Essener Gespräche 14 (1980), S. 54, 75; Schmitt-Kammler, Elternrecht, S. 31, 83. 380 Jestaedt, in: BK, Art. 6 II u. III Rdnr. 175; Roth, Grundrechte Minderjähriger, S. 93 ff., 125 ff. 381 BVerfGE 59, 360 (382); 75, 201 (218); Ossenbühl, Erziehungsrecht, S. 55; Jestaedt, in: BK, Art. 6 II u. III Rdnr. 134 ff., 326. 382 Hermes, Das Grundrecht auf Schutz von Lebens und Gesundheit, S. 26 f. 383 Zacher, FS Scholz, S. 413, 418. 384 BVerfGE 6, 32 (40); 80, 367 (374).

D. Verfassungsrechtliche Begrenzungen des Elternrechts

159

dessen Verfasstheit wiederum die gegenwärtige und zukünftige gesellschaftliche Beschaffenheit konstituiert.385

385

BVerfGE 88, 203 (260).

Fünfter Teil

Das Elterngrundrecht mit Blick auf das gestufte Maßnahmenkonzept A. Auf dem Prüfstand: Das gestufte Maßnahmenkonzept Fraglich ist, ob das im dritten Teil vorgestellte, gestufte Maßnahmenkonzept mit der herkömmlichen Interpretation von Art. 6 Abs. 2 GG zu vereinbaren ist oder ob dadurch die „Demarkationslinie“ zwischen elterlicher und staatlicher Erziehungsverantwortung überschritten wird. Grundrechtsdogmatisch ist dies dann zu bejahen, wenn durch eine der Konzeptebenen der Staat in die Erziehungsverantwortung der Eltern eingreift und dieser Eingriff verfassungsrechtlich nicht zu rechtfertigen ist. Das Elternrecht wird im Hinblick auf das Maßnahmenkonzept als speziellste verfassungsrechtliche Barriere begriffen, weshalb dessen (Un-)Vereinbarkeit mit anderen Grundrechten zwar angesprochen, aber in der näheren Prüfungsabfolge nicht in dem gleichen Maße berücksichtigt wird.

I. Erste Ebene: Öffentlichkeitsarbeit Die erste Ebene sieht die Schaffung einer niederschwelligen Angebots- und Hilfsstruktur, beispielsweise durch Familienzentren, vor. An sich hat sich auch der gewährende Staat für seine Vergabeentscheidung zu rechtfertigen. Maßstab ist insofern der Gleichheitssatz aus Art. 3 Abs. 1 GG, der eine gleichheitswidrige Verteilung staatlicher Begünstigungen ausschließt. Vorliegend sollen die Angebote jedoch potenziell allen Eltern und Kindern gleichermaßen zur Verfügung gestellt werden beziehungsweise von ihnen genutzt werden können. Mangels Differenzierung sind sie daher im Hinblick auf gleichheitsrechtliche Grundrechtsvorgaben verfassungsrechtlich unbedenklich. Auch ein Eingriff in das verfassungsrechtliche Elternrecht gemäß Art. 6 Abs. 2 S. 1 GG scheidet schon deshalb aus, weil unter grundrechtlichem Eingriffshandeln nur ein staatlicher Akt zu verstehen ist, der dem einzelnen Grundrechtsträger ein Verhalten, das in den sachlichen Schutzbereich eines Grundrechts fällt, teilweise oder ganz unmöglich macht. Die dargestellten Konzepte und Vorschläge der Öffentlichkeitsarbeit usw. sind lediglich auf die Schaffung günstiger Rahmenbedingungen

A. Das gestufte Maßnahmenkonzept

161

für Eltern-Kind-Beziehungen gerichtet. Solange der Staat universelle Strukturen anbietet, deren Inanspruchnahme die Angebotsempfänger je nach persönlicher Situation autonom annehmen oder ausschlagen können, spielen grundrechtliche Betrachtungen keine Rolle.

II. Zweite Ebene: Gefährdungseinschätzung und Pflichtuntersuchung 1. Grundrechtseingriff Eine gesetzliche Pflicht der Eltern, an einer Gefährdungsprognose teilzunehmen beziehungsweise ihr Kind zu Gesundheitsuntersuchungen zu bringen beinhaltet eine Reihe von Eingriffen in grundrechtlich geschützte Güter der Eltern wie auch des Kindes dar. Gemäß Art. 6 Abs. 2 S. 1 GG sind die Eltern primär für die gesundheitliche Entwicklung und körperliche Unversehrtheit ihrer Kinder verantwortlich. Zugleich geschütztes Gut ist die Entscheidung der Eltern darüber, wie sie ihr Kind medizinisch versorgen und welche Maßnahmen sie wann zur Erhaltung seiner Gesundheit treffen. Das Gefährdungsscreening wie auch die Pflichtuntersuchungen geben den Eltern einen bestimmten Zeitpunkt für eine medizinische Nachschau vor und stellen daher ein Grundrechtseingriff in Art. 6 Abs. 2 S. 1 GG dar, weil sie die Freiheit der Eltern, zu entscheiden, wie sie für ihr Kind pflegerisch Sorge tragen, beeinträchtigen. Durch den Eingriff wird die Abwehrfunktion des verfassungsrechtlichen Elternrechts aktiviert.1 Seitens der Eltern kommen als beeinträchtigte Rechtsgüter des Weiteren die Freiheiten, an keiner Gefährdungseinschätzung teilnehmen beziehungsweise keinen Arzttermin vereinbaren und wahrnehmen zu müssen, in Betracht. Diese Interessen sind durch das Auffanggrundrecht der allgemeinen Handlungsfreiheit von Art. 2 Abs. 1 GG geschützt.2 Die Mitwirkung an der Gefährdungsprognose beziehungsweise die (Nicht-)Erfüllung der Untersuchungspflicht wird durch die Kinderärzte kontrolliert, und die relevanten Daten werden an die Jugendämter zur weiteren Veranlassung übermittelt. Dieser Vorgang betrifft das in Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG verbürgte Recht der Eltern wie des Kindes auf informationelle Selbstbestimmung3 Danach hat jeder Bürger das Recht, grundsätzlich selbst über die Preisgabe und Verwendung seiner persönlichen Daten zu bestimmen. Überdies greifen Pflichtuntersuchungen dann in die körperliche Unversehrtheit des Kindes gemäß Art. 2 Abs. 2 GG 1 Beispiele für Grundrechtseingriffe ist der in Art. 6 Abs. 3 GG geregelte Fall der Familientrennung, BVerfGE 107, 104 (118), oder die Beschränkung der Eltern in der Vornamenswahl für ihr Kind, BVerfGE 104, 373 (385). 2 BVerfGE 80, 137 ff. 3 BVerfGE 103, 21 ff.

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5. Teil: Elterngrundrecht und Maßnahmenkonzept

ein, wenn ärztliche Zwangsuntersuchungen ohne oder gegen den Willen der insofern personensorgeberechtigten Eltern, die dieses Grundrecht treuhänderisch für ihr Kind ausüben, vorgenommen werden. 2. Verfassungsrechtliche Rechtfertigung Fraglich ist, ob die durch die Gefährdungseinschätzung beziehungsweise durch die verpflichtende Teilnahme an Früherkennungsuntersuchungen bedingten Eingriffe verfassungsrechtlich zu rechtfertigen sind. Eine verfassungsrechtliche Rechtfertigung für die festgestellten Eingriffe ist dann möglich, wenn die grundrechtlich geschützten Freiheiten durch eine gesetzliche Regelung einschränkbar sind und diese gesetzliche Grundlage verhältnismäßig ausgeformt ist. Die betroffenen Grundrechte sind unterschiedlich eingriffsresistent. Das Recht auf körperliche Unversehrtheit gemäß Art. 2 Abs. 2 S. 3 GG wie das Recht auf informationelle Selbstbestimmung gemäß Art. 2 Abs. 1 GG unterliegen jeweils einem einfachen Gesetzesvorbehalt; zu Letzterem zählt jede verfassungsmäßige Regelung. Das verfassungsrechtliche Elternrecht ist gemäß Art. 6 Abs. 2 GG durch einen vom Gesetzgeber zu konkretisierenden Überwachungsvorbehalt einschränkbar (vgl. Vierter Teil, D. II.). a) Art. 2 Abs. 1 GG Zur Einschränkung der individuellen Handlungsfreiheit der Eltern wie auch einem (möglichen) Interesse des Kindes nicht untersucht zu werden, können ärztliche Zwangseingriffe zwecks Behandlung beziehungsweise Heilung von Patienten allein aus sozialversicherungs- oder -hilferechtlichen Gründen zwar nicht herangezogen werden.4 Aber zwangsweise Heilbehandlungen5 wie etwa Impfungen sind dann gerechtfertigt, wenn bei ansteckenden Krankheiten, die Gesundheit und das Leben anderer Menschen gefährdet sind.6 Kinder sind in den ersten Lebensjahren besonders vulnerabel. Screeningverfahren und Pflichtuntersuchungen sind zum einen Instrumente der Informationsbeschaffung, die es den mit der Wahrnehmung des staatlichen Wächteramtes betrauten Behörden erleichtern, Anzeichen von Kindeswohlgefährdungen zu entdecken. Die Gefährdungseinschätzung und ärztliche Früherkennungsuntersuchungen bieten aufgrund ihrer Regelhaftigkeit beziehungsweise der Häufigkeit der verbindlichen Untersuchungsintervalle die Möglichkeit, Fehlentwicklungen und Gefährdungen im kindlichen Entwicklungsverlauf frühzeitig zu identifizieren. Die bindende Ausgestaltung der Untersuchungstermine schafft die Gelegenheit, auf den nachfolgenden Ebenen gebotene Maßnahmen einzuleiten und Kinder vor Verwahrlosung oder Misshandlung 4

Starck, in: von Mangoldt/Klein/Starck, GG, Art. 2 Rdnr. 223. Lorenz, HdbStR VI, 2. Aufl., § 128 Rdnr. 17. 6 BGHSt 4, 375 ff.; BVerwGE 9, 78 f.; Starck, in: von Mangoldt/Klein/Starck, GG, Art. 2 Rdnr. 222; Schulze-Fielitz, in: Dreier, GG, Art. 2 Rdnr. 45. 5

A. Das gestufte Maßnahmenkonzept

163

zu bewahren. Dies ist für die weitere Entwicklung von Bedeutung und entspricht dem kindlichen Anspruch, verlässlichen Schutz zu erfahren, um erforderlichenfalls außerhalb des eigenen Elternhauses gefördert zu werden.7 Das elterliche Bequemlichkeitsinteresse, von ärztlichen Pflichtterminen verschont zu bleiben, ist gegenüber den gewichtigen Lebens- und Gesundheitsinteressen des Kindes als nachrangig zu bewerten. Ebenso ist eine Beeinträchtigung des Rechts der Eltern auf informationelle Selbstbestimmung gemäß Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG gegenüber der staatlichen Verantwortung Kinder zu fördern und vor Misshandlung zu schützen, abzuwägen. Das Nachhalten der Inanspruchnahme wie auch die länderübergreifende Weitergabe der erforderlichen Daten von Eltern und Kindern sind erforderlich, um zwischen den beteiligten Stellen einen flächendeckenden und lückenlosen Abgleich hinsichtlich der (Nicht-)Teilnahme an den Checks zu erstellen. Das Verfahren hat den Vorteil, dass nur in die Datenschutzrechte8 eines geringen Bevölkerungsteils eingegriffen wird, denn nur die Daten derjenigen Eltern werden weitergegeben, deren Kind nicht zu einer Früherkennungsuntersuchung vorgestellt worden ist beziehungsweise bei dessen Gefährdungseinschätzung sich Auffälligkeiten gezeigt haben. Vorliegend sind die Interessen und Belange der elterlichen Bezugsperson an der Wahrung ihrer Datenschutzrechte (Datenerhebung, Datenübermittlung an Dritte ohne Einwilligung) gegenüber dem Schutzinteresse des Kindes, körperlich unversehrt aufzuwachsen, das eine stärkere Nähe zur Menschenwürde und dem Grundrecht aus Art. 2 Abs. 2 GG aufweist, wie auch dem legitimen Anliegen der staatlichen Gemeinschaft die körperliche und seelische Gesundheit und Integrität von Kindern zu sichern, als weniger schützenswert einzustufen, sodass auch dieser Eingriff in Art. 2 Abs. 1 GG gerechtfertigt ist. In dem hier interessierenden Bereich werden die genannten Grundrechte aber durch das insoweit speziellere Elterngrundrecht überlagert. b) Art. 6 Abs. 2 GG Nach dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit ist eine verfassungsrechtliche Rechtfertigung grundrechtlicher Eingriff nur dann möglich, wenn für die staatlicherseits vorgenommene Verkürzung ein verfassungskonformes Ziel zu bestimmen ist, zu dessen Erreichung die grundrechtsbeeinträchtigende Maßnahme geeignet und erforderlich ist.9 Überdies darf die den Einzelnen beeinträchtigende Maßnahme nicht erkennbar außer Verhältnis zu dem angestrebten Ziel stehen. Als verfassungsrechtlich legitimer Zweck lassen sich für die Gefährdungsabschätzungen und die Pflicht zur Vorsorgeuntersuchung der Schutz der Gesundheit und des körperlichen wie auch psychischen Wohlergehens von Kindern gemäß Art. 2 Abs. 2 S. 1 und Art. 2 Abs. 1 7

Bayrisches Maßnahmenkonzept zur Verbesserung des Schutzes von Kindern und Jugendlichen, S. 12. 8 Derzeit u. a. konkretisiert durch § 35 SGB I und §§ 67 bis 85a SGB X. 9 BVerfGE 41, 378 (395).

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5. Teil: Elterngrundrecht und Maßnahmenkonzept

i.V.m. Art. 1 Abs. 1 S. 2 GG anführen sowie auf den aus Art. 6 Abs. 2 S. 2 GG und Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG abzuleitenden Kinder- und Jugendschutz abstellen. aa) Geeignetheit Die staatlichen Regelungen sind dann geeignet, wenn mit ihrer Hilfe der gewünschte Erfolg erreicht werden kann.10 Die in bestimmten Kommunen bundesweit durchgeführten Versuchsprojekte haben gezeigt, dass sowohl abstrakte Gefährdungseinschätzungen in Kinderkliniken als auch in regelmäßigen Intervallen stattfindende Vorsorgeuntersuchungen geeignete Methoden sind, um Kindeswohlgefährdungen rechtzeitiger als bisher zu erkennen. Nicht zu verkennen ist, dass es Eltern gibt, die ihr Kind vor den Pflichtuntersuchungsterminen weniger misshandeln, um es pflichtgemäß vorzuführen, wenn keine Befunde zu bemerken sind. Oder sie schüchtern ihr Kind ein, sodass es über seine Schmerzen schweigt; schwierig ist es selbst für Ärzte, sexuellen Missbrauch im Kleinkindalter zu erkennen. Indes sind Kinderärzte grundsätzlich dazu ausgebildet worden mangelnde Fürsorge, von Mangelernährung herrührende Unterernährung und Entwicklungs- oder Bindungsstörungen zwischen Eltern und Kind zu erkennen. Im Rahmen verbindlicher Vorsorgeuntersuchungen ist es ihnen daher möglich, gezielt nach Symptomen von Gewalt Ausschau zu halten sowie darauf zu achten, wie sich ein Kind körperlich und psychisch entwickelt (Motorik und Sprachkompetenzen), sodass Fehlentwicklungen und Defizite rechtzeitig behandelbar sind. Dass durch Pflichtuntersuchungen nicht jedes kindliche Opfer identifiziert werden wird, ändert nichts an der grundsätzlichen Eignung der Maßnahme. Denn sie muss nicht den bestmöglichen, sondern überhaupt einen Beitrag zur Zweckerreichung leisten. bb) Erforderlichkeit Die zum Einsatz gebrachten Mittel genügen dann dem Anspruch der Erforderlichkeit, wenn kein anderes gleich wirksames, den Einzelnen aber weniger belastendes Mittel zur Erreichung des angestrebten Zwecks zur Verfügung steht.11 Die Eingriffe sind demnach dann gerechtfertigt, wenn kein milderes Mittel existiert, um eine Risikobestimmung in Bezug auf die elterliche Erziehungseigenschaften zu treffen. Obgleich mildere Mittel wie Aufklärungs- und Informationskampagnen über die Bedeutung von Früherkennungsuntersuchungen oder unverbindliche Einladungsschreiben zur Motivation der Eltern, an Früherkennungsuntersuchungen teilzunehmen, vorstellbar sind, eignen sie sich weniger zur Identifizierung von kindlichen Misshandlungs- und Vernachlässigungsopfern und können nicht verhindern, dass Kinder bis zur Feststellung der Schultauglichkeit keiner ärztlichen Pflichtuntersuchungen unterzogen werden.

10 11

BVerfGE 63, 88 (115). BVerfGE 30, 292 (316).

A. Das gestufte Maßnahmenkonzept

165

Gegen die Erforderlichkeit von verpflichtenden Untersuchungen lässt sich weiter einwenden, dass es verbindliche Schuleingangsuntersuchungen gibt und bereits jetzt freiwillige Vorsorgeuntersuchungen existieren, für die eine relativ hohe Rate der Inanspruchnahme vorliegt. Zwar ist nicht zu bestreiten, dass am effektivsten für den Erfolg einer Maßnahme die unaufgeforderte Mitwirkungsbereitschaft der Betroffenen ist. Für Meldepflichten und obligatorische Pflichtuntersuchungen spricht aber, dass auf diesem Weg möglichst alle Kinder erreicht werden. Es ist überdies anzunehmen, dass gerade diejenigen Kinder nicht an den Untersuchungen teilnehmen, die von ihren Eltern vernachlässigt oder misshandelt werden, weil jene eine Aufdeckung ihres Fehlverhaltens fürchten. Die Kinder, die aus anderen Gründen nicht von ihren Eltern freiwillig oder nur unregelmäßig zu einer Untersuchung gebracht worden sind, erfahren so eine Mindestanzahl an Arztbesuchen. Im Übrigen sinkt die Zahl der freiwilligen Elternbeteiligung ab der fünften Untersuchung, d. h., wenn die Kinder älter als ein Jahr sind, sichtlich ab, sodass immer weniger Kleinkinder einem Kinderarzt vorgestellt werden. Trotz hoher Ausgaben für das Gesundheitswesen und einem im europäischen Vergleich gut ausgebautem Krankenversicherungssystem werden in Deutschland die meisten Kinder z. B. nur kurz nach der Geburt geimpft; ob entsprechende Auffrischungsimpfungen erfolgen, wird nicht kontrolliert. Zudem legen Ergebnisse der Armuts- sowie Sozial- und Gesundheitsforschung nahe, dass gerade prekäre materielle beziehungsweise soziale Lebenslagen mit einem schlechteren kindlichen Gesundheitsstatus zusammenfallen. Eltern mit Migrationshintergrund, sozialen oder anderen Belastungssituationen verabsäumen es, an diesen Folgeuntersuchungen teilzunehmen, weshalb Kinder aus diesen (Risiko-) Familien über Jahre keinen Arzt besuchen.12 Im Wege einer gesetzlichen Verpflichtung kann das Bewusstsein der Eltern geschärft werden, dass Früherkennungsuntersuchungen ein wichtiger Teil der Gesundheitsvorsorge und damit ein Teil der Erziehungsverantwortung sind.13 Ferner wirkt eine allgemeine Teilnahmepflicht weniger stigmatisierend, weil alle Kinder von der Untersuchungspflicht betroffen sind und nicht bloß ein ausgesuchter Teil hinsichtlich Fehlentwicklungen untersucht wird. Durch die Pflicht der Eltern, mit ihren Kindern an den Untersuchungen teilzunehmen, erhöht sich die Teilnahmequote, so dass Förderbedarfe rechtzeitig erkannt werden können, weshalb die Maßnahme zur Zweckerreichung geeignet ist. cc) Angemessenheit Die Verhältnismäßigkeit im engeren Sinne erfordert, dass unverhältnismäßige Belastungen vermieden werden. Eine Maßnahme ist dann unverhältnismäßig, wenn sie dem einzelnen Grundrechtsträger Nachteile zufügt, die außer Verhältnis stehen zu dem beabsichtigten Zweck der Maßnahme.14 Hierzu ist eine Abwägung durchzufüh12

Vgl. BRat-Drs. 56/06, S. 2. Bayrisches Maßnahmenkonzept zur Verbesserung des Schutzes von Kindern und Jugendlichen, S. 12. 14 BVerfGE 44, 353 (373 f.). 13

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5. Teil: Elterngrundrecht und Maßnahmenkonzept

ren, in welche die beeinträchtigten Grundrechtspositionen, der verfolgte Maßnahmenzweck sowie die durch sie hervorgerufenen Folgen und ihr Ausmaß einzustellen sind. Eine Teilnahme an Gefährdungsscreenings wie auch medizinischen Vorsorgeuntersuchungen kann entscheidend dazu beitragen, dass erhöhte Wahrscheinlichkeiten von Kindeswohlgefährdungen, Krankheiten oder Verhaltensstörungen bei Kindern frühzeitig erkannt werden, und in Verbindung mit nachfolgenden Behandlungen und Therapien können schwerwiegende Schäden und stärkere Eingriffe verhindert werden. Andererseits werden durch verpflichtende Gefährdungseinschätzungen und Früherkennungsuntersuchungen erst einmal alle Eltern unter einen Generalverdacht gestellt, es handelt sich um Ausforschungsinstrumente. Aus dem Elternprimat ergibt sich zum Ersten, dass der Staat auf die Gefahrenabwehr und Schadensvermeidung beschränkt ist. Der Staat darf allenfalls versuchen, die Eltern durch freiwillige Angebote von einem wünschenswerteren Pflege- und Erziehungsverhalten zu überzeugen, muss aber letztlich auch andere Formen des Heranziehens von Kindern akzeptieren, die davon entfernt liegen. Zum Zweiten darf der Staat erst dann gegen den Willen der Eltern dem Kind zu einer anderen Lebensweise verhelfen, d. h. erst dort intervenieren, wo die Instabilität der Eltern-Kind-Beziehung die Lebenssituation des Kindes prekär werden lässt. Wenn eine Kindswohlgefährdung oder der Schaden bereits klar zutage treten, ist der Eingriff gerechtfertigt, also bei Eltern, die ihrer primären Verpflichtung zur Kindererziehung schon lange nicht mehr oder in einem so gravierenden Maße nicht nachgekommen sind, sodass eine Intervention unumgänglich erforderlich geworden ist. Nicht zur Aufgabe des staatlichen Wächteramtes gehört es dagegen, optimale Bedingungen für die Gesundheit und Entwicklung von Kindern zu gewährleisten, sondern allein das Schlimmste zu verhindern. Nach herkömmlicher Interpretation stellt eine Nichtteilnahme an einer Pflichtuntersuchung für sich betrachtet noch keine konkrete Kindeswohlgefährdung i.S.v. Art. 6 Abs. 2 S. 2 GG dar. Sie kann zwar als Indiz dafür herangezogen werden, dass Eltern der ihnen obliegenden Pflicht zur Pflege des eigenen Nachwuchses nicht ausreichend nachkommen.15 Andererseits kann eine Reihe unterschiedlicher Beweggründe zur Nichtteilnahme geführt haben, sodass erst dann, wenn weitere Umstände hinzutreten, die für eine konkrete Vernachlässigung oder Misshandlung des Kindes sprechen, gezielt von staatlicher Seite überprüft werden darf, ob tatsächlich eine Gefährdung des Kindes vorliegt. Damit ist nach bisheriger Interpretation der staatlichen Wächteramtsbefugnisse ein Auskundschaften oder Aushorchen der Eltern ohne konkreten Anlass nicht erlaubt, selbst dann nicht, wenn die Maßnahmen einen notwendigen Beitrag liefern können, um Informationen zu verschaffen, um eine adäquate Beurteilung der Gefährdungslage zu ermöglichen. Ohne Anhaltspunkte für eine akute oder schwerwiegende Kindesvernachlässigung oder Kindesmisshandlung durchgeführte Gefährdungseinschätzungen wie auch verpflichtende Früherkennungsuntersuchungen stellen daher nach derzeitigem 15

A.A. Hümmer, ZfL 2007, S. 46, 5.

A. Das gestufte Maßnahmenkonzept

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Verständnis einen ungerechtfertigten Eingriff in das elterliche Erziehungsrecht aus Art. 6 Abs. 2 S. 1 GG dar.

III. Dritte Ebene: Familienhebamme und obligatorische Elternkurse 1. Grundrechtseingriff Mit Art. 6 Abs. 2 S. 1 GG kommt die deutliche Erwartung des Verfassungsgebers zum Ausdruck, dass die Kindererziehung durch die Eltern erfolgt.16 Ihre Freiheit gegenüber dem Staat ist gerade dadurch gekennzeichnet, dass sie über die Grundsätze und konkrete Ausgestaltung der Erziehung frei von staatlichen Einflüssen entscheiden. Zwar ist ihr Elternrecht durch die Pflicht zur Pflege und Erziehung ihres Kindes gekennzeichnet, daraus sind aber nicht Auskunfts- oder Mitwirkungspflichten aller Arten gegenüber staatlichen beauftragten Familienhebammen abzuleiten, vielmehr schließt Art. 6 Abs. 2 S. 1 GG das Recht mit ein, die eigenen Erziehungsentscheidungen nicht zu rechtfertigen oder Interna der Eltern-Kind-Beziehung nicht preisgeben zu müssen. Durch die Implementierung von Familienhebammen wird daher in das Elternrecht eingegriffen, weil die Eltern über ihre Erziehungsgebaren Rechenschaft abzulegen haben. Hausbesuche17 können neben einer Verletzung von Art. 6 Abs. 2 GG einen Eingriff in Art. 13 Abs. 1 GG, der die Unverletzlichkeit der Wohnung garantiert, bewirken. Mit einem bloßen Hausbesuchsangebot ist keine Befugnis zur Durchsuchung oder anderen Eingriffen in das Grundrecht auf Unverletzlichkeit der Wohnung gemäß Art. 13 Abs. 1 GG verbunden. Das Zustandekommen des Hausbesuchs durch die Familienhebamme setzt daher seitens der Wohnungsinhaber die Bereitschaft voraus, dem Jugendamtsmitarbeiter den Zutritt zu gestatten. Droht allerdings eine dringende Gefahr für Leib oder Leben des Kindes, kann die Polizei gemäß Art. 13 Abs. 4 GG eingeschaltet werden. 2. Verfassungsrechtliche Rechtfertigung Unterhalb der Gefahrenschwelle der Kindeswohlgefährdung ist keine eigenständige öffentliche Erziehungskontrolle implementierbar, weil dem Staat keine aktive Rolle zukommt, sondern die eines Wächters. Das staatliche Wächteramt soll die el-

16

Kämper, FS Tettinger, S. 537, 547. Das OLG Köln, FamRZ 1981, 599 entnahm der globalen Aufgabenstellung des Jugendamtes gemäß §§ 52a, 48 JWG (vgl. § 8a SGB VIII) dessen Befugnis gegen den Willen der Inhaber eine Wohnung in Augenschein zu nehmen. Aufgrund der Bedeutung von Art. 13 Abs. 1 GG ist aber eine ausdrückliche Ermächtigungsgrundlage erforderlich, vgl. OVG Münster ZfSH/ SGB 1989, 303. 17

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5. Teil: Elterngrundrecht und Maßnahmenkonzept

terliche Erziehungstätigkeit bloß überwachen, nicht aber übernehmen.18 Ist das Wohl des Kindes aber gefährdet, sind sowohl die Eltern gemäß Art. 6 Abs. 2 S. 1 GG verpflichtet, an der Abwendung der Gefahr mitzuwirken, als auch der Staat in seiner Wächterrolle aktiviert. Hausbesuche durch Familienhebammen und obligatorische Familienkurse sollen zwar nach der Vorstellung des Maßnahmenkonzepts auch erst ab diesem Stadium durch familiengerichtliche Verfügung in die elterlichen Vorrechte eingreifen dürfen, allerdings bildet nach herkömmlichem Verständnis von Art. 6 Abs. 2 S. 1 GG die drohende oder eingetretene Kindeswohlgefährdung den Maßstab für das staatliche Handeln. Wächteramtsmaßnahmen haben sich an Umfang und Ausmaß der Kindeswohlgefährdung zu orientieren und sind in ihrem Wirkungsgrad darauf beschränkt, sie zu beseitigen. Das elterliche Erziehungsprimat und das nachgelagerte Wächteramt verpflichten in Verbindung mit dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz den Staat zu einem Interventionsminimum. Dieses hat sich in zeitlicher wie sachlicher Hinsicht auf die Beseitigung der Kindeswohlgefährdung und der ihr zugrundeliegenden Ursachen zu konzentrieren und schließt darüber hinausgehende Steuerungsmaßnahmen aus. Nicht zur staatlichen Aufgabe gehört es daher, die Eltern zu bessern oder zu erziehen. Grundsätzlich unvereinbar sind daher alle Versuche des Staates, den Eltern inhaltliche Vorgaben für die Bereiche von Erziehung und Bildung, beispielsweise Verhaltenshinweise für die Förderung des Kindes in musischen oder sportlichen Angelegenheiten, zu erteilen. Vor dem Hintergrund individueller Lebensentwürfe ist es weder tatsächlich möglich noch verfassungsrechtlich zu rechtfertigen, die Vielfalt familiärer Sozialisationstypen durch die Vorgabe qualitativer Standards im Hinblick auf eine „Idealerziehung“ zu nivellieren. Gerade mit Art. 6 Abs. 2 S. 1 GG soll die Bandbreite elterlicher Erziehungsvorstellungen und die Vermittlung individueller Werte gesichert werden, sodass der Staat nicht nach einer bestmöglichen Entfaltung des Kindeswohls trachten darf, indem er die optimale Anpassung des Heranwachsenden an die Herausforderungen der Wissens- und Informationsgesellschaft beabsichtigt.19 Das Elternrecht soll Schutz vor staatlichen Einmischungs- und Verfremdungstendenzen bieten, die besser als die Eltern wissen wollen, was eine gute Erziehung für das eigene Kind ausmacht. Daher stellt auch die dritte Konzeptebene einen nicht gerechtfertigten Eingriff in das Elternrecht aus Art. 6 Abs. 2 S. 1 GG dar.

IV. Vierte Ebene: Herausnahme des Kindes aus der Familie Die für die vierte Ebene vorgesehene Herausnahme des Kindes aus der Familie ist dann gemäß Art. 6 Abs. 3 GG gerechtfertigt, wenn die Eltern offensichtlich versagt 18

Erichsen, Elternrecht, S. 50; Ossenbühl, Erziehungsrecht, S. 67, 71; Schmitt Glaeser, Erziehungsrecht, S. 44, 58. 19 Vgl. Jestaedt, 6. Göttinger Workshop, S. 15.

B. Defizitanalyse und Veränderungsansätze

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haben oder das Kind aus anderen Gründen zu verwahrlosen droht. Das Maßnahmenkonzept entspricht an dieser Stufe dem herkömmlichen Verständnis staatlichen Eingriffshandelns, weil es als ultima ratio nur in Ausnahmefällen erlaubt sein soll, daher ist es als verfassungskonform anzusehen (vgl. Vierter Teil, E.).

B. Defizitanalyse und Veränderungsansätze I. Defizite im Gesamtverständnis Das im vierten Teil dargelegte, exklusiv auf die Eltern zugeschnittene verfassungsrechtliche Erziehungsprogramm gemäß Art. 6 Abs. 2 S. 1 GG zeigt im Vergleich mit den im ersten Teil nachgezeichneten Wandlungen und Veränderungen der familiären Verhältnisse, dass sich seit Beginn der grundgesetzlichen Garantielegung innerhalb von Eltern-Kind-Beziehungen vielfältige Entfremdungstendenzen ergeben haben. Die Lebenswirklichkeit lässt erkennen, dass eine wachsende Anzahl von Eltern bereits mit der Wahrnehmung ihrer grundlegenden Erziehungspflichten überfordert ist. Besonders drastisch zeigt sich dies anhand der bekannt gewordenen Verwahrlosungsund Todesfälle. Stellt man die der verfassungsrechtlichen Norm zugrunde gelegte Vorstellung der „natürlichen Elternliebe“ den aktuellen Bildern von Kindesvernachlässigungen und -misshandlungen gegenüber dann wird deutlich, dass das Verfassungsverständnis vom Eltern-Kind-Verhältnis und die jetzigen Gegebenheiten an vielen Stellen nicht (mehr) übereinstimmen. Dass der Staat sich möglichst vom Elternhaus fernzuhalten hat, ist wie ausführlich im dritten Teil dargelegt worden ist, in weiten Teilen der Kraft der Historie geschuldet. Zu groß waren im Nachkriegsdeutschland, dicht nach den Erfahrungen der staatlichen Erziehungseinrichtungen im Dritten Reich, die Vorbehalte gegenüber dem Staat. Eine weitere Verfestigung der umfänglichen Bevorrechtigung der elterlichen Kindererziehung ist zudem durch den Umstand bewirkt worden, dass in der ehemaligen DDR – u. a. organisiert über ein Krippensystem – bereits auf Kleinkinder der ideologische Zugriff geübt worden ist. Diese verfassungsrechtliche Sicherstellung der elterlichen Vorrechte bei der Kindererziehung, die positiv die Entscheidung der Eltern darüber gewährleistet, wie sie ihrer Erziehungsverantwortung bei der Pflege und Erziehung ihres Kindes gerecht werden wollen,20 eröffnet den Eltern zahlreiche Spielräume für eigene Erziehungsvorstellungen. Grundsätzlich festzuhalten ist, dass dieser Grenzbereich zwischen elterlichem Erziehungsrecht und staatlichem Wächteramt sensibel und Eltern zur Wahrnehmung ihrer Erziehungsverantwortung eines autonomen Entscheidungsund Freiraumes bedürfen. Es muss gewährleistet sein, dass Eltern ihr Kind entsprechend ihrer persönlichen Ansichten und gemäß dem pluralistischen Verfassungsverständnis aufziehen können. 20

BVerfGE 47, 46 (69 f.), st. Rspr.

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5. Teil: Elterngrundrecht und Maßnahmenkonzept

Der Staat kann sich aber nicht mehr ausschließlich auf den Entwurf einer „heilen Familie“ und den guten Willen der Eltern zur Kindererziehung verlassen, wenn im Hinblick auf eine stetig wachsende Anzahl von erziehungsunfähigen Eltern und ihren gefährdeten Kindern die Art. 6 Abs. 2 S. 1 GG zugrundeliegende Betonung eines harmonischen Familienverbandes zu einer Scheinvorstellung wird. Einzuräumen ist, dass auch in der Zeit der Verfassungsniederlegung die familiäre Realität nicht immer diesen hehren Vorstellungen entsprochen haben wird, aber die Gefahr, dass Eltern ihrer Pflichten zur Pflege und Erziehung ihres Nachwuchses in so auffallender Weise nicht nachkommen sind, war eine absolute Ausnahmeerscheinung,21 sonst wäre der Staat nicht durch die in Art. 6 Abs. 2 S. 2 GG angelegte Zurückhaltung sowie aufgrund der hohen materiell-rechtlichen Anforderungen gemäß Art. 6 Abs. 3 GG auf eine Reserveverantwortung verwiesen worden. Dreh- und Angelpunkt für die staatliche Eingriffsrechtfertigung ist die Kindeswohlgefährdung, die erst dann vorliegt, wenn eine erhebliche Schädigung der körperlichen, geistigen oder seelischen Integrität des Kindes droht. Staatliche Eingriffe sind demnach möglich, wenn die Eltern für das Kind einen Mindeststandard, der für ein gedeihliches Aufwachsen notwendig ist, nicht mehr garantieren können. Der Staat ist in seiner Wächterrolle darauf beschränkt, eine Unvertretbarkeitskontrolle durchzuführen, ob die Eltern ihre elterliche Verantwortung wahrnehmen; das Wie hat ungeprüft zu bleiben. Dass aber zu spät in das Erziehungsgeschehen eingegriffen wird, liegt mit daran, dass keine oder kaum Zugangswege zu den Familien bestehen.22 Einerseits liegt es in der Natur des Familienlebens, dass sich relevante Umstände durch staatliche Aufklärung nur bedingt ermitteln lassen.23 Andererseits darf der Staat eine vorsorgende Strategie im Sinne einer vorausschauenden Beobachtung nur mit äußerster Zurückhaltung einsetzen. Zwecks Gefahrenprognose kann er zwar grundsätzlich selbst Informationen beschaffen, darf dabei aber nach herkömmlichem Verständnis nicht in die Nähe einer „mitlaufenden Erziehungskontrolle“ geraten. Die jetzige Verdachtsabklärung erfolgt demgemäß durch informatorische Befragungen des Kindes oder durch Gespräche mit den Eltern, soweit diese freiwillig mitarbeiten und bereits Anhaltspunkte für eine Gefährdungssituation bestehen. Der Staat ist also faktisch dazu gezwungen abzuwarten, bis die Verhältnisse selbst die Missstände zutage fördern beziehungsweise sie ihm von den Betroffenen freiwillig offenbart werden. Dem ungeachtet spielen sich die Misshandlungs- und Vernachlässigungstragödien aber hinter den verschlossenen Türen der Elternhäuser ab. Die Hinweise sind schon deshalb nicht sichtbar, weil die Kinder mitunter monate- beziehungsweise jahrelang ohne Kontakt zur Außenwelt leben oder deshalb nicht auffallen, weil von außen nicht zwangsläufig ein verwahrloster Eindruck besteht. Das elterliche Erziehungsrecht gilt bis zur Schulpflicht uneingeschränkt (vgl. Vierter Teil, C. II.), und Kinder unterliegen in den ersten sechs Lebensjahren hierzulande keiner anderen Einbindung als derjenigen in ihr fa21

Willutzki, FPR 2008, S. 488. Bundesfamilienministerium (Hrsg.), Lernen aus problematischen Kinderschutzverläufen, S. 78 f. 23 Coester, 6. Göttinger Workshop, S. 19, 26. 22

B. Defizitanalyse und Veränderungsansätze

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miliäres Netzwerk (vgl. Vierter Teil, C. I.). Sie können somit zwischen Geburt und Einschulung den Augen der staatlichen Wächter ohne große Anstrengungen entzogen werden – was durchaus auch geschieht. Zudem sind gerade Kinder gegenüber ihren Eltern loyal, selbst wenn diese ihnen immer wieder Leid zufügen, handelt es sich doch zumeist um ihre einzigen Bezugspersonen. Ebenso ist bei psychischen Misshandlungsopfern die Evidenz mangels Verletzungsspuren beziehungsweise eine erheblich beeinträchtigte Realitätswahrnehmung bei traumatisierten Kindern zu bedenken ist.24

II. Defizite auf der Ausführungsebene Dass aber die grundrechtlichen Vorgaben so rigide ausgelegt werden, trägt dazu bei, dass eine reservierte, bisweilen sogar ablehnende Haltung gegenüber staatlichem Handeln besteht, sofern es einen Bezug zum elterlichen Erziehen aufweist. In der Praxis entsteht des Öfteren ein Vakuum, weil angesichts der historischen Belastungen die staatlichen Eingriffsmöglichkeiten nach ihrer Anzahl, Form und vor allem ihrer zeitlichen Ausrichtung mehr als zurückhaltend gehandhabt werden.25

1. Hilfen Die betreffenden Handlungsgruppen bauen aus Sorge vor Fehlentscheidung Hemmschwellen auf. Jugendämter scheuen sich teilweise davor, zu Rechtsmitteln zu greifen.26 Sie wollen den zu ihren Lasten gehenden Vorwurf vermeiden, ein Kind zu früh aus einer mehr oder weniger intakten Familie herausgenommen zu haben. Konzipiert als unterstützende Instanz bietet das Jugendamt zwar permanent seine Hilfe an. In der Praxis hat sich dieses System aber des Öfteren als nicht effektiv gezeigt, weil die Eltern die Hilfen beispielsweise ablehnen oder sie ohne positive Effekte für das Kind bleiben. In der Regel reagiert das Jugendamt auf Informationen durch Dritte und entwickelt kein eigenes System der Kontaktaufnahme oder Aufsicht über bereits bekannte Risikoeltern.27 Bei Kindeswohlgefährdungen hängt die Entscheidung des Jugendamtes beziehungsweise später des Familienrichters, welche Maßnahmen zu treffen sind, von den ihnen bekannten Informationen sowie ihrer Einschätzung des Risikos für das Wohl des Kindes in der jeweiligen Familie ab. Grundlage für die Entscheidung bilden vorgetragene oder wahrgenommene Schwierigkeiten bei der kindlichen Erziehung. 24

Kanthak, ZfJ 2004, S. 180, 185. „Der geschichtlich erfahrene Staat ist das dauerhafte Feindbild. Aus diesem Grund ist das Verfassungsgesetz angelegt auf Abwehr, Bändigung und Kontrolle der Staatsgewalt“, Isensee, Das Grundrecht auf Sicherheit, S. 27. 26 Oberloskamp, 6. Göttinger Workshop, S. 45, 56. 27 Rosenboom, Familiengerichtliche Praxis, S. 190. 25

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5. Teil: Elterngrundrecht und Maßnahmenkonzept

Bleibt der Staat aber hauptsächlich auf die Bereitschaft der Eltern angewiesen, Informationen zur kindlichen Situation zu offenbaren, können sie unter Berufung auf ihr Elternrecht und Grundrecht zur informationellen Selbstbestimmung diese verweigern. Versagen die Eltern die notwendigen Informationen, können zwar über Dritte die notwendigen Auskünfte eingeholt werden, aber wiederum nur soweit „konkrete Anhaltspunkte“ für eine Kindeswohlbeeinträchtigung vorliegen. Das setzt voraus, dass bereits eine hinreichend sichere Kenntnislage im Hinblick auf eine Kindeswohlgefährdung besteht und der Staat sich vor allem in Bezug auf den Umfang und das Ausmaß seines Einschreitens weitere Kenntnisse verschaffen will, beantwortet aber nicht die Vorfrage in Bezug auf gerade die Kinder, die nicht bekannt sind oder für deren Einschätzung des Gefährdungsrisikos noch nicht genügend konkrete Anhaltspunkte vorliegen. 2. Interventionen Familiengerichtliche Interventionen finden erst dann statt, wenn sich schon eine Zuspitzung der familiären Situation ergeben hat.28 Dabei fallen „die wenigsten Gefährdungsfälle sozusagen vom Himmel […], die meisten ziehen sich schon seit Jahren hin“.29 Kinder werden dennoch solange wie möglich bei ihren untätigen oder überforderten Eltern belassen oder zu ihnen aus einer Heim- oder Pflegefamilienunterbringung zurückgeschickt, bis sich durch die Macht des Faktischen die weit herausgeschobenen Voraussetzungen des staatlichen Wächteramts realisiert haben und damit der Ausgang des familiengerichtlichen Verfahrens in Richtung eines Sorgerechtsentzuges determiniert ist. Für das Familiengericht markiert der Begriff der Kindeswohlgefährdung die Schnittstelle zwischen elterlicher und staatlicher Verantwortung für Kinder. Diese Eingriffsschwelle gemäß § 1666 BGB wird seit Jahrzehnten unhinterfragt tradiert. Dies erleichtert zwar ihre Subsumtionsfähigkeit, aber ihre eigentliche Funktion, der Schutz gefährdeter Kinder gerät aus dem Blickwinkel.30 Die drohende Beeinträchtigung des Kindes muss nach herrschender Ansicht erheblich sein, im Sinne einer nachhaltigen und schwerwiegenden Gefährdung.31 Was ist aber unterhalb dieser Gefährdungsgrenze mit dem staatlichen Kinderschutz? Bei einer bloß „drohenden Gefährdung“ liegen die Voraussetzungen für einen Eingriff gemäß § 1666 BGB nach jetziger Rechtslage nicht vor. Nachteile unterhalb dieser Grenze hat das Kind nach herkömmlicher Ansicht hinzunehmen, weil Eltern Schicksal sind, ebenso wie die Epoche oder Region, in die man hineingeboren 28

Dibbern, Zwischen Hilfe und Kontrolle, S. 187; Marquardt/Wilhelm, FPR 2004, S. 437,

438. 29 30 31

Oberloskamp, 6. Göttinger Workshop, S. 45, 61. Vgl. Coester, 6. Göttinger Workshop, S. 19, 21. BVerfG, FamRZ 1982, 567.

B. Defizitanalyse und Veränderungsansätze

173

wird. Der Staat konkurriert nicht um eine bestmögliche Kindesförderung mit den Eltern, sondern will die Fundamentalbedürfnisse eines Kindes in körperlicher, geistiger und seelischer Hinsicht gewährleisten.32 Das Gericht darf also, solange die Gefährdung gering oder noch hinnehmbar ist, nicht durch vorbeugende Maßnahmen das Verhalten der Eltern ordnen,33 obgleich gerade in diesem Stadium mit präventiven Maßnahmen reagiert werden kann, um frühzeitig gegen später eintretende Gefährdungen vorzugehen oder diese bereits im Ansatz zu minimieren.34 Denn auch dort, wo noch keine erhebliche Gefährdung im Sinne der genannten Definition vorliegt, kann das Kind nicht ausreichend ernährt werden, in gesundheitsgefährdenden Lebensumständen wohnen, sozial stark vernachlässigt sein oder kaum Entwicklungsanregungen erhalten.35 Auch dieses Kind lebt in einer defizitären Situation und leidet real, es ist bloß „noch nicht kaputt genug“36 für einen staatlichen Eingriff. 3. Nachsorge Sieht das Familiengericht in einem Verfahren wegen Kindeswohlgefährdung von einer Maßnahme ab, hat es seit kurzem die Möglichkeit diese Entscheidung ebenso wie eine „länger dauernde Maßnahme“ gemäß § 1696 Abs. 3 BGB (i.V.m. § 166 FamFG) nach angemessener Zeit von Amts wegen erneut zu überprüfen. In der Regel prüft es nach drei Monaten erneut, ob seine Entscheidung unverändert richtig ist beziehungweise die Maßnahme weiterhin erforderlich ist.37 Obwohl damit Kontrollinstrumente bestehen, die dafür sorgen, dass der Fall mit der Anordnung nicht erledigt ist, existieren auch im Bereich der Nachsorge Defizite. Im Fall einer Nichtanordnung und damit unterhalb der Gefährdungsschwelle bleibt angesichts des „dualen Systems der Gefahrenabwehr“38 die Verantwortlichkeit des Jugendamtes zur Hilfe und Unterstützung der Eltern weiter bestehen (vgl. §§ 8a und 36 SGB VIII).39 Die erneute Zusammenarbeit mit dem Jugendamt wird nach einem für die Eltern folgenlosen Gerichtsverfahren aber nicht selten ein schwieriger Schritt sein.40 Handeln die Eltern weiterhin nicht im Interesse des Kindes, wird das Gericht davon zwar spätestens in drei Monaten Kenntnis erlangen. Dieser Zeitraum

32

Vgl. Coester, 6. Göttinger Workshop, S.19, 24. Vgl. Oberloskamp, 6. Göttinger Workshop, S. 45, 54. 34 Röchling, FamRZ 2007, S. 431, 432. 35 Maßstab für die Feststellung von Defiziten nur die in Recht und Gesellschaft herrschenden Vorstellungen sein können, was notwendig und förderlich für ein gesundes Aufwachsen von Kindern ist, Coester, 6. Göttinger Workshop, S. 19, 22. 36 Oberloskamp, 6. Göttinger Workshop, S. 45, 54. 37 Seier, FPR 2008, S. 483, 486. 38 Wiesner, RdJB 2009, S. 13. 39 BT-Drs. 16/6815, S. 15 f. 40 Meysen, 6. Göttinger Workshop, S. 75, 86. 33

174

5. Teil: Elterngrundrecht und Maßnahmenkonzept

kann jedoch für das Kind, dessen Lebenssituation sich weiter verschlechtert, eine verhängnisvolle und viel zu lange Zeit sein.41 Da die wiederholte Befassung des Gerichts gemäß § 1696 Abs. 3 BGB nicht zu einer Dauerkontrolle der Eltern führen darf, sondern im Sinne einer bloßen „Vorwarnfunktion“42 gegenüber den Eltern zu verstehen ist, indem die Überprüfungspflicht bei ihnen den nötigen Druck erzeugt, dass sie ihr Verhalten ändern und staatliche Hilfsangebote in Anspruch nehmen,43 sollte an die Nichtanordnung einer familiengerichtliche Maßnahme nicht nur die bloße Wiedervorlage, sondern auch präzisere Vorgaben für das Jugendamt zur Erstellung eines Hilfeplanes geknüpft sein.44 Ebenso wenig ist die Arbeit des Jugendamtes dann beendet, wenn das Familiengericht eine Maßnahme angeordnet hat. Letzteres muss zwar die Erforderlichkeit seiner eigenen Anordnung erneut überprüfen gemäß § 1696 Abs. 3 BGB, das sagt aber über die Kontrolle der tagtäglichen Befolgung der Maßnahme und damit ihrer Effektivität zur Abwendung einer Kindeswohlgefährdung nichts aus. Die Jugendämter könnten daher noch stärker als bisher in die Durchführung einer angeordneten Maßnahme eingebunden werden.45

III. Argumentationslinien 1. Sinn des Wächteramtes Letztlich ist die Befassung mit der Frage, ob, ab wann und wie angesichts der zu beobachtenden Missstände elterlicher Erziehungstätigkeiten eine Vorbefassung der staatlichen Eingriffsschwelle zu erwägen ist, in das Spannungsfeld von Öffentlichkeit und Privatheit zu stellen. Also der juristischen wie rechtspolitischen Diskussion über eine freiheitliche Gesellschaftsform, die den Staat nur im äußersten Fall zum Eingriff in den autonomen Privatraum der Elternrechte duldet, versus einen obrigkeitlich-kontrollierenden, damit aber zugleich fürsorgenden Staat.46 Zwar widerspricht dem Grundgesetz jede Form der „patriarchalisch-überwölbenden, respektive pädagogisch-umarmenden oder sonst wie motivierte[n] Gemeinschaftserziehung“.47 Der negatorische Charakter der Grundrechte dient gerade 41

Oberloskamp, 6. Göttinger Workshop, S. 45, 57. Wiesner, RdJB 2009, S. 13, 18. 43 Wiesner, RdJB 2009, S. 13, 18; Walper, RdJB 2009, S. 21, 31. 44 Oberloskamp, 6. Göttinger Workshop, S. 45, 57. 45 „Festzuhalten bleibt, dass sowohl bei angeordneten als auch bei nicht angeordneten Maßnahmen eine weitere Kontrolle unabdingbar ist, damit Eltern dem Gericht nicht zu Lasten des Kindes sozusagen auf der Nase herumtanzen können.“, Oberloskamp, 6. Göttinger Workshop, S. 45, 57, 58. 46 Dahm, Verwaltungsrundschau 2008, S. 400, 403. 47 Jestaedt, 6. Göttinger Workshop, S. 16. 42

B. Defizitanalyse und Veränderungsansätze

175

dazu, die persönliche Entfaltung des Einzelnen abzusichern, indem er weitgehende Staatsfreiheit verbürgt. Sie sind aber dort zugunsten gesetzgeberischen Ausgestaltungsbefugnisse relativierbar, wo sich individuelle Freiheiten nur im Zusammenspiel mit anderen realisieren lassen (vgl. Art. 14 Abs. 1 S. 2 GG).48 Im Rechtsdreieck von Eltern, Staat und Kind sind sie mithin abgeschwächter zu handhaben, weil der Staat dort auch Schutzpflichten zugunsten des Kindes zu beachten hat. Zweifelsohne zählt der Schutz von Kindern mit zu den zentralen staatlichen Aufgaben. Sinn und Zweck des staatlichen Wächteramtes ist es das Kind zu schützen, dies ergibt sich zwingend aus der grundgesetzlichen Werteordnung. Wenn nämlich die Verfassung den Eltern Rechte an ihrem Kind „einräumt“, so hat der Staat auch dafür Sorge zu tragen, dass diese Rechte im Sinne des Kindes ausgeübt werden und Gefahren effektiv vermieden werden. Wenn aber staatliches Handeln immer wieder zu spät kommt und nicht mehr verhindert, dass Eltern ihre Kinder zu Tode vernachlässigt haben, ist dies nicht mit dem staatlichen Schutzauftrag (Art. 6 Abs. 2 GG und Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 1 Abs. 1 GG) zugunsten des individuellen Kinderlebens (Art. 2 Abs. 2 GG) zu vereinbaren. Die staatliche Seite hat in Erfüllung dieser Schutz- und Wächterfunktion vielmehr Bedingungen für ein gesundes Aufwachsen von Kindern sicherzustellen und auch wirksam Kindeswohlgefährdungen vorzubeugen. Präventives Handeln, um dem notwendigen Schutz von Kindern gerecht zu werden, bedeutet den staatlichen Einblick in die Familie zu verstärken. So ist den Eltern zwar die Erziehungstätigkeit grundsätzlich ohne staatliche Einmischung zu überlassen. Dass Kinder aber verwahrlosen, Konflikte oder stark belastende Situation in ihrer Erziehung ertragen müssen, die es ihnen erschweren oder sogar unmöglich machen, alterstypische Anforderungen und Entwicklungsaufgaben zu bewältigen und im Weiteren ein autonomes, an eigenen Zielen orientiertes Leben zu gestalten, widerspricht dem Recht eines Kindes auf eine gedeihliche und positive Entwicklung seiner Person. Die seelische und körperliche Gesundheit von Kindern erfordert, dass sie vor den vielfältigen vorgelagerten Schadenspotenzialen geschützt werden und staatlicher Schutz nicht erst dann eingreift, wenn die Eltern bei der Ausübung ihrer Erziehungsrechte den weit gezogenen Rahmen des verfassungsrechtlich Erlaubten bereits mehrfach verlassen haben oder weitläufig umgehen.

2. Kompensation Die Einfluss nehmenden öffentlichen Faktoren sind gemäß dem Verhältnismäßigkeitsgebot beziehungsweise Übermaßverbot nur dort einzusetzen, wo sie geeignet, erforderlich und angemessen sind. Je mehr aber bestimmte Funktionen an verhaltensprägender Kraft einbüßen, desto stärker wird zu ihrem Ausgleich eine öffentliche Kompensation erforderlich. Bei einem Nachlassen der familiären Strukturen, wie 48 BVerfGE 50, 290 (340 ff.); Bieback, EuGRZ 1995, S. 657, 660; Ruffert, Verfassung und Privatrecht, 2001, S. 408 f.

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5. Teil: Elterngrundrecht und Maßnahmenkonzept

sie schon jetzt für die Pflege und Betreuung, das Aufwachsen einer größer werdenden Gruppe von Kindern in sog. Risikofamilien zu bemerken ist, wird nicht nur die Lebenssituation dieser Kinder prekär. Vielmehr wird die Erziehungsohnmacht von Generation zu Generation weitergegeben, sodass die Auswirkungen der elterlichen Fehl- und Nichtleistungen gleichermaßen die staatliche Gemeinschaft betreffen. Der Staat wird volkswirtschaftlich mit einer Hypothek belastet, wenn gerade die ersten Lebensjahre eines Kindes sehr ungünstig verlaufen. Sobald diese Kinder erwachsen, aber nicht lebenstüchtig sind, werden für sie staatliche Reparaturdienste erforderlich. Im Bereich des Schul- und Ausbildungssystems ist nach den Ergebnissen der PISA-Studien erkannt worden, dass Versäumnisse bei der Förderung von Bildungspotenzialen im frühkindlichen Alter später kaum oder zumindest nur unter sehr hohen Staatskosten nachzuholen sind. Deshalb sind in fast allen Bundesländern gezielt frühe Bildungsmaßnahmen (Spracheinstufungstests und Förderunterricht) etabliert worden. Sowohl das Recht als auch die Pflicht des Staates erfordern eine elementare Sicherung der Schulausbildung, die flächendeckend für alle Kinder, unabhängig von ihrer familiären Situation, stattzufinden hat. Ebenso wenig sind fragile Eltern-Kind-Konstellationen sich selbst zu überlassen. Der Staat hat auch hier dafür Sorge zu tragen, dass alle Kinder die gleichen Startchancen erhalten. Mittels der Implementierung präventiver Konzepte beziehungsweise vorsorgender Strukturen lassen sich nicht nur Zugangswege zu unerfahrenen beziehungsweise überforderten Eltern herstellen, sondern auch förderungsbedürftige Entwicklungsprobleme in den Jahren vor der Einschulung bemerken und durch entsprechende Maßnahmen abbauen. Der durch die Implementierung dieser Maßnahmenkonzepte hervorgerufene administrative und finanzielle Mehraufwand49 enthebt ebenso wenig wie die Befürchtung, dass sich das soziale Klima in eine Überwachungsmentalität umwandeln könnte, die staatliche Gemeinschaft ihrer Verantwortung gerade auf diese Kinder zu achten, die bislang nicht in den Vorzug einer freiwilligen Untersuchung gekommen sind. Soziale Kontrolle hat wie im zweiten Teil gezeigt immer schon eine erhebliche Rolle im Kinderschutz gespielt. Mehrkosten und steigender Verwaltungsaufwand sind keine durgreifenden Einwände, weil eine frühzeitige Befassung im Einzelfall spätere, diffizile und langandauernde Gerichtsverfahren sowie hohe Folgekosten (z. B. für eine Heimunterbringung) vermeidet. 3. Gesellschaftliche Komponente Neben der Verpflichtung für die Lebens- und Entwicklungsbedingungen des einzelnen Heranwachsenden ist auch die gesamtgesellschaftliche Komponente einer ge49 Fegert, ZKJ 2008, S. 136, 137 rät daher zu einer empirischen Überprüfung der KostenNutzen-Relation.

B. Defizitanalyse und Veränderungsansätze

177

lungenen Erziehung anzusprechen. Entsprechend dem grundgesetzlichen Menschenbild ist der Einzelne nicht isoliert, sondern innerhalb der sozialen Beziehungen als Mitglied der staatlichen Gemeinschaft zu denken. Die Eltern haben ihr Kind um dessen Menschenwürde willen zu einer eigenverantwortlichen Persönlichkeit innerhalb des sozialen Gemeinwesens zu erziehen.50 Diese Gemeinschaftsgebundenheit ist Teil des Individuums. Die Freiheit des Einzelnen und seine Gemeinschaftszugehörigkeit sind korrespondierende Pole, die ein und dasselbe Feld aufladen.51 Wenn elterliche Erziehung diese Grundwerte vermissen lässt, ist dies zwar rechtlich ohne Folge, aber sie stützt das Rechtssystem indirekt ab.52 Von der „herausragenden Bedeutung, die der familiären Erziehung für die Ausbildung eines intakten Normsystems“53 zukommt, ist auf den Einfluss einer gelungenen Kindererziehung für den Fortbestand des gesellschaftlichen Fundaments insgesamt zu schließen. Das Recht und die staatlichen Institutionen sind objektiv, sie können dem Kind nicht beibringen, wie im mitmenschlichen Bereich Toleranz, Hilfsbereitschaft, Achtung vor dem Recht des anderen und so fort zu leben sind. Der Staat selbst kann weder elterliche Wärme noch Geborgenheit vermitteln. Er ist darauf angewiesen, dass in den Elternhäusern jene Kultur wächst, die den Kindern den Alltag zeigt, moralische Standards vermittelt und vorlebt. Allesamt Voraussetzungen, die der Staat nicht selbst schaffen kann. Die elterliche Erziehung zielt also darauf hin, dass das Kind in die Lage versetzt wird, die Lebensverantwortung selbst zu übernehmen, weshalb sie im Allgemeinen weiter reicht, als lediglich die pflegerischen Bedürfnisse des Kindes zu erfüllen. Die Eltern vermitteln dem Kind das Rüstzeug für seinen späteren Lebensweg. Voraussetzung dieser familiären und erzieherischen Freiheit, in der sich die freie Persönlichkeit des Einzelnen entfalten kann und individuelle Wertvorstellungen entwickeln können, ist allerdings ein gesicherter Zustand, ein geschütztes Familieninneres, in dem keine oder zumindest kaum Störungen auftreten. Wenn aber ein wachsender Anteil an Kindern nicht mehr das Rüstzeug für den Lebensweg erhält, „muss da nicht der Staat sein Wächteramt ausfüllen, muss er nicht in die Bresche springen, die hier entstanden ist?“.54 Diese Fragestellung verstärkt sich noch einmal vor dem Hintergrund der demografischen Vorausberechnungen, weil die nächsten Geburtenjahrgänge schwächer nachwachsen. Sie stellen daher nicht nur die kollektiven Sozialversicherungssysteme vor eine ungewisse Entwicklung, auch zur Absicherung der kulturellen und sozialen Dynamik sowie der demokratischen Stabilität kommen dem Sozialisierungsgrad und der

50

BVerfGE 24, 119 (144). Korioth, VVDStRL 62 (2003), S. 117, 121 ff.; Becker, JZ 2004, S. 929, 930. 52 Häberle, Erziehungsziele, S. 105. 53 Albrecht, RdJB 2008, S. 126. 54 Di Fabio, Udo, Wege und Irrwege der Familienpolitik, Vortrag Juristenrat Essener Bistum, 2008, nicht veröffentlicht. 51

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5. Teil: Elterngrundrecht und Maßnahmenkonzept

gesellschaftlichen Integration55 der kommenden Generationen eine entscheidende Bedeutung zu. Gemeinschaftliches Zusammenleben setzt ein Minimalmaß an sprachlicher Verständigung und der Beachtung grundlegender Umgangsformen voraus. Das Gelingen von Familie, namentlich die durch sie stattfindende Kindererziehung, ist ein unverzichtbarer Baustein sowohl für die verantwortungsvolle Gestaltung des eigenen Lebens wie auch für die Zukunftssicherung und -fähigkeit des Gemeinwesens.56 Misslingt sie, droht das Kind nicht zu einem belebenden Mitglied der Wirtschaftsund Kulturgemeinschaft, vielmehr zu einem dauerhaften Adressaten staatlicher Transferleistungen zu werden.57 Unter anderem deshalb ist die elterliche Kindererziehung nicht allein als autonomes Elternrecht, sondern auch als Pflicht zu betrachten. Bisweilen kann der Staat seine verfassungsrechtlichen Schutzverpflichtungen nur mithilfe seiner Bürger erfüllen.58 Von daher besteht die Erwartung und das Vertrauen darauf, dass die jeweiligen Grundrechtsträger ihre Aufgaben und Funktionen ihrerseits erfüllen, vgl. die Wehrpflicht gemäß Art. 12a GG. Eine besondere Verpflichtung statuiert Art. 6 Abs. 2 S. 1 GG. Der Überwachungsbefugnis des Staates entspricht jedenfalls die Pflicht der Eltern, die zum Schutze von Kindern erlassenen Gesetze zu beachten wie auch in der Kindererziehung nicht zu versagen noch das Kind verwahrlosen zu lassen.59 Der Pflichtgehalt ist zwar nicht direkt staatsgerichtet, andererseits kann die Erziehungspflicht nicht allein so verstanden werden, dass sie ausschließlich gegenüber dem Kind besteht. Denn der elterlichen Pflichtaufgabe kommt angesichts ihrer geschilderten Auswirkungen und Effekte durchaus eine gesellschaftspolitische Dimension zu.60 Störungen, die in der Sozialisation von Kindern auftreten, verändern nicht nur die Qualität der familiären Beziehungen, sondern setzen sich in andere Lebensbereiche, namentlich der gesellschaftlichen Sphäre, fort.

IV. Erweiterungsansätze Versteht man ein kindeswohlgefährdendes Schadensereignis als sichtbare Spitze eines Eisbergs, so gehen ihm, ausgehend vom Normalzustand, Störungen, Zwischenfälle und Beinahe-Schäden voraus.61 Auf dem Weg in die Erziehungskatastrophe, die 55

Es lassen sich Tendenzen der Auseinanderentwicklung feststellen, z. B. durch sozialräumliche Segregation, Klundt/Zeng, Kinderarmut als Gegenstand der Forschung, S. 39, 42 f. 56 Seiler, Öffentliches Familienrecht, S. 21. 57 Müller-Terpitz, JZ 2006, S. 991, 992. 58 Zur Wehrpflicht gemäß Art. 12a GG, BVerfGE 48, 127 ff. 59 Stober, Grundpflichten und Grundgesetz, S. 35 ff. 60 Schneewind, FS Lampert, S. 25, 28. 61 Nach dem Abschlussbericht des parlamentarischen Untersuchungsausschusses „Kindeswohl“ zur Aufklärung von mutmaßlichen Vernachlässigungen der Amtsvormundschaft und Kindeswohlsicherung durch das Amt für Soziale Dienst vom 18.04.2007, den die Bremer Bürgerschaft im Jahr 2006 zur Aufklärung der Kindstötung von Kevin eingesetzt hatte, be-

B. Defizitanalyse und Veränderungsansätze

179

das Resultat eines Systems aus mehreren kleinen Negativvorfällen und Unterlassungen bildet, die nicht immer Konsequenzen haben müssen, aber sich durch genügende Anzeichen ankündigen,62 bestehen dementsprechend zahlreiche Ansatzmöglichkeiten für staatliche Interventionen. Der Umgang mit der Spitze des Eisberges ist klar und ausreichend normiert. Der Entzug der elterlichen Erziehungsrechte ist als ultima ratio berechtigt, sobald die elterlichen Verfehlungen beziehungsweise Unterlassungen einen Maximalgrad erreicht haben (vgl. §§ 1666, 1666a BGB). Elterliches Handeln beziehungsweise Unterlassen kann aber auch unterhalb der Schwelle einer Kindeswohlgefährdung, in Anbetracht kumulierten Auftretens, negative Auswirkungen auf die kindliche Entwicklung zeitigen. Zur Verhinderung von Kindeswohlgefährdungen kommt es deshalb darauf an, den ganzen Eisberg als System und nicht nur dessen Spitze zu untersuchen, um rechtzeitig festzustellen, wo Risikosituationen vorliegen, sodass die darauffolgenden Ereignisse abgewendet werden.63 Das spricht für eine Erweiterung beziehungsweise Vorverlagerung der bisherigen Interpretation der wächteramtlichen Befugnisse gemäß Art. 6 Abs. 2 S. 2 GG, denn Krisenmanagement setzt eine wirksame Beobachtung und Informationsbeschaffung voraus, insbesondere hier liegt aber die Krux eines wirksamen Wächteramtes.64 Es setzt voraus, dass die staatlichen Institutionen in Kontakt mit den Kindern kommen, sie in ihrer Umgebung antreffen. Zwangsläufig damit verbunden ist, dass der Staat auch die Eltern stärker einbindet.65 Der Staat kann sich einerseits, um Kinder hinreichend zu schützen, nicht darauf verlassen, dass ihm von Seiten der Eltern, Kinder oder Dritter freiwillig die notwendigen Informationen offenbart werden. Andererseits ist es weder verfassungsrechtlich zulässig noch praktisch möglich oder erstrebenswert, dass der Staat eine Totalüberwachung installiert. 1. Absenkung der Gefährdungsschwelle Die Eingriffsschwelle kann entweder allgemein herabgesetzt werden, um sie für frühzeitige staatliche Maßnahmen im Hinblick auf erst noch entstehende Gefährdungspotenziale, die vor Erreichen der derzeit üblichen Eingriffsschwelle liegen, zu öffnen.66 Bislang brauchen Eltern unterhalb dieser Schwelle selbst niederschwellige Maßnahmen als ungerechtfertigte Eingriffe in ihr Elterngrundrecht aus Art. 6 Abs. 2 S. 1 GG nicht zu dulden (vgl. zuvor A. II. und III.). Bereits im Vorfeld der Gestanden immer wieder Möglichkeiten, dem Fall eine andere Wendung zu geben, LT-Drs. 16/ 1381. Zu einem ähnlichen Ergebnis kam auch der Abschlussbericht hinsichtlich der Kindstötung von Lea-Sophie in Schwerin aus dem Jahr 2007, vgl. Siegfried, FPR 2008, S. 264, 267. 62 Munro, JAmt 2009, S. 106, 107. 63 Bundesfamilienministerium (Hrsg.), Lernen aus problematischen Kinderschutzverläufen, S. 24 f. 64 Jestaedt, 6. Göttinger Workshop, S. 17. 65 Vgl. Jestaedt, 6. Göttinger Workshop, S. 10. 66 Eigener Änderungsvorschlag für § 1666 Abs. 1 BGBG bei Röchling, FamRZ 2007, S. 431, 432, Fn. 22; ders. FamRZ 2007, 1775, 1778.

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5. Teil: Elterngrundrecht und Maßnahmenkonzept

fährdung gibt es aber zahlreiche Möglichkeiten für „steuernde“67 Maßnahmen (vgl. das im Dritten Teil entwickelte gestufte Maßnahmenkonzept). Für eine allgemeine Absenkung der Gefährdungsschwelle spricht, dass staatliche Schutzpflichten umso ernster zu nehmen, je höher der Rang des infrage stehenden Rechtsgutes innerhalb der Wertordnung des Grundgesetzes einzuordnen ist. Je höherrangiger das zu schützende Rechtsgut, desto niedriger sind die Anforderungen an den Wahrscheinlichkeitsgrad des zu erwartenden Schadenseintritts zu stellen.68 Die Grenzlinie für staatliches Handeln wird also je nachdem bestimmt, was auf dem Spiel steht. Beim Kinderschutz geht es vor allem darum, einen Zustand, der eine erhebliche und gegenwärtige Gefahr für die Gesundheit oder das Leben des Kindes darstellt, von vornherein zu verhindern, weil das menschliche Leben einen Höchstwert verkörpert; es ist die vitale Basis der Menschenwürde und Voraussetzung aller anderen Grundrechte.69 Bei einem Hinweis, dass ein Kind vernachlässigt, misshandelt oder missbraucht wird, ist davon auszugehen, dass dem Kind zumindest Gefahren für seine Gesundheit drohen. Jedoch ist bei einer grundsätzlichen Absenkung der Gefahrenschwelle die Wahrscheinlichkeit eines Schadens für die Gesundheit oder das Leben des Kindes in einer Reihe von Fällen meines Erachtens zu leicht zu konstruieren und lädt zu staatlicher Allgegenwärtigkeit in den Familie ein. Beispielsweise stellen die im Kinderzimmer der eigenen Wohnung rauchenden Eltern, schwangere Mütter, die Tabak oder Alkohol konsumieren, zumindest ein Gefahrenpotenzial für das unzweifelhaft bedeutende Schutzgut der kindlichen Gesundheit (Leib, Leben, in anderen Fällen auch die Freiheit seiner Person) dar. Und obgleich manche dieser elterlichen Vorgehensweisen dem widersprechen mögen, was allgemein als kindeswohlgerechtes Verhalten anzusehen ist, deuten diese Beispielfälle bereits an, dass der Ansatzpunkt für ein das kindeswohlgefährdende Elternverhalten relativ unkompliziert herstellbar wäre, so dass ein staatliches Mitregieren in der Familie ermöglicht würde.70 Es darf aber weder darum gehen, die Kindererziehung in die Nähe eines staatlichen Instruments zu rücken, das Standards für die kindliche Erziehungstätigkeit setzt, weil es gerade nicht Aufgabe des staatlichen Wächteramts ist, zu definieren, was für das jeweilige Kind richtig oder falsch ist (vgl. im Vierten Teil, D. II.) noch „Staatsrecht vor Elternrecht“71 Geltung zu bringen. Vielmehr ist elterliches Fehlverhalten mitsamt seinen gravierenden Folgen für das Kind frühzeitig zu verhindern oder zumindest zu minimieren.72 Eine generelle Vorverlagerung der Gefährdungsschwelle

67

Oberloskamp, 6. Göttinger Workshop, S. 45, 54. Vgl. Coester, 6. Göttinger Workshop, S.19, 33, 35. Das hat das BVerfG auch schon mehrfach für den Vorfeldbereich festgestellt, BVerfGE 100, 313 (392 ff.); 110, 35 (55,60); 113, 348 (386). 69 BVerfGE 39, 1 ff.; 88, 203 ff. 70 Coester, 6. Göttinger Workshop, S.19, 33 f. 71 Geiger, FamRZ 1979, S. 457 f. Vgl. auch „Staatsrecht überhöht Elternrecht“, Holstein, AöR n. F. 12 (1927), S. 187, 215. 72 Röchling, FamRz 2007, 431, 435. 68

B. Defizitanalyse und Veränderungsansätze

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würde ferner dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit widersprechen und ist somit abzulehnen. 2. Modifikation der Gefährdungsschwelle Bislang wird die Gefährdungsschwelle, ab welcher staatliches Handeln im Schutzbereich des elterlichen Erziehungsgrundrechts gerechtfertigt ist, für alle Konfliktsituationen einheitlich bestimmt. Der Gefahrbegriff markiert aber nicht eine „Schwelle zwischen Alles oder Nichts“ (vgl. sogleich IV. 2. a), so dass es vorzugswürdiger ist die bisherige Eingriffsschwelle für staatliches Handeln im Rahmen von Art. 6 Abs. 2 S. 2 GG modifiziert zu bestimmen, um im Vorfeld einer Kindeswohlgefährdung an die Problemeltern heranzutreten. Nur eine Abgrenzungslinie zwischen elterlichem Verantwortungsbereich und staatlicher Sphäre entspricht nicht der komplexen Situation und dem Variantenreichtum von Gefährdungssituationen, die im jeweiligen Einzelfall eine angemessene staatliche Reaktion erfordern. So tritt der Staat Familien auch nicht stets als ein homogenes Gebilde entgegen, sondern je nach Institution variieren seine Aktivitäten.73 Dass das Abstellen auf einen Gefährdungsbegriff nicht immer zufriedenstellend funktioniert, belegen die Medienberichte über misshandelte und vernachlässigte Kinder sowie über sprunghaft ansteigende Jugenddelinquenz (vgl. im Ersten Teil, B. II.).74 a) Präventive Vorfeldarbeit Um bereits im Vorfeld von ernsten Gefährdungslagen, die die Gesundheit oder das Leben eines Kindes bedrohen, weil seine Eltern ihren Erziehungsaufgaben nicht nachkommen, näher und frühzeitiger an die Familie heranzukommen, könnte eine Modifikation der wächteramtlichen Eingriffsschwelle im Rahmen von Art. 6 Abs. 2 S. 2 GG ähnlich der aus dem Polizeirecht bekannten Stufung zur Gefahrenvorbeugung und –vorsorge etabliert werden. Denn unverantwortlich ist eine reine Beobachtung des familiären Geschehens, ohne am Ende angemessen auf die Gefahr reagieren zu können. Bedingt durch den Wandel von Gesellschafts- und Kriminalitätsformen und aus der Überlegung heraus, dass zur Verhütung von Straftaten am besten schon im Vorfeld mit der Ermittlungsarbeit begonnen wird, ist das sogenannte Vorsorgeprinzip in das klassische Polizeirecht „integriert“ worden. Obgleich der vorbeugende Umgang mit Gefahren im Polizeirecht an sich nichts grundlegend Neues war. Denn seit jeher hat die Polizei Informationen erhoben, um Straftaten zu verhüten, die Strafverfolgung vorzubereiten und auch die Gefahrenabwehr setzt immer erst eine Ermittlungstätigkeit voraus.75 Allerdings ist es angesichts der vielfältigen Gefahrentwicklungen erforderlich geworden, den präventiv-polizeilichen Maßnahmenbereich noch auszubau73

Vgl. Coester, 6. Göttinger Workshop, S. 19, 21. Coester, 6. Göttinger Workshop, S.19, 20. 75 Pieroth/Schlink/Kniesel, Polizei- und Ordnungsrecht, § 4 Rdnr. 15 ff.; Möstl, DVBl. 2007, S. 581, 582. 74

182

5. Teil: Elterngrundrecht und Maßnahmenkonzept

en.76 Bereits im Vorfeld von Gefahren sind die Polizeibehörden daher zu vorbeugenden Maßnahmen zwecks Informationserlangung berechtigt, die die klassische Gefahrenabwehrarbeit durch eine Reihe neuartiger Polizeibefugnisse (Videoüberwachung, Schleierfahndung, Einsatz verdeckter Ermittler)77 komplementieren.78 Diese Maßnahmen der Gefahrenvorbeugung und -vorsorge nehmen dabei weniger wahrscheinliche Entwicklungen ins Auge und bewirken, dass selbst durch schwache Anhaltspunkte gekennzeichnete Schäden für Leben und Gesundheit weitgehend ausgeschlossen werden können.79 Ebenso wird im Umwelt- und Technikrecht mit dem Rechtsgedanken gearbeitet, dass am wirksamsten für einen dauerhaften Schutz von Rechtsgütern die Risikominimierung ist, weshalb bei Überschreitung gewisser Schwellenwerte Vorsorgepflichten entstehen.80 Die tatbestandliche Schwelle, die ein polizeiliches Handeln bei Vorsorgemaßnahmen erlaubt, ist nicht äquivalent zu derjenigen bei einer sog. konkreten Gefahr, deren Eintritt gerade verhindert werden soll.81 Grundsätzlich bezeichnet der Begriff der Gefahr eine zeitliche Vorstufe des Schadenseintritts. Dieser muss mehr oder weniger wahrscheinlich sein.82 Das Wesen der Wahrscheinlichkeit wiederum besteht aus zwei Elementen. Die zeitliche Nähe zum Schadensereignis (gegenwärtig) und die Verdichtung der Kausalfaktoren, die eine künftige Schädigung konkret voraussehbar erscheinen lassen (ziemliche Sicherheit).83 Bei Vorfeldmaßnahmen wird „weder der für die konkrete Gefahr nötige Wahrscheinlichkeitsgrad noch die für die Gefahrenabwehr typische Konkretheit der Gefahr“84 verlangt.85 Dennoch setzen Maßnahmen der Gefahrvorsorge zumindest tatsächliche, wenn auch nur geringe Anhaltspunkte voraus, die auf eine Gefahr hindeuten.86 Ferner haben sie den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu beachten. Auf Rechtsfolgenseite sind bei Maßnahmen zur Erkundigung von Verdachtsfällen lediglich minimal-intensive Eingriffe gerechtfertigt.87 Bei einem sog. Gefahrenverdacht ist daher nur ein vorläufiges Einschreiten zwecks Aufklärung statthaft, um sich informationelle Gewissheit über die Gefährlichkeit der Situation zu verschaf76 „Neu“ ist das die Gefahrerforschung seit dem Volkszählungsurteil des Bundesverfassungsgericht einer gesetzlichen Ermächtigung bedarf (Art. 20 Abs. 3 GG), BVerfGE 65, 1. 77 Lepsius, Jura 2006, S. 929, 930; Möstl, DVBl. 2007, S. 581, 582. 78 Möstl, DVBl. 2007, S. 581, 584. 79 Frenz, DÖV 2006, S. 718, 722. 80 Frenz, DÖV 2008, S. 718, 720. 81 Poscher, Die Verwaltung, 2008, S. 345, 348. 82 Vgl. Schenke, Polizei- und Ordnungsrecht, S. 45 ff. 83 Vgl. Coester, 6. Göttinger Workshop, S.19, 24. 84 Pieroth/Schlink/Kniesel, Polizei- und Ordnungsrecht, § 5 Rdnr. 4; Schenke, Polizei- und Ordnungsrecht, S. 47. 85 BVerwGE 12, 87 (93); 39, 190 (193 f.), 49, 36 (42 f.). 86 Frenz, DÖV 2006, S. 718,719, 721. 87 BVerfGE 100, 313 (389 f.); BVerfG, NJW 2008, S. 822 (831 f.) zur online-Durchsuchung.

B. Defizitanalyse und Veränderungsansätze

183

fen88 (Gefahrerforschungseingriff)89. Auf Grundlage der erlangten Beobachtungsergebnisse ergibt sich sodann die Möglichkeit für weitergehende Gefahrbeseitigungseingriffe, die den schädigenden Kausalverlauf unterbrechen, sodass ein System der unterschiedlichen Aufgaben mit wachsenden Eingriffsbefugnissen entsteht.90 Die Beseitigung von eingetretenen Gefahren für das Wohl des Kindes ist die originäre Aufgabe des staatlichen Wächteramtes (vgl. im Vierten Teil, D. II.). Die Erfüllung dieser Aufgabe ist aber nicht denkbar, ohne dass zuvor die notwendigen Informationen beschafft werden; insofern ist die vorsorgende staatliche Tätigkeit auch für den hier interessierenden Bereich keine neuartige Aufgabe (vgl. zuvor B. IV. 2. a). Verfassungsrechtlicher Ansatzpunkt für eine Modifizierung der wächteramtlichen Handlungsaufgaben beziehungsweise Eingriffsbefugnisse im Rahmen von Art. 6 Abs. 2 S. 2 GG ist die sog. „vorausschauende Wacht“ (vgl. im Vierten Teil, D. II. 4.). Wird die Eingriffsschwelle im Rahmen von Art. 6 Abs. 2 S. 2 GG modifiziert bestimmt, kann das staatliche Wächteramt frühzeitiger als bisher üblich zur Beobachtung der elterlichen Erziehungstätigkeit eingesetzt werden. Eine reine Informationsbeschaffung verdrängt damit nicht die bestehenden wächteramtlichen Befugnisse, sondern ergänzt sie. Werden bereits im Vorfeld von Kindeswohlgefährdungen die für einen nachfolgenden Freiheitseingriff notwendigen Informationen erarbeitet, dann kann die Schadensentwicklung unterbrochen werden, bevor eindeutig feststeht, dass ein wesentlicher Gefährdungsgrad oder bereits eine erhebliche Schädigung beim betroffenen Kind vorliegt. Nichts zwingt den Staat dazu sein Wächteramt erst bei einer erheblichen Gefährdung des Kindeswohls einsetzen zu lassen und es somit zum Nachwächteramt zu degradieren.

b) Konsequenzen für die Beurteilung des Maßnahmenkonzepts Bestimmt man die wächteramtlichen Handlungs- beziehungsweise Eingriffsschwelle gemäß Art. 6 Abs. 2 S. 2 GG modifizierend, ergibt sich mit Blick auf das gestufte Maßnahmenkonzept, dass die behördlichen Befugnisse entsprechend des Verhältnismäßigkeitsprinzips angelegt sind. Beobachtende und lediglich ermittelnde Maßnahmen der ersten beiden Stufen gehen in die Breite, während grundrechtsrelevante Eingriffe erst dann einsetzen, wenn sich die Verdachtsmomente verdichtet haben. Auf der ersten Maßnahmenebene finden lediglich Beratungs- und Unterstützungsmaßnahmen statt. Primär erfolgt dort eine staatliche Informationstätigkeit, die den Eltern und Kindern Angebote unterbreitet und Leistungen anbietet, aber nicht eingreift. Es handelt sich um eine „Abwehr vor der Gefahrenabwehr“,91 während die Risikoscreenings und Vorsorgeuntersuchungen auf der zweiten Ebene der Feststellung 88 89 90 91

Pieroth /Schlink/Kniesel, Polizei- und Ordnungsrecht, § 4 Rdnr. 59 PrOVG 77, 331. Möstl, DVBl. 2007, S. 581, 584. Hümmer, ZfL 2007, S. 46, 48.

184

5. Teil: Elterngrundrecht und Maßnahmenkonzept

dienen, ob die Eltern ihrer Elternverantwortung nachkommen. Durch das Screeningverfahren wird mit einer großen Streubreite erfragt, welche Eltern als „Risikoeltern“ einzustufen sind. Die möglichen Gefährdungsrisiken werden auf dieser Maßnahmenebene durch umfassende und gründliche Untersuchungen ermittelt, so dass der staatliche Wächter rechtzeitiger als bisher auf kindeswohlgefährdende Situationen aufmerksam wird. Zu beachten ist, dass auf der zweiten Ebene tatsächliche Anhaltspunkte für das Vorliegen eines Gefahrverdachts bestehen müssen,92 die das nähere Erkunden des Sachverhalts notwendig erscheinen lassen, sonst droht die Maßnahme in eine Verletzung der elterlichen Erziehungsbefugnisse abzustürzen.93 Diese Anhaltspunkte ergeben sich aus den aufgelisteten Risikofaktoren (vgl. im Ersten Teil, B. III.), welche u. a. objektive Mängel im pflegerischen, gesundheitlichen und materiellen Bereich kennzeichnen und empirisch leichter nachzuweisen sind als erzieherische, geistige oder sittliche Defizite.94 Ihr Vorliegen weist jedenfalls auf eine erhöhte Grundwahrscheinlichkeit für eine Gefährdung innerhalb des Erziehungsverhältnisses hin und macht es klärungsbedürftig, ob weitere Gefährdungspotenziale für die kindliche Entwicklung bestehen, bevor sich das staatliche Wächteramt durch eingriffsbasiertes Handeln einschaltet. Zuvor hat die individuelle Risikoeinschätzung im Rahmen eines Hausbesuches durch das Jugendamt weitere Belege für eine Gefährdung des Kindeswohls zu liefern. Auch die Nichtteilnahme an einer obligatorischen Früherkennungsuntersuchung ist als Verstoß gegen eine zum Wohl des Kindes bestehende Rechtspflicht aufzufassen, die in gleicher Weise einen Gefahrerforschungseingriff gebietet, um abzuklären, ob Gefährdungen für das Kind bestehen. Denn bleibt das Präventionsangebot ungenutzt, ist dies als ein Hinweis auf eine Unterversorgungslage des Kindes interpretierbar. Der Einsatz der Familienhebamme und die Erziehungskurse auf der dritten Maßnahmenstufe sind folglich nur bei konkreten Eltern einzusetzen, gegenüber denen sich ein Gefahrenverdacht bereits verdichtet hat. Diese Risikofamilien sind gezielt zu betreuen. Ab dieser Stufe hat das Jugendamt selbst keine eigenen Befugnisse mehr, sondern muss sich, wenn der Hausbesuch gewichtige Anhaltspunkte für eine Kindeswohlgefährdung ergeben hat an das Familiengericht wenden, sodass dieses die Einsetzung einer Familienhebamme verfügt beziehungsweise bei vollständigem Scheitern der Maßnahme die Herausnahme des Kindes aus der Familie – entsprechend der vierten Maßnahmenebene – anordnet. Nach der dem gestuften Maßnahmenkonzept zugrundeliegenden Vorstellung schaffen die staatlichen Hilfen und Ergänzungsprogramme gezielt ihren Weg in Risikofamilien. Zudem bedeutet ihr rechtzeitiger Einsatz einen geringeren Aufwand als eine nachträgliche Schadensbereinigung beispielsweise durch eine Heimunterbrin92 Bei der automatischen Kennzeichenerfassung ist eine polizeiliche Fahndung „ins Blaue hinein“ verfassungswidrig, BVerfG, DVBl. 2008, S. 575 (581); vgl. auch BVerfGE 115, 320 (361). 93 Jestaedt, 6. Göttinger Workshop, S. 17 f. 94 Vgl. Hümmer, ZfL 2007, S. 46, 50.

C. Resümee

185

gung des betroffenen Kindes, die zudem höhere Kosten verursacht. Die gestufte Vorgehensweise des Maßnahmenkonzepts entspricht ferner deshalb dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, weil sie familienerhaltender wirkt und weniger einschneidend ist als der Entzug des Sorgerechts, der im Schadensfall als eine Ad-hoc-Aktion in das Familienleben einbricht.

C. Resümee Einigkeit besteht darüber, dass der Staat zu Eingriffen in das Elternrecht berechtigt ist, wenn eine Kindeswohlgefährdung vorliegt. Liegt dagegen keine vor, hat er sich weit möglichst vom Elternhaus fernzuhalten. Problematisch ist die Grauzone dazwischen, in der eine konkrete Gefährdung des Kindeswohls noch nicht erreicht ist, das Kind aber bereits in nachteiligen Umständen leben muss, weil die Eltern sich weigern, staatliche Hilfen anzunehmen oder weil der Hilfebedarf staatlicherseits nicht erkannt worden ist. Ein abgestuftes Maßnahmenkonzept (vgl. Dritter Teil), das bundeseinheitlich auf Fälle sich anbahnender Kindeswohlgefährdung reagiert, existiert nicht. Die vorhandenen freiwilligen Hilfsmaßnahmen sind nur in begrenztem Umfang geeignet, rechtzeitig Verdachtsfälle aufzuspüren und sodann einer Klärung zuzuführen. Zwar kann das Familiengericht von Amt wegen Ermittlungen durchführen, bis es aber von Vernachlässigung und Misshandlung eines Kindes erfährt, haben diese häufig ein fortgeschrittenes Stadium erreicht. Die Schwachstellenanalyse (vgl. zuvor B. I. und II.) hat zudem gezeigt, dass aufgrund der historisch bedingten Interpretation von Art. 6 Abs. 2 GG dem staatlichen Wächteramt allzu strikte verfassungsrechtliche Grenzen gesetzt sind, sobald es sich dem elterlichen Erziehungsbereich nicht gewährend, sondern regelnd nähert. Aufgrund der herkömmlichen, seit Jahrzehnten weitgehend gleichbleibenden Auslegung der verfassungsrechtlichen Vorgaben (näher im Vierten Teil, D. II.) nehmen auch Jugendämter eine defensive Haltung ein und handeln oft sehr zurückhaltend. Kontrastiert werden die bestehenden verfassungsrechtlichen Maßstäbe und die darauf basierenden einfachgesetzlichen Regelungen (vgl. dazu im Zweiten Teil, B. I. und II.) durch die Risiken von Vernachlässigung, Gewalt und Missbrauch, denen Kinder in (hochbelasteten) Familien ausgesetzt sind. Die im ersten Teil dargelegten Ausführungen zu kindlichen Lebensrisiken und Schicksalen geben den Blick frei auf Eltern, die durchaus frühzeitiger „mehr Staat“ in ihrem Familienleben vertragen. Vor dem Hintergrund der aufgeführten statistischen Daten zu den familiären Entwicklungstendenzen in unserer Gesellschaft, insbesondere mit Blick auf die derzeitigen Mängel hinsichtlich elterlicher Betreuungs- und Erziehungsfähigkeiten sowie die Gründe für Vernachlässigungsproblematiken von Kindern, gewinnen Vorbeugung und Vorverlagerung staatlichen Handelns auch für diesen Bereich an Bedeutung. Die starre Betrachtung, wie sie die bisherige Auslegung des staatlichen Wächteramts gemäß Art. 6 Abs. 2 S. 2 GG verlangt, wird somit nicht mehr dem in den letzten

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5. Teil: Elterngrundrecht und Maßnahmenkonzept

sechs Jahrzehnten hinzugewonnenen Kenntnisstand bezüglich kindlicher Bedürfnisse gerecht und wirkt angesichts der in manchen Elternhäusern fehlenden Erziehungsleistung kontraproduktiv. Angesichts der seit Jahrzehnten schwächer werdenden Geburtenjahrgänge geht es zudem um den Staat selbst, wenn an die Kinder nicht mehr diejenigen Fähigkeiten weitergegeben werden, die sie zu mündigen Bürgern, befähigt zu einem sozialverträglichen Leben und Handeln in der Gemeinschaft, heranwachsen lassen. Die aktuellen einfachgesetzlichen Ansätze indizieren bereits eine staatliche Tendenz in Richtung eines präventiven staatlichen Tätigwerdens. Erste Ansatzpunkte zeichnen sich beispielsweise im Familienrecht durch § 157 f FGG ab, der den Begriff einer „möglichen Kindeswohlgefährdung“ verwendet. Ab diesem Zeitpunkt soll der Familienrichter mit den Eltern ein Erörterungsgespräch führen, wie der Gefährdung des Kindes am besten begegnet werden kann.95 Es bestehen also konkrete Anhaltspunkte (vgl. § 8a SGB VIII) für eine Kindswohlgefährdung, die aber noch nicht mit der für eine Anordnung gemäß § 1666 BGB erforderlichen Sicherheit feststeht. Dem Gefährdungsbegriff wird ein anderer Begriff vorgelagert, eine „Gefährdung light“.96 Die Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts wird dafür herabgesenkt. Damit korrespondiert ein beschränktes Handlungsarsenal, so dass die mögliche Gefährdung nicht zu einer Intervention in der Sache, sondern zu Kontrollmaßnahmen legitimiert (Gesprächserzwingung). Im dritten Teil dieser Arbeit wird ein gestuftes Maßnahmenkonzept dargestellt, das eine Möglichkeit für einen umfassenden Lösungsansatz aufzeigt. Der Staat soll so – verwaltungsrechtlich systematisiert – auf fehlende elterliche Erziehung reagieren können. Das im Sinne eines Erziehungsverwaltungsrechts gedachte Maßnahmenkonzept ist als ein erster Ansatz zu betrachten zwischen dem erzieherischen Elterngrundrecht und den noch ungenügenden präventiven, staatlichen Wächteramtsbefugnissen einen Angleichung herzustellen. Dabei fungieren das allgemeine Gefährdungsscreening und der – bei ersten Verdachtsmomenten anzusetzende – individuelle Hausbesuch (vgl. Dritter Teil, C.) ebenso wie die, bei einer konkreteren Gefährdungslage einsetzende, Arbeit der Familienhebamme (vgl. Dritter Teil, D.) als verhältnismäßig ausgeformte Bindeglieder. Einem solchen Präventions- und Schutzkonzept kommt sowohl eine positive Signalwirkung zu und es ist insbesondere deshalb zu befürworten, weil durch den Einsatz der gestuften Maßnahmen sich anbahnende Gefährdungsrisiken in Eltern-KindBeziehungen rechtzeitig erkannt werden. So haben die geringer belastenden Maßnahmen des Gefährdungsscreenings und der Pflichtuntersuchungen auf der zweiten Maßnahmenstufe eine rein vorläufige Natur und dienen lediglich der Sachverhaltsklärung. Gefährdete Kinder und ihre Eltern können daraufhin mittels konkreter und kontinuierlicher Hilfestellung begleitet werden, bevor sich (weitere) schwerwiegende

95 96

Vgl. zu diesen Überlegungen Veit, 6. Göttinger Workshop, S. 2 ff. Coester, 6. Göttinger Workshop, S. 19.

C. Resümee

187

Misserfolge im Kinderschutz ereignen.97 Dazu werden die endgültigen Folgemaßnahmen wie der Besuch der Familienhebamme und die Erziehungskurse auf der dritten Maßnahmenebene beziehungsweise die endgültige Trennung des Kindes von seinen Eltern eingesetzt, die jedoch nur unter weitergehenden rechtlichen Handlungsermächtigungen zulässig sind. Eine Vorverlagerung und Ausdehnung des staatlichen Beobachtungsinstrumentariums wie sie das gestufte Maßnahmenkonzept darstellt, ist insbesondere für die ersten Lebensjahre von Kindern wichtig, weil der Staat bis zum Eintritt der Schulpflicht allzu wenig Kenntnis über die Lebenssituation von Eltern und Kindern besitzt. Der staatliche Wächter im Sinne von Art. 6 Abs. 2 S. 2 GG, an sich auch verantwortlich für die Schaffung kindeswohlgerechter Rahmenbedingungen, wird durch eine überaus lang tradierte, aber wenig hinterfragte Kommentareinschätzung in seinen wächteramtlichen Befugnissen stark limitiert – wie die verfassungsrechtliche Darlegung der eingeschränkten, staatlichen Handlungsbefugnisse, auch im Hinblick auf das Maßnahmenkonzept (vgl. Fünfter Teil, A.), sowie die Defizitanalyse deutlich gezeigt haben. Die Frage nach Ausbaumöglichkeiten der wächteramtlichen Befugnisse im Bereich des elterlichen Erziehungsgrundrechts liegt daher auf der Hand, weshalb im letzten Teil dieser Arbeit Überlegungen zu einer Erweiterungsskizze der staatlichen Beobachtungsbefugnisse angestellt und Argumente für eine Vorverlagerung staatlicher Präventions- und Interventionsmöglichkeiten zusammengetragen worden sind. Denn das Kernproblem bei der Eindämmung von Kindesvernachlässigungen besteht hauptsächlich in der Schwierigkeit rechtzeitige Anhaltspunkte für das Vorliegen einer Gefährdungssituation zu erhalten, um aber die Vorboten einer Kindeswohlgefährdung zu erkennen, ist es notwendig die im Tatsächlichen verborgenen Missstände aufzudecken, weil sich auf diesem Weg gestörte oder stark belastete Situationen in der Erziehungstätigkeit (überforderter) Eltern erkennen, verhindern und damit letzten Endes gefährdete Kinder effektiv schützen lassen. Vorsorgepflichten und die Schaffung von rechtlichen Möglichkeiten zur Gefahrerforschung sind wie im Polizeirecht daher auch im Rahmen des staatlichen Wächteramts gemäß Art. 6 Abs. 2 S. 2 GG als ein notwendiger Teil der staatlichen Aufgabe zu betrachten, der diese vorbereitet und ergänzt. Denn eine verfassungsmäßige, insbesondere den rechtsstaatlichen Anforderungen entsprechende Gefahrbeseitigung setzt eine hinreichende Informationsgrundlage über das familiäre Geschehen voraus und dem Gesetzgeber obliegt es Gefahrenlagen einzuschätzen sowie das geeignete Abwehrinstrumentarium bereitzustellen, wobei er darauf zu achten hat, dass neue Gefahrenlagen auch neue Wege der Gefahreinschätzung hervorrufen. Vorgelagerte Beobachtungsaufgaben liefern Anhaltspunkte für vernachlässigte oder misshandelte Kinder und verringern die Wahrscheinlichkeit eines späteren Schadeneintritts oder verhindern, dass ein solcher Tiefpunkt elterlicher Nichtpflege überhaupt erst erreicht wird. An die Seite der staatlichen Wächteramtsbefugnisse ist 97 Fegert, ZKJ 2009, S. 136; Munro, JAmt 2009, S. 106, 112 ff.; Oberloskamp, 6. Göttinger Workshop, S. 45, 54.

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5. Teil: Elterngrundrecht und Maßnahmenkonzept

daher ein Gefahraufklärungsrecht zu stellen, das im Vorfeld morgigen wächteramtlichen Eingriffshandelns liegt. Dass der Staat die Demarkationslinie zwischen Wächteramt und primärer Elternverantwortung hinausschiebt, ist, solange es sich zunächst nur um aufklärende Maßnahmen handelt, kein Verstoß gegen Art. 6 Abs. 2 S. 1 GG. Denn der Staat nimmt sein Wächteramt nicht nur dadurch wahr, dass er für Kinder und Jugendliche abgestufte Mündigkeitsregelungen bereitstellt oder bestimmte Formen der sanktionsbewehrten Erziehung verbietet; auch braucht er sich nicht allein darauf zu beschränken Gefahren abzuwehren oder bei erheblichen, mitunter existentiellen Verstößen der Eltern gegen ihre Erziehungspflichten ihnen das Sorgerecht zu entziehen. Vielmehr ist das Wächteramt des Staates nicht denkbar, ohne dass zuvor beobachtet und festgestellt wird, ob überhaupt Gefahren für Kinder vorliegen. Die Umsetzung und Durchführung staatlicher Prävention ist daher nicht nur besser, sondern auch billiger als Familienrehabilitation.

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Sachwortverzeichnis § 8a SGB VIII 41 – Anhaltspunkte Kindeswohlgefährdung 70 § 1631 Abs. 2 BGB – Kind 45 § 1666 BGB – Eingriffsschwelle 40 – familienrechtliche Generalklausel 65 § 1666 Abs. 1 BGB 41 – Kindeswohlgefährdung 41 – Vernachlässigung 44 § 1666 Abs. 3 BGB 74 – Familiengericht 74 § 1666a BGB 74 § 1696 Abs. 3 BGB 173 Armutsforschung 52 Armutsrisiko 30 – Alleinerziehende 31 Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG 144 Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG – Schutzbereich 145 Art. 3 Abs. 1 GG 160 Art. 6 Abs. 1 GG – Art. 6 Abs. 2 GG 136 – Elterngrundrecht 134 – Familie 133 Art. 6 Abs. 2 S. 1 GG – Eingriffsrechtfertigung 143 – Kind Grundrechtsträgerschaft 142 – personeller Schutzbereich 123 – sachlicher Schutzbereich 126 Art. 6 Abs. 2 S. 2 GG 151 f. – Gesetzesvorbehalt 153 – Kinder- und Jugendschutz 157 Art. 6 Abs. 3 GG 111, 151, 155 – Familie 155 – Verhältnismäßigkeitsgrundsatz 112 Art. 7 Abs. 1 GG 137 Art. 13 Abs. 1 GG 167 Art. 120 WRV 114

Art. 122 WRV 116 Aufklärungskampagne

87

Bildung – Kindergartenbesuchspflicht Bürgerliches Gesetzbuch 64 Demographischer Wandel

91

29

Ehe 133 – ohne Kinder 27 – Scheidung 28 Eingriffsschwelle – Absenkung 39, 179 – § 1666 BGB 40 – Familiengericht 73 – Modifikation 181 – tradiert 172 – Vorverlagerung 174 Eltern – alleinerziehend 50 – altersangemessene Erziehung 125 – Befugnismissbrauch 152 – begrenzte staatliche Zugangswege 170 – Beratungsbedarf Erziehungsfragen 33 – eigene Kindheit 43, 49 – Erziehung 126 – Erziehungsschwierigkeiten 32 – Erziehungsstil 96 – Erziehungsversagen 83 – familiengerichtliches Erziehungsgespräch 40 – fehlende Erziehungsverantwortung 31 – frühe Hilfen 97 – Gewalttäter 46 – Grundrechtsträger 123 – Gutscheinvergabe 89 – Idealerziehung 129 – Misshandlung 46 – neue Zugangswege 41, 176 – niedrige Zugangsschwelle 92

Sachwortverzeichnis – Opfer 49 – Pflicht 130 – praesumptio pro parentibus 129 – Risikofamilie 47 – Rücksichtnahme Kind 149 – Schule 137, 139 – Überforderung 33, 49, 169 – Vernachlässigung 44 Eltern und Kind 146 – Entfremdung 33, 169 Eltern und Schule 139 – Kooperationsverhältnis 139 Elternbriefe 86 Elterngrundrecht 130 – Abwehrrecht 120 – Art. 6 Abs. 1 GG 134 – Art. 6 Abs. 3 GG 112 – einfachgesetzliche Umsetzung 147, 175 – Eingriff 153 – Eingriff BGB-Normen 147 – Eingriff Familienrichter 155 – Eingriffsrechtfertigung 143, 152 f. – Entstehungsgeschichte 118 – gegen das Kind? 146 – Grenzen 152 – hohe materiellrechtliche Anforderungen 170 – „im Interesse des Kindes“ 131 – Kind Grundrechtsträger 142 – Kindergartenbesuchspflicht 91 – Kindeswohl 143 – Landesverfassungen 80 – Menschenrecht 124 – Nationalsozialismus 119 – natürliches Recht 119 – personeller Schutzbereich 123 – Pflege und Erziehung 126 – sachlicher Schutzbereich 126 – Schranken 153 – Spannungsfeld 174 – staatliches Wächteramt 152 – überholt? 169 – uneingeschränkt 170 – Vorsorgeuntersuchung 161 – Weimarer Reichsverfassung 114 Elternkurse 32, 85, 106 – Familienhebamme 110 Elternpflicht

211

– Nichtausübung 131 Elternrecht – BRD 122 – Bürgerliches Gesetzbuch 64 – DDR 121 – Grundgesetz 130 – Nationalsozialismus 116 – Preußisches Allgemeines Landrecht 63 – Rechtsgeschichte 62 Elternverantwortung 130 – Nichtausübung 131 Erziehungsberechtigte 111 – Art. 6 Abs. 3 GG 111 – Versagen 111 Erziehungsgrundrecht – Grenzen 153 – Schranken 153 Erziehungshilfen – freiwillige, historisch 67 – freiwillige, SGB VIII 68 – freiwillige, steigende Inanspruchnahme 33 Erziehungslehre 86 Erziehungsträger 131 Erziehungsunfähigkeit – elterliche 83, 109 Erziehungsverwaltungsrecht 85 Erziehungsvorstellung 127 – Entscheidungsspielraum 128 – Grenze 129 – Grundgesetz 129 – Interpretationsprimat 128 – praesumptio pro parentibus 129 Familie – § 157 FamFG 40 – alleinerziehend 28 – Art. 6 Abs. 1 GG 133 – Art. 6 Abs. 3 GG 155 – Bürgerliches Gesetzbuch 66 – Destabilisierungsprozess 83 – Einkommen 31 – Gesellschaft 136 – Kindeswohl 135 – Mehrkinder 27 – Patchwork 28 – Scheinvorstellung 170 – staatliche Fördermaßnahmen 136

212

Sachwortverzeichnis

– staatlicher Förderbedarf 34 – staatliches Neutralitätsgebot 136 – Veränderungen 169 – „Veröffentlichung“ 36 Familiengericht 72 – § 1666 Abs. 3 BGB 74 – Beurteilungsspielraum Kindeswohlgefährdung 73 – Eingriffsschwelle 73 – Erörterung Kindeswohlgefährdung 40 – Erziehungsgespräch 40 – frühzeitige Einschaltung 39 – Kenntnis Kindeswohlgefährdung 72 – Kinderschutzverfahren 73 – Kindesbedürfnisse 151 – Konkretisierung Kindeswohl 150 – Rechtsfolgen Kindeswohlgefährdung 74 – Sorgerechtsentzug 39, 75 – Sorgerechtsentzug Kleinkinder 55 – Verfahren folgenlos 173 Familienhebamme 106 – Eingriff Elterngrundrecht 167 – Eingriff Wohnung 167 – Eingriffsrechtfertigung Elterngrundrecht 167 – Elternkurse 110 – Hausbesuch 109 – Kinderschutz 107 – „Nachbeelterung“ 107 – Risikofamilie 108 – ungerechtfertigter Eingriff Elterngrundrecht 168 Familienhelfer – Eltern 99 – Gefährdungseinschätzung 100 – Hausbesuch 99 Familienpolitik 34 Familienrichter – Eingriff Elterngrundrecht 155 – Einschätzung Kindeswohl 171 – Informationsstand 171 – Kindesbedürfnisse 151 – Kindeswohlentscheidung 150 – Umsetzung Verhältnismäßigkeitsgrundsatz 154 Familienzentren 88

Gefährdungseinschätzung – abstrakt 93 Gefährdungsschwelle – Absenkung 40 Gemeinschaft und Individuum 177 Generalklausel – familienrechtliche 65 Gesellschaft – Familie 136 – Integration 178 – Kindererziehung 176 f. – Kindergartenbesuchspflicht 91 – Kindeswohlgefährdung 57 – veränderte Erziehungsvorstellungen 151 Gesetzesvorbehalt – Elterngrundrecht 153 Gesundheitssystem 97 – Jugendamt 98 – Kindeswohlgefährdung 97 – Screeningverfahren 97 Gewalt 45, 49 Gleichheitssatz 160 Grundgesetz – Eltern 130 – Kind 87 – Menschenbild 129, 158, 177 – Menschenwürde 130 – Werteordnung 175 Grundrecht – allgemeines Persönlichkeitsrecht 144 – Leben und körperliche Unversehrtheit 145 – Wohnung 167 Grundrechtsträger – Eltern 123 – Minderjähriger 142 Grundrechtsträgerschaft – Beginn 125 – Ende 125

Hausbesuch – Familienhebamme 109 – Familienhelfer 99 – Screeningverfahren 99 Hilfen – aufsuchende 109 – frühe 97

Sachwortverzeichnis Jugendamt – § 1626 BGB 71 – Doppelrolle 71 – Eingriff in elterliche Sorge 71 – Eingriffsschwelle 71 – Einschaltung Familiengericht 38, 71 – Ermittlung Kindeswohlgefährdung 69 – fachliche Defizite 37 – freiwillige Erziehungshilfen 69 f. – Gefahr in Verzug 72 – Gesundheitssystem 98 – Hausbesuch 37 – Hemmschwelle 171 – Hilfs- und Kontrollinstanz 71 – historisch 67 – Informationsbeschaffung 171 – Inobhutnahme 72 – Kindeswohlgefährdung 71 – Nachsorge 174 – Schutzauftrag 36, 70 – Sorgfaltspflichtverletzung 37 – staatliches Wächteramt 71 – Untersuchungsgrundsatz 69 – Vorsorgeuntersuchung 103 Kind – § 1631 Abs. 2 BGB 45 – altersangemessene Erziehung 125 – Armut 52 – Art. 6 Abs. 3 GG 111, 155 – Aufwachsen in Familie 134 – bestmögliche Förderung 173 – Bildung 53 – Bindungsforschung 43 – Bürgerliches Gesetzbuch 64 – elterliche Erziehung 126 – elterliche Erziehungsentscheidung 146 – Entwicklungsprozess 43 – Entwicklungspsychologie 43 – Erziehung und Gesellschaft 177 – Folgen Gefärdungslage 54 – Fremdbestimmung 130 – Gesundheit 52 – gewaltfreie Erziehung 45 – Gewaltopfer 46 – Grundgesetz 87 – Grundrecht 142 – Grundrechtssubjekt 148

213

– Gutscheinvergabe 89 – Idealerziehung 129 – Misshandlung 45 – Netzwerk fehlt 171 – Opfer Privatsache 45 – Person-Werden 144 – Persönlichkeitsentwicklung 43 – Preußisches Allgemeines Landrecht 64 – Prozessrecht 149 – Risikofamilie 47 – Schule und Bildung 138 – Schutzanspruch 155, 158 – Selbstbestimmungsfähigkeit 149 – Selbstbestimmungsrecht 146 – sexueller Missbrauch 45 – Straftaten 32 – Teilmündigkeit 125 – Trennung von Familie 111, 155 – Verhaltensauffälligkeit 32, 49, 55 – Vernachlässigung 44 – Verwahrlosung 111 – Verwahrlosungsfälle 169 – Volljährigkeit 125, 149 Kinder- und Jugendschutz 157 Kindererziehung – Gesellschaft 177 Kindergarten – Besuchspflicht 90 – niedrige Zugangsschwelle 92 Kindergrundrecht 87, 146 Kinderlosigkeit 34 Kinderschutz 83 – Bundesebene 89 – Erziehungsverwaltungsrecht 84 – Familienhebamme 107 – Großbritannien 87 – Präventionskonzept 83 – unterhalb Eingriffsschwelle 172 Kinderschutzbund 110 Kinderschutzhotline 87 Kindesbedürfnisse 42 Kindeswille 149 Kindeswohl – allgemeines Persönlichkeitsrecht 144 – Eingriffsmaßstab 155 – Einzelfallentscheidung 148 – familiäre Gesamtsituation 148 – Familie 135

214

Sachwortverzeichnis

– Familiengericht 150 – grundrechtsdogmatische Mitte 143 – Kindeswille 149 – Menschenwürde 143 – Sicherung und Wiederherstellung 156 – Subsidiarität Wächteramt 148 – „Verstaatlichung“ 120 Kindeswohlgefährdung 41 f., 49 – § 8a SGB VIII 41 – § 1666 Abs. 1 BGB 41 – akute Gefährdung 36 – Anhaltspunkte § 8a SGB VIII 69 – Armut 51 – Beurteilungsspielraum 73 – Bildung 52 – Einschätzung des Risikos 93 – familiärer Kreislauf 57 – familiengerichtliche Erörterung 40 – Folgen 54 – frühzeitige Verdachtshinweise 95 – Gesundheitssystem 97 – Kindergarten und Schule 96 – sozialer Status 52 – sozialwissenschaftliche Definition 42 – steigende Fallzahlen 83 – Steigerungsrate 33 – Wahrscheinlichkeit 95 Kindheit – historisch 62 Kindstötung 46, 48, 169 – Dunkelziffer 54 – historisch 60 – Statistik 54 Kleinkinder 44 – Grundbedürfnisse 43 – Vernachlässigung 44 Kriminalstatistik 45 – Dunkelziffer 45 Missbrauch – elterlicher Befugnisse Misshandlung 45 – Definition 46 – elterliche 46 – emotionale 46 – Folgen 54 – Kind 45 – körperliche 46

152

– Münchhauen-by-proxy-Syndrom – Statistik 45

46

Nationalsozialismus – Elternentrechtung 116 Neuregelung § 1666 BGB 39 Polizeirecht – Gefahrenabwehr 181 – Gefahrenvorsorge 181 f. – Gefahrerforschungseingriff 183 – Informationsbeschaffung 182 – Vorsorgeprinzip 181 Preußisches Allgemeines Landrecht Prozessrecht – Kind 149

63

Rechtsdreieck 133, 175 Reviktimisierungsrisiko 50 Risikofaktoren 47, 50 – Armut 51 – elterliche Biografie 48 – individuelle 48 – Screeningverfahren 96 Risikofamilie 47 – aufsuchende Hilfen 109 – Familienhebamme 108 – prekäre Lebenssituation 176 – Screeningverfahren 94, 96 – staatliche Kompensation 176 Säuglinge 44, 52 – Grundbedürfnisse 43 – Vernachlässigung 44 Schule 137 – Eltern 137, 139 – Kindergartenbesuchspflicht 92 – pluralistische Gesellschaft 138 – staatliche Erziehungsvorstellung – staatlicher Miterzieher 139 Schulpflicht 137 Schutzbereich – außerhalb 127 – personell 124 – Pflege und Erziehung 126 – sachlich 126 Screeningverfahren 93

139

Sachwortverzeichnis – Abschätzung Risiko Kindeswohlgefährdung 93 – abstrakt 99 – Eingriff Elterngrundrecht 161 – Gefährdungseinschätzung 97 – Gesundheitssystem 97 – Hausbesuch 99 – inhaltliches Prüfprogramm 96 – Kindeswohlprognose 97 – Risikofaktoren 96 – Risikofamilie 94, 96 – Wahrscheinlichkeit Kindeswohlgefährdung 97 sexueller Missbrauch 45 – Definition 47 – Folgen 54 – Kind 45 – Statistik 45 Sorgerechtsentzug 39 – Kleinkinder 34, 55 – ultima ratio 75, 172 Sozialstaatsprinzip 140 Staat – Idealerziehung 129 staatliches Wächteramt 151 – abstrakte Kindeswohlgefährdung 156 – Art. 6 Abs. 3 GG 155 – Ausfallbürge 154 – Beobachtungsbefugnis 156 – Eingriffsrechtfertigung 153 – Eingriffsschwelle Vorverlagerung 181 – elterliches Fehlverhalten 152 – Elterngrundrecht 152 – Ermittlungsbefugnis 156 – Erziehungskontrolle 154 – Erziehungsreserve 155 – frühzeitigeres Tätigwerden 175 – Gesetzesvorbehalt 153 – grundrechtliche Schutzpflicht 158 – Idealerziehung 154 – Informationsbeschaffung 156, 170, 183 – Informationsdefizit 172 – Kinder- und Jugendschutz 157 – Kindesbedürfnisse 173 – konkrete Kindeswohlgefährdung 152 – mitlaufende Erziehungskontrolle 170 – Nachtwächteramt 183 – Pflichtverletzung der Eltern 152

– – – – – – – – – – –

215

Reserveverantwortung 170 Risikominimierung 183 Sicherung Kindeswohl 156 Subsidiarität 153 Überwachungsvorbehalt 153 ultima ratio 155 Unvertretbarkeitskontrolle 153 Verhältnismäßigkeitsgrundsatz 154 Versagen der Eltern 152 vorausschauende Beobachtung 156, 183 Vorverlagerung 179

Transferleistungen – staatliche 50 f., 85 UN-Kinderrechtekonvention

76

Verhältnismäßigkeitsgrundsatz – § 1666a BGB 74 – Art. 6 Abs. 3 GG 112 – staatliches Wächteramt 154 Vernachlässigung – § 1666 Abs. 1 BGB 44 – Definition 44 – Dunkelziffer 45 – elterliche 44 – Folgen 54 – historisch 60 – Kleinkinder 44 – Statistik 45 Vorsorgeuntersuchung – Angemessenheit 165 – bundeseinheitliche 101 – Eingriff allgemeine Handlungsfreiheit 161 – Eingriff Elterngrundrecht 161 – Eingriff informationelles Selbstbestimmungsrecht 161 – Eingriff körperliche Unversehrtheit 162 – Eingriffsrechtfertigung allgemeine Handlungsfreiheit 162 – Eingriffsrechtfertigung Elterngrundrecht 164 – Eingriffsrechtfertigung informationelles Selbstbestimmungsrecht 163 – Eingriffsrechtfertigung körperliche Unversehrtheit 163 – Erforderlichkeit 164

216 – – – – – – – –

Sachwortverzeichnis

freiwillig 101 Geeignetheit 164 Intervalle 102 Jugendamt 103 Kontrolle 102 Nichtteilnahme 103 Teilnahmequote 101 ungerechtfertigter Eingriff Elterngrundrecht 167

– verpflichtend – Ziele 102

101

Wächteramt – vorausschauende Beobachtung Weimarer Reichsverfassung – Elterngrundrecht 114 – Schulrecht 115

170